Die Franken und die Alemannen bis zur "Schlacht bei Zülpich" (496/97)
 9783110804348, 9783110158267

Table of contents :
Troiamythos und fränkische Frühgeschichte
Franken und Romanen im Spiegel spätrömischer Grabfunde im nördlichen Gallien
La Progression des Francs en Gaule du Nord au Ve siècle. Histoire et archéologie
Zur Verwaltungsorganisation in der nördlichen Galloromania
Die „Franken“. Staat oder Volk?
Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen im Nordosten der Gallia. Die ,Germania submersa‘ als Quelle der Sprach- und Siedlungsgeschichte
Mosella Romana. Hydronymie, Toponymie und Reliktwortdistribution
Sprachraumbildung am Niederrhein und die Franken. Anmerkungen zu Verfahren der Sprachgeschichtsschreibung
Frühfränkische Funde aus Zülpich
Riparii – Ribuarier – Rheinfranken nebst einigen Bemerkungen zum Geographen von Ravenna
Theorien zur Herkunft und Entstehung der Alemannen. Archäologische Forschungsansätze
Die Höhensiedlungen der Alemannen und ihre Deutungsmöglichkeiten zwischen Fürstensitz, Heerlager, Rückzugsraum und Kultplatz
Semnonen – Juthungen – Alemannen. Neues (und Altes) zur Herkunft und Ethnogenese der Alemannen
Zur Entstehung des Stammes der Alamanni aus römischer Sicht
Die Alemannen in der Mitte des 4. Jahrhunderts nach dem Zeugnis des Ammianus Marcellinus
Alemannen im römischen Heer – eine verpaßte Integration und ihre Folgen
Chlodwigs Alemannenschlacht(en) und Taufe
Die Bedeutung von Religion und Bekehrung im Frühmittelalter
Christianisme et „paganisme“ dans la Gaule septentrionale aux Ve et VIe siècles. Mit deutscher Zusammenfassung
Probleme einer völkerwanderungszeitlichen Religionsgeschichte
Der Kollierfund vom fünischen Gudme und das Mythenwissen skandinavischer Führungsschichten in der Mitte des Ersten Jahrtausends Mit zwei runologischen Beiträgen von WILHELM HEIZMANN
Rechtsvorstellungen bei den Franken und Alemannen vor 500
Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts
Strukturveränderungen in der westgermanischen Welt am Vorabend der fränkischen Großreichsbildung. Fragen, Suchbilder, Hypothesen
Typen der Ethnogenese. Ein Versuch
Bemerkungen und Notizen zur „Ethnogenese“ von „Franken” und „Alemannen“
Alemannen und Franken. Schlußbetrachtungen aus historischer Sicht
Sprachliche Aspekte des Problems Franken – Alemannen um 500
Die Franken und Alemannen vor 500. Ein chronologischer Überblick

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Die Franken und die Alemannen

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer Band 19

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G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich" (496/97) Herausgegeben von Dieter Geuenich

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Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

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Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Reallexikon der germanischen Altertumskunde / von Johannes Hoops. Hrsg. von Heinrich Beck ... — Berlin ; New York : de Gruyter Bis Bd. 4 der 1. Aufl. hrsg. von Johannes Hoops Ergänzungsbände / hrsg. von Heinrich Beck ... Bd. 19. Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich" (496/97). - 1998 Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich" (496/97) /hrsg. von Dieter Geuenich. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 19) ISBN 3-11-015826-4

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

Vorwort Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen bis auf wenige Ausnahmen1 auf Vorträge zurück, die im Rahmen eines Wissenschaftlichen Kolloquiums vom 25. bis 29. September 1996 auf Burg Langendorf bei Zülpich (Kreis Euskirchen) gehalten wurden. Die Idee zu diesem Kolloquium entstand im Alemannischen Institut in Freiburg und wurde, wie das heutzutage bei größeren wissenschaftlichen Veranstaltungen üblich geworden ist, durch ein „Jubiläum" angeregt. Schon zu Beginn der 90er Jahre war man im Freiburger Institut darauf aufmerksam geworden, daß sich im Jahre 1996 das Datum der .Schlacht bei Zülpich' zum 1500. Male und das Datum des .Gerichtstags zu Cannstatt' zum 1250. Male jähren würden. Die anfänglichen Bedenken, daß man - zumindest aus der Sicht des „Alemannischen" Instituts - zwei katastrophale Niederlagen zu „feiern" beabsichtige, wurden bald beiseite geschoben. Denn insbesondere das erste der beiden Daten bot, wie sich nach einigem Nachdenken herausstellte, Anlaß und Anreiz, zahlreiche offene Forschungsfragen zu fokussieren. Schon das kriegerische Ereignis, das der Uberlieferung nach zur Konversion und katholischen Taufe des Frankenkönigs Chlodwig führte, erwies sich keineswegs als gesichertes Faktum. Denn weder das Jahr 496/97, das sich lediglich durch die nachträglich dem Schlachtenbericht des Gregor von Tours angefügte Datierung in das 15. Jahr der Regierung des Frankenkönigs Chlodwig {actum anno 15. regni sui) ergibt, noch Zülpich als der Ort der Schlacht [apud Tulbiacensim oppidum) lassen sich zweifelsfrei ermitteln und sichern. Und auch das, was sich in dieser „Entscheidungsschlacht" zwischen Franken und Alemannen nach dem Bericht des Tourser Bischofs ereignet haben soll, hält einer kritischen Uberprüfung nicht stand2.

Zusätzlich wurden die Beiträge der Kolloquiumsteilnehmer Michael Dodt, Wilhelm Heizmann, Michael Hoeper und Max Martin in den Tagungsband aufgenommen, da sie dessen Thematik in willkommener Weise ergänzen. Gerhard Fingerlin und Hugo Steger stellten ihre Vortragsmanuskripte nicht zur Publikation in diesem Band zur Verfügung, da sie bereits für den Katalogband der Ausstellung „Die Alamannen" konzipiert waren. Vgl. Fingerlin, Gerhard. „Siedlungen und Siedlungstypen. Südwestdeutschland in frühalamannischer Zeit" (125-134) und Bassler, Harald & Hugo Steger. „Auf den Spuren der Sprache. ,Alemannisch' als Teil des Althochdeutschen'" (503-510). In: Die Alamannen. Ausstellungskatalog. Ed. Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg. Stuttgart 1997. Vgl. dazu ausführlicher Geuenich, Dieter. „Chlodwigs Alemannenschlacht(en) und Taufe", in diesem Band: 423-437.

VI

Vorwort

Gleichwohl wurde schon bald der Entschluß gefaßt, nicht das schon oft diskutierte Ereignis selbst ins Zentrum des Wissenschaftlichen Gesprächs zu rükken, sondern die „Vorgeschichte" dieser beiden gentes, die bei Zülpich „zu einer blutigen Entscheidung aufeinanderprallten" und in einer „mörderischen Schlacht" über „die Frage entschieden, welchem der beiden großen Stämme die Herrschaft über Gallien zufallen sollte" 3 . Lediglich der öffentliche Abendvortrag war dem „Jubiläumsthema" gewidmet, das in der Woche unmittelbar vor dem Zülpicher Kolloquium in Reims Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt zu einem „Colloque interuniversitaire et international" anläßlich des „XV e centenaire du bapteme de Clovis" zusammengeführt hatte, dem auch der Papst, Johannes Paul Π., am 22. September beiwohnte. Die Geschichte der Franken einerseits und der Alemannen andererseits v o r ihrer militärischen Konfrontation um 500 soweit wie möglich zu erhellen, war die Aufgabe, die den Teilnehmern des Zülpicher Kolloquiums gestellt war. Da die schriftlichen Zeugnisse über die Franken und die Alemannen aus den beiden Jahrhunderten - von der ersten Nennung der beiden Völker im ausgehenden 3. Jh. bis zu ihrer kriegerischen Auseinandersetzung im ausgehenden 5. Jh. - nicht sehr zahlreich und ergiebig sind, wurde dem Dialog der Historiker mit den Archäologen und den Sprachwissenschaftlern größte Bedeutung beigemessen. Die aus der Sicht der einzelnen Disziplinen erzielten oder auch nur erhofften Ergebnisse und Erträge des interdisziplinären Gesprächs wurden am Schluß der Tagung von einem Archäologen, einem Historiker und einem Sprachwissenschaftler zusammengefaßt. Diese Resümees sind am Ende des Bandes im Wortlaut wiedergegeben4, so daß hier darauf verwiesen werden kann. Daß die einschlägigen Forscher der drei Fachdisziplinen nach Zülpich gekommen sind, ist der engagierten Mitwirkung der Kollegen Hugo Steger und Heiko Steuer zu verdanken, mit denen in zahlreichen Gesprächen im Freiburger Alemannischen Institut die Liste der Vortragenden, der Vortragsthemen und der Teilnehmer zusammengestellt wurde. In diesen Dank sind der Vorstand und die Mitglieder des Alemannischen Instituts mit einzubeziehen, die das Kolloquium von Anfang an als ein zentrales Projekt des Instituts verstanden und förderten. Insbesondere der Geschäftsführer des Alemannischen Instituts, Konrad Sonntag, trug gemeinsam mit der 'Lektorin Cornelia Smaczny einen großen Die ersten beiden Zitate sind von Sütterlin, Berthold 1968. Geschichte Badens 1: Frühzeit und Mittelalter. 2. Aufl. Karlsruhe: 77, das letzte Zitat stammt von Schmidt, Ludwig 1940. Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Teil 2: Die Westgermanen. 2. Aufl. München: 58. Vgl. unten Geuenich (wie Anm. 2): 428. Roth, Wilhelm. „Bemerkungen und Notizen zur ,Ethnogenese' von .Franken' und Alemannen'" (628-635 - Dieser Beitrag entspricht allerdings nicht dem vom Autor vorgetragenen Resümee und gibt den Verlauf der Tagung und der dort geführten Diskussion nicht wieder.); Pohl, Walther. „Alemannen und Franken. Schlußbetrachtungen aus historischer Sicht" (636-651); Tiefenbach, Heinrich. „Sprachliche Aspekte des Problems Franken - Alemannen um 500" (652-655).

Vorwort

νπ

Teil der Last der Vorbereitung und der Organisation des Kolloquiums, das an einem für ein wissenschaftliches Gespräch ungewohnten, aber, wie sich zeigte, bestens geeigneten Ort stattfand: in der Remise der Burg Langendorf. Diese vorbildlich restaurierte Burganlage im Westen der Stadt Zülpich, in unmittelbarer Nähe des vermuteten Schlachtfeldes auf der Wollersheimer Heide, hatten die heutigen Besitzer, Juliane und Manfred Vetter, freundlicherweise für das Kolloquium zur Verfügung gestellt. Das angenehme Ambiente bei den Vorträgen in der Remise und den Mahlzeiten im Burgkeller förderte wesentlich den fruchtbaren Meinungsaustausch, und wer das Glück hatte, in den Räumlichkeiten der Burg übernachten zu dürfen, wird sich besonders dankbar an die Gastfreundschaft des Burgherrn erinnern. Für finanzielle Unterstützung der Veranstaltung ist der Gerda-Henkel-Stiftung, der Nordrhein-Westfalen-Stiftung und der Gerhard-Mercator-Universität - Gesamthochschule Duisburg zu danken. Vielfältige Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums wurde von seiten der Stadt Zülpich und vom Zülpicher Geschichtsverein gewährt, die auch mit der Ausstellung „Chlodwig und die .Schlacht bei Zülpich'. Geschichte und Mythos 496-1996"5 eine zusätzliche Attraktion für die angereisten Teilnehmer boten. Allen Vortragenden ist dafür zu danken, daß sie ihre Vortragsmanuskripte für den Druck überarbeitet und zur Publikation in diesem Band zur Verfügung gestellt haben, der die Interdisziplinarität des Kolloquiums und die Breite des Spektrums der Vorträge und der Diskussion widerspiegelt. Es ist zu hoffen, daß die kritische Uberprüfung des bislang sicher Geglaubten, die fruchtbaren Anregungen und die neuen Erkenntnisse, die in den Vorträgen vermittelt wurden, im vorliegenden Band einem weiteren Leserkreis zur Kenntnis gelangen. Auf die Erschließung des Bandes durch ein oder mehrere Register wurde zugunsten eines ausführlichen „chronologischen Überblicks" über „Die Franken und Alemannen vor 500" verzichtet, den der Duisburger Doktorand Ingo Runde zusammenstellte6. Er trug auch die Last der Redaktion von der formalen Vereinheitlichung der eingegangenen Typoskripte bis zur Herstellung der Druckvorlage für den Verlag. Den Mitherausgebern des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde, den Kollegen Heinrich Beck und Heiko Steuer, sowie dem Verlag de Gruyter danke ich für die Aufnahme in die Reihe der Ergänzungsbände. Duisburg, im August 1998

Dieter Geuenich

Zu dieser Ausstellung erschien auch ein Katalog: Chlodwig und die „Schlacht bei Zülpich" Geschichte und Mythos 496-1996. Ed. Verein der Geschichts- und Heimatfreunde des Kreises Euskirchen e.V. in Verbindung mit dem Zülpicher Geschichtsverein. Red. Dieter Geuenich et al. Euskirchen 1996. Runde, Ingo. „Die Franken und Alemannen vor 500. Ein chronologischer Uberblick" (656690).

Inhaltsverzeichnis EUGEN EWIG

Troiamythos und fränkische Frühgeschichte

1

HORST WOLFGANG BÖHME

Franken und Romanen im Spiegel spätrömischer Grabfunde im nördlichen Gallien

31

PATRICK PERIN

La Progression des Francs en Gaule du Nord au Ve siecle. Histoire et archeologie

59

ULRICH NONN

Zur Verwaltungsorganisation in der nördlichen Galloromania

82

KARL FERDINAND WERNER

Die „Franken". Staat oder Volk?

95

WOLFGANG HAUBRICHS

Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen im Nordosten der Gallia. Die .Germania submersa' als Quelle der Sprach- und Siedlungsgeschichte

102

WOLFGANG KLEIBER

Mosella Romana. Hydronymie, Toponymie und Reliktwortdistribution...

130

ELMAR NEUSZ ·

Sprachraumbildung am Niederrhein und die Franken. Anmerkungen zu Verfahren der Sprachgeschichtsschreibung

156

MICHAEL DODT

Frühfränkische Funde aus Zülpich

193

χ

Inhalt

MATTHIAS SPRINGER

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken nebst einigen Bemerkungen zum Geographen von Ravenna

200

HEIKO STEUER

Theorien zur Herkunft und Entstehung der Alemannen. Archäologische Forschungsansätze

270

MICHAEL HOEPER

Die Höhensiedlungen der Alemannen und ihre Deutungsmöglichkeiten zwischen Fürstensitz, Heerlager, Rückzugsraum und Kultplatz

325

HELMUT CASTRITIUS

Semnonen - Juthungen - Alemannen. Neues (und Altes) zur Herkunft und Ethnogenese der Alemannen

349

HANS-ULRICH NUBER

Zur Entstehung des Stammes der Alamanni aus römischer Sicht

367

THOMAS ZOTZ

Die Alemannen in der Mitte des 4. Jahrhunderts nach dem Zeugnis des Ammianus Marcellinus

384

M A X MARTIN

Alemannen im römischen Heer - eine verpaßte Integration und ihre Folgen

407

DIETER GEUENICH

Chlodwigs Alemannenschlacht(en) und Taufe

423

PATRICK GEARY

Die Bedeutung von Religion und Bekehrung im Frühmittelalter

438

ALAIN DIERKENS

Christianisme et „paganisme" dans la Gaule septentrionale aux Ve et VF siecles. Mit deutscher Zusammenfassung

451

HEINRICH BECK

Probleme einer völkerwanderungszeitlichen Religionsgeschichte

475

Inhalt

XI

KARL HAUCK

Der Kollierfund vom fünischen Gudme und das Mythenwissen skandinavischer Führungsschichten in der Mitte des Ersten Jahrtausends Mit zwei runologischen Beiträgen von WILHELM HEIZMANN

489

RUTH SCHMIDT-WIEGAND

Rechtsvorstellungen bei den Franken und Alemannen vor 500

545

FRANK SIEGMUND

Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts

558

HAGEN KELLER

Strukturveränderungen in der westgermanischen Welt am Vorabend der fränkischen Großreichsbildung. Fragen, Suchbilder, Hypothesen

581

HERWIG WOLFRAM

Typen der Ethnogenese. Ein Versuch

608

HELMUT ROTH

Bemerkungen und Notizen zur „Ethnogenese" von „Franken" und „Alemannen"

628

WALTER POHL

Alemannen und Franken. Schlußbetrachtungen aus historischer Sicht

636

HEINRICH TIEFENBACH

Sprachliche Aspekte des Problems Franken - Alemannen um 500

652

INGO RUNDE

Die Franken und Alemannen vor 500. Ein chronologischer Überblick

656

Abkürzungen a. a.a.O. Abb. afrk. afrz. ahd. altnord. Anm. as. Bd./Bde. bes. bzw. ca. cfr. d.h. dass. dt. ebd. Ed./Eds. engl. etc. evtl. frk. frz. germ. Hss. i.d.B. idg. Jh./Jhs. lat. m.E. mlid. mnd. mnl. n. Chr. N/O/S/W

anno am angeführten Ort Abbildung altfränkisch altfranzösisch althochdeutsch altnordisch Anmerkung altsächsisch Band/Bände besonders beziehungsweise circa confer das heißt dasselbe deutsch ebenda Editor/Editores englisch et cetera eventuell fränkisch französisch germanisch Handschriften in diesem Band indogermanisch Jahrhundert/Jahrhunderts lateinisch meines Erachtens mittelhochdeutsch mittelniederdeutsch mittelniederländisch nach Christus Norden/Osten/Süden/Westen

XIV

ND. ndd. nhd. nl. Nr. o.g. P. s. S. sog. Sp. Str. Tai. u.a. u.a. usw. Verf. vgl. vlat. wall. z.B. z.T.

Abkürzungen

Nachdruck niederdeutsch neuhochdeutsch niederländisch Nummer oben genannt Pagina siehe Seite sogenannt Spalte Strophe Tafel und ähnliches unter anderem und so weiter Verfasser vergleiche vulgärlateinisch wallonisch zum Beispiel zum Teil

Trojamythos und fränkische Frühgeschichte VON EUGEN EWIG

Die „Fabeln... über die Vorzeit und die trojanische Herkunft der Franken" hat Wilhelm Wattenbach charakterisiert als „Erzeugnisse einer kindischen Gelehrsamkeit und kecker Erfindimg, echter Sage völlig fremd, die aber nach und nach bei Halbgelehrten und Ungelehrten Eingang fanden." Das Verdikt steht noch in der letzten Ausgabe von „Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 1" aus dem Jahr 1952, die W. Levison bearbeitet, aber nicht mehr abschließend revidiert hat. Nach einem halben Jh., in dem die Vorstellungen vergangener Epochen mehr als vorher ins Blickfeld der Forschung traten, ist deutlich geworden, daß die Mär von der Abstammung der Franken aus Troja das Traditionsbewußtsein der in der Nachfolge des Karolingerreichs stehenden Völker, Länder und Herrscherhäuser bis ins 16. Jh. wesentlich bestimmt hat1. Die frankotrojanische Legende entstand aus einer gallotrojanischen, die besonders bei den Haeduern (Autun) und in der Auvergne verbreitet gewesen zu sein scheint2. Ammianus Marcellinus erwähnt sie in seinen um 380 verfaßten Res gestae als eine der verschiedenen Uberlieferungen zur Origo Gallorum: Aiunt quidam paucos post excidium Trotae fugitantes Graecos ubique disperses loca haec occupasse tunc vacua3. Jüngst hat Barlow diese Stelle als Zeugnis für seine These herangezogen, daß die Franken am Niederrhein „some time between the third and the mid fourth centuries" in die Troja-Erzählung einbezogen worden seien4. Eindeutig wäre eine Notiz zur Regierung des Kaisers Gratian (367/75383), die Wilhelm Grimm zitiert: Priamus quidam regnat in Francia, quantum altius colligere potuimus5. Mommsens Ausgabe der Chronik des Prosper Aquitanus, der Grimm das Zitat zuschreibt, enthält die Stelle nicht6 - es handelt sich wohl um einen späteren Einschub7. 1

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Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Grau 1938; Gerritz 1964; Engels 1992; Thomas 1991; ders. 1995; Beaune 1985; Endpunkte: Ehrenpforte Dürers für Kaiser Maximilian mit den Gestalten Troja, Sycambria, Francia (1512); Ronsards Franciade. Auvergne (Lucan, Sidonius Apollinaris): Barlow 1995: 87f. Ammianus Marcellinus, Res Gestae XV, 9, 5, Ed. John C. Rolfe, London 1963, Bd. 1: 176ff. Barlow 1995: 89f. Grimm 1881: 206. Prosper Aquitanus, Chronicon, Ed. Theodor Mommsen (MGH AA IX), Berlin 1892: 341499. In Handschriften der Chronica Gallica, Ed. Theodor Mommsen (MGH AA IX), Berlin 1892: 617-662, aus dem 11. Jahrhundert ist den Kaisern eine fränkische Königsliste zur Seite

Eugen Ewig

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W a n n die F r a n k e n in die gallorömische Trojatradition einbezogen wurden, mag vorerst offen bleiben. Uberliefert ist die fränkische T r o j a m ä r erst in drei merowingischen Versionen: a m Anfang des zweiten und des dritten Buches der C h r o n i c a e Fredegarii 8 und a m Anfang des 7 2 6 / 7 2 7 redigierten Liber Historiae F r a n c o r u m ' . Die ältere Forschung n a h m an, daß sie v o n Fredegar auch konzipiert w o r d e n sei 10 . Demgegenüber hat Wallace-Hadrill betont, daß die Fassung des Liber Historiae F r a n c o r u m „quite independent" v o n Fredegar sei, die M ä r also z u r Zeit Fredegars, d.h. u m die Mitte des 7. Jhs., schon weit verbreitet gewesen sein müsse 11 . Sicher gehörte die Trojamär zu den leicht modellierbaren „textes vivants" 1 2 . D u r c h Fredegar und den Liber ist aber ein Grundstock fixiert w o r d e n ; denn alle späteren Ausgestaltungen gehen, wenn ich recht sehe, auf diese Grundlage zurück. Die Version der T r o j a m ä r im dritten Fredegarbuch beruht unbestritten auf der des zweiten. N a c h der gegenwärtig herrschenden Meinung stammen beide v o m gleichen Verfasser 13 . Neuerdings hat Gerberding dagegen nicht nur „significant differencies" zwischen der Fassung des Liber Historiae F r a n c o r u m und den beiden Fredegarversionen hervorgehoben, sondern auch diese wie Krusch, aber

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gestellt, die bei Gratian mit den Worten beginnt: Francorum regni principium Priamus. Es folgen Faramundus, Clodius (- Chlodio), Meroveus. Die Abhängigkeit von der Trojaversion des Liber Historiae Francorum ist evident. Fredegar, Chronicae Π, 4-9 und ΠΙ, 2,3,5,9, Ed. Bruno Krusch (MGH SS rer Mer Π), Hannover 1888: 1-193, hier 45-47 und 93-95. Liber Historiae Francorum, 1-4, Ed. Bruno Krusch (MGH SS rer Mer Π), Hannover 1888: 215-328, hier 241ff. Lüthgen 1875; Krusch 1882: 473-475; ders. im Vorwort seiner Edition (wie Anm. 8): 4. Lüthgen sah in der Trojamär Fredegars das Werk eines Fälschers, der seine Notizen - soweit nicht erfunden - fast alle der Chronik des Hieronymus entnahm. Krusch führte auch die wenigen Mitteilungen, die Lüthgen für authentische Traditionselemente hielt, auf Anregungen aus Hieronymus zurück.: „Man sieht, daß die ganze historische Aufputzung der Origo Francorum aus der Chronik des Hieronymus genommen ist". Der Autor des Liber Historiae Francorum kannte Fredegar nicht. Daß seine Version der Trojamär erheblich von den Fredegarversionen abweicht, hat schon Lüthgen festgestellt. Er nahm aber an, daß der Autor des Liber nicht einer älteren Quelle, sondern „einer durch die interpolierte Chronik des Hieronymus entstandenen Tradition folgte". Krusch war wohl gleicher Ansicht, hat sich dazu aber nicht geäußert. Auf dieser Linie beruht noch weitgehend Wattenbach & Levison 1952: 110. Levison hat die Neuauflage vorbereitet aber nicht mehr revidiert. Der Wortlaut Wattenbachs ist weitgehend beibehalten. Wallace-Hadrill 1960: ΧΠ; Wallace-Hadrill 1962: 82. Zum Begriff: Genicot 1975: 27-28; vgl. auch Goffart 1983: 98-130: „writings whose every copy is a new and distinct edition, rather than just a witness to an established fact". Krusch (wie Anm. 8) unterschied drei Verfasser der Fredegarchronik (Redaktionen 613, 642, Zusätze c. 658) und zwei Autoren der beiden Fredegarversionen, sah im ersten Autor aber den eigentlichen Erfinder der Trojamär. Wattenbach & Levison 1952 folgt Krusch, vermutet aber im zweiten Verfasser (642) den Autor der „Fabeln... über die Vorzeit und die trojanische Herkunft der Franken". Nach Goffart 1963: 206-241, hat nur ein Autor um 658 das Gesamtwerk redigiert und auch die fränkische Trojamär interpoliert.

Trojamythos und fränkische Frühgeschichte

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mit weiter ausgreifender Begründung wieder zwei Autoren zugeschrieben und die erste Version auf 613, die zweite auf post 642, c. 660, datiert14. Die zweite kennzeichnet Gerberding als eine „condensed and reworked version of the first", die aber einen ganz anderen Zweck verfolge als die erste. Wichtig ist der Hinweis auf den Ort der beiden Versionen im Gesamtwerk Fredegars: Einschaltung der ersten in die Weltchronik des Hieronymus, Einbindung der zweiten an die Historiae Gregors von Tours. In der Folge sollen Gehalt und Gestalt der drei Zeugnisse noch einmal analysiert werden. Die Diskusssion über Autoren und Zeitstellung der beiden Fredegarversionen, die der Einfachheit halber als Fredegar Π und Fredegar ΠΙ zitiert werden, bleibt vorerst ausgeklammert.

Fredegar II. Origo Francorum15 Das zweite Buch der Chronicae Fredegarii beruht auf der Chronik des Hieronymus, die Franken werden hier universalhistorisch eingeordnet. Die ersten drei Kapitel sind betitelt: De rigno Assiriorum; De nativitate Abraham et generations eius usque ad Moysen; De Moysen et iudicis super Israel. Im vierten Kapitel De captivitate Troge et inicium Francorum et Romanorum - setzt der Bericht über den Ursprung der Franken ein: Sub Tautano regi Assiriorum1'' Troga capta est... In illo tempore Priamus Helenam rapuit... Exinde origo Francorum fuit. Priamo primo regi habuerunt;17 postea per historiarum libros scriptum est, qualiter habuerunt regi Frigan. Auf diese knappe Notiz über die origo Francorum folgt nicht das im Titel angekündigte inicium Romanorum19, sondern ein Bericht über die Abspaltung 14 15

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Gerberding 1987: 13-30. Gerberding datiert die zweite Version im Anschluß an Goffart. Zu Origo: Wenskus 1961: 56-59. Wenskus unterscheidet bei den Herkunftssagen drei unterschiedliche Vorstellungen: Autochthonie, Einwanderung, Mischung von Ureinwohern und Einwanderern. Die einleitende Makedonensage bei Fredegar Π entspricht dem dritten, die „fränkische" Trojasage dem zweiten Typ. Pauly-Wissowa V, A/l, Stuttgart 1934, „Tautanes": 73: „König von Assyrien z.Zt. des trojanischen Kriegs. Er wurde von Priamos zu Hilfe gebeten und schickte den Pithonos und den Memnon mit vielen Indern (Ioannes Antiochenus 24,3)". Die Vorstellung vom primus rex, propheta, pontifex, imperator zieht sich wie ein roter Faden durch die Chronik des Hieronymus: Fredegar Π, 1 (wie Anm. 8): 44, Regnum Assiriorum. Primus rex Ninus; Π, 2: 44 primus omnium prophetarum Abraham-, Π, 3: 44 primus... Aaron pontifex fuit Aebraeorum; Π, 31: 54, Lucullus primus imperator, Π, 32: 55, C. /. Caesar primus Romanis singulare obtenuit imperium. Priamus, dem primus rex Francorum, entspricht Aeneas, der primus rex Latinorum. Heros eponymos der Phryger. Singular: Brigos, Phryx/Bryx, Phrygios; fem: Phrygia, Brygis, Brygeis bei Stephanos Byzantios, Ethnica (verfaßt c. 528-535), Ed. August Meineke, Graz 1958 (ND von Berlin 1849): Φρυγία, άπό Βρίγου τοϋ κατοικήσαντος έν Μακεδονία (186, 12 ff.). - το έϋνικόν φρυξ καϊ φρΰγιος και Φρυγία άνθρωπος (672,22). - τοΰ Βρύξ το Οηλικον Βρυγϊσ και Βρυγηίσ (187, lOff.).

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Eugen Ewig

einer Gruppe, die nach Makedonien zog, mit den Makedonen verschmolz und mit ihnen zu einem großen Volk heranwuchs, aus dem Philipp und Alexander hervorgingen: Postea partiti sunt in duabus partibus. Una pars perrexit in Macedoniam, vocati sunt Macedonis secundum populum, α quem recepti sunt et regionem Macedoniae, qui oppremebatur a gentes vicinas; invitati ab ipsis fuerunt, ut eis praeberent auxilium. Per quos postea subiuncti in plurima procreatione crevissent... fortissimi pugnatores effecti sunt; quod inpostremum in diebus Pbylyphi regis et Alexandrifilii sui fama confirmat. Im fünften Kapitel wird der fränkische Faden wieder aufgenommen. Hier erscheint unvermittelt, ohne Rückbezug auf Priamus und Friga, der namengebende König Francio: Nam et ilia alia pars, quae de Frigia progressa est,... per multis regionibus pervacantis cum uxores et liberos, electi a se regi Francione nomen, per quem Franci vocantur. In postremum, eo quod fortissimus ipse Francio in bellum fuisse fertur, et multo tempore cum plurimis gentibus pugnam gerens, partem Asiae vastans, in Eurupam dirigens, inter Renum vel Danuvium et mare consedit. Das sechste Kapitel beginnt mit dem Bericht, daß die Franken nach dem Tod Francios in der neuen Heimat duces aus ihren Reihen bestellten, da sie nach den schweren Kämpfen unter Francio zu einer kleinen Schar {parva manus) zusammengeschmolzen waren, und daß sie in Freiheit multo post tempore cum ducibus transaegerunt bis in die Zeit des Pompeius, der sie und reliquas nationes, quae in Germania babitabant, der römischen Herrschaft unterwarf. Aber bald schon hätten sich die Franken im Bündnis mit den Sachsen gegen Pompeius erhoben. Sie seien seitdem unüberwindbar gewesen und trotz gravia bella frei von fremder Herrschaft geblieben wie die Makedonen, qui ex eadem generatione fuerunt. Der Pompeiusmär folgt ein Bericht über eine weitere Aufspaltung der Trojaner: Tercia ex eadem origine gentem Torcorum fuisse fama confirmat, ut, cum Franci Asiam pervacantis pluribus proeliis transissent, ingredientis Europam, super litore Danuviifluminis inter Ocianum et Traciam una ex eis ibidem pars resedit. Electum a se utique regem nomen Torquoto, per quod gens Torquorum nomen accepit. Franci... quando ad Renum consederunt, dum α Torquoto menuati sunt, parva ex eis manus aderat. Die Erzählung von der trojanischen Herkunft der Franken und ihrer Wanderung zum Rhein ist im 6. Kapitel abgeschlossen. Die Abspaltung der Torqui wirkt wie ein Nachtrag. In den Kapiteln 7-9 kehrt Fredegar zu Hieronymus zurück, der an die Einnahme von Troja die römische Trojamär anschloß: Post 19

Das Kapitelverzeichnis ist anscheinend nachträglich angelegt, findet sich aber schon in der ältesten Fredegarhandschrift, dem Claromontanus (Paris, Bibl. Nat. lat. 10910, saec. VIIΛΊΠ), vgl. Krusch, Chronicae (wie Anm. 10): 251ff.

Trojamythos und fränkische Frühgeschichte

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tercio anno capta Troia Latini, qui postea Romani nuncupati sunt, et, ut quidam volunt, post octavo anno regnavit Aeneas. Fredegar macht Frigas zum Bruder des Aeneas, Aeneas zum primus rex Latinorum, beide Brüder zur Reichsgründern: Primus rex Latinorum tunc in ipso tempore surrexit, eo quod α Troia fugaciter exierant, et ex ipso genere et Frigas: fuerunt... in duaspartes egressi ex ipsa civitate et regione. Unum exinde regnum Latinorum ereguntur et alium Frigorum... Aeneas et Frigas fertur germani fuissent. Aeneas in Latinis regnavit annos 3 et Frigas in Frigia. Die fränkische Trojamär ist so der römischen angeschlossen, aber nicht von ihr abhängig, wie schon Lüthgen gesehen hat20. Der Titel zu Kapitel 4 - De captivitate Troge et invcium Francorum et Romanorum - ist unzutreffend. Das inicium Francorum wird mit einem Bericht über die Abspaltung einer Gruppe von den Frigi eingeleitet, die nach Makedonien zieht. Entsprechend werden im ersten Buch der Chronicae Fredegarii Trociane, Frigiae et Macedones zusammen als Nachkommen Japhets von Cethin genannt. Die Romani qui et Latini erscheinen hier ebenfalls als Nachkommen Japhets, aber nicht in Gemeinschaft mit Frigii et Macedones21. Die fränkische Trojamär bei Fredegar II knüpft offensichtlich nicht an die Aeneis an, sondern an eine der Gründungs- und Heimkehrersagen (νοστοι) des Epic Circle (κύκλος), die von flüchtigen Trojanern in Makedonien berichtete. Ein Echo dieser Sage findet sich noch in den Ethnica des Stephanos Byzantios (verfaßt unter Justinian I., zwischen 528 und 535)22, wo die Gründung eines dritten Ilion in Makedonien durch den Priamossohn Helenos vermerkt ist23. Ein sehr deutliches Indiz für diesen Zusammenhang ist die Bezeichnung der Trojaner als Phryger (Frigas, Frigii). Denn die Briges-Phrygii spielten in der makedonischen Frühzeit eine bedeutende Rolle24. 20 21 22 25

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Lüthgen 1875: 47. Fredegar I, 5 (wie Anm. 8): 21. Pauly-Wissowa ΠΙ, A/2, Stuttgart 1929, „Stephanos Byzantios": 2372. Stephanos Byzantios, Ethnica (wie Anm. 18), 330: 18ff.: "Ιλιον,... τρίτη Μακεδονίας,' Ελένου κτίσμα. Eine weitere nicht ganz sichere Gründung des Helenos 267, 6 ff: Έλιμία, πόλις Μακεδονίας... άπο Έλύμου τοΰ ήρωος ή άπο' Ελενου. Stephanos Byzantios, Ethnica (wie Anm. 18) 186: 12ff.: οι δέ φρΰγες, ώς Μακεδόνες λέγουσιν, καλέονται Βρίγες. Zur Bedeutung der Briges-Phrygii: Hammond 1972: 409-412: Die Briges-Phrygii waren in der „sub Mycenean period (c. 1120-1050 v. Chr.) the most formidable people in the North Aegaean area, and there is little doubt that their services were in demand as soldiers of fortunes and as workers of metal... The Macedonians of Pieria and the middle Haliacmon valley formulated the account of the Phrygians which came down to the writers of the classical period. Phrygians and Macedones were συνοΐκοί, i.e. they lived in the same country (Herodot). There is no mention of war between them". Hammonds Feststellung „„that their services were in demand as soldiers of fortunes" entspricht frappant Fredegars Aussage invitati sunt, ut eis praeberent auxilium. Fredegar Π lag allem Anschein nach eine verkürzte Version des Alexanderromans (Codex Vindobonensis theol. 244) zugrunde, die Friedrich Pfister 1976: 177ff. zitiert. Hier heißt es von Alexanders Zug nach Troja: ύπηγεν προς της φραγγίας τα μέρη, ήγουν της Τραχχδος, und gleich darauf: ö βασιλεύς ό Πρίαμος ήτον βασιλεύς της φραγγίας. Phrygien ist hier zu Francien geworden.

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Der Bericht über die Makedonentrojaner schließt mit Philipp und Alexander. Die Verwandtschaft mit den Makedonen galt Fredegar II sicher als Ruhmestitel. Aber eine aemulatio Macedonum lag ihm anscheinend ebenso fern wie eine aemulatio Romae. Eher ging es um eine Anbindung an die Anfänge der Menschheit. Die Phryger galten im Altertum als das Urvolk der Geschichte, wie noch Claudian wußte: Dat cuncta vetustas/ Principium Phrygibus, nec rex Aegyptius ultra/ Restitit, humani postquam puer uberis expers/ In Phrygiam primum laxavit murmura vocem2i. Wenn Fredegar diese heidnische Tradition noch gekannt hat, so bezog er sie in die jüdisch-christliche Weltanschauung ein. Denn er schloß die Franken über die Frigii als Nachkommen Japhets und Noahs an den Neubeginn der Menschheitsgeschichte nach der Sintflut an. Die Parallele zu Isidor von Sevilla, der die (West-) Goten über eine „Etymologie" zu Nachkommmen Japhets machte, ist deutlich26. Die Version des zweiten Fredegarbuchs bietet keinerlei Anhalt für die gelegentlich geäußerte These, die Trojamär sei ad maiorem gloriam der Merowinger erfunden worden27. Thema ist die origo gentis, nicht die origo regum. Die Könige Priamus, Friga(s) und Francio sind nicht genealogisch verbunden. Wenn Friga(s) nicht nur ex ipso genere wie Aeneas, sondern sogar dessen Bruder war (cap.8), ist eine direkte Deszendenz von Priamos - streng genommen - ausgeschlossen. Die Namen Friga(s) und Francio sind gelehrte, vom Gentilnamen abgeleitete Konstruktionen und auch in der Erzählung Schemen geblieben. Mit Francio, der seine Leute von Asien nach Europa führt und zwischen Rhein, Donau und Meer, d.h. in Germanien, ansiedelt, beginnt immerhin die eigentliche fränkische Geschichte. Sie setzt merkwürdigerweise mit einem Verfassungswandel ein: das Königtum erlischt, das Volk lebt fortan unter duces. Im Bericht über die Ära der duces zeigen sich Bruchstellen. Im Anschluß an die Ansiedlung der Trojanerfranken heißt es: Ibique mortuo Francione, cum tarn per proelia tanta quae gesserat, parva ex eis manus remanserat, duces ex se constituerunt. Attamen semper alterius dicione negantes, multos post tempore cum ducibus transaegerunt usque ad tempore Pompegi consolis... Die Einführung der Dukatsverfassung wird hier erklärt durch einen Schrumpfungsprozeß im Verlauf der Wanderung an den Rhein. Die Begründung fußt offenbar auf der gallotrojanischen Tradition, daß nur pauci post exci-

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- Für bereitwillige Hilfe auf diesem mir fremden Gebiet danke ich den Kollegen G. Wirth und H. G. Hellenkämper. Claudian, Panegyricus in Eutropium II, In: Claudian, Opera, Ed. Theodor Birt (MGH AA X), Berlin 1892: 74-118, hier 105. Isidor von Sevilla, Historia Gotorum, Ed. Theodor Mommsen (MGH AA XI), Berlin 1894: 241-303, hier 268. So u. a. Barlow 1995: 93.

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diutn Troiae fugitantes Graecos in das noch menschenleere Gallien gelangt seien. Da das Erlöschen des Königtums als Verlust der Freiheit verstanden werden konnte, wird betont, daß die Franken auch in der Zeit der duces keiner fremden Herrschaft unterworfen waren. Der folgende Hauptsatz - multo post tempore cum ducibus transaegerunt usque... müßte also eigentlich auf das Ende der Dukatsverfassung hinweisen. Statt dessen wird in Umakzentuierung der Partizipialkonstruktion - Attamen semper alterius dicione negantes... usque ad tempore Pompegi - auf das zeitweilige Ende der Freiheit durch Pompeius übergeleitet, der die gentium nationes in Germania dicione subdidit Romanam. Im Schlußsatz des sechsten Kapitels wird nun die Schrumpfung der Trojanerfranken nicht auf die proelia Francios, sondern auf die Abspaltung der Torquatusgruppe, der gern Torcorum/Torquorum, zurückgeführt, die bei der Wanderung von Asien nach Europa an der Donau inter Ocianum et Traciam verblieb: Sed dum plurima agebant proelia, quando ad Renum consederunt, dum α Torquato menuati sunt, parva ex eis manus aderat. Fredegar kehrt also nach Einschaltung der Pompeius- und Torquatusmär am Schluß des sechsten Kapitels zu seiner anfänglichen, aber nun anders begründeten Aussage zurück. Der Inhalt des von diesen beiden Aussagen - parva manus eingerahmten Kapitels ist von Krusch überprüft worden mit dem Ergebnis, daß Fredegar die Stichworte für die Pompeiusmär und den Namen Torquatus der Chronik des Hieronymus entnommen hat. Er kommt zum Schluß, „daß die ganze historische Aufputzung der Origo Francorum aus der Chronik des Hieronymus entnommen ist."28. Das gilt sicher für die Pompeiusmär, die sich als Zutat vom Kern der Origo deutlich abhebt, auch für die Erhebung des Torquatus zum Heros eponymos der gens Torcorum, nicht aber für die Torci/Torqui selbst. Daß Fredegar sie, wie Krusch wohl meint, auf den Namen Torquatus hin erfunden hat, ist unwahrscheinlich. Aber auch Lüthgens These, daß die Torci verballhornte Teucri „und wie die Frigii eine Reminiszenz an die Lektüre Vergib" seien29, leuchtet nicht recht ein. Denn von einer Kenntnis Vergils fehlt bei Fredegar II jede Spur. Eine Anspielung auf authentische Türken kann man nicht ausschließen. Der im Altertum unbekannte Name der Türken begegnet zuerst in den unter Justin Π. (565-578) als Fortsetzung von Prokops De bellis begonnenen Historiae des Agathias, der das gepflegte Langhaar der Frankenkönige von der ungepflegten Haartracht der Türken und Awaren abhebt30. Mit Türken sind 28 29 30

Krusch, Chronicae (wie Anm. 10): 473-475. Lüthgen 1875: 43; vgl. auch Pauly-Wissowa V, A / l , Stuttgart 1934, „Teukroi": 1121f. Agathiae Myrinaei Historiarum libri quinque. Corpus Fontium Historiae Byzantinae Π, Ed. Rudolf Keydell, Berlin 1967: 1,4, 13: θεμιστον γαρ τοις βασιλεΰσι των φράγγων ούποόποτε κείρεσθαι, ά λ λ άκεψεκόμαι τε εισιν έκ παίδων άεΐ και παρηώρηνται αύτοΐς άπαντες εΰ μάλα έπϊ των ώμων οί πλόκαμοι... ού μην ώσπερ ο'ι των Τούρκων τε

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hier vermutlich Protobulgaren gemeint, die mit den Awaren nach Westen zogen und um 560 ins Blickfeld der Byzantiner traten31. In den 70er Jahren drangen die Türken über die Wolga bis zur Krim, d.h. bis zur Grenze zwischen Asien und Europa, vor. Da die Franken im letzten Viertel des 6. Jhs. rege Beziehungen zum Kaiserhof unterhielten32, können fränkische Gesandte türkischen Gesandtschaften in Constantinopel begegnet sein33 und zu Hause von den Türken berichtet haben. Da mochte ein erfinderischer Erzähler leicht auf den Gedanken verfallen, das ferne und fremde Volk in die Wanderung der Trojanerfranken von Asien nach Europa einzuschleusen. Die Ansiedlung der Torci an der Donau zwischen Thrazien und dem Ozean ist allerdings nur zu verstehen, wenn eine Angabe über eine solche Station auf der großen Wanderung bereits vorlag34. Zu gesicherten Erkennntnissen führen diese Überlegungen nicht. Wohl aber kann man festhalten, daß die Torquatus-/Torcimär ebenso wie die Pompeiuserzählung Zutat zu einem älteren Kern ist, da sie die der Pompeiusmär voraufgehende Aussage - parva manus - wieder aufgreift. Beide Zutaten haben den ursprünglichen Abschluß des Kerns der Erzählung, den Ausblick auf das Ende der Dukatsverfassung, verdeckt. Die vom Beiwerk befreite Trojamär schließt mit einem Anakoluth: Attamen semper alterius dicione negantes, multos post tempore cum ducibus transaegerunt usque ad... Der Kern beruht, wie oben dargelegt, auf einer vielleicht mit dem Priamossohn Helenos verbundenen Sage vom Zug flüchtender Trojaner (Phryger) nach Makedonien. Er enthielt die Königsreihe Priamos - Frigas - Francio, die Etymologie Francio-Franci, vielleicht die Station an der Donau, sicher die Schrumpκαί Αβάρων άπέκτητοι και αυχμηροί και ρυπώντες καϊ εύέρσει άπρεπώς άυαπεπληγμένοι άλλά ρύματα γαρ έπιβάλλουσιν αύτοΐς ποικίλα και ές το ακριβές διαφαίνουσι. 31

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The history of Menander the Guardsman, Ed. R. C. Blockley (Area 17), Trowbridge 1985. Menander setzte die Historiae des Agathias bis 582 fort. Er berichtet zuverlässig über die Beziehungen zwischen dem Imperium und den West-Türken. Die diplomatischen Beziehungen wurden eröffnet durch eine türkische Gesandtschaft, die um die Jahreswende 568/569 in Byzanz eintraf und einen Freundschaftspakt mit Justin Π. Schloß (Menander 10,1: 110). Kaiserliche Gegengesandtschaft (10, 2-3: 117ff.), zweite kaiserliche Gesandtschaft 576 (19,1: 179), mit der zahlreiche Türken aus Zwischengesandtschaften heimkehrten. - Kommentar Blockley zu 571: 266. Anm 146: „Turkish power had passed the Volga", zu 579: 277f. Anm. 235: „By mid 579 the Turks were at Cherson and had thus overrun the whole of the Crimea". Ewig 1983. Zu denken wäre schon an die Gesandten Sigiberts I., die um 571 nach Constantinopel gingen und 572 zurückkehrten, Ewig 1983: 28. Oder sollte man annehmen, daß Fredegar respektive sein Gewährsmann die KuturgurBulgaren im Auge hatte, die nach Hellmann 1976: 367, 558 an der Donaumündung erschienen, später von den Awaren unterworfen und in Dalmatien angesiedelt wurden? Die Kutriguren waren ein türkischer Stamm aus dem Gebiet um die Maeotis, Blockley (wie Anm. 31): 251 Anm. 7.

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fung der Trojanerfranken auf ihrer Wanderung zum Rhein und den Übergang zur Dukatsverfassung am Rhein. Er schloß anscheinend mit einem Ausblick auf das Ende der Dukatsverfassung. Für Priamus als primus rex Francorum ist Fredegar Π wohl der Erstzeuge. Die Etymologie Francio-Franci findet sich dagegen bereits in der zwischen 557 und 561 verfaßten Schrift De magistratibus rei publicae Romanae des Ioannes Lydos, der sich dafür auf die Leute an Rhein und Rhone beruft35. Da die etymologische Konstruktion schon so bald nach der Mitte des 6. Jhs. in Constantinopel bekannt war, muß sie wohl vor 550 konzipiert worden sein. In eine sehr viel frühere Zeit geht die Aussage von der Schrumpfung der Trojanerfranken zu einer parva manus zurück; denn sie beruht allem Anschein nach auf der von Ammianus Marcellinus zitierten galloromanischen Tradition: pauci post excidium Troiae fugitantes Graecos hätten Gallien erreicht. Die Zeugnisse für die beiden Einzelaussagen liegen weit auseinander. Offen bleibt die Frage, wann sie zu einem Ganzen zusammengefügt wurden.

Gregor von Tours Die Suche nach dem primus rex Francorum Erster, aber indirekter Zeuge für die fränkische Trojamär ist nach der herrschenden, zuletzt von Barlow ausführlich begründeten Meinung Gregor von Tours, der im zweiten, um 575 abgeschlossenen Buch seiner Historiae die Frage nach dem primus rex Francorum erörtert und dabei bemerkt, daß die Franken nach einer von vielen vertretenen Ansicht aus Pannonien zum Rhein gezogen seien36. Die präzise Herkunftsangabe deckt sich allerdings nicht unbedingt mit der vagen Umschreibung der Wanderstation super litore Danuvie fluminis inter Ocianum et Traciam bei Fredegar II, die eher auf die Scythia minor, die heutige Dobrudscha, oder auf die Scythia inferior Isidors von Sevilla paßt37. Doch bleibt die Angabe Gregors ein Indiz dafür, daß er die Trojamär kannte38, in der die Frage nach dem primus rex Francorum schon beantwortet war. Gregor blieb da skeptisch. Er konsultierte die Autoren, die ihm zur Verfügung standen: SulpiJ. Lydus, On powers, ΠΙ, 56, Ed. Anastasius L. Bandy (The Amercian Philosophical Society 149), Philadelphia 1983: 218f.: 'Ως δε και Συγάμβροις [Ιουστινιανός] έπαγρυνεΐν ήπείλει (Φράγγους αύτούς έξ ήγεμόνος καλοΰσιν έπί τοΰ παρόντος οί περί' Ρηνον κ α ι ' Ρόδανον). Gregor von Tours, Historia, Π, 9, Ed. Bruno Krusch und Wilhelm Levison (MGH SS rer Merl), Hannover z 1951: 57. In der Brockhaus-Enzyklopädie V, Mannheim "1988: 573, wird die Dobrudscha bezeichnet als „Landschaft zwischen dem Schwarzen Meer, dem Unterlauf der Donau und ihrem Delta". Isidor, Etymologiarum sive originum libri X X , Ed. W. M. Lindsy, 2 Bde. Oxford 1962: XTV,IV, 3, bezeichnet die Scythia inferior als Prima Europae regio, quae a Maeotidis paludibus incipiens inter Danubium et Oceanum septentrionalem usque ad Germaniarn porrigitur. Unter der Voraussetzung, daß Pannonien nicht aus Baunonia entstellt ist, wie manche Forscher meinen. Vgl. Zöllner 1970: 4.

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cius Alexander, Renatus Profuturus Frigiredus, Orosius. Bei den Letztgenannten verlief die Untersuchung negativ. Der wichtigste Gewährsmann für Gregors Thema, Sulpicius Alexander, schilderte die römisch-fränkischen Auseinandersetzungen in den Jahren 388-393. Er setzte ein mit den fränkischen Einfällen in die Germania secunda unter der Führung von Genobaudes, Marcomeres und Sunno: Genobaude, Marcomere et Sunno ducibus. Bei einem Yergeltungszug über den Rhein stieß der Heermeister Arbogast nur auf wenige Feinde unter Marcomer: Marcomere duce. Genobaud verschwindet gleich nach der ersten Nennung aus der Geschichte. Marcomer und Sunno werden im weiteren Verlauf als regales und subreguli bezeichnet. Abschließend ist zu 393 auch von Alamannorum et Francorum reges die Rede, die anonym bleiben. Aus einer Gregor unbekannt gebliebenen Quelle, dem Panegyricus Claudians auf Stilicho vom Jahre 399, geht indessen hervor, daß zu diesen reges auch Marcomer und Sunno gehörten: der eine wurde von Stilicho nach Etrurien verbannt, der andere von den Seinen getötet39. Augenscheinlich verstand Sulpicius Alexander unter dux ganz allgemein den Anführer ohne Bezug auf Rang und Amt, im Unterschied zu den Bezeichnungen regales, subreguli, reges. Diese Terminologie entsprach der des Ammianus Marcellinus. Regalis und subregulus sind Synonyma, von rex abgehoben, aber schwer definierbar40. Auch Gregor hatte damit seine Probleme: Cum autem eos regales vocat, nescimus, utrum reges fuennt an in vices tenuerunt regnum. Zu seiner Verwirrung trug bei, daß er auch im dux einen Titel sah. Er atmete auf, als er endlich auf einen rex stieß, der aber zu seiner Enttäuschung namenlos blieb: Iterum hic, relictis tarn ducibus quam regalibus, aperte Francos regem habere designat, huiusque nomen tunc praetermissum. Duces und regales sind hier einander angeglichen. In Gregors Resume sind die regales in den duces aufgegangen: Nam cum multa de eis (seil. Francis) Sulpicii Alexandri narret historia, non tarnen regem primum eorum nullatenus nominat, sed duces eos habere dicit. Nach Thematik und Aufbau spiegelt das neunte Kapitel im zweiten Buch der Historiae Gregors den Kern der Trojamär: Frage nach dem primus rex, Nachricht über eine Wanderung der Franken von Pannonien an den Rhein, Erörterung der frühfränkischen Verfassung. Wenn das neunte Kapitel die Antwort Gregors auf die Trojamär ist, dann hat der Bischof von Tours die Königsreihe Priamus - Frigas - Francio und die Etymologie Francio - Franci stillschweigend verworfen, Pannonien als Station zum Rhein skeptisch beurteilt, 3'

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Claudian, De consulatu Stilichonis (wie Anm 25): 189-233, hier I, 238-243, 197ff.: Acie nec iam pulsare rebelies,/ sed vinclis punire licet; sub iudice nostro/ regia Romanus disquirit crimina carcer:/ Marcomeres Sunnoque docet; quorum alter Etruscum/ pertulit exilium; cum se promitteret alter/ exulis ultorem, iaeuit mucrone suarum. In den Quellen zur Geschichte der Alemannen I (Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Kommission für Alamannische Altertumskunde, Schriften 1) Heidelberg 1976, sind diese Termini nicht übersetzt.

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aber die Dukatsverfassung der am Rhein ansässig gewordenen Franken nach kritischer Untersuchung bestätigt. Den primus rex hat er nicht gefunden. Den Ubergang zum Königtum verband er mit der Überschreitung des Rheins und dem Aufstieg der Merowinger, die im Linksrheinischen die Civitas- und Gaukönige stellten: primum quidem litora Rheni amnis incoluisse, dehinc, transacto Rheno, Thoringiam transmeasse ibique iuxta pagus vel civitates reges crinitos super se creavisse de prima et, ut ita dicam, nobiliore suorum familia. Hier ordnete er mit aller Vorsicht, sozusagen hypothetisch, den in Consularfasten verzeichneten Frankenkönig Theudomeres ein. Das Prädikat primus rex hat er ihm nicht gegeben, auch eine Verbindung zu dem anschließend genannten König Chlodio nicht hergestellt, sondern allenfalls suggeriert. Krusch hat in der Einleitung zur zweiten Edition der Historiae auf Berührungen von Gregors Resume mit der um 625 im Langobardenreich redigierten Continuatio Prosper! Havniensis hingewiesen41. Hier ist anläßlich der Abwehrmaßnahmen des Aetius gegen Attila vermerkt: Non enim tunc reges gens Francorum habebat, sed ducibus contend erant42. Die Parallele zu Gregor und Fredegar Π ist frappant. Denn sonst werden die Häupter der fränkischen Teilstämme vom 3. bis zum 5. Jh. stets als reges, nie als duces bezeichnet. Auch die Termini regales/subreguli bei Sulpicius Alexander sind singulär. Just zu 450/51 berichtet der byzantinische Rhetor Priscus vom Tod eines fränkischen basileus und dem anschließenden Thronstreit seiner Söhne, von denen der ältere sich an Attila, der jüngere an Aetius wandte und mit dem Kaiser in Rom ein foedus schloß43. Anton löst den Widerspruch zum Continuator Havniensis, indem er verschiedene fränkische Verbände supponiert und den basileus des Priscus auf rechtsrheinische Franken am Mittelrhein, die duces des Prosper Havniensis auf föderierte Franken am Niederrhein bezieht44. Indessen sind die beiden Quellen nicht gleichwertig. Priscus spricht als Augenzeuge, der Continuator aus zeitlichem Abstand. Wie die Formulierung Non enim tunc reges gens Francorum babebat zeigt, handelt es sich hier um einen retrospektiven Zusatz des Continuator Prosperi, der wohl erklären wollte, warum in der ihm vorliegenden Uberlieferung zwar der Gotenkönig Theoder(ed) und sein Sohn Thorismund, aber kein Frankenkönig genannt war. Der Vermerk ist gleichwohl ein wertvolles Zeugnis, aber nicht für die Verfassung der fränkischen Frühzeit, sondern für die Vorstellung, die man um 625 von ihr hatte: eine Vorstellung, der nicht nur die regales/subreguli, sondern alle reges der fränkischen

Krusch (wie Anm. 36): X X und 52 Anm. 3. Continuatio Prosperi Havniensis, Ed. Theodor Mommsen (MGH A A IX), Berlin 1892: 298-339, hier 302; Datierung nach Wattenbach & Levison 1952: 86 und Anm. 172. E x historia byzantina Prisci rheotoris et sophistae excerpta, Ed. Barthold Georg Niebuhr (Corpus scriptorum historiae byzantinae I), Bonn 1828: 152ff. Anton 1984: 21.

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Teilstämme als duces galten. Sie entspricht dem Geschichtsbild des fränkischen Trojamythos und ist wohl auch diesem entlehnt. Bei Fredegar Π ist das Ende der Zeit cum ducibus durch die Pompeiusmär verstellt. Gregor legte den Einschnitt bei der Gründung von Königreichen iuxta pagus vel civitates auf römischen Boden, d.h. kurz vor die Zeit des 448 bezeugten Königs Chlodio. Nach dem Continuator Prosperi bestand die Dukatsverfassung noch 451. Ihr Ende rückt damit nahe an die Zeit Childerichs I. und Chlodwigs heran. Sollte dies nicht auch die ursprüngliche Aussage der Trojamär gewesen sein? Im Epilog zum Pactus legis Salicae, den Eckhardt überzeugend in die Zeit der Söhne Chlodwigs (511-558) datiert, wird die Kodifikation des salischen Rechts auf den primus rex Francorum zurückgeführt, d.h. auf Chlodwig45. Gegenüber dem Gründer des regnum Francorum, in dem auch alle fränkischen Teilverbände zusammengeschlossen waren, verblaßten die reges der Frühzeit leicht zu duces. Die Vorstellung, daß die Franken vor Chlodwig multo tempore cum ducibus transaegerunt, dürfte wohl damals entstanden, vielleicht auch propagiert worden sein.

Fredegar III Im dritten Fredegarbuch leitet die Trojamär ein Exzerpt der Historiae Gregors von Tours ein, das zur Geschichte des Merowingerreichs hinführt 46 . Der Verfasser beruft sich auf Hieronymus, d.h. auf Fredegar Π. Er nennt zusätzlich auch Vergil, ohne aber auf die Aeneis einzugehen. Immerhin ist der grobe Schnitzer bei Fredegar II, daß Priamus die Helena raubte, gestrichen. Die Erzählung schließt unverkennbar an Fredegar Π an. Erster König ist Priamus. Nach der Zerstörung von Troja folgt ihm Friga. Nach einer befaria divisio zieht eine Gruppe nach Makedonien. Die anderen unter Friga, Frigii genannt, durchziehen Asien und lassen sich an den Gestaden der Donau und des Ozeans nieder. Nach einer weiteren byfaria divisio zieht die media pars unter ihrem König Francio nach Europa und nimmt mit Frauen und Kindern ripam Reni in Besitz. Sie versuchen, unweit vom Strom eine civitas ad instar Trogute nominis zu erbauen, die aber nicht vollendet wurde: ceptum quidem, sed imperfectum opus remansit.

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Primus rex Francorum statuit a primo titulo usque LX (V) disposuit iudicare·. Pactus legis Salicae, Ed. Karl August Eckhardt (MGH Legum Sectio I. Leges nationum germanicarum IV, 1), Hannover 1962: 257; Datierung nach dems., Pactus legis Salicae I. Einführung und 80 Titeltext, Göttingen 1954: 146-157. Fredegar ΠΙ, 2-3. 5 und 9 (wie Anm. 8): 93-95.

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Die an der Donau Verbliebenen wählen Torcoth zum König und heißen nach ihm Turchi. Die anderen werden nach Francio Franken genannt. Sie leben lange Zeit unter duces frei von fremder Herrschaft usque ad Marcomere, Sonnoni et Genebaudum ducibus. Damit ist der Anschluß an Gregor Π, 9 erreicht. Relativ ausführlich wird in den folgenden Kapiteln 3 (De docibus Francorum tres et pugnas cum re publica) und 4 (De Francis et Valentinia.no imperatore - gemeint ist Valentinian Π.) die Geschichte von Genebaud, Marcomer und Sunno nach Gregor respektive Renatus Profuturus Frigiredus abgehandelt. Kapitel 5 besteht nur aus einem Satz: Dehinc extinctis ducibus, in Francis dinuo regis creantur ex eadem Stirpe, quaprius fuerant. Erst nach drei weiteren Kapiteln47 wird das Thema - Erneuerung des Königtums - in 9 wieder aufgenommen: Franci electum a se regi, sicut prius fuerat, crinitum, inquirentes diligenter, ex genere Priatni, Frigi et Francionis super se creant nomen Theudemarem, filium Richemeris, qui in hoc proelio co supra memini, α Romanis interfectus est. Substitueturfilius eius Cblodeo in regno... Die Version Fredegar ΠΙ ist keine lediglich komprimierte Replik der Version Fredegar Π. Schaut man näher hin, so zeigen sich nicht unwesentliche Änderungen. Die Umschreibung der Station auf der Wanderung der Franken ist zwar verkürzt beibehalten: litoris Danuvie fluminis et mare Ocianum. Aber die Station ist aus Europa nach Asien verlegt. Die Angabe Thrakien ist vielleicht nicht zufällig entfallen, da sie auf jene Station in Asien nicht paßt. Die Verlagerung der Donau nach Asien ist zwar ein grober geographischer Schnitzer, doch könnte der Don gemeint sein, der nach überkommener Anschauung die Grenze zwischen Asien und Europa bildete48. Es scheint, daß die Frigii nach Fredegar ΙΠ nicht über den Bosporus, sondern über den Don nach Europa wanderten. Die Angabe über die Schwächung der Trojanerfranken - parva manus - im Zuge der Wanderung ist gestrichen. Neu hinzugekommen ist die Notiz über die versuchte Erbauung einer civitas ad instar Trogiae nominis am Rhein. Der Bezug auf die einstige Colonia Ulpia Traiana ist nicht zu bezweifeln49. Die Stadt war seit dem späten 4. Jh. entvölkert, bot also das Bild eines opus imperfectum. Aber die Kultkontinuität der Cella memoriae über einem Doppelgrab des 4. Jhs. (346/50-383/88), aus der das Xantener Victorstift hervorging, zeigt, daß die Provinzialbevölkerung nicht ganz ausgestorben war50. Sie muß den Namen Colonia Traiana weiter getragen haben, der die etymologische Grundlage für Fredegars Notiz bot. Der Name Troja begegnet zuerst bei dem Kosmographen 47

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Kapitel 6 und 8 beruhen auf Gregor von Tours, 7 enthält eine sonst nicht bezeugte Geschichte über eine Einnahme von Trier durch die Franken. Zu den geographischen Vorstellungen der Zeit vgl. Gerberding 1987: 24-27. Gerritz 1964; Wallace-Hadrill 1960: ΧΠ, meint, daß „more than one Renish town was known as Troy in the Middle Ages". Das trifft nicht zu. Dassmann 1993:148-156; Dassmann 1995: 63-64, mit weiterer Literatur; Borger 1977.

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von Ravenna51, der um 800 schrieb, hier aber die um 500 verfaßte Beschreibung der Francia Rinensis des Goten Athanarid zitiert52. Als auszeichnendes Toponym behauptete sich Troja auch, als mit dem Aufblühen des Victorstifts der zuerst im 9. Jh. bezeugte Ortsname ad Sanctos, Xanten, aufkam53. Er ist sicher eines der ältesten Zeugnisse für die fränkische Trojamär, keineswegs eine Erfindung von Fredegar ΙΠ. Die Pompeiusmär hat Fredegar ΙΠ gestrichen. Die Franken lebten wie bei Fredegar Π multis temporibus unter duces, aber nicht usque ad tempore Pompegi consolis, sondern usque ad Marcomere, Sonnoni et Genebaudum ducibus. Fredegar ΠΙ folgt nun Gregor von Tours, flicht aber die Erneuerung des Königtums ein, die bei Fredegar Π wohl durch die Pompeiusmär verdeckt war. Mit der Feststellung, daß Marcomer, Sunno und Genebaud die letzten duces waren, geht er über Gregor hinaus. Die Franken erheben fortan Könige ex eadem Stirpe, qua prius fuerant. Inquirentes diligenter wählen sie ex genere Priami, Frigi et Francionis den Theudemar, den Gregor als ersten namentlich bekannten rex Francorum ausfindig gemacht hatte. Chlodio wird zum Sohn und Nachfolger Theudemars. Priamus, Friga und Francio, die bei Fredegar Π in keiner genealogischen Verbindung stehen, sind zu einer stirps verbunden und so zu Patriarchen der bei Gregor anonym bleibenden nobilior familia geworden, der die reges criniti angehören. Die nobilior Francorum familia war nun schon zu Gregors Zeiten keineswegs anonym. Ihr Heros eponymos hieß aber nicht Francio, sondern Mero. Fredegar ΙΠ hat diese germanische Sippentradition nicht totgeschwiegen. Er schloß sie an Chlodio an, dessen Gattin a bistea Neptuni Qüinotauri simili aut a viro den Sohn Merowech empfing, per co regis Francorum post vocantur Merohingii. Die Namenform Merohingii - nicht Merovingii - ist verräterisch. Heros eponymos der Mero(h)inger kann nicht Merowech, der Vater Childerichs I. und Großvater Chlodwigs, gewesen sein, sondern nur ein mythischer Mero, auf den auch der hieros gamos zu beziehen ist. In die Trojamär konnte der Mythos aber nur über Merowech eingeordnet werden.

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Ravennatis Anonymi Cosmographia et Guidonis Geographica, IV, 24, Ed. Joseph Schnetz (Itineraria Romana Π), Leipzig 1940: 59-60. Staab 1976: 27-64; Anton 1984: 44-50. Die Kritik Antons an Staab betrifft nicht den zeitlichen Ansatz für Athanarid, sondern bestätigt ihn. Da die Beschreibung Äthanarids erst durch den Ravennaten überliefert ist, stellt sich die Frage, ob der Ortsname originalgetreu erhalten ist. Eine korrumpierte Uberlieferung scheidet im konkreten Fall aus. Der Ravennat könnte allenfalls Colonia Traiana in der Vorlage durch Troja ersetzt haben. Das ist aber ganz unwahrscheinlich angesichts des Fredegarzeugnisses und des frühen Untergangs der Colonia. Barlow 1995: 89-90, zufolge wären die Franken „on the lower Rhine" schon „some time between the third and mid fourth centuries'" in die Trojasage einbezogen worden. Gerritz 1964: 22ff.: Erstzeugnis Annales Xantenses ad 864 (863). Die Zeugnisse für Troja setzen kontinuierlich um die Mitte des 10. Jhs. mit der Passio Gereonis ein (ebd.: 55ff.).

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Aus der etwas diffusen Origo Francorum des zweiten Fredegarbuchs ist im dritten eine zusammenhängende Geschichte geworden. Dem Autor ist es sogar gelungen, die Trojamär mit der mythischen Haustradition zu verbinden. Der Akzent verschob sich dabei auf das Königshaus.

Liber Historiae Francorum Der Liber Historiae Francorum wurde 726/727 von einem neustrischen Franken verfaßt, der in näherer Beziehung zur merowingischen Königsstadt Soissons stand54. Thema des Autors ist die Königs- und Volksgeschichte: Principium regum Francorum eorumque origine vel gentium illarum ac gesta proferamuf5. Der Verfasser des Liber hat die Fredegar-Chroniken nicht gekannt. Er bietet eine eigene Version der Trojalegende56: 1. In der trojanischen civitas Ilium in Asien regiert nicht Priamus, sondern Aeneas. Die reges Graecorum besiegen in einer Schlacht den Aeneas, der sich nach Ilium zurückzieht und dort zehn Jahre von den Griechen belagert wird. Nach der Eroberung der Stadt flieht Aeneas nach Italien locare gentes ad pugnandum57. Alii ex pnncipibus, nämlich Priamus und Antenor, schiffen sich mit einem Heer vop 12.000 Troiani ein und fahren usque ripas Tanais fluminis, zu den Gestaden des Don. Auf Schiffen dringen sie in die Meotidas paludes ein und gelangen weiter nach Pannonien (intra terminos Pannoniarum), das neben der Maeotis (iuxta Meotidas Paludes) liegt. Sie schicken sich an (Coeperunt) ob memoriale eorum eine civitas zu erbauen, die sie Sicambria nennen. Hier wohnen sie multis annis und wachsen zu einem großen Volk heran. 2. In dieser Zeit erheben sich die Alanen, gern prava et pessima, gegen Valentinian, imperatorem Romanorum et gentium51. Der Kaiser besiegt sie, die geschlagenen Alanen fliehen über die Donau in die Meotidas paludes. Der Kaiser verspricht denen, die die Alanen aus den paludes vertreiben, die tributa donaria59 54 55

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Gerberding 1987: 40ff. Liber Historiae Francorum 1 (wie Anm. 9): 241. Die zwischen 727 und 736 redigierte austrasische Fasssung Β (Wattenbach & Levison 1952: 115f.), verschiebt den Akzent auf die gens: Principium quoque Francorum gentis origine vel regum gesta proferamus. Liber Historiae Francorum 1-5 (wie Anm. 9): 241-245. Dazu Krusch (wie Anm. 9): 217: Fredegarii autem cbronicae anonymo praesto non erant. Gerritz 1964: 48: eine völlig neue, mit der Fredegarschen Trojasage nicht verwandte Fassung; Gerberding 1987: 17: independently of both the earlier (versions). Aeneis I, 247ff: Hie tamen ille (Antenor) urbem Patavi sedesque locavit und IV, 266: tu nunc Karthaginis altae/fundamenta locos. Valentianus imperator imperium regebat B. Donaria omisit B.

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auf zehn Jahre zu erlassen. Die Troianf0 gehen darauf ein, ziehen cum alio populo Romanorum in die Sümpfe, vertreiben die Alanen percusseruntque eos in ore gladii. Da nannte Kaiser Valentinian sie Attica lingua Francos, hoc est feros, a duritia vel audacia cordis eorum. 3-4. Als der Kaiser nach zehn Jahren durch Steuereinnehmer unter dem dux Primarius de Romano senatu die consueta tributa wieder einfordern läßt, erschlagen die Franken diesen und die exactores in einem Hinterhalt. Darauf schickt der Kaiser bostem Romanorum et aliarum gentium unter dem princeps militiae Aristarch gegen sie. Die Franken werden geschlagen, Priamus fällt. 4. Die Besiegten ziehen von Sicambria zu den extremis partibus Renifluminis in Germaniarum oppidis und siedeln dort annis multis unter ihren principes Marcomer, dem Sohn des Priamus, und Sunno, dem Sohn des Antenor. Nach dem Tod Sunnos beschließen sie auf den Rat Marcomers, einen König einzusetzen sicut ceterae gentesbl. Sie erheben Marcomers Sohn Faramund als regem super se crinitum. Damals erhielten sie auch leges, die ihnen ihre priores gentiles62 wiesen: Wisowastus, Wisogastus, Aregastus und Salegastus, in den villae Bothagm, Salechagm und Widechagm ultra Rhenum. 5. Nach dem Tod Faramunds erheben die Franken dessen Sohn Chlodio zum König. Sie ziehen ins Gebiet der Toringi und lassen sich dort nieder. Chlodio residert in finibus Toringorum, regionem Germaniae. Postea überschreitet er cum grande exercitu den Rhein, nimmt Tournai, Cambrai, wo er residiert, und das Land bis zur Somme. Nach seinem Tod folgt ihm Merowech, de genere eius. A ipso Merovecho... reges Francorum Merovingf* sunt appellati. Die Trojamär des Liber beginnt mit einer Lagebeschreibung der Stadt, die sich deutlich mit einer Stelle in den Etymologien Isidors von Sevilla berührt: Liber Est autem in Asia oppidum Troianorum. ubi est civitas quae Ilium dicitur. Et XIV, V, 21 Nam Asia locus est, provincia Asiae Phrygia, Troia regio Phrygiae, Ilium civitas TroiaeM. In Ilium herrscht nicht Priamus, sondern Aeneas, der bei Fredegar II nur einmal als Bruder des Frigas, bei Fredegar ΠΙ überhaupt nicht genannt ist. Er führt den Krieg mit den Griechen, wird aber nicht als rex, sondern als tyrannus bezeichnet65. Der Autor hatte von ihm nur sehr vage Vorstellungen. 60 61

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Franci quifuerant de Troia eiecti (B statt Troiani). Acciperunt consilium, ut regem sibi unum constituerunt (A). - Accepto consilio, in unum primatum eorum unum habere principem B. Consilarii eorum B. Merovinchi B. Isidor erörtert hier die geographischen Termini locus, provincia, regio und civitas (Asia, Phrygia, Troia, Ilium). Der regio Isidors entspricht oppidum im Liber. Phrygia ist entfallen. In der austrasischen Fassung Β korrigiert. Aeneas wird hier durchgehend als rex bezeichnet.

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Auffällig ist die Terminologie: Ilium erscheint bei Fredegar nur als Troja 66 , aber die flüchtigen Trojaner werden in beiden Versionen der Chronik nur Frigii genannt. Im Liber führen die aus Hium Vertriebenen den Trojanernamen weiter bis zu ihrer Umbenennung durch den Kaiser Valentinian67. Die Trojamär des Liber geht nicht von einer antiken Gründungssage aus. Sie weiß nichts von Abspaltungen nach der Zerstörung Trojas, erst recht nichts von einer Königsreihe Priamus - Frigas - Francio und der Etymologie Francio Franci. Aber auf den Namen Priamus hat sie nicht verzichtet: die Führung der Troiani nach der Zerstörung von Ilium übernehmen die principes Priamus und Antenor. Für einen Erzähler, der Aeneas für den Herrscher Trojas hielt, war Priamus gewiß nur ein berühmter Name. Erst Spätere haben hier ein chronologisches Problem gesehen und den princeps Priamus zum Schwestersohn des sagenberühmten Königs von Troja gemacht. Antenor erscheint wie Aeneas in der Sage als Führer versprengter Trojaner. Er galt als Gründer von Padua, wo er auch die letzte Ruhe gefunden haben soll68. Vom Liber führt aber keine direkte Spur nach Italien. Den Namen Antenor trug ein patrictus der Provence (nach 690), der 714 rebellierte69. Er war gewiß ein Verwandter, wenn nicht gar ein Sohn des provencalischen patricius Hector, der 675 als Freund Leodegars von Autun in dessen Sturz verwickelt wurde70. Hector ist spätestens um 650, Antenor spätestens um 675 geboren. Die in der merowingischen Aristokratie ungewöhnlichen Namen zeigen, daß eine Trojatradition, in der Antenor vorkam, in einer südgallischen Familie noch gepflegt wurde und in einer nicht mehr faßbaren Weise in die fränkische Trojamär einging. Die Prinzipatsverfassung der künftigen Trojanerfranken des Liber hat mit der Dukatsverfassung der beiden Fredegarversionen nichts gemein. Es handelt sich nach der Darstellung des Liber um ein Doppelkönigtum, das von Priamus und Antenor auf deren Söhne Marcomer und Sunno übergeht71. Gerberding hat darauf hingewiesen, daß Priamus und Antenor bei Ovid zusammen genannt 66 67 68

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Der Name Troja war vorgegeben durch die Chronik des Hieronymus. Die Übertragung des Gentilnamens Frigii auf die Friesen war aus dieser Sicht unbedenklich. Aeneis I, 247ff.: Hie tarnen ille (Antenor) urbem Patavi sedesque locavit. Buchner 1933: 98-99. Passio Praeiecti episcopi, 23-26, Ed. Bruno Krusch (SS rer Mer V), Hannover/Leipzig 1910: 212-248, hier 239-241; Passio I S. Leodegarii, 9-10, ebd., 249-362, hier 291-294. In der Passio S. Leodegarii wird Hector bezeichnet als vir nobilis, qui tunc regebat in faseibus patrkiatum Masiliae, quique generis nobilitate et prudentia saeculari, ut claro stemmate ortus, ita erat prae ceteris praeditus. Die in der merowingischen Aristokratie ganz ungewöhnlichen trojanischen Namen lassen auf Verwandtschaft der beiden patricii schließen. Nach der Vita Praeiecti war Hector der Schwiegersohn einer Claudia aus dem Senatorenadel der Auvergne, wo die gallorömische Trojamär, wie Barlow nachwies, eine lange Tradition hatte. Zum Doppelkönigtum vgl. Wenskus 1961: 319, 321 und 579. Das Doppelkönigtum ist auch von der taciteischen Prinzipatsverfassung zu unterscheiden. Kennzeichen sind Dauer und Vererblichkeit.

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sind72. Die Konstruktion hat also keinen fränkischen, sondern einen gallorömischen Hintergrund. Nach dem Liber fuhren die Trojaner unter den beiden principes zu Schiff an die Gestade des Don und weiter durch die Maeotis, von wo sie intra terminos Pannoniarum gelangten. Anders als Fredegar hat der Liber die Route bezeichnet, auf der die Trojaner von Asien nach Europa kamen: über das Schwarze Meer zum Don und zum Asowschen Meer, wo die Grenze der beiden Erdteile lag. Das war die Route der Argonauten. Fredegar hat das Land der ersten Niederlassung in Termini umschrieben, die an ein Gebiet in der Scythia inferior oder Barbarica außerhalb des Imperium Romanum denken lassen73. Der Liber überspringt diese prima Europae regio: die Trojanerfranken gelangen nach der Uberquerung der Maeotis gleich intra terminos Pannoniarum iuxta Meotidas paludes. Gegen die communis opinio, daß der Liber den Namen der Provinz Gregor von Tours entlehnte, hat Gerberding zu Recht eine ältere gemeinsame Tradition angenommen74. Pannonien ist keine bloße Zwischenstation. Die Trojaner hausen dort multis annis creveruntque in gentem magnam. Sie beginnen mit dem Bau einer civitas, die sie ob memoriale eorum Sicambria nennen. Diese Notiz mutet wie eine Parallele zur Erbauung der niederrheinischen Troja bei Fredegar ΠΙ an. Da der Autor des Liber Fredegar nicht gekannt hat, beruhen beide Mitteilungen gewiß auf der antiken Sagentradition, daß die wandernden Trojaner Städte gründeten, die sie nach ihrer Heimatstadt benannten. Dieser Tradition entspricht Fredegar, im Liber ist sie verdunkelt. Nach memoriale eorum erwartet man Troja, nicht Sicambria. Die Vermutung, daß der Name durch Reminiszenzen an eine sugambrische Cohorte in Thrakien oder einen pannonischen Ortsnamen angeregt wurde, ist abwegig75. Sigambri ist seit dem Ende des 4. Jahrhunders als auszeichnender Name für die Franken belegt76 und war als solcher auch dem grie72 73 74

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Gerberding 1987: 23: „Ovid couples the names Priamus and Antenor". Vgl. Anm. 37. Gerberding 1987: 21. Gregor weist selbst auf eine ältere Überlieferung hin. Die Erzählung des Liber ist aus einem Guß und berührt sich nicht mit Gregors Historiae. Gerritz 1964: 49 Anm. 165, verweist auf Tacitus, Annales IV, 47, „wo in Thrakien [!] eine Sugambria cobors genannt wird, promptem ad pericula, nec minus cantuum et armorum multui trucem... Warum diese Kohorte aus Pannonien [!] zurückkehrte ist nicht bekannt, aber an diese Rückkehr mag sich die Sage angeschlossen haben."; Gerberding 1987: 20-22, erwägt dies ebenfalls und verweist zusätzlich auf spätmittelalterliche ungarische Chroniken, in denen die pannonische Metropole Aquincum (Old Buda) als Sicambria bezeichnet wird, bleibt aber letztlich doch mit Recht skeptisch (22): „it is still far more likely that the L H F author was moved to name his city because of the literary tradition which made Sicamber a poetic name for Frank". Alle Belege bei Pauly-Wissowa IV, A / 1 , Stuttgart 1931, „Sugambri": 659-662.; Ferner Kurth 1968: 525f. Die historischen Sugambri siedelten nördlich des Westerwaldes, westlich der Chatten und Cherusker, südlich der Brukterer und Bataver. Sie wurden 8 v. Chr. von Tiberius als Cugerni an den Niederrhein verpflanzt. Der archaisierende Name für die Franken erscheint in der Form Sigambri/Sycambri zuerst bei Claudian, In Eutropium, I, 383 (wie

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chisch sprechenden Osten geläufig, wo ihn Johannes Lydus sogar für den ursprünglichen Frankennamen hielt77. Sicambria ist kein Stadt-, sondern ein Landesname, der archaisierend für Francia belegt ist78. Er paßt auf Pannonien als eine von „Urfranken" bewohnte Provinz und ist jedenfalls erst sekundär auf eine civitas bezogen worden. Das an die Ansiedlung in Pannonien anschließende Kapitel über den Kaiser Valentinian, die Trojaner(-franken) und die Alanen ist ein Zusatz zur eigentlichen Trojamär. Die Brücke zwischen der Trojalegende und den Alanen bilden die ripae Tanais fluminis und die Meotidae paludes. Die ursprünglich nördlich des Kaukasus in der asiatischen Scythia siedelnden Alanen waren von hier nach Europa eingedrungen, das erste Land westlich der Maeotis in der europäischen Scythia inferior hieß nach ihnen Alania79. Daß die von Kaiser Valentinian geschlagenen Alanen in die Maeotis flohen, wäre somit plausibel. Nicht in diese Geographie paßt die Behauptung illi caesi super Danuvium fugierunt - es sei denn, der Erzähler hätte stillschweigend einen Einfall der Alanen ins Imperium vorausgesetzt. Die Erzählung von der Vertreibung der Alanen aus der Maeotis durch die Trojaner unter Priamus und Antenor kann zur Ausschmückung der Wanderung von Troja zum Rhein frei erfunden sein. Historische Reminiszenzen an den schweren Zusammenstoß zwischen Franken und Alanen, als die Alanen unter Respendial den von den Franken schwer bedrängten Wandalen kurz vor dem Rheinübergang in der Neujahrsnacht 406/07 zu Hilfe kamen80, sind aber nicht ganz auszuschließen. Der Kaiser des Katastrophenjahres hieß allerdings Honorius, nicht Valentinian. Die Alanen werden im Liber als gensprava etpessima bezeichnet. Wenn dies kein rhetorischer Gemeinplatz ist, könnten Erinnerungen an die Verwüstung Galliens durch Wandalen, Alanen und Sweben in den Jahren 407-409 durch-

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Anm 25): 88; Epithalamium de nuptiis Honorii Augusti 279: 136; De hello Gildonico, 373: 67; De consulatu Stilichonis Π, 197: 221. J. Lydus, On powers, ΠΙ, 56, Ed. Anastasium L. Bandy (The Amercian Philosophical Society), Philadelphia 1983: 218f.:' Ως δέ καί Συγάμβροις [' Ιουστινιανός] έπαγρυνεϊν ήπείλει (Φράγγους αυτούς έξ ήγεμόνος καλοΰσιν έπϊ τού παρόντος οι περί' Ρηυον κ α ί ' Ρόδενον)... Claudian, In Eutropium, I, 383 (wie Anm 25): 88: Militet ut nostris detonsa Sygambria signis. Isidor, Etymologiae (wie Anm. 37) XIV, IV, 3: Prima Europae regio Scythia inferior... Htiius pars prima Alania est, quae ad Maeotidispaludespertingit, post hanc Dacia, ubi et Gothia, deinde Germania. Orosius, Adversos Paganos, Ed. Carl Zangemeister (CSEL 5), Wien 1882, VII, 40;3: 549f.: gentes Alanorum, Sueborum, Vandalorum multaeque cum his aliae Francos proterunt, Rhenum transeunt. Renatus Profuturus Frigiredus bei Gregor von Tours, Historiae Π, 9 (wie Anm. 36): 55f.: Interea Respendial rex Alanorum, Goare ad Romanos transgresso de Rheno agmen suorum convertit, Wandalis Francorum hello laborantibus, Godigyselo rege absumpto, aciae viginti ferme milibus ferro peremptis, cunctis Wartdalorum ad intemicionem delendis, nisi Alanorum vis in tempore subvenisset. Dazu de Boone 1954: 122: „de strijd speelt zieh dus blijkbaar af voordat de Rijn werd overgetrokken".

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scheinen, die freilich eher in ein gallorömisches als in ein fränkisches Geschichtsbild passen. Arger hat es in Gallien auch später noch selbst mit föderierten Verbänden gegeben: so bei der Ansiedlung von Alanen durch Aetius im Orleanais (442) und ihrem Einsatz im Tractus Armoricanus. Bischof Germanus von Auxerre trat der gens bellicosissima und ihrem rex ferocissimus entgegen und intervenierte 448 am Hof von Ravenna bei Valentinian ΙΠ. für die Armoricani81. Die Mär vom Kaiser Valentinian, den Franken und den Alanen ist keine Geschichte ad maiorem Francorum gloriam. Die Franken spielen in ihr zwar keine unrühmliche Rolle. Aber im Mittelpunkt steht eigentlich der imperator Romanorum et gentium, Sieger über Alanen und Franken. Die gentes - auch die „Trojaner" - schulden ihm tributa donaria82 und Heeresdienst. Die tributa werden erhoben von exactores unter der Leitung eines dux de Romano senatuSi. Das kaiserliche Heer untersteht einem princeps militiae. Es wird - analog zum Kaisertitel - als hostis Romanorum et aliarum gentium bezeichnet. Auch die Troiani ziehen cum alio populo Romanorum in den Kampf gegen die Alanen, sie werden vom Kaiser mit einem neuen Namen Attica lingua ausgezeichnet. Das Kolorit dieser Erzählung ist spätrömisch. Der princeps militiae spiegelt den magister utriusque militiae des 4./5. Jhs. Die gentes, die mit den Romani das Reichsheer bilden, entsprechen den auxilia und den Kontingenten föderierter Völker. Sie zahlen tributa wie einst die auf Reichsgebiet angesiedelten Barbaren84. Die Troiani erhalten wie zahlreiche auxilia des 4. Jhs.85 vom Kaiser einen Kriegsnamen: feros. Auf eine heiße Spur führt die Bemerkung, der neue Name sei Attica lingua, also dem Griechischen entnommen. In einem Panegyricus auf die Kaiser Constans und Constantius, der 348/49 verfaßten Oratio LIX des Antiocheners Libanios, wird der nach Meinung des Libanios verderbte Name Frankoi auf Phraktoi - die Gepanzerten - zurückgeführt: Έστι γένος Κελτικών ύπέρ' Ρηνον ποταμον έπ αΰτον ' Ωκέανον καθήκον ούτως εΰ πεφραγμένον προς τα των πολέμων έργα, ώστε την προσηγορίαν άπ αύτών εύράμενοι των πράξεων ονομάζονται φράκτοι, δ δέ ύπο των πολλών κέκληνται φράγκοι, τοΰτ έστι Vita Germani, ep. Autissiodorensis, 28-42, Ed. Wilhelm Levison (MGH SS rer Mer VII), Hannover/Leipzig 1920: 223-283, hier 271-281. Dazu Levison 1904: 129-142, und St. Germain d'Auxerre et son temps (Societe des Sciences historiques et naturelles delTfonne), Auxerre 1950. 82 Im klassischen Latein bedeutete donarium Schatzhaus eines Tempels, Weihegeschenk, im Mittelalter „compulsory gift", laut Niermeyer 1976: 355. Niermeyer führt als ersten Beleg für diese Bedeutung eine Urkunde Karls ΙΠ. an. In der Fassung Β des Liber, die aus dem Jahrzehnt 727-737 datiert, ist donaria gestrichen. Das Wort wurde wohl noch als ungewöhnlich empfunden. 13 Cum Primario duce de Romanu senatu. Krusch hat Primarius als Personennamen aufgefaßt. Eigentlich handelt es sich um ein Adjektiv: einer der ersten seiner Art. 84 Stroheker 1965: 39: Julian beließ „die in das Reichsgebiet eingedrungenen Franken und Alemannen z.T. als tributarii et vectigales in ihren Sitzen."; Hoffmann 1969: 141-143. 85 Hoffmann 1969: 99 und 132ff. 11

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προσηγορία τή των πολλών άμα-θία διεφ-θαρμενη. Γέρα δέ άπονοίας και τιμοίς θρασύτητος έχουσιν86. Libanios hebt in diesem Zusammenhang weiter Zahl und Stärke der Franken hervor: ούτοι πλήϋει μεν πάντα αριθμόν ύπερβαίνουσιν ίσχυι δέ του σφών αύτών πλήθους την ύπερβολήν παρέρχονται. Die Entsprechung zum Bericht des Liber ist augenfällig. Phraktoi kann zwar nicht mit ferusy wohl aber mit ferreus übersetzt werden. Der Verfasser der Origo Francorum hat dies gesehen und (phraktos-) ferreus auf die duritia cordis bezogen87. Aponoia und Thrasytes entsprechen der audacia. Die Betonung der zahlenmäßigen Stärke steht im Widerpsruch zur parva manus bei Fredegar II, paßt aber zur Feststellung des Liber, daß die Trojaner in Pannonien zu einem großen Volk heranwuchsen. Damit zeichnet sich ein historischer Hintergund der Geschichte vom Kaiser Valentinian und den Franken ab. 363 kam der protector domesticus Teutomeres im Gefolge der Kaisers Julian, 383 Richomeres, magister equitum praesentalis Theodosius' I., nach Antiochia. Beide wurden Freunde des Libanios. Sie gehörten zu den Franken, die im römischen Heer Karriere machten und zu höchsten Amtern aufstiegen. Nur wenig älter als Richomeres war der Franke Merobaudes, der 372/73 von Valentinian I. (364-375) als magister peditum praesentalis an die Spitze des Heeres berufen wurde und den Oberbefehl auch unter Valentinians Sohn und Nachfolger Gratian (367/75-383) behielt. Richomeres wurde als comes domesticorum von Gratian 377/78 in den Osten detachiert. Merobaudes eröffnete 375 „von Pannonien aus" einen Feldzug gegen Quaden und Sarmaten. Valentinian rückte nach, starb aber dann noch während der Friedensverhandlungen in seiner pannonischen Heimat88. Die „attische" Etymologie des Frankennamens wird sich bei den fränkischen Offizieren Valentinians I. und Gratians durchgesetzt haben; der von Pannonien aus geführte Zug des Merobaudes mag als letzter Erfolg Valentinians in Erinnerung geblieben und mit Reminiszenzen an die Alanen vermischt worden sein. Die Erzählung vom befristeten Erlaß der tributa donaria nach dem Sieg der „Trojaner" über die Alanen hat eher merowingisches Kolorit. Sie erinnert an eine Maßnahme Dagoberts I., der 632 die tributären Sachsen im Nordthuringgau mit der Abwehr der Slawen Samos beauftragte und ihnen dafür den geschuldeten Tribut erließ89. Der Konflikt mit dem Kaiser nach Ablauf der Freistellung löst die Abwanderung der Trojanerfranken aus Pannonien aus. Diese Begründung für den Abzug war notwendig, da Pannonien in der Darstellung des Liber keine bloße Durchgangsstation auf der Wanderung zum Rhein ist, 86

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Libanios, Laudatio Constantii et Constantis, in: Libanii Opera IV, Ed. Richart Foerster, Leipzig 1908 (ND 1963), Oratio LIX, 127f.: 273f. Origo Francorum Bonnensis, Ed. Bruno Krusch (MGH SS rer Mer VII), Hannover/Leipzig 1920: 527f.: Recte apellati sunt Franci ad instar duriciae ferri vel a feritate cordis. Waas 1965; Stallknecht 1967; Ewig 1974. Fredegar IV, 74 (wie Anm. 8): 158.

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sondern langjähriges Siedlungsgebiet, eine erste Heimat (Sicambria), in der die Trojanerfranken creverunt in gentem magnam. Die Geschichte von Kaiser Valentinian und den Franken ist wohl beim Stichwort Pannonien in die Trojalegende eingefügt worden. Die Einschaltung erfolgte unter souveräner Verachtung der Chronologie, die gewiß dem Verfasser des Liber anzulasten ist. Priamus und Antenor werden schlicht und einfach zu Zeitgenossen Valentinians I. und zu Vätern von Marcomer und Sunno, den principes in der neuen Heimat in extremis partibus Reni fluminis in Germaniarum oppidis. Hier, d.h. im rechtsrheinischen Vorland der civitas Traianensium (Xanten) und der civitas Batavorum (Nimwegen), siedeln die Franken wie in Pannonien multis annis90. Damit ist der Bogen zu Gregor von Tours geschlagen. Aber anders als Fredegar ΠΙ schließt der Autor des Liber nicht gleich an Gregor an, sondern flicht Eigenes ein. Die rheinischen Sitze der Franken sind präziser als bei Gregor und Fredegar bezeichnet. Theudomer, in dem Gregor den primus rex Francorum vermutete, ist durch Marcomers Sohn Faramund ersetzt, den die Franken nach dem Tod Sunnos zum König erheben. Uber Marcomer ist Faramund genealogisch mit Priamus verbunden. Die Linie Antenor verschwindet mit Sunno. Keine ältere Quelle nennt den durch Chateaubriand berühmt gewordenen König Faramund. Der Name paßt nicht in die frühfränkisch-merowingische Anthroponymie. Das Grundwort -mund erscheint als Bestimmungswort aber im Namen des Rebellen Mundericus, der sich als parens Theuderichs I. (511-533) zum König ausrufen ließ, in Vitry-le-Brule (Diöz. Chälons) belagert und getötet wurde91. Den Vollnamen Faramodus führte im 6. Jh. ein Bruder des Bischofs Ragnemodus von Paris (576-591)'2. Ob von diesen Personen eine Spur zum 90

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Der Plural Germaniae entspricht dem Plural Pannoniae. Er bezieht sich aber nicht auf die Römerprovinzen Mainz und Köln, sondern auf die Germania der klassischen Geographie zwischen Rhein, Donau und Ozean. Isidor, Etymologiae (wie Anm. 37) XTV 4, 4, unterscheidet zwei Germaniae, am Ozean und am Rhein: Germania post Scytbiam inferiorem a Danubio inter Rhenum fluvium Oceanumque cingitur; a septentrione et occasu Oceano, ab ortu vero Danubio, a meridie Rhena flumine dirimitur... Duae sunt autem Germaniae: superior iuxta septentrionalem Oceanum, inferior area Rhenum. Dazu die Erläuterung in der Fassung Β des Liber: Germanie omnes regiertes gentium, que ultra Renum fluvium sunt, huic nomine nuneupantur. Die oppida Germaniarum sind keine civitates. Eine Parallele zur Gründung von TrojaXanten bei Fredegar ΠΙ liegt nicht vor. Oppidum entspricht im Liber der regio Isidors von Sevilla (vgl. Anm 64). Die oppida Germaniarum sind regiones im Sinne Isidors. Gregor, Historia ΙΠ, 14 (wie Anm. 36): 110-112. Die Verwandtschaft Munderichs mit Theuderich I. ist wohl auf die Mutter des Königs zurückzuführen. Zu den Nachkommen des Rebellen könnte der Kleriker Mundericus gehört haben, der um 570 zum Bischof mit der Exspektanz auf Langres geweiht wurde, aber gegen seinen Herrn Gunthchramn von Frankoburgund mit dessen austrasischem Bruder Sigibert I. konspirierte und von diesem schließlich das Bistum Alais erhielt (Gregor, Historia [wie Anm 36] V, 5: 200, 201). Gregor, Historia X , 26 (wie Anm. 36): 519. Ein cubicularius Chilperichs I. trug den Namen Faraulfus vgl - Gregor, Historia VII, 18 (wie Anm. 36): 338.

