Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871: Vom dualistischen zum transnationalen Föderalismus [1 ed.] 9783428497911, 9783428097913

Die gängige Doktrin der Staatenverbindungslehre tut sich mit der Erfassung des föderalen Systems der EU deswegen so schw

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Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871: Vom dualistischen zum transnationalen Föderalismus [1 ed.]
 9783428497911, 9783428097913

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ALEXANDER BÖHMER

Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von Jost Delbrück und Rainer Hofmann WaIther-Schücking-Institut für Internationales Recht

127

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts:

Daniel Bardonnet I'Universite de Paris 11

Rudolf Bernhardt Heidelberg

Lucius Caflisch Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales, Geneve

Antonius Eitel New York; Bonn

Luigi Ferrari Bravo Universiltl di Roma

Louis Henkin Columbia University, NewYork

Tommy T. B. Koh Singapore

John Norton Moore University of Virginia, CharlottesviIIe

Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Albrecht Randelzhofer Freie Universität Berlin

Krzysztof Skubiszewski Polish Academy of Sciences, Warsaw; The Hague

Christian Tomuschat Humboldt-Universität zu Beriin

Sir Arthur Watts London

Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871 Vom dualistischen zum transnationalen Föderalismus

Von

Alexander Böhmer

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Böhmer, Alexander: Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871 : vom dualistischen zum transnationalen Föderalismus I von Alexander Böhmer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel; Bd. 127) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09791-2

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany

© 1999 Duncker &

ISSN 1435-0491 ISBN 3-428-09791-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Der Text war im April 1998 abgeschlossen, Änderungen wurden bis Ende 1998 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Jost Delbrück, für die vielfältige Förderung, die ich durch ihn schon während meiner Studienzeit, aber auch während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht erfahren habe. Ferner danke ich Herrn Professor Dr. Dr. Rainer Hofmann für die zügige Abwicklung des Promotions verfahrens. Dankbar erwähnen möchte ich aber vor allen Dingen meine Eltern sowie meine eigene Familie, die mich in vielfältiger Weise unterstützt haben und denen diese Arbeit gewidmet ist.

Kiel, im Frühjahr 1999

Alexander Böhmer

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

Teil I Der dualistische Föderalismus - Die EU zwischen Bundesstaat, Staatenbund, Staatenverbund und internationaler Organisation A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

21

I. Die Entstehung des modemen Staates durch die Ausbildung der Souveränität ........................................................

23

11. Föderalismus und Souveränität in der deutschen Bundesstaatslehre . . . . . .

25

1. Begriffsgeschichte des Föderalismus ..........................

26

2. Föderalismus in Deutschland ................................

27

III. Der zwischenstaatliche Föderalismus .............................

32

B. Die EG im Vergleich mit dem staatsrechtlichen Föderalismus der Reichsverfassung von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

35

I. Vorbemerkungen zur Problematik eines Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . ..

36

11. Die Grundlagen der Reichsverfassung von 1871 und der EG - Zwischen Vertrag und Verfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

39

1. Entstehungsgrundlage der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.4.1871 ...............................................

39

2. Die Grundlagen der EG - Verfassung oder Vertrag? . . . . . . . . . . . . ..

42

a) Die Trennung der Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

45

(1) Trennungsthese 1 - Autonomes Verfassungsrecht . . . . . . . . ..

45

(2) Trennungsthese 2 - Gemeinschaftsrecht als Völkerrecht .. . ..

47

b) Weitere Einwände gegen die Übertragung des Verfassungsbegriffs auf die EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

(1) Staat und Verfassung ................................

49

(2) Demokratiedefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

51

8

c.

Inhaltsverzeichnis 3. Komplementäre Verfassung der EGIEU ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

III. Die Kompetenzstrukturen und Institutionen der Europäischen Gemeinschaft im Vergleich mit der Reichsverfassung von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

55

1. Die föderalen Kompetenzstrukturen ...........................

56

a) Materielle Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

b) Legislativkompetenzen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

c) Exekutivbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

67

d) Judikative .......... . .................................

69

e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

72

2. Die föderalen und unitarischen Institutionen der EG und der RV 1871

73

a) DasunechteZweikarnrnersystemderRV 1871 undderEG ......

73

(1) Bundesrat und Reichstag .............................

74

(2) Rat und Parlament der EG ............................

76

b) Die unitarischen Exekutivorgane der RV 1871 und der EG . . . . . .

81

(1) Deutscher Kaiser, Reichskanzler .......................

82

(2) Die Kommission der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

83

3. Die Finanzverfassung im föderalen System .....................

85

4. Das rechtliche Band zwischen dem einzelnen und dem föderalen System

88

a) Doppeltes Bürgerrecht ..................................

89

b) Die Unionsbürgerschaft .................................

90

5. Völkerrechtssubjektivität und auswärtige Gewalt. . . . . . . . . . . . . . . ..

91

IV. Föderalismus und Unitarismus in beiden föderalen Systemen ..........

94

Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus. . . . . . . . . . . . . . ..

98

I. Das Reich als Bundesstaat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

98

1. Georg Waitz' Bundesstaatstheorie ..................... . ...... 100 2. Waitz und die RV 1871 .................................... 103 11. Der Inhalt der "deutschen Bundesstaatstheorie" - Entwickelt in der Auseinandersetzung mit der RV 1871. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 105 1. Staatlichkeit des Bundes und der Glieder .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 106 a) Staatlichkeit nach Jellinek ............................... 106 b) Souveränität im föderalen System ......................... 107 (1) Souveränität als Element der Bundesstaatlichkeit? . . . . . . . . .. 107

(2) Das Problem der Kompetenz-Kompetenz ................ 110

Inhaltsverzeichnis

9

2. (Bundes-)Reichsstaatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 111

3. Bundestreue ............................................. 112 III. Zur Übertragung der Bundesstaatstheorie auf die Europäische Union .... 113 1. Zur Staatlichkeit der EU nach den Jellinekschen Kriterien. . . . . . . . .. 114 2. Die "Bundes"-Struktur der EU erörtert am Begriff der "KompetenzKompetenz" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 115 a) Staatlichkeit und Kompetenz-Kompetenz ................... 116 b) Die "Herrschaft über die Verträge" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11 7 (1) Kompetenz-Kompetenz der EU zu Lasten der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 118 (2) Kompetenz-Kompetenz der Mitgliedstaaten zu Lasten der EUHoheitsgewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119

c) Zur Untauglichkeit des Kriteriums der Kompetenz-Kompetenz. .. 123

D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus ................... 125 I. Die EU als Staatenbund ....................................... 126

11. Die EU als internationale Organisation mit Rechtspersönlichkeit? . . . . . .. 127 1. Ableitung der Rechtspersönlichkeit aus den Gemeinschaften? . . . . . .. l31

2. Ableitung der Rechtspersönlichkeit aus der Struktur der EU selbst? .. l36 III. Die EU als Staatenverbund ..................................... 140

E. Zur Relativität staatsrechtlicher Kategorien .......................... 142

Teil 11

Der transnationale Föderalismus - Das röderale System der EU als einheitliche Rechtsordnung A. Föderalismus als transnationales Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 144 I. Das föderale System der EU als materiell einheitliche Rechtsordnung ... 147 1. Geltungsbehauptung und Geltungsgrundlage .................... 148 2. Materielle Einheit trotz formeller Trennung der Teilrechtsordnungen. . 152

11. Die Verklammerung der EU mit den mitgliedstaatlichen Verfassungen. .. 154 1. Grundlagen der Verklammerungswirkung ...................... 154 2. Kompetenzen und Kollisionsregeln .................... . ...... 157

10

Inhaltsverzeichnis

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht des röderalen 160

Systems der EU ................................................. .

I. Die kartellrechtlichen Kompetenzen der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . .. 161 11. Das Urteil des EuGH im Falle Walt Wilhe1m ....................... 164 1. ,One-shop stop' oder Doppelkontrolle? ........................ 164 2. Kompetenzabgrenzung oder einheitliche Rechtsordnung? ..... . . . .. 166 III. Die Konfliktfälle ............................................. 168 1. Das Kriterium der "positiven Gestaltungsmaßnahmen" ............ 169 2. Die Nichtanwendbarkeit der Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 EGV Amsterdam) ................................................... 171 3. Einzelfreistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Amsterdam) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 174 4. Gruppenfreistellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175 IV. Die Kollisionsregeln in der einheitlichen Rechtsordnung. . . . . . . . . . . . .. 177 V. Die Re1ati vierung der Vorrangfrage in der einheitlichen Rechtsordnung .. 179 C. Der Staat im einheitlichen röderalen System der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 180 I. Souveränität .................... ~ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 182 1. Souveränität als formeller oder materieller Begriff? . . . . . . . . . . . . . .. 182 2. Die Souveränität nach innen und außen ........................ 187 3. Der Träger der Souveränität im transnationalen Föderalismus ...... , 188 11. Der klassische Staatsbegriff und der Mitgliedstaat der EU .... . . . . . . . .. 194 1. Staatszwecklehre - Staatsaufgabenlehre ............... . . . . . . . .. 195 2. Die "überstaatliche Bedingtheit" des Staates als Legitimitätsvoraussetzung .................................................... 200

D. Schlußbetrachtung ............................................... 201 Ergebnisse

203

Literaturverzeichnis

211

Sachregister

230

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABI.

anderer Ansicht Amtsblatt

Abs. AJIL Am.J.Comp.L AöR ARSP

Absatz American Journal of International Law American Journal of Comparative Law Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art. Austrian J.Publ.Intl.Law Bd. BGBL Bull. BVerfG BVerfGE BYIL bzw. CMLR CMLRep. ders.

Artikel Austrian Journal of Public and International Law Band Bundesgesetzblatt Bulletin Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook of International Law beziehungsweise Common Market Law Review Common Market Law Report derselbe das heißt Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft European Community

d. h. DÖV DVBI. EAGV EC ECR ECU ed(s).

EEA EG EGKSV EGV EJIL E.L.Rev.

European Court Reports European Currency Unit editor(s) und edition Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Europäische Gemeinschaft European Journal of International Law Euopean Law Review

12

Abkürzungsverzeichnis

EMRK EP EPIL EU EuGH

Europäische Menschenrechtskonvention Europäisches Parlament Encyclopedia of Public International Law Europäische Union Europäischer Gerichtshof

EuGHE EuGRZ EuR EUV EuZW EVStLex. EWG EWGV EWR f. ff. FG

Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes Europäische Grundrechtszeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evangelisches Staatslexikon Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag über die EWG Europäischer Wirtschaftsraum folgende (Seite) folgende (Seiten)

FN FS FusV GASP GAIT gern. GG GO Gs GUS GWB HIU HStR Hrsg. l.L.M. i. V. m. i. S. v. ICJ IGH JCMS Jh. JuS JZ

Festgabe Fußnote Festschrift Fusionsverordnung Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Tariffs and Trade gemäß Grundgesetz Geschäftsordnung Gedächtnisschrift Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Harvard International Law Journal Handbuch des Staatsrechts Herausgeber International Legal Materials in Verbindung mit im Sinne von International Court of Justice Internationaler Gerichtshof Journal of Common Market Studies Jahrhundert Juristische Schulung Juristenzeitung

Abkürzungsverzeichnis

13

lit. MID MLR

litera Maun:zJDürig Modern Law Review

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n. F. NI NJW

neue Fassung

No.

Number

Nr.

Nummer Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht (bis 1981)

ÖZöR ÖZöRV PCIJ PL

Neue Iustiz Neue Juristische Wochenschau

Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht Permanent Court of International Justice Public Law

PVS

Politische Vierteljahresschrift

RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des Cours de I' Academie de Droit International Randnummer

RdC Rdn. RGBl.

Reichsgesetzblatt

RS Rspr RV

Rechtssache Rechtsprechung Reichsverfassung

Sig.

Sammlung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft

Spl.

Spalte

SZIER

Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht und andere von und versus vergleiche

u. a. v. vgl. VO vol. VVDStRL

Verordnung Volume

WVK

Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer Wirtschaft und Wettbewerb Wiener Konvention über das Recht der Verträge

WWU

Wirtschafts- und Währungsunion

YEL Yale L.J.

Yearbook of European Law Yale Law Journal

WuW

14 ZaöRV z.B.

ZBn ZfP ZRP

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung "In wenigen Partien des öffentlichen Rechts herrscht eine solche Unklarheit, wie in der Lehre von den Staatenverbindungen."l Diese Feststellung Georg Jellineks kann heute angesichts neuerer Formen einer engeren Staatenintegration wie der Europäischen U nion2 nur wiederholt werden. So wurde die durch den Vertrag von Maastricht geschaffene Europäische Union in Anlehnung an Samuel Pufendorfs Beschreibung des Heiligen Römischen Reiches - als "aliquod corpus et monstro simile"3 oder moderner als "constitutional chaos"4 bezeichnet. Auch wird die Europäische Union gerne als "ein Gebilde sui generis aufgefaßt und für sie eine eigene Theorie zugeschnitten"s. Dies geschieht etwa dann, wenn die EU als internationale Organisation "sui generis" beschrieben wird6, die, wenn überhaupt

Jellinek, Staatenverbindungen, 3. Der Begriff der ,,Europäischen Union" war seit Beginn der 50er Jahre Gegenstand von Plänen, Memoranden und Reformüberlegungen. Er fand offizielle Verwendung erstmals 1962 in Art. 1 des sog. Fouchet-Plans ("Durch diesen Vertrag wird eine ,Staatenunion' [Union europäischer Staaten und Völker] gegründet, die nachstehend ,Europäische Union' genannt wird."). Von der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) wurde als möglicher Endpunkt einer Integrationsentwicklung die "zu gründende Union" (Art. 1 Abs. 1) anvisiert. Diese "Union" ist nun durch Art. A Abs. 1 EUV (Art. 1 Abs. 1 EUV Amsterdam) verwirklicht worden, allerdings angelegt als auch weiterhin offenes Integrationskonzept (Art. A Abs. 2, Art. N Abs. 2 EUV (Art. 1 Abs. 2 EUV Amsterdam». LecheIer, in: FSHeymanns Verlag, 393, weist hin auf den Begriff der "EU" als Begriff der Politik, der gerade keinen Rechtsbegriffdarstellt, damit aber die in ihm angelegte Einigungsdynamik um so besser aufnehmen könne. Der Verweis auf die Politikbezogenheit des Begriffs hindert aber nicht, sich Gedanken über eine Klassifizierung dieser Union zu machen, denn die Union, wie die in ihr enthaltene Europäische Gemeinschaft, ist eben gerade auch eine Rechtsordnung. 3 Oppennann, Zur Eigenart der EU, in: HommelhofflKirchhof(Hrsg.), Der Staatenverbund der EU, 88 f. 4 Curtin, CMLR 30 (1993),17,67. 5 Oppennann, Zur Eigenart der EU, in: HommelhoffIKirchhof(Hrsg.), Der Staatenverbund der EU, 88 f. 6 Ress, JuS 1992,985; zur Qualifizierung der EG als "sui generis"-Organisation bereits BVerfGE 22, 293 (296). 1

2

16

Einleitung

als internationale Organisation?, so doch schon gar nicht als Staat, bestenfalls als Staatenverbund8, als besondere Kategorie intensiver, staats naher Verbindung9 , Europäische Unionsgrundordnung lO , Staatenverband ll oder Supranationale Union 12 , zu qualifizieren sei. Schließlich werden die unterschiedlichen Einordnungsversuche der EU in die Kategorien von "Staat", "Bundesstaat", "Staatenbund" oder "Staatenverbund" auch als überflüssig und rein akademisch abgetan. Die Bezeichnung der EU sei letztlich so gleichgültig wie die Bezeichnung eines Flugzeuges, entscheidend sei, daß es fliegen könne. 13 Daneben wird darauf hingewiesen, hinter der festgestellten Unmöglichkeit einer Einordnung der EU in die klassischen Kategorien der Staatenverbindungslehre schimmere die bange Frage empor, ob die EU sich denn nicht schon als Staat geriere. 14 Die deutsche Staatsrechtslehrertagung l5 und das Bundesverfassungsgeriche 6 haben diese Frage eindeutig entschieden: Die EU ist danach kein Staat. Das föderale Prinzip als Vermittler einer politischen Integration, die sogar in Staatlichkeit einmünden kann, prägte auch die deutschen Verfassungsentwürfe des 19. Jahrhunderts. Für den einstweiligen Gipfel dieser Bewegung, der Reichsverfassung von 1871, führte dies sogar zur Schaffung von Staatlichkeit, denn im Gegensatz zur Qualifizierung der EU durch die heutige deutsche Staatslehre war das Reich von 1871 Bundesstaat im Sinne der damals herrschenden Staatslehre. I? Unabhängig von der Bewertung beider autoritativer Entscheidungen müssen die Vor- und Nachteile begrifflicher Verfestigungen für die Qualifizierung der EU hinterfragt werden.

Dagegen KoeniglPechstein, 21 ff. BVerfGE 89, 155 (181,190). 9 Oppermann, Europarecht, 67. 10 Tsatsos, EuGRZ 1995,287. 11 Lecheler, in: FS-Heymanns Verlag, 384. 12 v. Bogdandy, Integration 1993,210. 13 Bieber, in: FS- Heymanns Verlag, 299. 14 Lecheler, in: FS-Heymanns Verlag, 384 f.; P. M. Huber, in: FS-Heymanns Verlag, 350. 15 Stein, VVDStRL 53 (1994),30; Schindler, VVDStRL 53 (1994),78; kritisch zur Einordnung der EU in die Kategorien von ,Staat oder Nicht-Staat' Schuppert, VVDStRL 53 (1994), 111. 16 BVerfGE 89, 155 passim. I? Siehe dazu ausführlich unten Teil I, C.U. 7

8

Einleitung

17

Einerseits kann eine begriffliche Einordnung der EU für ihr Verhältnis zu den Mitgliedstaaten Bedeutung haben. 18 Hierzu gehören die Konsequenzen im Innenbereich der Staatenverbindung, wie etwa die Frage nach der Souveränität im Sinne einer Kompetenz-Kompetenz, d. h. nach der Zuordnung des Auslegungs- und Entscheidungsmonopols und daran anknüpfend die Frage nach dem generellen Verhältnis der unterschiedlichen Rechtsordnungen zueinander. So legt etwa die Annahme eines bundesstaatlichen oder zumindest bundesstaatsähnlichen Charakters der EU den Vorrang des Gemeinschaftsrechts näher l9 , als die Qualifikation der EU als bloßer Staatenbund dies tun würde. Auch kann die Einordnung der EU nicht ohne Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten bleiben. Wenn auch die EU selbst als Staatenverbindung bezeichnet werden kann, so ist doch - wie aufzuzeigen sein wird - der Integrationsstand dieser Staatenverbindung solchermaßen, daß er auf die Qualität der an ihm teilnehmenden Staaten rückwirkt, und indem er deren Staatlichkeit auszuhöhlen droht, den Oberbegriff "Staaten"verbindung gleichzeitig wieder in Frage stellt. Angesprochen sind damit die materiell-rechtlichen Folgen einer Einordnung der Mitgliedstaaten in die EU, die sich nicht aus der spezifischen Struktur von Bundesstaat oder Staatenbund ergeben, sondern etwa die innerstaatliche Verfassungsmäßigkeit einer durch immer weitere Übertragung von öffentlich-rechtlichen Aufgaben verursachten Auflösung der bisher national definierten Staatlichkeit, etwa unter den Gesichtspunkten von Demokratie und Grundrechten, betreffen. Für die Bundesrepublik Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil auf diese Elemente hingewiesen. 2o Daneben bestehen weitere rechtliche Konsequenzen, die sich aus einer Einordnung der EU in die eine oder andere Begrifflichkeit ergeben können. An die Kategorien "Bundesstaat" und "Staatenbund" werden auch völkerrechtliche Rechtsfolgen geknüpft. 21 Zu nennen sind die Rechtsfolgen, die das völkerrechtliche Vertrags- und Deliktsrecht betreffen. 22 Eine klare begriffliche Einordnung der EU könnte zur Klärung all dieser rechtsdogrnatischen Fragen beitragen und nicht zuletzt auch das Verständnis der weiteren Öffentlichkeit für die EU verbessern. Auch P. M. Huber, in: FS-Heymanns Verlag, 350. Zum Vorrangprinzip RS 6/64 - Flaminio Costa v. Enel- EuGHE 1964,585; RS 106/77 - Amministrazione delle Finanze dello Stato v. Simmenthal - EuGHE 1978, 629 (644); RS C-221/89 -R v. Secretary ofStatefor Transport exp Factortame Ltd - EuGHE 1991, 3905; Kirklees Borough Council v. Wickes Building Supplies Ltd [1991] 3 CMLRep., 282. 20 BVerfGE 80,155 (172, 182 ff.). 21 Doehring, ZRP 1993, 102. 22 Für eine umfassende Auseinandersetzung mit der Vertragsgewalt im Bundesstaat, insbesondere auch mit der BundesklauseI in Verträgen, vgl. Zellweger, 59 ff., 123 ff. 18 19

2 Böhmer

18

Einleitung

Auf der anderen Seite muß vor zu großer begrifflicher Erstarrung gewarnt werden, dennje klarer sich begriffliche Einordnungen herausbilden, desto schwieriger wird der Umgang mit dynamischen Entwicklungen in der Zukunft. 23 Gerade der Unionsvertrag soll nur eine Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker darstellen (Art. A Abs. 2 EUV (Art. 1 Abs. 2 EUV Arnsterdam», seine dynamische Ausrichtung ist also ausdrücklich festgeschrieben. Dies läßt eine rechtswissenschaftliche Behandlung aber nicht überflüssig werden. Vielmehr müssen in einem Rechtssystem Geltungsgrundlage, Verteilung von Kompetenzen und Vorrangverhältnis für die Rechtsanwendung eindeutig festgelegt werden. Hierfür bedarf es aber einer rechtswissenschaftlichen Systembildung. Diese muß auch die Begrifflichkeiten der Staatslehre verwenden oder zumindest von ihnen ausgehen, da nur die Staatslehre Kategorien zur rechtswissenschaftlichen Beschreibung von Formen politischer Herrschaft entwickelt hat. 24 So ist bereits zu fragen, ob die dichotomische Typologie "Staatenbund-Bundesstaat" nicht einer in der Natur der Sache liegenden rechtslogischen Notwendigkeit entspricht. 25 Wenn auch eine solche Notwendigkeit in der deutschen Staatslehre zunehmend bestritten wird, so herrscht doch zumindest in der deutschen Staatslehre Konsens darüber, daß das föderale Prinzip an sich eines der tragenden Elemente der EU darstellt. 26 Dieses föderale Prinzip ist für die EU mit Inhalt zu füllen. Dabei darf das für die EU charakteristische Spannungs verhältnis nicht außer Betracht bleiben: einerseits ein für bisherige Staatenverbindungen untypischer Integrationsstand der supranationalen Gemeinschaften, andererseits eine bloß schwach institutionalisierte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den "Unionssäulen" GASP und ZBJI. Die Intensität des föderalen Prinzips ist in beiden Bereichen unterschiedlich und verstärkt so die Komplexität des Gesamtsystems. Zentrale These dieser Arbeit ist es, daß die deutsche Staatslehre sich mit der Erfassung des föderalen Systems der EU deswegen so schwer tut, weil sie ein bestimmtes Verständnis föderaler Systeme zugrundelegt, welches sich dann als untauglich zur Beschreibung der EU erweist. Dieses Verständnis soll im folgenden ersten Teil unter dem Begriff des "dualistischen Föderalismusverständnis" untersucht werden. Hiermit ist ein durchgängiger Ansatz in der Staats- und Europarechtslehre zu bezeichnen, der föderale Organisation zwischenstaatlich nur als Lecheler, in: FS-Heyrnanns Verlag, 383. v.Bogdandy/Nettesheim, EuR 1996, 14. 2S Heinz, DÖV 1994, 996. 26 Everling, in: FS-Doehring, 179 ff.; Bülck, VVDStRL 21 (1964), 48 ff.; Hilf, VVDStRL 53 (1994), 8; Schweitzer, VVDStRL 53 (1994), 56; Thürer, VVDStRL 50 (1991),132 rn. w. N. 23

24

Einleitung

19

lose Verbindung - etwa in Form des Staatenbundes - und innerstaatlich (staatsrechtlich) nur als souveräne Bundesstaatlichkeit zu begreifen versucht. Die Betrachtung erfolgt dabei deswegen "im Lichte der Reichsverfassung von 1871", weil am Deutschen Reich von 1871 zentrale rechtsdogmatische Kategorien dieses dualistischen Föderalismusverständnisses entwickelt worden sind. Unter Aufarbeitung der Organisations struktur des Reiches von 1871, bzw. seiner dogmatischen Erfassung in der zeitgenössischen Staatslehre und deren Vergleich mit Organisation und Beschreibung der EG als dem am stärksten integrierten Pfeiler der EU sind erste Antworten auf die Frage zu suchen, ob ausgehend von einem solchen Föderalismusverständnis eine Beschreibung des föderalen Systems der EU überhaupt gelingen kann. Insbesondere am Begriff der Kompetenz-Kompetenz läßt sich verdeutlichen, wie speziell für bestimmte föderale Systeme in der Vergangenheit von der Staatslehre27 entwickelte dogmatische Kategorien des staatsrechtlichen Föderalismus nicht geeignet sind, modernere transnationale föderale Systeme zu beschreiben. Auch die Einordnung der EU mit Hilfe von Begriffen des zwischenstaatlichen Föderalismus wie internationale Organisation, Staatenbund oder Staatenverbund vennag die ihr eigenen Wesensmerkmale nicht zu erfassen. Im zweiten Teil der Arbeit soll daher diesem klassischen dualistischen ein "transnationales Föderalismusverständnis" entgegengesetzt werden. Hieran soll die Notwendigkeit aufgezeigt werden, zu einem grundlegend andersartigen Föderalismusverständnis zu gelangen, welches nicht nur an einer dualen, auf Kompetenzbewahrung und -abgrenzung bedachten, bundesstaatlichen Funktions- und Aufgabenteilung ausgerichtet ist, sondern die Einheitlichkeit und Verklammerung der Rechtsordnungen der EU und der Mitgliedstaaten zu ihrem Ausgangspunkt wählt. Als konkretes Beispiel einer solchen Verklammerung der Rechtsordnungen wird auf das Kartellrecht im einheitlich verstandenen föderalen System der EU eingegangen werden. Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf die hiervon ausgehenden Veränderungen für die Souveränität und das staatliche Selbstverständnis des Mitgliedstaates der EU.

21 Wenn im folgenden auf die Staatslehre allgemein Bezug genommen wird, so beschränkt sich dies auf die vorherrschende Auffassung der Staatslehre der betreffenden Zeit. Daß gerade auch das föderative Denken im 19. Jahrhundert sich nicht auf die positivistische Staatslehre der Jahrhundertwende reduzieren läßt, wird durch die Studie von Dreyer, Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip, das föderative Denken der Deutschen im 19. Jahrhundert, 1986, eindrucksvoll belegt.

Teil I

Der dualistische Föderalismus Die EU zwischen Bundesstaat, Staatenbund, Staatenverbund und internationaler Organisation In diesem Teil wird zunächst die Entwicklung des dualistischen Föderalismusverständnisses insbesondere der deutschen Staatslehre herausgearbeitet und in seiner Anwendung auf das föderale System der EU hinterfragt. Charakteristisch für diesen Ansatz ist seine Staatszentriertheit. Als Beispiel einer solchen Sichtweise des Föderalismus können die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung zum Maastrichter-Vertrag angeführt werden: Der Unions-Vertrag begründet - wie ausgeführt - einen Staaten verbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der - staatlich organisierten - Völker Europas (Art. A EUV), keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat. 28 Dementsprechend stimmen nicht nur Bundesregierung und Bundestag, sondern auch die Mitgliedstaaten und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtsauffassung überein, daß der Unions-Vertrag keine Kompetenz-Kompetenz der Union begründet. 29

Diese Beschreibung föderaler Organisation ist geprägt von einer idealtypischen Gegenüberstellung eines "Verbunds souveräner Staaten" und eines mit Kompetenz-Kompetenz ausgestatteten Bundesstaates. 3o Charakteristisch für beide Pole und damit auch charakteristisch für die Einordnungsversuche des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der EU, ist die Fixierung auf einen mit Souveränität ausgestatteten Staat. Föderalistische Organisation politischer Herrschaft kann nach einem solchen Verständnis nur entweder als loser "Verbund" von Staaten zwischenstaatlich gedacht werden oder aber als interner Aufbau des als souverän gedachten Staates selbst:

BVerfGE 89, 155 (188). BVerfGE 89,155 (197). 30 SchneiderIWesseis, in: SchneiderIWesseis (Hrsg.), Föderale Union, 15; vgl. BVerfGE 89, 155 (181 ff.); auch KoeniglPechstein, 27 ff.; P. M. Huber, in: FS-Heymanns Verlag, 354 ff. 28 29

A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus

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Bezugspunkt eines solchen Föderalismus ist der Staat - zum einen hinsichtlich seiner internen Organisation in einzelne Gliederungen und zum anderen hinsichtlich seiner externen Organisation im Verhältnis zu anderen Staaten. Demgemäß läßt sich zwischen einem staatlichen und einem zwischenstaatlichen Föderalismus unterscheidenY

Die dualistische Betrachtungsweise findet sich auch in der Unterscheidung zwischen staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Staatenverbindungen in Lehrbüchern des Völkerrechts. 32 Ein Grund hierfür besteht in der in Deutschland vorherrschenden dualistischen Betrachtungsweise des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht. 33 Wenn Völkerrecht und Landesrecht nach Heinrich Triepel verschiedene Rechtsordnungen darstellen, zwei Kreise, die sich höchstens berühren, jedoch niemals schneiden34 , so fußt diese Sichtweise ebenfalls auf einer Trennung der Rechtsordnungen und neigt damit auch zu einem dualistischen Verständnis möglicher föderaler Ordnungen. Es ist nun zunächst die Genese eines solchen dualistischen Föderalismusverständnisses herauszuarbeiten. Zu fragen wird sein, warum der Föderalismus in der deutschen Staatslehre nur entweder staatsrechtlich (d. h. als Bundesstaat) oder zwischenstaatlich (d. h. als Staatenbund, internationale Organisation) verstanden worden ist. Mittels einer solchen ersten historischen Einordnung kann dieses Verständnis föderaler Ordnung besser nachvollzogen werden.

A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus Die Abgrenzung und Gegenüberstellung eines staatsrechtlichen und eines zwischenstaatlichen Föderalismus setzt das Bestehen zweier Systeme voraus, eines staatlichen und eines zwischenstaatlichen Systems. Das antike Staatsideal war noch vom aristotelischen Verständnis des Einheitsstaats geprägt. Föderalismus war, wenn überhaupt, nur im Verkehr zwischen den einzelnen Einheiten (Polis) möglich. 35 Von einem Geflecht "intensiven Beziehungszusammenhangs"36 konnte hier noch nicht gesprochen werden. Auch die mittelalterliche Herrschaftsordnung kann nur dann als internationales System verstanden werden, wenn dem Staat des Mittelalters ein gewisses Maß an Magiera, in: SchneiderlWessels (Hrsg.), Föderale Union - Europas Zukunft?, 74. Etwa Verdross/Simma, 594. 33 Im Sinne eines gemäßigten Dualismus, vgl. Schweitzer, Staatsrecht, 12. 34 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 111. 3S Ausführlich dazu Deuerlein, Föderalismus, 14 ff. 36 Grewe, 33. 31

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Unabhängigkeit zuzusprechen ist, welches ihn von anderen Akteuren abgrenzt. 37 Darüber hinaus müssen mögliche andere Akteure als gleichberechtigte Handlungseinheiten anerkannt werden. Zwar gab es Handlungseinheiten wie die germanischen Heerführer, Herzöge und Könige, die durch Vertrag Rechtsbeziehungen untereinander schufen. Jedoch fußten die so geschaffenen Rechtsbeziehungen nur auf persönlicher Erfüllungstreue zwischen Lehensherrn und Vasallen. 38 Auch stand der Reichsgedanke - mit seiner universellen Ausrichtung - der Anerkennung außerhalb des Reiches vorhandener Akteure entgegen, womit die Grundlage für ein gleichberechtigtes Verhältnis zu diesen Akteuren fehlte. Schließlich kannte die mittelalterliche Welt auch keine Staaten im modemen Sinne39 , was allerdings nicht bedeutet, daß es im Mittelalter keinen Staat gegeben hat. 40 Jedoch kann der Staat des Mittelalters nur mit den ihm eigenen Begriffen beschrieben werden, die Kategorien des modemen Staates sind nicht auf ihn anwendbar. 41 Die durch die französische Revolution entwickelten national-demokratischen und territorial definierten Staatskategorien können nicht fruchtbar auf mittelalterliche Herrschafts verbände übertragen werden. Von einem Staat im Mittelalter kann nur in einem speziellen Sinne gesprochen werden. 42 Dieser Staat wird aber eben gerade nicht durch ein Gegenübertreten von Staat und Gesellschaft, öffentlichem und privatem Recht sowie einer einheitlichen Staatsgewalt geprägt. Fehlt aber die eindeutige Zuordnung der Staatsgewalt und auch die territoriale Abgrenzung, so ist es nicht möglich von einheitlichen Akteuren, die zusammen ein internationales System43 bilden, zu sprechen. Damit fehlt es aber am soziologischen Substrat, welches die Grundlage des neuzeitlichen internationalen Systems und damit auch die Voraussetzung sowohl für einen innerstaatlichen als auch für einen zwischenstaatlichen Föderalismus bildet. Ebenso wie ein staatsrechtlicher Föderalismus am Einheitsideal der mittelalterlichen "universitas cristiana" scheitern mußte, konnte sich ein zwischenstaatlicher Föderalismus mangels selbständiger Akteure bis zum 17. Jahrhundert noch nicht entwickeln.

DahmiDelbrückIWolfrum, Bd. 111, 4. Verdross/Simma, 20. 39 Grewe, 57. 40 V gl. etwa Näf, in: Hofmann, Die Entstehung des modemen souveränen Staates, 101 ff., wonach die Frühform des modemen Staates durch den Dualismus zwischen Monarchie und Ständen geprägt war, wobei dem Fürst das Recht auf die Herrschaft, auf die Souveränität vor Abschluß eines Herrschaftsvertrages mit den Ständen zukomme. 41 Vgl. dazu Brunner, 146 ff. 42 Brunner, 155, 163. 43 Dazu DahmiDelbrückIWolfrum, Bd. 111, 3. 37 38

A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus

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I. Die Entstehung des modernen Staates durch die Ausbildung der Souveränität Ein dualistisches Föderalismusverständnis konnte daher erst mit der Genese des internationalen Systems entstehen. Die Herausbildung einer Staatengesellschaft in der Wende vom Spätmittelalter zur Neuzeit schuf daher neben dem Beginn dieses internationalen Systems ebenso die Grundvoraussetzung für ein dualistisches Föderalismusverständnis. Der auch rechtlich vollzogene Übergang der Souveränität vom Kaiser zu den Landesherren nach dem westfälischen Friedensschluß von 1648 besiegelte die Trennung der staatlichen von der völkerrechtlichen Staatsgewalt. 44 Damit beginnt die Epoche des "klassischen" Völkerrechts und des modernen internationalen Systems. 45 Die einzelnen Gliedstaaten des Reiches wurden gegenseitig untereinander in ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit als Völkerrechtssubjekte anerkannt. 46 In Deutschland entsteht der moderne Staat in den Territorien. Schon seit dem 12. Jahrhundert erscheint der "dominus terrae", der Landesherr. Dessen Landesherrschaft verdichtet sich zu einer allgemeinen einheitlichen Staatsgewalt, zur Souveränität als Monarchenrecht47 , zumindest seit den westfälischen Friedensschlüssen 48 • Herrschaft entspringt jetzt nicht mehr einer vorgegebenen göttlichen Ordnung, die auch nicht zur Verfügung des Herrschers steht, sondern von ihm nur durchgesetzt werden mußte; Herrschaftsausübung und Religion werden vielmehr getrennt. Die Entstehung des modernen Staates ist daher auch ein Vorgang der Säkularisation. 49 Es entsteht ein Bereich des Politischen, den der Herrscher kraft eigener Souveränität auszufüllen in der Lage ist; neben seine Rechtsdurchsetzungs- tritt die Rechtsetzungsbefugnis. 50 Wegen dieser Verlagerung der Souveränität auf die Territorien der deutschen Landesherren ist auch der damalige föderale Ordnungsrahmen - das Heilige Römische Reich deutscher Nation - nach 1648 als völkerrechtlicher Staatenbund und

Zum Prozeß der Konzentration der öffentlichen Gewalt Quaritsch, 255 ff. Dahm/Delbrück/Woljrum, Bd. VI, 5. 46 RandelzhoJer, Völkerrechtliche Aspekte, 62. 47 Grimm, Recht und Staat, 58. 48 Zum genauen Zeitpunkt, Brunner, 166 ff. 49 BöckenJörde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Recht, Staat, Freiheit, 93. 50 Grimm, Recht und Staat, 57. 44

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

nicht etwa als Bundesstaat zu begreifen. 51 Das Deutsche Reich bildete bloß den formellen Hintergrund eines tatsächlich bestehenden reinen Europäischen Staatensystems ohne zentrale Ordnungs gewalt, das im ausgehenden 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts überwiegend anarchisch strukturiert war. 52 Die gegenseitige Anerkennung der einzelstaatlichen Souveränität stellte somit das grundlegende Ordnungsmuster dieser Epoche dar, so daß Hegel Anfang des 19. Jahrhunderts vom "Völkerrecht als bloß äußerem Staatsrecht" sprechen konnte. 53 Mit der Genese des modernen Staates und der dadurch hervorgerufenen Entstehung eines internationalen Systems entwickelte sich so auch die Trennung einer äußeren von einer inneren Souveränität. Dies wurde teilweise durchaus so aufgefaßt, daß der Begriff der Souveränität zwei wesentlich verschiedene Inhalte haben sollte. Einerseits sollte Souveränität die Eigenschaft des Staates als der höchsten, und andererseits als der unabhängigen Macht bezeichnen. 54 Innerstaatlich sollte die Staatsgewalt unbeschränkt, völkerrechtlich sollte sie unabhängig sein. 55 Die Betonung der Souveränität nach innen verhinderte zunächst die Entwicklung eines innerstaatlichen Föderalismus. Zwar konstituierten sich als Ergebnis der Dezentralisation der Reichsgewalt bereits seit dem 14. Jahrhundert nicht nur die Könige von England und Frankreich sowie die deutschen Territorialfürsten, sondern auch korporative (substaatliche) Einheiten, etwa die deutschen Reichsstädte, Handelsorganisationen wie der Hansebund, oder private Wirtschaftsunternehmen wie die Fugger. Jedoch führte die Konsolidierung der innerstaatlichen Souveränität durch die territoriale Herrschaftsgewalt zum Bedeutungsverlust der nicht-territorialen Wirkungseinheiten, der Niedergang der Hanse etwa begann bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. 56

SI Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte, 299; Kimminich, Verfassungsgeschichte, 223. Dagegen jüngst wieder Link, JZ 1998,7,8, wonach der Westfälische Friede das Reich nicht zu einem bloßen Dachverband von Souveränen auf völkerrechtlicher Basis degeneriert habe. Vielmehr sei die Rechtseinheit des Reiches trotz der sich vollziehenden Staatsbildung im Kern gewahrt geblieben. Anders auch Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 749, der das Römische Reich Deutscher Nation nach 1648 als "Staatenstaat" (Oberstaat mit Unterstaat) einordnet, jedoch gleichzeitig auch die "sui generis" Qualität dieses Gebildes betont. Zu zeitgenössischen Einordnungen des Reiches in der Staatslehre nach 1648 Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte, 92 ff. S2 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Bd. 1/1,5. 53 Hegel, §§ 330 ff. S4 V gl. die bei Jellinek, Staaten verbindungen, 22, in Fußnote 23 angegebene Literatur. ss Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes, § 14,187. 56 Ziegler, 126.

A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus

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Auf der zwischenstaatlichen Ebene führte die Unabhängigkeit des eigenen Staates zwangsläufig zur Anerkennung der anderen Staaten. Souveränität im Inneren hatte die Anerkennung anderer Staaten zur Folge. Damit entwickelte sich gleichsam als Ersatz für die untergegangene Idee der "universitas christiana" die Europäische Staatengesellschaft. Der moderne Staat zeichnete sich damit durch die höchste und unwiderstehliche Gewalt über seine territorial definierten Untertanen aus. Der moderne Staatsbegriff ist eine so feste Verbindung mit der Souveränität eingegangen, daß nur solche Organisationen politischer Herrschaft als neuzeitliche Staaten bezeichnet werden können, die auf einer souveränen Staatsgewalt gegründet sind. Wie auch immer fortan der Staat beschrieben worden ist, ob als sozialer Organismus57 , als Rechtsordnunt 8, als Wirkungs- und Entscheidungseinheit59 oder als integrierendes Gemeinwesen 60 , er blieb bis zur jüngsten Jetztzeit die einzige Instanz zur Ausübung legitimen physischen Zwangs. Erst die deutsche positivistische Bundes staatslehre des späten 19. Jahrhunderts stellte die notwendige Verbindung von Staatlichkeit und Souveränität wieder in Frage. 61 Mit dieser Genese des souveränen Staates und damit verbunden des internationalen Systems, entwickelt sich die Basis für ein dualistisches Verständnis föderaler Organisation als innerstaatliches oder zwischenstaatliches Organisationskonzept. Andererseits ging mit der Entstehung des Staates auch die Forderung des Herrschers einher, nach innen und außen "absolut und zu höchst" zu sein. Damit war das Spannungsverhältnis zwischen Föderalismus und Souveränität angelegt, auf welches nun einzugehen ist.

11. Föderalismus und Souveränität in der deutschen Bundesstaatslehre

Der Begriff des Föderalismus markiert von jeher die Gegenbewegung zu dem der Souveränität. War letzterer auf die Abgrenzung gegenüber rivalisierenden Herrschaftsansprüchen im Inneren und Äußeren bedacht, verdeutlicht schon ein

~7

Gierke, 13.

~8 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960,209. 59 Zum Staat als gesellschaftliche Wirkungseinheit, vgl. Heller, Staatslehre, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. I1I, Drath u. a. (Hrsg.), 1971, 139. Zum Staat als Entscheidungseinheit, vgl. Heller, Souveränität, Bd. 11, 65. 60 Smend, 136. 61 Dazu unten Teil I, C.II.l.b)(l).

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Blick auf die Wortgeschichte des Föderalismus dessen vergleichsweise vielschichtigere Anlage.

J. Begriffsgeschichte des Föderalismus

Ursprünglich läßt sich der Föderalismus zurückführen auf das lateinische Wort "foedus", zu deutsch "Bund", "Bündnis", "Vertrag". Dies implizierte aber noch nicht ein Verhältnis der Gleichordnung. Vielmehr wurden im Imperium Romanum unter dem Begriff des "foederati" als bündnisfähig erkannte Stammeseinheiten verstanden, die sich zum Hegemon, dem römischen Reich, in einer Art vasallischer Abhängigkeit befanden. 62 Hingegen bereits in einem mehr gleichberechtigten Sinne wurden im Mittelalter die Bezeichnungen "foedus" und "confoederatio" als "Bund", "Bündnis" in Verträgen gebräuchlich. 63 Die Föderaltheologie64 des 16. und 17. Jahrhunderts trug dann entscheidend zur Verbreitung des Begriffes "foedus" bei, indem sie in dem Begriff des "Bundes" einen Schlüsselbegriff für die Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Mensch erblickte.65 Hiervon wurden wiederum die zeitgleichen politischen und staatsrechtlichen Auffassungen beeinflußt. So verwendete Johannes Althusius in seiner 1603 erschienenen "Politica methodice digesta" den Begriff "fedus", und Hugo Grotius erörterte in "de jure belli ac pacis" (1625) "foedera äqualia und inäqualia". "Foedus" ist hier i. S. v. "Verbindung" gemeint, der das ius gentium (Völkerrecht) in Abgrenzung vom ius naturale (christliches Naturrecht) zuzuordnen ist. 66 In Charles de Montesquieus "Esprit des lois" stellen föderative Zusammenschlüsse neben der Verteidigung nach außen auch ein Mittel zur Förderung der Freiheit dar. 67 Schließlich wird von Immanuel Kant (1724-1804) das föderative Prinzip sogar als Möglichkeit zur Verwirklichung des Weltfriedens, wenn auch nur in Form des völkerrechtlichen Bündnisses, angesehen. 68 Seine Vielschichtigkeit verlor der Begriff des Föderalismus auch dann nicht, als er sich in der Auseinandersetzung mit den amerikani-

Deuerlein, 11. Eingehend hierzu Koselleck, in: Historisches Lexikon, Bd. I, 583 ff. 64 Zur Lehre von der Kontinuität der Gottesbünde vom Alten Testament bis zu Christus, vgl. Paulus, in: Staatslexikon, Bd. III, 154 ff. 65 Deuerlein, 32 f. 66 Dazu Steiger, in: Historisches Lexikon, Bd. VII, 108 f. 67 Montesquieu, De l'esprit des lois, 11, 5. 68 Kant, Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden; zur Aktualität dieses Konzepts Lorz, Der Staat 37 (1998), 85 ff., 96 ff. 62

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A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus

27

sehen "Federalist Papers" Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa endgültig durchsetzte. 69 Nach einer sehr allgemeinen Definition kann der Föderalismus gegenwärtig als ein mehr oder minder fester bundesmäßiger Zusammenschluß von Gemeinschaften im Wege der freien Einigung unter Aufrechterhaltung der individuellen Eigenart der - grundsätzlich gleichberechtigten - Glieder, also als eine Verbindung der Einheit in der Vielfalt begriffen werden. 70 Verschiedene Funktionen des Föderalismus können hiervon ausgehend unterschieden werden: Föderalismus als internationales, als nationalstaatliches, als funktional-organisatorisches, als soziologisches, als philosophisches und als strukturelles Prinzip.71 Im folgenden werden nur die zwei ersteren Verständnisse des Föderalismus in der Staats-, Völkerrechts- und Europarechtslehre näher untersucht, wobei vom dualistischen Verständnis ausgehend von einem zwischenstaatlichen und einem staatsrechtlichen Föderalismusbegriff gesprochen werden soll. Der Begriff des Föderalismus bleibt somit ausdrücklich nicht auf den Bundesstaat begrenzt. Schließlich werden Staatenverbindungen wie der Bundesstaat, der Staatenbund, die internationale Organisation oder auch die EU im folgenden als "föderale Systeme" bezeichnet.

2. Föderalismus in Deutschland Die enge Verknüpfung des Souveränitätsbegriffs mit der Genese des Föderalismusverständnisses läßt sich auch in der deutschen Staatslehre seit den Westfälischen Friedensverträgen aufzeigen. Besonders im 19. Jahrhundert hat sich der dualistische Föderalismus parallel zur Funktion der "Souveränität" als Unterscheidungsmerkmal zwischen Bundesstaat und Staatenbund in der Auseinandersetzung mit föderalistischen, bundesstaatlichen Verfassungsentwürfen herausgebildet. 72 Ein frühes Föderalismusverständnis in Deutschland entwickelte sich in der Literatur aber bereits in der Auseinandersetzung mit den Strukturen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation nach den Westfälischen Friedensverträgen. Das Reich, das eher als "Reichs idee" existierte, hatte grundsätzlich einen "univerDeuerlein, 12. Hesse, in: EVStLex., 259; Oberreuter, in: Staatslex. der Görres-Gesellschaft, 632; Dreyer, 606. 71 Dreyer, 3 ff. 69

70

72 Ausführlich Dreyer, Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip, das föderative Denken der Deutschen im 19. Jahrhundert, 1986.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

salen" Charakter. 73 Seine Staatsstruktur wies, schon wegen der nur mangelhaften Zentralisierung der Staatsgewalt, eine föderative Struktur auC4 Gerade auch die Reichsreform stellt einen Versuch dar, die Einheit des Reiches mittels Integration gar bundesstaatlicher Elemente zu bewahren. 75 Dieser frühe Föderalismus als Staatsprinzip ist erst durch den souveränen Fürstenstaat, den modernen Staat der Neuzeit, faktisch beseitigt worden. 76 Theoretisch wurden am Reich die ersten Konzepte eines innerstaatlichen Föderalismus entworfen, die durch den von Jean Bodin (1530-1596) eingeführten Begriff der Souveränität als besonderes Kennzeichen moderner Staatlichkeit beeinflußt wurden. 77 Das Spannungs verhältnis aus der Zuordnung der Begriffe "Souveränität" und "Föderalismus" wurde hier bereits angelege 8, ebenso wie die wissenschaftliche Unterscheidung von Bundesstaat und Staatenbund, und damit der dualistische Föderalismus hier bereits ihren Ausgang nahm. 79 Althusius war der erste, der unter den Staatsphilosophen der Neuzeit das Prinzip des Föderalismus aufgriff. 80 Er beschrieb dabei ein Modell des föderativen Aufbaus eines Gemeinwesens aus sozialen Gruppen, die sich über Verträge zu höheren Einheiten zusammenschließen. Ludolph Hugo (1630-1704) ergänzte 1661 in einer Studie über den Status der Gebiete Deutschlands die bis dahin bekannten Auffassungen über den Einzelstaat und den Staatenverein, indem er als Zwischenform den Begriff des zusammengesetzten- oder Bundesstaates einführte. Die Unterscheidung zwischen Staatenbund und Bundesstaat wird von ihm durch einen Vergleich des Niederländischen und des Schweizer Bundes mit der Struktur der deutschen Territorialstaaten entwikkelt. 8l Als Schöpfer des Begriffs "Bundesstaat" auf deutschem Boden überwand Hugo die Vorstellung, es könne nur Einheitsstaaten und Staatenvereine geben. Dies wurde von der sich auf das Souveränitätsdogma berufenden Ansicht Samuel Freiherr von Pufendorfs (1632-1694) bekämpft. Das Wesen des Staates verlange Kimminich, Völkerrecht, 64. V gl. zur staatsrechtlichen Einordnung FN 51. 7S Zur Reichsreforrn RandelzhoJer, Völkerrechtliche Aspekte, 50 ff.; zu späteren Reichsreforrnplänen und zum Fürstenbund von 1785 vgl. Grzeszick, 69 ff. 76 Jerusalem, 10. 77 Deuerlein, 39. 78 Zur Unmöglichkeit einer Zuordnung aus heutiger Sicht, Herzog, in: MID, Art. 20, Rdn.8. 79 Stern, in: FS-Huber, 320. 80 Jerusalem, 18. 81 Deuerlein, 40. 73

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A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus

29

die absolute Einheit der Staatsgewalt, die keinen Willen über sich dulde. 82 Damit kommen für die Staatsorganisation nur das Modell des Staatenvereins mit einzelstaatlicher Souveränität oder der Übergang der einzelnen Staaten in einen einfachen Staat in Frage. Nach Pufendoifkann es einen staatsrechtlichen Föderalismus dagegen nicht geben. Mit Pufendoif und Hugo waren die beiden entscheidenden gegensätzlichen Standpunkte zur Möglichkeit föderaler Staatsorganisation genannt. Zunächst setzten sich die Pufendorfschen Einwände auch durch und trugen zum Vergessen der Lehre Hugos und damit eines staatsrechtlichen Föderalismuskonzepts bei. Erst J. S. Pütter (1725-1807) ging wiederum von einer Teilbarkeit der obersten Staatsgewalt aus und konnte damit die erste geschlossene Darstellung der Bundesstaatslehre formulieren. 83 Danach sei neben der klassischen aristotelischen Staatsformenlehre auch noch ein Staat vorstellbar, der "zwar in seiner innerlichen Verfassung seine eigene Regierung mit allen Hoheitsrechten völlig behält, aber daß sie alle doch noch eine höhere gemeinsame Gewalt über sich hätten ...84 Inhaltlich wird hier die für die positivistische Staatslehre des späten 19. Jahrhunderts charakteristische Unterscheidung von Souveränität und Staatsgewalt85 bereits vorweggenommen. Mit Pütter hatte sich der staatsrechtliche Föderalismus als Ordnungsprinzip endgültig in der theoretischen Betrachtung durchgesetzt. Die Praxis sollte dem allerdings erst später folgen. In Deutschland wurde der Föderalismus bis 1866 nur zwischenstaatlich organisiert. Dabei stand die Frage nach der Souveränität der Einzelstaaten auch im Zentrum der Diskussion um die föderalistische Struktur des Rheinbundes vom 12. Juli 1806. Die Mehrzahl der Publizisten betrachtete den Rheinbund als ein völkerrechtliches Bündnis souveräner Staaten. 86 Schließlich waren die Fürstentümer und Stadtrepubliken mit dem Zusammenbruch des alten Reiches gerade erst endgültig souverän geworden, womit auch nur ein Zusammenschluß in Frage kam, der diese gerade gewonnene Souveränität bewahrteY Ebenso bewirkte das absolute Verständnis von Souveränität für die interne Staatsorganisation einen nicht-föderalen, zentralistischen Aufbau. Sowohl nach innen wie auch nach außen siegten ideengeschichtlich damit zunächst Bodin und Pufendoifüber Althusius und HugO. 88 Wolf, 311 ff. V gl. bei Schlie, 40 ff. 84 Zitiert nach Deuerlein, 44. 8S Dazu unten Teil I, C.II.l.b)(I). 86 Dreyer, 69. 87 Boldt, 35. 88 Auch Boldt, 35. 82

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Trotzdem wurden durch Kommentatoren des Rheinbundes wie K. S. Zachariä, J. L. Klüber und W. J. Behr die Begriffe des Staatenbundes und des Bundesstaates

als theoretische Unterscheidungen weiter herausgearbeitet, wobei "Staatenbund" bereits als Bezeichnung für eine aus souveränen Staaten bestehende Verbindung vom "Bundesstaat" als ein aus Staaten bestehender Staat getrennt wurde. 89 In der Realität konnte aber wegen der Souveränitäts betonung ein föderaler Zusammenschluß der Staaten ausschließlich im Sinne eines zwischenstaatlichen Föderalismus in der Form des Staatenbundes mit dem Deutschen Bund verwirklicht werden. Die Frage, ob dem so geschaffenen Bund Souveränität gegenüber seinen Gliedern zukomme, ist als das entscheidende Element einer sich entwickelnden Bundesstaatslehre auch in die Diskussion über die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 eingeflossen. Souveränität konnte schon nach damaligem Verständnis als die umfassende Herrschaftsgewalt, die "summa potestas"90, die keine andere Gewalt neben oder über sich duldet, verstanden werden. 91 Die Zuordnung dieser Souveränität wurde bereits in der Präambel der Bundesakte92 vorgenommen. Das zu schaffende Gebilde sollte ein Bund "souveräner" Fürsten und "freier" Städte Deutschlands sein. Dies wird in Art. 1 der Bundesakte sowie in der Präambel und dem Art. 1 der Wiener Schlußakte wiederholt. Trotz dieses Wortlauts war der Bund als "Staatenbund" und nicht etwa nur als "Fürsten- und Städtebund" anzusehen; die deutschen Fürsten handelten als Repräsentanten ihrer Staaten. 93 Insbesondere die Begrenzung seiner Aufgaben auf die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit94 sprach gegen eine umfassende Souveränität des Deutschen Kunz, Bd. II, 598. Bodin, de republica I 8 der lateinischen Ausgabe, zitiert nach Usteri, 88. 91 Dies ist der gemeinsame Nenner, auf den sich der Souveränitätsbegiff bringen läßt. Vgl. zu weiteren Bedeutungen z. B. Usteri, 88. 92 Zitiert nach Dürig/Rudolf, II ff. 93 E. R. Huber, Bd. I, 583. 94 Dieses Ziel wird in Art. 2 der Bundesakte formuliert. Es besteht in der .. Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten." Zwar obliegt damit dem Bund nach dem Wortlaut nur die "Sicherheit" des Bundesganzen, doch ergibt sich nach einer Sinn und Zweck der Regelung berücksichtigenden Auslegung, daß der Bund dem Bundesganzen nur dann Sicherheit zu gewährleisten in der Lage ist, wenn er auch den Bundesgliedern innere und äußere Sicherheit gewährleisten würde. Ist somit dieser Zweck dargelegt, so erhält die Bundesakte selbst noch keine Regelung über die Zuständigkeit der Organe des Bundes zur Durchsetzung dieses Zweckes. Insofern könnte zunächst der allgemeine methodische Schluß von den Zwekken einer Einrichtung auf die Zuständigkeit ihrer Organe auch ohne weitere ausdrückliche Zuweisung von Kompetenz dem Bund die Befugnis geben, die für die Verwirklichung der ihm aufgegebenen Zwecke nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Die Richtigkeit dieses methodischen Ansatzes wird durch Art. 3 S. 2 der Wiener Schlußakte von 1820 bestätigt, wonach 89

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A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus

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Bundes gegenüber seinen Gliedstaaten. Deshalb wurde der Deutsche Bund in der zeitgenössischen staatsrechtlichen Literatur auch überwiegend als Staatenbund und nicht als Bundesstaat eingeordnet. 9s Aufgrund der umfangreichen Kompetenzen der Reichsgewalt, des Vorranges des Reichsrechts und schließlich der Lokalisierung der Kompetenz-Kompetenz beim Reich konnte für die Paulskirchenverfassung von 1849 die Frage nach der Zuordnung der Souveränität als gelöst angesehen werden: Der Bund hatte mit deutlich unitarischer Tendenz die Souveränität inne. 96 Ebenso konstituierte nach überwiegender Ansicht die - allerdings wesentlich föderalistischer ausgerichtete - Reichsverfassung von 1871 einen Bundesstaat. 97 Als Reaktion auf die Gegenthese vom Deutschen Reich als Staatenbund98 entwikkelte die herrschende positivistische (und unitarisch ausgerichtete) Bundesstaatslehre die These, daß Souveränität für den Staat nicht mehr konstitutiv sei, es folglich auch nicht-souveräne Staaten geben könne. 99 Damit war der Bundesstaat auch bei Bestehen der Staatlichkeit seiner Glieder denkbar. Gleichzeitig wurde dadurch auch die Unterscheidung zwischen Bundesstaat und Staatenbund möglich: Im Bundesstaat ist der Gesamtstaat souverän, im Staatenbund sind es die Glieder. Um nun zu klären, wo innerhalb einer konkreten Staatenverbindung die Souveränität anzusiedeln sei, bei den Gliedstaaten oder beim Bund, ob also ein Staatenbund oder ein Bundesstaat vorliegt, stellte etwa Paul Laband auf das Kriterium der die Bundesakte, indem sie die Zwecke des Bundes ausspricht, gleichzeitig auch dessen Befugnisse und Verpflichtungen bedinge und begrenze. Damit ist eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung an den Bund erfolgt. Hinzu kommt in Art. 25, 26 der Wiener Schlußakte das Recht und die Pflicht des Bundes, im Falle ..einer Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Regierung, eines offenen Aufruhrs, oder gefährlicher Bewegungen" (Art. 25) zur Wiederherstellung der inneren Ordnung mit Zwangsmitteln einzuschreiten, falls er von der Landesregierung hierzu aufgefordert wird. 95 Klüber, 9; Waitz, in: Allgemeine Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur, HannslKarsten (Hrsg.) in Kiel, Jahrgang 1853,494 ff., 494, 496; vgl. im übrigen die Übersicht bei Dreyer, 105, Fußnote 121. 96 Etwa zur Kompetenz-Kompetenz vgl. § 63 RV 1849: .. Die Reichsgewalt ist befugt, wenn sie im Gesammtinteresse Deutschland's gemeinsame Einrichtungen und Maaßregeln nothwendig findet, die zur Begründung derselben erforderlichen Gesetze in den für die Veränderung der Verfassung vorgeschriebenen Formen zu erlassen." 97 Vgl. nur Zorn, Staatsrecht, 46; anders vor allem v. Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, Jahrgang 1872,28. Bd., 185 ff., 190. 98 Vor allem v. Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, Jahrgang 1872,28. Bd., 185 ff., 190. 99 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 489, 770; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, 48.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Kompetenz-Kompetenz ab. IOO Souveränität und Kompetenz-Kompetenz werden hier gleichgesetzt, "Souveränität ist Rechtsmacht eines Gemeinwesens über seine Kompetenz"lOl führt auch Gerhard Anschütz dazu aus. Entscheidendes Merkmal für die Unterscheidung zwischen Staatenbund und Bundesstaat ist damit die Kompetenz-Kompetenz. 102 Nicht aber ist die Kompetenz-Kompetenz geeignet, einen Staat von einem Nicht-Staat zu unterscheiden, da es nach der deutschen Bundesstaatstheorie auch nicht-souveräne Staaten, also Staaten ohne Kompetenz-Kompetenz geben kann. 103 Deutlich geworden ist damit, daß der staatsrechtliche Föderalismus in der Form des Bundesstaates in der deutschen Staatsrechtslehre erst denkbar wurde, als man die Fiktion einer umfassenden Souveränität des Staates im Innenbereich aufgab. Ein dualistisches Föderalismusverständnis, das einen staatsrechtlichen von einem zwischenstaatlichen Föderalismus unterscheidet, hat sich parallel zu der Entstehung des modernen souveränen Staates und damit zur Entstehung des internationalen Systems mit dem Staat als zentralen Akteur entwickelt. Dabei ist die rechtsdogmatische Konstruktion des staatsrechtlichen Föderalismus in der Form des Bundesstaates in Deutschland erst mit der teilweisen Zurücknahme des Souveränitätsdogmas durch die positivistische Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts möglich geworden.

IH. Der zwischenstaatliche Föderalismus Föderalismus als zwischenstaatliches Organisationsprinzip bezeichnet eine Staatenverbindung, deren Völkerrechtspersönlichkeit als eine neue Form, etwa einer Internationalen Organisation oder eines Staatenbundes, dem einzelnen Staat entgegentritt. 104 Verfügen diese Verbindungen über eigene Organe, s~ sind es nach heutiger Terminologie internationale Organisationen, handeln sie hingegen ausschließlich durch die Organe ihrer Mitgliedstaaten, dann handelt es sich um nichtorganisierte Staatenverbindungen, wie etwa Verteidigungsbündnisse. 105 Gerade in der Zeit der Überbetonung der Souveränität konnte der Föderalismus nur als Laband, Bd. I, 64; sinngemäß auch lellinek, Staatenverbindungen, 294. Anschütz, Grundzüge des Deutschen Staatsrechts, 451 ff., 468. 102 Di Fabio, Der Staat 32 (1993), 191 ff., 201. 103 Die Souveränität war für Jellinek keine absolute, sondern eine historische Kategorie, die nicht selbst Staatsgewalt bedeutet, sondern nur eine Eigenschaft vollkommener Staatsgewalt darstellt, lellinek, Allgemeine Staatslehre, 487, 474. 104 Magiera, in: Schneider/Wessels, Föderale Union - Europas Zukunft?, 76. 105 Verdross/Simma, 596. 100

101

A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus

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eine solche lockere Vereinbarung zwischen Staaten verstanden werden. Auch etwa Kants Konzept zur Gewährleistung des Weltfriedens war nicht über einen losen Verbund hinausgegangenYl6 Immerhin entwickelten sich im 18. und 19. Jahrhundert auch Fonnen von Staatenverbindungen, die auf eine immer stärkere Integration angelegt waren: die klassischen Staatenbünde. Zu nennen sind der Schweizer Bund von 1815-1848 107 , die nordamerikanische Konföderation von 1776 bis 1787 108 sowie der Deutsche Bund von 1815-1866 109 • lIO Aber auch insgesamt ist die Entwicklung eines zwischenstaatlichen Föderalismus nicht ohne die Einschränkung des Souveränitätsdogmas ausgekommen. Zwar entbehrte die Europäische Staatenwelt im 17. und 18. Jahrhundert noch einer institutionalisierten Fonn der Zusammenarbeie lI , jedoch bestanden schon frühzeitig Allianzen und Friedensschlüsse, die auf die föderativen Gemeinsamkeiten aller Mitglieder unter hegemonialer Führung der Großmächte basierten. 112 Die westfälischen Friedensverträge selbst bildeten mit dem Reich die Grundlage für eine erste vertraglich lose Verbindung der Staaten, welche bis 1806 als Staatenbund fortbestand. ll3 Dieses westfälische Staatensystem war auch von Beginn an nicht ausschließlich durch den voll souveränen autonomen Territorialstaat geprägt, wie es die Bezugnahme auf dieses System in der politischen Wissenschaft wie auch in der Völkerrechtslehre vennuten läßt. 114 Bereits in den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück selbst waren Bestimmungen niedergelegt, die eine Einschränkung der autonomen Herrschergewalt zugunsten religiöser Rechte von Minderheiten bedeuteten. Das westfälische Modell des autonomen und souveränen Staates war hierdurch - zumindest in der Theorie - von vornherein eingeschränkt. 1I5 Der Wiener Kongreß nahm Ordnungs vors teilung im Bereich der Friedenssicherung wieder auf und kann daher als Rechtsgemeinschaft, die in Ansätzen ein 106 Kant, Zweiter Definitivartikel: "Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein." 107 Lampert, 6: "Staatenbund". 108 Dazu McLaughlin, 118 ff. 109 Dazu oben Teil I, A.Il.2. llO lellinek, Allgemeine Staatslehre, 766. III Scheuner, in: FG-Braubach, 240. 112 Bülck, VVDStRL 21 (1964),3. 113 V gl. zur Einordnung oben FN 51. 114 Krasner, International Security, val. 20, No. 3 (1995/96),115 ff.; auch Scheuner, in: FG-Braubach, 245 f. IIS Krasner, International Security, val. 20, No. 3 (1995/96), 141.

3 Böluncr

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

kollektives Sicherheitssystemkonstituierte, angesehen werden. 116 Die krassen Unterschiede innerhalb der westfälischen Staatengesellschaft kommen in der durch den Wiener Kongreß eingesetzten souveränitätseinschränkenden Friedenssicherungsstruktur zum Ausdruck. Die Heilige Allianz hatte in ihrem in Troppau im Jahre 1820 unterzeichneten Protokoll ihr Verhältnis zur Souveränität und territorialen Integrität der zivilisierten Staaten Europas festgelegt. Danach waren weitgehende Interventionsbefugnisse legitim. 11 ? Dem Ausbau des Friedenssicherungssystems durch die Haager Konferenzen und den Völkerbund läuft parallel eine Entwicklung zur Gründung technischer Kooperationsformen, den sogenannten internationalen Verwaltungsunionen. 118 Wurde diesen Organisationsformen im 19. Jahrhundert noch die Völkerrechtspersönlichkeit abgesprochen l19 , so kam es mit der zunehmenden Bedeutung dieser Staatenverbindungen im 20. Jahrhundert zur Anerkennung ihrer eigenständigen Rechtspersönlichkeit, soweit dies von den vertragsschließenden Staaten vorgesehen warYo Entgegen der Betonung einer umfassenden Souveränität nach außen durch den gerade erst entstandenen modernen Staat kann somit der Prozeß der Institutionalisierung der Friedenssicherung und des Zusammenschlusses zur Bewältigung von Gemeinschaftsaufgaben als Beispiel für die Ergänzung eines national-territorialen Primärsystems um ein föderal-funktionales - auf internationalen Organisationen mit besonderen Aufgaben beruhendes - Sekundärsystem angesehen werden. 121 Damit waren auch dem zwischenstaatlichen Föderalismus von vornherein die Souveränität der beteiligten Staaten einschränkende Elemente zu eigen. Alle diese Einschränkungen des zwischenstaatlichen Föderalismus wie auch die Relativierung der Bedeutung von Souveränität innerhalb des staatsrechtlichen Föderalismus (der Bundesstaatslehre) lassen jedoch einen Grundsatz unberührt: Dogmatisch wird der innerstaatliche (Bundesstaat) und der zwischenstaatliche (Staatenbund/internationale Organisation) Föderalismus mit der Genese des souveränen Staates in der Staatslehre einander entgegengesetzt. Darüber hinausgehende, Souveränität und Staatlichkeit nicht eindeutig der einen oder anderen Claude, 28. Verosta, EPIL, vol. 11 (1995), 861. 118 Dazu Jellinek, Staatenverbindungen, 158 ff. 119 Vgl. dazu Faßbender, ÖZöRV 37 (1986-87),18 ff.; anders aber schon Fiore, 299 ff., wonach die Verwaltungsunionen selbst Völkerrechts subjekte sein können, wenn ihnen dieser Status durch die Staatengemeinschaft zuerkannt wird. 120 Dazu Kunz, Bd. 11, 385. 121 Bülck, VVDStRL 21 (1964),2. 116 117

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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Ebene zuordnende föderale Systeme werden nicht anerkannt. Diese für den Gang der Untersuchung entscheidende These von der Dominanz eines dualistischen, souveränitätsbezogenen Föderalismusbegriff der deutschen Staats- und Völkerrechtslehre exemplarisch belegend, schließt Georg Jellinek seine Darstellung über die Staatenverbindungen mit der Bemerkung ab: So erschöpfen sich für die moderne Staatenwelt die Staatenverbindungen, sofern sie eine bleibende Regelung zwischenstaatlicher und staatlicher Verhältnisse bezwecken, in dem Gegensatze des Staatenbundes und des Bundesstaates. 122 Ideengeschichtlich nahm Jellinek hiermit die auch vom Bundesverfassungsgericht bezüglich der EU in der Entscheidung zum Maastrichter-Vertrag vorgenommene Einteilung der Staatenverbindungen vorweg: hier souverän bleibender Staat, dort primär gouvernemental bestimmter bloßer Staatenverbund. 123 Die deutsche Staatslehre steht damit gestern wie heute unter dem Eindruck dieser Dichotomie: der dualistische Föderalismus kann den staatsrechtlichen Föderalismus nur noch als Bundesstaat und den zwischenstaatlichen nur noch als Staatenbund/internationale Organisation verstehen. 124 Dabei ist die Kompetenz-Kompetenz als entscheidendes Element der Souveränität nur entweder dem Bund im Bundesstaat oder dem Staat im Staatenbund zuzuordnen. Unter Aufarbeitung der Organisationsstrukturen und dogmatischen Erfassung des Reiches von 1871 und deren Vergleich mit der EG ist nun zu untersuchen, ob die Kategorien eines solchen dualistischen Föderalismusverständnisses das föderale System der EG wie auch der EU insgesamt tatsächlich noch zu erfassen in der Lage sind.

B. Die EG im Vergleich mit dem staatsrechtlichen Föderalismus der Reichsverfassung von 1871 Sowohl der staatsrechtliche als auch der zwischenstaatliche Föderalismus, wie er sich in der deutschen Staats- und Völkerrechtslehre darstellt, könnten auch heute noch adäquate Beschreibungen der EU bereitstellen. Dies wird zwar immer

122 123

Jellinek, Staatenverbindungen, 316. BVerfGE 89,155 (186, 188, 190).

124 Zur grundsätzlichen Kritik an der scharfen Gegenüberstellung von Staatenbund und Bundesstaat vgl. DahmiDelbrückIWolfrum, 1/2, § 105 (im Erscheinen); auch Herzog, Allgemeine Staatslehre, 401 f., betrachtet die schroffe Gegenüberstellung von Bundesstaat und Staatenbund als eine verengte Fragestellung der positivistischen Lehre von den Staatenverbindungen.

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häufiger in Frage gestellt 125 , jedoch soll dem im folgenden im Rahmen eines Vergleichs des an der RV 1871 entwickelten deutschen Bundesstaatsmodells mit der EG als der am stärksten integrierten Säule der EU nachgegangen werden. Immerhin drängen sich doch auf den ersten Anschein auch eine Vielzahl von Parallelen zwischen der EG und der Dogmatik des dualistischen Föderalismus, wie er sich nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit der Reichsverfassung von 1871 entwickelt hat, auf. Die Reichsverfassung konstituierte nach der überwiegenden Auffassung der zeitgenössischen Staatslehre einen Bundesstaat. Es handelte sich um einen Bundesstaat, der im Gegensatz zum stärker unitarisch ausgerichteten Vorläufer, der Paulskirchenverfassung von 1849, stark föderalistisch, d. h. die Kompetenzen der Gliedstaaten betonend, ausgerichtet war. Daher, und weil die deutsche Staatslehre hieran ihre föderalistischen Begrifflichkeiten entwickelt hat, eignet sich das Reich von 1871 als Vergleichs grundlage auch für das föderale System der EG. Anhand eines solchen Vergleichs des staatsrechtlichen Föderalismus der RV 1871 mit der EG können Aussagen über Übereinstimmungen und Unterschiede gemacht werden. Überwiegen die Parallelen, kann die EUIEG in ihrem Ist-Zustand oder auch als mögliches Integrationsziel daher doch mit den klassischen Kategorien der Staatslehre beschrieben werden? Oder sind die Unterschiede so gravierend, daß nur ein völlig neues Begriffsinstrumentarium eine adäquate Erfassung der EUIEG wird leisten können?

