Die Erfindung des Marktes: Smith, Hegel und die Politische Philosophie 9783534271641, 9783534745838, 9783534745845, 3534271645

Von Liberalismus und Zentralplanung: ein innovativer Blick auf Wirtschaftstheorien, die unsere Marktwirtschaft prägen W

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Die Erfindung des Marktes: Smith, Hegel und die Politische Philosophie
 9783534271641, 9783534745838, 9783534745845, 3534271645

Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort zur deutschen Übersetzung
1 Einführung: Auf der Suche nach „dem Markt“
1.1 Einleitung
1.2 Ein post-Skinnerscher Ansatz
1.3 Aufbau des Buches
2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur
2.1 Einleitung: Smith entgegen der Klischees
2.2 Smith im historischen Kontext
2.3 Smiths System
2.4 Smiths Naturauffassung
2.5 Smiths Darstellung der Marktgesellschaft
2.6 Schluss: Eine Vision allgemeinen Wohlstands
3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“
3.1 Einleitung: Hegel damals und heute
3.2 Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie
3.3 Geist und Sittlichkeit
3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft
3.5 Schluss: Die Modernität des Marktes
4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft
4.1 Einleitung
4.2 Das soziale Selbst
4.3 Die Identität auf dem Markt
4.3.1 Der Verkauf der eigenen Arbeit
4.3.2 Die Wahl des eigenen Platzes
4.4 Schluss: Das Selbst in der Gesellschaft
5 Gerechtigkeit auf dem Markt
5.1 Einleitung
5.2 Sind Marktergebnisse verdient?
5.3 Wie steht es um die Armen?
5.4 Schluss: Wie man Theorien zu Gerechtigkeit und Markt entwickelt
6 Freiheit, Freiheiten und der Markt
6.1 Einleitung
6.2 Markt und Autonomie
6.3 Die wirtschaftliche Freiheit „anreichern“
6.4 Die gesellschaftlichen Strukturen der Freiheit
6.5 Schluss: Freiheit im Kontext
7 Der Markt in der Geschichte
7.1 Einleitung
7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben
7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen
7.3.1 Wirtschaftsgeschichte und allgemeine Geschichte
7.3.2 „Ein Bild hielt uns gefangen“
Siglenverzeichnis
Bibliografie
Register

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Die Erfindung des Marktes

Lisa Herzog

Die Erfindung des Marktes Smith, Hegel und die Politische Philosophie

Aus dem Englischen von Manfred Weltecke

Titel der Originalausgabe: Inventing the Market: Smith, Hegel, and Political Theory, © Lisa Herzog 2013 Inventing the Market was originally published in English in 2013. This translation is published by arrangement with Oxford University Press. wbg is solely responsible for this translation from the original work and Oxford University Press shall have no liability for any errors, omissions or inaccuracies or ambiguities in such translation or for any losses caused by reliance thereon. Copyright der deutschen Übersetzung © 2020 Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Sophie Dahmen, Karlsruhe Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildung: Markttag, Lithografie nach einer Zeichnung von Carl Heinrich Wilke, © bpk / Museum Europäischer Kulturen, SMB / Ute Franz Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27164-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74583-8 eBook (Epub): ISBN 978-3-534-74584-5

Inhalt

Vorwort zur deutschen Übersetzung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1 Einführung: Auf der Suche nach „dem Markt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.2 Ein post-Skinnerscher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.3 Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.1 Einleitung: Smith entgegen der Klischees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2 Smith im historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.3 Smiths System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.4 Smiths Naturauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.5 Smiths Darstellung der Marktgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.6 Schluss: Eine Vision allgemeinen Wohlstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.1 Einleitung: Hegel damals und heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2 Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.3 Geist und Sittlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.5 Schluss: Die Modernität des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft . . . . . . . . . . 108 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.2 Das soziale Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.3 Die Identität auf dem Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.3.1 Der Verkauf der eigenen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.3.2 Die Wahl des eigenen Platzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.4 Schluss: Das Selbst in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

6 | Inhalt

5 Gerechtigkeit auf dem Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.2 Sind Marktergebnisse verdient? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5.3 Wie steht es um die Armen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5.4 Schluss: Wie man Theorien zu Gerechtigkeit und Markt entwickelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 6.2 Markt und Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 6.3 Die wirtschaftliche Freiheit „anreichern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 6.4 Die gesellschaftlichen Strukturen der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 6.5 Schluss: Freiheit im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 7 Der Markt in der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 7.3.1 Wirtschaftsgeschichte und allgemeine Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 247 7.3.2 „Ein Bild hielt uns gefangen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Vorwort zur deutschen Übersetzung Zwei missverstandene Giganten

E

s gibt wenige historische Denker, deren Werk so sehr von Klischees überlagert wird, wie das bei Adam Smith und Georg Wilhelm Friedrich Hegel der Fall ist. Das dürfte für den deutschen Sprachraum kaum weniger gelten als für den englischen, auch wenn hier die Sympathien vielleicht anders verteilt sind. Smith, das ist der allgemeinen Vorstellung nach der kaltherzige Ökonom, der das Eigeninteresse pries und die Metapher von der „unsichtbaren Hand“ in die Welt setzte, die eben jenes Eigeninteresse zum Nutzen des Gemeinwohls umleiten würde. Dabei entwickelte die Kombination aus einem Satz – das Zitat über das „Eigeninteresse des Bäckers, Metzgers und Brauers“, das in vielen Ökonomie-Lehrbüchern angeführt wird – und einer von Smith lediglich zweimal verwendete Metapher ein Eigenleben, das das reichhaltige, nuancierte Werk des schottischen Aufklärers komplett überlagerte. Im Fall von Hegel sind es Begriffe und Metaphern wie der „Weltgeist“, der „Kampf um Anerkennung“ oder die „Eule der Minerva“, die Teil des kulturellen Gedächtnisses wurden. Darüber hinaus gilt er vielen als obskurer Metaphysiker, der irgendwie über Kant hinausgehen wollte, dabei aber die Klarheit auf der Strecke ließ. Als ich im Herbst 2008 begann, das Thema „Smith und Hegel“ für meine Doktorarbeit anzuvisieren, waren es diese bis weit in die akademische Philosophie hinein vorherrschenden Klischees, die dazu führten, dass ich viele verständnislose Blicke erntete, verbunden mit kaum verhohlenem Spott. Meine Absicht, mich mit Hegel auseinanderzusetzen, kommentierte ein analytisch geprägter britischer Mitdoktorand mit der Frage: „Aren’t you worried that it will muddle your thinking?“ Smith dagegen galt als Ökonom, nicht als Philosoph, und interdisziplinäre Fragestellungen wurden, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, mit viel Misstrauen betrachtet. Glücklicherweise fand ich mit Alan Ryan und Mark Philp zwei Betreuer, die immun gegen diese Vorurteile waren und mich ermutigten, tiefer in die Gedankenwelten dieser beiden Autoren einzutauchen. Als ich, beladen mit gedanklichen Fundstücken und vielleicht wirklich ein bisschen „muddled in my thinking“, wieder daraus auftauchte, halfen sie mir, die Ergebnisse in eine geordnete Form zu bringen, aus

8 | Vorwort zur deutschen Übersetzung

der eine Doktorarbeit und schließlich das Buch Inventing the Market. Smith, Hegel, and Political Theory wurde. Smith und Hegel teilen eine Eigenschaft, die dazu führt, dass sie sowohl faszinierend als auch in Teilen schwierig zu verstehen sind: Ihre Überlegungen reichen von ganz konkreten Alltagsfragen bis hin zu metaphysischen Spekulationen der abstraktesten Art. Der intellektuelle Ehrgeiz, mit dem sie ans Werk gingen, ist atemberaubend: Beide waren Systemdenker, die sämtliches Wissen ihrer Zeit, oder doch zumindest weite Teile davon, integrierend zusammenführen wollten; beide lasen breit und wild über alle Disziplingrenzen hinweg. Derartiger intellektueller Ehrgeiz wird heute mit Misstrauen gesehen; die durchprofessionalisierte und gleichzeitig stark prekarisierte akademische Welt schafft gerade für junge Wissenschaftlerinnen starke Anreize, sich mit Detailfragen statt mit größeren Zusammenhängen zu beschäftigen. Heute scheint auch kaum noch denkbar, alle empirischen und theoretischen Ansätze, die für ein bestimmtes Phänomen relevant sein könnten, integrieren zu wollen, zumindest nicht, wenn man alleine arbeitet, statt die Kräfte in gemeinsamen Projekten zu bündeln. Dennoch ist das, was Smith und Hegel versucht haben – ob es ihnen gelungen ist, darüber lässt sich trefflich streiten  – auch heute noch dringend nötig: die Synthese zumindest bestimmter Teilbereiche, orientiert an konkreten Fragestellungen, um die größeren Linien sichtbar zu machen, die in der Vielzahl der Details allzu oft verschwimmen. Sowohl Smith als auch Hegel waren außerdem Autoren, deren Texte nicht immer unmittelbar zugänglich sind  – das gilt insbesondere für Hegel  –, die aber auch ihre genialen rhetorischen Momente hatten. Das trifft vor allem auf die eingangs zitierten Metaphern zu, die „unsichtbare Hand“, die „Eule der Minerva“, aber auch für zahlreiche kürzere, recht anschauliche Vignetten, Beispiele menschlicher Interaktion, die größere Prinzipien veranschaulichen ­sollen. Allerdings birgt diese rhetorische Brillanz auch die Gefahr der Verselbst­ ständigung, des Aus-dem-Kontext-gerissen-Werdens, einer Form von Desinteresse am Werk der Autoren als Ganzem, das die postmoderne Rede vom „Tod des Autors“ auf eine ganz andere Weise wahr werden lässt. Die Fälle von Smith und Hegel werfen interessante Fragen nach so etwas wie einer „Ethik der Metaphern“ auf: Sollte man so packende Bilder, die gleichzeitig so leicht missbraucht werden können, überhaupt in die Welt setzen? Aber können Autoren überhaupt absehen, welche Metaphern oder Redewendungen welche Wirkung entfalten, was zum geflügelten Wort wird und was in Vergessenheit gerät? Es scheint in jedem Fall geboten, parallel zu einer „Ethik der Metaphern“ auch über eine „Ethik des Lesens“ nachzudenken, die diesen beiden Autoren gegenüber sicherlich einiges nachzuholen hätte, angesichts all der vielen allzu

Die Wiederentdeckung des Philosophen Smith | 9

v­erkürzenden, teilweise ideologisch getriebenen Lesarten, die sich über die Jahrzehnte hinweg angesammelt haben.

Die Wiederentdeckung des Philosophen Smith Adam Smith gegenüber hat freilich die akademische Philosophie in den vergangenen Jahren vieles gutgemacht, was über Jahrzehnte vernachlässigt worden war: Sie hat den Philosophen Smith wiederentdeckt, der vom Ökonomen Smith so lange überschattet worden war. In den letzten Jahren sind allein im englischsprachigen Raum vier mir bekannte neue Handbücher – in Form großer Sammelbände mit Beiträgen von zahlreichen Autorinnen  – zu Smith erschienen.1 Schon länger gibt es die Zeitschrift der Adam Smith Society, den Adam Smith Review, doch in den letzten Jahren haben es Aufsätze über Smith vermehrt auch in die „großen“ Zeitschriften der Philosophie und Politikwissenschaft geschafft und damit seine Sichtbarkeit in der Fach-Community erhöht.2 Das Bewusstsein dafür, dass Smith ein höchst nuancierter Philosoph war, der aus der Geschichte der schottischen Moralphilosophie und überhaupt der schottischen Aufklärung nicht wegzudenken ist, steigt langsam. Die ­Theorie der ethischen Gefühle, Smiths facettenreiche, psychologisch realistische Moralphilosophie, bekommt damit endlich wieder eine größere Leserschaft, und auch die Schriften, die nur als Vorlesungsmanuskripte überliefert sind, werden stärker rezipiert. Hinzu kommt die erfreuliche Entwicklung, dass Smith zunehmend auch in einer weiteren Öffentlichkeit als Philosoph, und auch als durchaus kritischer Denker des Marktes, dargestellt wird. „The real Adam Smith“ lautet z. B. der Titel eines 2018 im Online-Magazin Aeon erschienenen Artikels, in dem Paul Sagar betont, dass sich Smith vor allem gegen den Merkantilismus wandte und vor der Gefahr warnte, dass mächtige Lobby-Gruppen staatliche Regulierung zu ihren Gunsten erreichen würden, und Politikerinnen ihre Fähigkeiten 1 In chronologischer Reihenfolge: bei Cambridge University Press 2006 (Hrsg. Haakonssen), bei Elgar 2009 (Hrsg. Young), bei Oxford University Press 2013 (Hrsg. Berry et al.), bei Prince­ton University Press 2016 (Hrsg. Hanley). 2 Siehe, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, z. B.: Ryan Patrick Hanley, „The ‚Wisdom of the State‘: Adam Smith on China and Tartary,“ American Political Science Review 108(2) (2014), S. 371–381; Lisa Herzog, “The Normative Stakes of Economic Growth. Why Adam Smith does not rely on ‘trickle down’”, Journal of Politics 78(1), S. 50–62; Daniel J. Kapust und Michelle A. Schwarze, “The Rhetoric of Sincerity: Cicero and Smith on Propriety and Political Context,” American Political Science Review 110(1) (2016), S. 100–111; Paul Sagar, “Beyond sympathy: Smith’s rejection of Hume’s moral theory,” British Journal for the History of Philosophy 25 (2017), S. 681–705.

10 | Vorwort zur deutschen Übersetzung

überschätzen würden, gesellschaftliche Veränderungen in einem „top down“Ansatz durchzusetzen.3 Glory Liu erläuterte 2019, ebenfalls in Aeon, wie Smith zu einem Helden konservativer Ökonomen wurde.4 Im deutschsprachigen Raum hat unter anderem die 2017 erschienene Biographie von Gerhard Streminger den Philosophen Smith im Kontext seiner Zeit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht.5 Offen bleibt, wie die Disziplin, die Smith als ihren Gründervater beansprucht, sich zu dieser veränderten Wahrnehmung verhält: die Ökonomie. Die Ideengeschichte des eigenen Faches führt, von kleinen Forschungskreisen ­abgesehen, dort ein recht stiefmütterlich behandeltes Dasein – eine Tatsache, an der sich auch nach der großen Finanzkrise von 2008 und den Erschütterungen, die sie für die Ökonomie als Fach brachte, nur wenig geändert hat. Das ist schon deswegen schade, weil sich nach meinen Erfahrungen Smiths Texte sehr gut für die Lehre eignen. Sie werfen zahlreiche Grundsatzfragen zum Verhältnis von Ökonomie und Moral, Markt und Gesellschaft auf, die für Studierende interessant sind, weil es Fragen sind, die sich nicht nur in Smiths Zeit stellten, sondern die auch heute noch relevant sind. Es ist eine verpasste Chance, dass im typischen VWL- oder BWL-Studium der Geschichte des eigenen Fachs nicht mehr Raum gegeben wird. Dabei ist es ein höchst interessantes Gedankenexperiment, sich zu fragen, in welchem Teilbereich der Ökonomie, in welchem paradigmatischen Rahmen und mit welchen Methoden Smith heute arbeiten würde. Smith war, wie schon Jacob Viners berühmter Artikel von 1927 betonte, ein Eklektiker und Pragmatiker, der mit viel Liebe zum Detail die ökonomischen und politischen Institutionen seiner Zeit untersuchte.6 Das würde nahelegen, ihn in der Institutionenökonomie zu verorten, und dort im stark empirisch orientierten Bereich. Die Forschung von Elinor Ostrom zum Umgang mit „commons“ etwa könnte ihn fasziniert haben, vor allem ihre nuancierten Schilderungen konkreter Fallstudien. Smith war aber auch ein genauer Beobachter der menschlichen Psyche, was nahelegt, dass er sich auch für die Verhaltensökonomie interessiert hätte, jenen Bereich, in dem Ökonominnen seit ca. 40 Jahren die Abweichungen 3 https://aeon.co/essays/we-should-look-closely-at-what-adam-smith-actually-believed (letzter Zugriff Mai 2020). 4 https://aeon.co/ideas/how-adam-smith-became-a-surprising-hero-to-conservative-economists (letzter Zugriff Mai 2020). 5 Gerhard Streminger, Adam Smith. Wohlstand und Moral. Eine Biographie. München: C.H. Beck, 2017. 6 Jacob Viner, “Adam Smith and Laissez-faire”, The Journal of Political Economy 35(2) (1927), S. 198–232.

Die kontingente Geschichte von Institutionen | 11

menschlichen Verhaltens vom Modell vollständiger Rationalität untersuchen. Und weil Smith immer auch Philosoph geblieben ist, darf ihn vielleicht auch der interdisziplinäre Bereich, der sich PPE (Philosophy, Politics and Economics) nennt, für sich beanspruchen – doch wenn ich dies schreibe, dann sicher nicht ohne ein gewisses Eigeninteresse, ist dies doch der Bereich, in dem ich, methodisch zwischen allen Stühlen sitzend, am ehesten so etwas wie eine akademische Heimat gefunden habe.

Die kontingente Geschichte von Institutionen In diesem Buch geht es um die Bilder des Marktes, die Smith und Hegel entworfen haben – der eine, der mit einer Lebensspanne zwischen 1723 und 1790 das Aufblühen des Überseehandels und die ersten zarten Anfänge der Indus­ trialisierung in Großbritannien erlebte, der andere, der einige Jahrzehnte später, 1770 bis 1831, das Europa nach der Französischen Revolution erlebte, dessen feudale Vergangenheit noch stark nachwirkte. Obwohl ich versuche, beide Autoren in ihren ideengeschichtlichen Kontext einzubetten, könnte der Fokus auf ihre Texte den Eindruck erwecken, dass diese prägend waren für unterschiedliche Bilder, und damit auch Weisen der Institutionalisierung, von Märkten, dass also spätere Denker und Praktikerinnen sich auf genau diese Texte berufen hätten. Doch dies wäre eine recht gewagte These, auch und gerade angesichts der oben geschilderten verkürzten Rezeption beider Autoren, und sie würde eine eigene Studie zur Rezeptionsgeschichte in Theorie und Praxis erfordern.7 Vielmehr ging es mir darum, schlaglichtartig bestimmte weitreichende Vorstellung über Individuen, Märkte und Gesellschaften zu beleuchten. Im Fluss der Ideengeschichte sind es zwei Schnappschüsse; Smith und Hegel griffen zahlreiche Impulse aus den Tiefenschichten des Nachdenkens über Märkte auf und trieben diese weiter – in ihren jeweiligen Traditionen, der britischen und der deutschen, die zwar gemeinsame Referenzen und Überlappungen aufweisen, aber auch ganz eigene, charakteristische Muster zeigen. Seit dem Erscheinen des Buches hat sich meine Überzeugung gefestigt, dass das Aufspüren und Analysieren der konzeptionellen und ideellen Grundlagen heutiger Institutionen eine wichtige Strategie ist, um gegen die weitverbreitete 7 Zu Schlaglichtern auf Hegels Rezeptionsgeschichte siehe z. B. Lisa Herzog (Hrsg.), Hegel’s Thought in Europe: Currents, Crosscurrents, Countercurrents (Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2013). Eine vergleichbare Geschichte auch für Smith zusammenzustellen, ist ein Forschungsdesiderat, das meines Wissens noch offen ist.

12 | Vorwort zur deutschen Übersetzung

Essentialisierung von Institutionen anzugehen. Für viele Individuen, die sich noch nicht im Detail damit beschäftigt haben oder die ein paar grundlegende Vorlesungen in Volkswirtschaftslehre, aber keine weiterführenden Kurse besucht haben, scheint zu gelten: ein Markt ist ein Markt ist ein Markt. All die Variationen, all die unterschiedlichen Machtkonstellationen, all die unterschiedlichen kulturellen und sozialen Einbettungen werden damit übersehen. Die Rückkehr zu den ideengeschichtlichen Ursprüngen, und die Kontrastierung von Autoren, die aus unterschiedlichen Traditionen stammen, ist ein willkommenes Gegenmittel gegen die Annahme, dass man „schon wisse“, was ein Markt – oder eine andere vergleichbare Institution – „sei“. Lange fanden solche Vergleiche in der Ideengeschichte vor allem innerhalb der westlichen Tradition statt, und auch das vorliegende Buch beschränkt sich auf diese. Es ist längst überfällig, und höchst erfreulich, dass sich der Horizont inzwischen stärker weitet und auch nicht-westliche Denktraditionen stärker in den Blick genommen werden. Was solche Studien leisten können, ist vor allem auch, die Kontingenz der konkreten Ausprägung von Institutionen aufzuzeigen, die wir heute sehen und mit denen wir leben. Sicherlich haben viele Institutionen einen gemeinsamen, quasi definitorischen Kern: ein Markt betrifft den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, die Ehe hat mit der rechtlichen Vereinigung sich liebender Menschen zu tun, etc. Doch jenseits dieses Kerns gibt es schwindelerregend viele Variationsmöglichkeiten und damit auch die Möglichkeit, dass sich Institutionen, ohne ihre Kernfunktionalität zu verlieren, weiterentwickeln können. Sie können sich unseren normativen Vorstellungen von Gerechtigkeit, Freiheit oder Nachhaltigkeit annähern, wenn eine hinreichend große Zahl von Menschen darauf hinarbeitet, sie zu verändern und an die normativen Erfordernisse der jeweiligen Zeit anzupassen. Sie können aber auch degenerieren, von Partialinteressen zerfressen werden oder zu bloß formalen Hüllen verkommen, in denen die Werte, die sie ursprünglich verwirklichen sollten, überhaupt keine Rolle mehr spielen. Doch auch darüber, ob eine Entwicklung eine Verbesserung oder eine Degenerierung darstellt, gibt es oft Uneinigkeit – je nach philosophischen, ethischen oder politischen Standpunkten ist es für eine Partei das eine, für eine andere Partei das andere. Auch hier kann die Geschichte des politischen Denkens Anhaltspunkte geben, auch wenn sie, für sich alleine genommen, über normative Fragen niemals entscheiden kann. Denn die Muster von Verteidigung und Anklage  – z. B. über die befreiende, oder sozial zersetzende, Wirkung von Märkten – wiederholen sich. Heutige Diskussionen lassen sich besser einordnen und bewerten, wenn man ihre historischen Vorgänger kennt.

Freie Märkte – oder Rückkehr des Feudalismus? | 13

Freie Märkte – oder Rückkehr des Feudalismus? Die Finanzkrise von 2008 hat eindrücklich gezeigt, dass die Vorstellung von sich selbst regulierenden Märkten, zumindest in Bezug auf Finanzmärkte, höchst problematisch ist. Dass „financial deepening“, die immer stärkere Aufspaltung von finanziellen Risiken und der Handel mit ihnen, zu gesamtgesellschaftlichen Effizienzgewinnen führen würde, die letztlich allen zugutekämen, und dass die Akteurinnen auf Finanzmärkten so rational seien, dass sich Blasen gar nicht erst bilden könnten – diese makroökonomische Orthodoxie erwies sich als folgenschwerer Fehler, der zahlreiche Unschuldige mit in ­seinen Strudel riss. Smith, der – übrigens sehr zum Unmut von Jeremy Bentham – für die Regulierung von Zinssätzen argumentiert hatte, damit nicht zu viel Kapital in die Hände risikoliebenderer Spekulanten geraten würde, wäre vermutlich entsetzt gewesen, hätte er erfahren, dass sein Name und seine Metapher der „unsichtbaren Hand“ für die „Liberalisierung“ der Finanzmärkte herangezogen wurden. Dass die Interessen der „merchants“ und die der Bevölkerung als Ganzer – insbesondere der Masse der arbeitenden Bevölkerung, deren Wohl Smith besonders am Herzen lang  – oft in Spannung zueinander stehen, das lässt sich bei Smith direkt nachlesen. Auch, dass diese „merchants“ gerne versuchen, die Regierung auf ihre Seite zu ziehen und Gesetze zu ihren Gunsten zu erlassen (oder Gesetze zu ihren Ungunsten zu verhindern), war für Smith eine Offensichtlichkeit. Smiths egalitäre Grundhaltung, zusammen mit seinem Gespür für Eigeninteresse und Machtstreben, hätten ihn vermutlich schnell durchschauen lassen, dass vieles von dem, was sich an der Wallstreet und den anderen Finanzplätzen der Welt abspielte, nicht unter die Kategorie „gesellschaftlich förderliche freie Märkte“ fällt, sondern unter die Kategorie eben jener „merchants“, die ihre wirtschaftliche Macht einsetzen, um die politische Macht zu ihren Gunsten zu beeinflussen, um damit ihre wirtschaftliche Macht weiter auszubauen, etc. – ein Zyklus, der stärker an die feudalen Strukturen erinnert, gegen die Smith anschrieb, als an seine Vision einer freien Marktgesellschaft. 2012, kurz vor diesem Buch  – aber zu spät, um noch darauf eingehen zu können –, erschien ein vielbeachtetes Werk der Institutionenökonomie: Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity, and Poverty (deutsch 2013: Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut), von Daron Acemoglou und James A. Robinson. Die Autoren verwenden dabei die Begrifflichkeit von „inklusiven“ und „extraktiven“ Institutionen, um einen Gegensatz zu beschreiben, der der Sache nach auch schon bei Smith angelegt ist: Ist der gesetzliche Rahmen einer Gesellschaft derart gestaltet, dass die

14 | Vorwort zur deutschen Übersetzung

Masse der Bevölkerung sich wirtschaftlich betätigen und am wachsenden Wohlstand teilhaben kann, oder wird jeder wirtschaftliche Zugewinn von einer kleinen Elite abgeschöpft? Ohne hier in die methodologische und substantielle Debatte über ­dieses Buch einsteigen zu wollen, scheint mir, dass es einen wahren Kern enthält, den auch Smith schon erkannt hatte: Märkte müssen zugunsten der Masse der Bevölkerung gestaltet werden, man kann nicht annehmen, dass sie von alleine so sind. Das Rahmenwerk muss stimmen, sonst können sich die positiven Wirkungen von Märkten nicht entfalten. Damit lässt sich Smith auch in eine Linie zu manchen Ideen der ordoliberalen Schule stellen – eine Verbindung, die Mark Reiff in einem auf meinem Buch aufbauenden Artikel im Adam Smith Review kürzlich ausführlich diskutierte.8

Mit Smith und Hegel weiterdenken Um eine Marktgesellschaft, wie sie Smith vorschwebte, zu gestalten, kommt es aber nicht nur auf das formelle Rahmenwerk an, so wichtig dieses auch ist. Eine zweite Ebene betrifft die der informellen Institutionen: der Gewohnheiten, der sozialen Normen, dessen, was akzeptiert oder abgelehnt wird in einer Gesellschaft, das, wofür soziale Anerkennung vergeben oder verweigert wird. Derartige Fragen, die man im weitesten Sinne unter dem Stichwort „Kultur“ fassen kann, sind bis heute in der Ökonomie unterbelichtet, auch wenn der Bereich der „Identity Economics“ inzwischen die eine oder andere Dimension von Märkten entdeckt hat, die mit derartigen Phänomenen zu tun hat.9 Viel naheliegender wäre, wenn Ökonominnen in diesem Bereich mit Soziologen und ­Sozialpsychologinnen zusammenarbeiten würden, die sich mit diesen  – oft schwer zu fassenden – Fragen ebenfalls auseinandersetzen. Dies ist einer der Bereiche, in denen ich Potential für ein Anknüpfen an die Argumente sehe, die ich in Inventing the Market entwickelt habe. Smiths Theorie der ethischen Gefühle, aber auch Hegels Konzept einer in Gebräuchen und Lebensformen verankerten Sittlichkeit bieten interessante Möglichkeiten, die Frage nach dem Zusammenhang von Kultur und Wirtschaft weiterzudenken. Auch für normative Fragestellungen spielt dieser Zusammenhang eine wichtige Rolle, denn wenn Marktteilnehmer z. B. von sich aus sozialen ­Normen 8 Mark Reiff, „Two Theories of Economic Liberalism”, The Adam Smith Review 10 (2017), S. 189–214. 9 Siehe insbesondere George A. Akerlof und Rachel E. Kranton, Identity Economics. How Our Identities Shape Our Work, Wages, and Well-Being. Princeton: Princeton University Press, 2010.

Mit Smith und Hegel weiterdenken | 15

f­olgen, die ein „unparteiischer Beobachter“ gutheißen kann, dürfte der Ausgang ein komplett anderer sein, als wenn sie ausschließlich eigeninteressiert agieren und nur durch den gesetzlichen Rahmen daran gehindert werden, anderen Schaden zuzufügen. Aber können derartige soziale Normen in Märkten stabilisiert werden, oder droht hier stets die Gefahr eines „crowding out“ durch egoistisches Verhalten? Auch Erkenntnisse der Verhaltensökonomie können zu dieser Debatte beitragen. Eine mögliche Richtung, in die diese Überlegungen führen, ist die der Professionalisierung, im spezifischen Sinne des englischen Begriffs der „professions“. Ein „professional“ ist jemand, der über Fachwissen oder spezifische praktische Kenntnisse verfügt und diese anderen gegen Bezahlung zur Verfügung stellt – aber eben nicht in der Marktlogik der reinen Gewinnmaximierung, sondern im Bewusstsein, eine moralische Verantwortung der anderen Person gegenüber zu haben. Paradigmatisch ausgedrückt wird diese moralische Verantwortung im Hippokratischen Eid der Ärzte, doch die Ausgangskonstellation – Expertinnen, die über Fachwissen verfügen, das sie Laien anbieten, die es nicht wirklich beurteilen können – findet sich auch in zahlreichen anderen Branchen. Aus der Perspektive des Smithschen „unparteiischen Beobachters“, aber auch aus Perspektive der Hegelschen Sittlichkeit, liegt es nahe, dieses Phänomen in den Blick zu nehmen, als eine Form, wie Märkte moralisch „eingebettet“ werden können. Der Sozialisierungseffekt in Professionen  – die in der Regel auch organisierte Gemeinschaften der in einem entsprechenden Beruf tätigen Individuen sind – kann eine natürliche Grenze für das rein eigenorientierte Marktstreben darstellen. Um freilich eine „Professionalisierung“ in diesem moralisch aufgeladenen Sinn in Bereichen wie z. B. den Finanzmärkten zu erreichen, müssten auch die formellen Institutionen entsprechend stabilisierend wirken – ein Thema, das ich im Aufsatz „Professional ethics in banking and the logic of ‚integrated situations‘: aligning responsibilities, recognition, and incentives“ weiterverfolgt habe.10 Eine zweite, auf Inventing the Market aufbauende Forschungslinie habe ich gemeinsam mit der an der Hebrew University Jerusalem lehrenden Juristin Katya Assaf-Zakharov verfolgt, einer Expertin im Immaterialgüterrecht. Märkte werden an den unterschiedlichsten Stellen durch Rechte geformt, die sich auf immaterielle Güter beziehen, und diese Regulierungen unterscheiden 10 Lisa Herzog, „Professional ethics in banking and the logic of ‚integrated situations‘: aligning responsibilities, recognition, and incentives,“ Journal of Business Ethics 156(2) (2019), S. 531–543.

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sich von Rechtssystem zu Rechtssystem. Ein Beispiel ist die Verwendung von Namen: Kann der private Name eines Individuums in Märkten als Handelsmarke unwiederbringlich verkauft werden, oder ist das Führen des eigenen Namens ein Persönlichkeitsrecht, das durch keinen Vertrag aufgelöst werden kann? Wie wir in einem gemeinsamem Aufsatz11 zeigen konnten, regeln das US-amerikanische und das deutsche Recht diese Frage unterschiedlich, und zwar anhand von Unterscheidungen, die sich direkt auf die Modelle von „Humankapital“ à la Smith und „berufliche Identität“ à la Hegel beziehen lassen. Auch hier zeigt sich: Die ideengeschichtlichen Tiefenschichten wirken bis heute nach und hinterlassen ihre Spuren in ganz konkreten rechtlichen Regelungen, die dementsprechend mehr oder weniger stark „vermarktlichend“ wirken.

Über Smith und Hegel hinaus In mindestens zwei Hinsichten jedoch sind die Überlegungen, die sich aus Smiths und Hegels Denken gewinnen lassen, begrenzt, was die Anwendbarkeit auf die heutige Welt angeht. Da ist zum einen die Frage nach der globalen Ausdehnung des Marktes, die heute Realität ist, bei Smith und Hegel jedoch nur in begrenztem Maß, durch vereinzelte Verweise auf den Fernhandel, eine Rolle spielt. Und da ist zum anderen die Frage, wie angemessen es ist, unser Wirtschaftssystem allein als „Marktwirtschaft“ zu begreifen  – unterschlägt man damit doch, dass ein Großteil der Aktivitäten, die in die Kategorie der „Wirtschaft“ gehören, innerhalb von großen Organisationen stattfinden, in denen gerade nicht Marktprinzipien, sondern eine Logik der Hierarchie, vorherrscht. Sowohl Smith als auch Hegel gehen von einer Konstellation aus, die in der Tradition der Sozialdemokratie später als das „Primat der Politik“ bezeichnet wurde: Der Grundgedanke ist, dass eine am Gemeinwohl orientierte Regierung den Rahmen für Märkte setzt und dafür sorgt, dass diese mehr Nutzen stiften, als sie Schaden anrichten – und auch dafür, dass mögliche Opfer kompensiert werden, die z. B. durch Marktprozesse ihren Arbeitsplatz verlieren. Bei Hegel deutet sich das Problem staatlicher Ohnmacht in seiner Diskussion des „Pöbels“ bereits an: Was, wenn es nicht gelingt, alle Teile der Bevölkerung in die wohlgeordnete Marktgesellschaft zu integrieren? Besonders drängend wird diese Frage in einer Situation wie der heutigen, in der Märkte global geworden 11 Siehe dazu Katya Assaf-Zhakarov und Lisa Herzog „Work, Identity, and the Regulation of Markets: A Study of Trademark Law in the U.S. and Germany“, Law and Social Inquiry 44(4) (2019), S. 1083–1112.

Über Smith und Hegel hinaus | 17

sind, ihre Regulierung jedoch in hohem Maße weiterhin eine Angelegenheit der Nationalstaaten ist. Ein wichtiger Unterschied zwischen nationalen und internationalen Märkten ist, dass das Wissen darum, unter welchen Umständen Güter produziert werden, bei letzteren oft viel weniger ausgeprägt ist. In nationalen Märkten können Kundinnen mehr über die Produktionsbedingungen wissen, es gibt oft nationale Regulierungsbehörden, die z. B. Hygienestandards bei der Lebensmittelproduktion überprüfen, und vielleicht kennt man auch jemanden, der in der entsprechenden Branche arbeitet und Auskunft geben kann. Auch wenn die Verhältnisse komplexer geworden sind als zu Zeiten Smiths und Hegels: Nationale Märkte sind überschaubarer und können durch nationalstaatliche Institutionen eingegrenzt und eingebettet werden. Für internationale Märkte fehlt eine derartige Einbettung – das macht es auch schwieriger, als Konsument verantwortlich zu handeln, weil Informationen über die Produktionsbedingungen fehlen.12 Doch nicht nur das: Der internationale Wettbewerb führt auch dazu, dass derartige Einbettungsmechanismen auf der nationalen Ebene unter Druck geraten. Es ist die Drohung mit Abwanderung und damit mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, die nationalen Regierungen die Hände bindet – und auch, wenn vielleicht nicht jede dieser Drohungen so viel Gewicht verdient, wie sie ihr von Politikerinnen im Geiste der „Alternativlosigkeit“ zugeschrieben wurde, ist diese Grundkonstellation sicherlich höchst problematisch. Ein einseitiges Vorgehen einzelner Staaten, sei es im Bereich der Besteuerung, der Umweltgesetzgebung oder der Verbesserung der Arbeitsbedingungen, ist daher oft weniger wirksam, als es zu Zeiten einer weniger stark globalisierten Wirtschaft der Fall war. Und der Wille der Staatenlenker, international zusammenarbeiten, um derartige Probleme anzugehen, scheint derzeit wenig ausgeprägt – vielleicht mit Ausnahme der Europäischen Union, die zumindest gewisse Anstrengungen unternimmt, um z. B. die Datensammelwut von Internetfirmen einzugrenzen. Für die Diagnose dieser Situation scheint ein anderer der „Klassiker“ besser geeignet zu sein als Smith und Hegel mit ihrer alles in allem doch recht optimistischen Sichtweise: Karl Marx, für den der bürgerliche Staat nicht mehr als ein Instrument der herrschenden Klasse war. Das marxistische Denken hat seit der Finanzkrise einen enormen Aufschwung erfahren, gerade unter Studierenden ist seine Popularität hoch. Doch es stellt sich das alte Problem: Wie umgehen mit der Tatsache, dass die Marxschen Rezepte – soweit man davon 12 Siehe dazu auch Lisa Herzog, „Global trade with an epistemic upgrade.“ Moral Philosophy and Politics 5(2) (2018), S. 257–279.

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überhaupt sprechen kann – schwer umsetzbar scheinen und eine demokratische Mehrheit für sie kaum zu gewinnen ist? Für die Diagnose der derzeitigen Krisen kann man viel gewinnen, wenn man Marx liest, doch welche Handlungsoptionen und Reformvorschläge ergeben sich dann? Die Richtung, die ich in meiner Forschung seit einiger Zeit verfolge – und von der ich glaube, dass sie zumindest dem Geist nach den liberalen, egalitären Seiten von Smith und Hegel nahesteht – ist nicht so sehr die einer „Verstaatlichung der Produktionsmittel“ im klassischen Sinne, sondern die einer stärkeren Demokratisierung des Wirtschaftssystems, weniger „top down“ und viel mehr „bottom up“. Das hat mit der zweiten Hinsicht zu tun, in der wir über Smith und Hegel hinausgehen müssen, und in der es irreführend ist, von reinen „Marktwirtschaften“ zu sprechen, als fände wirtschaftliches Handeln in erster Linie durch atomistisches Tauschhandeln statt. Vielmehr werden unsere Wirtschaftssysteme entscheidend dadurch geprägt, dass in ihnen große Organisa­ tionen tätig sind, die die Arbeitskraft von Tausenden, manchmal sogar von Millionen von Menschen zusammenführen: transnationale Unternehmen, inzwischen zunehmend im digitalen Bereich, deren Umsätze das BIP mittelgroßer Länder spielend übersteigen. Derartige Organisationen haben weder Smith noch Hegel erlebt; am ehesten noch dürften die Diskussionen der East India Company, die sich bei Smith finden – und die höchst kritisch sind, weil er hier zu viel wirtschaftliche, politische und militärische Macht konzentriert sieht – in diese Richtung gehen. Und doch sind es diese Organisationen, die für eine Vielzahl der moralischen Schädigungen, die wir gemeinhin „den Märkten“ zuschreiben, verantwortlich sind. Damit sollen andere Akteure, gerade Konsumentinnen in reichen Ländern, nicht aus der Pflicht genommen werden – doch um moralische Verbesserungen herbeizuführen, scheint es unverzichtbar, dass sich auf der Ebene dieser transnationalen Organisationen etwas ändert. Mein auf Inventing the Market folgendes Buchprojekt beschäftigte sich daher mit Ethik in komplexen Organisationen. Aufbauend auf der These, die sowohl Smith als auch Hegel teilen, dass Individuen von ihren sozialen Kontexten geprägt werden, ging ich der Frage nach, wie diese ganz spezifischen sozia­ len Kontexte, in denen durch Hierarchien und Regeln komplexe Formen der Arbeitsteilung und deren Integration ermöglicht werden, das menschliche Verhalten prägen und welche besonderen Herausforderungen an das moralische Handeln sich dabei ergeben. Um diese Fragen bearbeiten zu können, führte ich Interviews mit Praktikern, aus großen Unternehmen ebenso wie aus großen öffentlichen Institutionen. Die Ergebnisse flossen in Reclaiming the System. Moral Responsibility, Divided Labour, and the Role of Organizations in Society

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ein (die deutsche Übersetzung Das System zurückerobern wird 2021 erscheinen) – ein auf den ersten Blick komplett andersartiges Buch, das aber doch von meiner Beschäftigung mit Smith und Hegel geprägt ist. Durch diese Untersuchung, aber auch durch die Beschäftigung mit transnatio­ nalen Märkten, kam ich zu dem Schluss, dass die erfolgversprechendste Richtung, in die wir aus Sicht einer von Smith und Hegel inspirierten Wirtschaftsphilosophie heute gehen können, die ist, nach den Potentialen für die Demokratisierung der Wirtschaft zu fragen – nicht nur durch eine Wiederbelebung und Stärkung des „Primats der Politik“, sondern auch durch die Einforderung demokratischer Praktiken in wirtschaftlichen Organisationen. Denn diese Organisationen sind eben gerade keine Märkte, und was auch immer man kritisch über Märkte sagen mag – immerhin fördern sie gewisse Formen von Feedback und Responsivität. Wenn die Kundinnen nicht zufrieden sind, können sie (zumindest in idealtypischen Märkten) zur Konkurrenz gehen  – das zwingt Marktteilnehmer zu Wachsamkeit und Anpassung. Innerhalb von komplexen Organisationen dagegen fehlen oft effektive Rückkoppelungsmechanismen, weil die Macht von oben nach unten verteilt ist, während die Rückkoppelungen von unten nach oben erfolgen müssten. An der Spitze dieser Organisationen findet sich eine enorme Machtfülle, die sich unter anderem darin zeigt, dass die Gehälter keinerlei Obergrenze mehr zu kennen scheinen. Im politischen Bereich ist es die demokratische accountability, die verhindern soll, dass Politikerinnen ihre Macht missbrauchen. Das funktioniert sicher nicht perfekt, und es gäbe viel darüber zu sagen, warum es derzeit besonders schlecht zu funktionieren scheint. Doch mit Winston Churchill gesprochen: Demokratie ist die schlechteste Regierungsform, außer allen anderen, die schon probiert wurden. Das Prinzip, dass Macht demokratisch zur Verantwortung gezogen werden muss, lässt sich auch auf das Innere großer Organisationen anwenden  – auch auf Wirtschaftsorganisationen! Das deutsche Prinzip der Mitbestimmung geht in diese Richtung, doch es könnte und sollte noch viel mehr passieren, um wirtschaftliche Machtkonzentration demokratisch einzuhegen. Sicherlich gibt es hier auch zahlreiche offene Fragen, z. B. zu den Rechten und Pflichten der Kapitalgeber, zu praktikablen Mechanismen demokratischer Entscheidungsfindung oder zum Verhältnis von innerorganisatorischer und politischer Demokratie. Doch ich denke, dass sich solche Antworten geben lassen, und dass dies eine Richtung ist, in die wir theoretisch und praktisch weiterdenken, -forschen und -experimentieren müssen.13 13 Für einen Überblick über diese Debatte siehe Roberto Frega, Lisa Herzog und Chris Neuhäuser: „Workplace Democracy  – the recent debate“, Philosophy Compass (2019), ­online first.

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Wenn es die „unsichtbare Hand“ des Marktes nicht gibt, oder sie nur sehr eingeschränkt wirksam sein kann, dann müssen sichtbare Hände dafür sorgen, dass es nicht zu übermäßig großen Konzentrationen wirtschaftlicher Macht kommt. Auch wenn Smith und Hegel keine Demokraten im heutigen Sinne des Wortes waren: Wenn man ihre Aussagen zum gleichen moralischen Status aller Individuen ernst nimmt, scheint mir, dass sie kaum anders könnten, als heute welche zu sein. Sie wären wahrscheinlich kritische Stimmen, die mit viel Aufmerksamkeit für empirische Forschungsergebnisse und praktische Erfahrungen die Defizite der heutigen Institutionen kommentieren und Verbesserungsvorschläge unterbreiten würden. Und gäbe es die Gelegenheit, heute mit ihnen zu diskutieren, dann würde ich sie fragen wollen, ob nicht auch sie in Richtung einer weitergehenden Demokratisierung der Wirtschaftswelt argumentieren würden. Lisa Herzog, im Mai 2020

1 Einführung: Auf der Suche nach „dem Markt“ 1.1 Einleitung

W

ohin würde man sich begeben, um „den Markt“ zu Gesicht zu bekommen? Auf das Parkett der Wall Street? Zum nächstgelegenen Bauernmarkt am Samstagmorgen? Zu einer Recruitingmesse, auf der sich große Unternehmen und Hochschulabsolventinnen, die „high potentials“, gegenseitig umwerben? Zu den berühmten Thunfisch-Auktionen in Tokio? Oder sollte man im Internet nach Zahlen zu Angebot und Nachfrage, Produktion und Verbrauch, Währungskursen und Außenhandelsbeziehungen suchen? All dies sind Beispiele für, und Dimensionen von, „Märkten“. Reden wir jedoch über „den Markt“, so meinen wir etwas, das darüber hinausgeht. Wir meinen das komplexe System, in dem Menschen kaufen und verkaufen, in dem sie Geld, Güter, Arbeit, Zeit und Fähigkeiten anbieten. Wir alle nehmen täglich in unseren Rollen als Arbeiterinnen, Kunden und Investorinnen daran teil. Wie Adam Smith vor mehr als 200 Jahren schrieb, lebte in einer postfeudalen Gesellschaft „jedermann durch Tausch […] oder wird gewissermaßen ein Kaufmann“.1 Unsere Gesellschaften sind, in unterschiedlichem Ausmaß, zu „Marktgesellschaften“2 geworden: Es sind ausdifferenzierte Gesellschaften, deren ökonomische Sphäre durch individuelle Eigentumsrechte, die Verfolgung von Eigeninteressen, hochgradige Arbeitsteilung und komplexe gegen­ seitige Abhängigkeiten charakterisiert ist. Ihre ökonomische Sphäre ist eine Marktökonomie, die nach ihren eigenen Gesetzen und Prinzipien funktioniert, anstatt auf anderweitigen sozialen Beziehungen aufzusetzen. Obwohl es mehr 1 WN I.IV.1. / (Buch 1, S. 41). Die Zitate aus der deutschen Übersetzung wurden der neuen Rechtschreibung angepasst. An einigen Stellen wurde auch die Ausdrucksweise gering­ fügig überarbeitet und modernisiert. 2 Ich verwende den Begriff „Marktgesellschaft“ als Oberbegriff für die Gesellschaften, über die Smith und Hegel geschrieben haben, sowie unsere eigenen Gesellschaften. Smith verwendet den Begriff „kommerzielle Gesellschaft“ („commercial society“) oder manchmal „zivilisierte und kommerzielle Gesellschaft“ (z. B. WN I.IV.1, V.I.III.II.52, V.III.5; ED II.11). Hegel spricht vom „System der Bedürfnisse“, das Teil der „bürgerlichen Gesellschaft“ ist (GPR § 182 ff.).

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als eine politische Form gibt, die Marktgesellschaften annehmen können, sind bestimmte politische Strukturen  – insbesondere die Herrschaft des Rechts (rule of law) – erforderlich, damit Märkte sich ausbreiten können. Die politische Sphäre kann ihrerseits durch Märkte beeinflusst werden, insbesondere durch Finanzmärkte. Daher wird der Gesamtcharakter unserer Gesellschaften zu einem gewissen Grad durch die Existenz des Marktes bestimmt. Sein Vorhandensein hat einen großen und dauerhaften Einfluss auf unser Leben und auf unser materielles Wohlergehen, aber auch auf unsere sozialen Beziehungen, darauf, wie wir einen Großteil unserer Zeit verbringen, sowie auf ­unsere Vorstellungen von Erfolg und Misserfolg. Zur Beschreibung des Marktes wurden verschiedene Bilder verwendet. Für manche ist er ein Monster, ein Dämon, der seine eigenen Kinder verschlingt wie der Gott Kronos. Für die nächsten ist er eine riesige Maschine, die Dinge von einem Ort zum anderen transportiert, was Bilder von großen industriellen Werkhallen mit zahllosen Rohren und Fließbändern wachruft. Für andere ist er ein darwinistischer Dschungel, in dem nur die „Fittesten“ überleben – während er für wieder andere ein großes Sportereignis ist, bei dem, durch eine wunderbar wohlwollende Gestaltung der Regeln, nicht nur die siegreiche Mannschaft, sondern auch alle anderen profitieren, die daran teilnehmen. Diese Theorien oder die Bilder, die durch sie hervorgerufen werden, wurden von sehr verschiedenen Denkerinnen und Denkern entworfen. Der Markt und seine Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaften wurden von Philosophen und Psychologinnen, Historikern und Romanautorinnen beschrieben. Am meisten haben sich natürlich Wirtschaftswissenschaftler mit Märkten beschäftigt. Während es umstritten ist, was für eine Art Wissenschaft die Wirtschaftswissenschaft ist, ist auf jeden Fall klar, dass Märkte und ihre ­Struktur für sie zentral sind. Die moderne Wirtschaftswissenschaft orientiert sich methodisch stark an der klassischen Physik und arbeitet mit abstrakten, auf Mathematik basierenden Modellen. Von zentralem Interesse ist die Frage der Effizienz, und der Markt wird normalerweise als eine Institution verteidigt, die effiziente Ergebnisse ermöglicht. In den Modellen einführender Lehrbücher werden Märkte häufig mithilfe von zwei Linien beschrieben, die sich überkreuzen, oder in Form von Kurven, die am Gleichgewichtspunkt einen Maximalwert erreichen. In Modellen zu Forschungszwecken wird die wechselseitige Abhängigkeit ­verschiedener Märkte mithilfe komplexer mathematischer Gleichungen wiedergegeben, die unter Verwendung von Daten der Vergangenheit kalibriert ­werden. Doch die Finanzkrise des Jahres 2008 hat gezeigt, dass diese Art der

1.1 Einleitung | 23

Modellbildung an inhärente Grenzen stößt: Nur eine Handvoll Wirtschaftswissenschaftler hatte bemerkt, dass auf den amerikanischen Immobilien- und Finanzmärkten etwas schieflief, bevor es zu spät war. Zahlreiche Kommentatorinnen haben daher, was die Modellierung komplexer ökonomischer Phänomene betrifft, grundlegende Veränderungen gefordert, doch die Auseinandersetzung zwischen den Traditionalistinnen und den Reformern ist noch nicht abgeschlossen. Andere, sogenannte „heterodoxe“ Strömungen wie zum Beispiel die „österreichische Schule“, die Sozioökonomie oder die feministische Ökonomie haben viele dieser formalen Modelle und ihre Fokussierung auf Gleichgewichtszustände kritisiert. Diese heterodoxen Ansätze verwenden weniger harmonische Bilder zur Beschreibung des Marktes und sind ihm gegenüber häufig sehr viel kritischer eingestellt als die Traditionalisten. Bisher ist es ihnen jedoch noch nicht gelungen, einen größeren Einfluss darauf zu gewinnen, wie die Wirtschaftswissenschaft verstanden, gelehrt und für die Politikberatung eingesetzt wird. Viele Fragen in Bezug auf Märkte werden allerdings innerhalb dieses Fachs überhaupt nicht beantwortet. Zahlreiche interessante Aspekte von Märkten – zum Beispiel das Wesen ökonomischen Handelns, die Auswirkung des Marktes auf gesellschaftliche Beziehungen oder seine Bedeutung für unser Verständnis von Freiheit – sind in den Prämissen der Marktmodelle versteckt und werden als selbstverständlich vorausgesetzt, wenn Wirtschaftswissenschaftlerinnen mit ihnen arbeiten. Häufig muss eine umfassende Übersetzung vom Fachjargon in die Alltagssprache vorgenommen werden, um diese impliziten Voraussetzungen ans Licht zu bringen – was nicht überraschend ist, da diese Modelle zur Beantwortung anderer Fragen entworfen wurden. Indem sie auf die akademische Arbeitsteilung und das Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaft als von anderen Sozialwissenschaften und der Philosophie unterschieden verwiesen, haben viele Ökonomen die Verantwortung für philosophischere Fragen an andere Denkschulen delegiert, sofern sie deren Legitimität überhaupt anerkennen. Um tiefergehende Fragen bezüglich der Bedeutung des Marktes für, und seiner Auswirkung auf, unser Leben zu stellen – also bezüglich seiner existenziellen Seite, könnte man sagen – muss man daher andere Disziplinen ins Spiel bringen.3

3 Manchmal wird dies natürlich von Ökonominnen selbst geleistet. Für Beispiele von Wirtschaftswissenschaftlern, die die Grenzen zu anderen Fachdisziplinen überschritten haben, siehe Fußnote 30 dieses Kapitels.

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Ein offensichtlicher Kandidat für diese Aufgabe ist die politische Philosophie.4 Ihr Beitrag scheint insbesondere dann nötig, wenn man nicht nur deskriptive, sondern normative Fragen dazu stellen möchte, wie Märkte aussehen und wie wir uns ihnen gegenüber verhalten sollen. Märkte sind nicht nur ein Aspekt des Privatlebens von Individuen, sie sind soziale Phänomene. Sie finden innerhalb eines Rahmens von Gesetzen und Institutionen, wie zum Beispiel Eigentumsrechten, statt, die zu den Kern­gegenständen der politischen Philosophie gehören.5 Sie wirken sich auf zahlreiche politische Fragen aus, einschließlich denen nach der Verwirklichung von Idealen wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Man könnte daher erwarten, dass politische Philosophinnen etwas über Märkte zu sagen haben, indem sie nicht nur die Einsichten von Wirtschaftswissenschaftlern, sondern auch von Psychologinnen oder Soziologen, die andere Aspekte der ökonomischen Welt erforscht haben, als Ausgangspunkt nehmen oder diese zusammenführen. Allerdings hat der Markt in der politischen Philosophie der letzten Jahrzehnte keine größere Rolle gespielt. Dies ist vermutlich das Ergebnis einer Reihe von Annahmen über die Aufgaben der politischen Philosophie und die Natur des Marktes. In seiner bahnbrechenden Studie Eine Theorie der Gerechtigkeit definiert John Rawls die Aufgabe der politischen Philosophie als die Auseinandersetzung mit der Grundstruktur der Gesellschaft.6 Bei dieser Grundstruktur geht es um den institutionellen Rahmen, innerhalb dessen auch Märkte stattfinden. In einer gerechten Gesellschaft stellt die Grundstruktur sicher, dass die Verteilungsergebnisse der Wirtschaft mit den Prinzipien der Gerechtigkeit übereinstimmen: mit der gleichen Verteilung von Freiheiten und Chancen und dem „Differenzprinzip“, das besagt, dass Ungleichheiten zum größten Vorteil der am wenigsten begünstigten Mitglieder der Gesellschaft führen sollten.7 Der Schwerpunkt des Interesses richtet sich daher auf diesen institutionellen Rahmen und führt damit weg von den Märkten selbst. Die implizite Annahme, die hier gemacht und wohl von vielen Theoretikerinnen nach Rawls geteilt wurde, ist, dass Märkte als solche keine normativ ­relevante Angelegenheit sind, sondern dass sie ein

4 Im Folgenden verwende ich die Ausdrücke „politische Philosophie“ und „politische Theorie“ gleichbedeutend. 5 Vgl. auch Debra Satz, Why Some Things Should Not Be for Sale (New York: Oxford University Press, 2010), S. 4. 6 John Rawls, A Theory of Justice (Cambridge, MA: Belknap Press of Harvard University Press, 1971), z. B. S. 6 f. 7 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 60 und S. 303.

1.1 Einleitung | 25

„­ System“8 bilden, dessen Verteilungsergebnisse durch die ihnen zugrundeliegenden Regeln bestimmt werden. Wenn angenommen wird, dass es bei Märkten nur um ihr Verteilungsergebnis geht, ist es durchaus verständlich, dass sie selbst oder die Bilder, die man von ihnen hat, aus normativer Sicht keiner besonderen Aufmerksamkeit bedürfen und dass sie nur auf der abstraktesten Ebene thematisiert werden. Ein Philosoph in der Tradition des Sozialvertrags, David Gauthier, geht sogar so weit, vom Markt als einer „moralfreien“ Zone zu sprechen und zu behaupten, die Notwendigkeit von Moral entstünde gerade deshalb, weil die Welt kein Markt mit vollständigem Wettbewerb sei.9 Während diese radikale Behauptung an seinem neo-Humeschen Verständnis von Moral hängt, scheint die Annahme, dass im politischen Denken nicht der Markt, sondern das, was ihn umgibt, behandelt werden sollte, weiter verbreitet zu sein. Häufig scheint der Markt das geisterhafte „Andere“ der Institutionen zu sein, auf die sich politische Philosophinnen konzentrieren: Etwas, das gezähmt und eingeschränkt, jedoch nicht selbst thematisiert werden muss.10 Im Gegensatz zu diesem vorherrschenden Ansatz beschreiben pluralistische Gerechtigkeitstheoretiker wie Michael Walzer und David Miller den Markt als eine soziale Sphäre unter vielen, in denen bestimmte Güter jeweils nach den ihnen inhärenten Prinzipien konzipiert, hergestellt und verteilt werden. Miller verteidigt beispielsweise den Grundsatz des Verdienstes als Prinzip der Gerechtigkeit für den Arbeitsmarkt.11 Ein zentraler Schwerpunkt seiner Theorie, und noch mehr von Walzers Sphären der Gerechtigkeit, ist jedoch nicht der Markt als solcher, sondern die Frage nach den Grenzen des Marktes, was Walzer als „blockierte Tauschvorgänge“ bezeichnet.12 Das auf dem Markt herrschende Tauschprinzip darf nicht in andere Sphären eindrin8 Vgl. z. B. die Darstellung von Jürgen Habermas: Der Markt wird als Teil des „Systems“ beschrieben, das der „Lebenswelt“ entgegengesetzt ist (Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981, Band II, Kap. VI.2). 9 David Gauthier, Morals By Agreement (Oxford: Clarendon Press, 1976), S. 84. 10 Eine Reihe von Themen, die mit der Bedeutung des Marktes zusammenhängen, finden sich bei sogenannten poststrukturalistischen Denkern (wie z. B. Gorz, Baudrillard oder Lyotard); für einen Überblick und eine Diskussion siehe Gary K. Browning und Andrew Kilmister, Critical and Post-Critical Political Economy (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2006). Diese Denkerinnen werden in dieser Studie nicht berücksichtigt  – nicht zuletzt deshalb, weil sich schwierige methodische Fragen dazu stellen, wie ihre Texte zu denen der liberalen Tradition im weiteren Sinne in Beziehung zu setzen wären. 11 David Miller, Grundsätze sozialer Gerechtigkeit (Frankfurt am Main: Campus, 2008), Kap. VII–VIII. In Abschnitt 5.2 dieses Buches werde ich auf das Thema „Verdienst“ eingehen. 12 Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit. (Frankfurt am Main: Campus, 2006), Kap. IV.

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gen, denn „[d]ie Moral des Basars gehört in den Basar“ – und nur dorthin.13 Die Frage nach den Grenzen des Marktes wurde in den letzten Jahrzehnten von einer Reihe von Denkerinnen und Denkern wie Elizabeth Anderson,14 Michael Sandel,15 und Debra Satz gestellt.16 Sie beschäftigten sich beispielsweise mit der Frage, ob Leihmutterschaft, menschliche Organe oder der Militärdienst auf Märkten „zu Waren gemacht“ werden sollten. Bei der Beantwortung solcher Fragen helfen einem mikroökonomische Lehrbücher oder die aktuellen Ausgaben von Econometrica nicht weiter; es bedarf vielmehr einer ernsthaften philosophischen Diskussion. Das Thema Märkte ist jedoch nicht nur für diese spezifischen Fragen von Bedeutung. Die Grundthese dieses Buches ist, dass unser Verständnis des Marktes – ob wir ihn als ein Monster oder eine Maschine, als einen Dschungel oder eine Rennbahn sehen – nicht nur ein Randthema der politischen Philosophie, sondern von zentraler Bedeutung für sie ist. Um diese Bedeutung sichtbar zu machen, bedarf es nicht einer weiteren technischen Erörterung von Märkten. Was wir brauchen, ist vielmehr eine philosophische Betrachtung, die den Einfluss des Marktes auf unser Leben untersucht. Dies hilft nicht nur bei der Entwicklung besserer politischer Theorien und nähert diese den Fragen des realen Lebens an. Es ist auch für ein besseres Selbstverständnis als Bürgerinnen von Marktgesellschaften erforderlich, von denen jede Smith zufolge „gewissermaßen ein Kaufmann“ geworden ist. Zu erörtern sind Themen wie die Bedeutung der Märkte für unsere Identität, für unser Verständnis von Gerechtigkeit und für die Frage, auf welche Weise wir frei oder unfrei sind. Diese Fragen sind heute so dringlich wie eh und je. Die Finanzkrise von 2008 hat deutlich gemacht, wie groß der Einfluss der globalisierten Wirtschaft auf das politische Geschehen und auf das Privatleben von Bürgerinnen und Bürgern geworden ist. Nach dem Ende des Kommunismus waren die Diskussio­ nen über eine umfassende Alternative zum Kapitalismus abgeflaut. Es scheint, dass wir auf die eine oder andere Weise mit dem Markt leben müssen. Das lässt jedoch ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen, wie genau mit ihm zu leben ist und wie wir mit seinen Auswirkungen auf unsere Gesellschaften ­umgehen. Wie sowohl die intellektuelle als auch die reale Geschichte des Kapitalismus zeigen, ist er kein monolithisches System, sondern er kann in verschie13 Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, S. 169. 14 Elizabeth Anderson, Value in Ethics and Economics (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1993). 15 Michael Sandel, Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Markets (Berlin: Ulstein, 2012). 16 Satz, Why Some Things Should Not Be For Sale.