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König Faramund des Liber führt, ist sehr zweifelhaft. Bedeutsamer ist das Auftreten des sagenhaften Königsnamens im späten 7. und frühen 8. Jh. bei Bischöfen von Maastricht (675/76-682/83) und Köln (c. 715-720)93: wohl ein Indiz für die Verdichtung einer Geschichtslegende im Zusammenhang mit der Erweiterung des „kurzen" Prologs zur Lex Salica. Die erweiterte Fassung, die der Liber wiedergibt, enthält nähere Angaben über die drei Gerichtsorte, in denen das salische Recht von vier electi - im Liber als priores gentiles bezeichnet - gewiesen wurde: in villas que ultra Rbenum sunt: in Bothem, Salehem et Widohem9\ Im Liber ist hier der König Faramund eingefügt. Da die Rechtsweisung in die heidnische Vorzeit verlegt ist, in der die Franken noch im Rechtsrheinischen saßen, stand kein durch Gregor von Tours bezeugter Königsname zur Verfügung. Wie Faramund zur Ehre des primus rex Francorum kam, bleibt jedoch ein Rätsel95. Das Faramundkapitel ist zugleich Abschluß und Höhepunkt der fränkischen Ur- und Frühgeschichte im Liber Historiae Francorum. Die Franken erheben einen König sicut ceterae gentes - die Anspielung auf die Begründung des Königtums in Israel ist evident. Mit dem Königtum verbunden ist die Rechtsordnung. Tunc et leges habere coeperunt. Damit sind die Franken in den Kreis der Kulturvölker eingetreten96. Mit Chlodio, den der Autor des Liber zu einem Sohn Faramunds macht, ist die Schwelle von der Origo zur Historia Francorum erreicht. Der Leitfaden ist fortan Gregor von Tours.

Legende und Geschichte Die beiden Fredegarversionen und die Version des Liber Historiae Francorum repräsentieren zwei unterschiedliche Uberlieferungen der Origo Francorum, die beide auf gallorömischer Grundlage beruhen. Der von Ammianus Marcellinus zitierten gallorömischen Tradition, nach der nur pauci fugitantes post excidium Troiae Gallien erreicht hätten, entspricht der Aussage bei Fredegar Π, daß die " 94

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Werner 1980: 256-262 und 266; Die Regesten der Erzbischöfe von Köln 1/1, Ed. Friedrich Wilhelm Oediger, Bonn 1954-1961, Nr. 62: 30. Eckhardt, Pactus Legis Salicae I (wie Anm. 45): 165-175. Eckhardt weist, 168 Anm. 295, auf die Möglichkeit einer Identifizierung im Raum von Werden und am Niederrhein hin, was zu den Angaben des Liber über die Sitze der Franken in extremis partibus Rent fluminis passen würde. In der Marginalnotiz einer B-Handschrift des Liber ist Faramund auch expressis verbis als primus rex Francorum bezeichnet. Man vergleiche den bekannten Prolog zur Lex Baiuvarioum, Ed. Ernst Fr. von Schwind (MGH Legum Sectio I. Legum Nationum Germanicarum V,2), Hannover 1926: 198: Moyses gentis Hebraae primus omnium divinas leges sacris litteris explicavit. Phoronaeus rex Graecis primus leges iudiciaque constituit. Mercurius Trismegistus primus leges Aegyptiis tradid.it. Solon primus leges Atbeniensibus dedit. Lycurgus primus Lacedaemoniis iura ex Apollinis auctoritate confixit. Numa Pompilius qui Romulo successit in regnum, primus leges Romanis edidit...

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Trojanerfranken bei ihrer Ankunft am Rhein nur eine parva manus waren. Die Bezeichnung der Trojaner als Phryger und die Notiz über die Abspaltung einer nach Makedonien ziehenden Gruppe weist auf eine mit dem Priamossohn Helenos verbundene Sage, die auch Vergil kannte97 und die noch in den Ethnika des Stephanos Byzantios (524/535) einen Niederschlag fand98. Die klare Aussage des Liber Historiae Francorum, daß die Trojanerfranken über den Don und das Asowsche Meer, die antike Grenze zwischen Asien und Europa, nach Europa zogen, könnte auch den Vorstellungen Fredegars entsprechen99, also auf eine gemeinsame Grundlage zurückgehen. Die Fahrt zu Schiff über das Schwarze Meer entspricht der Fahrt des Aeneas über die Aegaeis. Wer die Franken von den Trojanern ableitete, konnte vorliegende Aussagen über den Wanderweg der fugitantes übernehmen, mußte aber den Namenwechsel erklären. In der Version des Liber ist der Wechsel auf Valentinian I., in den Fredegarversionen auf den König Francio zurückgeführt. In beiden Fällen erfolgte der Wechsel während der Wanderung. Die Version des Liber beruht auf der 348/49 durch Libanios bezeugten „attischen" Etymologie Phraktoi (Ferrei) - Frankoi, die Valentinian zugeschrieben wurde und mit der Erzählung vom Kaiser, den Franken und den Alanen untrennbar verbunden wurde. Dem Erzähler wurde wohl bewußt, daß der Zeitraum vom Fall Trojas bis Valentinian überbrückt werden mußte. So machte er Pannonien zu einer ersten Heimat Sicambria - der Trojanerfranken, in der diese zu einem großen Volk heranwuchsen. Das Erstzeugnis für die Übertragung des Sigambrernamens auf die Franken bietet Claudian am Ende des 4. Jhs. Die Kämpfe mit den Alanen beruhen vielleicht auf diffusen Erinnerungen aus der ersten Hälfte des 5. Jhs. Damit ist der zeitliche Rahmen für die Entstehung der Mär vom Kaiser Valentinian und den Franken ungefähr abgesteckt. Partner Valentinians sind in dieser Mär die Franken, nicht ihre Führer100. Allem Anschein nach hat erst der Autor des Liber die Verbindung zu einer gallischen Antenorversion der Trojalegende hergestellt und die Erzählung in sein Generationsschema Priamus/Antenor - Marco mer/Sunno - Faramund gepreßt. Zu den ältesten Elementen der Fredegarversion gehört die Etymologie (Colonia) Traiana - Troja, die schon im späten 4. Jh. ein Argument für die trojanische Herkunft der Franken geliefert haben kann. Es folgt das Zeugnis des Joannes Lydos (557/61) für die Etymologie Francio - Franci, die bei Fredegar den Namenswechsel Frigii - Franci begründet und nur in diesem Zusammen97

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Aeneis ΙΠ: 294-355: Helenos gründete in Epirus eine parva Troia. Epirus gehörte in der Spätantike zur Diözese Macedonia. Vgl. Anm. 23. Die Franken Francios streifen durch viele Länder Asiens, ehe sie Europa erreichen: Fredegar Π, 5 (wie Anm. 8): 46, per multis regionibus pervacantis... partem Asiae vastans in Eurupam dirigens. Die principes Priamus und Antenor gehören nicht zum alten Kern der Erzählung.

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hang sinnvoll erscheint. Sie setzt auch die trojanische Königstrias Priamus Friga(s) - Francio voraus. Aus der ersten Hälfte des 6. Jhs. (511-558) datiert der Epilog zur Lex Salica, der die ersten 65 Titel der Lex auf den primus rex Francorum, d.h. Chlodwig, zurückführt, also allen früheren reges den königlichen Charakter implicite abspricht. Der Kern der Fredegarversionen - Königstrias Priamus - Friga(s) - Francio, Abwanderung zum Rhein unter dem Heros eponymos Francio, Dukatsverfassung nach dem Tod Francios, Gründung einer civitas ad instar Trogiae nominis - lag also 550 vor. Eine spätere Zutat ist die Abspaltung der Torqui/Torci unter Torquatus. Gregor von Tours hat zweifellos den Kern der Version des Liber gekannt, da er überliefert, daß die Franken nach der Meinung vieler aus Pannonien an den Rhein gezogen seien. Pannonien wird in den Fredegarversionen nicht genannt. Die im Bericht über die Abspaltung der Torqui/Torci genannte Wanderstation ist Skythien, nicht Pannonien. Anscheinend lag Gregor aber auch die Fredegarversion vor, als er 575 die frühfränkische Verfassung erörterte und dabei von der Frage nach dem primus rex Francorum ausging - Chlodwig kann hier nicht zur Debatte gestanden haben. Gregors Forschungen zum Thema primus rex verliefen im Sande, führten aber zur Bestätigung einer anderen Teilaussage Fredegars, nämlich der frühfränkischen Dukatsverfassung, die, wie er meinte, nach der Überschreitung des Rheins durch die Begründung von Kleinkönigreichen iuxta pagos vel civitates ein Ende fand. Auch der Continuator Prosperi Havniensis stand im Bann Fredegars, als er rückschauend 625 behauptete, daß die Franken 451 keine reges hatten, sondern ducibus contenti erant. Barlow nimmt an, daß man bis zum 6. Jh. von der Einschaltung der Franken in die Trojamär nicht viel Wesens machte101. Seine Ansicht, daß die Ausgestaltung - d.h. die Fredegarversion - „a part of the Merovingian appropriation of Roman tradition" unter Theudebert I. (533-547) war, ist einleuchtend. Auf Theudebert I. scheint auch die Aussage des Joannes Lydos hinzuweisen, daß die Menschen an Rhein und Rhone sich nach einem Hegemon Franken nennen102. Fredegars Trojamär ist ein gelehrtes Werk, vielleicht nicht ohne Seitenblick auf „Valentinian und die Franken" konzipiert. Voraussetzung für die Fredegarversionen der Trojalegende ist gewiß die Reichsgründung Chlodwigs. Den Söhnen und Enkeln galt der Gründer des regnum Francorum als primus rex. Die früheren reges wurden zu duces abgestuft. Nahm dabei auch die merowingische Ahnentafel, das stemma priscae originis10}, Schaden? Ist die trojanische Trias Priamus - Frigas - Francio an die Stelle des 101

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Barlow 1995: 93: „It was probably not tili Theudebert that much was made of it (i.e. the Trojan myth)". Von den merowingischen Teilreichen umfaßte in der Zeit von 534 bis 555 nur das Teilreich Theudeberts I. respektive seines Sohnes Theudowald Gebiete an Rhein und Rhone. Aviti Opera, Ed. Rudolf Peiper (MGH AA VI, 2), Berlin 1883, Epistola X X X X V I : 75-76: Glückwunschschreiben des Metropoliten Avitus von Vienne zur Taufe Chlodwigs.

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göttlichen Ahns getreten, dem Chlodwig in der Taufe abschwor? Barlows These, daß unter Theudebert I. „the Trojan myth was moulded into the obscure Merovingian lineage" ist verführerisch. Bei näherem Hinsehen erheben sich jedoch Bedenken. Die Trojamär ist auch im 6. Jh. primär auf die gern bezogen. Fredegar Π bezeichnet sie als Origo Francorum. Die Trias Priamus - Frigas Francio bildet bei ihm eine chronologische Reihe, keine auf die Merowinger zulaufende Königssippe. Das kann redaktionelle Gründe haben. Fredegar ΠΙ führt die Genealogie expressis verbis vor; aber sie ist hier auf die Frankenforschung Gregors von Tours abgestützt und kann daher in dieser Form erst nach 575 erstellt worden sein. So könnte die Origo Francorum Fredegars doch auch als eine Mär ad nobilitandam Francorum gentem konzipiert worden sein104, d.h. frei von Bezug auf den Kaiser. Einer Ableitung der Merowinger von der trojanischen Trias stand der Königsmythos der fränkischen Frühzeit im Weg, der nach der Taufe Chlodwigs nicht gleich in Vergessenheit geriet. Im späteren 6. Jh. entstand wohl die bei Fredegar ΠΙ überlieferte Synthese, wo er in die Troja-Erzählung eingebaut, als Gerücht auf Chlodwigs Großvater Merowech bezogen und damit entschärft ist. Merowech hat als Heros eponymos die Nachkommen Chlodwigs offensichtlich stärker beeindruckt als Priamus, wie die von der Linie Chilperichs I. ausgehende Verbreitung seines Namens in den Familien Chlothars I., Theuderichs Π. und Theudeberts Π. zeigt105. Trojanische Namen hat kein Merowinger aufgegriffen, wohl aber hat Paulus Diaconus am Hof Karls des Großen (782-786) den Namen von Karls Vorfahr Ansegis in Beziehung zu Anchises, dem Vater des Aeneas gesetzt106. Er gab damit einer allgemein verbreiteten, sicher auch von Karl selbst geteilten Uberzeugung von der trojanischen Herkunft der Franken Ausdruck. Der Hofdichter Hibernicus exul legte in seinem um 790 verfaßten „Tassilo-Gedicht" Karl eine Rede in den Mund, in der der König die „glorreiche Abstammung der Franken von den Trojanern" beschwor: Ο gens regalis, profecta a moenibus altis Troiae...107.

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Chilperich I. 581 zur Ausfertigung eines kostbaren missorium·. Gregor, Historia VI, 2 (wie Anm. 36): 266. Ewig 1991: 21-69. Gesta episcoporum Mettensium. Ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS Π), Hannover 1829: 260-270, hier 264 und 265: Cuius Anscbisi nomen ab Anchise patre Aeneae, qui a Troia in Italiam olim venerat, creditur esse deductum - Est abavus Anchise potens, qui ducit ab illo / Troiano Anchisa longo post tempore nomen. Hibernicus Exul, Versus ad Karolum regem, Ed. Ernst Dümmler (MGH Poetae Latini I), Berlin 1881: 396-399, hier 398; Schaller 1995: 16-18.

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Nachtrag Nach Abschluß des Manuskripts ist mir aufgegangen, daß Torquotus/Turquotus108 respektive Torcoth/Torchot 109 , der Name des Heros eponymos der Torci/ Turqui nicht auf Torquatus zurückzuführen ist, wie Krusch meinte, sondern auf Tourxanthos/Türkshad, den Namen oder Titel, den der Bruder des zweiten westtürkischen Khagans Tardu (575-603) führte110. Den Hintergrund für die Einführung der Torci/Turqui in die Fredegarversionen der fränkischen Trojamär bilden demnach die byzantinisch-türkischen Beziehungen im letzten Drittel des 6. Jhs. Die Türken traten nach der Gründung ihres Großreiches in Zentralasien erstmals ins Blickfeld der Rhomäer. Eine Gesandtschaft des westtürkischen Khagans Istami (Sizabulos) ersuchte 562/63 Justininan, die Awaren abzuweisen, die sich der türkischen Herrschaft entzogen und 558 ein foedus mit ihm abgeschlossen hatten. Die Verhandlungen über Landzuweisungen an die Awaren gerieten in eine Sackgasse, und Justin Π. erneuerte den Vertrag nach dem Tod seines großen Vorgängers nicht. Mögliche Streitpunkte waren also ausgeräumt, als Ende 567 eine zweite türkische Gesandtschaft in Constantinopel eintraf. Sie schloß mit Justin ein Bündnis, das sich gegen die Perser richtete, und wurde auf der Heimreise 569 von einer kaiserlichen Gegengesandtschaft begleitet, die zwei Jahre im Türkenreich verweilte. Die Berichte der kaiserlichen Gesandtschaft „regten die Phantasie der Byzantiner sehr an; die Hauptstadt schwirrte bald von Gerüchten und phantastischen Erzählungen über das Land der Türken" 111 . Ein Echo wird auch ins Frankenreich gelangt sein über Warmarius und Firminus, die 571/72 als Gesandte Sigiberts I. am Kaiserhof weilten112. Die Awaren wurden ins Imperium nicht aufgenommen, rückten aber nach der Zerstörung des Gepidenreiches 568 als Nachfolger der Langobarden in Pannonien ein. Es kam bald zu einem für die Rhomäer wenig glücklich verlaufenden Grenzkrieg um Sirmium. Im Friedensschluß gewährte Tiberius IL dem Awarenkhagan im Winter 574/75 Jahresgelder in Höhe von 80.000 solidi; vielleicht sanktionierte er auch den Einzug in Pannonien113. Die Türken nahmen dies sehr übel auf. Der kaiserliche Gesandte Valentinus, der nach dem Tod Istamis zu Istamis Sohn und Nachfolger Tardu reiste, bekam das zu spüren, als er bei Tardus Bruder „Tourxanthos" 576 Station machte. „Tourxanthos" be108 109 110

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Varianten Fredegar Π. Eine Angleichung an den lateinischen Namen Torquatus ist denkbar. Varianten Fredegar ΙΠ. G. Moravszik, Byzantinoturcica Π, 1983: 328, mit Literatur. Chronologie: Golzio 1984: 61. Ferner: Spuler 1966: 123-134; Pohl 1988: 28ff„ 40ff„ 66ff. Für kollegiale Hilfe danke ich den Bibliothekaren des Zentralasiatischen Instituts der Universität Bonn. Pohl 1988: 43. Ewig 1983: 28. Pohl 1988: 61-65.

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handelte die kaiserliche Gesandtschaft höchst unfreundlich, ließ sie schließlich zwar zum Khagan ziehen, sandte aber zugleich Truppen über die Wolga, die die zum Imperium gehörige Stadt Pantikapaion (Kertsch) einnahmen und in die Krim vordrangen114. Der türkische Vorstoß nach Westen blieb jedoch Episode. Die Ursache der Zwistigkeiten entfiel, als die Awaren zu einer ernsten Bedrohung für das Imperium wurden (Eroberung von Sirmium 582, Großangriffe auf den Donaulimes 585)115, während der Khagan Tardu sich auf die Auseinandersetzung mit Persien konzentrierte116. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Imperium und dem westtürkischen Khaganat wurden daher unter Maurikios (582-603), dem Nachfolger des Kaisers Tiberius, erneuert117. Pantikapaion fiel um 590 an das Imperium zurück118. Der diplomatische Verkehr zwischen den Franken und dem Imperium kam 578 nach einer wohl durch die bella civilia im Merowingerreich bedingten Pause wieder in Gang. In diesem Jahr trafen gleich zwei merowingische Gesandtschaften aus Neuster und Auster in Constantinopel ein119. Hier konnten sie aus erster Quelle weitere Informationen über die Türken erhalten, da der kaiserliche Legat Valentinus zu gleicher Zeit oder kurz zuvor aus dem Khaganat zurückkehrte. Die austrasische Legation reiste wohl schon 579, die neustrische erst 581 ins Frankenreich zurück. Aber der neustrische Kontakt mit dem Imperium brach ab, da Neustrien nach der Ermordung Chilperichs Π. 584 in den Schatten trat. Sehr rege blieb dagegen der diplomatische Verkehr zwischen dem austrasischen respektive austroburgundischen Hof und Constantinopel bis zum Tod des Kaisers Maurikios im November 602120. Für den Türkeneinschub in die Fredegarversion der fränkischen Trojamär bilden die Jahre 579/81 den Terminus a quo. Einen sehr späten Terminus ad quem bietet die Endredaktion der Fredegarchronik in den Jahren 642/60. Zu dieser Zeit waren die Türken dem Blickfeld des Okzidents längst wieder entrückt121 - Fredegars Türkenzeugnis blieb auf Jahrhunderte isoliert. „Tourxa(n)thos" kann die Zeitgenossen noch einige Jahre nach 576/78 beschäftigt haben, nicht aber noch Jahrzehnte nach der Wende vom 6. zum 7. Jh.

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Spuler 1966: 130ff.; Pohl 1988: 67. Pohl 1988: 75 und 85. Spuler 1966: 13 Iff. Maurikios versuchte das Türkenbündnis zu nutzen, vgl. Pohl 1988: 80, zur Lage 585. Nach Ausweis der Inschriften dürfte die Stadt um 590 wieder an Byzanz gefallen sein, vgl. Pohl 1988: 439 Anm. 37. Ewig 1983: 30ff. Ewig 1983: 33-49; Schreiner 1985: 195-200; Pohl 1988: 128-132. Die Nachfolger Tardus betrieben eine Expansionspolitik in Asien (Taschkent, Altai). Der Niedergang des westtürkischen Khaganats setzte 630 ein. Das westtürkische Gebiet wurde 659 China einverleibt, vgl. Spuler 1966: 133, und Pohl 1988: 272ff.

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Franken und Romanen im Spiegel spätrömischer Grabfunde im nördlichen Gallien VON HORST WOLFGANG BÖHME

Gräber mit ihren Beigaben sind zwar kein Spiegel des Lebens, wie kürzlich der Titel einer archäologischen Ausstellung uns weismachen wollte, sondern eher ein Zerrspiegel1, aber bei richtiger Analyse und Interpretation von Grabfunden vermag der versierte Archäologe dennoch einige bemerkenswerte Einblicke in das Leben vergangener Jahrhunderte zu geben. Und die Schlüsse, die er daraus ziehen kann, vermitteln für eine durch schriftliche Zeugnisse nur ungenügend erhellte Epoche wertvolle Ergänzungen zu unserem bisher unvollkommenen Geschichtsbild. Dies gilt in ganz besonderem Maße auch für das 4. und 5. Jh. in Nordgallien, wo sich damals umwälzende Ereignisse von weitreichender Bedeutung abspielten, ohne daß wir über diese wichtigen Vorgänge - von einigen schlaglichtartigen Episoden abgesehen - ausreichend informiert werden. Bevor wir aber zu der angesprochenen Analyse der in Betracht kommenden Gräberfelder mit ihren teils reichen Beigaben kommen, seien für ein mehrheitlich von Historikern besuchtes Auditorium einige notwendige Bemerkungen zu der archäologischen Quellengattung Grabfund sowie ihrer Aussagemöglichkeit vorausgeschickt.

Haffner 1989. Die Ausstattung vor- und frühgeschichtlicher Gräber spiegelt jedoch keinesfalls unverzerrt die reale Welt der Lebenden wider, sondern sie ist bekanntlich von der jeweils herrschenden Beigabensitte abhängig, die ihrerseits in starkem Maße von den sich wandelnden Werte- und Jenseitsvorstellungen beeinflußt wird. So kannten z.B. die äußerst kriegerischen Alemannen des 3. und 4. Jhs. - ebenso wie ihre elbgermanischen Vorfahren in Mitteldeutschland - noch keine Waffenbeigabe (außer drei symbolischen Pfeilspitzen), während sie seit dem späten 4. und im Verlaufe des 5. Jhs. zunehmend dazu übergingen, den männlichen Toten erst vereinzelt, dann fast regelhaft Schwerter, Lanzen, Schilde und Äxte ins Grab zu legen. Wären diese Gräber ein realer Spiegel des Lebens, so könnte man annehmen, daß aus einer recht friedlichen, unkriegerischen Bevölkerung seit dem ausgehenden 4. Jh. ein äußerst streitlustiger Haufen geworden wäre, dessen Ausrüstung ständig erweitert und vermehrt wurde. Auch die alleinige Mitgabe eines Schildes bezeugt keinesfalls, daß der entsprechende Krieger einer reinen Defensivarmee angehörte. Die Auswertung der jeweiligen Grabausstattungen als Zeugnis für die lebende Kultur ist also in allen Fällen vor dem Hintergrund der gerade verbindlichen Beigabensitte, die wie ein Filter bei der Beigabenauswahl wirkt, vorzunehmen.

Horst Wolfgang Böhme

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1. Grabfunde als Geschichtsquelle Die Bestattung verstorbener Personen einer Gemeinschaft unterlag bestimmten gruppenspezifischen Regeln und Gewohnheiten. Sie war Ausdruck eines von Traditionen geprägten Totenkultes, der uns Vieles über die Geisteshaltung früherer Generationen vermittelt, zumal wenn Sitte und Brauch es verlangten, dem Toten bestimmte Beigaben für den Weg ins Jenseits mit ins Grab zu legen2. Die Art der Bestattung (Brand- bzw. Körpergräber) sowie die Auswahl und Qualität der Beigaben, die zur angemessenen Ausstattung der Verstorbenen gehörten, waren im Rahmen eines rituell festgelegten Begräbnisses von großer Bedeutung für eine Bevölkerungsgruppe und konnten - von Ausnahmen bei einzelnen Personen der Oberschicht abgesehen - nicht einfach individuell oder beliebig gewählt werden. Bestimmte Grabriten, und somit auch die unterschiedlich gehandhabte Beigabensitte, waren nämlich Teil einer identitätsstiftenden Verhaltensweise kleinerer oder größerer Populationen und gehörten somit zu deren unverwechselbarer Eigenart. Daher gehören das Erkennen und Feststellen der variablen Bestattungs- und Beigabensitten verschiedener Volksgruppen, besonders aber die angemessene Analyse und Auswertung derselben sowie eine verläßliche Datierung der Gräber, zu den vornehmsten Aufgaben der Archäologen bei der Erforschung von Gräberfeldern. Bei entsprechenden Voraussetzungen lassen sich dann Aussagen über Beginn und Ende der Friedhofsbelegung, über den Umfang der einst lebenden Bevölkerung und deren soziale bzw. wirtschaftliche Gliederung sowie gelegentlich sogar über ihre ethnische Herkunft treffen. Vor allem dieser letzte Aspekt ist bei unserem Thema von besonderer Bedeutung. Nicht nur die Grabform und die Lage der Friedhöfe können uns etwas über die Gruppenzugehörigkeit der Verstorbenen verraten, sondern in vielen Fällen auch die Machart und Funktion einzelner Gegenstände, die man zur Ausstattung der Toten als Grabbeigaben benutzte. Dafür seien hier nur einige Beispiele genannt, vornehmlich in Hinblick auf die Verschiedenartigkeit provinzialrömischer und germanischer Gepflogenheiten im Totenritual: Fibeln als notwendiger Kleiderverschluß trugen verständlicherweise nur germanische Frauen mit einer entsprechend geschnittenen Tracht (Peplos) und nicht Romaninnen, deren andersartige Kleidung (Tunika) schon seit Jahrhunderten gänzlich ohne solche Metallaccessoires auskam. Handgemachte, gelegentlich sogar plumpe Tongefäße, wie sie traditionell bei einigen germanischen Bevölkerungsgruppen gerne verwendet wurden, dürften bei der seit vielen Generationen an qualitätvolle Drehscheibenkeramik gewöhnten Reichsbevölkerung kaum Anklang gefunden haben. Kampfäxte, die niemals zur römischen Bewaffnung und Militärausrüstung gehörten, müssen als charakteristische Ausstattung einzelner 2

Koch 1996: 723-737.

Gallorömer und Franken im Spiegel der Grabfunde

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germanischer Kriegerverbände (selbst innerhalb des spätrömischen Reiches) gelten, die mit solchen Waffen auch umzugehen verstanden. Daneben gibt es freilich auch Grabbeigaben, die zur sog. ethnischen Deutung ungeeignet sind, wie z.B. Produkte aus reichsrömischen Werkstätten oder Manufakturen mit ihrer Massenproduktion, also Münzen, Sigillaten, Gläser bzw. Bronzegefäße, da solche Objekte gleichermaßen von Römern und Germanen benutzt wurden. Soviel zunächst zu den Aussagemöglichkeiten von Gräberfunden.

2. Germanen im römischen Heer Die Rekrutierung nichtrömischer, zumeist germanischer Soldaten für das römische Reichsheer war eine vom Imperium seit vielen Jahrhunderten praktizierte Regelung, um die Truppenstärke der riesigen Armee zu halten bzw. auszubauen. Durch vielfältige schriftliche Zeugnisse, besonders aus dem 2. und 3. Jh., sind wir über solche Vorgänge hinreichend informiert. Seit der Regierung des Postumus (259 - 268) wurden erstmals auch Franken unter den angeworbenen Söldnern

Abbildung 1. Verbreitungskarte elbgermanischer Fibeln der Gruppe Almgren VII Serie 3 (nach Astrid Böhme).

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genannt {auxiliis francicisf, Nachrichten, die sich nun in der Folgezeit immer mehr häuften. Es dürfte nicht zuletzt vom methodischen Gesichtspunkt aus interessant sein, daß die Anwesenheit von Germanen in der römischen Armee auch archäologisch ihren Niederschlag fand. So ließen sich mehrfach typisch elbgermanische Fibeln in einigen Kastellen des Ober- bzw. Niedergermanischen Limes nachweisen, darunter auch solche von Almgrens Fibelgruppe VII aus dem 2. Jh. (Abb. I)4, die wohl kaum einen gezielten Handel mit germanischem Trachtzubehör ins römische Reich bezeugen, sondern eher für die Anwesenheit entsprechend gewandeter barbarischer Personen im Limesgebiet sprechen. Alle diesbezüglichen Verbreitungskarten germanischer Gewandspangen, die damals auch von Männern getragen wurden, zeigen das gleiche Bild: Die Fibeln fanden sich ausschließlich in und bei den Grenzkastellen entlang des Rheins oder des Limes, d.h. dort, wo in der mittleren Kaiserzeit die Truppen stationiert waren, unter denen sich offensichtlich auch solche aus dem freien Germanien befanden. Zu dieser Interpretation passen auch mehrere einfache Waffengräber mit Axt, Schild oder Lanzenbzw. Pfeilspitzen des fortgeschrittenen 3. Jhs., die auf dem Kastellfriedhof von Krefeld-Gellep gefunden wurden (Abb. 2)5 und mit Sicherheit auf fremde germa-

Abbildung 2. Waffen aus dem Brandgrab 5418 des spaten 3. Jhs. von Krefeld-Gellep (nach Renate Pirling).

3 4 5

Stroheker 1965: 14. A. Böhme 1972: 5-112, bes. 30-36 mit Abb. 2-4 und Taf. 35. Pirling 1993: 109-123, bes. 117 Abb. 3. - Das Photo der Waffen aus dem Brandgrab 5418 von Krefeld-Gellep stellten mir großzügigerweise R. Pirling und Chr. Reichmann (beide Krefeld) zur Verfügung, wofür auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei.

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nische Krieger in römischem Dienst hinweisen, da Waffenbeigabe für Soldaten aus dem römischen Reich selbst nicht belegt ist. Für die Anwesenheit einer größeren exotischen Bevölkerungsgruppe in Krefeld-Gellep in der Zeit um 300 n. Chr. spricht ferner eine silberne Scheibenfibel mit vergoldeter Preßblechauflage und blauer Glaseinlage, die aus einem germanischen Frauengrab stammt6.

Abbildung 3. Beigaben aus einem Grab der Zeit um 300 n. Chr. von Köln-Severinstor (nach Gustav Behrens).

Steeger 1937: Taf. 19 und 20; Pirling 1993: 118 Abb. 4.

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Auch der germanische, vielleicht als Franke anzusprechende Herr von KölnSeverinstor mit römischem Schwert, römischer Zwiebelknopffibel und römischen Gefäßen (Abb. 3)7, der wohl um 300 als „römischer" Offizier bestattet wurde, war zu Lebzeiten ganz offensichtlich noch in den Grenzgebieten am Rhein militärisch eingesetzt worden. Gerade zu dieser Zeit, als jener römische Berufssoldat germanischer Herkunft in Köln verstarb, änderten sich aber viele Dinge im militärischen Bereich. Als Folge der verheerenden Germaneneinfälle des 3. Jhs. und der sich abzeichnenden Reichskrise wurde nämlich im Zuge der diocletianisch-constantinischen Reformen das römische Heerwesen grundlegend umgestaltet8. Entscheidend war dabei die Zweiteilung der Armee: Neben die weiterhin an den Reichsgrenzen postierten Truppen {limitanei) trat nun als augenfälligste Neuerung eine mobile Eingreifreserve, das sog. Marsch- oder Feldheer (comitatenses), mit der man ins Reich eingefallene Feinde bekämpfen konnte, ohne die stets gefährdete Grenze zu entblößen. Während die Grenztruppen - darunter wohl auch die oben genannten germanischen Söldner am Rhein - von duces befehligt wurden, lag das Kommando über die comitatenses bei den beiden ranghöheren Heermeistern ([magistri militum) als Oberbefehlshabern. Die prekäre militärische Lage in Gallien nach den Alemannen· und Frankeneinfällen der Jahre 351-55 bewog den Kaiser schließlich sogar dazu, einen eigenen magister militum per Gallias einzusetzen, der seitdem eigens für die Militärbelange Galliens zuständig war und offenbar vermehrt das Feldheer im Hinterland ausbaute. Spätestens damals wurden nun in größerem Umfang als je zuvor auch barbarische Kriegerverbände ins Feldheer aufgenommen. Diese auffällige Zunahme von Germanen in den Elitetruppen der Reichsarmee hatte verschiedene Gründe: neben dem damals rapide ansteigenden Bedarf an neuen Truppen, der durch Rekrutierung im Reich nicht mehr zu decken war, gewannen vor allem die sich jetzt ergebenden Aufstiegsmöglichkeiten germanischer Gefolgschaftsführer in höhere römische Offiziersränge eine ausschlaggebende Bedeutung9. Außerdem erhielten jene Teile des Feldheeres, die sich beim Kaiser selbst befanden, unter Valentinian I. (364-375) die Bezeichnung palatini, und zu ihnen zählten neben den Legionen auch die auxilia, die barbarischen Hilfstruppen, die damit in die höchste Rangklasse aufrückten und die über weite Teile Nordgalliens verteilt waren. Kennzeichen dieses militärischen Standes war der charakteristische Gürtel, balteus oder cingulum militiae genannt, der seit dem 4. Jh. immer auffälliger und prestigeträchtiger gestaltet wurde. Vor allem die zahlreichen kerbschnittverzierten Gürtelbeschläge (Abb. 4)10 in den Gräbern germani7 8 9 10

Behrens 1919: 1-16 mit Tai. 1; Martin-Kilcher 1993: 299-312. Für die folgenden Ausführungen vgl. Demandt 1989: 255-272, bes. 255-258. Waas 1965. Böhme 1974: 55-62, 79-97 sowie 162 Abb. 54 und Taf. 59, 1-4.- Erst kürzlich wurden in dem spätantiken Kastell von Zülpich (Tolbiacum) drei bronzene Kerbschnittbeschläge sol-

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scher Soldaten auf nordgallischen Friedhöfen, die barbarischem Geschmack offenbar besonders entsprachen, hält man daher zu Recht für Zeugnisse solcher „Militärgürtel"11.

Abbildung 4. Oben: Teile einer spätrömischen Kerbsdhnittgürtelgarnitur aus dem Grab 818 von Rhenen (Niederlande).- Unten: Rekonstruktion einer sog. Fünfteiligen Kerbschnittgürtelgarnitur (Militärgürtel) des späten 4. bis frühen 5. Jhs.

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eher Militärgürtel des späten 4. und frühen 5. Jhs. gefunden, die belegen, daß auch in dieser Befestigungsanlage römisches Militär germanischer, mutmaßlich fränkischer Herkunft bis wenigstens zur Mitte des 5. Jhs. stationiert war, wie einige Fragmente charakteristischer Dreilagenkämme dieser Spätzeit andeuten. Uber jene Neufunde berichtet Michael Dodt M.A. (Bonn) in diesem Band. Bullinger 1969; Böhme 1980: 201-209; Böhme 1986: 25-49.

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Die Neuorganisation der spätantiken Armee brachte nicht nur die revolutionierende Aufstellung eines mobilen Feldheeres, das der linearen Grenzverteidigung eine tief ins Hinterland gestaffelte Rückendeckung gab, sondern sie bewirkte insgesamt eine erhebliche Truppenvermehrung. Allein in Gallien waren schließlich 75.000 Soldaten stationiert12. Der vor allem unter Valentinian I. sprunghaft angestiegene Bedarf an neuen Truppen führte zu Söldnerwerbungen großen Stils bei den verschiedenen germanischen Stämmen östlich des Rheins, unter denen sich bevorzugt Franken und Alemannen befanden. Diese verstärkten Werbungen und die veränderte Militärpolitik in Gallien seit der Einführung eines eigenen Heermeisteramtes für diesen Sprengel im Jahre 355 sind wohl dafür verantwortlich, daß schon bald nach der Mitte des 4. Jhs. in ganz Nordgallien zwischen Rhein und Loire „römische" Truppen der comitatenses in Städten, Kastellen, Burgi und Bergbefestigungen stationiert wurden, unter denen sich in großer Zahl erstmals Söldner germanischer Herkunft auch archäologisch nachweisen lassen, besonders in den Provinzen Germania //und Belgica II (Abb. 5) n . Man findet ihre Spuren nun vor allem im Innern Galliens und nicht nur in Grenznähe, wie in all den Jahrzehnten zuvor. Bezeichnenderweise wurden spätestens damals, wenn nicht schon früher, Teile fränkischer Völker im Norden Galliens angesiedelt, so etwa 357 die Saher, während von entsprechenden Maßnahmen bei den Alemannen niemals die Rede ist.

Abbildving 5. Verbreitungskarte germanischer Waffengräber des 4-/5. Jhs. in Nordgallien.

12 13

Demandt 1970: 621-625. Böhme 1996: 91-101, bes. 95 Abb. 69.

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Ein entscheidender Grund für die auffallende Zunahme germanischer Kriegerverbände im Reichsheer seit dem frühen 4. Jh. war - wie bereits oben betont - die damals deutlich gestiegene Anziehungskraft der römischen Armee, eröffnete sie doch seit Constantin I. den „barbarischen" Truppenführern erstmals den Zugang zu höheren Kommandostellen, die ihnen bislang stets verschlossen geblieben waren. Besonders den Angehörigen fürstlicher oder gar königlicher Familien bot sich nun häufig ein steiler Aufstieg in der römischen Militärhierarchie bis hin zum obersten Heermeisteramt14. Spätestens seit Valentinian I. erfreuten sich Personen der germanischen Oberschicht aus den verschiedensten Stämmen, vor allem der Franken und Alemannen, in ihrer Eigenschaft als Gefolgschaftsführer größerer und kleinerer Söldnerverbände besonderer Wertschätzung seitens der spätrömischen Militärverwaltung. Daß allerdings auch andere germanische Fürstensöhne sich von der römischen Armee angezogen fühlten, legt die Inschrift eines Grabsteines des späten 4. Jhs. nahe, der auf einem spätrömischen Friedhof bei St. Matthias in Trier gesetzt wurde15. Danach war mit Hariulf, dem Sohn des Hanhavaldus, ein Mitglied des burgundischen Königsgeschlechts in römische Kriegsdienste getreten. Da er jedoch schon im Alter von 20 Jahren und 9 Monaten verstarb, erreichte er nur den Rang eines kaiserlichen Leibgardisten {protector domesticus). Die zumeist - das sei betont - in reguläre Truppeneinheiten des mobilen Feldheeres eingegliederten germanischen Krieger wurden seit dem ausgehenden 4. Jh. von Offizieren aus der eigenen Stammesaristokratie befehligt, die ihre Ausrüstung - Waffen ebenso wie breite Militärgürtel mit kerbschnittverzierten Metallbesätzen (sog. cingula militiae) - aus reichsrömischen fabricae bezogen. Am Beispiel zweier historisch überlieferter Vorgänge16 kann man die hier geschilderte Praxis römischer Armeerekrutierung deutlich erkennen: Dem vornehmen Franken Mallobaudes gelang es als comes domesticorum, Chef des privilegierten Offizierskorps der Garde, im Jahre 378, alemannische Lentienser aus dem Elsaß zu vertreiben. Anschließend kehrte er in seine rechtsrheinische Heimat zurück, wo er 380 als rex Francorum die über den Main nach Norden vorgedrungenen Alemannen zurückschlug. Auf der anderen Seite gab im Jahre 372 Fraomar, König des alemannischen Stammes der Bukinobanten, beim Eintritt in den Reichsdienst sein Königtum auf und wurde tribunus des damals in Britannien stehenden numerus Alamannorum, der vermutlich aus seiner Gefolgschaft rekrutiert wurde. Entsprechende Regelungen sind wohl auch bei der Aufnahme anderer germanischer Fürsten in den römischen Heeresdienst getroffen worden, wobei vor allem an jene zu Heermeistern (magistri militum) und sogar zu römischen Konsulen aufgestiegenen Persönlichkeiten zu denken ist, über die wir durch schrift14

16

Demandt 1970: 553-790; Demandt 1980: 609-636. Trier - Kaiserresidenz und Bischofssitz 1984: 349f. Nr. 186. Stroheker 1965: 12ff. und 41.

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liehe Zeugnisse unterrichtet sind. Während es mit Agilo nur einem Alemannen gelang, zeitweise zwischen 360 und 366 diesen Posten zu erreichen, stiegen immerhin vier Rheinfranken königlichen Geblütes (Merobaudes, Bauto, Arbogast und Richomer) zu dem Rang des magister müitum auf, eine Stellung, die sie von 372 bis 394 kontinuierlich innehatten. Viermal wurde ihnen sogar die hohe Ehre des Konsulates zuteil17. Zusätzlich durch Einheirat (connubium) in römische Senatorenfamilien ausgezeichnet, gehörten die Mitglieder der rheinfränkischen Königssippe zweifellos seit dem letzten Drittel des 4. Jhs. zur spätantiken „Militäraristokratie"18. Sie waren Inhaber der höchsten militärischen Kommandogewalt im Reich, waren sogar mit dem Kaiserhaus verschwägert und konnten sich zudem auf ihre starken Gefolgschaften stützen, die nun im Rahmen des gallischen Feldheeres dienten und von stammeseigenen römischen Offizieren befehligt wurden. Spätestens in dieser Zeit vollzog sich bei den bereits teilweise auf Reichsboden ansässigen Rheinfranken und ihren Kriegern ein entscheidender Wandel: Aus dem einstigen germanischen Volksheer wurde zusehends eine römische Berufsarmee, ohne die Gallien in Zukunft nicht mehr auskommen sollte19. Man erkennt an diesen Vorgängen, welcher Hochachtung sich die germanischen Militärführer fürstlicher und königlicher Abstammung im spätrömischen Reich seit Kaiser Valentinian I. erfreuten und welche Bedeutung ihnen samt den waffenführenden Gefolgschaften ihres Stammes für das gesamte Kriegswesen am Ende des 4. und zu Beginn des 5. Jhs. zugekommen ist. Wie und wo diese fränkischen und anderen barbarischen Soldaten in Nordgallien zum Einsatz kamen, erfahren wir allerdings nicht aus den schriftlichen Zeugnissen. Dies ist allenfalls archäologischen Quellen zu entnehmen, denen wir uns im folgenden zuwenden wollen.

3. Germanische Grabfunde in Nordgallien Da sich Franken und andere germanische Bevölkerungsgruppen im 4./5. Jh. zumeist wegen ihrer dringend benötigten Söldnerdienste in Gallien aufhielten, haben sie ihre Spuren mehrheitlich im militärischen Bereich hinterlassen, also in oder bei spätantiken Kastellen, Städten und sonstigen Verteidigungseinrichtungen. Die meisten und eindeutigsten Hinterlassenschaften jener Germanen im Reichsdienst findet man - aufgrund ihrer oben beschriebenen abweichenden Beigabensitte - fast ausschließlich in den Gräbern der zugehörigen Bestattungsplätze20, die man folglich als Garnisonsfriedhöfe ansprechen kann, selbst wenn auf ihnen außer Soldaten auch Frauen und Kinder beigesetzt wurden, da viele barbarische 17

19

Stroheker 1965: 11-14. Demandt (Anm. 14) passim. Durliat 1993: 31-38. Böhme 1974: passim.

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Söldner offenbar mit ihren ganzen Familien nach Gallien kamen, um dort längere Zeit während ihrer Dienstpflicht zu leben. Manche blieben viele Jahrzehnte im Lande und wurden, sofern sie nicht in ihre rechtsrheinische Heimat zurückkehrten, nach ihrem Tode auch hier bestattet. Wir kennen heute aus dem gesamten nordgallischen Bereich zwischen Rhein und Loire annähernd 100-200 Friedhöfe des 4.-5. Jhs. Viele sind, was kaum verwundern dürfte, als Begräbnisstätten einer rein romanischen Bevölkerung in Stadt und Land anzusprechen, da sie schließlich die überwiegende Mehrheit dei Bewohner Galliens ausmachte. Andere hingegen weisen recht häufig Gräber auf. in denen mit Sicherheit auch oder sogar ausschließlich eine nichtrömische Bevölkerung bestattet wurde. Die meisten dieser Nekropolen, zu denen so bekannte Plätze wie Samson, Haillot, Vieuxville, Pry, Tournai, Oudenburg, Vireux-Molhain (Abb. 6)21 oder Vermand gehören, liegen unmittelbar bei spätantiken Kastellen, Städten oder sonstigen Militäranlagen, wie bereits oben betont wurde.

Abbildung 6. Topographischer Plan von Vireux-Molhain, Dep. Ardennes (Frankreich). 1 Spätrömischer Militärfriedhof.- 2 Spätrömische Befestigung.- 3 Römische Brandgräber.- 4 Römische Metallverarbeitungsbetriebe.- 5 Römische Siedlungsspuren.

21

Lemant 1985: 1 Abb. 1. Zu den anderen Gräberfeldern vgl. Böhme 1974: passim.

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Aufgrund der dort beobachteten Bestattungsbräuche, die sich von jenen der einheimisch-romanischen Bevölkerung besonders im 5. Jh. deutlich abhoben, ist es den Archäologen möglich, Personen germanischer Herkunft zu erkennen, wenngleich eine genauere ethnische, d.h. volksmäßige Zuweisung nur selten gelingt, und Hann auch zumeist nur aufgrund spezifischer Metallaccessoires der jeweiligen Frauentracht. Zu den auffallenden, typisch unrömischen Gegenständen in diesen Gräbern gehören vor allem Waffen und Kampfmesser (Dolche), die römischen Soldaten sonst nicht ins Grab gelegt wurden, ferner die bereits erwähnten reich dekorierten Militärgürtel mit meist vielen Bronzebeschlägen sowie eiserne Schnallen, Fibeln und große Haarnadeln der Frauentracht, Halsringe, große Bernsteinperlen, Spinnwirtel, Eisenscheren, Feuerstahle, dreieckige Dreilagenkämme typisch germanischer Form oder Holzeimer22.

Abbildung 7. Verbreitungskarte germanischer Tutulusfibeln zwischen Loire und Niederelbe.

Alle diese Grabbeigaben, die in großer Zahl recht unvermittelt seit dem mittleren 4. Jh. auf den Körpergräberfeldern des Rheinlandes, Belgiens und Nordfrankreichs beobachtet werden können, sind im provinzialrömischen Milieu ungewöhnlich und besitzen keine Traditionen oder gar unmittelbare Vorbilder in Gallien. Dagegen haben viele dieser genannten Objekte ihre direkten Vergleichsfunde oder zumindest ihre eindeutigen Vorformen im rechtsrheinischen GermaZu den einzelnen germanischen Grabbeigaben vgl. Böhme 1974: 7-128.

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nien der gleichen Zeit. Dies betrifft in besonders klar erkennbarer Weise die zahlreichen Formen der Fibeln einer spezifisch germanischen Frauentracht23, die ein peplosartiges Gewand auf den Schultern und einen Mantel auf der Brust zusammenhielten - ganz im Gegensatz zu den gallorömischen Frauen mit ihrer fast ausschließlich fibellosen Tunika-Kleidung24. Bei dieser „gefibelten" Tracht - für die man im späten 4. und frühen 5. Jh. häufig Tutulus- und Stützarmfibeln kombinierte - handelt es sich ursprünglich um die charakteristische Gewandung germanischer Frauen aus dem Gebiet zwischen Rhein und Niederelbe25, wie die entsprechende Verbreitung aller damals verwendeten Gewandspangen, darunter auch der geschätzten silbernen „Tutulusfibeln", verdeutlicht (Abb. 7). Als diese Damen im Gefolge ihrer Männer nach Nordgallien kamen, trugen sie selbstverständlich weiterhin ihre vertrauten Kleider und wurden in ihnen auch bestattet (Abb. 8). Erst die folgende, bereits im römischen Reich geborene Generation benutzte die traditionelle Kleidung samt dem zugehörigen Trachtenschmuck nicht mehr.

23 24 25

Böhme 1974: 7-34 mit den Karten 1-8. Martin 1994: 541-582; Martin 1991 (1995): 629-680. Böhme 1998.

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Das übrige Grabinventar dieser fremdartig anmutenden Bestattungen Nordgalliens setzt sich zumeist aus gängigen Produkten spätrömischer Werkstätten und Ateliers zusammen, wie scheibengedrehte Keramik, hochwertige Gläser, Bronzeund Zinngefäße, blechverkleidete Kästchen, Löffel, Fingerringe, Perlen oder Münzen. Die hier angesprochenen Gräber einer nichtrömischen Bevölkerung repräsentieren somit eine charakteristische „Mischzivilisation" im nördlichen Gallien während des 4./5. Jhs. Sie kommt in einer unverwechselbaren, reichen „Gräberkultur" zum Ausdruck, die durch eine einzigartige Verbindung von traditionell germanischen Schmuck- und Ausstattungsgegenständen mit den Erzeugnissen einer weiterlebenden gallorömischen Gebrauchsgüterindustrie gekennzeichnet ist (Abb. 9 und 10). Alle diese Funde können also zweifellos als deutliche Hinweise auf die Anwesenheit von ehemals rechtsrheinischen Germanen im spätrömischen Reich angesehen werden, belegen aber andererseits eindrücklich die bereits weit fortgeschrittene Akkulturation der Franken und anderer barbarischer Volksgruppen an ihre romanische Umwelt. Obwohl die meisten germanischen Männer und Jugendlichen zweifellos als Berufssoldaten in der spätrömischen Armee zum Einsatz kamen, haben anfangs nur die wenigsten von ihnen Waffen mit ins Grab bekommen. Diese Sitte scheint erst im Laufe der Zeit bei den in Gallien stationierten Franken ausgebildet worden zu sein und beschränkte sich zunächst vielfach nur auf die Beigabe einer Kampfaxt26. Demzufolge müßten jene vollbewaffneten Krieger wie der „chef militaire" von Vermand27 und auch der mit Spatha, Axt, Dolch und Schild ausgestattete Herr von Monceau-le-Neuf (Abb. II)28, der bald nach der Mitte des 4. Jhs. verstarb, schon eine besondere Stellung innerhalb des Heeres eingenommen haben. Erst im 5. Jh. setzte sich generell die Waffenbeigabe in den Gräbern der nordgallischen Franken langsam durch und wurde schließlich gegen Ende des Jhs. zur Regelausstattung.

28

In den germanischen Gräbern des 4. Jhs. in Nordgallien liegt der Anteil der Waffengräber zumeist noch unter 10 % aller nachweisbaren männlichen Bestattungen (Oudenburg 4 %, Vermand ΠΙ 8 %, Vert-la-Gravelle 9 %, Cortrat 10 %, Marteville ca. 15 %). Böhme 1974: 167 Abb. 56; zu Marteville 1980: 166 (drei Waffengräber bei ca. 20 Männerbestattungen). Entsprechende Gräber des 5. Jhs. weisen vielfach über 50 % Waffenbeigabe auf (Rhenen 62 %, Furfooz 70 %, Haillot 100 %). Böhme 1974: 167 Abb. 56. In Friedhöfen wie Vireux-Molhain, die vom späten 4. bis zur Mitte des 5. Jhs. belegt wurden, liegt der Waffenanteil verständlicherweise zwischen diesen beiden Extremen (in diesem Fall bei ca. 40 %), wobei unter sechs Waffengräbern allein vier aus dem 5. Jh. stammen und somit den deutlichen Anstieg der Waffenbeigabensitte seit der Zeit um 400 anzeigen (vgl. auch Anm. 1 für entsprechende Entwicklungen bei den Alemannen). Lemant 1985: passim. Böhme 1974: 33 lf.; Böhme, The Vermand Treasure (Druckvorbereitung in einer Publikation des Metropolitan Museum of Art in New York). Boulanger 1902-05: Taf. 20; Böhme 1974: Taf. 130-131.

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Abbildung 9. Beigaben eines reichen germanischen Frauengrabes der Zeit um 400 n. Chr. von Villers-sous-Erquery, Dep. Oise (Frankreich).

Abbildung 10. Beigaben des germanischen Waffengrabes 12 von Vireux-Molhain, Dep. Ardenne: aus dem frühen 5. Jh.

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Während viele der germanischen Körpergräber Nordgalliens im 4./5. Jh. nord-südlich oder süd-nördlich ausgerichtet waren, sind jene der einheimischromanischen Bevölkerung weitgehend west-östlich orientiert gewesen. Die Ausstattung mit Grabbeigaben beschränkte sich bei den Gallorömern fast ausschließlich auf mehrere Ton- und Glasgefäße für Speise und Trank. Nur selten einmal fanden sich Münzen, Messer oder Teile der Frauentracht, wie Perlenketten, Finger- und Armringe sowie kleine Nadeln für Haarnetz oder Schleier. Paarweise getragene Fibeln als Kleiderverschlüsse oder große Haarpfeile waren völlig unbekannt, ebenso die Mitgabe von Waffen. Die einst recht reichhaltige Gefäßbeigabe ließ bei den Romanen Nordgalliens seit dem mittleren 4. Jh. ständig nach und führte im 5. Jh. zur völligen Aufgabe dieser Sitte, so daß sich gallorömische Gräber zu diesem Zeitpunkt nachhaltig von den meist reich ausgestatteten der germanischen Bevölkerung abhoben. Verständlicherweise schenkten gerade ihnen die Archäologen ihre besondere Aufmerksamkeit, auch wenn sie nur wenige Prozente aller spätrömischen Bestattungen Nordgalliens ausmachten.

Abbildung 11. Grabplan der Männerbestattung 2 von Monceau-le-Neuf, Dep. Aisne (Frankreich), aus der zweiten Hälfte des 4. Jhs. (nach Camille Boulanger).

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Die jeweils mit zahlreichen Grabbeigaben versehenen Frauen aus Vermand Grab 24, Vron Grab 269A, Villers-sous-Erquery (Abb. 9), Fecamp und Oudenburg Grab δδ29, die alle im ausgehenden 4. bzw. beginnenden 5. Jh. begraben wurden, gehören zu einer kleinen Gruppe recht konservativer germanischer Damen der gehobenen Mittel- und Oberschicht, die ihre traditionelle gefibelte Kleidung in der neuen ungewohnten Umgebung beibehalten hatte und sich damit deutlich von den einheimischen Frauen absetzte. Es fällt auf, daß besonders die germanische Frauentracht mit mehreren Gewandspangen, die häufig paarweise getragen wurden, wie Tutulus-, Armbrust- oder Stützarmfibeln, bislang nur in den spätrömischen Provinzen Belgica II und Lugdunerms II nachgewiesen werden konnte, während sie weiter östlich fehlt (Abb. 12). Man gewinnt aufgrund dieser Trachtunterschiede den Eindruck, daß in den Landschaften am Niederrhein und an der mittleren Maas, die zur Provinz Germania II gehörten, eine andere germanische Bevölkerung zum Militärdienst in der römischen Armee herangezogen wurde als in den westlich anschließenden küstennahen Provinzen. Aufgrund dieser freilich noch recht spärlichen archäologischen Indizien könnte man erwägen, ob sich nicht bereits im späten 4. Jh. die später so bedeutungsvolle Unterscheidung zwischen rheinischen und salischen Franken zu entwickeln und sogar abzuzeichnen begann, wobei die Herkunft aus verschiedenen rechtsrheinischen Landschaften (Westfalen einerseits und die Niederlande bzw. das westliche Niedersachsen andererseits) mit ihren abweichenden Stammestraditionen von ausschlaggebender Bedeutung war.

Abbildung 12. Verbreitungskarte aller nordgallischen Frauengräber des 4./5. Jhs. mit gefibelter germanischer Peplos-Mantel-Tracht.

29

Böhme 1974: Taf. 95, 14-22; 122; 138; 146. Für Vron: Frdl. Hinweis von Cl. Seiliier (Boulogne-sur-Mer).

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Die Verbreitung dieser typisch germanischen Fibeltracht - offenbar nur noch von wenigen besonders stammesbewußten Frauen gepflegt - deckt sich weitgehend mit der Verbreitung germanischer Waffengräber (Abb. 5), die eine dichte Streuung über den ganzen nordgallischen Raum erkennen lassen, wobei starke Konzentrationen im Namurois (Provinz Germania II) und in der Belgica festzustellen sind. Die Mehrzahl dieser Kriegerbestattungen (etwa 80 %) hatte allerdings nur eine Axt mitbekommen, wie etwa in Vron Grab 143A (Abb. 13), VireuxMolhain Grab 12 (Abb. 10) oder Jülich Grab 140 (Abb. 14)30, während die Ausstattung mit mehreren Waffen und vor allem mit einem Langschwert nur auf 10 % der Männer beschränkt war, wie beispielsweise in Monceau-le-Neuf Grab 2 (Abb. 11) und Samson Grab 6 (Abb. 15)31.

Abbildung 13. Beigaben des Waffengrabes 143A von Vron, Dep. Somme (Frankreich), aus dem minleren Drittel des 5. Jhs. (nach Claude Seillier).

4. Analyse der Gräberfelder und Grabfunde Die Auswertimg dieser Gräberfunde kann nun einiges zur Erhellung unserer Vorstellungen von den historischen Verhältnissen im spätantiken Gallien beitragen. Die wichtigsten Ergebnisse seien im folgenden nur recht summarisch zusammengefaßt. 1) Im 2., 3. und frühen 4. Jh. lassen sich vereinzelt bewaffnete Germanen an Kastellplätzen der Rhein- und Limeszone nachweisen. 30 31

Böhme 1996: 96 Abb. 70; Lemant 1985: 16 f. Abb. 21-22; Aouni 1996: 837 Abb. Böhme 1994: 69-110, bes. 77 f. mit Anm. 37 und Abb. 4.

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2) Eine ganz augenfällige Vermehrung entsprechender Bevölkerungsgruppen ist seit der zweiten Hälfte des 4. Jhs. zu beobachten (vornehmlich seit valentinianischer Zeit). So häufig wie nie zuvor finden sich archäologische Zeugnisse von Germanen an zahlreichen Stellen Nordgalliens zwischen Rhein und Loire, mit

besonderen Schwerpunkten in der Germania //und Belgica II. 3) Die Mehrzahl dieser Personen wurde auf Garnisonsfriedhöfen beigesetzt. Nur wenige Gräber lagen bei ländlichen Villen (wie z.B. in Cortrat oder Neerharen), die vermutlich Germanen im Zuge von Landzuweisungen erhalten hatten, um die Selbstversorgung der Truppen zu gewährleisten32. 4) Neben germanischen Männern mit und ohne Waffen fanden sich auf den Friedhöfen in großer Zahl auch germanische Frauen und Kinder. Die geworbenen Söldner kamen also vielfach mit ihren ganzen Familien ins römische Reich.

Abbildung 14. Beigaben des Waffengrabes 140 von Jülich, Kr. Düren, aus dem mittleren Drittel des 5. Jhs. (nach Heike Aouni).

32

Böhme 1989: 397-406, bes. 402 mit Anm. 22.

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5) Unter den Bestatteten germanischer Herkunft lassen sich auch Personen hohen, ja höchsten gesellschaftlichen Niveaus feststellen, wie z.B. der bei Vermand in einer Steinkammer und einem Sarkophag beigesetzte Offizier mutmaßlich fürstlicher Herkunft33. Damit bestätigen auch die archäologischen Quellen die bisher nur aus schriftlichen und epigraphischen Zeugnissen belegte Anwesenheit germanischer Eliten in Gallien. 6) Die einst landfremde, germanische Bevölkerung wurde in vielen Bereichen des Lebens schon sehr rasch romanisiert, erkennbar an der Aufgabe der ihnen ursprünglich eigenen Brandbestattung und der vollständigen Übernahme der provinzialrömischen Körperbeisetzung, zum Teil unter Verwendung von Steinsarkophagen wie in Vermand, Bonn oder Köln-St. Severin . Außerdem fällt das Fehlen handgemachter, typisch germanischer Keramik in den Gräbern auf, zu deren Ausstattung vielmehr nach römischem Vorbild eine Vielzahl von Ton-, Glas- und Metallgefäßen aus gallischen Werkstätten gehörte. Auch die Übernahme der Obolussitte gehört in diesen Zusammenhang. 7) Eine Analyse zahlreicher germanischer Grabbeigaben - die hier im einzelnen nicht nachvollzogen werden kann - zeigt, daß es sich bei ihnen nicht allgemein nur um Objekte germanischer Herkunft handelt, sondern daß sich gelegentlich sogar rhein-wesergermanische (mutmaßlich also fränkische), nordseegermanische (also sächsische), elbgermanische (d.h. thüringische oder alemannische) und sogar skandinavische bzw. ostgermanische Spezifika nachweisen lassen35. Angehörige verschiedener germanischer und anderer barbarischer Völker wurden also in Gallien als Söldner geworben, die sich gelegentlich SO- Abbildung 15. Beigaben des Waffengrabes 6 von Samson, Prov. gar am gleichen Ort beNamur (Belgien), aus dem mittleren Drittel des 5. Jhs.

33 34 35

Vgl. Anm. 27. Haupt 1973: 315-326; Päffgen 1992: Tai. 49-50 und 124 (Gräber 111,64 und 111,65). Vgl. Böhme 1993: 513-526, bes. 520 mit Anm. 33; Gilles 1984:457-466; Pirling 1988:455-464.

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legen lassen, wenn auch meist erst im Laufe des 5. Jhs. Wir müssen also vielfach mit polyethnischen Verhältnissen rechnen, was sicher zu gelegentlichen Rivalitäten zwischen den einzelnen Gruppen führte. 8) Viele germanische Krieger in römischem Sold verließen Gallien nach ihrem Militärdienst wieder und kehrten in ihre rechtsrheinische Heimat zurück. Eine Verbreitungskarte aller spätrömischen Militärgürtelbeschläge in germanischen Gräbern östlich des Rheins zeigt deutlich, woher die Mehrzahl dieser angeworbenen Krieger kam (Abb. 16)36. Andere allerdings blieben in Gallien, wie die vielen erwähnten Gräberfelder belegen, und waren dort mit ihren Familien während mehrerer Generationen ansässig.

Abbildung 16. Verbreitungskarte spätrömischer Bronzebeschläge von Militärgürteln des 4. und 5. Jhs. außerhalb des römischen Reiches östlich des Rheins und nördlich der Donau.

9) Trotz nicht einfacher Datierung mancher Gräber läßt sich doch konstatieren, daß einige der von Germanen benutzten Friedhöfe bereits um oder bald nach 400 abbrachen, andere dagegen erst um die Mitte des 5. Jhs. aufgelassen wurden. Eine kleine Zahl von Nekropolen mit germanischem Militär wurde allerdings bis in die Merowingerzeit hinein kontinuierlich fortgeführt, also über das Ende der Römerherrschaft hinaus. Diese finden sich ausschließlich in der Germania II und im Nordteil der Belgica i f 7 . Sie bezeugen nachdrücklich, daß in diesen Regionen die „reichsfränkische" Bevölkerung - seit fast 100 Jahren im Lande - bereits vollständig akkulturiert war und in Gallien ihre eigentliche Heimat sah, ungeachtet ihrer ursprünglich rechtsrheinischen Herkunft. 36 37

Böhme 1993: 520 Abb. 7; Böhme 1996: 98 Abb. 73. Böhme 1976: 71-87; Böhme 1996: 99 Abb. 74.

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Horst Wolfgang Böhme

5. Das Ende der Reichsverteidigung und der Übergang zur fränkischen Herrschaft Zu diesen eminent wichtigen Plätzen ungebrochener germanischer Anwesenheit gehören u.a. die Kastelle von Gellep und Jülich 38 , wo die zugehörigen Garnisonsfriedhöfe durch entsprechende Soldatengräber des mittleren Drittels, teils sogar der zweiten Hälfte des 5. Jhs. eine reguläre militärische Nutzung der Anlagen bis wenigstens 455 anzeigen - um einmal ein schriftlich überliefertes Datum zu nennen, das von vielen Historikern als markante Zäsur angesehen wird39. In Krefeld-Gellep40 und Alzey in der Germania konnten die sorgfältigen Ausgrabungen darüber hinaus belegen, daß die Kastellkasernen durch Umbauten zumin-

Abbildung 17. Verbreitungskarte der sog. Einfachen Gürtelgarnituren des mittleren Drittels des 5. Jhs.

38 39 40 41

Aouni 1992: 87-89; Aouni 1996: 836-838. Ewig 1980: 14; Demandt 1989: 181 ff.; Werner 1989: 295. Reichmann 1987: 507-521. Oldenstein 1986: 289-356; Oldenstein 1994: 69-112.

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dest bis zur Mitte des 5. Jhs. funktionstüchtig gehalten wurden, daß also die offizielle Militärorganisation bis zu dieser Zeit noch Bestand hatte und nicht in den Krisenjahren kurz nach 407 untergegangen war. Die Verteidigung der Belgica II und Germania II, aber auch der Germania I, lag demnach bis zur Mitte des 5. Jhs. noch in den Händen verbündeter, reichssässiger Sal- und Rheinfranken, Burgunder sowie Alemannen.

Abbildung 18. Verbreitungskarte der sog. Krefelder Schwerter und der zugehörigen Schwertriemenschnallen aus der zweiten Hälfte des 5. Jhs.

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Horst Wolfgang Böhme

Archäologisch läßt sich dieses letzte Stadium spätrömischer Militärpräsenz in Nordgallien einschließlich der Rheinzone durch zahlreiche Waffengräber dokumentieren, deren Verbreitung sich von Fei und Vron im Westen (Lugdunensis II bzw. Belgien Ii) bis Jülich, Bonn und Krefeld-Gellep im Osten {Germania II) erstreckt. Die dort bestatteten römischen Soldaten fränkischer Herkunft trugen alle einen mit zwei breiten Astragalröhren versteiften Militärgürtel (Abb. 17) , der zumeist durch eine Tierkopfschnalle mit festem Beschlag und eine lanzettförmige Riemenzunge geschlossen wurde (sog. Einfache Gürtelgarnituren). Die häufigste Waffe war die Franziska, eine aus einfachen Vorformen entwickelte Wurfaxt, die in Gräbern seit der zweiten Hälfte des 5. Jhs. zu belegen ist; seltener kommen Lanzen, Schilde oder Spathen vor. Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. läßt sich erstmals bei den Rheinfranken der Ango nachweisen, eine Stoß- und Wurfwaffe, deren lange Eisenspitze in Widerhaken endete43. Das mit einem solchen neuartigen Spieß ausgestattete Grab 12 von Samson44 wies auch eine römische Spatha vom sog. Krefelder Typ auf. Mit diesem Begriff werden die jüngsten spätrömischen Langschwerter bezeichnet, die unter anderem aus dem eponymen Waffengrab 43 von Krefeld-Gellep stammen und durch reich verzierte Bronzebeschläge der Spathascheide gekennzeichnet sind45. Fraglos handelt es sich bei diesen Waffen um Erzeugnisse spätantiker Ateliers Nordgalliens, die im mittleren 5. Jh. hergestellt wurden und mit reicher ausgestatteten Männern während der zweiten Hälfte des 5. Jhs. in die Erde gelangten46. Sehr deutlich zeichnete sich eine Häufung dieser „Einfachen Gürtelgarnituren" (mittleres Drittel des 5. Jhs.) und der etwas jüngeren „Krefelder Schwerter" (Abb. 18) in der Provinz Germania II ab. Die seit der Mitte des 5. Jhs. mit derartiger Militärausrüstung versehenen Soldaten - mehrheitlich wohl Rhein- und Salfranken - gehörten mit Sicherheit als auxilia zu den regulären Truppen des Aetius und wohl auch seiner Nachfolger Aegidius bzw. Syagrius. Sie standen ebenso - wie die germanischen Verbände des späten 4. Jhs. mit ihren historisch bezeugten Anführern fürstlichen und königlichen Geblüts - noch unter dem Kommando ihrer Stammesaristokratie, deren bekanntester Vertreter zweifellos der salfränkische König Childerich (f 482) war. Die Anwesenheit dieser letzten loyalen römischen Soldaten germanischer Herkunft in Gallien war durch reguläre Anwerbimg und Soldverträge legal abgesichert. Als 42

43 44 45

Ausführlich zu diesen Militärgürteln zuletzt Böhme 1994: 75-79; Böhme 1996: 100 Abb. 75. Zur neuen Datierung der „Einfachen Gürtelgarnituren" ins mittlere Drittel des 5. Jhs. vgl. auch Böhme 1987 (1989): 770-773. Schnurbein 1974: 411-433. Böhme 1994: 92 Abb. 16. Pirling 1966: 19f. und Taf. 10; J. Werner 1953: 38-44; Böhme 1994: 82-98. Mit „Krefelder Schwertern'' ausgerüstete Soldaten besaßen in keinem Fall mehr eine „Einfache Gürtelgarnitur" (EGG) als Militärgurt, sondern bereits jüngere, in die Merowingerzeit weisende Gürtelverschlüsse. Diese Spathen sind also eindeutig jünger als die mit Astragalröhren versteiften Soldatengürtel (EGG), die mehrheitlich aus Gräbern des mittleren Drittels des 5. Jhs. stammen. Böhme 1994: 88-95.

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bereits lange Zeit auf Reichsboden stationierte und schon weitgehend romanisierte Bevölkerungsgruppe waren die Franken bereits zu einem voll integrierten Bestandteil der gallischen Provinzen geworden. Und ihre „Barbarenkönige" lebten - um ein Wort von Franz Staab aufzugreifen47 - wie ganz selbstverständlich in zwei Welten, der des fränkischen Königtums und jener der römischen Militärund Verwaltungsorganisation. Von einer unkontrollierten Einwanderung oder gar Invasion germanischer, vornehmlich fränkischer Barbaren konnte bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein.

1

Festungsorte

Qualbürl

gesichert

g p t t y a r - Altkalkar irden '

nicht gesichert Festungsoite mit kontinuierlich belegten BestattungspUtzen (mehrere Kreise- Anzahl der BestattungspUtze) Offene Siedlungen der Merowingeizeit mit Gründung im 5 |h. Gräberfelder der Merowingeizeit mit Belegungsbeginn im 5 Jh. • Provinzgrenzen

elArohl Marmagen

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Belgica I

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**

.-—) Germania I ι

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Germ eri^i elm Rheinzabern

Abbildung 19. Verbreitungskarte der fränkischen Siedlungen und Gräberfelder im Rheinland seit dem letzten Drittel des 5. Jhs. (nach Alfried Wieczorek).

47

Staab 1996: 10-22, bes. 12.

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Horst Wolfgang Böhme

Erst durch die endgültige Beseitigung der römischen Oberherrschaft in den beiden an der Grenze gelegenen rheinischen Provinzen Germania I und II in den Jahren 455/59 übernahm der uns nicht namentlich bekannte König der Rheinfranken, bis dahin noch amtierender General und mutmaßlich ein Vorfahr des Sigibert von Köln (f nach 508), nun auf eigene Faust - unabhängig von Rom - das Kommando auf allen Ebenen in der Germania II, Kern des zukünftigen sog. Kölner Frankenreiches: Ein Vorgang, den man besser als Machtwechsel denn als Landnahme bezeichnen sollte. Mit einiger Verzögerung spielte sich Ahnliches 486/87 auch in der Belgica II ab, als Chlodwig und seine Salfranken um Tournai den letzten, bereits arg geschrumpften Rest römischer Autorität unter der Herrschaft des Syagrius liquidierten. Erst seit dieser Zeit kam es partiell südlich der Somme zu einer vordringenden fränkischen Besiedlung außerhalb ihres militärischen Zuständigkeitsbereiches. Vielleicht etwas früher schon setzte in den Rheinlanden einschließlich Rheinhessens eine wahre Gründungswelle neuer fränkischer Ansiedlungen im ländlichen Räume - und abseits einstiger Garnisonen - ein, ablesbar an den zahlreichen noch im 5. Jh. beginnenden Reihengräberfeldern dieser ehemaligen Grenzregionen (Abb. 19)48. Erst jetzt - seit dem letzten Drittel des 5. Jhs. - kann man in den Rheinlanden, d.h. in der ehem. Provinz Germania II sowie im Nordteil der einstigen Germania I, von einer fränkischen Neubesiedlung sprechen, die sich vielfach nicht mehr an die alten spätrömischen Strukturen hielt, wie noch in den Jahrzehnten davor.

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La progression des Francs en Gaule du Nord au Ve siecle Histoire et archeologie VON PATRICK PERIN

La confrontation des donnees historiques et archeologiques a deja fait l'objet de nombreux essais en ce qui concerne l'epoque des Grandes Migrations et des royaumes barbares1. Mais a vrai dire - hormis des cas exceptionnels, telles les tombes de Childeric a Tournai2 ou d'Aregonde a Saint-Denis3 l'heureuse rencontre des sources ecrites avec les faits archelogiques s'avere rarement concluante. Dans la plupart des cas, en effet, on tente soit de recourir aux textes pour dater le materiel archeologique, soit d'utiliser la datation intrinseque de celui-ci pour faire parier davantage des textes imprecis. Neanmoins, la plupart des tentatives en ce sens se sont revelees riches d'enseignements et ont permis la formulation d'hypotheses de recherche interessantes4. C'est dans cette perspective que nous ouvrons a nouveau le dossier historico-archeologique de l'expansion des Francs en Gaule du nord a l'epoque de Childeric et de Clovis.

Les donnees historiques Les sources historiques en la matiere sont maigres et parfois meme ä premiere vue contradictoires. Elles permettent cependant de retracer dans ses grandes lignes la progression franque du cours inferieur du Rhin vers le sud (Fig. 1).

Les Francs en Toxandrie L'une des premieres mentions des Francs dans le Nord-Ouest de la Gaule est tiree d'Ammien Marcellin5 en 358, lorsque Julien les attaque apres qu'ils aient 1

2 3 4 5

Une serie d'exemples est presentee dans P. Perin 1980: 166 et s., avec une contribution de R. Legoux. Un etat de la question est donne dans Kazanski & Perin 1988: 13-38. Perin 1991a: 21-50. Voir par exemple Perin 1993: 411-423. Ammien Marcellin, XVII, 8, 1-4. De meme que Julien - dont il est tributaire des ecrits avec le substantif grec Salioi, Ammien Marcellin utilise le substantif latin Salii pour designer

Patrick Perin

60 penetre en territoire romain apud identifiee a la Toxandria

Toxandriam

locum,

region habituellement

du haut Moyen Age, c'est-a-dire le Brabant neerlandais,

au nord-est d'Anvers 6 . O n considere qu'il s'agissait des descendants des

dediticii

francs que Constance Chlore avait etablis dans l'„ile des Bataves" (le Betuwe) vers 293-294 7 . Soumis ä l'autorite romaine, c o m m e le precise Libanios 8 , ils en avaient ete chasses vers 340-341 par les Saxons, ainsi que l'atteste Zosime 9 . Ayant demande asile a l'empereur, ils furent alors etablis en Toxandrie par Constant en 342, avec le meme Statut. C'est a ce titre que, selon Julien,

1'usurpateur

Magnence devait par la suite lever chez eux des recrues 10 . A 1'automne de 357, des Francs opererent des raids en Germanie II et affronterent le magister

6

7 8 9 10

equitum

Severus pres de luliacum/Jülich

avant de s'emparer de

les Francs dont il est ici question. C'est a partir de ces references que l'historiographie a communement admis - et admet encore en general aujourd'hui - que le terme Sdlii/Saliens servait des l'Antiquite tardive a distinguer les Francs occidentaux (d'ou serait issue la dynastie merovingienne) des Francs orientaux, d'abord denommes anachroniquement „Ripuaires", puis „Rhenans" (Rheinfranken). Comme M. Springer 1997 l'a demontre recemment de maniere fort convaincante, il n'est plus permis desormais d'utiliser le terme de Salioi/Salii pour designer une partie des Francs, dans la mesure ou il est assure que ce substantif n'a jamais eu de fondement ethnicogeographique. En effet, c'est sans doute par meconnaissance du sens effectif de l'adjectif saljon, terme haut-allemand qui a donne gi-sell(j)o/sellum, c'est a dire „Geselle", „Genösse" / collega, socius, civis, que Julien a forge le nom propre Salioi (n'utilisant pas, de fajon curieuse, le terme de Fraggot/Francs) et l'a attribue aux Francs qu'il combattait, suivi par Ammien Marcellin qui a vu dans la transcription latine de Salii un synonyme de Franci. Cette relation sera sans lendemain, qu'il s'agisse du poete Claudius Claudianus dans son eloge de Stilicon en 400, ou le nom des Salii est mele a celui de peuples germaniques disparus depuis plusieurs siecles, ou de Sidoine Apollinaire qui, dans son eloge de l'empereur Avitus, en 456, est le dernier a mentionner les Salii, tout en ignorant de fa^on manifeste leur relation possible avec les Francs. Reste la Notitia Dignitatem (redigee vers 425/430), qui est fort tributaire de Julien, surnomme Francicus apres ses victoires: si eile mentionne a trois reprises des corps de troupes de Salii, ceux-ci figurent a cote d'unites conservant le nom de peuples germaniques disparus depuis plusieurs siecles, tels les Tubantes. H convient enfin d'ajouter que le substantif Salii sera totalement inconnu des sources merovingiennes, a la difference de l'adjectif saliats dont M. Springer, reprenant des travaux anterieurs (tels ceux de J. Stengers, op. cit. note 6), demontre bien qu'il est issu de l'adjectif haut-allemand saljon, terme devenu juridique et equivalant a qui lege Salica vivit, c'est a dire l'ensemble du peuple franc, et non une partie des Francs, les „Saliens". Adherant aux conclusions de Μ. Springer, nous avons done renonce a qualifier les Francs des bouches du Rhin, dont nous tentons ici de suivre la progression, de „Saliens" ou „Francs saliens". Selon Müsset 1965: 122. Ε. Demougeot situe la Toxandrie au sud de la Batavie, dans le Brabant occidental et le Limbourg (Demougeot 1979: 78-79). Mais L. Musset n'exclut pas la region a l'ouest de l'Escaut ou Pline mentionne des Texuandri. La question est discutee dans Stengers 1959. Demougeot 1979: 78-79. Libanios, or. LIX (fin 348-debut 349). Zosime, HE, 6. Julien, or. I, 28; Demougeot 1979: 82 et 93, note 34.

La Progression des Francs en Gaule du Nord

61

deux fortins sur la Meuse que Julien dut lui-meme venir reprendre en janvier 3 5 8 u . La paix fut conclue a Tongres apres que Julien eut obtenu la reddition des Francs a Tissue d'une nouvelle victoire. C'est ainsi que ceux-ci obtinrent confirmation de leur implantation en Toxandrie ou ils etaient installes depuis 342.

_*

**

CAR N U T ES':. - K '

Figure 1. La progression des Francs dans le nord-ouest de la Gaule: esquisse de cartographie historique d'apres les sources ecrites. 1. Vers 293-294, etablissement des Francs en Batavie. 2. Ckasses par les Saxons, ils sont etablis en 342 en Toxandrie. 3. En 357-358, ils operent des raids en Germanie H. 4. et 5. Entre 443 et 448, Clodion s'empare des cites de Cambrai et d'Arras et atteint la Somme. 6. Childeric (f 481/482) puis Clovis administrent la Belgique H. 7. Sous Childeric (?), les Francs progressent vers la Seine. 8. En 486/487, Syagrius reside dans la cite de Soissons; tentative de reprise en main de la Belgique Π (?). (Fond de plan d'apres A. Longnon).

11

Ammien Marcellin, XVII, 2, 1-4.

62

Patrick Perin

Des Francs en Gaule du Nord, il n'est plus guere question au cours des decennies suivantes, a la difference d'autres groupes francs etablis plus a l'est et qui harcelerent a plusieurs reprises les villes de Cologne, Mayence et Treves12.

Les Francs atteignent la Somme Ce n'est que peu avant le milieu du Ve siecle que les Francs reapparaissent en Gaule du Nord dans les sources, mais a travers le temoignage posterieur de Gregoire de Tours13, relatif au roi Clodion. Considere par Gregoire comme le grand-pere possible de Clovis, il residait selon lui dans la forteresse de Dispargum, situee dans le pays des Thoringorum: dans la mesure ou il est peu probable que Clodion ait eu sa residence dans le territoire des Thuringiens, Tidentification de Dispargum avec Asberg (pres de Moers) a ete contestee, Gregoire de Tours ayant pu faire une confusion avec la cite de Tongres14. Toujours est-il que Clodion battit les Romains, s'empara pour peu de temps de Cambrai, puis occupa les territoires jusqu'a la Somme, evenements qu'il convient de placer apres 443 puisque Gregoire precise que les Burgondes etaient deja etablis a l'est du Rhone. Cette progression des Francs vers la Somme est confirmee par Sidoine Apollinaire. Dans le Panegyrique de Majorien, il rapporte en effet que ce general d'Aetius, qui venait d'affronter les Bagaudes d'Armorique et de liberer Tours en 448, alia „peu apres" combattre avec Aetius le Franc Clodion qui avait occupe „la plaine des Atrebates", c'est-a-dire la cite d'Arras15. C'est alors que les troupes romaines, etant tombees par surprise sur une noce franque a Vicus Helena, localite souvent identifiee a Helesmes dans le Nord, pres de Denain16, furent victorieuses. On a vu dans cet episode une nouvelle etape de la poursuite de la progression des Francs et de Clodion vers la Somme. On suppose qu'Aetius traita alors avec Clodion qui, ayant evacue les cites de Cambrai et d'Arras, aurait neanmoins conserve celle de Tournai, ou il residait17. En tout cas, il est probable qu'au milieu du Ve siecle les Francs avaient largement progresse vers le slid a partir de la Toxandrie et qu'ils avaient sans doute deja atteint la Somme.

12 13 14

15 16 17

Müsset 1965: 123; Demougeot 1979: 275 et s. et 483 et s. Gregoire de Tours: Π, 9. Ibid., 58, note 2. Pour Demougeot 1979: 489, Dispargum pourrait avoir ete situe dans le petit royaume des Warnes qui jouxtait sur la rive droite du Rhin inferieur celui des Thuringiens, le Liber Historiae Francorum, 3, pouvant suggerer que la forteresse se trouvait au-dela de la Foret Charbonniere dont serait parti Clodion. Voir encore Zöllner 1970: 27, notes 6-7. W. B. Anderson, Sidonius, 1.1 (coll. Loeb. 1936), Carmen V. On trouvera un bilan tres complet de la question dans Will 1966: 517-534. Demougeot 1979: 490; Zöllner 1970: 28 et s.

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Maitres de la Belgique Π Nous savons ensuite, grace a la lettre bien connue que saint Remi adresse a Clovis a Poccasion de son avenement, en 481 ou 482, que le roi, de meme que ses ancetres „depuis toujours", avait „pris en charge l'administration de la Belgique Π"18. Sur la foi de ce document, il est done assure que Childeric, voire Merovee, dont Gregoire indique bien qu'il est le pere de Childeric19, etaient dejä administrateurs de cette vaste province du nord-ouest de la Gaule qui donnait sur la mer du Nord et la Manche et etait approximativement delimitee au nord par l'embouchure de l'Escaut, a Test par la Foret charbonniere et le cours superieur de la Meuse, et au sud par une diagonale passant au sud de Beauvais, Senlis et Chalons-sur-Marne. Est-ce a dire que cette limite meridionale marquait deja au moins depuis le troisieme quart du Ve siecle l'avance franque? La question merite d'etre discutee et revient a s'interroger sur les relations qu'entretint Childeric avec Egidius (456/457-464/465), puis avec son fils Syagrius (464/465-486/487). Les informations fournies par Gregoire de Tours sont ambigües. Nous voyons tout d'abord Egidius acclame roi par les Francs apres que ceux-ci aient chasse Childeric qui se refugie en Thuringe huit annees durant20. Puis, de retour d'exil, Childeric combat sur la Loire, a Orleans, sans doute pour le compte du maitre de la milice21. Enfin nous apprenons que dans la cinquieme annee du regne de Clovis, Syagrius, qualifie de „roi des Romains", a sa residence dans la cite de Soissons, done en Belgique Π. On en a generalement deduit que l'avance franque vers le sud se situait alors au nord de la cite de Soissons22, la Somme marquant de ce fait sur la plupart des cartes historiques actuelles la limite entre le royaume de Childeric (ou les royaumes francs, puisque Gregoire cite egalement celui de Cambrai) et le territoire administre directement par Syagrius, traditionnellement qualifie de „royaume romain" a la suite d'une extrapolation ä coup sür abusive de la formulation de l'eveque de Tours23. Une telle interpretation des sources s'avere pourtant peu plausible selon nous. En effet, on imagine mal une telle partition de la Belgique Π, avec une moitie septentrionale connaissant une implantation franque effective, et une moitie meridionale demeuree romaine bien qu'elle soit administree par le meme roi franc.

19 20

21

22 23

Epistolae Merowingici et Karolini aevi, I., 2. Domino insigni et mentis magnifico Hlodoveo regi, Remegius episcopus (W. Gundlach et Ε. Diimmler. M.G.H. Epistolae 3. 1892/1978: 113). Gregoire de Tours: Π, 9. Gregoire de Tours: Π, 12. L'exil thuringien de Childeric, dont on a parfois doute, s'impose, ne serait-ce que par le fait que le roi franc n'a guere pu seduire la reine Basine, future mere de Clovis et alors epouse du roi de Thuringe Bisin, qu'a la cour, e'est-a-dire au coeur meme du royaume thuringien qui s'etendait entre les cours moyens de la Weser et de l'Elbe. En ce qui concerne la participation de Childeric a ces operations militaires, voir la mise au point critique de James 1986: 28-31; James 1988: 9-12. Par exemple Müsset 1965: 124. Cf. James 1987.

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Cette contradiction s'effondre si l'on admet qi^gidius, puis Syagrius n'ont eu qu'episodiquement leur residence dans la cite de Soissons.

Figure 2. Les epees du type de Krefeld-Gellep (d'apres Κ. BÖHNER, dans Jahrbuch des RGZM, 34,1987, fig. 3).

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Dans le cas d'Egidius, nous savons par Gregoire de Tours qu'il fut acclame „roi" par les Francs durant l'exil thuringien de Childeric, ce qui sous-entend que le maitre de la milice dut reprendre en main la totalite de la Belgique II, voire d'autres territoires controles par les Francs24. En revanche, les sources ne permettent pas de savoir si Egidius abandonna Soissons, ce qui est cependant vraisemblable, quand Childeric recouvra son trone et son gouvernement de la Belgique Π. Dans le cas de Syagrius, Gregoire de Tours ecrit seulement que dans la cinquieme annee du regne de Clovis il avait sa residence a Soissons, „cite qu'Egidius avait jadis possedee"25. Cette mention laconique ne permet evidemment pas de decider si cette situation etait recente ou si la ville demeura depuis l'exil thuringien de Childeric la residence habituelle du representant de l'autorite romaine en Gaule. Neanmoins - et nous allons voir que les sources archeologiques fournissent peut-etre des arguments en ce sens - la premiere eventualite est la plus vraisemblable. H est en effet probable, comme le suggere le blocus de dix ans dont Paris fit l'objet de la part des Francs, sans doute a partir de 476/477, et que relate la Vie de sainte Genevieve16, que les relations entre Childeric et Syagrius se degraderent, peut-etre a la suite de la deposition en 476 de l'empereur d'Occident qui livra a lui-meme le representant de l'autorite romaine en Gaule. Toujours est-il que le roi franc, ne se contentant plus de son gouvernement de la Belgique Π, semble avoir tente d'atteindre la Seine. On imagine done volontiers que Syagrius ait essaye de reprendre le controle de cette province dont, au debut du regne de Clovis, il aurait domine la moitie sud, ayant alors sa residence ä Soissons. Quoi qu'il en soit, l'examen des sources historiques suggere bien que la limite meridionale de la Belgique Π, et non la Somme ou Soissons, a marque celle de la progression franque en Gaule du nord entre le retour d'exil de Childeric, en 463/464, et la fin de son regne. C'est done dans cette perspective qu'il convient de reexaminer la documentation archeologique pouvant correspondre au regne de Childeric, en l'occurrence une serie d'ensembles funeraires.

Les donnees archeologiques Sans reprendre ici en detail l'ensemble de ce dossier27, il suffit d'en extraire les pieces principales. Elles consistent en plusieurs types d'objets caracteristiques epees et fibules en particulier - dont la repartition geographique significative est

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26

27

Gregoire de Tours: Π, 12. Ibid. Π, 27.

Vita Genovefae virginis Parisiensis, 35 (B. Krusch ed. M.G.H. S.R.M. 3. 1896). On trouvera

dans Heinzelmann 8C Poulin 1986: 97 et s., tous les justificatifs concernant ces evenements. Perin 1995:247-301.

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susceptible (^interpretations historiques, evidemment subordonnees aux datations absolues que Ton peut attribuer a ces objets 2 8 .

Si le recours a des methodes statistiques a permis d'affiner considerablement les datations des depots funeraires merovingiens, leur precisioa trouve cependant ses limites, liees en particulier aux variations de port des objets selon Tage au deces des defunts. Voir Perin 1980: 187 et s., et Perin 1998: 189 et 206.

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Les epees des types de Krefeld-Gellep et a decor cloisonne Pour la periode qui nous interesse ici - la seconde moitie du V siecle -, il est tout d'abord interessant de comparer la repartition de deux types d'epees correspondant a l'horizon des „tombes de chefs" d'origine germanique, bien represente entre le Rhin et la Seine. Le premier type, dit de „Krefeld-Gellep" et sans doute encore manufacture dans les ateliers romains du nord de la Gaule, est caracterise par des accessoires de fourreau en bronze, chappes d'entree a motifs vegetaux, traites a l'imitation de la taille biseautee, et bouterolles avec masque humain accoste de deux rapaces (Fig. 2). Le second type, notamment representatif des tombes de chefs de l'horizon archeologique dit de „Flonheim-Gültlingen", est

Figure 4. Carte de repartition des epees du type de Krefeld-Gellep (d'apres BÖHME, op. dt. note 30, fig. 11).

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illustre par des epees d'apparat dont l'origine et l'attribution ethnique font toujours l'objet de discussions entre les archeologues29, avec des poignees, parfois recouvertes d'une tole d'or, et des decors de fourreau rehausses de motifs en orfevrerie cloisonnee (Fig. 3). La succession chronologique de ces deux types d'epees parait bien etablie, les premieres ayant ete fabriquees du milieu du V siecle jusqu'au cours des annees 470/480, les secondes a partir de cette date et jusqu'au cours des annees 520/53030. C'est ce que confirment leurs repartitions geographiques respectives (Fig. 4 et 5). On constate ainsi que les decors de fourreau

note 39, fig. 7).

29 30

Kazanski & Perin 1996: 203-209. Voir dans Perin 1995, l'etat de la question. Si les epees du type Krefeld-Gellep sont globalement anterieures a Celles offrant des decors d'orfevrerie cloisonnee, il est cependant evident qu'elles ont pu etre en usage un certain temps encore quand les epees du second groupe se sont diffusees. Pour les cartes de repartition de ces objets, voir en dernier lieu Böhme 1994.

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des epees du type de Krefeld-Gellep, ainsi que d'autres objets faisant partie des memes ensembles (garnitures de ceinture a boucle s'achevant par des tetes de monstres et plaque trapezo'idale non articulee; petites plaque-boucles de fer damasquine ou plaque d'une feuille d'argent) temoignent d'une concentration manifeste de la Meuse moyenne au Rhin inferieur, a la difference des epees a decor d'orfevrerie qui, a l'exception de l'exemplaire de la tombe de Childeric, offrent une distribution geographique tres nettement peripherique et qui suggere de ce fait une posteriorite evidente. C'est ainsi qu'on a ete amene a mettre en relation les epees du premier groupe avec l'implantation franque telle qu'elle se presentait de l'epoque de Clodion au debut du regne de Clovis, et a voir dans la repartition des epees a decor d'orfevrerie - et plus generalement des tombes de chefs du groupe Flonheim-Gültlingen les temoins de la reprise de l'expansion franque a partir de 486. Si la validite generale de ce schema d'interpretation historique s'impose toujours31, celui-ci merite cependant aujourd'hui quelques amenagements32. En effet, le postulat - que nous-meme avons soutenu avec d'autres - , selon lequel la date de 486 constituait un solide terminus post quern pour la datation des tombes de chefs mises au jour au sud de la Somme, doit a coup sür etre nuance. D'une part, comme nous l'avons vu ci-dessus, il est probable que la Somme ne marquait dejä

Figure 6. Carte de repartition des epees d'apparat et objets cloisonnes de l'epoque de Childeric en Gaule du Nord (d'apres VAI.T.F.T, op. cit. note 32): 1. Envermeu (Seine-Maritime); 2. Bulles (Oise); 3. Arcy-Sainte-Restitue (Aisne); 4. Chambly (Oise); 5. Saint-Denis (Seine-Saint-Denis); 6. Louvres-en-Parisis (Val-d'Oise); 7. Ouerre (Eure-et-Loir); 8. Mareil-sur-Mauldre (Yvelines); 9. Vicq (Yvelines).

31 32

Perin 1995. Cf. Vallet a paraltre en 1998 dans Antiquites nationales, N° 29 (1997).

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plus en 486 la frange meridionale de l'avance franque en Gaule du nord. D'autre part, il est fort possible - bien que les limites des methodes actuelles de datation du materiel archeologique merovingien ne permettent pas de le verifier33 que certaines des tombes de chefs decouvertes entre Somme et Seine aient pu en fait etre contemporaines du mobilier de Childeric, a coup sur anterieur pour partie a la mort du roi (481/482) et au moins datable des annees 470/480 (Fig. 6): tel a pu etre notamment le cas, parmi d'autres ensembles recenses par Fran^oise Vallet34, des epees d'Arcy-Sainte-Restitue (Aisne), de Louvres-en-Parisis (Val-d'Oise) et d'Ouerre (Eure-et-Loir). D'autres trouvailles, a l'evidence contemporaines du regne de Childeric, vont ä l'appui de cette eventualite, comme celles dΈnvermeu (Seine-Maritime), Bulles (ou figure dejä un element de fourreau du type de Krefeld-Gellep) et Chambly (Oise), Mareil-sur-Mauldre et Vicq (Yvelines), voire meme de la basilique de Saint-Denis35. Bien qu'il soit impossible d'etre totalement affirmatif - certains defunts, morts ages, ayant encore pu etre accompagnes d'objets du groupe precedent, correspondant a leur jeunesse - , il semble done desormais acquis que des sepultures correspondant au facies „ franc", tel que l'archeologie le revele entre le Rhin inferieur et la Somme a l'epoque de Childeric, ont egalement ete rencontrees entre Somme et Seine des cette epoque. Meme si ces trouvailles sont actuellement peu nombreuses, elles n'en correspondent pas moins ä une presence franque bien avant 486 au sud de la Somme. Tout a fait logique dans la partie meridionale de la Belgique Π, celle-ci merite une explication pour les territoires situes plus au sud. Dans la mesure ou de telles sepultures font defaut entre Seine et Loire (si l'on excepte les quelques decouvertes effectuees sur la rive gauche de la Seine), il nous parait difficile de mettre en relation ces trouvailles avec les expeditions que les Francs opererent sur la Loire aux cotes des Romains durant le regne de Childeric. En revanche, du fait de la repartition geographique significative de ces trouvailles tout au long de la limite meridionale de la Belgique Π et de leur identite typo-chronologique avec le materiel rencontre dans le sud de cette province, il est plus convaincant d'y voir des temoins materiels de la tentative de progression des Sailens vers la Seine dont les sources ecrites font mention.

