Die Exekutiven der Revolutionen. Deutschland 1848/49 [1. ed.] 9783506791030, 9783657791033

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Die Exekutiven der Revolutionen. Deutschland 1848/49 [1. ed.]
 9783506791030, 9783657791033

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Die Provisorische Zentralgewalt und die provisorischen Regierungen in der deutschen Revolution von 1848/49
Fallstudien
2. Schleswig-Holstein – eine Revolutionsregierung im Dienste nationaler Selbstbehauptung
3. Die Revolutionsregierungen in Sachsen 1848/49: Von der nationalen Frage getriebene Ministerien
4. Die badische Revolutionsregierung in der Reichsverfassungskampagne
5. Die provisorische Regierung der Pfalz: Gegen Bayern und für die Reichsverfassung?
Fazit
6. Zentralgewalt und Provisorische Regierungen in der deutschen Revolution
Anhang
Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49 – Tabellarische Übersicht
Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt
Verfasser und Herausgeber
Verzeichnis der Abkürzungen

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Die Exekutiven der Revolutionen

Karsten Ruppert (Hg.)

Die Exekutiven der Revolutionen Deutschland 1848/49

Der Herausgeber: Karsten Ruppert lehrte als Professor Neuere und Neueste Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a.: Politik und internationale Beziehungen, politische Vereinigungen und Verbandsgeschichte, Verwaltungs- und Institutionengeschichte. Er ist Mitglied in der Vereinigung für Verfassungsgeschichte. Umschlagabbildung: Das Bundespalais (ehemals Palais Thurn und Taxis), 1848 Sitz der von der Frankfurter Nationalversammlung eingesetzten Provisorischen Reichsregierung. Zeitgenössische Darstellung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2023 Brill Schöningh, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-506-79103-0 (hardback) ISBN 978-3-657-79103-3 (e-book)

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii 1. Die Provisorische Zentralgewalt und die provisorischen Regierungen in der deutschen Revolution von 1848/49 . . . . . . . . . . . . . Karsten Ruppert

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Fallstudien 2. Schleswig-Holstein – eine Revolutionsregierung im Dienste nationaler Selbstbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Frank Möller 3. Die Revolutionsregierungen in Sachsen 1848/49: Von der nationalen Frage getriebene Ministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Jonas Flöter 4. Die badische Revolutionsregierung in der Reichsverfassungskampagne  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Frank Engehausen 5. Die provisorische Regierung der Pfalz: Gegen Bayern und für die Reichsverfassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Markus Meyer

Fazit 6. Zentralgewalt und Provisorische Regierungen in der deutschen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Karsten Ruppert

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Inhalt

Anhang Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49 – Tabellarische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt  . . . . . . . . . . 423 Verfasser und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Verzeichnis der Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

Vorwort Dieser Sammlung von Aufsätzen ist der Band „Die Exekutiven der Revolutionen: Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ vorausgegangen. Die dort gegebene Zusage, ein Panorama des Zeitalters der bürgerlichen Revolutionen am Beispiel von deren Exekutiven vorzulegen, wird mit ihr abschließend eingelöst. Während dieser die Revolutionsregierungen Europas vom Wohlfahrtsausschuss in Frankreich 1793 bis zur konstitutionellen Präsidentschaft Lajos Kossuths bzw. der Diktatur Artúr Görgeys in Ungarn 1849 behandelte, werden hier die Studien zu den Provisorischen Regierungen präsentiert, die im Deutschen Bund während der Revolution von 1848/49 gebildet wurden. Analysiert werden Entstehung, Zusammensetzung, Wirksamkeit und Funktion im revolutionären Zusammenhang der Exekutiven in Schleswig-Holstein, dem Königreich Sachsen, dem Großherzogtum Baden und dem bayerischen Regierungsbezirk Pfalz. Auch diese Aufsätze gehen auf überarbeitete Vorträge einer Tagung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Februar 2015 zurück. Auf ihr war es darum gegangen, im Rahmen eines DFG-Projekts zur Provisorischen Zentralgewalt in Deutschland diese in den deutschen und europäischen Zusammenhang einzuordnen. Während der Vorbereitung der Publikation des Tagungsbandes wurde offensichtlich, dass die Politik der regionalen revolutionären Exekutiven nicht hinlänglich verstanden wird, ohne die Bedingungen von deren Handeln zusätzlich auszuleuchten. Dies geschieht hier durch eine zusammenfassende Studie und eine vergleichende Bilanz des Herausgebers über die Provisorische Zentralgewalt und die Revolutionsregierungen in Deutschland während der Umwälzungen von 1848/49. Diese erhebliche Erweiterung des Tagungsbandes erklärt unter anderem die allzu große Verzögerung seines Erscheinens. Der Herausgeber hofft, dass diese durch die Ergebnisse gerechtfertigt wird. Die revolutionären Regierungen im Deutschen Bund sind bisher nicht im gleichen Umfang wie die europäischen vernachlässigt worden. Dennoch eröffnen die Beiträge dadurch neue wie ergänzende Perspektiven, dass diese über ihren regionalen Handlungsraum hinaus in das Gesamtgeschehen eingeordnet werden. Darüber hinaus wird der Blick auf die Interaktionen zwischen ihnen wie den revolutionären Institutionen in Frankfurt gerichtet. Nicht nur in diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die Bedeutung der „Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland“ bisher nur unzureichend gewürdigt wurde. Der Gegenwart ist zu wenig bewusst, dass sie die erste konstitutionelle

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Vorwort

Regierung auf nationaler Ebene gewesen ist und welche Bedeutung sie für die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland hat. Der Forschung ist kaum aufgefallen, dass sie im Laufe der Revolution ihren politischen Charakter änderte und nach der Auflösung der Nationalversammlung die letzte Institution der bürgerlichen Revolution war. Herausgeber und Beiträger hoffen daher, dass der Umfang, in dem die Revolutionsregierungen den Gang des Geschehens beeinflusst haben, nun deutlicher zutage tritt. Denn die vertieften Kenntnisse über die Provisorischen Regierungen stellen diese als einen gleichberechtigten Akteur neben die bisher im Mittelpunkt der Forschung stehenden Aufständischen auf Straßen und Plätzen, die Parlamente, Klubs und politischen Vereine. Sie eröffnen aber vor allem Einsichten zu einer teilweisen Neubewertung der jeweiligen Aufstände. Das geschieht dadurch, dass die bisherige Sicht ergänzt wird durch ein Verständnis der Institutionen, die sich die bürgerlichen Revolutionäre geschaffen haben, um die zeitweise eroberte politische Macht abzusichern und auszuüben. Dabei mussten sie sich in Deutschland nicht nur wie im zeitgenössischen Frankreich konkurrierender gesellschaftlicher Kräfte erwehren, sondern anders als dort auch der militärischen Macht der Reaktion, der sie dann auch zum Opfer fielen. Der Provisorischen Zentralgewalt blieb dieses Schicksal erspart, da sie ihre Liquidation selbst in die Wege leitete. Dafür hatte sie die staatlichen Strukturen und Institutionen des Regierens für ihr Handeln erst noch selbst schaffen müssen. Wie in Europa so waren die Umwälzungen und Aufstände in Deutschland überwiegend bürgerlich. Denn im Vordergrund stand die Veränderung des politischen Systems, wenn diese auch als Voraussetzung für den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft verstanden wurde. Obwohl immer wieder radikale Töne zu hören waren, so sollte sich die Neuverteilung der politischen Macht doch innerhalb der bestehenden fürstlichen Herrschaft vollziehen. Dort, wo die Beseitigung von deren Grundlagen zeitweise erwogen wurden wie in Schleswig-Holstein, der Pfalz und in Baden fehlten realistische Alternativen. Auch wenn zeitweise andere Kräfte auf den Plan traten, so behielt das Bürgertum durchgehend das Heft in der Hand. Dass dafür die Revolutionsregierungen unverzichtbare Instrumente waren, ist ein Ergebnis der hier veröffentlichten Forschungen. Mein Dank gilt vor allen Dingen den Mitautoren für ihre Vorträge und die Mühe, die sie sich mit deren Überarbeitung gemacht haben, wie nicht zuletzt für die Geduld, mit der sie auf die Publikation ihrer Arbeiten gewartet haben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Tagung durch eine finanzielle Zuwendung ermöglicht und die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Vorwort

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hat ihre Durchführung unterstützt. Der Lektor des Schöningh-Verlags, Diethard Sawicki, hat die Drucklegung des Buches hilfreich begleitet und ein Zuschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat sein Erscheinen erleichtert. Römerberg Ende 2022 

Karsten Ruppert

Die Provisorische Zentralgewalt und die provisorischen Regierungen in der deutschen Revolution von 1848/49 Karsten Ruppert 1.

Die Grundlegung der Provisorischen Zentralgewalt

Nach Ausbruch der revolutionären Unruhen in Deutschland glaubte der Bundestag, den Gang der Entwicklung auch weiterhin beeinflussen zu können. Das Organ der fürstlichen Regierungen hat daher unter anderem von 17 „Männern des allgemeinen Vertrauens“ im Laufe des April 1848 einen Verfassungsentwurf ausarbeiten lassen. Dieser wurde aber von der Öffentlichkeit ebenso zurückgewiesen wie vom inzwischen einberufenen Vorparlament, das sich als vorläufige und vorbereitende Repräsentation des Volkes verstand. Folglich vertrat es mit Nachdruck die Volkssouveränität und geriet gleich in einen Gegensatz zu der diskreditierten Einrichtung des alten Regimes. Es akzeptierte aber mit einigen Korrekturen den Bundesbeschluss vom 30. März 1848 über die „Wahlen von Nationalvertretern“, die „zwischen den Regierungen und dem Volke das deutsche Verfassungswerk zu Stande“ bringen sollten.1 Wenn das Wahlrecht auch je nach Bundesstaat variierte, so war es doch insgesamt so allgemein, frei und weitgehend gleich, dass die danach gewählte Nationalversammlung sich hinreichend demokratisch legitimiert fühlen konnte.2 Das war für ihre Macht, ihr Ansehen und Selbstverständnis von ausschlaggebender Bedeutung. Ein erster Ausfluss davon waren einige Grundentscheidungen, die sie unmittelbar nach ihrem Zusammentritt am 18. Mai 1848 fällte. Die  330 Abgeordneten von nominell 649 machten klar, dass sie nicht aufgrund der Beschlüsse des Bundestags an ihr Werk gehen werden, sondern kraft der vom souveränen Volk erteilten Vollmacht und dass nicht, wie die 1 Der erste Beschluss vom 30. März und der Beschluss mit den Korrekturforderungen des Vorparlaments vom 7. April 1848: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. – Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850 / hrsg. von Ernst Rudolf Huber. – 3., neubearb. u. verm. Aufl. – Stuttgart 1978, 337f. 2 Nach Langewiesche, Dieter: Revolution in Deutschland: Verfassungsstaat; Nationalstaat; Gesellschaftsreform. – In: Europa 1848: Revolution und Reform / hrsg. von Dieter Dowe; Heinz-Gerhard Haupt; Dieter Langewiesche. – Bonn 1998. – (Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung: Politik und Gesellschaftsgeschichte; 48) 171 waren 80 % der erwachsenen Männer wahlberechtigt gewesen.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657791033_002

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Karsten Ruppert

Versammlung der fürstlichen Delegierten noch unterstellt hatte, eine Revision der Bundesverfassung auf der Tagesordnung stand, sondern eine Neuschöpfung.3 Damit war der bisher von der großen Mehrheit der Versammlung geteilte konstitutionelle Begriff von Verfassung als Vertrag zwischen Fürst und Volk nur schwer vereinbar.4 Es gehört zu den zahlreichen Widersprüchen der Revolution, dass sie dennoch an dieser Vorstellung festhielt, zumal auch machtpolitische Gründe dafür sprachen, das Vereinbarungsprinzip nicht vollständig über Bord zu werfen. Nach dieser Grundsatzentscheidung hat es sich aber auf die Zustimmung der Fürsten zum fertigen Verfassungswerk reduziert.5 Damit wurde der Weg eingeschlagen, die Revolution durch Institutionalisierung zu kanalisieren wie durch die Berufung auf die Volkssouveränität zu legitimieren und dabei zugleich die alten Gewalten sich unterzuordnen. Er wurde in der machtpolitischen Euphorie des Frühsommers 1848 konsequent weitergegangen. Die Nationalversammlung musste sich zur Schaffung einer neuen Gewalt umso stärker gedrängt sehen, als die alten bedenklich wankten. Es war im Frühjahr 1848 nicht mehr auszuschließen, dass Preußen und Österreich zerfielen und die mittleren und kleineren Bundesstaaten in revolutionärer Schockstarre verharrten. Es kam hinzu, dass sowohl der Wunsch des Parlaments, das neue Deutschland auch nach außen hin zu repräsentieren und eine Marine aufzubauen, sowie der Bundeskrieg gegen Dänemark dafür sprachen. Nicht zuletzt haben auch die Wähler ein solches Vorgehen befürwortet und an die neue Institution große Hoffnungen geknüpft.6

3 Vgl. die Rede des Präsidenten der NV Heinrich von Gagern in: Reden für die deutsche Nation 1848/1849: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main / hrsg. von Franz Wigard. – Frankfurt a. M. 1848/49. – ND 1988, Bd. I, 17. 4 Vgl. auch Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. – 2. Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850. – 3., wesentl. überarb. Aufl. – Stuttgart 1988, 422. 5 Stockinger, Thomas: Deutsches Reich 1848/49. – In: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert: Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. – Bd. 3: 1848–1870 / hrsg. von Werner Daum; unter Mitwirkung von Peter Brandt, Martin Kirsch, Arthur Schlegelmilch. – Bonn 2020, 649–683, bezeichnet S. 660 das Dilemma zwischen Souveränitätsanspruch und Vereinbarungsprinzip als die „Krux des Frankfurter Projekts“. 6 In einem Brief an Robert von Mohl aus seinem Wahlkreis von Mitte Juni 1848 wird diesem berichtet, dass die aktuelle Frage der Gestaltung der provisorischen Zentralgewalt die Wähler sehr beschäftige. „Jedermann fühlt, dass diese Frage die eigentliche Lebensfrage ist, von deren Lösung alles Übrige bedingt und abhängig ist.“: Reichsminister Robert von Mohl und seine Wähler 1848/49: Neunzehn Briefe aus der deutschen Nationalversammlung / hrsg. von Bernhard Mann. – In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 30 (1971) 325–381, hier 337.

Die Provisorische Zentralgewalt

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Man knüpfte dabei an Debatten des Fünfzigerausschusses, der die Rechte des Volkes anstelle des aufgelösten Vorparlaments wahrnahm, und an den Plan des Bundestags von Mitte April an. Dieser sah vor, eine „executive Bundesgewalt“ durch die Einsetzung eines dreiköpfigen Direktoriums provisorisch zu begründen.7 Doch gerade den Bundestag – und über ihn die Fürsten – wollte die Mehrheit der bürgerlichen Revolutionäre der Nationalversammlung nicht mehr ins Spiel kommen lassen. Dennoch hat sie diesen Gedanken aufgenommen. Die dadurch ausgelöste sechstägige Debatte war die erste große Redeschlacht der Nationalversammlung. In ihr haben sich nicht nur die politischen Lager formiert und profiliert, sondern die Versammlung wurde sich dabei auch über ihre Legitimation klarer.8 In dieser zeitlich extensiven, doch mit intensivem Gestaltungswillen geführten Auseinandersetzung, zeigte die Versammlung, wozu sie fähig war. Sie hat letztlich alle Einwände personeller wie institutioneller Ausgestaltung der Zentralgewalt, von welcher Seite sie auch vorgebracht wurden, hinweggefegt, und sich zu einem konstruktiven Kompromiss, der von einer großen Mehrheit des Hauses getragen wurde, durchgerungen. Wenig Chancen hatte das von der Linken favorisierte Modell, einem Ausschuss des Parlamentes die Exekutivgewalt zu übertragen. Das roch zu sehr nach der Konventsherrschaft der Französischen Revolution, die nach Ansicht ihrer Gegner nur die Vorstufe zu Bürgerkrieg und Diktatur gewesen sei. Damit blieben zwei Fragen offen: erstens, ob an die Spitze des noch gar nicht bestehenden Staates ein Kollegium, ein Präsident oder ein Monarch zu stellen und wie dessen Rechtsstellung zu fassen sei; zweitens, wer diese Spitze bestimmen sollte. Weniger umstritten war, in welchem Verhältnis die von der Staatsspitze berufene Regierung zur Nationalversammlung stehen sollte.9 Durch die Schaffung einer Exekutive musste das Verhältnis zu den fürstlichen Gewalten erneut grundsätzlich berührt werden und durch deren Form eine Vorentscheidung hinsichtlich des Regierungssystems (monarchisch oder republikanisch) und des Staatsaufbaus (unitarisch oder föderalistisch) fallen. Den Weg zur Lösung ebnete der westfälische Abgeordnete Georg Vincke von der äußersten Rechten, indem er die Nachteile des Dreierkollegiums überzeugend darlegte. Für diesen Vorschlag spräche zwar, dass dadurch die drei politischen Zonen Deutschlands (Preußen, Österreich, die Mittel- und Kleinstaaten) 7 So im Initiativantrag Badens vom 18.4.48: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1848: Sitzung 1–71. – Frankfurt a. M. 1848, § 297, 416f. 8 Breit behandelt in Bassermann, Friedrich Daniel: Denkwürdigkeiten. – Franfurt a. M. 1926, 181ff. 9 Ausführlich zur Debatte über die Einsetzung der PZG Botzenhart, Manfred: Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit: 1848–1850. – Düsseldorf 1977, 163ff.

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repräsentiert würden, doch sei das Modell nicht praktikabel. Denn entweder würde einer das Kollegium dominieren oder aber es würde in „drei verschiedene Richtungen auseinandergehen“. Er schlug daher einen „Bundesdirektor“ vor, der von den deutschen Regierungen ernannt werden sollte. Dafür empfahl er schon Erzherzog Johann, ohne ihn namentlich zu nennen, indem er dessen Verdienste um die Steiermark und die deutsche Einheit pries. In einer Generalversammlung der konservativen Parteien am Abend des 21. Juni einigten sich diese auf einen Reichsverweser, der „von den deutschen Regierungen binnen kürzester Frist der Nationalversammlung bezeichnet und von dieser ohne Diskussion genehmigt“ wird.10 Die sich abzeichnende provisorische Zentralgewalt hatte Heinrich von Gagern bereits am 28. Februar zusammen mit einer „Volksrepräsentation“ in der Zweiten Kammer des Großherzogtums Hessen-Darmstadt gefordert. Und im Vorparlament hatten schon die Radikaldemokraten darauf bestanden, dieses dauerhaft tagen zu lassen, um ihm eine provisorische Regierung an die Seite stellen zu können. Um für deren Ausgestaltung jetzt eine möglichst große Mehrheit zu erhalten, entschied sich der Parlamentspräsident am 24. Juni für einen „kühnen Griff“.11 Er lief darauf hinaus, die „provisorische Zentralgewalt“ durch die Nationalversammlung „selbst [zu] schaffen“ und sie einem Fürsten zu übertragen, „nicht weil es, sondern obgleich es ein Fürst ist“.12 Der Vorschlag, die Zentralgewalt durch das Parlament wählen zu lassen, überraschte selbst Gagerns Gesinnungsgenossen. Da er diesen Weg aber mehr aus Gründen der Zweckmäßigkeit als der Ideologie empfohlen hatte, und er die Blockade löste, schlossen sie sich ihm am 27. an.13 Damit war der Weg frei für die Wahl Erzherzog Johanns von Österreich am 29. Juni 1848 zum Reichsverweser14 an der Spitze der „provisorischen Centralgewalt für Deutschland“. Deren gesetzliche Grundlagen waren am Vortage mit 450 zu 100, meist von der Linken kommenden Stimmen, gelegt worden.15 Diese komfortable Mehrheit war allerdings nur dadurch erreicht worden, dass einer Gruppe von konservativen 10 11 12 13 14 15

F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 182f. Auch die Jenaer Habilitationsschrift von Möller, Frank: Heinrich von Gagern: eine Biographie. – 2003 kommt trotz Einsicht in die Unterlagen Heinrich von Gagerns über Motive und Genese des „kühnen Griffs“ nicht über das Bekannte hinaus. Vgl. Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 520ff. Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 602. Vgl. Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 638. Vgl. Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 559ff. Druck des G. vom 28.6.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm.  1) 340f. Zur Reaktion im Lande auf die Einsetzung der PZG vgl. Wentzcke, Paul: Kritische Bibliographie der Flugschriften zur deutschen Verfassungsfrage 1848–1851. – Nachdr. d. Ausg. Halle 1911. – Hildesheim 1967, Nr. 347ff.

Die Provisorische Zentralgewalt

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Abgeordneten eingeräumt worden war, das Einverständnis der deutschen Regierungen vorzubehalten.16 Die Zentralgewalt wurde nach dem Modell der konstitutionellen Monarchie konstruiert. An der Spitze stand der nicht verantwortliche Reichsverweser, der durch ein von ihm zu berufendes Reichsministerium regierte. Dieses hatte gegenüber dem Parlament die politische Verantwortung zu übernehmen, ohne dass näher geregelt worden war, in welcher Form dies zu geschehen habe.17 Der Provisorischen Zentralgewalt wurde „die vollziehende Gewalt in allen Angelegenheiten, welche die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt der Bundesstaaten betreffen“, ebenso übertragen wie die „Oberleitung der gesammten bewaffneten Macht“. Darüber hinaus wurde sie ermächtigt, Deutschland völkerrechtlich und handelspolitisch zu vertreten. Über Krieg und Frieden sollte allein im Einvernehmen mit der Nationalversammlung entschieden werden. Diese untermauerte zugleich ihr Monopol hinsichtlich der Verfassungsgebung, indem sie der Exekutive ausdrücklich untersagte, sich an der „Errichtung des Verfassungswerkes“ zu beteiligen.18 In europäischer Perspektive tritt eine Besonderheit der Zentralgewalt nochmals deutlicher hervor. Im Europa vor und nach 1848 waren die provisorischen Regierungen entweder Instrumente des Bürgertums, um die Revolutionen in seinem Sinne weiterzutreiben oder zu steuern. In Deutschland hingegen war die Zentralgewalt gleich so eindeutig wie sonst nirgends als Staatsorgan konzipiert worden: als Regierung mit einem Staatsoberhaupt, einem Ministerpräsidenten und Ministerien. Das in den europäischen Revolutionen weit verbreitete Modell einer politischen Leitung durch eine exekutive Kommission, der Ministerien zugeordnet waren, wurde 16

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Wie fast alle seine Gesinnungsgenossen war auch Hermann von Beckerath davon überrascht worden, dass die Bundesstaaten bei der Einsetzung der Zentralgewalt übergangen werden sollten. Obwohl er deswegen Vorbehalte gegen das G. hatte, stimmte er ihm innerlich zu, da ihm wie vielen anderen auch klar war, dass nur so zu erreichen sei, dass der RV „eine ganz monarchische Stellung“ erhielt. Dass „das Werk mühseliger Tage und Nächte, glücklich vollbracht,“ sah er als Zeichen dafür an, „daß die Vorsehung unser teures Vaterland nicht verlassen hat.“: H. v. Beckerath an L. v. Beckerath, 28.6.1848. In: Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850: Gesammelt u. hrsg. von Joseph Hansen. – 2. Bd.; 2. Hälfte: April – Dezember 1848 / unter Benutzung der Vorarb. von Joseph Hansen bearb. von Heinz Boberach. – Köln, Bonn 1976. – (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; 36) 248ff. Schmerling nimmt in seinen Denkwürdigkeiten für sich in Anspruch, auf die Formulierung des Gesetzes, insbesondere auf diese Konstruktion, „im Interesse von Österreich“ hingearbeitet zu haben: Denkwürdigkeiten: Bundesarchiv Berlin, Biografische Sammlung zur deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung im 19. Jahrhundert (FSG 1) Mappe 3. Das hatte sie bereits durch ihren fast einstimmig gefassten Beschluss vom 27. Mai, dass Bestimmungen von Landesverfassungen der künftigen Reichsverfassung nicht widersprechen dürfen, unterstrichen: Reden I / hrsg. v. F. Wigard (wie Anm. 3) 155.

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gar nicht erst erwogen. In ihrer Struktur war die Zentralgewalt mehr staatlich exekutiv als politisch revolutionär. Gagerns Vorschlag war ein Kompromiss, der wie wenige eine verfahrene Situation bereinigte. Die Ersetzung des Dreierkollegs aus vom Bundestag ernannten Repräsentanten, das kaum zu einer einheitlichen Willensbildung fähig gewesen wäre, durch einen von den Volksvertretern gewählten Fürsten versöhnte die Linke damit, dass sie weder einen Vollziehungsausschusss noch einen Präsidenten hatte durchsetzen können. Rechte Liberale und gerade die engsten Parteigänger Gagerns19 konnten sich mit dieser für sie nur schwer akzeptablen erneuten Manifestation der Volkssouveränität abfinden, weil dadurch die Staatsform der konstitutionellen Monarchie präjudiziert und die gefürchtete Republik verhindert wurde.20 Schließlich war schon früh ein Habsburger als Oberhaupt vorgesehen, wodurch auch die Großdeutschen eingebunden wurden – das hat die Regierung zusätzlich in der Nationalversammlung verankert und damit ihre Autorität nochmals gestärkt. Nicht zuletzt war es auch klug, einen Fürsten vorzuschlagen, um die gekrönten Häupter des Deutschen Bundes nicht noch mehr gegen die Zentralgewalt und die Nationalversammlung aufzubringen. Denn diesen missfiel deren einseitiger Akt, der ihre Stellung im Deutschen Bund nachhaltig beeinträchtigen musste zu einem Zeitpunkt, an dem sie immer noch mit einem erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen in Frankfurt rechneten. Fürst an der Spitze konnte also auch als Konzession an diese Kräfte verstanden werden. Möglich, dass auch der Titel Reichsverweser beschwichtigend auf diese wirken sollte. Der früh gefasste Beschluss der Nationalversammlung, eine revolutionäre Exekutive einzurichten, zeigt nochmals, dass Konstitutionelle und Liberale wie schon bei der Einberufung des Vorparlaments und der Einsetzung des Fünfzigerausschusses in ihren Methoden revolutionärer waren als in ihren Zielen.21 Er hatte Implikationen, die im Augenblick noch gar nicht zu übersehen waren. Zunächst einmal überschritt die Versammlung damit ihr Mandat, da sie lediglich gewählt worden war, um eine Verfassung zu beraten. Die Einrichtung einer Regierung war nicht nur der Form nach ein weiterer revolutionärer Akt, 19 20 21

Nach F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm.  8) 185 folgte die Versammlung Gagern: „so mächtig der demokratische Zug jener Tage, so groß der Drang, durch Selbsthandlung die durch lange Erfahrung bezeugte Tatlosigkeit der Regierungen zu ersetzen.“ Vgl. auch Th. Stockinger: Deutsches Reich 1848/49 (wie Anm. 5) 661. Die Abgeordneten waren sich dessen auch bewusst. Vgl. den Bericht des Rektors Rümelin vom 18.6.1848, der von einem „großen Wendepunkt in der Geschichte unserer Revolution“ spricht; vgl. auch Klüpfel, K[arl]: Aus Johannes Fallati᾽s Tagebüchern und Briefen: Ein Beitrag zur Geschichte des Jahres 1848. – In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 8 (1885) 1–36, hier 15.

Die Provisorische Zentralgewalt

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sondern auch faktisch. Damit wurde ausdrücklich das Zentralorgan des Deutschen Bundes beseitigt.22 Schließlich war durch die Form der Plan der Fürsten konterkariert worden, über ein Dreierkollegium als Regierungsorgan Einfluss auf den Gang der Dinge in Deutschland zu behalten. Machtpolitisch unterstrichen die Revolutionäre damit, dass die Fürsten und ihre Regierungen jegliche politische Mitgestaltung auf der nationalen Ebene für die Zeit der Revolution versagt bleiben sollte und sie sich danach der obersten Gewalt eines Bundesstaates und nicht mehr der eines Staatenbundes würden unterordnen müssen. Wohl absichtlich ungeklärt blieb die Frage, ob mit der Beseitigung des Bundestages auch die durch die Wiener Bundesakte geschaffene Verfassung aufgehoben sei. In der Zeit des Provisoriums ist sie immer mal wieder virulent geworden. Nun war ebenso klar, dass die bürgerlichen Revolutionäre nicht bloß ein neues Staatswesen begründen wollten, sondern von Beginn an die Entwicklung dahin mitzugestalten gedachten; und zwar nicht nur mithilfe einer revolutionären Exekutive, sondern auch einer unmittelbar in Landesrecht umzusetzenden Gesetzgebung.23 Nach heftigen Debatten wurde verhindert, die Reichsregierung zum bloßen Vollzugsorgan der Beschlüsse und Gesetze der Nationalversammlung zu machen,24 und der Ausschluss der Mitglieder der Provisorischen Zentralgewalt von den Beratungen der Verfassung wurde abgewehrt. Beides wirft aber ein bezeichnendes Licht darauf, wie die „Männer des Volkes“ sich selbst und ihr Verhältnis zur Exekutive sahen.25 Mit dieser selbstbewussten Behauptung des Vorrangs scheint zunächst nicht vereinbar zu sein, dass das Parlament sein Verhältnis zur Regierung nicht genau festgelegt hat.26 Ein am 1. Juli eingesetzter Ausschuss sollte einen detaillierten Entwurf erarbeiteten, es blieb aber bei der bloßen Verkündung des Prinzips.27 Die Vereinbarkeit von Amt und Mandat wurde ebenso postuliert wie die Verantwortlichkeit der Minister. Die Ernennung und Entlassung der Minister blieb aber im freien Ermessen des Reichsverwesers und die Regierung benötigte 22 23 24 25 26 27

Art. 13 d. G. vom 28.6.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 277. G. betreffend die Verkündigung von Reichsgesetzen, 27.9.1848: Quellensammlung zum deutschen öffentlichen Recht seit 1848 / hrsg. von Paul Roth; Heinrich Merck. – 2 Bd. – Erlangen 1850, 1852. – Bd. 2, 42f. Vgl. Reden I / F. Wigard. (wie Anm. 3) 581ff. H. v. Gagern dazu in seiner Rede vom 24.6. (wie Anm. 12) „daß die Schaffung einer solchen Behörde mit bloßen Vollziehungsrechten, die neben uns bestehen soll, mit uns steht und fällt“. Zusammenfassend zu diesem Problemkomplex und den Theoretikern des Parlamentarismus D: Beyme, Klaus von: Die Parlamentarischen Regierungssysteme in Europa. – 2. Aufl. – München 1973, 150ff. Ausführlich M. Botzenhart: Parlamentarismus (wie Anm. 9) 177ff.

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weder zu ihrem Amtsantritt das Vertrauen des Parlaments noch war sie rechtlich gezwungen, aus einem Misstrauensvotum Konsequenzen zu ziehen. Dieser Spielraum zusammen mit dem Rückhalt am Reichsverweser hat dem Reichsministerium schon früh gegenüber dem Parlament eine relativ unabhängige Stellung ermöglicht, die sich am deutlichsten in der Krise des April und Mai 1849 manifestierte. Dennoch war der in Frankfurt praktizierte Parlamentarismus in seiner Art neu. Unter demokratischem Aspekt hatte er eine neue Qualität gegenüber der bisherigen Praxis in den Bundesstaaten. Doch auch im Vergleich mit dem Verhältnis zwischen Regierung und Parlament in Berlin und Wien hatte Frankfurt die parlamentarischste Regierungsform. Diese Offenheit ist wohl auf zwei Gründe zurückzuführen. Zum einen wirkte bei der liberalen Mehrheit, welche die Zentralgewalt konzipiert hatte, das tradierte Verständnis des konstitutionellen Regierens mit seiner strikten Entgegensetzung von der die Staatsgewalt repräsentierenden Exekutive und der ihr gegenüber die Rechte des Volkes verteidigenden Legislative nach. Zum anderen teilte gerade die liberale Mehrheit der Paulskirche die beträchtliche Skepsis gegenüber dem parlamentarischen System, das ja auch nicht zum Kern der Märzforderungen gehört hatte. Für sie war vermutlich ausschlaggebend, dass es sich mit der konstitutionellen Monarchie vereinbaren ließ. Denn die alles beherrschende verfassungsrechtliche Alternative lautete Monarchie oder Republik, nicht Konstitutionalismus oder Parlamentarismus.28 In der Praxis ging die Tendenz aber in diese Richtung. Die Fraktionen betrachteten die Minister und wohl noch mehr die Unterstaatssekretäre als ihre Vertreter in der Regierung, die sich wiederum um deren Rückhalt für die Grundlinien ihrer Politik bemühten. Nichts war über das Recht des Reichsministeriums, Gesetze einzubringen, gesagt worden. Da sich dagegen aber kein Einspruch erhob, wurde es durch die Praxis sanktioniert. Das Ergebnis war ein pragmatisch gehandhabter und improvisierter Parlamentarismus, der theoretisch unreflektiert und verfassungsrechtlich nicht abgesichert war29 und in dieser Hinsicht dem in der späteren Reichsverfassung ähnelte. Mit einer solchen Konstituierung der Regierungsgewalt wurde die noch offene Flanke der institutionalisierten Revolution auf der nationalen Ebene 28

29

Ausführliche Untersuchung des Parlamentarismus im Bund und in den Bundesstaaten durch M. Botzenhart: Parlamentarismus (wie Anm. 9); vgl. noch Langewiesche, Dieter: Die Anfänge der deutschen Parteien: Partei, Fraktion und Verein in der Revolution von 1848/49. – In: Geschichte und Gesellschaft 4 (1978) 336ff. Vgl. auch Langewiesche, Dieter: Die deutsche Revolution von 1848 / 49 und die vorrevolutionäre Gesellschaft; Forschungsstand und Forschungsperspektiven. – In: Archiv für Sozialgeschichte 21 (1981) 464f. und Th. Stockinger: Deutsches Reich 1848/49 (wie Anm. 5) 662f.

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geschlossen. Auffallend, dass seitdem in Frankfurt immer mehr von Verständigung mit den regierenden Fürsten die Rede ist und weniger wie bisher von Vereinbarung. Ihre Interessen sollten weiterhin berücksichtigt werden, doch wurden sie nicht mehr als gleichwertige Verhandlungspartner angesehen. Die Revolution wurde darüber hinaus dadurch abgesichert, als die Provisorische Zentralgewalt wohl auch geschaffen wurde, um den prekären Übergang von der Beendigung der Beratungen der Verfassung und dem Zeitpunkt, an dem die neuen Staatseinrichtungen auf ihrer Grundlage ihre Arbeit aufnehmen würden, zu gewährleisten. In dieser Zeit wäre sie die einzige Institution der Revolution auf nationaler Ebene gewesen und somit auch Garantin der Implementierung von deren Werk. Im revolutionären Schwung hat die Nationalversammlung die rechtlichen Probleme völlig ignoriert, die dadurch aufgeworfen wurden, dass die Exekutive eines Reiches installiert wurde, das überhaupt noch nicht bestand. Dennoch haben diese sich während der Arbeit der Zentralgewalt immer wieder gestellt. Die Bundesstaaten wie auch Regierungen des Auslands nahmen sie gerne zum Vorwand, um mit der Berufung auf die zweifelhafte Legitimität unliebsame Maßnahmen zurückzuweisen oder zu unterlaufen. Es sind auch keinerlei Überlegungen angestellt worden, wie die Zentralgewalt zu den Mitteln gelangen würde, die sie benötigte, um ihre Bestimmung zu erfüllen. Man hat unausgesprochen darauf gesetzt, dass die Konstellation des Juni 1848 bis zur Erfüllung des Auftrages anhalten würde. Nämlich der Rückhalt der Frankfurter Institutionen an den erneuerten Landtagen, den Märzministerien und einem vom Aufbruch zu Freiheit und Einheit begeisterten Volk. Der Vorrang der Revolution und damit der der Frankfurter Institutionen vor denen der Bundesstaaten war mit der Begründung der Provisorischen Zentralgewalt nochmals unterstrichen und befestigt worden. Er konnte aber nur so lange widerstandslos behauptet werden, wie die Revolutionen inner- und außerhalb der Institutionen aufeinander bezogen blieben und solange für die antirevolutionären Kräfte die bürgerlichen Revolutionäre das kleinere Übel waren. Um seinen Auftrag zu erfüllen, war insbesondere das unfertige Reichsministerium auf den guten Willen und die Unterstützung der fürstlichen Regierungen angewiesen. Daher war es ein beträchtlicher Nachteil, dass dieses erst aktiv werden konnte, als die gleichgesinnten Märzministerien in den Bundesstaaten zum Teil bereits schon wieder umgebaut wurden. Deswegen kam der staatenbündische Aufbau als eine besondere Determinante der deutschen Revolution voll zur Auswirkung. Den bürgerlichen Revolutionären stand nicht eine einzige staatliche Struktur gegenüber, die sie hätten übernehmen können und nicht nur eine politische Elite, die sie hätten ersetzen können. Das war die Konstellation, wie sie für viele europäische

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Revolutionen typisch war. Sie hätte im Konfliktfall auch eine ganz andere Ausgangslage geschaffen, da das Reichsministerium dann schon substanzielle Machtmittel in der Hand gehabt hätte. So aber musste eine staatliche Macht begründet werden, die sich gegenüber einer staatlichen Machtanhäufung (39 Staaten, von denen 35 Fürstentümer gewesen sind) durchsetzen musste. Die naive Annahme, dass dies reibungslos vonstattengehen würde, war einer der großen Irrtümer der Revolution. Die bürgerlichen Revolutionäre in Frankfurt hatten nicht ausreichend erkannt, was es bedeutete, dass die klassischen Mittel staatlicher Macht in den Händen ihrer Gegner blieben, während sie sich auf revolutionäre Gewalt stützen mussten, die emotional-psychologisch und daher schwankend und meist von begrenzter Dauer ist. Sie kann nur dann verstetigt werden, wenn auf ihrer Grundlage die gegenrevolutionären Kräfte schnell ausgeschaltet werden oder aber sie langfristig durch die Schaffung von Machtmitteln befestigt wird. Da die Zentralgewalt beide Wege nicht gegangen ist, blieb sie von der Machtkonstellation in Deutschland und Europa abhängig. Diese aber verschob sich schon seit dem Frühherbst 1848 zugunsten der konterrevolutionären Kräfte. Die Errichtung und selbst noch die Bildung der Reichsregierung wie die Einsetzung eines habsburgischen Erzherzogs als Reichsverweser war eine Niederlage für Preußen. Die entscheidenden Zirkel in Frankfurt hatten mit einem schwankenden König und einem konzeptlosen Staatsministerium so leichtes Spiel wie später nie mehr. Diese Ausgangslage hat das Verhältnis zwischen der Zentralgewalt und dem Königreich dauerhaft belastet, da dieses solange jene bestand, sich darum bemühte, das Versäumte aufzuholen. Hof und Regierung der Habsburgermonarchie waren so sehr in die eigenen Probleme verstrickt, dass man den Eindruck hat, dass sie weder die Vorgänge in Frankfurt noch deren Bedeutung hinlänglich zur Kenntnis genommen haben. Die übrigen Bundesstaaten hatten ebenso wenig eigene Vorstellungen entwickelt; sie sahen sich im Frühsommer 1848 gezwungen, die revolutionären Institutionen zunächst gewähren zu lassen. Daher ist der Gedanke, die Regierungen der Bundesstaaten in die Schaffung der Zentralgewalt mit einzubinden, auch rasch fallen gelassen worden. Doch war die Einsetzung der Zentralgewalt mit der habsburgischen Spitze nicht nur eine Niederlage für Preußen, sondern genauso ein Danaergeschenk für die, die sie schließlich durchgesetzt haben: Heinrich von Gagern und sein kleindeutscher Anhang. Deren Griff war nicht nur kühn, sondern auch einer ins Dunkle. Denn es war kaum abzuschätzen, welche Rückwirkungen die Errichtung dieses Amtes haben würde; und ungewiss war auch, wie die Person es ausfüllen würde, die wie deren politische Vorstellungen kaum jemand genau kannte. Wenn auch viel dafür sprach zu einem Zeitpunkt, an dem die

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großdeutsche Option noch favorisiert wurde, einen österreichischen Aristokraten zum Reichsverweser zu machen, so ist nicht ganz ein Jahr später nur das Problem aufgebrochen, das sich auch schon damals stellte: Wie ließ sich ein kleindeutsches Reich unter preußischer Führung mit einer Zentralgewalt unter einem österreichischen Erzherzog erreichen? So schien, wie schon Veit Valentin erkannt hat, die Begründung der Zentralgewalt Abschluss wie Höhepunkt der revolutionären Volksbewegung zu sein und die Garantie für deren Vollendung. Damit setzte aber auch ein Umschwung ein. Man muss nicht mit Valentin darin gleich den Beginn des „unaufhaltsamen Niedergangs“ sehen.30 Doch dass die Dynamik der institutionalisierten Revolution nun eine andere war, das war nicht mehr zu leugnen. 2.

Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich

2.1 Die Institution des Reichsverwesers Wie der König im konstitutionellen System so verkörperte der Reichsverweser in dem jetzt geschaffenen die Staatsgewalt. In dieser Funktion konnte er nicht belangt werden. Daher konnte er politisch nur handeln mit Ministern, die gegenüber dem Parlament durch die Mitunterzeichnung seiner Anordnungen die Verantwortung übernahmen. Dieses Amt wurde Erzherzog Johann von Österreich übertragen, der vom konstitutionellen Regieren aber wohl andere Vorstellungen hatte als seine Wähler. Denn er legte großen Wert darauf, nicht nur durch die Volksvertreter gewählt worden zu sein, sondern auch im Auftrag der Fürsten zu regieren. Daher ließ er sich noch am Tag seiner Vereidigung in der Nationalversammlung31 von der Bundesversammlung deren „verfassungsmäßige Befugnisse und Verpflichtungen“ im „Namen der deutschen Regierungen“ übertragen,32 wodurch die (volks)souveräne Entscheidung der Nationalversammlung beeinträchtigt wurde. Denn so wurde es der bereits vor einem Monat von den Volksvertretern als Zeichen für den Bruch mit dem alten Regime aufgelösten Bundesversammlung ermöglicht, auf ihrer Position zu verharren, von sich aus ihre Rechte durch die Übertragung auf den Reichsverweser nur suspendiert zu 30 31 32

Valentin, Veit: Geschichte der deutschen Revolution von 1848–1849. – 2. Bd.: Bis zum Ende der Volksbewegung von 1849. – Nachdruck: Weinheim 1998. – Berlin 1931, 28f. Sitzung 12.7. in: Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 844. Vgl. Sitzung 12.7.1848 in: Prot. Dt. Bundesverslg. (wie Anm. 7) 753ff. Druck der entscheidenden Passagen der Ansprache des Vors. der Bundesverslg., des öst. Präsidialgesandten Anton v. Schmerling: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 341f.

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haben.33 Andererseits konnte die Zentralgewalt mit Berufung darauf von den Bundesstaaten Unterordnung fordern und sich auf diese Legitimation berufen, nachdem die Nationalversammlung, die sie eingesetzt hatte, sich aufgelöst hatte. Das sollte sich in den letzten Monaten der Provisorischen Zentralgewalt noch als außerordentlich folgenreich erweisen. Johann hat die Bundesversammlung wohl vorwiegend aus legitimistischen Überlegungen eingebunden, doch keine weitreichenden politischen Absichten verfolgt. Dennoch musste der Akt die Bundesfürsten in ihrer damals gehegten Überzeugung bestätigen, dass sie gleichberechtigt mit den Frankfurter Institutionen am Bau des neuen Deutschlands beteiligt würden. Ob mit der Übertragung der Rechte der Bundesversammlung auf die Provisorische Zentralgewalt auch der Deutsche Bund aufgehört hatte zu existieren, ist in jenen Tagen nicht erörtert worden. Die Frage ist, wenn es in der Zukunft zu Konflikten kam, Mal für Mal aufgeworfen worden und jede Seite beharrte auf der Ansicht, die ihr opportun erschien. Wie immer die Sache staatsrechtlich zu entscheiden war, in der Öffentlichkeit war der Eindruck vorherrschend, dass der Bund nicht mehr existiere.34 2.2 Die Wahl von Erzherzog Johann Einen Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Einführung einer „provisorischen Centralgewalt für Deutschland“ war der habsburgische Erzherzog Johann am 29. Juni 1848 von der Nationalversammlung mit 436 von 521 Stimmen gewählt worden.35 Noch am selben Tage wurde eine Deputation zusammengestellt,36 die ihm das Amt antrug. Unterstützt wurde sie durch ein persönliches Schreiben des Präsidenten der Nationalversammlung. Gagern rechnete offenbar nicht damit, dass der „volksfreundlichste aller Fürsten“ sich dem „heiligen Beruf“ versagen würde.37 In der Tat nahm der „Sohn des edelsten deutschen Geschlechtes, dessen Herz so warm für das gemeinsame, nun bedrängte Vaterland schlägt“ unter großer Begeisterung der Wiener und 33 34 35

36 37

Vgl. auch E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 631ff. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30), 86. Karl Mathy sah darin einen „Sieg für die deutsche Sache“, so an Anna Mathy, 29.6.1848: Aus dem Nachlaß von Karl Mathy: Briefe aus den Jahren 1846–1848 mit Erläuterungen / hrsg. von Ludwig Mathy. – Leipzig 1898, 321. Küntzel, Georg: Der Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich und Fürst Karl Leiningen. – In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 26 (1911) 283–343, hier 289, meint, die NV habe nie mehr mit so „imposanter Einmütigkeit“ gehandelt wie bei der Wahl des RV; dies sei der Höhepunkt „in dem Sommernachtstraum der Paulskirche“ gewesen. NV 29.6.1848: Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 628ff. Heinrich von Gagern an Ehg. Johann von Österreich, 29.6.1848: StA Darmstadt, Abt. O 11, E, 43.

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österreichischen Bevölkerung, auch um ihr in Frankfurt zu dienen, am 5. Juli an38 und versicherte Gagern gemeinsamer Gefühle und Gesinnung.39 Nur der Kaiserhof riet ihm ab, überließ aber seiner „Ueberzeugung und Urtheil die Entscheidung.“40 Unter dem Jubel der Bevölkerung zog er am 11. Juli feierlich in Frankfurt ein.41 Ein Ereignis, das in einem kolorierten Druck der populären Neuruppiner Bilderbogen massenhaft verbreitet wurde42 und bis heute das Bild vom Reichsverweser prägt. Da er der ranghöchste Habsburger war, der sich ins revolutionäre Wien wagte, musste er zur Eröffnung des österreichischen Reichstages am 22. Juli noch einmal kurzzeitig dahin zurück.43 Am  4. August war er wieder in Frankfurt – diesmal mit Gemahlin und Sohn.44 Die Nationalversammlung hatte an die Spitze der von ihr geschaffenen Exekutive einen 66 Jahre alten habsburgischen Erzherzog, der nach eigener Aussage keine andere Aufgabe mehr vor sich sah, als „abzuleben“,45 gestellt. Obwohl sich die Frage aufdrängt, warum sie das getan hat, hat sich die Forschung um deren Beantwortung bisher wenig gekümmert. Neuere Untersuchungen konnten zwar die unmittelbare Vorgeschichte seiner Berufung noch nicht ganz klären, doch Erkenntnisse über ihn zutage fördern, welche die Entscheidung und sein Handeln als Reichsverweser verständlicher machen.46 Die 38

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42 43 44 45 46

Vgl. Berichte der Deputation an die NV, 10.7.1848, Freudenkundgebung des prov. steiermärkischen Landtags, 11.7.1848 u. Proklamation Ehg. Johanns an die Österreicher nach der Annahme der Wahl zum RV, 6.7.1848: Erzherzog-Johann-Gedächtnisausstellung: Joanneum, Graz / hrsg. von Bruno Binder-Krieglstein. – Graz 1959, 321; 333f. und 334. Ehg. Johann von Österreich an Heinrich von Gagern, 6.7.1848: StA Darmstadt, Abt. O 11, E, 43. Ehg. Franz Karl an Ehg. Johann, 5.7.1848: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 332. Die Ansicht von V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 83, dass daran gedacht gewesen sei, Ehg. Johann „faktisch und selbstständig an die Spitze der Monarchie als Kaiser zu stellen“, ist aus der Luft gegriffen. Die Übertragung des Amtes auf Erzherzog Johann stieß im ganzen Land auf breite, teils enthusiastische Zustimmung, besonders unter Katholiken und Großdeutschen. Vgl. auch noch Brief an R. v. Mohl aus seinem Wahlkreis, 27.6.1848: Reichsminister Robert von Mohl und seine Wähler (wie Anm. 6) 338. Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm.  38) 339. Johann bedankte sich bei der Frankfurter Bevölkerung für den Empfang durch einen öffentlichen Anschlag vom 13.7.1848: ebenda 339f. Lithographie in Quellen zur europ. VG III (wie Anm. 111) 11.1.1.8.1. Ehg. Johann an K. Ferdinand I., 13.7.1848: ebenda 342. Ableitinger, Alfred: Erzherzog Johann und die Revolutionen von 1848/49. – In: Erzherzog Johann von Österreich: Beiträge zur Geschichte seiner Zeit. / hrsg. von Grete Klingenstein. – Graz 1982, 73–98, hier 90. G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 289. Dazu Hirschmüller, Tobias: „Freund des Volkes“, „Vorkaiser“, „Reichsvermoderer“: Erzherzog Johann als Reichsverweser der Provisorischen Zentralgewalt von 1848/1849. – In: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 20 (2013) 27–57, hier 27ff., auch zum Folgenden.

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Gründe sind zum einen in den Motiven seiner Wähler, zum anderen in dem Bild, das sich die deutsche und österreichische Öffentlichkeit von ihm machte, zu suchen. Es ist nicht nachweisbar, ob für Heinrich von Gagern und seinen Anhang noch eine Rolle gespielt hat, dass der Erzherzog zusammen mit dessen Vater im Jahre 1813 einen, dann von Metternich verhinderten Aufstand gegen die napoleonische Herrschaft in Tirol vorbereitet hatte.47 Der spätere Vorsitzende des Reichsministeriums, Anton von Schmerling, nahm für sich in Anspruch als Abgeordneter darauf hin gearbeitet zu haben, dass die bereits vorhandenen Sympathien für Erzherzog Johann sich vermehrten und insbesondere am Hof und bei der Regierung in Österreich erreicht zu haben, dass die Bedeutung von dessen „Mission“ erkannt wurde.48 Auf jeden Fall hat Schmerling den Erzherzog zum ersten Mal Ende Mai ins Spiel gebracht auf einer Besprechung zwischen Angehörigen der Bundesversammlung und einflussreichen Abgeordneten. Darunter waren mit ihm selbst, den Brüdern Gagern, Hermann von Beckerath und Friedrich Daniel Bassermann auch schon Mitglieder des künftigen Reichsministeriums.49 Damals noch als oberster Feldherr des Bundes vorgesehen, blieb er in der Debatte zusammen mit zahlreichen anderen über die personelle Besetzung der Reichsspitze präsent, lange Zeit als das österreichische Mitglied des Dreierkollegiums.50 Man kann unterstellen, dass sich seine Wähler darin einig waren, dass Johann als Staatsoberhaupt nur eine Übergangslösung sein sollte. Dennoch war, trotz gegenteiliger Beteuerungen, nicht durch die Person, sehr wohl aber durch das mit ihr geschaffene Amt auch eine Vorentscheidung in der Staatsformfrage zugunsten der konstitutionellen Monarchie gefallen. Angesichts der absehbaren Schwierigkeiten bei der Integration Österreichs in den deutschen Einigungsprozess sprach viel dafür, einen Österreicher an die Spitze zu stellen und damit sogar das Erzhaus einzubinden. Als der Erzherzog kaum mehr zu vermeiden war, trösteten sich die Kleindeutschen damit, dass die provisorische Leitung des Reiches durch einen österreichischen Dynasten die Chancen erhöhen würden, dass der preußische König in die Position des definitiven Reichsoberhaupts einrücken würde.51 So wurde seine Wahl auch mit völlig 47

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Dazu Hammer-Luza, Elke: „Ach, was könnte Österreich seyn, und wie hat man da herumgepfuschet.“: Politische Visionen von Erzherzog Johann. – In: Erzherzog Johann – Mensch und Mythos / hrsg. von Josef Riegler. – Graz 2009. – (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchivs; Bd. 37) 91–102, hier 92f. BA, FSG 1 (wie Anm. 17) 73 Mappe 3. H. v. Beckerath an seine Frau, 4.6.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 207. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 30f. Ebenda.

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überzogenen Erwartungen und überschäumender Begeisterung begrüßt.52 Sie galt aber weniger seiner Person als mehr der Hoffnung, dass dadurch ein wichtiger Schritt hin auf die deutsche Einheit getan würde.53 Denn seit der falschen Auslegung einer Ansprache durch die Presse bei der Grundsteinlegung des Kölner Domes im September 1842 galt er in der Öffentlichkeit als ein Befürworter der deutschen Einheit. Er hatte sich aber nicht für die Schaffung eines deutschen Reiches, in dem Preußen und Österreich aufgehen sollten, ausgesprochen, sondern lediglich für die Einigkeit zwischen den Staaten des Deutschen Bundes.54 2.3 Amts- und Politikverständnis Kennzeichnend für das Amts- und Politikverständnis Johanns war, dass er immer größten Wert darauflegte, auch durch den Bundestag der Fürsten als provisorisches Oberhaupt legitimiert worden zu sein. Denn in ihm war die Überzeugung von der rechtmäßigen fürstlichen Herrschergewalt tief verankert. Er verstand sich als Fürst und die fürstliche Solidarität war ein Kennzeichen seiner Amtsführung. Doch forderte dieses Selbstverständnis auch, dass der Fürst sein Amt moralisch integer und nach rechtlichen Vorgaben ausübte. Aristokratisches Selbstbewusstsein verband sich bei ihm mit christlicher Moral. Die fürstliche Stellung ist kein Privileg, sondern Verpflichtung; Pflicht bis hin zur Aufopferung. Die höchste politische Leitidee ist das Wohl des Volkes. Dies sollte dem Monarchen dafür Zuneigung und Loyalität entgegenbringen und weniger über sein Schicksal selbst bestimmen.55 Ein Herrschaftsverständnis, das eher dem aufgeklärten Absolutismus entsprach, als dass es die Mehrheit der Nationalversammlung geteilt hätte.

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G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 289f. zitiert den rheinischen Großkaufmann Gustav Mevissen: „Wir stehen an einem weltgeschichtlichen Momente, ein allgewaltiger Riese erwacht aus jahrelangem Schlummer, der Kyffhäuser hat seine märchenhaften Tore aufgesprengt, aus dem Grabe steigt Friedrich, der grosse Hohenstaufe, der Apostel einer neuen grossen Zeit. Erzherzog Johann steigt auf den erledigten Thron seiner Väter, des Dichters Wort ist zur Wahrheit geworden. ,Vorbei ist die arge, die kaiserlose Zeit!‘󠇟 Jeder fühlt .sich stolz als gleichberechtigter Bürger des mächtigsten Reiches der Erde.“ So mit Recht T. Hirschmüller: Erzherzog Johann als Reichsverweser (wie Anm. 46) 41. T. Hirschmüller: Erzherzog Johann als Reichsverweser (wie Anm. 46) 39. Auch F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 182 weist darauf hin, dass der Wahlspruch, der den Erzherzog unter anderem empfohlen habe, „ihm übrigens nur angedichtet sei“. Mittermüller, Franz: „Auf der Stufe unserer Väter“: Erzherzog Johann und das steirische Montanwesen. – In: Erzherzog Johann – Mensch und Mythos (wie Anm.  47) 133–144, hier 140f.

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Als neunter Sohn Kaiser Leopolds II. hatte Johann wenig Aussicht, sich am Kaiserhof zu positionieren. Er hatte vielmehr das Gefühl, dort vorsätzlich von politischen Informationen und Entscheidungen ausgeschlossen worden zu sein und litt jahrelang darunter, dass ihm zwischen seinem Rückzug nach den napoleonischen Kriegen und dem Ausbruch der Revolution von 1848 keine politische Mission, die seinen Fähigkeiten entsprochen hätte, übertragen worden war.56 Daher war sein Rückzug in die Steiermark und die dort entfalteten erstaunlichen Aktivitäten auch Flucht und Kompensation. Er erkannte wie wenige Standesgenossen die Zeichen der Zeit, die ihm seine Reisen durch Frankreich, England und Schottland in den Jahren 1815 und 1816 besonders eindrücklich vor Augen geführt hatten.57 Die zunehmende Bedeutung von Wissenschaft und Technik, die neuen Formen des Wirtschaftens und der Produktion wie die wachsende Verdichtung des Raumes durch Kommunikation und Verkehr. So früh wie wenige hat er die Bedeutung von Wissenschaft und Ausbildung für die Modernisierung erkannt.58 Ohne ein öffentliches Amt auszuüben, hat dieser für Wissenschaft und Technik erstaunlich aufgeschlossene Aristokrat den Wohlstand der Bevölkerung gehoben, indem er in der Steiermark Maßnahmen ergriff und Institutionen schuf, die die Modernisierung von Bergbau und Landwirtschaft vorantrieben.59 Hier kam ein Herrscherverständnis am Beginn des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck, wie es sein Vater als Großherzog in der Toskana im Sinne der Aufklärung praktiziert hatte. Die Volkstümlichkeit Johanns, die in Kleidung und Umgang zum Ausdruck kam, wurde nochmals erheblich gesteigert durch seine morganatische Ehe mit einer 22 Jahre jüngeren Postmeisterstochter. So war er in Deutschland schon populär, ehe die Wahl der Nationalversammlung 56 57

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E. Hammer-Luza: Politische Visionen (wie Anm. 47) 99f. Dazu ausführlicher Schlossar, Anton: Erzherzog Johann von Österreich: Sein edles Leben und segensreiches Wirken mit Benutzung des handschriftlichen und künstlerischen Nachlasses des Erzherzogs. – Graz, Wien 1908, 110ff. Zur Biografie von Ehg. Johann ausführlicher auch G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 288ff. Die für Johanns Popularität typische Mischung seiner Nähe zu den bürgerlichen Werten und zum Nationalismus fasst gut das Schreiben des Steiermärkischen Landtags an die Nationalversammlung vom 8.7.1848 zusammen: Die NV habe einen Mann gewählt, der „in der Nähe des Landmannes, wie in der Werkstätte des Gewerbetreibenden oder in den Lehrsälen und Museen der Wissenschaft gleich heimisch ist, einen Mann vor allem, der ein echt deutsches Herz im Busen trägt, der das deutsche Volk, seine Gefühlsweise und seinen Geist, seine Sitte und Art, seine große Vergangenheit und die Wünsche für seine Zukunft kennt, liebt und hochachtet.“: Theiss, Viktor: Erzherzog Johann: Der steirische Prinz. – 3., erweiterte Aufl. / hrsg. von Grete Klingenstein. – Wien, Graz, Köln 1982, 167f. Auch dazu ausführlicher A. Schlossar: Ehg. Johann von Österreich (wie Anm. 57) 119ff., 134ff., 167ff. und F. Mittermüller: Transformation, 117ff.

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auf ihn fiel.60 Nicht durch spektakuläre Taten hatte Johann die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sondern durch seine bürgerliche Lebensweise und Beschäftigung, die mit einer „gemütvollen Betrachtung und Schätzung seiner Persönlichkeit“ einherging.61 Ihm war desgleichen nicht entgangen, dass vor allen Dingen das Bürgertum Träger der Modernisierung war. Daher war er offen für dessen politische Mitbestimmung, auch in parlamentarischer Form. Doch wurde nie deutlich, wie sie sich vollziehen, welche sozialen Schichten darin eingeschlossen und wie weit sie reichen sollte. Eine mentale Brücke zum Bürgertum wird auch geschlagen haben, dass er ein erfolgreicher Agrar- wie Montanunternehmer gewesen ist und in dem von ihm selbst definierten Sinne als Liberaler gelten konnte: „Und wenn Liberalismus darinnen bestehet, das Stillstehen und das Zurücktrachten auf Altes, Verrostetes, nicht mehr Passendes nicht zu billigen und entgegen zu seyn, haben jene Recht.“62 Im März 1848 sollte sich zeigen, dass er mit seiner Prognose, der Hof werde sein politisches Talent erst wieder erkennen, wenn es gelte, die Kastanien aus dem Feuer zu holen, recht behielt. Er wurde jetzt in die österreichische und deutsche Politik geradezu hineingerissen. Da er gegenüber den Märzforderungen so aufgeschlossen war wie kein anderer Habsburger,63 war er Mitte März 1848 nach Wien gerufen worden. Dort wirkte er am Sturz Metternichs mit und plädierte erfolgreich für eine Beruhigung der revolutionären Stimmung durch Aufhebung der Zensur und dem Versprechen einer Verfassung.64 Zugleich konnte er in der Steiermark die Gemüter besänftigen und Kroatien durch die Einsetzung eines Banus beruhigen. Anschließend organisierte er die Volksbewaffnung in Tirol, um das Überschwappen der italienischen Revolution dorthin zu verhindern. Auch nach dem Aufstand in Wien gegen die oktroyierte Verfassung in den letzten Maitagen hielt er den Hof auf dem eingeschlagenen Kurs, indem er einen verfassunggebenden Reichstag durchsetzte und seinem politischen Vertrauten Johann Philipp von Wessenberg die Regierungsverantwortung übertrug.65 Seine 60

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So war er zum Beispiel schon auf einer Volksversammlung im Odenwald am 9.4.1848 von einem Kandidaten zum „künftigen Reichs-Oberhaupt“ „mit lautem Beifall“ empfohlen worden: Pr. Ges. im Ghgt. Hessen an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 11.4.1848: Ehg.-JohannGedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 324f. G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 290ff. Zitiert nach E. Hammer-Luza: Politische Visionen (wie Anm. 47) 93. Ebenda 93f. A. Ableitinger: Ehg. Johann und die Revolutionen (wie Anm. 44) 77ff. Ableitinger, Alfred: Erzherzog Johann und Wessenberg 1848. – In: Zeitschrift des Historischen Vereins für die Steiermark 65 (1974) 161–189, 167ff.

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inzwischen errungene Stellung kam eindrucksvoll dadurch zum Ausdruck, dass er am 16. Juni zum Stellvertreter des in der Zwischenzeit nach Innsbruck geflohenen Kaisers in der Hauptstadt ernannt wurde. Nutzen konnte er die neue Funktion nur noch zur Vermittlung zwischen Kroaten und Ungarn und zur Eröffnung des österreichischen Reichstags am 22. Juli, da ihm die Nationalversammlung kaum 14 Tage später das Amt des Reichsverwesers antrug. Er nahm es am 5. Juli trotz noch zahlreicher unerledigter Geschäfte überraschend schnell an, wohl weil er von einer solchen historischen Mission schon zwei Jahre zuvor geträumt hatte.66 2.4 Führung des Amtes Johann hat die Möglichkeiten, die in seinem Amt lagen, nicht ausgeschöpft.67 Es fehlte ihm nicht an Selbstbewusstsein. Als Beobachter der österreichischen und europäischen Politik war er gelegentlich davon überzeugt, dass er die Sache besser gemacht hätte als die Akteure. Doch sollte ihn gerade die Frankfurter Zeit lehren, dass papierne Theorien und idealistische Gesinnung die fehlende Erfahrung und Fähigkeiten nicht ersetzen können.68 Ihm blieb alles, was jenseits von durch Einsicht und Überzeugung gewonnenen Kompromissen lag, fremd. Seine aus Menschenfreundlichkeit entsprungene umgängliche Art und ein umfassendes Verständnis für alles und alle führten dazu, dass ihn mancher nicht ernst nahm.69 Dennoch konnte er, wenn er von etwas überzeugt war oder sein monarchisches Ehrgefühl auf dem Spiel stand, eine überraschende Zähigkeit an den Tag legen – das sollte vor allem der preußische König noch zu spüren bekommen. Gewissenhaft arbeitete er sich in die Materien ein, doch hinderte ihn dies öfters daran, klare und rasche Entscheidungen zu fällen.70 Zwar hat er sich von Zeit zu Zeit beklagt, dass er keine Macht habe, doch wofür er sie einsetzen wollte, wusste er wohl selbst nicht.

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Darauf weist E. Hammer-Luza: Politische Visionen (wie Anm. 47) 95 hin. Dazu ausführlicher T. Hirschmüller: Erzherzog Johann als Reichsverweser (wie Anm. 46) 39ff. Das arbeitet besonders E. Hammer-Luza: Politische Visionen (wie Anm. 47) 99ff. heraus. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 83f. qualifiziert ihn daher als „fürstlichen Biedermann“ und „harmlos geriebenen Beschwichtigungsonkel“. Mancher Gesprächspartner habe den Eindruck mitgenommen, dass er die Gewohnheit habe, „jedem recht zu geben, den er zuletzt gesprochen habe“. E. Hammer-Luza: Politische Visionen (wie Anm. 47) 95.

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Seine Aufgabe sah er darin, die deutsche Einheit über „das Werk der Verfassung zustande“ zu bringen.71 Eingeklemmt zwischen seinen Ministern,72 der Nationalversammlung und seinen bundesfürstlichen Standesgenossen ist ihm die komplexe, widersprüchliche und streitige deutsche Politik dieser Tage oft fremd geblieben. Menschlich geachtet und von Pflichtethos und einem ebenso hohen Rechts- wie Ehrbewusstsein angetrieben, hat er sich zunächst auf die Rolle des neutralen Staatsoberhaupts beschränkt.73 Sie war ihm angemessener, da er kein schlüssiges politisches Konzept besaß und daher auf aktuelle Herausforderungen meist intuitiv reagierte. So gelang es ihm, auch getragen durch die Erwartungen, die sich mit ihm verbanden, „in außerordentlichem Grade, wenn auch auf kurze Zeit“ Popularität zu gewinnen.74 Seine Minister haben ganz überwiegend unabhängig von ihm agiert, zeitweise fühlte er sich von ihnen vorsätzlich umgangen.75 Andererseits hat sich der Reichsverweser auch öfters öffentlich geäußert, ohne sich mit dem Ministerium abzustimmen und ausländische Gesandte sowie die Bevollmächtigten der Bundesstaaten allein empfangen.76 Schon in seiner ersten Proklamation an das deutsche Volk vom 15. Juli konnte er diesem nicht nur „die Freiheit voll und unverkürzt“ wie ein „Verfassungswerk“ versprechen. Nachdem die Bundestruppen gerade den Heckeraufstand in Baden niedergeschlagen hatten, musste er vielmehr daran erinnern, dass „die Freiheit nur unter dem Schirme der Ordnung und Gesetzlichkeit“ gedeihen könne.77 71

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Ehg. Johann an Gf. Prokesch-Osten, 18.11.1848: Briefwechsel zwischen Erzherzog Johann Baptist von Österreich und Anton Graf von Prokesch-Osten: nebst Auszügen aus den Tagebuchblättern des Erzherzogs Johann über seinen Aufenthalt in Athen im November 1837 / hrsg. von Anton Schlossar. – Stuttgart 1898, 223. „Die Minister gehen ihren Weg, nehmen guten Rat an oder nicht – und haben sie etwas im Kopfe, am allerwenigsten eine andere Meinung an“, so am 19.1.1849 an Zahlbruckner: Schlossar, Anton: Ungedruckte Briefe Erzherzog Johanns aus Frankfurt am Main von 1848 und 1849. – In: Deutsche Revue 35 (1910) 1, 2. 1: 96–102; 354–358. 2: 87–95, hier H. 2, 87. Vgl. auch noch Ableitinger, Alfred: Der „Reichsverweser“ Erzherzog Johann 1848: Einige Präzisierungen zu seinem Amt und Amtsverständnis. – In: Blätter für Heimatkunde 72 (1998) 78–85, hier 83f. So die Ansicht F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 196. Bei der Bewertung der Amtsführung des RVs muss allerdings immer beachtet werden, dass die wohl regelmäßigen Besprechungen mit seinen Ministern (Ministerrat) nicht überliefert sind, im Gegensatz zu den Sitzungen des RMs, zu denen sich die Ressortminister und UStS unter dem Vorsitz des MP ohne den RV zusammenfanden. Mohl, Robert von: Lebenserinnerungen. – 2 Bd. – Stuttgart, Leipzig 1902, 108f. Proklamation des RV an das dt. Volk, 15.7.1848: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 340f. Der an die Öffentlichkeit gerichtete Aufruf wurde nochmals eigens an die Re. der Bundesstaaten geschickt. Vgl. z. B. Die provisorische Centralgewalt für

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Mehr als er ahnen konnte, sollte ihm dieses mit so viel Zukunftszuversicht und Begeisterung angetretene Amt seine „letzten Kräfte“ rauben.78 Immer wieder durch seine angeschlagene Gesundheit gehemmt, empfand er schon nach wenigen Wochen sein Leben in Frankfurt „traurig“ und sehnte sich „täglich mehr nach Hause“ auf seine „ruhigen Besitzungen“.79 Schon seit Ende des Jahres 1848 hat er immer wieder nach allen Seiten Rücktrittsabsichten geäußert.80 Er hat so selbst nicht wenig dazu beigetragen, dass König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, als es für ihn opportun war, glaubte, den Erzherzog leicht aus dem Amt drängen zu können. Bezeichnenderweise ist er erst in der Reichsverfassungskampagne stärker hervorgetreten. Er befürwortete das militärische Vorgehen, da er in ihr nur einen revolutionären Aufstand sah. Daher hat ihn das Stuttgarter Rumpfparlament auch abgesetzt und für vogelfrei erklärt. Johann blieb dennoch bis zum Schluss in einem immer weniger geliebten Amt. Seit Beginn des Jahres 1849 wurde er nur noch durch die Appelle des neuen österreichischen Ministerpräsidenten Felix Fürst Schwarzenberg darin gehalten, der dadurch verhindern wollte, dass Preußen die Zentralgewalt beerbte. Nach der Rückkehr aus seinem Genesungsurlaub hat er aber nochmals ein eigenständiges Format, auch gegenüber den Absichten des österreichischen Ministerpräsidenten, gewonnen. Er glaubte, dass er durch sein Ausharren und die Art, in der er den Übergang gestaltete, die Voraussetzungen dafür schaffen könne, dass doch noch die Einheit Deutschland auf einer erneuerten Verfassungsgrundlage verwirklicht werden könne. Nach seiner Rückkehr in die Steiermark 1850 hat er sich selbst gefragt, warum er „den schönsten vaterländischen Wirkungskreis, alles was ich besitze, meine Lebensweise“ verlassen habe. Doch beim Aufbruch war er der Überzeugung gewesen, dass es seine Pflicht sei, „gegen den Umsturz, gegen die Rote Republik, für Ruhe und Frieden, für die Menschheit, Deutschland und Österreich“ sich einzusetzen. Seine Aufgabe als Reichsverweser hat er nachträglich

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Deutschland an das Staats-Ministerium zu Weimar, 15.7.1848: Thüringisches Staatsarchiv Weimar (THW) C 2370. In seiner Antwort an die Deputation der NV sprach Johann unter anderem davon, dass er „keinen anderen Ehrgeiz“ mitbringe, „als dem gemeinsamen Vaterlande in meinem vorgerückten Alter meine letzten Kräfte zu weihen.“ Ebenda 334. Ehg Johann an Johann Zahlbruckner, 24.9.1848: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H. 1, 100. So schrieb er am 12.11.1848 an seinen Privatsekretär Johann Zahlbruckner: „An der Gicht und Leber leide ich, ich wehre mich so gut ich kann, allein solange das Gemüt nicht ruhig ist, kann nur geflickt werden.“ Im selben Brief: „Ich will ehrlich und ungebeugten Mutes ausharren, bis das Provisorium zu Ende ist, bis es entschieden, was aus Deutschland werden soll. Bleiben! Nimmermehr!“: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H 1, 355.

Die Provisorische Zentralgewalt

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darin gesehen: „Erfüllen, Einwirken, dass die Verfassung zustande komme, die Leute zusammenhalten, vereinigen, versöhnen, mahnen, warnen etc.“ Er musste am Schluss aber die pessimistische Bilanz ziehen: Ich war „nicht viel mehr als ein Strohmann ohne Macht und Wirksamkeit.“81 Erzherzog Johann hat einen beträchtlichen Teil der Kosten, die ihm in dem immer weniger geliebten Amt entstanden, aus seiner Apanage, seinem Anteil am habsburgischen Familienfonds und den Erträgen aus seinen steiermärkischen Besitzungen bestritten.82 Davon ist die Nationalversammlung vermutlich ausgegangen.83 In deren Sitzung vom 20. Juli 1848 hat Gagern jedenfalls die Absicht des Erzherzogs bekannt gegeben, auf eine Zivilliste zu verzichten.84 Das Reich hat anscheinend nur Miete und Unterhalt des Palais des Reichsverwesers übernommen.85 Die österreichischen Truppen, die zum Schutz der Provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt stationiert waren, wurden wohl aus dem österreichischen Staatshaushalt finanziert.86 Der Erzherzog hat immer wieder die Selbstlosigkeit seines Einsatzes in dem Sinne betont, dass er dabei nichts für sich selbst, insbesondere nicht die Stellung des neuen Oberhaupts in Deutschland, angestrebt habe. Er habe vielmehr, wie das Volk, das einige und starke Deutschland gewollt, ohne allerdings die Rechte der Fürsten zu tangieren. Er hatte darauf gesetzt, dass diese begreifen würden, was die „Zeit an Zugeständnissen für das Wohl des Vaterlandes“ fordere und gestand sich am Ende ein, sich darin bitter getäuscht zu haben.87 81 82

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Vgl. „Notata 1848 und 1849“, wohl 1850: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) Nr. 621. MR, 13. u 14.8.1849: Die Protokolle des Österreichischen Ministerrates 1848–1867: II. Abteilung: Das Ministerium Schwarzenberg. – Bd. 1: 5. Dezember 1848–7. Jänner 1850 / hrsg. von Thomas Kletečka; bearb. und eingel. von Thomas Kletečka. – Wien 2002, 578f., 586. Am 27.11.1848 schrieb er seinem Privatsekretär Zahlbruckner „ich beziehe keinen Kreuzer aus Deutschland – ich habe bloß Quartier und Beheizung frei – mein Aufwand, Unterhalt, ja jede Unterstützung geht aus meinem Säckel“: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H.1, 357. F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm.  8) 194 empfahl dem RV ebenfalls auf eine Zivilliste zu verzichten. Denn eine solche würde „in den jetzigen geldarmen Zeiten nur den schlimmsten Eindruck hervorbringen und dem Geschrei der Republikaner über kostspielige Regierung nur neuen Vorschub leisten.“ Reden II / F. Wigard (wie Anm. 3) 1049f. Der mit dem Ehg. in Wien weilende RJM Heckscher war darüber entsetzt. Vgl. RJM Heckscher an RIM Schmerling, 25.7.1848: HHStA, NL Bienerth-Schmerling, Kt. 4, Fasz. 15/3. Heikaus, Ralf: Die ersten Monate der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland (Juli bis Dezember 1848): Grundlagen der Entstehung; Aufbau und Politik des Reichsministeriums. – Frankfurt a. M. 1997. – (Europäische Hochschulschriften; 3/739) 110. MR, 11.9.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 678. Notata 1848 und 1849, wohl 1850: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm.  38) Nr. 621

22 3.

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Die Bildung des ersten Reichsministeriums und der Aufbau der Zentralgewalt

3.1 Die Initiative der Casino-Liberalen Noch in Wien hatte der Reichsverweser eine erste Liste für sein Ministerium skizziert, die allerdings eine reine Kopfgeburt war und wenig Rücksicht auf die politischen Umstände nahm.88 Auf seinen politischen Vertrauten Johann von Wessenberg, der mit dem Außenministerium den Vorsitz übernehmen sollte, konnte in Wien nicht verzichtet werden, wo ihm dann auch diese Position übertragen wurde. Ebenso unabkömmlich war der Präsident der Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, der das Innenressort übernehmen sollte. Seine Anhänger fürchteten, dass ohne ihn das Parlament aus den Fugen geraten würde.89 Einzig Anton Ritter von Schmerling stand in Frankfurt bereit. Er gehörte zur Minderheit derjenigen, die Vertrauen in das Projekt hatten. Der Wiener Appellationsgerichtsrat hatte sich schon in der landständischen Reformbewegung profiliert. Er war dennoch überrascht und erfreut, als er am 28. April 1848 für den Wahlkreis Österreich unter der Enns zum Abgeordneten der Nationalversammlung gewählt worden war. Kurz darauf erfolgte die Ernennung zum österreichischen Gesandten beim Bundestag. Seine Ambitionen gingen weiter als auf das für ihn vorgesehene Justizministerium, das ihm auch in der neuen österreichischen Regierung angeboten worden war. Dieses lehnte er ab, da er der Überzeugung war, in Frankfurt für den Erzherzog unentbehrlich zu sein und er die „deutsche Sache“ nicht aufgeben wollte.90 Obwohl erkennbar ist, dass Johann daran dachte, gut österreichisch zu regieren, war ihm klar, dass er an Preußen nicht vorbeikommen würde. Er glaubte, dieses mit dem Kriegsministerium für den derzeitigen Oberbefehlshaber im Krieg gegen Dänemark, dem General der Kavallerie Friedrich von Wrangel, und dem erstaunlicherweise jetzt schon in Erwägung gezogenen Marineministerium für den ehemaligen preußischen Militärbevollmächtigten beim Bundestag, General Josef Maria von Radowitz, abfinden zu können. Beide wären aber der Mehrheit der Nationalversammlung nur sehr schwer zu vermitteln gewesen. Einige Angehörige der Deputation von Abgeordneten, die im Auftrag der Nationalversammlung das Angebot überbrachten, drängten Erzherzog 88 89 90

Erwähnt bei Zwiedineck-Südenhorst, Hans von: Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen Kaiserreiches: (1806–1871). – Stuttgart, Berlin 1903. – (2: Geschichte des Deutschen Bundes und des Frankfurter Parlaments) 455. F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 200. Anton Ritter von Schmerling: Episoden aus seinem Leben 1835, 1848–1849 / hrsg. von Alfred Ritter von Arneth. – Prag, Wien, Leipzig 1895, 163.

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Johann, sich bereits jetzt Gedanken über sein Ministerium zu machen. Auf deren Vorschlag hin wurde Schmerling wohl schon von Wien aus mit Sondierungen beauftragt, da er als Präsident der Bundesversammlung und Mitglied der Nationalversammlung von allen Österreichern die besten Kontakte vor Ort besaß.91 Er bemühte sich mit führenden Politikern der sich formierenden Casino-Partei,92 eine Vorschlagsliste der Ministerkandidaten für den Reichsverweser zu erstellen. Sie begegneten aber erheblicher Skepsis hinsichtlich Lebensdauer und Durchsetzungskraft der neuen Regierung. „Wer sich in Staatsgeschäften schon praktisch erprobt hat, erkannte gleich im Anfang das Missverhältnis zwischen den Anforderungen, die an die Reichsregierung gestellt wurden, und ihren Mitteln.“93 Diese Einstellung schlug sich in einer Regierungsbildung nieder, die so mühselig wurde wie alle anderen; sie zog sich von Anfang Juli bis Mitte August hin.94 Bei dem Treffen am 1. Juli von Heinrich von Gagern und Schmerling mit den rheinpreußischen Abgeordneten Hermann von Beckerath und Gustav Mevissen bestand Einigkeit darin, auch Ministerien für Finanzen, Justiz und Handel einzurichten, um das Ansehen des Reichsministeriums zu erhöhen. Da man annahm, dass für diese wenig Arbeit anfallen würde, sollten sie von Kandidaten aus mittleren und kleineren Bundesstaaten besetzt werden. Schmerling forderte das Innenministerium für Österreich, da nur so dessen staatsrechtliche Integration in das künftige Deutsche Reich befriedigend gelöst werden könne.95 So war von Beginn an ein repräsentatives Ministerium konzipiert, obwohl die Verhandlungsführer glaubten, mit drei Ministern auskommen zu können, von denen jeder mehrere Ressorts leiten sollte.96 Wie der Reichsverweser seinem „königlichen Freunde“ Friedrich Wilhelm IV. versicherte, sei es sein erster Gedanke bei der Regierungsbildung gewesen, Preußen „vorzüglich“ zu berücksichtigen, indem das Kriegsministerium wie 91 92 93

94 95 96

Denkwürdigkeiten A. v. Schmerlings, Dezember 1877: HHStA, NL Bienerth-Schmerling, Kt. 3, Fasz. 1. Der Beschluss vom 29.5.1848 zur Gründung der Casino-Partei in den Papieren von Johann Gustav Droysen: BA, FSG 1 (wie Anm. 17) 4. F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 199. R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 73 bescheinigt dem RM eine politische Schöpfung gewesen zu sein, „welche in ihren Ansprüchen einerseits und ihrer materiellen Nichtigkeit andererseits wohl ohne Beispiel in der Geschichte.“ Duckwitz, Arnold: Denkwürdigkeiten aus meinem öffentlichen Leben von 1841–1866: Ein Beitrag zur bremischen und deutschen Geschichte. – Bremen 1877, 79ff. R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 54f. Denkwürdigkeiten A. v. Schmerlings (wie Anm. 91). „Für einen besonderen Finanzminister aber, und noch mehr für einen Justizminister gab es thatsächlich keine genügenden Geschäfte“. Diese Ansicht Schmerlings sollte sich so aber nicht bewahrheiten.

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das für Auswärtige Angelegenheiten mit vom König vorzuschlagenden preußischen Staatsmännern besetzt werden sollten.97 Friedrich Wilhelm versprach Unterstützung.98 Für die von allen Seiten gewünschte Heranführung Preußens an die Frankfurter Institutionen schien sich eine optimale Lösung dadurch zu eröffnen, dass der gemäßigte liberale Rheinländer Ludolf von Camphausen gerade vom Amt des preußischen Ministerpräsidenten zurückgetreten war. Er sollte zusammen mit dem Außenministerium, das auch für die Beziehung zu den Bundesstaaten zuständig war, den Vorsitz erhalten.99 Der Reichsverweser unterstützte den Plan,100 sein König legte ihm die Übernahme als „heilige Pflicht“ ans Herz und Heinrich von Gagern war in einem persönlichen Gespräch sogar bereit, unter Camphausen „jedes Ressort zu übernehmen“. Doch war dessen Distanz zur Volksbewegung, an deren Erfolg er letztlich nicht glaubte, aufgrund seiner gerade gemachten Erfahrungen als Ministerpräsident noch gewachsen.101 Umso mehr fürchtete er die Konflikte, die sich aus dem Pochen der Frankfurter Institutionen auf ihren Vorrang und auf die Volkssouveränität mit den Bundesstaaten ergeben würden.102 Er ließ sich auch nicht in direkten Gesprächen davon überzeugen, „dass das eigene Interesse Preußen‘s und seiner Dynastie Hingebung an die gemeinsame deutsche Sache, in der ja Preußen durch seine Schwerkraft stets den Ausschlag geben werde, erfordere.“103 Daher wies er jede Beteiligung am Reichsministerium „scharf und schneidend zurück“. Damit war, wie der Beteiligte Hermann von Beckerath, das Treffen zusammenfasste „die an ihn sich knüpfende Kombination zerstört und die Bildung eines Ministeriums, welches zugleich hier und in Preußen befriedigt, auf’s Äußerste erschwert.“104 Camphausen war aber bereit, die Interessen Preußens bei der Zentralgewalt zu vertreten,105 da er 97 98 99 100 101 102

103 104 105

RV an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 14.7.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 10, H. 4/3. Kg. Friedrich Wilhelm IV an RV, 17.7.1848: ebenda. Hansemann an Beckerath, 4.7.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 298f. Ehg. Johann an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 14.7.1848: LA Graz, Archiv Meran, K 10, H. 4/3, Nr. 80. Aufz. von G. Mevissen, nach 13.7.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 303ff. Hansen¸ Joseph: Gustav von Mevissen: Ein rheinisches Lebensbild. 1815–1899. – Berlin 1906, 565 u. Gustav von Mevissen: Ein rheinisches Lebensbild; 1815–1899. – 2. Band: Abhandlungen, Denkschriften, Reden und Briefe / hrsg. von Joseph Hansen. – Berlin 1906, 401. Beckerath an seine Frau, 14.7.1848: StdA Krefeld, Best. 40/2, Nr. 4. Ebenda. In einem Brief an seine Frau vom 14.7.1848 betont H. v. Beckerath, dass Camphaussen der richtige MP gewesen wäre, da er „das Vertrauen des Königs und der Nation besitzt“ und daher „den für Preußen schmerzlichen, aber unvermeidlichen Übergang aus der Stellung einer selbstständigen Macht in diejenige hinüber zu leiten, die der König selbst in dem

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sich am ehesten zutraute, die Gegensätze zwischen Frankfurt und Berlin zu überbrücken.106 Schmerling argwöhnte allerdings, dass die am 24. Juli erfolgte Ernennung der Versuch sei, die Zentralgewalt zu lähmen, „indem man solche Männer, die nicht mit ihr wirken wollten, neben sie hinstellt.“107 Die Verhandlungsführer kamen aber ihrem Ziel dadurch einen Schritt näher, dass es der Gruppe von Parlamentariern inzwischen gelungen war, mit Zustimmung Friedrich Wilhelms den preußischen Militärbevollmächtigten beim Deutschen Bund, Generalmajor Eduard von Peucker, für das Kriegsministerium zu gewinnen. Seine Ernennung löste zunächst Enttäuschung aus, da er wenig bekannt war und unter den Politikern anfangs blass blieb. Sein Ansehen stieg aber „in dem Maße, als er wirksam werden konnte“108 und es sollte sich noch zeigen, dass ein General aus der mit Abstand größten deutschen Armee als Kriegsminister mit dem Ausbruch der Gewalt für die Reichsregierung eine unverzichtbare Absicherung war.109 Daher haben auch alle Reichsregierungen an ihm festgehalten, bis ihn sein König im Mai 1849 abberief. Er war in der glücklichen Lage, als einziger Minister mit der Militärkommission des Deutschen Bundes gleich eine Behörde übernehmen zu können.110 Da sich die Verhandlungen mit Camphausen lange hingezogen hatten, konnte der Reichsverweser während seines kurzen Aufenthalts in Frankfurt die Kabinettsbildung nicht abschließen. Auf Vorschlag von Schmerling ernannte er aber vor seiner Abreise am 15. Juli ein vorläufiges Kabinett, das noch am selben Tag der Nationalversammlung vorgestellt wurde.111 Neben Peucker war das Schmerling, der das von Anfang an angestrebte Innenministerium erhielt und vorläufig auch noch das Außenministerium verwaltete. In das von ihm freigemachte Justizministerium rückte der Hamburger Abgeordnete und renommierte Advokat Johann Gustav Heckscher, Großdeutscher und

106 107 108 109 110 111

Patent vom 21. März mit den Worten bezeichnet hat, ,Preußen geht fortan in Deutschland auf!‘“: Rhein. Bf. u. Akten II, 1 (wie Anm. 16) 305f. Untersuchungen und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung / hrsg. von Erich Brandenburg. – Leipzig 1916, 112. A. v. Schmerling an H. v. Beckerath, 29.7.1848: Rhein. Bf. u. Akten II, 1 (wie Anm. 16) 334f. F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 201. Ebenda 206: „Geld und Truppen mussten wir vorzugsweise von Preußen gewärtigen.“ R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 86. Reden II / F. Wigard (wie Anm. 3) 916. J. Hansen: Mevissen (wie Anm. 102) 566. Erlass des RV vom 16.7.1848, in dem er die Übernahme der „Leitung der provisorischen Centralgewalt“ am 12. und die Bildung des RMs ab dem 15. Juli bekannt gab, „und zwar demnächst 1) für die auswärtigen Angelegenheiten, 2) für das Innere, 3) für das Kriegswesen und 4) für die Justiz.“: Quellen zur europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert: Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. – Bd. 3: 1848–1870 / hrsg. von Peter Brandt [u. a.] – CD-ROM. – Bonn 2015. – 11.1.1.5.1.

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enger Vertrauter des Reichsverwesers. Er begleitet ihn jetzt auch nach Wien, um „nach constitutionellem (englischen) Brauch“ …„allfällige erforderliche Regierungs-Handlungen mit seiner Verantwortlichkeit zu decken.“112 Schmerling hat in der kurzen Ansprache, mit der er den Kern des Reichsministeriums am 14. Juli der Nationalversammlung vorstellte,113 herausgestrichen, dass die „Räthe der Centralgewalt“ mit ihrem Amt ein Opfer übernähmen. Ihre oberste Pflicht sei es, dem deutschen Volk Freiheit und Frieden zu erhalten und durch effektives Regieren der Nationalversammlung die Vollendung ihres Verfassungswerkes zu ermöglichen.114 Er blieb bis zu seinem Ausscheiden am 17. Dezember 1848 der starke Mann in der Regierung. Auf seine Initiative hin sind die jeweiligen Minister schon vor der endgültigen Konstituierung des Ministeriums am 9. August informell zusammengekommen, um über den Krieg gegen Dänemark, die angespannte außenpolitische Lage und das Verhältnis zu den Bundesstaaten zu beraten.115 Während der Reichsverweser zur Eröffnung des österreichischen Reichstags in Wien weilte, übernahm Schmerling weiterhin in Abstimmung mit seinen Gesinnungsgenossen die Leitung der weiteren Sondierungen.116 Trotz intensiven Bemühens in Berlin in der zweiten Julihälfte kam man mit den Hautproblemen, der Besetzung des Außenministeriums wie einer näheren Einbindung Preußens, nicht weiter. Vielmehr hatte die Absicht des Kriegsministers, die Truppen der Bundesstaaten dem Reichsverweser huldigen zu lassen, dort sämtliche Befürchtungen bestätigt. Die zahlreichen Flugschriften, die im Königreich zirkulierten, zeigen, dass die Errichtung der Zentralgewalt nicht nur für die Regierung, sondern auch für die politisch Interessierten im Land eine Herausforderung gewesen ist. Die Ansichten schwankten zwischen Anerkennung der Notwendigkeit und der Furcht um die Unabhängigkeit des Landes.117

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Denkwürdigkeiten A. v. Schmerlings (wie Anm. 91). Ebenda. Dort auch Charakterisierung der Kollegen Heckscher und Peucker. Reden II / F. Wigard (wie Anm. 3) 917. R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 119ff. Vgl. Schmerling / A. v. Arneth: (wie Anm. 90) 166ff. K. Mathy an A. Mathy, 26.7.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 338. Valentin, Veit: Fürst Karl Leiningen und das Deutsche Einheitsproblem: Habilitationsschrift. – Stuttgart 1910, 103 bezeichnet Schmerling als den „Metternich des Liberalismus, der begabteste und energischste Staatsmann, der damals in Frankfurt weilte.“ Ohne weitere Belege unterstellt er ihm, dass er auf die Ernennung des Erzherzogs zum Reichsverweser hingearbeitet habe, um von Anfang an die Lösung der Frage der deutschen Einheit gegen Preußen zu präjudizieren. 117 P. Wentzcke: Kritische Bibliographie (wie Anm. 15) Nr. 347 u. 364ff.

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3.2 Die Erweiterung der Basis Daher wurde nun das Ministerium für „auswärtige Angelegenheiten“ dem derzeitigen Gesandten Coburgs beim Bundestag, Christian Friedrich von Stockmar, der sich durch mehrere Initiativen für eine kleindeutsche Lösung unter der Führung Preußens profiliert hatte, angeboten. Der „bewährte Rathgeber des Hauses Coburg“ und Vertraute des belgischen wie englischen Hofes sagte am 11. Juli mit Rücksicht auf sein Alter und seine Gesundheit ab.118 Er war aber im Laufe der Verhandlungen bereit, die nach seiner Ansicht weniger aufreibende Position des Ministerpräsidenten zu übernehmen, wenn sein Freund Christian Karl Josias von Bunsen Außenminister würde. Der enge Freund Friedrich Wilhelms IV. und dessen derzeitiger Gesandte in London sollte die Reichsgewalt an Preußen binden. Diese Option scheiterte aber ebenso an der schwankenden Haltung des Königs und seiner Berater wie an der Abneigung des Kandidaten gegen die politischen Verhältnisse in Frankfurt.119 Stockmar brachte daraufhin den Fürsten Karl von Leiningen, der seinen Ideen nahestand, ins Spiel.120 In einer Sitzung des Reichsministeriums zusammen mit dem Präsidenten der Nationalversammlung und einigen führenden Köpfen der Casinofraktion am 4. August wurde beschlossen, diesem das Außenministerium und das Präsidium anzutragen.121 Eine mehr zufällige als absichtliche Entscheidung, die nicht zuletzt deswegen zustande kam, weil das preußische Desinteresse immer offensichtlicher wurde.122 Der in Frankfurt weilende Kandidat nahm sofort an.123 Er war nicht aus dem Kreis der führenden Liberalen hervorgegangen oder von diesen ausgewählt worden. Dadurch war seine Stellung, wie sich bald zeigen würde, fragiler, als alle erwartet hatten. 118 Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn Christian Friedrich von Stockmar / hrsg. von Ernst Freiherr von Stockmar. – Braunschweig 1872, 522f. Stockmar soll mit der bildhaften Formulierung abgelehnt haben: „Wer im 60. Jahr mit Gicht in den Eingeweiden noch den Krankenwärterdienst bei der am ansteckenden Fieber darniederliegenden Germania übernehmen wollte, müsste rein toll sein.“ 119 V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 113ff. 120 Ebenda 114. 121 A. v. Schmerling: Denkwürdigkeiten IV: BA, FSG 1 (wie Anm.17) 73; H. v. Beckerath an seine Frau, 4.8.1848 in: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 347f. 122 Ehg. Johann an Friedrich Wilhelm IV., 7.8.1848: Briefwechsel zwischen König Friedrich Wilhelm IV. und dem Reisverweser Erzherzog Johann von Österreich: (1848–1850) / hrsg. von Georg Küntzel. – Frankfurt a. M. 1924. – (Historisch-politische Bücherei; 4) 5f. 123 So A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 81. Leiningen an Prinz Albert, 5.8.1848: V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 222. Schmerling kommentierte die Wahl später in seinen Erinnerungen so: „Was nun die Wahl des Ministerpräsidenten betrifft, so habe ich schon darauf hingewiesen, daß ich durch das halbe Jahr, welches ich überhaupt im Reichsministerium saß, thatsächlich das Präsidium desselben führte und die Politik des Ministeriums leitete.“ (Denkwürdigkeiten A. v. Schmerlings (wie Anm. 91).

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Leiningen war Standesherr eines im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses gebildeten Territoriums im Odenwald um Amorbach und Präsident der Ersten Kammer des Königreichs Bayern. Im Vorfeld der Revolution hatte er sich im liberalen Bürgertum einen Namen gemacht und seine Standesgenossen vergrätzt, indem er für die Aufgabe der standesherrlichen Rechte plädierte, den Ausbau des Konstitutionalismus favorisierte und sich für Rechte der Nation einsetzte, die dann als Märzforderungen bekannt wurden.124 Dieser scheinbare Gleichschritt des Fürsten mit der Bewegung der konstitutionellen Liberalen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Motive und Ziele sich doch unterschieden. Mehr als diese hatte er die zunehmende Gefährdung der bestehenden Ordnung durch die unterbürgerlichen Schichten erkannt.125 Sein soziales und demokratisches Programm sollte dieser Bedrohung zuvorkommen. Ihm schwebte daher nicht eine politische Ordnung vor, in der das Volk nur Objekt bürgerlicher Politik, sondern in die es eingebunden gewesen wäre. Während die „Demokraten“ ein solches Programm verfolgten, weil sie den Massen darauf einen moralischen Anspruch zubilligten, wurde Leiningen davon angetrieben, der Volksbewegung ihre Zerstörungskraft zu nehmen. In einem Artikel „Entweder – Oder“ in der offiziösen Frankfurter Oberpostamtszeitung vom 31. Juli 1848 feierte er die Revolution als den „Ausbruch des Gesamtwillens der Nation“, deren Aufgabe die Begründung bürgerlicher und religiöser Freiheit sowie die Herstellung eines einigen Deutschland sei. Er plädierte für die weitgehende Beschränkung der Souveränität der Einzelstaaten zugunsten des künftigen „Reichsorganismus“ und verlangte schon jetzt, dass dessen Vorläufer, der Reichsversammlung und der Zentralgewalt, widerspruchslos zu folgen sei.126 Ein überzeugenderes Bewerbungsschreiben konnte man nicht abgeben. Leiningen verfolgte also in Bezug auf die deutsche Einheit ein Programm, das sich von dem Heinrichs von Gagern nicht sehr unterschied; und wie dieser täuschte er sich darin, wie weit Preußen bereit war, in Deutschland aufzugehen. Er konnte allerdings seine Pläne, so wie sich die Zusammensetzung des Ministeriums dann ergab, nicht auf den Weg bringen. Leiningens Glauben an Preußen hatte sich von Anfang an nicht mit den großdeutschen Überzeugungen des Reichsverwesers, Schmerlings und Heckschers vertragen. Wahrscheinlich 124 Zur Biografie und zum polit. Weltbild V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 1ff. Vgl. auch R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 68) 75. 125 Das stellt besonders G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 285ff. heraus. 126 Frankfurter Oberpostamtszeitung, 31.7.1848. Vgl. auch noch Memoiren Leiningens, 20.7.1848: V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 220f.

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war auch das – und nicht allein der Waffenstillstand von Malmö – ein Grund, warum er so schnell zurücktrat.127 Nach Überzeugung seines Biografen war er „von dem blendenden Glanz dieser Tage tief ergriffen“, der ihn in die Reihen des Reichsministeriums trieb.128 Dort verzichtete er dann auf das Außenministerium, da ihm bürokratische Kenntnisse fehlten, und konzentrierte sich auf das Amt des Ministerpräsidenten.129 Ihm mangelte darüber hinaus auch Erfahrung im politischen Alltagsgeschäft und vor allem hatte er in Frankfurt keinerlei Rückhalt. Dafür war er im europäischen Hochadel bestens vernetzt und hatte Verbindungen zu fast allen bedeutenderen Höfen in Deutschland. Durch die zweite Ehe seiner früh verwitweten Mutter mit dem Herzog von Kent war er ein Halbbruder von Königin Victoria von Großbritannien. Zugleich mit der Entscheidung über das Außenministerium war durch einen Kraftakt erreicht worden, dass dem am Abend des 3. August zurückgekehrten Reichsverweser eine fast fertige Liste seines Kabinetts vorgelegt werden konnte, die er anstandslos akzeptierte.130 Die Mitglieder wurden am

127 G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) fasst 284f. die Widersprüche in Leiningens deutschlandpolitischen Vorstellungen so zusammen: Wo fängt das Zitat an? Er sei der Patriot gewesen, der bereits 1847 in der preussischen Führung und dem Aussschluss Österreichs aus dem engeren Deutschland die Lösung der deutschen Frage erkennt, und doch gerade dem österreichischen Erzherzoge und Reichsverweser Johann seine Dienste darbietet […,] der 1847 die Bundesreform unter preussischer Führung, in den Anfängen der Paulskirche als Präsident des Reichsministeriums die Diktatur der Frankfurter Nationalversammlung und das Aufgehen Preussens in Deutschland betrieb, dann die preussische Unionspolitik innerlich billigte und mit der Empfehlung des Zusammengehens Österreichs und Preussens gegen die soziale Revolution endete. Man fragt unwillkürlich, wo gibt es in der Fülle dieser Gegensätze und dem Wandel des politischen Denkens ein Zentrum und eine Einheit, von der aus betrachtet sich die verwirrende Mannigfaltigkeit in geordnete Entwicklung löst?“ 128 V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 107. 129 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 81. 130 Schon am 24. Juli war dem RV von Schmerling eine Liste der Kandidaten zugeschickt worden: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 196, H. 5, Nr. 1. Dort war Karl Mathy noch als Finanzminister vorgesehen. Er musste dann aber wegen des Wunsches, Preußen stärker einzubinden, Hermann von Beckerath weichen, und sich mit dem Posten des UStS zufriedengeben. Der eigentlich dafür vorgesehene Gustav Mevissen rückte ins Handelsministerium auf die Stelle eines UStS, die der bayerische Abg. Friedrich von Hermann räumte. Obwohl ihn der Württemberger Hof gerne als Finanzminister gesehen hätte, zog er sich Anfang August aus den Verhandlungen zurück. (Tgb. J. B. Fallati, 6.–9.8.1848: UB Tübingen, Mh 849). Vgl. auch noch die Charakterisierung der Minister und UStS in Denkwürdigkeiten A. v. Schmerlings (wie Anm. 91).

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5. ernannt, an dem die erste Ministerratssitzung stattfand.131 An ihr nahmen auch die Unterstaatssekretäre Max von Gagern und Gustav Mevissen teil, die Außenminister Leiningen hätten zur Seite stehen sollen. Max von Gagern wurden Welt- und Menschenkenntnis wie redlicher Wille bescheinigt.132 Wie sein Vater hatte er im diplomatischen Dienst des Herzogtums Nassau gestanden. Er war sowohl der Bruder des am 20. April im Gefecht gegen die von Hecker angeführten Aufständischen bei Kandern gefallenen Generals Friedrich von Gagern als auch der des Präsidenten der Nationalversammlung. Sein erster Auftrag im Dienste der Zentralgewalt war, deren Interessen bei den Waffenstillstandsverhandlungen Preußens mit Dänemark zu vertreten. Die Erfahrungen waren so demütigend, dass er mit Leiningen schon im September gehen wollte. Er blieb aber bis zum Ende der Regierung Gagern.133 Das kleindeutsche Programm seines Bruders Heinrich hat er vorbehaltlos unterstützt. 1850 in den Staatsdienst von Nassau zurückgekehrt, schied er wenige Jahre später aus. Wegen seines politischen Engagements während der Revolution und weil er 1843 zum Katholizismus konvertiert war, hat er dort so zahlreiche Zurücksetzungen erfahren, dass er es mit seiner „Ehre“ nicht mehr für vereinbar hielt, länger zu bleiben. Auslöser war ein Gespräch mit Ministerpräsident August Ludwig zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, dem ehemaligen Ministerpräsidenten der Zentralgewalt, in dem wohl auch die politischen Gegensätze zwischen dessen Kabinett und dem Heinrichs von Gagern aufgearbeitet wurden. Durch Vermittlung des belgischen Königs und Max von Biegelebens gelang es ihm danach, in der Handelsabteilung des österreichischen Außenministeriums unterzukommen.134 Der rheinische Bankier und Unternehmer Gustav Mevissen, der sein Amt mit der Überzeugung übernommen hatte, dass „die Lage der Politik“ so verwickelt sei, „dass jeder, der Fähigkeit in sich fühlt, sich in der Sache aufopfern muß,“135 verzichtete aber auf seine Stelle im Außenministerium zugunsten des Diplomaten Max von Biegeleben. Lange hessen-darmstädtischer Gesandter in

131 F. D. Bassermann an seine Frau  4.8.1848: F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 204. 132 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 93. 133 Er ist im RM nicht mehr weiter hervorgetreten, da ihn der Tod seiner Frau am 13. März 1849 kurz nach der Geburt des neunten Kindes stark in Anspruch nahm.: Pastor, Ludwig von: Leben des Freiherrn Max von Gagern 1810–1889: Ein Beitrag zur politischen und kirchlichen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts; großenteils nach ungedr. Quellen. – Kempten 1912, 297. 134 Ebenda 270ff. 135 G. v. Mevissen an seine Frau, 4.8.1848: Mevissen / J. Hansen (wie Anm. 102) 415.

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Wien und mit einer Österreicherin verheiratet, zählte er zu den Vertrauten des Reichsverwesers.136 Mevissen, der ursprünglich für das Finanzministerium vorgesehen war, trat dafür in das Handelsministerium als Unterstaatssekretär ein an der Seite seines Freundes Johannes Fallati.137 Dieser hätte lieber im Außenministerium gearbeitet und empfand den „ernsten Schritt des wirklichen Eintritts“ .... „traurig“.138 Für ein Ministerium, das sich seine Aufgaben erst noch suchen musste, eine mehr als üppige Ausstattung. Sie war dem Wunsch geschuldet, die Unterstützung des linken Zentrums zu sichern. In dem Ministerium, das sich neben dem Handel auch noch um den Verkehr kümmern sollte, konnte der Kölner Bankier und Unternehmer zumindest seine reiche wirtschaftliche Erfahrung zur Geltung bringen. Wie viele seiner Kollegen betrachtete er die Übernahme der Position als „ein dem Lande gebrachtes Opfer, von dem ich baldmöglichst wieder befreit zu werden wünsche.“139 Daher war es nicht überraschend, dass er schon einen Monat später ausschied, um die größte Bank des Rheinlands zu sanieren.140 Er hatte immerhin noch eine Denkschrift über das Verhältnis der Reichsgewalt zum Bankwesen und Papiergeld der Einzelstaaten vorlegen können.141 Wie viele seiner Kollegen stieß er aber auf deren Vorbehalt, sich auf Gesetze über die Vereinheitlichung der Verhältnisse in Deutschland erst einlassen zu wollen, wenn eine Verfassung verabschiedet sei.142 Der Bremer Kaufmann und Reeder Arnold Duckwitz hatte aus der Zeitung erfahren, dass er als Handelsminister vorgesehen war. Obwohl ihm dies missfiel, da er sich von dem „Getümmel der Partheien“ fernhalten wollte, nahm er an.143 Der große Gegensatz zwischen Freihändlern und Schutzzöllnern, der das deutsche Wirtschaftsleben bereits vor der Revolution durchzogen hat, begleitete ebenfalls die Besetzung des Handelsministeriums. Duckwitz war beiden Seiten zu vermitteln,144 obwohl er sich schon zuvor mehrmals zugunsten des Schutzzolls, wenn auch nicht uneingeschränkt, geäußert hatte. Als Alternative 136 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 92f. 137 J. Hansen: Mevissen (wie Anm. 102) 566f. 138 Tgb. J. B. Fallati, 9.–16.8.1848: UB Tübingen, Mh 849. Siehe Anm. 130: Ist das aus der gleichen Quelle? 139 In einem Brief an seine Frau vom 23.8.1848 schrieb er „Ich habe nicht vor, mich dauernd der Politik in die Arme zu werfen, da darunter unser Zusammenleben zu viel leiden und das Schöne der Existenz zu sehr ruiniert werden müßte“: Mevissen / J. Hansen (wie Anm. 102) 418. 140 Ebenda 582. 141 Denkschrift vom 25.8.1848: ebenda 419ff. 142 G. v. Mevissen an seine Frau, 30.8.1848: ebenda 423f. 143 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 79f. 144 J. Hansen: Mevissen (wie Anm. 102) 566f.

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zu ihm war unter anderem auch der Präsident des preußischen Handelsamtes, Friedrich von Rönne, ins Spiel gebracht worden, der dann als Botschafter der Zentralgewalt in die USA ging. Die Unterstaatssekretäre Mevissen und Fallati galten, wie auch Ministerialratssekretär Wilhelm Oechelhaeuser als Protektionisten. Schon allein deswegen war es notwendig, mit dem Abteilungsleiter im sächsischen Finanzministerium, Bruno von Schimpff, einem Freihändler im September 1848 das Referat für Zoll- und Postsachen zu übertragen.145 Duckwitz sollte ein einheitliches Zollgebiet als notwendiges Bindemittel des „so sehr gespaltenen Vaterlandes“146 vorbereiten und neue Handelsverträge mit dem Ausland abschließen. Als Minister eines noch gar nicht bestehenden Reiches stieß er dabei aber auf die gleichen Schwierigkeiten mit den Bundesregierungen wie mit den ausländischen Staaten, auf die auch der Außenminister traf. Der Reichshandelsminister konnte immerhin erreichen, dass die Zollgesetzgebung wie auch die Zollverwaltung grundsätzlich dem Reich zugestanden wurden. Wenn es auch mit der zunehmenden Erstarkung der Bundesstaaten immer schwieriger wurde, vereinheitlichende Bestimmungen durchzusetzen, so wurden dennoch Entwürfe eines Reichszollgesetzes, einer Reichszollakte und einer Reichszollordnung erstellt, zweckmäßig ergänzt durch den Entwurf eines Gesetzes über die Ablösung der Flusszölle. Die Vorlagen waren später Grundlage für Reformvorhaben des Zollvereins.147 Auf einige gesetzgeberische Vorarbeiten anderer Ministerien haben nach dem Ende des Reichsministeriums einige Bundesstaaten zurückgegriffen.148 Doch nicht nur in dieser Hinsicht hat das Handelsministerium der Neugestaltung weit vorgegriffen, sondern desgleichen bei der Planung einer Marine und dem Entwurf einer einheitlichen Ordnung für Maße, Gewichte und Münzen sowie für die deutsche Flussschifffahrt.149 Schließlich hat Unterstaatssekretär Fallati, der an der Universität Tübingen auch Statistik lehrte, den Aufbau eines statistischen „CentralBureau für Deutschland“ begonnen.150 Dieses arbeitete später auch für das Innen- und Finanzministerium und bereitete im Auftrag der Nationalversammlung seit November eine Volkszählung in ganz Deutschland vor.151 Der Handelsminister nahm an den allgemeinen 145 Best, Heinrich: Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. – Göttingen 1980. – (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 37) 250ff. 146 K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 24. 147 H. Best: Interessenpolitik (wie Anm. 145) 252ff. 148 So Arnold Duckwitz an Robert Mohl, 30.11.1855: UB Tübingen MD 613–204. 149 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 90ff. und Oechelhaeuser, Wilhelm: Erinnerungen aus den Jahren 1848 bis 1850. – Berlin 1892, 24. 150 Duckwitz an Mohl (wie Anm. 148). 151 RS UStS Fallati an die Bevollm. der dt. Staaten, 21.11.1848: BA, DB 55/4.

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politischen Fragen weniger Anteil; er stand aber immer auf der Seite derjenigen, die eine starke Zentralgewalt und Ordnung im Innern wollten.152 Schwierig gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem volkswirtschaftlichen Ausschuss der Nationalversammlung. Denn dieser wollte aus Furcht um seine Autonomie Vertretern aus dem Reichsministerium grundsätzlich keine Mitgestaltung, sondern höchstens ein Recht auf Information einräumen. Denn er hatte den Ehrgeiz, schon grundlegende Wirtschafts- und Handelsgesetze für das Deutsche Reich vorzubereiten. Dabei wurden sowohl von ihm als auch vom Handelsministerium immer wieder auch Fachleute aus den Bundesstaaten hinzugezogen. Diese Kooperation der Zentralgewalt wie auch der Nationalversammlung mit den Experten und Beamten gab es auch in vielen anderen Bereichen. Sie verdient deswegen mehr Beachtung, weil sie den besonders gerne von Preußen immer mal wieder erhobenen Vorwurf des „Reichsterrorismus“ relativiert. Neben dem Österreicher Joseph von Würth übernahm Friedrich Daniel Bassermann die Position des Unterstaatssekretärs im Innenministerium.153 Schmerling hatte ihn mit dem Versprechen einer kollegialen und gleichberechtigten Stellung ins Ministerium gelockt.154 Der talentierte, doch eigenwillige Charakter hat sich von einem der schärfsten Kritiker der badischen Politik zu einem der gefürchtetsten Gegner der Linken in Frankfurt gewandelt. Er ging von einer entschiedenen Missbilligung der preußischen Politik zu einem Einverständnis mit dieser über, als sich die Kluft zwischen Frankfurt und Berlin immer mehr weitete. Im Ministerium hat er sich weniger um die alltäglichen Geschäfte gekümmert als um die Verteidigung von dessen Politik in der Öffentlichkeit wie der Nationalversammlung.155 Er hatte sich schon durch seinen Einsatz in den vormärzlichen Kämpfen der badischen Zweiten Kammer im deutschen Liberalismus einen Namen gemacht; er war der politischste Unterstaatssekretär des Reichsministeriums. Obwohl Hermann von Beckerath von Anfang an in die Bildung der Regierung eingebunden worden war, wollte er dort keine Verantwortung übernehmen. Er fürchtete, seine „kaufmännischen Berufspflichten verletzen“ zu müssen und zwischen Berlin und Frankfurt zerrieben zu werden.156 Hinzu kam, dass der Mitbegründer der Casinofraktion und rheinpreußische Liberale sich weder für die Einrichtung einer Zentralgewalt als auch für die Einsetzung 152 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 87f. 153 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 201f. 154 Werner, Wigbert O.: Zwischen Liberalismus und Revolution: Friedrich Daniel Bassermann; ein politisches Porträt. – Heidelberg 2007. – (Bausteine zur Kreisgeschichte; 8) 205. 155 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 90f. 156 H. v. Beckerath an seine Frau, 27.7.1848: Rhein. Bf. u. Akten II, 1 (wie Anm. 16) 328f.

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des Reichsverwesers hatte erwärmen können. Nachdem die Entscheidung aber gefallen war, fügte er sich wie auch sein Freund Mevissen als einer der wenigen von den in Frankfurt anwesenden Preußen. Sie trösteten sich beide damit, dass dies ein unumgängliches Opfer für die ersehnte Einheit unter preußischer Führung sei. Als sich kein Preuße fand, musste er dennoch das Finanzministerium übernehmen, getrieben von der Überzeugung, dass das Wohl Deutschlands und seiner rheinischen Heimat an dem Einverständnis zwischen Frankfurt und Berlin hänge.157 Die Lösung war möglich geworden, nachdem die beiden ursprünglich vorgesehenen Kandidaten den Platz räumten. Zunächst hatte der Württemberger Hof auf dem bayerischen Abgeordneten und Kameralwissenschaftler Friedrich von Hermann bestanden.158 Obwohl bereits als Finanzminister avisiert, zog er sich zurück. Schließlich begnügte sich der nachrückende Karl Mathy mit dem Unterstaatssekretariat. Der Publizist und badische Staatsrat hoffte, dass dadurch die „sehr gespannte Missstimmung in Preußen gegen die Reichsgewalt“… „bedeutend gebessert werden wird.“159 Als preußischer Monarchist hat Beckerath im Reichsministerium immer wieder auf die Folgen der Oberherrlichkeit der Zentralgewalt über die Einzelstaaten hingewiesen. Doch er hat auch das angebotene Amt des preußischen Ministerpräsidenten abgelehnt, weil er den König nicht davon überzeugen konnte, die Belange des Reiches stärker zu berücksichtigen.160 Nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. trotz mehrerer Vermittlungsversuche Beckeraths zerbrach für ihn wie für viele konstitutionelle Liberale ein politischer Lebenstraum. Daher hat er auch als Erster das Ministerium Gagern verlassen.161 Denn die Vertreter des Württemberger Hofes empfanden sich als linke Minderheit in einem Kabinett konstitutioneller Liberaler. Sie glaubten aber gerade deswegen politisch notwendig zu sein.162 Bis zum 5. August war so der angestrebte regionale Proporz zwischen Österreich, Preußen, Bayern, Nord- und Süddeutschland in etwa erreicht worden; doch gebot es politische Klugheit, das Ministerium auch möglichst breit in der Nationalversammlung abzusichern, obwohl diese es nicht stürzen konnte. 157 Hettinger, Ulrich: Hermann von Beckerath: Ein preußischer Patriot und rheinischer Liberaler. – Krefeld 2010. – (Krefelder Studien; 14) 271f. Beckerath an seine Frau, 4.8.1848: Rhein. Bf. u. Akten II, 1 (wie Anm. 16) 347f. 158 Tgb. Fallati, 6.–8.8.1848 (wie Anm. 130). 159 K. Mathy an A. Mathy, 4.8.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 351. 160 U. Hettinger: Beckerath (wie Anm. 157) 274f. 161 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 89f. 162 Proklamation R. v. Mohls an seine Wähler, 9.8.1848: Reichsminister Robert von Mohl und seine Wähler (wie Anm. 6) 340f.

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Nach Lage der Dinge kam dafür nur das linke Zentrum im „Württemberger Hof“ infrage. Da mit diesem schon seit Ende Juli Verhandlungen geführt wurden, glaubte man rasch durch die Überlassung von drei Unterstaatssekretärsposten zum Ziel kommen zu können. Die dafür Vorgesehenen wollten Verantwortung nicht ohne Rückendeckung ihrer „politischen Freunde“ übernehmen. Diese taten sich damit aber schwer,163 da die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen war, dass die dann mitzutragenden Entscheidungen zu einer Entfremdung von ihren Wählern führen würden.164 denn die Vertreter des Württemberger Hofes Mit dem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen, Johannes Fallati, war man sich rasch über dessen Eintritt in das Handelsministerium einig. Dort hat er sich in kollegialer Kooperation mit seinem Minister vor allem um das Konsulatswesen, die Schifffahrt und sein Spezialgebiet Statistik gekümmert.165 Ein weiterer Württemberger, Robert von Mohl, wurde zunächst für die Unterstaatssekretärsstelle im Ministerium des Auswärtigen in Aussicht genommen, doch dann zum Justizminister bestimmt. Der rheinische Advokat Christian Widenmann166 wurde ihm als Unterstaatssekretär beigegeben.167 Er hat sich vor allen Dingen zusammen mit Sachverständigen der Abfassung eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland angenommen.168 Obwohl die Justiz Sache der Bundesstaaten war, bekam das Reichsministerium einiges Gewicht.169 Es hat sich um Beschwerden über gehemmte oder schlechte Rechtspflege gekümmert und Rechtsfragen deutscher wie ausländischer Regierungen beantwortet. Ein Verdienst war die Durchsetzung der deutschen Wechselordnung, die schon vor 1848 ausgearbeitet worden war. Ebenfalls erfolgreich, wenn auch hoch umstritten, war das Gesetz des Verbots von Lotterien und zur Aufhebung der Spielkasinos in deutschen Badeorten.170 Obwohl einige Bundesstaaten durch deren Betrieb und die Vergabe von Konzessionen Einnahmen erzielten, setzte das Reichsministerium diese Initiative der Nationalversammlung171 durch.172 Gegen die bis zum Schluss 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172

R. v. Mohl an seine Frau, 8.8.1848: WLB Stuttgart, Cod. Hist. 4o 506/III, Fasz. 28 c, Nr. 187. K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 21. Ebenda 25. R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 93. Schreibweise auch immer mal „Wiedenmann“. K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 17. R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 93f. Ebenda 94ff. Ebenda 96f. Vgl. Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4480ff. GRM, 17.1.1849, vor allem Bl. B und C: BA, DB 52/6; 10. U. 18. 4.1849: DB 52/9.

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widerstrebende Landgrafschaft Hessen-Homburg wurden sogar Bundestruppen eingesetzt.173 Schließlich hat Reichsjustizminister v. Mohl einen für einen Linken bemerkenswerten Einsatz bei der Abfassung der Erlasse zur Einschränkung der politischen Betätigung nach den Frankfurter Unruhen gezeigt.174 Er sah den größten Gewinn seiner „neun monatlichen Theilnahme an höchsten Staatsgeschäften“ darin, seine doch beschränkte politische Befähigung erkannt zu haben. Er habe sich durchaus für fähig gehalten, Minister in einem Bundesstaat zu sein, doch seien ihm erst in Frankfurt die Augen aufgegangen. Er „hätte nie mehr im Leben eine solche Aufgabe“ übernommen.175 Der rasche Verhandlungsfortschritt beruhte darauf, dass den Unterstaatssekretären eine gleichberechtigte Mitwirkung im Kabinett zugesagt worden war. Dem widersetzten sich jetzt aber einige Ministerkollegen, da dann die Gefahr bestand, dass Entscheidungen gegen ihren Willen gefällt würden, die sie in der Nationalversammlung zu vertreten hätten.176 Um die Blockade zu überwinden, wurde sogar daran gedacht, ein weiteres Ministerium zu schaffen, nämlich für öffentliche Arbeiten.177 Da aber die Überzeugung vorherrschte, dass schon die jetzige Größe der Regierung der Öffentlichkeit kaum mehr zu vermitteln war und jegliche Ausweitung auch die Beratungen nur erschweren würden, zog man eine Rochade vor. Robert von Mohl übernahm das Justizministerium; gegen den Willen Schmerlings, da er in ihm einen Theoretiker sah, der „extravagante Ideen“ durchzusetzen versuche.178 Dafür trat Schmnerling am 9. August das Außenministerium, das der „weltmännischen“ Heckscher, der „die wichtigsten europäischen Sprachen mit bewunderungswürdiger Geläufigkeit sprach,“179 von Anfang an angestrebt hatte, ab.180 Um Leiningen, der zunächst ja nur als Außenminister vorgesehen war, nicht zu verlieren, wurde ihm die bisher nicht formal vorgesehene Präsidentschaft ohne Geschäftsbereich übertragen. Dafür sprach auch, dass „der sehr liebenswürdige und verständige Fürst kein Geschäftsmann war“.181 Da der Hamburger Advokat Heckscher keine diplomatische Erfahrung hatte, wurden ihm mit Ludwig von 173 GRM, 8.2. u. 3.5.1849: BA, DB  52/6; 52/10 und R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 95f. 174 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 253ff. 175 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 99f. 176 Zu diesem Konflikt ausführlicher: Tgb. Fallati, 6.–8.8.1848 (wie Anm. 130). Vgl. auch R. v. Mohl an seine Frau, 7.8.1848: WLB Stuttgart, Cod. Hist. 4o 506/III, Fasz. 28 c, Nr. 187. 177 R. v. Mohl an seine Frau, 8.8.1848 (wie Anm. 163). 178 Schmerling / A. v. Arneth: (wie Anm. 90) 172f. 179 Ebenda 169f. 180 Vgl. Entwürfe des RV, 9.8.1848: BA, DB 54/11. 181 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 81.

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Biegeleben und Max von Gagern zwei Diplomaten als Unterstaatssekretäre zugeordnet.182 3.3 Der Abschluss der Regierungsbildung Dem in der Nacht vom 3. auf den 4. August aus Wien zurückgekehrten Reichsverweser blieb nur, die Zusammensetzung seiner Regierungsmannschaft zu billigen,183 über deren Formierung er auf dem Laufenden gehalten worden war184 und die er bei Schmerling in vertrauensvollen Händen wusste.185 Einige Mitglieder seines Kabinetts kannte er persönlich noch nicht. Mit der Ernennung aller am 9. August 1848 war die Regierungsbildung endlich abgeschlossen.186 K. Mathy meinte dazu: „Diese Zusammensetzung verspricht einige Dauer, wenn nur etwas geleistet wird, was man erwarten darf.“187 Noch am Morgen desselben Tages wurde die Arbeit in vollem Umfang aufgenommen. Auf der Tagesordnung standen bereits die Auswahl von Gesandten und der Krieg gegen Dänemark. Am Abend kam man nochmals zusammen, um den Auftritt vor der Nationalversammlung am folgenden Tag vorzubereiten.188 Die Vorstellung seines Ministeriums übernahm am 10. Reichsministerpräsident Leiningen im Parlament, das er wenig schätzte.189 Er hielt eine kurze Ansprache, in der er nicht nur den Einsatz für Freiheit und Einheit versprach, sondern auch für den Ruhm und die Ehre Deutschlands.190 Obwohl die zuerst Berufenen bereits mehrmals getagt hatten, konnte das Gesamtreichsministerium erst am 19. August 1848 endgültig seine Arbeit aufnehmen.191 Die meisten 182 Wentzcke, Paul: Ludwig von Biegeleben: Drei Lebensstufen deutschen Einheitsstrebens; Darmstadt, Frankfurt, Wien. – In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 3 (1953) 224– 282, hier 248f. 183 Vgl. auch noch M. Botzenhart: Parlamentarismus (wie Anm. 9) 182f. 184 K. Mathy an A. Mathy, 26.7.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 338. 185 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 203f. 186 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm.  85) 84f. Unterlagen dazu in BA, DB 54/11. 187 K. Mathy an A. Mathy, 9.8.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 364. 188 Tgb. J. B. Fallati, 9.–16.8.1848: UB Tübingen, Mh 849. 189 In einem Brief an Johann Kaspar Bluntschli, 1.7.1848, schreibt er: „Das Parlament ist schwerfällig und ohne besonders hervorragende Elemente – im ganzen. R. Blum und einige wenige andere etwa ausgenommen. Dagegen ist es reich an unpraktischen Theoretikern und manchen höchst gemeinen Demagogen, welche den guten Namen von Republikanern mißbrauchen. Mit der Übung kömmt indes auch hier mehr Gewandheit.“: G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 315f. 190 V. Valentin: Leiningen (wie Anm.  116) 120. Reden II / F. Wigard (wie Anm.  3) 1466. K. Mathy an A. Mathy, 9.8.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 363. 191 Zur häufiger wechselnden Zusammensetzung des RM vgl. Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt: Teil I: Bestände DB 52–59 [sic!; richtig: 55] / hrsg. von Hans

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werden dies wohl mit dem Gefühl getan haben: „Ich thue es sehr ungerne; die Umstände sind sehr schwierig, der Bestand des Ministeriums unsicher.“192 Mit jeweils sechs Ministern waren alle klassischen Ressorts vertreten. Der Kriegsminister hatte keinen der insgesamt acht Unterstaatssekretäre, dafür arbeiteten im Außen-, Innen- und Handelsministerium je zwei. Das Parlament, dem das Reichsministerium die Festsetzung seiner Gehälter überlassen hatte, billigte den Ministern 1000 (dem Kriegsminister ein zusätzliches „Fouragegeld“ von 83 Gulden und 20 Kreuzern)193 und ihren Stellvertretern  500 Gulden im Monat zu.194 Dass dies nur etwa die Hälfte von dem war, was der Präsident der Nationalversammlung oder die Kollegen in den Bundesstaaten bezogen,195 wurde damit gerechtfertigt, dass Minister und Unterstaatssekretäre der Reichsgewalt durch „wahre Vaterlandsliebe“ angetrieben würden und sie „in der Ehre und der segensreichen Wirksamkeit ihrer Stellung die Befriedigung ihrer nächsten Wünsche finden“ würden.196 Soweit sie Abgeordnete waren, standen ihnen darüber hinaus in „bescheidenem Maaße“ Diäten zu „- das höchste war 5 Gulden täglich –“.197 Zu allem Überfluss mussten die Regierungsmitglieder auf die Anweisung ihrer Bezüge bis nach der Verabschiedung des Finanzgesetzes am 22. Dezember warten.198

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Schenk. – Koblenz 1986. – (Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs; 24) u. Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt: Teil II: Bestände DB 56–59 / bearb. von Hans Schenk unter Mitwirkung von Philip Möckel. – Koblenz 2001. – (Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs; 24). Am Ende der Verzeichnung des jeweiligen Bestandes werden die Ressortminister, die Unterstaatssekretäre, Ministerialbeamten und Mitglieder von Kommissionen mit kurzen Biogrammen angeführt. Soweit die Mitgl. des RM auch der NV angehörten, sind sie auch noch in Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 / bearb. von Heinrich Best; Wilhelm Weege. – Düsseldorf 1996. – (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 8) fassbar. So Robert v. Mohl am 7.8. an seine Frau (wie Anm. 176). RFM Beckerath an die Reichskasse, 22.12.1848: BA, DB 57/2. K. Mathy schätzte „die Besoldung, welche ich, solange die Geschichte hält, höchstens zu erwarten habe, wird 6000 Gulden nicht übersteigen.“: an A. Mathy, 18.8.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 368. F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 194 war in seinen Vorüberlegungen zur Regierungsbildung noch davon ausgegangen, „dass die Reichsminister gut zu bezahlen sind, versteht sich von selbst“; zur gleichen Zeit empfahl er dem Ehg., auf eine Zivilliste zu verzichten. Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4351f. Denkwürdigkeiten A. v. Schmerlings (wie Anm. 91). RFM Beckerath an die Reichskasse (wie Anm. 193) mit einer detaillierten Aufstellung der Nachzahlungen.

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Der Umfang des Reichsministeriums war vor allen Dingen politischem wie landsmannschaftlichem Proporz geschuldet.199 Südwestdeutschland als der Schwerpunkt der Märzrevolution war überrepräsentiert und auch die Hansestädte, Hochburgen des juste-Milieu-Liberalismus, waren gut vertreten. So war ein Ministerium von einem süd-, groß- und reichsdeutschem Anstrich zustande gekommen. Dieser konnte auch nicht durch die preußischen Rheinländer Beckerath und Mevissen kompensiert werden. Ihnen fehlte die altpreußische Gesinnung und ihre Verwurzelung im Berliner Machtzentrum war zu schwach. So ergab sich von Anfang an ein latenter Gegensatz zu Preußen, der die Provisorische Zentralgewalt bis zu ihrem Ende bestimmte und Teil ihres Schicksals wurde.200 Beim König war bereits während der Regierungsbildung die Neigung zur Unterstützung, vielleicht unter dem Einfluss Camphausens, merklich zurückgegangen201 und sein Kabinett war über den Gang der Regierungsbildung wie manche dabei gefallene Äußerung so sehr verstimmt, dass Beckerath noch während der Verhandlungen abgeordnet wurde, die Staatsregierung zu beschwichtigen.202 Diese versicherte der Zentralgewalt, dass sie Preußen „offen und rückhaltlos“ vertrauen könne, wenn dessen „Wohlstand“,… „nothwendige Selbstständigkeit und Stärke“ nicht geschwächt werde.203 Wichtiger aber war zunächst ein solider parlamentarischer Rückhalt, den das Reichsministerium im rechten (Casino) und linken Zentrum (Württemberger Hof) fand. Es wurde mit deren Vertretern als Minister und Unterstaatssekretäre besetzt. Neben dem Vorsitzenden Fürst Leiningen waren nur Kriegsminister Peucker, Handelsminister Duckwitz und Unterstaatssekretär Biegeleben keine Parlamentarier. Wenn auch die Ministerien bis auf das des Krieges bzw. später der Marine keine nachgeordneten Behörden hatten, so haben sie dennoch in der Anfertigung von Gesetzentwürfen und Beratungsunterlagen für Kabinett wie Nationalversammlung konstruktive Arbeit geleistet. Die zahlreichen Interpellationen 199 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm.  76) 76. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 80. 200 Zugespitzt bei V. Valentin: Leiningen (wie Anm.  116) 118: „Der Sinn des Ministeriums Leiningen war demnach die Vergewaltigung Preußens, die Frankfurter Diktatur. Es war fürwahr ein tragisches Geschick für den Fürsten, mit seinem Namen eine Richtung zu decken, die unter falscher Einschätzung der Realitäten dem Staate gewaltsam gegenübertreten musste, dessen Kraftentfaltung er seit langem kategorisch verlangt hatte und gerade jetzt sehnlichst wünschte.“ 201 Kg. Friedrich Wilhlem IV. an RV, 27.7.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 10, H. 4/3. 202 H. v. Bekerath an seine Frau, 22.7.1848: Rhein. Bf. u. Akten II, 1 (wie Anm. 16) 314f. 203 MP R. L. C. von Auerswald an RIM A. v. Schmerling, 5.8.1848: HHStA, NL BienerthSchmerling, Kt. 4, Fasz. 15/3.

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und Anfragen der vor Übermut strotzenden Volksvertreter204 an das Reichsministerium wurden von Ministern und Unterstaatssekretären als große, meist unnötige Belastung empfunden.205 Sie dienten entweder der Profilierung der Abgeordneten oder waren Mittel im politischen Kampf, doch führten sie in der Sache so gut wie nie weiter. Damit aus solchen Anträgen wie auch dem Gang der Debatten der Reichsregierung keine Schwierigkeiten erwachsen würden, bemühte sich diese, immer einen Vertreter im Parlament präsent zu haben, der bei Bedarf eingreifen konnte.206 Die Ministerien versuchten, durch Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere das Lancieren von Presseartikeln, die Durchsetzung ihrer Politik zu erleichtern.207 Eine besondere Bedeutung gewann das Kriegsministerium, da es als Koordinationsinstanz für die Bekämpfung von Unruhen und die Niederschlagung von Aufständen diente. Die Arbeit der anderen Behörden kennzeichnete, dass sie auf das künftige Deutsche Reich ausgerichtet war. Dabei leistete das Außenministerium im Aufbau eines diplomatischen Dienstes schon konkrete Vorarbeit und geriet in Konkurrenz mit den Rechten der Fürsten. Auch das Marineministerium hinterließ ein vorzeigbares Ergebnis, da es den Bundesstaaten so gut wie nicht in die Quere kam. Handels- und Justizministerium bereiteten durch Entwürfe von Gesetzen für die Vereinheitlichung der Verhältnisse im neuen Deutschland auf ihren jeweiligen Gebieten dieses schon vor. Finanzminister Beckerath und sein Nachfolger Merck erledigten Kassenund Rechnungsgeschäfte, mobilisierten Kredite und trieben vor allem Matrikularbeiträge ein, die dem Reichsministerium entweder wegen des Fehlens eigener Mittel oder aber aus politischen Gründen von den Bundesstaaten immer wieder vorenthalten wurden. Um Engpässe zu beseitigen, verfielen die Ressortchefs gelegentlich auf den Ausweg, gegen Provisionsvergütungen Abgeordnete der Paulskirche in ihren Heimatstaaten die fälligen Raten eintreiben zu lassen.208 Für die Bedürfnisse der Flotte, die ein Lieblingsprojekt von ihm war, hatte Beckerath immer ein offenes Ohr.209 Er hat das einzige Budget, das die Zentralgewalt jemals vorlegte, nämlich das für die Monate Juli bis Dezember 1848, im Parlament mit Umsicht verteidigt.210 204 So A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 83. 205 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 75: „überflüssige Interpellationen und kindische dringliche Anträge“. 206 Schmerling: Denkwürdigkeiten IV: BA, FSG 1 (wie Anm. 48) 73. 207 W. Oechelhaeuser: Erinnerungen (wie Anm. 149) 25. 208 Ebenda 37. 209 U. Hettinger: Beckerath (wie Anm. 157) 272f. 210 Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4333f. Vgl. auch noch RFM v. Beckerath an V. J. Heilmann (wie Anm. 750), wo er die Aufstellung des Haushalts als „Eine größere Arbeit meines Departements” bezeichnet.

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3.4 Die Einrichtung der Zentralgewalt und deren Finanzierung Die leitenden Mitarbeiter der Reichsministerien kamen meist aus den Ministerien der Bundesstaaten und waren von dort angefordert worden. Diese Herkunft führte vor allem beim Personal des Kriegsministeriums und den Offizieren der Bundestruppen gelegentlich zu Loyalitätskonflikten. Mancher Minister hat den ein oder anderen Mitarbeiter aus seiner früheren Tätigkeit mitgebracht oder aber Kollegen aus der Nationalversammlung in das Ministerium übernommen. Auf der Ebene darunter kam das Personal ebenfalls zum Teil aus den Bundesstaaten, doch gab es auch Bewerbungen aus den unterschiedlichsten Bereichen von außen. Mancher wurde von sich aus bei der Zentralgewalt vorstellig, da er sich dort eine Karriere erhoffte. Die Subalternbeamte waren aus der Bundesverwaltung übernommen, gelegentlich auch vor Ort rekrutiert worden. Der Aufbau der Ministerien war schon bis Ende August hinlänglich abgeschlossen. Im Endausbau hatte eine durchschnittliche oberste Reichsbehörde vom Minister bis zum Kanzlisten oder Portier nicht mehr als zehn Mitarbeiter.211 Nur das Kriegsministerium hatte mit 35 und das spätere Marineministerium mit 25 mehr.212 Zusammen mit dem Außenministerium waren sie auch die einzigen Oberbehörden mit nachgeordneten Dienststellen.213 Die Maßnahme, die Beamtenstellen höher zu dotieren als vergleichbare in den Bundesstaaten, scheint also ihren Zweck erfüllt zu haben. Sie sollte auch als Anreiz dazu dienen, eine Position zu übernehmen, von der nicht sicher war, wie lang sie überhaupt bestehen würde.214 Mit dieser Unsicherheit mussten allerdings nur wenige zurechtkommen, da sich die meisten Beamten aus den Bundesstaaten beurlauben ließen.215 In den Ministerien selbst wurde versucht, die Referenten durch tägliche Besprechungen über ihr Spezialgebiet hinaus in die Grundlinien der Politik des Hauses einzubinden.216 211 Zu den einzelnen Ministerien vgl. auch noch die jeweilige Aufstellung in: Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt I, II / H. Schenk (wie Anm. 191). Der ehemalige Ministerialsekretär W. Oechelhaeuser: Erinnerungen (wie Anm.  149) 23 kommentierte das so: „Das war das gesamte Personal des Reichshandelsministeriums, von dem sich Deutschland in unbestimmtem Erwartungsdrang so große Dinge versprach.“ 212 Stockinger, Thomas: Ministerium aus dem Nichts: Die Errichtung der Provisorischen Zentralgewalt 1848. – In: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 20 (2013) 59–84, hier 66f. 213 Th. Stockinger: Deutsches Reich 1848/49 (wie Anm. 5) 671f. Eine Personalübersicht des GRM vom 15.2.1849 mit früherer Tätigkeit u Herkunft der Beamten vom 15.2.1849 in Quellen zur europ. VG III (wie Anm. 111) – 11.1.1.5.2. Eine Übersicht vom 20.3.1849: BA, DB 54/1. 214 „Ende September wurde ich ,zur Probe‘ im Handelsministerium angestellt und am 23. Dezember 1848 zum Reichsministerialsekretär mit 1500 Gulden (857 Taler) Gehalt ernannt.“: W. Oechelhaeuser: Erinnerungen (wie Anm. 149) 23. 215 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 109. 216 Z. B. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 103.

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Die neuen Ministerien konnten auf keine eingespielten Verwaltungsverfahren oder Verbindungen, vor allen Dingen zu den deutschen Regierungen, zurückgreifen. Neben der Anwerbung von Mitarbeitern mussten sich selbst die Minister anfangs um die einfachsten Angelegenheiten kümmern. Der Justizminister brachte seine Briefe persönlich zur Post.217 Hilfreich war nur, dass aus den ehemaligen Bundesmitteln genügend Geld zur Verfügung stand, um Mobiliar und Arbeitsmittel zu beschaffen.218 Die vorgefundenen Kassen und Fonds des Deutschen Bundes, dessen Finanzierungsmodell der Umlagen auf die Einzelstaaten man ebenfalls übernahm,219 reichten schließlich auch noch für die erste Personalausstattung. Da ja zunächst überhaupt keine Exekutive vorgesehen war, musste sich das Reichsministerium als erstes selbst um die einfachsten Voraussetzungen seiner Arbeit kümmern.220 Robert von Mohl hat mit Recht darauf hingewiesen, dass wohl kaum je ein Ministerium in gleichem Maße ganz von vorne, „gleichsam mit nichts beginnen musste“. Der Fürst von Thurn und Taxis stellte der Reichsregierung sein Frankfurter Palais zur Verfügung, das bereits die Bundesversammlung genutzt hatte, das aber bald nicht mehr ausreichte.221 Es wurde „mit ziemlich revolutionärer Gewaltthätigkeit“ übernommen. Man fand in ihm nur leere Zimmer ohne Personal, ohne Möbel und ohne Gerät, „in den leeren Schränken nicht ein Aktenstück“. Als Bassermann Schmerling dort am 25. Juli zum ersten Mal besuchte, erschienen ihm die „völlig vernachlässigten Zimmer“ mit den „schwer herabhängenden Spinnweben“ und den in „allen Ecken herumstehenden alten Spieltischen“ als ein Sinnbild des alten Systems.222 Das Reichsministerium ging professionell zu Werke. Noch ehe feststand, was überhaupt getan werden sollte oder konnte, wurden die Geschäftsbereiche innerhalb der einzelnen Ministerien aufgeteilt und der Verantwortung der Minister wie der Unterstaatssekretäre zugeordnet223; zugleich wurde der künftige Personalbedarf errechnet.224 Dann wurden die Kompetenzen zwischen den einzelnen Ministerien abgesteckt und der Geschäftsgang 217 218 219 220 221

R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 89. Dazu auch noch Th. Stockinger: Ministerium aus dem Nichts (wie Anm. 212) 68. Th. Stockinger: Deutsches Reich 1848/49 (wie Anm. 5) 681f. Dazu und zum Folgenden jetzt ebenda 64ff. Ebenda 69, 72, 74. Vgl. auch K. Mathy an H. v. Beckerath, 24.9.1849: Ungedruckte Briefe Karl Mathy’s und Bassermann ‘s an v. Beckerath / hrsg. von Richard Fleischer. – In: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart7 (1882) 168–186; 273–297, hier 283. 222 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 201. 223 Geschäftseinteilung des RHMin, August 1848: BA, DB 58/1; für das RAMin vom Februar 1849: BA, DB 53/1 und für das RIMin, 15.2.1849: BA, DB 54/1. 224 Personalbedarf des RHMin, 12.8.1848: BA, DB 58/1.

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zwischen ihnen ebenso geregelt wie festgelegt wurde, was die Ministerien dem Gesamtreichsministerium vorlegen sollten und in welcher Form.225 Dieses tagte unregelmäßig, meist im Abstand von 2–3 Tagen; immer mal wieder auch zweimal am Tag, meist durch die Sitzung der Nationalversammlung unterbrochen. Denn „die wichtigsten Fragen für ganz Deutschland verlangen schnelle Entscheidungen.“226 Bei Bedarf wurden auch immer wieder Fachleute zugezogen. Die Arbeit der Minister war überwiegend politisch: Leitlinien festlegen, sich untereinander abstimmen, Gesinnungsgenossen und Öffentlichkeit überzeugen. Die Erarbeitung der Vorlagen, Erlasse und Denkschriften wie der bürokratische Verkehr wurde den Räten, gelegentlich auch den Unterstaatssekretären, überlassen. Im Kabinett waren nur die Ressortchefs abstimmungsberechtigt, da sie die Verantwortung gegenüber dem Parlament übernehmen mussten. Da aber versucht wurde, Abstimmungen weitgehend zu vermeiden, fühlten sich die Unterstaatssekretäre in die Entscheidungen angemessen eingebunden.227 Trotz manchmal heftiger Meinungsverschiedenheiten fanden die Debatten im „Tone eines Kreises von Freunden“ statt. Nach Duckwitz wurden manche Dinge sogar in Sekunden ohne ein Wort zu äußern, erledigt, nur durch Blicke und Minen.228 Eine verbindliche Geschäftsordnung hat es vermutlich nicht gegeben;229 dafür hat man sich ausführlich Gedanken über die Titulatur innerhalb des Reichsministeriums wie zwischen diesem und den Behörden der Bundesstaaten gemacht.230 Die Unterstaatssekretäre galten als Vertreter ihrer Fraktionen bzw. Klubs in der Regierung und erleichterten daher die Entscheidungen gelegentlich nicht.231 Sie hatten uneingeschränktes Teilnahme- und Beratungsrecht und vertraten das Ministerium in der Nationalversammlung, deren Mitglieder beinahe alle waren. Entscheiden durften ausschließlich die Minister, die auch allein das Recht der Gegenzeichnung von Anordnungen des Reichsverwesers hatten, dem ebenfalls nur sie vortragen durften. Neben ihrer Arbeit in der Behörde kamen für Unterstaatssekretäre wie für Minister die fast täglichen 225 226 227 228 229 230

Denkschrift über den Wirkungskreis des RHMin, 14.8.1848: BA, DB 58/1. So K. Mathy an A. Mathy, 6.8.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 354. K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 26. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 289. Für das RIMin wurde eine GO erst am 3.3.1849 vorgelegt: BA, DB 54/1. Bl. A zu GRM, 31.8.1848 und Bl. D zu GRM, 24.8.1848: BA, DB 52/1. Vgl. auch THW (wie Anm. 77) C 2370. 231 Inwieweit V. Valentins Aussage „Menschliche Fühlung bestand unter den Ministern wenig“ (V. Valentin: Deutsche Revolution II [wie Anm.  30] 308) zutrifft, ist schwer zu entscheiden, zumal er nicht belegt, worauf er sich stützt. Die Mitgl. des GRM, soweit sie sich dazu geäußert haben, stellen überwiegend die Kollegialität und den immensen Arbeitseifer heraus.

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Sitzungen der Nationalversammlung und auch die Zusammenkünfte der Klubs durften nicht vernachlässigt werden. „Fast täglich ein zwei- bis dreistündiger Ministerrat, in welchem es die schwierigsten Fragen der inneren und äußeren Politik zu lösen gilt, dann sechs-, siebenstündige Sitzungen in der Paulskirche, ferner einige Stunden Büroarbeiten, Konferenzen mit den Gesandten usw. und endlich die wichtigen vorbereitenden Klubversammlungen, das alles nimmt meine Zeit sehr in Anspruch.“232 Zweimal in der Woche kamen die Minister allein mit dem Reichsverweser zusammen, um sich die erforderlichen Genehmigungen von Beschlüssen des Ministerrates einzuholen.233 Auf dessen Wunsch hin wurde ihm gestattet, im Geschäftsverkehr den Reichsverweser statt mit „Kaiserlicher Hoheit“ mit „Hoher Reichsverweser“ anzusprechen.234 Debatten fanden im „MinisterConseil“ selten statt und dem Kollegium gelang es fast immer, die Einwände des Erzherzogs zu entkräften. Eine besondere Vorliebe hatte er für militärische Fragen. Die einzelnen Minister hatten uneingeschränkten Zugang zu ihm.235 Am häufigsten traf er sich mit den Ministerpräsidenten,236 die ihm über die wichtigsten Gegenstände laufend zu unterrichten hatten. Für wohl fast alle war diese Tätigkeit ein Opfer, für das sie sich verschlissen haben. Nicht wenige waren am Ende ihrer Amtszeit psychisch und physisch zerrüttet.237 Die Mitglieder des Reichsministeriums hatten sich bisher nicht gekannt, sie hatten nicht schon gemeinsam in einer Staatsverwaltung

232 H. v. Beckerath an seinen Schwiegervater Valentin J. Heilmann, 25.10.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 493. 233 Erlass des RV an MP Leiningen, 16.8.1848: BA, DB 53/1 und K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 26. 234 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 104. 235 Ebenda 86: „Mit dem RV verplauderte ich fast täglich ein Stündchen.“ 236 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 108f. 237 R. v. Mohl zog sich nach seinem Ausscheiden aus dem RM aufs Land zurück. Einem Vertrauten in seinem Wahlkreis schrieb er am 3.6.1849, dass seine „Gesundheit ganz zerstört“ sei „durch dreizehnmonatige übermäßige Sorge und Arbeit“. Er sei so in seinem „ganzen Nervensystem zerüttet“, dass er nicht schlafen, nicht arbeiten, nicht essen könne. Er glaubte sogar, durch sein revolutionäres Engagement um seine Existenz gekommen zu sein. „Vielleicht, und selbst wahrscheinlich, geht mein Amt und mein Vermögen drauf!“: Reichsminister Robert von Mohl und seine Wähler (wie Anm.  6) 378. Zu F. D. Bassermann vgl. Ruppert, Karsten: Politik als Leidenschaft: Die Karriere des Friedrich Daniel Bassermann (1811–1855). – In: Religiöse Prägung und politische Ordnung in der Neuzeit: Festschrift für Winfried Becker zum 65. Geburtstag / hrsg. von Bernhard Löffler u. Karsten Ruppert. – Köln [u. a.] 2006, 257–306, hier 303f.; zu H. v. Gagern weiter unten S. 133ff.

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gearbeitet oder einer Partei gekämpft.238 Sie hatten ein Übermaß an Arbeit239 bei unzulänglichen Mitteln und Bedingungen zu erledigen, ohne dass die Anforderungen, die sie an sich und andere an sie stellten, deswegen reduziert wurden. Sie mussten die tägliche physische Anstrengung in stundenlangen Sitzungen und Besprechungen ertragen. Sie hatten zu handeln und zu gestalten unter sich rasch wandelnden Konstellationen, während Aufstände tobten und die Regierung mehrmals am Rande des Scheiterns oder Untergangs stand.240 Dazu kam der politische Streit mit Verleumdungen und Beleidigungen bis hin zu massiven Bedrohungen. Nicht wenige, die länger durchgehalten haben, waren am Ende ihrer Amtszeit psychisch und physisch ausgelaugt.241 Bei der Beurteilung der Leistungen der Provisorischen Zentralgewalt müssen diese Umstände nicht weniger berücksichtigt werden als die Mittel, über die sie verfügen konnte. Denn deren Unterhalt wie Maßnahmen zu finanzieren, war ein schwieriges Unterfangen. Mehrmals waren existenzbedrohende Engpässe zu überwinden und seit ihrer Gründung war sie auch für das Budget der Nationalversammlung zuständig. Die Zentralgewalt erhob keine eigenen Steuern; sie behielt vielmehr das System der Matrikularbeiträge des Deutschen Bundes bei. Auf diesem Wege hatte die Nationalversammlung bereits rund 75.000 Gulden zur Deckung ihrer ersten Bedürfnisse beschafft. Für diese, den Reichsverweser, aber besonders für das Reichsministerium erwies es sich als Glücksfall, dass sie sofort über die in der Frankfurter Rothschild Bank deponierten und verzinsten Gelder des Bundestages verfügen konnten. Der allergrößte Teil dieser etwa 3 Millionen Gulden stammte aus dem Fonds für den Bau und den Unterhalt der Bundesfestungen.242 Zur Erfüllung der Aufgaben der Frankfurter Einrichtungen erstellte Finanzminister Beckerath bis Mitte Oktober ein Budget für die Periode vom 1. September bis 31. Dezember 1848. Dieses wurde aber erst am 22. Dezember beraten und weitgehend genehmigt. Die geplanten Einnahmen über 10,5 Millionen Gulden 238 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 81 betont, dass absichtlich keine ehemaligen Amtsträger genommen wurden, da man nur Männer wollte, die „sich noch in keiner Weise bei ihrer bisherigen Laufbahn compromittirt haben.“ 239 UStS Fallati schildert seinen Arbeitsalltag in der Zeit der Auseinandersetzung um die Frage des Oberhaupts so: „7 Stunden täglich in der letzten Zeit in der Paulskirche“ sitzen und abstimmen, „dazu kamen aber noch öfter zwei Parteiversammlungen im Weidenbusch und eine Ministerratssitzung“: K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 32. 240 Vgl. auch R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 77f. 241 Ebenda 74ff. K. Ruppert: Bassermann (wie Anm. 237) 303f.; K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 35f. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 319f. 242 Bericht von RFM Beckerath an die NV vom 26.8.1848 über den Kassenbestand am 10.8.1848: Reden III / F. Wigard (wie Anm. 3) 1715.

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sollten über die vorhandenen Barbestände und die ausstehenden früheren Umlagen hinaus vor allen Dingen durch die bis Ende des Jahres ausgeschriebenen vier Matrikularumlagen aufgebracht werden. Da nicht wenige Bundesstaaten aber die Zahlungen verschleppten oder verweigerten, kam auf diesem Weg nur etwa die Hälfte der eingestellten Summe ein.243 Zentralgewalt und Nationalversammlung schlossen daher das Haushaltsjahr mit einem Defizit ab. Das größte von über 427.000 Gulden war aber dadurch entstanden, dass aufgrund der Unruhen die Ausgaben für die Reichstruppen unerwartet hoch waren. Da aber Gelder wie für die Reichsfestungen und die Marine noch nicht ausgegeben werden konnten, schloss die Reichskasse am Ende des Haushaltsjahres 1848 mit einem Überschuss von über 1 Million Gulden ab. Gegenüber den Bundesstaaten hatte sie sogar noch einen Anspruch von fast über 8 Millionen, dessen Einlösung allerdings aufgrund der politischen Entwicklung immer ungewisser wurde.244 Das Reichsfinanzministerium ging davon aus, dass mit diesen Geldern bis zum angenommenen Ende der Zentralgewalt im Frühjahr 1849 auszukommen sein würde. Als sich dies als Fehlkalkulation erwies, konnte der auf der Grundlage der letzten genehmigten Ansätze rasch erstellte Haushalt der Reichsversammlung nicht mehr vorgelegt werden, da diese inzwischen handlungsunfähig war bzw. sich aufgelöst hatte.245 Er wurde aber den Bevollmächtigten der Regierungen zugestellt in der Hoffnung, dadurch die Zahlungsmoral der Bundesstaaten zu heben. Das scheint nicht ohne Eindruck geblieben zu sein. Zumindest die Reichsregierung kam mit den aufgebrachten Mitteln im ersten Halbjahr 1849 zurande, vor allen Dingen, weil für das Parlament die Ausgaben immer geringer wurden. Eine erhebliche Lücke klaffte allerdings bei der Versorgung der Reichstruppen. Hier wollte die Reichsregierung aber auf der Eintreibung der Außenstände nicht mehr bestehen, da zahlreiche Bundesstaaten während der Reichsverfassungskampagne in großem Umfang in Vorleistung getreten waren. Am Ende des Halbjahrs stand dennoch ein Überschuss von 420.000 Gulden zur Verfügung. Dieser kam aber nur dadurch zustande, dass die rückzahlbaren Kredite außer Acht gelassen wurden und aufgrund des Überschusses aus dem Fonds der Reichsfestungen, aus denen man sich bisher schon tüchtig bedient hatte.246

243 Vgl. dazu Vortrag über den Stand der Finanzen auf den 1. Juli 1849, 3: THW (wie Anm. 77) C 2369 u. LA Graz, Archiv Meran, K 208, H. 1. 244 Ebenda 5. 245 Ebenda 6,8. 246 Ebenda 8.

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Damit war die Lage der Finanzen für das zweite Halbjahr 1849 „eine sehr mißliche“. Es mussten insbesondere Gelder für die Marine aufgetrieben werden, wenn die Reichsregierung nicht dazu gezwungen werden sollte, „dass ganze nationale Unternehmen im Entstehen wieder zu vernichten“.247 Auch der Unterhalt der Reichsregierung selbst, der sich im Monat auf etwas über 50.000 Gulden belief, war keinesfalls gesichert. Durch äußerste Sparsamkeit, Zuschüsse aus Wien und neuen Umlagen, deren Ertrag erkennbar vom Zweck abhing, schaffte es die Zentralgewalt mit Müh und Not bis zum Ende ihren Bestand und den der Reichsmarine zu sichern. 3.5 Eine Regierung der begrenzten Möglichkeiten Die Provisorische Zentralgewalt sah sich als Rechtsnachfolgerin der Bundes­ versammlung,248 die ihre Tätigkeit inzwischen eingestellt hatte. Entsprechend wurde sie in der Öffentlichkeit als der angemessene Ersatz begrüßt und ihre Errichtung als ein Beweis für das erfolgreiche Fortschreiten der Märzbewegung verstanden. Die Mitglieder waren sich der historischen Bedeutung des Augenblicks bewusst. Deswegen und weil sie durch die Überzeugung angetrieben wurden, dass die Neugestaltung des Vaterlandes jedes Opfer wert sei, waren sie hoch motiviert. Wenn auch einige Minister und Unterstaatssekretäre ausschieden, vor allem nach der Krise des Waffenstillstands mit Dänemark im September, blieb der personelle Grundbestand vor allen Dingen aber die organisatorische Grundstruktur des Reichsministeriums bis zum großen Umbruch im Mai 1849 erhalten. Obwohl sie einer revolutionären Institution angehörten, haben sich die Mitglieder der Zentralgewalt sicherlich nicht als Revolutionäre verstanden. Schmerling hat mit dem Hinweis, dass alles gesetzmäßig zugegangen sei, selbst den revolutionären Charakter der Provisorischen Zentralgewalt bestritten. Er blendete dabei allerdings aus, dass sie sich wie die Nationalversammlung aus der Volkssouveränität legitimierte, die mit dem Staatsrecht des Deutschen Bundes nicht vereinbar war. Im Juni 1848 war das Experiment unternommen worden, parlamentarisches Regieren mit dem traditionellen Konstitutionalismus in Einklang zu bringen. Das war in Deutschland bis dahin ohne Vorbild. Die Exekutive suchte immer wieder die Unterstützung des Parlaments, das sich aber noch allzu oft in der Tradition des Konstitutionalismus als Oppositionsorgan verstand. In der kurzen Zeit ihres Wirkens machte nämlich die Provisorische Zentralgewalt Erfahrungen mit Misstrauensvoten, dem Zerfall von Koalitionen, dem Rücktritt von Ministerpräsidenten wie Ministern und dem zeitweisen Regieren gegen 247 Ebenda 11. 248 Tgb. Ehg. Johann, 23.8.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1.