1.1 Einleitung | 27

denen Kontexten unterschiedliche Formen und einen unterschiedlichen Charakter annehmen  – und bis zu einem gewissen Grad liegt es an uns, wie wir diese Fragen beantworten. Als Individuen und als politische Gemeinschaften müssen wir entscheiden, wie wir uns zu den Märkten verhalten und wie wir unterschiedliche Werte mit ihnen oder gegen sie verwirklichen wollen. Um über diese Möglichkeiten nachzudenken, müssen wir Märkte in all ihren Dimensionen betrachten und ihre Bedeutung und ihre Auswirkungen ernst nehmen. Deshalb müssen Märkte ein Thema für die politische Philosophie sein. In dieser Situation lohnt es sich, zu den Texten derjenigen zurückzukehren, die über die Marktgesellschaft in ihren Anfängen nachgedacht und Ideen über den Markt entwickelt haben, die unser Leben bis heute beeinflussen: Sowohl als gedankliche Konstrukte als auch in Form von Institutionen und Gepflogenheiten, die aus ihnen hervorgegangen sind. Keynes prägte das Bonmot, dass „Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben […] gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen“ sind.17 Wenn wir innerhalb von Märkten agieren, haben wir alle irgendwelche vagen Vorstellungen davon, was dies bedeutet und welche Auswirkungen es hat  – und es ist wahrscheinlich, dass auf die eine oder andere Weise die Ideen eines „verblichenen Ökonomen“ Teil dieser Annahmen sind. Politische Denkerinnen, deren Aufgabe es ist, unsere Vorstellungen von der gesellschaftlichen Welt explizit zu machen, sind von dieser Gefahr nicht ausgenommen.18 Eine sinnvolle Methode, dieses Problem anzugehen, besteht darin, jene Denker der Vergangenheit einer erneuten Betrachtung zu unterziehen, deren Ideen zur Gestaltung unserer gegenwärtigen Kategorien, Ideen und Annahmen beigetragen haben. Ihre Argumente zu untersuchen bedeutet nicht, „Geschichte um der Geschichte willen“ zu betreiben, sondern hilft uns dabei, unsere eigene Zeit in neuem Licht zu sehen und sie auf eine tiefere, bewusstere Weise wahrzunehmen. Das Ziel dieses Buches ist, die von Adam Smith und Georg Wilhelm Friedrich Hegel entwickelten Modelle der Marktgesellschaft in vergleichender ­Perspektive zu analysieren. Beide gehören zu den umstrittensten  – und am häufigsten falsch dargestellten  – Denkern der letzten 250 Jahre. Wenn man dagegen ihre Schriften genauer betrachtet, so kommt man nicht umhin, von 17 John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (Berlin: Duncker & Humblot, 2017), S. 323 18 Ich folge hier Alasdair MacIntyres Argumenten zur Theoriegeladenheit alltäglicher sozia­ ler Interaktion und zur Kontinuität zwischen unseren alltäglichen Sinnfindungen und den Versuchen der politischen Theorie, diese zu systematisieren. Siehe insbesondere Alasdair MacIntyre, „The Indispensability of Political Theory“, in Larry Siedentop (Hrsg.), The Nature of Political Theory (Oxford: Clarendon Press, 1983), S. 17–33.

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der Scharfsinnigkeit und Reichhaltigkeit ihrer Auffassungen des Markts, seiner Bedeutung und seines Verhältnisses zur Gesellschaft als Ganzer beeindruckt zu sein. Smith und Hegel entwickelten Prototypen von Modellen des Marktes, deren Einfluss bis heute stark nachwirkt. Die vorliegende Studie analysiert und vergleicht diese beiden Ansätze und zeigt, inwieweit sie für zentrale Themen der politischen Philosophie von Bedeutung sind: für Identität und Gemeinschaft, Verdienst und Gerechtigkeit, das Verhältnis zwischen verschiedenen Dimensionen der Freiheit sowie für die Geschichtlichkeit sozialer Institutionen. Adam Smith,19 der 1723 in der schottischen Stadt Kirkaldy geboren wurde, wird häufig als „Vater“ der Wirtschaftswissenschaft bezeichnet. Aber bevor er 1776 seine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes veröffentlichte, war er Professor für „Moralphilosophie“ – in dem weiten Sinne, in dem dieser Begriff zu seiner Zeit verwendet wurde. Sein erstes Buch, die Theorie der ethischen Gefühle, erntete bei seiner Veröffentlichung 1759 großes Lob. In Edinburgh und Glasgow hatte Smith zahlreiche Fächer gelehrt, darunter Rhetorik, Jurisprudenz, Logik und „natürliche Theologie“. Als Privatlehrer eines jungen Adligen war er nach Frankreich gereist, wo er die crème de la crème der französischen Aufklärung kennen gelernt hatte, darunter die sogenannten „Physiokraten“, die führenden Wirtschaftstheoretiker dieser Epoche. Als lebenslanger Junggeselle und Mitglied zahlreicher gelehrter Vereine und Gesellschaften verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens als Zollkommissar – eine Tatsache, die denjenigen zu denken geben sollte, die ihn in die Reihen der undifferenzierten Huldiger des freien Marktes einordnen wollen, und dabei meist nur einen Satz aus seinem umfangreichen Werk zitieren: den berühmten Satz über das Eigeninteresse „des Fleischers, Brauers oder Bäckers“, das uns mit unserem Abendessen versorge. Smiths Verständnis des Marktes ist in vielerlei Hinsicht der Prototyp für die „klassisch-liberale“ Sicht auf den Markt: Der Markt schafft Reichtümer und verteilt Güter und Dienstleistungen an alle Mitglieder der Gesellschaft. Er ist eine wohltätige Institution, die Gesellschaften zu einem Zustand des Überflusses führt, in dem es allen besser geht. Kurz gesagt: Trotz einer Reihe von Vorbedingungen und Vorbehalten löst der Markt Probleme. Dieses Verständnis des Marktes steht am Anfang einer Tradition, die Denker wie David Ricardo, J. S. Mill, F. A. von Hayek und James Buchanan einschließt und sich auf Schlüs19 Zum Leben von Smith siehe insbesondere Ian Simpson Ross, The Life of Adam Smith ­(Oxford: Clarendon Press, 1995) und Nicholas Phillipson, Adam Smith: An Enlightened Life (New Haven, CT: Yale University Press, 2010).

1.1 Einleitung | 29

selbegriffe wie Individualismus, Eigentumsrechte und „spontane Ordnung“ ­konzentriert.20 Besonders in ihrer „Chicagoer“ Version hat diese Richtung der Wirtschaftswissenschaft erhebliche Kritik hervorgerufen, die Smith mit angegriffen hat, als gehöre er zu ihren Anstiftern. Doch anders als die Karikatur, zu der Smith geworden ist, glauben lässt, ist seine Zustimmung zum Markt nicht bedingungslos. Seine Überlegungen über die menschliche Natur und das gesellschaftliche Zusammenleben sind viel differenzierter, als man normalerweise annimmt – vieles von dem, was in der heutigen Wirtschaftswissenschaft aufgrund ihrer Mathematisierung und Spezialisierung fehlt, findet sich bei Smith.21 Der Anstieg der Forschung über Smith in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass er ein äußerst interessanter Gesprächspartner für diejenigen ist, die heute über Moral, menschliche Natur und Gesellschaft nachdenken.22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel23 wurde 1770 als Sohn eines Staatsbeamten am Hof von Stuttgart geboren. Er studierte an der Universität Tübingen, einer Brutstätte des deutschen Idealismus in der Zeit nach der kantischen philosophischen Revolution. Er arbeitete als Privatlehrer, bevor er 1801 in Jena seine Universitätslaufbahn begann. Diese wurde durch mehrere Jahre als Redakteur einer Tageszeitung und als Direktor eines Gymnasiums unterbrochen, und führte ihn dann nach Heidelberg und schließlich nach Berlin. Nur wenige seiner Schriften – darunter die Phänomenologie des Geistes, die Enzyklopädie und die Grundlinien der Philosophie des Rechts – erschienen zu seinen Lebzeiten im Druck, doch zahlreiche Vorlesungsaufzeichnungen, sowohl von ihm selbst als auch von seinen Schülern, sind erhalten geblieben und wurden im 19. und 20. Jahrhundert herausgegeben. Hegel war einer der Hauptvertreter des deutschen Idealismus, und während das Interesse an seiner Philosophie Höhen und 20 Für Aspekte der Entwicklungslinie von Smith zu von Hayek siehe z. B. Lorenzo Infantino, Individualism in Modern Thought. From Adam Smith to Hayek (London: Routledge, 1998). Für eine Analyse der Unterschiede zwischen Smith, Mandeville, Hume und von Hayek siehe jedoch Christina Petsoulas, Hayek’s Liberalism and Its Origins: His Idea of Spontaneous Order and the Scottish Enlightenment (London: Routledge, 2001). 21 So gibt es etwa Ähnlichkeiten zwischen Smith und der Verhaltensökonomie; siehe z. B. N. Ashraf, C. Camerer und G. Loewenstein, „Adam Smith, Behavioural Economist“, Journal of Economic Perspectives 19 (2005), S. 131–145. 22 Ein Theorienstrang, der als treuerer Erbe von Smith angeführt werden könnte, als es die Mainstream-Ökonomie ist, ist die „Freiburger Schule“ des „Ordo-Liberalismus“, zu der Autoren wie Walther Eucken oder Wilhelm Röpke gehören. Eine Berücksichtigung dieser Beiträge würde jedoch den Rahmen dieser Studie sprengen. Dasselbe gilt für das Denken von Institutionsökonominnen wie J. K. Galbraith oder Elinor Ostrom. 23 Die klassische Darstellung seines Lebens findet sich in Karl Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben (Berlin: Duncker & Humblot, 1844); für eine moderne Biografie siehe Terry Pinkard, Hegel (Cambridge: Cambridge University Press, 2001).

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Tiefen sah, kann seine Bedeutung für die europäische Philosophiegeschichte kaum bestritten werden. Darüber, ob sein Einfluss positiv oder negativ zu bewerten ist, herrscht freilich Uneinigkeit. Hegel steht im Ruf, „einer der abstrusesten und unzugänglichsten Denker zu sein“, 24 besessen von logischen Kategorien und der Geschichte des Weltgeistes. Doch dieses Klischee steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass er auch eine sehr bodenständige Seite hatte. Er war ein begeisterter Zeitungs- und Zeitschriftenleser und verfolgte die politischen Ereignisse seiner Zeit mit großem Interesse. Er dachte intensiv über die junge Wissenschaft der Ökonomie nach, die an der Wende zum 19. Jahrhundert aufzublühen begann. Eine zentrale Frage seiner politischen Philosophie ist, wie eine Gesellschaft zu verstehen ist, in der der Markt, eine ausgesprochen moderne Institution,25 einen Platz hat. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1821 entwerfen das prototypische Modell einer Marktwirtschaft, die in ihrer eigenen Sphäre Freiheiten genießt, jedoch durch andere Institutionen, insbesondere durch den über ihr ­stehenden Staat, eingehegt wird. Der Markt ist hier ein notwendiges ­Element einer modernen Gesellschaft, das wichtige Werte wie Freiheit – zumindest eine gewisse Art von Freiheit – und Individualität verkörpert. Er ist jedoch auch zutiefst problematisch: Er setzt Kräfte frei, die die soziale Ordnung zerstören können, und er schafft enorme wirtschaftliche Ungleichgewichte und Ungleichheiten. Kurz gesagt, so sehr der Markt benötigt und geschätzt wird: Er schafft Probleme. Es muss daher ein Gleichgewicht gefunden werden, das dem Markt die ihm gebührende Bedeutung zugesteht, aber seine Auswirkungen begrenzt. Die Tradition, die auf diesem Ansatz aufbaut, ist weniger klar umrissen als die klassische liberale Tradition. Sie würde jedoch zum Beispiel die deutsche „historische Schule“ in den Wirtschaftswissenschaften26 und die Anfänge der Soziologie27 einschließen, und es gibt eine „Familienähnlichkeit“ mit der ­R ichtung der politischen Philosophie, die als „Kommunitarismus“ bezeichnet

24 Dieses Zitat stammt aus dem Klappentext der Hegel-Biografie von Pinkard. 25 Wenn ich im Verlauf dieser Untersuchung das Wort „modern“ verwende, ist es meistens so gemeint, dass Smith und Hegel als Denker der Moderne verstanden werden. Beide verwandten den Begriff als Selbstbeschreibung ihrer eigenen historischen Epochen im Gegensatz zu früheren Gesellschaften, wie den griechischen Stadtstaaten, dem Römischen Reich und der mittelalterlichen Welt. 26 Für eine Beschreibung der Entwicklungslinie von Hegel bis Schmoller siehe z. B. Birger Priddat, Hegel als Ökonom (Berlin: Duncker & Humblot, 1990), S. 175 ff. 27 Zu den strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Hegel, Durkheim und Simmel vergleiche z. B. die Dissertation von Ole Goos, Zur Reproduktion der Philosophie G. W. F. Hegels bei

1.1 Einleitung | 31

wurde.28 Eine zweite Linie führt von Hegel zum britischen Idealismus und von dort zum britischen Sozialliberalismus, zum Beispiel über Thomas Hill Green. Es dürfte schwer sein, auf der Suche nach Denkerinnen, die nach der Bedeutung des Marktes befragt werden können, geeignetere Kandidaten zu finden. Smith und Hegel entwerfen eine soziale Welt, die in vielerlei Hinsicht unserer eigenen gleicht: Eine Marktgesellschaft, die durch eine Tauschwirtschaft gekennzeichnet ist und in der die sozialen Beziehungen fließend sind, statt durch die statischen Hierarchien der feudalen Welt festgelegt zu sein. Für Smith und Hegel waren diese Phänomene relativ neu, zumindest, was ihre ­eigenen Länder betrifft. Während Smith vor der ersten großen Industrialisierungswelle in Großbritannien schrieb, 29 erhielt Hegel Nachrichten über die Entwicklung im Vereinigten Königreich durch Zeitungen und Zeitschriften. Deutschland hingegen war zu seiner Zeit noch weitgehend vorindustriell geprägt. Smith und Hegel untersuchten die Marktgesellschaften ihrer Zeit mit der Alternative vormoderner Gesellschaften im Hinterkopf. Dabei gingen sie von der Überlegenheit des modernen Modells aus, ohne es als selbstverständlich zu betrachten. Beide teilten jedoch auch die Auffassung, diese moderne Gesellschaft sei von Natur aus stabil und nicht nur eine Übergangsphase auf dem Weg hin zu anderen Formen. Für Smith und Hegel war demnach das, was beim Übergang zur Marktgesellschaft auf dem Spiel stand, nicht nur eine theoretische Frage, sondern auch Teil ihrer eigenen Lebenserfahrung. Die Lektüre ihrer Texte kann uns daher dabei helfen, uns darüber bewusst zu werden, woran wir uns gewöhnt haben, und eine kritische Distanz zu unserer gegenwärtigen Situation zu gewinnen. Was ihre Schriften für uns außerdem besonders wertvoll macht, ist, dass sie sie zu einer Zeit verfassten, in der die Arbeitsteilung in der akademischen Welt



Georg Simmel und Emile Durkheim. Studien zu den Begriffen Kultur und Gesellschaft (Universität Heidelberg, 2006). 28 Es fällt auf, dass einige der prominentesten Denker des so genannten „Kommunitarismus“, insbesondere Charles Taylor und Alasdair MacIntyre, auch wichtige Beiträge zur Hegel-Forschung geleistet haben. Einige Formen der „heterodoxen“ Wirtschaftswissenschaft, die die soziale Einbettung und die kulturelle Bedeutung wirtschaftlichen Handelns betonen, zeigen ebenfalls eine „Familienähnlichkeit“ mit dem Denken Hegels (z. B. Amitai Etzionis „Sozioökonomie“, vgl. etwa Die faire Gesellschaft. Jenseits von Sozialismus und Kapitalismus. (Frankfurt am Main: Fischer, 1988)). 29 Vgl. zum Beispiel C. P. Kindleberger, „The Historical Background: Adam Smith and the Industrial Revolution”, in Thomas Wilson und Andrew S.  Skinner (Hrsg.), The Market and the State: Essays in Honour of Adam Smith (Oxford: Clarendon Press, 1976), S. 3–25.

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gerade erst begonnen hatte, sodass wir von ihrer außergewöhnlich breit angelegten Betrachtungsweise profitieren können. Diese umfasste die Wirtschaftswissenschaften, die Gesellschaftstheorie im weiteren Sinne, Geschichte, ­Moralphilosophie und Psychologie, um nur die relevantesten Fachgebiete zu nennen. Sowohl Smith als auch Hegel waren systematische Denker, deren Ziel es war, diese verschiedenen Bereiche und ihr unterschiedliches Vokabular in Gesamtdarstellungen zu integrieren, die die natürliche und soziale Welt und den Platz des Menschen in ihr von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus beschreiben. Smith und Hegel stellen daher Fragen, die heute durch die Aufteilung zwischen den Disziplinen und Fakultäten oft verloren gehen. Die akademische Spezialisierung hat gewiss zahlreiche Vorteile, doch ihr Preis ist, dass Fragen, die an der Grenze verschiedener Fachgebiete liegen, oft weniger Aufmerksamkeit erhalten als solche, die für das Selbstverständnis einzelner Disziplinen zentral sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie weniger wichtig wären, sowohl aus theoretischer Sicht als auch im Hinblick auf die dringlichsten Probleme der realen Welt. Die umfassenden intellektuellen Systeme von Denkerinnen und Denkern der Vergangenheit zu untersuchen, ist daher eine Gelegenheit, die Fachgrenzen zu überschreiten. Es hilft, bestimmte Probleme und Fragen zu sehen, die sonst unsichtbar bleiben, und darüber nachzudenken, wie sich der Dialog zwischen den Disziplinen fördern lässt.30 Angesichts dieser Tatsachen ist es überraschend, dass ein systematischer Vergleich von Smith und Hegel zum Wesen und zur Bedeutung des Marktes bisher nicht unternommen wurde. Die einzige größere vergleichende Studie ist Norbert Waszeks Buch The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ‚Civil Society‘.31 Es bietet eine äußerst nützliche und reichhaltige Analyse der Übermittlung des schottischen Denkens in die deutschsprachigen Länder und von Hegels Reaktion darauf. Durch die Wahl einer kontextualistischen Methode verzichtet Waszek allerdings darauf, Hegels politisches Denken zu berücksichtigen – vor allem übergeht er explizit seine Erörterung des Staates32 – und wird damit Hegels Modell einer modernen Marktgesellschaft insgesamt nicht

30 Natürlich gibt es auch im heutigen akademischen Umfeld eine kleine, aber hartnäckige Gruppe von Denkern, die die Grenzen zwischen Philosophie und Wirtschaft überschreiten. Das prominenteste Beispiel ist vielleicht Amartya Sen; weitere Beispiele (aus der englischsprachigen Welt) sind David Schmitz, Elisabeth Anderson, Dan Hausman, James Otteson, Jacob Levy, Jon Elster, Eric Schliesser und Serena Olsaretti. 31 The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ‚Civil Society‘ (Dordrecht/Boston/London: Kluwer, 1988). Weitere Kommentare zu Hegels Verhältnis zu Smith finden sich in den Werken über Hegels geistige Entwicklung (z. B. in Pinkard, Hegel, S. 52). 32 Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ‚Civil Society‘, S. 231.

1.1 Einleitung | 33

g­ erecht. Außerdem will er Smiths und Hegels Denken nicht für gegenwärtige Probleme in der politischen Theorie fruchtbar machen; insgesamt ist Waszeks Ansatz daher eher historisch als philosophisch. Der Grund, warum das Potenzial eines systematischen Vergleichs von Smith und Hegel zur Bedeutung des Marktes noch nicht erkannt wurde, könnte in der Rezeptionsgeschichte liegen, die wiederum durch die Trennung zwischen den akademischen Disziplinen gekennzeichnet ist. Smith wurde traditionell als Ökonom gesehen, und die Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes wurde oft mit dem Ziel gelesen, die Anfänge späterer ökonomischer Theorien darin zu finden. Von der Philosophie wurde Smith erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als einer der ihren wiederentdeckt; die allgemeine Wahrnehmung ist jedoch immer noch sehr stark die als „Vater der Ökonomie“, der mit neoliberalen Ideologien in Verbindung gebracht und aus diesem Grund als philosophischer Denker nicht ernstgenommen wird. Hegel wird dagegen oft als Prototyp eines deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts gesehen, der deren typische Merkmale – seltsamer Fachjargon und wilde metaphysische Fantasien – aufweist. Obwohl in den letzten Jahrzehnten das Interesse an seinem Denken in der englischsprachigen Philosophie neu erwacht ist, werden zahlreiche Forschungsarbeiten nach wie vor nur auf deutsch veröffentlicht. Die Bilder, die man sich von Smith und Hegel gemacht hat, sehen daher sehr unterschiedlich aus – was allerdings mehr über die Entwicklung der akademischen Disziplinen seit ihrer Zeit als über Smith und Hegel selbst aussagt. Stellt man sie in ihren historischen und intellektuellen Kontext, so zeigt sich schnell, dass die Vorstellungen, die sie so unterschiedlich erscheinen lassen, anachronistische Klischees sind. Es ist das Verdienst von Waszeks Buch, den großen Einfluss von Smith, und des schottischen Denkens im Allgemeinen, auf Hegel nachgewiesen zu haben. Das vorliegende Buch bestätigt Waszeks zentrale These, indem es zeigt, dass Smiths und Hegels Auffassungen des Marktes und seiner Rolle in der Gesellschaft viel ähnlicher sind, als man oft annimmt. Wie es einer vergleichenden Studie angemessen ist, wird der Schwerpunkt allerdings auch darauf liegen, wie sie sich voneinander unterscheiden, ebenso wie auf ihren unterschiedlichen Grundannahmen in Bezug auf das Wesen des Menschen und die metaphysischen Grundlagen der sozialen Welt, die ihren Auffassungen des Markts auf subtile Weise eine gänzlich andere Nuancierung verleihen. Smith und Hegel eignen sich für eine vertiefte vergleichende Analyse besonders gut, weil sie an den beiden Enden einer Skala von Positionen darüber stehen, wie viel Spielraum dem Markt gegeben werden sollte, wobei sie beide die Auffassung vertreten, dass einige Argumente zugunsten des

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Marktes angeführt werden können und dass ihm in einer wohlgeordneten modernen Gesellschaft ein gewisser Platz eingeräumt werden sollte. Dies ist auch der Grund dafür, warum Hegel und nicht Marx als Gegenstück zu Smith ausgewählt wurde. Obwohl Marx’ Schriften über den Markt – die von Hegels Darstellung beeinflusst sind – voller inspirierender Einsichten sind, wird der modernen Marktgesellschaft hier der drohende Zusammenbruch diagnostiziert, der aus ihren inneren Widersprüchen resultiere, und sie wird letztlich abgelehnt. Dies war auch für viele spätere marxistische Denkerinnen ein Grund dafür, den Markt keiner detaillierten Analyse zu unterziehen, da sie hofften, er werde sowieso früher oder später „überwunden“. In Hegels politischer Philosophie dagegen werden die Probleme und Widersprüche des Marktes zwar deutlich erkannt, jedoch nimmt er an, dass sie in einer geordneten Gesellschaft eingedämmt werden können. Heute, fast 150 Jahre nach der Veröffentlichung von Marx’ Kapital, scheint die Frage, ob Märkte wirklich durch politische Strukturen eingedämmt werden können, wieder offen: nach Phasen einer ziemlich erfolgreichen „Zähmung“ des Marktes scheint in der gegenwärtigen globalisierten Welt der Einfluss der Finanzmärkte auf die natio­ nalen Regierungen größer als je zuvor. Dennoch ist unklar, ob eine marxistische Alternative, die nicht die bürgerlichen und politischen Freiheiten untergräbt, wie es in den meisten kommunistischen Ländern der Fall war, verfügbar und wirklich wünschenswert ist. Smith und Hegel stehen trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten in einer liberalen Tradition im weiten Sinne, für die wirtschaftliche Freiheiten mit anderen Arten von Freiheiten innerhalb eines stabilen gesellschaftlichen Ganzen vereinbar sind. Die Analyse ihres Denkens, und insbesondere ihrer kritischeren Bemerkungen, versetzt uns in die Lage, eine immanente eine Kritik der liberalen Tradition zu entwickeln, die das Ziel hat, sie zu reformieren und zu verbessern, die aber ihre Grundüberzeugungen teilt.33 Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Probleme scheint eine solche Kritik dringend geboten. Der Schwerpunkt des liberalen politischen Denkens lag lange auf Gesellschaften, die als mehr oder weniger geschlossene Systeme betrachtet wurden. In den letzten Jahren hat das Interesse an Fragen der internationalen Gerechtigkeit, über die Grenzen des Nationalstaates hinweg, zugenommen. Es ist offensichtlich, dass diese Fragen viel mit Märkten zu tun haben, da das Wirtschaftsleben der verschiedenen Staaten zunehmend mit dem Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung verwoben ist. Unterschiedliche Perspektiven 33 Zu Smith vgl. ähnliche Bemerkungen in Ralph Lindgren, The Social Philosophy of Adam Smith (Den Haag: Nijhoff, 1973), S. xiv.

1.1 Einleitung | 35

auf den Markt führen zu unterschiedlichen Beurteilungen dieses Prozesses. Dennoch ist es sinnvoll, sich zunächst auf die Rolle und Bedeutung des Marktes innerhalb einer Gesellschaft zu konzentrieren  – nicht nur, weil Nationalstaaten in der heutigen Welt immer noch eine große Rolle spielen, sondern auch, weil wir auf diese Weise begriffliche Werkzeuge erhalten, die wir dann zur Auseinandersetzung mit internationalen Fragen verwenden können. Was sich aus dem Vergleich von Smith und Hegel ergibt, ist die Möglichkeit, das Wesen und die normative Bedeutung des Marktes sowie seine Rolle und seinen Platz in einer Marktgesellschaft nuancierter und detaillierter zu verstehen. Dabei kommen eine Reihe von Themen in ihrem Denken zur Sprache, die bisher nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erhalten haben, wie zum Beispiel das durchgängige Thema der „Absichten der Natur“ bei Smith oder die Bedeutung des Begriffs der Bildung für Hegels Verständnis des Arbeitsmarktes. Der Vergleich zeigt, dass sowohl Smith als auch Hegel den Markt als Teil einer differenzierten Gesellschaft sehen, in der unterschiedliche Logiken des Handelns in unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären ihren Platz haben. Er zeigt allerdings auch, dass Unterschiede in den metaphysischen Annahmen über das Wesen des Kosmos und der Gesellschaft sie zu unterschiedlichen Antworten führen, wenn es um die genaue Rolle des Marktes geht. Insgesamt ergibt sich aus der vorliegenden Untersuchung jedoch eine These, die über das Interesse an Smith und Hegel hinausgeht: Sie zeigt, dass es von Bedeutung ist, wie wir über den Markt denken. Denn für viele Aspekte dessen, was wir für eine lebenswerte Gesellschaft halten, macht dies einen entscheidenden Unterschied. Wenn wir unsere Annahmen über den Markt nicht explizit machen, ist es wahrscheinlich, dass wir vage Ideen „irgendeines längst verblichenen Ökonomen“ mitschleppen, und uns von ihnen beeinflussen lassen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wenn wir diese Fragen in die Diskussion einbringen, können sie uns dabei helfen, Einsichten in unsere eigenen Denkvoraussetzungen zu erlangen, sowie in die Gründe, aus denen heraus wir bestimmte Vorschläge annehmen oder ablehnen. Dies ist nicht nur für Politikwissenschaftlerinnen, sondern auch für jeden anderen wünschenswert, der das eigene Leben in einer Marktgesellschaft reflektiert, zum Beispiel beim Nachdenken über Einkommensgerechtigkeit, darüber, was es bedeutet „Humankapital“ zu besitzen, und über die Arten von Freiheit, die uns der Markt gewährt. Je genauer wir begreifen, was der Markt für uns leisten kann oder auch nicht, desto besser erkennen wir, was getan werden kann, um auf seinen Stärken aufzubauen und seine Probleme abzumildern. Ein Leitmotiv dieser Studie ist der Kontrast zwischen der Auffassung, dass der Markt ein natürlicher „Problemlöser“ ist, die Smith im Großen und

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­ anzen vertritt, und der Position, dass der Markt als eine spezifische historiG sche Errungenschaft zu sehen ist, die durch menschliche Institutionen ermöglicht wurde und bestimmte wichtige Prinzipien verkörpert, jedoch auch ­Probleme schafft, wie Hegel es sah. Wie bereits erwähnt und weiter unten ausführlich beschrieben, werden vier Themen in ihrem Verhältnis zum Markt näher erörtert: die Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft; Fragen der sozialen Gerechtigkeit, mit einem Schwerpunkt auf Fragen des Verdienstes und der sozialen Inklusion; die Beziehung zwischen verschiedenen Dimensionen der Freiheit auf Märkten; sowie die Geschichtlichkeit von Märkten. Dies sind Schlüsselkategorien für das Nachdenken über Märkte, sie sind jedoch auch Gegenstand ausführlicher Debatten in der zeitgenössischen politischen Philosophie und Theorie. An vielen Stellen werden Verbindungen von Smith und Hegel zu diesen Diskussionen des 20. und 21. Jahrhunderts hergestellt. Die Studie wendet sich damit an zwei Adressatengruppen. Zum einen interpretiert und erörtert sie Smiths und Hegels Verständnis des Marktes und seines Platzes in der Gesellschaft, wobei der vergleichende Ansatz neue Perspektiven aufzeigt. Dies dürfte für Philosophinnen oder Philosophiehistoriker, die über Smith oder Hegel arbeiten, aber auch für Ökonominnen von Interesse sein, die sich für das Denken des Gründervaters ihrer Disziplin und einen seiner frühen Kritiker interessieren. Andererseits dürfte die Frage, was es bedeutet, in einer Marktgesellschaft zu leben, und welche Kategorien und gedank­ lichen Werkzeuge wir verwenden können, um darüber nachzudenken, für politische Philosophinnen von Interesse sein, die an vielen zeitgenössischen Debatten beteiligt sind, zum Beispiel über den Gegensatz zwischen „liberal“ und „kommunitaristisch“ oder über den Begriff des Verdienstes. Für diese Debatten ist es ausschlaggebend, dass wir, ob wir es wollen oder nicht, in hohem Maße „vom Austausch“ leben.

1.2 Ein post-Skinnerscher Ansatz Diese Untersuchung überschreitet bewusst die Grenzen mehrerer Fachgebiete. Ihr Gegenstand, der Markt, ist den Wirtschaftswissenschaften entnommen. Wie bereits erwähnt, nähert sie sich ihm allerdings auf philosophische Weise, und hat daher mit der Ökonomie, wie sie heute praktiziert wird, wenig gemeinsam. Sie beschäftigt sich mit historischen Denkern, was traditionell die Domäne der Ideengeschichte ist. Indem sie das Denken dieser Philosophen zu Themen wie Identität, Verdienst oder Autonomie in Beziehung setzt, verortet sie sich innerhalb der politischen Philosophie. Ein solcher Ansatz kann äußerst

1.2 Ein post-Skinnerscher Ansatz | 37

fruchtbar sein. Er birgt jedoch auch einige Fallstricke und macht es erforderlich, seine methodischen Grundlagen explizit zu machen. Die Gefahren, die auftreten, wenn man historische Autorinnen mit dem Ziel liest, etwas für zeitgenössische Fragestellungen zu lernen, hat Quentin Skinner in seinem berühmten Aufsatz über die Methodik der Ideengeschichte aus dem Jahr 1969 deutlich umrissen. Skinner behauptete, dass wir die Absichten hinter den Worten nicht verstehen könnten, wenn wir Texte aus ihrem Kontext rissen, und daher keinen Zugang zum Sinn des Gesagten bekämen.34 Anstatt bei der Bearbeitung gegenwärtiger Probleme auf historische Autoren zurückzugreifen, „müssen wir lernen, unser eigenes Denken für uns selbst zu vollziehen“, so Skinner.35 Die „Cambridge School“, die sich aus diesem Ansatz entwickelt hat, hat unschätzbare Beiträge zu unserem Verständnis der historischen Zusammenhänge geleistet, in denen viele „klassische“ Denker gelebt und geschrieben haben. Doch diese Errungenschaften anzuerkennen bedeutet nicht, dass man sich bei der Lektüre historischer Autorinnen auf einen kontextualistischen Ansatz beschränken muss. Man kann sich die verschiedenen Möglichkeiten, wie man einen historischen Text lesen kann, anhand eines Spektrums vorstellen, das von rein „historischen“ bis hin zu rein „systematischen“ Interpretationen reicht. Am einen Ende findet man Deutungen, die sich einem Text ausschließlich im Kontext seiner eigenen Zeit nähern. Sie versuchen, die ursprüngliche Stimme des Autors zu rekonstruieren, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was er oder sie „wirklich“ gemeint hat, verbinden diese Erkenntnisse jedoch nicht mit systematischen Fragen. Am anderen Ende stehen Lesarten, die den historischen Kontext überhaupt nicht berücksichtigen: entweder auf unbewusste, naive Weise, oder in der bewussten Entscheidung, die Suche nach dem „ursprünglichen Sinn“ aufzugeben, um mit den Texten zu machen, was man möchte.36 Diese beiden Extreme haben eine monologische Struktur: Im einen Fall ist das Ideal, die Stimme der historischen Autorin zu rekonstruieren; im anderen Fall unternimmt der zeitgenössische Interpret keinen ernsthaften Versuch, die ­historische Autorin zu verstehen, und muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, dass er lediglich seine eigenen Ideen auf den Text projiziere und ihn als

34 Quentin Skinner, „Meaning and Understanding in the History of Ideas”, History and ­T heory 8(1) (1969), S. 3–53. Skinner baut auf einer pragmatischen Sprachtheorie auf und stützt sich dabei auf Autoren wie den späten Wittgenstein, Grice und Austin. 35 Skinner, „Meaning and Understanding in the History of Ideas“, S. 52. 36 Vgl. zum Beispiel Richard Rorty, Consequences of Pragmatism. Essays 1972–1980 (Minneapolis, MN: University of Minneapolis Press, 1982), S. 151.

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„Resonanzboden für die gerade vorherrschenden Anliegen eines bestimmten Fachgebiets“37 benutze. Es gibt jedoch auch einen Mittelweg, bei dem das Ideal nicht ein Monolog, sondern ein „Dialog über historische Zeiträume hinweg“38 ist. Dieser Ansatz geht davon aus, dass es zumindest einige Begriffe, die wir verstehen, und einige Werte, die wir teilen können, gibt, und das über die Jahrhunderte hinweg. Das Hauptinteresse gilt hier den philosophischen Ideen, nicht den historischen Entwicklungen oder Kontexten. Auf diese Weise nähere ich mich in der vorliegenden Untersuchung Smith und Hegel: Ich konzentriere mich darauf, ihre Aussagen über die Rolle des Marktes in der modernen Gesellschaft, sowie die Argumente, die sie für diese Aussagen vorbringen, zu verstehen. Dabei stütze ich mich auf eine Reihe von Werten und Annahmen, die wir heute nachvollziehen können, auch wenn wir sie vielleicht nicht alle teilen. Dies bedeutet, dass ich versuche, ihre philosophischen Positionen so überzeugend wie möglich darzustellen, allerdings auch auf Spannungen und Schwächen in ihren Darstellungen zu achten, genau wie man es mit gegenwärtigen Fachkolleginnen tun würde. Dieser Ansatz nimmt die historischen Autoren als Denker ernst, die in einem weiteren intellektuellen Kontext als lediglich den historischen Umständen ihrer unmittelbaren Gegenwart schrieben, und die auf Argumente von Platon und Aristoteles ebenso eingingen wie auf diejenigen ihrer Zeitgenossen. Smith und Hegel, und mit ihnen viele historische Autoren, schrieben nicht nur, weil sie die aktuellen Ereignisse kommentieren wollten, sondern auch, weil sie etwas zu grundlegenden Problemen der politischen Philosophie zu sagen hatten. Aus diesem Grund schrieben sie lange Abhandlungen und nicht politische Pamphlete. Und deshalb sahen sie sich auch berechtigt, in einen Dialog mit jenen Denkern einzutreten, die in der Geschichte des politischen Denkens vor ihnen das Gleiche getan hatten. Würde man sie ausschließlich im Kontext ihrer Zeit lesen, würde man ironischerweise ihre eigenen Absichten missachten. Diese Vorgehensweise bietet die Möglichkeit, etwas zu lernen, das für unsere eigenen Fragen relevant ist, und dabei gleichzeitig neue Erkenntnisse zu gewinnen, indem wir wirklich die Stimme eines anderen hören, nicht nur das Echo unserer eigenen Stimme. Um die historischen Texte so genau wie möglich zu verstehen, ist es unerlässlich, sich den historischen Kontext einigermaßen klar

37 Dieser Ausdruck stammt von Keith Tribe, „Review of Fricke/Schütt (Hrsg.), Adam Smith als Moralphilosoph“, The Adam Smith Review 4 (2008), S. 258–262, hier S. 259. 38 Mark Philp, „Political Theory and History“, in Marc Stears und David Leopold (Hrsg.), Political Theory: Methods and Approaches (Oxford: Oxford University Press, 2008), S. 128–49, hier S. 144 f.

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zu machen, selbst dann, wenn das Hauptinteresse philosophischen Aussagen und Argumenten gilt. Doch es liegen bereits zahlreiche kontextualistische Forschungsarbeiten über Smith und Hegel vor: Wenn man sich auf diese stützt, verringert sich die Gefahr, lediglich die eigenen Anliegen in ihre Werke hineinzulesen.39 Darüber hinaus wird die Herausforderung, die von Smith und Hegel verwendeten Begriffe zueinander und zu unseren heutigen Vorstellungen in Beziehung zu setzen, dadurch leichter bewältigbar, dass sich für bestimmte Schlüsselbegriffe, wie zum Beispiel „Staat“40, bereits zu ihrer Zeit eine einheitliche Verwendung etabliert hatte. Die von Waszek analysierte Rezeption von Smiths Denken durch Hegel zeigt, dass sie über die gleichen Phänomene sprechen. Sie in einen Dialog miteinander zu bringen, ist daher in gewisser Weise weniger anachronistisch, als sie so zu behandeln, als gehörten sie völlig verschiedenen geistigen Welten an. Die größten Unterschiede zwischen ihren, sowie zwischen ihren und unseren, Auffassungen liegen nicht in der unterschiedlichen Verwendung bestimmter Begriffe, sondern in den metaphysischen Grundannahmen: in Smiths Deismus und Hegels Metaphysik des ­Geistes. Im Verlauf der Untersuchung werde ich die Konsequenzen dieser Grundannahmen für ihre Vorstellungen vom Markt und vom Wesen der Gesellschaft im Allgemeinen herausarbeiten. Was die Fragestellungen und Themen betrifft, zu denen ich Smith und Hegel befrage, so war dieser Prozess tatsächlich eine Art Dialog: Ich trat mit einer Reihe von Fragen an ihre Texte heran, und während einige von ihnen sich als fruchtbar erwiesen, erwiesen sich andere als uninteressant. Doch bei der Lektüre ihrer Texte tauchten neue Themen auf und es erschlossen sich gänzlich neue Sichtweisen auf Aspekte ihres Denkens, die ich für unumstritten gehalten hatte. Durch die Analyse von Smiths und Hegels Verständnis des Marktes trat ich eine philosophische Reise an, die einige überraschende Wendungen nahm. Es war ein zirkulärer Prozess zwischen der Suche nach Antworten auf meine eigenen Fragen in ihren Texten, dem Versuch, den Fragen, die sie sich stellten,

39 Für einen kurzen Überblick über die relevanten Forschungsarbeiten zu Smith und Hegel siehe die entsprechenden Fußnoten in den Kapiteln 2 und 3 sowie die Bibliografie. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass ich aus Gründen der Fokussierung die wissenschaftlichen Debatten über Smith und Hegel nur dann kommentiere, wenn sie sich direkt auf die Themen dieser Untersuchung beziehen. 40 Zur historischen Entwicklung dieses Begriffs siehe Quentin Skinner, „From the State of Princes to the Person of the State“, in Visions of Politics, vol. 2: Renaissance Virtues (Cambridge: Cambridge University Press, 2002), S. 308–413. Smith und Hegel teilen die Auffassung des Staates als einer rechtlichen Instanz, die nicht mit dem Herrscher oder der herrschenden Klasse identisch ist. Sie stammt aus der Tradition des Naturrechts.

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nachzuforschen, und der Frage, warum sie sich in bestimmten Fragen unterschieden – ein Prozess, der heutigen philosophischen Diskussionen zwischen Menschen mit unterschiedlichem Hintergründen sehr ähnlich ist. Die interessantesten Momente sind dabei oft diejenigen, in denen man versteht, warum jemand eine Position vertritt, die auf den ersten Blick seltsam und unlogisch erschien. Diese Art des Dialogs mit historischen Autoren besitzt eine emanzipatorische Kraft: Sie kann Annahmen ans Licht bringen, die man unkritisch aus der Tradition übernommen hat, und einem so eine bewusste Wahl ermöglichen. Dies liegt wieder auf einer Linie mit Quentin Skinner, der schreibt: Einer der Beiträge, die Historiker leisten können, besteht darin, uns eine Art Exorzismus anzubieten. […] Ein Verständnis der Vergangenheit kann uns helfen zu erkennen, inwieweit die Werte, die durch unsere gegenwärtige Lebensweise sowie durch unsere gegenwärtige Art, über diese Werte zu denken, verkörpert werden, eine Reihe von Entscheidungen widerspiegeln, die zu verschiedenen Zeiten zwischen verschiedenen möglichen Welten getroffen wurden […]. Ausgestattet mit einem umfassenderen Verständnis für das Mögliche können wir von den intellektuellen Verpflichtungen, die wir ererbt haben, Abstand gewinnen und uns in einem neuen Forschergeist fragen, welche von ihnen wir beibehalten sollten.41

1.3 Aufbau des Buches Dieses Buch besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist hauptsächlich interpretativ: Er stellt meine Lesarten von Smiths und Hegels Marktverständnis dar. Das zweite Kapitel, Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur, analysiert Smiths Verständnis des Marktes, das in der berühmten Metapher von der „unsichtbaren Hand“ zum Ausdruck kommt. Ich präsentiere Argumente dafür, dass diese Metapher vor dem Hintergrund von Smiths deistischer Metaphysik gelesen werden muss. Ich diskutiere, wie seine Moralphilosophie und seine Wirtschaftstheorie zusammenhängen und analysiere sein komplexes Verständnis von „Natürlichkeit“: Obwohl es viele „gute“ natürliche Prozesse gibt, bleibt menschliche Steuerung für die Kanalisierung und Lenkung dieser Prozesse entscheidend. Dies gilt auch für 41 Quentin Skinner, Visionen des Politischen. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009). Anm. d. Übers.: Eigene Übersetzung. Die deutsche Übersetzung des Buches enthält ein verkürztes Vorwort, das den von der Autorin zitierten Text nicht enthält.

1.3 Aufbau des Buches | 41

Märkte, die nach Smiths Auffassung nur in einem institutionellen Rahmen aus Eigentumsrechten und unparteiischen Gesetzen funktionieren. Unter diesen Bedingungen können Märkte zu „Fülle“ („opulence“) führen, also zu einer Situation, in der es allen Mitglieder der Gesellschaft gut geht. Smith erweist sich somit nicht nur als Ökonom, sondern auch als politischer Denker, der das Verhältnis von Markt und Gesellschaft analysiert. Dies bedeutet, dass er es verdient, von politischen Philosophen ernst genommen zu werden. Kapitel 3, Hegels Verständnis des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“,42 erörtert Hegels Sicht auf den Markt. Nachdem ich meinen interpretativen ­Ansatz zu Hegel erläutert habe – einen pragmatischen Ansatz, der von seiner ­politischen Philosophie ausgeht und im Hinblick auf sein umfassenderes „System“ agnostisch bleibt – beschreibe ich, wie Hegel die ökonomischen Theorien seiner Zeit aufgriff und sie in seine Darstellung der „bürgerlichen Gesellschaft“ integrierte, die den Markt und die ihn stabilisierenden Institutionen umfasst. Der Markt ist für Hegel sowohl die Sphäre der „subjektiven Freiheit“ als auch gleichzeitig ein chaotisches Kräftespiel, das den Zusammenhalt und die Stabilität der Gesellschaft zu untergraben droht. Der Markt, der wertvoll und gefährlich zugleich ist, muss daher in den größeren Rahmen der Sittlichkeit eingebettet werden, deren umfassendste Institution der Staat ist. Der zweite Teil der Studie geht systematisch vor: Er greift eine Reihe von Kernfragen der politischen Philosophie auf und vergleicht, welche Positionen Smith und Hegel dazu vertraten. Er geht auf verschiedene Bedenken bezüglich des Marktes ein, die selbst von denjenigen geäußert wurden, die ihn ansonsten befürworten: Bedenken in Bezug auf unsere soziale Identität, auf Gerechtigkeit, Autonomie und politische Freiheit sowie auf die Anwendbarkeit ahistorischer Modelle auf Märkte. Smiths und Hegels Auffassungen des Markts werden mit neueren Diskursen in Verbindung gebracht und mit ihnen kontrastiert. Dies zeigt die Relevanz verschiedener Verständnisse des Marktes für die in ihnen aufgeworfenen Fragen. Kapitel 4, Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft, dreht sich um die Befürchtung, dass der Markt ein ungebundenes, „atomistisches“ Selbst schaffe. Dies war ein wichtiger Aspekt der sogenannten „liberal-kommunitaristischen“ Debatte, die auf die Veröffentlichung von Rawls’ Theorie der ­Gerechtigkeit folgte. Ich analysiere, wie Smith und Hegel jeweils den Menschen als in seinen und durch seine sozialen Kontexte geformt sehen, und gehe dann darauf ein, auf welch unterschiedliche Weise sie die Beziehungen zwischen Menschen auf dem Arbeitsmarkt begrifflich fassen. Dabei zeigt sich, dass für 42 Diese Formulierung stammt aus GPR § 200.

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Smith souveräne Individuen ihr Humankapital auf dem Markt verkaufen, während ihre Identität hauptsächlich durch Beziehungen gebildet wird, die dem Markt vorausgehen. Für Hegel dagegen hat das Berufsleben der Individuen einen wesentlichen Einfluss auf ihre Identität – was bedeutet, dass sie sich gegenseitig als Metzger, Brauer oder Bäcker sehen und als solche in der Gesellschaft wertgeschätzt werden. Es gibt also nicht nur unterschiedliche Grade, sondern auch unterschiedliche Arten der sozialen Einbettung; der Gegensatz zwischen dem liberalen und dem kommunitären Ansatz kann nicht alles erfassen, worum es bei der begrifflichen Darstellung der Beziehungen zwischen Individuum und Gemeinschaft geht. Die Berücksichtigung der sozialen Einbettung  – bzw. deren Fehlen  – auf dem Arbeitsmarkt bringt die soziologischen Realitäten hinter der abstrakten Debatte in den Blick und führt sie so kon­ struktiv weiter. Kapitel 5, Gerechtigkeit auf dem Markt, befasst sich mit Fragen der (Un-) Gleichheit und des Verdienstes. Es ist eine höchst umstrittene Frage, ob der Begriff des Verdienstes auf Märkte anwendbar ist; wie ich zeige, ergibt dies für einen „Smithschen“ Markt Sinn, für einen „Hegelschen“ Markt hingegen nicht. Doch selbst in einer an Smith orientierten Sichtweise muss eine Reihe von Annahmen erfüllt sein, damit die Vorstellung sinnvoll ist, dass Erfolge auf dem Markt verdiente die Belohnung für bestimmte lobenswerte Verhaltensweisen seien. Der zweite Aspekt der Gerechtigkeit, der in diesem Kapitel untersucht wird, betrifft Fragen von Armut und sozialer Ausgrenzung. Ich erörtere in ­welchen Aspekten sich die Darstellungen von Smith und Hegel bezüglich der Auswirkungen des Marktes auf diese Probleme ähneln bzw. unterscheiden. Während beide der Auffassung sind, dass Märkte zur Beseitigung von Diskriminierung beitragen können, ist Smith der Meinung, dass Märkte langfristig zu mehr Gleichheit und gegenseitiger Anerkennung führen, während sie für Hegel das Gegenteil bewirken. Daher ist die Sphäre des Politischen erforderlich, in der die Menschen einander nicht als „Wirtschaftsbürger“ (bourgeois), sondern als „Staatsbürger“ (citoyens) begegnen. Am Schluss dieses Kapitels diskutiere ich die Beziehung zwischen diesen beiden Aspekten der sozialen Gerechtigkeit, die insbesondere mit den nicht-materiellen Dimensionen von Armut zu tun hat. Ich vertrete die Auffassung, dass in Diskussionen über soziale Gerechtigkeit die Märkte selbst einbezogen werden müssen, statt sich nur auf die sie umgebenden Institutionen zu konzentrieren. Kapitel 6, Freiheit, Freiheiten und der Markt, befasst sich mit dem Markt und seiner Beziehung zur Freiheit. Oft werden Märkte als Orte „negativer“ Freiheit beschrieben. Dagegen zeigt dieses Kapitel, dass Märkte für Smith und Hegel auch mit anderen, eher „positiven“ Aspekten der Freiheit in Verbindung

1.3 Aufbau des Buches | 43

s­tehen. Für als persönliche Autonomie verstandene Freiheit bieten Märkte ­sowohl Chancen als auch Risiken. Für Smith tragen Märkte auch dazu bei, Freiheit im republikanischen Sinne, mit dem Fokus auf dem Leben als freie Bürger unter der Herrschaft des Rechts, zu sichern. Dagegen ist für Hegel Freiheit als Zugehörigkeit zu einer gerechten Gesellschaft, deren Prinzipien man befürworten kann, durch den Markt bedroht und muss durch die Politik des Staates gesichert werden. Am Ende des Kapitels argumentiere ich für die Auffassung, dass diese unterschiedlichen Freiheitsbegriffe nicht als konkurrierende Konzepte betrachtet, sondern als eine Reihe miteinander verbundener Aspekte oder Dimensionen von Freiheit verstanden werden sollten. Wie sie miteinander in Beziehung stehen, hängt entscheidend von den gesellschaftlichen Kontexten der Freiheit ab; einer von diesen Kontexten ist der Markt. Wenn diese Kontexte berücksichtigt werden, kann die Diskussion über Freiheit zu einer Analyse der Beziehungen zwischen verschiedenen Aspekten von Freiheit führen – und darüber, wie die Kultur und die Institutionen von heute sie verwirklichen oder dabei versagen. Im letzten Kapitel, Der Markt in der Geschichte, stelle ich die Diskussion über verschiedene Beschreibungen des Marktes in einen historischen Kontext. Ich tue dies in zweifacher Hinsicht: Zunächst beschreibe ich, wie Smith und Hegel die historische Entwicklung, die zur modernen Marktgesellschaft führte, verstehen, und was daraus für deren Zukunft folgt. Anschließend gehe ich auf die Frage ein, ob wirtschaftliche Phänomene jemals auf eine ungeschichtliche Weise verstanden werden können. Ich verteidige die These, dass ihre Abhängigkeit sowohl von sozialen und kulturellen Voraussetzungen als auch von der selbsterfüllenden Wirkung von Theorien des Marktes dies schwierig macht. Das bedeutet, dass wir zum Verständnis heutiger Märkte die Ideen der Vergangenheit begreifen müssen, die sie hervorgebracht haben – aber auch, dass diese Ideen und die Denker, die sie entwickelt haben, ihrerseits im Kontext ihrer Zeit verstanden werden müssen. Sowohl Philosophinnen als auch Wirtschaftswissenschaftler können von einer historisch ausgerichteten Herangehensweise an wirtschaftliche Phänomene profitieren, die die zahlreichen, vielfältigen Formen berücksichtigt, die Märkte annehmen können. Dies hilft, die Bilder vom Markt als Bilder zu verstehen, und eröffnet so die Möglichkeit alternativer Bilder und alternativer Wirklichkeiten.

2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur 2.1 Einleitung: Smith entgegen der Klischees

A

dam Smith hatte lange Zeit eine zweifelhafte Reputation. Er wurde hauptsächlich als Autor des Wohlstands der Nationen gesehen, der Geburtsurkunde der Ökonomie als eigenständiger Wissenschaft. Stiglers Beschreibung des Wohlstands als eines „gewaltigen Palastes, errichtet auf dem Granit des Eigeninteresses“1 erfasst diese Wahrnehmung Smiths unter Wirtschaftswissenschaftlern und in der weiteren Öffentlichkeit, wobei Ökonomen auf dieses Fundamente aus Granit meist mehr Wert legen als andere Menschen. Smiths umfassendes und komplexes System wurde reduziert auf die Wendung vom Eigeninteresse „des Fleischers, Brauers oder Bäckers“, von dem wir „unsere Mahlzeit erwarten“, 2 die in zahlreiche Ökonomielehrbücher Eingang gefunden hat. In den letzten Jahrzehnten ist jedoch ein differenzierteres Bild entstanden. Es hat sich eine große, interdisziplinäre Gemeinschaft von Smith-Forscherinnen entwickelt. 1995 wurde die „International Adam Smith Society“ gegründet; die Zeitschrift The Adam Smith Review erscheint seit 2004. Die neue Welle an Forschungen hat nicht nur einen frischen Blick auf seine unveröffentlichten Werke ermöglicht und ihre Beziehung zur Theorie der ethischen Gefühle sowie dem Wohlstand der Nationen herausgearbeitet, sie hat sich Smith auch aus einer Vielzahl von Perspektiven und Fachrichtungen genähert, die von der Rhetorik bis zur politischen Theorie und zu Gender-Studien reichen. Im Jahr 2009, dem 250.  Jahrestag des Erscheinens der Theorie der ethischen Gefühle, fand eine Reihe internationaler Konferenzen zu Smith statt. Ein ständiger Strom an Büchern und Aufsätzen sowie an Konferenzen und Workshops bezeugt das anhaltende Interesse an seinem Denken. Auch Forschungen zum „Ökonomen Smith“ gedeihen nach wie vor und zeichnen ein nuancierteres Bild als das der Lehrbuch-Klischees. Der Smith, der in

1 George Stigler, „Smith’s Travel on the Ship of the State“, History of Political Economy 3 (1971), S. 265–277, hier S. 265. 2 WN I.II.2. / (WN Buch 1, S. 20)

2.2. Smith im historischen Kontext | 45

­diesen Forschungen dargestellt wird, ist kein engstirniger Apologet des Eigeninteresses, sondern ein Moralphilosoph und Sozialwissenschaftler mit einem reichen und komplexen Gedankensystem, ein Gelehrter des 18. Jahrhunderts mit einem beeindruckend umfassenden Wissensschatz und tiefen humanistischen Überzeugungen. Dies ist der Adam Smith, dem wir auf den folgenden Seiten begegnen werden. Während der Schwerpunkt auf seinem Verständnis des Marktes liegt, macht genau die Tatsache, dass dieses Verständnis in ein größeres System eingebettet ist, Smith interessant und für die Gegenwart relevant. In diesem Kapitel erörtere ich Smiths Verständnis des Marktes. Ich argumentiere dafür, dass die berühmte Metapher von der „unsichtbaren Hand“ nur dann richtig verstanden werden kann, wenn sie im Kontext seines Gesamtsystems gelesen wird. Zunächst gebe ich einen kurzen Überblick über den historischen und intellektuellen Kontext, in dem sich Smith bewegte. Im Anschluss daran gehe ich auf die systematische Natur seines Denkens ein und beziehe mich dabei auf sein Verständnis wissenschaftlicher Forschung sowie seinen deistischen Hintergrund, die beide – zusätzlich zu biografischen Hinweisen  – starke Argumente gegen die Existenz eines „Adam-Smith-Problems“ liefern, also einer Kluft zwischen seiner Moraltheorie und seiner ökonomischen Theorie. Danach gehe ich auf sein Naturverständnis ein und argumentiere, dass es komplex ist und innere Spannungen aufweist: manchmal baut Smith auf natürlichen Phänomenen auf, manchmal will er sie korrigieren. Dies ist die Grundlage für eine Diskussion seines Verständnisses des Marktes, den er als eine weise Vorkehrung der Natur versteht. Sie kann allerdings nur innerhalb institutioneller Strukturen funktionieren, die von einem weisen Gesetzgeber bereitgestellt und überwacht werden müssen. Unter diesen Bedingungen können freie Märkte einen Zustand herbei­führen, in dem alle Mitglieder der Gesellschaft ein gelingendes Leben führen können. Dieser Zustand der „Fülle“ ist eines von Smith stärksten Argumenten zugunsten einer Marktgesellschaft.

2.2. Smith im historischen Kontext Smith verbrachte den größten Teil seines Lebens in seiner schottischen H ­ eimat: in Kirkaldy, Glasgow und Edinburgh. Zu seinen Lebzeiten war Schottland ein Land im Umbruch. 1707 war es mit England vereinigt worden; seine Wirtschaft bestand zum größten Teil aus Ackerbau und Viehzucht. Das Land wurde in den Highlands von Familienclans und in den Lowlands vom Landadel

46 | 2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur

­ ominiert.3 In den Städten entstanden jedoch durch kolonialen Handel und vord industrielle Formen der Produktion neue Einkommensquellen und damit einhergehend ein Wandel der Mentalitäten und der gesellschaftlichen Strukturen. Diese wirtschaftliche Realität lieferte den Autoren der schottischen Aufklärung ein gesellschaftliches Panorama, das von verarmten bäuerlichen Gesellschaften bis zur „Marktgesellschaft“ („commercial society“) von Glasgow oder Edinburgh reichte. Das beeinflusste ihre Theorien geschichtlichen Fortschritts sowie die Art und Weise, wie sie die Vor- und Nachteile der „Marktgesellschaft“ gegeneinander abgewogen. Wie wir sehen werden, spielte der Feudalismus als Kontrast zur „Marktgesellschaft“ in Smiths Darstellung eine bedeutende Rolle. Parallel zu dieser wirtschaftlichen Entwicklung vollzog sich eine intellektuelle Bewegung, die heute als „schottische Aufklärung“ bezeichnet wird. Sie umfasste Denker wie Francis Hutcheson, David Hume, Adam Smith, Thomas Ried, Adam Ferguson und Henry Home (Lord Kames), um nur ihre wichtigsten Vertreter zu nennen.4 Die räumliche Distanz zum politischen Macht­ zentrum in London und die relative Schwäche der Presbyterianischen Kirche haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass sich ein Klima entwickelte, in dem Wissenschaft und Kultur eine Blüte erlebten.5 In den gebildeten Klassen wehte ein progressiver Geist. Man suchte in sämtlichen Lebensbereichen nach Verbesserungen, insbesondere in der Landwirtschaft und im Bildungswesen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Schottland fünf Universitäten. Deren Intellektuelle sowie viele Kaufleute und Gentlemen mit Landbesitz waren Mitglieder gebildeter Clubs und ­Gesellschaften, in denen sie Ideen untereinander austauschten und die neuesten Schriften ihrer Gleichgesinnten auf dem Kontinent diskutierten.6 Die Verbindung zu Kontinentaleuropa war viel ­stärker als in England: Schottland teilte mit ihm nicht nur das calvinisti3 Über die schottische Wirtschaft zur Zeit von Smith siehe zum Beispiel T. C. Smout, „Where Had the Scottish Economy Got to by the Third Quarter of the Eighteenth Century?“, in Istvan Hont und Michael Ignatieff (Hrsg.), Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), S. 45–72. 4 Für eine Übersicht zu den Themen und Personen siehe Alexander Broadie, „Scottish Philosophy in the 18th Century“, in Edward Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Ausgabe vom Herbst 2008: http://plato.stanford.edu/archives/fall2009/entries/ scottish-18th/ (letzter Zugriff im April 2020). 5 Vgl. zum Beispiel Nicholas Phillipson, „The Scottish Enlightenment“, in Roy Porter und R. Teich (Hrsg.), The Enlightenment in National Context (Cambridge: Cambridge University Press, 1981), S. 19–40, hier S. 28. 6 Vgl. zum Beispiel Nicholas Phillipson, „Adam Smith as Civic Moralist”, in Istvan Hont und Michael Ignatieff (Hrsg.), Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), S. 179–202.