Les fibules de type danubien Une seconde categorie de trouvailles - en l'occurrence de grandes fibules en tole d'argent aux extremites asymetriques - merite egalement d'etre examinee. Dites de type „danubien", elles component une tete demi-circulaire, parfois cantonnee de di-

33 34 35

Cf. note 28. Cf. Vallet a paraltre en 1998. Perin 1991: 605 et s.

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gitations, et un pied allonge dont la decoupe peut varier36 (Fig. 7). Exception faite de rares exemplaires decouverts au sud de la Loire, ainsi que dans les vallees de la Saone et du Rhone, ces fibules offrent en Gaule une concentration geographique tout a fait remarquable entre la Somme, d'une part, et la Seine et la Marne, d'autre part, quelques exemplaires se rencontrant en outre en Basse-Normandie (Fig. 8). Si tous les auteurs s'accordent sur l'origine danubienne de ce type de fibules et sur son appartenance ä la mode feminine germanique Orientale, ils divergent cependant quant a son interpretation historique, etroitement liee a sa datation. Apprehendant de fafon globale ce materiel archeologique qu'il date de la fin du Ve siecle et des premieres decennies du W siecle, V. Bierbrauer y a vu une consequence de la conquete du royaume de Toulouse par les Francs a partir de 507 et les cas d'exogamie qui en resulterent37. Privilegiant une datation haute - c'esta-dire l'epoque de Syagrius et de Childeric -, d'autres auteurs, tels C. Pilet38 ou F. Vallet39, ont de leur cote envisage, a travers le temoignage archeologique laisse par leurs compagnes, la presence en Gaule d'auxiliaires germaniques de l'armee romaine issus des regions danubiennes. A. Wieczorek, pour sa part, a opte en faveur d'auxiliaires wisigothiques des armees dTgidius, de Paul, puis de Syagrius40. A vrai dire, comme F. Vallet41 et M. Kazanski42 l'ont souligne, l'analyse des fibules de type danubien decouvertes en Europe de l'Ouest, et en particulier en Gaule, ne saurait etre globale. En effet, deux sous-types peuvent etre clairement definis qui, selon J. Tejral43, ont des correspondances chronologiques. Ii importe ainsi de distinguer les fibules a pied losange, qui correspondent a sa periode D.3 (troisieme quart du Ve siecle), des exemplaires ä pied languiforme, qui relevent de sa periode Ε (dernier quart ou fin du Ve siecle - debut du VF siecle). Sans discuter ici le bien-fonde des periodisations proposees par J. Tejral, il est interessant de noter la repartition geographique tout ä fait remarquable des lieux de provenance de ces deux sous-types, qui renouvelle la question de leur interpretation historique: tandis que les fibules du premier groupe sont abondantes au nord de la Mer Noire et sur le Danube moyen, mais fort rares en Italie, en Espagne et en Gaule (Fig. 9), celles du second groupe, totalement absentes dans les regions danubiennes, ne se rencontrent qu'au nord de la Mer Noire, en Espagne ainsi que dans le nord de la Gaule (Fig. 10).

37 38 39 40 41 42 43

L a bibliographie concernant ce type de fibules est abondante. O n trouvera les principales references dans Kazanski 1989 (1990): 59-73, ainsi que dans Attila. Les influences danubiennes dans l'ouest de l'Europe au V siecle 1990. Bierbrauer a paraitre en 1998. Pilet 1990: 98-107; Pilet etal. 1993: 160 et s.; Pilet 1995: 327-334. Vallet 1990: 95-97. Wieczorek 1996: 353 et s. Vallet 1993: 109-121. Kazanski 1989 (1990); Kazanski 1990: 45-53; Kazanski & Perin a paraitre en 1998. Terjal 1988: 223-304.

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Figure 7. Typochronologie desfibulesdanubiennes des groupes D.3 et Ε selon J. TEJRAL, op. cit. note 43.

Figure 8. Carte de repartition des fibules danubiennes de Gaule du Nord (d'apres BIERBRAUER, op. dt. note 37).

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La comparaison des cartes de repartition des lieux de trouvaille de ces deux sous-types corrobore effectivement leur succession dans le temps, comme le propose J. Tejral (Fig. 7), et semble se preter d'emblee a une interpretation archeologique de type classique: en un premier temps, un certain nombre de fibules de la periode D.3, caracteristiques de la culture gothique de Pannonie, sont parvenues, sans doute avec leurs porteurs, au nord de la Mer Noire ainsi que dans l'ouest de lTsurope continentale, ou elles apparaissent fort dispersees; en un second temps, et dans trois des regions peripheriques seulement (nord de la Mer Noire, nord de la Gaule et Espagne), devolution apparemment locale de ce type (puisqu'on perd sa trace sur le Danube moyen) a conduit a celui de la periode E. Dans deux de ces trois cas - nord de la Mer Noire et Espagne - , on a eu recours a des faits historiques pour expliquer ces donnees archeologiques.

Figure 9. Carte de repartition des fibules danubiennes du groupe D.3 de J. T E J R A L (d'apres KAZANSKI et PERIN, op. cu. note 42).

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Ainsi, comme M. Kazanski l'a montre44, les objets danubiens mis au jour au nord de la Mer Noire - en particulier des fibules du type de Smolin - doivent sans doute etre mis en relation avec la presence de Germains du Danube qui, allies militaires des Huns, les suivirent dans leur retraite vers Test apres la chute de lTEmpire pannonien d'Attila en 454-455. Ce fut notamment le cas des Germains Angiskires qui, selon Jordanes45, etaient au service du fils d'Attila Dengizic: on leur doit sans doute l'introduction a cette epoque de materiel danubien dans la region pontique. C'est aux Angiskires ou a d'autres Germains du Danube allies des Huns qu'il convient egalement d'attribuer les objets danubiens decou-

Figure 10. Carte de repartition des fibules du groupe Ε de J. TEJRÄL (d'apres KAZANSKI et PERIN, op. cit. note 42).

44 45

Kazanski 1996: 324-334. Jordanes, Getica, 269.

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verts en Crimee Orientale et sur la cote Orientale de la Mer Noire, ou Procope atteste la presence de Goths Tetraxites qui s'allient aux Huns Outigours refluant vers l'Est 46 : les Tetraxites etant demeures completement coupes du monde germanique, on ne peut expliquer l'apparition chez eux d'objets de parure feminins d'origine danubienne - notamment dans la necropole de Djurso, pres de Novorossijsk - que par un contact avec les groupes germaniques danubiens ayant accompagne les Huns. Une problematique analogue est applicable dans la peninsule iberique, comme nous l'avons propose il y a quelques annees47. En effet, alors qu'ä l'epoque de leur royaume de Toulouse (419-507) les Wisigoths n'ont pratiquement pas laisse de traces archeologiques, notamment funeraires, dans le sud-ouest de la Gaule, ils sont ensuite parfaitement identifiables en Espagne - ou ils progressent des la fin du V e siecle avant d'y reformer apres 507 leur nouveau royaume de Tolede - grace a des sepultures feminines dont les objets de parure, et notamment des fibules de type danubien, illustrent la mode vestimentaire gothique. Les trouvailles les plus anciennes ne correspondant pas au materiel ostrogothique bien connu d'ltalie (apres 488, date du debut de sa conquete par les Ostrogoths) et ne pouvant pas, de ce fait, etre mises en relation avec les troupes ostrogothiques que Theodoric envoya en Espagne au lendemain de la bataille de Vouille (507) pour soutenir le jeune roi wisigoth Amalaric, nous avons envisage le role possible des contingents armes du roi ostrogoth Vidimer. Appeles par l'empereur Anthemius qu'une guerre civile opposait au patrice Ricimer, ils avaient ete bientot detournes vers la peninsule iberique ou ils devaient participer aux cotes du roi wisigoth Euric a la conquete de la Tarraconaise (472-474). Les plus anciennes parures gothiques dΈspagne etant du meme type que Celles des regions danubiennes et a coup sür contemporaines, nous avons done propose qu'elles η'avaient pu parvenir dans la peninsule iberique qu'avec les femmes accompagnant les soldats de Widimer, comme e'etait l'usage dans les armees barbares. C'est a cette occasion - et en relation avec un renouveau de la pratique de l'inhumation habillee - que la mode feminine gothique traditionnelle aurait ete reintroduite chez les Wisigoths, l'evolution des fibules importees de la periode D.3 ayant ainsi conduit a celles de la periode E 48 . 46 47 48

Procope, B e l l , got., IV, 5. Perin 1993. Nous avons naturellement envisage que l'absence quasi-totale en Gaule d'objets de parure gothique ait ete l'une des consequences de 1'acculturation rapide des Wisigoths, avec l'abandon de l'inhumation habillee. Neanmoins, si les femmes wisigothiques avaient continue a porter leur costume traditionnel, quelques trouvailles non funeraires auraient du etre effectuees dans le royaume de Toulouse. II est done plus probable, selon nous, qu'a Tissue de pres de quarante ans de peregrinations dans les Balkans, puis en Italie, l'armee errante des Wisigoths ne se distinguait plus en penetrant dans le sud de la Gaule par une culture materielle specifique, notamment au niveau du costume feminin. II est d'ailleurs significatif que les seules fibules gothiques decouvertes entre Loire et Pyrenees (a Lezoux, dans le Puy-de-Dome), soient du type D.3 de Tejral, et done largement posterieures a Parrivee des Wisigoths en Narbonnaise.

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Le nord-ouest de la Gaule, quant a lui, offrant a premiere vue line image comparable a celle de l'Espagne en ce qui concerne la repartition des lieux de trouvaille de fibules danubiennes, on peut se demander s'il est possible d'y appliquer des schemas explicatifs analogues. La situation archeologique y est en realite sensiblement differente. En effet, a la difference des necropoles de la Mer Noire et de l'Espagne, celles du nord-ouest de la Gaule n'ont livre a chaque fois qu'un nombre restreint de sepultures (parfois une seule) renfermant des fibules danubiennes, celles-ci n'etant d'ailleurs pas toujours portees par paire aux epaules ni completees par une plaque-boucle a plaque rectangulaire, selon les canons de la mode feminine gothique. Dans cette mesure, il est done clair que ces decouvertes ne peuvent correspondre a un peuplement homogene et structure, analogue ä celui des Wisigoths de la peninsule iberique, mais qu'elles temoignent au contraire de cas individuels et disperses dont plusieurs temoignent d'une nette acculturation. II n'en reste pas moins significatif, dans la perspective de l'interpretation historique de ces trouvailles, que leur repartition geographique entre la Somme et la rive gauche de la Seine, zone de contact arme, comme nous l'avons vu, entre les Sailens et les derniers representants de l'autorite romaine en Gaule, est tout a fait remarquable et ne peut manquer d'etre prise en compte. Si Ton accepte la fourchette chronologique que J. Tejral a proposee pour les fibules de sa periode Ε - vers 460/470 au debut du VP siecle - , deux schemas d'interpretation historique successifs peuvent etre envisages pour la Gaule. Un certain nombre de trouvailles appartiennent tout d'abord au debut de la periode Ε de Tejral et sont done contemporaines du regne de Childeric et du debut de celui de Clovis. De meme que celles de la periode D.3, elles doivent etre considerees comme le temoignage indirect, par le biais de leurs compagnes, de la presence en Gaule du Nord de Germains orientaux ayant servi comme auxiliaires dans l'armee romaine, en l'occurrence les troupes d'Egidius puis de Syagrius: malgre l'absence de sources ecrites explicites, e'est en tout cas ce que suggere l'exemple des trouvailles analogues du nord de la Mer Noire et d'Espagne, la fuite de Syagrius aupres d'Alaric II apres sa defaite de Soissons, en 486, soustendant quant a eile une alliance avec les Wisigoths qui aurait pu repondre a celle de Chideric avec Odoacre, devenu maitre de l'Italie apres qu'il ait depose en 476 le dernier empereur d'Occident, Romulus Augustule. Ii est cependant impossible de decider ici si ces militaires et leurs compagnes etaient directement venus des regions danubiennes ou bien s'ils etaient issus des contingents germaniques orientaux parvenus en Espagne dans les annees 470. Cependant, le nombre restreint de trouvailles pouvant leur etre indirectement imputees, ainsi que l'acculturation relative refletee par plusieurs d'entre elles, ne peuvent avoir correspondu ici a une presence militaire encore effective et strueturee, c'est-a-dire ä des contingents qui, du fait de leur implantation geographique, auraient partieipe aux operations destinees a repousser les Francs de la Seine jusqu'a la Somme. On est done davantage tente de voir dans ces traces archeologiques celles d'elements

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disperses de l'armee de Syagrius qui, apres sa defaite de 486 dans la cite de Soissons, auraient ete integres a l'armee franque. On ne peut manquer encore d'evoquer ici une autre interpretation historique possible de la presence des fibules de type danubien de la periode D entre Seine et Somme. Si une alliance entre Syagrius et Alaric est plausible, elle n'en demeure pas moins une supposition, a la difference de celle qu'Odoacre et Childeric nouerent contre les Alamans49. Dans cette perspective, il est done tout a fait possible que le nouveau maitre de lltalie ait pu envoyer au roi franc des contingents armes de Germains orientaux dont, ä coup sur, les femmes auraient porte des objets de parure analogues ä ceux qui parvinrent en Espagne avec les troupes de Vidimer. Dans ce cas, les fibules de la periode Ε de Tejral seraient a mettre en relation, non plus avec la tentative de reprise en mains de la Belgique H par Syagrius, soutenu par des contingents wisigothiques, mais au meme titre que les epees a decor cloisonne, avec le mouvement esquisse par Childeric vers la Seine. Π n'est malheureusement pas possible d'utiliser la datation des fibules elles-memes pour trancher, ces evenements historiques possibles et successifs se situant a l'interieur d'une fourchette chronologique beaucoup trop etroite pour etre compatible avec les possibilites des datations archeologiques. D'autres trouvailles, quant a elles, appartiennent a coup sür a la fin du groupe Ε de Tejral et conduisent tout naturellement ä une interpretation historique classique, e'est-a-dire a celle de cas d'exogamie lies aux contacts conflictuels et pacifiques qui eurent lieu apres Vouille entre les royaumes franc et wisigothique50. On ne peut cependant manquer de s'etonner ici de l'absence de tels objets entre Loire et Pyrenees, territoire conquis par les Francs a partir de 507. Mais a vrai dire, leurs lieux possibles de decouverte, en l'occurrence des cimetieres pouvant etre attribues a des garnisons franques susceptibles d'avoir ete en contact direct avec les Wisigoths de Septimanie et d'Espagne, sont encore mal connus51. En definitive, et malgre les difficultes inherentes au genre, la confrontation des donnees historiques et archeologiques ne manque pas d'interet pour la connaissance de la progression des Francs en Gaule du Nord au cours du troisieme quart du V e siecle. Il n'est tout d'abord pas douteux, comme le montre la repartition des epees d'apparat ä poignee en tole d'or et decors d'orfevrerie, que ceux-ci atteignirent la Seine sous Childeric, ce qui corrobore le precieux temoignage de la Vie de sainte Genevieve concernant le blocus de Paris par les Francs. D'autre part, la possibilite d'une reprise en main par Syagrius de la moitie sud de la Begique Π, suggeree par sa residence a Soissons en 486, est etayee par la reparti49 50 51

Gregoire de Tours, Π, 19. Gregoire de Tours, VI, 18 et 45 ; VH, 10 ; VDI, 35 et 38, etc. Neanmoins, dans le cas de llsle-Jourdain, Tun des rares sites de ce type a avoir beneficie de fouilles recentes, on n'a pas trouve traces de tels contacts culturels: Boudartchouk & Bach 1993: 55-56 (publication en cours); Boudartchouk & Bach 1995: 149-172; Boudartchouk & Bach 1998: 213-232.

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tion significative entre Seine et Somme des plus anciennes fibules gothiques en tole d'argent du groupe Ε de Tejral, a coup sür en relation directe avec le milieu des auxiliaires germaniques orientaux que le royaume wisigothique a pu mettre au service de Syagrius lors du conflit l'opposant aux Francs. Ces propositions, qui demeurent des hypotheses de travail et devront etre davantage validees par une meilleure connaissance du materiel archeologique et de sa datation, montrent en tout cas que la date de 486, en tant que terminus post quem pour la diffusion au sud de la Somme du materiel archeologique franc precoce doit etre desormais relativisee: en effet, il semble desormais acquis, a la fois par une datation plus fine des trouvailles et par l'etude de leur repartition geographique, qu'une nette distinction puisse etre etablie entre les temoins archeologiques du regne de Childeric et ceux du regne de Clovis52.

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Zur Verwaltungsorganisation in der nördlichen Galloromania VON ULRICH N O N N

Rumor ad, nos magnum pervenit, administrationem vos Secundum Belgice suscepissel: mit diesem vielzitierten Satz beginnt das Glückwunschschreiben des Bischofs Remigius von Reims, in dem er König Chlodwig zur Übernahme der Herrschaft gratuliert und ihn wortreich zu guter und gerechter Regierung ermahnt2. Das nicht datierte Schreiben hat man früher meist nach 486, also nach Chlodwigs Sieg über den Heermeister Syagrius angesetzt; neuerdings erwägt man - gerade wegen der gewählten Terminologie - als eigentlichen Anlaß den Regierungsantritt Chlodwigs 481/823; Remigius' Glückwunsch bezöge sich dann auf Chlodwigs doppelte Funktion als Nachfolger seines Vaters Childerich als Kleinkönig von Tournai und als Föderatengeneral in der Belgica Π. Rückblickend hat man auf jeden Fall den Sieg über Syagrius als epochemachendes Datum angesehen, mit dem Roms Herrschaft in Gallien endete: Egegius (= Aegidius) genuit Siagrium, per quem Romani regnum perdiderunt4, vermerkt die wohl aus dem 7. Jh. stammende sog. Fränkische Völkertafel5. Versucht der Mediävist sich ein Bild zu machen vom Gallien des 5. Jhs., von seiner militärischen und zivilen Verwaltung, von den Organisationsformen und den die Organisation tragenden Funktionären, und zieht er dazu die ihm vertrauteren historiographischen Quellen heran, so ist das Ergebnis dürftig und höchst verwirrend. Nicht nur die Abfolge der Ereignisse und ihre chronologische Einordnimg bleiben oft unklar; besonders schwer taten sich die fränkischen Chronisten mit der Umschreibung der staatsrechtlichen, verfassungsmäßigen Stellung der romanischen Machthaber. Einige Beispiele mögen das illustrieren. Aetius, der seit ca. 425 als gallischer Heermeister, dann von 433 bis 454 als erster Reichsfeldherr magister utriusque militiae - faktisch die Geschicke des Westreichs leitete und um 1 2

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M G H E E 111,113. Das in den Hss. überlieferte secundum belgice bzw. secundum bellice ist ohne Zweifel als Secundae Belgkae aufzufassen (so schon Bethmanns Emendation; vgl. die textkritische Anmerkung c in der MGH-Edition). Vgl. Zöllner 1970: 45f.; Ewig 1983: 1863. M G H SS rer. Mer. Vn,854. Vgl. Krusch 1928: 65-74, der überzeugend frühere Datierungen ins 6. Jh. zurückgewiesen hat; so auch Zöllner 1970: 6 und künftig Nonn 1998.

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435 mit dem vornehmsten persönlichen Rangtitel eines patricius ausgezeichnet wurde6, erschien „in der gallischen Uberlieferung als der eigentliche Held dieser Jahrzehnte"7. Gregor von Tours bezeichnet ihn zunächst in seinem Bericht über die Hunnenkämpfe in Gallien (Hist. Fr. Π,7) als patricius-, diesen Titel übernehmen Fredegar (11,53; ΠΙ,Ι) und der Liber historiae Francorum (5)8. Im anschließenden Kapitel greift Gregor weit zurück, weil er „für unrecht hält, mit Stillschweigen zu übergehen, was Renatus Frigiredus in seinem Geschichtswerke von dem erwähnten Aetius meldet", und gibt dann ein längeres Zitat aus dem „zwölften Buch seiner Geschichten", die leider verloren sind; wir können also die Korrektheit des Zitats nicht kontrollieren. Es heißt dort, der Usurpator Johannes (423-425) habe Aetius, id, temporis curam palatii, zu den Hunnen geschickt. Und wenig später: „Und weil von diesem Manne in der Folge noch öfters die Rede sein muß, erscheint es nötig, hier seiner Abkunft und seiner Sinnesart zu gedenken". Sein Vater Gaudentius, aus vornehmster skythischer Familie, war in der militärischen Laufbahn aufgestiegen: usque ad magisterii equitum culmen profectus; er ist auch aus anderen Quellen als gallischer Heermeister von 399 bis zu seinem Tod 425 nachzuweisen9. Die Mutter war eine vornehme Italienerin. Und dann heißt es über Aetius selbst: Aetius filius a puero praetorianus, tribus annis Alarici obsessus, dehinc Cbunorum; post baec Carpilionis gener, ex comite domesticorum et Johannis cura palatii. Buchner übersetzt „Aetius, ihr Sohn, schon als Knabe in die Leibwache aufgenommen"10: hier ist wohl an die - nach Constantins Auflösung der Praetorianerkohorten - umgeformten Gardetruppen (die scholae) zu denken11, konkret - mit Martindale - an das Amt des tribunus praetorianus (mutig könnte man sogar tribus annis als Verlesung von tribunus vermuten)12. Chefs dieser Gardetruppen waren die beiden comites domesticorum - eben dieses Amt hatte Aetius' Schwiegervater Carpilio innegehabt, nicht etwa Aetius selbst (wie noch Mommsen Gregors Text verstanden hatte)13; er war vielmehr - wie Buchner wohl zutreffend die knappen Worte übersetzt - „von Johannes zum Aufseher des Palastes befördert"14. Das ursprünglich niedere Amt des cura palatii war im 5. Jh. an die Stelle 6

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Zu Aetius vgl. Ensslin 1931: 476-489; Jones 1980: 21-29; Demandt 1989: 151-156 mit weiterer Literatur. Stroheker 1948: 141. Vgl. die Stellen in der Beleg-Übersicht. Zu Gaudentius vgl. Jones 1980: 493f. Buchner 1959: 81. Vgl. Demandt 1989: 234f.; 257f. Zum Amt des cura palatii vgl. RE 4,2 (1901) 1770f. Vgl. Martindale 1980: 21. Die dreijährige Dauer der Geiselhaft findet sich nur in dem Renatus Frigiredus-Exzerpt bei Gregor, nicht aber bei Flavius Merobaudes und bei Zosimus. Clover (1971: 56-58) untersucht genau die ζ. T. widersprüchlichen Zeitangaben bei den drei Autoren, sieht aber den Fehler für die „chronological imprecision" bei Merobaudes und hält die Angabe des Frigiredus für zutreffend; doch könnte es auch umgekehrt sein. Auch Clover räumt ein: „This chronology is unsatisfactory". So richtiggestellt bei Jones 1980: 262. Buchner 1959: 81.

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des früheren Vorgesetzten, des castrensis sacri palatii, getreten und gehörte jetzt der zweiten Rangklasse der viri spectabiles an. Konnte Gregor für Aetius auf eine gute Quelle zurückgreifen, so sind seine Nachrichten über den vornehmen Gallier Aegidius (f 464) zum Teil eher sagenhaft15. Dieser war von Kaiser Majorian um 457 zum gallischen Heermeister ernannt worden; bei Gregor heißt es korrekt (Π,ΙΙ): In Galliis autem Egidius ex Romanus magister militum datus est. Im anschließenden Kapitel folgt dann die berühmte Geschichte, daß König Childerich, „der dazumal über das Volk der Franken herrschte", sich in ungezügelter Gier an ihre Töchter heranmachte, worauf die ergrimmten Franken ihm die Herrschaft nahmen; aus Todesfurcht verließ er Gallien und ging nach Thüringen, nicht ohne vorher mit einem zurückgebliebenen Vertrauten eine erhoffte Rückkehr eingeplant zu haben. „Und er verabredete mit ihm ein Zeichen, wann er ohne Gefahr in seine Heimat zurückkehren könnte; sie teilten nämlich ein Goldstück; die eine Hälfte nahm Childerich mit sich, die andere behielt sein Vertrauter und sprach: .Wenn ich diese Hälfte schicke und sie mit deiner Hälfte verbunden ein Goldstück ausmacht, dann kehre ohne Furcht zurück in deine Heimat'". In Thüringen bändelte Childerich dann mit Basina, der Gattin des Thüringerkönigs Bisin, an (die ja dann später seine Frau werden sollte). Und dann folgt Gregors vielzitierter Satz: Denique Franci, bunc eiectum, Egidium sibi, quem superius magistrum militum a re publica missum diximus, unanimiter regem adsciscunt - „Die Franken aber, nachdem sie ihn vertrieben, nahmen einmütig als ihren König Aegidius an, der, wie oben erwähnt, vom Reich als Heermeister nach Gallien gesandt worden war". Nach achtjähriger Herrschaft aber verlangten die Franken wieder nach Childerich, der - nach Erhalt des halben Goldstücks als sicheres Zeichen - aus Thüringen zurückkehrte und in regno est restitutus. Die oft erörterte Frage der Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten soll hier nicht erneut diskutiert werden16; aber sie spiegeln „den Mischcharakter der Rechtsvorstellungen: hatten bisher die germanischen Fürsten Wert auf römische Amtstitel gelegt, so begegnen uns jetzt auch umgekehrt römische Beamte in germanischer Titulatur"17. Und mit diesen Titeln taten sich die fränkischen Chronisten sichtlich schwer. Gregor erwähnt (11,18) nur noch kurz den Tod des Aegidius, diesmal ganz ohne Titel, und nennt im gleichen Kapitel - möglicherweise als seinen Nachfolger - Paulus18, der „mit den Römern und Franken die Goten angriff und reiche Beute machte". Gregor bezeichnet ihn als comes - ein seit Konstantin d. Gr. weitverbreiteter Titel, der mit diversen höheren Amtern militärischer wie ziviler Art verbun-

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Zu Aegidius vgl. Stroheker 1948:141f.; Demandt 1989:180 (mit weiterer Literatur). Vgl. dazu Zöllner 1970:40f.; Nonn 1983b: 1817f. (mit weiterer Literatur). Demandt 1989: 180. Zu Paulus vgl. Zöllner 1970:39f. und Ewig 1993:16.

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den war; Buchner übersetzt mit „römischer Befehlshaber"19, was wohl die Sache trifft; Ewig sieht seine Stellung als „Sprengelkommandant in Nordgallien" 20 . Gregors Satz über den comes Paulus übernimmt Fredegar (EU, 12) fast wörtlich. In 11,56 exzerpiert er die Chronik des Hydatius21 und berichtet von einem anderen Befehlshaber in Gallien: Atrepennus Gallies comis, „aus Neid ein erbitterter Feind des Aegidius". Die verballhornte Namensform meint Agrippinus, der auch aus anderen Quellen als gallischer Heermeister vor Aegidius bezeugt ist22 und der - nach Aegidius' Auflehnung gegen Rom erneut gallischer Heermeister - 462 den Westgoten Narbonne übergab, um diese als Bundesgenossen gegen Aegidius zu gewinnen. An zwei Stellen vermerkt Fredegar den Tod des Aegidius: in 111,12 übernimmt er fast wörtlich Gregors Nachricht (ohne Titel wird nur der Name genannt); in 11,56 folgt er seiner Vorlage Hydatius, entscheidet sich aber statt des-

sen vorsichtiger Formulierung alii dicunt insidiis, alii veneno deceptus für den Tod durch Gift. Bezeichnend ist aber eine eher unscheinbare Abänderung der Vorlage, die nur den Namen Aegidius bot: Fredegar setzt den Titel comes hinzu. Comes ist also für ihn der durchgehende Titel der römischen Befehlshaber; magister militum o.a. begegnet in seinem Werk überhaupt nicht mehr. Geradezu romanhaft ausgeschmückt wird bei Fredegar (EU, 11) die Vertreibung und spätere Wiederkehr König Childerichs. Für die Grundfakten geht er von seiner Vorlage Gregor aus. Er nennt uns den Namen des von Childerich zurückgelassenen Vertrauten, Wiomad, „der treuer als alle anderen zu Childerich stand und ihn befreit hatte, als er mit seiner Mutter von den Hunnen als Gefangener weggeschleppt wurde und mit ihm geflohen war" - ob er diese Geschichte gehört hatte oder die Phantasie vollends mit ihm durchging, ist kaum zu entscheiden. Fast wörtlich aus Gregor schreibt Fredegar dann: „In dieser Zeit nahmen die Franken Aegidius einmütig als ihren König an", fügt dann aber eigenständig die

Nachricht hinzu: Wiomadum amicus Cbilderici subregulus ab Eieio Francis institutur - „Aegidius setzte Wiomad, den Freund Childerichs, als Unterkönig über die Franken". Der nicht aus dem klassischen Latein stammende Begriff subregulus23 wurde später zuweilen für Hausmeier in vizeköniglicher Stellung gebraucht; bei Gregor von Tours (Π,9) findet er sich nur in seinen Exzerpten aus dem verlorenen Geschichtswerk des Sulpicius Alexander für die fränkischen Fürsten Marcomer und Sunno - dort aber alternativ gebraucht mit duces und regales·, letzteres veranlaßt Gregor zu dem ratlosen Kommentar: „Wenn der Geschichtsschreiber aber jene hier regales nennt, so wissen wir nicht, ob sie Könige waren oder nur die

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Buchner 1959: 101. Ewig 1993: 16. Der galicische Bischof Hydatius (f um 470) setzte die Chronik des Hieronymus bis 468 fort (Edition Mommsens in: MGH AA XI, 1-36); vgl. Wattenbach-Levison 1952: 84. Zu ihm vgl. Stroheker 1948: 143f. Vgl. Heidrich 1965/66: 99f.

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Stelle von Königen vertraten"24. Fredegars Nachricht über den subregulus Wiomad ist wenig glaubwürdig - interessant aber als Versuch, eine offenbar einflußreiche Stellung unterhalb des Königs zu umschreiben. Im übrigen ist dies der einzige Beleg Fredegars für subregulus; bei der aus Gregor übernommenen Stelle über Marcomer und Sunno (DI,4) hat er den Begriff gerade durch duces ersetzt! Noch aufschlußreicher für die Titulatur des Aegidius ist der Liber historiae Francorum von 726/27, eines der meistgelesenen Geschichtswerke des Mittelalters, dem die Fredegarchronik unbekannt war25. Für unseren Zeitraum beruht er auf Gregor, dessen Formulierungen er aber selten wortgetreu übernimmt. In c. 6 heißt es: Erat quoque hinc in istaparte Galliarum ex Romanis Egidius rex ab imperatore missus - aus Gregors korrektem magister militum ist ein rex geworden; interessanterweise fügt die überarbeitete sog. austrasische Fassung (Kruschs Fassung B) - offenbar aus besserer Kenntnis der militärischen Stellung des Aegidius - hinzu: rex miliciae Romanorum. Dann folgt die Geschichte von König Childerichs Schändlichkeiten, seiner Abmachung mit Wiomad und seinem Zug nach Thüringen. C. 7 beginnt dann mit der Nachricht: Franci vero, relicto Childerico, Egidium principem Romanorum in regnum super se statuerunt - „Die Franken aber, nachdem Childerich sie verlassen hatte (oder: nachdem Childerich verlassen worden war?), setzten den princeps Romanorum Aegidius in die Königsherrschaft über sich". Hier wird also die besondere Stellung des Aegidius, der eben kein fränkischer König war, mit princeps Romanorum umschrieben; und - ohne den Text pressen zu wollen - scheint mir im Gegensatz zu dem direkten unanimiter regem adsciscunt bei Gregor der Autor des Liber das ungewöhnliche Vorgehen der Franken mit in regnum super se statuerunt etwas vorsichtiger zu umschreiben - ein Vorgehen, das er mit seinem angehängten malum consilium tractantes deutlich tadelt. Die Fassung Β wählt zwar wieder die Gregor näherkommende direkte Formulierung elevaverunt super se regem, steigert aber den Tadel zu consilium non bonum nimisque inutilem adque absurdum. Ähnlich wie Fredegar schildert der Liber dann, wie Aegidius - von Wiomad heimtückisch angestachelt - die Franken zunehmend härter unterjochte, die sich schließlich verzweifelt an Wiomad um Rat wandten. Ihnen soll er gesagt haben: „Habt ihr schon vergessen, wie sehr die Römer euer Volk unterdrückt und euch aus eurer Heimat vertrieben haben? Ihr aber habt dafür euren tüchtigen und klugen König verjagt und diesen eingebildeten und aufgeblasenen Soldaten des Kaisers an eure Spitze gestellt..."26. Bei aller Polemik trifft die Bezeichnung militem imperatoris Aegidius' Stellung kor-

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Cum autem eos regales vocet, neseimus, utrum reges fuerint, an in vices tenuerunt regnum (MGH SS rer. Mer. I2, 54). Vgl. Wattenbach-Levison 1952: 114-116. Edition von Bruno Krusch in: MGH SS rer. Mer. Π, 215-328; Nachträge Vü, 772-775. Quare non recordatis, quomodo eiecerunt Romani opprimentes gentern vestram et de eorum terra eiecerunt eos? Vos vero eiecistis regem vestrum utilem et sapientem et elevastis super vos militem istum imperatoris superbum atque elatum...

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rekter, wenn er natürlich auch kein einfacher Soldat war; die Fassung Β wollte möglicherweise diese Übertreibung abmildern, wenn sie etwas ungeschickt ergänzt: militem hunc imperatorem Romanorum und dabei imperator als Feldherr auffaßt (wenn es sich nicht schlicht um ein Mißverständnis handelt). Als einzige Quelle erwähnt der Liber dann ausdrücklich, daß die Franken nach der Rückkehr Childerichs Aegidius aus der Herrschaft oder dem Reich verjagten (a regno); dabei wird er diesmal wieder als Romanus princeps tituliert. C. 8 vermeldet schließlich noch seinen Tod: mortuus est Egidius Romanorum rex; die Fassung Β ändert das ab zu Egidius Romanorum tirannus, und - um die Verwirrung vollkommen zu machen - setzt eine Hs. dieser Fassung (ein Vaticanus aus dem späten 8. oder frühen 9. Jh.) noch dux hinzu. Uber Aegidius' Sohn und Nachfolger Syagrius27 berichtet Gregor (Π,27) zu 486/87: „Syagrius, der König der Römer, des Aegidius Sohn, hatte seinen Sitz in der Stadt Soissons, die einst schon der oben erwähnte Aegidius innehatte"28. Fredegar übernimmt den Satz fast wörtlich, ändert aber den Titel in Romanorum patricius. Der Liber historiae Francorum schließlich baut den Satz in abgewandelter Formulierung an zwei Stellen ein: einmal in c. 8 nach der Todesnachricht des Aegidius, zum anderen in c. 9 zu 486/87, in beiden Fällen ohne Titel (nur die Fassung Β ergänzt im zweiten Satz rex Romanorum). Unterschlägt die Fassung A auch Gregors rex-Titel, so scheint mir die Formulierung des ersten Satzes dafür stärker den königlichen Residenz-Charakter von Soissons zu betonen: Siagrius enim,filius eius, in regnum eius resedit; constituit sedem regni in Suessionis civitate29. Was war aber konkret regnum eius, welchen Umfang hatte es, wie ist es geographisch zu lokalisieren? Darüber geben unsere Chroniken kaum Auskunft. Einzelne Städte - wie hier Soissons - werden genannt, ansonsten ist nur unspezifiziert von Galliae die Rede. Remigius hatte von der Belgica secunda gesprochen bei Gregor wie auch bei Fredegar und im Liber historiae Francorum wird man die Belgica vergeblich suchen. Kommen wir zu unserer Ausgangsfrage zurück. Will man etwas über die Gliederung Galliens und seine Verwaltungsstrukturen erfahren, muß man auf die vorwiegend normativen römischen Quellen zurückgreifen. In aller Kürze seien die wichtigsten, hinreichend bekannten Stationen der Entwicklung vorgeführt30. Ausgangspunkt ist Caesars berühmter Einleitungssatz aus dem Bellum Gallicum: Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur. Diese drei Völkergruppen gaben die Namen für seine Einteilung des eroberten freien Gallien, jen27 28

29 30

Zu Syagrius vgl. Stroheker 1948: 221; Ewig 1993: 16-21. Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud dvitatem Sexonas, quam quondam supra memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat (MGH SS rer. Mer. I2, 71). Zur Residenz Soissons vgl. Kaiser 1973. Das Folgende im wesentlichen nach Nesselhauf 1938; Hatt 1970; Demougeot 1972; Wightman 1985; Demandt 1989.

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seits der schon zwischen 120 und 117 v.Chr. eingerichteten Provinz Narbonensis: Belgica, Aquitania, Celtica. Nach der endgültigen Unterwerfung schuf Caesar 51/50 v.Chr. die Großprovinz Gallia transalpina (im Unterschied zur oberitalischen Gallia cisalpina). Unter Augustus erfolgte zwischen 27 und 22 v.Chr. eine Neuordnung: die Narbonensis wurde wieder als eigenständige senatorische Provinz abgetrennt; daneben richtete er die drei proprätorischen Provinzen ein: Aquitania (mit der Hauptstadt Saintes, später dann Bordeaux), Belgica (mit der Hauptstadt Reims, später dann Trier) und Lugdunensis (mit der Hauptstadt Lyon). Lyon war aber mehr als Provinzhauptstadt: Augustus bestimmte es zum Zentrum der gallorömischen Finanzverwaltung aller drei Provinzen; vor seinen Toren ad Confluentes (Mündung der Saone in die Rhone) trat seit 12 v.Chr. wieder alljährlich das alte concilium Galliarum, der Landtag der mehr als 60 gallischen Völkerschaften, zusammen; als caput Galliarum wurde das wirtschaftliche und religiöse Zentrum eine Art Bundeshauptstadt der drei Galliae 31 . Nach der Varusschlacht 9 n.Chr. wurden die verbliebenen linksrheinischen Gebiete der Germania der Belgica zugeschlagen, behielten aber als Verwaltungsbezirke unter eigenen militärischen Kommandanten eine gewisse Sonderstellung. Folgerichtig schuf Kaiser Domitian um 89 die beiden Provinzen Germania superior (mit der Hauptstadt Mainz) und Germania inferior (mit der Hauptstadt Köln). In den folgenden zwei relativ ruhigen Jahrhunderten blieben die Provinzgrenzen recht stabil; nach dem turbulenten Zwischenspiel des „gallischen Sonderreichs" konnte Kaiser Aurelian (270-275) die Verhältnisse wieder stabilisieren (man hat ihn ja geradezu als „Neubegründer des Imperiums" bezeichnet). Andererseits wurde Gallien seit der Mitte des 3. Jhs. zunehmend von germanischen Einfällen bedroht. Die einschneidendsten und lange nachwirkenden Veränderungen für die Verwaltung Galliens brachte die grundsätzliche Neuordnung der gesamten Reichsverwaltung unter Diokletian und Konstantin 32 . Leitende Prinzipien waren dabei die Trennung von ziviler und militärischer Gewalt, eine stärkere Hierarchisierung (abgestufte Rangklassen) und Differenzierung (Ressortteilung) und eine generelle Steuerreform; letzterer vor allem diente die Verkleinerung und damit gewaltige Vermehrung der Provinzen von ca. 50 auf fast das Doppelte, schließlich auf 114. Die uns hier interessierende Regionalverwaltung wurde neu gegliedert als ein dreistufiges System von Präfektur - Diözese - Provinz (man hat zutreffend auf Parallelen zur modernen Verwaltungsgliederung in Ober-, Mittel- und Unterinstanz hingewiesen33). Das alte Amt des praefectuspraetorio verlor unter Konstantin seine militärische Funktion; er wurde zum höchsten Verwaltungsbeamten und Stellvertreter des Kaisers, also zu einer Art Reichspräfekt. In der Spätzeit Konstantins erfolgte dann der Wandel - wie Andre Chastagnol es ausgedrückt hat - von der

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Vgl. Drinkwater 1975. Zum Folgenden besonders Demandt 1989. So Noethlichs 1982: 70f.

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„prefecture ministerielle" zur „prefecture regionale"34, also die Gliederung des Reiches in vier Präfekturen, grosso modo auf der territorialen Grundlage der diokletianischen Tetrarchie: Orlens (mit Sitz des Präfekten in Konstantinopel), Illyricum (Residenz Sirmium oder Thessalonike), Italia (Residenz am westlichen Kaiserhof in Mailand, Ravenna oder Rom) und Galliae (Residenz Trier, um 400 verlegt nach Arles). Die mittleren Instanzen, die Diözesen, sind wohl erst sekundär nach den Präfekturen von Konstantin regional festgelegt worden, wie Noethlichs (1982) im Gegensatz zur bisherigen Forschung wohl überzeugend dargelegt hat. Ihre Leiter, ursprünglich mit dem Titel vices agentes praefectorum praetorio aktuelle Stellvertreter der Präfekten, erscheinen seit 314/15 als vicarii mit regionaler Bereichsangabe. Die Zahl der Diözesen schwankte zwischen 12 und 14. Die gallische Präfektur bestand aus vier Diözesen: Britanniarum, Hispaniarum, Galliarum und Viennensis (später auch Septem provinciarum)·, d.h. die alte Gallia wurde in einen nördlichen und einen südlichen Block geteilt, wobei die Grenzlinie in etwa der Loire entsprach (hier zeigt sich schon die für die fränkisch-westfränkisch-französische Geschichte so traditionsreiche Scheidelinie). Die wesentlich größere dioecesis Galliarum besaß wohl keinen eigenen vicarius, sondern wurde wahrscheinlich unmittelbar von der kaiserlichen Residenz Trier aus verwaltet; der vicarius der Viennensis amtierte im namengebenden Vienne. Im späten 4. Jh. erscheint dann nur noch die dioecesis Septem provinciarum, d.h. beide gallischen Diözesen wurden der Oberhoheit des vicarius von Vienne untergeordnet; es spricht viel dafür, daß dies im Zusammenhang mit der Verlegung der Präfektur von Trier nach Arles erfolgte. Für ein genaueres Bild der gallischen Provinzen der nachkonstantinischen Zeit ist man im wesentlichen auf vier Quellen angewiesen, deren jede bezüglich Datierung und Interpretation bis heute umstritten ist. Die älteste ist der sog. Laterculus Veronensis35, eine wohl um 313 entstandene Provinzliste aus Verona; aber gerade für die gallischen Teile nimmt Jones (1954) spätere Überarbeitung an. Ebenfalls ein Provinzverzeichnis stellt der sog. Laterculus Polemii Silvii36 dar, der erst um 449 - wohl nach Vorlage aus dem späten 4. Jh. - aufgezeichnet wurde. Am bekanntesten, weil ja dann zu einer Art Handbuch für die Kirchenorganisation geworden, ist die Notitia Galliarum37, ein wohl um 400 entstandenes Verzeichnis der 17 gallischen Provinzen mit den zugehörigen 115 Civitates. Und schließlich das umfassende Handbuch der gesamten römischen Reichsverwaltung, die Notitia 34 35

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Chastagnol 1968:321. Vgl. dazu Demandt 1989: 21 mit weiterer Literatur. Edition in der Ausgabe der Notitia dignitatum von Otto Seeck (1876; N D 1962) 247-253. Vgl. dazu Demougeot 1972: 864 mit weiterer Literatur. Edition in der Ausgabe der Notitia dignitatum von Otto Seeck (1876; ND 1962) 254-260. Vgl. dazu Demandt 1989: 24 und Mordek 1993: 1287 mit weiterer Literatur. Edition in der Ausgabe der Notitia dignitatum von Otto Seeck (1876; N D 1962) 261-274; von Theodor Mommsen in: MGH AAIX, 552-612, wiederabdruckt in: CCL 175,379-406.

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dignitatum36, wohl zu Beginn des 5. Jhs. verfaßt; die uns überlieferte Redaktion scheint um 425 abgeschlossen worden zu sein. Ihre Erklärung gehört - mit Demandts Worten - „zu den verzwicktesten Problemen der Spätantike", denn „die einzelnen Abschnitte spiegeln Zustände verschiedener Zeiten und auch die nicht unbedingt genau, wenn etwa ein neuer Posten eingetragen, aber ein veralteter nicht gestrichen wurde"39. Auf diesem durchaus schwankenden Boden läßt sich - nach dem heutigen Stand der Forschung - in Kürze folgendes Bild gewinnen. Die nordgallische Diözese umfaßte zunächst 8 Provinzen: die Belgica prima mit der Hauptstadt Trier, die Belgica secunda mit Reims, die Germania prima mit Mainz, die Germania secunda mit Köln, die Sequania (später Maxima Sequanorum) mit Besangon, die Lugdunensis prima mit Lyon, die Lugdunensis secunda mit Rouen und schließlich die Alpes Graiae et Poeninae mit Tarentaise. Im Verlauf des 4. Jhs. kamen zwei Provinzen hinzu, indem jede der beiden Lugdunenses zweigeteilt wurde: die Lugdunensis tertia mit dem Zentrum Tours und die Lugdunensis Senonia mit Sens. Letztere wird auf einer Inschrift als Maxima Senonia bezeichnet; von daher möchte Nesselhauf die Aufteilung dem Usurpator Magnus Maximus (383-388) zuweisen40. Die Provinzstatthalter, die richterliche und zivile Verwaltungsfunktionen vereinigten, waren in drei Ränge unterschieden. Die Notitia dignitatum weist für das Westreich nur einen Proconsul im Rang eines vir spectabilis für Africa aus, 21 Consulares im Rang von viri clarissimi und 31 Praesides im Rang von viri perfectissimi. Von den 10 Provinzen der nördlichen Gallia standen 5 unter Consulares: neben der Lugdunensis prima die beiden Germaniae und die beiden Belgicae41. Während zur Belgica prima neben dem Zentrum Trier nur drei Civitates gehörten (Metz, Toul, Verdun), umfaßte die uns hier vorrangig interessierende Belgica secunda neben der Hauptstadt Reims 11 Civitates: Soissons, Chälonssur-Marne, Vermand42, Arras, Cambrai, Tournai, Senlis, Beauvais, Amiens, Therouanne und Boulogne. Durchmustert man die Verteilung der nachgeordneten Behörden der Gallia in der Notitia dignitatum, so fällt die besondere Rolle der beiden belgischen Provinzen ins Auge. So saßen von den vier praepositi thesaurorum, den Vorstehern der kaiserlichen Schatzhäuser, zwei in Reims und Trier, und von den drei procuratores monetae, den Chefs der Münzstätten, einer in Trier. Auch bei den staatlichen Manufakturen ragen die Belgicae heraus: von den sechs gynaecea, den staatlichen Textilfabriken, befanden sich drei in Reims, Tornai

38 39 40 41 42

Vgl. dazu Demandt 1989:24 mit weiterer Literatur. Edition von Otto Seeck (1876; ND 1962). Demandt 1989: 241 Anm. 44. Nesselhauf 1938: 22. Vgl. zu den belgischen Provinzen Wightman 1985. Die civitas Vermandorum bestand aus den beiden pagi des Vermandois und des Noyonnais. Der Bischofssitz wurde schon früh aus dem namengebenden keltischen oppidum nach St. Quentin verlegt und bereits vor 614 erneut in das castellum Noyon verlagert.

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und Trier, zwei der drei barbaricaria, der Werkstätten für die Brokatherstellung43, lagen in Trier und Reims, und auch von den sieben Waffenwerkstätten fand man vier in Soissons, Reims, Trier und Amiens. Als letztes kommen wir zum Bereich der Militärorganisation44. In der Folge der Barbareneinfälle brachte die späte Kaiserzeit eine ausgesprochene Militarisierung der Gallia. Diokletian setzte - im Zuge des neuen Prinzips der Trennung von Militär- und Zivilgewalt in der Provinzialverwaltung - eigene militärische Befehlshaber der Grenztruppen mit dem Titel duces ein, die allerdings vorerst noch dem Oberbefehl des Kaisers und der Prätorianerpräfekten unterstanden. Die Militärbezirke der duces mußten nicht mit den Provinzen identisch sein. Für Gallien lassen sich einigermaßen sicher duces nachweisen für die beiden Germaniae, die Maxima Sequanorum, die Gallia riparensis (in etwa die Viennensis), die beiden Belgicae und den tractus Armoricani et Neruicani limitis, einen umfangreichen Wehrbezirk, der sich von Aquitanien bis zur Rheinmündung erstreckte. Die grundlegenden Reformen Konstantins veränderten auch das Verteidigungssystem an der Nordostgrenze Galliens entscheidend. Mit der Schaffung der beiden Heermeister als militärische Oberbefehlshaber und höchste Heeresrichter setzte der Kaiser das Prinzip der Trennung von Militär- und Zivilgewalt konsequent bis zur Spitze durch: magister peditum und magister equitum waren mit den Präfekten ranggleich. Das neugeschaffene Feldheer stand unter kommandierenden Offizieren mit dem Titel comites rei militaris. Kampfwert und Ansehen des Grenzheeres sank zunehmend, „bis das Feldheer schließlich selbst die Aufgaben der allmählich verkümmernden Grenzwehr übernehmen mußte" 45 . Unter dem Caesar Julian erscheint dann 355 ertsmals ein eigener Heermeister für Gallien; dieser magister equitum per Gallias war den beiden Heermeistern am Hof unterstellt; als ihr Vertreter befehligte er Infanterie und Kavallerie des Feldheeres. Sein Amt blieb bis zum Untergang der römischen Herrschaft in Gallien bestehen, wenn auch die Stelle nicht durchgehend besetzt war. Die Dukate der Belgica prima und der Gallia riparensis wurden aufgelöst, Ende des 4. Jhs. auch der Dukat der Germania secunda. Andererseits begegnet in der Zeit ein comes per utramque Germaniam, der die Feldtruppen am Oberrhein befehligte. Gegen Ende des Jhs. wurden die Verhältnisse erneut verändert, wie die Notitia dignitatum zeigt. Im Bereich der Germania prima begegnen jetzt nebeneinander ein dux Mogontiacensis, dem die Grenztruppen von Andernach bis Seltz (gegenüber Rastatt) unterstanden, und ein comes mit Sitz in Straßburg, der die Feldtruppen im tractus Argentoratensis kommandierte. Für die Verteidigung des Mittel- und Niederrheins war jetzt wohl - wie Nesselhauf vermutet - der gallische Heermeister unmittelbar zustän-

44 45

Sie waren wohl auch für die Verzierung der bronzenen Offiziersriistungen mit Gold und Silber zuständig, wie aus Cod. Theod. X 22,1 hervorgeht; vgl. Demandt 1989: 238. Vgl. allgemein Demandt 1989: 255-272; zu Gallien Demougeot 1972: 872-875. Nesselhauf 1938: 60.

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dig46. Einen schweren Einbruch bedeutete der Einfall der Wandalen, Alanen und Sueben 406/07; jetzt brach die Grenzwehrorganisation am Rhein zusammen, wenig später auch an der Küste. Die Verteidigung Galliens übernahmen jetzt ausschließlich die Feldtruppen und zunehmend föderierte Germanen, d.h. Franken, Burgunder und später Westgoten. Im Nordosten waren das vor allem die laeti47, die als Wehrbauern mit erblicher Verpflichtung zum Kriegsdienst auf schuldenfreiem Ackerland, den terrae laeticae, angesiedelt wurden. Diese „militärisch organisierten Bauerngemeinden"48 unterstanden vom Kaiser ernannten praefecti laetorum, die dem magister peditum praesentalis zugeordnet waren. Die Notitia dignitatum nennt zwölf Laetensiedlungen, wovon allein sechs in den belgischen Provinzen liegen; besonders auffallend - und damit kommen wir zum Ausgangspunkt zurück - ist die Massierung in der Belgica secunda: hier waren vier Laetenpraefekten stationiert, und zwar in Famars (arr. Valenciennes)49, Arras, Noyon und Senlis. Insgesamt aber - und mit diesem Zitat von Nesselhauf möchte ich schließen „zogen sich die Grenzen, innerhalb deren das Feldheer sich bewegte, immer enger zusammen; überall von den Rändern her setzten die Germanen sich fest und drängten nach der Mitte zu, bis schließlich ums Jahr 486 der letzte Rest des römisch-gallischen Heeres und an seiner Spitze der rex Romanorum Syagrius bei Soissons geschlagen wurde."50

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46 47

48 49

50

Nesselhauf 1938: 69. Zum vieldiskutierten Problem der Laeten und ihrer möglichen Abgrenzung von den Foederaten vgl. Wirth 1991: 1612 mit weiterer Literatur; Roosens 1968; jüngst Böhme 1996: lOOf. mit neuer Literatur. Hoffmann 1969. Fanomartis (dessen Name schon im 10. Jh. als fanum Martis gedeutet wurde) war Sitz des Präfekten der nervischen Laeten und gab einem Untergau des Hennegaus, dem pagus Fanomartensis, den Namen. Der Ort behielt auch in der fränkischen Zeit große Bedeutung, u.a. als merowingische und karolingische Münzstätte. Seit der Mitte des 9. Jhs. überflügelt dann Valenciennes Famars; gleichzeitig verschwindet der Name des pagus Famars aus den Quellen. Vgl. Nonn 1983a: 125 und 222. Nesselhauf 1938: 77.

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s Ε,I Ο i rt 8 T-S frz. Meuse, dt. Maas; b) Vosagus (antik) > dt. Wasgenwald, vgl. Waskenstein (.Nibelungenlied', um 1200, Str. 2344); c) Orolauno (± a. 300 K.) - Harlonis (8. Jh.) - Erlont (a. 931/56 K.) - de Arlo (a. 1052 Or. u.ö.) - Erlon le Tiesche (a. 1284) > dt. Arel, nl. Aarlen, frz. Arlon, wall. Erlang (Belgien, Prov. Luxembourg) besteht jeweils eine Differenz im Vokalismus, zwischen vorgerm. = idg. kurzem [o] und germ, kurzem [a], so wie sie auch zwischen lat. octo und dt. acht zu beobachten ist. Dies ist ein sehr alter, allen germanischen Sprachen eigener Sprachwandel. Nun kann man für einen bedeutenden Fluß wie die Maas, ein bedeutendes Mittelgebirge wie die Vogesen durchaus annehmen, daß sie bereits vor der Zeitenwende, etwa im 2./3. Jh. v. Chr. bekannt waren und sich infolgedessen ein sogenanntes Exonym bei den Germanen bildete18. Kaum aber für den kleinen vicus von Orolaunum. Es wäre also interessant zu wissen, bis zu welchem Zeitpunkt die Integration von vorgerm. kurzem [o] als germ, [a] noch möglich war. Die Antwort lautet: bis sich in den westgermanischen Sprachen ein neues kurzes [o] entwickelte, konnte übernommenes [o] als [a] ins Sprachsystem integriert werden. Ein neues [o] aus altem kurzem [u] entwickelte sich in bestimmten Positionen aber wohl etwa vom 4.-6. Jh. Es ist also durchaus wahrscheinlich - und das scheint mir ein nicht uninteressantes Ergebnis - , daß der Name von Arlon erst in frühfränkischer Zeit von den nun nahe gerückten Franken übernommen wurde. 16 17

18

MG SS rer.Germ. in usu schol. 1890: X X . Belege im folgenden aus Förstemann 1900/16: Π; Gysseling 1960; Jungandreas 1962/63; Saarbrücker Sammlungen. Haubrichs 1992: 645.

Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen

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Die Datierung von Lehnwörtern bzw. Ortsnamen nach mitvollzogenem oder nicht mitvollzogenem Lautwandel der Ausgangs- bzw. Zielsprache ist auch auf germanisch-fränkische Lehnwörter im Mittellateinischen oder Französischen anwendbar. Nehmen wir z.B. 2) die althochdeutsche Verschiebung von germ, [t] zu [ts]: a) westgerm. *filtiz .Filz, Hut' > frühfrk. *filta, romanisiert feite19 > as. filt, ahd. Filz; b) westgerm. *filtiz »Filz, Hut' > *filtir > mitteWai.filtrum bzw. afrz.feltre20. Es ist klar, daß dieses um 600 bezeugte, wohl mit vulgärlat. [i] > [e] bereits romanisierte Wort feite gegenüber etwa ahd. filz ein [t] aufweist, also die sogenannte Lautverschiebung, hier den Wandel von [t] > [ts] (geschrieben < z > ) , die das Althochdeutsche auszeichnet, nicht mitgemacht hat. Also vorher entstanden, also frühfränkisch? Früher hat man die althochdeutsche t-Verschiebung in das 5. Jh. gesetzt, nach neueren, vor allem an der Integration vorgermanischer Ortsnamen in Schweiz, Elsaß, Lothringen und Rheinland orientierten Forschungen von Stefan SONDEREGGER (1966/67) und anderen21 wird man die Datierung jedoch auf das 6. Jh. zurücknehmen müssen. Doch selbst wenn wir die Frühdatierung beibehalten dürften, wäre damit noch nicht viel gewonnen: Wir wissen nicht genau, ob und schon gar nicht wann die Franken auf romanischem Boden - nennen wir sie einmal .Westfranken' - die Lautverschiebung übernommen haben, oder ob sie wie im Niederfränkischen (dem Flämischen, Niederländischen) unterblieb22. Das Kriterium fällt also für die Datierung aus. Es existiert jedoch eine zweite Möglichkeit der Datierung. Filtrum bzw. feitre bewahrt nämlich das westgermanische Suffix -ir des Wortes; das Zitat des fränkischen Wortes um 600 in der ,Vita S. Radegundis' zeigt demgegenüber bereits eine Weiterentwicklung. Man darf also die Entstehung des mittellat. bzw. afrz. Lehnworts ins 5./6. Jh. setzen und umgekehrt das Wort für die Rekonstruktion des frühen Fränkischen in Anspruch nehmen. Auch lautchronologische Merkmale der romanischen Zielsprachen können für die Rekonstruktion wichtig werden: Die romanische Sonorisierung von [p, t, k] zu [b, d, g] hat man früher allgemein sehr früh angesetzt, etwa ins 4./5. Jh. Nach den Forschungen von Max PFISTER kann das im Galloromanischen allenfalls für das Zentralfranzösische gelten, z.B. in 3) Chlodachari, Chlodobercthus, Chlodchario (ca. a. 560 K.) - Clodacharius (Cap. Mer. a. 584/628 K.) < Cblot(a)- < afrk. *Hlutba-,

19 20 21 22

Ca. a. 600, Vita S. Radegundis, MG SS rer. Mer. Π 381. Haubrichs 1987:1357. Haubrichs 1987: 1367ff.; Venema 1997. Schützeichel 1973; Haubrichs & Pfister 1989: 54ff.

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nicht aber nach Ausweis der Übernahme von romanischen bzw. vorgerm. Ortsnamen und Lehnwörtern für die romanischen Dialekte Nord- und Ostfrankreichs, wo eher mit dem 6. Jh. zu rechnen ist: 4) Da das deutsche Exonym für Ivoix a.d. Maas, Epoisso (± a. 300 K.) - Epuso (± a. 400) - adEposium (± a. 591) - Epocio (7./8. Jh., Münze) - comitatu Euodiense (a. 915/23 K.) - Ivocio (a. 955 K.) < rom. *Ebocio - dt. Ipsch, daneben trierisch a. 1413 van Yfis, a. 1485 Yfiss die Sonorisierung zu [b] nicht zeigt, muß dieser Name vor dem 6. Jh. entlehnt sein, also in die frühfränkische Schicht gehören. Das spätere trierische Exonym Yfis knüpft dagegen an die romanische Weiterentwicklung des sonorisierten [b] > [v], zuerst belegt im 10. Jh., altnord. 5) Afrk. *kerana „Butterfaß" > afrz. cheraine, ceraine, norm, serene „Topf, in dem man zum Buttern bestimmte Milch aufbewahrt"23, zeigt einen weiteren frühen galloromanischen Lautwandel, nämlich [k] vor [e, i] > [ts], die sogenannte Palatalisierung. Auch dieser Lautwandel wird neuerdings von der Romanistik - Bodo MÜLLER (1979) und Max PFISTER (1987b) für Nordostfrankreich erst ins 7./8. Jh. datiert. Wenn dem so ist, fällt dieses und manches andere Lehnwort für die Rekonstruktion des frühesten Fränkischen eventuell aus (wenn nicht noch zusätzlich stützende Kriterien hinzutreten), womit die Revision der Datierungen in dem epochalen Werk Ernst GAMlLLSCHEGs, seiner .Romania Germanica', fällig wird. Andererseits wird, wenn sich die Datierung des relevanten Lautwandels nach hinten verschiebt, mit späterer Übernahme, mithin mit einer längeren Existenz von fränkischen Sprechern der gentilen Sprache auf später französischem Boden zu rechnen sein.

Lehnwörter: Kontaktintensität und West-Extension der fränkischen Sprache Die hohe Anzahl früher romanischer Lehnwörter im Fränkischen illustriert die jahrhundertelange Symbiose und teilweise Zweisprachigkeit des fränkischen Raumes im Merowinger- und Karolingerreich24. Als Ergebnis der germanischen Wanderungen und fränkischer Siedlungstätigkeit waren große Teile der linksrheinischen Gebiete des Imperiums, vor allem der beiden rheinnahen germanischen und der beiden belgischen Provinzen mit den Mittelpunkten Trier und Reims zu Mischgebieten geworden, die in manchen Regionen außerordentlich stark germanisiert (vgl. etwa die von romanischen Ortsnamen freien Ansiedlungsgebiete der Franken zwischen Maas und Scheide in den heutigen Nieder23 24

Gamillscheg 1970:1, 399. Steinbach 1973; Petri 1977: 49ff. 154ff.

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Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen

landen und Belgien auf Karte 1), in anderen wohl von Zweisprachigkeit geprägt wurden, wobei sich Romaneninseln (etwa die Mosella Romana) noch lange halten konnten25, in wieder anderen Gebieten vor allem des Westens blieben die Franken eine oberschichtliche Minderheit, zu der sich ab und zu, aber in oft überschätztem Ausmaß kleine, kompakte Siedlungsinseln im Ausbauland fügten 26 .

c

, < g r > : - a) Gregor v. Tours, HF, Al (11. Jh.): Glotharius (mehrfach), Gramisindum < *Hram·; 17) < f l > , < f r > - a) Gregor v. Tours, HF, Al (11. Jh.): flodomeris (2x), Flotbarium, Flotarii (7x),flodovecbus (13x); - b) Gregor v. Tours, HF, B2 (7. Jh.): Flotbarius; - c) Gregor v. Tours, HF, B3 (8. Jh.): Flodovecum; - d) Gregor v. Tours, HF, D2 (11. Jh.): flodericus; - e) Titulorum Gallicanorum liber, 6. Jh., K. 8. Jh., Codex P: flotbarius; - f) Marius Aventicensis, Chronica a. 581 K. 10. Jh. flodomerem (zu a. 524); - g) Isidor v. Sevilla, Historia Gothorum a. 624 K. 9. Jh. Fluidvicus (alle Hss.); - h) Albofledis (zu fledi „die Schöne, Glänzende") bei Gregor, HF; dagegen für diese Schwester Chlodwigs auch in Umkehrschreibung Albocbledis**·, - i) afrk. *blankjan „beugen, biegen" (vgl. mhd. lenken) > afrz. flencbir49; 44 45 46 47

48

Haubrichs 1997b. Haubrichs 1993b; Geuenich & Haubrichs & Jarnut 1997. Vgl. Haubrichs 1990; 1993a. Belege, soweit nicht anders angegeben, aus Reichert 1987/89 und den Chartae Latinae Antiquiores. Zu Gregor vgl. nun Bourgain & Heinzelmann 1997. MG Epp. Mer. Nr. 1, a. 486? K. 9. Jh.

Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen

-

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j) afrk. *Hlodowing „Chloding, Chlodwigsabkömmling" > afrz. Floovant (Sohn Chlodwigs in den afrz. Chansons de Geste); - k) afrk. hrunkjan „runzeln" (vgl. altnord. hrukka „Runzel") > afrz. froncir (vgl. fruncetura „Runzel", Reichenauer Glossen, Corbie, 8. Jh.50); - 1) afrk. brapon „schlagen" (vgl. ndd. rapert „klopfen", engl, rap „Schlag", altnord. hrappr „heftig") > frz. frapper"1·, - m) afrk. *hrok „Kleid, Rock" > afrz.froc „Kutte"52; 18) < h l > , < h r > : - a) Gregor von Tours, HF, C1 (9. Jh. Lorsch): weitestgehend < h l > , < h r > , z.B. hlodorichum, hlodomere, hlodouuichus, hramni, hrothildis; teilweise Schwund des < h > wie in Lothsindam, Ludovechi, Rothildis etc. Es kommen demnach fünf Vertretungsmöglichkeiten für die germanischen Lautgruppen [hl] und [hr] vor: a) < chl, cl > / < ehr, er > , also Ersatz durch Verschlußlaut; b) < gl > , < gr > , d.h. Ersatz durch Verschlußlaut mit Anlautsonorisierung; c) < fl > , < fr > mit Ersatz durch lautähnliche Spirans; d) frühalthochdeutsche Schreibung mit < h l > , < h r > ; e) Schwund des < h > . Man sollte nun annehmen, daß die h-losen Formen sich erst dann durchsetzen, wenn seit dem 8. Jh. auch das Fränkische selbst [h] in diesen Stellungen schwinden läßt. Ernst GAMILLSCHEG hat jedoch in seiner .Romania Germanica' diese Annahme als „unhaltbar" bezeichnet und den romanischen Null-Ersatz von [hr, hl] als Kennzeichen gerade ältester Ubernahmen aus dem Fränkischen erklärt; meines Erachtens mit allzu wenigen und nicht genügend gesicherten Lehnwortbeispielen. Die früheste merowingische Orthographie fränkischer Namen zeigt jedoch durchgehend (in unterschiedlicher Schreibung) den Ersatz durch die Verschlußlaute [er], [gr], [cl], [gl], soweit die Laute [hl, hr] nicht wie in z.B. Hlodosind erhalten sind. Auch [fl, fr] kann durch eine anscheinend frühe Umkehrschreibung (Albochledis) gesichert werden. Die Chronologie GAMILLSCHEGS ist also wenig wahrscheinlich. Recht hat jedoch GAMILLSCHEG wohl mit seiner funktionalen Differenzierung der Verschlußlaut- und Spiransersetzung, also < er/cl > gegen < fr/fl > . Für ihn ist die hinter den Schreibungen stehende Lautung [er], [gr], [cl], [gl] also etwa Cblodouis - der franko-lateinische, wir könnten auch sagen der gelehrte, gehobene Lautersatz für die unaussprechliche fränkische Lautkombination; < fl, f r > dagegen die volkstümlich romanische Form des Lautersatzes. Dafür spricht, daß < cl, er > zwar außerordentlich stark die Schreibung in den lateinischen Quellen beherrscht, aber kaum ein Nachweis für das Durchdringen 49 50 51 52

Gamillscheg 1970: 388; F E W XVI, 213f. Nach Gamillscheg 1970: 388; F E W XVI, 254f. Gamillscheg 1969: 449; 1970: 388; Kluge & Seebold 1989: 229. 582. Gamillscheg 1970: 388; Kluge & Seebold 1989: 214.

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dieses Lautersatzes in den Lehnwörtern und Ortsnamen zu erbringen ist. Dort und in der romanischen Heldensage (etwa Flovis, Floovant) herrscht durchweg (s. Nr. 17j) die frikative Form mit [f]53. Dagegen kommt der elaborierte Lautersatz im Personennameninventar von Toponymen durchaus vor.

Das Zeugnis der Ortsnamen Gewiß kann man an den Toponymen germanischer Herkunft, die in das Galloromanische und Altfranzösische im Laufe der Merowingerzeit integriert werden, ähnliche Beobachtungen wie bei den Personennamen machen. Doch ist die eigentlich interessante Aussage der geographischen Reliktnamen naturgemäß eine geographische: nämlich die Aussage über die Ausbreitung einer Sprache (und eventuell ihrer Träger), die Raumdimension einer Sprache, die auch zur Sprachgeschichte gehört. Von den weiträumigen Vorstellungen Franz STEINBACHS, Theodor FRINGS' und vor allem Franz PETRIs, die eine fränkische Volkssiedlung bis zur Loire annahmen, muß man endgültig und noch radikaler Abschied nehmen, als das bisher geschah54. Diese Ergebnisse sind auf der Basis fehlerhafter oder mangelnder Quellenkritik, falscher Etymologien und fragwürdiger methodischer Grundannahmen erzielt worden, was ich hier nicht im einzelnen belegen möchte - es läßt sich an anderem Orte nachlesen. Besser steht es da schon mit dem nüchternen Ernst GAMILLSCHEG, dem freilich auch in vielen Fällen aus mangelnder Quellensicherung und Quellenkritik Fehlidentifizierungen und Fehleinordnungen und gelegentlich auch im germanistisch-sprachwissenschaftlichen Bereich Unsicherheiten der Etymologisierung unterliefen. Das ist dort besonders problematisch, wo auch bei ihm weitreichende Annahmen, wie die einer fränkischen Grenzer- und Militärsiedlung zwischen Seine und Loire auf solche mangelhaft erhobenen und analysierten Zeugnisse gestützt werden. So gut wie kein Beleg, den er für diese These anführt, hält stand. Insbesondere sind die Belege für Ortsnamen aus frz. guerche < afrk. *werki „Befestigung" (Nr. 19 mit Karte 555), die auf den ersten Blick und angesichts der Verbreitung so überzeugend wirken, zu streichen. 19) GAMILLSCHEG schreibt: „*werki „Befestigung", zu altnord. virki, as. giwirki, dass.; ist die Bezeichnung der fränkischen Verteidigungsanlagen im Kampfgebiet gegen Bretonen und Goten. Das Wort ist zu guerche romanisiert worden. Die ältesten Formen sind: 1077, Wirchiae für Guerche, im Kanton Grand-Pressigny, Kreis Loches, Indre-et-Loire; hier findet sich La 53

54 55

So auch Klein & Labhardt & Raupach 1968/72: Π 154f. am Beispiel von xhx.frata mellis und afrz. ree als späterer Entlehnung < afrk. *(h)rata „Honigwabe". Vgl. Haubrichs 1992. Nach Gamillscheg 1970:228f.

Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen

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Guerche noch viermal; im Dep. Vienne fünfmal; im Dep. Sarthe La Guierche, Guerche, Kanton Ballon, Kreis Mans; La Grande und La Petite-Guierche im Kanton Dun, Kreis Gueret, Creuse; achtmal im Dep. Cher, 1036 Guirda·, Guierche, Mühle, Kanton Audun, Kreis Briey, M.-et.-M., P. 297; dazu o.a. F. Garches, Seine-et-Oise, das zweifelhaft ist (Kanton Sevres, Kreis Versailles); La Guierchette, Kanton Joue-l'Abbe, Le Mans, Sarthe. Das Wort hat ein streng begrenztes Verbreitungsgebiet im Südwesten des Nordfranzösischen. Es stammt aus der Sprache der fränkischen Soldaten, die Ende des 5. Jhs. auf die Goten und im Laufe des 6. Jhd. auf die vordringenden Bretonen stießen. Dazu die germ. Obliquusform Werkin seit dem 8. Jh. Durch Werken in Gelderland, Nordbrabant gesichert, Fö. Π, 2, 1275; dazu Verchin, Kanton Fouges, Kreis Montreuil, PdC, P. 228"".

Karte 5. Verbreitung von sog. Gxercie-Toponymen. Karte X X X in Gamillscheg 1970 (— - Südgrenze des Frankenreichs um 500).

Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese Belege teils als Gewässernamen (zum idg. Gewässernamen-Stamm *wer-, *war-S7), teils als Namen von Kleinstsiedlungen ohne Frühbelege (teilweise mit romanischem Suffix), so daß Lehnwortverdacht besteht, oder Ahnliches. In einem weitgehend nicht rezipierten 56 57

Gamillscheg 1970:1,137f. Vgl. Krähe 1954: 38ff.

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Aufsatz hat denn auch bereits 1944 der Nordist Fritz ASKEBERG sehr überzeugend und gestützt auf Parallelen in wikingisch beeinflußten Teilen der Britischen Inseln für wikingisch-skandinavischen Ursprung dieses auf die Nachbarschaft der Loire-Mündung begrenzten Namenwortes plädiert. Es fällt jedenfalls für die Rekonstruktion fränkischer Siedlungen im Loire-Raum aus. Dennoch ändert diese Kritik nichts an der Tatsache, daß die Ortsnamen ein hervorragendes Material zur Rekonstruktion des fränkischen Sprachraums sind, da sie ja fest am Boden haften und in urkundlichen Nennungen oft früh und sicher datierbar belegt, dazu massenhaft, also statistisch auswertbar, auftreten. Sie helfen, die .Germania submersa' auf gallischem Boden räumlich nachzuzeichnen. So gelingt es etwa in Flandern, über die heutige - bei Boulogne auf die Nordsee treffende - Sprachgrenze hinaus, einen lang andauernden fränkischen Sprachraum bis zur Mündung der Canche und einen Mischraum, der noch weiter südlich bis auf die Höhe von Arras und Hesdin, fast bis an das Tal der Somme heranreichte, aus den Ortsnamen auf -ingheim und -ingatun (zu afrk. tun „Zaun, eingehegter Platz"; vgl. engl, town und Namen auf -ton) und anderen germanischen Toponymen zu rekonstruieren (vgl. Karte 658), wobei angelsächsische Zuwanderung nicht auszuschließen ist59. Dies ist freilich auch schon der einzige Langzeitgewinn der fränkischen Sprache und damit auch der fränkischen Siedlung, der gesichert werden kann. Es gilt, Abschied zu nehmen von allzu großzügigen Vorstellungen über das Ausmaß und die Reichweite fränkischer Siedlung, die in den dreißiger Jahren auf mangelhaft gesicherter Quellengrundlage und in problematischer philologischer Auswertung gehegt und verbreitet wurden. Die nicht früh durch germanische Doppelformen belegte fränkische Zusiedlung zu bereits bestehenden Romanenorten ist, da ihre sprachlichen Zeugen mit dem Erlöschen des Westfränkischen untergegangen sind, prinzipiell dem Philologen nicht zugänglich. Auch manche -heim, -ingen etc. -Siedlungsnamen dürften zugunsten ihrer romanischen Doppelformen beim Sprachwechsel untergegangen sein60. Nur, wo fränkische Ortsnamen - in der Regel Flur-, Stellen- und Gewässernamen - überdauert haben, sind Rückschlüsse möglich. Analysen der Relikte im ostfranzösischen Raum (Argonnen, Verdunois, Ardennen) haben gezeigt, daß hierbei oft Ausbausiedlung des 7. Jhs., die sprachlich kaum mehr als ein Jh. überlebte, greifbar wird61. Das Aufregende daran ist freilich, daß der in diesen Namen enthaltene Wortschatz überwiegend nach Norden weist: so afrk. *hlari „Hürde, abgegrenzter

58 59 60

61

Nach Gamillscheg 1970:1, 7. Gysseling 1973: 246; Fellows-Jensen 1995: 66f. 70ff. Vgl. Besse 1997; ferner über Doppelformen beim romano-germanischen Typ der weilerNamen Pitz 1994, bei orientierten Siedlungsnamen Jochum-Godglück 1995, bei Gaunamen im deutsch-romanischen Kontaktgebiet Puhl 1996. Haubrichs 1992: 662ff.

Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen

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Bezirk" in den Fiskalzentren der Ardennen wie Anlier < *Ans-(h)lari, Longlier < *Longo(h)lari, Mellier < *Mas-(h)lari 20) Ortsnamen auf westgerm. *klari „Hürde, abgegrenzter Bezirk": a) Anlier, dt. Ansier: Ansiaro (a. 1005 u.ö.) - de fisco Ansiaro (A. 12. Jh. K.) - Anleis (a. 1184 Or.); b) Longlier (B. Lux): Longolario (8. Jh. IK.) - Longlare (a. 759 K.) - Longlario (a. 771 K.) - villa Lunglier in Osning (a. 982 K.) - Longleir (a. 1097 K.); c) Mellier (B. Lux): Maslario (a. 763 K.) - Marslario (a. 930 K.) - Maliers (a. ± 1060); d) Laren, Gde. Hesperingen (Lux.): Laren (a. 903 K.) - womit etwa Fritzlar < Frites-(h)lari (Hessen), Berkelaar (NL, Prov. Limburg), 11. Jh. Berclar und Laarseberg (NL, Prov. Utrecht), a. 855 Hlara u.a. zu vergleichen sind. Hierher gehört auch bant- „Landstrich", z.B. in Brabant (mehrfach, Dep. Meuse) -

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ehemalige Sprachgrenze

Karte 6. Verbreitungskarte der Ortsnamen auf -ingheim, -ingatun im belgisch-französischen Grenzraum. - nach E. Gamillscheg, graphische Gestaltung I. Bell.

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21) ON auf -bant-·. a) Brabant-sur-Meuse (Meuse): de Braiban (a. 1028 K.) - ad Braibannum (a. 1049) < romanisiert *Brag(i)-ban(t)u < afrk. brdki „brach, unbebaut" + *bant- „Landstrich" (vgl. Brabant in Belgien, in Bracbante a.± 743/50 K. etc.); b) Brabant-en-Argonne (Meuse): Brabant (a. 1203) - Braibant (a. 1246); c) Brabant-le-Roi (Meuse): Braibant (a. 1321) - wozu die niederländischen Landschaftsnamen Brä(c)bant (auch an der Lippe), Karabant, Ostarbant, Testerbant, an der Ems Bursibant und mehrere Inseln namens Bant zu stellen sind (vgl. auch mittelfrk. ele-venz(a) und rheinfrk. elibenzo „Ausländer" mit t-Verschiebung). Ferner bildet solch ein nördliches Element afrk. *haru bzw. variierend mit Umlaut *heri „sandiger Bergrücken": 22) Ortsnamen auf -*haru/-*heri „sandiger Bergrücken": a) Lanheres (Meuse): Lanheres (a. 1179 K.) - Lanherres (a. 1242 K.) < *Lang-har(u) „langgestreckter Bergrücken" (vgl. Hare bei Sendenhorst, Mitte 12. Jh.; Mander, NL, Man-heri a. 797; Zevenaar (NL), Subenhara a. ± 1047; Rienderen (NL), a. 797 Hren-heri u. weitere Namen Niederbzw. Westdeutschlands); b) Haraigne (Gde. Dieppe, Meuse): deHaroniis (a. 1179 K.) - deHaregnes (a. 1197 K.) - de Harumniis (a. 1213 K.) < afrk. *har(u) + unja-Suffix (vgl. Herne bei Bochum, Haranni 10. Jh. Or., Hernen a. 1150; Hernen, NL, Harena a. 1111; Herne/frz. Herinnes-lez-Enghien (Nord), Herinnis a. 1146); wozu sich zahlreiche Namen Nieder- und Westdeutschlands sowie der Niederlande fügen. Auch das früh - im Jahre 870 - belegte Was-logium, Was-loi, heute Waly in den Argonnen < *waso „feuchte Wiese" und *lauha, ahd. loh „Lichtung, Hain" wäre hier einzuordnen sowie manches andere aus der .Germania submersa': 23) Waly (Meuse): Wasloi (a. 870 K. 9. Jh.) - Waslogium (a. 916/17 K.) - de Wasloio (10. Jh. K.) - Wasloi (11. Jh. K.) - de Waslagio (a. 1148 K.) < afrk. ahd. as. *waso „feuchte Wiese" + *lauha, ahd. loh, mnd. lo „Lichtung, Hain" (vgl. niederrhein. Wasselau nemus 9. Jh.; + Waterlocio a. 878 K., bei Aresnes-les-Aubert, B; Waterloo, B, Waterloes 12. Jh.; Wardlo, Wald in der Veluwe, NL, Uuardlo a. 855 K. 10 Jh. etc.) Wer sich die Kartenbilder dieser verschiedenen fränkischen Reliktzonen in den Ardennen, der trierischen terra gallica (Karte 7) und im Verdunois (Karte 8) ansieht, wird sogleich bemerken, daß sich die fränkischen Ortsnamen vor allem in Ausbaugebieten finden, in denen bedeutende Adelsfamilien - ich nenne Pippiniden und Arnulfinger, die Familie des austrasischen Hausmeiers Wulfoald und auch die Widonen - , ferner der Fiskus faßbar werden62. Wie ist dies zu deuten? 62

Haubrichs 1992: 661f.

Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen

k

Karte 7. Germanische Ortsnamen in der Terra Gallica. - nach W. Haubrichs.

121

122

Wolfgang Haubrichs

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Repräsentieren diese Beziehungen nun altfränkische Gemeinsamkeiten oder auf Siedlerbewegungen beruhenden späteren Import? Auf jeden Fall belegen sie die intensive Begegnung von Franken und Romanen in den Kontaktzonen der nordöstlichen Gallia, deren Spuren bis heute lesbar blieben. Dies vielleicht können wir wissen. Für den Rest überlasse ich es den Lesern, ob Nichtwissen .Seligkeit' bedeutet und etwa .Torheit', hier klug sein zu wollen, und kehre damit zu meinen am Eingang geäußerten leisen Zweifeln zurück.

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Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen

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Mosella Romana. Hydronymie, Toponymie und Reliktwortdistribution (Mit 13 Karten 1 ) V O N W O L F G A N G KLEIBER

Disposition: 1. Die Moselromania - 2. Ethnische Strukturen in Spätantike und Frühmittelalter an Mosel und Rhein nach sprachlichen Quellen: 2.1. Zum Zeugnis der Hydronymie; 2.2. Zum Zeugnis der Toponymie (frühe Integrationsphänomene); 2.2.1. Toponymie; 2.2.2. Prosodische Integrationsphänomene; 2.2.3. Unterbliebene und durchgeführte phonologische Integrationsphänomene: 2. Lautverschiebung; 2.2.4. Zum Zeugnis der Ethnonyme. Walben-Namen; 2.2.5. Zum Zeugnis der Mikrotoponymie. Ein Fallbeispiel lat. plantärium .Rebneuanlage'; 2.2.6. Zum Zeugnis der Dialektologie: Die Dialektgeographie von Reliktwörtern; 2.2.6.1. Die Termzeile (WKW 95); 2.2.6.2. Zum Zeugnis der Dialektologie der Reliktwörter. Das Fallbeispiel Kelter m. und die Thematik „Wörter und Sachen" - 3. Ergebnisse und Perspektiven: 3.1. Reliktwortgeographie und Siedlungsgeschichte; 3.1.1. Isoquantorenkarte; 3.1.2. Reliktwortquantität der Winzerlexik (WKW 6, Ε 7); 3.2. Sprachgeschichtliche und historische Thesen.

1. Die Moselromania Die folgenden Ausführungen demonstrieren sprachhistorische, onomastische und dialektologische Forschungen aus Mainz. Sie werden hier ausschnittweise und verkürzt geboten, teilweise auf Exemplarisches reduziert. Der Text bezieht sich zum Teil auf eine frühere, thematisch vergleichbare Publikation 2 . Forschungsschwerpunkt war der Aspekt der Sprach- und Sachkontinuität zwischen Antike und Frühmittelalter im Blickpunkt von Germanistik und Romanistik in Verbindung mit frühmittelalterlicher Geschichte und Landeskunde3. Die Sprachgeschichtsforschung erstellt - wie die Archäologie auch - Fundkarten bzw. Verbreitungskarten. Sie datiert, lokalisiert mit ihren eigenen Methoden. Zur ethnischen Deutung der Belege (Namen, Appellativa) verfügt sie über philologisch hochentwickelte Verfahren. Die Philologie will Brücken schaffen zwischen den Geschichtswissenschaften. Dafür bietet die ,Mosella Romana'4 ein hervorragend geeignetes Paradigma. 1 2 3 4

Die Karten befinden sich am Ende des Beitrags. Kleiber 1996. Haubrichs 1996; Kleiber & Pfister 1992; Kleiber 1994. Jungandreas 1979.

Mosella Romana

131

Im folgenden werden Quellenzeugnisse und Karten von Flußnamen, Ortsnamen, Flurnamen und Reliktwörtern besprochen. Die Grundlagen gehen überall auf die Spätantike, um 500, zurück. Das Hauptthema bildet der Fragenkreis Treverer (Gallier) - Romanen - Franken im Kontakt5. Die „Mosella Romana" erscheint als ein Mosaikstein im bunten Kranz der Ethnien im werdenden Europa am Rhein.

2. Ethnische Strukturen in Spätantike und Frühmittelalter an Mosel und Rhein nach sprachlichen Quellen 2.1. Zum Zeugnis der Hydronymie Wir beginnen mit dem Flußnamensystem des Ausonius (Karte 1). Das Gewässernamennetz der Moseila (Vers 350-374) muß der Dichter von einheimischen Gewährsleuten (wohl Treverern) erfragt haben. Alle genannten Namen leben bis heute fort. Übrigens auch die Ortsnamen: Vingum: - Bingen; Dumnissus: Denzen; Noviomagus: Neumagen6. Uber die Gewässernamen hat 1992 Albrecht Greule im Geschichtlichen Atlas der Rheinlande eine sehr instruktive Ubersichtskarte mit ausführlichem Beiheft vorgelegt7. Mit den Gewässernamen stoßen wir bekanntlich auf die älteste erreichbare Sprachschicht überhaupt8. Die sprachhistorische und siedlungsgeschichtliche Deutung der Raumbildungen erlaubt folgende Schlüsse: 1. Die Hydronymie des Moselsystems (Karte 2) trägt geschlossen vorrömischen, überwiegend voreinzelsprachlichen und nichtgermanischen Charakter. Diese Massierung ist auf deutschem Sprachgebiet einzigartig. Sie kann nur durch Bevölkerungs- und Siedlungskonstanz erklärt werden. Die Namenlandschaft, d. h. das Makro-Orientierungssystem, ist treverisch und vortreverisch geprägt. Wichtig ist, daß das lateinisch-romanische Namenstratum sozusagen ausfällt. Wichtig ist ferner, daß kleine und kleinste Flußläufe nichtgermanische Namen tragen. 2. Rechts des Rheins herrscht eine ausgeprägt germanische Hydronymie vor. Der Rhein bildete also eine Art hydronymische Sprachgrenze. Das kann nur auf spätantike Herrschaftsverhältnisse zurückgeführt werden. Der Rhein war bis ins späte 5. Jh. hinein die Grenze des römischen Imperiums gegen das freie Germanien.

5 6 7 8

Bierbrauer 1996; Ossel 1996. John 1980: Anhang. Greule 1992. Cf. auch Greule 1981; Kleiber & Pfister 1992: 12 f. u. 44, Karte 1. Krähe 1964.

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Wolfgang Kleiber

2.2. Zum Zeugnis der Toponymie (frühe Integrationsphänomene) 2.2.1. Toponymie Die vorgelegte summarische Ortsnamen-Streuungskarte (Karte 3) bietet einen ersten Gesamtüberblick über das sprachhistorisch-etymologisch und chronologisch zunächst nicht weiter geschichtete, ca. 450 Namen umfassende, nichtgermanisch-fränkische Ortsnamenmaterial'. Die Ablösung des Keltischen durch das Lateinische dürfte im Raum Trier sehr früh begonnen haben, jedenfalls ist zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung zu unterscheiden. Im Moseltal selbst begegnen noch viele in die voreinzelsprachlich-alteuropäische Schicht zurückreichende Namen, vor allem viele keltische Namen, bis hin zu dem -iicww-Typus10. Gallisch sind wohl: CONTRUA-Gowfotf CUBRUNUM-^o^em, MODENAMüden, CARDENA-Tfonfera, C\3CH\JUK-Kochem, NOVIOMAGOS-TVeam*genn. Alle diese Namen sind sehr schwierig zu deuten. Es ist damit zu rechnen, daß die Moselromanen noch bis in die Zeit des Sprachwechsels, d. h. der Integration der Sprachinsel ins Fränkische (ca. 1000), romanische Namen geschaffen haben. Eine neue historische Streuungskarte ist in Arbeit. Was die historische Ethnographie und Sprachengeographie betrifft, so sei ein Blick nach Süden, in den alemannischen Südwesten gestattet12. Hier spielt das keltische Stratum zur Landnahmezeit noch eine dominierende Rolle (Hydronymie, Toponymie), selbst wenn übertriebene Vorstellungen über das Weiterleben des Gallischen in alpinen Regionen Südalemanniens zurückgewiesen werden müssen13. Ein Vergleich mit der Karte ΙΠ,Ι im Geschichtlichen Atlas der Rheinlande: „Römische Siedlungen 1.-5. Jh." beweist, daß die Ballungsgebiete nichtgermanischer Namen in der Römerzeit dicht besiedelt waren14.

2.2.2. Prosodische Integrationsphänomene In der Spezialsammlung .Mosella Romana' am Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz sind etwa 2000 moselromanische Flurnamen enthalten, mit genauer phonetischer Umschrift, die vor Ort im Moselgebiet aufgenommen worden sind. Für die Ausdehnung der .Mosella Romana' aufschlußreich sind

9 10 11 12 13 14

Kleiber & Pfister 1992:46, Karte 3. Buchmüller-Pfaff 1990. Jungandreas 1962: 453 f., 222 f., 703 f., 163,227 f. u. 728 ft Kleiber 1973; Kleiber 1997. Hubschmied 1938. Cüppers & Rüger 1985.

Mosella Romana

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240 Namen aus 108 Orten zwischen Saar-Ruwer und der Moselmündung, welche noch die romanische Endbetonung aufweisen (Karten 4 und 5). Beispiele: Kastellaun < *Kastello-dunum, Simönt (Fln Müden) < *summu möntem, Predell (Reil) < pratella, Kartin (Reil) < *cohortina, Krabdun (Müden) < *crappone usw. Derartige Namen sind somit bis heute nicht in das deutsche Akzentuierungssystem (Anfangsbetonung) integriert worden und stellen in der westlichen Germania Romana eine eigentümliche „Betonungsinsel" bzw. ein Betonungsrelikt dar. An anderer Stelle bin ich näher darauf eingegangen15. Diese prosodische Provinz muß aus der Zeit vor der endgültigen Assimilation der .Moseila Romana' stammen, dürfte also mehr als 800 bis 900 Jahre alt sein.

2.2.3. Unterbliebene und durchgeführte phonologische Integrationsphänomene: 2. Lautverschiebung Das vorgermanische Namengut der .Moseila Romana' ist erst nach Abschluß der Zweiten Lautverschiebung16 eingedeutscht worden (Karte 6). Man darf die Verschiebung der germanischen Tenuis, vor allem des initialen t-, ungefähr im 7., spätestens zu Beginn des 8. Jhs. als abgeschlossen ansehen. In Initialposition weisen die moselromanischen Flur- und Ortsnamen nur unverschobenes t- auf, ζ. B. Tawern, Temmels, Talling, Thörnich, Tholey17 ferner das Reliktwort Term ,Grenzzeile'18. Auch geminiertes -tt- im Inlaut ist unverschoben geblieben, Beispiel dafür ist das Reliktlehnwort lat. gutta (Tropfen, Bachlauf, Rinnsal), das intervokalisch niemals mit Affrikata gutsa, sondern nur als gutte, gotte erscheint19. Die Mosella Romana und Teile des Mittelrheinischen nehmen im Frühmittelalter, im Gesamtrahmen der am Westrand der Germania Romana sich langsam ausbildenden Hauptsprachkontaktareale, eine Mittelstellung ein, die man geradezu anhand des Verhaltens zur Tenuisverschiebung (bzw. Nichtverschiebung) t > ζ abzugrenzen versucht sein könnte. Ripuarien/Köln Nordzone: Zülpich, Zons Mittelzone: „Mosella Romana" Tholey, Tarforst, Term Mosel/Rhein/ beachte: Finthen, Andernach, Eltville Mittelrhein aber: Bretzenheim Alemannien Südzone: Zabern Oberrhein/ Zeutern Südalemannien Zarten Zürich 15 16 17 18 19

Kleiber 1985. Haubrichs 1987; Venema 1997. Kleiber & Pfister 1992:15 f. u. 94, Karte 3. Post 1982:119 u. Karte 25; WKW 35. Kleiber & Pfister 1992: 97, Karte 6.

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2.2.4. Zum Zeugnis der Ethnonyme. Walken-Namen. Die Walhen-Nzmen20 (Karte 7) sind fränkisch-deutsche Benennungen unterschiedlichen Alters für fremdsprachige Bevölkerungsgruppen in der Nachbarschaft. Sprachlich-morphologisch handelt es sich um Gruppenbezeichnungen im Dativ Plural ahd. Walhbn ,bei den Galloromanen'. Davon zu trennen sind Personennamen, gebildet mit dem ahd. Namen Walbo, wie sie sich zahlreich finden. Die Walhennamen der Karte 7 bilden die nördlichen, besonders aber die südlichen Kontaktzonen der beiden Ethnika Galloromanen * Franken (Deutsche) ungefähr ab. Auf dem Hunsrück zwischen Soonwald und Hochwald reihen sich die U^/Aen-Namen, man ist versucht zu sagen, fast linienförmig. Freilich wäre es verfehlt, von linear verlaufenden Sprachgrenzen zu sprechen. Von besonderer Bedeutung ist aber die Tatsache, daß im Innern der .Mosella Romana', besonders im Talbereich, WW^ew-Namen völlig fehlen. Hier war man unter sich, hier bestand das Romanentum kompakt fort. Eher wundert man sich, daß die im Moseltal, in der »Mosella Romana' durch Zuzug ansässig gewordenen Franken bzw. die anderen Germanengruppen von ihren romanischen Nachbarn nicht als solche bezeichnet wurden. Dafür zwei Fallbeispiele: In Gondorf (CONTRUA) und Kobern (CUBRUNUM) sind nachweislich Franken zugezogen (ab 500) und in den kontinuierlich belegten Nekropolen durch Waffenbeigaben identifizierbar. In Kobern wurde nach fränkischem Siedelsystem im Mündungsbereich des Mühlbachs im 7. Jh. eine neue Siedlung neben dem römerzeitlichen (später wüst gewordenen) Vicus gegründet, mit eigener Sepultur21. Ein fränkisch-germanischer Ortsname fehlt. Das ist durchaus typisch. Die galloromanischen Namen wurden in den meisten Fällen von den zugezogenen Franken übernommen. Ich sehe darin Zeichen der „umgekehrten Akkulturation", nach dem Modell der westlichen Francia, jenseits der germanisch-romanischen Sprachgrenze, welche wohl im wesentlichen im 9. Jh. fest geworden ist22. Die frühesten germanischen Siedlergruppen, obwohl in Superstratfunktion, wurden sprachlich zunächst in die Romanitas der ,Mosella Romana' eingeschmolzen, bevor um 1000 das Fränkische endgültig die Oberhand gewann. Nebenbei sei noch erwähnt, daß im Moselbereich Ethnonyme, welche auf Alemannen hindeuten, fehlen. 2.2.5. Zum Zeugnis der Mikrotoponymie. Ein Fallbeispiel: lat. plantärium ,Rebneuanlage' Die Anlage eines neuen Weingartens erforderte intensive Vorbereitungen, umsichtige Planungen und sehr viel Sachkenntnis. Rebneuanlagen (lat. nova plantä20 21 22

Kleiber & Pfister 1992: 15 u. 47, Karte 4, hier Karte 7. Bierbrauer 1996:110-120, bes. 115-119. Petri 1977; Haubrichs 1993; Besse 1997.