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das Parlament. Eine ihrer wesentlichen Schwächen war, dass sie die doppelte Aufgabe, das Erreichte zu sichern und zugleich die Revolution einzudämmen, nur mithilfe der fürstlichen Gewalten nachkommen konnte. Daher musste sie auch Maßnahmen verantworten, die sich gegen die Basis der Nationalversammlung richteten, wodurch deren Rückhalt schwand. Das zunächst demonstrierte Selbstbewusstsein konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Beanspruchte erst noch zu verwirklichen war. Wie weit und in welcher Form würde die Zentralgewalt ihre postulierte Oberhoheit über das Heerwesen gegenüber der fürstlichen Militärhoheit durchsetzen können? Wie würde sich die Außenpolitik eines erst entstehenden Staatswesens entfalten, wie sich dessen aktives und passives Gesandtschaftswesen neben dem der Bundesstaaten behaupten? Wie weit würde die neue Macht die inneren Verhältnisse umgestalten können, wenn dies auf absehbare Zeit weitgehend auf Kosten der alten Gewalten gehen würde? Und schließlich in welchem Umfang und wie lange würden die Bundesstaaten einer Regierung, die sie eher als Gegner denn als Kooperationspartner wahrnahmen, Erfahrung, Personal und vor allem Geld für deren Aufbau zur Verfügung stellen?249 Die Provisorische Zentralgewalt war sich ihrer begrenzten Handlungsmöglichkeiten bewusst. Sie war aber zum Zeitpunkt ihrer Errichtung wie auch die Nationalversammlung noch von ihrer geschichtsphilosophischen Mission überzeugt und sie begründete ihren Vorrang durch ihre höhere Legitimierung durch die Nation, wohingegen die Fürsten nur Partikularinteressen verträten. Für beträchtliche Dauer verkörperte sie zusammen mit der Nationalversammlung ein drittes Machtzentrum in Deutschland, so dass der traditionelle Dualismus zwischen Berlin und Wien sich zu einem Dreieck der Macht weitete. In ihm war die Zentralgewalt ein ernstzunehmender und auch ernst genommener Mitspieler. Der erste Ministerpräsident hat dieses Überlegenheitsbewusstsein wie kein anderer verkörpert. Seine Nachfolger bis hin zu Heinrich von Gagern motivierte noch diese Überzeugung, wenn bereits in deutlich abgemilderter Form. Das Ministerium Leiningen hat auch sofort Felder besetzt, auf denen es weder auf die Unterstützung der Bundesstaaten angewiesen war noch in Konkurrenz zu deren Kompetenzen treten musste: Aufbau einer Reichsmarine, Errichtung einer Reichsdiplomatie und die Regulierung des Außenhandels. Ihr Schicksal war es aber, dass sie die Felder ihres Handelns nur eingeschränkt bestimmen 249 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm.  8) 180 beschreibt die Stimmung, in der die PZG geschaffen wurde: „alle Bedenken, die sich aus der Betrachtung der wirklichen Verhältnisse in Deutschland ergeben mussten, verflüchtigten sich in dem feurigen Schwunge, der in jenen Tagen der tiefsten Erregung die Geister ergriffen hatte.“

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konnte. In denen, die ihr von den Ereignissen aufgedrängt wurden wie dem Krieg gegen Dänemark und der Bekämpfung der inneren Unruhen, dort zeigten sich ihre Grenzen deutlich. In der Praxis wurde deutlich, dass sie eine Kopfgeburt der konstitutionellen bürgerlichen Bewegung war, der wie der Nationalversammlung das nötige Maß an Realismus fehlte. Zeitweise wollte sie viel zu viel. Das Reichsministerium vergeudete Ressourcen und Kräfte für Aufgaben, die im Augenblick gar nicht anstanden und auch über seine Möglichkeiten gingen. Sein eigentlicher Auftrag wäre es gewesen, zusammen mit der Nationalversammlung die bürgerlich institutionalisierte Revolution zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, indem es die Verfassungsgebung absicherte und den Übergang zu einer auf deren Grundlage neu gebildeten Regierung gewährleistet hätte. Doch hat es sich, durchaus mit Rückendeckung des Parlaments, auch daran gemacht, schon die Staatsbildung anzugehen. Es hat mit großen Anstrengungen, Reibungsverlusten und vor allen Dingen mit der Provokation von Gegensätzen zu den fürstlichen Regierungen Strukturen für einen Staat aufgebaut, von dem noch nicht einmal bekannt war, wie er ausgestaltet werden sollte. Die Zentralgewalt legte die Grundlage für einen Bundesstaat, noch ehe entschieden war, dass es einen solchen geben sollte. Mit der Einsetzung des Reichsministeriums war also zu einem frühen Zeitpunkt nicht nur eine Vorentscheidung über die Staatsform, sondern auch schon über den inneren Ausbau des Staates gefallen. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das Reichsministerium zum ersten Mal durch die Teilnahme an der Säkularfeier der Grundsteinlegung des Kölner Domes am 15. August 1848 bekannt.250 Es hatte zusammen mit der Nationalversammlung vom preußischen König, der ebenso wie der Reichsverweser erscheinen wollte, eine Einladung erhalten. Am 13. August fuhr es mit ihm und einer Deputation des Parlaments auf festlich geschmückten Dampfern nach Köln, überall von der jubelnden Bevölkerung am Ufer begrüßt.251 Die Frankfurter Institutionen konnten sich zum letzten Mal in einer ungetrübten Popularität sonnen. Der preußische Hof erblickte in dem Fest eine willkommene Gelegenheit, um das angeschlagene Prestige Friedrich Wilhelms IV. aufzubessern und vor allem seinen Anspruch, das neue Deutschland entscheidend an der Seite der Frankfurter Institutionen mitzugestalten, deutschlandweit zu demonstrieren. 250 Vgl. den Bericht Fallatis: K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 17ff. 251 Die offizielle Deputation der NV bestand aus 25 Männern unter der Führung ihres Präsidenten. Es hatten sich aber noch sehr viel mehr Mitglieder aus dem Parlament „mit ihren Frauen und Töchtern eingefunden,“ so dass es auf den Schiffen eng wurde und die Verpflegung ausging: Schmerling / A. v. Arneth: (wie Anm. 90) 175.

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Ein wichtiger Schachzug dabei war das einvernehmliche Auftreten der beiden Fürsten bei allen offiziellen Anlässen. Das gelang dadurch, dass der Reichsverweser in die Residenz des Königs nach Schloss Brühl eingeladen und ihm schon im Vorfeld ein gemeinsames Programm insinuiert wurde.252 Johann scheint, wohl ohne es bemerkt zu haben, in diese zeremonielle Falle getappt zu sein. Er hat auf jeden Fall sich so ostentativ an der Seite Friedrich Wilhelms gezeigt und sein Ministerium links liegen lassen, dass dieses sich auf dem Höhepunkt der Feiern am 15. August zu einem Protest veranlasst sah, da der Erzherzog auch noch in der Uniform eines preußischen Regiments, dessen Chef ehrenhalber er war, auftrat.253 Die anwesenden Kabinettsmitglieder waren der Überzeugung, dass sich dieses öffentliche Einvernehmen mit dem vom Reichsministerium beanspruchten Vorrang nicht vereinbaren ließ.254 Es konnte sich über diese Zurücksetzung auch nicht dadurch hinwegtrösten, dass der König ein Hoch auf die Frankfurter Nationalversammlung ausbrachte und die Schaffung der deutschen Einheit als die Verwirklichung seines schönsten Jugendtraumes beim Festbankett pries. Denn eine Besprechung mit den anwesenden preußischen Ministern am folgenden Tag machte allzu deutlich, dass diese die Frankfurter Anschauungen nicht teilten. So trat man in nachdenklicher Stimmung am 16. die Rückreise an.255 4.

Das Verhältnis zu den Bundesstaaten

4.1 Der Huldigungserlass Die erste entscheidende Marke zur Bestimmung des Verhältnisses der neuen Gewalten zu den Bundesstaaten setzte die Nationalversammlung durch ihren Beschluss vom 27. Mai, dass alle Artikel der Verfassungen der Einzelstaaten, die mit der von ihr zu verabschiedenden Verfassung im Widerspruch stehen würden, ungültig seien.256 Ein Ausdruck der Euphorie dieser Tage, der von den Gegnern als „Reichsterrorismus“ und „Souveränitätsschwindel“ empfunden wurde.257 Der Beschluss lag auf der Linie des sich formierenden Reichsministeriums, besonders seines Ministerpräsidenten.

252 Kg. Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 9.8.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 10, H. 4/3. 253 Tgb. Ehg. Johann, 15.8.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. 254 Dazu besonders Schmerling / A. v. Arneth (wie Anm. 90) 174ff. 255 J. Hansen: Mevissen (wie Anm. 102) 574ff. 256 Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 127ff. 257 V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 106.

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Aus diesem Selbstbewusstsein heraus kam es noch während der Regierungsbildung zum ersten Zusammenprall zwischen der Zentralgewalt und den Bundesstaaten. Nachdem der Reichsverweser kurz vor seiner Rückkehr nach Wien diesen seine Amtsübernahme angezeigt hatte, wollten die in Frankfurt verbliebenen Minister Schmerling und Peucker dem folgen, verbunden mit der Bitte um vertrauensvolle Zusammenarbeit.258 Der Reichskriegsminister ließ in seinem Rundschreiben vom 16. Juli 1848 seine Kollegen in den Bundesstaaten zugleich wissen,259 dass die Befehle des Reichsverwesers an ihre Truppen im Normalfall über sie ergehen würden; ausnahmsweise aber auch direkt. Den Konfliktstoff barg die Anordnung einer Parade, während der die Truppen dem Reichsverweser huldigen und von da ab die deutschen Farben als Kokarden und an Panieren zu präsentieren hätten. Peucker berief sich auf das Gesetz zur Einsetzung der Zentralgewalt vom 28. Juni 1848, in dem die Nationalversammlung die Übertragung der „Oberleitung der gesamten bewaffneten Macht“ auf den Reichsverweser beschlossen hatte, und dieser Bestimmung von keiner Seite widersprochen worden sei. Während die Einzelstaaten in der Huldigung auf diesen den Versuch sahen, ihnen die Befehlsgewalt über ihre Armeen zu entziehen, war dies kaum die Absicht des preußischen Generalmajors. Denn er hatte bei der Übernahme seines Amtes darauf bestanden, dass die jetzige Wehrverfassung und die Selbstständigkeit der preußischen Armee erhalten blieben.260 Dem der Politik fernstehenden Fachminister ist aber wohl entgangen, dass seine Anordnung in den Bestrebungen jener Tage durchaus so verstanden werden konnte. Vermutlich war Peucker von seinem Kollegen Schmerling zu dem Erlass in dieser Form gedrängt worden.261 Wenn dieser ihn auch später als „wirklichen Missgriff“ bezeichnet hat,262 so hat er ihn damals befürwortet als entschiedener Vertreter der Überzeugung, dass die Zentralgewalt „in den ihr reservierten Befugnissen über den einzelnen Regierungen steht, nicht neben ihnen“.263 Auch in der Casinopartei stießen solche Überlegungen auf Sympathien und der aus ihren Reihen an der Regierungsbildung beteiligte Abgeordneter 258 RS an die dt. Staaten, 23.7.1848 und RS des RIM, 30.8.1848: THW (wie Anm. 77) C 2370. 259 RS RKM an die Kriegsministerien der dt. Staaten, 16.7.1848: Quellensammlung zum deutschen öffentlichen Recht II (wie Anm. 23) 9ff. Vgl. auch Quellen zur europ. VG III (wie Anm. 111) 11.1.1.7.1 und Rede Peuckers vor der NV dazu am 25.8.1848 ebenda 11.1.7.2. 260 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 34) 85f. 261 Ebenda  91 behauptet, dass die entscheidenden Passagen des Erlasses auf Schmerling zurückgehen, der der Reichsregierung damit ein Mittel zur Bekämpfung der befürchteten sozialen Unruhen an die Hand geben wollte. 262 Denkwürdigkeiten: BA, FSG 1 (wie Anm. 48) 73, Mappe 3. 263 A. v. Schmerling an H. v. Beckerath, 29.7.1848: Rhein. Bf. u. Akten II, 1 (wie Anm. 16) 334f.

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Bassermann hat in einer Denkschrift über die Aufgaben der künftigen Regierung ein solches Vorgehen unterstützt und dem Reichsverweser sogar das „Ernennungsrecht der Oberoffiziere“ zubilligen wollen.264 Für Schmerling spielte auch noch eine Rolle, dass er mit der Huldigung die weitergehende Forderung der Linken nach einer Vereidigung der deutschen Bundestruppen auf den Reichsverweser unterlaufen wollte.265 Der abwesende Erzherzog wusste gar nichts davon; er hat sich später auch von dem Vorgehen distanziert.266 Obwohl der Erlass nicht wie von der Linken gefordert die Vereidigung der Armeen der Bundesfürsten auf den Reichsverweser verlangte, sondern nur die Huldigung, gestaltete er die Verhältnisse so tiefgreifend um, dass er einer nachhaltigeren Legitimation, nämlich durch die Verfassung, bedurft hätte. Denn mit ihm griff der Reichskriegsminister nicht in erster Linie in die Kompetenzen der Bundesstaaten ein, sondern er hebelte mit dem alleinigen Verfügungsrecht der Fürsten über ihre Truppen ein Grundprinzip aus, auf dem alle konstitutionellen Verfassungen des Bundes beruhten.267 Schon bisher war die Forderung von Reformern und Revolutionären, ihre Truppen auf die Verfassung zu vereidigen, für die Fürsten ein rotes Tuch gewesen. In der Reaktion zeichnete sich die auch in Zukunft typische Konstellation der Bundesstaaten zur Zentralgewalt ab: die kleineren und mittleren folgten, die Königreiche taktierten hinhaltend oder lehnten ab. Am heftigsten Österreich, das auch die geforderten 8000 Mann für den Krieg gegen Dänemark verweigerte. Obwohl der Erlass in Preußen so sehr wie keine andere Maßnahme der Zentralgewalt auch im Volk auf Empörung gestoßen war und den König erzürnt hatte,268 zeigte sich die Regierung überraschend flexibel. Mit ausdrücklicher Billigung des Königs wollte man dem Reichsverweser für Bundeszwecke Soldaten zur Verfügung stellen. Die Huldigungsparade wurde nur in den Truppenteilen durchgeführt, die derzeit Bundesaufgaben erfüllten: die in Schleswig-Holstein kämpfende Armee und die preußischen Truppen in den Bundesfestungen.269 Die Art und Weise, wie die bislang nicht gefestigte Zentralgewalt mit dem entscheidenden Problem, das hinter dem Huldigungserlass stand, nämlich ihr Verhältnis zur bewaffneten Macht der Bundesfürsten, umgegangen ist, zeigt, 264 265 266 267 268 269

F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 193. R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 99. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 91, 621. E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 650ff. Beckerath an Schmerling, 26.7.1848: Mevissen / J. Hansen (wie Anm. 102) 409ff. R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm.  85) 102f. Zur pr. Rechtsauffassung vgl. auch noch Note des pr. Bevollm. an RKM, 29.,30.7.1848: Rhein. Bf. u. Akten II, 1 (wie Anm. 16) 336ff.

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dass sie dessen Bedeutung teils nicht ganz erkannt hat, teils wohl auch noch darauf setzte, dass ihr Rückhalt in den revolutionären Massen ihre militärische Machtlosigkeit aufwog. Im Gegensatz zur Frankfurter Nationalversammlung, die den Konflikt zu leichtgenommen hat, hat die Berliner sehr wohl befürchtet, dass das derzeitige Machtgleichgewicht sich einmal verschieben könnte. Sie hat am 7. September einen Antrag angenommen, der das preußische Offizierskorps auf konstitutionelle Gesinnung festlegte. Das blieb freilich nur ein parlamentarisches Zeichen, da weder König noch Regierung sich bemüßigt fühlten, daraus Konsequenzen zu ziehen.270 4.2 Die Bevollmächtigten der Bundesstaaten Fürst Leiningen verkündete in seinem Regierungsprogramm den unbedingten Vorrang des „Willens der Nation“.271 Die Fürsten schienen sich diesem Prinzip zu unterwerfen, indem sie ausnahmslos die neue Gewalt anerkannten und sich beeilten, wie vom Reichsverweser am 15. Juli gefordert,272 Bevollmächtigte nach Frankfurt abzuordnen.273 Deren Aufgabe sollte es vorrangig sein, die Durchsetzung der Beschlüsse der Zentralgewalt in den Bundesstaaten zu unterstützen, denen selbst kein Einfluss mehr auf die nationale Politik eingeräumt wurde.274 Der Vorstoß wurde in Berlin sowohl als ein Zeichen der Unterordnung wie der Gleichstellung der Bundesstaaten ausgelegt. Es hat daher vergeblich versucht, ihn zu unterlaufen,275 indem es einen siebenköpfigen Rat unter seinem Vorsitz als Scharnier zwischen der Zentralgewalt und den Einzelstaaten vorschlug.276

270 Hettling, Manfred: Machtvakuum?: Auflösung und Wiedererrichtung staatlicher Autorität 1848. – In: Herrschaftsverlust und Machtverfall / hrsg. von Peter Hoeres. – München 2013, 245–256, hier 251. 271 Artikel „Entweder – Oder“ in der Frankfurter Oberpostamtszeitung vom 31.7.1848, Druck: V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 107ff. 272 Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm.  23) 5f. (allerdings unter dem Datum des 16.7.!). 273 Verzeichnet in Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt I / H. Schenk (wie Anm. 191) 76ff. 274 Vgl. RS PZG über ihre Stellung zu den Bevollm. der einzelnen Reg., 30.8.1848: Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm. 23) 11f. u. DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 281f. 275 Pr. ZD, 17.7.1848: ebenda 6ff. 276 Denkschrift über die Stellung der Bevollm. bei der PZG, 13.8.1848: FLA Amorbach, NL Karl zu Leiningen, Kt. VI, Mappe 15, Fasz. „Reichsministerium“. Ob sich dadurch die Kommunikation zwischen der Zentrale und den Bundesstaaten und auch deren Durchsetzungsfähigkeit diesen gegenüber verbessert hätte, wie V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 85 meint, ist fraglich.

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Die Bevollmächtigten waren zum Missfallen Preußens meist die früheren Gesandten des Bundestags.277 Trotz dieser Vorbehalte hat es in Frankfurt die Initiative unterstützt, zu einer institutionalisierten Beziehung zwischen diesen und der Zentralgewalt zu gelangen. Es berief sich dabei auf die gesetzliche Aufforderung, dass sich die Zentralgewalt mit den „Bevollmächtigten der Landesregierungen in’s Einvernehmen“ zu setzen habe und darauf, dass Deutschland ein Bundesstaat war und bleiben solle.278 Mit dem Hinweis, dass die Bundesstaaten die Konsequenzen von Entscheidungen der Zentralgewalt zu tragen hätten, bestanden sie zumindest auf einer beratenden Teilhabe bei allen Fragen der inneren Sicherheit, des Militärs, der Außenpolitik und der Finanzen.279 Bis zum 18. August hatten sie sich in Frankfurt über ihre Rolle verständigt. Sie setzten voraus, dass nur ein Bundesstaat begründet werden könne, zu dessen Ausgestaltung sie in regelmäßigen Konferenzen mit den einzelnen Ministern oder dem Gesamtreichsministerium zugezogen würden.280 So viel föderalistische Mitbestimmung war schwer mit dem Kurs der Regierung Leiningen in Einklang zu bringen. Intern ging sie sogar darüber hinaus, indem Ministerium und Parlament für sich in Anspruch nahmen, nicht nur durch die Verfassung, sondern bereits jetzt auf gesetzlichem Wege den neuen Staat und die neue Gesellschaft vorzubereiten.281 Nach einer heftigen und kontroversen Diskussion – bezeichnenderweise zwischen den Vertretern des linken Zentrums und den Preußen aus der Casino-Partei – wie die Beziehungen zu den Bevollmächtigten zu gestalten seien,282 kam das Reichsministerium am 26. August zu einer Entscheidung. Den Delegierten wurde die Berechtigung einer kollektiven Geschäftsführung, wofür Berlin die Bundesstaaten hatte gewinnen wollen,283 bestritten. Sie sollten keine Befugnisse haben, auf die Beschlüsse der Zentralgewalt einzuwirken. Diese sah vielmehr den Zweck ihrer Anwesenheit darin, die „Vollziehung der Beschlüsse der Centralgewalt zu vermitteln, zu befördern und zu erleichtern.“284 Sie wollte sich auch unter Umgehung der Bevollmächtigten direkt an die Regierungen und Ministerien wenden, sich im Verkehr mit den 277 Ebenda 105. 278 Memorandum des braunschweigischen Bevollm. Friedrich G. A. Liebe, 18.8.1848: FLA Amorbach, NL Karl zu Leiningen, Kt. VI, Mappe 15. 279 Bemerkungen über die künftige Stellung der Bundesstaaten zur PZG, August 1848: BA, DB 54/10. 280 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 133ff. 281 V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 123f.; Denkschrift RJM Mohl zur gesetzgebenden Gewalt der deutschen Gesammt-Regierung, August 1848: BA, DB 53/10. 282 GRM, 24.8.1848, vor allem Bl. C: BA, DB 52/1. 283 Pr. Reg an die Reg von Sachsen-Weimar, 17.7.1848: THW (wie Anm. 77) C 2370. 284 GRM, 28.8.1848: BA, DB 52/1.

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untergeordneten Behörden mit Rücksicht auf das föderale Prinzip allerdings zurückhalten.285 Obwohl das Reichsministerium dieses rigorose Vorgehen mit seiner Pflicht rechtfertigte, die Einheit Deutschlands herzustellen,286 wollte es, wenn immer möglich, ein freundschaftliches Einvernehmen suchen, wie es die Regierungen der Bundesstaaten am 30. August 1848 wissen ließ.287 Die Festlegung des Verhältnisses der Zentralgewalt zu den Bundesstaaten erfolgte in einer besonderen Atmosphäre. Das Ansehen der Frankfurter Institutionen war so groß wie später nie mehr und der politische Handlungsspielraum der Fürsten war durch die vormärzlichen Regierungen wie die revolutionären Bewegungen in ihren Ländern erkennbar eingeschränkt. Darüber hinaus war von der Zentralgewalt die rasche und reibungslose Abordnung der Bevollmächtigten nach Frankfurt als Zeichen ihres Vorrangs und der Bereitschaft, ihr zu folgen, verstanden worden. Entsprechend wurde das Verhältnis formal geregelt. Dass diese Bestimmungen nur ein Ergebnis des Augenblicks waren, hat die Zentralgewalt dadurch anerkannt, dass sie recht bald zu deren pragmatischen Handhabung überging. Denn in der Folgezeit hat das Reichsministerium recht selten den Kontakt zu einzelnen Bevollmächtigten oder deren Gesamtheit gesucht. Wenn es dies tat, dann meist, um deren Unterstützung für die Durchsetzung politischer Ziele bei den Regierungen der Bundesstaaten zu erhalten. Noch seltener kam es vor, dass es „Einvernehmen“ mit diesen vor relevanten Entscheidungen hergestellt hätte. Nach den anfänglich gemachten Erfahrungen hielt sich die Zentrale mit direkten Eingriffen in die Bundesstaaten zurück. Sie beschränkte sich vielmehr darauf, in Abstimmung mit deren Regierungen zu intervenieren oder aber dort, wo ein gemeinsames Interesse von Bundesstaaten und Zentralgewalt gegeben war, zu koordinieren. Die erneute faktische Anerkennung der Zentralgewalt durch die Fürsten, diesmal durch die Absendung von Bevollmächtigten nach Frankfurt, förderte die damals weit verbreitete Illusion der Anerkennung des Vorrangs der Frankfurter Institutionen. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass die Institutionalisierung der bürgerlichen Revolution und die Art wie sie sich in diesen Monaten gab, von den Fürsten mit großem Unbehagen zur Kenntnis genommen wurden. Obwohl ja die Absendung von Bevollmächtigten den Eindruck erweckte, dass sie sich mehr nach Frankfurt hin orientieren würden, beginnt zu dieser Zeit die verstärkte politische Abstimmung zwischen den Höfen. Diese war vor 285 RS des RV an Reg. der Bundesstaaten, 30.8.1848: Bl. B zu GRM, 29.8.1848: BA, DB 52/1. 286 Der pr. Bevollm. Camphausen hat dieses Vorgehen so verstanden, dass die Zentralgewalt versucht habe, ihre Macht auf der zerstörten Macht der Partikularstaaten aufzubauen; das habe auch der damaligen Stimmung in der NV entsprochen. Denkschrift Camphausens, 14.12.1848: Reichsgründung / E. Brandenburg (wie Anm. 106) 293. 287 RS des RV, 30.8.1848: Bl. B. zu GRM, 29.8.1848: BA, DB 52/1.

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allen Dingen in der ersten Zeit holprig und kontrovers. Doch zeigte sich, dass vor allen Dingen das Festhalten der Königreiche am monarchischen Prinzip und die gemeinsame Abneigung gegen die ausufernden Partizipationsbestrebungen wie die Volkssouveränität ausreichten, um die Durststrecke zu überstehen. Auf die Dauer hat nicht nur die europäische Allianz der Monarchen besser funktioniert als die der Demokraten und Konstitutionellen, sondern es war auch die Solidarität der Fürsten in Deutschland stärker als die ihrer Gegner. 4.3 Gesetzgebung und Öffentlichkeit Reichsministerium und Parlament waren sich ebenfalls darüber einig, dass den Bundesstaaten kein Recht auf die Mitwirkung an der Reichsgesetzgebung eingeräumt werden solle, diese vielmehr allein der Nationalversammlung zustehe. Bezeichnend war, dass diese Kompetenz nicht direkt beansprucht wurde, sondern durch das Verfahren der Verkündung, wie es im Reichsgesetz vom 27. September  1848 festgelegt worden war.288 Konstitutionell korrekt wurden die Reichsgesetze im Namen des Reichsverwesers proklamiert, doch vom gegenzeichnenden Minister vollzogen und bekannt gemacht. Wie vom Reichsministerium bereits am 26. August verlangt, sollten seine Verordnungen wie die Gesetze der Nationalversammlung unabhängig davon, ob sie von den Bundesstaaten verkündet oder umgesetzt wurden, 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt in ganz Deutschland in Kraft treten.289 Eine Bestimmung, die in das Gesetz in der richtigen Voraussicht aufgenommen wurde, dass die Bundesstaaten es sich sehr wohl vorbehielten, welche Reichsgesetze sie in ihre Rechtsordnung übernahmen. Die Zentralgewalt hat ihre Pflicht, die Gesetze der Nationalversammlung zu vollziehen, anerkannt. Sie hat sich allerdings das Recht vorbehalten, beim Parlament vorstellig zu werden, wenn sie diese für unausführbar hielt.290 Schließlich wurde die Positionierung der Zentralgewalt zu den Bundesstaaten wie zur Öffentlichkeit dadurch abgeschlossen, dass Unterstaatssekretär Bassermann den Auftrag erhielt, ein offiziöses Organ zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu kreieren. Er verhandelte mit den renommiertesten Blättern, die dem konstitutionellen Liberalismus nahestanden, Gervinus‘ „Deutscher Zeitung“, deren Verleger Bassermann selbst noch bis vor kurzem gewesen war, und Cottas „Augsburger Allgemeinen Zeitung“.291 Da er keinen 288 289 290 291

DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 281f. GRM, 29.8.1848: BA, DB 52/1. GRM, 31.8.1848: BA, DB 52/1. W. O. Werner: Bassermann (wie Anm. 154) 207ff.

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Erfolg hatte, wurde die „Frankfurter Oberpostamtszeitung“ des Fürsten von Thurn und Taxis im September vertraglich an das Reichsministerium gebunden. Reichsjustizminister von Mohl legt in seinen Erinnerungen Wert darauf, dass die dort erschienenen Artikel, auch der Mitglieder des Reichsministeriums, nur deren Privatansichten wiedergaben und „nicht ein einziges Mal ein erörternder Artikel der Oberpostamtszeitung vom Ministerium beschlossen wurde oder gar von ihm ausging.“292 Dennoch ließ Bassermann keinen Zweifel daran, dass er „einen großen Teil“ seiner Tätigkeit „auf die Handhabung der Waffe, die seit dem März mächtiger geworden als ganze Armeen“ konzentrierte und das Ministerium sie nutzte, um Entscheidungen vorzubereiten, das Verständnis von bestimmten Entwicklungen zu präjudizieren und den politischen Gegner in die Schranken zu weisen.293 4.4 Zusammenfassung Wie die Nationalversammlung unausgesprochen unterstellte, dass die Fürsten ihr Verfassungswerk widerspruchslos akzeptieren würden, so ging die Reichsgewalt davon aus, dass diese auf den Feldern, die sie zu besetzen gedachte, zurückstecken würden. Eine solche Konzeption konnte nur so lange gut gehen, wie die Frankfurter Institutionen über ihre Machtressource, den Rückhalt an der revolutionären Bewegung im Land, verfügen konnten. Der fast tragisch zu nennende Widerspruch lag darin, dass die Einrichtungen aber gerade dafür geschaffen worden waren, die revolutionäre Bewegung zu kanalisieren und damit einzudämmen. Die Kräfte, die auf die Errichtung von Nationalversammlung und Provisorischer Zentralgewalt hingearbeitet hatten, wollten dadurch ihren Führungsanspruch befestigen, indem sie das revolutionäre Potenzial außerhalb dieser Institutionen zurückdrängten. Die eifersüchtig auf ihre Kompetenzen und Unabhängigkeit bedachten Bundesstaaten ordneten sich selbst militärisch unter, wenn sie sich bedroht fühlten, und setzten bereitwillig Erlasse des Reichsministeriums um, wenn diese politische Freiheiten einschränkten. Die Frankfurter Institutionen steckten in einem kaum lösbaren Dilemma. Sie mussten sich als Ordnungsmächte bewähren mit Maßnahmen, die ihren Rückhalt im Land zwangsläufig schwächten. In dem Umfang, wie dieser schwand, wurde das Ungleichgewicht zwischen der neuen, fast mittellosen Gewalt und den etablierten Mächten sichtbarer.294 Friedrich Wilhelm IV. 292 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 91. 293 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 207f. 294 Auch der gute Rat, den Bassermann in einer Denkschrift seinen Kollegen gab, hätte daran kaum etwas geändert. Er gab zu bedenken, dass das Reichsministerium nicht nur auf seinem Vorrang bestehen, sondern sich zugleich als Ordnungsmacht in Deutschland präsentieren müsse. „Um den Partikularismus zu brechen, mussten die ersten Befehle der

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von Preußen hat das Konfliktpotenzial, das mit der Entstehung dieser neuen Gewalten unweigerlich verbunden war, früh erkannt. Auf dem Dombaufest in Köln Mitte August 1848 hat er die Mitglieder der Reichsgewalt und der Nationalversammlung unmissverständlich darauf hingewiesen: „Vergessen Sie nicht, dass es noch Fürsten in Deutschland gibt und dass ich einer von ihnen bin.“295 5.

Die auswärtigen Beziehungen der Reichsgewalt

5.1 Die unerwünschte Vermittlung Der nationalistische Geist, der die Debatten um die Grenzen des neuen Reiches beherrschte und in die Septemberkrise führte, lag auch der Vorstellung der Nationalversammlung zugrunde, den Reichsverweser zu ermächtigen, das noch gar nicht bestehende Deutschland im Ausland zu vertreten. Diese machte sich vor allen Dingen das Kabinett Leiningen ohne Vorbehalte zu eigen. So unternahm es den Vorstoß, zusammen mit England und Frankreich in dem Konflikt zwischen dem Kaisertum Österreich und dem Königreich SardinienPiemont in Oberitalien zu vermitteln. Der Anspruch begründete sich darauf, dass mit Österreich ja ein Mitglied des Deutschen Bundes tangiert war und in diesem Kriege Bundestruppen, die wie Leiningen kühn schloss, jetzt Reichstruppen seien, kämpften. Die Vermittlung sollte mit dem Ziel geführt werden, dass Venetien bei Österreich verbleiben solle, „weil dieser Besitz für den deutschen Handel von unbedingter Wichtigkeit ist“,296 die Lombardei aber als Kern für ein lebensfähiges oberitalienisches Königreich abzutreten sei. Es gehört schon ein erhebliches Maß an Verblendung dazu zu glauben, dass Österreich einen politischen Rivalen auf der Grundlage eines solchen Konzepts würde einbinden wollen. Der österreichische Außenminister hat sich daher geschickt darauf berufen, dass die inzwischen bestellten Vermittler die Zentralgewalt noch nicht anerkannt hätten und man in Frankfurt – es war die Zeit der Septemberunruhen – überhaupt keine handlungsfähige Regierung habe.297 Erreicht war nichts und Österreich, von dem man ja noch nicht wusste, in welchem Umfang man es für das vorrangige deutsche Projekt brauchen würde, war vor den Kopf gestoßen worden. Reichsgewalt solche sein, nach welchen die einzelnen Regierungen sich sehnten, die sie schon um ihrer selbst willen, und darum bereitwillig befolgten.“ Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 104f. 295 Zitiert nach V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 116. 296 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 167. 297 Ebenda 163ff.

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Das Kaisertum Österreich, das im Innern von der Auflösung bedroht war, hatte im Herbst 1848 keinerlei Interesse an einer Konferenz über seine oberitalienischen Besitzungen. Es behandelte daher alle Versuche der Vermittlung dilatorisch. Darum bemühte sich inzwischen auch das Königreich Preußen, mit dem die Reichsgewalt jetzt um den Vortritt stritt, während sie zugleich in Sardinien darum bettelte, in den Kreis der Vermittler aufgenommen zu werden. In Wien glaubte sie das erreichen zu können, indem sie sich in der Frage der Abtretung der Lombardei flexibler gab. Doch das beeindruckte die kurz vor Weihnachten berufene Regierung Schwarzenberg nicht im Geringsten; sie war entschlossen, nicht nur diese Herausforderung mit Gewalt zu lösen.298 5.2 Der Anspruch auf Alleinvertretung Eine der Grundüberzeugungen der Nationalversammlung wie auch der politischen Elite Deutschlands war es gewesen, dass es ein tiefes Unrecht gewesen sei, dass die europäischen Fürsten auf dem Wiener Kongress die Gründung eines Nationalstaats verhindert hatten. Daher galt es, das Recht der Deutschen, sich als Nation zu konstituieren, so schnell wie möglich umzusetzen. Die Provisorische Zentralgewalt war auch deswegen eingesetzt worden, damit das neue Deutschland so früh wie möglich als Staat in Erscheinung treten konnte.299 Daher ist es schon nicht mehr überraschend, dass das Erste, was sich die Zentralgewalt in Umsetzung der vom Ministerpräsidenten in seiner Regierungserklärung vorgegebenen Schaffung eines „Reichsorganismus“ vornahm, der Aufbau des diplomatischen Dienstes war. In der Euphorie des Aufbruchs hatte die Nationalversammlung die Provisorische Zentralgewalt für Deutschland bei deren Einsetzung verpflichtet, „die völkerrechtliche und handelspolitische Vertretung Deutschlands auszuüben, und zu diesem Ende Gesandte und Konsuln zu ernennen.“300 Dieser Auftrag sollte sich als ebenso überzogen wie voreilig erweisen und alle damit verbundenen Probleme wurden schlicht ignoriert.301 Es wurde unterstellt, dass die Großmächte des Bundes widerstandslos zurückstecken würden und die 298 Ebenda 284ff. 299 Hein, Dieter: Die deutsche Nation in Europa: Die Anfänge nationaler Außenpolitik und das europäische Gleichgewicht. – In: Europa im Vormärz: Eine transnationale Spurensuche / hrsg. von Klaus Ries. – Ostfildern 2016, 165–176, hier 170. 300 DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 276. 301 Botzenhart, Manfred: Die Außen- und Innenpolitik der provisorischen Zentralgewalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. – In: Demokratiebewegung und Revolution: 1847 bis 1849; Internationale Aspekte und europäische Verbindungen / hrsg. von Dieter Langewiesche. – Karlsruhe 1998, 92–108, hier 97, bescheinigt der Zentralgewalt, dass sie ihre Anerkennung im Ausland mit „erheblichem diplomatischem Dilettantismus“ betrieben habe.

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Bundesstaaten, von denen eine beträchtliche Anzahl von den Königreichen bis hinunter zu den Städten diplomatische Vertretungen unterhielten, diese anstandslos schließen würden.302 Es kam hinzu, dass diese Idee der Nationalversammlung und der Zentralgewalt einige gravierende Probleme, ja Zumutungen, aufwarf. Wenn die Gesandten auch formell als solche des Reichsverwesers ihre Beglaubigungsschreiben überreichten, so lief deren Entsendung auf das völkerrechtliche Kuriosum hinaus, dass ein noch gar nicht bestehender Staat bei anderen um seine diplomatische Anerkennung nachsuchte! Daher bestanden auch einige auswärtige Mächte auf einer nicht amtlichen Vertretung, weil „provisorische Staatsgewalten nicht zu förmlicher Anerkennung geeignet seien“.303 Die Zentralgewalt wollte als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Bundes tatsächlich die deutschen Teile Österreichs vertreten, noch ehe überhaupt feststand, ob diese einem Deutschen Reich jemals angehören würden. Das hätte bedeutet, dass ein noch gar nicht bestehender Staat für Teile einer anerkannten souveränen Großmacht handeln wollte! Auch Preußen sollte seinen diplomatischen Dienst auflösen. Schon im August ließ die Zentralgewalt keinen Zweifel daran, dass sich ihre „Wirksamkeit“ auch auf die ost- und westpreußischen Teile des Königreichs wie auf diejenigen des ehemaligen Großherzogtums Posen erstrecken würde. Denn diese waren noch kurz vorher im April und Mai durch die Bundesversammlung auf Antrag Preußens in den Deutschen Bund aufgenommen worden.304 Beim Deutschen Bund waren vor allem Gesandte der Großmächte akkreditiert gewesen. Darüber hinaus hatte er selbst das Recht, diplomatische Beziehungen aufzunehmen; davon hatte er aber keinen Gebrauch gemacht. Um ihre völkerrechtliche Anerkennung zu erleichtern, stellte sich die Zentralgewalt in dieser Hinsicht bewusst in diese Kontinuität. Sie wurde von den ausländischen Mächten auch nicht angezweifelt. Dennoch entging ihnen nicht, dass der anvisierte deutsche Nationalstaat machtpolitisch eine ganz andere Herausforderung sein würde als der bisherige deutsche Staatenbund.305 Wenn daher die 302 Einige Abg der NV wollten die PZG dazu veranlassen, darauf hinzuwirken, dass die Deutschen Bundesstaaten bis Ende August  1848 ihre diplomatischen Beziehungen mit dem Ausland und selbst untereinander aufgäben. Ein Zeitpunkt, zu dem die ZG noch nicht einen einzigen Gesandten ernannt hatte! Reden III / F. Wigard (wie Anm. 3) 1687f. (24.8.1848). 303 RS PZG an die Reg. jener dt. Staaten, die Gesandtschaften im Ausland unterhalten, 14.11.1848 (Bl. B zu GRM, 1.11.1848): BA, DB 52/3. 304 RS von RAM Heckscher an die beim Deutschen Bund beglaubigten Vertreter, 18.8.1848: BA, DB 53/11. 305 D. Hein: Deutsche Nation in Europa (wie Anm. 299) 171f. Das veranlasste F. D. Bassermann in seinen Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 205 zu der Klage: „Nur die Machtlosen suchten

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ausländischen Mächte bereit waren, mit der Zentralgewalt Beziehungen aufzunehmen und nicht wegen der politisch wie rechtlich ungeklärten Lage das Abwarten vorzogen, räumten sie deren diplomatischem Personal meist keine völkerrechtliche Stellung ein.306 Doch haben nicht nur die schwelende nationale Wunde und der Mach­ trausch des Sommers 1848 der völkerrechtlichen Repräsentation des neuen Deutschlands eine solche Dynamik verliehen. Es kamen weitere Triebkräfte hinzu. Zum einen drängte die Nationalversammlung in diese Richtung; sie hatte schon am 22. Juli das noch nicht einmal halb fertige Reichsministerium in eine außenpolitische Debatte gezogen.307 Zum anderen musste sich die Zentralgewalt gegenüber den beim Deutschen Bund beglaubigten Gesandten positionieren. Sie wurden gebeten, ihre Beziehungen auch mit der Rechtsnachfolgerin der Bundesversammlung aufrecht zu erhalten mit der Versicherung, dass diese alle bestehenden völkerrechtlichen Abkommen ebenso achten werde wie die „Freiheit und Selbstbestimmung anderer Nationen“..308 Und schließlich wollte die Provisorische Zentralgewalt ihre Existenz so schnell wie möglich dem Ausland offiziell zur Kenntnis bringen. Dem ersten Außenminister Anton von Schmerling stand deutlicher als vielen anderen vor Augen, dass man dabei mit diplomatischen Floskeln nicht weiterkommen würde. In einer Denkschrift vom 23. Juli ging er davon aus, dass Preußen und Österreich ihre auswärtigen Beziehungen aufrechterhalten wollten. Er schlug daher vor, dass dort, wo die beiden Mächte weiterhin präsent sein wollten, gemeinsame Repräsentanten vertreten sein sollten, die allerdings vom Reichsverweser, wenn auch in enger Abstimmung, auszuwählen sein würden. Mit den anderen Bundesstaaten empfahl er beim Aufbau des eigenen Dienstes eine enge Zusammenarbeit.309 Diese Leitlinie scheint durch Ministerpräsident Karl Fürst Leiningen im Rahmen seines Konzepts einer frühen und kompromisslosen Unterwerfung der Bundesstaaten korrigiert worden zu sein. Bei seinem Amtsantritt bekannte er sich in der Proklamation „Entweder – Oder“

306 307 308 309

Verkehr mit uns: von Ungarn, Siebenbürgen und aus der Walachei waren Abgesandte anwesend, und der neapolitanische Gesandte wünschte unsere Hilfe bei der Wiedereroberung Siziliens.“ Vgl. dazu auch noch einige politische Überlegungen zum Problem aus den Reihen des GRM in Notizen über Schwierigkeiten und Anstände, welche der Absendung von Abgesandten des RV nach Petersburg, Paris, Wien und Mailand begegnen dürften, August 1848: BA, DB 53/8. RS PZG 14.11.1848 (wie Anm. 303). Vgl. Reden II / F. Wigard (wie Anm. 3) 1102f. u. Reden I / F. Wigard, 654f. RS von RAM Heckscher (wie Anm. 304). Promemoria betreffend die Regelung der Vertretung des deutschen Reiches im Auslande, 23.7.1848: BA, DB 53/8. R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 146ff.

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vom 31. Juli310 offen dazu, der Reichsgewalt die Souveränität der Einzelstaaten zu übertragen und bezeichnete in diesem Zusammenhang die Übernahme von deren diplomatischen Vertretungen als eine „Lebensfrage“.311 Dieser hohen Einschätzung entsprechend folgten den Worten sogleich Taten. Um sowohl dem Machtkampf mit den Bundesstaaten als auch den diplomatischen Verwicklungen mit den ausländischen Mächten aus dem Weg zu gehen, verfiel das Ministerium Leinigen auf einen raffinierten Ausweg. Schon Ende August sollten spezielle Notifications-Gesandte zunächst nach Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz abgehen. Ihr Auftrag war es, dort die Amtsübernahme des Reichsverwesers und den Amtsantritt des Reichsministeriums anzuzeigen.312 Vor Ort hatten sie darauf hinzuarbeiten, dass die konkurrierenden Vertretungen der Bundesstaaten sich zurückzogen und sie als die alleinigen völkerrechtlichen Repräsentanten des Reiches verblieben. Das Reichsministerium wollte sie dabei unterstützen. Außerordentliche Gesandte, die in für die Reichsgewalt nachrangigen Staaten wie dem Großherzogtum Toskana, dem Königreich Griechenland, den Königreichen Spanien und Portugal die neuen Machtverhältnisse in Mitteleuropa bekannt machen sollten, hatten einen so weitausgreifenden Auftrag nicht.313 Sie kehrten wie auch die an den Päpstlichen Stuhl und an die Ottomanische Pforte abgeordneten nach der Erledigung ihrer Aufgaben zurück. Das Reichsministerium verfolgte auch nach dem Rücktritt von Leiningen den Kurs, dass die Vertretung der Gesamtinteressen Deutschlands ausschließlich und mit verpflichtender Wirkung für die Einzelstaaten in die Kompetenz der Zentralgewalt falle.314 Dabei wurde es von der Nationalversammlung nicht nur unterstützt, sondern sogar angespornt.315 Die Reichsgewalt ging jetzt allerdings dazu über, die Regierungen der Fürsten dafür zu gewinnen, die unhaltbare Situation, die sie selbst in den Hauptstädten der auswärtigen Mächte herbeigeführt hatte, zu bereinigen. Doch unter der Bedingung, dass dort, wo jeweils eine Reichsgesandtschaft besteht oder errichtet wird, „ die politische Vertretung Deutschlands in den Gesamtangelegenheiten der Nation, namentlich in den Fragen des Krieges und des Friedens, ausschließlich in den Händen der Reichsgesandten liege“.316 Alle Bundesstaaten, die jemals eine diplomati310 Vgl. Frankfurter Oberpostamts-Zeitung 213 vom 31.7.1848. 311 Vgl. auch noch V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 107ff. 312 Vgl. Regierungserklärung RAM Heckschers, 21.8.1848: Reden III / F. Wigard (wie Anm. 3) 1623f. 313 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 283. 314 GRM, 19.9.1848: BA, DB 52/2. 315 Vgl. z. B. unter dem 30.1.1849: Reden VII / F. Wigard (wie Anm. 3) 4920f. 316 RS des RAM an die dt. Bundesstaaten, 20.9.1848: BA, DB 53/8.

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sche Vertretung bei einer fremden Macht unterhalten hatten, sollten diese in einem förmlichen Schreiben offiziell aufkündigen. An die Gesandtschaft in den Staaten, in denen sie ein besonderes Interesse hatten, sollten sie Beamte an die Reichsgesandtschaft abordnen dürfen. Während das von dem Österreicher Schmerling geführte Außenministerium Preußen ein Arrangement auf der Basis der Verschmelzung der Auslandsvertretungen anbot,317 unterbreitete es Österreich einen tollkühnen Plan.318 Die diplomatischen Vertretungen des Kaisertums sollten überall, wo Reichsgesandtschaften bestanden oder errichtet würden, von den Regierungen der Empfängerländer deren Anerkennung verlangen und diesen gegenüber erklären, dass die Gesandten der Provisorischen Zentralgewalt uneingeschränkt „für das österreichische Reichsgebiet“ handeln dürfen! Angesichts der Schwierigkeiten, denen die Zentralgewalt sonst bei der Behauptung ihres Vorrangs begegnete, war sie zunächst erstaunlich erfolgreich. Die meisten der infrage kommenden Bundesstaaten waren bereit, den Alleinvertretungsanspruch der Reichsgewalt anzuerkennen. Einige hatten auch schon begonnen, ihre Gesandtschaften abzubauen.319 Darunter immerhin die Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg. Österreich, Hannover und die Hansestädte ignorierten das Verlangen. Preußen gab sich kompromissbereit. Es schlug eine von beiden Seiten beglaubigte Gesandtschaft oder aber die gemeinsame Instruierung von je eigenen Gesandten vor. Da die meisten Bundesstaaten keine dauernden Missionen im Ausland hatten und auch die Kostenersparnis nicht zu verachten war, erschien ihnen wohl die angebotene Mitvertretung ihrer Interessen akzeptabel. Bis auf die Großmächte war ihnen ihre Autonomie im Innern wichtiger war als die Demonstration ihrer Souveränität nach außen. Die Zentralgewalt setzte dadurch einen neuen Akzent, dass sie sich im Verkehr mit den akkreditierten Gesandten wie auch der eigenen der deutschen Sprache bediente,320 um ihr „gleiches Recht mit der bis dahin allein gebrauchten französischen zu erobern.“321 Die Anzahl der Bundesstaaten, die Konsule mit der Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen und handelspolitischen Interessen beauftragten oder sich 317 318 319 320

RAM an pr. Staatsreg., 19.9.1848: BA, DB 53/8. RAM an öst. Staatsreg., 20.9.1848: BA, DB 53/8. Dazu und auch zum Folgenden vor allem RS PZG, 14.11.1848 (wie Anm. 303). A. v. Jochmus an Ehg. Johann, 12.1.1850: Briefwechsel Seiner Kaiserlichen Hoheit des Erzherzogs Johann von Österreich vom Jahre 1850 bis 1859 / hrsg. von Georg Martin Thomas. – Berlin 1884. – (August von Jochmus’ gesammelte Schriften; 4) 3. 321 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 206. Bassermann lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, darauf hinzuweisen, dass dies das entscheidende Motiv gewesen sei und nicht „von Schmerlings Unkenntnis des Französischen.“

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sogar Konsulate leisteten, war noch etwas umfangreicher. Selbst kleinere322 und die Hansestädte waren hier aktiv.323 Die Reichsregierung strebte auf diesem Feld ebenfalls die Alleinvertretung an. Denn bei ihrer Einsetzung war es ihr ja zur Pflicht gemacht worden, neben der diplomatischen Repräsentation Deutschlands auch die handelspolitische auszuüben und dazu Konsule zu ernennen. Auch dabei wurde sie von der Nationalversammlung fortgesetzt angespornt, da dies „einer der lebhaftesten Wünsche des Volks“ sei.324 Dementsprechend hat sich deren Völkerrechtlicher Ausschuss eingehend mit dem Aufbau eines deutschen Konsulatswesen, der Bezahlung und Ausbildung der Konsule befasst und großen Wert darauf gelegt, dass entgegen der völkerrechtlichen Praxis nur deutsche Staatsbürger eine solche Position übernähmen.325 Das Reichsministerium, das mehr als genug mit den vertrackten Problemen der diplomatischen Vertretungen beschäftigt war, hat zum wiederholten Bedauern des Parlaments in dieser Sache aber kaum Einsatz gezeigt. Ein Gesetzentwurf zu einer Reichskonsulatsordnung wurde erst im Frühjahr 1849 erarbeitet326 und es war noch kein Konsul des Reiches ernannt,327 als dieses diplomatisch schon auf dem Rückzug war. 5.3 Die Ernennung von Gesandten Seit August ernannte das Reichsministerium Gesandte, die im Namen des Reichsverweser als vorläufiges Staatsoberhaupt und Inhaber der Rechte des suspendierten Bundestags ausländischen Mächten offiziell die Errichtung einer Staatsgewalt auf der Grundlage der Volkssouveränität in Deutschland notifizieren sollten.328 Nach Frankreich wurde der Historiker Friedrich von Raumer, Mitglied der Casino-Fraktion, abgeordnet.329 Bei den ebenfalls ein neues System begründenden Revolutionären in Paris glaubte man demokratische Solidarität voraussetzen zu können. Doch Raumer musste schnell erkennen, dass sich hinter allen Sympathiebekundungen die traditionelle Deutschlandpolitik verbarg, die ein zersplittertes Deutschland einem vereinten 322 Staatsmin Sachsen-Weimar an GRM, 26.11.1848: THW (wie Anm. 77) C 2364. 323 Vgl. die Slg. von Materialien zum Konsulatswesen der Bundesstaaten in BA, DB 58/17–19. 324 So die Interpellation des Abg. von Reden am 6.10.1848: Reden III / F. Wigard (wie Anm. 3) 2430. 325 Vgl. dem am 20.4.1849 vorgelegten Bericht des Völkerrechtlichen Ausschusses: Reden VIII / F. Wigard (wie Anm. 3) 6213f. 326 Entwurf einer Reichskonsulatsordnung, 12.3.1849: BA, DB 58/15. 327 So beklagt im Bericht des Völkerrechtlichen Ausschusses (wie Anm. 325). 328 Vgl. zum Folgenden auch M. Botzenhart: Außen- und Innenpolitik (wie Anm. 301) 97ff. Liste der Reichsgesandten und Geschäftsträger: Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt I / H. Schenk (wie Anm. 191) 135ff. 329 Vgl. dazu Raumer, Friedrich von: Briefe aus Frankfurt und Paris 1848–1849. – Leipzig 1849.

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Nationalstaat allemal vorzog.330 Da die nationalen Töne, die aus der Nationalversammlung zu vernehmen waren, zusätzlich irritierten, dachte man in Paris nicht daran, den diplomatischen Verkehr mit den deutschen Staaten aufzugeben und war lediglich dazu bereit, der Reichsgewalt einen offiziösen Status einzuräumen. Spätestens seit der Wahl von Louis Bonaparte zum Präsidenten der Republik im Dezember 1848 musste diese ihr Scheitern eingestehen.331 Sie berief ihren Gesandten zurück und übertrug am 17. Dezember 1848 die Vertretung ihrer Interessen dem badischen Residenten.332 Großbritannien war von vergleichbaren Befürchtungen nicht geplagt und da es in der Vergangenheit in Europa immer wieder zugunsten von liberalen Bewegungen interveniert hatte, glaubte Frankfurt, dass es Deutschlands Weg in die Freiheit unterstützen werde.333 Die deutschlandfreundliche Stimmung in Teilen der Öffentlichkeit und das Verständnis, das am Hof der Halbschwester von Ministerpräsident Leiningen und deren deutschem Prinzgemahl für das konstitutionelle Deutschland herrschte, unterstrichen diesen Eindruck.334 Der Gesandte der Reichsgewalt, Viktor Freiherr von Andrian-Werburg, liberaler Abgeordneter für Wien und ein Freund Schmerlings, traf aber mit Viscount Palmerston auf einen rational kalkulierenden Machtpolitiker. Er zweifelte am Erfolg des Projekts „politischer Philosophen“ und „Büchermenschen“ und sah zunehmend einen immer größeren Gegensatz zwischen den deutschen und britischen Interessen in Schleswig-Holstein. Da die Nachgiebigkeit Preußens in dieser Frage in London auf weitaus größere Sympathien stieß, war es nur konsequent, dass dessen Vertreter im Frühjahr 1849 an die Stelle Andrians trat, der ebenfalls die offizielle Anerkennung nicht hatte erreichen können.335 Nachdem Sondierungen die Befürchtungen bestätigt hatten, dass ein Gesandter des revolutionären Deutschlands am Zarenhof nicht willkommen sei, wurde dieser Plan fallen gelassen.336 Erfolgreicher war die Reichsgewalt in europäischen Klein- und Mittelstaaten. Von diesen erkannte sie Belgien 330 Scharff, Alexander: Die europäischen Großmächte und die deutsche Revolution: Deutsche Einheit und europäische Ordnung 1848–1851. – Leipzig 1942, 80ff. 331 Dazu jetzt ausführlicher Ruppert, Karsten: Frankreichs II. Republik. – In: Die Exekutiven der Revolutionen: Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts / hrsg. von Karsten Ruppert. – Paderborn 2022, 268ff. Zur Politik der vorangegangenen Revolutionsregierungen Armin Owzar: Die französische Februarrevolution und die Regierungen der Zweiten Republik, 1848–1852. – In: Die Exekutiven der Revolutionen (wie Anm. 331) 282ff. 332 GRM, 17.12.1848: BA, DB 52/5. 333 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm.30) 112ff. 334 A. Scharff: Europäische Großmächte (wie Anm. 330) 92ff. 335 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 157ff. 336 Ebenda 160f.

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völkerrechtlich zuerst an.337 Ihm folgten Schweden, die Niederlande und die Schweiz,338 ohne dass geklärt gewesen wäre, ob und wie die Vertretungen der Bundesstaaten weiter bestehen. Im Spätherbst gingen auch noch Gesandte in die Länder des Mittelmeers und sogar an den Papst und die Ottomanische Pforte ab,339 in deren tributpflichtigen Donaufürstentümern sollte sogar ein Generalkonsulat errichtet werden.340 Am weitesten kam man mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die den Ehrgeiz hatten, das demokratische Deutschland als Erste noch vor der Ernennung eines deutschen Gesandten für Washington Ende September anzuerkennen.341 Ihr Berliner Vertreter Andrew J. Donelson wurde jetzt auch für Frankfurt zuständig. Er wurde mit dem Angebot eines günstigen Handelsvertrags für ein einheitliches deutsches Zollgebiet gelockt. Daraufhin fand sich Washington bereit, den Kauf von Schiffen im Land nicht zu behindern und den Aufbau der Flotte mit Personal, Fachkenntnissen und Material zu unterstützen, obwohl Bedenken bestanden, dadurch die Neutralität zu gefährden.342 Als sich der Rückzug des preußischen Gesandten mehr zufällig als absichtlich mit der Ankunft des Reichsgesandten in Washington überschnitt, sah sich die amerikanische Administration veranlasst, ihren bisherigen Berliner Vertreter dauerhaft nach Frankfurt abzuordnen und Anfang März 1849 einen eigenen für Berlin zu ernennen. Die Zentralgewalt nahm das mit Genugtuung zur Kenntnis und Handelsminister Duckwitz begrüßte Donelson mehr als kühn am „Zentrum der neuen deutschen Macht“.343 Die Entsendung eines Repräsentanten nach Washington wurde für die Zentralgewalt nochmals zu einem Kampf um die Behauptung ihres Anspruchs auf alleinige Vertretung. Das Königreich Preußen, das seit 1817 einen MinisterResidenten in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hatte, erwog, diesen zurückzurufen und ihn durch den im April 1848 ernannten Friedrich Ludwig von Rönne zu ersetzen. Dieser war gerade in die Nationalversammlung gewählt worden, wo er sich dem linken Zentrum anschloss. Da die Zentralgewalt den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten eine besondere Bedeutung zumaß, 337 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm.30) 117. 338 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 159f. 339 GRM, 21.10.1848: BA, DB 52/3 u. R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 278ff. 340 GRM, 12. u. 21.10.1848: BA, DB 52/3. 341 Moltmann, Günter: Atlantische Blockpolitik im 19. Jahrhundert: Die Vereinigten Staaten und der deutsche Liberalismus während der Revolution von 1848/49. – Düsseldorf 1973, 100ff. 342 Ausführlich zur amerikanischen Unterstützung beim Aufbau der Reichsmarine: G. Moltmann: Atlantische Blockpolitik (wie Anm. 341) 144ff. 343 Ebenda 116, 120.

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beabsichtigte sie ebenfalls, einen Vertreter nach Washington zu entsenden. Sie bestand daher darauf, dass Preußen seinen zurückziehe, da dies in dem Augenblick, wo die Wahrnehmung „aller deutschen Interessen an demselben Orte durch die Centralgewalt“ geschehe, dort nur den „übelsten Eindruck“ machen würde.344 Die von Preußen angebotene doppelte Repräsentanz wurde abgelehnt und am 16. Oktober 1848 die Ernennung desselben Friedrich Ludwig von Rönne dem Reichsverweser als „Außerordentlicher Gesandter und Bevollmächtigter Minister“ in den Vereinigten Staaten von Nordamerika vorgeschlagen.345 Seine Ernennung erfolgt wahrscheinlich nicht als Kompromissangebot, sondern wohl, weil sonst niemand anders dazu bereit und in der Lage war. Denn für Rönne sprach, dass er Anhänger der preußischen Reformbewegung war und bereits von 1834–1843 Preußen erfolgreich in Washington vertreten hatte und dazu als ehemaliger Präsident der preußischen Kammer für Handel und Landwirtschaft (1843–1847) ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann war.346 Er brach im Oktober 1848 auf, musste allerdings zwei Monate auf sein Beglaubigungsschreiben aus Frankfurt warten, da dieses statt mit einem Dampfschiff mit einem Segelschiff übermittelt wurde! Daher konnte er es erst am 26. Januar 1849 dem amerikanischen Präsidenten James K. Polk noch kurz vor dem Ende von dessen Amtszeit überreichen. Preußen hatte ihm zuvor die Legitimation entzogen und seinen Gesandten noch im November zurückgerufen, vermutlich weil es damals noch davon ausging, dass es durch Rönne mit vertreten werden würde.347 Rönne war damit der einzige Vertreter Deutschlands in Washington: einer der wenigen Siege der Zentralgewalt über Preußen.348 Es war allerdings nur ein halber, da er mehr einem Missverständnis als preußischer Absicht entsprach. Preußen hat seine Vertretung auch nicht aufgegeben, diese allerdings bis auf Weiteres seinem Konsul in New York überlassen.349

344 Besprechung des GRM am 3.10.1848 mit dem pr. Bevollm.:BA, DB 52/2. 345 GRM, 16.10.1848: BA, DB 52/3. 346 Hawgood, John A.: Ein vergessener deutscher Diplomat aus der achtundvierziger Zeit: Friedrich von Roenne. – In: Männer und Ideen der Achtundvierziger-Bewegung: Vorträge gehalten am Dies Academicus vom 19. Mai 1948 im Rahmen der akademischen Feier der Universität Frankfurt zum Gedächtnis der hundertsten Wiederkehr des Tages der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche / hrsg. von Universität Frankfurt am Main. – Frankfurt a. M. 1950. – (Frankfurter Universitätsreden; 2) 7–25, hier 7ff. 347 Rönne an die PZG, 12.11.1848. Druck: J. A. Hawgood: Roenne (wie Anm. 346) 17. 348 Ebenda 13f. erwähnt zwar, dass das pr. Außenministerium von Rönne Ende 1848 das Kreditiv zurückgeforderte habe, behauptet dann aber, ohne den Widerspruch zu merken, dass er weiterhin Pr. und die PZG in Washington vertreten habe. 349 G. Moltmann: Atlantische Blockpolitik (wie Anm. 341) 119.

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Da die Zentralgewalt von den Vereinigten Staaten, die in den Debatten der Nationalversammlung mehr als einmal als Vorbild angeführt wurden, vor allem Hilfe beim Aufbau der Marine erhoffte, wurde ihr Vertreter angewiesen, sich in allen Fragen offen und entgegenkommend zu zeigen. Er sollte sich vordringlich darum bemühen, einen mit dem Zollverein gescheiterten Handelsund Schifffahrtsvertrag, jetzt für ganz Deutschland, zustande zu bringen und darauf bestehen, dass dann die mit einzelnen Bundesstaaten, unter anderem Österreich und Preußen, geschlossenen Verträge aufgehoben würden. Darüber hinaus sollte er Flottenoffiziere, technisches wie militärisches Knowhow akquirieren und den Kauf wie den Bau von deutschen Kriegsschiffen in den USA sondieren.350 Da die Zentralgewalt den Aufbau der Marine bis zum Schluss intensiv betrieb, war Rönne wegen dieser Aufgabe der Gesandte, der am längsten amtierte.351 Seine Abberufung erfolgte erst einen Tag vor der offiziellen Auflösung der Provisorischen Zentralgewalt; sie erreichte ihn aber erst Ende Januar 1850.352 Es zeigt das geänderte Verhältnis zwischen der Zentralgewalt und Preußen, dass dieses seinen etwa ein Jahr zuvor zurückgezogenen Ministerresidenten für die Vereinigten Staaten am 1. September 1849 erneut installierte.353 Rönne, der bisher eine große Karriere im Dienste Preußens absolviert hatte, wurde Opfer des Machtkampfes. Er wurde noch 1850 zur Disposition gestellt wegen Übernahme der Reichsgesandtschaft ohne Genehmigung der preußischen Regierung.354 Der Einundfünzigjährige zog sich ins Privatleben zurück. Er fand wohl zum Teil Genugtuung für diese Behandlung im Kampf gegen Bismarck in den Reihen der Fortschrittspartei seit den Sechzigerjahren; das brachte ihm einen Tadel Heinrich von Treitschkes ein.355 Immerhin hatten neben den USA zehn europäische Staaten Geschäftsträger bzw. Gesandte bei der Provisorischen Zentralgewalt akkreditieren lassen. Selbst der ehemalige erste Delegationssekretär bei der russischen Bundestagsgesandtschaft hat Mitte Juli 1848 sein Beglaubigungsschreiben überreicht. Das Königreich Dänemark, mit dem man sich im Krieg befand, hat für die Dauer 350 Inst. für den Reichsges. der ZG von D. zu Washington (Bl. B zu GRM  20.10.1848): BA, DB 52/3. 351 G. Moltmann: Atlantische Blockpolitik (wie Anm. 341) 133ff., 176ff. 352 J. A. Hawgood: Roenne (wie Anm. 346) 16. Hawgoods Feststellung (11), dass Rönne bis 1853 pr. Ges. in Washington geblieben sei, ist falsch. 353 Eimers, Enno: Die Berichte Rönnes aus den USA 1834–1843 im Rahmen der Beziehungen Preußen – USA 1785 bis 1867: Die Annäherung von Preußen und den USA. – Berlin 2013. – (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; 46) 68. 354 Biographischen Handbuch / H. Best; W. Weege (wie Anm. 191) 284. 355 J. A. Hawgood: Roenne (wie Anm. 346) 11, 25.

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des Waffenstillstands von Malmö einen Gesandten abgeordnet.356 Erstaunlich, dass der habsburgische Reichsverweser einen Vertreter der aufständischen Ungarn empfangen hat; von dem angebotenen Bündnis hat das Reichsministerium dann aber abgesehen.357 6.

Das Problem Schleswig-Holstein

6.1 Wachsende nationale Spannungen Das Königreich Dänemark war im 18. Jahrhundert ein autokratisch regiertes Imperium. Es bestand aus dem Kernland, dem Königreich Norwegen, dem dänischen Kronlehen Schleswig und dem deutschen Herzogtum Holstein. Dazu kamen Kolonien und abhängige Gebiete im Nordatlantik, in der Karibik wie an der Goldküste. Es hatte die fünftgrößte Flotte der Welt. Gegen seinen Willen hat es der britische Präventivschlag, durch den Napoleon die dänische Armada entzogen werden sollte, in die große europäische Auseinandersetzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts hineingezogen. Am Ende des Krieges war das Königreich bankrott, hatte seine Marine verloren und Norwegen an das mit Großbritannien verbündete Schweden abtreten müssen. Als Entschädigung erhielt es das an Holstein angrenzende Herzogtum Lauenburg. Das während des Krieges annektierte Holstein musste wieder aus dem dänischen Staatsverband entlassen werden. Für dieses wie für das Herzogtum Lauenburg, über die der dänische König in Personalunion herrschte, musste er dem Deutschen Bund beitreten.358 Zu den deutschsprachigen Herzogtümern Holstein und Lauenburg kam das Herzogtum Schleswig, das mit dem südlich angrenzenden Holstein seit Jahrhunderten eine administrative und politische Einheit bildete. In dessen nördlichem Teil sprach die Bevölkerung überwiegend Dänisch, Teile der Bauern aber Niederdeutsch und im Westen Friesisch. In den Städten herrschte das Deutsche vor.359 Der Süden war wie die Gebildeten des gesamten Herzogtums 356 Liste der ausländischen Ges. bei der PZG: Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt I / H. Schenk (wie Anm. 191) 142f. 357 Hildebrandt, Gunther: Ungarn und die provisorische deutsche Zentralgewalt in Frankfurt am Main 1848. – In: Südost-Forschungen 51 (1992) 169–188, hier 178ff. 358 Glenthøj, Rasmus: Krieg, Nationalismus und Demokratisierung im Dänemark des 19. Jahrhunderts: Niedergang des Imperiums und Bildung des Nationalstaates. – In: Revolution, Krieg und die Geburt von Staat und Nation: Staatsbildung in Europa und Amerika 1770–1930 / hrsg. von Ewald Frie u. Ute Planert. – Tübingen 2016. – (Bedrohte Ordnungen; Bd. 3) 105–129, hier 106ff. 359 Anhand von Massenpetitionen aus Schleswig zeigt Scharff, Alexander: Wesen und Bedeutung der Schleswig-holsteinischen Erhebung 1848–1850. – Neumünster 1978, 21ff., dass die

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deutschsprachig. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten die deutschsprachigen Gebiete des dänischen Gesamtstaates etwa 40 % der Bevölkerung, machten ein Drittel von dessen Fläche aus und trugen ungefähr die Hälfte zu dessen Wirtschaftskraft bei.360 Politik, Verwaltung und Kultur waren ebenso deutsch geprägt wie die Aristokratie am Hof einer deutschen Dynastie. Gegen diese Dominanz des Deutschen machte im Vormärz verstärkt das aufstrebende Bürgertum Dänemarks mobil. Eine soziale und nationale Kluft spaltete seitdem zusehends Elite wie Oberschicht des Königreiches.361 Die dänische Krone glaubte nun, die Spannungen zwischen den beiden Nationen, das Staatsproblem als auch die Forderung nach vermehrter Mitbestimmung durch Föderalisierung lösen zu können. Auf den Inseln, in Jütland, Schleswig und Holstein wurden Mitte der Dreißigerjahre repräsentative Provinzialstände eingeführt, begleitet von einer Verwaltungsreform, die eine gemeinsame Regierung für Schleswig und Holstein als Mittelinstanz unter der Kanzlei in Kopenhagen und ein Oberappellationsgericht in Kiel für alle drei Herzogtümer vorsah.362 Lauenburg behielt seine landständische Verfassung. Obwohl ein hoher Zensus das Wahlrecht nur auf die Oberschichten von Bürgern und Bauern beschränkte, trug diese Reform zu deren Politisierung bei und gewährte ihnen eine institutionelle Plattform für erste Anfänge politischer Mitbestimmung.363 Ausgehend von der Ständeversammlung formierte sich unter den Kleinbürgern und Bauern Nordschleswigs eine nationaldänische Bewegung, die an nationalgesinnten Landsleuten im Norden Rückhalt fand. Im Mai 1840 erreichte sie, dass Dänisch in Nordschleswig nicht nur als Kirchen- und Schulsprache, sondern desgleichen als Rechts- und Verwaltungssprache anerkannt wurde. Die nationalen Spannungen vermischten sich im Vorfeld der Revolution immer mehr mit der Frage der Erbfolge. Da abzusehen war, dass die männliche Linie seines Hauses mit seinem Sohn aussterben würde, wollte König Christian VIII. in einem „offenen Brief“ von 8. Juli 1846364 den Bestand des dänischen Gesamtstaates auch danach durch die Postulierung der weiblichen Erbfolge auch in den Herzogtümern sichern. Dort hatte schon sein Schwager,

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unterschiedlichen politischen Vorstellungen über die Zukunft Schleswigs nicht einfach den Sprachgemeinschaften zugeordnet werden dürfen. Hippel von, Wolfgang; Stier, Bernhard: Europa zwischen Reform und Revolution: 1800– 1850. – Stuttgart 2012. – (Handbuch der Geschichte Europas; 7) 266. R. Glenthøj: Dänemark (wie Anm. 358) 107f., 112. E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 663. Scharff, Alexander: Geschichte Schleswig-Holsteins: Schleswig-Holstein und die Auflösung des Dänischen Gesamtstaates; 1830–1864/67. – Neumünster 1975, 60. Druck: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 434f.

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der holsteinische Herzog Christian August von Augustenburg, Rückhalt für seine Erbansprüche in den Herzogtümern gefunden.365 Es ging also dabei um die Frage, ob und wie diese nach der Auflösung der Personalunion mit dem Königshaus noch Teil des dänischen Staats sein würden.366 Die Stände Schleswigs und Holsteins sahen in den Absichten ihres Königs und Herzogs einen Rechtsbruch und bestanden im Gegenzug auf deren Unteilbarkeit. Schon zuvor hatten die Stände Schleswigs an den König appelliert, dessen Beitritt zum Deutschen Bund zu bewilligen. Diese Entwicklung war das Ergebnis eines seit den Dreißigerjahren gewachsenen Bewusstseins von der Eigentümlichkeit des schleswigischen und des holsteinischen „Stammes“ und deren Andersartigkeit sowie von deren besonderer staatsrechtlichen Stellung. Sie verband sich jetzt mit der deutschen Nationalbewegung. Die neue Sicht der Dinge wurde nun auch außerhalb der Ständeversammlungen in der Presse, auf Volksfesten, Sängertreffen und anderen öffentlichen Veranstaltungen artikuliert. Seitdem fand das Schicksal Schleswig-Holsteins immer größeren publizistischen Widerhall auch in der Presse des Deutschen Bundes.367 Selbst die Bundesversammlung meldete sich zaghaft zu Wort. Je mehr sich dort eine demokratische und liberale Nationalstaatsgründung abzeichnete, umso attraktiver wurde sie für die Bewegung in Schleswig und Holstein. Deren Hinneigung zu Deutschland war also nicht nur national motiviert, sondern auch durch die Attraktivität des angestrebten politischen Systems, das man so ähnlich auch zu Hause einführen wollte. Die Lage spitzte sich Anfang 1848 deswegen zu, weil der Regierungsantritt des neuen Königs mit dem Ausbruch von Unruhen in mehreren europäischen Ländern zusammenfiel, die erkennbare Rückwirkungen auf die Vorgänge in Dänemark und in den Herzogtümern hatten. Um die Gegensätze im eigenen Land einzudämmen, legte Friedrich VII., Sohn und Nachfolger Christians VIII., kurz nach seinem Regierungsantritt am 28. Januar 1848 einen Verfassungsentwurf für den Gesamtstaat vor. Danach sollte neben den Ständen ein Parlament mit legislativen und fiskalischen Kompetenzen errichtet werden; dessen Mitglieder je zur Hälfte aus den Herzogtümern und dem Kernland zu berufen waren. Ein Kompromiss, der keine Nationalbewegung zufriedenstellte und durch den Ausbruch der Unruhen in Frankreich, Deutschland, Italien und Österreich unterlaufen wurde.

365 A. Scharff: Schleswig-holsteinische Geschichte (wie Anm. 363) 62. 366 Zur Erbfolgefrage ausführlicher E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 663f. 367 Geisthövel, Alexa: Eigentümlichkeit und Macht: Deutscher Nationalismus 1830–1851; der Fall Schleswig-Holstein. – Stuttgart 2003. – (Historische Mitteilungen: Beiheft; 50) 83ff.

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Wie in großen Teilen Europas sah nun auch in Dänemark die schmale Schicht des liberalen Bürgertums ihre Chance gekommen. Sie legitimierte ihren Anspruch auf Mitbestimmung in Staat und Gesellschaft mit den Ideen von Nationalismus und Volkssouveränität. Sie vertrat das Konzept des Verfassungsstaates für die Nation, die sich durch gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte konstituierte. Für sie war die Eider, die das Herzogtum Schleswig von Holstein trennte, die unverrückbare Grenze zwischen der deutschen und dänischen Nation.368 Die nationalliberale Bewegung konnte jetzt ihr Programm durch eine von ihr initiierte Volksbewegung auf eine breitere Basis stellen, weil es ihr gelang, sich als die einzige Kraft zu präsentieren, die Schleswig bei Dänemark halten würde.369 Am 22. März sah sich der König gezwungen, deren Vertreter mit der Regierung zu betrauen, nachdem er tags zuvor versprochen hatte, Schleswig zu verteidigen.370 Im Zuge der Beratungen des königlichen Verfassungsentwurfs trafen sich am 17. Februar Vertreter der schleswigischen und der holsteinischen Ständeversammlung in Kiel. Ihre Entschlossenheit und Tatkraft hatte entscheidenden Auftrieb durch die Einberufung des vereinigten Landtags durch den preußischen König bekommen. Diese deuteten sie als Vorzeichen von tiefgreifenden Veränderungen in Preußen und Deutschland. Um die auch in der Heimat erwarteten Unruhen und den nicht mehr auszuschließenden Konflikt mit Dänemark zu begegnen, wurde schon die Einsetzung einer provisorischen Regierung erwogen.371 Die Idee wurde zunächst verworfen, doch sollte ein dreiköpfiger Ausschuss die Stände im Notfall wieder zusammenrufen können.372 Gleichzeitig forderten in den Herzogtümern die konservativen und nationalen Liberalen nun eine gemeinsame Konstitution und beriefen auf den 18. März ein Treffen der Stände nach Rendsburg ein. Das war ein klarer Verstoß gegen die überlieferte Verfassung und somit schon ein revolutionärer Schritt. Denn nur der König durfte die Stände einberufen, die getrennt zu tagen hatten. Auf der Versammlung wurde eine Delegation zusammengestellt, die in Kopenhagen die Bewilligung von bürgerlichen Freiheitsrechten und Zustimmung zum neuen politischen Konzept erreichen sollte. Das inzwischen auch erneut die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund umfasste, dessen 368 R. Glenthøj: Dänemark (wie Anm. 358) 112f. 369 Carr, William: Schleswig-Holstein 1815–1848: A study in national conflict. – Manchester 1963, 284f. 370 Bezold, Andreas von: Die Schleswig-Holsteinische Erhebung 1848–1851: Im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Dänemark. – Hamburg 2014, 71ff. 371 W. Carr: Schleswig-Holstein 1815–1848 (wie Anm.  369) 270 und Antwort Kg. Friedrichs VII., 24. März 1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 457. 372 A. v. Bezold: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 370) 70ff.

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Teilung entlang der Sprachgrenze in Erwägung gezogen wurde – eine Position, die anfangs auch die Provisorische Regierung vertrat, die sie später aber strikt verwarf. Unabhängig von der Reaktion in Kopenhagen wurde beschlossen, sich an den Wahlen zu einem deutschen Nationalparlament zu beteiligen. Schon die alte dänische Regierung hätte die faktische Trennung der Herzogtümer vom Königreich, die nur noch durch eine lockere Personalunion verbunden geblieben wären, nicht akzeptiert; nach der Machtübernahme der „Eiderdänen“ am 21. März war dies nicht einmal mehr eine Verhandlungsoption.373 Nachdem Dänen und Deutsche sich ihrer Nationalität bewusst geworden waren, hatten sich auf beiden Seiten über die staatliche Zugehörigkeit Schleswigs Rechtsauffassungen herausgebildet, die unvereinbar waren. Deswegen ließen sie sich – wie die weitere Entwicklung zeigen sollte – auch nicht auf dem Verhandlungswege in einem Kompromiss zusammenführen.374 6.2 Die Provisorische Regierung Schleswig-Holsteins Als die Delegation aus Kopenhagen zurückkam, hatte sich die politische Lage in ihrer Heimat grundsätzlich verändert. Seit dem 18. März tagte der von der Ständeversammlung eingesetzte und um einige Honoratioren erweiterte Ausschuss. Da er eine Auseinandersetzung mit Dänemark für unvermeidlich hielt, entschied er sich für die Einsetzung einer provisorischen Regierung. Über deren Zusammensetzung und Aufgaben konnte er aber nicht mehr alleine entscheiden.375 Infolge der Nachrichten aus dem unruhigen Europa wurde auch in den Städten Schleswig-Holsteins eine Volksbewegung ausgelöst, an der der bisher agierende Honoratiorenliberalismus nicht mehr vorbeikam. Insbesondere der von dem linksliberalen Theodor Ohlshausen, einem späteren Mitglied der Provisorischen Regierung, gegründete Kieler Bürgerverein hatte seine Mitgliederzahl in kürzester Zeit vervierfacht.376 Mit diesem kam man überein, ein sechsköpfiges Gremium einzusetzen, in dem Nationalliberale, Konservative und vom Bürgerverein vorgeschlagene Linksliberale377 vertreten sein sollten; die meisten waren gleich für mehrere Ressorts zuständig. Präsident wurde der Schleswiger Advokat Wilhelm H. Beseler, der später Vizepräsident der

373 Rackwitz, Martin; Jensen, Jürgen: Märzrevolution in Kiel 1848: Erhebung gegen Dänemark und Aufbruch zur Demokratie. – 2011. – (Sonderveröffentlichungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte; 68) 41. 374 A. Scharff: Wesen und Bedeutung (wie Anm. 359) 12f. 375 M. Rackwitz; J. Jensen: Märzrevolution in Kiel (wie Anm. 373) 50. 376 W. Carr: Schleswig-Holstein 1815–1848 (wie Anm. 369) 279. 377 Ebenda 289f.

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deutschen Nationalversammlung wurde.378 Wie in Frankreich im Juli 1830 war eine Übergangsregierung aus Verhandlungen zwischen einer halb privaten Honoratiorenversammlung und einer im Rathaus versammelten Volksbewegung hervorgegangen.379 In der Proklamation,380 mit der sie am 24. März vor ihre „Mitbürger“ traten, rechtfertigten die Akteure sich damit, dass „der Wille des Landesherrn“ … „nicht mehr frei“ sei und er von der derzeitigen dänischen Regierung gezwungen werde, „eine feindliche Stellung gegen die Herzogthümer einzunehmen“. Da daher Schleswig-Holstein ein „Land ohne Regierung“ sei, habe man „vorläufig die Leitung der Regierung übernommen, welche“…„zur Aufrechterhaltung der Rechte des Landes und der Rechte unseres angestammten Herzogs in seinem Namen“ geführt werde. Die Aufrechterhaltung der Ordnung wurde versprochen und die „Vertheidigung der Gränze“ als vordringlichste Aufgabe genannt. Die Forderung der Volksbewegung, auch die bürgerlichen Freiheits- und Grundrechte zu garantieren, wurde mit dem wohl von dem Kieler Historiker Johann Gustav Droysen stammenden Hinweis begegnet, dass diese durch die Absicht, sich „mit aller Kraft der Einheits- und Freiheitsbestrebung Deutschlands“ anzuschließen, gesichert seien. Das Bekenntnis zu Deutschland und das Freiheitsstreben waren von Anfang an eng verbunden.381 In zwei Proklamationen an seine schleswigischen und holsteinischen Untertanen vom 27. März hat der König dem seine Rechtspositionen ohne Erfolg entgegengestellt.382 Geschickt hatte die auf einer breiten politischen Basis stehende Regierung so zunächst nur ihre unumstrittenen Ziele proklamiert und zugleich durch die Berufung auf einen Notstand wie der Vermeidung jedes revolutionären Anstrichs sich in einer Weise legitimiert, die ihr die Gefolgschaft der großen Mehrheit der Bevölkerung, des Militärs und der Beamten sicherte und zugleich ihrer Anerkennung durch die deutschen Staaten nicht im Wege stand.383 Nur so konnte die Regierung ungehindert über die regulären Steuer378 Abbildung: G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 389) 46. 379 Dazu jetzt auch Karsten Ruppert: Die ephemere Regierung einer zwielichtigen Revolution 1830 in Frankreich. – In: Die Exekutiven der Revolutionen (wie Anm. 331) 167ff. Zur Bedeutung der politischen Symbolik dabei Grüner, Stefan: Eine neue Commune? Die provisorische Regierung von 1830 in Frankreich: Traditionslinien, politische Konturen und die Formensprache des Übergangs. – In: Die Exekutiven der Revolutionen (wie Anm. 331) 183ff. 380 Faksimile: M. Rackwitz; J. Jensen: Märzrevolution in Kiel (wie Anm.  373) 52; Druck: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 457f. 381 A. Scharff: Wesen und Bedeutung (wie Anm. 359) 8. 382 A. v. Bezold: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 370) 79. 383 Vgl. auch noch Möller, Frank: Schleswig-Holstein – eine Revolutionsregierung im Dienste nationaler Selbstbehauptung. – In diesem Band, 307ff.

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einkünfte verfügen, eine Sondersteuer zur Finanzierung des Krieges wie auch die Wehrpflicht einführen und sich an den Aufbau einer Flotte machen. Die gesamte schleswig-holsteinische Bewegung hat sich – darin denen Böhmens und Ungarns vergleichbar – durchgehend als die Verteidigerin angestammter Gewohnheitsrechte stilisiert. Darin lag aber ein weiterer Widerspruch, denn bei der inneren Umgestaltung ging sie über diese ohne die geringsten Skrupel hinweg. Auch ihr Wunsch, Schleswig in den Deutschen Bund zu integrieren, widersprach demselben „alten Recht“, auf das sie sich immer berief, um die Unteilbarkeit wie Selbstständigkeit der Herzogtümer zu verteidigen.384 Was sich am 23. und 24. März 1848 in Kiel abgespielt hatte, war die erste offene Auflehnung gegen den Inhaber der Landeshoheit während der deutschen Revolution; allerdings nicht überwiegend aus liberalen und demokratischen Motiven, sondern aus nationalen.385 Noch am selben Tag versprach der preußische König einem Abgesandten, dass er die neuen Machthaber bei der Verteidigung der Rechte der Herzogtümer, insbesondere deren Einheit und dem Erbrecht der männlichen Linie, unterstützen werde.386 Am 31. März kam das Vorparlament in Frankfurt dem Ersuchen nach, Schleswig in den Deutschen Bund aufzunehmen. Der Bundestag hat dies verweigert; selbst die Nationalversammlung hat diesen Schritt nicht gewagt, obwohl sie die Abgeordneten dieses Herzogtums in ihre Reihen aufnahm. Doch hat der Bundestag, inzwischen von den Märzministerien beschickt, am 12. April die Provisorische Regierung anerkannt und ihr zugesagt, Bundestruppen zur Verteidigung der Herzogtümer in Marsch zu setzen.387 Im revolutionären Morgenrot sprang der Bundestag gleich zweimal über seinen Schatten. Er fasste nicht nur den ersten Bundeskrieg ins Auge, sondern erkannte zum ersten und einzigen Mal auch eine revolutionäre Regierung an, deren Gesandter daraufhin am 22. die Stimme für Holstein führte!388 Schon am 3. des Monats war die vereinigte Ständeversammlung in Rendsburg zur Zusammenarbeit bereit. Nur das Herzogtum Lauenburg hat sich in dem Konflikt mit Dänemark für neutral erklärt, wollte sich allerdings der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung anschließen.389 384 385 386 387

A. Scharff: Wesen und Bedeutung (wie Anm. 359) 10ff., 16f. Darauf weist auch E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 667 mit Recht hin. W. Carr: Schleswig-Holstein 1815–1848 (wie Anm. 369) 291. Vgl. Prot. der Deutschen Bundesversammlung, § 267: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 188. 388 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 669f. 389 Stolz, Gerd: Die schleswig-holsteinische Erhebung: Die nationale Auseinandersetzung in und um Schleswig-Holstein von 1848/51; mit einem Beitrag von Inge Adriansen. – Husum 1996, 49.

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Die Provisorische Regierung Schleswig-Holsteins sah sich gleich mit fast allen klassischen Herausforderungen revolutionärer Exekutiven konfrontiert: Staatsgründung durch Verfassungsgebung, Krieg und soziale Proteste. Diesen war noch am leichtesten zu begegnen. Sie beschränkten sich auf die ärmeren Schichten in Stadt und Land und auf die Insten, vornehmlich auf den Gütern in Holstein. Durch die Abschaffung der Kopfsteuer sowie des Verbittels-, Schutz- und Instengeld trat vorläufig Ruhe ein.390 Dem Ausbruch politischer Unzufriedenheit kam man durch die Verfassungsschöpfung zuvor und das Zusammenrücken während des Krieges tat ein Übriges. Die neue Regierung gehörte zu den revolutionären Exekutiven, die wie zum Beispiel auch die Ungarns, sich nicht erst eine eigene Armee schaffen mussten. Noch am Tag ihrer Einsetzung war es ihr gelungen, durch einen Handstreich die Festung Rendsburg in ihre Hand zu bekommen.391 Sie nahm daraufhin dort nicht nur ihren Sitz, sondern ihr fiel auch das Arsenal des in SchleswigHolstein stationierten dritten dänischen Armeekorps und dessen gut gefüllte Hauptkasse in die Hände. Die deutschen Mannschaften liefen zu ihr über, während die überwiegend dänischen Offiziere bei ihrer Fahne blieben.392 Der bisherige Statthalter Schleswig-Holsteins, Herzog Friedrich Christian II. aus dem Hause Sonderburg-Augustenburg, das Ansprüche auf die Herzogtümer und den dänischen Thron erhob, war als erfahrener Militär trotz des Protests der Linken Kriegsminister geworden. Als solcher hatte er sich nicht nur um den Aufbau der Armee zu kümmern, sondern diese auch im Feld zu kommandieren. Er konnte bis Mitte April über fast 9.000 Mann verfügen. Zu diesen kamen nochmals einige Tausend Freiwillige, die einem Aufruf des Fünfziger Ausschusses vom 12. April gefolgt waren. Sie mussten sich selbst ausrüsten und waren wie auch die Freiwilligen, über die die Revolutionsregierungen in der Reichsverfassungskampagne verfügen konnten, ein bunter Haufen aus Studenten, Turnern, Gesellen, Revolutionären und Republikanern. Wegen ihrer antipreußischen und antimonarchischen Einstellung traute ihnen die Provisorische Regierung nicht recht. Ihr militärischer Wert war begrenzt, so dass sie später reduziert in einer Einheit unter dem Adjutanten des bayerischen Königs zusammengefasst wurden.393 Die größte Schwäche dieser Truppe war der Mangel an Offizieren. Ihn hat man durch die Rekrutierung bereits Abgedankter und vor allen Dingen durch den Rückgriff auf Offiziere, die zu diesem Zwecke aus dem Dienst Preußens beurlaubt wurden, abzustellen versucht. Das 390 391 392 393

F. Möller: Schleswig-Holstein (wie Anm. 383) 315f. A. v. Bezold: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 370) 79f. G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 389) 57ff. Ebenda 60ff.

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machte die Regierung politisch und die Armee militärisch von diesem Königreich abhängig. Der dänische Feind verfügte über ein stehendes Heer von ungefähr 25.000 Mann, von denen aber derzeit für den Kampf nicht sehr viel mehr zur Verfügung standen als die Schleswig-Holsteiner hatten. Die Mannschaften bestanden fast ausschließlich aus Bauernsöhnen, die allein der Wehrpflicht unterlagen. Dänemark besaß eine erfahrene und respektable Marine, deren Kernbestand fünf Kriegsschiffe und mehrere kleinere Kanonenboote waren. Schleswig-Holstein war während der Kämpfe mit diesem 1848 erst dabei eine Flotte aufzubauen. Zu den Kosten trugen unter anderem rührige Flottenkomitees und Zuschüsse der Provisorischen Zentralgewalt bei. Im zweiten dänischen Krieg von 1849 konnte sie in Zusammenarbeit mit der ebenfalls noch im Aufbau befindlichen Reichsmarine sich gegenüber den Dänen behaupten. Vor allem aber ermöglichte sie es der Statthalterschaft von Schleswig-Holstein nach dem Waffenstillstand im Juli 1849, den Kampf gegen das Königreich fortzusetzen.394 Die Strategie Dänemarks war, Schleswig zu sichern und den Gegner auszuschalten, ehe er Verstärkung aus Deutschland erhielt.395 Um dies zu verhindern, hat die Provisorische Regierung wenige Tage nach ihrem Zusammentritt ihren Truppen den Marsch nach Norden befohlen. Am 9. April trafen sie bei Bau nördlich von Flensburg auf den Feind, der sie in kurzer Zeit zurückschlagen konnte. Dem sich auflösenden Haufen folgend, nahm er Flensburg und begnügte sich mit der Sicherung des Herzogtums Schleswig.396 Um sein Versprechen einzulösen, hatte der preußische König schon am 31. März zwei Garderegimenter an die nördliche Grenze Holsteins abgeordnet, wo diese am 6. April eintrafen. Auf seinen Wunsch hin wurde auch ein Teil des zehnten Bundesarmeekorps, das im Königreich Hannover stationiert war, mobilisiert. Zwei Tage zuvor hatte der Bundestag beschlossen, das Bundesgebiet, also das Herzogtum Holstein, militärisch zu sichern um, wie es diplomatisch vorsichtig hieß, die Verbindung zu Schleswig aufrecht zu erhalten. Die Bundestruppen wurden daraufhin durch Kontingente aus Oldenburg, Braunschweig und Mecklenburg verstärkt. Zu spät für den schleswig-holsteinischen Verbündeten überschritten sie am 10. die Eider. Auf Ersuchen des Bundestags vom 15., der die bisherigen preußischen Maßnahmen nur wohlwollend zur Kenntnis 394 Petter, Wolfgang: Deutsche Flottenrüstung von Wallenstein bis Tirpitz. – In: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648–1939 / hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. – Bd. 4. – München 1979, 1–262, hier 51f. 395 Nielsen, Johs.; Christensen, Jens Ole: Die schleswig-holsteinische Erhebung 1848–1850. – Kopenhagen 1993, 7ff. 396 G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 389) 66ff.

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genommen hatte, wurden sie unter das Oberkommando des preußischen Generals Friedrich von Wrangel gestellt.397 Am Ostersonntag, dem 23. April, griffen die deutschen Truppen unerwartet die Stellungen der Dänen an, vertrieben diese, bis auf die Insel Alsen, und eroberten Flensburg zurück. Gleichzeitig blockierte die dänische Marine die preußischen Ostseehäfen und brachte Handelsschiffe deutscher Bundesstaaten auf. Ohne sich auf einen Bundestagsbeschluss stützen zu können und entgegen dem Protest der Regierung der Herzogtümer398 überschritt Wrangel in den ersten Maitagen die Grenze zu Jütland. Dies brachte erwartungsgemäß die europäischen Mächte auf den Plan, unter deren Druck der preußische König am 25. Mai den Befehl zum Rückzug gab.399 Es wurde sichtbar, dass keine militärische Lösung möglich sei. Denn das überlegene Preußen konnte aus europäischen Rücksichten seine Macht nicht ausspielen und Dänemark war zu schwach für einen Sieg. 6.3 Waffenstillstand von Malmö und Septemberunruhen Schon als Preußen seine Truppen für einen Krieg gegen Dänemark in Stellung gebracht hat, war es von den Großmächten gewarnt worden. Als es dennoch bis nach Jütland vordrang, gingen diese zur Mobilisierung über. Russland, Großbritannien und Schweden-Norwegen wollten die nachnapoleonische Mächteordnung in Nordeuropa aufrechterhalten. Preußen, das vor allem den Rückhalt am Zaren beim Kampf gegen die Revolutionen in Europa nicht aufs Spiel setzen wollte, nahm daher die von Großbritannien vermittelten Verhandlungen mit Dänemark auf. Dies konnte Schleswig nicht aufgeben, wenn es nicht endgültig seinen Status als europäische Macht verlieren wollte. Es lehnte daher dessen Teilung ab und bestand darüber hinaus auf der Beseitigung der verhassten Provisorischen Regierung.400 Solche Forderungen und die internationale Konstellation machten es wahrscheinlich, dass die Verhandlungen zu einer Enttäuschung für die deutsche Volksbewegung werden würden. Daher schien es Preußen angebracht zu sein, auch die Nationalversammlung, die schon am 9. Juni der preußischen Regierung die Vollmacht zur militärischen und politischen Alleinentscheidung bestritten hatte,401 und den Reichsverweser mit in die Verantwortung zu nehmen. Angesichts eines drohenden europäischen Kriegs hat er auf Anraten des Reichsministeriums und 397 398 399 400 401

E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 670f. A. v. Bezold: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 370) 83. J. Nielsen; J. O. Christensen: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 395) 17ff. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm.30) 138ff. E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 673.

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mit Rückendeckung der Nationalversammlung, die am 10. Juli für sich und den Reichsverweser die Ratifikation vorbehalten hatte, am 7. August die Vollmacht erteilt.402 Allerdings unter drei Bedingungen: ein Teil der Bundestruppen sollte in den Herzogtümern stationiert werden, alle Maßnahmen der Provisorischen Regierung sollten in Kraft bleiben und über die Zusammensetzung der interimistischen Regierung sollte zuvor Einverständnis erzielt werden. Dabei ging das Reichsministerium davon aus, dass einige Mitglieder der gegenwärtigen Provisorischen Regierung in diese übernommen würden.403 Dass die Einbindung von Reichsministerium und Reichsverweser rein taktisch war, machte Preußen dadurch klar, dass es die Verhandlungen als eigenständige Großmacht führte, den Waffenstillstand nur im eigenen Namen und in dem des Deutschen Bundes abschloss und zu keinem Zeitpunkt daran gedacht hatte, den eigens abgeordneten Gesandten der Zentralgewalt zu beteiligen.404 Dieser hatte aber immerhin bei der Provisorischen Regierung erreicht, dass die Landesversammlung vertagt wurde, die ihm am 13. August erstaunlich rasch ihre Bereitschaft signalisierte, durch einen Rücktritt den Abschluss zu erleichtern. Das hat ihn nur noch mehr davon überzeugt, im Norden die treuesten Anhänger der Reichsgewalt zu finden.405 Preußen hat das Reichsministerium vermutlich nicht ohne Absicht erst Tage nach dem Abschluss vom Inhalt des Malmöer Abkommen vom 26. August 1848406 informiert. Allein zwischen dem preußischen König „in seinem Namen wie im Namen des deutschen Bundes“ und dem König von Dänemark, zugleich Herzog von Schleswig und Holstein, war eine siebenmonatige Waffenruhe vereinbart worden. Die Truppen des Bundes und Preußens zogen sich bis auf ein Kontingent in Altona aus den Herzogtümern zurück. Die schleswig-holsteinische Armee wurde den Landsmannschaften gemäß aufgeteilt. Aus nationalen Motiven wollte die dänische Krone, aus politischen die preußische die dortige Entwicklung vollständig zurückdrehen. Die Provisorische Regierung sollte innerhalb von 14 Tagen durch eine von den beiden Kontrahenten bestimmte Gesamtregierung ersetzt werden, die ihr Amt im Namen des Herzogs ausüben sollte. Alle Gesetze und Verordnungen, die in der Zeit der Provisorischen Regierung ergangen waren, sollten annulliert werden und die Landesversammlung sollte die Gesetzgebung ruhen lassen. Die Reichsgewalt hat besonders brüskiert, dass sie die Landesversammlung desavouieren 402 Abdruck: V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 126f. 403 M. Botzenhart: Außen- und Innenpolitik (wie Anm. 301) 100. 404 Ausführlich zur Gesandtschaft von UStS Max von Gagern: L. v. Pastor: M. v. Gagern (wie Anm. 133) 271ff. 405 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 199ff. 406 Druck: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 460f.

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musste und bei der die Zusammensetzung der neuen Regierung nicht zugunsten der bisherigen provisorischen Einfluss nehmen konnte. Das ebenfalls bemängelte Fehlen des Vorbehalts der Ratifikation durch den Reichsverweser und die Nationalversammlung war nicht durchsetzbar gewesen. Dänemark wie den Großmächten fiel es leicht, diesen mit dem formalen Vorwand abzulehnen, dass diese Institutionen weder diplomatisch noch völkerrechtlich anerkannt seien.407 Die diplomatische Isolierung ebenso fürchtend408 wie einen Bürgerkrieg und an einem Einvernehmen mit Preußen gelegen, hat das Reichsministerium zähneknirschend akzeptiert.409 Da die Reichsgewalt durch die vorsätzliche und vollständige Ignorierung durch Preußen beim Abschluss des Waffenstillstands „auf das Entschiedenste kompromittiert“ worden war, glaubte sie, der Vereinbarung nur zustimmen zu können, wenn die Nationalversammlung durch ihre Billigung Preußen nachträglich eine Art Indemnität für sein Verhalten aussprechen würde.410 Im Reichsministerium hat man nicht verkannt, dass auch dieser Zusammenprall mit Preußen nur eine weitere Station im Kampf um den Vorrang in Deutschland gewesen ist, so wie er beim Huldigungserlass, der Stellung der Bevollmächtigten und der Errichtung eines diplomatischen Dienstes zum Ausbruch gekommen war. Der Ministerpräsident war davon überzeugt, dass die Anerkennung der „Suprematie“ der Zentralgewalt durch Preußen für diese eine Existenzfrage sei.411 Eine negative Koalition des Parlaments lehnte den Waffenstillstand nach einer emotionalen Debatte aber am 5. September ab.412 Rechte und Konservative wollten von ihren nationalen Träumen nicht lassen und die Linke sah in einem Nationalkrieg sowohl die Chance, die Revolution zu festigen als auch durch dessen Unterstützung ihre Gefolgschaft über ihre bisherigen Anhänger hinaus auszudehnen. Die alten Fürstenpakte galten ihr nichts mehr angesichts des Rufes der Völker nach Freiheit. Zur Mäßigung riet die Mitte. Sie versuchte davon zu überzeugen, dass selbst für Schleswig nicht alles, was bisher erreicht 407 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 673f. 408 Nach K. Mathy fürchtete das RM nicht nur, sich gegen Pr. und Dänemark stellen zu müssen, sondern bei der Ablehnung es auch mit „den Schweden, Russen, Franzosen und Engländern zu thun“ zu bekommen. So an seine Frau am 6.9.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 376. 409 GRM, 4.u.5.9.1848: BA, DB 52/1. F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 209ff. Der RV fühlte sich durch das Vorgehen Pr.s düpiert; in der Sache zeigte er Verständnis: Tgb. Ehg. Johann, 2.9.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. 410 Vgl. dazu die Überlegungen Leiningens: V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 131f. Beschluss vom 3.9.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 461. 411 V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 132. 412 Vgl. Reden III / F. Wigard (wie Anm. 3) 1587ff.

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worden sei, aufs Spiel gesetzt werden dürfe.413 Einig waren sich alle in der Ablehnung des preußischen Verhaltens.414 Das Reichsministerium hat das Parlament nicht darüber im Zweifel gelassen, dass bei einer Missbilligung seiner Politik diejenigen die Verantwortung übernehmen müssten, die dafür verantwortlich seien.415 Ohne dazu gezwungen zu sein, trat es daher am 5. September zurück.416 Es empfahl, den Abgeordneten Friedrich Christoph Dahlmann, unter dessen Führung die Vertreter Schleswigs und Holsteins das Reichsministerium besonders heftig angegriffen hatten, mit der Regierungsbildung zu beauftragen.417 Seine Mitglieder waren „heiter gestimmt“, nachdem sie die „Regierungslast abgeworfen“ hatten, auch der Erzherzog „nahm die Sache gemüthlich.“418 Schon in den folgenden Tagen wurde der Nationalversammlung die Irrealität und Verantwortungslosigkeit ihres Verhaltens schonungslos demonstriert. Sie war weder in der Lage, aus sich heraus Regierungsverantwortung zu übernehmen419 noch auf der Ablehnung des Waffenstillstands zu beharren. Am 16. September nahm sie ihn an auf die vage Zusage hoffend, dass Modifikationen möglich seien; in Wahrheit, weil sie sich zu denselben Einsichten wie das Reichsministerium, das bis jetzt interimistisch im Amt geblieben war, durchringen musste.420 Dieses hatte keine andere Wahl, als auf den Wunsch des Reichsverwesers hin am Abend des 17. „mit voller Verantwortlichkeit“ seine Geschäfte wegen der ausgebrochenen Frankfurter Unruhen wieder zu übernehmen.421 Aus diesem unaufschiebbaren „interimistischen Wiedereintritt“ wurde eine langfristige Lösung.422 Eine der vielen, für die Zentralgewalt nicht untypischen Improvisationen. 413 414 415 416 417 418 419

A. Geisthövel: Eigentümlichkeit und Macht (wie Anm. 367) 181ff. E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 677ff. Denkwürdigkeiten A. v. Schmerlings (wie Anm. 91). GRM, 6.9.1848: BA, BA, DB 52/1 u. Aufzeichnung vom 6.9.1848: ebenda 54/11. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 82. K. Mathy an A. Mathy, 6.9.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 377. Der RV hatte zur Überwindung der Regierungskrise u. a. Gespräche mit Gagern und Dahlmann geführt. Mit diesem, weil er der Ansicht war „Dahlmann hatt gezündet, er soll löschen.“: Tgb. Ehg. Johann, 5.9.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. 420 Antrag Franckes auf Annahme des Waffenstillstands: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 462. Dazu Leiningen an Prinz Albert am 16.9.1848: „Unser Ministerium ist natürlich glänzend gerechtfertigt“: V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 223. 421 GRM, 18.9.1848, bes. Bl. A: BA, DB  52/2. Als das RM am 5.9. dem RV seinen Rücktritt mitgeteilt hat, soll dieser gesagt haben: „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, der Dahlmann wird doch schwerlich was zu Stande bringen.“: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 82. 422 Vgl. Mitteilung des RIM an den Präsidenten der Nationalversammlung, 23.9.1848, dass alle Minister und UtSts am 24. vom RV wieder ernannt worden seien: BA, DB 54/11.

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Fürst Leiningen zog die Konsequenz aus dem Scheitern seiner Politik und trat zum gleichen Zeitpunkt nicht mehr an,423 zu dem auch in Berlin das Märzministerium am Ende war. Die Illusion, dass das Reichsministerium zusammen mit der Nationalversammlung ein Deutschland nach beider Vorstellungen schaffen könnte, in dem Preußen die Führung übernehmen würde, war geplatzt. Der Ausbruch des Aufstands in Frankfurt hat ihm unzweifelhaft klargemacht, dass die Reichsgewalt nur noch bedingt über die Machtressource des Appells an die Nation würde verfügen können; sie stattdessen immer mehr in die Abhängigkeit der Bundesstaaten, besonders Preußens, geraten würde, da die republikanischen Kräfte weiterhin ihre Ziele mit Gewalt verfolgen würden.424 Der scheidende Regierungschef empfahl dem Reichsverweser einen Kurswechsel durch die Berufung eines „preußischen Reichsministeriums“ oder zumindest eines, das in Kooperation mit Berlin arbeiten könne. Eine Wiederberufung seiner Kollegen hielt er für unzweckmäßig, da zwischen ihnen und der Nationalversammlung das Verhältnis zerrüttet sei. Dann könne auch die von ihm für notwendig erachtete Ersetzung der politischen Unterstaatssekretäre, die zu viel Zeit in den Klubs und im Parlament verbringen müssten, durch „Geschäftsmänner aus dem Staatsdienst“ zur Effektivierung der Regierungsarbeit durchgeführt werden.425 Erzherzog Johann, der „die Sache nicht schwer“ nahm,426 folgte den Vorschlägen nicht. Nur der Unterstaatssekretär im Handelsministerium, Gustav Mevissen, ging freiwillig. Er erhielt gerade jetzt das Angebot, die Sanierung des in eine existenzbedrohende Krise geratenen Schaaffhausenschen Bankvereins, des größten Finanzinstituts der Rheinprovinz, zu übernehmen.427 Der Außenminister, auf den sich „der allerdings ebenso widersinnige als ungerechte Volkshaß“ gerichtet hatte, so dass er „seines Lebens nicht mehr sicher schien“,428

423 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 79 schreibt, dass die Gründe für den Rücktritt Leiningens „nicht mit Sicherheit bekannt geworden“ seien. Meinungsverschiedenheiten mit seinem Kabinett waren es auf jeden Fall nicht. Er vermutet, „dass die Königin von England von ihrem Halbbruder den Austritt bestimmt verlangte.“ Diese Ansicht weist V. Valentin: Leiningen (wie Anm. 116) 135 mit guten Gründen zurück. 424 Leiningen an Prinz Albert, 25.8.1848: ebenda 224f. 425 Bf. Leiningens an RV, 12.u.15.9.1848: ebenda 136ff. Zu Leiningens resignierender Bilanz der politischen Entwicklung vgl. Leiningen an Johann Kaspar Bluntschli, 17.12.1851 u. 23.3.1852; G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 338ff. 426 So Fallati: K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 20. 427 J. Hansen: Mevissen (wie Anm. 102) 582. 428 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 79.

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folgte ihm.429 Er hat sich bis zum Ende des Jahres um die Beziehungen einiger italienischer Höfe zur Zentralgewalt bemüht.430 Die verbliebenen Minister und Unterstaatssekretäre teilten die Geschäftsbereiche untereinander auf, „da sich trotz mannigfacher Bemühungen“ niemand fand, der in diesen stürmischen Zeiten Verantwortung übernehmen wollte.431 Ein Nachfolger für den Ministerpräsidenten wurde nicht ernannt. Während der Krise hat der Reichsverweser kurzzeitig daran gedacht, Hermann von Beckerath dazu zu berufen.432 Doch dieser war inzwischen auf Bitten des preußischen Königs nach Berlin geeilt. Dort war er als Minister in einem neuen Kabinett, das er eventuell führen sollte, vorgesehen.433 Das Unternehmen scheiterte, da seine politischen Vorstellungen mit denen des Königs nicht vereinbar waren. Der rheinische Liberale vermochte diesen nicht davon zu überzeugen, dass Preußen nur zu retten sei, wenn „mit aller Aufrichtigkeit“ ein „demokratischer Zustand, soweit er mit der Monarchie vereinbar ist,“ herbeigeführt werde. In der deutschen Politik verlangte er „ein gutes Einverständnis mit der provisorischen Zentralgewalt“ und die bindende Anerkennung der künftigen Reichsverfassung.434 Besorgt darüber, dass die Unruhen in Preußen unter dem „Kabinett der Reaktion“ zunehmen würden, doch persönlich erleichtert, kehrte er nach Frankfurt zurück.435 Dort übernahm er am 24. September das Finanzressort,436 das bis dahin Reichshandelsminister . Arnold Duckwitz geleitet hatte. Innenminister Anton von Schmerling war zusätzlich mit dem Außenressort betraut und vom Reichsverweser sicherlich nicht ohne Absicht zum Vorsitzenden bestellt worden.437 Er rückte wohl nicht in die offizielle Position eines Reichsministerpräsidenten ein, um nach außen zu verdeutlichen, dass die jetzige Regierung eine 429 Der RV war noch eine Woche zuvor davon ausgegangen, dass auch Peucker, Schmerling und Duckwitz politisch nicht zu halten sein würden: Tgb. Ehg. Johann, 9.9.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. 430 Dazu die Abschriften des Ges. Johann Gustav Heckscher an RAM Schmerling vom Oktober bis zum Dezember 1848 von den italienischen Höfen in LA Graz, Archiv Meran, K 197, H. 2. 431 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 73. 432 H. v. Beckerath an L. v. Beckerath, 12.9.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 401. 433 H. v. Beckerath an V. Heilmann, 12.9. und an L. v. Beckerath, 16.9.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 402, 411. 434 H. v. Beckerath an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 18.9.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 421ff. 435 H. v. Beckerath an seine Frau, 18.9. und an V. Heilmann, 19.9.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 424f., 427. 436 H. v. Beckerath an V. Heilmann, 25.9.1848: Rhein. Bf. u. Akten II,1 (wie Anm. 16) 434f. 437 Nach R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 73 hätten auch seine „Amtsgenossen“ darauf gedrängt.

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Fortsetzung der vorigen sei. Mit Schmerling übernahm nach außen der Mann die Verantwortung, der schon bisher den Kurs der Regierung am nachdrücklichsten bestimmt hatte.438 Er war ein Politiker der raschen Entschlüsse, die er konsequent und mutig, wie zum Beispiel bei den Septemberunruhen, durchführte. Dazu ein schneller Arbeiter, der aber dem politischen Gegner seine Abneigung bis hin zur Verachtung nicht verbarg. Das hat insbesondere das Verhältnis zur Nationalversammlung immer wieder belastet. Das Reichsministerium profitierte wohl aber am meisten davon, dass er „Staatsgeschäfte aus dem Gesichtspunkte der Regierung eines großen Staates“ aufzufassen verstand.“439 Das Ansehen der beiden Institutionen, die aus der Volkssouveränität hervorgegangen waren, war beschädigt und das Vertrauen auf den von ihnen eingeschlagenen Weg schwand. Ein Gesetz zum Schutz der Provisorischen Zentralgewalt und der verfassunggebenden Reichsversammlung war nun nötig.440 Im Nachhinein erwies sich Malmö als ein erster Schritt auf ihr Ende zu. Die unmittelbare Folge war eine Rebellion von Teilen des Volkes gegen die Repräsentanten des Volkes.441 Kleinbürger, Bürger und vor allen Dingen die Presse schäumten über die nationale Demütigung.442 Die Unterschichten machten ihrer Enttäuschung, dass sich ihre Lage immer noch nicht gebessert hatte, in Gewaltausbrüchen in den Städten Luft. Bauern, die mit den Ablöseregelungen unzufrieden waren, taten es ihnen gleich. Linke wie Republikaner sahen darin vor allem im Westen und Süden die Chance gekommen, die Dominanz des konstitutionellen Liberalismus zu brechen. Die bürgerlichen Revolutionäre schwankten, doch sie standen noch, ja sie bewiesen, dass sie auch gewaltsam Ordnung schaffen konnten. Reichsinnenminister Schmerling schlug zusammen mit dem Kriegsminister die heftigsten Barrikadenkämpfe jener Tage am Sitz der Regierung nieder, denen 80 Aufständische und zwei konservative Abgeordnete der Nationalversammlung zum Opfer gefallen waren.443 Sie hatten sich gegen die „Verräter des deutschen Volks, der deutschen Freiheit und Ehre“444 gerichtet. Bundestruppen wurden in die Unruhegebiete abgeordnet und in Baden wurde eine 438 439 440 441

A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 85ff. R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 81. Reichsg. vom 10.10.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 282f. Vgl. z. B. die Reaktion der Wähler Fallatis auf dessen Abstimmungsverhalten: K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 22ff. und derjenigen R. v. Mohls: Reichsminister Robert von Mohl und seine Wähler (wie Anm. 6) 345ff. 442 M. Botzenhart: Außen-und Innenpolitik (wie Anm. 328) 100ff. 443 Verhängung des Belagerungszustandes in Frankfurt durch den RV am 19.9.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 281. 444 Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution von 1848/49. – Frankfurt a. M. 1985, 162.

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republikanisch-sozialrevolutionäre Erhebung durch das Märzministerium bis Ende September ausgeschaltet.445 In den Septemberunruhen hatte sich das politische Kräftefeld neu arrangiert. Der revolutionäre Schub des Frühjahrs hatte sich erschöpft. Bauern, städtische Unterschichten und Kleinbürger waren enttäuscht über die ausgebliebenen materiellen Segnungen. Inzwischen auch in Vereinen organisiert, war ihnen der Interessengegensatz zum herrschenden Bürgertum bewusster geworden. Wie die Märzvereinsbewegung am Jahreswechsel zeigen sollte, waren sie aber noch nicht gänzlich für die Sache der Revolution verloren. Mittelschicht und Großbürgertum schwankten zwischen der Zuversicht, ihre politischen Ziele doch noch zu erreichen, und der Versuchung, sich den alten Gewalten zu nähern, um die Exzesse einzudämmen und den sozialen Umsturz zu verhindern. Diesen fürchteten teils auch die linken Demokraten und Republikaner; für sie blieb dennoch – wie sich immer wieder zeigen sollte – der außerparlamentarische Weg eine Option, obwohl sie auf diesem gerade so kläglich gescheitert waren. Die konstitutionellen Liberalen hatten sich durch das tatkräftige Eingreifen der Reichsgewalt gefestigt und das Heft des Handelns vorerst wieder in die Hand bekommen. Freilich war auch der Handlungsspielraum der fürstlichen Gewalten durch die Zerklüftung des Lagers, das ihnen bisher geschlossen gegenübergestanden hatte, gewachsen. Schmerlings entschiedene Worte in der Parlamentsdebatte, Preußen müsse in Zukunft sein Verhältnis zur Zentralgewalt mehr im Sinne des Gesetzes vom 28. Juni gestalten, klang schon wie das Pfeifen im Walde. Dass in der Debatte um Schleswig-Holstein zu keinem Zeitpunkt die dann in den Septemberunruhen zutage getretenen politischen Folgen gesehen wurden, offenbarte zum ersten Mal ein Defizit, vor allem der Nationalversammlung, das eine der Ursachen für ihr Verhängnis war: ein Verkennen der machtpolitischen Situation, in der man zu handeln hatte, und das mangelhafte Empfinden für die politischen Stimmungen und Erwartungen im Land. Obwohl die Septemberunruhen die Annahme widerlegten, dass die Revolution des März durch ihre Institutionalisierung in den Parlamenten, der Zentralgewalt und den Märzministerien eingedämmt worden sei, wurden daraus keine Konsequenzen gezogen. Das Reichsministerium sah darüber hinaus den Gang der Beratungen mit großer Sorge. Die Nationalversammlung „wird um alles Ansehen kommen, wenn sie nicht bald zu den Bestimmungen über die politische und materielle Einheit Deutschlands vorschreitet“ und sich stattdessen

445 Schmerling / A. v. Arneth: (wie Anm. 90) 213f.

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in dem „unendlichen Hinschleppen der Verhandlungen über die Grundrechte, die man in allen Einzelstaaten schon hat,“ verliert.446 Spätestens die Art und Weise, wie Preußen den Krieg gegen Dänemark geführt und beendet hat, hätte bei den konstitutionellen Liberalen zu einer Revision der Grundannahmen führen müssen, dass die Einheit und Freiheit Deutschlands mit diesem und den Fürsten würde geschaffen werden können. Da sie für diesen Fall aber kein Konzept hatten, verschlossen sie sich der Einsicht in die Möglichkeit, dass die Fürsten auch Gegner sein könnten. So haben sie ebenfalls nicht erkannt, dass der Waffenstillstand nicht nur das Ergebnis der internationalen Konstellation war, sondern dass Berlin mit ihm auch einen ersten Pfosten für die Gegenrevolution einrammte. Denn dessen widersprüchliches Verhalten, trotz der Warnungen der Großmächte, den Krieg gegen Dänemark zu eröffnen und ihnen dann trotz erfolgreichen Feldzugs doch nachzugeben, erklärt sich auch durch die damit verfolgte antirevolutionäre Politik. Denn Preußen wollte mit dem Einmarsch in die Herzogtümer auch die freiheitliche Bewegung an seiner Flanke zumindest unter Kontrolle halten. Dass sich dann die Möglichkeit eröffnete, diese im Waffenstillstand auszuschalten, hat ihn für Preußen attraktiver gemacht. Die Reichsgewalt hätte diesen zuverlässigen Verbündeten nicht aufgeben dürfen. Sie hat immerhin erreicht, dass das neue Regime nicht allzu reaktionär wurde und entgegen der Bestimmung des Waffenstillstands die Provisorische Regierung länger im Amt und das Schicksal von deren Werk in der Schwebe blieb. 6.4 Schleswig-Holstein und der deutsche Nationalismus Wie war es möglich, dass der Streit um das nördliche Schleswig, ein kleiner Gebietsstreifen von wenigen Einwohnern, so eskalierte? Wie war es möglich, dass das revolutionäre Bürgertum in den Herzogtümern und in Frankfurt in einem solchen Umfang die internationale Machtkonstellation verkannte, die eigenen Möglichkeiten völlig überschätzte und diesem Konflikt einen solchen Stellenwert einräumte, dass dessen verhängnisvolle Folgen für das eigentliche und weitaus höhere Anliegen überhaupt nicht erkannt wurden? Die Lösung liegt wohl darin, dass die Debatte zwar über Schleswig und Schleswig-Holstein ging, ihr aber nicht artikulierte Motive und Emotionen zugrunde lagen, die allem eine weitere Dimension gaben. In Schleswig-Holstein hatte sich ein Bewusstsein von der Eigentümlichkeit des Landes und seiner Bewohner zunächst an der Frage der Unteilbarkeit der beiden Herzogtümer geformt. Dass man sich dabei auf spätmittelalterliche Verträge berufen konnte, hat diesem Empfinden auch noch eine historische 446 K. Mathy an A. Mathy, 2.9.1848: NL K. Mathy / L. Mathy (wie Anm. 35) 374.

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Patina verliehen. Je mehr die politischen Eliten dort einen eigenen Staat anstrebten, umso wichtiger wurde der Erhalt der Einheit unverzichtbare Voraussetzung der Staatlichkeit.447 Seit Ende der Dreißigerjahre verband sich dies mit einem Bewusstsein von der ethnischen Einheit, zumindest der deutschen Bewohner der Herzogtümer. Diese ging langsam über von der Selbstbehauptung zur Zurückweisung alles volkstümlich Fremden. In dieser Perspektive wurde der dänischen Politik immer mehr unterstellt, die nationale Eigenart vernichten zu wollen. Mit den von den Eiderdänen ausgehenden nationaldänischen Bestrebungen zu Beginn des Jahres 1848 wurde dies nicht mehr nur als möglich angesehen, sondern als vorsätzliche Strategie. Ein solcher Wandel des Bewusstseins hat sich nicht nur durch die Perspektive der schleswig-holsteinischen Eliten ergeben, sondern erhielt seine Kraft und seinen Schub auch und nicht zum geringsten durch die verstärkte Hinwendung nach Deutschland. Schleswig-Holstein identifizierte sich immer stärker mit den Belangen des deutschen Volkes und dieses mit denen der bedrohten Brüder im Norden. Auf einem kulturellen Fundament aufbauend, wurde seit den Dreißigerjahren die publizistische Verbindung auffallend eng. Schleswig-Holstein rückte in den deutschen Zeitungen, von denen jetzt auch einige Korrespondenten in die Herzogtümer schickten, immer mehr in den Fokus. Der offene Brief König Christians VIII. hat 1846 einen medialen Sturm der Entrüstung ausgelöst.448 Trotz einer ersten nationalistischen Aufwallung in den Befreiungskriegen blieb die Idee der deutschen Nation aufgrund ihrer romantischen Prägung stark kulturell; sie wurde mit dem Sprachraum identifiziert. Eine Vorstellung, die die Debatten um die Grenzen des neuen Staates in der Nationalversammlung beherrschte. Dieser Begriff wandelte sich ebenfalls schon in den frühen Dreißigerjahren durch die Aufnahme neuer Elemente. Durch die wirtschaftlichen Interessen des jetzt nach vorne drängenden Bürgertums, die Verdichtung des Raumes durch bessere Verkehrsverbindungen, insbesondere der Eisenbahn, und die Schaffung eines Deutschen Zollvereins wurde der Begriff der Nation wirtschaftlicher und materieller. Einen gewissen signifikanten Abschluss fand diese Entwicklung in der Abhandlung Friedrich Lists über das nationale System der politischen Ökonomie von 1841. Das Bestreben, über diesen Wirtschaftsraum hinauszugreifen, traf auf die Auswanderungswelle jener Jahre nach Nord- und Südamerika. Von den dort lebenden Familienmitgliedern und Verwandten gingen die Briefe selbst im letzten Dorf ein. Die Verortung der Nation in globaler Perspektive wurde 447 D. Hein: Deutsche Nation in Europa (wie Anm. 299) 170f. 448 Vgl. auch noch A. Geisthövel: Eigentümlichkeit und Macht (wie Anm. 367) 159ff.

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Allgemeingut. Für die jetzt diskutierte koloniale Siedlungspolitik zum Schutz der ausgewanderten Deutschen und die realistischer werdenden Aussichten des Welthandels war ein möglichst großes Deutschland Voraussetzung und für die diesen Aufbruch schützende Flotte ein Deutschland mit möglichst großer Küste und vielen Häfen. Je globaler die Konkurrenz, umso stärker musste die Nation sein. Diese in der deutschen Kleinstaaterei, die es zu überwinden galt, verloren gegangene Perspektive wurde auch in der Geschichte verortet. 1841 wurde die 600-jährige Gründung der Hanse landesweit gefeiert.449 Es blieb aber ein nationaler Minderwertigkeitskomplex, dessen Kompensation nicht wenig zu dem überzogenen Nationalismus beitrug, der die Debatten in der Nationalversammlung über das neue Deutschland prägte. Er hatte seine Wurzel in der Kleinstaaterei, die sich vom Bürgertum auch trefflich zum Kampf gegen die Fürsten instrumentalisieren ließ, die für den mangelnden inneren Zusammenhalt der Nation verantwortlich gemacht wurden. Dieser habe wiederum beutegierige Nachbarn dazu angestachelt, deutsches Land an sich zu reißen: so die Franzosen das Elsass, die Dänen Schleswig und die Russen die deutschen Ostseeprovinzen. Gerade die zaristische Despotie wurde immer mehr zur Metapher für Stagnation und Unterdrückung wie auch zum Gegner der nationalen Ambitionen eines demokratischen Deutschlands. Eine Sicht, die durch ihre Rolle in der Schleswig-Holstein-Frage bestätigt worden zu sein schien.450 Genauso wie das Bild vom beutegierigen Nachbarn durch die französischen Ansprüche auf die Rheingrenze in der Krise von 1841. Das „Lied der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, das diesem Empfinden seine Entstehung verdankt, popularisierte territorialen Nationalismus und kompensierte die außenpolitische Ohnmacht durch ein „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“. Schon zuvor hatte das Gedicht „Der freie Rhein“ in der Vertonung von Robert Schumann den Nerv der Zeit getroffen („Sie sollen ihn nicht haben den freien deutschen Rhein“). Und auch die politische Forderung nach einem geeinten, unabhängigen und deutschen Schleswig-Holstein wurde in einem Lied popularisiert, das zum ersten Mal auf dem Schleswiger Sängerfest von 1844 zum Vortrag kam. Dass „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“ dort als „deutscher Sitte hohe Wacht“ gefeiert wurde, vertrug sich damit, dass in der Öffentlichkeit seine handels- und flottenpolitische Bedeutung immer stärker in den Vordergrund trat.451

449 Ebenda 165ff. 450 Ebenda 168ff. 451 Ebenda 176ff.

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Eine weitere Kompensation für die nationale Ohnmacht war das Stereotyp von den kulturell wie sittlich überlegenen Deutschen, das bis auf die „Germania“ des Tacitus zurückgeführt wurde. Es wurde gerne mit dem Klischee von den aufmüpfigen und dekadenten Romanen und den zurückgebliebenen, im Despotismus lebenden Slawen kontrastiert.452 Er war eine der Quellen des überzogenen Nationalismus, der vor allem die Nationalversammlung blind für Realitäten machte. Weil sie verkannte, dass das starke Deutschland, von dem sie immer ausging, überhaupt noch nicht bestand, verlangte sie von den großen Nationen Gleichbehandlung und beanspruchte gegenüber den kleinen die Führung. Wenn diese fast ausschließlich vom Selbstbestimmungsrecht der sprachlich-kulturell verstandenen Nation motivierte Außenpolitik sich schließlich auch mit der kleindeutschen Minimallösung abfand, so fehlte sowohl der Nationalversammlung als auch dem Reichsministeriums die Einsicht, dass nationale Ambitionen nur innerhalb einer gesamteuropäischen Ordnung befriedigt werden könnten.453 6.5 Das Staatsgrundgesetz für Schleswig-Holstein Unbeeindruckt von der militärischen Lage im Land und den Turbulenzen, die sie in Frankfurt ausgelöst hatte, hat die Provisorische Regierung in Rendsburg ihr politisches Programm umgesetzt. Sie hatte sich sofort darangemacht, die Zensur aufzuheben wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu gewähren. Das war eine Zusage an den Kieler Bürgerverein gewesen, der daran auch erinnerte. Doch wollte sie, früher und erfolgreicher als die Nationalversammlung, auf diesem Wege ebenfalls ihren Rückhalt in der Bevölkerung festigen und die Voraussetzungen für die anstehenden demokratischen Wahlen schaffen. Es kam zu zahlreichen Zeitungsgründungen, unter anderem am 15. April die „Schleswig-holsteinische Zeitung“ als Organ der Regierung; gleichzeitig organisierten sich konstitutionell-liberale, konservative und Arbeitervereine. Sie dienten den Kandidaten, die sich für einen Sitz in der Deutschen Nationalversammlung bewarben, als Plattform. Das von der Regierung vorgelegte und von der Ständeversammlung am 18. April verabschiedete Wahlgesetz folgte den Vorgaben des Vorparlaments bzw. des Bundestags. Gemäßigt liberale Kandidaten hatten sich gegenüber den radikaleren und linksliberalen durchgesetzt. Fünf waren in Schleswig, wo die Abstimmung zunächst durch die Kämpfe behindert war, und sechs in Holstein gewählt worden, darunter mit Georg Waitz, Friedrich Christoph Dahlmann und Johann Gustav Droysen

452 Ebenda 168. 453 D. Hein: Deutsche Nation in Europa (wie Anm. 299) 174ff.

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allein drei Professoren der Geschichte.454 Noch einmal gab die Provisorische Regierung einen Beweis dafür, dass sich das demokratische Deutschland auf sie verlassen könne. Nachdem die Wahl des Reichsverwesers mit großer Begeisterung aufgenommen worden war, hat sie ihm in Paraden am 6. August auch die geforderte Huldigung nicht versagt.455 Mit vergleichbarem Enthusiasmus erarbeitete die Provisorische Regierung den Entwurf eines Wahlgesetzes für eine konstituierende verfassunggebende Versammlung. In den ihre Arbeit begleitenden Auseinandersetzungen war die Frage des Zensus heftig umstritten. Dennoch hat sich die Ständeversammlung am 7. Juli mehrheitlich dafür ausgesprochen, allen Männern ab 21 Jahren das aktive und ab 25 Jahren das passive Wahlrecht zuzugestehen; nur der Bezug von Armenunterstützung und eine strafrechtliche Verurteilung schlossen von der Wahl aus. Da die Wahlberechtigung an kein Religionsbekenntnis mehr gebunden war, räumte es den Juden politische Gleichberechtigung ein. Nicht wenigen Ständevertretern wird die Zustimmung dadurch erleichtert worden sein, dass die Präambel die Landesversammlung auf eine konstitutionellmonarchische Verfassung für die Herzogtümer verpflichtete.456 Gerade das Wahlgesetz war ein eindrucksvoller Beweis, dass die Provisorische Regierung trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtung effektiv zusammenarbeiten konnte. Doch ist es vielleicht noch bemerkenswerter, dass die Privilegierten in der Ständeversammlung diesem Gesetz, das ja der erste Schritt zu ihrer Abschaffung war, zustimmten und zuvor bereits die bürgerlichen Freiheitsrechte abgesegnet hatten. Wenn auch der Druck, der von den revolutionären Unruhen und dem Krieg gegen Dänemark ausging, in Rechnung zu stellen ist, so muss ihnen doch wie den Ständen Ungarns Einsicht in die Erfordernisse einer neuen Zeit bescheinigt werden. Die Wahlen wurden Ende Juli 1848 an mehreren Tagen durchgeführt. Wohl wegen der Erntezeit war die Beteiligung mit unter einem Fünftel der Wahlberechtigten recht gering. In den nordschleswigischen Wahlbezirken fanden sich in einigen Distrikten keine Kandidaten, wurde die Abstimmung von der dänischen Bevölkerung boykottiert und die deutsche wagte teilweise nicht, zu den Urnen zu gehen. Daher wurden statt der 120 nur 110 Abgeordnete bestimmt, von denen im Durchschnitt 100 anwesend waren. Noch mehr als bei den Wahlen zur Nationalversammlung wurden persönlich bekannte und geschätzte Honoratioren gewählt. Daher ist es wenig verwunderlich, dass bereits ein 454 M. Rackwitz; J. Jensen: Märzrevolution in Kiel (wie Anm. 373) 73ff. 455 Ebenda 93. 456 G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 389) 91f. u. M. Rackwitz; J. Jensen: Märzrevolution in Kiel (wie Anm. 373) 107f.

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Drittel aller Parlamentarier schon in der Ständeversammlung gesessen hatte. In ihrer sozialen Zusammensetzung unterschied sich die Landesversammlung von Schleswig-Holstein wenig von der Nationalversammlung. Es dominierten die Bildungsbürger und Staatsbediensteten; nur die regionalen Eliten wie Kommunalbeamte, Pastoren und Lehrer waren stärker als in Frankfurt vertreten.457 Der am 15. August eröffneten Versammlung wurde ein Verfassungsentwurf der Provisorischen Regierung vorgelegt. Mit dessen Beratung konnte sie aber nicht beginnen, da sie sich auf Druck Preußens und des Reichsministeriums vertagte, um die Waffenstillstandsverhandlungen in Malmö nicht zu gefährden. Der heftige Unmut darüber wurde dadurch aufgefangen, dass der Verfassungsausschuss weiterhin zusammenblieb. Weniger erfolgreich waren die zahlreichen Petitionen aus dem Land nach Frankfurt, kein Abkommen mit Dänemark zuzulassen, in dem Schleswig preisgegeben werden würde.458 Da Dänemark in der „Waffenstillstands-Konvention“ vom 26. August viel zu weit entgegengekommen worden war, zeigte die am 4. September in Kiel zusammengetretene Landesversammlung dagegen Flagge. Sie beanspruchte die Gesetzgebungshoheit für sich, wollte nur eine Exekutive anerkennen, die dem Willen des Volkes entsprach, und forderte die Nationalversammlung auf, den Waffenstillstand nicht anzuerkennen.459 Ein noch deutlicheres Zeichen war es, dass sie in Zusammenarbeit mit der weiter amtierenden Provisorischen Regierung bis zum 15. September ein Staatsgrundgesetz460 erarbeitete, das die „Herzogthümer Schleswig-Holstein“ zu einem „einzigen, untheilbaren Staat“ erhob, der „Bestandtheil“ des „deutschen Staatsverbandes“ sein sollte. Dass damit für die konstitutionelle Monarchie aufgeworfene Problem der Personalunion wurde dadurch gelöst, dass die Übernahme eines fremden Thrones nach Art. 45 nur mit Zustimmung der Landesversammlung möglich sein sollte. Nach Art. 55 sollte die Herzogswürde nur über die männliche Linie im Hause Oldenburg vererbt werden. Angesichts der Kinderlosigkeit des derzeitigen Königs war daher das Ende der dänischen Herrschaft absehbar, die durch eine einheimische Dynastie abzulösen war!461 Die noch gar nicht erarbeitete Verfassung des Vaterlandes wie auch die von den „zukünftigen verfassungsmäßigen Gewalten Deutschlands erlassenen oder zu erlassenden Gesetze“ „sollten uneingeschränkt“ im Land angewendet werden. Das „Staatsgrundgesetz“ gewährte darüber hinaus alle Grund- und 457 458 459 460

Ebenda 110ff. Ebenda 119ff. Ebenda 129. Vgl. Staatsgrundgesetz für die Herzogthümer Schleswig-Holstein, 15.9.1848. Rendsburg 1848. 461 F. Möller: Schleswig-Holstein (wie Anm. 383) 317.

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Freiheitsrechte wie rechtsstaatliche Sicherheiten und garantierte den „bestehenden Gebrauch der Sprachen“. Dem auch der Mehrheit in Frankfurt unverzichtbaren Vereinbarungsprinzip wurde erneut durch eine Fiktion Rechnung getragen, indem die Zustimmung zur Verfassung durch die Provisorische Regierung „namens des Landesherrn“ erfolgte. Angesichts der Gefahr, dass alles umsonst sein könnte, haben Versammlung und Provisorische Regierung in einer beeindruckenden Geschwindigkeit die Verfassung einer konstitutionellen Monarchie entworfen, die vor allen Dingen durch die starke Stellung des Parlaments und ihren umfangreichen Katalog der Grundrechte beeindruckte.462 Als Gegengewicht zu dieser demokratischen Grundstruktur wurde als Kompromiss und Entgegenkommen gegenüber den Konservativen ein restriktiveres Wahlrecht als das bisherige verabschiedet. Nur noch die Hälfte der 100 Abgeordneten der zukünftigen Landesversammlung sollte aus einer allgemeinen und gleichen Wahl hervorgehen, die andere nach einem Zensus, der das Übergewicht von Besitzbürgern und Grundbesitzern sicherte. Die Konstruktion, welche die Verfassung für Schleswig anstrebte, nämlich die Mitgliedschaft der vereinigten Herzogtümer im Deutschen Bund bei gleichzeitiger Personalunion mit dem dänischen König, entsprang aus dem monarchischen Staatsrecht des Ancien Régime. Mit dem Vordringen des nationalen Staatsrechts im 19. Jahrhundert waren solche Lösungen nicht mehr praktikabel. So hat ja die Reichsverfassung von 1849 ebenfalls ausgeschlossen, dass ein ausländischer Monarch Herrscher in einem Bundesstaat sein könne. Daher müssen die Eingliederung Schleswigs in den deutschen Staatsverband und die prospektive Begründung einer eigenen Dynastie als politische Ziele angesehen werden, deren Verwirklichung schon zum Zeitpunkt der Proklamierung nicht mehr realistisch war. Das galt freilich für das gesamte Verfassungswerk ebenfalls. Trotzdem wurde die Ministerverantwortlichkeit eigens geregelt und eine Städteordnung verabschiedet, die den Bürgern mehr Mitbestimmung einräumte. Die anstehende Trennung der Justiz von der Verwaltung wurde nicht mehr angegangen.463 Im Gegensatz zur Nationalversammlung und der Provisorischen Zentralgewalt konnten die schleswig-holsteinischen Institutionen

462 Die in der Geschichtsschreibung Schleswig-Holsteins vertretene Ansicht, das Staatsgrundgesetz sei die erste deutsche Verfassung mit einem umfangreichen Katalog von Grundrechten gewesen, stimmt nicht. Die konstitutionellen Verfassungen Süd- und Mitteldeutschlands, die nach dem Wiener Kongress erlassen wurden, haben vergleichbare Grundrechte. Auch die Aussage, dass das Staatsgrundgesetz bis zu diesem Zeitpunkt die liberalste Verfassung Deutschlands gewesen sei, ist von daher zu relativieren. 463 M. Rackwitz; J. Jensen: Märzrevolution in Kiel (wie Anm. 373) 143f.

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für sich in Anspruch nehmen, rechtzeitig die ihnen drohende Gefahr erkannt und daraus die Konsequenzen gezogen zu haben. Die Provisorische Regierung Schleswig-Holsteins sah sich mit allen klassischen Aufgaben einer revolutionären Exekutive konfrontiert: Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft, Verfassungsgebung, Staatsgründung und Kriegsführung. In der kurzen Zeit ihres Bestehens hat sie diese Aufgaben erstaunlich erfolgreich bewältigt. Das war zum einen wohl darauf zurückzuführen, dass die Volksbewegung uneingeschränkt hinter ihr stand und in ihren Reihen die politischen Kräfte von den Linksliberalen bis hin zu den Reformkonservativen eingebunden waren. In mancher Hinsicht mit den gleichzeitigen Märzministerien vergleichbar, hatte sie aber ganz andere Spielräume als diese, da sie nicht die Regierung eines Fürsten gewesen ist. Dass sie deswegen eine enge politische Anlehnung an die Reichsgewalten und eine militärische an Preußen suchen musste, hat ihre Handlungsfreiheit nicht beschränkt. Die Aporie ihrer Existenz war die Fiktion, dass der Landesherr nicht habe handeln können. Doch hat König Friedrich VII. die eiderdänische Regierung freiwillig berufen und sie war rechtmäßig ins Amt gelangt. So kam es zu dem Selbstbetrug, dass sie gegen einen Fürsten Krieg führte, dessen Rechte sie zu verteidigen beanspruchte! Sie wollte in ihrem Selbstverständnis keine Revolutionsregierung sein, war es aber in ihrem Handeln. Schon die Einberufung der Stände am 18. März war ein revolutionärer Akt gewesen und noch mehr die folgenden, nicht zuletzt die Eingliederung Schleswigs in das neue Deutschland. Sie hatte ihr Wirken ja von Anfang an als vorläufig angesehen, um unter anderem auch die Trennung von Dänemark nicht als endgültig erscheinen zu lassen. Ihr Ende ist aber dann in einer Form erfolgt, mit der sie nicht gerechnet hatte. Sie war die einzige Exekutive der Revolution in Europa, die durch ein völkerrechtliches Abkommen aufgehoben wurde. 6.6 Schleswig-Holstein als letztes Bollwerk der deutschen Revolution Die Provisorische Regierung räumte der von den beiden ausländischen Mächten angeordneten gemeinsamen Regierung für Schleswig und Holstein am 22. Oktober das Feld. Ihr gehörten unter dem Präsidenten Graf Theodor Reventlow-Jersbeck vier Minister an.464 Von den fünf Regierungsmitgliedern waren drei konservativ und zwei bürgerlich liberal. Sie war eine Kompromisskonstruktion, die ihresgleichen suchte. Ihrer Bildung war eine Verständigung zwischen Berlin und Dänemark vorausgegangen. Für die Reichsgewalt hatte sich ihr harsches Auftreten gegen Preußen nach dem Waffenstillstand von Malmö insofern gelohnt, als sie nun gemeinsam mit Dänemark diese 464 Zusammensetzung: G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 389) 192.

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Regierung offiziell am 22. Oktober einsetzen durfte. Sie übernahm aber ihr Amt im Namen des dänischen Königs als Herzog von Schleswig und Holstein, der auf sie überhaupt keinen Einfluss hatte!465 Es sollte sich schnell zeigen, dass dies keine guten Voraussetzungen für effektives Regieren waren. Um die Abneigung der Bevölkerung und die Blockade der Landesversammlung, der jegliche Gesetzgebung untersagt war, zu überwinden, wurden einige Konzessionen gemacht. Sie waren bereits unverbindlich zugesagt worden, um die Annahme des Waffenstillstands in Frankfurt zu sichern. Der dänische Minister Carl Graf Moltke wurde nicht Präsident und die Maßnahmen der Provisorischen Regierung wie auch das Staatsgrundgesetz blieben in Kraft. Das aber änderte nichts daran, dass Bevölkerung und Landesversammlung der gemeinsamen Regierung jegliche Legitimität absprachen. Die Stellung Preußens wurde sogar stärker. Es stellte weiterhin die meisten Offiziere in der schleswig-holsteinischen Armee, deren Oberkommandierender am 27. September jetzt auch noch der preußische Generalmajor Eduard von Bonin wurde. Denn der Kriegsminister war am 19. August wegen fortgesetzter Streitereien aus der Regierung ausgeschieden und hatte am 9. September auch den Oberbefehl niedergelegt. An diesem Tag hat von Bonin nach dem Rücktritt von Wrangels auch das Kommando über die Bundestruppen übernommen. In dieser Funktion wurde er am 23. Oktober vom Reichsverweser bestätigt.466 Der neue Oberkommandierende hat sofort die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, worin ihm der dänische König Ende September vorausgegangen war. Dennoch hielt sich Berlin zurück. Zu den bisher mit den Großmächten und den Frankfurter Institutionen gemachten Erfahrungen kam nun das Schwanken des antiliberalen Ministeriums Brandenburg, ob es in Schleswig-Holstein Preußens deutsche Mission erfüllen oder eine freiheitliche Bewegung eindämmen solle.467 Auch für die überraschend wieder ins Spiel gekommene Reichsgewalt erwies sich der Boden als morastig. Ihr anerkennenswertes Ziel war es, einen Frieden für das Land zustande zu bringen. Daher bestand ihr Kommissar in Abstimmung mit Dänemark auf strikter Einhaltung des Waffenstillstands und vergrätzte sich so die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner. Die in Kopenhagen ausgehandelten Bedingungen, die ein fast unabhängiges Schleswig unter einem Statthalter des Herzogs vorsahen, stießen bei diesen auf scharfe Ablehnung. Der Grundsatz „up ewig ungedeelt“ war für sie nicht verhandelbar.468 So kam 465 466 467 468

Ebenda 100. G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 389) 99. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm.30) 338. Ebenda 338f., 341.

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es statt zu einem Frieden mit Dänemark, um den sich auch Großbritannien bemühte, zu einem heftigen Streit mit jenem über Kompetenzen und Legitimität der gemeinsamen Regierung, die der dänische König seit Mitte Dezember als eine rebellische qualifizierte.469 Von Russland diplomatisch gestützt, nahm er nach Ablauf des Waffenstillstands die Kriegshandlungen wieder auf, damit sich die gegenwärtigen Verhältnisse in den Herzogtümern nicht verfestigten. Angesichts dieser Spannungen hatten beide Seiten schon zuvor die Vorbereitungen für eine erneute Auseinandersetzung getroffen. Die Reichsgewalt agierte tatkräftig wie selten. Bereits im Januar erhielt der Kriegsminister den Auftrag, ein Bundesheer von rund 60.000 Mann, das nur noch zu einem Viertel aus Preußen bestand, aufzustellen. Den Oberbefehl hatte aber der preußische General Ernst von Prittwitz, der im Einvernehmen mit König Friedrich Wilhelm ernannt, doch auf den Reichsverweser vereidigt worden war. Die strategischen und politischen Anweisungen erteilte ihm der Reichskriegsminister, der auf der Unterordnung Preußens wie Schleswig-Holsteins bestand.470 Nachdem die Rechtsgrundlage für die gemeinsame Regierung entfallen war, setzte das Reichsministerium am 26. März 1849 „eine Statthalterschaft für die Herzogthümer Schleswig-Holstein im Namen und Auftrag der Centralgewalt Deutschlands“ ein. Diese sollte die „Regierung der Herzogthümer im Namen der Reichsgewalt mit Vorbehalt der Rechte des Landesherrn, nach den Bestimmungen des, nach thatsächlicher Wirksamkeit bestehenden Staatsgrundgesetzes bis zum Abschluß eines Friedens“ ausüben.471 Die beiden Statthalter, Klosterpropst Friedrich Graf von Reventlou-Preetz472 und der derzeitige Vizepräsident der Nationalversammlung, Advokat Wilhelm Hartwig Beseler, hatten schon der Provisorischen Regierung angehört. Sie waren in Abstimmung mit der Landesversammlung ernannt und durch den Kommissar der Reichsgewalt vereidigt worden.473 Auf die Berufung eines dritten Mitglieds konnten sich beide bis zum Ende der Statthalterschaft im Januar 1851 nicht einigen.474 Gegen den Widerstand des Reichskommissars wurde die Landesversammlung 469 A. v. Bezold: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 370) 91. 470 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm.30) 343. 471 Vgl. die Proklamation des Kommissars der Reichsgewalt Eduard Franz Souchay vom 26.3.1849: Baudissin, Adalbert Graf: Geschichte des Schleswig-Holsteinischen Kriegs. – Hannover 1862, 342. 472 Die Schreibweise für Mitglieder der holsteinisch-mecklenburgische Adelsfamilie „Reventlow“ wechselt. Das Mitglied der Provisorischen Regierung von Schlesweig-Holstein und der Statthalterschaft, Gf. Friedrich, bevorzugte meist „Reventlou“ mit dem Zusatz „Preetz“, nach dem evangelischen adligen Damenstift, dessen Propst er seit 1836 war. 473 F. Möller: Schleswig-Holstein (wie Anm. 383) 473. 474 G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm.  389) 115ff. und A. v. Bezold: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 370) 91f.

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einberufen, auf deren Unterstützung für den Krieg wie für dessen Finanzierung über Anleihen die Statthalterschaft nicht verzichten wollte. Mit dessen Eröffnung ging sie sogar noch einen Schritt weiter, indem sie die Personalunion mit dem dänischen König über Bord warf.475 Wider Erwarten hatte die Reichsgewalt noch einmal die Chance bekommen, sich in der Schleswig-Holstein-Frage zu bewähren, bei der sie im Sommer zuvor so schmählich versagt hatte. Zunächst schien es auch so, als ob man diesmal zum Erfolg kommen könne. Ja, dass selbst die schon weit und mächtig fortgeschrittene fürstliche Konterrevolution eingedämmt werden würde. Denn zu dem neuen Aufbruch des Frühjahrs 1849, wie er in der Märzvereinsbewegung und im zielgerichteten Abschluss der Verfassungsarbeit der Nationalversammlung zum Ausdruck kam, traten die militärischen Erfolge im Kampf gegen Dänemark. Anfang April eroberten die Schleswig-Holsteiner die Seefestung Eckernförde und kaperten eine dänische Fregatte, die von der Reichsmarine übernommen wurde. Ohne großen Widerstand drangen nun die deutschen Truppen bis Kolding vor. Von der Begeisterung mitgerissen und um die maritime Unterlegenheit zu kompensieren, überschritt von Prittwitz entgegen seinem ursprünglichen Plan und zum Missfallen seines Königs die dänische Grenze.476 Bis zum Sommer stand der Feind mit Billigung der Reichsgewalt tief im Land. Aus Furcht vor einem europäischen Konflikt ließ sie zugleich verlauten, dass keine Eroberungsabsichten bestünden.477 Prittwitz musste aber Anfang Juli die Belagerung von Fredericia, einer Festung am Kleinen Belt, aufgeben und zurückweichen.478 Bis dahin war die erneut aufgeflammte Begeisterung für Vaterland und Freiheit und der Enthusiasmus für die Flotte längst verflogen. Der Vormarsch der Konterrevolution, die Auflösung der Nationalversammlung und die vollständige politische Umorientierung der Reichsgewalt hatten allem den Boden entzogen. Das hat Preußen, das inzwischen die Liquidierung der Revolution im eigenen Land eingeleitet hatte, wiederum in die Lage versetzt, über das Schicksal Schleswig-Holsteins entscheiden zu können. Seit es sich Mitte Mai mit der Zentralgewalt im Streit um die Führung in Deutschland überworfen hatte, musste es auf diese keine Rücksicht mehr nehmen. Sein Gesandter in London

475 A. Scharff: Wesen und Bedeutung (wie Anm. 359) 17. 476 Pr. Staatsmin. vom 15.4. u. 1.5.1849: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums: 1817–1934/38. – Band:4,1: 30. März 1848 bis 27. Oktober 1858 / bearb. von Bärbel Holtz. – Hildesheim [u. a.] 2003. – (Acta Borussica: Neue Folge; 1,4,2) Nr. 51, 56. 477 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 293. 478 J. Nielsen: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 395) 32ff.

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erhielt die Anweisung, dort deren Anliegen nicht mehr länger zu vertreten.479 Die preußischen Truppen in den Herzogtümern wurden der Befehlsgewalt Frankfurts entzogen, doch „der Oberbefehlshaber des aus den Kontingenten verschiedener Staaten zusammengesetzten Heeres“ verblieb in „Eid und Pflicht des Reiches“.480 König Friedrich Wilhelm übernahm „kraft seiner Souveränität“ auch noch die bisher im Namen des Reiches in London geführten Verhandlungen mit Dänemark „für Preußen selbstständig“ und transferierte sie nach Berlin. Der Vorwand dafür war, dass die Zentralgewalt nach der Auflösung der Nationalversammlung außenpolitisch nicht mehr handlungsfähig sei.481 Frei von Rücksichten schloss das Königreich Preußen am 10. Juli auch im Namen des Deutschen Bundes erneut einen Waffenstillstand mit Dänemark von sechs Monaten. Schon im Mai wurde Jütland mit Rücksicht auf Russland geräumt.482 Schleswig wurde einer preußisch-dänischen Landesverwaltung unter britischem Vorsitz unterstellt und die Statthalterschaft auf Holstein beschränkt.483 Diese und die Landesversammlung leisteten weiterhin Widerstand, den die Zentralgewalt unterstützte.484 Doch waren beide letztlich auf sich allein gestellt. Denn die letzten Bundestruppen verließen Ende August das Land und Preußen zog seine Offiziere aus der schleswig-holsteinischen Armee zurück.485 Auch dieser Waffenstillstand wurde in Deutschland als eine nationale Schmach empfunden. Daher versuchten Preußen und die Zentralgewalt während ihrer Rivalität um die legitime Repräsentation der deutschen Einheit, sich gegenseitig die Verantwortung dafür zuzuschieben. Während Berlin behauptete, die Zentralgewalt habe einer solchen Lösung bereits im Februar zugestimmt, hat diese alle Rechte Deutschlands bei einem künftigen Frieden

479 Jacobi, Helmut: Die letzten Monate der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland: (März – Dezember 1849). – Frankfurt a. M. 1956, 104f. 480 MP Wittgenstein an sämtliche dt. Reg., o. D.: Erzherzog Johann als Reichsverweser: Der unveröffentlichte Briefwechsel mit Felix Fürst zu Schwarzenberg aus den Jahren 1848 und 1849 / hrsg. von Ernst Hoor. – Wien 1981, 208. 481 Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 28.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 64f. 482 Pr. Staatsmin. vom 18.5.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 67. Vgl. auch noch: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 304. 483 Druck: A. v. Baudissin: Schleswig-Holsteinischer Krieg (wie Anm. 471) 439ff. und DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 463f. 484 MP Wittgenstein an die Statthalterschaft, 23.7.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 206f. 485 G. Stolz: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 389) 140ff.

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vorbehalten486 und es als ihre „heilige Pflicht“ proklamiert, die wohlerworbenen Rechte der Herzogtümer zu schützen.487 Sie konnte aber nicht daran denken, den Waffenstillstand zu verwerfen und den Krieg fortzusetzen, wie dies die Statthalterschaft forderte. Dafür fehlten ihr die Mittel und es bestand die Gefahr, dass dann die demokratischen Elemente in Schleswig und Holstein gestärkt würden, die man zur gleichen Zeit in der Pfalz und Baden bekämpfte.488 So blieb nur, wie es Schwarzenberg dem Erzherzog empfahl, den Waffenstillstand von Berlin zu nutzen, um das Ansehen Preußens bei den Bundesstaaten zu unterhöhlen, um die es sich für sein Unionsprojekt bemühte.489 In Wahrheit war die Zentralgewalt froh, dass das Königreich die Last des von England und Russland erzwungenen Waffenstillstands, den auch sie nicht hätte anders schließen können, auf sich genommen hatte.490 In einem Zirkularschreiben an die Regierungen der deutschen Staaten vom 4. August  1849 brandmarkte sie Preußens eigenmächtige Kriegführung und Friedensverhandlungen als einen schweren Verstoß gegen die „Fundamentalsätze des Deutschen Bundesrechtes“. Dennoch musste sie anerkennen, dass es zur Einstellung der Feindseligkeiten keine Alternative gebe.491 Drei Monate später sah sie sich gezwungen, die Statthalter wissen zu lassen, dass sie „keinen Widerspruch erheben werde, wenn die constitutionelle Frage zwischen den Herzogthümern und ihrem Herzoge“ in einer Weise gelöst würde, welche „dem Lande Schleswig eine abgesonderte politische Selbstständigkeit ohne Einverleibung in Deutschland anweisen würde.“ Die Statthalterschaft wurde ermuntert, weiter im Amt zu bleiben. Als Unterstützung dafür konnte das Reichsministerium allerdings nichts anderes anbieten, als dass es das

486 MP Wittgenstein an die Statthalterschaft von Schleswig-Holstein, 23.7.1849 und ZD an die dt. Bundesstaaten, 4.8.1849: BA, DB 52/12. 487 Der RV versicherte der Statthalterschaft, dass er es „als eine heilige Pflicht erkenne, die wohlerworbenen Rechte der Herzogthümer mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln … zu schützen“: RV an die Statthalterschaft der Herzogtümer Schleswig-Holstein, 28.7.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung des deutschen Reichsministeriums von 1849: unter Vorsitz des Fürsten August zu Wittgenstein-Berleburg in Frankfurt am Main / hrsg. von August Jochmus von Cotignola; Georg Martin Thomas. – Berlin 1883. – (August von Jochmus’ Gesammelte Schriften; 3) 50. 488 A. v. Jochmus an MP Wittgenstein, 28.7.1849: ebenda 56f. 489 Schwarzenberg an Ehg. Johann, 31.7.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 199f. H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 151f. 490 Ehg. Johann an Schwarzenberg, 5.8.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 202. 491 ZD an die dt. Bundesstaaten, 4.8.1849: BA, DB 52/12.

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Schicksal der Herzogtümer „der künftigen interimistischen Bundesgewalt“ ans Herz legen würde.492 Inzwischen war die interimistische Bundeskommission eingesetzt worden und damit hatten die Herzogtümer ihren Rückhalt an Deutschland verloren. Und obwohl zugleich die Großmächte geschlossen auf die Wiederherstellung des dänischen Königreiches drangen, gaben die Schleswig-Holsteiner ihre Sache noch nicht verloren. Aus ihren Stellungen südlich der Eider rückten sie 1850 unter dem Kommando eines entlassenen preußischen Generals wieder bis Schleswig vor. Ende Juli erlitten sie in der blutigsten Schlacht des gesamten Krieges bei Idstedt eine so schwere Niederlage, dass weitere Operationen im Feld nicht mehr möglich waren.493 Die Rückzugsgefechte, an denen sich jetzt auch der ehemalige Präsident der Nationalversammlung Heinrich von Gagern als Volontäroffizier beteiligte, zogen sich bis Ende des Jahres hin. Schon in der Mitte des Jahres war im Friedensvertrag zwischen Dänemark und Preußen, das ebenfalls im Namen des Deutschen Bundes unterzeichnete, das Schicksal der Statthalterschaft besiegelt worden. In dem Abkommen wurde der Deutsche Bund verpflichtet, die Rechte des dänischen Königs als Herzog von Holstein wiederherzustellen. Sollte dies nicht gelingen, durfte der König militärisch gegen die Statthalterschaft vorgehen. Eine gemischte Kommission sollte die Grenze des Gebiets im dänischen Königreich, das zum Deutschen Bund gehörte, festlegen.494 In Vollzug des Vertrages lösten zu Beginn des Jahres 1851 zwei Bundeskommissare die Statthalterschaft und die im Juli neugewählte Landesversammlung auf, die bis dahin allen internationalen Abkommen trotzig widerstanden hatten.495 Zwei Monate später folgten die Reste der Armee, die bis zum Schluss unter schwarz-rot-goldener Fahne gekämpft hatte. Mit der Wiedereinsetzung des dänischen Königs als Herzog von Schleswig und Holstein war es nicht nur mit der Unabhängigkeit der Landesteile vorbei, sondern auch mit dem demokratischen Erbe der Provisorischen Regierung. Um den Neuanfang, der wie auch in Deutschland nichts Anderes war als die Wiederherstellung der alten Verhältnisse, zu erleichtern, erließ er im Mai ein Amnestiepatent. Die Mitglieder der Provisorischen Regierung und die Offiziere fielen nicht darunter. Sie verließen ihre Heimat in Richtung Deutschland oder Übersee. 492 MP Wittgenstein an die Statthalterschaft von Schleswig-Holstein, 4.11.1849 und RV an die Statthalterschaft von Schleswig-Holstein, 4.11.1849: BA, DB 52/15. 493 J. Nielsen: Schleswig-holsteinische Erhebung (wie Anm. 395) 43ff. 494 Druck des Berliner Vertrags vom 2.7.1850: A. v. Baudissin: Schleswig-Holsteinischer Krieg (wie Anm. 471) 526ff. und DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 463f. 495 F. Möller: Schleswig-Holstein (wie Anm. 383) 322f.