2.2. Smith im historischen Kontext | 47

sche Glaubens­bekenntnis und Teile des römischen Rechts, sondern übernahm auch früh die Tradition des von Grotius und Pufendorf entwickelten Naturrechts.7 Die schottischen Gelehrten hatten ein großes Interesse an der französischen Literatur sowie den neuesten Entwicklungen in der Philosophie und den Künsten in Europa. Sie verstanden sich als Teil der europäischen „Gelehrtenrepublik“.8 Adam Smith war in diesen Kreisen tief verwurzelt. Einer seiner einflussreichsten Lehrer war „der unvergessliche Dr. Hutcheson“.9 Francis Hutcheson führte ihn in die Moraltheorien sowohl der „Alten“ (Denker wie Aristoteles, Cicero und insbesondere die Stoiker)10 als auch der „Modernen“ (des englischen Sensualismus und Hutchesons eigener Theorie eines angeborenen „moralischen Gefühls“) ein. Smith war eng mit David Hume befreundet, den er in den 1750er Jahren in Edinburgh kennenlernte und mit dem er bis zu dessen Tod im Jahr 1776 korrespondierte.11 Der Einfluss dieser und anderer Zeitgenossen auf seine Moralphilosophie lässt sich in Buch VII der Theorie der ethischen Gefühle nachweisen. Hier diskutiert Smith eine Vielzahl von Positionen der Moralphilosophie, fast in einer Art Ideengeschichte der Metaethik und normativen Ethik. Smith stellt die Stärken und Schwächen verschiedener Ansätze vor, um die Überlegenheit seiner eigenen Moralphilosophie aufzuzeigen, die auf den Begriffen des „Mitgefühls“ („sympathy“) und des „unparteiischen Beobachter“ beruht.12 7 Vgl. James Moore und Michael Silverthorne, „Gershom Carmichael and the Natural ­Jurisprudence Tradition in Eighteenth-Century Scotland“, in Istvan Hont und Michael Ignatieff (Hrsg.), Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish ­Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), S. 73–87. Carmichael beeinflusste Smiths Lehrer Hutcheson. Zu Smith und der Naturrechtstradition siehe insbesondere Istvan Hont und Michael Ignatieff, „Needs and Justice in the Wealth of Nations: An Introductory Essay“, in Istvan Hont und Michael Ignatieff (Hrsg.), Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), S. 1–44; trotz einiger Kritik an ihrer Darstellung ist die Bedeutung dieser Tradition für Smith kaum bestritten worden. 8 Vgl. zum Beispiel Roger Emerson, „The Contexts of the Scottish Enlightenment“, in Alexander Broadie (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 2003), S. 9–30, hier S. 17 f. 9 Corr. #274. Zu Hutchesons Einfluss auf Smith siehe Ross, The Life of Adam Smith, S. 48 ff. 10 Für eine detaillierte Diskussion, siehe Gloria Vivenza, Adam Smith and the Classics. The Classical Heritage in Adam Smith’s Thought (Oxford: Oxford University Press, 2003). 11 Ross, The Life of Adam Smith, S.  160 ff., und S.  289 ff.; vgl. ebenfalls Andrew Skinner, A  System of Social Science. Papers Relating to Adam Smith (Oxford: Clarendon Press, 1979), Kap. X. 12 Vgl. TMS VII.I.1. Zu seiner Moralphilosophie siehe zum Beispiel Charles L. Griswold, Adam Smith and the Virtues of Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1999) sowie D. D. Raphael, The Impartial Spectator (Oxford: Oxford University Press,

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Auch in seiner ökonomischen Theorie stützte sich Smith stark auf Autoren seiner Zeit.13 Er studierte sorgfältig James Steuarts Werk Inquiry into the Principles of Political Economy, das 1767 erschien, und er versprach in einem Brief, dass „jedes falsche Prinzip darin“ in dem von ihm geplanten Werk, dem Wohlstand der Nationen, „klar und eindeutig widerlegt“ werden würde.14 Er wurde möglicherweise auch von Bernard de Mandeville beeinflusst, dessen Bienenfabel in den 1720er Jahren einen Skandal ausgelöst hatte, da sie die Behauptung vertrat, die gesamte menschliche Moral beruhe auf Eigennutz und die „Marktgesellschaft“ gedeihe aufgrund menschlicher Laster. Smith lehnt dies in seiner Theorie der ethischen Gefühle ab, allerdings nicht ohne dem Autor großen Respekt zu zollen.15 Eine weitere Quelle seines Denkens waren die „Physiokraten“, eine Gruppe französischer Ökonomen unter der Leitung von François Quesnay, die Smith während seines Aufenthalts in Paris 1765 kennenlernte. Sie stellten ihm ein makroöko­nomisches Modell vor – veranschaulicht im berühmten Tableau Économique  –, das über seine früheren Überlegungen zu wirtschaftlichen Phänomenen hinausging.16 Smiths Darstellung des Denkens der Physiokraten in Buch IV des Wohlstands der Nationen ist im Großen und Ganzen positiv,17 und es wird berichtet, dass – wäre Quesnay noch am Leben gewesen – Smith ihm sein opus magnum gewidmet hätte.18 Weit weniger positiv ist dagegen seine Darstellung dessen, was er das „Merkantilsystem“ nennt: eine Gruppe von ökonomischen Theorien, deren zentrale Idee es war, dass der Reichtum eines Landes in seinem Gold- und Silbervorrat bestehe und dass man, um ihn zu vergrößern, so viel wie möglich exportieren und so wenig wie möglich importieren solle. Smith hält diese An-



2007). Anmerkung zur Übersetzung: „impartial spectator“ wird hier durchgehend mit „unparteiischer Beobachter“ übersetzt; direkt zitierte Textpassagen mit anderen Übersetzungen (z. B. „Zuschauer“) wurden teilweise angepasst. 13 Für einen Überblick der ökonomischen Theorien der schottischen Aufklärung vgl. Andrew S. Skinner, „Economic Theory“, in Alexander Broadie (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 2003), S. 178–204. 14 Corr. #132. Vgl. auch Skinner, A System of Social Science, Kap. XI. 15 TMS VII.II.4. Über die Vereinbarkeit von Tugend und Handel bei Smith, vgl. Kapitel 5.2 und 6.2 dieses Buches. 16 Ross, The Life of Adam Smith, S. 216 f., Skinner, A System of Social Science, Kap. VI. 17 Vgl. insbesondere WN IV.IX.38 / (WN Buch 4, S. 320), wo er sagt, dass „dieses System von allen bisherigen Systemen der politischen Ökonomie der Wahrheit vielleicht am nächsten“ komme. 18 Dugald Stewart, „Account of the Life and Writings of Adam Smith, LL.D“, in Ian Simpson Ross (Hrsg.), Essays on Philosophical Subjects by Adam Smith (Oxford: Clarendon Press, 1980), S. 264–353, III.12.

2.3 Smiths System | 49

nahmen für intellektuell mangelhaft und politisch schädlich.19 Seine Kritik läuft fast auf eine „Ideologiekritik“ avant la lettre hinaus, denn er führt aus, dass dieses „System“ als ideologischer Schutz für „Händler und Fabrikanten“ diene, die auf Kosten anderer Mitglieder der Gesellschaft davon profitierten.20 Wie in der Theorie stellt die Erörterung anderer Systeme auch im Wohlstand einen Versuch dar, die Überlegenheit von Smiths eigener Darstellung zu zeigen: als nicht nur gedanklich fundierter, sondern auch ideologisch weniger voreingenommen. Diese Zusammenhänge – die hier nur in groben Zügen skizziert wurden – bilden den gedanklichen Hintergrund, vor dem Smiths Theorien verstanden werden müssen. Sie helfen dabei, das, was er in der Theorie und im Wohlstand erreichen möchte, in ein klareres Licht zu rücken. Wichtig ist allerdings, dass diese beiden Bücher nicht als getrennte Werke, sondern als integrale Bestandteile eines einheitlichen Gesamtsystems begriffen werden.

2.3 Smiths System Die Frage nach dem Charakter und der Kohärenz von Smiths Gedankengebäude haben Anlass zu vielen Kontroversen gegeben. Im späten 19. Jahrhundert prägten deutsche Autoren, die keinerlei Informationen über Smiths biographischen Kontext und seine unveröffentlichten Werke hatten, den Ausdruck „das Adam-Smith-Problem“. Dabei geht es um die Beziehung zwischen Smiths Moral- und Wirtschaftstheorie: Ist der Nachdruck, der in der ­Theorie auf Mitgefühl gelegt wird, mit der Betonung des Eigeninteresses im Wohlstand vereinbar? Oder hat Smith im Laufe seines Lebens seine Meinung geändert?21 Tatsächlich stellen sich bezüglich der logischen Konsistenz von Smiths Denksystem Fragen. Diese ergeben sich jedoch aus seiner Theorie und haben nichts mit einer Positionsänderung zwischen seinen beiden veröffentlichten Werken zu tun. Wir wissen heute, dass Smith die Theorie bis zum Ende seines Lebens immer wieder überarbeitet hat, vor und nach der Veröffentlichung des

19 WN IV.I–VIII. 20 Vgl. zum Beispiel WN IV.I.6 ff. 21 Zum historischen „Adam-Smith-Problem“ siehe z. B. Keith Tribe, „‚Das Adam-SmithProblem‘ and the Origins of Modern Smith Scholarship“, History of European Ideas 24 (2008), S. 514–525. Zu neueren Diskussionen vgl. etwa Leonidas Montes, Adam Smith in Context. A Critical Reassessment of Some Central Components in His Thought (Basing­ stoke: Palgrave Macmillan, 2004), Kap. II.

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Wohlstands. Dies spricht gegen einen Wandel seiner Auffassungen.22 Manuskripte, die aus seiner Zeit in Glasgow aufgetaucht sind, machen deutlich, dass er sich schon lange für ökonomische Fragen interessiert hatte, bevor er in den 1760er Jahren den Physiokraten in Frankreich begegnete. Sowohl seine Vorlesungen über Rechtswissenschaft – von denen zwei Mitschriften von Studenten gefunden wurden – als auch das als „Früher Entwurf“ bekannte Manuskript enthalten substantielle Überlegungen zur Arbeitsteilung, zum Preismechanismus und zu anderen wirtschaftlichen Fragen. Smiths eigene Absicht, ein System aufzustellen, wird in der Anzeige zur sechsten Auflage der Theorie klar zum Ausdruck gebracht: Im letzten Absatz des vorliegenden Werks habe ich in der ersten Auflage gesagt, dass ich in einer anderen Abhandlung versuchen werde, eine Darstellung der allgemeinen Prinzipien des Rechts und der Regierung zu geben, sowie der verschiedenen Umwälzungen, welche diese in den verschiedenen Zeitaltern und Entwicklungsabschnitten der Gesellschaft durchgemacht haben, nicht nur soweit es sich um die Rechtspflege handelt, sondern auch, was die Verwaltung, die Staatseinkünfte, das Militärwesen und alle anderen Gegenstände der Gesetzgebung anbelangt. (TEG, S. 3 f.)

Die Vorlesungen über Rechtswissenschaft ermöglichen wertvolle Einblicke, wie Smiths Darstellung der „allgemeinen Prinzipien von Recht und Regierung“ ausgesehen haben könnte. Aus diesem Grund werden sie in der vorliegenden Untersuchung in ihrem vollen Umfang berücksichtigt. Thematisch bilden sie 22 Die erste Ausgabe der TEG erschien 1759; Smith nahm in den Folgeausgaben nur kleine Änderungen vor. Wesentlichere Änderungen finden sich in der sechsten Auflage, die kurz vor Smiths Tod erschien: Es wurden ein neues Buch (VI) über den Charakter der Tugend sowie ein Abschnitt über die „Verfälschung unserer ethischen Gefühle“ (I.III.3) hinzugefügt (vgl. „Vorwort zur sechsten Auflage“, zur Diskussion vgl. etwa D. D. Raphael und A. L. Macfie, „Introduction“, in Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments (Oxford: Clarendon Press, 1976), S. 1–52, hier S. 15 ff.). In dieser Studie benutze ich, wie heute üblich, die sechste Auflage, wobei ich auf Unterschiede zwischen den Auflagen nur dann aufmerksam mache, wenn dies für die Interpretation eine Rolle spielt. 23 Dieser Begriff wurde erstmals von Donald Winch verwendet in Adam Smith’s Politics, An Essay in Historiographic Revision (Cambridge: Cambridge University Press, 1978), S. 10. Charles Griswold und Samuel Fleischacker haben kürzlich dafür argumentiert, dass die Vorlesungen diese Rolle als Brücke nicht erfüllen könnten und dass es philosophische Gründe gebe, warum Smith seine Abhandlung über die Rechtswissenschaft nie zu Ende geführt habe. Griswold (Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, S. 256 ff.) sieht eine Spannung zwischen der Verankerung von Smiths Theorie im gewöhnlichen, historisch verorteten Leben und dem Anspruch, ewige Naturgesetze zu entdecken. Diese Spannung löst sich jedoch auf, wenn man Smith als Deist liest, wofür ich weiter unten argumentieren werde, oder wenn man einfach davon ausgeht, dass Smith in der mensch-

2.3 Smiths System | 51

eine „Brücke“23 zwischen der Theorie und dem Wohlstand: Sie knüpfen an Smiths Absicht an, im Anschluss an die Theorie eine Abhandlung über die Rechtswissenschaft zu schreiben24, und sie leiten durch Überlegungen zur Rechtsgeschichte und zu verschiedenen politischen ­Themen zu seinen ersten Skizzen einer ökonomischen Theorie über. Hätten die Vorlesungen den deutschen Smith-Forschern des 19.  Jahrhunderts zur Verfügung gestanden, wäre das „Adam-Smith-Problem“ wahrscheinlich niemals entstanden.25 Alle diese Tatsachen weisen auf Smiths Plan hin, ein einheitliches System zu entwerfen, eine „Untersuchung der Rechtsprechung und der Regierungsformen, wobei das ganze Gebäude durch die Betrachtung von Moral, Metaphysik und Psychologie untermauert werden sollte“, was, worauf Donald Winch hinweist, eine „allgemeine Praxis des 18. Jahrhunderts“26 war. Diese Ansicht wird auch durch Smiths Auffassung von Philosophie und durch seine theologischen Hintergrundannahmen gestützt. Smith hat sein Verständnis von Philosophie oder Wissenschaft27 in einem Aufsatz mit dem Titel „The Principles which Lead and Direct Philosophical

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lichen Natur einen gemeinsamen Kern sah, der über verschiedene Zeiten hinweg konstant ist und so einen Anker für eine Theorie der Naturgesetze bilden kann (vgl. z. B. Jeffrey T. Young, Economics as a Moral Science: The Political Economy of Adam Smith (Cheltenham: Elgar, 1977), S. 42 ff.). Samuel Fleischacker (On Adam Smith’s Wealth of Nations: A Philosophical Companion (Princeton, NJ: Princeton University Press, 2004), Kap. VIII) stellt die Vorstellung, dass die Regeln der Gerechtigkeit mit der von Smith angenommenen Präzision dargelegt werden können, infrage. Er sieht einen Zusammenhang zwischen diesem Problem und der problematischen Unterscheidung zwischen Handeln und Unterlassen (S. 153 ff.). Dies mag zwar eine berechtigte philosophische Sorge sein, doch scheint Smith selbst diesbezüglich eher optimistisch, da er der Ansicht war, dass die Regeln der Gerechtigkeit wie Grammatikregeln seien, die mit hinreichender Klarheit dargelegt werden könnten, sodass man Verletzungen erkenne (vgl. TMS III.IV.11, VII.IV.1). TMS VII.IV.37. Dennoch sind einige zeitgenössische Wissenschaftler immer noch der Meinung, dass es ein „Adam-Smith-Problem“ gibt, z. B. Vivienne Brown (siehe Adam Smith’s Discourse: Canonicity, Commerce and Conscience (London: Routledge, 1994)). Im Fall von Brown hat dies mit ihrem postmodernen Ansatz zu tun, der Michail Bachtins Unterscheidung zwischen Dialogismus und Monologismus verwendet (vgl. Kap. I und II). Pia Maria Paganelli („The Adam Smith Problem in Reverse: Self-Interest in The Wealth of Nations and The Theory of Moral Sentiments“, History of Political Economy 40(2) (2008),S. 365–382) argumentiert, dass das Eigeninteresse in TEG positiver als in WN dargestellt wird. Sie übersieht jedoch die verschiedenen Aspekte und Funktionen des Eigeninteresses in den relevanten Passagen – das „Eigeninteresse“ eines Kindes, das die Gunst anderer Kinder gewinnen will, kann nicht mit dem Eigeninteresse eines reichen und mächtigen Händlers, der sich gegen die Öffentlichkeit verschwört, gleichgesetzt werden. Donald Winch, Riches and Poverty. An Intellectual History of Political Economy in ­Britain, 1750–1834 (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), S. 22. Die beiden Begriffe werden fast synonym verwendet, siehe z. B. HA II.12.

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Enquires, Illustrated by the History of Astronomy“ („Die Prinzipien, die philosophische Untersuchungen leiten und lenken; illustriert durch die Geschichte der Astronomie“) dargelegt. Smith schrieb den Aufsatz 1758 und bat Hume 1773 darum, ihn zu veröffentlichen, was darauf hinweist, dass er die darin enthaltenen Auffassung auch später im Leben noch vertrat.28 Smith beschreibt, wie Menschen die Welt wahrnähmen und wie Dinge, die „neu und einzigartig“, „unerwartet“ oder „groß und schön“ seien, in ihnen Gefühle von „Staunen“, „Überraschung“ und „Bewunderung“ hervorrufen würden.29 Der menschliche Geist suche in dem, was er erlebt, stets nach bekannten Mustern. Neue oder unerwartete Erfahrungen seien wie Lücken in diesen Mustern und weckten den spontanen Drang, sie zu füllen. Die Grundursache aller wissenschaftlichen Forschung sei nicht irgendein praktisches Bedürfnis, sondern dieses Gefühl des Staunens. Wissenschaftler hätten für solche Lücken ein „feineres Ohr“ erworben als normale Menschen und „suchen nach einer Kette unsichtbarer Objekte, um zwei Ereignisse, die in einer der ganzen Welt vertrauten Reihenfolge stattfinden, miteinander zu verbinden“.30 Smith spricht von „jener Wissenschaft, die vorgibt, die verborgenen Verbindungen zwischen den verschiedenen Erscheinungen der Natur offenzulegen“.31 Diese Verbindungen sind wie Brücken, auf denen Ideen „sozusagen von selbst […] durch den Verstand schweben können“.32 Auf diese Weise erreiche die Wissenschaft ihr Ziel, dem Geist Ruhe zu verschaffen, „Ordnung in dieses Chaos irritierender und unharmonischer Erscheinungen zu bringen … und [der Einbildungskraft] … eine Grundstimmung von Ruhe und Gelassenheit zu verleihen“.33 Wo mehrere Brücken oder Ketten zusammenkämen, entstehe ein wissenschaftliches System, das Smith als „eine imaginäre Maschine“ definiert, die „erfunden wurde, um in der Einbildungskraft die verschiedenen Bewegungen und Wirkungen miteinander zu verbinden, die in der Wirklichkeit bereits verbunden sind“.34 Seine Beschreibung des historischen Fortschritts in der Astronomie gipfelt in einer Darstellung des Newtonschen Systems, das Smith für so plausibel hält, dass man, obwohl es wie alle philosophischen Systeme eine „bloße Erfindung 28 Corr. #37. Hume hat dies nicht getan; der Text wurde von Joseph Black und James Hutton nach Smiths Tod im Jahr 1790 veröffentlicht (vgl. W. P. D. Wightman, „Introduction“, in Adam Smith, Essays on Philosophical Subjects (Oxford: Clarendon Press, 1980), S. 5–28, hier S. 5). 29 HA I.1 30 HA II.11. 31 HA III.3, vgl. auch den ähnlichen Abschnitt II.12. 32 HA II.7. 33 HA II.12. 34 HA IV.19.

2.3 Smiths System | 53

der Einbildungskraft“ sei, zu der Annahme verleitet werde, es beschreibe die „wirklichen Verbindungen“ in der Natur.35 Angesichts dieser Betonung eines systematischen Vorgehens ist es wahrscheinlich, dass Smiths eigenes Bestreben ebenfalls systematisch war: Er wollte für die Sozialwissenschaften das erreichen, was Isaac Newton auf dem Feld der Astronomie gelungen war.36 Dies ist auch die plausibelste Schlussfolgerung, die sich aus seinen metaphysischen Annahmen ziehen lässt. Im Gegensatz zum gegenwärtig vorherrschenden Konsens in der Smith-Forschung bin ich der Überzeugung, dass eine rein säkulare Interpretation den zutiefst metaphysischen Dimensionen seines Systems nicht gerecht wird. Gerade weil wir diesen Hintergrund vielleicht nicht teilen, sollten wir uns seiner bewusst sein. Smiths Auffassung von Religion sowie die Rolle, die sie für sein System spielt, sind höchst umstritten.37 Er kritisiert Aspekte der bestehenden Religion, insbesondere der römisch-katholischen Kirche,38 mit großer Schärfe, was einige Autorinnen zu der Annahme veranlasst hat, er sei, wie sein Freund Hume, ein Atheist oder Agnostiker gewesen. In dem, was uns über sein Privatleben bekannt ist, gibt es allerdings keinerlei Hinweise auf Atheismus oder tiefergehenden Skeptizismus. Das gewichtigere Argument entstammt jedoch seinen Texten. Die Theorie enthält zahlreiche Anspielungen auf „die Gottheit“, „den Schöpfer“ oder den „Urheber der Natur“,39 und wenn man sie nicht als rhetorische Ausschmückungen abtut – wofür sie zu häufig vorkommen –, sprechen sie dagegen, Smith als Atheisten oder Skeptiker zu sehen. Angesichts seines Interesses an der Philosophie der Stoiker und in Anbetracht der Verschmelzung von stoischem und christlichem Denken bei vielen schottischen

35 HA IV.76. Zu Smiths „Newtonscher“ Methode vgl. beispielsweise Eric Schliesser, „Some Principles of Adam Smith’s Newtonian Methods in the Wealth of Nations“, Research in the History of Economic Thought and Methodology 23 (2005), S. 35–77. 36 Tatsächlich wurde Smith von seinem Schüler John Millar als „Newton“ der „Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ bezeichnet (zitiert in Ross, The Life of Adam Smith, S. 120). 37 Für eine neuere Übersicht über die Diskussion siehe Brendan Long, „Adam Smith’s Theism“, in Jeffrey T. Young (Hrsg.), Elgar Companion to Adam Smith (Cheltenham/Northampton, MA: Edward Elgar, 2009), S. 73–99. 38 Vgl. insbesondere WN V.I.III.III.2 ff. 39 Zum Beispiel WN II.II.3.5, II.III.3.1 ff., III.V, VII.III.3.20. Montes (Adam Smith in Context, S. 37, Fn. 43) liefert hierzu Zahlenangaben: „Nature mit dem Großbuchstaben „N“ erscheint 53mal, „God“ mit dem Großbuchstaben „G“ 25mal, „Deity“ (die Gottheit) mit dem Großbuchstaben „D“ 20mal, das „göttliche Wesen“ 8mal, die „Vorsehung“ 5mal, zusammen mit anderen Beschreibungen: „allmächtiges Wesen“, „höchstes Wesen“, „unendliche Weisheit“, „unendliche Macht“, „Schöpfer“, „großer Herr“, „der Herr unser Gott“. Vgl. auch TMS VI.II.3.2, wo Smith bekanntlich davon spricht, dass „der Verdacht, dass diese Welt vaterlos sei“ „die melancholischste aller Erwägungen“ sei (Übersetzung angepasst).

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Gelehrten ist es wahrscheinlich, dass er die Ansichten vieler Deisten des 18. Jahrhunderts teilte. Diese glaubten an die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, zentrale Grundsätze einer natürlichen Religion zu erkennen.40 In einer Passage des Wohlstands spricht Smith von „der reinen und vernünftigen, von jeder Beimischung von Albernheit, Betrug und Fanatismus freien Religion […], wie sie zu allen Zeiten der Menschheit weise Männer hergestellt zu sehen wünschten“.41 Er vertritt die Auffassung, dass „die Glückseligkeit der Menschen […] das ursprüngliche Ziel gewesen zu sein scheint, das dem Schöpfer der Natur vorschwebte“ 42 und dass man in „jedem Teil des Universums“ Mittel finde, die „auf die genaueste und kunstvollste Weise den Zwecken angepaßt sind, die sie hervorzubringen bestimmt sind“.43 Wie Smiths Darstellung des Stoizismus deutlich macht, ist das Ziel seiner Moralphilosophie, „jene Gesetze“, welche „die Natur oder der Schöpfer der Natur uns für unser Verhalten vorgeschrieben“ haben, zu entdecken und zu verstehen.44 Dies stimmt mit seiner Auffassung von Wissenschaft überein, die – wie oben beschrieben – darin besteht die „verborgenen Verbindungen“ in der Natur zu finden. Für die „wissenschaftliche“ Erforschung der Kausalgesetze, die die Welt regieren, spielt die Annahme der Existenz Gottes keine direkte Rolle – wenn Gott das System einmal eingerichtet hat, funktioniert es nach seinen eigenen Prinzipien.45 40 Vgl. Zum Beispiel P. H. Clarke, „Adam Smith, Stoicism and Religion in the 18th Century“, History of the Human Sciences 13(4) (2000), S. 49–72. Über den Deism im 18. Jahrhundert in Schottland siehe auch M. A. Stewart, „Religion and Rational Theology“, in Alexander Broadie (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 2003), S. 31–59. Long (z. B. in „Adam Smith’s Theism“) liest Smith als Deist statt als einen Theisten, wobei der Unterschied darin besteht, dass der ­Deismus offenbarte Lehren bestreitet. Für Smith scheint eine Offenbarung als Zugang zu Gott nicht notwendig zu sein (vgl. z. B. WN V.III. III.8), es findet sich bei ihm allerdings keine explizite Leugnung der Wahrheit der Bibel. Für meine Zwecke ist diese Frage von geringer Bedeutung. 41 WN V.III.III.8 / (Buch 5, S. 124); vgl. auch TMS III.V.4, wo Smith schreibt, die richtige Form der Religion werde „durch Vernunft und Philosophie bestätigt“. 42 TMS III.V.7 / (TEG S. 264). 43 TMS II.II.3.5. / (TEG S. 139). 44 TMS VII.II.1.43 / (TEG S. 448). Einige Kommentatoren haben diese Passage so aufgefasst, dass Smith einen solchen Plan überhaupt nicht sieht, dies ist in dieser Bemerkung jedoch eindeutig nicht impliziert. Wie Lisa Hill zu Recht argumentiert, wollte Smith die Idee eines providentiellen Plans der Natur „modernisieren“, statt sie aufzugeben („The Hidden Theology of Adam Smith“, European Journal of the History of Economic Thought 8(1) (2001), S. 1–29, hier S. 11). 45 Wie Hill bemerkt, gibt es bei Smith zwar eine allgemeine, jedoch nie eine besondere Vorsehung. („The Hidden Theology of Adam Smith“, S. 15). Teleologie ist bei Smith demnach eine bestimmte Betrachtungsweise der Dinge, die mit einer rein wissenschaftlichen Darstellung vereinbar ist, in der „von teleologischen Erklärungen [nichts] abhängt“ (Knud

2.4 Smiths Naturauffassung | 55

Für die normativen Aspekten des Smithschen Systems spielt der gedank­ liche Hintergrund des Deismus allerdings durchaus eine Rolle. Die Annahme, dass die Welt – einschließlich der menschlichen Natur – von einer wohlwollenden Gottheit erschaffen wurde, bildet die Brücke von Smiths „empirischer“ Beschreibung der menschlichen Natur und Gesellschaft zu seiner normativen Moraltheorie, die aus dem Naturgegebenen moralische Gebote ableitet: Wenn es natürliche moralische Gefühle gibt und die Natur, als von Gott geschaffen, einen normativen Status hat, dann sollten die ­Menschen tatsächlich diesen Gefühlen folgen.46 Wie wir sehen werden, gilt dasselbe für die natürliche Gesellschaftsordnung, das „System der natürlichen Freiheit“, das Smith im Wohlstand aufdeckt: Es ist für ihn nicht nur deshalb gut, weil es gute Folgen für den Menschen hat, sondern auch, weil es von der wohlwollenden Natur geschaffen wurde. In Smiths Naturauffassung gibt es jedoch eine weitere Komplexitäts­ ebene.

2.4 Smiths Naturauffassung Ausgehend von Smiths Voraussetzung, dass eine wohlwollende Gottheit den Kosmos erschaffen hat, um das menschliche Glück zu befördern, ist die Annahme verlockend, dass in seinem System daher alles, was natürlich ist, per definitionem auch gut ist. Smiths Ansichten sind jedoch komplexer, und eine Reihe offensichtlicher Spannungen innerhalb seines Systems – sowie zwischen konkurrierenden Deutungen  – lassen sich auflösen, wenn man eine grund­ legende Zwiespältigkeit in seiner Naturauffassung berücksichtigt: einige natürliche Tendenzen sollen verstärkt, während andere auf bestimmte Weise ein­ gedämmt oder kanalisiert werden sollen.47 Haakonssen, The Science of the Legislator. The Natural Jurisprudence of David Hume and Adam Smith (Cambridge: Cambridge University Press, 1981), S. 77). 46 Vgl. zum Beispiel TMS III.II.31 / (TEG S. 205), wo Smith sagt, dass „der allweise Schöpfer der Natur“ den Menschen zu „seinem Statthalter auf Erden“ bestellt hat, um das Verhalten seiner Brüder zu überwachen, was bedeutet, dass die moralischen Urteile anderer mehr als lediglich Konventionen sind. Ich stimme daher nicht mit Griswolds Lesart überein, wenn er Smith als einem „nach-aufklärerischen“ Denker bezeichnet (Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, S. 24; S. 330 ff.). Griswold betont, dass Smith das gewöhnliche Leben als Ausgangspunkt nimmt; in meiner Interpretation wählt Smith diesen Ausgangspunkt gerade deshalb, weil die Natur dem Menschen moralische Empfindungen gegeben hat, die es ihm ermöglichen, sein gewöhnliches Leben auf eine Weise zu leben, die sich normativ begründen lässt. 47 Zu seinem komplexen Naturbegriff vgl. auch T. D. Campbell, Adam Smith’s Science of Morals (Glasgow: Glasgow University Press, 1971), Kap. II, sowie Laurence Dickey,

56 | 2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur

Um auf dieses Problem einzugehen, müssen wir zunächst verstehen, wie Smith das wohltätige Wirken der Natur analysiert. Als eine der wegweisenden Entdeckungen der schottischen Aufklärung wurde oft bezeichnet, dass gute Zwecke ohne gute Absichten erreicht werden können.48 Dies ist die berühmte Lehre von den unbeabsichtigten Folgen: Die gesellschaftliche Ordnung könne, in Fergusons Worten, „das Ergebnis menschlichen Handelns, jedoch nicht die Ausführung irgendeines menschlichen Planes“49 sein. Diese Idee wurde oft mit Smiths Metapher der „unsichtbaren Hand“ in Verbindung gebracht. Bei Smith finden sich jedoch nicht nur in den Mechanismen des Marktes unbeabsichtigte gute Folgen, sondern auch in einem breiten Spektrum psychologischer und ­sozialer Mechanismen, die in der Theorie beschrieben werden. Die „List der Natur“50 ist für Smith ein weitverbreitetes Phänomen, das er in zahlreichen ­Zusammenhängen entdeckt. Zum Beispiel kümmern sich Menschen von Natur aus am meisten um die Menschen in ihrer näheren Umgebung: ihre Familie, Freundinnen und Nachbarn.51 Das heißt, dass die Menschen die meiste Energie auf „diejenigen Ereignisse [verwenden], welche unmittelbar jenen kleinen Abschnitt berühren, in dem uns eine gewisse Verwaltung und Leitung“52 zugestanden werde, statt auf diejenigen, „denen wir weder Dienste erweisen, noch Schaden zufügen können“.53 Die sehr „beschränkte Macht, Gutes zu tun“54 werde auf diese Weise optimal verteilt, ohne dass es jemand bewusst beabsichtige: die einzelnen Menschen folgten einfach ihren natürlichen Neigungen. Diese „Kreise des Mitgefühls“55 schaffen für Smith ein starkes Netz des Mitgefühls und der

„Historicizing the ‚Adam Smith Problem‘: Conceptual, Historiographical, and Textual Issues“, The Journal of Modern History LVIII (1986), S, 579–609, S. 603 ff., der auch die Entwicklung von Smiths Naturbegriff in den verschiedenen Auflagen von TEG diskutiert. 48 Vgl. insbesondere Ronald Hamowy, The Scottish Enlightenment and the Theory of ­Spontaneous Order (Carbondale: Southern Illinois University Press, 1987). Wie er zeigt, richtete sich diese Lehre gegen die Idee eines mythischen Gesetzgebers als Quelle der ­sozialen Ordnung. 49 Adam Ferguson, Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft (Jena 1923), S. 171. 50 Auch Michael Ignatieff verwendet diesen Begriff, vgl. „Smith, Rousseau and the Republic of Needs“, in T. C. Smout (Hrsg.), Scotland and Europa 1200–1850 (Edinburgh: John Donald Publishers, 1986), S. 187–206, hier S. 191. 51 TMS VI.II.1. 52 TMS VII.II.1.44 / (TEG S. 476). 53 TMS III.III.9 / (TEG S. 219), vgl. TMS VI.II.2.2. 54 TMS VI.II.Intr2 / (TEG 2. Einleitung, S. 354). 55 Vgl. den Titel von Fonna Forman-Barzilais Adam Smith and the Circles of Sympathy: Cosmopolitanism and Moral Theory (Cambridge: Cambridge University Press, 2010). Siehe auch R. Nieli, „Spheres of Intimacy and the Adam Smith Problem“, Journal of the History

2.4 Smiths Naturauffassung | 57

Unterstützung, in das – idealerweise – jedes Mitglied der Gesellschaft eingebettet ist.56 Ein zweites Beispiel für die „List der Natur“ findet sich in Smiths Theorie der Gerechtigkeit, obwohl hier die natürlichen Gefühle durch den unparteiischen Beobachter – ein Schlüsselbegriff seiner Moralphilosophie – kanalisiert und gelenkt werden müssen, um zu normativ guten Urteilen zu gelangen. Die Gerechtigkeit, die Smith als „Hauptpfeiler“ der Gesellschaft57 bezeichnet, beruhe auf dem natürlichen „Vergeltungsgefühl“ gegenüber ­Tätern;58 das Vergeltungsgefühl sei der „Schutz der Gerechtigkeit und die Sicherheit der Unschuld“59. Da Gerechtigkeit für die gesellschaftliche Ordnung von entscheidender Bedeutung sei, vertritt Smith die Auffassung, die Natur habe nicht nur der schwachen Kraft der menschlichen Vernunft vertraut, sondern den Menschen „eine unmittelbare und instinktive Billigung“ der Bestrafung von ungerechtem Handeln mitgegeben.60 Die Menschen hätten einen natürlichen Sinn für Gerechtigkeit, ein „Gefühl der Schuldhaftigkeit“,61 das zusammen mit der gewohnheitsmäßigen Ehrfurcht vor gerechten Gesetzen62 die Gesellschaft stabilisieren könne.63 Obwohl zur Durchsetzung des Rechts menschliches Handeln erforderlich sei, habe die Natur zusätzliche Kräfte – die natürlichen Gefühle – bereitgestellt, um die Verwirklichung von Gerechtigkeit zu unterstützen. Eine solche „List der Natur“ sei erforderlich, denn die Kräfte der vorsätz­ lichen menschlichen Planung seien für die zu bewältigenden Aufgaben viel zu begrenzt. Smith behauptet ausdrücklich, dass „die Sorge für die allgemeine Glückseligkeit aller vernünftigen und fühlenden Wesen […] das Geschäft Gottes“ sei, während dem Menschen „ein weit niedrigerer Arbeitsbezirk“ zugewiesen sei, jedoch einer, „der der Schwäche seiner Fähigkeiten und der Enge seiner Fassungskraft weit angemessener ist“, nämlich die Sorge für seine eigene Interessen und das Glück seiner Familie und seines Landes.64 Diese Tatsache – und 56 57 58 59 60 61 62 63

64

of Ideas 47 (1986), S. 611–624, sowie James R. Otteson, Adam Smith and the Marketplace of Life (Cambridge: Cambridge University Press, 2002), S. 183 ff. Vgl. auch Kap. 5.2 dieses Buches. TMS II.II.3.4 / (TEG S. 138). TMS II.II.1.4 / (TEG S. 126). TMS II.II.1.4 / (TEG S. 126) TMS II.I.1.5.10 / (TEG S. 111). TMS II.I.5.7 / (TEG S. 118), vgl. auch TMS II.II.2. Vgl. TMS VII.IV.36 f. Vgl. auch Griswold, Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, S. 237. Zu Smiths Theorie der Gerechtigkeit siehe auch Spencer J. Pack und Eric Schliesser, „Smith’s Humean Criticism of Hume’s Account of the Origin of Justice“, Journal of the History of Philosophy 44(1) (2006), S. 47–63. TMS VI.II.3.6 / (TEG S. 385).

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nicht ein Verständnis der Natur des Menschen als im Wesentlichem egoistisch  – ist auch der Grund dafür, warum „jedermann […] von der Natur in erster Linie und hauptsächlich seiner ­eigenen Obsorge anvertraut [ist]; … da er mehr dazu geeignet ist, für sich selbst zu sorgen als für irgendeinen anderen.“65 Smith ist der Auffassung, dass die „Vorsehung und die Fürsorge“ des Schöpfers der Natur sogar in den „Schwächen und in der Torheit der Menschen“66 bewundert werden könnten. Sein System idealisiert nie die mensch­ liche Natur, vielmehr will er den Menschen so nehmen, „wie er wirklich ist“.67 Er glaubt zwar nicht, dass die „Masse der Menschen“68 Hobbessche Egoisten seien, aber er geht davon aus, dass nur eine kleine Minderheit wirklich weise und tugendhaft sei.69 Wenn Smith über die soziale Welt nachdenkt, sucht er nach den Mechanismen, die soziale Ordnung schaffen, ohne zu viel Weisheit oder Tugend vorauszusetzen  – Mechanismen, die hinter dem Rücken der Handelnden auf Umwegen wirken. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sämtliche natürlichen Tendenzen gute Folgen hätten und ihnen deshalb nachgegangen werden sollte. Manchmal müssen solche Tendenzen eingedämmt oder zumindest kanalisiert werden. In der Theorie unterscheidet Smith zwischen der Natur „als solcher“ und der kultivierten Natur. So müssten beispielsweise die „natürlichen“ moralischen Empfindungen durch die ebenso „natürliche“ Fähigkeit der Vernunft und den unparteiischen Beobachter entwickelt und verfeinert werden.70 Smith stellt also nicht „Natur“ und „Künstlichkeit“ einander gegenüber, wie Haakonssen es ausdrückt. Für Smith sind „künstliche“ Eingriffe für den Menschen „natürlich“, da der Mensch ständig „moralische, ästhetische und 65 TMS II.II.2.1 / (TEG S. 132), Kursivierung hinzugefügt. 66 TMS II.III.3.2 / (TEG S. 171). 67 Mit diesem Ansatz steht Smith in der Tradition einer Reihe von Denkern wie Machiavelli, Hobbes und Spinoza, die für ein „realistisches“ Bild der menschlichen Natur plädierten und deren dunklere Seiten hervorhoben; vgl. z. B. Albert O. Hirschman, The Passions and the Interests. Political Arguments for Capitalism Before Its Triumph (Princeton: Princeton University Press, 1977), S. 12 ff. Smiths Menschenbild ist jedoch weniger negativ als das dieser Denker; für ihn hat der Mensch ein irreduzibles Interesse an der Gesellschaft und am Wohlergehen anderer (vgl. Kap. 4.2 dieses Buches). 68 TMS III.V.1. / (TEG S. 257). 69 Vgl. Zum Beispiel TMS I.I.2.4, II.I.5.9, III.IV.4 und VI.III.25. 70 Zum Beispiel TMS I.II.3.1 / (TEG S. 49), wo er von Leidenschaften spricht, die „immer bis zu einem weit niedrigeren Grad herabgestimmt werden müssen, als derjenige ist, zu welchem die ungebändigte Natur sie sonst wohl anschwellen ließe“ (Kursivierung hinzugefügt). Vgl. auch Maria Alejandra Carrasco, „Adam Smith’s Reconstruction of Practical Reason“, The Review of Metaphysics 58(1) (2004), S.  82–116, für eine Auslegung von Smiths Moralphilosophie als einer Theorie der praktischen Vernunft, die auf der Verfeinerung naturhafter Neigungen beruhe.

2.4 Smiths Naturauffassung | 59

­andere Konventionen schafft“.71 „Natürlich“ ist nicht automatisch besser; es kann Fälle geben, in denen „die Weisheit der Natur Hilfe braucht“,72 und zwar durch bewusstes menschliches Handeln. An einer Stelle sagt Smith ausdrücklich, dass der Mensch „durch die Natur selbst angeleitet [werde], jene Verteilung der Dinge in gewissem Maße zu verbessern, die sie selbst sonst vorgenom­ atürlichkeit bestimmter Gefühle men hätte“.73 Smiths starke Betonung der N bedeutet also nicht, dass sie stets passiv akzeptiert werden sollten – manchmal müsse die Natur nicht imitiert, sondern „nachgebessert“ werden.74 Dieser komplexe Naturbegriff muss auch bei der Betrachtung von Institu­ tionen berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass eine Institution schon lange besteht  – vielleicht als Ergebnis unbeabsichtigter Folgen  –, bedeutet an sich nicht, dass sie normativ gutgeheißen werden sollte. Ebenso, wie es bei Individuen natürliche Tendenzen gibt, die eher geändert als nachgeahmt werden sollten, gibt es auch in der institutionellen Struktur von Gesellschaften historische Entwicklungen, auf die dies zutrifft.75 Die verbreitete Lesart von Smith als Anwalt des laissez-faire mag die Tat­ sache verschleiert haben, dass er nicht alle historischen Entwicklungen, die „natürlich“ aussehen, unreflektiert befürwortet. Das deutlichste Gegenbeispiel 71 Knud Haakonssen, „Introduction. The Coherence of Smith’s Thought“, in Knud Haakonssen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Adam Smith (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), S. 1–21, hier S. 9. 72 Vgl. den Titel von Laurence Brubakers Aufsatz: „Does the ‚Wisdom of Nature‘ Need Help?“, in Leonidas Montes und Eric Schliesser (Hrsg.), New Voices on Adam Smith (London: Routledge, 2006), S. 168–193. 73 TMS III.V.9 / (TEG S. 268). Es ist allerdings zu beachten, dass Smith – im Gegensatz zu Mandeville, vgl. TMS VII. II.4 – nicht der Auffassung ist, die Moral verlange eine vollständige Eliminierung der natürlichen Tendenzen; es gehe vielmehr darum, bestimmte Gefühle zu zügeln und zu kanalisieren, während andere unterstützt werden müssten (vgl. z. B. TMS I.I.5.5). Dies bewahrt ihn vor dem Pessimismus Mandevilles, der davon ausgeht, dass Tugend und natürliche Tendenzen – insbesondere die Eigenliebe und die darauf aufbauenden wirtschaftlichen Strukturen – unvereinbar seien. Vgl. die Abschnitte 5.2 und 6.2 dieses Buches. 74 Griswold, Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, S. 328. 75 Otteson argumentiert dafür, dass – da das „Marktprinzip“ in verschiedenen sozialen Bereichen funktioniere – altbewährte Regeln, die die Erfahrung vieler Generationen verkörpern, für Smith neuen Gesetzen vorzuziehen seien. Er sieht bei Smith sogar Elemente eines „Burkeschen Konservatismus“ (Adam Smith and the Marketplace of Life, S. 322). Es gibt einige Passagen bei Smith, die eine solche Lesart unterstützen (z. B. WNV.I.II.21; V.I. III.I.9 und LJ (B), S. 426). Smith ist sich jedoch auch bewusst, dass Institutionen mit der Zeit verfallen können (vgl. etwa WN V.II.II.IV.62, III.II.4)  – das Alter einer Institution entscheidet nicht automatisch über ihre Qualität. Zur Diskussion von Ottesons Interpretation siehe auch Fonna Forman-Barzilai (Hrsg.), „Is Life a Marketplace? A Symposium on James R. Otteson’s Adam Smith’s Marketplace of Life“, The Adam Smith Review 2 (2006), S. 195–222.

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ist die Sklaverei,76 die er als das Ergebnis der „natürlichen“ (!) „Liebe zu Herrschaft und Autorität“ beschreibt, aber eindeutig als ungerecht betrachtet.77 Die Herausforderung besteht also darin, diejenigen Fälle, in denen Smith natürliche Tendenzen befürwortet, von denjenigen zu unterscheiden, in denen er sie ablehnt.78 Es scheint, dass sich Smith dabei auf seine Vorstellung vom unparteiischen Beobachter stützt. Eine unparteiische Beobachterin kann eine Institution befürworten, wenn sie zu guten Folgen für alle Beteiligten führt, ohne die Interessen einiger den Interessen anderer zu opfern.79 Der „Insasse unserer Brust“80 ist die verinnerlichte Autorität, die die Positionen aller Parteien berücksichtigt, ohne einer von ihnen den Vorrang zu geben.81 Dieser Begriff liefert das Kriterium für die Entscheidung, welche natürlichen Tendenzen befolgt und welche eingedämmt werden sollten, und ebenso, welche Institutionen ­befürwortet werden können und welche ungerecht sind. Gott hat sozusagen einige Aufgaben den Menschen überlassen, ihnen jedoch die Führung des „unparteiischen Beobachters“ gegeben, der das gleiche Recht aller Menschen be-

76 Seine schärfsten Aussagen über die Ungerechtigkeit der Sklaverei finden sich in LJ (A) S. 181 ff., vgl. auch LJ (B), S. 452 f. 77 LJ (A), S. 186, vgl. LJ (B) S. 451 f. Weitere Beispiele sind die Ausbildungsordnung für Berufe und die Armengesetze, jedoch auch das Erstgeburtsrecht und das Fideikommiss (WN III.II.6, LJ (A) S. 69, LJ(B) S. 468). Anm. d. Übers.: Als Fideikommiss bezeichnet man ein „durch Stiftungsakt geschaffenes unveräußerliches und unteilbares, einer bestimmten Erbfolge unterliegendes Vermögen, das üblicherweise […] nicht belastet werden durfte.“ (www.jurawiki.de). 78 Zu dieser Frage in Bezug auf Smiths Staatsverständnis vgl. auch Jeffrey T. Youngs interessanten Aufsatz über verschiedene politische Normen bei Smith: „Unintended Order and Intervention: Adam Smith’s Theory of the Role of the State“, History of Political Economy 37(1) (2006), S. 91–119. 79 Darüber, ob die Betonung der Gerechtigkeit in WN tatsächlich auf dem unparteiischen Beobachter beruht, gibt es allerdings einige Meinungsverschiedenheiten. Einige Kommentatorinnen argumentieren dafür, dass Smiths Kriterium in WN eher das der Nützlichkeit sei als das der Gerechtigkeit des unparteiischen Beobachters (z. B. T. D. Campbell und Ian Simpson Ross, „The Utilitarianism of Adam Smith’s Policy Advice“, Journal of the History of Ideas 42 (1981), S. 73–92). Es ist jedoch möglich, zwischen Utilitarismus und der Theorie des unparteiischen Beobachters zu vermitteln. Ein unparteiischer Beobachter betrachtet nicht nur ein Individuum und das, was es getan hat, sondern auch das „allgemeine Interesse der Gesellschaft“ (TMS II.II.II.III.7 / (TEG S. 145)) und das „Interesse der Vielen“ (TMS II.II.III.11/ (TEG S.  145)); konsequentialistische Überlegungen können daher in eine Theorie des unparteiischen Beobachters integriert werden. 80 TMS VI.Concl.1 / (TEG, S. 429). 81 Sie lehre uns, dass „wir nur einer aus der Menge sind und in keiner Hinsicht besser als irgendein anderer dieser Menge“ (TMS III.III.4 / (TEG S. 215), vgl. ähnlich TMS I.I.1.5 und II.III.1.5). Die Idee des „unparteiischen Beobachters“ basiert auf der menschlichen Fähigkeit des Mitgefühls, „in der Vorstellung“ den Platz mit anderen zu tauschen (TMS I.I.1.3 / (TEG S. 5), Übersetzung angepasst). Zum Mitgefühl vgl. auch Kap. 4.2 dieses Buches.

2.5 Smiths Darstellung der Marktgesellschaft | 61

rücksichtigt.82 Zum Beispiel privilegierten viele Überbleibsel des Feudalismus – den Smith als „unnatürliche und rückwärtsgerichtete“83 Gesellschaftsordnung bezeichnet – eindeutig einige Gruppen auf Kosten anderer und sollten daher abgeschafft werden. Smith lehnt Veränderungen nicht grundsätzlich ab und tritt nicht dafür ein, die Dinge so zu lassen, wie sie sind. Wenn bestehende Institutionen einseitig bestimmte Gruppen bevorzugen und die Rechte anderer unterdrücken, plädiert er für die Abschaffung dieser „offenbare[n] Verletzung der natürlichen Freiheit und Gerechtigkeit“.84 Dieser Ansatz, Institutionen aus der Perspektive der unparteiischen Beobachterin zu sehen, steht im Einklang mit Smiths Gleichheitsprinzip, das in der jüngeren Debatte stark betont wurde.85 Wie Stephen Darwall darlegt, ist Gleichheit ein integraler Bestandteil der Methode, durch die Smith das moralische Urteilsvermögen erklärt, nämlich das Konzept des „Mitgefühls“ („sympathy“) und die Position des unparteiischen Beobachters, da „Mitgefühl“ „implizit anerkennt, dass der andere eine unabhängige [und als solche gleichwertige] Perspektive hat“.86 Auch Smiths Argumente für den freien Markt beruhen auf der Tatsache, dass seiner Ansicht nach Märkte von einer unparteiischen Beobachterin befürwortet werden können, weil sie die Rechte von niemandem verletzen und allen Mitgliedern der Gesellschaft Wohlstand bescheren.

2.5 Smiths Darstellung der Marktgesellschaft Für Smith besteht die Aufgabe der Wissenschaft also darin, die „verborgenen Zusammenhänge“ hinter den Phänomenen aufzudecken und sie zu einem konsistenten System zusammenzuführen; der Kosmos, in dem diese „verborgenen Zusammenhänge“ zu finden seien, wurde von einer wohlwollenden Gottheit erschaffen. Smiths Verständnis der „Natur“ ist komplex und impliziert nicht, dass alles, was durch „natürliche“ Neigungen zustande komme, durch diese 82 Smiths Vorstellung von Rechten hat ihre Wurzeln sowohl in der Tradition des Naturrechts als auch in seiner Moraltheorie der unparteiischen Beobachterin. Eine hilfreiche Diskussion hierzu findet man in David Liebermans Aufsatz „Adam Smith on Justice, Rights, and Law“, in Knud Haakonssen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Adam Smith (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), 214–245. 83 WN III.I.9 / (WN Buch 2, S. 114), Übersetzung angepasst. 84 WN I.X.II.51 / (WN Buch 1, S. 197); die Stelle bezieht sich auf die Armengesetze, die die Niederlassungsfreiheit einschränkten. 85 Zum Beispiel Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 73. 86 Stephen Darwall, „Equal Dignity in Adam Smith“, The Adam Smith Review 1 (2004), S. 129–134, hier S. 131.

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g­ erechtfertigt sei. Diese Aspekte seines Denkens werden in Lesarten, die sich ausschließlich auf den Wohlstand konzentrieren, den geschichtlichen Kontext vernachlässigen und sich Smith mit heutigen Ökonomiemodellen im Hinterkopf annähern, leicht übersehen. Für sein Verständnis der Bedeutung und der Rolle des Marktes sind sie jedoch von zentraler Bedeutung. In einer Passage der Theorie spricht Smith vom moralischen Menschen als einem „Mitarbeiter der Gottheit“.87 Das „System der natürlichen Freiheit“ – also die politisch-wirtschaftliche Ordnung, die Smith im Wohlstand beschreibt  –, baut auf einer ähnlichen Zusammenarbeit zwischen natürlichen (von Gott geschaffenen) Neigungen und den freiwilligen Handlungen des Menschen auf – insbesondere, wie wir sehen werden, auf den Handlungen tugendhafter Politiker. Die „Arbeitsteilung“ zwischen der Natur und den gesellschaftlichen Institutionen in Smiths Modell der Marktgesellschaft lässt sich in drei Schritten beschreiben. Die erste Dimension ist ein institutioneller Rahmen, der für die Verteidigung nach Außen sorgt und die Eigentumsrechte sichert. Smith beschreibt dies als zwei der Aufgaben einer Regierung: Nach dem System der natürlichen Freiheit hat der Souverän nur noch drei Pflichten zu beobachten […]: erstlich die Pflicht, das Volk gegen Gewalttätigkeiten und Angriffe anderer unabhängiger Völker zu schützen; zweitens die Pflicht, jedes Glied des Volks möglichst vor Unrecht oder Beeinträchtigung seitens aller anderen seiner Glieder zu bewahren, d. h. die Pflicht, eine unparteiische Rechtspflege aufrecht zu erhalten.88

Regierungen entwickelten sich im Laufe der Menschheitsgeschichte auf „natür­ liche“ Weise, wenn Menschen sesshaft würden und Eigentum erwürben, das über den „Wert zwei- oder dreitägiger Arbeit“89 hinausgehe und daher Schutz benötige.90 Es ist weit weniger natürlich, dass Regierungen alle, ­insbesondere die Armen, gleichermaßen schützen sollen, indem sie die Position eines unparteiischen Beobachters einnehmen und „natürliche Gerechtigkeit“ durchsetzen, einschließlich fairer Gerichtsverfahren.91 Wie Smith in den Vorlesungen über

87 TMS III.V.7 / (TEG S. 265). 88 WN IV.IX.51 / (WN Buch 4, S. 242). 89 Vgl. WN V.II.I.2 / (WN Buch 5, S. 24), wo Smith die Auffassung vertritt, dass die Existenz solchen Eigentums Anreize für kriminelles Verhalten schaffe, die durch die Androhung von Strafen ausgeglichen werden müssten. 90 WN V.II.I.2 / (WN Buch 5, S. 24), vgl. LJ (A), S. 107, 208. 91 Tatsächlich beschreibt Smith die Entstehung einer Regierung als Verschwörung der Reichen gegen die Armen: „Gesetze und die Regierung können […] als ein Zusammenschluss der Reichen betrachtet werden, um die Armen zu unterdrücken und die Ungleichheit der

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Rechts- und Staatswissenschaft beschreibt, war es ein langsamer und mühsamer Prozess, bis Großbritannien das Maß an Gerechtigkeit und Eigentumssicherheit erreichte, das es zu seiner Zeit besaß.92 Viele andere Länder waren noch immer feudalen Strukturen verhaftet, in denen die Reichen und Mächtigen und nicht unabhängige Richter die richterliche Macht über die Armen innehatten.93 Selbst im Großbritannien des 18. Jahrhunderts gab es jedoch Institutionen, die häufig noch aus der Feudalzeit stammten und bestimmte Gruppen ungerechterweise benachteiligten, zum Beispiel die Ausbildungs- oder Armengesetze.94 Darüber hinaus schützten mächtige Gruppen wie die „Kaufleute und Fabrikanten“, die von der Ideologie des Merkantilismus gestützt wurden, ihre Privilegien und übten Druck auf die Regierung aus, ihnen noch weitere zu gewähren. Smith kritisiert solche Praktiken scharf: Sie widersprächen der natürlichen Gleichheit, die der Souverän sämtlichen Untertanen schulde: Dem Interesse irgend einer Klasse von Bürgern zu keinem anderen Zwecke Abbruch tun, als um das Interesse einer anderen Klasse zu fördern, widerspricht offenbar der Gerechtigkeit und Gleichheit der Behandlung, die der Souverän allen Klassen seiner Untertanen schuldig ist.95

Die Herausforderung bestehe also darin, angesichts enorm ungleicher Eigentumsverhältnisse die rechtliche Gleichheit aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, dass „ein großes Vermögen“ nicht notwendig „politische Macht, sei es im Zivil- oder Kriegsdienst“,96 zur Folge habe. Dies ist nicht nur eine Frage der ­Gerechtigkeit, sondern auch des funktionierenden Marktes: Ohne gesicherte Eigentumsrechte hätten die Menschen keinerlei Anreize, auf eine gesellschaft

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Güter, die sonst bald durch die Angriffe der Armen beseitigt würden, für sich zu erhalten“ (Vorlesungen, 5). (Anm. d. Übers.: Zitate aus den Vorlesungen von Smith wurden neu übersetzt. Bei den deutschen Ausgaben dieser Vorlesungen [von S. Blach 1928 und D. Brühlmeier 1996] handelt es sich im Vergleich zum engl. Original jeweils um eine Auswahl.) Diese Bemerkung betrifft jedoch lediglich den Ursprung der Regierung; Eigentumsrechte führen insgesamt zu einer Situation, in der es auch den Armen besser geht. In LJ (A), S. 104, stellt Smith ausdrücklich fest, dass der „Magistrat“ „in der Eigenschaft eines unparteiischen Beobachters“ handeln solle; der Gedanke kommt auch in vielen anderen Passagen vor (z. B. LJ (A), S. 17, 32 und 87; LJ (B), S. 434, 438 und 475f.) Zu verschiedenen Gerichten und rechtlichen Verfahren, vgl. LJ (A), S. 274 ff. und LJ (B), S. 422 ff. Die „gleichmäßige und unparteiische Rechtspflege“ sorge dafür, dass „die Rechte des geringsten britischen Untertanen seitens des Vornehmsten“ (WN Buch 3, S. 141) respektiert würden, wie es einem Justizsystem angemessen sei, das die Perspektive einer unpartei­ ischen Beobachterin einnehme. Vgl. zum Beispiel WN III.II.3, LJ (A), S. 49 f. und S. 203. WN I.X.I.14 ff., I.X.II.41 ff. WN IV. VIII.30 / (WN Buch 4, S. 198). WN I.V.4 / (WN Buch 1, S. 42).

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lich nützliche – markttaugliche – Weise zu arbeiten, sondern reduzieren ihre ­Anstrengungen auf ein Minimum.97 Dieses Problem habe die feudale Landwirtschaft ruiniert; außerdem sei es ein starkes – rein ökonomisches – Argument gegen die Sklaverei.98 „Jedem den sicheren und friedlichen Besitz seines Eigentums zu sichern“99 sei daher eine Voraussetzung für den freien Markt, die durch bewusste menschliche Anstrengungen sichergestellt werden müsse, anstatt darauf zu warten, dass sie sich auf natürliche Weise einstelle.100 Die ­Tendenz, dass diejenigen, die auf dem Markt mächtig sind, sich des Rechtsund politischen Systems zu bemächtigen  – eine gewissermaßen „natürliche“ Tendenz – müsse korrigiert, nicht nachgeahmt werden.101 Die Grundlage von Smiths Entwurf einer Marktgesellschaft sind somit starke Institutionen, die gleiche rechtliche Bedingungen für alle Bürgerinnnen und Bürger schaffen. Die zweite Dimension der Zusammenarbeit zwischen der Natur und den gesellschaftlichen Institutionen ist der freie Markt als ein Raum von Produktion und Tausch. Er spielt sich innerhalb des Rahmens von Persönlichkeitsund Eigentumsrechten ab; in diesem Sinne lässt sich sagen, dass Gerechtigkeit ein Grundprinzip des Wohlstands ist.102 Solange die Rechte anderer nicht 97 „Wenn Menschen jeden Augenblick Gefahr laufen, all ihres Besitzes beraubt zu werden, haben sie keine Motivation, fleißig zu sein“ (Vorlesungen). Seien sie hingegen sicher „die Früchte ihres Fleißes zu genießen, so strengen sie sich natürlich an, ihre Lage zu verbessern“ (WN Buch 3, S. 168). Die Bedeutung von sicheren Eigentumsrechten für die wirtschaftliche Entwicklung wurde durch neuere historische Untersuchungen bestätigt, siehe z. B. Eric Jones, The European Miracle. Environments, Economies and Geopolitics in the History of Europe and Asia (Cambridge: Cambridge University Press, 2003), S. 85 ff. Interessanterweise räumt sogar Mandeville in der Bienenfabel ein, wie wichtig die Gerechtigkeit sei, damit das „Laster“ seine segensreiche Arbeit tun könne: „Genauso uns das Laster nutzt, wenn das Gesetz es kappt und stutzt.“ Bernhard Mandeville, Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Wohlfahrt, (Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1968), S. 92. 98 Vgl. zum Beispiel WN III.II.9, LJ (A), S. 185 ff., LJ (B), 522 ff. 99 LJ (A), 5. 100 In diesem Sinne beschreibt James M. Buchanan „Gesetze und Institutionen“ als „öffentliche Güter“, die „der Koordination des Marktes vorausgehen“ und durch politisches Handeln bereitgestellt werden müssten („Public Goods and Natural Liberty“, in Thomas Wilson und Andrew S. Skinner (Hrsg.), The Market and the State: Essays in Honour of Adam Smith (Oxford: Clarendon Press, 1976), S. 271–286, hier S. 277). 101 Dieses Thema wird in Kapitel 6.4 dieses Bandes aufgegriffen. In Bezug auf die äußere Verteidigung plädiert Smith für ein stehendes Heer, da eine Bürgerwehr nicht in der Lage sei, den wachsenden Reichtum einer Marktgesellschaft gegen neidische Nachbarländer zu verteidigen (WN V.I.I.39, LJ (B) 541 ff.). Obwohl es in Smiths Diskussion des Problems einer Bürgerwehr einige republikanische Obertöne gibt, beziehen sich diese vor allem auf den Verlust des Kampfgeistes in einer Marktgesellschaft infolge der Arbeitsteilung (vgl. auch Kap. 6, Fn. 25 dieses Buches). 102 Vgl. beispielweise L. Billet, „The Just Economy: The Moral Basis of the Wealth of ­Nations“, Review of Social Economy 34(3) (1976), S. 295–315.