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tio) sind in fast allen Moselgemeinden seit dem 8. Jh. schriftlich bezeugt. Für den Sprachhistoriker interessant sind die lautlichen und lexikalischen Varianten, besonders die Synonymik bzw. Heteronymik im Bezeichnungsfeld. Karte 8 beruht auf historischen und rezenten Flurnamen23. 1. Im Kartenbild fällt das Neben- und Durcheinander germanisch-fränkischer und romanischer Bezeichnungen auf. Germanisch-fränkischer Herkunft sind: Setz, Setzeling, Gesetz, Neugesetz. Es handelt sich um Ableitungen von mhd. setzen. Die Bezeichnungen romanischer Herkunft gehen alle von lat. plantare bzw. plantarium, plantation aus. 2. Ohne weiteres als Romanismen erkennbar sind endbetonte Namen wie Planter, Planters, Planteraul, Plantuschs usw. Ebenfalls als Romanismen anzusprechen sind anfangsbetonte, aber unverschobene Namen wie: Planter, Planters, Plantern, Plantel - Plenter, Plenters usw. Diese beiden Namentypen sind ausschließlich zwischen Konz und Koblenz, mit einem kleinen Areal bis St. Goar am Mittelrhein verbreitet. 3. Bei dem Typus Plenzer, oberdeutsch Pflenzer mit 2. Lautverschiebung und Umlaut, handelt es sich offensichtlich um ein Lehnwort, das an der Mosel nur sporadisch, ausschließlich jedoch am Mittelrhein, in Rheinhessen, in der Pfalz und im Elsaß vorkommt. Das ist kein Zufall. Welche Schlußfolgerungen erlaubt diese sprachgeographische Konstellation? -

Die Romanismen sind direkte Reflexe des autochthonen galloromanischen Substrats, an Mosel/Saar/Ruwer bis über Koblenz hinaus. Die zum Teil fehlende prosodische Integration (Planters) ist ein Indiz für den Fortbestand des Romanentums mindestens bis zur Jahrtausendwende.

-

Das Lehnwort Plenzer m. und die Lehnübersetzung Gesetz n. sind Zeugnisse sehr früher fränkisch-germanisch-romanischer Interferenz, welche bezeichnenderweise das Kerngebiet der Mittelmosel ausschließt. Mit der 2. Lautverschiebung (nt > nz) ist zugleich ein Indiz für eine grobe chronologische Fixierung dieser frühen Kontaktphänomene gegeben.

-

Lehrreich ist auch der Sachaspekt. Die Romanen waren die Lehrmeister der Franken. Wort- und Sachübernahme erfolgten in engem Zusammenhang. Darauf kommen wir in einem weiteren Fallbeispiel, ebenfalls aus dem Bereich Weinbau, zurück.

23

Die Gesamtthematik .Rebneuanlage' ist im Geschichtlichen Atlas der Rheinlande (Kleiber & Venema 1992) auf stark verbesserter Materialgrundlage neu dargestellt worden.

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2.2.6. Zum Zeugnis der Dialektologie. Die Dialektgeographie von Reliktwörtern 2.2.6.1. Die Termzeile (WKW 35) Die Rebzeile an der Grenze: Termzeile f. Eine römerzeitliche, moselländische Innovation? Von der Grenzzeile, der Termzeile, war schon die Rede. Es handelt sich um eine rationelle Methode der Mosellaner, kostbares Rebgelände der normalerweise besonders breiten Rebgassen zwischen zwei aneinanderstoßenden Weinbergparzellen für die Nutzung ungeschmälert zu erhalten. Dies geschieht erstens durch doppelt so dicht gesetzte Rebstöcke (an der Mittelmosel 0.60 m statt 1.20 m), zweitens durch Markierung der Eigentumsverhältnisse. Die Stöcke des linken Anliegers sind etwas links, die des rechten Anliegers etwas rechts vom Pfahl versetzt angeordnet. Im WKW ist dieses Grenzsystem (Karte 35) kartographisch dargestellt und erläutert (Karte/Abb. 9). Sachlich ergaben sich gewisse Parallelen nur noch in Siebenbürgen. Sonst steht die mosellanische Termzeile vereinzelt da. Sie ist im Moseltal seit dem 8. Jh. urkundensprachlich und im Oeren-St. Irminen-Urbar von 1517 appellativisch bezeugt (Terminus), somit autochthon24. Wahrscheinlich geht die eigenartige Grenzmarkierung auf eine Erfindung der romanischen Moselwinzer zurück. Analoge Grenzsysteme, die in den Weinbaugebieten der Romania zu suchen wären, sind bislang unbekannt. Das kann eine Forschungslücke sein, denn der WKW bedarf der Ergänzung durch ein romanisches Gegenstück. Die reiche Heteronymik (Synonymik) der Grenzzeilenterminologie kann hier nicht besprochen werden. Aufmerksamkeit verdient jedoch die rheinhessischpfälzische Bezeichnung Lämpel f. (WKW 35), nachgewiesen in neun Orten, die auf lat. limbulus: . S t r e i f e n als Einfassung' zurückführt, also ebenfalls romanischen Ursprungs ist. Das Reliktwort term kann wegen der unverschobenen Anlauttenuis nicht vor dem 8. Jh. ins Fränkisch-Deutsche integriert worden sein. 2.2.6. Zum Zeugnis der Dialektologie der Reliktwörter. Das Fallbeispiel Kelter m. und die Thematik .Wörter und Sachen' Galloromanische Keltern (Tretbecken) an der Mosel sind gerade in jüngster Zeit mehrfach nachgewiesen worden25. Weitere Kelteranlagen wurden zum Beispiel bei Lösnich, Neumagen-Dhron sowie bei Ungstein (Pfalz)26 entdeckt. In den gemauerten Becken wurde das Traubengut zunächst ausgetreten (lat. calcare) und dann 24 25

26

Kleiber 1986: 81-102, bes. 93-98. Maring-Noviand 4. Jh. n. Chr. mit kontinuierlicher Nutzung bis ins frühe Mittelalter; vgl. [Zweitausend] 2000 Jahre Weinkultur 1987: Nr. 46; Gilles 1995. Bernhard 1984.

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auf die Kelter geschüttet. Die Keltertypologie unterscheidet zwei Hauptarten: Baum- und Spindelkelter, beide in der Antike wohlbekannt. Eine besonders archaische Baumkelter mit mächtigem Kelterbaum, Spindel und daran aufgehängtem Kelterstein ist an der Mosel in Piesport schon im 4./5. Jh. gesichert. Im Echternacher Codex aureus (um 1030)27 ist eine Baumkelter, allerdings ohne Kelterstein, abgebildet. Zunächst zur Sprachgeschichte (Karte 10 nach WKW 96). Bei den Kelterbezeichnungen handelt es sich ausschließlich um Lehnwörter bzw. Lehnübersetzungen. Auf der Karte ist die sprachgeographische Konstellation im Westen der Germania Romana dargestellt. Kelter: Maskulinum: Ahr/Mosel; Kelter·. Femininum: Nördlicher Oberrhein-Mainfranken (Ausgangsetyma: lat. calcatorium/calcatura); Trotte f. (zu ahd. tretan »treten*. Lehnübersetzung) an Ober- und Hochrhein; Torkel: Maskulinum: Bodensee, Churer Rheintal; Torkel Femininum: Südtirol (Ausgangsetyma: lat. torculum/torcula). Im Südosten (Osterreich) herrscht Presse f. (< lat. pressa). Die areale Feindifferenzierung durch Genera geht auf antike, vulgärlateinische Varianten zurück. Eigene Wege geht wieder einmal der Moselraum. Das maskuline Genus, das seine Entsprechung in französisch chauchoir m. hat, ist ein eigenartiger moselländischer (sicher römerzeitlicher) Idiotismus. Wörter und Sachen: Der Zusammenklang von Sprachgeschichte und Archäologie des Frühmittelalters ist bemerkenswert. Es sei auf die bahnbrechenden Forschungen und Ausgrabungen von Karl-Josef Gilles/Trier und Fritz Schumann/Neustadt a.d.W. (Pfalz) hingewiesen. Acht römische Kelteranlagen des 3.-5. Jhs. wurden bislang aufgedeckt. Das Rheinische Landesmuseum Trier hat einen Sonderprospekt herausgebracht, auf welchem über die aufsehenerregenden Ausgrabungen von römischen Keltern des 3.-5. Jhs. - mit Benutzungsspuren bis ins 6. Jh. - im Moseltal berichtet wird. Hinzuweisen ist auf die jüngste Großgrabung in Graach b. Trier. Auf einen weiteren Fund wiesen Pfälzer Archäologen aus Ungstein28. An der terminologischen und wirtschaftlichen Kontinuität des Weinbaus an der Mosel und wohl auch in der Vorderpfalz dürfte nicht zu zweifeln sein.

27 28

[Zweitausend] 2000 Jahre Weinkultur 1987: Nr. 135. Bernhard 1984.

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3. Ergebnisse und Perspektiven 3.1. Reliktwortgeographie und Siedlungsgeschichte 3.1.1. Isoquantorenkarte Der WKW dokumentiert durch eine große Zahl von Reliktwörtern (Lehnwörtern) die Fortexistenz bzw. den Ausbau der mittelalterlichen Weinbauareale an Mosel und Mittelrhein. Oft zeigen sich die Weinbaureliktwörter im Stadium völliger Regression (Karte 11). Die Wortrelikte konnten oft nur noch in ganz wenigen Winzerorten, und dies nur bei Vertretern der älteren Generation nachgewiesen werden. Es sind dies typische Auflösungsprozesse, wie sie sich analog bei Assimilation von Sprachinseln abspielen. Das Moselromanische hatte eine letzte Zuflucht als Haussprache, als romanismenreiche Fachsprache der Winzer. Als Inselreliktzonen schälen sich heraus: die Gegend zwischen Trier-Schweich, Graach, Cochemer Krampen. Lehrreich ist die Isoquantorenkarte von Rudolf Post29 (Karte 12), welche die gesamtrheinische Lehnwortdichte illustriert. Sie belegt, daß an der Mittelmosel die stärkste Reliktmassierung herrscht und flußaufwärts und flußabwärts fast staffeiförmig abnimmt. Die Germanisierung im inneren Kern der .Mosella Romana' etwa zwischen Schweich, Konz, Prüm muß am spätesten abgeschlossen worden sein. Besonders hinweisen möchte ich auf eine bedeutsame Parallele hinsichtlich der Verbreitungsstruktur sogenannter gesamtrheinischer Idiotismen und der spätantiken Außengrenze des römischen Reiches am Rhein. Die Isoglossen Müsche .Sperling', Merle Amsel', Trabe 3alken', Päscb ,Wiese00 verlaufen im Süden auf dem Hunsrück (südliche Außengrenze der Mosella Romana*), dann im Nordosten ungefähr am Rhein entlang: Eben an der spätantiken römischen Rheingrenze. 3.1.2. Reliktwortquantität der Winzerlexik (WKW Ε 7, hier Karte 13) Auf dem hier aus der Schlußlieferung (1996) des WKW präsentierten Diagramm über die Statistik der Lehnwortquantität (Durchschnittszahl romanischer Winzerlehnwörter nach Gebieten) ist folgendes klar ersichtlich: die Quantität der Relikte steht in signifikanter Relation zur Intensität und Dauer des germanisch-romanischen Sprach- und Sachkontakts: Südtirol, Wallis, Mosel-Mittelrhein, Oberrhein. In bezug auf Lehnwortdichte und Lehnwortfrequenz führen die Weinbaulandschaften Südtirol und Wallis, dann folgen Mosel und Mittelrhein, mit einigem 29 30

Post 1982: Karte 57, hier Karte 12. Post 1982: 94 u. Karte 19,92 ff., 49 u. Karte 5,115 f.

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Abstand dann schließlich Siebenbürgen. (Abkürzungen im Diagramm: MRh Mittelrhein; ORhS - Oberrhein Süd; ORhN - Oberrhein Nord; Neck - Neckar; Sieb - Siebenbürgen; E/Saal - Elbe/Saale; Osterr - Osterreich). 3.2. Sprachgeschichtliche und historische Thesen Das Moselromanische tritt in den hydronymischen, toponymischen, ethnonymischen und prosodischen Zeugnissen, sprachgeographisch-flächenhaft nahezu kongruent, in Erscheinung. Der Sprachhistoriker stellt im Moselland eine in der Zentralgermania geradezu einzigartige Konzentration nichtgermanischer bzw. nichtdeutscher Relikte fest. Alle diese Relikte sind bis heute Funktionsträger in den Orientierungs- und Fachlexik-Systemen des Moselfränkischen. Im einzelnen: - Das hydroymische Makro-, zum Teil sogar Mikrosystem. Alle größeren, zum Teil kleineren Gewässernamen sind vordeutsch (Makro-Orientierungssystem). - Das toponymische Makrosystem. Im Moseltal sind 90% aller Ortsnamen nichtdeutschen Ursprungs (Makro-Orientierungssystem). - Das toponymische Mikrosystem. Etwa 2000 nichtdeutsche Flurnamen sind erhalten. In manchen Weinorten tragen bis zu 20% der Rebflächen romanische Namen. Ich nenne dies das örtliche Mikro-Orientierungssystem.

Fazit: Die Kontinuität der romanischen Sprachzeugnisse basiert auf Siedlungskontinuität der Sprachträger. Der Sprachwechsel vom Romanischen zum Moselfränkischen muß sich über ein langwährendes Stadium des Sprachkontakts und der sprachlichen Interferenz (mindestens ein halbes Jahrtausend) erstreckt haben. Seit etwa der Mitte des 6. Jhs. beginnt die Abschnürung der großen romanischen Sprachinsel zwischen Konz, Trier und Koblenz durch die fränkischen Vorstöße von Köln in Richtung Eifel - Diedenhofen - Metz. Andere fränkische Siedelbewegungen gingen von Süden von Mainz das Nahetal aufwärts Richtung Hunsrück (Kirchberg, Simmern) und von Nordosten vom Maifeld aus in Richtung Eifel. Dabei stießen die Franken zunächst auf die Außenzonen der Moselromania. Im Frühmittelalter bildete sich eine Reihe von noch heute in Sprachzeugnissen nachweisbaren romanischen Sprachinseln heraus. Es handelt sich um Romanengruppen, die in lockerer Streuung ihr Romanentum inmitten des Germanischen noch lange bewahren konnten31. Zentren waren ζ. B. Prüm, Hochwald, St. Avoid, Westrich, Hunsriick, Mittelrhein (Kleiber & Pfister 1992: 82 ff.).

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Das Moselromanische zeigt eine Reihe genuin romanischer Spracherscheinungen, welche zum Teil nur polygenetisch nach der Stabilisierung der germanischromanischen Sprachgrenze (ca. 850) und der damit verbundenen Abschnürung der Moseila Romana entstanden sein können. Dazu rechne ich den Sprachwandel von lat. Λ > eNASU > NES, NAVA > NEF, PRATU > PREIT; Suffix -eta> -ey (BETULLETUM > BULLAY). Der Wandel ist vor dem 9. Jh. in der Binnenromania nicht nachweisbar32. Er muß also in der Sprachinsel selbständig entstanden sein. Die völlige Integration ins Moselfränkische wird, über ein längeres Stadium des Bilinguismus der in mehreren Inseln zersplitterten Romanengruppen, um 1000 abgeschlossen sein. Die romanische Bevölkerung ist als Traditionsträger und Vermittler besonderer agrarischer und handwerklicher Fertigkeiten anzusehen. Dies gilt besonders für die Weinkultur, auch für das Fischerhandwerk33 und bestimmte Zweige der Landwirtschaft und des Obstbaus. Die Mosellande sind in Zentraleuropa ein einzigartiges Beispiel mehr als 2000jähriger Sprach- und Kultur-, Siedlungs- und Bevölkerungskonstanz. Sie bilden ein noch nicht ausgeschöpftes Reservoir und Laboratorium für viele kulturmorphologische und sprachhistorische Disziplinen.

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Karte 1. Die Hydronymie des Ausonius (W. John 1980).

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145

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Karte 4. (Kleiber 1983:175).

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Probleme rominisch-gcrrainischen Sptichkontikcj

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Bernkastel

Romanische Endbetonung in Orts- und Flurnamen der MOSELLA ROMANA λ

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Karte 5. (Kleiber & Pfister 1992:49, Kane 6).

W.K.

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Karte 6. (Pfister 1992: 94, Karte 3).

Mosella Romana

Karte 7. (Kleiber & Pfister 1992: 47, Karte 4).

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Germania Romana: Mosel versus Mittelrhein Das Bezeichnungsfeld 'Rebneuanlage' in historischen und rezenten Toponymen (Romanismen unterstrichen) Salz, Neusatz, Setz, Planter. Planters Neusetz(e), Setzelmg(en) Gesetz, Neugesetz Plantar. Plant£rs 4 ® P(f)Ianzer, P(f)lenzer Plantern. Plantereck. Ο i Plenter Planteriul. Plantuschs Planzert, Flenzert i Plenters I Plentert i

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Karte 8. (nach Kleiber 1983:17, Karte 9).

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Karte 10. Kelterterminologie in den deutschen Mundarten Zentraleuropas (nach WKW 96).

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Inselförmige Reliktwortareale an der Mosel Erhebungen 1925 (RhWb) und 1975-78 (Mainz) —— Trunk '(Baum-)Stumpf — Feiel 'Wingertspfad'

Bonn *\ Sieg

Gotte '(Wald-)Tal' * Leinert Taßlager1 Term "Endzeile' •+•• Girrune "Knospe' Käbe 'Weinstock' Zappäun 'Zapfloch'

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20

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WK Karte 11. (Kleiber 1983:185, Karte 13).

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Wolfgang Kleiber

Arealdistribution romanischer Reliktwörter

Berücksichtigt sind alle rezenten, nichtstandardspräch- (nach R. Post 1982)/ liehen rom. Relikte aus dem Material dieser Arbeit r s s und der " G e r m a n i a Romana Π " ^ ^ B 6 5 und mehr

RP

Karte 12. (Post 1982: K a r t e 57).

Mosella Romana

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Sprachraumbildung am Niederrhein und die Franken Anmerkungen zu Verfahren der Sprachgeschichtsschreibung V O N ELMAR NEUSZ

Aufgabe und Forschungsstand Der Zeitraum, den das Kolloquium „Die Alemannen und Franken bis zur ,Schlacht bei Zülpich' (496/97)" in den Mittelpunkt rückt, hat in der Sprachgeschichtsforschung der letzten Jahrzehnte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum noch Aufmerksamkeit gefunden. Es ist deshalb unumgänglich, eine Reihe von Punkten in Erinnerung zu rufen, an denen eine erneute Erörterung der offen gebliebenen Fragen ansetzen kann. Wer den Forschungsgang der deutschen Sprachgeschichte vor drei Jahrzehnten im einzelnen überblickt, wird nicht übersehen, daß der Titel dieses Beitrags auf einen Aufsatz von Rudolf Schützeichel anspielt, der vor mehr als dreißig Jahren erschienen ist1. Dieser Bonner Vortrag faßte prägnant und weiterführend die Fragestellungen und ihre Lösung zusammen, die der Autor nicht lange Zeit vorher in den „Grundlagen des westlichen Mitteldeutschen" vorgestellt hatte2. In dieser Untersuchung, die eine lebhafte kontroverse Diskussion auslöste, geht es im wesentlichen um zwei Problemkreise, nämlich einmal um die Datierung und spezifische Ausprägung der zweiten (althochdeutschen) Lautverschiebung in den fränkischen Sprachräumen am Rhein, speziell im Mittelfränkischen, zum anderen um eine historische Erklärung des mittelfränkischen Sprachraumes bzw. der westmitteldeutschen Sprachräume überhaupt, wie sie von älteren Schriftzeugnissen und auch den Erhebungen des „Deutschen Sprachatlasses" her bekannt sind. Der Lösungsvorschlag richtete sich gegen die damals „herrschende Lehre" gängiger Handbücher, wie sie in starkem Maße durch Vorstellungen von Theodor Frings, Adolf Bach und der kulturmorphologisch geprägten Dialektologie Marburger und Bonner Provenienz bestimmt war3. Verkürzt in einem Satz gesagt - und damit natürlich auch vereinfachend und verzerrend - wären nach diesem dialektologisch-sprachgeographischen, historisch begründeten Erklärungsmodell für die Ausbildung der neuzeitlichen Dialekträume des Deutschen 1 2 3

Schützeichel 1965. Schützeichel 1961; 1976. Bach 1950; Bach 1961; vgl. Frings 1922; Frings 1926.

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vorwiegend die Verkehrsgemeinschaften der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Territorialstaaten als formende Ursachen maßgebend geworden. Hinsichtlich der althochdeutschen Lautverschiebung der germ, /ρ/, /t/ und /k/ galt in Fortführung der traditionell gültigen Ausbreitungstheorie für die genannte Konzeption die Ansicht, daß sie ihre charakteristischen Verbreitungsbilder auf modernen Sprachkarten erst im hohen, wenn nicht gar späten Mittelalter erreicht hätte4. Die Verbindung der beiden genannten Problemkreise ergibt sich daraus, daß traditionell die Einteilung deutscher Mundarträume unter anderem den Verbreitungsräumen der zweiten Lautverschiebung folgt. Diesem - stark verkürzten und zugespitzen - Bild der Forschungsmeinung beim Ausgang der fünfziger Jahre stellte R. Schützeichel, gestützt auf früheste Schriftzeugnisse, die Auffassung einer autochthonen Ausprägung der zweiten Lautverschiebung im westlichen Mitteldeutschen entgegen, die die Annahme großräumiger Ausbreitung von Lautwandel in recht kurzen Zeiträumen unwahrscheinlich und überflüssig macht. Bezüglich der sprachräumlichen Grundstrukturen am Rhein lenkte er den Blick von den Territorien zurück auf merowingerzeitliche politische Raumbildungen „mittlerer Größe", nämlich auf die dreiteilige „Francia Rinensis"5 mit dem Land Ribuarien um Köln, einem noch romanisch geprägten Moselraum mit dem Zentrum Trier sowie einer Raumbildung um Mainz, die durch einen weiten karolingerzeitlichen Ausgriff über den Rhein nach Nordosten gekennzeichnet ist. Die einzelnen Stationen und Argumente der auf die „Grundlagen" folgenden Debatte, aber auch die vorangehenden Kontroversen der fünfziger Jahre, die durch die Namen von Theodor Frings, Ernst Schwarz, Friedrich Maurer und Hans Kuhn bestimmt sind (vgl. Literaturverzeichnis), sollen an dieser Stelle nicht im einzelnen nachgezeichnet werden. Gleichwohl sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die hier angestellten Überlegungen aus den Wegen der Forschung überhaupt erwachsen sind; Details aus dem Gang der sprachgeschichtlichen Untersuchungen und die daraus resultierenden Entwürfe und Darstellungen des sprachgeschichtlichen Verlaufs werden stillschweigend als bekannt vorausgesetzt. Wenn auch unter dem Einfluß der Dialektologie der zwanziger und dreißiger Jahre die Rolle der Territorien für eine Sprachraumbildung deutlich betont worden war, so war doch schon geraume Zeit vor den „Grundlagen" die frühmittelalterliche Stammeszeit wieder in den Vordergrund des Interesses gerückt worden, so etwa durch Walther Mitzka6, nicht zuletzt aber durch eine lautstarke Kontroverse zwischen Theodor Frings und Hans Kuhn, ausgelöst durch Frings' „Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache"7. Der Vorgang gehört zu dem ins4

5 6 7

Z.B. Frings 1956c Π: 11. Der Text geht auf einen Leipziger Vortrag von Frings aus dem Jahre 1938 zurück. Dazu jetzt Anton 1995a. Z.B. Mitzka 1951; vgl. allgemein Mitzka 1968; weiter Moser 1951/52 und Moser 1961. Frings 1948; dazu Kuhn 1951. Schließlich Frings 1955,1956c und 1956d; Kuhn 1956/57.

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gesamt feststellbaren Phänomen, daß in der gesamten Jahrhunderthälfte bis in die beginnenden sechziger Jahre die Wege der Mundartforschung und Sprachgeographie unmittelbar auch die Fragen der Sprachgeschichtsforschung bestimmt haben8. Th. Frings hatte aber nicht nur selbst wieder ins frühe Mittelalter und die Stammeszeit der Völkerwanderung zurückgelenkt9, sondern in seiner „Grundlegung"10 sogar in die römische Kaiserzeit vor den großen Wanderungen ausgeholt und Ergebnisse der archäologischen Forschung für die Sprachgeschichte zu verwerten versucht. Vor allem aber ist es Friedrich Maurer gewesen, der ein neues Bild einer Vorgeschichte des Deutschen entworfen hatte, indem er versuchte, den sprachwissenschaftlichen Forschungsstand mit den bis dahin gewonnenen Einsichten der Archäologie zur verknüpfen11. F. Maurers Entwurf ist bis heute wirksam geblieben und gilt als fester Bestand sprachgeschichtlichen Wissens, wie ein Blick in die Handbücher lehrt12. Er hat auch maßgeblich die Sicht der voralthochdeutschen germanischen Sprachverhältnisse bei R. Schützeichel bestimmt13. Infolgedessen muß, wenn von Franken und fränkischem Sprachraum bzw. fränkischen Sprachräumen die Rede sein soll, auf die älteren Arbeiten zur vordeutschen Zeit von Maurer, Frings und anderen zurückgegangen werden Der Diskussionsstand bei Ausgang der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre muß aber erst einmal ins Gedächtnis zurückgerufen werden. Denn es scheint allgemein so zu sein, daß nach einiger Zeit heftiger Diskussion in der Wissenschaft das Interesse an den kontroversen Fragen einfach erlahmt, ohne daß mit dem Verstummen der Debatte eine bestimmte Forschungsmeinung sich als die herrschende durchsetzte und allgemeine Anerkennung fände. Allenfalls wirken ungelöste Fragen unreflektiert weiter14. Das Verstummen der hier angedeuteten Kontroversen hat außerdem gewiß auch eine Ursache darin gefunden, daß sich das Interesse der germanistischen Sprachwissenschaft seit den ausgehenden sechziger Jahren von der bis dahin gepflegten Sprachgeschichte und (historischen) Dialektologie ab-, stattdessen vermehrt den Gebieten synchronisch-funktionaler, strukturalistisch oder generativ ausgerichteter Beschreibimg jüngerer Sprachstufen, der Pragmatik und der gesprochenen Gegenwartssprache zugewandt hat. 8 9

10 11 12

13

14

Vgl. Hildebrandt 1984. Nach Ausweis einer Fußnote beabsichtigt er (Frings 1956c, Π: 73) zu diesem Thema „Abschliessendes" zu sagen. Frings 1948: Kap. ΙΠ. Maurer 1942; 1952. Z.B. Schwarz 1956; Moser 1969: 93ff.; Schildt 1976: 35ff.; Sonderegger 1979: 71; Sonderegger 1983; Hutterer 1987: 251ff.; Schmidt 1993: 52ff. C. J. Hutterer (Hutterer 1987: 254) versteigt sich gar zu der Behauptung, daß Th. Frings und V. Schirmunski mit Methoden der Sprachgeographie „nachgewiesen" hätten, „daß diese Einheiten wirklich bestanden haben, ja daß sie zum Teil bis heute weiterbestehen". Das heißt, eine petitio principii zum Nachweis zu erheben. Zum Rückgriff der Sprachgeschichtsforschung auf archäologische Fundkreise vgl. weiter unten. Vgl. Paul 1920: 11.

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Sprachwissenschaftliche Fragen an die ältere Textüberlieferung sind jedenfalls zunächst stark vernachlässigt worden. Soweit überhaupt noch betrieben, hatte sich die Sprachgeschichtsforschung vornehmlich dem Frühneuhochdeutschen zugewandt. Ein Trend zur Rückkehr zu älteren sprachhistorischen Fragestellungen ist dagegen seit den ausgehenden achtziger Jahren wieder zu beobachten, was allein schon an den seit dieser Zeit neu herausgekommenen Sprachgeschichten abgelesen werden kann15. Sie alle gehen jedoch auf die hier angeschnittenen Fragen wenig detailliert oder gar nicht ein. Als symptomatisch für den nicht mehr gegebenen Konsens in Grundannahmen und Fragestellung, wie er bis zum Beginn der sechziger Jahre durch die Mundartforschung und Sprachgeographie geprägt war, sowie eine gewisse Ratlosigkeit mag die Ausklammerung eines Kapitels zur rheinischen Sprachgeschichte in der großangelegten, von Franz Petri und Georg Droege herausgegebenen „Rheinischen Geschichte"16 gelten. Hatte noch das Vorgängerunternehmen, die „Geschichte des Rheinlandes" vom Jahre 1922 einen gewichtigen Abschnitt zur rheinischen Sprachgeschichte enthalten17, der brandneue Forschungen aus der Feder von Theodor Frings vorstellte, zu denen parallel und ergänzend sein Beitrag in den „Kulturströmungen" gehört18, so sucht man im dritten Band „Kulturgeschichte" der neuen Publikation einen sprachgeschichtlichen Artikel vergebens. Nun ist es seit Beginn einer Sprachgeschichtsforschung für das Deutsche unbestritten und Konsens, daß die aus älteren Texten und anderer Uberlieferung erkennbaren germanischen Sprachtypen und ihre Verbreitungsräume, die in ähnlicher Weise dann auch in modernen Mundarträumen wiederkehren (jedenfalls im Altsiedelland westlich der Elbe), in einem Zusammenhang mit den germanischen Sprechergruppen, den „Stämmen" stehen, die im frühen Mittelalter in den entsprechenden Räumen bezeugt sind19. Das ,daß' dieser Verbindung ist einigermaßen unproblematisch und steht außer Frage, ungelöst aber und eigentlich interessant ist die Frage, wie denn diese Verbindung und die Ausbildung der Sprachräume genauer vorzustellen seien. Der hier im Mittelpunkt stehende Sprachraum ist das in der Dialektologie sogenannte nördliche Mittelfränkische, auch als Ripuarisch/Ribuarisch oder „Kölner Sprachraum" geläufig. Seine genauere Umgrenzung ergibt sich aus Mundarterhebungen der letzten hundert Jahre20. In der ältesten sprachgeschichtlich erreichbaren Zeit jedoch zeichnet er sich aufgrund der besonderen Quellenlage nur sehr viel undeutlicher als etwa die Räume des Alemannischen und Bairischen im Süden ab. 15

16 17 18 19 20

Eds. Besch et al. 1984/85; Wells 1990; Moser, Hans et al. 1981; Schmidt 1993; Scardigli 1994 u.a.m. Eds. Petri & Droege 1976-1983. Frings 1922 = 1956a. Frings 1922 = 1956a. Vgl. auch Debus 1983. Im einzelnen Wiesinger 1983.

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Entsprechend der Themenstellung des Kolloquiums richtet sich der Blick auf die Vorgeschichte des Raumes, d.h. die zeitliche Verlängerung von der Karolingerzeit in die Anfänge des Frankenreiches. Nachdem dieser Themenkomplex weitgehend aus dem Blickfeld der germanistischen Sprachgeschichtsforschung geraten ist, soll es das Ziel dieses Beitrags sein, die fallengelassenen Fäden wieder aufzunehmen und neue Überlegungen anzustoßen. Das kann einmal auf dem Wege einer Bestandsaufnahme erfolgen, wie sie z.B. Dieter Geuenich aus der Perspektive des Historikers für die Alemannen unternommen hat21 und wie sie hier nur knapp skizziert ist. Zum anderen aber erscheint es unumgänglich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der mittlerweile erreichten Einsichten auf Seiten der Historiker zur Ethnogenese der „Stämme"22, die bisher verwendeten Erklärungsbegriffe der Sprachgeschichtsforschung, einschließlich ihrer stillschweigenden und daher nicht bewußt gemachten Voraussetzungen, zu durchleuchten. Denn sie prägen, wie im Falle optischer Beobachtungsgeräte, das Bild, das vom betrachteten Gegenstand entworfen wird. Dieser Frage soll hier besondere Aufmerksamkeit gelten.

Sprache, Dialekt und Variation Da in diesem Beitrag vielfach von verschiedenen Idiomen, ihren Kennzeichnungen und Abgrenzungen untereinander die Rede sein muß, empfehlen sich für eine interdisziplinäre Veranstaltung einige klärende Worte, auch wenn an dieser Stelle nicht ausführlich darauf eingegangen werden kann, was jeweils als germanische Einzelsprache angesetzt wird und warum entsprechend verfahren wird. Es werden zunächst die in der praktischen Arbeit bewährten Einheiten zugrunde gelegt, wie sie in den gängigen Bezugsgrammatiken germanischer Einzelsprachen beschrieben sind (vgl. Literaturverzeichnis). Diese germanischen Einzelsprachen sind in sprachwissenschaftlicher Sicht durch (relativ) ähnliche bis gleiche graphisch-lautliche, morphologische und (manchmal) lexikalische Merkmalsbündelungen konstituiert. Dazu treten in der Regel räumliche und zeitliche Kriterien aufgrund der Quellenüberlieferung. Während nun eine Abgrenzung von Sprachen bei hinreichender verwandtschaftlicher Entfernung im großen und ganzen keine ernste Schwierigkeit bereitet (so etwa „Germanisch" vs. „Romanisch"), können sich bei engerer Verwandtschaft zunehmend Zweifel regen, ob es um je verschiedene Einzelsprachen oder um Dialekte von übergreifenden Einheiten geht. Man muß sich im klaren darüber bleiben, daß sprachwissenschaftliche Klassifizierung genau genommen bloß eine Reihe von Grenzmarken durch eine verwirrende Vielfalt ähnlichen Sprechens bzw. Schreibens legt. 21 22

Geuenich 1994; vgl. auch Geuenich & Keller 1985. Z.B. Wenskus 1961; Wolfram 1982; Wolfram 1985; Jarnut 1985; Wolfram 1990 u.a.m.

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Die älteren Handbücher sprechen demnach auch des öfteren von „germanischen Dialekten". Das findet eine Rechtfertigung darin, daß der Dialektbegriff notwendig den Begriff der Variation gegenüber einer Invarianten impliziert. Im Falle der neuzeitlichen Sprachverhältnisse bilden die kodifizierten Literatur- und Nationalsprachen derartige überdachende und auch gleichzeitige Bezugsgrößen. Eine gleichzeitige Bezugsebene für „germanische Dialekte" existiert aber nicht als Text, auch wenn der Sprachstand in den überlieferten Textzeugnissen variiert. Eine Invariante dazu ist eine bloß gedachte Größe. Ein gewisses Maß an Variation einer als Einheit gesetzten Sprachgröße gehört notwendig mit zum Begriff einer bestimmten Sprache23. Die Vergleichsgröße „germanischer Dialekte" ist nun im üblichen Gebrauch jedoch ein rekonstruiertes „(Ur)germanisch" als eine zeitlich voraufliegende Größe. Es wird deshalb hier von germanischen Einzelsprachen ausgegangen, um nicht verschiedene Dialektbegriffe miteinander zu vermischen. Der Hinweis scheint nicht unnötig zu sein: Es hat sich eingebürgert, ohne Zögern vom „Althochdeutschen" als e i η e r Sprache zu reden, der an germanischen Sprachen auf dem Kontinent traditionell das „Altsächsische", das „Altniederfränkische" und das „Altfriesische" gegenüberstehen. „Althochdeutsch" fällt aber (neben „Altniederfränkisch") aus der Systematik dieser Termini heraus, denn es ist nicht als „Stammessprache" deklariert24. Vielmehr handelt es sich bei „Althochdeutsch" um einen Forschungsterminus, der rückschauend auf der Basis des sprachgeschichtlichen Wissens konstruiert ist, daß die darunter gefaßten „Stammessprachen" zu der späteren Literatur- und Nationalsprache „(Neu)Hochdeutsch" geführt haben. Aus dieser rückschauenden Perspektive sind denn auch für „Altsächsisch" und „Altniederfränkisch" die Termini „Altniederdeutsch" und „Altniederländisch" im Gebrauch. Mit größerem Recht kann man bei dem bestehenden Beurteilungsspielraum aus der zeitgleichen Perspektive der Uberlieferung - analog den oben genannten Begriffen - auch von „Altbairisch", „Altalemannisch" und „Altfränkisch" sprechen, wie es in der Darstellung entsprechender Grammatiken zum Ausdruck kommt25. Die in der Serie geplante altalemannische Grammatik hat J. Schatz in seine Behandlung des „Althochdeutschen"26 eingebaut. Es sollte wenigstens zu denken geben, daß es zur Zeit der umfangreichsten Textüberlieferung des „Althochdeutschen" im 9. Jh. keine Deutschen als Sprecher oder Schreiber dieses Idioms gegeben hat. Und während sich Reinhard Wenskus vor mehr als dreißig Jahren27 schwer damit tat, von „deutschen" Stämmen im Reiche Karls des Großen zu handeln und von Seiten der Historiker der Beginn einer 23 24

25 26 27

Vgl. bereits Whitney 1874:256f. Vgl. aber weiter unten zum Stammesbegriff und der Klassifizierung bei Jacob Grimm (Grimm 1880). Schatz 1907; Franck 1971. Schatz 1927. Wenskus 1965.

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„deutschen" Geschichte immer weiter von der Karolingerzeit abgerückt wird, suggeriert ein in der germanistischen Sprachgeschichtsforschung verwendeter zentraler Termius unverändert eine durchaus unzutreffende oder wenigstens mißverständliche Weise von Kontinuität. Es wird nämlich durch die Wahl solcher Beschreibungsbegriffe eher verdeckt als geklärt, daß sich aus einer ganzen Reihe von mehr oder weniger verschiedenen germanischen Idiomen („Stammessprachen") im Nordwesten des Kontinents bis zur frühen Neuzeit zwei (und nur zwei) Literatur- und Nationalsprachen herausgebildet haben, nämlich Hochdeutsch und Niederländisch28. Ein eher unhistorisches Denken neigt dazu, die vorgefundenen Beschreibungseinheiten als Konstanten in vorangehende Zeitstufen zurück zu projizieren. Die selbstverständliche Weiterwirkung des terminologischen Usus ist jedenfalls so stark, daß ein monumentales sprachgeschichtliches Werk der jüngsten Zeit29, das geradezu eine Summe aus fast zweihundert Jahren Forschung darstellt, überhaupt keinen Gedanken an diese Frage gewandt hat, von den kurzen „handlichen" Sprachgeschichten ganz zu schweigen. Es setzt wie alle Handbücher zum Thema, vom Begriff einer „deutschen Sprache" nach rückwärts verlängernd, etwas als Einheit an den Anfang „deutscher Sprachgeschichte"30, was eher zu ihrer unmittelbaren Vorgeschichte gehört.

Das Quellenproblem Ein weiter Fragenkreis, bei dem die ältere Forschung doch allzu bedenkenlos über qualitative Unterschiede hinweggesehen und stillschweigend gleichbleibende Kontinuität unterstellt hat, wo vielmehr deutlich verschiedene Qualitätsstufen bedacht werden müssen, ergibt sich aus der Quellenlage. Die Zeitstellung des Kolloquiums betreffend, muß zunächst klar festgestellt werden, daß mangels Quellenzeugnissen für die hier behandelte Zeit „um 500" überhaupt keine stichhaltige Aussage zu einer Sprachraumbildung getroffen werden kann. Erst mit dem Einsetzen „althochdeutscher Wort- und Textüberlieferung" nicht lange vor a. 800 wird ein - wie auch immer gearteter - Zusammenhang neuzeitlicher Mundarträume mit der älteren schriftlichen Überlieferung erkennbar. Dabei kommt der Bezeugung von zusammenhängenden Äußerungen in Texten ein erheblich höherer Zeugniswert als Einzelwörten in Glossen und Namen zu. Die Zeit vor dem Einsetzen einer Textüberlieferung in den germanischen Sprachen31 liegt zwar nicht völlig im Dunkeln. Aus Eigennamen (Anthroponymen, Toponymen), Einzelwörtern in lateinischer Umgebung wie 28 29 30 31

Vgl. zum Niederländischen Goossens 1985. Eds. Besch et al. 1984/85. Vgl. Geuenich 1985. Zur Textüberlieferung Scardigli 1994:93ff.

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z.B. den Malbergischen Glossen32 und anderen Rechtswörtern in den Volksrechten33, an Entlehnungen germanischen Wortschatzes in die Romania34 kann ein begrenzter Einblick in das eine oder andere, meist lautliche, seltener morphologische, schließlich auch lexikalische Merkmal germanischer Idiome gewonnen werden. Gleichwohl gilt immer zu bedenken, daß die meisten Aussagen aus isolierten Vorkommen, vielfach gebrochen durch das Medium einer anderen Sprache und der Schrift, und aufgrund subtiler Interpretationsketten gewonnen sind. So willkommen alle einzelnen Nachrichten auch sind, sie führen mangels kohärenter Textüberlieferung nicht über den Status von „Trümmersprachen" hinaus35. Die frühe schriftliche Uberlieferung von Sprachzeugnissen für das Mittelfränkische, auf die allein sich sprachhistorische Aussagen berufen können, ist verglichen mit anderen Regionen des „Althochdeutschen" - sehr bescheiden, wenn auch in den letzten Jahrzehnten aus dem Schülerkreis von R. Schützeichel lange Zeit unbeachtetes Quellenmaterial erschlossen worden ist36. Es ist gerade wieder das Fehlen längerer, in Sätzen ausformulierter Texte, das sich als eines der stärksten Hindernisse erweist. Es kam daher nicht von ungefähr, daß sich Wilhelm Braune bei seinem „klassischen" frühen Aufsatz über das Fränkische auf recht späte Quellen verwiesen sah37. Schließlich sind Aussagen auf der Grundlage von Erhebungen neuzeitlicher Mundarten von wieder anderer Qualität. Sie beruhen auf großer Erhebungsdichte, erlauben Aussagen über unmittelbar beobachtete Lautphänomene und sind auch in der Lage, die pragmatischen Bedingungen des Sprechens angemessen zu berücksichtigen. Daraus folgt eine abschließende Gruppierung von zeitlich und qualitativ verschiedenen, quellenbedingten Aussagestufen, deren Unterschiede zu beachten sind, wenn man sie in sprachgeschichtlicher Abfolge zueinander in Beziehung setzt. 1. Frühester Zeitabschnitt ohne nennenswerte unmittelbare sprachliche Zeugnisse; sprachwissenschaftliche Aussagen gründen weitgehend auf dem Verfahren der Rekonstruktion38. - Abschnitt bis etwa in die römische Kaiserzeit. 2. Einzelne versprengte Wort- und Namenzeugnisse ohne geschlossene Textüberlieferung; die Analyse erlaubt die Ermittlung einzelner Züge von Trümmersprachen. - Zeitabschnitt der Völkerwanderung und Merowingerzeit. 32 33

34 35 36 37 38

Vgl. Schmidt-Wiegand 1969; Schmidt-Wiegand 1984 u.a.m. Es sei am Rande bemerkt, daß Arbeiten zu diesem speziellen Wortschatz vielfach ihr Augenmerk mehr auf die mit diesen Worten bezeichneten „Sachen" als auf eigentlich sprachstrukturelle Fragen richten; z.B. Gysseling 1976; Olberg 1983 u.a.m. Vgl. z.B. Gamillscheg 1970. Vgl. Untermann 1989. Z.B. Bergmann 1977 u.a.m. Braune 1874. Zur Rekonstruktion und zum Status der Ergebnisse vgl. weiter unten.

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3. Textüberlieferung aus einer begrenzten Anzahl von Schreiborten. Derartige Schreibsprachen erlauben Einblicke in die verschiedenen sprachwissenschaftlichen Beschreibungsebenen und ihre Interaktion. Unter diesen Voraussetzungen kann begründet von historischen Sprachformen die Rede sein. Die lautliche Ebene muß allerdings nach wie vor erschlossen werden. - Lage auf dem Kontinent seit der Karolingerzeit; Ausnahme ist das früher überlieferte Gotische. 4. Dichte Erhebungen neuzeitlicher Mundart erlauben erst die Beobachtung auch gesprochener Sprache und der Verteilung von Sprachformen im Raum, die lautliche Ebene ist unmittelbarer Beschreibung ohne den Filter der Schriftlichkeit zugänglich. Wenn auch für den Entwurf eines sprachgeschichtlichen Bildes diese vier Stufen zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen, darf ein Bewußtsein für die gewichtigen Unterschiede der Stufen nicht verloren gehen. Bei Sichtung der Literatur drängt sich jedoch vielfach der Eindruck auf, daß gerade während der von der Sprachgeographie geprägten Periode der Disziplin die Größen des Faches wie etwa Theodor Frings oder Friedrich Maurer souverän über beachtliche Zeiträume hinweggesprungen sind, ohne die skizzierten qualitativen Unterschiede der Stufen angemessen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist an erster Stelle eine nicht gerechtfertigte Grundannahme für die Stufe 1 hervorzuheben, nämlich die Unterstellung eines Zusammenfallens von sprachlichen Gruppierungen mit archäologischen Fundkreisen (und damit auch ethnischen Einheiten) derart, daß beim Fehlen sprachlicher Quellen aus den beiden letzteren Größen auf die erste geschlossen werden kann. Diese Annahme ist durch nichts untermauert. F. Maurer, der diesem Gedanken zum allgemeinen Durchbruch verholfen hat, hatte selbst ausdrücklich betont, daß eine Klärung der frühesten Gliederung der germanischen Sprachen auf dem Kontinent „vom rein Sprachlichen her überhaupt nicht gewonnen werden" könne39. Worauf sich sein Vertrauen auf den sprachgeschichtlichen Aussagewert der Archäologie letzten Endes gründete, ist schwer nachzuvollziehen. Die Warnungen von Josef Weisweiler und insbesondere Hans Kuhn40 haben für die nachfolgenden Benutzer keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es gilt für die Vorgeschichte des Deutschen und seiner germanischen Nachbaridiome auf dem Kontinent seit Maurer die Gliederung in „Elbgermanisch", „Weser-Rhein-Germanisch" und „Nordseegermanisch" auf der Grundlage archäologischer Befunde41, wobei substantivische Bevölkerungsnamen („Elbgermanen" usw.) unmittelbar und ohne

39 40 41

Maurer 1952:14. Weisweiler 1951/52; Kuhn 1944 usw. Vgl. oben: Schwarz 1956; Moser 1969: 93ff.; Bach 1970: 78ff.; Sonderegger 1979: 71; Sonderegger 1983; Hutterer 1987:25iE; Schmidt 1993: 52ff. u.a.m.

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Vorbehalte in adjektivische Sprachbezeichnungen umgesetzt werden. Nur wenige haben sich dem Entwurf nicht angeschlossen42. Es kann aber nicht genug betont werden, daß archäologische Zeugnisse im Sinne des Wortes „sprachlos" sind, interne Gliederungen von Sprachen aber nicht anders als aufgrund sprachlicher Kriterien beschrieben werden können43. Dazu mag für Skeptiker das folgende Gedankenexperiment hilfreich sein: Wenn sich nach vielen tausend Jahren einmal die Archäologenzunft zur Ermittlung einer vergangenen Alltagswelt durch unsere heutigen Müllberge gräbt, wird sie vermutlich als einzig gut erhaltene Stücke die Gefäße aus Kohlenstoffplastik wiederfinden. Aufgrund dieses Fundmaterials kann man dann für ganz Westeuropa einen Formenkreis der „Plastikeimerleute" analog dem Begriff der „Bandkeramiker" aufstellen. Es wird sich aber schwerlich daraus ableiten lassen, wieviele und welche Sprachen in besagtem Raum gesprochen worden sind. Es ist zwar durchaus möglich, daß innerhalb der archäologischen Formenkreise die Bedingungen für einen Kommunikations- und Verkehrsraum gelegt worden sein können, ob ein solcher Rahmen aber zu relativ einheitlichen Sprachmerkmalen geführt hat, kann allein an gleichzeitigen sprachlichen Kriterien aufgezeigt werden. Rückschlüsse aus späteren Zuständen sind nicht zwingend44.

Stamm und Sprache Von ihren Anfängen an45 zieht sich durch die Germanistik die Vorstellung von einer durchaus geschlossenen, einheitlichen Stammessprache, die sich zunehmend in kleinere Einheiten zersplitterte. Das geht bei Jacob Grimm soweit, daß auch für die Konstituierung bestimmter ethnisch-politischer Gruppen wesentlich sprachliche Einteilungskriterien gelten, wie zum Beispiel die Bildung von Oberbegriffen der Art „die Hochdeutschen" oder „die Niederdeutschen"46 zeigt. Auf diese Weise ergibt sich bei J. Grimm unter einem Stammesnamen ein eigenartiges Konglomerat von ethnisch-politischer Stammeskunde, Namenetymologien und sprachlichen Merkmalen. Bei aller Veränderung der Vorstellungen im einzelnen ist diese Tradition mehr oder weniger bestehen geblieben. Prototypisch mag dafür die „Germanische Stammeskunde" von Ernst Schwarz stehen47. Es ist jedoch leicht zu sehen, daß es sich bei dieser Vorstellung um eine empirisch nicht gestützte Tra42 43 44

45 46 47

Z.B. Scardigli 1994: 89. Vgl. auch unten zu Stamm und Sprache. Vgl. das Diktum von Hans Kuhn: „Wer so arbeitet, wie Maurer, Frings und Schwarz es tun, hört auf, mit gleichem Maß zu messen. Er weist den Gemeinsamkeiten der vielen Sprachzweige ihren Platz und Rang je nach der vorgeschichtlichen These zu, der er verfallen ist..." (Kuhn 1952: 51). Vgl. etwa Jacob Grimm 1880, u.a. Grimm 1880: 337ff., 423ff. Schwarz 1956; vgl. dazu jedoch Kuhn 1958.

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dition aus der Romantik handelt, die schon seit Hermann Paul endgültig hätte erledigt sein sollen48. Daran wird ersichtlich, daß Pauls „Prinzipien" zwar oft gerühmt, manchmal zitiert, wenig gelesen und noch weniger verstanden worden sind. Offenbar haben in den historischen Disziplinen zutreffende Einsichten wenig Aussichten auf allgemeine Übernahme, wenn sie nicht im Trend der Zeit liegen. Heinrich Sproemberg hat darauf aufmerksam gemacht49, daß der Schweizer Historiker Fueter schon a. 1911 in Fragen der wanderzeitlichen Stämme vor einer Uberschätzung der Sprachgemeinschaft und vor Rückschlüssen der Sprachwissenschaft auf die Frühzeit gewarnt hat. Sprachliche Einheitlichkeit ist immer nur als ein Mehr oder Weniger zu verstehen und zu jeder Zeit in ständiger Veränderung begriffen. Die Annahme einer statischen Einheitlichkeit zu einem bestimmten Punkt des Zeitablaufs ist die Folge von Trugschlüssen. Tatsächlich gültige sprachliche Identifizierbarkeit einer ethnisch, archäologisch oder auch politisch faßbaren Gruppe ist wiederum nur an ihren Spracheigentümlichkeiten zu erweisen; ohne sprachliche Zeugnisse bleibt sie bloßes Postulat. Alles, was wir mittlerweile aus der historischen Forschung zur Ethnogenese der wanderzeitlichen „Stämme" wissen, spricht gegen eine derartige stillschweigende Annahme. Selbst die Voraussetzung von „Traditionskernen" der wanderzeitlichen Gruppen führt nicht mit hinreichender Sicherheit auf Einheiten, die sprachwissenschaftlich-klassifizierenden Gesichtspunkten genügen. Die Vorstellungen, die derartige einheitsstiftende Traditionen begründen und weitervermitteln, sind zwar sprachlicher Natur, da sprachlich formuliert, jedoch kaum von einer mehr „gotischen", „sächsischen" oder „fränkischen" Färbung im Sinne sprachwissenschaftlicher Klassifizierung abhängig. Die Identifizierung ethnisch-politischer und sprachwissenschaftlich-dialektologischer Begriffe wird aber fatalerweise durch zwei Faktoren immer wieder neu aktualisiert, nämlich 1. durch die Benennungen selbst, deren Konstanz durch die Jahrhunderte verdeckt, daß die benannten Objekte in der historischen Realität einem ständigen Wandel unterworfen sind und 2. durch das Verfahren der sprachwissenschaftlichen Rekonstruktion.

Das Problem der Benennungen Die Benennungen heutiger Großmundarträume im Altsiedelland, die durchaus als Fortsetzer von Gebilden verstanden werden können, die auch in ältester Textüberlieferung in Erscheinung treten, sind von den gebräuchlichen Stammesnamen 48

49

Paul 1920: 37-47. Die Argumente Hermann Pauls finden sich schon in der Erstauflage der „Principien" von 1880. Sproemberg 1971: 68.

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der Wanderzeit abgeleitet: Bairisch, Alemannisch, Sächsisch, Fränkisch. Das ist darin motiviert, daß wir abgrenzbare Sprachtypen in den Räumen vorfinden, wo wir die „Stämme" nach Abschluß der Wanderzeit, im Karlsreich vereint, wiederfinden. Trotzdem darf bei allem jedoch folgendes nicht in Vergessenheit geraten, damit das Denken nicht auf Abwege gerät: Zum einen sind diese Benennungen nicht zeitgenössisch, sondern als sprachwissenschaftliche Termini in der Rückschau aus einem bestimmten historischen Wissen heraus gegeben. Es führt auf einen Zirkel, aus der Namengebung nun Schlüsse in die quellenlose Zeit zu tun. Zum anderen ist von der Motivation, nach der die Benennungen gegeben sind, zu unterscheiden, welche Merkmale die so genannten sprachgeographischen Klassifikationsbegriffe ausmachen. Diese Merkmale aber sind rein sprachliche Faktoren der verschiedenen Beschreibungsebenen (graphisch-lautlich, morphologisch, lexikalisch, selten syntaktisch). Es handelt sich also um sprachwissenschaftliche Termini, die nur über die Benennungsmotive einen Bezug zu den angenommenen ursprünglichen Sprechergruppen haben. Ebensowenig wie in der Grammatik darf die semantische Motivation der verwendeten Ausdrücke mit den Konstituenten der damit gemeinten Begriffe verwechselt werden: Präsens ist tatsächlich nicht Bezeichnungselement für ,Gegenwart* und Singular meint auch nicht einfach .Einzahl'. Schließlich bezeichnen diese Sprachnamen nur eine relative Einheitlichkeit. Tatsächlich geht es bei der ältesten Textüberlieferung immer um ein Mehr oder Weniger von Ähnlichkeiten. Vor der Suggestivwirkung der sprachwissenschaftlichen Benennungen für das Denken hatte wiederum Friedrich Maurer selbst schon gewarnt, als er es unternahm, die Vorstellung von einem einheitlichen Westgermanisch als Idiom einer tatsächlichen Sprechergruppe zu zerstören50. Das gilt entsprechend für die althochdeutschen bzw. altniederdeutschen Sprach(raum)bezeichnungen: Bairisch, Alemannisch, Fränkisch, Sächsisch. Man kann nicht oft genug betonen, daß es sich dabei um Benennungen und Charakterisierungen für karolingerzeitliche (und spätere) Sprachphänomene handelt, die nachträglich von Philologen gegeben sind und die mit diesen Benennungen bei ihrem Wissen angeknüpft haben, daß in den entsprechenden Uberlieferungslandschaften die mit diesen Namen genannten Stämme beheimatet waren. Die gleichbleibende Benennung aber verleitet leicht zur Annahme einer kontinuierlichen Identität durch die Zeit. Einige unmittelbar einsichtige Gegenzeugnisse mögen das illustrieren: Trotz des gleichen Namens sind die Goten des Schwarzmeergebietes im ethnisch-politischen Verstände nicht mehr dieselben Goten des 5. Jhs. in Italien und auch nicht mehr dieselben Goten des 7. Jhs. in Spanien. Es gibt keine Argumente für die Annahme, die gotische Sprache sei in all den Jahrhunderten einheitlich unverän50

Maurer 1952: 15.

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dert geblieben. Die Goten heißen schließlich auch noch Goten, als sie in romanischer Umgebung ihre germanische Sprache aufgegeben haben. Und was im sprachwissenschaftlichen Verstände „Gotisch" heißt, ist fast ausschließlich der Idiolekt des Bibelübersetzers Wulfila im Filter einer späteren Aufzeichnung. Der Name der Friesen ist für die Zeit kurz vor der Zeitenwende (12 v. Chr.) durch Plinius und Tacitus bis heute an der Nordseeküste bezeugt51. Inwieweit die mit diesem Namen benannte Menschengruppe durch die Jahrhunderte „dieselbe" war, ist eine kaum zu beantwortende Frage. Das unter den Begriff „Altfriesisch" gefaßte Textcorpus des 13. bis 16. Jhs. kann man sich nicht heterogen genug denken. Und die allermeisten Friesen auf heute deutschem Boden sprechen grundsprachlich längst Niederdeutsch, wenn sie nicht auf die neuhochdeutsche Standardsprache allein angewiesen sind; sie sprechen jedenfalls nur in verschwindend kleinen Gebieten noch Friesisch. Wieweit die mit ein und demselben Ausdruck benannten begrifflichen Konzepte auseinanderfallen können, erweist ein Vergleich zweier Arbeiten von Klaas Heeroma und Wolfgang Laur52. Während Heeroma „ingwäonisch" ausdrücklich als rein dialektologischen Terminus für ein Bündel eindeutig bestimmbarer Merkmale sprachlicher Varianten im Bereich der Nordseeküste verstanden wissen wollte ohne Rückgriff auf ethnisch-politische Gruppierung der Sprachträger, hat W. Laur wahrscheinlich gemacht, daß „Ingwäonisch" kein brauchbarer Sprachbegriff ist, wenn man von historischen Überlegungen zu den „Ingwäonen" ausgeht. Heeromas ausdrücklich vorgenommene Trennung von dialektologischer und historischpolitischer Begriffbildung hat leider keine allgemeine Nachfolge gefunden. Gegenüber der Behauptung, daß die von Stammesnamen abgeleiteten Sprachbezeichnungen nicht zeitgenössische Ausdrücke des 9. Jhs. seien, kann auch nicht ins Feld geführt werden, daß Otfrid von Weißenburg seine große Bibeldichtung nach eigenem Zeugnis in frenkisgon bzw. in frenkisga zungun verfaßt habe. Gemäß diesem Wortbildungstyp kommt durchaus eine ganze Reihe von Ableitungen axis Völkerschaftsnamen im althochdeutschen Corpus vor53, jedoch sind die Adjektive frenkisc und lanc(h)partisc die einzigen, in denen ein germanischer Stammesname als Basis bezeugt ist54. Das allein in Glossen bezeugte lanc(b)partisc Jangobardisch' kann hier beiseite bleiben; seine Glossierungskontexte zielen nicht auf Sprachkennzeichnungen. In diesem Gebrauch steht frenkisc isoliert. Und wenn auch aufgrund des Basiselements die Bedeutung mit ,auf Fränkisch, in fränkischer Sprache' angegeben werden kann55, so ist als aktuelle Textbedeutung tatsächlich dasselbe gemeint, was Otfrid im lateinischen Kontext mit theodisce bezeichnet, also die germanische Volkssprache im Karlsreich überhaupt, ohne weitere Hervorhe51 52 53 54 55

Steller 1928: 2; Schwarz 1956:120f. Heeroma 1965; Laur 1984. Vgl. Hornbruch 1996. Splett 1993 Π: 296ff„ 387; Hombruch 1996: 131-141. Schützeichel 1995: 140; Splett 19931/1:261.

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bung einer sprachgeographischen Variation56. Oder mit anderen Worten: fränkisch bei Otfrid ist durchaus nicht ein sprachwissenschaftlicher Terminus, auch wenn heute das Idiom von Otfrids Evangelienbuch aus gutem Grund als „rheinfränkisch" klassifiziert wird57. Auf den quasi-synonymen Gebrauch von in frenkisgon und theodisce hat zu Recht und mit Nachdruck Heinz Thomas aufmerksam gemacht58, dessen Arbeiten zum Wort deutsch von der germanistischen Forschung aufmerksamer beachtet werden sollten59.

Das Verfahren der Rekonstruktion Aufgrund der Rekonstruktionsprinzipien in der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft wird das Ergebnis einer vergleichenden Rekonstruktion notwendig einheitlicher als das Ausgangsmaterial; denn nur belegte Gemeinsamkeiten dürfen in eine Rekonstruktion eingehen. Deshalb ist das Resultat einer Rekonstruktion auch keine historische Sprache in ihrer Vielfalt und Variation, sondern ein bloßes Konstrukt, das die Verwandtschaft (d.h. den inneren Zusammenhang einer gemeinsamen Struktur) tatsächlich bezeugter Sprachstufen durchschaubar macht. In gleicher Weise sind auch Merkmalbündelungen, mit deren Hilfe man verwandte Sprachen oder Dialekte einer Einzelsprache nach Parallelen und Differenzen voneinander abgrenzt, in einer Perspektive gewählt, die von der Zeit absieht. Derartige Bündelungen können keinesfalls als unverändert gültig angesehen werden. Sie können in entstehungsgeschichtlicher Sicht durchaus verschiedenen Zeitstufen angehören, was auch meistens der Fall ist. Die Kunst sprachhistorischer Interpretation solcher Bündelungen oder auch des gleichzeitigen Befundes von Kartenbildern besteht gerade darin, die gleichzeitig auftretenden Kriterien solcher „Momentaufnahmen" verschiedenen Zeitstufen zuzuweisen und das aktuelle Miteinander als ein sukzessive Gewordenes zu erweisen. Beide Perspektiven aber, die historisch-genetische und die systematisch-funktionale, gehen in älteren Arbeiten naht- und kommentarlos ineinander über, obwohl sie ganz verschiedene wissenschaftliche Gegenstände konstituieren. Das zeigt sich insbesondere an den vielen unzulänglichen Erörterungen über das Schleichersche Stammbaummodell in der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft. Es ist ein hervorragendes Instrument zur Darstellung der Nähe und der Abstände der Sprachen eines gemeinsamen Sprachzweiges aufgrund von charakteristischen Merkmalen, sieht aber notwendig von der Genese solcher Bündelungen ab. Das Modell ist entsprechend absolut unhistorisch und taugt deshalb zur Dar56

57 58 59

Vgl. auch die zutreffenden Beobachtungen im „Althochdeutschen Wörterbuch" ΙΠ, Berlin 1971-1985: 1245. Braune 1987: § 6; Franck 1971: §§ 2,3. Auch Reiffenstein 1985:1721. Thomas 1987; Thomas 1988; Thomas 1990.

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Stellung historischer Prozesse überhaupt nicht, es sei denn, man könnte eine unveränderte zeitliche Konstanz der Merkmalsbündelungen und eine unmittelbare und stabile Verknüpfung mit den Sprechergruppen voraussetzen. Insofern war Friedrich Maurers Unternehmen zur Widerlegung einer „westgermanischen Einheit" 60 unnötig aufwendig. U m zu zeigen, daß es sich nicht um eine tatsächliche, historische, ethnische oder sprachliche Wirklichkeit gehandelt hat, hätte der Hinweis auf den Rekonstruktionscharakter dieses „Westgermanisch" genügt. Entsprechend hat Hans Kuhn die starke Fixierung am „Stammbaumdenken" zu Recht gerügt61. Die Systematik von Merkmalskonstellationen in den Verzweigungen des Stammbaums läßt sich grundsätzlich nicht in eine folgerichtige historische Genese umformulieren, da die Genese vorangegangen und nicht notwendig einer Regel gefolgt ist. Es ist erstaunlich, wie stark die vor allem von Jacob Grimm geförderte Vorstellung von der ständigen Auffächerung einer anfänglichen Einheit - bei aller Veränderung des Konzeptes in der Forschung im einzelnen - die Modellbildungen der Sprachhistoriker beindruckt hat. Die Resultate des systematisch rekonstruierenden Denkens und die romantische Grundannahme von der anfänglichen Einheit haben sich offenbar gegenseitig bestätigt und verstärkt. Tatsächlich hat schon Hermann Paul diesem Denken vor der Jahrhundertwende die Grundlagen entzogen62. Denn neben der - tatsächlich beobachtbaren Auffächerung ins Kleinräumige bis hin zu örtlich identifizierbaren Dialekteigentümlichkeiten steht doch auch, und zwar an sprachlichen Quellenzeugnissen nachvollziehbar, die Konvergenz einer ganzen Reihe von germanischen Idiomen zu nur zwei nationalen Literatursprachen auf germanischer Basis auf dem Kontinent, nämlich Deutsch und Niederländisch. Und das Leitmotiv aller Sprachgeschichtsschreibung des Deutschen ist die Herausbildung einer überdachenden Einheitssprache, nach deren Etablierung die älteren regionalen Varietäten den Status von Dialekten erhalten haben. Die Konstanten des Sprachlebens sind ständige Differenzierung und Konvergenz zu gleicher Zeit. Im übrigen besagen die Ausführungen zur sprachwissenschaftlichen Rekonstruktion nichts gegen den Wert oder die Richtigkeit des Verfahrens. Sie sollen allein den Status der Ergebnisse ins Gedächtnis rufen. Hin und wieder scheint es nicht müßig zu sein zu erinnern, daß wissenschaftliche Aussagen nicht allein Aussagen nach Gründen sein sollten. Zu ihrer Validität gehören jedoch auch Angaben über die Bedingungen und den Grad ihrer Gültigkeit sowie über ihre Reichweite, 60 61

62

Maurer 1944; Maurer 1952. Kuhn 1944. Auch neuere Arbeiten wie Krogh 1994 und Krogh 1995 verkennen den kategorialen Unterschied von systematischem und historisch-genetischem Zugriff. Abgesehen davon ist darauf hinzuweisen, daß trotz der Nennung der „Westfälischen Geschichte" (I, ed. Wilhelm Kohl, Düsseldorf 1983) im Literaturverzeichnis jüngere Untersuchungen zur Ethnogenese der Sachsen, etwa von Karl Hauck, gänzlich unberücksichtigt geblieben sind. Paul 1920: 37ff.

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insbesondere auch darüber, was sie nicht erfassen können. Nur nebenbei sei bemerkt, daß im interdisziplinären Dialog den Nachbardisziplinen allein Aussagen dieses Reflexionsniveaus hilfreich sein können. Nicht absicherbare Bestätigungen für erwünschte Meinungen helfen niemandem weiter63.

Das besondere Problem des Fränkischen Wenn man auf die oben skizzierte Weise deutlich sprachwissenschaftliche Sprachgruppenbegriffe gleichbenannten ethnisch-politischen Begriffsbildungen gegenüberstellt, erweist sich, daß für die älteste deutsche Uberlieferung gerade der Begriff des „Fränkischen" neben Bairisch, Alemannisch und Sächsisch am problematischsten ist64. Denn das unter „Fränkisch" subsumierte Sprachmaterial ist nach seinen verschiedenen Merkmalen (lautlich-graphisch, flexivisch usw.) derart in sich verschieden, daß in Nieder-, Mittel-, Ost- und Rheinfränkisch65 unterschieden wird. Eine solche Unterteilung aber wird man in historisch-politischen Gliederungen der Franken beim besten Willen nicht wiederfinden. Im Vergleich der geographischen Lagerung der Sprachräume mit historischen Nachrichten wird man vielleicht einen Bezug zwischen salischen Franken und Niederfränkisch, ripuarischen Franken und Mittelfränkisch herstellen wollen, aber auch dafür gibt es keine handfesten sprachlichen (d.h. schriftlich überlieferten) Zeugnisse. Diesem speziellen Problem des Fränkischen als in sich stark gegliedertem Sprachraum des ältesten Deutschen mit Blick auf den namengebenden Stamm und der Frage nach den Ursachen dafür gehen alle Sprachgeschichten der neueren Zeit mehr oder weniger stillschweigend aus dem Weg. Aus der Sicht der Sprachgeographie heutiger Mundarten (unterhalb der Ebene der Nationalsprachen Deutsch und Niederländisch) wie auch der mittelalterlichen Schreibsprachen, nimmt man einmal alle Merkmale der verschiedenen Beschreibungsebenen zusammen in den Blick und sieht von jüngeren Entwicklungen unter dem Einfluß der Nationalsprachen ab66, stellt sich der Raum des germanisch sprechenden kontinentalen Nordwestens dar als ein Gebiet kontinuierlicher Übergänge von den Niederlanden bis an den Oberrhein, was zu einer stabilen „Stammesgrundlage" überhaupt nicht passen will. Insofern ist die Frage des Fränkischen in der frühen deutschen Sprachgeschichte immer noch der Prüfstein für alle Erklärungskonzepte. Ein wichtiges Hilfsmittel, dieses Phänomen historisch näher zu ergründen, ist vor dem Hintergrund bereits erreichter Einsichten der

63 64 65 66

Vgl. Kuhn 1944. So schon Maurer 1952:6. Vgl. Franck 1971: 2-10; Braune 1987: §§ 2-6; Quak 1995. Vgl. Goossens 1991; Cajot 1989.

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dialektologischen und sprachhistorischen Forschung neben anderen der im Erscheinen begriffene „Fränkische Sprachatlas" von Jan Goossens67. Der dialektologische Befund, bezogen auf die Nachrichten der Stammesgeschichte, sollte jedoch schon von vornherein eine deutliche Trennung von ethnisch-politischen und sprachwissenschaftlich-klassifizierenden Begriffen anraten.

Das Sprachraumkonzept Die am Marburger Sprachatlas entwickelte Sprachgeographie hat bis in die frühen sechziger Jahre entscheidend Fragestellung und Grundannahmen der Sprachgeschichte bestimmt68. Dieser Ansatz ist für eine Sprachgeschichte deshalb nicht mehr hintergehbar, weil Beurteilungsmaßstäbe für vergangenes Sprechen nur am aktuellen, beobachtbaren Sprachleben gewonnen werden können. Diesem Grundsatz ist auch der Fortschritt der Junggrammatiker gegenüber ihren Vorgängern zu verdanken. Es ist aber zu prüfen, welche der aktuellen Situationen als Modell früherer Zustände dienen können und welche nicht. An dieser Stelle dürfte die Kritik Hans Kuhns an der Sprachgeographie aufgrund ihrer Generalisierung zu weit gegangen sein6'. Den Grundsatz als solchen hat auch er anerkannt, insofern er selbst zur Illustration seiner Gegenvorstellungen beobachtbare Phänomene angeführt hat70. Die Sprachgeographie hat ihre kartographischen Darstellungsmittel im wesentlichen aus der allgemeinen Geographie übernommen. Bei einer solchen Ubertragung gerät in der Regel leicht in Vergessenheit, was bei aller Ähnlichkeit der Phänomene an grundsätzlichen Unterschieden bestehen bleibt. Werden sie nicht offengelegt, setzt sich die Gefahr der verzerrten Wahrnehmung stillschweigend fort. Gemeint ist hier vor allem die Isoglosse als Grenzsymbol von Sprachräu-

67 68 69 70

Goossens 1982; Goossens 1988/1994. Hüdebrandt 1984, vgl. oben. Z.B Kuhn 1952: 45f., 52. Z.B. Kuhn 1957/58: 148; Kuhn 1963: 149. Vgl. Kuhn 1952: 52, wo er einen Zusammenhang von Sprachgeschichte und allgemeiner Geschichte bestätigt. „Ich wende mich aber scharf dagegen, daß man der Mundartgeographie die Kenntnis so allgemeiner Gesetze für diesen Zusammenhang zuspricht, daß sie es möglich mache, aus der sonstigen Geschichte bestimmte Schlüsse auf die Entwicklung der Sprache zu ziehen, und dies obendrein in Verhältnissen, mit denen dieser Forschungszweig nie zu tun hat und über die uns die Quellen nur so dürftig unterrichten, daß wir von solider Kenntnis sowohl der äußeren wie inneren Geschichte weit entfernt sind. Die Philologie täte der Vorgeschichte einen besseren Dienst, wenn sie alle sprachlichen Kriterien, die es für den Zusammenhang der germanischen Stämme und Stammesgruppen nach hierhin und dorthin gibt, nüchtern geordnet zusammenstellte, statt daß sie ihr vortäuscht, die Sprache bestätige einzelne ihrer häufig wechselnden Thesen. Was da von unsrer Seite bisher vorgelegt ist, gibt zum Glück ein Recht zu hoffen, daß wenigstens die ernste Vorgeschichtsforschung die Armut dieser Kunst durchschaut".

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men71. Sie ist offenbar analog den Isothermen oder Isobaren der Geographie bzw. der Meteorologie gebildet. Die mit ihrer Hilfe erstellten Kartenbilder suggerieren zusammenhängende sprachliche Flächen und kontinuierliche Linienverläufe, was insgesamt zu einem verzerrten bis falschen Eindruck führt. Denn es gibt einen schwerwiegenden kategorialen Unterschied: Während Isothermen und Isobaren tatsächlich Kontinua im Raum darstellen, die lediglich dadurch ungenau sind, daß man nicht kontinuierlich alle dargestellen Punkte messen kann, sind Isoglossen grundsätzlich und notwendig diskontinuierlich. Sprache ist nur dort im Raum zu beobachten, wo sich sprechende Menschen aufhalten. Und das kann immer nur punktuell mit mehr oder weniger großen Zwischenräumen sein. Entsprechend täuschen insbesondere Flächenkarten eine größere Geschlossenheit vor, als es sie tatsächlich gibt. Die vom Kartenbild suggerierte Ungenauigkeit mag bei modernen Verhältnissen mit einer wie in Nordwesteuropa ziemlich dichten Besiedlung, einer von Wäldern und Ödländereien weitgehend ausgeräumten Kulturlandschaft und bei einer jahrhundertelangen sprachlichen Angleichung der Ortspunkte, die durch großstaatlichen Rahmen weit befördert ist, tolerierbar sein. Die von modernen Sprachkarten unterstellte Sicht der Dinge dürfte aber für das frühmittelalterliche Europa nach der Völkerwanderung ganz und gar unangemessen sein, weil mit vielen, ethnisch heterogenen Sprechergruppen, mit kleineren Siedlungskammern und mit größeren Zwischenräumen zu rechnen ist. Die sprachgeographische Wirklichkeit des Frühmittelalters wird man vielmehr erheblich buntscheckiger annehmen müssen, als es heutige großräumige Kartenbilder vor Augen stellen. Die Forschungen von Wolfgang Kleiber zur Romania submersa im Moselgraben und seiner Umgebung, dann aber auch am Oberrhein und im Schwarzwald72 oder die Untersuchungen von Wolfgang Haubrichs zur Germania submersa in Lothringen 73 deuten auf ein vielgestaltiges sprachliches Nebeneinander von Romanen und germanisch sprechender Bevölkerung und kleinräumiger Siedlungsstruktur. Das jüngst von Eugen Ewig untersuchte Beispiel von Waldorf am Vinxtbach74 und eigene Beobachtungen im Nordeifelraum75 legen nahe, daß man von vielen Siedlungskammern unterschiedlichster Größe ausgehen muß, die sprachlich recht verschieden geprägt sein konnten. Das Phänomen der Sprachinsel muß sehr viel geläufiger gewesen sein als in der heutigen dichtbesiedelten Zeit, und eine Sprachkarte des frühen Mittelalters dürfte eher nach dem Muster des Leopardenfells mit kleineren und größeren Flecken vorzustellen sein. Stellt man zusätzlich in Rechnung, daß man sich aufgrund der neueren historischen Forschungen über die Genese der völkerwanderungszeitlichen Stämme 71 72 73 74 75

Dazu vor allem Händler & Wiegand 1982. Kleiber 1983; zusammenfassend Kleiber 1992. Z.B. Haubrichs 1983; Haubrichs 1986 u.a.m. Ewig 1995. Neuß 1988.

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solche Gruppen auch ethnisch zusammengewürfelt vorstellen muß, dann wird man gut daran tun, den Gedanken an eine einigermaßen einheitliche Stammessprache bei Abschluß der Wanderzeit und an Erklärungsmodelle aufzugeben, die am Bild von neuzeitlichen Mundarten im Binnenland gewonnen worden sind. Überlegungen dieser Art sind keineswegs völlig neu. Hans Kuhn hat in einer Reihe von Besprechungen und Aufsätzen in den fünfziger Jahren vielfach darauf hingewiesen, daß sich in den wanderzeitlichen Gruppen vielerlei „Volkssplitter" zusammengefunden haben, daß die Suche nach exakt umgrenzbaren Auswanderungsgebieten unfruchtbar sei und daß die an jungen Mundartverhältnissen im geschlossenen Sprachgebiet mit überdachendem Standard gewonnenen Modelle nicht einfach in die Frühzeit verlegt werden dürften76, ohne damit durchgängige Anerkennung zu finden. Das spricht aber nicht gegen die Richtigkeit der Auffassung und ihr erneutes Einbringen in die Diskussion. Trotz seiner Polemik gegen die seinerzeit betriebene Sprachgeographie ist nämlich auch Hans Kuhn von dem guten und richtigen junggrammatischen Grundsatz ausgegangen, daß vergangene Sprachzustände methodisch verläßlich nur vor dem Hintergrund von Einsichten beschrieben werden könnten, die an aktuell beobachtbaren Sprachverhältnissen gemacht werden. Derartige aktuelle Verhältnisse können aber weniger die relativ geschlossenen Mundartareale aus der Zeit der Sprachatlaserhebungen als vielmehr solche sein, wie sie im Rahmen der Sprachinselforschung gewonnen worden sind wie etwa beim Siebenbürgischen77. Kartierungen einzelner sprachlicher Erscheinungen, gleich welcher Zeitstellung, führen auf Raumbilder von verwirrender Fülle, deren Deutung und Begründung der frühen sprachgeographischen Forschung beträchtliche Schwierigkeiten bereitet haben. Die Konturierung solcher Raumbildungen durch Kombinationskarten kann in jüngster Zeit mit rechnergestützten Methoden stark verbessert werden78. Trotz u.U. klarer herausgearbeiteter Konturen bleibt aber die alte Aufgabe bestehen, die Kartenbilder als historisch geworden zu interpretieren, d.h. nach Ursachen Ausschau zu halten, auf die die jeweiligen Verbreitungsbilder zurückgeführt werden können. Zur Erklärung von sprachlichen Verbreitungsmustern ist von Seiten der Sprachgeographie Marburger oder Bonner Provenienz, als deren klassisches Handbuch Adolf Bachs „Deutsche Mundartforschung"79 gelten kann, letzlich immer wieder die in solchen Räumen interagierende Verkehrsgemeinschaft namhaft gemacht worden. In heutiger Redeweise würde man von Kommunikationsgemeinschaften und Kommunikationsräumen sprechen. Diese Einsicht ist dennoch keine neue Errungenschaft der Mundartforschung und Sprachgeographie, die sich als Ablösung der älteren junggrammatischen Forschung verstanden hat. Die Beobachtung, daß sich im Miteinander-Sprechen die 76 77 78 79

Z.B. Kuhn 1952: 46ff.; Kuhn 1957/58: 148; Kuhn 1963:149f. Z.B. Klein 1959; Klein 1961; Klein 1963a; 1963b u.a.m. Z.B. Lausberg & Möller 1996. Bach 1950.

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Sprachformen angleichen, wie auch diejenige, daß sprachliche Gruppierungen immer bloß relativ einheitlich sind und keine ohne mehr oder weniger starke Variation auskommt, ist schon lange vorher von Hermann Paul unübertroffen formuliert worden80. Bei allen divergierenden Interpretationen im einzelnen, durch die eine Vielzahl gleichzeitiger Raumbilder in ein zeitliches Nacheinander aufgelöst werden, bleibt eine Konstante erkennbar. Die sprachliche Angleichung, und das heißt auch die Ausbildving eines Sprachraumes, setzt bereits andere Raumbildungen nach nichtsprachlichen Bedingungen voraus: naturräumliche, siedlungsbedingte und/oder politische. Damit ist nicht gesagt, daß derartige Rahmen notwendig von sprachlichen Erscheinungen gefüllt werden müssen; sie schaffen aber jeweils die Bedingungen dafür. Damit ist die Frage nach den Ursachen von Sprachraumbildungen nicht eigentlich erklärt. Vielmehr ist sie auf eine Ebene anderer kultureller Erscheinungen verlagert, denen ein größeres Gewicht zukommt. Diese Konstante wird von den verschiedenen, oben skizzierten Forschungsrichtungen als solche auch nicht in Frage gestellt. Unter ihrer Voraussetzung ist entweder bloß ein bestimmter historischer Erklärungsfaktor unberechtigt als dominierender favorisiert (Territorialhypothese), oder es ist die in einem solchen Rahmen sekundär ausgebildete und in ihrer vollen Ausprägung relativ spät beobachtete Sprachform in eine frühere Zeit zurückverlegt worden (Stammeshypothese). Beide Konzeptionen kranken daran, daß sie streng genommen das Phänomen der Zeit und den kontinuierlichen Wandel ausblenden. In welcher Weise heutige politische Grenzen sprachraumbildend wirken, indem sie neue und anders zentrierte Kommunikationsbereiche über einem älteren, grundsprachlich ursprünglich eher als Kontinuum zu begreifenden Sprachzustand ausbilden, läßt sich für die sprachliche Gegenwart an der Diversifizierung der germanischen Mundarten von den Südniederlanden bis nach Luxemburg beobachten81. Beobachtungen von Ausgleichvorgängen können an Sprachaufnahmen in der Pfälzer Kolonie am Niederrhein bei Kleve gemacht werden. Hier zeigen sich Angleichungen im Idiom der Pfälzer Siedler an die niederfränkisch-kleverländische Umgebung 82 . Analog hat Karl Kurt Klein für etwas ältere Verhältnisse in einer ganzen Reihe von Arbeiten überzeugend klargemacht83, daß die vielbetriebene Suche nach einer exakt eingrenzbaren „Urheimat" der Siebenbürger vergeblich bleiben mußte. In den isolierten Siedlungszonen Siebenbürgens sind vielmehr neue Ausgleichseinheiten entstanden, in denen neben Neuerungen auch sprachliche Merkmale der alten mittelfränkischen Heimat enthalten sind. Als ganze sind die sprachgeogra80 81 82 83

Paul 1920: Kap. Π; vgl. auch Whitney 1874: Kap. V. Goossens 1991; Cajot 1989. Post 1996. Klein 1959; 1961; 1963.

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phischen Gebilde aber neuartige Einheiten. Die entstandenen Räume sind durch den Siedlungsprozeß vorgegeben84. Eine Sprachgeschichtsforschung könnte für das Verständnis der ältesten frühmittelalterlichen Zustände aus dem Studium solcher Sprachverhältnisse einigen Nutzen ziehen.

Die Frage der zweiten Lautverschiebung Bei einer Bestandsaufnahme kann als vieldiskutiertes sprachliches Phänomen die Frage der zweiten Lautverschiebung im Fränkischen, genauer im nördlichen Mittelfränkischen, nicht beiseite bleiben. Die Wahl des sprachgeographischen Terminus „mittelfränkisch" ist so zu verstehen, daß von einer sprachgeographischen Varietät und nicht von der ethnischen Zugehörigkeit von Sprachträgern die Rede ist. Die Frage kann unter anderem deshalb nicht ausgespart werden, weil die Nordgrenze der Lautverschiebung stellvertretend für ein Bündel räumlich gleichgelagerter weiterer Merkmale als Grenzkriterium des ripuarischen Sprachraumes gewertet wird. Mit der Durchführung der zweiten Lautverschiebung wird seit jeher die Einteilung des Deutschen in Hoch- und Niederdeutsch verknüpft. Die spezifisch mittelfränkische Ausprägung der Verschiebung der germanischen Fortisverschlußlaute / p / , / t / und / k / stellt sich so dar, daß an ihrer Stelle nach Vokal wie generell hochdeutsch - Doppelreibelaute eintreten, von den in den nichtpostvokalischen Umgebungen hochdeutsch gültigen Affrikaten jedoch allein die dentale Affrikate [ts] vorkommt. Germ. / p / und / k / sind in diesen Fällen unverändert erhalten. Nach traditioneller Lehrmeinung, bei der wiederum Jacob Grimm unter den Ahnherren zu finden ist85 und als deren führende Autoren dieses Jhs. Theodor Frings und Walther Mitzka genannt seien86, ist dieser Lautwandel im mittelfränkischen Rheinland Import aus dem Süden. Nach der oben getroffenen Unterscheidung von ethnisch-politischen und sprachwissenschaftlichen Begriffen verändert sich jedoch bereits das Bild, ob man von Import aus dem Alemannischen oder von den Alemannen spricht. Die Vorstellung von einer Umgestaltung der deutschen Sprachlandschaften von Süden nach Norden, und zwar auf fast allen Beschreibungsebenen, ist seit Jacob Grimm eine weitere Konstante sprachgeschichtlicher Arbeiten. Das Phänomen ist in einer ganzen Reihe von Erscheinungen auch zweifelsfrei zu erwei-

85 86

Vgl. auch Hutterer 1967. Seltsamerweise überträgt Hutterer die für die Inselmundarten gewonnenen Einsichten nicht auf seine Darstellung der älteren germanischen Sprachgruppen (Hutterer 1987). Grimm 1880: 342. Z.B. Frings 1957: 36ff.; Mitzka 1968 passim.

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sen87, es folgt aber deshalb noch nicht daraus zwingend eine Generalisierung für alle Fälle. Die Beobachtungen zur Genese der neuhochdeutschen Schriftsprache haben außerdem den Blick dafür geschärft, zwischen wortgebundenem Ersatz vorbildlicher Sprachformen über weitere Strecken und eigentlichem Lautwandel zu unterscheiden. Bezüglich des Lautwandels ist eine Sprachlandschaft mit der vollständigsten Durchführung einer Lautwandelerscheinung keineswegs notwendig ihr Ausgangszentrum88. Historisch, d.h. empirisch, können verläßliche Aussagen nur für jeden Einzelfall Gültigkeit beanspruchen. Der Anteil von Th. Frings an der traditionellen Lehre ist insbesondere durch eine bestimmte Zeitvorstellung charakterisiert, wonach die Masse der Lautverschiebungsfälle vor dem Jahre 1000 (nicht unbedingt im Sinne einer auf das Jahr fixierbaren Größe gemeint) noch südlich von Köln anzutreffen sein soll89. Bei den langen Zeiträumen, die er für das Ausbreitungskonzept in Rechnung stellte, löst sich der Begriff des Lautwandels im eigentlichen Sinn auf; die Veränderung muß dann eher als allmählicher Ersatz Wort für Wort begriffen werden. Dieser Lehre stellte Rudolf Schützeichel eine Konzeption entgegen90, die mit einer autochthonen Entfaltung im Fränkischen (bei den Franken ?) rechnet91. Grundlage dieses Entwurfs ist eine minutiöse Auswertung der, wenn auch knappen, so doch tatsächlich vorhandenen schriftlichen Uberlieferung unter peinlicher Beachtung philologischer Quellenkritik. Die hier seit den sechziger Jahren beigebrachten Feststellungen einer ganzen Reihe von Corpusuntersuchungen92 haben den Fringsschen Zeitansatz eines Importes unwiderleglich aufgelöst und gezeigt, daß von Beginn der Textüberlieferung an der für das Mittelfränkische typische Lautverschiebungsstand vorliegt. Bezüglich der Chronologie der Erscheinung hat Wolfgang Haubrichs für den lothringischen Raum wertvolle Beobachtungen auf der Grundlage von Ortsnamen beigebracht, die auch für andere Regionen in der Methode wegweisend sein können93. Damit aber gerät eine Erklärungshypothese, die mit Ausbreitung von Süden argumentiert, in ziemliche Zeitnot, abgesehen davon, daß sie nicht den Lautwandel als Lautwandel beschreibt. Die spezifisch mittelfränkische Ausprägung der zweiten Lautverschiebung von Anfang an hatte im übrigen, wenn auch unter der traditionellen Annahme eines

87 88 89 90 91

92 93

Vgl. z.B. Schützeichel 1974. So schon Paul 1920: Kap. Π. Z.B. Frings 1957:15. Schützeichel 1961; 1976. Immer wieder referieren Handbuchautoren die Forschung auch nach dem Hörensagen: nach J. Schildt (Schildt 1976: 68) soll R. Schützeichel Ursprung und Ausbreitung der zweiten Lautverschiebung von den Franken ausgehend vertreten. Z.B. Schützeichel 1964; Bergmann 1977. Haubrichs 1987.

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südlichen Importes, auf der Grundlage jüngerer Quellenzeugnisse, Wilhelm Braune schon vor der Jahrhundertwende94 gelehrt. Auf ein völlig neues, die bisherigen Anschauungen umkehrendes Konzept der Lautverschiebung von Theo Vennemann95 sei hier nur am Rande hingewiesen. Es erfordert künftig eine eingehende Auseinandersetzung. Insofern Vennemann aber unter anderem mit „elbgermanischen Grundlagen" 96 rechnet, setzt er dieselben, ausschließlich archäologisch begründeten sprachgeschichtlichen Phantome voraus wie die von ihm umgekehrte Lehre. Hinsichtlich der Nordgrenze der Verschiebung hat zuletzt Heinrich Tiefenbach an Personennamen aus Köln, Xanten und Essen unwiderleglich gezeigt97, daß die frühest greifbare geographische Lagerung der zweiten Lautverschiebung zwischen den heutigen Mundarträumen Nordmittelfränkisch (Kölnisch), Niederfränkisch (Kleverländisch) und Niederdeutsch (Westfälisch) sich durchaus in der gleichen wie der heute feststellbaren Zone bewegt. Dem entspricht ein Befund auf der Grundlage eines ganz anderen, jüngeren Quellentyps, nämlich den Flurnamen mit dem Namenwort Staffel-/Stapel-8, so daß dieser Nordsaum gut durch die Zeit abgesichert ist. Diese Feststellung besagt aber noch nicht automatisch, daß damit auch der Rand einer frühen nordmittelfränkischen Sprachraumbildung überhaupt markiert ist99. Diese Folgerung wäre voreilig, weil sie einerseits quellenbedingt ist und andererseits darauf beruht, daß traditionellerweise die Lautverschiebungs-Isoglossen stellvertretend für ein ganzes Bündel von Abgrenzungsmerkmalen, die einen ähnlichen Verlauf nehmen, genannt werden. Sie gelten überdies als das wichtigste Unterscheidungskriterium zwischen Hoch- und Niederdeutsch bzw. Niederländisch. Dieses Kriterium gründet in der sprachwissenschaftlichen Beschreibung der Lautstruktur; ob es auf der Ebene heutiger Mundart auch im Sprecherbewußtsein als Unterscheidungskriterium gilt und sich als Hindernis der Verständigung auswirkt, kann man durchaus bezweifeln. Andererseits ist die zweite Lautverschiebung als ein graphisch-phonetisches Phänomen eines der wenigen Kriterien, die auch an älterem mittelfränkischem Sprachmaterial mit einigermaßen ausreichendender Frequenz in Erscheinung treten. Bei der bescheidenen Textüberlieferung des Mittelfränkischen bleibt man vielfach auf das Zeugnis isolierter Wörter und Namen angewiesen. Flexivische, morphologische und lexikalische Kriterien lassen sich nur eingeschränkt ermitteln bzw. in ihrer Gültigkeit verallgemeinern. Das wichtigste moderne Identifizie94 95 96 97 98 99

Braune 1874. Vennemann 1984; Vennemann 1987; weitere Literatur Vennemann 1994. Vennemann 1987: 53. Tiefenbach 1984. Schützeichel 1970. Vgl. Klein 1990.

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rungskriterium, das im Bewußtsein der Sprecher ganz wesentlich das Mittelfränkische ausmacht, kann überhaupt erst seit Erfindung der Elektroakustik näher untersucht werden und ist für die ältere Zeit gründlich verloren: die „rheinische Akzentuierung" (auch „rheinische Schärfung" oder „mittelfränkische Tonakzente" genannt), bei der es sich um die Korrelation von zwei phonologisch relevanten Tönen handelt100. Bei aller Wichtigkeit der Feststellung gilt die Forderung weiter, die Markierung eines mittelfränkischen Sprachraumes nicht auf ein einzelnes Kriterium zu reduzieren, sie vielmehr um weitere, vergleichbar gelagerte und tunlichst "ähnlich zu datierende zu erweitern. Die Grenzen, die der Erkenntnis älterer Lautverhältnisse durch das Medium der Schrift gesetzt sind, können aber nicht dahin geltend gemacht werden, daß die frühen Schriftbelege nicht für das Vorkommen einer Lauterscheinung an Ort und Stelle herangezogen werden könnten, daß sich in ihnen vielmehr eine höherwertige, nicht autochthone Sprachform spiegele101. Dieses Argument ist weder strikt zu erweisen, noch mit völliger Sicherheit zu widerlegen; es verbreitet bloß gehörig Unsicherheit. Sieht man einmal davon ab, daß sich mit diesem Argument auch seine Vertreter selbst matt setzen, weil unter seiner Voraussetzung Rückschlüsse auf tatsächliche Lautverhältnisse an Ort und Stelle willkürlich werden, bleibt festzustellen, daß die Verfechter von sprachsoziologischer Differenzierung und von Import höherwertiger Sprachformen in den frühesten Tagen der Schriftlichkeit die Beweislast unzulässig umkehren102. Im Grundsatz bezweifeln auch sie nicht, daß schriftlich fixierte Aufzeichnungen lautgeschichtlich verwertbar seien. Diese Möglichkeit ist in der Tat in der inneren Struktur einer Alphabetschrift beschlossen103. Für die Frühzeit und die Anfänge des Schreibens gibt es jedoch keine stichhaltigen Hinweise auf derartig klar gestufte Register von Sprechsprache und Schreibsprache. Natürlich ist jede Verschriftung eine Entfernung vom gesprochenen Idiom. Und bestimmte Texttypen wie Königsurkunden zeigen typische Stilisierungen und Archaismen in ihren Schreibungen von Eigennamen, aus denen Aufschlüsse über die germanische Volkssprache gewonnen werden sollen104. Aufs ganze gesehen stellt sich jedoch immer wieder für die Anfänge von Schriftlichkeit heraus, als offenbar kaum raumübergreifender Kontakt unter den wenigen Schreibenden bestanden hat, daß zunächst das regional Gesprochene in hohem Maße durchscheint, so wie Schreibanfänger auch heute noch lautieren. Erst nach einer länger etablierten Schreibtradtion beginnen sich vertikale Schreibschichten gegeneinander abzusetzen. Eine solche im Gang befindliche Differenzierung müßte für die Frühzeit erst einmal wahrscheinlich gemacht werden. 100 101 102 103 104

Vgl. zuletzt Schmidt 1986. Heinrichs 1967. Vgl. auch Bergmann 1983. Neuß 1975. Menke 1980.

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Elmar Neuß

Insbesondere ist es das Zeugnis der Siedlungsnamen, das über das oben angeführte Zeitargument hinaus nicht beiseite geschoben werden kann. Sie werden nach allem, was sich in historisch überlieferter Zeit beobachten läßt, als lexikalisch bedeutungsleere Ausdrücke allein von aktuellen Lautwandeln an Ort und Stelle erfaßt, während bei sukzessivem Wortersatz nach Abschluß des eigentlichen Lautwandels für die lautliche Veränderung kein Anlaß besteht105. Sie werden auch von neuankommenden Sprechern anderer Sprachen so übernommen, wie sie vorgefunden werden, bzw. dem eigenen Lautsystem angepaßt. Die Lautgestalt des Namens des Tagungsortes Zülpich (a. 981 or. pago Zulpih106 goue ), dem Tulbiacensim oppidum Gregors von Tours107 mit initialer Affrikate und finalem (Doppel)Reibelaut kann nach allem, was sich sonst an ortsfesten Siedlungsnamen beobachten läßt, vernünftigerweise nur aus einem solchen Lautwandel bei den Sprechern an Ort und Stelle erklärt werden. Dieser Name steht auch nicht isoliert, sondern kann beispielhaft für die anderen ripuarischen - für [ripfj. Lautgesetzlich kann *ripf nicht aus rip entstanden sein. Wenn die Deutung von riphera als *ripfera richtig ist, bietet sich der Schluß an, riphera für die willkürliche Bildung eines Bearbeiters des Summarium Heinrici zu halten, zumal die Kurzfassung des Werkes zwar ripuarii, aber keine deutsche Entsprechung des Wortes kennt56. Allerdings fehlt in den übrigen Fassungen des Werkes das Stichwort ripuarii überhaupt.