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Es ist fast völlig vergessen, dass die deutsche Revolution von 1848 nach ihrer Liquidierung im Sommer 1849 im Norden noch etwa eineinhalb Jahre weiterging. Denn bis dahin stehen die Ereignisse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erhebung des März 1848 und bis dahin existierte der unabhängige Staat Schleswig-Holstein. Er war der Form nach faktisch eine Republik, obwohl die Mehrheit eine konstitutionelle Monarchie bevorzugte. Hatte dieser Staat nun drei Revolutionsregierungen gehabt?496 Eher nicht. Zweifellos war dies die Provisorische Regierung trotz ihres antirevolutionären Selbstverständnisses gewesen. Der Weg zu ihrer Entstehung und ihre ersten Handlungen verstießen gegen die überlieferte Verfassung. Wie jede klassische revolutionäre Exekutive wollte sie die bestehenden politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse umgestalten und führte gegen den legitimen Herrscher Krieg. Die gemeinsame Regierung war eher eine Besatzungsverwaltung. Schon allein die Tatsache, dass sie durch zwei absolute Monarchien eingesetzt worden war, nahm ihr jeden aufrührerischen Nimbus. Sie wollte und sie konnte aber auch nicht irgendetwas an den geschaffenen Strukturen ändern. Die Statthalterschaft war soweit eine revolutionäre Regierung, wie es die Provisorische Zentralgewalt für Deutschland, die sie eingesetzt hatte und in deren Namen sie zunächst handelte, gewesen ist. Durch die Dynamik der Verhältnisse getrieben, hat sie sich dann eindeutiger als revolutionäre Exekutive profiliert, indem sie mit gewaltsamen Mitteln versuchte, das Erbe der Provisorischen Regierung doch noch zu verwirklichen. Während die Aufständischen in Baden, Sachsen und der Pfalz gegen ihre angestammten Herrscherhäuser rebellierten, ist die schleswig-holsteinische Erhebung eher mit dem Kampf der Ungarn um eine möglichst große nationale Autonomie in einem Staatsverband vergleichbar.497 In Schleswig-Holstein und in Ungarn ging dies mit einer grundlegenden Umgestaltung der politischen Verfassung im Sinne des zeitgenössischen Liberalismus einher. 7.

Die Bekämpfung von Unruhen

Das Feld, das die bürgerliche Reformbewegung eröffnet hatte, betraten, während sich diese in den Institutionen von Frankfurt verfestigte, inzwischen auch andere. Das taten die Arbeiter in Paris und die Bauern in der Provinz in Frankreich 1830 und 1848 wie auch die städtischen und ländlichen Unterschichten in 496 Ebenda. 497 Dazu jetzt Ruppert, Karsten: Ungarns Kampf um Erneuerung und Unabhängigkeit. – In: Die Exekutiven der Revolutionen (wie Anm. 331) 428ff.

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den Revolutionen der italienischen Staaten. In Deutschland organisierte sich das durch die Wirtschaftskrise und den Strukturumbruch schon seit Längerem darbende Handwerk und Gewerbe, trug seine Anliegen in die Öffentlichkeit und war im Juli zu einem großen Kongress in Frankfurt zusammengekommen. Auch die Arbeiter hatten sich in manchen Teilen des Landes in Vereinen versammelt, meist nicht einmal auf eigene Initiative. Sie hatten sich bis zum Sommer soweit vernetzt, dass sie auf einem ersten Reichskongress Anfang September sich über ihre wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen verständigen konnten. Ideologische Schützenhilfe erhielten sie von radikal sozialistischen und kommunistischen Bürgern. Sie waren zum Teil aus der Verbannung zurückgeströmt und fanden in der am 1. Juli 1848 gegründeten „Neuen Rheinischen Zeitung“ ihr Sprachrohr. Sie wurde von Karl Marx geleitet, der zusammen mit dem Unternehmer Friedrich Engels im Februar des Jahres in London das „Kommunistischen Manifest“ herausgebracht hatte. Es rief zum Klassenkampf, der internationalen Zusammenarbeit des Proletariats und zu dessen Diktatur auf. Die politisch profilierteste Bewegung jener Tage waren die radikaldemokratischen Vereine. Sie standen zwar durchgehend unter bürgerlicher Führung, sprachen aber desgleichen Handwerker, Gewerbetreibende und unterbürgerliche Schichten an, deren Interessen sie auch nachdrücklich artikulierten. Während der Märzbewegung noch wenig verbunden, hatten sie inzwischen ein reichsweites Netz aufgebaut und sich auf nationalen wie regionalen Konferenzen498 abgestimmt. Ihre Verbindungen zur Linken in den Ständeversammlungen der Bundesstaaten und der Nationalversammlung war eng. Sie verstanden sich als die demokratisch-republikanische Alternative zum dort dominierenden „Juste-Milieu-Liberalismus“.499 Diese politische Sammlung und Organisierung von wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Interessen war immer wieder begleitet von regionalen und lokalen Unruhen, vornehmlich im Westen und Süden Deutschlands wie in den Städten Wien, Berlin und Köln. Hier traten politische Kräfte in Erscheinung, die fürchteten, dass die Revolution des März in einem Kompromiss zwischen Liberalen, Konservativen und Fürsten enden würde. Sie sahen in der Krise der Frankfurter Institutionen vom September die Chance, dies zu verhindern. Sie haben sich daher den in Frankfurt am 17. ausgebrochenen Protesten 498 Vgl. auch Dressel, Guido: Bajonette für die Revolution?: Entstehung und Wirkung der Reichsintervention in Sachsen-Altenburg. – In: Die Revolution von 1848/49 in Thüringen: Aktionsräume – Handlungsebenen – Wirkungen / hrsg. von Hans-Werner Hahn; Werner Greiling. – Rudolstadt 1998, 71–91, hier 77, 88. 499 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 682ff.

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angeschlossen. Sie haben sich dann aber sowohl von den Gewaltexzessen mit 80 Todesopfern, darunter zwei Abgeordnete, wie von dem Einsatz der Bundestruppen verschreckt, zurückgezogen. Die Reichsgewalt hat es aber nicht bei der Verhängung des Belage­ rungszustandes,500 Verfolgung und Bestrafung belassen. Sie hat darüber hinaus ein eigenes Gesetz zum Schutz der Reichsinstitutionen erlassen501 und eine Sicherheitsbehörde für die Tagungsstadt und ihre Umgebung eingesetzt. Mit der durch die erfolgreiche Niederschlagung des Frankfurter Aufstands neugewonnenen Autorität präsentierte sich die Zentralgewalt als Ordnungsmacht der Stunde. Im gemeinsamen Ziel, die Gewalt zu bekämpfen und die Geltung der Gesetze wiederherzustellen, ordneten sich ihr Militärs und Behörden der Bundesstaaten zeitweilig unter. Fünf Kontingente von Bundestruppen von je 10.000 Mann wurden in die unruhigsten Teile Deutschlands beordert. Die Bundesstaaten wurden angehalten, konsequent die Verstöße der Presse gegen das Strafgesetzbuch zu ahnden, die politischen Vereine zu kontrollieren und deren Versammlungen zu überwachen.502 Auf die Verkündung und Anwendung aller Reichsgesetze wurde nochmals nachdrücklich hingewiesen.503 Man schreckte aber davor zurück, Presse- und Versammlungsfreiheit weiter einzuschränken und zugleich Untersuchungen gegen linke Abgeordnete einzuleiten, wie es der Unterstaatssekretär im Innenministerium Friedrich Daniel Bassermann vorgeschlagen hatte.504 Das roch zu sehr nach altem System. Mit gleicher Tatkraft wurde den Regierungen in einigen kleineren Staaten, die mit vergleichbaren Unruhen zu kämpfen hatten, durch die Entsendung von Reichskommissaren geholfen. Sie koordinierten die militärischen Aktionen, drangen auf Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung und versuchten, die konstitutionellen Kräfte vor Ort zu stärken.505 Die Reichsregierung schloss damit an die Politik der meist aus der bürgerlich-konstitutionellen Opposition heraus berufenen März-Ministerien in den Bundesstaaten an. Sie hatten bereits ähnliche Gesetze auf die Bahn gebracht wie das Reichsministerium im September und Oktober und waren gegen immer wieder 500 Erklärung des Belagerungszustandes durch den RV, 18.9.1848, und dessen Aufruf „An das deutsche Volk!“: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 374, 375. 501 RG zum Schutze der verfassungsgebenden Reichsversammlung und der Beamten der provisorischen Centralgewalt vom 10.10.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 282f. 502 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 253ff. 503 RG betreffend die Verkündung der Reichsgesetze und der Verfügungen der PZG, 27.9.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 281f. 504 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 224. 505 Vgl. z. B. Zerback, Ralf: Die Reichsregierung und Thüringen 1848/49. – In: Die Revolution von 1848/49 in Thüringen (wie Anm. 498) 275–289, hier 275ff.

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aufflackernde Unruhen vorgegangen. Indem sie so wie auch die Reichsgewalt die institutionalisierte Revolution des Bürgertums gegen Radikaldemokraten und Sozialrevolutionäre verteidigten, schwächten sie zwangsläufig und unvermeidlich zur Genugtuung der Fürsten, die sie berufen hatten, den Rückhalt, auf den sie angewiesen waren.506 Im Gefolge dieser Tumulte wäre die Provisorische Zentralgewalt beinahe in den Besitz von Staatsgebiet gekommen und der Reichsverweser wäre nicht mehr „Johann ohne Land“ gewesen – einer der vielen Spottnamen, mit denen ihn Satiriker und Karikaturisten gerne belegten. Angesichts der Hilflosigkeit gegenüber den Unruhen in ihren Ländern und der Absicht der Nationalversammlung, die kleineren Staaten zu mediatisieren, erwogen die regierenden Fürsten der beiden hohenzollerschen Fürstentümern, ihre Herrschaftsrechte an die Reichsregierung unter Vorbehalt ihres Hausbesitzes abzutreten. Mit Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen war es bis Anfang Dezember 1848 zu einem Vorvertrag gekommen.507 Gegen eine solche Aufwertung der Rivalin schritt der stammverwandte König von Preußen ein. Aufgrund von hausinternen Verträgen konnte er Erbansprüche geltend machen und schon vor der Zentralgewalt waren ihm die Fürstentümer zur Übernahme angeboten worden. Davon hatte er Abstand genommen, da er Verwicklungen im unruhigen Süddeutschland fürchtete. Seine Intervention hat aber immerhin bewirkt, dass die Angelegenheit verschleppt wurde. Nach der Revolution hat Preußen dann mit der Übernahme im April 1850 der Selbstständigkeit der hohenzollerschen Stammlande ein Ende bereitet.508 Zweifel hatte die Reichsregierung, ob das badische Kabinett Bekk/Hoffmann den zweiten Aufstandsversuch von Radikaldemokraten und Sozialrevolutionären würde eindämmen können. Denn obwohl diese Regierung konsequent ein Reformprogramm im Sinne der Märzforderungen umsetzte, war es schon im April zu einem blutigen Aufstand gekommen. Ihn hatten die badischen Truppen nur mit Hilfe von Hessen niederschlagen können. Das hatte bei den Liberalen innerhalb wie außerhalb des Großherzogtums die Befürchtung gestärkt, dass eine allzu weitgehende Demokratisierung die Anarchie fördere. Die Lage wurde deswegen als prekär eingeschätzt, weil die im April Gescheiterten sich 506 W. Siemann: Deutsche Revolution (wie Anm. 444) 76f. 507 Übereinkommen zwischen der PZG und Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen, 8.12.1848: Bl. A zu GRM, 6.12.1848: BA, DB 52/4. 508 Gönner, Eberhard: Hohenzollern 1800–1918. In: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte  3: Vom Ende des Alten Reiches bis zum Ende der Monarchien / hrsg. von Meinrad Schaab u. Hansmartin Schwarzmaier. – Stuttgart 1992. – (Veröffentlichung der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg), 433–476, hier 460f.

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im benachbarten Elsass und der Schweiz politisch und militärisch auf ihre zweite Chance vorbereiteten. Als sie diese mit den Septemberunruhen gekommen sahen, hat die Reichsregierung vorsichtshalber einen Kommissar abgeordnet, der sich aber weitgehend zurückhielt. Durch die falsche Information verleitet, dass in Frankfurt das „volksfeindliche“ Parlament auseinandergetrieben worden sei und Aufständische die Stadt übernommen hätten, überschritt Gustav Struve am 21. September mit einem kleinen Kontingent von der Schweiz aus die Grenze zum Großherzogtum. Seine Parole, Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle, Enteignung von Aristokratie und Kirche und die Ersetzung der Fürstentümer durch soziale Republiken wurde von Teilen der Bevölkerung bejubelt. Bis zum 25. hatte er etwa 1000 Freischärler versammelt, mit denen die badischen Linientruppen in einem kleinen Gefecht allerdings keine Probleme hatten. Schon zuvor hatten Exzesse, die Erhebung von Abgaben und Plünderungen den aufständischen Enthusiasmus getrübt.509 Die Reichsregierung drängte das badische Kabinett angesichts des Stimmungsumschwungs im Lande, jetzt auf der Grundlage der Reichsgesetze mithilfe ihres Kommissars entschlossen durchzugreifen. Obwohl sie mit der Absetzung drohte, wollte die Regierung sowohl aus Überzeugung als auch um ihre Eigenständigkeit zu demonstrieren an Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, wie sie diese verstand, festhalten. Immerhin arbeitete man jetzt mit der Reichsregierung an einer verstärkten Sicherung der Grenze zu Frankreich und der Schweiz zusammen. Beiden Ländern wurde mit Konsequenzen gedroht, falls sie in Zukunft nicht die Vorbereitung von Putschen verhindern würden.510 Neben Baden gehörten die Rheinprovinz, Württemberg und Mitteldeutschland zu den unruhigeren Gebieten seit dem März 1848. Während die Königreiche damit selbst fertig wurden, war die Reichsgewalt in Thüringen und Sachsen-Altenburg gefordert. In dem kleinen ernestinischen Herzogtum regierte eine landfremde Dynastie, die sich durch die Übernahme auswärtiger Beamter und eine kostspielige Hofhaltung zusätzlich unbeliebt gemacht hatte. Eine ausgebaute Textilindustrie und ein seit 1842 bestehender Bahnanschluss hatten Fremde ins Land gebracht. Der Herzog hatte alle Märzforderungen weitgehend erfüllt und ein allgemeines Männerwahlrecht zum Landtag gewährt. Da er aber dessen Einberufung für die Umsetzung der Gesetze verzögerte, kam es unter der Führung der starken Radikaldemokraten vom 509 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 175ff. 510 Hippel von, Wolfgang: Revolution im deutschen Südwesten: Das Großherzogtum Baden 1848/49. – Stuttgart 1998. – (Schriften zu politischen Landeskunde Baden-Württembergs; 26) 264f.

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18. bis zum 20. Juni zu einem Aufstand. Da die Staatsgewalt ihn mit sächsischer Unterstützung niederschlagen wollte, brachte dies auch noch die Bürgerschaft gegen sie auf. Durch den thüringischen Demokratenkongress vom August gestärkt, machte die Mehrheit der Radikaldemokraten im inzwischen einberufenen Landtag der Regierung solche Schwierigkeiten, dass diese am 6. September offiziell die Zentralgewalt um Hilfe bat. Nachdem diese ihre Krise überwunden hatte, hat sie am 28. dem Ersuchen entsprochen, indem sie einen Reichskommissar für Thüringen nach Altenburg abordnete.511 Der sächsische Militärbevollmächtigte am Bundestag koordinierte den Einsatz des Militärs, ermutigte die Regierung auf der Linie der Reichsgewalt gegen Vereine und Presse vorzugehen, säuberte die Bürgerwehr und förderte im Gegenzug die konstitutionelle Bewegung und ihre Presseorgane. Der Thronwechsel innerhalb der Dynastie und die Verhaftung einiger führender Radikaldemokraten bzw. deren Flucht erleichterten ihm die Aufgabe, so dass er bis Ende November die staatliche Autorität wiederhergestellt hatte, ohne dass die bisherigen Errungenschaften im Kern angetastet worden waren.512 Mit diesem Erfolg begann die Karriere des Majors Bernhard Rabenhorst. Schon im März des nächsten Jahres wurde er zum Kriegsminister im Königreich Sachsen ernannt. Dort hat er allerdings an der Seite Preußens den Maiaufstand blutig erstickt.513 Reichsinnenminister Schmerling wollte den Prestigegewinn nutzen, um in Verhandlung mit den thüringischen Staaten diese zu einem freiwilligen Zusammenschluss zu bewegen und sie so näher an die Reichsgewalt binden. Nachdem sich dort aber die Verhältnisse stabilisiert hatten, war die Neigung dazu merklich zurückgegangen. Das neue Ministerium unter Gagern wollte sich auf die Verabschiedung der Verfassung und den Ausgleich mit Preußen konzentrieren. Es gab daher dieses Vorhaben, aus dem weitere Reibungen hätten entstehen können, im Februar 1849 auf.514 Außer bei der Linken fand die Zentralgewalt für ihr Vorgehen die Zustimmung aller politischen Kräfte. Sie konnte es sich zugutehalten, dass die bürgerliche Revolution nicht in die „zweite Revolution“ übergegangen war. Die Frankfurter Institutionen hatten sich behauptet. Die Reichsgewalt war unabhängiger von der Nationalversammlung geworden und hatte ihr Ansehen im In- und Ausland gestärkt. Freilich war nun der Graben zwischen Liberalen, Konstitutionellen und gemäßigten Demokraten und der Linken in den 511 G. Dressel: Bajonette für die Revolution? (wie Anm. 498) 73ff. 512 R. Zerback: Reichsregierung und Thüringen (wie Anm.  505) 277ff. Vgl. auch noch die Berichte des Rk.s in THW (wie Anm. 77) C 2366. 513 Flöter, Jonas: Die Revolutionsregierungen in Sachsen 1848/49: Von der nationalen Frage getriebene Ministerien. – In diesem Band, 346. 514 R. Zerback: Reichsregierung und Thüringen (wie Anm. 505) 282ff.

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Parlamenten wie den sozial- und radikaldemokratischen Kräften außerhalb breiter geworden. Die umfassende Bewegung des März gab es nicht mehr. Nicht wenige Anhänger der bürgerlichen Revolution fürchteten seitdem, dass diese entweder in den Jacobinismus oder den sozialen Umsturz abgleiten könnte. Aus dieser Furcht und nicht, um zu den vorrevolutionären Verhältnissen zurückzukehren, erwuchsen die Vereine zum Schutz des Eigentums, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und für „König und Vaterland“. Das Konzept der fürstlichen Gewalten war schneller und umfassender aufgegangen, als sie es sich wohl erträumt hatten. Die Radikalisierung der Revolution war gestoppt und ihre Gegner waren gespalten. Ihr Spielraum zwischen der Volkssouveränität und den Frankfurter Institutionen war größer geworden. Die Gefahr war offensichtlich, dass diese durch die Umstände getrieben, ihre Machtbasis unterhöhlten. Dazu hat auch beigetragen, dass sich die Lage auf dem Land beruhigte, da sich die Bauern mit den ersten Zugeständnissen der bundesstaatlichen Regierungen zufriedengaben. Hingegen stieg die Unruhe unter dem gewerblichen und handwerklichen Klein- und Mittelbürgertum. Dies förderte die Neigung des erschreckten Großbürgertums, an die alten Gewalten heranzurücken. Die konstitutionelle, die soziale und wirtschaftliche Frage differenzierten sich aus. Die mobilisierende Wirkung der Reformen des Bürgertums in der deutschen wie der preußischen Nationalversammlung auf die ländlichen, aber besonders die städtischen Unterschichten nahm zusehends ab. Die nationale Frage berührte zwar alle Schichten, doch nicht so sehr, dass sie den jetzt aufbrechenden Gegensatz innerhalb der revolutionären Bewegung überbrücken konnte. Es kam auch nicht zu einer negativen Integration, weil nur eine Minderheit die alten Eliten und Verhältnisse überwinden wollte. Die Ideale von „Freiheit und Einheit“ waren noch nicht verblasst, doch ihre Integrationskraft schwächer geworden. Die Dynamik, die Revolutionen oft aus der Beseitigung der alten Verhältnisse gewinnen, erwuchs der deutschen lediglich aus der Erschaffung von neuen; diese hielt nicht lange genug an. Deutschland blieb zwischen Reform und Revolution stecken. Wie hier so hatte die Märzbewegung auch in Europa Rückschläge zu verkraften. In Frankreich hatte sich im Juni die bürgerliche von der proletarischen Revolution getrennt.515 Österreich war es bis

515 K. Ruppert. Frankreichs II. Republik (wie Anm. 331) 264ff.

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Ende August gelungen, die Aufstände in Böhmen516 und der Lombardei517 niederzuschlagen. 8.

Die Konsolidierung Preußens

Preußen war seit dem März 1848 nicht mehr zur Ruhe gekommen. Vor allem in Berlin, im Rheinland und in Schlesien wechselten sich teilweise bewaffnete Volksversammlungen, Arbeiter- und Demokratenkongresse mit gelegentlich blutigen sozialen Unruhen ab. Die preußische Nationalversammlung, in der die Linke erkennbar stärker als in Frankfurt war, hatte mehrere Regierungen zu Fall gebracht und verfolgte ein Verfassungsprojekt, das an den Grundlagen der preußischen Monarchie rüttelte. Nicht so spektakulär, doch nicht weniger effektiv hatten inzwischen aber auch die konservativen und reaktionären Kräfte Stellung bezogen. Seit Juni waren, meist auf Initiative lokaler Honoratioren, Vereine für „König und Vaterland“ als Gegengründungen zu den konstitutionellen und demokratischen Klubs auf die Bahn gebracht worden. Am Hof hatte sich eine konservativ-reaktionäre Partei formiert, die sogenannte Kamarilla, die zunehmend Einfluss auf den König gewann, und im September war der in Schleswig-Holstein erfolgreiche General Wrangel zum Oberkommandierenden der Truppen in den Marken und damit auch Berlins ernannt worden. Durch den Sieg der Konterrevolution in Wien ermutigt, nahm der König Übergriffe auf die Abgeordneten der Berliner Nationalversammlung zum Anlass, um am 1. November das letzte sich konstitutionell verstehende Ministerium zu entlassen. Es wurde durch das rechtskonservative des Generals Friedrich Wilhelm Graf zu Brandenburg ersetzt. Dieser hat nach österreichischem Vorbild am 8. November die Verlegung der Versammlung in die Stadt Brandenburg und deren Vertagung bis Ende November angeordnet.518 Ende des Jahres zeichnete sich so ein Programm ab, dem das Königreich bis zur Auflösung der Zentralgewalt folgte. Im Machtkampf mit den Liberalen im eigenen Lande sollte ein monarchischer Konstitutionalismus durchgesetzt werden. Sich ganz von dem Projekt einer preußischen Verfassung zu verabschieden, wie dies der König bevorzugt hätte, hielt der neue Ministerpräsident nach den Ereignissen des Jahres 1848 nicht mehr für möglich. Es war aber auch 516 Eingehender Karsten Ruppert: Die böhmische Erhebung. – In: Die Exekutiven der Revolutionen (wie Anm. 331) 399ff. 517 Karsten Ruppert: Reform und Nation: Italien 1848/49. – In: Die Exekutiven der Revolutionen (wie Anm. 331) 319f. 518 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 227ff.

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nicht opportun, wenn man die Teile des Liberalismus, die durch die Furcht vor dem sozialen Umsturz und der Volkssouveränität verschreckt wurden, für die Lösung der deutschen Einheitsfrage nach preußischer Vorstellung gewinnen wollte. Diese galt es jetzt zu verwirklichen, ob mit oder gegen die Frankfurter Institutionen. Da sich dadurch auch die Stellung Preußens in Europa ändern musste, wurde der Spielraum allerdings nicht nur von diesen und den als Mitspieler vorgesehenen Bundesfürsten abgesteckt, sondern auch von den europäischen Mächten, besonders Österreichs und Russlands. Schließlich gehörte zu diesem Programm auch noch, die revolutionäre Linke mit allen Mitteln offensiv zu bekämpfen.519 In Frankfurt wurde befürchtet, dass sich die Entwicklung in ähnlicher Weise wie in Wien zuspitzten würde und Preußen wie Österreich aus der Paulskirchenbewegung ausscheren würde. Daher hätte es der Initiative der Nationalversammlung in Frankfurt, Preußen als Bündnispartner zu erhalten, nicht bedurft. Die Reichsgewalt befand sich aber in einem doppelten Dilemma. Gerade wegen ihrer gewachsenen Bedeutung musste sie mehr als zuvor auf die Empfindungen einer Großmacht Rücksicht nehmen und zum andern sah sie sich zum Vermitteln zwischen Kräften gezwungen, von denen sie keiner einen Sieg wünschen konnte: der antirevolutionären Regierung wie dem Hof einerseits und der revolutionären preußischen Nationalversammlung andererseits. Daher wurde bewusst kein Reichskommissar, sondern mit Unterstaatssekretär Bassermann520 ein Mitglied der Regierung am 6. November nach Berlin geschickt. Sein Auftrag war, „im Einvernehmen mit der königl. Preuß. StaatsRegierung im Namen der Centralgewalt all jene Maßregeln zu treffen, welche die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung in Berlin und insbesondere die volle Freiheit der Beratungen der preuß. Nat. Versammlung zu verbürgen mögen“.521 Mündlich war er angewiesen worden, die zwischen Preußen und Frankfurt bestehenden Differenzen beizulegen. Er sollte auf der alleinigen 519 Canis, Konrad: Vom Staatsstreich zur Unionspolitik: Die Interdependenz von innerer, deutscher und äußerer Politik der preußischen Regierung am Ende der Revolution 1848/49. – In: Demokratie, Liberalismus und Konterrevolution: Studien zur deutschen Revolution von 1848/49 / hrsg. von Walter Schmidt. – Berlin 1998, 431–484, hier 432f., 435. 520 Friedrich Daniel Bassermann wurde vermutlich für die Berliner Mission der PZG ausgewählt, weil er zu den profiliertesten Befürwortern des pr. Erbkaisertums gehörte, bekannt dafür war, dass er polit. Standpunkte unerschrocken verfocht und auch den nötigen persönlichen Mut zur Reise in das rev. Berlin mitbrachte. Eingehend zur Mission von Bassermann in Berlin: W. O. Werner: Bassermann (wie Anm. 154) 223ff. 521 Vollmacht für Bassermann vom 6.11.1848: BA, DB 54/61 II und Prot. GRM vom 6.11.1848: BA DB 52/4. Druck der Inst. vom 12.11.1848, die den schon zurückreisenden Bassermann nicht mehr rechtzeitig erreichte: F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 279 Anm. 1.

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völkerrechtlichen Vertretung Deutschlands durch die Zentralgewalt wie auf der Unterwerfung Preußens unter die Gesetzgebungshoheit der Nationalversammlung hinwirken. Jetzt die Gelegenheit zu ergreifen, um die schwelenden Streitpunkte nach den Vorstellungen des Reichsministeriums beizulegen, zeugt von wenig politischem Einfühlungsvermögen, da dies das aktuelle Anliegen nur erschweren musste. Doch wirkte sich dies nicht aus, da die Mission einen unerwarteten Verlauf nahm. Die Eindrücke vor Ort bestätigten Bassermann in seiner Überzeugung, dass die Maßnahmen der preußischen Regierung richtig und angemessen gewesen seien und diese weiterhin einen konstitutionellen Kurs verfolgen würde. Er hat daher seinen Auftrag zu vermitteln, gar nicht weiterverfolgt, sondern vielmehr in zwei Audienzen am 11. und 14. November522 gegenüber Friedrich Wilhelm IV. es als ausgemacht hingestellt, dass die Paulskirche ihm die erbliche Kaiserkrone anbieten werde. Damit wollte er sowohl den König für das gemeinsame Werk gewinnen als auch die machtpolitische Brisanz aus der Forderung nach der Unterwerfung Preußens nehmen. Sein Gesprächspartner ließ sich aber weder durch solche Zukunftsaussichten noch durch das Argument, dass die Monarchien in Deutschland nur im Bündnis mit dem konstitutionell-liberalen Bürgertum zu retten sein würden, beeindrucken; zumal inzwischen nicht mehr sicher war, ob das preußische Volk die bewaffnete Ordnung nicht doch einer von der Straße getriebenen Volksversammlung vorzog. Zwar hat der König das Angebot nicht direkt zurückgewiesen, doch seine Abneigung dagegen nicht verhehlt; er spielte zunächst auf Zeit. Von einem „rückhaltlosen Anschließen an Frankfurt“, wie Bassermann vermutlich unbeabsichtigt, doch verräterisch in seinen Denkwürdigkeiten sein eigentliches Anliegen beschreibt,523 also weit entfernt. Auch diese Audienzen, in denen Friedrich Wilhelm seinen Gesprächspartner davon überzeugt hatte, dass er niemals parlamentarisch zu regieren gedenke und am Gottesgnadentum festhalte,524 haben den Abgesandten nicht in seiner Überzeugung erschüttern können, dass die staatliche Einheit Deutschlands nach den Vorstellungen der Paulskirchenmehrheit nur mit Preußen zu erreichen sein würde. Um diese Möglichkeit nicht zu verbauen, hat er deren Vorstellungen am preußischen Hof vertreten und damit die offizielle

522 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 259ff. 523 Ebenda 276. 524 Ebenda 263f.

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Politik der Reichsregierung desavouiert.525 In seinem Bericht an die Nationalversammlung hat er den politisch brisanten Teil seiner Mission vertuscht.526 Bassermanns Vorgehen in Berlin und insbesondere seine Bewertung des dortigen Parlamentarismus ist von seinen Ministerkollegen zurückhaltend, doch von den beiden Nationalversammlungen so vernichtend kritisiert worden, dass er zum dann nicht angenommenen Rücktritt bereit war.527 Sein Verhalten erklärt sich vermutlich daraus, dass er aufgrund der politischen Vorgaben und weil die Provisorische Zentralgewalt keine Vorstellung hatte, wie sie ihre Forderungen durchsetzen konnte, einen weiten Spielraum hatte. Diesen nutzte er in seinem Sinne. Für ihn war schon vor seiner Abreise die Preußische Nationalversammlung eine von Linken im Zusammenspiel mit der Straße terrorisierte Versammlung, von der nicht nur die Hohenzollern-Monarchie, sondern auch die Reichsinstitutionen nichts Gutes zu erwarten hatten.528 Diesen Eindruck fand er vor Ort bestätigt. Er verstand die Berliner Ereignisse allein als ein Kampf der Mächte der Ordnung gegen die der Anarchie. Denn er blendete deren machtpolitische Dimension, das Ringen zwischen Volkssouveränität und Monarchischem Prinzip, aus. Und da auch nicht zu erwarten war, dass sich die „preußische Monarchie Frankfurter Beschlüssen“ ohne Weiteres unterordnen würde,529 rückte er dieses Anliegen auch nicht in den Vordergrund. Seinen politischen Herzenswunsch, die Gewinnung des preußischen Königs für ein Zusammengehen mit den Frankfurter Konstitutionellen, wollte er dadurch nicht gefährden. Denn er war davon überzeugt, dass dies die ersehnte Einheit bringen und zugleich die gefürchtete Linke zerschlagen würde.530 Dafür standen die Chancen zu diesem Zeitpunkt nicht schlecht, da das Ministerium Brandenburg die preußische Hegemonie in Deutschland über das kleindeutsche Konzept der Liberalen erreichen wollte.531 Obwohl das Reichsministerium, wenn auch unter Vorbehalten, sich der Sicht Bassermanns anschloss, sah es sich zu einer weiteren Intervention gezwungen. Die Abgeordneten in Frankfurt, die sogar militärische Einsätze gegen Preußen erwogen, mussten beschwichtigt werden und in Berlin eskalierte die Konfrontation. Die Regierung hatte den Belagerungszustand 525 Ebenda 261f. 526 NV 18.11.1848: Reden V / F. Wigard (wie Anm. 3) 3407ff. 527 NV 18.11.1848: Reden V / F. Wigard (wie Anm. 3) 3407ff. W. O. Werner: Bassermann (wie Anm. 154) 237ff. 528 F. D. Bassermann: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 246. 529 Davon überzeugte Bassermann endgültig die Unterredung, die er vor seiner Abreise mit dem pr. Ges. in Frankfurt geführt hatte: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 8) 249f. 530 K. Ruppert: Bassermann (wie Anm. 237) 290f. 531 K. Canis: Vom Staatsstreich zur Unionspolitik (wie Anm. 519) 440.

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verhängt und die Preußische Nationalversammlung hatte zum Boykott der Versammlung in Brandenburg und zur Steuerverweigerung aufgerufen. Am  18. November wurden daher zwei Abgeordnete der Casinofraktion aus­ drücklich zu Reichskommissaren ernannt. Obwohl schon bei den nach Wien entsandten die Diskrepanz zwischen den erteilten Befugnissen und den Möglichkeiten blamabel zutage getreten war, wurden erneut „alle Civil- und Militärbehörden“ angewiesen, deren Anordnungen „unweigerlich Folge zu leisten.“532. Ihre Mission wurde abgestützt durch ein Flugblatt des Reichsverwesers „An das Deutsche Volk“, in dem er den preußischen Abgeordneten das Recht absprach, zur Steuerverweigerung aufzurufen, da dies, wie es mit Bezug auf das Gesetz über die Zentralgewalt hieß, die „Wohlfahrt in ganz Deutschland gefährdet“. Zugleich versprach er, sich dafür einzusetzen, dass dem preußischen Volk die ihm zustehenden Rechte und Freiheiten gewährt würden.533 Preußen war über diese deutschlandweit verkündete Einmischung in seine inneren Angelegenheiten verstimmt und über die Forderungen der Reichskommissare, das gerade berufene Ministerium zu entlassen und die Männer des Volkes in die Hauptstadt zurückzurufen, empört. Statt irgendetwas zu erreichen, mussten sie zu ihrer Bestürzung vernehmen, dass die Regierung daran denke, das Parlament aufzulösen und eine Verfassung zu oktroyieren, falls es nicht zu einer Verständigung komme. Diese Absicht Preußens wertete die Reichsgewalt als einen Affront gegen sich und die Nationalversammlung in Frankfurt, da dadurch das bisher aller Verfassungsgebung zugrunde liegende Prinzip der Vereinbarung mit Füßen getreten würde und Preußen dadurch eine Eigenständigkeit erhalten würde, die den Weg zur deutschen Einheit auf der Grundlage einer Reichsverfassung erheblich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen würde. Um das Königreich davon abzubringen, wurde der Präsident der Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, zur Unterstützung der Reichskommissare Ende November nach Berlin und Potsdam geschickt.534 Doch wie zuvor Bassermann versuchte er ebenfalls, dort die preußisch-kleindeutsche Lösung der nationalen Frage zu präjudizieren; aber auch ihm gelang es nicht, den preußischen König für das Erbkaisertum zu gewinnen. Denn an dessen Hof waren die Überlegungen schon weit gediehen, an Frankfurt vorbei sich mit den Fürsten zu arrangieren.535

532 533 534 535

Prot. GRM 18.11.1848: BA, DB 52/4. Aufruf des RV vom 21.11.1848: Bl. A des Prot. GRM 21.11.1848: BA, DB 52/4. Prot. GRM 23.11.1848: BA, DB 52/4. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 282ff.

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Da die Nationalversammlung auch in Brandenburg ihre Obstruktion fortsetzte, wurde sie am 5. Dezember aufgelöst und eine Verfassung verkündet. Durch den Aufruf zur Steuerverweigerung hatte die Zweite Kammer den Weg dahin geebnet, da ihr dieser den entscheidenden Rückhalt im Bürgertum gekostet hatte.536 Die aufgezwungene Konstitution war allerdings nur vorläufig. Über ihre Revision sollte eine Versammlung entscheiden, deren Erste Kammer nach einem restriktiven Zensus, deren Zweite allerdings nach allgemeinem und gleichen Männerwahlrecht im Februar gewählt werden sollte. Mit Blick auf Preußens deutsche Mission und weil man die Fäden zur konstitutionellen Bewegung, mit der man ja noch das Ziel der Einheit, wenn auch nicht mehr das der Freiheit, teilte, nicht ganz kappen wollte, war sie recht liberal ausgefallen. Sie ließ jedoch keinen Zweifel an der Dominanz der monarchischen Exekutive. Zur Rechtfertigung seines Staatsstreiches berief sich der König auf die supralegale Gewalt des Notstands, mit der allein angesichts von Anarchie und Obstruktion Verfassungsrecht hätte geschaffen werden können. Ob bewusst oder nicht, wurde hier die Recht schaffende Gewalt des Notstands gegen die Recht schaffende Gewalt der Revolution ausgespielt..537 Als Erfolg konnte es sich die Zentralgewalt anrechnen, dass die oktroyierte Verfassung ausdrücklich den Vorrang der Reichsverfassung anerkannte und die preußische Regierung um deren öffentliche Billigung dieses Vorgehens nachsuchte.538 Der Verfassungsoktroi vom 5. Dezember war noch nicht das Ziel, sondern nur eine Station auf dem Weg zur Festigung der preußischen Monarchie. Dass deren Stellung dadurch im konstitutionellen Deutschland und gegenüber Frankfurt aufgewertet wurde, wird oft unterschätzt.539 Der Oktroi war aber auch die Einlösung königlicher Zusagen vom März und Mittel, um die seit über 30 Jahren schwelende Staatskrise als Folge uneingelöster Verfassungsversprechen zu beenden. Die restaurierte monarchische Macht war Garantie dafür, dass die Entwicklung der Krone nicht ein weiteres Mal entglitt. Von Teilen des Bürgertums wurde sie als Gewähr von Ordnung und Recht und als Sicherung des Besitzes begrüßt. Als die im Februar 1849 zusammengetretene Zweite Kammer dies nicht akzeptieren wollte, wurde sie Ende April aufgelöst, da nach der Ablehnung der Kaiserkrone und dem Zerfall des Frankfurter Parlamentes keine Rücksicht mehr nötig war. Mit dem Dreiklassenwahlrecht wurde eine der Revision geneigtere Zweite Kammer herbeigezwungen. Mit dieser wurde bis zum 31. Januar 1850 die „Verfassungsurkunde für den preußischen Staat“ 536 537 538 539

K. Canis: Vom Staatsstreich zur Unionspolitik (wie Anm. 519) 163f. Dazu E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 762ff. K. Canis: Vom Staatsstreich zur Unionspolitik (wie Anm. 519) 438. Ebenda 442.

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vereinbart. Von der parlamentarischen Monarchie, die das liberale Bürgertum während der Verfassungsrevision anstrebte, war diese weiter entfernt als die oktroyierte Verfassung. Die Niederlage des liberalen Bürgertums in Preußen war vollendet.540 Damit dies so blieb, wurde eine handwerkerfreundliche Gewerbeordnung erlassen und die rebellierenden Bauern in Schlesien erhielten eine günstige Regelung der Ablösung.541 Bis zum Ende des Jahres 1848 hatte sich die Reichsgewalt ebenfalls konsolidiert. Die Bürokratie der Ministerien und des Reichsverwesers war eingerichtet, der Aufbau einer Kriegsflotte auf die Bahn gebracht, Bundestruppen standen zur Verfügung, Reichs-, Kriegs-, und Handelsflagge waren beschlossen wie auch ein Wappen mit dem Doppeladler in Anknüpfung an das alte Reich. Mit der Errichtung des Gesandtschaftswesens schritt die Staatsbildung zügig und selbstbewusst fort – allzu oft aber jenseits der realistischen Möglichkeiten von Parlament und Reichsgewalt. Schließlich hatte der Reichsfinanzminister bis zum Ende des Jahres den Etat für 1848 vorgelegt und ein Finanzgesetz war verabschiedet worden.542 Die Ausgaben sollten zunächst durch Kredite finanziert werden, die wieder mithilfe von Reserven und Matrikularumlagen gedeckt werden sollten. Die vier, die seit dem 30. September ausgeschriebenen worden waren, gingen recht schleppend ein. Manche Bundesstaaten blockten aus politischen Gründen, andere steckten in objektiven Finanznöten. 1848 hatte die Reichsgewalt zusätzlich die außergewöhnlichen Kosten zu stemmen, die bei der Bekämpfung der Unruhen angefallen waren. Der vom Reichsfinanzminister im Februar 1849 unternommene Versuch, eine Anleihe aufzulegen, war erfolglos. Daher wurden die noch vom alten Bundestag angesammelten Reserven für den Unterhalt der Reichstruppen und der Reichsfestungen die Hauptfinanzierungsquellen. Dennoch wurden im Lauf des Jahres 1849 die Mittel knapper und das Defizit größer.543

540 Ruppert, Karsten: Bürgertum und staatliche Macht in Deutschland zwischen Französischer und deutscher Revolution. – Berlin 1997. – (Schriften zur Verfassungsgeschichte; 51) 115f. 541 Canis, Konrad: Die preußische Gegenrevolution: Richtung und Hauptelemente der Regierungspolitik vom Ende 1848 bis 1850. – In: Revolution in Deutschland und Europa 1848/49 / hrsg. von Wolfgang Hardtwig. – Göttingen 1998, 161–184, hier 165f. 542 FinanzG. für die Monate September – Dezember 1848, 23.12.1848: RGbl. 1848, 61ff. 543 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 34) 325f.

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Die gescheiterte Österreich-Politik

In Wien, dem Zentrum der österreichischen Revolution, rangen seit dem März unterschiedliche politische Kräfte um den weiteren Fortgang der Entwicklung. Da waren zum einen der reaktionäre Hof mit dem Militär und das Ministerium, das mit seinem konstitutionellen Reformkurs diesen gegenüber eine eigenständige Position gewonnen hatte. In der Stadt verkörpert der Wiener Gemeinderat die alte Autorität. Dazu kamen die aus der Revolution hervorgegangene mehr bürgerliche Nationalgarde mit den in der „akademischen Legion“ organisierten radikalen Studenten, zusammen mit den Vereinen der Demokraten und Arbeiter. Seit Mai hatten dort die radikaldemokratischen Kräfte die Oberhand gewonnen. Sie hatten unter anderem erreicht, dass annähernd 20.000 Arbeitsuchende zu öffentlichen Erd- und Bauarbeiten herangezogen wurden. Wie die vergleichbaren Nationalwerkstätten in Paris wurden auch diese Maßnahmen zu teuer. Gegen die daher geplanten Lohnsenkungen kam es am 23. August zu Massendemonstrationen in deren Gefolge sich die revolutionären Institutionen spalteten.544 Nationalgarde und Gemeinderat rückten an die Regierung heran, die akademische Legion und die Vereine traten an die Seite der Arbeiter. Die nach einem Zeughaussturm gut ausgerüsteten und neu aufgestellten revolutionären Aktivisten verhinderten am 6. Oktober den Einsatz von Wiener Einheiten gegen das revolutionäre Ungarn. Daraufhin eskalierte die Lage, während Fürst Windischgrätz aus dem inzwischen beruhigten Böhmen zur Belagerung der Stadt heranrückte, die er bis zum Ende des Monats eroberte.545 Die Reichsgewalt sah sich aus mehreren Gründen zum Eingreifen gezwungen. Sie musste vor der Öffentlichkeit und der Nationalversammlung beweisen, dass sie auch in Österreich Gesetzmäßigkeit und Ordnung durchsetzen könne. Politisch noch gewichtiger war es, das Kaisertum auf dem Reformkurs zu halten und dessen Ausscheren aus dem deutschen Einigungsprozess zu verhindern. Ihr Problem aber war, dass sich im Land keine politische Kraft fand, mit der man für eine solche Zielsetzung hätte zusammenarbeiten können. Was sie daher zur Vermittlung zwischen den Bürgerkriegsparteien, zur Stärkung der konstitutionellen Reformkräfte und zur Offenhaltung der großdeutschen Frage unternahm, war von Anfang an hilflos und widersprüchlich. Zwei Reichskommissare sollten ins Heerlager, an den inzwischen nach Olmütz geflohenen Hof und in die im Aufruhr befindliche Hauptstadt abgeordnet werden. In seiner Vollmacht vom 12. Oktober wies der Reichsverweser diese an, 544 Niederhauser, Emil: 1848: Sturm im Habsburgerreich. – Budapest 1990, 117ff. 545 W. Siemann: Deutsche Revolution (wie Anm. 444) 165ff.

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„mit den verantwortlichen Räthen der Krone und nach Lage der Verhältnisse mit dem constituirenden Reichstage in Verhandlung zu treten“. Um ihren Auftrag, „die Herstellung des Ansehens der Gesetze und des öffentlichen Friedens“, durchzuführen, wurden „alle Civil- und Militärbehörden hiermit angewiesen“ … „den Verfügungen der Reichscommissäre unweigerlich Folge zu leisten“.546 Erneut bestimmte die Mischung aus einer nicht eindeutigen Rechtslage und Selbstüberschätzung ein Unternehmen der Reichsgewalt. Für die „verantwortlichen Räthe der Krone“ sprach politisch alles dagegen und rechtlich nichts dafür, sich in Verhandlungen mit deren Abgesandten einzulassen. Abgesehen davon, wie weit dies überhaupt durchsetzbar gewesen wäre, hätte die Berufung auf das Bundesrecht „alle Civil- und Militärbehörden“ nur gebunden, wenn förmlich eine Bundesintervention oder Bundesexekution festgestellt worden wäre.547 Doch genau das wagte man nicht. Vielmehr legten die weiteren Anweisungen die Kommissare auf Vermitteln und Moderieren fest, ohne irgendwelche politischen Ziele vorzugeben.548 So fiel es Windischgrätz, der gar nicht ganz verstand, wer mit welchem Anliegen vor ihm stand, leicht, jegliche Einmischung zurückzuweisen. Am Hof, wo man den Eindruck vermeiden wollte, mit der Reichsgewalt zu verhandeln, wurden die Kommissare als Abgesandte Ihrer Kaiserlichen Hoheit des Reichsverwesers empfangen. Und Ministerpräsident Wessenberg konnte flexibel abwiegelnd auf die Anliegen eingehen. Die konstitutionellen Reformen seien überhaupt nicht gefährdet und seine Regierung wolle wie die Reichsgewalt nur die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung. Nach dem inzwischen eroberten Wien sind die Gesandten gar nicht mehr aufgebrochen. Die Forderung, die Verlegung des Reichstags nach Kremsier rückgängig zu machen, hatten sie nicht mehr vorbringen können, da sie die Weisung erst auf ihrer Rückreise erreichte.549 Die Mehrheit der Nationalversammlung stand hinter dem Kurs der Reichsregierung. Daher hat sie auch einen Antrag der Linken abgelehnt, der „heldenmütigen Bevölkerung Wiens“ ihrer Solidarität zu versichern. Daraufhin hat diese beschlossen, eine eigene Adresse durch vier Abgeordnete überbringen zu lassen. Diese haben sich aktiv aufseiten ihrer Gesinnungsgenossen in die Auseinandersetzungen eingemischt. Robert Blum und Julius Fröbel haben sich sogar an den Kämpfen beteiligt.550 Nach der Eroberung Wiens durch 546 547 548 549

Bl. A zum Prot. GRM vom 12.10.1848: BA, BA, DB 52/2. E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 714f. Prot. GRM 11.10.1848: BA, DB 52/3. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 203ff. und R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 315ff. 550 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 204f.

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kaiserliche Truppen flohen zwei Abgeordnete, Fröbel und Blum blieben im Vertrauen auf ihre Immunität. Sie wurden nach Absprache zwischen Schwarzenberg und Windischgrätz in einem Standgerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Die Meinungsänderung der österreichischen Regierung, die Abgeordneten der Nationalversammlung doch nicht als Aufrührer abzuurteilen, kam für Blum zu spät, brachte Fröbel aber die Freiheit.551 Die Betroffenheit und Empörung über die Erschießung des Abgeordneten Robert Blum am 9. November war nicht nur in Frankfurt, sondern in ganz Deutschland in allen politischen Lagern groß. Die österreichische Regierung beharrte auf der Rechtsförmlichkeit des Verfahrens, da das Immunitätsgesetz der Nationalversammlung vom 30. September  1848 in Österreich nicht veröffentlicht worden sei und das Kaiserreich sich schon am 21. April  1848 die Zustimmung zu jedem Beschluss der Nationalversammlung vorbehalten habe. Die Reichsregierung hielt dagegen, dass alle Gesetze der Nationalversammlung in jedem Bundesstaat auch ohne ausdrückliche Publikation gültig seien.552 Zusammen mit der Nationalversammlung hat sie durch zwei Reichskommissare offiziell ihren Protest überbringen lassen und Einsicht in die Unterlagen verlangt. Es wurde also das Mindeste getan, um den Ansehensverlust, den die Frankfurter Institutionen erlitten hatten, zu begrenzen, damit sich der beträchtliche politische Schaden nicht noch weiter auswuchs. Das Reichsministerium bemühte sich inzwischen darum, dass das zerrüttete Verhältnis zu Österreich nicht vollständig brach. Realistischerweise bestand es nicht mehr darauf, wie ursprünglich geplant, „daß bei der künftigen Verfassung Oesterreichs das Deutsche Interesse vollständig gewahrt werde“,553 sondern setzte Mitte November darauf, dass die beiden Reichskommissare erreichen würden, dass die „im März und Mai d. J. dem Volke gegebenen Freiheiten demselben ungeschmälert erhalten werden“ … und „daß das militärische Regiment nicht über die notwendige Dauer sich erstrecke.“554 Es stellte sein Vorgehen in Frankfurt als Vorbild hin, wo der Sieg über die Anarchie „nicht zu reaktionären Tendenzen benützt“ noch eine „gewaltthätige Justiz geübt“555 worden sei. Das Verlangen, den Fürsten Windischgrätz als Verantwortlichen für die Erschießung 551 Ebenda, 210ff. Valentin hält (S. 212) den Rat des öst. Generalkonsuls in Leipzig, Hübner, dafür ausschlaggebend, dass Schwarzenberg die Entscheidung, wie zu verfahren sei, seinem Schwager Windischgrätz anheimgestellt habe. 552 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 717ff. 553 Vgl. Inst. für die nicht zustande gekommene Mission von Leiningen vom 10.11.1848: Bl. A zum Prot. GRM vom 13.11.1848: BA, DB 52/4. 554 Bl. D zum Prot. GRM vom 16.11.1848: BA, DB 52/4. 555 Verbalnote des RJM an das öst. Min. vom 19.11.1848: Bl. B2 zum Prot. GRM vom 20.11.1848: BA, DB 52/4.

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von Robert Blum als „einzige vollständige Sühne“ des Oberkommandos zu entheben, sollte die Gemüter beruhigen; an dessen Erfüllung konnte das Ministerium nicht im Ernst glauben. Die Antwort gab Felix Fürst Schwarzenberg, der seit dem 21. November neuer Ministerpräsident und Außenminister des Kaisertums Österreich war, vor dem sechs Tage später im mährischen Kremsier eröffneten Reichstag. Geschickt spielte er zunächst die Karte des Nationalismus, indem er die Frankfurter Pläne als eine Zerstörung der Monarchie interpretierte, die letztlich auch zu einer Schwächung Deutschlands führen würde. Er stellte dann die friedensstiftende Wirkung der „staatlichen Einheit“ Österreichs heraus, die deswegen „ein deutsches, wie europäisches Bedürfnis“ sei. Und statt die großdeutschen Pläne direkt zurückzuweisen, hat er vorgeschlagen, dass beide Länder zunächst ihre Neukonstituierung durchführen sollten, um danach erneut über ihre „Beziehungen staatlich zu bestimmen“. Wohin seine Absichten dabei gingen, hat er wohl unfreiwillig angedeutet, als er versicherte, dass Österreich bis dahin „seine Bundespflichten treulich zu erfüllen“ gedenke.556 Mit dem Sieg der konterrevolutionären Kräfte in Österreich war dessen Zusammengehen mit dem neuen Deutschland schon politisch erledigt, ehe die damit aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Probleme, für die im Grunde niemand eine Lösung hatte, angegangen worden sind. Abgeschlossen wurde die Neuausrichtung der inneren und äußeren Politik des Kaisertums Österreich durch den Thronwechsel vom debilen Ferdinand unter Umgehung seines Bruders zu dessen 18-jährigen Enkel Franz Joseph am 2. Dezember 1848. Bezeichnend für das Verhältnis des Reichsverwesers zum Kaiserhof war, dass er dabei nicht einbezogen worden war und davon nur über Dritte erfahren hat!557 Am  28. November richtete der neue Ministerpräsident ein beschwichtigendes Schreiben an die Reichsregierung.558 Dessen Zweck allem Anschein nach darin bestand, Zeit zu gewinnen bis die Unabhängigkeitsbestrebungen in Norditalien und Ungarn eingedämmt waren. Diese entnahm daraus die unausgesprochene Absicht, nur eine völkerrechtliche Verbindung zwischen Deutschland und Österreich anzustreben. Sie ließ ihn daher wissen, dass sie schon jetzt den „Weg der Verständigung über die möglichen gemeinsamen Grundlagen der jeweiligen staatlichen Neubildung“ beschreiten wolle, wobei 556 Vgl. den Druck des Regierungsprogramms des Min. Schwarzenberg vom 27.11.1848: Bl. A zum Prot. GRM vom 3.12.1848: BA, DB 52/4 und Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm. 23) 67ff. 557 A. Ableitinger: Ehg. Johann und Wessenberg 1848 (wie Anm. 65) 181. 558 MP Schwarzenberg an den öst. Bevollm., 28.11.1848: Bl. B zum Prot. GRM vom 6.12.1848: BA, DB 52/4.

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„die künftige Verbindung beider Reiche der leitende Gedanke“ sein müsse.559 Die Mehrheit der Nationalversammlung war aber nicht mehr bereit, von dem während der Verfassungsberatung am 27. Oktober gefassten Beschluss abzurücken, dass die Habsburgermonarchie nur mit ihren deutschen Gebieten beitreten solle und diese mit den nicht-deutschen durch Personalunion zu verbinden seien. 10.

Die Regierung von Gagern und die misslungene Einbindung Preußens

Mit der Proklamation Schwarzenbergs, dass der Erhalt des österreichischen Gesamtstaates ein „deutsches wie europäisches Bedürfnis“ sei, war der bisherigen Österreich-Politik des Reichsministeriums unter seinem Vorsitzenden Anton Ritter von Schmerling die Grundlage entzogen. Er gab deswegen seinen Herzenswunsch, Österreich in Deutschland zu halten, noch nicht auf. Um dafür weiterhin den im Parlament und unter den liberalen bröckelnden Rückhalt zu sichern, verfiel er auf die Idee, Heinrich von Gagern zum Präsidenten des Reichsministeriums vorzuschlagen,560 den er in seinem Sinne zu lenken gedachte. Auf einem Treffen der führenden Parlamentarier der liberalen Fraktionen am 7. Dezember fand der Präsident der Reichsversammlung dafür die Zustimmung, von der er die Annahme des neuen Amtes abhängig gemacht hatte.561 Da die Mehrheit der Versammelten aber auf dem Ausschluss Österreichs aus dem neuen Deutschland bestand, ließ Schmerling über das Ministerium einen Antrag einbringen, weiterhin offene Verhandlungen mit dem Kaisertum zu führen.562 Darin sahen nicht nur die Borussen in der CasinoPartei einen Täuschungsversuch ihres immer mehr beargwöhnten Parteifreundes. Sie forderten daher am 14. Dezember dessen vollständigen Rückzug aus dem Ministerium.563 Dem kam Schmerling am 15. Dezember nach.564 Er selbst und das Ministerium wurden von dem Widerstand gegen das Programm und die jetzt sichtbar

559 Entwurf eines Schreibens des GRM an das öst. Min.: Bl. C zum Prot. GRM vom 6.12.1848: BA, DB 52/4. 560 GRM vom 6.12.1848: BA, DB 52/4. 561 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 302. 562 Vgl. Bl. B zum Prot. GRM vom 13.12.1848: BA, DB 52/4. 563 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 361f. 564 Vgl. RIM an die Bevollm. bei der PZG, 17.12.1848: BA, DB 54/11.

Die Provisorische Zentralgewalt

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werdende heftige Abneigung gegen seine Person überrascht.565 Seine beiden engsten Mitarbeiter, die Unterstaatssekretäre aus dem Innenminsterium, solidarisierten sich mit ihm.566 Während der Österreicher Joseph von Würth den deutschlandpolitischen Kurs des neuen Ministeriums nicht mittragen konnte,567 war dies für den Badener Friedrich Daniel Bassermann nicht der Fall. Vermutlich verwarf er deswegen seine Rücktrittsabsicht gleich wieder.568 Seit dem 15. Dezember 1848 saßen im Reichsministerium keine Österreicher mehr.569 Dem Vertrauensmann der sich formierenden kleindeutschen-erbkaiserlichen Mehrheit war schon am 15. Dezember vom Reichsverweser angeboten worden, in das Reichsministerium einzutreten. Doch wollte er dies erst tun, nachdem er am 16. die Präsidentschaft der Nationalversammlung niedergelegt hatte.570 Daher erfolgte seine Berufung zum „Präsidenten des Reichsministerrathes“erst am folgenden Tag.571 Zugleich übernahm er mit dem Außenministerium und dem Innenministerium die bisherigen Ämter Schmerlings. Zwar sollte er das Innenministerium nur „ interimistisch“ leiten, doch führte er es bis zum Ende seines Kabinetts. Denn Mitte Januar 1849 scheiterte sein Versuch, den bayerischen Liberalen Gustav von Lerchenfeld, der in dem einen Monat zuvor zurückgetretenen Märzministerium das Finanz- und Innenressort begleitet hatte, dafür zu gewinnen. Trotz Übereinstimmung in den Grundüberzeugungen mit Gagern wollte der bayerische Adlige den Weg zum preußischen Erbkaisertum nicht mitgehen.572 Darüber hinaus blieb die Zusammensetzung des Kabinetts unverändert.573 Denn dessen neuer Vorsit565 R. v. Mohl an seinen Wahlkreis, 21.12.1848: Reichsminister Robert von Mohl und seine Wähler (wie Anm. 6) 360f. In einem Brief an Duckwitz, 26.12.1851: StA Bremen: NL Duckwittz  7, beklagt sich Schmerling darüber, dass er damals als „Verräther der deutschen Sache“ und „Diener der Reaktion“ verleumdet worden sei und ihn die Erbkaiserlichen „gerne todgeschlagen hätten“. 566 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 365ff. 567 In einem Schreiben des RV vom 15.12.1848 an den Präsidenten der NV wurde diesem eröffnet, dass Schmerling und Würth „ihren Wünschen gemäß“ ihrer Stellen enthoben worden seien: BA, DB 54/11. 568 R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 364, Anm. 815. 569 Vgl. RV an den Präsidenten der NV, 15.12.1848; Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4223. 570 Vgl. Rede Gagerns in der NV am 16.12.1848: ebenda 4223. 571 RV an den Präsidenten der NV, 17.12.1848: ebenda 4233. 572 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 307. 573 Der RV notierte unter dem 14./15.12.1848. „Gagern kömmt … will die Meisten behalten. Basserman, Mathy dürften nicht bleiben wollen, Beckerath Werkzeug Kamphausens, Fallati preussisch.“: Tgb. Ehg. Johann: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. Vgl. auch noch GRM, 15.12.1848: BA, DB 52/4.

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zender war bereit, weiterhin „ mit den Männern im Ministerium zusammenzuwirken, die bisher in Ausübung ihrer Berufspflichten die höchste Achtung verdient und die vollste Anerkennung sich erworben“ hätten.574 Trotz aller Turbulenzen und den Wechseln an der Spitze zeigte das Reichskabinett bis zum Mai 1849 eine bemerkenswerte Stabiltät.575 Gagern schmeichelte dem Parlament, indem er ihm versicherte, dass ihn die bloße „Nothwendigkeit“ und nicht Ehrgeiz zu der neuen Aufgabe getrieben habe, denn als Präsident „dieser hohen Versammlung“ habe er bereits „die ehrenvollste Stelle, die einem Bürger geboten werden kann,“ innegehabt.576 Er trat mit einem gedämpften Enthusiasmus sein Amt an, da er eine Mehrheit des Parlaments hinter sich wusste, mit der Unterstützung des ErzherzogReichsverweser glaubte rechnen zu können und mit seinem Kabinett politisch übereinstimmte. Dieses bekannte sich nun zum Beschluss der Nationalversammlung und wollte daher Österreich „als in den zu errichtenden deutschen Bundesstaat nicht eintretend“ betrachten.577 Es akzeptierte auch den Wunsch des österreichischen Außenministers, dass die Kontakte künftig wie zwischen Staaten üblich nur noch über die Außenministerien laufen sollten und nicht mehr wie bisher über die Fachressorts. Ein deutscher Bundesstaat unter preußischer Führung, der Teil einer Union zwischen Deutschland und Österreich sein sollte, war nun der Kern der Österreich-Politik der Provisorischen Zentralgewalt.578 Durch die Berufung Heinrichs von Gagern in das Amt des Ministerpräsidenten am 17. Dezember wurde der starke Mann des Parlaments gegen den der Regierung ausgetauscht.579 Der entschlussfreudige und konsequent handelnde Staatsmann gegen den mehr reflektierenden und von seinen Ideen überzeugten Parlamentarier. „Der eine war durch sein leichtes, glückliches Talent, der andere durch seinen Charakter der bedeutende Mann.“580 Mit dem Vorsitzenden Anton Ritter von Schmerling war der Mann gegangen, der die Politik des Reichsministeriums bisher am nachdrücklichsten und kontinuierlichsten geprägt hatte. Reichsjustizminister Robert von Mohl bestätigte ihm darüber 574 Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4223. 575 Vgl. dazu die Aufstellung der Präsidenten des Reichsministerrats, der Minister und Unterstaatssekretäre. – In diesem Band, 423. 576 Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4223. 577 Bl. A zum Prot. GRM vom 18.12.1848: BA, DB 52/5. 578 GRM, 17. u. 18.12.1848: BA, DB  52/5 und R. Heikaus: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 85) 366f. 579 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 303ff. Vgl. auch noch Tgb. Ehg. Johann von Anfang Dezember 1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. 580 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 83.

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hinaus, dass er die Anarchie erfolgreich bekämpft, leidliche Beziehungen zu den fremden Mächten hergestellt und schließlich eine angemessene Stellung gegenüber den deutschen Regierungen gefunden habe.581 Schmerlings – vielleicht mit Gagern abgesprochner Versuch582 – diesen wiederum im Amt des Präsidenten der Nationalversammlung zu beerben, scheiterte am 18. Dezember kläglich.583 Während die Bildung der Regierung Leiningen und noch mehr das Interim Schmerlings im Einvernehmen zwischen Reichsverweser und Nationalversammlung zustande gekommen waren, wurde ihm das neue Ministerium von dieser aufgedrängt. Er akzeptierte es, obwohl er dessen Kurs ablehnte, da eine „Verfassungskrise“ unabsehbare Risiken barg.584 Unter dem Parlamentarier Gagern wurde die parlamentarische Regierungsform am weitesten getrieben, indem der Ministerpräsident am 18. Dezember eine Regierungserklärung abgab.585 In ihr warb er vor allen Dingen um die Zustimmung zur neuen Österreich-Politik. Er machte aber zugleich deutlich, dass eine schnelle Verabschiedung der Verfassung das gemeinsame Interesse von Nationalversammlung und Reichsministerium sein müsse. Erst nach schwerem Ringen erhielt er am 13. Januar 1849 eine knappe Zustimmung zu seinen Plänen,586 von der er seinen weiteren Verbleib im Amt abhängig gemacht hatte.587 Das war wohl die erste parlamentarische Genehmigung eines Regierungsprogramms in der deutschen Geschichte. Gagern hat die konstitutionelle Wende vermutlich auch vollzogen, um Volksvertretung und Ministerium stärker zusammenzubinden, da im Lande das Nachlassen des revolutionären Elans allgemein zu spüren war.588 Deswegen und um die kleindeutsche Lösung abzusichern, bemühte sich der neue Regierungschef auch um eine engere Bindung der Bevollmächtigen der Regierungen der Bundesstaaten an sein Kabinett.589 Stützen konnte sich Gagern auf die, die ihn ins Amt gebracht hatten, weil sie ihm am ehesten zutrauten, die kleindeutsche konstitutionelle Monarchie unter Preußens Führung durchzusetzen und das selbstständige Kaiserreich 581 582 583 584 585 586 587 588 589

Ebenda 81ff. Schmerling / A. v. Arneth: (wie Anm. 90) 268. Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4229ff. Zur Ablehnung der kleindeutschen Pläne Gagerns durch den RV: G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 313. Vgl. Reden VI / F. Wigard (wie Anm.  3) 4233f. Bei F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 304 fälschlich „19.“. Vgl. die Debatte in Reden VI / F. Wigard (wie Anm. 3) 4646ff. Vgl. ebenda 4652. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 105. R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 84.

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Österreich mit ihr zu verbinden. Freilich verfügte sein Kabinett schon bald über keinen zuverlässigen Rückhalt mehr, da sich die Fraktionen in der Entscheidungssituation des Frühjahrs 1849 rasch umbildeten und die Konstellationen häufig wechselten. Doch war dessen parlamentarische Absicherung insofern gestärkt worden, als eine Gruppe unter der Führung Robert von Mohls und einige andere Mitglieder der Regierung sich von der Linken getrennt hatten und zusammen mit dem Casino und der rechten Mitte den neuen Kurs mittrugen. Allerdings hatte das Casino seine österreichischen Abgeordneten an die sich jetzt bildende Fraktion des „Pariser Hofs“ verloren. Dort sammelten sich die großdeutschen Antipoden des preußischen Erbkaisertums unter der Führung Schmerlings, also neben den Österreichern die Katholiken, Föderalisten und süddeutschen Liberalen. Erschwerend kam hinzu, dass der Reichsverweser ein natürlicher Gegner des Programms von dem sein musste, der ihn ins Amt gebracht und den er jetzt wiederum berufen hatte. Johann verhielt sich formal korrekt und bemühte sich sogar, die Kompromissbereitschaft der Abgeordneten zu fördern.590 Doch hatte er in Frankfurt zu kaum jemanden mehr Vertrauen als zu Schmerling und er ließ sich immer mehr vom neuen österreichischen Ministerpräsidenten Schwarzenberg, dessen politisches Urteil er schätzte, für dessen Absichten einspannen, ohne dass ihm das wohl in vollem Umfang bewusst wurde. Gagern hatte in seinen Unterredungen in Berlin Ende November und Anfang Dezember 1848 für das Angebot des Reichsoberhaupts den Anschluss Preußens an Zentralgewalt und Nationalversammlung verlangt.591 Die Zurückweisung des Königs hat er vor allem darauf zurückgeführt, dass er auch noch den Rücktritt des Ministeriums Brandenburg und den Verzicht auf die Oktroyierung der Verfassung gefordert hatte. Darüber hinaus war er deswegen optimistisch geblieben, da Friedrich Wilhelm gerade in den letzten Monaten sich schon mehrmals zu dem hatte bewegen lassen, was er zuvor vehement abgelehnt hatte. Letztlich und vermutlich entscheidend kam aber hinzu, dass die kleindeutsche Partei und er keine andere Lösung mehr sahen – eine vielleicht verhängnisvolle Blickverengung. Auch war die halb liberale Verfassung kein Bruch mit Frankfurt und die am Hof erwogenen Alternativpläne, die Zusammenarbeit mit diesem allmählich aufzugeben, waren nicht bekannt. Durch die Proklamation des österreichischen Ministerpräsidenten Schwarzenberg, dass die staatsrechtliche Einheit der Gesamtmonarchie nicht verhandelbar sei, wurde Gagern nur in seinem Plan bestärkt, einen deutschen Bundesstaat unter preußische Führung anzusteuern, den er schon als 590 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 306f. 591 K. Canis: Vom Staatsstreich zur Unionspolitik (wie Anm. 519) 442.

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hessen-darmstädtischer Ministerpräsident im März 1848 proklamiert hatte. Wie ebenfalls von Österreich gewünscht, sollte die Beziehung zwischen beiden Staaten danach auf diplomatischem Wege ausgehandelt werden. Die Ausarbeitung der deutschen Verfassung sollte allein Sache der Frankfurter Nationalversammlung sein.592 Ohne dass die Problematik jemals artikuliert wurde, wurde dabei unterstellt, dass sich daran auch die österreichischen Abgeordneten beteiligten! Schmerling hatte die Weihnachtstage genutzt, um die österreichische Regierung vor Ort davon zu überzeugen, sich nicht voreilig aus Deutschland zurückzuziehen.593 Kurz zuvor war ihm wegen der „der guten Sache geleisteten großen Dienste“ ein Ministeramt in der neuen Regierung Schwarzenberg angeboten worden. Er zog aber die Alternative, die Stelle des österreichischen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt, vor. Das war im Sinne des Ministerpräsidenten. Dieser schätzte die gute Vernetzung Schmerlings in Frankfurt, dessen Ansehen bei seinen ehemaligen Kollegen und nicht zuletzt das Vertrauen, das ihm der Reichsverweser entgegenbrachte.594 Sein erster Auftrag war, der Zentralgewalt mitzuteilen, dass das Kaisertum eine Bundesmacht bleiben wolle und weiterhin Einfluss auf die deutsche Entwicklung zu nehmen gedenke.595 Diese Wende beflügelte für kurze Zeit die Hoffnung der Großdeutschen. Doch gelang es Gagern leicht, den Vorstoß zu parieren, da weder diese noch Schwarzenberg ein Konzept dafür hatten. Vielleicht hatte Schmerling noch die Hoffnung, die kaiserliche Regierung für irgendeine Form des Anschlusses an das neue Deutschland zu gewinnen. Wahrscheinlicher aber ist, dass Schwarzenberg ihn für seine Deutschlandpolitik einspannte. Diese hatte kein anderes Ziel, als die beabsichtigte Staatsbildung zu verzögern, ja möglichst zu verhindern. Denn Österreich wollte weder ein einiges, noch ein demokratisches, noch ein preußisches Deutschland. Deswegen kam es auch gar nicht darauf an, ob die Wiener Vorschläge überhaupt realisierbar waren. Es galt, Zeit zu gewinnen, die in Ungarn und Oberitalien für Österreich arbeitete. Darüber hinaus setzte der österreichische Ministerpräsident darauf, dass die Großmächte den preußischen Plänen wenig gewogen waren. In der Unterredung mit dem Zaren, in der er um russische Hilfe gegen die Aufständischen in Ungarn bat,596 ließ er sich von diesem 592 Erklärung von RMP von Gagern vom 18.12.1848 im Auszug: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 291f. 593 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 801f. 594 MP Schwarzenberg an Schmerling, 20.12.1848: HHStA, NL Bienerth-Schmerling, Kt.  4, Fasz. 15/3. 595 Inst. MP Schwarzenbergs vom 28.12. 1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 292f. 596 K. Ruppert: Ungarns Kampf (wie Anm. 497) 458.

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zugleich die Unterstützung für den Fall zusagen, dass österreichische Rechte in Deutschland durch Preußen verletzt würden.597 Diese Politik war letztlich erfolgreich. Sicherlich nicht nur wegen dieser Taktik Schwarzenbergs und dessen Instrumentalisierung des Erzherzogs. Doch wird dieser Beitrag zum Scheitern und für den Weg zur Wiedererrichtung des Deutschen Bundes, mit der allein Österreich rundum zufrieden sein konnte, allzu oft übersehen. Auf jeden Fall war Schmerling jetzt als österreichischer Bevollmächtigter und Führer der großdeutschen Partei in der Nationalversammlung der mächtigste Gegner des Programms der Reichsregierung. Eine Stellung, in der er sich freilich nicht lange sonnen konnte. Anfang März 1849 fühlte sich die österreichische Regierung stark genug, um das demokratische Experiment zu beenden. Der Reichstag von Kremsier wurde aufgelöst und eine Verfassung für den Gesamtstaat oktroyiert. Mit einer Note vom 9. März an das Reichsministerium598 wurden sogleich die deutschlandpolitischen Konsequenzen aus dem neuen Kurs gezogen. In ihr wurde eine abstruse Verfassungskonstruktion präsentiert, die eine Mischung von Deutschem Bund und der Kreisverfassung des Alten Reichs war, auf deren Grundlage die Vorherrschaft des Kaiserreichs über Deutschland befestigt werden sollte. Da in solchen Vorstellungen selbst Wohlwollende nur eine Provokation sehen konnten, gaben die Großdeutschen auf. Schmerling dämmerte nun vermutlich, welche Rolle er bisher gespielt hatte, und wollte daher nicht mehr länger Bevollmächtigter Österreichs sein. Sicherlich gegen seine Absicht hatte Schwarzenberg mit diesem Schritt die Blockade in Frankfurt überwunden. Jetzt blieb nur noch Preußen. König Friedrich Wilhelm IV. wollte die deutsche Frage nur mit Österreich und den deutschen Fürsten lösen. Dennoch hatte ihn sein Ministerium dafür gewonnen, den deutschen Regierungen Preußens Bereitschaft zu eröffnen, die Führung in einem deutschen Bundesstaat zu übernehmen599 und sich damit von Wien ab- und Frankfurt zuzuwenden. Folglich reagierte Preußen zusammen mit 31 weiteren deutschen Regierungen positiv auf den ihm vom Reichsministerium zur Stellungnahme zugeleiteten ersten Entwurf der Reichsverfassung.600 In Abstimmung mit Österreich lehnten ihn die vier Königreiche ab. Bei ihnen hatte Schwarzenberg inzwischen die Vorbehalte gegen die preußischen Hegemonialbestrebungen tüchtig gefördert. 597 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 102. 598 Öst. Reg. an Schmerling, 9.3.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 371ff. 599 Pr. ZD zur Verf. an die kgl. Missionen bei den dt. Reg., 23.1.1849: Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm. 23) 253ff. Auszug: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 294ff. 600 RMP von Gagern an die Landesbevollm. bei der PZG, 28.1.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 197.

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Für die Frankfurter Institutionen spitzte sich die Lage im Frühjahr 1849 dramatisch zu. Das Reichsministerium fürchtete erneut soziale und revolutionärrepublikanische Unruhen, vor allem im Südwesten, ausgelöst durch die Emigranten, die sich im vorigen Herbst in die Schweiz und ins Elsass zurückgezogen hatten.601 Im gesamten Land hatte das Erstarken der fürstlichen Gewalten die Vereinsbewegung des Vorjahres wiederbelebt und deutlich verbreitert. Daran hatte der im November  1848 von den linken Fraktionen der Nationalversammlung gegründete „Centralmärzverein“ seinen Anteil. Als Dachorganisation, die die Errungenschaften des März 1848 verteidigen wollte, reichte sie bis weit hinein in die Bewegungen der konstitutionellen Liberalen und Republikaner. Obwohl sie die Unterstützung der Nationalversammlung als alle politischen Lager überwölbendes gemeinsames Ziel hatte, wurde sie von deren Mehrheit und dem Reichsministerium spätestens seit ihren Aufrufen zur aktiven Durchsetzung der Reichsverfassung mit Misstrauen beäugt. In Schleswig-Holstein stand der erneute Ausbruch der Feindseligkeiten mit Dänemark bevor. Die Großmächte hatten ihre Positionen in der Verfassungsfrage abgesteckt. Daher galt es, nun zum Ziel zu kommen, ehe auch die preußische Option versperrt war. Denn die Signale, die von dort ausgingen, waren widersprüchlich und verwirrend. Der König und seine Regierung zogen nach verschiedenen Richtungen und Kräfte am Hof blockierten sich gegenseitig. Während die offizielle Politik auf Frankfurt zuzugehen schien, wurden insgeheim Möglichkeiten sondiert, die dortigen Institutionen auszuschalten.602 Deswegen hatte der Abgeordnete Welcker nach dem Bekanntwerden der österreichischen Note vom 9. März am 21. den Antrag gestellt, den Verfassungsentwurf der ersten Lesung sofort anzunehmen und die erbliche Kaiserwürde dem König von Preußen zu übertragen.603 Obwohl dieses Vorpreschen unabhängig vom Reichsministerium erfolgt war, nahm dieses sein Scheitern zum Anlass, um zurückzutreten. Es rechtfertigte seinen Schritt damit, dass die größeren Staaten abdrifteten und es im Parlament keine stabile Mehrheit mehr habe.604 Ministerpräsident Gagern ließ vertraulich verlauten, dass der „HauptGrund aber war die Unthunlichkeit, die Reichs-Interessen wahrzunehmen, ohne sich dabei ganz auf Preußen stützen zu können.“605 Diese Sicht war wohl vor allem Erschöpfung und Resignation geschuldet. Politisch war eine solche Voreiligkeit nicht zu verantworten. Das sahen auch führende Parlamentarier 601 602 603 604

V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 335ff. K. Canis: Vom Staatsstreich zur Unionspolitik (wie Anm. 519) 446ff. Reden VIII / F. Wigard (wie Anm. 3) 5915–5918; 5891–5912. Rücktrittsgesuch des Min. Gagern an den RV, 22.3.1849: Bl. C zu Prot. GRM 21.3.1849: BA, DB 52/8. 605 H. v. Gagern an Heinrich Karl Jaup, 28.5.1849: StA Darmstadt, Abt. O 11, E Nr. 38.

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so. Sie versuchten das Kabinett vergeblich davon zu überzeugen, dass nur das beschleunigte Verfahren, nicht das politische Konzept selbst verworfen worden sei und dass die „jetzige gefährliche Lage Deutschlands“ einen Rücktritt verbiete.606 Das Kabinett Gagern bat dennoch noch am Abend des 21. März den Reichsverweser um seine Entlassung.607 Es ist aber zugleich ohne Zögern dessen Wunsch nachgekommen, die „laufenden Geschäfte interimistisch“ weiterzuführen.608 Damit war der Weg für die Nationalversammlung frei, in einem Tempo, das ebenso bemerkenswert war wie die Kompromissfähigkeit zwischen den Kleindeutschen und der Linken, ihr Verfassungswerk bis zum 28. März 1849 zu Ende zu bringen und an diesem Tage Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit 248 Enthaltungen, doch ohne Gegenstimmen zum „Kaiser der Deutschen“ zu wählen.609 Sicherlich auch getrieben durch die inzwischen das übliche Maß deutlich übersteigende Kritik an ihrer Tatenlosigkeit.610 Optimistisch machte sich das Reichsministerium schon kurz darauf daran, den erweiterten Bund mit Österreich zu konzipieren.611 Gagern glaubte vermutlich immer noch nicht, dass mit dem preußischen König ein Mann zum Schiedsrichter über sein Werk bestellt worden war, der eine Krone von Volkes Gnaden ebenso verachtete wie dessen Verfassung. Am 3.  April stellte der König noch gegenüber der Deputation der Nationalversammlung, die ihm das Angebot überbrachte, heraus, dass eine Verfassung für Deutschland nur mit der Zustimmung aller Fürsten und Städte zustande kommen könne.612 Bis Ende des Monats verwarf Friedrich Wilhelm IV. eine vom souveränen Volk geschaffene Verfassung grundsätzlich, da sie mit dem Gottesgnadentum unvereinbar sei und gegen das Vereinbarungsprinzip verstoße. Er begründete seine Ablehnung gerade mit den Kompromissen, welche die Verabschiedung überhaupt erst ermöglicht hatten: das suspensive Veto des Kaisers und das allgemeine und gleiche Wahlrecht!613 606 607 608 609 610 611 612 613

Prot. GRM 21.3.1849: BA, DB 52/8. Bl. C zu Prot. GRM 21.3.1849: BA, DB 52/8. Prot. GRM 22.3.1849: BA, DB 52/8. Reden VIII / F. Wigard (wie Anm. 3) 6083ff. Mit Genugtuung registrierte Ehg. Johann, dass darunter so gut wie keine Bayern und Österreicher gewesen seien; so an Schwarzenberg, 28.3.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 138. Dazu F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 313ff. Prot. GRM 30.3.1849: BA, DB 52/8. Vgl. DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 105–108. Eingehender zu den Gründen des pr. Kg.s u. deren ideologischer Verwurzelung vgl. K. Ruppert: Bürgertum und staatliche Macht (wie Anm. 540) 119ff. K. Canis: Preußische Gegenrevolution (wie Anm. 541) 168.

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Für den Reichsverweser, der gerade von einer schweren Krankheit genesen war und sich als „moralisch und physisch abgenutzten Mann“ empfand,614 war das Maß voll.615 Die Konstitution war nicht nach seinem Geschmack und er hatte nicht verhindern können, dass dem preußischen König die Herrschaft über Deutschland angeboten worden war, die, da war er sich mit Schwarzenberg einig, eigentlich seinem Hause zustand.616 Dennoch hat er seine Amtsmüdigkeit nie damit begründet. Er hat vielmehr erstaunlich wenig dafür getan, um diese Entwicklung zu verhindern. Vermutlich setzte er darauf, dass das Produkt der Nationalversammlung nochmals mit den Fürsten verhandelt werden würde.617 Er ließ den Präsidenten, den Vizepräsidenten zusammen mit einem Ausschuss der Nationalversammlung zu sich rufen, um ihnen in Gegenwart des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Gagern und von Reichsjustizminister Mohl zu erklären: „Ich finde mich bestimmt, unter den obwaltenden Verhältnissen die Würde eines Reichsverwesers zurückzulegen. Ich ersuche Sie, Herr Präsident, diesen meinen Entschluss der Nationalversammlung anzukündigen.“ Letztlich wollte er damit der unangenehmen Situation entgehen, vom preußischen König, falls dieser die Kaiserwürde annahm, abgesetzt zu werden. Im Falle der Ablehnung müsse die Nationalversammlung erneut einen Verweser wählen. Sollte sie sich wiederum für ihn entscheiden, schloss er trotz allen bisherigen Gejammers die erneute Übernahme des Amtes nicht aus.618 Doch soweit sollte es nicht kommen; wie seine Regierung musste er erkennen, dass nicht die Zeit der Rückzüge war.619 Vom Reichsministerium und der Mehrheit 614 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 363 „die Todeskrankheit, von welcher ich aufstehe, hat meine Kräfte sehr mitgenommen, und ich werde längere Zeit bedürfen, mich gänzlich zu erholen;“ So Ehg. Johann an Schwarzenberg, 27.3.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 137. 615 RV an interimistischen MP, 28.3.1849: Bl. B zu Prot. GRM 28.3.1849: BA, DB 52/8. Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 28.3.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 138ff. 616 Zur Einschätzung Pr.s durch Ehg. Johann: G. Küntzel: Ehg. Johann von Österreich u. Leiningen (wie Anm. 35) 309ff. 617 A. Ableitinger: Ehg. Johann und die Revolutionen (wie Anm. 44) 92. 618 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 28.3.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie A nm. 480) 138. 619 Johann an seinen Privatsekretär Johann Zahlbruckner, 19.4.1849: Jetzt brauchen mich die „Herren“ hier „und möchten, daß ich so lange bliebe, bis sie ihre Ideen mit aller Gemütlichkeit ausgeführt haben, nicht berechnend, ob es Gesundheit u.s.w. zuläßt. Allein, ich habe erklärt, daß ich aus Rücksicht des Wunsches meines Kaisers, und um ihm meine Ergebenheit zu beweisen, wohl noch eine kurze Zeit ausharren könne, vorzüglich, damit kein Preuße eingeschoben werde, daß ich aber dann gehe“: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H 2, 91.

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der Nationalversammlung bestürmt, ließ er sich umstimmen.620 Die Liberalen spekulierten darauf, dass den preußischen König gerade ein österreichischer Reichsverweser zur Annahme der Krone bestimmen werde. In Unkenntnis der Wiener Einflüsse rechneten sie nicht damit, dass sich dieser auch gegen das liberale Ministerium wenden könnte.621 Johann betrachtete sich seitdem als interimistischer Reichsverweser mit einem interimistischen Ministerium, das er aber ausdrücklich ermutigte, „mit voller Staatsgewalt und Verantwortlichkeit“ weiterzuarbeiten.622 Dies war dazu auch bereit, da es fürchtete, dass Österreich die auf Preußen zulaufende Entwicklung konterkarieren wollte.623 In diesem Durcheinander der Improvisationen und Vorbehalte dürfte aber Schwarzenbergs Intervention entscheidend gewesen sein. Denn kaum war die Rücktrittsabsicht Johanns bekannt, als Friedrich Wilhelm anbot, „die provisorische Leitung der deutschen Angelegenheiten zu übernehmen“.624 Solange diese Gefahr bestand, wollte der österreichische Ministerpräsident den Erzherzog auf seinem Posten halten. Die noch verbliebenen österreichischen Abgeordneten aus der sich auflösenden Nationalversammlung rief er aber zurück.625 Das Parlament entfernte sich so immer mehr von der Zentralgewalt. Dennoch kam der Reichsverweser dem Verlangen nach dessen Auflösung nicht nach.626 Er fürchtete dadurch nur die revolutionäre Stimmung noch mehr anzufachen, die dann „eine noch schlimmere Volksvertretung“ hervorbringen

620 E. R. Huber: DVG II (wie Anm.  4) 842f. sieht darin einen schweren Fehler der erbkaiserlichen Partei. Sie hätte den Rücktritt annehmen und die Reichsgewalt vorläufig einer Reichsregentschaft übertragen müssen. Diese hätte „immerhin höhere Aussichten auf einen Erfolg besessen“. Die PZG weiter im Amt zu belassen, „war die schlechteste aller denkbaren Lösungen“. Doch wer sollte diese Reichsregentschaft und wie legitimieren? Hätte sie „höhere Aussichten auf einen Erfolg“ gegen Preußen und Österreich gehabt? 621 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 330f. 622 Vgl. Prot. GRM 29. und 30.3.1849: BA, DB 52/8. 623 H. v. Beckerath an Valentin Heilmann, 1.4.1849: Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850 / gesammelt u. hrsg. von Joseph Hansen. – 3. Bd.: 1849–1850 / unter Benutzung der Vorarb. von Joseph Hansen bearb. von Heinz Boberach. – Düsseldorf 1998. – (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; 36) 110. 624 ZD des pr. Außenmin. an die pr. Gesandtschaften bei den dt. Reg., 3.4.1849: Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm. 23) 458f. 625 MP Schwarzenberg an Schmerling, 5.4.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 74f. 626 Als sich RHM Duckwitz am 17. Mai vom RV verabschiedete, hat dieser ihn wissen lassen, dass er, solange er lebe, nicht zulassen werde, dass man der NV ein Haar krümme: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 319.

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würde.627 Die Zentralgewalt selbst wiederum wurde immer mehr Getriebene der Ereignisse. Dabei hat sie die Führung des wieder ausgebrochenen Krieges gegen Dänemark nicht weniger Kräfte gekostet als die bald aufflammenden Aufstände in Deutschland. Während Österreich klar bei seiner ablehnenden Haltung blieb, schwankte Preußen erneut. Es schlug nun den Kurs ein, der nach Erfurt führte. Nach der Zurückweisung von Kaiserkrone samt Verfassungswerk wollte es durch Vereinbarung mit allen Willigen eine Konstitution für einen deutschen Bundesstaat schaffen.628 Dem Reichsministerium fiel dazu nichts anderes ein, als den Bevollmächtigten der deutschen Regierungen die Reichsverfassung, die erst einen Monat nach ihrer Verkündung im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden war,629 nun noch offiziell zu übermitteln. Ähnlich wie Preußen wollte es dadurch die Bundesstaaten zu einer Stellungnahme zwingen.630 Zugleich wurde der Reichsfinanzminister, der auch schon mal als preußischer Minister vorgesehen war, nach Berlin abgeordnet, um das zu sondieren, was man schon längst wusste, doch nicht wahrhaben wollte.631 In einer Kollektivnote vom 14. April  1849 nahmen 28 Regierungen die Reichsverfassung an.632 Nicht wenige werden dazu durch die Unruhen und den erneuten demokratischen Aufbruch des Frühjahrs bewogen worden sein. Die vier Königreiche waren nicht darunter. Dennoch wurde von deren Zustimmung die Verbindlichkeit der Note für alle abhängig gemacht.633 Doch wurde König Wilhelm von Württemberg, dem ersten Einzelstaat, der im Januar die Grundrechte übernommen hatte, am 25. April zur Anerkennung gezwungen, um einem Volksaufstand vorzubeugen. Kurz darauf folgte das revolutionäre Sachsen. Das Reichsministerium ließ erneut Gesandte abgehen in der Hoffnung, auch die anderen Könige, die sich in unterschiedlichem Maße mit Volksbewegungen konfrontiert sahen, deswegen zu einem Gesinnungswandel bewegen zu können. Der Bedeutung der Aufgabe gemäß diesmal keine Abgeordneten, sondern Mitglieder der Reichsregierung und von Staatsregierungen. Sie sollten auch keinesfalls Reichskommissare heißen und als solche

627 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 175. 628 K. Canis: Vom Staatsstreich zur Unionspolitik (wie Anm. 519) 452ff. 629 Vgl. RGbl. Nr. 16 vom 28.4.1849: Bl. B zu Prot. GRM 25.4.1849: BA, DB 52/9. 630 ZD des interimistischen MP Gagern an die Bevollm. der dt. Staaten, 12.4.1849: Bl. C zu Prot. GRM. 11.4.1849: BA, DB 52/9. 631 Prot. GRM 18. und 25.4.1849: BA, DB 52/9. 632 DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 111. 633 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 458.

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auftreten.634 Der Reichsverweser stellte sich allerdings quer. Fraglich ist, ob ihn dazu wirklich diplomatische Rücksichten und rechtliche Skrupel bewogen, da die Verfassungsgebung allein Sache der Nationalversammlung war, oder nicht aber doch seine Abneigung gegen die Verfassung selbst.635 Er gab schließlich nach, bestand aber darauf, dass „die Annahme der Verfassung nur durch moralische, persuasive Mittel befördert werde“.636 So konnte nun Bassermann erneut nach Potsdam reisen. Schon 14 Tage vor der Schlussabstimmung über die Reichsverfassung hat der Unterstaatssekretär Friedrich Wilhelm IV. in einem Brief die Zustimmung aller Fürsten zum preußischen Kaisertum suggeriert und ihm die Übernahme der Krone als nationale und religiöse Pflicht ans Herz gelegt.637 Gagern, mit dem möglicherweise dieser ungewöhnliche, vielleicht sogar ungebührliche Rat eines Reichsbeamten an einen König abgestimmt war, wollte auf diesem Wege eine Alternative zu dem kompromisslosen Entweder-Oder der Nationalversammlung testen. Er stützte sich dabei auf eine geheime Absprache, die er mit dem preußischen Angeordneten und engen Berater Friedrich Wilhelms, Joseph Maria von Radowitz, getroffen hatte. Sie lief darauf hinaus, dass die Reichsverfassung, nachdem sie Preußen angenommen habe, in einigen Kernpunkten revidiert werden könne und bis dahin sollte der König nur als Reichsstatthalter fungieren.638 Als Bassermann am 30. April eintraf, hatte sich die Lage aber dramatisch verändert. Die preußische Nationalversammlung, deren Zweite Kammer die Reichsverfassung inzwischen als rechtsgültig betrachtete, war aufgelöst worden und am 28. hatte Friedrich Wilhelm die ihm angetragene Kaiserkrone erneut und endgültig abgelehnt wie die Paulskirchenverfassung verworfen.639 Berlin wollte nun selbst die Initiative übernehmen, indem mit den Bundesfürsten, aber auch der Nationalversammlung, eine neue Verfassung ausgearbeitet werden sollte.640 Doch gehörte es auch zur neuen Politik, dass allen, die 634 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 304. 635 Prot. GRM 26.4.1849, bes. Bl. A: BA, DB 52/9. Nach A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 306 soll auf die Weigerung des Ehg. hin eine Menge in den Straßen zusammengelaufen sein, mit dem Ruf „Weg mit dem Reichsverweser, das Ministerium soll bleiben!“ Ironisch kommentierte er, dass das RM überrascht gewesen sei, sich auch einmal der Volksgunst zu erfreuen. 636 Prot. GRM 3.5.1849: BA, DB 52/9. 637 W. O. Werner: Bassermann (wie Anm. 154) 259ff. 638 K. Ruppert: Bassermann (wie Anm. 241) 295f. 639 MP Brandenburg an den Bevollm. bei der PZG, 28.4.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 113a. Zur Bedeutung dieses Vorgangs vgl. K. Ruppert: Bürgertum und staatliche Macht (wie Anm. 540) 119ff. 640 ZD MP Brandenburg an die pr. Ges. bei den dt. Reg., 28.4.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 113a.

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diese riskante Wende mitmachen wollten, militärische Hilfe angeboten wurde. Obwohl Bassermann darin keinen Weg sah, die „Befriedigung der wahren Bedürfnisse der Nation“ zu erreichen, sah er von Anfang an keine Möglichkeit, wie er Preußen davon abbringen könne.641 Das Reichsministerium sah in der Note wegen ihrer Vieldeutigkeit ein „perfides Machwerk“, mit dem sich der König nur nach allen Seiten absichern wollte.642 Da es darin noch nicht die endgültige Ablehnung der Verfassung sehen wollte, hielt es die angestrebte Vereinbarung noch für erreichbar. Währenddessen hat die durch den Rückzug von gemäßigten Abgeordneten sich immer mehr radikalisierende Nationalversammlung zum Gegenschlag ausgeholt. Die Kalkulation der erbkaiserlichen Mehrheit, durch öffentlichen Druck und Drohung mit der radikalen Revolution die Fürsten zur Anerkennung der Reichsverfassung zu zwingen, war nicht aufgegangen. Sie setzte daher am 4. Mai darauf, die ablehnende Haltung Preußens durch vollendete Tatsachen zu überspielen. Die Staaten, die das Verfassungswerk anerkannt hatten, sollten den Kern des Reiches dadurch konstituieren, dass sie die Wahlen für den auf den 22. August zu berufenden Reichstag durchführten. Zugleich wurde Preußen signalisiert, dass es dennoch in die Kaiserwürde eintreten könne, sobald es die Verfassung annehme. Der Weg dahin sollte unter der Führung der Reichsgewalt beschritten werden. Sie sollte ihn dadurch sichern, dass ihr die Streitkräfte der willigen Staaten unterstellt wurden. Da dies nur ein Achtel der deutschen Heeresstärke gewesen wäre, sollten die regulären Truppen durch revolutionäre Freiwillige aufgestockt werden.643 Von dem Bemühen, bis dahin die Reichsverfassung in allen Bundesstaaten durchzusetzen, wollte sie dennoch nicht ablassen. Da die Mobilisierung der Öffentlichkeit die erhofften Erfolge nicht gebracht hatte, drohte das Parlament jetzt wie Preußen mit Gewalt, indem es das Volk zur Unterstützung dafür aufrief.644 Die Nationalversammlung, die bisher für sich das Monopol für die Verfassung beansprucht hatte, beauftragte damit die Zentralgewalt quasi offiziell, diese durchzusetzen.645 Das Reichsministerium war nicht abgeneigt, sich anzuschließen, wenn der Reichsverweser nicht 641 K. Ruppert: Bassermann (wie Anm. 241) 296. 642 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 308. 643 Möller, Frank: Die Reaktion von Reichszentralgewalt und Nationalversammlung auf den Maiaufstand. – In: Dresdner Maiaufstand und Reichsverfassung 1849: revolutionäres Nachbeben oder demokratische politische Kultur? / hrsg. von Martina Schattkowsky; John Uwe. – Leipzig 2000. – (Schriften zur sächsischen Landesgeschichte; 1) 119–132, hier 124f. 644 NV 4. 5. 1849: Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6427. 645 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 337f.

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hineingezogen werden würde und die Volksbewegung nicht auf die Republik zusteuern würde.646 Die preußische Regierung hat den Fehdehandschuh aufgenommen und endgültig mit Frankfurt gebrochen. Die Verhandlungen mit dessen Unterhändler wurden eingestellt.647 Die Abberufung der preußischen Abgeordneten in der Nationalversammlung wurde damit gerechtfertigt, dass diese an der beschlossenen Verfassung festhielt.648 Die Volksvertreter Preußens weigerten sich allerdings Folge zu leisten; sie wollten ihre Entscheidung von der weiteren Entwicklung abhängig machen.649 Daraufhin wurden den Beamten unter ihnen ein Disziplinarverfahren angedroht, falls sie nicht innerhalb von acht Tagen auf ihre Posten zurückkehrten.650 Die Volksbewegung zur Annahme der Reichsverfassung wurde immer aggressiver, während das Reichsministerium erneut die Erfolglosigkeit seiner Missionen an die deutschen Höfe zur Kenntnis nehmen musste.651 Es löste sich allmählich auf. Am  3. Mai war der Reichsfinanzminister überraschend gegangen652 und es war fast symbolisch, dass Bassermann nicht mehr aus Berlin zurückkehrte, sondern orientierungslos durch die Stadt irrte in der Hoffnung auf eine unerwartete Wende.653 Die verbliebenen Mitglieder des Reichsministeriums erkannten nun richtig, dass ihr weiteres Vorgehen bei der Durchsetzung des Verfassungswerks davon abhänge, wie weit der Reichsverweser ihnen dabei folgen würde. Sie ließen ihn daher wissen, dass der Aufruf der Nationalversammlung keine Wendung zur Gewalt sei, sondern die Reichsverfassung nur mit demokratischen Mitteln durchgesetzt werden solle. Daher halte sich das Reichsministerium „für befugt und verpflichtet, mit allen gesetzlichen und friedlichen Mitteln und durch das Gewicht der moralischen Macht der Centralgewalt die Durchführung der Reichsverfassung zu unterstützen.“654

646 647 648 649 650 651 652 653 654

A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 309f. K. Ruppert: Bassermann (wie Anm. 237) 296. Pr. Staatsmin., 6.4.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 47. Oberstleutnant von Fischer an den pr. MP, 17.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm.  122) Nr. 22. Pr. Staatsmin., 19.5.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 68. Vgl. die Entsendung von Bevollm. des RV an die Höfe in Berlin, München, Hannover und Dresden zwischen dem 28.4. u. 28.5.1849: BA, DB 54/20. GRM 4.5.1849: BA, DB 52/9. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 310: wir waren alle verdutzt; das hätte niemand erwartet. Zitat? K. Ruppert: Bassermann (wie Anm. 241) 297. Prot. GRM 8.5.1849, bes. Bl. D: BA, DB 52/10. Zu den Motiven Gagerns für seinen Rücktritt vgl. F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 345ff.

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So sehr sich das Programm aus der Lage ergab, so war es doch auch der Abschluss einer Reihe von Konflikten, die Gagern geschürt hatte, um den Reisverweser zum Rücktritt zu bewegen.655 Erwartungsgemäß lehnte er es nach einem eintägigen Schwanken ab,656 vorneweg zu gehen bei der Durchsetzung einer demokratischen Verfassung für das kleindeutsch-preußische Kaiserreich.657 Doch tat er seinem Regierungschef auch nicht den Gefallen zurückzutreten,658 so dass dessen Ministerium am 9. Mai um seine „definitive Entlassung“ nachsuchte.659 Sie erfolgte am nächsten Tag.660 Gagern selbst und einige seiner Kollegen blieben aber noch bis zur Bestellung ihrer Nachfolger als abtretender interimistischer Reichsministerrat im Amt.661 Zuvor von Gagern angestellte Überlegungen, in einem Staatsstreich Nationalversammlung und Reichsverweser zu beseitigen, um Preußen doch noch die provisorische Zentralgewalt zu übertragen,662 erledigten sich von selbst; sie waren nicht mehr als Ausdruck verzweifelter Ratlosigkeit. Die Taktik des Reichsverwesers, den „einst Gefeierten, sich selbst und seine Anhänger“ sich verbrauchen zu lassen,663 war aufgegangen. Für den eher verzweifelten als realistischen Plan einer sich neu formierenden Gruppe von Abgeordneten aus den Klein- und Mittelstaaten, diese zum Kern eines Reiches zu machen, von dem aus die Verweigernden auf der Grundlage einer Reichsverfassung in ein Gesamtdeutschland hätten gezwungen werden sollen, wollte er sich nicht mehr hergeben. Es hat ihn mutmaßlich kaum geschreckt, dass dazu 655 Detmold an Stüve, 17.5.1849: Briefwechsel zwischen Stüve und Detmold in den Jahren 1848 bis 1850 / hrsg. von Gustav Stüve mit Einleitung von Georg Kaufmann. – Hannover u. Leipzig 1903. – (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens; 13) 214ff.; dort auch Ausführungen zu der psychischen Zerrüttung Gagerns in jenen Tagen. 656 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 314. 657 In seinem Schreiben an MP Schwarzenberg vom 4.5.1849 spricht Rechberg davon, dass das RM versuche, den RV mit fortzureißen: HHStA, PA II, 11. Nach A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm.  94) 316 war das Ministerium aber dadurch zu der Erkenntnis gekommen, dass seine Stellung unhaltbar sei, dass die NV Schritte verlange, die der RV nicht zugeben wolle. Nach einem „großen inneren Kampf“ sei man zu der Überzeugung gekommen, Minister des RV zu sein und deswegen abtreten zu müssen. 658 Rechberg an MP Schwarzenberg, 4.5.1849: HHStA, PA II, II,11. 659 Prot. GRM 9.5.1849: BA, DB 52/10. Der RV war davon überzeugt, dass seine Minister „die ordentliche Bahn verlassen“ hatten und „Parteihäupter und Intriganten geworden“ seien. So an MP Schwarzenberg, 27.3.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 137. Vgl. auch noch zurückgetretener MP v. Gagern an RV, 10. u. 12.5.1849: BA, DB 54/11. 660 Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6496. 661 Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6611f. und GRM, 13.–17.5.1849: BA, DB 52/10. 662 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 85. 663 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 175.

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Voraussetzung war, den Reichsverweser durch einen Statthalter zu ersetzen. Schon mehr stieß ihn ab, dass der Plan nur mit der Linken durchsetzbar gewesen wäre.664 Ausschlaggebend war wohl, dass er darin keinen Weg sah, Preußen für die Führung in Deutschland zu gewinnen.665 Heinrich von Gagern hat aufgrund seiner persönlichen Überzeugungskraft und weil er zur Linken hin offen blieb manche parlamentarische Blockade überwunden und manches Hindernis auf dem Weg zur Verabschiedung der Reichsverfassung beseitigt. Innerhalb des Parlaments und in der politischen Öffentlichkeit war er zur Führungsfigur der Nationalversammlung aufgestiegen. Dort hat er die Lösung der deutschen Frage, die er schon immer für die einzig mögliche gehalten hatte, durchgesetzt: den kleindeutschen Bundesstaat unter einem preußischen Erbkaiser. Als Reichsministerpräsident war er aber daran gescheitert, diese Verfassungsnorm zu verwirklichen.666 Seine unverrückbare politische Überzeugung, dass sich das deutsche Problem durch Verständigung der Einsichtigen und Vernünftigen beider Seiten würde lösen lassen, hatte sich als trügerisch erwiesen. Wie die meisten seiner Gesinnungsgenossen unterschätzte er die Dimension der Macht in der Politik. Er zog die Konsequenz aus seinem Scheitern, indem er wenige Tage nach dem Ausscheiden aus dem Reichsministerium zusammen mit seinen Parteifreunden am 21. Mai auch die Nationalversammlung verließ.667 Gagern war zum Opfer der Institution geworden, die er geschaffen hatte, und der Person, der er sie übertragen hatte! Er musste sich jetzt fragen, ob es nicht eine Torheit gewesen war, einen österreichischen Erzherzog zum Reichsverweser zu machen, wenn er von Anfang an eine kleindeutsche Lösung unter preußischer Führung angestrebt hatte. Mit dem Fehlschlag des Verfassungswerkes der Nationalversammlung war auch der Kompromissweg, den die konstitutionellen Liberalen gehen wollten, gescheitert. Friedrich Wilhelm handelte im Sinne aller Fürsten. Denn diejenigen, die die Verfassung formal annahmen, standen ebenfalls nicht hinter ihr. Die Verständigung mit den Fürsten war eine von mehreren illusionären,

664 Gagerns Frau war verzweifelt über die Aussicht, dass sich ihr Ehemann mit der Linken einlassen werde und in den Strudel der republikanischen Bewegung gezogen würde: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 316. 665 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 344ff. 666 RJM Robert von Mohl, der die Entwicklung aus nächster Nähe beobachten konnte, sah die Gründe dafür, dass Gagern mit seiner „Ministeraufgabe“ gescheitert sei „zunächst an der unbegreiflichen Politik Preußens, dann an der Weigerung des Reichsverweser, die beschlossene Reichsverfassung durch gesetzliche Agitation in ganz Deutschlands durchzuführen.“ 667 Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6697; F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 348ff.

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niemals in letzter Konsequenz sich bewusst gemachten Grundannahmen der bürgerlichen Revolution. Dass sie misslang, hat eindrücklich bestätigt, dass eine Neugestaltung der Verhältnisse mit den Bundesstaaten nicht zu machen war. Es gab nur die niemals eingestandene Alternative marginaler Veränderungen mit den Fürsten oder aber das liberale und demokratische Deutschland der Reichsverfassung gegen sie. Die Liberalen in allen ihren Spielarten als die eigentlichen Träger des Aufbruchs vom Frühjahr 1848 waren angetreten, um diese weitgehend gewaltlos gebliebene Revolution durch Institutionalisierung zu domestizieren. Die Verfassung, durch die dies geschehen sollte, war nun Auslöser nicht nur einer Revolution, sondern eines Bürgerkriegs geworden. Die zweite Institution, die geschaffen worden war zur Durchsetzung und Absicherung der Verfassungsgebung, nämlich die Provisorische Zentralgewalt, schob diesen Auftrag jetzt beiseite. Stattdessen präsentierte sie sich als Ordnungsmacht und nahm Kurs auf die Wiederherstellung des alten Systems. Vollkommener konnte man nicht scheitern!668 11.

Die Bildung der letzten Reichsregierung

Amt und Person des Reichsverwesers standen seit Anfang Mai 1849 so stark unter Druck wie niemals zuvor. Sein eigener Ministerpräsident verfolgte das Ziel, ihn durch König Friedrich Wilhelm IV. zu ersetzen. Er gab sich der Illusion hin, diesen so doch noch zur Annahme der Kaiserkrone wie einer entgegen dem Beschluss der Nationalversammlung im preußischen Sinne veränderten Reichsverfassung bewegen zu können. Preußen wollte den Reichsverweser ebenfalls beseitigen, allerdings mit ganz anderen Absichten als Gagern.669 Es setzte darauf, aus der Position der Zentralgewalt heraus leichter die Führung in Deutschland übernehmen zu können, um dessen Einheit nach seinen Vorstellungen zu gestalten.670 Das Königreich und Gagern spekulierten darauf, dass 668 Wie sehr manche Liberale in den Maitagen dies auch persönlich durchlebten, schildert anschaulich A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94): Beim Abschied von seinen Gesinnungsgenossen und Freunden hätten diese Tränen im Auge gehabt und das Wort sei ihnen im Munde stecken geblieben. Sie hätten nur noch die Worte „Armes Deutschland!!!“ stammeln können. 669 In der Abschiedsaudienz vom 17. Mai 1849 beklagte sich der RV gegenüber RHM Duckwitz, dass Intriganten verhindert hätten, dass sein Einsatz für die Einheit des Vaterlandes anerkannt worden sei. Er könne viel ertragen, „aber diese Perfidie der preußischen Clique dreht mir das Herz im Leibe um“: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 319. 670 Pr. MP an den Bevollm. bei der PZG, 18.5.1849: Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm. 23) 535ff. Ausführlich: H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 95ff.

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es dem Reichsverweser nicht mehr gelingen werde, ein Ministerium zu bilden, das die Unterstützung der Nationalversammlung finden würde, und er daher die Konsequenz aus seiner wiederholt geäußerten Amtsmüdigkeit ziehen würde.671 Entgegen der Erwartung Gagerns nahm Erzherzog Johann den Rücktritt seines Ministeriums „ohne Umstände“ an.672 Obwohl der preußische König den Reichsverweser davon zu überzeugen versuchte, dass Deutschland vor der Revolution wie dem „Erbfeind“ Frankreich allein gerettet werden könne, wenn er Inhaber der Reichsgewalt sei, und ihm zugleich als treuester „Freund und Verehrer“ schmeichelte,673 wies Johann zu dessen Verblüffung die Forderung, ihn zu beerben, ebenso entschieden zurück wie die nach der Auflösung der Reichsversammlung.674 Daraufhin bestritt die Regierung Brandenburg der Zentralgewalt das Recht, mit Dänemark über Krieg und Frieden zu verhandeln, da sie dies gemäß dem Gesetz über ihre Errichtung nur mit Zustimmung einer nicht mehr arbeitsfähigen Nationalversammlung tun könne. Sie entzog ihr ihre Truppen und brach alle Beziehungen zu ihr ab.675 Persönlich hätte Erzherzog Johann nichts lieber getan, als sich von seinem Amt zurückzuziehen. Dennoch hat er sich zu einer äußerst schwierigen und teilweise entwürdigenden Bildung eines „rein exekutivem Ministeriums“, „welches sich in keine Verfassungsgegenstände mischt,“676 in der zweiten Hälfte des Mai 1849 entschlossen. Dafür hatte er mehrere Gründe.

671 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 343. Ausführlich zu dem Bemühen Pr.s, die ZG zu übernehmen H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 95ff. Schon im November war der RV der Überzeugung, dass Pr. nach der Vorherrschaft strebe und die Großmächte kein vereintes D. wollten. Tgb. 11.11.1848: BArch FSg1 357. 672 In seinen „Notata 1848 und 1849“, wohl nach 1850: Katalog der Ehg.-Johann-GedächtnisAusstellung, Nr.  621 schreibt Johann „Gagerns Programm – dieses sich allein möglich glaubend, fällt an meinem Widerstand.“ Vgl. auch A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 315. 673 Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 18.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) Nr. 25. 674 Ehg. Johann an Schwarzenberg, 15.5.: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 165f. und Ehg. Johann an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 22.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) Nr. 32. 675 Depesche Brandenburgs an den pr. Bevollm., 18.5.1849: Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm.  23) 535ff. Der Entzug der Anerkennung durch Pr. führte zu der kuriosen Situation, dass Wittgenstein in den Schreiben aus Berlin als „hessischer Generallieutenant“ angesprochen wurde, in den Schreiben des Prinzen von Pr. während des gemeinsamen Kampfes gegen die Aufständischen aber als „Präsident des Reichs-Minister-Raths“. 676 So Ehg. Johann an Schwarzenberg, 27.3.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 137.

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Erstens sah es Erzherzog Johann als seine dynastische Pflicht an, so lange auf seinem Posten zu verharren, bis das bedrängte Kaiserreich Österreich wieder in der Lage war, seine Interessen in Deutschland zu vertreten. Um ihn darin zu bestärken, hat der österreichische Ministerpräsidenten Felix von Schwarzenberg im März 1849 seinen Vertrauten Johann Bernhard Graf von Rechberg und Rothenlöwen, den auch der Erzherzog schätzte, zum Beauftragten Österreichs bei der Zentralgewalt ernannt. Johann war klar, dass es dessen Auftrag war, „mich um jeden Preis! hier festzuhalten, sich wenig bekümmert, ob ich Ehre, Gesundheit“ verliere.677 Für wie wichtig man in Wien inzwischen diese Position hielt, zeigt der abenteuerliche Vorschlag des neuen Bevollmächtigten, im Notfall den immer wieder von Rücktrittsgelüsten heimgesuchten Erzherzog durch seinen Bruder Stephan zu ersetzen!678 Der österreichische Ministerpräsident setzte zusätzlich darauf, dass die europäischen Großmächte ein Deutschland unter Preußens Führung ablehnten. Mehrfach bat er daher mit Unterstützung seines Kaisers im April und Mai 1849 den Zaren um militärische Hilfe im Kampf gegen Ungarn. Zugleich hat er sich dessen Versicherung geben lassen, dass Russland Österreichs Rückkehr nach Deutschland befürworte.679 Nach der Beendigung ihrer Tätigkeit sind die Minister des letzten Reichsministeriums vom Kaiser mit dem Leopoldsorden ausgezeichnet worden. Das ist eine schöne Bestätigung der These, dass aus österreichischer Perspektive dessen Hauptaufgabe darin bestand, den Weg zu einer österreichischen Lösung der deutschen Frage zu ebnen, ohne dass dies vielleicht allen Mitgliedern des Kabinetts in letzter Konsequenz klar war.680 Eng mit den österreichischen Plänen hängt zweitens zusammen, dass die Bildung des Reichsministeriums die preußische Absicht zunichtemachte, durch Übernahme der Reichsgewalt und durch Ausschaltung der Nationalversammlung in Deutschland eine Stellung zu erringen, die es dazu legitimiert hätte, seine beiden derzeitigen Ziele im Namen der Nation zu verwirklichen: die Ausgestaltung der inneren Verhältnisse nach seinen Vorstellungen und die Bekämpfung der Aufstände. Die Verhinderung der Übernahme der Zentralgewalt durch Preußen stärkte Bayern wie die anderen Mittel- und Kleinstaaten des Bundes in ihrem Widerstand gegen die Unionspläne. Obwohl durch das Ausharren die Beziehungen zwischen dem Reichsverweser und dem preußischen König belastet waren und Berlin ihm wie seinem Ministerium die 677 Ehg. Johann an Gf. Prokesch-Osten, 11.5.1849: Bfw. Ehg. Johann mit Gf. von ProkeschOsten (wie Anm. 71) 231. 678 Rechberg an MP Schwarzenberg, 4.5.1849: HHStA, PA II, 11. 679 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 102. 680 Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) X.

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Anerkennung entzogen hatte, bemühten sich diese nicht ohne Erfolg zumindest um eine pragmatische Kooperation bei dem gemeinsamen Ziel der Bekämpfung der Aufstände in Deutschland. Der Reichsverweser und sein Ministerium trugen entscheidend dazu bei, die Kampagne zur Durchsetzung der Reichsverfassung zu delegitimieren. Denn sie übernahmen die Deutung von deren Gegnern, dass es dieser gar nicht um die Konstitution gehe, sondern „um anderweitige verwerfliche Zwecke“.681 Dabei war es hilfreich, es im Ungefähren zu lassen, ob damit Anarchie, Bürgerkrieg, die Republik oder irgendeine Form der Volksherrschaft gemeint war. Im Gegenzug wurde durch die Kooperation der Reichstruppen mit denen Preußens im Kampf gegen die pfälzische und vor allem die badische Verfassungsbewegung der preußische Gewaltstreich, der keinerlei Rechtsgrundlage hatte, legitimiert. Wie anarchisch die Situation in der zweiten Hälfte des Mai 1849 war, zeigte sich deutlich daran, dass aus den einst kooperierenden Gewalten, nämlich dem Reichsministerium und der Nationalversammlung, in kürzester Zeit Kontrahenten wurden, während aus den Rivalen Preußen und Reichsgewalt ebenso schnell Kooperierende. Drittens wollten auch der Reichsverweser und die ihn am Regierungssitz noch stützenden Kräfte die Anarchie besiegen. Zum einen dadurch, dass mithilfe von Bundestruppen Frankfurt und Mainz gehalten wurden, umso ein Übergreifen der süddeutschen Aufstände nach Nord- und Mitteldeutschland zu verhindern; zum andern indem das Reichsministerium diese Kräfte gegen die Aufständischen einsetzte. Es spielte viertens auch noch eine Rolle, dass die Befürchtung bestand, dass nach der Auflösung der Zentralgewalt die Linke der Nationalversammlung an deren Stelle eine revolutionäre Exekutive einsetzen würde, die mit den Aufständischen den Süden zum Ausgangspunkt für eine Revolution in Deutschland machen würde. Marx und Engels waren eigens nach Frankfurt gekommen, um die Linke für diesen Plan zu gewinnen. Es galt also nicht nur zu verhindern, dass sich eine preußische Zentralgewalt etablierte, sondern auch eine linke, die sich des Ansehens, der Institutionen und Finanzmittel der jetzigen hätte bedienen können.682 681 So im Tagesbefehl des RV an die Reichstruppen, 12.5.1849: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 377. Seidl, Klaus: „Gesetzliche Revolution“ im Schatten der Gewalt: Die politische Kultur der Reichsverfassungskampagne in Bayern 1849. – Paderborn 2014, 59 spricht von der „geräuschlosen Reaktionspolitik“ des RV. 682 RAM Jochmus behauptete sogar, dass die Absicht bestanden habe, eine „Rheinische Republik“ im Zusammenspiel mit französischen Revolutionären in Frankfurt zu errichten.

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Das alles hing aber daran, dass eine Regierung zustande kam. Vor dem Hintergrund eines durch Anarchie, Aufstände und Bürgerkrieg aufgewühlten Landes musste diese sowohl mit der Feindschaft Preußens als auch der Nationalversammlung rechnen. Dort bekämpfte sie die Linke als antirevolutionäre und die Erbkaiserlichen als antipreußische Kraft.683 Die größte Krise der Provisorischen Zentralgewalt wurde aber auch die Stunde des Reichsverwesers. Nie war er bedeutender und keine seiner Handlungen war so folgenreich wie sein Ausharren im Amt und wie die Bildung des neuen Ministeriums. Diese zog sich zehn Tage hin, stand mehrmals vor dem Scheitern und wurde durch mehrere Gegenvorschläge zur Überwindung der Blockaden begleitet. Zunächst verlangte eine Deputation der Nationalversammlung noch am 10. Mai vom Reichsverweser die rasche Einsetzung einer Regierung, deren erste Priorität sein müsse, die ablehnenden Fürsten zur Anerkennung der Reichsverfassung zu zwingen. Ihr gegenüber bestand Johann darauf, dass sein Amt ihn ermächtige, den politischen Kurs des neuen Reichsministeriums zu bestimmen. Den von dieser Antwort wenig erbauten Parlamentariern gab er den Trost mit, dass er seine „Pflicht thun werde als redlicher Mann.“684 Mehr als diese Zusicherung erhielten die Volksvertreter, die in ihrem Sinne die Regierungsbildung hatten beeinflussen wollen, nicht.685 Berlin hingegen glaubte vom Reichsverweser ein Ersuchen erwarten zu können, dass es die Zentralgewalt übernehme.686 Obwohl dieser während der Verhandlungen die Übertragung an Preußen nicht mehr grundsätzlich ausschloss, wollte er sie aber erst dann ins Auge fassen, wenn die Linke eine provisorische Regierung einsetzen würde.687 Diese wollte aber stattdessen den Reichsverweser als Reichsoberhaupt einsetzen, damit er einen Reichstag zur Überarbeitung des Verfassungswerks einberufe.688 Die Gegenseite strebte danach, Gagern anstelle des Reichsverwesers zum Reichsstatthalter zu machen, damit er die Annahme der Verfassung durchsetze.689 Ein solches Unternehmen war

683 684 685 686 687 688 689

RAM A. v. Jochmus an MP Wittgenstein, 11.7.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 45f. Detmold an Stüve, 17.5.1849: Bfw. / G, Stüve (wie Anm. 655) 214f. Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6508f. Ebenda, 6544, 6572f. Friedrich Wilhelm IV. an den RV, 18.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 48f. H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 86. Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6528. Jürgens, Karl Heinrich: Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerkes 1848–49: In zwei Abtheilungen. – Bd.  2,1: Bis zum Schluß der ersten Verfassungsberathung. – Hannover 1856, 510f.

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diesem aber viel zu revolutionär.690 Er setzte daher darauf, dass der Reichsverweser, dem er jetzt auch öffentlich den Rücktritt nahelegte, bei der Regierungsbildung scheitern werde und er deshalb sowieso im Amt bleiben würde.691 Der „vom Sterbebette“ auferstandene Johann fühlte sich „kraftlos“, von allen verlassen und angesichts der in der Nationalversammlung debattierten Auswege aus der Krise wie in einem „Tollhause“.692 An der Suche nach Männern, die sich auf ein solch riskantes Unternehmen einlassen wollten, haben sich im Auftrag des Reichsverwesers mehrere Unterhändler beteiligt, wurden viele angesprochen und zahlreiche Namen genannt. Auch der Reichsverweser ist aktiv geworden. Er hatte aber mit seiner bevorzugten Lösung eines Kabinetts aus Staatsmännern der Mittelstaaten keinen Erfolg. Besonders aktiv hat sich der konservative Abgeordnete Alexander von Bally eingeschaltet. Als Katholik und Pro-Österreicher gehörte er seit einiger Zeit zu dem Kreis um den Erzherzog und zu den wenigen Parlamentariern, zu denen dieser Vertrauen hatte. Da der Reichsverweser wohl schon vor dem offiziellen Rücktritt des Ministeriums Gagern die Zusammenarbeit mit diesem beenden wollte, nahm er Ballys Dienste bereits zwei Tage zuvor an.693 Der großherzoglich-hessische Generalleutnant und Diplomat August Ludwig Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg wurde vermutlich von seinem Freund Großherzog Emil von Hessen-Darmstadt dem Reichsverweser als Ministerpräsident und Kriegsminister empfohlen;694 möglich auch, dass ihn

690 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 85 bescheinigt Gagern „nach reiflicher wiederholter Überlegung“, dass es richtig gewesen sei, sich auf solche Putschpläne nicht einzulassen. „Er war nun einmal nicht der Mann des schnellen und rücksichtslosen Handelns, wie es doch zum Gelingen eines solchen Unternehmens unvermeidlich gewesen wäre; und überdies wäre nimmermehr ein leidliches Verhältnis zwischen ihm und den unreinen Bestandteilen der Bewegung, welche ebenfalls nicht ganz wäre zu vermeiden gewesen, zu stande gekommen.“ 691 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 93. 692 Ehg. Johann an Gf. Prokesch-Osten, 11.5.1849: Bfw. Ehg. Johann mit Gf. von ProkeschOsten (wie Anm. 71) 231f. 693 Die wohl im Herbst 1849 in mehreren Abschriften angefertigte Denkschrift von Alexander Bally findet sich sowohl im NL Detmold im BA Berlin als auch im NL von Karl von Leiningen im Fürstlich Leiningischen Archiv Amorbach. Die Denkschrift wurde vermutlich für Karl Jürgens für dessen Geschichte des deutschen Verfassungswerks (wie Anm. 689) angefertigt, wenn wohl auch nicht nur dafür (Hinweis von Dr. Stockinger). Danach teilweise auch das Folgende. H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 85ff. hat die Denkschrift bereits nach dem Exemplar im NL Detmold verwendet. 694 Bally a. a. O. erweckt den Eindruck, als ob oder Vorschlag von ihm gekommen sei; das ist aber weniger wahrscheinlich.

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der ihm nahestehende Johann Hermann Detmold ins Spiel brachte.695 Der erfahrene Militär, der bereits den Rückzug der großen Armee von Napoleon mitgemacht hatte, war der Überzeugung, dass die deutschen Kleinstaaten sich gegenüber Preußen nur durch den Rückhalt an Österreich behaupten könnten.696 Im Herbst 1848 war er vom hessen-darmstädtischen Märzministerium seiner militärischen Stellung und seiner Position als Gesandter am Berliner Hof enthoben worden.697 Nach seinem Ausscheiden aus dem Reichsministerium fand Herzog Adolph von Hessen-Nassau in ihm im Februar 1852 den idealen Kandidaten, der die liberalen Errungenschaften von Vormärz und Revolution wieder rückgängig machen sollte. Es waren unter anderem die politischen Präferenzen des leitenden Staatsministers, die das kleine Herzogtum im Deutschen Krieg an die Seite Österreichs und damit in den Untergang führten, mit dem im Juni 1866 auch Wittgensteins politische Laufbahn endete.698 Zugleich wurde mit August Giacomo Jochmus ein weiterer Militär von Bally ins Spiel gebracht.699 Der 1808 in Hamburg Geborene hatte inzwischen eine internationale Militärkarriere zurückgelegt, die ihn von den griechischen Freiheitskriegen über zahlreiche Kämpfe im Orient bis zum Chef des Generalstabs einer internationalen Truppe und zum Mitarbeiter im Kriegsministerium in Konstantinopel emportrug.700 Hoch dekoriert, kehrte er 1848 nach Deutschland zurück, wo ihn das Angebot des Reichsverwesers in Baden-Baden erreichte.701 Vermutlich verdankt er seine Berufung Bally; der Erzherzog kannte ihn jedenfalls nicht näher. Obwohl er international gut vernetzt war, hat er Presse 695 Nach Sayn-Wittgenstein, Franz zu: August Ludwig Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg: 1788–1874. – In: Nassauische Lebensbilder 4. – Wiesbaden 1950, 172–184, hier 174 waren beide befreundet. 696 Vgl. auch Schreiben von RIM M. Grävell vom 21.5.1849, in dem er diesem seine Ernennungsurkunde zum Kriegsminister mit der Einsicht überschickt, dass es gegenwärtig einer größeren Selbstverleugnung erfordere, in das Ministerium einzutreten, als im Felde zu dienen: BA, DB 54/11, 101. Detmold schreibt in einem Brief an Stüve vom 17.5.1849, dass Wittgenstein „einen bösen Namen“ habe, erläutert dies aber nicht näher: Bfw. / G, Stüve (wie Anm. 655) 216f. 697 Möglicherweise bezieht sich Detmolds Aussage, dass Wittgenstein einen „bösen Namen“ habe, darauf. F. Sayn-Wittgenstein: Wittgenstein (wie Anm. 695) 173f. begründet die Entlassung weniger wahrscheinlich mit der Thronentsagung und dem Rückzug von Großherzog Ludwig II. 698 F. Sayn-Wittgenstein: Wittgenstein (wie Anm. 695) 176ff. 699 Ernennungsurkunde vom 16.5.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 4. 700 Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Xf. und A. v. Jochmus an Viscount Posonby, 11.6.1849: ebenda 10ff. 701 Schreiben des öst. Bevollm. bei der PZG an A. v. Jochmus, 10.5.1849: Bayerische Staatsbibliothek, NL Jochmus 42.

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und Öffentlichkeit von seinen Fähigkeiten als Außenminister nicht überzeugen können. Warum jetzt zum ersten Mal ein Marineministerium errichtet und dieses ihm übertragen wurde, erschließt sich nur schwer. Die Arbeit erledigten die nachgeordneten Behörden und Kommissionen. Obwohl Militär, ist Jochmus als Marineminister nicht hervorgetreten; mehr noch als er kümmerte sich der Finanzminister und Hanseat Ernst Merck darum. Meist hat sich aber das Kabinett gemeinschaftlich der Marineangelegenheiten angenommen. Obwohl Bally den Erzherzog mehrmals den preußischen Geheimen Justizrat Maximilian Grävell als einen Mann von Mut und Energie, der ein Leben lang für Freiheit, Gesetz und Ordnung eingetreten sei, vorgeschlagen hatte, sah dieser in ihm zunächst eine zu große Belastung für das künftige Ministerium. Dieser preußische Jurist und Beamte hatte sich mehrere Disziplinarverfahren eingehandelt und lebte seit seiner Versetzung in den Ruhestand als Schriftsteller auf seinen Gütern. Ein problematischer Charakter stand er zeitweise den Freimaurern und Lichtfreunden nahe und hatte spiritualistische Neigungen. Davon überzeugt, dass der Deutsche Bund abgewirtschaftet habe,702 hatte er sich für den Wahlkreis Muskau ins Parlament wählen lassen. Er war kein Anhänger des Parlamentarismus und bestritt der Nationalversammlung jede über die Verfassungsgebung hinausgehende Kompetenz. In dieser war er daher auch nur durch Wortmeldungen zu kleinlichen Verfahrensfragen und zur Geschäftsordnung hervorgetreten. Auf der äußersten Rechten politisch zuhause, galt er unter seinen Kollegen als ein nicht ernst zu nehmender Kauz. Am 11. Mai hatte Grävell in einer scharfen Debatte gegen die tobende Galerie und die Linke deren Anspruch auf umfassende Kompetenzen der Nationalversammlung zurückgewiesen.703 Daraufhin empfahl gleichfalls dessen Fraktionskollege Johann Hermann Detmold aus Hannover, der ebenfalls für das Ministerium vorgesehen war und den der Erzherzog schätzte, diesen in die Regierung aufzunehmen. Da der Reichsverweser den preußischen Abgeordneten bisher nicht kannte, hat dieser ihm in einer eigenen Denkschrift, die später auch veröffentlicht wurde, seine politische Überzeugung dargelegt. Er bestritt der Nationalversammlung ein allgemeines Mandat des Volkes. Daher sei deren Auftrag mit der Verabschiedung der Verfassung erledigt. Nationalversammlung und Zentralgewalt seien voneinander unabhängig. Diese könne 702 Grävell, Maximilian Karl Friedrich Wilhelm: Mein Glaubensbekenntniß, angehend den politischen Zustand Deutschlands. – Frankfurt a. M. 1849, 12. Das wohl dem RV überreichte handgeschriebene Manuskript von „Mein Glaubensbekenntniß anlangend den politischen Zustand Deutschlands von D. Grävell Reichsminister des Innern“ vom 13.5.1849 in BA, DB 54/11, fol. 188r-207r. Auf dem Titelblatt nachgetragen „er starb zu Dresden am 28. September 1860 in einem Alter von 79 Jahren“. 703 Reden XI / F. Wigard (wie Anm. 3) 6521ff.

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daher von jener auch nicht zur Durchsetzung der Reichsverfassung gezwungen werden – schon gar nicht auf gesetzlosem Wege. Die Aufgabe der Zentralgewalt sei es vielmehr, für Ruhe und Ordnung in Deutschland zu sorgen.704 Da sich diese Ansichten mit denen des Reichsverwesers deckten, sah er keinen Grund mehr, länger mit der Berufung zu zögern. Davon überzeugt, dass der Rücktritt des Reichsverwesers zum gegenwärtigen Zeitpunkt Bürgerkrieg und Revolution in Deutschland bedeuten würde, hat Grävell keinen Augenblick gezögert, das ihm angetragene Amt des vorläufigen Präsidenten zu übernehmen. Denn nicht nur er, sondern auch die anderen Kandidaten für die Ministerämter waren sicher, dass die Abdankung des Erzherzogs „einen Bürgerkrieg in vergrößerter Dimension“ zur Folge haben würde, und zwar dann, wenn sich die Spannungen zwischen den Parteiungen unter den Bundesstaaten (Österreich mit Bayern; Preußen mit Hannover und Sachsen; die 28 die Reichsverfassung anerkennenden Staaten) während der Aufstände in Sachsen und Süddeutschland entladen würden.705 Er war jetzt vom Wert der Zentralgewalt überzeugt, deren Einsetzung er im Oktober noch heftig getadelt hatte.706 Entgegen seiner Behauptung hat er aber auf die Regierungsbildung vermutlich nur am Rande Einfluss gehabt.707 Die Frage, warum Erzherzog Johann einem Mann, den er bisher nicht in die Regierung hatte aufnehmen wollen, das Innenministerium übertrug und zugleich zu deren Ministerpräsidenten machte, ist nicht leicht zu beantworten. Wenig überzeugend ist die These, dass er Preuße war und Friedrich Wilhelm zum Kaiser der Deutschen gewählt hatte.708 Denn Grävell ist schon nach 14 Tagen wieder aus dem Ministerium ausgeschieden.709 Stichhaltiger scheint eine andere Vermutung. Denjenigen, die von der Notwendigkeit der Bildung einer Regierung überzeugt waren, erschien er aufgrund seiner Biografie und seines Charakters wie seines Verhaltens in 704 705 706 707 708

M. K. F. W. Grävell: Mein Glaubensbekenntniß (wie Anm. 702) 20f. Detmold an Stüve, 23.5.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 222. P. Wentzcke: Kritische Bibliographie (wie Anm. 15) Nr. 403. M. K. F. W. Grävell: Mein Glaubensbekenntniß (wie Anm. 702) 12. Biedermann, Karl: Erinnerungen aus der Paulskirche. – Leipzig 1849, schreibt S. 234, dass man Grävell auf diesen Posten berufen habe, „um nicht gleich von vornherein das Ministerium als ein rein großdeutsches erscheinen zu lassen, und weil man seine Eitelkeit und seinen Schwachsinn am Leichtesten missbrauchen zu können glaubte“. Auch V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 465 vermutet, dass Grävell als „Renommier-Preuße für dieses merkwürdige Kabinett“ gewonnen worden sei. 709 Im Schreiben des RV vom 3.6.1849 an den „Geheimen Justizrat Doktor Grävell“ wurde diesem bestätigt, dass er auf sein „Ansuchen“ vom Vortage hin von seinen Fuktionen als „Reichsminister des Innern und interimistischen Präsidenten des Reichsministerrates“ entbunden worden sei: BA, DB 54 / 11.

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der Nationalversammlung als der Geeignete. Denn nur ihm trauten sie zu, in einer Atmosphäre, in der dem neuen Ministerium nur Häme und Hass bis hin zu Morddrohungen entgegenschlugen, dessen Überleben zu sichern. Nur er schien in den besonders turbulenten ersten Tagen gegenüber den Abgeordneten wie der Galerie der Nationalversammlung und in der Öffentlichkeit den notwendigen Mut, die Rücksichtslosigkeit gegen sich und andere, die Verachtung für seine Gegner und die psychische Stabilität, die wahrscheinlich vom Autismus nicht weit entfernt war, zu haben. Es dauerte noch bis zum 17. Mai, bis das Kabinett vollständig war.710 Reichsjustizminister Robert von Mohl zog sich zurück, da ihm die Zuversicht fehlte, dass eine gesetzmäßige Regierung der Anarchie in Deutschland noch Herr werden könne.711 Daher übernahm der Advokat Johann Hermann Detmold.712 Sein Widerstand gegen den Staatsstreich in seiner Heimat Hannover 1837 und regierungskritische Äußerungen des überwiegend als Journalist Tätigen brachten ihm Verfolgung und Schikanen ein. Er näherte sich aber wieder den herrschenden Gewalten an und das Märzministerium hat seine Wahl in die Nationalversammlung gefördert. Dort hat er auf der Rechten vor allen Dingen die Partikularinteressen des Königreiches Hannover vertreten und sich der großdeutschen Bewegung angeschlossen. Denn wie seine Gesinnungsgenossen sah er im Rückhalt an Österreich die sicherste Garantie vor preußischen Machtgelüsten. Darüber hinaus ist er im Parlament vor allen Dingen durch seine satirischen und spöttischen Beiträge aufgefallen.713 Er soll seinen Beitritt von dem seines Fraktionskollegen Ernst Merck abhängig gemacht haben.714 Das ist erstaunlich, da er nach eigener Aussage von ihm nicht viel gehalten hat715 und der reiche Patrizier sich eine blühende Zukunft für die deutsche Wirtschaft nur in einem von Preußen geführten Deutschland 710 Vgl. RV an den Präsidenten der NV, 17.5.1849: Reden XI / F. Wigard (wie Anm. 3) 6617f. Entwurf vom 16.5. in: BA, DB 54/11. 711 Robert von Mohl an RV, 14.5.1849: WLB, Cod. Hist. 40 506/III, Fasz. 16 b, Nr. 2 b. 712 Zu ihm K. Biedermann: Erinnerungen (wie Anm. 708) 204ff. und Biographischen Handbuch / H. Best; W. Weege (wie Anm.  191) 122f. zu den Motiven vergleiche Detmold an Stüve, 23. 5. 1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 221ff. 713 Er hatte den Text (Zeichnungen Adolf Schroedter) zu der erfolgreichen Satire über einen Abg. der NV geschrieben: Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeyer, Abgeordneten zur Constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. – Frankfurt a. M. 1849. 714 So Denkschrift von Alexander Bally (wie Anm. 693). Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) VIf. bestreitet Detmolds Anspruch, wesentlich auf die Bildung des Ministeriums eingewirkt zu haben, er habe im Gegenteil sich bis zum Schluss geziert. 715 Vgl. Detmold an Stüve, 17.5.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 216: „Merck eine Null, aber zu halten.“

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vorstellen konnte.716 Dieser gebildete Hamburger Großkaufmann von weltmännischem Habitus übernahm das Finanzministerium. Er lehnte es ab, das Handelsministerium zu leiten, um in den Handels- und Zollfragen nichts zu präjudizieren und weil ein solches Ministerium erst zweckmäßig erschien, wenn der Handelsraum des neuen Deutschlands festgelegt war.717 Auch der zurückgetretene Reichshandelsminister war der Ansicht, dass das, was hatte geleistet werden können, erreicht worden sei. Eine Wiederbesetzung des Ministeriums sei daher überflüssig. Während der Reichsverweser diesem Vorschlag folgte, ließ er sich von dem bisher für die Marine Zuständigen nicht davon überzeugen, dieses Ressort zu einer Abteilung des Außenministeriums herabzustufen.718 Der Reichsverweser hätte gerne den preußischen General Peucker weiter als Kriegsminister gehalten. König Friedrich Wilhelm IV. empfand es allerdings aus nachvollziehbaren Gründen als eine Zumutung, seinen General einer Regierung zur Verfügung zu stellen, der er inzwischen jede Legitimität abgesprochen hatte.719 Er hatte allerdings nichts dagegen einzuwenden, dass Peucker das Oberkommando über die Reichstruppen übertragen wurde. Denn trotz des Zerwürfnisses zwischen Preußen und der Zentralgewalt verband als gemeinsames Ziel die Bekämpfung der Aufstände. Am  17. Mai wurden die Geschäfte der Regierung Grävell übergeben.720 Deren lapidares Regierungsprogramm,721 das Detmold entworfen haben soll, doch in seinen Grundzügen durchaus auch dem „Glaubensbekenntniß“ von Grävell entsprach, wurde der Nationalversammlung noch am selben Tag schriftlich zugestellt. Das neue Reichsministerium schlug die Volksmänner, die ständig auf dessen nachdrücklichem Einsatz zur Durchsetzung der Reichsverfassung bestanden, mit ihren eigenen Waffen. Mit Berufung auf das Gesetz über die Errichtung der Provisorischen Zentralgewalt vom 28. Juni 1848 erklärte es sich in allen Fragen der Reichsverfassung für nicht zuständig. Es umschrieb allerdings seine lavierende Haltung zur Verfassung recht genau, wenn es sich 716 Zu ihm K. Biedermann: Erinnerungen (wie Anm. 708) 235 717 Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6618. Schon der bisherige RHM Arnold Duckwitz hat dem RV bei seinem emotionalen Abschied empfohlen, aus diesen Gründen sein Ressort nicht mehr zu besetzen: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 316. 718 Der zurückgetretene RHM u. RMM Arnold Duckwitz an RV, 12.5.1849: BA, DB 54/11. 719 Der RV wollte Peucker zumindest bis zum Amtsantritt Wittgensteins halten. Da er aber am 16. Mai resignieren musste, mussten 2 Direktoren des Kriegsministeriums bis zum 21. die interimistische Geschäftsführung übernehmen. Vgl. RV an den Präsidenten der NV, 16.5.1849: BA, DB 54/1. Vgl. auch noch V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 465. 720 Prot. GRM, 13.–17.5.1849: BA, DB 52/10. 721 Reden XI / F. Wigard (wie Anm. 3) 6618.

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anbot, deren Anerkennung bei den Bundesstaaten zu vermitteln, auf Anforderung hin aber alle gewaltsamen Bewegungen zu diesem Zweck bekämpfen werde. Denn es sei seine Pflicht, Wohlfahrt und Sicherheit Deutschlands zu wahren. Die Regierung unterließ es nicht, dem Parlament, dem dahingehende Absichten unterstellt wurden, zu eröffnen, dass sie jeden Eingriff in die ihr zustehende Gewalt verhindern werde. Der Bruch zwischen der Zentralgewalt und dem Parlament markiert das Ende der institutionellen Revolution und den Übergang zur anarchischen als Durchgangsstation zur Reaktion. Das neue Reichsministerium hat damit klargemacht, dass es sich nicht wie sein Vorgänger fälschlicherweise als ein konstitutionelles verstehe, sondern unabhängig vom Parlament gemäß seinem Verständnis des Gesetzes vom Juni 1848 sei. Nun gewann es für die Legitimierung der Zentralgewalt eine nicht voraussehbare Bedeutung, dass der Reichsverweser bei seiner Einsetzung nicht allein auf der Übertragung seiner Gewalt durch die Volksversammlung, sondern auch durch die Gemeinschaft der Fürsten bestanden hatte. In Zukunft bezog das Reichsministerium seine Legitimation nur noch daraus. In den turbulenten Tagen wurden die sich aufdrängenden Rechtsfragen gar nicht erst gestellt, die sich seit der Rückgabe der übertragenen Gewalt an die Nationalversammlung durch den Reichsverweser in den letzten Tagen des März aufdrängten. Denn die nachträgliche Legitimation durch die Bundesversammlung stand hinter der der Nationalversammlung, deren Schöpfung die Provisorische Zentralgewalt war und von der sie ihren Auftrag erhalten hatte, zurück. Erst die Selbstauflösung der Nationalversammlung hat in dieses zwielichtige Verhältnis faktisch mehr Klarheit gebracht.722 In der Praxis hat sich das Kabinett von Anfang an auf die Position zurückgezogen, das Parlament sich selbst zu überlassen und erst einzuschreiten, wenn dieses zu unrechtmäßigen Aktionen übergehen würde.723 Die Nationalversammlung hatte selbst die Grundlage dafür gelegt, dass sich die Provisorische Zentralgewalt gegen sie wenden konnte, indem sie analog zu den konstitutionellen Bundesstaaten den Reichsverweser wie einen Träger des Monarchischen Prinzips konstruiert hatte. Dieser konnte sich nach dem Willen des Parlaments richten, musste es aber nicht. Es lag zweifelsfrei im Rahmen des Konstitutionalismus auch ein Kampfkabinett gegen dieses zu bilden. Gagern und sein Anhang hatten im Juni 1848 diese Konstruktion gewählt, um die Staatsmacht 722 Trotz dieses Endes glaubte Fallati, dass die „Frankfurter Versammlung […] bei all ihren Mängel und aller Fehler“ der „wahre Hort Deutschlands“ gewesen sei, „eine vernünftige Oase inmitten einer wahren Wüste von politischer Thorheit, die sich in den Ständeversammlungen und Volksvereinen so vielfach in Deutschland jetzt breitmacht“: K. Klüpfel: Fallati’s Tagebücher (wie Anm. 21) 29. 723 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 101.

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auf Dauer der Linken zu entziehen und um die Frage der Staatsform zu präjudizieren, obwohl dies aus taktischen Gründen verschleiert wurde. Das Erste ist gelungen, das Zweite nicht. Die Konstruktion der Provisorischen Zentralgewalt hat sich zu guter Letzt auch gegen ihre Schöpfer, die konstitutionellen Liberalen, gewandt! Tags zuvor hatte Reichsministerpräsident Grävell während der Vorstellung der bereits installierten Minister die Nationalversammlung davon zu überzeugen versucht, dass ihn und seine Kollegen nur Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein und keinesfalls Ehrgeiz zur Übernahme der Ämter bewogen hätten und fast flehentlich bat er um das Wohlwollen.724 Dennoch hat das Parlament die Regierung mehrfach sein Misstrauen und seine Verachtung spüren lassen725 – bis hin zum Beschluss über deren Auflösung und die Androhung eines Putsches.726 Die breite Ablehnung beruhte darauf, dass das rechtskonservative antirevolutionäre Ministerium für die Linke aus ideologischen Gründen ein rotes Tuch war und es die Erbkaiserlichen bekämpften, weil mit ihm die preußische Option endgültig gescheitert war. Deren Führer Heinrich von Gagern soll die Nachricht von dessen Bildung, mit deren Scheitern er fest gerechnet hatte, „wie ein Wahnsinniger, zitternd und todtenbleich, fast geistesabwesend“ zur Kenntnis genommen haben.727 Am 21. Mai übernahm Wittgenstein das Kriegsministerium.728 Seine erste Amtshandlung war die Ernennung seines Vorgängers zum kommandierenden General der Reichstruppen in Frankfurt und Umgebung. Dafür hatten zuvor bereits die preußischen Abgesandten und die Bevollmächtigten der wichtigsten Regierungen plädiert. Die Reichsregierung erhoffte sich davon wenigstens bei der Bekämpfung der Aufstände eine enge Zusammenarbeit mit Preußen.729 724 Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6628f. 725 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 113f. 726 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 464ff.; Laube, Heinrich: Das erste deutsche Parlament: In drei Bänden. – Neuauflage Leipzig 1910, Leipzig 1849, hier III, 429f. 727 Detmold an Stüve, 17.5.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 216. 728 Der Interimistischer Präsident des Reichsministerrates an die Bevollmächtigten bei der Provisorischen Zentralgewalt, 21.5.1849: der großherzoglich-hessische Generalleutnant Fürst August von Sayn -Wittgenstein-Berleburg ist vom Reichsverweser zum Reichsminister des Krieges ernannt worden: BA, DB 54/11. Wittgenstein und der RV schätzten sich als ehemlaige hohe Militärs. Das war vermutlich mit ein Grund, warum Wittgenstein zum MP avencierte. „Wittgenstein nimmt an, trefflicher Mann“: Tgb. Ehg. Johann, 21.5.1849: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. In seinem Gratulationsbrief zum 68. Geburtstag von Ehg. Johann schrieb Wittgenstein am 16.1.1851, dass er froh gewesen sei, Johann habe dienen zu dürfen. Er bescheinigte diesem, dass er sich um das Vaterland verdient gemacht habe und sich ein Denkmal in der deutschen Geschichte errichtet habe: LA Graz, Archiv Meran, K 53, H. 1. 729 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 116.

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Aufgrund dieses stillen Arrangements und weil es sich der Bundestruppen in Frankfurt und in der nahe gelegenen Bundesfestung Mainz sicher sein konnte, glaubte das Reichsministerium, mit keinen Putschversuchen mehr vonseiten der Nationalversammlung rechnen zu müssen.730 Deren noch verbliebenen Abgeordneten, die die Konzentrierung preußischer Truppen im Rhein-MainGebiet wohl ebenso fürchteten wie sie die Ignorierung durch die Reichsgewalt frustrierte, zogen es vor, ins revolutionäre Süddeutschland abzuwandern.731 Sie beschlossen am 30. Mai die Verlegung des Rumpfparlaments nach Stuttgart.732 Damit hatte sich die von der Regierung angestrebte Unabhängigkeit von selbst ergeben. Daran änderte auch nichts, dass sich das Rumpfparlament anmaßte, der legitime Nachfolger der im Frühjahr 1848 gewählten Nationalversammlung zu sein. Aus dieser Überzeugung heraus hat es am 6. Juni mit der Reichsregentschaft eine Gegenregierung zur Provisorischen Zentralgewalt errichtet733 und sich zehn Tage später befugt gefühlt, die dem Reichsverweser einst übertragenen Rechte zu entziehen.734 Die Männer des Anfang Mai gegründeten großdeutschen Vereins blieben in Frankfurt zurück und sahen sich als die allein rechtmäßige Nationalversammlung an. Sie stimmten den Reichsverweser auch erneut um, als er zugunsten Preußens resignieren wollte. Dies zog daraufhin am 22. Juni seinen Bevollmächtigten ab, vor allem wohl, weil die Aufstände bis dahin eingedämmt waren. Die Vorwürfe der Herrschsucht wie mangelnde Einbindung der Kollegen und Kommunikationspannen im Innenministerium führten dazu, dass Reichsministerpräsident Grävell nicht mehr länger zu halten war.735 Der Vorsitz im Ministerrat war ihm von Anfang an nur vorläufig übertragen worden.736 Ob damit die Absicht verbunden war, ihn auf die Dauer zumindest in dieser Position zu ersetzen, ist nicht zu entscheiden. Seine Stelle übernahm am 3. Juni Fürst Wittgenstein und Justizminister Detmold wurde zum interimistischen Reichsminister des Innern ernannt.737 Es war nicht nur verletzte 730 731 732 733 734 735 736

Ebenda 118. H. Laube: Das erste deutsche Parlament (wie Anm. 726) 431. Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6766. DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 131. Ebenda, Nr. 135. Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) VIf. Grävell führte den Titel „Interim. Präsident des Reichs-Minister-Rathes“. Im Entwurf eines Schreibens an die Bevollmächtigten bei der Provisorischen Zentralgewalt, 18.5.1849 bezeichnet er sich als „interimistischer Vorstand des Ministerraths“: BA, BD 54/11. 737 Im Schreiben des RV an Wittgenstein, 3.6.1849, wurde dieser „unter Beibehaltung der Funktion des Reichskriegsministers zum Präsidenten des Reichsministerrates“ ernannt. Am selben Tag wurde Detmold „unter Beibehaltung der Funktion des Reichsjustizministers“

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Eitelkeit, wenn Grävell sich als Opfer einer Intrige seiner großdeutschen Kollegen Detmold, Jochmus und Wittgenstein sah.738 Grävells Bedeutung für die Regierungsbildung hat der Unterhändler Alexander Bally treffend charakterisiert: „ohne ihn wäre das Reichsministerium ebenso wenig zu Stande gebracht worden, als er selbst irgendeines zu Stande gebracht hätte; mit ihm würde das Reichsministerium nicht einen Tag länger haben bestehen können. Sein Austritt war eine Lebensfrage.“739 Das Reichsministerium war nun eine kleine Truppe von vier Mann, von denen alle bis auf Reichsfinanzminister Ernst Merck zwei Ministerien vorstanden. Obwohl niemand gerne eingetreten ist und selbst seine Mitglieder ihm wenig Vertrauen entgegenbrachten, sollte es dennoch das mit der längsten Lebensdauer werden.740 Eine Verkleinerung des Kabinetts wie auch der Reichsbehörden gebot auch die Lage der Finanzen. Der Ministerpräsident musste mit einem Protokollführer und einem Kanzlisten auskommen.741 Das Justizministerium verfügte nur noch über fünf Mitarbeiter, das der Finanzen über neun und das Innenministerium über 12. Die größten Behörden waren das Kriegsministerium mit 22 und nicht überraschend das der Marine mit 40, da es sich um das vorrangige Anliegen der Zentralgewalt in der zweiten Hälfte des Jahres 1849 zu kümmern hatte. Das Gehalt der Minister und ihres Präsidenten betrug einheitlich jeweils 1.000 Gulden im Monat – unabhängig von der Anzahl der zu verantwortenden Ressorts. So konnten immerhin die monatlichen Ausgaben für das Reichsministerium von bisher rund 50.000 Gulden auf

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in das Amt des „interimistischen Reichsminister des Innern“ eingewiesen: BA, DB 54/11. Am 4. Juni 1849 schrieb Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, dass eine „unter den Ministern entstandene Uneinigkeit“ ihn veranlasst habe, diese Regierungsumbildung vorzunehmen: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 176.Vgl. auch noch H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 120f. Grävell, Maximilian Karl Friedrich Wilhelm: Kein Östreich und kein Preußen!: Sondern ein einiges, starkes und herrliches Deutschland; Wie kann und muß es werden? – Potsdam 1849, XII. Denkschrift von Alexander Bally (wie Anm. 700). Der RV dankte Grävell bei seiner Entlassung mit den Worten: Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich in den Stand versetzt haben, damals ein neues Ministerium zu bilden: M. C. F. W. Grävell: Kein Österreich und kein Preußen! (wie Anm. 738) XIII. Alexander Bally artikulierte in seiner Denkschrift (wie Anm. 700) die Überzeugung, dass das Ministerium, an dessen Zustandekommen er mitgearbeitet hatte, trotz seines geringen Ansehens in der Öffentlichkeit gute Arbeit leistet: „Die Zeit ist nahe, wo die Wirksamkeit des Reichsministeriums Wittgenstein ihre Würdigung finden wird, die Schmähungen der Presse geben das beste Zeugniß, welchen hohen Werth, der Niederträchtigkeit der Zeit gegenüber, es haben muss.“ Dazu und zum Folgenden die undatierte Aufstellung über das Personal der PZG im LA Graz, Archiv Meran, Schuber 196, H. 5, Nr. 3.

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16.643 reduziert werden. Für das Amt des Reichsverwesers und dessen Suite wurden die Kosten weiterhin nicht aus dem Reichshaushalt bestritten. Wie das erste so ist auch das letzte Reichsministerium von einem Reichsfürsten geführt worden. Ein Ministerium, das sich nicht mehr als der Ausschuss der Nationalversammlung verstand, konnte auf die Unterstaatssekretäre verzichten. Denn sie sollten ja hauptsächlich die Regierungsfraktionen im Kabinett repräsentieren und mit einem geringeren Geschäftsanfall war ebenfalls zu rechnen. Vor allem entfiel jetzt die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für das neue Deutschland, die bisher die Hauptarbeit einiger Ministerien gewesen war. Seine ideologische Grundlage war ein ausgeprägter Konservativismus. Von den drei Ministern, die aus der Nationalversammlung genommen wurden, standen alle auf der rechten Seite. Ihr gemeinsames Ziel war es, die Anarchie in Deutschland zu verhindern. Danach sollte die Lage so lange offengehalten werden, bis Österreich sich wieder als Gegenpart zu Preußen in die deutschen Verhältnisse einmischen konnte. Auf diesem Weg brachte dieses proösterreichische Kabinett mithilfe des Reichsverwesers sozusagen die schon gescheiterte großdeutsche Idee in veränderter Form wieder ins Spiel. Die Provisorische Zentralgewalt war ein Geschöpf der Nationalversammlung gewesen und bisher auch weitgehend deren Organ. Die allmähliche Auflösung der jetzt von der Linken beherrschten Reichsversammlung nutzte der Reichsverweser, um sich von ihr unabhängig zu machen und um schließlich über deren Ende hinaus seine und seiner Minister Stellung zu sichern. Die Zentralgewalt war damit die Institution der institutionalisierten Revolution, die am längsten Bestand hatte. Die offene und inkonsistente Formulierung des Verhältnisses zwischen Parlament und Exekutive in dem sie begründenden Gesetz schloss eine solche Rechtsauffassung zumindest nicht aus. 12.

Der bewaffnete Kampf um die Reichsverfassung

Die Ausgangslage 12.1 Die Auflösung des Kabinettes Heinrichs von Gagern und die Neubildung der Regierung Grävell / Wittgenstein vollzog sich vor dem Hintergrund von Unruhen und Aufständen im ganzen Land. Sie wurden legitimiert durch den Aufruf der Nationalversammlung vom 26. Mai an das Volk,742 die Reichsverfassung mit allen Mitteln in jedem Bundesstaat durchzusetzen. Dabei ist es vor allem in den die Reichsverfassung ablehnenden Staaten zu Aufständen gekommen, die meist zusätzlich durch bisher ungelöste politische Konflikte gefördert 742 Aufruf der NV an das dt. Volk, 26.5.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 129.