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v­ erletzt würden, sei es jedem Einzelnen „vollkommen überlassen, seine Interessen auf seine Weise zu verfolgen und seine Arbeit wie sein Kapital mit denen anderer Leute oder Klassen von Leuten in Wettbewerb treten zu lassen“.103 Smith vergleicht dies mit einem Wettrennen: In dem Wettlauf nach Reichtum, Ehre und Avancement, da mag er rennen, so schnell er kann und jeden Nerv und jeden Muskel anspannen, um all seine Mitbewerber zu überholen. Sollte er aber einen von ihnen niederrennen oder zu Boden werfen, dann wäre es mit der Nachsicht der Zuschauer ganz und gar zu Ende. Das wäre eine Verletzung der ehrlichen Spielregeln, die sie nicht zulassen könnten.104

In der Marktgesellschaft verfolge der Einzelne seine Interessen, indem er der Neigung nachgehe, „zu tauschen, sich gegenseitig auszuhelfen und ein Ding gegen ein anderes zu verhandeln.“105 Smith verbindet dieses Prinzip mit dem menschlichen „Vernunft- und Sprachvermögen“.106 In den Vorlesungen hebt er die „natürliche Neigung“ des Einzelnen hervor, „andere zu überzeugen“.107 Wenn wir einem anderen Menschen in einem Kaufgeschäft „einen Schilling“ anböten, böten wir ihm „in Wirklichkeit ein Argument, um ihn dazu zu überreden, dies und das zu tun, da es in seinem Interesse liegt“.108 Zu handeln sei also Ausdruck eines tiefen Verlangens des Menschen, das unter allen Tieren allein ihm eigentümlich sei.109 Ebenso einzigartig sei die Tatsache, dass das, was die Menschen sich wünschten, um „ihren Zustand zu verbessern“, häufig nicht die Befriedigung biologischer Bedürfnisse sei. Vielmehr interessierten sie sich für die soziale Bedeutung von Gütern und für die Aufmerksamkeit anderer, die sie durch den Erwerb bestimmter Dinge erlangen könnten.110 Was wir uns wirklich wünschten sei, „dass man uns bemerkt, dass man auf uns Acht hat, dass man mit Sympathie, Wohlgefallen und Billigung von uns Kenntnis nimmt“.111 103 WN IV.IX.51 / (WN Buch 3, S. 241 f.). 104 TMS II.II.2.1 / (TEG S. 133). 105 WN I.II.1 / (WN Buch 1, S. 19). 106 WN I.II.2 / WN Buch 1, S. 19. 107 LJ (A), S. 352, vgl. LJ (B), S. 493 f. 108 LJ (A), S. 352. 109 WN I.II.5, vgl. auch Kap. 4.3 dieses Buches. 110 Auf diese Neigung – die Smith nicht für uneingeschränkt positiv hält – wird in Kapitel 6.2 dieses Buches näher eingegangen. 111 TMS I.III.2.1 / (TEG S. 78). Dieser Wunsch hat damit zu tun, dass die Menschen mehr mit Freude als mit Trauer sympathisieren (TMS I.III.1.5), und daher mehr mit den Reichen und Mächtigen als mit den Armen und Machtlosen (TMS I.III.2.1). Wäre es anders, würden sich die Menschen auf der Jagd nach Aufmerksamkeit in einem Wettlauf nach

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Der „Antrieb […] unsere Lage zu verbessern“, sei ein starkes Verlangen: er begleite uns „von der Wiege bis ans Grab“.112 Er sei die treibende Kraft hinter der Arbeitsteilung, die Smith als Hauptfaktor des „Fortschritts des Wohlstandes“ sieht: Sie ermögliche es den Arbeitern, ihre speziellen Fähigkeiten zu verbessern, Zeit zu sparen und nützliche Maschinen zu erfinden.113 Die Arbeitsteilung sei also „nicht ursprünglich die Wirkung irgendeiner menschlichen Weisheit“, sondern vielmehr „die notwendige, wenn auch sehr langsame und allmähliche Folge“ des menschlichen „Hangs zu tauschen, sich gegenseitig auszuhelfen und ein Ding gegen ein anderes zu tauschen.“114 Die Arbeitsteilung hänge von Märkten ab, denn Menschen, die sich auf ein bestimmtes Gewerbe spezialisiert hätten, müssten alle anderen von ihnen benötigten Güter durch Tausch erwerben. Wenn spezialisierte ­Arbeiterinnen ihre Produkte untereinander tauschten, sei der Handel kein Nullsummenspiel mehr. Vielmehr „gewinnen beide gegenseitig und ­wechselseitig“.115 Für Smith zählt jeder freiwillige, ungezwungene Austausch von Waren und Dienstleistungen als Markttransaktion: vom Import kolonialer Luxusgüter bis zum Austausch von Dienstleistungen gegen Geld zwischen einem Lastenträger und einem Philosophen.116 Smith beschreibt, in welchem Maße die Größe eines Marktes von den Transportmitteln abhängt, die wiederum die Anzahl der po

unten gegenseitig herabziehen, während die soziale Entwicklung angesichts der Tatsache, dass die Sympathie mit den Reichen stärker ist, zu einem Wettlauf zu immer mehr Verfeinerung und Luxus wird. Vgl. auch Hont und Ignatieff („Needs and Justice in the Wealth of Nations“, S. 10), die diesen Punkt mit Smiths Ablehnung der Ataraxie der Stoiker in Verbindung bringen. 112 WN II.III.28 / (WN Buch 1, S. 92). 113 WN I.I.5, vgl. LJ (A), S. 344 f. 114 WN I.II.1 / (WN Buch 1, S. 18), Übersetzung angepasst. Wie Winch hervorhebt, finden sich ähnliche Überlegungen zur Arbeitsteilung bereits bei Mandeville und in der Encyclopédie (Riches and Poverty, 88). Für eine Diskussion siehe auch Craig Smith, Adam Smith’s Political Philosophy: The Invisible Hand and Spontaneous Order (London: Routledge, 2005), S. 68 ff. 115 WN III.I.1 / (Buch 3, S. 138), vgl. WN IV.III.II.2, LJ (A) S. 390. Der einzige Fall, in dem der Handel nicht für beide Seiten vorteilhaft sei, sei der, in dem „einer von ihnen ein Narr ist und ein Geschäft eingeht, das ihn offenkundig ruiniert“ (LJ (A), S. 390). Aber normalerweise sei dies nicht der Fall, und „zwischen umsichtigen Männern muss [ein freier Handel] stets vorteilhaft sein“ (LJ (A), S. 390). 116 WN I.II.5; vgl. auch Jerry Muller, Adam Smith in His Time and Ours. Designing the Decent Society (New York: The Free Press, 1993), S. 69; Emma Rothschild und Amartya Sen, „Adam Smith’s Economics“, in Knud Haakonssen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Adam Smith (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), S. 320–365, hier S. 322. Zu Smiths rhetorischem Gebrauch des Lastenträgers siehe auch Lisa Herzog, „The Community of Commerce. Smith’s Rhetoric of Sympathy in the Opening of the Wealth of Nations“, Philosophy and Rhetoric 46(1) (2013), S. 65–87.

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tenziellen Tauschgeschäfte bestimmten; dies erkläre die Bedeutung von Flüssen und Meereszugang für den Handel.117 Auf einem freien Markt reguliere der Preismechanismus die Warenmengen. Wenn die Nachfrage größer sei als das Angebot, steige der Preis, und das locke mehr Anbieter in diesen Markt, bis der Preis wieder sinke – und umgekehrt, wenn das Angebot größer sei als die Nachfrage.118 Daher gelte: Die Menge jeder zu Markt gebrachten Ware richtet sich naturgemäß nach der wirksamen Nachfrage. Im Interesse aller derer, welche ihren Grund und Boden, ihre Arbeit oder ihr Kapital anwenden, um eine Ware auf den Markt zu bringen, liegt es, dass die Menge niemals die wirksame Nachfrage übersteigt; und im Interesse aller andern Leute liegt es, dass sie niemals hinter dieser Nachfrage zurückbleibt.119

Die Märkte übernähmen somit eine Koordinierungsaufgabe, die niemals von einem einzelnen Menschen oder einer Regierung erfüllt werden könnte, da „zu deren angemessener Erfüllung keine menschliche Weisheit und Kenntnis hinreicht.“120 Der Einzelne müsse lediglich über seine individuelle Situation entscheiden: darüber, wie er seine Arbeitskraft und sein Geld am besten nutzen könne.121 Was die Märkte so effizient mache, sei nicht nur, dass die Menschen hochgradig motiviert seien, ihre eigenen Interessen voranzubringen. Es sei auch die Tatsache, dass Märkte Bedingungen schafften, unter denen kompetente Urteile getroffen würden, da jeder oder jede Einzelne seine bzw. ihre ­eigene Situation am besten kenne und Anreize habe, sich die für gute Entscheidungen erforder­lichen Informationen zu beschaffen.122 Smith schreibt den Märkten jedoch noch weitere Funktionen zu: Sie koordinierten nicht nur Angebot und Nachfrage, sondern maximierten auch das 117 WN I.III. 118 WN I.VII, vgl. LJ (A), S. 357 ff., LJ (B), S. 496 ff. 119 WN I.VII.12 / (WN Buch 1, S. 79 f.). Mit „wirksamer Nachfrage“ meint Smith eine Nachfrage, die durch Kaufkraft gestützt wird und nicht bloßes Wunschdenken ist. 120 WN IV.IX.51 / (WN Buch 4, S. 242). 121 121 Vgl. auch Haakonssens Unterscheidung zwischen „Kontext-“ und „Systemwissen“ (The Science of the Legislator, S.  79)  – normale Menschen, die an einem Smithschen Markt teilnähmen, benötigten lediglich Kontextwissen, nicht jedoch Kenntnisse über das umfassendere System, in dem sie arbeiteten. 122 Siehe z. B. WN IV.V. Exkurs 25, I.X.II.12. Für eine Diskussion siehe Bhanu Pratap Mehta, „Self-Interest and Other Interests“, in Knud Haakonssen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Adam Smith (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), S.  246–269, hier S. 251. Dieses Argument wurde später durch F. A. von Hayek berühmt: siehe insbesondere „The Use of Knowledge in Society“, The American Economic Review XXXV, Nr. 4 (1945), S. 519–530.

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Sozialprodukt eines Landes und verteilten den Wohlstand innerhalb der Gesellschaft. Der freie Markt sei also ein Wettlauf, bei dem nicht nur der Gewinner, sondern auch alle anderen profitieren könnten. Diese beiden zusätzlichen Funktionen der Märkte können den beiden „unsichtbaren Händen“ zugeschrieben werden, die in der Theorie und im Wohlstand erwähnt werden.123 Die unsichtbare Hand im Wohlstand führt zu einem großen „jährlichen Ertrag“. Sie taucht in einer Diskussion der Verwendung von Kapital in der Landwirtschaft, im verarbeitenden Gewerbe und im Handel auf, die unterschiedlich produktiv sind, in absteigender Reihenfolge.124 Es sei für ein Land am vorteilhaftesten, wenn Kapital in den verschiedenen Bereichen gemäß ihrer unterschiedlichen Produktivität investiert werde, denn [d]ie für ein Land vorteilhafteste Anlage seines Kapitals ist die, die die größte Menge produktiver Arbeit unterhält und den Jahresertrag seines Bodens und seiner Arbeit am meisten vermehrt.125

Die Natur erziele dieses Ergebnis ohne jede zentrale Planung. Ein Investor hat in der Regel „seinen eigenen Vorteil und nicht den des Volkes im Auge“126. Indem die Natur für die höchste Rendite bei Investitionen in der Landwirtschaft sorge127 und dann in absteigender Reihenfolge in den anderen Bereichen, führe sie den Investor durch die „Bedachtnahme auf seinen eignen Vorteil“ dazu, dass er „diejenige Anlage bevorzugt, welche zugleich die für die Gesellschaft die vorteilhafteste ist“.128 Es ist dieser Mechanismus, den Smith mit der Metapher der „unsichtbaren Hand“ beschreibt: 123 Diese Unterscheidung ist auch in Young, Economics as a Moral Science, S.  169 ff. zu ­finden. Über die verschiedenen unsichtbare Hände in Smith siehe auch A. L. Macfie, „The Invisible Hand of Jupiter“, Journal of the History of Ideas 32 (1971), S.  595–599. Emma Rothschild (Economic Sentiments: Adam Smith, Condorcet and the Enlightenment (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2001), Kap. V) hat kürzlich dafür argumentiert, dass die Idee der unsichtbaren Hand nicht mehr sei als ein „leicht ironischer Witz“ (S. 116). Dies mag für die rhetorische Verkleidung zutreffen, ihre Argumente beweisen allerdings nicht, dass das Phänomen von Smith nicht ernst genommen würde. 124 WN II.V.12 ff. 125 WN IV.VII.III.35 / (WN Buch 4, S. 128). 126 WN IV.II.4 / (WN Buch 4, S. 227). 127 David McNally, Political Economy and the Rise of Capitalism. A Reinterpretation (Berkeley: University of California Press, 1988) liest Smith als Befürworter eines „Agrarkapitalismus“. Während McNally zu Recht Lesarten zurückweist, die Smith anachronistisch als Verfechter des „Manchester-Kapitalismus“ sehen, rückt er ihn zu sehr in die Nähe der Physiokraten, die die Landwirtschaft als einzigen produktiven Wirtschaftszweig sahen. Dies ist jedoch eine Position, von der sich Smith deutlich abgrenzt (WN IV.IX). 128 WN IV.II.4 / (WN Buch 4, S. 227).

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Allerdings beabsichtigt er in der Regel weder, das allgemeine Wohl zu fördern, noch weiß er, in welchem Maß er es befördert. Wenn er dem heimischen Gewerbfleiß vor dem fremden den Vorzug gibt, so hat er nur seine eigene Sicherheit vor Augen, und wenn er diesen Gewerbfleiß so lenkt, dass sein Produkt den größten Wert erhält, so bezweckt er lediglich seinen eignen Gewinn und wird in diesem wie in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, einen Zweck zu befördern, der ihm keineswegs vorschwebte.129

Diese „unsichtbare Hand“ ist kein geheimnisvolles Eingreifen einer Gottheit, sondern ein glückliches Ineinanderfallen von Privatinteresse und Gemeinwohl. Smith beschreibt es in seinem deistischen Rahmen als eine weise Einrichtung der Natur, wobei er auch eine Analyse des kausalen Mechanismus liefert, der sie hervorbringt. Der freie Markt führe zu einem „natür­lichen, ­gesunden und richtigen Maß“ zwischen den verschiedenen Branchen, welches für das Land optimal sei.130 Während es bei der ersten „unsichtbaren Hand“ um Investition und Produktion geht, geht es bei der zweiten um die Güterverteilung. Sie ist eine Metapher für die Weitergabe von Wohlstand von den Reichen an die Armen, sodass alle von einer Steigerung des „jährlichen Ertrags“ profitieren könnten. Für Smith ist der grundlegende Mechanismus einfach: Der Reiche könne nicht alles konsumieren, was er erwerbe, da das „Fassungsvermögen seines Magens […] in keinem Verhältnis zu der maßlosen Größe seiner Begierden“ stehe.131 Was ein Reicher besitze, aber nicht konsumieren könne, müsse er „unter diejenigen […] verteilen, die […] das wenige zubereiten, das er selbst braucht.“132 Die Reichen in ihrer „Selbstsucht und Raubgier“ dienten so ungewollt den Armen und bewirkten eine fast egalitäre Verteilung der Güter: Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustandegekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner aufgeteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Menschheit.133

129 WN IV.II.9 / (WN Buch 4, S. 230). 130 WN IV.VII.III.44 / (WN Buch 4, S. 135). 131 TMS IV.I.10 / (TEG S. 296). 132 TMS IV.I.10 / (TEG S. 296). 133 TMS IV.I.10 / (TEG S. 296), Übersetzung angepasst.

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Das funktioniere entweder dadurch, dass die Armen direkt von den Gütern profitierten, die die Reichen nicht mehr verwenden,134 oder, was noch wichtiger ist, dadurch, dass die Reichen ihnen Arbeit und damit ein Einkommen geben.135 Es bedürfe keines Altruismus auf Seiten der Reichen: Die Armen „beziehen so vom Luxus [des Reichen] und seiner Launenhaftigkeit ihren Teil an lebens­ notwendigen Gütern, den sie sonst vergebens von seiner Menschlichkeit oder von seiner Gerechtigkeit erwartet hätten.“136 Smith kann dem Eigeninteresse auf dem Markt gerade deshalb so viel Gewicht beimessen, weil er der Überzeugung ist, dass eine zentrale Aufgabe, die andere Autoren dem Wohlwollen zuschreiben  – nämlich sich um die Armen und Besitzlosen zu kümmern  – durch die Funktion des Marktes selbst erfüllt werde. Wenn alle Boote von der steigenden Flut angehoben werden, ist die Ungleichheit nicht so problematisch, wie sie es ansonsten wäre. Für Smith ist am wichtigsten, dass die Armen profitieren und deutlich besser gestellt sind als in jeder anderen Gesellschaftsordnung, die er sich vorstellen konnte.137 Die „Herstellung vollkommener Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit ist das sehr einfache Geheimnis, das allen […] Klassen den höchsten Grad des Wohlergehens aufs Wirksamste sichert.“138 Aufgrund dieser natürlichen Mechanismen bedürfe es keiner bewussten Versuche „zum Wohle der Allgemeinheit Handel zu treiben“, von denen Smith behauptet, „niemals ­gesehen [zu haben, dass sie] viel Gutes bewirkt hätten.“139 Ich habe weiter oben ausgeführt, dass der metaphysische Hintergrund von Smiths System die Annahme enthält, dass eine wohlwollende Gottheit die Welt 134 TMS IV.I.10, vgl. auch WN II.III.39. 135 Vgl. zum Beispiel WN IV.III.II.11. 136 TMS IV.I.10 / (TEG S. 296), Übersetzung angepasst. 137 Auf dieses Thema werde ich in Kapitel 5.3 dieses Buches noch genauer eingehen. 138 WN IV.IX.17 / (WN Buch 3, S. 219). 139 WN IV.II.9 / (WN Buch  2, S.  230), Übersetzung angepasst. Der Verteilungseffekt des Marktes wurde manchmal als „Trickle-Down-Effekt“ bezeichnet, ein Begriff, der insbesondere in den 1980er Jahren in den Vereinigten Staaten zur Rechtfertigung von Steuersenkungen für die Reichen verwendet wurde (für eine kritische Diskussion vgl. z. B. John Quiggin, Zombie Economics: How Dead Ideas Still Walk Among Us (Princeton, NJ: Princeton University Press, 2010), Kap. IV). Wie Quiggin zu Recht feststellt (S. 147), bedeutet die Vorstellung, dass jeder von einem erfolgreichen kapitalistischen System profitiert, nicht, dass die Armen von einem kapitalistischen System mit egalitäreren Merk­ malen (z. B. durch Umverteilung) nicht noch mehr profitieren könnten. Ob man für Steuersenkungen für Superreiche wirklich Smiths Name heranziehen kann, darf jedoch bezweifelt werden (vgl. z. B. seine Ausführungen in WN V.I.III.I.5 und V.II.II.I.c.6 dazu, dass es durchaus angemessen sein könne, dass die Reichen verhältnismäßig höhere Steuern zahlten als die Armen). Noch wichtiger ist allerdings, dass es fraglich ist, ob die Bedingungen für ein „Trickling Down“ (also ein „Heruntertropfen“ des Wohlstands), wie sie in den folgenden Absätzen erörtert werden, in dieser Zeit gegeben waren.

2.5 Smiths Darstellung der Marktgesellschaft | 71

erschaffen habe, aber dass Smith für die „Weisheit der Natur“ auch stets kausale Erklärungen liefert. Sieht man von seinem optimistischen Deismus ab, führt einen dies dazu, die Bedingungen genauer unter die Lupe zu nehmen, die für das segensreiche Wirken des Marktes erfüllt sein müssen. Diese finden sich verstreut im Wohlstand und den Vorlesungen. Zunächst muss die Wirtschaft wachsen – denn sonst drücken die Arbeitgeber die Löhne auf das Existenzminimum, oder sogar noch niedriger, wenn die Wirtschaft schrumpft.140 Der Reichtum eines Landes möge noch so groß sein, so „darf man doch, wenn er lange Zeit stillstehend geblieben ist, nicht erwarten, einen sehr hohen Arbeitslohn zu finden.“141 Nur ständiges Wachstum hält die Nachfrage nach Arbeitskräften und damit auch hohe Löhne aufrecht. Dass dieses Wachstum die natürliche Umwelt stark belasten und das ökologische Gleichgewicht der Erde gefährden könnte, ist ein Problem, für das im 18. Jahrhundert ebenso das Bewusstsein fehlt wie für die Frage nach alternativen Wegen zur Sicherung des Wohlstands in einer nicht an Wachstum orientierten Gesellschaft. Darüber hinaus ist für Smith der „jährliche Ertrag“ eines Landes einfach die Summe der Gewinne der Einzelnen.142 Er scheint davon auszugehen, dass in einer wachsenden Wirtschaft alle zusätzlichen Investitionen neue Profite und nicht nur eine Umverteilung der bestehenden bringen. Eine weiteres auffälliges Detail ist, dass Smith kaum um das Phänomen besorgt scheint, das später als „Externalitäten“ bezeichnet wurde: Auswirkungen auf Dritte, die nicht in den Eigentumsrechten und damit in den Marktpreisen erfasst werden.143 Er erwähnt, dass der Staat verlangen könne, „Brandmauern zu errichten, damit das [Umsich]greifen des Feuers verhindert werde“, und auch die Ausgabe kleiner Banknoten einschränken könne, die das Finanzsystem destabilisieren würden.144 Abgesehen davon aber ist seine Perspektive stark von der Annahme bestimmt, dass es keine schädlichen Auswirkungen auf andere Personen habe, wenn eine Person sich bemühe, ihre Situation zu verbessern. Sein Argument bezüglich der „unsichtbaren Hand“ besagt genau dies: dass es den anderen dadurch ebenfalls besser gehe. Zusätzlich zu diesen strukturellen Bedingungen macht Smith eine Reihe impliziter Annahmen über die wirtschaftliche Sphäre, die es ihm erlauben,

140 WN I.VIII.26. 141 WN I.VIII.24 / (WN Buch 1, S. 98), Übersetzung angepasst. 142 WN IV.II.9. 143 Vgl. auch Muller, Adam Smith in His Time and Ours, S. 199. 144 WN II.II.90 / (WN Buch 2, S. 69).

72 | 2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur

Probleme zu übergehen, die Denkerinnen nach ihm beschäftigt haben. Wie Eric Schliesser hervorhebt, sieht Smith nicht die Möglichkeit eines „Zielkonflikts zwischen Effizienz und Wohlfahrt“; für ihn erhöhen alle Verbesserungen der Effizienz auch die Wohlfahrt.145 Dies ergibt dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass wirtschaftliche Aktivität normalerweise neue Arbeitsplätze schaffe und dass die Arbeitnehmer leicht auf diese neuen Arbeitsplätze wechseln könnten. Zudem ist Smith sehr optimistisch, was die Fähigkeit der Menschen betrifft, sich um ihre eigenen Interessen zu kümmern und auf kluge Weise „ihre Situation zu verbessern“. Es werde zwar immer einige geben, die sich selbst ruinierten, zum Beispiel beim Wetten auf Hahnenkämpfe,146 doch in seiner Gesellschaftsvision scheint dies eine winzige Minderheit zu sein. Wie er in Bezug auf den Einsatz von Kapital feststellt, wird „die Verschwendung einiger […] durch die Sparsamkeit anderer ausgeglichen.“147 Im Vertrauen auf die natürliche Vorsicht der meisten Menschen148 schien Smith sich um die Frage, was eine liberale Marktgesellschaft mit denjenigen tun sollte, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, keine Sorgen zu machen; und ebenso wenig darum, wie ein Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen gefunden werden kann, wenn es sich um ein Nullsummenspiel handelt. Diese optimistischen Annahmen müssen – sieht man von dem Deismus ab, der sie stützt – genauer untersucht werden. Wer die Auffassung vertritt, dass eine im weitesten Sinne Smithsche Perspektive auf die heutigen Marktwirtschaften anwendbar ist, muss besonders auf Probleme achten, die sich daraus ergeben, dass diese Annahmen nicht immer erfüllt sind. Doch selbst für Smith, den optimistischen Deisten, wäre es falsch, alles dem Markt zu überlassen. Obwohl der Souverän bei Smith „von seiner Pflicht enthoben“ ist, „die Gewerbtätigkeit der Privatleute zu überwachen“,149 hat er immer noch eine beträchtliche Anzahl von Aufgaben. Smith fasst sie zusammen als die Pflicht, gewisse öffentliche Werke und Anstalten zu errichten und zu unterhalten, die Einzelne oder eine kleine Zahl von Einzelnen kein Interesse haben zu errichten und zu erhalten, weil der Gewinn ihnen niemals 145 Schliesser, „Some Principles of Adam Smith’s Newtonian Methods“, S. 63. 146 WN V.III.1. 147 WN II.III.27 / (WN Buch 2, S. 89). 148 Wie in den Abschnitten 5.2 und 6.2 dieses Buches noch erörtert werden wird, ist er auch der Ansicht, dass der Markt selbst Anreize für ein vorsichtiges Verhalten biete. 149 WN IV.IX.51 / (WN Buch 4, S. 242, Kursivierung hinzugefügt).

2.5 Smiths Darstellung der Marktgesellschaft | 73

die Kosten ersetzen würde, obgleich er einem großen Volke die Kosten oft überreichlich ersetzen kann.150

Dies ist die dritte Dimension der Arbeitsteilung zwischen der Natur und den gesellschaftlichen Institutionen: Einige Dinge, die für das Gemeinwohl wünschenswert sind, werden vom Markt nicht bereitgestellt, und die negativen Folgen des Marktes müssen abgemildert werden. Smith sieht die Notwendigkeit staatlichen Handelns vor allem in zwei Bereichen: in den „Verkehrs- und Unterrichtsanstalten“,151 die einerseits der Erleichterung des Handels und andererseits der Ausbildung der Bevölkerung dienen. Die erste Kategorie umfasst Infrastruktur wie Straßen, Kanäle und Häfen,152 aber auch ein stabiles Finanzsystem, in dem Kredite an „besonnene Leute“ und nicht an „Verschwender und Projektemacher“ gehen.153 Diese Institutionen sind für die Gesellschaft vorteilhaft, weil sie den Markt vergrößern, dadurch die Arbeitsteilung vertiefen und so die Produktivität erhöhen.154 Sie werden jedoch von privaten Akteuren nicht bereitgestellt, da sie typische „öffentliche Güter“ sind, von denen andere nicht ausgeschlossen werden können. Der Staat hat die Aufgabe, die Bereitstellung und Bezahlung  – durch Steuermittel – dieser sozial nützlichen Güter zu koordinieren. Die zweite Kategorie staatlicher Interventionen betrifft die Bildung sowie das physische und psychische Wohlergehen der Bevölkerung. Was Smith in diesem Zusammenhang am meisten beunruhigt, sind die negativen Auswirkungen der Arbeitsteilung auf den menschlichen Verstand. Dieses Problem wird von der Marktgesellschaft nicht nur nicht gelöst, sondern von ihr verursacht, was es besonders dringlich macht. Es wird in Kapitel 6 ausführlich erörtert; an dieser Stelle sei lediglich darauf hingewiesen, dass Smith diese Aspekte nicht vernachlässigt – was zeigt, dass sein Engagement nicht dem Wirtschaftswachstum als solchem gilt, sondern vielmehr den Folgen für das Leben der Menschen. Genauso wie der Staat Maßnahmen ergreifen sollte, um „Aussatz oder andere ekelhafte und widerwärtige […] Krankheiten nicht um sich greifen zu [zu] lassen“ – eine Aussage, die mit Smith normalerweise nicht in Verbindung gebracht wird – sollte er auf die seelischen und geistigen Gesundheit seiner Untertanen achten, die durch die Folgen der Arbeitsteilung bedroht ist.155

150 WN IV.IX.51 / (WN Buch 3, S. 242). 151 WN V.I.III.2 / (WN Buch 5, S. 40). 152 Vgl. LJ (A), S. 372, WN I.IV.7, WN II.II.90 ff. 153 WN II.Iv.15 / (WN Buch 2, S. 114). 154 Vgl. WN I.III. 155 WN V.I.III.II.60 / (WN Buch 5, S. 116). Wie Alexander Cairncross hervorhebt, könnten Smiths Kriterien für staatliche Aktivitäten „unter modernen Bedingungen zur Recht-

74 | 2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur

Statt jegliche Intervention der Regierung abzulehnen, plädiert Smith daher für eine klare Abgrenzung der Bereiche, in denen der Souverän tätig sein sollte, von solchen, die Privatpersonen und der Koordination durch Märkte überlassen werden sollten.156 In seiner Vision der „natürlichen Freiheit“ geht es bei dem Verhältnis zwischen Markt und Staat darum, zu erkennen, welche Aufgaben von den weisen Einrichtungen der Natur erledigt würden und welche Aufgaben durch bewusstes politisches Handeln erfüllt werden müssten und können.

2.6 Schluss: Eine Vision allgemeinen Wohlstands Smiths „System der natürlichen Freiheit“ zeigt uns eine nuancierte Vision des Zusammenspiels zwischen „Natur“ und „Künstlichkeit“, zwischen dem Markt und politischen und rechtlichen Institutionen. Es erkennt Ungleichheit an, doch ungleiche Marktmacht führt nicht zu Ungleichheit vor dem Gesetz, weil unparteiische Richter alle gleich behandeln. Dies, zusammen mit seinen positiven Folgen für die Gesellschaft, machten das „System der natürlichen Freiheit“ zu der Gesellschaftsordnung, die ein unparteiischer Beobachter am ehesten befürworten würde, im Gegensatz zu den relevanten Alternativen, dem Feudalismus oder dem Merkantilismus. Alle Menschen sind demnach frei, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und sind in der Regel in der Lage, genug Geld zu verdienen, um sich und ihre Fami-



fertigung eines umfangreichen Programms herangezogen werden, auch wenn das Programm, das er in seiner eigenen Zeit genehmigt hätte, wenig umfangreich gewesen sein mag“ („The Market and the State“, in Thomas Wilson und Andrew S. Skinner (Hrsg.), The Market and the State: Essays in Honour of Adam Smith (Oxford: Clarendon Press, 1976), S. 113–134, hier S. 113). 156 Vgl. auch Winch, Riches and Poverty, S.  114, der diesen Punkt zum Ausdruck bringt, wenn er sagt, dass ein Argument für begrenzte staatliche Intervention im wirtschaft­ lichen Bereich nicht dasselbe ist wie ein Argument für eine „schwache Regierung“ als solche. Vgl. auch Satz, Why Some Things Should Not Be For Sale, S. 43 f., die dafür argumentiert, dass Smiths Ansatz eher von Anti-Feudalismus statt von Opposition gegen die ­Regierung geprägt ist. Dies entspricht auch der politischen Position, die man Smith zuschreibt: Mehrere Autorinnen sind sich einig, dass er ein gemäßigter, undogmatischer oder „skeptischer“ Whig war (Anm. d. Übers.: Die Whigs waren Gegner der Konservativen und Vorläufer der Liberal Party). (Vgl. hierzu insbesondere Duncan Forbes, „Scientific Whiggism: Adam Smith and John Millar“, Cambridge Journal 7 (1954), S. 643–670). Als solcher war er „ein Befürworter einer starken Zentralregierung, die von einer sich modernisierenden und kommerzialisierten Aristokratie dominiert wurde“ (Muller, Adam Smith in His Time and Ours, S. 171).

2.6 Schluss: Eine Vision allgemeinen Wohlstands | 75

lien zu ernähren. Eine wohlgeordnete Marktgesellschaft gelange natürlicherweise zu „verbreitetem Wohlstand“, einer Situation, in der die Preise niedrig und die Löhne hoch seien, sodass Waren für den Großteil der Bevölkerung, insbesondere für die unteren Schichten, „leicht zu beschaffen“ seien.157 Auch hier geht es Smith wieder um die Auswirkungen von Institutionen auf das Leben der Menschen. Entschieden wendet er sich gegen die merkantilistische Vorstellung, dass der Reichtum eines Landes in Geld bestehe, die er als die Wurzel vieler irrgeleiteter politischer Maßnahmen ansieht.158 Was zähle, sei, dass die Wirtschaft real wachse, denn dies sei „in der Tat für alle Gesellschaftsklassen ein Zustand des Frohsinns und der Kraft“.159 Ein großzügiger Arbeitslohn „ermuntert […] zur Fortpflanzung“ und „spornt [den gemeinen Mann] zum Fleiße an“, sodass die Arbeiter „tätiger, fleißiger und flinker“ sind, als wenn die Löhne niedrig wären.160 Auf wohlgeordneten Märkten werde menschliches Eigeninteresse in die richtigen Bahnen gelenkt: Es motiviert die Menschen, ihre Situation auf eine Weise zu verbessern, die nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes nützlich sei, da sie die Wirtschaft wachsen lasse. In den Bereichen des Rechts und der Politik dürfe das Eigeninteresse jedoch nicht herrschen.161 Richterinnen und Politiker müssen eine unparteiische Haltung einnehmen: Sie müssen dem Druck mächtiger Interessengruppen widerstehen und das Wohl aller im Auge behalten. Smiths System verlangt von den normalen Bürgerinnen und Bürgern nicht viel Tugendhaftigkeit, doch es stützt sich auf tugendhafte Politikerinnen, die eine Gesellschaft näher an das „System der natürlichen Freiheit“ heranführen können, anstatt der Lobbyarbeit von „Händlern und ­Fabrikanten“ nachzugeben und den offenen Markt durch Privilegien und ­Monopole einzuschränken.162 Dies würde die vorteilhaften Folgen des 157 WN I.VIII.36, vgl. Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 133. 158 Diese Ansicht wurde bereits von David Hume in seinem Essay Über Geld (Politische und ökonomische Essays. Bd. 1 und 2. Übers. von Susanne Fischer. Hrsg. von Udo Bermbach. (Hamburg: Meiner, 1988) nachdrücklich verworfen. 159 WN I.VIII. 43 / (WN Buch 1, S. 112). 160 WN I.VIII. 44 / (WN Buch 2, S. 112 f.). 161 Wie wir in Kapitel 4 dieses Buches noch sehen werden, darf es auch die persönlichen Bindungen der Menschen in den privaten „Kreisen des Mitgefühls“ („circles of sympathy“) nicht zerstören. 162 Smith ist sich sehr wohl bewusst, dass institutionelle Strukturen wie die parlamentarische Kontrolle (vgl. z. B. LJ (A), S. 260 ff., LJ (B), S. 419 f.) sowie die Unabhängigkeit der Richter (vgl. z. B. LJ (A) 271 ff., S. 313) eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass der wirtschaftliche Einfluss nicht auf politische und rechtliche Fragen übergreift. Die Frage ist allerdings, wer solche Institutionen einrichten würde, wenn es sie nicht bereits gäbe.

76 | 2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur

Marktes für die Verteilung der Güter zunichte machen und die Gesellschaft wieder in den Zustand eines quasi-feudalen Staates zurückführen.163 Um es mit den Worten von Pratap Bhanu Mehta auszudrücken, „ist die Errichtung des ‚Systems der natürlichen Freiheit‘ […] eine Aufgabe und nicht etwas, das sich von selbst einstellt“.164 In der Politik gibt es keine „unsichtbare Hand“. Der Wohlstand kann in der Tat als Leitfaden für einen Souverän gelesen werden, wie eine erfolgreiche Marktgesellschaft aufgebaut werden kann  – schließlich bezeichnet Smith die politische Ökonomie als „einen Zweig des Wissens eines Staatsmanns oder Gesetzgebers“.165 Die Kunst guten Regierens besteht darin, zu erkennen, wo der Markt Probleme aus eigener Kraft lösen kann, und nur dann einzugreifen, wenn es gute Gründe gibt, daran zu zweifeln, dass er die erwünschten Ergebnisse erzielen wird. Sämtliche Eingriffe, die darüber hinausgehen, bedrohten nicht nur die Effizienz des Marktes, sondern sie verletzten auch ungerechtfertigterweise die Freiheit der Einzelnen. Wie wir gesehen haben, stellt Smith eine Reihe faktischer Annahmen über den freien Markt auf, die möglicherweise nicht immer erfüllt sind. Insbesondere geht er davon aus, dass der Markt in der Regel zu Wirtschaftswachstum führe, und dass dies wünschenswert sei, da es die Situation der arbeitenden armen Bevölkerung verbessere. Sein optimistischer Deismus mag ihn dazu veranlasst haben, sein Bild des Marktes enthusiastischer zu zeichnen, als es eine reine Faktenanalyse erlaubt hätte. Wenn man seine metaphysische Sichtweise nicht teilt, sind es vor allem die zahlreichen Details und Beobachtungen über das Wirtschaftsleben, die für zeitgenössische Ökonominnen interessant sind. Smith ist allerdings auch der Meinung, dass ein politisches System nicht perfekt sein müsse, damit die Marktkräfte viel Gutes tun könnten.166 Wenn eine Nation nur unter einer perfekten Regierung gedeihen könnte, gäbe es

163 WN IV.VII.II.44, IV.VII.III.97, vgl. Young, Economics as a Moral Science, S. 146. Politikerinnen müssen ebenfalls der Versuchung widerstehen, einfach ihren eigenen Interessen zu folgen. Dies ist ein Problem, das Smith im Wohlstand und in den Vorlesungen immer wieder diskutiert (z. B. WN II.III.36, IV.I.30, V.II.I.6, V.III.26 und V.III.59 ff., LJ (A) S. 100 f., LJ (B) S. 414; zur Diskussion siehe z. B. Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 229 ff.). Smiths Forderung nach tugendhaften Politikern ist ein Thema, das er mit der bürgerlich-republikanischen Tradition gemeinsam hat (vgl. sein Lob für den tugendhaften Politiker in TMS VI.I.15; zur Diskussion vgl. z. B. McNally, Political Economy and the Rise of Capitalism, S. 191 ff.). 164 Mehta, „Self-Interest and Other Interests“, S. 257, unter Bezug auf WN IV.IX.51. 165 WN IV.Intr.1 / (WN Buch 4, S. 194). Dies wurde insbesondere von Winch (Adam Smith’s Politics) und Knud Haakonssen (The Science of the Legislator; und als Hrsg., Traditions of Liberalism (Sydney: The Centre for Independent Studies, 1988)) hervorgehoben. 166 WN IV.IX.28.

2.6 Schluss: Eine Vision allgemeinen Wohlstands | 77

keine ­Nation in der Welt die „je hätte gedeihen können“.167 Die „Weisheit der Natur“ habe jedoch „glücklicherweise reichlich Vorsorge getroffen, [um] im Staatskörper viele schlimme Folgen menschlicher Torheit und Ungerechtigkeit zu heilen“, im politischen Gemeinwesen ebenso wie im menschlichen Körper.168 Smith ist kein Dogmatiker des „laissez-faire“; im Gegenteil: Er plädiert für das „Prinzip des Solon“: „Wenn [ein weiser Politiker] nicht das beste System von Gesetzen einführen kann, [wird er, wie Solon, bestrebt sein], doch das beste unter jenen Systemen einzuführen, die das Volk noch zu ertragen vermag.“169 Politik ist für Smith „weitgehend […] eine Frage des Ausgleichs, der gegenseitigen Begrenzung und Nutzung von Interessen“, wie Winch es ausdrückt.170 Je mehr eine Politikerin über die „Vorsehungen der Natur“ und die Art und Weise, wie sie für das öffentliche Wohl arbeiten, jedoch auch über ihre Grenzen und die Notwendigkeit menschlicher Eingriffe weiß, umso besser kann sie diese Aufgabe erfüllen. Es ist genau diese Art von Wissen, das Smith im Wohlstand vermittelt, womit das Werk wesentlich mehr ist als ein Wirtschaftslehrbuch. Es ist ebenso ein politisches Programm: wie man eine Gesellschaft am besten regiert, in der einige Mechanismen von der Natur vorgegeben sind, in der ­jedoch Institutionen und gesetzliche Regeln durch menschliches Handeln ergänzt werden müssen. Die im Wohlstand skizzierte Vision ist „ein Versuch, die Vorstellung seiner Zeitgenossen davon, was eine [Markt-]Gesellschaft sein könnte, zu erweitern“171 – eine Gesellschaft, die freier, gerechter und wohlhabender ist. Will man das Erbe Smiths heute wiederbeleben, dann sollte man sich auf diese Ideale konzentrieren, und nicht auf die konkreten institutionellen Einzelheiten – denn diese hängen, wie sich gezeigt hat, von Annahmen ab, die in der heutigen Gesellschaft häufig nicht erfüllt sind. Das fehlgeleitete Verständnis von Smiths Ideen, dem man heute oft begegnet, hat viel damit zu tun, dass man sich auf die Instrumente konzentriert, die er vorschlägt, statt auf die Gründe, aus denen er sie vorschlägt – und die ihn dazu bringen könnten, heute ganz andere Instrumente zu befürworten. Amartya Sen hat rein instrumentelle Rechtfertigungen des Marktes, die auf guten Ergebnissen beruhen, von Argumenten unterschieden, die sich auf die 167 WN IV.IX.28 / (WN Buch 4, S. 225). 168 WN IV.IX.28 / (WN Buch 4, S. 225). 169 TMS VI.II.2.16 / (TMS S. 380) 170 Donald Winch, „Adam Smith’s ‚enduring particular result‘: a political and cosmopolitan perspective“, in Istvan Hont und Michael Ignatieff (Hrsg.), Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), S. 253–269, hier S. 266, vgl. auch Adam Smith’s Politics, S. 177. 171 Haakonssen, „Introduction“, S. 21.

78 | 2 Smiths Verständnis des Marktes: die weisen Vorkehrungen der Natur

vorhergehenden Rechte und Freiheiten der Menschen stützen.172 Bei Smith finden wir zweifellos beide Arten von Argumenten: Der freie Markt ermögliche es den Menschen, ihre Eigentumsrechte auf sozial produktive Weise zu nutzen, und er führe zu einer „reichlichen Belohnung der Arbeit“, die „das natürliche Merkmal wachsenden Nationalreichtums“ sei.173 Mit ­gesicherten Eigentumsrechten – sowie anderen Rechten wie der Rede- und ­Religionsfreiheit – und im Vertrauen darauf, dass die Rechtsprechung ihre Rechte durchsetzen wird, könnten alle Mitglieder der Gesellschaft gedeihen. Ein Gefühl der Sicherheit und das Vertrauen in einen gerechten gesetzlichen Rahmen sind für Smith wesentliche Aspekte der Marktgesellschaft.174 Wie Emma Rothschild es ausdrückt, ist Freiheit „eine Art Gefühl: in den Worten der Theorie der ethischen Gefühle, ‚die reine Luft der Freiheit und Unabhängigkeit zu atmen‘“.175 Diese Freiheit und der Wohlstand, den sie mit sich bringt, kennzeichnen Smiths Marktgesellschaft und machen sie so allen relevanten Alternativen überlegen. Diese Beobachtungen zeigen, dass Smith ein ernstzunehmender Gesprächspartner für heutige Vertreterinnen der politischen Theorie ist. Er ist ein systematischer Denker, der den Markt als Teil einer Gesellschaft und nicht als separate Einheit begreift. Anstatt ihn in die Schublade der „Ökonomie“ zu stecken und zu ignorieren, lohnt es sich, die Frage nach Smith als Gesellschaftstheoretiker in einem weiteren Sinne neu zu stellen. Gleichzeitig muss man sich des theologischen Hintergrunds seines Systems bewusst sein und hinterfragen, inwieweit seine Behauptungen verallgemeinert werden können. Aber was sein System bietet, ist eine nuancierte, facettenreiche Sicht des Marktes und seiner Rolle in einer modernen Gesellschaft. In diesem Sinne ist es eine grobe Vereinfachung, wenn man annimmt, Smith denke mehr oder weniger auf die gleiche Weise wie spätere Ökonomen, die mit abstrakten, formalen Modellen gearbeitet haben. Was wir von Smith lernen können, ist, dass es weitergehende, existentiellere Dimensionen des Marktes gibt, als in den glatten Berechnungen der zeitgenössischen Lehrbücher der Wirtschaftswissenschaften angenommen wird. Das ist es, was die Erforschung von Smiths Denken aus Sicht der politischen Theorie so lohnend macht.

172 Amartya Sen, „The Moral Standing of the Market“, Social Philosophy and Policy 2 (1985), S. 1–19. 173 WN I.VIII.27 / (WN Buch 1, S. 101). 174 WN V.I.II.25, LJ (A), S. 119, vgl. Rothschild und Sen, „Adam Smith’s Economics“, S. 336. 175 TMS VII.II.I.40 / (TEG S. 474); vgl. Rothschild, Economic Sentiments, S. 70.

3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“ 3.1 Einleitung: Hegel damals und heute

A

dam Smith schrieb seine Hauptwerke vor den beiden großen politischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts, der Amerikanischen und der Französischen Revolution, und auch vor dem Beginn der dritten großen „Revolution“ dieser Epoche, der sogenannten Industriellen Revolution. Georg Wilhelm Friedrich Hegel veröffentlichte seine Grundlinien der Philosophie des Rechts1 im Jahr 1820, nachdem er nicht nur diese genannten Ereignisse, sondern außerdem den Aufstieg und Fall Napoleons sowie die Rückkehr der konservativen Kräfte in den deutschen Staaten erlebt hatte. In der Philosophie hatte eine „Revolution“ in Form von Kants transzendentalem Idealismus zu einem völlig neuen Blick auf das Verhältnis von Geist und Welt geführt. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert erlebte die Philosophie in Deutschland eine Blütezeit; Denker wie Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Schelling, Friedrich Heinrich Jacobi und Hegel selbst griffen Kants Erkenntnisse auf und verwandelten sie in ihre jeweils eigene Version des „Idealismus“. Gleichzeitig prägte die romantische Bewegung in Kunst und Literatur die Philosophie dieser Epoche. Hegel ist ein Kind dieser Zeit, und es ist äußerst hilfreich, sich seinem weitläufigen Gedankensystem in dem Bewusstsein anzunähern, dass für ihn die Philosophie „ihre Zeit in Gedanken erfasst“.2 Doch selbst, wenn man die intellektuellen Strömungen und historischen Ereignisse, auf die er reagierte, berücksichtigt, ist seine Philosophie an vielen Stellen komplex und schwer verständlich. Von den Interpretinnen wurde fast jeder Aspekt seines Systems 1 In diesem und in den folgenden Kapiteln beziehe ich mich hauptsächlich auf die Grundlinien der Philosophie des Rechts. Ich verwende auch die Vorlesungsnotizen, hauptsächlich die von Hotho und Griesheim, da sie die meisten Einzelheiten zu wirtschaftlichen Fragen enthalten. Gelegentlich greife ich auf Material aus der Phänomenologie des Geistes oder den Jenaer Manuskripten zurück. Der Schwerpunkt liegt jedoch hauptsächlich auf dem späten Hegel. 2 GPR, Vorrede, (Werke Bd. 7, S. 26). Für eine Einführung in Hegels Zeit und sein Denken vgl. insbesondere die Biografie Hegel von Pinkard.

80 | 3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“

infrage gestellt. Kurz nach seinem Tod spalteten sich seine Anhänger in linke und rechte Hegelianer auf, die alle behaupteten, seine wahren Erben zu sein. Diese Spaltung taucht auch in heutigen Klischees zu Hegel immer wieder auf: Die einen sehen ihn als den Vorläufer von Marx und der Kritischen Theorie, die anderen als einen konservativen Verteidiger des preußischen Polizeistaates, der den Staat als den „Gang Gottes in der Welt“3 sah und auf diese Weise dem Faschismus den Weg ebnete. Dennoch  – oder gerade weil er so schwer verständlich und vielschichtig ist4 – hat das Interesse an Hegels Philosophie in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten eine Renaissance erlebt. Hegel hat im deutschsprachigen Raum seit langem philosophischen Einfluss, wie sich an zwei der wichtigsten Stränge der deutschen Philosophie nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt: der „Frankfurter Schule“ mit Autoren wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Axel Honneth, und der eher konservativen „Münsteraner Schule“, die von Joachim Ritter begründet wurde. Nach dem Ende des Kalten Krieges schwächte sich der schroffe Gegensatz zwischen linken und rechten Hegelianerinnen ab; das Interesse an seinem Denken ist jedoch lebendig geblieben. Während die eher historisch orientierte Forschung von Gelehrten wie Otto Pöggeler, Dieter Henrich oder Walter Jaeschke weiterhin Früchte trägt,5 haben jüngere, häufig in der „analytischer Philosophie“ ausgebildete Wissenschaftler ein systematischeres Interesse an Hegel und arbeiten an Themen wie seiner Sprachphilosophie oder seiner Theorie der kollektiven Intentionalität.6 In der englischsprachigen Welt begann das Wiederaufleben des Interesses an Hegel mit J. N. Findlays „Neubewertung“7 und Charles Taylors einflussreichen Arbeiten, die Hegels politische Philosophie als Theorie der Moderne lasen.8 Diese Arbeiten ebneten den Weg für breit angelegte Forschungsarbeiten, die 3 GPR § 258Z. 4 Vgl. Katerina Deligiorgi, „Introduction: On Reading Hegel Today“, in Katerina Deligiorgi (Hrsg.), Hegel: New Directions (Chesham: Acumen, 2006), S. 1–15. Sie schreibt, dass vielleicht gerade die Komplexität seines Denkens Hegel „zu einem besonders geeigneten Objekt für interpretativen Einfallsreichtum“ mache, S. 2. 5 Vgl. zum Beispiel Otto Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik (München: Wilhelm Fink Verlag, 1956), Dieter Henrich, Hegel im Kontext (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971), oder Walter Jaeschke, Die Religionsphilosophie Hegels (Darmstadt: Wissenschaft­liche Buchgesellschaft, 1983). 6 Vgl. etwa Pirmin Stekeler-Weithofer, Hegels Analytische Philosophie. Ein Kommentar zu Hegels „Logik der Wissenschaft“ (Paderborn: Schöningh, 1992), Michael Quante, Hegels Begriff der Handlung (Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1993). 7 J. N. Findlay, Hegel: A Re-examination (London: Allen & Unwin, 1958). 8 Charles Taylor, Hegel. Übers. von Gerhard Fehn (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983); Hegel and Modern Society (Cambridge: Cambridge University Press, 1979).

3.1 Einleitung: Hegel damals und heute | 81

sich auf Hegels Ethik und seine politische Philosophie konzentrieren und versuchen, sowohl den historischen Hegel zu verstehen als auch seine Philosophie in Beziehung zu den Problemen und Diskursen der Gegenwart zu setzen. In jüngerer Zeit haben seine Erkenntnistheorie und Metaphysik durch den Neo-Pragmatismus von Robert Brandom und John McDowell neue Aufmerksamkeit erhalten.9 Die sogenannte „kontinentale“ Philosophie kann kein Monopol mehr auf Hegel beanspruchen; sowohl „analytische“10 als auch „post-strukturalistische“11 Denkerinnen und Denker – wie hilfreich auch immer diese Bezeichnungen sein mögen – setzen sich auf konstruktive Weise mit Hegel auseinander. Die Sekundärliteratur zu Hegels politischer Philosophie ist äußerst umfangreich geworden. Hegels Sicht der Wirtschaft wurde sowohl im deutschen als auch im englischsprachigen Kontext untersucht.12 Meine Darstellung baut auf 9 Vgl. zum Beispiel Robert Brandom, Tales of the Mighty Dead: Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2002), besonders Kap. VI und VII sowie John McDowell, Die Welt im Blick: Aufsätze zu Kant, Hegel und Sellars. Übers. von Sebastian Rödl et al. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2015). 10 Zum Beispiel in jüngster Zeit Angelica Nuzzo (Hrsg.), Hegel and the Analytic Tradition (London: Continuum Books, 2010). 11 Zum Beispiel Judith Butler, Subjects of Desire: Hegelian Reflections in Twentieth-Century France (New York: Columbia University Press, 1987); Jacques Derrida, Glas. Totenglocke, übers. v. Hans-Dieter Gondek und Markus Sedlaczek (Paderborn: Fink, 2006). 12 Georg Lukács, Der junge Hegel (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973), war der erste, der die wirtschaftlichen Aspekte in Hegels Werken vor der Phänomenologie des Geistes aus marxistischer Perspektive analysierte. Zu den frühen Beiträgen nach dem Zweiten Weltkrieg gehören Paul Chamleys Arbeit über Steuarts Einfluss auf Hegel (Économie politique et philosophie chez Steuart et Hegel (Paris: Dalloz, 1963)); „Les origines de la pensée économique de Hegel“, Hegel-Studien III (1965), S. 225–261) und Manfred Riedels Darstellung von Wirtschaft und „Zivilgesellschaft“ in Zwischen Tradition und Revolution. Studien zu Hegels Rechtsphilosophie (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1969). Seitdem wurde Hegels ökonomisches Denken in zahlreichen Publikationen diskutiert, wobei manchmal explizit auf den Einfluss von Smith verwiesen wurde. Die Forschung bis 1991 ist zusammengefasst in James P. Henderson und John B. Davies, „Adam Smith’s Influence on Hegel’s Philosophical Writings“, Journal of the History of Economic Thought 13(2) (1991), S. 184–204. Zu den Kommentaren zu Hegels Wirtschaftstheorie im Allgemeinen gehört beispielsweise Joachim Ritters Diskussion des Hegelschen Eigentumsbegriffs („Person and Property in Hegel’s Philosophy of Right (§§34–81)“, in Hegel on Ethics and Politics, hrsg. von Robert B. Pippin und Otfried Höffe, Cambridge 2004, S. 101–123), die Essays in William Maker (Hrsg.), Hegel on Economics and Freedom (Macon, GA: Mercer University Press, 1987), Birger Priddats Analyse von Hegels wirtschaftlichem Denken (Hegel als Ökonom), die Diskussionen von Hans-Christoph Schmidt am Busch über Hegels Darstellung der Arbeit und die Rolle der „Anerkennung“ in seinem wirtschaftlichen Denken (Hegels Begriff der Arbeit (Berlin: Akademie-Verlag, 2002); „Anerkennung“ als Prinzip der kritischen Theorie (Berlin, New York: De Gruyter, 2011)), sowie Albena Neschens Auseinandersetzung mit der Entwicklung von Hegels ökonomischen Ansichten (Ethik und Ökonomie in Hegels Philosophie und in modernen wirtschafts­ethischen Entwürfen (Hamburg: Meiner, 2008)).

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den Erkenntnissen dieser Literatur auf, fügt aber auch einen neuen Schwerpunkt hinzu, da der Stellenwert und die Rolle des Marktes innerhalb der Struktur von Hegels politischem System – sowie seine Relevanz für zeitgenössische Fragen  – bislang noch nicht in der wünschenswerten Tiefe erörtert wurden. Die Gegenüberstellung seines Modells mit Smiths „System der natürlichen Freiheit“ wirft neues Licht auf Hegels Wirtschaftstheorie, aber auch auf die Grundlinien der Philosophie des Rechts als Ganzes. Bei Hegel ist es von besonderer Bedeutung, sich über die eigene Interpretationsstrategie im Klaren zu sein, da sein Anspruch, ein philosophisches System konstruiert zu haben, eine Herausforderung für Kommentatorinnen darstellt, die sich auf bestimmte Aspekte seines Denkens konzentrieren wollen. Wie ich im nächsten Abschnitt darlegen werde, gibt es dennoch gute Gründe, den Fokus ausschließlich auf seine praktische Philosophie zu legen, insbesondere wenn man sein Denken mit zeitgenössischen Fragen in Beziehung setzen will. Tatsächlich widerspricht dies Hegels eigenen Absichten nicht so sehr, wie von manchen behauptet wurde. Im dritten Abschnitt werden zwei Schlüsselbegriffe der praktischen Philosophie Hegels diskutiert: Geist und Sittlichkeit. Ich bin der Auffassung, dass man sie so deuten kann, dass man nicht in Obskurantismus oder Quietismus verfallen muss, und nehme dies auch zum Anlass, Hegels politische Ansichten zu kommentieren. Im Anschluss daran diskutiere ich seine Darstellung des Marktes. Sie baut zwar auf Erkenntnissen der Politischen Ökonomie auf, beschreibt jedoch eine Sphäre, die viel chaotischer und dionysischer ist als der Markt bei Smith. Abschließend stelle ich einige Überlegungen dazu an, auf welche Weisen Hegel den Markt als eine spezifisch moderne Errungenschaft charakterisiert, die – trotz aller Probleme – gutzuheißen ist, da sie subjektive Freiheit verkörpert.

3.2 Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie13 Hegel ist der Überzeugung, dass Philosophie nur auf systematische Weise betrieben werden kann. Nur in einem System könnten Inhalte „als ein Moment des Ganzen“14 gesehen werden und somit mehr als „eine subjektive Sinnesart“15 ausdrücken. Hegels System und insbesondere dessen Grundlage, seine Wissenschaft 13 Dies ist natürlich eine Anspielung auf Benedetto Croces Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie. (Heidelberg: Winter, 1909). 14 Enz § 14 Z. 15 Enz § 14.

3.2 Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie | 83

der Logik, sind jedoch berüchtigt für ihre Undurchsichtigkeit und schwierige Interpretierbarkeit. Während einige Kommentatorinnen dafür argumentieren, dass sich seine Grundidee nachvollziehen lässt – nämlich als „Rekonstruktion der Bewegung, in der das Denken die begrifflichen Bestimmungen, die die Realität, wie wir sie kennen, hervorgebracht hat“16 – halten skeptischere Leser sie für eine „reine neuplatonische Fantasie“.17 Andererseits sind einige von Hegels Schriften zu historischen, kulturellen und sozialen Fragen relativ zugänglich und voll von anregenden Einsichten. Hegel selbst ging allerdings davon aus, dass ihr umfassendes philosophisches Verständnis nur möglich sei, wenn alle Teile seines zusammenhängenden Systems berücksichtigt würden. Dies stellt die moderne Hegel-Leserin vor ein Dilemma. Entweder wir wenden uns erneut Hegels System zu und versuchen noch intensiver, es als Ganzes zu verstehen; oder wir vertreten einen Stück für Stück vorgehenden Ansatz, indem wir aus seinem System dasjenige herausgreifen und auswählen, was wir für seine interessantesten oder anregendsten Aspekte halten. Aber können wir dann noch behaupten, dass dies nach wie vor Hegels Philosophie sei?18 Interpreten von Hegels politischer Philosophie sind in der Tat gespalten zwischen dem, was Thom Brooks als „systematische“ und „nicht-systematische“ Lesarten bezeichnet hat.19 Während Vertreter der ersteren Lesart (zum Beispiel Stephen Houlgate, Michael Inwood, Michael Rosen, Robert Stern und Brooks selbst) Hegel vom Standpunkt seines Systems aus interpretieren und weitgehend auf den Versuch verzichten, Erkenntnisse für zeitgenössische Fragen zu gewinnen, behandeln Autorinnen der letzteren (zum Beispiel Frederick Neuhouser, Alan Patten und Alan W. Wood) Hegels praktische Philosophie gesondert – sie praktizieren das, was Friedrich Beiser als die Trennung des „rationalen Kerns“ von der „mystischen Hülle“ bezeichnet hat.20 Der gegen diese letztere Strategie erhobene Vorwurf ist natürlich, dass sie Hegels Selbstverständnis nicht ernst nimmt.21 16 Vgl. Karin de Boer, „The Dissolving Force of the Concept: Hegel’s Ontological Logic“, The Review of Metaphysics 57 (2004), S. 787–822, hier S. 804. 17 Michael Rosen, Hegel’s Dialectic and its Criticism (Cambridge: Cambridge University Press, 1982), S. 179. 18 Vgl. insbesondere Rolf-Peter Horstmann, „What is Hegel’s Legacy and What should We do With It?“, European Journal of Philosophy 7(2) (1999), S. 275–287. 19 Thom Brooks, Hegel’s Political Philosophy: A Systematic Reading of the Philosophy of Right (Edinburgh: Edinburgh University Press, 2007), S. 5 ff. 20 Frederick C. Beiser, „Introduction: Hegel and the Problem of Metaphysics“, in Frederick Beiser (Hrsg.), The Cambridge Companion to Hegel (Cambridge: Cambridge University Press, 1993), S. 1–24, hier S. 3. 21 Vgl. etwa Brooks, Hegel’s Political Philosophy, S. 13 ff.

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Hegels politische Philosophie vom System losgelöst und mit Blick auf ihre zeitgenössische Relevanz zu interpretieren steht jedoch weniger im Widerspruch zum Geist des Hegelschen Systems, als einige Kommentatoren behauptet haben. Hegels zentrale These ist, dass das Universum rational strukturiert sei, und dass es die Aufgabe der Philosophie sei, diese Struktur zu erforschen: „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn was ist, ist die Vernunft.“22 Hieraus folge, dass sich die vernünftige Struktur der Wirklichkeit – was Hegel das „Gegenwärtige“ nennt – in allen Teilen der Realität und damit in allen Bereichen der Philosophie zeigen müsse. Die verschiedenen Teile der Wirklichkeit, die in den verschiedenen Teilen des Hegelschen Systems behandelt werden, hätten alle ihre eigene „Logik“: die Vernünftigkeit dieser je besonderen Sphäre, die eine gewisse Vollständigkeit besitze. Wie er schreibt: Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes, ein sich in sich selbst schließender Kreis, aber die philosophische Idee ist darin in einer besonderen Bestimmtheit oder in einem Elemente. Der einzelne Kreis durchbricht darum, weil er in sich Totalität ist, auch die Schranke seines Elements und begründet eine weitere Sphäre; das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen dar, deren jeder ein notwendiges Moment ist, so daß das System ihrer eigentümlichen Elemente die ganze Idee ausmacht, die ebenso in jedem einzelnen erscheint.23

Die Struktur der Wirklichkeit spiegelt sich in der Hegelschen Philosophie wider, die ein „System ineinander verschachtelter Triaden“24 oder miteinander verbundener Kreise bildet. Dies rechtfertigt es, sich auf einen dieser „Kreise“ zu konzentrieren, in unserem Fall auf den Kreis, den Hegel als „objektiven“ Geist bezeichnet hat: die soziale und politische Welt. In seiner politischen Philo­ sophie erforscht Hegel deren rationale Struktur.25

22 GPR, Vorwort, S. 26. Vgl. auch den berühmten Doppelsatz: „Was vernünftig ist, ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig“ (GPR, Vorrede, Werke Bd. 7, S. 24, vgl. auch Enz § 6). Meine Interpretationsstrategie steht im Einklang mit Robert Sterns Lesart dieses Doppelsatzes als einer methodologischen Aussage, in der Hegel „seine Leser daran erinnert, dass die Philosophie eine grundlegende Verpflichtung gegenüber der Vernunft als dem richtigen Weg hat, sich mit der Welt auf einer fundamentalen Ebene auseinander­ zusetzen“ („Hegel’s Doppelsatz: A Neutral Reading“, Journal of the History of Philosophy 44(2) (2006), S. 235–266, hier S. 236). 23 Enz § 15. 24 M. J. Inwood, Hegel (London: Routledge, 1983), S. 262. 25 GPR, Vorwort, S. 11. Wie zum Beispiel Friedrich Neuhouser argumentierte, hat die Behauptung, dass die moderne Gesellschaftsordnung vernünftig sei, „logisch Vorrang vor seiner umfassenderen Behauptung, dass die Vernunft (oder Gott) die gesamte Wirklich-

3.2 Lebendiges und Totes in Hegels Philosophie | 85

Die zentrale Idee der politischen Philosophie Hegels ist die Idee des Rechts, dessen Grundlage der freie Wille ist: Die philosophische Rechtswissenschaft hat die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande.26 Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist.27

Die Philosophie des Rechts befasst sich demnach mit einem besonderen Thema, das auf rationale Weise entwickelt wird: Sie fragt, wie Freiheit in der Welt durch Recht verwirklicht werden könne. Alan Patten nennt diesen Ansatz eine „sich selbst verwirklichende“ Lesart: Er versteht Hegel so, dass dieser die Bedingungen für die Verwirklichung rationaler Freiheit im modernen Staat untersuche.28 Die Philosophie des Rechts wird als „Beweis dafür verstanden, dass die bestehenden Institutionen und Praktiken die Selbstverwirklichung des Menschen fördern oder ihr Raum geben.“29 Eine solche Lesart beschränkt sich bewusst darauf, was Hegel zu der Frage zu sagen hat, wie menschliche Freiheit in einer Gesellschaft verwirklicht werden kann.30 In Bezug auf die umfassenderen Ansprüche seines Systems und deren zeitgenössische Bedeutung bleibt sie agnostisch. Wie Kommentatoren wie Wood, Neuhouser oder Patten zeigen, sind viele Aussagen von Hegels praktischer Philosophie verständlich, ohne dass man in die trüben Gewässer seiner Logik eintaucht. Gleichzeitig muss man sich darüber im Klaren sein, dass einige Argumentationsschritte der Rechtsphilosophie schwer nachzuvollziehen sind,

keit durchdringt“, sodass, wenn ersteres bewiesen werden könne, dies auch als Beweis für letztere Behauptung dienen könne (Foundations of Hegel’s Social Theory: Actualizing Freedom (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2000), S. 271). 26 GPR § 1. 27 GPR § 4. Vgl. auch § 31, wo Hegel sagt, dass „der Geist in seiner Freiheit, die höchste Spitze der selbstbewußten Vernunft, […] sich Wirklichkeit gibt und als existierende Welt erzeugt“. Zu Hegels Darstellung des Willens vgl. zum Beispiel Dudley Knowles, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel and the Philosophy of Right (London: Routledge, 2002), Kap. II. 28 Alan Patten, Hegel’s Idea of Freedom (Oxford: Oxford University Press, 1999), Kap. I. 29 Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 9. 30 Dies bedeutet auch, dass politische und soziale Aspekte der Freiheit im Zentrum dieser Lesart stehen. Der „absolute“ Geist und die Freiheit, die sich in Kunst, Religion und Philosophie verwirklicht, werden in ihr nicht erörtert.