I. Vorbemerkungen zur Problematik eines Vergleichs Es werden unterschiedliche Ziele genannt, zu deren Zweck Rechtsvergleichung betrieben werden kann. Zu nennen sind das tiefere Verständnis der verglichenen Rechtsordnungen, die Rechtsvergleichung als Instrument der Rechtsvereinheitlichung, der Rechtsreform und schließlich die Fähigkeit, durch Rechtsvergleichung aufgestellte Thesen zu überprüfen. 126 Ergebnis eines solchen Vergleichs kann sowohl die Feststellung von Gemeinsamkeiten als auch von Unterschieden sein. Voraussetzung ist allerdings, daß die Unterschiedlichkeit der zu vergleichenden Rechtsordnungen nicht so weit geht, daß nur noch ganz allgemeine Aussagen über Gemeinsamkeiten gemacht werden können. 127 Hinsichtlich eines Vergleichs des Reiches von 1871 mit der EG ist darauf hinzuweisen, daß die deutsche VerfasVgl. nur Lhotta, Der Staat 13 (1997),198. Dazu Dehousse, Am.J.Comp.L 42 (1994), 762 f. 127 Bemhardt, ZaöRV 24 (1964), 437 f. 125

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sungsgeschichte seit 1789 geprägt ist durch die um staatliche Selbstverwirklichung ringende Nation. Staatsgründung und Verfassungsgebung fallen zusammen und geben der RV 1871 ihren besonderen verfassungstypologischen Rang. 128 Hierin ist der erste ganz entscheidende Unterschied zum Europäischen Einigungsprozeß zu sehen. 129 Die nationale Verfassungsbewegung l30 , das Prinzip der nationalen Einheit, fehlt der Europäischen Einigung. Daneben kann auch der historische Beitrag hegemonialer Durchsetzung eines führenden Staates mit kriegerischen Mitteln sicherlich nicht als beispielhaft für die Europäische Einigung angesehen werden. 131 Hingegen könnte das Modell einer zunächst wirtschaftlichen Integration als Vorläufer einer engeren politischen Integration als vergleichbares Element beider föderaler Systeme hervorgehoben werden. Der Zoll-Staatenbund (der 1833 gegründete Zollverein) wurde 1867 ein Zoll-Bundesstaat, der den deutschen Nationalstaat von 1871 vorwegnahm. 132 Ebenso ist das Konzept der funktionalen Integration über die Harmonisierungen der wirtschaftlichen Produktions faktoren fester Bestandteil europäischer Integrationspolitik. 133 Auch ist zumindest eine Gemeinsamkeit beider Einigungsprozesse festzustellen und zur Rechtfertigung eines Vergleichs heranzuziehen: die Einsicht, daß die Einigung nur föderativ erfolgen kann. Die deutsche Einigungsbewegung des 19. 128 E. R. Huber, in: SchiederlDeuerlein (Hrsg.), 165. Vgl. auch lpsen, in: SchwarzeIBieber (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 1984,

129

152.

130 Dazu Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jh., in: Recht, Staat, Freiheit, 249 ff. 131lpsen, in: J. Schwarze/R. Bieber (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 1984, 155. Ein weiterer genereller Einwand ließe sich gegen einen Vergleich der EG mit dem Reich von 1871 anführen: Was sollte ein deutsch-verfassungsgeschichtlicher Vergleich für die Erfassung eines Europäischen Gebildes bringen? Würde nicht ein Vergleich der EG mit den bundesstaatlichen Strukturen in den Mitgliedstaaten der EG mehr Erkenntnis bieten können? Hierzu ist zunächst zu sagen, daß dies ein Beitrag zu der deutschen Debatte über den staatsrechtlichen Charakter der EU sein soll. Die Fragestellung in den anderen Mitgliedstaaten ist eine andere und auch das begriffliche Schema zur Erfassung der EU divergiert von dem deutschen. Schließlich sind die begrifflichen Festlegungen des Föderalismusverständnisses der deutschen Staatslehre eben gerade an der RV von 1871 vorgenommen worden. 132 Laufs, JuS 1971,9 ff., 11. 133 Vgl. zu funktionalen Regimen generell Bühl, ZfP 1995, 122 ff.; Behrens, RabelsZ 1981,8. Kritisch zu einem Vergleich politischer Staatenvereinigungen durch das Mittel der Wirtschaftsintegration im Falle der europäischen Integration und der deutschen Verfassungstradition, lpsen, in: J. SchwarzeIR. Bieber (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 1984, 155.

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Jahrhunderts wußte, daß nationale Staatsbildung in Miueleuropa eine revolutionäre Umgestaltung der politischen Landkarte voraussetzte oder aber nur in Teillösungen, wie der kleindeutschen, und dann auch nur föderativ erfolgreich sein konnte. 134 Auch bezüglich der EG kommt H. P. lpsen in seiner ansonsten eher skeptischen Betrachtung zu dem Schluß, es ließen sich Parallelen hinsichtlich der föderalen Struktur des aus Einzelstaaten formierten Bundesstaates aufzeigen. 135 Tatsächlich ist die Frage nach der sachgerechten vertikalen Aufgabenverteilung und der einheitlichen Problemlösung trotz fehlender einheitlicher Jurisdiktion ein gemeinsames Thema föderaler Ordnungen. 136 Die Tatsache, daß Rechtsvergleichung nach ihrem Ziel universal ist 137 , läßt damit den an sich notwendigen Vergleich des historisch-politischen und des wirtschaftlich-sozialen Hintergrunds der föderalen Systeme 138 in seiner Bedeutung gegenüber den Gemeinsamkeiten föderaler Ordnungen zurücktreten. Die folgende Untersuchung konzentriert sich daher auch auf einen Vergleich der Geltungsgrundlagenproblematik, der Kompetenzverteilungen und der Institutionen beider föderaler Systeme. Dabei geht es einerseits um die Aufzeigung von Gemeinsamkeiten, andererseits werden die festzustellenden Unterschiede auch darauf hindeuten, daß das begriffliche Instrumentarium der Bundesstaatslehre nur unzureichend die komplexere Struktur der EG und der EU insgesamt zu beschreiben in der Lage ist. Dies weist auf die Notwendigkeit einer Überwindung des souveränitäts fixierten dualistischen Föderalismus bei der Beschreibung der EU hin. Rechtsvergleichung erscheint dazu die angemessene Methode, denn "as no laboratories are available to test the wisdom of lawyers' intuitions, comparative or historical approaches are about the only methods available to those who want to go beyond the level of mere deduction. ,,139 Die besondere Problematik eines Vergleichs der EU insgesamt mit anderen föderalen Systemen ergibt sich aus ihrer aus intergouvemementalen und supranationalen Säulen bestehenden hybriden Struktur. Der unionsrechtliche Teil der GASP und ZBJI geht nicht über Formen völkerrechtlicher Zusammenarbeit hin134 Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jh., in: Recht, Staat, Freiheit, 249. 135 Vgl. lpsen, in: J. SchwarzeIR. Bieber (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 1984, 155. 136 Bothe, Kompetenzstruktur, 4. 137 Bothe, Kompetenzstruktur, 7. 138 Strebel, ZaöRV 24 (1964), 409 ff.; Bemhardt, ZaöRV 24 (1964), 438; Bothe, Kompetenzstruktur,5. 139 Dehousse, Am.J.Comp.L 42 (1994), 763.

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aus. 140 Auch ist gerade der intergouvernementale Teil der europäischen Integration noch besonders weitgehenden Änderungen unterworfen. 141 Der folgende Vergleich der Kompetenzverteilung und Institutionen des Reiches von 1871 ist daher grundsätzlich auf die Europäische Gemeinschaft als der am stärksten integrierten Unionssäule beschränkt. Während der Erörterung wird auf die EU insgesamt oder auf die bloß intergouvernementalen Säulen Bezug genommen, sofern dies, wie etwa hinsichtlich der Grundlagen- und Konstitutionalisierungsdebatte, erforderlich erscheint.

11. Die Grundlagen der Reichsverfassung von 1871 und der EG Zwischen Vertrag und Verfassung

Ein Vergleich föderaler Systeme hat mit der Betrachtung ihrer Geltungsgrundlagen zu beginnen. Wie nun zunächst aufzuzeigen sein wird, ist bereits der Vergleich der Art der Entstehung und der dogmatischen Grundlage der RV 1871 und der EG geeignet, den Blick für Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu schärfen und darüber hinaus auch den Zusammenhang dieser Fragen mit anderen konstitutionellen Problemen, wie etwa dem der Kompetenz-Kompetenz oder der Vorrangproblematik, zu verdeutlichen.

1. Entstehungsgrundlage der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.4.1871 Die Unfähigkeit zum Verzicht auf souveräne Rechte, der Gegensatz von nationalem Unitarismus und partikularem Föderalismus, hatte die Weiterentwicklung des Deutschen Bundes hin zu mehr Bundesstaatlichkeit lange Zeit verhindert. 142 Die nationale Begeisterung nach dem Kriegsausbruch 1870 übte Druck auf die "partikularistischen" Fürsten und Regierungen der Einzelstaaten aus. Trotzdem gelang gegen die konservativen Kräfte keine unitarische Einigung, wie es noch die Paulskirche versucht hatte. Vielmehr wollte Otto v. Bismarck den Nationalstaat als Föderation monarchischer Staaten, gleichsam als Gegengewicht gegen den Parlamentarismus, etablieren. 143 Das durch Ausdehnung des NorddeutKoeniglPechstein, 4. Zu den diesbezüglichen Änderungen durch den am 1.5.1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag, Wessels, Integration 1997, 123 ff. 142 Grzeszick, 301. 143 Nipperdey, 76. 140 141

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schen Bundes formal am 1. Januar 1871 mit dem Inkrafttreten der Verträge entstandene Reich ist daher auch wieder stärker partikular-föderalistisch konstruiert. Entgegen der reinen Lehre vom Bundesstaat, wonach nur der Staatenbund kraft Vertrag entstehe, wurde dieser erneute Einigungsversuch zunächst von völkerrechtlichen Verträgen zwischen den deutschen Staaten bestimmt. 144 Preußen und zunächst 17 weitere norddeutsche Staaten hatten in den Augustverträgen von 1866 eine bundes staatliche Neuordnung Norddeutschlands vereinbart. In den Novemberverträgen von 1870 verpflichteten sich der so gegründete Norddeutsche Bund und die süddeutschen Staaten zur Gründung eines neuen deutschen Bundesstaates und zur Feststellung einer neuen Bundesverfassung. Am 16. April 1871 nahm dann der erste Reichstag des Deutschen Reiches den gegenüber der Verfassung des Norddeutschen Bundes nur geringfügig revidierten l45 Entwurf einer Reichsverfassung an. 146 Diese Aufeinanderfolge von völkerrechtlichen Verträgen und Gesetzgebungsakten des Reichstages schaffte eine Ungewißheit über die tatsächliche Geltungsgrundlage des Deutschen Reiches, die auch für die Bundesstaatslehre Anlaß bot, ihre Aussagen anhand der Vorgänge bei der Reichsgründung zu überprüfen. Diese Unsicherheit wurde durch Äußerungen Bismarcks verstärkt, wonach die verfassungsmäßige Definition des Reiches sich in den einleitenden Sätzen zur Verfassung über den Bundesvertrag, den die verbündeten Regierungen untereinander abgeschlossen hatten, befinde. 147 Andererseits zeigt sich hieran auch ein typisches Merkmal des klassischen Bundesstaates, nämlich, daß der eigentlichen Konstituierung des Bundesstaates historisch die völkerrechtliche Vertragsschließung zwischen den künftigen Gliedern des Bundes vorausgeht. 148 Die Problematik um die Entstehungsgrundlage des Reiches wird schon in der Verfassungspräambel offensichtlich. Im Gegensatz zur Paulskirchenverfassung, welche die verfassunggebende Nationalversammlung als ihren pouvoir constituant anführt, benennt die Präambel der Reichsverfassung von 1871 die .deutschen Monarchen als Gründer des Reiches. Diese schließen einen "ewigen Bund". Anscheinend sollten damit in Anknüpfung an den Deutschen Bund von 1815 die einzelnen Fürsten zu Trägern der verfassunggebenden Gewalt, des pouvoir conDazu E. R. Huber, Bd. III, 643 ff. Insbesondere waren einigen Staaten sog. Reservatrechte vorbehalten worden, vgl. dazu Laband, Bd. I, 117 ff. 146 Vgl. das "Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches", in das die "Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich" eingefügt war. Bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. II, Nr. 218. 147 "Schließen einen ewigen Bund", vgl. Korioth, 21. 148 Vgl. für die Schweiz und die USA, K. Weber, 47; DahmiDelbrückIWolfrum, Bd. 1/2, § 105 (im Erscheinen). 144

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stituant, werden. Im folgenden ist jedoch in der Verfassung von den Fürsten selbst nicht mehr die Rede. Als Mitglieder des Reiches werden vielmehr die Staaten genannt, welche durch die Fürsten lediglich repräsentiert werden l49 , denen selbst aus der Verfassung aber keine Rechte zukommen. Schließlich steht der institutionelle Gehalt der Verfassung mit dem Kaiser, dem Reichstag und den Kompetenzen der Reichsgewalt der Annahme eines "Fürstenbundes" entgegen, würde doch sonst der "nationalunitarische,,150 Anteil an der Reichsgründung und in der Reichswirklichkeit verkannt. Die Berufung auf die Fürsten als Reichsgründer in der Präambel ist somit eher deklaratorisch als konstitutiv zu verstehen. Die Einordnung des Deutschen Reiches von 1871 als "Fürstenbund" wird denn auch als "Legende" zurückgewiesen l51 bzw. ihre bloß machtpolitische Funktion in den Auseinandersetzungen mit dem Reichstag betont. 152 Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß das Kokettieren seitens der "Bundesfürsten" mit einer Auflösung des Bundesvertrages zur politischen Rhetorik gehörte. 153 Andererseits stellt die Präambel mit ihrer Berufung auf die Fürsten auch eine Absage an den Gedanken der Volkssouveränität dar, in diesem Sinne man sie wieder als durchaus konstitutiv ansehen könnte. Die Entstehung des Deutschen Reiches durch eine Aufeinanderfolge von Verträgen der Einzelstaaten und die sich hierauf beziehende politische Rhetorik einzelner Fürsten könnten die Annahme nahelegen, das Deutsche Reich stelle bloß die Fortsetzung des Bundes souveräner Staaten von 1815 im Sinne einer völkervertragsrechtlichen Verbindung dar. 154 Gleichwohl schließen sich Gesetz und Vertrag als Grundlage einer Staatenverbindung an sich aus. Denn wenn Verträge eine Koordination der Partner im Sinne einer Gleichordnung voraussetzen, ein Verfassungsgesetz hingegen auch ein Verhältnis der Überordnung, etwa des konstituierten Gesamtstaates über die Glieder, zu setzen vermag, so war nach Ansicht der zeitgenössischen Staatslehre für den souveränen Bundesstaat nur das Verfassungsgesetz geeignete Grundlage. Verträge wurden hingegen als für den Staatenbund typisch angesehen. 155 Auch nach der Lehre konnte daher nur ein Verfassungsgesetz Grundlage des Bundesstaates sein. 156 Die überwiegende StaatsrechtsLaband. Bd. I, 98. E. R. Huber, Bd. III, 788. 151 So z. B. von E. R. Huber, Bd. III, 788. 152 Korioth, 22 m. w. N. 153 Herdegen, in: FS-Everling, 452. 154 v. Seydel, Commentar, Einleitung, 11. 155 Zorn, Reich und Reichsverfassung, 4. 156 Zorn, Staatsrecht, 50. 149

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lehre hob denn auch hervor, daß zwar die Novemberverträge des Jahres 1870 vertragsmäßige Pflichten begründet haben 157, diese aber mit dem erfolgten Eintritt der Süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund durch Erfüllung l58 erloschen seien. 159 Dies wurde damit begründet, daß die "definitive Redaktion der Grundsätze ... nicht in der Form eines Vertrages, sondern in der Form eines Verfassungsgesetzes"l60 erfolgte bzw. die Gründung des Bundesstaates als "nationale Tat"161 anzusehen und damit von einer normativen Kraft des Faktischen auszugehen sei. 162

2. Die Grundlagen der EG - Verfassung oder Vertrag? Auch die Debatte um die Grundlage der EG und ihrer Verfassung wird von den möglichen Gegensatzpaaren völkerrechtlicher VertraglVerfassung bzw. StaatenbundlBundesstaat bestimmt. 163 Im Gegensatz zur RV 1871 fehlen im Prozeß der Integration der EG konstitutive Annahmeakte einer europäischen Gesamtvolksvertretung (des Europäischen Parlaments), die der vertraglichen Grundlage des Bündnisses im staatlichen Verständnis Verfassungscharakter zu geben in der Lage wären. 164 Nichtsdestotrotz existiert eine Debatte über die Grundlagen der EG, die wie der Streit um die Grundlagen der RV 1871 - den jeweiligen Standpunkt des Autors zwischen eher bundesstaatsähnlicher oder bloß staatenbündischer Einordnung der EG widerspiegelt. Auf der einen Seite stehen Stimmen, die mit Bedauern feststellen, daß die Dominanz eines verabsolutierten Souveränitätsdenkens im Verbund mit der besonderen Nähe des Verfassungsrechts zum Nationalpolitischen das Verständnis für ein Europäisches Verfassungsrecht verhindere. 165 Andererseits gibt es zahlreiche Einwände gegen eine Verfassungsqualifikation der die EG konstituierenden Verträge. 157 Vgl. E. R. Huber, Dokumente, Bd. 11, 258 ff. 158 So ausdrücklich Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 776. 159

Laband, Bd. I, 89; Zorn, Staatsrecht, 24.

160 Laband, Bd. I, 89 f. 161

Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 775.

162 Zur Kritik an beiden Konstruktionen, Korioth, 28 f. 163 Als gegenüber der RV 1871 bestehende Besonderheit kommt für die EU noch der Gegensatz supranationallintergouvememental hinzu. 164 Die Zustimmung der nationalen Parlamente zu den Verträgen unterstreicht im Gegenteil die vertragliche Grundlage der EGIEU und ist daher ungeeignet, die Transformation dieser Grundlage zur Verfassung zu bewirken. 165 Läufer, in: Gs-Grabitz, 361.

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Dabei erscheint es notwendig anzumerken, daß bereits unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, in welchem Sinne von einer "Verfassung" gesprochen werden kann. Allgemein kann unter "Verfassung" im Rechtssinn zunächst die rechtliche Grundordnung einer menschlichen Gemeinschaft verstanden werden. 166 Dabei wird die Diktion "Verfassung" nicht nur für den Staat, sondern auch für das Gründungsstatut einer internationalen Organisation verwendet (als sog. institutioneller Vertrag).167 Insofern wird den Gründungsverträgen einer internationalen Organisation eine Doppelnatur 168 zugesprochen: Zwar beruht die Organisation auf völkervertragsrechtlicher Grundlage, indem sie die Organe und auch die Mitgliedstaaten bindet, entfaltet eben diese Grundlage jedoch im Innenverhältnis der Organisation die Funktion einer Verfassung. In der Debatte um die Grundlagen der EG wird der Begriff der "Verfassung" der Gemeinschaft zunächst als Bezeichnung der verbindlichen rechtlichen Grundordnung eben dieser Gemeinschaft verstanden. 169 In diesem Sinne bezeichnet die "Unionsverfassung" die rechtliche Grundordnung des einheitlichen institutionellen Rahmens (Art. C EUV (Art. 3 EUV Arnsterdam» der EU. Dabei steht grundsätzlich, wie das Beispiel der RV 1871, aber auch der Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 zeigen, die vertragsrechtliche Grundlage nicht im Widerspruch zur Qualifikation der Geltungsgrundlage eines solchen Gebildes als Verfassung im Sinne der rechtlichen Grundordnung einer Gemeinschaft. 170 Die Behauptung, auch dem Gemeinschafts-/Unionsrecht käme Verfassungsqualität zu, geht allerdings über diese bloße Kennzeichnung der Doppelnatur ihrer rechtlichen Grundordnung hinaus. Es wird damit ein besonderer normenhierarchischer Geltungsanspruch erhoben. Dieser Geltungsanspruch leitet sich ab von dem 166 Zemanek, 11: "Verfassung ist ein allgemeiner Rechtsbegriff und nicht nur ein solcher des Staatsrechtes." 167 Streinz, Europarecht, 105, will es hierbei auch belassen. 168 Zur DoppelnatUf des Gründungsstatuts als Vertrag und Verfassung allgemein vgl. etwa Zemanek, 11: "Die Satzungen internationaler Organisationen sind aber nicht nur völkerrechtliche Verträge zu ihrer Gründung, sondern auch ihre Verfassungen". Ders., ÖZöR 7 (1956),335 ff. (341); Mosler, ZaöRV 19 (1958), 275 ff. (305 f.); Ress, Interpretation, in: Simma (ed.), The Charter of the Uni ted Nations - A Commentary, Rdn. I, dort auch Rdn. 36 zur mit der Qualifizierung der Grundlagen verbundenen Frage der Anwendung der Implied Powers-Regel. Zur Doppelnatur des Gründungsstatuts der Vereinten Nationen als Vertrag und Verfassung vgl. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Bd. 1/2, § 107 (im Erscheinen). Zur Doppelnatur der Gemeinschaftsverträge Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 194; Oppennann, Europarecht, 196; Blanke, DÖV 1993,413. 169 Schon Bemhardt, in: Kommission der EG (Hrsg.), Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 1981,77. 170 Herdegen, in: FS-Everling, 451; Bäckenfärde, in: FS-Gmür, 12 f.

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besonderen Geltungsgrund, auf dem zumindest die EG beruhen soll. Diese Auffassungen über den Geltungsgrund des Gemeinschaftsrechts korrespondieren nun wiederum mit dem Verständnis über das Wesen der Gemeinschaft bzw. der EU insgesamt. 171 Auch dieses Verständnis wird nun seinerseits wieder bestimmt etwa von der Entscheidung der Frage, ob die Mitgliedstaaten einzeln noch "Herren der Verträge"l72 sind. Es ist auf das polemische Potential der Formel von der "Herrschaft über die Verträge" hingewiesen worden. 173 Sie urnfaßt auch die Frage nach der Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz im föderalen System der EU, sowie der Auslegung von Gemeinschaftskompetenzen. 174 Eine Gemeinsamkeit des mit der Qualifikation der Grundlagen der EG als "Verfassung" oder als bloße völkerrechtliche Verträge erhobenen normenhierarchischen Geltungsanspruchs ist das Verständnis von der Trennung des Gemeinschaftsrechts von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Wie im folgenden noch näher ausgeführt wird, liegt dem ein dualistisches Föderalismusverständnis zugrunde. Nach diesem Verständnis können föderale Organisationen nur entweder als Staatenbund/internationale Organisation oder als Bundesstaat gedacht werden. 175 Damit ist dann auch deren Grundlage nur entweder als völkerrechtlicher Vertrag oder als bundesstaatliche Verfassungsordnung vorstellbar. Diese von der deutschen Staatslehre an der RV 1871 entwickelte Sichtweise wird insbesondere von der deutschen Europarechtsliteratur auch auf die EG angewandt. Dabei soll eine wesentliche Konsequenz dieser Betrachtungsweise herausgearbeitet werden: Der dualistische Föderalismus stellt entscheidend auf die Trennung der entweder völkerrechtlichen Rechts- oder bundesstaatlichen Verfassungsordnung von der Rechtsordnung der föderal verbundenen Mitgliedstaaten oder Gliedstaaten im Bundesstaate ab. Auch die Gemeinsamkeit der zur Geltungsgrundlage der EG vertretenen Ansätze liegt letztlich in dieser theoretisch postulierten Trennung des Gemeinschaftrechts (sei es als autonome Rechtsordnung, sei es als Völkerrecht) von dem Recht der Mitgliedstaaten. In Teil 11 dieser Arbeit wird zu zeigen sei, daß diese grundsätzliche Annahme des dualistischen Föderalismus der Trennung der Rechtsordnungen im föderalen System in der Realität der Rechtsordnungen der EG auf die Verschränkung und Verzahnung der mitgliedstaatlichen und gemein-

Oppermann, Europarecht, 152, deutet diesen Zusammenhang an. Zur Genese dieser Formel, die wohl nicht eindeutig zu bestimmen ist, Heintzen, AöR 119 (1994), 565, Fußnote 4. 173 Heintzen, AöR 119 (1994), 565. 174 Dazu ausführlich unten Teil I, B.III.1.b), Teil I, C.III.2. 175 V gl. oben Teil I, A. 171

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schaftsrechtlichen Rechtsordnungen stößt und damit als Beschreibungsmodell nicht tauglich ist.

a) Die Trennung der Rechtsordnungen Die bekannte Debatte um die Grundlagen der Gemeinschaft - und in der Erweiterung nun auch über die Grundlagen der EU - ist auch heute noch in der Literatur anzutreffen 176 , wobei es nicht zuletzt darum geht, die Souveränität der Mitgliedstaaten gegenüber einer von zentralistischen Tendenzen geprägten EU zu verteidigen. Bereits herkömmlich standen sich zwei Auffassungen gegenüber, deren Gemeinsamkeit letztlich in der von beiden postulierten Trennung des Gemeinschaftrechts (sei es als autonome Rechtsordnung, sei es als Völkerrecht) von dem Recht der Mitgliedstaaten zu finden ist.

(1) Trennungsthese 1 - Autonomes Veifassungsrecht Die eine Auffassung, die die mitgliedstaatliehe von der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsordnung abzugrenzen versucht, wird vom EuGH in ständiger Rechtsprechung vertreten. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs nahm die Tatsache, daß die Mitgliedstaaten zugunsten der Gemeinschaft ihre Hoheitsrechte eingeschränkt hatten, ernst und schloß hiervon ausgehend etwa im Falle Costa/ENEL: "Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWGVertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen ... "177. Folgerichtig sollte Gemeinschaftsrecht als unabhängige Rechtsordnung 178 anzusehen sein. Diese These von der Trennung und Autonomie des Gemeinschaftsrechts wurde auch in der Literatur unterstützt. 179 Sie richtet sich gegen eine Qualifikation der Gemeinschaftsrechtsordnung als bloßes internationales Recht, behauptet aber auch seine Verschiedenheit von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Beides bildete denn auch den entscheidenden politischen Hintergrund dieser These, der nicht zu vernachlässigen ist: Die Annahme einer Autonomie des Gemeinschaftsrechts sollSchilling, HIU (1996), 389; WeilerlHaltem, HIJL (1996), 411. RS 6/64 - Flaminio Costa v. Enel- EuGHE 1964, 1251 ff. 178 Std. Rspr. des EuGH, vgl. E 1963, 1 ff. - "Van Gend & Loos"; EuGHE 1964, 1251 ff. - "Costa/ENEL"; EuGHE 1978,629 ff. - "Simmenthal". 179 Oppermann, Europarecht, 196; lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 290; LecheIer, in: FS-Heymanns Verlag, 384; Dowrick, YEL 3 (1983), 224; Peters, GYIL40 (1997), 176

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10.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

te einerseits seine Interpretation von völkerrechtlichen Grundsätzen lösen helfen, andererseits sollte durch die Trennung vom Recht der Mitgliedstaaten die Grundlage für eine Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten 180 gelegt, und die Unanwendbarkeit des lex posterior-Prinzipsl81 gewährleistet werden. Der mit dieser These von der Autonomie des Gemeinschaftsrechts verbundene normenhierarchische Geltungsanspruch lebt fort in der Behauptung, den grundlegenden Dokumenten der Gemeinschaft käme Verfassungscharakter zu: In seinem ersten Gutachten zum EWR-Vertrag stellt der Gerichtshof fest, daß obwohl der EWG-Vertrag in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft geschlossen wurde, dieser nichtsdestoweniger die Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft darstelle. 182 Ähnlich führte schon 1967 das Bundesverfassungsgericht aus, daß der EWG-Vertrag "gewissermaßen die Verfassung dieser Gemeinschaft" bilde. 183 Die Behauptung einer relativen Autonomie des Gemeinschaftrechts und Loslösung von seinen völkerrechtlichen Grundlagen könnte zumindest insofern belegt werden, als das Gemeinschaftsrecht auch das interne Recht der Gemeinschaftsinstitutionen regelt l84, ihm insofern die beschriebene Doppelnatur zukommt. 185 Auf der anderen Seite berücksichtigt die These von der Autonomie des Gemeinschaftsrechts zusammen mit dem ebenfalls vom EuGH entwickelten Vorrangprinzip zu wenig die tatsächliche und rechtliche Abhängigkeit sowie die Verklammerung von Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Supranationalität kann nicht ausschließlich in dem wörtlichen Sinne von "über den Mitgliedstaaten stehend" verstanden werden. Die gegenwärtige Struktur der Gemeinschaft und insbesondere auch der EU als Ganzes schließt über den Rat die nationalen Regierungen mit entscheidenden Gestaltungsbefugnissen in allen Bereichen der EG mit ein. Dieser tatsächliche Zustand spricht gegen eine klare hierarchische Überlegenheit des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem mitglied180 RS 6/64 - Flaminio Costa v. ENEL- EuGHE 1964, 585; RS 106177 -Amministrazione delle Finanze dello Stato v. Simmenthal- EuGHE 1978, 629 (644); RS C-221189R v. Secretary 0/ State/or Transport ex p Factortame Ltd - EuGHE 1991,3905; Kirklees Borough Council v. Wickes Building Supplies Ltd [1991]3 CMLRep. 282. 181 Ansonsten könnten die Mitgliedstaaten Gemeinschaftsrecht durch spätere Rechtsetzung außer Kraft setzen. Bezüglich völkerrechtlicher Verträge ist dies etwa für die Bundesrepublik Deutschland möglich, vgl. zu Art. 59 GG Rudolf, 212 ff. 182 EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991,1-6102. Bereits in RS 294/83 - Parti Ecologiste "Les Verts" v. European Parliament - EuGHE 1986, 1357 (1365). 183 BVerfGE 22, 293 (296). 184 Harden, PL (1994), 611. 185 Siehe oben Teil I, B.II.2.

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staatlichen Recht und muß daher auch rechtsdogmatisch nachvollzogen werden. Die These von einer strikten Autonomie des Gemeinschaftsrechts und normenhierarchischen Überlegenheit gegenüber den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten kann schon deswegen nicht befriedigen.

(2) Trennungsthese 2 - Gemeinschaftsrecht als Völkerrecht Auf der anderen Seite wird - wie schon bezüglich der RV 1871 - dem primären Gemeinschaftsrecht der Verfassungscharakter mit der Begründung abgesprochen, es sei durch völkerrechtliche Verträge zustande gekommen und seine Grundlage sei daher auch nach wie vor im Völkerrecht zu finden. 186 Danach impliziere das Bestehen einer autonomen Rechtsordnung nicht einen Verfassungscharakter der Europäischen Verträge, wo doch kein Hinweis dafür bestehe, daß die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten als originäre Verfassungsgeber handelten, als sie die Gemeinschaftsverträge ratifizierten. 187 Auch sei die Möglichkeit einer Loslösung des Gemeinschaftsrechts von seiner völkerrechtlichen Grundlage zu verneinen. 188 Darum sei zumindest von einer "originären Autonomie" des Gemeinschaftsrechts nicht auszugehen. Vielmehr käme diesem nur eine von den Mitgliedstaaten abgeleitete Autonomie ZU. 189 Gegen diese Auffassung lassen sich zahlreiche Argumente anführen. l90 Wie schon ausgeführt l91 , kennt das Völkerrecht selbst die Figur der institutionellen Verträge. 192 Diesen rechtsetzenden Verträgen kommt ein anderer Charakter zu als solchen ohne teleologische Bestimmung. 193 Eine weitere Besonderheit besteht in der Fähigkeit der Gemeinschaft, bindende Rechtssätze durch Mehrheitsentschei-

186 Schilling, HIU (1996), 403: "the relationship between the laws of the Community and of the Member States is but one instance of the relationship between international and municipallaw". Vgl. auch Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen (1994); Meng, 171; Streinz, Europarecht, 35; Klein, VVDStRL 50 (1991),59 m.w.N. 187 Schilling, HIU (1996), 394. 188 Meng, 171; Streinz, Europarecht, 35; Schilling, HIU (1996), 395 ff. 189 Schilling, HIU (1996), 404. 190 Dazu Bernhardt, in: FS-Bindschedler, 233. 191 Siehe oben Teil I, B.II.2. 192 DahmiDelbrückIWolfrum, Bd. 111, 53. 1931psen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 59; für die RV 1871 schon Haenel: "Inhalt und Wesen einer Ordnung ist das eine, ihre Entstehungsgrundlage das andere".

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

dungen zu erlassen. 194 Ferner können im Recht der Europäischen Gemeinschaft subjektiv-öffentliche Rechte des einzelnen gegen seinen Heimatstaat entstehen, und zwar sowohl aus Primärrecht wie auch aus Verordnungen und schließlich Richtlinien (unmittelbare Anwendbarkeie 95 ). Zusammen mit der Möglichkeit von Privaten durch Art. 173 Abs. 4, Art. 175 Abs. 3 EGV (Art. 230 Abs. 4, Art. 232 Abs. 3 EGV Arnsterdam) Rechtsschutz zu erlangen, liegt hierin ein fundamentaler Unterschied zum Völkerrecht. 196 Dieser Unterschied wird unterstrichen durch die Gesamtwirkung des Rechtsschutzsystems der Gemeinschaft, sowohl auf der Gemeinschaftsebene durch die Art. 169-172 EGV (Art. 226-229 EGV Arnsterdam) als auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten durch Art. 177 EGV (Art. 234 EGV Arnsterdam): die völkerrechtliche Doktrin der fast ausschließlichen Staatenverantwortlichkeit mit den Prinzipien der Reziprozität und der unilateralen Sanktionen wird für die Gemeinschaft überwunden. 197 Allerdings gibt es keinen abschließenden Beweis dafür, daß die Grundlage des Gemeinschaftsrechts nicht im Völkerrecht zu finden ist. 198 Entscheidend kommt es nur darauf an, die hinter einer solchen Einordnung liegende Motivation zu verstehen. Zu Recht ist daher vor der Gefahr von zirkulären Argumentationen hinsichtlich der Verfassungs- oder Vertragsqualifizierung der Geltungsgrundlagen gewarnt worden. l99 Die Qualifikation des Gemeinschaftsprimärrechts als "Verfassung" ist nur eine dogmatische Verdeutlichungskategorie, aus der nicht ein Jota mehr herausgelesen werden kann, als durch die dahinterstehenden Normen in sie hineingelegt worden ist. 2°O Worauf es ankommt, ist zu klären, ob die auch von einer Verfassungsqualifikation der Grundlagen der EG vorausgesetzte Trennung der Rechtsordnungen im föderalen System als Beschreibungsmodell insgesamt hinreichend sein kann.

194 195

Art. 189, 148 (1) EGV (Art. 249, 205 Abs. 1 EGV Amsterdam). EuGHE 1991,825 (867); 1991,2607 (2631); 1991,4983 (5023); EuZW 1995,635

(636). 196 Danwitz, DÖV 12 (1996), 481. Das Individuum ist im Völkerrecht nur ganz begrenzt Adressat von Rechten und Pflichten, vgl. jetzt allerdings 11. Zusatzprotokoll zur EMRK, Art. 35, dazu Meyer-Ladewig, NJW 1995,2813 ff. 197 Weiler, Transformation, Yale LJ. 100 (1991), 2422. 198 So könnte etwa entgegen den Argumenten der "Autonomisten" angeführt werden, daß auch das Völkerrecht einen Vorrang vor nationalem Recht beansprucht, ebenso die Vorstellung von unmittelbarer Anwendbarkeit in der Doktrin von self-executing- Verträgen besteht und die implied power-Doktrin nach der Rechtsprechung des IGH dem Völkerrecht auch nicht fremd ist. Vgl. dazu Weiler, Transformation Yale LJ. 100 (1991), 2418. 199 Heintzen, EuR 1994,40. 200 Heintzen, EuR 1994, 40.

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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b) Weitere Einwände gegen die Übertragung des Verfassungsbegriffs auf die EG Bezieht man die weiteren Einwände gegen eine Verfassungsqualifikation des Gemeinschafts-lUnionsrechts in die Betrachtung mit ein, so wird in der Tat deutlich, daß die Debatte um die Grundlagen der EG/EU von anderen Voraussetzungen ausgehen muß als diejenigen, welche den Streit um die Grundlagen der RV 1871 bestimmten.

(1) Staat und Verfassung

Zunächst ist auf den Einwand einzugehen, Staat und Verfassung bildeten einen notwendigen Zusammenhang und da die EG kein Staat sei, könne ihrer Rechtsordnung auch nicht der Charakter einer Verfassung zugesprochen werden. 201 Tatsächlich kann von einer "Verfassungsqualität" des EG-Primärrechts nur in einem nichtetatistischen Verständnis gesprochen werden. Schon in der Verfassungsdebatte der 80er Jahre wurde vor einer etatistischen Verengung der Verfassungsvorstellungen gewarnt. 202 Auch ergeben sich aus der mangelnden Staatsqualität der EG noch keine grundsätzlichen Einwände gegen verfassungsrechtliche Ansätze. 203 Vielmehr erscheint der Schluß: "Wo kein Staat, da keine Verfassung"204 einem vormodernen Staatsverständnis entnommen. Danach wird der Staat nicht etwa durch die Verfassung konstituiert, sondern liegt ihr gleichsam voraus. 20S Hiergegen ist einzuwenden, daß Staatsgewalt Rechtsgewalt ist, eine "vorverfassungsrechtliche Basisstaatlichkeit" demgegenüber fragwürdig erscheint. 206 Wenn der EuGH den EWG-Vertrag als die "Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft" qualifizierte, brachte er damit ebenfalls ein nichtetatistisches Verständnis des Verfassungs begriffs zum Ausdruck.

201 Schmitt, Verfassungslehre, 3 f.; Kirchhof, zitiert nach Schneider, in: Gs-Grabitz, 698; Isensee, HStR, Bd. I, 592, in bezug auf die EU aber relativierend Isensee, in: FS-Stern,

1244; auf den Mangel demokratischer Legitimation stellt ab Rupp, AöR 120 (1995), 271. 202 Läufer, in: Gs-Grabitz, 358 m. w. N. 203 Herdegen, in: FS-Everling, 451. 204 Schmitt, Verfassungslehre, 3 f.; Kirchhof, zitiert nach Schneider, Gs-Grabitz, 698; Isensee, HStR, Bd. I, 592. 205lsensee, HStR, Bd. I, 591. 206 Denninger, JZ 1996, 586; Hilf, VVDStRL 53 (1994), 20. 4 Böhmer

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Tatsächlich sollte "Verfassung" in einem materiellen Sinne verstanden werden, als die grundlegenden Rechtssätze über die Zielsetzungen, die Organisation und die Funktionsweise der EG, ohne daß daraus ein staatlicher Charakter der EG abgeleitet werden müßte. 207 Von einer "Verfassung" kann dann bereits gesprochen werden, wenn eine Rangabstufung, eine materielle Höherrangigkeit bestimmter Normen nachgewiesen werden kann. Mit Rangabstufungen im Gemeinschaftsrecht können zunächst die Unterscheidungen zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht bezeichnet werden. Fraglich ist, ob darüber hinaus weitere Hierarchisierungsmöglichkeiten auch innerhalb des Primärrechts bestehen. Diese können in materiellen Schranken der Vertragsänderung gesehen werden. Zwar werden materielle Schranken der Vertragsänderung nicht vom Verfassungsbegriff vorausgesetzt2°8 , aber dadurch würde doch die Qualität des Primärrechts als "Verfassung" unterstrichen. In Betracht kämen materielle Schranken, die von den Mitgliedstaaten auch durch Vertrags-N erfassungs änderung nicht durchbrochen werden können. Durch eine Abänderungssperre soll der Wille des Verfassungsgebers gegen nachträgliche Änderungen geschützt werden. Dies setzt aber personelle, sachliche und zeitliche Trennbarkeit von verfassunggebender und verfaßter Gewalt, also einer Unterscheidbarkeit von pouvoir constituant und pouvoir constitue voraus. Legt man die Dominanz des Ministerrates zugrunde, dann wird deutlich, daß bei der EG beides zusammen fällt in der Hand der Mitgliedstaaten, es sei denn, man würde von einem "Vollzug" der Gemeinschaft ausgehen, bei dem die verfassunggebende Gewalt den Mitgliedstaaten entglitten ist. Insofern könnte - wie bei der RV 1871 - von einer "Erfüllung" durch Vollzug gesprochen werden. Schließlich regierten auch im Reich die Länder über den Bundesrat mit und die Mitgliedstaaten nehmen jedenfalls dann nicht eine gleichzeitige Funktion als pouvoir constituant und pouvoir constitue war, wenn sie im Bereich der Mehrheitsentscheidungen im Rat überstimmt werden. Insofern ist der Ministerrat eindeutig pouvoir constitue und kann von den ihn konstituierenden Mitgliedstaaten als Organ der EG geschieden werden. Wenn auch Sinn- und Funktionszusammenhang des Verfassungsbegriffes ergab, daß dieser nicht notwendig staatsbezogen sein muß, so wird es doch für die Verfassung der EG einen materiellen Verfassungsbegriff, ein vorausgesetztes Verfassungsverständnis geben. Ein solcher "politischer Selbstand" läßt sich tat207 lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 64. In bezug auf Großbritannien, wo das Konzept "Staat" so gar nicht existiert, kommt zu demselben Schluß Harden, PL (1994), 613 ff. 208 Herdegen, in: FS-Everling, 456; Heintzen, EuR 1994,40.

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sächlich bestimmen. 209 Auch wenn die überwiegende Meinung keine materiellen Schranken der Verfassungsänderung anerkennt21O , könnten aus der Teleologie der EG Schranken geschlossen werden. In den Art. N Abs. 2 i. V. m. Art. A und B EUV (Art. 48 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 und 2 EUV Arnsterdam) ist der Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens zu sehen, wonach der "gemeinschaftliche Besitzstand" zu wahren ist. Unter Rückgriff auf Art. F Abs. 1 und Abs. 2 EUV (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 EUV Arnsterdam) läßt sich hinsichtlich der "demokratischen Grundsätze" eine normative Festschreibung feststellen. 2Il Wenn diese Organisation von Herrschaftsausübung vor den demokratischen Verfassungsstaaten in Europa Bestand haben soll, so müssen, jedenfalls solange auch dem einzelnen Bürger gegenüber Hoheitsgewalt ausgeübt wird, grundlegende Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden. Auch inhaltlich lassen sich aus dem Verfassungsbegriff selbst zugunsten der Unionsbürger Fundamentalnormen ableiten, die bei einer Ausübung von Hoheitsrechten in Europa vorausgesetzt werden müssen. Dazu gehören die Geltung der Rufe 0/ Law, das Subsidiaritätsprinzip, das Prinzip der Einzelerrnächtigung, der Grundrechtsstandard auf der Grundlage der allgemeinen Rechtsgrundsätze und schließlich ein Mindestmaß an demokratischer Legitimation. 212

(2) Demokratiedefizit Damit ist ein weiterer sehr wichtiger Einwand gegen den Verfassungscharakter der Gründungsdokumente der EG angesprochen. Grundlage dieser Bedenken ist, daß der Terminus "Verfassung" heutzutage demokratische Legitimation voraussetzt und damit auf der verfassunggebenden Gewalt eines Volkes beruhen muß. 213 Gegen diesen Einwand läßt sich zwar auf die Entwicklung der Rolle des Reichstages im Reich von 1871 verweisen, der auch erst nach und nach stärkere Mitwirkungsbefugnisse erhielt. Auch die Reichsgründung selbst war kein von Volkslegitimation getragener Akt. Heute kann aber auf eine demokratische Legitimation nicht mehr verzichtet werden, auch wenn darauf hinzuweisen ist, daß auch Ver-

Dagegen Heintzen. EuR 1994,45. Herdegen. in: FS-Everling, 457 m. w. N. 211 Herdegen. in: FS-Everling, 459. 212 Herdegen. in: FS-Everling, 448. 213 Rupp. AöR 120 (1995), 271. 209

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

fassungen anderer föderaler Ordnungen über keine demokratische Legitimation verfügen. 214 Ein gewisser Ersatz für eine direkte europäische demokratische Legitimation wird durch die indirekte demokratische Legitimation über die im Rat entscheidenden Mitgliedstaaten geboten. Diese üben ihre vertraglichen Änderungsbefugnisse und den pouvoir constituant zur gesamten Hand215 aus: Im Staatenverbund der Europäischen Union erfolgt mithin demokratische Legitimation notwendig durch die Rückkoppelung des Handeins europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten; hinzutritt - im Maße des Zusammenwachsens der europäischen Nationen zunehmend - innerhalb des institutionellen Gefüges der Europäischen Union die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament. 216

Diese Art der demokratischen Legitimation kann als doppelte oder duale Legitimation bezeichnet werden, die sich zu einer Gesamtrechtfertigung miteinander verklammern läßt. 217

3. Komplementäre Verfassung der EG/EU

Insgesamt weist die Diskussion um die Grundlagen der RV 1871 im Vergleich zu denen der EGIEU erstaunliche Parallelen auf. Umstritten ist hier wie da der Entstehungsgrund (Vertrag oder Verfassung), wobei die These der Erfüllung des ursprünglichen Vertrages, des "Vollzugs" der Gemeinschaft, eine Rolle spielt. Auch das Kokettieren mit der fortbestehenden "Herrschaft über die Verträge" durch die Mitgliedstaaten läßt sich als Parallele zum Kokettieren der "Bundesfürsten" mit der Auflösung des Bundesvertrages herausstellen. 218 Im Gegensatz zur Debatte um die RV 1871 ist die Frage VertraglVerfassung als Grundlage der EGIEU jedoch noch nicht durch die historische Entwicklung entschieden. Statt 214 So etwa die Verfassung Kanadas, die ihren Ursprung in einer Serie von Gesetzen eines anderen Landes, des Vereinigten Königreiches hat, vgl. zur Entwicklung des British North America Act 1867 bis zu dem Constitution Act 1982 Hartley, Am.J.Comp.L 34 (1986),232, Fußnote 14. m Herdegen, in: FS-Everling, 458. 216 BVerfGE 89, 155 (186). 217 Classen, AöR 1994,259; Weiden/eid, in: FS-Everling, 1646; Ipsen, EuR 1987,210; Klein, EuR 1987, 107; Tsatsos, EuGRZ 1995,293. Auch für Isensee, in: FS-Stern, 1263, ergibt sich aus der dualen Legitimation des europäischen Rechts kein Nachrang des letzteren. 218 Herdegen, in: FS-Everling, 452.

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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dessen ist auf die noch ausstehende formale "Konstitutionalisierung" der EGIEU hinzuweisen. 219 Der Streit hierüber erscheint aber als mindestens genauso artifiziell und von politischen Erwägungen geprägt wie die damalige Debatte. Die Tatsache, daß Rangabstufungen in der Rechtsordnung des Gemeinschaftsrechts vorgenommen werden können, legt die Qualifikation des höheren Rechts als "Verfassung" zumindest nahe. Andererseits kann die Behauptung, es handele sich auch hierbei um bloß freiwillig eingegangene völkerrechtlich auferlegte Souveränitätsbeschränkungen der Mitgliedstaaten letztlich nicht widerlegt werden. Nur ihre Plausibilität ist zu bezweifeln, sind doch dem Völkerrecht hierarchische Nonnstrukturen grundsätzlich noch fremd. 220 Jedenfalls ist die hybride Struktur der EGIEU bereits in der Analyse ihrer Grundlagen deutlich geworden. Ihre Rechtsordnung ähnelt der des internationalen Rechts (ursprünglich völkerrechtliche Vertrags grundlage der Gründungsdokumente, völkerrechtliche Interpretationsprinzipien, self-executing Vertragsbestimmungen, Konzept der allgemeinen Rechtsgrundsätze), aber auch bundesstaatlichen Rechtsordnungen ihrer Mitgliedstaaten, und sie weist schließlich eigene Charakteristika auf. 221 Der hohe Stellenwert, der der demokratischen Legitimität heute zukommt, und die in der RV 1871 noch schwach ausgeprägt war, läßt eine Qualifikation der Verfassung der EG beim jetzigen Stand der Integration nur als von einer Staatsverfassung zu unterscheidende Verfassung zu. Nur teilweise wird die mangelnde direkte demokratische Legitimation innerhalb der EGIEU ausgeglichen durch die indirekte demokratische Legitimation über die Mitgliedstaaten. Jedoch weist die Anerkennung einer solchen doppelten oder dualen Legitimation in die richtige Richtung und muß sich daher auch in der Verfassungsdefinition wiederfinden: Zusammen mit dem intergouvernementalen Unionsrecht bildet das föderale System der EU ein gestuftes System, in dem die EU mit den Handlungsebenen der Mitgliedstaaten eng verflochten ist. Ihre Grundlage ist insofern vor allen Dingen "Komplementärverfassung", d. h., sie wird ergänzt durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten und ergänzt diese ihrerseits wieder. 222 Auch die "Verfassung" der Petersmann, Außenwirtschaft 1995, 171; ders., CMLR 1995, 1123. Kadelbach, 26 ff. Allerdings entwickeln sich auch im Völkerrecht zunehmend Normen, die gegenüber anderen Normen eine höhere Geltungskraft einfordern. V gl. hierzu die Beiträge in: J. Delbrück (ed.), New Trends in International Lawmaking - International 'Legislation' in the Public Interest, Berlin 1997. 221 Dowrick, YEL 3 (1983), 237. 222 Läufer, in: Gs-Grabitz, 364; Pemice, EuR 1996, 29, spricht vom "Verfassungsverbund", um die Verflechtung von europäischer und mitgliedstaatlicher Verfassung zum Aus219

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

EGIEU ist damit nicht als eigenständige Verfassung zu verstehen, die zu unterscheiden ist von den Verfassungen der Mitgliedstaaten. Vielmehr sind die Verfassungen der Mitgliedstaaten mit der der EGIEU verwoben, sie stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander. Dieser Befund widerspricht dem von einem dualistischen Föderalismusverständnis geprägten, die Trennung der Rechtsordnungen in jeglichem föderalen System betonenden Ansatz. Zwar wird in der Europarechtsliteratur die besondere Eigenart oder "sui generis" Qualifizierung der EU betont. Gleichwohl bewegt sich die Diskussion um die Grundlagen ihrer Rechtsordnung in den dogmatischen Kategorien von Staatenbund/internationaler Organisation und damit völkervertragsrechtlicher Grundlage einerseits, und Bundesstaat und damit "Verfassungsqualität" andererseits. Diese Gegenüberstellung läßt zwei Punkte außer acht. Erstens die schon grundsätzlich gegebene Doppelnatur von Gründungsstatuten internationaler Organisationen als zwar völkerrechtlicher V ertrag, aber gleichzeitig auch Satzung oder "Verfassung" der so etablierten Organisation. Und zweitens wird der Blick für die schon in der Verfassungsstruktur (komplementäre Verfassung) aufzeigbare Verzahnung und Verklammerung der Rechtsordnungen der EU mit denen der Mitgliedstaaten verstellt. 223 Die Frage, inwiefern die EG mit an staatlich-föderalen Ordnungen entwickelten Kategorien beschrieben werden kann, soll nun auch anhand eines Vergleichs der EG mit den Kompetenzstrukturen und Institutionen des Reiches von 1871 überprüft werden. Dabei würde eine weitgehende Vergleichbarkeit beider föderaler Systeme es nahelegen, daß die EG im Sinne des klassischen dualistischen Föderalismus mit bundesstaatlichen Begriffen noch hinreichend beschrieben werden kann. Umgekehrt würde der Nachweis von entscheidenden Unterschieden die These von der Notwendigkeit eines erneuerten Föderalismusverständnisses untermauern, welches nicht die Fixierung auf Staatlichkeit und Souveränität als Beschreibungsmodell föderaler Ordnungen in den Mittelpunkt stellt.

druck zu bringen. Frowein, EuR 1995,318,319 führt aus, die Unionsverfassung könne nur insgesamt ihre Geltung behalten, wenn sie ihre Grundlagen parallel in ihrer eigenen Verfassung und in dem Verfassungsrecht ihrer Glieder anerkenne. 223 Hierzu ausführlich Teil 11 der Arbeit.

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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111. Die Kompetenzstrukturen und Institutionen der Europäischen Gemeinschaft im Vergleich mit der Reichsverfassung von 1871

Die staatsrechtlichen Strukturprinzipien "Souveränität" und "Föderalismus" stellten, wie ausgeführt, die grundlegende Dichotomie der bündischen Verfassungen und Verfassungsentwürfe im 19. Jahrhundert dar. Den Gegenbegriff zum staatsrechtlichen Föderalismus bildet der Begriff des Unitarismus. Er ist das Prinzip zentral organisierter, geschlossener Staatlichkeit. 224 Nach heutiger Terrninologie 225 verwirklicht sich der Föderalismus in reiner Form im Staatenbund, der Unitarismus hingegen im Einheitsstaat. Der Bundesstaat setzt sich aus föderalistischen wie auch unitarischen Elementen zusarnmen 226 , ihr jeweiliges Gewicht bestimmt seinen historischen Charakter. Jeder Bundesstaat ist damit eine konkretgeschichtliche Individualität, die je nach historischen Bedingungen und Aufgaben ganz unterschiedliche Ausprägungen erfährt. 227 Föderalismus ist "radizierte Staatsidee"228; die eben nicht wie Menschenrechte und Volkssouveränität nach modernem Verfassungs verständnis der Verfassung vorgegeben ist, sondern den rechtlichen und realen Gegebenheiten des jeweiligen Staates verhaftet bleibt. Insofern gibt es in jedem Gemeinwesen unterschiedliche Föderalismen, nicht den Föderalismus schlechthin. 229 Der Föderalismus des Reiches von 1871 drückte sich in der eigenständigen Staatlichkeit der Länder aus. Waren die Staatsaufgaben auch zwischen Bund und Ländern geteilt, so bestanden doch hier wie dort originäre Zuständigkeiten. 23o Den Ländern kam selbst originäre Staatlichkeit zu, die Souveränität lag allerdings nach herrschender Lehre beim Reich. Diese Beschreibung wird auch der tatsächlich bestehenden Überordnung des Reiches über die Länder am besten gerecht: Zu nennen sind die Kompetenz-Kompetenz des Reiches (Art. 78 RV 1871), der Grundsatz "Reichsrecht bricht Landesrecht" (Art. 2 RV 1871), das gemeinsame Indigenat (Art. 3 RV 1871), die Möglichkeit des Reiches, den Vollzug von lsensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 4. Sie hat sich in Anschluß an Triepels Untersuchung über die Reichsverfassung von 1871 "Unitarismus und Föderalismus" entwickelt. Auch Kimminich, HStR, 1987, Bd. I, Rdn. 6; lsensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 4. 226 Jerusalem, 5; lsensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 4; Ermacora, 622; auch schon Triepel, Hegemonie, 9. 227 Hesse, Verfassungsrecht, 89; Koja, 351. 228lsensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 2. 229 Auch Ermacora, 626, und Friedrich, 66. 230 E. R. Huber, Bd. III, 794. 224

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Reichsgesetzen durch Gesetz an sich zu ziehen, die Folge- und Treuepflicht der Länder, die Kompetenz im Bereich der auswärtigen und militärischen Gewalt sowie die Notstandsgewalt. 231 Andererseits hatten die Gliedstaaten die für einen Bundesstaat typischen Existenzrechte und eigene Hoheitsrechte inne. 232 Diese Existenzrechte sind für die Mitgliedstaaten des hier zu vergleichenden föderalen Systems der EG eine Selbstverständlichkeit, die Staatlichkeit der EG selbst hingegen nicht. Andererseits hat auch das föderale System der EG mit seinen ausschließlichen Kompetenzen und anderer supranationaler Elemente die koordinationsrechtliche Ebene verlassen und zeichnet sich durch ein Überordnungsverhältnis zu den Mitgliedstaaten aus, welches allerdings zu schwach ausgeprägt ist, um eine "Souveränität" der EG als der höheren föderalen Einheit zu begründen. 233 Nach Auffassung einiger nationaler Verfassungsorgane der Mitgliedstaaten handelt es sich bei den auf die EG übertragenen Hoheitsrechten gar nur um übertragene Zuständigkeiten, die durch entgegengesetzten Akt jederzeit wieder rückholbar sein sollen. 234

J. Die föderalen Kompetenzstrukturen

Die Verteilung von Kompetenzen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben zwischen den Ebenen eines föderalen Systems prägt dessen föderale Eigenart und entscheidet damit auch über seine Vergleichbarkeit mit anderen föderalen Ordnungen. Daher sind nun die Verbandskompetenzen von Bund und Gliedern vorab zu beschreiben, um hieraus erste Hinweise auf Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden föderalen Systeme, RV 1871 und EG, zu erhalten. Die Beschreibung soll in den rechtlichen Kategorien öffentlicher Aufgabenverteilung erfolgen. Die traditionelle Unterscheidung der Staatsfunktionen in Legislative, Exekutive und Judikative kann für die RV 1871 und die EG nicht auf einzelne Institutionen angewendet werden, denn sie sind - wie für einen föderalen Aufbau typisch - gleichzeitig auf verschiedene Institutionen verteilt. 235 Sinnvoll unterschieden werden können aber die Verteilungen hinsichtlich der materiellen Kompetenzen, der 231

232

Dazu E. R. Huber, Bd. III, 795 ff., sowie ausführlich im folgenden. Laband, Bd. I, 128 ff.

Dazu unten Teil I, C.III.2.b)(I). Vgl. dazu etwa BVerfGE 89, 155 (190); für das Vereinigte Königreich, House of Lords, CMLR 3 (1990), 375, 380 (Lord Bridge of Harwich): "[W]hat ever limitation of its sovereignty Parliament accepted when it enacted the European Comrnunities Act 1972 was entirely voluntary. Under the terms ofthe Act of 1972 it has always been cJear ... ". 235 So für die EG Craig/De Burca, 39. 233 234

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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Legislativkompetenzen, der Exekutivbefugnisse und der Jurisdiktion der Judikative. Der Gegensatz von monarchisch-konstitutionellem und parlamentarischem Regierungssystem kann neben dem Gegensatz zwischen Unitarismus und Föderalismus als das Eigenartige der RV 1871 gelten. Die Ausgestaltung der Kompetenzaufteilung in der RV 1871 war Folge eines zweifachen Kompromisses. Befriedigt werden mußte damit sowohl der Konflikt zwischen demokratischem und monarchischem Prinzip, als auch der Konflikt zwischen Unitarismus und Föderalismus. Die Frage nach der Aufteilung der Kompetenzen entschied Bismarck schon 1869 im Gegensatz zu den weitergehenden Forderungen der nationalen Einigungsbewegung und im Einklang mit den noch souveränen Fürsten. Danach seien nicht mehr Kompetenzen auf einen zu schaffenden deutschen Staat zu übertragen, "als absolut zum Zusammenhalt des Ganzen, als zur Wirkung nach außen erforderlich ist"236. Die so geschaffene komplizierte, weil auf Kompromissen zwischen widerstrebenden Prinzipien ruhende, Konstruktion der RV 1871 wird von der kompetenziellen Verteilungsstruktur innerhalb der EG noch übertroffen. Sicherlich besteht kein Gegensatz zwischen demokratischem und monarchischem Prinzip. Jedoch läßt sich an die Stelle des monarchischen Prinzips unschwer das Exekutivische der Regierungen setzen, das mit dem demokratischen Prinzip zusammenstößt. Auf die Gefahr, daß die Regierungen den Rat zur Gesetzgebung in Bereichen mißbrauchen, die ihnen aufgrund von Vorbehalten der eigenen nationalen Parlamente versagt geblieben sind, ist auch für die EG hingewiesen worden. 237 Daneben läßt sich auch der Gegensatz zwischen unitarischem und föderalistischem Prinzip in der EG wiederfinden. 238 Er konkretisiert sich hinsichtlich des Gesamtsystems der EU im Spannungs verhältnis von supranationalem (unitaristischem) Gemeinschaftsund intergouvernementalem (föderalistischem) Unionsrecht.

a) Materielle Kompetenzen Die so beschriebenen Gegensätze lassen sich an der konkreten Verteilung der materiellen Kompetenzen in beiden föderalen Systemen aufzeigen. 236 Rede in der 20. Sitzung des Norddeutschen Bundes vom 16.4.1869, abgedruckt in: Horst Kohl (Hrsg.), Die politischen Reden des Fürsten Bismarck, 4. Bd. (1868-1870), Stuttgart 1893, 189. 237 Weiler, HIU 1996,444; ders., Transformation, Yale LJ. 100 (1991),2453 ff. 238 Langer, DÖV 1991,823 ff.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Hinsichtlich der RV 1871 sind die Bundeszwecke des Reiches in der Präambel ausdrücklich aufgeführt: Der Schutz des Bundesgebietes und die Wahrung des Rechts sowie die "Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes". Der Zweck des Schutzes nach außen wird in den Bestimmungen über die auswärtige Gewalt konkretisiert (Art. 11,63 ff. RV 1871). Diese steht - wie in der Paulskirchenverfassung - weitgehend dem Reich zu. Ihr konkreter Umfang ergibt sich aus der Kompetenzverteilung zwischen Reich und Gliedstaaten. Mit dem Zweck der Entfaltung der Wohlfahrt des Deutschen Volkes wird gleich durch die Präambel auch die Nation als Subjekt in die Verfassung eingeführt. 239 Inhaltlich wird in Art. 4 RV 1871 eine Enumeration der Gesetzgebungs- und Exekutivkompetenzen des Reiches vorgenommen: Es ist ausschließlich oder in konkurrierender Zuständigkeit mit den Ländern befugt, in den Bereichen des Niederlassungs- und Staatsangehörigkeitsrechts, des Zoll- und Handelswesens, des Patentrechts und des Rechts des geistigen Eigentums, des Eisenbahnwesens, des Post- und Telegraphenwesens und für eine Reihe sonstiger wirtschaftsrelevanter Rechtsetzungen, daneben auch für das Strafrecht und das Militärwesen. Darüber hinaus liegt der Oberbefehl über das Reichsheer gern. Art. 63 RV 1871 und die Reichsmarine gern. Art. 53 RV 1871 beim Reich, ebenso wie die Außenvertretung des Reiches gern. Art. 11 RV 1871 Sache des Reiches ist. Während diese zuletzt genannten Kompetenzen unschwer den Bundeszwecken der Rechtswahrung nach innen und des Schutzes des Bundes nach außen zugeordnet werden können, füllen die übrigen Gesetzgebungs- und Exekutivkompetenzen den Begriff der "Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes" aus. Formulieren nun aber Friedenssicherung und Wohlfahrtspflege den Oberbegriff für alle möglichen Staatszwecke, so kann festgehalten werden, daß für das Reich die Universalität der Staatszwecke charakteristisch ist. Die Zuweisung beider Zwecke an das Reich in der Präambel kann damit als Betonung eines stark unitarischen Elements der RV 1871 angesehen werden. Demgegenüber verblieben den Ländern als ausschließliche Landeskompetenzen vorbehalten die Bereiche des Polizeirechts, des Enteignungsrechts, des Gemeinderechts, des Schulrechts, des Hochschulrechts und des Kirchenrechts. Durch die supranationale Rechtsordnung der EG findet eine Vergemeinschaftung von Staatszielen statt, welche die Staatsziele der Mitgliedstaaten überlagert. 240 Im Gegensatz zur RV 1871 sind die materiellen Kompetenzen der EG nicht enumerativ aufgelistet. Die Kernbereiche der Europäischen Integration erge239

E. R. Huber, Bd. III. 789.

240

Sommermann, Staatsziele. 280 f.

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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ben sich aus den allgemeinen Ziel- bzw. Aufgabenbeschreibungen der Art. 2, 3, 3a EGV (Art. 2, 3, 4 EGV Amsterdam) sowie den speziellen über den EG-Vertrag verteilten Ziel- und Aufgabenbeschreibungen, etwa Art. l00a EGV (Art. 95 EGV Amsterdam), der kompetenzbegründend für alle Maßnahmen wirkt, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts (Art. 7a EGV (Art. 14 EGV Amsterdam» zum Gegenstand haben. Die für die Gemeinschaft kompetenzbegründenden Vorschriften werden im EG-Vertrag - wie auch in der RV 1871 - nicht ausdrücklich in ausschließliche und konkurrierende Kompetenzen unterteilt. 241 Jedoch läßt sich nach Meinung der EG Organe 242 und insbesondere der deutschen Europarechtsliteratur43 ein Bereich ausschließlicher bzw. konkurrierender Gemeinschaftskompetenzen ausmachen. 244 Große Teile des klassischen Staatszweckes der "Wohlfahrt" werden durch diese Kompetenzen der EG urnfaßt. Mit der Einführung der Endstufe der Wirtschaftsund Währungsunion am 1.1.1999 245 (Art. 105 ff. EGV (Art. 105 ff. EGV Am241 V gl. aber Art. 3b Abs. 2 EGV (Art. 5 Abs. 2 EGV Amsterdam), dazu P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 159. 242 Vgl. für den Gerichtshof in bezug auf die Vertragsschlußkompetenz der Gemeinschaft RS 22170 - Kommission v. Rat (ERTA), EuGHE 1971,263 (276); auch RS 804179 - Kommission v. Vereinigtes Königreich - EuGHE 1981, 1045 (1072 f.). Für die Kommission vgl. die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Subsidiaritätsprinzip vom 27. Oktober 1992, Kom.Dok SEC (92) 1990, abgedruckt in: Bull. EG 10-1992, 123. 243 Zumindest als "Erkenntnisbehelf', P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 159 ff., bzw. "in vorsichtiger Anlehnung an entsprechende Kategorien des nationalen Verfassungsrechts" SchweitzerlHummer, 100; auch Streinz, Europarecht, Rdn. 128, Koenigl Pechstein, 67, 68, 141, verwenden diese Kategorien. 244 Hierzu gehören: Festlegung des gemeinsamen Zolltarifs (Art. 28 EGV (Art. 26 Amsterdam», Gemeinsame Handelspolitik (Art. 113 EGV (Art. 133 EGV Amsterdam», der internationale Verkehr in der EG (Art. 75 I lit. a EGV (Art. 71lit. a EGV Amsterdam», die Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit von Verkehrsunternehmen (Art.75 I lit. b EGV (Art. 711it. a EGV Amsterdam», Fischerei-Erhaltungsmaßnahmen (Art. 102 EGV (Art. 97 EGV Amsterdam», Agrarpolitik (Art. 39 ff. EGV (Art. 33 ff. EGV Amsterdam», Freizügigkeit des Personen- und Kapitalverkehrs (Art. 48 ff. EGV (Art. 39 ff. EGV Amsterdam»; nach Meinung der Kommission auch die Wettbewerbspolitik (Art. 85 ff. EGV (Art. 81 ff. EGV Amsterdam», steuerliche Vorschriften (Art. 95 ff. EGV (Art. 90 ff. EGV Amsterdam», Rechtsangleichung (Art. 100, 100a EGV (Art. 94, 95 EGV Amsterdam», Wirtschaftspolitik (Art. 102 a ff. EGV (Art. 98 EGV Amsterdam», Sozialpolitik (Art. 117 ff. EGV (Art. 136 ff. EGV Amsterdam» und Umweltschutzpolitik (Art. 130r ff. EGV (Art. 174 ff. EGV Amsterdam». Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Subsidiaritätsprinzip vom 27. Oktober 1992, Bull. EG 101992, 122 f. 245 In Abgrenzung zur Auffassung des BVerfG handelt es sich bei diesem Termin umein rechtlich verbindliches Datum, vgl. Kom, EuR 1996, 80 ff., sowie KoeniglPechstein, 139.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

sterdam)) nähert auch das Bestehen einer einheitlichen Währung die EG an die RV 1871 an. Für den Staatszweck der Friedenssicherung sind Ansätze in den zur EG hinzutretenden, durch den Maastrichter Vertrag neu hinzugefügten, intergouvernementalen "Säulen" vorhanden. Durch die GASP wird immerhin die Perspektive einer außenpolitischen Integration eröffnet. 246 Allerdings sind sowohl die ZBn als auch die GASP nur schwach institutionalisiert, wenn auch durch den Vertrag von Arnsterdamer Fortschritte erzielt worden sind. 247 Insgesamt obliegt der Staatszweck "Friedenssicherung" jedoch noch vorwiegend den Mitgliedstaaten bzw. kollektiven Verteidigungsbündnissen wie der NATO. Trotz der Ansätze im zweiten und dritten Pfeiler der EU und der funktionalen bzw. finalen Ausrichtung der EG Kompetenzen sind die beiden klassischen Staatszwecke, Friedenssicherung und Wohlfahrt, innerhalb des Rechts der Europäischen Integration nur teilweise auf die Ebene der EG und der EU insgesamt "hochgezont". Insofern kamen dem Reich von 1871 umfangreichere materielle Kompetenzen zu. Insbesondere machte das Reich auch von seiner ihm durch Art. 78 RV 1871 zugewiesenen Kompetenz-Kompetenz Gebrauch und zog so weitere Kompetenzen an sich 248 , eine Möglichkeit, die der EG mit Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Arnsterdam) nicht zur Verfügung steht. 249

b) Legislativkompetenzen Der unitarische Charakter der RV 1871 fand besonders auf dem Gebiet der Gesetzgebungskompetenz seinen Ausdruck. Hier lag das Schwergewicht der Reichskompetenzen. So bestimmt Art. 2 RV 1871, daß "das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung" ausübt. Dem Reich

246 Art. J.l Abs. 2 EUV (sinngemäß Art. 11 EUV Amsterdam) bestimmt: "Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hat zum Ziel die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen und der Unabhängigkeit der Union; die Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten in allen ihren Formen; die Wahrung des Friedens ... " 247 Vgl. "Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte", ABI. 1997, Nr. C 340; dazu Wesseis, Integration 1997, 123 ff. 248 E. R. Huber, Bd. III, 911. 249 Siehe dazu unten Teil I, B.III.1.b).

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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kamen nach dem Kompetenzkatalog des Art. 4 RV 1871 sowie weiteren ungeschriebenen Kompetenzen kraft Natur der Sache und kraft Sachzusammenhangs250 umfassende Kompetenzen zu. In der Staatslehre wurde dabei bereits unterschieden zwischen ausschließlicher Gesetzgebungskompetenz des Bundes bzw. der Länder und der konkurrierenden ("fakultativen") Gesetzgebungskompetenz. 251 Die nicht dem Reich ausdrücklich oder kraft ungeschriebener Kompetenz zugewiesenen Kompetenzen waren den Ländern vorbehalten, was sich e contrario aus Art. 2 RV 1871 ableiten läßt. 252 Ein weiteres Indiz für die dominante Stellung des Reiches und damit für dessen eher bundesstaatliche als staatenbündische Struktur kann auch aus der Möglichkeit, die eigenen Wahrnehmungsbefugnisse zu erweitern, abgeleitet werden. Eine solche Kompetenz-Kompetenz des Reiches wurde allgemein angenommen. Sie läßt sich mit Art. 78 RV 1871 begründen, der die Möglichkeit der Verfassungsänderung einseitig durch das Reich vorsah. 253 Trotz verfassungsmäßiger Verteilung von Kompetenzen in einer föderalen Ordnung, kommt es immer noch zu Konfliktsituationen. In solchen Fällen müssen Kollisionsnormen die jeweils anwendbare Rechtsordnung bestimmen. Diese Kollisionsnormen legen damit auch den Rang fest, in welchem sich die unterschiedlichen föderativen Rechtsordnungen zueinander befinden. Wenn hierzu Art. 2 S. 1 RV 1871 bestimmt, daß das Reich seine Gesetzgebungskompetenz mit der Wirkung ausübt, "daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen", so derogiert Reichsrecht ipso iure entgegenstehendes Landesrecht. Die sowohl im Deutschen Bund254 als auch in der Paulskirchenverfassung255 bestehende Tradition wird mit250 251

Triepel, in: FG f. Laband, 1908, Bd. 11, 249. Laband, Bd. 11, 120.