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wurden. Baden war das einzige Fürstentum, in dem sich jetzt ebenfalls seit langem angestaute Gegensätze entluden, obwohl es sogar als eines der ersten die Verfassung angenommen hatte. Nur die Aufständischen in Sachsen, der Pfalz und in Baden sind so weit gegangen, eine provisorische Regierung zu bilden. Mit dem Abgang Gagerns war die letzte Chance vertan, die Reichsverfassung zur Grundlage eines demokratischen und geeinten Deutschlands zu machen. Seine Regierung hatte noch die aufrechte Bereitschaft, die Verfassungsbewegungen innerhalb der ablehnenden Staaten nachdrücklich zu unterstützen, wenn sie auch nicht wusste wie. An die Mahnung, auf alle Gewalt zu verzichten, konnte auch die Nachfolgeregierung anknüpfen.743 Sie ist aber insofern von der gesamten Verfassungsbewegung weiter abgerückt, als sie sich auf die formal korrekte Position zurückzog, für Verfassungsfragen nicht zuständig zu sein. Dafür hat sie die Unterstützung des Reichsverwesers gefunden. Denn er stand nicht hinter der Paulskirchenverfassung mit ihrem kleindeutschpreußischen Erbkaisertum und dem demokratischen Wahlgesetz. Umso leichter ist es ihm gefallen, die Volksbewegung zugunsten der Reichsverfassung wie auch schon die vorangegangenen Unruhen nicht in Verbindung mit der bürgerlichen Bewegung des Frühjahrs 1848 zu sehen. Er und sein Ministerium bezeichneten jene daher auch nicht als „Revolution“, sondern zogen „gesetzloser Widerstand“, „Aufruhr“ und am liebsten „Anarchie“ vor. Dies entsprach seinen Wertvorstellungen und dem formalen Legalismus, an den er sich in seinem Frankfurter Amt meist ängstlich klammerte. Die Chance, die vor allen Dingen in der darin zum Ausdruck kommenden hohen Zustimmung der Bevölkerung lag, wurde so von Anfang an verschüttet. So sind der Reichsverweser und sein Ministerium, die allein die Reichsverfassungskampagne zu einem positiven Ende hätten führen können, in einen historisch folgenreichen Gegensatz zu ihr geraten.744 Der Reichsverweser und seine Regierung konnten nicht daran denken, den Aufständen in der Pfalz, in Baden oder gar in Sachsen entgegenzutreten, nachdem Preußen es abgelehnt hatte, ihnen Truppen zur Verfügung zu stellen.745 Sie fühlten sich vielmehr unmittelbar bedroht durch die Unruhen im RheinMain-Gebiet und im Odenwald746 und Gerüchte über den Anmarsch von

743 M. Botzenhart: Außen- und Innenpolitik (wie Anm. 301) 106. 744 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 10.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 158. 745 Prot. GRM, 9.6.1849: BA, DB 52/11. 746 Oberstleutnant von Fischer an den pr. MP, 20.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 50ff.

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mehreren Tausend Pfälzer Aufständischen machten die Runde.747 Daher wurden die 6000 Mann Reichstruppen zur Sicherung Frankfurts gebraucht und die 3000 Mann Besatzung in der Reichsfestung Mainz waren dort unentbehrlich. Von den deutschen Königreichen und Fürstentümern war keine Hilfe zu erwarten. Sie waren mit den Unruhen im eigenen Land beschäftigt und ein Teil hatte Soldaten zum Krieg gegen Dänemark abgeordnet. Es blieb nur die Hoffnung auf 3000 Mann Verstärkung aus Mecklenburg.748 So konnte sich niemand mehr in Frankfurt der Einsicht verschließen, dass nur Preußen im eigenen Namen Ruhe und Ordnung, wie sie auch dem Reichsministerium vorschwebte, würde herstellen können. Dies enthielt der Reichsverweser auch dem preußischen König nicht vor.749 Ein offizielles Ersuchen verbot sich aus taktischen Überlegungen, da dieser ihm bereits die Anerkennung entzogen hatte. Obwohl auch in Preußen gleichzeitig mit der Reichsverfassungskampagne in Schlesien, im Bergischen Land wie im Rheinland Aufstände ausgebrochen waren, war es bereit, in ganz Deutschland als Ordnungsmacht einzugreifen.750 Seine militärische Aufgabe wurde ihm dadurch erleichtert, dass die Unruheherde nicht miteinander in Verbindung standen. Die Reichsgewalt konnte in den erneut aufgeflammten Krieg um Schleswig nicht eingreifen. Das wurde dadurch aufgewogen, dass der im Juli 1849 erneuerte Waffenstillstand mit Dänemark, an dem die deutsche Öffentlichkeit wiederum keinen Gefallen fand, Preußen allein zu verantworten hatte.751 Das in den Aufständen in der Summe vorhandene revolutionäre Potenzial hätte am ehesten von der Zentrale aus mobilisiert werden können. Doch die Nationalversammlung war zu diesem Zeitpunkt schon in Auflösung begriffen und die inzwischen noch stärker auf den antirevolutionären Kurs eingeschwenkte Zentralgewalt war weit davon entfernt, diese Rolle zu übernehmen. Gerade dadurch wird ihre Bedeutung nochmals unterstrichen. Denn das in 747 Tgb. Ehg. Johann, 17.6.1849: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 316. Duckwitz ließ vorsichtshalber seine Frau mit den Kindern am 12. Mai abreisen, um ihnen am 17. zu folgen. 748 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 19.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 167f. 749 Ehg. Johann an Friedrich Wilhelm IV., 22.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 60ff. 750 RFM von Beckerath war darüber begeistert, dass die pr. Reg. die gesamte Armee einsetzen wollte (326.000 Mann), obwohl sie gemäß der Bundesverfassung nur zu 100.000 weniger verpflichtet gewesen wäre. Er nahm dies als ein Zeichen der Besserung des Verhältnisses zwischen Berlin und Frankfurt, zumal Pr. sich jetzt auch bei der Finanzierung der Marine großzügig zeigte: an seinen Schwiegervater Valentin Justus Heilmann, 25.10.1848: StdA Krefeld, Bestand 40/2, Nr. 4. 751 Bl. H und I zum Prot. GRM vom 25./26.7.1849: BA, DB 52/13.

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der Aufstandsbewegung liegende Potenzial hätte nur dann mobilisiert werden können, wenn sie zentral gesteuert worden wäre und vor allen Dingen, wenn sie durch eine anerkannte Institution legitimiert worden wäre, um weitere Schichten zum Anschluss zu bewegen.752 12.2 Das Menetekel des sächsischen Aufstands 12.2.1 Voraussetzungen Als treuer Parteigänger Napoleons ist das Königreich Sachsen auf dem Wiener Kongress 1815 nur knapp dem Schicksal entgangen, vollständig den preußischen Annexionsgelüsten zum Opfer zu fallen. Es waren vor allen Dingen die militärstrategischen Überlegungen Österreichs, die verhinderten, dass die deutsche Großmacht an die Grenze Böhmens heranrückte. Dennoch musste Sachsen der Einigung zwischen den Siegern mit den ländlichen Gebieten im Norden und Westen annähernd drei Fünftel seines Territoriums und fast die Hälfte der Bevölkerung Preußen überlassen. Das verbliebene Königreich konnte den Machtverlust durch eine forcierte Industrialisierung teilweise auffangen. Es gehörte zusammen mit dem Rheinland in der Mitte des Jahrhunderts zu den am weitesten industrialisierten Gebieten des Deutschen Bundes mit einem Anteil von über der Hälfte der Beschäftigten in Industrie und Gewerbe. Damit einher ging eine rasante Bevölkerungsvermehrung. Mit 1,4 % Zuwachs im Jahr lag Sachsen an der Spitze aller Staaten in Deutschland und gehörte zur Zeit der Revolution schon zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Europas.753 Es dominierten die gewerblichen Industriezweige mit in der Regel deutlich unter 50 Arbeitern. Zentral war die Textilverarbeitung, vor allem die im Zollverein führenden Baumwoll- und Feingarnspinnereien um Plauen, Zwickau und Chemnitz. In ihrem Gefolge hatte sich eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Betriebe der Textilverarbeitung gebildet, ohne die Heimgewerbe der Weber und Strumpfwirker zu verdrängen. Seit dem starken Rückgang der Einkommen zu Beginn der Vierzigerjahre wanderten zahlreiche kleinere Unternehmungen aus den Städten aufs Land und produzierten vornehmlich im Verlagssystem. So wurde das Industriedorf, in dem Heimwerker, Handwerker, Arbeiter und 752 R. v. Mohl macht in einem Schreiben an seinen Wahlkreis vom 3.6.1849 für das Scheitern des Verfassungswerks unter anderem „die Weigerung des Reichsverwesers, zur Durchführung der Reichsverfassung mitzuwirken“ verantwortlich: Reichsminister Robert von Mohl und seine Wähler (wie Anm. 6) 379. 753 Flöter, Jonas: Die deutschen Mittelstaaten. – In: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte 3 (wie Anm. 5) 765–818, hier 769f.

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Bauern lebten, eine für das Königreich typische Siedlungsform, da die Übergänge zwischen diesen Gewerben fließend waren.754 Sachsen führte erst 1862 die volle Gewerbefreiheit ein. Dennoch waren im Gefolge des Kohle- und Erzbergbaus schon Betriebe der Metallverarbeitung, vor allem des Maschinenbaus, entstanden, von denen einige bereits mehrere Hundert Arbeiter beschäftigten. Der Schwerpunkt lag auf Maschinen der Textilverarbeitung sowie der Werkzeugproduktion und zur Herstellung von Schienen. Dazu kam der Bau von Dampfmaschinen und Lokomotiven, darunter 1838 die erste funktionierende Dampflokomotive Deutschlands. Das alles war nicht zuletzt durch die private Aktiengesellschaft der Leipzig-DresdnerEisenbahn initiiert worden. Sie eröffnete im April 1839 die mit 150 km damals längste Eisenbahnstrecke der Welt von Leipzig nach Dresden. Ihr folgten staatliche Unternehmungen, so dass das Königreich Sachsen zu Beginn der zweiten Hälfte des Jahrhunderts so gut wie kein anderer Bundesstaat mit den Nachbarstaaten durch die Eisenbahn verbunden war. Vollendet wurde der Ausbau der Infrastruktur durch die gleichzeitige Einführung der Dampfschifffahrt, dem Post- und Telegrafenwesen wie einer Intensivierung des Straßenbaus.755 Solche Maßnahmen förderten zusammen mit staatlichen Subventionen die Massenproduktion in Fabriken. Den Tribut, den das Königreich für diese frühe Modernisierung zahlen musste, waren zahlreichere und heftige Unruhen zu Beginn der Revolution. Denn die dadurch um das für ihre Existenz notwendige Einkommen gebrachten Handwerker wurden durch die Schwäche des Staates und den Autoritätsverfall seiner Organe zum Sturm auf Fabriken ermutigt, nachdem ihre Eingaben seit Jahren nicht beachtet worden waren.756 Mit einem Handwerker auf 13,4 Einwohner hatte das Königreich die größte Dichte in Deutschland.757 Wie überall geriet das für Bekleidung und Ausstattung arbeitende Handwerk in eine Existenzkrise und darbte der größte Teil der Heimarbeiter im Vormärz. Doch konnten die rasch expandierende Industrie und das mechanisierte Gewerbe die frei werdenden Arbeitssuchenden teilweise ebenso aufnehmen wie die nachgeborenen Bauernsöhne. Selbst die Verarmung infolge der Bevölkerungsvermehrung um die Hälfte innerhalb einer Generation auf etwa 2 Millionen Einwohner konnte so abgemildert, wenn 754 Rupieper, Hermann-Josef: Sozialstruktur der Trägerschichten der Revolution von 1848/49 am Beispiel Sachsens. – In: Probleme der Modernisierung in Deutschland: Sozialhistorische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert / hrsg. von Hartmut Kaelble. – Opladen 1978, 80–109, hier 101f. 755 Keller, Katrin: Landesgeschichte Sachsen. – Stuttgart 2002, 311ff. 756 H.-J. Rupieper: Trägerschichten der Revolution (wie Anm. 754) 96ff. 757 Klessmann, Christoph: Zur Sozialgeschichte der Reichsverfassungskampagne von 1849. – In: Historische Zeitschrift 218 (1974) 283–337, hier 292.

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auch keinesfalls vollständig aufgefangen werden. In Sachsen war das Phänomen des Pauperismus, hervorgerufen durch die Diskrepanz zwischen wachsender Bevölkerung und den dahinter zurückbleibenden Möglichkeiten, ein ausreichendes Einkommen zu erzielen, ebenfalls bekannt. Die Zuwanderung vom Land trug ebenso zum Wachstum der Städte bei wie die von Arbeitsuchenden von außerhalb des Königreichs.758 Die Arbeiterschaft, die sich in Sachsen so früh wie sonst nirgends organisierte, rekrutierte sich aus dem ländlichen Bevölkerungsüberschuss, den abgesackten Handwerkern und dem darbenden Heimgewerbe. Sie konzentrierte sich im industrialisierten Westen des Landes und im Eisenbahnbau. Das Bürgertum war noch recht homogen. Unterhalb der dünnen Schicht aus erfolgreichen Unternehmern, Spitzenbeamten und Großhändlern lebten die größeren Bauern, Handwerksmeister, Gewerbetreibende und Kaufleute. Durch Wertesystem und Lebensstil setzte sich das Bildungsbürgertum von ihnen ab. Es war das Rückgrat der unterschiedlichsten Vereine und war besonders stark in der Messe-, Universitäts- und Verlagsstadt Leipzig wie in der Residenzstadt Dresden vertreten. Erste politische Erfahrung hatte das Bürgertum in den sich selbst verwaltenden Städten und deren gewählter Bürgerschaft sammeln können.759 Im Königreich lebte in der Jahrhundertmitte nur noch etwa ein Viertel der Bevölkerung vom Ackerbau. Deswegen und wegen des Fehlens aller Formen der Hörigkeit war der Druck zur Agrarreform, die erst in den Dreißigerjahren angegangen wurde, nicht so groß. Da Sachsen von der Erfahrung anderer Bundesstaaten profitieren konnte, war diese recht erfolgreich. Die Ablösung der Feudallasten erfolgte ausschließlich in Geld und wurde durch eine 1834 errichtete Rentenbank vorfinanziert. Die in die Rationalisierung investierten Ablösungsgelder wie ein freies Mittelbauerntum waren die Voraussetzung dafür, dass das Königreich durch Ausweitung der Anbauflächen, Fruchtwechselwirtschaft und mineralische Düngung zu einem der ertragreichsten Landstriche in Deutschland wurde.760 Unmut auf dem Land rief vor allem noch hervor, dass die Rittergüter Feudalrechte wie die Patrimonialgerichtsbarkeit, das Jagdrecht und das Patronat über Kirche und Schule sowie Steuerfreiheit behielten.761 So blieb die Versorgung der wachsenden Bevölkerung des Industrielandes durch die heimische Landwirtschaft, die vorwiegend pflanzliche Nahrungsmittel anbaute, prekär. Auch Sachsen blieb von den vorrevolutionären Hungerkrisen 758 Rupieper, Hermann-Josef: Sachsen. – In: 1848: Revolution in Deutschland / hrsg. von Christof Dipper u. Ulrich Speck. – Frankfurt a. M. 1998, 69–81, hier 69f. 759 K. Keller: Landesgeschichte Sachsens (wie Anm. 755) 330ff. 760 Ebenda 297ff. 761 Ebenda 229.

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nicht verschont, die zusammen mit der raschen Urbanisierung und Industrialisierung das Gefühl der Entwurzelung und Unsicherheit verstärkten. Im Vergleich mit anderen Bundesstaaten hatten die Bauern Sachsens insgesamt wenig Anlass zur Klage. So ist es kein Zufall, dass sie weder bei den sozialen Unruhen des Frühjahrs 1848 noch in den politischen Bewegungen des Mai 1849 in Erscheinung traten.762 Für das politische System des Königreichs war kennzeichnend, dass der frühindustrialisierten Wirtschaft und Gesellschaft absolutistische Regierungen und deren Verwaltung wie Justiz und ein altständischer Landtag gegenüberstanden. Die noch lose um Zeitungen und Zeitschriften gruppierten bürgerlichen Liberalen erhofften zusammen mit ihren Sympathisanten in Adel und Bürokratie daher dessen grundlegende Umgestaltung, als König Friedrich August I. 1827 nach einer über 60-jährigen Herrschaft verstarb. Doch die Erwartungen erfüllten sich zunächst nicht. Erst die Unruhen, die 1830 in Sachsen wie in weiteren mittel- und norddeutschen Bundesstaaten ausbrachen, boten dazu die Chance. Die Pariser Julirevolution löste Proteste von Lehrlingen, Gesellen und Studenten gegen unpopuläre Amtsträger, soziale Missstände und Zensur aus. Dazuz kamen hier noch Spannungen zwischen der katholischen Dynastie und der lutherischen Bevölkerungsmehrheit. Sie waren anlässlich von Gedenkfeiern an die Formulierung evangelischer Glaubenssätze in der „Confessio Augustana“ von 1530 ausgebrochen waren. Das Bürgertum sammelte dabei bei der Aufstellung kommunaler Garden in verschiedenen Städten und einer akademischen Legion in Leipzig Erfahrungen, die ihm beim Aufstand 1849 zugutekamen. Es nutzte die Unruhen im Volk wie die Furcht der alten Eliten, um auch das Königreich Sachsen auf den Weg zu einer konstitutionellen Monarchie nach süddeutschem Vorbild zu drängen.763 Das Geheime Kabinett wurde durch ein Ministerium der sechs klassischen Ressorts unter der Leitung von Bernhard August von Lindenau, einem liberalen Politiker und erfahrenen Juristen, ersetzt. Nachdem angesichts anhaltender Unruhen die Ständeversammlung ihrer Abschaffung zugestimmt hatte, konnte im September 1831 eine Verfassung des konstitutionellen Typs764 verabschiedet werden. Die Staatsgewalt verblieb beim König, der sie von nun an aber nur gemäß der Verfassung ausüben konnte. Er ernannte die Regierung und behielt die Reservatrechte über Armee, Verwaltung und Außenpolitik. 762 H.-J. Rupieper: Trägerschichten der Revolution (wie Anm. 754) Tabellen 93 u. 95. 763 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 76ff. 764 Verf. des Königreichs Sachsen vom 4. September  1831: Quellen zur europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert: Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. – Teil 2: 1815–1847 / hrsg. von Peter Brandt [u. a.]. – CD-ROM. – Bonn 2010. – 11.3.2.4.

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Für Gesetze und Steuern benötigte er die Zustimmung der beiden Kammern. In deren Ersten die Standes- und Gutsherren drei Fünftel der Abgeordneten stellten, in der Zweiten immerhin noch ein Viertel. Obwohl der grundbesitzende Adel weiterhin eine politische Schlüsselstellung hatte, wurde erstmals in Deutschland Handel und Industrie eine eigene Vertretung im neuen Landtag eingeräumt. Dennoch behielt auch die Zweite Kammer, da sich die unterschiedlichen Gruppen selten zum gemeinsamen Vorgehen zusammenfanden, einen stark ständischen Charakter. Gewählt wurde nach einem indirekten Zensuswahlrecht; der Zensus für die Wählbarkeit war hoch. Den Untertanen wurden Grundrechte, wenn auch teils eingeschränkt, zugestanden. Die Grundlagen für den Rechtsstaat wurden durch die Trennung der Verwaltung von der Rechtspflege geschaffen. Damit einher gingen Reformen des Steuersystems, des Bildungswesens und die Erneuerung der Städteordnung im folgenden Jahr und der Landgemeindeordnung 1838.765 Stadtverwaltungen, Gemeindeversammlungen und die Vertretungen der Landgemeinden wurden das Rückgrat des Maiaufstandes 1849. Das Land kam aber nicht zur Ruhe. Gelegentlich brachen Konflikten zwischen Lutheranern und Katholiken aus, wie sich auch ein Misstrauen gegenüber dem katholischen Hofe immer wieder bei politischen Anlässen artikulierte. Der spektakulärste war der Zusammenstoß zwischen Militär und Demonstranten, die die Zulassung der Deutschkatholiken als Religionsgemeinschaft forderten, anlässlich des Besuchs des Prinzen Johann im August  1845 in Leipzig. Aufgeheizt wurde die spannungsreiche Atmosphäre durch das starke Aufkommen der Deutschkatholiken in den Dreißigerjahren, aus deren Reihen zahlreiche Radikaldemokraten kamen.766 Zusammen mit den freien Gemeinden waren sie Kristallisationspunkte der Opposition im Lande mit Schwerpunkten in Leipzig und Dresden.767 Von dort aus nahm die Spaltung des sächsischen Liberalismus in ein radikaldemokratisches Lager unter dem Deutschkatholiken Robert Blum und ein konstitutionelles unter Karl Biedermann, beide später einflussreiche Abgeordnete der Nationalversammlung, seinen Ausgang. Mit der Ablösung Lindenaus durch einen konservativen Regierungschef 1843 wurde auch die politische Auseinandersetzung zwischen Öffentlichkeit 765 Grothe, Ewald: Die deutschen Staaten der zweiten Konstitutionalisierungswelle. – In: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. – Bd.  2.: 1815– 1847 / hrsg. von Werner Daum [u. a.]. – Bonn 2012, 879–926, hier 887ff. 766 Valentin, Veit: Geschichte der deutschen Revolution von 1848–1849. – 1. Bd.: Bis zum Zusammentritt des Frankfurter Parlaments. – Nachdruck: Weinheim 1998. – Berlin 1930, 218ff. 767 H.-J. Rupieper: Sachsen (wie Anm. 758) 71.

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und Landtag einerseits und der Regierung andererseits schärfer. Eingriffe in die Pressefreiheit und Verbote von Volksversammlungen nahmen zu. Zur gleichen Zeit drängte der Landtag auf eine demokratischere Repräsentation, wies auf soziale Missstände im Fabrikwesen hin und verlangte die vollständige Beseitigung des Feudalsystems. Seit den Vierzigerjahren formierte sich eine starke Bewegung in der Öffentlichkeit zur Schaffung eines deutschen Nationalstaats und der Hunger trieb die Unterschichten auf die Straße.768 Im Bürgertum machte sich Enttäuschung darüber breit, dass die Verfassung von 1831 an seiner politischen Ohnmacht wenig geändert hatte. Statt nach 1830 auf die neuen Schichten zuzugehen, haben Hof und Adel ihre Privilegien, teils in verletzender Form, verteidigt.769 12.2.2 Der Aufstand und seine Ursachen Die weiterhin geschlossen und gewaltfrei agierende Märzbewegung hatte einen starken Rückhalt an den Versammlungen der Stadtverordneten. Der widerstrebende König und sein Ministerium sahen sich mit den üblichen Märzforderungen konfrontiert. Darüber hinaus mit dem Verlangen von umfassenden Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft, Schulgeldfreiheit und der Wahl von Offizieren wie Staatsbeamten. Er musste das konservative Ministerium zurückziehen und am 16. März bürgerlich-liberalen Kräften unter dem Präsidenten der Zweiten Kammer und Advokaten Hermann Braun die Regierungsgewalt übertragen.770 Das Außen- und Kultusministerium übernahm der Römischrechtler an der Universität Leipzig, Ludwig Freiherr von der Pfordten, ein gebürtiger Bayer. Das Programm der neuen Regierung war die Umsetzung der Märzforderungen.771 Es war ein markantes Zeichen, dass noch im März die sonst selten erfolgte Vereidigung des Militärs auf die Verfassung über die Bühne ging. Die allgemeine Politisierung bewog den noch immer nach dem Ständeproporz gewählten Landtag im Mai dazu, das Presse- und Versammlungsrecht zu liberalisieren. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden eingeleitet und eine Kommission gebildet, die eine neue Gewerbeordnung beraten 768 K. Keller: Landesgeschichte Sachsens (wie Anm. 755) 257. 769 Matzerath, Josef: Der Dresdner Hof und die zweite Revolutionswelle im Mai 1849. – In: Dresdner Maiaufstand und Reichsverfassung 1849 / hrsg. von M. Schattkowsky; J. Uwe (wie Anm. 643) 107–119, hier 110ff. 770 Das neue Ministerium bat den König, nur solche Personen zu ernennen, „welche dem Volke als freisinnige Männer bekannt sind, vorausgesetzt, daß ihre Moralität und Gesinnung für König, Ordnung und Recht außer Zweifel seht.“: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand: Tagebücher und Aufzeichnungen aus der Revolutionszeit 1848/49 / hrsg. von Josef Matzerath unter Mitarb. von Thomas Barth [u. a.] – Köln [u. a.] 1999. – (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner; 1) 96. 771 J. Flöter: Revolutionsregierungen in Sachsen (wie Anm. 513) 331f.

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sollte. Auf dem Land wurde der Ruf nach umfassender und unentgeltlicher Ablösung der Feudallasten immer wieder von Gewaltaktionen begleitet. Zugleich blühte die Presse auf und es begann eine Zeit intensiver Vereinsbildung im ganzen Königreich. Zunächst organisierte sich die kleinbürgerliche Demokratie in den „Vaterlandsvereinen“, die stets ein numerisches Übergewicht im Land behauptete. Als der Aufstand ausbrach, waren gegen 12.000 Anhänger erfasst. Der Verein in Dresden zählte 4.346 Mitglieder, davon 1.691 Gesellen, 570 Arbeiter, 391 Soldaten. Als Reaktion darauf vereinigten sich insgesamt etwa 8.000 gemäßigte liberale Bürger in den 42 „Deutschen Vereinen“. Etwa die gleiche Zahl von Arbeitern sammelte sich in eigenen Vereinen, einige hatten über 500 Mitglieder.772 Der Sieg der Radikaldemokraten bei den Wahlen zur Nationalversammlung zeigte die in Sachsen eingetretene Verschiebung der politischen Gewichte.773 Bis zum November blieben einige fundamentale Fragen ungelöst. Die Vaterlandsvereine wollten ein direktes Wahlrecht ohne Zensus und letztlich ein parlamentarisches Regierungssystem mit einer Kammer.774 Die Regierung zeigte sich kompromissbereit. Über die Beibehaltung der Ersten Kammer sollte erst der nächste Landtag entscheiden. Dafür sollten schon jetzt die Abgeordneten der beiden Kammern direkt gewählt werden. Deren Wählbarkeit war allerdings an einen beträchtlichen Zensus gebunden; dazu sollten in die Erste einige ernannte Vertreter der Bildungseinrichtungen und der evangelischen Geistlichkeit kommen. Die Deutschen Vereine, die sich jetzt mit den wenigen konservativen vereinigten, wollten sich damit zufriedengeben. Die kleinbürgerliche Demokratie bekam nicht zuletzt Aufwind durch die Erregung, die die standrechtliche Erschießung des Sachsen Robert Blum nach der Niederschlagung des Wiener Aufstandes ausgelöst hatte. Sie setzte sich sowohl bei den auf der Grundlage des erneuerten Wahlrechts durchgeführten Gemeinderatswahlen vom 17. November als auch bei den Landtagswahlen am 15. Dezember durch.775 Sie sah daher auch keinen Grund, von ihrem Programm abzurücken.776

772 C. Klessmann: Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 757) 292. 773 H.-J. Rupieper: Sachsen (wie Anm. 758) 74, 76ff. 774 Braun an Kg. Friedrich August II., 4.9.1848: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 109f. 775 Der Vorsitzende des Gesamtministeriums, Carl Herrmann Braun, bat schon zu diesem Zeitpunkt den Kg. um seine Entlassung, da seine Gesundheit völlig zerrüttet sei. Braun an Kg. Friedrich August II., 19.11.1848: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 111ff. 776 J. Flöter: Revolutionsregierungen in Sachsen (wie Anm. 513) 335f.

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Der Regierung, die schon im Dezember ihren Rücktritt angeboten hatte, gelang es nicht, die Blockade zu überwinden. An der sich abzeichnenden Reichsverfassung bemängelte sie den Ausschluss Österreichs und das Erbkaisertum, das sie lieber durch ein Direktorium aus Vertretern der Einzelstaaten ersetzt hätte. Als die Kammer dennoch am 14. Februar 1849 ultimativ die Publikation der Grundrechte forderte, trat sie zurück,777 da der König dies weiterhin ablehnte.778 Das neue Ministerium unter dem Juristen Gustav Friedrich Held und dem Diplomaten Friedrich Ferdinand von Beust übernahm am 24. Februar die Macht. Es rekrutierte sich vollständig aus der liberalen sächsischen Bürokratie. In der Hoffnung, durch Entgegenkommen die Lage beruhigen zu können, erreichte es vom Monarchen am 2. März die Veröffentlichung der Grundrechte. Die Verwerfung der Reichsverfassung durch seinen Schwager ermunterte ihn, dessen Beispiel zu folgen. Er lehnte ebenfalls das in Sachsen allgemein begrüßte Frankfurter Verfassungswerk ab und war entschlossen, um die Erhaltung des konstitutionellen Systems auf der Grundlage der Verfassung von 1831 zu kämpfen.779 Er löste daher am 28. April die beiden Kammern auf. Daraufhin setzte eine breite Petitionsbewegung zugunsten der Reichsverfassung ein, die vor allen Dingen von städtischen Institutionen ausgegangen war.780 Der König ließ sich davon und von einem noch zuvor vom Landtag nach Berliner Vorbild gefassten Beschluss zur Steuerverweigerung nicht beeindrucken. Drei seiner fünf Minister wollten diesen Kurs nicht mehr mittragen.781 Es erwies sich als schwierig, Nachfolger zu finden und Ferdinand von Zschinsky, der bereits im 777 Illustrativ zu den Gegensätzen zwischen dem Kg. u. seinem Ministerium Kg. Friedrich August II. an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 29.4.1849: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 66ff. 778 Weber, Rolf: Die Revolution in Sachsen: Entwicklung und Analyse ihrer Triebkräfte. – Berlin 1970. – (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin: Schriften des Zentralinstituts für Geschichte; II, 11) 242ff. Beide Seiten waren bestrebt, den Eindruck zu vermeiden, dass es einen Dissens zwischen dem Kg. und dem Gesamtministerium wegen der Frankfurter Grundrechte gebe.; vgl. v. d. Pfordten an Kg. Friedrich August II., 26.1.1849: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 119f. Vgl. auch noch das Entlassungsgesuch des Gesamtministeriums an den Kg., 16.2.1849: ebenda 123ff. 779 Zu den verfassungspolitischen Vorstellungen des sächsichen Kg.s vgl. Kg. Friedrich August II. an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 12. u. 16.4.1849 und die Bemerkungen Kg. Friedrich Augusts II. zu den Grundrechten, o. D.: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 57ff. u. 46ff. 780 Friedrich von Beust an Kg. Friedrich August II., 3.5.1849: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 139f. 781 Vgl. dazu die Aufzeichnungen des Kg.s in: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 6ff. u. J. Flöter: Revolutionsregierungen in Sachsen (wie Anm. 513) 345f.

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März kurzzeitig Innenminister gewesen war, am 2. Mai für die Leitung des Gesamtministeriums zu gewinnen.782 Die Halsstarrigkeit Friedrich Augusts führte nun die Radikaldemokraten und etwas später auch die Deutschen Vereine wie die Arbeitervereine an die Seite der gemäßigten Linken und Liberalen, die bereits am 14. April im Landtag eine Resolution zugunsten der Reichsverfassung eingebracht hatten. Jetzt wurde zusätzlich eine volkstümliche Regierung verlangt. Die gemäßigten Kräfte der Vaterlandsvereine, die die Aktionen leiteten, wurden zu immer entschiedenerem Handeln getrieben. Am 2. Mai wurde in Dresden eine permanent tagende Kommission eingesetzt, die Verbindungen zu Kommunalgarde und Bürgerwehr aufnahm. Am folgenden Tag bat die sächsische Regierung Preußen um militärische Hilfe,783 teils weil sie den eigenen Regimentern nicht traute, teils weil fast 7.000 sächsische Soldaten in Schleswig-Holstein kämpften. Die Aktion machte sofort als Gerücht die Runde, das aufgrund des preußischen Angebots vom 28. April, allen von der Revolution bedrängten Regierungen zu Hilfe zu kommen, nur umso glaubwürdiger war.784 Im Vertrauen auf die heranrückenden Preußen verbot der König eine Parade der Dresdner Kommunalgarde zu Ehren der Reichsverfassung. Daraufhin brach am Nachmittag des 3. Mai in der Hauptstadt ein spontaner Aufstand aus.785 Ihn unterstützten so illustre Persönlichkeiten wie der russische Anarchist Michail Bakunin, der Hofbaumeister Gottfried Semper, der Kapellmeister Richard Wagner und der Führer der Arbeiterverbrüderung Stephan Born.786 Noch am späten Nachmittag desselben Tages erlitten die Aufständischen einen schweren militärischen Rückschlag. Anders als in Berlin und Wien gelang es ihnen nicht, das Zeughaus zu stürmen, so dass ihre Bewaffnung von Anfang an unzureichend war. Sie verloren 20 Mann und gingen unmittelbar zum Bau von Barrikaden über. Die königliche Regierung hat geschickt nur strategisch wichtige Punkte besetzt, ansonsten aber das Militär zurückgehalten. Die Kommunalgarde blieb neutral, nur einzelne Formationen liefen über. Selbst die bisher politisch führenden Kräfte waren vom Ausbruch des Aufstands überrascht worden. Insbesondere die Radikaldemokraten sahen klar, dass die Dresdner Erhebung für die von ihnen angestrebte deutschlandweite Aktion zu früh gekommen war. Die ursprüngliche Idee, einen 782 J. Matzerath: Dresdner Hof und zweite Revolutionswelle (wie Anm. 769) 116. 783 Kg. Friedrich August II. an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 3.5.1849: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 68. 784 R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 331f. 785 Ebenda 329ff. 786 H.-J. Rupieper: Sachsen (wie Anm. 758) 79f.

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Landesverteidigungsausschuss einzusetzen, wurde daher vom Stadtrat verworfen. Er wollte sich stattdessen durch die Bildung eines Sicherheitsausschusses auf die Vorgänge in der Stadt konzentrieren.787 Das Ziel blieb, den Widerstand des Königs zu brechen und Dresden gegen die preußische Armee zu verteidigen. Man setzte darauf, dass die geschlossene Front von Volk und Militär in Sachsen sowie weitere Aufstände in Berlin, Schlesien und am Rhein Preußen von der Intervention abhalten würde. Nachdem der König mit seinen verbliebenen Ministern am frühen Morgen des 4. Mai durch seine Flucht788 jede Möglichkeit der Verständigung abschnitt, waren Militär und Verwaltung für kurze Zeit kopflos. Statt diese Lage zu nutzen, beging der Sicherheitsausschuss in seinem Bestreben, Blutvergießen zu vermeiden und die Ordnung aufrechtzuerhalten, einen taktischen Fehler. Er bot dem Stadtkommandanten einen Waffenstillstand bis zum Mittag des kommenden Tages an. Dieser ließ sich auf die von den Barrikadenkämpfern heftig abgelehnten Verhandlungen ein, um seine Truppen zu verstärken, die Disziplin zu festigen und auf das Eintreffen der Preußen zu warten. So gelang es, die Erhebung auf die Altstadt zu beschränken und den Zuzug von bewaffneten Freischärlern, um die der Sicherheitsausschuss tags zuvor gebeten hatte, zu erschweren.789 12.2.3 Die Bildung der Provisorischen Regierung Während des Waffenstillstandes rief der bisherige Kopf des Sicherheitsausschusses, Samuel Erdmann Tzschirner, „alle noch anwesenden ehemaligen Mitglieder der sächsischen Volkskammer“ ins Rathaus.790 Dort hat ein Teil von ihnen zusammen mit den Stadtverordneten, Mitgliedern des Stadtrates und zufällig Anwesenden durch Akklamation eine Provisorische Regierung aus der Taufe gehoben. Diese wurde anschließend unter Glockengeläut auf dem Balkon des Rathauses der versammelten Menge vorgestellt.791 In sie waren neben dem Initiator der Freiberger Kreisamtmann Otto Heubner und Karl Gotthelf Todt, vor kurzem noch Geheimer Regierungsrat des Königs und Bevollmächtigter 787 Werner, Ines: Identität in der Krise: Die Dresdner Stadtverordneten und der Maiaufstand. – In: Dresden, Mai 1849: Tagungsband. Wissenschaftliche Tagung Mai 1849: Barrikaden in Dresden – Ursachen, Akteure, Ziele, 7. und 8. Mai 1999 in Dresden / hrsg. von Karin Jeschke; Gunda Ulbricht. – Dresden 2000, 117–126, hier 123. 788 Deren Schilderung durch den Kg. in dessen Aufzeichnungen in: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 15f. Vgl. auch Waldersee, Friedrich von: Der Kampf in Dresden im Mai 1849: mit besonderer Rücksicht auf die Mitwirkung preußischer Truppen. – Berlin 1849, 66. 789 R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 332ff. 790 Aufruf vom 4. Mai: F. von Waldersee: Kampf in Dresden (wie Anm. 788) 68. 791 I. Werner: Die Dresdner Stadtverordneten (wie Anm. 787) 125.

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Sachsens bei der Zentralgewalt, gewählt worden.792 Der ebenfalls vorgesehene amtierende Bürgermeister und der Militärgouverneur lehnten ab. Der gesamte Vorgang der Einsetzung der sächsischen Provisorischen Regierung erinnert nach Art und Ort an den auf dem Pariser Rathaus 1830.793 In der Revolutionsregierung waren mit dem Radikaldemokraten Tzschirner, dem gemäßigten Demokraten Heubner und dem bürgerlichen Liberalen Todt alle parlamentarischen Richtungen des sächsischen Landtags vertreten. In dieser breiten Grundlage lag ihre Stärke; doch musste sie nun ebenfalls auf die Kräfte der Ordnung Rücksicht nehmen. Deswegen wurden auch in allen Proklamationen Angriffe auf Hof und König vermieden. Vielmehr wurde immer betont, dass er nur zur Anerkennung der Reichsverfassung gezwungen werden und die preußische Aggression abgewehrt werden solle.794 Die Einsetzung dieses Organs war eine nicht leicht zu deutende und widersprüchliche Aktion, die mit der Flucht des Königs und seiner Regierung gerechtfertigt wurde. Ihr offizielles Programm war die Durchsetzung der Reichsverfassung. Während für Tzschirner und seinen Anhang dies nur ein erster Schritt auf eine demokratische Republik sein sollte, wollten sich Heubner und seine Genossen damit zufriedengeben. Todt und die Liberalen hingegen sahen in der Provisorischen Regierung auch ein Instrument, um die Bewegung einzudämmen, wie sie die Nationalversammlung wissen ließen. Doch war sie noch mehr. Mit ihrer Bildung wurde der Anspruch erhoben, die Führung des Aufstandes in ganz Sachsen zu übernehmen und den Druck auf den König nochmals zu erhöhen. Diese Taktik ist aber mit einem hohen Risiko erkauft worden. Denn für Teile des Bürgertums war mit der Bildung einer Regierung die Grenze zum Umsturz überschritten worden. Die Einsetzung des Sicherheitsausschusses konnte noch mit der Erhaltung von Recht und Ordnung gerechtfertigt werden; darüber hinauszugehen, bestand in den Augen Vieler kein Grund. Daher vermieden es die sächsischen Revolutionäre auch sorgfältig, das zu tun, was die ersten Schritte anderer provisorischer Regierungen waren: die königliche Regierung und missliebige Beamte abzusetzen, in die Verwaltung einzugreifen, Steuern einzutreiben und Staatskassen zu requirieren. Die Volksbewaffnung war schon vor ihrer Entstehung in Gang gekommen und sie konnte wie der Aufruf an die Kämpfer im Lande als Maßnahme zur Abwehr 792 C. Klessmann: Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 757) 293. 793 Der Protest des Gesamtministeriums gegen die Einsetzung der Provisorischen Regierung, 5.5.1849: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 141f. 794 R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 338f.

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des preußischen Angriffs verteidigt werden. Die Regierung setzte vorerst darauf, dass die Drohgebärde die königliche Regierung zum Einlenken bewegen würde. Daher wurde noch bis zum Abend des 5. Mai mit den tags zuvor von der Festung Königstein zurückgekommenen Ministern795 über die Bedingungen eines Ausgleichs verhandelt. Welchen Illusionen man sich hingegeben hatte, wurde zwei Tage später deutlich, als die Staatsregierung öffentlich verlauten ließ, dass es der Bewegung gar nicht um die Reichsverfassung gehe, da an deren Spitze Männer stünden, die diese bisher abgelehnt hätten. Geschickt wurde so die Einigkeit untergraben, indem Befürchtungen des Bürgertums artikuliert wurden. Dessen Vertreter in der Exekutive hatte sich tags zuvor auch bereits abgesetzt.796 In ihrer ersten Verlautbarung an die Öffentlichkeit vom 4. Mai797 appellierte die Provisorische Regierung an die Unterstützung der Bundesstaaten, die die Reichsverfassung angenommen hatten. Das war in der Geschichte der Zentralgewalt ebenso einmalig wie der Beschluss der Stadt Leipzig vom 6. Mai, sich unter deren Schutz zu begeben, da sich die alte Regierung gegen das Volk gestellt habe und die neue nicht anerkannt werden könne.798 Noch am selben Tag präsentierte sich die Provisorische Regierung Sachsens der Nationalversammlung als Ordnungsmacht.799 Das Reichsministerium hat daraufhin den Minister von Sachsen-Weimar, Christian Bernhard von Watzdorf, mit dem üblichen Auftrag, Ruhe und Ordnung herzustellen,800 abgeordnet. Ein Plädoyer zugunsten der Reichsverfassung wurde mit Rücksicht auf den Reichsverweser nicht aufgenommen. Da der König bei seiner Ankunft bereits geflohen war, gab der Vermittler auf, ehe er etwas unternommen hatte.801 Nicht viel erfolgreicher war ein zweiter Kommissar, der auf das Ersuchen der Stadt Leipzig hin vermitteln sollte. Doch er erreichte Sachsen erst, als die Entscheidung schon gefallen war und die Regierung, die ihn beauftragt hatte, nicht mehr im Amt war.802 Als sich die Provisorische Regierung nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe am 5. Mai zu entschiedeneren revolutionären Maßnahmen entschloss, war wertvolle Zeit verstrichen und die anfängliche Einigkeit zerbrochen. Denn 795 Die Herrscherfamilie verblieb noch bis Anfang Juli auf der Landesfestung Königstein: J. Matzerath: Dresdner Hof und zweite Revolutionswelle (wie Anm. 769) 108f. 796 R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 340. 797 F. von Waldersee: Kampf in Dresden (wie Anm. 788) 76f. 798 F. Möller: Gagern (wie Anm. 11) 340. 799 F. von Waldersee: Kampf in Dresden (wie Anm. 788) 77f. 800 Instruktion vom 6. 5. 1849: BA, DB 54/63. 801 F. von Waldersee: Kampf in Dresden (wie Anm. 788) 67. 802 F. Möller: Reaktion auf den Maiaufstand (wie Anm. 643) 126ff.

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die bürgerlichen Liberalen sahen gerade in der Einsetzung der Provisorischen Regierung je länger, je mehr die Wendung zur ungesetzlichen Revolution. Daher waren die Bemühungen, die Anerkennung der Städte und Gemeinden zu finden,803 auch nur teilweise erfolgreich. Eine besondere Enttäuschung war, dass die Leipziger Stadtregierung Formalien vorschob, um eine Festlegung zu umgehen.804 Noch schwerer wog, dass es trotz aller Agitation und Avancen gegenüber den Offizieren und den Oberkommandierenden nicht gelungen war, die in der Stadt anwesenden Soldaten zum Übergang zu bewegen,805 obwohl sich einige Regimenter für die Reichsverfassung ausgesprochen hatten. Für kurze Zeit schwankte die Besatzung des Zeughauses, so dass die Provisorische Regierung schon voreilig deren Übergang verkündete.806 Trotz der Vereidigung des Militärs auf die sächsische Verfassung schon im März und der Einführung der Wehrpflicht im November 1848 hatte sich dessen Bindung an das Königtum nicht gelockert. Zumal das Generalkommando der Aufsicht des Kriegsministeriums, das stets von einem amtierenden General besetzt wurde, unterstellt blieb. Auch bei den einfachen Soldaten überwog die Treue zum König und vor allem der Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten,807 der in einer autoritären Gesellschaft auch außerhalb des Militärs alltägliches Verhalten war. Von allen fürstlichen Truppen, die in diesen Wochen während der Reichsverfassungskampagne zum Einsatz kamen, sind die sächsischen erstaunlicherweise am wenigsten revolutionären Versuchungen erlegen.808 Folglich gingen die sächsischen Soldaten nach dem Ablauf des Waffenstillstands auch zum Angriff über.809 Zu den etwa 2.000 waren am Vorabend  800 gestoßen und am selben Abend noch ein preußisches Bataillon. Nachdem am 7. Mai ein zweites eingetroffen war, standen etwa 5.000 Soldaten 3.000 Barrikadenkämpfern gegenüber, denen jegliche Artillerie, ausreichend Munition und gleichwertige Waffen fehlten. Schmerzlich vermisst, wurde die besser ausgerüstete Leipziger Kommunalgarde, die das zögerliche Stadtregiment zurückhielt. Dass sich nicht ganz 10.000 Mann zur Unterstützung nach Dresden aufgemacht hatten, unterstreicht nochmals den revolutionären Enthusiasmus 803 Aufruf vom 4. Mai 1849: F. von Waldersee: Kampf in Dresden (wie Anm. 788) 77. 804 H.-J. Rupieper: Sachsen (wie Anm. 758) 81. 805 Vgl. u. a. den Aufruf vom 4. Mai an die Soldaten, die als „vereidigte Staatsbürger“ angesprochen wurden, deren Pflicht die Aufrechterhaltung von Recht und Freiheit sei: F. von Waldersee: Kampf in Dresden (wie Anm. 788) 71. 806 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 484. 807 J. Flöter: Revolutionsregierungen in Sachsen (wie Anm. 513) 334. 808 Im Rheinland waren selbst pr. Landwehrsoldaten zu den Aufständischen übergegangen. 809 Detaillierte Schilderung der Ereignisse auch in den Aufzeichnungen des Kg.s und dem Dresdner Hoftagebuch vom 3.–9.5.1849: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand / J. Matzerath (wie Anm. 770) 16ff. u. 206ff.

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der Sachsen, bedeutete militärisch aber wenig. Sie waren, wenn überhaupt, völlig unzureichend ausgerüstet und die von einer solchen Resonanz überraschte Provisorische Regierung war mit deren Versorgung und Eingliederung in die Kämpfe überfordert. Ihr Oberkommandierender hatte sich am 7. Mai gefangen nehmen lassen, so dass sie den Oberbefehl auf Bakunin und Stephan Born übertragen musste, die nur noch den geordneten Rückzug nach Freiberg einleiten konnten. Am 9. floh die Provisorische Regierung Sachsens,810 die so kurz wie keine andere in den europäischen Revolutionsjahrzehnten im Amt gewesen war. Außerhalb Dresdens ist das Land weitgehend ruhig geblieben. Der revolutionäre Einsatz in Städten und Gemeinden hing von der Stärke der demokratischen Vereinigungen bzw. der Arbeitervereine ab. Falls diese es nicht schon selbst taten, haben sie die städtische Obrigkeit zur Anerkennung der Provisorischen Regierung gezwungen und vor allen Dingen die Abordnung von Kämpfern in die Hauptstadt in die Wege geleitet, teilweise auch erzwungen. Diese wurden meistens aus der Bürgerwehr oder der Kommunalgarde rekrutiert. Diese zeigten je nach Zusammensetzung revolutionären Enthusiasmus oder aber waren zögerlich und ängstlich. Ganz anders als in der Hauptstadt scheint außerhalb die Verurteilung der Provisorischen Regierung durch die königliche Regierung als rebellisch Eindruck gemacht zu haben.811 Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen ist es nur mit Kommunalgarden oder Bürgerwehren gekommen, da außerhalb Dresdens kein sächsisches Militär im Einsatz gewesen ist. Nach dem Zusammenbruch des Aufstandes sind einige Freischärler, Flüchtlinge und führende Politiker in die Pfalz und nach Baden weitergezogen. Darunter der Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung Wilhelm Adolph Trützschler. Statt im Auftrag der Reichsregierung als Kommissar in die Pfalz zu gehen, hat er in Baden die Abwehr von Reichstruppen, die aus dem Odenwald heranrückten, organisiert. Auch der Kopf der Provisorischen Regierung Tzschirner machte sich in Baden als Einkäufer von Waffen verdient und gründete einen kurzzeitig bestehenden politischen Klub. Danach ging er in die Pfalz, wo er zu den Kräften zählte, die die dortige Provisorische Regierung immer wieder zu entschiedenerem Vorgehen antrieben. Später setzte er sich nach Amerika ab; von dort kam er, in seinem Heimatland geächtet und vergessen, 1863 zurück. Trützschler fiel mit drei anderen Sachsen dem Standgericht

810 C. Klessmann: Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 757) 294. 811 Ausführlich R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 349ff.

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zum Opfer.812 Otto Heubner wurde gefangen genommen, zum Tode verurteilt, dann zu lebenslangem Zuchthaus begnadigt. Nach seiner Entlassung 1859 konnte er seinen Beruf wieder aufnehmen und eine zweite politische Karriere starten. Karl Gotthelf Todt, der seinen Eintritt in die Provisorische Regierung wohl recht schnell als verhängnisvollen Irrtum bereut hat und sich daher vorzeitig in die Schweiz abgesetzt hatte, verstarb dort 1852.813 12.2.4 Aufarbeitung und Bedeutung des Aufstandes Die Barrikadenkämpfer hatten zwar vergeblich, doch mit einem schon die Zeitgenossen beeindruckenden Enthusiasmus und Mut der Verzweiflung gekämpft und immerhin vier Tage standhalten können.814 Während der Kämpfe hat es mehrere üble Exzesse gegeben.815 Nach deren Ende ist es zu einigen Übergriffen gekommen, doch zu keinen standrechtlichen Erschießungen wie in Baden. Die sächsische Justiz war noch über Jahre in etwa 3.000 Verfahren mit der Aufarbeitung der Unruhen beschäftigt. Dabei befestigte sich die offizielle Lesart, durch die vor allem das Vorgehen der Obrigkeit gerechtfertigt werden sollte. Der Aufstand sei von langer Hand vorbereitet worden und habe nicht der Reichsverfassung gegolten, sondern dem Sturz der sächsischen Monarchie. Mit Blick auf deren Festigung und der Integration der Mitläufer wurde, wie in der Pfalz, propagiert, dass die meisten Sachsen königstreu gewesen seien, doch von ausländischem Gesindel verführt und getäuscht worden seien.816 Den Dresdner Stadtrat, der während des gesamten Aufstandes dessen Rückgrat gewesen war, traf es hart. Zahlreiche Stadtverordnete wurden zu hohen Strafen verurteilt, mussten ihre Mandate niederlegen, so dass er bis zum November 1849 völlig neu aufgestellt wurde.817 Das Militär hatte fünf Offiziere und 26 Soldaten zu beklagen, sechs Offiziere und 91 Soldaten waren verwundet worden. Unter den Aufständischen gab es schätzungsweise 250 Tote, darunter nur elf aus den oberen Ständen, und 400 Verwundete.818 Von den 869 Teilnehmern am Maiaufstand, die in Untersuchungshaft saßen, war die Mehrheit Handwerker, gefolgt von Arbeitern und Angehörigen der Unterschicht.819 812 Dlubek, Rolf: Sachsen im badisch-pfälzischen Aufstand 1848/49. – In: Dresden, Mai 1849 / hrsg. von K. Jeschke; G. Ulbricht (wie Anm. 787) 161–168, hier 161ff. 813 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 487. 814 R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 344ff. 815 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 485f. 816 R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 140. 817 I. Werner: Die Dresdner Stadtverordneten (wie Anm. 787) 125f. 818 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 488. 819 R. Weber: Revolution in Sachsen (wie Anm. 778) 355.

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Für alle, die Vergleichbares vorhatten, war die rasche Niederschlagung des Aufstands für die Reichsverfassung im Königreich Sachsen durch preußische Truppen ein ebenso wirkmächtiges Signal wie die fehlende moralische und praktische Unterstützung durch die Nationalversammlung und vor allem das Reichsministerium. Ganz im Gegensatz zu dem gleichzeitigen Aufstand in der Pfalz unterstützte den sächsischen fast die gesamte politische Elite des Landes aktiv und fand er breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Hinter ihm standen die Mehrheit der Landtagsabgeordneten, die meisten Stadtversammlungen und alle sächsischen Abgeordneten der Nationalversammlung. Der Hauptgrund dürfte gewesen sein, dass inzwischen die mittel- und unterbürgerliche Demokratie wie die Arbeiterbewegung ein dichtes Netzwerk gebildet hatten. Sie haben in den Stadtversammlungen und dem Landtag auch mit den bürgerlichen Liberalen zusammengearbeitet und die Provisorische Regierung konnte sich als die zentrale Abwehrstelle der preußischen Aggression profilieren. Die sächsische Bewegung konnte den Anschein aufrechterhalten, sich nicht gegen die Monarchie zu richten und kam zu keinem Zeitpunkt in den Ruch der hochverräterischen Rebellion. In der sächsischen Revolution zeigte sich ein Verlaufsmuster, das auch für andere Gegenden Deutschlands typisch war. Dort, wo ungelöste soziale Konflikte schwelten, meist im Handwerk oder auf dem Land, brachen diese in der ersten Hälfte aus. Bauern, Handwerker, prekär Beschäftigte artikulierten in unterschiedlichen Formen ihren öffentlichen Protest, nicht selten mit Gewalt. Die Angehörigen der freien Berufe, Lehrer, Pfarrer, Ärzte und Apotheker setzten noch auf die Institutionen, vornehmlich die Parlamente. Erst als politische Fragen in den Vordergrund drängten, vor allem mit den reaktionären Gegenschlägen seit dem Herbst 1848, versuchten auch sie auf der Straße und mit Gewalt ihre Ziele durchzusetzen.820 Die erste Erfahrung mit dem gewaltsamen Einsatz zugunsten der Reichsverfassung hat das Reichsministerium Gagern gezwungen, sich am 8. Mai grundsätzlich mit der Frage zu befassen. Immer dann, wenn dies im Rahmen des Rechts ohne Zwang und Eingriff in die öffentliche Ordnung geschah, wollte man sich hinter solche Bewegungen stellen. Ob das allerdings mehr als eine politisch-moralische Unterstützung sein würde, blieb ebenso offen wie die Bedeutung der harschen Drohung, künftig allen Interventionen einer fremden Macht in einem Bundesstaat entgegenzutreten. Sie wurde auch dadurch nicht überzeugender, dass die Nationalversammlung am 10. Mai das Vorgehen Preußens eindeutig verurteilte.821 Gagern weigerte sich zur Kenntnis zu nehmen, 820 Vgl. auch noch H.-J. Rupieper: Trägerschichten der Revolution (wie Anm. 754) 89ff. 821 DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 347.

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dass Preußen schon längst bereit war, den Kampf gegen die Revolution entschlossen zu Ende zu führen. Er verkalkulierte sich hier ebenso wie in seinem Programm zur Durchsetzung der Reichsverfassung, mit dem er den Reichsverweser zum Rücktritt zwingen wollte, weil er sich zu sicher war, dass dieser keine neue Regierung finden würde.822 12.3 Die Pfalz im Aufruhr 12.3.1 Das revolutionäre Vorspiel Nachdem die Großmächte auf dem Wiener Kongress ihre Interessen befriedigt hatten, waren dem Königreich Bayern im Zuge der territorialen Neuordnung Deutschlands im April 1816 die verbliebenen Gebiete am Rhein zugefallen. Die wenig geschätzte Restmasse wurde in einem eigenen Regierungsbezirk zusammengefasst, dem „Rheinkreis“, der 1837 in „Kreis Pfalz“ umbenannt wurde. Aufgrund der einfühlsamen bayerischen Angliederung gelang die Integration. Die vom Stammland abweichenden besonderen rechtlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die sich dort aufgrund der langjährigen Zugehörigkeit zum revolutionären Frankreich und zum Kaiserreich Napoleons herausgebildet hatten, wurden nicht angetastet. Diese „rheinischen“ oder „französischen Institutionen“ machten die Pfalz zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer der modernsten Regionen des Deutschen Bundes. Die zwei Jahre später erlassene Verfassung bestätigte diese Sonderstellung nochmals. Deswegen, und weil sie als das zeitgemäße Instrument angesehen wurde, die alten Landesteile mit dem neuen auf dem Weg der Modernisierung zu verschmelzen, stieß sie in der Pfalz auf Begeisterung.823 Dennoch gab es Spannungen, die vielfältige Ursachen hatten. Die napoleonischen Kriege hatten in den Reihen der jungen Männer schmerzhafte Lücken gerissen und die Wirtschaft litt an den Folgen der Kontributionen und Kriegsschulden. Aufgrund der Trennung der Landesteile wurde der Warenverkehr zwischen dem großen Markt des bayerischen Stammlandes und der Pfalz mit Zöllen belegt; in der Pfalz herrschte eine relative Armut aufgrund der dichten Besiedlung. Schließlich musste sie zur Abtragung der Folgekosten von Krieg und französischer Besatzung eine etwas größere Steuerlast tragen. Dazu kam eine Zurücksetzung bei der Rekrutierung der höheren Beamten und bei der Repräsentation der Pfalz in der Ersten und Zweiten Kammer der Ständeversammlung. Dass sich aus diesen alles in allem nicht gravierenden Benachteiligungen ein Gegensatz zum Stammland entwickelte, lag daran, dass dieser 822 F. Möller: Reaktion auf den Maiaufstand (wie Anm. 643) 127ff. 823 Ausführlich dazu und zum Folgenden: Ruppert, Karsten: Die Pfalz im Königreich Bayern: Geschichte, Kultur und Identität. – Stuttgart 2017, 13–48.

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durch ideologische Differenzen erheblich verstärkt wurde. Sie hatten ihre Ursache in der Rezeption der französischen Aufklärung, die in der Pfalz durch einen weite Schichten erfassenden Vulgärrationalismus Wurzeln geschlagen hatte. Dazu kam der hier starke Calvinismus mit seiner Tradition des Widerstands gegen die Obrigkeit. Von dieser Ideologie war auch der pfälzische Frühliberalismus geprägt. Er hatte sich hier so stark wie sonst kaum noch in Deutschland entwickeln können, weil die Beseitigung des Ancien Régimes in der Franzosenzeit einem mittleren Bürgertum günstige Entfaltungsmöglichkeiten geboten hat. Dies festigte sich durch den Erwerb von säkularisiertem Kirchengut und enteignetem adligen Besitz, um auf dieser Grundlage die Chancen zu nutzen, die der große Markt des kaiserlichen Frankreichs eröffnete. Dieser Frühliberalismus dominierte Politik und Wirtschaft in der Pfalz bis zur Revolution nahezu konkurrenzlos. Seine Vertreter in der bayerischen Ständeversammlung wiesen sowohl fortgesetzt auf die Benachteiligungen der Provinz hin und artikulierten die daraus entspringenden Forderungen als auch priesen sie deren Modernität gegenüber dem Rest Bayerns. Die bürgerlichen Frühliberalen profilierten sich darüber hinaus in der überwiegend katholischen Monarchie als Anhänger eines säkularen Staates und Bildungswesens. Die Aufgabe, die sich seit 1816 stellte, war also eine Region mit freien und rechtsgleichen Individuen, die vom aufklärerischen Rationalismus geprägt waren und die seit Langem im Genuss bürgerlicher Freiheitsrechte waren, allmählich in eine aufgeklärte absolutistische Monarchie mit einer ständischen Gesellschaft zu integrieren, deren Mitglieder sich noch ganz überwiegend in Glauben und Alltag fraglos an den Normen ihrer Kirchen orientierten. Bei dem nun anstehenden neuen Austarieren der Gewichte zwischen den fürstlichen Regierungen und den liberalen Kräften übernahm der pfälzische Frühliberalismus an der Jahreswende 1830/31 auf dieser Basis in Bayern und Deutschland eine Führungsrolle. Deren Höhepunkt war das Hambacher Fest vom Mai 1832. Einerseits ein beeindruckendes Zeugnis der Schlagkraft des Liberalismus, andererseits aber auch Beleg dafür, dass ihm jenseits von sozialrevolutionärer Rhetorik und politischer Polemik Mittel und Konzepte zum Handeln fehlten. Die vom Deutschen Bund gestützte anschließende Besetzung der Provinz und die Entlassung wie Disziplinierung politisch verdächtiger Beamter, Advokaten und evangelischer Pfarrer, dazu das verstärkte Schikanieren der Volksvertreter löste nichts, verbitterte nur. Deutschland und die Pfalz traten in die Phase der Repression, die mit Stagnation einherging. Zusätzlich verlor der bayerische Staat dadurch an Autorität, dass die Strafverfolgung der Aufrührer in einem juristischen Fiasko endete. Als ambivalent erwies sich für ihn auch, dass

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ein Teil der politisch führenden Köpfe ins Ausland floh. Da dies vor allem solche mit demokratischer wie republikanischer Gesinnung waren, sah er sich in der Pfalz einer ideologisch homogeneren Opposition gegenüber, als in Europa 1848 die Völker erneut in Bewegung gerieten. Die Pfalz fügte sich als der politisch aktivste Kreis innerhalb Bayerns zunächst bruchlos in die Märzrevolution des Jahres 1848 ein. Entscheidend dafür war die Gründung des Volksvereins Anfang April 1848 auf der Basis der üblichen Märzforderungen. Ihm gelang es bis zum Ausbruch des Aufstandes ein Jahr später, Demokraten und Konstitutionelle auf dem gemeinsamen Kurs der rückhaltlosen Unterstützung der Nationalversammlung zusammenzuhalten. Dort schlossen sich die Pfälzer durchgehend den Fraktionen an, welche die Revolution weitertreiben wollten und mit Berufung auf die Volkssouveränität an dem unbedingten Vorrang der Volksversammlung gegenüber den Bundesstaaten festhielten. Sie waren großdeutsch und gegen die Wahl des preußischen Königs zum Deutschen Kaiser. Der Gegensatz zu Altbayern, dessen Abgeordnete sich ganz überwiegend zur Mitte oder nach rechts orientierten, wurde so noch einmal anschaulich. Die Pfalz war auch das einzige größere Gebiet, das im Stuttgarter Rumpfparlament mit sämtlichen Wahlkreisen vertreten war.824 Obwohl im Herbst sich zusätzlich einige Vereine der Demokraten und Arbeiter in die politische Auseinandersetzung einschalteten und an der Jahreswende 1848/49 mit den Piusvereinen eine ideologisch neue Formation gegründet wurde, blieb der Volksverein dominant. Mit der imponierenden Anzahl von fast 200 Ortsvereinen war er eine verlässliche Stütze der Nationalversammlung. Dennoch trat auch hier die überall zu beobachtende Entfremdung durch den Waffenstillstand mit Dänemark und die Erschießung Robert Blums ein. Mehr als anderswo hat aber auch die Einsetzung der Provisorischen Zentralgewalt Ende Juni 1848 Irritation ausgelöst, da diese vom Parlament zu unabhängig erschien und mit der Wahl eines Reichsverwesers eine Vorentscheidung zugunsten einer monarchischen Staatsspitze gefallen zu sein schien. Die Bedrohung der seit dem März des Jahres errungenen Freiheiten durch die Konterrevolution in den beiden größten deutschen Staaten Österreich und Preußen ließ die politischen Kräfte in der Pfalz erneut zusammenrücken. Daher fand auch der Aufruf der linken Abgeordneten des Frankfurter 824 Ausführlich dazu und zum Folgenden: Ruppert, Karsten: Die politischen Vereine der Pfalz in der Revolution von 1848/49. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 / hrsg. von Hans Fenske; Joachim Kermann; Karl Scherer. – Bd. 1. – Kaiserslautern 2000. – (Beiträge zur pfälzischen Geschichte; 16, 1) 57–242, hier 57ff.

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Parlamentes, unter ihnen alle pfälzischen, eine Organisation ins Leben zu rufen, die durch Verbindung zu den Vereinen im Lande die angeschlagene Autorität der Nationalversammlung festigte und die Errungenschaften des März verteidigte, ungeteilte Zustimmung. Die Pfalz stellte innerhalb des „Centralmärzvereins“ mit seinen etwa 950 Vereinen eines der größten Kontingente. Dadurch und durch die Gefahr der fürstlichen Gegenrevolution wurde sie zu Beginn des Jahres 1849 erkennbar politisiert. Dies war schon an der Landtagswahl vom 7. Dezember 1848 sichtbar geworden. Zum ersten Mal war in Bayern nicht mehr nach ständischem Proporz, wenn auch weiterhin zensitär und indirekt gewählt worden. Deutlich stärker als bisher waren im Wahlkampf sozialpolitische Reformen diskutiert worden. Vor allem aber erhielten die Abgeordneten die Ermahnung mit, dass „die politische Einheit und Größe unseres deutschen Gesammtvaterlandes“ nur durch die „unbedingte Unterwerfung unter die in der Paulskirche zu schaffende deutsche Reichsgesetzgebung“ erreicht werden könne. Der Volksverein trat jetzt für eine neue Verfassung Bayerns ein, die zumindest die Grundrechte der Frankfurter Nationalversammlung zu übernehmen hatte825 und auf dem „Grundsatz der Volkssouveränität“ beruhen sollte.826 Von den gewählten 19 Abgeordneten hatten immerhin zwölf auf der Liste des Volksvereins gestanden. Er war daher zufrieden damit, dass auf den „freisinnigen Geist“ der Pfälzer wieder einmal Verlass gewesen war. In dem am 22. Januar 1849 feierlich eröffneten Bayerischen Landtag bildeten die 144 Abgeordneten zum ersten Mal lockere Gruppierungen. Wie in Frankfurt sammelten sich die Pfälzer, unabhängig von ihren vereinspolitischen Präferenzen, auf der linken Seite; allerdings nicht alle bei der äußersten demokratischen Linken. In dieser mit 58 Mitgliedern größten Fraktion saßen neben der pfälzischen Kerntruppe vor allen Dingen Franken und Schwaben. Die Pfälzer Volksvertreter haben, durchaus in Übereinstimmung mit dem Willen ihrer Wähler, gemeinsam mit der gesamten Linken keinen Zweifel daran gelassen, dass sie auf der Anpassung der bayerischen Verhältnisse an die Reichsgesetzgebung und der Übernahme der Grundrechte bestehen würden, die hier festlich verkündet worden waren. Da die Regierung in München dennoch keine Anstalten machte, diese anzuerkennen, setzte die Linke am 7. Februar in der Antwort auf die Thronrede des Königs827 die Forderung nach 825 Vgl. Neue Speyerer Zeitung 275 (16.11.1848). 826 K. Ruppert: Politische Vereine der Pfalz (wie Anm. 824) 163ff. 827 Kolb, Georg Friedrich: Lebenserinnerungen eines liberalen Demokraten 1808–1884 / hrsg. von Ludwig Merckle; Vorwort, Lebensbild Kolbs und Nachlaßbearbeitung von Elmar Krautkrämer.– Freiburg 1976, 170ff.

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deren sofortiger Annahme und parlamentarischem Regieren durch. Daraufhin wurde der Landtag am 8. März vertagt. In den meisten Teilen Deutschlands löste die endgültige Ablehnung der angetragenen Kaiserkrone durch den Friedrich Wilhelm IV. die Unruhen aus. Den Pfälzern hingegen machte die Verlautbarung der bayerischen Regierung vom 23. April, dass die Reichsverfassung ohne Zustimmung der beiden Kammern und des Königs nicht übernommen werde, deutlich, dass die Demokratie in Deutschland nicht auf parlamentarischem Wege zu errichten sein würde, indem die Fürsten ihrer Entmachtung zustimmten.828 Die politische Elite der Pfalz war bereit, daraus die Konsequenzen zu ziehen und die Einführung der Reichsverfassung zu erzwingen. Auf der Sitzung des Kreisausschusses des Pfälzischen Volksvereins am 4. März in Neustadt829 und in den Volksversammlungen des März und April wurde zwar schon schweres Geschütz aufgefahren, doch neigte die Mehrheit noch dazu, den legalen Weg nicht zu verlassen: Ortsvorstände und Gemeinderäte, unterstützt vom Landrat und zahlreichen Beamten, sollten offiziell beim König intervenieren und die Abgeordneten sollten nach der dringend geforderten Einberufung der Kammern Ministeranklage wegen Verfassungsverletzung erheben.830 12.3.2 Aufruhr zwischen Improvisation und Entschlossenheit Doch statt darauf einzugehen, trennte sich der König von seinem Märzministerium.831 Auf Rat des Hauptes der Konservativen und ehemaligen Ersten Minister Carl von Abel betraute er am 19. April 1849 Ludwig von der Pfordten mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten und des Handels sowie am 22. Dezember mit der neu geschaffenen Stelle des Vorsitzenden im Ministerrat. Der gebürtige Bayer war im März 1848 bereits Minister im liberalen sächsischen Ministerium Braun gewesen, war aber in den nächsten Monaten so weit nach rechts gerückt, dass er sich bis Ende Februar 1849 mit der Zweiten Kammer in einem solchen Umfang entzweit hatte, dass er gehen musste. Seine Ernennung war auch ein Zeichen nach außen. Denn in den Monarchien des 828 Eingehender K. Ruppert: Bürgertum (wie Anm. 540) 119ff. Zu den Gründen der bay. Reg. für die Ablehnung K. Seidl: „Gesetzliche Revolution“ (wie Anm. 681) 128ff. 829 Vgl. das Prot. der Sitzung des Kreisausschusses des Pfälzischen Volksvereins vom 4.3.1849: Pfälzisches Volksvereins-Blatt 14 (15.3.1849). 830 Renner, Helmut: Die pfälzische Bewegung in den Jahren 1848/49 und ihre Voraussetzungen: Ein Beitrag zur pfälzischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. – Phil. Diss. Marburg 1955, 120ff. 831 Ziegler, Hannes: Der Weg zur Pfälzischen Mairevolution von 1849. – In: Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft 26 (2019) 13–74, hier 139f.

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Deutschen Bundes war das Ansehen Bayerns wegen dessen nachsichtiger Haltung gegenüber den revolutionären Bewegungen seit dem März 1848, besonders in der Pfalz, und wegen des Rücktritts von König Ludwig I. als Folge der Lola-Montez-Affäre kurz danach deutlich gesunken. Daraufhin sahen sich die in der Revolution entstandenen Organisationen gezwungen, einen Schritt weiter zu gehen, indem München deutlich gemacht wurde, dass man auch zur Tat bereit sei.832 Der Geschäftsführende Ausschuss des Pfälzischen Volksvereins hat sich an die Spitze dieser Bewegung gesetzt, indem er am 27. April eine zentrale Kundgebung auf den 2. Mai nach Kaiserslautern einberief. Am 29. April hatten die Kaiserslauterer Turner ihre pfälzischen Kollegen dazu aufgefordert, sich für den bewaffneten Kampf zu rüsten. Unterstützt wurden sie von den einheimischen Abgeordneten der Paulskirche, die am folgenden Tag ihre Mitbürger aufriefen, sich in den Verteidigungszustand zu versetzen.833 Zu der großen Volksversammlung erschien die „ganze männliche Bevölkerung der Pfalz“, insbesondere die politische Elite von den Abgeordneten der Nationalversammlung und des Landtags über die Bürgermeister bis hinab zu Vertretern aller politischen Richtungen. Die alles beherrschende Frage lautete: „Welche Mittel hat das bayerische und namentlich das pfälzische Volk zu ergreifen, um die Krone und ihr Ministerium zur sofortigen, unbedingten Anerkennung der deutschen Reichsverfassung und zur Unterwerfung unter die Reichsgewalt zu zwingen?“834 Die Volksversammlung vom 2. Mai war mit rund 13.000 Männern und sich ebenfalls aktiv beteiligenden Frauen nochmals ein eindrucksvolles Zeugnis der Mobilisierungskraft des Volksvereins. In der Debatte schwankten die Positionen zwischen dem Vorschlag, die Eingabepolitik fortzusetzen und der Forderung, den Aufstand durch die Bildung einer pfälzischen Regierung zu eröffnen. Es setzte sich aber die Mitte durch, die für einen Weg zwischen Legalität und Revolution plädierte, nämlich für die Drohung mit der Organisation

832 Zu den folgenden Ereignissen Busley, Hermann-Joseph: Das pfälzisch-bayerische Verhältnis in der Revolutionszeit 1848/49. – In: Die Pfalz und Bayern 1816–1956 / hrsg. von Hans Fenske. – Speyer 1998. – (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften; 94). 67–101, hier 85ff. 833 Keddigkeit, Jürgen: Die Radikalisierung und das militärische Scheitern des pfälzischen Aufstandes 1849. – In: Die Pfälzische Revolution 1848/49 / hrsg. im Auftrag der Stadt Kaiserslautern und des Bezirksverbands Pfalz von Erich Schneider u. Jürgen Keddigkeit. – Kaiserslautern 1999, 93–112, hier 93. 834 Aufruf des Geschäftsführenden Ausschusses des Pfälzischen Volksvereins, 27.4.1849: Der Bote für Stadt und Land 86 (1.5.1849) und Fleischmann, Otto: Geschichte des Pfälzischen Aufstandes im Jahre 1849: nach den zugänglichen Quellen geschildert. – Kaiserslautern 1899, 114ff.

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der Volksbewaffnung.835 Daher wurde die Errichtung eines Landesverteidigungsausschusses gebilligt, der so lange agieren sollte, bis die Gefahr für das „Vaterland“ vorüber war und die „rebellische“ Staatsregierung sich der Reichsgesetzgebung beugen würde. Die Wahl der zehn Mitglieder des neuen Exekutivorgans war nur eingeschränkt demokratisch. Lediglich die Abgeordneten, die Vorstände der Vereine und die Bürgerwehrkommandanten durften sich beteiligen. Ausgeschlossen blieben Bürgermeister wie Landräte so wie das anwesende Volk; wählbar waren nur Wahlmänner.836 Es setzte sich ausschließlich aus Akademikern zusammen. Von den vier gewählten Frankfurter Abgeordneten haben August Culmann und Friedrich Schüler ihr Mandat nicht angenommen, umso mehr haben sich allerdings Martin Reichard und Nikolaus Schmitt engagiert. Das gilt auch für die Landtagsvertreter Philipp Hepp und Johann Ludwig Greiner, während sich der Zweibrücker Arzt August Hannitz beim ersten Anzeichen der Illegalität zurückzog. Ebenfalls auf Distanz blieb der Kirchheim-Bolandener Notar Karl Wilhelm Schmidt, der den Volksverein vertrat; dafür hat es wiederum der führende Kopf des derzeitigen Kreisausschusses und aktive Frankenthaler Demokrat Peter Fries nicht an Einsatz mangeln lassen. Die Bürgerwehren waren durch Heinrich Didier aus Landstuhl vertreten, der als Gutsbesitzer darüber hinaus die Befürchtungen der Besitzbürger zerstreuen sollte.837 Der Aufstand war von Anfang an in der Hand der jüngeren Radikalen, die bisher in der zweiten Reihe gestanden hatten; die alte Elite der konstitutionellen Liberalen hielt sich fern.838 Zunächst hat der aus fünf bis sechs Mann bestehende Kern des Landesverteidigungsausschusses die Verbindung zu dem ebenfalls im Aufruhr befindlichen Baden angestrebt und Richter wie Beamte, vor allem in den Gemeinden, durch den Eid auf die Reichsverfassung an sich zu binden versucht.839 835 Schneider, Regina M.: Landesausschuß und Provisorische Regierung in Kaiserslautern 1849. – In: Jahrbuch zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 22/23 (1984/85): Die Pfälzische Revolution 1848/49 im Umfeld von Kaiserslautern, 91–118, hier 29ff. und H. Ziegler: Pfälzische Mairevolution (wie Anm. 831) 141f. 836 Meyer, Markus: Die provisorische Regierung der Pfalz: Gegen Bayern und für die Reichsverfassung? – In diesem Band, 372. 837 Zeitgenössische Charakterisierungen der Männer des Ausschusses: O. Fleischmann: Pfälzischer Aufstand (wie Anm. 834) 12ff. 838 H. Renner: Die pfälzische Bewegung in den Jahren 1848/49 (wie Anm. 830) 129ff.; Schwarzwälder, Bernd: Die Ursachen der Reichsverfassungskampagne in der Pfalz 1849: Politische Bewegungen in Neustadt an der Haardt. – Wissenschaftliche Hausarbeit für die Zulassung zur Prüfung für das Lehramt an Gymnasien in Bayern. – München 1982, 64ff. 839 Vgl. „Der Landesverteidigungs-Ausschuß an den Adressaten“ vom 3.5.1849 und „Der Landesverteidigungsausschuß für die Pfalz an seine Mitbürger!“ vom 5.5.1849: Pfälzische Landesbibliothek Speyer.

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Vollzugsorgane für die Beschlüsse wurden die kantonalen Verteidigungsausschüsse. Sie bestanden aus dem Vereinsausschuss des Kantons und den Offizieren der Bürgerwehr vor Ort. Sie wurden angewiesen, sich der Presse, der Volksversammlungen, der Vereine wie ebenfalls der Emissäre der Zentrale für die Durchsetzung der Politik zu bedienen. Diese Ausschüsse, auf die sich später auch die Provisorische Regierung stützen konnte, haben wohl recht gut funktioniert. Ihnen haben sich nicht wenige namhafte Bürger oder Repräsentanten der Gemeindeorgane zur Verfügung gestellt; teils aus Überzeugung, teils um den Gang der Entwicklung steuern zu können.840 Die Rebellen hatten bei ihrem von Anfang an nicht sehr aussichtsreichen Unternehmen mit der Unterstützung von Aufständischen anderer Bundesstaaten sowie insbesondere durch das revolutionäre Frankreich gerechnet. Von dort kamen aber nur Ermunterungen der machtlosen Emigranten. Nicht zuletzt setzte man auch auf die Frankfurter Institutionen, von denen ja Signale ausgegangen waren, die als Aufforderung zur Durchsetzung der Reichsverfassung verstanden werden konnten.841 Eine solche Deutung war eine kaum vorwerfbare Fehleinschätzung, da man in der Pfalz zu diesem Zeitpunkt nicht absehen konnte, dass der Konflikt zwischen dem Ministerium Gagern und dem Reichsverweser Anfang Mai in eine ganz andere Richtung auslaufen würde. Inzwischen waren die pfälzischen Vertreter in der Nationalversammlung wie der bayerischen Ständeversammlung, die die Entwicklung in der Heimat mit gemischten Gefühlen betrachteten, an das Ministerium Gagern mit der Bitte um Vermittlung herangetreten. Dieses beschloss daraufhin am 5. Mai 1849, den sächsischen Abgeordneten Jacob Bernhard Eisenstuck in die rebellische Pfalz abzuordnen, um den Beschluss des Landesverteidigungsausschusses vom 3. rückgängig zu machen.842 Mit dieser Anordnung, die wie stets floskelhaft mit der Achtung vor den Gesetzen und der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt wurde, stellte sich die Zentralgewalt eindeutig auf die Seite der bayerischen Regierung, die in diesem Sinne durch ihren Bevollmächtigten ebenfalls interveniert hatte. Es fiel aber den Aufständischen nicht schwer, den zur Linken gehörenden Reichskommissar am 7. Mai dazu zu bewegen,843 den Ausschuss unter der Bezeichnung „Landesausschuß für 840 M. Meyer: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 836) 375. 841 Adresse des LVA an die NV, in der er seine Einsetzung anzeigt und für sich und die Pfalz um den Schutz des Reiches bei der Durchsetzung der Reichsverfassung bittet: Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 8695. 842 Prot. GRM, 5.5.1849 und Vollmacht für Eisenstuck, 5.5.1849: BA, DB 52/10. 843 Meyer, Markus: Die Revolution von 1848/49 in der Pfalz: Kampf um Grundrechte und Reichsverfassung. – Neustadt a. d. Weinstraße 2020. – (Stiftung zur Förderung der pfälzischen Geschichtsforschung; Reihe B: Abhandlungen zur Geschichte der Pfalz; 21) 158ff.

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Vertheidigung und Durchführung der deutschen Reichsverfassung“ als Organ der Reichsgewalt quasi zu legitimieren und ihm die Befugnisse zur Aushebung einer „Volkswehr“ zu übertragen.844 Er machte damit die unterschiedliche Ansicht zwischen dem Reichsministerium und seinen linken Gesinnungsgenossen in der Nationalversammlung deutlich, die auf eine aktive Durchsetzung der Reichsverfassung drängten. Verteidigungsausschuss und die spätere Provisorische Regierung der Pfalz erleichterte dieses Verhalten des Reichskommissars, sich weiterhin als Kämpfer für die Reichsverfassung zu profilieren und ein Einverständnis mit der Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland vorzutäuschen. Kreisregierung und Zweibrücker Appellationsgericht bedrängten die königliche Regierung jetzt angesichts von deren schwindender Autorität in der Pfalz vergeblich, die Reichsverfassung anzunehmen.845 Da aber weder das Reichsministerium noch die Mehrheit der Nationalversammlung bereit war, das Volk zum Kampf zu ermuntern,846 wurde Eisenstuck wegen Überschreitung seines Auftrags am 10. Mai vom Reichsverweser abberufen.847 Als Preußen mit der Zentralgewalt gebrochen hatte und mit ihr abrechnete, hat es mit Berufung auf die Entsendung Eisenstucks dieser vorgeworfen, den Aufstand gefördert zu haben und eine zwielichtige Haltung zur „revolutionären Nationalversammlung“ eingenommen zu haben. Auch in der badischen Rebellion habe sie bei der Erfüllung der ihr übertragenen Pflichten versagt. Als mit den geringen eigenen Mitteln dort dem Ausbruch des Aufstands noch zuvorzukommen war, habe sie auf den Hilferuf des Großherzogs nicht reagiert.848 Die Radikalen in der Pfalz waren jetzt endgültig davon überzeugt, dass das Frankfurter Parlament überwiegend nur noch aus Liberalen der Dreißigerjahre 844 Vgl. den Aufruf Eisenstucks vom 5.5.1849: Neue Speyerer Zeitung 113 (10.5.1849). 845 H. Ziegler: Pfälzische Mairevolution (wie Anm. 831) 142f. 846 Das wurde offenbar, als ein entsprechender Antrag der Linken am 4. Mai abgelehnt wurde. Vgl. R. M. Schneider: Landesausschuß und Provisorische Regierung (wie Anm. 835) 96. 847 Prot. GRM, 9.5.1849: BA, DB 52/10. Zur Sitzung des MR vom 8. Mai notierte Handelsminister Duckwitz: „Es war die Nachricht gekommen, dass unser Reichskommissar Eisenstuck statt den Aufstand in der Pfalz zu unterdrücken, sich gleichsam an die Spitze desselben gestellt und ein preußisches Bataillon, welches zur Besetzung von Landau abgesandt worden war, zurückgeschickt habe. Es wurde beschlossen, ihn zu desavouieren“: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 314. 848 Promemoria, die Lage nach der Verkündung der Reichsverfassung betreffend, 26.1.1849: Das Großherzogtum Baden zwischen Revolution und Restauration 1849–1851: Die Deutsche Frage und die Ereignisse in Baden im Spiegel der Briefe und Aktenstücke aus dem Nachlaß des preußischen Diplomaten Karl Friedrich von Savigny / hrsg. von Willy Real. – Stuttgart 1983. – (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg; A 33, 34) 396ff.

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bestünde, die nicht mehr in die Zeit passten. Ihnen gehe es nur darum, jede Volksbewegung „niederzudiplomatisieren“; es werde so lange behauptet, dass es für diese noch zu früh sei, bis es zu spät sei.849 Der Verteidigungsausschuss konnte sich daher insofern „von der Centralgewalt verrathen“ fühlen, als ihm so eine für seine Durchsetzungsfähigkeit nicht zu unterschätzende Legitimation entzogen wurde. Das wurde besonders deutlich in der Proklamation des Reichsverwesers vom 12. Mai 1849, in der er die Sicht der Verfassungsgegner übernahm, dass der Verfassungsstreit ein Vorwand sei, „um Angriffe gegen Gesetz und Ordnung zu richten, Zerrüttung und Bürgerkrieg über Deutschland zu verbreiten.“850 Diese Distanzierung der Zentralgewalt verbreitete unter den Verfechtern der Reichsverfassung in der Pfalz „größte Niedergeschlagenheit“. Gerade die Radikaleren sahen darin den „Todesstoß“ für die Bewegung.851 Hinter der pfälzischen Reichsverfassungskampagne stand jetzt nur noch die Zweite Kammer des Bayerischen Landtags, die sich kurz nach ihrem erneuten Zusammentritt am 21. Mai vergeblich für die Übernahme der Reichsverfassung aussprach.852 Die Nachricht von der Niederschlagung der sächsischen Erhebung durch preußisches Militär, die zunehmende Bedrohung durch preußische und bayerische Truppen, die Ermunterung, die von dem Ausbruch des Aufstands in Baden am 13. Mai ausging und der vom Landesverteidigungsausschuss geförderte Zustrom von Revolutionären und Freischaren von außerhalb trieben die Entwicklung weiter.853 Da die bayerische Regierung bereits die bisherigen Maßnahmen als Hochverrat betrachtete, hatten die Anführer des Aufstandes auch nichts mehr zu verlieren. Um die offene Rebellion, die nach wie vor als das Werk Einzelner erschien und im Lande immer noch keinen Rückhalt gefunden hatte, demokratisch zu legitimieren und die Einsetzung einer provisorischen Regierung vorzubereiten, hat der Landesverteidigungsausschuss

849 Der Pfälzer Volksmann: ein demokratisches Creuzerblatt / hrsg. von mehreren Volksfreunden. – Neustadt, 20.5.1849. 850 Druck: Staroste, Daniel: Tagebuch über die Ereignisse in der Pfalz und Baden im Jahre 1849: Ein Erinnerungsbuch für die Zeitgenossen und für alle, welche Theil nahmen an der Unterdrückung jenes Aufstandes / zusammengestellt von Staroste. – Potsdam 1852, 1853, II, 260. 851 M. Meyer: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 836) 373, 380. 852 H. Renner: Die pfälzische Bewegung in den Jahren 1848/49 (wie Anm. 830) 178. Zu den möglichen Motiven der Führer des Aufstands M. Meyer: Revolution von 1848/49 in der Pfalz (wie Anm. 843) 164ff. 853 Vgl. dazu die Polizeiberichte von Anfang Mai in: Bay. HStA, Ministerium des Innern, 45531 und den Bericht von Regierungspräsident Franz Alwens, 20.8.1849: Bay. HStA, Ministerium des Innern, 45533.

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für jeden Kanton die Wahl eines Vertrauensmannes angeordnet.854 29 von 31 Kantonen schickten Delegierte. In Mutterstadt war die Wahl nicht rechtzeitig durchgeführt worden und in Neustadt hatten Arbeiterverein und Demokraten die Absendung des ihnen missliebigen Delegierten verhindert. Die Versammelten waren meist eher gemäßigte, unter ihnen erstaunlich viele Besitzbürger.855 Sie hätten daher lieber bei ihrer Zusammenkunft am Vormittag des 17. Mai in Kaiserslautern die Beratungen des zwei Tage zuvor nach mehrmaliger Verschiebung endlich eröffneten Landtags abgewartet.856 Es bedurfte daher massiven Drucks des örtlichen Volksvereins, des anwesenden Publikums und des Landesverteidigungsausschusses, um dessen Antrag auf Berufung einer Provisorischen Regierung durchzubringen. Dieser lancierte zusätzlich die durch nichts begründete Behauptung, dass der ehemalige Reichskommissar Eisenstuck zur deren Einsetzung geraten habe.857 Nochmals ein Beleg dafür, welches Gewicht man in der Pfalz dem Rückhalt an Frankfurt beimaß. Dennoch kam nur die schmale Mehrheit von 15 (davon zwei gegen das Mandat ihrer Wähler) zu 14 Stimmen zustande.858 Der Vertreter der badischen Revolutionsregierung hatte wohl die überzeugendste Rede gehalten und maß sich daher ein nicht geringes Verdienst an dem knappen Ergebnis zu.859 854 Der LVA an die Kantonalverteidigungsausschüsse, 11.5.1849: Schneider, Regina M.; Ziegler, Hannes: Die Provisorische Regierung der Pfalz: Ihre Einsetzung und Zusammensetzung, Innen- und Außenpolitik (17. Mai – 15. Juni 1849. – In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 118 (2020) 157–249, hier 157. „Es scheint zur Erhaltung der Sicherheit und Freiheit der Pfalz unabweisbar, eine provisorische Regierung zu bilden.“ 855 Der bayerische Hochverratsprozeß 1850/51 in Zweibrücken nach französischem Recht gegen 333 Revolutionäre in der Pfalz im Frühjahr 1849: Nachdruck der wichtigsten zeitgenössischen Dokumente überwiegend in Privatbesitz; gesammelt, geordnet, mit kurzen Erl. in Gestalt von Vorbemerkungen und einer Nachbemerkung vers. von Pirmin Spieß und Karl Richard Weintz / hrsg. von Pirmin Spieß. – Neustadt an der Weinstraße 2006. – (Stiftung zur Förderung der Pfälzischen Geschichtsforschung; Reihe D: Nachdrucke; 1) 189. Vgl. auch noch den Auszug aus dem Prot. über die Verhandlungen der durch den Landesausschuss zusammengerufenen Volksvertretung für die Pfalz vom 17.5.1849: LA Speyer, J 1, 101 u. 2182. Vgl. auch noch M. Meyer: Revolution von 1848/49 in der Pfalz (wie Anm. 843) 168ff. 856 Zu den Vorgängen auch noch: Neue Speyerer Zeitung 122 (20.5.1849); Der Bote für Stadt und Land 98 (18.5.1849). 857 R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 164. 858 Das Prot. gibt 15 zu 13 an; doch hat der verspätete Delegierte Dürkheims seine Ablehnung noch zu Prot. gegeben: Bei R. M. Schneider: Landesausschuß und Provisorische Regierung (wie Anm. 835) 40ff. sind die Vorgänge ausführlich geschildert. Zu den Vorgängen jetzt auch R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 161ff. Dort wird aber davon ausgegangen, dass nur 28 von 31 Kantonen vertreten gewsen seien und das Ergebnis daher 15 zu 13 ausgefallen sei. 859 R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 163.

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Die von den Unterlegenen zu Beginn der Nachmittagssitzung dennoch erteilte Zustimmung zur Einsetzung der neuen Regierung wurde vom Landesverteidigungsausschuss als Voraussetzung verlangt, um an deren Zusammensetzung mitwirken zu können..860 Sie hatte vermutlich auch den Zweck, die Proklamierung der Republik und damit dem völligen Bruch mit Bayern zu verhindern. So unterstrich die folgende Wahl der Regierungsmitglieder nochmals das Misstrauen gegenüber dem Landesverteidigungsausschuss, von dessen bisher aktiven Mitgliedern nur Reichard und Hepp gewählt wurden. Die Abgeordneten Schüler, Culmann und Kolb waren nicht anwesend und haben später ihren Eintritt in die Provisorische Regierung abgelehnt, da ihnen die Kaiserslauterer Versammlung für deren Einsetzung nicht legitimiert erschien und sie das Unternehmen für ebenso aussichts- wie rechtlos ansahen. Daher wurde das Kollegium um die Ersatzmänner Fries, Greiner und Nikolaus Schmitt ergänzt.861 Wiederum alles Akademiker und bis auf Peter Fries alle Mitglieder der Nationalversammlung oder des bayerischen Landtags. Damit hatte der bisherige harte Kern des Landesverteidigungsausschusses sein Ziel erreicht: ihm war die vorläufige Regierungsgewalt für die Pfalz durch Vertreter des Volkes übertragen worden. In ihrer Proklamation vom 18. Mai an das pfälzische Volk862 erinnerte die neue Regierung daran, dass der Aufstand durch die „Widerspenstigkeit der deutschen Fürsten gegen die durch die Vertreter des deutschen Volkes endgültig beschlossene deutsche Reichsverfassung“ ausgelöst worden sei; dem habe das pfälzische Volk im Namen seines „unveräußerlichen Rechtes der Volkssouveränität“ entgegentreten müssen. Der Widerspruch des Königs von Bayern habe die Autorität aller Behörden in der Pfalz gelähmt, so dass der Verteidigungsausschuss sich gezwungen gesehen habe, die „Zügel der Regierung“ in 860 Hierzu und zum Folgenden: Auszug aus dem Prot. über die Verhandlungen der durch den Landesausschuß zusammengerufenen Volksvertretung für die Pfalz vom 17.5.1849: LA Speyer, J 1, 101 u. 2182. 861 Schüler und Kolb haben die Ablehnung der Übernahme der Ämter später mit der mangelhaften demokratischen Legitimation der Wählenden begründet: Neue Speyerer Zeitung 151 (23.6.1849). Culmann, der seine Wahl in die Provisorische Regierung zunächst angenommen hatte, sich dann aber zurückzog, hat sein Verhalten gegenüber der Untersuchungsbehörde damit gerechtfertigt, dass ihm nicht klar gewesen sei, dass mit der Bildung dieser Reg. die Lostrennung von Bayern beabsichtigt gewesen sei. Eine zweitägige Mitarbeit habe ihn davon überzeugt, dass das ganze Unternehmen keine Chance habe und im Terror enden müsse. Der stets kritische Fenner von Fenneberg sah in Peter Fries den „einzig wahrhaft revolutionären Charakter in Landesausschuß wie Regierung“. Vgl. Fenner von Fenneberg, Ferdinand Daniel: Zur Geschichte der rheinpfälzischen Revolution und des badischen Aufstandes. – Zürich 1849, 12. 862 Amts-und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 1 (22.5.1849) 1f.

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die Hand zu nehmen, um den „Bestrebungen des nach Freiheit ringenden Volkes Nachdruck und Einheit“ zu geben und „die Ordnung im Lande aufrecht zu erhalten“. Da dies nicht mehr der Auftrag des Landesverteidigungsausschusses gewesen sei, habe dieser eine Volksversammlung einberufen, die „einstimmig die Nothwendigkeit der Einsetzung einer provisorischen Regierung“ erkannt habe. Die neue Regierung sei dem „hohen Rufe“ gefolgt im „Vertrauen auf die Begeisterung und Hingebung“ der Pfälzer „in dem großen Kampfe für die Freiheit und die Einheit des deutschen Volkes“. Die Behörden, die jetzt „im Namen des pfälzischen Volkes“ handelten, wurden bestätigt. Nicht wie bisher aus „blindem Gehorsam“, sondern aus Liebe zum Vaterland und der Freiheit sollten die Pfälzer von nun an ihrer Regierung folgen. Da diese sich als Ausgangspunkt für alle „im deutschen Vaterlande, wo sie sich immer zu gleichem Zwecke erheben mögen,“ sah, wurde auch sofort der Abschluss eines Bündnisses mit dem Landesausschuss von Baden angekündigt.863 Obwohl der Landesverteidigungsausschuss von den Frankfurter Institutionen bisher nur enttäuscht worden war, sah es die Provisorische Regierung der Pfalz wohl als opportun an, mit diesen dennoch nicht ganz zu brechen. Schon einen Tag nach ihrer Wahl hat sie diese dem Reichsverweser angezeigt und ihre Aufgabe dahin umrissen, „einestheils der drohenden Anarchie kräftig entgegen zu wirken und anderntheils der Bewegung zur Durchführung der Reichsverfassung mehr Nachdruck und Einheit zu geben.“864 Das Ministerium unter Reichsministerpräsident Grävell, das am selben Tage wie die provisorische Exekutive der Pfalz seine Arbeit aufgenommen hatte, ließ die Pfälzer wissen, dass ihr Vorgehen sowohl mit der Verfassung des Reiches, die sie angeblich verteidigen wollten, als auch mit der bayerischen unvereinbar sei.865 Selbst die inzwischen von der Linken dominierte Nationalversammlung konnte sich für das nach Ansicht der Reichsregierung „verbrecherische Unternehmen“ nicht erwärmen. Sie hat die Frage, ob die Provisorischen Regierungen Badens und der Pfalz „thatkräftig in Schutz zu nehmen“ seien, auf die lange Bank geschoben.866 Das Rumpfparlament und die von ihm eingesetzte Regentschaft setzten noch einen drauf. Sie ermahnten die Regierung in Kaiserslautern zur 863 Ebenda, 2f. Schurz, Carl: Lebenserinnerungen: Bis zum Jahre 1852. – Berlin 1906, 186 war bei seiner Ankunft in der revoltierenden Pfalz darüber überrascht, dass er „die Bevölkerung im ganzen in einer in gerade gemütlich heiteren Stimmung, den Reiz des Augenblicks rückhaltlos genießend, scheinbar ohne sich viel mit den Gedanken an das zu quälen, was der kommende Tag bringen werde“, vorfand. 864 Anzeige der Bildung einer provisorischen Regierung für die Rheinpfalz, 18.5.1849: BA, DB 52/10. 865 GRM, 23.5.1849: BA, DB 52/10. 866 Reden IX / F. Wigard (wie Anm. 3) 6721.

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Zusammenarbeit mit einer Volksversammlung.867 Das war das Letzte, was derzeit dringlich war und diese wollte. Die Form, in der die Provisorische Regierung der Pfalz errichtet worden war, offenbarte von Anfang an die gesamte Problematik des Unternehmens. Wie aussichtsreich es war, wurde gar nicht erst erörtert. Die Abstimmung hatte die tiefe Spaltung und die im Grunde überwiegende Ablehnung deutlich gemacht.868 Dennoch wurde nach außen hin der Eindruck erweckt, dass die Bevölkerung für diesen Schritt sei. Die Delegierten waren nicht nur unter Druck gesetzt, sondern auch hinters Licht geführt worden, um das erwünschte Ergebnis herbeizuzwingen. Den wenigsten war klar, wozu sie nach Kaiserslautern gerufen wurden. Die meisten erwarteten wohl, dass der versprochene Beirat des Landesverteidigungsausschusses eingesetzt werden sollte. Er wurde jetzt ebenso abgelehnt wie die Beteiligung des Volkes an den Entscheidungen der Provisorischen Regierung.869 Die Einsetzung einer Provisorischen Regierung wurde von den führenden Köpfen mutmaßlich vor allem betrieben, weil sie sich davon eine Stärkung ihrer Autorität nach innen und außen erhofften, um ihre weitergehenden politischen Ziele, nämlich der Lostrennung von Bayern und die Errichtung einer Republik, zu verwirklichen.870 Über diese weitreichenden Konsequenzen war sich die Mehrheit der Vertrauensmänner wohl nicht im Klaren. Ihnen gegenüber wurde die Notwendigkeit der Provisorischen Regierung damit begründet, dass die königliche Kreisregierung nicht mehr handlungsfähig sei. Erst nach dem Abschluss der Wahl hat der neue Präsident diese Ziele zweifelsfrei proklamiert.871 Erkauft wurde dieser Schritt allerdings dadurch, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung und der politischen Elite noch mehr von dem Unternehmen zurückzog. Zwei gemäßigte Mitglieder des Landesverteidigungsausschusses schieden auch sofort aus diesem aus. Die Provisorische Regierung der Pfalz kam anders als die Badens aus dem Anschein des Dilettantismus nicht heraus. Ihre Aufgabe war aber auch deutlich schwerer, da sie alles neu schaf867 R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 176. 868 Bamberger, Ludwig: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung im Mai und Juni 1849. – Frankfurt a. M. 1849, 19f. hebt aufgrund eigener Anschauung den Unterschied bei der Unterstützung der Bewegung zugunsten der Reichsverfassung durch die Bevölkerung in Baden u. der Pfalz hervor. 869 R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 170f. 870 L. Bamberger: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung (wie Anm. 878) 38f. schreibt, dass der LVA immer angeführt habe, dass er erst als von einer Volksversammlung ermächtigte Regierung Maßnahmen durchführen könne wie namentlich die „Entfernung der bewegungsfeindlichen Beamten, die Ernennung der Civilkommissäre, Finanzmaßregeln und dergleichen.“ 871 So vor allem M. Meyer: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 836) 377.

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fen und organisieren musste. Sie konnte nicht einmal auf die Kommunalverwaltungen uneingeschränkt zugreifen. Die Bevölkerung verharrte zwischen passivem Widerstand und skeptischer Gleichgültigkeit. Ehe die Revolutionsregierung mit den Improvisationen am Ende war, war das Abenteuer auch schon vorbei. Der pfälzische Aufstand war das Unternehmen von Verzweifelten und zu allem Entschlossenen, die sich wenig Gedanken über die Erfolgsaussichten machten. Zunächst aber hat das Kabinett von der Pfordten aus der Eskalation Nutzen gezogen. Am 22. Mai wurde der Ausnahmezustand über den Regierungsbezirk verhängt, alle Akte der Provisorischen Regierung als Hochverrat gebrandmarkt und die Behörden wie die Gerichte der Pfalz angewiesen, deren Anordnungen nicht zu folgen.872 Als die wieder eröffnete Zweite Kammer auf Initiative der pfälzischen Abgeordneten eine Adresse zugunsten der Reichsverfassung einbrachte, wollte sie diese als Vertreter einer rebellischen Provinz ausschließen. Da deren Kollegen darauf mit einer Solidaritätsbekundung reagierten, wurde der Landtag am 11. Juni wiederum aufgelöst.873 Die Regierung von der Pfordten fühlte sich jetzt stark genug, gegenüber der pfälzischen Reichsverfassungskampagne entschiedener vorzugehen, da es ihr durch geschickte Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit gelungen war, das Stammland weitgehend zu beruhigen. Gestützt auf eine konservative und partikularistische Grundstimmung in der Bevölkerung konnte sie für ihren Kurs dadurch Verständnis gewinnen, dass sie versprach, die bisherigen Errungenschaften nicht anzutasten, ja, jetzt sogar bereit sei, die Frankfurter Grundrechte zur Richtschnur weiterer Reformen zu nehmen.874 Hingegen nahmen die Rebellen den Ausschluss der pfälzischen Abgeordneten aus dem Landtag zum Anlass, um das „baierischem Staatsministerium“ für die angestrebte Abtrennung der Pfalz verantwortlich zu machen. Ihm wurde vorgeworfen, dass es „dadurch mit eigener Hand die Möglichkeit der gegenwärtigen Verbindung zwischen der Rheinpfalz und Baiern vernichtet“ habe.875 Die Revolutionsregierung in Kaiserslautern ging rasch und zupackend ans Werk.876 Dabei konnte sie sich zu einem Teil auf die Vorarbeit des Landesverteidigungsausschusses stützen. Sie organisierte sich wie eine Regierung mit einem Präsidenten an der Spitze und Departements, denen die Kompetenzen klassischer Ministerien zugewiesen wurden. Seit dem 22. Mai publizierte sie 872 Bekanntmachung des bay. Staatsmin., 22.5.1849: D. Staroste: Tgb. (wie Anm. 850) I, 22f.; H. Ziegler: Pfälzische Mairevolution (wie Anm. 831) 144. 873 M. Meyer: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 836) 378f. 874 K. Seidl: „Gesetzliche Revolution“ (wie Anm. 681) 131ff. 875 Amts-und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 7 vom 30.5.1849. 876 Ausführlich dazu M. Meyer: Revolution von 1848/49 in der Pfalz (wie Anm. 843) 178ff.

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ein „Amts- und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz“. Es lehnte sich bewusst an das Aussehen des Amtsblatts der Kreisregierung an, verkündete die Dekrete und Anordnungen aber im „Namen des pfälzischen Volkes“. Trotz eines immensen Arbeitseinsatzes ließ die Effektivität zu wünschen übrig. Die Mitglieder der Regierung zogen es vor, das Meiste gemeinsam zu debattieren und zu entscheiden. Zugleich kümmerten sie sich in ihrem Zuständigkeitsbereich konzeptionslos um alles, was anfiel.877 Erprobte und überzeugte Kämpfer, vor allen Dingen solche, die von außen gekommen waren, erschien das alles zu gemütlich und sie vermissten den revolutionären Feuereifer.878 Zunächst ging es um die Erweiterung und Festigung der revolutionären Basis. Um die Gunst der Massen zu gewinnen, wurden die Holz- wie Salzpreise gesenkt und ihnen erlaubt, ihren Bedarf an Streu und Holz in begrenztem Umfang in den Staats- und Gemeindewäldern zu decken.879 Mit Nachdruck nahm sich die Revolutionsregierung auch einer regen Propaganda an. Hilfreich war ihr dabei die nicht geringe Zahl der sie unterstützenden Zeitungen. Doch wurde mit den „Berichten aus der Pfalz“ ein eigenes Organ gegründet, das die Sicht der Revolutionäre auch jenseits der Provinzgrenzen verbreitete. Speziell an die Massen wandten sich die zahlreichen Volksversammlungen in Städten und Dörfern und die kontinuierliche Produktion von Flugblättern, die 877 Anschauliche Schilderung bei L. Bamberger: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung (wie Anm. 868) 24: „Dann merke man wohl — sie wußten Alle, beinahe von Anfang an, wie schlecht die Sachen standen und blieben dabei, weil sie das für ihre Schuldigkeit hielten. Was sie aber gar nicht verstanden, das war das Regieren. Ein patriarchalischeres Treiben als bei dem Landesvertheidigungsausschuß und der provisorischen Regierung habe ich mein Lebtag nicht gesehen. Da saßen die fünf oder sechs Männer beisammen von Morgens bis Abends und beriethen durcheinander und miteinander Alles was vorkam, vom Höchsten bis zum Geringsten. Jeder hatte dabei Zutritt, wer irgend ein Geschäft abmachen, eine Erkundigung einziehen, eine Nachricht bringen wollte; wer ein bischen Reputation oder auch nur gute Manieren hatte, konnte gelegentlich so lange er Lust zu bleiben hatte, sich aktiv an der Berathung der gerade vorliegenden Gegenstände betheiligen.“ 878 L. Bamberger: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung (wie Anm. 868) 37 versucht der Prov. Regierung hingegen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: „Doch hab ich mich während der ganzen Entwicklung der Dinge überzeugt, daß diese Unentschiedenheit, diese Zögerung und Schonung, welche dem Ausschuß und der späteren Regierung zumeist vorgeworfen wurden und wahrscheinlich in künftigen Schilderungen der Pfälzer Insurrektion eine große Rolle spielen werden, in allen gegebenen Voraussetzungen so tief wurzelten, daß sie trotz anerkannter Schädlichkeit nicht zu vermeiden waren, daß sie die Revolution ruiniren mußten, weil diese von vornherein nicht durchzuführen war, und wenn nicht an der Unentschiedenheit, am Gegentheil zu Grunde gehen mußte.“ 879 R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762)194ff.

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gelegentlich eine Auflage von 20.000 erreichen konnten.880 In Ton und Wortwahl dem Antityrannenpathos verpflichtet, wurde vorsichtshalber nur zum Kampf gegen Preußen, für die Reichsverfassung und die Freiheit der Pfalz aufgerufen. In der Tradition der Französischen Revolution sprach man sich mit „Bürger“ an. Als eine der ersten Maßnahmen wurde am 19. Mai „im Namen des Pfälzischen Volkes“ eine Amnestie für alle politischen Vergehen und Verbrechen erlassen.881 Zugleich wurden neben der ordentlichen Justiz zwei Gerichte zur Ahndung von Widerstand gegen die Anordnungen der Revolutionsregierung sowie Militärvergehen eingerichtet. Auch die Kantonalausschüsse konnten Streitfälle schlichten und sogar in Militärsachen urteilen, wenn zwei Offiziere zugezogen wurden. In welchem Umfang diese Einrichtungen der Rechtsprechung tätig wurden, ist nicht mehr feststellbar. Besonders hart scheinen sie nicht durchgegriffen zu haben; zumindest gab es nach der Niederschlagung des Aufstandes gegen sie keine Vorwürfe.882 Eine Zusammenarbeit der beiden aufständischen Nachbarn Baden und Pfalz lag nahe. Ein erster Schritt wurde durch die Billigung eines Kooperationsvertrages durch den badischen Landesausschuss am 17. und durch die Provisorische Regierung der Pfalz am 18. Mai 1849 getan.883 Doch es war typisch für den getrübten Blick beider Seiten für das Mögliche und Notwendige, wie die Sache dann weiter betrieben wurde. Es wurde konferiert, debattiert und zahlreiche Schriftstücke gingen hin und her. Es wurden Pläne gewälzt, wie man beide Teile zu einem Staatsgebiet vereinigen könne und es wurde eine Zentralbehörde zusammen mit einem Parlament für alle revolutionären Gebiete in Deutschland projektiert! Vereinbart wurden ein gemeinsames Regierungsorgan und Oberkommando wie das badische Kriegsministerium als zentrale Behörde für die kämpfenden Truppen beider Seiten, ohne dass dies irgendwelche Folgen gehabt hätte. Wahrscheinlich hat es nur eine pfälzisch-badische Militäraktion gegeben, nämlich die Eroberung von Worms am 17. Mai, das aber schon anderthalb Wochen später wieder geräumt werden musste. Statt zu einer engeren Kooperation führten die Bemühungen zu Frustration und gegenseitigen Vorwürfen, da beide übersahen, dass auch dem andern das Wasser bis zum Hals stand. Trotz fortgesetzter Klagen der Provisorischen Regierung der Pfalz

880 881 882 883

Ebenda 220ff. Amts-und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 1 (22.5.1849) 19. R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 206ff. Amts-und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 1 (22.5.1849) 11f.

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zog Baden keinen Nutzen aus den Vereinbarungen, hingegen erhielt die Pfalz wenigstens ein Darlehen von 20.000 Gulden und einige Waffen.884 Der revolutionären Exekutive muss man bescheinigen, dass sie angesichts der Improvisationen und der Widerstände eine kreative wie auch ertragreiche Finanzpolitik betrieben hat. Anders als die badische Revolutionsregierung konnte sie keine gefüllte Staatskasse übernehmen. Die Kreisregierung hatte diese rechtzeitig in die Festung Germersheim gebracht. Doch konnten die Aufständischen auf die Kassen zahlreicher staatlicher Ämter und nicht zuletzt der Gemeinden zugreifen. Darüber hinaus gingen in ganz unterschiedlichem Umfang von den Kantonen „freiwillige Beiträge“ ein. Die badische Regierung gewährte anstatt der gewünschten 60.000 Gulden immerhin eine Beihilfe von 20.000. Als geschickt sollte sich erweisen, dass steuerliche Zusatzleistungen von Einkommensstarken und eine Zwangsanleihe von Vermögenden in Besprechungen mit diesen vereinbart wurden. Auf diese Weise kam der größte Beitrag der rund 200.000 Gulden, die mobilisiert wurden, zusammen.885 Trotz einer kaum zu bewältigenden Anzahl aktueller Probleme wollte die Provisorische Regierung auch ein sichtbares Zeichen des politischen Wandels setzen, um dem damit in der Propaganda so oft bemühten Begriff der Freiheit einen konkreten Inhalt zu gegeben. Am 27. Mai wurde die Einführung einer neuen Gemeindeordnung verkündet. Sie löste die noch stark obrigkeitliche aus der napoleonischen Zeit ab. Das Gesetz war vermutlich von dem Kölner Arzt Carl d’Ester konzipiert worden, der als Kommunist und Mitglied der äußersten Linken in der preußischen Nationalversammlung bereits an einer Kommunalverfassung mitgearbeitet hatte. Inzwischen in seiner Heimat verurteilt, hatte er in der Pfalz die Leitung des Büros im Innenministerium übernommen.886 Die Gemeinden wurden der staatlichen Aufsicht entzogen und 884 R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 225ff. 885 Ebenda 197ff. 886 „Hinter der provisorischen Regierung stand d’Ester als eine Art geheimer Generalsekretär oder, wie Herr Brentano es nannte, als ,rote Kamarilla, welche die gemäßigte Regierung von Kaiserslautern umgab‘. Zu dieser ‚roten Kamarilla‘ gehörten übrigens noch andre deutsche Demokraten, namentlich Dresdner Flüchtlinge. In d’Ester fanden die Pfälzer Regenten jenen administrativen Überblick, der ihnen abging, und zugleich einen revolutionären Verstand, der ihnen dadurch imponierte, daß er sich stets nur auf das Zunächstliegende, unleugbar Mögliche beschränkte und daher nie um Detailmaßregeln verlegen war. D’Ester erlangte hierdurch einen bedeutenden Einfluß und das unbedingte Vertrauen der Regierung. Wenn auch er zuweilen die Bewegung zu ernsthaft nahm und z. B. durch Einführung seiner für den Moment total unpassenden Gemeindeordnung etwas Wichtiges leisten zu können glaubte, so ist doch gewiß, daß d’Ester die provisorische Regierung zu allen einigermaßen energischen Schritten forttrieb und namentlich in Detailkonflikten stets passende Lösungen zur Hand hatte.“: Engels, Friedrich: Die

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erhielten das Recht der Selbstverwaltung, der Verfügung über ihr Vermögen und ortspolizeiliche Kompetenzen. „Jeder großjährige männliche Bewohner der Gemeinde“ konnte kandidieren und den Gemeinderat frei und geheim wählen.887 Dieser sollte ebenso wie die vom Rat zu bestimmenden Bürgermeister und seine Beigeordneten jedes Jahr bestätigt werden. Geschickt wurde an die in den pfälzischen Presbyterien noch lebendige Versammlungsdemokratie des Kalvinismus angeknüpft. Eine Stärkung der radikalen Elemente brachten die Gemeinderatswahlen am 4. Juni, die in einigen Orten boykottiert wurden, dann allerdings nicht.888 Zur Umsetzung ihrer Absichten stützte sich die Provisorische Regierung vor allem auf die kantonalen Ausschüsse und Kommissare. Die Kantonalausschüsse, deren Rückgrat meist die örtlichen Volksvereine und Demokratenvereine waren, kümmerten sich vor Ort um alle Maßnahmen zum Aufbau der Militärmacht und um die Durchsetzung der Anweisungen der Provisorischen Regierung; öfters beauftragten sie aber die Gemeinden damit. Sie trieben Steuern und „freiwillige Gaben“ ein, erhoben Zwangsanleihen für Reiche,889 beschlagnahmten Gemeindekassen oder verkauften gelegentlich auch Staatsbesitz. Sie rekrutierten die Wehrpflichtigen und exerzierten mit ihnen, quartierten die hereinströmenden Freischaren ein und nahmen die Beamten für die Revolution in Dienst. Von ihnen wurde ein Eid auf die Reichsverfassung und die Provisorische Regierung verlangt. Um nicht allzu viel Qualifizierte durch weniger kompetente Revolutionäre ersetzen zu müssen, wurde mit deutsche Reichsverfassungskampagne. – In: Karl Marx; Friedrich Engels: Werke. – 7 / hrsg. von Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. – Berlin (DDR) 1973, 109–197, hier 149f. 887 Anschaulich dazu auch Kiehnbaum, Erhard: Von Koblenz in die Welt: Max Joseph Becker (1827–1896); Vom 1848er Revolutionär und Kämpfer der Pfälzer Volkswehr zum Bauingenieur in den USA. – Mainz, Saarbrücken 2010, 26 u. 31 („Die unfehlbar günstige Einwirkung der neuen Gemeindeordnung auf die ländlichen Verhältnisse wird die Bewohner der Pfalz für die neue Regierungsform gewiß nur noch mehr begeistern.“). 888 Bericht Gottfrieds Kinkels aus Zweibrücken und Umland, 3.6.1848: Klein, Hanns: Gottfried Kinkel als Emissär der provisorischen Regierung der Pfalz im Frühjahr 1849 im Westrich: einige Bemerkungen zu neuentdeckten Kinkel-Briefen. – In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 8 (1982) 107–136, hier 118f. 889 Amts-und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 5 (26.5.1849) 40f. M. J. Becker (vgl. zu ihm Anm. 917) berichtete regelmäßig über seine Tätigkeit in der Pfalz an die „Neue Deutsche Zeitung: Organ der Demokratie“ in Darmstadt. Nach ihm soll die Idee dazu von C. d‘ Ester stammen. Die Anleihe sollten Reiche mit einem Vermögen über 50.000 Gulden zahlen: „da es nun solche Männer hier eine ziemliche Anzahl gibt, so ist für den Augenblick der Geldbedarf hinlänglich gedeckt“! Vgl. E. Kiehnbaum: Max Josef Becker (wie Anm. 887) 23. Zu den erhobenen Geldern auch noch O. Fleischmann: Pfälzischer Aufstand (wie Anm. 834) 134ff.

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Nachsicht vorgegangen.890 Da die Reichsverfassung unter den pfälzischen Beamten populär war, beließ man es später beim Bekenntnis zu ihr und verlangte Loyalität zur Provisorischen Regierung nur soweit sie mit pflichtgemäßer Amtsführung vereinbar war. Von denen, die vor Ort ihren Mitbürgern gegenüber diese Zumutungen zu vertreten hatten, haben sich die meisten durchlaviert. Manch Überzeugter tat mehr, als seine Pflicht war; unter ihnen nicht wenige aus den Reihen des Volksvereins.891 Die Kreisregierung drohte und ermahnte, sie trat dem Aufstand aber nirgends tatkräftig entgegen. Sie war von der Bewegung so beeindruckt, dass sie die königliche Regierung in München beschwor, den Forderungen wenigstens teilweise nachzugeben. Diese Haltung kostete dem Regierungspräsidenten nach der Niederschlagung des Aufstandes den Posten. Als es dann der Kreisregierung geboten schien, sich in die Festung Germersheim zurückzuziehen, und das bayerische Militär in der Pfalz nicht einsatzbereit war, hatte die Provisorische Regierung für kurze Zeit die Oberhand gewonnen.892 Ausschuss und Agenten vor Ort wurden von den zuständigen „Zivil­ kommissären“893 kontrolliert. Die meisten von ihnen waren Vorsitzende oder aber Ausschussmitglieder der Volks- und Märzvereine,894 also ebenfalls in der Regel bürgerliche Akademiker. Sie waren von der revolutionären Regierung in jedem der zwölf Landeskommissariate eingesetzt worden und ihr unmittelbar unterstellt. Sie verlangte von ihnen uneingeschränkte Identifikation mit ihren Zielen. Daher griff man, soweit vorhanden, mit Vorliebe auf Demokratenführer bzw. auf als besonders radikal bekannte Politiker der Volksvereine zurück.895 Die Kommissare haben bei Renitenz oder Widerstand schon mal eine Schar „Sensenmänner“ aufmarschieren lassen; sie mussten aber andererseits auch 890 „Zu den höchsten wie zu den niedrigsten Chargen fehlte es an Menschen, theils weil überhaupt Mangel an Fähigkeiten aller Art war, theils weil die Beamten, die noch allein zu verwenden waren , nicht anbeißen mochten. So mußten sehr oft Leute ohne Fähigkeit oder ohne Ansehen in den wichtigsten Posten angestellt oder – was beinahe eben so schlimm war – es mußte zu Nichtpfälzern gegriffen werden“. So L. Bamberger: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung (wie Anm. 868) 26. 891 Zahlreiche Belege für die Tätigkeit der Provisorischen Regierung: Der bayerische Hochverratsprozeß / P. Spieß (wie Anm. 855) 892 Calließ, Jörg: Militär in der Krise: Die bayerische Armee in der Revolution 1848/49. – Boppard 1976. – (Wehrwissenschaftliche Forschungen: Militärgeschichtliche Studien; 22) 184. 893 Übersicht bei R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 181ff. 894 Die Zivilkommissare der einzelnen Landkommissariate bei K. Ruppert: Politische Vereine der Pfalz (wie Anm. 824) 184, Anm. 596. 895 Zu den einzelnen Zivilkommissaren vgl. R. M. Schneider; H. Ziegler: Die Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 762) 181ff.

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darauf achten, dass die Stimmung nicht kippte. Den meisten Widerstand leisteten Amtsinhaber und Priester. Die Revolutionäre bemühten sich aber auch, durch Überzeugung, Propaganda, zahlreiche Volksversammlungen und durch eine drastische Senkung des Preises für das Massenkonsumgut Salz896 die Opfer schmackhaft zu machen. Die Armen wurden mit der Freigabe von Laub und Holz in den Wäldern gelockt, wohingegen die Bessergestellten daran erinnert wurden, dass wirtschaftlicher Wohlstand, politische Mitbestimmung und Geistesfreiheit den Kampf für die Reichsverfassung Wert seien. Die Durchsetzungsfähigkeit der Anordnungen der Provisorischen Regierung hing stark von der politischen Stimmung vor Ort ab. Die Kommissare stießen ebenso auf begeisterte Zustimmung und Unterstützung897 wie hinhaltende Ablehnung und Widerstand, vor allen Dingen in den katholischen Gebieten.898 Die Mobilisierung der Massen, die zur Bildung der revolutionären Institutionen wie zur Durchführung von deren Maßnahmen im Lande unverzichtbar war, wäre ohne das inzwischen gut ausgebaute Netz der Volksvereine (weniger auch der Demokraten) kaum möglich gewesen. Seitdem aber waren deren bisherigen Funktionen nicht mehr opportun. Die Gründung neuer wurde von der Provisorischen Regierung ausdrücklich nicht mehr gewünscht.899 Im Belagerungszustand trat an die Stelle der Teilhabe die Anordnung, an die Stelle der politischen Debatte praktisches Handeln. Die Vereine waren weitgehend Ausführungsorgane geworden. Am politischsten waren im Aufstand noch die Piusvereine, die katholische und teils auch die evangelische Kirche, insofern sie da und dort dem Widerstand gegen das Vorgehen der Aufständischen einen Rückhalt boten. 896 Amts-und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 7 (30.5.1848) 49. 897 Z. B. Bericht G. Kinkels, o. D.: H. Klein: Gottfried Kinkel als Emissär (wie Anm.  888) 128, 130. „In den Walddörfern sind es überall Schullehrer, welche mit Begeisterung der Republik anhangen und die Seele der Volksvereine ausmachen. Im allgemeinen sind die protestantischen Lehrer noch avancirter als die katholischen, weil die letzteren zuweilen Rücksicht auf ihre Geistlichen nehmen. Sehr gut gewirkt hat die Flucht reactionärer kathol. Priester, die jetzt ein Concilium Generale in St. Wendel bilden.“ 898 Z. B. Bericht A. Willich an die Militärkommission von Ende Mai 1849: Klein, Hanns: Wiederentdecktes Schriftgut der Militärkommission der Pfälzer Revolutionsregierung von 1849: Eine Nachlese zu Gottfried Kinkels Emissärsberichten. – In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 12 (1986) 107–151, hier 144. C. Schurz: Lebenserinnerungen I (wie Anm. 863) 197ff. schildert die Durchführung seines Auftrags, einen katholischen Pfarrer zu verhaften, der die jungen Männer seiner Gemeinde dazu aufgefordert hatte, sich nicht der Volkswehr auszuschließen, weil er sie nicht einer sinnlosen Sache opfern wollte, ausführlich als Burleske. 899 Der Bote für Stadt und Land  112 (6.6.1849) und Der bayerische Hochverratsprozeß / P. Spieß (wie Anm. 855) 119.

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12.3.3 Die militärische Entscheidung Allen aber war klar, dass das Schicksal des Aufstandes vom Aufbau einer Armee abhängen würde. Dies war daher die zentrale Aufgabe von Landesverteidigungsausschuss und Provisorischer Regierung. Vorarbeit hatten Kongresse der Wehrorganisationen, der Turner (29. April) und der Bürgerwehren (3. Mai) geleistet. Sie wollten den Kern der künftigen pfälzischen „Volkswehr“ bilden. Da sie allerdings nach dem Urteil des späteren Oberkommandierenden in einem jämmerlichen Zustand waren,900 konnte es der Ausschuss dabei nicht belassen. Er berief sogleich alle waffenfähigen Männer zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr ein, deren Ausrüstung und Bewaffnung durch die Gemeinden zu übernehmen waren, so dass schließlich jeder Kanton ein Bataillon und jedes Landkommissariat ein Regiment stellen würde.901 Umgesetzt werden sollte der Aufbau durch eine eigens geschaffene revolutionäre Exekutive, die kantonalen Verteidigungsausschüsse. Er war aus den Offizieren der hauptstädtischen Bürgerwehr und den Mitgliedern des lokalen Volksvereinsausschusses – ersatzweise aus Gemeinderäten – zu bilden.902 In diesen Ausschüssen waren Bürger mit akademischer Ausbildung, besonders Ärzte und Notare, auffallend häufig vertreten; schon weniger Handwerker und von einer revolutionären Unterschicht war nichts zu sehen.903 Sie kümmerten sich vor Ort um alle Maßnahmen zum Aufbau der Militärmacht.904 Sie trieben die notwendigen Gelder auf, rekrutierten und musterten Wehrpflichtige, exerzierten mit ihnen und quartierten die hereinströmenden Freischaren ein. Um die Bevölkerung mit den Einquartierungen nicht zu sehr zu belasten, wurden die Rekruten nicht zusammengezogen, sondern in ihren Heimatgemeinden ausgebildet. Da sich aber der Mobilisierung viele entzogen und die Führung vor Zwangsmaßnahmen zurückschreckte, ergingen Aufrufe an die in der Pfalz stationierten bayerischen Soldaten, sich dem Kampf für die Reichsverfassung anzuschließen.905 Um die so dringend benötigten, gut ausgebildeten und hinlänglich ausgerüsteten Kräfte zu gewinnen, wurden Rangerhöhungen und eine 900 Vgl. F. D. Fenner von Fenneberg: Geschichte der rheinpfälzischen Revolution (wie Anm. 861) 28f. 901 Neue Speyerer Zeitung 108 (5.5.1849); Der Bote für Stadt und Land 88 (4.5.1849). Fahne des „Bataillon Speier“: 1848/49: Revolution der deutschen Demokraten in Baden; [Landesausstellung im Karlsruher Schloß vom 28.2.1998–2.8.1998] / hrsg. vom Badischen Landesmuseum. – Baden-Baden 1998, Nr. 532. 902 Aufruf des LVA, 5.5.1849: Der Bote für Stadt und Land 91 (8.5.1849). 903 Vgl. LA Speyer, J 1, 113. 904 Neue Speyerer Zeitung 116 (13.5.1849). 905 Druck eines Aufrufs vom 16.5.1849: J. Keddigkeit: Radikalisierung und militärisches Scheitern (wie Anm. 833) 97.

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Verdoppelung des Soldes versprochen. Die Aktion war nicht ganz vergeblich, da die bayerische Armee schon seit Ausbruch der Revolution mit Unruhen und Disziplinschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Diese steigerten sich seit der Ablehnung der Reichsverfassung bis zur Befehlsverweigerung und der Auflösung von kleineren Teilen der Truppe. Schätzungsweise ein Drittel der in der Pfalz stationierten bayerischen Soldaten, rund 2.300, sind desertiert, übergelaufen oder nicht mehr zu ihren Einheiten zurückgekehrt. Allerdings fast nur Soldaten wie Unteroffiziere und bei Weitem nicht alle schlossen sich auch der Volkswehr an.906 Bis Juni war die bayerische Armee außerhalb der Festungen Germersheim und Landau in der Pfalz nicht mehr präsent.907 In ihnen gelang es Kommandanten und Offizieren nicht ohne Mühe immerhin einige Tausend Mann zusammenzuhalten.908 Sie konnten die Festungen bis zur Entsetzung durch die Preußen halten und gelegentlich sogar Ausfälle gegen die Freischaren und Volkswehreinheiten unter August Willich wagen. Diese hatten die Vorderpfalz für einige Wochen im Griff.909 Folglich war der Mangel an Offizieren eines der vielen Probleme beim Aufbau der Volkswehr.910 Ausschuss und Regierung behalfen sich damit, dass sie die mit den Freischaren hereinströmenden Militärs und polnische Offiziere engagierten. Diese standen seit der polnischen Erhebung von 1831 bei jeder europäischen Revolution bereit, kämpften um ihren Lebensunterhalt und 906 Müller, Sabrina: Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49. – Paderborn 1999, 275ff. Es traten meist kleinere Truppenteile über, die dann ihre Unteroffiziere zu Offizieren wählten.: C. Schurz: Lebenserinnerungen I (wie Anm. 863) 193. 907 J. Calließ: Militär in der Krise (wie Anm. 892) 176ff. 908 Dem Kommandanten von Landau erschienen seine eigenen Soldaten so unzuverlässig, dass er glaubte, die Festung nur noch mit Hilfstruppen der Zentralgewalt würde halten können: H. Ziegler: Pfälzische Mairevolution (wie Anm. 831) 143. 909 Dazu die Berichte von A. Willich an die Militärkommission: H. Klein: Schriftgut der Militärkommission (wie Anm. 898) 143, 146, 147, 151 u. 145. Dort auch die Einschätzung Willichs: „Von der Einnahme einer der beiden Festungen hängt die volle Revolutionirung der Pfalz ab.“ Lithographie von August Willich: 1848/49: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) Nr. 535. 910 Zur Bedeutung des Problems fehlender Offiziere schreibt L. Bamberger: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung (wie Anm. 868) 47f. „Also keine Waffen, keine Pferde, keine Munition, kein Geld, keine Equipirung, gepreßte Volkswehr, mangelhaftes Oberkommando – und dennoch war dies Alles zusammen noch nicht das größte Uebel. Aus allen diesen geringen Mitteln war Geringes aber doch Etwas für die Vertheidigung des Landes zu machen. Daß sie gar Nichts leisteten war die Folge dessen, daß gar keine Offiziere in der Pfalz waren. Mir ist nicht ein einziger Bataillonskommandant – Willich vielleicht ausgenommen – bekannt, der sein Geschäft aus dem Grunde verstanden hätte. Die meisten waren total unfähig. Offiziere mit gewöhnlichen Lieutenantskenntnissen waren eine Seltenheit und das Höchste, was vorkam.“

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konnten sich mit ihren Kameraden und Untergebenen kaum verständigen.911 Nachdem ein Schweizer General abgesagt hatte, wurde der österreichische Offizier Daniel Fenner von Fenneberg, der bereits im Wiener Aufstand vom Oktober 1848 Kampferfahrung gesammelt hatte, am 9. Mai mit dem Oberbefehl betraut. Da das Vertrauen in ihn nicht allzu groß war, wurde ihm eine siebenköpfige Militärkommission an die Seite gestellt, die vor allem aus früheren preußischen Offizieren bestand.912 Seit dem 21. Mai unterstand sie dem ehemaligen Premierleutnant Gustav Adolph Techow, der in dieser Funktion bis zum Schluss die Aufgabe des Generalstabschefs wahrnahm.913 Der Kriegsminister der Provisorischen Regierung der Pfalz, der Notar Martin Reichard, der zugleich ihr Präsident war, ist überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Ein dilettantischer Angriff auf die Festung Landau kostete Fenner schließlich das Kommando. Dieses wurde am 28. Mai dem kurz zuvor mit einigen Offizieren aus Frankreich herangerückten fast 60-jährigen polnischen Kavallerieoffizier François Sznayde übertragen, der wie seine Vorgänger die Pfalz bis dahin noch nie gesehen hatte und sich als keine geringere Fehlbesetzung erwies.914 Forschung und Zeitgenossen stimmen darin überein, dass die Provisorische Regierung gerade bei der lebenswichtigen Militärfrage überfordert war. Sie bestand in dieser Hinsicht nur aus Dilettanten, die nahmen, was kam.

911 C. Schurz: Lebenserinnerungen I (wie Anm.  863) 194 kommentierte dieses Phänomen ironisch: „Es war, als würde an den Sammelplätzen der polnischen Flüchtlingsschaft, besonders in Paris und in der Schweiz, ein Vorrat von Feldherren auf Lager gehalten, um gelegentlich in irgendeinem Teile der Welt an vorkommende revolutionäre Unternehmungen abgesetzt zu werden.“ 912 J. Keddigkeit: Radikalisierung und militärisches Scheitern (wie Anm. 833) 95f. Zum Personal der Freischaren und der Volkswehr auch noch O. Fleischmann: Pfälzischer Aufstand (wie Anm. 834) 139ff. 913 Kiehnbaum, Erhard: Gustav Adolph Techow (1815–1890): Preußischer Offizier, Generalstabschef der Pfälzer Volkswehr von 1849 und Pionier des australischen Sports. – In: Akteure eines Umbruchs: Männer und Frauen der Revolution von 1848/49. – Bd. 2 / hrsg. von Helmut Bleiber [u. a.]. – Berlin 2007, 775–822, hier 792, über dessen Tätigkeit 793f. 914 F. Engels: Deutsche Reichsverfassungskampagne (wie Anm.  886) 155; dort auch zu Techow „unter den übrigen Offizieren in Kaiserslautern war der einzig tüchtige Techow … bewies sich überall kenntnisreich, umsichtig und ruhig, vielleicht etwas zu ruhig.“ C. Schurz: Lebenserinnerungen I (wie Anm. 863) 195 zu Sznayde: „er war ein sehr dicker und sehr schwerfälliger alter Herr, dessen Aussehen vermuten ließ, daß er Messer und Gabel vielmehr zu handhaben liebte als den Säbel, und dem es um seine Nachtruhe offenbar mehr zu tun war als um wildes Kriegsgetümmel.“ Sznayde soll für sein Engagement von nicht mal einem Monat 10.000 Gulden erhalten haben!: C. Schurz: Lebenserinnerungen I (wie Anm. 863) 194.

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Die meist nachträglich geübte Kritik übersieht geflissentlich, dass es unter den gegebenen Umständen und der Kürze der Zeit dazu kaum Alternativen gab.915 Im Kommando der pfälzischen Volkswehr, deren Militärkommission und unter deren Offizieren waren die Pfälzer eindeutig in der Minderheit. Doch scheint der Anteil der Landfremden in der Bürokratie der Provisorischen Regierung ebenfalls recht hoch gewesen zu sein und man wird ihnen einen bisher wenig beachteten Einfluss auch auf deren Politik einräumen müssen.916 Nicht wenige waren aus Sachsen oder aus dem Rheinland nach der Niederschlagung der dortigen Aufstände herbeigeeilt.917 Die Deutung des Aufstandes durch die bayerische Staatsregierung als eines Komplotts ausländischer Berufsrevolutionäre und gescheiterter Existenzen war nicht nur Taktik, wie das oft in der Forschung herausgestellt wird, sondern hatte auch ein fundamentum in re. Die so bis zum Juni zusammengebrachte Armee von etwa 13.000 Mann918 bestand aus Turnern, Mitgliedern der Bürgerwehr, Freiwilligen, Rekrutierten und Überläufern. Das erste Bataillon war vermutlich erst Anfang des Monats einsatzfähig!919 In der Kürze der Zeit konnten die Kämpfer weder ausreichend ausgebildet noch ausgerüstet werden. In der Pfalz gab es keine Zeughäuser, die man wie in Wien, Berlin oder Dresden hätte stürmen können und die Arsenale waren in den Festungen. Daher standen an leichten Waffen nur die der 915 Z. B. M. J. Becker: E. Kiehnbaum: Max Josef Becker (wie Anm. 887) 24 und F. Engels: Deutsche Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 886) 148: „Wie die Pfalz, so ihre provisorische Regierung. Sie bestand fast nur aus gemütlichen Schoppenstechern, die über nichts mehr erstaunt waren, als daß sie plötzlich die provisorische Regierung ihres bacchusgeliebten Vaterlandes vorstellen sollten.“ Positiv äußert sich C. Schurz: Lebenserinnerungen I (wie Anm. 863) 193f. „ehrenwerte, wohlmeinende, brave Männer“, denen es nicht vorzuwerfen war, dass sie die übergroßen Probleme nicht hatten bewältigen können. 916 C. Klessmann: Reichsverfassungskampagne (wie Anm.  757) 309f. führt die Radikalisierung der Bewegung auf den Einfluss der „Ausländer“ zurück. 917 Vgl. auch noch das Zitat von F. Engels in Anm. 886. Der Vorsitzende des Arbeitervereins von Hamm, Max Josef Becker, war ebenfalls Mitglied der Militärkommission und soll zusammen mit Gottfried Kinkel dessen Geschäftsordnung ausgearbeitet haben (Druck: H. Klein: Schriftgut der Militärkommission [wie Anm. 898] 128–130; Geschäftsverteilung, 130). Seit Anfang Juni hat er an der Seite des Zivilkommissars für das Landkommissariat Zweibrücken, dem Landstuhler Arzt Dr. Karl Weiß, dort die Anordnungen der Provisorischen Regierung umgesetzt und trat als Agitator wie Propagandist auf: E. Kiehnbaum: Max Josef Becker (wie Anm. 887) 22, 29ff. Ausführlich zur Militärkommission: H. Klein: Schriftgut der Militärkommission (wie Anm. 898) 109ff. 918 Ein sicherlich mit manchen Unsicherheiten durchsetzter Überblick über die pfälzische Volkswehr bei D. Staroste: Tgb. (wie Anm. 850) II, 261f. Vgl. auch noch O. Fleischmann: Pfälzischer Aufstand (wie Anm. 834) 142ff. u. 148ff. Nach M. J. Becker soll sogar geplant gewesen sein, als erste Hälfte des ersten Aufgebots 30.000 Mann aufzustellen! E. Kiehnbaum: Max Josef Becker (wie Anm. 887) 24. 919 E. Kiehnbaum: Max Josef Becker (wie Anm. 887) 25 und 32.

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Überläufer oder aus Privatbesitz zur Verfügung. Nach Friedrich Engels, der vor Ort dabei war, hat man sich nicht einmal um diese und um die Karabiner der Bürgerwehren, die nicht an den Kämpfen teilnahmen, mit Nachdruck bemüht.920 Dazu kamen von Schmieden schnell hergestellte sensenähnliche Stichwaffen; manche rückten auch mit den Sensen ein, mit denen sie sonst das Korn mähten. Um die Beschaffung schwerer Waffen hat man sich bemüht. Diese waren aber entweder in der Pfalz nicht rechtzeitig fertiggestellt worden oder aber sie wurden in wenig brauchbarem Zustand geliefert.921 Wenn sie im Ausland gekauft worden waren, hatten Preußen und Österreich deren Auslieferung verhindert.922 Über den Aufmarsch des Feindes hatte man nur zufällige Einzelnachrichten; eine systematische Aufklärung erfolgte nicht.923 Ebenfalls scheint es keine Strategie und ein einheitliches Kommando gegeben zu haben. Kämpfe mit Preußen waren oft auf eigene Faust gewagte Scharmützel einzelner Verbände der Volkswehr oder von Freischärlern. Die preußischen Truppen wurden in manchen Landesteilen von den Bewohnern keinesfalls feindlich empfangen und manchmal wurden die Aktionen der Volkswehr sogar von der einheimischen Bevölkerung sabotiert.924 Das pfälzische Aufgebot war den heranrückenden Preußen folglich in keiner Hinsicht gewachsen.925 Letztlich war es unverantwortlich, es überhaupt ins Feld zu schicken.926 Da dessen Mehrheit das ebenso sah, hat sie es vorge920 F. Engels: Deutsche Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 886) 153. 921 Vgl. Hochsteiner Hüttenwerk an das Oberkommando der pfälzischen Artillerie, 11.6.1849: H. Klein: Schriftgut der Militärkommission (wie Anm. 898) 136f. C. Schurz, der selbst als Adjutant von Anneke im Artilleriekorps gedient hatte, schreibt in seinen Lebenserinnerungen I (wie Anm. 863) 197. „Die pfälzische Artillerie bestand nur aus den Böllern der rheinhessischen Freikorps, aus einem halben Dutzend ähnlicher kleiner Kanonen, von denen man sagte, sie würden im Gebirgskriege recht nützlich sein, und aus einer später von der badischen provisorischen Regierung erstandenen Sechspfünderbatterie.“ 922 J. Keddigkeit: Radikalisierung und militärisches Scheitern (wie Anm. 833) 101ff. Zu den Schwierigkeiten des Erwerbs von Rüstungsgütern außerhalb der Pfalz vgl. auch noch L. Bamberger: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung (wie Anm. 868) 44ff. 923 Vgl. die Berichte Gottfried Kinkels von der pfälzischen Westgrenze: H. Klein: Gottfried Kinkel als Emissär (wie Anm. 888) 118ff. 924 Ebenda 130f. und Erinnerungsbericht M. J. Beckers vom 2.7.1849: E. Kiehnbaum: Max Josef Becker (wie Anm. 887) 37. 925 Aufrufe der Prov. Regierung zum Einmarsch der Pr. und zur propagandistischen Einstimmung: O. Fleischmann: Pfälzischer Aufstand (wie Anm. 834) 222ff. 926 Auch der Bevölkerung war die fehlende Schlagkraft der Volkswehr nicht entgangen. Auf seiner Inspektionsreise an der Westgrenze kommentierte G. Kinkel in einem Bericht an die Militärkommission von Anfang Juni, dass das häufige Eindringen pr. Aufklärungsschwadrone so kommentiert werde: „Die Reaktion beutet die Sache so aus, daß die provis.

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zogen, zu fliehen. Einige kleinere Abteilungen hatten vergeblich Widerstand zu leisten versucht. Als effektiver erwiesen sich die im revolutionären Kampf erprobten Freischaren der Willich, Blenker, Zitz und Bamberger, ohne aber Nennenswertes ausrichten zu können.927 Preußen hingegen hatte für seinen Feldzug gegen die Aufständischen in der Pfalz und Baden in einem Umfang Truppen mobilisiert, der in keinem Verhältnis zur militärischen Herausforderung stand. Dass es dabei vornehmlich um große Politik ging, wird schon daran deutlich, dass der König selbst die Grundlinien des Feldzugplanes entworfen hat928 und seinen Bruder, Prinz Wilhelm, gegen den Widerstand des Kriegsministers929 zum Oberkommandierenden ernannt hatte. Er wollte sich als die einzige effektive Ordnungsmacht im Land erweisen, um damit seinen Anspruch auf die Reichsgewalt zu legitimieren. Diese war Voraussetzung für die Gestaltung Deutschlands nach seinen Vorstellungen und unter Ausschluss Österreichs.930 Dazu war es zwar militärisch nicht unabdingbar, doch politisch höchst willkommen, dass der Feldzug als ein gesamtdeutsches Unternehmen erschien. Um die Ausweitung der süddeutschen Revolution nach Norden zu verhindern, vor allem aber um eine Reichsarmee an der Seite Preußens gegen die Aufständischen zu führen, bat Friedrich Wilhelm IV. Erzherzog Johann inständig, einen preußischen General mit dem Oberkommando der Reichstruppen in Frankfurt und Mainz zu betrauen.931 Vorgesehen war der gerade zum Generalleutnant beförderte Eduard von Peucker, dessen Ernennung zum Reichskriegsminister der König kurz zuvor untersagt hatte. Mit Blick auf die eigenen unzulänglichen Mittel stimmten Reichsverweser und Ministerpräsident dessen Ernennung zu. Sie beharrten aber darauf, dass der am 21. Mai ernannte Peucker seine Befehle nur

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Regierung über gar keine Wirkkraft verfüge,“: H. Klein: Gottfried Kinkel als Emissär (wie Anm. 888) 130. Nicht ganz zuverlässiger Überblick über die Freischaren: D. Staroste: Tgb. (wie Anm. 850) II, 262f. Lithographie von Ludwig Blenker: 1848/49: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) Nr. 540. Zu den Aktionen der Freikorps vgl. auch noch L. Bamberger: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung (wie Anm. 878) 60ff. Friedrich Wilhelm IV. an Wilhelm, 10.6.1849: König Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I.: Briefwechsel 1840–1858 / hrsg. von Winfried Baumgart. – Paderborn 2013, Nr. 105. Pr. Staatsmin. vom 8.6.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 78. Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 28.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) Nr. 25 u. 34. Ebenda. Nr. 25.

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vom Reichskriegsminister erhalte.932 Friedrich Wilhelm IV. konnte sein Glück kaum fassen.933 So kam es zu der kuriosen wie tragischen Situation, dass auf dem Schlachtfeld Reichstruppen Aufständischen gegenüberstanden, die dieselben schwarzrot-goldenen Kokarden trugen. Truppen aus Staaten, die die Reichsverfassung ablehnten, kämpften an der Seite von solchen, die sie bereits angenommen hatten, gegen Soldaten, die für deren Durchsetzung ihr Leben einsetzten.934 Die Anarchie, die eigentlich eingedämmt werden sollte, hatte das ganze Land erfasst. Sie machte aus Gegnern Kampfgefährten und aus Sympathisanten Feinde. Wer im Recht war, war nicht mehr zu entscheiden und so kam es allein noch auf die Gewalt an. Prinz Wilhelm kam am 11. Juni in Mainz an, wo inzwischen die drei preußischen Armeekorps zusammengezogen worden waren. Dort besprach er am nächsten Tag mit Peucker und dem die pfälzische Operation leitenden Generalleutnant von der Gröben die Strategie. Die Reichstruppen sollten mit einem preußischen Armeekorps auf der rechten Rheinseite gegen die badischen Aufständischen vorrücken, deren Kern man südlich des Neckars vermutete. Dort sollten sie die Stellung halten, bis die beiden anderen Korps die Pfalz gesichert hätten, um dann im Rücken der aufständischen Kerntruppen über den Rhein zu setzen. Das war für den 21. Juni geplant!935 Der Angriff auf die Pfalz begann, indem sich die zweite Division ganz im Westen auf preußischem Gebiet bei Neunkirchen sammelte, die dritte im Nordosten bei Baumholder und die vierte mit der ersten im Rheinhessischen um Kreuznach und Alzey.936 Am 13. Juni überschritten die Preußen die Grenze und bereits am 14. vertrieb die dritte Division die Provisorische Regierung aus Kaiserslautern. Am 16. vereinigte sich die dritte mit der vierten Division bei Dürkheim und schon am 19. setzte das erste preußische Armeekorps unter Prinz Wilhelm über eine Schiffsbrücke bei Kandel über den Rhein, um mit 932 Oberstleutnant von Fischer an den pr. MP, 20.5.1849 und Ehg. Johann an Friedrich Wilhelm IV., 22.5.1849: ebenda 52, 57, 61. Vgl. auch noch Müller, Harald: Eduard von Peucker (1791–1876): Der erste deutsche Kriegsminister. – In: Akteure eines Umbruchs (wie Anm. 913) 519–570, hier 546ff. 933 Friedrich Wilhelm IV. an Wilhelm, 11.6.1849: Bfw. / W. Baumgart (wie Anm. 928) Nr. 106. das bei Frankfurt stehende Korps bestehe aus öst., pr., hessischen und nassauischen Bataillonen. „Diese glückliche Vereinigung so vieler fremder Truppen unter einem preuß. Commando“ sei ein „Glücks Fall“. 934 K. Seidl: „Gesetzliche Revolution“ (wie Anm. 681) 61f. 935 D. Staroste: Tgb. (wie Anm. 850) I, 167ff. 936 Ordre de Bataille der in die Pfalz einrückenden Preußen: D. Staroste: Tgb. (wie Anm. 850) II, 268ff.

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einem zweiten Armeekorps den Süden Badens zu sichern.937 Bereits am 17. hatte er seinem Bruder aus Neustadt gemeldet: „Unsere Aufgabe in der Pfalz dürfte als beendigt zu betrachten sein. Die Insurgenten inclusive der Provisorischen Regierung haben das Land verlassen.“938 Von wenigen kleineren Gefechten abgesehen, die alle von Freischaren geführt worden waren oder an den diese zumindest beteiligt waren, ist es zu keinen nennenswerten Kämpfen gekommen. Die Preußen trieben die sich auflösende pfälzische Volkswehr zusammen mit der Provisorischen Regierung, dem Oberkommando und der Militärkommission vor sich her. Sie hatten lediglich zwei Soldaten beim Kampf um Ludwigshafen verloren und mussten 20 Verwundete versorgen.939 Die nicht genau bekannten Verluste der Aufständischen waren erheblich höher. Das rheinhessische Freikorps hatte allein bei Kirchheimbolanden 50 Mann verloren.940 Die Provisorische Regierung setzte mit den Resten der pfälzischen Volkswehr und dem Generalstab bei Kandel und Maxau unbehelligt über Schiffsbrücken nach Baden über und unterstellte sich dem Befehl des dortigen Oberkommandierenden Miroslawski.941 Er fasste sie in der sechsten Division zusammen, die in den Gefechten bei Ubstadt und Bruchsal endgültig aufgerieben wurde.942 In der bisherigen Tradition hochtrabender Proklamationen und großer Worte rief die Provisorische Regierung der Pfalz von Baden aus zum letzten Mal ihre Landsleute am 19. Juni 1849 zum Kampf gegen die Feinde der Freiheit auf.943 Offiziell hat der Oberbefehlshaber des bayerischen Armeekorps, Generalleutnant Fürst von Thurn und Taxis, drei Tage später die „sogenannte provisorische Regierung der Pfalz“ aufgehoben „und alle Handlungen und Beschlüsse derselben“ für „nichtig und wirkungslos“ erklärt.944 Nach dem Aufruhr 12.3.4 Alle Mitglieder der Provisorischen Regierung wurden wegen „bewaffneter Rebellion gegen die Organe der gesetzlichen Gewalt und gegen die zum Vollzug der Gesetze und zur Aufrechterhaltung der Ordnung handelnde bewaffnete 937 938 939 940 941

Ebenda, I, 172ff. Wilhelm an Friedrich Wilhelm IV., 17.6.1849: Bfw. / W. Baumgart (wie Anm. 928) Nr. 109. D. Staroste: Tgb. (wie Anm. 850) II, 286. Ebenda, I, 178f. Erinnerungsbericht M. J. Beckers vom 3.7.1849: E. Kiehnbaum: Max Josef Becker (wie Anm. 887) 44. Tuschzeichnung vom Übergang bei Maxau: 1848/49: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) Nr. 530. 942 H. Klein: Schriftgut der Militärkommission (wie Anm. 898) 109. 943 O. Fleischmann: Pfälzischer Aufstand (wie Anm. 834) 311f. 944 Der bayerische Hochverratsprozeß / P. Spieß (wie Anm. 855) 262.

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Macht“ angeklagt und am 19. April  1851 durch das Assissengericht Zweibrücken „wegen Hochverraths in contumaciam zur Todesstrafe und zu den Kosten verurtheilt.“945 Wie viele andere Rebellen hatten sie sich allerdings Prozess und Strafe durch die Flucht entziehen können. Sie gingen alle, nachdem auch der badische Aufstand zusammengebrochen war, zunächst in die Schweiz. Dort hatte der Bundesrat Mitte Juni 1849 die sofortige Ausweisung der „politischen und militärischen Chefs, … welche sich bei dem neuerlichen Aufstande in Rheinbaiern und im Großherzogthum Baden betheiligt haben“ verfügt. Die politisch wache Öffentlichkeit protestierte aber heftig dagegen, dass sich die Schweiz zum „preußischen Polizeidiener“ mache. Daraufhin wurde die Verordnung zurückgezogen. Obwohl Unterbringung und eine geringe Unterstützung durch die Kantone gewährt wurde, wollte bis auf Hepp niemand dort bleiben. Dafür war nicht zuletzt auch der amerikanische Konsul ausschlaggebend, da er sich über Gebühr um die Ausreise politischer Flüchtlinge in sein Heimatland bemühte. Auf preußische Intervention hin wurde er daher noch im Oktober 1849 wegen „too much sympathy with the German radicals“ abberufen.946 Josef Martin Reichard, der in den wenigen revolutionären Wochen nie die Rolle spielen konnte, die seinem Amt als Präsident entsprach, reiste noch im Herbst des Jahres mit einer Empfehlung des Konsuls in die USA aus.947 Nach kurzer journalistischer Tätigkeit arbeitete er seit 1853 als Notar, war daneben aber auch noch geschäftlich tätig. Er engagierte sich in der deutschen Kolonie Philadelphias bis zu seinem Tode 1872. Er wurde neben seinem Freund und Ministerkollegen aus Kaiserslauterer Tagen, Nikolaus Schmitt, beigesetzt. Dieser war mit ihm über die Schweiz in die USA emigriert. Zusammen mit ihm gab er kurzzeitig eine Tageszeitung heraus, wirkte aber hauptsächlich als Rechtsanwalt in Philadelphia. Dort spielte er als Mitglied der republikanischen Partei bis zu seinem Tode 1860 auch in der Öffentlichkeit noch eine Rolle. Ebenfalls 945 Ebenda 1031. Ausführliche Darstellung der juristischen Aufarbeitung bei M. Meyer: Revolution von 1848/49 in der Pfalz (wie Anm. 843) 229ff. Die die bisherige Forschung bereichernde These lautet: Mit der Deutung des Aufstandes als eines von kriminellen wie revolutionären Elementen von auswärts angezettelten Unternehmens wollte einerseits die bayerische Staatsregierung zur Wahrung ihres Ansehens die Illoylität der Pfälzer herunterspielen, andererseits haben die Aufständischen diese Auslegung gerne ergriffen, um sich als Verführte reinzuwaschen. 946 Paul, Roland: Pfälzische politische Flüchtlinge 1849 in der Schweiz – zwischen Rückkehr und Übersee-Emigration. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 (wie Anm. 824) 263– 288, hier 273f., 287f. 947 R. Paul: Pfälzische politische Flüchtlinge (wie Anm.  946) 287. Dazu und zum Folgenden Kermann, Joachim: Die pfälzischen Abgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 (wie Anm. 824) 243–323, hier 252, 256.

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in die USA floh der ehemalige Außenminister Johann L. C. Greiner.948 Er betätigte sich zunächst als Landwirt und Gerber, dann aber in Newark, N. J., als Rechtsanwalt, wo er 1874 starb. Auch er unterstützte die Bewegung zugunsten der republikanischen Partei unter den deutschen Einwanderern. Finanzminister Dr. Philipp Hepp verblieb in der Schweiz, wo er sich als Arzt und Naturforscher eine sichere Existenz aufbauen konnte.949 Die Generalamnestie von 1865 nutzend, kehrte er zu seiner Tochter nach Frankfurt am Main zurück; dort starb er im Februar 1867. Das jüngste Regierungsmitglied, Justizminister Peter Fries, verstarb am frühesten. Nach einem fast einjährigen Asyl in der Schweiz bei seinem Bruder, einem Arzt, der 1833 am Frankfurter Wachensturm teilgenommen hatte, wurde er am 4. Mai 1850 ausgewiesen.950 Er begann ein Medizinstudium in Montpellier, wo er mit 31 Jahren an Typhus starb. Preußen hatte Anfang Juni 1849 beschlossen, gegen die badischen wie die pfälzischen Rebellen vorzugehen, und zwar ohne Rücksicht auf bayerische Wünsche bis zur deren endgültigen Vernichtung.951 Eine Abstimmung mit Bayern hat es nicht gegeben. Die Staatsregierung wurde lediglich wie ebenfalls der Reichskriegsminister von dem Vorhaben unterrichtet.952 Der Handlungsspielraum hatte sich unter anderem dadurch ergeben, dass sich der König und sein Kabinett nicht darüber einig waren, ob man die pfälzische Angelegenheit zu einer Bundessache erklären sollte, um damit unter anderem preußische Hilfe in Anspruch zu nehmen oder nicht. Durch das eigenmächtige Vorgehen Preußens wurde ihm die Entscheidung abgenommen.953 Wie fast alle Armeen der Bundesstaaten litt auch die bayerische unter den Folgen der napoleonischen Kriege: Geldmangel zur Erneuerung der Ausrüstung und Überalterung der Generalität und Offiziere. Die lange Friedensperiode hatte die Kampfbereitschaft nicht gefördert Auch in die Armee des Stammlandes waren die revolutionären Ideen und die Vorstellungen von der Freiheit des Einzelnen eingedrungen. In einigen Garnisonen gab es Unruhen, kritische Auseinandersetzungen und Verweigerung des Gehorsams, nicht selten mit Berufung auf die Staatsbürgerrechte. Entscheidend wurde, dass die bayerische Armee im Ganzen aber intakt blieb, vor allem hielten die Offiziere ihrem König die Treue.954

948 Hierzu und zum Folgenden K. Ruppert: Politische Vereine der Pfalz (wie Anm. 824) 194, 231, 235, 949 R. Paul: Pfälzische politische Flüchtlinge (wie Anm. 946) 285. 950 Ebenda 284. 951 Pr. Staatsmin. vom 16.6.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 80. 952 Pr. Staatsmin. vom 3.6.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 76. 953 M. Meyer: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 836) 382. 954 J. Calließ: Militär in der Krise (wie Anm. 892) 103ff.