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wenn man den weiteren Kontext des Systems nicht berücksichtigt. Wenn irgendeine logische Struktur des größeren Systems das einzige Argument für eine Behauptung ist, dann ist es wahrscheinlich, dass die Begründung aus heutiger Sicht problematisch erscheint. Wir müssen in diesem Fall andere Gründe finden, um die Behauptung zu untermauern, oder sie verwerfen. Indem wir uns Hegel auf diese Weise nähern, können wir uns mit seinem Nachdenken über die Freiheit und darüber, wie sie in der Welt verwirklicht werden kann, beschäftigen  – nicht nur, weil, wie Rosen meint, die Lektüre von Hegel uns etwas über uns selbst lehrt,31 sondern auch, weil er einer der ernsthaftesten und interessantesten Denker zu diesem Thema ist.32 Dazu müssen jedoch zwei ­Hegelsche Begriffe expliziert werden, ohne die man seinen Ansatz und seine Strategie nicht verstehen kann: Geist und Sittlichkeit.

3.3 Geist und Sittlichkeit Der deutsche Begriff Geist bedeutet sowohl „Geist“ im Sinne von „übersinn­ liches Wesen“ als auch „intellektuelles Vermögen“. Darüber hinaus hat er auch religiöse Konnotationen, wie im Ausdruck „der Heilige Geist“. Es ist ein Schlüsselbegriff der praktischen Philosophie Hegels, doch er wurde auch immer wieder missverstanden. In der Phänomenologie des Geistes, in der Hegel die Entwicklung des Bewusstseins hin zum absoluten Wissen beschreibt, erscheint der Geist an dem Punkt, an dem das Bewusstsein sich seiner selbst bewusst wird und dann in einem anderen Selbstbewusstsein „Befriedigung findet“ (das  heißt, nur in einem anderen Selbstbewusstsein vollständig sein kann).33 Geist beschreibt diese, ihrer selbst bewusste und intersubjektive ­Dimension des Bewusstseins als die absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Selbstbewußtsein[e], die Einheit derselben ist; Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist“. 34

Das Stadium des Geistes wird nach den erfolglosen Versuchen einseitiger Forderungen nach Anerkennung erreicht, die zum Kampf auf Leben und Tod und 31 Rosen, Hegel’s Dialectic and its Criticism, S. 180. 32 Vgl. die ähnliche Einschätzung von Alan W. Wood, Hegel’s Ethical Thought (Cambridge: Cambridge University Press, 1990), S. 5. 33 PG #176. 34 PG #177.

3.3 Geist und Sittlichkeit | 87

zur Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft geführt hatten.35 Während in diesem Kampf jeder Einzelne versucht, den anderen zu unterwerfen, erkennen sich im Geist alle Individuen gegenseitig als frei und gleichberechtigt an. In dieser gegenseitigen Anerkennung können sie auf eine Weise vereint werden, die ihre getrennte Existenz nicht bedroht und sie dennoch zum Bestandteil einer größeren Einheit macht.36 Beispiele dafür finden sich in der Familie, in der erotischen Liebe, im Patriotismus, in der Liebe zu Gott, in der Ehre oder in der Tapferkeit des „Riskierens […] des eigenen Leben[s] für eine allgemeine Sache“.37 Auch wenn sie nicht mehr als rein abstrakte, individuelle Einheiten betrachtet werden, werden sie dennoch als „Momente“ bewahrt und in diesem Sinne „aufgehoben“.38 Robert Pippin ist der Auffassung, dass aus diesen verschiedenen Arten „kollektiv erreichter […] menschlicher Geisteshaltung“ Normativität entstehe: In ihren intersubjektiven Beziehungen gäben sich Menschen Normen, befolgten sie und machten sich gegenseitig für ihre Einhaltung verantwortlich.39 In diesem Sinne sei der Geist autonom: Sein „Wesen“ sei Freiheit,40 und die Individuen in ihm seien frei, da sie nur Gesetzen gehorchten, die sie sich selbst gegeben hätten. Nach Hegel bildet der Geist ein Verständnis seiner selbst aus, das heißt: er ist sich seiner selbst bewusst. Dies ist manchmal so interpretiert worden, dass der Geist mit dem transzendenten, persönlichen Gott des Christentums gleichgesetzt wurde. Es finden sich tatsächlich einige Textpassagen, die diese Lesart unterstützen: Hegel spricht zum Beispiel von Gott, der „die Welt regiert“, und er beschreibt die Geschichte als „die Ausführung seines Plans“.41 Es ist allerdings plausibler, diese Passagen metaphorisch zu verstehen und sich auf jene 35 PG #187 ff., vgl. auch Enz § 436 und Z. 36 Ich gehe mit Robert R. Williams (Hegel’s Ethics of Recognition (Berkeley/London: University of California Press, 1997)) und Robert B. Pippin (Hegel’s Practical Philosophy: Rational Agency as Ethical Life (Cambridge: Cambridge University Press, 2008), insbesondere Kap. VIII) davon aus, dass „Anerkennung“ während Hegels ganzem Leben ein wichtiger Aspekt seiner Philosophie war, nicht nur in seinen frühen Schriften. Hegels frühe Theorie der Anerkennung stand im Mittelpunkt vieler „Hegelianischer“ oder „von Hegel inspirierter“ politischer Philosophien der letzten Jahrzehnte. Diese Autorinnen beziehen sich vor allem auf die Phänomenologie, und dies zu Recht: In Hegels späteren politischen Schriften ist Anerkennung kein Hauptthema mehr – vielmehr wird als Grundmerkmal einer freien Gesellschaft vorausgesetzt, dass sich die Individuen gegenseitig als frei und gleichberechtigt anerkennen (vgl. z. B. Enz § 432 Z). 37 Vgl. Enz § 436 Z. 38 Siehe auch, in Bezug auf Philosophiegeschichte und Logik, Enz § 96 Z. 39 Pippin, Hegel’s Practical Philosophy, S. 16, 65 und 113. 40 Zum Beispiel PG #584. 41 PG #36. Vgl. Joseph McCarney, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel on History (London: Routledge, 2000), S. 40 ff. für eine Diskussion hierzu.

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Passagen zu stützen, die den Geist als der Welt immanent beschreiben. Für Hegel verwirklicht sich der Geist im menschlichen Bewusstsein, wie Passagen wie die folgende bezeugen: Das Reich des Geistes ist das, was von dem Menschen hervorgebracht wird. Man mag sich allerlei Vorstellungen vom Reiche Gottes machen, so ist es immer ein Reich des Geistes, das im Menschen realisiert und von ihm in die Existenz gesetzt werden soll.42 Der allgemeine Geist ist wesentlich vorhanden als menschliches Bewußtsein. Der Mensch ist dieses Dasein und Fürsichsein des Wissens. Der Geist als sich wissender, sich als Subjekt seiender Geist ist dies, sich als Unmittelbares, als Seiendes zu setzen: so ist er menschliches Bewußtsein.43

Nach einer solchen „immanenten“ Lesart ist Gott nichts anderes als das gesamte Universum, das aus den Bereichen der Natur und des Geistes zusammengesetzt ist, in dem er sich seiner selbst bewusst wird.44 Die Bedeutung des Christentums besteht in diesem Zusammenhang darin, dass es die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen, „des Unendlichen und des Endlichen“, in der Person Christi ans Licht bringe. Dies ist für Hegel „die wahre Idee der Religion“.45 Der Geist verkörpert demnach immer das Bewusstsein historischer Individuen und Gemeinschaften und drückt sich in ihnen aus. Wie Beiser betont, besteht Hegel in aristotelischer Weise darauf, „dass kein Allgemeines allein neben und vor dem Besonderen existieren kann“. Beiser weist auf die aristotelische Unterscheidung zwischen „der Reihenfolge der Erklärung“ und „der Reihenfolge der Existenz“ hin.46 An vielen Stellen klingt es sicherlich so, als ob Hegel den Geist zu einem Erklärungsprinzip mache; das bedeutet allerdings nicht, dass der Geist ontologisch getrennt existieren würde. Der Geist ist kein übermenschliches Wesen, für das Individuen lediglich als „Mittel zum

42 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Band I, Die Vernunft in der Geschichte, Hrsg. von Johannes Hoffmeister, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1994, S. 50. 43 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Band I. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. (Hamburg: Felix Meiner, 1994), S. 113. 44 Vgl. McCarney, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel on History, S. 40 ff. 45 PS #106, vgl. auch Enz § 564 ff. und PR § 358 f. über das „germanische Reich“. 46 Frederick C. Beiser, „Hegel’s historicism“, in Frederick C. Beiser (Hrsg.), The Cambridge Companion to Hegel (Cambridge: Cambridge University Press, 1993), S.  270–300, hier S. 290 ff. Vgl. zum Beispiel Enz § 24 Z, wo dies in Bezug auf den Begriff „Tier“ diskutiert wird.

3.3 Geist und Sittlichkeit | 89

Zweck“ dienen würden.47 Befürchtungen, dass Individuen um des Geistes willen geopfert werden könnten, sind fehl am Platz. Vielmehr ist, wie Joseph McCarney es ausdrückt, „Hegels Gott das Produkt der menschlichen Geschichte“.48 In seiner Theorie der Gesellschaft und politischen Philosophie erforscht Hegel die Entwicklung des Geistes als dieses kollektiven Bewusstseins der Menschheit. Ein zweiter, mit dem des Geistes verwandter Begriff, der für das Verständnis von Hegels politischer Philosophie zentral ist, ist der der Sittlichkeit. Dieser Begriff stammt von dem Wort „Sitte“ ab, das so viel wie Gewohnheit bedeutet, und beschreibt die gewohnheitsmäßigen Rollen der Einzelnen in den Institutionen von Familie, Zivilgesellschaft und Staat.49 Hegel schreibt, dass Sittlichkeit Geist sei, der „als eine Welt lebendig und vorhanden“ sei:50 Die sozialen Normen und Institutionen sowie die Haltungen, die die Menschen durch sie entwickeln, seien das Ergebnis einer historischen Entwicklung, in der die Menschen dahin gelangt seien, sich gegenseitig Rechte und Freiheiten zu gewähren und so ein stabiles und dauerhaftes soziales Ganzes zu schaffen. Hegel rechnet nicht jedwede Gruppe von Institutionen zur Sittlichkeit; vielmehr müssten diese „vernünftig“ sein, das heißt, die fortschrittlichste Auffassung von menschlicher Freiheit verkörpern, die jeweils in einer historischen Epoche vorhanden sei.51 Die in den Grundlinien der Philosophie des Rechts beschriebene Sittlichkeit des modernen Staates ist ein verfassungsmäßiger Zustand, der die Bereiche der Familie und der Privatwirt-

47 Dieser Satz aus Charles Taylors einflussreicher Darstellung ist berühmt geworden (z. B. Hegel, S. 90, S. 380; Hegel and Modern Society, S. 11, S. 26). Taylor selbst betont die Notwendigkeit, dass der Geist verkörpert werden müsse. Wie eine Reihe von Kommentatoren jedoch angemerkt haben, läuft Taylors Lektüre Gefahr, die Individuen zu bloßen „Vehikeln“ zu machen (z. B. Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 17 ff.). Tatsächlich gibt es einige Passagen, die darauf hinzuweisen scheinen, dass Individuen um des Geistes willen geopfert werden können (z. B. GPR § 323, § 344). Wie Neuhouser aufzeigt, muss man jedoch Hegels Behauptungen über die Geschichte von seinen Behauptungen über die voll entwickelte Sittlichkeit des modernen Staates unterscheiden (Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 217) – im modernen Staat bleibt die Freiheit des Individuums stets erhalten (siehe z. B. GPR § 265, §268, vgl. den nachfolgenden Text sowie Kap. 6.4). Diese Interpretation lässt die Möglichkeit offen, dass Hegel auch eine Geschichte über die Entwicklung des Geistes selbst zu erzählen hat, die sich sozusagen auf einer anderen ontologischen Ebene abspielt. 48 McCarney, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel on History, S. 170. Vgl. auch Stephen Houlgate, „World History as the Progress of Consciousness: An Interpretation of Hegel’s Philosophy of History“, in Robert Stern (Hrsg.), G. W. F. Hegel: Critical Assessments (London: Routledge, 1993), S. 402–416, hier S. 409 f. 49 Vgl. GPR § 151. 50 GPR § 151. 51 Vgl. Michael O. Hardimon, Hegel’s Social Philosophy: The Project of Reconciliation (Cambridge: Cambridge University Press, 1994), S. 110.

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schaft umfasst, in denen den Einzelnen ein breites Spektrum an Rechten und Freiheiten gewährt wird. Sie verkörpere somit die am weitesten entwickelten Einsichten in die Rechte des Einzelnen auf „subjektive“ Freiheit. Wie Hegel in einer Schlüsselpassage zu seinem Verständnis des modernen Staates ausführt: Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten.52

Die Tatsache, dass Hegel die Sittlichkeit als Analyseebene wählt, wurde häufig mit seiner Kritik an Kants Moralphilosophie in Verbindung gebracht.53 Hegel diskutiert „Moralität“ in § 105 ff. der Grundlinien der Philosophie des Rechts. Sie beschreibt den Standpunkt des sich selbst bestimmenden Willens im Sinne der kantischen Autonomie.54 Als abstrakte Vernunft könne sie jedoch keine konkreten moralischen Prinzipien hervorbringen. Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit, auf dem Kants kategorischer Imperativ beruhe, sei mit einer Vielzahl unterschiedlicher sozialer Normen vereinbar.55 Dem abstrakten guten Willen bleibe nur ein leeres „Sollen“ oder eine leere „Forderung“.56 Hegel bringt dieses Phänomen manchmal mit der Figur der „schönen Seele“ in Verbindung, die Gutes tun will, jedoch nicht weiß, wie.57 Außerdem sei die soziale Welt, auf die man nach Kants Vorstellung den kategorischen Imperativ „anwenden“ solle, kein normativ unbeschriebenes Blatt. Als Ausdruck des Geistes, der sich in der gegenseitigen Anerkennung der Individuen konstituiere, hätten soziale Regeln und Institutionen eine eigene Normativität. Es bedarf daher nach Hegel einer Struktur, in der das „Gute“ (die Moral) und das „Gerechte“ (abstrakte Gesetze) miteinander verschmolzen oder „dialektisch aufgehoben“ sind: Das Gute müsse durch die rechtlichen und gelebten Strukturen einer Gesellschaft verwirklicht werden. Wenn dies der Fall sei, könnten die Einzelnen die Regeln und Institutionen, nach denen sie leben, als von ihrem eigenen Willen ausgehend betrachten; sie müssten sie nicht als

52 GPR § 260. Siehe auch Kap. 6.4. 53 Vgl. insbesondere Joachim Ritter, „Morality and Ethical Life“, in Hegel and the French Revolution: Essays on the Philosophy of Right, übers. von Richard Dien Winfield (Cambridge, MA: MIT Press 1982), S. 151–182, der von einer „Aufhebung“ der Theorie Kants spricht. 54 Vgl. GPR § 107. 55 Vgl. GPR § 135: Von diesem Standpunkt aus „ist keine immanente Pflichtenlehre möglich“; vgl. auch Enz § 508. 56 GPR § 108. 57 Zum Beispiel Griesheim, S. 402. Für eine Diskussion hierzu vgl. Taylor, Hegel, S.194.

3.3 Geist und Sittlichkeit | 91

­inschränkung ihrer Freiheit verstehen, sondern könnten sie als deren E ­gesellschaftliche Verwirklichung begreifen.58 Das „System der Rechte“ sei demnach „das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, [wie] eine zweite Natur.“59 In der „vernünftigen“ Sittlichkeit des modernen Staates, die in der Philosophie des Rechts beschrieben wird, ver­ wirkliche der Einzelne das Gute, indem er die Pflichten erfülle, die ihm seine ­soziale Rolle auferlege; in diesem Sinne sagt Hegel, der oder die Einzelne „finde seine Befreiung“, indem er oder sie seine oder ihre Pflicht erfülle.60 Indem man seine Pflicht erfülle, sei man frei, da man nicht mehr von biologischen Bedürfnissen und Instinkten getrieben sei. Der Konflikt zwischen Vernunft und Neigung – den Hegel als große Herausforderung der Kantischen Moralphilosophie sieht – ist überwunden, ebenso wie die Passivität und Lähmung der „schönen Seele“.61 In einem sozialen Ganzen, das die Individuen als vernünftig erkennen könnten, werde die soziale Ordnung von den Individuen nicht als etwas von außen Auferlegtes, sondern als die Verwirklichung ihres „eigene[n] Wesen[s], ihre[r] innere[n] Allgemeinheit“ erfahren.62 In der Sittlichkeit könne man „bei sich selbst im anderen“63, und damit wirklich frei sein. Für Hegel ist dies der einzige Weg, wie menschliche Freiheit – einschließlich der Freiheit im Sinne von „tun, was man will“ – möglich ist. Wie Patten betont, stellt die Philosophie des Rechts in ihrer gedanklichen Entwicklung verschiedene Versuche dar, menschliche Freiheit zu beschreiben. Alle erweisen sich als unzulänglich oder in sich selbst widersprüchlich, bis die Denkbewegung zur modernen Sittlichkeit gelangt. In ihr werden all diese früheren Formen „aufgehoben“, das heißt, als eigenständige Prinzipien negiert, transformiert und als Teil des größeren Ganzen bewahrt.64 Die Aufgabe der Philosophie gegenüber der Sittlichkeit des modernen Staates bestehe darin, aufzuzeigen, dass die Vernünftigkeit dieser normativen Strukturen der Freiheit förderlich sei, und so den Einzelnen mit seiner Situation zu versöhnen.65 Die Hegelsche Philosophie zeichnet keine utopischen 58 Vgl. Enz § 431 Z. Dies wird im vierten Abschnitt von Kapitel 6 dieses Buches erörtert. 59 GPR § 4. 60 GPR § 149, vgl. GPR § 261, Enz §538 f. sowie Griesheim, S. 403. Für eine Diskussion siehe z. B. Axel Honneth, Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie (Stuttgart: Reclam, 2001), Kap. III–IV. 61 Hierfür ist der Begriff der Bildung wichtig, der in Kapitel 4.3.2 dieses Buches diskutiert wird. 62 PR § 153, vgl. auch § 147. 63 Enz § 24 Z. 64 PR § 141 f., vgl. Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 179 ff. 65 Der Versöhnungsaspekt in Hegels Philosophie wurde insbesondere von Hardimon hervorgehoben, vgl. Hegel’s Social Philosophy.

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­ isionen dessen, wie die Dinge aussehen könnten;66 vielmehr breitet, wie es der V berühmte Satz ausdrückt, „die Eule der Minerva ihre Flügel erst mit dem Einbruch der Dunkelheit aus“.67 Dies hat Hegel den Vorwurf des Quietismus und der unterwürfigen Akzeptanz traditioneller Hierarchien eingebracht. Aber das „Wirkliche“, das Hegel mit dem „Vernünftigen“ gleichsetzt, ist nicht alles, was existiert. Wie er in der Enzyklopädie sagt, müsse das „Wirkliche“ „nicht nur […] von dem Zufälligen, was doch auch Existenz hat, sondern näher von Dasein, Existenz und anderen Bestimmungen“ unterschieden werden.68 Wie zahlreiche Kommentatorinnen betont haben, schafft diese Unterscheidung Raum für Reformen.69 Für Hegel ist kein Staat jemals vollkommen, was bedeutet, dass es immer Raum für Verbesserungen gibt: Der Staat ist kein ideales Kunstwerk; er steht auf der Erde und damit in der Sphäre von Launen, Zufall und Irrtum, und schlechtes Verhalten kann ihn in vielerlei Hinsicht entstellen. Aber der hässlichste aller Menschen, oder ein Krimineller, oder ein Invalide, oder ein Krüppel, ist immer noch ein lebender Mensch […]70

Den Staat grundsätzlich als vernünftig zu verstehen, ist also mit der Kritik an seinen Fehlern vereinbar. Hegel selbst setzte sich kritisch mit den politischen Fragen seiner Zeit auseinander, zum Beispiel in seinem Aufsatz über die Württembergischen Stände und in seinen Überlegungen zum englischen Reform­ gesetz.71 Die Berücksichtigung des Unterschieds zwischen „Wirklichkeit“ und „Existenz“ hilft, Hegel nicht als einen politisch Konservativen mit Affinitäten zum Faschismus zu lesen. Die Vorwürfe des Anti-Liberalismus oder gar Totalitarismus, die im 19.  Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts von Denkern wie Rudolf Haym oder Karl Popper gegen Hegel erhoben wurden, werden heute weithin als ungerecht gegenüber dem Geist seiner politischen Philosophie erkannt, selbst wenn seine Ansichten aus heutiger Perspektive nicht hinreichend liberal erscheinen mögen.

GPR, Vorrede, Werke Bd. 7, S. 28, vgl. Enz § 6. GPR, Vorrede, Werke Bd. 7, S. 12 f. Enz § 6. Für Diskussionen siehe z. B. Wood, Hegel’s Ethical Thought, S. 8 ff. GPR § 258 Z. Zu beachten ist allerdings, dass die Möglichkeit für Reformen nicht die gleiche ist wie die Möglichkeit einer umfassenden Revolution; die Französische Revolution, die Hegel als den Durchbruch zur Moderne bezeichnet, hat ja bereits stattgefunden (vgl. Beiser, „Hegels Historismus“, S. 293 f.). 71 Hegel’s Political Writings, S. 243–294 und S. 295–330. 66 67 68 69 70

3.3 Geist und Sittlichkeit | 93

Hegel glaubte an das Prinzip, dass der Staat auf der Vernunft, und nicht auf Tradition oder bloßer Macht, gegründet sein solle.72 Allerdings sieht er auch die Gefahren eines politischen Systems, das ausschließlich auf dem Prinzip der individuellen Autonomie beruht. Sein Ziel war es, die „moderne“ subjektive Freiheit mit dem „antiken“ Prinzip der Sittlichkeit, dem substantiellen ethischen Leben der griechischen Polis, zu verbinden.73 Seine konkreten politischen Vorschläge kamen zu seiner Zeit am ehesten denen von Staatsmännern wie Karl August von Hardenberg, Wilhelm von Humboldt oder Heinrich vom und zum Stein nahe, die Preußen nach liberalen Grundsätzen reformieren wollten.74 Die in den Grundlinien der Philosophie des Rechts beschriebene institutionelle Struktur ist nicht die irgendeines existierenden Staates – am wenigsten die des Preußens seiner Zeit, das bereits an der Schwelle zum Rückfall in den Konservatismus stand.75 Hegels politisches System umfasst zahlreiche liberale Elemente, wie etwa Rechtsstaatlichkeit,76 freie Berufswahl,77 weitgehende religiöse Toleranz sowie Gewissens-,78 Meinungs- und Pressefreiheit.79 Natürlich gibt es Aspekte in Hegels Theorie der Gesellschaft, die aus heutiger Sicht nicht mehr vertretbar erscheinen, wie seine Haltungen zu Geschlechterfragen und zum Charakter der verschiedenen Stände (insbesondere seine Ansicht über den „substanziellen“ Charakter der Landbevölkerung), seine Verteidigung einer konstitutionellen Monarchie ohne allgemeines Wahlrecht, seine Positionen zu Kriegen und internationalen Konflikte oder

72 Vgl. zum Beispiel GPR § 258. Für eine Diskussion siehe insbesondere die einflussreiche Darstellung von Joachim Ritter, Hegel und die Französische Revolution (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989). 73 Vgl. zum Beispiel PR § 260. 74 Wood, Hegel’s Ethical Thought, S. 13. 75 Vgl. zum Beispiel T. M. Knox, „Hegel and Prussianism“, in Philosophy 15(57) (1940), S. 51– 63, hier S. 55. Ilting hat in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Vorlesungsaufzeichnungen die These von Hegels „Anpassung“ an die Zensur in der Zeit nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 vorgelegt, wonach Hegel sich in dem veröffentlichten Text der GPR zum Zweck des „Selbstschutzes“ konservativer darstellte. Dies ist allerdings nicht plausibel, da viele Positionen der GPR (zum Beispiel zur Rolle des Monarchen, zur Bewertung der Französischen Revolution oder zu seiner Interpretation des Naturrechts) bereits in früheren Schriften zu finden sind. Zu dieser Debatte siehe Henning Ottmann, „Hegels Rechtsphilosophie und das Problem der Akkomodation. Zu Iltings Hegelkritik und seiner Edition der Hegelschen Vorlesungen über Rechtsphilosophie“, in Zeitschrift für philosophische Forschung 33(2) (1979), S. 227–243. 76 GPR § 34 ff., S. 209 ff. 77 GPR § 185, § 206, § 236 Z und § 299, vgl. auch Hotho, S. 634. Hierauf wird in Abschnitt 4.3.2 dieses Buches eingegangen. 78 GPR § 270. 79 GPR § 308, § 319 f.

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seine zwiespältige Haltung zu Armut, um nur die offensichtlichsten Punkte zu nennen. Doch es ist plausibel, dass sich dafür Alternativen finden lassen, die nicht den metaphysischen oder methodischen Hintergrund der Hegelschen Logik benötigen, vor dem er oft für seine Positionen argumentiert. Zum Beispiel ist es durchaus möglich, die Familie als einen Ort zu sehen, an dem eine bestimmte Art von Freiheit verwirklicht wird, während man gleichzeitig Hegels Frauenbild ablehnt.80 Man kann also eine „im weiteren Sinne Hegelia­ nische“ Sichtweise beibehalten,81 ohne sämtliche Einzelheiten seiner Darstellung zu akzeptieren, die immerhin einem Text aus den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstammen.

3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft Nachdem ich dargelegt habe, welchen Ansatz diese Untersuchung bei der Auseinandersetzung mit Hegel verfolgt, können wir uns nun seinem Verständnis des Markts zuwenden. Bei der Beschreibung der Marktwirtschaft als Teil der Sittlichkeit greift Hegel auf die „politische Ökonomie“ zurück, die zu einer ­eigenen wissenschaftliche Disziplin geworden war. Zu Hegels Zeit wurden die Autoren der schottischen Aufklärung von vielen deutschen Gelehrten gelesen und „als bedeutender geistiger Einfluss der Zeit“ anerkannt.82 Hegel wurde erstmals während seines Studiums in Tübingen auf schottische Denker wie Ferguson und Hume aufmerksam. Während seiner Jahre in Bern und Frankfurt wuchs sein Interesse an wirtschaftlichen und sozialen Fragen, und er wandte sich naturgemäß britischen Politökonomen zu.83 Wie sein Biograf Karl Rosenkranz berichtet, las Hegel 1799 eine deutsche Übersetzung von Steuarts Principles of Political Economy und schrieb dazu einen heute verlorenen Kommentar.84 Es gibt keine Hinweise darauf, wann genau Hegel Smith gelesen 80 Für eine Diskussion hierzu, vgl. Neuhouser, Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 273 ff. 81 Hardimon, Hegel’s Social Philosophy, S. 256, ähnlich auch Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 166. 82 Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ‚Civil Society‘, S. 82. Zur Übersetzung der schottischen Werke und ihrer Rezeption in Deutschland siehe zum Beispiel Keith Tribe, Governing Economy: The Reformation of German Economic Discourse 1750– 1840 (Cambridge: Cambridge University Press, 1988), Kap. 6–8. 83 Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, S. 85. 84 Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, S. 86. Laut Rosenkranz war Steuart für Hegel noch „ein Merkantilist“. Er merkt zu Hegels Kommentar an, dass Hegel im Merkantilismus bekämpfen wollte, was abgestorben war, und es ihm darum ging, das „Gemüth“ des Menschen unter den Bedingungen zeitgenössischer Produktionsweisen zu ­retten (Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, S. 86).

3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft | 95

hat;85 es dürfte nicht früher als in den Jenaer Jahren gewesen sein.86 In Hegels Schriften taucht Smith erstmals in seinen Jenaer Manuskripten auf, als er eine Stecknadelfabrik als Beispiel für die Arbeitsteilung verwendet, das anschließend immer wieder in seinen Vorlesungen auftaucht.87 In den Grundlinien der Philosophie des Rechts erwähnt Hegel „Smith, Say und Ricardo“ als Beispiele für politische Ökonomen: Die Staatsökonomie ist die Wissenschaft, die von diesen Gesichtspunkten ihren Ausgang hat, dann aber das Verhältnis und die Bewegung der Massen in ihrer qualitativen und quantitativen Bestimmtheit und Verwicklung darzulegen hat. – Es ist dies eine der Wissenschaften, die in neuerer Zeit als ihrem Boden entstanden ist. Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der Gedanke (s. Smith, Say, Ricardo) aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet.88

Die Suche nach allgemeinen Gesetzen in den verwirrenden und chaotischen Erscheinungen des Wirtschaftslebens ähnele der Astronomie, bei der die Gesetze des Sonnensystems in den „unregelmäßigen Bewegungen“ gesucht würden, die die Planeten „dem Auge […] zeig[ten]“.89 Wie wir sehen werden, erkennt Hegel die Errungenschaften der politischen Ökonomie an, ohne jedoch alle ihre Annahmen zu teilen. Hegels Sicht des Marktes muss allerdings im größeren Kontext seiner politischen Philosophie gesehen werden. Unter den Schichten des idealistischen Jargons findet man ein ähnliches dreigliedriges Schema der Arbeitsteilung zwischen dem politischen und dem wirtschaftlichen Bereich wie bei Smith. Da Hegel jedoch ein anderes Bild vom Markt hat, führt ihn dies zu einer anderen Schwerpunktsetzung und zu einem anderen Verhältnis zwischen diesen drei Dimensionen. Hegel erörtert den Markt als Teil der „bürgerlichen Gesellschaft“, die er als eine Vereinigung unabhängiger Individuen charakterisiert, die aber wegen

85 Vgl. Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, S. 112. 86 Siehe zum Beispiel Chamley, Les origines de la pensée économique de Hegel, S. 253. 87 Jenenser Realphilosophie I, S. 248. Für eine Diskussion siehe Norbert Waszek, „Miscellanea: Adam Smith and Hegel on the Pin Factory“, in Owl of Minerva 16 (1985), S. 229–233. 88 GPR § 189. Im Fall von Ricardo und Say existiert kein Beweis dafür, dass Hegel sie im Original gelesen hat; vielleicht hat er in Zeitungen oder Rezensionszeitschriften über sie gelesen (Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ‚Civil Society‘, S. 116). 89 GPR § 189 Z.

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deren Selbstständigkeit in ihrer Allgemeinheit nur abstrakt sei. Ihre Vereinigung werde durch ihre Bedürfnisse, durch das Rechtssystem – das Mittel zur Sicherung von Person und Eigentum – und durch eine äußere Organisation zur Durchsetzung ihrer partikulären und gemeinsamen Interessen herbeigeführt.90 Für Hegel umfasst die bürgerliche Gesellschaft das „System der Bedürfnisse“, die „Rechtspflege“ sowie „Polizei und Korporationen“. Man kann sie also beschreiben als die Marktwirtschaft zusammen mit den Institutionen, die sie ermöglichen und die aus ihr hervorgehen.91 Die bürgerliche Gesellschaft ist der Bereich, in dem das Prinzip der „Besonderheit“ eine zentrale Rolle spielt, wenn es auch nicht ihr einziges Prinzip ist: die „Besonderheit“ wird hier als „sich nach allen Seiten auslassende Befriedigung ihrer Bedürfnisse, zufälliger Willkür und subjektiven Beliebens“ beschrieben.92 Wie Hegel sagt, ist die Sittlichkeit hier „in ihre Extreme verloren“,93 da die Beziehungen zwischen den Individuen rein instrumentell seien. Die Individuen bezögen sich nicht als Familienmitglieder oder Mitbürgerinnen aufeinander, sondern einfach als „Privatpersonen“ oder „Bürger“, die jeweils „selbstsüchtige Zwecke“94 verfolgten. Daher gelte: Der selbstsüchtige Zweck in seiner Verwirklichung, so durch die Allgemeinheit bedingt, begründet ein System allseitiger Abhängigkeit, daß die Subsistenz und das Wohl des Einzelnen und sein rechtliches Dasein in die Subsistenz, das Wohl und Recht aller verflochten [ist].95

Damit sich Menschen als eigenständige Individuen begegnen könnten, müsse es jedoch ein System von Rechten geben, das jedem von ihnen einen unabhängigen Status gewähre. Hegel erörtert die Rechte des Einzelnen an zwei Stellen in den Grundlinien der Philosophie des Rechts. Im „abstrakten Recht“ entwickelt er die theoretischen Grundlagen der individuellen Rechte, insbesondere der Eigentumsrechte. Die „Grundlage des Rechts“ sei der freie Wille mensch-

90 GPR § 157. Es ist zu beachten, dass Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft nicht identisch mit dem heutigen Gebrauch dieses Begriffs in der politischen Philosophie ist, wie er zum Beispiel in Jean L. Cohen und Andrew Arato, Civil Society and Political Theory (Cambridge, MA/London: MIT Press, 1994), verstanden wird. Zur Entwicklung des Begriffs in Hegels geistiger Entwicklung, siehe Rolf-Peter Horstmann, „Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie“, in Manfred Riedel (Hrsg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie Band II (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1975), S. 276–311. 91 Vgl. Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 175. 92 GPR § 185. 93 GPR § 184, vgl. § 189Z, § 357, Hotho, S. 566, Griesheim, S. 415. 94 GPR § 183, § 187. 95 GPR § 183.

3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft | 97

licher Individuen.96 Ein freier Mensch müsse „seine Freiheit in eine äußere Sphäre übersetzen“, weshalb es individuelle Eigentumsrechte geben müsse.97 Das Recht sei jedoch ein abstrakter Begriff, der konkret in die Sittlichkeit der modernen Gesellschaft umgesetzt werden müsse. Das Recht müsse bekannt sein, und es müsse gültig sein,98 oder wie Hegel es in der Enzyklopädie formuliert, es müsse „gewußt“ und „als das Geltende“ „gesetzt“ werden.99 Dann werde es zum positiven Recht,100 und indem es „in der Form des Gesetzes in das Dasein“ eintrete, „ha[be] [es]sich als allgemeines geltend zu machen“.101 Die „Rechtspflege“, die die Eigentumsrechte sichere und Rechtskonflikte schlichte, sei daher Teil der bürgerlichen Gesellschaft.102 Innerhalb dieses Rahmens der Eigentumsrechte habe die Marktwirtschaft – oder das „System der Bedürfnisse“, wie Hegel sie nennt103  – ihren Platz. Die Individuen seien frei, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, egal, ob diese auf „Willkür“, „Naturnotwendigkeit“ oder einer „Vermischung“ von beidem beruhten.104 Im Gegensatz zu den biologischen Bedürfnissen der Tiere seien die menschlichen Bedürfnisse nicht natürlich begrenzt, sondern würden von sozia­len Faktoren wie der Mode und dem Wunsch, eine bestimmte soziale ­Stellung zu erlangen, beeinflusst.105 Diese Verfolgung des Eigeninteresses führe zu einer auf den ersten Blick chaotisch und unorganisiert erscheinenden Situation, zu etwas „anscheinend Zerstreute[m] und Gedankenlose[m]“.106 Aber Hegel betont auch, dass diese Situation von einer „Notwendigkeit gehalten“ werde und dass sich „allgemeine Bestimmungen“ in ihr fänden.107 An diesem Punkt nimmt er Einsichten der „politischen Ökonomie“ auf: Er sieht in der ökonomischen Sphäre so etwas wie die Smithsche „unsichtbare Hand“ am Werk. Durch den Marktmechanismus würde „subjektives Selbststreben zu einem Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse aller anderen“.108 Hegel nennt dies einen „dialektischen Fortschritt“,

96 GPR § 4, § 36. 97 GPR § 41, § 40. Für eine Diskussion, vgl. Ritter, „Eigentum und Person“. 98 GPR § 210. 99 Enz § 529. 100 GPR § 211. 101 GPR § 219. 102 GPR § 209 ff. 103 GPR § 189 ff. 104 GPR § 182. 105 Vgl. GPR § 190. Siehe auch Abschnitt 4.2 dieses Buches. 106 GPR § 189 Z. 107 GPR § 189 und Z. 108 GPR § 199.

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nicht eine „unsichtbare Hand“, doch die Ähnlichkeiten mit Smith sind frappierend.109 Das Ergebnis sei, dass „indem jeder für sich erwirbt, produziert und genießt, er eben damit für den Genuß der Übrigen produziert und erwirbt.“110 Charakteristisch für die moderne Wirtschaft sei eine hochentwickelte Arbeitsteilung,111 die „die Abhängigkeit und die Wechselbeziehung der Menschen für die Befriedigung der übrigen Bedürfnisse zur gänzlichen Notwendigkeit“ mache.112 Auf der Makroebene werde auf diese Weise eine bestimmte Ordnung im wirtschaftlichen Bereich sichtbar – es gebe neben der „Besonderheit“ also auch eine „Allgemeinheit“. Dennoch ist der Markt für Hegel nicht der friedliche, sich selbstregulierende Mechanismus, den Smith beschrieben hatte. Wenn man sozusagen von der makroökonomischen Ebene zu den Details der mikroökonomischen Ebene ­herabsteigt, erkennt man, dass der Markt ein Kampfplatz aller gegen alle anderen ist  – und damit der „Rest des Naturzustandes“113  – und außerdem ein Kampf eines jeden gegen die gemeinsamen Interessen der Gemeinschaft: Wie die bürgerliche Gesellschaft der Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle ist, so hat hier der Konflikt desselben gegen die gemeinschaftlichen besonderen Angelegenheiten, und dieser zusammen mit jenem gegen die höheren Gesichtspunkte und Anordnungen des Staats, seinen Sitz.114

Für Hegel sind Märkte ihrem Wesen nach instabil und unberechenbar. Die menschlichen Bedürfnisse in ihrer „Besonderheit“ führten zu einem endlosen Streben nach Konsumgütern, und da die Präferenzen willkürlich seien und sich verschöben,115 seien die Marktergebnisse von Natur aus nicht vorhersagbar. Der 109 Vgl. zum Beispiel Henderson und Davis, „Adam Smith’s Influence on Hegel’s Philosophical Writings“, Journal of the History of Economic Thought 13(2) (1991), S.  184–204; Shlomo Avineri, Hegel’s Theory of the Modern State (Cambridge: Cambridge University Press, 1972), S. 146 f.; für Diskussionen hierzu vgl. Peter G. Stillman, „Hegel’s Civil Society: A Locus of Freedom“, Polity XII(4) (1980), S. 622–646. 110 GPR § 199, vgl. Hotho, S. 581, 614 f., wo dies als eine „wunderbare Verwicklung und Vermittlung“ (S. 615) bezeichnet wird. 111 GPR § 191 und § 196; Enz § 525; vgl. Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of „Civil Society“, Kap. VI, für eine Diskussion der Ähnlichkeiten zwischen Smiths und Hegels Darstellung der Arbeitsteilung. 112 PR § 198, Griesheim, S. 486, S. 504, Hotho, S. 568, S, 587 f., vgl. Henderson und Davis, „Adam Smith’s Influence on Hegel’s Philosophical Writings“, in Journal of the History of Economic Thought 13(2) (1991), S. 189. 113 GPR § 200. 114 GPR § 289, vgl. auch Griesheim, S. 495. 115 Enz § 533.

3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft | 99

Einfluss der sich ständig ändernden Moden und Launen bringe Unsicherheit für diejenigen, die die Güter produzierten. Diese Unsicherheit resultiere aus „der Veränderlichkeit der Wünsche selbst“, aus „lokalen Gegebenheiten“, „Irrtümern und Täuschungen“ sowie aus der „bedingten Fähigkeit der Individuen“, einen Platz zu finden, an dem sie am Produktionsprozess teilnehmen und einen Teil des produzierten Reichtums erwerben könnten.116 Zum Beispiel könnten Veränderungen in der Mode „ganze Zweige der Industrie“ in den Bankrott stürzen; „diese ganze Menge [ist] der Armut, die sich nicht helfen kann, preisgegeben“.117 Durch die internationale Arbeitsteilung hänge das Schicksal der Menschen von Faktoren ab, die sie nicht kontrollieren könnten; sie befänden sich in einer „blinden Abhängigkeit“ und seien einer kraftvollen Dynamik ausgesetzt, die ihr Leben umstürzen könne.118 In den Jenaer Manuskripten nennt Hegel die Tauschwirtschaft „in einem großen Volk ein ungeheures System von Gemeinschaftlichkeit und gegenseitiger Abhängigkeit, ein sich in sich bewegendes Leben der Toten, das in seiner Bewegung blind und elementarisch sich hin und herbewegt und als ein wildes Tier einer beständigen strengen Beherrschung und Bezähmung bedarf.“119

In der Philosophie des Rechts sind die Formulierungen zwar weniger drastisch, aber die Diagnose ist im Wesentlichen die gleiche: Wenn den Interessen des Einzelnen freie Hand gelassen werde, gefährdeten „zufällige Launen und subjektive[s] Belieben“ die Menschen und machten die Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu einer Frage zufälliger Umstände.120 Dadurch böte die bürgerliche Gesellschaft „ein Schauspiel ebenso der Ausschweifung, des Elends und des beiden gemeinschaftlichen physischen und sittlichen Verderbens“.121 Das größte Problem der Hegelschen Marktwirtschaft bestehe darin, dass diejenigen, die in die Arbeitslosigkeit fallen, sich nicht mehr aus ihr befreien könnten. Sie würden zu einem „Pöbel“, der sich im Zustand innerer Empörung gegen die Gesellschaft befinde.122 Während Hegel also die Idee übernimmt, dass Menschen durch die Teilnahme am Markt unbeabsichtigterweise den Interessen anderer dienen können, bestreitet er, dass dadurch den Interessen aller 116 Enz § 533. 117 Jenenser Realphilosophie II, S. 232. 118 Jenenser Realphilosophie I, S. 248, vgl. Norbert Waszek, „The Division of Labor: From the Scottish Enlightenment to Hegel“, in Owl of Minerva 15 (1983), S. 51–75, hier S. 66 f. 119 G. W. F. Hegel, Jenaer Systementwürfe I, Das System der Spekulativen Philosophie. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1986. Neu hrsg. von Klaus Düsing und Heinz Kimmerle, S. 230. 120 GPR § 185. 121 GPR § 185. 122 GPR § 240 ff.

100 | 3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“

gedient würde: Die Armen seien nicht in der Lage, die „weiteren Freiheiten und besonders [die] geistigen Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft“ zu genießen.123 Selbst diejenigen, die im Berufsleben blieben, müssten möglicherweise erleben, dass die unvorhersehbaren Schwankungen des freien Marktes es ihnen erschwerten, ihr Leben rational zu planen.124 Für Hegel ist die ökonomische Sphäre nicht so harmonisch wie für Smith; sie gleiche viel stärker Steuarts Metapher von einer Uhr, die „ständig falsch geht“.125 Doch selbst diese Charakterisierung scheint noch zu positiv für den von Hegel beschriebenen dionysischen, chaotischen Prozess, der ein „Wimmeln von Willkühren“ ist, wie er es in einer Vorlesung formuliert,126 und wo „die Wellen aller Zufälligkeiten des Glücks und Unglücks, der Leidenschaften ausströmen“, wie er in einer anderen Vorlesung beschreibt.127 Seine Darstellung des Arbeitsmarktes und insbesondere der Schwierigkeit, genug Arbeit für alle bereitzustellen,128 impliziert, dass die Marktwirtschaft nicht endlos wächst, sondern dass sie an eine Obergrenze stößt, die den Kampf um alles, was innerhalb dieser Grenzen erworben werden kann, verschärft. Die Nachrichten über massenhafte Verarmung, insbesondere in London,129 die Hegel aus englischen Zeitungen und Zeitschriften zusammengetragen hat, spielten sicherlich eine wichtige Rolle bei der Herausbildung seiner Positionen.130 Er könnte auch durch die ersten kritischen Stimmen von Autoren wie 123 GPR § 243, vgl. auch Avineri, Hegel’s Theory of the Modern State, S. 148. Die Darstellung von Axel Honneth (Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit (Berlin: Suhrkamp, 2011), S. 317 ff.) wird der Tatsache nicht gerecht, dass, soweit es eine Übereinstimmung der Interessen auf dem Markt gibt, dies ohne Absicht geschieht: Ich kaufe mein Brot nicht beim Bäcker, weil ich seine Freiheit fördern will, sondern weil es meinem Interesse dient  – seinem dient es zufälligerweise auch. Honneths Darstellung des Marktes ist viel harmonischer und „eingebetteter“ als die von Hegel. 124 Vgl. insbesondere Schmidt am Busch, Hegels Begriff der Arbeit, S. 78 ff. 125 Sir James Steuart, An Inquiry into the Principles of Political Economy, 1767, hrsg. von Andrew S. Skinner (Edinburgh/London: Oliver & Boyd, 1966), S. 217. 126 Griesheim, S. 487. 127 Hotho, S. 567. 128 GPR § 242 ff., vgl. auch Kap. 5.3 dieses Buches. 129 Vgl. Griesheim, S. 494: „In London, in dieser unendlich reichen Stadt ist die Noth, das Elend, die Armuth, so schauderhaft groß, wie wir gar keine Vorstellung davon haben.“ Vgl. auch Hotho, S. 599. 130 Vgl. Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, S.  59 f. und S.  85. Zu Hegels Lektüre englischer Zeitungen und Journale, siehe auch M. J. Petry, „Propaganda and Analysis: The Background to Hegel’s Article on the English Reform Bill“, in Z. A. Pelczynski (Hrsg.), The State and Civil Society: Studies in Hegel’s Political Philosophy (Cambridge: Cambridge University Press, 1984), S. 137–158. Wie Petry darlegt, war eine von Hegels wichtigsten Quellen der Morning Chronicle, der von Mitgliedern der utilitaristischen Bewegung herausgegeben wurde. Die Zeitung hatte die Tendenz, die Entwicklun-

3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft | 101

Jean Charles Léonard de Sismondi und Thomas Malthus beeinflusst worden sein, die den frühen Optimismus der „politischen Ökonomie“ hinterfragten.131 Auf jeden Fall hat sich Hegel, als er die Idee übernahm, dass das Eigeninteresse dem öffentlichen Wohl dienen könne, nicht auf Smiths Argumente (oder die­ jenigen anderer Autoren) darüber gestützt, wie genau der Markt sich selbst regulieren solle. In der Philosophie des Rechts oder in den Jenaer Vorlesungen gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass sich Hegel die Idee, dass sich der Marktpreis durch die Regulation individuellen Verhaltens auf eine Anpassung von Angebot und Nachfrage zubewege, zu eigen gemacht hätte.132 Insbesondere hat er, wie wir in Kapitel 5 noch genauer sehen werden, keine detaillierte Theorie darüber, wie der durch eine freie Marktwirtschaft geschaffene Reichtum an alle Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden könnte, vielmehr geht er davon aus, dass die Armen oft nicht in der Lage seien, sich aus ihrem Elend zu befreien. Die Vorstellung von Smith, das Wachstum der Wirtschaft werde den Wohlstand aller vergrößern, fehlt in Hegels Sichtweise der modernen Wirtschaft.133 Ebensowenig findet man bei ihm eine Erörterung der Rolle der Kapitalakkumulation für das Wirtschaftswachstum.134 Bedenkt man, wie problematisch der Markt für Hegel ist, so überrascht es nicht, dass er, mit mehr Nachdruck als Smith, auf Institutionen besteht, die die

gen so darzustellen, dass sie „zur Schaffung des allgemeinen Eindrucks einer bevorstehenden Revolution“ (S.  153) beitrugen, um auf Reformen zu drängen. Daher könnte Hegel einen ziemlich dramatisch zugespitzten Eindruck von der Situation in England bekommen haben. 131 Douglas Moggach argumentiert zum Beispiel dafür, dass Hegel von Sismondis Ansichten über die Notwendigkeit von Marktregulierung beeinflusst worden sein könnte („Introduction: Hegelianism, Republicanism, and Modernity“, in Douglas Moggach (Hrsg.), The New Hegelians: Politics and Philosophy in the Hegelian School (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), S. 1–23, hier S. 19). Priddat (Hegel als Ökonom, S. 68 ff.) spekuliert, dass Hegel die Argumente von Malthus über wiederkehrende Überbevölkerungskrisen aufgegriffen haben könnte. Es gibt allerdings für keinen dieser Einflüsse einen direkten Beleg. 132 In den von Griesheim herausgegebenen Vorlesungen (S. 597) stellt Hegel fest, dass in England die gesamte Besteuerung von Lebensmitteln abgeschafft worden sei und die Preisgestaltung „den Bäckern, Brauern usw.“ überlassen werde – wobei es sich offensichtlich um eine Anspielung auf das berühmte Zitat von Smith handelt – in der Hoffnung, dass die Konkurrenz im Allgemeinen zu einem niedrigen Preis führen würde. Hegel steht dem skeptisch gegenüber; er behauptet, es sei teuer und kompliziert, die Qualität von Lebensmitteln zu überprüfen, und daher sei eine Überwachung des Marktes erforderlich. 133 Vgl. Priddat, Hegel als Ökonom, S. 52. Priddat bestreitet daher zu Recht die Angemessenheit der Aussage von Marx, dass Hegel auf der Höhe der Wirtschaftstheorie seiner Zeit gestanden habe, und er betont den Einfluss des deutschen (und nicht des britischen) Wirtschaftsdenkens, mit dem Hegel besser vertraut gewesen sei. 134 Vgl. Priddat, Hegel als Ökonom, S. 26, S. 152.

102 | 3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“

Marktergebnisse begrenzen und korrigieren, indem er zusätzliche Elemente der „Allgemeinheit“ in die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft einführt. In der anfänglichen Beschreibung der bürgerlichen Gesellschaft spricht Hegel von „einer äußerlichen Ordnung für ihre [der Bürger] besonderen und gemeinsamen Interessen“,135 und wie in der anschließenden Darstellung deutlich wird, sind die Elemente dieser äußerlichen Ordnung – zusätzlich zu der bereits erwähnten Rechtspflege – die Polizei und die Korporationen. Hegel beschreibt die „Polizei“ als eine öffentliche Behörde in der Sphäre des Marktes: „Die polizeiliche Aufsicht und Vorsorge hat den Zweck die Individuen mit der allgemeinen Möglichkeit zu vermitteln …“136. Als solche habe sie zwei wesentliche Funktionen: erstens, „[zufällige Hindernisse] gegen den einen oder anderen Zweck“ aufzuheben sowie „die ungestörte Sicherheit der Person und des Eigentums“ zu bewirken, und zweitens „die Sicherung der Subsistenz und des Wohls der Einzelnen“ zu verwirklichen, das heißt die schlimmsten Formen von Armut zu bekämpfen.137 Die Maßnahmen, mit denen diese Ziele erreicht werden, umfassten die Überwachung des Marktes durch „Mittel und Veranstaltungen“, die dem „gemeinschaftlichen Gebrauch“138 dienen könnten, die Schlichtung von Streitigkeiten, die durch die „unterschiedlichen Interessen der Produzenten und Konsumenten“ verursacht würden, die Überwachung „großer Industriezweige“, die besonders „von auswärtigen Umständen“ abhängig seien, und, unter außergewöhnlichen Umständen, die Festsetzung von Preisen für Artikel der „gemeinsten Lebensbedürfnisse“.139 Die „Korporationen“, also die Berufsverbände derer, die im gleichen Indus­trie­ zweig arbeiten, sind das zweite Instrument zur Überwindung der „Besonderheit“ der bürgerlichen Gesellschaft.140 Sie böten einen Ort, an dem Individuen mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten „einem Ganzen“ angehörten, und jeder Mensch „seine Anerkennung“ erreichen könne, die seiner „Standesehre“ gebühre.141 Die 135 GPR § 157. 136 Hotho, 694. 137 GPR § 230. 138 GPR § 235. 139 GPR § 236, für eine Diskussion vgl. Raymond Plant, „Economic and Social Integration in Hegel’s Political Philosophy“, in Donald Phillip Verene (Hrsg.), Hegel’s Social and ­Political Thought (New Jersey: Humanities Press, 1980), S. 59–90, hier S. 78. 140 GPR § 250, vgl. Griesheim, S. 588 ff. sowie Hotho, S. 709 ff. Schmidt am Busch („‚Anerkennung‘ als Prinzip der kritischen Theorie“, S. 233 f.) weist zu Recht darauf hin, dass Hegel keine konkrete historische Institution vor Augen zu haben scheint; er verwendet andere Begriffe, darunter den Begriff „Gemeinde“ für eine lokale (keine berufliche) Gemeinschaft. 141 GPR § 253, für eine Diskussion vgl. zum Beispiel Michael Wolff, „Hegel’s Organicist Theory of the State: On the Concept and Method of Hegel’s „Science of the State““, in Robert

3.4 Hegels Darstellung der Marktgesellschaft | 103

Korporationen seien eine „zweite Familie“ in der Zivilgesellschaft, deren „Sohn“ der Einzelne geworden sei.142 Wenn die Mitglieder einer Korporation in Not gerieten, würden sie von den reicheren Mitgliedern unterstützt, ohne das „Zufällige“ und „Demütigende“, das private Wohltätigkeit außerhalb dieses sozialen Kontextes habe. Die Korporationen böten somit soziale Absicherung.143 Hegel merkt jedoch an, dass sie unter der „höheren Aufsicht des Staates“ stehen müssten, da sie ansonsten „verknöchern, sich in sich verhausen und zu einem elenden Zunftwesen herabsinken“ würden.144 Der Hegelianische Arbeitsmarkt ist also durch das System der Korporationen ziemlich streng reguliert. Es ist allerdings nicht ganz klar, wie diese Strukturen parallel zu der wirtschaftlichen Freiheit in anderen Teilen der Wirtschaft bestehen können. Wie Schmidt am Busch darlegt, möchte Hegel die Produktion nach den Prinzipien der Korporationen organisieren, sodass der freie Markt nur im Bereich der Zirkulation (im Marxschen Sinne) herrschen kann.145 Die Frage ist jedoch, ob ein derartiges gemischtes System realisierbar wäre. Es könnte entweder bedeuten, dass Waren und Dienstleistungen nur von den Korporationen produziert würden – dann würde sich allerdings die Frage stellen, ob dies noch eine freie Marktwirtschaft wäre. Oder es könnte bedeuten, dass es auch andere Wirtschaftsakteure geben könnte – dann wäre der Markt wirklich frei, aber es wäre eine offene Frage, ob die Korporationen mit diesen anderen Akteuren konkurrieren könnten.146 Es scheint, dass Hegel der Wirtschaft keine wirkliche Freiheit zugestehen will, jedenfalls nicht in einer Weise, die auf wirtschaftlichem Wachstum durch Kapitalakkumulation aufbauen würde. Sein Schwerpunkt liegt eher auf der Verteilung von Arbeit und dem zum Leben Notwendigen, sowie auf Fragen der „Ehre“ der Einzelnen in den Korporationen; er setzt nicht auf Arbeit als einem fungiblen Produktionsfaktor.147 Wie wir sehen werden, spielt dies eine wichtige Rolle dafür, wie sein Verständnis des Marktes mit Fragen der Identität und Gerechtigkeit zusammenhängt. Hegel macht deutlich, dass die Institutionen, die den Markt kontrollieren – Polizei, Korporationen und Rechtspflege – nicht Teil des eigentlichen Staates sind, sondern nur einer besonderen Art von Staat: Pippin und Otfried Höffe (Hrsg.), Hegel on Ethics and Politics (Cambridge: Cambridge University Press, 2004), S. 291–322. 142 GPR § 238, § 252. 143 GPR § 253, vgl. Schmidt am Busch, Hegels Begriff der Arbeit, S. 148 f. 144 GPR § 255 Z. 145 Schmidt am Busch, Hegels Begriff der Arbeit, S. 139 ff. 146 Schmidt am Busch, Hegels Begriff der Arbeit, S. 150 ff. 147 Vgl. auch Priddat, Hegel als Ökonom, S. 189 ff.

104 | 3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“

Man kann dieses System zunächst als den äußeren Staat, – Not- und Verstandesstaat ansehen.148

Für Hegel reichen die Institutionen, die ein reibungsloseres Funktionieren des Marktes ermöglichen – die alle Zwangsfunktionen ausüben149 – nicht aus, um den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu gewährleisten und den Markt in ein soziales Ganzes einzubetten. Dazu sei der wahre Staat notwendig, die „Wirklichkeit der sittlichen Idee“.150 Er sei der Ort, an dem „die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt“;151 als solcher sei er mehr als eine vertragliche Einheit, die auf den privaten Interessen der Individuen beruhen würde.152 Hegel ist hier ein guter Aristoteliker: Es sei ein telos der Menschen, (auch) ein politisches Leben zu führen und Teil einer Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Verständnis von gut und böse, gerecht und ungerecht, zu sein.153 Der Hegelschen Staatsidee wurde viel Hohn und Spott zuteil, ihre zentrale Idee ist jedoch sehr einfach: Es muss eine Ebene der gesellschaftlichen Einheit geben, die über die instrumentellen Bindungen der ökonomischen Sphäre und der Institutionen, die sie durch Zwang stabilisieren, hinausgeht. In Kapitel 6 werde ich eine Rekonstruktion von Hegels Begriff des Staates diskutieren, die die Bedeutung dieser Einsicht für die zeitgenössische politische Theorie veranschaulicht. Selbst wenn Hegels Staat vielleicht letztlich auf metaphysischen Fundamenten beruhen mag, können wir aus seinen Diskussionen entscheidende Einsichten über die Notwendigkeit politischer Kräfte gewinnen, die die Dynamik der Wirtschaftswelt im Gleichgewicht halten. In jedem Fall ist Hegels Darstellung angesichts seiner Vorstellung vom Markt, die uns ein chaotisches, dionysisches Kräftespiel vor Augen führt, das einigen Personen zu unermesslichen Reichtümern verhilft, während es andere in verzweifelte Armut stürzt, durchaus verständlich. Dieses Kräftespiel unterwirft alle Menschen der Unsicherheit und Unberechenbarkeit einer Wirtschaft, in der alles mit allem verbunden ist. Kaum jemand kann dieses Durcheinander von Phänomenen überblicken, geschweige denn kontrollieren. Für Hegel ist die politische Einheit des Staates eine Gegenkraft zu dieser 148 GPR § 183. 149 Vgl. Alan W. Wood, „Hegel’s Ethics“, in Frederick C. Beiser (Hrsg.) The Cambridge Companion to Hegel (New York: Cambridge University Press, 1993), S. 211–233, hier S. 230 f. 150 GPR § 257. 151 GPR § 258, vgl. Kap. 6.4 dieses Buches. 152 Für eine Diskussion von Hegels Kritik der Vertragstheorie siehe zum Beispiel Patten, Hegel’s Idea of Freedom, Kap. IV. 153 Aristoteles, Politik. Schriften zur Staatstheorie, Band 8522 (Stuttgart: Reclam, 2010), 1253a; vgl. zum Beispiel Ritter, Hegel and the French Revolution, S. 48 f.

3.5 Schluss: Die Modernität des Marktes | 105

zentrifugalen Wirtschaft, die viele der Probleme behebt, die die Wirtschaft schafft, obwohl offenbleibt, ob sie alle beheben kann.