Art. 2 RV 1871: ..... nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung ... " Laband, Bd. I, 105; E. R. Huber, Bd. I1I, 795 m. w. N. 254 Der Deutsche Bund behielt es sich in den Art. 26 und 31 der Wiener Schlußakte vor, im Rahmen einer Bundesintervention den Gliedstaaten zur Abwehr innerer Unruhen Hilfe zu leisten, oder weitergehend im Rahmen der Bundesexekution gegen einen Gliedstaat, der seinen verfassungsmäßigen Bundesverpflichtungen nicht nachgekommen war, vorzugehen. Die Bundesexekution gegenüber einem Gliedstaat konnte vom Bund im Rahmen der Bundesakte und der durch sie verliehenen Kompetenzen, also zur Durchsetzung von Bundesgrundgesetzen, Bundesbeschlüssen und Bundesgarantien erfolgen. m Das Verhältnis des Reichsrechts zum Landesrecht war in dem Entwurf der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28.3.1849 unmißverständlich geregelt. Gemäß § 66 RV 1849 war das Reichsrecht, sofern es nicht ausdrücklich subsidiär gelten sollte, grundsätzlich vorrangig. Daneben ordnete § 194 RV 1849 an, daß kein Landesgesetz und keine Landesverfassung mit der Reichsverfassung im Widerspruch stehen dürfe, (Reichs-)Bundesrecht bricht also Landesrecht. Hierin und in der nach § 54 RV 1849 vorgesehenen Möglichkeit der Reichsintervention sowie der Reichsexekution (§ 54) kam der Vorrang der Reichsgewalt besonders zum Ausdruck. 252

2S3

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

hin fortgesetzt: (Reichs-)Bundesrecht bricht Landesrecht. Dieser Grundsatz konnte auch durchgesetzt werden, denn auch eine Bundesexekution ist nach Art. 19 in der Verfassung vorgesehen, sofern die "Bundesglieder ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht erfüllen". Dagegen wurde die föderalistische Natur des Reiches von den Ländern immer wieder betont. So wurden die Hoheitsrechte der Länder als deren originäre Zuständigkeiten betrachtet, die "ihren positiven Grund in der historischen Tatsache haben, daß die Einzelstaaten älter sind als das Reich, daß sie souveräne Gemeinwesen waren, bevor das Reich gegründet worden ist"256. Diese Betonung länderstaatlicher Souveränität steht auch im Zentrum der Kompetenzverteilungsproblematik zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten. Da die originäre Staatlichkeit der Mitgliedstaaten der EG keiner Begründung bedarf, erfolgt die Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten grundsätzlich gerade in Umkehrung des Verhältnisses von Bund und Gliedstaaten nach der RV 1871: Den Ländern kamen nach der RV 1871 nur diejenigen Kompetenzen zu, die nicht dem Reich kraft ausdrücklicher oder konkurrierender Gesetzgebungskompetenz zugewiesen waren. Dagegen geht die föderale Ordnung der EG davon aus, daß der Gemeinschaft nur diejenigen Kompetenzen zukommen, die ihr von den Mitgliedstaaten ausdrücklich zugewiesen worden sind. Im Zentrum der Betrachtung der kompetenziellen Verteilung im föderalen System Europas steht daher auch der "Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung"257. Er wird allgemein aus Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGV Arnsterdam)258, und bezogen auf die Handlungsformen 259 aus Art. 189 Abs. 1 EGV (Art. 249 EGV Arnsterdam), hergeleitet. Durch den Unionsvertrag wird dieser Grundsatz nun durch Art. 3b Abs. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 EGV Arnsterdam) sowie Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) für die Gemeinschaften deklaratorisch 260 bekräftigt und durch Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) auch für die Europäische Union eingefordert. 261

Laband, Bd. I, 106. Dazu Oppermann, Europarecht, 169; Streinz, Europarecht, 148 ff.; Hans-Peter Krausser, Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, Berlin 1991. 258 Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGV Amsterdam): ,,Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse." 259 Oppermann, Europarecht, 172. 260 Von einer bloß zusammenfassenden Wiederholung gehen KoeniglPechstein, 57 aus. 26\ Kritisch hierzu Murswiek, Der Staat 32 (1993), 180. 256

257

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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Im Gegensatz zur umfassenden "Wohlfahrtsklausel" der RV 1871 soll die EG nach diesem Grundsatz nur zur Verwirklichung der ihr durch den EGV gesetzten Ziele und nur im Rahmen der ihr übertragenen Befugnisse tätig werden dürfen (Art. 3 b Abs. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 EGV Amsterdam)). Eine umfassende Verbandskompetenz kommt der EG gegenüber den Mitgliedstaaten somit nicht zu, die Kompetenz der Gemeinschaft bedarf als Ausnahme der Legitimation, während die Kompetenz der Mitgliedstaaten als Normalfall keine Begründung benötigt. 262 Allerdings erfährt der Grundsatz, wonach das Tätigwerden der EG explizite vertragliche Befugnisnormen voraussetzt, in der Verfassungspraxis der EG und insbesondere durch die Rechtsprechung des EuGH zahlreiche Relativierungen. Dies gilt zunächst für Realhandeln, also Handeln, welches keine Rechtsverbindlichkeit beansprucht (Warnungen, Informationen, finanzielle Anreize). Hier ist die Notwendigkeit für eine Verbandskompetenz der EG zum Tätigwerden nicht geklärt. 263 Wesentlich entscheidender sind allerdings in der Praxis solche interpretatorischen Ansätze des EuGH, welche einen Schluß von der Aufgabe auf die Befugnis vornehmen. So führt der EuGH aus: "Weist eine Bestimmung des EWGV, ... , der Kommission eine bestimmte Aufgabe zu, so ist davon auszugehen, daß sie ihr dadurch notwendigerweise auch die zur Erfüllung dieser Aufgabe unerläßlichen Befugnisse verleiht. ,,264 Wenn danach aus den weiten Ziel- und Aufgabenbeschreibungskatalogen der Art. 2, 3 und 3a EGV (Art. 2, 3 und 4 EGV Amsterdam) auf die Kompetenzen zur Rechtsetzung geschlossen werden könnte, würde sich das Regel!Ausnahme-Verhältnis der Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten entgegen dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zugunsten der EG verschieben. Allerdings ist mit einer restriktiveren Interpretation der zitierten Aussage des EuGH nach Einfügung des Art. 3b Abs. 1 EGV (Art. 5 EGV Amsterdam) zu rechnen. 265 Immerhin ist eine anerkannte Relativierung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung der Figur der sog. "implied powers" zu entnehmen. Danach kann sich aus den Pflichten und Befugnissen, die das Gemeinschaftsrecht den Gemeinschaftsorganen zugewiesen hat, auch die Zuständigkeit der Gemeinschaft zu nicht

262 Jarass, Die Kompetenzenverteilung zwischen der EG und den Mitgliedstaaten, AöR 121 (1996), 175. 263 Dazu v. BogdandylNettesheim, in: GrabitliHilf, Kommentar zur EU, Stand 1994, Art. 3b, Rdn. 17; auch Jarass, AöR 121 (1996), 175. 264 Verb.RS 281, 283, 285, 287/85, EuGHE 1987,3203 (3253). 265 Jarass, AöR 121 (1996), 176.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

ausdrücklich zugewiesenen Ennächtigungen ergeben. 266 Hiernach besteht - wie schon nach der RV 1871 267 - die Möglichkeit, Kompetenzen auf Nachbargebiete (Kompetenz kraft Sachzusammenhangs 268 ) oder auf Hilfsregelungen (Annexkompetenz269 ) zu erweitern. Eine weitere Relativierung des Prinzips der begrenzten Ennächtigung ist in Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Amsterdam) zu erblicken. Danach können geeignete Vorschriften immer dann vom Rat erlassen werden, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen. Dies ergänzend ist auf den Grundsatz des "effet utile" hinzuweisen, wonach das EG-Recht so auszulegen ist, daß es "praktische Wirksamkeit"270 entfaltet, was allerdings nicht als Verschaffung der "größtmöglichen Wirksamkeit" verstanden werden darf. 271 Aus der weiten Ennächtigung des Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Amsterdam) verbunden mit dem vom EuGH entwickeiten272 Auslegungsgrundsatz des "effet utile", könnte für die EG sogar eine Kompetenz-Kompetenz zu begründen sein. 273 Jedoch hat sich, folgt man insbesondere dem deutschen Bundesverfassungsgericht274 , die Beurteilung dieser Frage mit dem Maastrichter Vertrag entscheidend 266 In EuGHE 1971,263 (275 f.) - "AETR" führt der EuGH zur Außenvertretungsbefugnis der EG auf dem Gebiet der Verkehrspolitik aus: [23/29] Allerdings sehen die Artikel 74 und 75 nicht ausdrücklich eine Gemeinschaftszuständigkeit zum Abschluß internationaler Abkommen vor; die Inkraftsetzung der Verordnung Nr. 543/69 des Rates ... hat jedoch zwangsläufig die Zuständigkeit der Gemeinschaft für alle Abkommen mit dritten Staaten nach sich gezogen, welche das in der Verordnung geregelte Sachgebiet betreffen .... V gl. ferner Verb.RS 3,4,6/76 - "Comelis Kramer" - EuGHE 1976, 1279 (1309 ff.); RS 165/87, EuGHE 1988, 5545 (5560). 267 Dazu Triepel, in: FG f. Laband, 249 ff. 268 EuGHE 1988, 5545 (5560). 269 EuGHE 1979,2871 (2917). 270 EuGHE 1970, 825 (838). 271 BVerfGE 89, 155 (210). Demgegenüber weist Pemice, in: Grabit'llHilf, Art. 164, Rdn. 27 darauf hin, der EuGH habe die "effet utile" niemals als "Vertrags auslegung im Sinne einer größtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse" verstanden. 272 RS 148/78 EuGHE 1979, 1629 ff. - st.Rspr. 273 Borchmann, Der Artikel 235: Generalklausel für EG-Kompetenzen, in: Borkenhagenl Bruns-Klöss/Memminger/Stein (Hrsg.), Die deutschen Länder in Europa, 100 ff.; Wohlfarth, in: ders./Everling u. a. (Hrsg.), Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Kommentar, Art. 235, Anm. 6; Meibohm, NJW 1968, 2166. 274 BVerfGE 89,155 (210), wonach in Zukunft die Organe der Gemeinschaften bei der Auslegung der Befugnisnormen im Ergebnis nicht zu einer Vertragserweiterung kommen

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geändert. Das nun ausdrücklich in Art. 3b Abs. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 EGV Amsterdam) normierte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, verstärkt durch das Subsidiaritätsprinzip 275 des Art. 3b Abs. 2 EGV (Art. 5 Abs. 2 EGV), läßt in Zukunft eine Auslegung des Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Amsterdam) im Sinne einer Kompetenz-Kompetenz nicht mehr erwarten. Durch diese Vorschrift würde danach der EG keine umfassende Kompetenz-Kompetenz mehr vermittelt. 276 Hingegen verbleibt die Funktion des Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Amsterdam) als Abrundungskompetenz, d. h. wo sie der Abrundung von sonstigen im Vertrag zugewiesenen Kompetenzen dient, behält sie ihre Berechtigung. 277 Auch sollte nach dem Willen der Reflexionsgruppe Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Amsterdam) als Instrument für den "Evolutivcharakter bei der Auslegung" der Ziele der EU beibehalten werden. Die Aufnahme eines Kompetenzenkatalogs für die EU wurde hingegen abgelehnt278 und eine klarere Kompetenzabgrenzung zwischen der EUIEG und den Mitgliedstaaten ist schließlich auch nicht im Amsterdamer Vertrag vereinbart worden. 279 Ein weiterer Punkt führt zur praktischen Relativierung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung. Aufgrund des Umstandes, daß die Kompetenzvorschriften grundsätzlich an Zielbeschreibungen anknüpfen, lädt auch eine eher restriktiv gefaßte Befugnisnorm, wenn sie an eine weite Ziel- bzw. Aufgabenbeschreibung anknüpft, zu einer extensiven Deutung ein. 280 Herausragendes Beispiel ist Art. l00a EGV (Art. 95 EGV Amsterdam), der zu allen Maßnahmen der

dürften, die Grundsätze von "effet utile" und "implied powers" also restriktiv zu handhaben seien. V gl. dagegen allerdings das Urteil des BVerfG v. 12.07.1994 über den Auslandseinsatz der Bundeswehr (BVerfGE 90, 286), welches auf die Bedeutung der dynamischen Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen gerade entscheidend abstellt. Auf die beim Vergleich beider Entscheidungen insofern auffalligen Inkonsistenzen weist Wiegandt, NJ 1996, 113 ff., hin. 275 KoeniglPechstein, 58, die sich gleichzeitig aber auch skeptisch gegenüber dem Prinzip als justitiable Kompetenzausübungsschranke äußern, vgl. 62; zu möglichen Funktionen des Subsidiaritätsprinzips Lecheler, Subsidiaritätsprinzip, 64 ff. 276 BverfGE 89, 155 (210); Grabitz, in: GrabitzIHilf, Kommentar zur Europäischen Union, Stand 1994, Art. 235, Rdn. 2; Jarass, AöR 121 (1996), 177; anders Hartley, Foundations, 118: "It is now possib1e to review the effect of Artic1e 235 as a whole. It will be seen that it confers what can on1y be termed a general legislative power. For this reason, the theory of limited powers does not seem to be part of Community law ... ". 277 Jarass, AöR 121 (1996), 177. 278 Bericht der Reflexionsgruppe in Vorbereitung der Regierungskonferenz, vgl. Wessels, Integration 1996, 17. 279 Wessels, Integration 1997, 125. 280 Jarass, AöR 121 (1996), 180. 5 Böhmer

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Rechtsangleichung ennächtigt, die zur Verwirklichung der Ziele des Art. 7a EGV (Art. 14 EGV Arnsterdarn) erforderlich sind. Daneben verursacht die finale Ausrichtung der Befugnisnonnen der EG einen weitgehenden Beurteilungsspielraum bezüglich Prognosen des EG-Gesetzgebers. 281 Selbst die auf bestimmte Politiken beschränkten Kompetenzen der Gemeinschaft werden ziel bezogen bzw. funktional fonnuliert und sind damit sehr weit interpretierbar. 282 So beschreibt etwa Art. 130r EGV (Art. 174 EGV Arnsterdarn) die von der Gemeinschaft zu verfolgenden Ziele des Umweltschutzes und Art. 130s Abs. 1 EGV (Art. 175 EGV Amsterdam) ennächtigt dann zu Maßnahmen des Rates "über das Tätigwerden der Gemeinschaft zur Erreichung der in Artikel 130r genannten Ziele".283 Im Ergebnis wird somit die eingangs in Abgrenzung zur RV 1871 betonte Dominanz der Mitgliedstaaten im föderalen System der EG durch deren Verfassungspraxis und Nonnenqualität nicht unwesentlich relativiert. Konnte die enumerative Auflistung von Kompetenzen in spezifischen Katalogen der RV 1871 einer immer weiteren Ausweitung der Kompetenzen des Reiches entgegengesetzt werden, so verleitet die an Ziel- und Aufgabenbeschreibungen anknüpfende Kompetenzverteilung des EGV zur fortwährenden Ausweitung der Kompetenzen, auch ohne daß die Kompetenz-Kompetenz der höheren Ebene ausdrücklich verliehen worden wäre. Gleichwohl wird man nicht sagen können, daß damit die Gesetzgebungszuständigkeit generell bei der EG liege und die Mitgliedstaaten nur in den ihnen verbliebenen Bereichen zuständig seien. Dazu fehlen bereits materiell wesentliche Staats zwecke im Kompetenzenkatalog der EG, die dem Reich hingegen zukamen. Eine Übereinstimmung beider föderaler Ordnungen besteht allerdings, wenigstens auf den ersten Blick, hinsichtlich der Kollisionsnonn, die Anwendung findet, sobald es zu Widersprüchen zwischen Gemeinschaftsrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten kommt. 284 Für das Verhältnis vom Recht der EG zu dem Recht der Mitgliedstaaten gilt der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts. 285 Auch sind mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften europarechtskonfonn auszulegen. 286 Jarass, AöR 121 (1996), 180. Jarass, AöR 121 (1996), 179. 283 Zu weiteren Beispielen vgl. Jarass, AöR 121 (1996), 179. 284 Hierfür kommt es darauf an, ob man der Lehre vom Anwendungsvorrang oder vom Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts folgt. Nur letztere Ansicht kann den Satz, "Gemeinschaftsrecht bricht mitgliedstaatIiches Recht", formulieren. Vgl. dazu unten Teil 11, A.II.2. 285 V gl. oben FN 180. 286 Diese Pflicht folgt aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue, vgl. Art. 5 EGV (Art. 10 EGV Amsterdam). 281

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B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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c) Exekutivbefugnisse Der stark unitarischen Tendenz der Reichsverfassung hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen standen ihre nur schwachen Exekutivbefugnisse gegenüber. Das föderalistische Element der RV 1871 kamin der auch für die deutschen bundesstaatlichen Verfassungen von 1919 und 1949 charakteristischen Trennung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zum Ausdruck. So war die Ausführung der Reichsgesetze den Ländern vorbehalten. Dies läßt sich e contrario aus Art. 4 S. 1 RV 1871 ableiten, wonach dem Reich das Recht der Beaufsichtigung, nicht aber das der Ausführung der Gesetze zugewiesen wird. 287 Relativiert wurde dieser Grundsatz in einigen Bereichen, die durch die Reichsverfassung oder durch Reichsgesetz in unmittelbare Reichsverwaltung übergeführt wurden. 288 Wenn auch hierdurch ein erheblicher Bereich der unmittelbaren Reichsverwaltung entstand, blieb die Verwaltung doch die "eigentliche Domäne der Länderstaatlichkeit"289. Das äußerte sich auch in der Tatsache, daß die Ausführung der Reichsgesetze nicht als Auftrags-, sondern als Eigenverwaltung organisiert war. Die Länder handelten also beim administrativen Vollzug der Reichsgesetze als Ausdruck ihres status negativus nicht in mittelbarer ReichsverwaItung. 290 Auch für die EG gilt die Trennung von Gesetzgebungs- und VerwaItungskompetenzen. Das föderalistische Element wird hierbei im Grundsatz der "institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten,,291 zum Ausdruck gebracht: Das Gemeinschaftsrecht wird von den Mitgliedstaaten vollzogen, sofern der Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht. 292 Der gemeinschaftsunmittelbare Vollzug ist hingegen nur schwach ausgebildet. 293 So besteht intern die 287

E. R. Huber, Bd. III, 961.

288 Unmittelbar durch die Reichsverfassung übergeführt wurden das Post- und Telegrafenwesen (Art. 48), die Marineverwaltung (Art. 53), das Konsularwesen (Art. 56). Durch Reichsgesetz wurde die unmittelbare Reichsverwaltung eingeführt etwa für das Zentralbankwesen (Reichsbankgesetz vom 14.3.1875, RGBI. 177) und die Sozialversicherung (Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884, RGBI. 69). 289 E. R. Huber, Bd. III, 964. 290 E. R. Huber, Bd. III, 806. 291 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 337. 292 Vgl. nur Streinz, Europarecht, 160. 293 Es bestehen einige Bereiche gemeinschaftsunmittelbaren Vollzuges, einmal gemeinschaftsintern, aber auch extern gegenüber den Mitgliedstaaten und Individuen bestehen Ansätze eines gemeinschaftsunmittelbaren Vollzuges, z. B. im Wettbewerbsrecht, Art. 89 Abs. 1 EGV (Art. 85 Abs. 1 EGV Amsterdam). Dieser verbleibt aber, etwa bei Wohnungsdurchsuchungen, dem nationalen Richtervorbehalt unterworfen, vgl. den Fall Hoechstl Kommission, verb. RS 46/87 und 227/88, EuGHE 1989,2859 ff.

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Möglichkeit eines gemeinschaftsunmittelbaren Vollzuges. 294 Extern gibt es gemeinschaftsrechtliche Verwaltungsakte, die unmittelbar durch die Kommission verabschiedet werden, etwa im Wettbewerbsrecht bei Wettbewerbsbeschränkungen i. S. v. Art. 85, 86 EGV (Art. 81,82 EGV Arnsterdam), vgl. Art. 89 Abs. 1 EGV (Art. 85 Abs. 1 EGV Arnsterdam) oder bei Beihilfen nach Art. 92, 93 EGV (Art. 87, 88 EGV Arnsterdam). Jedoch obliegt der überwältigende Teil des Vollzuges des Gemeinschaftsrechts noch den Mitgliedstaaten selbst (indirekter Vollzug).295 In einigen Bereichen bestehen auch koordinierende Mitwirkungen der Kommission oder andere Mischformen (Regionalfonds, Sozialfonds, Verteilungen).296 Sind somit grundsätzlich die Vollstreckungs befugnisse innerhalb der EG föderal organisiert, so kommt hierin die kontinentaleuropäische Tradition der Zweiteilung von Rechtsetzung und Vollzug im Bundesstaat sehr deutlich zum Vorschein. Der Vollzug des Gemeinschaftsrechts 297 liegt ganz wesentlich, die Anwendung unmittelbaren Zwangs ausschließlich, in der Hand der innerstaatlichen Stellen. 298 Beim überwiegenden mitgliedstaatlichen Vollzug obliegt die Verwaltungsorganisation den Mitgliedstaaten und die Vollziehung richtet sich nach dem nationalen Recht, d. h. etwa in Deutschland nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder. Allerdings wird auch dieser Grundsatz relativiert. Kompetenzzuweisungen werden nämlich in der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht nur auf die Gesetzgebung, sondern auch auf die Verwaltung bezogen. Das bedeutet, daß bestimmte Ermächtigungen sich nicht nur auf die Rechtsetzung, sondern auch auf Einzelfallregelungen beziehen. So ist etwa die Rechtsangleichung nach Art. l00a EGV (Art. 95 EGV Arnsterdam) nicht auf das Instrument der Richtlinie beschränkt, sondern der Erlaß von "Maßnahmen" kann sich auch auf Verordnungen und Entscheidungen i. S. v. Art. 189 Abs. 4 EGV (Art. 249 Abs. 4 EGV Arnsterdam) erstrecken. 299 Wenn von solchen und anderen Ermächtigungen gleichzeitig die Ver294 Etwa in gemeinschaftsinternen Personalangelegenheiten (Art. 24 FusV), im Haushaltsvollzug (Art. 205 Abs. 1 EGV (Art. 274 EGV Amsterdam». 295 Dies gilt vor allen Dingen für die Vollstreckung, selbst da, wo von der EG unmittelbare öffentlich-rechtliche Befugnisse in den Mitgliedstaaten vorgenommen werden dürfen vgl. HoechstiKommission, verb. RS 46/87 und 227/88, EuGHE 1989,2859 ff. Die Möglichkeit, zwangsgeleitete Normbefolgung durchzusetzen, bleibt als Kemelement von Staatsgewalt damit den Mitgliedstaaten überlassen. 296 Everling, in: FS-Doehring, 183. 297 Streinz, HStR, Bd. VII, 817 ff. 298 Pemice, HStR, Bd. VIII, 245. 299 Langeheine, in: GrabitzIHilf, Kommentar zur EU, Stand 1994, Art. 100a, Rdn. 45.

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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waltungsverbandskompetenz der EG begründet wird, dann relativiert sich der Grundsatz, daß die Mitgliedstaaten das Gemeinschaftsrecht vollziehen. 3OO Schließlich stehen - wie im Reich von 1871 - die mitgliedstaatlichen Behörden im Dienste der höheren Ebene (Gemeinschaft), d. h. nicht nur der innerstaatliche Gesetzgeber kann die Behörden der Mitgliedstaaten verpflichten, sondern auch die Gemeinschaftsgewalt. 301

d) Judikative Auch der Aufbau der Judikative im Reich war vom Dualismus von Reich und Gliedstaaten bestinunt. Die Reichsjustizgesetze von 1877302 beschränkten das Reich auf ein einziges reichsunmittelbares Gericht, das Reichsgericht. Hingegen blieben die übrigen ordentlichen Gerichte, die Oberlandesgerichte, Landgerichte und Amtsgerichte in der föderalen Verfügungsrnacht der Länder. Trotzdem läßt sich von einer "Mediatisierung der Landesjustizgewalt,,303 insofern sprechen, als daß die gesamte Gerichtsverfassung der Länder ebenso wie das gesamte Prozeßverfahren der Landesgerichte durch Reichsgesetz geregelt war. Ferner war das Reichsgericht revisionszuständig, was eine funktionelle Unterwerfung der Landesjustiz unter die Reichsjustiz bedeutete. 304 Dagegen war die entstehende allgemeine Verwaltungs gerichtsbarkeit ausschließliche Domäne der Länder, wogegen auf einigen Gebieten, die unter der Zuständigkeit des Reiches standen, sich besondere Reichsverwaltungsgerichte entwickelten. Schließlich fehlte allerdings, im Unterschied etwa noch zur Paulskirchenverfassung305 , eine unabhängige, zentrale Verfassungsgerichtsbarkeit, die über Verfassungsbrüche der Länder entscheidet. Der Bundesrat als Kollegialorgan der Länder übernahm diese Aufgabe. Dem Bundesrat wurde die Zuständigkeit zur Friedenswahrung in zwischengliedstaatlichen sowie innerstaatlichen Streitigkeiten übertragen (Art. 76 RV 1871).306 Jarass, AöR 121 (1996), 182 f. Pemice, HStR, Bd. VIII, 245. 302 Dazu E. R. Huber, Bd. III, 977 ff. 303 E. R. Huber, Bd. III, 980. 304 E. R. Huber, Bd. III, 980. 305 Die Paulskirchenverfassung verfügte als Element vertikaler Gewaltenteilung die obligatorische Verfassungsgerichtsbarkeit mit erheblichen bundesstaatlichen Kompetenzen. In § 126 fRV 1849 war ein Verfahren geregelt, in dem sich die Bürger gegen eine Aufhebung oder reichsverfassungswidrige Änderung der Landesverfassung wehren konnten. Gemäß § 126 g RV 1849 gab es auch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde der Bürger wegen Verletzung der ihnen aus der Reichsverfassung erwachsenen Rechte. 306 E. R. Huber, Bd. III, 1065. 300 301

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Der einzelne konnte seine subjektiv-öffentlichen Rechte 307 also nur im Verwaltungsrechtsweg des jeweiligen Landes geltend machen, schon weil das Verwaltungsrecht fast ausschließlich Landesrecht war. 308 Konflikte zwischen den Reichsorganen und Individualklagen in Reichsverfassungssachen konnten nicht gerichtsförmig ausgetragen werden. 309 Im Zivil- und Strafrecht hingegen war für den einzelnen der Rechtsweg bis zu einem unabhängigen Reichsorgan, dem Reichsgericht, eröffnet. Nach Art. 164 EGV (Art. 220 EGV Arnsterdam) ist Aufgabe des Europäischen Gerichtshofes die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EG-Vertrages. Hinzukommen weitere Kompetenzen aus Art. L EUV (Art. 46 EUV Arnsterdam), wonach der Gerichtshof insbesondere auch über die Abgrenzung des Gemeinschaftsrechts vom Unionsrecht zu bestimmen hat (Art. M EUV (Art. 47 EUV Arnsterdam)).310 Die Rechtsschutzgewährung durch den EuGH ist nicht lückenlos. Sie beruht auf keiner Generalklausei sondern auf genau eingegrenzten Einzelzuständigkeiten. Insofern handelt es sich dann aber um ausschließliche Zuständigkeiten, was bedeutet, daß die innerstaatlichen Gerichte von jeder konkurrierenden Rechtsprechungstätigkeit ausgeschlossen sind. Insbesondere im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 EGV (Art. 234 EGV Arnsterdam) wird auch das gesamte Recht der Mitgliedstaaten einschließlich des Verfassungsrechts durch den EuGH auf seine Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht hin überprüft. Dabei wird dem EuGH teilweise die justizielle Kompetenz-Kompetenz zugesprochen. 311 Das bedeutet, er soll selbst die Grenzen seiner Zuständigkeit bestimmen können. Diese weitgehende Jurisdiktionskompetenz über Gemeinschaftsrecht, wie auch über die Abgrenzung von Gemeinschaftsrecht und den Rechtsordungen der Mitgliedstaaten behält sich der Europäische Gerichtshof vor, um die "einheitliche Anwendung"312 des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. 307 Vgl. dazu Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1919. 308

E. R. Huber, Bd. III, 985.

309 Eine Ausnahme bezüglich der Individualklagemöglichkeit bei Justizverweigerung

war in Art. 77 RV 1871 normiert, vgl. E. R. Huber, Bd. III, 1071. 310 Zur Ausweitung der Kompetenzen des EuGH durch den Amsterdamer Vertrag, Wesseis, Integration 1997, 127. 311 WeilernIaltern, HIU (1996),423 ff.; ferner die Vertragsformulierung, Art. 164 EGV (Art. 220 EGV Amsterdam): "Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts ... ". 312 Dazu RS 6/64 - Costa/ENEL - EuGHE 1964, 1251 (1269); RS 11170 -Internationale Handelsgesellschaft - EuGHE 1970, 1135; dazu Nettesheim, Gs-Grabitz, 447 ff., der insgesamt 60 Urteile des EuGH zählt, in denen dieser sich auf die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts beruft.

B. EG und staatsrechtlicher Föderalismus der Reichsverfassung von 1871

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Daneben hat zunächst die mitgliedstaatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit Europarecht anzuwenden. Allerdings ist ferner zu beachten, daß der Querschnittscharakter der meisten Gemeinschaftskompetenzen nicht nur für den Umfang der Regelungsmaterien der EG Bedeutung hat. Auch die Abgrenzung öffentliches RechtlPrivatrecht wird hierdurch durchbrochen, denn das EG-Recht ist in beiden Bereichen gleichermaßen zu beachten. Für das Privatrecht gilt, daß innerhalb der Mitgliedstaaten es Aufgabe der Zivilgerichte ist, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, soweit dieses auch zivilrechtlich einschlägig ist. 313 Daneben gibt es eine Zuständigkeit des EuGH nach dem EuGVÜ, womit der EuGH auch im Privatrechtsverkehr für die Auslegung der Zuständigkeitsregelungen des EuGVÜ die Kompetenz inne hat. 314 Andererseits liegt auch der gerichtlichen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts der Grundsatz der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedsstaaten zugrunde, d. h., Rechtsschutzgewährung gegen europäisches Recht ist zunächst Sache der Mitgliedsstaaten. 315 Dabei ist allerdings genauso, wie nach der RV 1871 die ordentlichen Gerichte der Gliedstaaten das materielle Reichsrecht anwenden mußten, das Gemeinschaftsrecht auch Prüfungsmaßstab etwa für die deutschen Gerichte. Dies folgt aus Art. 5 EGV (Art. 10 EGV Amsterdam) i. V. m. dem Zustimmungsgesetz und Art. 20 Abs. 3 GO. Der EuGH verlangt dabei von den Mitgliedstaaten selbst, daß die volle Wirksamkeit des Europäischen Rechts gewährleistet wird. 316 Der EuGH ist keine oberste Appelationsinstanz gegen Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten. Eine Revisionszuständigkeit wie die des Reichsgerichts unter der RV 1871 besteht somit an sich nicht. Allerdings ist der EuGH insofern etwa als "quasi deutsches Gericht" zu qualifizieren, als daß er funktional durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV (Art. 234 EGV Amsterdam) in das Rechtsschutzgefüge der Mitgliedstaaten eingebunden ist. 317 Dabei 313 Neben den Grundfreiheiten und dem Kartellrecht sind hierbei etwa zu nennen die Richtlinien über Haustürgeschäfte (ABl. Nr. L 1985,372/31), über Handelsverträge (ABl. Nr. L 1986,382/17), über Verbraucherkreditverträge (ABl. Nr. L 1987,42/48) sowie über Pauschalreisen (ABl. Nr. L 1990, 158/59). 314 V gl. das Luxemburger Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivi1- und Handelssachen durch den Gerichtshof, BGBl. 1972 11, 846. 315 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 302. Die EMRK, die mit dem 11. Zusatzprotokoll (Art. 35 EMRK) eine echte Appe1ationsinstanz schafft, ist bislang nicht in die EU inkorporiert. Meyer-Ladewig, NJW 1995,2813 ff. 316 EuGHE 1991, 5357 (5414). 317 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 296.

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wird der EuGH nach deutschem Verfassungsrecht sogar als "gesetzlicher Richter" i. S. v. Art. 101 12 GG angesehen. 318 Wenn ein deutsches Gericht eine europarechtliche Frage entgegen Art. 177 EGV (Art. 234 EGV Arnsterdam) nicht dem EuGH vorlegt, so kann sich der Beschwerdeführer mit der Behauptung eines solchen Verstoßes an das Bundesverfassungsgericht wenden. Damit ist selbst nach integrations freundlichem deutschem Verfassungsrecht zwar die Nichtbeachtung des EuGH sanktioniert, die Geltendmachung dieser Verletzung erfolgt allerdings vor dem nationalen Gericht. Ebenso bleibt die Organisation der Gerichte und das anzuwendende Verfahren, anders als für die Länder nach der RV 1871, die Sache der Mitgliedstaaten. Ist der EuGH auf der obersten Ebene im föderalen System Europas das oberste "Verfassungsgericht" bezüglich der Auslegung und Anwendung des Europarechts und entscheidet in dieser Funktion auch über Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht (Art. 169, 170 EGV (Art. 226, 227 EGV Arnsterdam)), so ist er insofern mit dem Bundesrat als "Reichsverfassungsgericht" zu vergleichen. 319

e) Zwischenergebnis Von der Aufteilung der Kompetenzen her betrachtet, stellen die Universalität der dem Reich zugewiesenen Staatszwecke sowie die umfassenden Gesetzgebungsbefugnisse als deren Ausdruck und der durch die Bundesexekution sanktionierte Vorrang des Reichsrechts starke unitarische Elemente des Deutschen Reiches von 1871 dar. Demgegenüber ist die kompetenzielle Ausstattung der EG und der EU insgesamt differenzierter. Die Erfüllung wesentlicher Staatszwecke, beispielsweise der Friedenssicherung, ist nur schwach institutionalisiert und wird von den Mitgliedstaaten klar dominiert. Die übrigen Aufgabenbestimmungen und Kompetenznormen sind zwar inhaltlich weit gefaßt, ausgeklammert bleiben aber wesentliche Bereiche des materiellen Rechts und damit auch mitgliedstaatlicher Politiken. Hinsichtlich der materiellen Kompetenzen verbleiben trotz aller Relativierungen weite Bereiche der Legislative innerhalb der EG bei den Mitgliedstaaten, während die RV 1871 den Schwerpunkt auf das Reich verlagerte. Der Gemeinschaftsebene gelingt aber imBVerfGE 73, 339 (366 ff.); 75, 223 (231 f.). Insgesamt bleibt allerdings festzuhalten, daß dem EuGH auch als Teil der Judikative innerhalb der EG eine besondere Funktion zukommt, da er zur Auslegung einer "Planverfassung" befugt ist und seine Rechtsprechung daher nicht an den traditionellen Auslegungsmethoden rnitgliedstaatlicher Gerichte zu messen ist. Vgl. Epiney, SZIER 1996, 249. 318

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merhin eine ständige Ausweitung ihrer Tätigkeitsfelder, wie es im Amsterdamer Vertrag wieder deutlich wurde. 320 Vergleichbar ist der generell geltende Vorrang des Rechts der oberen Ebene in beiden föderalen Systemen (Reichsrecht!Gemeinschaftsrecht bricht Landesrecht! das Recht der Mitgliedstaaten).

Im Bereich der Exekutive gilt für beide Systeme die Trennung von Gesetzgebung und Verwaltung als Grundsatz mit Ausnahmen in der unmittelbaren Reichsverwaltung einerseits und Ansätzen eines gemeinschaftsunrniuelbaren Vollzuges andererseits. Die Judikative war nach der RV 1871 stärker durch das Reich mediatisiert als dies für die EG der Fall ist. Der Unionsbürger kann sich bei der Rechtsschutzsuche nur gegen Handlungen der EG-Organe direkt an den EuGH wenden, bei Verstoß der nationalen Organe gegen EG-Recht ist er auf die Vorlagewilligkeit (Art. 177 EGV (Art. 234 EGV Amsterdam)) seiner Gerichte angewiesen. Hingegen war im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit das Reichsgericht auch für den einzelnen oberste Appelationsinstanz. Insgesamt ist aber die einheitliche Anwendung des Reichsrechts wie des Europarechts gerichtsförrnig in beiden föderalen Systemen geschützt.

2. Die föderalen und unitarischen Institutionen der EG und der RV 1871 Neben der Kompetenzverteilung innerhalb der Ebenen eines föderalen Systems lassen sich auch die für einen solchen Bund typischen Organe vergleichen. Dabei ist hier nicht von den theoretischen Vorgaben einer abstrakten Bundesstaatstheorie auszugehen, vielmehr sollen die Organe beider föderaler Gebilde konkret unter Berücksichtigung ihrer eher unitarischen oder föderalen Ausrichtung untersucht werden.

a) Das unechte Zweikammersystem der RV 1871 und der EG Neben unitarischen und föderalen Elementen vereinigen die Organe der RV 1871 und der EG gleichzeitig legislative, exekutive und judikative Funktionen.

320 Zum "quasi-staatlichen" Aufgabenkatalog der EU nach dem Amsterdamer Vertrag, vgl. Wesseis, Integration 1997, 121.

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(1) Bundesrat und Reichstag Die RV 1871 weicht in der Gestaltung der Staatenvertretung erheblich von ihrem theoretisch gebliebenen Vorläufer, der Verfassung der Paulskirche, ab. Ein einheitliches Legislativorgan, das sich wie in der Paulskirchenverfassung aus zwei Organteilen zusammensetzt321 , ist hier nicht vorhanden. Vielmehr konstituiert die Verfassung von 1871 neben dem Reichstag als Organ der Volksvertretung ein weiteres Organ der Staatenvertretung, den Bundesrat. Reichstag und Bundesrat sind zwei selbständige Verfassungsorgane. Ähnlich der Bundesversammlung des Deutschen Bundes war der Bundesrat nach der RV 1871 ein Gesandtenkongreß, indem die Bevollmächtigten für ihr Land und daher mit einer Stimme abstimmten (Art. 6 RV 1871). Bei den Verfassungsberatungen zur RV 1871 stieß der Vorschlag, den Bundesrat als gewähltes Staatenhaus zu installieren, auf die brüske Ablehnung Bismarcks. 322 Der Bundesrat ist also keine zweite föderative Kammer mit freiem Mandat der Abgeordneten wie das Staatenhaus der Paulskirchenverfassung. Vielmehr handelt es sich um eine echte Staatenvertretung auf Reichsebene, deren Mitglieder weisungsgebundene Bevollmächtigte ihrer Regierungen sind (Art. 6 RV 1871). Damit ist dem Bundesstaat der Reichsverfassung von 1871 ein weiteres föderalistisches, staatenbündisches Element323 beigefügt. Dies verdeutlicht sich noch in den weiteren Kompetenzen, die dem Bundesrat zukamen. So beschließt er gern. Art. 7 Nr. 2, 3 RV 1871 allein über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Vorschriften und Einrichtungen und ist zur Feststellung von Mängeln bei der Ausführung von Reichsgesetzen zuständig. Gemäß Art. 8 RV 1871 bildet der Bundesrat Fachausschüsse, u. a. für Verkehr, Justiz und das Landheer. Ferner beschließt der Bundesrat über Maßnahmen im Rahmen der Bundesexekution nach Art. 19 RV 1871, und er ist schließlich zuständig im Rahmen der Streitbeilegung bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen den 321 In der Paulskirchenverfassung besteht der Reichstag gemäß § 85 RV 1849 aus zwei Kammern ("Häusern"), dem Staatenhaus und dem Volkshaus. Das Volkshaus wird periodisch von allen Deutschen, die die Voraussetzungen des Wahlgesetzes erfüllen gewählt. Daneben gibt es entsprechend dem Senat des amerikanischen Bundesstaates in der Reichsverfassung auch eine zweite, föderative Kammer: Das Staatenhaus repräsentiert nach § 86 RV 1848 die Bundesstaaten des Reiches. Seine Mitglieder werden je zur Hälfte von den Regierungen und den Mitgliedern der Volksvertretung der Einzelstaaten bestimmt. Entscheidend ist aber, daß nach § 96 RV 1849 auch die Mitglieder des Staatenhauses ein freies Mandat innehaben. Hiermit wird nämlich durch dieses Organ gerade keine direkte Mitwirkung der Gliedstaaten an der Bundesstaatsgewalt begründet, wodurch der unitarische Charakter der Verfassung auch in dem Organ Reichstag unterstrichen wird. 322 Nipperdey, 89. 323 Baldt, 40.

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Ländern. Daneben steht dem Bundesrat als Bundesorgan nach Art. 7 Nr.l RV 1871 auch das Gesetzesinitiativrecht auf Bundesebene zu. Dem Bundesrat kommen mithin gleichzeitig legislative, exekutive und judikative Befugnisse zu. Als das national-demokratische und damit unitarische Organ der einen Nation kann der Reichstag der RV 1871 angesehen werden. 324 Der Reichstag war an der Gesetzgebung beteiligt. Ihm kam das Gesetzesinitiativrecht zu und er beschloß über Vorschläge des Bundesrates. 325 Daneben hatte er als das zweite wichtigste Recht einer Volksvertretung das Budgetrecht zusammen mit dem Bundesrat inne. 326 Die von der positivistischen Staatslehre entwickelte Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Gesetz327 verschaffte dem Reichstag mit dem Reichshaushaltsgesetz entscheidende Mitwirkungsbefugnisse: Der Reichstag konnte von der Regierung geplante Staatsausgaben verhindern. Ferner kam dem Reichstag das Kontrollrecht durch Anfragen und Interpellationen zu 328 , wodurch er Themen in das öffentliche Bewußtsein rücken konnte. Eine aus heutiger Sicht wesentliche Kompetenz fehlte dem Reichstag jedoch: er konnte nicht über die Zusammensetzung der Regierung mitbestimmen, insbesondere bedurfte der vom Kaiser ernannte Reichskanzler nicht des Vertrauens des Reichstags. Umgekehrt aber konnte die Regierung gemeinsam mit dem Bundesrat den Reichstag auflösen und Neuwahlen ausschreiben. 329 Insgesamt ist also festzuhalten, daß die RV 1871 kein "echtes" Zweikammersystem etablierte. Andererseits entspricht, soweit es die Gesetzgebung betrifft, die Regelung der Reichsverfassung der der Paulskirche: Ein Gesetz kommt nur zustande, wenn gern. Art. 5 RV 1871 beide, Reichstag und Bundesrat, dem Vorschlag zugestimmt haben. Gemäß Art. 7 Nr. 1 bzw. 23 RV 1871 haben beide Organe auch das Recht der Gesetzesinitiative. In der Gesetzgebung und in der Budgetgewalt waren die beiden Verfassungsorgane damit gleichberechtigt.

324

Nipperdey, 102.

m Art. 23 RV 1871: "Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reiches Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrathe resp. Reichskanzler zu überweisen." 326 Art. 69, 73 RV 1871.

Vgl. Laband, Budgetrecht, 3 ff.; ders., Staatsrecht, Bd. IV, 522 ff. Art. 23 RV 1871, §§ 32-34 GO. 329 Art. 24 S. 2 RV 1871: "Die Legislaturperiode des Reichstages dauert drei Jahre. Zur Auflösung des Reichstages während derselben ist ein Beschluß des Bundesrathes unter Zustimmung des Kaisers erforderlich." In der Praxis lag entgegen dem Wortlaut der Bestimmung die Initiative zur Auflösung bei Kaiser und Reichskanzler. Der Bundesrat versagt seine Zustimmung dann nicht, vgl. E. R. Huber, Bd. III, 883. 327

32S

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Auffallend ist die hervorgehobene Stellung des Bundesrates, der nicht bloß an der Reichsgewalt teilnimmt, sondern sie selbst überhaupt erst konstituiert. Deshalb wurde der Bundesrat auch als oberstes Organ des Reiches bezeichnet. 330 In der Verfassungswirklichkeit trat der Bundesrat hingegen zurück, nur schwerlich kann er daher als Souverän331 im Staate bezeichnet werden. Kennzeichnend für den Bundesrat ist das Prinzip der Gewaltenvereinigung332 , da er mit dem Reichstag an der Legislative, mit der Regierung an der Exekutive und neben dem Reichsgericht an der Judikative partizipiert. Für die Herausbildung eines deutschen Bundesstaatsmodells ist diese Mitwirkung des Bundesrates an der Reichsgewalt gleichsam als Ersatz für den Verlust einzelstaatlicher Hoheitsgewalt charakteristisch.

In der Stellung BundesratlReichstag wird auch deutlich, daß die Stilisierung des Bundesrates als Souverän im Reich bloß geeignet war, die eigentliche verfassungs- und staatspolitische Kernfrage, nämlich ob dem Kaiser oder dem Reichstag die höchste Macht zukommen sollte, zu verdecken. 333 Im Gegensatz zur parlamentarischen hatte die konstitutionelle Monarchie des Deutschen Reiches dabei der Volksvertretung nur geringe Bedeutung im Verfassungsgefüge zugemessen. Soweit sie in der Verfassung angelegt war, konnte die Regierung weitgehend frei von der Kontrolle der anderen beiden Organe arbeiten.

(2) Rat und Parlament der EG Der Dualismus zwischen unitarischem und föderalem Prinzip ist auch für den institutionellen Aufbau der EG bestimmend. Er verdeutlicht in seiner konkreten organisatorischen Ausgestaltung den aktuellen Stand der Integrationsentwicklung. 334 Er wird überlagert von dem Gegensatz zwischen der intergouvernementalen und der supranationalen Organisation der EU/EG. Auch der Föderalismus der EG bildet kein echtes Zweikammersystem aus. Auch hier steht das Parlament als der Volksvertretung neben dem Rat als der Vertretung der Mitgliedstaaten. Der Rat ist das Gemeinschaftsorgan, in dem die Regierungen aller Mitgliedstaaten mitwirken (Art. 146 EGV (Art. 203 EGV Amsterdam)). Wie im Bundesrat E. R. Huber, Bd. III, 849. Nach Laband, Bd. 1,255, übt der Bundesrat "die souveräne, über den Staaten stehende Reichsgewalt aus". 332 Burg, 56. 333 E. R. Huber, Bd. III, 849. 334 Langer, DÖV 1991, 826. 330

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sind im Rat die Minister der Mitgliedstaaten als bloßer "Gesandtenkongreß" vertreten. 335 Auch im Rat ist das Spannungsverhältnis zwischen Staatenvertretung und Bundes-/Gemeinschaftsorgan angelegt. Einerseits ist der Rat als Gemeinschaftsorgan konstruiert, dem die Mitgliedstaaten zur Erfüllung verpflichtet sind (Art. 5 EGV (Art. 10 EGV Amsterdam)). Dies kann soweit gehen, daß der dem Rat bei der Erfüllung der ihm durch den EGV zugewiesenen Aufgaben grundsätzlich zugewiesenen Ermessensspielraum auf eine konkrete Pflicht zum Tätigwerden reduziert werden kann. 336 Grundsätzlich werden im Rat aber die mitgliedstaatlichen Interessen artikuliert, denn die Ratsmitglieder (nach Art. 146 EGV (Art. 203 EGV Amsterdam) die Regierungsvertreter) unterliegen - wie die Vertreter im Bundesrat der RV 1871 - nach mitgliedstaatlichem Verfassungsrecht den Weisungen ihrer Regierungen. Der Rat ist Hauptrechtsetzungsorgan für das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Er muß, mit wenigen Ausnahmen, seine Zustimmung zu von der Kommission vorgeschlagenen Gesetzesinitiativen geben. Über Art. 152 EGV (Art. 208 EGV Amsterdam) kommt ihm selbst ein "schwaches" Gesetzesinitiativrecht zu, insoweit er die Kommission auffordern kann, ihm Vorschläge zu unterbreiten. 337 Dem Rat kommen somit - wie dem Bundesrat - legislative Befugnisse ZU. 338 Diese Rechtsetzung soll grundsätzlich nach Art. 148 EGV (Art. 205 EGV Amsterdam) durch einfache Mehrheitsentscheidung erfolgen, was als Ausdruck einer "vorbundesstaatlichen Tendenz" charakterisiert worden ist. 339 Die Mehrzahl der Beschlüsse 335 Art. 146 Abs. 1 EGV (Art. 203 EGV Amsterdam): "Der Rat besteht aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaats verbindlich zu handeln." Auch als Bundesratsbevollmächtigte waren die Minister der Mitgliedstaaten erwünscht, wenn auch in der Praxis der Sitz vielfach dem stellvertretenden Bundesratsbevollmächtigten überlassen wurde, vgl. E. R. Huber, Bd. III, 852. 336 RS 13/83 - Europäisches ParlamentIRat-, EuGHE 1985, 1513. 337 Es ist bestritten, ob die Kommission dieser Aufforderung des Rates nachkommen muß, vgl. Streinz, Europarecht, 76. 338 Seine Legislativkompetenz übt der Rat in insgesamt vier Funktionen aus: Als Ministerrat, Art. 145 ff. EGV (Art. 202 EGV Amsterdam); als Europäischer Rat bestehend aus den Staats- und Regierungschefs zusammen mit dem Präsident der Kommission, Art. D Abs. 1 S. 2 EUV (Art. 4 Abs. I S. 2 EUV Amsterdam) gibt er die Grundsätze und allgemeinen Leitlinien aus; der Rat als Gemeinschaftsorgan: nur die Staats- und Regierungschefs (z. B. Art. 109j Abs. 4 S. 2 EGV (Art. 121 EGV Amsterdam) bestimmen über die Erfüllung der Kriterien zum Eintritt in die WWU); als im Rat vereinigte Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten: Staats- und Regierungschefs als Regierungskonferenz: Beschlüsse sind "uneigentliehe Ratsbeschlüsse" wie z. B. die Ernennung der Mitglieder der Kommission. 339 Oppennann, Europarecht, 106.

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wird allerdings mit qualifizierter Mehrheit gefaßt. Mit Einstimmigkeit wird entschieden, wenn dies ausdrücklich bestimmt ist. Überlagert wurde das System der Entscheidungsquoren durch die Luxemburger Vereinbarung. 340 Jedoch bedeutete dies nicht, daß Mehrheitsbeschlüsse für danach ausgeschlossen waren, vielmehr wurden Mehrheitsbeschlüsse auch nach dem Protokoll trotz entgegenstehender "wichtiger Interessen" eines Mitgliedstaates gefaßt. 341 Andererseits wurde durch den Arnsterdamer Vertrag eine vertragliche Version des nationalen Vetos nach dem Modell des Luxemburger Kompromisses für die Abstimmungen bei der Durchführung einer "gemeinsamen Aktion" im Bereich der GASP 342 sowie bei dem Verfahren der "engeren Zusammenarbeit"343 festgelegt.344 Neben der Ausübung der Rechtsetzungsfunktion stellt der Rat zusammen mit dem EP den Haushalt auf, schließt Abkommen mit Drittstaaten, wird innerhalb der Unionssäulen GASP und ZBJI beschlußfassend als Europäischer Rat tätig, übt Kontrollrechte aus und koordiniert die Abstimmung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten. Daneben kommen, ebenfalls wie dem Bundesrat der RV 1871, dem Rat auch exekutive Befugnisse zu. So beschließt der Rat etwa über die personelle Zusammensetzung von Organen wie dem Rechnungshof, dem Beratenden Ausschuß, dem Wirtschafts- und Sozialausschuß sowie dem Ausschuß der Regionen. Hinzukommen Exekutivbefugnisse im Bereich der Ausnahmen vom Beihilfeverbot (Art. 93 Abs. 3 EGV (Art. 88 Abs. 3 EGV Arnsterdam», Maßnahmen gegen übermäßige öffentliche Defizite (Art. 104c EGV (Art. 104 EGV Arnsterdam» sowie Embargobeschlüsse gegenüber Drittstaaten (Art. 228a, 73g EGV (Art. 301, 60 EGV Arnsterdam».345 Diese Aufgabenfülle zusammengenommen läßt erkennen, daß der Rat das primäre gemeinschaftspolitische Steuerungsorgan der EG darstellt. 346 Der Rat ist anstelle der ursprünglich hierfür vorgesehenen Kommission zur politisch primär Text in: EuR 18 (1966), 73 f. FischerlKäck, 357. 342 Vgl. neuer Art. 23 Abs. 2 S. 2 EUV Amsterdam: "Erklärt ein Mitglied des Rats, daß es aus wichtigen Gründen der nationalen Politik, die es auch nennen muß, die Absicht hat, einen mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluß abzulehnen, so erfolgt keine Abstimmung. Der Rat kann mit qualifizierter Mehrheit verlangen, daß die Frage zur einstimmigen Beschlußfassung an den Europäischen Rat verwiesen wird". 343 Vgl. neuer Art. 11 EGV Amsterdam. 344 Wesseis, Integration 1997, 128. 345 BeutlerlBieberiPipkomlSteil, 4. Aufl., 128 f. 346 Oppermann, Europarecht, 113, für die EG. 340 341

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bestimmenden Gemeinschaftseinrichtung geworden. 347 Gegenläufig zur Entwicklung der Stellung des Bundesrates in der Verfassungspraxis des Reiches von 1871 hat sich die Position des Rates zunehmend insbesondere gegenüber der Kommission verfestigt. Zu nennen sind hier die Entwicklung eines Vetorechts, der zunehmende Einfluß des Ausschusses der ständigen Vertreter beim Rat (COREPER), die Komitees zur Überwachung der Rechtsetzungsdelegation an die Kommission sowie die Einführung und Entwicklung des Europäischen Rates. 348 Der Rat ist damit das wesentliche Regierungsorgan der EG, was um so mehr gilt seit der Einsetzung des Europäischen Rates als entscheidendes Lenkorgan der EU 349 durch den Maastrichter Vertrag. Dagegen kann der Bundesrat der RV 1871 nicht als "Regierung" angesehen werden. Er besaß zwar das Initiativrecht genauso wie der Reichstag, auch einige exekutive Befugnisse, nicht aber die Reichsleitung. Die ursprüngliche Idee Bismarcks, den Bundesrat tatsächlich als "Regierung" zu konstruieren war gescheitert. In der Verfassungsrealität sank die Bedeutung des Bundesrates weiter, er verlor seine Selbständigkeit und wurde zu einer Macht im Hintergrund. 350 Das demokratische Legitimationssystem in der EG steht, wie schon der Reichstag der RV 1871, in einem Spannungs verhältnis zwischen dem in den Verträgen gefundenen Kompromiß zwischen Staatensouveränität der Mitgliedstaaten einerseits und gemeinschaftsbezogener Repräsentationsfunktion andererseits.35\ Seit Einführung der Direktwahl des Europäischen Parlaments stellt dieses das unitarische, die Gemeinschaft repräsentierende Organ dar. In die Entscheidungsverfahren der GASP und ZBJI ist das Parlament nach Art. J.7 und Art. K.6 EUV (Art. 17 und Art. 34 EUV Arnsterdam) ebenfalls miteinbezogen. Selbst wenn bestritten ist, ob das Parlament auch als Organ der EU i. S. v. Art. E EUV (Art. 5 EUV Amsterdam) angesehen werden kann352 , handelt es sich jedenfalls um die Institution im Europäischen System, die unmittelbar den Willen der Gemeinschafts-/Unionsbürger zum Ausdruck bringt, wie in Art. 137 EGV (Art. 189 EGV Arnsterdam) betont wird: "Das Europäische Parlament besteht aus Vertretern der Dppermann, Europarecht, 116. Craiglde Burca, 53. 349 Dazu unten Teil I, D.II. 350 Nipperdey, 89. 35\ Deter, ZaöRV 55 (1995), 688. m Für die Qualifikation als Unionsorgane KleiniHaratsch, DÖV 1993, 788; Ress, JuS 1992,986; Bleckmann, NVwZ 1993, 824. Für eine Organleihe dagegen Curtin, CMLR 30 (1993),27. KoeniglPechstein, 77, sprechen sich ebenfalls für eine Organleihe aus, konsequenterweise aber zugunsten der Unionsstaaten, nicht der Union selbst. 347

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Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten". Die Abgeordneten des Parlaments sind als Volksvertreter unabhängig und nicht an Weisungen ihrer nationalen Regierungen gebunden.

Das EP hat gern. Art. 138b EGV (Art. 192 EGV Amsterdam) das Recht, die Kommission aufzufordern, einen Gesetzgebungsvorschlag zu unterbreiten. Damit besteht allerdings nur ein schwaches Initiativrecht des EP, da die Kommission nicht verpflichtet ist, einen solchen Vorschlag auch tatsächlich vorzulegen. Insgesamt ist die Mitwirkung des EP an der Gesetzgebung allerdings wesentlich ausgebaut worden. Von einzelnen Anhörungsrechten in den ursprünglichen Verträgen haben sich die Mitwirkungsbefugnisse des EP über das Zusammenarbeitsverfahren (Art. 189c EGV (Art. 252 EGV Amsterdam» bis zum Mitentscheidungsverfahren (Art. 189b EGV (Art. 251 EGV Amsterdam» entwickelt. Die Mehrheit der Reflexionsgruppe für die Amsterdamer Regierungskonferenz hatte vorgeschlagen, das Mitentscheidungsverfahren auf alle Rechtsvorschriften auszudehnen, bei denen der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann. 353 In Amsterdam kam es dann zu einer fast vollständigen Abschaffung des Zusammenarbeitsverfahrens und zu einer Ausdehnung des Mitentscheidungsverfahrens. 354 Anzuführen sind schließlich die Mitentscheidungsrechte des EP im Haushaltsverfahren. So, wie der Reichstag zusammen mit dem Bundesrat das Budgetrecht inne hatte, so übt auch das EP seine Budgetrechte zusammen mit dem Rat aus. 355 Ursprünglich war die Kontrollfunktion des EP nur auf die Kommission bezogen, welche traditionell dem EP verantwortlich war. Nun ist Gegenstand der Kontrolltätigkeit die "Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft", einschließlich der Außen-, Sicherheits-, Justiz- und Innenpolitik. Zu den Kontrollelementen gehören Fragerechte der Mitglieder des EP gegenüber Rat, Kommission und Zentralbank; Berichts- und Informationspflichten von Kommission, Rat, Europäischem Rat und Mitgliedstaaten gegenüber dem EP; Untersuchungsrechte des EP; Klagerechte des EP vor dem EuGH gegenüber Kommission und Rat. Schließlich gibt es die Möglichkeit eines Mißtrauensvotums gegenüber der Kommission (Art. 144 EGV (Art. 201 EGV Amsterdam» sowie einer Kontrolle bei der Entlastung der Kommission für die Haushaltsführunt56 • Das EP ist nun auch im Verfahren der Ernennung der Kommission mit einem echten Zustimmungsvotum ausgestattet (Art. 158 Abs. 2 EGV (Art. 214 Abs. 2 EGV Amsterdam». Dazu Wessels, Integration 1996, 16. Wesseis, Integration 1997, 127. 355 Ausführlich dazu unten Teil I, B.m.3. 356 Dazu BeutlerlBieberlPipkomiSteil, 4. Aufl., 118. 353

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Dazu kommen Kontrollen, die auf Inter-Organvereinbarungen beruhen. Die Stellung des EP gegenüber der Kommission ist damit wesentlich stärker, als es die Stellung des Reichstages gegenüber der Reichsregierung war. Durch das EP findet eine einheitliche Repräsentation der Gemeinschaftsbürger statt. Jedoch ähnlich dem Reichstag der RV 1871 etabliert die Verfassung kein wirklich parlamentarisches System, vielmehr wird den "verbündeten Regierungen" die Hauptfunktion zugeschrieben. Hatte der Reichstag keinen Einfluß auf die Zusammensetzung der Regierung, so kommen dem EP gegenüber der Kommission doch entscheidende Kontrollbefugnisse zu. Hingegen war der Reichstag stärker an der Gesetzgebung beteiligt. Auch nahm sein Einfluß mit der Zeit zu. Diese Tendenz läßt sich nach der Amsterdamer Konferenz und der Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens auch für das EP bestätigen. 357 Hervorzuheben ist der Widerspruch, in dem sowohl das EP wie auch der Reichstag steht, zwischen direkter demokratischer Legitimation einerseits und den relativ beschränkten Kompetenzen des so gewählten Parlaments andererseits. 358 Grund für diesen Widerspruch ist der Gegensatz zwischen unitarischen und föderalistischen Bestrebungen innerhalb beider föderaler Systeme. Während das föderale Prinzip die Stärkung des unitarischen Parlamentarismus zu Lasten des gliedstaatlichen befürchtet, strebt das unitarische Prinzip eine Ausweitung der Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Reichstages/EP an.

b) Die unitarischen Exekutivorgane der RV 1871 und der EG Neben dem Reichstag bzw. Europäischen Parlament repräsentieren auch die regierungs- bzw. regierungs ähnlichen Organe beider föderaler Systeme das unitarische Prinzip. Auch ihre Kompetenzen lassen sich miteinander vergleichen.

357 Wesseis, Integration 1997, 128, führt an, daß nach der Änderung des Mitentscheidungsverfahrens in Amsterdam das Europäische Parlament zu einem mit dem Rat in allen Phasen gleichberechtigten und gleichgewichtigen Gesetzgeber werde. Auch Hilf, EuR 1997, 358, führt an: "In Zukunft wird man nicht mehr sagen können, daß die EG im wesentlichen eine Veranstaltung der Exekuti ve sei." 358 Für den Reichstag. vgl. Nipperdey, 104.

6 Böhme.

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(1) Deutscher Kaiser, Reichskanzler Im Reich von 1871 wurde die Regierungsfunktion durch ein Zusammenspiel von Kaiser und Reichskanzler bestimmt. Neben Bundesrat und Reichstag bildete das dritte Verfassungsorgan des Reiches das Präsidium des Bundes. Es stand dem König von Preußen zu, der in dieser Funktion den Titel "Deutscher Kaiser" führte (Art. 11 RV 1871). Die Wahrnehmungsbefugnisse des Kaisers bestanden zunächst in der Bestimmung der Richtlinien der Reichspolitik in Gemeinschaft mit dem Reichskanzler (Art. 11 i. V. m. Art. 17 RV 1871), wenn auch der politische Kurs vom Kanzler bestimmt wurde. 359 Hinzu kamen Kompetenzen des Kaisers in der Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt des Reiches, namentlich der völkerrechtlichen Vertretung, das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen sowie das aktive und passive Gesandtschaftsrecht (Art. 11,56 RV 1871). Nach den Art. 53, 63 RV 1871 standen alle Land- und Seestreitkräfte unter dem Oberbefehl des Kaisers. Er führte die vom Bundesrat beschlossenen Bundesexekutionsmaßnahmen gern. Art. 19 RV 1871 durch, konnte gern. Art. 12,24 RV 1871 über die Einberufung des Bundesrates und des Reichstages bestimmen und mit Zustimmung des Bundesrates den Reichstag vorzeitig auflösen. Schließlich fertigte er gern. Art. 17 RV 1871 die Reichsgesetze aus, verkündete sie und überwachte deren Ausführung. Gleichwohl ist der Kaiser nur als "primus inter pares"36O anzusehen, nicht etwa als Reichssouverän. Die Reichsgewalt wurde überwiegend als der Gesamtheit der deutschen Bundesfürsten und freien Städte zustehend angesehen, und dabei nicht in ihrer Person, sondern als Vertreter ihrer Staaten. 361 Insbesondere der national-unitaristische Trend, der die Verfassungswirklichkeit des Kaiserreichs auszeichnete, ließ dann allerdings die Stellung des Kaisers faktisch erstarken. Hierzu läßt sich auch das verfassungsgewohnheitsrechtlich entwickelte Vorlagerecht des Kaisers anführen, mit denen die Reichsbehörden ein eigenes Initiativrecht im Bundesrat beanspruchten. 362 Daneben konnte der Kaiser aufgrund reichsgesetzlicher Spezialermächtigung auch legislativ tätig werden, eine allgemeine Verordnungsgewalt kam ihm hingegen nicht ZU. 363

359 Zu den dazu vertretenen Theorien, vgl. E. R. Huber, Bd. III, 821. 360 Laband, Bd. I, 217 f.; Frowein, Konstruktion des Bundesstaates, 48; Kühne, 55; E. R. Huber, Bd. III, 788. 361

Laband, Bd. I, 98.

362 Dazu E. R. Huber, Bd. III, 857. 363

E. R. Huber, Bd. III, 928.

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Andererseits war der Kaiser nicht Regierungschef, sondern der Kanzler, bei dem die volle politische Entscheidungsgewalt lag. 364 Alle Anordnungen und Verfügungen des Kaisers bedürfen der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler, der "dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt", Art. 17 RV 1871. Gemäß Art. 15 RV 1871 hat der Reichskanzler den Vorsitz im Bundesrat und leitet die Geschäfte des Kaisers. Dem Reichstag gegenüber war der Kanzler, entsprechend dem System der konstitutionellen Monarchie, aber nicht verantwortlich. 365 Der Kaiser hat somit zusammen mit dem Reichskanzler ein Bündel exekutiver Befugnisse in der Hand, obwohl ihnen von der Verfassung her die Kompetenz zur Bundesregierung nicht ausdrücklich zugeordnet worden ist. Materiell kommen die Befugnisse jedoch einer Regierung annähernd gleich. Im Gegensatz zur Paulskirchenverfassung fehlen jedoch gegenüber den Gesetzgebungsorganen verantwortliche Minister, die Regierung ist kein Kollegialorgan. Der Reichstag als Volksvertretung hat somit ebensowenig wie der Bundesrat die Möglichkeit, die Regierung zu kontrollieren.

(2) Die Kommission der EG Im föderalen System der EG wird der Unitarismus in reinster Form von der Kommission repräsentiert. 366 Die Kommission ist ein echtes "supranationales Organ", sie soll "Motor der Integration" sein. Sie ist in jedem Falle mehr als das übliche Sekretariat internationaler Organisationen, auch wenn sie nicht, wie beabsichtigt, in die Rolle einer "Europäischen Regierung" hinein gewachsen ist, vielmehr zu einem gegenüber dem Rat sekundären Organ zurückgestuft wurde. 367 Die Kommission verfügt über legislative, exekutivische sowie judikative Befugnisse. Im Gegensatz zum sich erst verfassungsgewohnheitlich entwickelten Präsidialvorlagerecht im Reich von 1871 kommt der Kommission das sog. Initiativmonopol zu, d. h. der Rat kann erst beschließen, wenn die Kommission einen Vorschlag unterbreitet hat. 368 Hiermit wird zwar grundsätzlich eine starke Position der Kommission begründet. Jedoch wird die tatsächliche Lage etwa in der Formulierung des Luxemburger Kompromiß deutlich, wonach die Kommission in der "Verfassungspraxis" nur das vermutlich im Rat auch Durchsetzbare tatsächlich vorschlaKimminich, Verfassungsgeschichte, 432. Kimminich, Verfassungsgeschichte, 431 m. w. N. 366 Everling, in: FS-Doehring, 182; Langer, DÖV 1991,826. 367 Weiler, Transformation, Yale LJ. 100 (1991), 2423. 368 Zum Initiativrecht des Rates und des EP vgl. oben Teil I, B.III.2.a)(2). 364 365

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gen solle. 369 Hierin wird die in der Verfassungspraxis der EG sich nach und nach verfestigende Stellung des Rates gegenüber der Kommission deutlich. Eine Richtlinienkompetenz, wie sie dem Kaiser zusammen mit dem Kanzler im Reich zukam, kann für die Kommission so nicht angenommen werden. Zwar kommt ihr schon die Aufgabe zu, neue politische Vorgaben vorzuschlagen. Jedoch wird man die generelle Richlinienkompetenz beim Rat und besonders beim Europäischen Rat, der nach Art. D EUV (Art. 4 EGV Arnsterdam) für die EU insgesamt die allgemein politischen Zielvorstellungen festlegt, festmachen müssen 370, auch wenn dem Präsident der Kommission nach dem Arnsterdamer Vertrag zumindest gegenüber den anderen Kommissionsmitgliedern eine Richtlinienkompetenz nun zukommt. 37I Auch gegenüber dem Parlament ist die Position der Kommission schwächer als die der Regierung des Reiches gegenüber dem Reichstag. Ein Auflösungsrecht der Kommission besteht insofern nicht. Ferner fehlt der Kommission die nach der RV 1871 dem Kaiser zustehende Befugnisse der Kommandogewalt über das Heer. Die Kommission hat kraft ihrer Permanenz zwar wesentlichen Anteil an den EG-Außenkompetenzen. 372 Verglichen mit der Funktion des Kaisers und des Reichskanzlers sind die Kompetenzen der Kommission in diesem Bereich allerdings als geringer anzusehen. Während für die EGKSV die Kommission das Hauptrechtsetzungsorgan für sekundäres Gemeinschaftsrecht darstellt, ist die Kommission im Rahmen des EGV und des EAGV überwiegend auf vom Rat ihr delegierte Rechtsetzung (Durchführungsvorschriften, Art. 145 Abs. 3 EGV (Art. 202 Abs. 3 EGV Amsterdam)) beschränkt. Dies entspricht der fehlenden allgemeinen Verordnungsgewalt des Kaisers im Reich 1871.

369 ,,Luxemburger Vereinbarung" vom 28.1.1966: "Es ist wünschenswert, daß die Kommission, bevor sie einen Vorschlag von besonderer Bedeutung annimmt, in geeigneter Weise über die Ständigen Vertreter mit den Regierungen der Mitgliedstaaten Fühlung nimmt. Dieses Verfahren darf das Vorschlagsrecht, das die Kommission nach dem Vertrag besitzt, jedoch nicht beeinträchtigen." EuR 18 (1966), 73 f. 370 Zur rechtlichen Verbindlichkeit solcher Äußerungen des Europäischen Rates, vgl. KoeniglPechstein, 69. 371 Art. 219 Abs. I EGV Amsterdam: "Die Kommission übt ihre Tätigkeit unter der politischen Führung ihres Präsidenten aus." 372 Sie ist zuständig für die Aushandlung von Abkommen, vertritt die Gemeinschaft bei internationalen Organisationen und wird auch im Bereich der GASP durch Initiativ-, Informations- und Anhörungsrechte beteiligt, vgl. ferner unten Teil I, B.III.5.

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Ein Schwerpunkt der Tätigkeit der Kommission liegt im Bereich der Durchsetzung und Kontrolle des Gemeinschaftsrechts. Bezüglich der Durchsetzung übt sie teilweise sogar direkten Verwaltungsvollzug in den Mitgliedstaaten aus. 373 Die Durchführung der Kontrolle zur Einhaltung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts sowie der Urteile des EuGH kann durch die Kommission mit Hilfe der Aufsichtsklage vor dem EuGH nach Art. 169 EGV (Art. 226 EGV Amsterdam) erzwungen werden. 374 Gegen natürliche oder juristische Personen hat die Kommission auch ein Sanktionsrecht. Ähnlich einem Regierungsorgan gilt auch bei der Beschlußfassung der Kommission das Prinzip der kollegialen Verantwortlichkeit. Hier ist ein wesentlicher Unterschied zur RV 1871 auszumachen: Die Kommission ist gegenüber dem EP zumindest teilweise verantwortlich, eine demokratische Kontrolle, die der Regierung des Reiches von 1871 als konstitutionelle Monarchie noch fehlte. Die Kommissionsmitglieder werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt (Art. 158 Abs. 2 EGV (Art. 214 Abs. 2 EGV Amsterdam)). Gleichwohl ist auch für die EG anzumerken, daß die Ernennung durch die Mitgliedstaaten nicht geeignet ist, die Kommission zu dem ebenbürtigen Partner des Rates zu machen, wie es nach den Gründungsverträgen ursprünglich vorgesehen war. 375

3. Die Finanzverfassung im föderalen System Das Finanzsystem in einer föderalen Ordnung ist widerstreitenden Interessen in zweifacher Form ausgesetzt. Zum einen trifft man auch hier auf den klassischen Konflikt zwischen dem Legislativorgan und der Administration: Das Budgetrecht gehört zu den klassischen Kompetenzen des Legislativorgans. Zum anderen bestehen unterschiedliche föderale Interessen, die ihren Ausdruck in der Forderung nach Mitspracherechten des unitarischen und der föderalen Organe suchen. In den "unechten" Zweikammersystemen der RV 1871 und der EG trägt sich letzterer Konflikt zwischen Reichstag und Bundesrat bzw. EP und Rat aus.

373 Vgl. etwa den Fall HoechstiKommission, verb. RS 46/87 und 227/88, EuGHE 1989, 2859 ff., zum gemeinschaftseigenen Vollzug, oben Teil I, B.III.1.c). 374 Der Kommission kommt dabei ein Beurteilungsspielraum zu, Streinz, Europarecht, 90. m Vgl. auch Hartley, Foundations, 17.