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Die von Aschaffenburg durch Rheinhessen heranrückenden Bayern unter dem Fürsten von Thurn und Taxis überschritten die Grenze, als die Preußen weiter südlich nach Baden übersetzten. Am 21. Juni gelangte er in Speyer an, von wo aus seine Truppen über das Land verteilt wurden.955 Der Feldzugplan sah es vor und die politischen Rücksichten auf Bayern, das man ja für die preußische Deutschlandpolitik gewinnen wollte, veranlassten Prinz Wilhelm, die Pfalz umgehend dem bayerischen Oberkommandierenden zu überlassen. Wenn Bayern auch immer darauf bestand, ihn nicht gerufen zu haben, so konnte er eine Anerkennung seiner Leistung für das Königreich darin sehen, dass dieses nach längerem Gezänk die Hälfte der Kosten des Feldzugs übernahm.956 Der bayerische Oberkommandierende war mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Damit sollte neben der Kreisregierung eine Art Besatzungsregime errichten957 und „die gesetzlichen Obrigkeiten, Behörden und Beamten“ unter die Botmäßigkeit der königlichen Regierung bringen. Den Kriegs- und Belagerungszustand zu verhängen, war nicht mehr möglich, da bei seinem Eintreffen die Kampfhandlungen bereits beendet waren.958 So sind der Pfalz Sonder- und Standgerichte wie in Baden erspart geblieben. Die Aufarbeitung des Aufstandes war auf den Rechtsweg verwiesen und da die bayerische Regierung sowohl rechtsstaatliche Prinzipien als auch die Sonderrechte der Pfalz beachtete, war dieser lang und kompliziert. Je länger er sich hinzog, umso mehr überwog das politische Bestreben, die rebellische Provinz zu integrieren, das Bedürfnis nach Strafe.959 Wie während der Reichsverfassungskampagne versprochen, wurden die Errungenschaften der Revolution nicht angetastet. Bayern ging es anders als Preußen nicht darum, die Entwicklung seit dem März 1848 zu eliminieren, sondern um den Erhalt seiner Unabhängigkeit – das war ein entscheidender Unterschied. Dafür garantierte allein schon der Vorsitzende des Ministerrats, Ludwig von der Pfordten, der ja in Sachsen Vergleichbares mit auf den Weg gebracht hatte. Nach einer kurzen Phase der Reaktion wurde der Kurs der Reformen fortgesetzt. Ohne das Schicksal der Emigranten verharmlosen zu wollen und desgleichen nicht die berufliche und gesellschaftliche Vernichtung vieler Aufständischer, die geblieben sind, so hat Bayern doch weitgehend auf 955 956 957 958

O. Fleischmann: Pfälzischer Aufstand (wie Anm. 834) 315. M. Meyer: Revolution von 1848/49 in der Pfalz (wie Anm. 843) 227. Vgl. Verordnung vom 22.6.1849: Amtsblatt Nr. 35 und Neue Speyerer Zeitung 153 (26.6.1849). Ziegler Hannes: Gebremste Reaktion: Die Antwort der bayerischen Regierung auf die Pfälzer Mairevolution von 1849. – In: Die Pfalz und die Revolution von 1848/49 (wie Anm. 824) – Bd. 2, 221–262, hier 227ff. 959 Ausführlich dazu: M. Meyer: Revolution von 1848/49 in der Pfalz (wie Anm. 843) 229ff.

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eine Politik der Revanche verzichtet zugunsten einer unbelasteten gemeinsamen Zukunft. Dieser Kurs war sicherlich auch dadurch bedingt, dass der Staatsregierung sehr wohl bewusst war, dass sie einmal durch ihre zögerliche Haltung gegenüber dem Aufstand in der Pfalz dessen Ausbreitung gefördert hatte, aber auch zum anderen die Legitimität ihres Kampfes gegen die pfälzische Reichsverfassungsbewegung auf brüchigem Rechtsboden stand. Denn sie hatte wie alle anderen auch die Frankfurter Institutionen anerkannt. Freilich hatten sich diese zum Teil schon aufgelöst. Darüber hinaus hatte das Königreich Bayern sich wie viele andere durch die zwielichtige Haltung des Reichsministeriums zur Reichsverfassung und deren Verteidigung ermuntert fühlen können. 12.4 Badens republikanische Versuchung 12.4.1 Reformen und Putsche Kein anderer Staat des Deutschen Bundes hat bei der Neugestaltung der deutschen Verhältnisse auf dem Wiener Kongress eine solche Vielzahl ehemaliger Reichsterritorien von unterschiedlichem kulturellen, politischen, rechtlichen und konfessionellen Zuschnitt in sich vereinigt wie das Großherzogtum Baden.960 Die Dynastie aus der Linie der Markgrafen von Baden-Durlach war daher in den meisten Teilen des Landes nicht verwurzelt. Hinzu kam, dass die Thronfolge 1830 nur gesichert werden konnte durch die Anerkennung Leopolds, eines Sohnes des 1811 verstorbenen Großherzogs Karl Friedrich aus morganatischer Ehe, als erbberechtigt. Er regierte bis 1852 und versuchte durch liberale Konzessionen immer wieder die ihm fehlende Legitimität zu kompensieren. Weniger als in anderen Staaten des Bundes konnte daher die Dynastie die Funktion der Integration und Identifikation wahrnehmen – vielleicht eine bisher zu wenig beachtete Ursache der Popularität des Republikanismus im Land. Umso wichtiger wurde die Verfassung vom August  1818 für das Zusammenwachsen dieses mittleren Bundesstaates von 1841 etwa 1,3 Millionen Einwohnern, die die konstitutionelle Monarchie begründete. Zentral dafür war die Ständeversammlung mit ihren beiden Kammern. Während die Erste vor allen Dingen mit Rücksicht auf die Standesherren und den grundbesitzenden Adel eingerichtet worden war, war die Zweite ein echtes Parlament. Gewählt wurde es indirekt von den Männern über 25 Jahren, die in ihren Gemeinden

960 Ullmann, Hans-Peter: Baden 1800 bis 1830. – In: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte 3 (wie Anm. 508) 25–78, hier 25ff.

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das Bürgerrecht besaßen.961 Trotz der Einschränkungen hatte Baden mit der Wahlberechtigung eines Drittels der männlichen Bevölkerung über 25 Jahre im damaligen Europa einen der höchsten Emanzipationsgrade! Dass die Verfassung zur vielleicht demokratischsten im Deutschen Bund wurde war unumgänglich, wenn sie ihren Zweck der Integration erreichen wollte. Denn in Baden war aufgrund des Einflusses der französischen Aufklärung und Revolution und der engen politischen und wirtschaftlichen Verflechtung während der Rheinbundzeit mit dem Nachbarland, aber auch durch die Anschauung der Versammlungsdemokratie in der angrenzenden Eidgenossenschaft eine eigene politische Kultur gewachsen. Auf ihr gründete der badische Liberalismus, der vor allem durch seine theoretischen Köpfe in Deutschland in eine Führungsrolle hineinwuchs. Durch seine Verankerung in den kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Vereinigungen der Städte bereits gefestigt, gewann er durch seinen Rückhalt an der Zweiten Kammer bis zur Revolution eine unangefochtene Dominanz in der Landespolitik. Dort führte er einen oft scharfen Kampf gegen die Privilegien des Adels und vermeintliche wie wirkliche Einschränkungen der Freiheit durch Polizei und staatliche Bürokratie. Wie groß der Spielraum zwischen Repression und Ausbau des liberalen Musterlandes jeweils war, hing stark von der politischen Lage im Deutschen Bund ab, dessen Vormächte die Vorgänge im Großherzogtum stets misstrauisch beobachteten. Seit den Dreißigerjahren nutzten die Liberalen die Kammer, um verstärkt nach einer Vertretung des Volkes bei einem von Grund auf zu reformierenden Deutschen Bund zu rufen.962 Während der liberale Elan infolge der Reaktionspolitik im Land wie im Bund in den Dreißigerjahren nachließ, formierten sich vor Ort neue politische Kräfte als Folge der Gemeindeordnung und des Bürgerrechtsgesetzes von 1831. Die Gemeinden erhielten erweiterte Selbstverwaltung und der Unterschied zwischen den überlieferten Klassen der Bürger wurde politisch bedeutungslos. Das führte sowohl zu einer beträchtlichen Erhöhung der Wahlberechtigten in den Gemeinden wie zur Ständeversammlung als auch zu einer verstärkten Heranführung der mittleren und unteren Schichten an die Politik. Eine Tendenz, die vor Ort dadurch gefördert wurde, dass der gewählte Rat der Gemeinde in Fragen von deren Vermögen wie deren Finanzen der Kontrolle einer Versammlung der wahlberechtigten Bürger unterlag. Hier erwuchs dem 961 Gall, Lothar: Gründung und politische Entwicklung des Großherzogtums bis 1848. – In: Badische Geschichte: Vom Großherzogtum bis zur Gegenwart / hrsg. von Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. – Stuttgart 1979, 11–36, hier 11ff. 962 Vgl. auch noch zusammenfassend Fenske, Hans: Baden 1830 bis 1860. – In: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte 3 (wie Anm. 508) 79–132, hier 80ff.

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Besitz- und Bildungsbürgertum eine politische Konkurrenz. Sie war getragen von den gewerblichen und handwerklichen Mittel- und Unterschichten, gelegentlich auch Bauern, die mehr demokratisch und republikanisch als liberal dachten. Dennoch boten sie dem parlamentarischen Liberalismus zunächst einen Rückhalt, bis die gemeinsame Front gegenüber der Staatsbürokratie mit dem Beginn der Revolution 1848 zerbrach.963 Liberalismus und Demokratie wurden tragende Elemente des badischen Selbstverständnisses. Insofern hatten sich Gemeinde- wie Landesverfassung als Instrumente der Integration bewährt, wenn auch vielleicht nicht im Sinne ihrer Schöpfer. In Baden kam es früher als in anderen Staaten des Bundes zur Artikulation des reformerischen Volkswillens. In Anknüpfung an die Tradition der Verfassungsfeiern trafen sich am 12. September 1847 im zentral gelegenen Offenburg Landtagsabgeordnete, Bürgermeister und Gemeinderäte mit Vertretern aus dem Volk. Neben den klassischen liberalen Forderungen standen soziale und wirtschaftliche. Diese hatten durch die Wirtschaftskrise in dem dominierenden Kleingewerbe und Handwerk wie der Verknappung der Lebensmittel in einem überbevölkerten Land im Vorjahr eine besondere Brisanz bekommen. Sie mobilisierte die die unteren Schichten zusätzlich. Die ebenfalls anwesenden Radikalen Friedrich Hecker und Gustav Struve geißelten das System des Deutschen Bundes und riefen schon zu aktivem Widerstand auf.964 Obwohl sie überwiegend im Rahmen von dem blieben, was auch in der Zweiten Kammer immer wieder artikuliert wurde und die Versammlung ohne Tumulte verlaufen war, hat die Regierung weitere verboten. Eine Maßnahme, die mit dem Aufblühen des deutschen und europäischen Revolutionsfrühlings 1848 nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Die Massenversammlungen im Februar und März vorwiegend in den großen Städten des Nordens griffen die klassischen liberalen Freiheitsrechte auf. Dazu forderten sie die Abschaffung von Standesprivilegien, eine volkstümliche Regierung im Land und eine Vertretung des Volkes beim Bund. Schon jetzt durchzog die Artikulation des politischen Willens der Massen den für Baden typischen Gegensatz zwischen Republik und Monarchie. Hinter dem verbargen sich über die Staatsform hinaus unterschiedliche Vorstellungen vom politischen System. Die Volksversammlungen konnten bruchlos an die vormärzlichen Gemeindeversammlungen anknüpfen, nur dass jene jetzt 963 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 35ff., 72ff. 964 Abdruck der „Forderungen des Volkes“ vom 12.9.1847: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 186. Porträts von Struve ebenda 252, 253 u. Bauer, Sonja-Maria: Die verfassunggebenden Versammlung in der badischen Revolution von 1849: Darstellung und Dokumentation. – Düsseldorf 1991. – (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 94) 65.

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überregional und sozial wie politisch von größerer Repräsentanz waren. Hier traf der Bauer den Großhandelskaufmann und der Arzt den Handwerker, hier bemühten sich Liberale, Demokraten und Republikaner um eine gemeinsame Plattform. Zugute kam ihnen die Verkehrsachse des Rheintals mit den gut ausgebauten Straßen- und Wasserwegen und seit Anfang der Vierzigerjahre einem Eisenbahnnetz. Die Kreisstädte mit ihren Amtssitzen waren Verkehrs- und Kommunikationsmittelpunkte der Regionen. Baden besaß ein dichtes Pressewesen mit bereits landesweit verbreiteten liberalen Blättern, denen in letzter Zeit demokratische und republikanische an die Seite getreten waren.965 Die Einsicht, dass trotz heftiger Agitation die Liberalen weiterhin führend bleiben würden, verführten Hecker und Struve dazu, die Zeichen des Umbruchs als Bereitschaft für einen Aufstand zu deuten. Sie initiierten Mitte April vom besonders radikalen Süden aus eine Erhebung für die Republik. Doch die Hoffnung, dass sich die Massen anschließen würden, trog. Daher konnten badische Truppen, von solchen des Bundes unterstützt, den Aufstand bis Ende des Monats niederschlagen.966 Die demokratischen und republikanischen Organisationen wurden zerschlagen, einige Tausend Anhänger angeklagt und festgesetzt. Die für die weitere Entwicklung entscheidende politische Folge aber war, dass jetzt die konstitutionellen Liberalen nicht nur in Baden fürchteten, dass die Märzbewegung in republikanischen Umsturz und soziale Anarchie münden könnte. Sie rückten daher enger an die Regierung heran. Das fiel ihnen umso leichter, als jetzt Männer aus ihren Reihen Ministerämter übernahmen, die auch gleich Gesetzesvorlagen zur Abschaffung der Standesprivilegien und des Feudalsystems in die Wege leiteten. Mit ihrer Mehrheit in der Ständeversammlung verweigerten sie sich daher auch der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung und Neuwahlen. Denn bei den Wahlen zur Nationalversammlung hatten sie sich nur in 6 von 20 Wahlbezirken durchsetzen können.967 Dieser Kurs hielt aber die in Baden verbreitete Unzufriedenheit mit der schleichenden Normalisierung und Institutionalisierung, von einer radikalen Agitation aus dem Ausland unterstützt, am Leben. Dort warteten gescheiterte Republikaner nur auf ihre zweite Chance. Sie ergab sich, als der Waffenstillstand von Malmö im September in Frankfurt Unruhen auslöste und das Ansehen von Nationalversammlung wie Reichsministerien untergrub. Man wollte es diesmal besser machen. Es wurde mit materiellen Forderungen wie einer 965 Nolte, Paul: Baden. – In: 1848: Revolution in Deutschland (wie Anm. 758) 53–68, hier 58ff. 966 H. Fenske: Baden 1830–1860 (wie Anm. 962) 109f. 967 Engehausen, Frank: Kleine Geschichte des Großherzogtums Baden: 1806–1918. – Karlsruhe 2006, 93f.

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Steuerreform und entschädigungsloser Aufhebung aller Feudallasten gelockt und bezeichnenderweise darauf gesetzt, dass sich die Gemeinden massenweise korporativ anschließen würden.968 Doch konnte das badische Militär wegen fehlender Unterstützung diesmal allein schon nach wenigen Tagen mit dem revoltierenden Haufen fertig werden. Die Parolen zündeten nicht. Denn das, was sie versprachen, war von der Landespolitik schon angegangen worden und die republikanischen wie demokratischen Eliten vor Ort schätzten dieses planlose und anarchische Unternehmen nicht.969 Es sollte sich aber bald zeigen, dass die beiden gescheiterten Aufstände dem republikanischen Gedanken in Baden nicht geschadet hatten. Er blieb nach wie vor auch im Bürgertum populär. Denn mit ihm verband sich eben nur am Rande das Verlangen nach einer bestimmten Staatsform. Republik, das war die aus der Volkssouveränität heraus gestaltete Alternative zu dem monarchisch-adligen und bürokratischen System. Institutionalisiert in einem Parlamentarismus, der nur die eine Kammer der Abgeordneten kannte, von der eine Regierung abhängig sein sollte, die eine „volkstümliche Staatsverwaltung“ praktizierte und die Selbstregierung des Volkes in den Gemeinden nicht antastete. Die Republikaner wollten eine weniger ständische Gesellschaft mit mehr Bildung für die Unterschichten; eine Wirtschaft mit staatlicher Fürsorge für die Bedürftigen und Förderung der produktiven Kräfte, wenn möglich mit Erhalt der traditionellen Formen des Wirtschaftens.970 Der Gegenschlag der alten Kräfte in Europa während des Herbstes 1848 hatte in Deutschland noch einmal eine breite Mobilisierung der Massen in der Märzvereinsbewegung zugunsten der Nationalversammlung ausgelöst. Sie nahm in Baden aufgrund der bisherigen Entwicklung eine ganz eigene Wendung. Die alle Richtungen und Schichten umfassenden Volksversammlungen wurden durch ein Netz von Vereinen der jeweiligen politischen Lager abgelöst. Von oben gefördert, traten seit dem Herbst „Vaterländische Vereine“ auf den Plan, in denen sich konservative Gegner der Revolution ebenso wiederfanden wie reformfreudige Liberale. Als Reaktion darauf formierten sich Volksvereine, in denen sich die Anhänger von Demokratie, Republik und Volkssouveränität sammelten. In ihnen waren zwar Handwerker, Gewerbetreibende, Volksschullehrer und Pfarrer gut vertreten, doch reichten sie sozial bis in die freien Berufe und das Besitzbürgertum 968 F. Engehausen: Großherzogtum Baden (wie Anm. 967) 96ff. 969 Nolte, Paul: Radikalisierung und Republik: Die Revolution in Baden 1847–1849. – In: Die großen Revolutionen im deutschen Südwesten / hrsg. von Hans-Georg Wehling u. Angelika Hauser-Hauswirth. – Stuttgart 1998. – (Schriften zur politischen Landeskunde BadenWürttembergs; 26) 34–52, hier 40ff. 970 Vgl. auch P. Nolte: Baden (wie Anm. 965) 54ff.

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hinein.971 Um den koordinierten Aufbau im Großherzogtum hatte sich der Finanzbeamte und Vorsitzende des starken Mannheimer Volksvereins, Amand Goegg,972 verdient gemacht. Auf ihn ging auch die Gründung eines provisorischen Landesausschusses zurück. An dessen Spitze wurde wegen seines landesweiten Ansehens der Mannheimer Rechtsanwalt Lorenz Brentano gestellt, Abgeordneter der Ständeversammlung wie der Nationalversammlung.973 Die Vereine arbeiteten eng mit zahlreichen Zeitungen zusammen, agitierten mit Flugblättern und beeinflussten die Politik über Petitionen. Die zahlreichen Filialen, die jetzt gleichmäßiger über das Land verbreitet waren,974 behielten eine relative Unabhängigkeit. Sie fanden besonders deswegen Anklang, weil sie sich auch der Probleme am Ort und in der Region annahmen. Bis zum Frühjahr 1849 hatten die Volksvereine etwa achtmal mehr Anhänger als die vaterländischen, die auf rund 5000 Mitglieder kamen.975 Nach zwei gescheiterten Putschen machte sich der Republikanismus auf den Marsch durch die Institutionen. Die Regierung Bekk war nach den beiden Putschen streng rechtsstaatlich vorgegangen. Deswegen war ihre Durchschlagskraft gegenüber den Radikalen begrenzt geblieben. Diese waren ins Ausland ausgewichen oder hatten sich der Verfolgung entzogen durch Neu- und Umgründungen von Vereinen, Rückzug ins Private oder in scheinbar unpolitische Organisationen wie solche der Sänger und Turner. Nach der vorgezogenen Verabschiedung der Grundrechte am 20. Dezember 1848 durch die Frankfurter Nationalversammlung waren ihr die Hände gebunden und unmittelbar danach setzte dann auch die massenweise Gründung der Volksvereine rasch ein. Die Regierung wurde vom Großherzog zur Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen des Volkes ermuntert und glaubte, dessen Unmut vermeiden zu können, indem sie strikt der Linie der Nationalversammlung folgte.976 Dennoch gelang es ihr nicht, ihr Ansehen im Land zu stärken und den schwindenden Rückhalt zu stoppen. In diesen Autoritätsverfall wurde auch immer mehr die liberale Mehrheit der 971 Frei, Alfred Georg; Hochstuhl, Kurt: Wegbereiter der Demokratie: Die badischer Revolution 1848/49. Der Traum von der Freiheit. – Karlsruhe 1997, 97ff. 972 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm.  964) 154 und Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 326. 973 Porträts beider: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm.  901) 306 und S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 24. 974 Übersicht über die Verbreitung der Volksvereine: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 301. 975 P. Nolte: Radikalisierung und Republik (wie Anm. 969) 44ff. 976 Engehausen, Frank: Kleine Geschichte der Revolution 1848/49 in Baden. – LeinfeldenEchterdingen 2010, 140f.

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Ständeversammlung hineingezogen. Die dort im Frühjahr 1849 diskutierten Reformvorschläge fanden schon keinen Anklang mehr in der Bevölkerung.977 Ihrem bisherigen politischen Kurs treu hat die badische Regierung die Ende März 1849 verabschiedete Reichsverfassung sofort und vorbehaltlose anerkannt und auch gleich mehrere Gesetze nach deren Vorgaben angepasst. Die Strategie, dadurch die Radikalisierung im eigenen Land zu unterlaufen, wurde aber dadurch, dass sie im Bund nicht die nötige Anerkennung fand und umgesetzt werden konnte, unterlaufen.978 Darin sahen die Radikalen die Chance, ihre Ziele zu verwirklichen. Dennoch setzte sich auf einer geheimen Konferenz von Vertretern der badischen Volksvereine, der Fraktion Donnersberg und führender Demokraten aus Südwestdeutschland am 4. Mai in Mannheim die Ansicht Brentanos durch, nicht sofort die Republik zu proklamieren. Vielmehr sollte weiterhin der Kampf um die Reichsverfassung im Vordergrund stehen und mithilfe von publizistischen Mitteln wie Volksversammlungen die Auflösung des Landtags und die Wahl einer konstituierenden Versammlung in Baden angestrebt werden.979 Angesichts der Machtverhältnisse und mit Blick darauf, dass man das Militär, in dessen Reihen die Volksvereine inzwischen heftig agitierten, gewinnen wollte, sicher die richtige Entscheidung. Es wurde deutlich, dass der Kampf für die Reichsverfassung in Baden immer mehr instrumentellen Charakter bekam. Er war die Plattform, um möglichst viele Anhänger für eine Bewegung zu gewinnen, für die eine verfassungsgebende Versammlung nicht das Ziel war, sondern nur die Voraussetzung für eine Republik im Sinne einer grundlegenden Umgestaltung des politischen Systems. Die erste Frucht dieser Strategie war, dass die radikale Minderheit in der Zweiten Kammer eine Woche später die konstitutionell-liberale Mehrheit dafür gewinnen konnte, eine Interpellation zugunsten der Reichsverfassung einzubringen. Militär, Bürgerwehr und Beamte sollten auf sie vereidigt werden und die badische Regierung wurde verpflichtet, allen Versuchen, das Frankfurter Verfassungswerk zu revidieren, entgegenzutreten980 – was weit jenseits ihrer Möglichkeiten lag. Die Liberalen hatten die Hoffnung, im Eintreten für die Reichsverfassung eine einigende Klammer mit ihren politischen Konkurrenten zu finden und sie spekulierten darauf, diese mit deren Mitteln überspielen zu können. Dazu gehörte auch, auf gesetzgeberischem Wege die Forderung der Volksbewegung nach Verfassungsreform aufzugreifen, um sie so selbst gestalten zu können und das gesamte Gefüge zu retten. 977 978 979 980

P. Nolte: Baden (wie Anm. 965) 63. F. Engehausen: Revolution 1848/49 in Baden (wie Anm. 976) 142f. W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 297. Ebenda 295.

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12.4.2 Die Machtübernahme durch die Volksvereine Schon seit ihrem Erstarken im Herbst 1848 drangen die Volksvereine auf eine Verfassungsreform, in deren Zentrum die Abschaffung der Ersten Kammer stand. Ständeversammlung und Regierung wurde die Legitimation zu so weitgehender Umgestaltung bestritten. Deren defensive Position wurde durch die Aufhebung der Standesvorrechte in den Frankfurter Grundrechten erschüttert. Sie ermunterten die sich gerade formierenden Volksvereine zu Beginn des Jahres 1849 zu einer Petitionskampagne, begleitet von Volksversammlungen, zugunsten einer neu zu wählenden Verfassunggebenden Versammlung. Während diese etwa 40.000 Unterschriften zusammenbrachte, unterstützten die liberale Gegenposition nur rund 10.000. Um diesen Schlag aufzufangen, brachte die liberale Mehrheit der Zweiten Kammer am 10. Februar 1849 eine Vorlage ein, die Erste Kammer in Zukunft auf der Grundlage eines DreiKlassen-Wahlrechts zu wählen. Das am 11. Mai verabschiedete Gesetz hat den revolutionären Enthusiasmus nicht gedämpft, sondern eher angefacht, da es nach Ansicht seiner Gegner die Geburtsaristokratie durch die Geldaristokratie ersetzte.981 Da die Radikalen auf parlamentarischem Weg diese Entwicklung nicht hatten verhindern können, beschritten sie den außerparlamentarischen. Auf diesem konnten sie ihre inzwischen errungene Stärke ausspielen. Die Volksvereine beriefen eine Versammlung ihrer Vertreter auf den 12. Mai wiederum nach Offenburg ein, der am 13. eine Volksversammlung folgen sollte. Zunächst wurde ein definitiver Landesausschuss gewählt, dabei setzten sich umgekehrt wie in der Pfalz die linken Kandidaten durch, während die gemäßigten nur Stellvertreter wurden.982 Doch rückten die Geschäftsordnungsfragen schnell an den Rand. Zentrales Thema wurde das Weitertreiben der Revolution, in das am folgenden Tag auch die Volksversammlung eingebunden wurde. Sie hatte mit etwa 30–40.000 Teilnehmern alle Erwartungen übertroffen. Für das weitere Vorgehen wurde in einer tumultuarischen Versammlung ein Katalog von Forderungen formuliert,983 der drei Funktionen hatte. Das Verlangen nach Rücktritt der Regierung, der Wahl einer verfassunggebenden Versammlung auf der Grundlage des demokratischen Wahlrechts zur 981 F. Engehausen: Großherzogtum Baden (wie Anm.  967) 143ff. P. Nolte: Radikalisierung und Republik (wie Anm. 969) 39, 47. 982 Häusser, Ludwig: Denkwürdigkeiten zur Geschichte der badischen Revolution. – Heidelberg 1851, 322f. 983 L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 320ff. Nach Häusser, 317 hatten dabei die „revolutionären Schulmeister“ und „fremden Zuzügler“ den „Advokaten“ das Heft aus der Hand genommen.

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Nationalversammlung und die Aufhebung aller Beschlüsse der Ständeversammlung seit dem 17. Januar sollte den endgültigen Bruch mit der Regierung und den konstitutionellen Liberalen markieren. Der Ruf nach Aufbau eines volksnahen Heeres ging in dieselbe Richtung. Innenminister Bekk wies noch am selben Tag alles zurück. Dennoch konnte er sich der Einsicht nicht verschließen, dass er durch das Entgegenkommen gegenüber den Demokraten und die strikte Erfüllung der Vorgaben aus Frankfurt die Position seiner Regierung nur geschwächt hatte. Nicht zuletzt hatte er dadurch dazu beigetragen, dass die badischen Truppen verunsichert wurden und daher umso leichter zu den Aufständischen übergingen. Die wenigen Liberalen, die nach Offenburg geeilt waren, um die Bewegung auf die Durchsetzung der Reichsverfassung festzulegen, kamen überhaupt nicht mehr zum Zug,984 obwohl sie dabei von den inzwischen jubelnd begrüßten Delegierten der Rastatter Festungsbesatzung unterstützt wurden.985 Die öfters wiederholten Forderungen auf unentgeltliche Aufhebung sämtlicher Grundlasten, progressive Besteuerung der Einkommen, umfassende Autonomie der Gemeinden, jetzt ergänzt durch die Errichtung einer Nationalbank und die staatliche Unterstützung von nicht Arbeitsfähigen, zielte zweitens auf die Verbreiterung des Massenanhangs. Mit der Aufforderung, die Militärgerichtsbarkeit zu beseitigen, die Wahl von Offizieren zuzulassen und eine umfassende Amnestie für Flüchtlinge und politische Gefangene zu gewähren wie alle politischen Prozesse einzustellen, sollte drittens unmittelbar die eigene Schlagkraft gestärkt werden. Diesem Zweck sollte ebenfalls die Anbindung der Bürgerwehren wie die sofortige Mobilisierung eines ersten Aufgebots junger unverheirateter Männer dienen. Legitimiert wurde das alles mit der Berufung auf die Volkssouveränität, in deren Namen auch die „rebellischen Fürsten“ bekämpft werden sollten. Der einzige Zusammenhang, in dem die Reichsverfassung noch Erwähnung fand! Mit der Verabschiedung dieser Forderungen musste auch Franz Raveaux sich eingestehen, dass seine Vermittlung gescheitert war. Darum hatte ihn die badische Regierung in der Hoffnung gebeten, dass das, was er über die Bemühungen der Frankfurter Institutionen zur Durchsetzung der Reichsverfassung würde berichten können, die Gemüter beruhigen würde. Das Mitglied der Fraktion Westendhall und Stellvertretende Vorsitzende des Centralmärzvereins war aber über den Mangel an „Besinnung und Überlegung“ in Offenburg so entsetzt gewesen,986 dass er den dazu längst nicht mehr fähigen Rest der 984 L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 310. 985 Ebenda 312f. 986 L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 318f.

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Nationalversammlung beschwor, die Führung in Baden zu übernehmen, ehe die Entwicklung entglitt.987 Er, wie auch die beiden nach ihm abgeordneten Reichskommissare, kamen aber mit der Überzeugung zurück, dass durch eine nachhaltige Unterstützung des badisch-pfälzischen Aufstands durch Parlament und Reichsministerium die Reichsverfassung hätte durchgesetzt werden können.988 Zwei unerwartete Ereignisse radikalisierten die Aufstandsbewegung und gaben ihr die Richtung, der sie in den kommenden Wochen folgte. Noch während Landesausschuss und Volksversammlung tagten, wurde bekannt, dass die Soldaten in Rastatt, der größten Festung des Landes, wo zahlreiche politische Gefangene einsaßen, gemeutert hätten. Abgesandte der Meuterer stießen zur Versammlung und fanden Aufnahme in den Ausschuss. Obwohl sie zu den gemäßigteren Elementen gehörten, denen es vornehmlich um die Durchsetzung der Reichsverfassung ging, feuerte die Meuterei den revolutionären Enthusiasmus nochmals an. Das schlug sich dann in der endgültigen Fassung der Forderungen nieder. Dazu brachten die Offiziere in den anderen Städten des Nordens und insbesondere in der Residenzstadt ihre Mannschaften nicht mehr unter Kontrolle. Daher zog es die großherzogliche Familie vor, in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai das Land zu verlassen. Die Regierung folgte ihr kurz darauf.989 Diese kopflose Reaktion der Staatsspitze mussten die Aufständischen geradezu als Einladung zur Übernahme der Macht verstehen. Jetzt konnten sie sich zusätzlich darauf berufen, dadurch die drohende Anarchie verhindert zu haben.990 12.4.3 Die Auflösung der badischen Armee Da die badische Armee die einzige gewesen ist, die während der Reichsverfassungskampagne ihrem Fürsten die Gefolgschaft verweigerte, stellt sich die Frage nach den Gründen. Nach der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes hatte jeder Bundesstaat Kontingente zum Bundesheer etwa im Umfang von einem Prozent der Gesamtbevölkerung aufzubringen. Das badische Kontingent war in einer Division organisiert, die Teil des VIII. Armeekorps war, das auch die hessischen und württembergischen Truppen umfasste. Oberster Kriegsherr war der Großherzog, der einen General als Präsidenten des Kriegsministeriums ernannte. Die badische Armee hatte im April den Heckerzug mit 987 Ebenda 318. 988 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 324. 989 Proklamation des Bad. Staatsmin., 14.5.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 22. Zur Flucht vgl. auch noch Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 318ff. 990 Vgl. auch A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 111f.

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Unterstützung von Bundestruppen niedergeschlagen und im September 1848 den Struve-Aufstand allein erstickt. Sie hatte sich also bei den Versuchen des republikanischen Radikalismus, das Großherzogtum zu revolutionieren, als loyal erwiesen.991 Seitdem waren Entwicklungen in Gang gekommen, die diese Loyalität aufweichten und schließlich in Meuterei und Auflösung endeten. Das badische Bundeskontingent hatte den Ruf, dass dort die Untergebenen besonders hart und schikanös behandelt wurden und dass das Verhältnis zwischen Offizieren einerseits und Soldaten und Unteroffizieren andererseits vor allem durch Arroganz und Autorität und kaum durch persönliche Bindung geprägt sei.992 Dazu wurden immer wieder Klagen erhoben über schlechtes Essen und zu geringen Sold. Diese Zustände änderten sich nicht nachdrücklich, obwohl die Landesregierung es nicht unterließ, Offiziere und Generäle darauf hinzuweisen, dass die Märzbewegung einen anderen Umgang erforderlich mache. Sie tat dies auch angesichts der seitdem erhobenen militärpolitischen Forderungen nach der Schaffung eines Volksheeres durch die Verschmelzung mit den Bürgerwehren und der Ausweitung der Wehrpflicht, der Wahl der Offiziere und der Vereidigung auf die Verfassung. Dadurch sollte die Waffe, die von der großherzoglichen Regierung bisher nur im Inneren eingesetzt worden war, entschärft werden. Die Forderung unterstreicht aber auch die bestehende Distanz zwischen der Armee und dem reformerischen wie revolutionären Bürgertum. Denn in Baden bestand insofern eine eingeschränkte Wehrpflicht, als in der Regel nur etwa ein durch Los bestimmtes Viertel eines Jahrgangs eingezogen wurde. Davon konnten sich Vermögende freikaufen, indem sie gegen Entgelt einen bereits Dienenden zur Verlängerung seines Wehrdienstes bewogen. Dieses „Einstehersystem“ führte dazu, dass sich die Mannschaften fast ausschließlich aus dem weniger lukrativen Handwerk rekrutierten und dazu dort vor allem Kleinbauern oder Tagelöhner dienten.993 Auf diese durch die Märzbewegung verunsicherte Armee kamen nun durch Beschlüsse der Nationalversammlung und die Verabschiedung von Grundrechten wie der Reichsverfassung neue Herausforderungen zu. Denn im Rahmen ihrer Politik der Beschwichtigung durch Erfüllung der Frankfurter Vorgaben zögerte die badische Regierung nicht mit der Umsetzung. Schon am 15. Juli 1848 hatte die Nationalversammlung beschlossen, die Kontingente der 991 Müller, Sabrina: „Wollt Ihr nicht selbst freie Männer werden?“: Soldaten und die Bürgerrechtsbewegung von 1848/49 in Baden, Württemberg und Hessen. – In: Baden 1848/49: Bewältigung und Nachwirkung einer Revolution / hrsg. von Clemens Rehm. – Stuttgart 2002. – (Oberrheinische Studien; 20) 51–67, hier 52ff. 992 A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 101f. 993 S. Müller: Soldaten und Bürgerrechtsbewegung (wie Anm. 991) 56.

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Bundesstaaten zu verdoppeln. Dem kam die badische Regierung nach und rief wegen der zunehmenden Unruhen vermehrt Reservisten ein. Dazu wurde das „Einstehersystem“ aufgehoben, da es mit den Ende Dezember verabschiedeten Grundrechten nicht mehr vereinbar war. Durch diese Maßnahmen erhöhte sich mit einem Schlag sowohl die Anzahl wie die Zusammensetzung der Rekruten. Sie waren gebildeter, selbstbewusster und bereits durch die Märzbewegung wie die starke Politisierung, die Baden seit dem Herbst 1848 erfasst hatte, geprägt. Die Bürgerlichen unter ihnen waren verbittert, weil sie sich nicht mehr hatten freikaufen können, und die Einsteher enttäuscht darüber, dass sie sich durch den Militärdienst nicht mehr ein kleines Kapital ansparen konnten für den Start im zivilen Leben.994 Seitdem betrieben die erstarkenden demokratischen Vereine, unterstützt durch den Centralmärzverein, eine auf die Soldaten abgestimmte Propaganda,995 in deren Reihen sie darüber hinaus in geringem Umfange Vertrauensleute einschleusen konnten. Angesichts einer sich abzeichnenden erneuten Auseinandersetzung wurde aus der Überzeugung heraus, dass die beiden bisherigen Putsche auch an der Loyalität der großherzoglichen Truppen gescheitert waren, versucht, diese zu unterhöhlen. Die damaligen Kämpfer wurden als „Bruder- und Vatermörder“ stigmatisiert, die den Tod verdient hätten, und die zu Hause nur noch als Verachtete und Ausgestoßene hätten leben können.996 Die Reichsverfassung rückte für die Soldaten stärker als in den Demokratenund Volksvereinen in das Zentrum ihres weiteren Vorgehens.997 Freilich waren es nur die für sie relevanten Bestimmungen, die sie zur Kenntnis nahmen. Von ihnen erhofften sie sich aber zugleich sehr weitgehende Rückwirkungen, bis hin zu einer umfassenden Erneuerung des soldatischen Alltags. Dennoch gibt es Anzeichen, dass die Soldaten die Verfassung nicht aus eigener Lektüre, sondern nur aus Anschlägen, Flugblättern und Diskussionen kannten. Daher fiel es den Demokraten nicht allzu schwer, Rekruten und Mannschaften zu 994 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 299ff. 995 Goegg, Armand: Nachträgliche authentische Aufschlüsse über die Badische Revolution von 1849, deren Entstehung, politischen und militärischen Verlauf; Nebst einem Nachtrag und als Einleitung eine gedrängte Darstellung der politischen Vorgänge in Baden von 1818 an, unter Hinweisung auf die Hauptereignisse in den übrigen Theilen Deutschlands. – Zürich 1876, 96f. stellt die Propaganda, insbesondere für die Entwicklung in Rastatt, als bedeutend heraus. 996 Vgl. Teilabdruck eines anonymen Flugblatts bei S. Müller: Soldaten und Bürgerrechtsbewegung (wie Anm. 991) 61f. 997 Deswegen bezeichnet sie L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 362 auch als „die Stützen der Advokatenpolitik“. Vgl. auch F. Engehausen: Revolution 1848/49 in Baden (wie Anm. 976) 156.

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suggerieren, dass die Abstellung der Schikanen, ihre respektvolle Behandlung, ihre Rechte als freie Bürger im Soldatenrock an der Umsetzung der Reichsverfassung hängen würde. Sie dürften sich diesmal nicht in die Knechtschaft der Fürsten begeben und sich den Befehlen „volksfeindlicher“ Offiziere unterwerfen. Nur wenn die „Bürgersoldaten“ jetzt nicht auf ihre „Brüder“ und“ Väter“ schössen, würde das von allen ersehnte Ziel erreicht werden.998 Die widersprüchliche Lage im Land und die teilweise weiter bestehenden Spannungen zwischen Offizieren und Mannschaften dienten den demokratischen Agitatoren dazu, alle Fürsten unterschiedslos zu Feinden der Reichsverfassung zu stilisieren und Misstrauen in die Aufrichtigkeit der eigenen Regierung bei der Einhaltung und Umsetzung der Reichsverfassung zu säen.999 Diese hatte die Armee bereits am 7. Juni 1848 zusätzlich auf die Landesverfassung und im Mai 1849 ebenfalls auf die Reichsverfassung vereidigen lassen. Zuvor war der Truppe Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zugestanden worden. Das musste zu Loyalitätskonflikten führen und hat in den oberen Rängen Missfallen ausgelöst.1000 Dies wurde dadurch gesteigert, dass die Soldaten von ihren neuen Rechten ausgiebig Gebrauch machten. Sie traten in Wirtshäusern und auf Plätzen für die Reichsverfassung ein, verbrüderten sich mit der Bürgerschaft und besuchten politische Versammlungen, vornehmlich der Demokraten. Für nicht wenige Kommandanten war damit die Grenze zur Aufwiegelung und Gehorsamsverweigerung überschritten und sie ergriffen daher disziplinarische Maßnahmen bis hin zum Arrest. Die Soldaten sahen darin eine Verletzung ihrer Rechte1001 und widersetzten sich deswegen Befehlen, griffen Offiziere an, befreiten ihre Kameraden und gelegentlich auch politische Gefangene. Diese beginnende Meuterei hatte wohl auch deswegen eine solch unerwartete Intensität, weil sie im Vorfeld der Offenburger Versammlung durch den Umschlag der Stimmung im Land stimuliert wurde. Mittelpunkt war die Stadt Rastatt. Deren Festung seit 1840 im Auftrag des Bundes ausgebaut wurde. Deswegen waren in ihren Mauern einige Hundert Arbeiter beschäftigt, was für den Gang der Ereignisse sicherlich nicht ohne Folgen geblieben ist. Der Bürgermeister war gleichzeitig Präsident des Volksvereins, der das politische Leben der Stadt und inzwischen auch der Festung beherrschte. Seit dem 9. Mai verbrüderten sich Soldaten, Bürger und 998 Vgl. den undatierten Aufruf an die Soldaten in: Vormärz und Revolution 1848/49 in Baden: Strukturen, Dokumente, Fragestellungen / hrsg. von Franz Xaver Vollmer. – Frankfurt a. M. 1979, 135. 999 S. Müller: Soldaten in der deutschen Revolution (wie Anm. 906) 269f. 1000 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 302. 1001 S. Müller: Soldaten und Bürgerrechtsbewegung (wie Anm. 991) 58ff. plädiert dafür, den Soldaten ein Bewusstsein für Grundrechte zu unterstellen.

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Bürgerwehr. Die Gegenmaßnahme des Kommandanten löste schließlich den Widerstand aus.1002 Mit der Befreiung der Kameraden und Gefangenen wie Angriffen auf die Vorgesetzten ging er in eine Meuterei über. Am Abend des 12. war die gesamte Festung in der Hand der aufständischen Soldaten.1003 Dass der Vermittlungsversuch des Kriegsministers am selben Tage damit endete, dass die Hälfte seiner mitgeführten Schwadronen zu den Rebellen überlief, war ein Tiefpunkt in der Geschichte der großherzoglichen Armee. Es folgte Freiburg. Dort hatte der Prozess gegen die Rebellen des Putsches vom September und deren gerade erfolgter Freispruch die politische Erregung angefacht.1004 Verteidigt worden waren sie von Lorenz Brentano, der dadurch seine Popularität, die ihn schließlich an die Spitze der Provisorischen Regierung brachte, nochmals steigerte. Von der Disziplinlosigkeit wurden rasch auch die anderen Garnisonen erfasst, die sich von der Begeisterung über die errungene Freiheit fortreißen ließen.1005 Als die Anarchie auch die Residenzstadt erreichte, floh der Großherzog mit seiner Familie und einigen Offizieren in der Nacht des 13. Mai und kurz darauf auch seine Regierung. Da dadurch der Armee der Oberbefehlshaber und die Kommandobehörde abhandengekommen waren, resignierten auch die Loyalen und die militärische Autorität löste sich vollständig auf.1006 Die Meuterei der Soldaten war also die entscheidende Voraussetzung für die Übernahme der Regierungsmacht durch die Aufständischen. 12.4.4 Reichsgewalt und badischer Aufstand Das Ersuchen der badischen Regierung um Reichshilfe nach der Offenburger Versammlung musste der Reichsverweser ablehnen, da er die ihm zur Verfügung stehenden Kontigente zur Sicherung Frankfurts brauchte.1007 Darüber hinaus war der Vorstoß von Reichsaußenminister Jochmus, stattdessen den Aufstand im Großherzogtum mit einem Reichskontingent aus bayerischen, württembergischen und österreichischen Truppen zu bekämpfen, erfolglos gewesen. Diese Staaten benötigten ihre Soldaten selbst. Um der preußischen Intervention doch noch zuvorzukommen, griff das Reichsministerium auf 1002 S. Müller: Soldaten in der deutschen Revolution (wie Anm. 906) 259. 1003 Engehausen, Frank: Die badische Revolutionsregierung in der Reichsverfassungskampagne. – In diesem Band, 352. 1004 S. Müller: Soldaten in der deutschen Revolution (wie Anm. 906) 261ff. 1005 L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 280ff. schließt aus dem fast gleichzeitigen Ausbruch der Meuterei in den verschiedenen Garnisonen auf eine Verschwörung. 1006 Ausführlich dazu L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm.  982) 369ff. und S. Müller: Soldaten in der deutschen Revolution (wie Anm. 906) 266f. 1007 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 317f.

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Bitten der badischen Abgeordneten in der Nationalversammlung auf das bisher wenig bewährte Mittel der Reichskommissare zurück.1008 Die dazu ernannten beiden linken Abgeordneten kamen ihrem Auftrag, die gesetzmäßige Ordnung in Baden wieder herzustellen, dadurch nach, dass sie vorschlugen, nach dem in Schleswig-Holstein erfolgreichen Modell eine Provisorische Regierung einzusetzen, die im Namen der Zentralgewalt so lange regieren sollte, bis mit dem Großherzog ein Kompromiss gefunden worden sei. Der Landesausschuss lehnte dieses Ansinnen ebenso ab wie den Wunsch, auf die Reichsverfassung vereidigte württembergische Truppen nach Rastatt zu verlegen.1009 Ebenso erfolglos war auch das letzte verzweifelte Mittel, zu dem die Zentralgewalt griff. Am  10. Juni appellierte der Reichsverweser an die kompromissbereiten Kräfte, Blutvergießen dadurch zu vermeiden, dass sie sich von der „verwerflichen und haltlosen Bewegung“ lossagten und auf eine Neuordnung der Verhältnisse in Baden und Deutschland durch die legitimen Mächte vertrauten.1010 Die inzwischen einberufene Verfassunggebende Landesversammlung hat daraufhin vier Tage später die Absetzung des Reichsverwesers durch das Stuttgarter Rumpfparlament als Gesetz verkündet und ihn als einen „heuchlerischen Fürsten“ bezeichnet, der immer nur dann seine Amtspflichten erfülle, wenn es gegen die Freiheit gehe und nun den Bürgerkrieg ins Land tragen wolle.1011 Die Zentralgewalt war zu ihrem Vorgehen dadurch ermutigt worden, dass sie von Abgesandten eines Bürgerausschusses und des Karlsruher Stadtrates darum gebeten worden war, die Lage zu befrieden, ehe es zu einem preußischen Strafgericht komme.1012 Nach dem Scheitern der Vermittlungsversuche war ein Aufstand in Gang gekommen, der nicht allein wie sonst überall aus einer Revolte der Untertanen gegen die Obrigkeit entstanden war, sondern auch aus dem politischen Gegensatz zwischen den konstitutionellen Liberalen einerseits und den Republikanern wie Demokraten andererseits. Denjenigen, denen jetzt die Macht zugefallen war, waren davon ebenso überrascht wie diejenigen, denen sie entrissen worden war. Die neuen Herren waren auf ihre Rolle weder mental noch programmatisch vorbereitet. Vielmehr herrschten in ihren Reihen gegensätzliche Vorstellungen darüber, was mit der gewonnenen Macht anzufangen sei.

1008 Vollmacht für Anton Christ und Friedrich Joseph Zell als Reichskommissare für Baden, 16.5.1849: BA, DB 52/10. 1009 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 332. 1010 Druck: S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm.  964) 244f. und Ehg.Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 378f. 1011 Druck: S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 241f. 1012 GRM, 12.6.1849: BA, DB 52/11.

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Die Vorgänge in Baden waren jetzt auch nicht mehr unter dem Begriff der „Reichsverfassungskampagne“ zu subsumieren. Denn hier mussten nicht wie in Bayern ein renitenter Fürst und seine Regierung zur Anerkennung der Reichsverfassung gezwungen werden. Vielmehr gehörte Baden zu den ersten Bundesstaaten, die am 14. April die Reichsverfassung anerkannten! An deren Umsetzung ging es so rasch und mit einem solchen Nachdruck wie kaum ein anderer heran. Und dies, obwohl Großherzog und Regierung erhebliche Schwierigkeiten daraus erwuchsen: bei der Beseitigung der Adelsprivilegien einschließlich der Ersten Kammer, der Einführung der Wehrpflicht und der Aufhebung der Beschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.1013 Nicht weniger spricht gegen die Verwendung dieses Begriffes für die Vorgänge in Baden seit dem Mai 1849. Denn die neuen Machthaber schwankten zwischen Zustimmung und Ablehnung der Reichsverfassung und hatten daher Vorbehalte, deren Durchsetzung zu ihrer Sache zu machen.1014 Das hinderte die Agitatoren des Aufstandes aber nicht daran, den Kampf für die Reichsverfassung zu propagieren. Dabei blieb bewusst im Unklaren, ob und wie weit sie (nur in Baden oder von dort ausgehend im gesamten Gebiet des Deutschen Bundes) durchgesetzt werden sollte. Den führenden Köpfen ging es also gar nicht in erster Linie um die Reichsverfassung. Dennoch war dieser Kampfruf für sie unverzichtbar, da in den turbulenten Tagen sich auf ihn alle politischen Lager einigen konnten und er insbesondere unter den Soldaten einen großen Widerhall fand. Schon mit Rücksicht auf diese durften die über Baden hinausgehenden Ambitionen nicht offenbar werden, da sie dafür nicht zu kämpfen bereit waren, wie ihre Weigerung zeigte, die Grenze zu überschreiten. 12.4.5 Vom Landesausschuss zur Diktatur Nach der Offenburger Versammlung konnte der Landesausschuss ungehindert in die Hauptstadt einziehen.1015 Dort setzte er eine Exekutivkommission ein, deren Abteilungen schon Ministerien entsprachen. Vorsitzender wurde Lorenz Brentano.1016 Diesen zur Kur in Baden weilende Realpolitiker hatte der Kommissar des Reichsministeriums nachdrücklich zur Annahme des Vorsitzes des Landesausschusses überreden müssen, um einen Garanten dafür zu gewinnen, dass die Ereignisse in Baden nicht aus dem Ruder liefen.1017 1013 Ausführlicher F. Engehausen: Großherzogtum Baden (wie Anm. 967) 140ff. 1014 Vgl. auch noch F. Engehausen: Badische Revolutionsregierung (wie Anm. 1003) 350. 1015 F. Engehausen: Großherzogtum Baden (wie Anm. 967) 161f. Abbildung S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 6. 1016 C. Klessmann: Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 757) 326. 1017 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 312. L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 325f.

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Kurz darauf wurde der Landesausschuss auf fast 30 Mitglieder ergänzt und analog der großherzoglichen Ministerialverwaltung in vier Senate gegliedert, die Vorlagen für das Plenum auszuarbeiten hatten.1018 Durch die Erweiterung sollten vor allem die Radikaleren eingebunden werden.1019 Es dominierten die Advokaten, doch waren auch andere akademische Berufe, Journalisten und Handwerker vertreten.1020 Die Entscheidungen hingen von der jeweiligen Zusammensetzung der stark fluktuierenden Teilnehmer ab. Nach Ansicht der Radikalen, die die beiden Vizepräsidenten stellten, bestand die Mehrheit aus Zögerlichen und Schwankenden. Dieses Ersatz-Parlament hatte die fünfköpfige Vollzugskommission, welche die Exekutivkommission ablöste, zu überwachen. Deren Präsident wurde wiederum Lorenz Brentano, der zugleich zuständig für innere und auswärtige Angelegenheiten war. An seiner Seite der entschiedene Republikaner Amand Goegg, dem als Finanzpraktikant das entsprechende Ressort übertragen wurde. Der ehemalige Richter und Regierungsdirektor Ignaz Peter,1021 der im April wegen Teilnahme am Hecker-Zug entlassen worden war, wurde Justizminister und der durch die Meuterei aus der Festungshaft befreite Oberleutnant Karl Eichfeld Kriegsminister.1022 Man genehmigte sich ein Tagegeld, gab sich eine Geschäftsordnung, richtete ein Volksbüro ein, an das sich jeder wenden konnte. Alle Einrichtungen wurden ausdrücklich als provisorisch bezeichnet. Seit der zweiten Hälfte des Mais wurde ein Gesetz- und Verordnungsblatt herausgegeben, das „Badische Regierungsblatt“. Es war bezeichnend für das Selbstverständnis der Führungsriege, dass es eine Kontinuität zu dem „Großherzoglichen Badischen Regierungsblatt“ suggerierte. Schließlich wurde in der „Karlsruher Zeitung“ ein eigenes Presseorgan geschaffen, das sofort nach der Offenburger Volksversammlung seine Arbeit aufnahm.1023

1018 F. Engels: Deutsche Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 886) 136 hatte ebenfalls keine hohe Meinung vom Landesausschuss, er habe „fast ausschließlich aus badischen Biedermännern mit der tüchtigsten Gesinnung und mit den unklarsten Köpfen“ bestanden, „aus ,reinen Republikanern‘, die vor der Programmierung der Republik zitterten“. 1019 L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm.  982) 394f. mit Charakterisierung einiger Mitglieder. 1020 C. Klessmann: Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 757) 326f. 1021 Abbildung: S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 65. 1022 Charakterisierung der Mitglieder L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 397ff. Er meint, Brentano sei von „drei Nullen“ umgeben gewesen. Die erste Amtshandlung Peters sei es gewesen, sich das ihm durch seine Entlassung aus dem Staatsdienst entgangene Gehalt nachträglich zu genehmigen. 1023 A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 114ff. und Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 331.

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Die Führungsfigur war der Mannheimer Rechtsanwalt Lorenz Brentano aufgrund der Popularität, die er durch die Verteidigung politisch Verfolgter und als Abgeordneter gewonnen hatte. Er hatte sich nur zögerlich dem Aufstand angeschlossen und musste immer wieder zur Übernahme von Ämtern gedrängt werden. Er verfügte über kein geschlossenes politisches Konzept,1024 neigte vielmehr dazu, zwischen den Aufständischen und den alten Mächten zu vermitteln.1025 Eine Lösung, die auch die Provisorische Zentralgewalt bevorzugte, um das Festsetzen Preußens in Süddeutschland zu verhindern. Doch während Brentano von der Dynamik der Aufstandsbewegung in Baden überrollt wurde, scheiterte die Zentralgewalt an der Entschlossenheit Friedrich Wilhelms IV. Die politischen Gegensätze, die beide Gremien durchzogen, erschwerten ihre Arbeit erheblich. Sie reichten von der Linie Brentanos bis hin zu Plänen, Baden zum Ausgangspunkt der Republikanisierung ganz Deutschlands zu machen. Zur Durchsetzung der Anordnungen wurden Zivilkommissare eingesetzt. Von den noch von Goegg ernannten Radikalen hat Brentano kurz darauf einige durch Gemäßigtere ersetzt. Die Kommissare stammten aus den Volksvereinen, auf die sie sich zusammen mit der Bürgerwehr vor Ort stützen konnten. Gelegentlich gab es Reibereien mit den Kriegskommissaren. Deren Hauptaufgabe war der Aufbau einer Volkswehr, wobei ihnen ein lokaler Wehrausschuss zur Seite stand. Wie wirkungsvoll die Kommissare arbeiteten, hing stark von der Unterstützung ab, die sie vor Ort erhielten. Vor hartem Durchgreifen schreckten sie meistens zurück, da sie oft aus dem Bezirk kamen, in dem sie tätig waren. Es ist kein Zufall, dass der Sachse Trützschler zum radikalsten Kommissar aufstieg und deswegen auch an seiner Wirkungsstätte Mannheim am 14. August 1849 von einem Exekutionskommando erschossen wurde.1026 Fast zur gleichen Zeit wie in der Pfalz wurden am 24. Mai Neuwahlen sämtlicher Bürgermeister und Gemeinderäte angesetzt, um die demokratischen und republikanischen Elemente zu stärken.1027 Ganz anders als in der Pfalz arrangierten sich die lokalen Behörden mit den Kommissaren und selbst die Staatsverwaltung hat sich weitgehend untergeordnet. Dennoch haben auch Beamte auf allen Ebenen der Verwaltung die ihre Mitarbeit verweigert, besonders nachdem im Laufe des Monats Juni wegen Geldmangels die Gehälter gekürzt werden mussten. Noch mehr Widerstand 1024 Regierungsprogramm vom 14.5.1849: L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 391f. 1025 Vgl. auch W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 329f. 1026 Kaupp, Peter: Wilhelm Adolf von Trützschler (1818–1849). – In: Akteure eines Umbruchs 2 (wie Anm. 913) 823–872, hier 847ff. Lithographie von W. A. von Trützschler zusammen mit den Oberkommandierenden der aufständischen Armee, Ludwik Mieroslawski: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 394. 1027 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 325f.

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hat es vermutlich in der Justiz gegeben. Die Gendarmerie musste wegen revolutionärer Unzuverlässigkeit im Juni aufgelöst werden.1028 Erleichtert wurde den Beamten die Mitarbeit dadurch, dass sie den Eid auf die Reichsverfassung und den Landesausschuss mit dem Vorbehalt zugunsten ihrer Verpflichtungen gegenüber der Landesverfassung ablegen durften.1029 Um dies zu erreichen, mussten die Gemäßigten zugestehen, dass Soldaten und Offizieren ein solcher Vorbehalt nicht eingeräumt wurde. Im Falle der Eidverweigerung hatten sie aber das Recht, das Land zu verlassen. Davon machte der überwiegende Teil der Offiziere Gebrauch.1030 Zudem hat die Mehrheit der Bevölkerung wie der Beamten Brentano die Versicherung abgenommen, Ordnung und Eigentum zu garantieren. Da der Finanzminister darüber hinaus ausreichend Bargeld wie Staatsschuldscheine vorfand und der Zufluss aus den Amtskassen nicht stockte, konnte zunächst allen finanziellen Verpflichtungen nachgekommen werden. Selbst Pensionen und die Apanagen für die fürstliche Hofhaltung wurden anfangs weiter bezahlt!1031 Um den revolutionären Elan nicht zu dämpfen, wurde die progressive Einkommensteuer verschoben; um den Besitz nicht zu beunruhigen, wurde auf die Ausgabe von Papiergeld verzichtet und nicht einmal die Domänengüter angetastet.1032 Mit dem Beginn der Rüstung überstieg aber auch der Bedarf die Einnahmen, zumal die Steuermoral der Badener umso mehr sank, je länger der Aufstand dauerte.1033 Weniger erfolgreich war die Suche nach Verbündeten. Es ist lediglich am 17. Mai zu einem „Schutz- und Trutzbündnis“ mit den Aufständischen der Pfalz gekommen, das aber erst drei Wochen später offiziell veröffentlicht wurde. Von den hochfliegenden Plänen gemeinsamer militärischer Aktionen und politischer Zusammenarbeit wurde nicht zuletzt deswegen nichts umgesetzt, da sich Baden davon wenig versprechen konnte und Brentano und die Gemäßigten sich ihren Handlungsspielraum nicht einengen lassen wollten.1034 Da aber die Radikalen im Landesausschuss darin einen ersten Schritt zu einem deutschlandweiten Aufstand sahen, konnten die Pfälzer immerhin sechs Kanonen erwerben. Eine Anleihe in Baden wurde ihnen verweigert, doch 1028 1029 1030 1031

S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 136. Druck L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 401. F. Engehausen: Badische Revolutionsregierung (wie Anm. 1003) 355f. F. Engels: Deutsche Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 886) 144: Brentano „bewachte eifersüchtig die Vorräte und das Privateigentum des Großherzogs, den er fortwährend als seinen legitimen Souverän von Gottes Gnaden behandelte … Und wirklich blieb das Schloss während der ganzen Zeit verschlossen, als sei sein Bewohner bloß verreist.“ 1032 A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 116f. 1033 Vgl. das Flugblatt an die „steuerpflichtigen Staatsbürger“, 10.6.1849: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 367. 1034 A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 120f.

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gewährte der Landesausschuss immerhin eine Beihilfe. Eine gemeinsame badisch-pfälzische Delegation, die in Paris um Unterstützung bitten sollte, kam mit leeren Händen zurück.1035 Dennoch setzten die Aufständischen ihre Hoffnung bis zum Schluss weiterhin sowohl auf Frankreich als auch auf die Schwächung der Habsburgermonarchie. Es war aber ebenso illusionär, dass das Frankreich Napoléons zugunsten einer Revolution intervenieren würde, wie es das Vertrauen gewesen ist, dass die ungarischen und italienischen Revolutionäre das Blatt noch mal wenden könnten. Nicht verhindern konnte Brentano, dass Struve und sein Anhang um Zuzug von Revolutionären von außerhalb warben. Diese hatten schon die Offenburger Versammlung vom Mai mitbeeinflusst und haben teils bedeutende Positionen einnehmen können. Von den Führungsgremien hat sie Brentano aber fernhalten können.1036 Die ersten kleineren Auseinandersetzungen der badischen Revolutionsarmee mit den Reichstruppen an der Nordgrenze waren wenig erfolgreich verlaufen und wären beinahe Ende Mai in eine Meuterei, diesmal gegen die Revolution, umgeschlagen.1037 Das gab Brentano die Gelegenheit, den Landesausschuss auszuschalten. Zugleich sollten damit die Radikalen entmachtet werden, von deren blindem Aktionismus die Gefahr ausging, das Land zu spalten und die Legitimation des badischen Aufstands als Beitrag zur Durchsetzung der Reichsverfassung zu untergraben.1038 Mit der Begründung, die gegenwärtigen Regierungsinstrumente seien für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Land und den Kampf für die Befreiung Deutschlands zu schwerfällig, sollten die Befugnisse von Exekutivkommission und Landesausschuss zusammengelegt werden.1039 Aus diesem heraus wurde eine fünfköpfige mit umfassenden Kompetenzen ausgestattete Provisorische Regierung gewählt.1040 Die meisten Stimmen erhielt der Kammerliberale und Teilnehmer des Hecker-Zuges Joseph Fickler,1041 der nun für die auswärtige Politik zuständig war. Dennoch blieb Lorenz Brentano als Innenminister der starke Mann. Die ebenfalls gewählten Amand Goegg und Ignaz Peter behielten ihre Ämter. Der ehemalige großherzogliche Leutnant Franz Sigel blieb Kriegsminister.1042 1035 1036 1037 1038 1039 1040

W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 327. Ebenda 328. Ebenda 339. A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 123f. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 520. Die Prov. Reg. hat wohl gleich nach ihrem Amtsantritt eine Medaille prägen lassen, auf der sie die Solidarität mit ihrem pfälzischen Pendant propagierte und mit der Devise „Sieg oder Todt“ auch das gemeinsame Ziel: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 328f. 1041 Porträt: ebenda 328. 1042 Porträt: ebenda 327.

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Schon am 25. Mai hatte er seinen unfähigen Vorgänger als Oberbefehlshaber sämtlicher badischer Truppen abgelöst.1043 Obwohl die Republikaner zwei Vertreter in die Provisorische Regierung hatten entsenden können, hatten sie dort bald keinen Einfluss mehr. Franz Sigel weilte als Kriegsminister und Oberkommandierender durchgehend an der Front. Joseph Fickler, der sich als Außenminister um die Zusammenarbeit der Staaten, die hinter der Reichsverfassung standen, bemühte, war am 2. Juni in Stuttgart verhaftet worden. Wie seine Regierung hatte er die Bereitschaft des Nachbarlandes, sich der badischen Rebellion anzuschließen, völlig falsch eingeschätzt. Dennoch hat er seine Gesinnungsgenossen nicht davon abgehalten, weiterhin weitausgreifende Revolutionspläne zu schmieden und deren Umsetzung in geheimen Treffen auch mit Vertretern von außerhalb vorzubereiten. Durch die vermehrt einströmenden Freischaren und Praktiker wie Theoretiker der Revolution aus dem In- und Ausland, die ähnlich dachten, gestärkt, wollten sie die Provisorische Regierung zum Kurswechsel zwingen.1044 Der Zeitpunkt schien günstig. Denn zwischen dem 24. und 26. Mai hatte Johann Philipp Becker mit seiner Volkswehr einen befürchteten Putsch von Teilen des Dragonerregiments „Großherzog“ vereitelt. Das hat das Ansehen der ihm dafür verpflichteten Exekutivkommission ebenso beschädigt wie das Zurückweichen der Revolutionstruppen vor den Hessen an der Nordgrenze. Zusammen mit Gustav Struve und dem ehemaligen Mitglied der Provisorischen Regierung Sachsens, Samuel Tzschirner, gründete er am 5. Juni den „Club des entschiedenen Fortschritts“, dem sich etwa 150 Sympathisanten anschlossen.1045 Becker ließ sofort von seinen Freischärlern die strategischen Positionen in der Hauptstadt besetzen.1046 Da Brentano die Karlsruher Bevölkerung und die Bürgerwehr, durch einige Bataillone der Linientruppen verstärkt, hinter sich wusste, blieb er fest. Durch Vermittlung von Goegg1047 wurde im letzten Augenblick verhindert, dass die aufständischen Truppen gegeneinander kämpften. Der Klub wurde aufgelöst, die vorübergehend festgesetzten 1043 Die Feststellung W. v. Hippels: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 340, dass die am 1. Juni gebildete Prov. Reg. bereits von den Reichskommissaren vorgeschlagen worden sei, trifft nicht zu. Diese hatten an eine Exekutive gedacht, die im Namen und auf Anordnung des Reichsministeriums handelte, genau das aber war die Prov. Reg. Brentano nicht. 1044 Dazu A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 128ff. 1045 Ausführlich zu Zusammensetzung und Programm L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 504ff. 1046 Dlubek, Rolf: Ein deutscher Revolutionsgeneral: Johann Philipp Becker in der Reichsverfassungskampagne. – In: Jahrbuch für Geschichte: die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 in Deutschland 7 (1972). 557–611, hier 587f. 1047 A. Goegg: Nachträgliche authentische Aufschlüsse (wie Anm. 995) 124f.

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Führer wieder freigelassen1048 und alles zu einem Missverständnis erklärt. Becker wurde das Oberkommando über die Volkswehr entzogen und er selbst mit seiner Schar an die Front abkommandiert.1049 Ob durch diese Wendung noch einmal die Chance zu einem friedlichen Ausgleich zwischen dem Großherzog und der Provisorischen Regierung gegeben war,1050 ist mehr als fraglich. Selbst wenn sie dies gewollt hätte, hätte ihr die inzwischen gewählte verfassungsgebende Versammlung mit ihrer eindeutigen demokratischen Mehrheit die Gefolgschaft verweigert. Der Appell des Reichsverwesers vom 10. Juni, eine friedliche Lösung zu suchen,1051 war in Karlsruhe nur noch mit Hohn aufgenommen worden.1052 Obwohl die Wahl eines Parlamentes die derzeit wichtigste Aufgabe der Regierung, nämlich die Sicherung des badischen Aufstandes, mehr behinderte als förderte, war sie unumgänglich. Die Forderung danach war seit dem Herbst 1848 der Hauptantrieb für die demokratisch-republikanische Bewegung und das diktatorische Regime Brentanos brauchte eine demokratische Legitimation. Schon am 15. Mai hatte der Ausschuss den Weg dafür freigemacht, indem er die beiden Kammern auflöste und zwei Tage später die Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung ausschrieb. Abstimmen durften am 3. Juni nach dem vom Landesausschuss verabschiedeten Gesetz badische Männer und Kämpfer von außerhalb ab 21 Jahren gleich, direkt und geheim. Liberale und Konservative haben sich kaum um Mandate beworben, da sie glaubten, dass sie angesichts der Agitation der Presse und der Volksvereine wie der Aktivitäten der Kommissare vor Ort keine faire Chance haben würden. Dennoch machte über die Hälfte der Wähler von ihrem Recht Gebrauch.1053 Erwartungsgemäß demonstrierte die Wahl nochmals die Stärke des republikanischen Baden; sie brachte aber andererseits überwiegend Abgeordnete ins Parlament, die bisher keine Erfahrung in der Landespolitik hatten. Der stets revolutionskritische Ludwig Häusser sah in ihm deshalb nur einen kläglichen Konvent von Advokaten und Schullehrern, der die Impotenz der Wirtshauspolitik demonstriere. Selbst durchaus wohlwollende Zeitgenossen beklagten das Niveau der am 10. Juni eröffneten Versammlung und deren mangelnde

1048 Abbildung des Verhörs von Gustav Struve durch Lorenz Brentano: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 331. 1049 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 346. 1050 Dies nimmt W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 347 an. 1051 GRM, 9.6.1849: BA, DB 52/11. 1052 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 103ff.; 244f. 1053 Ebenda 25ff.

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Disziplin.1054 Wenn auch die unteren und mittleren Schichten stärker vertreten waren als bisher, so war die Versammlung keineswegs weniger repräsentativ als ihre Vorgängerinnen.1055 In den drei Wochen ihrer Tätigkeit schuf sie ein einheitliches Staatsbürgerrecht für das inzwischen zum „Freistaat“ erklärte Großherzogtum.1056 Sie gab den Gemeinden eine größere Unabhängigkeit, deren demokratische Repräsentation durch die Abschaffung des Zensus gestärkt wurde. Darüber hinaus hat sie vor allem darüber debattiert, wie die heranrückende militärische Bedrohung pariert und überstanden werden könne.1057 Wenn die neugewählte Versammlung auch zu ihrer eigentlichen Aufgabe der Verfassungsgebung nicht mehr kam, so hat sie doch breit darüber diskutiert und sich besonders intensiv mit der Ausgestaltung der Regierung befasst. Dabei dominierten linke Vorstellungen, die sich aber hart mit der allseitigen Bedrohung des Landes durch die heranrückenden Truppen Preußens und des Reiches stießen. Das wurde offensichtlich, als am 13. Juni die Einsetzung einer neuen Regierung anstand, deren Rechte am folgenden Tag gesetzlich festgelegt wurden. Eingesetzt wurde ein Gremium von drei Männern, da man Brentano nicht allein die umfassende „dictatorische Gewalt“ der Exekutive und Legislative übertragen wollte. Neben ihm wurde wiederum Amand Goegg gewählt und dazu Maximilian Joseph Werner, der bereits im Landesausschuss gesessen hatte und der Fraktion Donnersberg angehörte.1058 So waren in der Tat zum ersten Mal in Deutschland Mitglieder einer Regierung von einem Parlament eingesetzt worden, aber nicht zum ersten Mal eine Exekutive von diesem gewählt worden.1059 Die badische verfassunggebende Versammlung wollte in der „provisorischen Regierung mit dictatorischer Gewalt“ nur einen Vollziehungsausschuss sehen, ohne allerdings, wie ebenfalls die Nationalversammlung gegenüber der Zentralgewalt, festzulegen, ob und in wieweit er deren Beschlüsse auszuführen habe. Die Versammlung wollte darüber hinaus ihren Vorrang behaupten. Sie behielt sich daher neben dem Recht auf Gesetzesinitiative und Interpellation 1054 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 521f. und F. Engehausen: Revolution 1848/49 in Baden (wie Anm. 976) 173. 1055 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 46ff. 1056 A. Goegg: Nachträgliche authentische Aufschlüsse (wie Anm. 995) 128. 1057 A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm.  971) 127; ausführlich S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964). 119ff. 1058 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 106ff. und die Prot. vom 13. u. 14.6.1849, 248ff. u. 254ff. 1059 Das unterscheidet nicht genau S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 113.

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vor, auch die Regierungsmitglieder jederzeit abberufen und zur Rechenschaft ziehen zu können.1060 Da seine Kollegen sich meist bei der Armee aufhielten, konnte Brentano, der das Justizministerium übernahm, weitgehend alleine regieren. So hat nur er die Ministerliste zusammengestellt. Goegg blieb Finanzminister, obwohl er das Amt am liebsten abgegeben hätte; er wurde daher auch kurz darauf vom Freiburger Militär- und Zivilkommissar Karl Friedrich Heunisch, der bereits mit Brentano als Advokat zusammengearbeitet hatte, abgelöst.1061 Der Kollege Maximilian Joseph Werner übernahm das Ministerium des Kriegs und Florian Mördes, der sich wie kaum ein anderer um den Aufbau der Volksvereine verdient gemacht hatte, das des Inneren.1062 Auf ein Außenministerium glaubte man jetzt verzichten zu können.1063 Die Triumvirn haben selten gemeinsam getagt, Brentano hat sie meist alleine repräsentiert. Da es darüber hinaus keine klare Abgrenzung der Kompetenzen gab, geriet er immer stärker unter den Einfluss der Minister und der überkommenen Verwaltung. Auch die Führer der demokratischen Vereine meldeten sich jetzt verstärkt zu Wort. Je länger die Kämpfe andauerten, umso stärker musste auf die Kommissare Rücksicht genommen werden. Ungeklärt blieb die Beziehung zu den Oberbefehlshabern der Truppen, die weitgehend autonom handelten. Daher war das Triumvirat eher eine Polykratie als eine Diktatur.1064 12.4.6 Der Feldzug Die Hauptaufgabe der Exekutivkommission des Landesausschusses und auch noch der ihr folgenden Regierungen war der Aufbau einer Armee. Damit waren vier Institutionen befasst. Der Kriegssenat des Landesausschusses unter dem Vorsitz von Gustav Struve, der vor allem durch politische Forderungen hervortrat, die militärisch kaum umzusetzen waren. Dazu kam das Kriegsministerium, das sich als Vollzugsbehörde vor allem um die Umsetzung praktischer Dinge wie Rüstungskäufe, Soldzahlungen, Versorgung der Armee und Rekrutierung kümmerte.1065 Der erste Kriegsminister war Karl Eichfeld, ein ehema1060 G. über die Prov. Reg. mit diktatorischer Gewalt, 20.6.1849: L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 537 u. S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 112. 1061 A. Goegg: Nachträgliche authentische Aufschlüsse (wie Anm. 995) 128. 1062 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 113. 1063 Für L. Häusser: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 982) 537f. war es das Ministerium des Radikalismus der Advokaten, die mit dem Feuer der Revolution spielen und dann nicht wissen, wie sie es löschen können. 1064 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 358. 1065 Ausführlicher dazu und zum Aufbau der Revolutionsarmee: A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 135.

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liger Oberleutnant, der sich schon früh für ein Volksheer eingesetzt hatte und den nun die Revolution gleich aus der Festungshaft auf den Ministersessel befördert hatte.1066 Er erwies sich für die Führung einer Verwaltung als Fehlbesetzung und wurde daher rasch durch Franz Sigel abgelöst. Seine Aufgabe war aber auch besonders heikel gewesen. Ihm fehlte ein eingespielter Beamtenapparat, da sich die Mehrheit der Mitarbeiter des Kriegsministeriums abgesetzt hatte. Die Formierung der die Linientruppen ergänzenden Volkswehr war Aufgabe von deren Oberkommando unter Johann Philipp Becker.1067 Als Revolutionär des Wortes und der Tat, der schon mehrmals bewiesen hatte, dass er weder Leben noch Vermögen für die demokratische Republik scheute, hatte er sich unter seinen Gesinnungsgenossen bereits erhebliches Ansehen erworben. Seit 1836 in der Schweiz lebend, hatte er militärische Erfahrung während des Sonderbundskrieges und dann in den beiden badischen Revolutionen sammeln können. Nach deren Scheitern musste er sich wieder ins Exil zurückziehen, war aber sofort zur Stelle, als die Aufstände in der Pfalz und Baden ausbrachen. Obwohl er ein Gegner der Politik Brentanos war, wurde er, nicht zuletzt durch Gustav Struves Einsatz für ihn im Landesausschuss, am 21. Mai auf diesen verantwortungsvollen Posten berufen, da er als tatkräftig und entschlussfreudig galt und Franz Sigel ihn seit dem gemeinsamen Heckerzug schätzte.1068 Da den Bürgerwehren nicht zugetraut wurde, auch auf dem Schlachtfeld zu kämpfen, wurden sie nur im geringen Umfang herangezogen und auch die Zahl der aus dem Land herbeieilenden Freiwilligen blieb gering. Daher hat das Parlament die Einberufung der ledigen Männer zwischen 18 und 30 Jahren beschlossen. Es war wohl kein Verlust, dass sich ihr etwa die Hälfte der Jahrgänge entzog.1069 Denn selbst die Eingezogenen konnten in der kurzen Zeit nicht ausreichend ausgebildet, versorgt und ausgerüstet werden und ihnen fehlte der revolutionäre Elan. Kriegs- und Zivilkommissare kamen sich bei der Durchführung ständig in die Quere und die politische Führung misstraute dem Oberkommando durchgehend.1070 Ein Grund dafür war nicht 1066 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 519. 1067 Porträt: S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 94. 1068 R. Dlubek: Johann Philipp Becker in der Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 1046) 561ff. 1069 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 335. 1070 F. Engels, der sich zusammen mit Marx eine eigene Anschauung vor Ort verschaffte, beklagte in: Deutsche Reichsverfassungskampagne (wie Anm.  886) 141 Schlamperei und Chaos. Er fasste zusammen: Es schien, als sollten die Soldaten „absichtlich demoralisiert werden, als wolle die Regierung ihnen den letzten Rest von Disziplin geradezu austreiben.“

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zuletzt, dass Becker entschiedene Republikaner ins Oberkommando berufen hatte und beim Aufbau der Volkswehr vor allem auf die im revolutionären Kampf bewährten Freischärlerverbände und Arbeiterbataillone setzte.1071 Sie kamen vornehmlich aus Sachsen1072 und dem preußischen Rheinland, später auch aus der Pfalz. Es waren aber ebenfalls versprengte Truppen aus dem Sonderbundskrieg, dem Posener Aufstand und dem sizilianischen Befreiungskampf darunter. Dazu stießen Kampfverbände deutscher Emigranten aus der Schweiz und Frankreich, die in der badischen Volkswehr erneut für die Sache der Freiheit kämpfen wollten.1073 So wenig wie an der revolutionären Überzeugung der bunten Haufen der Freischärler aus dem In- und Ausland zu zweifeln war, so mussten sie doch noch erst zu einsatzfähigen Kampfeinheiten zusammengeschweißt werden. Mit rund 6.000 Mann stellten sie etwa ein Drittel der Volkswehr und ein Fünftel der gesamten Armee.1074 Zu Beginn des Feldzuges bestand die Armee der Aufständischen aus etwa 30.000 Mann, von denen etwa die Hälfte Linientruppen waren.1075 Deren Offiziere hatten allerdings mehrheitlich das Land verlassen und sich dem Feind angeschlossen.1076 Im gleichen Maße, in dem die Lage der zurückgebliebenen Offiziere von Tag zu Tag fataler wurde, nahm ihre Zuverlässigkeit ab. Ihre neu gewählten Kameraden nahmen sie nicht für voll. Die Regierung hatte rasch das Versprechen, Unteroffiziere zu Offizieren (bis zum Hauptmann) durch die Truppe wählen zu lassen, umgesetzt, um die Lücke zu schließen und diese dadurch wie durch Solderhöhung fester an den Aufstand zu binden. Dennoch wurden die Linientruppen nicht mit der Volkswehr verschmolzen, um ihre Professionalität nicht zu gefährden. Für die badische Aufstandsarmee wurde die Rüstung ebenfalls zum Problem, wenn auch nicht im selben Umfang wie für die pfälzische. Im Gegensatz zu den Pfälzer Aufständischen konnten die badischen auf die Vorräte der Zeughäuser zurückgreifen, wenn diese auch rasch erschöpft und weitgehend 1071 R. Dlubek: Johann Philipp Becker in der Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 1046) 576ff. 1072 Ausführlicher dazu Dlubek, Rolf: Sachsen im badisch-pfälzischen Aufstand 1848/49. – In: Dresden, Mai 1849 (wie Anm. 787) 161–168, hier 163ff. 1073 Vgl. auch noch Promemoria eines hohen bad. Verwaltungsbeamten über die Lage im Ghgtum., 19.6.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 51ff. 1074 F. Engehausen: Großherzogtum Baden (wie Anm. 967) 107f.; A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 371. Abbildungen bad. Freischärler: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 378ff. 1075 Zum Aufbau der Armee mit einer detaillierten Übersicht über die Freischärler vgl. Promemoria eines hohen bad. Verwaltungsbeamten über die Lage im Ghgtum., 19.6.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 51ff. 1076 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 136.

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veraltet waren. Doch verfügten sie darüber hinaus über solide Finanzreserven und einigermaßen regelmäßige Steuereinkünfte. Allerdings konnten auch sie Waffen nur im Ausland erwerben. Die Rüstung strapazierte auf Dauer die gut gefüllte badische Staatskasse und mit fortschreitendem Aufstand nahmen die Steuereinkünfte ab. Zuerst wurden die „Civilstaatsdiener“ Opfer der Rüstungsausgaben. Ihre Gehälter wurden Anfang Juni drastisch gekürzt; in der Mitte des Monats auch die Diäten der Abgeordneten. Zusammen mit den „patriotischen Gaben“ für „die große Sache der Freiheit und des Volkes“, zu denen noch die Exekutivkommission am 19. Mai in der Zeit des revolutionären Enthusiasmus aufgerufen hatte, waren dies die einzigen Geldquellen, die zusätzlich erschlossen werden konnten. Eine Zwangsanleihe trat erst zwei Tage bevor preußische Truppen am 25. Juni Karlsruhe besetzten in Kraft, da um deren soziale Ausgestaltung zu lange gerungen worden war. Das umstrittene Papiergeld war noch nicht gedruckt, als der Aufstand schon zusammengebrochen war.1077 Obwohl die Armee nur in Baden operierte, wurde sie seit dem Abkommen mit der Pfalz am 18. Mai offiziell als „pfälzisch-badisch“ tituliert. Schon früh war vorgesehen, dass die strategische Planung und die taktische Führung dem polnischen General Ludwik Mieroslawski1078 übertragen werden sollten. Nicht zuletzt hatten Becker und sein radikaler Anhang auf der Ablösung des derzeitigen Oberkommandanten, eines großherzoglichen Oberst, durch Mieroslawski bestanden. Dieser war schon als 17-jähriger Fähnrich nach dem polnischen Aufstand 1831 nach Frankreich emigriert. Er hatte mit anderen von dort aus die gescheiterte Befreiung seines Vaterlandes vorbereitet und war deswegen wie durch den anschließenden Berliner Polenprozess von 1847 zu einer europäischen Berühmtheit geworden. Zum Tode verurteilt, doch dann begnadigt und durch die Märzrevolution in Berlin in Freiheit gesetzt, hat er als Führer der sizilianischen Freischaren die Eroberung der Insel durch die königlichen Truppen im Frühjahr 1849 nicht verhindern können.1079 Obwohl er also keine militärischen Erfolge vorzuweisen hatte, bemühte sich die badische Revolutionsregierung intensiv um ihn. Dem erst im Mai nach Versailles zurückgekehrten und noch an einer Verwundung leidenden Revolutionsgeneral wurde eine fürstliche Bezahlung in Aussicht gestellt und eine fast diktatorische Stellung in der Armee zugestanden.1080 Am 10. Juni traf er in Heidelberg mit einer polnischen Legion und einigen Offizieren ein. Eine 1077 Ebenda 90ff. u. 114ff. 1078 Abbildung: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 382, 393, 394. 1079 Fuchs, Daniela: Ludwik Mieroslawski (1814–1878): „Wo die Revolution ist, da ist des Polen Vaterland“. – In: Akteure eines Umbruchs 2 (wie Anm. 913) 375–425, hier 379ff. 1080 Näher dazu S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 96f.

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erste Inspektion seiner Truppen ergab, dass nur zwei Drittel davon kampffähig waren und etwa die Hälfte imstande war, ein Gefecht auszuhalten.1081 Er übernahm von Franz Sigel das Kommando, den er zu seinem Stellvertreter ernannte. Die bereits vorhandenen Kommunikationsprobleme in der Armee wurden dadurch nicht kleiner, dass der Stab nur Polnisch und Französisch sprach.1082 Dem Zug der feindlichen Truppen in die Pfalz und nach Baden waren Verhandlungen vorausgegangen, die dessen politische Dimension verdeutlichen. Die badische Regierung hatte von Karlsruhe aus, aber auch noch im Exil, das Reichsministerium um militärische Hilfe gebeten in der Hoffnung, den Bürgerkrieg zu verhindern, der beim Einsatz Preußens unvermeidlich schien.1083 Die Zentralgewalt, der zur gleichen Zeit ein ähnliches Gesuch des Königreichs Bayern vorlag, sah sich aber außerstande, ausreichend Soldaten zu mobilisieren. Sie war daher gezwungen, bei ihrem zurzeit stärksten politischen Rivalen1084 das Gesuch des Großherzogs vom 1. Juni1085 um Militärhilfe zu unterstützen. Berlin verlangte dafür den Beitritt zum Dreikönigsbündnis und die Ersetzung des gegenwärtigen Ministeriums durch ein ihm genehmes.1086 Denn das Großherzogtum sollte der Musterfall dafür werden, wie die die Reichsgewalt noch stützenden Staaten auf die preußische Seite gezogen werden konnten. Das Königreich ließ keinen Zweifel daran, dass es mit seinem Einsatz letztlich die Hegemonie in Deutschland anstrebe. Preußen hat in dem Ersuchen der Zentralgewalt später die formelle Voraussetzung dafür gesehen, im Namen des Bundes zu intervenieren. Die materielle Grundlage dafür erschien ihm dadurch gegeben, dass es die einzige Macht war, die damals die Mittel hatte, die Ordnung im Auftrag der Gesamtheit wiederherzustellen. Diese der Zentralgewalt anzuvertrauen, habe sich durch deren zwielichtige Haltung gegenüber der revolutionären Nationalversammlung wie den Aufständen in Baden und der Rheinpfalz verboten! Darauf gestützt, erklärte es seine Interventionen zur Sache des Bundes und verlangte daher von diesem die Erstattung der Kosten.1087

1081 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 527. 1082 D. Fuchs: Ludwik Mieroslawski (wie Anm. 1079) 403f. 1083 Bad. Staatsmin. an GRM, 25.5.1849: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm.  38) 377f. 1084 GRM, 26.5.1849: BA, DB 52/10. 1085 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 124ff. 1086 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 322. 1087 Promemoria, die Lage nach der Verkündung der Reichsverf. betreffend, 26.1.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 396ff.

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Preußen wollte unter anderem durch die militärische Operation seinen Anspruch als Führungs- und Ordnungsmacht in Deutschland unterstreichen. Diese wurde daher durch die Ernennung des Kronprinzen zum Oberkommandierenden politisch so weit wie möglich aufgewertet.1088 Die Rechnung ist aber nicht aufgegangen, da sich Österreich langsam aus der revolutionären Bedrohung befreien konnte und Schwarzenberg den schwankenden Bundesstaaten diplomatisch den Rücken stärkte. Entscheidender dürfte aber gewesen sein, dass diese inzwischen das Übergewicht Preußens fürchteten. Gerade wegen dessen militärischer Präsenz in Südwestdeutschland rückten die dortigen Bundesstaaten an die Zentralgewalt heran. Diese hatte seit Ausbruch der pfälzischen und badischen Unruhen verschiedene Überlegungen angestellt, um militärisch das Heft in der Hand zu behalten. Da die Stellung von Kontingenten durch die Bundesstaaten für eine Reichsarmee nicht ausreichte, wollte man diese Preußen zur Verfügung stellen, wenn es dafür im Namen des Reiches gegen die Rebellen ziehen würde. Preußen wies sowohl diese Idee zurück als auch ließ es sich nicht von dem Vorschlag überzeugen, dass der Widerstand geringer wäre, wenn seine Truppen im Namen des Reiches vorgehen würden.1089 Stattdessen schickte es zwei Armeen unter Kronprinz Wilhelm ins Feld. Die erste, von Generalleutnant Moritz von Hirschfeld kommandiert, umfasste vier Divisionen mit etwa 20.000 Mann.1090 Sie sollte zunächst die weitaus schwächer eingeschätzten pfälzischen Rebellen niederwerfen, danach gegen Ende Juni nach Baden übersetzen, um die dortigen Aufständischen von Süden her in die Zange zu nehmen. Bis dahin sollte das etwas kleinere Armeekorps unter Karl Graf von der Gröben die badischen Truppen im nördlichen Landesteil binden. Er wurde von Reichstruppen unterstützt, deren Verhältnis zum preußischen Oberkommando ungeklärt blieb. Die etwa 18.000 Mann des Reiches standen unter dem Kommando des ehemaligen Reichskriegsministers und preußischen Generalleutnants von Peucker. Sie setzten sich aus Soldaten und Offizieren aus acht Klein- und Mittelstaaten, die die Reichsverfassung anerkannt hatten, zusammen. Es war schwer, aus ihnen eine handlungsfähige Einheit zu formen1091. Das Kontingent operierte wohl vor allen Dingen deswegen an der Seite von der Gröbens. 1088 Promemoria betreffend die Sendung des Prinzen von Pr., 10.6.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 32ff. 1089 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 134ff. 1090 Die Angaben über die Größe der beiden pr. Armeekorps, der Reichstruppen wie der Revolutionsarmee schwanken in der Literatur stark. 1091 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 335.

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Die Reichstruppen waren trotz ihrer Bezeichnung eher eine dritte Armeeabteilung Preußens. Friedrich Wilhelm IV. hatte geschickt die Ernennung seines Generals durch den Reichskriegsminister am 21. Mai durchgesetzt. Er bedauerte zwar, dass er deswegen des Erzherzogs „Authorität über fremde Truppen“ „nothwendigster Weise“ anerkennen musste. Dennoch war er „glücklich“, „reüssiert“ zu haben,1092 weil dadurch einige Bundesstaaten ihre Kontingente faktisch der preußischen Militärführung unterstellt hätten und dadurch die reibungslose Einordnung der Reichsarmee in die preußische Strategie gesichert worden sei.1093 Deren Mitwirkung erachtete der preußische König „unter den geg. Umständen von unabweislicher politischer Wichtigkeit“, weil dadurch so sichtbar wie durch nichts anderes die Unterstützung des Reiches wie der Fürsten für die Liquidation der Rebellion durch Preußen zum Ausdruck komme. Deswegen war Peucker auch von Anfang an in die strategischen Planungen eingebunden worden. Da die Kontingente des Reiches allein durch ihn zusammengehalten würden, musste er gehalten werden, obwohl Friedrich Wilhelm IV. ihm den Huldigungserlass immer noch übelnahm und ihm einige von dessen Entscheidungen während des Feldzugs missfielen.1094 Er bestand aber darauf, dass er, solange er die Reichstruppen kommandierte, nicht Stabschef Wilhelms sein könne.1095 Die Feinde waren der badischen Aufstandsarmee nicht allein quantitativ und qualitativ überlegen, sondern sahen in ihr nur einen „wild zusammen gerafften, indisziplinierten RebellenHaufen“.1096 Dennoch haben sie sich weitgehend an das Kriegsrecht gehalten. Die badischen Aufständischen hatten daraufgesetzt, durch rasches Handeln ihre militärische Unterlegenheit zu kompensieren. Doch ließ sich mitten im Umbruch die Einsatzfähigkeit einer neu zusammengestellten Armee nicht so leicht herstellen. Darüber hinaus gab es unter den führenden Revolutionären erhebliche Differenzen darüber, ob und wie schnell in die Offensive gegangen werden sollte. Dennoch wurde nach einigem Zögern der Versuch unternommen. Auf dem linken Rheinufer war die Bewegung durch den Aufstand der Pfälzer, mit denen trotz des Abkommens vom 18. Mai nichts abgesprochen wurde, gedeckt. Da die Kontingente Preußens und des Reiches ebenfalls noch 1092 Friedrich Wilhelm IV. an Wilhelm, 11.6.1849: Bfw. / W. Baumgart (wie Anm. 928) 240ff. 1093 Peucker hat sich auch mehr als ein pr. Oberkommandierender denn als einer des Reiches gefühlt. Vgl. Peucker an Prinz Wilhelm, 17.7.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 157f. 1094 Friedrich Wilhelm IV. an Wilhelm, 6.7.1849: Bfw. / W. Baumgart (wie Anm. 928) 252ff. 1095 Friedrich Wilhelm IV. an Wilhelm, 4.7.1849: ebenda 250ff. 1096 Friedrich Wilhelm IV. an Wilhelm, 10.6.1849: ebenda 140.

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nicht einsatzfähig waren, befürworteten Exekutivkommission und Landesausschuss, unmittelbar nach Frankfurt durchzubrechen. Ein Vorschlag, den auch die beiden Abgeordneten Wilhelm Trützschler und Franz Raveaux, die inzwischen als Kommissare im Dienst des badischen Aufstandes standen, und brieflich auch der künftige Oberkommandierende Ludwik Mieroslawski unterstützten. Unter militärischem Druck sollte mithilfe der dortigen Institutionen die Hauptstadt der Märzrevolution zum Zentrum einer erfolgreichen Reichsverfassungskampagne für ganz Deutschland werden.1097 Da in Württemberg, Franken, den beiden Hessen und Nassau das Volk und teils auch das Militär in Unruhe waren,1098 setzte man auf Unterstützung von dort und hoffte so, Südwestdeutschland zum Ausgangspunkt des deutschlandweiten Kampfes gegen die Fürsten machen zu können.1099 Das Unternehmen kam aber über Anfänge nicht hinaus. Denn das Reichsministerium hatte die österreichischen Schutztruppen durch Soldaten aus der Mainzer Bundesfestung verstärken lassen1100 und inzwischen gingen die Truppen Preußens und des Reiches zwischen Mainz und Frankfurt nach und nach in Stellung.1101 Dazu zeigten die badischen Truppen wenig Neigung, außerhalb des Landes zu kämpfen. Die hessischen Revolutionäre hielten sich bedeckt, der Zuzug aus Franken unterblieb. Die hessisch-darmstädtischen Truppen, auf die man ebenfalls gesetzt hatte, blieben loyal.1102 Von Kontingenten einiger Bundesstaaten unterstützt, haben sie einem Vorstoß der badischen Revolutionstruppen am 30. Mai schon an der Grenze ein Ende bereitet.1103 Während Preußen mit diplomatischen, politischen und militärischen Mitteln sich derzeit bemühte, die Frankfurter Institutionen zu beerben, hatten die badischen Aufständischen dasselbe durch einen militärischen Coup erreichen wollen. Zeitgleich mit dem preußischen Vormarsch in der Pfalz unter von Hirschfeld setzte sich das preußische Armeekorps von der Gröbens und die von Peucker kommandierten Bundestruppen aus dem Rhein-Main-Dreieck durch Hessen-Darmstadt in Richtung Neckar in Bewegung.1104 Der am 8. Juni zum 1097 Sigels Aufruf „An das deutsche Volk“, 28.5.1849: Vormärz und Revolution 1848/49 in Baden / Franz X. Vollmer (wie Anm. 998) 167. 1098 F. Engels: Deutsche Reichsverfassungskampagne (wie Anm. 886) 133. 1099 A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 120ff. 1100 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 137f. 1101 GRM 21.5.1849: BA, DB 52/10. 1102 F. Engehausen: Badische Revolutionsregierung (wie Anm. 1003) 361. 1103 A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm. 971) 146ff. 1104 Die folgende Darstellung nach dem Bfw. zwischen Friedrich Wilhelm IV. und Kronprinz Wilhelm: Bfw. / W. Baumgart (wie Anm. 761) 239ff.; Geschichtliche Darstellung von gänzlicher Concentrierung des Reichs-Truppen-Corps, 24.7.1849: BA, DB  52/13; A. G. Frei; K. Hochstuhl: Wegbereiter der Demokratie (wie Anm.  971) 149ff.; F. Engehausen:

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Oberkommandierenden der Revolutionsarmee ernannte Ludwik Mieroslawski hatte seine Truppen inzwischen inspizieren und in 6 Divisionen zu je 4.000 Mann zusammenfassen können. Er verlegte sich angesichts seiner Unterlegenheit auf die Defensive, indem er seine Armee zwischen Mannheim und Heidelberg konzentrierte. Am 15. Juni kam es am Neckar zu ersten Scharmützeln zwischen den Reichstruppen und Aufständischen, denen es gelang, deren Übersetzen zu verhindern. Doch erzwang der konzentrierte Angriff der beiden rechts des Rheins operierenden Armeen zusammen mit Teilen des inzwischen bis zur Schanze von Ludwigshafen vorgestoßenen pfälzischen Korps den Übergang über den Fluss und die Einnahme von Ladenburg, Heidelberg und Mannheim in den folgenden Tagen. Mieroslawskis Plan, das Vordringen der pfälzischen Interventionstruppen ins Großherzogtum durch die Eroberung der Festungen Germersheim und Landau zu verhindern, war gescheitert. Daher musste er versuchen, den jetzt südlich des Neckars operierenden Feind zu schwächen, ehe er durch die Armee Hirschfelds, die seit dem 19. Juni bei Kandel nach und nach über den Rhein setzte, verstärkt würde. Doch war es dieser inzwischen gelungen, aufzuschließen. Bei Waghäusel konnten die Aufständischen am 21. Juni die erste preußische Division zunächst in Schach halten. Als aber die vierte zur Verstärkung heranrückte, zog sich ein Dragonerregiment vorzeitig vom Schlachtfeld zurück und löste damit eine panikartige Flucht der gesamten Truppe aus. Da das Regiment überwiegend aus Adligen bestand, witterte nicht nur Mieroslawski Verrat. Von den Preußen und den inzwischen aufgeschlossenen Reichstruppen verfolgt, setzte sich ein Teil der Einheimischen ab, so dass die Volkswehr immer mehr auf die Freischärler reduziert wurde. Selbst die Linientruppen wurden, wenn auch in geringerem Umfang, durch Desertionen geschwächt. Dennoch gelang es Mieroslawski, noch rund 15.000 Mann hinter der Murg bei Rastatt in Stellung zu bringen. Er hat daraufgesetzt, auch als Unterlegener an der engsten Stelle des Landes zwischen Rhein und Schwarzwald dem inzwischen verstärkten Gegner standhalten zu können. Dieser erkannte aber, dass der rechte Flügel schwach war, so dass Peucker unter Missachtung der Neutralität Württembergs am 29. Juni von Osten her die Front aufrollen konnte. Sie brach am folgenden Tag ein. Daraufhin gab Mieroslawski am 1. Juli auf und zog sich mit seiner polnischen Leibgarde über die Schweiz nach Frankreich zurück. Sein Nachfolger wurde Revolution 1848/49 in Baden (wie Anm. 976) 176ff.; W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 364ff.; zeitgenössische Karten vom Kriegsschauplatz, Abbildung der Schlachten und Militärs: Revolution der deutschen Demokraten (wie Anm. 901) 389ff.

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wiederum Franz Sigel. Dieser versuchte vergeblich, Verteidigungsstellungen mit den sich auflösenden Truppen aufzubauen; stattdessen wurden diese vom Feind nach Süden getrieben. Dabei verscherzten sie sich durch Disziplinlosigkeit und Übergriffe die letzten Sympathien der Bevölkerung. Am 7. Juli zogen die Preußen kampflos in Freiburg ein und am 11. haben sich die Reste der Aufständischen über die Schweizer Grenze abgesetzt. Damit war auch die Hoffnung auf Entsatz für die 6000 Mann, die sich in der Festung Rastatt verschanzt hatten, geplatzt. Sie kapitulierten am 23. Juli. Von der Gröben hatte sich zu der langwierigen Belagerung entschlossen, da ihn der Reichskriegsminister gebeten hatte, die gerade fertiggestellte Reichsfestung nicht zu beschießen. 12.4.7 Das Ende des Aufstands und seine Folgen Provisorische Regierung und Landesversammlung waren in den fluchtartigen Rückzug der Revolutionsarmee hineingerissen worden. Am  25. Juni hatten sie sich über Rastatt und Offenburg nach Freiburg abgesetzt. Zuvor waren die feindlichen Truppen unter dem Jubel der Bevölkerung in die Residenzstadt eingezogen.1105 In Freiburg waren inzwischen auch die Reste des Rumpfparlaments und der Reichsregentschaft angekommen. Mit deren Rückhalt gewannen die radikalen Gegner des Triumvirats nochmals Oberwasser. Am 29. Juni brachten sie in der nicht mehr beschlussfähigen Versammlung den Antrag ein, den Krieg gegen den Feind mit allen Mitteln fortzusetzen und Verhandlungen mit ihm als Verrat zu bestrafen. Da der Antrag gegen den Willen Brentanos, der darin zurecht ein Misstrauensvotum sah, angenommen wurde, setzte er sich in der folgenden Nacht mit seiner Familie in die Schweiz ab.1106 Da der Schweizer Bundesrat in den folgenden Wochen von der badischen Regierung unter Druck gesetzt wurde, die Revolutionäre auszuliefern, wanderte er im November über Frankreich nach Amerika aus. Dort war er bis zu seinem Tod im Jahr 1891 als Verleger, Journalist und Politiker erfolgreicher denn als badischer Revolutionsführer.1107 Die verbliebenen Triumvirn, Werner und Goegg, betrachteten sich weiterhin als legitime Provisorische Regierung. Da die Freiburger Bevölkerung keine Lust auf eine Fortsetzung der Revolution hatte, zogen sie sich mit der Revolutionsarmee, die fast nur noch aus Freischärlern unter Sigel und Becker bestand, über den Schwarzwald Richtung Bodensee zurück. Die Illusion, von dort aus 1105 A. Goegg: Nachträgliche authentische Aufschlüsse (wie Anm. 995) 129. 1106 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 964) 318f. 1107 Ausführlich dazu Bauer, Sonja-Maria: Lorenz Brentano: Vom Advokaten und Revolutionär in Baden zum Journalisten und Politiker in den USA; Eine biographische Skizze. – In: Baden 1848/49: Bewältigung und Nachwirkung einer Revolution / hrsg. von Clemens Rehm [u. a.]. – Stuttgart 2002. – (Oberrheinische Studien; 20) 217–237, hier 218ff.

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weiterhin Widerstand leisten zu können, zerbrachen die anrückenden Reichstruppen. Zwischen dem 10. und 12. Juli gingen die letzten badischen Führer des Aufstands zusammen mit den Resten der Armee über die Schweizer Grenze.1108 In den Kämpfen hatte Preußen etwas über 100 Soldaten verloren, die Reichsarmee rund 50 und die Revolutionäre mehr als das Zehnfache. Die materiellen Schäden, vor allem im Norden Badens waren beträchtlich. Die Gesellschaft war tief gespalten, da politische Gegnerschaft während des Aufstands oft in Feindschaft umgeschlagen war. Dazu hatte das Land die Kosten für den preußischen Militäreinsatz und für die Besatzung, die bis November 1850 dauerte, zu zahlen. Allein für die Bundeshilfe waren 1,5 Millionen Taler zu berappen.1109 Am 19. Juni hatte der Kronprinz noch von der Pfalz aus und am 23. das großherzogliche Ministerium das Kriegsrecht über das Großherzogtum verhängt. Dies war Voraussetzung für die nun einsetzende juristische Aufarbeitung. Die Standgerichte mit badischen Staatsanwälten und Verteidigern waren mit preußischen Richtern besetzt, die allerdings nach Landesrecht urteilten. Entgegen einer allgemeinen Ansicht war dies nicht im Sinne der preußischen Regierung. Sie erkannte die rechtliche und politische Problematik einer solchen Zusammensetzung durchaus. Man sah sich aber gezwungen, die Aufgabe zu übernehmen, da keine zuverlässigen einheimischen Kriegsrichter zur Verfügung standen.1110 Dafür wurden die kriegs- wie zivilgerichtlichen Verfahren Baden übertragen. Gegen die mehrere 1000 Angeklagten wurden über 70 Todesurteile (einschließlich der gegen die Abwesenden) gefällt und fast nur an Soldaten vollstreckt; dazu wurden hohe Zuchthausstrafen verhängt.1111 Da die politischen und militärischen Führer geflohen waren, traf es nur die mittleren und unteren Ränge. Das hat verbittert und manche Standgerichtsurteile gegen nur am Rande Beteiligte wurden als willkürlich empfunden. Die bald einsetzende Amnestierung diente nicht zuletzt der Absicherung der Reaktionspolitik und des Neuaufbaus der Loyalität zum Herrscherhaus. Es wurden nicht nur Strafen abgemildert oder erlassen, sondern desgelichen unzählige Bagatellfälle niedergeschlagen. Nach dem Tod von Großherzog Leopold wurde 1852 eine Generalamnestie erlassen, unter die auch die geflohenen Rädelsführer fielen. Insgesamt war die badische Justiz 13 Jahre lang mit der Aufarbeitung der Revolution beschäftigt. 1108 1109 1110 1111

W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 371ff. Ebenda 381f. Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 115f.; 135f.; 143f.; 164f. Raab, Heinrich: Todesurteile der Kriegsgerichte in Baden nach der Revolution 1848/49. – In: Baden 1848/49 (wie Anm. 1107) 133–158, hier 136ff.

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Mit der Ernennung des ehemaligen preußischen Beamten Friedrich Adolf Klüber zum Präsidenten des badischen Staatsministeriums, Außenminister und Minister des großherzoglichen Hauses war die Regierung dem Wunsch des Siegers gemäß umgebaut worden.1112 Noch nachdrücklicher bestand er auf der Auflösung der großherzoglichen Armee und deren Neuaufbau nach seinen Vorstellungen.1113 Wie in der Pfalz so erfolgten auch hier kaum Anklagen gegen die festangestellten Staatsdiener und wie dort waren unter diesen die Volksschullehrer besonders aufsässig gewesen. Unter dem Belagerungszustand, der bis 1852 dauerte, blieb die Verfassung wie der Landtag unangetastet; dessen politischer Charakter verschob sich allerdings hin zum Konservativen durch Mandatsverzicht und Nach- wie Neuwahlen. Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit wurden erneut eingeschränkt, politische Vereine verboten. Die Bürgerwehren wurden aufgelöst, der Eid auf die Verfassung gestrichen, die Gemeinde- wie die Justizreform teilweise zurückgenommen, nicht aber die Agrarreformen.1114 Auf dem Weg zum Aufstand waren die Gemeindeversammlungen, die Tradition der Volksversammlungen und das Vereinswesen, das sich daraus nach dem Ausbruch der Märzrevolution rasch und umfangreich bildete, fördernde Vorbedingungen. Die revolutionäre Bewegung unterschied sich von allen anderen in zweierlei Hinsicht: die Mehrheit der Bevölkerung stand hinter der Povisorischen Regierung und diese konnte sofort auf staatliche Gelder zugreifen und über einen eingespielten Regierungs- und Verwaltungsapparat verfügen. Dieser war nur noch mithilfe von Kommissaren politisch auszurichten. Und nicht zuletzt stand der badischen Provisorischen Regierung sogar ein beträchtlicher Teil einer professionellen Armee zur Verfügung. Das erklärt die Durchschlagskraft des badischen Aufstands, deswegen wurde er zur größten Gefahr für die fürstlichen Gewalten. Hier war mit der „Provisorischen Regierung mit dictatorischer Gewalt“ eine dem Wohlfahrtsausschuss der Französischen Revolution ähnliche Institution eingesetzt worden. Allerdings fehlte der Verfassunggebenden Versammlung die politische Potenz, um diese Einrichtung wie der Konvent zu handhaben. Die badische Rebellion war keine aus materieller Not. Sie war in zweierlei Hinsicht politisch motiviert: es ging um die Durchsetzung der Reichsverfassung und den Umbau des Landes nach den Vorstellungen der Aufständischen. Sie wurde getragen von den etablierten Schichten, den liberalen Hausvätern 1112 Vgl. den Generalbericht K. F. von Savignys, 30.6.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 82ff. 1113 Prinz Wilhelm an Klüber, 5.7.1849: ebenda 100f. 1114 W. v. Hippel: Revolution im deutschen Südwesten (wie Anm. 510) 187ff.

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und den respektierten Honoratioren. Diese wurden freilich immer auch getrieben von radikalen Elementen aus den eigenen Reihen, deren Vorstellungen sozial und politisch über ihre hinausgingen. Sie haben sich in das von Anfang an aussichtslose militärische Abenteuer hineinreißen lassen. Zum einen schätzten sie die Bereitschaft zur Revolution in den Nachbarländern falsch ein und zum andern wurden sie durch das Eingreifen Preußens vor die Alternative Kampf oder Kapitulation gestellt. Die Aufständischen wurden zunächst durch den kollektiven Enthusiasmus des Aufbruchs getragen. Doch mussten sie wie so viele andere die Erfahrung machen, dass gerade die revolutionäre Stimmung außerordentlich schwankend ist. Schon als die ersten Belastungen des „Freiheitskampfes“ spürbar wurden, sank sie und am Schluss wurde sie sogar feindlich. Das Scheitern des badischen republikanischen Experiments und die Härte, mit der die Sieger durchgegriffen haben, haben die Idee eines bürgerlichen Republikanismus nicht nur in Baden, sondern in Deutschland auf Dauer diskreditiert. Die Bewältigung der badischen Revolution ging bruchlos in die Rivalität zwischen Berlin und der von diesem nicht mehr anerkannten Zentralgewalt über. Der Großherzog, der an der Seite des Prinzen Wilhelm am 18. August in großer Inszenierung seine Rückkehr feierte, musste in den nächsten Monaten die preußische Deutschland- und Verfassungspolitik unterstützen und durfte keinen neuen Bevollmächtigten nach Frankfurt schicken.1115 Österreich hat trotz seiner Bedrängnis durch die heranrückenden Ungarn auf Wien und die andauernden Unruhen im Veneto1116 mehr als die Reichsgewalt dagegen gearbeitet, dass Preußen politisches Kapital in Süddeutschland aus seinem Sieg schlagen konnte. Auf die Dauer sogar mit Erfolg, da ihm die Furcht vor der preußischen Übermacht entgegenkam.1117 Mit dem badischen Feldzug endete abrupt das ungeregelte Einvernehmen zwischen der Reichsgewalt und Preußen. Zunächst verweigerte dieses jener die weitere Verfügung über die Bundesfestung Rastatt; darüber wollte es allein noch mit den Bundesfürsten verhandeln.1118 Danach veranlasste es die badische Regierung, auf den Abzug der Reichstruppen aus dem Land hinzuarbeiten.1119 Diese wurden dann auch Mitte August aufgelöst, weil sie politisch nur noch

1115 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 535. 1116 K. Ruppert: Ungarns Kampf (wie Anm. 497) 457f. und K. Ruppert: Italien (wie Anm. 517) 321ff. 1117 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 543 kommentiert: „Das ist die Rache der erschossenen Revolutionäre“. 1118 Promemoria Savignys, 26.7.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 197ff. 1119 Bad. Ministerium an GRM, 22. 7. 1849: Beilage B von GRM, 25.,26.7.1849: BA, DB 52/13.

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schwer zusammenzuhalten waren.1120 Schließlich hat Preußen Ende Juli zwei Bataillone in Frankfurt stationiert und zeitweise hat sich auch der Kronprinz dort niedergelassen, vermutlich, um dem zur Kur weilenden Reichsverweser die Lust zur Rückkehr zu nehmen. Die Stadt hat vergeblich gegen diese rechtswidrige Besetzung protestiert; im Gegenzug hat sie es abgelehnt, dem Dreikönigsbündnis beizutreten.1121 13.

Resignation und Neubeginn

Mit der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König war nicht nur der Traum der deutschen Liberalen auf Einheit und Freiheit geplatzt, sondern auch der des Reichsverwesers, seine Mission jetzt beenden zu können, indem ihn eine neue Reichsgewalt ablöste. Dennoch hat er am 28. März 1849 seinen Entschluss verkündet, sein Amt aufzugeben. Er wollte dies aber nur einer rechtmäßig zustande gekommenen Einrichtung anvertrauen, und zwar dann, wenn dies ohne Nachteil für das öffentliche Wohl Deutschlands geschehen könne.1122 Dass er dennoch so lange in seinem Amt blieb, hatte neben dem Gang der Entwicklung auch darin seinen Grund, dass eine solche Lösung nicht gefunden wurde.1123 Nachdem der „unmittelbare Übergang der Befugnisse des Reichsverwesers an die definitive Gewalt“ aufgrund des Scheiterns der Reichsverfassung sich nicht mehr umsetzen ließ, war daran gedacht worden, die „rechtmäßige Einrichtung“ durch eine Vereinbarung der Regierungen mit der Nationalversammlung zu schaffen. Nach deren Zerfall zerstob diese Möglichkeit ebenso wie die Hoffnung Johanns auf eine Initiative der Fürsten, die dazu keine Anstalten machten. Die resignative Stimmung, in der der Reichsverweser immer wieder Rücktrittsabsichten äußerte, hielt bis zum Frühsommer an.1124 Sie war ausgelöst worden durch eine schwere Krankheit, vermutlich die Ruhr, deren Auswirkungen ihm körperlich wie mental auch nach ihrer Überwindung lange zusetzten. Da sie ihn nach eigener Ansicht beinahe das Leben gekostet hätte, glaubte er nun die Pflicht zu haben, sich mit Rücksicht auf Frau und Kind nicht weiter zu 1120 GRM, 20.8.1849: BA, DB 52/13. 1121 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 158f. 1122 Vertrauliche Denkschrift GRM, 17.6.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 190f. 1123 Ebenda 190. 1124 „Was ich gelitten habe und noch leide, läßt sich nicht beschreiben, welche Demüthigungen aller Art – ich soll den Kelch bis zum letzten Tropfen austrinken“: RV an Schmerling, 14.6.1849: HHStA, NL Bienerth-Schmerling, Kt. 4, Fasz. 15/1.

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ruinieren.1125 Sein Gefühl, in den letzten Monaten „von allen Seiten im Stich gelassen“1126 worden zu sein, verstärkte sich, als Schmerling, einer seiner wenigen Vertrauten Ende April seinen Posten als österreichischer Bevollmächtigter aufgab. Trost war ihm, „ein Ministerium aus ehrlichen Leuten bestehend“ zur Seite zu haben, und Zuversicht gab ihm allein noch das Ansehen, das dieses und er selbst genossen.1127 Es verletzte sein hocharistokratisches Ehrgefühl, wie Preußen den Krieg gegen und die Waffenstillstandsverhandlungen mit Dänemark ohne Rücksicht auf das Reichsministerium an sich riss genauso wie es seine Deutschlandpolitik am Bundesrecht vorbei verfolgte. Daher fürchtete er von diesem Königreich in verletzender Form verdrängt zu werden, wenn es ihm nicht gelänge, rasch und ordnungsgemäß seine Gewalt den deutschen Regierungen zurückzugeben.1128 Dem Rivalen prophezeite er, dass er nie die moralische Kraft der Zentralgewalt, die an ihm hänge, erringen, sondern vielmehr blutigen Widerstand provozieren werde. Spätestens dann wird er „des alten Reichsverwesers zu gedenken gezwungen seyn“.1129 Er fürchtete bei einem unrühmlichen Abgang einen Ansehensverlust für sich selbst wie für Österreich, „moralisch dienstunfähig“ zu werden, so wie er es“ beinahe physisch“ schon war.1130 Deswegen lehnte er es genauso ab, vor der Anarchie aus dem unruhigen RheinMain-Gebiet in die Festung Mainz zu fliehen, wie ihm manche empfahlen. Er vertraute darauf, dass er sich nichts vorzuwerfen habe und stets alles, was in seinen Kräften stand, getan zu haben. Auch diesmal werde wieder sein Ansehen wie das Vertrauen, das man ihm entgegenbrachte, die fehlende Macht kompensieren. Dennoch blieb die bittere Einsicht, dass er trotz redlichen Willens damit gescheitert war, „das Werk einer friedlichen Vermittlung zustande zu bringen“.1131 Er war „tief betrübt“ über das zerrissene Deutschland.1132 Ein Land, in dem sich nicht nur Gegner und Anhänger der Frankfurter Reichsverfassung 1125 Ehg. Johann an Gf. Prokesch-Osten, 30.4.1849: Bfw. Ehg. Johann mit Gf. von ProkeschOsten (wie Anm. 71) 228. 1126 Ehg. Johann an Prokesch, 30.4.1849: Aus den Briefen des Grafen Prokesch von Osten (1849–1855) / hrsg. von Anton Graf von Prokesch. – Wien 1896, 37ff. 1127 RV an Schmerling, 14.6.1849 (wie Anm. 1124). 1128 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 175. 1129 RV an Schmerling, 14.6.1849 (wie Anm. 1124). 1130 Ehg. Johann an Prokesch, 3.5.1849: Bf. Gf. Prokesch von Osten / A. von Prokesch (wie Anm. 1126) 39f. 1131 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 176. 1132 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: ebenda 176.

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mit Waffen bekämpften, sondern das jetzt auch in der Gefahr stand, in ein nördliches unter preußischer Führung und ein südliches unter der Österreichs zu zerfallen.1133 Denn zu keinem anderen Ergebnis würden die deutschlandpolitischen Initiativen Preußens führen. Es würde dabei sein Ansehen ruinieren, da es zu sehr auf Gewalt setze und Rechtssinn und Selbstgefühl des Volkes missachte.1134 Ministerpräsident Schwarzenberg verfolgte seit seinem Amtsantritt die Linie, den Führungsanspruch des Kaisertums in Deutschland wachzuhalten, ohne ihn ins Spiel zu bringen, so lange es mit Aufständen zu kämpfen hatte.1135 Ihm gelang es, nicht zuletzt mit Berufung auf Johanns „kaiserlichen Herrn“, den Reichsverweser davon zu überzeugen, dass er durch das „Opfer“ des „Ausharrens Österreich und der guten Sache“ einen wichtigen Dienst leisten werde. Er versuchte ihm einzureden, dass die Verhältnisse sich günstiger gestalten würden, da ihm nun ein gesinnungstüchtiges und energisches Reichsministerium zur Seite stehe. Um die „große und so ruhmvolle Aufgabe bis zu Ende“ durchzuführen, versprach er „materielle Unterstützung“ von Österreich und Bayern, worunter wohl militärische, aber vor allem finanzielle zu verstehen war.1136 Zugleich ließ er durchblicken, dass über die nachfolgende Zentralgewalt nicht, wie Johann immer annahm, die deutschen Regierungen entscheiden würden, sondern dass diese in einer von Preußen und Österreich gestellten Bundeskommission bestehen werde.1137 Obwohl es von Erzherzog Johann in diesem Zusammenhang niemals angeführt wurde, dürfte für seine Absicht zu resignieren, auch seine persönliche finanzielle Lage wie die der Zentralgewalt ein Motiv gewesen sein. Als Beweis für die oft betonte Redlichkeit seines Bemühens hätte er anführen können, dass er einen nicht unerheblichen Teil der Kosten seiner Mission selbst trug. Dazu sah er sich jetzt aber nicht mehr in der Lage, da seine Besitzungen in der Steiermark im Jahr 1848 nichts und „in diesem kaum ein paar 1000 Gulden“1138 1133 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 4.6.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 177. 1134 So MP M. Grävell an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 23.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 74. 1135 Hildebrandt, Gunther: Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800–1852): Ein weitsichtiger Vertreter des konservativen Lagers in Österreich. – In: Akteure eines Umbruchs: Männer und Frauen der Revolution von 1848/49. – Bd. 2 / hrsg. von Helmut Bleiber [u. a.]. – Berlin 2003, 741–786, hier 769. 1136 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 1.6.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 181f. 1137 Ebenda. 1138 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 5.8.1849: ebenda 204f.

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abwarfen. Die Ländereien,1139 die ihm zuvor im Jahresdurchschnitt  12.000 Gulden und sein Engagement im Bergbau, das sogar 30.000 eingetragen hatte, mussten nun mit einer Anleihe gestützt werden. Johann vergaß nicht darauf hinzuweisen, dass die Zerrüttung seiner materiellen Lage auch darauf zurückzuführen sei, dass er nicht selbst vor Ort sei. Er verschwieg aber, dass er 1848 während eines Konjunkturabschwungs den Schritt ins Unternehmertum gewagt hatte, indem er ein Hammerwerk und ein Blechwalzwerk erwarb.1140 Möglich, dass die Anleihe vor allen Dingen dafür notwendig war. Als er nach Frankfurt aufgebrochen sei, habe ihm der Hof „Pferde und Wagen sowie die dazugehörigen Leute“ bewilligt, sämtliche Reisekosten übernommen und aus dem Familienfonds eine vierteljährliche Zuwendung über 7.500 Gulden genehmigt; „der Staat gab nichts“. Damit und aus seiner Apanage hatte er seinen Haushalt in Frankfurt zu unterhalten, die Repräsentation und manche „Ansprüche“, die an ihn herangetragen wurden, zu bestreiten – und nicht zuletzt seinen Fuhrpark, den er, wie er nicht unterließ zu unterstreichen, von zwölf aus sechs Equipagen reduziert hatte.1141 Da die Ausgaben sich im Monat auf etwa 7.000 Gulden belaufen würden, verlangte er jetzt vom Staat einen vierteljährlichen Zuschuss über 14.000 Gulden, mit dem er glaubte, „knapp auskommen“ zu können. Von dieser Bilanz nicht unbeeindruckt, ließ sich der österreichische Ministerrat Mitte August dazu bewegen, dem Erzherzog für das nächste Quartal die gewünschte Summe anzuweisen, da er sein Verbleiben für von „höchster Wichtigkeit“ erachtete.1142 Doch nicht nur die finanzielle Lage des Erzherzogs, sondern auch die der Zentralgewalt war in den letzten Monaten ihres Bestehens immer prekärer geworden. Der nicht unerhebliche Beitrag Preußens entfiel, seit es Frankfurt seine Anerkennung entzogen hatte.1143 Regierungen, die dessen Plänen eines engeren Bundes zuneigten, nahmen dies gerne zum Vorwand, um sich ihren finanziellen und militärischen Verpflichtungen zu entziehen.1144 Der Reichsfinanzminister schickte Anfang Oktober einen Sondergesandten an mehrere

1139 Einen Überblick über die zahlreichen Häuser, Güter, Schlösser, Wohnungen, Bergwerke und Unternehmen des Ehg. innner- wie außerhalb der Steiermark gibt Hammer-Luza, Elke: „Es lässt sich nicht bald etwas Schöneres finden.“: Die Besitzungen von Erzherzog Johann in und außerhalb der Steiermark. – In: Erzherzog Johann Mensch und Mythos (wie Anm. 47) 55–68, hier 55ff. 1140 F. Mittermüller: Steierisches Montanwesen (wie Anm. 55) 139. 1141 Öst. MR, 13.8.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 578f. 1142 Öst. MR, 14.8.1849: ebenda 586. 1143 GRM, 15.6.1849: BA, DB 52/11. 1144 GRM, 12.6.1849: BA, DB 52/11. Bl. A u. B zu GRM, 1.7.1849: BA, DB 52/12.

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deutsche Höfe, um dem vorzubeugen.1145 Auch Wien sprang gelegentlich, wenn auch widerwillig, ein.1146 Unabhängig von dem Willen Schwarzenbergs waren durch die ausgebrochenen Aufstände und die Initiative Preußens in der Deutschlandpolitik Zwänge geschaffen worden, die Johann auf seinem Posten hielten. Durch seinen Einsatz für die Bildung der Regierung Wittgenstein hatte er uneingestanden zum Ausdruck gebracht, dass ihm das nicht verborgen geblieben war. Damit war dem Ministerium ein politischer Auftrag gestellt. Für den Erzherzog war dies aber ebenfalls ein moralisches Anliegen, denn in seinem Herrschaftsverständnis war die Bekämpfung der Anarchie ein hoher Wert. Reichsverweser und Ministerium waren sich desgleichen darin einig, dass die Behauptung des Amtes nicht eine Frage der Macht oder der augenblicklichen Zweckmäßigkeit sei, sondern eine solche des „Daseins der letzten den Begriff und Umfang des Bundes bewahrenden Autorität“.1147 Erst danach kam das Motiv, die Situation offen zu halten, bis Österreich seine Interessen in Deutschland wieder wahrnehmen könne. Die Spannungen zwischen Schwarzenberg und dem Erzherzog resultierten nicht zuletzt daraus, dass dieser nicht allein und vorrangig als Instrument Österreichs handelte. Als viertes Motiv kam mit der deutschlandpolitischen Initiative Preußens hinzu, zu verhindern, dass sich die Gegensätze zwischen den Parteiungen unter den Bundesstaaten entladen würden. Schließlich wurde ein Kompromiss zwischen Pflicht und Neigung darin gefunden, dass Johann Ende Juni nach Gastein, schon mal auf dem Weg in seine ersehnte Heimat gelegen, aufbrach. Er hoffte, dass während seines mehrwöchigen Kuraufenthalts in seinem 1830 bezogenen Haus mit Thermalwasserleitung1148 Frieden mit Sardinien-Piemont geschlossen, Venedig erobert und Ungarn besiegt werden würde.1149 Obwohl er darauf spekulierte, von dort gleich nach Hause reisen zu können, behielt er Wohnung und Büro in Frankfurt, 1145 Bl. C zu GRM, 8.10.1849: BA, DB 52/14. 1146 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 24.11.1849: Ehg. Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 233f. GRM, 13.12.1849: BA, DB 52/16. 1147 Vertrauliche Denkschrift GRM, 17.6.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 191. Detmold schrieb am 17. Juni an Stüve, dass das Zerreißen dieses einen dünnen Bandes, das noch von ganz Deutschland anerkannt wird, das allein die deutsche Einheit repräsentiert, ein Unglück wäre, das verhindert werden müsse. „Doch haben wir mit dem Erzherzog einen alten und sehr von Launen beherrschten Herren, so dass der Faden sehr leicht plötzlich abreißen kann.“: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 230. 1148 Ehg. Johann an J. Zahlbruckner, 8.7.1849: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H. 2, 292. Beschreibung mit Abbildung: E. Hammer-Luza: Besitzungen (wie Anm. 1139) 65f. 1149 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 26.6.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 187.

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um Preußen von Schritten gegen die Zentralgewalt abzuhalten. Die Aussicht, dort in Zukunft nur als „Hemmschuh“ zu dienen, „damit nicht Preußen sich an die Spitze stelle“, erschien ihm wenig verlockend.1150 Da er auch während der Kur seinen Pflichten nachkommen wollte, hatte er die Absicht, Innenminister Detmold mitzunehmen. Dagegen sträubte sich freilich das Reichsministerium, das auf den politisch versierten Mehrfachminister nicht verzichten wollte.1151 Jochmus, den Einzigen, den seine Kollegen glaubten entbehren zu können, lehnte er ab, da er ihm nicht zutraute, den Geschäftsverkehr führen zu können!1152 Schließlich aber musste er sich mit ihm abfinden und sein Kollege Detmold, der allerdings mit despektierlichen Urteilen über andere nie zimperlich gewesen ist, war froh, den „Strohkopf“ los zu sein.1153 Wittgenstein wurden die auswärtigen Angelegenheiten vorläufig übertragen, Merck die Leitung der Marine.1154 14.

Die preußische Herausforderung

Dem Reichsverweser war klar, dass das Königreich Preußen die einzige Macht war, die die Ordnung wiederherstellen konnte, seit in Deutschland nach der Ablehnung der Reichsverfassung durch Preußen und die Königreiche Aufstände und Unruhen ausgebrochen waren. Durch seine dauernden Klagen über die Machtlosigkeit seiner Stellung und seine nicht weniger häufigen Äußerungen, dass er sein Amt so schnell wie möglich niederlegen möchte, wurde Friedrich Wilhelm IV. dazu ermuntert, aus dem bisherigen militärischen Einsatz Preußens für die deutsche Sache gegen Dänemark und den bevorstehenden gegen die Anarchie politisches Kapital zu schlagen. Schon seit Anfang April 1849 strebte er danach, von dem amtsmüden Erzherzog die Reichsverweserschaft zu übernehmen, um sie nach seinen Verfassungsfantasien als Erzfeldherr des Bundes auszufüllen.1155 Dem Kabinett und seinem deutschlandpolitischen Beauftragten Josef Maria von Radowitz, 1150 Ehg. Johann an Zahlbruckner, 22.7.1849: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H. 2, 93. 1151 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 146. 1152 Am 5.8.1849 schrieb er an Schwarzenberg: „Jochmus ist allerdings ein ehrenwerter Charakter, allein zur Führung diplomatischer Geschäfte gehört mehr“: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 202ff. 1153 Sein mit Spott nicht geizender Kollege Detmold erhoffte sich von der Abwesenheit des „Strohkopfes“ sogar einen einfacheren und leichteren Gang der Arbeit; so an Stüve, 4.7.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 244. 1154 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 146. 1155 Steinhoff, Peter: Preußen und die deutsche Frage 1848–1850. – Berlin 1999, 203.

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die Vorbehalte dagegen hatten, gelang es, die Absichten des Königs umzubiegen.1156 Daraufhin forderte Friedrich Wilhelm in einem Brief vom 18. Mai die „kaiserliche Hoheit“ fast brüsk auf, die „Reichsgewalt (aus der Sie sich heraussehnen) in meine Hände zu resignieren.“1157 Denn aus der einzigen damals bestehenden legitimen nationalen Institution heraus, sollte Deutschland unter der Führung seines Königreichs geeinigt, die Verfassung des Reiches in seinem Sinne umgestaltet und zugleich Österreich aus ihm verdrängt werden.1158 Nachdem der Reichsverweser Anfang April sein Mandat der Nationalversammlung zurückgegeben hatte, sah er sich ihr gegenüber weder rechtlich noch moralisch in der Pflicht, obwohl er diesen Schritt unter Vorbehalten wieder zurückgenommen hatte. Es war zu erwarten, dass das unklare Verhältnis eines provisorischen Reichsverwesers1159 einer Provisorischen Zentralgewalt mit der abzusehenden Selbstauflösung des Parlaments bereinigt werden würde. Johann glaubte sich zum Zeitpunkt der preußischen Zumutung also nur noch durch das Mandat der deutschen Fürsten legitimiert. Der Reichsverweser und sein Ministerium ignorierten dabei aber, dass mit der Auflösung der Nationalversammlung die ursprüngliche Grundlage ihrer Wirksamkeit als vollziehende Gewalt entfallen war und die Bundesversammlung mit ihrem Beschluss vom 12. Juli 1848 bloß nachgezogen war. Daher hielt er gegenüber Friedrich Wilhelm IV. daran fest, dass er sein Mandat nur jenen zurückgeben werde, „von welchen ich dasselbe erhielt; dies sind die gesamten Regierungen Deutschlands“….„folglich nicht einer Regierung allein“.1160 Es ist Johann abzunehmen, dass dies für ihn eine Frage der Moral und der Ehre eines Agnaten des Erzhauses Österreich war.1161 Dennoch tat er damit genau das, was sein Mentor Schwarzenberg anstrebte, nämlich die deutschlandpolitischen Ziele Preußens zu konterkarieren. Friedrich Wilhelm hat überraschend schnell und widerstandslos darauf verzichtet, den Erzherzog zu beerben.1162 Dabei dürfte mitgespielt haben, dass nicht nur der Kaiser, sondern auch der Zar diese Idee verwarfen.1163 Von größerem Gewicht aber dürfte gewesen sein, dass seine Regierung inzwischen 1156 P. Steinhoff, Preußen und die deutsche Frage (wie Anm. 1155) 240. 1157 Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 18.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 170. 1158 Vgl. auch noch Pr. Staatsmin., 12.,13.,18.,5.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) 92ff. 1159 So Ehg. Johann an Gf. Prokesch-Osten, 11.5.1849: Bfw. Ehg. Johann mit Gf. von ProkeschOsten (wie Anm. 71) 233. 1160 Ehg. Johann an Friedrich Wilhelm IV., 22.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 171. 1161 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: ebenda 175. 1162 Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 28.5.1849: ebenda 180. 1163 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: ebenda 175.

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entschlossen war, die deutschlandpolitische Stagnation, in die Preußen nach der Ablehnung der Kaiserkrone geraten war, durch eine eigene Initiative zu überwinden. Unter der Signatur der „Union“ trat die Deutschlandpolitik Berlins während der Revolution in ihre letzte Phase. Wie ihre Vorläufer, so war auch diese voller Widersprüche. Sie wollte preußische Tradition mit deutschem Nationalismus, Vorherrschaft mit Föderalismus, Konstitutionalismus mit dem monarchischen Prinzip sowie den Vorrang der Fürsten mit Parlamentarismus vereinbaren. Sie stieß auf eine Abwehrfront unterschiedlicher Intensität und disparater Zusammensetzung von Österreich über die Zentralgewalt und der Bundesstaaten bis hin zu Linksliberalen wie der gesamten Linken. In Preußen sahen selbst ihre Befürworter in ihr mehr eine Herausforderung als eine Chance, wurde sie vom Ministerium Brandenburg nur halbherzig betrieben und von den Konservativen vehement bekämpft. Über allem ein schwankender König, der sich immer wieder zwischen seinen Träumen und den Realitäten verfing. Der romantische Nationalist Friedrich Wilhelm verfolgte ein Projekt als ideologische Alternative zu Revolution und Volkssouveränität. Es war insofern modern, als die deutsche Einheit auf der Grundlage einer Verfassung geschaffen werden sollte, die aber mehr der des Alten Reiches als den konstitutionellen der Gegenwart glich. „Der Kayser v. Österreich nimmt die Römische Kayserwürde wieder an. Teutschlands Haupt wird das unbestritten höchste Haupt der Christenheit wieder.“ Preußen sollte das Amt des „Erzfeldherrn des Reichs“… „als Lehn aus des Kaysers Hand bei dessen Krönung nach geleistetem Eide der Lehnstreue“ erhalten und über 14 „Reichs Herzogthümer“ gebieten. Der Staatsrat an der Seite des Kaisers sollte aus den souveränen Fürsten, aus den mediatisierten Fürsten und Grafen und vier freien Reichsstädten bestehen. Vielleicht auch noch aus Männern der Ersten Kammern der Bundesstaaten, aber nur wenn diese wirklich „Oberhäupter“ seien. Eine Vertretung des Volkes war nicht vorgesehen.1164 Ganz andere Vorstellungen verbanden aber diejenigen, die in der Nationalversammlung mit Preußen das neue Deutschland gründen wollten mit dem mehrmals geäußerten Versprechen, dass es in Deutschland aufgehen solle. Sie glaubten für ein erbliches Kaisertum der Hohenzollern die Auflösung von deren Staat verlangen zu können. Vermutlich hat Heinrich von Gagern dem preußischen König bei seinem Besuch am Hof Ende November  1848 1164 Kg. Friedrich Wilhelm IV. an Radowitz, 13.6.1848: Joseph von Radowitz: Reden und Betrachtungen: Nachgelassene Briefe und Aufzeichnungen zur Geschichte der Jahre 1848–1853 / hrsg. von Walter Möring. – Stuttgart, Berlin 1922. – (Gesammelte Schriften 2 = Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts; 11) 54.

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unumwunden klargemacht, dass dafür auf eine eigene Verfassung, ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung verzichtet werden müsse und das Königreich nur noch mit seinen Provinzen in der Staatenkammer vertreten sein würde.1165 Das waren wenig verlockende Aussichten, wenn Gagern wirklich den König damals zur Übernahme der Kaiserkrone bewegen wollte. Selbst die Mahnung, dass andernfalls die Republik drohe, brachte Friedrich Wilhelm nicht davon ab, sich an die Spitze Deutschlands nur mit und durch die Fürsten zu stellen.1166 Das neue Ministerium Brandenburg hat seinen politischen Kurswechsel mit der Oktroyierung einer Verfassung1167 nur wenige Tage später eingeleitet. Deren Zweck war unter anderem Plänen zur Auflösung der preußischen Staatlichkeit ein unüberwindliches Hindernis in den Weg zu legen, indem sie in der zeitgemäßen konstitutionellen Form gesichert wurde. Zugleich gewährte sie dem Ministerium eine stärkere Position gegenüber dem Monarchen. Da sie recht liberal war und ihre Revision ausdrücklich vorgesehen war, waren die Brücken nach Frankfurt auch nach dem 5. Dezember 1848 noch nicht abgebrochen. Doch die preußische Staatlichkeit stand seitdem nicht mehr zur Disposition.1168 Das Kaiserreich Österreich zog nach, indem es durch die oktroyierte Verfassung vom 4. März 18491169 die Unteilbarkeit des Gesamtstaates festlegte. Nachdem sich Preußen von ihm ab und Frankfurt zugewandt hatte, schien die sich daraus jetzt ergebende kleindeutsche Option die vielversprechendste, bis Friedrich Wilhelm einem Kaisertum nach den Vorstellungen der Nationalversammlung eine Absage erteilte. Am Potsdamer Hof waren sich alle Kräfte darüber im Klaren, dass man nun selbst die Führung übernehmen musste, sollte die nach wie vor virulente Frage der Neuordnung Deutschlands nicht gegen Preußen oder an ihm vorbei gelöst werden. Auf diesen Kompromiss einigten sich das Staatsministerium, das für eine bedingte Annahme von Krone und Verfassung eintrat, und der König, der die Verwerfung bevorzugte, nach einem heftigen Streit.1170 Noch am Tag der Zurückweisung des Angebots des Frankfurter Parlaments verkündete Friedrich Wilhelm am 3. April seine Absicht, „an die Spitze eines 1165 So die These in Meinecke, Friedrich: Weltbürgertum und Nationalstaat / hrsg. von Hans Herzfeld. – Darmstadt 1969, 342ff. 1166 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 30) 282. 1167 Verfassungsurkunde für den pr. Staat, 5.12.1848: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 163. 1168 F. Meinecke: Nationalstaat (wie Anm. 1165) 349ff. 1169 Kaiserliches Patent vom 4.3.1849, die Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich enthaltend: Quellen zur europ. VG III (wie Anm. 111) 11.5.2.3. 1170 Kronrat, 2. 4., Pr. Staatsmin. 3., 6.,10.4.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) 82ff.

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deutschen Bundesstaates zu treten, der aus denjenigen Staaten sich bildet, welche demselben aus freiem Willen sich anschließen möchten“.1171 Die Rückgabe des Mandats an die Nationalversammlung Ende März durch den Reichsverweser – ob irrtümlich oder nicht – als „Erklärung der Resignation“ interpretierend,1172 schien dem preußischen König „nach schwersten Kämpfen zwischen Neigung und Vernunft“1173 der beste Weg dahin zu sein, dass er von den deutschen Souveränen einstimmig „an die Stelle des Erzherzogs Johann“ gewählt werde.1174 Da er der „Kommissär der Souveräne Teutschlands“ und nicht wie der Erzherzog der „Kommissär der Paulskirche“ sein wollte, wollte er den Titel des „Reichsverwesers“ durch den eines „Statthalters“ ersetzt wissen. Dieser sollte von Berlin aus mit dem preußischen Kabinett auch die deutschen Angelegenheiten regeln. Es kam schon einem diplomatischen Affront nahe, wenn Friedrich Wilhelm Österreichs Zustimmung „zu diesem provisorischen Amte“ forderte mit der Begründung, dass es keine Bedenken gehabt habe, dem Erzherzog dieses Amt zu übertragen „nach der Souveränen!!! Wahl jener herrschaftstrunkenen Versammlung.“ Mit Österreich wollte er die definitive Gestaltung des Staatenbundes aushandeln. Denn mit ihm glaubte er sich einig zu sein, dass dessen Verfassung eine „wesentlich andere Gestalt“ als die Frankfurter haben müsse. Preußen trat also in dem Augenblick, in dem es die angetragene Führungsgewalt der Nationalversammlung provokativ zurückgewiesen hatte, mit einem neuen Führungsanspruch auf.1175 Erwartungsgemäß war Österreich nicht bereit, selbst einen zeitweiligen Vorrang Preußens in Deutschland hinzunehmen. Die Wiener Regierung gab, ohne auf den Unions-Gedanken überhaupt einzugehen, Berlin zu verstehen, dass sie den Erzherzog durch den Kaiser habe auffordern lassen, sein Amt weiter auszuüben, und dass sich das Kaiserreich „der von einem anderen deutschen

1171 ZD des Pr. Außenmin. an die Gesandtschaften bei den dt. Reg., 3.4.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 109. 1172 Im Brief an Kg. August von Hannover (a. a. O.) behauptete Friedrich Wilhelm sogar, dass der Reichsverweser ihn über seinen Flügeladjutanten habe wissen lassen, dass er nur solange in seinem Amte verbleibe, wie es Friedrich Wilhelm für nötig halte. Der wirkliche Legationsrat Kamptz hat dem Außenministerium am 25.5.1849 mitgeteilt, dass der Reichsverweser sich ihm gegenüber dafür ausgesprochen habe, dass seine Stellung auf Friedrich Wilhelm übergehe: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 68ff. 1173 Friedrich Wilhelm IV. an Kg. August von Hannover, 5.4.1849: Revolutionsbriefe 1848: Ungedrucktes aus dem Nachlaß Friedrich Wilhelms IV. von Preußen / hrsg. von Karl Haenchen. – Leipzig 1930, 437. 1174 Friedrich Wilhelm IV. an MP Schwarzenberg, 6.4.1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 45. 1175 So E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 850.

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Fürsten gehandhabten Zentralgewalt nicht unterordnen“ werde.1176 Mit derselben Eindeutigkeit wurde der Gedanke zurückgewiesen, mit der Nationalversammlung, die für Österreich nicht mehr bestehe, Verhandlungen zu führen. Doch Schwarzenberg musste erkennen, dass mit seinem starren Festhalten an der Integration der Gesamtmonarchie in das neue Deutschland ebenfalls nicht weiter zu kommen war. Intern erwog er jetzt auch die Möglichkeit, sich auf die Position des Weiterbestehens des Deutschen Bundes zurückzuziehen.1177 Bis diese Option verwirklicht werden konnte, galt es, den Erzherzog mit Unterstützung des Kaisers auf seinem Posten zu halten.1178 Am  28. April gab das Staatsministerium die endgültige Ablehnung von Reichsverfassung und Kaiserwürde durch den preußischen König bekannt. In dem Schreiben, mit dem die Reichsgewalt davon eigens unterrichtet wurde, wird sie damit begründet, dass die wichtigsten Bundesstaaten die Verfassung nicht angenommen hätten und insbesondere „in der Errichtung eines erblichen Kaiserthums selbst die größte Gefahr für Deutschland erblickt“ hätten.1179 Noch am selben Tag zeigte das Kabinett Brandenburg in einem Rundschreiben an sämtliche deutschen Regierungen die Alternative auf. Diese wurden aufgefordert, zu Beratungen über eine Verfassung in Berlin zusammenzutreten.1180 Der „deutsche Bundesstaat“ sollte ohne Österreich gebildet werden. Gerechtfertigt wurde dies damit, „dass Preußen nur aus der innigsten Verbindung mit Deutschland seine Lebenskraft schöpfen kann“, die Habsburgermonarchie sich aber in eine solche Verbindung nach der Proklamation des unversehrten Erhalts des Gesamtstaates nicht mehr einfügen würde.1181 Dennoch sollte „Österreich für Deutschland, Deutschland für Österreich“ durch eine „Union“ erhalten bleiben. Die Ausgestaltung dieses Völkerrechtssubjekts sollte Verträgen vorbehalten bleiben.1182 Wenn das Projekt auch formal Gagerns Idee eines engeren kleindeutschen Bundes und eines weiteren mit Gesamtösterreich aufnahm, so unterschied es sich doch hinsichtlich der Stellung der beiden Großmächte und seiner 1176 MP Schwarzenberg an den öst: Ges. in Berlin, Gf. Prokesch-Osten, 8.4.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 110. 1177 Öst. MR, 5.4.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 212. 1178 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 5.4.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 139. 1179 MP Brandenburg an Bevollm. Camphausen, 28.4.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 113a. 1180 ZD MP Brandenburg an die pr. Gesandtschaften bei den dt. Reg., 28.4.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 113b. 1181 Denkschrift der pr. Reg., 9.5.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 171a. 1182 Pr. Vorschlag über die Grundlinien einer Unionsakte, 9.5.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 171b.

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verfassungsrechtlichen Ausgestaltung deutlich. Es trug schon die Handschrift von Josef Maria von Radowitz, der kurz zuvor von dem mit ihm befreundeten König zum Beauftragten für die deutschen Angelegenheiten ernannt worden war, sein Vorgehen allerdings mit dem Kabinett abzustimmen hatte.1183 Er hatte reichlich Erfahrung als Gesandter beim Deutschen Bund sammeln können und war 1847 mit einer Reformdenkschrift hervorgetreten. Seine Überzeugung war, dass die preußische Monarchie nur überleben könne, wenn sie die populäre Forderung nach politischer Teilhabe aufnehme und zu einer kreativen Lösung der nationalen Frage finde.1184 Er wurde angetrieben von der Furcht, dass die Nation dem König, „der Deutschland um seine nahe Einigung betrogen hat“, nie verzeihen werde, dass er „einen welthistorischen Moment von sich gestoßen“ habe. Die Zuversicht auf ein Gelingen des Werks schöpfte er daraus, dass sich die deutschen Einzelstaaten in ihrer jetzigen Zwangslage einer gemeinsamen Verfassung unterwerfen würden. Nur eine Reform des Bundestages sei zu wenig, weil sie die Revolution verewigen würde.1185 Die österreichische Regierung konnte an dem Unionsprojekt keinen Gefallen finden, auch wenn ihm dieses durch die Übertragung der Geschäftsführung und der Einräumung eines Übergewichts im Direktorium schmackhaft gemacht werden sollte. Auch die Aussicht, die Friedrich Wilhelm in schwärmerischer Reichsromantik1186 Kaiser Franz Joseph eröffnete, nämlich als Haupt der Union die Kaiser des Mittelalters an Glanz und Ruhm zu übertreffen, verfing nicht.1187 Schwarzenberg und seine Kollegen sahen in dem Verlangen, dass Österreich seine Bundesrechte aufgeben solle, eine ebenso große Zumutung wie in der erbetenen Zustimmung zu einem „einheitlichen, die Unabhängigkeit sämtlicher deutscher Staaten aufhebenden Bundesstaates“.1188 Preußen nahm man nicht ab, dass es nur ein Schutz- und Trutzbündnis wolle.1189 Denn Schwarzenberg und seine Kollegen waren davon überzeugt, dass „nur eine 1183 Diarium 4., 5. 5. 1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 90. 1184 Barclay, David E.: Preußen und die Unionspolitik. – In: Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament / hrsg. von Gunther Mai. – Köln [u. a.] 2000, 53–80, hier 65. 1185 Diarium, 17.5.1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 98f. 1186 Friedrich Wilhelm war in seiner romantischen Rückwärtsgewandtheit immer bereit, den Habsburgern im Reich eine Führungsrolle zuzugestehen, die aber Preußens Vormachtstellung in Deutschland nicht beeinträchtigen sollte: D. E. Barclay: Unionspolitik (wie Anm. 1184) 58f. 1187 Lippert, Stefan: Felix Fürst zu Schwarzenberg: Eine politische Biographie. – Stuttgart 1998. – (Historische Mitteilungen: Beiheft; 21) 301. 1188 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 15.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 164. 1189 Prokesch an MP Schwarzenberg, 7.5.1849: Bf. Gf. Prokesch von Osten / A. von Prokesch (wie Anm. 1126) 40f.

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Überschätzung der Verlegenheiten des Augenblicks und der selbstsüchtige Wunsch, aus diesen Verlegenheiten Vorteil zu ziehen,“ das Vorgehen Preußens erklären könne.1190 Das leicht als Taktik zu durchschauende Angebot, die Zentralgewalt einem Direktorium aus drei deutschen Staaten zu übertragen,1191 hielt Preußen nicht mehr von der Umsetzung seiner Pläne ab.1192 Wie im Krieg gegen Dänemark und im Kampf gegen die Aufständischen setzte es nun ganz auf eigenständiges und eigenmächtiges Handeln, um Führungsanspruch und Führungsstärke zu demonstrieren.1193 Es konnte davon ausgehen, dass es deswegen weder zu einem endgültigen Bruch mit Österreich noch der Zentralgewalt kommen würde. Folglich wurden am 17. Mai in Berlin die Verhandlungen zwischen den fünf deutschen Königreichen eröffnet. Sie endeten am 26. Mai mit dem „Dreikönigsbündnis“ zwischen Preußen, Sachsen und Hannover.1194 Diese hatten allerdings ihre Mitwirkung an die Bedingung geknüpft, dass alle deutschen Staaten außer Österreich sich anschließen würden. Bayern und Württemberg hatten sich zuvor zurückgezogen. Gerechtfertigt wurde das Bündnis mit Berufung auf Art. 11 der Deutschen Bundesakte von 1815 damit, dass die Gefährdung der „inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands“ zur „Herstellung einer einheitlichen Leitung der Deutschen Angelegenheiten“ zwinge. Damit war zugleich gesagt, dass die Provisorische Zentralgewalt dazu nicht in der Lage sei. Sowie die Begründung so wurde auch der Zweck, nämlich die „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen Deutschen Staaten“, im Anklang an die Bundesakte formuliert und dessen Umsetzung der „Krone Preußen übertragen“. Der wohl von Radowitz ausgearbeitete Verfassungsentwurf eines Bundesstaats1195 lehnte sich an den Text der Frankfurter Reichsverfassung an. Zu 1190 Vgl. auch noch RAM A. v. Jochmus an MP Wittgenstein, 11.7.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 40ff. 1191 K. k. öst. Denkschrift, die Bildung einer neuen provv. ZG betreffend, 16.5,1849: Quellenslg. dt. ö. Recht II / P. Roth; H. Merck (wie Anm. 23) 593. 1192 Prokesch an MP Schwarzenberg, 20.5.1849: Bf. Gf. Prokesch von Osten / A. von Prokesch (wie Anm. 1126) 55f. 1193 Vgl. auch noch Pr. Staatsmin., 18. und 27.5.1849: Prot. Pr. Staatsmin., 93f.,96. schon am 5. Mai ließ Prokesch MP Schwarzenberg wissen, dass der leitende Gedanke in Berlin sei, „sich an die Spitze zu stellen“: Bf. Gf. Prokesch von Osten / A. von Prokesch (wie Anm. 1126) 36f. 1194 Bündnisvertrag zwischen Pr., Sachsen u. Hannover, 26.5.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 172. 1195 Diarium, 15.,16.5. 1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 97. Auch noch Th. Stockinger: Deutsches Reich 1848/49 (wie Anm. 5) 666f.

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ihm sollten sich noch die anderen deutschen Regierungen und ein Reichstag äußern.1196 Er höhlte allerdings deren demokratische Substanz fast vollständig zugunsten der Exekutive und der Fürsten aus. Dennoch gelang es, die Mehrheit der Erbkaiserlichen und Liberalen für die Idee eines Bundesstaats unter preußischer Führung zu gewinnen.1197 Beide überzeugte wohl auch noch das avisierte indirekte Dreiklassenwahlrecht. Ende Juni 1849 signalisierten sie auf deren Gothaer Versammlung ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. Damit war auch die für unverzichtbar gehaltene plebiszitäre Absicherung des Projekts der Fürsten von den Konservativen bis zu den konstitutionellen Liberalen erreicht.1198 Parallel zu den Berliner Verhandlungen versuchte die preußische Regierung nochmals, mit Unterstützung der deutschen Regierungen1199 und durch direkte Intervention beim Reichsverweser die Übernahme der Zentralgewalt zu erreichen.1200 Sie hatte aber weder damit noch mit ihrer Aufforderung, die Nationalversammlung aufzulösen, Erfolg. Der Reichsverweser war entschlossen, mit der gerade gebildeten neuen Regierung weiterzumachen. Das Kabinett Brandenburg nahm aufgrund mehrerer Meldungen aus Frankfurt an, dass Erzherzog Johann Friedrich Wilhelm geradezu zu seiner Nachfolge aufgefordert habe. Es war daher außerordentlich verbittert darüber, dass die Position, aus der heraus die Verfolgung des Bundesstaatsprojektes wesentlich erleichtert worden wäre, versperrt blieb. Es bestritt, dass das Reichsministerium überhaupt noch in der Lage sei, zum Wohle Deutschlands zu handeln und wollte dessen Regierungshandlungen „keine Gültigkeit mehr beilegen“.1201 Dieser Affront wurde damit begründet, dass es weiterhin der von Berlin nicht mehr anerkannten Nationalversammlung verantwortlich sei. Doch gerade das neue Ministerium Grävell verstand sich nicht mehr als ein vom Parlament abhängiges. Das Reichsministerium ließ daher Berlin umgehend wissen, dass der Reichsverweser sein Amt niederlegen werde, wenn dies im Interesse Deutschlands sei und er „keiner Macht der Erde das Recht zugestehe, ihn von dem ihm anvertrauten Posten zu verdrängen.“1202 Es war vermutlich weniger diese Entschiedenheit als die Einsicht, dass das Bundesstaatsprojekt schwieriger 1196 Pr. Staatsmin., 30.4.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 55. 1197 Gothaer Proklamation, 28.6.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 174. Vgl. auch noch K. Ruppert: Bassermann (wie Anm. 237) 301f. 1198 Diarium 24./29.5.1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 107. 1199 Pr. Staatsmin, 12.5.1849: Prot. Pr. Staatsmin 4/1, Nr. 63. 1200 Vgl. dazu die Schreiben des Wirkl. Legationsrats vom Kamptz u. von Oberstleutnant Fischer in: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 25ff. 1201 MP Brandenburg an den Bevollm. bei der PZG, 18.5.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 126. 1202 MP M. Grävell an den pr. Bevollm., 24.5.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 127.

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werden würde, als erwartet, die das Ministerium Brandenburg zu moderateren Tönen veranlasste. Es bestand aber weiterhin darauf, dass Preußens Vorgehen mit dem Bundesrecht vereinbar sei, da Art. 11 der Bundesakte den Bundesgliedern einräume, „Bündnisse aller Art“ zu schließen. Daher haben Preußen und die mit ihm verbündeten Regierungen schon jetzt das Recht auf „die Leitung“ in Deutschland.1203 Eigens wies Friedrich Wilhelm den Reichsverweser nochmals nicht ohne Ironie darauf hin, dass er nun auf dessen Amt nicht mehr angewiesen sei.1204 Denn mit dem Projekt, das von dem Kabinett in Wien völlig missverstanden werde,1205 sei er „mit Sachsen und Hannover ein gutes Stück weiter gekommen“. Nach diesem Austausch schien das Verhältnis zwischen Preußen und der Zentralgewalt zerrüttet. Dennoch haben das gemeinsame Interesse in der Bekämpfung der Aufstände und in der Suche danach, wie die Rivalität zwischen der legitimen und der faktischen obersten Autorität in Deutschland beseitigt werden könne, eine weitere Zusammenarbeit erzwungen. Dies war dem Reichsministerium deutlicher als dem Königreich. Es war daher entschlossen, gegen das Dreikönigsbündnis nicht bundesrechtlich vorzugehen, obwohl dies nach seiner Ansicht geboten schien.1206 Es machte vielmehr den Kompromissvorschlag, die „verbündeten Regierungen“ nicht in der Verfolgung ihrer Ziele zu hindern, sondern mit ihnen zusammenzuwirken, „wo dieses Bündnis die Bundesgewalt noch nicht ersetzt.“ Dafür verlangte die Zentralgewalt ihre Anerkennung als „das einstweilen noch erforderliche Band zwischen den noch in verschiedener Stellung verharrenden Staaten Deutschlands“. Sie verknüpfte damit die Erwartung auf „bundesgemäße Unterstützung“, wann immer es notwendig oder rechtlich erscheint, dass die Zentralgewalt eingreift. Doch auch, wenn sich dieser modus vivendi in der Führung Deutschlands nicht durchsetzen ließ, würde sich die Zentralgewalt nicht auflösen, da keine legitime Nachfolgeinstitution bereitstehe, dies nicht zum „Frommen des Ganzen gereichen“ würde und selbst das Gelingen des unter „Leitung Preußens unternommene Einigungswerkes“ dadurch nicht erleichtert würde. Sollte die preußische Regierung sich aber zu „einer offenen und freundschaftlichen Verständigung“ bereitfinden, werde die Zentralgewalt darauf hinarbeiten, den „Übergang in den künftigen Zustand“ herbeizuführen.

1203 MP Brandenburg an den Bevollm. bei der PZG, 28.5.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 128. 1204 Kg. Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 28.5.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 63f. 1205 Kg. Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 28.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 180. 1206 Dazu und zum Folgenden die vertrauliche Denkschrift des GRM, 17.6.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 191f. Auch Bl. A 1 zu GRM, 17.6.1849: BA, DB 52/11.