51 52 53 54 55 56

Kuhn 1972: 34. So schon Beyerle 1929: 2f. Gutenbrunner 1957: 306. Nonn 1983: 164f. Steinmeyer & Sievers 1895: 132, 37 und 133, Iff. Summarium Heinrici 1974: 276f. Summarium Heinrici 1982: 73, 1.

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Wolfgang Haubrichs57 verdanke ich folgende Hinweise: Es ist nicht auszuschließen, daß in riphera für ffj steht. *Rifera kann auf romanisches *rivar- zurückgehen - mit dem Wandel des romanischen ν zu germanischem/, der seit etwa 700 zu beobachten ist. Die Handschrift G des Summarium Heinrici, die allein die Gleichung ripuarii: riphera enthält, gibt Anlaß zu der Vermutung, daß sie Sondergut (auch) aus dem Kölner Raum überliefert. Haubrichs, der eine Veröffentlichung über die Handschrift G vorbereitet, kommt zu dem Schluß: „Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß die Glosse riphera keine Erfindung ist, sondern aus der .kölnischen' Vorstufe von G und SHK stammt". Wenn diese Annahmen richtig sind, verfügen wir über einen Fingerzeig, wie im Kölner Raum die deutsche Entsprechung des lateinisch-romanischen Ribuarii gelautet hat. Natürlich ist damit nicht gesagt, daß das Wort *rifera noch lebendig gewesen wäre, als das Summarium Heinrici zusammengestellt wurde. Auffällig ist die Prägung in Ripon (oder Ripan) in der Inhaltsangabe einer Urkunde aus Werden, also einem „Regest". Gemeint ist inpago Rigoariorum, wie aus dem Text der schon erwähnten Urkunde hervorgeht58. Der Ausdruck ähnelt dem lateinischen „in pago riporum", der sich in anderen Urkunden desselben Kopialbuchs findet59, und ist vielleicht nach diesem Vorbild geschaffen worden. 3. 3.1.

Riparii

Riparii/Riparenses/Riparienses

Mit den Riparii kann der Historiker allerhand anfangen. Sie werden zunächst als eine Art von Soldaten oder Polizisten der Spätantike faßbar. Die Pauly-Wissowasche Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft hat ihnen einen eigenen Beitrag gewidmet, und zwar unter dem Stichwort Riparienses militesEs besteht keine Veranlassung, die Riparienses (oder Ripenses) durchweg für etwas anderes zu halten als die Riparii (was einige Wissenschaftler getan haben). Für die Ripenses/Riparienses werden nämlich gleichfalls die Leute vereinnahmt, die in einem Gesetz des Jahres 375 mit der Bezeichnung umschrieben werden: qui in ripaper cuneos auxiliaque fuerint constituti ...61, obwohl der Ausdruck sprachlich auch etwas anderes ist als ripenses/riparienses. Wenn ich durchweg gesagt habe, so deshalb, weil sich die Bedeutung von Wörtern, die ursprüng-

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Briefliche Mitteilung vom Januar 1997. Blok 1960: 195 (Nr. 38). Blok 1960: 197 (Nr. 40) und öfter - zu den Werdener Schreibeigentümlichkeiten siehe Tiefenbach 1997. Seeck 1914. Vgl. Neumann 1968. Demandt 1989: 257. Codex Theodosianus 1905: 337 [7, 13, 7, 3],

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken

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lieh gleich war, in verschiedenen Teilen des römischen Reichs im Laufe der Zeit in verschiedener Weise gewandelt haben mag. Ripenses/riparienses bildete möglicherweise die Kanzleiform des Wortes, das in der gesprochenen Sprache üparii gelautet hat. Ganz ähnliche Doppelformen finden wir bei castellani gegenüber castriciani. Castellanus ist ein Wort der gesprochenen Sprache. Es lebt in allen romanischen Sprachen außer dem Rumänischen weiter. Castricianus ist dagegen eine Kanzleibildung. Im Unterschied zu riparius, das während der klassischen Zeit wohl nur als Adjektiv in naturwissenschaftlichen Schriften bezeugt ist, war castellanus jedoch der nichtwissenschaftlichen Literatursprache bekannt. Deshalb finden wir es in den kaiserlichen Gesetzen, wo riparii fehlt. Es brauchte uns auch nicht zu betrüben, wenn die Riparii nicht dasselbe gewesen wären wie die Ripenses/Riparienses. Gut belegt sind beide Wörter auf jeden Fall; und darauf kommt es an. Es ist daran zu erinnern, daß die römischen Amts- und Rangbezeichnungen innerhalb weniger Jahrzehnte ihre Bedeutung grundlegend zu wandeln vermochten und daß dieselben Bezeichnungen zur selben Zeit in verschiedenen Teilen des spätrömischen Reichs Verschiedenes bezeichnen konnten. Das Wort primipilaris wird uns unten ein Beispiel liefern. Umgekehrt konnte dieselbe außersprachliche Gegebenheit sogar in amtlichen Schriftstücken wie den Gesetzen mit verschiedenen Wörtern bezeichnet werden. Der Sprachgebrauch der spätrömischen Rechtsbücher folgte den Bedürfnissen der Redekunst. Er folgte nicht den Grundsätzen der eindeutigen Bezeichnung, auf denen die Sprache unserer heutigen Gesetzeswerke beruht. Das Wort Riparii/ripenses ist zur Bezeichnung von Militärpersonen seit 325 nachweisbar: Comitatenses et ripenses milites atque protectores suum caput, patris ac matris et uxoris ... omnes excusent, si censibus inditi habeantur'2. Daraus ist nicht abzuleiten, daß es eine Neubildung jener Zeit gewesen wäre. Offensichtlich hat das Wort ursprünglich die Besatzungen von Warten oder Kastellen am Ufer (ripa) der Grenzflüsse bezeichnet. Belegt ist es zumindest für die Donaugrenze. In Gesetzen, die nach dem Jahre 400 erlassen worden sind, kommen die Ripenses/Ripar(i)enses nicht mehr vor. Allerdings hat der Codex Iustinianus, der im Jahre 534 veröffentlicht wurde, eine Bestimmung des Kaisers Honorius aus dem Jahre 400 übernommen, die sich unter anderem mit Riparenses beschäftigt: ... Sciant igitur comites vel duces ... non solum, de comitatensibus ac palatinis numeris ad alios numeros milites transferri non licere, sed ne ipsis quidem seu de comitatensibus legionibus seu de riparensibus castricianis ceterisque cuiquam eorum transferendi militem copiam attributam Der Codex Iustinianus wiederholt hier jedoch den Codex Theodosianus 7, 1, 18, der vor legionibus allerdings

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Codex Theodosianus 1905: 351 (7, 20, 4 vom 17. Juni 325). Codex Iustinianus 1895: 470 (12, 35[36], 14).

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pseudocomitatensibus statt comitatensibus hat64. Otto Seeck (1850-1921) hat daher gemeint, hier liege wohl „eine Unachtsamkeit der Kompilatoren des Corpus iuris" 65 vor. Die Unterschiede zwischen den eben genannten Truppengattungen brauchen wir für unsere Zwecke nicht darzustellen. Legiones riparienses im Osten des Reichs nennt die Notitia dignitatum, ein Verzeichnis römischer Amter und Heereseinheiten66. Die Liste ist nach 400, „wohl bald nach 425" zusammengestellt worden67. Es ist jedoch unklar, aus welcher Zeit ihre einzelnen Angaben stammen. Das heißt, die legiones riparienses brauchen nach 400 nicht mehr bestanden zu haben - womit ich nicht gesagt habe, daß sie nicht mehr bestanden haben könnten. Von den Literaturwerken im engeren Sinne kennt die berüchtigte Historia

Augusta die Riparenses: Hi conpressi sunt Septem milibus Lembariorum et Riparensium et Castrianorum et Daciscorum interemptis: „Diese Leute (nämlich Aufständische in der Stadt Rom zur Zeit Aurelians [270-275]) sind niedergeworfen worden, aber mit dem Verlust von siebentausend Lembarii, Riparenses, Castriani und DacisciufA. Die Aufzählung ergibt einen der zweifelhaften Witze, die der Verfasser der Historia Augusta liebt. Die Nennung der Einheiten klingt so, als ob da stünde: „lauter solches Gesindel". Die Historia Augusta umfaßt Lebensbeschreibungen der römischen Kaiser von Hadrian (117-138) bis Carinus (283-285) und gibt sich als eine Schöpfung mehrerer Verfasser der Zeit Diokletians (284-305) und Konstantins (306-337) aus. Ganz offensichtlich stellt das Geschichtswerk aber eine Fälschung dar, die ein einziger Verfasser am Ende des 4. Jhs. oder zu noch späterer Zeit angefertigt hat.69 Wegen der Unsicherheit des Zeitansatzes geraten wir wieder zu der Frage, ob die Riparienses nach 400 überhaupt noch erwähnt werden.

3.2. Riparii im Osten Da kommt uns eine Quellengattung in höchst erwünschter Weise zu Hilfe, nämlich die Papyrusurkunden Ägyptens: Hier tauchen Riparii oft genug auf, natürlich in der griechischen Schreibung ρυκχρίοι. Die Papyri lassen erkennen, daß es in zahlreichen, vielleicht in allen Städten Ägyptens (und Vorderasiens) Ripa64 65 66 67 68 69

Codex Theodosianus 1905: 313. Seeck 1914: 916. Notitia dignitatum 1876: 87 und 90 (Or. 39, 28 und 40, 29). Demandt 1989: 241, Anm. 44. Historia Augusta 1965: 2, 178 (26,38,4). Neuerdings ist Adolf Lippold für die Entstehung der Historia Augusta in der Zeit Konstantins I. (306-337) eingetreten. Aber auch er schließt nicht aus, daß das Werk spätere Nachrichten enthält, weil es überarbeitet worden sei (Lippold 1991: 722). Übrigens kann ich Lippolds Ansichten von der Entstehungszeit des Werkes nicht folgen. Zur Kritik an Lippold siehe Johne 1997.

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rii gab und daß diese Riparii als Inhaber der Polizeigewalt wirkten, ohne jedoch die Arbeit der Büttel selber zu versehen. So hatten „in den 80er Jahren des IV. Jahrh." die Riparii einer jeden Stadt dafür zu sorgen, daß die νεολέκτοι (« tirones) von der Thebais in Südägypten bis nach Antiochia geschafft wurden: Γάιος Ο αλέριος Ε σέβιος ριπαρίοις κατά πόλιν από Θηβάΐδος έως Άντιοχίας. Τούς νεολέκτους τους άποστελλομένους έκ της Αιγυπτιακής διοικήσεως παρά των την είσπραξιν ποιουμένων ΰποδεξάμενοι κατά διαδοχήν εις την Άντιοχέων ίδίω κινδύνω παραπέμψατε ...70. Welches Antiochia damit gemeint war, können wir nicht sagen. Auf jeden Fall lagen die Städte dieses Namens in Asien, woraus sich die Berechtigung ergibt, auf das dortige Vorhandensein der Riparii zu schließen. Am Rande sei bemerkt, daß man sich unter den tirones = νεολέκτοι nicht das vorzustellen hat, was man heute unter Rekruten versteht. Im 5. Jh. beklagte sich ein Riparius über die mangelnde Unterstützung der Obrigkeit, die ihm die versprochenen Hilfskräfte, nämlich οίκέται und σύμμαχοι nicht zur Verfügimg gestellt hatte71. Noch im späten 6. Jh. werden Riparii in Ägypten erwähnt72. Das Wort riparios kommt auch in koptischen Texten vor73. Die Riparii hatten sich von der Verbindung mit dem Heer gelöst und waren zu Trägern eines - wenn wir es so nennen wollen - öffentlichen Amtes geworden, das ein Zwangsamt sein konnte. Die Geschichte des Wortes riparius ähnelt der von primipilaris: Ein Primipilaris war ursprünglich der Inhaber des höchsten Ranges, den ein römischer Soldat erreichen konnte, der nicht ritterlicher oder senatorischer Herkunft war, und zwar auf folgendem Wege: Die römischen Zenturionen, die man in ihrer Dienststellung, aber nicht in ihrer sozialen Stellung mit den neuzeitlichen Kompaniechefs (Hauptleuten) vergleichen kann, rückten jedes Jahr einen Rang höher. Der ranghöchste Zenturio der jeweiligen Legion hieß Primuspilus. Nach dem Ablauf des Jahres, in dem der Mann Primuspilus gewesen war, hieß er Primipilaris. Dem Primipilaris standen Amter offen, die Angehörige des Ritterstandes bekleideten. Aber schon am Ende des dritten nachchristlichen Jhs. bezeichnete das Wort primipilaris die Träger eines vererbbaren Zwangsamtes, die dafür zuständig waren, daß den Heeresabteilungen der Proviant zugeführt wurde. Dabei betätigten sich die Primipilares nicht etwa selber als Fuhrleute. Der sehr merkwürdige Wandel in der Stellung 70 71 72

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Wilcken 1912: 553f. Nr. 469. The Oxyrhynchos Papyri 1908: 241-243 (Nr. 904). The Oxyrhynchos Papyri 1911: 248, 10 (Nr. 1147). Zu weiteren Belegen siehe The Oxyrhynchos Papyri 1908: 243, Anm. 3 oder Maspero 1911-1916, Bd. 1: 84, Nr. 67054, 128f., Nr. 67091, 131, Nr. 67092, 132, Nr. 67093; Bd. 2: 74, Nr. 67143; Bd. 3: 56, Nr. 67296 usw. Vgl. Demandt 1989: 407, Anm. 30. Die Bezeichnung νυκτοστράτηγοι ist jedoch nicht mit riparii austauschbar [was Demandt annimmt], sondern meint die Büttel oder Nachtwächter, also Untergebene der Riparii (The Oxyrhynchos Papyri 1910: 174). Till 1986: 351.

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der Primipilares ergab sich daraus, daß die Versorgung der Soldaten mit Nahrungsmitteln zu den Obliegenheiten ihres Amtes gehört hatte. Diese Seite ihrer Tätigkeit war ihnen geblieben, nachdem sie aus dem Heer ausgeschieden waren74. Der Ubergang vom Riparius als einem Heeresangehörigen zum Riparius als einem nichtmilitärischen Inhaber der Polizeigewalt folgt daraus, daß die römischen Soldaten nicht nur Kriegsleute, sondern auch Verwaltungsbeamte, Polizisten, Büttel, Kerkermeister und Henker waren. Das nächstliegende Beispiel für derartige Tätigkeiten bietet das Ende des Jesus von Nazareth: Es sind die Angehörigen einer Legion, die ihn im Gefängnis mißhandeln und schließlich ans Kreuz schlagen. Den Riparii in Ägypten und Vorderasien war die kriegerische Seite ihres Daseins abhanden gekommen und nur die polizeiliche geblieben. Die oben (S. 214) genannte Stelle der Historia Augusta führt uns die Riparenses vor, wie sie einen Aufstand niederschlagen. Sie weist ihnen also eine polizeiliche Tätigkeit zu und nicht etwa Leistungen im Krieg gegen äußere Feinde. Wie die Papyrusurkunden lehren, hat sich das Wort riparius vom Bezug auf die Ufer der Grenzflüsse gelöst. Die Entwicklung ergab sich daraus, daß die Riparii an jeweils einen Platz gebunden waren. Diese Bindung erschien als ihr kennzeichnendes Merkmal, so daß riparius in der gesprochenen Sprache zur Bezeichnung standortgebundener Soldaten nicht nur der Flußgrenzen und nicht einmal der Grenzen überhaupt werden konnte. Dem höheren Sprachbewußtsein der Angehörigen der kaiserlichen Kanzleien wird eine solche Ausweitung des Wortgebrauchs widerstrebt haben. Deshalb haben sie die Wörter castellani und limitanei bevorzugt. Möglich ist auch, daß die unterschiedlichen Wörter in verschiedenen Reichsteilen üblich waren. Die Castellani und Limitanei waren ebenso standortgebunden wie die Ripenses - unabhängig davon, ob sie in Warten an der Grenze oder in Städten und Kastellen des Binnenlandes lagen. Für Feldzüge oder zur Abwehr feindlicher Einbrüche waren diese Leute weder vorgesehen noch brauchbar: „On ne voit pas que ces ripenses ... aient arrete meme pour un instant, la moindre invasion"75. Es ist also unhaltbar, wenn man glaubt, Aetius habe auf den Katalaunischen Feldern unter anderem Limitanei eingesetzt76. Im 18. Jh. hätte man solche Truppen als Garnisonsbataillone im Unterschied zu den Feldbataillonen bezeichnet. Als Entsprechung der Feldbataillone des 18. Jhs. haben die Comitatenses der Spätantike zu gelten. Leider ist das Bild vom Heer der Spätantike durch die Lehre verdorben worden, die in den Limitanei und ihresgleichen „Wehrbauern" sehen wollte77.

74 75 76 77

Mocsy 1966. Dobson 1974. Dobson 1978:143-145. Lot 1939: 48. So Bachrach 1994: 61. Gegen die „Wehrbauerntheorie" hat sich jüngst mit Nachdruck Helmut Castritius (1996: 221ff.) ausgesprochen.

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Ehe wir fortschreiten, rufen wir uns nochmals ins Gedächtnis, daß die Bedeutung der römischen Amtsbezeichnungen dem Wandel unterlag, daß aber dieser Wandel nicht überall in gleicher Weise erfolgte. Wenn also das Wort riparii in Vorderasien und Ägypten am Ende seiner Laufbahn die Inhaber eines öffentlichen Amts bezeichnete, so folgt daraus nicht, daß es im Westen dieselbe Bedeutung entwickelt haben muß. Vielleicht fehlten hier einfach die Voraussetzungen, weil das dichte Städtenetz des Ostens nicht vorhanden war. Ist aber das Wort riparii im Westen überhaupt mehr als einmal belegt? Ja! 3.3. Riparii im Westen In Italien finden sich während des 8. und 9. Jhs. riparii als Zollbevollmächtigte. Obendrein werden Steuern oder Abgaben namens ripaticum und pastus ad riparios genannt78. Hier ziehen wir zum letzten Mal die Primipilares als Beispiel heran, denn es hat im römischen Reich eine Steuer namens primipilum und eine Abgabe namens pastus primipili gegeben. Sprachlich ist sie unmittelbar von primuspilus und nicht von primipilaris abgeleitet; aber in Wirklichkeit war es wohl der Primipilaris und nicht der Primuspilus, der für die Eintreibung der Abgabe zuständig war79. Der Widerspruch zwischen Wort und Sache mag sich daraus ergeben haben, daß die Alltagssprache zwischen beiden Rangbezeichnungen nicht unterschieden hat. Die sprachliche Beziehung zwischen dem Ripaticum und den Riparii ist nun nicht so einfach wie die zwischen dem Primipilum und den Primipili/Primipilares, denn man kann das Wort ripaticum nicht unbesehen auf riparius zurückführen. Es wird unmittelbar von ripa abgleitet worden sein. Die Bearbeitungen des Wörterbuchs von Du Cange führen unter riparium eine Urkunde aus Marseille vom Jahre 1343 an, in der Abgaben namens riparia genannt werden80. Beide Wörter hängen aber durch ihre außersprachlichen Bezüge zusammen und lassen den gemeinsamen Bezug auf ripa erkennen. Das heißt, man darf andererseits nicht behaupten, daß riparius von ripaticum abgeleitet wäre. Es wäre nämlich denkbar, das ripaticum für eine Abgabe zu halten, die erst im Laufe des Mittelalters eingeführt worden wäre und von deren Bezeichnung dann riparius herkäme. Jedoch ist das mittelalterliche ripaticum ein Erbwort. Wir finden es nicht nur in Italien, sondern auch in Gallien. Seine galloromanische Entsprechung lautet rivatkus. Dieser Gestalt des Wortes, nämlich rivaticos (Acc. plur.) begegnen wir in einer auf den König Dagobert I. (623-639) gefälschten Urkunde81. Daß es der gesprochenen Sprache entnommen war, zeigen sein 78 79 80 81

Hartmann 1904: 76ff. und besonders 124. Böhmer&Zielinski 1991: 35. Nr. 84. Dobson 1974: 431. Zum Unterschied siehe oben S. 215. Du Cange 1883-1887: 7, 192. MGH DD: 141, 24 (Sp. 23).

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Übergang vom sächlichen zum männlichen Geschlecht und der Ersatz des \p\ durch [v]. Die Fälschung stammt aus dem Ende des 9. oder dem Beginn des 10. Jhs. 82 . In derselben Lautgestalt erscheint das Wort auch in einer Urkunde Karls des Großen für das Kloster Flavigny vom Jahre 77583. Karl der Kahle hat 843 oder 844 ausdrücklich hervorgehoben, daß das Wort ripaticum der gesprochenen Sprache entstammt: ... quod vulgari sermone dicitur ripaticum ... „was in der Volkssprache ripaticum heißt"84. Die Schreibung mit

, die dem klassischen Latein entspricht, braucht uns nicht zu wundern, denn seit der sogenannten karolingischen Renaissance bemühten sich die Schreiber, die Wörter dem Latein des Altertums anzugleichen. In den Urkunden der späteren westfränkisch-französischen Karolinger fehlt das Wort ripaticum ebenso wenig wie in denen der älteren Frankenherrscher85. Schließlich taucht es auch in den Urkunden Ludwigs des Blinden von der Provence auf86. Leider stehen wir bei der Suche nach der galloromanischen Entsprechung des Wortes riparius nicht auf so festem Boden wie in Italien. Immerhin weisen die Bearbeiter des Du Cange aus einer Handschrift des Klosters St. Germain Rivarius .Custos riparum' nach87. Hätten wir die Sicherheit, daß die Handschrift einen rivarius in Gallien meinte, so hätten wir das Wort in galloromanischer Lautgestalt. Durchaus bemerkenswert ist das Vorkommen des Wortes reif im Spätmittelhochdeutschen oder Frühneuhochdeutschen mit der Bedeutung „ausfuhrzoll, urspr. wol uferzoll". Lexer leitet es als rif „von it. riva, lat. ripa" ab88. Belegt hat er das Wort aus Ulman Stromers (f 1407) Denkwürdigkeiten89. Hier erscheint es als . Wenn der Familienname Reifer (oben S. 208f.) von diesem Wort abgeleitet werden könnte, müßte er so viel wie Zöllner bedeuten. Aber kehren wir ins alte Gallien zurück: Riparii (in lateinischer Lautgestalt) sind für Gallien auf jeden Fall nachgewiesen, und zwar in der Gotengeschichte des Jordanes (Mitte des 6. Jhs.). Bei seiner Schilderung der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (451) erwähnt der Verfasser die Leute als einen Teil der Truppen des Aetius: Hi enim adfuerunt auxiliares: Franci, Sarmatae, Armoriciani, Liticiani, Burgundiones, Saxones, Riparii, Olibriones, quondam milites Romani, tunc veto tarn in numero auxiliarum exqui82 83

84 85

86 87 88 89

Wehrli 1982: 59. M G H Die Urkunden der Karolinger 1: 1906, 138, 47f. Nr. 96. Zum weiteren Vorkommen des Wortes in Urkunden des Kaisers sowie in Fälschungen, die teils aus Gallien, teils aus Italien stammen, siehe ebd. 557 „ripaticum". Karl der Kahle 1943: 172,23. Nr. 60. Karl der Einfältige 1940: 3, 22 (Nr. 2: zwischen 893 und 903). Ludwig IV. 1914: 15, 7 [Nr. 5: 937]. Lothar & Ludwig V. 1908: 133, 4 (Nr. 56: 979-986). Ludwig der Blinde 1920: 59, 12 (Nr. 31: 896). Du Cange 1883-1887: 7, 192. Lexer 1876: 427f. Die Chroniken der fränkischen Städte 1861: 100, 13 und 25.

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken

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siti, aliaeque nonnulli Celticae vel Germaniae nationes90. Die handschriftliche Überlieferung hat zum Teil riparioli briones. Das Wort ripariolus wechselt mit dem oben (S. 211) erwähnten Adjektiv riparius91. Falls Jordanes riparioli geschrieben hat, so bezeichnete das Wort offensichtlich dieselben Leute wie riparii. Jordanes ist keine lautere Quelle. Seine Angabe beweist nicht, daß Aetius wirklich die genannten Truppen ins Feld geführt hätte92. Trotzdem wird aus der Nachricht abzuleiten sein, daß es in Gallien Riparii gab. Im selben Atemzug erwähnt Jordanes nämlich Sarmatae. Einheiten dieses Namens in Gallien führt die Notitia dignitatum auf93. Daß die Liste hier keine Riparii nennt, ist belanglos, denn die Angaben für Gallien sind lückenhaft überliefert: Im Archetyp ist an dieser Stelle ein Blatt ausgefallen94. Die Heeresabteilungen, die nach den Sarmaten hießen, brauchten keineswegs aus „Sarmaten" zu bestehen. Solche Truppenbezeichnungen waren zu leeren Namen geworden. Ursprünglich mögen die „sarmatischen" Einheiten aus Leuten zusammengesetzt gewesen sein, die von den Römern Sarmatae genannt wurden. Ob das tatsächlich „Sarmaten", also Iranier waren, haben wir an dieser Stelle nicht zu prüfen. Nach der Provinz Gallia Riparensis, die Ende des 3. Jhs. gebildet wurde und die bereits am Anfang des 4. Jhs. wieder verschwand, sind die von Jordanes erwähnten Riparii nicht benannt worden95. Dietrich Hoffmann kennt keine Truppen, die den Beinamen Riparii, Ripenses o. ä. geführt hätten96. Bei den legiones ripariertses (oben S. 214) ist das Adjektiv kein Name. Die Namen römischer Heereseinheiten lehnten sich nicht an die Bezeichnungen von Provinzen an, sofern wir von Benennungen wie Orientales, Illyriciani, Germaniciani, Britanniciani und (spät) Europenses absehen. Diese Ausdrücke bezeichneten jedoch nicht bestimmte Truppenteile, sondern wurden als zufällige Sammelbezeichnungen für Heeresgruppen gebraucht, die aus mehreren Einheiten zusammengesetzt waren. Europenses bezieht sich nicht etwa auf die Provinz Europa in der Diözese Thrakien, sondern meint die Heere des Westreichs. Europenses kann aber auch die Truppen bezeichnen, die in der Stadt Dura Europos (am Euphrat) lagen. In der Spätantike war es durchaus gebräuchlich, die Heereseinheiten mit demselben Namen zu versehen wie die Einwohner ihrer Standorte97 - jedoch nicht mit den Namen der Provinzen.

90 91 92 93 94 95 96 97

Iordanes 1882: 108. Getica X X X V I (§ 191). Forcellini 1940: 4, 149. Dazu unten S. 220. Notitia dignitatum 1876: 219 (Occ. 42, 64ff.). Seeck in Notitia dignitatum 1876: 219. Zu dieser Provinz Demougeot 1972: 865. Hoffmann 1970: 264-270. Speidel 1984: 306f.

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Daß die Riparii ihre Bezeichnung nicht von der vergänglichen gallischen Provinz hatten, ist gegen Ewig zu erinnern, der meinte, „die Ripari des Jordanes" wären „mit den in der Gallia riparensis stationierten Truppen identisch"98, die von der Notitia dignitatum (occ. 42, 13-17) den Standorten „Arles, resp. Vienne, Embrun, Marseille und Calarona" zugewiesen werden. Mit diesen Abteilungen hätte Aetius auf den Katalaunischen Feldern wenig ausrichten können, denn mindestens drei der vier waren Flotteneinheiten: die classis fluminis Rhodani, die classis barcariorum und die müites musculariorum'*. Ebenso wie barcarii bezeichnet das letztgenannte Wort eine Art von Matrosen oder Schiffskriegern100. Uberhaupt ist nicht gesagt, daß die Zustände, die die Notitia dignitatum beschreibt, im Jahre 451 noch bestanden hätten: „Das System der Notitia ist [...] in keiner Weise etwas Endgültiges, sondern die zufällige Fixierung eines bestimmten Zustandes in einem permanenten Prozeß"101. Die Worte des Jordanes, auf der Seite des Aetius hätten „noch andere Celticae vel Germaniae [!] nationes gekämpft, erlauben keineswegs den Schluß, daß keltische Völker in die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern eingegriffen hätten. Die celticae nationes lassen eine griechische Quelle durchschimmern. Im Griechischen war keltikos das gebräuchliche Wort für ,germanisch' (lat. germanicus). Jordanes oder eine seiner Vorlagen hat das nicht gewußt und die griechische Bezeichnung neben die lateinische gestellt. Was die Quellen des Jordanes angeht, so neigt man heute eher dazu, sein Werk nicht allein auf Cassiodors verlorene Gotengeschichte zurückzuführen102, so daß uns der griechische Hintergrund nicht zu wundern braucht. Wir hoffen, insoweit die Frage beantwortet zu haben, ob der Historiker etwas mit den Riparii anfangen könne. Im weiteren lassen wir uns von der Annahme leiten, daß das Wort riparii in einem bestimmten Gebiet Galliens zur Bildung eines Landes- oder Ortsnamens gedient hat, der schließlich in romanischer Gestalt germanischen Sprechern bekannt geworden ist. Vorgreifend sei festgestellt, daß es sich bei dem betreffenden Gebiet Galliens um das von Köln gehandelt haben wird. Übrigens kommt Riparius auch als Personenname vor. Ein Briefpartner des heiligen Hieronymus (t 420) heißt so103.

98 99 100 101 102 103

Ewig 1978: 119. Notitia dignitatum 1876: 213f. ThLL 2,1749 und 8, 1699f. Demandt 1970: 755. Anton 1994. Hieronymus 1912, Nr. 109, S. 351: Ad Riparium presbyterum.

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken

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3.4. Römische Truppenbezeichnungen in Orts-, Länder- oder Einwohnernamen Bei der eben geäußerten Annahme gehen wir davon aus, daß die Bezeichnungen römischer Heereseinheiten oder Heeresangehöriger an mehreren Stellen zur Bildung von Orts- oder Ländernamen gedient haben, von denen im weiteren Einwohnernamen abgeleitet worden sind. Das nächstliegende Beispiel bildet der Ländername Septimanien. Er ist von einem Beinamen der Stadt Beziers abgeleitet. Die Bezeichnung des Ortes lautete amtlich (unvollständig) Colonia Baeterrae Septimanorum. Septimanorum kommt von Septimani. Septimani hießen die Angehörigen eines römischen Truppenteils, der die Ordnungszahl septima (fem.) trug. Von diesen Truppenteilen gab es mehrere. Im Unterschied zu den neuzeitlichen Regimentern führten im römischen Reich nämlich mehrere Einheiten dieselbe Ordnungszahl. Der Beiname septimanorum der Stadt Beziers ist darauf zurückzuführen, daß der Ort mit den ausgedienten Soldaten einer legio septima besiedelt worden war104. Am vorliegenden Beispiel haben wir besonders zu beachten, daß der eigentliche Ortsname, also Baeterra, als Name der Stadt Beziers weiterlebt, während der Beiname Septimani im Ländernamen Septimanien erhalten geblieben ist. Der mehrgliedrige Name hat sich in zwei Bezeichnungen aufgespalten. Das Gebiet Septimaniens deckte sich weitgehend mit der alten Provinz Gallia Narbonensis. Sein Name erscheint also wie deren jüngere Bezeichnung. Im 9. Jh. ist das Wort Septimanien außer Gebrauch gekommen105. Im Falle Septimaniens ist dasjenige Wort zum Ländernamen geworden, das gleich einem Eigennamen die Truppeneinheit als eine bestimmte Truppeneinheit bezeichnet hat. Es gibt das umgekehrte Beispiel, daß nämlich ein Wort zum Ländernamen geworden ist, das eine römische Heereseinheit als Angehörige einer Gattung gekennzeichnet hat (und nicht als eine bestimmte Truppeneinheit). Der Fall liegt beim Namen des mittelalterlichen Königreichs Leon auf der iberischen Halbinsel vor. Der Ländername kommt von der Stadt namens Leon·, und dieser Name ist nichts anderes als die spanische Form des Wortes legio. Legio hieß nicht nur die jeweilige Truppeneinheit, sondern auch ihr Standlager und die sich neben dem Standlager entwickelnde Siedlung. Die Stadt wurde legio genannt, weil sie aus dem Standlager einer Legion hervorgegangen war. Die Legion von Leon war die legio septima geminal0i. Hier finden wir übrigens dieselbe Ordnungszahl wie im Namen Septimanien. Von Leon abgeleitet ist das Namenadjektiv leonesisch, natürlich in seiner spanischen Form. Die Ländernamen konnten gemäß den Regeln der jeweiligen Landessprache zur Bildung von Einwohnernamen und folglich von Völkernamen dienen.

104 105 106

Ihm 1896: 2762f. Schottky 1995: 1770. Schulten 1925.

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Mit Septimanien und Leon sind die Beispiele nicht erschöpft. In dem Bezirk, dessen Mittelpunkt er bildete, konnte jeder Ort Legio genannt werden, der das Standlager einer Legion beherbergte. Auch Mainz oder Aquincum hießen so107. Trotz oder wegen seiner Häufigkeit ist das Wort nur im Falle des spanischen Leon und des auf der arabischen Halbinsel befindlichen El-Ledschun zum verbindlichen Ortsnamen geworden. Ähnlich merkwürdig ist der Name Kölns, der die neuhochdeutsche Entsprechung des lateinischen colonia bildet. Dieses Wort gehörte dem Staatsrecht und der Verwaltung an. Es bezeichnete alle Orte, deren Bewohner das römische Bürgerrecht hatten, und fand sich dutzendfach im römischen Reich. Ein entsprechendes Beispiel aus dem Kirchenleben bildet der Name Xanten. Er kommt von ad sanctos ,bei/zu den Heiligen'. Gemeint war eine Grabstätte von Blutzeugen oder Heiligen. Solche Plätze waren überaus zahlreich. Uberall, wo es sie gab, konnte man ad sanctos gehen oder sein. Dennoch ist die Wortgruppe zum Namen eines ganz bestimmten Ortes geworden. Den aufgeführten Ortsnamen ist gemeinsam, daß ihnen weithin bekannte Bezeichnungen zugrundelagen. Anders verhält es sich mit dem Namen Pavia, das an die Stelle von Ticinum getreten ist: Pavia kommt vom griechischen Papiafs) .Palastwache' > .Palast' > .Ort des Palastes'108, einem weit weniger bekannten Wort. Das Beispiel mindert vielleicht das Mißtrauen gegenüber dem nicht allzu häufigen, aber auch nicht überaus ungewöhnlichen riparii. Im spätrömischen Reich und im beginnenden Mittelalter führten zahlreiche Orte und Gebiete mehrere Namen. Es geht hier nicht darum, daß germanische Bezeichnungen neben lateinische traten - wie Straßburg das lateinische Argentoratum verdrängt hat. Die Rede ist vielmehr davon, daß die angestammte Bevölkerung denselben Ort mit verschiedenen „römischen" Namen bezeichnete, mochten diese Namen nun dem Lateinischen, dem Griechischen oder einer anderen bodenständigen Sprache des Römischen Reichs entstammen. Neben Colonia stand Agrippina als Name von Köln. Agrippina ist dann aus der lebendigen Sprache verschwunden. Spätere Geschlechter hielten das Nebeneinander für ein Nacheinander. So belehrt uns der Verfasser des Buchs der Frankengeschichte: „Zu jener Zeit nahmen Franci die Stadt Agrippina am Rhein ein und nannten sie Colonia, als ob sie von zahlreichen coloni (Unfreien) bewohnt würde" in Ulis diebus coeperunt Franci Agripinam civitatem super Renum vocaveruntque eam Coloniam, quasi coloni inhabitarent eamm. Wir haben also unseren Blick dafür geschärft, daß Wörter, die dem römischen Heeres- und Verwaltungsleben angehörten, zu Orts- und Ländernamen geworden sind, und wollen nun fragen, ob wir unsere Erkenntnis für die Ent-

107 108 109

Altheim & Paul Schnabel. In: Altheim 1952: 45. Lot 1939: 282. Liber Historiae Francorum 1888: 250 (c. 8).

Riparii -

Ribuarier - Rheinfranken

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sprechungen des Wortes Ribuarier nutzbar machen können, die Bewohner oder Gebiete des fränkischen Reichs bezeichnet haben. Zu diesem Zweck macht es sich erforderlich, das tatsächliche Vorkommen des Wortes im fränkischen Reich zu untersuchen. Geringen Wert möchte ich übrigens der Tatsache beimessen, daß eine Urkunde des Klosters Werden an der Ruhr vom Jahre 815 tatsächlich vom Gau der Riparii (nicht ripuarit) spricht110, denn diese buchstabengetreue Ubereinstimmung mit den Riparii des Altertums mag das Ergebnis einer Schreiberlaune sein. Bevor wir die lateinischen Grundlagen hinter uns lassen, müssen wir bemerken, daß wir die sprachliche Möglichkeit nicht ausschließen können, das Wort Ribuarier auf eine einfache Landesbezeichnung riparia (nicht ripa) zurückzuführen. Eine solche Landschaftsbezeichnung hätte allerdings nicht „Rheinuferland" bedeutet, wie das italienische Riviera < riparia nicht „Mittelmeeruferland" bedeutet. Eine *Riparia am Rhein wäre aus einem kleinräumigen Bezug zu verstehen. Ortsnamen, die auf lat. riparia zurückgehen, sind belegt. In einer unechten Urkunde des 10./11. Jhs., die sich als ein Diplom Kaiser Lothars I. für Nonantola aus dem Jahre 842 ausgibt, heißt es: ... ad confines Riparia .... U1 . In Frankreich wird ein Ort namens La Riviere genannt112. Aus der Gegend von Köln haben wir jedoch keinen Beleg für einen derartigen Orts- oder Landschaftsnamen.

4. Ribuar- in Bezeichnungen aus dem fränkischen Reich 4.1. Die frühesten Nennungen Zum Jahre 612 (nicht im Jahr 612) wird erstmals ein Gebiet des fränkischen Reichs als ribuarisch bezeichnet. Im selben Zusammenhang erscheint erstmals eine Anzahl von Bewohnern des Fränkischen Reichs als Ribuarier. Wie das eben erwähnte Buch der Frankengeschichte nämlich mitteilt, schlug der König Theuderich seinen Bruder Theudebert bei Zülpich. Der Besiegte zog sich nach Köln zurück. Daraufhin verwüstete Theuderich die terra Riboariense, also das ribuarische Land, was der Sache nach ein Gebiet um Köln gewesen sein muß. Nachdem er seinen Bruder beseitigt und in Köln Einlaß gefunden hatte, ließ er sich in der Kirche zu St. Gereon von den Franci seniores den Untertaneneid leisten. Während der feierlichen Handlung glaubte er, von einem heimtückischen Schuß getroffen zu werden, und brach in den Ruf aus: „Bewacht die Türen. Wer weiß, wer von diesen meineidigen Riboariern nach mir geschossen

110 111 112

Dazu unten S. 226. D LI. Nr. 141. In: Lothar I. & Lothar II. 1966: 316, 33. Ludwig IV. 1914: 140.

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hat"113. „Als sie aber seine Gewänder öffneten, fanden sie nur ein ganz kleines purpurrotes Mal"114. Vielleicht hatte den König etwas gestochen oder gebissen. Wie sich der Vorfall wirklich abgespielt hat (falls er sich abgespielt hat) und was der König tatsächlich gesagt hat, wissen wir nicht, denn das Buch der Frankengeschichte ist mehr als einhundert Jahre nach dem geschilderten Ereignis entstanden. Wie sein Verfasser im letzten Satz des Werkes mitteilt, hat er im sechsten Jahr der Herrschaft des Königs Theuderich [IV.] geschrieben. Das ergibt das Jahr 727 der christlichen Zeitrechnung115. Möglicherweise ist das Buch der Frankengeschichte die früheste Quelle, die Entsprechungen des Wortes Ribuarier zur Bezeichnung eines Teils sowohl des Gebiets als auch der Bewohner des Frankenreichs verwendet. Die Annahme ist dann richtig, wenn das Gesetzbuch mit dem Titel Lex Ribuaria nach dem Jahre 727 entstanden ist. Eine so späte Entstehung des Rechtsbuchs ist angenommen worden. Bruno Krusch (1857-1940) hat sich für die Jahre zwischen 729 und 744 ausgesprochen116. Georg Baesecke (1876-1951) nahm die Zeit zwischen 751/52 und 763/64 an117. Die späte Entstehung entspricht aber nicht den herrschenden Ansichten. Die herrschende Meinung setzt die Niederschrift des Rechtsbuchs in die Zeit Dagoberts I. (623-638/9)118. Neuerdings hat Hubert Mordek an Grundlagen der herrschenden Meinung gerüttelt, indem er den Würzburger Herzog Hethan/Heden („nach 643 - nach 676?") als (einen) Geber des ribuarischen Gesetzes ansieht119. In einer der Handschriften, die das Rechtsbuch überliefern, findet sich nämlich eine Zeichnung, die den Herzog beim Erlaß des Gesetzes zeigt (vorausgesetzt, daß Mordeks Deutung des Bildes richtig ist). Damit werden all die inneren Gründe hinfällig, die für die Zeit Dagoberts I. geltend gemacht worden sind (und die sowieso wenig Uberzeugungskraft aufweisen). Allerdings sind im Mittelalter wiederholt Männer als Gesetzesschöpfer ausgegeben worden, von denen das jeweilige Recht keineswegs stammte, so daß der Zeichnung in jener Handschrift des Ribuarischen Rechts kein zwingender Wert innewohnt. Die Entstehungszeit der Lex Ribuaria bleibt umstritten; und der späte Ansatz von Krusch oder Baesecke ist durchaus nicht widerlegt. Die Datierung der Lex Ribuaria in das zweite oder dritte Jahrzehnt des 7. Jhs. ging vielfach von der Annahme aus, es hätte zu dieser Zeit längst einen ribuarischen „Stamm" gegeben, wie es bereits einen bayrischen oder einen schwäbischen „Stamm" gab. Merkwürdigerweise griff auch Karl August Eckhardt (1901113 114 1,5 116 117 118 119

Liber Historiae Francorum 1888: 308f. [c. 38]. Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts 1982: 359. Haupt. In: Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts 1982: 379, Anm. 95. Krusch 1926:166. Baesecke 1935: 61. Schmidt-Wiegand 1991: 1930. Mordek 1994: 356-362.

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken

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1979) auf diese Voraussetzung zurück, obwohl ihm Ewigs Arbeit aus dem Jahre 1954 bekannt war: „[...] 613 [waren] die Alemannen und Ribwaren gesetzgeberisch gefährdet und an einer Kodifizierung, die ihnen den Fortbestand ihres angestammten Rechts verbriefte, stärker interessiert". Gleich darauf spricht Eckhardt von Ewigs „treffender Formulierung", mit dem neuen Recht sei die Einbeziehung der Kölner Franken in die merowingische Reichskultur vollzogen worden120. Da aber nun einmal der Name Ribuarier nicht vor dem 7. Jh. belegt ist, ergäbe sich aus Eckhardts Gedankengang der Schluß, daß die Kölner Franken kraft der Lex Ribuaria den Namen Ribuarier erhalten hätten. Von einem angestammten Recht der Kölner Franken findet sich nirgendwo eine Spur. Als der König Childebert Π. während der neunziger Jahre des 6. Jhs. in Köln gesetzgeberisch tätig wurde, kannte er dort kein anderes fränkisches Recht als das salische. Ernst Mayer hat daher geschrieben: „Hier wird nun doch mit aller Deutlichkeit gesagt, daß die Germanen um Köln Salier sind"121. Sofern es ein Volk der Salier gegeben hätte, wäre an diesem Schluß nicht zu deuteln. Auf jeden Fall bleibt es unbegreiflich, warum die Franken in Köln sich unter Childebert Π. nicht gegen die Mißachtung „ihres angestammten Rechts" gewehrt hätten, wenn sie ein anderes als das salische gehabt hätten. Bei der Entstehung der Lex Ribuaria ist zwischen zwei Sachverhalten zu unterscheiden: Der eine ist die Entstehung eines Rechtsbuchs als eines literarischen Ganzen, der andere die Entstehung der einzelnen Bestimmungen oder Textschichten, die es enthält. Der Codex Iustinianus ist als solcher zwischen 528 und 534 entstanden. Die Gesetze, die er enthält, sind zum Teil mehrere Jahrhunderte älter. Ähnlich mag es mit der Lex Ribuaria und ihren Bestimmungen stehen. K. A. Eckhardt glaubte, eine erste Textschicht fassen zu können, die „höchstwahrscheinlich 623/25 Gesetz geworden" wäre. Ferner stellte er fest, daß „die ehemalige Uberschrift nicht erhalten geblieben" sei122. Da könnte man überlegen, ob die ursprüngliche Uberschrift des Rechtsbuchs überhaupt das Wort ribuaria enthalten hat. Wir können der Frage nach dem Alter des Ribuarischen Rechtsbuchs hier nicht weiter nachgehen und begnügen uns daher mit folgender Zusammenfassung: Falls die herrschende Meinung von der Entstehungszeit der Lex Ribuaria richtig ist, enthält nicht der Liber Historiae Francorum, sondern die Lex Ribuaria die früheste Nennung des Wortes Ribuarier. Falls die Spätdatierung des Ribuarischen Rechts richtig ist, kehrt sich die Aussage um. Jedenfalls erscheinen Entsprechungen des Wortes Ribuarier im Buch der Frankengeschichte in der Gestalt sowohl eines (Orts-)Namenadjektivs (terra riboariense) als auch der Bezeichnung einer Personengruppe. Die zweite Ver120 121 122

Eckhardt 1959: 123. Mayer 1886: 20, Anm. 3. Eckhardt 1959: 139 und 124.

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wendung ist ungewöhnlich. Das Substantiv kommt viel seltener vor als das entsprechende Adjektiv; und wenn es vorkommt, steht es meistens als genetivisches Attribut eines Wortes, das einen Bezirk oder ein Gebiet bezeichnet, wie pagus oder fines oder ducatus . Es erfüllt also dieselbe Aufgabe wie das Adjektiv. Wahrscheinlich ist das Substantiv nur aus stilistischen Gründen anstelle des Adjektivs verwendet worden.

4.2. Ribuar- in sonstigen Landesbezeichnungen „Seit dem ΥΙΠ. Jh. bezeichnen die Quellen das Kölner Land als terra oder pagus Ribuariensis", hat Nonn festgestellt, der auch sämtliche Belege für die Benennung „Ribuariens" unabhängig von der Wortart verzeichnet und die Ausdehnung des Landesnamens verfolgt123. Die Belege werden hier nicht etwa alle wiederholt. Uns geht es zunächst um das Substantiv Ribuarii als Bestandteil der Landesbezeichnung: In einer Werdener Urkunde vom 22. Januar 815 steht ... in pago Ripariorum ...I24. Die Jahrbücher von St. Bertin sprechen zum Jahre 837 von den fines Ribuariorum und zum Jahre 839 vom ducatum (Acc.) Ribuariorum125. Gleichfalls als Landesbezeichnung gebrauchte Altfried (f 849) die Wendung in Ripuariis, als er seine Lebensbeschreibung des Liudger abfaßte. Die Wortgruppe steht in einem Abschnitt des Werkes, wo die Taten des verstorbenen Heiligen nach den Wohnorten und Herkunftgebieten der Nutznießer der Wunder geordnet sind, die an seinem Grab geschehen waren. Folgende Angaben finden sich zur jeweiligen Heimat der Begünstigten: In pago Nordgo/, in pago Sudergo/, in eodem pago/, de Saxonia/, in Fresia/, in pago Borahtra/, de Saxonia in loco qui dicitur Werthina/, de loco, qui Amaloh vocatur/, de Hattuariis/, in Ripuariis iuxta ingressum sylvae Hamarithi villa nomine Budica126. Diekamp hat in Ripuariis einfach als „Ripuariergau" verstanden127. Man fühlt sich geneigt, bei der Wortgruppe in Ripuariis an die verbreiteten deutschen Ländernamen zu denken, die aus der Verbindung von in mit einem Personengruppennamen entstanden sind und die in Formen wie Sachsen, Polen, Schweden usw. usw. weiterleben, nachdem das in weggefallen ist. Hier ist der Dativ Plural des Personengruppennamens zum Nominativ des Ländernamens geworden. Aber in Ripuariis kann auch von einem Ländernamen Ri

uariae

123 124 125

126 127

Nonn 1983: 164-172. Nonn 1983: 165, Anm. 980 = Blok 1960: Nr. 45. Annales Bertiniani 1964: 22 und 32. Zu weiteren Beispielen siehe Nonn 1983: 167, Anm. 996, 997 und 998. MGH SS 2, 415-418. Diekamp 1881: 52. Diekamp 1881:321.

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kommen. Diese Mehrzahlform ist bezeugt. Die eben behandelte Bildungsweise in + Dat. Plur. blüht erst um 1200 m . In Ripuariis als Form von Ripuarii könnte eine willkürliche Schöpfung Altfrieds sein. Ein vergleichbares Beispiel bildet der Ausdruck maxima pars Belgarum, den der Verfasser der Jahrbücher von St. Bertin zum Jahre 837 gebraucht, um ein Stück Land zu bezeichnen, mit dem Ludwig der Fromme Karl den Kahlen ausgestattet hat129. Das Wort Belgae ist als solches eine Personenbezeichnung. Ihm entspricht jedoch in der außersprachlichen Wirklichkeit der ersten Hälfte des 9. Jhs. kein Stamm oder Teilvolk, auch keine gens der Belger oder Belgier. Auf das Wort Belgae sind die Verfasser des 9. Jhs. wahrscheinlich unter dem Eindruck von Landkarten oder anderen erdkundlichen Werken des Altertums verfallen, in denen die Provinzen Belgica Prima und Belgica Secunda verzeichnet waren. Den Gelehrten der späteren Karolingerzeit wird es barbarisch vorgekommen sein, *pars maxima Belgicae zu schreiben. Da haben sie auf das Wort Belgae zurückgegriffen, das ihnen aus der klassischen Literatur vertraut war. Die Belger allerdings gab es schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Noch aussagekräftiger ist die Wortgruppe ducatus Mosellicorum „Das Herzogtum der Moselliker"130. Der Ausdruck steht in der Nähe von ducatus Ribuariorum. Mosellici ist eine willkürliche Schöpfung. Aber zurück zum Adjektiv ribuarius: Zur Bildung eines Ländernamens dient dieses Wort auch in der Lex Ribuaria. Das Buch kennt nämlich den pagus Ribuarius und die provincia Ribuariam. Zu guter Letzt wird das Wort Ribuaria/ae/as, also ein wirklicher Ländername geschaffen"2. So erscheint in den Einhart-Annalen zum Jahre 782 ein Graf Theoderich als Führer von Truppen, die er in Ribuaria schleunigst zusammengerafft hat133.

4.3. Ribuar- in sonstigen Personenbezeichnungen Ribuarius als reine Personenbezeichnung, also ohne den augenfälligen Bezug zu einem bestimmten Gebiet, kommt also selten vor. Es ist zu vermuten, daß der Landesname älter war als der Personenname. In ähnlicher Weise sind die Bezeichnungen Austrasii und Neustrasii von Auster und Neuster abgeleitet134. Das ribuarische Recht kennt den Ribuarius, was sozusagen natürlich ist135. Im selben 128 129 130 131 132

133 134 135

Berger 1996: 1360. Annales Bertiniani 1964: 22. 1958: 34f. Annales Bertiniani 1964: 32; 1958: 46f. zum Jahre 839. Nonn 1983: 170 mit Anm. 1024. Nonn 1983: 167 mit Anm. 992 = MGH Capit. 2, 24. Nr. 194 von 831. Weitere Beispiele bei Nonn 1983: 167, Anm. 996. Einhart-Annalen 1895: 61. Nonn 1983: 170. Ewig 1964: 329. Lex Ribuaria 1954: 214.

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Zusammenhang sind die Verse des Lupus von Ferneres zu nennen, die er um 836 einer bebilderten Sammlung von Rechtsbüchern vorausgeschickt hat: Depktos Salicos Francos in fronte videbit [...] Cognoscet libro Ribuenses iamque sequentim. Wie Lupus also mitteilt, wird sein Leser die Franci Salici (nicht etwa Salii) sowie die Ribuenses abgebildet sehen. Erst die jüngeren Handschriften haben das Ribuarische Recht mit dem Titel Lex Ribvariorum versehen. In den älteren lautet er Lex Ribuaria137. Das Vorkommen des Wortes Ribuarius im laufenden Text des Rechtsbuchs ist wohl so zu erklären, daß die Personen nach dem Recht benannt worden sind, nach dem sie lebten, und nicht umgekehrt. Es war eine wesentliche Erkenntnis von Ernst Mayer (1862-1932), daß die Rechtsgenossenschaft der Ribuarier nicht vor der Lex Ribuaria da war138. Die Ribuarier seien „als eigener Stamm [...] erst [...] in der Mitte des 7. Jhs. [...] von den Saliern unterschieden" worden. „Der [Ribuarier-]Name als rein geographische Bezeichnung für die Anwohner des Unterrheins kann schon damals bestanden haben"139. Daß die Ribuarier bereits in der Mitte des 7. Jhs. faßbar würden, folgerte Mayer, weil er die Entstehung der Lex Ribuaria in jene Zeit verlegte. Jedenfalls meinte schon er, daß die Entsprechungen des Wortes Ribuarier zunächst als geographische Bezeichnungen und erst später als Personenbezeichnungen faßbar werden. Die herrschende Meinung besagt, daß das ribuarische Rechtsbuch für ein bestimmtes Gebiet erlassen worden sei. Auch daraus läßt sich ableiten, daß der Name der Lex Ribuaria von einem Ländernamen herkommt. Der Sprachanlaß, bei dem der König Theuderich Ribuarier als Personenbezeichnung verwendet, verleiht dem Wort den Wert eines Schimpfworts: „das meineidige Pack". Wenn man Leute abwertend benennen will, gibt man ihnen eine Bezeichnung, die nicht ihr richtiger Name ist. Im Munde Theuderichs klingt das Wort Ribuarier wie eine unangemessene Bezeichnung der Kölner, die sich beim Verfasser des Buchs der Frankengeschichte keiner Beliebtheit erfreuten, wie schon seine Erklärung des Namens Colonia zeigt (oben S. 222). Mit den Bemerkungen ist nicht gesagt, daß Ribuar- an sich ein Schimpfwort gewesen sei. Diese Färbung mag ihm ein besonderer Sprachgebrauch verliehen haben. Auf jeden Fall ist aber der Bezug des Wortes Ribuarien zum Gebiet von Köln gegeben.

4.4. Spätere Verwendungen des Wortes Ribuarier Ebenso vereinzelt wie das Wort Ribuarier als Personenbezeichnung im Munde des Königs Theuderich steht die Wendung exercitus Ribuariorum et Fresionum et 136 137 138 139

Lupus 1923: 1059. Zur Zeitbestimmung Mordek 1995: 256. Beyerle in Lex Ribvaria 1954: 9. Krusch 1926: 169. Mayer 1886: 22, Anm.

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Saxonorum [!] cum Toringos ,ein Heer aus Ribuariern, Friesen und Sachsen einschließlich der Thüringer'. Sie erscheint in den Annales Laureshamenses zum Jahre 791, und zwar bei der Schilderung eines Feldzugs gegen die Awaren 140 . Die Chronik von Moissac, die zu 791 gleichfalls vom exercitus Ribuariorum spricht, wiederholt hier einfach die Worte der Annales Laureshamenses, von denen sie abhängig ist141. Man kann Zweifel hegen, ob Ribuariorum den ursprünglichen Wortlaut dieser Jahrbücher wiedergibt, denn die gleichlaufende handschriftliche Uberlieferung des Werkes im „Fragmentum Annalium Chesnii" hat Francorum, Saxonum, Frisonum142. Die anderen Quellen, die den Krieg des Jahres 791 erwähnen, wissen ebenfalls nichts von Ribuariern 143 . „[...] dabei müssen wir uns vor Augen halten, daß [...] die Annales Laureshamenses wenigstens bis 794 [...] in späteren Abschriften vorliegen, die den Text verderbt haben können"144. Es ist zu vermuten, daß die erhaltene Textfassung der Annales Laureshamenses das Wort Ribuariorum für Francorum eingesetzt hat. Die Vermutung hat folgende Grundlagen: In den Jahrbüchern von Xanten wird Lothar Π. (855-869) als rex Ripuariorum bezeichnet. Auch steht in diesem Geschichtswerk Ripuaria für das Gebiet, das wir Lothringen nennen und das die Zeitgenossen als regnum Lotharii bezeichnet haben145. Der Verfasser der Jahrbücher von Xanten hat ein älteres Wort zur Bezeichnung eines neuen politischen Gebildes verwendet. Wie seine Zeitgenossen war er in Bezeichnungsnot, weil die nächstliegende Benennung für das Reich Lothars Π., nämlich * regnum Francorum, nicht benutzt werden konnte, da sie einen Anspruch auf einen Vorrang oder sogar eine Obergewalt enthielt. Unter den Einfluß des Sprachgebrauchs, der in den Jahrbüchern von Xanten faßbar wird, könnte nun die handschriftliche Uberlieferung der Annales Laureshamenses geraten sein. Während des 10. Jhs. sei das Wort Ribuarier außer Gebrauch gekommen, bemerkte Nonn146. Man wird den Satz schärfer fassen dürfen: Während des 10. Jhs. war das Wort Ribuarier insofern schon außer Gebrauch, als ihm keine aussersprachliche Gegebenheit mehr entsprach. Es ähnelte dem Wort Preußen in der heutigen Verwendung, bei der die meisten Schreiber auch nicht anzugeben wissen, auf welches Gebiet es sich überhaupt beziehen soll. In solcher Gestalt erscheint Ribuariis (Abi.) in der Chronik von St Vaast. Der Verfasser dieses im 10. Jh. (oder später entstandenen) Werkes schildert an 140 141 142 143 144 145 146

Nonn 1983:167, Anm. 996 = Annales Laureshamenses zum Jahre 791. In: M G H SS. 1, 34. Wattenbach & Levison 1953: 265; 1990: 838. M G H SS 1 , 3 4 . Abel & Simson: 1883,2, 17. Fichtenau 1953: 291. Nonn 1983: 167, Anm. 996. Nonn 1983: 168.

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der betreffenden Stelle die Aufgebote, die Theuderich Π. und Theudebert Π. 612 gegeneinander führten. Dabei ergibt sich folgende Aufzählung: Theodericus ... exercitum totius suae partis regni, id est Francos (Burgundiones, Bryttones, Cenomannicos, Arvernos, Transiuranos) adversum fratrem movit. Theodebertus congregatis Austrasiis (Alemannis, Ribuariis, Ostroleudis, Noricis) Tullo fratri occurit. „Theuderich ... führte Truppen aus seinem gesamten Reichsteil gegen seinen Bruder, also die Franken, das heißt die aus dem Herzogtum Burgund, die Bretonen, die Leute von Le Mans, die aus der Auvergne und die von Hochburgund. Theudebert dagegen stellte sich bei Toul seinem Bruder mit einem Heer der Austrasier entgegen, also mit den Schwaben, Ribuariern, Ostleuten und Bay«147

ern Die Namen führen in die politische Umwelt des Verfassers der Chronik von St. Vaast, nicht aber in die Welt des 7. Jhs. Franci meint die Leute, die wir Westfranken oder Franzosen nennen. Die Chronik ist an dieser Stelle vom Sprachgebrauch des westfränkisch-französischen Reichs beeinflußt. Bewohnern des ostfränkisch-deutschen Reichs kam nach diesem Sprachgebrauch die Bezeichnung Franci nicht zu, zumindest nicht ohne die Hinzufügung eines einschränkenden Attributs. So spricht der Verfasser an einer Stelle von ...orientalium Francorum [Gen.] quos Uli propria lingua Ostroleudos vocant ...148: „Ostfranken, die sich in ihrer eigenen Sprache Ostleute nennen". Hier hat er die Jahrbücher von Metz abgeschrieben. An einer anderen Stelle der Chronik heißt es: Dagobertus commoto exercitu Francorum Ostroleudorum coniunctis secum Saxonibus, qui tunc temporibus tributarii erant, Sclavos et Avaros, quos dicimus Hungros, domuit, sibi tributarios effecit149. Das Kleingedruckte stammt aus der Fortsetzung des Fredegar und den Gesta Dagoberti. Wahrscheinlich müßte vor Ostroleudorum ein Komma gesetzt werden, denn der Verfasser stellt gleiche Satzglieder gern ohne et, also „asyndetisch", nebeneinander. Dann bedeutet der Satz: „Dagobert bot ein Heer der Franken und der Ostfranken unter Hinzuziehung der Sachsen auf, die damals zinspflichtig waren. So bezwang er die Slaven und die Avaren, die wir Ungarn nennen, und machte sie zinspflichtig". Sofern das Komma zu Recht weggeblieben ist, wäre von den (wie wir sagen würden) „Westfranken" an der Stelle nicht die Rede. So oder so sind dem Verfasser die Ostfranken keine richtigen Franken. Obendrein erfährt der Leser etwas von einer Zinspflicht der Sachsen, was zur Zeit der sächsischen Könige und Kaiser nicht eines gewissen Reizes entbehrt. In jene Zeit gehört auch die Mitteilung über den Namen der Ungarn.

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148 149

MGH Anm. MGH MGH

SS 13, 691,45ff. (Die Klammern im Text stammen von mir M. S.). Vgl. Nonn 1983: 168, 1003. Zur Entstehungsszeit der Chronik von St. Vaast siehe Brincken 1957: 141-144. SS 13, 696,41f. SS 13, 693, 9ff.

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken

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In der Chronik von St. Vaast erscheint das ,regnum Franciae' als Gegenbegriff zur »monarchia Austrasiorum'150. Ludwig der Deutsche wird rex Germaniae genannt, während Karl der Kahle als rex Francorum auftritt151. Auch hier wird der westfränkisch-französische Anspruch auf den Namen der Franken deutlich. Im Zusammenhang mit dem eben behandelten begrifflichen Gegensatz ist die Aufzählung der Völker zu betrachten, die der Verfasser der Chronik von St. Vaast im Krieg der beiden Merowinger auftreten läßt. Austrasii wird als Gegenwort zu Franci gebraucht. Beide Wörter bezeichnen Oberbegriffe, denen die anderen Namen unterzuordnen sind. Was der Verfasser mit Ribuarii bezeichnen will, ist nicht klar. Vielleicht meinte er die Bewohner Lothringens. Allerdings fügt sich ihre Erwähnung nicht zu den Ereignissen des Jahres 612. Aber die Nennung der Schwaben (Alemannis), Bayern (Noricis) und der Bewohner von Maine (Cenomannicos) ist genauso unpassend. Jedenfalls nennen die Quellen des 7. Jhs. diese Leute nicht als Kämpfer in den Heeren des Jahres 612. Bei der gesamten Aufzählung stützt sich der Verfasser der Chronik von St. Vaast wohl auf den Bericht, den der sogenannte Fredegar im 37. und 38. Abschnitt seines vierten Buches von den Auseinandersetzungen zwischen Theuderich Π. und Theudebert Π. gibt. Jedoch hat der Mönch von St. Vaast die Angaben seiner Vorlage tüchtig verballhornt. Die Erwähnung der Bewohner der Auvergne (Arvernis) scheint dadurch verursacht zu sein, daß der Fredegar von einem Einfall der Schwaben (Alamanni) nach Wiflisburg (= Avenches), also in pago Aventicense redet. Im selben Atemzug erwähnt der Fredegar die Transiuranus (Akk. plur.)152. Nach der Begriffsbildung des 10. Jhs. muß der Verfasser darunter die Bewohner des Königreichs (Hoch)Burgund verstanden haben. Deren scheinbare Mitwirkung gab ihm wiederum Anlaß, die Burgunder, nämlich die Bewohner des sogenannten Herzogtums Burgund hinzuzufügen usw. Jedenfalls sind die Ribuarier der Chronik von St. Vaast keine lebendige Größe. Unbezweifelbar waren die noch späteren Nennungen des Wortes Rückgriffe auf eine untergegangene Ausdrucksweise. Sie gaben ihm einen neuen Inhalt. So prägte Wipo um die Mitte des 11. Jhs. in seiner Lebensbeschreibung Konrads Π. (1024-1039) die Bezeichnung dux Ribuariorum für den Herzog von Niederlothringen, während er den Titel dux Liutharingorum [! so und nicht Lotharingorum M. S.] dem Herzog von Oberlothringen vorbehielt153. Das heißt, Wipo verlieh willkürlich einem älteren Wort eine neue Bedeutung. Im 12. und 13. Jh. ist der Ausdruck Ribuaria oder Ribuariorum fines zur Bezeichnung des (ehemals zu Lothringen gehörenden) Herrschaftsgebiets der Kölner Erzbischöfe verwendet worden. Dieses Ribuarien war größer als das vormalige. Die Kölner Quellen gebrauchen für dasselbe Gebiet auch die Bezeichnung 150 151 152 153

MGH SS 13, 694, 49ff. MGH SS 13, 709 zum Jahre 874. Fredegar 4, 37; 1888: 138; 1982: 193. Nonn 1983: 168 mit Anm. 1005.

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Matthias Springer

terra Coloniensis15*. Hier waren Köln und Ribuarien nachweislich austauschbar, was wir für das Frühmittelalter nur vermuten können. Bei Otto von Freising (f 1158) verschränkt sich fines Ribuariorum ,das Gebiet von Köln' mit einem Rückgriff auf Jordanes, denn Otto gebraucht auch die Wortform Ripariolorum und spricht obendrein von nonnullae Celtice seu Germanice nationes155. Beide Ausdrücke kommen von Jordanes her (oben S. 218f.). Sonstige Nennungen Ribuariens in Quellen des Hochmittelalters geben wieder, was die Verfasser in ihren Vorlagen gelesen haben156.

4.5. Zusammenfassung und offene Fragen Seit dem 7., möglicherweise erst seit dem 8. Jh. sind das schriftlateinische Wort riarius sowie Ableitungen dieses Wortes belegt (Ribuarii, Ribuaria usw.). Schreibungen mit und beweisen, daß es germanische Entsprechungen dieses Wortes gegeben hat. Die schriftlich überlieferten Wortformen gehen auf die germanische Umdeutung eines romanischen Wortes *riBar- zurück, das seinerseits lateinisches ripar- voraussetzt. Es ist abwegig, eine urgermanische Form des Wortes Ribuarier anzunehmen (etwa *ripwarjöz). Nirgendwo sind Germanen der Völkerwanderungszeit oder der frühen Merowingerzeit mit einer Bezeichnung versehen worden, die dem Wort Ribuarier entsprochen hätte. Die germanische Umdeutung des romanischen Wortes erfolgte erst während der Merowingerzeit. Es ist also folgende Entwicklung anzunehmen: lat. ripar- > rom. *ri[B]ar- > germ. *riwar-/ribwar> schriftlat. (mittellat.) ribuarius/ribuarensis. Die germanische Entsprechung ist erst in einer westgermanischen Mundart gebildet worden. Möglicherweise ist riv- ein zweites Mal ins Westgermanische übernommen worden, so daß Nebenformen mit rif- entstanden. Ribuarius (und seine Ableitungen) sind vornehmlich zur Bildung erdkundlicher Bezeichnungen verwendet worden. Zur Bezeichnung von Personen hat das Wort wesentlich seltener gedient. Solange es im lebendigen Gebrauch war, ist niemals von einer *gens Ribuariorum die Rede gewesen. Während des 10. Jhs. entsprach dem Wort keine außersprachliche Gegebenheit mehr. Fortan war seine Verwendung von der Willkür des jeweiligen Verfassers abhängig. Wie schon öfter festgestellt worden ist, entsprach das Land „Ribuarien" ursprünglich der „römischen civitas Köln"157. Solange die Ribuarier als ein fränkischer „Teilstamm" der Völkerwanderungszeit galten, konnte man sich den Sachverhalt damit erklären, daß die Ribuarier sich in Köln niedergelassen und 154 155 156 157

Ewig I960: 219f. Otto von Freising 1965: 428 und 454. Ewig 1960: 220, Anm. 50. Ewig 1954: 491. Ewig 1969:450. Nonn 1983: 164.

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken

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dem Land ihren Namen gegeben hätten. Seitdem man weiß, daß es keine völkerwanderungszeitlichen Ribuarier gab, wirft der Name „Ribuarien" für Köln und sein Umland erhebliche Schwierigkeiten auf. Die frühesten Formen dieses Namens sind in der Weise belegt, daß das Adjektiv ribuariensis zu terra oder pagus hinzutritt. Die Herkunft der Bezeichnung ist aus römischen Verhältnissen zu erklären. Im spätrömischen Reich waren die Riparii oder Riparenses eine Art von Soldaten oder Polizisten. Bezeichnungen römischer Truppen haben zur Bildung von Orts- oder Landesnamen gedient. Beispiele geben Septimanien (< septimant) und Leon (< legio) ab. In ähnlicher Weise scheint der Landesname „Ribuarien" von den Riparii abgeleitet worden zu sein. Ribuarien hieß das Gebiet um Köln, wie das Gebiet um Beziers Septimanien hieß. Allerdings ist septimani als Bestandteil des Namens der Stadt Beziers, nicht jedoch riparii als Bestandteil des Namens der Stadt Köln belegt. Die Lex Ribuaria ist „allem Anschein nach zu einem umfassenden Gesetz für alle austrasischen Franken" geworden158. Wie das Recht unter diesem Namen einen so weiten Anwendungsbereich erlangen konnte, bleibt unerklärt, denn zur Zeit seiner Geltung war das Land Ribuarien eine bekannte Größe und umfaßte nur einen Teil Austrasiens. So kann man sich fragen, ob Lex Ribuaria der ursprüngliche oder wenigstens der alleinige Titel des Rechtsbuchs war159. Regino von Prüm (f 915) zitiert es nämlich als Pactus Francorum160. Die Behandlung dieser Frage muß hier unterbleiben.

5. Rheinfranken 5.1. Rheinfranken und der Geograph von Ravenna Wie wir schon wissen, geht der Begriff der Riieinfranken von einer ursprünglichen Zweiteilung der Franken aus. Uns ist auch bekannt, daß das Wort Rheinfranken in den wissenschaftlichen Darstellungen das Wort Ribuarier ersetzt hat. Der Ersatz ist erst vor wenigen Jahrzehnten erfolgt. Gebhardts Handbuch der Deutschen Geschichte in der Ausgabe von 1954 kannte noch keine Rheinfranken, auch keine Francia Rhinensis161. Edmund E. Stengel (1879-1968), der immerhin Präsident der Monumenta Germaniae Historica war, hat 1940 geschrieben, daß „der Name .Rheinfranken'

158 159 160 161

Eckhardt. In Lex Ribuaria 1959: 144. Vorsichtig Ewig 1969: 471. Henning 1982: 36. Regino 1840: 189. Gebhardt 1954: 699 und 724.

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... eine gelehrte Erfindung des 18. Jhs." sei162. Falls ich dergleichen behaupten wollte, müßte ich mir den Vorwurf der himmelschreienden Unkenntnis gefallen lassen: Ob ich nicht wüßte, daß die Wortgruppen *Franci Rinenses und Francia Rinensis im Mittelalter tatsächlich belegt sind? Einen Präsidenten der Monumenta Germaniae Historica, der berühmtesten deutschen Einrichtung zur Erforschung des Mittelalters, wird man jedoch nicht der himmelschreienden Unkenntnis der mittelalterlichen Quellen bezichtigen dürfen. Wo stehen nun Francia Rinensis und "Frand Rinenses? Beim Geographen von Ravenna. Das ist ein namentlich nicht bekannter Mann, der im 9. Jh. zu Ravenna eine Erdbeschreibung („Cosmographia") angefertigt hat163. Es gibt auch die Meinung, der Verfasser habe im 8. Jh. gelebt. Aber nachdem Franz Staab nachgewiesen hat, daß dem Geographen von Ravenna die fränkischen Reichsannalen vorgelegen haben164, dürfte die späte Entstehungszeit des Werkes endgültig gesichert sein, für die sich bereits frühere Wissenschaftler ausgesprochen haben: Wenn der Geograph etwa schreibt: Que Dania modo Nordomannorum dicitur patria „Dieses Dänemark wird jetzt das Land der Normannen genannt"165, so setzt der Text die Normanneneinfälle des 9. Jhs. voraus. Er ist also frühestens unter der Regierung Ludwigs des Frommen (814-840) niedergeschrieben worden166. Falls man solche Stellen als später hinzugefügt ansieht, kann man auch die Nennung der Francia Rinensis zu derartigen Zutaten rechnen. Doch dient die Annahme von „Interpolationen" nur dazu, die Schwierigkeiten auszuschalten, die sich aus der Frühdatierung des Werkes ergeben. Schon Konrad Mannert (1756-1834) hatte den Ravennaischen Geographen ins 9. Jh. gesetzt167. Stengel dürften die Stellen jener Erdbeschreibung aus Ravenna bekannt gewesen sein, die von „Rheinfranken" sprechen. Bei seiner Feststellung, Rheinfranken sei eine Erfindung des 18. Jhs., verweist er nämlich auf die einschlägigen Ausführungen der Pfälzer Gelehrten Georg Christian Crollius (1728-1790) und Christoph Jakob Kremer (1722-1777), die den Geographen von Ravenna als Zeugen für den ewigen Bestand ihres Rheinfrankens angeführt hatten168. In der Erdbeschreibung des Geographen von Ravenna finden wir also eine lateinische Wortgruppe, die auf deutsch als Personenbezeichnung (die) JUiein162 163

164 165 166 167

168

Stengel 1940: 141. Wenn ich geschrieben habe (Springer 1996: 485), „im 8. oder frühen 9. Jahrhundert", so nicht deshalb, weil ich Zweifel hätte, daß das Werk im 9. Jh. entstanden ist. In dem sehr kurzen Beitrag mußte ich mich damit begnügen, einfach die vorhanden Ansichten wiederzugeben. Allerdings ist das Wort „frühen" zu streichen. Staab 1976: 3lf. mit Anm. 27. Der Geograph von Ravenna 1990: 53, 22f. Krusch 1928: 62. Eckermann 1845: 31. Zu entsprechenden Ansichten französischer Wissenschaftler siehe Lebel 1939: 121 und 136. Crollius 1773: 334. Kremer 1778: 35. - Zu diesen beiden Historikern siehe Fuchs 1990.

Riparii - Ribuarier - Rheinfranken

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franken', sowie eine lateinische Wortgruppe, die auf deutsch als Landesbezeichnung (das) »Rheinfranken' wiedergegeben werden kann: 4, 24: [...]Francia Rinensis [...]

4 , 2 5 : [...] ad faciem

Renense [...] u n d [...] Francia

patrie

Francorum

Rinensem

Rinensium

[...]

4 , 2 6 : [...]

Francia

/!../69.

Ich gebe die betreffenden Stellen in der Ubersetzung von Joseph Schnetz (1873-1952) wieder: „Ferner liegt an der Stirnseite des Landes der Friesen in einem annähernd (wie wir beispielsweise sagen möchten) geräumigen Land ein Land mit Namen Francia Rinensis (= Rheinfranken), das in alter Zeit Gallia Belgica-*Alobrices heißt. Dieses Land haben sehr viele Gelehrte beschrieben. Von diesen habe ich gelesen die vorher erwähnten gotischen Gelehrten Athanarid, Eldebald und Marcomir. Aber nicht in gleicher Weise haben sie das vorher erwähnte Frankenland dargestellt, sondern der eine hat so, der andere aber anders gesagt. Ich aber habe nach dem vorher erwähnten gotischen Gelehrten Athanarid die unten genannten Städte des vorher erwähnten Frankenlandes angeführt. Wir haben gelesen, daß in diesem Land sehr viele Städte gewesen sind, von denen wir einige nennen wollen: nämlich am Rheinfluß eine Stadt mit Namen Maguntia, Bingum, *Bodo < b > recas, Bosalvia, Confluentes, Anternacha, Rigomagus, Bonne, Colonia Agripina, +Rungon, Serima, Novesio, Trepitia, Ascibu < r > gio, +Beurtina, Troia, +Noita, +Coadulfaveris, +Evitano, Fictione, Matellionem. Es gibt noch viele andere Städte vor dem vorher genannten Maguntia, die am Rheinfluß gelegen sind; aber weil der Rhein durch das Land der Alamannen kommt, deshalb habe ich sie nicht beim Land der Franken genannt. Es fließen aber < durch das Land der Franken > sehr viele Flüsse, unter ihnen ein sehr großer Fluß mit Namen Rhein [...] In diesem Land der Franken < sind verschiedene Flüsse, > nämlich: Logna, +Nida, +Dubra, +Movit, Rura, Inda, Arnefa. Ferner ist über dem annähernd, wie wir sagen möchten, im Angesicht des Landes der Rheinfranken ein Land mit dem Namen Turringia (Thüringen), das alt Germania genannt wird [...] Francia Rinensis genannt haben, Städte [...] Ferner sind an dem vorher genannten Fluß Mosel, den wir in der Francia Rinensis genannt haben, Städte, nämlich Tulla [...] Ferner sind in diesem Land an dem Flusse, den wir weiter unten nennen wollen, mit Namen Lega, Städte, nämlich [...] Aurelianis [...] Toronis [...] Durch dieses Gallien fließen sehr viele Flüsse, unter anderen [...] Scaldea [...] Ferner liegt neben dem vorher angeführten Gallia Belgica-Alobroges ein Land mit dem Namen Burgundia, von welchem Burgund wir gelesen haben, daß es das zweite Gallien ist [...]"170. Die Personenbezeichnung *Franci Rinenses erscheint also nur im Genetiv, und zwar als Bestandteil der Landesbezeichnung patria Francorum Rinensium ,das Land der Rheinfranken'. „Diese 169 170

D e r Geograph v o n Ravenna: 1990, 59, 46f.; 60,42; 6 2 , 2 ; 62, 8. Schnetz 1951: 64-67.

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Ausdrucksweise, die den Völkernamen im Sinne des Ländernamens verwendet, kommt beim Ra[vennaten] wiederholt vor"171. Es wäre zu fragen, ob der Geograph die Wortgruppe Francorum Rinensium nicht eigens erfunden hat, um sie mit dem von ihm geliebten patria verbinden zu können. Der Gebrauch, den er von diesem Wort macht, ist durchaus auffällig172. Patria als reiner Ländername, also ohne die Nebenbedeutung der Heimat oder Heimstatt, findet sich nicht im klassischen Latein, sondern erst bei den christlichen Schriftstellern der Spätantike173. Beim Geographen von Ravenna wuchert diese, wenn wir sie so nennen wollen, christliche Verwendung des Wortes.

5.2. War die Francia Rinensis ein Gebilde des 5. Jhs.? Die gegenwärtig herrschende Ansicht geht von der Voraussetzung aus, daß die „Rheinfranken" das Gegenstück der „Salfranken" gewesen wären, wobei die Untertanen der Könige Childerich (f 482) und seines Sohnes Chlodwig als die „Salfranken" gelten. Aus dieser Voraussetzung folgt die Notwendigkeit, das Vorhandensein der Rheinfranken fürs späte 5. Jh. anzunehmen. Zwingend ergibt sich daraus wiederum die Behauptung, daß die Francia Rinensis des Geographen von Ravenna ein Gebilde des späten 5. Jhs. wäre, denn der Text seiner Erdbeschreibung liefert den einzigen Anhaltspunkt für das Vorhandensein der „Rheinfranken". Mit anderen Worten: Weil frühmittelalterliche Rheinfranken nirgendwo anders belegt sind als in der Wortgruppe patria Francorum. Rinensium des Geographen von Ravenna und weil der Ravennat diese Wortgruppe gleichbedeutend mit Francia Rinensis gebraucht, ergibt sich für die herrschende Lehre die Notwendigkeit, in der Francia Rinensis ein Gebilde des 5. Jhs. zu sehen174. Wir müssen im Folgenden also prüfen: 1. ob die Francia Rinensis des Geographen von Ravenna ein Gebilde des 5. Jhs. gewesen sein kann und 2. ob die Bezeichnung Rheinfranken geeignet ist, an die Stelle der Bezeichnung Ribuarier zu treten, denn ehemals haben ja die Ribuarier als Gegenstück der Salier gegolten. Niemand behauptet, daß der Geograph von Ravenna um 500 gelebt hätte. Aber es wird behauptet, daß seine Mitteilungen über die Rheinfranken sich auf das späte 5. Jh. bezögen - oder genau auf „den Zeitraum von ca. 480 bis 490"175. Ohne Zweifel enthält die Erdbeschreibung des Ravennaten eine Schicht von 171 172 173 174 175

Schnetz 1918: 17, Anm. 4. Eichelberger 1991: 37-39 und 71. ThLL 10,1, 771f. Ewig 1978: 123 Anton 1995a: 369.

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Angaben, die für das 5. Jh. oder für eine frühere Zeit gegolten haben. Diese Schicht hat sich mindestens in der Aufzählung der römischen Provinzen niedergeschlagen. Es ist jedoch unhaltbar, die Angaben über die Francia Rinensis auf das 5. Jh. zu beziehen. Übrigens finden sich in der Erdbeschreibung auch Mitteilungen aus weit älteren Zeiten als dem 5. Jh. Worauf beruft sich die herrschende Meinung, wenn sie die Francia Rinensis ins 5. Jh. verlegt? Wie die oben angeführten Aussagen des Ravennaten (und nicht nur diese Abschnitte) erkennen lassen, behauptet ihr Verfasser, gotische „pbylosophi" gelesen zu haben. Einige Forscher meinen nun, diese merkwürdigen Gelehrten hätten am Hofe des ostgotischen Königs Theoderich gewirkt, der von 493 bis 526 in Ravenna regierte. Folglich hätten ihre Werke Zustände des 5. Jhs. widergespiegelt176. Träfen die eben genannten Voraussetzungen zu, so wäre allenfalls bewiesen, daß man um 500 in Italien einen Teil Galliens als Francia Rinensis bezeichnet hätte. Für die Selbstbenennung der Franken und die in Gallien übliche Benennung wäre damit nichts bewiesen. Man kann sich das am umgekehrten Beispiel klar machen: Im späten 6. Jh. hat der Bischof Gregor von Tours (f 594) in seinem Geschichtswerk den „Ost"gotenkönig Theoderich als rex Italiens und die von uns sogenannten Ostgoten als Itali bezeichnet177. Damit ist nichts für die Selbstbenennung der sogenannten Ostgoten und nichts für die Bezeichnungen bewiesen, die in Italien für sie üblich waren. Nun ist nicht beweisbar, daß die gotischen Pbylosophi des Geographen von Ravenna am Hofe des Königs Theoderich gelebt hätten. Andere Wissenschaftler haben sie für Westgoten einer wesentlich späteren Zeit gehalten, nämlich des 7. oder 8. Jhs.178. Wieder andere wußten ganz genau, daß der Markomir „seinen Bericht um 535 verfaßt" hätte, während Athanarid „weit älter" gewesen sei179. Dritten gelten diese Männer als erfunden, was sie wohl auch sind. Daß die gotischen Gelehrten am Hofe Theoderichs tätig waren, ist ebenso wahrscheinlich wie die Erzählungen der mittelalterlichen Literatur, Karl der Große sei nach Jerusalem gereist. Unmöglich ist weder das eine noch das andere. Die Wissenschaft hat sich von einem verkehrten Entweder - Oder gefangennehmen lassen: Entweder habe der Ravennat die gotischen Gelehrten erfunden; oder er habe ihre Werke im Urtext gelesen. Stillschweigend wird weiter gefolgert, daß die Mitteilungen des Geographen richtig sein müßten, wenn er die gotischen Philosophen tatsächlich gelesen hätte. Die inhaltliche Richtigkeit einer Mitteilung ist jedoch nicht davon unabhängig, ob der Gewährsmann richtig

176

177 178 179

Besonders einleuchtend ist dieser Schluß nicht, denn es wäre eher anzunehmen, daß die Phylosophi die Zustände der Zeit nach 493 beschrieben hätten. Gregor von Tours 1951: 100 und 127 (3, 5 und 3, 31). Schnetz 1942: 76, Anm. 1. Bathe 1961: 15f.

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benannt wird. Umgekehrt folgt die Wahrheit eines Satzes nicht daraus, daß sein Gewährsmann richtig angegeben ist. Wahrscheinlich hat der Geograph seine gotischen Phylosophi weder erfunden noch ihre Werke in der Urschrift gelesen, denn es dürfte diese Werke nie gegeben haben. Er wird die Namen einer Vorlage entnommen haben, die er verschweigt. Schriftsteller von der Art des Geographen von Ravenna sind ängstlich bemüht, ihre wirklichen Quellen zu verheimlichen. Als Gewährsmänner zitieren sie Leute, die in der Vorlage genannt werden, nicht aber die Vorlage selber. Dem Ravennaten ist es im 12. Jh. selber so ergangen, als er von einem Mann ausgebeutet wurde, der sich Guido nannte. Dieser Guido schreibt schamlos aus dem Werk des Geographen von Ravenna ab, nennt es aber nicht, sondern behauptet, seine Weisheiten „in mühevoller Arbeit zusammengesucht" zu haben: [...] longo conquisitam labore f—f>0. Natürlich tut auch Guido so, als ob er die gotischen Philosophen Athanarich, Ildebald und Markomir gelesen hätte [...] ut dicunt Athanarich et Ildebaldus et Marcomirus Gothorum philosophi [•••fu. Wäre uns nicht seine Vorlage, also das Werk des Geographen von Ravenna, überliefert, so könnten wir darauf rechnen, daß einige Fachgenossen uns zu zeigen verstünden, wie Guido im 12. Jh. die Werke jener denkwürdigen Goten in der Urschrift (und wohl gar auf gotisch) gelesen hätte. Die Unsitte, die wirklichen Quellen zu verschweigen, kennzeichnete die Verfasser von Sammelwerken und nicht nur solche Verfasser während des gesamten Altertums. Von diesem Verhalten der „Epitomatoren" und „Kompilatoren" weiß jede Geschichte der griechischen oder lateinischen Literatur ein Lied zu singen. Ich greife als Beispiel wahllos heraus, was über die Erdbeschreibung des Solinus zu sagen ist: „Was er gibt, ist erborgtes Gut [...] Solin nennt seine wahren Quellen nicht mit Namen; die er nennt, hat er kaum jemals gelesen, sondern, mit Auswahl oft, übernommen [...] Mangelnde Ubergänge sind nicht selten; vor Mißverständnissen und lächerlichen Mißgriffen ist er nicht sicher"182. Den Umgang des Ravennaten mit seinen Quellen wollen wir uns an folgendem Beispiel klar machen: Bei der Beschreibung der patria Pusforane teilt er uns mit, er habe „sehr viele" Schilderungen dieses Landes gelesen, darunter „die des verabscheuungswürdigen Porphyrius, des Iamblichus und des Livanius, die griechische Philosophen waren". Außerdem habe er mehrere römische Philosophen herangezogen, nämlich Arbitio, Lolianus und Castorius. Das Verzeichnis der Städte des Landes Pusforania habe er nun aus dem Livanius übernommen: Item patria Pusforane iuxta mare Ponticum posita , cuius patrie plurimos descriptors legimus, ex quibus nefandissimum Porphyrium, Iamblichum, Livianum, Grecorum phylosophus, sed et Arbitionem et Lolianum atque Castorium Romanorum 180 181 182

Guidonis Geographica 3. In: Der Geograph von Ravenna 1990: 113. Guidonis Geographica 128. In: Der Geograph von Ravenna 1990: 141. Hosius & Krüger 1922: 225.

Riparii -

Ribuarier - Rheinfranken

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phylosophos. sed ego secundum praefatum Livanium inferius dictas civitates Bosfo.1Q-1

raniepatrie nominavi . Hinter dem Land Pusforana verbirgt sich das Bosporanische Reich am Nordufer des Schwarzen Meeres, was der Ravennat natürlich nicht wußte. Porphyrios (f um 304 n. Chr.) war ein neuplatonischer Philosoph, Iamblichos sein Schüler. Verabscheuungswürdig war Porphyrius deshalb, weil er eine Abhandlung gegen die Christen verfaßt hatte. „Livanius" ist Libanios ( t u m 393), der berühmteste griechische Redner des 4. nachchristlichen Jhs. Auch er war Heide. Es leuchtet ein, daß der Geograph von Ravenna die Namen der drei Persönlichkeiten nicht erfunden hat. Noch weniger hat er jedoch von ihnen hinterlassene Beschreibungen des Bosporanischen Reichs lesen können. Mit so gemeinen Dingen haben sich jene Herren nicht beschäftigt. Libanios wäre tödlich beleidigt gewesen, wenn man ihn für den Verfasser eines armseligen Verzeichnisses von Städten gehalten hätte. Tat er sich doch als Meister der Kunstprosa hervor. Daraus ergibt sich nun der Schluß, daß entweder in der vom Ravennaten benutzen Vorlage ein Städteverzeichnis fälschlich den drei Griechen zugeschrieben war oder daß ihnen der Geograph selber das benutzte Städteverzeichnis zugeschrieben hat. Die drei Verfasser werden an mehreren Stellen seiner Erdbeschreibung als Gewährsleute genannt. Da können ihre Namen versehentlich oder absichtlich in andere Abschnitte des Werkes übertragen worden sein. Übrigens ist in der handschriftlichen Uberlieferung Iamblichus mitunter zu Lamblichus und „Livanius" zu Lavianus entstellt184. Wir haben uns ein wenig in die Kritik der Verfasserangaben eingeübt und können unsere Erkenntnisse für die gotischen Gewährsmänner benutzen: Gewiß hat der Geograph von Ravenna eine Vorlage benutzt, die sich auf gotische Philosophen berief. Folglich hat er deren Namen nicht erfunden. Noch weniger dürfte er allerdings die geistigen Ergüsse jener phylosophi gelesen haben (und wohl gar auf gotisch). Es ist einigermaßen auffällig, daß die gotischen Gelehrten Königsnamen tragen: Athanarich („Athanarid") und Hildebad („Eldebaldus"). Athanarich hieß der sogenannte Westgote, den uns Ammianus Marcellinus als iudex Thervingorum vorstellt und der sein Leben 381 in Konstantinopel beschloß. In anderen Quellen wird der Mann natürlich König (rex) genannt. Den Hildebad erhoben die sogenannten Ostgoten 540 zum König185. Die germanischen Namenglieder -rieh und -rid sowie -bad und -bald sind sprachlich streng zu unterscheiden. In der handschriftlichen Uberlieferung werden jedoch -rieh mit -rid und -bad mit -bald (sowie mit -wald) häufig durcheinandergeworfen. Es braucht uns also nicht zu wundern, wenn beim Ravennaten Athanarid steht, während der arbeitsame Guido von Athanarich redet und beide 183 184 185

Der Geograph von Ravenna 1990: 45 (LH, 3). Der Geograph von Ravenna 1990: 45. Schwarcz 1994: 120.

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statt Hildebad die Namenform (Hlildebald (oder Heldebald) haben. Denken wir daran, daß es auch dem Namen Libanios übel ergangen ist. Von königlichem Geblüt war ferner der Philosoph Markomir, sofern er nicht Marcus Mirus hieß und einen erheiternden Namen getragen hätte: „der bewunderungswürdige Marcus," bei dem die Zeitgenossen an den Evangelisten gedacht hätten. Der Geograph gebraucht beide Namenformen186. Markomir lautete der Name eines fränkischen Herrschers des 5. Jhs. Die richtige Schreibung wäre Markomer, aber e und i sind im Vulgärlatein austauschbar. Daß der Mann beim Geographen von Ravenna als Gote auftaucht, soll uns nicht stören, denn die Nationalität seiner Philosophen machte dem Gelehrten wiederholt Schwierigkeiten. So stellt er uns einmal auch den Aristarch und den „Menelac" als Goten vor187. Menelac erinnert uns verteufelt an Menelaos, den Gemahl der Helena. Allerdings lebte um 100 n. Chr. ein alexandrinischer Astronom und Mathematiker dieses Namens. Die gleichen Berufe hatte der genannte Aristarch ausgeübt (320250 v. Chr.). Mindestens dieser Gelehrte hat unmöglich die dakischen Provinzen des römischen Reichs beschreiben können, was ihm der Geograph von Ravenna unterstellt; denn diese Provinzen gab es im 3. vorchristlichen Jh. noch gar nicht. Man sieht erneut, welch unsinnige Quellenangaben die Erdbeschreibung enthält. Schnetz wollte (mit beachtenswerten Gründen) nicht menelac, sondern ue helas (= Hylam) lesen. Zum selben Ergebnis kommt auf einem etwas abweichenden Weg Norbert Wagner188. Sardonius und Hylas nennt der Ravennat an weiteren Stellen. Beide Persönlichkeiten wären ihrerseits höchst sonderbare Geographen: Hylas war ein Freund, Sardon oder Sardus ein Sohn des Herakles, womit wir von den Königen zu den Halbgöttern aufgestiegen sind. In die höchsten Kreise der Sterblichen führen dagegen die Namen mehrerer römischer Philosophen, auf die sich der Ravennat beruft: Arbitio, Lollianus, Marcellus, „Liginius" (d. i. Licinius) und Maximinus189. Die Auswahl ist unvollständig. Arbitio und Lollianus waren zusammen im Jahre 355 Konsuln190. Marcellus schwang sich 366 zum Kaiser auf und wurde noch im selben Jahr hingerichtet. Dreißig Jahre später wirkte der gleichnamige Verfasser eines Arzneibuches, der es immerhin zum Magister officiorum des Kaisers Theodosius I. gebracht hatte191. Licinius und Maximinus (Daia) waren beide Kaiser, der erste seit

186 187 188 189 190 191

Der Geograph von Ravenna 1990: 53,14; 56, 5; 182. Der Geograph von Ravenna 1990: 53, 34. Wagner 1980: 14f. Der Geograph von Ravenna 1990: 5, 25; 47, 10, 59f.; 54, 27ff. usw. PLRE 1971: 95 und 513. PLRE 1971: 551.