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Die Finanzverfassung des Reiches von 1871 bestand aus einer Mischung verschiedener Systeme möglicher bundesstaatlicher Finanzverteilung. 376 Das System der Teilung der Einnahmequellen, bei der die Einnahmequellen zwischen dem Gesamtstaat und den Einzelstaaten aufgeteilt sind, stand neben dem System der Matrikularbeiträge, wonach die Einzelstaaten ihre Einnahmen dem Gesamtstaat zur Verfügung stellen, und dem der Reichsüberweisungen, wonach der Gesamtstaat seine Einnahmen den Einzelstaaten überweist,377 Nach Art. 70 RV 1871 erhielt das Reich als eigene Reichseinnahmen die Zölle378 , die gemeinschaftlichen Verbrauchsteuern und die Verkehrssteuern. Daneben trat ein komplexes und immer wieder reformiertes System von Matrikularbeiträgen der Gliedstaaten einerseits und Reichsüberweisungen andererseits. Wegen der anfänglich geringen Zolleinnahmen war das Reich in der Anfangszeit insbesondere auf die jährlichen Matrikularbeiträge der Länder angewiesen. 379 Der Widerstand der Gliedstaaten verhinderte einen Übergang zur finanzpolitischen Unabhängigkeit des Reiches, so daß das Reich zum "Kostgänger der Länder"380 wurde. Als dann die Ertragskraft der Reichseigenmittel stieg, ging die Finanzverfassung des Reiches mit Hilfe der Franckensteinschen Klausel, wonach überschüssige Einnahmen an die Länder zu überweisen waren38 1, zu einer wieder stärker föderalistischen Konzeption über. Gleichzeitig wurde durch die Klausel das System der Matrikularbeiträge festgeschrieben, obgleich dieses nach Art. 70 RV 1871 nur vorübergehender Natur hätte sein sollen. Zwar wurde durch verfassungsänderndes Reichsgesetz vom 14. Mai 1904382 die Franckensteinsche Klausel aufgehoben, jedoch hielt auch danach noch der deutsche Finanzpartikularismus an. 383

376 Zu den verschiedenen Typen unterteilt nach dem Umfang der parlamentarischen Rechte, vgl. Voth, 9 f. 371 E. R. Huber, Bd. III, 946. 378 An Stelle des erloschenen Deutschen Zollvereins nach dem Zollvereinigungsvertrag vom 8. Juli 1867 bildete nach Art. 33 Abs. 1 RV 1871 das Reich ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet, welches von einer gemeinschaftlichen Zollgrenze umschlossen war. 379 Diese waren zur Leistung solcher Beiträge verpflichtet, vgl. Art. 70 RV 1871. 380 E. R. Huber, Bd. III, 951. 381 Einnahmen aus Zöllen und aus der Tabaksteuer durften nur bis zu 130 Millionen Mark dem Reich verbleiben, vgl. E. R. Huber, Bd. III, 951. 382 RGBI. 1904, 169. 383 Vgl. den neuen Art. 70 RV 1871, der das bestehende System festschrieb. Zu der Schlußfolgerung E. R. Huber, Bd. III, 952, 954.

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Im Reichshaushaltsrecht hatten die Legislativorgane Reichstag und Bundesrat die Budgetgewalt umfassend inne. 384 Dem Vorbild der preußischen Verfassung folgend, unterwarf die RV 1871 den Haushaltsplan der Entscheidungsgewalt der Legislativorgane für seine Feststellung in der Form des Gesetzes. 385 Mit der Budgetgewalt kam den beiden Legislativorganen eine entscheidende Machtposition gegenüber Regierung und Verwaltung zu. Von der Regierung geplante Staatsaufgaben konnten von jedem der beiden Organe verhindert werden. 386 Daneben kam das föderale Element darin zum Ausdruck, daß die Zustimmung zum Budget auch vom Bundesrat mit all seinen föderalistischen Interessen abhängig war. 387 Ursprünglich beruhte das Finanzsystem der EG auf den Mitgliedstaaten und stellte damit ein reines staatenbündisches System von Matrikularbeiträgen dar. 388 Durch die Einführung eigener Einnahmen erhielt die ursprünglich über Matrikularbeiträge der Mitgliedstaaten finanzierte Finanzverfassung der EG eine unitarische Orientierung. 389 Inzwischen wird der Haushalt der Gemeinschaft vollständig aus Eigenmitteln der Gemeinschaft finanziert (Art. 201 Abs. 1 EGV (Art. 269 Abs. 1 EGV Amsterdam)). 390 Dieses fußt auf dem Beschluß des Rates 941728/EG vom 31.10.1994 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaft. 39l Danach bestehen die gemeinschafts unmittelbaren Einnahmequellen aus Zöllen, Mehrwertsteueranteilen von den Mitgliedstaaten, Abführungssatz der Mitgliedstaaten auf ihr Bruttosozialprodukt sowie auf Abschöpfungen aus dem Handel mit Drittstaaten. Damit weist überraschenderweise die Finanzverfassung der EG starke uni ta384 Zur Ausübung dieser Budgetgewalt durch den Reichstag in der politischen Praxis, vgI. Voth, 41 ff. 385 Auch schon nach damaliger Doktrin kam dem Reichshaushaltsgesetz keine Außenwirkung gegenüber den Rechtsunterworfenen zu. Laband hatte die Unterscheidung zwischen dem materiellen und dem bloß formellen Gesetz entwickelt, vgI. Laband, Staatsrecht, Bd. IV, 540. 386 E. R. Huber, Bd. III, 956. 387 Auch im Reich konnte das Reichshaushaltsgesetz daran scheitern, daß die bei den Legislativorgane Bundesrat und Reichstag nicht zu übereinstimmenden Haushaltsbeschlüssen kamen. Der Kaiser konnte in einem solchen Falle kraft überpositi yen Notstandsrechts einen Notetat feststellen, vgI. dazu E. R. Huber, Bd. III, 957 f. 388 Zu den unterschiedlichen Modellen föderaler Finanzverfassungen, Pagenkopf, 57 ff.; E. R. Huber, Bd. III, 945 f. 389 Everling, in: FS-Doehring, 183. 390 Häde, EuZW 1993,401. Jetzt auch umfassend Häde, Finanzausgleich: die Verteilung der Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen im Recht der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. 391 ABI. Nr. L 293, 9 ff.; hinzu treten VO 1552/89 (ABI. Nr. L 15511, geändert durch VO 2729/94, ABI. 1994 Nr. L 293, 5).

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rische Züge auf. Die EG ist damit den Entwicklungsschritt weg vom staatenbündischen System der Matrikularbeiträge hin zu einer Stärkung mit oder völliger Ersetzung durch Eigenmittelfinanzierung gegangen. 392 Das Haushaltsverfahren ist nach den Mitwirkungsbefugnissen der Beteiligten zu untersuchen. Die Kommission als das unitarische Organ setzt das Haushaltsverfahren mittels Verabschiedung eines Vorentwurfs unter Berücksichtigung der Haushaltsvorschläge der Organe in Gang und stellt diesen dem Rat zu. Dieser verabschiedet einen Haushaltsentwurf, der dem Europäischen Parlament zugeleitet wird. Rat und Parlament wirken dann bei der Aufstellung des Haushaltsplans zusammen. 393 Dem Europäischen Parlament kommt damit ein zumindest partielles Budgetrecht ZU. 394 Wenn auch die Kompetenzen des Rates noch überwiegen395 , so benutzt auch das Europäische Parlament sein teilweises Budgetrecht, um seine Position zu verbessern. 396 Für die Rechte des EP kommt es entscheidend auf die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nicht-obligatorischen Ausgaben an. Für zwingende Ausgaben bestehen keine Änderungsmöglichkeiten des EP. Diese unterschiedliche Behandlung wurde auch vom Maastrichter Vertrag nicht geändert. Auch der Vorschlag der Reflexionsgruppe läßt diesen Bereich unangetastet. 397 Das Parlament versucht selbst durch weite Auslegung der nicht-zwingenden Ausgaben und durch Zurückweisung des gesamten Haushalts mehr Einfluß zu gewinnen. 398 Allerdings kann das Parlament wie der Reichstag den Entwurf des Haushaltsplans insgesamt ablehnen (Art. 203 Abs. 8 EGV (Art. 272 Abs. 8 EGV Arnsterdam)), wodurch seine Position entscheidend gestärkt wird.

4. Das rechtliche Band zwischen dem einzelnen und dem föderalen System Können föderalistische Strukturen ein abgestuftes System der Ausübung von Hoheitsgewalt begründen, so werden sie gleichfalls sichtbar in einem abgestuften 392 Allerdings dürfen die Eigenmittel der EG 1998 einen Prozentsatz von 1,26 % der Summe der Bruttosozialprodukte der Mitgliedstaaten nicht übersteigen, womit sie recht bescheiden ausfallen. Vgl. zum Haushalt der EU 1998, EuZW 1998, 133. 393 Zu Beginn der Europäischen Integration lag die Entscheidung über den Haushalt der Gemeinschaft allein bei dem Rat. 394 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 225. Dagegen meint noch Häde, EuZW 1993, 404, von einer Etathoheit des Parlaments könne noch keine Rede sein. 395 Häde, EuZW 1993, 404. 396 Nugent, 359; Timmann, EuR 1988, 273. 397 Bericht der Reflexionsgruppe, vgl. Wesseis, Integration 1996, 18. 398 Craig/de Burca, Ee Law, 94.

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Angehörigkeitsverhältnis (Staats-/Unionsangehörigkeit) als Zuordnung des einzelnen zu diesem System. Der Umfang der Herrschaftsgewalt, die der höheren Ebene zukommt, läßt sich dabei auch aus der Intensität der rechtlichen Beziehung zwischen dem einzelnen und der höheren Ebene ableiten.

a) Doppeltes Bürgerrecht Der föderalistischen Struktur der Reichsverfassung entspricht es, in der Regelung einer unmittelbaren Reichsangehörigkeit wieder hinter die stärker unitarische Paulskirchenverfassung zurückzugehen. Während diese immerhin schon eine, zwar noch durch die Angehörigkeit in den Einzelstaaten vermittelte, Reichsbürgerschaft vorsah, besaß das Deutsche Reich von 1871 kraft Verfassungsrecht keine Regelung der Staatsangehörigkeit, sondern lediglich ein Gebot zur InländerGleichbehandlung. So schreibt Art. 3 RV 1871 ein gemeinsames Indigenat vor, wonach alle Deutschen - also alle Angehörigen der Gliedstaaten - in jedem Gliedstaat grundsätzlich gleichzubehandeln sind, insbesondere in jedem Land Freizügigkeit besitzen und alle bürgerlichen Freiheiten genießen. Zwar wurde diese Verfassungsbestimmung durch das vom Norddeutschen Bund ins Deutsche Reich übernommene399 "Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundesund Staatsangehörigkeit" vom 1. Juni 1870400 konkretisiert. Der Grundsatz des Vorrangs der deutschen Einzelstaaten vor dem Gesamtverband wurde aber auch hier durch § 1 des Gesetzes wieder verdeutlicht: Die Reichsangehörigkeit sollte durch die Staatsangehörigkeit im Gliedstaat erworben werden bzw. erlosch mit deren Verlust. Damit ist die Reichsangehörigkeit wiederum bloß durch die Staatsangehörigkeit im Gliedstaat vermittelt. Eine unmittelbare Reichsangehörigkeit wurde, neben der weiterhin bestehenden mittelbaren Reichsangehörigkeit40I , erst durch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 geschaffen. 402

Dazu Thedieck, 39 f. BGBI. 1870,355 ff. 401 Dazu Thedieck, 42.

399

400

402

Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, RGBI. 1913,583 ff.

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b) Die Unionsbürgerschaft Mit Art. 8 ff. ist in den EGV die sog. Unionsbürgerschaft eingeführt worden. Kann mangels "Staatlichkeit" der EGIEU auch nicht von einem "Staats volk" oder einer "Staatsangehörigkeit" gesprochen werden, so vermittelt diese Unionsangehörigkeit doch zumindest ein mittelbares Angehörigkeitsverhältnis: Gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGV Amsterdam) wird die Unionsbürgerschaft durch die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit vermittelt. Hierdurch wird die mittelbare Unionsangehörigkeit vergleichbar mit der Regelung der Staatsangehörigkeit im Deutschen Reich von 1871. 403 Für das föderale System der EU besteht somit, hierin der RV 1871 ähnelnd, bereits eine doppelte Zuordnung von Rechtsbeziehungen des Unionsbürgers zu den ihm übergeordneten politischen Herrschaftsverbänden im Sinne eines "europäischen Indigenats"404. Auch die durch die Unionsbürgerschaft vermittelten Rechte ähneln den durch die Reichsangehörigkeit geschaffenen. Hierzu gehört insbesondere das von einer wirtschaftlichen Tätigkeit losgelöste Recht der Reisefreiheit und des Aufenthalts im Gemeinschaftsgebiet (Art. 8a EGV (Art. 18 EGV Amsterdam)). Daneben bestehen das aktive und passive Kommunalwahlrecht am Wohnsitz in einem Mitgliedstaat (Art.8b EGV (Art. 19 EGV Amsterdam)), das Recht auf diplomatischen Schutz durch andere Mitgliedstaaten in Drittstaaten (Art. 8c EGV (Art. 20 EGV Amsterdam)) und das Petitionsrecht zum EP (Art. 8d EGV (Art. 21 EGV Amsterdam)). Das Band zwischen dem einzelnen und der ihm übergeordneten politischen Organisation wird allerdings daneben von zahlreichen außerrechtlichen Faktoren bestimmt. Hierzu wird angemerkt, eine durch die Unionsbürgerschaft vermittelte "Staatsvolksqualität" scheitere an anderen Kriterien, wie der mangelnden kulturellen Homogenität ihrer Bürger und deren fehlendem Bewußtsein, Teil eines Europäischen Staatswesens zu sein. 405 Ein Staatsvolk könne nicht einfach durch einen völkerrechtlichen Vertrag kreiert werden - es entstehe vielmehr in einem langwierigen Prozeß der Bewußtseinsbildung der beteiligten Völker. 406 Andererseits zeigt der Vergleich mit der Reichsverfassung, daß die Anforderungen an die HomogeHobe, Der Staat 1993, 251 ff. Hobe, Verfassungsstaat, 339. 40S Das BVerfG spricht von der "relativen Homogenität" des Staatsvolkes, E 89, 155 (186); dazu Bieber, in: FS-Heymanns Verlag, 300; kritisch zu dem auf earl Schmitt zurückgehenden Begriff der "Homogenität" Pemice, AöR 120 (1995), 107. Dazu auch Hofmann, 138 ff. 406 Grimm, JZ 1995,590. 403

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nität eines "Staatsvolkes" nicht zu hoch angesetzt werden dürfen, schließlich hat sich auch die RV 1871 aus Staaten konstituiert, die sich noch kurz davor im Kriegszustand miteinander befanden. 407 Ferner ist anzumerken, daß es in einem föderalen System nicht um ein schroffes Entweder-Oder, um Staat-sein oder Nicht-Staat-sein, sondern um die gleichzeitige Verwirklichung gestufter Identitäten geht. 408 Solche gleichzeitigen Identitäten könnten sich im föderalen System Europas als Nebeneinanderstehen von "Nationalität" und "Citizenship" beschreiben lassen. 409 Neben der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit würde dann eine europäische "Citizenship" stehen, welche in Ansätzen bereits in den Bestimmungen der Unionsbürgerschaft angelegt ist.

5. Völkerrechtssubjektivität und auswärtige Gewalt Das föderale System tritt anderen Staaten in seinen völkerrechtlichen Beziehungen nur dann als Einheit gegenüber, wenn eine klare Zuweisung der Außenkompetenzen an die höhere Ebene innerhalb des föderalen Systems besteht. Hier unterscheiden sich das Reich von 1871 und die EG noch deutlich. Das Reich von 1871 war als Bundesstaat Völkerrechtssubjekt. Daneben waren auch die Länder kraft ihrer Staatlichkeit Völkerrechtssubjekte, wenn auch nur mit beschränkter völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit. 410 Der in der Präambel als Bundeszweck aufgeführte Zweck des Schutzes des Bundesgebietes durch das Reich wird in den Bestimmungen über die auswärtige Gewalt konkretisiert (Art. 11,63 ff. RV 1871). Diese steht, wie in der Paulskirchenverfassung, wieder weitgehend dem Reich zu, ihr konkreter Umfang ergibt sich jedoch aus der Kompetenzverteilung zwischen Reich und Gliedstaaten. Das bedeutet, die Länder besitzen in auswärtigen Angelegenheiten alle Zuständigkeiten, die nicht nach der RV 1871 oder kraft Natur der Sache auf das Reich übergegangen waren. Aus Art. 11 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 63 Abs. 1 RV 1871 ergab sich, daß das Reich ausschließlich zuständig war für die Entscheidung über Krieg und Frieden. Dies 407 Herdegen, FS-Everling, 452. Der Begriff des "Volkes" schließt unterschiedlichste Gemeinschaftsbeziehungen objektiven und subjektiven Charakters mit ein und läßt sich eben nicht auf einen entscheidenden Faktor reduzieren, vgl. Zippelius, 75. 408 Denninger, JZ 1996, 586. 409 Weiler, Der Staat "über alles", Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 44 (1996), 127 ff. Zum vergleichbaren amerikanischen Verständnis von "equal citizenship" im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe aller Bürger am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft, vgl. Delbrück, in: FS-Bemhardt, 785. 410 E. R. Huber, Bd. III, 933.

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führt zu einer Auslegung der RV 1871, wonach dem Reich die Zuständigkeit zur auswärtigen Politik insgesamt vorbehalten bleibt und die Länderzuständigkeit insofern verdrängt war. 411 Die Gliedstaaten blieben aber kraft ihrer Staatlichkeit fähig zur Pflege auswärtiger Beziehungen, sie blieben Völkerrechtssubjekte mit beschränkter völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit. 4I2 Ihre Zuständigkeit zur Pflege auswärtiger Beziehungen - etwa zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge - bestand in den Angelegenheiten, in denen keine Zuständigkeit des Reiches gegeben war. 413 Die völkerrechtliche Vertragsrnacht wurde vom Kaiser ausgeübt. Wenn er auch darüber hinaus die Gesamtvertretung im Bereich der auswärtigen Politik inne hatte, so war er doch auch in der Außenpolitik von der mit der Gegenzeichnung übernommenen Verantwortlichkeit des Reichskanzlers (Art. 17 S. 2 RV 1871) abhängig, der so zum bestimmenden Faktor der auswärtigen Politik wurde. 414 Begrenzt wurde die Vertragsabschlußrnacht des Kaisers auch in den Fällen, in denen ein Mitwirkungsrecht der Legislative bestand (Art. 11 Abs. 3 RV 1871). Innerhalb des föderalen Systems EG haben die Mitgliedstaaten und die drei Gemeinschaften die Völkerrechtssubjektivität inne. Für die EG ergibt sich dies aus Art. 210 EGV (Art. 281 EGV Amsterdam), da die privatrechtliche Rechts-und Geschäftsfähigkeit in Art. 211 EGV (Art. 282 EGV Amsterdam) festgelegt iSt. 415 Die Völkerrechtspersönlichkeit der EU selbst ist hingegen umstritten. 416 Für die Völkerrechtspersönlichkeit der EG ist fraglich, ob es sich - wie bei anderen internationalen Organisationen der Fall- um eine bloß abgeleitete Völkerrechtssubjektivität handelt. Der EuGH betrachtet die EG als "mit internationaler Handlungsfähigkeit ... ausgestattet"417, woraus die Frage nach dem Status als originäres oder abgeleitetes Völkerrechtssubjekt aber nicht entschieden werden kann. 418 Einerseits ist die Gemeinschaft durch Gestaltungsakt der Staaten konstituiert worden, was für ihre bloß derivative Völkerrechtspersönlichkeit spricht. Aber auch hier drängt E. R. Huber, Bd. III, 932. E. R. Huber, Bd. III, 933. 413 Der Vertragsabschluß durch die Länder hing zwar nicht von einer Genehmigung des Reiches ab, jedoch unterlagen diese dabei der Pflicht zur Bundestreue, vgl. E. R. Huber, Bd. III, 938. 414 E. R. Huber, Bd. III, 935. 415 Ganz herrschende Ansicht, vgl. Streinz, Europarecht, 197; König/Pechstein, 22; Oppermann, Europarecht, 619. 416 Dazu unten Teil I, D.II. 417 RS 6/64 - Costa/ENEL - EuGHE 1964, 1251 (1269). 418 Dazu Pemice, HStR, Bd. VIII, 250. 411

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sich die Parallele zur Diskussion um das Reich von 1871 auf, denn andererseits spricht - wie auch bezüglich des Reiches - die Annahme einer konstitutionellen "Verfassungs-"Grundlage der EG für ihre originäre Rechtspersönlichkeit. Letztlich geht es also wieder um die oben bereits erörterte Frage nach den Geltungsgrundlagen der EG. 419 Bezüglich der völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit und der VertragsschluBkompetenz der Gemeinschaft gilt ebenfalls die für föderale Systeme typische Verdrängung der Zuständigkeit der unteren durch die der oberen Ebene. Von der Struktur her gilt daher im föderalen System der EG dasselbe Verhältnis wie es nach der RV 1871 für das Verhältnis von Reich und Ländern bestand, auch wenn der materielle Umfang der Kompetenzen beschränkter ist. Insofern kann schon von einer beschränkten völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten gesprochen werden. Da die Außenbeziehungskompetenzen der Gemeinschaft nicht systematisch zugewiesen sind, ergeben sich diese aus einer Zusammenschau der Art. 113, Art. 228-231, Art. 238 EGV (Art. 133, Art. 300--304, Art. 310 EGV Arnsterdam) sowie der Rechtsprechung des EuGH, wonach die Gemeinschaft auch dort die Verbandskompetenz besitzt, wo sie nur Kompetenzen für den Innenbereich zugewiesen bekommt. 420 Mit der Ausübung einer solchen Innenzuständigkeit entsteht für die EG dann gleichzeitig eine ausschließliche Außenzuständigkeit, d. h. die mitgliedstaatliche Kompetenz wird verdrängt. Daneben besteht allerdings die Figur sog. "gemischter" Vertragskompetenzen. Der Gerichtshof hat in seinem Gutachten zur WTO bezüglich der exklusiven Vertragsschlußkompetenz der EG eine restriktivere Haltung eingenommen. 421 Hieraus läßt sich möglicherweise eine Tendenz ableiten, nach der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EGV mitgliedstaatliche Hoheitsrechte stärker zu respektieren. Darüber hinausgehend kann die Figur der "gemischten" Vertragsschlußkompetenz als typisch für die föderale Ordnung der Gemeinschaft angesehen werden. 422 Im Bereich der Vertragsschlußkompetenz kommt der EG also teilweise ausschließliche, teilweise mit den Mitgliedstaaten geteilte Kompetenz zu.

Vgl. oben Teil I, B.II.2. 420 AETR-Rechtsprechung, RS 22170 - KommissionlRat-, EuGHE 1971,263 ff. 421 Vgl. EuGH im Gutachten vom 15.11.1994 - 1/94 -, EuGHE 1994,5267. Dazu Emiliou, E.L.Rev. 21 (1996),310 ff. 422 V gl. J. H. H. Weiler, The Extemal Legal Relations of Non-Unitary Actors: Mixity and the Federal Principle, in: O'Keeffe/Schermers (Hrsg.), Mixed Agreements (1983), 36: 'The Community is an entity which comes between, and in some respects straddles, the classical intergovemmental organization and federation. Mixity is but one expression of that intermediate position." 419

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Neben der Vertragsschlußkompetenz kann als weitere Parallele zur RV 1871 die Tatsache gesehen werde, daß bei der EU ausländische Diplomaten aus über 150 Staaten akkreditiert sind. 423 Umgekehrt unterhält die EU auch Gesandtschaften in Drittstaaten. 424 Sie hat also das aktive und passive Gesandtschaftsrecht inne425 , das sich auch auf die Beziehungen zu internationalen Organisationen erstreckt. Hingegen nur schwach ausgeprägt ist der klassische Bereich der Außenkompetenzen. Die Entscheidung über Krieg und Frieden wird trotz Ansätze gemeinsamer Sicherheitsstrukturen wie der GASP, allerdings noch von den Mitgliedstaaten getroffen. 426 Hierin besteht ein erheblicher Unterschied zu den Kompetenzen des Bundes im Reich von 1871.

IV. Föderalismus und Unitarismus in beiden föderalen Systemen Der durch die RV 1871 konstituierte Bundesstaat weist grundlegende Parallelen zur EG auf. Dies ist die Folge der stark föderalistischen Ausrichtung des Reiches von 1871 einerseits bzw. der schon erheblichen unitarischen Elemente der EG andererseits. Parallelen ergeben sich bereits beim Vergleich der Debatte um die Grundlagen der RV 1871 und der EG. Bei beiden ist der Entstehungs- bzw. Geltungsgrund (Vertrag oder Verfassung) umstritten. Sowohl die Fürsten im Reich wie auch die Mitgliedstaaten der EG "kokettieren" mit der fortbestehenden "Herrschaft über die Verträge" und damit mit der jederzeitigen Auflösbarkeit des föderalen Systems. Hierbei wird die schon in der Verfassungsstruktur aufzuzeigende Verzahnung und Verklammerung der Rechtsordnungen der EG mit denen der Mitgliedstaaten zu komplementären Verfassungen verkannt. Hieran läßt sich auch schon ein Unterschied der EG zur RV 1871 festmachen. So ist mit der RV 1871 ein MacleodIHendrylHyett, 208. Mehr als hundert Delegationen der EG sind in Drittstaaten akkreditiert, vgl. Macleodl Hendry/Hyett, 208. 42S Oppermann, Europarecht, 624; a. A. MacleodIHendry/Hyett, 208 f., wonach der Gemeinschaft kein wirkliches Legationsrecht zuzusprechen sei, vielmehr die von der Kommission eingesetzten Delegationen nur als "by virtue of the Commission' s right as an institution to organize its own resources as it sees fit" eingerichtet sind. 426 Als symptomatisch hierfür kann das nationale Vetorecht bei "gemeinsamen Aktionen" im Bereich der GASP (Art. 23 Abs. 2 EUV Amsterdam) sowie die für die GASP Bestimmungen geltende Möglichkeit der sog. ,,konstruktiven Enthaltung" (Art. 23 Abs. I EUV Amsterdam) angesehen werden. 423

424

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einheitliches Verfassungsdokument Grundlage des Reiches. Hingegen besteht keine einheitliche Verfassung der EG. Vielmehr bilden mitgliedstaatliche und gemeinschaftsrechtliche Verfassungen ein System komplementärer Verfassungen aus. Die vergleichende Beschreibung beider föderaler Systeme läßt sich an dem Gegensatz von föderativem und unitarischem Prinzip orientieren. Entscheidenden Ausdruck findet das föderative Prinzip in der "unechten zweiten Kammer" beider föderaler Systeme, dem Bundesrat und dem Rat der EG. Den Ländern kommt im Reich aufgrund der zentralen Stellung des Bundesrates maßgeblicher Einfluß auf die Staatsgewalt des Reiches zu. Auch das föderale System der EG wird durch die Mitgliedstaaten über das primäre Steuerungsorgan, den Rat, bestimmt. Dogmatisch bestärkt wird der Föderalismus durch die Staatlichkeit der Länder im Reich bzw. der Mitgliedstaaten der EG. Hieraus folgen originäre Existenz- und Hoheitsrechte der Länder bzw. Mitgliedstaaten. Einige süddeutsche Staaten, insbesondere Bayern und Württemberg, hatten sich darüber hinaus sog. Reservatrechte vorbehalten. 427 Auch in der EG existieren Sonderregelungen für einige Mitgliedstaaten. 428 In beiden Systemen bleibt die Verwaltung die eigentliche Domäne der LänderlMitgliedstaaten, wenn es auch im Reich Elemente der reichsunmittelbaren Verwaltung gab. Ferner wird das Verhältnis des einzelnen zu seinem politischen Herrschaftsverband im Reich über die Länder und in der Gemeinschaft über die Mitgliedstaaten vermittelt. Wenn bezüglich der Finanzverfassung nur wenige steuerliche Einnahmequellen des Reiches (Art. 33 ff., 70 RV 1871) bestehen, wodurch dieses zum "Kostgänger der Länder" wurde, dann spricht auch dies für die starke Stellung der Gliedstaaten. Dagegen beruhen die Haushaltsmittel der EG überwiegend auf Eigenmitteln und nicht mehr auf Matrikularbeiträgen der Mitgliedstaaten.

427 Z. B. nach Art. 38 Abs. 3,46 Abs. 2,52 RV 1871, wonach in einigen Bereichen Reichsrecht gar nicht oder nur eingeschränkt in diesen Ländern anwendbar ist. Zu den Sonderrechten der Einzelstaaten, Laband, Bd. I, 117 ff. 428 V gl. zu den Ausnahmeregelungen für Dänemark und Großbritannien in den Angelegenheiten der Währungsunion das Protokoll über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und das Protokoll über einige Bestimmungen betreffend Dänemark. Zu nennen sind ferner die für Großbritannien geltenden Ausnahmeregelungen hinsichtlich der gemeinsamen Sozialpolitik.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Schließlich fehlt dem Reich eine unabhängige, zentrale Verfassungs gerichtsbarkeit, die über Verfassungsbrüche der Länder entscheidet. Nur der Bundesrat als Kollegialorgan der Länder übernimmt diese Aufgabe. Auch diese Tatsache unterstreicht die föderalistische Ausrichtung des Reiches von 1871. Hingegen gibt es in der EG mit dem EuGH eine zentrale (unitarische) gemeinschaftliche Verfassungsgerichtsbarkeit, die mitgliedstaatliche Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht ahndet. Der EuGH ist aber keine Appelationsinstanz, wohingegen, zumindest für das Zivilrecht, dem Reichtsgericht eine solche Funktion zukommt. Als Gegenpol zum Föderalismus findet der Unitarismus mit der Lokalisierung der Souveränität beim Reich seinen stärksten Ausdruck. Für die RV 1871 fließen hieraus die Kompetenz-Kompetenz des Reiches (Art. 78 RV 1871), der Grundsatz Reichsrecht bricht Landesrecht (Art. 2 RV 1871), das gemeinsame Indigenat (Art. 3 RV 1871), die Möglichkeit des Reiches, den Vollzug von Reichsgesetzen durch Gesetz an sich zu ziehen, die Folge- und Treuepflicht der Länder, die Kompetenz im Bereich der auswärtigen und militärischen Gewalt sowie die Notstandsgewalt. 429 Daneben ist der Zuständigkeitskatalog des Reiches hinsichtlich der materiellen Kompetenzen umfangreich. Für die EG ist hingegen keine klare Zuweisung der Kompetenz-Kompetenz erfolgt. Auch ist nicht von einer eigenen Staatlichkeit auszugehen. 430 Jedoch verdrängt im Kollisionsfall auch hier Gemeinschaftsrecht das mitgliedstaatliche Recht. Auch besteht eine dem gemeinsamen Indigenat ähnliche Unionsbürgerschaft. Herrscht hinsichtlich der Vertragskompetenzen nach außen noch eine vergleichbare Zuständigkeitsverteilung zwischen den föderalen Ebenen, so ist doch der Bereich der Außenkompetenzen im Vergleich zu dem der RV 1871 inhaltlich noch weniger umfangreich, insbesondere kann innerhalb des klassischen Staatszwecks - Gewährung von Sicherheit - die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht von der EG getroffen werden. Daneben ist der Umfang der materiellen Kompetenzen der EG noch begrenzter, wenn er auch ständig im Zunehmen begriffen ist. 431 Mit dem Kanzler und dem Reichstag verfügt das Reich über starke unitarische Institutionen. Hingegen erscheinen die unitarischen Institutionen der EG - das EP und die Kommission - als deutlich schwächer ausgeprägt: Institutionell dominiert der Rat, und seine Dominanz hat - im Gegensatz zur Entwicklung der Stellung Dazu E. R. Huber. Bd. III, 795 ff. Zu beidem ausführlich unten Teil I, C.III. 431 Vgl. insoweit zu den durch den Amsterdamer Vertrag vorgenommenen materiellen Änderungen im Bereich der ZBn und der EG Streinz. EuZW 1998, 141 f., 144 f. 429

430

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des Bundesrates im Reich - zugenommen. Von einer klaren Regierungsfunktion der Kommission kann auch nicht gesprochen werden. Ihre Bedeutung ist gegenüber der des Rates eher im Abnehmen begriffen. Festzuhalten bleibt, daß bestimmte Strukturprinzipien beider föderaler Systeme vergleichbar sind. Auf der höheren Ebene wirken unitarische und föderalistische Organe zusammen, deren Legitimation teils unmittelbar vom Volk (EP - Reichstag), teils mittelbar über die Mitgliedstaaten (Rat - Bundesrat) abgeleitet wird. Rechtsetzung findet sowohl auf der höheren wie auch auf der unteren Ebene statt, wobei die Kompetenzen ausschließlich oder konkurrierend sein können. Während die RV 1871 noch über keine Rahmengesetzgebungskompetenz verfügte, steht der EG mit der Richtlinie eine dezentrale Form der Rechtsetzung zur Verfügung. Schließlich ist im Gegensatz etwa zum amerikanischen Föderalismus für das auch von der EG zum Vorbild432 genommene kontinentale Modell föderalistischer Organisation die Trennung von (auch) zentraler Gesetzgebung und gliedstaatlichen Verwaltungsvollzug charakteristisch. Mit einigen Ausnahmen hinsichtlich eines reichsunmittelbaren oder gemeinschaftsunmittelbaren Vollzuges besteht diese Trennung in der RV 1871 und der Europäischen Gemeinschaft. Trotz der anfänglich föderalistischen Konstruktion der RV 1871 führte insbesondere die Kompetenzverlagerung zugunsten des Reiches mehr und mehr zur Herausbildung des Typus eines unitarischen Bundesstaates. Diese Stärkung der unitarischen Elemente läßt sich auch für den Prozeß der europäischen Integration nachweisen. 433 Grundsätzlich ist aber die stark föderalistische Prägung beider Systeme entscheidende Grundlage ihrer Vergleichbarkeit. Allerdings sei darauf hingewiesen, daß die Vergleichbarkeit bei der föderaler Ordnungen spätestens auf der Ebene der außerrechtlichen Momente auf ihre Grenzen stößt. Die nationale Einigungsbewegung, die zur RV 1871 führte, fehlt der EG als treibende Kraft. Man kann hier nur in einer europäischen Einigungsbewegung eine zur Zeit allerdings schwach ausgeprägte Parallele sehen. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein wirkliches europäisches Bewußtsein fehlt im Moment noch, auch wenn die tatsächlichen Lebensumstände der Europäer sich immer stärker anpassen. Auch das Phänomen der Globalisierung stellt die Europäer vor nur gemeinsam zu bewältigende Anforderungen. 434

Everling, in: FS-Doehring, 186. Everling, in: FS-Doehring, 187. 434 Dazu J. Delbrück, Globalization of Law, Politics and Markets - Implications for Domestic Law - A European Perspective, IJGLS, vol. 1 (1993),9 ff. 432 433

7 Böhmer

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Die somit festgestellte große Ähnlichkeit des Reiches von 1871 und der EG, aber doch auch die gravierende Unterschiedlichkeit in einigen Bereichen (Staatlichkeit, Souveränität, Kompetenz-Kompetenz, Umfang der Aufgaben und Befugnisse) können sich nun als hilfreich erweisen für die weitere Einordnung der EU in die deutsche Staatenverbindungsdoktrin. Die RV 1871 ist in der deutschen Staatslehre zum Ausgangspunkt eines abstrakten Bundesstaatsbegriff gemacht worden, dessen Übertragung auf die EU mittels Begriffen wie "ungeteilte Souveränität" und "Kompetenz-Kompetenz" an das bundesstaatliche Modell der RV 1871 angelehnt erscheinen. Es wird im weiteren Verlauf der Arbeit zu zeigen sein, daß genau aus diesem Grunde eine Übertragung der deutschen Bundesstaatstheorie auf das föderale System der EU keine hinreichende Beschreibung derselben zu leisten vermag.

c. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus Hierzu ist nun die Entwicklung der deutschen Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus in der Auseinandersetzung mit der RV 1871 darzustellen. Damit kann dann der Ursprung derjenigen Kategorien verdeutlicht werden, mit deren Hilfe teilweise auch eine Beschreibung der EU versucht wird.

I. Das Reich als Bundesstaat Die komplexe Struktur der Reichsverfassung von 1871 hat erhebliche staatsrechtliche Debatten hervorgerufen. Im Zentrum stand die Frage, ob das Reich einen Bundesstaat darstelle. Der Qualifizierung des Reiches als Bundesstaat stand zunächst der Vertragscharakter der Gründungsdokumente entgegen. Die überwiegende Ansicht nahm trotz der ursprünglich vertraglichen Begründung des Reiches eine Verfassungsqualität der RV 1871 an. 435 Daneben wurden im Gegensatz zur Deutschen Bundesakte und zur Paulskirchenverfassung, von der RV 1871 den Ländern keine Vorgaben hinsichtlich ihrer inneren Strukturen gemacht. Aufgrund dieser Tatsache waren die Verfassungslagen in Reich und Ländern auch durchaus heterogen. So galt z. B. in Preußen noch bis zum Ende des Kaiserreiches die oktroyierte Verfassung vom 31.1.1850, die in Art. 71 ein Dreiklassenwahlrecht vorsah, während

435

Dazu oben Teil I, B.II.1.

C. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus

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nach Art. 20 RV 1871 auf Reichsebene alle Wahlbürger ein gleiches Wahlrecht hatten. Andererseits folgen aus dieser betont föderalistischen Struktur auch Freiräume, die innerhalb der einzelnen Länder genutzt wurden. So konnte etwa in Sachsen eine wesentlich freiheitlichere Pressegesetzgebung etabliert werden, als dies in Preußen der Fall war. 436 Hier kam die Freiheitssicherungsfunktion des Föderalismus zur Geltung. 437 Zwar war dieser Verzicht auf eine Homogenitätsklausel auch geeignet, die Staatlichkeit der Gliedstaaten zu unterstreichen. Dies stellte aber umgekehrt kein Argument für den Charakter des Reiches als Staatenbund dar. Denn weitere Argumente sprachen aus der Interpretation der Verfassung heraus für die Rechtsnatur des Reiches als Bundesstaat.438 Anzuführen ist hierfür die Universalität der Staatszwecke, die weitreichenden Gesetzgebungskompetenzen unter Einschluß der Kompetenz-Kompetenz und schließlich der Vorrang des Reichsrechts unter Einschluß der Möglichkeit einer Bundesexekution. Ferner ist auf die unitarischen Organe wie Kaiser, Kanzler und Reichstag hinzuweisen. Hinzu kommt, daß die im Verfassungstext angelegte föderalistische Struktur über die in der Verfassungswirklichkeit bestehende Hegemonie Preußens im Reich hinwegtäuscht. Diese ergab sich zum einen schon faktisch daraus, daß Preußen mehr als 50 % der Fläche und der Bevölkerung des Reiches urnfaßte. Zum anderen war diese Hegemonie auch verfassungsrechtlich verankert, wenn der preußische König automatisch Deutscher Kaiser und als solcher Oberbefehlshaber aller Streitkräfte sowie Inhaber des Präsidiums der Mitgliedstaaten des Bundes wurde. Preußen hatte somit nicht nur faktisch die Regierungsgewalt im Reich inne, sondern konnte darüber hinaus auch, da für eine Sperrminorität gern. Art. 78 Abs. 1 14 Stimmen ausreichten, mit seinen 17 Stimmen im Bundesrat jede Verfassungsänderung blockieren. Insbesondere in der Verfassungswirklichkeit wurde damit letztlich der "hegemoniale dynastische Bundesstaat"439 geschaffen, dessen wahre Struktur sogar als bloß "scheinföderalistisch" bezeichnet worden ist. 440 Tatsächlich wird durch diese Hegemonie Preußens den föderalen Strukturen viel von ihrer zentrifugalen Kraft genommen, das Reich wurde praktisch zu einem "verlängerten Preußen"441. Zwischen dem Kaiser, dem Bundesrat und dem Reichs436 Vgl. dazu Kühne, 57. 437 Dazu Herzog, JuS 1967, 194; Kisker, 25; Maunz, 224; Hesse, Verfassungsrecht, 91,

93 ff.

438 So auch die überwiegende Staatsrechtslehre Zorn, Staatsrecht, 46. 439 440 44\

Ermacora, 632; Triepel, Hegemonie, 289. K. Weber, 48. Mommsen, 13.

100

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tag ergab sich denn auch ein spezifisches System der Gewaltenteilung, welches im Spannungsverhältnis von hegemonialen, föderativen und unitarischen Prinzipien bestand. 442 Konnte das so konstruierte Reich als Bundesstaat beschrieben werden? Wem kam dabei die Souveränität als zentrales Element von Staatlichkeit zu? Die Antwort setzt eine kurze Analyse dessen, was vor 1871 als deutsche Bundesstaatstheorie galt, voraus.

J. Georg Waitz' Bundesstaatstheorie

Den staatsrechtlichen Föderalismus hatte der bedeutendste Bundesstaatstheoretiker bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes, der Schleswig-Holsteiner Historiker Georg Waitz, entscheidend beeinflußt. 443 Waitz entwickelte die für die Periode bis zur Reichsverfassung von 1871 alles beherrschende Bundesstaatslehre. Nach ausführlichen Erörterungen des Staatenbundes als dem entgegenstehenden Begriff, der auf einer völkervertragsrechtlichen Grundlage beruhe444 , wird für den Bundesstaat zunächst gefordert, daß "ein bestimmter Theil des staatlichen Lebens gemeinsam, ein anderer ebenso bestimmter den einzelnen Gliedern überlassen ist", wobei das Unterscheidende zu anderen Staatsformen sei, "daß jeder Theil auch für sich wirklich Staat ist" und zwar "selbständig, unabhängig von jeder ihm selbst fremden Gewalt". 445 Diese Selbständigkeit könne als Souveränität bezeichnet werden, welche im Bundesstaat "nicht dem einen und nicht dem andem, sondern beiden, dem Gesamtstaat (der Centralgewalt) und dem Einzelstaat (der Einzelstaatsgewalt), jedem innerhalb seiner Sphäre, zusteht". Woraus folgt, daß "nur der Umfang, nicht der Inhalt der Souveränität (beschränkt ist), und jener für die eine Staatsgewalt so gut wie für die andere". Damit geht Waitz von einer Teilung der Souveränität aus, m. E. wird im letzten Satz sogar die für die spätere Bundesstaatstheorie charakteristische Trennung der Begriffe Souveränität und Staatsgewalt vorweggenommen. Auch unterscheidet Waitz schon zwischen Einzelstaat, Gesamtstaat und Bundesstaat, wobei er allerdings terminologisch inkonsequent letzteren als "die Organisation der Gesamtheit im Gegensatz gegen die E. R. Huber, Bd. III, 800. Waitz leitet seine Abhandlung, "das Wesen des Bundesstaates", mit der Bemerkung ein: "Die Tage, da Alles in Deutschland, was sich mit der Gegenwart und Zukunft des Vaterlandes beschäftigte, das Wort Bundesstaat im Munde trug und in Schriften und Reden über die Nothwendigkeit, die Bedingungen und die Folgen seiner Begründung gehandelt wurde, sind vorüber", Waitz, 494. Damit sollte er nicht recht behalten. 444 Ders., 496. 44S Ders., 500. 442 443

C. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus

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der einzelnen Teile"446 ansieht. Gleichwohl führt Waitz damit die Idee des dreigliedrigen Bundesstaates ein.

Waitz entwickelt im folgenden die Wesensmerkmale des Bundesstaates, wobei er, sich auf Alexis de Tocqueville berufend, die amerikanische Verfassung zum Vorbild nimmt. 447 Danach gehören "eine allgemeine Landes- oder Reichsversammlung als Vertretung des Volkes"448, ein Staatenhaus als Interessenvertretung der Einzelstaaten449, ein eigenes unabhängig von den Gerichten der Einzelstaaten bestehendes Gericht des Gesamtstaates 450 , eine differenzierte Kompetenzverteilung, bei welcher für den Einzelstaat nicht nur untergeordnete Funktionen verbleiben dürfen451 , eigene Reichsbeamte452 sowie ein Bundesheer453 zu den Grundelementen des Bundesstaats. Allerdings kommt Waitz aufgrund seiner konsequent durchgeführten Souveränitätsteilung auch zu einer Ablehnung der Beteiligung des Staatenhauses, also der Ländervertretung an der Reichsgewalt, da dies nur geeignet sei, "dem Staate eine freie Bewegung in hohem Grade zu erschweren"454. Gegenüber der Paulskirchenverfassung wird hier konsequent die Teilung, das unvermittelte Nebeneinander von Haupt und Gliedern gefordert. Als verbindendes Element fordert andererseits auch Waitz "das Recht, in jedem Theile des Staatsganzen als Einheimischer behandelt zu werden: ein allgemeines Bundes-Bürgerrecht muss die Angehörigen der Einzelstaaten umschliessen"m. Die hieraus fließenden Rechte sind den Bürgern in allen Einzelstaaten gleichmäßig zu gewähren. 456 Auch für die Staatsform der Einzelstaaten fordert Waitz eine "wesentliche Gleichheit"457, der Begriff des Bundesstaates und der des Königtums stünden dabei aber nicht im Widerspruch. 458 Jedoch entspräche es dem

446

Ders., 500.

447 ..Das Entscheidende ist Amerikas Beispiel.", Waitz, 504.

Waitz, 506. Waitz, 508. 450 Ders., 510. 451 Ders., 512. 452 Ders., 513. 453 Ders., 515. 454 Ders., 509. 455 Ders., 519. 456 Ders., 520. 457 Ders., 522. 458 Ders., 525. 448 449

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Gebot der grundsätzlichen Verfassungshomogenität, daß ein monarchischer Bundesstaat auch innerhalb seines Gesamtstaates als Erbmonarchie organisiert sei. 459

Waitz prägt damit den Begriff des monarchischen Bundesstaates, was den realpolitischen Gegebenheiten seiner Zeit entgegenkam. Damit wird deutlich, daß das ursprüngliche Motiv für die föderalistische Staats struktur der Wunsch nach staatlicher Einigung des deutschen Volkes unter Beibehaltung der Fürstenthrone war. 46O Hierdurch und durch die Idee der geteilten Souveränität gelingt es Waitz, das Konzept des Bundesstaates auch für die politische Praxis wieder interessant zu machen. Gleichzeitig wird für die Bundesstaatstheorie die Frage nach dem Inhaber und der Notwendigkeit der Souveränität nun zum Zentralproblern ihrer Untersuchungen. Dank ihrer praktischen Verwendbarkeit wird die Waitzsche Bundesstaatslehre dann auch bis zur Reichsverfassung von 1871 überwiegend durch andere Staatslehrer übernommen. 461 Hier ist wegen seiner herausragenden Bedeutung in der Staatslehre seiner Zeit nur Robert von Mohl hervorzuheben. Auch v. Mohl betont die Selbständigkeit der Bundesstaatsgewalt, welche "auf ihrer eigenen verfassungsmäßigen Grundlage" beruhe und deshalb keineswegs bloß "aus der Gesamtheit der Gliedstaaten"462 bestehe. Dies bedeutet nach v. Mohl für die Gliedstaaten nicht nur eine beschränkte, sondern ausdrücklich463 eine geteilte Souveränität. Von Mohl zählt im übrigen die bereits von Waitz her bekannten notwendigen Merkmale eines Bundesstaates auf, wobei die Forderung nach einem "Doppel-Bürgerrecht" als korrespondierend zur "Doppel-Staatsgewalt im Bundesstaate" hervorzuheben ist. 464 Insbesondere fällt nach v. Mohl ,,vieles und Wichtiges aus dem großen Gebiete des Gewerbes, Handels und des Verkehrs in die Zuständigkeit eines Bundesstaates. Wird doch die Schaffung einer höheren Staatsgewalt zum großen Theile durch das Bedürfnis einer Einheit und Großartigkeit der zur Förderung der sachlichen Lebenszwecke dienenden öffentlichen Einrichtungen empfohlen, wo nicht gar aufgenöthigt. ,,465 Hier zeigt sich, daß dem politischen Willen zur Bundesstaatlichkeit neben dem abstrakten Ziel der nationalen Einigung auch handfeste wirtschaftliche Interessen zugrunde lagen. Diese setzten sich mit der

Ders., 527. Herzog, JuS 1967, 194. 461 Dreyer, 214. 462 v. Mahl, Encyklopädie, 367. 463 Ders., 367. 464 Ders., 373. 465 Ders., 370. 459

460

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Gründung des Deutschen Zollvereins 466 am 1. Januar 1834 dann auch bereits lange vor der nationalen Einigung durch. Auch sonst wurde der Souveränitätsteilungslehre von Waitz in der Endphase des Deutschen Bundes innerhalb der Staatslehre überwiegend zugestimmt. 467 Schließlich war es mit ihrer Hilfe doch möglich, einen Bundesstaat aus monarchischen Gliedstaaten zu errichten und dabei insbesondere auch Preußen und Österreich den Weg in einen solchen Bundesstaat wegen des insoweit nicht notwendigen umfassenden Verzichts auf Hoheitsrechte zu erleichtern.

2. Waitz und die RV 1871 Die Anwendung der so entwickelten Bundesstaatstheorie auf die RV 1871 läßt das Reich nicht eindeutig als einen Bundesstaat erscheinen. Vielmehr spricht die konkrete Ausformung des Spannungsverhältnisses zwischen hegemonialen, föderativen und unitarischen Prinzipien in der Verfassungswirklichkeit des Reiches von 1871 gegen die Konstituierung eines Bundesstaates durch die Reichsverfassung. Schließlich entsprach diese wechselseitige Verschränkung der Reichs- und Gliedstaatlichen Gewalten gar nicht dem Waitzschen Dogma der Selbständigkeit und strikten Trennung der Souveränität im Bundesstaat. Zunächst waren die Gliedstaaten dem Reich im Rahmen seiner Kompetenzen untergeordnet, wo sie doch nach der Waitzschen Bundesstaatslehre getrennt als zwei gleichermaßen souveräne Bereiche nebeneinander stehen sollten. Ähnlich unvereinbar mit dem Gedanken der geteilten Souveränität war die mit Art. 78 dem Reich gewährte Kompetenz-Kompetenz. Diese schon von Art. 78 der Verfassung des Norddeutschen Bundes468 dem Bund zugesprochene KompetenzKompetenz stand auch im Vordergrund der Streitigkeiten um den Charakter des Reiches als Bundesstaat. Zunächst ließ sich für diejenigen, die den Gliedstaaten

467

Dazu E. R. Huber, Bd. 11, 282 ff. Dreyer, 244.

468

Vgl. auch den Wortlaut des Art. 78 der RV 1871:

466

Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt. wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben. Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung. durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind. können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden. Die Reichsverfassung von 1871 deckt sich mit der Verfassung des Norddeutschen Bundes weitgehend bis auf die Ausnahmerechte. sog. Reservatrechte, einiger Staaten. dazu Laband, Bd. I. 117ff.

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im Bund Souveränität zusprachen, kaum begründen, wie ein an sich doch souveräner Gliedstaat durch eine Zwei-Drittel-Majorität im Bundesrat zur Aufgabe seiner Kompetenzen gezwungen werden konnte. Die Kompetenz-Kompetenz wurde insofern als unzulässige Anmaßung angesehen. 469 Für die RV 1871 wurde später im Umkehrschluß aus dem neu eingefügten470 Art. 78 Abs. 2, welcher die Zustimmung des berechtigten Gliedstaates zu bestimmten Änderungen der Reichsverfassung verlangte, vertreten, daß im übrigen dem Reich ohne Beteiligung der Gliedstaaten die Möglichkeit zur Verfassungsänderung und damit die Kompetenz-Kompetenz zustünde. 471 Allerdings war es auf der anderen Seite praktisch schwierig für das Reich in den Bereich ausschließlicher Kompetenzen der Länder einzudringen, da schon 14 Stimmen im Bundesrat genügten, um das erforderliche verfassungsändernde Reichsgesetz zu Fall zu bringen. 472 Daneben waren die Gliedstaaten im Bundesrat unmittelbar an der Gesetzgebung sowie an der Vollziehung beteiligt, nach der Verfassung sollte der Bundesrat dabei sogar das höchste Bundesorgan sein. Damit wirkten die Länder an der Reichsgewalt entscheidend mit, wo doch nach Waitz das "Staatenhaus" nicht einmal an der Reichsgewalt partizipieren sollte. Das vom Praktiker Bismarck ausgeklügelte System einer gegenseitigen Gewaltenverzahnung mit einer deutlichen Hegemonie Preußens konnte nicht der theoretischen Konstruktion einer geteilten und selbständigen Souveränität des Reiches und seiner Gliedstaaten, wie sie von der herrschenden Bundesstaatslehre gefordert worden war, entsprechen. Insgesamt blieb mit der Verklammerung der Gewalten die Frage nach dem Sitz der Souveränität offen. 473 Eine explizite Zuordnung der Souveränität an das Reich wäre politisch gegenüber den Fürsten kaum durchsetzbar gewesen. Aber auch mit der Waitzschen Lehre von der Teilung der Souveränität ließ sich das miteinander verklammerte föderale System der RV 1871 nicht hinlänglich beschreiben. 469 Vgl. noch für Art. 78 der Verfassung des Norddeutschen Bundes die Einschätzung des konservativen Rostocker Professors Hugo Böhlau, "Competenz-Competenz?" Erörterungen zu Art. 78 der Verfassung des Norddeutschen Bundes, Leipzig 1869,2 f., sowie die Erwiderung durch den nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Karl Wilhelm Proseh, Die Competenz des Norddeutschen Bundes aus Art. 78 der Bundesverfassung. Von einem Mitgliede des constituirenden Reichstags, Berlin 1970. Beide lehnten ihre Bundesstaatstheorie noch an Waitz an, vgl. dazu Dreyer, 263. 470 Zur Entstehungsgeschichte Haenel, Die vertragsmäßigen Elemente der Deutschen Reichsverfassung, 183 ff. 471 Anschütz, Grundzüge des Deutschen Staatsrechts (Encyklopädie der Rechtswissenschaft 11),513; Haenel, Staatsrecht, 776, 784 f. 472 E. R. Huber, Bd. III, 911. 473 Oeter, ZaöRV 55 (1995),664 f.

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Der Theorie oblag es nun, entweder dem Reich die Qualität eines Bundesstaates abzusprechen oder aber den von Bismarck geschaffenen Bundesstaat erneut "denkbar zu machen". Diesen letzteren Weg gingen die meisten Autoren. 474 Innerhalb der hierzu sich entwickelnden Vorschläge zur Modifikation der Waitzschen Bundesstaatslehre wurde bis 1872 ganz überwiegend an dem Dogma der geteilten Souveränität festgehalten. 475 Erst mit zunehmendem Unbehagen bezüglich dieser zentralen dogmatischen Voraussetzung entwickelte sich eine der RV 1871 angepaßtere Lehre.

11. Der Inhalt der "deutschen Bundesstaatstheorie" Entwickelt in der Auseinandersetzung mit der RV 1871

Hatten sich schon in der bisherigen deutschen Verfassungsgeschichte die deutschen Bundesstaatstheorien in einer Wechselbeziehung von Bundesstaatslehre und Verfassungsgebung entwickelt, so entsteht auch der nun zu beschreibende Höhepunkt der deutschen Bundesstaatslehre in der Auseinandersetzung mit einem vorgefundenen Verfassungsmodell, der beschriebenen Reichsverfassung von 1871. Dabei ging es der Staatslehre vor allem darum, den Unterschied des konstituierten monarchischen Bundesstaates gegenüber dem Staatenbund des Deutschen Bundes kenntlich zu machen. 476 Die Idee des Bundesstaates sollte erhalten bleiben, denn mit ihr verband sich der liberale Traum des 19. Jahrhunderts von der nationalen Einigung Deutschlands. Hieran wird deutlich, welche enge Verbindung der Bundesstaatstheorie mit der vorgefundenen Verfassungslage, Staatslehre und politischer Ideengeschichte zukam. Eingedenk dieser Beobachtung könnte man annehmen, daß eine "deutsche Bundesstaatstheorie" abstrakt gar nicht denkbar ist. 477 Auch variiert die konkrete Ausformung von Bundesstaatlichkeitje nach konkreter historischer Gegebenheit. Der Begriff des Bundesstaates selbst ermöglicht damit noch keine Aussagen über

K. Weber, 50. Zu den einzelnen Modifikationen ausführlich, Dreyer, 261 ff. 476 Frowein, Konstruktion des Bundesstaates, 47. 477 K. Weber, 65; Isensee, HStR, Bd. IV, 521; Hesse, der unitarische Bundesstaat, 5, bestreitet für die heutige deutsche Staatslehre das Bestehen einer Bundesstaatstheorie generell und schließt insbesondere auch ein Rückgriff auf ältere Lehren hierfür aus; dagegen Maunz, 223 ff.; immerhin läßt sich aber nach einem theoretisch haltbaren Begriff im Sinne der Allgemeinen Staatslehre Ausschau halten, Koja, 351. 474

475

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seine konkrete Natur, jeder Bundesstaat stellt vielmehr ein Gebilde sui generis dar. 478 Jedoch läßt sich schon ein Höhepunkt innerhalb der Entwicklung einer deutschen Bundesstaatstheorie um die Jahrhundertwende feststellen 479 bzw. ein "typushafter"48o Bundesstaat beschreiben. Die Charakteristika der RV 1871 wurden dabei von der eher unitarisch gesinnten positivistischen Staatslehre zum Wesensmerkmal eines abstrakten Bundesstaatsmodells erhoben. 481 Dessen Kriterien wirken auch heute noch nach und bestimmen auch die Diskussion um das föderale System der EU. In diesem Sinne sind nun die Elemente einer solchen deutschen Bundesstaatstheorie festzuhalten, um die bezüglich der EU geführte Diskussion besser nachvollziehen zu können.

1. Staatlichkeit des Bundes und der Glieder Im Zentrum der staatsrechtlichen Diskussion stand dabei der Charakter des Deutschen Reiches als Bundesstaat. Dies setzte für die Bundesstaatslehre die grundsätzliche Möglichkeit eines Staatenstaates, also eines Gesamtstaates, der aus Gliedstaaten besteht, denen ihrerseits Staatlichkeit zukommt, voraus.

a) Staatlichkeit nach Jellinek Nach Georg Jellinek ist der Staat die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Körperschaft eines seßhaften Volkes. 482 Konkreter formulierte Jellinek die entscheidenden Elemente von Staatlichkeit. Die dem Staate zugehörigen Menschen, dem Staats volk, kommt dabei eine doppelte Funktion zu. Es ist einerseits Element des staatlichen Verbandes, d. h. Subjekt der Staatsgewalt, andererseits herrschaftsunterworfenes Objekt staatlicher Tätigkeit. 483 Es ist damit im Sinne der

Stern, Bd. I, 2. Aufl., 648; Zellweger, 30. Dreyer, 488 ff. 480 Kühne, 53. 481 Oeter, ZaöRV 55 (1995), 669. 482 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 183. 483 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 406. 478

479

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modernen Theorie der Volkssouveränität sowohl "citoyen" als auch "sujet".484 Staatsgewalt als Herrschaftsgewalt ist unwiderstehliche Gewalt, dem Staat steht die Möglichkeit zu befehlen und Erfüllungszwang auszuüben ZU. 485 Neben dem Staatsvolk und der Staatsgewalt beschreibt das Staatsgebiet die räumliche Ausdehnung des Staates. 486 In diesem Gebiet kann nur ein einziger Staat existieren, womit das Element der Undurchdringlichkeit des Staates konstituiert wird. 487 Im Reich von 1871 beanspruchten sowohl die Länder wie auch das Reich selbst Staatlichkeit. Wie konnte dann aber die Existenz von zwei staatlichen Gewalten im Bundesstaat erklärt werden?

b) Souveränität im föderalen System

(1) Souveränität als Element der Bundesstaatlichkeit? Wie ausgeführt488 , war für die Staatslehre bis zur Reichsverfassung von 1871 die Souveränität konstitutiv für die Staatlichkeit. Dabei war "Inhaber der Souveränität ... die fingierte Persönlichkeit des Staates"489. Sollte damit innerhalb des Bundesstaates sowohl dem Gesamtstaat wie auch den Gliedern Staatlichkeit zukommen, so mußten beide souverän sein. Mit der Waitzschen Bundesstaatslehre ließ sich dies zunächst durch die Annahme einer zwischen dem Bund und seinen Gliedern geteilten Souveränität konstruieren. 490 Diesem Konzept einer geteilten Souveränität stand aber die beschriebene Realität der Gewaltenverschränkung in der Verfassung des Deutschen Reiches entgegen. Der Bundesstaat mußte anders begriffen werden. Entgegen der Waitzschen Lehre betont daher Paul Laband, dem Inhalt des Souveränitätsbegriffs sei etwas Absolutes im Sinne eines "Zu-höchst-seins" zu eigen. Die Annahme einer Teilbarkeit bedeute daher letztlich eine "contradictio in adjecto"491. Auch wurde auf die Vagheit der Idee einer geteilten Souveränität hin484 Unter Verweis auf Rousseau (Contrat sodal I 6) lellinek, Allgemeine Staatslehre, 406. 4851ellinek, Allgemeine Staatslehre, 429. 486 lellinek, Allgemeine Staatslehre, 396. 487 lellinek, Allgemeine Staatslehre, 396. 488 V gl. oben Teil I, A.II.2. 489 Zorn, Staatsrecht, 61. 490 V gl. dazu oben Teil I, C.1.2. 491 Laband, Bd. 1,63; auch v. Seydel, Abhandlungen, 190.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

gewiesen, wenn man diese mit Waitz aus der Unterscheidung zwischen einer inhaltlich zwar unteilbaren, sachlich vom Umfang her aber doch geteilten Souveränität gewinnt. 492 Eine solche Unterscheidung zwischen Inhalt und Umfang konnte der auf begriffliche Schärfe bedachte Rechtspositivist Laband nicht gelten lassen. Schließlich ging es nach der von ihm entwickelten ,juristischen Methode" auch im Staatsrecht um "die Konstruktion der Rechtsinstitute, in der Zurückführung der einzelnen Rechtssätze auf allgemeine Begriffe", mithin um "rein logische Denktätigkeit"493. Die Souveränität sei daher unteilbar. Die weitreichendste Konsequenz wurde hieraus von Max von Seydel gezogen: Der Bundesstaat als Staatenstaat stehe im Widerspruch zu dem Begriff des Staates selbst. 494 Jedenfalls dann, wenn dabei sowohl dem Bund wie auch den Ländern Staatsqualität zukommen soll. Denn den Gliedern des Bundesstaates fehle ein Merkmal, welches für den Staatsbegriff konstitutiv ist, das Merkmal der Souveränität. Auch v. Seydel versteht hierunter den höchsten und einheitlichen Willen des Staates, die Staatsgewalt495 , die sich nicht aufteilen läßt, weil sie nicht bloß "die Summe einer aufzählbaren Menge von einzelnen Hoheitsrechten ist"496. Da aber im Bundesstaat die Staatsgewalt der Gliedstaaten durch die des Bundesstaates beschränkt wird, könne den Gliedstaaten keine Staatlichkeit zukommen. Wenn aber nur dem Gesamtstaat, nicht aber den Gliedern Staatlichkeit zukomme, so handele es sich bloß um einen mehr oder minder dezentralisierten Einheitsstaat. Behielten hingegen die Gliedstaaten ihre Souveränität und damit Staatsqualität, sei eine gleichzeitig bestehende Souveränität des Gesamtstaates ausgeschlossen. Dann wäre diese Staatenverbindung ein bloßer Staatenbund. Damit, so v. Seydel abschließend, sei der Bundesstaat logisch undenkbar497 , auch dem Deutschen Reich könne mithin schon rein von der konstruktiven Möglichkeit und unabhängig von der Rechtsnatur seiner Geltungsgrundlage nur der Charakter eines Staatenbundes zukommen. Die vollständige Ablehnung der Möglichkeit eines Bundesstaates, insbesondere die Einordnung des Reiches als Staatenbund, stand im krassen Widerspruch zu der unitarischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit.

492 Siehe zu Waitz oben Teil I, C.U., dazu kritisch Laband. Bd. 1,62; auch Kelsen. Allgemeine Staatslehre, 117. 493 Laband, Bd. I, IX. 494 v. Seydel. Abhandlungen. 198. 495 V .Seydel. Abhandlungen, 190. 496 v. Seydel. Abhandlungen. 190. 497 v. Seydel. Abhandlungen, 190.

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Wenn die Souveränität unteilbar ist, so mußte nun zu fragen sein, ob die Souveränität für den Staat überhaupt erforderlich ist. Dieser Weg wurde von Laband und auch von Georg Jellinek498 beschritten. Nach ihrer Auffassung könnte zunächst der Sprachgebrauch gegen die Souveränität als für den Staat notwendiges Element sprechen. Schließlich wurden auch zur Zeit des ehemaligen Deutschen Reiches die nicht souveränen deutschen Landesherrschaften als Staaten bezeichnet. 499 Der mittelalterliche Staat, in welchem die Kirche Könige ein- und absetzte und ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen ihr Recht in ihren Gerichten übte, war noch nicht souverän, gleichwohl aber Staat. 500 Die Souveränität war damit für Jellinek als Merkmal der Staatlichkeit keine absolute, sondern eine historische Kategorie. 501 Wenn aber die Souveränität kein Merkmal der Staatlichkeit darstellte, so wurde fraglich, nach welchen Kriterien der Staat dann von Provinzen und Gemeinden abzugrenzen sei. Laband und Jellinek führten hierfür das eigene Herrschaftsrecht des Staates, sein selbständiger Herrschaftswille502 oder auch sein ursprüngliches Herrschaftsrecht503 , also die Staatsgewalt als staats bildenden Begriff ein. Schließlich könne eine Persönlichkeit, welche nach oben in irgendeiner Beziehung einer rechtlichen Gewalt unterworfen, also nicht souverän sei, gleichwohl eigene, nicht durch Übertragung erlangte Herrschaftsrechte über freie Menschen und deren Vereinigungen, also Staatsgewalt haben. 504 Damit ist die konstruktive Lösung der positivistischen Staatslehre für den Bundesstaat eingeführt: Zwischen Staatsgewalt und Souveränität ist zu trennen. Souveränität ist nicht selbst Staatsgewalt, sondern beschreibt nur eine Eigenschaft vollkommener Staatsgewalt. 505 Weder die Souveränität noch die Staatsgewalt kann im Bundesstaat geteilt werden, geteilt sind vielmehr "die Objekte, auf welche die Staatstätigkeit gerichtet ist, nicht die subjektive Tätigkeit, die sich auf diese Objekte bezieht"506. Damit kommt auch den Gliedstaaten eine eigenständige, ihnen unabhängig vom Bundesstaat zustehende Hoheitsgewalt zu. Nur die Objekte ihrer lellinek, Allgemeine Staatslehre, 486 ff. Laband, Bd. I, 65; lellinek, Allgemeine Staatslehre, 489. soo lellinek. Allgemeine Staatslehre, 487. 501 lellinek. Allgemeine Staatslehre, 487. S02 Laband. Bd. I, 57, 68. 5031ellinek. Allgemeine Staatslehre, 490; dagegen Kelsen. Allgemeine Staatslehre, 118. S04 Laband. Bd. I, 73. sos lellinek. Allgemeine Staatslehre, 474; vgl. auch heute noch Dagtoglou. EVStLex., 498

499

Bd. 11, Spl. 3160. 506 lellinek. Allgemeine Staatslehre, 503.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Staatstätigkeit, nicht aber ihre Staatsgewalt selbst ist fragmentarisch. SO? Auf den ihm zustehenden Gebieten hat der Gliedstaat "die Selbstgesetzgebung, die Autonomie"so8. Ist die Souveränität für den Staat also nicht mehr konstitutiv, kann es auch nicht-souveräne Staaten geben. s09 Der Bundesstaat ist als Staatenstaat wieder denkbar. Für den Stand der damaligen Bundesstaatstheorie sind daher folgende Elemente festzuhalten: Im Bundesstaat ist der Gesamtstaat souverän, im Staatenbund sind es die Glieder. Dabei sind die Glieder des Bundesstaates zwar nicht souverän, gleichwohl aber Staaten. Diesen Gliedstaaten steht originäre, nicht vom Bund abgeleitete Staatsgewalt zu. SlO

(2) Das Problem der Kompetenz-Kompetenz Von der herrschenden Staatslehre war nun nur noch zu klären, ob bei einer Staatenverbindung die Souveränität bei den Gliedstaaten oder beim Bund besteht, ob also ein Staatenbund oder ein Bundesstaat vorliegt. Zur Entscheidung dieser Frage hatte Laband die Abgrenzung nach der Kompetenz-Kompetenz eingeführt: "Weisen die Einzelstaaten durch ihren Willen dem Bunde die Grenzen seiner staatlichen Befugnisse zu oder empfangen sie umgekehrt von der Zentralgewalt die rechtliche Begrenzung ihrer Willenssphäre? Nur eines von beiden ist möglich und die Beantwortung der Frage enthält zugleich die Entscheidung, wer souverän ist, die Zentralgewalt oder der Einzelstaat"SII. Die Möglichkeit, die eigenen Wahrnehmungsbefugnisse zu erweitern, entscheidet über den Charakter der Staaten verbindung. Ein weiteres Element der deutschen Bundesstaatstheorie war damit entwickelt: Das entscheidende Merkmal bundesstaatlicher Souveränität, welches zugleich das Unterscheidungskriterium zwischen Staatenbund und Bundesstaat darstellt, ist die Kompetenz-Kompetenz des Bundes. 512

5071ellinek,

Allgemeine Staatslehre, 503. Laband, Bd. I, 106. 509 lellinek, Allgemeine Staatslehre, 489, 770; Meyer, 48. 510 So auch heute Herzog, M/D, Art. 20, Rdn. 26, im übrigen aber umstritten. 511 Laband, Bd. I, 64. 512 lellinek, Staatenverbindung, 294. So auch heute noch etwa Di Fabio, Der Staat 32 (1993),201. 508

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2. (Bundes- )Reichsstaatsangehärigkeit Diese weitgehende Eingriffsmöglichkeit des Reiches in die gliedstaatlichen Befugnisse mußte ihre Entsprechung in einer engen Beziehung des einzelnen zum Reich haben. Damit war für die Bundesstaatslehre die Frage nach dem Verhältnis des einzelnen zum Reich gestellt. Wie ausgeführt 513 war die Entstehung der Reichsangehörigkeit im Reich von 1871 einfachgesetzlich im Sinne eines bloß mittelbaren Angehörigkeitsverhältnisses geregelt. Dabei blieb für die Bundesstaatslehre das inhaltliche Verständnis problematisch. Wenn nämlich Laband folgend die Pflichten der Staatsangehörigen gegenüber dem Reich als Verpflichtung zu "verfassungsmäßigem Gehorsam und zur Treue"514 zu beschreiben waren, so erschien fraglich, ob es im Deutschen Reich zwei oder nur eine Staatsangehörigkeit geben konnte. Der Satz, es könne niemand Diener zweier Herrn sein, wurde schon in der Staatslehre des ausgehenden 19. Jahrhunderts formuliert. 515 Er bekommt auch vor dem Hintergrund der Souveränitätsproblematik im Bundesstaat Bedeutung, denn wurde die Souveränität wie bei Waitz und v. Mahl als geteilte verstanden, entsprach dem, bezüglich der Regelung der Staatsangehörigkeit, die Forderung nach einem doppelten Bürgerrecht. 516 Wurde eine solche Souveränitätsteilung hingegen abgelehnt und mit v. Seydel nur den Gliedstaaten Souveränität zugesprochen, so war auch die gliedstaatliche Angehörigkeit die einzig maßgebliche Staatsangehörigkeitsbeziehung. 517 Ein doppeltes Untertanenverhältnis war dann gar nicht mehr denkbar. Dieser Widerspruch mit der tatsächlich bestehenden Gesetzeslage im Deutschen Reich galt auch, wenn man mit Laband und Jellinek nur dem Bundesstaat die Souveränität zusprach. 518 Dann konnte auch die Staatsangehörigkeit nur als unmittelbare Reichsangehörigkeit gedacht werden. 519 Die Staatsangehörigkeit war daher im Deutschen Reich nur als Reichsangehörigkeit zu verstehen. Im Bundesstaat der RV 1871 gibt es ein unmittelbares Rechts- oder Statusverhältnis 520 zwischen dem Bundesstaat und den Bürgern, welches als Staatsangehörigkeit für den einzelnen unmittelbar Rechte und Pflichten zu begründen vermag. Demgegenüber Vgl. oben Teil I, B.III.4.a). Laband, Bd. I, 140. 515 Dazu Grawert, 205 ff. m. w. N. 516 So oben schon Waitz und v. Mohl, Teil I, C.Ll. 517 v. Seydel, Commentar, Anm. zu Art. 3 1,50 f. 518 Vgl. oben Teil I, C.II.l.b)(1). 519 Zorn, Staatsrecht, 253; Laband, Bd. I, 136. 520 Dazu Thedieck, 22 m. w. N. 513

514

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sollte die Zugehörigkeit zum Einzelstaat, ganz im Gegensatz zur Aussage des positiven Rechts, ein aus der Reichsangehörigkeit erst hervorgehendes Rechtsverhältnis darstellen. 521 Erst 1913 wurde mit dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz die herrschende Bundesstaatslehre in ihrer Konsequenz für die Staatsangehörigkeitsregelung positiv-rechtlich vollzogen. 522

3. Bundestreue Die Auseinandersetzung um die Entstehung und Geltungsgrundlage des Deutschen Reiches hatte für die Bundesstaatstheorie die Entwicklung eines weiteren Elements zur Folge. Auch hierin äußern sich die unterschiedlichen Konsequenzen einer Entstehung durch Vertrag oder durch Verfassungsgesetz. Für v. Seydel, der schon die Souveränität im Reich den Gliedstaaten zusprach, verblieb es bei der völkervertragsrechtlichen Entstehungsgrundlage des Reiches. Von Seydel konnte hieraus den Grundsatz der Vertragstreue herleiten. 523 Dem Ansatz Labands entsprach es hingegen, allein auf das Verfassungsgesetz als Rechtsquelle abzustellen, mit der die Verfassung des Staates vollständig identifiziert wird. Danach können ungeschriebene Verfassungsgrundsätze als Ausfluß des Prinzips der Vertragstreue im Sinne einer Gleichordnung keine Rolle spielen, wohl gibt es aber eine aus dem untergeordneten Verhältnis des Gliedstaates entspringende einseitige Gehorsamspflicht. 524 Dagegen wendete insbesondere Rudolf Smend ein, neben dem geschriebenen existiere in der Verfassungswirklichkeit des Reiches auch ungeschriebenes Verfassungsrecht. 525 Da nämlich weder die Bündnisverträge, noch die Verfassung selbst für sich allein genommen die Verfassungswirklichkeit begründe, stünden beide als Rechtsquellen 526 nebeneinander. Damit stünden Reich und Einzelstaaten nicht nur in dem Verhältnis der Über- und Unterordnung, sondern "zugleich in dem Verhältnis des Bundes zu den Verbündeten: D. h., jeder der Verbündeten schuldet den anderen und dem Ganzen die Bundes-, die "Vertrags"-Treue"m. Zorn, Staatsrecht, 254. Vgl. auch Laband, DJZ 9 (1904), 9 ff. 523 So wieder v. Seydel, Abhandlungen, 57 f. 524 Laband, Bd. I, 107. 521

522

m Smend weist das anhand Art. 8 Abs. 3 der Reichsverfassung nach, ders., Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 42 ff. 526 Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 53, Fußnote 21. 527 Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 51.