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Preußen ist auf dieses Angebot nicht eingegangen. Es hat vielmehr der Reichsgewalt die Existenzberechtigung abgesprochen, weil die Nationalversammlung, die sie legitimiert habe, nicht mehr bestehe. Das war ein befremdliches Argument von einer Regierung, die noch kurz zuvor von der Zentralgewalt verlangt hatte, die Nationalversammlung aufzulösen. Darüber hinaus hatte sie dem Reichsverweser und seinem Ministerium die Anerkennung versagt, weil beide von dem für Preußen nicht mehr existenten Parlament abhängig seien. Doch konnte Berlin auch diese Politik gegenüber Frankfurt nicht durchhalten. Einen Monat später versicherte Friedrich Wilhelm nämlich dem Erzherzog, „daß Euer Kaiserliche Hoheit in allen Verhältnissen, die Euer Kaiserlichen Hoheit Wirksamkeit und das Heil Deutschlands und unserer Länder berühren, auf meine und meiner Regierung offene und kräftige Unterstützung und Mitwirkung zählen dürfen.“1207 Innenminister Detmold hatte den Eindruck, dass Berlin „wie ein Betrunkener hin und her“ schwanke.1208 Nach dem Abschluss des Dreikönigsbündnisses bemühte sich Preußen, dessen Grundlage durch die Gewinnung weiterer Bundesstaaten zu verbreitern.1209 Dabei spielte ihm in die Hände, dass einige Staaten seiner Hilfe bedurften, um der Aufstände im eigenen Land Herr zu werden. Das Großherzogtum Baden, das zu den Ersten gehört hatte, die die Frankfurter Reichsverfassung anerkannten, war dafür das spektakulärste Beispiel. Bis zum Ende des Jahres hatten sich 261210 der 36 Staaten angeschlossen. Doch war auch in Berlin nicht verborgen geblieben, dass diese vor allen Dingen von der Revolutionsfurcht angetrieben wurden und die waren, die sich auch der Reichsverfassung unterworfen hatten.1211 Die Achillesferse waren die Königreiche. Bayern blieb fern und Württemberg lehnte das Dreikönigsbündnis Ende September offiziell ab.1212 Hannover und Sachsen hatten die Umsetzung des Projekts nicht nur von der Teilnahme aller Bundesstaaten außer Österreich abhängig

1207 Kg. Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 17.7.1849: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 341. 1208 An Stüve am 24.6.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 235. Dieses Schwanken der pr. Politik kam auch dadurch zum Ausdruck, dass Sayn-Wittgenstein je nach dem Zustand der Beziehungen in den Schreiben aus Berlin mal als hessen-darmstädtischer Generalleutnant und mal als Reichsministerpräsident tituliert wurde. 1209 RS MP Brandenburg an die dt. Staaten, 28.5.1849: Aktenstücke betreffend das Bündniß vom 26sten Mai und die deutsche Verfassungs-Angelegenheit. – Berlin 1849, 82ff. 1210 Die einzelnen Bundesstaaten bei E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 890. 1211 Darüber machte sich selbst Radowitz keine Illusionen, vgl. Diarium, 15.6.,4.7.1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 123. 1212 Württembergisches Gesamtmin. an MP Brandenburg, 26.9.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 348f.

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gemacht,1213 sondern auch den Faden nach Wien nicht abreißen lassen. Mitte September reisten deren Außenminister dorthin, um über die „missliche Lage ihrer Länder“ zu beraten.1214 Beide verlangten darüber hinaus auch weiterhin die Abstimmung mit der Provisorischen Zentralgewalt.1215 Vor allem Hannover hat stets deren Rechtmäßigkeit betont und sich um eine Vermittlung bemüht.1216 Die preußische Initiative zur Neuordnung Deutschlands machte dem Reichsverweser nochmals schmerzlich bewusst, dass das, worin er den eigentlichen Sinn seiner Mission gesehen hatte, nicht erreicht worden war: ein politisch befriedetes Volk in einem zeitgemäß verfassten Großdeutschland. Zudem davon überzeugt, dass nur die Provisorische Zentralgewalt dazu berechtigt sei, überlegte er, ob diese nicht einen Reichstag „aller Stämme Deutschlands“ einschließlich der deutschen Teile Österreichs einberufen solle. Diesem sollte eine in Zusammenarbeit mit den Bundesregierungen ausgearbeitete Verfassung vorgelegt werden. In Anlehnung an die zeitgleichen Wiener Pläne war er auch der Idee eines norddeutschen Bundes unter Preußen und eines süddeutschen unter Bayern, die allerdings nur mit den deutschen Ländern Österreichs unter einem Direktorium zu vereinigen seien, nicht abgeneigt.1217 War es das, was Johann wenige Tage später in einem Brief an seinen Privatsekretär und engen Vertrauten Josef Zahlbruckner andeutete, als er schrieb, dass er „der Sache eine Wendung“ geben würde, „worüber man sich wundern würde“, wenn er nicht so sehr besorgt sein müsste, „Österreich keine Verlegenheiten zu bereiten“?1218 Sein politischer Mentor, dessen Konzept solche Überlegungen stracks entgegenliefen, riet nachdrücklich davon ab. Berlin sund sein Anhang würden fernbleiben. Dann würden sich nicht nur zwei feindliche Zentralgewalten, sondern auch zwei feindliche Parlamente gegenüberstehen; das würde die Spaltung Deutschlands vollenden.1219 1213 Rogosch, Detlef: Nach dem Scheitern der Revolution: Versuche zur Herstellung einer deutschen Einheit aus der Sicht der Mitelstaaten. – In: 1848: Revolution in Europa; Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen / hrsg. von Heiner Timmermann. – Berlin: 1999. – (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen; 87) 415–422, hier 418. 1214 Öst. MR, 19.9.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 692. u. Biegeleben an GRM, 29.9.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 361f. 1215 Stüve an Detmold, 10.6.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 225. 1216 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 141. 1217 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 13.7.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 195ff. 1218 Ehg. Johann an Zahlbruckner, 22.7.1849: Bf. / A. Schlossar. In: Deutsche Revue 35 (2) 93. 1219 Schwarzenberg an Ehg. Johann, 31.7.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 200f.

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Obwohl der Reichsverweser und sein Ministerium sich keinen Illusionen über ihren Machtverlust als Folge der Abwendung Preußens hingaben und fürchteten, dass das Unions-Projekt zu einem unheilbaren Bruch mit Österreich führen könne,1220 haben sie diesem wie auch die Regierung Schwarzenberg wenig Chancen eingeräumt.1221 Denn sie waren nicht wie Preußen davon überzeugt, dass Deutschland einer „innigen Vereinigung mit nationaler Repräsentation“ bedürfe.1222 Vielmehr werde es schwierig werden, ein repräsentatives Parlament zustande zu bringen und von diesem sei nichts Brauchbares zu erwarten.1223 Preußen bestand gegenüber seinen Kritikern mit dem Verweis auf seinen Einsatz gegen Dänemark und die Aufständischen darauf, mehr als andere seinen Bundespflichten nachzukommen. Das hielt das Reichsministerium nicht davon ab,1224 dessen Streben nach dem Ausschluss Österreichs ebenso wie nach der Vorherrschaft in Deutschland öffentlich als Bruch des Bundesrechtes zu brandmarken.1225 So glaubte man, abwarten zu können, bis sich das Königreich in dem Unternehmen verschlissen habe. Dafür mehrten sich im Sommer 1849 die Anzeichen. Die Gegner der Unionspolitik von Radowitz am Hof und in der Regierung blieben aktiv. Am 21. Juli wurde der preußische Gesandte in Hannover, Alexander von Schleinitz, ein Befürworter des Ausgleichs mit Österreich, mit den auswärtigen Angelegenheiten betraut.1226 Nachdem sich der bayerische Ministerpräsident von der Pfordten in Wien und Berlin informiert hatte,1227 war er zum schärfsten Kritiker der preußischen Pläne geworden.1228 Nach dem Sieg über die Auf-

1220 Ehg. Johann an Zahlbruckner, 8.7.1849: Bf. / A. Schlossar. In: Deutsche Revue 35 (2) 92. 1221 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 31.7.1849 u. Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 31.5.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 199f., 175. 1222 Denkschrift über die Politik Pr.s in der dt. Frage, 12.6.1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 113ff. 1223 Prokesch an MP Schwarzenberg, 12. u. 21.7. 1849: Bf. Gf. Prokesch von Osten / A. von Prokesch (wie Anm. 1126) 75ff. 1224 Ehg. Johann an Schwarzenberg, 31.5.; Schwarzenberg an Ehg. Johann, 31.7.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 175, 202. 1225 RS des pr. Außenmin. an die pr. Missionen, 30.7.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 224ff. 1226 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 31.7.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 200f. Vgl. auch noch P. Steinhoff: Pr. u. die dt. Frage (wie Anm. 1155) 229f. 1227 Zu den Gründen für das Scheitern der Besprechungen zwischen Öst., Bayern und Pr. über eine neue Zentralgewalt: RAM A. v. Jochmus an MP Wittegenstein, 10.7.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 37f. 1228 Aufz. von Radowitz über die Besprechung mit von der Pfordten: Diarium, 15.6.,4.7.1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 124ff.

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ständischen in Ungarn und Venedig bis Ende August1229 erhielten die österreichischen Zusagen gegenüber den Königreichen, deren Selbstständigkeit zu schützen, größere Überzeugungskraft. Das erleichterte es dem Reichsverweser, auf seiner Rückreise von Gastein nach Frankfurt die Könige von Bayern und Württemberg in persönlichen Gesprächen in ihrer Ablehnung zu bestärken.1230 Das beeindruckte vermutlich mehr als die Alternative, die Wien zum preußischen Unionsprojekt angeboten hatte, nämlich eine Vereinigung des Kaisertums Österreich mit den jeweils zu einem Bund zusammengefassten Staaten Nord- und Süddeutschlands.1231 15.

Initiativen zur Überwindung der deutschen Blockade

Die Bilanz des Reichsministeriums 15.1 Preußen hat am 25. Juni den Vermittlungsvorschlag des Reichsministeriums1232 zurückgewiesen, dieses weiterhin anzuerkennen und zu unterstützen für dessen Bereitschaft, die Unionspläne nicht zu hindern.1233 Darüber hinaus war die selbstgestellte Aufgabe, an der Seite Preußens die Anarchie im Land zu überwinden, erledigt.1234 Daher setzten nun in den Reihen der Zentralgewalt Überlegungen ein, welche Rolle man in den verfahrenen Bemühungen um die Schaffung der deutschen Einheit spielen wollte und konnte, bis die nach wie vor angestrebte Ablösung durch eine Nachfolgeinstitution möglich sein würde. Der erste Schritt war die Abreise des Reichsverwesers zu seiner Kur nach Gastein, um Zeit zu gewinnen, bis Österreich sich wieder stärker in Deutschland engagieren konnte. Zugleich wurde öffentlich deutlich gemacht, dass dies nicht der Beginn vom Ende der Zentralgewalt sei. Daher wurde das 1229 K. Ruppert: Ungarns Kampf (wie Anm. 497) 458ff. und K. Ruppert: Italien (wie Anm. 517) 323f. 1230 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 164f. 1231 Öst. MR, 21.6.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 426. 1232 In der vertraulichen Denkschrift des GRM (Bl. A1 zu 17.6.1849): Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 190ff.; auch Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 141ff. 1233 MP Brandenburg an MP Sayn-Wittgenstein, 26.6.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 188f. 1234 RAM A. v. Jochmus schrieb in einem RS an die Reichsgesandtschaften vom 16.9.1849: „Nachdem durch das erfolgreiche Zusammenwirken bedeutender deutscher Heeresabteilungen“[!] „der Aufruhr und die Anarchie in verschiedenen Staaten des Gesammtvaterlandes dermalen völlig bezwungen und dadurch eine der Hauptaufgaben der Centralgewalt seit dem Monate Mai glücklich gelöst worden“: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 147.

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zurückgelassene Reichsministerium mit den nötigen Vollmachten versehen, damit Wittgenstein sein Versprechen, nicht zu weichen, einhalten konnte.1235 Im Anschluss daran drängte das Reichsministerium in Wien darauf, ihm dadurch Bewegungsfreiheit zu verschaffen, dass Österreich sich verstärkt um die Mittelstaaten bemühe.1236 Eine Absicht, die man dort aus eigenem Interesse schon seit längerem verfolgte. Bis zum Abschluss des Interims gelang es mit diplomatischen Mitteln, Württemberg auf Distanz zu halten und in Hannover und Dresden die Neigung zu fördern, die Bindung an Preußen zu lockern. Das Königreich Bayern lehnte am 12. Juli offiziell den Anschluss an die Union ab. Allerdings am wenigsten wegen der angebotenen Zollunion und des Bündnisses.1237 Vielmehr hatte auch der Sachse von der Pfordten rasch erkannt, dass die gleiche Distanz zu beiden Großmächten bayerische Staatsraison sei. Zur unmittelbaren Stärkung der Reichsgewalt beglich Österreich ab Ende Juni in Raten die rückständigen Matrikularbeiträge (wohl für den Festungsbaufonds). Es blieb aber seinen erheblich höheren Beitrag zum Aufbau der Marine aus grundsätzlichen Erwägungen schuldig.1238 Es sprang dann aber Ende November nochmals mit einem Vorschuss von 300.000 Gulden ein, um die Zeit bis zur Einsetzung der sehnlichst gewünschten Bundeskommission zu sichern.1239 Darüber hinaus wurde ein in Bregenz stationierte Korps von 7.200 Mann der Reichsgewalt mit der Aussicht auf Verstärkung unterstellt.1240 Das Reichsministerium hätte sie gerne noch aus politischen Gründen bei den Endkämpfen im Süden Badens eingesetzt, was Preußen aber erwartungsgemäß verhinderte.1241 Das Reichsministerium nahm nach der Abreise des Reichsverwesers seine Arbeit auf in der Überzeugung, weder der „preußischen Brutalität“ zu weichen noch sich zu einem „Instrument der österreichischen Reaktion“ machen zu lassen, vielmehr „deutsche Politik“1242 zu betreiben. Es zog das nötige Selbstbewusstsein daraus, dass es nach wie vor eine einigende und vermittelnde 1235 In seinem Schreiben an Stüve vom 4. Juli sah Detmold in der Abwesenheit des RV sogar eine Erleichterung der Arbeit des GRM, „da wir nun nicht mehr mit seinen fortwährenden Gelüsten zur Niederlegung des Amtes zu kämpfen haben“: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 244. 1236 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 146. 1237 S. Lippert: Schwarzenberg (wie Anm. 1187) 303ff. 1238 Vgl. Bericht von RFM Merck (Bl. C zu GRM, 8.10.1849): BA, DB 52/14. 1239 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 24.11.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 233f. 1240 Detmold an Stüve, 24.6.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 237. 1241 Ebenda 243f. 1242 So RAM A. v. Jochmus gegenüber den Reg. in Wien und Berlin: RAM A. v. Jochmus an MP Wittgenstein, 11.7.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 45.

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Funktion in dem politisch tief gespaltenen Land hatte.1243 Doch führte der Übergang der kleineren und mittleren Fürstentümer zu Preußen dazu, dass diese den Anordnungen der Zentralgewalt nur noch nach „Gutdünken und Willkür“ folgten und sich auch ihren finanziellen Verpflichtungen entzogen, so dass der Unterhalt von Reichsfestungen und Flotte immer schwieriger wurde. Darüber hinaus war zu befürchten, dass sich aus dem Waffenstillstand zwischen Preußen und Dänemark vom 10. Juli Verwicklungen ergeben würden, die das Reichsministerium nicht mehr würde bewältigen können. Da schließlich die Verhandlungen einzelner deutscher Regierungen über „eine neue Spitze der deutschen Angelegenheiten“ auf der Stelle traten und in der Verfassungsfrage unüberbrückbare Gegensätze zwischen den Bundesstaaten herrschten, war die Zentralgewalt in eine Situation geraten, in der sie „ihres Berufes nicht mehr mächtig und ihres Fortbestandes ungewiss“ war. Um diese Blockade zu überwinden, hat das Reichsministerium Anfang August sich kritisch mit der eigenen Lage auseinandergesetzt.1244 Ihm ging es darum, als „gemeinsamer Einigungspunkt von sämmtlichen deutschen Staaten aufs Neue anerkannt“ zu werden. Dies schien unumgänglich, da es keine Bundesbehörde und keine vermittelnde Autorität „von anerkannter Wirksamkeit“ in den deutschen Zukunftsfragen gab. Zentraler Gedanke der Denkschrift ist die Idee, über die Lösung der Verfassungsfrage doch noch das ursprüngliche Ziel der Revolution von 1848 unter den gegebenen Verhältnissen zu verwirklichen. Durch das Scheitern der Nationalversammlung habe das Verfassungsprojekt einen ersten Schlag erhalten und durch die preußische Initiative sei die Zentralgewalt, die eigentlich dazu berufen sei, Deutschland auf der Grundlage einer Verfassung zu einigen, sogar in einen Gegensatz zu der Verfassungsbewegung geraten. Die eigenmächtige Verfassungsgebung der Großmächte habe die Ausweglosigkeit verschlimmert. Nur auf dem Boden des Bundesrechts und durch ein Organ, das die Gesamtheit der deutschen Staaten repräsentiere, werde sich diese überwinden lassen. Die Lösung der Verfassungsfrage habe sich aber zusätzlich dadurch erschwert, dass inzwischen zahlreiche Regierungen dabei wieder auf die Zustimmung ihrer Parlamente angewiesen seien. Die Zentralgewalt hat ihren Auftrag in erstaunlichem Umfang aus dem Bundesrecht abgeleitet. Diesen, die innere Sicherheit wie die Unverletzbarkeit der deutschen Staaten zu garantieren und sie wirkungsvoll völkerrechtlich zu vertreten, glaubte sie, nicht mehr erfüllen zu können. Als Ausweg bot sich an, 1243 Stüve an Detmold, 10.6.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 226. 1244 Vgl. „Denkschrift des Reichs-Ministeriums betreffend die Nothwendigkeit einer Vereinbarung über die provisorische Centralgewalt“, Bl. B zu GRM, 7.8.1849: BA, DB 52/13. Daraus die vorausgegangenen Zitate und auch das Folgende.

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mit dem Einverständnis der Regierungen angesichts der verworrenen Lage der Gegenwart zunächst keine definitive Lösung anzustreben.1245 Vielmehr ein neues provisorisches Zentralorgan von zeitlich begrenzter Dauer und mit sachlich eng umgrenzten Zuständigkeiten zu kreieren. Die Institution müsste dem von Preußen begründeten Bündnis nicht im Wege stehen, wenn dieses sich in ein richtiges Verhältnis „zu der Gesammtheit“ aller deutschen Staaten stelle. Ein in seiner illusionslosen Selbsteinschätzung beeindruckendes Dokument. Es machte zugleich deutlich, dass die Zentralgewalt sich trotz aller erkannten Unzulänglichkeiten nicht als Konkursverwalterin verstand. Sie sah sich im Gegenteil als eine unverzichtbare Autorität für den Zusammenhalt Deutschlands, die den Auftrag hatte, eine Lösung des Verfassungsproblems doch noch herbeizuführen. 15.2 Auf dem Weg zum Interim 15.2.1 Bemühungen um Preußen Als ersten Schritt dahin sollte Johann Balthasar von Biegeleben in Verhandlungen mit den beiden Großmächten eine neue Zentralgewalt zustande bringen. Er war zusammen mit Max von Gagern, bis dahin Außenminister in HessenNassau, bis zum 16. Mai Unterstaatssekretär im Außenministerium des Reiches gewesen. Er kam wie die Brüder Gagern als auch Reichsministerpräsident Sayn-Wittgenstein aus Diensten des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, für das er als Geschäftsträger in Österreich seit 1845 tätig gewesen ist. Es war daran gedacht worden, Biegeleben zeitweise als Außenminister ins Kabinett zu übernehmen. Das hat er abgelehnt, da er sein Verhältnis zur Familie Gagern, zu der freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen bestanden, nicht zusätzlich belasten wollte. Darüber hinaus hätte es seine Mission in Berlin erschwert, wenn er Mitglied eines Kabinetts gewesen wäre, das dort nicht anerkannt wurde. In die Bundeskommission, die aus seinen Bemühungen hervorging, trat er als Referent für die Außenpolitik ein. Da er nicht unwesentlich zum österreichischen Erfolg in der deutschen Frage beigetragen hatte, wurde er noch 1850 Sektionsrat für die deutschen Angelegenheiten im Außenministerium und – seit 1846 mit der Österreicherin Maria von Buol-Berenberg verheiratet – 1868 in den österreichischen Freiherrnstand erhoben.1246 Obwohl Biegeleben bisher die Politik Heinrich von Gagerns unterstützt hatte, stellte er sich erneut der Zentralgewalt zur Verfügung, da er die Lösung 1245 So RMP Wittgenstein in einem Gespräch mit dem ehemaligen MP Leiningen: H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 160. 1246 P. Wentzcke: Biegeleben (wie Anm. 182) 224ff.

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der ihm am Herzen liegenden deutschen Frage über sie für möglich hielt.1247 Seit Anfang Juni nahm er an den Sitzungen des Reichsministeriums teil und hatte bereits den Kompromissvorschlag an Preußen vom 17. entworfen.1248 Die weitgehend von ihm verfasste Denkschrift über die Schaffung einer neuen Zentralgewalt gab die Richtlinien für die Verhandlungen vor.1249 So machte er sich ohne Instruktion und Vollmacht1250 in einer diplomatischen Grauzone auf den Weg. Sein Auftrag war, eine Vereinbarung zwischen Preußen und Österreich zustande zu bringen, die dann den anderen Regierungen übermittelt werden sollte.1251 Das Kabinett rechnete mit einem Erfolg, obwohl bisher alle Bemühungen um eine neue Zentralgewalt gescheitert waren. Denn es ging davon aus, dass sich Preußen verrannt habe und daher nur darauf warte, dass ihm eine Brücke gebaut werde. Innenminister Detmold brachte die Überzeugung drastisch zum Ausdruck, dass es die dargebotene Hand ergreifen werde, wenn es „nicht ganz und gar wahnsinnig“ geworden ist.1252 Der Zusammentritt der preußischen Kammern war für Ende August vorgesehen. Da von deren Seite Störfeuer erwartet wurde, sollten die Verhandlungen mit Preußen bis dahin abgeschlossen sein.1253 Der Beauftragte der Zentralgewalt musste bei seinen Verhandlungen in Berlin zwischen dem 5. und 20. August darüber hinaus davon ausgehen, dass dort kein Bedürfnis nach einer neuen zentralen Institution für Deutschland bestehen würde, dass eine solche vielmehr als ein Hindernis für die Lösung der deutschen Frage im Sinne Preußens empfunden würde. Es fürchtete, dass sich die kleineren Regierungen einer handlungsfähigen Zentralgewalt zuwenden würden, wenn eine solche zustande käme. Denn dann bekämen sie von ihr Schutz wie von Preußen, doch ohne dafür Opfer bringen zu müssen. Daher hatte Radowitz in der Besprechung mit dem bayerischen Ministerpräsidenten von der Pfordten im Juni die neue Zentralbehörde auch nur auf die Herbeiführung der Union mit Österreich festlegen wollen.1254 Andererseits konnte Preußen auch nicht die objektiven Gegebenheiten übersehen, die eine neue Bundesleitung erforderten, wenn 1247 1248 1249 1250

1251 1252 1253 1254

Ebenda 252ff. Denkschrift über das Verhältnis Preußens zur PZG, 17.6.1849: BA; DB 52/11. GRM, 7.8.1849: BA, DB 52/13. So in einem Schreiben Wessenbergs aus Gastein vom 21.8.: Zwiedineck-Südenhorst, Hans von: Eine deutsch-österreichische Bundesakte: Aus dem Archive des Reichsverwesers Erzherzog Johann. – In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. – VII. Ergänzungsband (1907) 187–214, hier 191. Biegeleben an RAM A. v. Jochmus, 7.8.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 134. So Detmold an Stüve, 2.8.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 256f. H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 160. Diarium, 15.6., 4.7.1849: J. v. Radowitz: Bf. u. Aufz. / W. Möring (wie Anm. 1164) 123f.

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die gegenwärtige aufgelöst werden sollte. Da es ebenfalls am Weiterbestehen des Bundestages festhielt,1255 stellte sich die Frage, wer den Frieden mit Dänemark aushandeln und über die deutsche Marine wie die Bundesfestungen verfügen sollte. Von dieser Rechtsposition ausgehend, glaubte Berlin, dass es für den Übergang genügen würde, nur ein Ersatzorgan für den untergegangenen Bundestag zu schaffen.1256 Vor allen Dingen Radowitz favorisierte daher die Idee, für den engeren Bund das Dreikönigsbündnis, dem sich inzwischen die meisten deutschen Regierungen angeschlossen hatten, als Übergangsinstitut fungieren zu lassen, für den weiteren eine Institution aus Österreich und Preußen.1257Also eine gespaltene Zentralgewalt analog der Doppelstruktur der Union mit dem engeren und weiteren Bund.1258 Trotz dieser nicht einfachen Ausgangslage konnte Biegeleben Hoffnung daraus schöpfen, dass der Verwaltungsrat des Dreikönigsbündnisses bisher gezögert hatte, einen Reichstag für den engeren Bund einzuberufen, und die preußische Regierung bereit war, den Vertreter einer Macht, die nicht anerkannt wurde, zu empfangen und mit diesem sogar zu verhandeln. Überraschenderweise sträubten sich Außenminister wie Ministerpräsident von Anfang an nicht dagegen, die Frage einer neuen Zentralgewalt zu prüfen. Von allen Modellen für diese, die bisher vorgeschlagen worden waren, war Berlin am ehesten für deren Übertragung an Preußen und Österreich zu gewinnen. Eine Lösung, für die sich auch schon Hannover und Bayern ausgesprochen hatten.1259 Als Frucht der ersten Verhandlungen skizzierte Biegeleben eine „provisorische Vereinbarung zwischen den deutschen Höfen“, die bereits alle wesentlichen Bestimmungen des späteren „Interims“ enthielt.1260 Als deren Zweck wurde die „Erhaltung des Deutschen Bundes“ festgesetzt und mit Bezug auf das Bundesrecht näher erläutert. Die Verabschiedung einer Verfassung für Deutschland durch die freie Vereinbarung der Bundesstaaten wurde in einer Form vorbehalten, die jeden Bezug zum Dreikönigsbündnis und zum Unionsprojekt vermied. Sollte dies bis zum Ablauf des Interims nicht gelingen, dann sollte diese Aufgabe an die Gesamtheit der Staaten des Deutschen Bundes fallen. Die Kompetenzen der jetzigen Provisorischen Zentralgewalt sollten auf 1255 1256 1257 1258 1259 1260

Denkschrift von Radowitz zur Politik Pr.s in der dt. Frage, 12.7.1849: ebenda 113ff. Radowitz an Leiningen, 1.8.1849: ebenda 130f. Ebenda. Radowitz an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 28.7.1849: ebenda 130. Biegeleben an GRM,7.,9.,11.,12.,13. u. 17. 8.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 259ff. Entwurf Biegelebens zu einer provisorischen Vereinbarung zwischen den Höfen, 9.8.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm.  848) 265f. Die nach einem Gespräch mit Radowitz geringfügig überarbeitete Fassung, o. D.: ebenda 273f.

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eine „Reichskommission“ aus je zwei von Preußen und Österreich ernannten Mitgliedern unter dessen Vorsitz übergehen. Sie sollte diesen Mächten verantwortlich sein und ihre Geschäfte mithilfe von Abteilungen, die die Funktion der bisherigen Reichsministerien hatten, führen. Damit war auf den Gedanken einer gemeinsamen Leitung der deutschen Zentralgewalt zurückgegriffen worden, der bereits während der Verhandlungen zwischen Österreich und Preußen über das Unionsprojekt aufgekommen war1261 und den auch der Reichsverweser schon in einer Note vom 24. Mai in Erwägung gezogen hatte.1262 Biegeleben konnte spätestens dann davon ausgehen, dass man in Berlin und Potsdam bereit war, auf seine Vorschläge einzugehen, als er kurz danach vom König „zur Tafel gezogen“ wurde.1263 So wurde auch lediglich der Vorsitz von Österreich bemängelt, gegen den in den bisherigen Verhandlungen keine Einwände erhoben worden waren. Erwartungsgemäß bestand Preußen auch darauf, dass sein Recht und das der deutschen Regierungen auf die Bildung eines engeren Bundesstaates ausdrücklich erwähnt würde und die Verfolgung des Projekts auch nach Ablauf des Interims möglich sein sollte.1264 Nach dem Abschluss der Verhandlungen hat das preußische Staatsministerium nochmals verlangt, dass eine neue provisorische Zentralgewalt nur gebildet werden könne, wenn Österreich Preußens Recht zur Schaffung eines engeren deutschen Bundesstaats anerkennen würde.1265 Biegeleben verließ Berlin mit dem Trost, dass Preußen die anderen Bundesstaaten nicht an der Anerkennung der noch bestehenden Provisorischen Zentralgewalt hindern werde, und kam am 23. August in München an. Dort hat er zu seiner Überraschung völlig problemlos die Zustimmung von Ministerpräsident von der Pfordten zu dem überarbeiteten Berliner Entwurf des Interims erhalten.1266 Schon am 25. war er in Gastein, von wo ihn der Reichsverweser sofort nach Wien weiterschickte.1267 Erst jetzt hat Biegeleben von ihm 1261 Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 349, Anm. 1 u. 2. 1262 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 883. 1263 Biegeleben an GRM, 15.8.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 283 u. Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 135. 1264 Vgl. Memorandum Schleinitz, o. D.; Biegeleben an GRM, 20.8.1849 u. Biegeleben an Schleinitz, 20.8.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 292f. 1265 Pr. Staatsmin., 22.8.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 94. Innenminister Detmold kommentierte in einem Brief an Stüve vom 1.9., dass es zu erwarten gewesen sei, „dass man in Berlin statt der diesseits beabsichtigt tüchtigen und lebenskräftigen neuen Centralgewalt nur das Unions-Direktorium vom 26. Mai untergeschoben“ habe: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 267. 1266 Biegeleben an GRM, 23.8.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 299f. 1267 Biegeleben an GRM, 25.8.1849: ebenda 304 u. Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 136.

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eine Vollmacht zu Verhandlungen mit der kaiserlichen Regierung von Österreich und den Kabinetten Bayerns, Sachsens, Hannovers und Württembergs erhalten!1268 Der Auftrag wurde dahingehend formuliert, zu erreichen, dass dem Reichsverweser die „wirksame Fortführung“ des ihm „bis zur Einführung einer Verfassung für Deutschland anvertrauten Amtes“ ermöglicht werde „oder für die gemeinsamen deutschen Angelegenheiten anderweitige Fürsorge“ getroffen würde. Im Umkreis des Reichsverwesers ging man davon aus, dass die Verfassungsfrage bald gelöst werde und es daher für das „voraussichtlich ganz kurze Interim“…„wohl überflüssig“ sei, „noch eine neue provisorische Centralgewalt zu schaffen, während doch das sicherlich wohlverdiente Vertrauen des Volkes und sämmtlicher deutscher Regierungen den Reichsverweser bis zu diesem Definitivum an das Staatsruder gerufen“ habe.1269 Der österreichische Ministerpräsident Schwarzenberg ist über diese Idee lapidar durch den Hinweis auf die laufenden Verhandlungen hinweggegangen. In jenen Tagen, in denen fast jeder eine Siegesmeldung brachte, rechnete er damit, dass auch die deutsche Frage bald erfolgreich abgeschlossen werden könne und Österreichs deutsche Politik als eine der „Mässigung und Gerechtigkeit“ anerkannt werden würde, „welches sie, wenngleich verkannt, stets gewesen und auch immer bleiben wird“.1270 15.2.2 Verhandlungen in Wien Nachdem die letzten Herde der Aufstände gelöscht waren, fürchtete Biegeleben das neue Selbstbewusstsein der Regierung Schwarzenberg, das in dieser Zurückweisung einer führenden Rolle der Provisorische Zentralgewalt beim Übergang zum Ausdruck gekommen war.1271 In seiner ersten Unterredung mit dem Ministerpräsidenten erfuhr er, dass dieser weiterhin an einer angemessenen Stellung des Reichsverwesers interessiert sei und sich einer Lösung, die die Herstellung einer anerkannten Autorität herbeiführe, nicht verschließen werde, wenn die österreichische Macht gewahrt bleibe. Wie man Preußen schon mehrmals habe wissen lassen, halte man die Konstituierung eines 1268 Vollmacht für Biegeleben, ausgestellt in Gastein am 25.8.1849 und von RAM A. v. Jochmus gegengezeichnet: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm.  487) 137; die auf Bitten Schwarzenbergs und Bieglebens, doch mit polit. nicht unbedeutenden inhaltlichen Abweichungen am 9.9. in Frankfurt ausgestellte Vollmacht, die vom Präsidenten des „Reichsministerrathes“, Prinz Wittgenstein, gegengezeichnet wurde: ebenda 145f. 1269 RAM A. v. Jochmus an MP Schwarzenberg, 16.8.1849: ebenda128. 1270 MP Schwarzenberg an RAM A. v. Jochmus, 25.8.1849: ebenda 133. 1271 Biegeleben an GRM, 25.8.1849: ebenda 136.

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engeren Bundesstaates in einem weiteren nicht mit den Verträgen von 1815 für vereinbar. Österreich schwenke aber insofern auf die Linie der Zentralgewalt über, als es gegen ein solches Bündnis keine Einwendungen erheben wolle, wenn es sich nicht gegen den Deutschen Bund richten würde. Den in Berlin erarbeiteten Text hielt man für eine gute Grundlage, zumal der anwesende preußische Gesandte Graf Bernstorff der Streichung des Hinweises auf die Gründung eines engeren Bundes zustimmte.1272 Daher schlug Schwarzenberg dem Ministerium vor, mit dem preußischen Kabinett, das auf einer Initiative Österreichs bestanden hatte, die Verhandlungen aufzunehmen. Seine Kollegen wollten zunächst das Interim nicht bis auf den 26. Mai des kommenden Jahres, den Tag des Abschlusses des Dreikönigsbündnisses, begrenzen, sondern auf den 18. Juni, den Tag der Wahl des Reichsverwesers.1273 Doch wollte man sich auch mit dem politisch nicht aufgeladenen Termin des 1. Mai zufriedengeben.1274 Brisanter war schon, dass die neue Zentralgewalt im Amt bleiben sollte, falls bis dahin noch keine Verfassung verabschiedet worden sei. Der Wiener Text des Interims, der sogleich die Zustimmung des anwesenden Königs von Württemberg erhielt,1275 stellt dieses als eine Initiative der deutschen Bundesregierungen im Einverständnis mit dem Reichsverweser dar. Es wird nicht mehr auf den engeren Bund Preußens Bezug genommen, allerdings in allgemeinen Worten die „deutsche Verfassungsangelegenheit der freien Vereinbarung der einzelnen Staaten überlassen“. Wie von Frankfurt immer gewollt, wird festgehalten, dass der Reichsverweser seine Würde und die ihm übertragenen Rechte in die Hände des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen nur niederlegen wird, „sobald die Zustimmung der Regierungen“ vorliegt. Der Wiener Entwurf des Interims torpedierte das preußische Verfassungsprojekt und den engeren Bund im Besonderen in subtilen Wendungen und nicht mehr im direkten Verlangen nach dessen Aufgabe. Wien und Frankfurt waren sich darin einig,1276 dass der Vorstoß zur Begründung einer neuen obersten Gewalt als eine Initiative der alten erscheinen müsse. Daher wurde der Reichsverweser gebeten, ein Ersuchen an das kaiser­ liche Kabinett zu stellen, die Verhandlungen mit Preußen aufzunehmen,1277 und seinem Sondergesandten die hierzu erforderliche Ermächtigung zu 1272 1273 1274 1275 1276

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übersenden.1278 Bemerkenswert ist, dass der Reisverweser darin nach seiner Ankunft, sicherlich unter dem Einfluss seines Ministeriums,1279 politisch andere Schwerpunkte setzte als in der Vollmacht von Gastein. Er zieht nun sogar ein Fortbestehen der gegenwärtigen Zentralgewalt in Erwägung und sieht das Problem nicht nur als eines zwischen Österreich und Preußen an, sondern von sämtlichen deutschen Staaten und will die Übergangsregelung nicht auf einen formalen Endtermin festlegen, sondern auf den Zeitpunkt an dem eine definitive Verfassung vorliegt.1280 Diese Ermächtigung zeigt den neuen Elan, der die Provisorische Zentralgewalt nach der Rückkehr des Reichsverwesers aus der Kur erfasst hatte, und der sich in dem Ehrgeiz niederschlug, weiterhin einen essenziellen Beitrag zur Einheit Deutschlands zu leisten. Schwarzenberg dachte aber nicht daran, durch die so angestrebte Aufwertung der Zentralgewalt die Einigung mit Preußen zu erschweren oder gar zu gefährden.1281 Diese Haltung wurde nochmals dadurch unterstrichen, dass das Reichsministerium an seine Gesandtschaften, noch ehe das endgültige Abkommen unter Dach und Fach war, am 16. September die „im Benehmen mit Seiner Kaiserlichen Hoheit dem Reichsverweser“ zustande gekommene Wiener Vereinbarung als „definitives Projekt“ versandte, das dem Berliner Kabinett vorgeschlagen werden soll.1282 Weiter ging der Sondergesandte des Reichsverwesers, indem er Österreich zu einer eigenständigen Verfassungsinitiative für Deutschland in Konkurrenz zu Preußen gewinnen wollte. Noch in Wien hat Biegeleben einen Vorschlag für die definitive Lösung der deutschen Frage ausgearbeitet, wie sie noch während des Bestehens der gegenwärtigen Provisorischen Zentralgewalt in Angriff genommen werden könnte. Die Idee war, Österreich durch Vorrechte und das Recht der Vertretung nach außen des weiteren Bundes für den entgangenen politischen Einfluss durch die Gründung des engeren Bundes zu entschädigen. Diese Kompensation sollte substanziell ergänzt werden durch die Aufnahme des Gesamtstaates in den Zollverein, wobei auf die österreichischen Handelsinteressen auch auf Kosten der deutschen, besondere Rücksicht zu

1278 Biegeleben an GRM, 2.9.1849: ebenda 318. 1279 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 9.9.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 220f. 1280 Vgl. Anm. 1268. 1281 Am 11. Oktober tröstete er deswegen den RV mit der Floskel „Doch wo das Beste nicht zu erreichen ist, gebietet die Klugheit nur das Mögliche zu erstreben.“: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 227. 1282 ZD an sämtliche Reichs-Gesandtschaften, 16.9.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 147ff.

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nehmen sei.1283 Wohl wegen dieses Vorstoßes tadelte der Reichsverweser Biegeleben, dass er seinen Auftrag, Nachforschungen anzustellen, durch selbstständige Vorschläge überschritten habe. Innenminister Detmold schloss sich mit der Rüge an, dass der Gesandte zwischen Wien und Gotha hin und her schwanke.1284 Ministerpräsident Schwarzenberg aber ließ Biegeleben wissen, dass die Konsolidierung des Gesamtstaates jetzt vorgehe. Er sich daher derzeit keine Verfassungskonzeption vorstellen könne, die sich damit vereinbaren ließe und zugleich in Deutschland auf breite Zustimmung stoßen würde.1285 Sowohl die Zentralgewalt mit ihren ausgreifenden Vorstellungen von einer Übergangsregelung als auch ihr Beauftragter hatten verkannt, dass es dem österreichischen Regierungschef in diesen Tagen einzig und allein darum ging, über das Interim so schnell wie möglich eine Vorentscheidung herbeizuführen, die eine Wiederherstellung des Deutschen Bundes in absehbarer Zeit ermöglichen würde. Der österreichische Gesandte am preußischen Hof hat dort den Entwurf, den Biegeleben mit Schwarzenberg ausgehandelt hatte, vorgelegt.1286 Diese amtliche Note stellte unter Bezugnahme auf die „offiziösen“ Verhandlungen des Bevollmächtigten der Zentralgewalt in Berlin den Vorschlag als von „Seiner Kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Reichsverweser ausgegangen“ und von der kaiserlichen Regierungen mit einigen Abänderungen angenommen dar. Es wurde also auf diesem Weg der Versuch unternommen, Preußen zur erneuten Anerkennung der Reichsgewalt zu zwingen. Das war insofern ein kleiner Sieg mithilfe Österreichs als dies ebenso hingenommen wurde wie die Forderung, dass das Einverständnis des Reichsverwesers zur endgültigen Vereinbarung einzuholen sei. Darüber hinaus gestand Berlin in seiner Antwort die Tätigkeit der Bundeskommission bis zum 1. Mai 1850 und deren Sitz in Frankfurt zu. Es bestand auch nicht mehr auf der ausdrücklichen Nennung des engeren Bundesstaates.1287 Dafür lagen die Intentionen, die mit dem Interim angestrebt werden sollten noch erkennbar auseinander. Die Berliner Formulierung ließ es zu, einen engeren Bund, der zugleich Völkerrechtssubjekt war, mit den Staaten, 1283 H. v. Zwiedineck-Südenhorst: Dt.-öst. Bundesakte (wie Anm. 1250) 199f. Ein ausführlicher Verfassungsentwurf Biegelebens, der sowohl der öst. wie der pr. Reg. vorgelegt wurde, aber keine weitere Beachtung fand, vom 15.9.1849: ebenda 201ff. 1284 P. Wentzcke: Biegeleben (wie Anm. 182) 258f.; 261. 1285 Biegeleben an RV Ehg. Johann, 7.9.1849: H. v. Zwiedineck-Südenhorst: Dt.-öst. Bundesakte (wie Anm. 1250) 195ff. 1286 Ebenda 193f. 1287 Bericht Biegelebens an das Reichsmin., 22.9.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 344f.

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die sich anschlossen, als Erhaltung des Deutschen Bundes auszugeben. Wien hingegen strebte direkt die Wiederbelebung des alten Deutschen Bundes mit sämtlichen Bundesmitgliedern an. Sie würde einen engeren Bund erheblich erschweren, ihm letztlich die Existenzberechtigung entziehen.1288 Weiterhin wollte Berlin die Verfolgung des Verfassungsprojekts nach Ablauf des Interims nicht von „allseitiger Zustimmung“ abhängig machen. Denn das hätte bedeutet, dass es überhaupt nicht mehr hätte weiter betrieben werden können. Abgelehnt wurde auch die Bestimmung, dass die Regierungen der Bundesstaaten bei der Reichskommission durch Bevollmächtigte vertreten würden. Das roch schon zu sehr danach, diese in den alten Deutschen Bund zu überführen.1289 15.2.3 Der Abschluss Noch ehe Biegeleben am 25. September über Dresden, wo er keine „neuen erheblichen Tatsachen“ erfuhr, nach Berlin zur Unterstützung des österreichischen Botschafters zurückkehrte, war auf höchster Ebene der Versuch unternommen worden, die Annäherung zu fördern. Auf Vorschlag der Königin von Preußen1290 traf sich ihr Gemahl mit dem österreichischen Kaiser zwischen dem 7. und 9. September auf halbem Wege in Teplitz und Pillnitz. Der preußische König versuchte, Franz Joseph für seine Verfassungspläne zu gewinnen, indem er diese als unverzichtbar darstellte, um die Umsturzbewegung endgültig einzudämmen. Der Umworbene, der keine eigenen Vorstellungen entwickelte, sollte zusätzlich damit gelockt werden, dass er zum „erblichen Imperator“ über das „ganze vereinte Österreichische Reich u Teutschland“ werden würde.1291 Für Biegeleben wird aber die Gewissheit wichtiger gewesen sein, dass ihm von den sechs strittigen Punkten nur zwei als gravierend erschienen: Die Frage des Vorsitzes und diejenige der Ernennung der Bevollmächtigten bei der Reichskommission.1292 Er ging wohl davon aus, dass die mit dem Interim verfolgten unterschiedlichen Absichten sich durch Formelkompromisse würden verdecken lassen.

1288 Berlin wollte, dass der Zweck des Interims in der Erhaltung des Deutschen Bundes als eines „völkerrechtlichen Vereins zur Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit ihrer im Bunde begriffenen Staaten“ sein sollte. Wien wollte die Erhaltung des Deutschen Bundes als eines „unauflöslichen Vereins sämtlicher deutscher Staaten“. 1289 Vgl. auch noch MP Schwarzenberg an Gf. Prokesch-Osten, 30.9.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 362ff. 1290 Öst. MR, 3.9.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 654f. 1291 Kg. Friedrich Wilhelm an Prinz Wilhelm, 27.9.1849: Bfw. / W. Baumgart (wie Anm. 928) 283. 1292 Biegeleben an GRM, 24.9.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 345.

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In Berlin waren König und Kabinett über den Passus über die Bevollmächtigten bei der Bundeskommission, wie Biegeleben schrieb, geradezu erschrocken „wegen Ähnlichkeit mit dem Bundestage“. Doch da man den deutschen Regierungen andererseits auch nicht untersagen konnte, Agenten bei der Bundeskommission zu unterhalten, verfiel man auf den Ausweg, diese im Interimsentwurf überhaupt nicht zu erwähnen.1293 Man hat sich dann aber auf den Kompromiss geeinigt, dass die Bestimmung nicht „imperativ“, sondern „fakultativ“ zu verstehen sei. Österreich wurde der Vorsitz nicht direkt zugestanden, doch sollte sich Preußen mit dessen Geschäftsleitung der jetzt „Reichskommission“ genannten Einrichtung zufriedengeben.1294 Damit waren die Gegensätze soweit bereinigt, dass die letzten Einwände1295 in Wien zwischen Ministerpräsident Schwarzenberg und dem preußischen Gesandten Graf Bernstorff ausgeräumt und das Protokoll über das Interim am 30. September unterzeichnet werden konnte. In der Präambel wird ausdrücklich auf den Wunsch des Erzherzogs Reichsverweser Bezug genommen, die ihm durch Bundesbeschluss vom 12. Juli 1848 anvertraute Gewalt wieder an die „Gesammtheit der Mitglieder des Deutschen Bundes zurückzugeben“. Das durch das Interim zu schaffende „anerkannte Central-Organ“ sollte die „Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten des Deutschen Bundes übernehmen“ bis zur definitiven Gestaltung von dessen inneren Verhältnissen. Die Ausübung der „Central-Gewalt“ durch Preußen und Österreich „für den Deutschen Bund im Namen sämmtlicher Bundes-Regierungen“ wurde als eine Vereinbarung der deutschen „BundesRegierungen“ im Einverständnis mit dem Reichsverweser charakterisiert. Der engere Bund wurde nicht erwähnt. Wie es mit der Verfassungsangelegenheit weitergehen sollte, wenn sie nach dem Auslaufen des Interims noch offen war, sollte der Übereinkunft der deutschen Regierung vorbehalten bleiben. Die jetzt wieder so genannte „Bundes-Kommission“, der die Kompetenzen der derzeitigen Provisorischen Zentralgewalt zu übertragen waren, sollte aus je zwei Mitgliedern aus Preußen und Österreich, die ihren Vollmachtgebern verantwortlich waren, bestehen und in Frankfurt tagen. Den übrigen Regierungen war es überlassen, sich durch Bevollmächtigte vertreten zu lassen. Sobald die Zustimmung der Regierungen zu diesen Vorschlägen erfolgt ist, wird der Reichsverweser seiner Würde entsagen und die übertragenen Rechte und

1293 Bericht Biegelebens an GRM, 3.10.1849: ebenda 370. 1294 Bericht Biegelebens an GRM, 2.10.1849: ebenda 369. 1295 Öst. MR, 23.9.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 204f.

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Pflichten des Bundes in die Hände des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen niederlegen.1296 Wien und Berlin wollten sich gemeinschaftlich um den Beitritt sämtlicher deutscher Staaten kümmern.1297 Die Ratifikation sollte innerhalb von 10 Tagen erfolgen. Die kaiserliche Regierung wollte es übernehmen, bis dahin das erforderliche Einverständnis des Reichsverwesers einzuholen.1298 Nach Beratung mit seinem Ministerium erteilte er diese am 6. Oktober. Er betonte aber ausdrücklich, dass er seiner „Würde als deutscher Reichsverweser“ nur entsagen werde, wenn die „Zustimmung sämmtlicher deutscher Regierungen“ vorliege, nicht zuletzt, weil er sich allein noch durch den Beschluss der „deutschen Bundesversammlung“ vom 12. Juli 1848 legitimiert sah.1299 Daraufhin wurden die Ratifikationsurkunden in Berlin am 10. und in Wien am 12. Oktober hinterlegt.1300 Im Verwaltungsrat des Dreikönigsbündnisses, wo die Mitglieder allerdings keine Instruktion zu dem Gegenstand hatten, haben sich nach einer lebhaften Diskussion von zwölf nur drei am 8. Oktober gegen die Annahme des Interims ausgesprochen.1301 Das Interim war der zu diesem Zeitpunkt angemessene Kompromiss. Mit dem Reichsverweser und seinem Ministerium verschwand die oberste Exekutive in Deutschland, die eine Konkurrenz zu der von Preußen angestrebten Oberleitung des engeren Bundes gewesen wäre. Die Bundeskommission war eine Verwaltungsbehörde, die zudem im Mai 1850 aufgelöst werden sollte. Von dieser Seite waren also die Hindernisse für einen Bundesstaat aus dem Weg geräumt. Österreich gewann die benötigte Zeit, ohne dass etwas präjudiziert worden wäre. Innenminister Detmold argwöhnte, dass das Interim ihm nur dazu diene, die preußischen Pläne zu bekämpfen.1302 Und schließlich hatte Preußen durch sein Handeln die Provisorische Zentralgewalt wieder anerkannt. Das wurde noch einmal deutlich dadurch unterstrichen, dass es sich

1296 Übereinkunft zwischen Öst. und Pr. über die Bildung der interimistischen Bundeszentralkommission, 30.9.1849: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) Nr. 175. u. Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 97f. 1297 Bei der Abfassung der dafür vorgesehenen Kollektivnote „an sämtliche Bundesgenossen“ kam es nochmals zu Auseinandersetzungen um den Text: Schwarzenberg an Ehg. Johann, 25.10.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 228. 1298 RIM Detmold an Stüve, 4.10.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 286. 1299 GRM, 8.10.1849 und Bl. B: BA, DB 52/14; auch E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 884. 1300 Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 379. Ratifikationsprot. des GRM, 6.10.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 99; GRM, 15.10.1849: BA, DB 52/14. 1301 Biegeleben an GRM, 8.10.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 378. 1302 RIM Detmold an Stüve, 10. 12. 1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 326f.

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deren Kompetenzen und Würde vom Reichsverweser übertragen lassen wollte, was diesem „sehr viel“ bedeutete.1303 Preußen hat nach Abschluss des Interims auch sofort gezielt in der Öffentlichkeit den Eindruck vermittelt, als habe Österreich dadurch jetzt dem preußischen Bundesstaat zugestimmt.1304 Da es glaubte, nun freie Hand zu haben, hat es die Einberufung des verfassungsberatenden Reichstages forciert. Sachsen und Hannover wollten sich allerdings zuvor weiterhin um die abseitsstehenden Königreiche Bayern und Württemberg bemühen, eine Einigung mit Österreich abwarten und durch die Umarbeitung der Verfassungspläne deren Annäherung erleichtern.1305 Dennoch beschloss die Mehrheit des Verwaltungsrats am 19. Oktober 1849, die Wahlen zum Volkshaus des Reichstages vorzubereiten,1306 da das Projekt bis zum Auslaufen des Interims zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden sollte.1307 Dies wurde aber kein Schritt zur Vollendung von engerem Bund und Union. Denn die Königreiche Sachsen und Hannover, inzwischen von Österreich bearbeitet, lehnten die Beteiligung daran ab.1308 Dennoch setzte der Verwaltungsrat am 17. November den Wahltermin für das nach dem Dreiklassenwahlrecht zu wählende Volkshaus auf den 31. Januar 1850 fest.1309 Das Staatenhaus sollte jeweils zur Hälfte von den Regierungen der Bundesstaaten zur anderen Hälfte von den jeweiligen Landtagen beschickt werden.1310 Dem Parlament sollte der Verfassungsentwurf vom Mai mit den beschlossenen Änderungen vorgelegt werden. Das Ergebnis der Beratungen war dann mit einer Kommission der verbündeten Regierungen abzustimmen.1311 Preußen stand in der Gefahr, statt zur Führungsmacht in Deutschland zu werden zum Anführer der deutschen Kleinstaaten herabzusinken – und 1303 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 9.9.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 220f. 1304 Prokesch an Schwarzenberg, 22.10.1849: Bf. Gf. Prokesch von Osten / A. von Prokesch (wie Anm. 1126) 96f. 1305 Biegeleben an GRM, 6.10.1849: Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 376. Schon zuvor hatte das Pr. Staatsmin, am 29.6.1849 die Umarbeitung der Vf. gefordert: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 100. 1306 D. Rogosch: Mittelstaaten (wie Anm. 1213) 418f. 1307 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 884. 1308 Ebenda 891. 1309 Prokesch kommentierte in seinem Bericht an Schwarzenberg vom 22.10.1849, die Gothaer Partei habe Sachsen und Hannover aus dem Verwaltungsrat geworfen. Diese klagen nun Pr. wegen des Bruchs des Bündnisses vom 26. Mai an: Bf. Gf. Prokesch von Osten / A. von Prokesch (wie Anm. 1126) 96f. 1310 D. E. Barclay: Unionspolitik (wie Anm. 1184) 69. 1311 Pr. Staatsministerium, 12.10.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 105.

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selbst in diesen verweigerte sich mancher Landtag der Regierung beim Weg in den preußisch-deutschen Bundesstaat.1312 Wien hatte sich bisher in der Frage der Neuordnung Deutschlands auf die konservative Position einer mäßigen Umgestaltung des Deutschen Bundes gestellt. Die deutschen Staaten sollten neben Preußen und Österreich in einem eigenen Verband unter einem Dreierdirektorium mit je einem Vertreter der drei Staatenverbände zusammengefasst werden.1313 Solche Überlegungen erschienen aber zu wenig attraktiv, als sich Preußen durch das Interim ermutigt fühlte, die Union mit Nachdruck anzusteuern. Daher legte das Ministerium Schwarzenberg Anfang Oktober den Plan zu einem „mitteleuropäischen Staatenbund“ in Form eines Wirtschaftsraumes des Kaisertums und der restlichen Staaten des Deutschen Bundes vor. So sehr die Handelsvorteile lockten, so gab es doch große Bedenken, ob die österreichische Industrie der freien Konkurrenz der deutschen gewachsen sei. Hinzu kam, dass Österreich dann mit größeren Einnahmeausfällen würde rechnen müssen, da es der Einheitlichkeit der Besteuerung willen auf einige Akzisen und Monopole verzichten müsste. Ob Österreich wirklich glaubte, dass ein Dreierdirektorium unter seinem Vorsitz durchsetzbar sein würde, das die völkerrechtliche Vertretung, einschließlich Krieg und Frieden, die Oberleitung der Bundesmacht, die Sicherung der inneren Ordnung und die weitgehenden Kompetenzen im Handels-, Zoll- und Verkehrswesen haben sollte? Und schließlich war die vorgesehene parlamentarische Mitwirkung kaum mehr als Dekor.1314 Und wieweit würden sich die nicht-deutschen Völker in einen solchen Staatenbund einfügen? Die österreichische Regierung hatte wohl selbst nur begrenztes Vertrauen in ihr Projekt. Es erfüllte aber zunächst seinen Zweck. Denn es wurde Grundlage des von Bayern angestoßenen Bündnisses der vier Königreiche vom 27. Februar 1850.1315 Doch diesem blieb ebenfalls der Test auf seine Umsetzbarkeit erspart. Daher behielt sich Österreich auch immer die Option der Wiederherstellung des Deutschen Bundes offen. Es trat deswegen allen Äußerungen Preußens,

1312 RIM Detmold an Stüve, 10. 12. 1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 326f. 1313 Öst. MR, 11.9.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 678f. 1314 Ebenda 739ff. Grafiken zu den unterschiedlichen öst. Projekte (großdeutsch oder mit Einschluss des Gesamtstaates), die zwischen dem 9.10.1848 und dem 10.7.1849 vorgeschlagen wurden in Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) nach S. 196. Es sind dies wohl Lithographien, die zur Popularisierung der jeweiligen Vorstellung verbreitet wurden: dazu auch V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 34) 468. 1315 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 893.

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dass dieser nicht mehr bestehe, diplomatisch wie öffentlich mit Nachdruck entgegen.1316 16.

Letzte Probleme

Am 3. September 1849 kehrte der Reichsverweser in seine Residenz Frankfurt am Main zurück. Sein feierlicher Empfang hatte für die angeschlagene Zentralgewalt durchaus politische Bedeutung. Neben den Bundesstaaten Österreich und Bayern, die sie noch stützten, war erstaunlicherweise auch der Bevollmächtigte des Königreichs Hannover erschienen. Die diplomatischen Vertreter Frankreichs und der Vereinigten Staaten hießen den Reichsverweser wohl als Repräsentant des demokratischen Aufbruchs vom Frühsommer 1848 willkommen. Dazu paradierten die Offiziere der in Frankfurt anwesenden Truppen Österreichs, Bayerns und selbst des preußischen Rivalen.1317 Den Erzherzog hatten seine geliebten Berge und die Kur so sehr gestärkt, dass ihn seine Minister kaum mehr wiedererkannten.1318 Damit die wiedergewonnene Kraft erhalten blieb, erwarb er ein Landhaus, „um Sonne und freie Luft zu haben.“1319 Er selbst war davon überzeugt, dass mit seiner Gesundheit auch sein „moralischer Schneid“ zurückgekommen sei.1320 Das lag vermutlich daran, dass die Arbeitsbelastung sich verringerte und er nun mehr Zeit zum Besuch der umliegenden Höfe und Belgiens fand.1321 Er war jetzt entschlossen, so lange zu bleiben, bis eine Lage eingetreten sei, die seinen Abgang nicht als Scheitern erscheinen lassen würde.1322 Trotz der neugewonnenen Tatkraft empfand der Reichsverweser seine Stellung nicht einfacher als zuvor.1323 Er fürchtete weiterhin die preußischen Intrigen; aktuell die beabsichtigte Einberufung eines Reichstages, möglicherweise sogar nach Frankfurt. Das würde die Stellung der Zentralgewalt 1316 1317 1318 1319 1320 1321 1322 1323

Öst. MR, 10.10.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 821. H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 167. Detmold an Stüve, 7.9.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 272. Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 9.9.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 221. Ehg. Johann an J. Zahlbruckner, 6.9.1849: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H. 2, 94. Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 30.10.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 230f. Am 18. September schrieb er an Schwarzenberg: „Es ist ganz etwas eigenes, wenn man sich gesund fühlt. Dieses ist jetzt der Fall bei mir und gibt mir nebst der physischen auch die moralische Kraft, gar manchem die Stirn zu bieten.“: ebenda 222. Dazu Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 6.9.1849: ebenda 216f.

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erneut kompromittieren. An deren demütigenden Missachtung während der Waffenstillstands- bzw. Friedensverhandlungen mit Dänemark hatte auch das Interim nichts geändert. Darüber hinaus hörte man von dem preußischen Zündnadelgewehr Wunderdinge. Das beunruhigte den ehemaligen Feldherrn angesichts von Schwarzenbergs gelegentlichen Kriegsdrohungen. Schließlich empfand er es als „ein drückendes Missverhältnis“, dass aus Berlin „mittelst des Telegraphen zehn Minuten zu Mitteilungen“ nach Frankfurt benötigt würden, „wir aber durch Kuriere zehn Tage brauchen.“1324 Ein besonderes Problem mit Preußen war dadurch entstanden, dass Prinz Wilhelm nach Abschluss der Kampagne gegen die Rheinpfalz und Baden Anfang August, ohne von der Stadt oder der Zentralgewalt eingeladen worden zu sein, in Frankfurt Residenz bezog und zwei Bataillone mitgebracht hatte wie Truppen im Umland stationierte.1325 Besonders befremdlich empfanden es Reichsgewalt, Stadtregierung und Bevölkerung, dass er Ende September verkündete, dass er zum Oberbefehlshaber der „Okkupationstruppen“ in der Stadt ernannt worden sei. Damit war klar, dass er nicht wie erwartet, nach dem Abschluss des Interims abziehen würde; vielmehr ist er bis zum Ende der Zentralgewalt geblieben. Er hat von Frankfurt aus Inspektionen preußischer Truppen in Süddeutschland wie am Mittelrhein durchgeführt, doch auch dynastische und politische Kontakte gepflegt.1326 Wilhelm rechtfertigte die militärische Präsenz damit, dass Preußen die Stadt als vorgeschobenen Posten halten müsse. Das nahm ihm der Reichsverweser nicht ab, da das Königreich allein in Baden  30.000 Mann stationiert hatte. Er verwies darauf, dass die anwesenden bayerischen und österreichischen Truppen zum Schutz der Stadt und der Zentralgewalt völlig ausreichen würden.1327 Johann sah darin ein besonders dreistes preußisches Manöver, um ihn aus seinem Amt zu drängen. Er hat daher den Prinzen, der nach seiner Ansicht den „Kommandierenden“ spielte, nach seiner Rückkehr auch deutlich wissen lassen, dass er seine Beziehungen zu ihm danach einrichten würde, wie es seine Würde gebot; persönliche Wertschätzung und aristokratische Courtoisie also hintanstellen würde. Er beschränkte daher den Umgang mit dem preußischen Prinzen auf das Notwendigste; zumal der in dieser Hinsicht inzwischen gegenüber Preußen besonders dünnhäutig gewordene Reichsverweser glaubte, dass

1324 1325 1326 1327

Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 6.9.1849: ebenda 218. Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 5.8.1849: ebenda 206. Wilhelm an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 31.12.1849: Bfw. / W. Baumgart (wie Anm. 928) 286f. H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 166.

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dieser sich ihm gegenüber einige Rücksichtslosigkeiten herausgenommen habe.1328 Der Erzherzog lag sicherlich mit seiner Vermutung nicht falsch, dass die preußische Besatzung auch dazu dienen sollte, die immer noch zögernde Stadt zum Anschluss an das von Preußen angeführte Bündnis der deutschen Staaten zu bewegen – was ihm kurz zuvor mit dem benachbarten Hessen-Darmstadt gelungen war. Er zweifelte nicht daran, dass dann zumindest die österreichischen Truppen abgezogen werden müssten1329 und er ebenfalls nicht mehr länger in der Hauptstadt des Deutschen Bundes verbleiben könne. Er hat daher mehrmals persönlich die schwankende Stadtregierung mit Nachdruck daran erinnert,1330 dass sie aus Dank gegen Österreich und mit Rücksicht auf die ihr in der Revolution zugefallene Rolle in der ihr als „alten Krönungsstadt vorzugsweise zukommenden Haltung“ der Neutralität „verharren möge.“1331 Da in der Stadtbevölkerung wegen der Einquartierungen eine antipreußische Stimmung vorherrschte,1332 ist ihm dies auch gelungen.1333 Die ärgste Sorge, die den Reichsverweser und seine Regierung nach der Rückkehr plagte, aber war das allmähliche Versiegen der Beiträge der Bundesstaaten, die zu Preußen übergegangen waren. Anfang September schätzte er, dass die Zentralgewalt nur noch zwei Wochen überleben könne. Dazu kam, dass der Großherzog von Hessen-Darmstadt, wohl auf Druck Preußens, seinem Generaladjutanten August Fürst Wittgenstein das Gehalt von 7.000 Rheinischen Gulden zu entziehen drohte, falls er nicht das Reichsministerium verließe. Mit der Drohung, „sein Austritt hat zur Folge, daß die übrigen Minister auch gehen – dann stehe ich ganz allein“, erreichte Johann, dass sein Ministerpräsident als Feldmarschallleutnant in kaiserliche Dienste übernommen wurde.1334

1328 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 6.9.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 215ff. Besonders empörte den Ehg., dass Wilhelm das Landhaus, das er nach seiner Rückkehr für sich und seine Familie zu erwerben beabsichtigte, ihm wegschnappen wollte. Diese Unverfrorenheit sei aber „an dem treuen Sinn der Besitzerin, einer Böhmin,“ gescheitert. 1329 RIM Detmold an Stüve, 10. 6. 1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 227f. 1330 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 18.9.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 222. 1331 Ehg. Johann an Bürgermeister Müller, 6.9.1849: ebenda 221. 1332 H. Jacobi: Provisorische Zentralgewalt (wie Anm. 479) 166. 1333 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 9.9.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 220f. 1334 Öst. MR, 4. u.11.9.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 661, 678.

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Der Aufbau einer Reichsmarine

17.1 Erste Bestrebungen zum Bau einer Reichsflotte Es gab mehrere Gründe, warum die Reichsgewalt, obwohl sie nur vorläufig war, ein so langfristiges Projekt wie den Aufbau einer Kriegsmarine anging. Nach den Wiener Friedensverhandlungen hatte der deutsche Seehandel einen beträchtlichen Aufschwung genommen, vor allem seit infolge der Dekolonisierung Nord- und Südamerikas der Warenaustausch mit den dortigen Staaten möglich wurde.1335 Die deutsche Handelsschifffahrt litt aber zunehmend unter der Piraterie wie Repressalien der führenden Seemächte. Aus der Erkenntnis heraus, dass der Anteil am Welthandel auch vom Besitz von Seestreitkräften abhängig sei, drängten Kreise des Fernhandels darauf, den Deutschen Zollverein durch einen Handels- und Schifffahrtsbund zum Unterhalt einer Kriegsflotte zu ergänzen. Nicht zuletzt durch den Einsatz des Bremer Senators Arnold Duckwitz und des renommierten Volkswirtes Friedrich List kam es 1847 deswegen zu ersten Verhandlungen. Von den Interessenten tüchtig gefördert, verbanden sich diese Bestrebungen mit dem bürgerlichen Nationalismus zu einer populären Flottenbewegung. Weitgehend unkoordiniert wurden Flottenvereine in fast jeder deutschen Stadt gegründet, die ihr Anliegen, durch Presse und Flugschriften unterstützt, propagierten und Geldsammlungen durchführten. Auch wenn die Nationalversammlung die an sie abgeführten Spenden durch Verlesung zu Beginn ihrer Sitzungen lange propagandistisch eindrucksvoll inszenierte, kam keine größere Summe zustande. Bis zum Ende des Jahres 1849 gerade 190.492 Gulden.1336 Welthandel, deutsche Einheit und deutsche Seemacht wurden so Teil der bürgerlichen Reformbewegung. Bis zum Ausbruch der Revolution waren im Denken der Nation deutsche Einheit und deutsche Flotte untrennbar miteinander verbunden. Daher war es schon nicht mehr überraschend, dass bereits Vorparlament und Fünfzigerausschuss in Konkurrenz zur jetzt ebenfalls aktiv gewordenen Bundesversammlung die Regierungen der Staaten und interessierte Kreise der Wirtschaft Ende Mai 1848 zu einem Marinekongress nach Hamburg einberiefen. Bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung legte dieser ein Konzept für den Aufbau einer deutschen Flotte vor. Die Absicht war, 15 Kriegsschiffe in den Teilen der Weltmeere, wo deutsche Handels- und 1335 Moltmann, Günter: Die deutsche Flotte von 1848/49 im historisch-politischen Kontext. – In: Deutsche Marinen im Wandel: Vom Symbol nationaler Einheit zum Instrument internationaler Sicherheit / hrsg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes von Werner Rahn. – München 2005. – (Beiträge zur Militärgeschichte; 63) 63–80, hier 70. 1336 Haenchen, Karl: Die deutsche Flotte von 1848. – Bremen 1925. – (Hansische Volkshefte; 9) 20f.

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Machtinteressen besonders berührt waren, zu stationieren. Ein Sechsjahresplan sah für die Anschaffung etwas über 10 Millionen Reichstaler vor und jährliche Unterhaltskosten von 1,6 Millionen.1337 Die Kämpfe zwischen den Truppen des Königreichs Dänemark und denen der Provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein wurden im Deutschen Bund zwar weniger als eine militärische Herausforderung empfunden, dafür waren sie umso mehr eine die Emotionen schürende Provokation. Denn in dem Einmarsch des Bundesglieds Dänemark in die Herzogtümer Anfang April  1848 sahen viele einen hochverräterischen Akt. Er wurde nochmals dadurch gesteigert, dass das nach der Wehrkonzeption mit der Verteidigung der See beauftragte Königreich nun die deutschen Häfen der Nord- und Ostsee blockierte.1338 Die Beeinträchtigung ihres Seehandels veranlasste einige Küstenstaaten unter der Führung Hamburgs im Frühsommer 1848 zu Beratungen, wie dagegen vorzugehen sei und wie in Zukunft die Seehandelswege besser geschützt werden könnten. Auf diesem Weg war schon eine kleine Flotte zustande gekommen, die aber nicht mehr eingesetzt wurde. Zu ihrem Erwerb hatte noch die Bundesversammlung einen Vorschuss aus dem Festungsbaufonds von 525.000 Gulden bewilligt.1339 Wenn Preußen und der Bund auch glaubten, den Krieg gegen Dänemark ohne Marine durchstehen zu können, so unterstrich die Erfahrung der Blockade wie die Tatsache, dass der Feind zur See nicht angreifbar war, den Wert einer Flotte für das zukünftige Deutschland.1340 Eine solche so schnell aufzubauen, dass sie noch im gegenwärtigen Krieg eingesetzt werden könne, wurde daher ein weiteres Motiv. Schleswig-Holstein, das unmittelbar von der dänischen Flotte bedroht war, wurde hierfür Vorbild. Dort war am 29. Mai 1848 auf private Initiative hin eine „Marinebehörde“ „bis zur eventuellen Einsetzung einer Reichsbehörde“ gegründet worden. Daraufhin bewilligten die Stände der inzwischen gebildeten Provisorischen Regierung von den 500.000 geforderten Talern immerhin 100.000. Es wurden zwei Schiffe angekauft und beschlossen, 1337 Petter, Wolfgang: Programmierter Untergang: Die Fehlrüstung der deutschen Flotte von 1848. – In: Die Deutschen und die Revolution: 17 Vorträge für die Ranke-Gesellschaft: Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben / hrsg. von Michael Salewski. – Göttingen, Zürich 1984, 228–255, hier 151ff. 1338 Salewski, Michael: Die „Reichsflotte“ von 1848: Ihr Ort in der Geschichte. – In: Die Deutschen und die See: Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts / hrsg. von Jürgen Elvert u. Stefan Lippert. – Stuttgart 1998. – (Historische Mitteilungen: Beiheft; 25) 24–39, hier 29. 1339 K. Haenchen: Deutsche Flotte (wie Anm. 1336) 19f.; Vortrag über den Stand der Finanzen (wie Anm. 243) 9. 1340 Kroener, Bernhard, R.: Die deutsche Flotte 1848/49: „das Schmerzenskind der deutschen Revolution“? – In: Deutsche Marinen im Wandel (wie Anm. 1335) 91–112, hier 83.

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den Kieler Hafen zu befestigen. Auch die folgenden Regierungen blieben auf diesem Kurs, so dass die Flotte Schleswig-Holsteins im Sommer 1849 gegen Dänemark einige Erfolge erzielen und die Reichsflotte unterstützen konnte.1341 Die Bundesversammlung hatte sich bisher nicht mit Marinefragen beschäftigt, bis auch sie kurz vor der Revolution in den Sog der populären Flottenbegeisterung geriet. Die Anrainerstaaten an Nord- und Ostsee und selbst die Hansestädte verfügten trotz aufblühenden Seehandels über keinerlei Kriegsschiffe.1342 Selbst Preußen, das seit der Gründung der „Seehandlung“ unter Friedrich dem Großen auf den Weltmeeren präsent war, besaß nicht mehr als einige Kanonenboote zur Küstenverteidigung. Zwar waren nach dem Ende der napoleonischen Kriege immer wieder Überlegungen zum Aufbau einer Marine angestellt worden, doch wegen des Mangels an Mitteln und der bevorzugten Strategie des Landkrieges nie recht vorangekommen. Als das Königreich Mitte April 1848 den Auftrag vom Bund erhielt, den Krieg gegen Dänemark zu führen, wurde immerhin auf Vorschlag des langjährigen Seewehr-Referenten, Generalmajor von Peucker, dem späteren Reichskriegsminister, eine Marinekommission eingesetzt. Sie unterstand dem bisherigen Generalinspekteur der Artillerie, Prinz Adalbert von Preußen. Dieser entwarf im Mai einen Plan für eine Flotte zur Verteidigung der Küste wie zum Schutz des preußischen Handels. Er hielt es aber derzeit nicht für machbar, das Königreich in den Rang einer selbstständig agierenden Seemacht zu erheben.1343 Zunächst waren solche Überlegungen als Beitrag zu einer deutschen Flotte gedacht gewesen. Mit der Verschlechterung der Beziehungen zu Frankfurt wurden Adalberts Vorschläge jedoch Grundlage der Marinepolitik Preußens, als dieses in Konkurrenz zu den Reichsinstitutionen Ende des Jahres an deren Umsetzung ging. Nicht wenige Abgeordnete der Nationalversammlung entstammten den Kreisen, die bisher der Rückhalt der populären Flottenbewegung gewesen waren. Für sie war eine deutsche Marine fraglos eine Klammer für den Nationalstaat und deren Präsenz auf den Weltmeeren Vorbedingung für Großmachtstatus und Fernhandel. Hier brach ein wirtschafts- und wehrpolitischer Gegensatz auf: Die fürstliche Orientierung auf den Bundesstaat und das Landheer stand gegen die weltumspannenden Handelsinteressen von Großkaufleuten und Reedern und deren Schutz. Die Übernahme dieser Aufgabe erfolgte

1341 K. Haenchen: Deutsche Flotte (wie Anm. 1336) 16f.; dort auch die Zitate. 1342 M. Salewski: Reichsflotte (wie Anm. 1338) 30f. 1343 W. Petter: Programmierter Untergang (wie Anm. 1337) 159f.

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auch, um die Bindung dieses Teils des Bürgertums an die revolutionären Institutionen zu festigen.1344 Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass das Parlament früh einen Ausschuss einsetzte, der sich dieses „tief gefühlten Bedürfnisses der Nation“ annahm.1345 Er schlug eine Armada zum Schutz des Handels, zur Förderung der see- und handelspolitischen Interessen und der Sicherung der Küsten vor. Um das Vorhaben anzugehen, sollten 6 Millionen Taler bewilligt werden, und zwar 3 Millionen sofort, der Rest nach Bedarf.1346 Der Antrag wurde in der Sitzung vom 14. Juni fast einstimmig angenommen,1347 da, wie es der Berichterstatter General von Radowitz auf den Punkt brachte, die Flotte inzwischen ein nicht mehr infrage gestelltes Zeichen für das angestrebte vereinigte Deutschland und dessen Ansehen in der Welt war.1348 Einer der nicht wenigen verwunderlichen Beschlüsse der Nationalversammlung: Ein Parlament beschloss auf der Grundlage eines arrogierten Haushaltsrechts die Finanzierung einer Flotte nach dem System eines Bundes, den sie gerade abschaffen wollte, für einen Staat, der noch gar nicht bestand; und sie übertrug diese Aufgabe einer Regierung, die es ebenfalls noch nicht gab!1349 Daher wurde die Umsetzung dieses Anliegens ein Motiv unter anderen für die Einsetzung der Zentralgewalt noch im selben Monat. Der Nationalversammlung schwebte eine Flotte vor, die langfristig Instrument einer deutschen Großmacht sein sollte. Diese Entscheidung war zu einem Zeitpunkt gefallen, wo nicht nur in dieser Frage eine Euphorie und ein Geist herrschten, die ohne die mindeste Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse geradezu das Unmögliche verlangten.1350 Das war in diesem Falle besonders deutlich, da in Deutschland dazu alle Voraussetzungen fehlten. Es gab keine Erfahrung im Bau von Kriegsschiffen, keine dazu geeigneten Werften, keine Kriegshäfen, weder Ingenieure noch Offiziere und Mannschaften. Dennoch hat die Provisorische Zentralgewalt den Aufbau der Marine mit einem solchen Nachdruck wie kaum etwas anderes betrieben. Denn sie sah darin nicht nur die Chance, so den Rückhalt der bürgerlichen Revolution im Volk zu stärken, sondern ihr eröffnete sich hier auch ein Terrain, auf dem sie 1344 B. R. Kroener: Deutsche Flotte (wie Anm. 1340) 82 bezeichnet die Flottenbegeisterung als ein „integratives Element der Revolution“. 1345 Debatte übe die Flotte in der NV ist zusammengefasst bei G. Moltmann: Deutsche Flotte (wie Anm. 1162) 64ff. 1346 K. Haenchen: Deutsche Flotte (wie Anm. 1336) 23. 1347 Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 318f. 1348 Reden I / F. Wigard (wie Anm. 3) 251. 1349 Vgl. auch noch G. Moltmann: Deutsche Flotte (wie Anm. 1335) 63. 1350 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 104.

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staatliches Handeln entfalten konnte, ohne Konkurrenz oder Gegnerschaft der Fürstenstaaten fürchten zu müssen. 17.2 Die Errichtung der Marineverwaltung Trotz der hohen politischen Bedeutung des Aufbaus einer Flotte hatte sich das Reichsministerium zunächst nicht darum gekümmert. Da es mit sich selbst, dem Malmöer Waffenstillstand und der Eindämmung von Aufständen beschäftigt war, wurde anfangs der Marineausschuss der Nationalversammlung zur treibenden Kraft. Das Reichsministerium hatte das wohl richtige Empfinden, dass in Frankfurt noch zu wenig verwaltungsmäßige und technische Kompetenzen vorhanden waren, um grundlegende Entscheidungen über den Aufbau einer Marine zu treffen. Da aber andererseits auch in der Öffentlichkeit Erwartungen geweckt worden waren, entschloss es sich am 30. Oktober 1848, provisorische Zentralbehörden zu installieren.1351 Im Handelsministerium, dessen Leiter für das Flottenprojekt die Verantwortung gegenüber dem Parlament trug, wurde eine Marineabteilung eingerichtet. Sie entwarf alle Verordnungen, war zuständig für das Personalwesen, die Rang- und Soldverhältnisse und wickelte die Käufe der Schiffe wie die Finanzierung der maritimen Infrastruktur ab. Die gleichzeitig gegründete Technische Marinekommission beriet die Marineabteilung in allen Sachfragen, besonders dem Ankauf von Kriegsschiffen und der Anlage von Arsenalen wie Kriegshäfen. Sie sollte sich aber auch schon Gedanken über die definitive Einrichtung einer deutschen Marine und die künftige Gestaltung der Marinebehörden machen.1352 Das Projekt wurde Handelsminister Arnold Duckwitz, übertragen. Der Reichskriegsminister, der dafür ja zuerst zuständig gewesen wäre, hat die Verantwortung dafür bereits abgelehnt, als es zum ersten Mal erörtert wurde.1353 Der Reeder, Kaufman und Bremer Senator musste daher vermutlich nicht nur in die Bresche springen, weil kein anderer es übernehmen wollte, wie er schreibt,1354 sondern auch deswegen, weil er sich für das angestrebte bürgerliche Konzept des Schutzes deutscher Handels- und Überseeinteressen bereits vor der Revolution öffentlich wie kaum ein anderer eingesetzt hatte. Doch war der Aspekt des unmittelbaren Kriegseinsatzes daneben ebenfalls zu 1351 Antrag des RM an den RV, o. D.: Duckwitz, Arnold: Ueber die Gründung der deutschen Kriegsmarine. – Bremen 1849, 29f. 1352 Vortrag von RM Duckwitz beim RV und im GRM, 30.10.1848: A. Duckwitz: Gründung Kriegsmarine, 27ff. Auch Bl. B zu GRM, 31.10.1848: BA, DB 52/3. Vgl. auch noch Vortrag des Reichsministerrats über die Errichtung einer „provisorischen Centralbehörde“ für die deutsche Marine“, 13.11.1848: BA, DB 59/2. 1353 GRM, 29.8.1848: BA, DB 52/1. 1354 A. Duckwitz: Gründung Kriegsmarine (wie Anm. 1351) 7ff.; auch im Folgenden.

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berücksichtigen. Denn Ministerium und Parlament gingen davon aus, dass der Krieg im Norden im nächsten Frühjahr wieder ausbrechen würde. Bis dahin sollte eine kleine Flotte einsatzfähig sein.1355 Noch ehe das erste Schiff in See stach, wurde durch das Reichsgesetz vom 12. November  1848 die Seekriegsflagge in den Farben Schwarz-Rot-Gold mit dem schwarzen Doppeladler des Deutschen Bundes im linken Obereck eingeführt.1356 Duckwitz wollte für die Aufgabe Prinz Adalbert von Preußen, den in Deutschland bekanntesten Fachmann für Flottenfragen, als Berater gewinnen.1357 Auf Bitte des Reichsverwesers wurde der damalige Präsident der preußischen Marinekommission zusammen mit einigen Offizieren tatsächlich von seinem König für diese Aufgabe abgeordnet. Die Technische Marinekommission, deren Leitung Prinz Adalbert Ende November  1848 übernahm, wurde eine selbstständige Behörde, um dem preußischen Prinzen die größtmögliche Unabhängigkeit von der Reichsgewalt zu garantieren. Zu diesem Zeitpunkt wollte Preußen den jetzt ebenfalls energischer vorangetriebenen Ausbau seiner Flotte noch als Beitrag zu einer künftigen Reichsmarine verstanden wissen. Es wollte vermutlich durch dieses Entgegenkommen die Ausgestaltung dieser gesamtdeutschen militärischen Aufgabe nachdrücklich mitbestimmen, wohl vor allem die strategische Ausrichtung der Reichsflotte. Zugleich bot sich die Gelegenheit, die Dominanz Österreichs im Reichsministerium zu verringern.1358 In welchem Umfang die Marinebehörden des Reiches Pionierarbeit zu leisten hatten, kam anschaulich darin zum Ausdruck, dass niemand zu finden war, der Erfahrung in der Marineverwaltung besaß.1359 Man verfiel daher auf den Ausweg, die beiden Abgeordneten der Nationalversammlung, die sich bisher am nachdrücklichen für die Seerüstung eingesetzt hatten, zu Räten zu ernennen. Noch größer waren die Herausforderungen für die Technische Marinekommission, da Infrastruktur und sachkundiges Personal fehlten. Deswegen waren sich alle darüber einig, dass nur „einleitende Maßregeln“ getroffen werden konnten und der umfassende Ausbau einer künftigen Reichsregierung überlassen werden musste. Der zuständige Minister war stolz darauf, dass seine beiden Marinebehörden trotz ihres provisorischen Charakters und den

1355 1356 1357 1358 1359

Reden IV / F. Wigard (wie Anm. 3) 3146. RGbl. 13.11.1848, 15ff. GRM, 3.10.1848: BA, DB 52/2. W. Petter: Programmierter Untergang (wie Anm. 1337) 165f. Anschauliche Schilderung der täglichen Schwierigkeiten im Marineministerium bei R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 76) 88.

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Schwierigkeiten bei deren Errichtung bis zu 40 Vorgänge am Tag erledigen konnten.1360 Nach dem Ende der Nationalversammlung führte die Reichsgewalt den Flottenbau mit unvermindertem Eifer fort. Nachdem Duckwitz mit der Regierung Gagern sein Amt niedergelegt hatte, wurde auf Vorschlag und nach den Plänen der Technischen Marinekommission ein selbstständiges Marineministerium gebildet. Es wurde Mitte Mai 1849 Generalleutnant August Freiherrn von Jochmus übertragen, der zugleich das Außenministerium führte. Ein Zeichen dafür, welche Bedeutung diese Reichsregierung, obgleich sie sich als eine des Übergangs verstand, der Flotte zumaß.1361 Am 10. Februar 1849 wurde mit dem Ausscheiden von Prinz Adalbert die Technische Marinekommission aufgelöst. Bis dahin hatte sie Vorschläge erarbeitet, wie „Deutschland zu einer selbstständigen Großmacht auch zur See zu erheben“ sei. Sie hatte sich zunächst aber auf den Aufbau eines Geschwaders zum Krieg gegen Dänemark konzentriert.1362 Die Offiziere kehrten zu ihren ehemaligen Dienststellen zurück oder wechselten mit den Beamten ins Ministerium. Die vielen praktischen und technischen Angelegenheiten vor Ort wurden einer Seezeugmeisterei in Bremerhaven übertragen.1363 Im Juli haben die höheren Beamten des Marineministeriums aus den bis dahin gemachten Erfahrungen und nach englischem Vorbild vorgeschlagen, für die „Function des materiellen Schaffens und Verwaltens“ in Hamburg ein „delegiertes Reichs-Marine-Departement“ zu errichten als Vorstufe zu einer Admiralität. Das Ministerium sollte dann nur noch die „politische Direction“ ausüben.1364 Dieser Plan ist wegen der Kürze der Zeit und aus Mangel an Mitteln nicht mehr zur Ausführung gekommen. Der 1804 in Leipzig geborene Karl Rudolph Bromme, genannt „Brommy“,1365 hatte durch Kenntnisse und Kompetenzen in der Technischen Marinekommission so sehr überzeugt, dass die Reichsflotte am 8. Juni 1849 seinem

1360 Beantwortung der Interpellation des Abg. von Reden durch RHM Duckwitz, 30.4.1849: Verhandlungen der Deutschen Verfassunggebenden Reichsversammlung zu Frankfurt am Main1848–1849 / hrsg. auf Beschluß der Nationalversammlung durch die RedactionsCommission und in deren Auftr. von Konrad Dieterich Haßler. – Frankfurt a. M. 1848/49. – 4, 240. 1361 Bär, Max: Die deutsche Flotte von 1848–1852: nach den Akten der Staatsarchive zu Berlin und Hannover dargestellt. – Leipzig 1898, 52. 1362 Zu den Einzelheiten W. Petter: Deutsche Flottenrüstung (wie Anm. 394) 54. 1363 A. Duckwitz: Gründung Kriegsmarine (wie Anm. 1351) 17f. 1364 Bl. F1, 3.7.1849, zu GRM, 19.7.1849: BA, DB 52/12. 1365 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 47.

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Kommando unterstellt wurde.1366 Angesichts ihrer Schlagkraft und weil Preußen nun seine Schiffe unter eigener Flagge in der Ostsee einsetzte, wurde deren Operationsgebiet auf die Nordsee beschränkt. Brommy hatte von 1827 bis 1831 aus Überzeugung am griechischen Freiheitskampf teilgenommen und danach im Auftrag der wittelsbachischen Regierung die griechische Flotte reorganisiert. Vermutlich wurde das Reichsministerium auf ihn aufmerksam, als er im Juli 1848 dem Reichsverweser sein im gleichen Jahr erschienenes und von der Fachwelt wohlwollend aufgenommenes Standardwerk „Die Marine“ überreicht hat.1367 Da es an Fachpersonal mangelte, wurde ihm auch die Seezeugmeisterei unterstellt. Ministerium und Commodore sahen in dieser Anhäufung von Kompetenzen nur eine Notlösung, die ihn von seiner eigentlichen Aufgabe, der „Disciplinierung und Einübung des Offizierscorps und der Mannschaften“ abhielten.1368 Ende November 1849 hat ihn der Reichsverweser zum „ContreAdmiral der deutschen Reichsflotte“ ernannt.1369 Das war nicht nur ein Zeichen der „besonderen Anerkennung“, sondern damit sollte auch verhindert werden, dass Brommy einem preußischen Admiral unterstellt werden würde, falls die Reichsflotte mit der des Königreichs zusammengelegt würde.1370 17.3 Der Erwerb von Schiffen und Rekrutierung von deren Besatzung Am 14. Juni 1848 hatte die Nationalversammlung 6 Millionen Taler preußisch Courant, etwas mehr als 11 Millionen Gulden, zum Aufbau der Flotte bewilligt. Die Einzahlung wurde auf zwei Raten verteilt. Die erste war am 10. Oktober 1848 fällig,1371 die zweite je zur Hälfte am 1. März und am 4. Mai 1849. Alle Anrainerstaaten von Nord- und Ostsee, die Hansestädte wie einige kleinere Staaten haben ihren Beitrag vollständig entrichtet. Preußen beglich nicht nur die erste Rate von 1,5 Millionen Gulden, sondern trat auch für einige Zollvereinsstaaten in Vorschuss.1372 Allerdings änderte sich seine Haltung nach der Zeit des Einvernehmens bei der Bekämpfung der inneren Unruhen. Die zweite Tranche wurde auf den Bau von Kanonenbooten zum Schutz seiner 1366 Er wurde am 19.8. zum Commodore und am 23.11.1849 zum Konteradmiral ernannt. Er behielt das Kommando auch nach dem Übergang der Flotte an die Bundeskommission und den Deutschen Bund. Am 30.6.1853 wurde er mit Ruhegehalt verabschiedet: M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 48. 1367 R. Brommy an Ehg. Johann, 17.7.1848: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 353f. 1368 Bl. F1, 3.7.1849, zu GRM, 19.7.1849: BA, DB 52/12. 1369 GRM, 26.11.1849: BA, DB 52/16. 1370 Detmold an Stüve, 16.11.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 315f. 1371 Vgl. Aufstellung über die Aufbringung von 5.250.000 fl. (3.000.000 Thaler) für die deutsche Marine vom 10.10.1848: Quellen zur europ. VG III (wie Anm. 111) 11.1.1.11.2. 1372 RFM v. Beckerath an V. J. Heilmann (wie Anm. 750).

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Küste angerechnet unter der Voraussetzung, dass sie als Teil der Reichsflotte operierten.1373 Mit der Aufnahme der Unionspolitik zog es sich ganz von dem Projekt zurück. Österreich verweigerte mit dem Hinweis, dass es zur Sicherung von Bundesinteressen bereits eine Mittelmeerflotte unterhalte, seinen Matrikularbeitrag. Daher konnte die Reichsregierung nur mit etwa 4 Millionen Reichstalern (etwa 7,33 Millionen Gulden) rechnen. Da darüber hinaus einige Staaten säumig blieben und Bayern nur einen kleinen Betrag beglich, verringerte sich die Summe auf 3,3 Millionen (etwas über 6 Millionen Gulden). Dazu kamen etwas unter 100.000 Reichstaler (169.090 Gulden) aus privaten Spenden. Bis Ende April  1849 war so ein Defizit von 380.000 Reichstalern (695.400 Gulden) entstanden. Es wurde in der Hoffnung auf weitere eingehende Rückstände vor allen Dingen durch Rücklagen im Festungsbaufonds ausgeglichen.1374 Diese Beträge hätten ausgereicht für das, was sich die Reichsgewalt vorgenommen hatte. Denn die Marineabteilung war davon ausgegangen, dass bis zum Frühjahr 1849 ein Deutsches Reich gegründet würde, das dann die weiteren Kosten übernähme. Doch stattdessen kam es nach der gescheiterten Staatsgründung zum Zerwürfnis zwischen Preußen und der Reichsgewalt. Daher ging das Ministerium Brandenburg dazu über, eine eigene Kriegsmarine aufzubauen, um für ihre „deutsche Mission“ wie ihren antirevolutionären Kurs zu werben.1375 Das ermutigte auch andere Länder im Gefolge der Unionspolitik ihren Matrikularbeitrag zu verweigern.1376 Das Reichsministerium hat sich zwar mit geringem Erfolg darum bemüht, die ausstehenden Zahlungen einzutreiben,1377 doch musste es sich seit dem Sommer auf den Erhalt des Bestehenden beschränken und war selbst dazu kaum noch in der

1373 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 71f. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 290. 1374 Dieses Vorgehen wurde in der Öffentlichkeit vielfach kritisiert. Das RM rechtfertigte dies aber damit, dass der Druck, beim Aufbau der Marine rasch Ergebnisse vorzulegen, von seiten der Öffentlichkeit und der NV „sehr groß“ gewesen sei: Vortrag über den Stand der Finanzen (wie Anm. 243) 10f. Eine Übersicht über die für die Marine aus dem Festungsbaufonds entnommenen Vorschüsse. Vgl. auch noch Beantwortung der Interpellation des Abg. von Reden durch RHM Duckwitz, 30.4.1849: Verhandlungen 4 / K. D. Haßler (wie Anm. 1360) 241ff. Übersicht über die Zahlungen aller Bundesstaaten bei M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 73f. Ergänzend noch A. Duckwitz: Gründung Kriegsmarine (wie Anm. 1351) 60f. 1375 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 34) 325. 1376 E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 658f.; V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 34) 325f. 1377 Dazu der Bericht von RFM Merck, 2.10.1849: Bl. C zu GRM, 8.10.1849: BA, DB 52/14.

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Lage.1378 Für zwei in England erworbene Schiffe konnten die Rückstände nicht mehr beglichen werden. Um dem Reichsverweser einen Abgang in Ehren zu ermöglichen und ein Mitspracherecht über das weitere Schicksal der Reichsflotte zu erwerben,1379 war Österreich nach dem Abschluss des Interims bereit, einen Kredit des Bankhauses Rothschild über 300.000 Gulden dafür zu garantieren.1380 Die Marinebehörden der Reichsgewalt nahmen den im revolutionären Überschwang von der Nationalversammlung vertretenen Gedanken auf, eine Reichsflotte zu schaffen, die auch den etablierten Seemächten Respekt einflößen würde. Mit Blick auf das Auslaufen des Waffenstillstands mit Dänemark im März 1849 und auch weil Prinz Adalbert dem preußischen Konzept einer Schlachtflotte anhing, erfolgten die Ankäufe jetzt stärker unter dem Aspekt einer Kriegsmarine statt gemäß der ursprünglichen Konzeption des Schutzes der deutschen Handelsflotte auf den Weltmeeren. Das Vorhaben stand in einem eklatanten Missverhältnis zu den im Lande fast vollständig fehlenden Möglichkeiten zu seiner Umsetzung.1381 Zudem konnte man sich auch auf keine Erfahrung stützen, da weder der Deutsche Bund noch die Bundesstaaten eine Kriegsmarine besaßen. Einige wenige waren zu nicht mehr als der Verteidigung ihrer Küsten in der Lage. Da die ersten Schiffe auch noch unbedingt im Kampf gegen Dänemark zum Einsatz kommen sollten, stand das Beschaffungsprogramm unter Zeitdruck. Er war neben den vielen anderen Widrigkeiten dafür verantwortlich, dass genommen werden musste, was sich gerade bot. Das Rüstungsprogramm kam in der siebenmonatigen Kampfpause nach dem Waffenstillstand von Malmö erst richtig in Schwung. Zunächst bot es sich an, einige umgerüstete Schiffe zu erwerben, die ein Verbund norddeutscher Staaten unter der Führung Hamburgs während des Bundeskrieges gegen Dänemark im Sommer 1848 ausgerüstet hatten, ohne dass sie jemals eingesetzt worden wären.1382 Danach richtete sich der Blick auf England 1378 A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 306. 1379 Auf Bitten der öst. Kommissare bei der Bundeskommission wurde Anfang des neuen Jahres ein Marineoffizier zur Wahrung der öst. Interessen bei der dt. Reichsmarine abgeordnet. Vgl. Öst. MR, 29.12.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 949. 1380 Öst. MR, 6. u.10.11.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 811, 823f. u. RMM A. v. Jochmus an öst. Bevollm. Rechberg, 7.11.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 79. 1381 W. Petter, der in der Forschung das Konzept der Reichsmarine, für das die NV u. Duckwitz die Verantwortung getragen hätten, am nachdrücklichsten als verfehlt herausstellt, bezeichnet dieses als ein „Produkt der Ideologie“: Flottenrüstung (wie Anm. 394) 54. 1382 K. Haenchen: Deutsche Flotte (wie Anm. 1336) 28f. Zum Bestand der Hamburger Flotte W. Petter: Deutsche Flottenrüstung (wie Anm. 394) 51.

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und die USA.1383 Wegen des Zeitdrucks war auch dort nicht an den Bau von Kriegsschiffen zu denken. Daher wurden zunächst ältere Handelsschiffe bewaffnet und kriegstauglich gemacht. Da an die Mannschaft von Segelschiffen höhere Anforderungen gestellt werden mussten, entschied man sich für drei Dampfschiffe, die bis zum Frühjahr 1849 zur Verfügung standen. Zugleich wurden Verträge über den Bau von drei weiteren abgeschlossen. Von diesen erhoffte man, dass sie den feindlichen Seglern überlegen seien und daher in der Lage wären, die deutsche Nordseeküste gegen Dänemark zu sichern unter der Annahme, dass der Hauptteil von dessen Armada in der Ostsee operieren würde.1384 Eine Kriegsdampferflotte war zwar technisch moderner, doch war gerade deswegen die Reichsmarine mit deren Unterhalt und Einsatz teilweise überfordert.1385 Fast noch schwieriger als der Erwerb der Kriegsschiffe war die Gewinnung von deren Besatzung, insbesondere der Offiziere. Auch hier war nur der Weg ins Ausland erfolgversprechend. Doch selbst durch die Verlockung der Erhöhung von Rang und Besoldung war kaum jemand bereit, für eine unsichere Zukunft aus einem aktiven Dienstverhältnis auszuscheiden. Und wenn diese Bereitschaft vorhanden war, legten sich die Dienstherren aus politischen Gründen öfters quer. Die Rekrutierung der unteren Ränge, vor allem im Deutschen Bund, war etwas leichter. Doch auch hier haben die Bundesstaaten die Anwerbung eher behindert als gefördert. Bis zum Ende des Frühjahrs waren auf diese Weise immerhin sechs Kriegsschiffe soweit bemannt, dass sie als einsatzfähig gelten konnten.1386 Techniker und Ingenieure kamen aus England und den USA. Dort wurden auch einige Offiziere angeworben, doch am erfolgreichsten war man hier in Belgien.1387 In den unteren Offiziersrängen dienten mehr Deutsche. Sie stellten auch die Mehrheit der Matrosen, die meist aus der Handelsschifffahrt übernommen worden waren, doch waren unter ihnen erstaunlich viele Schüler und Gymnasiasten. Regional war Deutschland ungefähr gleichmäßig vertreten, wenn auch die Küstenstaaten etwas überwogen.1388 Größere Schwierig1383 Der RV vertraute besonders auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten, da zwischen diesen und Deutschland „keine Eifersucht, weil beide keine Colonien“ herrschte: Tgb. Ehg. Johann, 10.11.1848: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. 1384 Beantwortung der Interpellation des Abg. von Reden durch RHM Duckwitz, 30.4.1849: Verhandlungen 4 / K. D. Haßler (wie Anm. 1360) 235ff. 1385 W. Petter: Deutsche Flottenrüstung (wie Anm. 394) 55. 1386 Beantwortung der Interpellation des Abg. von Reden durch RHM Duckwitz, 30.4.1849: Verhandlungen 4 / K. D. Haßler (wie Anm. 1360) 238ff. 1387 GRM, 17.9.1849: BA, DB 52/13. 1388 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 233ff.

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keiten machte immer wieder die Verpflichtung der Offiziere, da die Entlassung aus ihren alten Dienstverhältnissen selten glatt lief.1389 Nach kontroversen Überlegungen verwarf man die Idee einer Bindung an den Reichsverweser und entschied sich für die Vereidigung auf das „Reich und dessen Regierung“1390 Von den rund 1.500 Mann, die die Provisorische Zentralgewalt glaubte während ihrer Amtszeit zu benötigen, waren etwa drei Fünftel vorhanden, bis sie aus dem Amt schied.1391 Bis dahin war auch deren medizinische Versorgung gesichert.1392 Es hat den Aufbau der Reichsflotte nachdrücklich behindert, dass er einer Regierung von einem Typus übertragen worden war, den das Völkerrecht nicht kannte. Die Neigung, mit einer Staatsführung, deren Existenz ungewiss war, Geschäftsbeziehungen aufzunehmen oder in deren Dienste zu treten, war besonders im Ausland, auf das man in jeder Hinsicht angewiesen blieb, gering. Erschwerend kam hinzu, dass während des Krieges die Verpflichtung zur Neutralität ausländischen Staaten die Unterstützung untersagte. Deswegen mussten die Anschaffung von Kriegsschiffen und deren Ausrüstung zeitweise auf „krummen Wegen vor sich gehen“.1393 Schließlich kreuzte die Flotte des Reiches, solange es dieses nicht gab, ohne völkerrechtlichen Schutz in der Nord- und Ostsee.1394 Großbritannien hat, wenn es ihm opportun erschien, die Schiffe der neuen Seemacht in der Nordsee wie die von Piraten behandelt!1395 Dennoch war, bis der wieder aufgeflammte Krieg mit Dänemark im April  1849 in seine entscheidende Phase ging, einiges erreicht worden. Vier Kriegsschiffe waren einsatzbereit. Mit der Verstärkung durch vier weitere konnte in den nächsten Wochen gerechnet werden und in den kommenden Monaten wurden nochmals so viele erwartet. Mehr als zwei Dutzend Kanonenboote waren erworben worden, von denen die meisten aber noch nicht bemannt waren.1396 Die Kriegstüchtigkeit der Reichsflotte war aufgrund dieser Umstände begrenzt. Dennoch konnte sie im Gefecht in der Bucht von Eckernförde Anfang April 1849 zusammen mit der kleinen, aber außerordentlich aktiven 1389 1390 1391 1392 1393 1394 1395 1396

Bl. C, C2, C3, C4 zu GRM, 15.12.1849: BA, DB 52/16. RIM Detmold an Stüve, 2. u.4.10.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 285ff. GRM, 22.10.1849: BA, DB 52/14. Vortrag von Generalsekretär der Marine, S. G. Kerst, vor RMM A. v. Jochmus, 8.9.1849, Bl. D 7 zu GRM, 22.10.1849: BA, DB 52/14. A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 104. A. Duckwitz: Gründung Kriegsmarine (wie Anm. 1351) 20ff. E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 659f. Beantwortung der Interpellation des Abg. von Reden durch RHM Duckwitz, 30.4.1849: Verhandlungen 4 / K. D. Haßler (wie Anm. 1360) 242f.

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Marine Schleswig-Holsteins der dänischen Seemacht Paroli bieten. Die Blockade der Kieler Förde konnte verhindert, die Mündungen von Weser und Elbe diesmal geschützt werden, so dass der deutsche Seehandel wenig beeinträchtigt wurde.1397 Da dieser Konflikt anhielt, wurde auch in der Phase des Niedergangs der bürgerlichen Revolution die Flotte weiter aufgerüstet.1398 Diese erreichte im Herbst ihre optimale Stärke, also zu einem Zeitpunkt, als sich die Reichsgewalt allmählich auflöste.1399 Diese war jetzt so optimistisch zu glauben, bald Kriegsschiffe auf deutschen Werften bauen zu können, wenn es gelänge, ausreichende Kenntnisse und Personal aus England und Amerika zu erwerben.1400 Acht Monate nachdem die Zentralgewalt die Sache in die Hand genommen hatte, lag in der Mündung der Weser bis zum Sommer 1849 eine annehmbar ausgerüstete und bewaffnete wie ausreichend bemannte Flotte von Fregatten wie Korvetten und Kanonenbooten. Sie war ihrem ursprünglichen Planungsziel gemäß ausreichend, um gegenüber Dänemark bestehen zu können. Sie hat aber zu spät diesen Stand erreicht, um in den Krieg noch wirksam eingreifen zu können. Doch wurde der Ausbau nicht zuletzt deswegen fortgesetzt, weil die Reichsgewalt auch nach dem Waffenstillstand vom 10. Juli 1849 mit einem erneuten Ausbruch des Konflikts rechnete. Auch die Anwerbung von Personal ging trotz bedrückender Finanzlage weiter.1401 Von mehreren Seiten ist das große Verdienst hervorgehoben worden, das sich Admiral Brommy dabei erworben hatte.1402 Selbst Maßnahmen zur Einführung einer Marinegerichtsbarkeit wurden in Angriff genommen; zur Errichtung einer Seekadettenschule ist es nicht mehr gekommen.1403 Die Reichsgewalt konnte im Dezember der Bundeskommission neun Dampfschiffe, darunter drei Fregatten und sechs Korvetten, zwei Segelschiffe und 27 Kanonenboote übergeben. Von der Sollstärke von 1503 Mann standen 921 zur Verfügung.1404

1397 1398 1399 1400 1401 1402 1403 1404

M. Salewski: Reichsflotte (wie Anm. 1338) 30. GRM, 12.10.1849: BA, DB 52/14. M. Salewski: Reichsflotte (wie Anm. 1338) 31. Beantwortung der Interpellation des Abg. von Reden durch RHM Duckwitz, 30.4.1849: Verhandlungen 4 / K. D. Haßler (wie Anm. 1360) 237ff. Bericht des Seezeugmeisters der Nordseeflotte, Kommodore Karl Rudolf Brommy an RMM A. v. Jochmus über den Personalstand der Flotte, 21.10.1849: BA, DB 52/14. A. Duckwitz: Zur Flottenfrage. – In: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 346. M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 56f. Bestand der deutschen Flotte, 17.12.1849 (Bl. A zu GRM,19.12.1849): BA, DB 52/16. Th. Stockinger: Deutsches Reich 1848/49 (wie Anm. 5) 674 „Die Zentralgewalt unterzog sich dieser kostspieligen und schwierigen Aufgabe zumindest teilweise mit Erfolg.”

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17.4 Sicherung und Übergabe der Flotte Seit Reichsministerium und Nationalversammlung sich des Aufbaus einer Kriegsmarine angenommen hatten, ist ihnen Preußen dabei mit stetig wachsendem Einsatz gefolgt. Die Intensivierung des Flottenbaus sollte das Bestreben fördern, unter seiner Führung einen Bundesstaat ohne Österreich zu errichten. Die Begeisterung, die das Projekt einer Flotte mobilisierte, sollte von der Reichsregierung weg auf Preußen geleitet werden. Es wollte beweisen, dass auch dieses nationale Anliegen bei ihm besser aufgehoben ist als bei den gegenwärtigen Reichsinstitutionen. Die Nationalversammlung hat darauf reagiert. In der Reichsverfassung entzog sie den Einzelstaaten ausdrücklich das Recht, Kriegsschiffe zu unterhalten, und billigte dies allein dem Reich zu.1405 Das Königreich hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Es hat vielmehr im Gegenzug seine Marinepolitik als einen Weg hin zu der von den Fernhandelskaufleuten und den Reedern gewünschten Flotte propagiert.1406 Aus dieser Flottenrivalität erwuchs ein weiterer Streit mit der Reichsgewalt. Es ging dabei um das beste Schiff der Reichsmarine, nämlich die dänische Fregatte „Gefion“, die Anfang April  1849 in der Bucht von Eckernförde geentert worden war.1407 Dort lag sie auch noch zur Ausbesserung im Herbst. Die Reichsgewalt betrachtete sich als rechtmäßige Besitzerin der inzwischen in „Eckernförde“ umbenannten Kriegsbeute.1408 Preußen wollte sie mit der Begründung, dass es vom Bund mit den „dänischen Angelegenheiten“ beauftragt worden sei, in Verwahrung nehmen. Denn es fürchtete, dass das Schiff in die Hände der Statthalterschaft von Schleswig-Holstein fallen würde, die weiterhin gegen Dänemark kämpfte, und so den von ihm mit diesem angestrebten Ausgleich gefährden würde.1409 Da Preußen das gerade erreichte Einverständnis mit Österreich nicht aufs Spiel setzen wollte, beabsichtigte es, sein Ziel auf diplomatischem Wege zu erreichen. Der preußische Außenminister wandte sich daher mit der Bitte um Unterstützung an Ministerpräsident Schwarzenberg. Dieser bat aus demselben Grunde den Reichsverweser und dessen Regierung, jegliche Eskalation zu vermeiden, bis die Bundeskommission, der die gesamte Flotte sowieso übertragen

1405 § 19 Reichsverfassung „Die Seemacht ist ausschließlich Sache des Reiches. Es ist keinem Einzelstaate gestattet, Kriegsschiffe für sich zu halten oder Kaperbriefe auszugeben“: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 306. 1406 W. Petter: Programmierter Untergang (wie Anm. 1337) 159ff. 1407 A. Duckwitz: Gründung Kriegsmarine (wie Anm. 1351) 24. 1408 Vortrag von RMM A. v. Jochmus vor dem GRM, 12.10.1849: BA, DB 52/14. 1409 Pr. Außenmin. von Schleinitz an pr. Ges. in Wien, Gf. Bernstorff, 23.10.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 83.

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werden würde, ihre Tätigkeit aufnehmen werde.1410 Der durch diese „neue Liebenswürdigkeit“ Preußens Provozierte war zwar bereit, die Fregatte aus Schleswig-Holstein abzuziehen, doch nicht sie den Preußen auszuliefern.1411 Denn er wie sein Ministerium sahen es als ein wesentliches Element des von ihnen angestrebten „ehrenvollen Abgangs“ an, die Reichsflotte als das letzte Symbol deutscher Einheit geschlossen und unversehrt an ihre Nachfolger zu übergeben.1412 Deswegen sind sie auch nicht auf das preußische Angebot eingegangen, die fehlende Rate für die beiden in englischen Werften liegenden Schiffe zu übernehmen, wenn diese in die Verwahrung des Königreichs übergingen.1413 Das Liquiditätsproblem wurde durch die gleichzeitige Bereitschaft Österreichs, die Zahlungen zu garantieren, bereinigt. Das Reichsministerium blieb also in seinen letzten Monaten erstaunlich intensiv um die Erweiterung der Flotte und um Rekrutierung von Personal bemüht. Es wurde angetrieben von der Überzeugung, dass das bisher Geschaffene, gleich wie die immer noch offene Frage der deutschen Einheit gelöst werden würde, der Kern einer Reichsflotte werden würde. Wie der Übergang dieses inzwischen ansehnlichen Bestandes an die Nachfolgeeinrichtung vollzogen und gesichert werden sollte, beschäftigte es zusätzlich. Reichsfinanzminister Merck hat während der Abwesenheit von Jochmus das Marineressort interimistisch geführt. In dieser Zeit versuchte er im Juli, seine Kollegen davon zu überzeugen, dass die Marine aus finanziellen Gründen nicht mehr zu halten sei. Er schlug vor, sie in Friedenszeiten an Reeder zu vermieten. Diese sollten sie zum Schutz ihrer Schiffe oder für den überseeischen Post- und Paketdienst einsetzen. Erst im Kriegsfall sollte sie der Reichsgewalt wieder zur Verfügung stehen.1414 Die Kollegen des Fernhandelskaufmanns ließen sich von diesem vermutlich aus nicht ganz uneigennützigen Motiven gemachten Vorschlag nicht überzeugen.1415 Überwiegend in der Zeit, in der der Reichsverweser in Begleitung von Reichsmarineminister Jochmus zur Kur in Gastein weilte, haben führende 1410 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 11.10.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 227.; MP Schwarzenberg an öst. Botschafter in Berlin, Prokesch, 1.11.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 84. 1411 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 3.10.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 225; MP Wittgenstein an öst. Bevollm. Rechberg, 7.11.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 81 (auch Bl. B zu GRM, 7.11.1849: BA, DB 52/15). 1412 Vgl. auch noch Vortrag von RMM A. v. Jochmus vor dem RM, 5.11.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 80. 1413 RMM A. v. Jochmus an öst. Bevollm. Rechberg, 7.11.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 79. 1414 W. Petter: Deutsche Flottenrüstung (wie Anm. 394) 57. 1415 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 84.

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Beamte des Marineministeriums Initiativen ergriffen, um ihr Werk zu retten. Sie traten, vermutlich nicht ohne Wissen des interimistischen Marineministers, der als ein Gegner des Marinekonzepts von Duckwitz bekannt war,1416 Anfang Juli mit Preußen in Verbindung.1417 Diesem war die Sache aber wohl zu heikel, so dass es nicht ungeschickt die Staaten des Dreikönigsbündnisses mit einbinden wollte, dessen Attraktivität dadurch auch erhöht worden wäre. Dessen Verwaltungsrat konnte sich dafür allerdings ebenfalls nicht erwärmen. Er machte stattdessen den Vorschlag, dass einige Nordseestaaten im Auftrag des Deutschen Bundes die Flotte übernehmen sollten. Doch auch diese Konstruktion erschien zu vage, so dass das Mandat zum Missfallen Preußens1418 allein dem größten Nordseestaat, dem Königreich Hannover, übertragen werden sollte.1419 Angesichts der Gefahr, dass bei einem unmittelbar bevorstehenden Konkurs Preußen sich der Schiffe bemächtigen könnte, war auch das Reichsministerium jetzt bereit, solche Erwägungen anzustellen.1420 Da aber die Zentralgewalt darauf bestand, den Oberbefehl zu behalten und die Flotte jederzeit zurück erwerben zu können, kam der Vertrag zwischen ihr und dem Königreich Hannover Ende August 1849 nicht zustande.1421 Auch Preußen hat erhebliche Einwände dagegen gehabt. Zum einen wollte es der Zentralgewalt die Vorrechte nicht zugestehen und zum anderen fürchtete es, dass es schließlich allein die Kosten für die von Hannover verwahrte Bundesflotte zu tragen hätte. Die Provisorische Zentralgewalt war, als sich die Dauer ihrer verbleibenden Amtszeit mit dem Interim konkretisierte, entschlossen, die Flotte zu behalten. Denn im Laufe des Septembers und Oktobers verbesserte sich ihre finanzielle Situation deutlich. Österreich hat ihr 250.000 Gulden sofort zur Verfügung gestellt und weitere Unterstützung zugesagt.1422 Zugleich hat es das wohl von 1416 Die Behauptung des interimistischen Marineministers, dass die Beamten hinter seinem Rücken gehandelt hätten, ist nicht überzeugend. Auf jeden Fall musste der oberste Beamte des Ministeriums, Generalsekretär Kerst, dem vorgeworfen wurde, versucht zu haben, auch die Vereidigung der Mannschaften auf die Reichsregierung zu verhindern, Mitte September 1849 gehen. Vgl. RMM A. v. Jochmus an öst. Bevollm. Rechberg, 7.11.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 79. 1417 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 87ff. 1418 Pr. Staatsmin., 11.11.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 113. 1419 GRM, 10.9.1849: BA, DB 54/13. 1420 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 95ff. 1421 Bl. B zu GRM, 15.10.1849: BA, DB 52/14. Vgl. auch noch den Bericht des ehemaligen interimistischen RMM Merck über die Verhandlungen mit dem Königreich Hannover: Bl. B zu GRM, 15.10.1849: BA, DB 52/14; dort auch weitere Dokumente zu den Verhandlungen. 1422 Detmold spricht von 300.000 Gulden: RIM Detmold an Stüve, 16.11.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 315f.

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Preußen gestreute Gerücht zurückgewiesen, dass die Flotte in seinem Dienst im Adriatischen Meer eingesetzt1423 und letztlich sogar ausgeliefert werden solle.1424 Das bisher säumige Königreich Sachsen war bereit, ein Darlehen über 105.000 Taler zu gewähren1425 und die Seestaaten Hannover und Oldenburg wollten Vorschüsse leisten.1426 Die Flotte sollte auf der Weser zwischen Bremerhaven und Brake überwintern und dort zusammengehalten werden, um sie an die Bundeskommission zu übergeben.1427 Daher hatte der sehnlichst erwartete Beitritt des Großherzogtums Oldenburg zum Interim am 12. Dezember besondere Bedeutung. Das Marineministerium wurde aufgelöst und die Marinebehörden der Bundeskommission unterstellt. Trotz ständigen Geldmangels und in schwierigster politischer Lage war in einem Land, in dem dazu fast alle Voraussetzungen fehlten, der Grund zu einer Marine gelegt worden. Nach dem Urteil der damaligen Sachverständigen hatte sie trotz mancher Missgriffe durchaus Entwicklungspotenzial.1428 Als im Auftrag der Bundeskommission im März 1850 ein Fachmann die einsatzfähigen Kriegsschiffe und Kanonenboote inspizierte, war er voll des Lobes. Mannschaften und Schiffe fand er in einem ausgezeichneten Zustand. Er war besonders beeindruckt von dem, was Admiral Brommy unter schwierigen Bedingungen zustande gebracht hatte. So hatten das auch der Reichsverweser und sein Ministerium vor der Übergabe gesehen.1429 Der zuständige Minister Arnold Duckwitz hat später diese Leistung gegen seine Kritiker verteidigt. Er konnte dazu Gutachten und Stellungnahmen einiger namhafter Kriegsschiff-Ingenieure und Sachverständiger vorlegen.1430 Er sah es als sein Verdienst und das seiner Mitarbeiter an, dass das ihnen übertragene Werk so weit gediehen war, dass es nicht mehr ungeschehen gemacht werden konnte. „Es ist leider jetzt das Einzige was unter dem 1423 RMM an die dt. Staaten, 12.10.849: Bl. A zu GRM, 22.10.1849: BA, DB 52/14. 1424 Bl. A zu GRM, 22.10.1849: BA, DB 52/14. 1425 Vertragsentwurf zwischen der PZG und dem Königreich Sachsen: Bl. B zu GRM, 29.10.1849: BA, DB 52/15. 1426 Vertrauliche Weisung von RMM A. v. Jochmus an Konteradmiral K. R. Brommy, 8.12.1849: BA, DB 52/16. 1427 Bis zum Eintritt des Frostes sollte die Hafenrinne vertieft und erweitert werden, um auch die größeren Schiffe dort vor Anker gehen zu lassen. Andernfalls sollten sie während des Winters in der Nordsee kreuzen: Bl. 5 (Bevollm. für Oldenburg an RMM A. v. Jochmus, 3.11.1849) zu GRM, 26.11.1849: BA, DB 52/16. 1428 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 60. 1429 Vgl. auch noch Jochmus an Ehg. Johann, 17.3.1850: Bfw. Ehg. Johann mit A. v. Jochmus / G. M. Thomas (wie Anm. 320) Nr. 12. 1430 A. Duckwitz: Zur Flottenfrage. – In: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 347f.

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schwarz-roth-goldenen Banner der Zukunft entgegen harrt.“1431 Das Werk des Flottenbaus scheint nachträglich wohl doch zu parteiisch beurteilt worden zu sein, da es als eine Schöpfung einer demokratischen Regierung galt. Preußen, das selbst eine Marine aufbaute, hatte zudem ein Interesse daran, die Konkurrenz im schlechtem Licht erscheinen zu lassen,1432 obwohl ein preußischer Gutachter im September 1849 ihr einen befriedigenden Zustand bescheinigt hatte.1433 Nach der Auflösung der Bundeskommission wurde der Unterhalt und die Leitung der Flotte zu einem zähen Ringen zwischen den Bundesstaaten. Nur dem Einsatz von Kommodore Brommy war es zu verdanken, dass sie bis zur Wiedererrichtung des Deutschen Bundes im Mai 1851 zusammenblieb. Der Bundestag wollte sie zum gemeinsamen Besitz aller Staaten außer Preußen und Österreich machen. Sie sollte in der Nordsee als drittes Kontingent einer deutschen Bundesflotte operieren, während Österreich im Mittelmeer und Preußen in der Ostsee die beiden anderen Kontingente stellen sollten. Ein Plan, der am Widerstand der drei binnenländischen Königreiche und Preußens scheiterte.1434 Doch entscheidender war wohl, dass der Deutsche Bund vor denselben Problemen stand wie die Provisorische Zentralgewalt: Von zwei Matrikularumlagen vom Februar und Juli 1851 kam zu wenig ein, um die Flotte auf Dauer zu unterhalten.1435 Auch der Versuch, sie über einen „Flottenverein der interessierten Bundesstaaten“ zu retten, scheiterte 1852. Duckwitz sah sich dadurch in seiner Überzeugung bestätigt, dass die Mittel- und Kleinstaaten für die deutsche Einheit weder etwas leisten konnte noch wollten.1436 Im April des Jahres beschloss der Bundestag die Auflösung der Marine.1437 Die Schiffe wurden versteigert oder abgewrackt. Zwei gingen an Preußen – darunter die umstrittene dänische Kriegsbeute „Gefion“ bzw. „Eckernförde“1438 – als Ersatz für verlorene Abschlagszahlungen. Am 31. März 1853 wurde die Reichsmarine offiziell aufgelöst.1439 Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob die Reichsflotte zu retten gewesen wäre, wenn bei ihrem Aufbau nicht zu sehr der unmittelbare Kriegseinsatz 1431 A. Duckwitz: Gründung Kriegsmarine (wie Anm. 1351) 26. 1432 M. Salewski: Reichsflotte (wie Anm. 1338) 25 und W. Petter: Deutsche Flottenrüstung (wie Anm. 394) 56. 1433 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 60. 1434 W. Petter: Programmierter Untergang (wie Anm. 1337) 169. 1435 M. Bär: Deutsche Flotte (wie Anm. 1361) 79. 1436 M. Salewski: Reichsflotte (wie Anm. 1338) 34. 1437 Ebenda 35. 1438 A. Duckwitz: Zur Flottenfrage. – In: A. Duckwitz: Denkwürdigkeiten (wie Anm. 94) 348. 1439 W. Petter: Deutsche Flottenrüstung (wie Anm. 394) 58f.

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im Vordergrund gestanden hätte, sondern sie, wie ursprünglich konzipiert, als reine Schutzflotte für den deutschen Fernhandel ausgerüstet worden wäre.1440 Sicher ist, dass, wenn sie zu diesem Zwecke erhalten worden wäre, dies den Intentionen ihrer Schöpfer nicht entsprochen hätte. 18.

Das Ende der Zentralgewalt

18.1 Die Übergabe der Gewalt Der österreichische Ministerpräsident Felix Fürst Schwarzenberg war erleichtert gewesen, dass er mit dem „Interim“ ein erstes Instrument in die Hand bekommen hatte, mit dem er langfristig die Begründung eines vereinten Deutschlands unter preußischer Führung würde verhindern können. Er musste nach dessen Abschluss aber erstaunt feststellen, dass ihm der Erzherzog, der bisher dasselbe Ziel angestrebt hatte, bei der Umsetzung der Vereinbarung nicht vorhergesehene Schwierigkeiten machte. Denn in Frankfurt räumte man dem Vollzug des Ausscheidens aus dem Amt einen unerwartet hohen Stellenwert ein. Reichsinnenminister Detmold machte sich darüber schon seit Anfang Oktober Gedanken und bat seinen Freund, den hannoverschen Innenminister Stüve, deswegen mehrmals um Rat. Da war zunächst das unnachgiebige Beharren des Reichsverwesers auf der Zustimmung aller Bundesstaaten zum Interim, so wie er es sich bei dessen Ratifikation vorbehalten und öfters öffentlich hatte verlauten lassen. Die Zentralgewalt ließ sich auch nicht dadurch von ihrem Standpunkt abbringen, dass bis Anfang Dezember, dem Monat der Übergabe, nur noch die Zusage von nachrangigen Staaten wie dem Fürstentum Waldeck-Pyrmont und den beiden thüringischen Herzogtümern Sachsen-Altenburg und Sachsen-Coburg-Gotha fehlten.1441 Also alles „kleine Fürsten, die sich alle Tage dreimal vom Winde umdrehen lassen“, wie sie der hannoversche Innenminister Johann C. B. Stüve charakterisierte.1442

1440 So W. Petter: Programmierter Untergang (wie Anm. 1337) 167ff., dessen These ist, dass die Auflösung der Reichsflotte durch den unter pr. Einfluss vollzogenen Wechsel vom Konzept einer den Überseehandel schützenden Flotte zu einer Seekriegsflotte programmiert gewesen sei. 1441 Zum Eingang der Zustimmungen vgl. die Sitzungen des GRM im November  1849. Zur fehlenden Zustimmung: Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 2.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 236. 1442 Stüve an RIM Detmold, 12.12.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 330.

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Komplizierter wurde die Lage dadurch, dass auch noch aus dem Großherzogtum Oldenburg keine Nachricht vorlag. Mit ihm waren ebenfalls wie mit Hannover letztlich erfolglose Verhandlungen geführt worden, die Flotte für den Bund in Verwahrung zu nehmen. Da diese aber dennoch derzeit in dessen Hoheitsgebiet überwinterte, witterte man in Frankfurt dahinter Machenschaften Preußens. Ihm wurde unterstellt, auf diesem Wege doch noch die Flotte unter den Befehl des Berliner Verwaltungsrates des Dreikönigsbündnisses bringen zu wollen.1443 Vermutlich hat sich die Zustimmung in Oldenburg wie auch in den anderen Staaten aber deswegen verzögert, weil deren Handlungsfähigkeit aufgrund von Regierungskrisen gelähmt war. Sie waren ausgelöst worden durch den Gegensatz in der Deutschlandpolitik zwischen den Landtagen und den fürstlichen Exekutiven. Während diese die Selbstständigkeit ihrer Kleinstaaten, vor allem in Thüringen, am ehesten durch die Anlehnung an Preußen gesichert glaubten, fürchteten die Parlamente dessen reaktionäre Politik. Die Auseinandersetzungen wurden so heftig, dass einige Regierungen zurücktreten mussten. Der Reichsregierung war Oldenburg auf jeden Fall so wichtig, dass sie einen Sondergesandten dahin abordnete. Dieser erreichte bis zum 12. Dezember das Plazet. Der Reichsverweser und sein Ministerium waren erleichtert, jetzt endgültig ihre Pflicht hinsichtlich der Flotte erfüllt zu haben.1444 Dieses „anvertraute Pfand“ der Bundeskommission zu übergeben, schien ihnen für einen ehrenvollen Abgang genauso wichtig wie das Einverständnis aller Bundesstaaten.1445 Da dieses immer noch nicht vollständig vorlag, zitterte Schwarzenberg bis zum Schluss, dass der Erzherzog das Interim nicht vollziehen würde. Er versuchte Johann einerseits davon zu überzeugen, dass dieses von höchster Wichtigkeit sei und andererseits, dass sich eine solche Gelegenheit zu einem ehrenvollen Rücktritt nicht mehr ergeben würde.1446 Er schmeichelte dem ausgeprägten Rechtsempfinden des Reichsverwesers, um ihn im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen, dass bei historischen Weichenstellungen der Rechtsstandpunkt nicht immer Vorrang haben und die nachträgliche Zustimmung einiger Staaten vorbehalten bleiben könne.1447 Andererseits forderte er

1443 MP Wittgenstein an den öst. Bevollm. Gf. Rechberg, 2. 12.1849 (Bl. B zu GRM, 3.12.1849): BA, DB 52/16. 1444 Ehg. Joahnn an MP Schwarzenberg, 13,12,1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 240. 1445 Ehg. Joahnn an MP Schwarzenberg, 11. u. 13.12.1849: ebenda 239f. 1446 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 27.10.1849: ebenda 230. 1447 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 7.12.1849: ebenda 237.

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die „sofortige Abdikation“1448 und drohte ganz unverhohlen damit, dass er die Zahlungen für Zentralgewalt und Flotte werde einstellen lassen.1449 Schwarzenbergs Argumente mussten ins Leere laufen, da sie den Charakter des Reichsverwesers ebenso wie die Raison von dessen bisheriger Politik verkannten. Sie hatte darin bestanden, die Kontinuität des öffentlichen Rechts in Deutschland zu wahren wie auch die Rechte sämtlicher deutscher Regierungen. Seit der Auflösung der Nationalversammlung waren diese für ihn die einzige Legitimation seines Amtes gewesen. Der österreichische Ministerpräsident verkannte seinen bisherigen Erfüllungsgehilfen auch darin, dass er erwartete, dass dieser gegen das bei der Ratifikation gegebene Wort handeln würde. Anders als für jenen war für Johann die Niederlegung seines Mandats in die Hände derjenigen, die ihn berufen hatten, nicht nur eine politische, sondern auch eine moralische Frage. Dafür hatte Preußen ebenfalls kein Verständnis.1450 Ein vorzeitiger Rücktritt ohne die Zustimmung aller Bundesstaaten würde nicht nur die bisherige Politik des Kabinetts Wittgenstein desavouieren. Vielmehr sah man in Frankfurt dann auch die Gefahr, dass Preußen die nicht zustimmenden Staaten instrumentalisieren könnte, um die Bundeskommission zu schwächen.1451 Johann und sein Ministerium dachten deswegen sogar daran, weiterhin im Amt zu bleiben, wenn ihre Bedingung nicht erfüllt würde. Sie wussten jedoch nicht, wie das finanziell zu bewältigen wäre.1452 Es kam aber nicht dazu, dass der Erzherzog am Ende unter Aufopferung des Prinzips, an dem er und sein Ministerium so lange festgehalten hatten, abtreten musste.1453 Am Tage der Übergabe fehlte noch das Einverständnis von Oldenburg, das aber eine vorläufige Zusicherung abgegeben hatte und die von Luxemburg, dessen Beitritt jedoch sicher war, da der König der Niederlande, der zugleich

1448 RIM Detmold an Stüve, 12.12.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 333. 1449 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 7.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 237. 1450 RIM Detmold an Stüve, 7.12.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 324. 1451 MP Wittgenstein an den öst. Bevollm. Gf. Rechberg, 2.12.1849 (Bl. B zu GRM, 3.12.1849): BA, DB 52/16. 1452 Ehg. Joahnn an MP Schwarzenberg, 7.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 236; Aus dem Nachlass des Freiherrn Carl Friedrich Kübeck von Kübau: Tagebücher, Briefe, Aktenstücke. (1841–1855) / hrsg. von Friedrich Walter. – Graz 1960. – (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; 45) – 3.11.1849, 34. 1453 So die Befürchtung von RIM Detmold in seinem Bf. an Stüve, 7.12.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 325.

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Großherzog von Luxemburg war, als Herzog von Limburg bereits seine Zustimmung erklärt hatte.1454 Doch waren damit die Schwierigkeiten der Übergabe der Zentralgewalt an die Bundeskommission, die nach dem Abschluss des Interims nur noch eine Formalie zu sein schien, noch nicht zu Ende. Für den Reichsverweser und sein Ministerium war es eine moralische und rechtliche „Conditio sine qua non“, nur im Einverständnis mit sämtlichen Bundesstaaten zu übergeben. Daher war es nur konsequent, wenn deren Bevollmächtigte, soweit sie in Frankfurt noch anwesend waren, an der Zeremonie auch teilnahmen. Genau das aber wollte Preußen um jeden Preis verhindern. Es beanspruchte inzwischen für diejenigen Staaten, die seinem Projekt folgten, der einzig legitime Sprecher in nationalen Fragen zu sein, und die sich noch Verweigernden sollten im Abseits bleiben. Mit Blick auf die Nachfolgeeinrichtung der Zentralgewalt sollte durch den Ausschluss der Bevollmächtigten der Bundesstaaten schon im Ansatz jede Möglichkeit erstickt werden, dass die Bundeskommission sich zu einer Alternative zur Union entwickeln würde. Der Reichsgewalt war die Frage so wichtig, dass sie zu deren Klärung einen Sondergesandten nach Wien abordnete.1455 Dort teilte man die Ansicht Frankfurts, dass Preußen sich wieder einmal ihm nicht zustehende Rechte anmaße. Andererseits wünschte man aber eine schnelle Auflösung des diplomatischen Knotens. Dem Reichsverweser wurde daher empfohlen, die Feier in einer solchen Form durchzuführen, dass die Bevollmächtigten daran teilnehmen könnten, ohne einbezogen zu werden.1456 Dazu gehörte auch, dass er auf eine Ansprache verzichten oder nur eine solche nach „vorgegebenen Richtlinien“ halten sollte.1457 Denn in Wien argwöhnte man, dass das, was er sagen wollte, nur zu polemischen Weiterungen führen würde. Denn er beabsichtigte, der Nationalversammlung guten Willen zu bescheinigen, wollte ihr aber zugleich Verletzung des Rechts vorwerfen. Auch die erneute Artikulation seines Standpunktes, dass eine rechtmäßige Übergabe der Gewalt in Deutschland nur unter Einbindung sämtlicher Bundesstaaten erfolgen könne, erschien unangebracht. Die Mahnung zur Einigkeit an die beiden Großmächte hielt man für Preußen zwar für berechtigt, für 1454 Vgl. das Prot. der Übergabe, 20.12.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 92. 1455 Öst MR, 30.11.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 858f. 1456 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 1.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 234f. 1457 Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 859.

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Österreich aber verletzend.1458 Die Zentralgewalt war über das Einvernehmen überrascht, das zwischen den deutschen Vormächten darüber herrschte, die Bundeskommission rasch zu installieren und dabei keinerlei Rücksicht auf Frankfurter Empfindlichkeiten zu nehmen. Auf eine Abdankungsrede des Erzherzogs wollte sie aber ihrer Selbstachtung willen nicht verzichten.1459 Der österreichische Regierungschef war nun entschlossen, die immer unberechenbarer werdende Lage durch die Abordnung der Bundeskommissare zu beenden. Sie waren schon Mitte Oktober bestimmt worden. Seitdem wurden sie von ihm instruiert und durch Aktenstudium wie Gespräche mit Schmerling informiert.1460 Schwarzenberg ließ Frankfurt jetzt wissen, dass mit Preußen verabredet worden sei, dass die Kommissare am 16. Dezember eintreffen sollten.1461 Dagegen hat sich der Reichsverweser zuvor so lange gesträubt, bis nicht zumindest positive Absichtserklärungen der noch abseitsstehenden Staaten vorlagen. Auf der letzten Sitzung des Reichsministeriums am 19. Dezember 1849 übergab der Marineminister eine Übersicht über den Bestand an Schiffen und Mannschaft der Reichsflotte und der Reichsfinanzminister versprach einen Bericht über die Lage der Finanzen nachzureichen. Der Innenminister, der sich inzwischen mit den Mitgliedern der Bundeskommission über die Formalien der Abdankung verständigt hatte, teilte mit, dass die Bevollmächtigten der deutschen Regierungen nicht zugezogen werden sollten. Zum Schluss war dem Reichsministerium beschieden, sich noch einmal an einen seiner wenigen Erfolge erinnern zu können. Die Stadt Eckernförde hat nämlich darum gebeten, ihr zur Erinnerung an das „unvergeßlich und denkwürdige“ Seegefecht vom 5. April 1849, bei dem das dänische Linienschiff „Christian VIII.“ durch die Reichsmarine vor Eckernförde versenkt worden war, eine Trophäe zu überlassen. Der Reichsverweser kam diesem „patriotischen Ansuchen“ nach. Der Stadt wurde einer, „der geborgenen Schiffsanker des im Kampfe gesunkenen“ Schiffes geschenkt.1462 Die Anzahl der in Frankfurt noch anwesenden Bevollmächtigten der deutschen Regierungen stand in einem krassen Missverhältnis zu der diplomatischen Verwicklung, die wegen ihrer Zuziehung entstanden war. Wie von 1458 MP Schwarzenberg an öst. Bevollm. Rechberg, 1.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 100f. 1459 RIM Detmold an Stüve, 11.12.1849: Bfw. / G. Stüve (wie Anm. 655) 328. 1460 NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 13.10.1849, 33. Kübeck rechnete bis zum Dezember damit, dass die Bundeskommission nicht zustande komme, sei es wegen pr. Intrigen, sei es wegen Unwilligkeit des GRM: a. a. O., 34f. 1461 GRM, 13.12.1849: BA, DB 52/16. 1462 Bl. A, B, C zu GRM, 19.12.1849: BA, DB 52/16.

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seinem Kabinett vorgeschlagen, bat der Reichsverweser am nächsten Morgen die Bevollmächtigten der beiden Königreiche Bayern und Hannover, der nahe gelegenen Landgrafschaft Hessen-Homburg, der Reichsstadt Frankfurt und des Großherzogtums Luxemburg-Limburg in sein Palais.1463 Er erläuterte ihnen, warum sie nicht der Übergabe seines Amts in einer Form, die der Würde ihrer Regierung angemessen sei, beiwohnen könnten. Er dankte den einzelnen Bevollmächtigten für die von ihren Staaten gewährte Hilfe. Die „herzlichen Worten des Dankes machten auf sämtliche Bevollmächtigte einen so tiefen Eindruck“, „daß sie den Saal mit sichtbarer Rührung verließen.“1464 Gegen  1 Uhr mittags traf sich der Erzherzog-Reichsverweser, von seinem Kabinett begleitet, mit den Kommissaren Österreichs und Preußens zu einer Zeremonie, die in der von Schwarzenberg gewünschten schlichten Form vor sich ging. Dass die „Kommissäre…in Gala“ erschienen waren, jedoch „der Erzherzog mit seinen Ministern in abgeschabten Fraken“, erschien dem österreichischen Kommissar Kübeck als ein unbeabsichtigtes Symbol für „den Austritt der revoluzionären demokratischen Gewalt und den Wiedereintritt der alten Sitte und des alten Rechts.“1465 Nachdem die am 30. September in Wien geschlossene Übereinkunft wegen Errichtung einer neuen Bundeszentralgewalt zusammen mit den Ratifikationsurkunden sowie den Beitrittserklärungen der deutschen Regierungen hinterlegt worden waren, ließ es sich der Reichsverweser aber nicht nehmen in Abstimmung mit seinen Ministern, nochmals auf seine Sicht der Dinge einzugehen.1466 Nachdem die Bundesversammlung wie auch die Nationalversammlung ihre Tätigkeit eingestellt hätten, habe er zur Wahrung der bundesstaatlichen Kontinuität so lange im Amt bleiben müssen, bis ein „anderweitiges Organ für die gemeinsamen Angelegenheiten des Vaterlandes“ geschaffen worden sei. Er empfahl dem deutschen Volk, aus dem durchaus anerkennenswerten Bemühen der Nationalversammlung die Lehre zu ziehen, nur eine Verfassung im Festhalten an Recht und Gesetz anzustreben. Jetzt lägen die Voraussetzungen vor, um die ihm anvertraute Gewalt an die Gesamtheit der Regierungen des Bundes zurückzugeben. Er übergebe daher seine Würde als Reichsverweser und die ihm „übertragenen Rechte und Pflichten des Bundes in die Hände 1463 Öst. Bevollm. Rechberg an MP Schwarzenberg, 20.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 101f. 1464 Auszüge aus der Rede des RV an die Bevollm. in: Öst. Bevollm. Rechberg an MP Schwarzenberg, 20.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 102f. 1465 NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 20.12.1849, 36. 1466 So ein Schreiben von Rechberg an MP Schwarzenberg vom 20.12.: Prot. öst, MR II,1, 859. Ein Beleg dafür, dass der Reichsverweser eingehend an seiner Abschiedsrede gefeilt hat, sind die Konzepte in LA Graz, Archiv Meran, K 209, H. 1, Nr. 3–11.

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Ihrer Majestäten des Kaisers von Oesterreich und des Königs von Preußen.“ Er ergriff die Gelegenheit, zugleich die Öffentlichkeit wissen zu lassen, wie sie seine Tätigkeit zu bewerten habe. Er habe immer getreulich nach Ruhm und Wohlfahrt des Vaterlandes gestrebt sowie das gemeinsame Band und den Frieden erhalten, damit weiterhin eine Verfassung möglich sei, welche „des Volkes Rechte sowie des Vaterlandes Größe und Macht dauernd sichert und stärkt.“ Zum Schluss empfahl er das Geschick Deutschlands dem „Allmächtigen“ und der „Eintracht und Vaterlandsliebe der deutschen Fürsten und dem guten Geiste der Nation“. Der österreichische Kommissar, Geheimer Rat von Kübeck-Kübau, hob in seiner Antwort hervor, dass Deutschland es dem Reichsverweser zu verdanken habe, nicht „anarchischen Bestrebungen anheimgefallen“ zu sein. Für die schwere Pflicht, die er auf sich genommen habe, habe er Anspruch auf die Bewunderung und Dankbarkeit des deutschen Vaterlandes.1467 Noch am selben Tag erhielten die Minister vom Erzherzog, der dafür eigens die Uniform eines österreichischen Marschalls angelegt hatte,1468 einen Orden des Kaisers.1469 In einem gesonderten Schreiben dankte er ihnen dafür, dass sie ihm die Ausübung seines Amtes zu einer Zeit ermöglicht hätten, als dessen Erhalt als einziges Organ der Gesamtheit der deutschen Staaten von höchster Wichtigkeit gewesen sei. Ihre Bereitschaft sei umso höher zu bewerten, weil sie unerschütterlich ausgeharrt hätten, als sie dafür angefeindet worden seien und die Tätigkeit der Provisorischen Zentralgewalt von „verschiedenen Seiten“ erschwert worden sei.1470 Ministerpräsident Schwarzenberg wiederum dankte erst, nachdem ihn der österreichische Bevollmächtigte darauf hingewiesen hatte, dass dies von ihm und dem Kaiser eigentlich erwartet würde.1471 Er bescheinigte dem Vollstrecker seiner Politik in Frankfurt, dass er aus seiner „gewiß denkwürdigen Regentschaft über Deutschland“ für die er von allen „Unbefangenen und Redlichen“ Anerkennung finden werde, mit dem Bewusstsein scheiden könne, Außerordentliches in Würde geleistet zu haben.

1467 Vgl. das Prot. der Übergabe, 20.12.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 92. 1468 NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 20.12.1849, 36. 1469 Ehg. Johann an MP Schwarzenberg, 20.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 241; auch Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 381. 1470 RS Ehg.-RV an seine Minister, 20.12.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) 93. Die Rede des RV an seine Minister in LA Graz, Archiv Meran, K 209, H. 1, Nr. 14. 1471 Öst. Bevollm. Rechberg an MP Schwarzenberg, 25.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 103f.

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Das möge ihn „für manches, das wir nicht abzuwenden, nicht zu ändern vermochten, entschädigen“.1472 Auch gegenüber dem Ausland wollte die Provisorische Zentralgewalt rechtlich einwandfrei und mit Anstand scheiden. Der Außenminister wurde daher ermächtigt, den fremden Regierungen, mit denen noch Beziehungen bestanden, die Resignation zu notifizieren.1473 Man hat vermutlich damit gerechnet, dass auch die Bundeskommission Vertreter im Ausland unterhalten wolle. Daher wurden die noch tätigen Reichsgesandten in Brüssel, Washington und Paris erst abberufen, nachdem die Kommissare klargemacht hatten, dass sie diesen keine Kreditive ausstellen würden.1474 Johann ließ es sich nicht nehmen, den Königen von Hannover, Sachsen und Preußen die Niederlegung seiner Würde persönlich anzuzeigen. Friedrich Wilhelm IV., der ihn wie kein anderer zu diesem Akt gedrängt hatte, mit einer an „Ironie grenzenden Höflichkeit.“1475 Er mahnte ihn zugleich, am Einvernehmen mit Österreich festzuhalten, das allein die Ruhe in Europa und die Bekämpfung des Umsturzes garantieren könne.1476 In seiner Antwort bescheinigte der König dem Erzherzog, dass es dessen Verdienst sei, dass Österreich und Preußen nun vereint die Zentralgewalt in Deutschland ausüben würden.1477 Es war für Erzherzog Johann charakteristisch, dass er sich persönlich von Rat und Bürgermeister seiner Residenzstadt verabschieden wollte, die aus diesem Anlass eine Gedenkmünze prägte und ihm ein Gemälde von Frankfurt überreichte.1478 Er lobte die Stadt dafür, dass sie den Fleiß und die Tugenden einer Freien Reichsstadt, „die einstens der Stolz Deutschlands waren,“ bewahrt habe.1479 Der Bürgermeister erinnerte daran, dass der umjubelte Einzug des Erzherzogs „schönste Bürgschaft einer großen Zukunft“ gewesen sei. Er bleibe auch jetzt ein „Vorbote des erneuten Reiches“, da er hier mit „Wahrhaftigkeit,

1472 MP Schwarzenberg an Ehg. Johann, 30.12.1849: ebenda 241f.; auch Ehg.-JohannGedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 382. 1473 GRM, 13.12.1849: BA, DB 52/16. 1474 RAM A. v. Jochmus an die vormaligen Reichsgesandten, 31.12.1849: Beitrag zur actenmässigen Darstellung / A. Jochmus (wie Anm. 487) Nr. 95. 1475 So der öst. Bevollm. Rechberg an MP Schwarzenberg, 25.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 103f. 1476 Ehg. Johann an Kg. Friedrich Wilhelm IV, 20.12.1849: Bfw. / G. Küntzel (wie Anm. 122) 65ff. Der Brief ist auf den 2.12 datiert. Er muss aber nach der Übergabe geschrieben worden sein. 1477 Kg. Friedrich Wilhelm IV. an Ehg. Johann, 7.1.1850: ebenda 67f. 1478 A. Schlossar: Ehg. Johann (wie Anm. 57) 209. 1479 Druck der Rede: Ehg.-Johann-Gedächtnisausstellung (wie Anm. 38) 383f.

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Beharrlichkeit, Aufopferung“ die Tugenden vorgelebt habe, durch die das erreicht werden könne.1480 Erzherzog Johann hat Frankfurt mit seiner Familie nach den Feiertagen am 30. Dezember verlassen und ist, nachdem er die Monarchen in Stuttgart und München im Festhalten an ihrem Kurs bestärkt hatte, nach Wien zurückgekehrt, wo er am 7. Januar 1850 eintreffen wollte.1481 Am 19. kehrte er von dort nach Graz zurück.1482 Johann war davon überzeugt, dass er das Opfer des Ausharrens für Österreich erbracht hatte. Daher war er nach seiner Rückkehr enttäuscht, dass er nicht nur den erwarteten Dank nicht fand, sondern sogar wieder das Gefühl hatte, dass man ihn am Hof gerne losgeworden wäre.1483 Mit einigem Recht konnte er über die Instinktlosigkeit empört sein, dass man ihn kurz vor seiner Abreise aus Frankfurt vom Posten des Kommandanten des Geniekorps abberufen hatte. Obwohl er diesen Titel seit Langem nur noch formal führte, war es für den ehemaligen Feldherrn in dieser Situation keine Formalie.1484 Das alles empfand er umso bitterer, als er, je länger seine Frankfurter Zeit hinter ihm lag, umso mehr davon überzeugt war, dass er doch noch alles hätte erfolgreich zu Ende bringen können, wenn man ihn nur gelassen hätte.1485 In der Erinnerung an sein Amt ergriff Johann ein „bitter wehmütig Gefühl“, wenn er darüber nachdachte, was hätte werden können und was geworden ist, wie viel enttäuschte Hoffnung und wie viel Schuld es gegeben habe.1486 Obwohl er mit großer Zähigkeit das Ende seiner Amtszeit hinausgeschoben hatte, beschlich ihn danach das Gefühl, dass es vielleicht besser gewesen wäre, früher zu gehen.1487 Dass er nicht von bitteren Empfindungen heimgesucht werde, obwohl er die Menschen während seiner politischen Tätigkeit „kennengelernt“ habe, führte er darauf zurück, dass er jetzt zu seinen Gebirgsbewohnern zurückkehre, auf die sich bauen ließe. Auch gegenüber seinem letzten Ministerium verspürte er „innigen Dank“ und glaubte, dass alles besser gekommen wäre, wenn er dieses von Anfang an gehabt hätte. Er war sich sicher, dass 1480 Druck: ebenda 382f. 1481 Öst. Bevollm. Rechberg an MP Schwarzenberg, 25.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 103f. 1482 Ehg. Johann an A. v. Jochmus, 31.1.1850: Bfw. Ehg. Johann mit A. v. Jochmus / G. M. Thomas (wie Anm. 320) Nr. 5. 1483 Etwas andere Akzentuierung in Ehg. Johann an Jochmus, 18.1.1850: ebenda Nr. 2. 1484 Öst. Bevollm. Rechberg an MP Schwarzenberg, 25.12.1849: Ehg. Johann als RV / E. Hoor (wie Anm. 480) 103f. 1485 E. Hammer-Luza: Politische Visionen (wie Anm. 47) 99, 101. 1486 Ehg. Johann an Jochmus, 31.1.1850: Bfw. Ehg. Johann mit A. v. Jochmus / G. M. Thomas (wie Anm. 320) Nr. 5. 1487 Undatierte Aufz. in LA Graz, Archiv Meran, K 209, H. 1, Nr. 2.

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die Geschichte das Verdienst jener Männer würdigen werde, die sich nicht scheuten, ihm zur Seite zu stehen, als ein großer Teil ihn wegen seiner damaligen Absichten verlassen wollte.1488 Doch hatte er auch neue politische Einsichten in seinem Amt gewonnen. Mehr als jemals zuvor war er der Überzeugung, dass das Volk eine unentbehrliche Kraft in der Politik geworden sei. Das deutsche Volk wäre auf den besten Weg zu bringen, wenn „die Regierungen diesem näher ständen“, wenn die Fürsten die alten Gewohnheiten ablegen würden und „ihre Freude darin fänden unter jenem zu leben.“1489 Das waren in der Tat bemerkenswerte Erkenntnisse eines Mannes, der gegen Ende seiner Amtszeit nach nichts mehr strebte, als den Fürsten sein Mandat zurückzugeben! 18.2 Die Wiederherstellung des Deutschen Bundes Preußen und Österreich haben ihre Kommissare bereits abreisen lassen, als noch nicht mit letzter Sicherheit feststand, ob der Reichsverweser resignieren würde. Das zeigt die Bedeutung, die beide dem Interim zumaßen. Sie trafen am 16. Dezember in Frankfurt ein.1490 Die Auswahl der Kommissare umreißt deren Aufgabe. Schwarzenberg hat den ehemaligen Präsidenten der Hofkammer Carl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau geschickt, um ihn nicht in sein Kabinett aufnehmen zu müssen. Berlin entschied sich für den Oberpräsidenten der Provinz Preußen, Carl Wilhelm Bötticher. Beide Seiten entsandten darüber hinaus jeweils einen Militär. Österreich den Feldmarschall-Leutnant Carl von Schönhals und Preußen Generalleutnant Joseph Maria von Radowitz. Dieser hatte aber wohl wenig Neigung, an der Beerdigung seines Deutschland-Projekts mitzuarbeiten und wurde daher bald durch Generalleutnant Eduard von Peucker, den ehemaligen Kriegsminister der Reichsgewalt, ersetzt.1491 Doch blieb die Zentralgewalt auch insofern präsent, als deren ehemaliger Ministerpräsident Wittgenstein und sein Kollege Detmold die österreichischen Kommissare in den ersten Monaten berieten.1492 1488 Ehg. Johann an Jochmus, 31.1.1850: ebenda Nr. 5. 1489 Ehg. Johann an Zahlbruckner, 11.12.1849: Ungedruckte Bf. Ehg. Johanns / A. Schlossar (wie Anm. 72) H. 2, 94f. Klagen darüber, dass die deutschen Fürsten zu wenig volksverbunden seien und die Zeichen der Zeit verkennen würden, finden sich immer wieder im Tgb. des Ehg.s während seiner Frankfurter Zeit. So z. B. am 16.12.1848 „Die Fürsten krachen, ich habe sie gehalten – itzt Übermut, sie werden nicht entgehen ihrem Schicksal, denn sie begreifen nicht die Zeit.“: Tgb. Ehg. Johann: LA Graz, Archiv Meran, Schuber 120, H. 1. 1490 Öst. MR, 21.12.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 923. 1491 Ghgt. Baden / W. Real (wie Anm. 848) 379; E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 884; NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 18. u. 20.1.1850, 37. 1492 NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 17.1. u. 1.4.1850, 37, 41.

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Die Kommission hat sich schon am 22. Dezember eine Geschäftsordnung gegeben und neben einem Zentralbüro weitere sieben Fachabteilungen eingerichtet.1493 Sie verfügte also in dieser Hinsicht über eine umfangreichere Bürokratie als die letzte Zentralgewalt! Dennoch musste sie sich im Januar von einigen der übernommenen Beamten trennen. Der Aufbau der Bundeskommission wurde begleitet von der heftiger werdenden Auseinandersetzung zwischen Österreich und Preußen. Wien protestierte jetzt nachdrücklicher mit Berufung auf das Bundesrecht gegen die preußischen Bestrebungen zur Bildung eines engeren Bundes und die Einberufung eines Parlaments. Während dieses daran festhielt, sich dabei in dessen Rahmen zu bewegen.1494 Unter diesen Umständen war weder daran zu denken, dass, wie im Interim vorgesehen, bis zum 1. Mai 1850 eine definitive Zentralgewalt für Deutschland begründet würde, noch dass sich die deutschen Regierungen über den Fortbestand der Übereinkunft verständigen würden.1495 Daher kamen die Kommissare am 30. April zu ihrer „letzten legitimen Sitzung“ zusammen.1496 Da sie aber noch vor Ort gebraucht wurden, sind sie erst Anfang Oktober abgereist.1497 Die Fachabteilungen bestanden aber noch bis zum Ende des Jahres1498 und wurden dann teils in veränderter Form unter der Bundeskanzlei fortgeführt oder improvisierten, wie vor allen Dingen die Marinebehörden, ohne zentrale Leitung. Der österreichische Ministerpräsident Schwarzenberg ließ seine DeutschlandPläne von seinen wichtigsten Parteigängern seit Januar 1850 in München beraten. Dort zeichnete sich ab, dass die vier Königreiche eine Wiederherstellung des Deutschen Bundes vorziehen würden. Daher berief Österreich sofort nach dem Auslaufen des Interims eine Bundesversammlung nach Frankfurt ein.1499 Das machte zusammen mit Geldmangel die Lage der Bundeskommissare „mit

1493 Moldenhauer, Rüdiger: Aktenbestand und Geschäftsverfahren der deutschen Bundesversammlung (1816–1866). – In: Archivalische Zeitschrift 74 (1978) 36–76, hier 63ff. Öst. MR, 31.12.1849: Prot. öst. Ministerrates II, 1 (wie Anm. 82) 952. Kübeck hält unter dem 7.12.1849 fest, dass die öst. Kommissare ursprünglich nur mit einem Legationsrat nach Frankfurt reisen wollten. „Da aber Preußen mehrere Geschäftsmänner mitnimmt, müssen wir auch drei und zwar einen aus der Finanz, einen aus der Justiz, einen aus der Verwaltung des Innern mitnehmen.“: NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 35. 1494 Pr. Staatsmin., 21.11. und 8.12.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 476) Nr. 117, 121. 1495  §1, §4: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 433. 1496 NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 30.4.1850, 42. 1497 Ebenda 1.,5. u. 6.10.1850, 51. 1498 R. Moldenhauer: Deutsche Bundesversammlung (wie Anm. 1493) 63. 1499 NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 30.4., 10.5. u. 13.6. 1850, 42f., 45.

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jedem Tage unausstehlicher“.1500 Zwar waren die Parteigänger Preußens nicht nach Frankfurt gekommen,1501 doch lehnte deren Mehrheit zur gleichen Zeit in Berlin die Ende April in Erfurt verabschiedete Verfassung ab. König Friedrich Wilhelm IV. hatte mit der revidierten Verfassung sein eigentliches Ziel, die Erhaltung der monarchischen Machtstellung innerhalb des preußischen Staatsgefüges, erreicht. Da darüber hinaus sein Schwager Zar Nikolaus die Unionspolitik mehrmals missbilligt hatte und die Hochkonservativen den Verlust der Identität Preußens in einem vereinten Deutschland fürchteten,1502 trat auch Berlin dem Gedanken einer Wiederherstellung des Deutschen Bundes näher. So waren in Deutschland innerhalb von zwei Jahren zwei Staatsbildungsprojekte gescheitert: das demokratische der Frankfurter Nationalversammlung und das restaurative Preußens. Die Unionsstaaten hangelten sich dennoch zunächst weiter von Provisorium zu Provisorium.1503 Sie blieben den Bundesversammlungen fern. Österreich als Präsidialmacht rief diese trotz der dadurch entstehenden „Konfusion der Ideen und Bestrebungen“ weiterhin kontinuierlich ein.1504 Als diese zur Schlichtung eines Verfassungskonfliktes Truppen in Kurhessen – und damit zwischen den östlichen und westlichen Teilen Preußens – einmarschieren ließ,1505 war ein Krieg nur noch durch dessen Nachgeben abzuwenden. In einer Übereinkunft mit Österreich vom 29. November 1850 im mährischen Olmütz ließ es die Erfurter Union fallen1506 – das war zugleich die letzte Niederlage der bürgerlichen Liberalen, die schon längst nicht mehr mitspielten.1507 Obwohl die dort vereinbarte Reform des Bundes erwartungsgemäß versackte, nahmen Preußen und die Unionsstaaten seit Mai 1851 wieder an den Bundesversammlungen teil. Schwarzenberg hatte erreicht, was er seit seinem Regierungsantritt im Dezember 1848 angestrebt hatte. Dies verdankte er seinem geschickten taktischen Agieren,1508 vornehmlich mithilfe einer Provisorischen Zentralgewalt, die dabei mehr Instrument als Akteur war. Doch halfen ihm auch die Erfolge 1500 1501 1502 1503 1504 1505 1506 1507

Ebenda 18.5.1850, 43. D. Rogosch: Mittelstaaten (wie Anm. 1213) 420f. D. E. Barclay: Unionspolitik (wie Anm. 1184) 69ff. E. R. Huber: DVG II (wie Anm. 4) 899ff. NL Kübeck / F. Walter (wie Anm. 1452) 14. u. 25.7.1850, 46f. D. E. Barclay: Unionspolitik (wie Anm. 1184) 77f. Olmützer Punktation, 29.11.1850: DokVG I / E. R. Huber (wie Anm. 1) 449f. Dipper, Christof: Zerfall und Scheitern: Das Ende der Revolution. – In: 1848: Revolution in Deutschland (wie Anm. 758) 401–419, hier 416f. 1508 G. Hildebrandt: Schwarzenberg (wie Anm. 1135) 772.