3.5 Schluss: Die Modernität des Marktes Angesichts all der Probleme des freien Marktes, die Hegel analysiert, mag man sich fragen, warum er ihn überhaupt befürwortet. Warum plädiert er nicht für die Rückkehr zu einer vormodernen, stärker eingebetteten Form des Wirtschaftslebens? Hegel befürwortet tatsächlich eine viel stärkere Regulierung des Marktes als Smith. Birger Priddat behauptet, dass die Hegelsche Wirtschaft in ihrem Kern eine „arbeitsteilige Tauschwirtschaft ist, die auf der Arbeitsteilung beruht, ein aristotelisches, durch den deutschen Kameralismus transformiertes Modell“.154 Doch obwohl, wie Priddat zu Recht betont, bei Hegel eine Erörterung dessen, was man später makroökonomische Phänomene nennen sollte, fehlt, und obwohl er für eine starke Kontrolle des Arbeitsmarktes durch die Korporationen ist, spricht er sich gegen eine vollständige Regulierung der wirtschaftlichen Aktivitäten und eine Unterdrückung der internen Dynamik der Marktsphäre aus. Im Gegensatz zu Smith ist es für Hegel nicht möglich – und er versucht es auch nie –, von seinen vorteilhaften Folgen her für den Markt zu argumentieren.155 Geschichte ist für Hegel nicht der Fortschritt des Wohlstandes, sondern der „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“;156 und in diesem Licht sieht er auch den Markt. Er befürwortet ihn um der Verwirklichung der subjektiven Freiheit willen, der spezifischen Form der Freiheit in modernen Gesellschaften. Sie bietet dem Einzelnen einen Bereich, in dem er nach Belieben handeln kann: als eigenständiges Individuum, nicht eingeschränkt durch Regeln und Vorschriften, und ebenso wenig durch gesellschaftliche Erwartungen und Zwänge.157 Dies ist möglich, weil den Einzelnen Eigentumsrechte

154 Priddat, Hegel als Ökonom, S. 27. 155 Der einzige Weg, wie Hegel ein derartiges Argument zusammensetzen könnte, wäre, dafür zu argumentieren, dass die Armen durch die Umverteilungsmaßnahmen der Polizei und der Korporationen immer noch besser gestellt seien als im Feudalismus oder in jeder anderen Wirtschaftsordnung. Doch seine Überlegungen zur Armut, nämlich dass diese weniger mit der absoluten Höhe des Einkommens als vielmehr mit der sozialen Anerkennung und der Art des Einkommens, das man erhält, zusammenhänge, würden ihm dies erschweren (vgl. auch Kap. 5.3 dieses Buches). 156 Hegel, Werke Bd. 12, Einleitung, S. 32; vgl. auch S. 77.

106 | 3 Hegels Konstruktion des Marktes: Die „Reste des Naturzustandes“

und wirtschaftliche Freiheiten zugestanden werden. Als Folge davon können sie mit anderen Individuen Verträge abschließen, und so entsteht ein Markt. Diese Tauschwirtschaft kann zu wirtschaftlichem Wachstum führen, aber dieser Punkt ist für Hegel nicht entscheidend. Das ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass der Markt trotz seiner höheren Produktivität nicht  – wie bei Smith  – die Situation aller Individuen verbessert. Worauf es wirklich ankommt, ist, dass die wirtschaftliche Sphäre einen Bereich bietet, in dem sich die „Besonderheit“ der Individuen, ihre unterschiedlichen Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte, entwickeln können, und in dem durch die Wahl der Konsum­g üter und des Berufes unterschiedliche Lebensweisen verfolgt werden können. Dies ist spezifisch für moderne Gesellschaften: Das Recht der Besonderheit des Subjekts, sich befriedigt zu finden, oder, was dasselbe ist, das Recht der subjektiven Freiheit, macht den Wendeund Mittelpunkt in dem Unterschiede des Altertums und der modernen Zeit. Dies Recht in seiner Unendlichkeit ist im Christentum ausgesprochen und zum allgemeinen wirklichen Prinzip einer neuen Form der Welt gemacht worden.158

Die moderne Wirtschaft ist eine der Formen, in denen diese subjektive Freiheit ihren Ausdruck findet: Hier werden die Menschen von der Unterordnung unter die Feudalherren und, allgemeiner, von der Macht der Tradition befreit. Hegel nennt die „politische Ökonomie“ daher „eine der Wissenschaften, die aus den Bedingungen der modernen Welt entstanden sind.“159 Aus der Perspektive der antiken Staaten, insbesondere der griechischen Polis, erschien das Prinzip der subjektiven Freiheit als „Korruption“, als etwas „Feindliches“ für das gesellschaftliche Ganze.160 Statt sich naiv nach einer Rückkehr zur griechischen Polis zu sehnen, lehnt der reife Hegel die Polis aufgrund ihrer Gleichgültigkeit gegenüber dem Individuum ab.161 Nur der moderne Staat besitze die Kraft, dieses Prinzip zuzulassen und ihm einen Ort zu geben, an dem es das gesellschaftliche Ganze nicht bedrohe.162

157 Vgl. insbesondere Ritter, Hegel und die Französische Revolution. Wie er darlegt, sind für Hegel die Reformation, der Aufstieg des Kapitalismus und die Französische Revolution drei wichtige Entwicklungen der Moderne. 158 GPR § 124, vgl. auch GPR § 62, § 185, Enz § 552. 159 GPR § 189. 160 Vgl. GPR § 185 und § 206; vgl. auch Hotho, S. 577. 161 Vgl. Avineri, Hegel’s Theory of the Modern State, S. 92. 162 Vgl. GPR § 260.

3.5 Schluss: Die Modernität des Marktes | 107

Wie wir in den folgenden Kapiteln noch sehen werden, ist es angesichts der Charakterisierung des Marktes durch Hegel und aufgrund seiner verschiedenen Mängel und Schwächen tatsächlich plausibel, dass eine politische Sphäre, wie er sie sich vorstellt, notwendig ist. Die Frage ist natürlich, wie erfolgreich diese Vermittlung ist  – ob Hegel „den Kuchen aufessen und behalten“ kann. Hegel versucht in gewisser Weise, Smith und Steuart ineinander „aufzuheben“,163 den freien Markt und seine Kontrolle durch gesellschaftliche und politische Institutionen. Der Markt wird wegen der individuellen Freiheit, die er mit sich bringt, wertgeschätzt; doch er muss vom Staat begrenzt und kontrolliert werden, da er ansonsten die Gesellschaft, in der er existiert, sprengen würde. Ob dies funktionieren kann, ist eine offene Frage, insbesondere im Hinblick auf das Problem der Armut, wie später noch ausführlich erörtert wird.164 Es sollte jedoch bereits klar geworden sein, dass der freie Markt für Hegel kein Problemlöser ist, wie bei Smith, sondern eine Sphäre, die Probleme schafft  – und dennoch muss er zugleich Teil einer freien modernen Gesellschaft sein. Für Hegel ist dies eine Herausforderung, die jede politische Philosophie, die den Anspruch erhebt, sich mit der modernen Gesellschaft zu befassen, annehmen muss. Bei Hegel haben wir also ein zweites Modell, wie der Markt und sein Platz in der Gesellschaft begrifflich erfasst werden können. Hegel ist nicht nur der Denker des „politischen Staates“ und noch viel weniger ein Denker des „autoritären“ Staates. Die Grundlinien der Philosophie des Rechts enthalten tiefgreifende und weitreichende Überlegungen darüber, wie die verschiedenen Bereiche einer freiheitlichen Gesellschaft zusammenhängen. In diesem Sinne ist ihre systematische Ebene die gleiche wie in den verschiedenen Büchern von Smith – der Theorie der ethischen Gefühle, dem Wohlstand der Nationen und den Vorlesungen über Rechtswissenschaften  – zusammengenommen.165 Das macht den Vergleich von Smith und Hegel so geeignet dafür, über das Verhältnis des Marktes zu anderen Sphären, Prinzipien und Werten nachzudenken. Dieser Aufgabe sind die folgenden Kapitel gewidmet.

163 Die „Aufhebung“ von Steuart wurde von Chamley („Les origines de la pensée économique de Hegel“, S. 255) vorgeschlagen, die von Smith von Avineri (Hegel’s Theory of the Modern State, S. 147). Über Hegels Verhältnis zu Steuart und Smith siehe auch Waszek (The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of „Civil Society“, S. 186 f.). 164 Siehe Abschnitt 5.3 dieses Buches. 165 Vgl. auch Jerry Muller, The Mind and the Market. Capitalism in Western Thought (New York: Anchor Books, 2002), S. 140.

4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft 4.1 Einleitung

I

n der politischen Theorie der letzten Jahrzehnte ist die alte Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft erneut aufgeworfen worden: Sie war einer der Streitpunkte in der sogenannten „liberal-kommunitären“ Debatte. Michael Sandel prägte in seiner Kritik am „prozeduralen“ Liberalismus von Rawls und anderen Theoretikern den Begriff des „ungebundenen Selbst“: eines Selbst, das keine „konstitutiven Ziele“ verfolge, das allen Verpflichtungen, Beziehungen und Wünschen vorausgehe, von ihnen getrennt sei und frei zwischen ihnen wähle.1 Sandel hält dies für eine unrealistische und sogar gefährliche Grundlage politischer Theorien. Er schlägt stattdessen einen Ansatz vor, demzufolge der Mensch auf konstitutive Weise durch soziale Bindungen geprägt werde. Diese Debatte betraf zentrale Grundannahmen der liberalen politischen Theorie, und es gab zahlreiche Versuche, zwischen den Positionen von Rawls und Sandel zu vermitteln.2 Dennoch bleibt die Frage nach der sozialen Einbettung des modernen Selbst relevant: sowohl für Fragen des realen Lebens als auch für die politische Philosophie. Häufig findet man in Diskussionen über dieses Thema den impliziten oder expliziten Verdacht, dass die „Ungebundenheit“ des modernen Selbst und der Rückgang des sozialen Zusammenhalts etwas mit den wirtschaftlichen Kräften und der Macht eines immer ­dominanter werdenden Marktes zu tun hätten. Dieses Kapitel geht auf diese Befürchtungen 1 Michael Sandel, „The Procedural Republic and the Unencumbered Self“, Political Theory 12(1) (1984), S. 81–96. Ich verwende Sandel als Beispiel für diese Art von Kritik; ähnliche Argumente sind von marxistischen Denkern schon viel früher vorgebracht worden; zum Beispiel argumentierte Max Horkheimer dafür, dass in der liberalen Gesellschaft der vorherrschende moralische Typus der „Monade“ von Leibniz’ Metaphysik entspreche (Zur Kritik der instrumentellen Vernunft und Notizen 1949–1969 (Frankfurt am Main: Fischer, 1991), S. 145). 2 Vgl. zum Beispiel Charles Taylor, „Cross purposes: The Liberal–Communitarian Debate“, in Nancy Rosenblum (Hrsg.), Liberalism and the Moral Life (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1989), S. 159–182.

4.1 Einleitung | 109

ein und diskutiert die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft sowie die Frage der sozialen Einbettung im Hinblick auf die unterschiedlichen Auffassungen des Markts bei Smith und Hegel. Auf den ersten Blick mag es scheinen, als stellten Smith und Hegel prototypisch die Extrempositionen in dieser Debatte dar. Smith, als „Vater“ der Wirtschaftswissenschaften, wird oft als Erfinder des „homo oeconomicus“ ange­ sehen, der ein Paradigma des „atomistischen“ Selbst ist, das, frei von jeder Verpflichtung, strategisch zwischen verschiedenen Optionen wählt. Hegel dagegen, dem Denker des Geistes, schreibt man oft das zu, was Christopher Berry als ein „kontextualistisches“ Bild des Individuums bezeichnet: Ein Verständnis vom Menschen als tief in der Sprache und Kultur seiner Zeit verwurzelt und auf organische Weise mit dem Ganzen der Gesellschaft verbunden, sodass nicht einmal eine vollständige begriffliche Trennung zwischen dem Wesen des Menschen und der Gesellschaft möglich ist.3 Angesichts der Bedeutung, die Familie, Korporationen und der Staat für Hegel haben, wird er häufig als Vorläufer des Kommunitarismus gesehen.4 Dieses Kapitel stellt ein solches Verständnis infrage. Wie ich zeigen werde, sehen sowohl Smith als auch Hegel das menschliche Selbst als durch die Interaktion mit anderen geformt. Sie konzipieren jedoch auch soziale Bereiche, in denen Individuen auf mehr oder weniger „atomistische“ Weise agieren. In den Klischees über sie steckt allerdings ein Kern von Wahrheit, der deutlich wird, wenn man fragt, wie die Interaktionen auf dem Markt die Identität der Individuen und ihre Beziehungen zur Gesellschaft beeinflussen. In Marktgesellschaften müssen Menschen miteinander in Tauschbeziehungen treten. Sie müssen Waren, Geld und ihre Arbeitskraft anbieten, was in gewisser Weise bedeutet, dass sie sich selbst verkaufen müssen. Die Frage ist also, wie dieser Verkauf ihres Selbst die Identität der Menschen sowie ihr Verhältnis zur Gesellschaft beeinflusst. Wie wir sehen werden, unterscheiden sich Smith und Hegel darin, wie sie diese Beziehung zwischen dem Selbst und dem, was es auf dem Arbeitsmarkt anbietet, konzipieren. Während Smith avant la lettre eine Theorie des „Humankapitals“ entwickelt, wird bei Hegel der Mensch durch seine berufliche Tätigkeit auf viel tiefergehende Weise erzogen und geformt. 3 Christopher Berry, Hume, Hegel, and Human Nature (Den Haag: M. Nijhoff, 1982), insbesondere S. 25, 36 und 148. Berry betont die Bedeutung Herders und der Romantik im Allgemeinen für diese organischen Modelle (S. 31 ff.). 4 Oder zumindest als politischer Kommunitarist, der sich einen rein wirtschaftlichen Liberalismus zu eigen macht, siehe zum Beispiel Mark R. Greer, „Individuality and the Economic Order in Hegel’s Philosophy of Right“, The European Journal of the History of Economic Thought 6(4) (1999), S. 552–580.

110 | 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft

Seine Identität sowie die Anerkennung, die er von anderen erhält, werden durch sie beeinflusst. Interessanterweise passen diese beiden Modelle recht gut zu verschiedenen von der Wirtschaftssoziologie untersuchten „Spielarten des Kapitalismus“. Wenn man diese Komplexität berücksichtigt, wirkt sich das darauf aus, wie die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft begrifflich gefasst werden kann. Das soll am Ende dieses Kapitels zusammenfassend erörtert werden. Wie sich zeigen wird, muss man nicht nur verschiedene Grade, sondern auch verschiedene Arten der Einbettung unterscheiden. Es ist von entscheidender Bedeutung, diese verschiedenen Dimensionen der Einbettung zu erkennen, um die ansonsten relativ unfruchtbare Diskussion um den Gegensatz von Individualismus und Kommunitarismus in der zeitgenössischen politischen Philosophie konstruktiver zu führen.

4.2 Das soziale Selbst In der Geschichte der Philosophie lässt sich der Gegensatz zwischen einer sozialen und einer atomistischen Auffassung der menschlichen Natur anhand der Positionen von Aristoteles einerseits und Hobbes oder dem frühen Rousseau andererseits veranschaulichen. Für Aristoteles können nur Tiere oder Götter ohne Gemeinschaft leben; die Menschen müssen „Teile [eines] Staates“5 sein. Für den stark von Hobbes geprägten Rousseau des Zweiten Diskurses wird das Ideal der menschlichen Natur dagegen durch das Bild des einsamen Wilden in einem frühen Naturzustand verkörpert. Damals sei der Mensch gesünder und unschuldiger gewesen, gesegnet mit einer „himmlischen und majestätischen Einfachheit“6, während er, „indem er vergesellschaftet und zum Sklaven wird, […] er schwach, furchtsam [und] kriecherich wird, und seine verweichlichte und weibische Lebensweise schwächt schließlich zugleich seine Kraft und seinen Mut.“7 Smith und Hegel stehen in diesem Streit klar auf der Seite von Aristoteles: Der Mensch kann für sie nur in der Gesellschaft als Mensch existieren. Dies gilt nicht nur in pragmatischer Hinsicht, insofern er mit anderen kooperieren muss, um in Sicherheit leben und sich die Notwendigkeiten des Lebens 5 Aristoteles, Politik, 1253a27. 6 Jean-Jacques Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, hrsg. und übers. von Philipp Rippel (Ditzingen: Reclam, 1998), S. 21. 7 Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, S. 42.

4.2 Das soziale Selbst | 111

besorgen zu können, sondern auch in einem ontologischen Sinne: Die Einzelnen könnten außerhalb der Gesellschaft das, was an der menschlichen Natur wesentlich ist, nicht realisieren. Im Fall von Smith mag dies überraschen. Ökonominnen und ökonomisch ausgerichtete Philosophen arbeiten häufig mit „Robinsonaden“, also mit dem Szenario, was der einsame Robinson Crusoe – bei dem es sich per definitionem um ein „atomistisches“ Selbst handelt – auf seiner Insel tun würde, und präsentieren dies dann als Idealbild menschlicher Rationalität.8 Es wäre jedoch falsch, diese Sichtweise Smith zuzuschreiben. Mensch zu sein bedeutet für Smith, die Gefühle anderer Menschen durch Mitgefühl („sympathy“) zu teilen, jenes „Mitgefühl [„fellow-feeling“] mit jeder Art von Affekten“,9 das sowohl für den Anteilnehmenden als auch für denjenigen, dem es entgegengebracht wird, angenehm sei.10 Menschen stünden in zahlreichen Beziehungen unterschiedlicher Art und Intensität zueinander. Schon der erste Satz der Theorie macht deutlich, dass der Mensch sich aufrichtig für andere interessiere: Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glück­ seligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.11

Nur mit Hilfe dieser Beziehungen und durch die Spiegelung der eigenen Gefühle in anderen kann der Mensch Selbstbewusstsein und Selbstbeherrschung entwickeln, die die Voraussetzungen für menschliches Handeln sind. Für Smith könnte ein isolierter Mensch kein Selbstbewusstsein entwickeln, da er sein Bewusstsein stets auf die äußeren „Objekte seiner Leidenschaften“ richten würde. Nur durch den „Spiegel“12 anderer Menschen und deren Sicht auf sie 8 Siehe zum Beispiel Gauthier, Morals By Agreement, S. 90 ff. 9 TMS I.I.1.5 / (TEG S. 8). Das Mitgefühl beruht auf der Fähigkeit, „in der Phantasie“ mit anderen „den Platz zu tauschen“ (TMS I.I.1.3 / (TEG S. 6)); man hat dies mit den „SpiegelNeuronen“ in Verbindung gebracht, die von heutigen Neurowissenschaftlerinnen entdeckt wurden (vgl. zum Beispiel Robert Urquhart, „Adam Smith’s Problems: Individuality and the Paradox of Sympathy“, in Vivienne Brown und Samuel Fleischacker (Hrsg.), The Philosophy of Adam Smith. The Adam Smith Review, 5: Essays Commemorating the 250th Anniversary of The Theory of Moral Sentiments (London/New York: Routledge, 2010), S. 181–197, hier S. 184). 10 Vgl. zum Beispiel TMS I.I.1.2. 11 TMS I.I.1.1. / (TEG S.  5). Vgl. auch seine Ablehnung der Vorstellung, dass Mitgefühl als reines Eigeninteresse aufgefasst werden könnte (VII.II.1.4), seine Kritik an Hobbes (VII.III.1.2 ff.) sowie seine kritische Auseinandersetzung mit Mandeville (VII.II.4.1 ff.). 12 TMS III.I.5 / (TEG S. 181).

112 | 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft

können Menschen sich selbst in den Blick nehmen und eine Haltung gegenüber ihren eigenen Gefühlen entwickeln.13 Der Einzelne kann lernen, sich „gleichsam in zwei Personen“14 zu teilen, um über sein eigenes Verhalten innerhalb der Gesellschaft nachzudenken. Der Blick der anderen ist im Selbst „verinnerlicht“15, und zwar sowohl auf der grundlegenden, formalen Ebene der Fähigkeit, sich überhaupt kritisch auf sich selbst beziehen zu können, als auch auf der Ebene der Inhalte des Bewusstseins, soweit sie von den Ansichten anderer beeinflusst werden.16 Außer dem Selbstbewusstsein erfordert menschliches Handeln Selbstbeherrschung, die für Smith ebenfalls nur in Gesellschaft erworben werden kann. Unter Gleichaltrigen lernen Kinder, dass sie ihre Leidenschaften kontrollieren müssen, um von anderen akzeptiert zu werden. In dieser „großen Schule der Selbstbeherrschung“ lerne das Kind, „nicht nur seinen Zorn, sondern auch all seine anderen Affekte“ zu mäßigen und „mehr und mehr Herr seiner selbst zu werden“.17 Eine solche Selbstbeherrschung sei Voraussetzung dafür, in einer Gemeinschaft zu leben und in ihr verantwortlich zu handeln. Die Gemeinschaft lehre den Menschen jedoch auch, seine Instinkte und Emotionen zu beherrschen.18 Obwohl Smith auch Fälle beschreibt, in denen man mit Handelnden Mitgefühl hat, ohne dass sie es auch nur bemerken, muss der Handelnde in vielen Fällen dazu beitragen, indem er durch Selbstbeherrschung Mitgefühl ermöglicht. Denn da die Gefühle des mitfühlenden Zuschauers niemals so stark seien wie die der ursprünglich betroffenen Person,19 müsse ein Handelnder, der einen starken Affekt empfindet und möchte, dass man Mitgefühl mit ihm verspürt, diesen mäßigen: Aber er kann nur dann hoffen, dies zu erreichen [Mitgefühl zu erlangen], wenn er seinen Affekt auf jenen Grad herabstimmt, bis zu welchem die Zuschauer mitzugehen vermögen. Er muß, wenn ich so sagen darf, die Heftigkeit des Tones dämpfen, den dieser Affekt von Natur aus hat, um

13 TMS III.I.3. 14 TMS III.I.6 / (TEG S. 181). 15 Griswold, Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, S. 107. 16 TMS III.I.3. 17 TMS III.III.22 / (TEG S. 227). Paganelli hat darauf hingewiesen, dass auch Eigeninteresse („Rücksicht auf die eigene Sicherheit“) in diesem Prozess eine Rolle spielt („The Adam Smith Problem in Reverse“, S. 369); für Smith scheint jedoch das Motiv, die Gunst der anderen zu gewinnen, das stärkere zu sein; der Gedanke an Sicherheit ist nur ein nachrangiger. 18 TMS I.I.4.7. 19 TMS I.I.1.2.

4.2 Das soziale Selbst | 113

denselben in Harmonie und Einklang mit den Gefühlen derer zu bringen, die um ihn sind.20

Smith spricht von der „Harmonie“21 der Gefühle in der Gesellschaft, was deutlich macht, dass es nicht um einen vollständigen Gleichklang geht, sondern um ein Einfügen in die Empfindungen des Ganzen. Um daher ein menschliches Individuum im vollen Sinne zu sein, verantwortlich zu handeln und in einer menschlichen Gemeinschaft zu leben, müssen Selbstbewusstsein und Selbstbeherrschung übereinstimmen: durch Mitgefühl nimmt man den Standpunkt der anderen ein, und indem man seine Gefühle bewusst durch Selbstbeherrschung auf ein niedrigeres Niveau dämpft, können andere Anteil daran nehmen.22 Um Kinder zu befähigen, in diesem Sinne zu vollwertigen Menschen zu werden, bedarf es der Erziehung. Dieses Thema ist für Smith, der zwar selbst keine Kinder hatte, doch während eines Großteils seines Lebens als Lehrer und Erzieher tätig war, von großer Bedeutung.23 Er betont, dass es „ein wesentlicher Bestandteil der Erziehung“ sei, [seine] Leidenschaft zu zügeln und [seine] Wünsche auf ein Niveau zu bringen, mit dem [andere] mitgehen können“, und er lobt die Tatsache, dass Kinder so lange von ihren Eltern abhängig seien, und so diese Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit erwerben würden.24 Es ist bezeichnend, dass er staatliches Eingreifen und die Verwendung öffentlicher Mittel für die öffentliche Erziehung für gerechtfertigt hält, um so insbesondere den negativen Auswirkungen der Arbeitsteilung auf die geistige Verfassung der Arbeitenden entgegenzuwirken.25 Dies sei nicht nur aus politischen Gründen wichtig  – weil ein „unterrichtetes und intelligentes“ Volk „stets bescheidener 20 TMS I.I.4.7 / (TEG S. 29). 21 TMS I.I.4.7 / (TEG S. 29). 22 Die sozialisierende Funktion dieses auf Mitgefühl basierenden Prozesses wird insbesondere von Forman-Barzilai in Adam Smith and the Circles of Sympathy, Kap. III und IV, betont. Darin beschreibt sie diese mit Foucaults Konzepten der „Überwachung“ und „Disziplin“ (S. 76 ff.). Irreführend an diesem Vergleich ist allerdings, dass in Foucaults Beschreibung des Panoptikums die Überwachung nicht auf Gegenseitigkeit beruht und mit dem ausdrücklichen Wunsch nach Kontrolle über den anderen ausgeübt wird, während in Smiths Beschreibung die Überwachung in den meisten Fällen auf Gegenseitigkeit beruht und alle Individuen Macht über andere haben, insofern sie ihr Mitgefühl verweigern können. 23 Als Lehrer unterrichtete er Schüler ab einem Alter von vierzehn Jahren (siehe Ross, The Life of Adam Smith, Kap. VIII–X); er unternahm eine Reise, um für den jugendlichen Herzog von Buccleuch die Rolle eines Privatlehrers zu übernehmen (Ross, The Life of Adam Smith, Kap. XIII), und zu einem späteren Zeitpunkt seines Lebens kümmerte er sich um den Sohn eines Cousins, David Douglas (Ross, The Life of Adam Smith, S. 311). 24 LJ (A), S.  142 f. Zum Thema der moralischen Erziehung vgl. auch Abschnitt 6.3 dieses ­Buches. 25 WN V.I.Concl.5.

114 | 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft

und gesitteter“ sei26 –, sondern auch, weil ihr Glück hierbei auf dem Spiel stehe und die Arbeiter andernfalls unfähig zu „freie[n], edle[n] oder zarte[n] Ge­ fühle[n] “27 werden könnten. Eine Verteidigerin der „Robinsonaden“ könnte jedoch antworten, dass dies keinen Einwand gegen ihr Modell darstelle: schließlich handele es sich bei den gerade beschriebenen Personen um Kinder. Sobald sie erwachsen seien, seien sie tatsächlich unabhängig und autonom geworden und könnten als „atomistische“ Individuen denken und handeln. Dies ist jedoch nicht Smiths Auffassung; für ihn spielen die auf Mitgefühl basierenden Verbindungen zwischen Individuen auch während ihres gesamten Erwachsenenlebens eine zentrale Rolle. Wie bereits erwähnt, beschreibt Smith menschliches Mitgefühl und Wohlwollen als konzentrische Kreise, die um uns herum angeordnet seien, und zwar in nach außen absteigender Intensität gegenüber denjenigen, die uns umgäben: die eigene Familie, Freundinnen, Nachbarn und Bekannte. Der Einzelne bleibe sein ganzes Leben lang in diese „Kreise des Mitgefühls“ eingebettet. Smith ist der Ansicht, dass eine Person, der niemand Glauben schenken würde – eine sehr grundlegende Form der sozialen Interaktion – das Gefühl hätte „aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen“ zu sein, sie würde „vor dem bloßen Gedanken zurückschrecken, sich in die Gesellschaft zu begeben oder vor die Augen der Menschen zu treten, und könnte, wie ich glaube, kaum ein anderes Schicksal haben, als vor Verzweiflung zu sterben.“28 Die Kreise des Mitgefühls spielen auch für die moralische Reflexion eine wichtige Rolle. Wie Smith feststellt, müsse der „Mensch in unserer Brust, der gedachte und ideale Beobachter unseres Fühlens und Verhaltens“ oft „durch die Gegenwart eines wirklichen Beobachters geweckt und an seine Pflicht erinnert werden“.29 Es ist für ihn eine Tatsache, dass die Menschen in Gemeinschaften leben, in denen dieses „Wecken“ stattfinden kann. Der einzige Hinweis auf eine andere Lebensweise und die Gefahren, die er damit verbindet, findet sich in einer Bemerkung über die Anonymität der „großen Städte“, in denen arme Arbeiter „in Dunkelheit verschwinden“ und somit keinen „Ruf zu verlieren“ haben, wie das in „einem kleinen Ort“ der Fall gewesen sei.30 Dies sei selbst für die grundlegendsten Moralvorstellungen ein Risiko: Ein solcher ­Arbeiter „gibt daher leicht selbst nicht auf sich Acht und wird liederlich und 26 WN V.I.III.II.61 / (WN Buch 5, S. 117). 27 WN V.I.III.II.50 / (WN Buch 5, S. 109). Dieses Thema wird in den Abschnitten 6.2–6.3 ­dieses Buches wieder aufgegriffen. 28 TMS VII.IV.26 / (TEG S. 554). 29 TMS III.III.38 / (TEG S. 243), Übersetzung angepasst. 30 WN V.I.III.III.12 / (WN Buch 5, S. 127).

4.2 Das soziale Selbst | 115

lasterhaft“31. Dabei handelt es sich jedoch um eine gefährliche Anomalie; normalerweise sind Individuen in ihrem Privatleben in soziale Strukturen „eingebettet“. Smith bestreitet die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Wohlwollen, die lediglich auf Gerechtigkeit beruht, nicht. Eine Gesellschaft könne, „wie eine Gesellschaft unter mehreren Kaufleuten“, „aus einem Gefühl ihrer Nützlichkeit heraus, ohne gegenseitige Liebe und Zuneigung bestehen bleiben“32. Das ist jedoch nicht der Normalfall: Er stellt diesem Modell eine Gesellschaft gegenüber, in der sich die Menschen auch „aus wechselseitiger Liebe, aus Dankbarkeit, aus Freundschaft und Achtung“ gegenseitig Hilfe gewährten; dann „blüht die Gesellschaft “ und „ist […] glücklich“33. Eine normale Gesellschaft könne auf starken Bindungen aufbauen, die auf „gegenseitigen guten Diensten“ beruhten,34 vor allem im privaten Bereich, wo der Einzelne in die Kreise von Familie, Freunden und Bekannten eingebettet sei. Auf Mitgefühl basierende Beziehungen bleiben daher auch im Erwachsenenalter für die Einzelnen relevant und haben einen tiefen, dauerhaften Einfluss auf sie. „Nur in der Meinung anderer zu leben“35 – was Rousseau als einen Aspekt der moralisch verdorbenen modernen Gesellschaft angeprangert hatte  – ist für Smith Grundvoraussetzung des Menschseins.36 Worauf es ankommt, ist, wie sich die Einzelnen in den Augen der anderen widerspiegeln, und ob sie dies auf moralisch angemessene Weise tun. Aber wie wir noch sehen werden, hat für Smith der wirtschaftliche Bereich eine andere Struktur, sodass es gerechtfertigt ist, in diesem von „atomistischen“ Individuen zu sprechen. Das hat bei ihm jedoch eine andere Bedeutung, und erscheint viel plausibler und unproblematischer, wenn man berücksichtigt, dass die Smithschen Individuen stets in die privaten „Kreise des Mitgefühls“ eingebettet sind. Im Hegels Fall mag es weniger überraschen als bei Smith, von einem „sozialen“ Selbst zu sprechen. Wie wir gesehen haben, drückt seine Vorstellung vom Geist als „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist“,37 die enge Beziehung und organi31 WN V.I.III.III.12 / (WN Buch 4, S. 127). 32 TMS II.II.3.2. / (TEG S. 137). 33 TMS II.II.3.1 / (TEG, S. 133). 34 TMS II.II.3.1 / (TEG, S. 133). 35 Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, S. 112. 36 Vgl. auch Dennis Rasmussen, The Problems and Promise of Commercial Society: Adam Smith’s Response to Rousseau (University Park, PA: Penn State University Press, 2008), S. 115. Smith teilt allerdings trotzdem einige von Rousseaus Bedenken hinsichtlich spezifischer Verhaltensweisen, mit denen man versuchen könnte, die Blicke anderer auf sich zu lenken. Hierauf werde ich im Abschnitt 6.2 dieses Buches noch zurückkommen. Für eine Diskussion über Rousseau und Smith siehe zum Beispiel Phillipson, Adam Smith, Kap. VII. 37 PG 177.

116 | 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft

sche Einheit zwischen Individuum und Gemeinschaft aus. Der Geist konstituiert sich durch die gegenseitige Anerkennung von Individuen, nach den erfolglosen einseitigen Versuchen, im „Kampf um Anerkennung“ als autarkes Individuum anerkannt zu werden, und nach der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft.38 Hegel macht deutlich, dass in seiner Darstellung der modernen Sittlichkeit in der Philosophie des Rechts dieses Stadium bereits überwunden ist und dass der „Begriff des Rechts“ als gegeben vorausgesetzt wird, was bedeutet, dass Individuen sich gegenseitig Rechte gewähren, sich also gegenseitig anerkennen.39 Weiterhin ist jedoch wichtig, wie der Geist von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Dafür ist Bildung von zentraler Bedeutung: Sie verwandele Kinder, die zunächst natürliche Wesen seien, in Mitglieder des Geistes, die andere wertschätzten und von ihnen anerkannt würden. In der Philosophie des Rechts beschreibt Hegel die Erziehung als eine der zentralen Aufgaben der Familie und als ein „Recht“ des Kindes.40 Ähnlich wie Smith behauptet auch Hegel, dass ein wesentlicher Aspekt der Erziehung darin bestehe, Selbstbeherrschung zu erlernen und sich so aus der natürlichen Unmittelbarkeit zu befreien.41 Die biologischen Triebe sollten durch Gehorsam gegenüber sozialen Normen ersetzt werden, zunächst in Form von Gefühlen: Eltern brächten „die Sittlichkeit in [ihren Kindern] zur unmittelbaren […] Empfindung“42. Die Erziehung in der Familie sei demnach eine „Bildung des Herzens“.43 Hegel spricht davon, dass die „Partikularität“ durch „Allgemeinheit“ ersetzt werde: Junge Menschen müssten bestimmte „allgemeine Eigenschaften“ entwickeln, denn ohne diese könnten sie mit ihrem unberechenbaren und sprunghaften Verhalten „andere Menschen […] leicht kränken“.44 Dies entspricht Smiths Gedanken, dass man lernen müsse, die eigenen Affekte so zu dämpfen, dass sie mit den Gefühlen anderer harmonierten.45 Durch Er38 PG 187 ff., vgl. auch Abschnitt 3.3 dieses Buches. 39 GPR § 2, vgl. auch Enz § 433 ff. 40 GPR § 174. Für eine detailierte Diskussion zu Hegels Ansichten über die Erziehung siehe Neuhouser, Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 150 ff. 41 GPR § 175. 42 GPR § 175. 43 Griesheim, S. 459. 44 GPR § 187 Z. Vgl. auch Hotho, S.  583, wo Hegel von der „Glättung“ der Besonderheit spricht. 45 Mehr als Smith betont Hegel die Notwendigkeit von „Disziplin“ und Bestrafung in diesem Prozess: Das Ziel der Bestrafung sei „Abschreckung der noch in Natur befangenen Freiheit und Erhebung des Allgemeinen in ihr Bewußtsein und ihren Willen“ (GPR § 174). Disziplin sei erforderlich, um diesen natürlichen Willen zu „brechen“ (Hotho, S. 551). Das Ziel der Bestrafung bleibe jedoch den Menschen „auf das Moralische […] [und] Sittliche“ zu führen (Griesheim, S. 457). Hegel lehnt blinden Gehorsam um des Gehorsams willen

4.2 Das soziale Selbst | 117

ziehung lernen Menschen, soziale Normen zu befolgen; sie werden Mitglieder einer moralischen Gemeinschaft. Hegel nennt dies eine „zweite Geburt“, bei der der Kampf mit den natürlichen Instinkten überwunden und eine „zweite, geistige Natur“ erworben werde.46 Durch die Gewöhnung an soziale Normen und Praktiken werden die Kinder sozusagen „Kinder ihrer Zeit“47, und der Geist ihrer Zeit wird weitergegeben und erhalten.48 Die Erziehung bereite die Kinder darauf vor, ihre Familien zu verlassen49 und „als rechtliche Personen“ vor dem Gesetz anerkannt zu werden und „fähig zu sein, teils eigenes freies Eigentum zu haben, teils eigene Familien zu stiften“.50 Das (männliche) Individuum werde dann zum „Sohn der bürgerlichen Gesellschaft“.51 Als Rechtssubjekte werden die Individuen in der Tat als unabhängige, ­autarke und sozusagen „atomistische“ Wesen behandelt: Sie besitzen Eigentum, das sie nach Belieben verwenden können, und sie können rein instrumentelle Beziehungen mit anderen eingehen.52 Dies ist jedoch nicht die einzige Beziehung zwischen dem Individuum und der bürgerlichen Gesellschaft. Die Formulierung „Sohn der bürgerlichen Gesellschaft“ ist bezeichnend: Sie impliziert, dass der Prozess der Erziehung noch nicht abgeschlossen ist, wenn der Einzelne die Familie verlässt. Wesentliche Aspekte dieser weiteren Erziehung finden während der Arbeit statt, die das Individuum in einer Marktwirtschaft zu leisten hat, wie wir weiter unten sehen werden. Die Bedeutung der Arbeit für die Bildung des Selbst zeigt sich jedoch bereits darin, dass sie für die Konstitution des Geistes in der Phänomenologie eine wichtige Rolle spielt. Durch die Arbeit lernt der Knecht seine Affekte zu kontrollieren: Arbeit sei ein „in Schach gehaltener Wunsch“, der ihn lehre, „sich dessen bewusst zu werden, was er 46 47 48

49 50 51 52

ab und behauptet, dass jede Disziplin darauf abzielen müsse, die „freie Selbstständigkeit“ des Kindes zu entwickeln (Griesheim, S. 457). GPR § 151, vgl. auch GPR § 148 ff. sowie Enz § 485, wo Hegel auch die aristotelische Konzeption einer „zweiten Natur“ verwendet (vgl. auch Muller, The Mind and the Market, S. 153, zur Bedeutung dieses Begriffs für Hegel). Vgl. GPR, Vorwort, 11. Dies erklärt, warum Hegel die pädagogischen Prinzipien in Rousseaus Émile ablehnt, insbesondere die Idee, „den Menschen dem allgemeinen Leben der Gegenwart zu entziehen und auf dem Lande herauszubilden“ (GPR § 153 Z). Um es ein wenig paradox zu formulieren: Es ist unnatürlich, Kinder in einem natürlichen Zustand zu halten, weil es zur menschlichen Natur gehört, sich auf ihr telos, die Freiheit, zuzubewegen. Da diese Freiheit eine soziale Freiheit ist, ist es unnatürlich, Kinder von dem gemeinsamen Leben fernzuhalten, das diese Freiheit verkörpert. GPR § 175, vgl. auch Hotho, S. 554. GPR § 177, vgl. auch § 181. GPR § 238. Frauen sind nach Hegel auf den Haushalt beschränkt; sie verlassen die Familie, indem sie zu Ehefrauen werden (GPR § 177). Vgl. auch Muller, The Mind and the Market, S. 154.

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wirklich ist“.53 Während der Arbeit an äußerem Material erkenne er, dass die Natur nichts Fremdes und Feindliches sei, sondern etwas, das nach seinem Willen transformiert und für seine eigenen Zwecke genutzt werden könne.54 Indem er den Gegenstand seiner Arbeit aus den Kausalketten der Natur he­ rauslöst und ihn in etwas Eigenständiges verwandelt, erkennt der Knecht seine eigene Unabhängigkeit als individuelles Wesen.55 Historisch gesehen habe der Mensch die Natur auf verschiedene Weise geformt, um „sich von ihrer Dominanz zu befreien“; diese historische Arbeit habe zur Entwicklung des menschlichen Selbstbewusstseins beigetragen.56 Es ist diese Betonung der Arbeit als prägende Kraft des menschlichen Geistes, der wir auch in Hegels Beschreibung der Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft begegnen werden.

4.3 Die Identität auf dem Markt Die Grundannahmen von Smith und Hegel über die Soziabilität der mensch­ lichen Natur und ihre Beschreibungen des Sozialisationsprozesses zeigen somit auffällige Ähnlichkeit. Wie Angelica Nuzzo es ausdrückt: „Für Hegel wie für Smith geht es darum, dass wir nur über die Gesellschaft zu uns selbst finden“.57 Gegen Rousseaus Bild des einsamen „edlen Wilden“ halten sie an der Aussage fest, dass der Mensch nur innerhalb der Gesellschaft, eingebettet in die Familie und die „Kreise des Mitgefühls“, menschlich sein kann. Robinson konnte nur deshalb als Mensch auf seiner Insel leben, weil er bereits früher in seinem Leben sozialisiert worden war, und seine Situation bleibt eine prekäre Ausnahme  – hingegen hatten der „wilde Junge von Aveyron“ und andere Wolfskinder nie eine Chance, zu voll entwickelten Menschen heranzuwachsen. Smith und Hegel folgen Aristoteles darin, dass „der Mensch, wenn er vollendet ist, das Beste der Lebewesen ist“, aber „ist er abgetrennt von Gesetz und Recht, so [ist er] das schlechteste von allen“.58 53 54 55 56

PG 195, vgl. auch Enz § 435 und Z. PG 196. PG 195. Peter G. Stillman, „Partiality and Wholeness: Economic Freedom, Individual Development, and Ethical Institutions in Hegel’s Political Thought“, in William Maker (Hrsg.), Hegel on Economics and Freedom (Macon, GA: Mercer University Press, 1987), S. 65–96, hier S. 78. 57 Angelica Nuzzo, „The Standpoint of Morality in Adam Smith and Hegel“, in Vivienne Brown und Samuel Fleischacker (Hrsg.), The Philosophy of Adam Smith. The Adam Smith Review, 5: Essays Commemorating the 250th Anniversary of The Theory of Moral Sentiments (London/New York: Routledge, 2010), S. 37–55, hier S. 46. 58 Aristoteles, Politik. Schriften zur Staatstheorie, 1253a30.

4.3 Die Identität auf dem Markt | 119

Die gesellschaftliche Welt, in der Smiths und Hegels Individuen lebten, unterscheidet sich allerdings von der aristotelischen Polis, in der die wirtschaft­ lichen Aktivitäten durch den Umkreis des Haushalts, des oikos, begrenzt waren. Zur ihrer Zeit war das Wirtschaftsleben zu einer „politischen Ökonomie“ geworden, zu einer unabhängigen öffentlichen Sphäre, in der sich die Individuen als Verkäufer und Kundinnen, Kolleginnen und Angestellte begegneten. Da Menschen durch ihre Interaktionen mit anderen geformt werden und normalerweise nicht ohne sie leben können, stellt sich die Frage, wie sich diese Interaktionen auf dem Markt auf die Identität der Individuen und ihre Beziehungen zur Gesellschaft auswirken. Konkreter gefragt: Wie verhält sich ihre berufliche Rolle zu ihren anderen Rollen und zu ihrem Platz in der Gesellschaft? Smith und Hegel beantworten diese Frage auf unterschiedliche Weise.

4.3.1 Der Verkauf der eigenen Arbeit Wie wir gesehen haben, fallen für Smith sämtliche gesellschaftlichen Phänomene, die mit dem Austausch von Waren und Dienstleistungen zu tun haben – vom regionalen Austausch landwirtschaftlicher Güter bis hin zum kolonialen Handel mit Luxusgütern – unter den Begriff des „Marktes“. Der Warentausch ist von Vorteil, da verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge anbieten und sich so gegenseitig ergänzen. Diese Fähigkeit zum Tausch ist eine einzigartige Fähigkeit der menschlichen Spezies: Obwohl die Unterschiede zwischen verschiedenen Tierarten, zum Beispiel zwischen verschiedenen Hunderassen, viel größer seien als die zwischen verschiedenen Menschen,59 fehle den Tieren die Fähigkeit, ihre verschiedenen Talente zu vereinen und durch „Tausch und Handel“60 gemeinsam zur „besseren Versorgung und zum höheren Komfort der Gattung“ beizutragen. Menschen seien sich viel ähnlicher als verschiedene Arten von Hunden – Unterschiede entsprängen „nicht so sehr ihrem Wesen, als der Gewöhnung und Erziehung“ 61  –, aber die Fähigkeit zum Austausch mache diese Unterschiede nutzbar: Unter den Menschen sind im Gegenteil die unähnlichsten Anlagen einander von Nutzen, indem die verschiedenen Erzeugnisse ihrer bezüglichen 59 WN I.II.5 f. 60 WN I.II.5 f. / (WN Buch 1, S. 22), vgl. auch LJ (B), S. 493. 61 WN I.II.4 / (WN Buch 1, S. 22), vgl. auch LJ (A), S. 348 f. Smith kehrt damit die platonische Logik um, nach der unterschiedliche Berufe auf angeborenen Unterschieden beruhten (vgl. Samuel Fleischacker, A Third Concept of Liberty: Judgment and Freedom in Kant and Adam Smith (Princeton: Princeton University Press, 1999), S. 134).

120 | 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft

Talente durch den allgemeinen Hang zum Tausch und zu gegenseitiger Aushilfe in einen Gesamtvorrat vereinigt werden, woraus jedermann den Teil des Erzeugnisses der Talente anderer Menschen kaufen kann, dessen er bedarf.62

Es fällt auf, wie viel Würde und Respekt Smith in dieser gegenseitigen Nützlichkeit der Menschen füreinander sieht. Die berühmte Passage über das Eigeninteresse des Metzgers, Brauers oder Bäckers wird rhetorisch kontrastiert mit einem Welpen, der um die Hundemutter herumscharwenzele, und mit einem Spaniel, der „durch tausend Tricks die Aufmerksamkeit seines bei Tische sitzenden Herrn zu erregen“ versuche, „wenn er von ihm gefüttert werden will“.63 Auch Menschen, sagt Smith, seien im Kreis ihrer Familie und Freunde manchmal auf das Wohlwollen anderer angewiesen. Im wirtschaftlichen Bereich, der sie mit einer viel größeren Gruppe von Menschen in Kontakt bringe, agierten sie jedoch als gleichberechtigte Austauschpartner: Sie hätten etwas zu bieten und könnten so vertragliche Beziehungen eingehen, die für beide Seiten von Nutzen seien. Smith veranschaulicht dies am Beispiel eines Lastenträgers und eines Philosophen: Der Lastenträger helfe dem Philosophen bei dessen Einkäufen und trage zur Bereitstellung preiswerterer Waren auf dem Markt bei, indem er sie sorgfältig transportiere. Der Philosoph sei dem Lastenträger indirekt nützlich, nicht nur als gelegentlicher Kunde, sondern auch, weil er dabei helfe, verschiedene Techniken zu erfinden und zu verbessern und das Wissen der Gesellschaft zu bewahren und zu erweitern.64 Im Bewusstsein, dass sie alle zum „gemeinsamen Fundus“ der Gesellschaft beitragen, anerkennen und respektieren sich die Bürger einer Marktgesellschaft gegenseitig. Wichtig ist, dass nicht nur diejenigen, die Güter oder Kapital anzubieten haben, sondern jeder sich am Markt beteiligen kann und als jemand respektiert wird, der wertvolle Beiträge leistet: Diejenigen, die keine materiellen Güter beisteuern  – und zu Smiths Zeiten war dies der Großteil der Bevölkerung65 – können ihre Arbeitskraft anbieten. Indem sie sich ausbilden lassen, Erfahrungen sammeln und Fachkenntnisse entwickeln, können sie sogar in deren Verbesserung investieren. Smith nimmt den Begriff „Humankapital“ vorweg,

62 WN I.II.5 / (WN Buch 1, S. 23), vgl. LJ (A) S. 348, LJ (B) S. 488 f. 63 WN I.II.2 / (WN Buch 1, S. 19), Übersetzung angepasst. 64 LJ (A), S. 349, vgl. auch LJ (B), S. 493, ED I.19, II.11. Die Tatsache, dass Smith das Beispiel eines Philosophen – seines eigenen Berufes – verwendet, unterstreicht, dass er sich als Teil der „allgemeinen Menschheit“ (Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 75) versteht und auf diese Weise einen gemeinsamen Standpunkt mit der Leserin schafft. 65 Vgl. zum Beispiel WN I.VIII.36.

4.3 Die Identität auf dem Markt | 121

indem er argumentiert, dass die verbesserte Geschicklichkeit eines Arbeiters wie eine „Maschine oder ein die Arbeit erleichterndes und abkürzendes Werkzeug“ sei, „das zwar gewisse Kosten verursacht, diese Kosten aber mit Gewinn wieder erstattet“.66 Der Erwerb von Humankapital sei ein Weg zur „Verbesserung des eigenen Zustands“, der fast jedem offen stehe.67 Das Recht auf die Früchte der eigenen Arbeit ist daher für Smith die „heiligste und unverletzlichste“ der menschlichen Eigenschaften.68 Die Bedeutung dieses Arguments wird deutlich, wenn man Smiths Position mit einer der wichtigsten Alternativen seiner Zeit, dem bürgerlichen Humanismus („civic humanism“), vergleicht. Die bürgerlichen Humanisten schrieben dem Besitz von Eigentum, insbesondere von Grundbesitz (nicht so sehr dem Finanzkapital), eine besondere Würde und Tugendhaftigkeit zu.69 Indem er den Begriff des Kapitals erweitert, wendet Smith den bürgerlichen Humanismus sozusagen gegen sich selbst:70 Handel und Warentausch, von denen die bürgerlichen Humanisten meinten, dass sie die moralischen Grundlagen der Gesellschaft verdürben, führten zu einer Situation, in der jeder auf gleicher rechtlicher Grundlage an der Unabhängigkeit, die die bürgerlichen Humanisten schätzten, teilhaben könne. Nicht jeder habe die Unabhängigkeit, die auf Landbesitz basiert, doch fast jeder habe Humankapital oder könne es erwerben. Dies ermögliche es den Menschen, frei zu wählen, für wen sie arbeiten und mit wem sie Austauschbeziehungen eingehen wollen, anstatt von einem einzigen Arbeit­geber abhängig zu sein, wie dies im Feudalismus der Fall war.71 Diese einseitigen Abhängigkeiten, mit all ihren Gelegenheiten zu persönlicher Feindseligkeit und Sadismus, werden durch den „Cash-Nexus“72 ersetzt, die rein auf Geld basierende 66 WN II.I.17 / (WN Buch 2, S.  10), vgl. Pedro N. Teixeira, „Dr Smith and the Moderns: Adam Smith and the Development of Human Capital Theory’, The Adam Smith Review 3 (2007), S. 139–158, zu den Anfängen der Theorie des Humankapitals, während derer sich mehrere Autoren ausdrücklich auf Smith bezogen. 67 Vgl. auch Edwin G. West, „Adam Smith and Alienation: Wealth Increases, Men Decay?’ in Andrew S. Skinner und Thomas Wilson (Hrsg.), Essays on Adam Smith (Oxford: Clarendon Press, 1975), S. 540–551, hier S. 545 ff. 68 WN I.X.II.12. 69 Vgl. insbesondere J. G. A. Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition (Princeton: Princeton University Press, 1975). 70 Vgl. Christopher Berry, The Idea of Luxury. A Conceptual and Historical Investigation (Cambridge: Cambridge University Press, 1994), S. 154 ff.; vgl. auch Fleischacker, A Third Concept of Liberty, S. 157 ff., der davon ausgeht, dass der Grund, warum Smith wenig über diese Harringtonschen (oder Rousseauschen) Bedenken sagt, darin liegen könnte, dass „er seine ganze Arbeit als eine indirekte Antwort auf diese Sorgen ansieht“. 71 WN III.IV.11 ff., vgl. LJ (A), S. 50 ff. 72 Dieser Begriff wurde von Thomas Carlyle geprägt, vgl. ders. Chartism (London: J. Fraser, 1840), S. 66.

122 | 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft

Beziehung, die rechtlich gleichberechtigte Menschen verbindet, sowie durch die Möglichkeit des „Exits“73 aus jeder einzelnen Beziehung, weil jeder Kunde „nur einen sehr kleinen Teil“ zum Lebensunterhalt einer Person beitrage.74 Diese Beschreibung ist im Hinblick darauf faszinierend, wie viel Würde und Kompetenz sie sämtlichen Bürgern zuschreibt: Souveräne Individuen begegnen einander als Gleichberechtigte und tauschen Waren und Dienstleistungen aus. Jeder erkennt, dass auch die anderen etwas anzubieten haben und respektiert sie als potentielle Geschäftspartner. Es ist allerdings wichtig zu beachten, wie Smith diesen Prozess begrifflich erfasst. Smiths Individuen behandeln ihre Arbeitsfähigkeit als Humankapital, als etwas, das ihnen zur Verfügung steht und das sie auf dem Markt verkaufen können – Humankapital ist etwas, das sie haben, nicht etwas, das sie sind. Wie Patricia Werhane betont, ist diese konzeptuelle Unterscheidung zwischen den Arbeitern und ihrer Produktivität ein entscheidender Schritt in Smiths Systemaufbau: Sie erlaube ihm zu beschreiben, wie die Arbeitenden ihre Produktivität verkaufen, ohne sich dabei selbst zu verkaufen.75 Sie könnten zwischen verschiedenen Optionen frei wählen und gäben dem Höchstbietenden den Zuschlag. Ohne diese Annahme könnte der Preismechanismus nicht so funktionieren, wie Smith ihn beschreibt. Er analysiert die Bewegung des Marktpreises in Richtung des „natürlichen Preises“, des Preises, bei dem alle Preiskomponenten (Miete, Löhne und Gewinne) ihre gewohnte Entlohnung enthalten,76 als Folge des Anpassungsverhaltens der Marktteilnehmer: Die Menge jeder zu Markt gebrachten Ware richtet sich naturgemäß nach der wirksamen Nachfrage …. Wenn [die Menge der zu Markt gebrachten Ware] irgend einmal die wirksame Nachfrage übersteigt, so müssen gewisse Bestandteile ihres Preises unter ihrem natürlichen Satze bezahlt werden. Betrifft dies die Pacht, so wird das Interesse der Grundbesitzer diese sogleich veranlassen, einen Teil ihres Bodens anders zu verwenden; betrifft es den Arbeitslohn oder den Gewinn, so wird das Interesse der Arbeiter in dem einen und das ihrer Arbeitgeber im andern Falle sie bewegen, einen Teil ihrer Arbeit oder ihres Kapitals dieser Verwendungsart 73 Dieser Begriff stammt von Albert O. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch [engl. Exit, Voice, and Loyalty]. Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten. (Tübingen: Mohr, 1974). 74 WN III.IV.11 ff., vgl. LJ (A), S. 50 ff. 75 Patricia Werhane, Adam Smith and His Legacy for Modern Capitalism (New York: Oxford University Press, 1991), S. 132; vgl. ähnliche Ausführungen in Griswold, Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, S. 299, und Haakonssen, „Introduction“, S. 19. 76 WN I.V.

4.3 Die Identität auf dem Markt | 123

zu  entziehen. … Wenn dagegen die feilgebotene Menge irgend einmal hinter der wirksamen Nachfrage zurückbleibt, so müssen einige Bestandteile ihres Preises über ihren natürlichen Satz steigen. Betrifft dies die Pacht, so wird das Interesse aller übrigen Grundbesitzer sie naturgemäß bestimmen, mehr Land auf die Erzeugung dieser Ware zu verwenden; betrifft es den Arbeitslohn oder den Gewinn, so wird das Interesse aller übrigen Arbeiter und Geschäftsleute sie veranlassen, mehr Arbeit und Kapital auf die Herstellung der Ware und auf ihren Transport nach dem Markte zu verwenden.77

Die Marktpreise könnten nicht den natürlichen Preisen, die Angebot und Nachfrage zur Deckung bringen, „zustreben“,78 wenn die Menschen ihre Interessen nicht auf diese Weise verfolgen würden. Dies setzt allerdings voraus, dass sämtliche Produktionsfaktoren flexibel sind, so dass die Einzelnen nicht an bestimmte Investitionen gebunden sind. Smith stellt an einer Stelle fest, dass, wenn die Regeln und Vorschriften des Wirtschaftssystems geändert würden, dies lange im Voraus angekündigt werden müsse, damit diejenigen, die in „Fabrikgebäude, Maschinen usw.“ eines bestimmten Industriezweiges investiert hätten und daher von den Veränderungen betroffen seien, Zeit hätten, sich anzupassen.79 Eine ähnliche Warnung formuliert er nicht in Bezug auf Humankapital – er scheint vielmehr davon auszugehen, dass die Menschen flexibel genug sind, um leicht in andere Industriezweige wechseln zu können. Diese Annahme ist jedoch nur sinnvoll, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Erstens muss Nachfrage nach Humankapital bestehen; Smith scheint anzunehmen, dass dies tatsächlich der Fall ist, wenn die Wirtschaft sich in einer Wachstumsphase befindet.80 Zweitens müssen die Arbeitnehmer fähig sein, in diesen anderen Berufen zu arbeiten, was voraussetzt, dass ihr Humankapital nicht so spezifisch ist, dass es nur eine einzige Tätigkeit zulässt. Aus verstreuten Bemerkungen im Wohlstand der Nationen kann man entnehmen, dass Smith der Meinung ist, dies sei wirklich der Fall:81 Humankapital ist 77 78 79 80 81

WN I.VII.12–14 / (WN Buch 1, S. 80 f.), Kursivierungen hinzugefügt. WN I.VII.15. WN IV.II.44 / (WN Buch 4, S. 252). Vgl. zum Beispiel WN I.VIII.43. So hält er zum Beispiel lange Lehrzeiten für überflüssig, da das Erlernen des Uhrmacherhandwerks „kaum den Unterricht einiger Wochen“ erfordere (WN I.X.II.16 / (WN Buch 1, S.  172)). In ähnlicher Weise erwähnt er Händler, die leicht zwischen verschiedenen Märkten wechseln: ein solcher Händler sei „in dem einen Jahre Kornhändler, im anderen Weinhändler, und im folgenden Zucker-, Tabak- oder Teehändler.“ (WN I.X.I.38 / (WN Buch 1, S. 158). Er weist auch darauf hin, dass dies nur in großen Städten mit einem großen Markt möglich sei und stellt ausdrücklich fest, dass „in vielen Gewerben die

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für ihn entweder auf andere Bereiche übertragbar oder die Arbeitnehmer können leicht neue Fähigkeiten und Kompetenzen erwerben, in Form vieler kleiner und nicht einer großen Investition, die für ein ganzes Leben angelegt wäre. Nicht zuletzt müssen die Individuen jedoch auch bereit sein, zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen zu wechseln, wenn der Markt ihnen Anreize dafür bietet. Dies bedeutet, dass sie ihre berufliche Tätigkeit nicht als für ihre Identität „konstitutiv“ ansehen dürfen, zumindest nicht die Tätigkeit in einem bestimmten Industriezweig oder Unternehmen. In diesem Sinne dürfen sie nicht in die sozia­len Strukturen ihres Berufslebens eingebettet sein, bzw. sie dürfen diese Tätigkeiten nicht als wesentlichen Teil ihrer selbst betrachten. Diese Tätigeiten dürfen sie nicht „so vollständig definieren, dass sie sich ohne sie nicht selbst verstehen könnten“,82 wie Sandel in Bezug auf „konstitutive“ Ziele schreibt. Die Arbeitnehmer müssen über ihr Humankapital frei verfügen können, ohne ihre Identität zu verlieren, wenn sie sich entscheiden, es anderweitig zu verwenden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Smiths Individuen als vollkommen „ungebunden“83 bezeichnet werden können. Wie wir gesehen haben, sind sie anderweitig sozial eingebettet, in ihren jeweils eigenen „Kreisen des Mitgefühls“, wo sie „konstitutive“ Ziele und Verpflichtungen haben: Als Brüder und Schwestern, Eltern und Kinder, oder als Freunde mit einem gemeinsamen Verständnis von Tugend.84 Wie Smiths Bemerkung über das Schicksal des Arbeiters in der Anonymität der Großstadt gezeigt hat, sind diese Kreise notwendig für die Fähigkeit der Einzelnen, grundlegende moralische Regeln und soziale Normen zu befolgen. Es ist fraglich, ob sie ohne diese Einbettung psychologisch in der Lage wären, ihr Humankapital in der von Smith beschriebenen umsichtigen und souveränen Weise zu nutzen. Wären sie hingegen in den Arbeitsmarkt in ähnlicher Weise eingebettet, dann wären sie nicht flexibel genug, als dass der Preismechanismus und damit die Selbstregulierung des Marktes funktionieren könnte.

Operationen einander so ähnlich [sind], dass die Arbeiter leicht aus dem einen in das a­ ndere übertreten können“ und das „die Mehrzahl solcher Arbeiter gelegentlich zu ländlichen Arbeiten verwendet“ werde (WN IV.II.42) / (WN Buch 4, S. 250). 82 Sandel, „The Procedural Republic and the Unencumbered Self“, S. 86, Übersetzung angepasst. 83 Interessanterweise sagt Sandel, wenn er von konstitutiven Zielen spricht, dass die „Loyalitäten und Überzeugungen“, die untrennbar mit unserem Selbstverständnis verbunden seien, „als Mitglieder dieser Familie oder Gemeinschaft oder Nation oder dieses Volkes, als Träger dieser Geschichte, als Bürger dieser Republik“ entwickelt würden („The Procedural Republic and the Unencumbered Self“, S. 86). Beruflichen Identitäten erwähnt er nicht (es sei denn, diese werden unter „Gemeinschaften“ subsumiert). 84 Vgl. TMS VI.II.17.