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Insofern läßt sich schon für das Reich als erstes Anzeichen einer Abkehr von der bloß begrifflichen Konstruktion der Rechtspositivisten Laband und Jellinek als weiteres Element der deutschen Bundesstaatstheorie formulieren: Innerhalb des Bundesstaates sind die Gliedstaaten zu bundestreuem Verhalten kraft ungeschriebenen Verfassungsrechts verpflichtet.

IH. Zur Übertragung der Bundesstaatstheorie auf die Europäische Union Es ist nicht überraschend, daß die an der RV 1871 entwickelte Bundesstaatstheorie auch auf den Bundesstaat des Grundgesetzes übertragen worden ist. 528 Dagegen scheint die Möglichkeit ihrer Übertragung auf die EU schon an deren mangelnder Staatlichkeit zu scheitern. Zwar lassen sich einige Strukturmerkrnale der EG und der RV 1871 miteinander vergleichen. 529 Jedoch reichen diese vergleichbaren Elemente aus, um auch die an der RV 1871 entwickelte Bundesstaatslehre auf die EU zu übertragen? Wie zu zeigen sein wird, scheint ein Teil der deutschen Staatslehre dieser Auffassung zu sein. Jedoch ist gerade in bezug auf die unitarischen Strukturelemente des Reichs von 1871 auf die gravierenden Unterschiede zur EG und EU insgesamt hingewiesen worden. Gerade am Staatsund Souveränitäts begriff und dabei insbesondere an der Frage der Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz im föderalen System der EU kann deutlich gemacht werden, daß eine Übertragung zentraler Kategorien der an der RV 1871 entwikkelten deutschen Bundesstaatslehre auf die EU dogmatisch unbefriedigend erscheint und die politische Realität der EU nicht zu beschreiben in der Lage ist. Vor allen Dingen wird deutlich werden, daß dem föderalen System EU zwar einige Elemente zu eigen sind, die denen der (Bundes-)Staatlichkeit ähneln, gleichwohl aber zur Erfassung der EU insgesamt ungeeignet sind. Trotzdem ist die Diskussion der EU in Teilen der deutschen Staatslehre nach wie vor geprägt von den Begrifflichkeiten, die eigentlich (Bundes-)Staatlichkeit bereits voraussetzen. Sie bewegt sich insofern in der Tradition des dualistischen Föderalismus stehend noch in den Kategorien StaatlNichtstaat und hat somit Schwierigkeiten, die besondere föderale Eigenart der EU zu erfassen. Dies läßt sich zunächst am Staatsbegriff selbst verdeutlichen.

m BVerfGE 36, 342 (360); auch BVerfGE 83, 37 (50 ff.); sowie in der Lehre, Haegert. NJW 1961,1138; Di Fabio. Der Staat 32 (1993), 201. 529 Vgl. oben Teil I, B.lV. 8 Böhmer

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

J. Zur Staatlichkeit der EU nach den lellinekschen Kriterien

Eine Einordnung der EU in die Kategorien der Staatenverbindungslehre muß die klassische Dychotomie StaatenbundlBundesstaat zumindest als Möglichkeit in Betracht ziehen. Eine Staatlichkeit der EU käme nur als Bundesstaatlichkeit in Frage. 530 Dabei können die lellinekschen Elemente, Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt auf die EU angewendet werden. 531 Ein "Staatsgebiet" der EU ließe sich über den territorialen Anwendungsbereich des EGV (Art. 227 EGV (Art. 299 EGV Amsterdam», abgeleitet von dem Territorium der Mitgliedstaaten, zumindest räumlich definieren. Problematisch ist der Bestand eines "Staatsvolkes". Bis auf eine schwach ausgeprägte mittelbare Unionsangehörigkeit nach Art. 8 ff. EGV (Art. 17 ff. EGV Amsterdam) ist für die EU eher der Mangel an einheitstiftender europäischer Öffentlichkeit charakteristisch. Losgelöst vom Staatsbegriff läßt sich aber wohl schon eine EU "Citizenship" ausmachen. 532 Das Element der "Staatsgewalt" erscheint ebenfalls als problematisch. Zunächst kann nicht von einer einheitlichen, mit Gewaltmonopol ausgestatteten, Staatsgewalt ausgegangen werden. Zwar besteht schon in Ansätzen die Möglichkeit eines gemeinschaftsunmittelbaren Vollzuges, einmal etwa in gemeinschaftsinternen Personalangelegenheiten, aber auch extern gegenüber Mitgliedstaaten und Individuen, z. B. im Wettbewerbsrecht (Art. 89 Abs. 1 EGV (Art. 85 Abs. 1 EGV Amsterdam». Jedoch obliegt der überwältigende Teil des Vollzuges des Gemeinschaftsrechts noch den Mitgliedstaaten. 533 Der Staatsgewalt müßte daneben, wenn es sich um souveräne Staatsgewalt handeln sollte, auch die Eigenschaft zukommen, ihre Kompetenzen eigenständig ausweiten zu können. Jedoch wird in der Debatte zu recht immer wieder auf die fehlende "Kompetenz-Kompetenz" der EU hingewiesen. 534 Wenn somit die EU nicht als Staat im Sinne der Drei-Elementen-Lehre eingeordnet werden kann, so ist sie auch kein Bundesstaat. Eine Entwicklung hin zum Oppermann, Europarecht, 297; Blanke, DÖV 1993,414. Etwa Blanke, DÖV 1993,421. 532 Dazu oben Teil I, B.III.4.b). m Dies gilt vor allen Dingen auch für die Vollstreckung, selbst da, wo unmittelbare öffentlich-rechtliche Befugnisse in den Mitgliedstaaten vorgenommen werden dürfen. Die Möglichkeit, zwangsgeleitete Normbefolgung durchzusetzen, bleibt als Kemelement von Staatsgewalt damit den Mitgliedstaaten überlassen, vgl. dazu Teil I, B.III.l.c), auch unten Teil 11, C.I.3. 534 BVerfGE 89, 155 (190, 194); Streinz, Europarecht, 37; noch für die Gemeinschaften Constantinesco, 257; BeutleriBieberiPipkomiSteil, 3. Aufl., 77; Oppermann, Europarecht, 298. Dazu ausführlich sogleich. 530

531

C. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus

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Bundesstaat im klassischen Verständnis ist derzeit auch gar nicht absehbar535 , wenn auch mit der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion ein weiterer Schritt in Richtung einer eigenen "Staatlichkeit" festzustellen ist. Auch die Ausweitung der materiellen Kompetenzen der EU durch den Arnsterdamer Vertrag lassen die EU mehr und mehr als im "Vorhof der Staatlichkeit" stehend erscheinen. Ob damit aber eine etatistische Finalität für die EU insgesamt charakteristisch ist, soll hier noch ausdrücklich offen bleiben.

2. Die "Bundes" -Struktur der EU erörtert am Begriff der "Kompetenz-Kompetenz"

Die Fragwürdigkeit einer Übertragung etatistischer Kategorien auf die EU läßt sich besonders anschaulich an der Debatte über die Zuordnung der KompetenzKompetenz im föderalen System der EU verdeutlichen. Die Eigenschaft, die eigenen Aufgaben und Befugnisse eigenständig ausweiten zu können, wird als Kompetenz-Kompetenz bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Begriff aus der deutschen Bundesstaatstheorie. 536 Der Begriff der Kompetenz-Kompetenz wird neuerdings auch im Zusammenhang mit der Jurisdiktionskompetenz internationaler Gerichte im Sinne einer Kompetenz über die eigenen Kompetenzen entscheiden zu dürfen, verwandt. 537 Es ist zunächst auf den Zusammenhang der Frage nach der Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz in einem föderalen System und der bereits ausführlich erörterten Frage nach den Geltungsgrundlagen eines solchen Systerns538 hinzuweisen. So legt die Qualifizierung der EG-Rechtsordnung als "Verfassung" und "autonome Rechtsordnung" die Zuordnung einer Kompetenz-Kompetenz jedenfalls näher, als dies bei einer bloßen vertraglichen Grundlage der EU in Frage käme. Jedoch folgt umgekehrt aus der Behauptung einer weitgehenden verfassungsähnlichen Autonomie des Gemeinschaftsrechts nicht bereits zwingend auch die Möglichkeit der EU, die eigenen Wahrnehmungsbefugnisse zu erweitern (Kompetenz-Kompetenz).

m 536

Everling, in: FS-Doehring, 180. Lerche, in: FS-Heymanns Verlag, 409 ff., sowie oben Teil I, A.II.2.

537 Z. B. zur Kompetenz-Kompetenz des ständigen Jugoslawien Tribunals, vgl. I.L.M. 35 (1996), 8, oder zur Kompetenz-Kompetenz des EuGH, vgl. WeilerlHaltem, HIU (1996), 423 ff. 538 V gl. oben Teil I, A.II.2.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Für die Übertragung des Begriffs der Kompetenz-Kompetenz auf das föderale System der EU bestehen zwei vorstellbare Ausgangspunkte. Entweder kann der Sachgehalt dieses Begriffs aus dem bundesstaatlichen Verhältnis abgelöst werden und insofern verallgemeinerungsfähig sein539 , oder aber die Kategorie der Kompetenz-Kompetenz erweist sich bei näherer Betrachtung angewandt auf die EU als untauglich. Letzteres soll nun nachgewiesen werden.

a) Staatlichkeit und Kompetenz-Kompetenz Auf die Verknüpfung des Begriffs der Kompetenz-Kompetenz mit dem der Souveränität ist bereits hingewiesen worden. 54O In der Debatte über die "staatsähnlichen Strukturen" der EU wird immer wieder auf die fehlende "Kompetenz-Kompetenz" der EU hingewiesen. 54! Umgekehrt sollte das Kriterium der KompetenzKompetenz die auch nach Geltung des Maastrichter Vertrages fortbestehende Souveränität der Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge" und damit deren Staatlichkeit belegen helfen. Obwohl- wie ausgeführt542 - die forrnale 543 "Kompetenz-Kompetenz" aus der Sicht der deutschen Bundesstaatslehre nicht zwingende Voraussetzung von Staatlichkeit ist, so kommt ihr in der Debatte über Maastricht doch scheinbar eine starke Indizwirkung für eine sich entwickelnde Staatlichkeit der EU, als auch umgekehrt für eine schwindende Staatlichkeit der Mitgliedstaaten zu. Bei dieser Diskussion um Begrifflichkeiten ist zu beachten, daß bereits in einem "echten" BunSo etwa Lerche, in: FS-Heymanns Verlag, 418. Oben Teil I, A.II.2. 54! BVerfGE 89, 155 (190, 194); Streinz, Europarecht, 38; noch für die Gemeinschaften Constantinesco, 257; BeutlerlBieberlPipkornlStreil, 3. Aufl., 77; Oppermann, Europarecht, 298. 542 Oben Teil I, A.II.2. 543 Diesem fonnalen Inhalt des Begriffs der Kompetenz-Kompetenz wurde schon früher eine stärker materiell-kritische Bedeutung beigeordnet: Im Rahmen des Streites um Art. 78 der Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde "Competenz-Competenz" noch als die Gefahr unbegrenzter Selbsterweiterungsmacht durch den Bund verstanden. Doch setzte sich das fonnale Verständnis von Kompetenz-Kompetenz durch, verstanden als die Möglichkeit des Bundes im föderalen System die in der gesamtstaatlichen Verfassung bestimmten Kompetenzen durch Ausnützung der in der Verfassung enthaltenen Ennächtigungen durch den Bund selbst zu erweitern. Dazu Lerche, in: FS-Heymanns Verlag, 409 f. Lerche, 416, sieht allerdings in der Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Anzeichen für eine Rückkehr zu dem materiellen Kompetenz-Kompetenz Begriff, also im Sinne einer Warnung vor unberechenbaren Kompetenz-Selbsterweiterungen. 539

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c. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus

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des staat die Gliedstaaten an der Ausübung der Kompetenz-Kompetenz durch den Bund maßgeblich beteiligt sind, schon hier also von einer uneingeschränkten Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz an eine Ebene an sich nicht gesprochen werden kann. 544

b) Die "Herrschaft über die Verträge" Es gehört zu den oft wiederholten Feststellungen in der Literatur45, die EU besitze keine Kompetenz-Kompetenz, weil die Mitgliedstaaten immer noch "Herren der Verträge,,546 seien. Auch der Unionsvertrag, so wird ausgeführt, belasse die Kompetenz-Kompetenz bei den Mitgliedstaat~n. Bezüglich dieser These, die nur selten näher begründet wird547 , sind zwei Problemkreise zu unterscheiden: Zunächst ist fraglich, ob die EU über den ihr von den Mitgliedstaaten übertragenen Bereich hinaus eigenmächtig und generell zu Lasten von Kompetenzen der Mitgliedstaaten weitere eigene Kompetenzen begründen kann. Umgekehrt stellt sich die Frage, inwieweit jeder einzelne Mitgliedstaat den Bereich der an die EU übertragenen ausschließlichen Kompetenzen wieder an sich zu ziehen vermag. Nur wenn ein solcher einseitiger Rückzug rechtlich möglich wäre, könnte der einzelne Mitgliedsstaat noch als Inhaber der Kompetenz-Kompetenz im rechtlichen Sinne, als "Herr des Vertrages", angesehen werden.

544 So darf etwa der Bundesstaat des Grundgesetzes nach Art. 79 Abs. 2 GG seine Befugnis, Zuständigkeiten der Länder an sich zu ziehen, nur im Rahmen der Bestandsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG ausüben, BVerfGE 34, 9 (19); Isensee, HStR, Bd. IV, 666; Herdegen, in: FS-Everling, 451; Frowein, ZaöRV 54 (1994),13. 545 Blanke, DÖV 1993, 419; Merten, in: ders., Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 24; KoeniglPechstein, 21. 546 BVerfGE 89, 155 (190); nach Heintzen, AöR 119 (1994), 565, Fußnote 4, ist die Genese der Formel nicht eindeutig zu ermitteln. Auf die weitreichenden juristischen Bezugspunkte der "Herrschafts"-Formel, die bis zum integrationstheoretischen Vorverständnis reicht, weist Heintzen, AöR 119 (1994), 566, hin. 547 Heintzen, AöR 119 (1994), 565, weist auf ihr polemisches Potential hin.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

(1) Kompetenz-Kompetenz der EU zU Lasten der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt? Wie allgemein aus Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGV Amsterdam)548 und bezogen auf die Handlungsformen 549 aus Art. 189 Abs. 1 EGV (Art. 249 Abs. 1 EGV Arnsterdam) hergeleitet, gilt für die Europäische Gemeinschaft das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. 55o Durch den Unions vertrag wird dies nun durch Art. 3b Abs. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 EGV Arnsterdam) sowie Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) für die Gemeinschaften deklaratorisch551 bekräftigt und durch Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) auch für die Europäische Union eingefordert. 552 Gleichwohl wurden die Art. N, Art. F Abs. 3 EUV (Art. 48, Art. 6 Abs. 4 EUV Arnsterdam) sowie Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Arnsterdam) auch als Begründung einer Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union gelesen, mit deren Hilfe diese aus dem Bereich der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt heraus Kompetenzen an sich ziehen könnte. 553 Gegen die Begründung einer so weitgehenden Kompetenz durch die Vertragsänderungsvorschrift des Art. N EUV (Art. 48 EUV Arnsterdam) spricht, daß die Stellung der Gemeinschaftsorgane nicht so stark ist, daß sie eine Vertrags änderung gegen den Willen der Mitgliedstaaten durchsetzen könnten. Auch läßt sich entgegen Art. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV Arnsterdam) anführen, daß in dieser Vorschrift lediglich die politisch-programmatische Absicht der Mitgliedstaaten der EU bekundet ist, diese mit hinreichenden Mitteln ausstatten zu wollen. 554 Der daneben oft genannte Art. 235 EGV (Art. 308 EGV Arnsterdam) begründet ebenfalls keine Kompetenz-Kompetenz. 555

548 Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGV Amsterdam): ,,Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse." 549 Oppennann, Europarecht, 172.

550 Oppermann, Europarecht, 169; Streinz, Europarecht, 148; H. P. Krausser, Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, 1991. 551 Von einer bloß zusammenfassenden Wiederholung gehen Koenig/Pechstein, 57, aus. 552 Kritisch hierzu Murswiek, Der Staat 32 (1993), 180. 553 Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, in: VVDStRL 53 (1994), vgl. 3. Bericht von Schweitzer, 55, sowie Diskussionsbeiträge von Schachtschneider, 108, und Rupp, 110. 554 Vgl. nur etwa BVerfGE 89,155 (194). m Vgl. oben Teil I, B.III.1.b).

C. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus

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(2) Kompetenz-Kompetenz der Mitgliedstaaten zu Lasten der EU-Hoheitsgewalt? Bestehen somit keine Möglichkeiten der EU, ihre Wahrnehmungsbefugnisse eigenmächtig zu erweitern, so könnte umgekehrt den Mitgliedstaaten auch hinsichtlich der der EU bereits übertragenen Kompetenzen eine solche KompetenzKompetenz zukommen. Eine solche Renationalisierung von EU Kompetenzen ist in der Vergangenheit bereits vorgenommen worden. 556 Ob und in welchem Umfang sie insbesondere ohne die Einwilligung der EU Organe möglich ist, hängt eng mit der Frage zusammen, ob die Mitgliedstaaten der EU ein Austrittsrecht besitzen. Eine so verstandene "Herrschaft über die Verträge" würde vorliegen, wenn jeder einzelne Mitgliedstaat die Gründungsverträge der Gemeinschaften sowie den Unionsvertrag auch ohne Einhaltung der in den Verträgen vorgesehenen Verfahren allein nach völkerrechtlichen Grundsätzen, d. h. vor allen Dingen kraft seiner Souveränität, ändern oder kündigen könnte. Auf einer rechtstheoretischen Ebene ließe sich zunächst argumentieren, daß eine "Herrschaft über die Verträge" schon deshalb angenommen werden müßte, weil jederzeit der europäische pouvoir constituant, also die Mitgliedstaaten, die von ihnen eingesetzte Europäische Verfassung unter Außerachtlassung der dafür vorgesehenen Verfahren revolutionär umstürzen könnte. Diese Möglichkeit ist unbestritten. 557 Beabsichtigt ein Mitgliedstaat die EU zu verlassen, so wird die rechtliche Argumentation tatsächlich nicht die entscheidende sein. 558 Die Aussicht eines solchen revolutionär-politischen Entschlusses ist gleichwohl ungeeignet, eine Kompetenz-Kompetenz im rechtlichen Sinne zu begründen. Schließlich besteht die Möglichkeit eines außerrechtlichen Umsturzes auch innerhalb jedes Verfassungsstaates, und deshalb wird ja auch die Volkssouveränität des pouvoir constituanf 59 innerstaatlich nicht als uneingeschränkt verstanden. Im Verfassungsstaat ist die Souveränität vielmehr aufgegliedert auf die rechtlich verfaßten Verfassungsorgane. 560 556 Zu den Beispielen, wie etwa dem Austritt Grönlands, vgl. Obradovic, CMLR 34 (1997),59,65 ff. 557 Auf Einschränkungen selbst dieser Möglichkeit weist Everling, in: FS-Bemhardt, 1173, hin, wenn er diese Option auf Ausnahmesituationen revolutionärer Art und abhängig vom jeweiligen Entwicklungsstand der Union beschränkt sieht. 558 Weiler, Transformation, Yale L.J. 100 (1991), 2412. 5S9 Die Unterscheidung von pouvoir constituant und pouvoir constitue wurde geprägt von Emmanuel Sieyes, Qu'est-ce que le Tiers Etat, 27 ff. 560 Kriele, 126.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Die Frage nach dem Sitz der Souveränität und damit der Kompetenz-Kompetenz stellt sich somit erst innerhalb einer schon konstituierten Rechtsordnung und klammert die Möglichkeit deren revolutionären Überwindung als außerrechtliches Kriterium aus. 561 Bei der Übertragung der Kategorie der Kompetenz-Kompetenz auf die EU geht es also darum, ob der einzelne Mitgliedstaat rechtlich über die der EU bereits übertragenen Kompetenzen selbst wieder verfügen kann, oder ob dieser Teil von Hoheitsgewalt im föderalen System Europas der mitgliedstaatlichen Änderungskompetenz unwiderruflich entzogen ist. Das Bundesverfassungsgericht scheint sich bezüglich des EUV mit dem Hinweis, die Zugehörigkeit zum EU-Vertrag könne letztlich durch einen gegenläufigen Akt auch wieder aufgehoben werden, weil Geltung und Anwendung von dem Rechtsanwendungsbefehl des Zu stimmungsgesetzes abhänge 562, für erstere Annahme auszusprechen. Der einseitige Lösungsakt wäre danach nicht nur verfassungsrechtlich möglich, sondern auch gemeinschaftsrechtlich lega1. 563 Eine vergleichbare Position wird für die Verfassungslage des Vereinigten Königreiches vertreten. Zwar führte das House of Lords im Factortame Fall aus, daß Gemeinschaftsrecht auch nachfolgendem, vom britischen Parlament erlassenen, Recht vorgehe. 564 Jedoch beruhe die Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts auf dem European Communities Act 1972. Hierbei handele es sich um ein einfaches Parlamentsgesetz, welches getreu dem Prinzip der "sovereignty of Parliament" jederzeit widerrufen werden könne. 565 Für die deutsche Verfassungslage stößt die Möglichkeit zur freien innerstaatlichen Zurücknahme des Zustimmungsgesetzes auf eine Reihe von Bedenken. Zunächst würde dies dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG widersprechen, wonach den deutschen Staatsorganen bei der Mitwirkung an der Gemeinschaft im

561 Zur logischen Problematik der Abänderbarkeit von Art. 79 Abs. 3 GG vgl. Valdes, ARSP 68 (1982), 431 ff. 562 BVerfGE 89, 155 (190). 563 Heintzen, AöR 119 (1994), 571. Nach König, ZaöRV 54 (1994), 34, kann das BVerfG eine völlig freie einseitige Rückgängigmachung nicht gemeint haben. 564 R v. Secretary oJ StateJor Transport ex parte Factortame Ltd. (No.2) [1991] 1 A.C. 603. 5M Vgl. im einzelnen Hartley, Foundations, 256 ff. Allerdings schränkt etwa Harden, PL (1994), 612, ein: "the present constitutional position is that the UK is part of the EU. The existence of legitimate mechanisms for altering existing constitutional arrangements does not mean that the present reality of those arrangements can be ignored .... [ ... ] The present reality ofthe United Kingdom's constitutional relationship with the European Comrnunity is that Parliament no longer enjoys legislative omnicompetence."

C. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus

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Gegensatz zu Art. 24 Abs. 1 GG kein Ennessen zukommt. 566 Damit stuft Art. 23 GG die Einbindung der Bundesrepublik in die EU geradezu zum Staatsziel hoch. 567 Eine einseitige Lösung setzt in Deutschland de jure eine Verfassungsänderung voraus. Ferner würde die einseitige Rücknahme des Zustimmungsgesetzes gegen die Gründungsverträge der EGIEU verstoßen, wenn danach eine einseitige Lösungsmöglichkeit gar nicht vorgesehen wäre. Tatsächlich regeln weder der EGV noch der EUV ein ausdrückliches Kündigungs- oder Rücktrittsrecht, womit nach Art. 56 WVK568 ein solches auch nicht gegeben ist. Allerdings wird hiervon in Abs. 11it b) dieser Vorschrift eine Ausnahme dahingehend gemacht, daß sich ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht auch aus der Natur des Vertrags herleiten läßt. Die Natur der Gemeinschaftsverträge, aber auch des Unionsvertrages spricht allerdings gerade gegen ein Austrittsrecht nach dieser Bestimmung. Diese Frage nach dem Bestehen eines Austrittsrechts erinnert an die schon für die Reichsverfassung von 1871 umstrittene Problematik der Einordnung als Verfassung oder Vertrag. 569 Ein Vertrag läßt sich durch actus contrarius zumindestens einstimmig wieder aufheben, eine Verfassung hingegen institutionalisiert eine dauernde Ordnung, die auch gegenüber nicht am Vertrag Beteiligten einen Geltungsanspruch erhebt. Eine solche Entwicklung des Rechts der Europäischen Gemeinschaft zur "grundlegenden Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft"57o hat der EuGH angenommen. 571 Die lediglich völkervertragsrechtliche Bindungswirkung des Unionsvertrages läßt sich einer Übertragung dieser Verfassungsqualifikation auf den Unions vertrag nicht entgegenhalten. 572 Vielmehr ist gerade nach völkerrechtlichen Grundsätzen auf den besonderen Charakter des Gründungsvertrages der Europäischen 566 Art. 23 Abs. 1 S. 1 00: " ... wirkt mit ... "; Heintzen, AöR 119 (1994), 573. Die Forderungen, die Art. 23 Abs. 1 00 an die demokratische und rechts staatliche Ausgestaltung der EU stellt, werden von dieser wohl auch in Zukunft erfüllt werden. Heintzen, AöR 119 (1994),573, hält alles andere für "unrealistische Szenarien". 567 Herdegen, in: FS-Everling, 453; Sommermann, DÖV 1994,596. 568 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, BGBI. 1985 U, 927. 569 Vgl. dazu oben den Streit um die rechtliche Grundlage der Reichsverfassung von 1871, Teil I, B.U.I. 570 EuGH Gutachten 1/91 - EWR-Vertrag - Slg. 1991, 1-6079 (6102); auch schon BVerfGE 22, 293 (296); lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 64 ff. m Das erste Gutachen des EuGH zum EWR-Vertrag bietet sogar Anlaß, über materielle Grenzen einer Zurücknahme ihrer Befugnisse durch die Mitgliedstaaten nachzudenken, vgl. dazu Heintzen, AöR 119 (1994), 577 f.; Herdegen, in: FS-Everling, 457. sn So aber Koenig/Pechstein, 6.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Union als "institutioneller" Vertrag573 hinzuweisen. Mit einem solchen multilateralen Vertrag bezwecken die Vertragsparteien die Gründung einer institutionalisierten Organisation, deren Geltung auch von Drittstaaten anerkannt werden soll. Nicht nur auf das Verhältnis der Vertragsparteien zueinander, sondern auch auf die implizite Forderung nach Anerkennung dieser objektiven Ordnung durch Dritte, läßt sich der Grundsatz der Reziprozität der Rechte und Pflichten im Völkerrecht anwenden. Dann entstehen mit Inkrafttreten eines solchen institutionalisierten Vertrages aber auch Rechte der nicht am Vertragsschluß Beteiligten auf Fortbestand einer solchen objektiven Ordnung. 574 Die einseitige Lösung vom Vertrage ist den Vertrags staaten damit versagt. Schon aufgrund dieser Überlegungen besteht nicht ohne weiteres die Möglichkeit zur einseitigen Lösung vom Unionsvertrag, da dann notwendig Rechte Dritter berührt wären. 575 Für eine nicht mehr zulässige Aufhebbarkeit sowohl des Unionsvertrages als auch der Gemeinschaftsverträge spricht schließlich das Fehlen einer Kündigungsklausel in den Verträgen. Der Austritt aus dem "auf unbegrenzte Zeit" (Art. Q EUV (Art. 51 EUV Arnsterdam» geschlossenen EU-Vertrag ist vertragsrechtlich einfach nicht vorgesehen. 576 Dem kann wohl kaum die clausula rebus sie stantibus des Art. 62 WVK entgegengehalten werden. 577 Zum einen wird in Art. 62 Abs. 2lit.a) WVK eine Ausnahme für den Typus statusrechtlicher Verträge normiert. Dieser Vertragstyp ähnelt zumindest hinsichtlich seiner objektiven Geltung dem Charakter der Gemeinschaftsverträge und des Unionsvertrages als institutionelle Verträge. Zum anderen findet die WVK auf Gründungsverträge von internationalen Organisationen nur vorbehaltlich besonderer Vorschriften im Organisationsstatut Anwendung (Art. 5, 40 Abs. 1 S. 1 WVK). Als eine solche besondere Vorschrift könnte Art. N Abs. 1 EUV (Art. 48 Abs. 1 EUV Arnsterdam) angesehen werden, der für den EUV sowie die Gemeinschaftsverträge eine eigenständige Änderungsbestimmung vorsieht. Danach verbliebe als rechtlich zulässige Austrittsmöglichkeit eines MitDahm/Delbrück/Woljrum, Bd. 111, 53. Vgl. für die strukturell ähnlichen Statusverträge Moster, RdC 1974, Bd. IV, 236; KoeniglPechstein, 80, beschreiben den Unionsvertrag immerhin als "traite-loi", der eigenständigen Auslegungsregeln unterliege. 575 Auf den Vertrauensschutz von Drittstaaten wie auch der Unionsbürger hinsichtlich prägender Strukturmerkmale weist auch Herdegen, in: FS-Everling, 454, hin. 576 Vgl. auch Art. 240 EGV (Art. 312 EGV Amsterdam): "Dieser Vertrag gilt auf unbegrenzte Zeit." Sowie Art. 208 EAGV und Art. 13 des Amsterdamer Vertrages. Für Vorschläge für eine Vertragsänderung, die einen Austritt ermöglichen würde, vgl. Obradovic, CMLR 34 (1997), 81 f. 577 So jüngst aber wieder Doehring, in: FS-Everling, 270. 573

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C. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus

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gliedstaates nur der Weg der Vertragsänderung578 im Einverständnis mit den anderen Mitgliedstaaten, die einvernehmliche völkerrechtliche Beendigung des Vertrages oder der ebenfalls einvernehmliche Rücktritt einer Partei nach Art. 54 lit. b WVK. 579 Könnte zumindest insofern noch von einer gemeinschaftlichen "Herrschaft über die Verträge" aller Mitgliedstaaten zusammen gesprochen werden 580, so steht auch der einvernehmlichen Beendigung der GTÜndungsverträge die bereits beschriebene Qualität der durch die Verträge errichteten objektiven Ordnung entgegen, wonach auch Dritte Rechte auf den Fortbestand einer solchen Ordnung erwerben können, wenn von ihnen die Anerkennung dieser Ordnung gefordert wird. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Legitimation der EU sich auch auf ein direktes demokratisches Mandat über das Europäische Parlament stützen kann und insofern der Verfügungs gewalt der Mitgliedstaaten entzogen sein müßte. Wie man das auch immer konstruieren mag, so widerstrebt doch der Zwang zur Einvernehmlichkeit der Annahme "souveräner" Entscheidungsmacht. Wer gezwungen ist, Einvernehmen herstellen zu müssen, kann nicht autonom, d. h. souverän, entscheiden. 58l Auch der EuGH hat im ersten EWR-Gutachten der Zulässigkeit einer Vertragsdurchbrechung durch einige Mitgliedstaaten eine klare Absage erteilt. 582 Ein einseitiges Austrittsrecht aus der EU für einen einzelnen Mitgliedstaat, und damit die Möglichkeit Kompetenz-Kompetenz auszuüben, besteht somit nicht. 583

c) Zur Untauglichkeit des Kriteriums der Kompetenz-Kompetenz Unter Zugrundelegung einer rein legalistischen Betrachtungsweise kann in bezug auf die der EU übertragenen Kompetenzen von einer "Herrschaft über die Verträge" zumindest seitens eines einzelnen Mitgliedstaates jedenfalls keine Rede Art. 39,40 WVK; BeutlerlBieberiPipkorniStreil, 4. Aufl., 80. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die detaillierten Regelungen über Vertragsänderung und Vertragsdauer die Anwendung der Wiener Vertragsrechtskonvention von vornherein einschränken, dazu BeutlerlBieberiPipkorniStreil, 4. Aufl., 78. 580 Nur in diesem Sinne wird die Formel von der "Herrschaft über die Verträge" auch teilweise verstanden, vgl. Schilling, AöR 116 (1991), 44. 58l Nur insofern als die Mitgliedstaaten ihre Herrschaft über die Gemeinschaftsverträge zur gesamten Hand ausüben, kann von einem Verfügen über die Verfassungsautonomie der EU ausgegangen werden, vgl. P. M. Huber, FS-Heymann, 353. 582 Herdegen, FS-Everling, 454. 583 Wie hier z. B. Frowein, ZaöRV 54 (1994).12. Für die Gemeinschaften schon Dahm, Bd. 11, 682; Delbrück, Zusammenschlüsse, 481. 578

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

mehr sein. 584 Die Betrachtung der EU und ihres Verhältnisses zu den Mitgliedstaaten hat vielmehr deutlich gemacht, daß die "innere" Souveränität, verstanden als Kompetenz-Kompetenz, weder der EU noch den Mitgliedstaaten in abstracto zugeordnet werden kann. Souveränität ist aber "als unerfüllter Anspruch nicht denkbar"585, vielmehr besteht sie nur als tatsächliche und rechtliche Qualität von Staatsgewalt. Daraus müßte gefolgert werden, daß in dem föderalen System "Europäische Union" jede Ebene, also auch der einzelne Mitgliedsstaat, die alleinige Verfügungsmacht nur noch über ihre eigenen Wahrnehmungsbefugnisse hat. 586 Können diese ausgedehnt werden, ohne in den Bereich der anderen Ebene einzudringen, so ist jede Ebene in diesem Bereich souverän, hat sie die Kompetenz-Kompetenz über diesen Bestand an Hoheitsgewalt. 587 Im übrigen besteht wegen rechtlicher Bindungen sowohl für die Ebene der EU als auch für die der Mitgliedstaaten keine Kompetenz-Kompetenz. 588 Diese rechtliche Betrachtungsweise wird allerdings zunehmend als zu positivistisch zurückgewiesen. 589 Wie aufgezeigt, existieren abweichende Rechtsbehauptungen des House of Lords in Großbritannien sowie des deutschen Bundesverfassungsgerichts. 590 Es hat wenig Sinn, diese zu ignorieren. Auch muß die faktischpolitische Möglichkeit eines Austritts gewürdigt werden. Das reicht zwar nicht aus, eine rechtliche Kompetenz-Kompetenz der Mitgliedstaaten zu begründen. Jedoch dürfte zumindest deutlich geworden sein, daß die vielfach in der Staats584 Pemice, HStR, Bd. VIII, 243; Doehring, ZRP 1993, 98 f.; Frowein, ZaöRV 54 (1994), 12; BeutlerlBieber/Pipkorn/J. Streif, 4. Aufl., 78, betrachten dies als nur noch politische Frage. Auch nach Everling, in: FS-Bernhardt, 1176, sind die Mitgliedstaaten nicht mehr "Herren" ihres Schicksals und als "Herren der Verträge" vielfachen Bindungen unterlegen. Andererseits wird vertreten, daß sowohl die Position, wonach die Mitgliedstaaten Herrscher der Verträge seien, als auch die, wonach diese von der Gemeinschaft domestiziert seien, für sich juristische Stringenz in Anspruch nehmen können, vgl. Heintzen, AöR 119 (1994), 579. 585 Quaritsch, 277. 586 Frowein, ZaöRV 54 (1994), 7; MacCormick, JZ 1995, 800. 587 Innerstaatlich kann etwa die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Bundesländern nach Art. 72 Abs. 2 GG ihre Wahrnehmungsbefugnisse erweitern. 588 Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer solchen Konstruktion Frowein, EuR 1995, 319: "Wo unabhängige Ordnungen so zusammen verfaßt sind, daß sie jeweils auf ihrem Gebiet die letzte Kompetenz haben, braucht richtigerweise über Souveränität nicht philosophiert zu werden. Keiner hat eine rechtlich anerkannte Kompetenz-Kompetenz." Schilling, AöR 116 (1991), 39: "Vielmehr ist es im Verhältnis einer Obereinheit, etwa einer zwischenstaatlichen Einrichtung, zu ihren Mitgliedern auch möglich, daß keine Seite die Kompetenzkompetenz innehat." 589 Obradovic, CMLR 34 (1997), 79. 590 V gl. oben Teil I, C.III.2.a)(2).

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lehre geäußerte Vermutung von der Untauglichkeit der Kriterien der klassischen Staatslehre zur Erfassung des föderalen Systems der EU bei der Suche nach dem Sitz der Kompetenz-Kompetenz ihre Bestätigung gefunden hat. 591 Letztlich wirkt hier fort, daß die Eigenart der RV 1871 von der positivistischen Staatslehre zum abstrakten Bundesstaatsmodell erhoben wurde. War aber schon bei der Gründung des Reiches von 1871 die Frage der Souveränität gezielt offen gelassen worden bzw. später in der Staatslehre heftigst umstritten, so entspricht gerade auch der Natur der EU mehr eine Einordnung als offene dynamische Integrationsgemeinschaft als ein ausgereiftes (bundesstaatliches ) föderales System mit festgelegten Kompetenzverteilungen. Im Gegensatz zur RV 1871 ist also neben der Schwierigkeit, die Kategorie "Staatlichkeit" auf die EU zu übertragen, die Lokalisierung der Kompetenz-Kompetenz und damit der uneingeschränkten Souveränität rechtlich unmöglich. Mit den historischen Kategorien der Bundesstaatslehre ausgedrückt, käme das Konzept einer geteilten Souveränität bzw. Staatsgewalt am ehesten der Realität der EU nahe. Jedoch sollte darauf hingewiesen werden, daß die verbleibende Unklarheit letztlich den Interessen der Mitgliedstaaten am besten gerecht werden. Sie können hierdurch flexibel zwischen bloß intergouvernementaler Interdependenz und supranationaler Integration wählen, je nach dem, wie es ihren nationalen Politikzielen am dienlichsten ist. 592 Die Wissenschaft sollte sich davor hüten, dieses fragile System in die ein oder andere Richtung zu drängen.

D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus Die EU ist als föderales System nicht mit den staats bezogenen Kategorien der an der RV 1871 entwickelten deutschen Bundesstaatslehre zu beschreiben. Wenn als Hauptursache hierfür auf die Staatszentriertheit dieser Kategorien wie etwa der Kompetenz-Kompetenz hinzuweisen ist, so ließe sich eine Einordnung der EU in das System der Staatenverbindungen möglicherweise doch noch erreichen, indem auf die nichtstaatlichen Verbindungsformen zurückgegriffen wird. Der dualistische Föderalismus kannte neben dem staatsrechtlichen Föderalismus in der Form 591 Die Unmöglichkeit, herkömmliche Kategorien auf die EU zu übertragen, wurde für die Europäischen Gemeinschaften schon von Ipsen, EuR 1987, 195, vertreten. In diesem Sinne auch für den Begriff der Kompetenz-Kompetenz Blanke. DÖV 10 (1993), 419. Dagegen wenden KoeniglPechstein, 20 ff., diese Kriterien noch an und ziehen daraus weitgehende Konsequenzen. 592 Obradovic, CMLR 34 (1997), 88.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

des Bundesstaates noch die klassischen völkerrechtlichen Staatenverbindungen. 593 Mag die nicht hinlängliche Beschreibbarkeit der EU mit den Kategorien des staatsrechtlichen Föderalismus insbesondere auf die mangelnde Staatlichkeit der EU zurückführbar sein, so könnten doch die Kategorien des zwischenstaatlichen Föderalismus die EU als Staatenbund, internationale Organisation oder als Staatenverbund hinreichend zu beschreiben in der Lage sein.

I. Die EU als Staatenbund Auch die Kategorie des Staatenbundes erweist sich jedoch für die Beschreibung der EU als nicht fruchtbar. Entscheidendes Merkmal des Staatenbundes ist der Fortbestand seiner Mitglieder als souveräne Staaten und die Eigenständigkeit des Staatenbundes neben den Mitgliedern, möglicherweise aber nicht notwendig in Form einer beschränkten Völkerrechtssubjektivität. 594 Ähnlichkeiten zu klassischen Staatenbünden595 bestehen insofern, als daß der EU zentrale Organe zukommen, die über durch die Regierungen der Mitgliedstaaten mittels Vertrag kreierte Kompetenzen verfügen. Charakteristisch wäre insofern der durch die intergouvernementalen Säulen noch verstärkte hohe Grad an Abhängigkeit der Organisation von den Regierungen der Mitgliedstaaten deutlich in der Dominanz derselben im Rat. Der Qualifikation der EU als Staatenbund steht allerdings ihre mangelnde Ausrichtung auf sog. "high politics", wie der Verteidigung und Außenpolitik, entgegen. Daneben gehen die drei supranationalen Gemeinschaften, die gern. Art. A Abs. 3 EUV (Art. lAbs. 3 EUV Arnsterdam) die Grundlage der EU mit ausmachen, andererseits über den Integrationsstand eines klassischen Staatenbundes Auch oben Teil I, A.III. Seidl-Hohenveldem, Völkerrecht, 173; Dahm, Bd. 11, 122 f. Dem Deutschen Bund kam Völkerrechts persönlichkeit zu, vgl. oben Teil I, A.II.2. 595 Vgl. oben Teil I, A.III. Neben den klassischen Staatenbünden, also dem Schweizer Bund von 1815-1848, der nordamerikanischen Konföderation von 1776 bis 1787 sowie dem Deutschen Bund, kann aus jüngerer Zeit auch die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als Staatenbund angesehen werden (so etwa Meissner, Osteuroparecht 1994, 227), bei der es sich um einen Zusammenschluß von zunächst drei und schließlich allen zwölf ehemaligen Unionsrepubliken handelt. Text der Charta in I.L.M. 34 (1995), 1282 ff. Auf die Parallelen der EU mit dem britischen Commonwealth ofNations, insbesondere darauf, daß sowohl dem Commonwealth als auch der EU die ausdrücklich zugewiesene Kompetenz, als selbständige Rechts- und Handlungseinheit auf internationaler Ebene aufzutreten fehlt, weisen Fischer/Köck, 256, hin. Daß das Commonwealth weder Bundesstaat noch Staatenbund ist, betonen auch DahmlDelbrückIWolfrum, Bd. 112, § 105 (im Erscheinen). 593

594

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weit hinaus. Insbesondere mit der Kommission und dem Gerichtshof verfügen sie über Organe, die nicht in dem für Staatenbünde charakteristischen Sinne von den mitgliedstaatlichen Regierungen dominiert sind. Auch durchdringt Gemeinschaftsrecht die nationalen Rechtsordnungen und verleiht den Bürgern direkt durchsetzbare Rechte, ein für den Staatenbund untypisches Phänomen. In der Zusammenschau mit der behaupteten ,,staatsnähe" mag die Kategorie des Staatenbundes zur Beschreibung der EU nicht zu befriedigen.

11. Die EU als internationale Organisation mit Rechtspersönlichkeit? Für den zwischenstaatlichen Föderalismus waren die aus den Verwaltungsunionen entstandenen internationalen Organisationen eine weitere wichtige Kategorie für die Beschreibung von Staatenverbindungen. Die drei Gemeinschaften erfüllen nun fraglos die Qualifikationsanforderungen für internationale Organisationen ausgestattet mit Rechtspersönlichkeit,596 Hinsichtlich der EU fällt die Einordung schwer. Wer die EU als internationale Organisation qualifizieren will, muß sich mit der These auseinandersetzen, es handele sich bei der EU im engeren Sinne nicht um eine internationale Organisation mit eigener Völkerrechtssubjektivität, sondern um eine bloße, vertraglich festgeschriebene Form intergouvernementaler Kooperation, deren Mitglieder denn auch als "Vertragsstaaten" im Gegensatz zu "Mitgliedstaaten" zu bezeichnen seien. 597 Auch in der Auseinandersetzung mit dieser These kann die Schwierigkeit der Übertragung der Kategorien des dualistischen Föderalismus auf die EU verdeutlicht werden. Für die Einordnung der EU als internationale Organisation spricht zunächst ihre Geltungsgrundlage in Form von völkerrechtlichen Verträgen, dem Maastrichter Unions vertrag und dem Vertrag von Amsterdarn. 598 Auch die Bezugnahme auf einen rein rechts soziologischen Organisationsbegriff99 ermöglicht die Beschreibung der EU als internationale Organisation. Danach ist eine internationale Organisation eine "Ordnung von arbeitsteilig und zielgerichtet miteinander arbeitenden Personen und Gruppen"600. Die Union ist eine solche zielgerichtete Ord596

Vgl. die ausdrücklichen Regelungen in Art. 210 EGV (Art. 281 EGV Amsterdam),

Art. 6 EGKSV, Art. 184 EAGV. KoeniglPechstein, 22, 26. Vgl. oben Teil I, B.II.2. 599 Dazu DahmiDelbrückIWolfrum, Bd. 112, § 106 (im Erscheinen). 600 Fuchs-Heinritz, Stichwort: "Organisation", in: Lexikon zur Soziologie, 478. 597

598

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

nung (Art. B EUV (Art. 2 EUV Amsterdam», die gegenüber ihrer Umwelt als zumindest faktischer Akteur auftreten kann601 , womit die Union das Merkmal der Organisation aufweist. Sie ist auch auf Dauer602 eingerichtet, da nach Art. Q EUV (Art. 51 EUV Amsterdam) der Unions vertrag auf unbegrenzte Zeit gilt und kein Austrittsverfahren vorsieht. Von einer vergleichenden Darstellung der Strukturmerkmale internationaler Organisationen ausgehend wäre weiterhin zu fordern, daß die EU über Organe verfügt, die in der Lage sind, einen eigenen autonomen Willen zu bilden. Hierfür kommen sowohl Individuen als auch Kollegialgremien in Betracht, sofern nur deren Handlungen der Organisation als eigene zugerechnet werden können. 603 Als ein solches Organ käme zunächst der in Art. J.5 EUV (Art. 18 EUV Amsterdam) genannte Vorsitz der EU in Frage. Dieser vertritt die Union in Angelegenheiten der GASP und ist für die Durchführung der gemeinsamen Aktionen nach Art. J.3 EUV (Art. 14 EUV Amsterdam) verantwortlich. Da er im Unionsvertrag selbst nicht weiter definiert wird, ist nach Art. J.11 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 146 Abs. 2 EGV (Art. 28 Abs. 1 EUV Amsterdam i. V. m. Art. 203 Abs. 2 EGV Amsterdam) hiermit der Vorsitz des Ministerrates der EG gemeint, womit es sich hierbei rotierend um einen Vertreter der Mitgliedstaaten handelt. Der Vorsitz vertritt die Union, was die Zurechnung eines Organhandelns zu einer Rechtspersönlichkeit nahelegt. 604 Bleibt weiter zu untersuchen, ob auch den Kollegialgremien der EU der Charakter eines "Organs" zugeschrieben werden kann. Nach Art. C EUV (Art. 3 EUV Amsterdam) verfügt die EU über einen einheitlichen institutionellen Rahmen, der auch auf die Wahrung und Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Besitzstandes gerichtet ist. Näher ausgeführt wird dieser institutionelle Rahmen in Art. D EUV (Art. 4 EUV Amsterdam) durch Nennung des Europäischen Rates, der in der Literatur als Organ der Union angesehen wird, da er seine Grundlage und die Festlegung seiner Aufgaben direkt aus dem Unions vertrag erhalte (Art. D EUV (Art. 4 EUV Amsterdam).605 Hiergegen kann nicht etwa eingewandt werden, der EU ermangele es an Rechtspersönlichkeit, daher könne ihr das Handeln des Europäischen Rates nicht als Organhandeln zugerechnet werden. Zurechnungs601

602

Rittberger, 27. Zu diesem Merkmal Seidl-HohenveldernlLoibl, Internationale Organisationen, 3,

6,15. Meng, 47. Für den Vorsitz als Organ der EU auch Lecheier, in: FS-Heymanns Verlag, 388. 60S Streinz, Europarecht, 82; auch FischerlKöck, 259. KoeniglPechstein, 68, bestreiten die Organqualität des Europäischen Rates im Rahmen der GASP und der ZBJI. 603

604

D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus

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endsubjekt seien vielmehr ausschließlich die Vertragsstaaten der EU. 606 Denn für die Frage, ob der EU Rechtspersönlichkeit zukommen könnte, ist gerade erst zu untersuchen, ob sie mit Organen ausgestattet ist. Ansonsten würde das mögliche Ergebnis als Argument gebraucht. Für den Charakter des Europäischen Rates als Organ der Union ist zunächst die Tatsache anzuführen, daß der Präsident der Kommission nach Art. D Abs. 2 EUV (Art. 4 Abs. 2 EUV Arnsterdam) zumindest vom Wortlaut her an den Sitzungen des Europäischen Rates gleichberechtigt teilnimmt. Das bedeutet aber auch, daß der auf einer Sitzung des Europäischen Rates gefaßte Beschluß unter Einschluß des Kommissionspräsidenten gegenüber der bloßen Artikulation mitgliedstaatlicher Interessen ein aliud darstellen kann. Dies wird untermauert durch die für die unionssekundärrechtliche Rechtssetzung ausdrücklich geregelte Ausnahmen vom Einstimmigkeitserfordernis (etwa Art. J.3 Nr. 2 EUV). Hinzu kommt schließlich die Erklärung Nr.27 zum EUV, wonach bei Entscheidungen, die Einstimmigkeit erfordern, soweit möglich davon abgesehen wird, die Einstimmigkeit zu verhindern, sofern eine qualifizierte Mehrheit für die betreffende Entscheidung besteht. Der Europäische Rat ist damit ein Organ der Europäischen Union. 607 Jedenfalls nach Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) sind auch der Rat, die Kommission, das Europäische Parlament und der Gerichtshof als weitere Organe der EU anzusehen, da sie ihre Befugnisse auch nach Maßgabe des Unionsvertrages ausüben. 6OS Auch hiergegen kann nicht die koordinationsrechtliche Struktur der EU eingewandt werden. Die Frage der Struktur der EU, ihrer Rechtspersönlichkeit, hängt eben gerade vom Bestehen eigener Organe ab. Es sind aber auch zwei weitere Bestimmungen des Unionsvertrages, die die Existenz eines eigenen Zurechnungsendsubjektes EU voraussetzen. Dabei handelt es sich zunächst um das in Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) angesprochene Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Die Bestimmung des Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) stellt das vorher schon für die Europäischen Gemeinschaften geltende Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung deklaratorisch609 fest und dehnt es gleichzeitig auf die Europäische Union aus. Dieser Grundsatz macht So aber KoeniglPechstein, 54. So auch Bleckmann, DVBI. 1992,337; Streinz, Europarecht, 82. 608 Dies ist allerdings sehr umstritten, vgl. für die Qualifikation als Unionsorgane Klein! Haratsch, DÖV 1993,788; Ress, JuS 1992,986; Bleckmann, NVwZ 1993,824. Für eine Organleihe dagegen Curtin, CMLR 30 (1993), 27. KoeniglPechstein, 77, sprechen sich ebenfalls für eine Organleihe aus, konsequenterweise aber zugunsten der Unionsstaaten, nicht der Union selbst. 609 KoeniglPechstein, 57, sprechen von "feststellender Wiederholung". 606 607

9 Böhmer

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aber nur dann Sinn, wenn es die eigenständige Hoheitsgewalt einer den Staaten wie auch immer übergeordneten Einheit begrenzen kann. Wenn Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) angibt, die Organe der Union können nur nach den Bestimmungen des Gemeinschaftsvertrages und des Unionsvertrages selbst handeln, so wird hiermit eine Subordination von Unionsorganen und Mitgliedstaaten vorausgesetzt, sonst würde unverständlich bleiben, welche Ausübung von Hoheitsgewalt der Art. E EUV (Art. 5 EUV Arnsterdam) begrenzen sollte. Gerade wenn die Regelung bedeuten soll, daß die Kompetenzausübung der Unionsorgane restriktivauszulegen sei, also eine weitherzige Auslegung der Kompetenzen, wie sie der EuGH für das Gemeinschaftsrecht vorgenommen hatte für die Union gerade von vornherein beschränkt werden sollte,610 dann ergibt sich aus dieser expliziten Kompetenzbegrenzung auch die Existenz eines zu begrenzenden Entscheidungsträgers, der unabhängig vom Willen der Mitgliedstaaten Kompetenzen auszuüben in der Lage sein muß. Die Notwendigkeit zur Konstruktion eines solchen funkionellen Ebenenmodells läßt sich außerdem mit der Geltungserstreckung des Subsidiaritätsprinzips des Art. B Abs. 2 EUV (Art. 2 Abs. 2 EUV Arnsterdam) auch auf die Union begründen. Kompetenzen der oberen Ebene lassen sich nämlich nur dann zu Kompetenzen der unteren Ebene abgrenzen und "ausreichend" oder "besser" auf der einen oder anderen Ebene verwirklichen (Art. B Abs. 2 EUV i. V. m. Art. 3b Abs. 2 EGV (Art. 2 Abs. 2 EUV Arnsterdam i. V. m. Art. 5 Abs. 2 EGV Arnsterdam», wenn einer oberen Ebene überhaupt Kompetenzen zugerechnet werden können, d. h. aber ihrer Wirkungseinheit auch Rechtsqualität zuzusprechen ist. Damit erscheint aber die Annahme nicht sinnvoll, die "Vertrags staaten" des EU-Vertrages hätten Organe einer Institution geschaffen, deren Handeln dieser Institution gar nicht zugerechnet werden kann, bzw. Rechtssätze kreiert, deren Verpflichtete nur wieder sie selbst sein sollen. Selbst wenn sich argumentieren ließe, die angeführten Organe handelten materiell nur im Rahmen des jeweiligen Vertrages, so kann doch zumindest bei Handlungen im Rahmen der GASP und des ZBJI, ohne das Ergebnis vorwegnehmen zu wollen, nicht davon ausgegangen werden, Zurechnungsendsubjekt könnten nur die Vertragsstaaten sein. Vielmehr spricht zunächst der Wille der Vertragsstaaten, mit Hilfe des EU-Vertrages eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union zu errichten (Art. A EUV (Art. 1 EUV Arnsterdam» dafür, daß hierdurch nicht nur die Etappe eines Prozesses, sondern auch eine neue Qualität der Institutionalisierung der

610 Hierin erblicken KoeniglPechstein, 57, den einzigen Aussagegehalt des Art. E EUV (Art. 5 EUV Amsterdam) bezüglich der GASP und ZBJI.

D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus

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Europäischen Integration beabsichtigt war. 611 Die Beschreibung der Aufgaben und die Zuordnung von Kompetenzen zu ihrer Erfüllung setzen eine Bestimmung des Zuordnungssubjekts voraus. Der Unionsvertrag ist damit auf jeden Fall mehr als ein bloßes intergouvernementales Kooperationsforum,612 die EU selbst mehr als eine ständig tagende Staatenkonferenz. Der soziologische Befund, aber auch die rechtsdogrnatische Zuordnung der vorgefundenen Normen sprechen für eine Klassifizierung der EU als eigenständige internationale Organisation. Die Frage der Rechtspersönlichkeit der Union nach außen, ihrer Völkerrechtssubjektivität ist jedoch hiervon strikt zu trennen. Vielmehr haben es die Staaten, die eine internationale Organisation gründen, in der Hand, über die Völkerrechtsfähigkeit der von ihnen geschaffenen Organisation zu entscheiden, ist somit das Vorliegen einer Rechtspersönlichkeit für den Klassifikationsbegriff "internationale Organisation" nicht konstitutiv. 613 Jedoch muß die völkerrechtswissenschaftliche Erfassung einer internationalen Organisation nach dem Bestehen einer Rechtspersönlichkeit fragen, da dies die Rechtsstellung einer internationalen Organisation als Völkerrechtssubjekt erst ermöglicht und damit an ihr Handeln die vom Völkerrecht vorgegebenen Rechtsfolgen geknüpft werden können.

1. Ableitung der Rechtspersönlichkeit aus den Gemeinschaften? Die Rechtspersönlichkeit der EU könnte aus den ihr zugrundeliegenden Gemeinschaften abgeleitet werden. Für eine solche Teilhabe der EU selbst an der den Gemeinschaften ausdrücklich zugewiesenen Rechtspersönlichkeit614 wäre eine Verschmelzung der Unionsrechtsordnung mit den Rechtsordnungen der Gemeinschaften notwendige Voraussetzung. 615 v. BogdandylNettesheim, NJW 1995,2325. Streinz, Jura 1998, 60. 613 Entgegen KoeniglPechstein, 22, nehmen das etwa an Kimminich, Völkerrecht, 180; Luchterhandt, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 52-53/Dez-92, 31. 614 Vgl. Art. 6 Abs. 2 EGKS, Art. 210 EGV (Art. 281 EGV Amsterdam), Art. 184 EAGV. 615 Von einer durch die drei Gemeinschaften gebildeten einheitlichen Gemeinschaftsrechtsordnung ging schon Bleckmann, EuR 1978, 101 ff., aus. Von einer Verschmelzung der drei Gemeinschaften mit der EU (sog. "Einheitsthese") gehen aus v. BogdandylNettesheim, NJW 1995, 2324 ff., sowie dies., EuR 1996, 12 ff. 611

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

Einer solchen Verschmelzung steht die These von der Trennung der intergouvernementalen Unionsrechtsordnung und der Rechtsordnungen der Gemeinschaften entgegen. 616 Danach entfalte der Unions vertrag lediglich völkervertragsrechtliche Bindungswirkungen, welche die Vertragsstaaten zu einer bloß intergouvernementalen Zusammenarbeit in den operativen Feldern der GASP und ZBn verpflichteten. Die supranationale Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts als das Recht der drei Gemeinschaften EG, EGKS und EAG stünde dem diametral entgegen. Diese Trennung von Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht wird allerdings bereits im Vertragswortlaut in ein Spannungsverhältnis gesetzt. Zwar unterstreicht die Unberührtheitsklausel des Art. M EUV (Art. 47 EUV Arnsterdam) die Trennung beider Rechtsordnungen, indem er darauf hinweist, daß der Unionsvertrag die Gemeinschaftsverträge unberührt lasse. Daneben steht allerdings Art. C EUV (Art. 3 EUV Arnsterdam), wonach die Union über einen einheitlichen institutionellen Rahmen verfügt. Die in Art. 4 EGV (Art. 7 EGV Arnsterdam) genannten Organe der EG werden auch im Rahmen des materiellen Unionsrechts tätig. Umgekehrt gibt der allein im Unionsvertrag genannte Europäische Rat der EU insgesamt, d. h. auch den Gemeinschaften "die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest" . Was läßt sich aus dem hier angelegten Spannungsverhältnis nun für die Frage einer Rechtspersönlichkeit der EU schließen? Betrachtet man zunächst die Praxis, so könnten für eine "Verschmelzung" von EU und Gemeinschaften und damit für eine Teilhabe der EU an der Rechtspersönlichkeit der Gemeinschaften die mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages vorgenommenen Umbenennungen des EG-Ministerrates und der EG-Kommission in "Rat der Europäischen Union"617 bzw. "Europäische Kommission"618 sprechen. Nur bei juristischen und formellen Texten bleibt die Bezeichnung "Kommission der Europäischen Gemeinschaft" bestehen. 619 Die einheitliche Behandlung der EU und der Gemeinschaften entspricht auch der Realität auf internationalen Konferenzen und der Darstellung in den Medien. 616 Für die Trennung sprechen sich aus KoeniglPechstein, 3 ff.; Dörr, EuR 1995,345. Streinz, Jura 1998,60, weist die Einheitsthese als eine ..europapolitisch motivierte Konzeption, die im Gegensatz zur gegenwärtigen Konstruktion der Europäischen Union" stehe, zurück. 617 Beschluß des Rates v. 8.11.1993, ABlEG 1993 Nr. L 281, 18. 618 Entscheidungen des Allgemeinen Rates vom 8. und der Kommission vom 17.11. 1993, vgl. EuZW 1994, 34. 619 EuZW 1994, 34.

D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus

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Die Hinweise auf eine auch rechtliche Verklammerung der Union mit den Gemeinschaften lassen sich darüber hinaus an zahlreichen Vorschriften des U nionsvertrages festmachen. 620 So legt bereits die Inkorporation der gemeinschaftsvertraglichen Änderungsbestimmungen in den Unionsvertrag (Art. G-I EUV (Art. 8-10 EUV Arnsterdam» eine Einbeziehung des Gemeinschaftsrechts in das Recht der Europäischen Union nahe. Die Unberührtheitsklausel des Art. M EUV (Art. 47 EUV Arnsterdam) kann dem jedoch entgegengehalten werden. Jedoch sollte mit Art. M EUV (Art. 47 EUV Arnsterdam) nur der materielle Besitzstand der bisher erfolgten Integration, der "acquis communitaire" (Art. B fünfter Spiegeistrich, Art. C Abs. 1 EUV (Art. 2 fünfter Spiegelstrich, Art. 3 Abs. 1 EUV Arnsterdam», gesichert werden. 621 Ist der Erfolg dieser Sicherung aber bereits fraglich 622 , so muß diese Bestimmung auch insgesamt in Zusammenschau mit Art. B fünfter Spiegelstrich EUV (Art. 2 fünfter Spiegelstricht EUV Arnsterdam) als in die Zukunft gerichtet interpretiert werden. Hinzu kommen diejenigen Anhaltspunkte, die eine Ausstrahlungswirkung des Gemeinschaftsrechts auf das vorgeblich bloß intergouvernementale Völkervertragsrecht der EU als möglich erscheinen lassen. Könnte, so lautet die Fragestellung, selbst dann, wenn eine Trennung von Unions- und Gemeinschaftsrecht vorausgesetzt würde, diese in der praktischen Rechtsanwendung auch durchgehalten werden oder bestehen nicht vielmehr Ausstrahlungen und Überschneidungen zwischen Unions- und Gemeinschaftsrecht? Hierauf gibt bereits Art. A Abs. 3 S. 2 i. V. m. Art. C Abs. 1,2 EUV (Art. 1 Abs. 3 S. 2 i. V. m. Art. 3 Abs. 1,2 EUV Arnsterdam) eine deutliche Antwort. Danach soll die Union und der durch den Unions vertrag geschaffene einheitliche institutionelle Rahmen die Kohärenz ihrer Politiken und der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten gewährleisten. Es ist also ein Gebot horizontaler wie auch vertikaler Kohärenz im Unionsvertrag verankert. Dieser Grundsatz läßt sich mit den Fällen der ausdrücklichen Berührung von Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht untermauern. So bestimmt etwa Art. 228a EGV (Art. 301 EGV Arnsterdam), daß nach einer auf der Grundlage der GASP vom Unionsrat beschlossenen gemeinsamen Aktion der Ministerrat der EG erforderliche gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen hat. Hier liegt eine ausdrückliche Festschreibung des Kohärenzgebots zwischen Unionshandeln und Gemeinschaftsgewalt; die Gemeinschaft ist dem Unionshandeln also auch recht620 Ausführlich hierzu unter Einbezug des Amsterdamer Vertrages vgl. die Beiträge in Annin v. BogdandylClaus-Dieter Ehlennann (Hrsg.), Konsolidierung und Kohärenz des Primärrechts nach Amsterdam, EuR Beiheft 2/1998. 621 So auch v. BogdandylNettesheim, NJW 1995, 2326. 622 Zu Beispielen Gialdino, CMLR 32 (1995),1089 ff.

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

lieh verpflichtet. 623 Aber auch generell kann es zu Überschneidungen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union mit dem klassischen Gemeinschaftsrecht kommen. Nach der AElR-Rechtsprechung hat die Gemeinschaft eine den Innenkompetenzen spiegelbildlich entsprechende Außenkompetenz. 624 Dies bedeutet, "daß die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Gemeinschaftsorgane keine Verpflichtungen eingehen können, welche Gemeinschaftsrechtsnormen, die zur Verwirklichung der Vertragsziele ergangen sind, beeinträchtigen oder in ihrer Tragweite ändern können"625. Diese weitgefaßten Kompetenzen können sich nun mit den Zielen der GASP und den dazu vorgesehenen Handlungsformen überschneiden. Sinn des Kohärenzgebotes ist es dann, die durch solche Überschneidungen entstandenen Probleme koordiniert zu lösen. Denkbar ist allerdings auch, daß in diesen Bereichen Grundsätze des Subsidiaritätsprinzips Anwendung finden könnten; wer sachlich näher an der Entscheidung dran ist, sollte diese auch treffen dürfen. Ähnliches gilt für Überschneidungen, die es zwischen den Regelungen der ZBn nach Art. K.1 Ziff.3 lit. a) und b) EUV mit der Verordnung Nr. 1612/68 bezüglich der Rechte der Angehörigen von Wanderarbeitnehmern bzw. der Assoziierungsabkommen der EG geben kann. Die Unmöglichkeit eines kategorialen Ausschlusses des EuGH aus dem Unionsrecht (Art. L EUV (Art. 46 EUV Amsterdam) ist daher auch konsequent. 626 Die Kompetenzabgrenzung zwischen Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht ist dank der Bestimmungen der Art. L lit. c i. V. m. Art. M EUV (Art. 46, 47 EUV Amsterdam) durch den EuGHjustitiabel. Das Prinzip der Gemeinschaftstreue, welches auch über das unmittelbare Gemeinschaftsrecht hinaus bindet627 , die Organleihe der Gemeinschaftsorgane innerhalb des Verfahrens der Zusammenarbeit, die Möglichkeit, operative Kosten der Zusammenarbeit dem Gemeinschaftshaushalt anzulasten (Art. J.11 Abs. 2 und Art. K.8 Abs. 2 EUV), die Auswirkungen einiger Annexprotokolle des Unionsvertrages auf den "acquis communautaire"628 und schließlich die Möglichkeit nach Art. K.9 EUV, Angelegenheiten aus dem Verfahren der Zusammenarbeit in die Gemeinschaftszuständigkeit zu überführen, zeigen weitere Verschränkungen der Rechtsordnung des Unionsrecht mit dem Gemeinschaftsrecht an. In der Zusammenschau zeigen diese Beispiele ganz deutlich, daß eine sachliche Trennung von KrenzlerlSchneider, EuR 1994, 157; KoeniglPechstein. 44. RS 22/70 - Kommission/Rat - EuGHE 1971, 263 ff. 625 RS 22/70 - Kommission/Rat - EuGHE 1971,263 (275).

623

624

626

Dazu etwa Isak, Austrian J.Publ.Intl. Law 49 (1995), 338.

627

RS 44/84, Hurd/Jones, EuGHE 1986, 29, 81 ff.

628

Gialdino, CMLR 32 (1995), 1114 ff.

D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus

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einem unabhängigen Rechtskomplex "Unionsrecht" von dem "Gemeinschaftsrecht" zunehmend schwerer aufrechtzuerhalten ist, worauf nicht zuletzt auch die uneinheitlichen Bezeichnungen der Publikationsorgane hindeuten. 629 Mit der Vermengung gemeinschaftsrechtlicher und rein intergouvernementaler Formen der Zusammenarbeit bis hin zur abgestuften Teilnahme einzelner Mitgliedstaaten an einzelnen Politiken ist auch die Grenze zumutbarer Komplexität bei weitem überschritten. 630 Gleichwohl sprechen starke Argumente gegen die Ineinssetzung von supranationalen Gemeinschaften und intergouvernementalen Unionssäulen. Hier ist zunächst der erklärte Wille der Mitgliedstaaten selbst zu nennen, der Union im Gegensatz zu den Gemeinschaften gerade die supranationale Rechtssetzungsmacht zu versagen. 631 Das unmittelbar wirksame und mit vorrangiger Geltung ausgestattete Gemeinschaftsrecht steht daher neben dem bloß völkerrechlich wirksamen Unionsprimär- und -sekundärrecht. Diese formelle Trennung beider Rechtsordnungen wird durch die Unberührtheitsklausel des Art. M EUV (Art. 47 EUV Amsterdam) in den Vordergrund gestellt. Das in Art. A Abs. 3 S. 2 EUV (Art. 1 Abs. 3 S. 2 EUV Arnsterdam) festgelegte Kohärenzgebot verklammert zwar Union und Gemeinschaften in einem materiell-rechtlichen Sinne. Dies führt aber nicht zu einer Verschmelzung der beiden Einheiten. Vielmehr sprechen die Möglichkeiten des EuGH, eine "Flucht ins Unionsrecht" der Mitgliedstaaten zu verhindern, für eine Scheidung bei der Rechtsordnungen (vgl. Art. L lit. c) i. V. m. Art. M EUV (Art. 46lit. e) i. V. m. Art. 47 EUV Arnsterdam». Dafür sprechen auch die fortbestehenden Bestimmungen der Art. 210 EGV (Art. 281 EGV Amsterdam), Art. 6 EGKSV, Art. 184 EAGV, die die Rechtspersönlichkeiten der Gemeinschaften ausdrücklich festschreiben, wohingegen eine deutliche Bestimmung für die EU fehlt. Eine Verschmelzung von Gemeinschaften und Unionsrecht wäre auch aus integrationspolitischen Erwägungen gar nicht sinnvoll. Immerhin besteht wegen der aus dem Kohärenzgebot erforderlichen auch rechtlichen Lenkungsfunktion des Rates gegenüber den Gemeinschaften die Gefahr einer Unterhöhlung des Gemeinschaftsrechts. Trotz aller Bekenntnisse zum "acquis communautaire" im Vertrag bedeutet die intergouvernementale Dominanz im föderalen System der EU einen Das "Bulletin" ist das "Bulletin der Europäischen Union" geworden. Hilf, Integration 1994, 68, 69. 631 Dies wird durch das Ergebnis der Amsterdamer Regierungskonferenz bestätigt. Hier wurde trotz Vorschlägen, der EU eine Rechtspersönlichkeit ausdrücklich zu verleihen, keine solche Bestimmung in den Amsterdamer Vertrag aufgenommen. Vgl. Streinz. Jura 1998,61. 629

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Rückschritt gegenüber der supranationalen Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts. Daher ist eher auf eine rechtsdogmatische Trennung beider Bereiche Wert zu legen. Die "Verschmelzungsthese" ist daher abzulehnen. Vielmehr wollten und wollen die Mitgliedstaaten flexibel zwischen bloß intergouvernementaler Interdependenz und supranationaler Integration wählen, je nach dem, wie es ihren nationalen Politikzielen am besten entspricht. Das trans nationale föderale System der EU läßt beide Möglichkeiten zu. Es ist möglicherweise gerade diese Flexibilität, die die europäische Einigungsidee politisch überleben läßt.