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der österreichischen und russischen Truppen im Kampf gegen die Revolution im eigenen Land und nicht zuletzt die Unfähigkeit wie der Unwille der deutschen Bundesstaaten, die deutsche Einheit zu schaffen. Durch dieses Trauerspiel konnte sich das letzte Reichsministerium noch nachträglich in seiner Überzeugung bestätigt sehen, dass nur es selbst eine Rechtskontinuität wahrende zentrale Instanz in Deutschland verbürgen könne.

Fallstudien

Schleswig-Holstein – eine Revolutionsregierung im Dienste nationaler Selbstbehauptung Frank Möller „Nur das kann ich nicht unterdrücken, daß ich nie einen mehr erschütternden Anblick in meinem Leben gehabt habe als den Anblick der hell und klar über der winterlichen Landschaft sich erhebenden Sonne am Morgen nach der unglücklichen Nacht von Freitag auf Sonnabend“, so beschrieb der gerade zurückgetretene Reichsstatthalter von Schleswig-Holstein Wilhelm Heinrich Beseler den Morgen nach der entscheidenden Sitzung der schleswigholsteinischen Landesversammlung in der Nacht vom 10. auf den 11. Januar 1851.1509 Diese hatte beschlossen, sich den Forderungen des preußischen und des österreichischen Abgesandten nach einer Beendigung des Krieges mit Dänemark unterzuordnen. Beseler, der für die Fortsetzung des Krieges war, war daraufhin zurückgetreten. Es war nicht nur der Rücktritt und die Anspannung des letzten Monats, sondern vor allem das plötzliche Winterwetter, das Beseler als Grund seiner Erschütterung anführte. „Wir würden heute oder morgen mit den Dänen um den letzten Sieg gerungen haben, während die Tête der Österreicher erst bei Lüneburg steht.“ Mit der Punktation von Olmütz hatten die deutschen Großmächte beschlossen, die Selbstständigkeit SchleswigHolsteins aufzugeben. Doch gegen diesen Beschluss war die in Kiel sitzende Regierung Schleswig-Holsteins noch den ganzen Dezember 1850 bereit gewesen, der dänischen Armee eine letzte Schlacht zu bieten, bevor die Truppen der deutschen Großmächte heranrücken konnten. Abgehalten wurde man nur durch das feuchte Wetter, welches alle Truppenbewegungen vereitelte. „Ich war der Meinung“, so Beseler, „daß wir uns bis zum letzten Augenblicke die Chancen offen halten mußten, mit den Dänen zu schlagen – das war unsere schleswig-holsteinische und unsere deutsche Aufgabe.“ Nach seinem Rücktritt habe er nicht mehr nach Rendsburg, dem Hauptquartier der Armee, fahren können: „jeder schl[eswig]-h[olsteinische] Soldat würde mir die Worte in die Ohren gedonnert haben: ‚es war zu früh‘.“

1509 Wilhelm Heinrich Beseler an Heinrich v. Gagern, 14.1.1851: HStA Darmstadt, NL Gagern, 5/27. Gagern war seit seiner Zeit als Präsident der NV und RMP ein Parteifreunds Beselers. Seit dem Sommer 1850 hatte er sich freiwillig als Major zur schleswig-holsteinischen Armee gemeldet. Am 13.1.1851 erbat er den Abschied von der Armee.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657791033_003

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Es ist üblich, das Ende der Revolution von 18481510 mit dem Scheitern der Reichsverfassung im Mai 1849 oder der Kapitulation der badischen Festung Rastatt im Juli 1849 zu bestimmen. Nur selten wird etwa die folgende preußische Unionspolitik als Teil der Revolution betrachtet. Tatsächlich war jedoch erst der 11. Januar 1851 das Ende der deutschen Revolution. Zu diesem Zeitpunkt trat die letzte revolutionär eingesetzte Regierung zurück, in der Folge wurden die letzten deutschen Truppen unter der schwarz-rot-goldenen Fahne aufgelöst. Der in der Revolution faktisch entstandene deutsche Staat Schleswig-Holstein beendete seine Existenz. Das geschah nicht durch eine militärische Niederlage gegen Dänemark, sondern durch das Eingreifen der beiden deutschen Vormächte Preußen und Österreich. Und doch war diese schleswig-holsteinische Revolutionsregierung bereit, noch einmal eine Schlacht zu schlagen, um ein Zeichen für die nationalen Ziele der Revolution zu setzen. Das Ende wirft die Frage nach dem Anfang auf: Wie entstanden die revolutionären Institutionen in Schleswig-Holstein? Wie arbeitete der Staat, der hier durch die Revolution entstand? Die schleswig-holsteinischen Revolutionsregierungen zeigen dabei beispielhaft die Institutionalisierung revolutionärer Macht während der Revolution von 1848/49.1511 Dazu werden im Folgenden vier chronologische Phasen der Entwicklung der Exekutivorgane von Schleswig-Holstein behandelt: 1. die Bildung der Provisorischen Regierung in der Märzrevolution 1848, 2. deren Wirken bis zum Frieden von Malmö September 1848, 3. die Gemeinsame Regierung während des Waffenstillstandes bis Februar 1849 und 4. die Reichstatthalterschaft von März 1849 bis Januar 1851.

1510 Zur Einführung in die Deutsche Revolution von 1848/49 immer noch grundlegend Valentin, Veit: Geschichte der deutschen Revolution 1848/49. – 2. Bd. [zuerst: 1930/31] – ND Weinheim, Berlin 1998. Als neue knappe Überblicke empfehlenswert Mommsen, Wolfgang J.: 1848: Die ungewollte Revolution; Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830– 1849. – Frankfurt a. M. 1998; Hein, Dieter: Die Revolution von 1848/49. – München 1998. 1511 Zur Revolution in Schleswig und Holstein 1848–1850 fehlt eine neuere, aus den Quellen gearbeitete Darstellung. Der folgende Beitrag stützt sich auf die bestehende landesgeschichtliche Literatur, die unter dem Blickwinkel der Ergebnisse der neueren Revolutionsforschung eingeordnet wird. Grundlegende Überblicke sind Rackwitz, Martin: Märzrevolution in Kiel 1848: Erhebung gegen Dänemark und Aufbruch zur Demokratie. – Heide 2011; Stolz, Gerd; Adriansen, Inge: Die schleswig-holsteinische Erhebung: Die nationale Auseinandersetzung in und um Schleswig-Holstein von 1848/51. – Husum 1996; Scharff, Alexander: Geschichte Schleswig-Holsteins: Schleswig-Holstein und die Auflösung des Dänischen Gesamtstaates 1830–1864/67. – Neumünster 1975. Einen gut lesbaren, aber weitgehend zusammenfassenden Überblick bietet von Bezold, Andreas: Die Schleswig-Holsteinische Erhebung 1848–1851: Im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Dänemark. – Hamburg 2014.

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1.

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Die Bildung der Provisorischen Regierung im März 1848

Die Situation in Schleswig-Holstein vor der Revolution von 1848 ist weniger kompliziert, als oft behauptet wird, wenn man die unnötige Frage ignoriert, wer denn eigentlich im Recht gewesen sei. Fürst der Herzogtümer Schleswig und Holstein, die wiederum untereinander enge Verbindungen hatten, war der dänische König. Dabei war Holstein komplett deutsch besiedelt, in Südschleswig lebte eine deutsche, in Nordschleswig eine dänische Mehrheit. Holstein gehörte zudem zum Deutschen Bund, wodurch der dänische König auch Bundesmitglied war. Schließlich war die Frage umstritten, ob nach dem zu erwartenden Aussterben des dänischen Mannesstammes die Nachfolge in Dänemark auch für die Herzogtümer Schleswig und Holstein gelten würde. In dieser Situation empfanden die Deutschen in Schleswig und Holstein den dänischen Nationalismus und den dänischen Staatsbildungsprozess, der versuchte, die Herzogtümer enger an Dänemark anzuschließen, als Bedrohung ihrer Autonomie. Das Programm der dänischen Nationalisten, der sogenannten Eiderdänen, sah vor, auf Holstein zu verzichten, aber ganz Schleswig bis zum Fluss Eider in einen dänischen Nationalstaat einzugliedern. In einer Rückkopplung verstärkten sich der deutsche und der dänische Nationalismus wechselseitig an der Frage der nationalen Zugehörigkeit von Schleswig und Holstein.1512 Der Ausbruch der Revolution in Schleswig-Holstein verlief dabei ähnlich wie die Entwicklung im übrigen Deutschland. Hier wie dort war es eine ausländische Revolution, die zu energischen Maßnahmen führte. In West- und Süddeutschland hatte die Ausrufung der Republik in Frankreich die Angst vor einer Wiederholung der Revolutionskriege und dadurch die Märzrevolution zur Folge. In Schleswig und Holstein war es der Erfolg der Eiderdänen in Kopenhagen, der zur Aktion drängte. Dass die dänischen Nationalliberalen in Kopenhagen gerade durch die nationalen Bestrebungen in Schleswig und Holstein den Regierungswechsel durchsetzen konnten, zeigt die gegenseitige Verstärkung der nationalen Bewegungen. In Schleswig und Holstein jedenfalls wurde das neue Ministerium der „Ultra-Dänen“ als „Kriegserklärung“ begriffen.1513 So gesehen hatte die deutsche Märzrevolution eine gegen-revolutionäre, nationalistische Komponente: Sie war gegen eine auswärtige nationale Revolution 1512 Immer noch grundlegend Carr, William: Schleswig-Holstein 1815–1848: A study in national conflict. – Manchester 1963. 1513 So der schleswigsche Amtssekretär Carl Friedrich von Rahtlev in seinem Tagebuch, 23.3.1848; abgedr. in: Kieler Tagebücher aus dem Vormärz und der schleswig-holsteinischen Erhebung / hrsg. von Martin Rackwitz. – Heide 2008. – (Sonderveröffentlichungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte; 59) 164–240, hier 172f.

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gerichtet. Der viel beschworene Traum vom „Völkerfrühling“ stand in Deutschland daher nicht mal am Anfang der Revolution. Ähnlich wie im übrigen Deutschland war auch die parteipolitische Konstellation. In der revolutionären Situation fanden sich im März 1848 auch in Schleswig-Holstein Reformkonservative, Konstitutionell-Liberale und Demokraten zusammen. Was in West- und Süddeutschland reformkonservative Beamte waren, das stellte in Schleswig-Holstein der regionale Adel. Er war charakterisiert durch die doppelte Frontstellung „gegen das aggressive, im Sinne des Dänenthums nivellirende und die alten Landesrechte unterwühlende Königsthum auf der einen, und die von Deutschland herüberfluthende demokratisch-revolutionäre Zeitströmung auf der anderen Seite“.1514 Tatsächlich verstand er sich bei seiner Mitwirkung an der schleswig-holsteinischen Erhebung als legitimistisch, also die angestammten Rechte der Herzogtümer gegen die Kopenhagener Revolution verteidigend. Die KonstitutionellLiberalen sahen dagegen die Möglichkeit, jetzt endlich ihre nationalen und verfassungspolitischen Vorstellungen umsetzen zu können. Die radikalen Demokraten wiederum wollten darüberhinausgehend die Volkssouveränität durchsetzen. Sie traten in Schleswig-Holstein wie im Rest Deutschlands als die Antreiber auf, die zwar tatsächlich am wenigsten erreichten, aber doch das dynamische Element darstellten, das die anderen politischen Kräfte vorantrieb. Schon die beginnende Ausarbeitung einer neuen Verfassung in Kopenhagen hatte dazu geführt, dass sich am 17. Februar 1848 die deutsch gesinnten Abgeordneten der schleswigschen und der holsteinischen Ständeversammlung in Kiel versammelten und eine gemeinsame Verfassung für beide Länder forderten. Mit dem Ausbruch der Revolution trafen sich dann am 18. März die beiden Ständeversammlungen in Rendsburg selbstständig zu einer gemeinsamen Sitzung. Das war bereits ein revolutionärer Verstoß gegen die Verfassung, da nur der König die Ständeversammlungen – und zwar nur getrennt – einberufen konnte. Die Forderung nach einer provisorischen Regierung durch den Verleger und linken Abgeordneten Theodor Olshausen wurde vorerst abgelehnt, aber ein Ausschuss eingesetzt, der die Versammlung jederzeit wieder einberufen konnte. Als die Nachricht von der Rendsburger Versammlung in Kopenhagen ankam, wurde das dort zum Zeichen für die nationalliberalen Eiderdänen mit einer Massenbewegung einen Regierungswechsel zu erzwingen. Die von Rendsburg nach Kopenhagen entsandte Deputation stieß dort daher auf taube Ohren. Die drohende Inkorporation Schleswigs nach Dänemark erzwang aus

1514 Fock, Otto: Schleswig-Holsteinische Erinnerungen: Besonders aus den Jahren 1848–1851. – Leipzig 1863, 29.

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Sicht der deutschen Schleswig-Holsteiner eine Aktion – zudem schien mit dem Sieg der Berliner Revolution eine deutsche Nationalstaatsgründung nahe. Am 23. März überschlugen sich daraufhin in Kiel die Ereignisse. Während die städtische Bürgerwehr die Stadt unter ihre Kontrolle brachte, trafen sich der führende Liberale Wilhelm Heinrich Beseler aus Schleswig mit dem Führer der konservativen Adligen Friedrich Graf von Reventlou1515 und dem ehemaligen Oberkommandierenden in Schleswig-Holstein, dem sogenannten Prinz zu Noer1516. Anwesend war auch der liberale Historiker Johann Gustav Droysen. Beseler konnte die anwesenden Konservativen von der Notwendigkeit, eine eigene Regierung zu bilden, überzeugen. Gleichzeitig versammelten sich auf dem Rathaus die Anhänger der Radikalen und forderten lautstark die Einsetzung einer Regierung. Um 11 Uhr abends kam dann Beseler auf das Rathaus, nach längerer Diskussion einigte er sich mit den Anwesenden auf eine Liste der Regierungsmitglieder. Auch über die schon ausgearbeitete Proklamation wurde länger diskutiert, dann aber der von Reventlou entworfene Vorschlag angenommen. Die neugegründete Provisorische Regierung von SchleswigHolstein hatte schließlich sechs Mitglieder, die das breite politische Spektrum der schleswig-holsteinischen Bewegung widerspiegelten: Von liberaler Seite waren der Schleswiger Advokat Wilhelm Heinrich Beseler, der zudem Präsident der Regierung wurde, und der Flensburger Advokat Jürgen Bremer vertreten. Von den Konservativen gehörten der Gutsbesitzer und Klosterpropst von Preetz Friedrich Graf von Reventlou und der Prinz von Noer der Regierung an. Von den Linken wiederum wurden der Kieler Kaufmann Martin Thorsen Schmidt und ergänzend nach der Rückkehr aus Kopenhagen der Kieler Redakteur Theodor Olshausen dazu genommen. Gegen 6 Uhr morgens wurde die Proklamation erst vor dem Rathaus und dann noch einmal auf dem Marktplatz verlesen. „Ein unendlicher Jubel brach aus“, beschrieb das Kieler Correspondenz-Blatt das Ereignis, „daß mit diesem Augenblicke die Geschichte Schleswig-Holsteins einer neuen und schönern Zeit entgegengehe“. Die Proklamation legitimierte die neue Exekutive mit der Fiktion des unfreien Herzogs. Die dänische Volksbewegung in Kopenhagen habe ihn gezwungen, sich gegen seine Herzogtümer zu wenden. Man habe daher die Leitung der Regierung übernommen „welche wir zur Aufrechterhaltung der Rechte des Landes und der Rechte unseres angestammten Herzogs in 1515 Die Mitglieder dieser umfangreichen Adelsfamilie schreiben sich mit unterschiedlichen Endungen. Im Folgenden wird einheitlich für das Mitglied der schleswig-holsteinischen Regierungen Reventlou(-Preetz) genannt, während die Mitglieder anderer Familienzweige als Reventlow bezeichnet werden. 1516 Eigentlich Prinz Friedrich Emil August zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg.

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seinem Namen führen werden“. Diese Legitimationskonstruktion einer Nothilfe durch den Ausfall des Fürsten ermöglichte, dass die legitimistischen Konservativen die Regierung ebenfalls unterstützen konnten, obwohl diese doch eigentlich eine revolutionäre war. Ähnlich wie andere deutsche Märzregierungen bezog auch die Provisorische Regierung ihre Stellung aus dem Argument, sie sei ein Bollwerk gegen das Weitergehen der Revolution. Vergleichbar wurde mit der Radikalisierung der Revolution gedroht, um die eigenen Interessen durchzusetzen. So äußerte die schleswig-holsteinische Regierung im April 1848 in Berlin ganz offen, wenn sie alleine gelassen würde, könne sie genötigt sein, die Republik zu erklären und die Volkskraft aufzurufen.1517 Die nationalen und demokratischen Forderungen fasste die Proklamation der Provisorischen Regierung knapp und deutlich zusammen: man wolle sich „mit aller Kraft der Einheits- und Freiheitsbestrebungen Deutschlands anschließen“.1518 Die Provisorische Regierung in Kiel entsprach also den revolutionären März-Regierungen in den anderen deutschen Staaten. Doch in vier sich gegenseitig bedingenden Punkten zeigen sich die Besonderheiten der Revolution in Schleswig-Holstein und die Unterschiede zur Entwicklung im übrigen Deutschland: Zwar hatte auch die Provisorische Regierung in Kiel den Anspruch eine konstitutionell-monarchische Regierung zu sein. Da jedoch der dazu gehörende Fürst als dänischer König in Kopenhagen eindeutig die Seite der Eiderdänen einnahm, war die Provisorische Regierung letztlich im Land autonom. Während sich die deutschen Revolutionsregierungen mit ihren Fürsten auseinandersetzen mussten, die mehr und mehr ins Lager der Gegenrevolution wechselten, konnten die schleswig-holsteinischen Regierungen unabhängig agieren. Die Revolutionsregierung in Schleswig-Holstein stand über die ganze Zeit ihrer Existenz in einem kriegerischen Konflikt mit Dänemark. Krieg bestimmte ihre Politik. Schon am Tag der Proklamation besetzte der Prinz von Noer als neuer Oberkommandierender mit einer List die Festung Rendsburg.1519 Der Aufbau einer Armee und militärische Operationen dominierten ab diesem Zeitpunkt die politischen Entscheidungen, mit denen die Regierung konfrontiert war.

1517 Schwalm, Eberhardt: Volksbewaffnung 1848–1850 in Schleswig-Holstein: Vorarbeiten zu einer Psychologie und Soziologie der Schleswig-Holsteinischen Erhebung. – Neumünster 1961, 261. 1518 M. Rackwitz: Märzrevolution (wie Anm. 1511) 52. 1519 Ebenda 57f.

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Die Konflikt- und Kriegssituation führte wiederum dazu, dass es zu einer Zusammenarbeit aller Reformkräfte kam. Die tiefgehende Spaltung zwischen Liberalen und Demokraten wie im übrigen Deutschland war in SchleswigHolstein fremd, ja, hier wurden sogar die Reformkonservativen vollständig integriert. Selbstverständlich gab es auch in Schleswig-Holstein Spannungen. So forderten die Demokraten ein energischeres Auftreten, die Liberalen und Konservativen waren grundsätzlich kompromissbereiter und hatten auch Angst vor einer ins soziale übergreifenden Revolution. Die Diskussion in autobiographischen Schriften nach 1850, welche Parteirichtung denn den erfolgversprechenderen Weg verfolgt habe, kann heute selbst als historisch betrachtet werden.1520 Insgesamt schätzten die Liberalen die äußeren Gegner sicher realistischer ein, während die Demokraten besser erkannten, dass nur durch einen erfolgreichen und das hieß durch einen energisch geführten Krieg der Erfolg gesichert werden könne. Doch von 1848 bis 1850 waren Zusammenarbeit und Unterstützung aller politischen Gruppen für die schleswig-holsteinische Regierung vorherrschend. Ein radikaler Aufstand gegen die Regierung, wie in Frankfurt oder Baden, war etwa in Schleswig-Holstein undenkbar. So sehr der Krieg einerseits der Revolutionsregierung innenpolitischen Freiraum gab, so sehr zwang er auch nach außen zu Rücksichten, um militärische Unterstützung zu erhalten. Schon am 12. April erklärte der Deutsche Bundestag, der ja inzwischen durch die liberalen Märzministerien beschickt wurde, offiziell die Anerkennung der Provisorischen Regierung und eine Bundesexekution zur Unterstützung der Herzogtümer. Die Frage einer Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund wurde allerdings vorerst offengelassen. Die preußische Regierung, die nach dem Berliner Märzaufstand ihre nationale Orientierung beweisen wollte, übernahm die gewünschte militärische Aufgabe bereitwillig, obwohl der preußische König eigentlich die Rebellion gegen einen angestammten Fürsten ablehnte. Man hoffte dabei auch eine republikanische Entwicklung in den Herzogtümern verhindern zu können.1521 Schon im April kämpften preußische Truppen an der Seite der Schleswig-Holsteiner und besetzten zwischenzeitlich auch beträchtliche Teile Jütlands. Die schleswigholsteinische Regierung wurde durch diese Unterstützung einerseits zu einer vollständigen Anlehnung an die Frankfurter Zentralgewalt gezwungen, andererseits bekam Preußen einen außergewöhnlich großen Einfluss im Land. 1520 Als Beispiele etwa O. Fock: Schleswig-Holsteinische Erinnerungen (wie Anm.  1514); Venedey, Jacob: Schleswig-Holstein im Jahre 1850: Ein Tagebuch. – Leipzig 1851; von Schleswig-Holstein-Noer, Friedrich: Aufzeichnungen des Prinzen Friedrich von SchleswigHolstein-Noer aus den Jahren 1848–1850. – Zürich 1861. 1521 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 1510) 521.

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Der in der deutschen Historiographie bis heute gängige Begriff der „schleswig-holsteinischen Erhebung“ entspricht der 1848 entwickelten legitimistischen Argumentation. Die Ereignisse von 1848 in Schleswig-Holstein erscheinen als ein regionaler Aufstand gegen dänisches Unrecht. Mit diesem Begriff wurde in der älteren Forschung das Revolutionäre einer demokratischen Staatsneugründung, in der neueren dagegen das Nationale der regionalen Revolution abgemildert.1522 In diesem landesgeschichtlichen Blick auf die Region scheint der Zusammenhang zur nationalen Revolution aufgehoben. Auch die Sicht der dänischen Geschichtswissenschaft neigt heute dazu, den nationalen Gegensatz zwischen Deutschen und Dänen abzumildern.1523 Ihre „Bürgerkriegsthese“ verortet den Konflikt komplett innerhalb des dänischen Gesamtstaates. Da sich König Friedrich VII. einseitig auf die Seite seiner eiderdänischen Untertanen geschlagen habe, wäre durch das Beharren auf ihre Autonomie durch die Schleswig-Holsteiner ein Bürgerkrieg ausgebrochen, indem diese dann vom deutschen Ausland Unterstützung erhalten hätten. Auch die Akteure beider Seiten seien aus dem multinationalen dänischen Gesamtstaat gekommen. Beide Blickwinkel sitzen der konservativen Selbstinterpretation einer Wahrung des historischen Rechts auf und beachten zu wenig den revolutionären Charakter der Märzereignisse in Kiel. Der personelle Einfluss aus Deutschland sowie die enge Anlehnung an das Revolutionszentrum Frankfurt, aber auch die bedeutende Wirkung der schleswig-holsteinischen Ereignisse und Personen auf die deutsche Revolution wird hier nicht genügend beachtet. Gerade im Vergleich wird deutlich, dass sich in Schleswig-Holstein 1848 das allgemeine Muster revolutionärer Veränderung aus dem Rest Deutschlands wiederholte. 2.

Die Provisorische Regierung (März bis September 1848)

Nicht nur die Bildung der provisorischen Regierung in Kiel ähnelte der Einsetzung der Märzregierungen in Deutschland, auch ihre Politik in den folgenden 1522 Das Revolutionäre des Vorgangs betont allerdings deutlich Scharff, Alexander: Wesen und Bedeutung der schleswig-holsteinischen Erhebung 1848–1850. – Neumünster 1978. 1523 Bjørn, Claus: 1848: Borgerkrig og revolution. – [Copenhagen] 1998; Østergard, Uffe: 1848 aus der Sicht von 1998: Der Bürgerkrieg im dänisch-deutschen Gesamtstaat 1848–1850 unter der Perspektive des Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien. – In: Die deutsche Revolution von 1848/49 und Norddeutschland / hrsg. von Wolfgang Beutlin; Wilfried Hoppe; Franklin Kopitzsch. – Frankfurt a. M. 1999, 251–262; Bregsnbo, Michael: Dänemark und 1848: Systemwechsel, Bürgerkrieg und Konsensus-Tradition. – In: 1848: Revolution in Europa / hrsg. von Heiner Timmermann. – Berlin 1999, 153–164.

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Monaten entsprach dem dort vorhandenen Vorbild. Neben der Kriegsführung waren die wichtigsten Handlungsfelder die Umsetzung der Märzforderungen, d. h. die Durchsetzung grundlegender Menschen- und Bürgerrechte, der Ausbau einer demokratisch-konstitutionellen Verfassung und gesellschaftliche wie staatliche Modernisierungsmaßnahmen. Zuerst einmal musste die Provisorische Regierung die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung betreiben. Sie erließ am 18. April dazu ein Gesetz für die Herzogtümer, das die demokratischen Vorgaben des Vorparlaments umsetzte. Wahlberechtigt waren alle männlichen Staatsbürger ab einem Alter von 21 Jahren, die nicht straffällig geworden waren und im letzten Jahr keine Armenunterstützung erhalten hatten. Wählbar war jeder wahlberechtigte Schleswig-Holsteiner und jeder Deutsche aus einem in der Nationalversammlung vertretenen Land. In Holstein wurden sechs Abgeordnete gewählt, in Schleswig konnte die Wahl von fünf erst stattfinden, nachdem die Dänen sich am 2. Mai unter dem Druck der Bundestruppen vollständig nach Jütland zurückgezogen hatten.1524 Mit 30% Wahlbeteiligung in Holstein und 10% in Schleswig – erklärlich aus dem dänischen Bevölkerungsteil und der überhasteten Wahl – war die Wahlbeteiligung der Zeit entsprechend durchaus hoch.1525 Gewählt wurden in Schleswig-Holstein durchgängig gemäßigt-liberale Abgeordnete, darunter die Kieler Geschichtsprofessoren Droysen, Dahlmann und Waitz, die sich besonders für eine preußische Lösung der Verfassungsfrage einsetzten. Auch die beiden linken Abgeordneten Hans Reimer Claussen und Arnold Engel orientierten sich in Frankfurt zum linken Centrum.1526 Die sogenannten Märzforderungen, Presse- und Versammlungsfreiheit, Schwurgerichte und Volksbewaffnung, bildeten im übrigen Deutschland den Ausgangspunkt für die Märzrevolution. Auch wenn in der Erklärung vom 24. März – wie die Demokraten kritisiert hatten – diese Forderungen nur pauschal erwähnt worden waren, begann die Provisorische Regierung doch zügig mit der Umsetzung von grundlegenden Bürgerrechten. Der Herstellung der Versammlungsfreiheit am 25. März 1848 folgte die Aufhebung der Zensur und am 24. Mai 1848 ein Gesetz zur Pressefreiheit. Am  8. Juli wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, die soziale Herkunft spielte für militärische Beförderungen keine Rolle mehr. Zu sozialen Unruhen kam es in Schleswig-Holstein 1524 M. Rackwitz: Märzrevolution (wie Anm. 1511) 84f. 1525 Zur Einordnung Obermann, Karl: Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung im Frühjahr 1848: Die Wahlvorgänge in den Staaten des Deutschen Bundes im Spiegel zeitgenössischer Quellen. – Berlin [Ost] 1987. 1526 Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 / bearb. von Heinrich Best; Wilhelm Weege. – Düsseldorf 1996. – (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 8) 398.

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nur in geringem Maße. Die Provisorische Regierung schaffte die Kopfsteuer sowie das Verbittels-, Schutz- und Instengeld ab, alles Steuern, die besonders die ärmeren Schichten belastet hatten. Zudem wurde eine Kommission eingesetzt, die die Lage der Insten und Tagelöhner untersuchen sollte, allerdings ergebnislos endete.1527 Gerade die unklare Kriegssituation und die fehlende rechtliche Legitimation der Provisorischen Regierung führten dazu, dass man bemüht war, möglichst schnell zu einer verfassungsrechtlichen Lösung zu kommen. Wesentlich schneller als andere deutsche Staaten betrieben die Schleswig-Holsteiner die Gründung eines demokratisch legitimierten Verfassungsstaates. Am  13. Juli 1848 wurde von der vereinigten Schleswig-Holsteinischen Ständeversammlung ein Wahlgesetz erlassen. Auf dessen Grundlage wählten die Staatsbürger eine Volksvertretung, die eine Verfassung bestimmen sollte. Die Abgeordneten traten am 15. August 1848 in Kiel zusammen.1528 In den Beratungen mit der Provisorischen Regierung wurde dann das Staatsgrundgesetz vom 15. September  1848 beschlossen. Diese Verfassung1529 konstituierte Schleswig-Holstein als eine konstitutionelle Monarchie. Festgelegt wurden äußerst fortschrittliche Rechte der Bürger, so etwa ein gleiches und allgemeines Männerwahlrecht oder das freie Religionsbekenntnis. Bezeichnend im Staatsgrundgesetz ist erneut die Fiktion in der Präambel, dass das Vereinbarungsprinzip eingehalten worden sei, indem die Zustimmung zur Verfassung durch die Provisorische 1527 Regling, Heinz-Volkmar: Die Anfänge des Sozialismus in Schleswig-Holstein. – Neumünster 1965, 60. 1528 Tatsächlich irren G. Stolz; I. Adriansen: Schleswig-Holsteinische Erhebung (wie Anm. 1511) 93, mit der Annahme, dass hier der einzige Fall vorliege, dass in der Revolution nicht das Staatsoberhaupt eine verfassungsgebende Versammlung einberufen habe. Auch in Baden im Frühjahr 1849 wurde die verfassungsgebende Versammlung nicht durch den Großherzog einberufen. 1529 Skambraks, Hans-Georg: Die Entstehung des Staatsgrundgesetzes für die Herzogtümer Schleswig-Holstein vom 15. September  1848. – In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte  84 (1959) – 121–208; und ebenda 85/86 (1960/61) 131–242; Vosgerau, Heiko: „Der ... Verfassungsentwurf ist der demokratischste, der je in deutscher Sprache abgefasst worden“.: Verfassung und Verfassungswirklichkeit während der Schleswig-Holsteinischen Erhebung. – In: 150 Jahre Streben nach Demokratie / hrsg. von Martina Daniel. – Kiel 1999, 61–74; Jessen-Klingenberg, Manfred: Die SchleswigHolsteinische Landesversammlung und das Staatsgrundgesetz vom 15. September 1848. – In: Demokratie in Schleswig-Holstein: Historische Aspekte und aktuelle Fragen / hrsg. von Göttrik Wewer. – Wiesbaden 1998, 93–106; Vosgerau, Heiko: Demokratische „Musterverfassung ohne Wert“: Das schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz von 1848. – In: ebenda 107–129; Krech, Joachim: Das schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz vom 15. September 1848: Entstehung und verfassungsrechtliche Einordnung unter Berücksichtigung des monarchischen Prinzips und der Volkssouveränität. – Frankfurt a. M. 1985. Die Verfassung findet sich unter http://www.verfassungen.de/sh/verf1848-i.htm.

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Regierung „Namens des Landesherrn“ erfolgt sei. Die Stellung des Herzogs wurde dabei in doppelter Hinsicht eingeschränkt. Zum einen regelte die Verfassung die momentane Lage einer Personalunion. Vorgeschrieben war, dass bei Abwesenheit des Herzogs seine Herrschaftsrechte an einen weisungsungebundenen Statthalter übergingen, bei dessen Ernennung wiederum die schleswigholsteinische Regierung entscheidend mitwirken konnte (Art. 46 u. 48). Zum anderen wurde die Vererbung im Mannesstamme festgelegt. Damit wäre es beim Tod des kinderlosen Königs Friedrich VII. zur Entstehung einer eigenen Dynastie gekommen. Indem das Staatsgrundgesetz zudem die Annahme eines fremden Thrones ohne Zustimmung der Landesversammlung verbot (Art. 45), wurde auch für die Zukunft diese eigene Dynastie festgeschrieben. Schließlich gehörte zur eigenen Staatlichkeit auch der Aufbau entsprechender Institutionen. Eine davon war etwa eine eigenständige schleswigholsteinische Post. Sie wurde durch den späteren Bankier Wilhelm Hans Ahlmann gegründet, der am 1. Mai 1850 die Aufnahme in den deutschen Postverein erreichte. Schleswig-Holstein war nach Bayern und Preußen der dritte deutsche Staat, der Briefmarken einführte. Sie zeigten den deutschen Reichsadler.1530 Im Mittelpunkt der organisatorischen Anstrengungen stand für den neugegründeten Staat, der sich im Krieg befand, selbstverständlich das Militär. Prinz Friedrich von Noer, Mitglied der Provisorischen Regierung, hatte die Aufgabe, eine schleswig-holsteinische Armee aufzubauen. Er war jedoch in Doppelfunktion gleichzeitig auch der Oberkommandierende der Armee, sodass er diese Aufgabe nicht zur vollen Zufriedenheit erledigen konnte. Von 2000 Mann, die im März aus dänischen Diensten übergetreten waren, wuchs die Armee schon bis Mitte April auf 8900 Mann. Bis 1850 sollte sie, die ja inzwischen ohne Unterstützung von Bundestruppen kämpfen musste, auf über 40.000 Mann angewachsen sein.1531 Ein Problem blieb dabei zeit ihres Bestehens der Mangel an Offizieren. Hierfür musste verstärkt auf Offiziere anderer deutscher Staaten zurückgegriffen werden, die dort für den Dienst in Schleswig-Holstein Urlaub erhielten. Ende 1849 waren etwa von 500 Offizieren über die Hälfte keine Schleswig-Holsteiner. 40% der Offiziere kamen aus preußischen Diensten, was die Abhängigkeit des Landes von Preußen noch 1530 G. Stolz; I. Adriansen: Schleswig-Holsteinische Erhebung (wie Anm. 1511) 97–99. 1531 Zur Militärorganisation der schleswig-holsteinischen Armee und dem Kriegsverlauf grundlegend: Schlürmann, Jan: Die Schleswig-Holsteinische Armee 1848–1851. – Tönning 2004; Ders.: Die Schleswig-Holsteinische Armee 1848 bis 1851: Militärische Reformfähigkeit und -unfähigkeit in Zeiten der politischen und militärischen Revolution. – In: Reform – Reorganisation – Transformation: Zum Wandel in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr / hrsg. von Karl-Heinz Lutz; Martin Rink; Marcus von Salisch. – München 2010, 165–180.

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verstärkte.1532 Auseinandersetzungen gab es immer wieder über die Frage, wie weit Freischaren in der schleswig-holsteinischen Armee eingesetzt werden sollten. Insbesondere die Konservativen in der Provisorischen Regierung, die jede Annäherung an die Revolution ablehnten, wehrten sich dagegen und setzten nach den ersten Kämpfen durch, dass die schleswig-holsteinische Armee aus regulären Truppen aufgebaut wurde. Trotzdem legte wegen der militärischen Niederlagen und den Spannungen mit seinen Kollegen am 9. September 1848 der Prinz von Noer verbittert sein Amt als Kriegsminister nieder. 3.

Die Gemeinsame Regierung (September 1848 bis März 1849)

Groß Britannien und Russland, die den dänischen Gesamtstaat erhalten wollten, erhöhten im Sommer 1848 den diplomatischen Druck auf Preußen, die Kämpfe zu beenden. Zudem war der preußische König unzufrieden damit, dass er mit dem schleswig-holsteinischen Krieg eigentlich eine „Rebellenregierung“ gegen ihren Fürsten unterstützte. Die Zweifel Preußens veranlassten schließlich die Räumung des gerade erst eroberten Jütlands durch dessen Truppen. Dem folgten diplomatische Verhandlungen zwischen Preußen und Dänemark, die schließlich zum Waffenstillstand von Malmö am 26. August 1848 führten. Der enge Zusammenhang zwischen Schleswig-Holstein und der nationalen Frage war offensichtlich, bereits vorher hatte der Präsident der Frankfurter Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, ganz treffend festgestellt: „Die schleswig-holsteinische Revolution ist eine Tatsache, die deutsche Ehre erfordert es, sie aufrechtzuerhalten.“1533 Es kann daher nicht verwundern, dass die Verhandlungen über den Waffenstillstand in der Frankfurter Nationalversammlung zu einer heftigen, parteiübergreifenden Auseinandersetzung führten. Die Zustimmung der Frankfurter Nationalversammlung zu diesem, als entehrend empfundenen Vertrag eskalierte schließlich in den Septemberaufständen in Frankfurt und Baden. In Schleswig-Holstein jedoch hatte der Malmöer Waffenstillstand keineswegs die Konsequenzen, die die Eiderdänen gewünscht und die deutschen Nationalisten in Schleswig-Holstein wie im Rest Deutschlands befürchtet hatten. Der Vertrag sah die Räumung Schleswig-Holsteins von dänischen und deutschen Truppen, die Auflösung der Provisorischen Regierung und das Ruhen aller Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen seit dem März 1848 vor. Geleitet werden sollten die Herzogtümer durch eine Gemeinsame Regierung 1532 G. Stolz; I. Adriansen: Schleswig-Holsteinische Erhebung (wie Anm. 1511) 59. 1533 Zit. n. V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 1510) 148.

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aus dänischen und deutschen Vertretern. Auf dem Papier gaben diese Bestimmungen die schleswig-holsteinische Revolution und ihre Führer preis. Sowohl die personellen Veränderungen als auch die Aufhebung aller durchgeführten Reformen wirkten wie eine Abwicklung der schleswig-holsteinischen Revolution. Es zeigte sich jedoch schnell, dass der die Macht hat, der auch über die Machtmittel verfügt. Und das waren nach dem Rückzug der dänischen Armee aus Schleswig-Holstein nach dem September 1848 eben die deutschen Schleswig-Holsteiner. Das wurde bereits erkennbar, als Dänemark schon zwei Wochen nach Vertragsabschluss auf seinen Wunschkandidaten für den Präsidenten der Gemeinsamen Regierung, den Grafen Karl Moltke-Nutschau, den Führer der Dänenfreunde, verzichten musste, da dieser im Land einfach nicht durchsetzbar war. Seine Stelle bekam Theodor Graf von Reventlow-Jersbek, das Haupt der äußersten konservativen Rechten im schleswig-holsteinischen Adel. Doch auch dieser musste mit der Reaktion in Schleswig-Holstein umgehen. Am 4. September beschloss die schleswig-holsteinische Landesversammlung einstimmig, sie könne ohne ihre Zustimmung weder aufgelöst noch vertagt werden, die Regierung als auch die bestehenden Gesetze dürften nur mit ihrem Einverständnis geändert werden. Graf Reventlow-Jersbeck konnte darauf nur reagieren, indem er die offiziell durch den Malmöer Vertrag aufgehobenen Gesetze einschließlich der Verfassung wieder in Kraft setzte.1534 Das Ergebnis war also, dass an der Spitze Schleswig-Holsteins von September 1848 bis März 1849 eine Regierung stand, die zwar von den Personen konservativ eingestellt war, jedoch durch ihre Zusammensetzung weitgehend arbeitsunfähig war. Vor allem aber konnte sie die Selbstständigkeit des revolutionären SchleswigHolstein nicht einschränken. So lief etwa in diesem Zeitraum in Holstein die Kriegsrüstung für den erwarteten zweiten Waffengang mit Dänemark ungestört weiter. Von dänischer Seite war man daher von der Gemeinsamen Regierung enttäuscht. Man kritisierte, dass die „staatsauflösende Bewegung“ in den Herzogtümern immer noch weiter gehe.1535 Dänemark musste schon deswegen zum erstmöglichen Zeitpunkt den Waffenstillstand beenden, um einer Gewöhnung an die bestehende Eigenstaatlichkeit entgegenzuwirken.

1534 Ebenda 149. 1535 Der dänische Gesandte in Frankfurt a. M., Baron Dirckinck, im Dezember 1848, zit. n. G. Stolz; I. Adriansen: Schleswig-Holsteinische Erhebung (wie Anm. 1511) 114.

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Die Reichsstatthalterschaft (März 1849 bis Januar 1851)

Am 26. März 1849 endete der Waffenstillstand und damit auch die Tätigkeit der Gemeinsamen Regierung für die Herzogtümer. Alle Friedensverhandlungen waren im Vorfeld gescheitert. Es war also klar, dass es zu einem Wiederbeginn der Kämpfe kommen würde. Sofort wurde in Kiel wieder die Landesversammlung einberufen. Federführend wurde nun die Frankfurter Reichsregierung. In einer gemeinsamen Sitzung mit Wilhelm Heinrich Beseler, der seit Herbst 1848 als Nachrücker in der Frankfurter Nationalversammlung saß, und Carl Philipp Francke wurde für den Kriegsfall eine Reichstatthalterschaft für Schleswig-Holstein eingesetzt. Dazu bestimmt wurden Beseler und Graf Reventlou, womit wieder die wichtigen Männer der alten Provisorischen Regierung die Macht in Schleswig-Holstein hatten. Diese beiden sollten sich noch einen dritten Statthalter wählen, was jedoch unterblieb. Die Reichsstatthalterschaft führte im Namen des Deutschen Reiches die Regierung der Herzogtümer unter Vorbehalt der Rechte des Landesherrn nach den Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes. Der Frankfurter Eduard Souchay wurde als Kommissar der Zentralgewalt nach Schleswig entsandt, um die neue Regierung formal einzusetzen.1536 Einen Tag bevor in Frankfurt die Reichsverfassung erlassen wurde, wehten in Schleswig und Holstein wieder die schwarz-rot-goldenen Fahnen.1537 Seit dem 3. April brachen durch einen dänischen Angriff die Kampfhandlungen erneut aus. Sie wurden, da sich die preußischen Truppen aus politischen Gründen zurückhielten, durch schleswig-holsteinische sowie thüringische, hannoversche, sächsische und bayerische Reichstruppen geführt. Militärisch war diese Phase für Schleswig-Holstein sehr erfolgreich, bei Eckernförde, Kolding, Düppeln und Fredericia wurden die Dänen besiegt.1538 SchleswigHolstein und die Zentralgewalt unter dem Ministerpräsidenten Heinrich von Gagern arbeiteten in diesen Monaten sehr eng zusammen, was sicher dadurch erleichtert wurde, dass Wilhelm Heinrich Beseler zuvor als Abgeordneter der Paulskirche zur Casino-Fraktion gehört hatte. Das dänische Waffenstillstandsangebot, zu dem sich Kopenhagen nach den empfindlichen Niederlagen bereitfand, wurde etwa von Frankfurt abgelehnt. Eine Entscheidung, die zu diesem Zeitpunkt auch Preußen nicht ignorieren konnte. Es wird oft übersehen, dass während der entscheidenden Phase der Schaffung der Reichsverfassung 1536 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 1510) 343. 1537 G. Stolz; I. Adriansen: Schleswig-Holsteinische Erhebung (wie Anm. 1511) 210. 1538 V. Valentin: Deutsche Revolution II (wie Anm. 1510) 344.

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im April und Mai 1849 die Frankfurter Zentralgewalt eben außerdem auch eine kriegführende Regierung war. Bestimmte Entscheidungen erklären sich aus dieser Kriegssituation; so etwa die Bereitschaft der Liberalen, am Reichsverweser trotz dessen Widerstands gegen die Reichsverfassung festzuhalten. Die Abwendung Preußens von der Frankfurter Zentralgewalt nach der Ablehnung der Kaiserwürde veränderte dann ebenfalls die Lage in SchleswigHolstein. Nach russischen Drohungen verkündete Preußen am 18. Mai 1849 seine ausschließliche Zuständigkeit in der schleswig-holsteinischen Frage, d. h. die Übernahme der Befugnisse, die vorher bei der Zentralgewalt gelegen hatten. Am 19. Mai erhielt der preußische General Prittwitz von Berlin den Befehl, nicht länger auf Frankfurt zu hören und seinen Vormarsch in Jütland zu beenden. Preußen war jetzt entschlossen, die Führung der schleswig-holsteinischen Sache selbst zu übernehmen.1539 Am 10. Juli wurde ein Waffenstillstandsvertrag zwischen Dänemark und Preußen für sechs Monate mit sechswöchiger Kündigungsfrist geschlossen. Die deutschen Bundestruppen wurden nach Hause geschickt. Schleswig wurde geteilt, der Norden wurde von schwedischen Truppen besetzt, der südliche Teil einer preußisch-dänischen Landesverwaltung, einschließlich eines britischen Schiedsrichters, unterstellt. Holstein blieb unter Kontrolle der Reichsstatthalterschaft, die ihren Sitz von Schleswig nach Kiel verlegte.1540 Die Statthalterschaft erklärte die Bedingungen des Waffenstillstandes für undurchführbar und protestierte gegen die Verletzung der Rechte der Herzogtümer. Auch die Landesversammlung lehnte am 16. Juli den Waffenstillstand ab. Doch der Druck Preußens – auch die Drohung mit der Rückberufung seiner Offiziere – bewirkten eine Anerkennung der Tatsachen. Es scheint jedoch, dass auch jetzt wieder die Herrschaft über Südschleswig faktisch bei den Statthaltern verblieb. Die Anweisungen der preußisch-dänischen Landesverwaltung wurden wohl ignoriert. Nach einem Jahr Verhandlungen kam es am 2. Juli 1850 zum Frieden von Berlin zwischen Dänemark und Preußen im Namen des Deutschen Bundes. Der Kriegszustand wurde beendet, die letzten preußischen Truppen abgezogen und Schleswig der Verwaltung Dänemarks unterstellt. Am 2. August schlossen dann die europäischen Großmächte den 1. Londoner Vertrag, der die Integrität des dänischen Gesamtstaates sichern sollte.1541 Das politische 1539 Oberschmidt, Randolf: Rußland und die schleswig-holsteinische Frage 1839–1853. – Frankfurt a. M. [u. a.] 1997, 152. 1540 G. Stolz; I. Adriansen: Schleswig-Holsteinische Erhebung (wie Anm.  1511) 140; R. Oberschmidt: Rußland (wie Anm. 31) 159. 1541 G. Stolz; I. Adriansen: Schleswig-Holsteinische Erhebung (wie Anm. 1511) 142.

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Problem Schleswig-Holstein war damit keineswegs gelöst, denn die schleswigholsteinische Statthalterschaft beendete ihre Tätigkeit nicht. Obwohl Preußen seine beurlaubten Offiziere abzog, darunter auch den Oberkommandierenden der schleswig-holsteinischen Armee Eduard von Bonin, beschloss man den Widerstand fortzusetzen. Am  1. Juli 1850 wurde die schleswig-holsteinische Armee mobilisiert, jetzt auch erstmals die Wehrpflicht konsequent umgesetzt. Selbst Fremde wurden in großem Stil aufgenommen. Allerdings ehemalige Revolutionäre aus Baden, der Pfalz oder Ungarn wurden aus Angst vor radikaler Gesinnung abgelehnt. Am 13. Juli überquerten die schleswig-holsteinischen Truppen unter ihrem neuen Oberbefehlshaber, dem preußischen Generalleutnant a. D. Karl Wilhelm von Willisen, die Eider nach Schleswig. Der Vormarsch scheiterte jedoch in der Schlacht von Idstedt. Diese Niederlage wurde noch einmal zu einem Signal in Deutschland. Da nach der Aufgabe der Unionspolitik die gemäßigten Liberalen keine Hoffnungen mehr auf Preußen setzten, konnten sie nun offen Werbung für den Krieg in Norddeutschland betreiben. Ein Versuch, Öffentlichkeit zu erzeugen, war auch der Eintritt des faktischen Parteichefs der Gothaer Liberalen Heinrich von Gagern als Major in die schleswig-holsteinische Armee. Nach einem Antrag des dänischen Königs auf Wiederherstellung seiner Herrschaftsrechte in Holstein hatte der von Österreich wieder einberufene Bundestag bereits am 25. Oktober 1850 der Statthalterschaft erklärt, man werde keine weiteren Kampfhandlungen mehr dulden. Die schleswig-holsteinischen Truppen müssten reduziert und hinter die Eider zurückgezogen werden. Bei Ablehnung wurde eine militärische Exekution angedroht.1542 Am Tag darauf schloss der Deutsche Bund sich dem Berliner Vertrag an. Mit der Olmützer Punktation vom 29. November 1850 endete dann auch die Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich, da jenes offiziell auf seine Unionspläne verzichtete und sich der Wiederherstellung des Deutschen Bundes anschloss. Damit wurde endgültig Schleswig-Holstein aufgegeben und eine Bundesexekution gegen es in die Wege geleitet. Die Pläne der Statthalterschaft, trotz der drohenden Exekution durch österreichische Truppen noch eine Schlacht gegen die Dänen zu schlagen, scheiterte – wie zu Beginn erwähnt – am schlechten Wetter. „Wir sind gerüstet und können nicht aus der Stelle, es regnet unaufhörlich“, urteilte Heinrich von Gagern. „Ernsten Widerstand gegen die Exekutionsarmee versuchen oder 1542 Druck: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. – Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850 / hrsg. von Ernst Rudolf Huber. – 3., neubearb. u. verm. Aufl. – Stuttgart 1978, 467.

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nur fingieren wollen, ohne imstande gewesen zu sein, die Dänen zu schlagen, wäre eine lächerliche Bravade und nur noch eine vaterländische Schmach mehr.“1543 Am  6. Januar 1851 erschienen in Kiel als Bundeskommissare die Vertreter der deutschen Großmächte, der Österreicher Graf Alexander von Mensdorff-Pouilly und der Preuße Wilhelm von Thümen. Sie verlangten von Statthalterschaft und Landesversammlung die Unterwerfung unter die Bundesbeschlüsse. In der Nacht vom 10. auf den 11. Januar 1851 verhandelte die Versammlung 9 Stunden lang, um schließlich mit 47 zu 23 Stimmen das Ultimatum anzunehmen. Wilhelm Heinrich Beseler, der noch einen militärischen Versuch hatte wagen wollen, trat sofort als Reichsstatthalter zurück. Reventlou führte die Geschäfte alleine weiter. Am 17. Januar 1851 vertagte sich die Landesversammlung, am 1. Februar trat auch Reventlou zurück und wurde für Holstein durch eine Regierung des konservativen Adolf Blome unter Aufsicht einer Kommission der beiden Bundeskommissare und des dänischen Vertreters Heinrich von Reventlow-Criminil ersetzt.1544 Damit endete die letzte schleswig-holsteinische Revolutionsregierung. 5.

Nachbemerkung

Die Bildung einer revolutionären Regierung in Schleswig-Holstein 1848 bis 1851 war gleichbedeutend mit der Entstehung eines deutschen SchleswigHolstein, das sich – selbst wenn der dänische König schleswig-holsteinischer Herzog geblieben wäre – als Teil des zu gründenden deutschen Nationalstaates begriff. Die Nationalismen beider Seiten verstärkten sich dabei wechselseitig. Diese Eskalation machte sowohl die Revolution in Kopenhagen als auch in Kiel möglich. Das Handeln der drei schleswig-holsteinischen Revolutionsregierungen – der Provisorischen Regierung, der Gemeinsamen Regierung und schließlich der Statthalterschaft – wurde dabei durch folgende Besonderheiten geprägt: 1. Abwesenheit eines Fürsten, 2. militärischer Konflikt, 3. relativ enge Zusammenarbeit aller politischen Kräfte und 4. starke Abhängigkeit von der deutschen Revolution und von Preußen. Am Scheitern der Revolution in Deutschland und dem Rückzug Preußens scheiterte schließlich auch die Revolution in SchleswigHolstein. Für dieses war jedoch bedeutend, dass eine Regierung ohne Fürst 1543 Heinrich an Max v. Gagern, 6.1.1851: HStA Darmstadt, NL Gagern 8/5. 1544 Dokumente I / E.-R. Huber (wie Anm.  1542) 467; G. Stolz; I. Adriansen: SchleswigHolsteinische Erhebung (wie Anm. 1511) 174.

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über Jahre und mit gesamtdeutscher Unterstützung organisiert worden war. Von daher war die Meinung des schleswig-holsteinischen Demokraten Otto Fock zutreffend, „daß Schleswig-Holstein faktisch drei Jahre lang eine Republik gewesen ist, und daß es wahrscheinlich sehr glücklich sein würde, wenn man ihm gestatten wollte, sich auch fernerhin selbst zu regieren.“1545

1545 O. Fock: Schleswig-Holsteinische Erinnerungen (wie Anm. 1514) 23.

Die Revolutionsregierungen in Sachsen 1848/49: Von der nationalen Frage getriebene Ministerien Jonas Flöter „Das neue Ministerium war ein März-Ministerium, wie es damals in allen deutschen Staaten gab. Zwei ausgezeichnete Mitglieder der zweiten Kammer, Advokat Braun und Fabrikbesitzer Georgi, wurden, der erste Justiz-, der zweite Finanzminister, und neben ihnen sollte von der Pfordten, damals Professor des römischen Rechts und Rector der Universität Leipzig, das Ministerium des Innern übernehmen. Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten aber wollte der König in erprobten Händen wissen, womit auch die Genannten sich einverstanden hatten.“1546 Mit diesen Worten leitete der spätere leitende sächsische Minister, Friedrich Ferdinand von Beust, seine Erinnerungen über das sächsische Märzministerium ein. Beust charakterisierte die designierten Minister als gemäßigt Liberale und bescheinigte von der Pfordten einen „von Haus aus conservative[n] Instinkt“.1547 Im Umfeld dieser Persönlichkeiten wurde auch Beust als neues Kabinettsmitglied gehandelt. In einem Brief des sächsischen Königs, der durch den amtierenden Außenminister Heinrich Anton von Zeschau übermittelt worden war, erhielt er die Aufforderung, sofort nach Dresden zu kommen, da er für das Amt des Außenministers im Märzministerium Braun vorgeschlagen sei. Es kam anders. Als Beust in Dresden eintraf, waren vor dem Hintergrund der Märzereignisse in Berlin die Würfel zu seinen Ungunsten gefallen. Als neuer Märzminister wurde der demokratische Stadtrat von Zwickau, Martin Gotthard Oberländer, berufen und Beust musste unverrichteter Dinge nach London zurückkehren.1548 1546 Beust, Friedrich Ferdinand von: Aus drei Viertel-Jahrhunderten: Erinnerungen und Aufzeichnungen. – Bd. 1. – Stuttgart 1887, 41. 1547 Ebenda 42. 1548 Im Rahmen der sächsischen Landesgeschichtsschreibung wurde bisher herausgesellt, dass die Integration Oberländers in das sächsische Märzministerium erst den eigentlichen Charakter eines Märzministeriums in Sachsen ausgemacht habe. Im Gegensatz dazu konnte Eva Maria Werner in ihrer Dissertation zeigen, dass Demokraten in den Märzministerien die Ausnahme blieben. Flathe, Theodor: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen. – 3. Bd.: Neuere Geschichte Sachsens von 1806–1866. – Gotha 1873, 568, 570; Kötzschke, Rudolf; Kretzschmar, Hellmut: Sächsische Geschichte. – [Dresden 1935]. – Augsburg 1995, 336f.; Groß, Reiner: Geschichte Sachsens. – Dresden 2002, 224; Kaemmel, Otto: Sächsische Geschichte. – [Leipzig 1899]. – Dresden 1999, 116; Flöter,

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657791033_004

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Vor diesem Hintergrund ist die von Beust aufgestellte These bemerkenswert. Mit Blick auf die ursprünglich geplante Zusammensetzung des sächsischen Märzministeriums, das ausschließlich aus liberalen und gemäßigt konservativen Persönlichkeiten bestehen sollte, postulierte Beust: „Wäre es bei der ersten Combination geblieben, ich schon 1848 Minister geworden und Oberländer derselben fremd geblieben, so hätten die Dinge einen andern Verlauf genommen. Es würde wahrscheinlich keinen Mai-Aufstand gegeben haben, und die Zustände in Sachsen hätten sich gleich in Hannover unter Bennigsen und Stüve gestaltet.“1549 Bezugnehmend auf diese These soll die Tätigkeit des Märzministeriums Braun und des Beamtenministeriums Held genauer untersucht werden. Dabei werden im Folgenden die Umsetzung der Märzforderungen, die Rolle der nationalen Frage und die ministerielle Personalpolitik beleuchtet. 1.

Politische und konstitutionelle Rahmenbedingungen in Sachsen

Die Märzereignisse im Königreich Sachsen basierten auf einer zwei Jahrzehnte anhaltenden umfassenden verfassungs- und gesellschaftspolitischen Reformperiode. Mit der damit einhergehenden beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung konnte die gouvernementale Reformpolitik allerdings nicht Schritt halten. Die mit der gestiegenen ökonomischen Bedeutung wachsenden politischen Partizipationsforderungen des Bürgertums wurden nicht durch eine umfassendere Beteiligung von Industrie und Handel auf parlamentarischer Ebene aufgefangen. Gleichzeitig schien die industrielle Entwicklung die soziale Stellung der bürgerlichen Mittelschichten zu bedrohen. Ihren sozialkonservativen Forderungen gegenüber musste die sächsische Regierung im Interesse der wirtschaftlichen Prosperität des Landes passiv bleiben. Das Ministerium geriet damit zwangsläufig in Konfrontation zur demokratischen und liberalen Opposition, die ihm die Lösung der gesellschaftlichen Probleme nicht mehr zutraute.

Jonas: Reform oder Revolution? Grundlinien sächsischer Politik zwischen Restauration und Dresdner Maiaufstand. – In: Dresdner Maiaufstand und Reichsverfassung 1849: Revolutionäres Nachbeben oder demokratische politische Kultur? / hrsg. von Martina Schattkowsky. – Leipzig 2000. – (Schriften zur sächsischen Landesgeschichte; 1) 33–66, hier 42; Werner, Eva Maria: Die Märzministerien. Regierungen der Revolution 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes. – Göttingen 2009. – (Schriften zur politischen Kommunikation; 2) 81f. 1549 F. F. v. Beust: Aus drei Viertel-Jahrhunderten (wie Anm. 1546) 42.

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Der von Paris und Italien ausgehende revolutionäre Schub, der über Baden die deutschen Mittel- und Kleinstaaten erfasste, erreichte am 29. Februar 1848 Leipzig. Die Messestadt war bereits 1845 Schauplatz der demokratischen und liberalen Protestbewegungen geworden. Diese konnte die Dresdner Regierung mit repressiven Maßnahmen zwar unter Kontrolle bringen, allerdings nicht entschärfen. Wie in den Augusttagen 1845 war die bürgerliche „Bewegungspartei“ auch diesmal bestrebt, die Unzufriedenheit der Bevölkerung in konkrete politische Forderungen zu lenken. Die herausragenden Persönlichkeiten der Leipziger Bürgerschaft, Robert Blum und Karl Biedermann, legten den Stadtverordneten gleichzeitig Adressentwürfe vor, in denen der sächsische König zur Fortsetzung des liberalen Reformkurses der 1830er Jahre aufgefordert wurde. Der gemäßigte Antrag Biedermanns, in dem eine zeitgemäße Reform des Deutschen Bundes, die Berufung einer Volksvertretung beim Bundestag sowie allgemeine Pressefreiheit gefordert wurden, setzte sich am 1. März 1848 in der Stadtverordnetenversammlung durch. Die Reformvorstellungen der Leipziger Demokraten, die zu diesem Zeitpunkt von denen der Liberalen bereits getrennt waren, verdeutlichte Robert Blums Zirkular an die Mitglieder des von ihm selbst geführten Leipziger Redeübungsvereins. Die Forderungen einer Bürgerversammlung vom 1. März aufgreifend, drang Blum auf politische, juristische und soziale Reformen.1550 Die Leipziger Adresse an König Friedrich August II. löste in den ersten Märztagen einen „Adressensturm“ zahlreicher städtischer Vertretungskörperschaften Sachsens aus. Bei allen standen die Grundforderungen der Märzbewegung, insbesondere die nach einer freiheitlichen Verfassung, nach Presse-, Vereinsund Versammlungsfreiheit, Öffentlichkeit und Mündlichkeit von Strafverfahren, die Einrichtung von Schwurgerichten und die Errichtung einer nationalen Volksvertretung beim Deutschen Bundestag im Vordergrund.1551 Auf die ablehnende Haltung des Königs gegenüber den Märzforderungen reagierten die städtischen Korporationen mit erweiterten Forderungskatalogen. Dabei gingen die Forderungen bereits über den Rücktritt der Regierung hinaus und zielten immer stärker auf einen Umbau des sächsischen Staates in eine konstitutionelle Monarchie auf demokratischer Grundlage. Dies war nicht zuletzt eine Folge der unnachgiebigen Regierungspolitik, die es vorerst bei symbolischen Schritten beließ. So legte am 5. März 1848 der im Kreuzfeuer 1550 Geyer, Curt: Politische Parteien und öffentliche Meinung in Sachsen von der Märzrevolution bis zum Ausbruch des Maiaufstandes 1848–1849. – Diss. Phil. Leipzig 1914, 19. 1551 Valentin, Veit: Geschichte der deutschen Revolution 1848–1849. – Bd. 1. – [Berlin 1930/31]. – Weinheim, Berlin 1998, 340; Mommsen, Wolfgang J.: 1848: Die ungewollte Revolution: Die revolutionäre Bewegung in Europa 1830–1849. – Frankfurt a. M. 1998, 112.

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der Kritik stehende Innenminister Johann Paul von Falkenstein sein Amt nieder. Das Kabinett unter dem leitenden Minister Julius Traugott von Könneritz gestand nach vorherigem Bundesbeschluss die Pressefreiheit zu und der König kündigte die Einberufung der Kammern für Anfang Mai 1848 an.1552 Die auf Systemwechsel drängenden liberalen und demokratischen Bewegungen waren durch eine Politik der kleinen Schritte aber nicht mehr einzudämmen. Um der Adressbewegung größeren Nachdruck zu verleihen, plante die Leipziger Bürgerschaft einen „Massenzug“ nach Dresden – eine Art Oppositionsspaziergang –, zu dem die Bürger anderer sächsischer Städte ebenfalls eingeladen wurden. Die Befürchtung, dass sich aus diesem ein allgemeiner Volksaufstand entwickeln könne, mobilisierte nun auch die Konservativen. Die Adressen zahlreicher Städte, die konservative Presse wie der in Grimma erscheinende „Verfassungsfreund“ sowie die Konzertbesucher der Dresdner Abonnentenkonzerte sprachen dem König ihre Verbundenheit aus.1553 Mit dem politischen Druck der liberalen und demokratischen Bewegungen, der in den süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern zu Regierungswechseln geführt hatte, verband sich die Sorge des sächsischen Kabinetts vor einer Abdankung des Hauses Wittelsbach.1554 Das veranlasste den sächsischen König zunächst, weitere personelle Veränderungen im Kabinett abzulehnen. In der Sitzung des Gesamtministeriums vom 9. März 1848 wies er die Demissionsangebote der Minister zurück und überließ die Entscheidung über die politische Zukunft des Kabinetts dem nach dem Wahlrecht von 1831 einzuberufenden Landtag. Dieser Beschluss des Gesamtministeriums blieb aber nicht unwidersprochen. Zumindest von Könneritz, der seit 1846 ausschließlich als Vorsitzender des Gesamtministeriums fungierte, sah zur Sicherung der monarchischen Regierungsform schrittweise Zugeständnisse gegenüber der liberalen und demokratischen Opposition im Stil der 1830er Jahre für unumgänglich an. Als Kompromissformel schlug er seine Entlassung bei gleichzeitiger Bestätigung aller anderen Fachminister vor.1555 Diese Strategie wurde 1552 Blum, Hans: Die deutsche Revolution von 1848/49: Eine Jubiläumsgabe für das deutsche Volk. – Florenz, Leipzig 1897, 44; C. Geyer: Politische Parteien und öffentliche Meinung in Sachsen (wie Anm. 1550) 19. 1553 C. Geyer: Politische Parteien und öffentliche Meinung in Sachsen (wie Anm. 1550) 27. Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand: Tagebücher und Aufzeichnungen aus der Revolutionszeit 1848/49 / hrsg. von Josef Matzerath. – Köln, Weimar, Wien 1999. – (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner; 1) 182–184. 1554 Kuefstein an Metternich, Dresden, 11.3.1848: Österreichisches Staatsarchiv, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv (künftig: HHStA) Wien, Staatskanzlei-Sachsen (künftig: StK.-Sax.) 62, fol. 85v. 1555 Könneritz an Friedrich August II., Dresden, 10.3.1848. – In: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand (wie Anm. 1553) 88.

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jedoch von der rasanten Entwicklung überholt. Ferner verabschiedete die Minis­ terkonferenz einen militärischen Stufenplan zur Niederhaltung der Volksbewegung in Leipzig.1556 Die Truppenverstärkung um Leipzig und die ultimative Forderung an die städtischen Behörden zur Unterdrückung der politischen Oppositionsbewegung waren mit Verständigungsbemühungen kombiniert. Insbesondere Justizminister Albert von Carlowitz sprach sich sowohl gegen eine geplante Inhaftierung Robert Blums als auch gegen jegliches militärische Eingreifen aus. Carlowitz sah deutlich, dass Blum als Garant für „den Schutz gegen Gewaltthätigkeiten des Pöbels und Gefährdung des Eigenthums“ auch Ansehen unter den „vornehmeren Classen“ besaß.1557 Der anhaltende Druck seitens der liberalen und demokratischen Bewegungen, der immer offensichtlicher werdende Autoritätsverlust der Regierung sowie der abnehmende Rückhalt durch den Deutschen Bund und die deutschen Großmächte Österreich und Preußen bewogen den König, letztlich nachzugeben. Am  13. März trat das Kabinett zurück. An die Berufung eines ausschließlich aus Liberalen bestehenden war ursprünglich nicht gedacht. Außenminister Heinrich Anton von Zeschau beruhigte den österreichischen Gesandten, dass sein Nachfolger „Osterreich zufriedenstellen werde“.1558 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich von Zeschau dafür stark gemacht, dem sächsischen Ministerresidenten in London, Friedrich Ferdinand von Beust, das Außenamt zu übertragen. 2.

Märzministerium und Märzforderungen

Beusts Erinnerungen verdeutlichen, dass die Frage der personellen Besetzung des sächsischen Märzministeriums keineswegs eindeutig war. Noch am 14. März 1848 berichtet der österreichische Gesandte in Dresden, Franz Graf von Kuefstein, dass ein „ministère de transition“ aus liberalen und gemäßigt konservativen Mitgliedern gebildet werden sollte. Neben Beust sollte die konservative Kabinettspartei durch Oberst Albrecht Ernst Stellanus Graf von Holtzendorff als Kriegsminister und den Geheimen Finanzrat Karl Wolf von Ehrenstein als Finanzminister sowie den bisherigen Geheimen Kirchenrat im sächsischen Kultusministerium, Gustav Ludwig Hübel, gestärkt werden. Für

1556 Kuefstein an Metternich, Dresden, 9.3.1848: HHStA Wien, StK.-Sax. 62, fol. 62r–v. 1557 Carlowitz an Könneritz, Leipzig, 12.3.1848. – In: Der sächsische König und der Dresdner Maiaufstand (wie Anm. 1553) 90. 1558 Kuefstein an Metternich, Dresden, 11.3.1848: HHStA Wien, StK.-Sax. 62, fol. 84v.

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das Innenministerium war der an der Adressbewegung der Leipziger Universität beteiligte Professor für Römisches Recht, Ludwig von der Pfordten, vorgesehen.1559 Mit den ersten Straßendemonstrationen in Dresden (15. März 1848) und den Nachrichten über den Aufstand in Wien wurde die Kabinettsliste aus Sorge vor einer Regierung Blum/Biedermann und einem Außenminister Otto Friedrich Heinrich von Watzdorf liberalisiert.1560 Im Zentrum des neuen Kabinetts standen zwei Liberale mit parlamentarischer Erfahrung. Zum einen der bisherige Präsident der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtages, Karl Hermann Braun. Der Jurist Braun saß seit 1836 als Abgeordneter im sächsischen Landtag und gehörte dort der liberalen Opposition an. Einen über Sachsen hinausgehenden Bekanntheitsgrad erreichte Braun 1837 durch seine Parlamentsrede gegen den Verfassungsbruch des Königs Ernst August von Hannover. Seinen Ruf als Rechtsexperte festigte Braun in der Diskussion um den Regierungsentwurf zur Reform der Kriminalprozessordnung. Hier plädierte er für die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verfahren und artikulierte damit eine entscheidende liberale Forderung.1561 Die zweite liberale Persönlichkeit, der Industrielle Robert Georgi, war bereits seit 1839 als Vertreter des Handels- und Fabrikstands Abgeordneter des sächsischen Landtages. Auch wenn Georgi dort der liberalen Opposition zugeordnet wurde, charakterisierte der Publizist und Politiker Bernhard Hirschel ihn als einen Mann der Mitte, der gleichermaßen gute Kontakte zur Regierung und zu dem von Braun geführten liberalen Lager unterhielt: „Er hat eben so oft mit der liberalen Parthei gestimmt, als mit der Regierung, folgt eben so oft seiner inneren Ueberzeugung, als der Scheu vor großer Consequenz und Entschiedenheit. In eigentlich materiellen und finanziellen Fragen ist er nicht unbedingter Anhänger der Regierung, sondern macht hier öfters und feste Opposition“.1562 Vor dem Hintergrund seiner wirtschaftlichen Aktivitäten in Leipzig wurde 1559 Kuefstein an Metternich, Dresden, 14.3.1848: ebenda fol. 96r–100r. 1560 Von Watzdorf hatte den Ruf eines „Mirabeau Sachsens“ und setzte sich nach seiner Wahl zum Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung für eine republikanische Verfassung nach dem Vorbild der USA ein. Ebenda fol. 99v; Tonndorf, Thorsten: Die sächsischen Abgeordneten der Frankfurter Vor- und Nationalversammlung. – Diss. phil. Dresden 1993. 1561 Berlanga-Navarro, Yvonne: Karl Braun (1807–1868): Leben und Werk: Jurist und liberaler Politiker im 19. Jahrhundert sowie erster bürgerlicher „Ministerpräsident“ des Königreichs Sachsen 1848. – Hamburg 2009. Matzerath, Josef: Braun, Alexander Karl Hermann. – In: Sächsische Biografie / hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V.; bearb. von Martina Schattkowsky. 1562 Hirschel, Bernhard: Sachsens Regierung, Stände und Volk. – Mannheim 1846, 107.

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seine Berufung als „Kompliment an die Stadt Leipzig“ interpretiert.1563 Seine verwandtschaftlichen Beziehungen zum Plauener Bankhaus Brückner sowie zum Leipziger Handelshaus Thierrot und Bassenge prädestinierten ihn aus Sicht des königlichen Hauses zum Finanzminister. Darüber hinaus unterhielt er in Kleinstädten im Erzgebirge einige Unternehmen. Anders als Braun und Georgi war Ludwig Freiherr von der Pfordten bereits in die Überlegungen zu einer konservativen Kabinettsumbildung einbezogen gewesen und durch den österreichischen Gesandten als „ein verständiger Mann, guter Jurist und Ehrenmann“ bezeichnet worden.1564 Von der Pfordten hatte in Erlangen und Heidelberg Jura studiert und war schon während seiner Tätigkeit an der Universität Würzburg als Liberaler aufgefallen. Wegen dieser politischen Aktivitäten und seiner protestantischen Konfession wurde er als Appellationsgerichtsrat nach Aschaffenburg versetzt. In seinen Lebenserinnerungen stellte der spätere König Johann von Sachsen diesen Umstand heraus und unterstrich, dass von der Pfordten damit „in den Augen der Opposition den Schein eines politischen Märtyrers“ besaß.1565 1843 wechselte von der Pfordten an die Universität Leipzig, wo er zum Professor für Römisches Recht berufen worden war. Von 1845 bis 1847 übernahm er das Rektorat der Universität. Insbesondere in dieser Funktion war er dem sächsischen Hof als auf Ausgleich bedachter Professor aufgefallen. König Friedrich August II. von Sachsen ernannte ihn daher am 16. März 1848 zum Minister des Äußeren sowie des Kultus und Unterrichts. Die konservativen Instinkte, die Beust von der Pfordten rückblickend bescheinigte, entwickelten sich offenbar erst während seiner Ministertätigkeit. Die Auseinandersetzungen mit den demokratischen Mehrheiten in der Ersten und Zweiten Kammer des Sächsischen Landtages ließen von der Pfordten immer mehr von seinen liberalen und nationalen Vorstellungen abrücken und ihn zu einem gemäßigten Konservativen werden.1566 Diesen Liberalen stand der Demokrat Martin Oberländer in gewisser Hinsicht gegenüber. Dessen Bewertungen gehen weit auseinander. Während Theodor Flathe die Ernennung Oberländers als „eine schwer durchgesetzte Concession an die Zeitströmung“ bewertete, dessen „Eintritt das Ministerium 1563 Kuefstein an Lebzeltern-Collenbach, Dresden, 18.3.1848: HHStA Wien, StK.-Sax.  62, fol. 143r. 1564 Kuefstein an Metternich, Dresden, 14.3.1848: HHStA Wien, StK.-Sax. 62, fol. 97v. 1565 Lebenserinnerungen des Königs Johann von Sachsen: Einige Aufzeichnungen des Königs über die Jahre 1801 bis 1854 / hrsg. von Helmut Kretzschmar. – Göttingen 1958. – (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts; 42) 196. 1566 Wippermann, Karl: Pfordten, Ludwig Karl Heinrich Freiherr. – In: Allgemeine Deutsche Biographie 25 (1887) 695–701; Franz, Eugen: Ludwig Freiherr von der Pfordten. – München 1938. – (Schriften zur bayerischen Landesgeschichte; 29).

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vervollständigte“,1567 bezeichnete Hellmut Kretzschmar ihn als einen „mehr der Linken zuneigende[n] und sehr volkstümliche[n]“, der mit Braun und Georgi „die Hauptrolle“ spielte.1568 Reiner Groß subsummierte Oberländer zur „demokratisch und liberal gesinnten Parteigruppierung“.1569 Unentschieden bleibt die Haltung von Eva Maria Werner, die zum einen aus der Perspektive traditioneller Politikgeschichte sich der Bezeichnung Oberländers als eines „radikale[n] Element[s]“ anschloss. Gleichzeitig betrachtete sie vor dem Hintergrund der industriellen und politischen Entwicklung Sachsens dessen Ernennung „nicht aufsehenerregender“ als die Berufung Alexander Bachs in Österreich und Johann Karl Rodbertus in Preußen.1570 Diese Bewertungsdifferenzen gehen letztlich auf zeitgenössische Bewertungen zurück. Aus konservativer Perspektive hatte Beust ihn rückblickend als „nichts weniger als ein[en] fanatische[n] Demokrat[en]“ bezeichnet, der „ganz in den Händen der extremistischen Parteigenossen“ gewesen sei.1571 Der liberale sächsische Vordenker Bernhard Hirschel beschrieb Oberländer dagegen als einen „eigenthümliche[n] deutsche[n] Typus eines Volksvertreters streng konstitutionell, spekulativ, gemüthlich, immer voll Vertrauen bei aller Erkenntniß der en[t]gegenstehenden Bedingungen, daher auch der gerade Gegensatz eines Diplomaten, grundehrlich und aufrichtig, schwärmend für die Freiheit, voll glühender Liebe für das engbegrenzte Vaterland, aber in diesem nur einen Theil des großen ‚einigen‘ Ganzen erblickend“.1572 Oberländer selbst beschrieb sich um 1845 folgendermaßen: „Mein Inneres ist erwärmt von der Liebe für Freiheit, Recht und Vaterland; das liberale System, welches so innig mit der Christlichen Sittenlehre des Christenthums übereinstimmt, und die Grundsätze des vernünftigen Rechts wurzeln tief in meinem Herzen. So lange ich daher von meinen Mitbürgern zu ihrem Vertreter bei dem Landtage berufen bin, werde ich von den bisher bethätigten Grundsätzen auch nicht um ein Haar weichen, denn so fern ich auch von aller Ruhmbegierde bin, so besitze ich doch einen Ehrgeiz, den nämlich, unter den ächten und edeln Volksmännern kein unwürdiger Kampfgenosse zu sein, und in dem Wenigen, was mir mit Gottes Beistand zu thun vergönnt ist, in dem Gedächtnis

1567 1568 1569 1570 1571 1572

Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 568. R. Kötzschke; H. Kretzschmar: Sächsische Geschichte (wie Anm. 1548) 336. R. Groß: Geschichte Sachsens (wie Anm. 1548) 222. E. M. Werner: Die Märzministerien (wie Anm. 1548) 81–83. F. F. v. Beust: Aus drei Viertel-Jahrhunderten (wie Anm. 1546) 41. B. Hirschel: Sachsens Regierung (wie Anm. 1562) 42.

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der Guten, namentlich aber der wahren Vaterlands- und Verfassungsfreunde fortzuleben“.1573 Diese Lebensbeschreibungen legen kaum nahe, dass es sich hier um einen radikalen Demokraten handelte. Vermutlich war es gerade dieser Zwiespalt zwischen demokratischem Nimbus und liberalem Wesen, der den König bewog, Oberländer in das Ministerium zu berufen. Der Eindruck, dass das Kabinett eine „durch den Zufall in einer Stunde der Not zusammengewürfelten Regierungsmannschaft“ sei, der „die Einheitlichkeit und Geschlossenheit ihres Willens“ fehle,1574 ist zweifellos aus der Rückschau und nicht aus der Zeitanalyse heraus entstanden.1575 Vielmehr folgte die Kabinettsbildung nicht nur klassischen Vorstellungen politischen, sondern auch regionalen Proporz. Mit Braun und Georgi war das Vogtland als eines der revolutionären Zentren im Königreich Sachsen vertreten. Robert Georgi besaß darüber hinaus ausgezeichnete Verbindungen zum Leipziger Wirtschaftsbürgertum. Sein Sohn, Otto Robert Georgi, wurde von 1876 bis 1899 erster Oberbürgermeister der Stadt Leipzig. Die Leipziger Universität und damit das Bildungsbürgertum wurde wiederum durch von der Pfordten repräsentiert. Martin Oberländer wechselte als Zwickauer Stadtverordneter und damit als Repräsentant eines der Zentren sächsischer Industrialisierung ins Kabinett.1576 Das Programm des neu berufenen Ministeriums Braun ergab sich – so wie bei den anderen deutschen Märzministerien – aus den Märzforderungen. Innerhalb weniger Monate arbeitete das Kabinett ein umfangreiches Programm ab. Am 23. März 1848 wurden die Pressezensur aufgehoben und alle Untersuchungen wegen Pressvergehen eingestellt, am 30. März hob das Ministerium formell die Ausnahmegesetze des Deutschen Bundes, die sogenannten „sechs“ und die „zehn Artikeln“ von 1832, auf. Am gleichen Tag wurde der Regierungsbevollmächtigte zur Kontrolle der Universität Leipzig sowie der Kollegienzwang der Leipziger Studenten abgeschafft und das Verbot von Studentenverbindungen aufgehoben. Am  17. April erließ die Regierung eine Amnestie für alle politischen Vergehen und am 3. Juli wurden die geheimen Konduitenlisten – eine Mischung aus Personalakte und Führungszeugnis – abgeschafft. Zugleich forderte die Regierung die Kreisdirektionen auf, bei der Besetzung von 1573 Bussenius, Arthur Friedrich: Charaktere der Gegenwart: Nach authentischen Quellen geschildert von Arthur Frey. – Mannheim 1848, 150f. 1574 Blaschke, Karlheinz: Das Königreich Sachsen 1815–1918. – In: Die Regierungen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten 1815–1933 / hrsg. von Klaus Schwabe. – Boppard am Rhein 1983. – (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit; 14) 91. 1575 Dieser Auffassung schloss sich auch Eva Maria Werner an. E. M. Werner: Die Märzministerien (wie Anm. 1548) 82. 1576 K. Blaschke: Das Königreich Sachsen (wie Anm. 1574) 91.

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Gemeindestellen die politische Haltung der Kandidaten unberücksichtigt zu lassen.1577 Bereits am 22. März 1848 setzte das Märzministerium mit der feierlichen Vereidigung des Militärs auf die sächsische Verfassung einen wichtigen konstitutionellen Markstein. Denn auch nach der Einführung der Verfassung von 1831 war das Militär weiterhin auf den König vereidigt worden. Allerdings blieb dies ein symbolischer Akt, denn die enge Verbindung zwischen dem Oberbefehlshaber und seiner Armee blieb unvermindert bestehen. Von politischer Bedeutung war dagegen die Unterstellung des Generalkommandos unter die Aufsicht des Kriegsministeriums. Die Wirkung dieses Schrittes blieb gleichermaßen begrenzt, da das Amt des Kriegsministers stets mit einem amtierenden General besetzt wurde. Hierbei machte auch das Märzministerium keine Ausnahme. In das Ministerium Braun wurde der Stadtkommandant von Dresden, Oberst Albrecht Ernst Stellanus Graf von Holtzendorff, berufen. Der König hatte ihn auf Empfehlung dessen Schwagers, Generalmajor Karl Friedrich Gustav von Oppell, ernannt, der bereits seit Oktober 1846 als sächsischer Kriegsminister amtierte. Wegen eines Nervenleidens bat von Holtzendorff aber schon am 14. April 1848 um seine Entlassung, worauf der König erneut von Oppell berief. Erst am 4. August 1848 wurde der Gouverneur von Dresden und vorherige Stadtkommandant von Leipzig, Generalmajor Karl Friedrich Treusch von Buttlar, zum Kriegsminister ernannt.1578 Somit war es dem Märzministerium nicht gelungen, seinen Einfluss auf das Militär zu stärken. Dass der Rückgriff auf den Kriegsminister des Vormärz und die Ernennung Treusch von Buttlars „in der Öffentlichkeit kein nennenswertes Interesse erregte“, ist kaum mit dem geringen Bekanntheitsgrad zu begründen.1579 Vielmehr genoss von Oppell als Teilnehmer des napoleonischen Russlandfeldzuges und in russische Kriegsgefangenschaft Geratener hohes Ansehen. Als Stadtkommandant von Leipzig stand Treusch von Buttlar seit 1846 im Zentrum der Leipziger Öffentlichkeit. Offenkundig waren es gerade der Bekanntheitsgrad und die gemäßigt-konservative Haltung beider Offiziere, die die Bedenken der politischen Opposition vorerst zerstreuten. Wie in den meisten deutschen Mittelstaaten sah auch das sächsische Märzministerium seine Hauptaufgabe nicht in einer Verfassungsreform, sondern lediglich in einer Liberalisierung der bestehenden Verfassung. Zentrale 1577 Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 568f. 1578 Ebenda. 1579 Vgl. E. M. Werner: Die Märzministerien (wie Anm. 1548) 82.

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Aufgabe dabei war die Reform des Landtages und des Wahlrechts. Seit der zweiten Konstitutionalisierungswelle war die Einrichtung eines Einkammerparlaments zum zentralen Ziel der demokratischen Bewegung geworden. Vorbild war hier die kurhessische Verfassung, die sowohl wegen ihres Einkammersystems als auch wegen ihrer umfassenden Grundrechtegarantien als die liberalste deutsche Verfassung galt.1580 Das Ringen zwischen der Zweiten sächsischen Kammer und der Regierung setzte unmittelbar nach den – parallel zu den Wahlen zur Nationalversammlung abgehaltenen – Ergänzungswahlen ein. Diese konnten die Vertreter der demokratischen Vaterlandsvereine zwar für sich entscheiden. Da nach dem Wahlgesetz von 1831 gewählt worden war, traten aber nur sieben Mitglieder in die Erste und achtundzwanzig in die Zweite Kammer neu ein. Die Demokraten besaßen damit keine absolute Mehrheit, bildeten in der Zweiten Kammer aber eine unumgehbare Minorität.1581 Im Mittelpunkt der parlamentarischen Debatten stand die Frage nach der künftigen Ausgestaltung des Sächsischen Landtages als Ein- oder Zweikammersystem. Bereits die Zeitgenossen waren sich darüber einig, dass mit dieser Entscheidung zugleich eine „Verknüpfung von verfassungspolitischen und gesellschaftspolitischen Zielperspektiven“ verbunden war.1582 Es stand die Frage, inwieweit die konstitutionelle Monarchie auch weiterhin als Basis für gesellschaftliche Reformen dienen sollte oder inwieweit die Grundlage für eine republikanische Staatsform geschaffen werden konnte. Die Konflikte setzten mit der Antwort auf die Thronrede ein. In der Adresse der Zweiten Kammer war das Einkammersystem empfohlen worden, obwohl das Märzministerium schon im Vorfeld erklärt hatte, am Zweikammersystem festhalten zu wollen. Braun hatte dies mit den anstehenden Verhandlungen über die Reichsverfassung begründet, denen man auf der Ebene der Einzelstaaten nicht vorgreifen wolle. Die Regierung legte daher lediglich ein neues Wahlgesetz vor, das allein die Umstrukturierung der Zweiten Kammer zur Folge gehabt hätte. Die entscheidende Frage des Ein- oder Zweikammersystems

1580 Grothe, Ewald: Die deutschen Staaten der zweiten Konstitutionalisierungswelle. – In: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. – Bd. 2: 1815–1847 / hrsg. von Werner Daum. – Bonn 2012, 879–926, hier 891–896. 1581 Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 577–579. 1582 Langewiesche, Dieter: Republik, Konstitutionelle Monarchie und „Soziale Frage“. – In: Historische Zeitschrift 230 (1980) 538.

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sollte dann erst mit dem nächsten Landtag entschieden werden, der nach dem neuen Wahlmodus gebildet worden wäre.1583 Der von der Regierung eingebrachte Reformvorschlag ging über eine Willensbekundung kaum hinaus. Er deutete an, dass das Land in Wahlkreise auf der Grundlage des Mehrheitswahlrechts organisiert werden könnte, ließ aber auch die Möglichkeit offen, das bisherige ständische System zu modernisieren. Die Vorstellung, die Erste Kammer in seiner bisherigen Form beizubehalten, stieß sogar bei den konstitutionellen Abgeordneten auf Unverständnis. Da allein die Demokraten für die Abschaffung der Ersten Kammer eintraten, empfahl der Landtag die Beibehaltung des Zweikammersystems und die Reform der Ersten Kammer.1584 Der Kompromissvorschlag, den die Regierung dann erarbeitete, sah die Beibehaltung des Zweikammersystems vor. Die Unterschiede zwischen beiden Kammern waren allerdings mderart verwischt, dass darin bereits eine Tendenz zum Einkammersystem erkannt werden konnte. Nach dem neuen Wahlgesetz wurde Sachsen in fünfundsiebzig Wahlkreise unterteilt, in denen durch direkte Wahl je ein Abgeordneter in die Zweite Kammer und einer in die Erste Kammer zu wählen war. Der Unterschied bestand lediglich darin, dass in die Erste Kammer nur Personen wählbar waren, die im Wahlkreis ansässig und mindestens zehn Thaler direkte Steuer zahlten. Darüber hinaus sollte es insgesamt vier Vertreter für die Universität, alle höheren Lehranstalten, die Volksschullehrer und die evangelische Geistlichkeit geben. Bei Meinungsverschiedenheiten sollten gemeinsame Sitzungen aus Erster und Zweiter Kammer stattfinden.1585 Die Zensuswahl für die Erste Kammer mobilisierte die demokratischen Vaterlandsvereine gegen die Regierung. Auf ihrer Generalversammlung am 3. September 1848 beschlossen sie daraufhin, die Aufrechterhaltung der konstitutionellen Monarchie für Sachsen aus ihrem Programm zu streichen.1586 Die vollständige Radikalisierung der sächsischen Vaterlandsvereine setzte mit der Erschießung von Robert Blum am 9. November 1848 ein. Diese Mobilisierung führte sowohl bei den Gemeinderatswahlen am 17. November als auch bei den Landtagswahlen am 15. Dezember zu überwältigenden demokratischen Mehrheiten. Bei der Wahl der fünfundsiebzig Abgeordneten der Zweiten Kammer wurden siebenundfünfzig der Vaterlandsvereine, zwölf der Deutschen Vereine 1583 Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 581–583. 1584 Kuefstein an Wessenberg, Dresden, 29.6.1848: HHStA Wien, StK.-Sax. 62, fol. 262r–v. 1585 Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 588. 1586 Ebenda 589.

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und sechs konstitutionelle Kandidaten gewählt. Beim Urnengang für die Erste Kammer (fünfzig Mandate) setzten sich siebenunddreißig Kandidaten der Vaterlandsvereine, sechs Kandidaten der Deutschen Vereine und sieben konstitutionelle Kandidaten durch.1587 Der dadurch geschwundene parlamentarische Rückhalt veranlasste die Märzminister, ihren Rücktritt einzureichen, den der König allerdings ablehnte. Parallel zu den Wahlen und zur Konstituierung des neuen Landtages hatte sich das politische Klima Europas grundlegend gewandelt. Österreichisches und preußisches Militär hatten die polnische Nationalbewegung in Krakau (26. April 1848) und Posen (2.-9. Mai 1848) unterdrückt. Die Strategie der militärischen Niederschlagung eines Volksaufstandes mit nachfolgender allgemeiner Reaktion wurde erstmals durch Feldmarschall Alfred Fürst zu Windischgrätz bei der Niederwerfung des Prager Pfingstaufstandes demonstriert.1588 Entscheidende Bedeutung für das Wiedererstarken der konservativen Kräfte in den deutschen Staaten hatte die einsetzende gegenrevolutionäre Bewegung in Europa. In Paris richtete die republikanische Regierung das Militär gegen die Bevölkerung und beendete damit den liberalen Traum von der „klassenlosen Bürgergesellschaft“ (Lothar Gall). Wenige Wochen später trat in gleicher Weise die Reichsregierung dem Frankfurter Septemberaufstand entgegen. Zum entscheidenden Schlag gegen die revolutionären Bestrebungen in Mitteleuropa und zugleich gegen die nationale Bewegung der Frankfurter Nationalversammlung hatte Feldmarschall Johann Graf Radetzky durch seinen Sieg am 25. Juli 1848 über die Piemontesen bei Custozza ausgeholt. Das Ministerium in Wien, der kaiserliche Hof in Innsbruck sowie die sich zum österreichischen Reichsgedanken bekennenden Liberalen hatten gleichermaßen die militärische Rückeroberung Lombardo-Venetiens unterstützt. Damit hatten sie, lange bevor die österreichische Frage in der Paulskirche diskutiert wurde, Fakten für die Einheit der multinationalen Habsburgermonarchie geschaffen. Von verhängnisvoller Rückwirkung auf die labile Stabilität des politischen Märzsystems in Sachsen wurde die Niederschlagung der Wiener Oktoberrevolution. Die Demokraten der deutschen Bundesstaaten und des Frankfurter Parlaments blickten gleichermaßen auf diese „Bastion der Märzerrungenschaften“.1589 Die demokratische Linke der Nationalversammlung hatte eine Sympathieadresse formuliert und Robert Blum, Julius Fröbel, 1587 Revolution in Sachsen 1848/49: Darstellungen und Dokumente / hrsg. von Jörg Ludwig und Andreas Neemann. – Dresden 1999, 77. 1588 Siemann, Wolfgang: Die deutsche Revolution 1848/49. – Frankfurt a. M. 1985. – (Moderne Deutsche Geschichte; 5) 160. 1589 Ebenda 165.

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Moritz Hartmann und Albert Trampusch zur Übergabe nach Wien entsandt. Blum und Fröbel, die sich aktiv am Wiener Barrikadenkampf beteiligten, wurden nach der Einnahme Wiens durch die Truppen Windischgrätz’ festgenommen und Blum wurde unter ausdrücklicher Zustimmung des designierten österreichischen Ministerpräsidenten Felix Fürst Schwarzenberg am 9. November 1848 in der Brigittenau standrechtlich erschossen.1590 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen kam es dann nach der Verabschiedung der „Grundrechte des deutschen Volkes“ in der Paulskirche am 21. Dezember 1848 zum entscheidenden Konflikt zwischen dem nunmehr amtierenden sächsischen Märzministerium und den Kammern. Die von der Reichsregierung geforderte Publikation der Grundrechte lehnte die sächsische Regierung mit der Begründung ab, dass die Grundrechte einen Teil der zukünftigen Reichsverfassung darstellten, deren Grundprinzipien bereits zuvor auf den Widerstand der sächsischen Regierung gestoßen waren. In einer Denkschrift vom 14. Februar 1849 hatte von der Pfordten drei entscheidende Grundprinzipien umrissen. Danach müsse die Reichsverfassung Österreich die Möglichkeit eröffnen, dem neuen deutschen Bundesstaat beizutreten. Zweitens lehnte die sächsische Regierung ein Reichsoberhaupt ab, da sie eine befriedigende Regelung dieser Frage kaum für möglich erachtete. Und drittens sollte die Reichsregierung als Direktorium aus Vertretern der Einzelstaaten gewählt werden, da dies dem föderativen Charakter des Bundesstaates besser entspräche.1591 Eine einfache Anerkennung widersprach dem von der sächsischen und der Mehrzahl der mittelstaatlichen Regierungen geforderten Mitspracherecht bei der Gestaltung der deutschen Reichsverfassung. Mit der Denkschrift war eine paradoxe Situation eingetreten. Sowohl das amtierende Märzministerium als auch die demokratische Kammermehrheit lehnten die zu dieser Zeit erkennbaren Grundprinzipien der Frankfurter Reichsverfassung ab, allerdings aus entgegengesetzten Motiven. So wie von der Pfordten sprach sich auch der Obmann der radikalen Demokraten in der Zweiten Kammer, Samuel Erdmann Tzschirner, gegen die Reichsverfassung aus, da sie den Ausschluss Österreichs aus dem Deutschen Reich mit sich brächte. Darüber hinaus trat er gegen das Erbkaisertum auf und plädierte für eine allgemeine Volksbefragung über die Verfassung. In der Konfliktsituation der erstarkenden gegenrevolutionären Kräfte in Mitteleuropa einerseits und der Forderung der demokratischen Kammermehrheit 1590 Höbelt, Lothar: 1848: Österreich und die deutsche Revolution. – Wien, München 1998, 236–239. 1591 Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 600f.

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nach Anerkennung der Grundrechte, die noch durch die Abberufung des sächsischen Gesandten in Wien ergänzt wurde, geriet das amtierende Märzministerium an den Rand der Demission. Als die Kammer am 14. Februar 1849 die Publikation der Grundrechte definitiv forderte, trat am gleichen Tag das Ministerium Braun/Pfordten endgültig zurück.1592 3.

Zur Personalpolitik der sächsischen Revolutionsregierungen

Der erstmals von Vilfredo Pareto beschriebene Wechsel von Eliten, der schlagartig, durch einen revolutionären Akt, geschehen kann,1593 ist im Revolutionsjahr in Sachsen nicht zu beobachten. Vielmehr wird der evolutionäre Weg erkennbar. Dass sich in den Ministerien auf den Ebenen der Ministerialräte zwischen 1847 und 1850 kaum Änderungen ergaben, soll im Folgenden an den Beispielen des Innen- und des Justizministeriums verdeutlicht werden. Im sächsischen Justizministerium waren 1847 fünf Ministerialräte beschäftigt: Ernst Ferdinand Baumeister (Geheimer Justizrat), Moritz Christan Hänel (Geheimer Justizrat), Dr. Georg Karl Treitschke (Geheimer Justizrat), Dr. Gustav Friedrich Held (Ober-Appellationsrat) und Dr. August Otto Krug (OberAppellationsrat).1594 Abgesehen von Gustav Friedrich Held, der von Februar bis April 1849 die Leitung des Justiz- und des Kultusministeriums sowie des Gesamtministeriums übernommen hatte, waren alle anderen im Revolutionsjahr und nach der Niederschlagung des Dresdner Maiaufstandes im Amt. Allerdings stand das Ausscheiden Baumeisters nicht im Zusammenhang mit den gegenrevolutionären Ereignissen, da er wenige Wochen nach seinem siebzigsten Geburtstag am 28. Juni 1849 im Amt verstorben war.1595 Dass die Stelle mit Dr. Gustav Albert Siebdrat besetzte wurde, der bis dahin Richter am königlichen Staatsgerichtshof war, passt in das Bild der Eliten-Kontinuität und ging wohl vor allem auf die Initiative Helds zurück. Beide gaben seit 1841 die „Neuen Jahrbücher für sächsisches Strafrecht“ und 1848 das „Kriminalgesetzbuch für 1592 Ebenda 602f. 1593 Pareto, Vilfredo: Allgemeine Soziologie / ausgewählt, eingeleitet und übersetzt von Carl Brinkmann. – [1916]. – Tübingen 1955. 1594 Staats-Handbuch für das Königreich Sachsen 1847. – Leipzig 1847, 56. 1595 Baumeister hatte bereits 1810 seine Karriere als Oberamtssekretär des Oberamts des Markgrafentums Oberlausitz in Bautzen begonnen und war 1830 als Hof- und Justizrat in die Staatsregierung nach Dresden und 1831 ins sächsische Justizministerium gewechselt. Ernst Ferdinand Baumeister, geheimer Justizrat und Ritter des Civil-Verdienstordens, geboren den 5. April 1779, gestorben den 28. Juni 1849. – In: Neues Lausitzisches Magazin 26 (1849) 231–234.

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das Königreich Sachsen“ sowie den Kommentar zum Gesetzbuch heraus. Der neue Justizminister wollte in dieser politischen Krisensituation offenbar diese Mitarbeiterstelle mit einer ihm vertrauten Persönlichkeit besetzen. Für das sächsische Innenministerium lässt sich ein vergleichbares Bild zeichnen. 1847 waren dort fünfzehn Abteilungsvorstände und Ministerialräte und zwei vorübergehend vortragende Räte angestellt. Von denen 1850 weiterhin alle auf ministeriellen oder hohen Verwaltungsebenen tätig waren. Der Grund, dass die bisherigen Ministerialräte des Innenministeriums in dieser Zeit teilweise andere Aufgabenbereiche übernahmen, ist in den ministeriellen Umstrukturierungen zu suchen, die unter der Regierung Held vorgenommen wurden. Zum einen war 1849 eine selbstständige Abteilung für Medizinalangelegenheiten gegründet worden, in die die fünf Medizinalräte wechselten. Zum anderen wurden einige ehemalige Ministerialräte in andere Ministerien, insbesondere in das Finanzministerium und in den höheren Justizdienst, versetzt.1596 1596 Das Staatshandbuch verzeichnet für das Jahr 1847 siebzehn Abteilungs-Vorstände und Ministerialräte: Dr. Maximilian Günther (Geheimer Rat), Dr. Carl Friedrich Schaarschmidt (Geheimer Regierungsrat), Dr. Gottlob Lebrecht Funke (Geheimer Regierungsrat), Carl Ludwig Kohlschütter (Geheimer Regierungsrat), Carl Theodor Kunz (Geheimer Baurat), Carl Friedrich Reiche-Eisenstuck (Geheimer Regierungsrat), Jacob Heinrich Thieriot (Geheimer Regierungsrat), Christian Albert Weinlig (Geheimer Regierungsrat), Friedrich Salomo Lucius (Geheimer Regierungsrat), Richard Freiherr von Friesen (Regierungsrat), Heinrich Julius Petzsch (Ministerialsekretär, Kriegsrat), Gustav Stelzner (Referendar). Dazu gehörten ebenfalls die Medizinalräte: Dr. Heinrich Leopold Franke (Geheimer Medizinalrat), Dr. Carl Gustav Carus (Geheimer Medizinalrat), Dr. Johann Christian Clarus (Geheimer Medizinalrat), Dr. Friedrich August von Ammon (Geheimer Medizinalrat), Dr. Ludwig Choulant (Geheimer Medizinalrat). Von diesen Persönlichkeiten waren laut Staatshandbuch 1850 alle weiterhin in hohen Regierungs- und Verwaltungsämtern tätig. Von Friesen hatte die Leitung des Innenministeriums übernommen; Kohlschütter, Weinlig, Schaarschmidt, Funke, Petzsch und Stelzner wirkten nach wie vor als Abteilungs-Vorstände und Ministerialräte im Innenministerium. Kunz war ins Finanzministerium, Reiche-Eisenstuck in die Postverwaltung Annaberg, Thieriot wahrscheinlich in den statistischen Verein und Lucius als Kreisamtmann nach Leipzig gewechselt. Die Medizinalräte waren als Mitglieder des Ministeriums für MedizinalAngelegenheiten ausgegliedert worden. Vier der fünf neu als Abteilungs-Vorstände und Ministerialräte Berufenen hatten bereits 1847 Funktionen in der sächsischen Innen- und Justizverwaltung inne: Ernst Adolph Körner (Geheimer Regierungsrat) war 1847 Amtshauptmann zu Plauen, Dr. Heinrich Wilhelm Schulz (Regierungsrat) war 1847 Direktor des Antiken- und Münz-Kabinetts, Theodor Reuning (Regierungsrat) war 1847 Geschäftsführer des Landwirtschaftlichen Hauptvereins im Innenministerium, Carl Emminghard Schmalz (Regierungsrat) war 1847 Gerichtsverwalter in Hausdorf beim Amtsgericht Pirna und Friedrich Eberhardt

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Die Personalpolitik in den sächsischen Ministerien war vom Vormärz über die Revolutionsregierungen bis in die Nachrevolutionszeit von hoher Kontinuität geprägt. Dass das Märzministerium das Personal des Vormärz in der Revolutionsphase 1848 nicht konsequent auswechselte, verwundert indes nicht. Bereits 1873 hatte Theodor Flathe unterstrichen, dass sich im Revolutionsjahr „selbst die königlichen Behörden […] über Nacht zu liberalen Grundsätzen bekehrt“ hätten.1597 Die Mehrzahl der Regierungsbeamten war erst 1830/31 in den Staatsdienst berufen worden und hatte seither maßgeblich am Aufbau des modernen sächsischen Staates mitgewirkt. Eine effiziente Verwaltung und eine gezielte Industrieförderung hatten dem sächsischen Staat bereits Mitte der 1840er Jahre Überschüsse beschert. Diese Entwicklung wurde nur durch die wirtschaftlichen Krisenjahre 1846/47 und die Revolutionsjahre unterbrochen, setzte sich in der Nachrevolutionszeit aber fort und hielt dann bis zum Ersten Weltkrieg an.1598 Der wirtschaftlich und politisch liberale Grundkonsens der sächsischen Ministerialbürokratie der 1830er Jahre blieb bis Ende der 1870er Jahre ungebrochen. Insofern musste 1848 der Liberalismus lediglich wieder entfacht und nicht durch neue liberale Persönlichkeiten in die Ministerien implementiert werden. Hinzu kam der Sachverstand der Ministerialbürokratie, auf den keine Regierung, selbst nicht das Märzministerium, verzichten konnte und wollte. Denn nicht zuletzt entstammten die März-Minister selbst jener Schicht, die ihren sozialen Aufstieg erst den liberalen Reformen der 1830er Jahre zu verdanken hatte.1599 Dieses wirtschaftlich liberale und gebildete Bürgertum war somit bestrebt, ihre gewonnene wirtschaftliche und politische Macht sowohl gegenüber dem grundbesitzenden Adel – der in Sachsen allerdings schwach ausgeprägt war – als auch gegenüber den Unterschichten abzusichern. Vor diesem Hintergrund bleibt es fraglich, inwiefern die Wahlergebnisse vom (Regierungsrat) war neu aus dem Justizdienst berufen worden. Staats-Handbuch für das Königreich Sachsen 1847. – Leipzig 1847, 193; Staats-Handbuch für das Königreich Sachsen 1850. – Leipzig 1850, 194. 1597 Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 568f. 1598 Kiesewetter, Hubert: Die Industrialisierung in Sachsen: Ein regional-vergleichendes Erklärungsmodell. – Stuttgart 2007. – (Regionale Industrialisierung; 5) 481–578. 1599 Schmidt, Gerhard: Die Staatsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Eine Parallele zu den Steinschen Reformen in Preußen. – Weimar 1966. – (Schriftenreihe des Staatsarchivs Dresden; 7) 128–137; Rumpler, Helmut: Die deutsche Politik des Freiherrn von Beust 1848 bis 1850: Zur Problematik mittelstaatlicher Reformpolitik im Zeitalter der Paulskirche. – Wien, Köln, Graz 1972, 47f.

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Dezember 1848 tatsächlich die politischen Kräfteverhältnisse in Sachsen widerspiegelten.1600 Ungeachtet dessen stand mit dieser Wahl ein politischer Systemwechsel am Horizont, denn die demokratische Kammermehrheit forderte nichts weniger als die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems in Sachsen. Insofern ging es bei der Ablehnung der Grundrechte weniger um die verfassungsmäßig zu gewährleistenden Rechte der Bürger selbst, als vielmehr um ein politisches Signal. Und das war mit der Niederschlagung des Wiener Oktoberaufstandes in anderer Art schon gegeben worden. Die Antwort des sächsischen Königs war die Berufung des sogenannten Beamtenkabinetts Held. 4.

„Beamtenkabinett“ als Revolutionsregierung

Beim Ministerium Held von einer Revolutionsregierung zu sprechen, erscheint verfehlt. Zu Recht ging es als Beamtenkabinett in die sächsische Geschichte ein.1601 Die Berufung Gustav Friedrich Helds als eine Übergangslösung zu bezeichnen1602 ist nur insofern zutreffend, als er sich selbst sträubte, ins Min­ isterium einzutreten. Hinzu kam die Ämterkumulation. Denn mit dem Vorsitz des Gesamtministeriums übernahm Held auch das Justiz- und das Kultusministerium. Zugleich war er als Sprecher jener Liberalen im Sächsischen Landtag bekannt, die sich gegen ein Scheitern des nationalen Forderungskatalogs der Paulskirche wandten und damit eine engere Zusammenarbeit mit den Frankfurter Liberalen und der preußischen Regierung befürworteten. Da das Ministerium nur knapp zehn Wochen, vom 24. Februar bis zum 2. Mai 1849, amtierte, wurde seine Bedeutung für die Überwindung der Revolution einerseits und die Modernisierung des sächsischen Staates andererseits bisher als gering veranschlagt. Dabei gehörte im Revolutionsjahr insbesondere Held zu den eigentlichen Modernisierern. Er hatte 1848 nicht nur das „Kriminalgesetzbuch für das Königreich Sachsen“ herausgegeben, sondern war unmittelbar nach dem Dresdner Maiaufstand als Geheimer Rat im Justizministerium mit der Erarbeitung des „Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen“ betraut worden, den er 1852 vorlegte. Allerdings wurde das Gesetzbuch erst 1865, und damit nach seinem Tod, verabschiedet.1603 1600 Th. Flathe: Geschichte des Kurstaates und des Königreiches Sachsen (wie Anm. 1548) 596–599. 1601 R. Groß: Geschichte Sachsens (wie Anm. 1548) 226. 1602 Heinrich Theodor Flathe: Held, Gustav Friedrich. – In: ADB 11 (1880) 680. 1603 Ahcin, Christian: Zur Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65. – Frankfurt a. M. 1996.

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Vergleichbares lässt sich auch über Innenminister Christian Albert Weinlig sagen. Weinlig war 1845 zum Professor für Nationalökonomie an der Universität Erlangen und 1846 zum Direktor der „Abtheilung für Handel, Gewerbe, Fabrikwesen und Ackerbau“ im sächsischen Innenministerium berufen worden. Bereits als junger Mann besaß er einen ausgezeichneten Ruf als Fachmann in Fragen der Zoll- und Handelspolitik sowie der Wirtschaftsstatistik. In der Zeit bis zur Revolution erarbeitete er eine Vielzahl von Gesetzesentwürfen und Verordnungen, die in den 1850er und 1860er Jahren für die wirtschaftliche Entwicklung Sachsens von Bedeutung wurden. Sie betrafen Vorschläge zur Gewerbeordnung, zur Neuordnung des Gewerbeschulwesens, zur Errichtung von Handelskammern sowie strukturelle Überlegungen über die Einrichtung von Ackerbauschulen. Letztere Überlegungen flossen bei der Errichtung der landwirtschaftlichen Abteilung an der Gewerbeschule in Chemnitz ein. Während seiner kurzen Amtszeit erließ er die Vorschriften zur Prüfung der Dampfkessel und ihrer sicherheitspolizeilichen Beaufsichtigung, eine frühe Form der technischen Sicherheitskontrolle. Weinlig war es auch, der die strukturelle Reform des Innenministeriums einleitete.1604 Der bereits mehrfach angesprochene Friedrich Ferdinand von Beust trat 1831 als Akzessist beim Außenministerium in den sächsischen Staatsdienst ein. Er durchlief von 1836 bis 1849 eine steile Diplomatenkarriere als Legationssekretär in Berlin und Paris sowie Geschäftsträger in München. 1846 wurde er zum Ministerresidenten in London und 1848 zum sächsischen Gesandten in Berlin ernannt. Wie eingangs erwähnt, war er bereits im März 1848 als Außenminister im Gespräch und erhielt nun das Amt übertragen.1605 Die pragmatische Seite des Beamtenkabinetts wurde auch durch den österreichischen Gesandten in Dresden, Franz Graf von Kuefstein, hervorgehoben. Die neue sächsische Regierung, so Kuefstein, sei „gebildet aus dem Appellationsrathe Held, Präsident mit dem Portefeuille der Justiz und interimisch mit jenem des Cultus, ein energischer Mann von korrekten Grundsätzen; Baron Beust für das Aeußere, gegenwärtig Gesandter in Berlin früher in München zuletzt in London, ein Mann von Scharfsinn, savoir-faire und ehrenwerthen Grundsätzen, dem geheimen Regierungsrathe Weinlig früher Arzt und Oekonom, man sagt, als Repräsentant des populären Prinzips; ich weiß nicht weshalb, wenigstens ist das nicht so zu verstehen, daß er mit diesen Kammern 1604 Domsch, Paul: Albert Christian Weinlig: Ein Lebensbild nach Familienpapieren und Akten. – Chemnitz 1912. 1605 H. Rumpler: Die deutsche Politik des Freiherrn von Beust (wie Anm. 1599) 49–64; Flöter, Jonas: Beust und die Reform des Deutschen Bundes 1850–1866: Sächsisch-mittelstaatliche Koalitionspolitik im Kontext der deutschen Frage. – Köln, Weimar, Wien 2001. – (Geschichte und Politik in Sachsen; 16) 17–54.

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gehen wird, denn er macht kein Hehl aus der Verachthung, die er für sie fühlt, für seine Person huldigt er dem: je m’en mogne.“1606 Die Bruchlinie des Ministeriums verlief allerdings weniger an der Frage des Verhältnisses zum sächsischen Landtag oder der Modernisierung des sächsischen Staates. Alle Minister waren der grundsätzlichen Ansicht, die Prinzipien der Verfassung von 1831 aufrecht zu erhalten und ein parlamentarisches Regierungssystem zu verhindern. Die Bruchlinie verlief erneut entlang der nationalen Frage. Die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung hatten sich dafür entschieden, vorrangig die Frage der Grundrechte des deutschen Volkes zu behandeln, um für die Bürger aller deutschen Staaten eine einheitliche Rechtsgrundlage zu schaffen. Noch vor Verabschiedung der Reichsverfassung sollten die Einzelstaaten daran gebunden werden. Die Etablierung eines Reichsgerichts, das jeder Bürger der deutschen Staaten anrufen konnte, sollte erst gleichzeitig damit ausgestaltet werden. Mit Held, Weinlig und Finanzminister Karl Wolf von Ehrenstein gab es im sächsischen Gesamtministerium eine Mehrheit für die Publikation der Grundrechte. Der König stimmte dem vor allem aus taktischen Erwägungen zu. Er und seine Minister vertraten die Ansicht, dass dieses Entgegenkommen die Konfliktsituation zwischen dem Landtag und dem Ministerium entschärfen könne. Die erhoffte Entspannung stellte sich dann aber nicht ein, da die Regierung die Grundrechte nur insoweit anerkannte, „wo nicht gebieterische Rücksichten auf die wohlbegründeten Ansprüche und Interessen des eigenen Landes es zur Pflicht machen, das Recht der freien Vereinbarung zur vollen Geltung zu bringen“.1607 Von einer vorbehaltlosen Anerkennung der Grundrechte und insbesondere dem dahinterstehenden Prinzip der konstituierenden Gewalt der Nationalversammlung konnte keine Rede sein. Die Publikation der Grundrechte war damit ungeeignet, die Annäherung zwischen Regierung und Kammern zu befördern. In den Wochen zwischen der Publikation der Grundrechte am 2. März 1849 und der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. am 3. April 1849 spitzte sich die politische Lage in allen deutschen Staaten über die Frage der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 zu. Den Anlass für die Auseinandersetzung bildete in Sachsen aber die Abberufung des sächsischen Gesandten in Wien. Diese Forderung war durch den demokratisch dominierten Landtag seit der Erschießung Robert Blums erhoben worden. Sie wurde durch den neuen Außenminister Friedrich Ferdinand von 1606 Kuefstein an Schwarzenberg, Dresden, 24.2.1849: HHStA Wien, PA V 14, fol. 175v–176r. 1607 Regierungsprogramm, 26.2.1849, zitiert nach Dresdner Journal, 58 (27.2.1849) 458.

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Beust noch schärfer als durch seinen Amtsvorgänger abgelehnt. Dabei war allen an der Debatte im Gesamtministerium Beteiligten klar, dass damit eine Grundsatzentscheidung gefällt wurde. Beust und der neue Kriegsminister, Oberst Bernhard von Rabenhorst, setzten diese Ablehnung gegen alle anderen Kabinettsmitglieder durch. Wohin diese Politik führen könne, skizzierte der Referent im Gesamtministerium und Studienfreund Beusts, Carl von Weber: „zum Mißtrauensvotum, dieses zur Kammerauflösung, diese – wohin? Nach meiner Ansicht ist es der erste Schritt, der die Beseitigung der Existenz Sachsens anbahnt, Putsch, Occupation von Preußen usw.“1608 Das politische Programm, das hinter dieser Entscheidung stand, zielte einerseits auf eine konsequente gegenrevolutionäre Innenpolitik und andererseits auf die Einbindung der nationalen und liberalen Bewegungen auf der Ebene des Deutschen Bundes ab. Zu diesem Zeitpunkt schien allein Preußen ein positives Programm anbieten zu können. Sachsen verweigerte sich vorerst der österreichischen Forderung, gemeinsam mit Bayern den Kern des mittelstaatlichen Widerstandes gegen die Kaiserwahl der Nationalversammlung und gegen Preußen zu bilden. Indem Friedrich August II. von Sachsen intern aber den preußischen König zum Verzicht auf die Kaiserkrone aufforderte, signalisierte er seine Bereitschaft, über die Lösung der deutschen Frage auf Regierungsebene verhandeln zu wollen. Diese Doppelstrategie blieb auch dem Wiener Gesandten in Dresden nicht verborgen.1609 Zu einer klaren Position fanden der sächsische König und die gemäßigt konservativen Minister von Beust und von Rabenhorst erst, nachdem der preußische König am 28. April die Kaiserkrone offiziell abgelehnt und die deutschen Fürsten zu Gesprächen über eine neue Reichsverfassung eingeladen hatte. Jetzt war der sächsische König zum Konflikt bereit, um das konstitutionelle System in Sachsen auf der Grundlage der Verfassung von 1831 zu erhalten. Bereits in den Wochen davor hatte von Beust mit den preußischen und österreichischen Gesandten die Fragen einer militärischen Unterstützung zur Niederschlagung revolutionärer Aufstände in Sachsen sondiert. Als am 12. April 1849 die Erste Kammer des Sächsischen Landtages die Frankfurter Reichsverfassung und das Reichswahlgesetz anerkannte, forderte der Außenmin­ ister erneut die Wiener Regierung auf, „Truppen an der böhmischen Grenze zu konzentrieren als Gegengewicht für den Extremfall, wo sich der König auf den Königstein zurückziehen würde.“1610 Das Misstrauensvotum der Ersten 1608 Carl von Weber, Tagebücher. – Bd. 2, 30.3.1849: Sächs. HStA Dresden, NL Carl von Weber, fol. 143v. 1609 Kuefstein an Schwarzenberg, Dresden, 1.4.1849: HHStA Wien, PA V 14, fol. 286r–287v. 1610 Kuefstein an Schwarzenberg, Dresden, 13.4.1849: HHStA Wien, PA V 14, fol. 319r–v.

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und Zweiten Kammer, das sich ein weiteres Mal an der Frage der Abberufung des sächsischen Gesandten in Wien entzündete, mündete in die Auflösung des Landtages am 30. April 1849. Zum 1. Mai 1849 traten von Held, Weinlig und von Ehrenstein aus dem Kabinett aus. Zu Verteidigern des konstitutionellen Systems wurden erneut Beamte der seit den 1830er Jahren etablierten Ministerialbürokratie. Die Leitung des neuen Gesamtministeriums übernahm Ferdinand von Zschinsky, der seit 1845 als Vizepräsident des Appellationsgerichts in Dresden tätig war und bereits vor dem Amtsantritt Oberländers für wenige Wochen an der Spitze des sächsischen Innenministeriums stand.1611 Mitte April 1849 hatte er in der Zweiten Kammer des Landtages eine Erklärung gegen die einseitige Anerkennung der Reichsverfassung durch das Königreich Sachsen abgegeben. Zum Kriegsminister wurde Bernhard von Rabenhorst berufen, der seine wissenschaftliche Ausbildung an der Militärakademie der Hauptstadt erhalten hatte und seit 1846 sächsischer Militärbevollmächtigter am Bundestag in Frankfurt am Main war. Als Kommissar des Reichskriegsministeriums war er zur Unterdrückung der revolutionären Umtriebe 1848 in die thüringischen Herzogtümer entsandt worden und leitete nun die militärische Niederschlagung des Dresdner Maiaufstandes. Unmittelbar danach setzte er in der sächsischen Armee eine umfassende organisatorische und personelle Reform sowie eine Modernisierung der Bewaffnung und Ausrüstung um.1612 5.

Fazit

Vor dem Hintergrund der Revolutionsereignisse in Sachsen soll abschließend nochmals Beusts These aufgegriffen werden, wonach ein liberal-konservatives Ministerium ohne Beteiligung eines demokratischen Ministers den Dresdner Maiaufstand verhindert hätte. Zweifellos ging Beust in seiner Bewertung vom Primat der Politik aus. Prinzipiell denkbar wäre, dass ein solches Ministerium nach hannoverschem Vorbild allein die Reform der Ersten Kammer beschlossen und ein freiheitliches Wahlrecht eingeführt hätte.1613 Damit wären zweifellos jene liberalen Kräfte 1611 Neubert, Volker: Dr. Ferdinand Zschinsky (1797–1858), Sächsischer Justizminister von 1849–1858. – In: Sächsische Justizgeschichte. – Bd. 4: Sächsische Justizminister 1831 bis 1850. – Dresden 1994, 23–40. 1612 Rabenhorst, Adolf Bernhard von. – In: ADB 27 (1888) 87–89; Schirmer, Uwe: Rabenhorst, Adolf Bernhard von. – In: NDB 21 (2003) 69f. 1613 Mühlhan, Bernhard: Hannover, Preussen und Österreich 1849–1850: Das Märzministerium Stüve im Kampf für eine hannöversche Lösung der deutschen Verfassungsfrage. – Maschr.

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ins sächsische Parlament eingezogen, die an der Modernisierung des sächsischen Staates auf der Grundlage der Reformen der 1830er Jahre weiterarbeiten wollten. Mit den biographischen Skizzen sollte aber gezeigt werden, dass bei der Besetzung der Ministerämter neben politischen Erwägungen besonders auch die Fragen nach jenem Reformpotential im Vordergrund standen. Insofern wäre die über das Revolutionsjahr hinausweisende Erfolgsbilanz einer solchen Regierung sicher größer gewesen als die des Märzministeriums Braun. Zugleich lässt Beusts These zu sehr den Faktor der öffentlichen Meinung außer Acht.1614 Seit den Unruhen 1845 in Leipzig und dem wachsenden Einfluss Robert Blums wuchs auch das Potenzial der demokratischen Vereine in Sachsen. Diese radikalisierten sich nach der Erschießung Robert Blums im November 1848. Der wenige Tage später durch die demokratischen Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung gegründete Centralmärzverein entwickelte sich in kürzester Zeit zu einer schlagkräftigen politischen Organisation, in der die sächsischen Vaterlandsvereine eine zentrale Rolle spielten.1615 Ob es angesichts dieser Entwicklung einem Ministerium Braun, Georgi, Beust gelungen wäre, die demokratische Bewegung im Stil der 1850er Jahre erfolgreich einzudämmen, erscheint mehr als fraglich.

phil. Diss. – Göttingen 1950; Kempf, Sabine: Wahlen zur Ständeversammlung im Königreich Hannover 1848–1866: Wahlrecht, Wahlpolitik, Wahlkämpfe und Wahlentscheidungen. – Frankfurt a. M. [u. a.] 2007. 1614 Vgl. Knüpfer, Volker: Presse und Liberalismus in Sachsen: Positionen der bürgerlichen Presse im frühen 19. Jahrhundert. – Köln, Weimar, Wien 1996. 1615 Kühling, Karin: Robert Blum: Führer der demokratischen Bewegung und Märtyrer der Revolution. – In: 1848: Laß Recht und Freiheit nicht verderben; Zum 150. Jahrestag der Deutschen Revolution 1848/49 in Sachsen / hrsg. von Volker Rodekamp. – (Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, Altes Rathaus, 9. November  1998 bis 11. April  1999). – Leipzig 1998, 118–121; Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. – Bd.  2: Von der Reformära bis zur Industriellen Revolution und politischen „Deutschen Doppelrevolution“: 1815–1845/49. – München 1987, 725–727.

Die badische Revolutionsregierung in der Reichsverfassungskampagne Frank Engehausen Der badischen Revolutionsregierung von 1849 sind selten Lorbeerkränze geflochten worden.1616 Kaum dass sie vor den siegreichen preußischen Truppen außer Landes geflohen waren, begannen die Protagonisten der Reichsverfassungskampagne in Baden damit, sich gegenseitig der revolutionären Halbherzigkeit oder der politischen Naivität, in jedem Fall aber des Intrigantentums zu bezichtigen.1617 In der Erinnerung an die sogenannte badische Revolution spielten und spielen die Verteidiger der Festung Rastatt und die standrechtlich erschossenen Revolutionäre eine Rolle, nicht aber die Revolutionsregierung. Auch das Urteil der Forschung fällt ziemlich hart aus: „Mit einer derartigen Aufgabenfülle“, urteilt etwa Wolfgang von Hippel in seiner Gesamtdarstellung der Revolution in Baden, „waren der Landesausschuss und die von ihm eingesetzte Vollziehungsbehörde, dann provisorische Regierung völlig überfordert, umso mehr, als sie auf die ihnen plötzlich zugefallene Macht und die damit verbundene Verantwortung weder sachlich noch mental vorbereitet waren. Die Meinungsunterschiede, die in ihren Reihen über die Ziele wie über Methoden des Vorgehens von Anfang an bestanden, steigerten sich binnen Kurzem bis zu unüberbrückbaren Gegensätzen“.1618 An diesem negativen Fazit werden im Folgenden, so viel sei vorausgeschickt, keine maßgeblichen 1616 Der Aufsatz folgt im Wesentlichen dem Argumentationsgang des Kapitels über die badische Mairevolution des Buches Engehausen, Frank: Kleine Geschichte der Revolution in Baden. – Leinfelden-Echterdingen 2010, 151–181. 1617 Vgl. dazu z. B. die bei Vollmer, Franz Xaver: Vormärz und Revolution 1848/49 in Baden: Strukturen, Dokumente, Fragestellungen. – Frankfurt a. M. [u. a.] 1979, 157–161 zusammengestellten Dokumente. Langfristig wirksam war insbesondere die harsche Kritik von Friedrich Engels, der mit Blick auf die badischen Vorgänge die Revolution „sich in eine wahre Komödie“ auflösen sah, die allerdings „ein tragisches Ende genommen“ habe, „dank dem Blutdurst der Konterrevolution“. Für die Hauptschuldigen hielt er die „Kleinbürger“, die sich mit ihrem „Repräsentanten Brentano“ auf „ewige Zeiten blamierten“; Engels, Friedrich: Die deutsche Reichsverfassungskampagne – Berlin (Ost) 1969, 167–169. Als wichtigste Beispiele der zeitgenössischen Kontroversliteratur aus liberaler und konservativer Sicht vgl. Andlaw, Heinrich von: Der Aufruhr und Umsturz in Baden als Folge der Landesgesetzgebung. – 4 Teile. – Freiburg 1850/51 u. Häusser, Ludwig: Denkwürdigkeiten zur Geschichte der Badischen Revolution. – Heidelberg 1851. 1618 Hippel, Wolfgang von: Revolution im deutschen Südwesten: Das Großherzogtum Baden 1848/49. – Stuttgart [u. a.] 1998, 323.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657791033_005

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Korrekturen vorgenommen. Dennoch erscheint es lohnend, nochmals einen näheren Blick auf die badische Revolutionsregierung zu werfen und insbesondere die Schwierigkeiten zu beleuchten, die das Aufbrechen unüberbrückbarer Gegensätze innerhalb der Regierung verursachten. Der Kern dieser Schwierigkeiten waren die Legitimationsdefizite der Revolutionsregierung, die mit den Besonderheiten der Reichsverfassungskampagne in Baden zusammenhingen. Dieser Begriff ist für die dortigen Ereignisse im Mai und Juni 1849 eigentlich unpassend, weil Großherzog Leopold I. die Frankfurter Reichsverfassung und die Kaiserwahl schnell anerkannt hatte – zusammen mit 27 weiteren deutschen Klein- und Mittelstaaten in einer Kollektivnote vom 14. April.1619 Da die badische Regierung diese Position nicht aus Not, sondern aus Überzeugung bezogen hatte, ging es in Baden – anders als in Preußen, Sachsen oder Bayern – also gar nicht darum, einen renitenten Fürsten zur Anerkennung der Reichsverfassung zu zwingen. Auch zögerten die badischen Radikalen zunächst, die Durchsetzung der Reichsverfassung, die doch in wesentlichen Teilen nicht ihren politischen Vorstellungen entsprach, zu ihrer eigenen Sache zu machen. Wie ambivalent sie die nationalpolitischen Entwicklungen betrachteten, verdeutlicht eine Erklärung des Mannheimer Volksvereins vom 26. April: „Die Nationalversammlung hat endlich eine Verfassung beschlossen, welche wir weder in allen Theilen billigen, noch als den wirklichen Ausdruck des Majoritätswillens der Deutschen zu erkennen vermögen. … Wenn wir nun auch sonst nicht gewillt sein können, für volksfeindliche Institutionen, namentlich für ein deutsches Erbkaiserthum, in den Kampf zu gehen, so können wir doch in einer Opposition der Fürsten gegen irgend eine Bestimmung der Reichsverfassung … lediglich einen Angriff auf die in der Reichsverfassung vorhandenen volksthümlichen Bestimmungen und Einrichtungen erblicken und erklären daher, daß wir in jedem solchen Angriffe eine Revolution der Fürsten gegen das Volk erblicken und dadurch den Kampf des Volkes gegen das Fürstenthum für erneut erachten“.1620 Während die Radikalen in der Öffentlichkeit mit solchen und ähnlichen Stellungnahmen zwischen Ablehnung und Billigung der Frankfurter Verfassung lavierten, trugen sie hinter geschlossenen Türen Meinungsverschiedenheiten über die weitere politische Strategie aus. Deutlich sichtbar wurde ihre Uneinigkeit auf einer Versammlung in Mannheim am 4. Mai, an der neben 1619 Vgl. Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. – Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850 / hrsg. von Ernst Rudolf Huber. – 3., neubearb. u. verm. Aufl. – Stuttgart 1978, 411. 1620 Vorwärts! ist der Ruf der Zeit: Die Revolution 1848/49 in der Region Mannheim / bearb. von Thomas Hagen; Hans-Joachim Hirsch. – Mannheim 1998, 74.

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den führenden badischen Radikalen auch Demokraten aus Rheinbayern, Württemberg, Hessen und Nassau sowie mehrere Abgeordnete der Frankfurter Fraktion „Donnersberg“ teilnahmen. Unter dem Eindruck der Nachrichten von ersten Erfolgen der Reichsverfassungskampagne plädierte eine Gruppe der badischen Radikalen um Amand Goegg dafür, auf einer großen Volksversammlung in Offenburg die Republik zu proklamieren. Allerdings sprach sich die Mehrheit dagegen aus, „billigte jedoch die Abhaltung der Volksversammlung als Agitationsmittel für Einberufung einer constituirenden Versammlung von Baden“.1621 Damit zog man sich auf das vermeintlich unkompliziertere Terrain der badischen Innenpolitik zurück, in der die Radikalen in ihrer Agitation gegen die liberale Landtagsmehrheit in den vorangegangen Wochen beträchtliche Mobilisierungserfolge erzielt hatten: Mit der Abschaffung der Adelsprivilegien durch die Paulskirchengrundrechte und mit den jüngsten Frankfurter Wahlrechtsbeschlüssen stand in Baden nämlich eine durchgreifende Verfassungsreform, der sich die Liberalen auf Dauer kaum entziehen konnten, auf der Agenda und damit auch die Möglichkeit einer deutlichen Verschiebung der politischen Kräfte im Großherzogtum nach links.1622 Goegg ließ sich durch die für ihn unbefriedigenden Ergebnisse der Beratung vom 4. Mai nicht entmutigen und lud im Namen des Landesausschusses für den 12. zu einem Kongress der Volksvereine nach Offenburg ein; am Folgetag sollte eine Landesvolksversammlung stattfinden. Die badische Regierung beobachtete die Vorbereitungen für die Offenburger Veranstaltungen mit Misstrauen, zumal bruchstückhafte Informationen über das Mannheimer Geheimtreffen vorlagen. Ein Verbot der Veranstaltung kam nicht infrage. Daher musste sie sich darauf beschränken, möglichst mäßigend auf die Demokraten einzuwirken und zugleich Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass dies misslinge. Bei Ersterem erhoffte die Regierung Mithilfe der Frankfurter Zentralgewalt, die sie um die Entsendung eines Kommissärs bat, der über die aktuellen Bemühungen der Nationalversammlung um Durchsetzung der Reichsverfassung berichten solle; für Letzteres verständigten sich die Minister am 9. Mai auf militärische Maßregeln, die ergriffen werden sollten, sofern „in Offenburg die Bildung eines Freischaarenzuges nach der Rheinpfalz unternommen, oder andere aufrührerische Beschlüsse gefaßt werden sollten“.1623

1621 Goegg, Amand: Nachträgliche authentische Aufschlüsse über die Badische Revolution von 1849: deren Entstehung, politischen und militärischen Verlauf. – Zürich 1876, 95. 1622 Vgl. dazu von Hippel: Revolution (wie Anm. 1618) 272–276. 1623 Bekk, Johann Baptist: Die Bewegung in Baden vom Ende des Februar 1848 bis zur Mitte des Mai 1849. – Mannheim 1850, 293.

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Diese Option sollte sich allerdings nicht mehr realisieren lassen, da sich gerade in diesen Tagen Disziplinwidrigkeiten in den Truppen häuften: Massive Unruhen gab es durch Soldatenversammlungen, auf denen die Durchführung der Reichsverfassung gefordert wurde, am 10. und 11. Mai in Freiburg, wo die politische Stimmung durch eine Reihe von Schwurgerichtsverhandlungen gegen revolutionäre Aktivisten des Jahres 1848 zusätzlich angeheizt worden war. Zum Hauptschauplatz wurde indes die Bundesfestung Rastatt, die größte Garnison im Großherzogtum. Dort hatten die Soldaten schon seit einiger Zeit engere Kontakte zu den ortsansässigen Demokraten geknüpft, mit denen sie am 9. und 10. Mai gemeinsame Versammlungen abhielten. Hierbei sprachen sich die Soldaten nicht nur für die Reichsverfassung aus, sondern forderten auch die Absetzung vermeintlich volksfeindlicher Offiziere sowie die Entsendung von Delegierten der einzelnen Kompanien zu der bevorstehenden Offenburger Versammlung. Als der Festungskommandant am Morgen des 11. Mai die Wortführer der Soldaten arretieren ließ, eskalierte die Situation: Die Gefangenen wurden von Kameraden befreit und Offiziere mit Steinen beworfen. Am Abend des 12. Mai schließlich war die gesamte Festung mit allen Waffen in den Händen der aufständischen Soldaten.1624 Ohne dass von den Rastatter Vorfällen genaue Kenntnisse vorlagen, begann am gleichen Tag in Offenburg der Landeskongress der Volksvereine. Wohl auch wegen der unklaren Nachrichtenlage blieben die Befürworter direkter Aktionen beim Landeskongress in der Minderheit. Die Mehrheit, zu deren Wortführern der Mannheimer Rechtspraktikant und Journalist Florian Mördes zählte, hielt an der Forderung nach Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung fest. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchten die in Offenburg versammelten Vereinsführer, Druck auf die Regierung auszuüben, und entsandten noch in der Nacht auf den 13. Mai eine dreiköpfige Delegation nach Karlsruhe, die dem liberalen Staatsminister Johann Baptist Bekk ultimativ vier Postulate übermittelte: die rasche Landtagsauflösung und Einberufung einer konstituierenden Versammlung, den sofortigen Rücktritt des Kabinetts sowie die Rückberufung aller politischen Flüchtlinge, die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Einstellung aller politischen Prozesse.1625 Der Regierungschef empfing die Offenburger Abgesandten am Morgen des 13. Mai und wies die Forderung nach einem Rücktritt zurück, und auch in den 1624 Vgl. dazu Müller, Sabrina: Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49. – Paderborn [u. a.]. 1999, 258–274. 1625 Zur Offenburger Versammlung vgl. Vollmer, Franz Xaver: Offenburg 1848/49: Ereignisse und Lebensbilder aus einem Zentrum der badischen Revolution. – Karlsruhe 1997, 160–178.

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anderen Punkten machte Bekk keine Zugeständnisse. Anschließend besprach sich Bekk noch mit seinen Ministerkollegen und dem Großherzog, die sich ebenfalls dafür aussprachen, nicht nachzugeben. Die formelle Antwort der Regierung, die lediglich in der Frage der Amnestie, die noch weiter ausgedehnt werden solle, eine kleine Konzession enthielt, überbrachte dann Außenminister Alexander von Dusch den Offenburger Deputierten.1626 In Offenburg, wo sich annähernd 30.000 Teilnehmer zu der Volksversammlung eingefunden hatten, wurde die Reaktion der Regierung mit einem „Murren der tiefsten Entrüstung“1627 aufgenommen, als gegen Ende der Veranstaltung die Deputierten aus Karlsruhe zurückkehrten. Weitere Beratungen waren unnötig, da man sich schon zuvor über die nächsten wichtigen Schritte verständigt hatte: Am späten Vormittag war den Versammelten das Ergebnis der Wahlen für den Landesausschuss der Volksvereine mitgeteilt worden. An seiner Spitze stand der Landtags- und Paulskirchenabgeordnete Lorenz Brentano, der zwar in Offenburg gar nicht anwesend war, aber wegen seiner Popularität nicht übergangen werden konnte, und den zweiten Vorsitz erhielt Goegg. Für die übrigen Vorstandsposten waren überwiegend entschiedene Republikaner berücksichtigt worden, während die gemäßigten Volksvereinsführer in dem neuen Gremium nur eine Nebenrolle spielten.1628 Dass Goegg und seine Gefolgsleute sich bei den Wahlen hatten durchsetzen können, lag zum einen wohl an ihrer stark ausgeprägten Aktionsbereitschaft, zum anderen vielleicht aber auch an einem Stimmungsumschwung, der durch die inzwischen aus Rastatt eingetroffenen Nachrichten ausgelöst worden war. Mit seinem Hauptanliegen, der Forderung nach sofortiger Proklamierung der Republik, hatte sich Goegg allerdings am zweiten Versammlungstag trotz des frischen Eindruckes des erfolgreichen Soldatenaufstands in Rastatt ebenfalls nicht durchsetzen können – hierzu hatten die nach Offenburg gereisten Deputierten der Rastatter Garnison selbst beigetragen, indem sie betont hatten, dass die Ziele der Soldaten die Grundrechte und die Reichsverfassung seien. Dass Goegg seinen Plan jedoch auch vorerst nicht aufgegeben hatte, zeigte seine Ankündigung, der neue Landesausschuss werde permanent tagen; auch indem er Befehlsgewalt über die Offenburger Bürgerwehr beanspruchte, machte er deutlich, dass das Gremium seinem Selbstverständnis nach wohl doch eher ein Exekutivorgan als eine Vereinszentrale sein sollte. Das Programm, 1626 Vgl. Bekk: Bewegung (wie Anm. 1623) 306f. 1627 Struve, Gustav: Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden 1848/49. – Freiburg 1980, 160. Zu Struve vgl. Reiß, Ansgar: Radikalismus und Exil: Gustav Struve und die Demokratie in Deutschland und Amerika. – Stuttgart 2004. 1628 Vgl. dazu und zum Folgenden W. von Hippel: Revolution (wie Anm. 1618) 308–316.

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das anschließend auf der Offenburger Versammlung per Akklamation angenommen worden war, stellte dagegen einen Kompromiss zwischen den Vorstellungen der entschiedenen Republikaner und der vorsichtiger taktierenden Volksvereinsführer dar: Einleitend wurde ein Widerstandsrecht des Volkes gegen diejenigen Fürsten proklamiert, die die in Frankfurt endgültig beschlossene Verfassung ablehnten. Diese Fürsten hätten sich zur „Unterdrückung der Freiheit verschworen“ und Hochverrat an Volk und Vaterland begangen. Diesem Angriff der fürstlichen Rebellen gelte es bewaffnete Gegenwehr zu leisten, wobei die badische Regierung mitzuwirken habe. Die formale Anerkennung der Frankfurter Reichsverfassung genüge nicht; vielmehr müsse sie „mit der ganzen bewaffneten Macht deren Durchführung“ in den anderen deutschen Staaten unterstützen. Dass die badische Regierung dieser Forderung auf keinem Fall zustimmen werde, war den in Offenburg versammelten Demokraten klar – sie forderten deshalb die sofortige Entlassung des gegenwärtigen Ministeriums; stattdessen sollten Brentano und Joseph Ignaz Peter mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt werden.1629 Wie man die Regierungsumbildung bewerkstelligen wollte, ließ das Offenburger Programm offen. Dieses Problem löste sich jedoch von selbst, da noch am gleichen Tag die Militärunruhen auf Karlsruhe übergriffen und die Flucht Leopolds I. und seiner Familie veranlassten.1630 Bis auf Kriegsminister Friedrich Hoffmann, der sich darum bemühte, die loyalen Reste der badischen Armee zu sammeln, blieben die Regierungsmitglieder zunächst in Karlsruhe. Allerdings verließen auch sie am nächsten Tag die Residenz, nachdem der Karlsruher Gemeinderat bei einer Konferenz mit den Bürgerwehrkommandanten und dem Polizeiamt in der Nacht zum 14. Mai zu der Entscheidung gekommen war, mangels verfügbarer Verteidigungsmittel keinen Widerstand zu leisten, wenn der inzwischen von Offenburg nach Rastatt gereiste Landesausschuss mit meuternden Soldaten und Freischaren nach Karlsruhe ziehen werde – dies teilte eine Abordnung von Gemeinderäten dem Landesausschuss auch umgehend mit, der darin eine Einladung sah, nach Karlsruhe zu kommen und die Regierung zu übernehmen. Für Bekk und seine Ministerkollegen bestand jetzt nur noch die Alternative der Flucht oder der Gefangennahme durch die Revolutionäre. Sie entschieden sich für Ersteres und begaben sich, da die anderen Fluchtwege nicht sicher schienen, ebenfalls über den Umweg des Elsass nach Frankfurt.1631 Was geschehen wäre, wenn die Regierungsmitglieder 1629 F. X. Vollmer: Offenburg (wie Anm. 1625) 175–177. 1630 Zu den Vorgängen in Karlsruhe vgl. Drei Tage der Karlsruher Bürgerwehr 1849 / hrsg. von Rainer Gutjahr; Eduard Koelle. – Karlsruhe 1999, 91–98. 1631 Vgl. W. von Hippel: Revolution (wie Anm. 1618) 318–320.

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in Karlsruhe geblieben wären, lässt sich natürlich nicht beantworten. Mit ihrer Flucht jedenfalls spielten sie dem Landesausschuss in die Hände. Denn dieser konnte das Problem der Legitimation des eigenen Herrschaftsanspruchs wenigstens kurzfristig beiseiteschieben und darauf verweisen, dass er die Regierungsgeschäfte quasi treuhänderisch führe, nachdem der Großherzog und seine Regierung das Volk ohne Not im Stich gelassen hätten. Nach seinem Einzug in Karlsruhe konstituierte der durch Kooptationen aufgestockte Landesausschuss, der in den Folgetagen als ein provisorisches Parlament agierte, als Übergangsregierung eine Exekutivkommission, wobei die Personalfragen Spannungen verursachten. Gustav Struve versuchte Joseph Fickler als Mitglied der Exekutivkommission durchzusetzen, scheiterte mit diesem Vorhaben aber, und Goegg wurde erst nach längeren Diskussionen in das Gremium aufgenommen als Leiter des Finanzressorts. Die übrigen Posten entfielen auf Brentano, der als Verantwortlicher für Inneres und Äußeres die Zentralstellung bekleidete, auf Joseph Ignatz Peter mit Zuständigkeit für die Justiz und auf den Oberleutnant Karl Eichfeld, der die schwerwiegende Verantwortung für das Kriegswesen übernahm.1632 Die Streitigkeiten waren weniger die Folge persönlicher Geltungssucht, sondern vielmehr Ausdruck der politischen Meinungsverschiedenheiten, die im Landesausschuss rasch offen ausbrachen. Während Brentano und mit ihm die Mehrheit des Landesausschusses vorsichtig agierte und sich zunächst auf den Standpunkt zurückzog, in erster Linie die Reichsverfassung durchsetzen zu wollen, auch um sich Verhandlungsmöglichkeiten mit dem geflohenen Großherzog offen zu halten, befürworteten Goegg, Struve und einige andere Mitglieder die umgehende Proklamation der Republik. Die vorrangige Aufgabe von Landesausschuss und Exekutivkommission bestand darin, die ihnen mit der Flucht des Großherzogs und seiner Regierung zugefallene Machtstellung möglichst rasch im ganzen Land durchzusetzen. Zu diesem Zweck wurden Zivilkommissäre eingesetzt, die vor Ort die Arbeit der Behörden überwachen und ihre Autorität mit der Hilfe der Volksvereine und der Bürgerwehren zur Geltung bringen sollten. Das Personal hierfür zu rekrutieren, bereitete, da man sich auf das inzwischen dichte Vereinsnetzwerk stützen konnte, keine größeren Schwierigkeiten, wenngleich mancherorts politisch kaum profilierte Personen in Amt und revolutionäre Würden kamen. Die Bürgermeister und Gemeinderäte arrangierten sich fast überall mit den Zivilkommissären und den Herrschaftsansprüchen der Revolutionäre wurde kein offener Widerstand entgegengesetzt. Dennoch ordnete der Landesausschuss 1632 Vgl. dazu und zum Folgenden ebenda 325.

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am 24. Mai kommunale Neuwahlen an in der Hoffnung, dadurch die Stellung der Demokraten in den Städten und Gemeinden dauerhaft zu befestigen. Ein kompletter Personaltausch der Beamtenschaft erschien unmöglich. Daher versuchte der Landesausschuss, sich der Loyalität der Staatsdiener durch Eidesleistung zu versichern. Dabei gab die Frage, welche Eidesformel verwendet werden sollte, Anlass zu heftigen Streitigkeiten. Der Minimalkonsens bestand darin, dass nur diejenigen im Amt bleiben sollten, die sich für die unbedingte Durchführung der Reichsverfassung aussprachen und bereit waren, den Anordnungen des Landesausschusses Folge zu leisten. Um die Staatsdiener, die ja eidlich bereits dem Großherzog verpflichtet waren, nicht in offene Loyalitätskonflikte zu bringen, befürwortete Brentano den Eideszusatz, dass sie dies „unbeschadet“ ihrer „auf die Landesverfassung geschehenen Verpflichtung“ taten. Struve kritisierte mit Recht, dass dies den Beamten eine „Hinterthür eröffnete, durch welche sie jeder Zeit in die fürstlichen Dienste zurückkehren konnten“, musste aber den Mehrheitsbeschluss des Landesausschusses akzeptieren, der die Zivilbeamten in den Genuss dieser Ausweichklausel kommen ließ, während für die Soldaten und Offiziere die strengere Fassung des Eides gelten sollte.1633 Der weit überwiegende Teil des Offizierskorps verließ daraufhin das Land und schloss sich dem exilierten Großherzog an. Ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger als die innere Konsolidierung, zu der die am 17. Mai vom Landesausschuss ausgeschriebenen Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung einen wesentlichen Beitrag leisten sollten, war die äußere Sicherung des Landes gegen die von vornherein sicher zu erwartenden Angriffe gegenrevolutionärer Kräfte. Da ein solcher Angriff nach Lage der Dinge hauptsächlich nur von preußischen Truppen geführt werden konnte, die indes auf verschiedenen Schauplätzen der Reichsverfassungskampagne gebunden waren, hatten die badischen Revolutionäre ausreichend Zeit, wenigstens Pläne zu schmieden, ob man einem Angriff nicht durch eigene offensive Aktionen zuvorkommen könne. Diese Überlegung erschien insbesondere dem radikalen Flügel der Revolutionäre plausibel, für den eine irgendwie geartete Verständigung mit dem Großherzog, wie sie sich Brentano zumindest als Option offenhalten wollte, grundsätzlich nicht Frage kam und der die Revolution nur als Auftakt einer Republikanisierung ganz Deutschlands oder vorläufig wenigstens des deutschen Südwestens betrachtete. In dieser Perspektive boten sich verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die der Landesausschuss in der zweiten Hälfte des Mais nicht nur sondierte, sondern auch zu ergreifen versuchte. Dabei erschwerten auch in der Militärpolitik die 1633 G. Struve: Volkserhebungen (wie Anm. 1627) 173f.

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konträren Konzepte der Gemäßigten und der Radikalen ein zielgerichtetes Handeln. Naheliegend war der Gedanke an eine Kooperation mit den pfälzischen Aufständischen, die man mit verschiedenen Maßnahmen zu erreichen versuchte.1634 Um den Pfälzern jedoch in größerem Ausmaß Geld, Waffen oder sonstige Ausrüstung zur Verfügung stellen zu können, erschien die Position der badischen Revolutionäre noch zu unsicher. Hinzu kam, dass Eichfeld als das für die Militärangelegenheiten zuständige Mitglied der Exekutivkommission bei persönlichen Unzulänglichkeiten mit besonderen organisatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, da die Infrastruktur des Kriegsministeriums durch die Flucht zahlreicher Beamter in erheblichem Maße beschädigt war. Die Operationsfähigkeit der badischen Revolutionstruppen war sehr beschränkt. Das zeigten zwei gescheiterte Versuche, nach Norden durchzubrechen und mithilfe hessischer Revolutionäre den Weg nach Frankfurt zu öffnen. Dort hätte man den militärischen Schutz der Nationalversammlung übernehmen können. Beide Vorhaben misslangen nicht nur, weil man die Revolutionsbereitschaft in Hessen überschätzte, sondern auch weil die badischen Truppen die deutliche Neigung zeigten, nur im eigenen Land zu kämpfen. Die ersten militärischen Rückschläge und der mangelnde revolutionäre Enthusiasmus der Nachbarn bremsten den Eifer der Radikalen vorübergehend. Die gemäßigten Kräfte im Landesausschuss nutzten dies am 1. Juni zu seiner Selbstentmachtung. In einer Proklamation wurde dem badischen Volk mitgeteilt, dass es gelungen sei, „das Land vor der Anarchie zu bewahren“. Nun sei der drohende „Kampf mit den verbündeten Feinden der Freiheit und der Einheit Deutschlands aufzunehmen“. „Die Zeit drängt zu rascher That. Eine zahlreiche Versammlung, wie unser Landesausschuß, ist nicht geeignet, den großen Kampf der Befreiung Deutschlands, der uns bevorsteht, mit der erforderlichen Kraft durchzuführen“. Darum habe man „einmüthig“ eine provisorische Regierung gewählt.1635 Dieser gehörten von der bisherigen Exekutivkommission weiterhin Brentano, Goegg und Peter an, Eichfeld wurde durch den neuen Kriegsminister Franz Sigel, einen Veteranen des Heckerzuges, ersetzt, und für die Außenpolitik, die zuvor in Brentanos formelle Zuständigkeit gefallen war, wurde nun ein eigenes Ressort geschaffen. Dies wurde mit Fickler besetzt, der sich des Amtes allerdings nicht lange erfreuen konnte, da er bereits Anfang Juni in Württemberg verhaftet wurde. 1634 Zur Militär- und Außenpolitik der Revolutionsregierung vgl. W. von Hippel: Revolution (wie Anm. 1618) 333–342. 1635 Volksstaat und Einherrschaft: Dokumente aus der badischen Revolution 1848/49 / hrsg. von Friedrich Lautenschlager. – Konstanz 1920, 415.

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Struve war bei der Neubildung des revolutionären Führungsgremiums erneut nicht berücksichtigt worden, ließ sich aber dadurch nicht entmutigen, sondern forcierte seine Kritik an Brentano. Rückhalt fand Struve vor allem bei auswärtigen Revolutionären, die in den vergangenen Wochen und Tagen in großer Zahl von anderen Schauplätzen der Reichsverfassungskampagne ins Großherzogtum gekommen waren, da sie meinten, dort werde der Entscheidungskampf der Revolution geführt. Gemeinsam mit Johann Philipp Becker, mit Samuel Tzschirner, einem geflohenen Protagonisten des Dresdner Maiaufstands, und mit Friedrich Martiny, einem linken Paulskirchenabgeordneten aus Preußen, entschied sich Struve schließlich zur offenen Opposition gegen die provisorische Regierung und rief auf einer Versammlung von ungefähr 150 Sympathisanten am 5. Juni den „Club des entschiedenen Fortschritts“ ins Leben. In Imitation des Vorgehens der Offenburger Zusammenkunft vom Vormonat, die mit einem radikalen Programm die großherzogliche Regierung unter Druck gesetzt hatte, stellte man sofort einen Forderungskatalog auf, den man der provisorischen Regierung übermittelte. Er umfasste zum einen Personalfragen: Anstelle Ficklers und des bei den Truppen befindlichen Sigel sollten zwei zusätzliche Männer „und zwar von entschiedener Farbe“ in die Regierung aufgenommen werden, der Oberbefehl über die „vereinigten badischen und pfälzischen Heere“ sollte dem „berühmten Feldherrn Mieroslawski“ übertragen werden, und generell sollten die Ministerien und ihre Unterbehörden „von allen reaktionären Elementen“ gereinigt werden. Zum anderen forderte der „Club des entschiedenen Fortschritts“ allgemein eine „erhöhte revolutionäre Thatkraft“ und besonders, dass die „auswärtigen Angelegenheiten nicht länger brach liegen“ gelassen werden dürften.1636 Da der „Club des entschiedenen Fortschritts“ auch über militärische Mittel verfügte – Becker war der Oberkommandierende der als Volkswehren titulierten Freischarenverbände – drohte sogar ein Bürgerkrieg der Revolutionäre untereinander, den Brentano allerdings zu verhindern vermochte, indem er einerseits den Forderungskatalog ausweichend beantwortete und indem er andererseits die Karlsruher Bürgerwehr und die Wehren einiger nahe liegender Orte sowie aus Bruchsal angefordertes Militär zum Schutz der provisorischen Regierung mobilisierte. Als Becker Brentanos Aufforderung, die Volkswehren von Karlsruhe an den Neckar zu verlegen, nicht nachkam, ließ der Führer der provisorischen Regierung eine Versammlung des radikalen Klubs sprengen und einige Mitglieder – unter ihnen Struve – in Gewahrsam nehmen. Dass es daraufhin nicht zu einer bewaffneten Konfrontation kam, war das Verdienst Goeggs, der die Angelegenheit für ein Missverständnis erklärte und die 1636 G. Struve: Volkserhebungen (wie Anm. 1627) 201f.

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Freisetzung der Inhaftierten bewirkte. Allerdings verlor Becker das Oberkommando über die Volkswehren, und Struve verließ Karlsruhe mit der sicheren Erkenntnis, dass „Brentano zu denselben Mitteln gegen seine vermeintlichen Gegner griff, deren sich die Reaktion gegen die ihren zu bedienen pflegte“.1637 Dass die Revolutionsführer sich am 5. und 6. Juni in die Gefahr der Selbstzerfleischung begaben, war umso erstaunlicher, als der Zusammentritt der konstituierenden Versammlung, der die definitive Konsolidierung der inneren Verhältnisse zufallen sollte, unmittelbar bevorstand. Die badische Konstituante, die am 10. Juni eröffnet wurde, wird gelegentlich als das erste demokratisch gewählte Parlament in Deutschland gewürdigt.1638 Dies trifft insofern zu, als erstmals das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für alle badischen Staatsbürger ab dem vollendeten 21. Lebensjahr galt. Von „freien“ Wahlen kann man in der Praxis allerdings nur mit Einschränkungen sprechen, vor allem weil ein großer Teil der Wahlberechtigten sich gar nicht beteiligte. Der Wahlboykott der Liberalen bestimmte das Ergebnis in erheblichem Maße mit: Bei den 80 Abgeordneten handelte es sich um Demokraten unterschiedlicher Couleur, wobei die gemäßigten Kräfte die Radikalen deutlich überwogen. Von den Protagonisten des inzwischen aufgelösten „Clubs des entschiedenen Fortschritts“ konnte lediglich Struve ein Mandat gewinnen.1639 Über die badische verfassunggebende Versammlung ist häufig hart geurteilt worden. Der Liberale Ludwig Häusser hielt sie für einen „kläglichen Konvent von Advocaten und Schullehrern, welcher die Impotenz der Wirtshauspolitik zum Spotte aller Gegner und zur Beschämung der eigenen Gesinnungsgenossen in unbeschreiblicher Naivität ans Licht stellte“, und Brentano charakterisierte sie kaum freundlicher als eine „Versammlung, deren Mehrheit aus ganz unfähigen, gewöhnlichen Schreiern besteht“. Sie „bot das kläglichste Bild einer Volksvertretung, welche je getagt, und welche ihren gänzlichen Mangel an Einsicht und Kenntnissen hinter sogenannten revolutionären Anträgen verbergen wollte, die heute zum Beschluß erhoben, morgen als unausführbar wieder umgestoßen werden mußten“.1640 Allerdings waren die Verhältnisse, unter 1637 Ebenda 209. 1638 Diese Einschätzung findet sich vor allem in der zum 150. Revolutionsjubiläum erschienenen populärwissenschaftlichen Literatur, vgl. z. B. Gaßner, Klaus; Finkele, Diana: Der Aufstand der badischen Demokraten: Geschichten aus der Revolution 1848/49. – UbstadtWeiher 1998, 112f. 1639 Zu den Wahlen und zur Zusammensetzung der verfassunggebenden Versammlung vgl. Bauer, Sonja-Maria: Die verfassunggebende Versammlung in der badischen Revolution von 1849: Darstellung und Dokumentation. – Düsseldorf 1991. – (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 94) 25–54. 1640 Beide Zitate nach F. X. Vollmer: Vormärz (wie Anm. 1617) 163.