4.3 Die Identität auf dem Markt | 125

Gleichwohl findet man bei Smith eine Reihe von Bemerkungen, die auf die Möglichkeit hinweisen, dass die berufliche Rolle für den Einzelnen mehr bedeuten könnte als den Verkauf von „Humankapital“. Er spricht von gewohnheitsmäßiger Sympathie, die eine Art Freundschaft zwischen „Kollegen am Arbeitsplatz“ oder „Handelspartnern“ entstehen lasse, die der „Freundschaft […], die zwischen Menschen eintritt, die von Geburt an in der gleichen Familie leben“85 nicht unähnlich sei. Er schreibt, „dass keine Last so schwer von der Stelle zu bringen ist, als der Mensch“86, was auf regionale Einbettung hinweist. Dies erkläre, warum es geografische Unterschiede bei Löhnen geben könne. Smith ist sich auch dessen bewusst, dass verschiedene „Leidenschaften“, „Charaktere“ und „Manieren“ zu verschiedenen „Berufen und Lebenslagen“ gehörten, manchmal als Folge sozialer Erwartungen und Moden, manchmal durch die Art der Tätigkeit bedingt.87 Er geht außerdem davon aus, dass Berufsgruppen und berufliche Vereinigungen natürlicherweise entstehen, und dass die Individuen an ihnen hängen, weil „[ihr] Vorteil und [ihre] Eitelkeit, der Vorteil und die Eitelkeit vieler [ihrer] Freunde und Gefährten […] gewöhnlich zu einem großen Teile mit diesem Stande oder dieser Gemeinschaft verknüpft“ seien.88 Aber diese Bemerkungen über soziale Bindungen im ökonomischen Bereich stellen die inoffizielle Seite von Smiths Bild der Wirtschaft dar. Die offizielle Seite zeigt seine Darstellung des Preismechanismus und beschreibt Kapital und Arbeitskräfte als in verschiedene Sektoren „fließend“.89 Die sozialen Bindungen, die Menschen im wirtschaftlichen Bereich haben, dürften sie nicht zurückhalten, wenn es Anreize gibt, sich in einen neuen Job oder an eine neue Art von Investition zu wagen. Um das eigene Kapital, sei es Human- oder Finanzkapital, sinnvoll einzusetzen, müsse man sich darüber erheben und gleichmütig diejenige Verwendung wählen, die zu den höchsten Renditen führt. 85 TMS VI.II.15 / (TEG S. 363). Ich danke Eric Schliesser dafür, mich auf diese Passage aufmerksam gemacht zu haben. 86 WN I.VIII.31 / (WN Buch 1, S. 104). 87 TMS V.II.3 ff., vgl. auch WN III.IV.3. 88 TMS VI.II.2.7 / (TEG S. 375). 89 Smith verwendet zur Beschreibung von Märkten oft Metaphern des Wassers und des „Fließens“: Kapital „fließt“ in bestimmte Gebiete, die produktiven Kräfte eines Landes „fließen in irgendeinen Handelszweig“, und wenn eine Regierung versucht, diese Energie zu zähmen, indem sie z. B. den Export von Edelmetallen verbietet, baut sich Druck auf wie bei einem Staudamm etc. (zum Beispiel WN IV.V.19, WN II.II.30 und LJ (A), S. 387). Diese Metapher war im 18. Jahrhundert üblich; sie findet sich bereits in François Fénélons Les Aventures de Télémaque (1699) (Paris: Editions Gallimard, 1995), Kap. III. Daniel Defoe verglich, um ein anderes Beispiel zu nennen, ein Vermögen mit einem Teich und den Handel mit einer Quelle (zitiert in Thomas Rommel, Das Selbstinteresse von Mandeville bis Smith. Ökonomisches Denken in ausgewählten Schriften des 18. Jahrhunderts (Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2006), S. 95).

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4.3.2 Die Wahl des eigenen Platzes In Hegels Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft ist die Beziehung zwischen einer Person und ihrer Arbeit anders konstruiert. Die zentralen Elemente seiner Sichtweise sind in einem Abschnitt in § 207 der Grundlinien der Philosophie des Rechts zusammengefasst: Das Individuum gibt sich nur Wirklichkeit, indem es in das Dasein überhaupt, somit in die bestimmte Besonderheit tritt, hiermit ausschließend sich auf eine der besonderen Sphären des Bedürfnisses beschränkt. Die sittliche Gesinnung in diesem Systeme ist daher die Rechtschaffenheit und die Standesehre, sich, und zwar aus eigener Bestimmung, durch seine Tätigkeit, Fleiß und Geschicklichkeit zum Gliede eines der Momente der bürgerlichen Gesellschaft zu machen und als solches zu erhalten und nur durch diese Vermittlung mit dem Allgemeinen für sich zu sorgen sowie dadurch in seiner Vorstellung und der Vorstellung anderer anerkannt zu sein.

Hegel betont, dass die Individuen ihren Platz im sozialen System finden müssen.90 Im Gegensatz zur Vormoderne – Hegel denkt insbesondere an die platonische Polis – wählen sie ihn selbst: Das ist ein Aspekt der modernen Freiheit.91 Bei dieser Wahl spielen verschiedene Faktoren wie „natürliche Fähigkeit, Geburt und andere Umstände“ eine Rolle. Die „letzte und wesentliche Bestimmung“ liegt jedoch in der „subjektiven Meinung und […] besondere[n] Willkür“92 des Individuums. Die Einzelnen wählten jedoch nicht nur, in welche Art von Humankapital sie investieren wollen. Vielmehr wählten sie auch aus, wer sie werden und welchen Platz sie in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen wollten: Sie wählten einen wesentlichen Aspekt ihrer Identität. So würden sie zu Mitgliedern der verschiedenen „Momente“ der bürgerlichen Gesellschaft: der verschiedenen Klassen – der landwirtschaftlichen, handeltreibenden oder „allgemeinen“, das heißt, der des öffentlichen Dienstes93 – und, innerhalb der handeltreibenden Klasse, der verschiedenen Korporationen.94 Die Korporationen Vgl. auch Muller, The Mind and the Market, S. 141. GPR § 185, § 206, § 236 Z, § 299, vgl. auch Hotho, S. 634. GPR § 206, vgl. Hotho, S. 633. GPR § 201 ff. Es ist bezeichnend, dass, während Smith die Klassen in Bezug auf die Art des Einkommens (Löhne, Pachten und Gewinne) unterscheidet, Hegel an der viel tra­ ditionelleren Unterscheidung von Bauern-, Handels– und „allgemeinem“ Stand festhält. Wie Waszek zeigt, ist er hierin Steuart näher als Smith und könnte sich auch auf das preußische Recht und die historische Realität im Deutschland seiner Zeit bezogen haben (The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of „Civil Society“, S. 171 ff.). 94 GPR § 250 ff. 90 91 92 93

4.3 Die Identität auf dem Markt | 127

bildeten „kleine Kreise in den großen Kreisen“.95 Zusammen mit den Klassen bilden sie die Struktur, die der bürgerlichen Gesellschaft ihre innere Differenzierung und damit Stabilität verleiht. Für Hegel ist die Berufswahl also weitaus wichtiger als für Smith – in Sandels Begrifflichkeit gesprochen, sind für Hegels Individuen ihre beruflichen Identitäten „konstitutiv“. Fragt man, warum Hegel dieses Modell wählt, lassen sich zwei Ebenen der Antwort unterscheiden. Zunächst gibt es ein praktisches Argument: Im Gegensatz zu Smith ist Hegel der Auffassung, dass ein Wechsel zwischen verschiedenen Berufen schwierig, wenn nicht gar unmöglich sei. Dies zeigt sich in seinen Ausführungen über die Arbeitslosigkeit und das Elend derjenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren: Ihre Fähigkeiten seien so speziell, dass sie diese nicht in anderen Industriezweigen einsetzen könnten.96 Wie Priddat betont, beinhaltet Hegels Konzeption der Marktwirtschaft keinen Markt für „Fähigkeiten“. Der Gedanke, dass diejenigen, die – beispielsweise durch technischen Fortschritt  – arbeitslos werden, anderswo Arbeit finden könnten, scheint ihm fremd.97 Dies ist der Grund dafür, warum der Arbeitsmarkt für Hegel von den Korporationen reguliert werden muss, auch wenn, wie wir gesehen haben, nicht ganz klar ist, wie diese mit den freien Märkten für Güter und Dienstleistungen zusammen bestehen können. Priddat ist der Meinung, dass dieses Element in Hegels Denken seinen Ursprung in der deutschen kameralistischen Tradition habe.98 Dies mag durchaus der Fall sein, aber wie ich im Folgenden darlegen werde, gibt es eine zweite, philosophischere Dimension dieses Problems, die Hegel zu der Auffassung führt, dass der eigene Beruf etwas ist, das man ist, und nicht etwas, das man hat. Es geht hier um die spezifische Art und Weise, in der „Besonderheit“ und

95 Hotho, S. 713. 96 Hotho, S. 610, vgl. ähnlich auch Griesheim, S. 600. Später in den Hotho-Vorlesungen diskutiert Hegel ausdrücklich die Annahme des „Liberalismus“, dass, wenn ein Gewerbe zu viele konkurrierende Vertreter hat, einzelne daraus abwandern. Er argumentiert, dass die Individuen nur „diese Geschicklichkeit“ besäßen, da sie „das Capital sowohl ihrer Anlagen als das [ihres] Geldes“ in dieses spezielle Gewerbe investiert hätten; daher könnten sie es nur mit „Kummer und Noth“ verlassen und sie müssten „zu Grunde“ gehen. (S. 698 f.). In den Griesheim-Vorlesungen verbindet Hegel dieses Problem mit der von Smith ebenfalls befürchteten Verdummung durch Arbeitsteilung (vgl. Anschnitt 6.2 dieses Buches) und argumentiert, dass die Arbeiter aufgrund der Abstumpfung ihres Geistes keine neue Arbeit fänden und zu den „allerabhängigsten“ Menschen würden (S. 503). Darüber hinaus erwähnt Hegel Alter und Gewöhnung als Faktoren, die es dem Einzelnen schwer oder unmöglich machten, in eine andere Branche zu wechseln (Griesheim, S. 625). 97 Priddat, Hegel als Ökonom, S. 202 ff. Vgl. auch Abschnitt 3.4 dieses Buches. 98 Priddat, Hegel als Ökonom, S. 202 ff.

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„Allgemeinheit“ in der bürgerlichen Gesellschaft miteinander verbunden sind. Hegel beschreibt die bürgerliche Gesellschaft folgendermaßen: [Dies ist] die Stufe der Differenz. Zunächst abstrakt ausgedrückt, gibt dies die Bestimmung der Besonderheit wieder, welche sich zwar auf die Allgemeinheit bezieht, so daß diese die – aber nur noch innerliche – Grundlage und deswegen auf formelle, in das Besondere nur scheinende Weise ist.99

Die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft unterscheidet moderne Gesellschaften von ihren antiken und mittelalterlichen Vorgängern. Sie ist durch das Prinzip der Besonderheit gekennzeichnet: Jeder Einzelne hat „das Recht, sich in alle Richtungen zu entwickeln und zu entfalten“.100 „Der Mensch als Mensch, also als besonderes Individuum“, müsse in der bürgerlichen Gesellschaft sein Recht101 als „unendlich fürsichseiende, freie Subjektivität“102 haben. Diese Besonderheit drückt sich in der Fähigkeit des Einzelnen aus, seine Bedürfnisse und Wünsche und sogar seine „Launenhaftigkeit“ zu befriedigen: Die Menschen handelten hier als „ein Ganzes von Bedürfnissen und eine Vermischung von Naturnotwendigkeit und Willkür“.103 Dies ist die Dimension der Marktgesellschaft, die ihnen die Möglichkeit zu „atomistischen“ und unabhängigen Entscheidungen gibt. Die Differenzierung der Bedürfnisse bedeutet allerdings auch Differenzierung darin, wie diese befriedigt werden, das heißt, Arbeitsteilung und die Entwicklung verschiedener Berufe.104 Hier muss der Einzelne ebenfalls eine Wahl treffen: Jeder könne aus „sich machen […] wozu er sich berufen fühlt“105, geleitet von seinen besonderen „Talenten, Plänen [und] seiner Selbstsucht“.106 Durch diese Wahl werde der Mensch „etwas Bestimmtes“, „etwas auf spezifische Weise Partikularisiertes“.107 Hegel merkt an, dass

99 GPR § 181. 100 GPR § 184, vgl. auch Hotho, S. 501 und 620. Über die Beziehung zu Hegels Diskussion des Willens siehe Schmidt am Busch, „Anerkennung“ als Prinzip der kritischen Theorie, Kap. 3. 101 Griesheim, S. 509. 102 GPR § 187 (Text leicht verändert). 103 GPR § 182, vgl. auch § 194 bezüglich der Rolle, die Meinungen für die menschlichen Wünsche spielen. Genauer gesagt betrifft diese „Besonderheit“ den Einzelnen als Familienoberhaupt; die Berufswahl hingegen betrifft ihn wirklich als Einzelperson – zumindest gilt dies für männliche Personen; für Frauen scheint die einzige Wahl zu sein, ob sie die Frau eines Metzgers, Brauers oder Bäckers werden wollen. 104 GPR § 196 ff. 105 Griesheim, S. 509. 106 Griesheim, S. 481. 107 GPR § 207.

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junge Menschen, getrieben von idealistischem Denken,108 diese Wahl häufig ablehnten, da sie sie „als eine Beschränkung [ihrer] allgemeinen Bestimmung und als eine bloß äußerliche Notwendigkeit“ ansähen.109 Aus Hegels Sicht ist dies jedoch ein Missverständnis, ein Ergebnis von „abstraktem“ Denken: Um etwas zu sein, müsse man etwas Bestimmtes werden, das „Wirklichkeit und sittliche Objektivität“ gewinnen könne.110 Um wirklich zu sein, müsse sich das Allgemeine in seine verschiedenen Momente „entfalten“,111 und um Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu sein, dürfe man nicht etwas „Allgemeines“ bleiben, sondern müsse eine bestimmte Stellung wählen.112 Nach Hegel ist ein Individuum nur dadurch „etwas“, dass es Mitglied einer gesellschaftlichen Klasse wird, und er stellt fest, dass unter „uns Deutschen“ die Frage „Was ist er?“ durch die Angabe des Standes, zu dem jemand gehört, beantwortet werde.113 Ohne eine solche Zugehörigkeit sei das Individum eine „bloße Privatperson“, ein „bloß Einzelnes“, während es durch die berufliche Position in „die Besonderheit erhoben [wird], die eine allgemein anerkannte und Gültige“ sei:114 Durch die Zugehörigkeit zu einem Stand werde das Individuum trotz seiner Besonderheit zu „einem nothwendigen Gliede eines allgemeinen Ganzen“.115 Wie wichtig die Wahl des Platzes in der Gesellschaft ist, wird deutlich, wenn man sich an Hegels Kritik der „abstrakten Moral“ und an die Gründe erinnert, die er für die Überlegenheit der Sittlichkeit anführt: In seiner sozialen Rolle würden dem Einzelnen konkrete moralische Aufgaben gestellt, statt ihn mit einer abstrakten Regel allein zu lassen, und wenn er sich an diese Rollen gewöhne, werde es für ihn ganz natürlich, seine Pflichten zu erfüllen, sodass der Widerstreit zwischen Pflicht und Neigung überwunden werde. 116 Die Wahl des Berufes spielt daher eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Pflichten, die eine Person hat: „Meine Position und ihre Pflichten“, wie die berühmte Formulierung von Francis Herbert Bradley lautet,117 werden zum Teil bei der Berufswahl gewählt. Hegel stellt ausdrücklich fest, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Moral ihren Platz in der Besonderheit des Berufslebens 108 Vgl. Hotho, S. 526. 109 GPR § 207. 110 GPR § 207. 111 Hotho, S. 526. 112 Hotho, S. 638. 113 Griesheim, S. 525, vgl. auch Hotho, S. 635. 114 Hotho, S. 637. 115 Hotho, S. 635. 116 GPR § 146 f., vgl. Abschnitt 3.3 dieses Buches. 117 Francis Herbert Bradley, „My Station and its Duties“, in Ethical Studies (Oxford: Oxford University Press, 1876), S. 160–213.

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hat: Wenn die wesentlichen Pflichten erfüllt seien, bleibe noch eine Menge der Zufälligkeit der Particularität anheim gestellt“, und für diese muss „die moralische Gesinnung“ eintreten.118 Dies entspricht der Aufgabe der Korporationen – der Berufsverbände –, sich um die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu kümmern, eine moralische Aufgabe, die für beide Seiten ohne „Hochmut und […] Neid“ erfüllt werden könne, weil sie durch anerkannte soziale Rollen und Programme organisiert sei.119 Die politische Partizipation von Einzelpersonen – soweit Hegel eine solche vorsieht – wird ebenfalls durch die Stände und die Korporationen organisiert. Die Stände, durch die Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an der Gesetzgebung beteiligt sind, brächten in die politische Sphäre die „Kenntnis der Bedürfnisse der Staatsgewalt“120 ein und seien ein „vermittelndes Organ“ zwischen Regierung und Bevölkerung.121 Doch auch die bürgerliche Gesellschaft ist eine Sphäre des Allgemeinen, wenn auch in einem spezifischen Sinne. In der am Anfang dieses Abschnitts zitierten Textstelle aus § 207 spricht Hegel über den Prozess der „Vermittlung mit dem Allgemeinen“122 und es ist diese „vermittelte“ Form des Allgemeinen, die hier relevant ist. In einer arbeitsteiligen Wirtschaft wird die „subjektive Selbstsucht“ durch eine „dialektische Bewegung“ auf die Befriedigung der Interessen anderer Personen hin ausgerichtet.123 Die Allgemeinheit ist daher das zweite Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft:124 sie sei der „Grund und [die] notwendige Form der Besonderheit“ und erweise sich „als die Macht über sie und ihren letzten Zweck“.125 Diese Allgemeinheit sei jedoch nur formal; sie sei die „innere Notwendigkeit“126 des „System[s] allseitiger Abhängigkeit“, in dem „die Subsistenz und das Wohl des Einzelnen und sein rechtliches Dasein in die Subsistenz, das Wohl und Recht aller verflochten, darauf gegründet und nur in diesem Zusammenhange wirklich und gesichert ist.“127 Die Besonderheit, die die Individuen für sich selbst wählen, muss in diesem Zusammenhang mit dem „Allgemeinen“ stehen: Sie müssen verkaufbare Güter 118 Hotho, S. 639. 119 GPR § 253 sowie Hotho, S. 710. 120 GPR § 300. 121 GPR § 302. Für eine Diskussion siehe zum Beispiel Herbert Schnädelbach, „Die Verfassung der Freiheit“, in Ludwig Siep (Hrsg.), Klassiker auslegen: G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (Berlin: Akademie Verlag, 1997), S. 243–65, hier S. 257 f. 122 GPR § 207. 123 GPR § 199 sowie Hotho, S. 567, 581. 124 GPR § 182. 125 GPR § 184, Kursivierung hinzugefügt. 126 GPR § 184. 127 GPR § 183.

4.3 Die Identität auf dem Markt | 131

oder Dienstleistungen produzieren und so – ohne dass dies notwendigerweise Teil ihrer Absicht ist  – zum Wohlergehen anderer beitragen und zu einem „Glied der Kette dieses [sozialen] Zusammenhangs“ werden.128 An diesem Punkt begegnen wir zum zweiten Mal in der Rechtsphilosophie dem Thema Erziehung oder besser gesagt Bildung:129 Da die bürgerliche Gesellschaft dieses Element der Universalität enthalte, könne sie ihre Mitglieder auch zu ihr hinführen. Dies geschehe durch die Arbeit jedes Einzelnen.130 Hier lernten die Menschen, sich selbst zu kontrollieren und sich den Interessen und Wünschen anderer Arbeiter anzupassen,131 und sie entwickelten ein „sich erzeugende[s] Bedürfnis und [die] Gewohnheit der Beschäftigung überhaupt“.132 Insofern sie zur Überwindung biologischer Triebe beitrage, enthalte die Arbeit also ein „Moment der […] Befreiung“133. In der modernen Gesellschaft machten fast alle (männlichen) Bürger diese Erfahrung, weil die Arbeit nicht an Ausländer oder Sklaven delegiert werde.134 Wie Alfredo Ferrarin bemerkt, hat Aristoteles die Würde der Arbeit nicht erkannt; diese Sicht auf die Arbeit wurde von Luther und Calvin entwickelt und von Hegel aufgegriffen, für den sie „eine der höchsten Formen der praktischen Erziehung des Geistes an sich“ sei.135 Da es sich nicht um Zwangsarbeit handele, könnten die Arbeiter sie nicht als etwas von außen Auferlegtes und als reines Übel interpretieren, sondern seien in der Lage, sie als eine notwendige Last des menschlichen Lebens zu sehen, als „den

128 GPR § 187. 129 Bildung war ein Schlüsselbegriff in den Diskursen der deutschen Aufklärung (vgl. Rudolf Vierhaus, „Bildung“, in Otto Brunner, Werner Conze, und Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland (Stuttgart: Klett-Cotta, 1990), Band 1, S. 508–551). Bildung wurde so verstanden, dass sie Menschen besser und glücklicher mache (S. 512). Der Begriff ging jedoch über diesen bloß instrumentellen Aspekt hinaus, insbesondere für Denker wie Herder und Goethe: Bildung (die damals im Gegensatz zur bloßen „Erziehung“ stand) wurde als eine lebendige „Selbstformung“ verstanden, die den Menschen bei der Entwicklung ihrer Individualität helfen sollte; in dem Begriff schwangen auch Vorstellungen von Kultur und Menschlichkeit mit. Für die Bedeutung der Bildung für Hegels Selbstverständnis vgl. auch Pinkard, Hegel, passim. 130 GPR § 187. 131 GPR § 197. Wie Neuhouser betont, erfordere die Art von Arbeit, die in der bürgerlichen Gesellschaft geleistet wird, eine systematische Aufmerksamkeit gegenüber dem Willen anderer Menschen, was sie von vormodernen Arbeitsformen unterscheide (Grundlagen der Hegelschen Sozialtheorie, S. 161). 132 GPR § 197. 133 GPR § 194. 134 Vgl. zum Beispiel Griesheim, S. 512. 135 Alfredo Ferrarin, Hegel and Aristotle (New York: Cambridge University Press, 2001), S. 353 und S. 350.

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Dorn einer Rose“, wie William Ver Eecke es ausdrückt.136 Man könnte meinen, diese Universalität der Bildung widerspreche der Besonderheit, die Hegel als Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft sieht, und einige Elemente dieser Bildung sind in der Tat universell, wie „Beweglichkeit und Schnelligkeit des Vorstellens und des [Über]gehens von einer Vorstellung zur [a]ndern, das Fassen verwickelter und allgemeiner Beziehungen usf.“137 Hegel betont jedoch, dass diese Allgemeinheit nur die Form betreffe, in der die Individuen ihre Partikularität lebten: „Das Besondere wird gebildet“ und erhält so „die Form des Allgemeinen“.138 Als solche bestimme es nicht die besonderen Zwecke der Individuen.139 Hegels Überlegungen zum Bildungsprozess in der bürgerlichen Gesellschaft stehen also nicht im Widerspruch zu der Behauptung, dass es sich hierbei um die Sphäre der Partikularität handele  – im Gegenteil: Da diese Art der Bildung in verschiedenen Berufen stattfindet, kann man davon ausgehen, dass es auch einen besonderen Aspekt der Ausbildung gibt, da jeder „seine eigene Form von Bildung“ erwerbe.140 Wenn man Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerbe, werde man zum „Herrn über sein eigenes Tun“ und finde Befriedigung darin, eine Sache so hervorzubringen, „wie sie sein sollte“.141 In dem Maße, in dem es ein besonderes, für bestimmte Berufe spezifisches Element in diesem Bildungsprozess gibt, verstärkt sie die Identität des Einzelnen eben als jene Besonderheit, durch die er am wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft teilnimmt. Hegel lehnt ein Verständnis von Bildung als etwas Äußerlichem, als Mittel für „Bedürfnisse, deren Befriedigung, die Genüsse und Bequemlichkeiten des partikularen Lebens usf.“142, ausdrücklich ab. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu Smiths Begriff des Humankapitals und beschreibt die tiefgreifende Entwicklung, die der Einzelne durchläuft, wenn er sich selbst zu einem besonderen „Jemand“ macht und in dieser Form „Allgemeinheit“ erhält. Die Beziehung zwischen dem Individuum und seiner Arbeit ist hier viel tiefer als in der Konzeption von Smith: die Individuen sind an ihren Beruf gebunden, weil sie von ihm „geformt“ werden. Wenn die Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft aufeinandertreffen, dann tun sie dies als Mitglieder der jeweiligen Stände und Korporationen – als Metzger, Brauer oder Bäcker. Hegel weist ausdrücklich darauf hin, dass die 136 William Ver Eecke, „Hegel on Freedom, Economics, and the State“, in William Maker (Hrsg.), Hegel on Economics and Freedom (Macon, GA: Mercer University Press, 1987), S. 127–157, hier S. 147. 137 GPR § 197. 138 Hotho, S. 579; Griesheim, S. 517, Kursivierung hinzugefügt. 139 Hotho, S. 584. 140 Griesheim, S. 513. 141 GPR § 197 Z. 142 GPR § 187.

4.3 Die Identität auf dem Markt | 133

­ nerkennung, die der Einzelne in der bürgerlichen Gesellschaft erhält, an seiA nen Beruf gebunden ist: Man gewinne Anerkennung „in [der eigenen] Vorstellung und der Vorstellung anderer“, indem man „sich selbst zu einem Glied eines der Momente der Zivilgesellschaft“ mache.143 Der gesellschaftliche Raum, in dem sich diese Anerkennung äußert, wird von den Korporationen zur Verfügung gestellt: dort habe ein Individuum „in seinem Stand seine Ehre“.144 Die Mitglieder würden als „jemand“ anerkannt, und auch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten erhielten „Anerkennung oder Ehre“.145 Hegel spricht von der „Rechtschaffenheit“ und der „Standesehre“, die mit den eigenen Fähigkeiten verbunden ist, als der ethischen Haltung in der bürgerlichen Gesellschaft.146 Der Bürger „in der Corporation ist Meister, ist ein Ehrenmann und wird so anerkannt.“147 Was in diesen sozialen Rollen anerkannt wird, ist die allgemeine Fähigkeit, etwas Nützliches zum gesellschaftlichen Ganzen beizutragen,148 aber auch die besonderen Fähigkeiten des Einzelnen. In gewisser Weise umfasst die Anerkennung auch die Entscheidung des Einzelnen für den jeweils eigenen Beruf und damit seinen freien Willen. Hegel sagt, dass die „besondere Willkür“ des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft „Recht, Verdienst und […] Ehre“ gewinne,149 und eine Form, diese Ehre anzuerkennen, besteht in der Anerkennung als eine bestimmte Person, die diesen Beruf für sich selbst gewählt hat und sich nun darin auszeichnet. All dies zeigt, dass für Hegel die berufliche Identität in einem grundlegenden Sinn ein Teil dessen ist, wer man ist. Die Einzelnen verkaufen nicht lediglich ihre Arbeit, sondern sie sind in die gesellschaftlichen Strukturen der Stände und der Korporationen eingebettet. Mit Sandel gesprochen, sind ihre beruflichen Aktivitäten teilweise „konstitutiv“ für ihre Persönlichkeit. Dies entspricht der lutherischen Tradition und ihrer Vorstellung vom „allgemeinen Priestertum aller Gläubigen“: Auch die Arbeit der Laien „dient“ Gott in demselben Sinne, in dem die Tätigkeit eines Priesters ihm dient.150 Das Wort 143 GPR § 207. 144 GPR § 253. 145 GPR § 253. 146 Hotho, S. 635, S. 714; Griesheim, S. 523, S. 623. 147 Griesheim, S. 627. 148 Diese Fähigkeit kann auch ein Grund dafür sein, diejenigen anzuerkennen, die über keine spezifischen Fähigkeiten verfügen (zum Beispiel Tagelöhner, vgl. GPR § 252) – aber für Hegel sind diese Personen nicht Mitglied einer Korporation, und es fehlt ihnen daher die Anerkennung als jemand Besonderes mit spezifischen Fähigkeiten. Für eine Diskussion vgl. Schmidt am Busch, „Anerkennung“ als Prinzip der kritischen Theorie, S. 43 ff. 149 GPR § 206. 150 Vgl. zum Beispiel Gustaf Wingren, Luthers Lehre vom Beruf. (München: C. Kaiser, 1952).

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„Beruf“ hat im Deutschen seit langem eine religiöse Konnotation, die sich in der etymologischen Verbindung zu „Berufung“ (z. B. in ein kirchliches Amt) zeigt. Die starke religiöse Bedeutung von „Berufung“ mag im Laufe des 18.  Jahrhunderts verloren gegangen sein, aber die Konnotationen von „seine Pflicht tun“ und „jemand sein“ blieben zu Hegels Zeit lebendig.151 Und bis zu einem gewissen Grad sind sie auch heute noch präsent, was das Unbehagen der Deutschen in Bezug auf den Begriff des „Humankapitals“ erklären mag.152 Daraus folgt für Hegels Vorstellung vom Markt, dass die Individuen viel weniger „frei“ sind als in der Darstellung des Marktes bei Smith. Auch im Leben der Hegelschen Individuen gibt es einen Bereich des „atomistischen“ Verhaltens: Im Bereich des Konsums sind sie frei, ihre individualistischen Präferenzen auszuleben, ohne durch irgendetwas konstitutiv bestimmt zu sein.153 Im Bereich der Produktion, auf dem Arbeitsmarkt, werden sie jedoch nicht als souveräne, selbstgenügsame Individuen verstanden, die frei entscheiden, wo sie ihr „Humankapital“ am besten investieren, ohne dabei durch soziale Bindungen oder die spezifische Art ihres Humankapitals behindert zu werden. Vielmehr wählen sie durch ihren Beruf ihren Platz in der Gesellschaft. Sie werden durch ihren Beruf geformt und leben im Kontext ihrer Berufsverbände, und zwar auf sehr „eingebettete“ Weise – mit dem Schutz, aber auch der Abhängigkeit, die dieser Begriff impliziert. Durch die Wahl ihres Berufes wählen die Individuen also, wo sie eingebettet sind.

4.4 Schluss: Das Selbst in der Gesellschaft Wie diese Diskussion gezeigt hat, trifft die Klischeevorstellung, dass Smith eine völlig „atomistische“ Sicht der menschlichen Natur vertrete und Hegel die Individuen als vollkommen „eingebettet“ sehe, nicht zu, ist aber im Hinblick auf den Arbeitsmarkt bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt. In Smiths Darstellung des Marktes verkaufen souveräne Individuen ihr Humankapital,

151 Werner Conze, „Beruf“ in Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland (Stuttgart: Klett-Cotta, 1990), Band 1, S. 508–551, besonders S. 503. 152 Dieses Wort wurde als „Unwort des Jahres 2004“ ausgewählt. Siehe Wikipedia, „Unwort des Jahres (Deutschland)“: https://de.wikipedia.org/wiki/Unwort_des_Jahres_(Deutschland) (letzter Zugriff im April 2020). 153 Hegel stellt jedoch auch fest, dass die Mitglieder einer Korporation in der Regel das Konsumverhalten ihrer Kollegen übernehmen werden, vgl. GPR § 253. Vgl. Abschnitt 6.3 dieses Buches.

4.4 Schluss: Das Selbst in der Gesellschaft | 135

wobei sie frei wählen können, wo sie es am besten einsetzen. In Hegels Darstellung entscheiden sich die Individuen, Metzger, Brauer oder Bäcker zu sein und sind es dann; sie werden als solche anerkannt und sind in die sozialen Kontexte dieser Rollen eingebettet. Dabei ist es interessant, dass dieser Unterschied nicht nur einer zwischen theoretischen Modellen ist. Die empirische Forschung über „Varianten des Kapitalismus“, die besonders von Peter Hall und David Soskice vorangetrieben wurde, zeigt, dass es massive Unterschiede in der Organisation des Arbeitsmarktes in verschiedenen Marktgesellschaften gibt. In sogenannten „liberalen“ Marktwirtschaften, wie man sie vor allem in den angloamerikanischen Ländern findet, haben die Arbeitsverträge im Durchschnitt eher kurze Laufzeiten und es gibt wenig Arbeitnehmerschutz; in „koordinierten“ Marktwirtschaften, wie zum Beispiel in den kontinentaleuropäischen Volkswirtschaften, laufen die Verträge viel länger und es gibt mehr Schutz für die Beschäftigten. Hall und Soskice vertreten die Auffassung, dass dies mit der Art des Humankapitals zu tun habe, das Unternehmen benötigten: In koordinierten Marktwirtschaften seien viele Unternehmen auf sehr spezifische Fähigkeiten angewiesen, sodass es mehr Schutz für die Arbeitnehmerinnen geben müsse, damit sich die Investition in diese Fähigkeiten lohne. In den eher „instabilen“ Märkten liberaler Marktwirtschaften hingegen hätten die Wirtschaftsakteure „größere Möglichkeiten, ihre Ressourcen auf der Suche nach höheren Renditen flexibel einzusetzen, wodurch sie ermutigt werden, austauschbare Vermögenswerte, wie allgemeine Fähigkeiten oder Mehrzwecktechnologien zu erwerben“.154 Die Strukturen von Bildungseinrichtungen und anderen Institutionen (zum Beispiel Arbeitnehmervertreter in deutschen Unternehmensvorständen) spiegeln diese Unterschiede wider; und wie die Autoren argumentieren, können beide Modelle erfolgreich sein, wenn die richtige Mischung aus Institutionen und Produktionsformen gegeben ist. Hall und Soskice gehen auf die Frage nach dem tieferen beruflichen Selbstverständnis der Menschen, wie sie hier erörtert wurde, nicht ein. Anekdoten deuten jedoch darauf hin, dass es in verschiedenen Ländern tatsächlich Unterschiede im Selbstverständnis der Menschen in Bezug auf ihre berufliche Identität gibt.155 154 Peter A. Hall und David Soskice, „An Introduction to Varieties of Capitalism“, in Peter A. Hall und David Soskice (Hrsg.), Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage (Oxford: Oxford University Press, 2001), S. 1–68, hier S.17. 155 Während die Deutschen beispielsweise heute, wie zu den Zeiten Hegels, ihren Beruf beschreiben („Ich bin ein …“), wenn sie gefragt werden, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen, stellt Robert Jackal fest, dass amerikanische Manager bei der Beschreibung ihrer Arbeit „fast immer zuerst sagen: „Ich arbeite für [Bill James]“ oder „Ich berichte an

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Die genaue Entsprechung zwischen dem Gegensatz von liberaler und koordinierter Marktwirtschaft und der Auffassung der beruflichen Identität bei Smith und Hegel ist bemerkenswert. Allerdings bedeutet dies, dass die Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft viel komplexer und vielfältiger sind, als es der Gegensatz zwischen „Individualismus“ und „Kommunitarismus“ glauben lässt. Wie im Verlauf dieser Debatte hervorgehoben wurde, ist der Gegensatz zwischen Rawls und Sandel nicht so stark, wie es zunächst schien.156 Statt sich auf den Gegensatz zwischen „atomistischem“ und „eingebettetem“ Selbst zu konzentrieren, gehe es vielmehr darum, den richtigen Punkt auf der Skala zwischen Eingebettetheit und Ungebundensein zu finden.157 Diese Schlussfolgerung ist sicherlich richtig, wird jedoch den komplexen soziologischen Realitäten der Einbettung  – oder eben dem Fehlen einer solchen  – in konkreten sozialen Kontexten nicht gerecht. Statt die rein theoretische Frage des Gegensatzes von „eingebettet“ und „ungebunden“ zu diskutieren, geht es vielmehr darum, sichtbar zu machen, was Einbettung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bedeuten kann oder nicht. Obwohl sich meine Diskussion hauptsächlich auf eine soziale Sphäre, nämlich den Arbeitsmarkt, konzentriert hat, lassen sich allgemeinere Schlussfolgerungen ziehen, die die Debatte um die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft auf einen konstruktiveren Weg bringen. Zunächst macht der Vergleich von Smith und Hegel deutlich, dass für eine soziologisch orientierte politische Philosophie die Skala von „eingebettet“ bis „nicht eingebettet“ nach unten und oben begrenzt sein muss. Ein gewisses Maß an Einbettung ist unbestreitbar Teil der menschlichen Wirklichkeit, insbesondere in der Form familiärer Bindungen, durch die Kinder erzogen und sozialisiert werden. Ohne sie könnten die Einzelnen nicht die Fähigkeiten entwickeln, die sie benötigen, um in anderen Bereichen, wie dem Markt, zu handeln, wo sie unabhängig und „atomistisch“ agieren. Die Familie, und bis zu einem gewissen Grad auch die „Kreise des Mitgefühls“, in die die Individuen als Erwachsene eingebettet bleiben, sind nicht nur an sich wertvoll. Sie sind auch eine logische Voraussetzung für eine kohärente Sichtweise einer liberalen Gesellschaft, die

[Harry Mills]“ oder „Ich bin in [Joe Bells] Arbeitsgruppe“, und erst danach ihre konkrete Arbeit beschreiben (Robert Jackal, Moral Mazes, The World of Corporate Managers (New York/Oxford: Oxford University Press, 1988), S. 17). Tatsächlich wird das Wort „profession“ im Englischen in einem viel engeren Sinne genutzt, der traditionellerweise nur für Geistliche, Mediziner und Juristen verwendet und dann auf Bereiche wie Krankenpflege oder Sozialarbeit ausgedehnt wurde. 156 Vgl. zum Beispiel Richard Dagger, „The Sandelian Republic and the Encumbered Self“, The Review of Politics 61(2) (1999), S. 181–208, besonders S. 190 ff. 157 Dagger, „The Sandelian Republic“, S. 193.

4.4 Schluss: Das Selbst in der Gesellschaft | 137

selbstbewusste, autonom handelnde Individuen voraussetzt. Menschen, die nicht gelernt haben, in ihrem eigenen längerfristigen Interesse zu handeln, können von den Möglichkeiten einer liberalen Marktgesellschaft nicht profitieren. Es ist wahrscheinlich, dass sie von anderen ausgebeutet werden und nicht dazu beitragen können, den Markt zu einem Ort zu machen, an dem die kollektiven Urteile der Menschen zu einer gesellschaftlich nützlichen Verteilung von Gütern und Dienstleistungen führen. Meines Wissens sind diese Formen der Einbettung jedoch von liberalen Denkern auch nie abgelehnt worden, selbst wenn sie vielleicht nicht deutlich genug gemacht haben, dass sie ihnen zwar keinen zentralen Platz einräumen, ihre Bedeutung aber auch nicht leugnen wollten. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe ähneln, in gewisser Weise, der einseitigen Rezeption von Smith: Die Leserinnen haben sich auf das konzentriert, was in einem Teil einer Theorie dargelegt wurde, während sie das, was in einem anderen Teil erläutert, oder überhaupt nicht explizit diskutiert wurde, vernachlässigt und den Autoren dann eine einseitigen Sichtweise vorgeworfen haben. Ebenso, wie man den ganzen Smith lesen muss, benötigt man liberale Theorien, die auch den eher „eingebetteten“ Aspekten einer liberalen Gesellschaft gerecht werden. Diese standen zwar bislang nicht im Zentrum des theoretischen Interesses, aber für das Funktionieren der liberalen Gesellschaft und für eine kohärente Theoriebildung sind sie dennoch von entscheidender Bedeutung. Auf der anderen Seite darf die Einbettung nicht zu weit gehen – es gibt auch eine obere Begrenzung der Skala. Bestimmte Rechte und Freiheiten müssen Teil jeder Theorie einer modernen, liberalen Gesellschaft sein, und es muss in so einer Gesellschaft Raum für freie Wahl und unabhängiges Handeln geben. Dies gilt unabhängig davon, ob man die zugrundeliegende normative Sicht auf das freie, unabhängige Individuum für natürlich und selbstverständlich hält, oder für eine historische Errungenschaft, die durch Strukturen der gegenseitigen Anerkennung ermöglicht wird. Der Respekt vor der Würde der Einzelnen als Träger von Rechten und Freiheiten, der sich darin ausdrückt, dass sie als grundlegende „Elemente“ einer Theorie behandelt werden, sollte nicht aufgegeben werden – und muss es auch nicht –, wenn man die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen unterschiedlichen Arten der sozialen Einbettung von Menschen lenkt. Was gegenwärtige Kommunitaristen von Hegel lernen können, ist, dass Individualität und Gemeinschaft – „Besonderheit“ und „Allgemeinheit“, in seiner Terminologie – auf komplexe Weise miteinander zusammenhängen und beides notwendige Elemente einer modernen Gesellschaft sind. Seine Theorie der beruflichen Identität zeigt außerdem, dass es Formen der Einbettung geben kann, die frei gewählt werden oder die die Einzelnen im Rückblick gut-

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heißen können – oder vielleicht auch ablehnen können, wenn sie sich als mit ihren Freiheiten oder mit anderen Aspekten ihrer Identität unvereinbar erweisen.158 Hegel vertritt schließlich die Auffassung, dass „Glaube und Zutrauen [zu solchen Institutionen]“ gleichzeitig mit der „beginnenden Reflexion“ auftreten.159 Werden einige grundlegende Rechte und Freiheiten sowie die Möglichkeit der individuellen Rechtfertigung innerhalb eingebetteter sozialer Strukturen nicht anerkannt, so läuft das kommunitaristische Denken Gefahr, in einen Konservatismus abzugleiten, der jede Form der Einbettung rechtfertigt und keinen Hebel zur Kritik an den Ungerechtigkeiten bietet, die Gemeinschaften gegenüber Einzelpersonen begehen könnten.160 Die zweite Lehre, die aus dem Vergleich der Positionen von Smith und Hegel für die „liberal-kommunitaristische“ Debatte gezogen werden kann, ist jedoch, dass die Suche nach dem richtigen Gleichgewicht zwischen eingebetteten und nicht eingebetteten sozialen Beziehungen keine Frage der Suche nach dem richtigen Punkt auf einer eindimensionalen Skala, sondern ein mehrdimensionales Problem ist. Es gibt nicht nur unterschiedliche Grade, sondern auch verschiedene Arten der Einbettung. Die Einbettung im privaten Bereich und im Arbeitsmarkt kann sehr unterschiedliche Formen annehmen und muss jeweils auf ihre eigene Art ernst genommen werden. Eine weitere Form der Einbettung findet sich in der Hegelschen Staatstheorie, in der die Einzelnen nicht Wirtschaftsbürger (bourgeois), sondern Staatsbürger (citoyens) sind.161 Dort hängt ihre Anerkennung nicht vom Auf und Ab der kapitalistischen Wirtschaft ab,162 und sie ist nicht auf den sozialen Raum einer bestimmten Korporation beschränkt. Kommunitaristische Denkerinnen haben sich häufig ausschließlich auf institutionelle Formen des sozialen Zusammenhalts konzentriert; dies mag 158 Besonders hervorgehoben wurde dies von Knowles, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel and the Philosophy of Right, S. 229 f.; vgl. auch Neuhouser, Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 232, und Paul Franco, „Hegel and Liberalism“, The Review of Politics 59(4) (1997), S. 831–860, hier S. 833 f. und S. 857 f., der dafür argumentiert, dass kommunitaristische Lesarten Hegels seine Verbindungen zu Kant und zur Aufklärung übersehen. 159 GPR § 147, Kursivierung hinzugefügt. 160 Hegel selbst mag diesem Ideal nicht gerecht geworden sein, da nicht ganz klar ist, ob er meint, dass alle Individuen tatsächlich über ihre gesellschaftliche Stellung nachdenken und zu dem Schluss gelangen, dass das gesellschaftliche Ganze „vernünftig“ sei. Er scheint der Meinung zu sein, dass der Grad des Bewusstseins in den verschiedenen Gruppen unterschiedlich ausgeprägt sei, dass aber, wenn sie dies wünschen, alle Individuen zu einer vollständigen Rechtfertigung gelangen und so mit ihrer Stellung „versöhnt“ werden könnten (für eine Diskussion siehe zum Beispiel Knowles, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel and the Philosophy of Right, S. 196 und S. 311 ff.). 161 Hotho, S. 580. 162 Vgl. Enz § 432 Z.

4.4 Schluss: Das Selbst in der Gesellschaft | 139

erklären, warum sie Smith, mit seinem Fokus auf die private Einbettung, nicht als einen der ihren anerkannt haben, obwohl die sozialen Bindungen, die für die Entwicklung des Individuums so entscheidend sind, für ihn offensichtlich wichtig waren.163 Diese Unterscheidungen zwischen den verschiedenen sozialen Bereichen und der Art und Weise, wie die Individuen in ihnen eingebettet sind, erfahren in den meisten zeitgenössischen Theorien  – seien sie nun liberal oder kommunitaristisch – zu wenig Beachtung. Eine zeitgenössische Theorie, die der Anerkennung dieser Unterschiede am nächsten kommt, ist Walzers Darstellung verschiedener „Gerechtigkeitssphären“, in denen verschiedene Güter unterschiedliche soziale Bedeutungen haben.164 Obwohl Walzers Ansatz heftig kritisiert wurde,165 widersteht ein zentraler Punkt dieser Kritik: Verschiedene soziale Sphären haben eine je eigene Normativität und Spezifität, und politische Philosophinnen tun gut daran, diese zu berücksichtigen. Das bedeutet nicht, dass man diese verschiedenen Bereiche zu den einzigen Grundelementen einer Theorie der Gerechtigkeit machen muss; sie können, wie die Theorien von Smith und Hegel zeigen, sehr wohl mit anderen Prinzipien kombiniert werden. Bleiben sie jedoch unberücksichtigt, läuft man Gefahr, wesentliche Dimensionen der sozialen Welt zu übersehen. Insbesondere entstehen zahlreiche soziale Phänomene und Entwicklungen aus dem Zusammenspiel der Prinzipien in diesen verschiedenen Bereichen und werden daher nur sichtbar, wenn man sie berücksichtigt. Ein markantes Beispiel ist das Problem, dass ein Prinzip, das in einem Bereich wie zum Beispiel dem Markt durchaus angemessen ist, auf andere Sphären ausgeweitet wird, in denen es höchst problematisch ist, zum Beispiel auf die Privatsphäre. Tatsächlich scheint die Sorge um solche Phänomene ein wichtiger Aspekt der Diskussion um den Gegensatz zwischen „liberal“ und „kommunitaristisch“ zu sein.166 Smith und Hegel schienen noch nicht sehr besorgt über den Druck, den der 163 Griswolds Behauptung (Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, 210), dass die Gesellschaft, die Smith beschreibt, keine „organische“ Gesellschaft „von Angesicht zu Angesicht“ sei, sondern eine „Versammlung fremder Personen“ (TMS I.I.4.9 / (TEG S. 31)), ist daher nur teilweise richtig: Auf dem Markt sind Beziehungen von Angesicht zu Angesicht zwar nicht notwendig, die Gesamtgesellschaft ist jedoch durch Kreise des Mitgefühls strukturiert, in denen man sich von Angesicht zu Angesicht begegnet. 164 Siehe Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Der Grundgedanke wird von Miller (Principles of Social Justice) aufgegriffen, dessen Verteidigung des Verdiensts als für den Arbeitsmarkt geeignetes Prinzip in Abschnitt 5.2 dieses Buches erörtert wird. 165 Vgl. zum Beispiel die Essays in David Miller und Michael Walzer (Hrsg.), Pluralism, ­Justice and Equality (Oxford: Oxford University Press, 1995). 166 Vgl. auch Sandels Überlegungen zu den „moralischen Grenzen des Marktes“ in Was man für Geld nicht kaufen kann, die vor allem das Zusammenspiel zwischen der wirtschaft­ lichen und der politischen Sphäre betreffen.

140 | 4 Das Selbst auf dem Markt: Identität und Gemeinschaft

Markt auf die Privatsphäre ausübt, und zu ihrer Zeit mag dieser auch noch nicht sehr relevant gewesen sein.167 Das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels, das siebenundzwanzig Jahre nach der Philosophie des Rechts veröffentlicht wurde, klagt den Kapitalismus an, die Familien der Arbeiter zu zerstören und die bürgerliche Familie auf ein bloßes Fortpflanzungsinstrument zu reduzieren.168 Im 20.  Jahrhundert war es vielleicht Karl Polanyis Vision der Gesellschaft als bloßes „Zubehör des Wirtschaftssystems“, die am deutlichsten die Befürchtung zum Ausdruck bringt, dass alle privaten Beziehungen vollständig von den Kräften des Marktes beherrscht werden könnten.169 Offensichtlich würden weder Smith noch Hegel ein solches Modell befürworten; vielmehr sahen sie dies weder als eine relevante Alternative, noch als ein in irgendeiner Weise lebensfähiges System an. Doch man muss liberale Prinzipien nicht aufgeben, um diese Sorge zu teilen: Man kann sich für die wichtige Bedeutung der individuellen Rechte und Freiheiten einsetzen und dennoch anerkennen, dass Familien und private Beziehungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern einer modernen Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielen und vor wirtschaftlichem Druck geschützt werden müssen. Der Arbeitsmarkt ist nicht der einzige Bereich, in dem sich verschiedene Kulturen in Bezug auf soziale Einbettung oder ihr Fehlen sowie auf die Beziehungen zwischen verschiedenen sozialen Sphären unterscheiden; andere Beispiele finden sich im religiösen Leben, in den Bildungsstrukturen oder der formellen und informellen Organisation verschiedener ethnischer Gruppen. Diese Faktoren zeigen eine große Variationsbreite, selbst wenn man nur die westlichen Gesellschaften berücksichtigt. Sie werfen die Frage auf, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine einzige Theorie der Gerechtigkeit zu entwickeln – und nicht eher „Theorien“ im Plural. Ebenso, wie es „Spielarten des Kapitalismus“ gibt, so gibt es auch „Spielarten des Liberalismus“, und es scheint lohnend, diese Varianten aus theoretischer Sicht ernst zu nehmen. So stellt sich heraus, dass der alte Kampf zwischen „Atomismus“ und „Gemeinschaft“ in gewisser Weise in die Irre führt. Diese Diskussion hatte den 167 Der einzige Hinweis bei Smith ist die bereits zitierte Passage über die Arbeiter in den ano­nymen Städten. Vgl. auch Fred Hirsch, Social Limits to Growth (London: Routledge & Kegan Paul, 1977), S.  11  f., der dafür argumentiert, dass zu den Zeiten von Smith die Wirtschaft noch in die sozialen Beziehungen eines „vormarktlichen Ethos“ eingebettet gewesen sei. Bei Hegel könnte das Problem mit dem weitergefassten Problem des Pöbels verbunden sein (vgl. Abschnitt 5.3 dieses Buches). 168 Jon Elster (Hrsg.), Karl Marx: A Reader (Cambridge: Cambridge University Press, 1986), S. 259. 169 Karl Polanyi, The Great Transformation (Boston, MA: Beacon Press, 1944), S.  75; vgl. Kap. 3–6 über die „Kommodifizierung“ von Arbeit, Land und Geld.

4.4 Schluss: Das Selbst in der Gesellschaft | 141

Eindruck erweckt, dass es um zwei alternative, nicht miteinander vereinbare Grundlagen der Gesellschaftstheorie gehe. Es ist aber viel angemessener, sie als zwei Pole oder antagonistische Prinzipien zu beschreiben, die beide Teil einer zeitgenössischen Gerechtigkeitstheorien sein müssen. Wenn man dies anerkennt, kann man sich auf die schwierigen Fragen bezüglich der sozialen Einbettung, bzw. des Mangels an sozialer Einbettung, in unseren Gesellschaften konzentrieren. So haben zum Beispiel in vielen kapitalistischen Ländern in den letzten Jahrzehnten Verschiebungen hin zu einem Arbeitsmarkt stattgefunden, der mehr und mehr der Beschreibung von Smith entspricht – sogar in den englischsprachigen Ländern. Diese Verschiebung untergrub häufig, was von einem „Hegelschen“ Verständnis der beruflichen Identität übrig geblieben war und dem Einzelnen ein Gefühl von Sinn und Stabilität geben konnte.170 Man sollte sich davor hüten, die alten Zeiten zu romantisieren – schließlich warnte sogar Hegel selbst davor, dass die Zünfte zu einem elenden System verkommen könnten,171 und Smiths Wohlstand ist voller Beispiele für den „kleinlichen und persönlichen Despotismus“,172 der in persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen auftreten kann. Aber man sollte sich dennoch bewusst sein, dass beim Übergang zu einem „Smithschen“ Regime etwas auf dem Spiel steht, und dass es dabei, selbst wenn es vorteilhaft in Bezug auf Flexibilität und Effizienz sein mag, auch Verluste gibt: Spezifische Formen des Selbstverständnisses und spezifisch menschliche Gepflogenheiten, die nur möglich sind, wenn Arbeit mehr ist als ein bloßer „Job“ der Einzelnen. Arbeitsökonominnen, die im Wesentlichen das Modell von Smith aufgegriffen haben, verfügen nicht über die theoretischen Instrumente, um diese existenziellen Dimensionen von Arbeit zu erforschen. Es ist die Aufgabe der politischen Philosophie, sie daran zu erinnern, dass die Frage nach unserer Identität als Arbeitende in einer Marktgesellschaft zu wichtig ist, um lediglich aus einer einzigen theoretischen Perspektive diskutiert zu werden. Die Analyse der faszinierenden Prozesse, die auf den heutigen Arbeitsmärkten zu beobachten sind, und das Begreifen ihrer philosophischen Bedeutung ist ein würdiger Nachfolger, wenn auch sicherlich nur einer unter mehreren, der „liberal-kommunitaristischen Debatte“. 170 Für die Schweiz, Österreich und Deutschland siehe zum Beispiel viele der persönlichen Zeugnisse in Franz Schultheis, Berhold Vogel, Michel Gemperle (Hrsg.), Ein halbes Leben. Biographische Zeugnisse aus einer Arbeitswelt im Umbruch (Konstanz: Konstanzer Universitätsverlag, 2010). Für die USA vgl. etwa Richard Sennetts (methodisch weniger strenge) Studie Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. (Berlin/München: btb, 2001). 171 GPR § 255 Z. 172 Dieser Ausdruck stammt aus Rothschild, Economic Sentiments, S. 27.

5 Gerechtigkeit auf dem Markt 5.1 Einleitung

V

iele politische Denker haben eine ambivalente Haltung zu den Verteilungseffekten des Marktes. Der Markt mag zwar für Effizienz sorgen, aber kann man seine Ergebnisse in irgendeinem Sinne als gerecht bezeichnen? Ist der Begriff der Gerechtigkeit auf den Markt, und insbesondere auf den ­Arbeitsmarkt, überhaupt anwendbar? Und was ist mit denen, die am unteren Ende der Einkommensskala landen? Hat der Markt nicht unweigerlich Ungleichheit und soziale Ausgrenzung zur Folge? Dieses Kapitel geht auf diese Fragen ein, während die Frage nach der Freiheit auf dem Markt im nächsten Kapitel behandelt wird. Politische Denkerinnen haben sich meistens auf die Frage konzentriert, was Gerechtigkeit ist oder was sie bedeutet. Im Vergleich dazu wurde der Frage, was „der Markt“ sei, deutlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Um jedoch zu fragen, wie sich „der Markt“ zu Fragen der Gerechtigkeit verhält, muss man auf beide Seiten der Beziehung eingehen. Im Folgenden diskutiere ich, wie unterschiedliche Ansichten über den Markt zu sehr unterschiedlichen Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen nach Gerechtigkeit, Ungleichheit und sozialer Ausgrenzung führen. Für Smith ist der Markt ein Allheilmittel für diese Probleme, während er für Hegel in all diesen Punkten eine Bedrohung darstellt. Ein Vergleich der Auffassungen des Marktes von Smith und Hegel hilft dabei, die Bedingungen für die Anwendbarkeit des Begriffs der Gerechtigkeit, und insbesondere des Begriffs des Verdienstes, auf Märkte zu analysieren und über deren Beziehung zu den Problemen von Armut und sozialer Ausgrenzung nachzudenken.1 Wie die Diskussion zeigen wird, ist es für Debatten über diese Fragen  – die oft unter der Überschrift „soziale Gerechtigkeit“ zusammengefasst werden – von entscheidender Bedeutung, dass man seine Annahmen über das Wesen von

1 Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf Armut und sozialer Ausgrenzung innerhalb von Marktgesellschaften, nicht auf Fragen globaler Gerechtigkeit und der Beziehungen zwischen verschiedenen Marktgesellschaften. Einige der Argumente, insbesondere in Abschnitt 5.3, können auch auf Fragen der Gerechtigkeit auf internationaler Ebene bezogen werden. Dies wird allerdings nicht explizit diskutiert.

5.1 Einleitung | 143

Märkten und ihre Auswirkungen auf Verteilung und Armut explizit macht. Die Analyse der Modelle von Smith und Hegel als zwei paradigmatischer Fälle kann zur Klärung der Frage beitragen, was in vielen Debatten über soziale Gerechtigkeit auf dem Spiel steht. Der nächste Abschnitt befasst sich mit dem Hauptkandidaten für ein Prinzip der Gerechtigkeit auf dem Markt: dem Begriff des Verdienstes und der Frage, ob er auf Marktergebnisse, insbesondere auf Arbeitsmarktergebnisse, anwendbar ist. Im Hegelschen Modell ergibt dies nicht viel Sinn, allerdings aus einem Grund, der von liberalen Denkern sehr ernst genommen werden muss: Der Markt ist die soziale Sphäre, in der die subjektive Freiheit, einschließlich all ihrer Willkür und „Launenhaftigkeit“, ihren Platz hat. In Smiths Darstellung dagegen finden wir ein Modell dafür, wie ein Verständnis von Verdienst zur Beschreibung von Arbeitsmarktergebnissen verwendet werden kann: Ein gut geordneter Markt belohnt bestimmte Formen von Verhalten, die als tugendhaft bezeichnet werden können, und diese Ergebnisse ­können daher als „verdient“ bezeichnet werden. Die Belohnung von Tugend funktioniert jedoch nur dann, wenn bestimmte, sehr restriktive Annahmen über das Wesen von Arbeitsmärkten erfüllt sind. Die Analyse zeigt, dass das Modell von Smith eine Idealisierung darstellt, die in echten Märkten nur selten verwirklicht werden kann. Anschließend gehe ich auf die Fragen von Armut und sozialer Ausgrenzung ein. Die Positionen von Smith und Hegel bezüglich der Auswirkungen des Marktes auf die Armut stehen in schroffem Gegensatz zueinander. Sie teilen zwar ein Verständnis für die Bedeutung der nicht-materieller Dimensionen von Armut, doch ihre Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich. Während Smith auf die Macht des Marktes vertraut, mehr Gleichheit und damit auch mehr gegenseitigen Respekt zu erreichen, scheint das Problem der Armut in Hegels Darstellung kaum lösbar, da die Armen zu einem „Pöbel“ werden und sich aus dieser Situation nicht mehr selbst befreien können. Im letzten Abschnitt führe ich diese beiden Argumentationsstränge zusammen, ziehe einige Schlussfolgerungen zum Begriff des Verdienstes sowie den immateriellen Aspekten von Armut und diskutiere, mit welchen Strategien man überhaupt Theorien „sozialer Gerechtigkeit“ entwickeln kann. Ich plädiere dafür, dass sich politische Denkerinnen, die sich beim Nachdenken über ­soziale Gerechtigkeit häufig mit den Institutionen, die die Märkte umgeben, befasst haben, mehr auf die Märkte selbst konzentrieren sollten, und zwar sowohl um Klarheit in ihre eigenen Diskussionen zu bringen, als auch, um ­Lösungen für reale Probleme näher zu kommen.

144 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? Nähert man sich der Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Marktes an, so lassen sich zwei Theoretisierungsstrategien unterscheiden. Einerseits kann eine Marktgesellschaft als Ganzes im Lichte von Gerechtigkeitsprinzipien, wie etwa denen von Rawls, betrachtet werden. Märkte können als Folgeerscheinungen gerechter institutioneller Strukturen angesehen werden, ohne dass die Gerechtigkeitsprinzipien auf die Märkte selbst angewendet würden. Man könnte dann sagen, dass Märkte gerechtfertigt seien, es wäre allerdings seltsam, sie in einem stärkeren Sinne als „gerecht“ zu bezeichnen. Andererseits können Märkte selbst unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit genauer untersucht werden; diese zweite Strategie wird in diesem Abschnitt verfolgt. Zu diesem Zweck bietet es sich an, sich dem Begriff des „Verdienstes“ und der alten Vorstellung zuzuwenden, dass Gerechtigkeit verlange, dass die Menschen „bekommen, was sie verdienen“. Märkte produzieren natürlich keine Gerechtigkeit im Sinne vollkommener materieller Gleichheit; doch könnten ihre Ergebnisse trotzdem als gerecht bezeichnet werden, weil sie verdient sind? Die Idee, dass Märkte Leistung und Entlohnung zur Deckung bringen, ist höchst einflussreich. Heutzutage spielen Herkunft und Status bei der Bestimmung der Stellung eines Menschen in der Gesellschaft eine viel geringere Rolle als in früheren Epochen.2 Es gehört zum progressiven Selbstbild des Westens, dass stattdessen das Verdienst bestimme, wer welche Position einnehme.3 „La carrière ouverte aux talents“ war der Schlachtruf der napoleonischen Ära gegen ererbte Privilegien und zugunsten einer Gesellschaft, in der Talent und Leistung über die Stellung eines Menschen entscheiden. Während sich dieser Slogan vor allem auf Positionen im öffentlichen Dienst, im zivilen oder militärischen Bereich, bezog, wurde die Idee des Verdienstes auch auf den freien Markt übertragen: Sollten sich die Leistungen eines Menschen nicht auch in seiner Position auf der Einkommensskala widerspiegeln? In der öffentlichen Wahrnehmung spielt eine derartige Vorstellung von Verdienst eine wichtige Rolle;4 sie wird regelmäßig im öffentlichen Diskurs beschworen, zum Beispiel, wenn das Einkommen eines CEO um ein Vielfaches höher ist als das eines

2 Vgl. auch Miller, Principles of Social Justice, S. 125 ff. 3 Vgl. zum Beispiel Nancy Fraser und Axel Honneth, Redistribution or Recognition? A Political-Philosophical Exchange (London: Verso, 2003), S. 140 ff.; Miller, Principles of Social Justice, S. 125 f., S. 177. 4 Für eine Diskussion sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse, vgl. Miller, Principles of Social Justice, Kap. VI.