2. Ableitung der Rechtspersönlichkeit aus der Struktur der EU selbst? Kann somit eine Rechtspersönlichkeit der EU nicht aus den europäischen Gemeinschaften abgeleitet werden, so verbleibt es, den Unionsvertrag selbst für die Herleitung einer die Stellung der EU als eigenes Rechtssubjekt qualifizierenden Grundlage zu untersuchen. Grundsätzlich ergibt sich das Vorliegen einer Völkerrechtspersönlichkeit aus dem Gesamtinhalt des Staatsvertrags, der Natur und der Art der Tätigkeit und den Zwecken der Organisation, insbesondere auch aus den Anforderungen der internationalen Staatengemeinschaft. 632 Tatsächlich enthalten nur wenige Gründungsverträge internationaler Organisationen eine ausdrückliche Zuweisung von Rechtspersönlichkeit. 633 Meist muß die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit gemäß der "implied powers-Lehre" aus Bestimmungen gefolgert werden, die notwendigerweise das Bestehen einer solchen Rechtspersönlichkeit voraussetzen. 634 Der Organisation kommt dann eine funktionale Rechtspersönlichkeit zu. Als solche Bestimmungen kommen in Betracht Regelungen über das Gesandtschaftsrecht, über Vorrechte und Befreiungen, über Vertragsschlußfähigkeiten mit anderen Staaten oder aber koordinierte Aufgaben, die mit Hilfe der Organisation einheitlich gegenüber anderen Staaten vorgenommen werden sollen. 635 Betrachtet man den Unions vertrag unter diesem Gesichtspunkt, so gelangt man an die GASP, deren Regelungen die Union als eigenständig verantwortlichen Akteur auf internationaler Ebene erscheinen lassen. 636 Im Rahmen der GASP formuSchenners, 775; ICJ Reports 1949, 179. Vgl. aber Art. 6 Abs. 2 EGKS, Art. 210 EGV (Art. 281 EGV Amsterdam), Art. 184 EAGV für die Gemeinschaften. 634 lOH im Rechtsgutachten im Bemadotte-Fall, leI Reports 1949, 185. 635 Seidl-HohenveldemlLoibl, Internationale Organisationen, 40 ff., 209. 636 So KrenzlerlSchneider, EuR 1994, 156 f. 632

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lierte die Union bisher eine Reihe von Gemeinsamen Standpunkten i. S. v. Art. J.2 EUV. 637 Hinzukommen zahlreiche Gemeinsame Aktionen i. S. v. Art. J.3 EUV. 638 Diese im Rahmen der Zusammenarbeitsverfahren erzeugten Akte enthalten zwar kein supranationales Recht. 639 Jedoch ist ihnen eine völkerrechtliche Bindungswirkung zu eigen,640 bei der die EU der internationalen Staatengemeinschaft als einheitlicher Akteur entgegentritt. Auch die Regelungen, die notwendig die Vertragsschlußfähigkeit der Organisation voraussetzen, müssen als implied powers herangezogen werden. Bezüglich der EU könnte dabei an die gemeinsame Unterzeichnung der Vereinbarung über die Verwaltung von Mostar am5. Juli 1994 durch die Rats-Troika der Union, den zuständigen Außenkommissar, den Vorsitzenden der Westeuropäischen Union, den Präsidenten von Bosnien-Herzegowina und der bosnisch-kroatischen Föderation sowie den Bürgermeistern von Ost- und West-Mostar gedacht werden. 641 Bei dieser "internationalen Vereinbarung" handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, da zumindest einer der beteiligten Akteure als Staat anerkannt ist. Die sachliche Kompetenz der EU zum Abschluß dieser Vereinbarung leitet sich aus Art. J.3 Ziff. 1 EUV her. Damit scheint die EU davon auszugehen, daß diese Vorschrift als implied power auch die Kompetenz zum Vertragsschluß enthält. 637 Dies über die unterschiedlichsten Themen. Etwa zur Verhängung eines Waffenembargos gegen den Sudan, ABi. L 75/1994, 1; zur Politik der Union gegenüber Ruanda ABi. L 283/1994, 1; zur Einschränkung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Libyen und Haiti, Haiti: ABi. L 139/1994, 10; ABi. L 271/1994,3; Libyen: ABi. L 295/1993, 7; zur Durchführung von Embargomaßnahmen im Zusammenhang mit SR-Resolution 757 gegen Serbien und Montenegro (Bundesrepublik Jugoslawien), ABi. L 165/1994, 1; ABi. L 266/ 1994, 11; ABi. L 138/1995; zur Politik der EU gegenüber der Ukraine, ABi. L 313/1994, 1; zur Einschränkung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu den von bosnischen Serben kontrollierten Gebieten der Republik Bosnien-Herzegowina, ABi. L 266/1994, 10; zur Unterstützung bei der Rückkehr zu politischer und wirtschaftlicher Stabilität in Albanien, ABi. L 153/1997. 638 Z. B. zur Unterstützung der Beförderung humanitärer Hilfe in Bosnien-Herzegowina, ABi. L 286/1993, 1; ABi. L 326/1994, 1; zur Entsendung von Beobachtern für die Parlamentswahlen in Rußland, ABi. L 286/1993,3; die Unterstützung des demokratischen Übergangs in Südafrika, ABi. L 316/1993, 45; zur Unterstützung des Friedensprozesses im Nahen Osten, ABi. L 119/1994, 1; zur Vorbereitung der Vertragskonferenz über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, ABi. L 205/1994, 1; zur Ausfuhrkontrolle von dual use-Gütern, ABi. L 367/1994, 8; sowie die gemeinsame Aktion über Antipersonenminen, ABi. L 115/1995. Vgi. dazu Münch, 92 ff., 215 ff. 639 Isak, Austrian lPubl.Inti. Law 49 (1995), 330. 640 Für die Gemeinsamen Standpunkte nach dem Estoppel-Prinzip. Art. J.3 Ziff. 4 EUV (Art. 14 Abs. 3 EUV Amsterdam) spricht den Gemeinsamen Aktionen bindende Wirkung zu, Koenig/Pechstein, 92 641 Vgi. Bull.EU 7/8-1994, Ziff. 1.3.2.

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Nicht nur aus dem Gründungsvertrag immanenten implied powers, auch durch Gewohnheitsrecht kann sich die (Völker-)Rechtspersönlichkeit einer internationalen Organisation ergeben. 642 Auch das GATI wurde nach dem Scheitern der ITO ursprünglich nur als multilateraler Vertrag konzipiert, der sogar nur provisorische Anwendung fand. 643 Mit der institutionellen Entwicklung des GATI durch Ausbildung einer entsprechenden Organstruktur und Zuständigkeitsverteilung wurde als Ergebnis eines sekundärrechtlichen und gewohnheitsrechtlichen Prozesses das GATI als internationale Organisation anerkannt. 644 Zwar kann die Anerkennung einer Organisation seitens dritter Staaten nicht als Voraussetzung für deren Völkerrechtssubjektivität im Verhältnis der Gründerstaaten zueinander angenommen werden. Auch ist diejenige Meinung als zu weitgehend zurückzuweisen, die einer mit einem Mindestmaß an Autonomie ausgestatteten Organisation ipso Jacto eine originäre Völkerrechtspersönlichkeit zumißt. 645 Jedoch geht von der Anerkennung völkerrechtlicher Handlungen internationaler Organisationen durch Drittstaaten eine starke Indizwirkung für das Vorliegen einer V ölkerrechtspersönlichkeit aus. Insbesondere mit dem Abschluß eines Vertrages verdeutlicht die Vertragspartei ihre Anerkennung der Vertragsschlußfähigkeit und damit der Völkerrechtspersönlichkeit der Organisation. 646 Mit dem Vertragsschluß der EU mit Bosnien-Herzegowina kann daher die Anerkennung einer insoweit bestehenden Vertragsschlußfähigkeit und damit auch Völkerrechtspersönlichkeit der EU, sowohl durch den Staat Bosnien-Herzegowina, als auch durch die Mitgliedstaaten der EU selbst, angenommen werden. Schließlich geht auch der "Rat der Europäischen Union" davon aus, daß die EU selbst aus völkerrechtlichen Normen verpflichtet sein kann. 647 Durch den Abschluß des Vertrages wurde also die VertragsschlußMeng, 45. Jackson, 34. 644 Dazu ausführlich Benedek, 185 ff.; ein weiteres Beispiel für gewohnheitsrechtlich entstandene internationale Organisationen ist etwa der Nordische Rat, vgI. Berg, 121; Schenners, 10, über das "Commonwealth Agricultural Bureau". 645 So Seyersted, Nordisk Tidsskrift for International Ret 1982, 203 ff.; Rama-Montaldo, BYIL 44 (1970), 111 ff. 646 Art. 6 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen sowie zwischen internationalen Organisationen bestimmt, daß "the capacity of an international organization to conclude treaties is governed by the rules ofthat organization". Allerdings definiert Art. 2 Abs. Ilit. j die "rules ofthe organization" als "in particular, the constituent instruments, decisions and resolutions adopted in accordance with them, and established practice ofthe organization", I.L.M. 25 (1986),543 ff. Die Vertragsschlußfähigkeit kann sich also auch aus der Organisationspraxis ergeben, was die Zuerkennung einer gewohnheitsrechtlichen Rechtspersönlichkeit der Organisation hinsichtlich der Organisationszwecke bedeutet, vgI. dazu Benedek, 260. 647 ABI. L 367/1994,1. Hierauf weisen v. BogdandylNettesheim, NJW 1995, 2325, hin. 642 643

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fähigkeit der EU und damit zumindest eine partikuläre Rechtspersönlichkeit der EU im Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten und Bosnien-Herzegowina anerkannt. 648 Ein weiteres Indiz für die Rechtspersönlichkeit einer Staaten verbindung kann in der Regelung des Beitrittsverfahrens gesehen werden. Die Frage dabei ist, wer als Verhandlungspartner des Beitrittsverfahrens in Betracht kommt. In Frage kommen die Staatenverbindung selbst oder bloß ihre Mitgliedstaaten. Nach Art. 0 EUV (Art. 49 EUV Amsterdam) kann jeder europäische Staat beantragen, "Mitglied der Union zu werden". Die Union erscheint hier also als Akteur des Beitrittsverfahrens. Hinzu kommt, daß diese Vorschrift die bislang geltenden Beitrittsvorschriften für die drei Gemeinschaften (Art. 237 EWGV, Art. 205 EAGV, Art. 98 EGKSV) ersetzt. Danach ist ein Beitritt nur noch zur Union, nicht mehr aber zu den ausdrücklich als Rechtspersönlichkeiten geltenden Gemeinschaften möglich. Dagegen spricht nicht, daß das Beitrittsabkommen nach Art. 0 EUV (Art. 49 EUV Amsterdam) nicht mit der Union selbst, sondern mit den Mitgliedstaaten abgeschlossen werden muß, denn auch die alten Beitrittsvorschriften der Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften sahen den Abschluß eines Beitrittsvertrages mit den Mitgliedstaaten vor. Auch aus diesem Grunde geht die Vorschrift des Art. 0 EUV (Art. 49 EUV Amsterdam) über die Statuierung eines Junktims zwischen den Beitritten zur EU und zu den Gemeinschaften hinaus. 649 Es sprechen daher doch einige Argumente für die Anerkennung einer partikulären und partiellen Völkerrechtspersönlichkeit der Europäischen Union. 650 Allerdings sollte die Frage einer umfassenden Rechtspersönlichkeit der EU auf der Amsterdamer Regierungskonferenz behandelt werden. 651 Eine ausdrückliche Verankerung der Rechtspersönlichkeit der EU ist hier jedoch unterblieben. 652 Dies muß wohl als Ausdruck einer klar ablehnenden Haltung der Staatenvertreter ge-

Vorsichtig in dieser Richtung Isak, Austrian 1.Publ.Intl. Law 49 (1995), 325. Anders KoeniglPechstein, 25. 650 Ress, JuS 1992,985 ff.; v. BogdandylNettesheim, NJW 1995,2327; Dagtoglou, VVDStRL 53 (1994), 107, meint, es sei nicht so einfach, die Rechtspersönlichkeit der Union zu verneinen; auch KleinIHaratsch, DÖV 1993,788, bezeichnen die Annahme, die Union stelle lediglich ein vertraglich geregeltes Verfahren einer Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten dar, als zu vorsichtig. 651 Siehe den Bericht des Institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments über die Funktionsweise des EUV vom 4. Mai 1995, der für die EU eine eigene Rechtspersönlichkeit fordert, DOC-DElRRl2731273345, 11. 652 Immerhin wird nun in einigen Vorschriften zur GASP von "Vertretung" bzw. von "internationalen Übereinkünften" der Union gesprochen, vgl. dazu Hilf, EuR 1997, 359. 648 649

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

wertet werden, über die man sich trotz damit einhergehender Inkonsistenzen im Verfassungssystem der EU nicht hinwegsetzen kann. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß sowohl die Gemeinschaften - jede für sich - als auch die EU als internationale Organisation bezeichnet werden können. Dem Charakter der supranationalen Gemeinschaften entsprechend ist deren Rechtspersönlichkeit ausdrücklich normiert. Der Annahme einer eigenen Rechtspersönlichkeit der EU steht allerdings die wiederholte Weigerung der Mitgliedstaaten entgegen, der Union eine solche ausdrücklich vertraglich zuzuweisen. Betrachtet man die im Vertrag von Maastricht angelegten und in Amsterdam noch verstärkten Bestimmungen, die eine Rechtspersönlichkeit implizieren in der Gesamtschau, so wird wohl erst mit der Zeit für die EU eine partikuläre und partielle Rechtspersönlichkeit gewohnheitsrechtlich entstehen. Deutlich macht der Streit um diese Frage aber auch vor allen Dingen wieder, wie schwierig es ist, die EU mit einer Kategorie des klassischen dualistischen Föderalismus zu beschreiben: Selbst die an sich weite Kategorie der internationalen Organisation mit Rechtspersönlichkeit läßt sich nicht ohne weiteres auf die EU übertragen. Wie bei der Frage nach der Kompetenz-Kompetenz versagen die überkommenen Kategorien. Auch ist eine solche Einordnung der EU als internationale Organisation nicht hinreichend. Kann eine klassische internationale Organisation zwar einen gegenüber den Mitgliedstaaten eigenständigen Willen bilden, so geht ihre Durchgriffsfähigkeit gegenüber dem Mitgliedstaat doch in der Regel nicht so weit, daß sie für den Bürger eines Mitgliedstaates unmittelbar geltende Rechte und Pflichten zu begründen vermag. Genau dies ist aber charakteristisch für die drei supranationalen Säulen der EU, den Gemeinschaften, für welche die EU selbst nur das gemeinsame institutionelle "Dach" bildet. Damit wird die Einordnung der EU als internationale Organisation, selbst mit Rechtspersönlichkeit, letztlich dem besonderen Integrationsstand der supranationalen Säulen der EU nicht hinreichend gerecht.

Iß. Die EU als Staatenverbund Ebenso dem Bereich des zwischenstaatlichen Föderalismus zuzuordnen ist der eigens für die EU entwickelte Begriff des "Staatenverbundes". Der Begriff des ,,staatenverbundes" wurde von Paul Kirchhofin die Diskussion eingeführt. 653 Er 6S3 Der Begriff wurde im Europarecht-Beiheft 1/1991, 60 zum ersten mal angesprochen und dann in HStR, Bd. VII, 855 ff., näher entfaltet.

D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus

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floß in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Maastrichter Vertrag mit ein654 und hat sich in der Terminologie der deutschen Europarechtslehre teilweise etablieren können. 655 Danach solle die Zugehörigkeit der Gemeinschaften zur Union insbesondere nicht im Sinne einer Verschmelzung verstanden werden. Vielmehr beabsichtigten die Mitglieds- oder Vertrags staaten der Union "im Verbund" zu handeln. Damit stelle die Union einen Verbund von Staaten und internationalen Organisationen (den drei Gemeinschaften) dar. Diese Verbundstruktur und -funktion (Bild der "Mantelstruktur" im Gegensatz zum "Dach") könne mit der Bezeichnung "Staatenverbund" gut zum Ausdruck gebracht werden. Entscheidendes Paradigma dieses Begriffs sei, daß der so verstandene "Staatenverbund" allerdings eine Rechtsund Handlungsgemeinschaft von eigenständigen Staaten bleibe, der gerade nicht in irgendeinem körperschaftlichen Sinne zu verstehen sei. 656 Gegen den Begriff werden auch Einwände erhoben. 657 So wird zunächst eingewendet, der Terminus "Verbund" sei sprachlich bereits besetzt durch seine Verwendung im ökonomischen und technischen Bereich (Verbundbau, Verbundglas etc.).658 Ferner läßt sich einwenden, daß der Begriff des Staatenverbundes völkerrechtlich keine Relevanz entfaltet. 659 Insbesondere ist an diesem Begriff zu kritisieren, daß er die Auswirkungen der europäischen Integration auf die vorgeblich "eigenständig" gebliebenen Mitgliedstaaten nicht erfaßt. Dadurch ist es ihm versagt, den zur europäischen Integration spiegelbildlich erfolgten Wandel der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten zu beschreiben. 660 Damit verbleibt die Funktion des Begriffs aber in der Tradition nationalstaatlicher Kompetenzbewahrungs- und Behinderungsstrategie661 : Letztlich soll BVerfGE 89, 155 (185, 186, 190). V gl. die Neuauflagen der Europarechtslehrbücher, Streinz, Europarecht, 141; SchweitzernIummer, 23; Herdegen, Europarecht, 53 - "interessanter Versuch"; P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 72; hingegen will es Bleckmann, Europarecht, 85, bei dem Begriff der "Union" oder ,.Europäischen Union" belassen. 656 V gl. zum ganzen Kirchhof, HStR, Bd. VII, Rdn. 69 sowie KoeniglPechstein, 27 f. 657 Kritisch zum Begriff des "Staaten verbundes" Läufer, in: Gs-Grabitz, 366, Fußnote 32; Lecheier, in: FS-Heymanns Verlag, 385: "sehr begrenzt aussagefähige Umschreibung"; Hilf, VVDStRL 53 (1994), 8; Pemice, EuR 1996,30: "mißglückte Begriffsbildung". Die Kritik wird zurückgewiesen von P. M. Huber, in: FS-Heymanns Verlag, 359. 658 Vgl. lpsen, EuR 1994, 8. 659 KoeniglPechstein, 27. 660 Auf diesen Wandel weist etwa Thürer, VVDStRL 50 (1991), 122 ff., hin. Vgl. dazu auch unten Teil 11, C.II. 661 Dazu Lhotta, Der Staat 13 (1997), 203. 654

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Teil I: Der dualistische Föderalismus

die Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten gegenüber der EU betont werden. Eine solche Eigenständigkeit im Sinne einer rechtlichen Kompetenz-Kompetenz läßt sich aber für die Mitgliedstaaten im föderalen System der EU gerade nicht mehr feststellen. 662 Schließlich ist als nonnative Kritik anzubringen, daß es bei der Schaffung der EU auch um eine Union der Bürger Europas geht. 663 Die direkte demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments durch ein in Entstehung begriffenes europäisches Volk und seine durch den Arnsterdamer Vertrag verstärkte Position664 widerspricht der Diktion des bloßen "Staatenverbundes".

E. Zur Relativität staatsrechtlicher Kategorien Der Versuch einer Einordnung der EU in die Kategorien des dualistischen Föderalismus ist unbefriedigend geblieben. Dies gilt zunächst für den Vergleich der EG mit dem staatsrechtlichen Föderalismus in Gestalt des Reiches von 1871. Obgleich auch die RV 1871 im Verhältnis zu ihrem theoretisch gebliebenen Vorläufer, der Paulskirchenverfassung von 1849, wesentlich föderalistischer ausgeprägt war, geht die Betonung der gliedstaatlichen Souveränität jedenfalls in der politischen und rechtlichen Diskussion um die EGIEU noch hierüber hinaus. Dies zu Recht, denn der Integrationsstand des Reiches von 1871 ist hinsichtlich der EGIEU noch nicht erreicht. Hierfür ist nicht nur der Mangel an nationaler Einigungsbestrebung verantwortlich zu machen. Auch materiell gesehen lassen sich in der EGIEU einige klassische für die RV 1871 charakteristische Staatszwecke, wie etwa die Entscheidung über Krieg und Frieden, noch nicht den Mitgliedstaaten entziehen. Schließlich konnte bei dem Versuch der Anwendung der Bundesstaatstheorie auf die EU festgestellt werden, wie schwierig sich die Übertragung von Kategorien wie dem der Kompetenz-Kompetenz als wesentlicher Teil der Souveränität auf das föderale System der EU darstellt. Dies verwundert nicht, berücksichtigt man, daß die von der positivistischen deutschen Bundesstaatslehre an der RV 1871 entwickelte und zum abstrakten Modell des Bundesstaates schlechthin erhobenen Kriterien, wie Souveränität und Kompetenz-Kompetenz, auf neue Formen von föderalen System übertragen werden, ohne dabei die historische Bedingtheit dieser Kategorien zu berücksichtigen. Tatsächlich bleiben aber an einem konkreten föderalen System entwickelte Kategorien auch zwingend auf dieses bezoDazu oben Teil I, c.m.2.c). Pemice, EuR 1996, 30. 664 Dazu oben Teil I, B.m.2.a)(2). 662

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E. Zur Relativität staatsrechtlicher Kategorien

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gen und sind damit nur bedingt geeignet, andere föderale Systeme zu beschreiben: Auch hier gilt, daß die Kategorien der Staatslehre relativ auf konkrete historische Phänomene bezogen bleiben. Diese historische Bedingtheit stellt ihren Aussagegehalt erst recht in Frage, wenn ihre kategoriale Basis, die souveräne Staatlichkeit, durch die Entwicklung neuer Formen föderaler Organisation wie der EU einem Wandel unterworfen werden. Aus demselben Grund erwiesen sich auch die weiteren Klassifikationsversuche der EU, ihre Einordnung in die klassischen Typen des zwischenstaatlichen Föderalismus als problematisch. Tatsächlich kommen der EU Eigenschaften zu, die zwar Analogien zu all den hier beschriebenen Kategorien - Staatenbund, internationale Organisation - aufweisen, letztlich aber doch nicht damit erfaßt werden können. Es ist ebenso unbefriedigend, bei einer eklektizistischen Beschreibung der EU stehen zu bleiben und ihren sui generis Charakter bzw. ihre teilweise Analogie zu allen Kategorien der klassischen dualistischen Staatenverbindungslehre zu betonen und etwa mit dem Begriff des Staatenverbundes zu beschreiben. Vielmehr ist gerade auch im Vergleich der RV 1871 mit der EG deutlich geworden, daß sich bestimmte Strukturprinzipien föderaler Systeme verallgemeinern lassen, ohne dabei "Staatlichkeit" vorauszusetzen. Insofern liegt es nahe, die EU formal als ein föderales System zu beschreiben, welches in einem Kontinuum zwischen einem traditionellen Föderalstaat einerseits und einer völkerrechtlichen Rechtsordnung665 steht, ohne damit aber irgendeine notwendige Finalität zu implizieren. Inhaltlich muß es daher um die Erarbeitung von Kategorien gehen, die eben gerade nicht auf Kompetenzbewahrung und damit Trennung der Rechtsordnungen beruhen. Es scheint eine rechtliche und tatsächliche Verwobenheit von mitgliedstaatlicher und insbesondere gemeinschaftsrechtlicher öffentlicher Gewalt eingetreten zu sein, deren weitgehender Integrationsstand zwar an bundesstaatliche Gebilde, wie der RV 1871, erinnert, andererseits allerdings mit der hieran entwikkelten Methodik nicht beschrieben werden kann. Schon die Verfassung der EU ist als "Komplementärverfassung" eng verflochten mit den Verfassungen der Mitgliedstaaten. 666 In diesem "Verfassungsverbund"667 ist es diese Verflechtung der Rechtsordnung der EU mit den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die nun zur Grundlage einer neuen Kategorisierung der EU insgesamt gemacht werden soll. 665 666 667

So Dowrick, YEL 3 (1983), 236. Dazu oben Teil I, B.II.3. Pemice, EuR 1996, 29 ff.

Teil II

Der transnationale Föderalismus Das föderale System der EU als einheitliche Rechtsordnung Das bisherige Ergebnis der Arbeit legt es nahe, die Schwierigkeit der verschieden Erklärungsmodelle bei der Erfassung der EU auf die Trennung der Rechtsordnungen innerhalb eines souveränitätsfixierten dualistischen Föderalismus zurückzuführen, und hiervon ausgehend eine Überwindung des dualistischen Föderalismusverständnisses vorzuschlagen. Die Verallgemeinerbarkeit des föderalen Prinzips kann hierzu als Grundlage dienen.

A. Föderalismus als transnationales Ordnungsprinzip Föderale Organisation muß nicht zwingenderweise auf Staat und Staatlichkeit bezogen sein. Dazu führte bereits H. P. Ipsen aus: Der Fortschrittszwang nötigt also nicht - weder rechtlich noch politisch - zur europäischen Föderalverfassung überlieferter Staatlichkeit. Daß funktionelle Integration davon abhinge, jeden Staatlichkeitsverlust durch entsprechenden Zuwachs an europäischer Bundesstaatlichkeit zu kompensieren, ist nicht erwiesen und leidet unter etatistischen Zwangsvorstellungen. 668

Bei der Suche nach der adäquaten Beschreibung der EU geht es gerade um die Vermeidung "etatistischer Zwangsvorstellungen". Umgekehrt sollen allerdings auch nicht die Rechte der unteren Ebenen gegen die Brüsseler Zentralgewalt verteidigt werden. 669 Vielmehr ist der Versuch zu unternehmen, die föderale Organisation der Erfüllung von Politikaufgaben in der EU losgelöst von Staatlichkeit zu beschreiben. Das in Teil I behandelte Föderalismusverständnis ist hingegen staatsbezogen ausgeprägt, der Staat bildet das Bezugssystem des dualistischen Föderalismus. Nur innerhalb eines Staates, sofern es sich um einen Bundesstaat handelt, oder 668 669

lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 161. Dazu umfassend Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, 1991.

A. Föderalismus als transnationales Ordnungsprinzip

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zwischen den Staaten auf internationaler Ebene in der Form des Staatenbundes oder der internationalen Organisation kann föderale Organisation von öffentlichen Aufgaben letztlich gedacht werden. Kann damit die EU nicht mehr erfaßt werden, so deutet doch das Voranschreiten der europäischen Integration auf die Notwendigkeit hin, ein nicht mehr bloß staats bezogenes Föderalismusverständnis zu entwickeln, das auch die dogmatische Beschreibung der EU zu leisten vermag. Europäische Integration und ihre rechtsdogmatische Erfassung zielt weder politisch noch in der rechlichen Konstruktion auf die Schaffung eines klassischen Nationalstaates in der Ausprägung des 19. Jahrhunderts. Vielmehr bildet sie einen Versuch neuer politischer Systembildung. 670 Soll der Föderalismus für die Europäische Einigung fruchtbar gemacht werden, so ist denn auch auf das staatliche Element im Begriff des Föderalismus zu verzichten. 671 Dabei kann es nicht um die Beteiligung an der Suche nach neuen Kategorien (z. B. "Staatenverbund") gehen. Diese Kategorien existieren nicht für sich selbst. Entscheidend kommt es vielmehr darauf an, das der EU zugrundeliegende Organisationsprinzip zu beschreiben und sie somit von den bisherigen Staatenverbindungen abzugrenzen. Die Bezugnahme auf ein neues Organisationsprinzip wird dem Charakter der EU als dynamische Integrationsgemeinschaft besser gerecht, als die starre Einordnung in die Dogmatik der klassischen Staatenverbindung. Dies könnte einen politikwissenschaftlichen Ansatz nahelegen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht sind verfassungsrechtliche Modelle der EU notwendigerweise statisch und verharren damit in einer Momentaufnahme des Integrationsgeschehens. Anzustreben ist aber letztendlich eine dynamische Theorie, die Erklärungen für Wachstums- und Differenzierungsprozesse und nicht nur bestenfalls vergleichende Zustandsbeschreibungen liefert. 672

Sicherlich wäre eine Beschreibung der EU als dynamische Integrationsgemeinschaft mit offenem Integrationsausgang eine mögliche Lösung. Um diesen Aspekt nachzuvollziehen, kann bezüglich der Verfassung der EU von "Integrationsverfassung" gesprochen werden, die auf weitere Vergemeinschaftung und Integration ausgerichtet ist. 673 Dies bedeutet schon von der Struktur der Verfassung der EU

670

Vgl. auch lpsen, in: SchwarzelBieber (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 1984,

158. 671 Schon Mosler, VVDStRL 21 (1964), 139; Magiera, in: SchneiderIWesseis (Hrsg.), Föderale Union-Europas Zukunft?, 77; Lhotta, Der Staat 13 (1997), 189 ff. 672 Wessels, PVS 23 (1992),36. 673 liiufer, in: Gs-Grabitz, 364; Wesseis, PVS 23 (1992), 36. 10 Böhmer

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Teil 11: Der transnationale Föderalismus

her eine Absage an den hierarchischen Aufbau im herkömmlichen staatsrechtlichen Sinne. 674 Eine mögliche Ausgangsbasis für einen neuen Erklärungsansatz der Strukturen der EU und des Gemeinschaftsrechts im Besonderen muß die strikten Gegensätzlichkeiten Staat/internationale Organisation, Bundesstaat/Staatenbund, völkerrechtliche Grundlage des Gemeinschaftsrechtslautonome Rechtsordnung mit Verfassungscharakter sowie die etatistische Überladung des Souveränitätsbegriffes hinter sich lassen. Es geht also vor allen Dingen um einen Wandel der Perspektive. Keine Entweder-oder-Argumentation in dem Sinne, daß innerstaatliche Staatstätigkeit zunehmend durch zwischenstaatliche überlagert und möglicherweise übernommen wird, soll hier verfolgt werden. Vielmehr ist zu fragen, wie im föderalen System Europas intergouvernementale, supranationale und innerstaatliche öffentliche Aufgabenerledigung ineinandergreifen und so die spezifische Struktur der EU ausrnachen. 675 Hierzu ist die enge souveränitätsbezogene "nur-Staat-odernur-Gemeinschaft" Perspektive zu verlassen und Abstand zu nehmen von der Idee, daß alles Recht in einem einzigen Souverän zu finden ist. 676 Statt dessen ist das spezifisch supranationale Element insbesondere des Gemeinschaftsrechts ernst zu nehmen, anstatt die Begrenzung des dualistischen Föderalismus als nicht überwindbar zu akzeptieren. Mit anderen Worten: [T]he blurring of this dichotomy is precisely one of the special features of the Community legal order and other transnational regimes. 677

Souveränitäts- und Staatszentriertheit bei der Beschreibung der EU resultiert in rechtlichen Untersuchungen insbesondere aus dem Glauben, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung sei nur in monolithisch geschlossenen hierarchischen Ordnungen möglich. Stellt man nun die These, daß alles Recht immer in einem einzigen Souverän zu finden sei, in Frage, so öffnet dies den Blick für die im föderalen System der EU durchaus angelegten heterarchischen Elemente. Hierunter ist die pluralistische Zuordnung der Rechtsordnungen im föderalen System, ihr insoweit eher interaktives Verhältnis im Gegensatz zu einem monistisch-hierarchischen zu verstehen. Läufer, in: Gs-Grabitz, 366. Risse-Kappen, JCMS, 1996,58. 676 MacCormick, MLR 56 (1993), 5, 8. 677 WeilerlHaltem, HIU (1996), 417; vgl. auch die Meinung des Generalstaatsanwaltes Jacobs im Fall C-316/93, Vaneetveld v. S. A. Le Foyer, 27 Jan. 1994, paragraph 26 the Court recognized the specific character of Community law as a system of law which could not be reduced to an arrangement between States, as was often the case in traditional internationallaw." 674 675

H •••

A. Föderalismus als transnationales Ordnungsprinzip

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Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und das Recht der EU wirken trotz formaler Trennung aufeinander ein. 678 Ein wesentliches neues Paradigma dieses Systems kann - nicht zuletzt wegen der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes in der EU - in der Verzahnung und Verklammerung des europäischen und des innerstaatlichen Rechts gesehen werden. Diese Betrachtungsweise kann helfen, den "Entweder-oder-Ansatz" des dualistischen Föderalismus zu überwinden und durch ein transnationales Föderalismusverständnis zu ersetzen, welches das interaktive Verhältnis der Rechtsordnungen im miteinander verklammerten föderalen System stärker berücksichtigt. Zur Entfaltung dieses Prinzips des transnationalen Föderalismus soll zunächst auf theoretischer Ebene die These von der materiellen Einheit und Verklammerung der gemeinschaftsrechtlichen und mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ausgearbeitet werden. Das gefundene Ergebnis kann dann zunächst für das Verhältnis der Gemeinschaftsrechtsordnung zur mitgliedstaatlichen Rechtsordnung generell beschrieben und schließlich am Verhältnis beider Rechtsordnungen im Kartellrecht exemplifiziert werden.

I. Das r6derale System der EU als materiell einheitliche Rechtsordnung Bereits in den frühen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zu den Grundlagen der Gemeinschaft tritt neben die Definition der Gemeinschaftsrechtsordnung als "eigene Rechtsordnung" eine weitere Kernaussage. Es lohnt, noch einmal die grundlegende Entscheidung in Costa/ENEL zu konsultieren, in welcher der Gerichtshof feststellte, daß der EWG Vertrag zwar eine eigene Rechtsordnung geschaffen habe, diese jedoch mit ihrem Inkrafttreten "in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden"679 sei. Dies wird etwa im - für das Verhältnis des europäischen zum mitgliedstaatlichem Kartellrecht so entscheidenden - Walt-Wilhelm-Fall wiederholt. 680 Auf diesen Grundsätzen basiert auch die Rechtsprechung des EuGH zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. 681 678 Isensee, in: FS-Stern, 1240; MacCormick, JZ 1995, 800. In diesem Sinne führt auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 52, 187 (200)) aus: "Mitgliedstaatliche Rechtsordnung und Gemeinschaftsrechtsordnung stehen nicht unvermittelt und isoliert nebeneinander; sie sind in vielfaltiger Weise aufeinander bezogen, miteinander verschränkt und wechselseitigen Einwirkungen geöffnet." 679 RS 6/64 - Flaminio Costa v. Enel- EuGHE 1964, 1269. 680 RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 14. 681 Vgl. etwa den Fall Australian Mining and Smelting Co. v. Kommission, RS 155179, EuGHE 1982, 1610, wo der Gerichtshof hervorhebt, daß das Gemeinschaftsrecht auch

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Teil 11: Der transnationale Föderalismus

Durch die Fonnulierung "in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenonunen worden"682 wird zunächst der Geltungsanspruch des europäischen Rechts bekräftigt. Daneben kann diese Fonnulierung auch so verstanden werden, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung und die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in einem noch näher zu bestimmenden Sinne miteinander verbunden sind. Dagegen wurde auf die europapolitische Motivation hinter der "Trennungsthese" des dualistischen Föderalismus bereits oben verwiesen, wo darauf hingewiesen wurde, daß die Realität der Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung in der EU mittels eines isolierten Nebeneinanderstehens der Rechtsordnungen nicht zu erklären ist. 683 Die eben zitierte Fonnulierung des EuGH spricht gegen die Annahme einer Trennung von Gemeinschaftsrecht, Unionsrecht und innerstaatlichen Rechtsordnungen: Gemeinschafts-/Unionsrecht und das Recht der Mitgliedstaaten verhalten sich in einem materiellen Sinne vielmehr zueinander komplementär. Diese komplementäre Zuordnung der Rechtsordnungen kann als Argument gegen eine ausschließlich hierarchische Konstruktion im Verhältnis insbesondere des Gemeinschaftsrechts zu den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verstanden werden. Solche neuen Denkmuster sind notwendig, um zur Beschreibung föderaler Systeme "aus den eingefahrenen Geleisen des nationalen Rechts mit seiner Stufenfolge von Rechtssätzen und dem Dualismus von nationalem Recht und Völkerrecht herauszukommen"684.

J. Geltungsbehauptung und Geltungsgrundlage Tatsächlich impliziert die hierarchische Überordnung einer Rechtsordnung über die andere eine Geltungsbehauptung. Wie in Teil I dargelegt, bildeten unterschiedliche Geltungsbehauptungen auch den Ausgangspunkt für den Streit um die völkerrechtliche oder autonom verfassungsrechtliche Geltungsgrundlage des Gemeinschaftsrechts bzw. fanden sich wieder in der Debatte über die Zuordnung

darauf beruhe, "daß die Mitgliedstaaten nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf rechtlichem Gebiet miteinander verflochten sind", und daher müsse das Gemeinschaftsrecht auch "den Grundsätzen und Vorstellungen Rechnung tragen, die den Rechtsordnungen dieser Staaten ... gemeinsam sind". 682 V gl. im Englischen: this legal system nevertheless became "an integral part of the legal systems of the Member States", ECR 1964,593. 683 Vgl. oben Teil I, B.II.3. 684 Stern, Staatsrecht, Bd. I, 540 m. w. N.

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der legislativen und der judiziellen Kompetenz-Kompetenz im föderalen System. 68S Nach der Konstruktion des dualistischen Föderalismus ist die hierarische Zuordnung der Rechtsordnungen im föderalen System unproblematisch möglich: In einem "echten" Bundesstaat ist die Rechtsordnung der höheren Ebene übergeordnet über die Rechtsordnungen der verbundenen Glieder. Ihr kommt vorrangige Geltung zu, die sich aus der Souveränität des Bundes ergibt. 686 In einem bloßen Staatenbund hingegen leitet sich die Geltung der zentralen Rechtsordnung von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten her. Eine solche Sichtweise macht aber für die EG und die EU insgesamt - neben den anderen oben angeführten Einwänden, die gegen eine bloß völkerrechtliche oder verfassungsrechtliche Definition der Grundlagen insbesondere der EG sprechen687 - auch politisch keinen Sinn. So bliebe hierbei unberücksichtigt, daß der Rat der tatsächliche Gesetzgeber der EG ist und daß die substantiellen Kompetenzen der EG - wenn auch in ständiger Zunahme begriffen - nach wie vor beschränkt sind. 688 Andererseits läßt sich, wenn die Mitgliedstaaten - wie festgestellt689 - in bezug auf die der EU insgesamt übertragenen Kompetenzen keine Kompetenz-Kompetenz mehr besitzen, die Rechtsordnung der EG und der EU insgesamt nicht mehr als bloß abgeleitet von den Mitgliedstaaten begreifen. Unter Berücksichtigung der gegen beide Sichtweisen bestehenden Einwände, aber auch der Tatsache, daß eine abschließende Entscheidung hinsichtlich der völkerrechtlichen oder autonom-verfassungsrechtlichen Grundlage der EG schon in Teil I nicht möglich erschien690 , kann ein möglicher Ausweg aus der Problematik um die Geltungsgrundlagen der EG und der EU insgesamt in der Abwendung von einer normenhierarchisch-monistischen Bestimmung des Verhältnisses von Gemeinschaftsrecht zu den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erblickt werden. Wenn man weder die völkerrechtliche Geltungsgrundlage der Gemeinschaft und damit bloß derivative Ableitung ihres Geltungsgrundes von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, noch ihren Charakter als autonome Rechtsordnung als valides Erklärungsmodell anerkennt, dann ist es nicht möglich, im Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einen Vgl. oben Teil I, B.II.2., Teil I, C.m.2. Dazu oben Teil I, C.1I.l.b)(1). 687 V gl. oben Teil I, B.II.2.a). 688 Vgl. oben Teil I, B.lV.; auch MacConnick. JZ 1995,799. 689 V gl. oben Teil I, c.m.2.c). 690 Vgl. oben Teil I, B.I1.2.a)(2). 685

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Teil II: Der transnationale Föderalismus

ausschließlichen und einzigen Geltungsgrund für beide Rechtsordnungen anzuerkennen. In der Terminologie der Rechtsgeltung heißt das, daß die Kelsensche Grundnorrn69 1 einerseits nicht in der zentralen Gemeinschaftsrechtsordnung zu finden ist, von welcher dann die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nur abzuleiten sind. Andererseits ist es ebenso fragwürdig, umgekehrt einen einheitlkhen Geltungsgrund im Recht der Mitgliedstaaten anzunehmen und die Gemeinschaftsrechtsordnung als hiervon bloß abgeleitet zu definieren. 692 Nach der hier vertretenen Lösung fehlt es daher an einem einzigen Geltungsgrund für die gemeinschaftliche und mitgliedstaatliche Rechtsordnung im Sinne eines monistischen Verständnisses. Vielmehr muß bereits auf der geltungstheoretischen Ebene von einem System ausgegangen werden, in dem mehrere Teilrechtsordnungen komplementär zueinander stehen: Inhaltlich stehen supranationale Rechtsordnung und nationale Rechtsordnungen im Verhältnis mehrerer Teilrechtsordnungen zueinander; während gleichartige Teilrechtsordnungen im Bundesstaat auf eine nationale, im Staatenbund auf eine völkerrechtliche gemeinsame oberste Rechtserzeugungsregel rückführbar sind, kann das Wesen der Supranationalität rechtstheoretisch mit dem Fehlen eines gemeinsamen Geltungsgrundes für supranationale Rechtsnorm und nationale Rechtsnorm, dem Vorhandensein mehrerer Grundnormen und einer Gemengelage teilsouveräner Verbände erklärt werden. 693

In diesem Sinne muß die Geltungsgrundlage des föderalen Systems als aus mehreren "Grundnorrnen"694 zusammengesetzt beschrieben werden. Diese Annahme verbietet eine klare hierarchische Ordnung nach dem Kelsenschen StufenbauModell. Ein solches System würde auch der hybriden Struktur695 der EU nicht gerecht werden. Das föderale System der EU ist vielmehr als ein System unterschiedlicher Rechtskreise vorzustellen, die über eine durch das Subsidiaritätsprinzip gebotene vernünftige Kompetenzenordnung in ein angemessenes Verhält-

691 Vgl. dazu Kelsen, Reine Rechtslehre, 62 ff. Hinsichtlich der Konstruktion des Bundesstaates, vgl. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 250. 692 So aber Schilling, HIU (1996), 395 ff. 693 Grußmann, in: v. Danwitz u. a., Auf dem Weg zu einer Europäischen Staatlichkeit, 63; ähnlich auch MacCormick, JZ 1995,800; Heintzen, AöR (1994), 582. Heintzen zieht daraus den Schluß, daß die Frage, ob die Grundnormbehauptungen von BVerfG und EuGH im Streit um die justitielle Kompetenz-Kompetenz zutreffen, eine politische Frage darstelle, und letztlich beide Grundnormbehauptungen vertretbar seien. 694 Grußmann, in: v. Danwitz u. a., Auf dem Weg zu einer Europäischen Staatlichkeit, 63. 695 Dowrick, YEL 3 (1983), 185.

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nis zueinander zu setzen sind. 696 Hierzu ist das Bild eines föderalen Systems vorzustellen, in welchem unterschiedliche (Teil-)Rechtsordungen sowohl miteinander im Wettbewerb stehen als auch miteinander kooperieren. Dieser am Rechtssystem orientierte Ansatz betont the kind of normative system law is, rather than some particular or exclusive set of power relations as fundamental to the nature of law. 697

Das gesamte föderale Rechtssystem ist eher pluralistisch als monistisch, eher heterarchisch als hierarchisch zu verstehen. 698 Die heterarchischen Elemente wurden durch die Einfügung der intergouvernementalen Unionssäulen weiter gestärkt. Diese diametralen Entwicklungen zwischen rechtlich supranational integrierenden Tendenzen einerseits, und intergouvernementaler Entscheidungsfindung andererseits, bestanden schon seit der Gründungsphase der Gemeinschaften. 699 Berücksichtigt man die Schwierigkeiten, die eine klare rechtliche Lokalisierung der hierarchischen Kompetenz-Kompetenz als wesentliches Element der Souveränität im rechtlichen Sinne bereitete7°O, so werden die Vorteile der hier vorgeschlagenen Sichtweise deutlich: Die Frage, wem die Souveränität zusteht, sowie die Frage, ob, wenn die eine Ordnung (Mitgliedstaaten) im föderalen System Hoheitsrechte verliert, die andere (EU) sie notwendigerweise gewinnt, bleibt einfach offen. 701 Sie ist im politischen Alltagsgeschäft ohnehin eine offene Frage, die ganz nach politischen Gegebenheiten im Prozeß der europäischen Integration immer wieder neu entschieden worden ist und auch in Zukunft immer neu entschieden werden wird. 702

Alexy, Diskussionsbeitrag, in: Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, 1995, 144. MacCormick, MLR 56 (1993), 8. 698 MacCormick, MLR 56 (1993), 8; MacCormick, JZ 1995, 800. Dies stimmt überein mit der Beschreibung, die Schreuer, EJIL (1993), 453, für das internationale Recht insgesamt gibt: "Rather than grope for the seat of sovereignty, we should adjust our intellectual framework to a multi-Iayered reality consisting of a variety of authoritative structures. Under this functionalist approach what malters is not the formal status of a participant ... but its actual or preferable exercise of functions. For instance, it is not meaningful to attempt to isolate the point at which the European Community will be transformed from an international organization into a European State." 699 Dazu Weiler, Transformation, Yale LJ. 100 (1991),2410 ff. 700 Vgl. oben Teil I, C.III.2. 701 MacCormick, MLR 56 (1993), 11. 702 Ähnlich Obradovic, CMLR 34 (1997), 79. Für eine mögliche Konstruktion der Souveränität im föderalen System vgl. unten Teil 11, c.1.3. 696 697

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Teil 11: Der transnationale Föderalismus

2. Materielle Einheit trotzfonneller Trennung der Teilrechtsordnungen Es ist diese Offenheit im Verhältnis der Teilrechtsordnungen zueinander, die im Widerspruch steht zu der vom dualistischen Föderalismus postulierten Trennung der Rechtsordnungen im föderalen System. Dem föderalen System der EU wird daher eine Betrachtungsweise besser gerecht, welche dieses System miteinander verklammerter Teilrechtsordnungen kategorial als eine einzige einheitliche Rechtsordnung versteht. 703 Aus der Perspektive des Unionsbürgers gesprochen: Die Bürger sind in jedem Mitgliedstaat einer einheitlichen Rechtsordnung unterworfen, die sich aus den Regeln des Gemeinschaftsrechts und denen des jeweiligen innerstaatlichen Rechts zusammensetzt. 704

Mitgliedstaatliches und europäisches Recht sind als ein integriertes System von Rechtsnormen zu verstehen. Das Recht der EU ist nur formal von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten getrennt. Materiell nimmt es teil an einem einzigen miteinander verwobenen Rechtssystem. Diesem Modell liegt eine normative "Verklammerung" der Gemeinschaftsverfassung mit den nationalen Verfassungsordnungen zugrunde. 70S In einem legalistischen Sinne haben sich insofern die Verfassungen der Mitgliedstaaten in ein für sie nicht mehr verfügbares überstaatliches Gemeinwesen eingeordnet. 706 Das Gemeinschaftsrecht ist nicht mehr als Teil des Völkerrechts oder als "sui generis" zu betrachten, sondern als Teil des öffentli-

703 So schon angedeutet bei Pescatore, EuR 1970,308: "Parallel mit der Entschärfung der Konfliktproblematik läuft eine positive Erkenntnis: daß nämlich, in vielen Beziehungen, das Gemeinschaftsrecht auf das nationale Recht angewiesen ist, um sich voll realisieren zu können. Statt von der Verschiedenheit und damit vom Konflikt der Rechtsordnungen zu reden, haben wir daher heute eine Sprachregelung übernommen, in der die Gedanken des Kontaktes, der, Verzahnung', des gegenseitigen Aufeinander-Angewiesen-seins und, damit, des Zusammenwirkens im Vordergrund liegen." Auch Pemice, in: VVDStRL 53 (1994), 247; Pemice, in: Gs-Grabitz, 527; P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 142; T. Risse-Kappen, JCMS (1996),58; Schmidt-Assmann, in: FS-Bernhardt, BOI; v. BogdandylNettesheim, EuR 1996, 17; Bleckmann, EuR 1978, 101; Dowrick, YEL 3 (1983), 234: "So elose therefore are the links between EC law and the national political and legal systems of its Member States, that the observer is driven to ask whether they have evolved into one multipartite system." Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, 184, anerkennt zumindest das "als ob" einer einheitlichen Rechtsordnung: "Empirisch ist jedoch zuzugestehen, daß das Gemeinschaftsrecht schon jetzt dem Anschein nach als einheitliche Rechtsordnung besteht." 704 Pemice, EuR 1996, 29. 705 Vgl. hierzu auch BVerGE 73,339 (384, 385) 706 So Badura, in: Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, 1995, 110.

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chen Rechts in Deutschland. 707 Eine solche Zusammenführung der gemeinschaftsrechtlichen mit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung führt zu der Erkenntnis, daß die Rechtssätze des Gemeinschaftsrechts wie jene des Rechts der Mitgliedstaaten ein und derselben Rechtsordnung angehören. Dies darf nun gerade nicht im Sinne einer Ableitung allen Rechts im föderalen System aus einer einzigen Rechtsordnung im Sinne einer einzigen Geltungsgrundlage verstanden werden. Vielmehr soll der plurale Charakter des Verhältnisses zwischen EU-Recht und mitgliedstaatlichem Recht als Subsysteme im einheitlichen Rechtssystem der föderalen Ordnung im Sinne von materieller Einheitlichkeit betont werden. Die Zuordnung der Subsysteme zueinander erfolgt nicht bloß hierarchisch, da durch die gleichrangige Geltungsgrundlage kein Über- und Unterordnungsverhältnis notwendigerweise impliziert wird. Vielmehr wird die Interaktion der Teilrechtsordnungen im gemeinsamen System zunächst kooperativ vorgenommen. Erst wenn diese Mechanismen versagen, fordert das Gemeinschaftsrecht seinen Anwendungsvorrang gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht ein. Übersetzt in die Terminologie der allgemeinen Staatslehre kann das als einheitliche Rechtsordnung gedachte föderale System beschrieben werden mit dem Begriff des "transnationalen Föderalismus,,/08 um den Unterschied zu den in Teil I beschriebenen Erklärungsversuchen eines dualistischen Föderalismusverständnisses deutlich zu machen. 709 Dieser Föderalismus ist als übergreifendes (transnationales) Organisationsprinzip zu verstehen, bei dem verschiedene Entscheidungsträger zu einer größeren, übergreifenden Organisation verbunden werden, wobei die Teile in ihren regionalen und sozialen Besonderheiten grundsätzlich erhalten bleiben. 7l O Entscheidender Bezugspunkt dieses föderalen Mehrebenenmodells 711 ist dann nicht mehr der souveräne Staat der Vergangenheit, sondern das föderal gegliederte System mit seinen abgestuften Aufgaben und Befugnis707 v. Bogdandy, in: v. Danwitz u. a. (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 10. 708 Magiera, in: Schneider/Wessels, Föderale Union-Euro pas Zukunft?, 77. 709 Andere Autoren sprechen von einem "supranationalen Beteiligungsföderalismus", den sie abgrenzen von dem klassischen auf einem dualen Föderalismusverständnis beruhenden "Kompetenzbewahrungsföderalismus", vgl. Lhotta, Der Staat 13 (1997), 203. Auch Lecheler, in: FS-Heymanns Verlag, 385, führt aus, die zum Gemeischaftsrecht notwendige Gegenbewegung dürfe sich nicht aus "national-staatlichen Verhinderungs- und Behinderungsstrategien speisen". 710 Herzog, in: EVStLex, Bd. I, Spl. 914. 711 Zum politikwissenschaftlichen Paradigma des Mehrebenenmodells als Beschreibung des Bundesstaates vgl. Deter, Integration und Subsidiarität, 559 ff.

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sen. 712 Die Frage nach der Zuordnung souveräner Staatlichkeit im föderalen System zu der einen oder anderen Ebene wird ersetzt durch kooperative Interaktion der Ebenen in entweder supranationaler Integrationsform oder in bloßer intergouvernementaler Zusammenarbeit. Die Konsequenzen hieraus werden von Weiler beschrieben: The importance of the EEC inter-statal notion of community rests on the very fact that it does not involve a negation of the state. It is neither state nor community. The idea of community seeks to dictate a different type of intercourse among the actors belonging to it, a type of self-limitation in their self-perception, a redefined self-interest, and, hence, redefined policy goals. To the interest of the state must be added the interest of the community. But crucially, it does not exstinguish the separate actors who are fated to live in an uneasy tension with two competing senses of the polity' s self, the autonomous self and the self as part of a larger community, and committed to an elusive search for an optimal balance of goals and behavior between the community and its actors. 713

Diesem transnationalen Föderalismus kommt dabei eine besondere Funktion zu. Er ist nicht mehr als "Tendenzprinzip" zu verstehen, als bloße Übergangsform hin zu mehr Unitarismus oder Partikularismus. Vielmehr ist der transnationale Föderalismus ein Ausgleichsprinzip innerhalb einer mehrebigen einheitlichen Rechtsordnung zwischen Einheit und Vielfalt. 714

11. Die Verklammerung der EU mit den mitgliedstaatlichen Verfassungen Die behauptete materielle Einheitlichkeit des Systems unterschiedlicher Teilrechtsordnungen innerhalb der EU läßt sich auch empirisch an der Verklammerung der Rechtsordnung der EU mit denen der Mitgliedstaaten aufzeigen.

J. Grundlagen der Verklammerungswirkung

Mit der zunehmenden Akzeptanz und tatsächlichen Anwendung des europäischen Rechts durch die Migliedstaaten - nach einer Phase des sog. "selective exit"715 - erfolgte auch eine zunehmende Verzahnung von mitgliedstaatlichem und europäischem Recht. Diese Verzahnungswirkung ist schon angelegt in der Be712 Magiera, in: SchneiderIWesseis, Föderale Union-Europas Zukunft?, 77; schon Mosler, VVDStRL 21 (1964), 139. 713 Weiler, Yale LJ. 100 (1991), 2480. 714 Magiera, in: SchneiderIWesseis, Föderale Union-Europas Zukunft?, 78. 715 Weiler, Transformation, Yale LJ. (1991), 2412.

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schreibung der Grundlagen der EU als "Komplementärverfassung".716 In diesem sich einander ergänzenden Verfassungs gefüge erfolgt auch der demokratische Legitimationsstrang als duale Legitimation direkt über das Europaparlament und indirekt über die Repräsentanten der Mitgliedstaaten im Rat. Ein weiterer Ausgangspunkt für die VeFklammerung der Teilrechtsordnungen ist auch schon angelegt in der Tatsache, daß der Gerichtshof zahlreiche seiner Rechtsregeln aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewinnt. 717 Ferner hat der Gerichtshof durch das Prinzip der "unmittelbaren Anwendbarkeit" die Rechte des Individuums nach Gemeinschaftsrecht gestärkt, ebenso wie er auch die Pflicht der nationalen Gerichte begründete, diese Rechte durchzusetzen. 718 Dieselbe Verzahnung der Teilrechtsordnungen wird deutlich in der Tatsache, daß Richtlinien erst von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen, um Geltung zu entfalten. Ferner ist die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts noch ganz überwiegend den Mitgliedstaaten überlassen. 719 Der vielleicht bedeutendste Mechanismus der Verzahnungswirkung von Gemeinschaftsrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten kann im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV (Art. 234 EGV Amsterdam) erblickt werden, da hierdurch die gemeinschaftskonforme Auslegung innerstaatlichen Rechts und die Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechts gewährleistet wird. no Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Vertrag von Maastricht ausgeführt, daß es seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem "Kooperationsverhältnis" zum Europäischen Gerichtshof ausübe. 721 Jedenfalls mit dieser Forderung nach "Kooperation" stellt das Gericht nicht die judizielle Kompetenz-Kompetenz des EuGH in Frage. Gleichzeitig kann dahingestellt bleiben, in welchem Umfange es eine eigene judizielle Kompetenz-Kompetenz für sich selbst zu begründen versucht. Entscheidend erscheint, daß im Begriff des "Kooperationsverhältnisses" die materielle Verklammerung der TeilrechtsordnunVgl. oben Teil I, B.lI.3. RS 11170 - Internationale Handelsgesellschaft - EuGHE 1970, 1125 ff.; RS 4173Nold - EuGHE 1974,491 ff. 718 So können etwa die Gerichte der Mitgliedstaaten in paralleler Kompetenz zur Kommission die Art. 85 Abs. 1,2 und Art. 86 EGV (Art. 81 Abs. 1,2 und Art. 82 EGV Amsterdam) anwenden aufgrund der Doktrin von der unmittelbaren Anwendbarkeit. Den Gerichten der Mitgliedstaaten ist es allerdings versagt, individuelle Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Amsterdam) auszusprechen. Vgl. Schröter, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl., Art. 85, Rdn. 24. 719 V gl. oben Teil I, B.II1.l.c). 720 In diesem Sinne BVerfGE 52, 187 (200). 721 BVerfGE 89, 155 (175). 716 717

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gen auch für die Ebene der höchsten Gerichte aufgenommen wird. Die Frage nach der Letztentscheidung wird somit schließlich durch ein Nebeneinander von Entscheidungsträgern verdrängt. 722 Neben diesem judiziellen Kooperationsverhältnis läßt sich als Beleg für eine materielle Einheitlichkeit auch der substantielle Prozeß der Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts mit dem Recht der Mitgliedstaaten anführen. 723 Ferner ist darauf zu verweisen, daß für den Rechtsanwender und den betroffenen Bürger nur eine materiell einheitliche Lösung für seine Rechtsprobleme besteht. Aus seiner Sicht stellt sich das System "Rechtsordnung" ohnehin als materielle Einheit dar, welche sowohl vom Gemeinschaftrecht als auch mitgliedstaatlichem Recht gemeinsam beeinflußt wird. Schließlich ist auf das die Verklammerung von Gemeinschaften und Europäischer Union hinwirkende Prinzip der Kohärenz hinzuweisen, daß durch den Vertrag von Maastricht in das Gefüge der europäischen Integration eingefügt worden ist. 724 Kohärenz72S ist als generelles Prinzip der Verknüpfung zwischen den Teilrechtsordnungen zu verstehen. Insofern richtet sich dieser Grundsatz nicht nur gegen eine strikt getrennte Sichtweise des intergouvernementalen Unionsrechts gegenüber dem supranationalen Gemeinschafsrecht,726 sondern entfaltet auch Bedeutung hinsichtlich der unterschiedlichen Ebenen von Teilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft und dem intergouvernementalen Unionsrecht. Die so verstandene Kohärenz mehrerer Ebenen von Teilrechtsordnungen in Europa kann nur als eine von allen beteiligten Rechtsordnungen anzugehende Aufgabe erfüllt werden. 727 Die Verklammerung der Teilrechtsordnungen ist damit als charakteristisches Paradigma des föderalen Systems der EU anzusehen. Sie folgt dogmatisch zwingend aus der flexibel gehaltenen Zuteilung von Kompetenzen zwischen EU und 722 Auch für Isensee, in: FS-Stern, 1255, haben Bundesverfassungsgericht und EuGH nur jeweils in ihrem Bereich die höchste Interpretationskompetenz inne. Dies entspricht dem oben gewonnenen Ergebnis, wonach die legislative Kompetenz-Kompetenz jeder Ebene nur noch in ihrem eigenen Bereich zusteht, vgl. oben Teil I, C.1II.2.c). 723 Zur Harmonisierung des deutschen und europäischen Kartellrechts, vgl. die "Stellungnahme des Wissenschaflichen Beirats beim Bundsministerium für Wirtschaft", WuW 10 (1996), 812. 724 V gl. oben Teil I, 0.11.1. 725 Dazu Pechstein, EuR 1995,253 ff. 726 Oben Teil I, 0.11.1. 727 So zum Verwaltungsrechtsschutz in der EG Schmidt-Assmann, in: FS-Bernhardt, 1301.

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Mitgliedstaaten, der fehlenden eindeutigen Lokalisierbarkeit von Souveränität (Kompetenz-Kompetenz) im föderalen System der EU sowie dem Fehlen einer einzigen Grundnorm im rechtsmonistischen Sinne. Es kann die Legitimität beider Teilrechtsordnungen nur stärken, wenn die aus der Verklammerung sich ergebende materielle Einheit der Teilrechtsordnungen auch rechtsdogmatisch nachvollzogen wird. 728

2. Kompetenzen und Kollisionsregeln Die Betrachtung des föderalen System der EU als eine einheitliche Rechtsordnung vermeidet nicht nur die Frage nach der Zuordnung von Souveränität und Kompetenz-Kompetenz, sondern zeigt auch Konsequenzen für die dogmatische Behandlung der Kompetenzverteilungen und Kollisionsnormen. Das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Teilrechtsordnungen in einem föderalen System kann in verschiedener Weise organisiert werden. Der Rechtsanwender ist es in einer bundesstaatlichen Ordnung gewohnt, daß dabei wenigstens zwei Bereiche einer Regelung zugeführt sind. Zum einen muß es eine Allokation von Kompetenzen zwischen den unterschiedlichen Rechtsordnungen geben. 729 Diese können ausschließlich, konkurrierend oder parallel zugewiesen werden. 730 Für danach noch bestehende Normen- und Entscheidungskonflikte bedarf es einer Kollisionsnorm, um zu klären, welche Teilrechtsordnung im Einzelfall Anwendung findet. Diese Kollisionsnormen helfen, die Einheitlichkeit der Rechtsordnung im Konfliktfalle zu wahren. 731 Dies kann wiederum mittels einer allgemeinen Kollisionsnorm geschehen, die alle möglichen Konfliktsituationen umfaße 32 , oder aber mittels eines Ansatzes, der für verschiedenartige Fallgestaltungen unterschiedliche Kollisionsnormen entwickelt. Da in Gebieten ausschließlicher Kompetenzzuweisung an eine Rechtsordnung im föderalen System die andere Rechtsordnung von jeglicher Rechtssetzungstätigkeit ausgeschlossen sein sollPernice, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 53 (1994), 247. Zu den unterschiedlichen Grundsätzen der Kompetenzaufteilung klassischer bundesstaatlicher Verfassungen vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl., 670 ff. 730 Etwa für die deutsche Verfassungstradition vgl. Stern, Bd. I, 2. Aufl., 678 ff.; Rengeling, HStR, Bd. IV, 726. Für das Europarecht vgl. oben FN 243. 731 Pernice, VVDStRL 53 (1994), 247. 728

729

132 Vgl. Art. 2 RV 1871: "Reichsrecht bricht Landesrecht", sowie Art. 31 00: "Bundesrecht bricht Landesrecht".

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te, sind Kompetenzkonflikte im Bereich der konkurrierenden oder parallelen Kompetenzverteilung wahrscheinlicher und ist folglich auch der Inhalt der anzuwendenden Kollisionsnorm stärker umstritten. Für das föderale System der EU ist hinsichtlich des ersten Punktes darauf hinzuweisen, daß die Verteilung der Kompetenzen im Primärrecht der EG nicht klar unterscheidet zwischen den Kategorien der ausschließlichen, konkurrierenden und parallelen Kompetenz. 733 Eine solche Einteilung wird aber von der Literatur734 vorgenommen und auch die Gemeinschaftsinstitutionen selbst behaupten, über Gebiete ausschließlicher Kompetenzen zu verfügen. 735 Betrachtet man den Integrationsprozeß insgesamt, so ist für die EU das Nebeneinander von supranational und intergouvernemental organisierten Kompetenzen, deren Umfang nicht immer eindeutig zugewiesen ist, und die auch, wenn sie einmal einer Ebene zugewiesen worden sind, dort nicht unbedingt erhalten bleiben müssen736 , charakteristisch. Nur mit dieser Einschränkung können bundesstaatliehe Kategorien der ausschließlichen, konkurrierenden und parallelen Kompetenz überhaupt auf die EU übertragen werden. In ausschließlich der EU zugewiesenen Bereichen kann der oben entwickelte Ansatz von der einheitlichen Rechtsordnung nur gebraucht werden, um die Anwendung von Gemeinschaftsrecht zu korrigieren und zu limitieren. Dies kann etwa geschehen indem die ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen im Lichte allgemeiner Rechtsprinzipien des Gemeinschaftsrechts, die aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten entwickelt worden sind, interpretiert werden. Abgesehen von diesen Verschränkungen auch im Bereich ausschließlicher Kompetenzen kann der Ansatz der einheitlichen Rechtsordnung besser exemplifiziert werden für die Rechtsmaterien, auf welche Gemeinschaftsrecht und das Recht der Mitgliedstaaten konkurrierend oder parallel angewendet wird. Etwa für das Kartellrecht werden parallele Kompetenzen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten angenommen. Hinsichtlich der Kollisionsnormen ist für das einheitliche föderale System der EU das Vorrangprinzip als grundlegende Konfliktnorm im Verhältnis zwischen 733 734

Oben Teil I, B.III.1.a) und FN 241. Oben FN 243.

735 Für die Kommission vgl. die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlamente zum Subsidiaritätsprinzip vom 27. Oktober 1992, Kom.Dok SEC (92) 1990, abgedruckt in: Bull. EG 10-1992, 123; für den Gerichtshof in bezug auf die Vertragsschlußkompetenz der Gemeinschaft vgl. RS 22170 - Kommission v. Rat (ERTA), EuGHE 1971,263 (276). 736 Für Beispiele vgl. Obradovic, CMLR 34 (1997), 59 ff.

A. Föderalismus als transnationales Ordnungsprinzip

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Europarecht und dem Recht der Mitgliedstaaten vom EuGH eingeführt worden. 737 Es wird im ständigen Ringen zwischen den Gemeinschaftsorganen und den mitgliedstaatlichen Verfassungsorganen teils akzeptiert, teils zurückgewiesen. 738 Der Maastrichter Vertrag hat mit seiner Betonung des intergouvemementalen Ansatzes neue zentrifugale Momente in das Europarecht eingeführt, auch wenn dies durch den Arnsterdamer Vertrag wieder etwas relativiert worden ist. Auch die Vorrangregel muß sich daher ständig in Frage stellen und neu bestätigen lassen. 739 Wie aufgezeigt, ist dies die Konsequenz der offen gebliebenen Frage nach dem Souverän im föderalen System der EU bzw. der einander widersprechenden Geltungsansprüche, die ihren Ausdruck in den unterschiedlichen Grundnormen der Teilrechtsordnungen der materiell einheitlichen Rechtsordnung finden. In der deutschen Europarechtslehre wird der Vorrangsanspruch des europäischen Rechts schon durch die Doktrin vom bloßen Anwendungsvorrang relativiert. 740 Die für den Bundesstaat charakteristische Geltungsverdrängung des gliedstaatlichen Rechts durch das Bundesrecht soll damit gerade zurückgewiesen werden. Das Vorrangprinzip bleibt jedoch als ultima ratio zur Lösung von Norrnkonflikten zwischen den Teilrechtsordnungen für den Rechtsanwender grundsätzlich verbindlich. Die These von der einheitlichen Rechtsordnung, die auch heterarchisehe Elemente urnfaßf41 , schließt die Notwendigkeit hierarchischer Kollisionsnormen auch nicht aus. Es soll damit nicht mehr gesagt werden, als daß es in einem föderalen System unterschiedliche Teilrechtsordnungen geben kann, die in einer pragmatischen Art und Weise miteinander in Verbindung gebracht werden müssen. Allerdings ist die Betonung eine andere: Es ist nach diesem Ansatz von der materiell-einheitlichen Rechtsordnung wichtiger, die jeweils sachlich angemessene Problernlösung für einen bestimmten Konflikt zu finden, als einfach die Unterschiedlichkeit oder gar dogmatische Trennung beider Teilrechtsordnungen zu betonen und die grundsätzliche Überordnung der einen über die andere zu behaupten. Das föderale Rechtssystem, verstanden als komplementär und pluraliVgl. oben FN 180. Grundsätzlich zur Akzeptanz dieses Prinzips in den Mitgliedstaaten, vgl. nur Craig/ de Burca, 252 ff. Zum Streit um die EG Bananenverordnung, vgl. Everling, CMLR 33 (1996),401 ff. 739lsensee, in: FS-Stern, 1241. 740 Zur Doktrin des "Andwendungsvorrang" lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 277 ff.; Zuleeg, EuR (1990), 127, im Gegensatz zu Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966 ("Geltungsvorrang"). In der praktischen Auswirkung bleibt der Anwendungsvorrang hinter dem Geltungsvorrang jedoch kaum zurück, vgl. dazu lsensee, FSStern, 1243. 741 V gl. oben Teil 11, A.I. 737 738

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stisch anstatt bloß hierarchisch, legt ein Verständnis nahe, wonach viele Kollisionsnormen erst mit Bezug auf konkrete Fallgestaltungen hin entwickelt werden können. Das hierbei zu berücksichtigende Prinzip der Subsidiaritäe42 (Art. 3b EGV (Art. 5 EGV Arnsterdam)) kann dabei auch zur Anwendung einer Kollisionsnorm führen, die einen Konflikt im Sinne des mitgliedstaatlichen Rechts entscheidet. Daß injenen Bereichen, in denen sich die Teilrechtsordnungen überschneiden, auch unlösbare Normenkonflikte entstehen können, muß hingenommen werden. Im Ernstfall stellt die Rechtswissenschaft für den Normenkonflikt, für unterschiedliche Normenbefehle, keine Lösung mehr bereit. Diese wird vom Rechtsanwender vielmehr praktisch, je nach den bestehenden Loyalitäten, gefunden. 743

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht des föderalen Systems der EU Diese praktische Organisation des Zusammenwirkens der gemeinschaftlichen und der mitgliedstaatlichen Teilrechtsordnungen soll nun am Beispiel des Kartellrechts exemplarisch veranschaulicht werden. Dabei sind zwei Punkte herauszuarbeiten. Zum einen, wie im Zusammenwirken der mitgliedstaatlichen und der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsordnung die These von der materiellen Einheitlichkeit des föderalen Rechtssystems der EU ihre Bestätigung findet. Zum anderen, daß Kollisionen der mitgliedstaatlichen und der gemeinschaftlichen Teilrechtsordnungen durch verfahrensmäßige Interaktion und spezifische Kollisionsregeln gelöst werden, nicht aber unbedingt durch abstrakte Überordnung der einen Teilrechtsordnung über die andere im Sinne einer klaren Normenhierarchie. Es bestehen gute Gründe, warum dieser Rechtsbereich zu Problemen Anlaß gibt. Zunächst war der Umfang des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts über das Kartellrecht der Mitgliedstaaten immer schon unklar und urnstritten. 744 Daneben wurde auf die "absurde Diskrepanz" zwischen dem theoretischen Umfang von Kompetenzen der Kommission und ihrer tatsächlichen Kapazität, den stetig wachsenden Fallberg zu bewältigen, hingewiesen. 745 Schließlich wird wegen der zunehmenden Entwicklung des Binnenmarktes ein Paradigmen wechsel für das gemein742 Zur Relevanz des Subsidiaritätsgrundsatzes im europäischen Wirtschaftsrecht, vgl. Bemard, CMLR 33 (1996) 657. 743lsensee, in: FS-Stern, 1265. 744 Goyder, 430. 745 Forrester and Norall, YEL (1990), 409.

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht der EU

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schaftliche Kartellrecht selbst vorgeschlagen: weg von der Durchsetzung weiterer Marktbildung und -integration, hin zu der Beschränkung gemeinschaftsrechtlicher Jurisdiktion auf Fälle, denen eine genuine Gemeinschaftsbedeutung zu eigen ist. Danach sollte der Hauptteil wettbewerbsrelevanter Fälle auf nationaler Ebene Erledigung finden. 746 Dazu paßt der gegenwärtige Vorschlag, die Freistellungsbefugnisse nach Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Arnsterdam) zumindest für Fälle mit eindeutig nationalem Schwergewicht auf die nationalen Kartellbehörden bzw. Gerichte zu übertragen. 747 In Abgrenzung hierzu wurde erst neuerlich vorgetragen, daß die gegenwärtigen Regeln, die das Verhältnis zwischen mitgliedstaatlichem und gemeinschaftlichem Kartellrecht regeln, aufgegeben werden sollten zugunsten einer normativen Vorrangregelung, die die ausschließliche Anwendung von Gemeinschaftsrecht immer schon dann garantiert, wenn der Handel zwischen den Mitgliedstaaten betroffen ist. 748 Die folgenden Ausführungen wenden sich grundSätzlich gegen eine Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen zu Lasten der Mitgliedstaaten und beschreiben das gegenwärtige System der Kollisionsnormen als normativ rechtfertigungsfähig, da es sowohl dem Gedanken einer heterarchisch verklammerten einheitlichen Rechtsordnung entspricht, als auch in der Praxis die Flexibilität zu gewährleisten vermag, die dem Integrationsstand des entwickelten Binnenmarktes am besten entspricht. Hierzu sollen nun zunächst die kartellrechtlichen Kompetenzen der EG abstrakt beschrieben werden, worauf die möglichen Konfliktsituationen mit den mitgliedstaatlichen Kartellrechten zu behandeln sind.