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308, der zweite als sein Gegner seit 309 oder 310192. Bei so viel herrscherlichen Philosophen soll uns nicht wundern, daß unsere Quelle den harmlosen Ptolemäus zum makedonischen König von Ägypten befördert hat193. Es ist so gut wie unmöglich, daß die Geographen, die mit den Namen halbgöttlicher und hochfürstlicher Persönlichkeiten geziert sind, ihr Dasein dem Ravennaten verdanken. Woher sollte der über die erforderliche Bildung verfügt haben? Den Ursprung der sagenhaften Gelehrten haben wir im Umkreis der spätantiken Schwindelliteratur zu suchen, worauf schon Funaioli hingewiesen hat194. Diese Literatur braucht nicht die Inhalte der Angaben erlogen zu haben, die sie mitteilt. Öfter hat sie Verfasser und Gewährsmänner erfunden. Vorhin haben wir von einem verkehrten Entweder - Oder gesprochen (S. 237). Wir wiederholen: Aus der Tatsache, daß in einem Werk erfundene Verfasser genannt sind, folgt nicht, daß die Angaben verkehrt sein müßten, die diesen Verfassern zugeschrieben werden. Verkehrte Zuweisungen richtiger Angaben, sogar völlig unsinnige Zuweisungen kommen in der Literatur der römischen Kaiserzeit sehr viel häufiger vor, als der Außenstehende glauben möchte. Oftmals beruhten sie einfach auf Versehen. Aber zu den Kennzeichen des damaligen Schrifttums, nicht nur der Schwindelliteratur, gehörte auch „der Prunk mit fabelhaften Autoritäten"195, also die Erfindung von Verfassern: „Diejenigen Pseudepigrapha verraten sich meist deutlich als Fälschungen, bei denen die Echtheitsbeglaubigungen auffallend gehäuft sind"196. Deshalb ist Mißtrauen gegenüber den vom Geographen von Ravenna angeführten Gewährsmännern besonders geboten, wenn sie wie bei der Francia Rinensis in Haufen auftreten: An den entsprechenden Stellen verfährt der Ravennat so, daß er schreibt, über das betreffende Land hätten sich sehr viele Philosophen geäußert. Von diesen habe er mehrere gelesen (also nicht etwa alle). Bei jedem hätte etwas anderes gestanden. Übernommen habe er die Schilderung des Soundso. Woher hat der Geograph gewußt, daß „sehr viele" Verfasser sich geäußert haben, wenn er sie gar nicht alle gelesen hat? Nach welchen Gesichtspunkten hat er den Verfasser ausgewählt, dem er folgt, wenn jede Quelle etwas anderes geschrieben hat? Diese Schwierigkeit hat Stolte damit zu beseitigen versucht, daß er meinte, die Philosophen Castorius, Livanius, Aristarchus, Sardonius, Maximinus und Marcomirus hätten alle dieselbe römische Weltkarte ausgeschrieben, so daß bei jedem dasselbe zu lesen gewesen wäre197. Träfe das zu, so hätte der Geograph mindestens geschwindelt, indem er behauptete, bei jedem etwas anderes gefunden zu haben. Stoltes Ansicht ist unhaltbar: 192 193 194 195 196 197

PLRE 1971: 509 und 579. Der Geograph von Ravenna 1990: 54,28 u. 59; 5, 26; 9,9ff. Funaioli 1914: 308. Diels 1920: 136. Speyer 1971:104. Stolte 1949: 109 und 120.

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Alles deutet darauf, daß der Geograph von Ravenna die anrüchigen Verfassernamen einer Vorlage entnommen hat, in der bei bestimmten Angaben oder Stichwörtern mehrere Gewährsmänner aufgezählt waren. Hierunter fanden sich solche, die als Geographen frei erfunden waren, aber bekannte Namen trugen, nämlich die von Halbgöttern, die römischer Kaiser oder gotischer Könige. Diese Absonderlichkeiten hat Theodor Mommsen schon 1851 hervorgehoben198. Es wurden auch Verfasser genannt, deren Dasein und deren Wirksamkeit als Schriftsteller außer Zweifel stehen, nur daß sie keine erdkundlichen Werke geschrieben haben, ζ. B. Libanius. Möglicherweise wollte die Quelle mit der erstgenannten Gruppe von Namen eine parodistische Wirkung erzielen. Eine solche Absicht wird etwa dem Grammatiker Virgilius Maro zugesprochen, einem der berüchtigsten Schwindelschriftsteller zwischen Antike und Mittelalter, dessen Name allein schon ein Witz ist, weil der berühmteste Dichter der Römer Vergilius Maro hieß199. Die zweitgenannte Gruppe verkehrter Zuschreibungen mag auch auf Irrtümer zurückzuführen sein, die sich in die ältere Uberlieferung eingeschlichen hatten. Der Geograph von Ravenna hat nicht an der Tatsächlichkeit der Schriftsteller gezweifelt, die in seiner Vorlage genannt waren. Sein Schwindel bestand einerseits darin, daß er sich brüstete, Werke gelesen zu haben, die er nie gesehen hatte, und andererseits darin, daß er Nachrichten, für die er selber verantwortlich zeichnete, angeblichen Gewährsmännern zuschrieb. Weder mit diesem noch mit jenem Verfahren bildete er eine Ausnahme. In den Verdacht, die Namen der Philosophen erlogen und nicht gutgläubig übernommen zu haben, ist der Geograph deshalb gekommen, weil man meinte, er habe eine Straßenkarte vor Augen gehabt, die der Peutingerschen Tafel ähnlich war. Nun gehen viele Angaben seines zweiten bis vierten Buches auf ein solches Werk zurück, jedoch nicht in der Weise, daß er selber die Karte gekannt hätte. Statt dessen hat er eine Vorlage in Gestalt eines Buches benutzt, das seinerseits mittelbar oder unmittelbar auf der Landkarte beruhte200. Das Werk des Geographen von Ravenna stellt also zum großen Teil nur eine Bearbeitung eines (verlorenen) älteren Buches dar, während das Werk des Guido eine jüngere Bearbeitung der (erhaltenen) Erdbeschreibung des Geographen von Ravenna bildet. Handelte es sich bei der Vorlage um ein Buch und nicht um eine Karte, so sind die gehäuften Verfasserangaben leicht verständlich. Das Werk des Geographen von Ravenna enthält Mitteilungsschichten verschiedenen Alters. Was das römische Reich angeht, so rühren sie zum Teil aus der Zeit vor Diokletian (284-305) her201. An mehreren Stellen sind in diese 198 199 200

201

Krusch 1928: 55. Brunhölzl 1975: 150-152. Schillinger-Häfele 1963: 249. Stolte 1949: 115, der allerdings an mehrere Bücher dachte, die alle auf dieselbe Karte zurückgegangen seien. Toth 1989: 207.

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Schichten spätere Angaben eingesprengt. Mit Sicherheit liegen solche jüngeren Bestandteile dann vor, wenn der Verfasser einen Namen nennt und zugleich bemerkt, „in alter Zeit" (antiquitus) habe ein Land so und so geheißen. Ein Beispiel solcher Vergegenwärtigungen treffen wir auch und gerade bei dem Land Rheinfranken, das „in alter Zeit Gallia Belgica-Alobrices" hieß, wie der Ravennat ausdrücklich bemerkt. Vergegenwärtigungen bilden ein wichtiges literaturpsychologisches Problem202. Ich bin auf den Einwand gefaßt, daß die Vergegenwärtigungen im Text der Erdbeschreibung in die Zeit der angeblichen gotischen Gelehrten gehört hätten und daß der Ravennaische Geograph sie einfach abgeschrieben habe. Es gibt nun einen Sachverhalt, der es geradezu unmöglich macht, daß die Mitteilungen, die den gotischen Phylosophi zugewiesen werden, aus dem 5. Jh. gestammt hätten: Diesen Sachverhalt bilden die hochdeutschen Formen von Ortsnamen im Werk des Geographen. Bei der Beschreibung von Gebieten, die nach heutigen Begriffen zu Deutschland oder wenigstens zum deutschen Sprachgebiet gehören, beruft sich der Ravennat auf die gotischen Gelehrten (aber nicht allein bei der Beschreibung dieser Gebiete). Orte, die sich in diesen Landen befinden, versieht er mit hochdeutschen Namenformen. Zum Beispiel schreibt er AnternacÄa, Ziurichi und Uburzis: »Andernach, Zürich, Würzburg'203. Dem Stra des Ravennaten liegt trotz der Schreibung gleichfalls eine verschobene Form zugrunde204.Wenn diese und weitere verschobene Namenformen aus dem 5. Jh. stammten, hätte die hochdeutsche Lautverschiebung schon in jener Zeit abgeschlossen und so weit nördlich vorgedrungen sein müssen, daß sie Andernach erreicht hätte. Eine solche Annahme steht im genauen Gegensatz zu den Feststellungen der Germanistik. Der Ubergang k > ch wird von vielen Forschern überhaupt erst ins 7./8. Jh. gesetzt205. Andernach kann besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, denn der Name des Ortes ist während des Frühmittelalters öfter belegt, und zwar mit unterschobenem k. In der zweiten Hälfte des 6. Jhs. schreibt Venantius Fortunatus Antonnacensis206. Ebenso lautet die Ortsangabe Antonaco in der Decretio Childeberti, einem Gesetz, das Childebert II. wohl 596 erlassen hat. Erst die jungen Handschriften haben -acho207. Noch 748 ist die unverschobene Form Andernacum bezeugt208.

202 203 204 205 206 207 208

Hartke 1951: 9-14. Der Geograph von Ravenna 1990: 60 und 61. Vgl. Wagner 1984: 401. Wagner 1987: 41f. Anm. 7. Geuenich 1985: 982. Venantius Fortunatus 1881: 243, 63. Eckhardt 1967: 28f. Kuhn 1974: 509.

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Auch wenn man von der zweiten Lautverschiebung solche Auffassungen wie Theo Vennemann (1987) vertritt, kommt man nicht an der Tatsache vorbei, daß die Goten kein Althochdeutsch gesprochen haben. Wer also die Nennung der deutschen Orte auf gotische Gelehrte zurückführt, die um 500 gelebt hätten, muß annehmen, daß die Namen dieser Orte später verhochdeutscht worden sind. Entweder müßte ein Vorgänger des Geographen oder der Geograph selber oder ein späterer Bearbeiter die unverschobenen Formen gegen die hochdeutschen ausgetauscht haben. In jedem Fall hätte eine solche Bearbeitung eine erhebliche Vertrautheit mit den betreffenden Ortlichkeiten sowie deren Namen vorausgesetzt: Wer Seeland treffend mit Sjcelland gleichsetzt, muß erstens wissen, um welches Seeland es sich handelt (es könnte ja auch das niederländische sein), und zweitens die dänische Namenform kennen. Der Bearbeiter der unverschobenen Ortsnamen hätte obendrein bestrebt gewesen sein müssen, die Mitteilungen der Vorlage seiner Gegenwart anzupassen. Man kann sich fragen, ob dieses Bestreben auf die Verhochdeutschung beschränkt blieb. Die Frage könnte sich in bezug auf die Herkunft der Wortgruppe Francia Rinensis als fruchtbar erweisen. Schnetz hat gemeint: „Ein Germane (Gote) spricht an mehreren Stellen aus dem überlieferten Text" 209 . Den Germanen werden wir ihm gern zugestehen, nur keinen Goten, sondern den Sprecher einer Sprache, die an der zweiten Lautverschiebung teilhatte. Gutenbrunner vermutete einen langobardischen Schriftsteller aus dem nordwestlichen Oberitalien, der die „Veränderungen des 7. und 8. Jhs." berücksichtigt hätte210. Theodor Steche ging so weit, daß er meinte, die gotischen Gewährsmänner des Ravennaten seien in Wirklichkeit Langobarden gewesen211. Gotisch habe hier Jangobardisch' bedeutet. Dieser Schluß ist gewiß falsch. Bei der Annahme langobardischer Quellen oder Zwischenstufen wären zwar die hochdeutschen Formen zu erklären, nicht aber die sachlichen Schwierigkeiten aus der Welt geschafft, wieso man in Italien ständig von den betreffenden deutschen Orten geredet haben sollte, so daß ihre Namen genauso verschoben worden wären wie in Deutschland. Schließlich lagen die Verhältnisse doch anders als bei der Stadt Rom, deren Name in Deutschland in aller Munde war. Ohne die Mündlichkeit ist aber die Teilnahme an der Lautverschiebung nicht zu erklären. Noch unwahrscheinlicher ist die Annahme, daß der Ravennat selber die Namen verhochdeutscht hätte. Ihm wird sowohl die nötige Orts- als auch die Sprachkenntnis gefehlt haben. Wenn man einen späteren Bearbeiter am Werk sehen will, wäre dessen Heimat am ehesten in Deutschland zu suchen.

209 210 211

Schnetz 1921: 339. Gutenbrunner 1935: 294. Steche 1937: 11.

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Die nächstliegende Erklärung ist die, daß der Ravennat die deutschen Orte überhaupt nicht in einer alten Schrift, also nicht in seiner Hauptquelle gefunden hat. Sie werden wohl auf die Mitteilungen eines Zeitgenossen zurückgehen212. Hier finden wir gleich neue Hinweise darauf, daß der Geograph im 9. Jh. gelebt hat: Das auffällige in Ziurichi usw. hat Wagner mit dem Verweis auf Schreibgewohnheiten erklärt, die bei dem Geschichtsschreiber Agnellus (t 850) zu beobachten sind213. Es geht um das große Schwanken bei der Wiedergabe des Lautes [tsfu. Den Agnellus, der in Ravenna lebte, hatte Krusch in die persönliche Nähe des Geographen gerückt215. Gleichfalls von mündlichen Mitteilungen leitete Paul Lebel eine Anzahl der Namen gallischer Flüsse und rechter Nebenflüsse des Rheins her, die der Geograph aufführt: Die betreffenden Sprachformen könnten schwerlich vor dem 9. Jh. gebräuchlich gewesen sein216. Dieser Forscher hat außerdem wahrscheinlich gemacht, daß die Abschnitte der Erdbeschreibung, mit denen wir beschäftigt sind, in der handschriftlichen Uberlieferung des Werkes eine Sonderstellung eingenommen haben217. Auch auf diesem Wege gelangen wir zu einer Mitteilungsschicht, die aus dem 9. Jh. und nicht von Zeitgenossen des Königs Theoderich stammt. Obwohl der Ravennat selber keine Verfasser erfunden haben wird, ist er also doch verdächtig, mit Absicht falsche Zuweisungen vorgenommen zu haben, allerdings aus anderen Beweggründen als seine Vorgänger im späten Altertum: Im frühen Mittelalter galt die geistige Selbständigkeit nicht als lobenswerte Eigenschaft. Wer also der Welt etwas mitteilen wollte, mußte Gewährsmänner angeben, um nicht als verdächtiger Neuerer zu erscheinen. So mag der Geograph von Ravenna die Namen des Athanarich, Hildebad und Markomir benutzt haben, um seine Angaben über Deutschland der Leserschaft glaubhaft zu machen. Wer die Francia Rinensis des Geographen von Ravenna für ein Gebilde des 5. Jhs. hält, sieht in ihr ein politisches Gebilde, ein Ergebnis fränkischer Machtausbreitung218. Eine solche Sicht der Dinge wird dem Ravennaten jedoch nicht gerecht. Seiner Erdbeschreibung „fehlt der politische Gesichtspunkt. Bei ihr ist [...] streng genommen nur die genauere Provinzeinteilung, die er von einigen Ländern (so von Kleinasien, Italien, Spanien) angibt, politisch"219. Es „fehlen fast sämtliche unmittelbaren Hinweise auf die politische Geschichte und die Macht2,2 213 214 215 216 217 2,8 219

Krusch 1928: 63. Wagner 1976: 444. Vgl. Lebel 1939: 124, Anm. 2. Krusch 1928: 53. Lebel 1939: 136. Lebel 1943: 313. Ζ. B. Anton 1995a: 371. Schnetz 1918: 15.

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Verhältnisse der Vergangenheit oder seiner Zeit"220. Das heißt, wenn in der Erdbeschreibung politische Gebilde faßbar werden, so deshalb, weil der Geograph sie für Länder „patriae" hielt. Zufällig stimmt dann das vergängliche Gebilde des Staatslebens mit den unvergänglichen Gegebenheiten der Erdkunde überein, denen der Ravennat seine Aufmerksamkeit widmet. Es ist unhaltbar, die Francia Rinensis für „das Kölner Frankenreich" zu erklären und daraufhin die Grenzen der Francia Rinensis, die der Ravennat angibt, als falsch hinzustellen, weil sie nicht zum „Kölner Frankenreich" passen. Bei diesem Vorgehen wird das zu Beweisende als Voraussetzung des Beweises hingestellt. Nehmen wir aber an, die Francia Rinensis wäre ein politisches Gebilde des späten 5. Jhs. gewesen, so muß man fragen, warum die Quellen des Geographen die angrenzenden politischen Gebilde nicht genannt haben: Kein Wort finden wir vom Westgotenreich, das in jener Zeit bis zur Loire reichte, also an die Francia Rinensis gegrenzt hätte. Die Nennung Burgunds besagt nichts, denn dieser Name hat als Landschaftsbezeichnung die Jahrtausende überdauert und lebt bis zum heutigen Tag. Wir können also nicht behaupten, daß der Geograph mit Burgundia das Burgunderreich des beginnenden Mittelalters gemeint hätte. Nichts vernehmen wir aus der Erdbeschreibung vom Staatsgebiet des Ostgotenkönigs Theoderich, dessen Gewalt sich doch über die Alpen hinweg erstreckt hat. Hätten die an seinem Hofe tätigen Phylosophi keine Veranlassung gehabt, die Macht ihres Herrn rühmend zu erwähnen? Man verlegt ihre Wirksamkeit, zumindest die des Athanarid, in die Jahre 496/7 bis 507221; und doch sollen sie Angaben gemacht haben, die in die Zeit zwischen 455 und 496/7 gehört hätten. Obendrein wären sie Chlodwigs Wirksamkeit nicht gerecht geworden222. Wie soll man sich das erklären, da Theoderich doch im Jahre 493 eine Schwester Chlodwigs geheiratet hatte? Wenn die Francia Rinensis ein politisches Gebilde des späten 5. Jhs. gewesen wäre, hätte sie mit ihrer Grenze an der Loire am ehesten dem Herrschaftsgebiet Chlodwigs vor 507 entsprechen können. Glauben wir aber der herrschenden Meinung, so hätten uns sagenhafte gotische Philosophen ein politisches Gebilde des 5. Jhs. geschildert, von dem wir sonst nie etwas hören. Aber die politischen Gebilde, von denen wir sonst Kenntnis haben, hätten sie uns verschwiegen. Dem Wissenschaftler, der sich wohl am gründlichsten mit dem Geographen von Ravenna beschäftigt hat, also Joseph Schnetz, ist es nicht eingefallen, die Francia Rinensis für ein politisches Gebilde des 5. Jhs. zu halten. Statt dessen schrieb er: „Als moderner Name wird für dieses Land Francia Rinensis, [...] kürzer patria Francorum angegeben"223. „Dieses Land" meint Gallia Belgica. Die 220 221 222 223

Toth 1989: 199. Staab 1976: 54. Anton 1985: 48 und 50, Anm. 258. Schnetz 1934: 89.

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Hervorhebung des Wortes modern stammt von Schnetz, der weiter ausführte, „daß dem Rav., wenn er die ihm zeitlich nahe gelegenen Verhältnisse meint, die patria Germanorum oder Germania soviel ist wie seine Francia Rinensis, d. h. das Land zwischen dem mittleren und unteren Rheingebiet, dem Ärmelkanal, der Bretagne, der Loire, Burgund und dem Alamannenland"224. Schnetz ist einer der wenigen, die die Grenzen der Francia Rinensis des Geographen von Ravenna richtig wiedergegeben haben: Das von ihnen umschlossene Land „reichte von Mainz bis zur Scheidemündung, umfaßte das Moselland von Toul bis Koblenz und ging bis Tours und Orleans, wurde also südlich von der Loire begrenzt"225. Wenn die Konjektur richtig ist, die Schnetz in den Text gesetzt hat, flöß sogar die Maas in jenem Rheinfranken. Die Grenzen der Francia Rinensis des Geographen von Ravenna stehen im klaren Gegensatz zu den sonst bezeugten politischen Gegebenheiten des 5. und 6. Jhs. Deswegen nimmt man gewöhnlich zu der Behauptung Zuflucht, der Geograph habe die Grenzen Rheinfrankens „fälschlich" (incorrectly) ausgedehnt226. Die westlichen Teile der Francia Rinensis werden hierbei einfach unterschlagen227. Anton hat die Schwierigkeit dadurch beseitigen wollen, daß er den Ausfall einer größeren Textmenge annahm, in der von der Gallia Belgica die Rede gewesen wäre, welches Land, wenn ich den Verfasser recht verstehe, zwischen Rheinfranken und der Loire gelegen, aber auch die nordgallischen Flüsse umfaßt habe, so daß „Athanarid dann nicht die Francia Rinensis bis an die Loire aus"-gedehnt hätte228. Da aber der Geograph vorher die Gallia Belgica ausdrücklich mit der Francia Rinensis gleichgesetzt hat, ist Antons Gedankengang nicht nachvollziehbar. Alle Ausflüchte führen auf den Holzweg: Da im Frühmittelalter nirgendwo sonst von Rheinfranken die Rede ist, gab es während jener Zeit entweder die Francia Rinensis, wie der Geograph von Ravenna sie schildert, oder gar keine. Mit anderen Worten: Wer die Grenzen jenes Rheinfrankens nicht so gelten lassen will, wie der Ravennat sie uns mitteilt, kann sie nach Willkür und Belieben ziehen. So ist es dann auch geschehen. Der gelehrte Porcheron, der erste Herausgeber des Geographen von Ravenna, meinte, der Begriff der Francia Rinensis stehe im Gegensatz zu „jenem rechtsrheinischen Franken, das die Franken bewohnten, als man zuerst vom Namen dieses Volkes hörte" ad distinctionem scilicet Franciae illius Transrbenanae, quam Franci incolebant, cum primum hoc gentis nomen audiri coeperat229. Eigentlich müßte man Franci hier mit .Franzosen' übersetzen, denn Porcheron 224 225 226 227 228 229

Schnetz 1934: 90. Lugge 1960: 160 - Krusch 1928: 59f. Staab 1976: 42. Schäferdiek 1991: 4. Ganz ähnlich bereits Crollius 1773: 335. So ζ. B. bei Putzger 1991: 37. Anton 1985: 49. Porcheron 1688: 182.

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hält, wie es zu seiner Zeit in Frankreich üblich war, Germani und Alamanni für Bezeichnungen der Deutschen und wundert sich, daß der Ravennat zwischen Germani und „Alemanni" einen Unterschied macht230. Jedenfalls hätte Porcheron die Grenze der Francia Rinensis wohl längs des Rheins gezogen. Kremer glaubte, Rheinfranken sei dasselbe gewesen wie Austrien und nach der Schlacht von Zülpich eingerichtet worden. Selbstverständlich war er sich ganz sicher, daß nur eine unvollkommene Kenntnis der Dinge den Geographen von Ravenna daran gehindert habe, uns diese Tatsache mitzuteilen231. In seiner Eigenschaft, Austrien zu sein, mußte Rheinfranken seine Ostgrenze östlich des Rheins haben. So wird Kremers Uberzeugung verständlich, „daß dieses Rheinland eine besondere, ja die erste und edelste Provinz von Deutschland gewesen sei"232. Vor kurzem hat sich Karl-Ferdinand Werner so geäußert, daß man annehmen muß, auch er hielte Francia Rinensis für einen älteren Namen Austrasiens oder zumindest dessen nördlichen Teils: „Bei der Teilung von 511 hatte sich die .Francia Rinensis' [...] unter einem eigenen König Theoderich [...] behauptet, der die von ihm eroberte Auvergne dauernd in das später Austrasien genannte Teilreich einbrachte"233. Auf jeden Fall meint der Verfasser, die Rheinfranken hätten noch im ersten Drittel des 5. Jhs. östlich des Rheins gesiedelt und wären dann auf beiden Seiten des Flusses ansässig gewesen234, so daß die Ostgrenze Rheinfrankens außerhalb Galliens gelegen haben müßte - wenn man nicht annehmen will, daß Rheinfranken etwas anderes gewesen wäre als der Siedlungsraum der Rheinfranken. Nur ein kleines Gebiet, aber immerhin deutsches wollte Ferdinand Wächter (1794-1861) den Rheinfranken zugestehen, denn er stellte fest: „Die Ripuarier sind also keine anderen als die, welche im Teutschen des Mittelalters Rinfranken (Rheinfranken) genannt werden"235. Bernard Hendrik Stolte dagegen mißgönnte der Francia Rinensis den Ruhm, „die erste und edelste Provinz von Deutschland" gewesen zu sein, indem er nichts anderes in ihr sah als einen Oberbegriff für mehrere römische Provinzen und niedere Verwaltungseinheiten des römischen Reichs, nämlich Germania inferior, die nördliche Hälfte von Germania superior bis Mainz, Belgica I, Belgica II, Lugdunensis Senonia und das Gebiet von Tours236. Stolte hat wie Schnetz den großen Vorzug, die Grenzen der Francia Rinensis des Geographen von Ravenna im Westen und Süden richtig wiederzugeben, also die Zugehörigkeit der Gebiete

230 231 232 233 234 235 236

Porcheron 1688: 185. Kremer 1778: 34f. Lamey in Kremer 1778: Vorrede [3]. Werner 1992: 196. Werner 1989: 311f. Wächter 1848: 205. Stolte 1949: 86.

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von Tours und Orleans nicht zu unterschlagen. Obendrein sah er in der Francia Rinensis einen Teil des Merowingerreichs und nicht ein Gebilde des 5. Jhs.237. Anton äußerte sich so: „Die rhein. Francia umfaßte also Teile verschiedener röm. Provinzen: die gesamte Germania Π, fast die ganze Belgica I (ohne Verdun offenbar) und den N-Streifen der Germania I"238. Zu guter Letzt erweckt Staab mit einer Landkarte den Eindruck, als ob die „Rheinischen Franken" nur östlich des Rheins, allerdings in einem sehr großen Gebiet gesiedelt hätten239. Falls hier nicht eine versehentliche Beschriftung vorliegt, ist Rheinfranken somit wieder zu einer der vornehmsten Provinzen Deutschlands geworden. Die Beispiele zeigen, wohin es führt, wenn man an das Rheinfranken des Geographen von Ravenna als ein Gebilde des 5. Jhs. glaubt, ohne sich diesem Glauben ganz hinzugeben. 5.3. Gibt es Anzeichen dafür, daß Franken sich als „Rheinfranken" bezeichnet hätten? Nehmen wir an, *Franci Rinenses ,die Rheinfranken* sei eine Wortgruppe, die von Verfassern des 5./6. Jhs. niedergeschrieben worden wäre (und die herrschende Meinung nimmt das ja an, indem sie die Nennung der *Franci Rinenses auf Gelehrte im Umkreis des Ostgotenkönigs Theoderich zurückführt), so hätten wir noch lange keinen Beleg dafür, daß die Leute, die von ostgotischen Gelehrten als „Rheinfranken" bezeichnet worden wären, sich selber mit diesem Namen bezeichnet hätten. *Franci Rinenses könnte eine auf Italien beschränkte Bezeichnung gewesen sein, die nördlich der Alpen gar nicht gebräuchlich war. Für das Selbstverständnis der Franken wäre somit überhaupt nichts bewiesen. Auf diesen Sachverhalt sind wir bereits aufmerksam geworden (oben S. 237). Die heutigen Darstellungen erwecken nun den Eindruck, daß ihre Verfasser das Wort Rheinfranken für eine Selbstbezeichnung eines Teils der Franken halten. Den Beweis für den von ihnen angenommenen Sachverhalt bleiben die Verfasser jedoch schuldig. Keine Quelle enthält auch nur den geringsten Hinweis darauf, daß den germanischen oder den romanischen Bewohnern des Merowingerreichs eine germanische oder eine lateinisch/romanische Entsprechung des Wortes Rheinfranken bekannt gewesen wäre. Die Behauptung, Chlodwig und sein Anhang wären „Salier" (oder „Salfranken") gewesen, hat immerhin die Lex Salica zur Verfügung. Auch sonst kommt das Wort salicus im Frankenreich vor (einerlei, was es bedeuten mag). Der Glaube an das fränkische Teilvolk der Ri-

237 238 239

Stolte 1949: 120. Anton 1995a: 369. Staab 1996:14.

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buarier vermochte sich auf zahlreiche Belege frühmittelalterlicher Entsprechungen dieses Wortes zu berufen. Für die Rheinfranken kann man nichts dergleichen ins Feld führen. Im Unterschied zur Lex Salica und zur Lex Ribuaria gab es keine Lex 'Francorinensis. „[...] die Franci rinenses [...] sind weder unter diesem noch unter einem anderen Namen bezeugt"240. Daran ändert die Tatsache nichts, daß fränkische Könige namens Siegbert und Chloderich, Zeitgenossen Chlodwigs, mit Köln zu tun hatten. Auch diese Männer wurden in keiner Quelle als Rheinfranken bezeichnet. Die gängige Behauptung, Köln sei der Sitz dieser Herrscher gewesen, hat übrigens in den Quellen keine Grundlage241, wenn sich der behauptete Sachverhalt auch nicht ausschließen läßt. Man bedenke, daß der König Theudebert Π. während des Jahres 612 in einem engen Zusammenhang mit Köln erscheint wie vormals Siegbert und Chloderich; und doch hatte er seinen Sitz in Metz. Hätte der Name Rheinfranken als Gegenwort zur Bezeichnung derjenigen Franken gedient, die in der neuzeitlichen Wissenschaft als „Salfranken" angesehen worden sind, dann hätte die neuzeitliche Wissenschaft diesen Tatbestand erklären müssen. Die „Salfranken" sind nämlich genauso „Rheinfranken" wie die „Kölner Franken", nur daß die „Salfranken" weiter rheinabwärts faßbar werden, und zwar bereits in den fünfziger Jahren des 4. Jhs.: Nach der herrschenden Meinung hätten im 4. Jh. die „salischen Franken" erst auf der „Bataverinsel" (der niederländischen Landschaft Betuwe) gesiedelt, also am Rhein. Von dort seien sie nach Toxiandria (oder Toxandria) gezogen242. Zur Namenform Toxiandria siehe Demandt243. Dieses Gebiet soll durch die Maas und die Scheide begrenzt gewesen sein244, rechnet nach der Einteilung des Geographen von Ravenna also zur Francia Rinensis. Nun wird behauptet, daß die Zweiteilung der Franken schon bestand, als die Salier von der Bataverinsel nach Tox(i)andrien zogen245. Es bleibt unerklärlich, wie „die rheinischen Franken" unter diesen Umständen zu ihrem Namen gekommen sein sollten. Da keineswegs anzunehmen ist, daß die „Rheinfranken" bereits so geheißen hätten, bevor sie an den Rhein gekommen waren, hätte ihnen infolge ihrer (vermuteten) Niederlassung im Gebiet von Köln allenfalls die Bezeichnung „Mittelrheinfranken" zufallen können. Fritz Beisel spricht einfach von „Mittelrheinfranken"246, ohne sich bewußt zu sein, daß er einen sonst nicht gebräuchlichen Ausdruck verwendet.

240 241 242 243 244 245 246

Kuhn 1974: 498. In diesem Sinne Kuhn 1974: 498. Vorsichtig Schäferdiek 1991: 5. Kaiser 1993: 18. Demandt 1989: 97, Anm. 8. Cüppers 1979: 903. Ewig 1988: 11. Anton 1995a: 369. Beisel 1987: 36.

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Mit der Annahme, Rheinfranken wäre eine Bezeichnung einer Anzahl von Franken der fränkischen Frühzeit gewesen, ist die Wissenschaft des 20. Jhs. ein Opfer ihrer selbst geworden. Das Wortgebilde klingt uns nämlich vertraut, denn Benennungen wie Elbgermanen, Elbslawen, Donausweben, Mainsweben usw. kommen in heutigen Darstellungen häufig vor. Im Frühmittelalter jedoch finden sie keine Entsprechung. Keiner der sogenannten Elbgermanen hat sich jemals als Elbgermanen bezeichnet. Keiner der sogenannten Elbslawen hat sich jemals als Elbslawen vorgestellt247. Die Beliebtheit solcher Wörter wie Elbgermanen oder Elbslawen rührt aus der Zaubergewalt her, die von Linien ausgeht: Auf den Karten, die frühgeschichtliche Zustände veranschaulichen sollen, sind einerseits die Grenzen des Festlands, andererseits die Flüsse eingezeichnet. Der Betrachter blickt also auf ein Liniengeflecht. Ein wahllos herausgegriffenes Beispiel bildet die Karte „Germanische Besiedlung des 1. und 2. Jh. zwischen Rhein und Oder" in dem Buch „Die Germanen"248. Den durch die Zeichnung gewonnenen Linien werden Völker zugeordnet. Auf diese Weise sind die Elbgermanen, die Rhein-Weser-Germanen oder die Elbslawen erfunden worden. Es wäre dringend erforderlich, auf den Karten erst die Gebirge einzuzeichnen, bevor man die Flüsse vermerkt. Freilich müßten wir dann unsere geliebten Linien hintanstellen und auf eine große Anzahl frühgeschichtlicher Völker verzichten. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, daß den Bewohnern des Merowingerreichs oder des älteren Galliens eine Entsprechung der Landesbezeichnung oder der Personenbezeichnung Rheinfranken bekannt gewesen wäre, und erst recht keine Anhaltspunkte, daß Franken der Völkerwanderungs- oder der Merowingerzeit sich selber als „Rheinfranken" bezeichnet hätten.

5.4. Rheinfranken als sprachliches Gebilde Francia Rinensis steht nun einmal in der Erdbeschreibung des Geographen von Ravenna. Da haben wir die Pflicht, das Zustandekommen dieser Wortgruppe und der gleichbedeutenden patria Francorum Rinensium zu erklären. Die meisten Wissenschaftler sehen sich außerstande, die Grenzen jenes „Rheinfrankens" mit seiner Bezeichnung auf einen Nenner zu bringen; und es bleibt wirklich ein Rätsel, wie die Francia Rinensis des Geographen von Ravenna zu ihrem Namen gekommen sein soll. Folgt man ihren Umrissen, so hätte sie ebenso gut „Seinefranken" oder „Moselfranken" heißen können. Diese Schwierigkeit hat man zu beseitigen versucht, indem man die Francia Rinensis 247

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Polabi heißt natürlich nicht .Elbslawen', sondern Anwohner der Elbe', wie Pommern nicht „Meerslawen", sondern Anwohner des Meeres' bedeutet hat. Die Germanen 1976: nach 380.

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willkürlich verkleinerte oder in ein Gebiet verlegte, wo sie sich nach dem Ravennaten gerade nicht befunden hat. Die entgegengesetzte Möglichkeit wäre die, zwar die Grenzen gelten zu lassen, jedoch den Namen des Landes für entstellt zu halten. In gutem Latein heißt das von Rhenus .Rhein' abgeleitete Adjektiv rhenanus. Belegt ist dieses Eigenschaftswort schon im Altertum; indessen kommt es selten vor. Es findet sich bei Martial, also im ersten nachchristlichen Jh., sowie bei Sidonius Apollinaris im 5. Jh. Manche Herausgeber haben das rhenanus bei Martial durch rhenigenus ersetzt. Wäre ihr Tun berechtigt, so ginge rhenanus in der Überlieferung des Martial auf mittelalterliche Abschreiber zurück. Daraus wäre abzuleiten, daß diesen Abschreibern das Wort rhenanus geläufig gewesen ist. Rinensis war ihnen jedenfalls nicht geläufig. Häufiger als das Attribut rhenanus kommt die attributive Verwendung des Genetivs von Rhenus vor. Unverständlich ist die Meinung Ewigs, „die Bezeichnung Francia r(h)inensisu verrate „den Sprachgebrauch des 5. Jhs., da das Adjektiv rhenanus auch bei Sidonius begegnet"249. Rinensis verrät im Gegenteil einen anderen Sprachgebrauch als rhenanus. Weder „sachlich" noch „begrifflich" hat die betreffende Stelle in einem Brief des Sidonius Apollinaris aus dem Jahre 471 etwas mit „Rheinfranken" zu tun, was gegen Anton zu betonen ist250. Sidonius schreibt nämlich, die Redekunst sei schon lange im Gebiet der belgischen Provinzen und des Rheins untergegangen [...] sermonispompa Romani[...] Belgicis olim siue Rhenanis abolita terrisf.../5l. Hier ist überhaupt nicht von einem festumrissenen Land die Rede. Das Wort rinensis ist auffällig. Drei Möglichkeiten gibt es, seine Herkunft zu erklären: Entweder hat es der Geograph von Ravenna in einer Vorlage gelesen; oder er hat es erfunden; oder es ist irrtümlich in die handschriftliche Uberlieferung seines Werkes eingedrungen. Folgen wir der Auffassung, der Ravennat hätte ostgotische Gelehrte ausgeschrieben, so bleibt die Frage, warum diese Phylosophi sich nicht des geläufigen Wortes rhenanus oder des Genetivs von Rhenus bedient haben sollten. Wie das Beispiel Cassiodors zeigt, pflegte man in der Umgebung des Königs Theoderich ein reines Latein. Wer aber zu den unerschrockensten Anhängern des gotischen Philosophentums gehört, wer also glaubt, daß der Athanarid und seine Fachgenossen Gotisch geschrieben hätten, muß eine gotische Entsprechung des neuhochdeutschen Eigenschaftsworts rheinisch nachweisen. Weder das Althochdeutsche noch das Altnordische kannten eine derartige Entsprechung, obwohl im Norden sogar in der Prosa vom Rhein die Rede war252 - ganz zu schweigen von der Dichtung253. 249 250 251 252 253

Ewig 1978: 123. Anton 1995a: 368. Sidonius Apollinaris 1970: 149 [epist. 4, 17], Baetke 1968: 502. Egilsson 1931: 469.

Riparii -

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Schließlich bliebe wiederum zu klären, warum das vermutete gotische Wort mit dem ungewöhnlichen rinensis und nicht mit dem gebräuchlichen rbenanus oder mit dem Genetiv von Rhenus übersetzt worden wäre. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die Annahme, die gotischen Phylosophi hätten gotisch geschrieben, zu der Folgerung zwingt, daß zwischen ihnen und dem Ravennaten eine lateinische Ubersetzung gelegen haben muß, denn wir verfügen über „keinen Anhaltspunkt," daß der Geograph „eine germanische Sprache verstanden" hätte254. Für die zweite Möglichkeit, daß also der Geograph selber oder die (zu vermutende) unmittelbare Vorlage das Wort rinensis erfunden habe, kann man geltend machen, daß merkwürdige Bildungen auf -ensis anderswo in der Erdbeschreibung zu beobachten sind. Sie kommen in einem Abschnitt vor, der sich mit Italien beschäftigt, nämlich 4, 29. Allerdings ist jede dieser Bildungen vom Namen einer Stadt abgeleitet255. Es bleibt demnach fraglich, ob man von diesen Adjektiven auf rinensis schließen darf. Wenden wir uns nun der dritten Möglichkeit zu, daß also das Wort rinensis durch Fehler der Abschreiber in den Text eingedrungen sei: Die Handschriften, die uns das Werk des Geographen von Ravenna überliefern, stammen nach Stolte aus dem 13. oder 14. Jh. 256 . Die gemeinsame, aber verlorene Vorlage hat Schnetz „nach 1150" angesetzt257. Entweder hat rinensis bereits in dieser Vorlage gestanden; oder verschiedene Abschreiber sind unabhängig voneinander auf dieses Wort gekommen. Die zweite Möglichkeit ist keineswegs unwahrscheinlich. „Wir haben nämlich [...] sichere Beweise dafür, daß von Kopisten die überlieferten Namensformen mitunter eigenmächtig verändert worden sind", so daß „die Ubereinstimmungen [...] nicht durch die Überlieferung bedingt sind"258. Die Abschreiber haben das eingesetzt, was ihnen richtig vorkam. Derartiges läßt sich genauso bei anderen Werken beobachten. Zum Beispiel ist in der handschriftlichen Uberlieferung des Anonymus de rebus bellicis 5, 6 aus limites arahunt mehrmals und ohne gegenseitige Beeinflussung limites Arabum geworden. Der Text, der durch diese Veränderung entstand, ist zwar falsch, erschien den Abschreibern jedoch als sinnvoll259. Die entsprechenden Handschriften stammen aus dem Spätmittelalter. Ihren Schreibern kamen „die Grenzen zu den Arabern" einleuchtend vor. Nur waren sie dem spätantiken Verfasser der Schrift De rebus bellicis unbekannt. Unseren Ausflug ins Spätmittelalter können wir für die Geschichte von r(h)inensis nutzen. Während jenes Zeitalters war das Wort nämlich in Ge254 255 256 257 258 259

Schnetz 1942: 60. Der Geograph von Ravenna 1990: 66 mit Anm. 4. Stolte 1949: 2. Der Geograph von Ravenna 1990: V. Schnetz 1919: 18 mit den Hervorhebungen. Vgl. ebd. 12. Anonymus de rebus bellicis 1984: 6. Vgl. XX.

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brauch260. Man hat den Eindruck, daß es überhaupt nach dem Vorbild des deutschen rheinisch, mhd. riniscb, rinesch, rinsch gebildet worden ist. R(h)inensis gehört in die vorhumanistische Zeit. Es rechnete zur Gattung der Wörter, über die sich die Verfasser der Dunkelmännerbriefe lustig gemacht haben. Sobald der klassische Sprachgebrauch für vorbildlich erklärt wurde, ist r(h)inensis wieder aus dem lateinischen Schrifttum verschwunden. Bei der Lage der Dinge hat die Vermutung einiges für sich, daß die Wortgruppe Francia Rinensis in der Erdbeschreibung des Geographen von Ravenna eine Textverderbnis darstellt. Die eben genannte Möglichkeit, erst spätmittelalterlichen Schreibern sei rinensis aus der Feder geflossen, gewönne dann an Gewicht, wenn diese Männer Veranlassung gehabt hätten, die Wörter Francifa) und rinensis im Geiste zu verbinden. Da wirkt es einigermaßen auffällig, daß Lupoid von Bebenburg (f 1363) geschrieben hat, es gebe Leute, die aus Unkenntnis und Eitelkeit lieber Rheinländer (Rhenenses) als Franken {Francos) genannt werden wollten sue originalis conditionis ignari se potius nominari Rhenenses quam Francos inaniter gloriantur261. Seit dem 11. Jh. sind lateinische Entsprechungen des Wortes Rheinfranken nachzuweisen. Bonizo von Sutri (f wohl vor 1099) gebraucht die Wortgruppe Rem Franciam (Akk.)262. Genauso steht in der Lebensbeschreibung des Erzbischofs Konrad von Salzburg (f 1147): [...] orientalem et Reni Franciam1^. Schließlich benutzt der Pfaffe Konrad um 1170 das deutsche Wort Rinfranken als Personenbezeichnung in seinem Rolandslied264. Diese und mögliche weitere Beispiele hat Margret Lugge zusammengestellt, ohne daß ihre Deutungen jedoch unbedingt befriedigend wären265. Es sei darauf hingewiesen, daß die eben genannten lateinischen Ausdrücke des Hochmittelalters nicht das Wort rhinensis enthalten. Bei der Lage der Dinge kann man den Eindruck gewinnen, daß das Wort Rinensis erst im Zuge der handschriftlichen Uberlieferung in den Text der Erdbeschreibung eingedrungen ist, so daß die Wortgruppe Francia Rinensis möglicherweise nicht vom Ravennaten stammt.

5.5. Der Geograph von Ravenna und die Einteilung der Franken Wie man die Grenzen und den Namen der Francia Rinensis auch auffassen mag: Mit Ribuarien ist das Gebiet nicht auf einen Nenner zu bringen. Das aus dem Landesnamen Francia Rinensis erschlossene Volk der „Rheinfranken" ist in

260 261 262 263 264 265

Diefenbach 1857: 492. Stengel 1940: 141, Anm. 52. Bonizo 1891: 587. M G H SS 11, 63. Wesle 1928: 276, v. 7851. Lugge 1960: 160.

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jeder Hinsicht ungeeignet, als Ersatz der „Ribuarier" zu dienen und als ein nichtsalisches Teilvolk der Franken auf die Bühne der Vergangenheit gestellt zu werden. Der Hauptgrund liegt in einer ganz einfachen Tatsache: Der Geograph von Ravenna kennt überhaupt keine Salier und erst recht keine „Salfranken". Seine Erdbeschreibung kann in keiner Weise die Lehre von der Zweiteilung der Franken in Salier und Nichtsalier stützen. Schnetz war der Ansicht, daß Francia Rinensis beim Geographen von Ravenna mit Francia austauschbar sei (oben S. 235f.). Stolte hat ihm zugestimmt266. Ist diese Meinung richtig, so findet sich in unserer Erdbeschreibung überhaupt keine Einteilung Frankens und erst recht keine der Franken. Da die Vertreter der Lehre von der Zweiteilung der Franken in Salier und Rheinfranken aber nicht ohne die Erdbeschreibung auskommen (eine andere Quelle haben sie ja nicht), müssen sie annehmen, daß die Francia Rinensis nicht dasselbe wie die Francia sei. Diese Annahme führt zwingend zu dem Schluß, Francia beim Geographen von Ravenna als Gegenwort zu Francia Rinensis zu betrachten, franken' wäre also der Gegenbegriff zu .Rheinfranken'. Lassen wir das gelten, so müssen wir bemerken, daß das Wortpaar, das die Begriffe bezeichnet hätte, höchst auffällig wäre. In unserer Gegenwart finden wir das Begriffspaar .Sachsen' und .Niedersachsen'. Warum dieses Begriffspaar mit einem auffälligen Wortpaar bezeichnet wird, läßt sich leicht erklären: Im letzten Drittel des vorigen Jhs. wurde das Wort Niedersachsen aus der Vergessenheit hervorgeholt, was zunächst beträchtliches Kopfschütteln auslöste. Im Jahre 1946 ist dieses Wort als Name eines neu geschaffenen politischen Gebildes gewählt worden. Als man das Wort Niedersachsen wiederbelebte, war das Wort Sachsen schon längst in seiner heutigen Geltung eingebürgert. Als Gegenwort zu Niedersachsen erscheint daher Sachsen und nicht „Obersachsen"267. „Obersachsen" kennt die lebendige Sprache nicht. Der obersächsische Kreis des alten deutschen Reichs umfaßte auch Brandenburg und Pommern. Ein heutiger Bewohner Greifswalds oder Potsdams kann jedoch nicht behaupten, ein Obersachse zu sein. Falls aber ein Bewohner des Freistaats Sachsen auf den Gedanken käme, sich die Bezeichnung Obersachse zuzulegen, würde diese Aussage wohl so verstanden, daß er sich als Bewohner des Erzgebirges und nicht der Leipziger Tieflandsbucht vorstellen wollte. Der Vergleich der Gegenwörter Francia und Francia Rinensis mit den Ländernamen Sachsen und Niedersachsen ist nicht so weit hergeholt, wie es scheinen mag. In der Karolingerzeit finden wir tatsächlich Francia oder Franci als geschriebenes oder gedachtes Gegenwort zu Wortgruppen, bei denen ein Eigenschaftswort zu Francia oder Franci hinzutritt. Welches Adjektiv verwendet wird, hängt jeweils davon ab, was mit der Wortgruppe bezeichnet werden soll. 266 267

Stolte 1949: 86. Berger 1987: 134.

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So erscheint Francia superior in den Jahrbüchern von St. Vaast zum Jahre 894268. Liutprand von Cremona (f 970/72) kennt eine Francia Romana neben einer einfachen Francia: Francia quam Romanam dkunt. Er kennt Franci Theutonici und Franci Orientales neben einfachen Franci269. Wer sich mit dem 9. und 10. Jh. beschäftigt, dem sind Verbindungen von Francia oder Franci mit einem Eigenschaftswort nur allzu vertraut270. Vergleichbare Wortgruppen tauchen nicht vor der Spätzeit des Merowingerreichs auf. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, daß der Hintergrund der Francia Rinensis im 9. Jh. zu suchen ist, also in der mutmaßlichen Lebenszeit des Geographen von Ravenna. Wollte man Schnetz folgen, der einen Interpolator in nachkarolingischer Zeit am Werk sah271, so würde die Bezugnahme aufs 9./10. Jh. noch wahrscheinlicher. Die Grenzen der Francia Rinensis passen allenfalls zu Gebilden, wie sie Reichsteilungspläne und Reichsteilungen des 9. Jhs. ins Leben rufen wollten oder ins Leben gerufen haben272. Die Nachfolgeordnung Karls des Großen vom Jahre 806 sah vor, daß dem ältesten und gleichnamigen Sohn des Kaisers „der gesamte fränkische Kernraum zwischen Loire und Rhein" zufallen sollte273. Man könnte meinen, daß der Geograph von Ravenna dieses Gebiet vor Augen gehabt hätte oder daß er sich an Zustände anlehnte, die nach 843 eingetreten waren274. Es wäre hier ein ähnlicher Fall wie bei den römischen Provinzen gegeben: Der Geograph hielt eine politische Größe für eine geographische. Bei der Fragwürdigkeit des Wortes rinensis kann hier dahingestellt bleiben, ob die Wortform (Francia) Rinensis vom Geographen selber stammt oder erst später und zwar infolge einer Textverderbnis aufgetaucht ist. Was die Erdbeschreibung als Francia Rinensis bezeichnet, nennt sie im selben Atemzug Gallia Belgica Alobroges. Das läßt verschiedene Deutungen zu. Soll es heißen: „Der zweite Name der Francia Rinensis ist Gallia-Belgica-Allobroges" ? Soll es heißen: „Die Francia Rinensis umfaßt das Land der Gallier, das der Belgier und das der Allobroger? Soll es heißen, die Francia Rinensis umfaßt das Gebiet der Gallia Belgica und das Land der Allobroger? Gallia Belgica war eine römische Provinz, die bis in die Zeit Diokletians (284-305) bestand. Dann wurde sie in die Provinzen Belgica Prima und Belgica Secunda geteilt. Seit der Zeit Diokletians und Konstantins (306-337) führte keine Provinz mehr das Wort Gallia in ihrem Namen. Statt dessen gab es eine Diö268 269

270 271 272 273 274

Annales Vedastini 1909: 74, 26; 75, 3, 9. 1958: 326-328. Liutprand 1915: 18 [1, 16]; 7 [1, 5]j 37 [2, 3]. 1977: 270, 254, 300. Die Aufzählung ist unvollständig. Vgl. Brühl 1990:103f. und 755-757. Schnetz 1934: 90. Siehe etwa die Karten bei Classen 1972: nach 216. Schieffer 1992: 106. Krusch 1928: 60.

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zese namens Galliae. Die Diözesen waren Verwaltungseinheiten, die Diokletian geschaffen hatte und die mehrere Provinzen vereinten. Außerdem gab es seit der Zeit Konstantins das Amt des praefectus praetorio per Gallias, des Prätorianerpräfekten für den gallischen Reichsteil. Dieser Sprengel schloß Britannien ein. Das Gebiet der Allobroger lag nach heutigen Begriffen in Südostfrankreich. Es wurde von der Rhone und von der Isere begrenzt. Sein Hauptort war Vienne. Was das mit einem Rheinfranken zu tun hat, bleibt unklar. Eine römische Provinz, die nach den Allobrogern genannt worden wäre, hat es nie gegeben. Das betreffende Gebiet lag in der römischen Provinz Gallia Narbonensis. Obwohl der Name der Allobroger in der Bezeichnung größerer Verwaltungseinheiten nicht auftaucht, mußte er den Lesern der lateinischen Literatur geläufig sein. Sie spielten in der Catilinarischen Verschwörung eine große Rolle, so daß sowohl Cicero als auch Sallust von ihnen sprechen. Natürlich erwähnt sie auch Caesar in seinem Gallischen Krieg. Belgica ist nicht weniger merkwürdig. „Den letzten Beleg aus der ausgehenden Antike enthält das bekannte Glückwunschschreiben des Metropoliten Remigius von Reims zum Herrschaftsbeginn des Frankenkönigs Chlodwig"275. Das Wort erscheint erst wieder bei dem englischen Gelehrten Beda (f 735) und noch später auf dem Festland, nämlich um 750 in der Lebensbeschreibung des Eligius und dann nach 783 in der Geschichte des Bistums Metz von Paulus Diaconus. Diese Nennungen ergeben sich aus Rückgriffen auf die Literatur des Altertums und spiegeln keine gebräuchlichen Bezeichnungen wider. „Seit der Mitte des 9. Jhs. mehren sich die Belege," wobei die Bedeutung des Wortes schwankend ist und entweder die Reimser oder die Trierer Kirchenprovinz oder beide zusammen bezeichnen kann. Gallia Belgica konnte schließlich auch für Lothringen stehen276. Ganz toll wird es im 10. Jh., als Richer von Reims mit Belgica den Herrschaftsbereich des ostfränkisch-deutschen Königs Heinrich I. (919-936) benannte277. Eine Unsicherheit bei der Verwendung des Namens ergab sich aus den unterschiedlichen lateinischen Vorlagen: Man konnte einerseits der Einteilung Caesars folgen, zweitens der frühkaiserzeitlichen und drittens der des späten Altertums. Jedenfalls spricht das merkwürdige Gallia-Belgica-Allobroges dafür, daß dieses Wortgebilde nicht vor dem 9. Jh. niedergeschrieben worden ist. Ein Verfasser um 500 hätte einen solchen Unsinn nicht aufs Pergament bringen können, denn zu seiner Zeit war die spätrömische Verwaltungsgliederung noch weitgehend wirksam. Wir wiederholen hier eine Aussage über den Geographen von Ravenna: „Wenn er die ihm zeitlich nahe gelegenen Verhältnisse meint, [ist] die patria 275 276 277

Ewig 1956/58: 76 (auch zum Folgenden). Ewig 1956/58: 78f. Schneidmaler 1987: 45f.

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Germanorum oder Germania soviel [...] wie seine Francia Rinensis [,..]"278. Dieses Germanien hätte sich also bis zur Loire erstrecken müssen. Ahnliches verkündet eine während des 12. Jhs. in Frankreich aufgezeichnete Schrift: „Alles Land von der Loire bis Köln hieß einstmals Germanien" omnis terra a Fluvio Ligeris usque Coloniam olim Germania vocabatur279. Die Mitteilung erfolgt, während das kleine Buch Caesars Aufenthalt in Gallien schildert. Sie bezieht sich also auf die fünfziger Jahre des ersten vorchristlichen Jhs. Ein solches Germanien in Gallien zu Caesars Zeit entspricht ebenso wenig der Wirklichkeit wie ein Rheinfranken in Gallien während der zweiten Hälfte des fünften Jhs. Schnetz jedenfalls war klar, daß die Francia Rinensis kein Gebilde der Zeit um 500 gewesen ist, sondern in einen späteren Zusammenhang gehört.

6. Zusammenfassung Die Lehre von der Zweiteilung der Franken beruhte auf dem Vorhandensein zweier frühmittelalterlicher Rechtsbücher, nämlich der Lex Salica und der Lex Ribuaria. Aus den Bezeichnungen dieser Rechtsbücher wurde abgeleitet, daß die Franken aus zwei „Teilvölkern" bestanden hätten, nämlich den Saliern und den Ribuariern. Wie aber schon vor längerer Zeit festgestellt worden ist, hat es während der Völkerwanderungszeit und der frühen Merowingerzeit keine Ribuarier gegeben. Der Name Ribuarier ist auf keinen Fall vor dem 7. Jh. belegt, möglicherweise erst seit dem 8. Jh. Das ältere Wort riparii hat keine Franken oder sonstige Germanen bezeichnet. Diese Erkenntnisse hätten dazu führen müssen, die Lehre von der Zweiteilung der Franken aufzugeben. Statt dessen hat man an dieser Lehre festgehalten und nur das Wort Ribuarier durch das Wort Rheinfranken ersetzt. Der Ersatz ist unhaltbar: Eine Personengruppe namens „Rheinfranken" wird als solche weder während der Völkerwanderungszeit noch zu Zeiten des fränkischen Reichs jemals erwähnt. Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß eine Anzahl von Franken des Frühmittelalters sich als Rheinfranken bezeichnet hätte. Allerdings kommen beim Geographen von Ravenna die Wortgruppen Francia Rinensis und patria Francorum Rinensium vor. Seine Erdbeschreibung kennt also ein Land namens Rheinfranken. Der Geograph von Ravenna hat im 9. Jh. gewirkt. Er gibt an, seine diesbezüglichen Mitteilungen bei „gotischen Philosophen" gelesen zu haben. Erst seit kurzer Zeit wird behauptet, daß diese angeblichen Gewährsmänner in der Zeit des Ostgotenkönigs Theoderich (493-526) gelebt hätten. Aus dieser Voraussetzung folgert die zur Zeit herrschende Meinung, daß die Mitteilungen über die Francia Rinensis sich auf das 5. Jh. beziehen müß278 279

Schnetz 1934: 90. Liber de compositione castri Ambaziae 1913: 5.

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ten. Jedoch läßt die herrschende Meinung nicht die Grenzen der Francia Rinensis gelten, wie sie v o m Geographen von Ravenna mitgeteilt werden, sondern verändert sie nach Willkür und Belieben. Es läßt sich nicht beweisen, daß der Geograph von Ravenna überhaupt Gewährsmänner aus der Umgebung des Königs Theoderich benutzt hätte - unabhängig davon, ob die Mitteilungen über die Francia Rinensis auf diese angeblichen Gewährsmänner zurückgehen. Noch weniger ist zu beweisen, daß sich die Angaben des Geographen über die Francia Rinensis auf das 5. Jh. bezögen. Frühere Forscher, die davon ausgingen, daß der Ravennat die genannten Goten gelesen hätte, haben sie im 7. oder 8. Jh. vermutet und sind nicht im entferntesten auf den Gedanken gekommen, daß die Francia Rinensis ein Gebilde des 5. Jhs. gewesen wäre. Da die Ortsnamen des hochdeutschen Sprachgebiets, die der Ravennat aufführt, in hochdeutscher Gestalt erscheinen, können diese Ortsnamen nicht auf Goten der Zeit um 500 zurückgehen. Bei den gotischen Gelehrten wie bei mehreren anderen Gewährsmännern des Geographen von Ravenna handelt es sich um erfundene Gestalten. Erfunden hat diese Gewährsmänner jedoch nicht der Ravennat. Offensichtlich hat er ihre Namen in einem Buch gelesen, das ihm als Vorlage gedient hat. Allerdings ist er verdächtig, einige Mitteilungen, die ihm anderswoher, wahrscheinlich von Zeitgenossen zugegangen waren, den genannten Goten zugeschrieben zu haben. Zu diesen Mitteilungen gehören die hochdeutschen Ortsnamen. Die Grenzen der Francia Rinensis, die der Geograph von Ravenna angibt, passen allenfalls zu Verhältnissen des 9. Jhs. (oder einer späteren Zeit), auf keinen Fall aber zu Verhältnissen des 5. Jhs. Lateinische und mittelhochdeutsche Entsprechungen des Wortes Rheinfranken kommen während des Hochmittelalters vor. Die betreffenden lateinischen Wortgruppen enthalten jedoch nicht das W o r t rhinensis. Außerhalb des Werkes des Ravennaischen Geographen erscheint das W o r t r(h)inensis im Spätmittelalter. Es ist möglich, daß es durch einen Abschreibefehler in den Text der Erdbeschreibung eingedrungen ist. Man könnte den Eindruck gewinnen, hinter der Francia Rinensis verberge sich ein Gebilde des 9. Jhs., das mit einem nicht angemessenen Ausdruck des Spätmittelalters benannt worden sei. Die Francia Rinensis des Geographen von Ravenna ist völlig ungeeignet, zur Stütze der Lehre von der Zweiteilung der Franken in Salier und Nichtsalier herangezogen zu werden. Der Geograph kennt keine Salier. Falls er eine Einteilung Frankens kennt (was zweifelhaft ist), so unterscheidet er Franken von Rheinfranken. Gegenwörter von vergleichbarer Beschaffenheit sind der Völkerwanderungszeit und der frühen Merowingerzeit fremd. Sie finden sich jedoch häufig in der späten Karolingerzeit.

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Die Franken der Völkerwanderungszeit und der frühen Merowingerzeit waren nicht zweigeteilt. Es hat so viele fränkische Gruppen gegeben, wie es fränkische Herrscher gab - und zwar sowohl vor Chlodwig (f 511) als auch nach ihm.

7. Abkürzungen, Quellen und Darstellungen AA. Auetores

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Theorien zur Herkunft und Entstehung der Alemannen Archäologische Forschungsansätze V O N HEIKO STEUER

1. Vorbemerkungen zur Forschungsdiskussion Zur Vorbereitung der Landesausstellung in Baden-Württemberg 1997 „Die Alamannen" gehörten nicht nur das wissenschaftliche Kolloquium „Die Alemannen und Franken bis zur .Schlacht bei Zülpich' (496/97)" im Jahr 1996 sowie Ringvorlesungen der Universität Freiburg „Die frühen Alamannen (3.-5. Jh.)" im Wintersemester 1996/97 und der Universität Tübingen „Die Alamannen im Spiegel schriftlicher und materieller Quellen" im Sommersemester 1997, sondern auch eine verstärkte theoretische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Interpretation archäologischer Quellen. Der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte veranstaltete eine „methodische Grundlagendiskussion im Grenzbereich zwischen Archäologie und Geschichte", veröffentlicht in zwei Bänden unter dem Thema „Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- und Hochmittelalters", in denen zur alemannischen Landnahme G. Fingerlin1 aus archäologischer und H. Keller (1993) aus historischer Sicht referierten. Ein Sonderband der Zeitschrift „Archäologische Informationen" widmete sich dem aktuellen Thema „Völkerwanderungen - Migrationen", zu dem H.W. Böhme (1996b) einen Aufsatz zu „Kontinuität und Traditionen bei Wanderungsbewegungen im frühmittelalterlichen Europa vom 1.-6. Jahrhundert" beisteuerte. Dieser Beitrag erschien erst nach der Zülpicher Tagung, während der ich zum Thema „Archäologische Nachweismöglichkeiten zu den Herkunftsräumen der späteren Alemannen'" referierte und dabei mehrere Kartierungen diskutierte, die auch von H.W. Böhme behandelt werden, jeweils mit leicht unterschiedlichem Deutungsansatz. Meine Zülpicher Themenformulierung habe ich im hier gedruckten Referat verändert, hatte sie schon für die Ringvorlesungen abgewandelt zu „Alamannen - ,alle Männer': Krieger aus allen Gebieten Germaniens". In einer anderen Vorlesungsreihe zur Alemannen-Ausstellung formulierte Helga Schach-Dörges ein verwandtes Thema: „Die Alamannen - ,zusammengespülte und vermengte Men1

Fingerlin 1993; vgl. auch 1997.

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sehen'. Woher kamen sie?". Im Begleitbuch zur Alemannen-Ausstellung findet sich die Formulierung zu ihrem Beitrag „.Zusammengespülte und vermengte Menschen'. Suebische Kriegerbiinde werden seßhaft"2, in dem sie ebenfalls mehrere vergleichbare Kartierungen vorlegt und an ihnen die Herkunftsfrage diskutiert.

2. Zu den Methoden der Archäologie Mein Beitrag besteht vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion aus zwei Teilen, aus einem Abschnitt, der sich Methoden und Theorien zuwendet, und einem Abschnitt, der die archäologischen Aspekte diskutiert, gewissermaßen das in Zülpich gehaltene Referat wiedergibt, das sich auf dieselben Kartengrundlagen stützte, die auch Böhme (1996b) und Schach-Dörges (1997) berücksichtigen. Die Frage nach der Herkunft der Alemannen oder die Frage nach der Herkunft der Germanen, aus denen der Stamm der Alemannen erwächst, wird gegenwärtig mit verändertem Methodenspektrum diskutiert. Dabei zeigt sich, daß verschiedene Themenkomplexe unmittelbar miteinander zusammenhängen. Von historischer Seite wird diskutiert, wie 1. Wanderungen, 2. Landnahme und 3. Ethnogenese miteinander zusammenhängen3. Von archäologischer Seite wird kontrovers diskutiert, wie die Kartenbilder zur Verbreitung gleichartiger Sachgüter und Grabsitten zu interpretieren sind, zumal wenn sich die Verbreitungsmuster verändern, das heißt ausweiten oder verlagern. Spiegeln die Kartenbilder dann 1. Verkehrsräume, 2. Wanderungen allgemein, 3. Wanderungen in alten Traditionsbahnen oder die Ausweitung von Kulturkreisen? 2.1. Wanderungen im Spiegel archäologischer Quellen Spiegeln Kartenbilder zu Kultur- und Formenkreisen überhaupt derartige historische Ereignisse wie Wanderungen oder Ausdehnungen von Stammesgebieten? Es scheint vielfach demgegenüber so zu sein, daß archäologische Erscheinungen und schriftliche Uberlieferungen ganz unterschiedliche Lebensbereiche dokumentieren, unter anderem solche, die von der jeweils anderen Quellengattung vielleicht gar nicht erschlossen werden. Der Wunsch einer Parallelisierung geht von der vorgefaßten Meinung aus, die weiß, was Stämme sind und daß sie als in sich geschlossene Gruppierungen wandern. Die Problematisierung des Stammesbegriffes und die breite Diskussion unter Historikern um Möglichkeiten der Ethnogenese sollte die Archäologen 2 3 4

Schach-Dörges 1997. Wolfram 1996; H. Keller 1993; Wolfram 1990b. Böhme 1996b.

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hellhörig machen5, die oft noch dem alten Paradigma der ausschließlich „ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen" anhängen6. Die regelmäßig überlieferte polyethnische Zusammensetzung sich neu formierender politischmilitärischer Einheiten, die zu Stammesgruppierungen werden können, läßt aufhorchen. Die Problematik zeigt sich nicht zuletzt in der ethnischen Bezeichnung von Trachtbestandteilen aus Metall durch die Archäologie. Man spricht von „gotischen", „fränkischen", „thüringischen" oder „alemannischen" Fibeln bzw. von Fibeln vom „gotischen", „fränkischen" oder „alemannischen" Typ. Oft gehen diese Bezeichnungen auf einen Forschungsstand zurück, als es z.B. noch mehr „gotische" Fibeln in auch zeitweilig gotisch besiedelten Landschaften gab; inzwischen wurden jedoch mehr „gotische" Fibeln in anderen Stammesarealen gefunden. Die mit den Westgoten in Zusammenhang gebrachten Silberblechfibeln des 5. Jhs. erscheinen auch in Räumen, so in Nordfrankreich, für die Goten eigentlich nicht nachgewiesen sind7. Die Kartierung gleichartiger Grabsitten oder mehr oder weniger identischer Formen des Schmucks oder der Waffen belegt nicht aus sich heraus Wanderungen, sondern in erster Linie gleichartige Erscheinungen an verschiedenen Orten. Die Diskussion ausgewählter Probleme europäischer Landnahmen veranschaulicht eindringlich, daß Wanderungen durch Kartenbilder deshalb illustriert werden, weil nach der schriftlichen Uberlieferung von einer Wanderung ausgegangen werden kann, nicht weil die Kartierungen aus sich heraus Bewegungen bezeugen. Statische Bilder unterschiedlicher Kulturkreise werden nebeneinander gesetzt zur Erläuterung beispielsweise der Wanderung der Goten von der Ostseeküste bis ins Mittelmeergebiet'. Die Landnahme der Langobarden in Italien wird aus archäologischer Sicht10 und aus historischer Sicht11 behandelt, aber die Verknüpfung der einen Quellenart mit der anderen wird von den Autoren nicht versucht, auch wenn dies nach ausführlicher Diskussion der eigenen Quellen jeweils abschließend durchaus methodisch erlaubt ist. Jedenfalls werden zwei unterschiedliche Modelle für die Einwanderung der Langobarden nach Italien angeboten, das eine geht von dem geschlossenen Zug von Kriegern samt Familien im Jahr 568 aus, das andere Modell sieht parallel langobardische Truppeneinheiten schon vorher in Italien, den Zug des Königs Alboin 568 nach Italien und weitere Zuwanderungen über die nachfolgenden Jahre hinweg. Im Bericht über den Zwischenstand, der bei den Diskussionen über die verschiedenen Landnahmen 5

7 8 9 10 11

Vgl. zur Diskussion z.B. Pohl 1994; Angeli 1991; Wolfram 1990b; Geary 1983. Zur Diskussion in der Archäologie z.B. Kossinna 1911; Wahle 1941; Jahn 1952; Eggers 1959 und 1959/1986; auch v.Uslar 1952 und 1977; Angeli 1991; zusammenfassend Wendowski 1994. Wieczorek 1996: 353 Karte Abb. 290. Müller-Wille & Schneider 1993. Bierbrauer 1994. Bierbrauer 1993. Jarnut 1993.

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erreicht wurde12, wird ebenfalls erst über die archäologischen Beiträge und dann getrennt über die der Historiker berichtet, und die methodische Diskussion der Frage, ob und wie archäologische Quellen die in den Schriftquellen überlieferten Wanderungen belegen können, bleibt aus, worauf H. Keller in seinem Beitrag zur frühen Geschichte der Alemannen mit Nachdruck hinweist13. Die Archäologie erfaßt Formenkreise, zumeist nicht einmal die übergeordneten Kulturkreise aus sich deckenden Formen- und Verhaltenskreisen, und kann diese keineswegs als Niederschlag von Bewegungen größerer Verbände ansehen . Die Verbreitung von S-Fibeln unterschiedlicher Typen östlich und südlich der Alpen mit der Einwanderung der Langobarden in Italien in Verbindung zu bringen, ist so lange nicht schlüssig, wie nicht erklärt wird, wie das Vorkommen derartiger Fibeln in gleicher oder größerer Anzahl in Südwestdeutschland und am Rhein zu erklären ist15. Die einseitige Entscheidung, diese Funde als Beleg für Wanderungen zu nehmen, ist nur aus dem Vorwissen über diese Wanderung verständlich, nicht aus der Struktur eines solchen Formenkreises selbst. Außerdem fällt auf, daß kriegerische Wanderungen und militärische Landnahmen sowie Schlachten16 oft gerade über sich verändernde Verbreitungsbilder von Fibeln im archäologischen Quellenstoff entdeckt werden, wobei zumeist vergessen wird zu erwähnen, daß es sich nicht um Kriegerausstattungen, sondern um Frauenschmuck gehobenen sozialen Ranges handelt, der wahrlich anders als über Krieg verbreitet werden kann, wobei Heiratsbeziehungen eine entscheidende Rolle gespielt haben werden.

2.2. Aufschlußreiche Formulierungen Noch ein weiterer Aspekt sei kurz angesprochen. Wie sehr sich die Argumentationen unbewußt auf vorgefaßte Meinungen stützen, spiegeln bei Fragen zur frühen alemannischen Geschichte immer schon Formulierungen wie „alemannische Teilkönige" z.B. bei der Diskussion der Alemannenschlacht von 357, oder wie „Teilstämme" bei Nennung der Brisigavi, Lentienses oder Juthungen, was jeweils suggeriert, daß die Könige oder die Stämme Teil eines Ganzen gewesen sind. Anfänglich agieren jedoch wohl die verschiedenen Könige und Anführer von Kriegerscharen oder die räumlich definierten Gruppen mehr oder weniger gleichberechtigt und unabhängig nebeneinander17. 12 13 14 15 16

Müller-Wille 1993. H. Keller 1993: 93 und Anm. 40. H. Keller 1993: 94. Bierbrauer 1993:129ff. mit den Karten Abb. 6 und 7 nach U. Koch. U. Koch 1993: 53 Abb. 65. Vgl. dazu das Protokoll mit Diskussion zum Vortrag von D. Geuenich, Die Alemannen bis zur Niederlage gegen die Franken (3. bis 5. Jh.). 351. Protokoll der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein (9. September 1996) 27.

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Ebenso aufschlußreich sind Formulierungen, daß mehrere suebische oder elbgermanische Stämme an der Bildung der Alemannen beteiligt waren; denn zum einen werden eine Stammesbezeichnung der Schriftüberlieferung und eine archäologische Kulturkreisbenennung gleichgesetzt, und zum anderen ist nicht bekannt, wie sich die Kriegergefolgschaften, die im Süden erschienen, aus ihren alten Stammesbindungen gelöst haben, ob also diese alte Beziehung weiterbestand oder aufgegeben wurde. Die Frage nach der Herkunft der Germanen, die nach Südwestdeutschland vordrangen, und der damit verbundenen Stammesbildung der Alemannen ist vordringlich theoretisch und kann daher auch nur mit theoretischen Überlegungen beantwortet werden.

3. Die Lage im 3. bis 5. Jh. 3.1. Militärische Ereignisse Im frühen 3. Jh. siegten römische Kaiser noch über Germanen, die es wagten, den Limes anzugreifen, und sie schmückten sich wie Caracalla im Jahr 213 mit dem Beinamen Germanicus maximus. Die Benennung dieser besiegten Germanen als Alemannen - wie es bei Cassius Dio (f 235) heißt - ist nicht die älteste Erwähnung des Namens, sondern erst eine spätere zurückprojizierte Interpolation, als es längst dann den Alemannen-Stamm tatsächlich gab18. Weder die römischen Kaiser und ihre Generäle, noch ihre Historiker konnten sich im frühen 3. Jh. vorstellen, daß aus diesen germanischen Kriegerscharen, die ständig gegen den Limes drängten und die Provinz Obergermanien bedrohten, sehr bald ein mächtiger Stamm werden sollte. Reichten zu Anfang noch Strafexpeditionen in das Innere Germaniens, so mußten bald nach der Mitte des 3. Jhs. unter dem steigenden Druck der Limes und weite Teile der Provinzen Obergermanien und Rätien aufgegeben werden. Eine neue Verteidigungslinie am Oberrhein und an der Donau mit militärischer Sicherung durch die Errichtung von Kastellen hielt dann bis ins frühe 5. Jh., aber nur weil auch germanische Kriegergruppen, die von den Römern damals Alemannen genannt wurden, als Auxiliareinheiten in der römischen Armee die Besatzung der Kastelle stellten und das Reich gegen andere Germanen, auch gegen andere Alemannen verteidigten.

18

Geuenich 1997a: 18ff.

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3.2. Ethnogenese Der Stamm der Alemannen hat sich erst im Vorfeld des spätrömischen Limes in der Auseinandersetzung mit dem Imperium gebildet, indem sich Heerkönige mit ihrer Kriegergefolgschaft aus verschiedenen alten Stämmen im Innern Germaniens lösten und neue Koalitionen bildeten. Auf dem 1992 gefundenen Inschriftenstein, dem Denkmal für eine siegreiche Schlacht zur Zeit des Kaisers Gallienus im Jahr 260 bei Augsburg, wird ein mit reicher Beute aus Italien beladener Heerhaufen aus „Iuthungi sive Semnones" genannt19. Juthungen, bei Ammianus Marcellinus im 4. Jh. als Teil der Alemannen überliefert, wurden also mit Semnonen, ihrerseits Teil der mächtigen Gruppierung von Stämmen oder Kriegerbünden, die als Sueben bezeichnet wurden, in Mitteldeutschland und an der Elbe, in Verbindung gebracht: Irgendwie hingen Sueben, Semnonen, Juthungen und Alemannen also miteinander zusammen. Der antike Schriftsteller und Historiker Agathias (um 536 bis 582) meint: „Die Alamannen sind - wenn man dem Asinius Quadratus folgen darf, einem Italiker, der Verhältnisse und Geschichte der Germanen genau beschrieben hat - zusammengelaufene und gemischte Männer, und das drückt auch ihre Benennung aus."20 Während man einerseits diese Bezeichnung als abschätzig gemeint ansehen kann, geht eine andere Deutung21 von einer Selbstbezeichnung aus, die überhaupt keinen Stammesnamen meint, sondern eine Kriegergenossenschaft, eine Gefolgschaft aller Männer22. Für die Römer waren das also Krieger ganz unterschiedlicher Herkunft, und sie fanden das auch im Namen „alle Männer" bestätigt, ein germanischer Name, der auch anders gedeutet werden könnte als „starke, kühne Männer", was dann dieselbe Bedeutung hätte wie der Name der „Franken" und den kriegerischen Charakter dieser Verbände betonen würde. Die älteste eindeutige Uberlieferung des Namens Alamanni stammt aus dem Jahr 289; meist sprechen die zeitgenössischen Quellen, z.B. Münzinschriften, aber von einem Gebiet, der Alamannia. Da nur die römische Seite Berichte überliefert hat, kennen wir auch nur die römische Auffassung: Sie nennen das Land gegenüber dem Oberrhein, die aufgegebenen ehemaligen Gebiete ihrer 19

Bakker 1993; Stickler 1995; Kissel 1995; Jehle 1996. Ubersetzung der Äußerung des Asinius Quadratus bei Agathias, hist. 1, 6, 3 in: Quellen zur Geschichte der Alamannen Π (Sigmaringen 1978) 80; D. Geuenich (1997a: 20) übernimmt die Ubersetzung: „Zusammengespülte und vermengte Menschen" (so auch Schach-Dörges 1997: 79; vgl. Castritius 1990: 76) und weist auf die abschätzige Tendenz dieser Formulierung hin, nennt aber auch eine andere Ubersetzung: „Menschen oder Männer insgesamt, im Gesamten genommen" (Bruno Boesch) im Sinne von „Gesamtvolk, Allgemeinheit". „Gesamtvolk" meint zugleich „Heer"; bei Wandervölkern, die unter Heerkönigen stehen, werden gens und

21

H. Keller 1993: 91. M. Springer 1984: 130ff.

exercitus gleichgesetzt (Wolfram 1996: 164 mit Lit. in Anm. 25).

22

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Provinzen Obergermanien und Raetien, Alamannia und alle dort lebenden Germanen deshalb „Alemannen", so wie sie alle Germanen gegenüber dem Niederrhein als Franken bezeichnet haben. Für das spätrömische Heer wurden in dieser Alamannia Krieger als Söldner angeworben. Dies geschah, indem man die Anführer gewann, die dann ihre Kriegergefolgschaft als Truppeneinheit mitbrachten. Da diese Heerkönige, in den Quellen heißen sie je nach Rang und Bedeutung reges oder regales, Könige oder Königsgleiche, sich östlich des Rheins in verschiedenen Landschaften festgesetzt und dort Herrschaften begründet hatten, wurden die Truppeneinheiten im römischen Dienst nicht nach den Namen der wechselnden Anführer, sondern nach diesen Herrschaftsgebieten, die zugleich Rekrutierungsräume waren, bezeichnet. Im spätrömischen Verwaltungshandbuch der Zeit um 400, der Notitia dignitatum, dem „Verzeichnis aller Amter, sowohl der zivilen wie der militärischen in den westlichen Reichsteilen" aus dem frühen 5. Jh., werden alemannische Einheiten nach ihren Wohn- bzw. Rekrutierungsgebieten genannt, so die Brisigiva iuniores und seniores, Militärs aus dem Breisgau, die Lentienses und Raetovarii, Militärs aus dem Linzgau am Bodensee und aus den Teilen nördlich der Donau der ehemaligen Provinz Rätien23. Genannt werden aber auch Bucinobanten gegenüber von Mainz 24 und in der Notitia dignitatum Juthungen - die Einheiten der ala Iluthungorum und cohors IVIuthungorum25 - , und andere Einheiten, die direkt als ala bzw. cohors Alamannorum bezeichnet werden26. Die verschiedenen germanischen Kriegerverbände waren also oftmals zugleich römische Truppeneinheiten. Die Römer haben im Vorfeld des spätrömischen Rhein-Donau-Limes indirekt die sich dort festsetzenden Germanen neu organisiert. Durch Benennung eines Territoriums schufen sie die Alamannia, und die dort rekrutierten germanischen Heere akzeptierten den Namen Alamanni. Den Schriftquellen ist zu entnehmen, daß die Römer nicht wußten, woher diese Gruppen kamen, die dann als Alemannen bezeichnet wurden, und diese selbst haben auch nichts überliefert. Anders als andere germanische Großstämme wie die Goten und Langobarden oder die Franken, die sich immerhin auf die Trojaner zurückführten, hatten die Alemannen keine Abstammungssage bzw. ist keine überliefert worden. Sie bildeten Zweckbündnisse auf Zeit27. Denn auch die Sprachwissenschaftler wissen von ihren Quellen her nicht, woher die Alemannen kamen. Wenn Friedrich Maurer seinerzeit (1942) über

23 24 25

27

Geuenich 1997a: 28ff. Amm. Marc. 29.4.7. Bakker 1993: 383 Anm. 42. Castritius 1990: 79. Auf die These der unterschiedlichen Ethnogenesen der Alamannen will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, Castritius meint, daß ein einheitliches Ethnikum Alamannen wieder verloren geht, da die Truppenbezeichnungen „Alemannen" der Zeit um 300 durch Nennung von Rekrutierungsgebieten im fortgeschrittenen 4. Jh. ersetzt werden. Geuenich 1997b: 78.

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„Nordgermanen und Alemannen. Studien zur germanischen und frühdeutschen Sprachgeschichte" schrieb und die Alemannen aus dem nördlichen Gebiet der Elbgermanen herleitete, sah man darin einen Beweis für die Richtigkeit der archäologischen These zur elbgermanischen Herkunft. Aber da Maurer die archäologischen Forschungsergebnisse indirekt für seine eigene Beweisführung genommen hatte, war ein klassischer Kreisschluß vollzogen28. Uber die Herkunft der Bevölkerung, die später im Limes-Vorfeld als Alemannen bezeichnet wird, kann also tatsächlich nur die Archäologie versuchen(!), anhand ihrer Quellen Auskunft zu geben, da weder die Reste sprachlicher Uberlieferung noch die Schriftquellen dazu Überzeugendes beitragen können 29 . Aber ob die Archäologie überhaupt eine so spezielle Frage wie die nach der Herkunft einer ethnischen Einheit beantworten kann oder ob sie nicht eher andere Lebensbereiche beleuchtet, wird zu prüfen sein. Am Ende des 3. Jhs. setzte sich der Name der Alemannen durch, in einer Zeit, aus der uns eigentlich nur sehr wenige Funde als Hinterlassenschaft dieser Germanen bekannt sind. Erst aus dem 4. und dem 5. Jh., einer Spanne von 200 Jahren oder 7 Generationen, sprechen die archäologischen Funde ausführlicher und schildern, daß lange nach „Entstehung" der Alamannia und der Alemannen, nach der ursprünglichen Ethnogenese, noch ständig Germanen von weither in den Süden ziehen und sich diesen Alemannen anschließen bzw. dort auch zu Alemannen werden. Damit wird das eigentliche Problem umrissen, nämlich was ein solcher Stamm ist. Wenn der bei Augsburg gefundene Stein aus dem Jahr 260 n. Chr. von „Semnonen sive Juthungen" spricht, wenn die Semnonen ein Teil des Stammesbundes der Sueben waren, die Juthungen später mit Alemannen assoziierten, und wenn für die Alemannen wiederum noch später die Bezeichnung Sueben überliefert ist, dann wird die Komplexität der Stammesbezeichnung deutlich. Es geht um den Inhalt von Stammesdefinitionen. Dazu stellt Walter Pohl die Frage: „Waren die Goten (man könnte auch fragen: die Alamannen) ein Volk, ein Stamm oder nur eine Armee?" 30 . Wir sollten nicht mehr von einem Volksbegriff, der im 19. Jh. geprägt wurde, ausgehen, im Sinne von „das ganze Volk, ein Volk", das Volk als biologische Substanz für eine(n) Nationalstaat). Stämme sind kaum tatsächliche Abstammungsgemeinschaften, sondern sie werden zusammengehalten durch den Glauben an eine fiktive gemeinsame Abstammung 31 . Aus relativ kleinen Traditionskernen werden bei ethnischer Vermischung größere Verbände32; daher stimmen Sprachgemeinschaften, archäologische Kultu-

28 29 30 31 32

Geuenich 1997a: 15. H. Keller 1993: 87; Hübener 1975. Pohl 1994: 9. Pohl 1994: 11. Wenskus 1977.

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ren und politische Einheiten nur zum Teil überein33, d.h. vielleicht ist daher die Frage nach der Herkunft der Alemannen einfach falsch gestellt; sie kommen nirgends her, sondern sind das Ergebnis der Ethnogenese im Vorfeld des spätrömischen Limes, wobei die „zusammengekommenen Armeen" aller Krieger oder Männer, der Alamanni ihre Ursprünge überall haben können. Durch Verträge mit dem Imperium wird der Zusammenhalt derartiger entstehender Verbände bekräftigt, das heißt die Römer konstituieren eine gens als politischen Partner, bieten ihr den materiellen und organisatorischen Unterbau, „um auf römischer Grundlage gentiles Regnum und kaiserliche Beauftragung zu verbinden" 34 . „Spezifisch für die Völkerwanderungszeit scheint zu sein, daß ethnische Identität oft an Kriegerverbände geknüpft erscheint, ,Völker' und . H e e r e ' besonders auf der Wanderschaft kaum auseinanderzuhalten sind"35; denn „im Frühmittelalter waren der Krieg und damit verbundene Aktivitäten und Rituale das wichtigste dieser Felder (gemeinsamen Handelns und Erzählens über diese Ereignisse, was Traditionen schaffte), in denen Ethnizität praktiziert werden konnte" 36 .

4. Die archäologische Aufgabe Vor dem Hintergrund dieser Diskussion gliedere ich meine Ausführungen wie folgt, wobei also versucht werden soll, sich dem Problem zu nähern, woher die Alemannen kommen. 1. Wie kann die Archäologie Wanderungen und Herkunftsgebiete nachweisen? 2. Worin unterscheiden sich das alte und das neue Modell zur Entstehung der Alemannen? 3. Wie sahen die militärischen und sozialen Verhältnisse im Inneren Germaniens damals aus? 4. Was beschreiben die archäologischen Fundkarten zur Verbreitung von Fibelformen oder Kriegergürteln, von Kämmen oder Keramik? 5. Welche Arten von Fernbeziehungen können archäologisch faßbar werden?

33 34 35 36

Pohl Pohl Pohl Pohl

1994: 1994: 1994: 1994:

12. 15. 18. 22.

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4.1. Der Nachweis von Wanderungen Die Beantwortung der Frage, woher die Alemannen kommen, hängt von dem Modell ab, das man als Vorstellung von der Struktur der germanischen Gesellschaft jener Jahrhunderte der Völkerwanderung bevorzugt. Unsere Argumentation berücksichtigt zwei völlig unterschiedliche Quellenbereiche, die entweder miteinander zu verknüpfen sind oder ganz unterschiedliche Lebensbereiche beleuchten, die nicht zur Deckung zu bringen sind, das sind einerseits die archäologischen Quellen, zusammengefaßt in Fundverbreitungskarten, und andererseits die in den schriftlichen Quellen überlieferten politischen Ereignisse und Hinweise auf die gesellschaftliche Organisation - wobei berücksichtigt werden sollte, daß die römischen Schriftsteller, so wie wir heute, nicht genau wußten, wie die germanischen Gesellschaft beschaffen war. Zwei Quellenebenen beleuchten in verschiedener Intensität drei unterschiedliche Vorgänge: Erstens Kriegszüge germanischer Heere gegen Rom und Söldnerdienste für Rom, zweitens Ansiedlungsvorgänge bzw. Landnahmen und drittens wechselnde Verbreitungsmuster von Fundtypen oder Sitten. Heereszüge sind schriftlich erläutert. Die Anführer und ihre Krieger werden z.B. als Alemannen bezeichnet; archäologisch sind Kriegszüge selten zu fassen. Ansiedlungen oder Landnahmen sind in den Schriftquellen selten beschrieben; die archäologischen Quellen beschreiben aber nicht Vorgänge wie Wanderungen, sondern das Ergebnis: Gräberfelder oder gar die Siedlung selbst sind gewachsene Einheiten. Verbreitungsmuster von Waffen- oder Schmuckformen sind nur archäologischen Quellen abzugewinnen; die Interpretation hängt von der Vorstellung ab, wer diese Sachen wo produziert hat und wie sie verteilt worden sind. Werden Waffen und Schmuck an den Höfen der Gefolgsschaftsführer, des Adels produziert und dann an die Gefolgsleute als Geschenke verteilt, als Sold gewissermaßen, dann spiegelt der Fundniederschlag spezieller Typen das Netz dieses Personenverbandes. Werden Fibeln in jedem Bauerndorf gegossen und Keramikgefäße nach altem Brauch überall selbst getöpfert, dann spiegeln Verbreitungen gleicher Fibeln oder Töpfe Kulturkreise bzw. gleichartige Gesellschaften, Zeitstile oder Moden und die Ausweitung der Verbreitungsmuster z.B. kulturelle Angleichungen; sie spiegeln nicht unbedingt die Wanderung von Leuten. Gleich ob man in den verschiedenen Quellengattungen für sich Beweisketten aufbauten will oder gemischt argumentiert, die Deutungen kommen ohne vorgefertigte Modellvorstellungen nicht aus, und diese sind jeweils schon von der anderen Quellengattung beeinflußt.

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4.2. Das alte und das neue Modell zur Entstehung der Alemannen Die Wissenschaft geht nicht mehr von der Vorstellung aus, daß ein Volk, ein Stamm, Krieger mit Weib und Kind geschlossen mit Planwagen in Mitteldeutschland oder allgemein im Elbe-Gebiet - schon als Alemannen - aufbrach und dann den Limes überrannte, um in Südwestdeutschland Land zu nehmen37. Bis vor kurzem konnte man noch lesen, daß sich die Alemannen als Stamm in den Tiefen des mitteldeutschen Raumes aus verschiedenen Teilstämmen gebildet hätten und daß diese seit Beginn des 3. Jhs. gegen den Limes drängten38. Man sprach von „zweifelsfrei erwiesener elbgermanischer Herkunft" dieser Leute und von den gegen den obergermanisch-raetischen Limes „anbrandenden Elbgermanen"39. Noch jüngst werden die Ereignisse der Juthungen-sive SemnonenNiederlage bei Augsburg nicht als militärisches Ereignis betrachtet, sondern als sicherer Nachweis semnonischer Abwanderung und erster Landnahme im nordöstlichen Bayern interpretiert, obwohl ein Heerhaufen auf dem Rückzug aus Italien geschlagen wurde40. Ein Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1996 formuliert in seiner drastischen Weise anscheinend den allgemein vorauszusetzenden Kenntnisstand der historisch interessierten Leser41: „Explosionsartig breiten sich die Stämme um Christi Geburt in der nördlichen Hemisphäre aus. Der Höhepunkt der Bewegungslust wird im 5. Jh. mit der Völkerwanderung erreicht. Die Germanen, mittlerweile zu mindestens acht Großstämmen (Sachsen, Friesen, Franken, Alemannen, Goten, Wandalen, Angeln und Jüten) zusammengewachsen, branden wie die Lemminge in Richtung Süden. Unter dem Ansturm der Massen bricht das Imperium Romanum schließlich zusammen... Wo kamen die Invasoren ursprünglich her?" (S. 203). „Immer aufs neue brandeten die Hungerleider aus dem Norden gegen die von Caesar errichtete Demarkationslinie am Rhein und bedrohten die Pax Romana" (S. 210). „Doch... im Süden gab es schon lange kein Halten mehr. Großstämme wie die Alemannen und die Goten spazierten ungehindert über den LimesSchutzzaun. 476 nach Christus schließlich stürzte der germanische Heerführer Odoaker den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus und versetzte der Weltmacht den Todestoß. Das Zeitalter der Antike war beendet...; (verur-

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38 39 40 41

M. Springer 1984: 130 zitiert Jan de Vries' Äußerungen zu Franken und Sachsen 1961: 221; 1958: 335 und 341, der schon Vorjahren formulierte: „Wir müssen jeden Gedanken an einen mit Weibern und Kindern wandernden Stamm aufgeben...", es handelt sich um „Kriegerverbände", ähnlich wie das Wenskus 1961/1977 herausgearbeitet hat. So z.B. E. Keller 1986: 577. Castritius 1990: 76f. Leube 1995: 3 Anm. 2. Der Spiegel Nr. 44 vom 28.10.1996.

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sacht durch) das Phänomen der Völkerwanderung, das Millionen auf die Beine brachte..." (S. 213). Für das Elbe-Gebiet sind in den Schriftquellen keine Alemannen überliefert, vielmehr Stämme mit berühmten Namen wie die Sachsen und Langobarden, die Warnen und Burgunder, die Semnonen oder Juthungen oder der große übergreifende Verband der Sueben. Die Alemannen als ethnische Einheit bildeten sich - wie erörtert - nach heutiger Meinung erst im Zielgebiet, im Vorfeld der römischen Provinz Obergermanien (Germania 1) bzw. auch der Provinz Raetia, aus Rekrutierungseinheiten für die spätrömische Armee, die aus germanischen Gefolgschaftsheeren unter ranghohen Anführern, Heerkönigen, erwuchsen. Derartige Heerhaufen erscheinen in der antiken schriftlichen Uberlieferung ständig seit Beginn des 3. Jhs. bis weit in das 5. Jh. hinein. Die Kriegergruppen aus dem Innern Germaniens brachten keinen alten Namen mit. Noch 280 beim Sieg des Proculus wird von „Alamannen, welche bis damals Germanen genannt wurden" gesprochen42. Die antiken Schriftsteller kannten also die unterschiedliche Herkunft der Kriegerverbände, mit denen sie es im Süden zu tun hatten, verstanden aber nur unzureichend ihre gefolgschaftliche Organisation, wegen der sie keine einheitliche Herkunft zu haben brauchten und in der Regel auch nicht hatten. Alemannen wurden die Kriegerverbände genannt, die sich gegenüber der Germania prima Anführern, Könige genannt, unterschiedlichen Ranges anschlossen und die, wie z.B. unter dem König Chnodomar für die Schlacht bei Straßburg gegen Julian 357, größere Kampfverbände aus über zehn derartigen Königen mit ihrem Anhang bildeten. Ebenso boten sie sich dem römischen Heer als selbständige Truppeneinheiten an. Der exercitus der Alemannen war als römische Einheit zugleich immer auch ein germanischer Verband. Aber unabhängig vom Wandel des Modells zur Ethnogenese der Alemannen - im Innern Germaniens oder vor dem römischen Limes - bleibt trotzdem die Frage, woher diese Kriegerscharen, ihr Anhang und ihre Familien kamen, die als „alle Männer" in den spätantiken Quellen erscheinen, gleich ob der Name nun zurückprojiziert werden darf bis zum Jahr 213, ob das Jahr 289 mit der ältesten sicheren Uberlieferung genommen wird oder erst die Zeit Constantius I., als die geographische und politische Bezeichnung Alamannia für ein Gebiet genannt ist43. Alemannen sind nach meiner Ansicht in erster Linie die Gefolgschaftsführer, die Könige. Diese verbünden sich und bilden größere Verbände. Sie sind die Traditionsträger. Ohne königliche Anführer gibt es also keine Gruppen mit Namen, die politisch aktiv werden konnten. Diese Könige waren zugleich

42

43

Quellen zur Geschichte der Alamannen Π (Sigmaringen 1979) 43: Scriptores Historiae Augustae, Quadr. tyr. 13,3 (entstanden um 400): Ahmannos, qui tunc adhuc Germani dicebantur. Geuenich 1994: 165.