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denen die Konstituante ihre Arbeit aufnahm, auch außergewöhnlich schwierig: Der erwartete preußische Angriff auf Baden stand unmittelbar bevor, und die Deutsche Nationalversammlung, die für die badischen Revolutionäre bislang immer noch ein wichtiger Bezugspunkt gewesen war, war zu einem Rumpfparlament der linken Minderheit zusammengeschmolzen, das sich aus Sicherheitsgründen von Frankfurt nach Stuttgart zurückgezogen hatte, wo es schließlich am 18. Juni von württembergischem Militär aufgelöst wurde. Weiter auf die Durchsetzung der Reichsverfassung zu pochen, erschien deshalb ebenso wenig aussichtsreich wie die Proklamation einer badischen Republik, die nur wenige der neuen badischen Volksvertreter wünschten. Eine andere Gruppe hoffte darauf, doch noch einen Ausgleich mit dem geflohenen Großherzog zu finden, war aber nicht in der Lage, hierfür irgendwelche konkreten Pläne zu entwickeln. In dieser Situation erschien es nicht angebracht, die eigentliche Aufgabe – die Ausarbeitung einer Verfassung – zu forcieren, sodass sich die badische Konstituante überwiegend mit tagesaktuellen Problemen beschäftigte. Das wichtigste darunter war die Einsetzung einer demokratisch legitimierten Regierung. Die Debatten, die am 13. Juni hierüber geführt wurden, verdeutlichten die Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb der verfassunggebenden Versammlung: Die Gemäßigten stellten den Antrag, „eine provisorische einheitliche Regentschaft in der Person des Bürgers Brentano zu ernennen, der den Titel führen soll: provisorischer Regent von Baden“, wollten also Brentano mit diktatorischen Vollmachten ausstatten, um eine Verständigung mit dem Großherzog anzubahnen. Die Linken dagegen favorisierten eine mehrköpfige Vollziehungsbehörde, die „verantwortlich und jederzeit von der constituirenden Versammlung absetzbar sein solle“. Die Einigung gelang mit einem Kompromiss, indem eine dreiköpfige provisorische Regierung „mit dictatorischer Gewalt ernannt“ wurde, die zum Beispiel die Ministerien nach eigenem Belieben besetzen konnte, aber ihre Autorität nur unter dem Vorbehalt erhielt, dass die „constituirende Versammlung … die diesen 3 Männern übertragene Gewalt jederzeit zurücknehmen“ konnte.1641 Auch bei der Wahl der drei Diktatoren beschritt man einen Mittelweg: Die meisten Stimmen erhielt Brentano, ihm folgten Goegg und Maximilian Joseph Werner, der ebenfalls zu den Radikalen zählte. Dass eine solche personelle Konstellation den eigentlichen Zweck der Diktatur, nämlich die Möglichkeit einer einheitlichen politischen Willensbildung, erheblich behindern konnte, war den Beteiligten offenkundig bewusst. Das Parlament korrigierte dies zwei Tage später mit dem Beschluss, dass die Auswahl der Minister demjenigen Diktator obliegen sollte, 1641 S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 1639) 248f.

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der mit den meisten Stimmen gewählt worden war.1642 Zur Schlüsselfigur wurde Brentano dadurch indes nicht, zumal das weitere Schicksal der Revolution nicht von politischen, sondern von militärischen Entscheidungen abhängig war, die an dieser Stelle indes nur ganz knapp skizziert werden können. Als Oberbefehlshaber der Revolutionsarmee hatte die provisorische Regierung, wie vom „Club des entschiedenen Fortschritts“ gefordert, General Ludwig Mieroslawski gewinnen können, einen erfahrenen Militärführer, der bereits 1830 im polnischen Novemberaufstand gegen die russische Herrschaft und in den Revolutionsmonaten 1848/49 auf verschiedenen Schlachtfeldern gekämpft hatte. Mieroslawski hatte schon von seinem Exilort Paris aus einen Kampfplan für die pfälzischen und badischen Revolutionäre entworfen, der in realistischer Einschätzung der Lage defensiv ausgerichtet war.1643 Diesen versuchte er nach seiner Ankunft in Karlsruhe am 8. Juni konsequent umzusetzen durch die Konzentration von Truppen bei Mannheim und Heidelberg. Die Revolutionäre sahen dem Angriff von drei Armeen entgegen: zwei preußischen sowie dem Neckarkorps, bei dem es sich um in der Verfügung der Frankfurter Provisorischen Zentralgewalt stehende Reichstruppen handelte. Die beiden preußischen Armeen eroberten sehr viel schneller als erwartet die Pfalz, wo die Aufständischen zu effektivem militärischen Widerstand nicht in der Lage waren. Am 15. Juni besetzten die Preußen Ludwigshafen und bedrohten Mannheim, das Mieroslawski mit starken Verbänden sicherte. Während der Vormarsch der preußischen Truppen vor der Stadt gestoppt werden konnte, setzten sie am 20. bei Germersheim über den Rhein und bedrohten die Hauptkräfte der Revolutionäre nun auch von Süden. Hierdurch verloren auch die Anfangserfolge an Wert, die die badischen Truppen in den Vortagen in mehreren Gefechten mit der Reichsarmee am Neckar erzielt hatten. Mieroslawski verlagerte nun die Hauptkräfte nach Süden und führte sie am 21. Juni bei Waghäusel gegen eine Division der preußischen Invasionsarmee, die zahlenmäßig unterlegen war, sich aber bei erheblichen Verlusten behaupten konnte. Erst nachrückende preußische Truppen schlugen die Revolutionäre im nahe gelegenen Wiesental.1644 Ein kriegsentscheidender Sieg war dies noch nicht, allerdings eine wichtige Wende, da die Niederlage die Disziplin in der Revolutionsarmee in größerem Ausmaß beeinträchtigte. Nur Teile der Truppen zogen sich geordnet zurück, während andere sich absetzten.

1642 Ebenda 264. 1643 Vgl. Mieroslawski, Ludwig: Berichte des Generals Mieroslawski über den Feldzug in Baden. – Bern 1849. 1644 Zum militärischen Geschehen vgl. W. von Hippel: Revolution (wie Anm. 1618) 358–370.

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Nach mehreren gescheiterten Versuchen gelang es der Reichsarmee, am Tag des Gefechts von Waghäusel bei Zwingenberg den Neckar zu überqueren; allerdings rückte sie nicht schnell genug nach, um das nach Sinsheim ausgewichene Hauptkontingent der Revolutionsarmee sofort zu stellen. Mieroslawski entging somit der Gefahr der Einkesselung und konnte die Truppen über Bretten bis an die Murg vor Rastatt zurückziehen. Dadurch war Karlsruhe schutzlos, sodass am 25. Juni auch die Regierung aus der Residenz zunächst nach Rastatt floh. Wie in den anderen Städten leistete auch in Karlsruhe die Bürgerschaft den einrückenden Preußen keinerlei Widerstand. Mieroslawski ordnete die verbliebenen Truppen vor Rastatt neu und versuchte, an der Murg eine Verteidigungslinie zu errichten, die dem vereinten Angriff der preußischen und Reichstruppen allerdings nicht lange standhielt. Da sich das Revolutionsheer nach mehreren Gefechten weitgehend aufgelöst hatte, sah Mieroslawski keine Chance mehr, weiter im Süden erneut eine Verteidigungsstellung aufzubauen und forderte deshalb am 1. Juli von der Regierung, die sich auf dem Weg nach Freiburg kurzzeitig in Offenburg aufhielt, seine Entlassung. Zu seinem Nachfolger wurde Sigel ernannt, der seine Tätigkeit allerdings darauf beschränken musste, die Reste der Truppen vor der drohenden Gefangenschaft in Sicherheit zu bringen. In Freiburg, dem letzten Rückzugsort der revolutionären Zivilisten, lieferten sich Brentano, die verbliebenen Mitglieder der immer weiter zusammenschmelzenden verfassunggebenden Versammlung und einige Abgeordnete des inzwischen aus Stuttgart vertriebenen deutschen Rumpfparlaments in der Rückschau ebenso kurios wie überflüssig anmutende ideologische Grabenkämpfe über die Frage, wie die Revolution noch zu retten sei – zu ihrem Opfer wurde Brentano, der auf Initiative Struves wegen des Vorwurfs, er habe versäumt, den Krieg mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu führen, ein Misstrauensvotum erhielt und daraufhin als Diktator zurücktrat.1645 In den Folgetagen verließen nach Brentanos Vorbild dann immer mehr Revolutionäre die Stadt in Richtung der Schweiz, und am 7. Juli konnten die Preußen kampflos einziehen. Am 11. setzten die Reste des Revolutionsheeres über die Schweizer Grenze, sodass sich nur noch die Festung Rastatt in der Hand von Aufständischen befand. Sie waren dort allerdings zur Handlungsunfähigkeit verdammt und kapitulierten am 23. Juli.1646 1645 Vgl. G. Struve: Volkserhebungen (wie Anm. 1627) 323f. Zu Brentanos Haltung in der Endphase der Revolution vgl. Brentano, Lorenz: Brentano’s Ansprache an das badische Volk. – In: Minerva: Ein Journal für Geschichte, Politik und Gegenwart 3 (1894) 157–162. 1646 Zur Belagerung und Kapitulation Rastatts vgl. W. von Hippel: Revolution (wie Anm. 1618) 374–378.

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Hätte die badische Revolutionsregierung diesen Ausgang des Kampfes gegen die preußischen Interventionstruppen durch alternative Weichenstellungen ändern können? Auch wenn hiermit das Feld der Spekulation betreten wird, scheint als Antwort doch ein klares Nein angebracht – zumindest sofern die gegebene Zusammensetzung der Regierung als Konstante angenommen wird. Bei allen persönlichen Unzulänglichkeiten Einzelner spiegelten sich nämlich in der revolutionären Regierungspolitik im Mai und im Juni 1849 vor allem die gegensätzlichen politischen Vorstellungen wider, die im Lager der demokratischen Volksvereine im Großherzogtum in diesen Wochen vorherrschten. Die Gemäßigten zogen sich darauf zurück, in erster Linie für die Verwirklichung der Reichsverfassung zu kämpfen. Sie ließen die Frage der künftigen politischen Ordnung in Baden in der Schwebe, weil sie die Rückkehr des Großherzogs weiterhin als eine Option betrachteten, um auf dem Weg zur Durchsetzung der Reichsverfassung voranzukommen. Diese Absicht war unvereinbar mit der Position der Radikalen, die auf eine konsequente Republikanisierung zunächst des Südwestens und dann ganz Deutschlands zielten. In der Rückschau mag das Konzept Struves und seiner radikalen Weggefährten, wenn auch nicht realistisch, so doch zumindest als stringent erscheinen, während für die Gemäßigten um Brentano Planlosigkeit und Selbsttäuschung wenigstens weithin handlungsleitend waren. So berechtigt die Klagen der Radikalen insbesondere über Brentano deshalb auch gewesen mögen, ist doch festzuhalten, dass die Alternativkonzepte zu dem Kurs des Lavierens zu keinem Zeitpunkt in der Reichsverfassungskampagne mehrheitsfähig waren. Für ein klares Bekenntnis zum Kampf für die deutsche Republik waren weder die im Mai in Offenburg versammelten Volksvereine bereit noch die im Juni zusammengetretene verfassunggebende Versammlung. Da aber die radikale Linke in die revolutionäre Regierung integriert werden musste, wenn deren Politik nicht von vornherein aussichtslos sein sollte, ergab sich zwangsläufig eine Konstellation der Polykratie und des mühsamen Ringens um Kompromisse. Zum Schluss noch einige Worte zu den Biografien der revolutionären Regierungsmitglieder, die indes nicht als Urteile über ihre Ministeriabilität verstanden werden sollten. Drei von ihnen verfügten über beträchtliche politische Erfahrungen: Lorenz Brentano,1647 damals ein Mittdreißiger und von Beruf Rechtsanwalt, hatte seit 1845 der Zweiten Kammer des badischen Landtags angehört und war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Letzteres 1647 Vgl. Bauer, Sonja-Maria: Lorenz Brentano: Vom Advokaten und Revolutionär in Baden zum Journalisten und Politiker in den USA: Eine biographische Skizze. – In: Baden 1848/49: Bewältigung und Nachwirkung einer Revolution / hrsg. von Clemens Rehm; Hans-Peter Becht; Kurt Hochstuhl. – Stuttgart 2002, 217–237.

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galt auch für den in etwa gleichaltrigen Juristen und Offenburger Stadtverordneten Maximilian Werner.1648 Er war in die Paulskirche nachgerückt und ihn wählte die badische verfassunggebende Versammlung zum Diktator mit Zuständigkeit für das Kriegswesen. Der Senior unter den drei Regierungsmitgliedern, die parlamentarische Erfahrungen vorweisen konnten, war Joseph Ignatz Peter.1649 Der bereits 60-Jährige gehörte dem badischen Landtag seit 1841 an und war ebenfalls Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Er gehörte der Exekutivkommission des Landesausschusses an und war für die Verwaltung des Justizministeriums zuständig – sicherlich eine in den Revolutionswochen nachrangige Aufgabe, die ihm wenige Möglichkeiten zur politischen Profilierung gab. Dass er bei der Wahl der Diktatoren im Mai nicht berücksichtigt wurde, lag aber in erster Linie daran, dass er zu den Gemäßigten zählte. Die übrigen Regierungsmitglieder hatten politische Aktivitäten erst in der Revolution entwickelt: Der noch kaum 30-jährige Amand Goegg,1650 von Berufs wegen Zollassistent, war seit dem Jahresende 1848 zum entscheidenden Organisator der badischen Volksvereine geworden und gehörte sowohl der Exekutivkommission mit Zuständigkeit für das Finanzwesen als auch dem Diktatorentriumvirat an – er wurde in der Regierung der Hauptgegenspieler Brentanos, ohne jedoch in allen Punkten Struve, der grauen Eminenz der Radikalen, zu folgen. Der Zweitjüngste unter den Regierungsmitgliedern war der 1823 geborene Jurist und Publizist Florian Mördes,1651 der von Brentano im Juni zum Innenminister berufen wurde. Mördes zählt zu den Gemäßigten, sodass ein Generationenkonflikt als Erklärung des Dissenses zwischen den Revolutionären zumindest für die Regierungsmitglieder nicht herangezogen werden kann. Sehr wenig ist bekannt über den ebenfalls von Brentano im Juni ernannten Finanzminister Karl Friedrich Heunisch,1652 einen Freiburger Rechtsanwalt. Ebenfalls quasi aus dem Nichts war im Mai 1849 auch der vom Landesausschuss in die Exekutivkommission gewählte Kriegsminister 1648 Vgl. Werner, Alexander: Maximilian Werner und die badische Revolution. – In: Die Ortenau. Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden 73 (1993) 354–368. 1649 Vgl. S.-M. Bauer: Verfassunggebende Versammlung (wie Anm. 1639) 345. 1650 Vgl. Schipperges, Stefan: Amand Goegg (1820–1897): Politiker – Sozialrevolutionär – Idealist: Versuch eines Porträts. – In: Die Ortenau: Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Mittebaden 78 (1998) 147–172. 1651 Von Mördes selbst, der noch keinen Biographen gefunden hat, stammt eine Revolutionsdarstellung: Mördes, Florian: Die deutsche Revolution mit besonderer Rücksicht auf die badische Revolutions-Episode. – Herisau 1849. 1652 Vgl. Raab, Heinrich: Revolutionäre in Baden 1848/49: Biographisches Inventar für die Quellen im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Staatsarchiv Freiburg / bearb. von Alexander Mohr. – Stuttgart 1998, 387f.

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Karl Josef Eichfeld1653 aufgetaucht, ein Oberstleutnant des Leib-InfanterieRegiments in Karlsruhe, der als politischer Häftling erst am Tag der Offenburger Versammlung aus dem Gefängnis in Kislau befreit wurde. Eichfeld wurde bereits am 26. Mai von Franz Sigel1654 abgelöst, einem 24-jährigen, früh aus dem aktiven Dienst geschiedenen Offizier, der sich schon beim Heckerzug des Vorjahres revolutionäre Sporen verdient hatte, aber wie Eichfeld nicht in der Lage war, eine ausreichende militärische Schlagkraft der Revolutionsarmee herzustellen. So heterogen die Gruppe der Mitglieder der Revolutionsregierung in Hinblick auf ihr Alter, ihre beruflichen Werdegänge und ihre politischen Vorerfahrungen war, so unterschiedlich verliefen ihre Lebenswege auch nach der Niederschlagung der Revolution. Allen gelang die Flucht, sodass die badische Justiz sie nur in Abwesenheit mit Vermögensentzug und langen Haftstrafen belangen konnte. Fast alle von ihnen suchten einen Neuanfang in den USA, der Brentano und Sigel auch mit beachtlichen politischen beziehungsweise militärischen Karrieren dauerhaft gelang, während andere wie Goegg nach der Kollektivamnestierung der badischen Revolutionäre Anfang der 1860er Jahre nach Baden zurückkehrten.

1653 Ebenda 187. 1654 Vgl. Sigel, Franz: Denkwürdigkeiten des Generals Franz Sigel aus den Jahren 1848 und 1849 / hrsg. von Wilhelm Blos. – Mannheim 1902 u. Engle, Stephan D.: Yankee Dutchman: A Biography of Franz Sigel. – Florida State University 1989.

Die provisorische Regierung der Pfalz: Gegen Bayern und für die Reichsverfassung? Markus Meyer 1.

Fragestellung

Gegen Bayern und für die Reichsverfassung? – Für den Pfälzer Aufstand scheinen diese Positionen selbstverständlich. Doch die Zusammenhänge sind kom­pli­zierter: Am 17. Mai 1849, als der revolutionäre Landesverteidigungsausschuss – zu diesem Zeitpunkt immerhin schon 14 Tage im Amt – ein ausgewähltes Elektorat nach Kaiserslautern gerufen hatte, um sich als provisorische Regierung bestätigen zu lassen, wurde die Zerrissenheit der pfälzischen Reichsverfassungsbewegung endgültig offenbar. Wie konnte es zu dieser Spaltung kommen? 2.

Der bürgerliche Liberalismus der Pfalz und seine Ziele

„Das Jahr 1848, das wir so gerne nennen, hatte für die Pfalz keine Bedeutung“1655, meinte der Lokalhistoriker Albert Becker 1929 und hatte damit zu einem gewissen Teil recht. Volks- oder Massenbewegungen fanden in dieser liberalen Hochburg 1848 nicht statt, zumal keine gewaltsamen. Die Frage nach der passiven Haltung der Pfälzer kann kaum besser beantwortet werden als mit einem nüchternen Kommentar des Neustadter Wochenblatts: Als der bayerische König Max II. Anfang und Mitte April 1848 seine Gesetzesnovellen ankündigte, bemerkte die Zeitung: „Die Grundlagen sind beiläufig dieselben wie in der Pfalz.“1656 Anders als in den übrigen deutschen Ländern löste die Pariser Februarrevolution 1848 in Bayern auch keine Krise aus – dort herrschte sie schon seit einem Jahr! Der Grund dafür lag bei der Affäre um Lola Montez, in der Privates und Politisches auf das Engste miteinander vermengt wurde. Zum Fallstrick für den König wurde die trotzige, aus Ärger um die Ächtung seiner Geliebten beschlossene Abberufung des Innenministers Carl von Abel. Sie wurde als Fanal für das 1655 Becker, Albert: Die „weinselige pfälzische Anarchie“ vor 80 Jahren. – In: Bei uns daheim: Aus Vergangenheit und Gegenwart der Pfalz 9 (1929) 71. 1656 Neustadter Wochenblatt 44 (1848) 173.

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657791033_006

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Ende des reaktionären Regierungsstils in Bayern gewertet, die Ludwig „auch noch um den Rückhalt der Monarchisten und Ultramontanen“1657 brachte. Die Freude der Pfälzer über die Installation eines liberalen Ministeriums und weitreichende Reformversprechen – darunter die vollständige Pressefreiheit, eine partizipativere Wahlordnung, die Verantwortlichkeit der Minister vor der Verfassung und die Beeidigung des Militärs auf dieselbe – konnte den König aber nicht für den Verlust seiner Hausmacht entschädigen, den er selbst aus privaten Gründen herbeigeführt hatte. Zudem waren die politischen Neuerungen im Revolutionsjahr 1848 „eine reine Verlegenheitslösung“1658 und keine glaubhafte Reforminitiative, die namhafte Kreise hinter sich hätte vereinigen können. In der Rückschau sind die angekündigten Gesetzesnovellen freilich als Beruhigungsmittel für die Revolutionsbewegung und explizit auch für das politische Establishment der Pfalz zu bewerten. Der pfälzische Liberalismus hatte im Vormärz versucht, zusammen mit den rationalistischen Kräften der Unierten Kirche der Pfalz eine basisdemokratische Reform des politischen Systems zu erwirken. Im Zentrum stand stets die politische Mitbestimmung. Dabei galt das Parlament dem vormärzlichen bürgerlichen Liberalismus der Pfalz als Garant des konstitutionellen Fortschritts. Man vertraute auf eine Ausweitung der politischen Teilhaberechte des Volkes auf verfassungsmäßigem Weg und damit durch parlamentarische Arbeit. Ein Umsturz der Staatsverfassung wurde nicht propagiert. Ohnehin war die Staatsformfrage für die liberalen Pfälzer zweitrangig; viel wichtiger dagegen die Volksrepräsentation. Daher wurden im Jahr 1848 die Ankündigungen der Krone, die gestärkte Stellung des bayerischen Landtags und die Konstituierung der Nationalversammlung mit zuversichtlicher Genugtuung verfolgt. Das galt vor allem in Bezug auf die Arbeit des Paulskirchenparlaments. Verschiedene Enttäuschungen und Rückschläge auf innen- und außenpolitischem Gebiet, die Schwerfälligkeit des parlamentarischen Entscheidungsprozesses und die Konsolidierung der monarchischen Gewalten schürten freilich Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit der Legislative wie auch der Exekutive, der Provisorischen Zentralgewalt. In den zeitgenössischen Darstellungen wird allerdings deutlich, dass ein Paukenschlag das ganze Projekt der Neuausrichtung Deutschlands retten könnte: die von der Nationalversammlung erarbeitete Verfassung. In ihr sollten sich alle politischen Verheißungen manifestieren. 1657 Ruppert, Karsten: Die politischen Vereine der Pfalz in der Revolution von 1848/49. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 / hrsg. von Hans Fenske; Joachim Kermann; Karl Scherer. – Bd.  1. – Kaiserslautern 2000. – (Beiträge zur pfälzischen Geschichte; 16, 1) 57–242, hier 57. 1658 K. Ruppert: Die politischen Vereine der Pfalz in der Revolution 1848/49 (wie Anm. 1657) 57.

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Im Überschwang liberaler Erwartungen wurde die partikularstaatliche Rhetorik des Hofes vielfach überhört. Schon Anfang Juni 1848 hatte etwa das Neustadter Wochenblatt einen Artikel aus der Kölner Zeitung mit der deutlichen Botschaft abgedruckt, dass die bayerische Regierung „nie zustimmen [werde] zu einer Verfassung, welche die wesentlichen Rechte der Einzelregierungen zerstören, die Freiheit der Entwicklung der einzelnen Volksstämme (…) aufheben würde.“1659 Solch skeptischen Einwänden zum Trotz versuchten die verschiedensten lokalen und regionalen Vereine und Bürgerklubs bis Ende April  1849, durch massenhafte Voten, Beschlüsse und Eingaben – den sogenannten „Adressensturm“ –, der Nationalversammlung ihre souveränen Kompetenzen zu bestätigen und die bayerische Regierung zur unbedingten Annahme der Konstitution zu bewegen.1660 Am 26. April 1849 teilte der Reichsministerpräsident der Nationalversammlung die förmliche Weigerung Bayerns mit, die „Reichsverfassung anzuerkennen und sich derselben zu unterwerfen“.1661 Unter diesen Umständen plädierte sogar die Neue Speyerer Zeitung, die von Georg Friedrich Kolb als dem Repräsentanten eines gemäßigten Liberalismus schlechthin verlegt wurde, für eine Abkehr von der Nationalversammlung, da sie nicht den Mut und die Kraft besitze, die selbsterklärte Aufgabe zu Ende zu führen. Ohne offenen Aufruhr zu propagieren, rief Kolb das Volk dazu auf, Zwang auszuüben: einerseits gegenüber der Nationalversammlung, die sich nur unter Druck an die Vollendung des Einigungswerkes machen werde, andererseits gegenüber der eigenen Regierung, deren „Angriff auf das Gemeingut unserer Nation“ entschlossen zurückgewiesen werden müsse.1662 Die Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König machte jedoch die verbliebene Autorität der Nationalversammlung vollends zunichte. Ihre Stimme wurde nicht mehr gehört. Die Entrüstung fußte letztlich auf einem „Trugschluß[es]“, „der Illusion nämlich, daß auf parlamentarischem Wege die Demokratie in Deutschland zu errichten sein würde, indem die Fürsten ihrer Entmachtung zustimmten.“1663 Mit dem Parlamentarismus als Ganzes brachen die pfälzischen Vertreter des bürgerlichen Liberalismus jedoch bei weitem noch nicht. Die starke parlamentarische Stellung verleitete die Mitglieder der bayerischen Kammer im

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Neustadter Wochenblatt 66 (1848) 261. Vgl. Neue Speyerer Zeitung 99 (1849) 479. Neue Speyerer Zeitung 101 (1849) 487. Ebenda. K. Ruppert: Die politischen Vereine der Pfalz in der Revolution 1848/49 (wie Anm. 1657) 174f.

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Gegenteil weiterhin zu der „möglicherweise ‚blauäugige[n]‘“1664 Überzeugung, dass allein mit parlamentarischer Arbeit genügend politischer Druck auf die Krone ausgeübt werden könne, um die ablehnende Entscheidung zu revidieren. 3.

Der pfälzische Aufstand

3.1 Etablierung in Etappen Während die pfälzischen Liberalen dennoch am verfassungsmäßigen Weg festhielten, spalteten sich nach der Ablehnung der Reichsverfassung die politischen Lager. Die Republikaner wollten es auf einen letzten konstitutionellen Versuch nicht mehr ankommen lassen. Den Takt gaben Nikolaus Schmitt und Philipp Schmidt vor. Als Herausgeber respektive Redakteur des Boten für Stadt und Land formulierten sie ihre spätere Anklageschrift im Grunde in weiten Teilen selbst, da ihnen die Aufrufe zur gewaltsamen Durchsetzung der Reichsverfassung leicht zugeordnet werden konnten: „Drum rüste Jeder seine Waffen, stähle Jeder seinen Muth! Es kann kommen, wenn der König sich nicht unterwirft, daß der Rhein den Scheidepunkt zwischen uns und Bayern bildet, es kann kommen, daß die Pfalz sich von Bayern lossagen muß. – Drum steht fest zusammen und haltet die Hand an die Waffen.“1665 Ende April und Anfang Mai 1849 fanden in Kaiserslautern gutbesuchte Versammlungen mit mehreren Tausend Teilnehmern1666 statt, bei denen die entschiedenen Republikaner ihre Forderung nach sofortiger Abspaltung von Bayern kraftvoll vertraten, allerdings vorerst noch keine Mehrheit erzielten.1667 Die bayerische Regierung, die durch die königliche Kreisregierung über die Entwicklungen gut informiert war, hatte am 28. April 1849 umgehend ein Verbot bewaffneter Volksversammlungen erlassen.1668 Durchzusetzen war es allerdings nicht, da die Pfalz durch den Truppenabzug nach SchleswigHolstein militärisch entblößt war. So konnten die Republikaner mit den eng 1664 Kreutz, Wilhelm: Diskussionsbeitrag. – In: Die Pfalz und Bayern 1816–1956 / hrsg. von Hans Fenske. – Speyer 1998. – (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften; 94) 103–111, hier 110. 1665 Der Bote für Stadt und Land Kaiserslautern 85 (30.4.1849). 1666 Vgl. etwa Zinn, Christian: Die Erhebung in der Rheinpfalz und die Pfälzische Volkswehr in Baden. – Straßburg 1850, 7. 1667 Keddigkeit, Jürgen: Der Landesverteidigungsausschuß und die provisorische Regierung der Pfalz im Frühjahr 1849. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 I (wie Anm. 1657) 3–62, hier 8f. 1668 Königlich Bayerisches Amts- und Intelligenzblatt für die Pfalz 30 (1849) 222.

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aufeinander folgenden und abgestimmten Zusammenkünften das Heft des Handelns übernehmen. Am 29. April fand in der Kaiserslauterer Fruchthalle ein „Kongress der pfälzischen Turngemeinden und ihrer Freunde“ statt. Ein politisches Ereignis par excellence, auf dem Radikaldemokraten wie die genannten Publizisten offen zur Revolution aufriefen. Im Boten verkündete der geschäftsführende Kreisausschuss der pfälzischen Volksvereine das systematische Vorgehen bei der Organisation der Erhebung: Für den 1. Mai wurden die „Notabeln“ der Pfalz, alle Abgeordneten, Wahlmänner sowie die Vertreter der politischen Vereine nach Kaiserslautern gerufen, um zu einem „einmüthig[en]“ Beschluss darüber zu gelangen, wie „die Krone und ihr Ministerium zur sofortigen unbedingten Anerkennung der deutschen Reichsverfassung und zur Unterwerfung unter die Reichsgewalt zu zwingen“1669 seien. Am darauffolgenden Tag sollte sich „die ganze männliche Bevölkerung der Pfalz“ zu einer Volksversammlung in Kaiserslautern einfinden, um die tags zuvor gefassten Beschlüsse der Mandatsträger zu hören und zu genehmigen.1670 Schließlich rief Schmitt für den 3. Mai zu einem pfälzischen Bürgerwehrkongress in der Fruchthalle auf, um die politische Positionierung der Bürgerwehr und deren „einheitliche Organisation“ zu beraten.1671 Die konzertierte Aktion sollte der Bewegung, die trotz programmatischer Unterschiede nicht bereit war, die Ablehnung der Reichsverfassung hinzunehmen, die notwendige akklamatorische Zustimmung verschaffen. Das damit eingesetzte exekutive Regime betrachtete sich als rechtmäßige Regierung: In kalvinistisch-monarchomachischem Duktus betitelten die Insurgenten vielmehr jene als Rebellen, die sich dem Vollzug der durch die Nationalversammlung erarbeiteten Reichsverfassung widersetzten.1672 1669 Aufruf, erlassen durch den geschäftsführenden Ausschuss der pfälzischen Volksvereine. – In: Bote für Stadt und Land Kaiserslautern 86 (1.5.1849). 1670 Bote für Stadt und Land Kaiserslautern 86 (1.5.1849). 1671 Vgl. Requisitorium [Bericht des Generalstaatsprokurators über politische Vergehen]. – In: Der bayerische Hochverratsprozeß 1850/51 in Zweibrücken nach französischem Recht gegen 333 Revolutionäre in der Pfalz im Frühjahr 1849: Nachdruck der wichtigsten zeitgenössischen Dokumente überwiegend in Privatbesitz / hrsg. von Pirmin Spieß [u. a.] – Neustadt a.d.W. 2006. – (Stiftung zur Förderung der pfälzischen Geschichtsforschung; D 1) 6ff. 1672 Appell „Mitbürger! Brüder!“ des LVA, 3.5.1849: LA Speyer, Best. J1, Nr. 102, Bl. 6. „Mitbürger! Das Vaterland ist in Gefahr – werdet Ihr zaudern, es zu retten? Wollt Ihr unseren Brüdern, den braven Schwaben, an Freiheitsliebe und Entschlossenheit nachstehen? Wollen wir, die aufgeklärten Pfälzer, uns den Vorwurf der Feigheit machen lassen? – Mitbürger! Das wollen, das können wir nimmermehr glauben! Ihr werdet Euch erinnern, daß wir keine Rebellen sind, sondern unser gutes, mit dem Blute unserer Brüder erworbenes Recht

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Folglich nannte sich die pfälzische Exekutivbehörde in defensivem Ton „Landesverteidigungsausschuss“ (LVA). Der LVA konstituierte sich in einer pseudo-demokratischen Abstimmung unter Ausschluss aller Bürgermeister und Landräte. Lediglich den pfälzischen Abgeordneten, den Vorständen der Vereine und den Bürgerwehrkommandanten wurde das Recht eingeräumt, sich an der Wahl zu beteiligen.1673 Passiv wahlberechtigt waren ebenso nur die Wahlmänner. Die Durchführung dieser „Winkelwahl“ habe deutlich gezeigt, kommentierten die Ankläger später nicht ohne Grund süffisant, dass eine organisierte Clique gegen alle Widerstände und Bedenken „das Eisen schmieden [wollte], so lange es warm war.“1674 Doch nicht nur die Strafverfolgungsbehörden spotteten, sondern auch der politischen Linken und engsten Unterstützern war der Mangel an demokratischer Legitimation der Pfälzer Aufständischen stets ein Dorn im Auge. Bis zuletzt verpasste das Revolutionsregime die Einlösung des eigenen Versprechens, eine Volksvertretung mit modernen Kompetenzen einzuberufen: als Gesetzgebungsorgan und Kontrollinstanz gegenüber der Exekutive.1675 Trotz des entschiedenen Vorgehens der pfälzischen Republikaner blieb das konstitutionelle Verfahren theoretisch weiterhin offen, vor allem, weil die politische Elite der pfälzischen Abgeordneten den Bruch mit Bayern oder gar einen bewaffneten Aufstand entschieden ablehnte. Die pfälzischen Landtagsabgeordneten in München – Georg F. Kolb, Friedrich Schüler, August Ferdinand Culmann und Georg Jakob Stockinger – waren erst gar nicht in Kaiserslautern erschienen“1676. Statt ihre Wahl in den LVA anzunehmen, starteten die Abgeordneten parlamentarische Initiativen und saßen so dem „Spiel auf Zeit“ der Staatsregierung auf. Von den zehn in den LVA Gewählten arbeiteten schließlich, aus Unzufriedenheit mit dem eingeschlagenen Kurs oder aus persönlichen Gründen, nur fünf aktiv mit: Philipp Hepp, Theodor Greiner, Nikolaus Schmitt, Peter Fries und Martin Reichard.1677 Das Fernbleiben der gemäßigten Liberalen hatte somit bereits im LVA zur Folge, dass innerhalb einer zunächst defensiv begründeten Institution Republikaner den Ton angaben.

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schützen und vertheidigen. – (…) Darum auf, ihr Brüder! zu den Waffen! Euer Wahlspruch sei: Mit Gott für Freiheit und Vaterland!“ Requisitorium (wie Anm. 1671) 13. Ebenda 14. Schneider, Regina M.; Ziegler, Hannes: Die provisorische Regierung der Pfalz: Ihre Einsetzung und Zusammensetzung, die Innen- und Außenpolitik (17. Mai–15. Juni 1949). – In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 118 (2020) 157–249, hier 170f. W. Kreutz: Diskussionsbeitrag (wie Anm. 1664) 109. J. Keddigkeit: Landesverteidigungsausschuß (wie Anm. 1667) 20f.

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3.2 Die Haltung der Provisorischen Zentralgewalt Der LVA beschloss noch am 3. Mai, dass seine Konstituierung „der Nationalversammlung unverzüglich mitgetheilt, und durch unsere Abgeordneten Interpellation an das Reichsministerium gestellt werden [solle], damit sich dasselbe erklärt, was es in dieser Hinsicht zu thun gedenkt.“1678 Das Ziel war klar: Die rebellischen Pfälzer erhofften sich eine offizielle Legitimation durch die Paulskirche und die Provisorische Zentralgewalt. Doch die Positionierung des Reichsministeriums zeigte die zunehmende Fragmentierung der Verfassungsbewegung nur umso deutlicher auf: Zwar entsandten der Reichsverweser Erzherzog Johann und der Reichsministerpräsident Heinrich von Gagern mit Verweis auf die Eingriffe „in den Wirkungskreis der bestehenden Behörden“ und die womöglich „unzureichend[en]“ Möglichkeiten „der gesetzlichen Landesbehörde“ ein Mitglied der parlamentarischen Linken, Georg Eisenstuck, als ‚Reichscommissär’ in die Pfalz. In dessen Vollmacht wurde ihm der Auftrag erteilt, die „Herrschaft der Gesetze“ wiederherzustellen und namentlich den „von gedachtem Landesvertheidigungs-Ausschuß am 3. Mai zu Kaiserslautern gefaßte[n] Beschluß wieder auf[heben]“ zu lassen oder diesen gegebenenfalls „von Reichswegen selbst aufzuheben“.1679 Der Auftrag Eisenstucks zielte auf den Kern des LVA-Erlasses, der eine Vereinnahmung des gesamten Verwaltungs- und Justizapparates – ein durchaus logischer und konsequenter Vorstoß – zum Ziel hatte. Die Integration der pfälzischen Behörden in die Reichsverfassungskampagne scheiterte allerdings auch ohne Zutun der Zentralgewalt. Viele Beamte sympathisierten mit der Reichsverfassung. Doch war ihnen eine Beeidigung auf das revolutionäre Regime nicht geheuer.1680 In Baden hatte man eine sehr pragmatische Lösung gefunden, die für Revolutionäre wie Beamte gewinnbringend war: Mithilfe einer „salvatorischen Klausel“1681 bei den geforderten Eidesleistungen wurde einerseits ein Eidbruch umgangen, während sich die Revolutionsregierung der Unterstützung der Bürokratie rühmen konnte. Ein entsprechender Vorbehalt wurde zwar auch in der Pfalz formuliert, „um sich mit dieser Modifikation aus

1678 Der Landesvertheidigungs-Ausschuß an den Adressaten: LA Speyer, Best. J1, 101 II. 1679 Vollmacht des RV u. des interim. RMI, 5.5.1849. – In: Intelligenzblatt (wie Anm. 1668) 34 ½ (1849) 248. 1680 Vgl. J. Keddigkeit: Landesverteidigungsausschuß (wie Anm. 1667) 22. 1681 Hippel, Wolfgang von: Revolution im deutschen Südwesten: Das Großherzogtum Baden 1848/49. – Stuttgart 1998. – (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs; 26) 326.

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der Schusslinie zu bringen“.1682 Doch betraf dieser lediglich den Eid auf die Reichsverfassung; auf die provisorische Regierung schworen daher nur wenige. Indem die Reichsgewalt die versuchte Umpolung der Bürokratie auf die Revolutionsorgane untersagte, handelte sie ganz im Interesse der bayerischen Regierung. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Reichsverweser und -ministerpräsident den LVA in gewisser Anerkennung als „hervorgegangen aus Wahlen einer Volksversammlung“1683 bezeichneten, während dieser laut dem pfälzischen Regierungspräsidenten Franz Alwens freilich „aller gesetzlichen Grundlage entbehrt[e]“, da nur von einer bestimmten „Fraction der pfälzischen Bevölkerung (…) bestellt“1684. Mit der Vollmacht ausgestattet, die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung oder Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung zur treffen, revidierte Eisenstuck allerdings nicht etwa die Beschlüsse des LVA, sondern bestätigte das Organ am 7. Mai vielmehr ausdrücklich als „Landesausschuß für Verteidigung und Durchführung der Reichsverfassung“ und erklärte dessen Permanenz „bis zu vollständiger Durchführung der Reichsverfassung in der Pfalz“.1685 „Das hieß Oel in die Flammen gießen“1686, stellten die bayerischen Verfolgungsbehörden später fest, war dies doch eine Konterkarierung des proklamierten gesetzlichen Vorgehens. Sowohl die Eingriffe in die Landesgesetze als auch in die königliche Administration und Verwaltung waren offenkundig. Die Kreisregierung musste sich gar nicht groß über Eisenstuck empören, da das Urteil über ihn zu diesem Zeitpunkt längst gesprochen war. In einem Schreiben vom 8. Mai 1849 erteilte von Gagern ihm im Namen des Reichsministeriums nicht nur eine scharfe Rüge ob der Überschreitung seiner Vollmacht, sondern forderte ihn ferner auf, „schleunigst den rechtlichen Gesichtspunkt wieder herzustellen“.1687 Als keine wesentlichen Maßnahmen zur Erfüllung des Geheißes sichtbar wurden, berief der Reichsverweser den Reichskommissar am 10. unter Bezug auf die Unvereinbarkeit der Erlasse Eisenstucks mit den „die Durchführung der Verfassung betreffenden 1682 Ziegler, Hannes: Gebremste Reaktion: Die Antwort der bayerischen Regierung auf die Pfälzer Mairevolution von 1849. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 I (wie Anm. 1657) 221–262, hier 231. 1683 Vollmacht des RV u. des interim. RMI, 5.5.1849 (wie Anm. 1679) 248. 1684 Bekanntmachung des Regierungspräsidenten Alwens, 22.5.1849. – In: Intelligenzblatt (wie Anm. 1668) 34 ½ (1849) 247. 1685 Bekanntmachung von Rk. Eisenstuck, 7.5.1849. – In: Intelligenzblatt (wie Anm. 1668) 34 ½ (1849) 249. 1686 Requisitorium (wie Anm. 1671) 15. 1687 Schreiben von Gagerns an Rk. Eisenstuck, 8.5.1849. – In: Intelligenzblatt (wie Anm. 1668) 34 ½ (1849) 249f.

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Beschlüssen der Nationalversammlung und mit der rechtlichen Stellung der Centralgewalt“1688 ab. Die radikalen Verfechter der Reichsverfassungskampagne erkannten in der Abberufung Eisenstucks den „Todesstoß“1689 für die Bewegung: Die „größte Niedergeschlagenheit“ habe sich in dem Moment breitgemacht, als man sich „von der Centralgewalt (…) verrathen“ sah, klagte Christian Zinn, der Kaiserslauterer Kommandeur des Sensentrupps.1690 3.3 Revolutionärer Fatalismus und offener Separatismus Nachdem sich Frankfurt deutlich positioniert hatte, blieben für die Revolutionäre noch zwei Optionen bestehen: „Aufgeben aller Errungenschaften der Revolution und Zurücksinken in die vormärzliche Knechtung, (…) [oder] Kampf gegen die wortbrüchigen Fürsten.“ Die Protagonisten seien es dem Volke schuldig gewesen, den „Fehdehandschuh der Fürsten aufzunehmen“ und für die Verwirklichung der verheißenen Grundrechte zu streiten, begründete Zinn später die Entscheidung zum fatalistischen Kampf.1691 Während die Aufstellung eines militärischen Aufgebots und erste bewaffnete Unternehmungen auf strategisch relevante Orte versucht wurden, sollte gleichzeitig die politische Bewegung fortentwickelt werden. Bereits am 13. Mai erging ein Schreiben des Landesausschusses an alle Kantonalausschüsse, in dem die Auffassung verbreitet wurde, dass es „zur Erhaltung der Sicherheit und Freiheit der Pfalz unabweisbar [scheine], eine provisorische Regierung zu bilden.“1692 Daher sollten schleunigst Wahlen abgehalten werden, um die daraus hervorgegangenen Repräsentanten der Kantone („Vertrauensmänner“) schon am 17. nach Kaiserslautern schicken zu können. Dort sollten – wenig kryptisch formuliert – „die erforderlichen Beschlüsse“1693 gefasst werden. Zu diesem Zeitpunkt schieden mit Heinrich Didier und Karl Wilhelm Schmidt zwei LVA-Mitglieder offiziell aus. Didier war ein reicher Gutsbesitzer, der die Pläne zur Gründung einer provisorischen Regierung missbilligte. Der ebenfalls gemäßigte K.W. Schmidt hatte seinen Eintritt in den LVA wie Didier mit der Notwendigkeit erklärt, eine Wahl der Extremisten um Heinrich Loose vorzubeugen.1694

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Verfügung des RV, 10.5.1849. – In: Intelligenzblatt (wie Anm. 1668) 34 ½ (1849) 250f. C. Zinn: Erhebung (wie Anm. 1666) 36. Ebenda 37. Ebenda 39. RS LVA an alle Kantonalausschüsse, 13.5.1849: Requisitorium (wie Anm. 1671) 29. Ebenda. Vgl. Requisitorium (wie Anm. 1671) 36f.

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Am Vortrag der Delegiertenversammlung, dem 16. Mai 1849, schwor eine weitere große Volksversammlung in Kaiserslautern die Kantonsvertreter auf das Ziel ein, „eine provisorische Regierung [zu] ernennen und die Pfalz für reichsunmittelbar“1695 zu erklären. In bewusstem Fatalismus führten die Republikaner im LVA die pfälzische Bewegung in den offenen Aufstand: „Wir glauben, morgen diese Thatsache als geschehen melden zu können, da es ohnehin einen Rückweg für das Land nicht mehr gibt.“1696 Parallel dazu betrieb der Kaiserslauterer Bote eine unablässige und scharfe separatistische Propaganda. Eine Sammlung bekannter Phrasen vom „tausendfachen Verrat“ der Fürsten endete mit dem Appell: „Sprecht es aus mit einem muthigen Worte: ‚Die Pfalz ist von heute an reichsunmittelbar!’“1697 Mit ihrem Vorstoß sahen sich die pfälzischen Rebellen im Zentrum einer nationalen republikanischen Bewegung gegen Preußen als „Erbfeind der deutschen Freiheit“1698. Soweit die fatalistische Propaganda. Im Rahmen der Versammlung selbst, am 17. Mai 1849, halfen die Separatisten im LVA noch verschiedentlich nach: Sie ließen den badischen Gesandten Friedrich Schütz das Angebot eines „innige[n] Schutz- und Trutzbündnis[ses]“ mit den erfolgreichen Geistesgenossen im Süden überbringen, das als Vereinigung zum vaterländischen „Kampf des Volkswillens mit der Despotie“1699 freudig begrüßt wurde und perfekt zum Selbstverständnis der pfälzischen Republikaner passte. Hinzu kam eine handfeste Einschüchterungstaktik unter Anleitung des Volkswehrkommandanten Daniel Fenner von Fennerberg, der seine bewaffneten Männer innerhalb und außerhalb der Fruchthalle Radau schlagen ließ, sodass die Erwartungshaltung überdeutlich wurde. Dass das Votum der Wahlmänner laut und auf offener Bühne abgefragt wurde, trug unter diesen Umständen sicher nicht zu einem möglichst objektiven Abstimmungsergebnis bei. Schließlich leistete Martin Reichard noch Überzeugungsarbeit mit der Mitteilung, dass 1695 1696 1697 1698

Ebenda. Ebenda. Bote für Stadt und Land 97 (1849) 385. „Wer übrigens glauben wollte, daß die Bewegung noch eine lokale, rein pfälzische sei, der würde sich täuschen. Der Beschluss des Nachbarstaates Baden, wo der republikanische Geist längst Wurzel gefaßt hat, treibt sie über die Grenzen einer […]lichen Opposition heraus und muß den bevorstehenden Kampf zu einem entscheidenden für ganz Deutschland steigern. Die Vorkämpfer der Freiheit erkennen diese Stellung der Pfalz. Im Hauptquartier sammeln sich Sachsen, Rheinpreußen und Polen, um den Streit gegen den Erbfeind der deutschen Freiheit, gegen Preußen und seine Militärtyrannei zu wenden. Namentlich werden die Gemüther entflammt durch die Berichte der hier anwesenden Sachsen, der Bürger Jäkel (…) über die Greuelscenen in Dresden, deren Augenzeugen sie selbst gewesen sind.“ Bericht aus der Pfalz II (1849): LA Speyer, Best. J1, 128. 1699 Ebenda.

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der seit seiner Pfalz-Mission äußerst populäre ehemalige Reichskommissar Eisenstuck zur Einsetzung einer provisorischen Regierung geraten habe1700 – offenbar eine rein taktische Falschbehauptung.1701 Bei der derart forcierten Abstimmung sprach sich letztlich eine geringe Mehrheit von 15 zu 13 Stimmen für die Einsetzung einer provisorischen Regierung aus.1702 Trotz aller unverhohlenen Ankündigungen im Vorfeld betonten die im späteren Revolutionsprozess geladenen Zeugen später unisono, dass weder die Zuhörer noch die Vertrauensmänner über die Ziele der provisorischen Regierung eine klare Vorstellung gehabt hätten: „Übrigens war in allen Reden über die provisorische Regierung keine Sprache von einer Lostrennung von Bayern, aber davon, daß man damit ein definitivum bezwecke. Erst nach dem Wahlakte bemerkte Reichard: ‚Jetzt sind wir losgetrennt von Bayern, jetzt haben wir eine Republik.“1703 Ob als Schutzbehauptung vor dem Richterstuhl oder wahrhaftiges Bekenntnis – die exemplarische Aussage zeigt, wie das knappe Abstimmungsergebnis, dass über die Strategie der pfälzischen Reichsverfassungsbewegung große Uneinigkeit herrschte. Und selbst wenn die sezessionistische Zielsetzung dem Elektorat bekannt gewesen ist, so war weniger Zustimmung als Einschüchterung die Basis des Votums: „Mit geschickter Versammlungsstrategie und gezieltem Druck hatten die Männer des Landesausschusses durchaus Erfolg: Die Wahl einer Provisorischen Regierung war der denkbar knappe Sieg eines auf Unwahrheit basierenden ‚gelinden Terrorismus‘, der bei großen Teilen der pfälzischen Bevölkerung einen erheblichen Vertrauensverlust nach sich zog.“1704 3.4 Das Ende aller konstitutionellen Hoffnungen Der ideologische und physische Druck zeigte auch noch nach der Abstimmung Wirkung: Die Unterlegenen leisteten keine offene Gegenwehr, sondern reichten eine Erklärung ein, wonach sie „mit der Einsetzung einer provisorischen Regierung für die Pfalz, um (…) der Erhebung zu Gunsten der Reichsverfassung eine energische einheitliche Leitung zu geben, grundsätzlich einverstanden seyen“, sie aber lieber eine endgültige Verlautbarung der bayerischen Krone abgewartet hätten. Nach dem Mehrheitsbeschluss über die „sofortige 1700 Ebenda. 1701 R.M. Schneider; H. Ziegler: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 1675) 164. 1702 Vgl. Protokoll über die Verhandlungen der durch den Landesausschuß zusammenberufenen Volksvertretung für die Pfalz vom 17.5.1849, vormittags: LA Speyer, Best. J1; 106 I, Bl. 15. 1703 Vgl. Aussage des Zeugen Jakob Kaul. – Sitzungsprot., 21.3.1851 zum Prozess gegen Munzinger, Gelbert, Friedrich und Hoster: LA Speyer, Best. J1, 141, Bl. 75f. 1704 R.M. Schneider; H. Ziegler: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 1675) 168.

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Einsetzung einer provisorische Regierung“ würden sie diese „mit voller Hingebung unterstützen“.1705 Allerdings „konterkarierten die Delegierten ihre erste Entscheidung“1706, indem sie bei der anschließenden Wahl der Mitglieder die gemäßigten Landtagsabgeordneten einsetzen wollten. „Die Partei der Furchtsamen hat hier wieder sich geltend gemacht,“ urteilte Schütz in seiner nachmittäglichen Depesche an Lorenz Brentano, den Vorsitzenden der revolutionären badischen Exekutivkommission, da mit Schmitt, Fries und Greiner „drei der tüchtigsten Männer und Mitglieder des bisherigen Ausschusses“1707 nicht durchgegangen waren. Nachdem allerdings von den fünf Gewählten – Reichard (28 Stimmen), Hepp (21), Culmann (23), Schüler (21) und Kolb (19) – die drei Letzteren nicht anwesend waren, wurden die oben genannten „Freunde der Sache“1708 als Ersatzmänner nachgewählt, die bis zu deren Eintreffen als Mitglieder der provisorischen Regierung fungieren sollten.1709 Nach der verweigerten Annahme der Wahl durch die in – wohl bewusster – Abwesenheit ordentlich gewählten liberalen Parlamentarier blieben die Ersatzleute dauerhaft in ihren Ämtern. Damit erhielten die radikalen Kräfte ein deutliches Übergewicht in der provisorischen Regierung und konnten ihren separatistischen Fahrplan ungestört verfolgen.1710 Einvernehmlich war dieser Kurs, der einen Bruch mit pfälzischen Deputierten in München darstellte, aber deshalb noch lange nicht. Vielmehr offenbarte sich die große Minderheit der 13 Wahlmänner mit dem Argument, erst die endgültige Antwort des Königs auf die pfälzischen Forderungen abwarten zu wollen, weiterhin als Anhänger eines konstitutionellen Weges, die bis zuletzt auf die Arbeit der renommierten Parlamentarier vertrauten. Am  17. Mai 1849 war nämlich zugleich eine Landtagssitzung anberaumt, von der sich die liberalen Pfälzer Zugeständnisse der Staatsregierung erwartet hatten. Die Dominanz in der Kammer hatte den Konstitutionellen „keinerlei Anlass [geboten], den parlamentarischen Weg zu verlassen“1711, und ihren Parteigängern in der Heimat das ablehnende Votum diktiert.

1705 Vgl. Prot. über die Verhandlungen der Volksvertretung f. d. Pfalz (wie Anm. 1702) Bl. 15. 1706 W. Kreutz: Diskussionsbeitrag (wie Anm. 1664) 109. 1707 Depesche Schütz’ an Brentano, 17.5.1849, 16.30 Uhr. – In: Requisitorium (wie Anm. 1675) 45. 1708 Ebenda. 1709 Vgl. Prot. über die Verhandlungen der Volksvertretung f. d. Pfalz (wie Anm. 1702) Bl. 15. 1710 Vgl. Kleßmann, Christoph: Zur Sozialgeschichte der Reichsverfassungskampagne von 1849. – In: Historische Zeitschrift 218 (1974) 283–337, hier 306f. 1711 W. Kreutz: Diskussionsbeitrag (wie Anm. 1664) 110.

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Die knappe Niederlage in der Heimat war für die Gemäßigten insofern verhängnisvoll, als die Einsetzung der provisorischen Regierung der Pfalz der „Regierung von der Pfordten den entscheidenden Vorwand lieferte, um ihre parlamentarische Niederlage abzuwenden“1712: Auf den Antrag Kolbs hin hatte sich die Kammer in einer Adresse für die Reichsverfassung ausgesprochen; daraufhin versuchte die Staatsregierung, die Pfälzer mit Verweis auf den Aufstand im linksrheinischen Bayern auszuschließen1713 und veranlasste auf die allgemeine Solidaritätsbekundung der Kammer hin schließlich die Auflösung des Landtags. Erst damit versiegten alle Hoffnungen auf eine parlamentarische Lösung.1714 Das Vabanquespiel zwischen Staatsregierung und der linken, von Pfälzern dominierten Kammermehrheit scheint die ganze Aufmerksamkeit beider Seiten gefordert zu haben und erklärt damit zum einen das lethargische Verhalten der Obrigkeit. Offenbar konnte sie sich angesichts des parlamentarischen Aktionismus der pfälzischen Abgeordneten gar nicht vorstellen, dass in deren Heimat tatsächlich andere Kräfte das Ruder übernommen hatten. Zum anderen markiert das bewusste Ausscheiden der Vertreter des bürgerlichen Liberalismus eine Zäsur: Solange sich das Streben der Freiheitsfreunde an der Nationalversammlung, deren Arbeit gerade frühliberalen Denkern sakrosankt galt, und der erstrebten gesamtdeutschen Konstitution ausrichtete, war ihr Kampf zurecht als „Reichsverfassungskampagne“ zu bezeichnen. Die enttäuschte Verdammung der Paulskirche, die Missachtung aller Weisungen der Provisorischen Zentralgewalt und unmissverständliche Vorbereitungen zur bewaffneten Rebellion durch die radikalen Republikaner bewirkten sogar bei den Akteuren eine erschreckte Abkehr, die – wie Kolb – über zwei Jahrzehnte hinweg leidenschaftlich für die Freiheiten der Pfälzer gestritten hatten.

1712 Ebenda. 1713 Amts- und Intelligenzblatt der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 7 (1849) 48. Die provisorische Regierung verkündete am 27. Mai die versuchte Ausschließung der pfälzischen Landtagsabgeordneten von den Verhandlungen der zweiten Kammer, nachdem diese sich „für die unbedingte Geltung der deutschen Reichsverfassung und die sofortige Entfernung des widerstrebenden Ministeriums ausgesprochen“ hatten. Für die Anhänger des straffen Kurses war diese Entwicklung eine willkommene Gelegenheit, den Zauderern vom 17. Mai eine Breitseite zu geben und den Glauben an eine diplomatische Umkehrung der „rebellischen Widerspenstigkeit“ des Monarchen als Hirngespinst darzustellen. Die kgl. Reg. habe „nun selbst alle diese Hoffnungen zerstört“, weshalb es „um so dringender die Pflicht eines jeden Pfälzers [sei], (…) die Anordnungen und Maßnahmen der provisorischen Regierung zu unterstützen.“. 1714 W. Kreutz: Diskussionsbeitrag (wie Anm. 1664) 111.

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3.5 Stärken und Schwächen der provisorischen Regierung der Pfalz Bei aller Begeisterung für Freiheit und Einigkeit, die das starke Vereinswesen der Pfalz durchströmte,1715 fehlte der provisorischen Regierung dennoch das „Momentum“ – eine einheitliche, klare und packende Vision, die geeignet gewesen wäre, die Bevölkerung zusammenzuschweißen und hinter sich zu sammeln. Gleiches gilt für die Suche nach Koalitionen in Deutschland, die durch überraschende und überzeugende Unterstützung den Glauben an die Erfolgsaussichten des Aufstands hätten stärken können. So sehr man auch nach Trümpfen für die Aufständischen sucht, die über Sympathiebekundungen hinausgehen: Dort war nichts. Respektabel war immerhin der kühn und geschickt orchestrierte Veranstaltungsreigen am Monatswechsel von April auf Mai 1849, mit dem die öffentliche Empörung über die Ablehnung der Reichsverfassung immer weiter gesteigert und auf die Absichten der Aufständischen hin kanalisiert wurde. Wirklich erfolgreich waren die separatistischen Radikaldemokraten aber nur darin: im Streit um die Einsetzung der provisorischen Regierung und in deren Besetzung. Für einen bewaffneten Kampf um die Gültigkeit der Reichsverfassung oder gar die Reichsunmittelbarkeit der Pfalz waren die Aufständischen zu keinem Zeitpunkt gewappnet. Der revolutionären Exekutivgewalt stellten sich mehrere auswärtige Freischaren mit rund drei- bis viertausend Mann zur Verfügung; sie wurden überdies mit einigen Deserteuren der königlichbayerischen Armee verstärkt. Hier enden aber die Stärken des pfälzischen Revolutionsregimes im Wesentlichen. Die Schwächen dagegen waren zahlreich. So war der kompromisslose Separatismus der Aufständischen schon allein aus taktischen Gründen äußerst unklug: Die Missachtung der angesehenen pfälzischen Abgeordneten schmälerte nicht nur die Rückendeckung in der Heimat, sondern machte sowohl in München als auch in Frankfurt deutlich, dass die provisorische Regierung nicht die gesamte politische Öffentlichkeit der Pfalz vertrat. Auch rein pragmatisch war es stümperhaft, die Provisorische Zentralgewalt erst im Nachgang der Beschlüsse des 17. Mai zu informieren, anstatt sich vorab über Möglichkeiten abzustimmen, aus der Fläche heraus Druck auf die Einzelstaaten zur Annahme der Reichsverfassung auszuüben. In Bezug auf die innere Organisation stand die provisorische Regierung vor einem großen Dilemma: Einerseits musste sie mit wenig Geld, wenig Personal 1715 Schneider, Regina M.; Hannes Ziegler: Zur Geschichte des pfälzischen ‚Landesverteidigungsausschusses zur Durchführung der Reichsverfassung und Organisation der Volksbewaffnung (2.–16. Mai 1849). – In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 117 (2019) 305–349.

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und wenig Ressourcen schnell und konsequent die Verwaltung des ganzen Kreises übernehmen, andererseits aber den Ansprüchen auf basisdemokratische Partizipation gerecht werden. Das musste scheitern: So wenig die Nationalversammlung Unruhen in den Ländern gebrauchen konnte, während sie für ihr konstitutionelles Einigungswerk stritt, so wenig Kapazitäten hatte die provisorische Regierung, kantonale Partikularinteressen zu berücksichtigen. Selbstverständlich war eine straffe Regentschaft nötig. Dieser Zentralismus lähmte aber wiederum die Motivation an der Basis: So mancher Ortsverein sah sich selbst als überflüssig und dachte an Auflösung,1716 gerade als es am nötigsten gewesen wäre, die revolutionäre Begeisterung stetig durch korporative Basisarbeit zu schüren. Außenpolitisch bauten die Aufständischen nichts weiter als Luftschlösser: Entgegen der euphorischen Ankündigung des Bündnisses mit Baden, das mit zum Votum für die Einsetzung der provisorischen Regierung beigetragen hatte, zeitigte der Zusammenschluss keinerlei praktische Vorteile für die Pfalz. Die badischen Revolutionäre hatten schlicht andere Prioritäten, als sich um das linksrheinische Bayern zu kümmern, von wo aus keine Hilfe, dafür aber umso mehr Hilferufe zu erwarten waren. Die Militärorganisation gehörte, mit Ausnahme der recht autark und in sich gut organisierten Freischaren, ansonsten zu einer wesentlichen Schwachstelle: Allein numerisch konnte nicht von einem schlagkräftigen Kampfverband gesprochen werden. Ausgerechnet der Präsident der Versammlung zur Einsetzung der provisorischen Regierung, Friedrich Walz, hatte sich in deren Rahmen öffentlich gegen das prononcierte Ziel ausgesprochen, indem er rhetorisch fragte, ob man „mit ein paar hundert Überläufern Revolution zu machen gedenke“1717. In der einfachen Bevölkerung der Pfalz war der Wille, sich für die Volkswehr rekrutieren zu lassen, sehr schwach ausgeprägt; der Großteil der jungen Männer habe an „den Haaren herbeigezogen werden“1718 müssen, ätzte der Frankfurter Freischarenführer Ludwig Bamberger. Zudem begann die Aufstellung einer pfälzischen Volkswehr mit der Blamage, dass die Rolle des Oberkommandanten vom dazu feierlich auserkorenen Schweizer General Guillaume Henri Dufour rundweg abgelehnt wurde.1719 Das eifrig betriebene Aufgebot sollte bis zuletzt am Fehlen geeigneten Personals kranken. Und schließlich mangelte es auch so anhaltend an der nötigen Ausrüstung, dass 1716 R.M. Schneider; H. Ziegler: Provisorische Regierung der Pfalz (wie Anm. 1675) 178ff. 1717 Ebenda 164. 1718 Bamberger, Ludwig: Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung im Mai und Juni 1849. – Frankfurt a. M. 1849, 44. 1719 Meyer, Markus: Die Revolution 1848/49 in der Pfalz. – Neustadt a. d. Weinstraße 2021, 156f.

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etwa der Freischarenführer Christian Zinn, immerhin selbst Pfälzer, nur Sensenmänner befehligen konnte. Einem Militärstaat wie Preußen konnten die pfälzischen Aufständischen keinerlei Paroli bieten. 3.6 Das preußische Eingreifen Ausgerechnet vom „Erbfeind der deutschen Freiheit“1720 wurde die Pfalz schließlich überrannt: Am  3. Juni 1849 beschloss das preußische Staatsministerium „[s]ofortige militärische Operationen gegen die bayerische Pfalz durch Rheinhessen und baldiges Einschreiten gegen Baden.“1721 Eine enge Abstimmung mit Bayern fand im Vorfeld nicht statt. Immerhin hielt die preußische Regierung fest, dass „der bayerischen Regierung wie auch dem Reichskriegsministerium das militärische Einschreiten anzukündigen (…) [und die] Genehmigung des Königs (…) zu den bedachten militärischen Operationen noch heute“1722 einzuholen war. Ein militärisches Hilfegesuch bestritt die bayerische Staatsregierung vehement; von der Pfordten sollte diese preußische Version später mit deren nachträglichen Entschädigungsforderungen erklären.1723 Busley konnte anhand des diplomatischen Notenwechsels zwischen München und Berlin jedoch darlegen, dass sich der Regent und seine Minister in München nicht einig waren, ob man die Niederschlagung des Aufstandes selbst wagen oder zu einer Bundesangelegenheit erklären und preußische Hilfe beanspruchen sollte.1724 Für die bayerische Staatsregierung war dieser militärische Eingriff von außen eine äußert missliche Situation: Einerseits konnten sie den Preußen dankbar sein, dass diese die Ruhe und Ordnung wiederhergestellt hatten; andererseits waren militärische Operationen einer auswärtigen Macht auf ihrem souveränen Territorium freilich ein Affront, eine Blamage, ein Zeichen der eigenen Schwäche und Geringschätzung der Großmacht. Die Bayern wollten daher möglichst bald wieder Herr im Haus sein. In diese Richtung gingen die „Erklärungen seitens Bayern zum Einwirken der preußischen Truppen in Rheinbayern“1725. Über die bayerischen Absichten informierte der preußische 1720 Bericht aus der Pfalz II (wie Anm. 1698). 1721 Pr. Staatsmin. vom 3.6.1849: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums: 1817–1934/ 38. – Bd. 4,1: 30. März 1848 bis 27. Oktober 1858 / bearb. von Bärbel Holtz. – Hildesheim [u. a.] 2003. – (Acta Borussica: Neue Folge; 1,4,2) Nr. 67. 1722 Ebenda. 1723 Vgl. Busley, Hermann-Joseph: Bayern und die Revolution der Pfalz. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49 I (wie Anm. 1657) 323–381, hier 349ff. 1724 Ebenda 350f. 1725 Pr. Staatsmin. vom 16.6.1849: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 1721) Nr. 80.

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Ministerpräsident Friedrich Wilhelm von Brandenburg seine Kabinettskollegen am 16. Juni 1849. Der Ministerrat beschloss daraufhin, dass ein „preußischer Rückzug aus der bayerischen Pfalz […] vor erfolgter Pazifizierung (…) ebensowenig in Frage [kam] wie die vorgeschlagene Unterstellung preußischer Bataillone […] unter bayerischen Oberbefehl.“1726 Im Gegenteil schlug die preußische Regierung sogar eine Ausweitung der eigenen Truppenpräsenz in der Pfalz vor, indem „2 Bataillone zur Verstärkung der Garnison von Landau verwendet und zwei weitere an der preußischen Grenze aufgestellt werden [könnten], um nötigenfalls dem bayerischen Truppenkorps in der Pfalz Hilfe zu leisten.“1727 Dieser preußische Einsatz im südwestdeutschen Krisenherd war alles andere als ein Freundschaftsdienst zwischen zwei deutschen Monarchien. Vielmehr nutzte die deutsche Hegemonialmacht die Niederschlagung der Reichsverfassungskampagne erstens zur Machtdemonstration. Sowohl im Wettstreit mit Österreich als auch gegenüber der Provisorische Zentralgewalt konnte Preußen deutlich zu machen, wer in Deutschland Herr über Sicherheit, Ordnung und das monarchische Prinzip war. Mit beiden Seiten fand ausdrücklich keine Abstimmung über das Vorgehen statt. Das Ziel war nicht etwa die Niederwerfung des Aufstandes allein, sondern ein Exempel preußischer Macht zu statuieren. Mit der länger als nötig währenden Besetzung der Pfalz hatte Preußen zudem ein Faustpfand in der Hand, um Bayern als bedeutendste süddeutsche Mittelmacht in sein Projekt der Erfurter Union zu zwingen. Gescheitert sind diese Bestrebungen maßgeblich am Widerstand von der Pfordtens, der darauf beharrte, dass Österreich eingebunden werden müsse und Bayerns Würde und Selbstständigkeit sich nicht mit der von Preußen vorgelegten Verfassung vertrügen.1728 Zweitens richtete die preußische Regierung im Oktober 1850 eine Entschädigungsforderung an Bayern.1729 Ein halbes Jahr später legte die bayerische Regierung ein Vergleichsangebot vor, womit „diese einen Teil der bei der Pazifikation der bayerischen Rheinpfalz für Preußen entstandenen Kosten“1730 zu übernehmen bereit war. Der bereits vom König abgesegnete Vorschlag wurde vom preußischen Kabinett „ohne Vorbehalt“ angenommen.1731 1726 1727 1728 1729 1730 1731

Ebenda. Ebenda. Vgl. M. Meyer: Die Revolution 1848/49 in der Pfalz (wie Anm. 1719) 218ff. Vgl. Pr. Staatsmin. vom 12.10.1850: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 1721) Nr. 197. Pr. Staatsmin. vom 16.5.1851: Prot. Pr. Staatsmin. 4/1 (wie Anm. 1721) Nr. 254. Vgl. ebenda.

384 4.

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Fazit

Die Reichsverfassungsbewegung in der Pfalz war bis zu ihrem Höhepunkt im Mai 1849 programmatisch und methodisch zerrissen. Für den bürgerlichen Liberalismus, der den gesamten Vormärz bis hinein in den Aufstand dominierte, war der Separatismus keine Methode, die Erfolg auf dem Weg zu mehr politischer Teilhabe verheißen hätte. Es war die Reichsverfassung, die als Grundlage bürgerlicher Rechte und Freiheiten galt und Basis für eine weitere partizipatorische Entwicklung sein sollte. Für die provisorische Regierung galt dies umgekehrt: Die Abspaltung von Bayern sollte den Prozess der Demokratisierung deutlich beschleunigen. Die in der Reichsverfassung verankerten Grundrechte wurden als Zwischenschritt gesehen, die es allein noch nicht wert waren, eine Revolution zu starten. Sie wollten mehr: eine Republik ad hoc. Trotz dieser grundlegenden Unterschiede in der politischen Methode wurden beide Lager später juristisch verfolgt. Gnade erhielten nur jene, die sich als Opfer der Initiatoren bekannten und ihre politische Motivation damit verleugneten: In der Proklamation Maximilians II. vom 10. Juni 1849 wurde die monarchische Deutung in größtmöglicher rhetorischer Dichte verlautbart. Eingangs bedauert der König mit „tiefem Kummer“, dass der Einsatz von Gewalt gegen den „politischen Fanatismus“ nötig geworden war, um die Pfalz vom „Unglück (…) dieser gesetzlosen Herrschaft“ zu befreien und die Ordnung im Sinne „der große[n] Zahl an Gutgesinnten“ wiederherzustellen.1732 An Letztere richtet der väterliche Monarch seinen Appell zur tatkräftigen Mitwirkung an der Restauration und charakterisiert dadurch die Bewegung: „Verstoßt aus Eurer Mitte jene Fremdlinge, welche Eure Wohlfahrt ihren eigennützigen Absichten aufopfern. Wendet Euch ab von den Verläumdern, welche Euch vorspiegeln möchten, daß Ich die meinem Volk gegebenen feierlichen Zusagen nicht erfüllen, daß Ich der freien Entwicklung des Staatslebens entgegentreten könnte. (…) Pfälzer! vertraut den Worten Eures Königs! Er sieht in Euch, mit Ausnahme weniger Verführer, keine Feinde, sondern Verirrte. Die Feinde mögen der verdienten Strafe verfallen, den Verirrten wird Er zu verzeihen wissen.“1733

1732 LA Speyer, Best. U133, Nr. 34. 1733 Ebenda.

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Die Sprachregelung, die die Mehrheit der Aufständischen als Opfer eines Haufens von fremden, selbstsüchtigen Lügnern porträtierte, stand schon fest, bevor das Gros der Verhöre durchgeführt wurde. In diesen diskursiven Bahnen wurde gefragt, nachgeforscht und schließlich geurteilt. Verirrte Mitläufer, als die alle Sympathisanten des Aufstands stigmatisiert wurden, können keine Überzeugungstäter, keine Helden sein. Mit der harten Verfolgung auch liberaler Protagonisten wurde der Glaube an die Rechtmäßigkeit der monarchischen Souveränität wiederhergestellt. Die „Reaktionszeit“ hatte begonnen.

Fazit

Zentralgewalt und Provisorische Regierungen in der deutschen Revolution Karsten Ruppert 1.

Der Charakter der Zentralgewalt

Mit der Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland hatte die letzte Einrichtung der revolutionären Aufbruchsstimmung des März 1848 ein Ende gefunden, das in ihr von Anfang an angelegt gewesen war. Sie hatte die Legalisierung der bürgerlichen Revolution durch Institutionen abgeschlossen und war in dieser Funktion von der Bevölkerung begrüßt worden. Diese Euphorie hatte aber zur Folge, dass sich die Nationalversammlung keinerlei Gedanken über die Ausstattung einer solchen Regierung gemacht hat. Es wurde unterstellt, dass sie als eine Einrichtung des souveränen Volkswillens ihre Position über den deutschen Einzelstaaten würde behaupten können. Doch es sollte sich schnell erweisen, dass über die Beziehungen zwischen den alten Gewalten und der neuen Macht nicht die höhere Legitimation, sondern die realen Machtmittel entscheiden würden. Die Zentralgewalt hat zu keinem Zeitpunkt den Gang des Geschehens in ihrem Sinne steuern können. Sie stand nicht über ihm, sondern wurde in dieses hineingerissen. Ihre Wandlung von einem Werkzeug des Volkes zu einem der Regierungen spiegelt diese Entwicklung wider. Dazu wurden die rechtlichen Probleme völlig ignoriert, die dadurch aufgeworfen wurden, dass die Exekutive eines Reiches installiert wurde, das es überhaupt noch nicht gab. Dennoch haben sie sich während des Bestehens der Zentralgewalt immer wieder gestellt. Die Bundesstaaten wie auch Regierungen des Auslands nahmen sie gerne zum Vorwand, um mit Berufung auf die zweifelhafte Legitimität unliebsame Forderungen zurückzuweisen oder zu unterlaufen. Die Provisorische Zentralgewalt war eine Institution des parlamentarischen Regierens eigener Art. Da sie kein Vertrauensvotum benötigte, war sie nicht unmittelbar auf den Rückhalt der Abgeordneten angewiesen. Doch wurde zumindest bis zum Mai 1849 darauf geachtet, die Regierung nicht gegen das Parlament zu bilden. Allerdings hat das Reichsministerium mit Rückhalt am Reichsverweser schon früh gegenüber der Nationalversammlung eine relativ unabhängige Stellung gewonnen. Der Frankfurter Parlamentarismus hatte nach demokratischen Maßstäben eine neue Qualität gegenüber dem bisher in den Bundesstaaten praktizierten. Im Vergleich mit den Nationalversammlungen in

© Brill Schöningh, 2023 | doi:10.30965/9783657791033_007

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Karsten Ruppert

Berlin und Wien war das Verhältnis zwischen der Nationalversammlung und der Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland das parlamentarischste. 2.

Der Reichsverweser

Die Schaffung der Institution eines Reichsverwesers und deren Besetzung mit einem habsburgischen Agnaten hat eine historische Bedeutung erlangt, die immer noch weitgehend verkannt wird. Für die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung lag es nahe, die Regierung nach dem ihnen vertrauten Muster der konstitutionellen süddeutschen Bundesstaaten zu bilden. Dabei ist aber aus der Situation des Juni 1848 heraus zu wenig beachtet worden, welches Potenzial in der quasi monarchischen Stellung des rechtlich nicht verantwortlichen Reichsverwesers lag. Die Wahl von Erzherzog Johann in dieses Amt basierte auf der Annahme, dass seine politischen Vorstellungen und Intentionen mit denen der Mehrheit der Nationalversammlung nicht im Widerspruch standen. Das war schon damals mehr Vermutung als Gewissheit. Johann hat zunächst sein Amt, wie von ihm erwartet, zurückhaltend ausgeübt. Doch je mehr die bürgerliche Revolution in eine Krise geriet und zersplitterte, umso bedeutender wurde seine Position. Es war das Eigenartige, das nicht wenig zur geringen Beachtung beigetragen hat, dass die Wirkung nicht von Aktivitäten ausgelöst wurde, dass vielmehr Vorhandensein und Reagieren genügten. Dabei wurde die Unabhängigkeit immer gewichtiger, die das Amt dadurch gewonnen hatte, dass Johann darauf bestanden hatte, dass er nicht nur durch eine revolutionäre Institution, die Nationalversammlung, sondern auch durch die Vertreter der Fürsten in der Bundesversammlung legitimiert wurde. Darauf hatte der Erzherzog viel mehr aus monarchischem Traditionsdenken als aus politischem Kalkül bestanden. Durch die Umstände nachhaltig begünstigt, konnte er so das Scheitern der von der Regierung Gagern angestrebten kleindeutschen Lösung der nationalen Frage und der Reichsverfassung mit herbeiführen. Gagern war zum Opfer der Institution geworden, die er geschaffen, und der Person, der er sie übertragen hatte! Er musste sich jetzt fragen, ob es nicht eine politische Torheit gewesen war, einen österreichischen Erzherzog zum Reichsverweser wählen zu lassen, wenn er von Anfang an eine kleindeutsche Lösung unter preußischer Führung anstrebte. Hingegen war es ganz Johanns Einsatz zu verdanken, dass Preußen die Chance verbaut wurde, die einzig noch bestehende zentrale Gewalt in Deutschland zu übernehmen, um die Revolution in seinem Sinne zu schließen. Unabhängig von dem Willen des österreichischen Ministerpräsidenten

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Schwarzenberg waren durch die ausgebrochenen Aufstände und die Initiative Preußens in der Deutschlandpolitik Zwänge geschaffen worden, die Johann auf seinem Posten hielten. Durch seinen Einsatz für die Bildung der Regierung Grävell/Wittgenstein hatte er zum Ausdruck gebracht, dass ihm das nicht verborgen geblieben war. Das Ministerium wurde nicht nur durch diesen aus der Situation entstandenen politischen Auftrag, sondern auch durch ein moralisches Anliegen angetrieben. Denn in seinem Verständnis vom Regieren und in dem des Erzherzogs vom Herrschen war die Bekämpfung der Anarchie ein hoher Wert. Reichsverweser und Ministerium waren sich auch darin einig, dass die Behauptung des Amtes nicht eine Frage der Macht oder der augenblicklichen Zweckmäßigkeit sei. Es ging darum, durch die Bewahrung einer nationalen Autorität sowohl die durch die Aufstände verursachte Anarchie einzudämmen als auch die durch das preußische Hegemonialstreben ausgelöste Spaltung unter den Reichsfürsten zu überwinden. Erst danach kam das Motiv, die Situation offen zu halten, bis Österreich seine Interessen in Deutschland wieder wahrnehmen könne. Die Spannungen, die sich ergaben, obwohl Erzherzog Johann sich mit Schwarzenberg im Ziel einig war, resultierten aus seinem herrschaftlichen Selbstverständnis, das einer geschäftsmäßigen Abwicklung der Mission im Wege stand. Dass er diese gerne mit einem durch ihn geeinten und befriedeten Deutschland beendet hätte, dürfte keine Rolle gespielt haben. Denn dass dies nur ein Wunschtraum war, das musste selbst ihm klar sein. 3.

Überzogener Anspruch

Die Zentralgewalt war eine typische Kopfgeburt des konstitutionellen Bürgertums und litt daher unter denselben Fehlern wie die gesamte Reformbewegung. Sie wollte viel zu viel. Sie vergeudete Ressourcen und Kräfte für Aufgaben, die im Augenblick gar nicht anstanden und über ihre Möglichkeiten gingen. Ihr eigentlicher Auftrag wäre es gewesen, zusammen mit der Nationalversammlung die im Frühjahr 1848 institutionalisierte Revolution zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, indem sie die Verfassungsgebung absicherte und den Übergang zu einer auf deren Grundlage neu gebildeten Regierung gewährleistet hätte. Man darf ihr durchaus zugestehen, dass sie sich dem ebenfalls angenommen hat. Wenn auch eher durch die Umstände herausgefordert denn als Ausfluss eines Konzepts. Denn die Niederschlagung von Aufständen und die Interventionen in einigen Kleinstaaten haben den Frankfurter Kurs erfolgreich verteidigt.

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Gegenüber den größeren Staaten stand nur das Instrument der Vermittlung zur Verfügung. Doch war auch das ein Gewinn, wenn, wie zunächst in Preußen, dadurch demokratische Kräfte stark blieben. Meist aber hat sich die Zentralgewalt, durchaus mit Rückendeckung des Parlaments, durch den Aufbau von Strukturen für einen Staat, dessen Ausgestaltung und selbst Umfang noch nicht einmal bekannt war, über ihre Möglichkeiten hinaus verausgabt und vor allem durch Eingriffe in die eifersüchtig gehütete Souveränität Gegensätze zu den fürstlichen Regierungen provoziert. 4.

Schwankende Macht

Während die klassischen Instrumente staatlicher Macht in den Händen der Fürsten blieben, lag die politische zu Beginn der Revolution in den Händen von deren Institutionen. Die Provisorische Zentralgewalt machte wie vielleicht wenige vergleichbare Regierungen im Europa jener Jahre die Erfahrung, dass revolutionäre Macht schwankend und meist von begrenzter Dauer ist; abhängig von kaum vorauszusehenden Stimmungen und den Emotionen von schwer einzuschätzenden Massen. Sie ist nur dann wirkmächtig, wenn auf ihrer Grundlage die gegenrevolutionären Kräfte schnell ausgeschaltet werden oder aber sie langfristig durch die Schaffung von Gewaltinstrumenten befestigt wird. Da die Zentralgewalt beide Wege nicht gegangen ist, blieb sie von den Machtkonstellationen in Deutschland und Europa abhängig. Diese aber verschoben sich schon seit dem Frühherbst 1848 zugunsten der Konterrevolution. Das begann mit der Entlassung von Märzministerien in den Bundesstaaten, über die folgende verfassungsmäßige Konsolidierung Österreichs und Preußens, die Auflösung der Nationalversammlung bis zum siegreichen militärischen Gegenschlag durch diese beiden Staaten in Deutschland und Europa. Für die Dauer der Revolution gelang es in Frankfurt, mit Nationalversammlung und Zentralgewalt ein drittes Machtzentrum in Deutschland zu schaffen. Der traditionelle Dualismus zwischen Berlin und Wien weitete sich zu einem Dreieck der Macht. Die Zentralgewalt war zeitweise ein durchaus ernst zu nehmender und auch respektierter Mitspieler. Praktisch entscheidend wurde aber, dass die Fürsten bis auf den Großherzog von Baden das Militär in der Hand behielten und dieses trotz mancher Auflösungserscheinungen während der Revolution loyal blieb. Es war weder vor 1848 die Konstitutionalisierung des Militärs gelungen noch 1848 dessen Nationalisierung. Der Kern der revolutionären Macht in Deutschland blieb emotional psychologisch und damit höchst labil. Wohingegen die Konterrevolution über bewährte staatliche Machtmittel verfügte. Das wurde der deutschen Revolution zum Schicksal. Die wenigen

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Versuche, die Bundesstaaten föderativ zu entmachten und zusammen mit den Landtagen und Märzministerien das Land auf dem Kurs des bürgerlichen Umbaus der Nation zu halten, sind rasch stecken geblieben. 5.

Herausforderung durch die Fürstenstaaten

Ihr Defizit an staatlicher Gewalt konnte die Zentralgewalt kompensieren durch Rückgriff auf die der Bundesstaaten. Solange sie sich der Volksbewegung sicher sein konnte und solange sie Rückhalt fand in den erneuerten Landtagen wie den Märzministerien und immer, wenn eine gemeinsame Interessenlage mit den Fürstenstaaten gegeben war, hat das funktioniert. Naiv wurde wohl darauf gesetzt, dass die Konstellation der Gründungszeit bis zur Neugründung des Deutschen Reiches anhalten würde. Doch je länger die Revolution dauerte, umso stärker trat deren Besonderheit hervor. Weil Deutschland ein Staatenbund war, stellte sich den bürgerlichen Revolutionären auf nationaler Ebene keine staatliche Struktur entgegen, in die sie hätten eindringen können und keine politische Elite, die sie hätten ersetzen können. Das war die Konstellation, wie sie für alle anderen europäischen Revolutionen in dieser Zeit typisch war. Eine solche hätte eine ganz andere Ausgangslage geschaffen, da die Provisorische Zentralgewalt dann sofort substanzielle Machtmittel in der Hand gehabt hätte. So aber waren erst staatliche Strukturen aufzubauen, die gegenüber einer bestehenden staatlichen Machtanhäufung (39 Staaten, von denen 35 Fürstentümer gewesen sind) durchgesetzt werden mussten. Zugespitzt kann man formulieren: in Deutschland wich die bürgerlich-konstitutionelle Revolution auf die nationale Ebene aus. Der Umbau von Staat und Gesellschaft durch Verfassungsgebung wurde dort angegangen, wo keine ernstzunehmende Gegenmacht vorhanden war. Diese blieb in Form des Fürstenstaates, seiner Verwaltung, seines Militärs und seiner Eliten unangetastet. Die bürgerlichen Revolutionäre wollten zunächst die Beziehungen zwischen den neuen Institutionen und den bestehenden auf der Basis von Vereinbarungen gestalten. Dabei haben sie aber in einem schwer verständlichen Mangel an Machtbewusstsein unterstellt, dass sich die Bundesstaaten widerstandslos unterordnen würden. Das war der große Irrtum ihrer Revolution! Das zeigen die ersten Maßnahmen der Zentralgewalt als auch die Art, wie die Nationalversammlung ihr Werk durchzusetzen gedachte. Weil aber die Beziehung zwischen den Einrichtungen auf der Ebene des Bundes und denen in den Bundesstaaten faktisch und rechtlich niemals festgelegt worden war, blieb sie eine Frage der Macht. Am folgenreichsten wurde dies nach der Verabschiedung der

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Reichsverfassung. Die Bundesstaaten konnten ihre Ablehnung durchaus damit rechtfertigen, dass die neue Ordnung für sie erst nach ihrer Zustimmung verbindlich sei. Mit der Begründung der Zentralgewalt änderte sich das Verhältnis zwischen den Frankfurter Institutionen und den Bundesstaaten. Der Übergang von der „Vereinbarung“ zur „Verständigung“ bedeutete, dass die provisorische Reichsregierung davon ausging, dass die fürstlichen Exekutiven ihre Anordnungen vollziehen würden und die hauptsächliche Aufgabe von deren Bevollmächtigten in Frankfurt darin bestehen würde, dies zu unterstützen. Für die Nationalversammlung war seitdem fraglos, dass sich die Mitgestaltung an der Verfassung durch die Fürsten auf deren Zustimmung zum Endergebnis reduzieren würde. Das Konzept konnte aber nur erfolgreich sein, wenn die politische Machtverschiebung, insbesondere in den Königreichen und dem Kaisertum Österreich, die revolutionäre Umwälzung im Bund absicherte. Obwohl dies schon nach wenigen Monaten nicht mehr der Fall war, hielten die Frankfurter Institutionen an ihrem Kurs fest. 6.

Ambivalentes Handeln

Ziele und Handlungsweisen der Zentralgewalt waren so ambivalent wie die gesamte bürgerliche Revolution. Die Umwandlung des Deutschen Bundes in einen liberalen Verfassungsstaat für eine rechtsgleiche und offene Gesellschaft lief fraglos auf einen Systemwechsel hinaus. Zugleich wollte die Zentralgewalt aus Überzeugung große Teile der bisherigen Institutionen, insbesondere die Fürstenherrschaft, erhalten. Zum geringsten aus traditioneller Anhänglichkeit, sondern weil sie als der beste Schutzwall gegen die Ansprüche der Unterschichten erschien. Das lief auf Handlungsweisen hinaus, die zwischen Koexistenz und Akten revolutionärer Selbstermächtigung mit der nicht seltenen nachträglichen Kanalisierung in legale Formen einherging. Die Provisorische Zentralgewalt war eine revolutionäre Exekutive, doch keine Exekutive der Revolution. Denn sie hat deren Durchsetzung nicht zu ihrer obersten Priorität gemacht. Die Zwielichtigkeit bestand ebenfalls darin, die vorhandenen Unruhen, Aufstände und sozialen Bewegungen zugleich zu kanalisieren und als Druckmittel zu benutzen gegen die monarchischen Regierungen und deren konservative Unterstützer. So sollte der Kurs der konstitutionellen Liberalen nach rechts abgesichert werden. Diese haben deswegen auch mit Handlungen und Symbolen gearbeitet, die unterschiedliche Interpretationen zuließen. Freilich waren auf diese Weise die tatsächlich bestehenden Differenzen nicht nachhaltig

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aufzulösen, sondern nur zeitweilig einzudämmen. Das Eintreten einer Situation, in der dieser Zwiespalt nicht mehr vermittelbar war, markierte das Scheitern des Frankfurter Projekts. Es war mithin sowohl die Existenzgrundlage als auch der fatale Grundzug der gesamten Bewegung, der Zentralgewalt und der Nationalversammlung, dass sie zugleich revolutionär und antirevolutionär waren. 7.

Wechsel der Konstellationen

Dazu kam der mehrmalige Wechsel grundlegender Konstellationen der politischen Rahmenbedingungen. Er hatte zur Folge, dass keine Institution während der Jahre 1848/49 so oft und so sehr ihren Charakter wandelte wie die Provisorische Zentralgewalt für Deutschland. Gegründet als Exekutive des revolutionären Parlaments geriet sie schnell in die Position einer Gewalt zur Bekämpfung der Revolution der Straße. Unter Schmerling ein Instrument zur Herbeiführung der großdeutschen Lösung der nationalen Frage, wurde sie unter Gagern ein solches für die kleindeutsche. Obwohl sie den Ehrgeiz hatte, sich die Bundesstaaten unterzuordnen, bekämpfte sie an deren Seite die Bewegung zugunsten der Reichsverfassung in der gemeinsamen Furcht vor der Anarchie. Ursprünglich wollte die Zentralgewalt Preußen an sich binden, um dann alle Kraft darauf zu verwenden, dass es sie nicht beerben konnte. Von der Regierung in Wien mit Gleichgültigkeit gestraft und vom Hof abgelehnt, wurde sie das entscheidende Instrument, über das Österreich seine Lösung der deutschen Frage durch die Rückkehr zum Deutschen Bund betreiben konnte. In ihrer Wandelbarkeit ähnelte die Zentralgewalt vergleichbaren revolutionären Regierungen und Ausschüssen in Europa. Auch dort lösten sich einige von den Institutionen, die sie eingesetzt hatten, um am Schluss alleine die Revolution zu Ende zu führen oder sie zu liquidieren. 8.

Motivation der Regierungsmitglieder

Zu den leicht zu übersehenden Leistungen der Provisorischen Zentralgewalt gehört, wie sie mehrere existenzbedrohende Krisen überwunden und wie sie gearbeitet hat. Personell und organisatorisch hat sie mit nichts begonnen und hatte sich um die einfachsten Voraussetzungen ihrer Arbeit selbst zu kümmern. Darüber hinaus mussten sich die Mitglieder der Regierung, die sich ja noch nie begegnet waren, menschlich und politisch erst noch finden. Die

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großen Gegensätze, welche die Verfassungsberatungen prägten, strahlten auch in das Ministerium hinein. Dazu kamen die Angriffe in der Nationalversammlung und in der Öffentlichkeit, Verleumdungen und Aggressionen bis hin zu Morddrohungen. In rasch wechselnden politischen Konstellationen und revolutionären Umbrüchen blieben die Mitglieder des Reichsministeriums durchgehend motiviert, ja sogar übermotiviert, so dass sie öfters zwischen Machbarem und Wünschbarem zu wenig unterschieden. Alle waren getrieben von dem Enthusiasmus, ihren politischen Lebenstraum verwirklichen zu können. Wenn die Zentralgewalt auch von Selbstüberschätzung nicht frei war, so kann sie doch für sich in Anspruch nehmen, dass sie realistischer war als die Nationalversammlung und die öffentliche Meinung in Deutschland. Von nicht wenigen, die länger durchgehalten haben, ist bekannt, dass sie am Ende psychisch und physisch völlig erschöpft waren.1734 Reichsjustizminister von Mohl fasste seine Erfahrung dahingehend zusammen, dass er und seine Kollegen nichts anderes gewesen seien als „lediglich die Personifikation eines falschen Gedankens, nämlich eine Regierung ohne Macht, die Zielscheibe eines in seiner Unerfahrenheit Unmögliches verlangenden Eifers oder einer bewußten Bosheit, welcher sie im Wege standen durch die Aufrechterhaltung des letzten Restes von Gesetz und Ordnung in Deutschland.“1735 9.

Ausgesuchte Tätigkeitsfelder

Die Provisorische Zentralgewalt war von Anfang an auf staatliche Tätigkeit ausgerichtet. Sie wurde sogleich als Exekutive mit einem Staatsoberhaupt, einem Ministerpräsidenten und Ministerien organisiert. Institution und Person des Reichsverwesers garantierten, dass der mit der Einsetzung einer Regierung mögliche Weg hin zu einer Republik nicht beschritten wurde. Die Struktur der Zentralgewalt war mehr staatlich-exekutiv als politisch-revolutionär. Das in den europäischen Revolutionen weitverbreitete Modell einer politischen Leitung durch eine exekutive Kommission, der Ressorts zugeordnet waren, wurde gar nicht erst erwogen. Diese war Instrument des Bürgertums, um die Bewegungen in seinem Sinne zu steuern, weiterzutreiben oder zu liquidieren.

1734 Mohl, Robert von: Lebenserinnerungen. – 2 Bde. – Stuttgart, Leipzig 1902, II, 74ff. 1735 Ebenda 78.

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Obwohl die Provisorische Zentralgewalt nicht die Regierung eines Staates war, hat sie sich so verhalten. Denn sie wie die Nationalversammlung sahen ihre wichtigste Aufgabe darin, die Institutionen und Strukturen eines Nationalstaats aufzubauen: Reichshaushalt, Marine, Reichsfestungen, diplomatischer Dienst, Außenhandelsverträge, Schaffung eines nationalen Zollgebietes, Handelsgesetze, einheitliche Presse-, Verlags- und Vereinsgesetze. Wirft man einen genaueren Blick auf das, was die Provisorische Zentralgewalt von sich aus angegangen ist, ihr also nicht durch den Gang der Entwicklung aufgedrängt worden war, dann fällt auf, dass sie sich bevorzugt der Angelegenheiten angenommen hat, bei denen sie die Konkurrenz der Bundesstaaten nicht zu fürchten brauchte. Nach dem Aufbau einer nationalen Ministerialverwaltung strebte sie mit großer Vehemenz und Ausdauer die alleinige Vertretung der Interessen des noch gar nicht bestehenden Gesamtdeutschlands an ohne Rücksicht auf die damit aufgeworfenen völkerrechtlichen Probleme. Angesichts der Schwierigkeiten, denen die Zentralgewalt sonst bei der Behauptung ihres Vorrangs vor den Bundesstaaten begegnete, war sie zunächst erstaunlich erfolgreich. Ergänzend wurde die Errichtung von Konsulaten vorbereitet, die Voraussetzungen für die Schaffung eines einheitlichen deutschen Zollgebietes gelegt und schon erste Handelsverträge abgeschlossen. Obwohl in Deutschland dazu alle personellen und strukturellen Voraussetzungen fehlten, wurde der Aufbau einer Kriegsmarine mit vergleichbarem Nachdruck betrieben. Drei Gründe kamen bei diesem vielleicht nicht gleich einsichtigen Unternehmen zusammen. Dadurch, dass jetzt die Verwirklichung von jahrzehntelangen Plänen und Träumen, die vor allem die „Männer des Volkes“ forcierten, angegangen wurde, sollte der Rückhalt der bürgerlichen Revolution im Volk gestärkt werden. Darüber hinaus war keine Konkurrenz oder Gegnerschaft der Fürstenstaaten zu fürchten und zugleich konnte das Reichsministerium beweisen, dass es eine komplexe Staatsaufgabe effektiv umsetzen konnte. Angesichts der außerordentlich schwierigen Finanzierung und der Kürze der Zeit, in der eine Marine zustande kam, war das Ergebnis durchaus vorzeigbar. Diese Leistungen der Zentralgewalt haben von der Geschichtswissenschaft so gut wie keine, doch von den Zeitgenossen zumindest verdeckte Anerkennung gefunden. Denn von den von ihr abgeschlossenen Verträgen, Gesetzen, Vorlagen und Projekten wurden einige, jeweils angepasst, vor allen Dingen auf den Gebieten des Innen- wie Außenhandels, des Wechselrechts und der Justiz, vom Deutschen Zollverein, den Bundesstaaten und dem wiederhergestellten Deutschen Bund übernommen. Sie hatte für das künftige Deutsche Reich inner- und außerhalb Europas völkerrechtlich schon mal den Boden bereitet und den Anstoß zum Aufbau einer künftigen Reichsmarine gegeben.

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Verwicklungen in die aktuelle Politik

Während die Nationalversammlung die Schaffung des neuen Deutschlands durch dessen Konstituierung auf dem Wege der Verfassungsgebung bewerkstelligen sollte, sah die Zentralgewalt also die Vorbereitung von Institutionen und Gesetzentwürfen als ihren Beitrag dazu an. Doch wurde sie mehr, als es das Parlament und sie selbst erwartet hatten, in die aktuelle Politik hineingezogen. Da war zuerst als Erbe des Deutschen Bundes der Kampf mit Dänemark um Schleswig, der die gesamte Revolution begleitete. An ihm wurden einige Grundzüge der Frankfurter Institutionen sichtbar. Die Debatte um SchleswigHolstein in der Nationalversammlung zeigte deutlich, dass diese die machtpolitische Situation, in der sie zu handeln hatte, ebenso verkannte wie die politischen Stimmungen und Erwartungen im Land. Obwohl die Septemberunruhen 1848 ein Indiz dafür waren, dass die Revolution des März durch ihre Institutionalisierung in den Parlamenten, der Zentralgewalt und den Märzministerien nicht eingedämmt worden sei, wurden daraus keine Konsequenzen gezogen. Dem Reichsministerium dämmerte immerhin, dass die Begründung des neuen Deutschlands nun zielgerichteter zum Abschluss gebracht werden müsse. Doch ging von dem Schleswig-Holstein-Konflikt ein weiteres, ebenfalls ignoriertes Signal aus. Das Ausmaß, in dem Berlin Frankfurt bei der Beendigung des Krieges gegen Dänemark ignorierte, hätte zumindest eine Überprüfung des Ausmaßes erfordert, in dem man bisher in Preußen einen Kooperationspartner für das gemeinsame Projekt gesehen hat. Zumal es den Waffenstillstand nutzte, um zugleich die demokratische Bewegung im Land zu schwächen. Doch gelang es der Reichsgewalt immerhin, dass Frankfurt und Kiel auf der Grundlage gemeinsamer nationaler und verfassungsrechtlicher Überzeugungen weiterhin kooperieren konnten. Das kumulierte darin, dass im Frühjahr 1849 der Krieg gegen Dänemark erfolgreich geführt werden konnte und die Zentralgewalt, von den Großmächten anerkannt, in der Bestimmung über das Schicksal der beiden Landesteile eingebunden blieb. Ein bisher wenig beachteter Erfolg. Die Niederschlagung der Unruhen in Baden, dem Rhein-Main-Gebiet und Thüringen, die teils durch die Krise um Schleswig-Holstein ausgelöst wurden, teils ihr folgten, waren die nächsten Herausforderungen der aktuellen Entwicklung.1736 1736 In der Forschung über die Revolution von 1848/49 wird ein problematischer Revolutionsbegriff verwendet. Er wird viel zu wenig differenziert. Denn damit wird sowohl der Reformversuch über Gesetzgebung und Konstitutionalisierung im Wege der Verfassungsgebung

Zentralgewalt und Regierungen in der Revolution

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Es war kein Spezifikum der deutschen Revolution, dass die Möglichkeiten zur Umgestaltung der Verhältnisse, die die bürgerliche Bewegung eröffnet hatte, auch von Schichten, die bis dahin nicht aktiv waren und mit denen bei der Bildung der Nation und dem Umbau des Staates nicht gerechnet worden war, ihre Chance ergriffen. Das taten die Arbeiter in Paris und die Bauern in der Provinz in Frankreich 1830 und 1848 wie auch die städtischen und ländlichen Unterschichten in den Revolutionen der italienischen Staaten. Die Zentralgewalt ist in Deutschland mit diesen Konkurrenten 1848 in Baden, im Rhein-Main-Gebiet und in Thüringen zurechtgekommen. Sie geriet dabei allerdings in die ausweglose Situation, einen Teil ihres Rückhalts untergraben zu müssen. Sie behielt das Heft in der Hand und konnte sich als Ordnungsmacht profilieren – ganz im Unterschied zur Reichsverfassungskampagne und der Loslösung von Schleswig-Holstein von der dänischen Herrschaft. Weil dabei Preußen diese Rolle übernahm, gelang es ihr immer weniger, sich von den konterrevolutionären Kräften abzusetzen. Dies vor allem deswegen, weil sie in der Kampagne nicht mehr die Fortsetzung oder gar Vollendung des Aufbruchs vom März 1848 sah, sondern „gesetzlosen Widerstand“, „Aufruhr“ oder „Anarchie“. 11.

Aufstände und Aufstandsregierungen

11.1 Schleswig-Holstein Die historischen Kräfte des Nationalismus und der liberalen Reform brachten die Provisorische Regierung von Schleswig-Holstein hervor. Diese gaben der ersten Exekutivgewalt dieses Typs in Deutschland in der gesellschaftlichen Tiefe wie der politischen Breite eine Verankerung wie keine mehr nach ihr. Das war die Grundlage dafür, dass sie recht schnell das ganze Spektrum der klassischen Aufgaben einer revolutionären Exekutive, einschließlich der Kriegsführung, erstaunlich erfolgreich bewältigte. Die politische Anlehnung an die Reichsgewalten und die militärische an Preußen haben ihre Handlungsfreiheit kaum beschränkt. In mancher Hinsicht mit den gleichzeitigen MärzMinisterien vergleichbar war ihr Spielraum größer, da sie kein Instrument eines Fürsten war. Sie legitimierte sich vielmehr durch die Fiktion, dass der Landesherr nicht handlungsfähig sei. Das schuf die paradoxe Situation, dass sie gegen einen Fürsten Krieg führte, dessen Rechte sie zu verteidigen beanspruchte! verstanden als auch werden die gewaltsamen Erschütterungen, Aufstände und radikalen Bestrebungen darunter subsumiert. Also gerade die geschichtlichen Kräfte, die sich gegen die erstere Bewegung, die man unter Revolution fasst, kämpften.

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Vergleichbare Aporien ergaben sich aus dem Selbstverständnis der Provisorischen Regierung der beiden Herzogtümer. Sie wollte keine Revolutionsregierung sein, musste aber fortgesetzt so handeln. Von der Einberufung der Stände am 18. März 1848 über die Umgestaltung der inneren Verhältnisse entgegen der überlieferten Verfassung bis zur Eingliederung Schleswigs in das neue Deutschland. Sie betonte ihre Vorläufigkeit, um die Trennung von Dänemark nicht als endgültig erscheinen zu lassen, doch liefen alle ihre Maßnahmen darauf hinaus. Die ihr folgende gemeinsame Regierung war eher eine Besatzungsverwaltung. Obwohl sie die Schöpfung zweier absoluter Monarchien war, wollte und konnte sie nichts an den geschaffenen Strukturen ändern. Die Statthalterschaft war soweit eine revolutionäre Regierung wie es die Provisorische Zentralgewalt für Deutschland, die sie eingesetzt hatte und in deren Namen sie zunächst handelte, gewesen ist. Durch die Dynamik der Verhältnisse getrieben, hat sie sich dann eindeutiger als revolutionäre Exekutive profiliert, indem sie mit gewaltsamen Mitteln versuchte, das reformerische Erbe der Provisorischen Regierung doch noch zu verwirklichen. Während die Aufständischen in Baden, Sachsen und der Pfalz gegen ihre angestammten Herrscherhäuser rebellierten, ist die schleswig-holsteinische Erhebung eher mit dem Kampf der Ungarn um eine möglichst große nationale Autonomie in einem Staatsverband, dem sie bisher angehört hatten, vergleichbar. In Schleswig-Holstein und in Ungarn ging dies mit einer grundlegenden Umgestaltung der politischen Verfassung im Sinne des zeitgenössischen Liberalismus einher. Durch internationale Intervention hat die Provisorische Regierung von Schleswig-Holstein zwar zweimal ihre Zusammensetzung und ihren Namen geändert, doch stand sie bis zum Schluss in der Tradition der im März 1848 gebildeten Exekutive. Dafür garantierte vor allem die durchgehend bestehende Landesversammlung. Sie hat von allen Provisorischen Regierungen in den Bundesstaaten mit fast drei Jahren am längsten bestanden. Sie kann unter anderem deswegen als erfolgreichste bezeichnet werden, da es ihr in dieser Zeit gelungen war, einen Staat aufzubauen und dessen Unabhängigkeit militärisch zu verteidigen. Daran hatte nicht zuletzt auch die Provisorische Zentralgewalt für Deutschland ihren Anteil. So zeigt dieser Fall, wie erfolgreich diese hätte agieren können, wenn sie länger mit willigen Regierungen in den Bundesstaaten hätte zusammenarbeiten können. 11.2 Sachsen Ähnlich wie die Provisorische Regierung Schleswig-Holsteins rechtfertigte sich die sächsische mit der Berufung auf die Handlungsunfähigkeit der geflohenen Staatsspitze. Im Gegensatz zu jener bestanden in dieser aber erhebliche

Zentralgewalt und Regierungen in der Revolution

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Divergenzen über die Funktion des neu geschaffenen Leitungsgremiums. Sie reichten von der Absicht, die Unruhen auf dem Status quo einzudämmen, bis hin zu dem Bestreben, damit eine vollständige Systemtransformation einzuleiten. Zunächst aber einte das gemeinsame Anliegen, die Annahme der Reichsverfassung in Sachsen durchzusetzen. Dieses Ziel wurde von breiten Kreisen der Bevölkerung und fast vollständig von der politischen Elite geteilt. Dennoch erwies sich die von einer kleinen Gruppe initiierte und spontan aus den Unruhen heraus gebildete Regierung als ein problematischer Schritt. Denn für Teile des Bürgertums war mit deren Bildung die Grenze zum Umsturz überschritten. Das wird deutlich an der Zurückhaltung des Landes und von zahlreichen Stadtverwaltungen der Provisorischen Regierung gegenüber, nachdem diese durch die königliche Regierung als rebellisch verurteilt worden war. Um die Führung des Aufstandes im Königreich nicht zu verlieren, wurde die Provisorische Regierung gezwungen, den radikaleren Kräften in ihren Reihen nachzugeben. Die Taktik schlug fehl. Der König, der dadurch zum Kompromiss gezwungen werden sollte, ließ sich nicht beeindrucken und seit dem Einmarsch der Preußen waren die Straßenkämpfe nicht mehr zu steuern. Die Einsetzung der Provisorischen Regierung auf dem Dresdner Rathaus am 4. Mai 1849, formal dem Vorgehen der Pariser Aufständischen von 1830 ähnlich, war ein Coup, von dem man den Eindruck hat, dass seine Urheber von ihm bald selbst nicht mehr überzeugt waren. Von ihrem Ende nach wenigen Tagen gingen aber wichtige Signale aus. Auf die Solidarität der die Reichsverfassung anerkennenden Staaten war ebenso wenig zu bauen wie auf aktive Unterstützung durch Nationalversammlung und Reichsministerium. Dafür war klar, dass Preußen, nachdem es den Bruch mit Frankfurt vollzogen hatte, entschlossen war, auf eigene Faust alle Unruhen in Deutschland militärisch zu liquidieren. 11.3 Pfalz Die Pfälzer Aufständischen machten Erfahrungen, die denen der sächsischen vergleichbar waren. Obwohl sie an das Reichsministerium appellierten, seiner Pflicht nachzukommen und die Fürsten zu zwingen, die souveränen Entscheidungen des Volkes anzuerkennen, blieb die erhoffte Unterstützung aus. Ebenso wurde deutlich, dass Proteste und Empörung über die Ablehnung der Reichsverfassung durch den bayerischen König sich nicht bruchlos in einen Kampf, gar einen militärischen, für deren Durchsetzung überführen ließen. Selbst die alte Garde des pfälzischen Frühliberalismus blieb auf Distanz. Dennoch reichte das Ausmaß der Enttäuschung dafür aus, dass die nächste Generation in der Überzeugung, nichts mehr verlieren zu können, die

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Organisation des Kampfes in die Wege leiten konnte. Sie tat das in der Überzeugung, die Rechte des souveränen Volkes gegen ein diese missachtendes und daher „rebellisches“ Staatsministerium zu verteidigen. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung gleichermaßen zwischen passivem Widerstand und skeptischer Gleichgültigkeit verharrte, so konnten Landesverteidigungsausschuss und Provisorische Regierung sich dennoch auf Strukturen und Mentalitäten stützen, die in einem seit einer Generation dauernden Streben nach größerer Autonomie im bayerischen Staatsverband gewachsen waren. Die Leistungen der Provisorischen Regierung der Pfalz sind nicht leicht zu beurteilen. Anders als in Baden konnte sie auf keinen eingespielten Apparat zurückgreifen und die Zahl der übergelaufenen erfahrenen Soldaten war gering. Dennoch kam in gerade mal etwas mehr als einem Monat durch Rekrutierung und den Zuzug von Freischärlern eine Truppe zustande, die mit rasch mobilisierten Geldern ausgerüstet und bewaffnet werden konnte. Dies alles wurde aber überdeckt durch die fast kampflose Flucht vor den heranrückenden Preußen. 11.4 Baden Von allen Aufständen innerhalb der Reichsverfassungskampagne hatte der badische die größte Durchschlagskraft. Dafür gab es mehrere Gründe. Neben dem ebenfalls in anderen Gebieten Deutschlands erwachenden politischen Vereinswesen die relativ demokratischen Gemeindeversammlungen und die Tradition der Volksversammlungen. Entscheidender aber war, dass die Provisorische Regierung sofort über die verwaltungsmäßigen und finanziellen Ressourcen des Staates verfügen konnte und schließlich auch beträchtliche Teile der Armee zu ihr übergingen. Das alles war Folge einer einmalig breiten Unterstützung der Anliegen der Aufständischen. In deren Mittelpunkt stand nicht die Annahme der von der großherzoglichen Regierung bereits akzeptierten Reichsverfassung, sondern die aus dieser abzuleitenden Konsequenzen für den Umbau von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft im Großherzogtum. Der dabei aufbrechende Gegensatz zwischen den konstitutionellen Liberalen und den starken Radikaldemokraten und Republikanern gab dem Aufstand Nachdruck und Entschiedenheit. Auf dieser Grundlage vollzog sich die Entwicklung mit einer Dynamik, die jene, denen die Macht zugefallen war, ebenso überraschte wie diejenigen, denen sie entrissen worden war. Die Provisorische Regierung, die schließlich „dictatorische Gewalt“ für sich beanspruchte, hatte zeitweise nach der Flucht des Großherzogs und seines Kabinetts das Gewaltmonopol im Land. Ihre Schwäche lag darin, dass über die letzten Ziele in ihren Reihen keine Einigkeit

Zentralgewalt und Regierungen in der Revolution

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bestand und den reformerischen Kräften wie in Sachsen und in der Pfalz durch die fehlende Bereitschaft der fürstlichen Seite zum Entgegenkommen der Boden entzogen wurde. Die Aufständischen wurden zunächst durch den kollektiven Enthusiasmus des Aufbruchs getragen. Doch mussten sie wie auch die anderen die Erfahrung machen, dass dieser schon bei den ersten Belastungen des „Freiheitskampfes“ spürbar sank. Dennoch haben sie sich in das von Anfang an aussichtslose militärische Abenteuer hineinreißen lassen. Denn zum einen schätzten sie die Bereitschaft zur Revolution in den Nachbarländern falsch ein und zum andern wurden sie durch das Eingreifen Preußens vor die Alternative Kampf oder Kapitulation gestellt. Das Scheitern des badischen republikanischen Experiments und die Härte, mit der die Sieger durchgegriffen haben, haben die Idee eines bürgerlichen Republikanismus nicht nur in Baden, sondern in Deutschland auf Dauer diskreditiert. Nach dem badischen Feldzug endete auch abrupt das ungeregelte Einvernehmen zwischen Preußen und der Reichsgewalt. Durch die siegreiche Kampagne gestärkt, wurde deren Bedrohung sogar konkreter. Der Kronprinz nahm zusammen mit einigen Bataillonen in Frankfurt Quartier. 12.

Reichszentralgewalt und Aufstandsregierungen

Von den provisorischen Regierungen, die im Laufe der deutschen Revolution entstandenen waren, hat die von Schleswig-Holstein eine Sonderstellung. Sie ist die einzige, die nicht aus der Reichsverfassungskampagne hervorging. Ihr Programm zur Transformation von Staat und Gesellschaft ist aber mit dem der anderen revolutionären Exekutiven vergleichbar. So stark wie keine vom Nationalismus getrieben und zusammengehalten, gelang es ihr, für begrenzte Zeit ein Staatsgebilde zu errichten, in dem sie volle Regierungsfunktionen übernehmen konnte, einschließlich des erfolgreichen Aufbaus und Einsatzes einer Armee. Hingegen wurde den Aufstandsregierungen des Frühsommers 1849 das Fehlen militärischer Mittel und Kompetenz zum Schicksal. Nicht deswegen, weil sie ihren unmittelbaren Gegnern unterlegen gewesen wären, sondern weil sich das Königreich Preußen zum selbsternannten Liquidator der Revolution berufen fühlte. Zwei weitere Gründe kamen für das Scheitern hinzu. Diese Regierungen konnten das gesamte Potenzial im Land nicht ausschöpfen, da sie nicht aus dem Zwielicht herauskamen, mehr als nur die Durchsetzung der Reichsverfassung zu wollen. Das war drittens fast unvermeidlich, da sie

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die politischen Strömungen möglichst breit integrieren mussten, sodass ihre Maßnahmen gelegentlich einen radikal-demokratischen oder sogar republikanischen Anstrich hatten. Auffallend ist, dass die größeren Bewegungen, die unter dem Begriff der Reichsverfassungskampagne zusammengefasst werden, von diesen unabhängigen, länger zurückreichenden Konflikten angetrieben wurden. In Sachsen der Gegensatz zwischen der lutherischen Bevölkerungsmehrheit und der katholischen Dynastie, in der Pfalz die tatsächliche oder vermeintliche Zurücksetzung der neuen Provinz im bayerischen Staatsverband, im Großherzogtum Baden die schwache Integrationskraft des Herrscherhauses aufgrund fehlender dynastischer Legitimität. Allen drei Regionen war auch gemeinsam, dass sie im Vergleich mit dem übrigen Deutschland starke republikanische und radikaldemokratische Bewegungen hatten. Welche Bedeutung die Provisorische Zentralgewalt für Deutschland hatte, wird negativ an ihrem Verhältnis zur Verfassungskampagne und den Aufstandsregierungen deutlich. Hier wurde nicht entscheidend, was sie getan, sondern was sie unterlassen hatte. Als einzige rechtmäßige nationale Instanz hätte sie die Möglichkeit gehabt, das Potenzial der Kampagne zur Durchsetzung der Reichsverfassung voll auszuschöpfen, indem sie diese legitimierte und koordinierte. Sie hätte so vielleicht den entscheidenden Rückhalt in den Aufstandsgebieten erhalten können und die Staaten, welche die Verfassung bereits anerkannten, hätten sich möglicherweise angeschlossen. Die große Hoffnung auf Unterstützung durch die Reichsgewalt und die tiefe Enttäuschung, die deren Ausbleiben unter den Aufständischen auslöste, lassen solche Überlegungen durchaus realistisch erscheinen. Doch diese Option wurde von Reichsministerpräsident Gagern wegen Skrupel vor der Gewaltanwendung nicht ergriffen und unter seinen Nachfolgern aus Furcht vor der Anarchie. Dazu kam das verdeckte Ressentiments des habsburgischen Reichsverwesers gegen das Verfassungswerk, dessen Umsetzung den Ausschluss seiner Heimat aus Deutschland bedeutet hätte. 12.1 Österreich In der Auseinandersetzung mit den beiden Großmächten war die Provisorische Zentralgewalt erstaunlicherweise gegenüber dem Königreich Preußen erfolgreicher als gegenüber dem Kaisertum Österreich. Unter der politischen Leitung des Österreichers Anton Ritter von Schmerling und eines Reichsverwesers aus dem Hause Habsburg erlitt sie in ihrer Österreich-Politik im Herbst 1848 eine doppelte Niederlage. Erstens gelang es ihr nicht, zwischen der Staatsregierung und den Gemäßigten wie auch

Zentralgewalt und Regierungen in der Revolution

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Aufständischen in Wien so zu vermitteln, dass die konstitutionelle Bewegung gefestigt worden wäre. Zweitens hat sie vergeblich versucht, die entscheidenden politischen Kräfte am Hof und in der Regierung zu einer Gesamtstaatspolitik zu bewegen, die mit dem Beschluss der Nationalversammlung, dass in einem künftigen Nationalstaat nur Deutsche leben sollten, noch vereinbar gewesen wäre. 12.2 Preußen Das Amt des Reichsverwesers und das Reichsministerium waren nicht mit der Absicht geschaffen worden, die Stellung Preußens in Deutschland zu schwächen, doch taten sie das faktisch. Anschaulich kam das darin zum Ausdruck, dass am Hof und in der Regierung seitdem der Begriff „Reichsterrorismus“ die Runde machte. Durch die Turbulenzen im Königreich während der Formierung der Reichsorgane nahm Berlin darauf wenig Einfluss und er blieb auch in der Folgezeit gering. Erst mit der Konsolidierung der preußischen Monarchie durch den Übergang zum Ministerium Brandenburg und der Oktroyierung der Verfassung vom 5. Dezember 1848 stand Frankfurt ein gestärkter Rivale gegenüber. Für die Nationalversammlung bedeutete das, dass die Chance auf die Umsetzung des unverdrossen verfolgten Konzepts einer parlamentarischkonstitutionellen Monarchie erheblich gesunken war. Dennoch war nach dessen Scheitern und der eigenmächtigen Niederschlagung der Aufstände den preußischen Eliten klar, dass nach allem, was in Deutschland geschehen war und was der König versprochen hatte, eine positive Initiative unumgänglich war. Sie lag darin, auf der Linie des Unionsprojekts ein Deutschland der Fürstenstaaten mit demokratischer Verzierung unter Ausschluss Österreichs zu restituieren. Die preußische Initiative war eine Verlegenheitslösung, um die immer noch virulente offene Frage der Gestaltung Deutschlands, sowohl seines territorialen Umfangs als seiner inneren Verfassung, zu lösen. Sie scheiterte an ihren Widersprüchen und Widerständen, selbst innerhalb der preußischen Führungsspitze. Der entscheidende Anstoß für die preußische Unionspolitik war die Weigerung des Reichsverwesers gewesen, sein Amt dem preußischen König zu übertragen. Preußen hat durch das Dreikönigsbündnis und durch den danach einsetzenden Druck auf die anderen deutschen Staaten, sich anzuschließen, die Zentralgewalt zwar machtpolitisch schwächen können – nicht zuletzt dadurch, dass ihr die Matrikularbeiträge dieser Staaten entzogen wurden. Doch hat der Reichsverweser, indem er durch die Bildung eines neuen Ministeriums den Fortbestand der obersten Gewalt in Deutschland sicherte, diese

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Pläne durchkreuzt.1737 Denn die Übernahme der Provisorischen Zentralgewalt war ein Eckstein in der preußischen Deutschlandpolitik Preußens seit dem Frühsommer 1849 gewesen. Denn es hätte in eine bereits bestehende und ja von allen Bundesstaaten anerkannte Institution eintreten können. Die umworbenen Bundesstaaten verhielten sich taktisch abwartend. Österreich und der Reichsverweser bzw. die Zentralgewalt widersetzten sich und haben so den einfachsten Weg versperrt. Ein wenig beachteter, doch ausgesprochen wichtiger Grund für das Scheitern des Unionsprojekts. Der damalige Ministerpräsident Maximilian von Grävell hat zu Recht König Friedrich Wilhelm vor einer Fehleinschätzung gewarnt. Die Zentralgewalt sei, entgegen der preußischen Ansicht, keinesfalls bedeutungslos. Sie habe zwar infolge preußischer Intrigen keine reale Macht mehr, doch aufgrund ihres Ansehens in der Bevölkerung und weil sie die einzige legitime Institution in Deutschland sei, sehr wohl noch politische.1738 Die Provisorische Zentralgewalt für Deutschland hat aber nicht nur die Schaffung eines deutschen Nationalstaats unter Führung Preußens, der weitaus demokratischer ausfiel als der 1849 von ihm geplante, nochmals um fast eine Generation verschoben. Durch ihr Verharren hat sie auch die zeitweilige politische Teilung des Landes in Nord und Süd verhindert. Einerseits dadurch, dass sie teils durch Unterstützung, teils durch Gewährenlassen der Reichsverfassungskampagne im Süden den Garaus machte; andererseits durch ihren Widerstand gegen ein Unionsprojekt, das vor allem dort als der Versuch angesehen wurde, eine preußische Dominanz über Deutschland zu errichten. 12.3 Ministerium Wittgenstein Das ausgeprägt konservative Ministerium Grävell/Wittgenstein unterschied sich qualitativ von seinen Vorgängern. Die bisherige Hauptaufgabe, die staatlichen Strukturen des künftigen Deutschlands vorzubereiten, entfiel. Deswegen konnte es auch deutlich kleiner zugeschnitten werden. Dadurch, dass es sich von der Nationalversammlung, die sich bald selbst abschaffte, löste, war es formal eine Diktatur, doch nicht in der Sache, da ihm dazu alle Mittel fehlten. Die offene und inkonsistente Formulierung des Verhältnisses zwischen Legislative und Exekutive in dem sie begründenden Gesetz schloss eine solche 1737 Vgl. die beiden Noten Pr.s an den RV, 18. u. 28.5.1849: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. – Bd.  1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850 / hrsg. von Ernst Rudolf Huber. – 3., neubearb. u. verm. Aufl. – Stuttgart 1978, 430ff. 1738 MP Maximilian von Grävell an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 23.5.1849: Briefwechsel zwischen König Friedrich Wilhelm IV. und dem Reisverweser Erzherzog Johann von Österreich: (1848–1850) / hrsg. von Georg Küntzel. – Frankfurt a. M. 1924. – (Historisch-politische Bücherei; 4) 72f.

Zentralgewalt und Regierungen in der Revolution

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Rechtsauffassung zumindest nicht aus. So wurde nicht das Parlament, sondern die Zentralgewalt die Institution der institutionalisierten Revolution, die am längsten bestand! Diesen Weg, die Ablösung von der einsetzenden Institution hin zu einer autoritären bis diktatorischen Regierung, waren in den europäischen Revolutionen nicht wenige Ausschüsse gegangen. Es begann mit dem Prototyp aller Revolutionsregierungen, dem Wohlfahrtsausschuss des Konvents, der in die Diktatur Robespierres überging; es endete im Kirchenstaat mit dem von der Assemblea Constituente eingesetzte Comitato esecutivo, der Ende März 1849 von einem Triumvirat abgelöst wurde. In Ungarn verlief die Entwicklung vom Landesverteidigungsausschuss des September  1848 über die konstitutionelle Präsidentschaft Lajos Kossuths in die Diktatur Artúr Görgeys im August 1849. In der deutschen Revolution von 1848/49 war der Frühsommer 1849 ein tiefer Einschnitt. Im Hinblick auf die Einheit war nach der großdeutschen Lösung auch die kleindeutsche ebenso gescheitert wie das Verfassungsprojekt. Die Nationalversammlung hatte sich aufgelöst. Die institutionalisierte Revolution mündete über die Anarchie in die Reaktion. In dieser Lage gewann der Reichsverweser eine nicht vorhersehbare Bedeutung. Dass er trotz aller Anfeindungen eine neue Regierung zustande brachte, war eine Leistung, die den Gang der deutschen Entwicklung in den folgenden Monaten nachhaltig beeinflusst hat. Das in seiner Zusammensetzung wohl schwächste Reichsministerium war in seiner politischen Bedeutung vielleicht das wichtigste. Bei ihm ging es vor allen Dingen darum, dass es überhaupt als die einzige rechtmäßige zentrale Gewalt in Deutschland erhalten blieb. Das war die Voraussetzung dafür, dass die preußische Machtübernahme verhindert wurde und vergleichbare Versuche von links gar nicht erst aufkamen, die Reichsverfassungskampagne delegitimiert wurde und Österreich nach Deutschland zurückkehren konnte. 13.

Der Übergang

Die Einsicht, dass ihre Zeit abgelaufen war, überkam die Provisorische Zentralgewalt, nachdem die Anarchie beseitigt war und obwohl das preußische Unionsprojekt noch nicht gescheitert war, sondern sich nur festgefahren hatte. Doch hat sie es nicht dabei belassen, sondern sie hat sich selbst aktiv um eine adäquate Nachfolgeorganisation bemüht. Sie konnte so sogar ihre erneute Anerkennung durch Preußen erreichen. Dabei gab es politische und persönliche Motive. Politisch sollte Österreich wieder eine deutsche Macht werden. Persönlich ging es dem Reichsverweser darum, rechtlich und moralisch korrekt sein Mandat zu übertragen. Von

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solchen Überlegungen waren auch die Reichsminister angetrieben. Doch kam bei ihnen hinzu, dass sie nicht als Gescheiterte die nationale Bühne verlassen wollten. Vielmehr gebot ihnen ihre Selbstachtung, nur als ordentliche Liquidatoren zu gehen, die weder preußischen Machtgelüsten noch der österreichischen Reaktion gewichen waren. Dass die Zentralgewalt dabei den Weg zu einer Verfassung Deutschlands offenhalten wollte, war ebenso ehrenwert wie ehrgeizig, doch bei realistischer Betrachtung aussichtslos. 14.

Freiheit und Einheit

Das Urteil vom Scheitern von Nationalversammlung und Zentralgewalt darf die nicht gleich sichtbaren Folgen der Revolution, die sich diese Institutionen geschaffen hatte, nicht verdecken. Deren Ziele waren mit den Schlagworten von „Freiheit“ und „Einheit“ formuliert worden. Von der „Freiheit“ wurden manche Märzerrungenschaften nicht mehr rückgängig gemacht. Die Ständeversammlungen in den Bundesstaaten wandelten sich zu Landtagen und errangen als solche eine gewichtigere Stellung in den politischen Systemen als zuvor. Mit Blick auf die „Einheit“ war die unzeitgemäße Lösung der deutschen Frage durch Preußen verhindert worden. Dazu war es ein weiteres Vermächtnis der Revolution von 1848/49, dass das Problem der „Einheit“ nicht mehr von der Tagesordnung der Geschichte zu streichen war. Dabei ging es seitdem nur noch um das Wie, nicht mehr um das Ob. Der ehemalige Justizminister Robert von Mohl dachte wohl auch daran, als er die Leistung der Zentralgewalt so zusammenfasste: „allein ich glaube, daß es nicht unbescheiden ist, wenn ich behaupte, daß wir unseres Teiles die uns zugefallene Aufgabe besser gelöst haben, als das Parlament die seinige.“1739

1739 R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II (wie Anm. 1734) 98.

Anhang

Provisorische Zentralgewalt für Deutschland 28./29.6.1848– 20.12.1849

Gesetz der Nationalversammlung vom 28.6.1848

Deutschland / Entstehung Deutscher Bund 1848/49

Reichsverweser und Reichsministerium

Funktion in Revolution.

Legitimation

„vollziehende Gewalt Konstitutionelle Volkssouveränität; in allen Angelegen- Regierung Revolution heiten, welche die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt der Bundesstaaten betreffen“ Oberleitung der gesamten bewaffneten Macht; völkerrechtliche und handelspolitische Vertretung

Zusammen- Kompetenzen setzung Kooperation mit Nationalversammlung; Minister und Unterstaatssekretäre überwiegend aus Nationalversammlung; wird vom Reichsverweser berufen und entlassen

Andere Institutionen.

Übereinkunft zwischen Österreich und Preußen

Ende

Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49 – Tabellarische Übersicht

Wie Zeile 1

Wie Zeile 1

Wie Zeile 1 Berufung durch Reichs- s. Tab. MdRM verweser

Regierung von Schmerling 19.9.–15.12. 1848

Wie Zeile 1

Von rechtem Wie Zeile 1 (Casino) bis linkem Zentrum (Württemberger Hof) s. Tab. MdRM

Bildung durch von Schmerling in Abstimmung mit den „GagernLiberalen“; anschließende Ernennung durch den Reichsverweser

Funktion in Revolution.

Zusammen- Kompetenzen setzung

Regierung Fürst zu Leiningen 5.8.–6.9.1848

Deutschland / Entstehung Deutscher Bund 1848/49

( fortges.)

Wie Zeile 1

Wie Zeile 1

Legitimation

Wie Zeile 1

Wie Zeile 1

Andere Institutionen.

Rücktritt wegen Scheiterns der großdeutschen Politik

Rücktritt wegen Ablehnung des Waffenstillstands von Malmö durch Nationalversammlung

Ende

412 Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

Regierung von Gagern 17.12.1848– 10.5.1849

Zusammen- Kompetenzen setzung

Wie Zeile 1 ErbkaiserBerufung durch Reichs- liche und Kleindeutverweser sche der Mitte zusammen mit dem linken Zentrum und der Fraktion „Westendhall“ s. Tab. MdRM

Deutschland / Entstehung Deutscher Bund 1848/49

( fortges.)

Rettung des konstitutionellen Projekts auf Grundlage: preußischer Erbkaiser und kleindeutscher Bundesstaat

Funktion in Revolution.

Andere Institutionen. Wie Zeile 1

Legitimation Wie Zeile 1

Rücktritt wegen Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König und dessen Verwerfung der Frankfurter Verfassung; Reichsverweser versagt Unterstützung der aktiven Durchsetzung der Verfassung.

Ende

Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

413

Zusammen- Kompetenzen setzung

Wie Zeile 1 Rechtes Regierung Grävell Berufung 16.5.–3.6.1849 durch Reichs- Casino und Nichtverweser Mitglieder der Nationalversammlung s. Tab. MdRM

Deutschland / Entstehung Deutscher Bund 1848/49

( fortges.)

Verhinderung der Übernahme der Zentralgewalt durch Preußen; Offenhalten der Lage in Deutschland für Österreich; Bekämpfung der Aufstände im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Reichsverfassung; Übergangsregierung

Funktion in Revolution.

Ende

Misstrauen des Reichsministerium gegen Reichsministerpräsident Maximilian K. F. W. Grävell

Andere Institutionen. Tiefer Einschnitt, da nicht mehr Exekutivorgan der Nationalversammlung. Rumpfparlament und Reichsregentschaft

Legitimation Notstand: Bekämpfung von Unruhen; Legitimation durch Volkssouveränität und Revolution entfällt; einzige nationale Institution

414 Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

Regierung Fürst zu Sayn-WittgensteinBerleburg 3.6.–20.12.1849

Ausscheiden von Ministerpräsident Grävell aus der Regierung

Deutschland / Entstehung Deutscher Bund 1848/49

( fortges.)

Wie Regie- NV aufgelöst; pr. und Verhinderung der Übernahme rung Grävell öst. Regierung der Zentralgewalt durch Preußen; Offenhalten der Lage in Deutschland für Österreich; Bekämpfung der Aufstände im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Reichsverfassung; Übergangsregierung; Abwicklung der Zentralgewalt

Andere Institutionen.

Wie Zeile 1. Rechtes Casino und NichtMitglieder der Nationalversammlung s. Tab. MdRM

Legitimation

Funktion in Revolution.

Zusammen- Kompetenzen setzung

Übertragung der Kompetenzen der PZG auf die pr.-öst. Bundeskommission

Ende

Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

415

Provisorische Regierung 24.3.–22.10. 1848

Herzogtum SchleswigHolstein

Beschluss des von der gemeinsamen Ständeversammlung eingesetzten und um einige Honoratioren erweiterten Ausschuss in Abstimmung mit Kieler Bürgerverein

Nationalliberale, Konservative, Linksliberale

HERZOgTUM ENTSTEHUNG ZUSAMMEN­SETZUNG SCHLESWIGHOLSTEIN

Regierungstätigkeit; Verfassungs- und Gesellschaftsreform; Kriegführung

KOMPETENZEN

Krieg gegen Dänemark; Schaffung eines konstitutionellen Herzogtums SchleswigHolstein

Funktion in Revolution.

Auflösung aufgrund des Waffenstillstands von Malmö vom 26.8.1848

Andere ENDE Institutionen.

Konstituierende Revolution; Verteidigung Landesversamm„alter Rechte“; lung „Regierungsnotstand“

LEGITIMATION

416 Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

Nationalkonservativ, nationalliberal; ehemalige Mitglieder der Provisorischen Regierung

Statthalterschaft 26.3.1849– 1.2.1851; seit 10.7.1849 Statthalterschaft auf Holstein beschränkt

Im Namen und Auftrag der Reichsgewalt eingesetzt und auf diese vereidigt; nach deren Auflösung im eigenen Namen

Konservativ; Einsetzung durch Preußen bürgerlich-liberal und Dänemark auf der Grundlage ihres Waffenstillstandsabkommens; Einsetzung durch Dänemark und die Reichsgewalt

[Gemeinsame Regierung] 22.10.1848– 26.3.1849

HERZOgTUM ENTSTEHUNG ZUSAMMEN­SETZUNG SCHLESWIGHOLSTEIN

( fortges.)

Regierung unter Vorbehalt der Rechte des Landesherrn, nach dem Staatsgrundgesetz

Nicht festgelegt; eingeschränkte Handlungsfähigkeit

KOMPETENZEN

Krieg gegen Dänemark; Begründung eines selbstständigen Herzogtums SchleswigHolstein

Einsetzung durch die Reichsgewalt; Verteidigung angestammter Rechte

Landesversammlung; im Juli 1850 neugewählte Landesversammlung

Völkerrechtli- Funktionslose Lanche Vereinba- desversammlung rung zwischen Dänemark und Preußen, auch im Namen des Deutschen Bundes

Keine revolutionäre Funktion; Übergangsverwaltung für die Dauer des Waffenstillstands

Auflösung durch Kom­ missare des Deutschen Bundes zusammen mit der Landesver­ sammlung

Ablauf des Waffenstillstands von Malmö

Andere ENDE Institutionen.

LEGITIMATION

Funktion in Revolution.

Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

417

Provisorische Auf Initiative des Mitglieds Regierung . 4.5.–9.5.1849 des Sicherheitsausschusses, Samuel Erdmann Tzschirner, per Akklamation durch einige Stadtrats- und Landtagsmitglieder eingesetzt.

Königreich Entstehung Sachsen

Advokat Samuel Erdmann Tzschirner (Radikaldemokrat); Freiberger Kreisamtmann Otto Heubner (gemäßigter Demokrat); Geheimer Regierungsrat Karl Gotthelf Todt (Liberaler) bis 6. Mai.

Durchsetzung der Anerkennung der Reichsverfassung in Sachsen; Abwehr der preußischen Aggression

Zusammenset- Kompetenzen zung Leitung und Organisation des bewaffneten Kampfes für ganz Sachsen

Niederschla­gung des Dresdner Maiaufstan­des durch Preußen

Andere Ende Institutionen.

Aufruf Nationalver- Sichersammlung; Akkla- heitsausmation; Ablehnung schuss der Reichsverfassung durch den sächsischen König.

Funktion in Legitimation Revolution.

418 Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

Entstehung

Wahl durch Provisorische VertrauensmänRegierung, 17.5.–22.6.1849 ner aus 29 von 31 Kantonen auf Anordnung des Landesverteidigungsausschusses

Bayerische Pfalz Durchsetzung der Reichsverfassung in der Pfalz; Verteidigung der Pfalz gegen bayerische und preußische Truppen; Begründung einer unabhängigen pfälzischen Republik.

Aufruf der Nationalversammlung; Wahl durch die Vertrauensmänner des Volksvereins; Ablehnung der Reichsverfassung durch die bayerische Regierung.

Landesverteidigungsausschuss; kantonale Verteidigungsausschüsse; Zivilkommissare. Militärkommission

Flucht vor den preußischen Truppen nach Baden. Offizielle Aufhebung durch Oberkommandierenden der bayerischen Besatzungsarmee

Ende Kompetenzen Funktion in Legitima- Andere Revolution. tion Institutionen.

Josef Martin Reichard, Umfassende Präsident und Departe- Regierungskompetenzen. ment des Krieges, MdNV, 1837–1849 Notar Speyer; Nikolaus Schmitt, Departement des Innern, MdNV, 1838– 1849 Herausgeber und Redakteur des „Boten für Stadt und Land“; Dr. Johann (genannt Theodor) L. C. Greiner, Departement des Äußeren, MdLT 1849, Rechtspraktikant; Dr. Philipp A. L. Hepp, Departement der Finanzen, MdLT 1849, 1826–1849 Arzt in Neustadt; Peter Fries, Departement der Justiz, Rechtskandidat

Zusammensetzung

Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

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Landesausschuss 13.5.–1.6.1849 Exekutivkommission / Vollzugskomitee 14.5.–1.6.1849

Einsetzung durch die Offenburger Volksver­ sammlung

Landesausschuss zunächst 14, dann 18 ordentliche und 13 Ersatzmitglieder. Exekutivkomission: Präsident, Inneres und Äußeres: Lorenz Brentano; Finanzen: Amand Goegg; Justiz: Ignaz Peter; Krieg: Karl Eichfeld.

Grossherzog- Entstehung Zusammensettum Baden zung Verweigerung Badischer der Annahme Landtag der Reichsverfassung durch die deutschen Fürsten; Flucht und Legitimationsverlust der Großherzoglichen Regierung; Volkssouveränität.

Landesausschuss: Kontrolle der Exekutivkommission. Exekutivkommission: umfassende Regierungsfunktionen; Neuausrichtung der bisherigen Staats- und Justizorgane; Aufbau einer revolutionären Streitmacht.

Durchsetzung der Reichsverfassung; Einberufung einer verfassunggebenden Landesversammlung für Baden; Übernahme der Kompetenzen der Großherzoglichen Regierung

Einsetzung der Provisorischen Regierung

Legitimation Andere Ende Institutionen.

Funktion in Revolution.

Kompetenzen

420 Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

Provisorische Regierung 1.6.–13.6.1849

Auflösung des Landesausschusses und der Exekutivkommission

Funktion in Revolution. Wie Exekutivkommission, doch dazu Auftrag zur Durchsetzung der Reichsverfassung in Deutschland; Kriegführung

Kompetenzen

Lorenz Brentano Wie Exekutivkommission Innenminister; Amand Goegg Finanzminister; Ignaz Peter Justizminister; Franz Sigel Kriegsminister; Joseph Fickler Außenminister

Grossherzog- Entstehung Zusammensettum Baden zung

( fortges.)

Wie Landesausschuss und Exekutivkommission; nachträgliche Bestätigung durch Landesversammlung

Einsetzung des Sammlung Triumvirats der Radikalen im „Club des entschiedenen Fortschritts“; Verfassunggebende Landesversammlung u. a. Kontrolle der Provisorischen Regierung; Oberkommando der Revolutionstruppen

Legitimation Andere Ende Institutionen.

Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

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Sicherung der Revolution; Durchsetzung Reichsverfassung; Kriegführung

Formal Vollziehungsausschuss des Parlaments; faktisch Diktatur mit exekutiver und legislativer Befugnis.

Wahl durch Verfassunggebende Landesversammlung

Lorenz Brentano (bis 29.6); Amand Goegg; Maximilian J. Werner

Triumvirat; Provisorische Regierung mit diktatorischer Gewalt 13.6.–12.7.1849

Funktion in Revolution.

Kompetenzen

Grossherzog- Entstehung Zusammensettum Baden zung

( fortges.)

Wahl durch Verfassunggebende Landesversammlung

vom Triumvirat eingesetzte Regierung: Lorenz Brentano Justizminister; Amand Goegg und Karl F. Heunisch Finanzminister; Maximilian J. Werner Kriegsminister; Florian Mördes Innenminister. Verfassungsgebende Landesversammlung; Oberkommando der Revolutionstruppen

Auflösung durch Flucht vor Reichstruppen und preußischen Truppen zwischen 28.6. u. 12.7.

Legitimation Andere Ende Institutionen.

422 Die Provisorischen Regierungen in Deutschland 1848/49

Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt Präsidenten des Reichsministerrats, Minister, Unterstaatssekretäre1740 Präsidenten des Reichsministerrats bzw. Vorsitzende des Reichsministerrats Karl Fürst zu Leiningen 5. August 1848–5. September 1848 Anton Ritter von Schmerling 24. September 1848–15. Dezember 1848 Heinrich von Gagern 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 18491741 Maximilian Karl Friedrich Wilhelm Grävell 16. Mai 1849–3. Juni 1849 August Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Ber1eburg 3. Juni 1849–20. Dezember 1849 Reichsministerium des Innern Minister Anton Ritter von Schmerling 15. Juli 1848–15. Dezember 1848 Heinrich Freiherr von Gagern 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Maximilian Karl Friedrich Wilhelm Grävell 16. Mai 1849–3. Juni 1849 Johann Hermann Detmold 3. Juni–20. Dezember 1849 Unterstaatssekretäre Friedrich Daniel Bassermann 5. August 1848–22. März / 10. Mai 1849 Joseph Edler von Würth 5. August 1848–15. Dezember 1848 Reichsministerium der auswärtigen Angelegenheiten Minister Anton Ritter von Schmerling 15. Juli 1848–9. August 1848 Johann Gustav Heckscher 9. August 1848–5. / 23. September 1848 Anton Ritter von Schmerling 24. September 1848–15. Dezember 1848 1740 Die Amtszeit der Mitglieder der Reichsregierung sind nicht immer mit der wünschenswerten Eindeutigkeit auf den Tag genau zu bestimmen. Zu Beginn haben einige ihre Tätigkeit aufgenommen, ohne bereits offiziell ernannt worden zu sein. Später unterscheiden die Quellen sowohl nicht immer eindeutig zwischen der Rücktrittserklärung des Kabinetts und dessen offizieller Entlassung als auch zwischen der offiziellen und der interimistischen Tätigkeit. 1741 Die offizielle Amtszeit des Gesamtreichsministeriums unter Ministerpräsident Heinrich von Gagern endete am 22. März 1849. Es arbeitete aber bis zum 10. Mai interimistisch weiter. Danach führten noch einige Mitglieder als „abtretender interimistischer Reichsministerrat“ die Geschäfte bis zum 16. Mai weiter.

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Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt

Heinrich Freiherr von Gagern 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 August Giacomo Jochmus 17. Mai 1849–20. Dezember 1849 Unterstaatssekretäre Maximi1ian Freiherr von Gagern 5. August1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Ludwig Maximilian von Biegeleben 9. August1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Reichsministerium des Krieges Minister Eduard von Peucker 15. Juli 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 August Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg 21. Mai 1849–20. Dezember 1849 Reichsministerium der Justiz Minister Johann Gustav Heckscher 15. Juli 1848–9. August 1848 Robert von Mohl 9. August1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Johann Hermann Detmold 17. Mai 1849–20. Dezember 1849 Unterstaatssekretär Christian Widenmann 9. August 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Reichsministerium der Finanzen Minister Hermann von Beckerath 5. August 1848–5. / 16. September 1848 Arnold Duckwitz 17. September 1848–23. September 1848 Hermann von Beckerath 24. September 1848–22. März / 3. Mai 1849 Ernst Merck 17. Mai 1849–20. Dezember 1849 Unterstaatssekretär Karl Mathy 5. August 1848–22. März / 10. Mai 1849 Reichsministerium des Handels Minister Arnold Duckwitz 5. August 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Unterstaatssekretäre Gustav Mevissen 5. August 1848–5. September 1848 Johannes Baptista Fallati 9. August 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849

Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt

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Reichsministerium der Marine Minister August Giacomo Jochmus 17. Mai 1849–20. Dezember 1849 Reichskommissar und Kommandant der Reichsflotte in verschiedenen Funktionen: Karl Rudolf Bromme („Brommy“) 23. März 1849–31. März 1853 Leiter der Technischen Marinekommission: Prinz Adalbert von Preußen Ende November 1848–10. Februar 1849 Zusammensetzung der Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt Ministerium Leiningen Präsident des Reichsministerrats Karl Fürst zu Leiningen 5. August 1848–5. September 1848 Reichsminister des Innern Anton Ritter von Schmer1ing 15. Juli 1848–5. / 23. September 1848 Unterstaatssekretäre Friedrich Daniel Bassermann 5. August 1848–5. / 23. September 1848 Joseph von Würth 5. August 1848–5. / 23. September 1848 Reichsminister der auswärtigen Angelegenheiten Anton Ritter von Schmer1ing 15. Juli 1848–9. August 1848 Johann Gustav Heckscher 9. August 1848–5. / 23. September 1848 Unterstaatssekretäre Maximi1ian Freiherr von Gagern 5. August 1848–5. / 23. September 1848 Ludwig Maximilian von Biegeleben 9. August 1848–5. / 23. September 1848 Reichsminister des Krieges Eduard von Peucker 15. Juli 1848–5. / 23. September 1848 Reichsminister der Justiz Johann Gustav Heckscher 15. Juli 1848–9. August 1848 Robert von Mohl 9. August 1848–5. / 23. September 1848 Unterstaatssekretär Christian Widenmann 9. August 1848–5. / 23. September 1848

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Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt

Reichsminister der Finanzen Hermann von Beckerath 5. August 1848–5. / 16. September 1848 Arnold Duckwitz 17. September 1848–23. September 1848 Unterstaatssekretär Karl Mathy 5. August 1848–5. / 23. September 1848 Reichsminister des Handels Arnold Duckwitz 5. August 1848–5. / 23. September 1848 Unterstaatssekretäre Gustav Mevissen 5. August 1848–5. September 1848 Johannes Baptista Fallati 9. August 1848–5. / 23. September 1848 Ministerium Schmerling Vorsitz Anton Ritter von Schmerling 24. September 1848–15. Dezember 1848 Reichsminister des Innern Anton Ritter von Schmerling 24. September 1848–15. Dezember 1848 Unterstaatssekretäre Friedrich Daniel Bassermann 24. September 1848–16. Dezember 1848 Joseph von Würth 24. September 1848–15. Dezember 1848 Reichsminister der auswärtigen Angelegenheiten Anton Ritter von Schmerling 24. September 1848–15. Dezember 1848 Unterstaatssekretäre Maximi1ian Freiherr von Gagern 24. September 1848–16. Dezember 1848 Ludwig Maximilian von Biegeleben 24. September 1848–16. Dezember 1848 Reichsminister des Krieges Eduard von Peucker 24. September 1848–16. Dezember 1848 Reichsminister der Justiz Robert von Mohl 24. September 1848–16. Dezember 1848 Unterstaatssekretär Christian Widenmann 24. September 1848–16. Dezember 1848 Reichsminister der Finanzen Hermann von Beckerath 24. September 1848–16. Dezember 1848 Unterstaatssekretär Karl Mathy 24. September 1848–16. Dezember 1848

Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt

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Reichsminister des Handels Arnold Duckwitz 24. September 1848–16. Dezember 1848 Unterstaatssekretäre Johannes Baptista Fallati 24. September 1848–16. Dezember 1848 Ministerium Gagern Präsident des Reichsministerrats Heinrich von Gagern 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Reichsminister des Innern Heinrich von Gagern 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Unterstaatssekretär Friedrich Daniel Bassermann 17. Dezember 1848–22. März / 10. Mai 1849 Reichsminister der auswärtigen Angelegenheiten Heinrich von Gagern 17. Dezember 1848–22. März / 10. Mai / 16. Mai 1849 Unterstaatssekretäre Maximi1ian Freiherr von Gagern 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Ludwig Maximilian von Biegeleben 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Reichsminister des Krieges Eduard von Peucker 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Reichsminister der Justiz Robert von Mohl 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Unterstaatssekretär Christian Widenmann 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Reichsminister der Finanzen Hermann von Beckerath 17. Dezember 1848–22. März / 3. Mai 1849 Unterstaatssekretär Karl Mathy 17. Dezember 1848–22. März / 10. Mai 1849 Reichsminister des Handels Arnold Duckwitz 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849 Unterstaatssekretär Johannes Baptista Fallati 17. Dezember 1848–22. März / 10. / 16. Mai 1849

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Die Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt

Ministerium Grävell / Sayn-Wittgenstein-Berleburg Interimistischer Präsident des Reichsministerrats Maximilian Karl Friedrich Wilhelm Grävell 16. Mai 1849–3. Juni 1849 Präsident des Reichsministerrats August Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg 3. Juni 1849–20. Dezember 1849 Reichsminister des Innern Maximilian Karl Friedrich Wilhelm Grävell 16. Mai 1849–3. Juni 1849 Johann Hermann Detmold 3. Juni–20. Dezember 1849 Reichsminister der auswärtigen Angelegenheiten August Giacomo Jochmus 17. Mai 1849–20. Dezember 1849 Reichsminister des Krieges August Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg 21. Mai 1849–20. Dezember 1849 Reichsminister der Justiz Johann Hermann Detmold 17. Mai 1849–20. Dezember 1849 Reichsminister der Finanzen Ernst Merck 17. Mai 1849–20. Dezember 1849 Reichsminister der Marine August Giacomo Jochmus 17. Mai 1849–20. Dezember 1849

Verfasser und Herausgeber Frank Engehausen geb. 1963, Studium der Mittleren und Neueren Geschichte und der Englischen Philologie, 1993 Promotion zum Dr. phil., 2002 Habilitation für Neuere Geschichte, 2005 apl. Prof. am Historischen Seminar der Universität Heidelberg. Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre: deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, neuere südwestdeutsche Geschichte, Geschichte des Nationalsozialismus. Buchpublikationen zur Revolution 1848/49: Kleine Geschichte der Revolution in Baden 1848/49, 2010; Die Revolution von 1848/49, 2007; Auf dem Weg zur Paulskirche: Die Heidelberger Versammlung vom 5. März 1848 / hrsg. mit Frieder Hepp, 1998; Gelehrte in der Revolution: Heidelberger Abgeordnete in der deutschen Nationalversammlung 1848/49/ hrsg. mit Armin Kohnle, 1998. Jonas Flöter Jg. 1967, 2010 Vertretung der Professur für Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte an der Technischen Universität Dresden. 2012 Studienrat am Domgymnasium Naumburg und an der Landesschule Pforta. 2016 Referent für die Führungskräfteentwicklung am Landesschulamt SachsenAnhalt. Seit 2020 Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Arbeitsschwerpunkte: Sozial- und Problemgeschichte des Bildungswesens des 18. bis 20. Jahrhunderts; Theorien von Bildung und Erziehung; Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts; Mäzenatentum- und Stiftungsforschung; Deutsche und Österreichische Politik- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. E-Mail: [email protected]. Markus Meyer geboren 1987 in Ingolstadt, studierte seit 2006 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Geschichte, Amerikanistik, Politologie und Soziologie für das Lehramt an Gymnasien. Nach dem 1. Staatsexamen 2012 nahm er die Arbeit an seiner Dissertationsschrift über die Pfälzische Revolution 1848/49 auf, unterstützt durch die Stiftung zur Förderung der pfälzischen Geschichtsforschung. Im Anschluss an den Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Gymnasien in Regensburg und München kehrte Meyer 2016 vorübergehend als Mitarbeiter in das von Prof. Dr. Karsten Ruppert geleitete DFG-Forschungsprojekt „Edition der Akten der Provisorischen Zentralgewalt in der deutschen Revolution

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Verfasser und Herausgeber

1848/49“ an die Universität Eichstätt zurück. Von 2017 bis 2021 war Meyer für die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. tätig, bevor er 2021 in das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr wechselte. Frank Möller PD Dr.; wiss. Mitarbeiter der Universität Greifswald. Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Politikwissenschaft und des öffentlichen Recht in Frankfurt am Main. 1990–1993 wiss. Mitarbeiter im DFG-Projekt „Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert“, 1994 Promotion. 1993–1998 wiss. Mitarbeiter am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2004 Habilitation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit der Arbeit „Heinrich von Gagern. Eine Biographie“; 2005 Preis der Wolf-Erich-Kellner-Gedächtnisstiftung. Seit 2006 in Greifswald. Vertretung des Lehrstuhls für Neueste Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Veröffentlichungen zur Sozial-, Politikund Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, mit Schwerpunkten auf Liberalismus, Bürgertum, die Revolution von 1848/49 und das deutsche Kaiserreich. Karsten Ruppert Prof. Dr., Emeritus für Neuere und Neueste Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. 1979 Dissertation über die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongress 1643–1648; 1992 Habilitationsschrift zum Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923–1930. Veröffentlichungen zum 19. Jahrhundert unter anderem: Bürgertum und staatliche Macht in Deutschland zwischen Französischer und deutscher Revolution, 1997; Die politischen Vereine der Pfalz in der Revolution von 1848/49. – In: Die Pfalz und die Revolution 1848/49, 2000; Europa im Zeitalter des Hambacher Festes. – In: Jahrbuch der Hambach Gesellschaft 2006; Die Konfessionen in der pfälzischen Revolution von 1848/49. – In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 2015. Zuletzt: Die Pfalz im Königreich Bayern: Geschichte, Kultur und Identität, 2017 und Die Exekutiven der Revolutionen: Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 2022.

Verzeichnis der Abkürzungen A Abg.: Abegeordnete(r) allg.: allgemein Anm.: Anmerkung(en) Ass. Nat.: Assemblée Nationale Ass. Nat. Const.: Assemblée Nationale Constituante Aufl.: Auflage Aufz.: Aufzeichnung(en) B BA: Bundesarchiv Berlin bay.: bayerische(s) Bay. HStA: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bd.: Band / Bände bearb.: bearbeitet bes.: besonders Best.: Bestand Bevollm.: Bevollmächtigte(r) Bf.: Brief(e) Bfw.: Briefwechsel Bl.: Beilage C Cod. Hist.: Codex Historicus D D: Deutschland DB: Deutscher Bund, insbesondere Bestand Deutscher Bund im BA Dok.: Dokument(e) DokVG: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte dt.: deutsch(e) DVG: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 E Ehg.: Erzherzog eingel.: eingeleitet erw.: erweitert(e)

432 etc.: et cetera europ.: europäische(r) F f.: folgende Seite Fasz.: Faszikel ff.: folgende Seiten FLA: Fürstlich Leiningisches Archiv G G.: Gesetz(e) Ges.: Gesandte(r) Gf.: Graf Ghgt.: Großherzogtum GRM: Gesamtreichsministerium H H.: Heft Hrsg.: Herausgeber / Herausgeberin HHStA: Haus-, Hof- und Staatsarchiv HStA: Hauptstaatsarchiv hrsg.: herausgegeben I Inst.: Instruktion J Jhd.: Jahrhundert K Kat.: Katalog kath.: katholisch Kg.: König kgl.: königlich konst.: konstitutionell Kt.: Karton L LA: Landesarchiv LVA: Landesverteidigungsausschuss

Verzeichnis der Abkürzungen

Verzeichnis der Abkürzungen

M MdNV: Mitglied der Nationalversammlung MdRM: Mitglied(er) des Reichsministeriums milit.: militärisch Min.: Ministerium Mitgl.: Mitglieder MP: Ministerpräsident; Präsident des Reichsministeriums MR: Ministerrat N ND: Neudruck nat.: national ndld.: niederländisch NL: Nachlass NV: Nationalversammlung / Sitzung der Nationalversammlung vom Nr.: Nummer O o. D.: ohne Datum ö.: öffentlich Öst.: Österreich öst.: österreichisch P PA: Politische Abteilung Parl.: Parlament parl.: parlamentarisch pol.: politisch Pr. Preußen pr.: preußisch Prot.: Protokoll(e) Prov.: Provisorische Pr. Staatsmin. vom: Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom PZG: Provisorische Zentralgewalt R RAM: Reichsaußenminister RAMin: Reichsaußenministerium Reg.: Regierung(en) Rev.: Revolution

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Verzeichnis der Abkürzungen

rev.: revolutionär RFM: Reichsfinanzminister RFMin: Reichsfinanzministerium RG: Reichsgesetz RGBl.: Reichsgesetzblatt Rhein.: Rheinische(r) RHM: Reichshandelsminister RHMin: Reichshandelsministerium RIM: Reichsinnenminister RIMin: Reichsinnenministerium Rk.: Reichskommissar(e) RJM: Reichsjustizminister RKM: Reichskriegsminister RM: Reichsministerium / Reichsministerien RMP: Reichsministerpräsident RMM: Reichsmarineminister RMMin: Reichsmarineministerium RS: Rundschreiben RV: Reichsverweser RZG: Reichszentralgewalt S s.: siehe Slg.: Sammlung soz.: sozialistisch StA: Staatsarchiv Staatsmin.: Staatsministerium StdA: Stadtarchiv StK.: Staatskanzlei T Tab.: Tabelle THW: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Tgb.; Tagebuch U u.: und u. a.: und andere UB: Universitätsbibliothek ung.: ungarische(r)) UStS: Unterstaatssekretär(e)

Verzeichnis der Abkürzungen

V Verf.: Verfassung(en) VG: Verfassungsgeschichte Vors.: Vorsitzende W WLB: Württembergische Landesbibliothek Z z. B.: zum Beispiel ZD: Zirkulardepesche ZG: Zentralgewalt zit.: zitiert

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