I. Die kartellrechtIichen Kompetenzen der Gemeinschaft Die Abgrenzung der Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten im Bereich des Kartellrechts findet ihren Ausdruck in der "Zwischenstaatsklausel" des Art. 85 Abs. 1 EGV (Art. 81 Abs. 1 EGV Arnsterdam), wonach das wettbewerbswidrige Verhalten den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sein muß, um Gemeinschaftsrecht Anwendung finden zu lassen. 749 Dabei sollte erwähnt werden, daß die Zwischenstaatsklausel selbst Wesseling, E.L.Rev. 22 (1997),47 et seq. Rittner, 169. 748 Walz, E.L.Rev. 21 (1996),464. 749 Art. 85 Abs. 1 EGV (Art. 81 Abs. 1 EGV Amsterdam): "Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Be746 747

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keine Kollisionsnonn, sondern ein materiellrechtliches Tatbestandsmerkmal der Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 EGV Arnsterdam) darstellt. Damit beschreibt sie nur den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts, für deren mögliche Konflikte mit dem mitgliedstaatlichen Recht die Kollisionsnonnen erst noch entwickelt werden müssen. 750 Die Interpretation und Anwendung der Zwischenstaatsklausel wurde zunächst dem Ziel der Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen unterworfen. Durch den STM Fall wurde der Test dahingehend verdeutlicht, daß zu fragen sei, ob sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen läßt, daß die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Waren verkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann. 7SI

Ist eine solche Vereinbarung geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, so braucht nicht geprüft zu werden, ob jede einzelne wettbewerbsbeschränkende Bestimmung für sich gesehen den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen könnte. 752 Wenn somit die indirekte oder potentielle Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten ausreicht, die Kompetenz der Gemeinschaft zu begründen, so wird die Anwendung des Art. 85 Abs. 1 EGV (Art. 81 Abs. 1 EGV Arnsterdam) auch nicht einmal dadurch ausgeschlossen, daß alle Parteien der Übereinkunft aus einem Mitgliedstaat stammen. 753 Dies stimmt überein mit der Beobachtung, daß in einem verwirklichten Binnenmarkt der grenzüberschreitende Effekt wettbewerbswidrigen Verhaltens nicht mehr den entscheidenden Anknüpfungspunkt darstellt. Worauf es vielmehr nun ankommt, ist die ökonomische Analyse, also ob eine Wettbewerbsbeeinträchtigung existiert, die die durch den Gemeinsamen Markt angestrebten Ziele gefährdet. 754

schlüsse von Unternehmens vereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind ... 750 Zuleeg, EuR (1990), 129; Koch, in: GrabitziHilf, Bd. 11, Art. 85, Rdn. 89. 75\ RS 56/65 - Societe Technique Miniere v. Maschinenbau Ulm GmbH, EuGHE 1966, 303. 752 RS 193/83 - Windsurfing International Inc. v. Commission - EuGHE 1986, 664. 753 RS 8/72 - Vereeniging van Cementhandelaren v. Commission - EuGHE 1972,977; RS 246/86 - Sociite Cooperative des Asphalteurs Belges v. Commission - EuGHE 1989, 2117; RS T-66/89 - Publishers Assciation v. Commission (No 2) - EuGHE 1992, 1995. 754 V gl. Generalanwalt Trabucchi in: RS 73/74 - Groupement des Fabricants de Papiers Peints de Belgique v. Commission - EuGHE 1975, 1491 (1522-1523); Korah, 52; Wesseling, E.L.Rev. (1997),46. H.

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht der EU

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Für den Bereich der Fusionskontrolle wird in Art. 21 Abs. 2 der Fusionsverordnung 4064/89 der Gemeinschaft eine ausschließliche Kompetenz zugewiesen, wenn Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung755 vorliegen. Dann können die Behörden der Mitgliedstaaten nicht mehr tätig werden. 756 Insgesamt verbleibt damit ein sehr eingeschränkter Bereich, in dem keine wenigstens potentielle Kompetenz der Gemeinschaft vorliegen könnte. 757 Die Dominanz des gemeinschaftlichen Kartellrechts gegenüber dem der Mitgliedstaaten wird durch Äußerungen der Kommission bestärkt, wonach die "allgemeinen Wettbewerbsregeln" insgesamt einen Bereich ausschließlicher Gemeinschaftskompetenz darstellen sollen. 758 Dieses weite Verständnis der Kommission hinsichtlich des Umfanges ihrer Kompetenzen wird zunächst durch das Kriterium der "Spürbarkeit" relativiert. 759 Danach sind vom Gemeinschaftsrecht ausgenommen Übereinkünfte, die keinen spürbaren Effeke 60 haben und sich daher unter der de minimis Schwelle bewegen, wie sie durch die Kommission definiert worden iSt. 761 Dem ist hinzuzufügen, daß nach der Einführung des Subsidiaritätsprinzips in den EGV einige Autoren eine eingeschränktere Interpretation der Zwischenstaatsklausel fordern. 762 Allerdings 755 Vgl. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 4064/89, ABI. Nr. L 395 vom 30.12.1989, berichtigt durch Verordnung Nr. 2367/90, ABI. Nr. L 257 vom 21.09.1990,13, 14 ff.: ,,Ein Zusammenschluß im Sinne dieser Verordnung hat gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn folgende Umsätze erzielt werden: a) ein weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen von mehr als 5 Milliarden ECU und b) ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als 250 Millionen ECU; dies gilt nicht, wenn die am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Umsatzes in einem und demselben Mitgliedstaat erzielen." 156 Art. 21 Abs. 2 der Fusionsverordnung 4064/89: "die Mitgliedstaaten wenden ihr innerstaatliches Wettbewerbsrecht nicht auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung an". 757 Wesseling, E.L.Rev. (1997),41. 758 V gl. die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Subsidiaritätsprinzip vom 27. Oktober 1992, Bull. EG 10-1992, 123. 159 Hierzu etwa Schröter, in: v. d. Groeben/Fhiesing/Ehlermann, Art. 85, Rdn. 152 ff. 760 Vgl. RS 5/69 - Franz Völk v. Etablissements J. Vervaecke - EuGHE 1969, 295. 761 V gl die sog. Bagatellbekanntmachung der Kommission, ABI. C 64/1, geändert durch ABI. 1994 C 368/20. Jedoch wird auch die Spürbarkeitsgrenze nicht in einem absolutem Sinne angewandt, vgl. RS 234/89 - Stergios Delimitis v. Henninger Bräu AG - EuGHE 1991, 978, wonach der Gerichtshof auch eine die Grenze unterschreitende Vereinbarung den Art. 85, 86 EGV (Art. 81,82 EGV Amsterdam) unterstellt, wenn eine Abschottung des Marktes hierdurch verursacht wird. 762 Vgl. Whish, Competition Law, 215.

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teilt eine solche mögliche Einschränkung die den rechtlichen Gehalt des Subsidiaritätsprinzips betreffenden Unsicherheiten. 763 Letztlich verbliebe es dem Rat, von seiner Vertragskompetenz aus Art. 87 Abs. 2 (e) EGV (Art. 83 Abs. 2 (e) EGV Arnsterdarn) Gebrauch zu machen und dadurch die unvereinbaren Behauptungen zur Kompetenzverteilung im Bereich des Kartellrechts zu beseitigen. Dies sollte allerdings unter Berücksichtigung der im folgenden darzustellenden Verklammerung der gemeinschaftlichen und mitgliedstaatlichen Teilrechtsordnungen und den hierzu bereits entwickelten Regeln erfolgen.

11. Das Urteil des EuGH im Falle Walt Wilhelm Ein System miteinander konkurrierender Rechtsordnungen kann zwei mögliche Anforderungen an den betroffenen Rechtsunterworfenen stellen. Eine besteht darin, die Anwendung beider Rechtsordnungen einzufordern, so daß der Rechtsunterworfene mit seinem Verhalten den Anforderungen beider zu genügen hat. Der andere Ansatz besteht darin, die Ausschließlichkeit der einen über die andere festzulegen und daher auch nur die Erfüllung dieser einen Rechtsordnung vorn Rechtsunterworfenen zu verlangen. Der EuGH wurde im Walt-Wilhelm-Fall mit beiden Modellen konfrontiert.

1. ,One-shop stop' oder Doppelkontrolle? In der Debatte über das Verhältnis von gemeinschaftlichem und mitgliedstaatlichem Kartellrecht wurde der erstgenannte Ansatz von der sogenannten "Zweischrankentheorie" verfolgt. Wegen unterschiedlicher Schutzbereiche könne es zwischen den innerstaatlichen und den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln gar nicht zu Konflikten kommen. 764 Beide Rechtsordnungen kämen vielmehr parallel zur Anwendung und ihre Rechtsfolgen würden kumuliert. Das bedeutet, daß wettbewerbsrelevante Verhaltensweisen den Anforderungen beider Rechtsordnungen genügen müssen, um legal zu sein. 765 Treten somit die rechtlichen Konsequen-

Vgl. Bernard, CMLR 33 (1996),633, Fußnote 1 m. w. N. Koch, in: GrabitzIHilf, Bd. 11, vor Art. 85, Rdn. 31; vgl. zu weiteren Vertretern dieser Lehre vgl. Schröter, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, Vorb. zu Art. 85, 86, Rdn. 130, Fußnote 283. 765 Vgl. die Ausführungen des Generalanwaltes Roemer, RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 20. 763

764

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zen beider Rechtsordnungen kumulativ auf, setzt sich unter Anwendung des Lexstricta-Grundsatzes die restriktivere Regel immer durch. 766 Die Schwierigkeit dieser Doktrin liegt darin, daß sie wettbewerbs schädliche Verhaltensweisen überreguliert und so auch zur Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen beiträgt. Ferner besteht die Gefahr der doppelten Sanktionierung eines betroffenen Unternehmens sowohl durch die Kommission als auch durch die nationalen Kartellbehörden. 767 Es verbleibt unklar, ob der EuGH in seiner Entscheidung die grundlegende Annahme der Zweischrankentheorie bestätigt oder ob, wie Whish es formuliert, "in refusing to adopt what the Advocate General had said, thereby rejected the double barrier theory"768. Jedenfalls wird durch den Gerichtshof die Möglichkeit der gleichzeitigen Anwendung nationalen und europäischen Kartellrechts betont. Danach könne ein Kartell Gegenstand zweier paralleler Verfahren sein, von denen das eine nach Artikel 85 EWGV vor den Gemeinschaftsbehörden, das andere nach staatlichem Recht vor den nationalen Behörden stattfindet. 769

Allerdings fährt der stets auf die Ausweitung und Verstärkung des Gemeinschaftsrechts bedachte770 Gerichtshof dann fort:

766 Der Generalanwalt Roemer entwickelt in Walt Wilhelm Argumente, um die parallele Anwendbarkeit zu rechtfertigen. So liege etwa dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 2 (e) des EWGV die ,,Idee einer Überschneidung zweier Rechtskreise (des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechtes) zugrunde", EuGHE 1969,21. Ferner müsse festgestellt werden, daß man bei der Annahme einer exklusiven Geltung des Gemeinschaftsrechts in seinem Anwendungsbereich ,,für die Abgrenzung gegenüber dem rein nationalen Bereich auf ein recht unsicheres, fließendes und sich veränderndes Kriterium angewiesen wäre, nämlich die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels", EuGHE 1969,22. Wie schon ausgeführt, wäre danach der Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts recht weit gefaßt. Das erklärt auch, warum die Regierungen der Mitgliedstaaten im Walt Wilhelm Fall sich für die Zweischrankentheorie so stark gemacht haben, vgl. EuGHE 1969,22. Tatsächlich überläßt dieses Modell den innerstaatlichen Behörden mehr Entscheidungsbefugnisse; vgl. die Bemerkung von Whish, Competition Law, 39, Fußnote 1. 767 Auch dazu schon Roemer, RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 20. Hierzu führt der Gerichtshof aus, die Möglichkeit einer Doppelsanktion stünde der Zulässigkeit zweier Parallel verfahren nicht entgegen. Allerdings gebiete in einem solchen Fall ein allgemeiner Billigkeitsgedanke, die frühere Sanktionsentscheidung bei der Bemessung der später zu verhängenden Sanktionen zu berücksichtigen, vgl. RS 14/68 Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 15. 768 Whish, Competition Law, 39, Fußnote 1. 769 RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 13. 770 Vgl. Hartley, Foundations, 86 ff.

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Mit Rücksicht auf die allgemeine Zielsetzung des Vertrages ist diese gleichzeitige Anwendung des nationalen Rechts allerdings nur statthaft, soweit sie die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts und die volle Wirksamkeit der zu seinem Vollzug ergangenen Maßnahmen auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt. 771

Daher seien insbesondere auch Normenkonflikte zwischen Gemeinschafts- und innerstaatlichem Kartellrecht ... [ ... ] nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zu lösen. 772

Man ist versucht die Schlußfolgerung zu ziehen, daß der EuGH sich hier in einem Widerspruch verfängt. Auf der einen Seite hebt er den Vorrang des Gemeinschaftsrechts hervor, auf der anderen wird die Möglichkeit einer parallelen Anwendung beider Kartellrechtsordnungen bejaht. Eine Möglichkeit, diese widersprüchliche Aussage zu umgehen, besteht darin, anzunehmen, daß beide Rechtsordnungen ihre Geltungskraft behalten, im Falle des Konflikts aber das nationale Recht zu weichen hat. Diese Vorrangregelung erinnert an die generell für das Gemeinschaftsrecht postulierte Doktrin vom bloßen Anwendungsvorrang im Gegensatz zum Geltungsvorrang. 773 Inhaltlich entwickelt der EuGH hier eine restriktive Zweischrankentheorie. Man könnte allerdings auch argumentieren, die Zweischrankentheorie sei gänzlich abgelehnt worden. 774 Aber das ist nicht so eindeutig. 775 Bedauerlicherweise hat auch die Kommission diesen Punkt nicht weiter zu klären vermocht. In ihrem vierten jährlichen Bericht bezüglich wettbewerbsrechtlicher Fragen führt die Kommission aus, daß der EuGH in Walt Wilhelm die Frage offen gelassen habe, "ob der Vorrang der gemeinschaftsrechtlichen Befreiungen eine starre Regel darstellt oder ob dieser Grundsatz einer flexiblen, die jeweiligen Interessen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten berücksichtigenden Handhabung zugänglich ist. ..776

2. Kompetenzabgrenzung oder einheitliche Rechtsordnung? Es ist schwierig, in der Praxis den vom EuGH im Walt Wilhelm Fall entwickelten Test anzuwenden und zu entscheiden, ob die rechtlichen Konsequenzen des RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 13. RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 14. 173 Vgl. oben FN 740. 774 Walz, E.L.Rev. 21 (1996),450. m Goyder, 432. 776 Vierter Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1975,33 (Punkt 45). 771

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innerstaatlichen Kartellrechts im Einzelfall die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Gemeinsamen Markt beeinträchtigen. Hinsichtlich der allgemeineren Frage, wie die mitgliedstaatlichen und die gemeinschaftlichen Teilrechtsordnungen einander zuzuordnen sind, können jedoch unter Einbeziehung des Gedankens der einheitlichen Rechtsordnung zumindest folgende Aussagen gemacht werden: Zunächst könnte die Entscheidung des EuGH in Walt Wilhelm den Grundsatz der parallelen Anwendbarkeit beider Rechtsordnungen nicht aufgegeben, vielmehr nur die Geltung der Vorrangregel auch für diesen Bereich hervorgehoben haben. Man könnte aber andererseits auch argumentieren, daß mit dieser Entscheidung ein Prozeß in Gang gesetzt wurde, wonach das Kartellrecht sich zu einer ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft hin entwickelt. Hierfür könnte sprechen, daß der EuGH sich nicht eindeutig für die von Generalanwalt Römer entwickelte Zweischrankentheorie ausgesprochen hat. m Die Behauptung einer ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz durch die Kommission kann hinzugefügt werden und auch in der Literatur tendieren Stimmen in diese Richtung. 778 Es gibt offensichtlich Argumente für jede von diesen Ansätzen. So kann hinsichtlich der dogmatischen Konstruktion entweder behauptet werden, die grundsätzliche Regel sei die parallele Anwendbarkeit beider Rechtsordnungen und es bestehen Ausnahmen, in denen das Gemeinschaftsrecht Vorrangwirkung entfaltet. Oder aber man könnte genauso ausführen, daß die Vorrangregel die grundsätzliche Regel darstellt und in Ausnahmefällen beide Rechtsordnungen aber parallel anwendbar verbleiben. Sicherlich handelt es sich bei der Frage der parallen Anwendbarkeit um ein Kompetenzverteilungsproblem und bei der Frage des Vorrangs um ein Kollisionsnormenproblem. Jedoch sind beide Bereiche innerhalb des föderalen Systems der EU immer noch zu sehr von Abgrenzungskonflikten - mitgliedstaatliche Kompetenzen hier, gemeinschaftsrechtliche da, Vorrangwirkung der einen oder anderen Rechtsordnung - geprägt. An dieser Stelle kann der Ansatz von der einheitlichen, verklammerten Rechtsordnung fruchtbar gemacht werden. Die grundlegende Annahme hierbei war die komplementäre und auch heterarchische Natur des Verhältnisses zwischen den Teilrechtsordnungen im föderalen System der EU. Bezieht man diesen Ansatz mit in die Betrachtung ein, so ist das Beharren auf Kompetenzverteidigung nicht der richtige Ansatz. Vielmehr enthalten die Probleme parallele oder ausschließliche Kompetenz, Doppelkontrolle oder ,one-shop stop' einfach nicht die richtigen 777 778

Vgl. das Argument von Whish, Competition Law, 40. Bemard, CMLR 33 (1996), 656.

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Fragestellungen, denn es zeigt sich gerade im Kartellrecht, wie, ohne daß Kompetenzen abstrakt ausschließlich der einen oder anderen Ebene zugewiesen werden, Normen- und Entscheidungskonflikte in unterschiedlichen Konstellation einer unterschiedlichen Lösung zugeführt werden können. Es wird nun zu zeigen sein, wie von einer grundsätzlichen Parallelität gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Teilrechtsordnungen ausgehend die Kollisionsnormen für bestimmte Fallgruppen unterschiedlich definiert, und die auftretenden Probleme mittels Kooperation der nationalen und gemeinschaftlichen Behörden gelöst werden. Nur insofern besteht dann im Einzelfall ein "Anwendungsvorrang" der einen Teilrechtsordnung gegenüber der anderen.

111. Die Konfliktfalle Um die in der Vergangenheit von Praxis und Lehre entwickelten Kollisionsnormen aufzuzeigen, muß zunächst auf die unterschiedlichen Konstellationen eingegangen werden, in denen die mitgliedstaatlichen und die europäischen Kartellrechtsordnungen in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Die vom EuGH eingestandene Möglichkeit der gleichzeitigen Anwendung beider Kartellrechtsordnungen läßt großen Raum für Konflikte. Die Unsicherheiten in der Zuordnung der Kompetenzen findet sich wieder in der Problematik, die passenden Kollisionsnormen zu entwickeln. Um die problematischen Konstellationen zu beschreiben, seien zunächst die unproblematischen ausgesondert. Eine einfache Konstellation liegt vor, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung nach nationalem Recht erlaubt ist, jedoch von Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 EGV Amsterdam) erfaßt wird. Um die uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts nicht zu beeinträchtigen, geht in diesem Falle das Gemeinschaftsrecht vor. 779 Gewissermaßen am anderen Ende des Spektrums sind die Fälle zu finden, in denen das weubewerbswidrige Verhalten nicht den Handel zwischen den Mitgliedstaaten betrifft oder unter der de minimis Schwelle liegt. Diese Verhaltensweisen werden vom Tatbestand der Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 719 So Mestmäcker, 144; Thiesing, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, 2. Aufl. (1974), Vorbemerkung vor Art. 85, Rdn. 39; Immenga/Mestmäcker, GWB, Einleitung Rdn. 42; GleisslHirsch, Kommentar zum EWG Kartellrecht, 3. Aufl. (1978), Einleitung, Rdn. 71. Dagegen besteht Koch, in: GrabitzJHilf, Bd. 11, vor Art. 85, Rdn. 41, auf der Unmöglichkeit eines Konfliktes zwischen einer Kartellerlaubnis des innerstaatlichen Rechts und eines gemeinschaftsrechtlichen Verbotes.

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EGV Amsterdam) gar nicht erfaßt, womit innerstaatliches Recht Anwendung finden kann. Wie schon ausgeführt, ist diese Konstellation in einern ausgereiften Binnenmarkt immer seltener anzutreffen. Selbst wenn sie eintritt, kann argumentiert werden, daß die Anwendung des nationalen Rechts auf solche Fälle im Lichte des Gemeinschaftsrechts interpretiert werden muß. 780 Damit beschränken sich die problematischen Fälle auf die folgenden Konstellationen: Hier hat ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten (womit die Zuständigkeit der Gemeinschaft gegeben ist) und ist entweder - in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 EGV Amsterdam), - oder unterfällt einer Einzel- oder Gruppenfreistellung, ist aber nach innerstaatlichem Recht verboten.

J. Das Kriterium der "positiven Gestaltungsmaßnahmen "

Im Walt Wilhelm-Fall hebt der EuGH hervor, daß der Vertrag der Gemeinschaft "auch gewisse positive, obgleich mittelbare Eingriffe zur Förderung einer harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft i. S. v. Artikel 2 EWGV"781 erlaube. Es leuchtet ein, daß im Falle einer positiven Maßnahme der Gemeinschaft abweichendes, innerstaatliches Recht die Wirksamkeit einer solchen Maßname in Frage stellen kann. Darum wurde auch vorgetragen, daß diese Passage der Entscheidung der Kommission das Ermessen verleiht, zu entscheiden, was sie unter "positiven Eingriffen" versteht und sie damit auch die Kompetenz besitzt, die Anwendung innerstaatlichen Rechts zu verbieten. 782 Fraglich ist hier, ob die Verleihung eines solchen umfassenden Ermessens an die Kommission angemessen ist. Es würde danach nämlich im Ermessen der Kommission liegen, darüber zu entscheiden, ob ein nationales Verbot wettbewerbswidrigen Verhaltens Bestand haben könnte oder nicht. Man könnte argumentieren, daß die Frage des Bestands oder Nichtbestands innerstaatlichen Rechts 780 Vgl. zur Lehre vom indirekten Effekt des Gemeinschaftrechts RS 14/83 - Von Colsen und Kamann v. Land Nordrhein Westfalen -, EuGHE 1984, 1891; Bleckmann, Europarecht, 247 f.; Hartley, Foundations, 222 ff. 781 RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969, 14. 782 Bunte, WuW 1989,14 f.; Bemard, CMLR 33 (1996), 656.

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eine Frage der Rechtsgeltung ist, die nicht von einem politischen Organ wie der Kommission ohne Konsens der Mitgliedstaaten getroffen werden könne. 783 Gegen eine solche Argumentation spricht, daß die Bestimmungen der Art. 85 ff. EGV (Art. 81 ff. EGV Amsterdam) sehr allgemeiner Natur sind. Dadurch ist es nicht nur rechts technisch schwierig zu entscheiden, ob innerstaatliches Recht unanwendbar ist. Es erscheint auch als illegitim, die oft wesentlich detaillierter ge faßten Verbote des nationalen Rechts mit derart allgemeingehaltenen Bestimmungen zu verdrängen. Vielmehr ist eine weitere Konkretisierung des generalklauselartigen Gemeinschaftsrechts durch die Kommission nötig. Dieser kommt insofern nicht nur eine exekutive Funktion, sondern eine quasi-judikative ZU. 784 Auch erscheint die Kommission hierzu geeignet, da es gerade ihre Aufgabe ist, nationale Politiken mit Gemeinschaftsaufgaben in Übereinstimmung zu bringen. 785 Eine Verdrängung innerstaatlichen Rechts kann daher erst als legitim angesehen werden, wenn die Kommission durch positive Aktion die generalklauselartigen Bestimmungen der Art. 85 ff. EGV (Art. 81 ff. EGV Arnsterdam) konkretisiert hat. Daraus folgt bereits eine wesentliche Modifikation eines strikten Vorrangprinzips: In der Konstellation, in der innerstaatliches Recht restriktiver ist als Gemeinschaftsrecht, findet das Vorrangprinzip nur dann Anwendung, wenn eine positive Gestaltung der Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft durch die Kommission vorgenommen wurde. Das bedeutet aber, daß der Inhalt möglicher Kollisionsnormen vom Tätigwerden der Kommission abhängig ist. Man kann insofern von "verfahrensabhängigen" Kollisionsnormen im Gegensatz zu abstraktmateriell festliegenden Kollisionsnormen sprechen. 786 Es wird nun zu untersuchen sein, welche Maßnahmen der Kommission als "positive Gestaltung" der Wettbewerbsbedingungen angesehen werden können. Grundsätzlich lassen sich in der Praxis drei Gruppen solcher positiver Gestaltungsmaßnahmen der Kommission unterscheiden: Gemeinschaftliches Kartellrecht kann für nicht anwendbar erklärt werden, es liegt eine Einzelfreistellung durch die Kommission vor, oder es findet eine Gruppenfreistellungsverordnung Anwendung.

So Schwarze, JZ 1996, 62. Goyder, 433. 785 Hartley, Foundations, 13. 786 Dazu Rehbinder, in: FS-Mestmäcker, 713 f. 783

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2. Die Nichtanwendbarkeit der Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 EGV Amsterdam)

In dieser ersten Konstellation ist das Gemeinschaftsrecht nicht nur gleichgültig gegenüber einem wettbewerbswidrigen Verhalten787 , sondern entweder die Kommission oder der EuGH erklären ausdrücklich, daß das Verhalten nicht vom Gemeinschaftsrecht erfaßt wird. Die Kommission kann dies tun, indem sie mit einem bloßem Verwaltungsschreiben788 (sog. comfort letter) dem betroffenen Unternehmen die Ansicht der Kommission mitteilt, daß für sie kein Anlaß bestehe, gegen das in Frage stehende Verhalten aufgrund der Art. 85 Abs. 1 EGV (Art. 81 EGV Arnsterdam) vorzugehen, weil entweder das in Frage stehende Verhalten Art. 85 Abs. 1 (Art. 81 Abs. 1 EGV Arnsterdam) nicht verletzt,189 es von einer Gruppenfreistellungsverordnung urnfaßt ise 90 oder aber auch eine Einzelfreistellung möglich erscheint. 791 Diese Verwaltungsschreiben sind nicht bindend für nationale Gerichte, sie stellen vielmehr Mittel der informellen Verfahrensbeendigung dar. 792 Daher könnte man annehmen, daß diese Äußerungen der Kommission nicht als positive Gestaltungsmaßnahmen im Sinne der WaLt-WiLheLm-Doktrin verstanden werden können. Dann stellt sich das Problem, ob durch ein solches bloßes Verwaltungs schreiben eine strengere Bestimmung des innerstaatlichen Wettbewerbsrechtes verdrängt werden kann. Im Falle Procureur de La Republique v. Giry and GuerLain SA führt der Gerichtshof aus, daß solche bloßen Verwaltungs schreiben "weder Negativatteste noch Erklärungen nach Artikel 85 Absatz 3 im Sinne der Artikel 2 und 6 der Verordnung Nr. 17 darstellen". 793 Dies könnte so verstanden werden, daß Gemeinschaftsrecht der Anwendung innerstaatlicher strikterer Bestimmungen nicht entgegensteht, auch wenn die Kommission durch Verwaltungsschreiben die gemeinschaftsrechtliche Prüfung eingestellt hat. 794 Damit bliebe restriktiveres nationales

787 788

2374. 789

2374.

Vgl. oben Teil 11, B.II!. RS 253/78 - Procureur de La Republique v. Giry und GuerLain SA - EuGHE 1980, RS 253/78 - Procureur de La RepubLique v. Giry und GuerLain SA - EuGHE 1980,

RS 59/77 - De Bloos v. Bouyer - EuGHE 1977, 2359. Vgl. RS Rovin [1984]1 CMLRep., 128. 792 Whish, Competition Law, 311. 793 RS 253/78 - Procureur de La Republique v. Giry and GuerLain SA - EuGHE 1980, 2374. 794 RS 253/78 - Procureur de La RepubLique v. Giry and GuerLain SA - EuGHE 1980, 2375. 790 791

172

Teil 11: Der transnationale Föderalismus

Recht anwendbar. 795 Diese Interpretation der Entscheidung ergibt sich aber nicht notwendig. 796 Tatsächlich argumentiert die überwiegende Lehre 797 , die Kommission 798 und der EuGH 799 , daß Verwaltungs schreiben entgegenstehendes nationales Recht nicht daran hindern würden, Anwendung zu finden. Allerdings sprechen gute Gründe gegen eine solche Ansicht. Zunächst würde die Frage, ob nationales Recht verdrängt werden kann, völlig abhängig sein von dem Stadium, in welchem sich das Verfahren vor der Kommission befindet. Mit den Worten von Whish "the legal position would vary according to the point at which the Commission's assessment of an agreement is terminated".8°O Daneben versucht die Kommission selbst den Status von Verwaltungs schreiben zu verbessern, in dem einige von ihnen im Amtsblatt veröffentlicht werden. 80l Auch betont die Kommission in ihrer "Co-operation notice", daß ihre in einem Verwaltungsschreiben zum Ausdruck gebrachte Meinung "constitutes a factor which the national courts may take into account in examining whether the agreements or conduct in question are in accordance with the provisions of Article 85".802 Es könnte hiervon ausgehend argumentiert werden, daß nicht nur Gemeinschafts795 V gl. für die Meinung der Kommission "Commission 's Green Paper on Vertical Restraints in EC Competition Law" (1996), No. 116. 796 Whish, Competition Law, 42, versteht das Perfume Urteil dahingehend, daß "the reason for the non-application of Article 85 (1) is that the agreement does not have an effect on inter-state trade or that it is an agreement of minor importance". In diesem Falle ist es aber offensichtlich, daß ein Vorrang einer Maßnahme der Gemeinschaft nicht in Betracht kommt - unabhängig davon, ob durch Entscheidung oder Verwaltungsschreiben. Daher erscheint es nicht eindeutig aus dieser Entscheidung zu folgern, daß Verwaltungsschreiben der Anwendung innerstaatlichen Rechts nicht entgegenstehen sollen, vgl. Walz, ELRev. 21 (1996),451. 797 Schrödermeier/Wagner, WuW 1994,405; Koch, in: GrabitVHilf, vor Artikel 85, Rdn. 54; Bunte, WuW 1989, 15; Koppen/eis, JZ (1996), 715; Schröter, in: v. d. Groebenl Thiesing/Ehlermann, Vorb. zu Art. 85 bis 89, Rdn. 132. 798 Vgl. das "Commission's Green Paper on Vertical Restraints in EC Competition Law", No. 190, wo die Kommission die Frage nicht ausdrücklich erörtert, aber generell ausführt, daß nationale Gerichte oder Behörden von bloßen Verwaltungsschreiben nicht gebunden werden. 799 RS 253178 - Procureur de la Republique v. Giry and Guerlain SA - EuGHE 1980, 2374. Das Fallrecht des Gerichtshofs war nur befaßt mit der Konstellation, wo ein wettbewerbsfeindliches Verhalten von der Kommission als nicht von Art. 85,86 EGV (Art. 81, 82 EGV Amsterdam) erfaßt angesehen wurde. Die Fälle, in denen eine Einzelfreistellung oder die KOnkretisierung einer Gruppenfreistellung durch Verwaltungsschreiben erfolgt, waren bislang noch nicht Gegenstand eines Urteils des Gerichtshofs. 800 Vgl. Whish, Competition Law, 42. 801 Vgl. Whish, Competition Law, 311. 802 Vgl. Antitrust Enforcement (Co-operation Notice), CMLRep. [1993]5, 101.

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht der EU

173

recht, sondern auch nationales Recht in die Betrachtung der nationalen Gerichte miteinfließen sollte, insofern, als strikteres nationales Recht keine Anwendung findet, wenn die Kommission zuvor das wettbewerbsrelevante Verhalten als in Übereinstimmung mit Gemeinschaftsrecht eingeordnet hat. Schließlich könnte sich das betroffene Unternehmen mit dem Empfang eines Verwaltungsschreibens auf einen Vertrauensschutztatbestand berufen. Dieser Grundsatz ist auch im Gemeinschaftsrecht anerkannt. S03 Gerade wenn man von einer verklammerten einheitlichen Rechtsordnung ausgeht, wäre es nicht konsistent, ein Unternehmen mit einem nationalen Verbot zu belegen, nach dem ihm versichert wurde, daß Gemeinschaftsrecht keine Einwendungen gegen sein Verhalten hat. Auch könnte man anführen, daß die Kommission diesen formlosen Weg der Verfahrensbeendigung aus Vereinfachungsgründen heraus geht, um den Fallberg abzubauen. S04 Es erscheint dann fragwürdig, ob es legitim ist, daß das Unternehmen hiervon negativ betroffen wird. Die entscheidende Frage müßte sein, ob das Unternehmen im Einzelfall gute Gründe hatte, sich auf die Äußerung der Kommission zu verlassen. Der so geschaffene Vertrauenstatbestand könnte dann auch als gegenüber dem nationalen Recht wirkend konstruiert werden. In solchen Fällen sollte auch ein Verwaltungsschreiben den Effekt haben, entgegenstehendes nationales Recht zu verdrängen. S05 Neben den Verwaltungsschreiben kann die Kommission die Nichtanwendbarkeit der Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 EGV Arnsterdam) ferner noch mit Bekanntmachungen S06 oder Negativattesten (Art. 2 VO Nr. 17/67) verlautbaren. Auch hinsichtlich der Negativatteste verneint die überwiegende Meinung das Vorliegen einer positiven Gestaltungsmaßnahme. s07 Jedoch geht die Kommission von der Möglichkeit aus, daß auch ein Negativattest als "positiver Eingriff' gelten könne. sos

803 Hartley, Foundations, 152; RS 112/80 - Dürbeck - EuGHE 1981, 1095; RS C177/90 - Kühn - EuGHE 1992, 35. 804 Vgl. Whish, Competition Law, 311. 805 So auch im Ergebnis, Schwarze, JZ 1996,63; Fikentscher, 466 Fußnote 103. 806 V gl. Bagatellbekanntmachung, ABI. C 64/1 geändert durch ABI. 1994 C 368/20. 807 Vgl. die Nachweise bei Walz, Vorrang, 62 Fußnote 7l. 808 So die Kommission, RS 253/78 - Procureur de la Republique v. Giry and Guerlain SA - EuGHE 1980, 2327 (2355). Vgl. auch Walz, Vorrang, 95.

174

Teil 11: Der transnationale Föderalismus

3. EinzeLJreistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Amsterdam)

Die Gewährung einer Einzelfreistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Arnsterdam) ist als positive Gestaltungsmaßnahme der Kommission zu verstehen, wodurch innerstaatliches Recht verdrängt wird. Dies wird von der Kommission selbst so gesehen. S09 Auf der anderen Seite verneinen Vertreter der reinen Zweischrankentheorie, wie der Generalanwalt Römer im Walt Wilhelm Fall, "die Existenz eines Widerspruchs auch dann ... [ ... ], wenn eine gemeinschaftsrechtliche Freistellung vom Kartellverbot wegen der Anwendung nationaler Kartellverbote nicht realisiert werden kann"slO. Andere führen aus, innerstaatliches Recht sei in solchen Fällen nicht völlig unanwendbar, vielmehr habe eine Fall-zu-Fall-Analyse zu erfolgen. SI I Von Stockmann wurde vorgeschlagen, man könne zwischen Freistellungen, denen von der Kommission bewußt wettbewerbspolitische Bedeutung zugemessen wird und anderen Fällen unterscheiden. Nur die ersteren sollten entgegenstehendes innerstaatliches Recht verdrängen. 812 Hiergegen wird die mangelnde Praktikabilität dieses Vorschlages eingewandt8I3 , da jede Einzelfreistellung politischen Betrachtungen folge, was bereits in Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Arnsterdam) ausdrücklich bestimmt wird. sl4 Darüber hinaus kann einer Einzelfreistellung die Qualität eines Präzedenzfalles zugesprochen werden und das Verhalten anderer Gerichte in Zukunft beeinflussen. 8I5 Das ist in der Tat die Konsequenz, wenn der Kommission eine quasi-judikative Funktion in diesem Bereich zugesprochen wird. Die Gewährung einer Einzelfreistellung wird dann zu einer Frage des Rechts, genauso wie sie Teil der ökonomischen Politik der EU ist. sl6

809 Vierter Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1975, 33 (Punkt 45); ferner: "Commission's Green Paper on Vertical Restraints in EC Competition law" (1996), No. 116. 810 Generalanwalt Römer, RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt - EuGHE 1969,23. V gl auch die Position des deutschen BundeskarteUamts, wonach ein innerstaatliches Verfahren auch dann noch betrieben wird, wenn das infragestehende Verhalten bereits nach Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Amsterdam) freigestellt worden ist, vg!. Walz. E.L.Rev. 21 (1996),452, Fußnote 24 m. w. N. 811 Markert, CMLR 11 (1974),96,97. 812 Stockmann, 265 ff.; Klaue, WuW 1969,593; Markert, The DyestuffCase, Antitrust Bulletin 1969, 869; Immenga/Mestmäcker, GWB, Ein!., Rdn. 46. 813 Goyder, 434; Whish, Competition Law, 40. 814 Vg!. Whish, Competition Law, 228 ff.; Schröter, in: v. d. Groeben/J'hiesing/Ehlermann, Vorb. zu Art. 85 bis 89, Rdn. 132. 815 Goyder, 435. 816 Whish, Competition Law, 39.

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht der EU

175

Daher wird von der überwältigenden Literatur angenommen, daß im Falle einer Einzelfreistellung durch die Kommission entgegenstehendes innerstaatliches Recht verdrängt wird. 817 Dem ist wegen des als Folge der Verwirklichung des Binnenmarktes fortgeschrittenen Integrationsstand beizupflichten.

4. GruppenJreistellungen

Die Frage, in welchem Umfange Gruppenfreistellungen innerstaatliches Recht zu verdrängen in der Lage sind, erscheint wesentlich komplexer und ist in der Literatur umstritten. Selbst die Position der Kommission ist nicht völlig eindeutig. 818 Um zu verstehen, ob es sich auch bei den Gruppenfreistellungen um positive Maßnahmen im Sinne der Walt Wilhelm-Rechtsprechung handelt819 , ist auf den Zweck der Gruppenfreistellungen einzugehen. Dieser besteht in der erleichterten Überprüfbarkeit derjenigen Absprachen, welche für den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes ungefährlich sind. Nun könnte argumentiert werden, daß es sich bei den Gruppenfreistellungen um ein Bündel von Einzelfreistellungen handelt und daß damit die dort entwickelten Regeln auch hier zu gelten haben. Auf der anderen Seite wird die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und Verhaltensweisen ihrem Wesen nach als Normsetzung eingestuft. 820 Einige Gruppenfreistellungen bestimmen den dem innerstaatlichen Recht verbleibenden Regelungsbereich ausdrücklich. 821 Man könnte hieraus e contra rio 817 Bemard, CMLR 33 (1996), 657; Whish, Competition Law, 40; Goyder, 434, 435; Bunte, in: LangenlBunte, Einführung zum EG-Recht, Rdn. 56; Schrödenneier/Wagner, WuW 1994,403,405; Koch, in: GrabitzlHilf, EUVIEGV, Rdn. 49 ff. vor Art. 85. 818 Vgl. Whish, in: Freeman/Whish, Butterworths Competition Law, 1991-97, vol. I, Div. I, No. 924.1. In "Commission' s Green Paper on Vertical Restraints in EC Competition Law" (1996), No. 190, könnte die Position der Kommission dahingehend verstanden werden, daß Gruppenfreistellungsverordnungen nationales Recht verdrängen. 819 So Schröter, in: v. d. Groeben/fhiesing/Ehlennann, Bd. 2, Art. 85, Rdn. 208. 820 Schröter, in: v. d. Groeben/fhiesing/Ehlennann, Bd. 2, Art. 85, Rdn. 205 m. w. N. Auch sind insbesondere die in einer Gruppenfreistellungsverordnung aufgeführten unzulässigen Verpflichtungen ("Schwarze Liste") weit und unbestimmt, so daß die Kommission, andere Behörden und die Gerichte sie näher konkretisieren müssen, vgl. Korah, 64. Eine positive Gestaltungsmaßnahme kann mithin erforderlich sein, und es ließe sich argumentieren, daß, solange die Kommission die Gruppenfreistellung nicht - etwa durch ein Verwaltungsschreiben - konkretisiert hat, innerstaatliches Recht nicht verdrängt werden könne. 821 Vgl. Erwägungsgrund 19 der Verordnung 1984/83, ABI. 1983, Nr. L 173,5, sowie Erwägungsgrund 29 der Verordnung 123/85, ABI. 1985, Nr. L 302, 167.

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Teil 11: Der transnationale Föderalismus

argumentieren, daß, wo eine solche ausdrückliche Regelung fehlt, nationales Recht grundsätzlich keine Anwendung finden kann. 822 Weiter läßt sich anführen, daß die Mitgliedstaaten in den Rechtssetzungsprozeß, der zur Gruppenfreistellungsverordnung führte, über den Rat involviert waren. Wenn sie nun später sich hiergegen wenden, könnte das als Verletzung des Prinzips des venire contra factum proprium gewertet werden. 823 Letztlich stellt sich die Frage, ob eine Analogie zu der Situation der Einzelfreistellung in Frage kommt. Berücksichtigt man die ergänzenden Bekanntmachungen, mit deren Hilfe die Kommission die Gruppenfreistellungsverordnungen konkretisiert 824 sowie die Bestimmung über den Widerruf der Freistellung825 , nach denen Gruppenfreistellungen zurückgenommen werden können, dann erscheint es, als ob die Kommission gewisse Freiheiten hat, Gruppenfreistellungen zu überprüfen und ihrer Auffassung anzupassen. Daher sind tatsächliche Konflikte mit strikterem innerstaatlichem Recht möglicherweise nur selten. 826 Für die verbleibenden Fälle läßt sich mit der sog. Kernbereichslehre differenzieren zwischen dem Wesenskern einer Gruppenfreistellung und ihren eher nebensächlichen Aspekten. 827 Nur in den letzteren Fällen sollte strikteres nationales Recht bestehen bleiben. Dies wäre eine Lösung, die eine gewisse Flexibilität ermöglicht, einander widersprechende Regelungsansätze im Einzelfall zu lösen, gleichzeitig aber das vom EuGH im Walt Wilhelm Fall formulierte Ziel zur "Förderung einer harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft"828 weiterzuverfolgen.

822 Whish, Competition Law, 41; Bemard, CMLR 33 (1996),658. 823 Goyder, 435. Den Gruppenfreistellungen liegen zwei Grundsatzregelungen des Rates zugrunde, VO Nr. 19/65 sowie VO Nr. 2821171. 824 Z. B. Bekanntmachung zu den Verordnungen Nr. 1983/83 und 1984/83, ABI. C 101 vom 13. April 1984, 2. 825 Vgl. Art. 8 der Ermächtigungsverordnung, VO Nr. 19/65, ABI. Nr. 533/65 und VO Nr. 2821171, ABI. L 285/46. 826 Goyder, 436 ff. Von einer Entziehung der Freistellung durch die Kommission ist bisher noch nichts bekannt geworden, vgl. Rittner, 208. 827 Whish, Competition Law, 41; Schröter, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlennann, Bd. 2, Vorb. zu Art. 85 bis 89, Rdn. 132; Rehbinder, in: FS-Mestmäcker, 716, 724. 828 RS 14/68 - Walt Wilhelm v. Bundeskartellamt- EuGHE 1969, 14.

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht der EU

177

IV. Die KoUisionsregeln in der einheitlichen Rechtsordnung

Mit der Ausnahme der Fusionskontrolle kann somit der Inhalt von Kollisionsnormen abstrakt im voraus für die möglichen Konstellationen der gleichzeitigen Anwendung von Gemeinschafts- und innerstaatlichem Recht im europäischen Kartellrecht nicht beschrieben werden. Vielmehr ergeben sie sich aus einem Zusammenwirken beider Rechtsordnungen und sind dabei abhängig von Ermessensentscheidungen der Kommission und dem Verhalten innerstaatlicher Kartellbehörden. Anstelle einer normativen Kollisionsregel ("Anwendbarkeitsvorrang"829), wie sie im Bereich der Fusionskontrolle zu finden ist, entscheidet sich die Anwendbarkeit abweichenden innerstaatlichen Rechts nach dem Tätigwerden der Kommission im Sinne einer veifahrensmäßigen Vorrangsregel. 830 Es ist also nach der Intention der Kommission bei dem Erlaß einer Einzelentscheidung zu fragen. Besteht diese in einer positiven Gestaltungsmaßnahme, hat innerstaatliches Recht zu weichen. Die sich danach ergebenden Kollisionsnormen für die unterschiedlichen Konstellationen können sich dann wie folgt formulieren lassen: a) Gemeinschaftsrecht ist von vornherein nicht anwendbar: Nationales Recht findet Anwendung. b) Gemeinschaftsrecht verbietet, nationales Recht erlaubt das wettbewerbsrelevante Verhalten: Nationales Recht ist nicht anwendbar (Vorrangprinzip). bleibt jedoch gültig (Lehre vom Anwendungsvorrang). c) Nationales Recht verbietet das in Frage stehende Verhalten, jedoch aa)

liegt eine Einzelfreistellung durch die Kommission vor: Nationales Recht ist nicht anwendbar.

bb)

besteht eine Gruppenfreistellungsverordnung, unter welche das Verhalten zu fassen ist: Wenn nationales Recht dem Wesenskern einer solchen Verordnung entgegen steht. ist es nicht anwendbar. Wenn es hingegen nur einem nebensächlichen Aspekt zuwiderläuft, bleibt restriktiveres nationales Recht bestehen.

cc)

die Kommission erklärt eine Einzelfreistellung oder bestätigt, daß ein Verhalten unter eine Gruppenfreistellung fällt oder daß es vom Anwen-

Walz. 265. 830 Vgl. Walz. E.L.Rev. 21 (1996),459. "Reiner Anwendungsvorrang", zur Kritik Walz. Vorrang, 93 ff. 829

12 Böhmer

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Teil 11: Der transnationale Föderalismus

dungsbereich des Art. 85 Abs. 1 EGV (Art. 81 Abs. 1 EGV Arnsterdam) gar nicht erfaßt wird (1) mittels eines bloßen Verwaltungs schreibens (sog.comfort letter):

Nationales Recht ist nicht anwendbar, sofern das betroffene Unternehmen plausibel geltend machen kann, daß ihm gegenüber ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, der auch gegenüber nationalem Recht wirkt. Ansonsten bleibt es anwendbar.

(2) mittels eines Negativattestes: Wenn der Inhalt des Negativattestes eine positive Gestaltungsmaßnahme zum Ausdruck bringt, ist nationales Recht nicht anwendbar. Die in diesen Grundsätzen zum Ausdruck kommende differenzierte, von der jeweiligen Fallkonstellation abhängige Lösung des Vorrangverhältnisses, sollte auch in der Zukunft beibehalten werden. Zwar wird innerhalb der Reformdiskussion die Einführung einer materiellen Vorrangregel vergleichbar der Regelung in der Fusionskontrollverordnung auch für den restlichen Bereich des Kartellrechts vorgeschlagen. Danach soll nationales Recht bereits immer dann ausgeschlossen sein, wenn dem in Frage stehenden Verhalten eine Gemeinschaftsdimension zukommt. 831 Jedoch sollte besser der Anwendungsbereich des nationalen Rechts wieder gestärkt werden, nachdem der Gemeinsame Binnenmarkt errichtet worden ist. Eine Verlagerung insbesondere auch der Möglichkeit zur Einzelfreistellung unter Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Arnsterdam) auf nationale Gerichte erscheint daher dringend geboten. Rechtsunsicherheit sowie das Problem der Doppelkontrolle der betroffenen Unternehmen muß in diesem Bereich durch Vereinfachung von Verfahren gemildert werden, nicht jedoch durch eine immer stärkere Verlagerung von Kompetenzen zugunsten der Kommission. Auch wäre wohl eine eingeschränktere Interpretation der Zwischenstaatsklausel in einem ausgereiften Gemeinsamen Markt angebracht. Danach sollten nur noch Fälle, denen ein spezifisches Gemeinschaftsinteresse zu eigen ist, auf der gemeinschaftsrechtlichen Ebene untersucht werden. 832

V gl. Walz, E.L.Rev. 21 (1996),449 ff. Vgl. Wesseling, E.L.Rev. (1997), 50. Für ein Verständnis des Subsidiaritätsprinzips als materielle Kollisionsregel spricht sich aus Jung, 252 ff. 831

832

B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht der EU

179

V. Die Relativierung der Vorrangfrage in der einheitlichen Rechtsordnung Aber auch in ihrem aktuellen Bestand bleiben die oben dargelegten Kollisionsnormen im einzelnen sehr umstritten, da es bei ihrer Formulierung um die Abgrenzung der Kompetenzen verschiedener supranationaler und nationaler Behörden geht. Die Abhängigkeit des Vorrangprinzips von der Qualifizierung einer Maßnahme der Kommission als "positive Gestaltungsmaßnahme" belegt den oben dargestellten833 Grundsatz, wonach es in der Praxis des föderalen Systems der EU darauf ankommt, welcher der konkurrierenden Rechtsanwender Akzeptanz findet und sich durchzusetzen vermag. Während die Mitgliedstaaten dabei dazu tendieren, sich in einem "Besitzstandbewahrungsföderalismus"834 zu üben, liegt dem EuGH auf der anderen Seite an der teleologischen Fortbildung des Gemeinschaftsrechts im Sinne einer ständigen Erweiterung seines Anwendungsbereichs. 835 Jedoch deutet die aufgezeigte faktische und rechtliche Verklammerung des gemeinschaftlichen und mitgliedstaatlichen Kartellrechts auch auf die Tendenz zur Überwindung dieses Konkurrenzverhältnisses hin. Es wurde mit diesem Exkurs in das Kartellrecht gezeigt, daß sich Rangordnungen im Verhältnis von Gemeinschafts- und mitgliedstaatlichem Recht im Bereich des Kartellrechts erst unter Berücksichtigung der spezifischen Konstellation beschreiben lassen. Die abstrakte Bestimmung des Vorrangverhältnisses im Sinne einer klar bundesstaatlichen Überordnung der einen Teilrechtsordnung über die andere tritt hingegen dahinter zurück. Das Problem von Normenkonflikten ist in der gemeinschaftsrechtlichen Praxis auch in Bereichen konkurrierender oder gar ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen anzutreffen. 836 Hier drückt sich der Widerstand gegen einen unumschränkten Vorrang des Gemeinschaftsrechts in anderer Form, etwa in der Pos tulierung verfassungsrechtlicher Vorbehalte aus. 837 Möglichkeiten, die Kollision verschiedener Normen schon im Vorfeld zu vermeiden, bestehen hier jedoch ebenfalls. Zu nennen sind die inhaltliche Harmonisierung der Rechtsordnungen 833 Vgl. oben Teil 11, A.II.2. Lhotta, Der Staat 13 (1997), 203. Hartley, Foundations, 86, faßt die Hauptziele der Rechtsprechung des EuGH so zusammen: "I. Strengthening the Community; 2. Increasing the scope and effectiveness of Community law; 3. Enlarging the powers of Community institutions". 836 Zu dieser Unterscheidung vgl. oben FN 730, 243. 837 Dazu oben Teil I, C.III.2.b)(2). 834 833

180

Teil 11: Der transnationale Föderalismus

etwa im Bereich des Grundrechtsschutzes. Daneben bietet auch das Subsidiaritätsprinzip die Möglichkeit, Normenkonflikte durch Eingrenzung der Reichweite des europäischen Rechts von vornherein auszuschließen. Hinzuweisen ist schließlich auf die Notwendigkeit einer engen personellen Kooperation zwischen den nationalen und den europäischen Institutionen. Nur in diesem kooperativen Verhältnis der Verzahnung können die europäische und die mitgliedstaatlichen Teilrechtsordnungen existieren. 838 Die so dargelegte Abstimmung und Verklammerung der mitgliedstaatlichen und europäischen Teilrechtsordnungen führt im Kartellrecht wie auch in anderen Bereichen für den Rechtsanwender zu folgender Konsequenz: Die Rechtslage ist nur dann wirklich zu begreifen, wenn beide Teilrechtsordnungen berücksichtigt, und hieraus dann die vernünftige Kollisionsnorm für den Einzelfall entwickelt werden. 839 Ausgehend von einer so verstandenen materiellen Einheit der mitgliedstaatlichen und europäischen Teilrechtsordnung, kann letztere im Konfliktfall nur dann unbedingten Vorrang beanspruchen, wenn die Interessen der Mitgliedstaaten im Wege der Kooperation bereits zum Ausdruck gebracht werden konnten, bevor die strittige Norm ihre Vorrangwirkung gegenüber mitgliedstaatlichem Recht entfaltet. Jedenfalls bis zur - nur politisch zu erreichenden - Schaffung eines europäischen Bundesstaates ist dieser die Verklammerung und Interaktion der Teilrechtsordnungen betonende Ansatz besser geeignet, die tatsächlichen Bedingungen der Rechtsanwendung im föderalen System der EU zu beschreiben und kann daher auch als Grundlage für eine Erfassung des transnationalen föderalen Systems der EU dienen.

c. Der Staat im einheitlichen föderalen System der EU Dieses Strukturprinzip des transnationalen Föderalismus kann nun für das Selbstverständnis der Mitgliedstaaten im föderalen System der EU nutzbar gemacht werden. Der nach dem Maastrichter Vertrag in der Staatslehre teilweise 838 Pemice. in: Gs-Grabitz, 527 ff.; Streinz. HStR, Bd. VII, 821; auch schon Pescatore. EuR 1970, 308. 839 Pemice. EuR 1996,31: "Diese Sichtweise setzt voraus, daß die Verfassungen der Union und ihrer Mitgliedstaaten als einheitliches System gedacht werden, in dem Konflikte und Kollisionen zwischen Rechtsbehelfen der verschiedenen Ebenen vermieden und ggf. eindeutig gelöst werden können, wo also das in jedem einzelnen Fall geltende Recht für jeden Bürger eindeutig bestimmbar ist."

C. Der Staat im einheitlichen föderalen System der EU

181

gestellten bangen Frage, ob die EU sich denn nicht schon als Staat geriere840, läßt sich die Frage nach der verbliebenen Staatlichkeit der Mitgliedstaaten der EU als das wohl entscheidendere Problem entgegensetzen. Abschließend sollen daher nun die Konsequenzen des in dieser Arbeit entwikkelten Ansatzes des transnationalen Föderalismus für den Staat in der EU dargelegt werden. Hierbei ist insbesondere der gewandelten Funktion des Staates und der bisher offengebliebenen Konstruktion der Souveränität innerhalb des föderalen Systems der EU nachzugehen. Wie in Teil I festgestellt wurde, gibt es für die Mitgliedstaaten der EU keine legale Form des Austritts aus dieser Rechtsgemeinschaft. Die Lokalisierung von Kompetenz-Kompetenz und damit von Souveränität im rein rechtlichen Sinne wird hierdurch unmöglich. Eine mögliche Konsequenz läge darin, die Souveränitätsfrage letztlich offen zu lassen, in der "Schwebe" zu halten841 • Wenn dies auch den beschriebenen heterarchischen Elementen des föderalen Systems der EU durchaus entsprechen würde 842 , so sollte die Wissenschaft jedoch schon aus Gründen der Akzeptanz 843 des Europäischen Einigungsprozesses eine deutliche Zuordnung von Kompetenzen versuchen 844 , auch wenn dies möglicherweise von den Mitgliedstaaten gar nicht gewollt ist. 845 Hierzu könnte auch eine Zuordnung der Souveränität zu den unterschiedlichen Ebenen im föderalen System gehören. In der deutschen Staatslehre wurde angedacht, im Sinne der Waitzschen Bundesstaatslehre846 die Souveränität als zwischen den Mitgliedstaaten und der EU geteilt zu qualifizieren. 847 Die Überzeugungskraft eines solchen Modells hängt von der genauen Kenntnis des Souveränitätsbegriffs als Teilelement der Staatsgewalt ab. Dem soll daher im folgenden zunächst nachgegangen werden.

840

Oben FN 14.

Schmitt, Verfassungslehre, 372, betont dies für den echten Bund; für die Gemeinschaft auch lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 227, 230; Blanke, DÖV 10 (1993), 420. 842 V gl. oben Teil II, A. und A.1. 843 Zum Akzeptanzbegriff Benda, Akzeptanz als Bedingung demokratischer Legitimität, Veröffentlichung des Walther-Schücking-Kollegs, Nr. 8, Gesellschaft zur Förderung der Forschung und Lehre am Institut für Internationales Recht an der Christian-A1brechts-Universität zu Kiel (Hrsg.). 844 So schon Thürer, VVDStRL 50 (1991),127. 845 Obradovic, CMLR 34 (1997), 88 und oben Teil I, c.m.2.c). 846 V gl. oben Teil I, C.I.1. 847 Oeter, ZaöRV 55 (1995), 686; Frowein, EuR 1995,318; Pemice, EuR 1996,30 und Fußnote 17 m. w. N. 841

182

Teil Il: Der transnationale Föderalismus

I. Souveränität Die Souveränität wurde von Georg Jellinek als der "wichtigste der Grundbegriffe des öffentlichen Rechtes"848 bezeichnet. Eine Präzisierung des Souveränitätsbegriffs läßt sich zunächst durch die Trennung der Souveränität im formellen rechtlichen Sinne und einer Souveränität im materiellen faktischen Sinne erreichen. Im folgenden sollen einige Problembereiche des Souveränitätsbegriffs, wie sie sich innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Staates herausgebildet haben, erörtert werden. Davon ausgehend ist dann die Frage nach der Zuordnung von Souveränität innerhalb des föderalen Systems der EU anhand des Modells der geteilten Souveränität zu behandeln.

J. Souveränität als formeller oder materieller Begriff?

Zwar hatte sich der moderne Staat auch in den deutschen Territorien mit Hilfe des Souveränitäts begriffs entwickelt, gleichwohl wurde, wie oben dargelegt 849, die deutsche Staatsbildung früh von föderalen Entwürfen bestimmt. Das hierin angelegte Spannungsverhältnis zwischen Föderation und Souveränität führte zu einer immer stärkeren Formalisierung des Souveränitätsbegriffs. Auch bedingt durch die Säkularisierung und den Positivismus verblaßten die Schranken, die Naturrecht und Theologie dem Souveränitätsbegriff gesetzt hatten. Ein absolutes Verständnis des Souveränitäts begriffs wurde schon von Thomas Hobbes zugrundegelegt: "Auctoritas non veritas facit legern". Da aufgrund des Gesellschafts- und Unterwerfungsvertrages alle Handlungen des Trägers der souveränen Gewalt, des Monarchen, solche des Volkes seien, könne dieser kein Unrecht begehen. 850 Damit ist die theologisch begründete Bindungswirkung, die für den Souveränitätsbegriff Bodins noch konstitutiv war, außer Kraft gesetzt. Dieses uneingeschränkte Souveränitätsverständnis wurde von Hegel mit der Doktrin vom "Völkerrecht als bloß äußeres Staatsrecht" wieder aufgenommen. 851 Die Entwicklung der Souveränität zum reinen Rechtsbegriff erfuhr dann in Deutschland ihren Höhepunkt durch die positivistische Staatsrechtslehre der 8481ellinek, Staatenverbindungen, 19. 849 V gl. oben Teil I, A.1l. 850 Hobbes, 135. 851 Vgl. oben FN 53.

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lahrhundertwende. Georg Jellinek handelte die Souveränität innerhalb seiner Zwei-Seiten-Theorie des Staates (Einteilung der Staatsbetrachtungen in eine Staatsrechtslehre und in eine allgemeine Soziallehre des Staates) bei der allgemeinen Staatsrechtslehre ab. Er faßt den Begriff der Souveränität als formal-juristischen auf. Nachdem die Souveränität ihrem Ursprung nach eine politische Vorstellung gewesen sei, habe sie sich nun zu einer juristischen verdichtet. 852 Einher gehe der Wandel des Souveränitätsbegriffs von einem negativen Abgrenzungsbegriff ("der Staat ist schlechthin unabhängig von jeder anderen Macht"853) hin zu einem positiven Inhalt in dem Augenblick, "wo sie zu einem Essentiale der Staatsgewalt und damit des Staatsbegriffes erhoben wird"854. Sie sei damit zur Eigenschaft der Staatsgewalt geworden, nicht aber dürfe der Fehler gemacht werden, Staatsgewalt mit Souveränität zu identifizieren. 855 Positiv bestimmt bedeute souveräne Staatsgewalt, daß diese die zugleich unabhängige und höchste Gewalt darstelle, wobei sich das Merkmal der Unabhängigkeit auf den äußeren, das des Zuhöchstseins auf den inneren Aspekt der Souveränität beziehe. 856 Souveräne Gewalt sei hierbei nicht als staatliche Allmacht zu verstehen, vielmehr als rechtliche Macht und daher durch das Recht gebunden. 857 Dabei könne die souveräne Gewalt allerdings den Umfang ihrer Bindung an das Recht immer selbst bestimmen. 858 Diese beiderseitige Verbindlichkeit des Gesetzes für den einzelnen wie auch für den erlassenden Staat selbst mache die Souveränität zum Rechtsbegriff. 859 Sie werde so zur "Eigenschaft einer Staatsgewalt, kraft derer sie die ausschließliche Fähigkeit rechtlicher Selbstbestimmung und Selbstbindung hat"860. Dabei sei die Souveränität unteilbar und gleichzeitig auch nicht zwingende Voraussetzung des Staates.

Jellinek. Allgemeine Staatslehre, 435. Je/linek. Allgemeine Staatslehre. 453 f. 854 Jellinek. Allgemeine Staatslehre. 454. 855 Jellinek. Allgemeine Staatslehre, 461. 856 Jellinek. Allgemeine Staatslehre, 475. 857 Jellinek. Allgemeine Staatslehre. 482. 858 "Schrankenlos ist die souveräne Gewalt nur in dem Sinne, daß keine andere Macht sie rechtlich an der Änderung der eigenen Rechtsordnung verhindern kann." Jellinek. Allgemeine Staatslehre, 482. 859 "Erläßt der Staat ein Gesetz, so bindet es nicht nur die einzelnen. sondern auch seine eigene Tätigkeit rechtlich an dessen Normen. Er befiehlt im Gesetze auch den ihm als Organe dienenden Personen, ihren Organwillen dem Gesetz gemäß zu gestalten. Da aber der Organwille Staatswille ist, so bindet der Staat durch Bindung der Organe sich selbst." Jellinek. Allgemeine Staatslehre, 478. 860 Jellinek. Allgemeine Staatslehre, 481. 852 853

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Andere Staatslehrer setzten, den Bundesstaat der RV 1871 vor Augen, die Souveränität mit der unbeschränkten Rechtsmacht des Staates über seine Kompetenzen (Kompetenz-Kompetenz) gleich. 861 Sowohl die lellineksche Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates durch das Recht als auch die Zwei-Seiten-Theorie des Staates sind durch Hans Kelsen rezipiert worden 862 , wenn auch Kelsen durch die Ineinssetzung von Staat und Rechtsordnung die allgemeine Soziallehre des Staates nicht mehr behandelte und auch das Problem der Selbstbindung der Staatsgewalt durch das Recht ad absurdum führte. 863 Jedoch verabschiedete sich die Staatslehre damit noch nicht endgültig von einer Diskussion der Souveränität in der Gesamtheit ihres Verhältnisses von Staat und Recht. Vielmehr fand in den 20er Jahren durch die Schriften von Schmitt, Smend und Heller noch eine die sich entwickelnden wissenschaftlichen Teildisziplinen integrierende Debatte statt. Erst danach kam es zu der Ausdifferenzierung auch der Souveränitätsdebatte in die politikwissenschaftliche, soziologische und völkerrechtliche Disziplinen. 864 Auch heute wird Souveränität als höchste Gewalt von Rechts wegen definiert. 865 Insofern ist souverän, wer über den Normalzustand entscheidet. 866 Der moderne Verfassungs staat bindet die Staatsgewalt nach innen an die Verfassung und - soweit inkorporiert - auch an den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz. Nach außen ist der Staat völkerrechtsunmittelbar und damit ebenfalls rechtlich gebunden. Rechtliche Souveränität wird heute als derogierende Gesetzgebungszuständigkeit definiert: souverän ist, wer Rechtsnormen einseitig ändern kann. 867 Neben dieser Kompetenz-Kompetenz umfaßt Souveränität das "Monopol legitimen physischen Zwanges .. 868 und damit das Gewaltmonopol869. Für den Staat im föderalen Haenel, Studien I, 149; Meyer, Staatsrecht, 23; Laband, Bd. I, 64. Kelsen, Soziologischer und juristischer Staatsbegriff, 132 ff. und 114 ff. 863 Nach Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 109, kann es rechtslogisch keine "höchste Gewalt" geben, die unter dem Recht stehe. Deshalb kann Recht und Souveränität nur als Einheit gedacht werden. 864 Hebeisen, 27. 86S RandelzhoJer, HStR, Bd. I, 700. 866 So Wildhaber, in: FS-Eichenberger, 140, in bewußter Antithese zu Carl Schmitts Satz: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", Schmitt, Politische Theologie, 9. 867 Quaritsch, 510. 868 Max Weber, 29. 869 RandelzhoJer, HStR, Bd. I, 706. 861

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System der EU wäre auch insofern zu fragen, ob ihm noch Kompetenz-Kompetenz und Gewaltmonopol zugewiesen werden können. Soll hingegen aus rein sozialwissenschaftlicher Sicht das Bündel an unabhängigen Herrschaftsbefugnissen eines einzelnen Staates beschrieben werden, so ist das materielle, politische Souveränitätsverständnis angesprochen. 870 Unter Verzicht auf die formalistischen Konstruktionen der Rechtswissenschaft wird hier Staatsgewalt als ein Bündel faktischer Macht mit Souveränität gleichgesetzt. Es kommt hier also auf die Unabhängigkeit des Staates in faktischer Hinsicht an. Diese faktische Unabhängigkeit wird bezüglich der inneren Souveränität durch das Wiedererstarken intermediärer Gewalten, insbesondere der Interessenverbände, in Frage gestellt. Dagegen kann der Wandel der äußeren materiellen Souveränität etwa am Aufgabenwandel internationaler Organisationen hinsichtlich der Qualität ihrer Regelungszuständigkeiten verdeutlicht werden. 871 Die Einschränkung der Autonomie ist zum Normalfall des souveränen Staates geworden. 872 Ob man darin einen Verlust auch der formellen äußeren Souveränität erkennen will, bleibt der juristischen Definitionsgewalt überlassen. Selbstbindung durch völkerrechtliche Verträge und die Schaffung internationaler Organisationen können zwar auch als Ausübung und nicht als Aufgabe staatlicher Souveränität angesehen werden 873 , materiell können sie die Autonomie des Staates aber einschränken. Dies gilt zum einen dann, wenn die Auflösung der Verpflichtung nicht mehr möglich erscheint, wobei auch hier wieder zwischen der faktischen und rechtlichen Möglichkeit zu differenzieren ist. Zum anderen wird die Souveränität durch die Abkehr von der klassischen Sicht des Völkerrechts als Koordinationsrecht eingeschränkt. In den Bereichen des Völkerrechts, in denen durch Institutionen oder Normen, denen objektive Geltung zukommt, vom Willen des einzelnen Staates unabhängige Rechtssetzung vorgenommen wird874, erfährt auch die materielle Souveränität des Staates 870 Nicht gemeint ist hiermit ein soziologischer Souveränitätsbegriff wie ihn H. Heller und H. Laski vertreten haben. Vgl. dazu Heller, Souveränität, 31 ff., und Laski, 16. 871 Biehler, Der Staat 35 (1996), 99. 872 Wildhaber, in: FS-Eichenberger, 143. 873 StIGH im Wimbledon-Fall, PCIJ Series A, 1923,25: "The Court declines to see in the conciusion of any Treaty by which aState undertakes to perform or refrain from performing a particular act an abandonment of its sovereignty ... the right of entering into international engagements is an attribute of State sovereignty." 874 Vgl. zu den objektiv-rechtlich geltenden Verträgen DahmiDelbrückIWolfrum, Bd. 1/1, 52 ff. Sehr überzeugend in Frage gestellt wird die Relevanz des einzelstaatlichen Willens in der Praxis der Völkerrechtsquellenlehre durch Chamey, AJIL 87 (1993), 529 ff. (534): ''The role of state consent in each of (the sources) is limited, at best". Eine besondere

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eine Einschränkung. Wenn bei solchen völkerrechtlichen Verträgen oder Institutionen eine Auflösungsmöglichkeit nicht mehr gegeben ist oder der einzelne Staat innerhalb eines Mehrheitsverfahrens überstimmt werden kann und das so entstandene Recht unmittelbar in seinem Staatsinneren gilt, dann verliert er für diesen Bereich auch materiell seine Souveränität. 875 Gerade im föderalen System der EU läßt sich eine beträchtliche Ausweitung der Wahrnehmung traditioneller und neuer staatlicher Aufgaben auf der höheren Ebene feststellen. 876 Kaum ein Bereich staatlicher Aufgaben wird nicht in irgendeiner Weise von Gemeinschafts- bzw. Unionsregelungen tangiert. 877 Auch sind die Gründungsverträge der EU als institutionelle Verträge von vornherein in besonderer Weise souveränitätsbeschränkend. Trotzdem kann die Frage, in welchem Umfange in bezug auf die Mitgliedstaaten der EU schon von einem Verschwinden der materiellen Souveränität gesprochen werden kann, nicht abstrakt geklärt werden. Sie muß Ergebnis empirischer Analyse und letztlich eigener Wertung sein. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß sofern seine Notwendigkeit nicht bereits grundsätzlich geleugnet wird878 , der Souveränitätsbegriff immer eine geschichtliche Antwort auf eine bestimmte geschichtliche Problemlage darstellte. 879 Souveränität ist insofern eine historische und keine absolute Kategorie. 88o Das deutet schon darauf hin, daß es sich bei der Souveränität nicht um einen ausschließlich rechtsdogrnatischen Begriff handeln kann, sondern daß ihm vielmehr eine besondere Nähe zum Politischen zu eigen war und ist.

Einschränkung stellen diejenigen Normen des Völkerrechts dar, denen ius cogens-Charakter zuzusprechen ist, vgl. dazu Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 210 ff. Als eine neue Kategorie objektiv wirkender Völkerrechtsnormen wird über die Bezeichnung "public interest norms" nachgedacht, vgl. dazu Riedel, Public Interest Norms, 89 ff. 875 Doehring, in: FG-Forsthoff, 121. 876 Wesseis, PVS 23 (1992), 36. Wenn auch die Aufgabenfülle im Vergleich mit dem Reich von 1871 noch beschränkt ist, dazu oben Teil I, B.III.1.e). 877 DahmiDelbrückIWolfrum, Bd. 1/1,11,219; Everling. in: FS-Doehring, 185 f. 878 Preuss, 135: "Die Eliminierung des Souveränitäts begriffs aus der Dogmatik des Staatsrechts ist nur ein kleiner Schritt vorwärts auf der von unserer Wissenschaft längst eingeschlagenen Bahn". Ebenso ist für den französischen Syndikalisten Uon Duguit die Souveränität für seinen als Dienstleistungsanstalt verstandenen Staat entbehrlich: «L'Etat n' est pas, comme on a voulu le faire et comme on a cru quelque temps qu' ill' etait, une puissance qui commande, une souverainete; il est une corporation de services publics organisees par les gouvernants». Ders., 59. 879 Häberle, AöR 92 (1967), 265. 88°1ellinek, Allgemeine Staatslehre, 475.