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Kommandeure, das heißt Offiziere römischer Auxiliareinheiten, die bis ins späte 5. Jh. angeworben wurden. Zu diesen Offizieren könnten die Träger der Schwerter vom Typ Hemmingen-Wyhl-Krefeld44 aus der frühen zweiten Hälfte des 5. Jhs. gehört haben; denn diese Schwerter scheinen aus spätrömischen Waffenfabriken im Norden Galliens zu stammen. Auch die Träger der sogenannten Goldgriffspathas aus dem späten 5. Jh. können noch eine derartige Gruppe von Offizieren oder Amtsträgern repräsentieren, die ihre Schwerter schon von der - inzwischen durch die fränkischen Merowinger übernommenen - Verwaltungs- und Militärorganisation der westlichen Provinzen erhalten hatten. Die Antwort auf diese Frage nach der Herkunft der Alemannen hängt also davon ab, wie die sozialpolitische Situation in der Germania gesehen wird. Sind Alemannen die Gefolgschaftsführer, die sich verbünden, die Könige (mit ihren Familien und auch ihrem Kriegergefolge), dann liegt eine ähnliche Situation vor wie schon beim Stamm der Cherusker, der in erster Linie vom Clan des Arminius gebildet wurde und mit dem Untergang dieser stirps regia aus den Quellen verschwindet46. Die Mehrheit des alten Stammes überlebte und orientierte sich anders, vor allem die Krieger. Politische Gebilde werden von den Königen repräsentiert und entstehen und vergehen mit ihnen: Wir sprechen vom Reich des Syagrius, vom mittelrheinischen Reich der Burgunder: Dieses geht unter, weil 436 der König Gundahar geschlagen wird. Das erste geschichtliche Hervortreten der Burgunder in der Sapaudia 451 geschieht, als sie ihrer Verpflichtung als Föderaten entsprechend ein Heereskontingent für Aetius zur Abwehr der Hunnen bilden. Dieselbe Sippe stellt weiter den Anführer und König47. Nach Prokop zog ein Teil der Heruler „unter Führung vieler Mitglieder der königlichen Familie" nach Norden, bis hin zu den Warnen und weiter über das Meer; sie hatten Schwierigkeiten mit ihren Königen und suchten einen neuen Königssproß aus alter Sippe48. Diese Hinweise waren notwendig, um meine Vorstellung von der Herkunft der Alemannen begründen zu können: Ohne königliche Anführer gibt es keine Gruppen mit Namen, die politisch aktiv werden konnten. Die alten, bei Tacitus und anderen genannten Stämme scheinen weitgehend verschwunden zu sein, jedenfalls ihre Namen. Aber die bevölkerungsbiologische Grundlage dieser Gruppierungen gibt es weiter, und sie bilden den Grundstock für neue Stammesverbände, die sich auch im Innern Germaniens aus gefolgschaftlich organisierten Kriegerverbänden entwickelt haben. 44 45 46 47

Böhme 1994: 86 Abb. 11. Böhme 1994: 81 Karte Abb. 7; Steuer 1997b: 149 Karte Abb. 145. Wenskus 1977: 423. Anton 1981: 241. Leube 1995: 63; Prokop Π, 15: „Unter vielen Führern königlichen Geblüts zogen die Heruler gen Norden..."

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Die Zuordnung zu einer solchen Gefolgschaft wird wichtiger als die ehemalige Herkunft. R. Wenskus' Formulierung, daß z.B. die Juthungen die stammesmäßig heterogene suebische Jungmannschaft aus dem elbgermanischen Raum gewesen sein werden49, und seine Diskussion um die Stammesbildung durch Jungmannschaften und Heerhaufen unter principes weisen immer noch den Weg. Bedenken wir zudem die verschiedenen Phasen der alemannischen Ethnogenese. Dabei gilt es zwei Hauptphasen zu unterscheiden, wie sie immer wieder bei Ethnogenesen und Landnahmen regelhaft zu beobachten sind, auch noch z.B. während der Wikingerzeit, die quellenmäßig besser beleuchtet ist. Nach den anfänglichen Uberfällen und Beutezügen der vielen und oft kleinen Heerhaufen, die sich anschließend wieder sehr weit zurückziehen, folgen größere Heere - mit Anhang - , die länger bleiben, gewissermaßen überwintern, und dann erst folgt die Besetzung von Land auf Dauer, wobei im übrigen - worauf ich nicht näher eingehen kann - die Integrierung der verbliebenen Vorbevölkerung zu berücksichtigen ist. Während der ersten Jahrzehnte der Ethnogenese der Alemannen, von 213 über das Jahr 260 bis zur Nennung gegen Ende des Jhs. (289), erscheinen immer wieder Heerhaufen der Alemannen und der Juthungen am Limes, fallen tief in das Reichsgebiet ein und ziehen sich wieder in die Heimatgebiete zurück. Aus der ersten Phase der alemannischen Ethnogenese gibt es nur einen geringen archäologischen Niederschlag, der es kaum erlaubt, die Herkunft der Krieger und ihres Anhangs näher zu bestimmen. In der zweiten Phase, seit der Zeit um 300 und im 4. und 5. Jh., existieren die Alemannen als ethnische Größe, als Stammesverband, im Südwesten auch archäologisch. Jetzt braucht man eigentlich nicht mehr nach ihrer Herkunft zu fragen, denn sie sind schon da; jetzt werden ihre Siedelgebiete genau genannt. Es verblüfft aber die ständige Ergänzung aus Innergermanien, und nur diese können wir archäologisch zu fassen versuchen, also nicht die eigentliche erste Ethnogenese, sondern die ständige Auffüllung des alemannischen Verbandes, nicht die Einwanderung, sondern späteren Zuzug. Der archäologische Nachweis von Alemannen in Südwestdeutschland ist nur durch Grabfunde, Siedlungen und Höhenstationen möglich50. Die Ausstattung der Männer entspricht der militärischen Ausrüstung des spätrömischen Heeres. Auch Fibeln und anderer Schmuck der Frauentracht lassen sich beschreiben und vom Haushaltsgeschirr die eigene, handgemachte Keramik. Metallschmuck und Keramik, auch Grabsitten sind verbunden über Jahrhunderte alte Verkehrslinien durch das ganze mittlere Europa, über breite Verbindungszonen mit dem Saale-Gebiet, also mit Thüringen und dem westlichen 49 50

Wenskus 1977: 432ff. Fingerlin 1997; Steuer 1997a,b.

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Sachsen, und auch mit Mecklenburg, mit dem Havelgebiet, mit dem gesamten nördlichen Elbegebiet. Die Kernfrage meines Beitrags an die archäologischen Quellen lautet daher: Was bedeutet es, wenn gleichartige Fibeln zur gleichen Zeit sowohl in Mecklenburg als auch in Südwestdeutschland hergestellt und getragen wurden, wenn gleichartige Keramik hier wie dort getöpfert wurde? Was bedeuten die weiter bestehenden Verbindungen aus dem alemannischen Gebiet Südwestdeutschlands mit Leuten in Mittel- und Norddeutschland? Hier heißen sie Alemannen, wie heißen sie im Norden? Ziehen Angehörige von Stämmen wie der Sachsen, Warnen, Juthungen, Semnonen aus den alten Gebieten der Sueben Jahrhunderte lang nach Südwesten und werden dort durch Aufnahme in den alemannischen Stammesverband zu Alemannen, oder werden gar die „Verwandten" im Norden nun umgekehrt schon vor ihrem Abzug zu Alemannen? Aus den Kartierungen von Verbreitungsmustern zu Fibeln und Töpfen kann - wie erörtert - nicht direkt auf Wanderungen und Herkunftsräume geschlossen werden, da die Kartenbilder zeitgleiche Situationen beschreiben, sondern nur auf zusammenhängende Gebiete, Zonen oder Räume mit einer gleichartigen kulturellen Zurüstung und gleichartigem Verhalten.

4.3. Die militärischen Verhältnisse im Innern Germaniens 4.3.1. Kriegszüge Kriegerische Auseinandersetzungen haben in großem Umfang Jahrhunderte lang die gesamte Germania beherrscht, von denen die Ereignisse am Limes nur ein Widerschein sind. Wegen des Brauches in Jütland und im ganzen südlichen Skandinavien, die Waffen besiegter Heerhaufen in Seen und Mooren zu opfern, haben wir darüber gute Einsichten in das Kriegswesen gewonnen. Heere in Größenordnungen von 600 und mehr Kriegern überfielen z.B. um 200 und im 3./4. Jh. jütische Landschaften; manche erlitten dabei böse Niederlagen51. Ihre vom Sieger im Moor geopferten Waffen und auch die persönlichen Ausstattungen der Krieger mit Fibeln, Taschen, Feuerzeugen etc. lassen die Herkunft dieser Heerhaufen und die Art und Weise ihrer Ausrüstung beschreiben: Gleichartige Lanzen und Speere sowie Gürtelausrüstungen und Pferdezaumzeuge legen die Vermutung nahe, daß in zentralen Werkstätten ranghoher Heerkönige bzw. Gefolgschaftsführer diese Waffen in Serie produziert und dann verteilt worden sind; die Schwerter dieser Krieger, gefunden z.B. zu hunderten im Moor von Illerup,

51

Ilkjaer 1990; 1993.

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stammen in ganz überwiegender Mehrheit aus römischen Waffenfabriken. Diese Schwerter müssen die Anführer der skandinavischen Heerhaufen über den Handel bezogen oder als Beute gewonnen haben. Die Lanzen und die Speerspitzen mit Widerhaken sind eine gemeingermanische Ausrüstung, die - genormt und angeregt vielleicht vom römischen Pilum in den nordischen Mooropfern häufig gefunden werden . Sie sind auch in SüdWestdeutschland mehrfach belegt53. Die im mittleren Jütland besiegten Heerhaufen kamen einerseits aus Südnorwegen bzw. Nordwestschweden und andererseits aus Norddeutschland, das heißt aus immerhin 450 bzw. 350 km entfernten Landschaften. Die Heere in Germanien zogen in verschiedene Richtungen, nicht nur nach Südwesten54. Während der ganzen Zeitspanne vom ausgehenden 2. Jh. bis um 400 lassen sich Heerhaufen - immer nur die Verlierer - über Dutzende von großen Mooropferfunden in Skandinavien nachweisen. Die Niederlagen besiegelten ihr Schicksal. Aber man muß auch von Siegen ausgehen: Was folgte dann, Landnahme oder Beute und Rückkehr in die heimatlichen Länder? Ebenso werden die ersten Heerscharen, die im Südwesten auftauchten, jeweils zurückgekehrt sein in ihre Heimat- bzw. Rekrutierungsgebiete, denn die Entfernung vom Limes (Straßburg) bis Mitteldeutschland /Thüringen beträgt ebenfalls nur 450 km, bis Mecklenburg rund 700 km, wofür sich also eine Zwischenstation in Thüringen anbieten würde. Zwischen den norddeutschen Gebieten, z.B. dem Elbe-Weser-Dreieck und Nordostgallien, hat die Entfernung, die bei derartigen Kriegszügen zu überwinden war, mit 500 km die gleiche Größenordnung. Erst in der zweiten Phase der alemannischen Ethnogenese, im 4. und 5. Jh., blieben Heerhaufen im Süden und setzten sich z.B. auf gut geschützten und repräsentativ gelegenen Höhen fest, wie auf dem Runden Berg bei Urach oder auf dem Zähringer Burgberg bei Freiburg.

4.3.2. Verkehrsbahnen Für die Feldzüge im Inneren Germaniens gab es immer wieder genutzte, sich anbietende Routen, Verkehrslinien (Abb. 1), die sich auch im archäologischen 52

54

Raddatz 1974/75; Ilkaer 1990. Christlein 1978: 112 Abb. 87 (Moorfund von mehreren Lanzen- und Speerspitzen bei Münchhöf-Homberg); Steuer & Hoeper 1995: 203 Abb. 132 (mehrere Widerhaken-Speerspitzen); Fingerlin 1985: 3045, hier 36 Abb. 7 (Grab von Ihringen mit 55 cm langer Widerhaken-Speerspitze); Sontheim/Brenz: im Bereich der römischen Straßenstation Widerhaken-Speerspitze; Steuer 1997: Abb. 150. nkjjer 1993: 379 Abb. 153 (Periode C l b - 1. Hälfte 3. Jh.); 384 Abb. 157 (Periode C 2 - um 300); Herkunft der Kriegerscharen.

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Fundmaterial regelmäßig und über Jahrhunderte widerspiegeln, gar bis in die Zeit der Züge der Kimbern und Teutonen zurückzuverfolgen sind55. Da ist seit den Zeiten des Ariovist und der Sueben sowie der sogenannten Przeworsker Kultur in Polen die Südwestlinie aus Polen über Mitteldeutschland südlich des Harzes den Main abwärts bis in das Rhein-Main-Mündungsgebiet56. Da ist in der Zeit der Markomannenkriege die Elbe-Linie nach Südosten57.

Abbildung 1. Verkehrsbahnen im frühgeschichtlichen Mitteleuropa.

55 56 57

Raul & Martens 1995. Peschel 1978; Godtowski 1992a,b. Böhme 1975; 1991; 1996b: 97 Karte Abb. 7 (Fibeln Almgren 110-112 des 2. Jhs. sind in Jutland, massiert im Havelgebiet und mit Einzelfunden in der Slowakei verbreitet); 98 Karte Abb. 8 mit ähnlicher Verbreitung der tauschierten sogenannten Stuhlsporen.

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Für das späte 3. und die erste Hälfte des 4. Jhs. hat M. Schulze-Dörrlamm eine Querbewegung kartiert58. Fundstellen von Brand- und Körpergräbern mit Schwertbeigabe ziehen sich - quasi auf der alten Verbindungslinie der Zeit der Przeworsker Kultur - von Polen, dem Warthegebiet, bis ins Rhein-Main-Mündungsgebiet und bis Nordgallien, was einerseits als Weg der Burgunder interpretiert wird, andererseits als Vordringen einer neuen Beigabensitte, der Schwertbeigabe; mit dem Unterschied nur, daß bis zur Mitte des 4. Jhs. im Osten Brandgräber und im Westen Körpergräber Schwerter enthalten. Der Wechsel der Grabsitte wird registriert, aber nicht gedeutet. Und auch für die Zeit der frühen Alemannen heben sich diese Verbindungslinien in allen Fundkartierungen ab: Von Mecklenburg über Thüringen nach dem Südwesten einerseits, aber auch die Elbe aufwärts nach Südosten, nach Böhmen und in die Slowakei andererseits. H.W. Böhme hat jüngst (1996b) mit der Auswahl der gleichen Karten, die ich für die Zuwanderung der Germanen, die die Alemannen bilden, verwendet habe, auf diese Erscheinungen von „Kontinuität und Traditionen bei Wanderungsbewegungen im frühmittelalterlichen Europa vom 1.-6. Jahrhundert" hingewiesen. Es ist zwar folgerichtig, für alle Epochen anhand gleichartiger Kartenbilder von Wanderungen zu sprechen, wenn man derartige Verbreitungsmuster im Sinne von Bevölkerungsbewegungen deutet, aber man kann sie auch, wie ich vorschlagen möchte, zuerst einmal nur als Ausweitung von zusammenhängenden Verkehrsräumen erklären, die handwerklich oder wirtschaftlich begründet werden können. Dieser Hintergrund muß berücksichtigt werden, wenn die Frage nach der Herkunft der späteren Alemannen anhand archäologischer Quellen beantwortet werden soll. Mit einem eng umgrenzten Herkunftsgebiet kann nicht gerechnet werden, da nicht die Herkunft entscheidend war, sondern erst der Zusammenschluß im neuen Gebiet. In Südwestdeutschland könnte im übrigen ein nicht unbeträchtlicher Teil gallischer, römischer, gallorömischer Bevölkerung mit dazu beigetragen haben, den Stamm der Alemannen aufzufüllen59.

4.3.3. Siedlungsbewegungen Die Frage nach der Herkunft der Alemannen verlangt nach den bisher erörterten Sachverhalten eine klare Unterscheidung zwischen Zügen von Kriegerver58

Schulze-Dörrlamm 1985 mit den Karten Abb. 32 u. 33; Schach-Dörges 1997: 94 Karte Abb. 78. Vgl. dazu auch die fränkische Stammesbildung: Die Franken 1996 mit mehreren Beiträgen; zur gallorömischen Restbevölkerung Stribrny 1989, die von H.U. Nuber jedoch abgelehnt wird, der von einem weitgehend entsiedelten Land vor dem spätrömischen Rhein-DonauLimes ausgeht, vgl. seinen Beitrag in diesem Band.

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bänden nach Südwestdeutschland und über den Limes in viele Gebiete des Römischen Reichs einerseits und langsamen Siedlungsbewegungen andererseits. Es wird ständig diskutiert, warum im 3. und früheren 4. Jh. trotz der zahlreichen überlieferten massiven militärischen Ereignisse und der sprichwörtlich volkreichen alemannischen Bedrohung im Limesvorland kaum Fundplätze, Siedlungen oder Bestattungsplätze, bekannt sind; und man vermutet die Ursache in unscheinbaren Brandgrabsitten60. Doch ist davon auszugehen, daß zahlreiche Kriegerscharen aus dem Inneren Germaniens auch wieder dorthin zurückgekehrt sind. Daß Heereszüge größere Entfernungen überwanden, ist indirekt für das germanische Gebiet überliefert und direkt für die Unternehmen im Römischen Reich. Jedenfalls brauchen derartige fernwirkende Kriegszüge und eine landnehmende Besiedlung nicht unmittelbar zusammenzuhängen. Kriegszüge setzten früh im 3. Jh. ein und dauern bis ins 5. Jh. an; Helga Schach-Dörges61 beschreibt die südwärts drängende Besiedlung in den Etappen um 300, im 4. Jh. und im späten 4. und frühen 5. Jh., was zugleich die archäologisch faßbare Ausdehnung eines Kulturkreises, gespiegelt über Grabbräuche, erläutert. Sie meint dann aber, da hiermit die Zuwanderungen von Familien erfaßt und Kriegergräber keineswegs dominieren würden, daß damit die These widerlegt wäre, die frühen Eroberer wären in ihre Heimat zurückgekehrt". Das kann jedoch daraus nicht gefolgert werden; denn eine normal zusammengesetzte siedelnde Bevölkerung auf der einen Seite kann und wurde in jenen Jahrzehnten überall in der Germania immer wieder überrollt von Kriegerscharen aus rückwärtigen Gebieten, das heißt wir müssen nicht davon ausgehen, daß die spärlichen Siedlungsspuren des späten 3. bis frühen 5. Jhs.63 den alleinigen Hintergrund für die massiven und zahlenmäßig starken militärischen Bedrohungen abgeben und daß Krieger nur in diese Gebiete zurückgekehrt sind, die dann im Gegenzug von römischen Militäraktionen verwüstet wurden. Daher kann auch aus dem Juthungen-Semnonen-Stein von 260 und den anschließenden Ereignissen nicht geschlossen werden, daß die Juthungen nahe des spätrömischen Limes gesiedelt hätten und nicht etwa im Saale-Gebiet64; denn genannt werden Kriegszüge. Ein Heerhaufen wurde besiegt, der auf dem Rückweg war, vielleicht in ganz verschiedene Herkunftslandschaften65 an der Elbe, in Mecklenburg, im Innern Germaniens, und gar in Böhmen, dorthin, wo man sich gesammelt hatte und aufgebrochen war. 60 61

62 63 64 65

Schach-Dörges 1997: 96; Fingerlin 1997: 108. Schach-Dörges 1997: 96f. mit den Karten Abb. 82-83; vgl. auch Böhme 1996b: 91 Karte Abb. 1 (Besiedlung während der Zeitstufe C 2). Schach-Dörges 1997: 100. Schach-Dörges 1997: 86 Abb. 67. Schach-Dörges 1997:79,101 und 98 Karte Abb. 84; auch Geuenich 1997b: 73 Karte Abb. 56. H. Keller 1993: 94.

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4.4. Archäologische Fundkarten Es gehört zum methodischen Apparat der Archäologie, anhand von Verbreitungskarten gleichartiger kultureller Erscheinungen das Siedlungsgebiet geschlossener, zusammengehörender Bevölkerungsgruppen zu beschreiben und aus der Erweiterung des Kartenbildes auf Wanderungsbewegungen zu schließen. Wenn es außerdem noch möglich ist, das Abbrechen bestimmter Erscheinungen in einem Gebiet mit dem gleichzeitigen Beginn in einem anderen zu korrelieren, dann scheint der Nachweis von Wanderungen überzeugend. Doch gelingt dies äußerst selten, und für die Herkunftsgebiete der späteren alemannischen Bevölkerungsgruppen kann nicht von einer Siedlungsentleerung ausgegangen werden, vielmehr läßt sich eher eine Übervölkerung - oft tatsächlich Ursache für Auswanderungen - nachweisen. Die Kartierung von Typen des Schmucks oder der Waffen allein gibt kaum sichere Hinweise auf geschlossene Bevölkerungsgruppierungen, auch wenn sie zusammenhängende Wirtschafts- und Verkehrsräume umschreiben hilft. Es ist zu fordern, daß komplexere Erscheinungen wie Grabbräuche oder Hausbauweisen und Siedlungsorganisationen kartiert werden, um Gruppen zu erfassen. Doch auch Bestattungssitten erlauben keinen direkten Schluß auf ethnische Einheiten, denn Kultverbände wie sie historisch überliefert sind, übergreifen ethnische Organisationsformen, zumal immer wieder festzustellen ist, daß eine Bevölkerung zu gleicher Zeit unterschiedliche Grabbräuche kannte, die in unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen und komplexen religiösen Verhältnissen ihre Ursache gehabt haben können. Da ethnische Abzeichen nicht überliefert sind66, ist eine direkte Erfassung von Stammesgruppierungen über archäologische Quellen kaum möglich, womit ein Grundproblem der archäologischen Forschung angesprochen ist. Es gibt keine Hinweise darauf, daß Trachtbestandteile ethnisch gebunden waren, daß Keramikformen und -Verzierung nur von bestimmten ethnischen Gruppen jeweils bevorzugt wurden, ebenso wenig wie Bestattungssitten dies ermöglichen. Ohne diese grundsätzliche Methodendiskussion hier fortzusetzen, darf aber festgehalten werden, daß die im folgenden zu besprechenden Kartenbilder zwar weiträumige Beziehungen und Zusammenhänge offenlegen , aber in erster Linie für sich selbst sprechen, also für gleichartige handwerkliche Erzeugnisse oder gleiche religiöse Bräuche, aber nicht von ethnischen Gruppierungen, die daraus abzulesen bisher zwar ein gebräuchliches Verfahren war, was aber gegenwärtig durch andere Deutungsvorschläge ersetzt wird. Auch der berühmte Suebenknoten ist nicht nur Kennzeichen suebischer Stämme in Mitteldeutschland, sondern ist durch Bilddarstellungen und reale Schädelfunde für die gesamte Germania belegt. Vgl. die für Archäologen beherzigenswerte Kritik durch den Historiker: H. Keller 1993: 93f.

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4.4.1. Heereszüge Im 3. Jh. sollen alemannische Heerhaufen aus Mitteldeutschland in den Südwesten gekommen sein, aus dem Gebiet der Fürstengräbergruppe vom Typ Haßleben-Leuna. A. Radnoti (1967) sah zwar in der zu diesen Gräbern gehörenden Bevölkerungsgruppe Juthungen, die aus dem Südosten eingewandert seien. Aber Joachim Werner interpretierte demgegenüber die ranghohen Krieger dieser Fürstengräbergruppe als seit eh und je hier ansässige Familien und als Angehörige der ingentia auxilia Germanorum des gallischen Sonderreichs. Ihre Ausstattung mit kostbarem Bronze- und Glasgeschirr aus dem Westen (Hemmoorer Eimer aus Köln), mit in Köln geprägten Aurei der Jahre 260 bis 273, die Annahme römischer Speisegewohnheiten, nachgewiesen über Reibschalen68, und Totenbräuche (belegt über die Sitte des Charonspfennigs)69 sowie das Tragen römischer Offiziersfibeln70 seien Beweis genug. Wenn man den hohen Grad der Romanisierung dieser Gesellschaft berücksichtigt, wie er über die Funde römischer Töpfereien in Mitteldeutschland, bei Haarhausen71, belegt wird, dann gewinnt diese These der starken Westbeziehungen weiter an Gewicht, und Mitteldeutschland im späten 3. und frühen 4. Jh. dürfte eigentlich nicht zentral als Herkunftsgebiet der Germanen, der späteren Alemannen angesehen werden, die nach dem Südwesten drängten; denn die Führungselite war nach Westen, zum Kölner Gebiet orientiert. Aufgrund einiger Funde hatte auch R. Christlein (1972) in Südwestdeutschland Spuren der Haßleben-Leuna-Leute fassen wollen; und der neue SemnonenStein aus Augsburg, nach dem anscheinend auch die Provinz Rätien zeitweilig zum Postumus-Reich gehört hat, erweitert die Perspektive für die Söldnerdienste der mitteldeutschen ranghohen Militärelite. In beide Richtungen wird agiert worden sein, da Söldner in verschiedenen, beweglichen Militäreinheiten gedient haben können, was etwas ganz anderes ist als die Besiedlung von Landschaften. Erst im 4. und 5. Jh. blieben die Heerhaufen im Südwesten und nahmen nebeneinander Land in Besitz. Höhenstationen wurden zu Herrschaftsmittelpunkten ausgebaut oder dienten als Militärstationen. Als Pendant zu den besiegten Heerhaufen im Norden und ihren Waffen in den Mooropfern können im Süden die Militärstationen der siegreichen Heerhaufen genannt werden, wie z.B. der Geißkopf am Schwarzwaldrand gegenüber von Straßburg, wo über 1500 Funde der Ausstattung einer Kriegerschar, aber kaum Hinweise auf Frauen gefunden wurden. Unter den Fundmaterialien sind germanische Widerhakenspeere, wie

68 69 70 71

Dusek 1989a. Werner 1973. Werner 1989. Dusek 1989b; 1992; Dusek & Hohmann 1986.

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sie aus dem Norden bekannt sind, Bügelknopffibeln der Militärmäntel, wie sie bis Mecklenburg vorkommen72.

4.4.2. Grabsitten Charakteristische Grabsitten können verschiedene Bevölkerungsgruppen als zusammengehörend beschreiben. Die Fürstengräbergruppe vom Typ Haßleben-Leuna spiegelt eine über die ganze östliche und nördliche Germania verbreitete Verhaltensweise der ranghohen germanischen Elite im Totenkult. Die auffällig reichen Grabbeigaben rücken die Beziehungen zum Römischen Reich in den Mittelpunkt. Aber innerhalb dieser Sitte verbindet ein spezielles Brauchtum Mitteldeutschland mit Mecklenburg einerseits und mit dem alemannischen Südwesten andererseits, und zwar die Beigabe von drei nur symbolisch zu verwendenden Pfeilspitzen aus Silber - so in den mitteldeutschen Fürstengräbern - oder aus Bronze in Nord- und Süddeutschland73. Wurde anfänglich auf die Beziehungen der Haßleben-Leuna-Gruppe nach Westen zum Gallischen Sonderreich hingewiesen, so zeigen sich jetzt die Beziehungen nach dem Süden74 (Abb. 2). Während im Havelgebiet Urnenbestattungen mit jeweils einer Pfeilspitze zu kartieren sind, gibt es in Mecklenburg, im Elb-Saalegebiet und in Süddeutschland, aber auch in Böhmen Körpergräber, teils fürstlichen Ranges, mit mehreren, meist drei Pfeilspitzen. Zu den Fürstengräbern zählen die Bestattungen von Häven in Mecklenburg mit Pfeilspitzen aus Bronze und von Emersleben, Kr. Halberstadt, von Flurstedt, Kr. Apolda, von Haßleben, Kr. Erfurt, die Gräber 1 bis 3 von Leuna, Kr. Merseburg in Mitteldeutschland, mit Pfeilspitzen aus Silber und die süddeutschen Gräber von Heilbronn-Böckingen, von Laisacker, Kr. Neuburg/Donau, von Berching-Pollanten, Lkr. Neumarkt i.d. Oberpfalz, und von Leutkich, Kr. Wangen, mit jeweils 3 Pfeilspitzen aus Bronze. Der Rang der mitteldeutschen Gräber wird auch bei den anderen Beigaben nicht erreicht, aber die singuläre Sitte, drei nicht verwendbare symbolische Pfeile ins Grab zu legen, verknüpft Angehörige relativ ranghoher Gruppen weiträumig miteinander. Aus dem Bereich des Frauenschmucks läßt sich hier der Brauch anschließen, an den Colliers am Halsschmuck symbolisch Miniaturäxte aus Gold oder Silber zu tragen. Hier spiegelt die Verbreitungskarte aber eine Fernbeziehung zwischen Nord- und Mitteldeutschland sowie dem Südosten, im Zuge der altüberlieferten Fernwege. Helga Schach-Dörges hat erneut diese symbolischen Axtanhänger aus Frauengräbern der Haßleben-Leuna-Gruppe und in Südwestdeutschland 72 73

Steuer 1997 a, b; Hoeper 1996. Dölle 1977: Karte Abb. 1; Werner 1955. Für den Süden zu ergänzen Fischer 1985: Grab 4 aus Berching-Pollanten mit drei Pfeilspitzen und einer ähnlich geformten kleinen Lanzenspitze aus Bronze, dabei auch ein Sporenpaar aus Bronze; Schach-Dörges 1997: 91 Abb. 76 und 77 und 94 Karte Abb. 78.

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Abbildung 2. Grabfunde mit drei Pfeilspitzen aus Silber oder Bronze als Beigabe (nach DöUe 1977, Abb. 1).

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behandelt75, nennt einige neue Parallelen im mainfränkischen und hessischen Raum, wobei hier jedoch nicht die gleiche Ranghöhe wie in Mitteldeutschland76 archäologisch faßbar wird. Ein silberner Axtanhänger aus Waiblingen-Beinstein gehört zu der Gruppe von derartigen Schmuckanhängern, teils aus Gold, die seit der Zeit um 200 bis in die erste Hälfte des 5. Jhs. belegt ist. Sie haben eine Schwerpunktverbreitung im Saale-Gebiet, in der Fürstengräbergruppe von Haßleben-Leuna, kommen aber auch in Holstein und häufig in der Theißebene vor77. J. Werner weist auf die weite Verbreitung und die südöstlichen Ursprünge hin und stellt die Frage, ob sie überall den gleichen symbolischen Hintergrund hätten und ob überhaupt ein Zusammenhang bestünde zwischen den Funden in Mittel- und Süddeutschland sowie in der Theißebene.

4.4.3. Formen: Fibeln Aufschlußreicher ist das Studium der Fibelverbreitungen im späten 3. bis frühen 5. Jh., da sie zu historischen Auswertungen geführt haben, was man wie folgt zusammenfassen kann. Armbrustfibeln der Gruppe Almgren VI, 174-176, die sogenannten Elbefibeln (Abb. 3), meist von der Frauentracht, kennzeichnen Beziehungen im ausgehenden 3. und im 4. Jh. von Holstein über Westmecklenburg, die Altmark und das Havelgebiet über Mitteldeutschland bis nach Südwestdeutschland einerseits und nach Böhmen andererseits, mit leicht differierender Verbreitung von Untertypen78. Einige dieser Typen sind im Norden hergestellt und getragen, aber mit Sicherheit auch im Süden produziert und verwendet worden, so auf dem Runden Berg bei Urach und in Gnotzheim in Mittelfranken79. Dieses Beispiel illustriert das grundsätzliche methodische Problem. In erster Linie wird die gleichzeitige Herstellung und Verwendung im Norden und im Süden bezeugt, nicht etwa eine Wanderung. Dabei wird ein Nord-Süd-Einfluß vorausgesetzt, vor dem Hintergrund der vorangegangenen Geschichte. Aber 75 76

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Schach-Dörges 1997: 84, Abb. 66a. Christlein 1972; dagegen Schach-Dörges in Luik & Schach-Dörges 1993: 389f.; 1981: 656; Fingerlin 1990: 136; jetzt auch Schach-Dörges 1997: 85 und Abb. 66 a und b. Gebers & Hinz 1977: 39 Karte Abb. 13; Werner 1988: 262 mit Anm. 54 und 55. Dazu Schulze 1977: Nr. 177 mit Karte 10 (225/275-325) und Nr. 184 mit Karte 16 (325-375), auch Schulze 1975; Koch 1984: 23ff. mit Karte Abb. 1; Rosenstock 1992: 190ff. mit Abb. 4 und 5 und den Karten 8 und 9 (nach M. Schulze ergänzt); Voß 1994a: 504 Karte Abb. 106; Schach-Dörges 1997: 81 Abb. 62; auch Böhme 1996b: 92 Karte Abb. 2 (Almgren 177: Elbefibel), 93 Karte Abb. 3 (Almgren 184). Runder Berg: Christlein 1974: Taf. 10,2; Steuer 1994a: 135 Fig. 7,3; Gnotzheim: SchachDörges 1997: 81.

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theoretisch ist aus dem Kartenbild auch eine Einflußrichtung von Süden nach Norden abzulesen.

Abbildung 3. Verbreitungskarte der sog. Elbefibeln (nach Voß 1994a, 504 Karte Abb. 106).

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Diese ergibt sich sehr deutlich aus der Kartierung der kobaltblauen Berlockperlen, die im römischen Reich hergestellt wurden und ins germanische Gebiet gelangten. Als Grabbeigaben im Rahmen der Schmuckausstattung wurden sie in größerer Anzahl in Südwestdeutschland gefunden, aber sie erreichten auch das Saalegebiet und kamen weiter bis an die Havel und nach Mecklenburg80. Die Verbreitung spiegelt also zumindest Fernbeziehungen im gleichen Verkehrsraum wie die Elbefibeln (Abb. 4). Für die Bewertung der Kartenbilder ist andererseits die Tatsache wichtig, daß Fibeln mit Trapezfuß, ebenfalls in Westmecklenburg, aber auch im ElbWeser-Dreieck verbreitet, eindeutige Beziehungen nach Nordostgallien aufweisen81, daß also zum einen das sächsische Gebiet gewissermaßen nach Mecklenburg hineinreichte82 bzw. daß Abwanderungen und Fernbeziehungen aus Westmecklenburg zu gleicher Zeit nicht nur nach dem Süden, sondern auch nach dem Westen zu verzeichnen sind. Die Niemberger Fibeln (B/C) des späten 4. und der ersten Hälfte des 5. Jhs. sind nun eine mitteldeutsche Form, die mit der Entstehung des Stammes der Thüringer verbunden wird, die im Süden kaum Vergleichsstücke hat, dafür aber nach Osten in das Havel-Spree-Gebiet ausstrahlt. Eine entgegengesetzte Bewegung wird damit faßbar . Nydamfibeln der zweiten Hälfte des 4. Jhs. und die zeitlich folgenden kreuzförmigen Fibeln (bis Mitte 5. Jh.) verknüpfen Westmecklenburg und Holstein nicht nur mit dem nördlich anschließenden Jütland, sondern auch mit Norddeutschland westlich der Elbe, also mit einem Gebiet, das entscheidende Beziehungen nach Nordostgallien aufweist84. Von Männern wurden als Mantelverschluß, gewissermaßen als Ersatz der römischen Zwiebelknopffibeln, sogenannte Bügelknopffibeln getragen, die ebenfalls in zahlreichen Varianten zwischen Mecklenburg und Südwestdeutschland vorkommen und etwa zeitgleich mit den späteren Armbrustfibeln im 4. und frühen 5. Jh. sind (Abb. 5). Die umfangreichen Zusammenstellungen von E. Meyer85, der auch Untertypen kartiert hat, dokumentieren die entscheidende Verbreitung im westlichen Mecklenburg und Brandenburg, im Saale-Gebiet, in Böhmen und in Südwestdeutschland einschließlich des Rhein-Main-Mündungsgebietes. Kartierungen von Untertypen zeigen, daß die Serie I mehr im Südwesten, die Serien II ff. mehr in Böhmen vorkommen. Sicherlich wurden diese Fibeln ebenso im Norden wie auch im Süden hergestellt, vergleichbar dem Befund für die Armbrustfibeln, 80 81 82 83 84 85

Schach-Dörges 1997: 82 Karte Abb. 63 mit Lit. in Anm. 9; R. Koch 1976; U. Koch 1987: 321f. Böhme 1974: Karte 2 und 5; Voß 1993: Karte Abb. 31. Voß 1993: 172. Voß 1991a: Karten Abb. 2 und 3. Bemmann 1993: 149 Karte Abb. 6; Leube 1995: 14 Karte Abb. 8 und 15 Karte Abb. 9. Meyer 1960: Karten 1-5.

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Abbildung 4. Vorkommen von Grabfunden mit kobaltblauen Ösen- oder Berlockperlen (nach Erdrich δε Voß 1997: 82 Abb. 5 und Schach-Dörges 1997: 82 Abb. 63). Punktkreis: mehrere Perlen.

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spiegeln also insgesamt eine M o d e in weiten, miteinander verbundenen Verkehrsräumen wider. Detailkarten lieferten dann R . u n d U . K o c h 8 6 u n d jüngst auch H . - U . Voß 8 7 , die verstärkt den Mecklenburger R a u m herausbringen (Abb. 6).

Abbildung 5. Verbreitungskarte spätkaiserzeitlicher Bügelknopffibeln mit kastenförmig geschlossenem Nadelhalter (nach Schulze-Dörrlamm 1986, 697 Karte Abb. 113).

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R. Koch 1974: 227-246 mit Karte Abb. 7 (Typ Leutkirch - doppelkonischer Knopf), Abb. 10 (Typ Leipferdingen und Verwandte - gestielter polyedrischer Knopf); R. Koch 1985: 502 Karte Abb. 14; U. Koch 1984: Abb. 2; Böhme 1996b: 94 Karte Abb. 4 (Typ Leutkirch), 95 Karte Abb. 5 (Formengruppe Leipferdingen); Schach-Dörges 1997: 82 Karte Abb. 64. Voß 1993: 174f. mit den Karten 27 und 28.

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Abbildung 6. Verbreitungskarte der Bügelknopffibeln. Punktkreis: Typ Leipferdingen; Kreis: Typ Groß Nemerow; Dreieck: weitere Fibeln mit gestieltem Bügelknopf; Rhombus: Typ Leutkirch (nach Voß 1993, 174 Karte Abb. 27 mit Ergänzung).

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Daß diese Fibeln mehr oder weniger gleich zu bewerten sind, ob ein kegelförmiger Knopf oder ein gestielter polyedrischer Knopf am Bügel angesetzt ist, ob der Nadelrast offen oder geschlossen ausgebildet ist, spiegelt ein kleiner Hortfund von daher sicher gleichzeitig in die Erde gelangten Fibeln in Südwestdeutschland, von der Höhenstation Geißkopf bei Offenburg88. Mehrheitlich gehören diese Bügelknopffibeln in die zweite Hälfte des 4. und in das 5. Jh., wobei Fibeln vom Typ Leipferdingen mit gestieltem Endknopf in Westmecklenburg entstanden sein sollen, die Fibeln vom Typ Leutkirch mit doppelkonischem Kopf in Südwestdeutschland89. Gußgleiche Stücke oder Gußformen liegen leider noch nicht vor, um die Frage nach den Herstellungsorten sicher zu klären. Elbefibeln und Bügelknopffibeln werden auch in Norditalien gefunden; während Meyer (1960) nur eine Bügelknopffibel verzeichnet hat, konnte jetzt Buora (1994) allein für das Gebiet um Aquileia zwölf derartige Fibeln auflisten und weitere Fundplätze nennen, die er in üblicher Weise mit „römischen Soldaten germanischer bzw. alamannischer Herkunft" in Zusammenhang bringt90. Die Tradition führt zu den Mantelfibeln, wie sie in den Fürstengräbern der Zeit gegen 300 in Leuna gefunden wurden, die nach Westen in das Sonderreich des Postumus weisen. Nicht umsonst hat M. Schulze-Dörrlamm (1986) diskutiert, wo eigentlich diese und andere Fibeln hergestellt wurden, in römischem oder germanischem Umfeld, die in der Regel von Germanen getragen bzw. in germanische Gräber beigegeben wurden. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, daß die Fibelformen des späten 5. Jhs., so die Nydamfibeln, in Dänemark und im westlichen Mecklenburg verbreitet, oder die Niemberger Fibeln, im Saalegebiet verbreitet, im Südwesten kaum vorkommen91, daß also die Beziehungen anscheinend im späten 5. Jh. abgerissen sind, auch wenn einzelne Fibeltypen - so Voß - weiter Verbindungen bis um 500 andeuten92. Das hängt sicher noch nicht mit der späteren Entvölkerung und nachfolgenden slawischen Aufsiedlung der nördlichen Gebiete im 6. Jh. zusammen, sondern E. Keller setzt dieses Faktum mit dem Ende der Rekrutierungsmöglichkeiten für das spätrömische Heer nach 476 in Beziehung93; Söldner werden nicht mehr gebraucht. In diesem Zusammenhang gilt es auch, die verschiedenen Traditionen der sogenannten blechförmigen Fibeln vom Typ Wiesbaden aus der Zeit um 500 zu 88 89 90 91

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Steuer 1990a: Abb. 24 A; Hoeper 1996: 24 Abb. 8; Steuer 1997b: 156 Abb. 155. Voß 1993: 169 mit R. Koch 1974: 236ff. Buora 1994: 610. Voß 1993: 171f. und Karte Abb. 30, auch ders. 1991, hier mit Fundorten zur Karte Abb. 2 der Niemberger Fibeln (B- und C-Fibeln). Karte 3 zeigt, daß es vielleicht nur eine Frage der Zeit ist, daß auch im Südwesten mehr Niemberger Fibeln entdeckt werden. Voß 1993: 170. E. Keller 1986: 575f.

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verfolgen94, bei denen H.-U. Voß jetzt eine mecklenburgische Variante unterscheidet, gekennzeichnet durch einen langen rechteckigen Fuß und eine flächendeckende Verzierung des Bügels, zu denen es neben den Funden in Mecklenburg95 Parallelen in Böhmen96 und auch in Südwestdeutschland gibt97. Diese blechförmigen Armbrustfibeln mit rechteckigem Fuß werden oftmals mit den Gruppen 35-36 bei M. Schulze verglichen98 und gehören in das 4. Jh. Der Vergleich dieser formenkundlichen Detailstudien und Gliederungen des Fibelspektrums durch J. Werner, M. Schulze-Dörrlamm und H.-U. Voß, die dann jeweils unterschiedliche Kartenbilder ergeben, weisen auf die Problematik der Karteninterpretation hin. Fibeln des Typs Wiesbaden markieren eine zeitliche Achse von Pommern über das Havelgebiet bis ins Rhein-Main-Mündungsgebiet, die mit den Burgunden in Zusammenhang gebracht werden könnte. Die Fibelverbreitungen des 4. und 5. Jhs. haben also zu historischen Auswertungen geführt, die man vielleicht wie folgt zusammenfassen kann. Die sogenannten Elbefibeln kennzeichnen Beziehungen im ausgehenden 3. und im 4. Jh. von Holstein über Westmecklenburg, die Altmark und das Havelgebiet über Mitteldeutschland bis nach Südwestdeutschland99. Bestimmte späte Formen der Armbrustfibeln vom Typ Rathewitz verbinden nur noch Mitteldeutschland mit dem Südwesten100. Nydamfibeln der zweiten Hälfte des 4. Jhs. und die zeitlich folgenden kreuzförmigen Fibeln bis zur des Mitte 5. Jhs. verknüpfen Westmecklenburg und Holstein mit Norddeutschland westlich der Elbe bis nach Nordostgallien. Die variantenreiche Bügelknopffibel mit Formen des 4. und 5. Jhs. spannt wieder den Bogen von Holstein und Westmecklenburg über Mitteldeutschland nach Südwestdeutschland und spart im wesentlichen Norddeutschland westlich der Elbe aus. Die Niemberger Fibeln des späten 4. und der ersten Hälfte des 5. Jhs. als mitteldeutsche Form haben im Süden kaum Vergleichsstücke, dafür jedoch im Osten im Havel-Spree-Gebiet, eine Ausbreitung in entgegengesetzter Richtung deutet sich an. Betrachtet man schließlich noch die Verbreitung der Fibeln vom Typ Wiesbaden aus der Zeit um 500, dann hebt sich eine Beziehung quer

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" 100

Werner 1981; Schulze-Dörrlamm 1986: 62 Iff. Voß 1991a: Karte Abb. 2; vgl. auch Schulze-Dörrlamm 1986: 621ff. Typ Rohrbeck als Variante der Fibeln des Typs Wiesbaden; eine ergänzte Karte bei Leube 1995: 57 Abb. 45. Blazek 1995: Abb. 18. Unpublizierter Neufund vom Geißkopf bei Offenburg. Schulze 1977 mit Karte 11 (275-375); vgl. Trierer Parallelen bei Gilles 1984: 338-342, Nr. 178 o,q,r etc.; auch nicht wenige Bügelknopffibeln stammen aus Trier. Voß 1994a: 504 Karte Abb. 106. Schulze-Dörrlamm 1986: 615 Abb. 22.

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durch die bisher beschriebene Linie von Pommern über Mitteldeutschland in das Rhein-Main-Mündungsgebiet ab. Die Dreiknopfbügelfibeln und verwandte Formen als jüngste Gruppen in dieser Zusammenstellung verknüpfen wieder Holstein und Westmecklenburg einerseits mit Mitteldeutschland und streuen dann weit in den süddeutschen Raum, finden sich aber andererseits auch häufig wieder weiter westlich zwischen Elbe und Weser und auch in Böhmen 101 . - Die von H.W. Böhme kartierten kleinen Bügelfibeln der Formengruppe Niederflorstadt-Wiesloch und Groß-Umstadt aus der Mitte des 5. Jhs. kommen in wenigen Stücken im Norden und Süden, Westen und Osten vor mit zwei auffälligen Dichtezentren im Rhein-Main-Mündungsgebiet und in Böhmen 102 . Thüringische Miniaturfibeln haben ihren Namen nach dem Dichtezentrum Thüringen, von dem aus die Verbreitung locker nach Nordostgallien, an den Rhein und nach Süddeutschland streut103. Die sogenannten Thüringer Fibeln des 6. Jhs. schließlich gibt es dann massiert in Mitteldeutschland (verbreitet wie die Niemberger Fibel), aber auch in Böhmen und weiter im Südosten, im Rhein-Main-Mündungsgebiet, in Süddeutschland, aber auch ausstrahlend nach Osten im Havelgebiet104. Was läßt sich insgesamt aus den Kartenbildern schließen? Sie belegen nachdrücklich, daß z.B. zwischen Westmecklenburg und dem alemannischen Südwesten Beziehungen bestanden, über Mitteldeutschland hinweg, und zwar während des späten 3., des ganzen 4. und des frühen 5. Jhs. Zugleich gibt es aber auch Beziehungen nach Böhmen einerseits und nach Westen oder auch in den Norden andererseits. Vom 4. bis zum 5. Jh. und weiter gibt es dann Schwerpunktverlagerungen vom Norden nach Mitteldeutschland. Mit Blick auf die Historie sind Verbindungen zur Ausbildung der Alemannen gegeben, wenn man nach Südwesten blickt, aber auch zu den Langobarden, wenn es um den Südosten geht; und schließlich haben anscheinend Leute aus dem Elbegebiet bzw. Westmecklenburg auch Beziehungen zu den Sachsen und weiter nach Westen in Richtung Franken gehabt; und bleibt man in Mitteldeutschland, dann ist die Verbindung zur Entstehung der Thüringer gegeben. Wir können also registrieren, woher Leute kamen, die wohl bei der Auffüllung der alemannischen Gruppen im Südwesten beteiligt waren.

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102 103 104

Voß 1991a: 61 Karte Abb. 6; Böhme 1986: 556 Karte Abb. 73; auch Leube 1995: 17 Karte Abb. 12. Böhme 1989: 402 Karte Abb. 5; 1996: Karte Abb. 6. Koch & Wieczorek 1996: Karte Abb. S. 35; Wieczorek 1996: 352 Karte Abb. 289. Schmidt 1983: 537 Karte Abb. 166.

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4.4.4. Formen: Militärgürtel Beziehungen in die entgegengesetzte Richtung, aus dem römischen Gebiet ins Germanische, gibt es nach den Kartenbildern ohne Zweifel ebenfalls. Spätrömische Bronzebeschläge von Militärgürteln des 4. und frühen 5. Jhs. kommen auch östlich des Rheins und nördlich der Donau vor, also außerhalb des spätrömischen Limes in der gesamten Germania (Abb. 7)1C5. Das Kartenbild zeigt eine Streuung nach Osten, wieder bis nach Holstein und Westmecklenburg, wenige Funde im Saalegebiet und eine Fülle im südwestdeutschen Raum. Beschrieben werden damit Rekrutierungs- und Rückkehrgebiete germanischer Krieger des spätrömischen Heeres. Die Kartierung der späteströmischen, jüngsten Militärgürtelbeschläge aus dem mittleren Drittel des 5. Jhs.106 läßt den Raum östlich der Elbe, also auch Westmecklenburg, frei, bringt aber auch nur wenige Funde im alemannischen Südwestdeutschland. In dieser Phase werden Niedersachsen und Nordgallien stärker miteinander verbunden. Der Fernverbindungsweg von Mecklenburg über das Saalegebiet nach Südwestdeutschland wird jetzt im mittleren und späteren 5. Jh. nicht mehr belegt, was auch an den Kartierungen der Niemberger Fibeln, der Nydam- und kreuzförmigen Fibeln als Grabbeigaben abgelesen werden kann107. Der Grund liegt vielleicht darin, daß - wie erwähnt - im Süden nach 476 Söldnerdienste nicht mehr benötigt wurden. Ob die kartierten Militärgürtel nun die Spuren heimgekehrter Söldner sind oder Germanen kennzeichnen, die derartige Gürtelbeschläge selbst hergestellt haben (vgl. die Gußformen von Gennep und Emmerich Praest108), die Beziehungswege werden deutlich: sie verbinden Westmecklenburg auch mit Norddeutschland und weiter mit Gallien. Kartiert man demgegenüber nur scheibenförmige Riemenzungen der Zeit um 400109, dann fällt die Fundverdichtung im alemannischen Siedlungsraum auf, mit einigen Parallelen in Mecklenburg. H.-W. Böhme hat diesen Gegensatz „Einfache Gürtelgarnituren", im Rekrutierungsgebiet der Römischen Armeen bei Sachsen und Franken, und „Punzverzierte Gürtelgarnituren", wozu die scheibenförmigen Riemenzungen zumeist gehören, im burgundischen und alemannischen Rekrutierungsgebiet kartiert und entsprechend interpretiert . In der Alamannia 105 106 107

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109 110

Böhme 1996a: 98 Karte Abb. 73. Böhme 1986: 498 Karte Abb. 22; ders. 1994: Karte Abb. 5; ders. 1996a: 100 Karte Abb. 75. Leube 1995: 12 Karte Abb. 6 (Niemberger Fibeln), 14 Karte Abb. 8 (Nydam-Fibeln) und 15 Karte Abb. 10 (Kreuzförmige Fibeln). Vgl. auch die Karte Abb. 56 früher Typen kreuzförmiger Fibeln bei Böhme 1986: 535 Karte Abb. 56. Heidinga & Offenberg 1992: 105, 109, 116 (Gennep: Gußform für Astragalröhrchen mit schmalem Beschlag); Janssen 1977; Steuer 1994a: 134, Fig. 6. 5 (die Abb.-Unterschrift ist nicht korrekt). Steuer 1990b: 180f. Karten Abb. 2 a,b; dazu Voß 1994b: 167 Karte Abb. 9. Böhme 1986: 500 mit Karte Abb. 23.

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gehören diese Gürtelbeschläge zu Kriegern auf den germanischen Höhenstationen ebenso wie zu den Besatzungen der spätrömischen Kastelle am Rhein.

Abbildung 7. Verbreitungskarte der spätrömischen Militärgürtelbeschläge des 4. und 5. Jhs. östlich des Rheins und nördlich der Donau (nach Böhme 1996a, 98 Karte Abb. 73).

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Abbildung 8. Ausbreitung der Besiedlung in Südwestdeutschland: Verbreitung der Dreilagenkämme mit kreissegmentförmiger Griffplatte (1) und dreieckiger Griffplatte (2) (nach Schach-Dörges 1994, Abb. 7 und 17).

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Die Kartierungen von Beschlägen der Kriegergürtel und von Frauenschmuck zeigen, daß sich zwei Hauptbereiche abheben: die norddeutschen Gebiete bis zur unteren Elbe sind die Herkunftsräume der Germanen, die sich dem nordgallischen Raum, dem späteren fränkischen Gebiet zuwenden, wo die Männer Söldnerdienste leisten, während die Räume östlich der unteren Elbe, von Holstein und Mecklenburg/Vorpommern über Thüringen und Sachsen, in ganzer Breite die Herkunftsräume bilden für die Germanen, die in den Südwesten strebten.

4.4.5 Kämme Ein anderer Zugang zur Herkunftsfrage führt über Kämme als Hinweis auf eine Siedlungsbewegung nach Südwesten. Anhand germanischer einreihiger Dreilagenkämme aus Knochen konnte jüngst Helga Schach-Dörges aufzeigen, wie sich germanische Siedler im 3. bis 5. Jh. nach Südwestdeutschland vorgeschoben haben (Abb. 8). Üblich im gesamten elbgermanischen Gebiet, gefunden in Männer- und Frauengräbern, lassen sie sich nach ihren Formen und Ziermotiven in verschiedene Gruppen gliedern. Dreilagenkämme mit kreissegmentförmigem Griff wurden in der Nähe des obergermanisch-rätischen Limes gefunden; die Stücke der Motivgruppe Β der Verzierung sind vor allem im Mittel-Elbe-Saale-Gebiet verbreitet, und sie gehören „mehrheitlich in die 2. Hälfte des 3. Jhs. oder spätestens ins frühe 4. Jh. (Stufe C 2)". Die Fundstellen sind in der Regel römische Siedlungsplätze, die von Alemannen aufgesucht wurden, als die römische Limeslinie schon hinter Rhein und Donau zurückgenommen war und die Agri decumates offen lagen. Zwar werden derartige Kämme auch in Mitteldeutschland noch länger verwendet, in Süddeutschland aber charakterisieren sie anscheinend frühe Zuwanderer, „denn in der zweiten Hälfte des 3. Jh. dürften sich in Südwestdeutschland noch kaum Kammacherwerkstätten etabliert haben"112, was jedoch nur als eine Deutungsmöglichkeit zu betrachten ist; denn im 4. Jh. sind sogar Kammacher bzw. Germanen, die auch Kämme herstellten, in einer römischen Rheinwarte bei Rheinau nachgewiesen113. Die jüngeren Dreilagenkämme mit dreieckiger Griffplatte haben sich mit ihrer Verbreitung weiter in das Gebiet der Agri decumates, in das Rhein-NeckarMündungsgebiet und in den Breisgau vorgeschoben. Sie sind häufiger nachgewiesen (46 Exemplare von 28 Fundplätzen gegenüber 11 Stück der älteren Ausführung) und finden sich selten in römischem Kontext. Datiert werden sie von der fortgeschrittenen ersten Hälfte bis in die Mitte des 4. (die Stufe C 3) und 111

112

in3

Schach-Dörges 1994 mit den Karten Abb. 7 und 17. Schach-Dörges 1994: 675. Das ist eine These, die man nicht akzeptieren muß, da auch Fibeln ö und anderes im Süden wie im Norden hergestellt wurden. Vogt 1968: 644f. mit Taf. I.

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auch in die zweite Hälfte des 4. und in die erste Hälfte des 5. Jhs. (Stufe D) und weiter bis in die zweite Hälfte des 5. Jhs. Betrachtet man die Gesamtverbreitung dieser Kämme der Typen I und Π nach S. Thomas114, so zeigt sich, daß derartige Kämme mit halbrunder Platte (Typ I) in der gesamten Germania östlich der Elbe, auch auf den dänischen Inseln vorkommen, mit Schwerpunkten der Verbreitung im Elbe-Saale-Gebiet und in Böhmen (Typ I), der jüngere dreieckige Typ II dann mit den alten Schwerpunkten, verstärkt aber im Rhein-Main-Neckargebiet, auch westlich der Niederelbe in Niedersachsen, und zieht man die Kartierungen Böhmes hinzu, auch in Nordostgallien und in England. Für die Antwort auf die Frage nach der Herkunft der späteren Alemannen gewinnt man daher nicht sehr viel. Die Kartierungen beschreiben lediglich ein schrittweises Vordringen in den südwestdeutschen Raum, sofern die Datierungen als ein Nacheinander aufgefaßt werden dürfen, also am ehesten die Ausweitung eines Siedlungs- und Kulturraumes. Generell ist die Tendenz zu beobachten, daß von der Forschung im Süden gern frühe Zeitansätze bevorzugt werden, um eine Parallelität mit der schriftlichen Uberlieferung zu bekommen, während im Norden gegenwärtig - auch dendrochronologisch gestützt - spätere Datierungsansätze notwendig werden115. Abwanderungen bzw. Siedlungsausdünnungen lassen sich daher im Elbegebiet erst seit der Mitte des 4. Jhs. in Ansätzen belegen, das heißt mindestens 100 Jahre nach dem sogenannten Limesfall und der ersten Erwähnung der Alemannen. Dies entspricht der Teilung in die erwähnten zwei Phasen der Ethnogenese: Während der Frühphase weichen die Heerhaufen immer wieder in die rückwärtigen Gebiete aus, während die Landnahme erst mit der zweiten Phase einsetzt. Daß bei sorgfältiger Analyse deutlich mehr frühalemannische Fundstellen im Südwesten registriert werden können, hat Helga Schach-Dörges in einer weiteren Arbeit gezeigt, mit über 70 Fundnummern im mittleren Neckarraum , im übrigen nicht ethnisch, sondern chronologisch zu verstehen117.

4.4.6. Formen: Keramik Keramik als zerbrechliches Gut wird am liebsten dazu herangezogen, Wanderrichtungen archäologisch nachzuweisen, da Töpfe kaum über große Entfernungen transportiert, sondern am neuen Siedlungsort nach alter Tradition gefertigt 114

115 116

Thomas 1960 mit den Karten 5 (S. 95) und 7 (S. 103) und Böhme 1974: 122-126 und Karte Abb. 48. Leube 1995: 10. C 1 - bis 250/60 3 Fund-Nr.; C 2 250/260-300 14 Fund-Nr.; C 3 300-375 9 Fund-Nr.; D 375 bis erste Hälfte des 5. Jhs. 16 Fund-Nr. Luik & Schach-Dörges 1993; dazu die ältere Arbeit Schach-Dörges 1981; außerdem Planck 1990 sowie Fingerlin 1990.

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wurden. Die Problematik der Karteninterpretation von Fernbeziehungen wird deutlich, wenn man die Verbreitungskarte sogenannter langobardischer Keramik vom Niederelbegebiet bis nach Norditalien, vom 3. bis 6. Jh. betrachtet, die Joachim Werner vor Jahren vorgelegt hat und die immer wieder abgedruckt wird118. Dabei geht es nur um Keramik und ihre Verzierungsstile. Der klassische Weg der Langobarden, wie die Quellen ihn überliefern, führt von der Niederelbe über Böhmen und die Slowakei nach Pannonien. Die zur Kartierung gewählte Keramik weist ebenso den Weg über das Saalegebiet ins Rhein-Main-Mündungsgebiet, aber auch nach Südwestdeutschland, eine Aufzweigung der Fernwegbeziehungen, die im späten 5. und 6. Jh. noch deutlicher wird und dann bei der Genese der Bajuwaren wieder eine Rolle spielt. Die Keramik vom Typ Friedenhain-Prest'ovice, grob datiert ins 5. und in die erste Hälfte des 6. Jhs., mit den Formen der schrägkannelierten bzw. der ovalfacettierten Keramik, markiert Beziehungen zwischen dem Elbelauf, dem Saalegebiet einerseits mit Böhmen und der Slowakei und andererseits mit dem Donauraum um Regensburg und drittens den Main abwärts mit dem Rhein und Südwestdeutschland (Abb. 9)119. Vage ist die Definition dieser Keramikgruppen, ebenso unbefriedigend ist die Gesamterfassung; denn Keramik mit schrägen Kanneluren gibt es auch in Südwestdeutschland und am Oberrhein. Keramische Stile der Zeit werden kartiert, Fernbeziehungen (welcher Art?), aber nicht unbedingt Besiedlungs- oder gar Wandervorgänge. Für die Alemannen-Ausstellung des Jahres 1997 hat Helga Schach-Dörges mit ihrer profunden Kenntnis des Materials in Nord- und in Südwestdeutschland die Vergleichsfunde des späten 3., 4. und 5. Jhs. zusammengestellt120. Gerade auch im Vergleich der freihandgeformten Keramik, meist Schalen mit spezieller Verzierung, lassen sich Funde des späten 3. und 4./5. Jhs. in Süddeutschland mit Funden aus Gräbern in Mitteldeutschland, aber auch in Mecklenburg und auch in Böhmen vergleichen (Abb. 10). Die Vorkommen von Keramik von Friedenhain-Prest'ovice in Lagern des spätrömischen Donaulimes und in Siedlungen nördlich der Donau hat E. Keller vor dem Hintergrund der Schriftüberlieferung ausgewertet121. Diese Keramik, und zwar „handgemachte Schalen, die schräge Körperriefen, linsenförmige Dellen sowie Ritz-, Furchen- und Keilstichdekor tragen..."122, verbindet durch Verbreitungsmuster Böhmen mit Bayern und weiter mit Mitteldeutschland, läßt sich schwerpunktmäßig in das 5. Jh. datieren und dient zur Erklärung, daß elbgermanisch-alemannische Söldner in der spätrömischen Militärorganisation in118 119 120

122

Leube 1983: 585 Karte Abb. 184, nach Werner 1962: Abb. 4. T. Springer 1985 mit den Karten 3 und 4; ders., 1994 Karte Abb. 20. Schach-Dörges 1997: 83f. und Abb. 65. E. Keller 1986; vgl. auch Vogt 1968: Abb. 2, 5 und 6. E. Keller 1986: 576.

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tegriert waren, zumindest bis 476, bis zum Ende der Weströmischen Reichs. E. Keller hatte dies schon bei der Auswertung des Gräberfeldes von Neuburg a.d. Donau formuliert, als es ihm gelang, drei Zonen auf dem Gräberfeld, zugleich drei Zeitphasen, zu unterscheiden, wobei die erste Zone 330-360, die zweite 360390 von elbgermanisch-alemannischen Söldnern belegt wurde, ehe dann in der dritten Phase ostgermanische Einheiten erschienen123.

Abbildung 9. Verbreitung der Keramik mit schrägen Kanneluren und ovalen Facetten (nach T. Springer 1985 mit Ergänzungen).

123

E. Keller 1979; 1986: 577.

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Derartige Keramik gibt es aber überall auch im Westen des alemannischen Siedlungsgebietes, z.B. auch in mehreren Siedlungen und Befestigungen im Breisgau, auf der alemannischen Höhensiedlung Zähringer Burgberg, in den spätrömischen Kastellen auf dem Breisacher Münsterberg und bei der Burg Sponeck am Kaiserstuhl, in den Siedlungen Mengen - hier auch in den Gräbern 1 und 2 - , Vörstetten, Breisach-Kinkelrain und Jechtingen124. Helga SchachDörges parallelisiert Keramikgefäße aus dem Gräberfeld von Wechmar, Kr. Gotha, mit Gefäßen von Karben-Rendel, Wetteraukreis, und Bietigheim, Kr. Ludwigsburg, Benningen, Kr. Ludwigsburg und Kirchheim u.T., Kr. Esslingen, auch ein Gefäß von Kirchheim u.T., Kr. Esslingen, mit Gefäßen von Merseburg und auch von Warlitz, Kr. Hagenow. Die Verknüpfungen von Fundstücken aus Mecklenburg und zugleich auch aus dem mitteldeutschen Gebiet mit Südwestdeutschland sind vielfältig. Zu Schalenurnen aus dem Mecklenburger Gräberfeld von Pritzier, Kr. Hagenow, gibt es Parallelen in Heidenheim-Großkuchen, Sontheim im Stubental, Kr. Heidenheim, in Mengen, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald, in Günzburg an der Donau (Abb. 10). Wie beim Metallschmuck lassen sich Beziehungen zwischen Mitteldeutschland sowie Mecklenburg und Süddeutschland aufzeigen.

4.4.7. Künstliche Schädeldeformationen Noch einige weitere Einflüsse, nicht aus dem Nordosten, sondern aus anderen Richtungen, seien kurz erwähnt. Die Mode der künstlichen Schädeldeformation der Mitte und zweiten Hälfte des 5. Jhs. kommt aus dem Osten und im Zuge der hunnischen Westwirkung über die Slowakei und Böhmen auch ins thüringische Saalegebiet, aber ebenso nach Bayern um Regensburg und nach Alemannien sowie dann weiter nach Burgund . Doch muß beachtet werden, daß diese Mode überwiegend für Frauen galt, wobei der Schädel von Mädchen im Kleinstkindalter verformt werden mußte. Die Ausbreitung dieser Mode wird zwar mit der kriegerischen Expansion der Hunnen nach Westen gleichgesetzt, geht aber keineswegs von den Kriegerscharen selbst aus.

124

125

Bücker 1992: Abb. 124; dies. 1994a, Abb. 13 (Siedlungsfunde), Abb. 14 (Grab 1), Abb. 16 (Grab 1), Abb. 17 (Grab 2); dies. 1994b, u.a. Taf. 4, 24-27; Swoboda 1986, z.B. Taf. 29, 156-164 oder Taf. 34, 157ff.; Fingerlin 1990: Abb. 10 (Mengen), Abb. 11 (Breisach „Kinkelrain"), Abb. 12 (Jechtingen), Abb. 20 (Mengen Grab 1), Fingerlin 1997: 103 (Breisacher Münsterberg). U. Koch 1993: 16 Karte; Schröter 1988: 262 Karte Abb. 177.

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10 Abbildung 10. Keramik der frühalemannischen Zeit aus Südwestdeutschland und Mecklenburg im Vergleich. 14 Pritzier (nach Schach-Dörges 1997: 83 Abb. 65), 5-10 Mengen, Kr. BreisgauHochschwarzwald (nach Bücker 1994a: Abb. 13,1-6).

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Die Ausbreitung derartiger Modeerscheinungen bei Frauen kann auch anders gedeutet werden, zum einen als Einheirat über größere Entfernungen hinweg , zum anderen als Hinweis auf Frauenraub nach kriegerischen Ereignissen. Jedenfalls ist es auffällig, daß gewissermaßen in Gegenrichtung von der ungarischen Tiefebene ausgehend einerseits über die Slowakei und Böhmen das thüringische Gebiet erreicht wird und andererseits die Donau aufwärts das alemannische Gebiet und schließlich der burgundische Raum. P. Schröter weist im übrigen darauf hin, daß die Hunnen im anthropologischen Quellenstoff bisher nicht faßbar werden127. Daher ist davon auszugehen, daß die Hunnen keine „ethnische oder gar rassische Einheit darstellten". Wie durch Heiratsbeziehungen Frauen mit verformtem Schädel in der Epoche von ca. 400 bis 550 die meisten Gebiete der frühen merowingischen Reihengräberzivilisation erreicht haben können, so konnten auf gleiche Weise Schmuckgegenstände der Tracht eine derartige Ausbreitung erfahren. Das gleiche wie die Schädeldeformation könnte die Verbreitung der Kämme mit Grifferweiterung aus der Zeit bald nach 400 aussagen. Hier werden ostgermanische Bezüge bis ins Saalegebiet einerseits und ins Rhein-Main-NeckarGebiet andererseits faßbar128. Auf der Höhenstation in der Main-Schleife bei Urphar wurden Schnallen ostgermanischer Prägung produziert, die ebenfalls eine Fernbeziehung durch die elbgermanische Nord-Süd-Zone hindurch von Osten her belegt129.

5. Überlagerungen von Fernbeziehungen Als Zusammenschau der zahlreichen Kartenbilder zeichnet sich ab, daß sich im Zuge der anfangs geschilderten Verkehrsbahnen Fernbeziehungen in verschiedene Richtungen aufgebaut haben. Die Uberlagerung von Nord-Süd bzw. OstWest verlaufenden Fernbeziehungen auf alten Verkehrsbahnen findet ihre Ergänzung in den Verbreitungsmustern von Fibeln und anderem Metallschmuck in Norddeutschland. Denn die archäologische Forschungslage beschreibt für das Elbe-Oder-Gebiet selbst ein kompliziertes Wechselspiel der Einflußrichtungen130. Einige Bemerkungen zur notwendigen archäologischen Quellenkritik seien eingeschoben. Der Blick auf die Karte der Besiedlung bzw. der Funddichte sowie der Vergleich der Grab- und Beigabensitten zeigen, daß es - schon aus stati126 127 128 129

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Schröter 1988: 265. Schröter 1988: 263. U. Koch 1993: Karte S. 19. Wamser 1982: 156-157 und 27 mit Abb. 16; Steuer 1994a: 135 Fig. 8. Der Deutung als östlichem Einfluß steht die Interpretation gegenüber, daß hier vom Westen, vom Rhein her burgundische Föderaten nach Osten ins germanische Gebiet vorgeschoben eingesetzt wurden. Leube 1995.

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stischen Gründen - nicht verwundert, wenn Fibeln, wie sie auch in Süddeutschland vorkommen, ihre Parallelen in Westmecklenburg haben, da dort bei weitem mehr Fundkomplexe, ganze Gräberfelder untersucht bzw. publiziert worden sind131. Ich erinnere an meine Ausführungen zur Bedeutung der Verkehrszonen: Verbreitungskalten von Fibeln und von Keramik können nämlich leicht in doppelter Weise gedeutet werden. Fibelformen, so bestimmte Typen der sogenannten Bügelknopffibeln, im nördlichen Ausgangsgebiet vermischt verbreitet, trennen sich im Süden in westliche und östliche Fundhäufungen. Spiegeln sich darin verschiedene Beziehungen, z.B. Züge bestimmter Gefolgschaftsherren, die nicht nur Waffen, sondern auch spezielle Fibeln produzieren ließen und an ihre Leute verteilten? Von den Waffenopfern in den jütländischen Mooren ausgehend hat man an „übergeordnete Machtkämpfe zwischen Regionen" gedacht, an denen große Kriegergefolgschaften beteiligt waren132. Germanien ist allgemein in Bewegung. A. Leube skizziert im Ablauf des Siedlungsgeschehens Südbewegungen von Angeln nach Mecklenburg, von Mecklenburg ins Havelgebiet, im 5. Jh. auch Einflußrichtungen nach Osten von Mitteldeutschland/Thüringen in das Havelgebiet und von der Elbe hinüber nach Pommern 133 . Dabei zeichnet sich jedoch ab, daß Holstein und Westmecklenburg kulturell eng mit den westlich anschließenden Gebieten Niedersachsens zusammenhängen. H.-U. Voß weist nachdrücklich auf die sich überlagernden Fernbeziehungen aus Westmecklenburg hin und betont, daß die „kulturellen Trends bzw. .Stoßrichtungen'- nach Böhmen und Mähren (Langobarden), nach Südwestdeutschland (Alemannen) sich überlagern"134, wozu die Westbeziehungen gehören, die A. Leube mehrfach herausstreicht . Man braucht nur die Kartierung des Brauchs im 5. und frühen 6. Jh., bei Bestattungen den Toten bzw. den Pferden Reitzeug, meist Trensen, mit ins Grab zu legen, zu betrachten. Er markiert ebenfalls die Verkehrsbahnen von Thüringen nach Südwesten und vor allem Südosten, nach Böhmen und Mähren, wobei die Formulierung hier eine Ausbreitungsrichtung angibt, die nicht gegeben sein muß, vielmehr könnte ein Raum beschrieben werden, in dem sich insgesamt diese Sitte durchgesetzt hatte136.

131

132 133 134 135 136

Zur Besiedlungsgeschichte Mecklenburgs Schach-Dörges 1969 und jetzt Voß 1994b mit den zeitlich aufgeschlüsselten Fundstellenkarten Stufe C 1 bis Ε in Abb. 1-4 und Abb. 7; auch Leube 1995: 4 Karte Abb. 1. Leube 1995: 7 nach Ilkjaer 1990: 337. Leube 1995 (Π), 276: bei Fibeln und Keramikformen. Voß 1993: 175. Leube 1995: 18. Arnold 1991: 46 Karte Abb. 30 nach J. Oexle.

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Es sei auf die Kartierungen hingewiesen, die mit umgekehrter Blickrichtung interpretiert werden sollten: Noch im 4./5. Jh. waren die germanischen Krieger im wesentlichen ebenso ausgerüstet wie das römische Militär, da diese Germanen in vielfacher Weise zeitweilig in das römische Heer integriert waren. Die Verbreitung von Beschlägen der Militärgürtel, nach römischem Vorbild auch in germanischer Umgebung hergestellt, deckt denn auch den gesamten germanischen Raum ab, was einerseits - so Böhme - die Rekrutierungsräume bzw. die Rückkehr- und Heimatgebiete von germanischen Söldnern im römischen Dienst beschreibt und andererseits aber - so meine ich wegen der eigenen Produktion von derartigen Metallbeschlägen - auch die Romanisierung der Landschaften Germaniens im weiten Vorfeld des Limes. Das Durchgangsgebiet Mitteldeutschland, das Elbe-Saale-Gebiet, Siedlungsraum der Thüringer, wechselt seine Rolle. Während anscheinend im 3. bis 5. Jh. von Norden über diesen Raum die Beziehungen in den Südwesten laufen, verschiebt sich schon in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. diese Achse nach Norden, in das Rhein-Main-Mündungsgebiet und weiter nach Gallien. Die Kartierung des Brauchs, Grabhügel anzulegen137 - zweite Hälfte 5. und erstes Viertel 6. Jh. - , zeigt dies vor der Zerstörung des Thüringerreichs (531/534), zur Zeit des Childerich, und die Kartierung der sogenannten thüringischen Kleinfibeln der folgenden Jahrzehnte - letztes Drittel des 5. und erstes Drittel des 6. Jhs.138 betonen diese Nordverlagerung der Achse Mitteldeutschland-Westen. Archäologen interpretieren dies z.B. so: Die „regelhaft verlaufende Aufsiedlung Rheinhessens und der Pfalz, Südhessens und Nordbadens lassen die planende Hand des Staatswesens mit dem fränkischen König an der Spitze" erkennen139, die nach dem Sieg über die Thüringer eingreift. Diese Ausweitung thüringischer Fibelverbreitung als Siedlungsniederschlag spiegeln auch die sogenannten thüringischen Zangenfibeln (des frühen 6. Jhs.) im Rheinland, in Gallien, in Südwestdeutschland und auch in Böhmen, die aber zugleich auch nach Nordosten, nach Brandenburg kommen und „eine auffallend intensive Bindung des Berliner Gebietes und des Havelraumes zum SaaleUnstrut-Kreis" belegen140.

6. Methodische Aspekte: Verkehrsräume und Funddichten Fundverbreitungen spalten sich auf in südwestliche Verbreitungen, dann werden sie als Niederschlag der Alemannen verstanden, und in eine südöstliche Verbreitung, dann werden sie für die Langobarden beansprucht. Ein gutes Bei137 138 139 140

Koch & Wieczorek 1996: Karte S. 34. Koch & Wieczorek 1996: Karte S. 35; Wieczorek 346-357 und Karten Abb. 284 und 289. Koch & Wieczorek 1994: 34. Schmidt 1983: 537 Karte Abb. 166; Leube 1995: 30f. Abb. 25.

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spiel sind die Keramikgefäße vom Typ Friedenhain-Prest'ovice (ebenfalls in Südwesten verbreitet, was auf den älteren Karten noch nicht erfaßt ist). In einem als elbgermanisch bezeichneten Kulturkreis gleichartigen zivilisatorischen Zuschnitts, der sich nach Südwesten ausdehnt, bewegen sich losgelöst aus alten ethnischen Bindungen die neuen Kriegerverbände, die nur(!) im Südwesten als Alemannen in Erscheinung treten. Deutlich wird das Problem, ob die Fragestellung richtig ist und tatsächlich mit den Kartenbildern ethnische Einheiten erfaßt werden oder nicht eher Bewegungen von Personenverbänden, Adelscliquen und ihrer Gefolgschaft, deren ranghohe Häupter sich wechselnd orientieren konnten. Nach dem Sieg Chlodwigs 497 bei Zülpich haben sich zahlreiche alemannische Adelsfamilien arrangiert, blieben an ihren alten Wohnorten und wurden über die neue Gefolgschaftsbeziehung zu Anhängern der Merowinger, zu Franken, so daß über die Verbreitung der durch sie produzierten Metallformen, Waffen und Schmuck, derartige Beziehungen und nicht etwa ethnische, völkische, wesenhaft stammesimmanente Muster erfaßt werden. Alemannen können auch zu Goten werden, wenn sie sich am gotischen Königshof Theoderich anschließen. Die historischen und die archäologischen Quellen beantworten Fragestellungen in verschiedenen Seinsbereichen, die Antworten sind nicht deckungsgleich. Die Folge dieser wechselnden Zuordnungen von Personenverbänden wird gern als polyethnische Zusammensetzung von politisch-militärischen Einheiten bezeichnet. Archäologische Fibel- und Keramikverbreitungen zeigen etwas anderes als derartige Machtbeziehungen und persönliche Abhängigkeiten. Was sagen also die Karten? Sind Fibeln und Keramik überhaupt in dieser Hinsicht zu deuten oder erläutern sie einen ganz anderen Zusammenhang, eine zeitgleiche Mode und zeitgleiche gleichartige wirtschaftliche Strukturen, die sich über Verkehrsund Handelsverbindungen fassen lassen, aber weniger personale Verbindungen schildern. Andererseits haben die sorgfältigen typologischen Analysen der Fibeln, seien es Elbe-Fibeln oder Bügelknopffibeln, gezeigt, daß bei nur geringen Formunterschieden deutlich unterschiedliche Verbreitungsbilder entstehen141. Dies läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß Fibeln wie auch Waffen in zentralen Werkstätten unter der Regie von Gefolgschaftsführern bzw. Häuptern von Familienverbänden produziert wurden. Im Rahmen dieser Verbände blieben die Fibeln, Waffen, auch Keramik; sie wurden nicht einfach verhandelt, sondern bewegten sich mit den Personenverbänden. Diese wiederum konnten in unterschiedliche Richtungen wandern. Heiratsverbindungen haben das im übrigen klare Bild etwas verunklart und erklären auch die Fernverbindungen bzw. die einzelnen verstreuten Verbreitungen von Fibeln.

141

Schulze-Dörrlamm 1986: 594.

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Die ausgewanderten Familienclans sind vielleicht im Südwesten durch die Namenverbindung mit -ingen faßbar geworden, während fränkische und thüringische Siedlungsbewegungen andere Namengebungen mit sich brachten. Wenn es sich um Grabfunde handelt, zumeist aus größeren Gräberfeldern, oder um Funde aus Siedlungen, dann spiegeln sie Besiedlungsmuster, das heißt das Ergebnis von fest ansässiger Bevölkerung oder von Beziehungen zwischen Siedlungsgebieten. Wir gehen davon aus, daß damit auch Bevölkerungsverschiebungen, gar Wanderungen faßbar werden. Doch sollten wir uns vergegenwärtigen, daß wir immer nur einen abgeschlossenen Prozeß erfassen. Während der Wanderzeit oder auch der Bevölkerungsverschiebung oder der Akkulturation benachbarter Bevölkerung können sich die kulturellen Gegebenheiten gewandelt haben und stimmen nur in Teilen mit der Ausgangssituation überein. Neben den Funden müssen die kulturellen Verhältnisse insgesamt, die Grabsitten oder Siedlungsweisen verglichen werden. Da handelt es sich in Mecklenburg fast ausschließlich um Brandgräber (Urnengräber, Brandgruben- und Brandschüttungsgräber), wie sie im Südwesten kaum erfaßt werden. Erst mit der frühen Völkerwanderungszeit mehren sich Körpergräber, wie sie dann auch im Süden erscheinen, wobei die Einflußrichtung - die Herkunft dieser Grabsitte - diskutiert werden müßte142: Wirkt der Norden auf den Süden oder umgekehrt?

7. Entvölkerung der Ausgangsgebiete Dem Modell der Ausweitung des elbgermanischen Kultur- und Formenkreises, innerhalb dessen sich Gefolgschaftsverbände bewegten und im Süden Krieg führten und Land nahmen, ist das Modell der Auswanderung der Bewohner gegenüber zu stellen. Dies müßte sich entweder als Ventil einer Übervölkerung oder als Abbruch der Siedlungen und der Gräberfelder spiegeln, was A. Leube für Mecklenburg jüngst untersucht und zusammenfassend erörtert hat. Die Entsiedlung bis zum Eindringen der Slawen erfolgt in mehreren Etappen, wobei im 3. Jh. noch kaum eine Siedlungsausdünnung zu registrieren ist und der endgültige Abbruch schließlich spät, in der ersten Hälfte des 6. Jhs. erfolgt. Viele Siedlungen bestanden bis in die Mitte bzw. zweiten Hälfte des 5. Jhs. weiter143. 142

Voß 1991a: Karten Abb. 1 - 3. Leube 1995: 3: Die Formulierungen sind widersprüchlich; heißt es in der Zusammenfassung, daß eine letzte Abwanderung erst in der ersten Hälfte des 6. Jhs. nachweisbar sei, so wird zu Beginn des Textes davon gesprochen, daß erst im Zeitraum von der ersten Hälfte des 4. bis zur Mitte des 5. Jhs. n. Chr. das Gebiet östlich der Elbe als Siedlungsland weitgehend aufgegeben würde. S. 24: Der Abbruch im westlichen Mecklenburg erfolgte erst in der ersten Hälfte bis Mitte 6. Jh. Im übrigen zeigen die Tabellen 1-5, daß in der Regel Besiedlung bis ins 6. Jh. nachgewiesen ist.

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Es gibt zu denken, daß dieser markante Einschnitt um 500 mit einer Umstrukturierung des Besiedlungsmusters im Südwesten zusammenfällt. Ein punktuelles politisches Ereignis wie die Schlacht 497 bei Zülpich, die außerdem in ihrem Stellenwert noch recht umstritten ist, wird kaum derartige Auswirkungen für ganz Nord-, Mittel- und Süddeutschland gehabt haben, die zu neuen Siedlungsmustern geführt hätten: Die großräumigen bevölkerungspolitischen Wandlungen, getragen immer wieder von Gefolgschaftsverbänden als Eliteorganisationen, gilt es zu verfolgen, weniger marginale militärische Ereignisse, wie sie sich während der Völkerwanderungszeit ständig ereigneten. Schließlich sollte, vom theoretischen Ansatz her, berücksichtigt werden, daß - wie mehrfach betont - Kriegerverbände, losgelöst aus den alten Stammesbeziehungen, zur Konstituierung der Alemannen führten. Dann braucht für das Herkunftsgebiet in keiner Weise von einem Bevölkerungsabzug gesprochen zu werden. Die Abwanderung und Ansiedlung von Bevölkerungsgruppen sind andere Vorgänge als das Vordringen und Festsetzen von Kriegerverbänden. Ändert sich das Modell vom wandernden Stamm zum Vordringen von Kriegerverbänden, dann fordert das auch neue Überlegungen zu den Verhältnissen in der Germania.

8. Ein neues Bild zur Herkunft der Alemannen Woher kommen also die Leute, die zur Ethnogenese der Alemannen mehrheitlich beitragen bzw. woher kommen sie in der Mehrheit nicht? Sie kommen nicht aus den Gebieten, aus denen mehrheitlich Sachsen und Angeln, Franken und Burgunder oder Goten kommen. Alemannen können aus der gesamten Zone zwischen Elbe und Oder kommen, vom östlichen Holstein, von der Ostseeküste bis nach Böhmen144. Das Havelgebiet, wo die Semnonen lokalisiert werden, ist eigentlich recht wenig archäologisch belegt als Hintergrund für die Landnahme145. Aus diesem gesamten Gebiet ziehen aber anscheinend auch Leute nach Westen, und zwar aus Mitteldeutschland (Haßleben-Leuna) schon im 3. Jh. in das gallische Sonderreich, in das Gebiet der späteren Rheinfranken, und im 4./5. Jh. aus Westmecklenburg. Der Abzug endet erst nach einer germanischen Entvölkerung im 6. Jh., auf die später die slawische Aufsiedlung dieses Gebietes folgt. Bis dahin leben Leute gleichen Verhaltens - auch im Totenkult - und gleicher Ausrüstung im gesamten Elbegebiet, von Mecklenburg über Mitteldeutschland bis Böhmen, und in Südwestdeutschland. Die Anführer, reges der Aleman144

H. Keller 1993: 94. Leube 1995: 25: Das hängt aber in erster Linie an der sich wandelnden Beigabensitte. Da Fibeln nicht mehr beigegeben werden, lassen sich die Gräber nicht mehr genau genug datieren.

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nen, kommen also von überall her aus den Gebieten hinter den Sachsen und Franken. Im Süden heißen sie Alemannen, die Namen im Norden und Osten sind nicht überliefert. Es waren einmal Semnonen und andere, zusammengeschlossen im Stammesbund der Sueben. Als im 6. Jh. die germanische Bevölkerung die Landschaften östlich der Elbe und Saale verlassen hatte, waren dort nun alle Traditionskerne der Sueben verschwunden, aber nicht vergessen. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß später in Alemannien die Sueben-Tradition wieder aufgegriffen werden konnte. Denn in Thüringen gab es die neue Tradition des Thüringerstammes, der von den Franken der Merowinger beherrscht wurde146. Ich habe versucht, das Problem zu verdeutlichen, ob überhaupt die Fragestellung richtig ist und tatsächlich mit Fundkartierungen ethnische Einheiten oder Bewegungen von Personenverbänden, von Adelscliquen und ihrer Gefolgschaft, deren ranghohe Häupter sich wechselnd orientieren konnten, erfaßt werden oder ob die Karten nicht vielmehr kulturell-zivilisatorisch gleichartige Räume beschreiben. Denn mit vorgefaßter Meinung sieht der Archäologe in derartigen Kartenbildern Bewegungen, Ausbreitungsrichtungen und damit Wanderungen, wo eigentlich nur Zustände beschrieben werden. Für die Frühgeschichte der Alemannen bedeutet dies nämlich, daß aus der Zeit der Zuwanderung im 3. Jh. anhand der minimalen Fundzahlen keine Aussage gewonnen werden kann und daß erst scheinbare Zuwanderungen im 4. und 5. Jh. unter Umständen Endzustände von Bevölkerungsbewegungen, Ergebnisse von Besiedlungsveränderungen markieren. In einem als elbgermanisch bezeichneten Kulturkreis gleichartigen zivilisatorischen Zuschnitts, der sich nach Südwesten und Südosten ausdehnt, bewegen sich losgelöst aus alten ethnischen Bindungen oberhalb der alten Stämme die neuen Kriegerverbände, die nur(!) im Südwesten als Alemannen in Erscheinung treten. Aus den Stämmen mit alten Namen lösen sich die kriegerischen Jungmannschaften, Gefolgschaften unter einem tüchtigen Anführer. Aus mehreren derartigen Banden oder Heerhaufen aus verschiedenen alten Stämmen wird eine neue Einheit mit eigener Tradition, ein neuer Stamm: die Alemannen. Die „Karten" werden gewissermaßen neu gemischt. Die Frage nach der Herkunft der späteren Alemannen ist somit zwiespältig zu beantworten. Alemannen kommen nicht irgendwo her, der Verband entsteht in der Auseinandersetzung mit Rom im Südwesten. Die Krieger der Heere, die zu Alemannen werden, kommen überall her aus der Germania, weniger aus den Gebieten Norddeutschlands bis zur Elbe, von wo sich die Franken ergänzten, sondern mehr aus dem Raum Mecklenburg bis Böhmen, aus dem Elbegebiet. Aber eigentlich ist die Herkunft unwichtig, es zählt nur die Macht des neuen Stammesverbandes. 146

Leube 1995: 45ff. mit Abb. 38 mit Lit. diskutiert die Umsiedlung einer suebischen Restbevölkerung, der Nordschwaben, 567 aus dem Havelgebiet in das Gebiet nördlich des Harzes.

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Die Höhensiedlungen der Alemannen und ihre Deutungsmöglichkeiten zwischen Fürstensitz, Heerlager, Rückzugsraum und Kultplatz V O N MICHAEL HOEPER

1. Forschvingsstand Vor mehr als 30 Jahren machte Joachim Werner, angeregt durch einen Aufsatz Heinrich Dannenbauers, erstmals auf die Quellengattung der germanischen Höhensiedlungen aufmerksam1. Er stellte etwa 12 Plätze zusammen, die er als ständige Wohnsitze der bei Ammianus Marcellinus genannten reges und ihrem zahlreichen Gefolge charakterisierte. Zudem räumte er diesen, seiner Meinimg nach befestigten, Gauburgen eine Funktion als Fliehburgen für die übrige Bevölkerung in Notzeiten ein2. Zum damaligen Zeitpunkt hatten lediglich auf dem Glauberg in Hessen neuere Ausgrabungen stattgefunden, die eine Besiedlung in dieser, schon in prähistorischer Zeit befestigten Anlage im 4. und 5. Jh. bezeugten. Bei den übrigen Plätzen ließ sich eine Besiedlung aufgrund von Lesefunden nur vermuten3. Seit dieser Zeit hat sich die Anzahl der Höhen mit Fundmaterial des 4. bis 5. Jhs. mehr als verfünffacht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lassen sich in Südwestdeutschland 62 Höhensiedlungsplätze nachweisen, die von Heiko Steuer zusammengestellt wurden4. Der Forschungstand bei diesen Plätzen ist jedoch sehr unterschiedlich. So läßt sich bei ca. 52 dieser Plätze aufgrund des geringen Fundmaterials eine Höhensiedlung nur vermuten, bei 10 Plätzen ist dagegen aufgrund größerer Fundmengen oder archäologischer Ausgrabungen eine Besiedlung als gesichert anzunehmen (Abb. I)5. Vor allem die seit Joachim Werners Aufsatz stattgefundenen kleineren und größeren Ausgrabungen auf einigen dieser Höhen wie dem Dünsberg bei Gießen, dem Glauberg in der Wetterau, dem Reißberg bei Scheßlitz (1983), der Gelben Bürg bei Dittenheim (1968), der Houbirg in Mittel1 2

3 4 5

Werner 1975. Werner 1975, 81 u. 90. - Zu Ammianus Marcellinus siehe in diesem Band den Beitrag von Th. Zotz. Werner 1975, 8 i E Steuer 1990b, Abb. 1 und Katalog 146ff. Zur Forschungsgeschichte vgl. 139ff. Diese Zahlen beziehen sich auf einen ergänzten Katalog der Höhensiedlungen (Bearbeitungsstand 1997), dem auch Abb. 1 und die Liste im Anhang zugrunde liegen.

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franken (1982), dem Runden Berg bei Urach (1967-1984), der Wettenburg bei Urphar (1985/86), dem Zähringer Burgberg bei Freiburg (1985-1991) und dem Geißkopf bei Offenburg (1994/95) haben das Wissen über die völkerwanderungszeitlichen Höhensiedlungen vermehren können6. Jedoch galten diese Untersuchungen in überwiegendem Maße nur den Befestigungsanlagen dieser zum Teil schon in prähistorischer Zeit besiedelten und befestigten Plätze. Größere archäologische Ausgrabungen im Innenbereich dieser Höhensiedlungen wurden bisher nur auf dem Runden Berg, dem Zähringer Burgberg und dem Geißkopf unternommen.

Abbildung la. Kartenentwurf der Höhensiedlungen des 4./5. Jhs. in Südwestdeutschland. - 1 Höhensiedlungen mit größeren Ausgrabungen und/oder größeren Mengen an Fundmaterial. 2 Höhensiedlungen mit vereinzelten Funden. - 3 Kastelle des spätrömischen Limes (nach Steuer & Hoeper, Stand 1997).

Vgl. dazu Steuer 1990b, Katalog 146ff., Nr. 1-7 u. 12 mit Literaturangaben. Zum Reißberg bei Scheßlitz auch Abels & Roth 1989 - Haberstroh 1993, zum Geißkopf bei Offenburg Hoeper & Steuer 1995 - Hoeper 1996a - Hoeper 1996b.

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So wurde lange Zeit die Interpretation dieser Höhensiedlungen als repräsentative Fürstensitze der Zeit des 4. und 5. Jhs. allein durch die umfangreichen Ausgrabungen auf dem Runden Berg bei Urach bestimmt. Daß dieses Bild im Sinne von Gauburg und Fürstensitz nicht auf alle Höhen mit Fundmaterial des 4./5. Jhs. übertragen werden kann, zeigt uns schon der immense Zuwachs dieser Plätze in den letzten 30 Jahren und das zum Teil dichte Vorkommen in einigen Gebieten Südwestdeutschlands. Zudem geben die neueren Entdeckungen und Ausgrabungen auf dem Zähringer Burgberg und dem Geißkopf neue Ansätze zur Besiedlungsdauer, Struktur und Deutung dieser Höhensiedlungen.

Abbildung lb. Kartenentwurf der Höhensiedlungen des 4./5. Jhs. in Südwestdeutschland. Die Fundnummern beziehen sich auf die Liste S. 343f.

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Trotz des immer noch unzureichenden Informations- und Forschungsstandes möchte ich im folgenden einige dieser Plätze betrachten, um Gemeinsamkeiten, Unterschiede und die Möglichkeiten ihrer Deutung beim gegenwärtigen Stand der Forschung darzustellen.

Abbildung 2. Runder Berg bei Urach. Verteilung der besiedelten Flächen. Gipfelplateau I, Terrassen Π und ΠΙ und das Gelände des ehemaligen Rutschenhofe (nach Bernhard, H. et al. 1991, Abb. 19).

Die Höhensiedlungen der Alemannen

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2. Der Runde Berg bei Urach - ein Fürstensitz des 4./5. Jhs.? Die umfangreichsten archäologischen Ausgrabungen fanden auf dem Runden Berg bei Urach am Nordrand der Schwäbischen Alb statt (Abb. 1, Nr. I)7. Der Berg erhebt sich ca. 250 m über die Talsohle, und seine plateauartige Bergkuppe ist durch einen nur wenige Meter breiten Grat mit der etwa 50 m höher liegenden Albhochfläche verbunden (Abb. 2). Das ca. 120 m lange und 40 m breite Bergplateau wurde bei den archäologischen Ausgrabungen in den Jahren 1967 bis 1984 vollständig untersucht. Daneben konnten auf den östlichen Terrassen des Berges, die auf natürliche Weise durch Hangrutschungen am ansonsten gleichmäßigen Hangabfall des Berges entstanden sind, mehrere kleine Sondierungsgrabungen unternommen werden. Eine weitere Siedlungsfläche liegt etwa 900 m vom Bergplateau entfernt auf der Albhochfläche beim sogenannten ehemaligen Rutschenhof. Hier deuten bisher nur Lesefunde auf eine Besiedlung hin. Das Fundmaterial der Ausgrabung konnte belegen, daß das Bergplateau von der Frühbronzezeit bis in das Mittelalter mit mehreren längerfristigen Unterbrechungen immer wieder aufgesucht und bewohnt wurde8. Die frühmittelalterliche Besiedlung beginnt im Laufe des 4. Jhs. und dauerte bis zum Beginn des 6. Jhs. an. Zu diesem Zeitpunkt führte vermutlich eine Katastrophe zu einem Ende der Besiedlung. Dies belegen Brandschutt, zahlreiche Versteckfunde mit Schmuck und Werkzeugen am Hang des Berges und beschädigte Waffen9. Eine erneute kurzfristige Anwesenheit von Bewohnern ist dann erst wieder gegen Ende des 7. Jhs. aufgrund der Funde festzustellen10. Die Ausgrabungen erbrachten neben dem umfangreichen Fundmaterial der genannten Zeitphasen auch zahlreiche in den Fels des Berges eingetiefte Pfostenlöcher, Grubenhäuser und Ofenbefunde. Eine endgültige Datierung dieser Befunde in die einzelnen Besiedlungsphasen ist jedoch aufgrund der langfristigen und intensiven Nutzung und der geringen Bodenauflage über dem gewachsenen Felsen des Berges sehr schwierig und bisher noch nicht abgeschlossen. Daher können bisher zur baulichen Struktur dieser Höhensiedlung in der uns interessierenden Zeitphase des 4. und 5. Jhs. keine gesicherten Aussagen gemacht werden11, und Betrachtungen zur Struktur der Siedlung und ihren Bewohner müs7 8

9 10 11

Siehe Bernhard et al. 1991 mit Literaturverzeichnis 201ff. Zu den vorgeschichtlichen Besiedlungsphasen siehe: Bernhard et al. 1991, 66ff. (Jutta Pauli). Pauli 1994. Bernhard et al. 1991, 85ff. (U. Koch). Bernhard et al. 1991, llOff. (U. Koch). Nach jetzigem Forschungsstand wird die Doppelpalisadenreihe, die den östlichen Bereich des Plateaus umschließt, von U. Koch in das 4./5. Jh. datiert (Bernhard et al. 1991, 86). Ein innerhalb dieser Palisadenumwehrung liegendes dreischiffiges Hallenhaus von 20 m Länge und 10 m Breite wird von ihr in die spätmerowingerzeitliche Besiedlungsphase datiert (Bernhard et al. 1991, 113f.).