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2. Die Souveränität nach innen und außen Als weitere Differenzierung wird zwischen einer inneren und einer äußeren Souveränität unterschieden. Während Souveränität im Völkerrecht die Unabhängigkeit und Völkerrechtsunmittelbarkeit ausdrücke, hebe die staatsrechtliche Betrachtung ihre Bedeutung als die höchste Kompetenz zur Rechtssetzung hervor. 881 Diese Unterscheidung ist historisch begründet, da sich die staatliche Gewalt gegen drei mittelalterliche Mächte, der Kirchengewalt, der Gewalt des römischen Reiches und der autonomen Lehensträger durchsetzen mußte. 882 Staatliche Herrschaftsansprüche mußten also nach innen genauso durchgesetzt werden, wie Unabhängigkeit nach außen zu fordern war. Damit war die Voraussetzung für die Entwicklung einer inneren und äußeren Souveränität in Abgrenzung zu anderen Gewalten gegeben, die Souveränität war insofern ein "polemischer Begriff'883. Von Jean Bodin wurde diese Unterscheidung theoretisch verarbeitet. 884 Weitgehende dogmatische Konsequenzen können aus dieser Unterscheidung nicht gefolgert werden. Mit der Unterteilung in innere und äußere Souveränität kann eigentlich nur die Bündelung von Rechten, die dem Staat gegenüber seinem Staatsvolk auf seinem Hoheitsgebiet zustehen, bzw. denjenigen, die gegenüber anderen Staaten bestehen, gemeint sein. Nicht aber etwas qualitativ Unterschiedliches. Damit ist die staatsrechtliche nicht eine von der völkerrechtlichen Souveränität zu trennende Größe, sondern ein und dieselbe. 885 Das bedeutet aber auch, daß der souveräne Staat, der zugunsten einer zwischenstaatlichen Integration die Ausübung von Hoheitsrechten aufgibt, damit auch die souveräne Ausübung derselben Rechte im innerstaatlichen Raum verliert, ansonsten verhält er sich vertragsbrüchig oder rechtswidrig. 886 Andererseits bedeutet ein innerstaatlicher Verlust an Kompetenzen, etwa zugunsten regionaler Einheiten, daß in diesen Bereichen auch 881 Wildhaber, in: FS-Eichenberger, 132. 882 lellinek, Allgemeine Staatslehre, 440. 8831ellinek, Allgemeine Staatslehre, 441. 884 Quaritsch, 381 f. Nach Bodin ist die Souveränität "la puissance absolue et perpetuelle d'une Republique ... ", lean Bodin, Les Six Livres de la Republique (1576, Aufl. von

Paris 1583), Buch I, Kap. 8, 122. Die äußere Souveränität wird so beschrieben: «Celuyest absoluement souverain, qui ne tient rien, apres Dieu, que de l'espee. S'il tient d'autruy, il n'est plus souverain ... », Bodin, Buch I, Kap. 9,162. Nach innen besteht die Souveränität in der absoluten Gewalt über die Gesetzgebung: «... le point principal de la maieste souveraine, et puissance absolue, gist principalement a donner loy aux subiects en general sans leur consentement», Bodin, Buch I, Kap. 8, 142. 8851ellinek, Staatenverbindungen, 23; RandelzhoJer, HStR, Bd. I, 700. 886 Vgl. oben zur Kompetenz-Kompetenz Teil I, C.III.2.b)(2).

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die Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte im zwischenstaatlichen Verkehr beschränkt sein muß. 887 Damit steht fest, daß die äußere Souveränität nicht unabhängig ist von der inneren und umgekehrt. Schließlich wird auch hieran wieder deutlich, daß die Unterscheidung einer äußeren von einer inneren Souveränität letztlich dem Konzept eines bloß dualistisch gedachten Staats- und Föderalismusverständnis folgt, wonach Ausübung! Einschränkung der staatlichen Herrschaftsgewalt nur entweder intern oder extern gedacht werden können.

3. Der Träger der Souveränität im transnationalen Föderalismus Der Definition der Souveränität als ein Attribut des "Zuhöchstseins" sowie der "Einheit" und "Unteilbarkeit" entspricht es, diese Eigenschaft nur einer einzelnen Gewalt zuzuschreiben. Gleichzeitig soll somit die Legitimität einer bestimmten Ordnung bzw. des Trägers der Souveränität selbst zum Ausdruck gebracht werden. 888 Schon Bodin rechnet die Souveränität nicht abstrakt dem Staat zu, sondern dem König in Frankreich. Damit entwickelte sich in der Genese des Souveränitätsbegriffs neben der Frage, wie der Staat sich durch die Souveränität nach innen festigt und nach außen seine Unabhängigkeit bewahrt, der Streit um den genauen Träger der Souveränität im Staat. Der Gegensatz zwischen Fürstensouveränität und Volkssouveränität, zwischen monarchisch tradierter und neuer demokratisch legitimierter Ordnung wirkte so auch auf den Souveränitätsbegriff ein. In Großbritannien ist bis heute Träger der Souveränität "the King-in-Parliament", also die beiden Häuser des Parlaments im Zusammenwirken mit der Krone geblieben889, das Konzept "Staat" existiert staatsrechtlich gar nicht,890 während die deutsche

887 Vgl. nur zum Bund-Länder-Verhältnis in Deutschland Art. 73 Nr. 1 00 und Art. 32 Abs. 1 00, dazu Hesse, Verfassungsrecht, 98. 888 Hebeisen, 30. 889 Loewenstein, 61 ff. 890 Harden, PL (1994), 614: "In Britain, the concept ofthe 'state' does not play the same fundamental role in public law .... (614) 'State', it seems, was a mere rhetorical flourish and nothing significant turns on the distinction between 'state' and 'government'. However, despite the lack of a 'state tradition' in Britain, there is a connection, similar that of French constitutional thinking, between the constitution and the nation-state. The concept of the sovereignty of Parliament has served as a symbolic link between the ideas of national unity and of a system of government that is accountable to the people."

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Staatslehre aufbauend auf Hegel 891 und C. F. v. Gerber die Souveränität dem Staat selbst892 zugesprochen hatte. Als Träger der Souveränität wurde schließlich auch das Recht selbst angesehen, in dem Verständnis einer Rechtssouveränität, wie sie von Hugo Krabbe und Hans Kelsen entwickelt worden ist. Danach existiert "keine Staatsgewalt gegenüber der Rechtsgewalt, ... , sondern einzig und allein Rechtsgewalt, in welcher die Pflicht zum Gehorsam gründet"893. Damit beruhte die Theorie der Rechtssouveränität "auf dem Gedanken einer unpersönlichen, den Rechtsnormen, eben weil sie Rechtsnormen sind, eigenen Gewalt. Letztere Theorie ist die Frucht höherer Kultur und setzt die Fähigkeit abstrakten Denkens voraus. ,,894 Insbesondere durch die Identifikation des Staates mit der Rechtsordnung bei Hans Kelsen 895 wird allerdings die Frage nach den Grenzen der Staatsgewalt letztlich ad absurdum geführt. Auch um die Gefahr in Rechtsform gegossenen "unrichtigen Rechts,,896 aus zu-

891 Wenn auch Hegel von der grundSätzlichen Staats souveränität ausgeht, so ist doch der Monarch das wesentliche Organ der Staatsgewalt. Die fürstliche Gewalt ist es, in der sich "das individuelle des Staates als solches" manifestiert. Das "absolut entscheidende Moment des Ganzen" ist daher "Ein Individuum, der Monarch". Die Souveränität des Staates als Entscheidungsgewalt müsse daher alle Unterschiede in sich enthalten, "die Persönlichkeit des Staates ist nur als eine Person, der Monarch wirklich". Dabei ist der Monarch nicht als etwas Abgeleitetes zu verstehen, vielmehr sei das Recht des Monarchen als auf göttliche Autorität gegründet zu betrachten, vgl. Hegel, Rechtsphilosophie, § 279. Auf die Besonderheit des Charakters des Monarchen komme es dabei nicht an, dessen Aufgabe sei es nur das "lch will" als Person gefaßt zu verkörpern, man brauche nur einen "Menschen, der ja sagt und den Punkt auf das setzt ... , in einer wohlgeordneten Monarchie kommt dem Gesetz allein die objektive Seite zu, welchem der Monarch nur das subjektive hinzuzusetzen hat ... ", § 280 Zusatz. 892 Dies setzt ein Verständnis des Staates als eigenständige Rechtspersönlichkeit voraus, Hebeisen, 31. Es läßt sich die These von der Staatssouveränität auch mit dem Aufkommen der Gewaltenteilung begründen, da hierdurch die Souveränität aller Einheiten im Staat nicht mehr denkbar war, vgl. Rub, 440. Diese Ansicht berücksichtigt aber nicht die Unterscheidung des pouvoir constituant, der im Moment der Verfassungsgebung die Souveräni tät innehat, vom hierdurch geschaffenen pouvoir constitue, dessen Gewalten aufgegliedert sein können. 893 Krabbe, 245 894 Krabbe, 47. 895 "Ist der Staat aber als Rechtsordnung souverän, dann erledigt sich der Streit, ob Souveränität eine Eigenschaft des Staates oder des Rechtes sei. Souveränität ist die Eigenschaft des Rechtes, weil Eigenschaft des Staates." Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 102. 896 Radbruch, 345.

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schließen, muß die Souveränität als den Trägern öffenlicher Gewalt zugeordnet und durch das Recht begrenzt definiert werden. 897 Auch das für diese Arbeit zentrale Problem der Zuordnung der Souveränität in einem föderalen System hängt eng mit der Frage nach ihrem Träger zusammen. Unabhängig von ihrer konkreten Zuordnung zum Staat als Staats souveränität oder zu einer Gewalt im Staate als Parlaments-, Fürsten- oder Verfassungssouveränität, kann Souveränität als Eigenschaft des "Zuhöchstseins" von einer gewaltenmonistischen Betrachtungsweise ausgehend immer nur einem einzigen Träger zugeordnet werden. Da sie ihrem Träger nach dieser Vorstellung umfassend zusteht,898 erscheint eine Teilung der Souveränität als Widerspruch in sich. Zu dieser gewaltenmonistischen Interpretation der Souveränität paßt eine Inhaltsbeschreibung der Souveränität als Kompetenz-Kompetenz. Dem Träger der Souveränität kommt als alleiniger Inhaber der Souveränität die rechtliche Fähigkeit zu, seine Kompetenzen eigenständig auszuweiten. Kein anderer ist hierzu in der Lage. Hiergegen kann ein den Bedingungen des in das internationale System eingebundenen Verfassungsstaat angemesseneres Souveränitätsverständnis entwickelt werden. Auch hierfür muß der Glaube überwunden werden, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung sei nur in gewaltenmonistischen, hierarchischen Ordnungen möglich. Föderale Systeme wie auch das Auftreten neuer Handlungseinheiten im internationalen System stellen die These, daß alles Recht immer in einem einzigen Souverän zu finden sei, in Frage. 899 Will man dennoch den Souveränitätsbegriff als Eigenschaftsbeschreibung von Staatsgewalt aufrechterhalten, so ist festzuhalten, daß Souveränität mehreren Trägern in einem föderalen System zukommen muß. Allerdings ist zu beachten, daß es im Unterschied zum Waitzschen Verständnis hierbei nicht um die Aufteilung der Souveränität selbst geht. Diese ist im Sinne eines "Zuhöchstseins" als Eigenschaft der Staatsgewalt zu begreifen. Eine solche Eigenschaft kann nur entweder bestehen oder nichtbestehen, sie ist aber nicht teilbar. Was aufgeteilt werden kann, ist die Staatsgewalt selbst, einzelne Hoheitsrechte können übertragen werden. Es soll daher im folgenden entgegen der Diktion der liberalen Bundesstaatstheorie

897 Die Souveränität ist auf die staatlich verfaßte soziale Willenseinheit zu beziehen, vgl. Heller, Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. 11, 81. 898 Nach Wildhaber, in: FS-Eichenberger, 141, kommt der Fragestellung nach einem alleinigen Souveränitätsträger ein bedrohend totalitärer und unfreier Unterton zu. 899 Frowein, EuR 1995,317, weist daraufhin, daß die gewaltenmonistische Rückführung souveräner Entscheidung auf das souveräne Volk, wodurch nur eine einzige souveräne Gewalt zugelassen wird, schon den Bundesstaat nicht zu erklären vermag.

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des 19. Iahrhunderts 900 nicht von einer Aufteilung der Souveränität, sondern von einer Teilung der Staatsgewalt gesprochen werden. Souveränität läßt sich danach als Eigenschaft der aus einem Bündel einzelner Hoheitsrechte bestehenden öffentlich-rechtlichen Gewalt verstehen. "Souverän" und damit "zu-höchst" ist dann ein bestimmter Träger öffentlich-rechtlicher Gewalt bezüglich der Ausübung jedes einzelnen dieser ihm zustehenden Hoheitsrechte. Die Hoheitsrechte werden dann als teilbar und daher auch übertragbar gedacht. Nur so läßt sich auch die Übertragung von Hoheitsgewalt auf zwischenstaatliche Einrichtungen begründen. 901 Als verbleibender Inhalt der Souveränität steht bei dieser Interpretation der Aspekt des Gewaltmonopols im Vordergrund. Es ist zu fragen, wer bezüglich der Ausübung eines bestimmten Rechtes Inhaber der alleinigen, "zu-höchsten" Gewalt ist, und zwar für den Mitgliedstaat im klassischen Verständnis des Gewaltmonompols als des Monopols über die Ausübung physischen Zwanges und für die Ebene der EU immerhin schon im Sinne einer "Letztentscheidungskompetenz" in bezug auf ihre eigenen Kompetenzen. Die Idee einer umfassenden Möglichkeit, die eigene Hoheitsgewalt eigenständig zu erweitern (Kompetenz-Kompetenz), tritt demgegenüber in den Hintergrund. Es sprechen noch weitere Gründe für eine solche Konstruktion der rechtlichen Souveränität unter Verzicht auf die Kompetenz-Kompetenz. Nicht nur nach außen im Geflecht der internationalen Beziehungen, sondern auch nach innen ist die Staatsgewalt unter der Herrschaft der Volkssouveränität nicht mehr unbeschränkt. Der Staat übt die vom Volk ausgehende Herrschaftsgewalt nur noch treuhänderisch aus. Eine vom Volk abgeleitete Staatsgewalt ist nur als geteilte Staatsgewalt denkbar. Macht ist im demokratischen Verfassungsstaat geteilt: "Zuhöchst muß im Rechtsstaat die gebändigte, rechtlich verfaßte und einer Mehrzahl von Herrschaftsträgern vom Volk zur Verwirklichung anvertraute Ordnung stehen"902. Damit gibt es aktuell keinen Souverän im demokratischen Verfassungsstaat. 903 Der "pouvoir constituant" ist rechtlich eingebundene Staatsgewalt, eben "pouvoir

900

V gl. dazu oben Teil I, C.Ll.

Von einer "Übertragung" spricht Art. 24 Abs. 1 00. Dagegen wird auch gesagt, die entsprechenden Hoheitsrechte würden nicht übertragen, sondern enstünden für die geschaffene zwischenstaatliche Organisation neu und originär. Die mitgliedstaatlichen Hoheitsrechte ruhten solange, vgl. RandelzhoJer, in: MaunzlDürig, Art. 24, Rdn. 55. Zweifelhaft ist, ob bei Annahme einer unwiderrutbaren Übertragung von Hoheitsrechten von einem "Ruhen" der Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten noch ausgegangen werden kann. 902 Wildhaber, in: PS Eichenberger, 141. 903 Kriele, 275. 901

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constitue".904 Diese Staatsgewalt ist von vornherein weder unbeschränkt, noch unteilbar. Die Aufgliederung wird in einem föderalen System besonders offensichtlich. Neben die horizontale tritt die vertikale Gewaltenteilung. 905 Diese allgemeinen Überlegungen lassen sich nun auch auf das föderale System der EU anwenden. Zur formalen Erfassung des Verhältnisses von europäischer und nationaler Rechtsordnung erscheint das Modell einer geteilten Staatsgewalt als sinnvolles Denkscherna. 906 Entgegen dem Konzept einer geteilten Souveränität, wie es der amerikanischen Föderalismustheorie zugrunde lag und über Alexis de Tocqueville und Georg Waitz auch die bundesstaatliche Diskussion zwischen Paulskirchenverfassung von 1849 und Reichsverfassung von 1871 entscheidend beeinflußte, wird die Unteilbarkeit der Souveränität als Eigenschaft der Staatsgewalt danach anerkannt, die Staatsgewalt selbst jedoch als teilbar und übertragbar definiert. Als Erklärung für den Bundesstaat hat diese Vorstellung auch in der jüngeren deutschen Staatslehre wieder Anhänger gefunden. 907 Auch im föderalen System der EU ist die Ausübung öffentlich-rechtlicher Gewalt aufgeteilt auf verschiedene Träger. Auch für die EU ist damit die Aufteilung der Gewalten charakteristisch. Ein Gewaltenmonismus besteht nur insofern, als daß auch die Hoheitsgewalt der EU sich letztlich demokratisch legitimieren muß, d. h. unter der Bedingung der Volkssouveränität existiert. Für den Bereich der der EU übertragenen Kompetenzen existiert nach dem hier entwickelten Verständnis keine mitgliedstaatliche Souveränität im absoluten Sinne mehr, auch wenn der Begriff der Souveränität noch so sehr durch die Freiwilligkeit der erfolgten Selbstverpflichtung relativiert wird. 9OB Insofern beschränkt sich die "souveräne Staatsgewalt" der Mitgliedstaaten der EU auf denjenigen Bereich der Staatsgewalt, welcher nicht auf die EU übertragen wurde. Der Begriff der mitgliedstaatlichen Souveränität reduziert sich im föderalen System der EU auf das Monopol, Hoheitsrechte mittels Zwang durchsetzen zu 904 Bereits Bodin hatte diese Unterscheidung zwischen dem pouvoir constituant, also der originären Staatsgewalt, und dem pouvoir constitue, also der abgeleiteten Staatsgewalt, vorweggenommen, vgl. Quaritsch, 313. 905 Dagegen aber Beaud, Der Staat 35 (1996),45. 906 Aufgrund der zunehmenden Kompetenzen des Europäischen Parlaments konsolidiert sich nach Oeter, ZaöRV 55 (1995), 685, ein Zustand geteilter Souveränität innerhalb der EU. 907 Vgl. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 198; Grussmann, in: v. Danwitz u. a. (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 33. Tagung, 1993, 63; Maunz, 217; Doehring, ZRP 1993,99; Everling, DVBI. 1993,942; Pemice, in: Isensee/Kirchhoj. HStR, Bd. VIII, 259. 908 Doehring, in: FS-Forsthoff, 121.

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können. Für die Gemeinschafts-lUnionsebene bedeutet "souveräne Gewalt" Letztentscheidungsbefugnisse in diesen Bereichen und in Ansätzen auch Exekutivbefugnisse. 909 Als die umfassende Kompetenz-Kompetenz zuordnender Begriff läßt sich Souveränität im föderalen System der EU hingegen nicht mehr auffassen. Das föderale System der EU ist ein komplexes Gefüge rechtlicher Beziehungen mit unitarischen und föderalen Bestrebungen, mit einer Aufteilung von Rechtssetzung und Durchführung zwischen EU und Mitgliedstaaten bzw., im Falle der Bundesrepublik Deutschland, auch noch zwischen Bund und Ländern. Ausübung öffentlicher Gewalt findet auf allen Ebenen statt, die Staatsgewalt ist horizontal wie vertikal geteilt. Der Rückführung der Staatsgewalt auf die Volkssouveränität kommt dabei nicht die Funktion zu, einen rechtlichen oder faktischen Gewaltenmonismus zu beschreiben, vielmehr dient sie ausschließlich als Legitimationsgrundlage. 910 Für eine Einordnung des Staates im föderalen System der EU ist der staatsrechtliche Begriff der Souveränität verstanden als absoluter, die Kompetenz-Kompetenz einschließender Begriff damit entbehrlich geworden. Föderalismus und absolut verstandene Souveränität stehen schon grundSätzlich in einem nicht lösbaren Spannungsverhältnis. 911 Wenn das Wesen einer Föderation in der Existenz zweier Gewalten auf einem Territorium besteht, dann schließen sich Souveränität und Föderalismus aus.9\2 Nicht etwa, weil ab einem gewissen Punkt der Übertragung von Hoheitsrechten nicht mehr von Souveränität gesprochen werden kann. Wenn etwa angeführt wird, daß der Souveränitätsverlust nicht so umfassend sei, daß die Staatsqualität der Mitgliedstaaten betroffen werde913 , so liegt dem doch wieder ein materielles Souveränitätsverständnis zugrunde. Die hierauf bezogene Wertung bleibt aber, wie oben festgestellt, dem subjektiven Belieben überlassen. Die Spannung zwischen Souveränität und Föderalismus besteht vielmehr deswegen, weil die im Begriff der Souveränität implizierte gewaltenmonistische Ableitung von Hoheitsgewalt aus der einen oder anderen Ebene des transnationalen föderalen Systems, der faktischen und rechtlichen Verwobenheit aller beteiligten Ebenen bzw. Teilrechtsordnungen nicht gerecht werden kann. Als Rechtsbegriff bedeutet Souveränität danach nur noch eine mögliche Eigenschaft von Staatsgewalt, nämlich die der Letztentscheidungsbefugnis, gegebenenfalls des GewaltZu letzteren oben Teil I, B.III.l.c). Zur Funktion der Legitimitätsfrage als Innenseite der Souveränitätsfrage Krie/e, 19 ff.; in diesem Sinne auch Fleiner-Gerster, 190. 911 Dazu oben Teil I, A.II. 912 Beaud, Der Staat 35 (1996),46. 913 Doehring, in: FS-Forsthoff, 121; Everling, in: FS-Doehring, 179. 909

910

13 Böhmer

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monopols sowie der Legitimationsfunktion in Form der Volkssouveränität. Die Staatsgewalt selbst ist teilbar und übertragbar, nicht aber die Souveränität. 914 Diese Aufteilung der Hoheitsgewalt im transnationalen föderalen System auf mehrere Ebenen kongruiert mit der oben dargelegten Konstruktion von auf mehreren Grundnormen beruhenden Teilrechtsordnungen im föderalen System der EU.9\5 Die faktischen Geltungsbehauptungen der EU-Organe und der Mitgliedstaaten bezogen auf ihre jeweiligen Teilrechtsordnungen lassen sich so wieder in Übereinstimmung mit dem Souveränitätsbegriff bringen.

11. Der klassische Staatsbegriff und der Mitgliedstaat der EU Nicht nur das Element der Souveränität, auch die anderen Elemente des klassischen Staatsbegriffs916 unterliegen im föderalen System der EU einer veränderten Bedeutung.9\7 Auch heute scheint das zugrundegelegte Verständnis von Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staats volk von einem statischen Idealtyp der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts auszugehen. 918 Die Betrachtung des Staates wird geprägt vom Bild des geschlossenen, nationalen und parlamentarischen Verfassungsstaat.919 Ein gewandeltes Staats verständnis ist jedoch gerade Voraussetzung für ein Verständnis des föderalen Systems der EU. Die entscheidende Frage innerhalb des föderalen Systems Europäische Union ist nicht, ob die EU selbst Staat ist, also die Elemente Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt erfüllt. 92D Vielmehr ist umgekehrt zu fragen, ob der Staat in Europa selbst diesen Kriterien noch genügt 914 Von einer geteilten Souveränität gehen hingegen aus Oerer, ZaöRV 55 (1995), 686; ders., Integration und Subsidiarität, 382; Frowein, EuR 1995,318; Pe mice, EuR 1996,30 und Fußnote 17 m. w. N. 915 V gl. oben Teil 11, A.U. 916 Zum klassischen Staatsbegriff nach lellinek oben Teil I, C.IILI. 917 Zum tatsächlichen Wandel dieser Kriterien der lellinekschen Elementenlehre eingehend Saladin, 18 ff. 918 WesseIs, PVS 23 (1992), 39. Ausführlich zu diesem introvertierten, an den Kategorien der abgeschlossenen Territorialstaatlichkeit orientierten, Staatsbild der deutschen Staatslehre auch nach 1945 Habe, Verfassungsstaat, 120 ff. Insbesondere auch das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann als exemplarisch für ein eher staatszentrisch introvertiertes Verständnis von Staatlichkeit angeführt werden, vgl. auch hierzu Habe, Verfassungsstaat, 131 f. 919 WesseIs, PVS 23 (1992), 39. 920 Dies untersuchen aber Blanke, DÖV 1993,415 ff.; Koenig/Pechsrein, 20 f.; vgl. ferner oben Teil I, c.m.l.

C. Der Staat im einheitlichen föderalen System der EU

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bzw. ob diese Kriterien heutiger staatlicher Organisation von Herrschaftsgewalt in Europa noch angemessen sind. 921 Gerade die Problematik des Begriffs des "Staatenverbundes" als Bezeichnung der EU läßt sich darauf zurückführen, daß die Staaten, um deren Zusammenschluß es dabei geht, ihren Charakter geändert haben. Die Funktion eines transnationalen Föderalismusverständnisses kann nur dann angemessen begriffen werden, wenn die dabei im Spiel befindlichen Vorstellungen vom Wesen und von den Aufgaben des Staates sowie seinen diesbezüglichen Veränderungen mitbedacht werden. 922 Der für den Mitgliedstaat der EU schon dargelegte Wandel hinsichtlich der Einbuße seiner rechtlichen Souveränität i. S. v. Kompetenz-Kompetenz wird auf der Ebene der Staatsaufgaben komplettiert durch die Unmöglichkeit, eine Vielzahl von öffentlichen Aufgaben allein auf nationaler Ebene zu lösen. 923 Was verbleibt dann aber noch dem Staat als "staatsspezifische Finalität"? Was legitimiert seine politische Existenz im Unterschied zu der von Staatengemeinschaften? Zwar hinderten die ideologischen Gegensätze der Staatengemeinschaft bislang eine Anreicherung des Staatsbegriffs um Kriterien der Legitimität,924 Jedoch stellt sich die Frage der Werteheterogenität in den Verfassungsstaaten Europas nicht mit der gleichen Schärfe. Hier könnte sich die Legitimität der staatlichen Ausübung öffentlicher Gewalt im Gegensatz zu ihrer Abgabe an überstaatliche Einheiten nach materiellen Kriterien sinnvoll beschreiben lassen. 925 Dafür ist nach den charakteristischen Aufgaben des Staates zu fragen.

J. Staatszwecklehre - Staatsaufgabenlehre

Schon für Jellinek läßt sich jedenfalls "nur vom Standpunkte der Staatszwecke aus [ ... ] ein Urteil über Wert und Unwert der Politik eines Staates fällen"926. In der Tat ist die am häufigsten erwähnte Aufgabe der Staatszwecke die der Recht921 Dazu Delbrück, Zusammenschlüsse, 480 ff. 922 SchneiderIWesseis, in: SchneiderIWesseis, Die Föderale Union-Europas Zukunft?,

16.

923 Zur Internationalisierung der Staatsziele durch das Völkerrecht vgl. Sommermann, Staatsziele, 252 ff. Als Bereiche werden genannt: Frieden, Menschenwürde und Freiheit, Soziale Prinzipien, Kultur und Umwelt. 924 Isensee, HStR, Bd. I, 2. Aufl., 604. 925 Für einen materiellen Staatsbegriff spricht sich auch Bleckmann, Staats- und Völkerrechtslehre, 117 f., aus. Von einer an der Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben orientierten Staatsbeschreibung geht auch Saladin, 38 ff., aus. 9261ellinek, Allgemeine Staatslehre, 237.

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fertigung staatlichen Handelns. 927 Unter "Staatszwecken" sind hier keine anwendungsfähigen Rechtsregeln, sondern Rechtsprinzipien zu verstehen. Prinzipien sind nun ihrerseits bloße Optimierungsgebote, die "gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohem Maße realisiert wird"928. Staatszwecke beschreiben somit anzustrebende Idealzustände. Sie lassen sich nur begrenzt durch Auslegung einer konkreten Verfassung ermitteln, vielmehr nur unter Reflexion auf die dahinterstehende Staatszwecktradition darstellen. Bereits im Rahmen der dem statischen Staatsverständnis verhafteten klassischen normativen Legitimitätsbegründung stellte sich die Frage nach dem Staatszweck. Während hier allerdings der Staat schlechthin als Selbstzweck klassifiziert wurde, ist für die neuere Staatslehre eine Legitimitätsbegründung des Staates nur über die Erfüllung materieller Aufgaben denkbar. Für die moderne "offene Gesellschaft"929 ist die Antwort auf die Frage nach der richtigen Verhaltens- und Entscheidungs wahl nicht mehr normativ-metaphysisch vorgegeben, sie kann aber aus den Staatszwecken hergeleitet werden. Schon von den historischen Staatslehren wurde als Zweck des Staates die Steigerung der Wohlfahrt aller, der Topos des "Gemeinwohls" angegeben. 930 Dieser Zweck ließ sich dabei immer sowohl zur Beschränkung als auch zur Begründung von Herrschaftsmacht heranziehen. So wurde zum Beispiel die Einziehung von Kirchengut zur Zeit der Reformation oder Eingriffe des Landesherrn in Freiheit und Eigentum mit dem "Gemeinnutz" gerechtfertigt. Auch in der französischen Revolution wurde mit "la bonheur commune"931 Staatsgewalt gerechtfertigt.932 Aufgrund dieser Beispiele wird deutlich, daß der zu bestimmende Inhalt des Begriffs den subjektiven Anschauungen des jeweiligen Machtinhabers überlassen blieb. Wegen dieser beliebigen Ausdeutbarkeit wird die Gemeinwohlformel zunehmend auch als unbrauchbar abgelehnt. 933

927 Brugger, NJW 1989, 2429; Bull, 43, schlägt sogar vor, den Begriff des "Staatszwecks" nur noch für die Frage der Rechtfertigung von Staat zu verwenden und den Aspekt der Begrenzung von Staatsgewalt durch Staatszwecke aus dem Begriff herauszuhalten. 928 Alexy, Theorie der Grundrechte, 75. 929 Zum Begriff Popper, 5 ff. 930 So Merk, 3, schon über die germanischen Staatswesen; auch C. Wolf!, lus gentium methodo scientifica pertractatum, Kap. VIII, §§ 963 ff. (767 ff.); auch Thomas von Aquin, De regimine Principum, 1,14. 931 Artikel I der Iacobinischen Verfassung vom 24.6.1793. 932 Bult, 23. 933 So schon lellinek, Allgemeine Staatslehre, 244; Bull, 21,29,46,199; Kriele, 29 ff.

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Dieser Vorwurf läßt sich wohl gegenüber den heutigen Konkretisierungsversuehen des Gemeinwohlbegriffs nicht erheben. Als Konkretisierungstopoi in der modemen Staatszweckdiskussion können die Zwecke der wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit gelten. 934 Problematisch an diesen modemen Staatszwecken für die Rechtfertigung des modemen Staates ist aber, daß der Bestand von wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit nicht allein vom Staat abhängig ist. Zum einen ist der Staat in der Marktwirtschaft zwar ein wichtiger, nicht aber entscheidender Wirtschaftsfaktor. Darüber hinaus hängen aber sowohl staatliche wie auch private Wirtschaftsträger von konjunkturellen weltwirtschaftlichen Bedingungen ab, die der einzelne Staat nur begrenzt beeinflussen kann. 935 Dies zeigt auf, daß der Frage nach der Legitimität von Staatsgewalt ein internationaler Bezug zukommt. 936 Auch der Rekurs auf diesen wichtigen Staatszweck der Verwirklichung des wirtschaftlichen Gemeinwohls spricht für die Notwendigkeit eines transnationalen Föderalismusverständnisses: Da der internationale Bezug moderner Aufgaben für den einzelnen Bürger nicht immer nachvollziehbar ist, werden wirtschaftliche Mißerfolge sonst überwiegend dem eigenen Staat zugeschrieben, der damit den ihm zugeschriebenen Zweck verfehle. Die Einbeziehung der Staatszwecke ,wirtschaftliche und soziale Sicherheit' erscheint somit als risikoreiche Legitimationsgrundlage für den modemen Verfassungsstaat. Ob sie wirklich legitimierend oder vielmehr Vertrauen zerstörend wirkt, bleibt internen Bedingungen der Marktwirtschaft sowie äußeren Faktoren mitüberlassen. Für den modemen demokratischen Verfassungsstaat ist es daher wichtig, daß seine Legitimität zumindest nicht ausschließlich an der erfolgreichen Gewährung wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit gemessen wird, insbesondere darf die dahingehende Erwartungshaltung seiner Bürger nicht unnötig erhöht werden. Vielmehr sollte die Abhängigkeit des modemen Verfassungsstaates von internationaler Kooperation und damit seine Angewiesenheit auf die erfolgreiche Bildung trans nationaler föderaler Strukturen stärker verdeutlicht werden. 934 Grimm, in: Politische Wissenschaft und politische Praxis, PVS-Sonderheft 9 (1978), 276; Staff, 436; Brugger, NJW 1989, 2434; Petev, Diskussionsbeitrag, in: Achterbergl Krawietz (Hrsg.), ARSP-Sonderheft, Legitimationsprobleme des modemen Staates, 1981, 111; ähnlich auch Maihofer, Legitimationsprobleme des modemen Staates, Diskussion, 99, als Solidaritätsproblem verstanden; speziell für die Bundesrepublik Deutschland Bull, 224 ff., 250 ff. 935 Das hat nicht zuletzt die Asienfinanzkrise wieder verdeutlicht, dazu Radelet/Sachs, 1,71. 936 Ress, VVDStRL 48 (1990), 79 ff.; Staff, 437; Grimm, Politische Wissenschaft und politische Praxis, PVS-Sonderheift 9 (1978), 276.

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Teil 11: Der transnationale Föderalismus

Eine andere, von Thomas Hobbes ausgehende Staatszwecktradition verweist dagegen auf die Bestimmung des Staates als Schutz- und Friedensordnung. 937 Hier noch auf die Selbsterhaltung des menschlichen Lebens beschränkt, erweitern die Theoretiker des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus, lohn Locke, Adam Smith und Wilhelm v. Humboldt. die Schutz- und Friedensordnung auf den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum. 938 Auch für den modernen demokratischen Verfassungsstaat bildet der Schutzanspruch für Leben, körperliche Unversehrtheit, individuelle Freiheit und Eigentum wesentliche Elemente der Staatlichkeit und damit auch seiner Legitimität. 939 Entscheidend für die Beständigkeit dieses Legitimitätsgrundes ist, daß der Staat seinen Schutzpflichten auch tatsächlich nachkommt. Hierbei ist aber einerseits darauf hinzuweisen, daß auch diesem Staatszweck wegen der Eingebundenheit des Sicherheitsproblems in internationale Dimensionen nur noch bedingt legitimierende Kraft zukommt. Organisierte Kriminalität und Terrorismus lassen sich einzel staatlich nur noch eingeschränkt wirkungsvoll bekämpfen. 940 Darüber hinaus wird es für den modernen Staat auch angesichts der Komplexität der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der damit verbundenen neuen Herausforderungen zunehmend schwieriger, dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung zu entsprechen. Dieses urnfaßt inzwischen nämlich nicht mehr primär den Schutz vor Raub und Diebstahl, vielmehr kommen als neue Schutzbedürfnisse etwa der Schutz vor Immissionen, atomaren Risiken und sonstigen umweltbedingten Gesundheitsgefährdungen hinzu. 941 Auch der Staatszweck Schutz- und Friedensordnung942 überfordert damit den modernen Staat zunehmend, kann ihn deshalb auch nur noch begrenzt legitimieren. Dies führt zu der Ansicht, der klassische Nationalstaat müsse überwunden werden durch sein Aufgehen in einer höheren Ordnung, bis hin zur Bildung eines Weltstaates. 943 Ein solches "Aufgehen" in einer höheren Einheit bedeutet aber sicherlich nicht sein 937 Nach Link, VVDStRL 48 (1990), 27, läßt sich diese Tradition auch als weitere Konkretion des Staatszwecks "Gemeinwohl" darstellen, wie hier hingegen Küchenhoff, 108 ff. Andererseits läßt sich auch eine Stufung nach der Wichtigkeit der Staatszwecke in dem Sinne vornehmen, daß zunächst die Zwecke des "protective state" zu verwirklichen sind, bevor zu den anspruchsvolleren Staatszwecken des "productive state" übergeleitet werden kann, in diesem Sinne etwa Brugger, NJW 1989, 2433. 938 Dazu Bull, 22 ff. 939 Link, VVDStRL 48 (1990), 27, 31. 940 Ress, VVDStRL 48 (1990), 80. 941 Darauf, und auf die damit verbundene Verringerung von Staats vertrauen, weist Suhr, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 48 (1990), 160, hin. 942 Etwa Krüger, Allgemeine Staatslehre, 769, sieht den Staat vor allen Dingen als Ordnungsmacht. 943 Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1200. Kritisch dazu Schreuer, EJIL (1993), 449.

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Verschwinden, vielmehr die Verteilung der Aufgaben innerhalb eines föderalen Systems, das selbst gar nicht den Anspruch auf Staatlichkeit zu erheben braucht. Der demokratische Verfassungsstaat in Europa stellte neben diese klassischen Staats zwecke auch noch zentrale weitere Finalitätselemente: Garantie von Freiheit und Rechtstaatlichkeit für den einzelnen. Hier wird an lmmanuel Kant angeknüpft, wonach die Aufrechterhaltung des objektiven Rechts, der Rechtsordnung, als einziger Zweck des Staates zu gelten habe. 944 Rechtstaatlichkeit ist auf der europäischen Ebene gewährleistet, die Europäischen Gemeinschaften waren immer als Rechtsgemeinschaften konstruiert. 945 Rechtstaatlichkeit meint auch nicht Verrechtlichung des Staates, sondern Verrechtlichung von Hoheitsgewalt, unabhängig davon, ob sie dem Staat oder einem überstaatlichen Gebilde zusteht. 946 Gewährung von Freiheit ist im europäischen Rahmen auch bereits durch die Europäische Menschenrechtskonvention (vgl. Art. F Abs. 2 EUV (Art. 6 Abs. 2 EUV Amsterdam)) und die Rechtsprechung des EuGH in einem solchen Umfang gewährleistet, daß selbst das deutsche Bundesverfassungsgericht seine Jurisdiktionskompetenz insoweit zurückgenommen hat. 947 Braucht es somit für den Schutz der Grundrechte des einzelnen nicht zwingend der Kategorie des Staates948 , so bleibt doch auch im föderalen System der EU für viele Alltagsfragen der einzelne Staat der Garant von Freiheitssicherung und Rechtstaatlichkeit. Als weitere Staats aufgabe ist die demokratische Legitimation von Herrschaft anzuführen. Dies ist eine Säule der Staatsrechtfertigung, die sich aus der Staatsform ergibt. Dabei beschreibt Demokratie mehr ein Verfahren, als daß sie als finales, vom Staat zu verwirklichendes Element zu betrachten ist. Trotzdem gewinnt Demokratie auch Finalität, wenn man den demokratischen Prozeß als Voraussetzung für Freiheitsgewährung betrachtet oder sogar nur noch den demokratischen Rechtsstaat völkerrechtlich als Staat anzuerkennen bereit ist. 949 Auf die Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 246. Zu leeg, NJW 1994,545. 946 Grimm, JZ 1995,585. 944

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947 In BVerfGE 89, 155 (175), wird die Rücknahme zugunsten eines "Kooperationsverhältnisses" wieder etwas eingeschränkt, vgl. auch oben Teil 11, A.II.I. 948 So abschließend Saladin, 176. Zur Konsequenz der Einbindung des Staates in den internationalen Menschenrechtsschutz für die Elemente des klassischen Staatsbegriffs Hobe, Verfassungsstaat, 230. 949 Saladin, 165; für eine Aufnahme von demokratischer Verfaßtheit als Voraussetzung der völkerrechtlichen Anerkennung eines Gebildes als "Staat" sprechen etwa Kriterien der EU zur Anerkennung von osteuropäischen Staaten, EJIL, 1993, 72, wozu Rich, EJIL 4 (1993), 63, ausführt: "The traditional criteria for statehood retain an uneasy existence

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Teil 11: Der transnationale Föderalismus

Problematik demokratischer Legitimation auf der Stufe der EU ist bereits eingegangen worden. 950

2. Die" überstaatliche Bedingtheit" des Staates als Legitimitätsvoraussetzung Das Verständnis von Staat, von souveräner Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben und kooperativer Bewältigung sozialer und wirtschaftlicher Steuerungsprobleme, ist im Umbruch begriffen. 951 Dies gilt insbesondere für den Mitgliedstaat der EU. Klassische Staatsfunktionen haben sich teilweise inhaltlich gewandelt, teilweise werden sie bereits von überstaatlichen Einheiten wahrgenommen. Bei der Beschreibung dieses Prozesses der Entstaatlichung ginge es wohl zu weit, Zweck und Legitimation des Staates, seine "persönlichkeitsprägende Kraft", überwiegend nur noch in der Pflege kultureller Faktoren zu erblicken. 952 Wenn auch die klassischen Elemente des Staates dem modernen Staat jedenfalls in ihrer traditionellen Ausprägung durch die Staatstheorie verloren gehen953 , der Staat zunehmend die Rolle eines "Mittlers" zwischen den verschiedenen Ebenen, eines "pouvoir intermediaire"954 ausfüllt, so verbleiben ihm doch auch bezüglich der klassischen Staatsaufgaben wichtige Funktionen, die seine Legitimität zu begründen vermögen. Zu nennen ist nicht zuletzt die Ausübung des Gewaltmonopols, welches selbst dem Mitgliedstaat der EU noch verblieben ist. Jedoch ist für einige Bereiche der Ausübung von Hoheitsgewalt der Staat um eine mit Hoheitsgewalt ausgestattete transnationale Ebene zu ergänzen, gerade um seine eigene Legitimität zu erhalten: Der Typus des modemen Staates als Instrument der Gesellschaft ist unentbehrlich; die Größe der Aufgabe verweist allerdings weithin auf staatsförmige Instrumente, die den Nationalstaat europäischer Prägung deutlich hinter sich lassen. 955

alongside the new EC Guidelines, which have been particularly influential in relation to the recognition ofthe new states emerging from the USSR and Yugoslavia." Dazu auch Simmler, in: Seidl-HohenvelderniSchrötter, 75 ff. 950 Vgl. oben Teil I, B.II.2.b)(2). 951 Delbrück, Zusammenschlüsse, 484; SchneiderIWesseis, in: SchneiderIWesseis, Die Föderale Union-Euro pas Zukunft?, 10. 952 So Saladin, 228. 953 Saladin, 35; vgl. hierzu auch Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 115, der ausführt, das Wesen des Staates könne mit den lellinekschen Kriterien nicht mehr erfaßt werden. 954 Saladin, 238. 955 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 417.

D. Schlußbetrachtung

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Der Staat ist auch im durch die Verklammerung der Teilrechtsordnungen geprägten föderalen System der EU Integrator und Mediator. Er bleibt aber das vorrangige politische Handlungszentrum. Gleichzeitig zollt er seiner "überstaatlichen Bedingtheit"956 Tribut, indem er seine Existenz auch durch die Verlagerung staatlicher Aufgaben, die anders nicht zu erledigen wären, auf höhere Einheiten rechtfertigt.957 Seine Legitimität gewinnt er um so mehr aus den verbleibenden Staatsaufgaben, deren Bewältigung dann auch tatsächlich von ihm geleistet werden kann. Hierin liegt seine staatsspezifische Finalität: Er muß in vernünftiger Weise Aufgaben auf überstaatliche Einrichtungen übertragen und ist dann als Vermittler zwischen den Ebenen und bezüglich der ihm verbleibenden Aufgaben legitimiert. Dieser Zwang zur Einbindung in ein transnationales Mehrebenenmodell verändert aber gleichzeitig das Erscheinungsbild des Staates selbst. Er ist eben nicht mehr souveränes Mitglied, etwa im bloßen "Staatenverbund" der EU, mit der Option, jederzeit als "Herr des Vertrages" sich hieraus zurückzuziehen, sondern der Zwang, sich zu legitimieren und dabei Aufgaben zu übertragen, verändert seine Rolle auf Dauer.

D. Schlußbetrachtung Die Beschreibung des föderalen Systems der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten als ein transnationales förderales System darf nicht als weiterer Beitrag zur Suche nach einer neuen Begrifflichkeit der Staatenverbindungslehre zur Qualifizierung der EU verstanden werden. Vielmehr sollte hiermit der Versuch unternommen werden, ein als wesentlich erachtetes Strukturprinzip der aus den Teilrechtsordnungen der EU und den Mitgliedstaaten bestehenden materiell einheitlichen Rechtsordnung herauszuarbeiten. Für dieses als transnationaler Föderalismus beschriebene föderale System der EU und ihrer Mitgliedstaaten ist die Abkehr von einem staats- und souveränitätsfixierten dualistischen Föderalismusverständnis, die Pluralität ihrer Geltungsgrundlagen bzw. Grundnormen und die materielle Verklammerung ihrer Teilrechtsordnungen charakteristisch. Das Unbehagen am überkommenen dualistischen Föderalismusverständnis kommt auch immer stärker in den moderneren Beschreibungsversuchen der EU in der deutschen Staats- bzw. Europarechtslehre zur Geltung, etwa wenn die EU als

Simson, 186 ff. Pemice, HStR, Bd. VIII, 244; Vitzthum, JZ 1998, 167; lsensee, in: FS-Stem, 1252; zur "Offenheit" als Staatszweck Hobe, Verfassungsstaat, 424. 956 957

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Teil II: Der transnationale Föderalismus

"flexibles Gerüst unterschiedlich strukturierter Politikbereiche"958 beschrieben wird. Sollte ein Verständnis von der EU tatsächlich die Fragen nach der Zuordnung von Souveränität und Kompetenz-Kompetenz, nach hierarchischem Überund Unterordnen der verschiedenen Rechtsordnungen, nach "Herrschaft über die Verträge" hinter sich lassen, so ließe sich die Beschreibung der EU und ihrer Mitgliedstaaten als trans nationales Mehrebenenmodell, welches auf heterachischen Kooperationsformen wesentlich stärker beruht als auf Kollision und Vorrangsprinzip, auch in Zukunft an weiteren Beispielen exemplifizieren und ausführen. Könnte dies zum Ausgangspunkt einer neuen Beschreibung der EU werden, so wäre mit der EU tatsächlich im Buch der Staatenverbindungen ein neues Kapitel aufzuschlagen959, gerade weil diese Form der Verbindung nicht ohne Auswirkungen auf das staatliche Selbstverständnis ihrer Mitgliedstaaten bleibt. Der trans nationale Föderalismus verändert auch das Verständnis von Staatlichkeit in Europa.

958 959

Klein, in: Vitzthum, Völkerrecht, 391. Klein, in: Vitzthum, Völkerrecht. 391.

Ergebnisse 1. Im ersten Teil der Arbeit wurde die Entwicklung des dualistischen Föderalismusverständnisses nachgezeichnet und die Übertragbarkeit seiner Kategorien auf das föderale System der EU überprüft. Grundlegende These war hierbei die Unmöglichkeit einer Übertragung der Kategorien der älteren StaatslehreNölkerrechtswissenschaft auf die EU. 2. Als Grund hierfür wurde ein staats- und souveränitäts zentriertes dualistisches Föderalismusverständnis herausgearbeitet, welches den Föderalismus nur entweder als zwischenstaatliches oder als innerstaatliches Phänomen zu konstruieren in der Lage ist. Die Herausbildung dieses dualistischen Föderalismusverständnisses ist Resultat der Übersteigerung des Souveränitäts begriffs. Dem alten dualistischen Föderalismusverständnis verhaftet bleiben die Begriffe Bundesstaat, Staatenbund, Internationale Organisation sowie Staatenverbund. Es wurde gezeigt, daß diese nur Teilaspekte der EU hinlänglich beschreiben können. 3. Dies folgt für den Begriff "Bundesstaat" zunächst aus einem Vergleich der EG mit den Grundlagen, Institutionen und Kompetenzverteilungen der Reichsverfassung von 1871, die aufgrund ihres föderalistischen Charakters an sich sehr wohl geeignet gewesen wäre, für die EG als organisatorisches Vorbild zu dienen. Der Vergleich der beiden föderalen Systeme ergibt dann zwar erstaunliche Parallelen, jedoch verfügt die komplexe Konstruktion der EG - aber auch der EU insgesamt - über Charakteristika, die in der Reichsverfassung von 1871 nicht anzutreffen sind. a) Die Frage nach dem Ursprung der Geltungsgrundlagen beider föderaler Systeme bestimmt die grundsätzlich gegensätzliche Einordnung und Behandlung beider Systeme in der Literatur. Dabei fällt auf, daß, obwohl die besondere Eigenart der EGIEU betont wird, sich doch die Diskussion um die Grundlagen ihrer Rechtsordnung in den dogmatischen Kategorien von Staatenbund/internationaler Organisation und damit völkervertragsrechtlicher Grundlage einerseits und Bundesstaat und damit "Verfassungsqualität" andererseits bewegt. Diese Gegenüberstellung läßt zwei Punkte außer acht. Erstens die schon grundsätzlich gegebene Doppelnatur von Gründungsstatuten internationaler Organisationen als zwar völ-

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kerrechtlicher Vertrag aber gleichzeitig auch Satzung oder "Verfassung" der so etablierten Organisation. Zweitens, und für den Gang der Untersuchung entscheidend, wird hierdurch der Blick für die schon in der Verfassungs struktur aufzuzeigende Verzahnung und Verklammerung der Teilrechtsordnungen der EU mit denen der Mitgliedstaaten zu komplementären Verfassungen verstellt. b) In bezug auf die Aufteilung der Kompetenzen stellen die Universalität der dem Reich zugewiesenen Staatszwecke sowie die umfassenden Gesetzgebungsbefugnisse als deren Ausdruck und der durch die Bundesexekution sanktionierte Vorrang des Reichsrechts starke unitarische Elemente innerhalb der RV 1871 dar. Demgegenüber ist die kompetentielle Ausstattung der EG (bzw. der EU insgesamt) differenzierter. Die Ausübung wesentlicher Staatszwecke, wie der der Friedenssicherung, ist nur schwach institutionalisiert und wird von den Mitgliedstaaten klar dominiert. Die übrigen Aufgabenbestimmungen und Kompetenznormen sind zwar inhaltlich weit gefaßt, ausgeklammert bleiben aber wesentliche Bereiche des materiellen Rechts und damit auch mitgliedstaatlicher Politiken. Trotz aller Relativierungen verbleibt auch der Schwerpunkt der Legislative bei den Mitgliedstaaten, während die RV 1871 den Schwerpunkt auf das Reich verlagerte. Vergleichbar ist der Vorrang des Rechts der oberen Ebene in beiden föderalen Systemen. c) Im Bereich der Exekutive gilt für beide Systeme die Trennung von Gesetzgebung und Verwaltung als Grundsatz mit Ausnahmen in der unmittelbaren Reichsverwaltung, bzw. Ansätzen eines gemeinschaftsunmittelbaren Vollzuges. d) Die Judikative war nach der RV 1871 stärker durch das Reich dominiert als dies für die EG der Fall ist. Der Unionsbürger kann sich bei der Rechtsschutzsuche nur gegen Handlungen der EG-Organe direkt an den EuGH wenden, während im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit das Reichsgericht auch oberste Appelationsinstanz war. Allerdings ist die einheitliche Anwendung des Reichsrechts wie des Europarechts gerichtsförrnig in beiden föderalen Systemen geschützt. e) Der durch die RV 1871 konstituierte Bundesstaat weist immerhin doch überraschende Parallelen zur EG auf. Dies ist Folge der stark föderalistischen Ausrichtung des Reiches von 1871. Wenn den Ländern im Reich aufgrund der zentralen Stellung des Bundesrates maßgeblicher Einfluß auf die Staatsgewalt des Reiches zukommt, sich ferner einige süddeutsche Staaten, insbesondere Bayern und Württemberg, sog. Reservatrechte vorbehalten und schließlich es in der Finanzverfassung nur wenig steuerliche Einnahmequellen des Reiches (Art. 33 ff., 70 RV 1871) gab, wodurch dieses zum "Kostgänger der Länder" wurde, dann spricht diese starke Stellung der Gliedstaaten für eine staatenbündische Kompo-

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nente der Reichsverfassung. Schließlich fehlte auch im Unterschied zur Paulskirchenverfassung eine unabhängige, zentrale Verfassungs gerichtsbarkeit, die über Verfassungsbrüche der Länder entscheidet. Nur der Bundesrat als Kollegialorgan der Länder übernahm diese Aufgabe. Auch diese Tatsache unterstreicht die föderalistische Ausrichtung des Reiches von 1871. f) Auch innerhalb der EG kommt den Mitgliedstaaten über den Rat ein maßgeblicher Einfluß auf die EG-Hoheitsgewalt zu. Auch in der EG existieren Sonderregelungen für einige Mitgliedstaaten. Andererseits beruhen die Haushaltsmittel der EG überwiegend auf Eigenmitteln und nicht mehr auf Matrikularbeiträgen der Mitgliedstaaten wie zum Teil in der RV 1871. Ferner gibt es mit dem EuGH eine zentrale (unitarische) EG-Verfassungsgerichtsbarkeit, die mitgliedstaatliche Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht ahndet. Die Verteilung der Kompetenzen ähnelt in ihrer Struktur der RV 1871, auch das Vorrangprinzip wiederholt den Grundsatz "Reichsrecht bricht Landesrecht". Für den Bereich der Exekutive gilt für EG wie RV 1871 der Grundsatz der Aufteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungsvollzugskompetenzen. Auch innerhalb der Außenkompetenzen herrscht eine vergleichbare Zuständigkeitsverteilung zwischen den föderalen Ebenen, auch wenn der Bereich der Außenkompetenzen im Vergleich zu dem der RV 1871 inhaltlich noch weniger umfangreich ist und auch der klassische Staatszweck, Gewährung von Sicherheit, die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht von der Union bestimmt werden kann.

g) Andererseits ist auch auf die erheblichen Unterschiede zwischen der Reichsverfassung von 1871 und der EG hinzuweisen. Zunächst besteht keine einheitliche Verfassung der EG selbst. Vielmehr bilden mitgliedstaatliche und gemeinschaftsrechtliche Verfassungen ein System komplementärer Verfassungen aus. Daneben verfügt die EG über geringere materielle Kompetenzen als die RV 1871, insbesondere im Friedens- und Sicherheitsbereich. Auch hinsichtlich der Legislativkompetenzen fehlt eine generelle Kompetenz der EG gegenüber den Mitgliedstaaten, ebenso wie die Kompetenz-Kompetenz. Auch für die Exekutive besteht nur eine beschränkte unmittelbare Verwaltung. Schließlich ist für die Judikative anzumerken, daß der EuGH nicht Appelationsinstanz ist. Institutionell dominiert der Rat und seine Dominanz hat im Gegensatz zum Bundesrat zugenommen. 4. Im Anschluß an den kompetenziellen und institutionellen Vergleich der EG mit der RV 1871 erfolgte eine kurze Darstellung der Entwicklung der Bundesstaatstheorie vor und an der RV 1871. Die bis 1871 vorherrschende Waitzsche Lehre von der Teilung der Souveränität im föderalen System konnte den komplexen Verzahnungen der RV 1871 genausowenig gerecht werden, wie der teilweisen Überordnung des Reiches über die Länder.

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Die darautbin von der positivistischen Staatslehre entwickelte Bundesstaatstheorie entwarf mit der Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz und Souveränität beim Reich ein neues abstraktes Bundesstaatsmodell, das ganz auf die Spezifikas der RV 1871 zugeschnitten war. Damit wurden spezifische Strukturmerkmale der RV 1871 als abstrakte Elemente für Föderalismus und Staatlichkeit verallgemeinert. Daher konnte auch die im weiteren Verlauf der Arbeit vorgenommene Übertragung der deutschen Bundesstaatslehre auf die EU nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen. Exemplarisch wurde insbesondere der für das damalige Verständnis von Souveränität entscheidende Begriff der Kompetenz-Kompetenz und seine heutige Stellung im föderalen System der EU untersucht. An der Schwierigkeit, die Kompetenz-Kompetenz im föderalen System der EU zu lokalisieren, wurde die Unmöglichkeit der Übertragung der an der RV 1871 entwickelten Bundesstaatslehre auf die EU verdeutlicht. Hierbei stellte sich auch die Frage, ob nicht das bewußte Offenlassen der Souveränitätsfrage den Interessen der Mitgliedstaaten der EU am besten entspricht, eine autoritative Zuordnung von Kompetenz-Kompetenz durch die Wissenschaft also gerade unterbleiben sollte. Dies wurde bejaht, denn die Mitgliedstaaten wollen flexibel zwischen bloß intergouvernementaler Interdependenz und supranationaler Integration wählen, je nach dem, wie es ihren nationalen Politikzielen am dienlichsten ist. Ein solches Verständnis wird auch dem Charakter des föderalen Systems der EU als dynamische Integrationsgemeinschaft am besten gerecht. 5. Auch die Begriffe "Staatenbund", "Internationale Organisation" bzw. "Staatenverbund" sind dem traditionellen dualistischen Föderalismusverständnis verhaftet. Im Gegensatz zum staatsrechtlichen Föderalismus kann der Föderalismus hier nur zwischenstaatlich begriffen werden. Auch diese Kategorien können daher eine geeignete Beschreibung der EU nicht gewährleisten. Gegen eine Einordnung als Staatenbund sprechen die wirtschaftsrechtliche Ausrichtung und der größere Integrationsstand der EU. Immerhin kann die EG als Bestandteil der EU als internationale Organisation qualifiziert werden. Für die EU selbst stellt sich sogar diese Qualifizierung zumindest dann als problematisch dar, folgte man einer strikt an der intergouvernementalen Ausrichtung der EU orientierten Betrachtungsweise. Entscheidend hierfür ist die Frage, ob der EU eine Rechtspersönlichkeit zugesprochen werden kann. Eine solche kann nicht etwa aus den europäischen Gemeinschaften abgeleitet werden. Dies wäre nur durch die Annahme einer Verschmelzung von Gemeinschafts-/Unionsrechtsordnung und den Rechtsordnungen der Gemeinschaften zu

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konstruieren. Hier muß aber eine Trennung aufrechterhalten bleiben, denn die bewußte Entscheidung der Mitgliedstaaten für die supranationale oder intergouvernementale Integrationsform darf nicht umgangen werden. Schließlich ist es gerade diese Flexibilität, die die europäische Einigungsidee politisch überleben läßt. Eine Gesamtschau der Bestimmungen des Unionsvertrages und der Praxis im internationalen Verkehr legt allerdings den Schluß nahe, daß sich eine partikuläre und partielle Rechtspersönlichkeit für die EU gewohnheitsrechtlich entwickeln könnte. Die Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit der Einordnung der EU in die Kategorie "internationale Organisation" macht die Überforderung des klassischen dualistischen Föderalismus zur Erfassung der EU wieder deutlich. Auch für die EG mit ihrem über eine klassische internationale Organisation hinausgehenden Integrationsstand reicht die Einordnung als internationale Organisation nicht aus. Der EU kommen insgesamt Eigenschaften zu, die zwar Analogien zu all den hier beschriebenen Kategorien - Staatenbund, internationale Organisation - aufweisen, letztlich aber doch nicht damit erfaßt werden können. Als unbefriedigend erscheint es, die EU eklektizistisch als "sui generis" Organisation zu beschreiben oder - ihre teilweise Analogie zu allen Kategorien der klassischen dualistischen Staatenverbindungs lehre betonend - sie mit dem Begriff des Staatenverbundes erfassen zu suchen. Die Einordnung der EU als "Staatenverbund" läßt insbesondere die Auswirkungen dieser Integrationsgemeinschaft auf die verbündeten Staaten außer Betracht. Die EU stellt vielmehr zunächst ein föderales System dar, welches in einem Kontinuum zwischen einem traditionellen Föderalstaat einerseits und einer völkerrechtlichen Rechtsordnung steht, ohne damit aber irgendeine notwendige Finalität - etwa Staatlichkeit - zu implizieren. Inhaltlich müssen neue Kategorien erarbeitet werden, die unter Überwindung eines dualistischen Föderalismusverständnisses nicht nur von Kompetenzbewahrung und damit Trennung der Rechtsordnungen ausgehen und schon gar nicht auf Kategorien aufbauen, die nur für eine historische Ausprägung eines föderalen Systems - wie der RV 1871 - entwickelt worden sind. Ausgangspunkt einer neuen Kategorienbildung sollte vielmehr die rechtliche und tatsächliche Verwobenheit von mitgliedstaatlicher und insbesondere gemeinschaftsrechtlicher öffentlicher Gewalt sein. Wenn schon die Verfassung der EU als "Komplementärverfassung" eng verflochten ist mit den Verfassungen der Mitgliedstaaten, so ist es wohl diese Verflechtung der Rechtsordnung der EU mit denen der Mitgliedstaaten, die zur Grundlage einer neueren Kategorisierung gemacht werden könnte.

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6. Im zweiten Teil der Arbeit wurde der Versuch unternommen, die Ursache für die Probleme des ersten Teils, das Beharren auf ein dualistisches Föderalismusverständnis, zu hinterfragen: Dieses stellte den Staat als das Bezugssystem in den Mittelpunkt. Nur innerhalb eines Staates, sofern es sich um einen Bundesstaat handelt, oder zwischen den Staaten auf internationaler Ebene in der Form des Staatenbundes oder der internationalen Organisation konnten föderale Prinzipien gedacht werden. Die europäische Integration zielt weder politisch noch in der rechtlichen Konstruktion auf die Schaffung eines klassischen Nationalstaates in der Ausprägung des 19. Jahrhunderts. Vielmehr bildet sie einen Versuch neuer politischer Systembildung. Soll der Föderalismus für die Europäische Einigung fruchtbar gemacht werden, so ist daher bei der Beschreibung der EU auf das staatliche Element im Begriff des Föderalismus zu verzichten. Dabei kann es, nicht um die Beteiligung an der Suche nach neuen Kategorien (z. B. "Staatenverbund") gehen. Diese Kategorien existieren nicht für sich selbst. Entscheidend kommt es darauf an, das der EU zugrundeliegende Organisationsprinzip zu beschreiben und von dem der bisherigen Staatenverbindungen abzugrenzen. Die Bezugnahme auf ein Organisationsprinzip wird dem Charakter der EU als dynamische Integrationsgemeinschaft besser gerecht, als die starre Einordnung in die Dogmatik der Staatenverbindung. 7. Die den bisherigen Einordnungsversuchen zugrundeliegende dualistische Betrachtungsweise sollte durch ein staatsübergreifendes (transnationales) Föderalismusverständnis ersetzt werden. Dieser trans nationale Föderalismus stellt sich innerhalb der EU als Mehrebenenmodell dar. Souveränität für die eine oder andere Ebene wird hierbei nicht mehr vorausgesetzt. Als entscheidendes Strukturprinzip ist für dieses transnationale föderale System der EU vielmehr die Verklammerung der Teilrechtsordnungen anzusehen. Materiell erscheint das föderale System der EU insofern als eine einheitliche Rechtsordnung. Die verschiedenen Ebenen im föderalen System EGIEUlMitgliedstaaten ergänzen sich gegenseitig und sind im ausgereiften Binnenmarkt zunehmend miteinander verklammert. Wie schon auf der Ebene der Verfassung zu zeigen, ist die Gemeinschaftsgewalt originär und komplementär zur staatlichen Hoheitsgewalt. Auf der geltungstheoretischen Ebene bedeutet dies gerade nicht die Rückführung des Gesamtsystems auf eine einzige "Grundnorm" im Sinne eines Kelsenschen Gewaltenmonismus. Vielmehr bestehen mehrere Geltungsgrundlagen im föderalen System nebeneinander im Sinne mehrerer Teilrechtsordnungen, die ihrerseits auf mehrere "Grundnormen" zurückzuführen sind. Die so beschriebenen Teilrechtsordnungen stehen zueinander in einem Verklammerungsverhältnis, welches gerade nicht ausschließlich von hierarchischen

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Vorrangverhältnissen bestimmt wird. Der Anwendungsvorrang des europäischen Rechts kommt vielmehr erst dann zur Geltung, wenn andere auf kooperative Vermittlung der pluralen Interessen ausgerichtete Verfahrensabläufe gescheitert sind. Insofern spielen neben hierarchischen Verhältnissen auch heterarchische Interaktionen im Entscheidungsfindungs- und Rechtsdurchsetzungsprozeß der EU eine wichtige Rolle. 8. Exemplarisch hierfür wurde auf das europäische Kartellrecht als Beispiel für die Verklammerung einer solchen einheitlichen transnationalen Rechtsordnung eingegangen. Hierbei wird die für den Rechtsanwender gegebene Notwendigkeit deutlich, Sachprobleme nach Maßgabe beider Teilrechtsordnungen, der mitgliedstaatlichen und der gemeinschaftlichen, zu lösen. Gleichzeitig sollte verdeutlicht werden, daß die abstrakte Bestimmung von Vorrangregeln nicht immer möglich ist und sich in der Rechtspraxis des Kartellrechts wesentlich differenziertere Kollisionsnormen für die Bestimmung der Anwendung des Rechts der Mitgliedstaaten oder des Gemeinschaftsrechts, herausgebildet haben. Diese Abstimmung und Verklammerung beider Teilrechtsordnungen kann behutsam für das föderale System der EU insgesamt verallgemeinert werden. Sie beinhaltet eine Relativierung der abstrakten Bestimmung der Vorrangregel und damit eine Einschränkung der Orientierung an bundesstaatlichen Kategorien der Überordnung der einen Rechtsordnung über die andere. Die Rechtslage ist vielmehr nur dann wirklich zu begreifen, wenn beide Teilrechtsordnungen berücksichtigt, und hieraus dann die vernünftigen Kollisionsnormen für den Einzelfall entwickelt werden. Dies unterstreicht die oben entwickelte These von der materiellen Einheit der mitgliedstaatlichen und gemeinschaftlichen Teilrechtsordnungen, in der letztere im Falle der Normenkollision nur dann unbedingten Vorrang beanspruchen kann, wenn die Interessen der Mitgliedstaaten im Verfahren bereits zum Ausdruck gebracht werden können. Jedenfalls bis zur - nur politisch zu erreichenden - Schaffung eines europäischen Bundesstaates ist dieser die Verklammerung und Interaktion der Teilrechtsordnungen betonende Ansatz besser geeignet, die tatsächlichen Bedingungen der Rechtsanwendung im föderalen System der EU zu beschreiben. 9. Diese These vom föderalen System der EU als einheitliche Rechtsordnung hat auch Auswirkungen auf das mitgliedstaatliche Staatsverständnis. Der Mitgliedstaat der EU ist als Teil einer einheitlichen Rechtsordnung nicht mehr monolithisch geschlossen zu verstehen. Konsequenzen hat dies insbesondere für den Souveränitätsbegriff. Entgegen der Waitzschen Lehre von der geteilten Souveränität ist mit der positivistischen deutschen Bundesstaatslehre de~ Reiches von 1871 von der Unteilbar14 Böhmer

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keit der Souveränität als Eigenschaft der Staatsgewalt auszugehen. Hingegen ist die Staatsgewalt selbst als teilbar und übertragbar zu begreifen. Souverän ist dann im Mehrebenenmodell des föderalen Systems der EU jede Ebene in bezug auf die ihr verbliebene Hoheitsgewalt. Hierbei bedeutet der Begriff der Souveränität - will man auf ihn nicht ganz verzichten - für den Mitgliedsstaat die Möglichkeit der Ausübung legitimen physischen Zwangs, das Gewaltmonopol. Für die Gemeinschafts-lUnionsebene bedeutet souveräne Gewalt zuvörderst Letztentscheidungsbefugnisse im Bereich ihrer Kompetenzen. Die Kompetenz-Kompetenz als rechtlicher Inhalt der Souveränität tritt demgegenüber im miteinander verklammerten einheitlichen föderalen System der EU zurück. Dies kann ein zeitgemäßes Verständnis der Rolle von "Souveränität" im föderalen System der EU begründen, welches eher gewaltenpluralistisch und rechtspluralistisch als -monistisch ausgerichtet ist und auch mit der Geltungsgrundlage der Teilrechtsordnungen übereinstimmt. Eine gewaltenmonistische Konnotation kommt dann nur noch der Volkssouveränität zu. Selbst diese ist jedoch im modemen Verfassungsstaat rechtlich beschränkt, bloßer "pouvoir constitue" . 10. Aber auch insgesamt kann der Staat in Europa nicht mehr ausschließlich mit den klassischen Kriterien der Jellinekschen Elementenlehre, sondern nur noch materiell angereichert durch Staatszielbestimmungen und Elemente der Staatslegitimation (Demokratie, Staatszwecklehre) verstanden werden. Für die Beschreibung föderalistischer Systeme ist der von der positivistischen Staatslehre entwickelte Staatsbegriff nicht mehr ausreichend. Allerdings stößt auch die Anreicherung des Staatsbegriffs um Staatszwecke wie "Gemeinwohlverwirklichung" oder "Sicherheits- und Freiheitssicherung" an ihre Grenzen. Denn der modeme Staat ist überstaatlich bedingt in dem Sinne, daß er die ihm gestellten Aufgaben nur durch Übertragung von Aufgaben auf überstaatlicher Einheiten bewältigen kann. Nur als Vermittler zwischen den Ebenen in einem solchen transnationalen föderalen System und hinsichtlich der ihm verbleibenden Aufgaben, wie etwa der Ausübung des Gewaltmonopols, kann er sich in einer interdependenten Welt in den Augen seiner Bürger legitimieren.

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Sachregister Anwendungsvorrang66, 153, 159, 166, 168 Bundesstaat 27-32, 98-112 Bundesstaatstheorie 32, 73, 98-113, 115, 142, 190 Bundestreue 92, 112 Citizenship 91, 114 Demokratiedefizit 51 Deutscher Bund 30, 31, 33, 61,126 effet utile 64 einheitliche Rechtsordnung 152, 153, 157, 167 Europäische Unionsgrundordnung 16 Finanzverfassung 85-88 föderales Prinzip 16, 18,81 Föderalismus 26-27 - zwischenstaatlicher 32-35 - transnationaler 153, 202,153,154,180, 181 Föderalismusverständnis - dualistisches 18,20,21,23,32,44 - transnationales 19, 147 Geltungsgrundlage 18, 39,40,43,48,93, 108, 112, 115, 127, 148-150, 153,201 Gemeinwohl 196, 198 Gewaltmonpol184,200 Grundnorm 150, 159, 194,201

Heiliges Römisches Reich deutscher Nationen 15, 23 Herrschaftsgewalt 24 Herrschaft über die Verträge 52, 54, 117, 124 implied powers 63, 137 institutioneller Vertrag 47, 122 internationale Organisation - die EU als 127-140 internationales System 22,23,24 Kohärenz 133, 135, 156 Kollisionsnorm 66, 157 Kompetenzen - ausschließliche und konkurrierende 59, 61, 104, 117, 158, 163, 167 - materielle 57-60 Kompetenz-Kompetenz 17, 19,20,31-32, 64,110,115-125,184,193 - justizielle 70 - des Reichs von 1871 103 komplementäre Verfassung 52-54, 94, 95, 143, 155 Kooperationsverhältnis 155, 156, 199 Legitimität 53, 157, 188, 195, 197-201 Mehrebenenmodell153, 201, 202 Norddeutscher Bund 40, 42, 89, 100, 103 normenhierarchischer Geltungsanspruch 43, 44,46

Sachregister

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Paulskirchenverfassung 31,36,40,58,61, 69,74,83,89,91,98,101,142,192 pouvoir constituant 40, 50, 52, 119, 189, 191 pouvoir constitue 50,119,189,192 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 62,63,65,118,129

Staatsgewalt 22, 23, 24, 25, 28, 29, 49, 95, 100,102,106,108,109,110,114,124, 125, 181-194, 196, 197

Rechtspersönlichkeit 34, 93, 127-129, 131-132, 136, 138-140 Rechtssystem 18, 151, 159 Rechtsvergleichung 36, 38, Rheinbund 29

Staatszweck 58, 60, 66, 72, 96, 99, 142, 195-199

Souveränität - und Föderalismus 25-32 - materielle und formelle 182-186 - nach innen und nach außen 187-188 - Teilung der 100, 102, 105, 108, 191, 192 - und transnationaler Föderalismus 190-194 Staatenbund 16,17,18,19,21,23,27-35, 40-42, 44, 54, 55, 99, 105, 108, 110, 114,143,146,149,150, - EU als 126-127 Staatenintegration 15 Staatenverband 16 Staatenverbindung 15, 17, 18,31,32,41, 108, 110, 139, 145, Staatenverbindungslehre 16, 114, 143,201 Staatenverbund 16, 19, 20, 35, 52, 126, 145,201 - die EU als 140-142

Teilrechtsordnungen 152, 155-160, 194, 201

Staats-lReichs-/Unionsangehörigkeit 89, 111 staats spezifische Finalität 195, 201 Staatszentriertheit 20, 125, 146,

Subsidiaritätsprinzip 51, 65, 93, 130, 134, 150, 163, 180 Supranationale Union 16

Unitarismus 39, 55, 57, 83, 96,154, Verklammerung der Rechtsordnungen 19, 54,147,152,154-157,179,201 Volkssouveränität 41, 55, 107, 119, 188, 191-194 Vorrangprinzip46, 158, 159, 170, 177, 179 Wiener Kongreß 33 Zurechnungsendsubjekt 129, 130 Zweikammersystem 75,77,85, Zweischrankentheorie 164, 166 Zwischenstaatsklausel161, 162,163