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sen sich ausschließlich auf das umfangreiche Fundmaterial beziehen. So belegen zahlreiche Funde wie Waffen und Teile spätrömischer Militärgürtel für das 4. und 5. Jh. die Anwesenheit germanischer Krieger mit engen Beziehungen zum römischen Militär12. Keramikgefäße und Dinge des alltäglichen Lebens, Frauenschmuck, Spinnwirtel und Webgewichte weisen darauf hin, daß diese Krieger hier mit ihren Familien lebten. Daß es sich bei diesen Familien um eine Gruppe von herausragender sozialer Stellung handelt, ist vor allem an den zahlreichen Fragmenten kostbarer Gläser abzulesen. Insgesamt konnten durch Ursula Koch an die 120 Glasgefäße aus der großen Menge der ergrabenen Glasbruchstücke rekonstruiert werden13. Sie sind in das 4. Jh. und überwiegend in die Zeitphase des 5. Jhs. zu datieren. Aus dem 4. Jh. sind es vor allem die sogenannten Facettschliffbecher. Diese dickwandigen Gläser wurden in römischen Werkstätten vermutlich speziell für den germanischen Markt produziert und bis in den nordeuropäischen Raum verhandelt. Im 5. Jh. werden die facettschliffverzierten Glasgefäße durch dünnwandigere fadenverzierte Gläser abgelöst. Besondere Beliebtheit errangen dabei offensichtlich die fadenverzierten konischen Glasbecher. Eine Kartierung der Glasfunde zeigt, daß diese Gläser überwiegend im Bereich des östlichen Bergplateaus zu Bruch gingen, in dessen Mitte wir uns eventuell den repräsentativen Wohnsitz eines anführenden Kriegers im Range eines der von Ammianus Marcellinus genannten reges vorstellen könnten14. Ein weiteres Argument für diese Hypothese liefern uns die über das ganze Bergplateau verstreuten zerschnittenen und angeschmolzenen Bronzefragmente, Silberbarren und zahlreiche Werkzeuge. Sie belegen auf dem Berg die Anwesenheit von Feinschmieden, die Trachtbestandteile aus Bronze, Gold und Silber hergestellt haben15 - eine Erscheinung, die in diesem Ausmaß für die ländlichen Siedlungen des 4. und 5. Jhs. bisher nicht zu belegen ist16. Die Werkzeuge eines solchen Feinschmiedes zeigt unter anderem ein Depotfund, der am Hang des Berges gefunden wurde. Er stammt aus dem 5. Jh. und ist möglicherweise vor der Vernichtung der Siedlung um 500 n. Chr. hier versteckt worden17. Daneben weisen Rohmaterial und Halbfabrikate von Gagatverarbeitung und Beinschnitzerei auf weitere spezialisierte Handwerker hin18. Ein Unterschied in der Fundmaterialzusammensetzung dieser Höhensiedlung zu den ländlichen Siedlungen ist außerdem die große Anzahl römischer Fundgegenstände. Neben den eingangs erwähnten spätrömischen Militärgürteln und rö-

12 13 14 15 16

17 18

Siehe dazu die entsprechenden Funde bei Christlein 1974 - Ders. 1979 - Koch 1984a. Koch 1987 - Koch 1989 - Bernhard et al. 1991,99ff. (U. Koch). Zur Glaskartierung siehe Koch 1989,198, Abb. 4. - Koch 1987. Koch 1984a. - Dies. 1984b. Zum Handwerk auf den frühalemannischen Höhensiedlungsplätzen vgl.: Steuer 1990b, 177ff. Ders. 1994,133ff. - Ders. 1997b, 158. Bernhard et al. 1991, 108ff. (U. Koch). - Koch 1991,13ff. Bernhard et al. 1991,90ff. (U. Koch). - Koch 1992.

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331

mischen Gläsern benutzte man auf dem Runden Berg auch römische Keramikgefäße, wie die zahlreichen Fragmente scheibengedrehter römischer Terra Sigillata und Terra Nigra aus den Ausgrabungen belegen. Diesem großen Anteil römischer Importkeramik steht nur eine geringe Menge an germanischer handgeformter Keramik von ca. 10-15 % gegenüber19. Für den Runden Berg ergibt sich für das 4. und 5. Jh. insgesamt das Bild eines repräsentativen Siedlungsplatzes, dessen Bewohner sich durch kostbaren römischen Import und handwerkliche Produktionsstätten, wie vor allem das Buntmetallhandwerk, von den übrigen ländlichen Siedlungen absetzen. Als Areal eines Herrenhofes mit Wohn- und Speicherbauten diente möglicherweise das östliche Bergplateau20. Auf dem übrigen Plateau und der großen Terrasse am Hang des Berges sind weitere Wohngebäude und die Werkstätten von Feinschmieden, Beinschnitzern, Grobschmieden und Schreinern zu vermuten. Daneben deuten Lesefunde auf eine weitere großflächige Besiedlung in unmittelbarer Nähe auf der Albhochfläche hin. Inwieweit dieser, bisher nur aufgrund des Fundmateriales zu erschließende Herrenhof mit einem Fürstensitz als Wohnstätte eines der bei Ammianus Marcellinus genannten reges gleichzusetzen ist, läßt sich endgültig nicht beantworten, jedoch legen die Fragmente von Goldgriffspathen und die Menge der kostbaren Gläser eine Deutung dieses Platzes als Fürstensitz vor allem für das 5. Jh. nahe21.

3. Der Zähringer Burgberg bei Freiburg Stammesmittelpunkt und Fürstensitz? Nur wenige km nördlich von Freiburg liegt im Breisgau, am westlichen Schwarzwaldrand zur oberrheinischen Tiefebene, der Zähringer Burgberg (Abb. 1, Nr. 2). Der Berg erhebt sich etwa 200 m über die Ebene und ermöglicht bei guten Sichtverhältnissen einen Blick weit über das Rheintal bis zum Rande der Vogesen. Die zu den Schwarzwald-Randbergen zu zählende Höhe nimmt mit ihrer Kuppe eine Fläche von etwa 5 ha ein, in deren Mitte auf einem erhöhten Felsmassiv die Ruinen der mittelalterlichen Burg Zähringen stehen (Abb. 3). In den Jahren 1985 bis 1991 konnte hier eine Fläche von ca. 1500 m2 - etwa 3 % der gesamten besie19 20

21

Spors-Gröger 1997,9. Sollte sich die Datierung der Palisadenumwehning in die Zeitphase des 4./5. Jhs. bestätigen, so könnte man sich hier einen Herrenhof in der Art vergleichbarer Befunde aus Nordeuropa vorstellen. Dort konnten solche von Palisaden umgebene Herrenhöfe, die sich durch römischen Import und Buntmetallhandwerk auszeichnen, in kaiserzeitlichen Siedlungen ausgegraben werden, wie z.B. auf der Wurt Feddersen Wierde (Haarnagel 1983). Vgl. dazu Steuer 1990b, 173ff. - Ders. 1994,130. - Ders. 1996,225. Zur Problematik des gesellschaftlichen Ranges der Bewohner der Höhensiedlungen, der Deutung dieser Plätze als Fürstensitze und der möglichen Verbindung mit den historisch überlieferten Namen königlicher Heerführer siehe Steuer 1990b, 196f. - Steuer 1997b, bes. 158f.

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delbaren Fläche - untersucht werden22. Die Grabungen haben erkennen lassen, daß die Kuppe des Berges rund um die hochmittelalterliche Burg der Zähringer künstlich zu einem Plateau mit ineinander übergehenden Terrassen umgestaltet worden ist. Diese Umgestaltung, die im 4./5. Jh. erfolgte, hatte die teilweise Zerstörung und Uberdeckung von neolithischen und hallstattzeitlichen Siedlungsresten zur Folge23. Auf den so entstandenen Terrassen ließen sich durch die Grabungen jedoch noch keine eindeutigen Baustrukturen belegen, wenn auch einige Siedlungsbefunde wie Pfostenlöcher, Wandgräbchen und Gruben nachweisbar waren. Der Bau der Terrassenkonstruktionen erfolgte durch das Abbrechen von Steinmaterial in der Gipfelregion des Berges. Die Steine wurden systematisch zu mächtigen Riegeln verbaut, die sich radial um den Berggipfel anordnen. Die Zwischenräume wurden mit kleinteiligem Steinmaterial und Erde aufgefüllt. An der Terrassenkante erreichte diese mächtige Konstruktion eine Höhe von bis zu 6 Metern. Beim Bau dieser Terrassenanlage wurden nach hypothetischen Rechnungen etwa 200 000 Kubikmeter Steine gebrochen und verbaut24. Diese im Laufe des 4. Jhs. erfolgten gewaltigen Umbaumaßnahmen des Berges zur Schaffung einer ebenen Siedlungsfläche und eines repräsentativen Wohnsitzes setzen eine entsprechende Organisation und eine große Anzahl von Arbeitern voraus, die man sich nur unter der Regie eines der bei Ammianus Marcellinus genannten reges und seiner Gefolgschaft vorstellen kann. Auch das durch die Ausgrabungen und Begehungen gewonnene Fundmaterial deutet in diese Richtung. Die handgeformte germanische Gefäßkeramik vom Zähringer Burgberg weist auf Bewohner germanischer Herkunft hin, die sich außerdem mit römischen Tafelgeschirr auszustatten wußten25. Dazu kommen einige Fragmente von römischen Glasbechern, von einem germanischen Facettschliffbecher sowie einem fadenverzierten Glasbecher26. Zahlreiche Glasperlen und anderer Schmuck bezeugen die Anwesenheit von Frauen, genauso wie Spinnwirtel und Webgewichte zum weiblichen Handwerk zählen27. Waffen und spätrömische Militärgürtelteile deuten auf die militärische Funktion des Platzes hin28. Die gefundenen Werkzeuge und Geräte sowie Gußreste und Bronzeschrott belegen Buntmetallhandwerk neben Holzhandwerk und Eisenschmiede. Die Werkstattplätze dieser Handwerker auf dem Zähringer Burgberg lassen sich durch

23

24 25 26 27 28

Zur Entdeckung und den Ausgrabungen erschienen bisher folgende Vorberichte: Fingerlin 1984 - Steuer 1986, 1987, 1988, 1989, 1990a, - Hoeper u.a. 1989, 1990 - Goldenberg & Vollmer 1991 - Steuer & Vollmer 1992. Zur Datierung der Terrassenaufschüttung in die völkerwanderungszeitliche Besiedlungsphase siehe Bücker 1994,168ff. Vgl. Steuer 1989,180ff. - Ders. 1990a, 17ff. u. 24ff. - Ders. 1997a, 116. Steuer 1990b, 57ff. - Bücker 1994,174ff. Steuer 1990b, 60ff. Steuer 1990b, 49ff. Steuer 1990b, 37ff. u. 53ff.

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eine Kartierung dieses Bronzeschrottes erschließen (Abb. 3). Die massive Anhäufung von solchem Altmaterial, das zur Wiederverarbeitung vorgesehen war, deutet auf diese Verarbeitungsplätze am Rande der möglichen Besiedlung direkt an der Terrassenkante hin29.

Ο

Grabungsflächen

Φ Werkstattplätze 100 m

Abbildung 3. Zähringer Burgberg bei Freiburg. Plan der Terrassen mit den Grabungsflächen und möglichen Werkstattplätzen.

29

Steuer 1990b, 63ff.

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Insgesamt läßt sich die Zusammensetzung der Funde vom Zähringer Burgberg, die auch hier Anwesenheit ganzer Familienverbände von sozial höhergestelltem Rang anzunehmen erlaubt, mit dem Runden Berg bei Urach vergleichen. Allerdings unterscheidet sich der Zähringer Burgberg durch die gewaltigen Umbaumaßnahmen sowie durch seinen Besiedlungszeitraum, der im Vergleich zum Runden Berg schon vom Beginn des 4. Jhs., aber nur bis in die Mitte des 5. Jhs. reicht. Während der möglichen Definition dieses Platzes als Herrschaftsmittelpunkt und Fürstensitz im Gebiet des Breisgaus nichts im Wege steht, läßt sich die Frage nach einer möglichen Verbindung mit den von Ammianus Marcellinus für den Breisgau genannten reges Gundomad und Vadomar nur vermuten30.

4. Der Geißkopf bei Offenburg - ein germanisches Heerlager der Völkerwanderungszeit? In strategisch wichtiger Position, am Eingang des Kinzigtales bei Offenburg, liegen die beiden Höhenstationen Geißkopf und Kügeleskopf (Abb. 1, Nr. 43 u. 49) beiderseits der Römerstraße über den Schwarzwald durch das Kinzigtal. Schon in römischer Zeit war dieser Talausgang in ähnlicher Weise zur Sicherung der von Straßburg über den Schwarzwald nach Rottweil führenden Straße durch zwei Kastelle gesichert worden (Zunsweier und Rammersweier)31. Auf beiden Höhen waren bei Begehungen in den Jahren 1988/89 zahlreiche qualitätvolle Bronzebeschläge spätrömischer Militärgürtel sowie Bronzeschrott, römische Altsachen als Rohstoff für die Weiterverarbeitung, geborgen worden32. Da die Bergkuppe auf dem Geißkopf das umfangreichste Fundmaterial erbracht hatte und dem Anschein nach ausschließlich im 4./5. Jh. besiedelt war, wurden hier 1994/95 Sondierungsgrabungen durchgeführt, um mögliche Baustrukturen aufzudecken. Die Grabungen lieferten jedoch keine eindeutigen Hinweise auf eine feste Bebauung wie Pfostenlöcher oder Schwellbalkenkonstruktionen. Auch der in 10 bis 30 cm Tiefe anstehende Felsuntergrund zeigte keine eindeutigen Bearbeitungsspuren möglicher Pfosteneintiefungen33. Eine intensive oder länger andauernde Nutzung des Berges belegte jedoch eine Phosphatuntersuchung auf der gesamten Bergkuppe. Die im 10-Meter-Raster sowie innerhalb der Grabungsflächen im 1-Meter-Raster genommenen 800 Proben zeigen überall gegenüber dem Normalwert unter 200 ppm erhöhte Werte bis 700 30

31 32 33

Vgl. Steuer 1990b, 196f. - Zum Breisgau s. auch: Fingerlin 1985,1990,1997a, der den Zähringer Burgberg durchaus als Stammesmittelpunkt und möglichen Sitz eines der genannten reges ansieht (Fingerlin 1997a, 106). Fingerlin 1996,161-164. Siehe zu diesen Funden aus den Jahren 1988/89 die Abbildungen in Steuer 1990a, 37ff. Als Vorberichte zu den Ausgrabungen sind bisher erschienen: Hoeper & Steuer 1995 - Hoeper 1996a - Ders. 1996b.

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und mehr ppm. Die unterschiedliche Verteilung der Werte mit einigen Schwerpunktbildungen weisen auf verschieden intensiv genutzte Areale hin34. Das gleiche Bild zeigt auch die Verteilung des immensen Fundmaterials, das durch die Grabungen und die begleitenden systematischen Begehungen geborgen wurde. Es unterscheidet sich jedoch in seiner Zusammensetzung und Menge vom Fundspektrum des Runden Berges und des Zähringer Burgbergs. Auffallend ist vor allem die große Zahl von Bestandteilen spätantiker Militärgürtel, Schnallen, Riemendurchzüge und Beschlagplatten, die zum Teil besonders qualitätvoll gearbeitet sind, und die über die gesamte Bergkuppe verteilten zahlreichen Waffen wie Beile (Abb. 5), Lanzenspitzen und Schwertteile (Abb. 6) sowie Pfeil- und Bolzenspitzen (Abb. 7)35. Unter den Waffen sind vor allem die Fragmente von drei Knaufhammeräxten hervorzuheben (Abb. 5, 6-8). Diese Knaufhammeräxte, zuletzt von H.W. Böhme bearbeitet36, sind Zeichen ranghoher Krieger, wenn man das Prunkstück aus Grab 63 von Basel-Kleinhünigen neben der Goldgriffspatha in diesem Grab zum Vergleich heranzieht37. Die eher seltene und ungewöhnliche Waffenform stammt überwiegend aus Gräbern der 2. Hälfte des 5. und 1. Hälfte des 6. Jhs. des nordgallischen Raumes. Durch die Funde vom Geißkopf deutet sich eine zeitlich frühere Verwendung im südwestdeutschen Raum an. Eine weitere Waffenform, die man dem Umfeld ranghoher Krieger zuordnen kann, stellen die Widerhakenspeerspitzen vom Geißkopf dar (Abb. 6, 5-6). Während diese Widerhakenspeere in großer Zahl aus den Moorfunden und auch aus reichen Grabfunden Skandinaviens bekannt sind38, ist diese Waffe in germanischen Fundzusammenhängen Südwestdeutschlands bisher eher selten. Häufiger kommen sie in römischen Kastellen und Siedlungen vor, wo sie ihre ehemaligen Träger, wie schon S. v. Schnurbein annahm, zum Teil als Germanen in römischem Militärdienst zu kennzeichnen scheinen39. Dies belegt eindrucksvoll das 34 35

36 37 38 39

Vgl. Hoeper 1996a, 265. - Ders. 1996b, 18ff. u. Abb. 2. Bisher sind es ca. 1500 Einzelobjekte. Darunter ca. 60 Militärgürtelteile und -fragmente, sowie an Waffen 6 Lanzenspitzen, 20 Beilfragmente, 30 Pfeil- und Bolzenspitzen und 4 mögliche Schwertklingenbruchstücke. Böhme 1993. Giesler-Müller 1992, Taf. 8-9. So z.B. aus dem Moorfund von Illerup (Elkjaer 1984 - Ders. 1990,165ff.). Zu den Widerhakenlanzenspitzen vgl. v. Schnurbein 1974, 424ff. u. Anm. 54. Aus germanischen Fundzusammenhängen stammen Widerhakenlanzen neben dem Geißkopf bei Berghaupten aus: Ihringen (Garscha 1970, 224, Taf. 8, 3; Christlein 1978, 67 Abb.- 41), Messkirch (Garscha 1970, 221, Taf. 8, 13), Bodman (Garscha 1970, Taf 9, 7), Münchhof-Hornberg (Garscha 1970, 224, Taf. 8, 12; Christlein 1978, 112 Abb. 87) und Neupotz (Künzl 1993, Taf. 17, Β 19). Aus römischen Gutshöfen, Straßenstationen und Kastellen stammen die Waffen aus: Sontheim & Brenz (H.U. Nuber & G. Seitz, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1994, 160 Abb. 104), Hofheim (E. Ritterling, Nass. Ann. 40, 1913, Taf. 17, 22 u. 56), Straßburg (J.-J. Hatt, Gallia 11, 1953, 245 Fig. 16, 13), Vindonissa (S. Simonen, Zeitschr.f. Schweiz. Arch. u. Kunstgesch. 2, 1940, 2 Abb. 2, 17), Sargans (B. Frei, Der römische Gutshof von Sargans. Arch. Führer der Schweiz 3, 1971, 17 Abb. 20), vom Krüppel bei Schaan (Kellner 1965,99 Abb. 7,11) und vom Moosberg bei Murnau (Garbsch 1966, Taf. 29,27).

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—ο

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Abbildung 5. Beile und Beilfragmente mit gewölbtem Nacken (1-5) und Fragmente von Knaufhammeräxten (6-8). 1-2 Zähringer Burgberg bei Freiburg, 3-8 Geißkopf bei Offenburg. Eisen.

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Abbildung 6. Geißkopf bei Offenburg. Lanzenspitzen (1-4), Widerhakenspeerspitzen (4-6) und Schwertklingenbruchstücke (7-8). Eisen.

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Elfenbeindiptychon mit der Darstellung des Reichsfeldherrn Stilicho, dargestellt in römischer Beamtentracht mit Zwiebelknopffibel und germanischer Bewaffnung mit Schild und Widerhakenspeerspitze40. Aus dieser Waffenform, vor allem den langen Widerhakenspeerspitzen, entwickelten sich später die Angonen, die zumeist in reich ausgestatteten Männergräbern anzutreffen sind. Ein umfangreiches Repertoire an Werkzeugen, vor allem zum Schmiede- und Buntmetallhandwerk, ergänzt das Fundspektrum auf dem Geißkopf. Zahlreiche Gußreste, zum Teil von bis zu 1 kg belegen, daß Buntmetall auf dem Geißkopf verarbeitet wurde. Als Rohstoff zur Buntmetallgießerei diente der in großen Mengen gefundene Bronzeschrott überwiegend aus zusammengehämmerten und zerhackten Teilen von römischen Bronzegefäßen. Im Fundspektrum der Höhensiedlung auf dem Geißkopf steht die Menge an Waffen, Werkzeugen, Militärgürtelteilen und auch männlichen Trachtbestandteilen41 in krassem Gegensatz zu den Funden, die auf die Anwesenheit von Frauen hinweisen42. Auch der äußerst geringe Anteil von Gefäßkeramik und das fast völlige Fehlen von Glasgefäßfragmenten auf dem Berg weisen auf Aktivitäten hin, die mit einer Funktion dieser Höhensiedlung als Herrschaftsmittelpunkt und Wohnsitz eines Fürsten, seiner Gefolgschaft und den Familien, im bisherigen Sinne nicht zu erklären sind43. Diese Aktivitäten fallen nach Ausweis des Fundmaterials in den Zeitraum von der Mitte des 4. bis zur Mitte des 5. Jhs. und lassen sich eher mit einer rein militärischen Siedlung oder einem germanischen Heerlager verbinden.

5. Zu den Deutungsmöglichkeiten der Höhensiedlungsplätze als Fürstensitze, Heerlager, Rückzugsräume oder Kultplätze Im Vergleich zu den ländlichen Siedlungen heben sich die völkerwanderungszeitlichen Höhensiedlungsplätze durch ihre exponierte Lage ab. Ein weiterer prägnanter Unterschied wird durch das Fundmaterial der Höhensiedlungen deutlich. Hier herrschte in vielen Dingen ein durch die römische Welt bestimmter Lebensstil, der in den ländlichen Siedlungen in solchen Ausmaßen bisher nicht faßbar ist44. Die hier anwesenden Krieger trugen spätrömische Militärgürtel, tranken aus

40 41

42

43

44

Vgl. v. Schnurbein 1974,426ff. u. Anm. 58 mit weiteren Hinweisen. Hier sind vor allem ein Bronzehalsring und einige Bügelknopffibeln zu nennen (Hoeper 1996b, 24, Abb. 8). Als mögliche Frauentrachtbestandteile sind lediglich eine Glasperle, ein Bronzezierschlüssel und ein römischer Schlüsselfingerring zu nennen. Die 46 Keramikfragmente (darunter befinden sich nur drei Fragmente römischer Keramik) sind zum Teil äußerst klein. Daneben konnte bisher nur ein Glasfragment mit Fadenauflage geborgen werden. Zum römischen Lebensstil siehe Bücker 1997,135ff.

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römischen Glasbechern und benutzten in überwiegendem Maße römisches Geschirr. Daß es sich bei den Bewohnern jedoch um Germanen handelte, belegen die Fluide germanischer Herkunft. Zu nennen sind hier männliche Trachtbestandteile wie Bügelfibeln und Halsringe, germanischer Frauenschmuck und nicht zuletzt der Anteil an germanischer Keramik.

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Eine weitere Gemeinsamkeit der dargestellten Beispiele alemannischer Höhensiedlungen ist die Anwesenheit von Buntmetallhandwerkern, die in diesen Siedlungen Trachtbestandteile und Schmuck aus Bronze und Silber, möglicherweise sogar auch spätrömische Militärgürtel herstellten. Dies veranlaßte die Archäologen seit Joachim Werner, in diesen Höhensiedlungen die Wohnsitze einer sozial höhergestellten Bevölkerungsschicht und ihrer Familien zu sehen und sie im Zusammenhang mit den schriftlichen Zeugnissen des römischen Chronisten Ammianus Marcellinus mit den als reges oder reguli bezeichneten germanischen Kleinkönigen oder Fürsten in Verbindimg zu bringen. Während so beispielsweise beim Runden Berg und beim Zähringer Burgberg beim gegenwärtigen Forschungsstand nichts dagegen spricht, diese Höhensiedlungen als zentralörtlichen Wohnsitz eines Kleinkönigs mit seinen Gefolgschaftsleuten und ihren Familien zu interpretieren, scheint sich der Geißkopf abzuheben. Die bisher fehlenden Siedlungsbefunde, die äußerst geringe Menge an Keramik und Frauentrachtbestandteilen, die zahlreichen Waffen und Werkzeuge und die große Zahl spätrömischer Militärgürtelteile lassen auf dem Geißkopf eher ein germanisches Heerlager vermuten. Die deutlich erhöhten Phosphatwerte und das reichhaltige Fundmaterial sprechen für eine dauerhafte Besiedlung, so daß eine Deutung dieses Platzes als eine längerfristig besiedelte germanische Militärstation vorerst am naheliegendsten scheint. Die unterschiedliche Fundzusammensetzung deutet möglicherweise auf einen unterschiedlichen Funktionsschwerpunkt hin, was auch ein Größenvergleich der Höhensiedlungen nahelegt (Abb. 8). Während der Zähringer Burgberg und der Runde Berg mit seiner Terrassenbesiedlung und einer Siedlungsfläche auf der Albhochfläche an die 5 ha mögliche Besiedlungsfläche aufweisen, sind es beim Kügeleskopf und Geißkopf am Ausgang des Kinzigtales eher kleinere Besiedlungsflächen von unter 1 ha. Vor allem in den kleineren Höhen, die bisher nur eine geringe Menge an Fundmaterial des 4./5. Jhs. erbrachten, könnte man eher kurzfristige Rückzugsräume der alemannischen Bevölkerung sehen. So beschreibt Ammianus Marcellinus mehrfach, daß sich die Germanen bzw. Alemannen auf hohe unzugängliche Berghöhen mit steilen Hängen zurückzogen, um sich den Angriffen der Römer zu entziehen, und dabei durch Astverhaue und Sperren aus gefällten Bäumen ihren Rückzug sicherten45. Die Fund- und Befundlage bei einigen der bekannten Höhenstationen des 4./5. Jhs. legt eine Deutung dieser Plätze als nur kurzfristig aufgesuchte Höhen nahe. Solche Rückzugsräume auf versteckten Höhen könnten auch die Feimlisburg und der Kegelriß am Schwarzwaldrand südlich von Freiburg darstellen46. Trotz intensiver Begehungen sind von diesen Plätzen bisher nur wenige Funde bekannt. Auch der Goldberg bei Türkheim erbrachte trotz großflä-

46

Zu einigen diesbezüglichen Textstellen siehe Steuer 1990b, 171ff. Steuer 1990b, 167, Nr. 38 u. 39.

342

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chiger A u s g r a b u n g e n keine Siedlungsbefunde des 4 . / 5 . J h s . u n d n u r w e n i g F u n d material aus dieser Zeit 4 7 .

Zähringer Burgberg

Runder Berg

Kügeleskopf

Geißkopf

100

200 m

Feimlisburg Abbildung 8. Größenvergleich einiger völkerwanderungszeitlicher Höhensiedlungen. - 1 besiedelte Bereiche nach archäologischen Ausgrabungen und massivem Lesefundvorkommen. - 2 verstreute Einzelfunde.

47

Steuer 1990b, 165f., Nr. 34.

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Eine weitere Möglichkeit, die mit in die Betrachtung der Höhensiedlungen einbezogen werden sollte, ist die Deutung einiger Plätze als Opfer- oder Kultplatz. So ist vor allem im nordgermanischen Bereich die Sitte der Opferung von Waffen und Ausrüstungsgegenständen besiegter Feinde in Mooren verbreitet. Die Opferung oder Niederlegung solcher Gegenstände auf einer Höhe wird dagegen bisher nur bei einem älteren Befund aus der Zeit von 75 v. bis 50 n. Chr. bei Oberammergau in Bayern diskutiert48. So zeigen die dargestellten Beispiele, daß nicht jede Höhe mit Fundmaterial aus der Zeitphase des 4./5. Jhs. pauschal als Höhensiedlung im Sinne eines Fürstensitzes interpretiert werden kann. Vielmehr deuten sich bei diesen Plätzen die verschiedensten Funktionen an, die daher eher unter dem wertfreien Begriff Höhenstationen zusammengefaßt werden sollten49. Auch die Nutzungsphase dieser Plätze - soweit bestimmbar - zeigt Unterschiede. Während die Besiedlung auf dem Zähringer Burgberg, dem Geißkopf und Kügeleskopf und der Wettenburg bei Urphar um oder kurz nach der Mitte des 5. Jhs. abbricht, werden der Runde Berg und die Gelbe Bürg bis zum Ende des 5. oder Anfang des 6. Jhs. besiedelt. Die Unterschiedlichkeit dieser Plätze und ihrer möglichen Funktionen macht eine weitere Erforschung dieser Höhenstationen äußerst interessant und wird in Zukunft mehr Einblicke vor allem auch in die Siedlungsbebauung und die Art möglicher Befestigungen geben können.

48 49

Zanier 1995. Vgl. Steuer 1997a, 120 u. Steuer 1997b, 158. Vgl. Steuer 1997a, 115ff.

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Liste der völkerwanderungszeitliche Höhensiedlungen (Entwurf, Stand 1 9 9 7 , 1 - 4 9 nach STEUER nach BRACHMANN 1993)

1990, 50-54

nach HABERSTROH

1996,55-

62

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.

Runder Berg bei Urach, Kr. Reutlingen (Bad.-Württ.) Zähringer Burgberg bei Gundelfingen, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald (Bad.Württ.) Wettenburg bei Urphar, Kreuzwertheim, Ldkr. Main-Spessart (Bayern) Dünsberg bei Biebertal-Fellinghausen, Kr. Gießen (Hessen) Glauberg, Wetteraukreis (Hessen) Gelbe Bürg bei Dittenheim, Ldkr. Günzenhausen (Bayern) Houbirg bei Happurg, Ldkr. Nürnberg Land (Bayern) Büraburg bei Fritzlar, Kr. Fritzlar-Homberg (Hessen) Gangolfsberg bei Oberelsbach, Rhön (Bayern) Staffelberg bei Staffelstein, Ldkr. Lichtenfeld (Bayern) Turmberg bei Kasendorf, Ldkr. Kulmbach (Bayern) Reißberg bei Scheßlitz, Ldkr. Bamberg (Bayern) Ehrenbürg bei Kirchehrenbach, Ldkr. Forchheim (Bayern) Michelsberg bei Kipfenberg, Kr. Eichstätt (Bayern) Rosenstein bei Heubach, Kr. Schwäbisch Gmünd (Bad.-Württ.) Achalm bei Reutlingen, Ldkr. Reutlingen (Bad.-Württ.) Lochenstein bei Hausen am Tann, Zollernalbkreis (Bad.-Württ.) Hohenkrähen bei Duchtlingen, Kr. Konstanz (Bad.-Württ.) Burgberg bei Königstein, Hochtaunuskreis (Hessen) Schwedenschanze bzw. Schanzenkopf bei Michelbach (Bayern) Alte Burg auf dem Hoppesberg, Kr. Gelnhausen (Hessen) Hammelberg bei Hammelburg, Ldkr. Bad Kissingen (Bayern) Kleiner Gleichberg bei Römhild (Thüringen) Großer Gleichberg bei Römhild (Thüringen) Saupürzelberg bei Karlstadt, Kr. Karlstadt (Bayern) Marienberg bei Würzburg (Bayern) Heuneburg auf der Altscheuer bei Lichtenberg, Kr. Darmstadt-Dieburg (Hessen) Greinberg bei Miltenberg (Unterfranken) Schwanberg bei Iphofen, Ldkr. Kitzingen (Bayern) Bullenheimer Berg, Ldkr. Kitzingen (Bayern) Burgstall bei Oberhöchstädt, Kr. Neustadt/Aisch Sulzbürg, Kr. Neumarkt (Oberpfalz) Hesselberg bei Gerolfingen, Kr. Dinkelsbühl (Bayern) Goldberg bei Goldburghausen, Kr. Aalen (Bad.-Württ.) Waidenbühl bei Donzdorf, Ldkr. Göppingen (Bad.-Württ.)

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36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62.

345

Heuneburg bei Hundersingen, Kr. Sigmaringen (Bad.-Württ.) Lenensburg bei Betznau, Kreßbronn, Bodenseekreis (Bad.-Württ.) Kegelriß bei Ehrenstetten, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald (Bad.-Württ.) Feimiisburg, Gem. Kirchhofen, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald (Bad.-Württ.) Allenberg bei Rüdern, Ldkr. Esslingen (Bad.-Württ.) Wiesentfeld, Stadt Hollfeld, Ldkr. Bayreuth (Bayern) Dreifaltigkeitsberg bei Spaichingen, Kr. Tuttlingen (Bad.-Württ.) Kügeleskopf bei Ortenberg, Ortenaukreis (Bad.-Württ.) Eggolsheim-Drügendorf, Ldkr. Forchheim (Bayern) Heiligenberg bei Heidelberg (Bad.-Württ.) Calverbühl bei Dettingen, Kr. Reutlingen (Bad.-Württ.) Lehenbühl bei Frielingen, Kr. Tuttlingen (Bad.-Württ.) Schalksburg bei Laufen, Zollernalbkreis (Bad.-Württ.) Geißkopf bei Berghaupten, Ortenaukreis (Bad.-Württ.) Giechburg bei Scheßlitz, Ldkr. Bamberg (Bayern) - Haberstroh Nr. 2 Hoher Knock bei Hollfeld-Loch (Bayern) - Haberstroh Nr. 6 Heidelberg bei Egloffstein-Schweinthal (Bayern) - Haberstroh Nr. 9 Schloßberg bei Geisfeld, Ldkr. Bamberg (Bayern) - Haberstroh Nr. 10 Wartberg bei Friesen, Kr. Bamberg (Bayern) - Haberstroh Nr. 11 Hals bei Bodman, Ludwigshafen, Kr. Konstanz (Bad.-Württ.)-Brachmann Nr.7 Alte Burg bei Arnstadt, Lkr. Arnstadt (Thüringen) - Brachmann Nr. 3 Hasenburg bei Haynrode, Lkr. Worbis (Thüringen) - Brachmann Nr. 27 Gaulskopf bei Ossendorf, Warburg, Kr. Höxter (NRW) - Brachmann Nr. 46 Dornburg bei Frickhofen, Kr. Limbach-Weilburg (Hessen)-Brachmann Nr. 19 Kirchberg bei Bornstedt, Lkr. Eisleben (Sachsen-Anhalt) - Brachmann Nr. 8 Schloßberg bei Seeburg, Lkr. Eisleben (Sachsen-Anhalt) - Brachmann Nr. 54 Kirchberg bei Bösenburg, Lkr. Eisleben (Sachsen-Anhalt) - Brachmann Nr. 9

Literaturverzeichnis Abels, B-U. & H. Roth 1989. „Die Ausgrabungen auf dem Reißberg in Burgellern, Ldkr. Bamberg." In: Bayer. Vorgeschbl. 54: 194-211. Bernhard, H. et al. 1991. Der Runde Berg bei Urach. Führer zu arch. Denkmälern in Baden-Württemberg 14. Stuttgart 1991. Böhme, H.W. 1993. „Zeugnisse spätrömischer Söldner aus Mainfranken - zu einer Hammertüllenaxt des 5. Jahrhunderts von Gaukönigshofen, Ldkr. Würzburg." In: Arch. Korrbl. 23: 513526. Brachmann, H. 1993. Der frühmittelalterliche Befestigungsbau in Mitteleuropa. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Funktion im germanisch-deutschen Gebiet. Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 45. Berlin: bes. 35ff., Liste 1.

346

Michael Hoeper

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Semnonen - Juthungen - Alemannen Neues (und Altes) zur Herkunft und Ethnogenese der Alemannen V O N HELMUT CASTRITIUS

In Augsburg wurde 1992 in einem ehemaligen Lecharm ein römischer Weihestein in situ gefunden1. Von seiner Funktion und seinem Charakter her ein Siegesaltar vermag seine Inschrift wichtige Aufschlüsse und durchaus auch dauerhafte Problemlösungen zur römischen Reichsgeschichte der entscheidenden, ja schicksalhaften Jahre um 260 zu geben, in die man gemeinhin den Fall des obergermanisch-rätischen Limes datiert2. Was den Erkenntnisfortschritt zur Stammesgeschichte der Germanen und zu der ungemein wichtigen Phase der Formierung der germanischen Großstämme, die bekanntlich den Transformationsprozeß der antiken Welt so wesentlich mitbestimmten und mitgestalteten, betrifft, erhält die Wissenschaft durch dieses wichtige, nahezu sensationelle Dokument ebenfalls neue und weiterführende Informationen wie Denkanstöße, wenn sie auch von endgültigen Antworten immer noch ein gutes Stück entfernt bleibt. Denn ethnogenetische Prozesse sind zumal bei weitgehendem Fehlen indigener Überlieferungen nur mit aller Vorsicht und in Annäherungswerten und Hypothesen zu rekonstruieren, deshalb möge mein Beitrag mehr als ein suchendes Fragen als ein Begreifen und Erklären verstanden werden. Meine Überlegungen beruhen zudem auf einer Prämisse, die ausformuliert dem Gegenstand möglicherweise nicht ganz angemessen zu sein scheint, die aber ernst gemeint ist: Die Gleichsetzung Semnonen - Juthungen verstehe ich nicht im literarischen Sinn, also nicht als Lese- und Bildungsfrucht, die etwa dadurch zustande gekommen sein könnte, daß der durch die Inschrift des Siegesaltars gefeierte Statthalter Simplicinius Genialis, ein Militär von wohl eher mittelmäßigem Bildungsniveau, einen Fachhistoriker - vielleicht einen arbeitslosen Absolventen eines Geschichtsstudiums, der gerade aus Mailand oder Trier nach Augsburg zurückgekehrt war - zu Rate gezogen habe, der ihm dann in einem Gutachten eröffnete, die von den Römern bei Augsburg geschlagenen Juthungen müßten die berühmten und seit dem frühen 1. Jh. n. Chr. ihnen

1 2

Bakker 1993a: 369-387; Bakker 1993b: 274-277; vgl. auch Schallmayer ed. 1995. Nuber 1990: 51-68.

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besonders vertrauten Semnonen3 sein. Vielmehr gehe ich davon aus, daß die siegreichen Römer vom geschlagenen Feind selbst oder von Mittelsleuten zuverlässig in Erfahrung bringen konnten, daß sich die Juthungen den Semnonen zurechneten, daß sie aus diesen hervorgegangen seien. Solche einschlägigen Informationen zu bekommen, darf man sich nicht als allzu schwierig vorstellen: So wissen wir von Kaiser Aurelian, der in den Jahren bald nach 270 im Grenzbereich Rätiens die Juthungen in einer Schlacht besiegt hatte, daß er mit den trotz der Niederlage selbstbewußt auftretenden Barbaren über Dolmetscher verkehrte4, es also keine grundsätzlichen Verständnisprobleme gegeben haben wird. Im Rahmen der römisch-barbarischen Begegnungen und der dabei stattgefundenen Kommunikation ist allerdings ein - mit Entstehung und Verbreitung des Saliemamens5 vergleichbares - Mißverständnis nicht völlig auszuschließen: Die Römer könnten den bei ihren Verhandlungen mit den Barbaren mehrfach genannten und gehörten Begriff Juthungen als Volksnamen mißverstanden, ihn aufgegriffen und fortan auf das von gegenüber der rätischen Provinzgrenze herkommende Volk angewendet haben, allerdings mit der Konsequenz, daß die ursprünglich fälschlich mit Juthungen Benannten sich im Laufe der Zeit diese Bezeichnung als Volksnamen zu eigen gemacht hätten. Der rätische Statthalter und Heeresbefehlshaber Simplicinius Genialis weihte der Göttin Victoria diesen Siegesaltar allerdings erst am 11. September 260 n. Chr., obwohl bereits am 24. und 25. April dieses Jahres ein unter seiner Führung stehendes recht heterogen zusammengesetztes Heer6 die barbarischen Gegner des Römerreichs besiegt, in die Flucht geschlagen und ihnen dabei viele Tausende aus Italien verschleppte Gefangene abgenommen hatte. Ob barbaros gentis Semnonum sive Iouthungorum lautet die diesbezügliche Angabe in den Zeilen 2 und 3 der Inschrift7. Ich gehe - wie bereits angemerkt - davon aus, daß es sich bei 3

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Schmidt 1940: Iff. behandelt die Semnonen, nach dem Urteil des Tacitus Germ. 39,1 vetustissimos nobilissimosque Sueborum, zusammen mit den Alemannen; zur Deutung des taciteischen Berichts über den zentralen Kult im Semnonenhain vgl. Ebenbauer 1974: 233-249 und Timpe 1992: 434-485, bes. 473ff. Schilderung der glanzvollen Kulisse im Fragment 6 des Geschichtswerks des (Herennios) Dexippos (FGrHist Π Nr.100 F 6 ed. Jacoby); zur Interpretation der Szene vgl. Radnoti 1967 und Schmidt 1940: 18f. Dazu Springer 1997: 58-83. Eine erste Auswertung der Inschrift des Augsburger Siegesaltars in reichs- und heeresgeschichtlicher Hinsicht wurde auf dem 1. Saalburgkolloquium im September 1995 versucht, dessen Referate in Kurzfassung jetzt vorliegen: Schallmayer ed. 1996. In diesem Tagungsband ist auch eine Kurzfassung des Aufsatzes des Verf. publiziert (18-21). Vgl. auch S. 363f. Nachtrag. Bakker 1993a: 374f.- Text der Inschrift: Deae sanctae Victoriae / ob barbaros gentis Semnonum / sive Iouthungorum die / VIII et VII kal{endarum) Maiar(um) caesos / fugatosque a militibus prov(inciae) / Raetiae sed et Germanicianis / itemque popularibus excussis / multis milibus Italorum captivor(um) / compos votorum suorum / [M(arcus) Simplicinius Genialis vfir) pfeifectissimus) cogens) v(ices) p(raesidis) / cum eodem exercitu] / libens merito posuit / dedicata III idus Septemb(res) impferatore) dfomino) n(ostro) / [Postumo Au]g(usto) et [Honoratiano co(n)s(ulibus]\.

Semnonen - Juthungen - Alemannen

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dieser einschlägigen Passage der Inschrift weder um ein Ergebnis gelehrten ethnographisch-historischen Bemühens noch um ein Mißverständnis handelt, sondern um eine authentische, auf zuverlässige Gewährsleute zurückgehende Information. Dann ist das die beiden Stammesnamen verbindende sive im disjunktiven Sinn und damit in der Bedeutung von „oder", „beziehungsweise", „respektive", ja eher sogar in der Bedeutung von „oder besser" zu verstehen, was im klassischen Latein noch durch ein verstärkendes potius ausgedrückt werden kann8. Sive wäre damit in die Nähe der bei pseudologischen Gleichsetzungen von Stammesnamen häufig begegnenden Formel qui et und hoc est zu rücken, wobei allerdings mit sive ein Vor- und ein Nachher bzw. Jetzt zum Ausdruck gebracht werden sollte9. Dem disjunktiven Sinn von sive würde die Bedeutung „oder besser", „oder jetzt" am ehesten entsprechen, die siegreichen Römer hätten also mit der Formulierung auf der Inschrift dokumentieren wollen, daß sie mit den Juthungen die früheren - altbekannten - Semnonen in die Knie gezwungen hatten. Im Folgenden soll die oben zitierte einschlägige Partie der Inschrift unter zwei Aspekten untersucht werden: Was lehrt sie uns a l l g e m e i n zu Fragen der Stammesgeschichte der Germanen (Γ) und was s p e z i e l l zur Entstehung und dem Ursprung der Juthungen und damit verbunden auch zum Thema der alemannischen Ethnogenese (II), in deren Zusammenhang die Semnonen traditionell in der Forschung eine Rolle spielten und zum Teil noch spielen? Bevor ich dazu meine Theorien als Antworten unterbreite, bedarf es allerdings noch einiger grundsätzlicher Bemerkungen zu den germanischen Stammesnamen und zu den Stammesnamen überhaupt. Die Stammesnamen sind uns in der Regel in griechischer oder lateinischer Sprache (oder in beiden) überliefert, in Werken einer vielfältigen literarischen Produktion, auf Inschriften, Papyri und Münzen. Ihre ethnische Zuordnung mit Hilfe der Sprachwissenschaft gelingt nicht immer. Da nur in seltenen Fällen indigene Stammestraditionen - und diese, wenn überhaupt, im antiken Gewand - faßbar sind, kommt den Stammesnamen, soweit sie als alt und genuin, nicht als rezent und aufgesetzt nachgewiesen werden können, eine ganz besondere Bedeutung zu. Nicht erst die antike Ethnographie setzte nomen und gens in eins und verwendete beide Begriffe synonym, sondern es ist als ein urtümliches, allgemein menschliches Phänomen erkannt, daß mit dem Namen einer Person oder einer Gruppe eine wichtige oder sogar die entscheidende Aussage über ihr Wesen gemacht ist. Entsprechend ist der Stammesname Ausdruck und Nieder8

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Kühner & Stegmann 1962: 100 und bes. 438 f. („...aus dem auf sive folgenden Ausdrucke geht dann hervor, daß er den Begriff richtiger bezeichnet als der vorangehende; es liegt wohl ursprünglich der Gedanke zugrunde: ,oder wenn man sich richtiger ausdrücken will'".). Es empfiehlt sich also, sive mit „oder besser", „oder jetzt" zu übersetzen, so als sei es durch ein potius verstärkt. qui et und hoc est - z.B. Chamavi qui et Franci - würde stärker die Gleichzeitigkeit der Verwendung der Namen implizieren. Zur Gleichung Alemannen-Sueben vgl. Keller 1989: 89-111.

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schlag von Stammestradition, ethnischem Bewußtsein und Selbstabgrenzung seiner Träger und damit überhaupt unabdingbare Voraussetzung für das politische Handeln einer Gruppe. Er gehört zu den „handlungsleitenden Werten" der Stammes- und Volksüberlieferungen10 und entfaltet in diesem Zusammenhang seine geschichtliche Wirksamkeit. In ihm drückt sich - wie heute gern formuliert wird - das Wir-Bewußtsein der sich ihm Zugehörigfühlenden, der sich Dazuzählenden, aus, so daß es sich anbietet, die frühen Völker in erster Linie als Bewußtseinsgemeinschaften zu definieren. Dieser die Gruppen und Gesellungseinheiten der Frühzeit kennzeichnende Zeichenrealismus bedeutet nun nicht, daß Stammesnamen nicht gewechselt werden konnten; vielmehr war der Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung durchaus möglich und kam auch immer wieder vor: Hohes Ansehen einer benachbarten und vielleicht wegen ihres Erfolgs bewunderten Gruppe konnte in pseudologischer Gleichsetzung zum Namenwechsel führen, ebenso in freier Entscheidung herbeigeführte Brüche mit der alten sakralen Uberlieferung und Abstammungstheologie wie bei den Langobarden11 oder auch Unterwerfungs- und Uberschichtungsvorgänge. Namenwechsel und damit Änderung der ethnischen Selbstzuordnung vollzogen sich allerdings keineswegs mit Leichtigkeit, vielmehr waren die Ursache dafür triftige, tief in das kollektive Gedächtnis der frühen Gesellungseinheiten eingegrabene Vorgänge wie große Taten und Siege oder tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen wie etwa der Auszug der Jungmannschaft12. Das vor allem im Namen zum Ausdruck kommende ethnische Bewußtsein legitimierte zudem die eigene Vorzugsstellung gegenüber den anderen Völkern, so daß der Wechsel des Namens besonderer und außergewöhnlicher Umstände und Ereignisse bedurfte.

I

Der Inschrifttext beweist zunächst - und das halte ich für bedeutsam genug - , daß wir sehr viel vorsichtiger hinsichtlich der zeitlichen Fixierung von Erstund Letzterwähnungen germanischer Stämme sein müssen. Aus einer Erwäh10

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Hauck 1955: 186-223; Wenskus 1977: 59-82. Zum Glauben an die Beständigkeit des Namens und der sinnhaften Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichneten vgl. Haubrichs 1995: 351-353; auch bei den Stammesnamen ist wie bei den Personennamen von einem solchen Zeichenrealismus auszugehen (Rübekeil 1996: 1330). Zum Namenwechsel vgl. Wenskus 1977: 60ff. u. 141; zur Deutung des Namenwechsels der Langobarden, die ursprünglich Winniler hießen, vgl. Hauck 1964: 1-33 bes. 24f. und Jarnut 1983: 1-16 bes. 10. Abspaltung war eine wichtige Form der Stammesbildung, vgl. Wenskus 1977: 431-439, die Verselbständigung der Jungmannschaft konnte - wie etwa bei den Langobarden - durch Los erfolgen (Wenskus 1977: 487). Der Auszug der Jungmannschaft mußte keineswegs ein einmaliger Vorgang sein, je nach der Entwicklung des Stammes konnte er sicher auch wiederholt werden.

Semnonen - Juthungen - Alemannen

353

nung der Semnonen zu Vorgängen des Jahres 178 n. Chr. in einer sehr späten, Cassius Dio ausschreibenden Quelle13 ist genauso voreilig die Letzterwähnung der Semnonen geworden wie aus den Quellenbefunden in denselben Auszügen mit der Ersterwähnung der Alemannen zum Jahre 213 n. Chr. die Existenz dieses Großstamms bereits zu diesem Zeitpunkt14. Mit der Inschrift auf dem Augsburger Siegesaltar - Nennung der gens Semnonum

sive Iouthungorum

- löst

sich also die angebliche Letzterwähnung der Semnonen genauso in Luft auf wie die behauptete und lange nicht kritisch überprüfte Existenz des Alemannenstammes schon zum Jahre 213 n. Chr. Die Augsburger Inschrift enthält die eindeutig datierbare - jedenfalls bis heute - Ersterwähnung der Juthungen, nämlich September 260 n. Chr. 15 . In das direkte zeitliche Umfeld der in dem Augsburger Inschrifttext festgehaltenen Vorgänge gehört die eindrucksvolle, wenn auch nach den Gesetzen der Rhetorik aufpolierte Darstellung der Begegnung des Kaisers Aurelian mit den Juthungen im rätischen Grenzgebiet aus der Feder des griechisch schreibenden Historikers Dexippos16 aus Athen, eines Zeitgenossen der Kaiser Gallienus und Aurelian. Die damals - etwa ein Jahrzehnt nach den Augsburger Vorgängen - ebenfalls schwer angeschlagenen Juthungen gaben sich dabei nach der einleuchtenden Interpretation von A. Radnoti (1967: 1-20) als Verbündete des gallischen Sonderreiches eines Postumus und seiner Nachfolger zu erkennen. Nach dem Zeugnis desselben Autors sollen die Juthungen anläßlich dieses Zusammentreffens mit Aurelian und seinem siegreichen Heer es 13 14

15

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Cass. Dio 71,20,2. Es galt lange als gesichertes "Wissen (und man liest es auch teilweise heute noch), daß der Feldzug Kaiser Caracallas im obergermanisch-rätischen Limesgebiet im Jahre 213 gegen die Alemannen gerichtet war (vgl. etwa Wirth 1974/75: 37-74). Diese Ersterwähnung der Alemannen - in aus byzantinischer Zeit stammenden Exzerpten aus dem überwiegend verloren gegangenen Geschichtswerk des Cassius Dio - ist von Kerler 1970: 103ff. (ohne Begründung), von Okamura 1984: bes. 122-124, von Springer 1984: 99-137, und Verf. 1990: 71-84, unabhängig voneinander in Zweifel gezogen und als Konjektur neuzeitlicher Editoren (Springer) nachgewiesen worden. Der erst 1990 publizierte Beitrag des Verf. lag den Teilnehmern des von Herwig Wolfram veranstalteten Zwettler Symposions schriftlich bereits 1985 vor, auf dem Symposion selbst erfuhr der Verf. durch Joachim Herrmann von den Forschungsergebnissen Springers, es gelang ihm jedoch nicht, sie bibliographisch zu erfassen. Vgl. auch Geuenich 1994: 164 mit Anm. 31, und Keller 1989: 111. Das Ganze ist auch ein Beleg für die Absurditäten in der deutsch-deutschen Wissenschaftslandschaft: Matthias Springer gehörte nicht zu den sogenannten Reisekadern und hatte so keine Gelegenheit, seine Ergebnisse einem breiteren wissenschaftlichen Forum zu präsentieren (und auch die Publikation seiner Ergebnisse erfolgte in einem entlegenen Organ). Die gleichzeitig erarbeiteten, weitgehend identischen Ergebnisse der Studie Springers und der des Verf. sind zudem ein schönes Beispiel dafür, daß bestimmte Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt sozusagen in der Luft liegen. Die eradierte, aber sicher zu restituierende Datierungszeile (letzte Zeile) der Inschrift des Augsburger Siegesaltars Postumo Aug(usto) et Honoratiano co(n)s(ulibus) ist auf das Jahr 260 n. Chr. zu beziehen, das Plädoyer von Lieb 1996: 14, für 262 oder allenfalls 261 n. Chr. überzeugt nicht. Vgl. oben Anm. 4; Kommentierung der Fragmente des Dexippos bei F. Jacoby, FGrHist Π C 304-311.

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weit von sich gewiesen haben, Mischlinge zu sein, vielmehr nachdrücklich die Reinheit ihrer Abstammung (καΦαρώς) behauptet haben17. Diese Bemerkung ist zweifellos nicht authentisch, sondern ist Produkt eines ethnographischen Schemas, dem der Autor wie die gesamte antike Ethnographie verhaftet sind, in der vor allem die Frage interessierte, ob ein Volk von reiner, unvermischter und autochthoner Herkunft sei oder nicht18. Von diesem Autor der 2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. an werden in den antiken Quellen die Juthungen als ein in der Regel mit dem Imperium im Konflikt liegendes Volk kontinuierlich, wenn auch in unregelmäßigen Abständen, genannt, Ammianus Marcellinus rubriziert sie im Rahmen seiner ausführlichen Behandlung der römisch-alemannischen Auseinandersetzung als eine Alamannorum pars19. In direkte Beziehung zur Alamannia und damit zu den Alemannen werden die Juthungen allerdings bereits in dem von einem unbekannten Verfasser im Jahre 297 n. Chr. auf den Unterkaiser Constantius I., den Vater Constantins I., gehaltenen Panegyricus gesetzt, wo sie als profligati apostrophiert werden20. Dem entsprechend begegnen auch Juthungen-Einheiten im spätrömischen (Grenz-)Heer21. Und um die Letzterwähnung streiten sich Sidonius Apollinaris 22 und die Tabula Peutingeriana23 vor und um die Mitte des 5. 17 18

19 20

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22

23

Dexippos, Frgm.6,4. Z u m ethnographischen Schema bei der Erörterung über die Abkunft der Völker seitens der antiken Autoren vgl. Wenskus 1977: 508f. und Timpe 1991: 84-86. Amm.Marc. 17,6,1: luthungi, Alamannorum pars. Paneg. Lat. V E 10,4 (ed. Mynors); die Juthungen werden vom Panegyriker mit der niedergeworfenen Alamannia, die Quaden und Karpen mit der Sarmatia in Beziehung gesetzt. Es handelte sich dabei um eine Reiter- und eine Fußtruppe,die beide im Osten des Reiches stationiert waren (Not. dig. or. 33,31 und 28,43 ed. O . Seeck). Sid. Apoll, carm. 7, 233-235. Der Dichter verweist hierin auf den erfolgreichen Feldzug des Heermeisters Aetius gegen die Juthungen, der wohl im Frühjahr 430 stattfand (Scharf 1994: 131-145 bes. 144). Die Eintragung des Juthungen-Namens in die Tabula Peutingeriana veranlaßte A. Radnoti 1967: 11 zu einer interessanten und weitreichenden, aber letztlich nicht haltbaren Hypothese. A m obersten Rand der Segmente ΠΙ und IV, nach der heute üblichen Einteilung der Tabula Peutingeriana (Faksimile-Ausgabe, bes. v. Weber 1976) zwischen HI 5 und IV 1 oben bzw. IV 2 oben, finden sich die Völkernamen Quadi und lutugi (für luthungi) ineinander geschrieben, der Quadenname in roter Farbe, der N a m e lutugi in einem schwärzlichen Braun. Aus dem Farbwechsel der Eintragungen auf der antiken Weltkarte - der übrigens auch sonst noch vorkommt, z.B. in Bezug auf die geographischen Bezeichnungen Suevia (braun) und dann rechts davon Alamannia. (rot) oder Marcomanni (rot) und knapp darunter Vanduli (braun) - und vor allem der Buchstabenverteilung von Quadi und lutugi Schloß Radnoti, der Kartograph habe damit einen vielleicht im 3. Jh. n. Chr. vollzogenen Wohnsitzwechsel, konkret die Abwanderung der Juthungen nach Mitteldeutschland und ihre Ersetzung durch die Quaden, dokumentieren wollen. Ekkehard Weber, der wohl beste Kenner der Tabula Peutingeriana und ihrer komplizierten, wohl nie endgültig aufklärbaren Entstehungsgeschichte, lehnt solche weitgehenden Schlüsse ab und bucht den Farbwechsel und auch die sonstigen Eigenheiten der Tabula auf dem Konto des mittelalterlichen Kopisten ab, der aus Gründen der Variatio mit den Völker- und Ländernamen auf eine solche Weise verfuhr (Briefl. Mitteilung vom 5.12.1986 an den Verf.). U n d selbst wenn sich der mittelal-

Semnonen - Juthungen - Alemannen

355

Jhs. η. Chr., soweit diese Erwähnungen bzw. Eintragungen überhaupt authentisch im Sinne der Schilderung und Wiedergabe wirklicher Verhältnisse und nicht lediglich literarische Reminiszensen und Früchte gelehrten Bemühens sind.

Π

Durch die Gleichsetzung der Semnonen und Juthungen in der Augsburger Siegesinschrift wird unmißverständlich klar, daß die Juthungen ursprünglich aus dem Gebiet an der mittleren Elbe, dem Siedlungsbereich der Semnonen, kamen. Wie aber ist der Namenwechsel - von Semnonen zu Juthungen - zu erklären? Hier helfen uns keine Stammessage wie bei den Langobarden oder vergleichbare Hinweise und Traditionen. Es bleibt lediglich der Weg, über die Etymologie einen Zusammenhang zwischen Semnonen und Juthungen herzustellen. Er ist durchaus erfolgversprechend, wenn auch die Ableitungen nicht völlig unstrittig sind. Danach ist der Juthungenname wohl von einem Nominalstamm euthaabzuleiten, der wiederum mit an. io 24 Torslev I t r s A i V y 25 (S.IQnjild· · ' 27 Guden

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Alamannia' ist ein altes Problem. Gerade in Verbindung mit der Schlacht jipud Tulbiacensim oppidum'2 liegt die Vermutung einer zunächst weiter nach Norden reichenden und später nach Süden zurückgedrängten Siedlungs- oder Herrschaftsgrenze nahe3. Bei Versuchen, diese Frage zu klären, wünschte die Archäologie sich genauere Auskunft von Historikern oder Sprachforschern, während man von dort aus erwartungsvoll auf die Archäologie blickt4. Ein Forschungsstand, der zunächst jede Disziplin zwingt, ihre eigenen Möglichkeiten auszuloten. In der Archäologie fällt die Frage mit einem grundsätzlicheren Problem zusammen: ist es möglich, Ethnien anhand archäologischer Realien zu erkennen und zu umreißen? Der klassische Ansatz zu einer Lösung sind Typverbreitungskarten. Realien werden zu .Typen', d.h. Gruppen auffällig ähnlicher Objekte zusammengestellt, ihre Fundorte kartiert und das resultierende Verbreitungsbild analysiert. Nicht dieser Prozeß des archäologischen Handwerks steht in kritischer Diskussion, sondern die Deutung der Resultate5: Was zeigen solche Karten? Viele Möglichkeiten wurden in der Forschung diskutiert: Ethnien6; Absatzgebiete von Werkstätten7; Schweifgebiete von Wanderhandwerkern8; Zeugnisse der Mobilität von Gruppen, hervorgegangen beispielsweise aus externem Militärdienst oder

2 3

4 5 6 7 8

Der Text ist eine um die notwendigsten Literaturhinweise ergänzte Fassung meines am 29. September 1996 auf dem Kolloquium „Die Alemannen und Franken bis zur .Schlacht bei Zülpich'" in Zülpich gehaltenen Vortrags. Er fußt auf den Ergebnissen meiner Habilitationsschrift (Siegmund 1998), wo sich auch die Einzelnachweise zu den Fundorten und Daten finden, auf die hier verzichtet wurde. Gregor, Hist. Π 37. Zur Problematik z.B. Castritius 1988; Geuenich 1994: 167f.; Geuenich & Keller 1985; Keller 1981; Wieczorek 1996, insbes. Abb. 170 u. 176. Keller 1981: 8f. Jacob-Friesen 1928: 170-187. Z.B. Böhme 1997. Z.B. Hübener 1969. Z.B. Werner 1959; 1970.

Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen

559

Plünderungen9; individuelle Wanderungen, hervorgehend etwa aus Heiratsbeziehungen; oder wirtschaftlich zusammenhängende Gebiete etwa im Sinne von Hofverbänden oder frühen Herrschaften10. Daher wird in der archäologischen Forschungspraxis vielfach von konkreten Deutungen der Phänomene abgesehen und statt dessen der allgemeinere Begriff » B e z i e h u n g e n ' verwendet. Geleitet von Historikern und Völkerkundlern, die dem Wir-Bewußtsein als konstituierendem Merkmal von Ethnien hohe Bedeutung beimessen11, fällt zudem die zweifelnde Frage, ob allein der Besitz etwa einer gleichartigen Fibel schon Wir-Bewußtsein begründet oder es zumindest widerspiegelt. Andererseits haben gelegentlich archäologische Studien vor allem durch eine mehrfache Uberdeckung des Raumes mit vielen Typkartierungen, die unterschiedliche Lebensbereiche betreffen, und systematische Gegenkartierungen (Kontrastierungen) in der Summe überzeugende Bilder ergeben, die eine ethnische Deutung der Phänomene plausibel machen12.

Abbildung 1. Verbreitungskarte der Kulturgruppen im 6. Jh. (ca. 530-585 n.Chr.). Kreise: Kulturgruppe Nord-West [Franken]; Dreiecke: Kulturgruppe Süd [Alemannen]; Raute: Kulturgruppe Ost [Thüringer]; Kreuz: Kulturgruppe Liebenau' [Sachsen]. Nachgestellt in Klammern die ethnische Deutung der Kulturgruppen. Die Größe der Symbole wächst mit der Nähe zum jeweiligen Kulturmodell.

9

Z.B. Z.B. 11 Vgl. 12 Z.B.

10

Böhme 1986, zusammenfassend 522f. Steuer 1994: 34f. grundlegend: Wenskus 1961; vgl. Wolfram 1979. Böhme 1997.

560

Frank Siegmund

Die ausstehende Lösung dieser Diskussion führt in der Archäologie des Frühmittelalters zu zweierlei Tun: im konkreten Einzelfall gibt es fränkische' Fibeln oder .alemannische' Tongefäße, nämlich dann, wenn ihre Verbreitungsbilder zu anderswoher Gewußtem passend erscheinen. Offenbar fehlen innerhalb der archäologischen Diskussion derzeit Ansätze, die methodisch unabhängig von den Typkartierungen sind und als fachimmanente Kontrollhypothese herangezogen werden könnten. Daher wird die Möglichkeit, jenseits der Frage Romanen / Germanen auch im innergermanischen Bereich Ethnien unterscheiden zu können, vielfach sehr skeptisch gesehen13. Gräberfelder 5

4

3

2

1

0 Gefäße pro 100 Bestattungen

Abbildung 2. Histogramm zur Intensität der Tongefäßbeigabe.

In einer umfassender angelegten Studie, die vor allem auch das wesentlich fundreichere 6. und 7. Jh. betrachtet, habe ich versucht, einen anderen methodischen Ansatz zu verfolgen, nämlich Ritten und Gebräuche' zu fassen14. Inhaltlich eine Verschiebung der Betrachtimg vom Haben zum Tun der Menschen. Die Basis bilden auch hier die Grabfunde, denn keine andere Quellengattung steht in annähernd vergleichbarer Zahl und räumlicher Repräsentanz zur Verfügung. Anders als die Typverbreitungskarten betrachte ich nicht das Individuum, sondern die Gräberfelder als Ganze, d.h. eine Lokalgruppe. Dadurch wird eine quantifizierende Betrachtung möglich, und zugleich werden individuelle Singularitäten relativiert. Ausgehend von dem, was sich regelhaft in den Gräbern findet, bilden

14

Siehe etwa die Artikel der einschlägigen Lexika: H. Ament, „Alamannen." In: LexMA 1, 265-266; ders., „Franken." In: LexMA 4: 690-692; H. Steuer, „ Alemannen." In: RGA 2 1: 142-163; H. Amern, „Franken." In: RGA 2 9: 387-414, insbes. 401. Methodisch ähnlich: Martin 1991.

Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen

561

die Tracht, die Bewaffnung und die Gefäßbeigabensitte den Schwerpunkt der Untersuchung. Zunächst seien die Ergebnisse für das 6. und 7. Jh. skizziert, die allein archäologisch, ohne Zugrundelegung vorab umrissener Räume gewonnen wurden (Abb. 1). Die Tracht, die zuvorderst ein ethnisch relevantes Merkmal zu sein scheint und die gerne im Zentrum solcher Untersuchungen steht, läßt sich innerhalb des westlichen Reihengräberkreises derzeit nicht ethnisch auflösen - soweit sie denn anhand der in den Gräbern erhaltenen metallenen Bestandteile beurteilbar ist. Die von uns beobachtbaren Elemente der Tracht sind offenbar zu stark einem übergreifenden, zeitlich bedingten Wandel unterworfen, abseits einiger allgemeiner Tendenzen läßt sich keine klare räumliche Gliederung erkennen. Anders verhält es sich mit der Bewaffnung und der Gefäßbeigabensitte. Versucht man hier, jenseits immer feststellbarer individueller Unterschiede zwischen benachbarten Gräberfeldern Räume gemeinsamen Verhaltens zu umreißen, gelangt man in vielen Kriterien und über die gesamte Zeit nicht zu einer Gliederung in viele Regionen, sondern vornehmlich zu zwei großen Gruppen, die im Ergebnis mit Alemannen und Franken identifiziert werden können. Alemannen bevorzugen in ihrer Bewaffnung Spatha und Sax, Franken hingegen Axtwaffen und Lanzenspitzen. Im 6. Jh. weisen fränkische Lanzenspitzen geschlitzte Tüllen, alemannische weisen geschlossene runde Tüllen auf, ein Unterschied eher im Sinne einer technologischen Tradition denn in der Handhabung der Waffe. Alemannen geben den Toten wenige Gefäße mit ins Grab, Franken deutlich mehr, dies gilt für Tongefäße ebenso wie für Gläser. Tongefäße sind im fränkischen Bereich fast immer auf der Drehscheibe gefertigt, im alemannischen Milieu sind etwa die Hälfte der Tongefäße noch handgeformt - ein Unterschied, der in der lebenden Kultur sicherlich auf ganz unterschiedlichen Produktionsweisen beruht. Die beiden beschriebenen, zunächst rein archäologisch begründeten und namenlosen Gruppen entstehen nicht etwa dadurch, daß mit Geschick an nützlich erscheinender Stelle ein faktisch gegebenes Kontinuum zerschnitten wird. Vielmehr läßt sich mit verschiedenen statistischen Verfahren zeigen, daß tatsächlich sich unterscheidende Gruppen im Material vorliegen, die man durchaus als .natürliche Klassen' bezeichnen kann. Betrachtet man die räumlichen Grenzen beider Gruppen, zeigt sich auch in dieser Hinsicht kein allmählicher Übergang vom einen Eigenschaftsbündel in das andere, sondern die Kontraste stehen einander recht scharf gegenüber. Ein typisches Verhalten ethnischer Gruppen: gerade in Grenzlagen werden die Unterschiede zum Fremden betont15. Für eine solche Untersuchung ist es notwendig, archäologisch sinnvolle Zeiteinheiten zusammenzuziehen. Das, was hier im Titel vereinfachend ,die zweite Hälfte des 5. Jhs.' genannt wird, umfaßt im Schwerpunkt die Gräber der Zeit zwischen ungefähr 450 n. Chr. und 520/30 n. Chr., alternativ könnte man auch 15

Barth 1969.

562

Frank Siegmund

von Stufe Π im Sinne Kurt Böhners (1958) oder auch von Childerich- und Chlodwigzeit sprechen16. In dieser Zeit ist die später regelhafte Beigabensitte so noch nicht ausgeprägt: es gibt deutlich weniger Fundpunkte, die Gräberfelder sind klein. Verglichen mit der Folgezeit ist die archäologische Quellenlage schlecht. Dies mahnt bei allen Aussagen zu besonderer Vorsicht. Ein Fundzuwachs, der dieses Problem in absehbarer Zeit lösen könnte, ist nicht zu erwarten, da sich hinter dieser Quellenlücke nicht allein Fragen heutiger Entdeckung und Ausgrabung verbergen, sondern vor allem die damals noch andersartigen Bestattungssitten unser Bild prägen17. Die Kollektion, auf der das folgende beruht, umfaßt nur 28 Fundorte mit insgesamt etwa 700 datierbaren Bestattungen. Dies ist abseits von Einzelgräbern der gesamte relevante und in Publikationen erreichbare Bestand im Untersuchungsraum. Die insgesamt komplexere Argumentation soll nachfolgend exemplarisch skizziert werden.

Abbildung 3. Kartierung zur Intensität der Tongefäßbeigabe. Dreiecke: 0-49 Tongefäße auf 100 Bestattungen; Kreise: 50-99 Tongefäße; ausgefüllte Kreise 100 und mehr Gefäße.

Zunächst sei die Intensität der Tongefäßbeigabe betrachtet. Um die Nekropolen miteinander vergleichbar zu machen, werden die realen Beobachtungen auf 100 hypothetische Bestattungen hochgerechnet (Abb. 2). Das Histogramm zeigt, daß sich die Gräberfelder in dieser Hinsicht deutlich unterscheiden. Nimmt man 16 17

Müller 1976; Martin 1989 - die dort vertretene absolute Datierung teile ich nicht. Ament 1992: 42-48.

Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen

563

die Häufungen und Lücken im Histogramm versuchsweise als Hinweis auf mögliche Gruppierungen im Material, läge eine Dreiteilung der Nekropolen in solche mit geringer Keramikbeigabenintensität (049 Gefäße), mittlerer Intensität (50-99 Gefäße) und hoher Intensität (über 100 Gefäße) nahe. Die Umsetzung dieser Gruppierung in eine Verbreitungskarte entzerrt die Fundorte überraschend gut, aber räumlich eher in zwei denn in drei Zonen (Abb. 3). Gräberfelder 10 9 8 7 6

S 4 3 2 1

Π.1ΤΤΤ

0 10

15

20

25

30

35

40

45

50

55

60

65

70

75

SO

65

90

B5

100

Glasgefäße pro 100 Bestattungen

Abbildung 4. Histogramm zur Intensität der Glasgefäßbeigabe.

Abbildung 5. Kartierung zur Intensität der Glasgefäßbeigabe. Dreiecke: 0-14 Glasgefäße auf 100 Bestattungen; Kreise: 15-44 Tongefäße; ausgefüllte Kreise 45 und mehr Gefäße.

564

Frank Siegmund

Ähnlich sei mm für die Glasbeigabe vorgegangen. Hier deutet das Histogramm auf Zäsuren bei 15 Gefäßen und etwa 50 Gefäßen hin (Abb. 4), wiederum zeigt die Verbreitungskarte eine gute Entzerrung in zwei getrennte Verbreitungsräume (Abb. 5). Sicherlich wäre hier auch das Problem der vermutlich wenigen Glaswerkstätten und die daraus resultierende, räumlich sehr unterschiedliche Verfügbarkeit von Gläsern zu bedenken. Es läßt sich aber an den Oberschichtgräbern in Süddeutschland leicht erkennen, daß dort auch Personen, die Zugriff auf weitaus kostbarere Güter hatten, auf die Glasbeigabe weitgehend verzichteten. Daher spiegelt das hier skizzierte Bild zumindest auch eine Beigabensitte wider. Griberfelder

12 10

8

6

4

2

0

0

5

10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 BS 70 75 50 55 90 »5100% Anteil handgeformter Tongefäße

Abbildung 6. Histogramm zum Anteil handgeformter Keramik.

Weiterhin sei der Anteil der handgeformten Keramik unter den Tongefäßen untersucht (Abb. 6). Eindeutige Gruppierungshinweise ergeben sich anhand des Histogramms nicht, doch wird wiederum die beträchtliche Variabilität der Nekropolen auch in dieser Hinsicht deutlich. Die Verbreitungskarte zeigt (Abb. 7), daß eine versuchsweise vorgenommene Gruppierung die Fundorte wiederum in zwei Bereiche entzerrt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß diese Erhebung für die generell keramikarmen süddeutschen Gräberfelder problematisch ist, da hier Prozentwerte an sehr kleinen Grundgesamtheiten gebildet werden müssen. Da sich an allen drei Kriterien jeweils zwei Regionen als in sich ähnlich abzeichnen, können die Beobachtungen versuchsweise zusammengeführt werden (Abb. 8). Die meisten Nekropolen fallen nach allen drei Kriterien in die gleiche Gruppe, andere werden nach zwei von drei Kriterien zugewiesen. Eine Untersuchung der Bewaffnung ist aufgrund der kleinen Zahlen, wohinter die noch nicht regelhaft ausgeprägte Waffenbeigabe steht, ungleich schwieriger. Die Tabelle Abb. 9 führt die Zahlen auf, die Gräberfelder wurden der Übersicht-

Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen

565

lichkeit halber nach ihrer Lage und ihrer Gefäßbeigabensitte in vier Regionen geordnet: oben etwas ältere Gräberfelder an der Maas, dann childerich- und chlodwigzeitliche Gräberfelder am Rhein, dann zunächst auszuklammernde Nekropolen an Mittelrhein und Main sowie unten die süddeutschen Nekropolen. Die über diese arbiträren Regionen zusammengezogenen Summen und Prozentzahlen lassen trotz der kleinen Zahlen Tendenzen erkennen: im frühen 5. Jh. werden an der Maas und dann zur Childerich- und Chlodwigzeit am Rhein viele Axtwaffen beigegeben, in Süddeutschland hingegegen viele Spathen und Saxe. Setzt man als ersten Versuch ein sich andeutendes einfaches Regelwerk in eine Verbreitungskarte um (Abb. 10), zeigt sich abseits einiger so nicht klassifizierbarer Gräberfelder wieder eine gute Entzerrung in die beiden nun schon bekannten Bereiche.

Abbildung 7. Kartierung zum Anteil handgeformter Keramik. Ausgefüllte Kreise: keine handgeformte Keramik; offene Kreise: 1-25 % handgeformte Keramik; Dreiecke: 25 % und mehr handgeformte Keramik.

566

Frank Siegmund

Danach kann als Zwischenergebnis vorsichtig festgehalten werden, daß die Gefäßbeigabe und die Waffenbeigabe eine räumliche Strukturierung nahezulegen scheinen. Die resultierenden Zuordnungen entsprechen sich weitgehend (Abb. 11). Es scheint sinnvoll, beide Merkmalsbündel in eine gemeiname und genauer quantifizierende Betrachtung zu überführen. Zu diesem Zweck werden die Gräberfelder, die nach den beiden, recht einfachen Einzelanalysen gleichartig klassifiziert worden waren, als Vertreter von hinter ihnen stehenden, abstrakten .Kulturmodellen' betrachtet. Aus den Summen ihrer Beobachtungen seien die Parameter für ein .ideales' Gräberfeld des jeweiligen Kulturmodells abgeleitet (Abb. 12). Diese explizit quantitative Formulierung erlaubt es nun, für jedes Gräberfeld zu messen, wie groß sein Abstand von dem einen und von dem anderen Modell ist. Ein Gräberfeld wird dann jenem Kulturmodell zugeordnet, zu dem es den geringsten Abstand aufweist. Die Tabelle Abb. 13 zeigt das Ergebnis in Zahlen, daneben die Umsetzung in eine Verbreitungskarte (Abb. 14). Die Symbole sind größer, wenn die Ähnlichkeit zum jeweiligen Kulturmodell groß ist, sie sind kleiner, wenn sie vom Ideal stärker abweichen. Als .Gegenkartierung' sei ein Bild hinzugefügt, bei dem die Symbolgröße mit dem Abstand zum alternativen Modell wächst (Abb. 15). Es ließe sich zeigen, daß andere multivariate statistische Verfahren (Clusteranalyse, Korrespondenzanalyse) zu gleichen oder sehr ähnlichen Strukturierungen des Materials führen. Die beiden Kulturmodelle sind dem Material innewohnende Phänomene, die der Deutung bedürfen. Sie unterscheiden einander in wesentlichen Elementen der Bestattungssitte, daneben können technologische Unterschiede wie etwa in der Frage der handgeformten Keramik konstatiert werden, die auch in der lebenden Kultur eine Rolle gespielt haben. Die gezeigten Kontraste betreffen unterschiedliche und wichtige Bereiche des damaligen Lebens. Im Vergleich mit den Analysen zum 6. und 7. Jh. ließe sich zudem zeigen, daß trotz gewisser Entwicklungen über die Zeit die geschilderten Kontraste von der Mitte des 5. Jhs. an bis in die Mitte des 7. Jhs. stabil sind, weshalb man hier in einem archäologischen Sinne von Traditionskernen sprechen könnte. Bei allen Divergenzen im Detail bleiben auch die von den beiden Kulturmodellen eingenommenen Räume über die Zeit hin weitgehend ähnlich. Mir erscheint eine ethnische Deutung der gefundenen Gruppen als die einzig plausible. Die von historischer Seite betonte Frage nach einem gentilen Wir-Bewußtsein läßt sich auf der Basis archäologischer Quellen nur schwer und sicherlich nicht direkt beantworten. Man sollte aber die Aussage der Grabbeigaben auch nicht unterschätzen: der Tod ist ein bedeutendes Ereignis in jeder menschlichen Gemeinschaft. Die Grabbeigaben im Frühmittelalter sind oft kostbar - sonst gäbe es den so häufigen Grabraub nicht18. Die Dinge den Toten mitzugeben und sie den Lebenden zu entziehen, ist eine bewußte Entscheidung, die Bestattung ein öffentliches Ritual. Zufall und Beliebigkeit haben an solch exponierter Stelle wenig 18

Übersicht: Roth 1978.

Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen

567

Raum. Ein umherreisender Zeitgenosse, der einem solchen Ritual beiwohnte, wird ohne Schwierigkeiten erkannt haben, zu welchem der geschilderten Kulturmodelle sich die fragliche Gruppe bekennt. So interpretiere ich die beiden Kulturmodelle als archäologischen Niederschlag der Alemannen und Franken. Abseits rein lokaler Unterschiede habe ich keine Hinweise auf eine stringente Binnengliederung dieser beiden Kulturmodelle ausmachen können, weshalb ich archäologisch von den Franken und den Alemannen spreche. Gräberfeld

(1)

(2)

(3)

(4)

Eprave Furfooz Gellep-West Junkersdorf Müngersdorf Polch Rhenen Vireux-Molhain Weilbach I Eschborn HD-Kirchheim Autobahn' Kleinlangheim Rübenach Samson

16 21 95 17 26 19 6 19 33 13 36 8 5 58 21

87.5 228.6 80.0 182.4 100.0 63.2 200.0 73.7 142.4 84.6 77.8 37.5 120.0 36.2 19.0

0.0 4.2 6.6 0.0 0.0 16.7 0.0 14.3 0.0 18.2 32.1 0.0 66.7 4.8 0.0

50.0 90.5 40.0 70.6 19.2 26.3 66.7 26.3 42.4 38.5 30.6 25.0 20.0 29.3 61.9

NW! NW! NW! NW! NW! NW! NW! NW! NW! NW! NW NW NW NW NW

Barbing-Irlmauth ,ΗοΙζΓ Hemmingen Neresheim Niedernberg Pliening Westheim Aldingen Basel-Gotterbarmweg Frielingen /Donau Großkuchen Kleinhüningen Schmiden Weingarten

8 54 23 7 7 17 21 24 9 23 30 41 44

37.5 27.8 4.3 85.7 14.3 82.4 0.0 12.5 22.2 4.3 16.7 34.1 15.9

0.0 0.0 0.0 33.3 0.0 50.0 0.0 66.7 50.0 100.0 80.0 50.0 28.6

0.0 9.3 0.0 0.0 0.0 0.0 4.8 4.2 0.0 4.3 10.0 0.0 0.0

S s s s s s s S! S! S! S! S! S!

Hafflot

(5)

Abbildung 8. Tabelle der Gräberfelder mit den für die Gefäßbeigabensitte relevanten Daten und der Zuweisung zu den beiden Gruppen. (1) Zahl der beigabenführenden Gräber - (2) Keramikgefäße auf 100 Gräber - (3) Anteil hangeformter Keramik - (4) Glasgefäße auf 100 Gräber - (5) vorläufige Gruppierung: NW: Gruppe Nord-West, S: Gruppe Süd.

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Frank Siegmund

Gräberfeld

(1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

(7)

(8)

(9)

Eprave Furfooz Haillot Rhenen Samson Vireux-Molhain

0 0 3 0 5 0

0 0 0 0 0 0

2 7 2 6 1 2

2 7 6 7 7 4

0 0 1 1 3 0

4 14 11 13 13 6

16 21 17 19 21 33

o o o 0

2

0

20

33

5

66

0.0 30.3 50.0

7.6

S % Gellep-West Junkersdorf Müngersdorf Polch Rübenach S % Eschborn HD-Kirchheim Autobahn Kleinlangheim Niedernberg Weilbach I S % Aldingen Barbing-Irlmauth Hölzl Basel-Gotterbarmweg Großkuchen Hemmingen Kleinhüningen Neresheim Pliening Schmiden Weingarten Westheim S

%

8

12.1 2 0 0 0 1

1 1 0 2 2

3 1 0 0 3

8 2 2 2 4

3

6

7

14 4 2 4 10

18

0

34

8.8 17.6 20.6 52.9

0.0

2 0 1 0 0

0 0 2 0 0

1 1 3 0 0

1

3

2

127

95 26 19 6 58

1

2 1 0 0 2

0 0 0 0 0

0 0 1 0 0

0

0 0 1 1 1 3 0 0 2 0 3

o o o o

204

16.7

0 0 1 0 0

3 1 8 0 0

5

1

12

8.3 25.0 16.7 41.7

8.3

36 8 5 7 13 69

17.4

0 0 1 1 4 2 1 1 2 2 1

1 0 1 1 1 4 0 1 2 5 1

0 0 2 1 1 3 0 1 2 0 5

5 0 2 1 3 2 0 1 0 2 4

0 0 1 1 3 2 0 0 2 0 2

6 0 6 4 9 11 1 4 6 9 11

21 8 24 23 54 30 23 7 41 44 17

15

17

15

20

11

67

292

22.4 25.4 22.4 29.9 16.4

4 1 2

52.0

0 0 0 0 0

0 0 1 0 0

3 o

? ?

1

ο 0

I 1 I I I

ο ο 0 ο 0

ο ο ο

22.9

Abbildung 9. Tabelle zur Waffenbeigabe. (1) Spatha - (2) Sax - (3) Lanzenspitze - (4) Axt und Beil (5) Schild - (6) Summe Waffen - (7) Summe beigabenfiihrender Gräber - (8) Ango - (9) Lanzenspitzen mit Schlitztülle.

Alemannen und Franken. Archäologische Überlegungen zu ethnischen Strukturen

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Folgt man mir hierin, gehört bereits in der Frühzeit auch der Mittelrhein bis an den Neckarmündungsraum zum fränkischen Siedlungsgebiet. Die Mainregion scheint ebenfalls fränkisch zu sein, dort finden sich später im 6. Jh. aber neben fränkischen auch in alemannischer Sitte bestattende Gemeinschaften, ein Prozeß, der im 7. Jh. wieder zugunsten des fränkischen zurückschlägt.

Abbildung 10. Kartierung zur Bewaffnung. Kreise: 40% und mehr Äxte und Beile, unter 33% Spathen und Saxe. - Dreiecke: 40% und mehr Spathen und Saxe, unter 40% Äxte und Beile. - Quadrat: nicht klassifiziert.

Die oben herausgearbeiteten Kulturmodelle erlauben auch einen archäologischen Beitrag zum Schlagwort .Ethnogenese'. Wo finden sich die Traditionen der hier für die zweite Hälfte des 5. Jhs. beschriebenen Charakteristika? .Reiche Gefäßbeigabe kennzeichnet die linksrheinischen Körpergräber der spätrömischen Zeit'19. Die reiche, auch glasreichere fränkische Gefäßbeigabe greift erkennbar spätrömische Bestattungssitten auf. Die verhaltene Gefäßbeigabe der Alemannen führt die der Germanen der späten Römischen Kaiserzeit fort. Ahnliches läßt sich in der Waffenbeigabe beobachten. In den von H.-W. Böhme untersuchten Gräbern des 4. und frühen 5. Jhs. fallen die linksrheinischen, d.h. politisch reichsrömischen Bestattungen durch die häufige Axtbeigabe und die vergleichsweise seltene Schildbeigabe auf (Abb. 16). Die rechtsrheinischen, also in der Germania libera 19

Böhme 1974: 133.

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niedergelegten Gräber weisen mehr Spathen und mehr Schilde auf. Insofern führt später die Bewaffnung der Franken linksrheinische Sitten fort, die der Alemannen rechtsrheinische. Im Vergleich ihrer Gefäß- und Waffenbeigabe stehen die Alemannen stärker in germanischer' Tradition, die Franken stärker in .spätantiker' Tradition. So wird erkennbar, wo aus archäologischer Sicht wesentliche Stadien der Entwicklung dieser beiden frühmittelalterlichen Völker stattgefunden haben. Gräberfeld

Gefäßbeigabe

WaffenSpektrum

Furfooz Haillot Vireux-Molhain Polch

NW-W NW-W NW-W NW-W

NW NW NW S

Eprave Gellep-West HD-Kirchheim Autobahn' Junkersdorf Müngersdorf Rhenen Rübenach Samson Kleinlangheim Niedernberg Weilbach I Westheim Eschborn

NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O NW-O

NW NW NW NW NW NW NW NW NW

S S S S S S S S S S S

NW

Aldingen Barbing-Irlmauth ,HöM' Basel-Gotterbarmweg Fridingen /Donau Großkuchen Hemmingen Kleinhüningen Neresheim Pliening Schmiden Weingarten

NW S

S S S S S S S S S

Abbildung 11. Übersicht zur bisherigen Gruppierung. S: Gruppe Süd, NW: Gruppe Nord-West. Innerhalb der Gruppe Nord-West wird bei der Gefäßbeigabe eine westliche ( - ältere) und eine östliche ( - jüngere) Variante unterschieden.

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Abschließend soll ein Ausblick auf die Oberschicht erfolgen. Weder ihre archäologische Abgrenzung noch die konkrete historische Deutung herausragend reicher Grabausstattungen ist abschließend geklärt20. Zudem ist hier anstelle der bislang verfolgten Argumentation mit Bestattungsgemeinschaften eine Diskussion individueller Gräber notwendig. Insofern muß dieser Ausblick sehr behutsam interpretiert werden. Kulturmodell Nord-West η

Süd η

Gräber Keramik handgef. Glas

284 190 21 94

255 47 17 10

Waffen Spatha Sax Lanze Axt/Beil Schild

86 10 6 23 40 7

65 15 16 11 13 10

Nord-West %

Süd %

66.9

19.2 34.7

11.1 33.1

3.9

30.3

25.5

11.6 7.0

23.1 24.6

26.7

15.4

46.5 8.1

20.0 15.4

Abbildung 12. Nachweis der den beiden Kulturmodellen zu Grunde liegenden Daten. Links die beobachteten Häufigkeiten, rechts die abgeleiteten Prozentzahlen.

Als eine mögliche .Leitform' für Oberschichtgräber können die Spathen vom Typ Krefeld gelten, die man grosso modo in das mittlere Drittel des 5. Jhs. datieren kann21. Die Tabelle Abb. 17 zeigt, daß die in der .Francia* gelegenen Bestattungen tendenziell Axtwaffen und Angones sowie eine Gefäßbeigabe aufweisen, Elemente, die den in der vermuteten A-lamannia' gelegenen Gräbern dieses Typs fehlen. Für den zum Vergleich notwendigen Ausblick auf Oberschichtgräber des 6. Jhs. seien exemplarisch die Gräber mit Knaufringschwertern herausgegriffen (Abb. 18)22. Die in der Francia gelegenen Bestattungen weisen Franzisken auf, Lanzenspitzen mit Schlitztüllen und Angones, bei den in der Alamannia' gelegenen fehlen diese Merkmale weitgehend. Bronzegeschirr findet sich wohl allgemein, aber Glasbeigabe und auf der Drehscheibe gefertigte Keramik wiederum nur in der francia'. Diese Beispiele mögen zeigen, daß vor und nach dem Goldgriffspathen-Horizont die Oberschichtbestattungen abseits ihrer Rang- und Qualitätsmerkmale erkennbar in die Sitten ihrer Region respektive ihres Ethnos ein20 21 22

Übersicht: Steuer 1994; vgl. Christlein 1973; Böhme 1995; Weidemann 1995. Böhme 1994: 82-98; Perin 1997. Steuer 1987.

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gebunden sind. Vor diesem Hintergrund sollen die Gräber mit Goldgriffspathen betrachtet werden, die man ja anhand der Merkmale ihres Griffes und ihrer Scheide in eine fränkische' und eine alemannische' Form zu gliedern pflegt (Abb. 19)2\ Sie werden in die zweite Hälfte des 5. Jhs. und die Zeit ,um 500' datiert. Hier zeichnet sich, anders als vorher und nachher, keine unterschiedliche Ausstattung der Gräber ab. Alles kommt überall vor. Gräberfeld Eprave Eschborn Furfooz Gellep - West HD-Kirchheim Autobahn' Haillot Junkersdorf Kleinlangheim Müngersdorf Niedernberg Polch Rhenen Rübenach Samson Vireux-Molhain Weilbach I Westheim Aldingen Barbing-Irlmauth Jiölz' Basel-Gotterbarmweg Fridingen /Donau Großkuchen Hemmingen Kleinhüningen Neresheim Pliening Schmiden Weingarten

Kulturmodell

Normabstand Nordwest Süd

Differenz

NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW NW

5.06 10.10 21.75 5.40 11.75 16.07 6.78 10.24 11.09 14.70 19.25 3.63 5.13 9.44 11.13 6.61 6.84

13.39 10.54 29.51 11.06 12.50 22.99 12.33 13.75 12.97 22.21 25.12 10.27 6.70 9.60 18.43 25.27 9.19

8.33 0.43 7.76 5.66 0.75 6.93 5.55 3.52 1.88 7.52 5.87 6.64 1.57 0.16 7.30 18.66 2.35

S S S S S S S S S S S

14.94 15.21 10.69 9.46 14.67 8.33 11.93 15.78 8.86 9.39 11.67

10.55 13.14 4.84 2.91 8.44 5.37 5.96 11.75 5.00 4.07 4.84

4.40 2.07 5.85 6.55 6.23 2.96 5.97 4.03 3.86 5.32 6.83

Abbildung 13. Zuordnung der Gräberfelder zu den beiden Kulturmodellen.

23

Quast 1993: 48 Abb. 15; Menghin 1995.

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Abbildung 14. Kartierung der Kulturmodelle. Die Größe der Symbole wächst mit der Nähe zum eigenen Modell.

Abbildung 15. Kartierung der Kulturmodelle. Die Größe der Symbole wächst mit dem Abstand zum fremden (alternativen) Modell.

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Auch an weiteren Leitgattungen für Oberschichtgräber des 6. und 7. Jhs. und auch für herausragende Frauenbestattungen ließe sich bestätigen, was die hier entwickelte Argumentation skizzenhaft zeigt: Woher auch immer der Tote stammen mag, bei der Bestattung erweist sich die Oberschicht tendenziell als in die Sitten des Ethnos eingebunden, in dessen Bereich sie bestattet wird - dies gilt in der Mitte des 5. Jhs. ebenso wie später im entwickelten 6. und im 7. Jh. Eine Ausnahme bilden die Bestattungen des Goldgriffspathen-Horizonts, also in der Phase der kriegerischen Auseinandersetzung auch zwischen Alemannen und Franken. Hier scheint sich im Grabritus eine Oberschicht überethnisch eben vorwiegend als Oberschicht auszeichnen zu wollen.

Spatha Sax Lanze Axt Schild Σ

η 23 -

48 87 8 166

linksrheinisch

% 14%

rechtsrheinisch η % 6 27%

-

-

-

29% 52% 5% 100%

6 7 3 22

27% 32% 14% 100%

Abbildung 16. Waffenspektrum der germanischen Waffengräber des 4./5. Jhs. - Etwas verändert nach Böhme 1974:164. Insgesamt 129 Waffengräber mit 188 Waffen.

Schlußfolgerungen Im skizzierten Argumentationsgang läßt sich m.E. ein eigenständiges archäologisches Ethnoskonzept entwickeln und anwenden. Es beruht auf der Analyse gemeinsamen Verhaltens von Lokalpopulationen, weniger auf dem Besitz ähnlicher Sachgüter. Im Ergebnis zeichnet sich ein Siedlungsgebiet der Alemannen ab, das in wesentlichen Zügen schon im späten 5. Jh. und beginnenden 6. Jh. dem entspricht, was später unter merowingischer Herrschaft auch politisch als Alemannia' umrissen wurde24. Die interessante Frage nach der Abgrenzung im Osten (Baiuwaren?) läßt sich bei der derzeitigen Publikationslage leider kaum beantworten. Die faßbaren ethnischen Eigenheiten der Franken greifen stärker auch Elemente der spätrömischen Traditionen in den westlichen Provinzen auf, die Charakteristika der Alemannen hängen enger mit germanischen Traditionen zusammen, wie sie sich im ehemaligen Dekumatland formierten25. Mit Ausnahme des Goldgriffspathenhorizonts ist die jeweilige Oberschicht in die Traditionen ihres Ethnos eingebunden. 24 25

Geuenich & Keller 1985; Schaab & Werner 1988. Steuer 1997.

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