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 145

­ rbeiters – kann er oder sie so viel mehr „verdienen“?5 Es sollte allerdings nicht A unerwähnt bleiben, dass es sich um eine Idee handelt, die für diejenigen besonders attraktiv ist, die in Marktgesellschaften tatsächlich erfolgreich sind, liefert sie ihnen doch eine schmeichelhafte Rechtfertigung für ihre überdurchschnittliche Position.6 Für eine unparteiische Beobachterin sollte diese Tatsache Grund zur Vorsicht sein, denn sie lässt den Verdacht aufkommen, dass die Idee des Verdienstes eine ideologische Nebelkerze sein könnte, die von genau diesen Gruppen gezündet wird. Es überrascht daher nicht, dass das Thema des Verdiensts in der politischen Philosophie immer wieder kontrovers diskutiert wurde. Einerseits stellen sich Fragen zu den philosophischen Grundlagen von Verdienstzuschreibungen, wozu beispielsweise die Frage gehört, ob Verdienst immer mit bewusstem Handeln zu tun hat und wie es sich zu den Begriffen von intrinsischen Werten und zu Anspruchsrechten verhält.7 Andererseits stellt sich die speziellere Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, in Diskussionen über soziale Gerechtigkeit und Markt den Begriff des Verdienstes zu verwenden: Können Aussagen der Form „Person A verdient Ergebnis x aufgrund von y“ – wobei y üblicherweise als etwas angesehen wird, was Person A getan hat und wofür sie verantwortlich gemacht werden kann  – Teil einer Theorie der sozialen Gerechtigkeit sein? Kann y etwas sein, das Menschen auf Märkten tun, und ist es sinnvoll, zu sagen, dass Märkte Menschen dafür belohnen (oder belohnen sollten), weil sie dies verdienen? Die Antworten auf diese Fragen, die sich in den Darstellungen des Marktes bei Smith und Hegel finden lassen, helfen zu erklären, warum unsere Intuitionen zu diesem Thema möglicherweise ziemlich uneindeutig sind. Warum sollte man einerseits überhaupt auf die Idee kommen, dass Märkte dies tun könnten? Und haben wir nicht andererseits die implizite Erwartung, dass der freie Markt ein unparteiisches Urteil über die Leistungen der Menschen fällt und jedem die Chance gibt, zu beweisen, was er oder sie kann, wobei nicht Herkunft, Geschlecht oder Augenfarbe, sondern Leistungen bewertet werden? Am Ende wird 5 Für ein Beispiel im akademischen Kontext siehe N. Gregory Mankiw, „Presidential Address: Spreading the Wealth Around: Reflections Inspired by Joe the Plumber“, Eastern Economic Journal 36 (2010), S. 285–298. Mankiw setzt tatsächlich ein stark an Smith orientiertes Bild des Marktes voraus (worauf ich in Abschnitt 5.2 eingehen werde); insbesondere geht er von der idealisierenden Annahme aus, dass der Einzelne die „Freiheit hat, das Arbeitsverhältnis zu verlassen“ (S. 295). 6 Vgl. auch Friedrich August von Hayek, Law, Legislation and Liberty, vol. 2: The Mirage of Social Justice (Chicago: University of Chicago Press, 1978), S. 74 f. 7 Für einen Überblick siehe Owen McLeod, „Desert“, in Edward N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy Winter 2008: http://plato.stanford.edu/archives/win2008/ entries/desert/ (letzter Zugriff im April 2020).

146 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

sich allerdings zeigen, dass die Bedingungen, unter denen man sinnvollerweise von verdienten Marktergebnissen sprechen könnte, äußerst anspruchsvoll sind und dass sie in vielen realen Kontexten kaum erfüllt sein dürften. Die Diskussion über Gerechtigkeit und den Markt ist so breit und komplex geworden, dass sie hier nicht zusammengefasst werden kann. Daher möchte ich nur einige ihrer Hauptlinien skizzieren. Die Vorstellung, dass Märkte irgendwie Leistung und Verdienst zusammenbringen könnten, ist von Denkerinnen unter Beschuss genommen worden, die sonst nur wenig gemeinsam haben. Unter Libertären wird die Idee, irgendeine Vorstellung von „sozialer Gerechtigkeit“ auf Märkte anzuwenden, spätestens seit von Hayek scharf kritisiert.8 Aus dieser Perspektive heraus ist die Idee, nach der Gerechtigkeit einer Verteilung zu fragen, die aus Marktinteraktionen resultiert, von Anfang an fehlgeleitet, da eine solche Verteilung auf freiwilligen Tauschhandlungen beruhe, deren Ergebnisse sowohl unvorhersehbar als auch, mit Blick auf Gerechtigkeit, irrelevant seien. Entscheidend sei, dass die Spielregeln gerecht seien9 – dass zum Beispiel jeder gesicherte Eigentumsrechte besitze  – und dass es im Verlauf der Geschichte, die zur gegenwärtigen Verteilung geführt habe, keine Verletzungen dieser Regeln gegeben habe.10 Aus einer linken politischen Perspektive wurde die Idee, das Konzept des Verdienstes auf Marktergebnisse anzuwenden, aus einem anderen Grund abgelehnt: Viele Denker haben argumentiert, dass es keinen fairen Ausgangspunkt für seine Bemessung gebe, da die Akteure keine umfassende Kontrolle über die Faktoren hätten, die als Grundlage für Verdienst dienen könnten, wie etwa ihre eigene Produktivität oder sogar ihre eigenen Anstrengungen. Rawls verbannte bekanntlich die Idee der Meritokratie aus der Theorie der Gerechtigkeit, weil er davon ausging, dass Talente und Charakter, die den Ausgangspunkt für alle „Anstrengung“ bilden, Teil einer „Lotterie der Natur“ sind und daher keine Grundlage für Verdienst sein können.11 Brian Barry, der auf umfangreichen empirischen Untersuchungen zu fehlender Chancengleichheit aufbaut, geht in die gleiche Richtung, wenn er den „Kult der persönlichen Verantwortung“ anprangert.12 Serena Olsaretti, die die gründlichste analytische Erörterung der Beziehung zwischen Märkten und Verdienst vorgelegt hat,13 lehnt die Vorstel8 Vgl. insbesondere von Hayek, The Mirage of Social Justice, Kap. IX. 9 von Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 70. 10 Siehe Robert Nozick, Anarchie – Staat – Utopie (München: Olzog Verlag, 2011), Kap. II. 11 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 20 und S. 94. 12 Brian Barry, Why Social Justice Matters (Cambridge: Polity, 2005), Kap. IV. 13 Siehe Serena Olsaretti, Liberty, Desert and the Market: A Philosophical Study (Cambridge: Cambridge University Press, 2004), S. 9 ff., für einen Überblick über weitere Beiträge zu dieser Diskussion.

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 147

lung, dass man Märkte mit Berufung auf einen „prä-institutionellen“ Begriff von Verdienst rechtfertigen könnte, im Ergebnis ab. Eines ihrer Schlüsselargumente ist, dass die Voraussetzung „fairer Chancen“ für die Zuschreibung von Verdienst so gut wie nie erfüllt sei.14 Die Ablehnung des Verdienstbegriffs war jedoch nicht einhellig. David Miller hat sich kürzlich dafür ausgesprochen, Verdienst als Prinzip der sozialen Gerechtigkeit zu verwenden, da er der Meinung ist, dass trotz bestimmter Probleme die Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt als eine grobe Annäherung an das angesehen werden könnten, was Menschen für ihren Beitrag zum sozialen Ganzen verdienten.15 Auch Axel Honneth akzeptiert das Prinzip des Verdienstes auf dem Markt.16 Er und Miller halten es zwar nicht für das einzige Gerechtigkeitsprinzip, sind jedoch der Meinung, dass es für bestimmte Kontexte, insbesondere für die Verteilung von Arbeitsplätzen und damit von Einkommen, angemessen sei. Die Frage nach der Anwendbarkeit des Verdienstbegriffs auf Märkte ist demnach ein offenes Thema der politischen Theorie. Um darüber nachzudenken, ist es hilfreich zu klären, welches Bild vom Markt man voraussetzen muss, damit man den Begriff des Verdienst sinnvollerweise anwenden kann. Eine Mindestvoraussetzung für diesen Versuch sei sogleich angemerkt: Man muss, anders als Rawls, davon ausgehen, dass es sinnvoll ist, die Anstrengungen und strategischen Entscheidungen der Einzelnen als Ergebnisse verantwortlichen Handelns zu beschreiben und ihnen moralische Bedeutung zuzuschreiben – und sie nicht als etwas zu behandeln, das durch äußere Umstände wie Gene oder Bildung vorgegeben ist.17 Davon gehen wir jedoch, insbesondere in rechtlichen Zusammenhängen, häufig aus. Wie im Folgenden deutlich werden wird, können bestimmte Annahmen über die Struktur von Arbeitsmärkten den Gedanken untermauern, dass Marktergebnisse weitgehend von Faktoren abhängen, für die Individuen zu Recht verantwortlich gemacht werden können. Ein Vergleich der Marktmodelle von Smith und Hegel zeigt, dass eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die Idee, die Ergebnisse des Marktes seien verdient, sinnvoll ist. Es zeigt sich dabei auch, dass es ironischerweise falsch ist, wenn ­Libertäre im Namen von Adam Smith die Vorstellung von Verdienst auf dem Markt ablehnen: Für Smith ist es fast ein metaphysisches Erfordernis, dass Märkte tugendhaftes Verhalten belohnen. Sein Modell kann als ein wichtiges 14 Olsaretti, Liberty, Desert and the Market, Kap. III. 15 Miller, Principles of Social Justice, Kap. VIII–IX. 16 Fraser und Honneth, Redistribution or Recognition?, S. 137 ff. 17 Vgl. Miller, Principles of Social Justice, Kap. VII, für eine Verteidigung des Verdienstbegriffs gegen diese und andere Vorwürfe.

148 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

Moment in der Geschichte der Idee angesehen werden, dass Marktergebnisse mit dem Begriff des Verdienstes beschrieben werden können. Tatsächlich stimmt in Wirklichkeit die Hegelsche Darstellung mit den Argumenten der Libertären überein, dass der Markt ein Ort des freiwilligen Austauschs sei, dessen Ergebnisse nicht unter dem Gesichtspunkt von Gerechtigkeit beurteilt werden könnten.18 Wie wir gesehen haben, ist für Hegel das „System der Bedürfnisse“ die Sphäre der subjektiven Freiheit und damit auch der „Willkür“. Er bezieht sich auf die „zufälligen Umstände“ in dieser „Sphäre der Besonderheit“19 und nennt „die subjektive Meinung und besondere Willkür“ die „letzte und wesentliche Bestimmung“ in der Tauschwirtschaft.20 Eine Art und Weise, wie subjektive Freiheit ausgeübt wird, ist die freie Entscheidung über Konsum und Investitionen. Dies bedeutet, dass die Marktpreise das Ergebnis des Zusammentreffens zweier (oder mehrerer) freier Willensäußerungen sind, die nicht durch irgendwelche inhärenten Eigenschaften der Güter oder Dienstleistungen, oder durch langfristige Tendenzen des Marktes, begrenzt werden. Eigentumsrechte werden dadurch gerechtfertigt, dass menschliche Individuen „sich eine äußere Sphäre ihrer Freiheit“21 geben müssen, und es ist dieser freie Wille, der auch bestimmt, ob und zu welchem Preis Dinge zum Verkauf stehen und durch Verträge an andere übertragen werden.22 Wie in der Sekundärliteratur betont wird,23 markiert dies einen starken Gegensatz zwischen Hegel und Marx: Für Marx werden die Marktpreise durch das Verhältnis der Werte von Gütern bestimmt, die sich aus der Menge an Arbeit ergeben, die in ihnen steckt – dies ist die berühmte, oder berüchtigte, Werttheorie der Arbeit, die die Grundlage ­seiner Ausbeutungstheorie bildet.24 Für Hegel hingegen ergeben sich Preise 18 Die Ähnlichkeit von von Hayek und Hegel bezüglich der Frage, ob sich Prinzipien sozialer Gerechtigkeit auf Märkten durchsetzen lassen, wird auch von Knowles, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel and the Philosophy of Right, S. 270, diskutiert. 19 GPR § 200. 20 GPR § 206. 21 GPR § 41. 22 GPR § 43, § 65 ff. 23 Zum Beispiel Richard Dien Winfield, „Hegel’s Challenge to the Modern Economy“, in William Maker (Hrsg.), Hegel on Economics and Freedom (Macon, GA: Mercer University Press, 1987), S. 32–64. 24 Karl Marx und Friedrich Engels, Werke (Berlin: Dietz, 1961), Bd. 23, Kap. VII ff. Es ist zu beachten, dass auch Smith keine Werttheorie der Arbeit vertritt. In dem „ersten rohen Zustande der Gesellschaft“ bestimme „das Verhältnis zwischen den Arbeitsmengen, die zur Erlangung der verschiedenen Gegenstände notwendig sind“, das Verhältnis, in dem sie ausgetauscht werden (vgl. das berühmte Beispiel des Bibers und des Rehs in WN I. VI.1 / (WN Buch 1, S. 65)). Sobald hingegen andere Produktionsfaktoren wie Land oder

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 149

­ausschließlich aus dem freien Willen der Teilnehmer am Markt; es gibt keine inhärente „Gegebenheit“ in den Dingen, die ihren Wert bestimmen würde.25 Die Marktteilnehmerinnen haben die Freiheit, einem Preisvorschlag zuzustimmen oder ihn abzulehnen, zu verhandeln oder wegzugehen, ja, sie müssen noch nicht einmal ihre zugrundeliegenden Motive preisgeben.26 Tauschgeschäfte auf Märkten sind also wirklich „frei“ in dem Sinne, dass den Menschen keine Vorschriften darüber gemacht werden, wie viel, wann und wo sie kaufen und verkaufen sollen. Doch je mehr dieses freiwillige Element Teil eines sozialen Systems wird, desto weniger kann man von einem geordneten Ganzen sprechen, in dem Leistung und Belohnung zur Deckung gebracht würden. Wenn Kundinnen einen verdienten Handwerker verlassen können, einfach aus einer „Laune“ heraus oder weil sich die Mode ändert,27 könnte es sein, dass ihm sein verdienstvolles Verhalten überhaupt keine Entlohnung bringt. Wären die menschlichen Bedürfnisse gänzlich natürlich und biologisch bestimmt, dann käme dem freien menschlichen Willen vielleicht keine so zentrale Rolle auf dem Markt zu. Hegel ist sich jedoch bewusst, dass in einer modernen Marktgesellschaft sowohl die menschlichen Wünsche als auch die Mittel zu ihrer Befriedigung weitgehend menschliche Schöpfungen sind, sodass „der Mensch sich zu seiner, und zwar einer allgemeinen Meinung und einer nur selbstgemachten Notwendigkeit, statt nur zu äußerlicher, zu innerer Zufälligkeit, zur  Willkür, verhält.“28 Für Hegel ist dies ein befreiendes Moment in der menschlichen Geschichte.29 Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist allerdings die Unmöglichkeit, irgendeine Regelmäßigkeit zu finden, die in einem System des freien Austauschs eine Logik des Verdiensts etablieren könnte.30

Kapital eingeführt würden, gälten diese einfachen Verhältnisse nicht mehr (WN I.V.5 ff.); Smith verurteilt dies nicht als ungerechte Ausbeutung, sondern sieht es als Teil der normalen Entwicklung im „Fortschritt zum Reichtum“ (WN I.V.5 ff.). 25 Vgl. Winfield, „Hegel’s Challenge to the Modern Economy“, S. 45 ff. 26 Vgl. Schmidt am Busch, „Anerkennung“ als Prinzip der kritischen Theorie, S. 193 ff. 27 Das Phänomen der sich wandelnden Moden und ganz allgemein das menschliche Interesse an Eigenschaften von Gütern, die aus reinen Nützlichkeitserwägungen heraus irrelevant sind – wie Farbe, Form, Seltenheit – wird auch von Smith beschrieben (vgl. TMS VI, LJ (A), S.  335 ff.). Hegel könnte einige dieser Überlegungen von Smith übernommen haben; allerdings liegt seine Darstellung, wie Waszek zeigt, näher bei Fergusons (The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ‘Civil Society’, S. 147 ff.). 28 GPR § 194, vgl. auch Griesheim, S. 492. 29 GPR § 194. 30 Hegel sagt zwar, dass die „Staatsökonomie“ versuche, allgemeine Prinzipien im Bereich des Marktes zu finden (GPR § 189), doch ist seine Bemerkung am Ende dieses Absatzes bezeichnend: „[D]ies [ist] das Feld, wo der Verstand der subjektiven Zwecke und morali-

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Diese Betonung der Freiheit des Marktes wird von libertären Denkern wie von Hayek und Robert Nozick geteilt, die es als sinnlose Idee ablehnen, „strukturierte“ („patterned“) Gerechtigkeitsvorstellungen auf Marktergebnisse anzuwenden. Nozick, der die Idee des Verdienstes ablehnt, hat das Beispiel des Basketballspielers Wilt Chamberlain berühmt gemacht, der hohe Einkünfte erzielte, weil seine Fans bereitwillig eine Prämie dafür zahlten, ihn spielen zu sehen. Was könnte an Chamberlains hohem Einkommen ungerecht sein, fragt Nozick, wenn es ausschließlich aufgrund freiwilliger Transaktionen zustande gekommen ist?31 Warum sollten wir überhaupt erwarten, dass sich der Markt um die daraus resultierende Verteilung „kümmert“? Es handelt sich bei ihm schließlich nicht um ein menschliches Individuum mit wohlwollenden Absichten, sondern um ein komplexes soziales System. Aus Smith’ Sicht sieht die Sache anders aus: Unter bestimmten Bedingungen könnte er sogar behaupten, dass Chamberlains hohes Einkommen gerechtfertigt wäre, gerade weil es – zumindest teilweise – verdient wäre. Smith schätzt sicherlich auch die Freiheit, die der Einzelne auf dem Markt hat. Doch seine Vorstellung von Märkten lässt den Gedanken zu, dass diese bestimmte Handlungen gerecht belohnen. Das grundlegende Argument lautet, dass auf Märkten die freien Entscheidungen einer großen Anzahl von Individuen Strukturen zur Folge hätten, die den Urteilen eines unparteiischen Beobachters ähnelten, und dass dieser unparteiische Beobachter seine Urteile auf der Grundlage einer Vorstellung von Verdienst fälle: Er vertrete die Auffassung, dass Personen bestimmte Belohnungen verdienen, weil sie sich auf bestimmte Weise verhalten haben. Die Analyse dieses Verständnisses hilft, einige der Bedingungen der Anwendbarkeit des Verdienstbegriffs auf Märkte – sowie deren Grenzen – herauszuarbeiten und auf diese Weise einen klareren Blick für unsere gegensätzlichen Intuitionen in Bezug auf Verdienst auf dem Markt zu bekommen. Um Smiths Argument zu verstehen, bedarf es allerdings einer detaillierten Erörterung einiger Merkmale seines Systems. Smiths System ist durchdrungen von der festen Überzeugung, dass „Tugend sich lohnt“:32 Verhalten, das den Weisungen des unparteiischen Beobachters folgt, sollte belohnt werden, und das würde in den meisten Fällen auch tatsächlich geschehen. In der letzten Ausgabe der Theorie fügt Smith ein neues Buch



schen Meinungen seine Unzufriedenheit und moralische Verdrießlichkeit ausläßt.“ „Moralische Verdrießlichkeit“ könnte sich auf die Unmöglichkeit beziehen, dass das Verdienst in diesem Bereich belohnt wird. 31 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 156 ff., S. 161. 32 Haakonssen, The Science of the Legislator, S. 73.

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 151

mit dem Titel „Wen nennen wir tugendhaft?“ hinzu, in dem der „Charakter des Individuums“ diskutiert wird, „insofern er auf dessen eigene Glückseligkeit einwirkt“ und „sofern er auf die Glückseligkeit anderer einwirken kann“, sowie die „Selbstbeherrschung“, die erforderlich ist, um den Vorgaben der anderen Tugenden zu folgen.33 Darüber hinaus finden sich zahlreiche Bemerkungen über tugendhaftes Verhalten über die anderen Bücher der Theorie verstreut. Smiths Überlegungen zu den Tugenden und ihrem Platz in der Gesellschaft müssen im Zusammenhang mit seinem optimistischen Deismus gesehen werden; wie er an einer Stelle bemerkt, können wir „in diesem Falle wie in manchen anderen [Fällen] die Weisheit Gottes selbst an der Schwäche und Torheit des Menschen bewundern“.34 Obwohl er die Idee, Tugenden auf ihren Nutzen für den Einzelnen oder für die Gesellschaft zu reduzieren, vehement ablehnt, ist dieser Nutzen für ihn eindeutig vorhanden: Er verleihe den Tugenden „eine neue Schönheit und Schicklichkeit“.35 Für eine wohlgeordnete Gesellschaft ist es wichtig, dass die meisten Individuen sich die meiste Zeit diesen Tugenden entsprechend verhalten, zwar nicht in deren höchster Form, die nur wenige weise und tugendhafte Männer erreichen, aber doch in ihrer alltäglichen Form, gemessen an dem Standard, „welchen die Handlungen der Mehrzahl der Menschen gemeinhin erreichen“.36 Dies wird dadurch ermöglicht, dass die Tugenden, zumindest in dieser alltäglichen Form, für Smith eine eigene „Anziehungskraft“ besitzen: Tugendhaftes Verhalten werde belohnt, nicht nur im Jenseits, sondern auf ganz konkrete, praktische Weise auch in dieser Welt.37 Tugendhaftes Verhalten dient demnach als Grundlage für die Ansprüche auf das, was Menschen verdienen, und die gesellschaftliche Welt ist für Smith so strukturiert, dass sie es in der Regel auch erhalten werden. Allerdings wird nicht jede Tugend in jedem Bereich des Lebens belohnt. In Smiths System gibt es eine regelrechte „Arbeitsteilung“ in der Art und Weise, wie die verschiedenen Tugenden in den unterschiedlichen sozialen Bereichen, zu denen sie gehören, belohnt werden. Tugendhaftes Verhalten gegenüber der Familie und den Freunden werde zum Beispiel durch das Glück belohnt, „geliebt zu werden und dabei zu wissen, dass wir Liebe verdienen“,38 was eine zentrale Komponente von Smiths Verständnis von Glück ist.39 Andere Tugenden 33 34 35 36 37 38 39

Vgl. die Kapitelüberschriften von Buch VI der TEG. TMS VI.III.30 / (TEG S. 412). TMS VII.II.2.13 / (TEG S. 488). TMS I.I.I.5.9 / (TEG S. 36). Vgl. TMS VI.III.11. TMS III.I.7 / (TEG S. 182). TEG III.I.7.

152 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

würden vom Markt belohnt. In Anlehnung an einen Begriff von Deirdre ­McCloskey40 können diese als „bürgerliche Tugenden“ bezeichnet werden; dazu gehören Charakterzüge wie Fleiß, Sparsamkeit und Ehrlichkeit im Umgang mit den Geschäftspartnern. Eine zentrale bürgerliche Tugend ist die Klugheit, die „Sorge für die Gesundheit, für das Vermögen, für den Rang und den Ruf des Individuums“.41 Mehrere Kommentatorinnen weisen darauf hin, dass der „kluge Mann“ aus der Theorie der im Wohlstand beschriebene Akteur ist.42 Ein Individuum, das sich bei der Verfolgung seiner oder ihrer Interessen gemäß dieser Tugenden verhält, dient dem Wohl der Gesellschaft, indem es die Bedürfnisse anderer Menschen erfüllt, und dies kann als Grundlage für Verdienst angesehen werden. Indem er davon ausgeht, dass nur einige, nicht alle, Tugenden auf dem Markt belohnt werden,43 vermeidet Smith von vornherein einen Vorwurf, der 40 Deirdre McCloskey, The Bourgeois Virtues: Ethics for an Age of Commerce (Chicago, IL: University of Chicago Press, 2006). Wenn sie Smith als Tugendethiker liest („Adam Smith, The Last of the Former Virtue Ethicists“, History of Political Economy 40(1) (2008), S. 43–71), wendet sie das Schema der sieben Kardinal- und christlichen Tugenden auf ihn an, was etwas gezwungen scheint. Für eine ausgewogenere Diskussion der Tugenden bei Smith siehe Ryan Patrick Hanley, Adam Smith and the Character of Virtue (New York: Cambridge University Press, 2009). 41 TMS VI.I.5 / (TEG S. 344). Für eine Diskussion des Kontrastes zwischen Smiths Tugendtheorie und klassischen Darstellungen siehe Christopher Berry, „Adam Smith and the Virtues of Commerce“, NOMOS XXXIV, Virtue (1992), S. 69–88. 42 Zum Beispiel Raphael und Macfie, „Introduction“. In der letzten Ausgabe von TEG unterscheidet Smith zwischen „niedriger“ und „höherer“ Klugheit; er legt dar, dass die erstere, da „sie lediglich auf die Sorge um Gesundheit, Vermögen und um Rang und Ansehen des Individuums gerichtet ist“, „achtenswert“ und „bis zu einem gewissen Grade“ „liebenswert und angenehm“ sei, sie „aber doch niemals als eine jener Tugenden betrachtet“ werden, „die einen Menschen ganz besonders wertvoll machen oder ihn aufs höchste adeln“ könnten. Letzteres gilt nur für die „höhere“ Klugheit, die „in all diesen Fällen verbunden [ist] mit vielen größeren und glänzenderen Tugenden“, was „notwendig die äußerste Vervollkommnung aller intellektuellen und sittlichen Tugenden“ voraussetze (TMS VI.I.14f. / (TEG S. 350); siehe Dickey, „Historicizing the ‚Adam-Smith-Problems‘“ für eine Diskussion der Entwicklung von Smiths Ansichten zu diesem Thema sowie Lisa Herzog, „Higher and lower virtues in commercial society – Adam Smith and motivation crowding out“, Politics, Philosophy & Economics 10(4) (2011), S. 370–395 für eine Diskussion der gegenwärtigen Relevanz dieses Themas. „Höhere“ Klugheit hat jedoch einen ausgeprägt politischen Aspekt, während die „niedrigere“ Klugheit eindeutig eine private Tugend ist (vgl. TMS VI.I.13, 15) und die meisten Menschen in einer Marktgesellschaft Privatpersonen sind, die genau eine ­solche Tugend benötigen. Zur Bedeutung von privaten Tugenden in der schottischen ­Aufklärung siehe auch John Dwyer, Virtuous Discourse: Sensibility and Community in Eighteenth-Century Scotland (Edinburgh: John Donald Publishers, 1987), Kap. IV. 43 Er stellt jedoch fest, dass wir uns oft wünschen, dass „Großherzigkeit, Edelmut und Gerechtigkeit“ mit „Wohlstand, Macht und Ehren jeder Art gekrönt“ würden. Doch dies seien die Folge einer anderen Reihe von Tugenden, nämlich von „Klugheit, Fleiß und

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 153

von modernen Kommentatoren erhoben wurde: Was der Markt belohne, sei kein Verdienst im höheren moralischen Sinne.44 Autoren wie Frank Knight und von Hayek haben darauf hingewiesen, dass dasjenige, was Märkte belohnen  – sofern sie überhaupt etwas belohnen  – nicht „moralischer Wert oder menschliche Bedeutsamkeit“ seien;45 sie könnten etwa die Bereitstellung von Streichhölzern höher belohnen als die von Weisheit.46 Für Märkte ist dies jedoch genau das richtige Vorgehen, während Weisheit oder moralischer Wert in anderen Lebensbereichen belohnt werden können und sollten.47 Für Smith ist moralisches Verdienst oder höhere Tugend jedoch nicht die einzige Form von Tugend; Märkte können und sollen die bürgerliche Tugend belohnen. In seiner Darstellung der Belohnung von Tugenden muss Smith von einer entscheidenden Voraussetzung ausgehen, nämlich dass Menschen das Verhalten anderer richtig beurteilen, zumindest in der Regel. Smith geht offensichtlich davon aus, dass dies der Fall ist: „eine einzelne Handlung“ mag von anderen falsch beurteilt werden, „das ist jedoch kaum möglich, wenn man das ganze Verhalten [eines Menschen] im allgemeinen in Betracht zieht“.48 Eine ähnliche „allgemeine“ Übereinstimmung gelte auch für die Belohnung der bürgerlichen Tugenden auf Märkten: Wenn wir die allgemeinen Regeln betrachten, nach welchen gemeinhin äußere Wohlfahrt und äußeres Elend in diesem Leben verteilt sind, werden wir finden, dass trotz der Unordnung, in welcher alle Dinge in dieser Welt zu liegen scheinen, doch sogar hienieden schon jede Tugend naturnotwendig die gebührende Belohnung und die Entschädigung findet, die am meisten geeignet ist, sie zu ermutigen und zu fördern […] Welches ist der Lohn, der am meisten geeignet ist, Fleiß, Klugheit und Umsicht zu ermutigen? Erfolg in jeder Art von Geschäften. Und ist es möglich, dass ein ganzes Leben hindurch diese Tugenden nicht imstande wären, ihn zu erlangen? Wohlfahrt und äußere Ehren sind die ihnen gebührende Entschädigung, eine Entschädigung, die ihnen nur selten entgehen wird.49

44 45 46 47 48

Anstelligkeit“, was bedeute, dass wir, wenn wir einen „fleißigen Schurken“ und einen „guten, aber nachlässigen Menschen“ verglichen, wünschten, dass letzterer „in Fülle“ leben würde. Aber der „natürliche Lauf der Dinge entscheidet zugunsten des Schurken“ (TMS III.V.9 / (TMS S. 267 f.)). Zum Beispiel Rawls, A Theory of Justice, S. 310 ff.; Olsaretti, Liberty, Desert and the Market, S. 15 ff.; Miller, Principles of Social Justice, S. 134 ff. Frank H. Knight, „The Ethics of Competition“, The Quarterly Journal of Economics 37(4) (1923), S. 579–624, hier S. 589. von Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 76. Vgl. auch Miller, Principles of Social Justice, S. 180 ff. TMS III.V.8 / (TEG S. 266), vgl. auch VI.II.1.19 und VII.II.2.13.

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Die Marktwirtschaft belohnt demnach die bürgerlichen Tugenden. Sie bietet den Menschen einen Anreiz, sich ihnen entsprechend zu verhalten, was sie ordentlicher und anständiger macht.50 Zumindest gelte dies, so Smith, für die „mittleren und unteren Gesellschaftsklassen“, in denen „die Straße zur Tugend und diejenige zum Glück […] in den meisten Fällen fast durchaus die gleiche“ sei.51 Es liegt daher nahe, anzunehmen, dass der Arbeitsmarkt bei Smith so verstanden werden kann, dass jedem das gegeben wird, was er oder sie verdient. Allerdings ist im Hinblick auf die Rolle des Verdienstbegriffs in diesem Zusammenhang ein Wort der Vorsicht geboten. Smith erörtert diesen Begriff in Teil II der Theorie.52 Er argumentiert, dass er auf einer „indirekten Sympathie“ beruhe, „die wir für die Dankbarkeit der Person empfinden, gegen welche sich die Handlung richtet“,53 was sie von der Idee des Anstands unterscheide, der sich aus der Sympathie mit der handelnden 49 TMS III.V.8 / (TEG S. 265). 50 Diese Ansicht war tatsächlich „fast ein Gemeinplatz“ unter den Literaten des 18. Jahrhunderts und wurde nicht nur von Hume, sondern auch von vielen anderen Mitgliedern der schottischen Aufklärung geteilt (vgl. Muller, Adam Smith in His Time and Ours, S. 95). Das Argument, dass „Tugend sich auszahlt“, hängt mit der „doux commerce“-Doktrin über das sanfte „Interesse“ an materiellem Gewinn zusammen, das die gewalttätigeren kriegerischen „Leidenschaften“ zähme (vgl. Hirschman, The Passions and the Interests). Zu sagen, dass die moderne Gesellschaft Anreize biete, tugendhaft zu sein, ist die Kehrseite der Aussage, dass die Interessen der Menschen auf eine sozial nützliche Weise kanalisiert würden. Muller nennt dies „die institutionelle Lenkung der Leidenschaften“ (Adam Smith in His Time and Ours, S. 6, vgl. auch S. 135 ff.). Er bezieht sich damit auf Nathan Rosenbergs berühmte Beschreibung von WN als Darstellung der „Einzelheiten der institutionellen Struktur, die die Verfolgung der egoistischen Interessen des Individuums mit dem breiteren Interesse der Gesellschaft am besten in Einklang bringt“ („Some Institu­ tional Aspects of the Wealth of Nations“, Journal of Political Economy 18(6) (1960), S. 557– 570, hier S. 559). 51 TMS I.III.3.5 / (TEG S.  96). In „den höheren Gesellschaftsklassen“ ist dies nicht unbedingt der Fall: An den „fürstlichen Höfen“ und „in den Salons der Vornehmen“ hänge der Erfolg nicht von der Tugend, sondern von „Schmeichelei und Falschheit“ sowie der „Fähigkeit, Gefallen zu erregen“ ab (TMS I.III.3.6 / (TEG S. 97), vgl. Hanley, Adam Smith and the Character of Virtue, S.  41, für eine Diskussion über den Hof als „korrupte Gesellschaft“, in der „Fortschritt und Verdienste getrennt wurden“. Der Grund, den Smith dafür anführt, ist bezeichnend: Dort würden „Erfolg und Beförderung“ nicht „von der Achtung verständiger und wohlunterrichteter Standesgenossen“ abhängen, sondern „von der grillenhaften und törichten Gunst unwissender, eingebildeter und stolzer Vorgesetzter“ (TMS I.III.3.6 / (TEG S. 97)). Dies ist eine Situation, in der es kein unparteiisches Urteil gibt, und deshalb können wir nicht erwarten, dass die Ergebnisse in dem Sinne gerecht sind, dass Tugend belohnt wird (vgl. das Folgende). 52 Er trägt den Titel „Von Verdienst und Schuld oder von den Gegenständen der Belohnung und Bestrafung“, doch Smiths Gebrauch macht deutlich, dass er die Begriffe „Anspruch auf Anerkennung“ und „Verdienst“ austauschbar verwendet (vgl. zum Beispiel II.I.2, II.V.3). 53 TMS II.I.5.1.

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 155

­Person ergebe.54 Jemand verdiene eine Belohnung, wenn er oder sie „der natürliche Gegenstand einer Dankbarkeit“ sei, und zwar aus der Perspektive eines unparteiischen Beobachters.55 Auf gleiche Weise kann ein unparteiischer Beobachter anhand eines Gefühls der Verärgerung Verwerflichkeit oder fehlendes Verdienst erkennen, die die Grundlage dafür sein können, dass jemand eine Bestrafung verdient.56 Obwohl Smith betont, dass Dankbarkeit und Vergeltungsgefühle „einander entgegengesetzt sind“,57 stützt sich seine Vorstellung von Gerechtigkeit ausschließlich auf letztere. Gerechtigkeit bestehe darin, die Rechte anderer nicht zu verletzen; sie sei eine „negative Tugend“, die oft erfüllt werden könne, indem wir „still sitzen und nichts tun“.58 Wohltätigkeit und Dankbarkeit dagegen seien positive Tugenden, die die Menschen voneinander erwarten könnten, aber ohne ein Recht, sie zu erzwingen.59 Diese Asymmetrie zwischen Dankbarkeit und Vergeltungsgefühl impliziert, dass, wenn in Bezug auf den Markt von Verdienst die Rede ist, für Smith nicht Rechte und ihre Durchsetzung auf dem Spiel stehen. Es geht vielmehr darum, dass die strukturellen Merkmale des Systems so beschaffen sind, dass wünschenswertes Verhalten de facto belohnt wird. In einem nach Smiths Prinzipien wohlgeordneten Markt können im bürgerlichen Sinne tugendhafte Menschen erwarten, dass sie in ihrem Berufsleben erfolgreich sind – sie haben jedoch kein Recht auf eine Belohnung allein auf der Grundlage des Verdienstes, es sei denn, irgendein Recht wurde vertraglich festgelegt. Verdienst ist demnach für Smith keine rechtliche Kategorie, sondern beschreibt vielmehr die Art und Weise, in der Menschen – und, wie ich sogleich erörtern werde, der Markt – auf bestimmte Verhaltensweisen reagieren sollten: Wie er sagt, fordern einige Handlungen „eine entsprechende Gegenleistung“, ja, „sie scheinen laut nach ihr zu rufen“.60 Der Gedanke, dass Märkte tugendhaftes Verhalten belohnen sollten und dies auch tun, hat auf Smiths Denken großen Einfluss. Indem man untersucht, wie er diese Behauptung untermauert, kann man besser verstehen, wie sich die Idee entwickelt haben könnte, dass Marktergebnisse etwas mit Verdienst zu tun hätten. Zu diesem Zweck lohnt es sich, zwei sozioökonomische Züge der Smithschen Marktgesellschaft hervorzuheben, die diese von früheren feudalen Gesellschaften unterscheiden. In einer wohlgeordneten Marktgesellschaft hat 54 55 56 57 58 59 60

TMS II.I.5.1 / (TEG S. 116). TMS II.I.2.2 f. (TEG, S. 108). TMS II.I.2.2 f. TMS II.I.5.7 / (TEG S. 263). TMS II.II.1.9 / (TEG S. 130). TMS II.II.1.3, II.II.1.7. TMS II.I.4.2 / (TEG S. 115).

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jeder Mensch gesetzlich durchsetzbare Eigentumsrechte. Diese bilden die rechtliche Grundlage sämtlicher Ansprüche auf die Belohnung bürgerlicher Tugenden. In einem unparteiischen Rechtssystem werden Fleiß und Sparsamkeit „belohnt“. Dies ist schlichtweg eine Frage wechselseitiger Gerechtigkeit: Wer auf dem Markt mehr anbietet, erhält mehr dafür zurück,61 und wer in der Gegenwart weniger ausgibt, kann in Zukunft die Früchte dieser Tugend genießen. Bei gesicherten Eigentumsrechten ist es daher sinnvoll, wenn sich die Menschen an ihrem längerfristigen Interesse orientieren, anstatt sich kurzlebigen Vergnügungen hinzugeben. Letzteres wäre jedoch tatsächlich das Vernünftigste, wenn man jederzeit von Kriminellen oder einem gierigen Feudalherrn seines Besitzes beraubt werden könnte. Einkommen und Reichtum, die das Ergebnis von „fleißigem“ und „sparsamem“ Verhalten sind, lassen sich also mit dem Hinweis auf das (frühere) Verhalten einer Person rechtfertigen, wohingegen Armut offensichtlich ungerecht ist, wenn sie aus der Unfähigkeit resultiert, die eigenen Rechte durchzusetzen. Ein zweites Charakteristikum einer Marktgesellschaft ist, dass die Menschen „allezeit der Mitwirkung und des Beistandes vieler Menschen“ bedürfen.62 Da rechtliche Gleichheit herrscht, müssen sie das Interesse anderer Menschen daran wecken, statt sie mit Gewalt dazu zu zwingen. Sie müssen Kunden und Lieferantinnen, Mitarbeiterinnen und Kollegen finden und sie so behandeln, dass erfolgreiche Geschäftsbeziehungen möglich sind. Dies zwingt sie jedoch dazu, sich in die Lage anderer Menschen hineinzuversetzen, ihren Standpunkt zu übernehmen und zu überlegen, wie sie deren Bedürfnissen am besten entsprechen können, was eine disziplinierende Wirkung hat: „Die Furcht, seine Arbeit zu verlieren, hält ihn vom Betruge ab, und zügelt seine Nachlässigkeit.“63 Wenn die Mitglieder der „mittleren und unteren Gesellschaftsklassen“ am Markt aktiv seien, würden sie von Gleichen beurteilt: Ihr Erfolg „hängt […] beinahe immer von der Gunst und der guten Meinung ihrer 61 Im Gegensatz dazu vertritt Hegel in den Jenaer Manuskripten die Auffassung, dass dies nicht der Fall ist: Wenn die Arbeiter mehr arbeiteten, sinke der Wert der Arbeit (Jenenser Realphilosophie II, S. 138), vermutlich weil der Wert einer Ware auf dem Markt durch ihre relative Knappheit bestimmt wird. Dieses Argument gilt nicht in einer wachsenden Wirtschaft, die Smiths optimistischem Szenario entspricht. 62 WN I.II.2 / (WN Buch 1, S. 19). 63 WN I.X.II.31 / (WN Buch 1, S.  181). Dieser disziplinierende Effekt des Marktes ist die Quelle von Joseph Cropseys Behauptung, dass Smith Tugend durch Eigeninteresse ersetzen möchte (Polity and Political Economy: An Interpretation of the Principles of Adam Smith (Den Haag: Nijhoff, 1957)). Anstatt zu sagen, dass bei Smith Eigeninteresse die Tugend ersetzt, ist es allerdings zutreffender zu sagen, dass es in einem guten institutionellen Rahmen die Tugend unterstützen kann. Für eine Diskussion siehe auch Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 101 ff.

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 157

Nachbarn und Standesgenossen ab und dieser können sie selten teilhaftig ­werden“.64 Die örtlichen Kunden könnten sehr wohl beurteilen, wie sich der Metzger, Brauer oder Bäcker verhält, und sie könnten dessen Charakter bei der Entscheidung, wo sie einkaufen und mit wem sie zusammenarbeiten, berücksichtigen.65 Von daher sei es wichtig, dass Menschen den Ruf erwerben, zuverlässig und ehrlich zu sein. Smith ist der Ansicht, dass es bei häufigen Geschäftsbeziehungen im wahren Interesse der Menschen liege, ehrlich und zuverlässig zu sein; dies führe langfristig zu höheren Gewinnen, als wenn man irgendeinen Grund für einen Verdacht gebe.66 Ein Händler habe daher Angst, seinen Ruf zu verlieren, und sei bei der Einhaltung jeder Verpflichtung gewissenhaft.67 Der größere wirtschaftliche Erfolg eines „gewissenhaften“ und zuverlässigeren Händlers kann in diesem Sinne als Belohnung für das Praktizieren der bürgerlichen Tugenden verstanden werden, die ein unparteiischer Beobachter ihm gönnen würde. Von einem Markt mit vollständigem Wettbewerb, auf dem alle Teilnehmer die gleichen Rechte haben, lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass die Anbieter von anderen aus einer unparteiischen Perspektive betrachtet werden. Daher gleicht, was sie im Gegenzug erhalten, den Urteilen eines unpartei­ ischen Beobachters. Einige bewerten bestimmte Besonderheiten vielleicht zu hoch, andere zu niedrig; doch insgesamt liegen die Urteile richtig, und der Marktpreis spiegelt dies wider.68 Zumindest scheint so Smiths Argument zu funktionieren. Dagegen lässt sich jedoch ein Einwand vorbringen. Märkte werden von ano­ nymen Kräften von Angebot und Nachfrage bestimmt, die mit dem verantwortlichen Handeln von Einzelpersonen scheinbar nichts zu tun haben. Wie

64 TMS I.III.III.5 / (TEG, S. 96). Die Fähigkeit des Marktes, die Menschen zu lehren, „auf andere gerichtet zu sein“, wird auch in Fleischacker, A Third Concept of Liberty, S. 155, betont. 65 Interessanterweise sagt Smith in dem Zitat über den „fleißigen Schurken“ und den „guten, aber nachlässigen Menschen“ (TMS III.V.9 / (TEG S. 267 f.)), vgl. Fn. 43 dieses Kapitels), dass dieser „den Boden bebaut“, nicht, dass er mit Kunden Umgang habe und mit anderen Menschen zusammenarbeite  – im Umgang mit Menschen könnte es für den „fleißigen Schurken“ viel schwieriger werden, erfolgreich zu sein. 66 LJ (B), S. 539. 67 LJ (B), S. 538. 68 Die Parallele zwischen dem Mechanismus des unparteiischen Beobachters und dem Preismechanismus ist in der Smith-Forschung wiederholt bemerkt worden; die ausführlichste Diskussion liefert Otteson, Adam Smith and the Marketplace of Life, der das „Marktprinzip“ nicht nur bei der Bildung sozialer Normen, sondern auch bei anderen Phänomenen, zum Beispiel der Sprachentwicklung, am Werke sieht (vgl. auch Fn. 75 in Kap. 2 dieses Buches).

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können diese Kräfte tugendhaftes Verhalten belohnen? Was passiert beispielsweise, wenn ein Konkurrent in einen Markt eindringt und die Löhne und Gewinne der zuvor in einem bestimmten Geschäftsbereich tätigen Personen nach unten drückt?69 Wäre dies nicht eine Verringerung der Belohnung für tugendhaftes Verhalten, die ein unparteiischer Beobachter nicht akzeptieren könnte? Smiths Theorie des Preismechanismus liefert jedoch ein Argument dafür, warum dieses Szenario nicht eintreten wird. Wenn der Marktpreis entweder niedriger oder höher als der „natürliche Preis“ ist – der Preis, der die Löhne, die Miete und den Gewinn abdeckt, die in einer bestimmten Region „normal“ sind70 – dann werden einige Produzenten in den Markt eintreten oder ihn verlassen. Dadurch wird sich die Menge der Waren an diejenige Menge anpassen, bei der sich der natürliche Preis ergibt.71 Diejenigen, die in einem bestimmten Wirtschaftszweig tugendhaft gearbeitet haben und von verstärktem Wettbewerb bedroht sind, würden nach Smiths Darstellung einfach zu anderen Arten der Beschäftigung wechseln, wo ihr Fleiß und ihre Ehrlichkeit weiterhin belohnt würden. Der natürliche Preis ist also ein Preis, den ein unparteiischer Beobachter gutheißen kann, und wenn die Märkte vollständig flexibel sind, ist dies der Preis, zu dem hin der Marktpreis „tendiert“.72 Der Markt gleicht auch die Nettovorteile der verschiedenen Berufe und Investitionen aus. In seiner Theorie relativer Löhne legt Smith dar, dass auf freien Märkten unterschiedliche Löhne Unterschiede in den nichtfinanziellen Eigenschaften von Berufen widerspiegeln würden, da die Menschen ansonsten eine Beschäftigung verlassen und in eine andere drängen würden: Im Ganzen müssen die Vorteile oder Nachteile bei den verschiedenen Verwendungen der Arbeit und des Kapitals in der nämlichen Gegend entweder ganz gleich sein, oder doch beständig nach Ausgleichung streben. Wäre in der nämlichen Gegend irgend eine Verwendung offenbar mit 69 Vgl. Olsarettis Diskussion dieses Einwands; sie liest ihn als ein Argument gegen die Anwendbarkeit des Verdienstbegriffs auf Märkte (Liberty, Desert and the Market, S. 70 ff.). 70 WNI.VII.1 ff., vgl. LJ (A), S. 357 ff. Was „normal“ ist, wird durch die langfristige Entwicklung einer Gesellschaft bestimmt  – der relevante Fall ist der einer wachsenden Gesellschaft, vgl. Abschnitt 2.5 – sowie durch die Unterschiede zwischen den Berufen, die im Folgenden diskutiert werden. 71 Vgl. Abschnitt 2.5 dieses Buches. 72 WN I.VII.1 ff., vgl. LJ (A), S. 357 ff. Dies impliziert, dass Marktpreise als gerecht im Sinne der kommutativen Gerechtigkeit bezeichnet werden können, wie Jeffrey T. Young und Barry Gordon ausgeführt haben, die Smith in Verbindung mit der Tradition des „gerechten Preises“ im scholastischen Sozialdenken setzen (vgl. „Natural Price and Commutative Justice: Adam Smith and the Just Price Traditions“, Kap. V von Young, Economics as a Moral Science).

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mehr oder weniger Vorteil verknüpft, als die übrigen Verwendungen, so würden in dem einen Falle sich so viele Leute dazu drängen, und in dem andern so viele sie aufgeben, dass ihre Vorteile bald auf das Niveau der übrigen kämen.73

Zu diesen Nettovorteilen gehören nicht-materielle Faktoren wie „die Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit der Geschäfte“, die Kosten für das Erlernen eines Berufs, die „Beständigkeit oder Unbeständigkeit der Arbeit“ in einem Beruf, der Grad des „Vertrauen[s], welches man [in] die Leute setzen muss, die das Geschäft ausüben“, sowie „die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit eines Erfolgs“ in den Berufen.74 Der Markt schafft somit, dank des ausgleichenden Verhaltens der Individuen, Gleichheit bezüglich der Nettovorteile, die sowohl finanzielle als auch nichtfinanzielle Aspekte umfassen.75 Smith bezeichnet die Unterschiede, die sich aus diesen Faktoren ergeben, als „natürlich“,76 und sie können auch als „verdient“ im oben beschriebenen Sinne bezeichnet werden: Es sind Kompensationen für nichtfinanzielle Kosten oder Vorteile, die mit verschiedenen Aktivitäten verbunden sind. Ein unparteiischer Beobachter kann die „Prämie dafür, dass jemand auf hohen Türmen, als Einbalsamierer oder in der Nachtschicht arbeitet“, voll und ganz unterstützen.77 73 WN I.X.1 / (WN Buch 1, S. 137). 74 WN I.X.I.1 / (WN Buch 1, S. 138). Ähnliche Überlegungen spielen eine Rolle für Unterschiede im Profit, siehe WN I.X.I.34. Für eine zeitgenössische Diskussion der Tendenz des Marktes, die Nettogewinnraten auszugleichen, siehe zum Beispiel Johannes Berger, Der diskrete Charme des Marktes: Zur sozialen Problematik der Marktwirtschaft (Wiesbaden: VS Verlag, 2009), Kap. III. 75 Wie Berger feststellt, ist diese Art von Gleichheit auch die Hintergrundannahme in der Theorie des Humankapitals, wie sie von Jacob Mincer entwickelt wurde: Es wird angenommen, dass das Lebenseinkommen von gebildeten und ungebildeten Arbeitnehmern gleich ist. Bildung ist zunächst teurer, führt aber später zu höheren Einkommen; es wird jedoch angenommen, dass sie die Gutausgebildeten nicht insgesamt wohlhabender dastehen lässt (Der diskrete Charme des Marktes, S. 75 f.). 76 Er kontrastiert sie mit den Ungleichheiten, die durch „die Politik in Europa“ verursacht würden, die er scharf verurteilt (WN I.X.II). 77 Arthur M. Okun, Equality and Efficiency: The Big Tradeoff (Washington, DC: Brookings Institution Press, 1975), S. 72, der dieses Argument vertritt. In diesem Zusammenhang gibt es ein zusätzliches Problem: Unterschiede zwischen den Berufen können kulturspezifisch sein. Smith stellt fest, dass „Schauspieler, Opernsänger, Operntänzer u.s.w.“ nicht nur wegen der Seltenheit ihrer Talente eine höhere Bezahlung erhalten, sondern auch, weil diese Berufe in der Öffentlichkeit geringgeschätzt würden, sodass zum Ausgleich die Löhne höher ausfallen müssten (WN I.VIII.I.25 / WN Buch 1, S. 148). Dies ist eine Feststellung, die sehr stark von den kulturellen Normen seiner Zeit abhängt. Generell können unterschiedliche Bewertungen von normativ problematischen Traditionen ­abhängen, zum Beispiel von traditionellen Geschlechterstereotypen (vgl. auch Fraser und Honneth, Redistribution or Recognition? S.  140 ff.). Häufig hängt dies jedoch mit

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Wenn dies zutrifft, dann gibt es tatsächlich erkennbare Muster in den Marktergebnissen, die mit Verdienst zusammenhängen. Diese Idee wurde von modernen Theoretikern aufgegriffen, die der Auffassung sind, dass Marktergebnisse als verdiente Resultate gerechtfertigt sind. Häufig kommt dies in der – eher formalen  – Vorstellung zum Ausdruck, dass Marktlöhne die Grenzproduktivität widerspiegeln würden. Diese Theorie ist strukturell ähnlich: Sie besagt, dass Löhne dann verdient sind, wenn sie in etwa den zusätzlichen ­Gewinn durch einen zusätzlichen Arbeiter zum Ausdruck bringen.78 Sogar ­Nozick, ein entschiedener Gegner des Verdienstbegriffs, gibt zu, dass in einer ­solchen Situation „deutliche Muster“ in den Marktergebnissen erkennbar würden.79 Er legt jedoch dar, dass es in einer Marktgesellschaft auch andere Einkommensformen gibt: Geschenke, Erbschaften oder Lotteriegewinne könnten keinem Verdienst zugeordnet werden. Smith und andere Verdiensttheoretiker würden dies gewiss nicht bestreiten. Doch die Existenz dieser Einkommens­ arten liefert kein Argument gegen die Fähigkeit des Arbeitsmarktes, Tugend zu belohnen.80 Die Reichweite des Prinzips „Tugend zahlt sich aus“ ist auf diejenigen beschränkt, die die Tugenden tatsächlich praktizieren; auf jemanden, der einfach nur reich ist und kein aktives Engagement zeigt, trifft es nicht zu.81 Es ist bezeichnend, dass sich moderne Diskussionen über Verdienst auf dem

Machtungleich-gewichten zusammen, die im Folgenden als ein allgemeineres Problem für die Anwendung des Verdienstbegriffs auf den Markt diskutiert werden. 78 Vgl. zum Beispiel Miller, Principles of Social Justice, S. 8 f., Nozick, Anarchy, State, and Utopia, Kap. II. Smith selbst hat keine Theorie der Grenzproduktivität, die die Löhne bestimmt (vgl. zum Beispiel E. H. Phelps Brown, „The Labour Market“, in Thomas Wilson und Andrew S. Skinner (Hrsg.), The Market and the State: Essays in Honour of Adam Smith (Oxford: Clarendon Press, 1976), S.  243–259, hier S.  254). Er vertritt einfach die Auffassung, dass der Markt Löhne hervorbringe, die ein unparteiischer Beobachter befürworten könnte. Da seine Argumentation jedoch vom Anpassungsverhalten der Menschen abhängt, die ihre Entscheidungen mit Blick auf ihr Einkommen in der Zukunft treffen, gibt es eindeutig eine strukturelle Ähnlichkeit. Die Bedingungen für die Anwendbarkeit des Smithschen Modells gelten auch für die Grenzproduktivitätstheorie; die zusätzlichen Annahmen (und Probleme) der Theorie der Grenzproduktivität können hier nicht diskutiert werden. Vgl. zum Beispiel Sen, „The Moral Standing of the Market“, S. 15 ff., zum Problem der gemeinschaftlichen Produktion und der Unterscheidung zwischen Personen und Produktionsfaktoren. 79 Nozick, Anarchy, State and Utopia, S. 157. 80 Der Begriff „Arbeitsmarkt“ schließt hier selbstständige Handwerker und Arbeiter mit ein, die die Produkte ihrer Arbeit direkt verkaufen. Es wird davon ausgegangen, dass alle Löhne durch den Markt und nicht nach der Logik von Hierarchie, Status oder Seniorität, die die Löhne innerhalb von Unternehmen beeinflussen könnten, bestimmt werden. Für eine Diskussion dieses Problems siehe Miller, Principles of Social Justice, S. 181. 81 Die Aufrechterhaltung eines Kapitalvermögens könnte ebenfalls die Grundlage eines Verdienstes bilden, insofern sie aktives Management und einen umsichtigen Umgang mit den eigenen Ressourcen voraussetzt.

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 161

Markt in der Regel auf Arbeitseinkommen beschränken; die zugrundeliegende Idee auf sämtliche Aspekte der Verteilung innerhalb einer Marktgesellschaft anzuwenden, ergäbe keinen Sinn.82 Die Existenz unverdienter Einkommensund Vermögensformen erfordert eine gesonderte Diskussion. Das bedeutet auch, dass man aus der Tatsache, dass eine Person reich oder arm ist, nicht bereits schließen kann, dass dies verdient wäre – man muss über mehr Wissen verfügen, um beurteilen zu können, ob die Person das, was sie besitzt, auch als Belohnung für die Ausübung der bürgerlichen Tugenden verdient.83 Der „große Haufen der Menschen“ möge zwar „Reichtum und Vornehmheit“ bewundern, ohne sich diese Frage zu stellen, meint Smith,84 eine unparteiische Beobachterin jedoch kann beispielsweise den Unterschied zwischen jemandem, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hat, und jemandem, der einen Preis in einer Lotterie gewonnen oder ein Vermögen geerbt hat, erkennen.85 Dies ist eine optimistische Sichtweise, und es scheint, als ob denjenigen, die eine Anwendung des Verdienstbegriffs auf Märkte verteidigen – wie zum Beispiel Miller, Honneth oder Nozick (in dem Umfang, in dem er „Muster“ zugesteht)  – diese Sichtweise vorschwebt. Es sollte allerdings klargestellt werden, dass sich Smith auf eine Reihe ziemlich problematischer Annahmen über die Struktur des Arbeitsmarktes stützt. Neben weiteren Annahmen müssen auch diese erfüllt sein, wenn die Idee, dass die Löhne die Grenzproduktivität widerspiegeln, Sinn machen soll. Sich auf die Parallele zwischen den Urteilen eines unparteiischen Beobachters und den Marktergebnissen zu berufen, setzt vo­ raus, dass die Märkte in einem bestimmten Sinne „unparteiisch“ sind: Die Individuen müssen frei sein, sich zwischen Optionen zu entscheiden, wann immer sie wollen. Auf dem Arbeitsmarkt bedeutet dies, dass sie in der Lage sein müssen, den Arbeitgeber zu wechseln, wann immer sie es für angebracht halten. Wie im vorhergehenden Kapitel erörtert wurde, setzt dies nicht nur

82 Dies gilt für die Darstellungen von Miller und Olsaretti. 83 Smiths Vorbehalte gegenüber dem Verhältnis von Tugend und Leistung in den „höheren Lebensständen“ der Gesellschaft (vgl. Fn. 51 in diesem Kapitel) könnten damit zusammenhängen, dass man mit einem ererbten Vermögen weniger Anreize hat, tugendhaft zu sein. 84 TMS I.III.3.2 / (TEG S. 95). 85 Mit Ausnahme von Prominenten werden diese Lebensgeschichten in der Regel nur einem kleinen Kreis von Freunden und Kollegen bekannt sein. In diesem Sinne könnte Verdienst auch in der Hegelschen Wirtschaft geehrt werden (wenn auch nicht unbedingt finanziell belohnt), nämlich durch die Kollegen innerhalb einer Korporation, die in der Lage sind, die Leistungen der verschiedenen Arbeiter zu bewerten (vgl. Schmidt am Busch, „Anerkennung“ als Prinzip der kritischen Theorie, S. 237 ff.). Vgl. auch von Hayek, The Mirage of Social Justice, S.  90, der ebenfalls der Auffassung ist, dass sein Bild vom Markt den ­Begriff des Verdienstes im Kontext kleiner Gruppen nicht ausschließt.

162 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

v­oraus, dass es genügend Wahlmöglichkeiten gibt, sondern auch, dass das ­Humankapital der Arbeitnehmer flexibel genug ist, um für verschiedene Tätigkeiten eingesetzt zu werden. Smith weist ausdrücklich darauf hin, dass der Ausgleich von Nettovorteilen nur dann zustande komme, wenn „es [j]edermann freistände, sowohl seine Beschäftigung nach Belieben zu wählen, wie sie so oft zu wechseln, als es ihm gut dünkt“.86 Wenn Märkte flexibel sind, können Einzelpersonen Situationen, in denen sie ausgebeutet oder auf moralisch problematische Weise behandelt werden, den Rücken kehren und das Bewusstsein dieser Tatsache wird andere oft daran hindern, so zu handeln. Nehmen wir an, dass auf dem freien Markt der Bäcker, bei dem die Leute ihr Brot kaufen, seinen Lehrling schlecht behandelt und ihn ausbeutet, um seinen Gewinn zu steigern. Zwei Dinge werden passieren: Der Lehrling wird sich einen anderen Arbeitgeber suchen (und vielleicht den Bäcker verklagen, wenn er Regeln der Gerechtigkeit verletzt hat), und die Menschen in der Nachbarschaft, die über das Verhalten des Bäckers empört sind, werden ihr Brot bei seinem Konkurrenten kaufen. Dies gibt dem Bäcker Anreize, seine Angestellten respektvoll zu behandeln. In einer solchen Situation kann der Bäcker sein Einkommen nicht erhöhen, indem er den Lehrling ausbeutet; dies kann allerdings durchaus der Fall sein, wenn der Lehrling völlig von ihm abhängig ist und die Kunden auf der Seite des Bäckers stehen, da der Lehrling keinen vollen rechtlichen Status hat und daher nicht als „einer von ihnen“ 87 angesehen wird. Im zweiten Szenario führt die Behinderung des freien Spiels der Marktkräfte  – zum Beispiel durch Regelungen zur Berufsausbildung – zu Situationen, in denen Tugend nicht belohnt wird; ein auf diese Weise verdientes Einkommen kann nicht als verdient bezeichnet werden. Die Flexibilität des Humankapitals verringert auch den Einfluss von Glück auf die Marktergebnisse. Smith ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass der Marktpreis nur „im allgemeinen“ zum natürlichen Preis tendiert;88 manchmal 86 WN I.X.1 / (WN Buch 1, S.  137). Im Gegensatz dazu steht die Situation in Europa, wo diese Veränderungen durch zahlreiche Gesetze und Vorschriften verhindert werden  – nicht etwa durch einen Hegelianischen Markt, auf dem die Menschen aufgrund der Besonderheit ihres Humankapitals und seiner Bedeutung für ihre Identität an bestimmte Arbeitsplätze gebunden sind (vgl. Kapitel 4.3 dieses Bandes). 87 Siehe insbesondere Rothschild (Economic Sentiments, S. 27) dazu, wie eine freie Marktgesellschaft den „kleinlichen und persönlichen Despotismus“ überwindet, der in persön­ lichen Abhängigkeitsbeziehungen ohne rechtliche Grundlagen auftreten kann. Vergleiche auch Berger (Der diskrete Charme des Marktes, vgl. Kapitel 4), der darauf hinweist, dass Macht, Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung in einem perfekten Markt ­keinen Platz haben, wohl aber in Familien, Firmen und im politischen Bereich. 88 WN I.VIII.I.44.

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 163

werden die Preise durch außergewöhnliche Ereignisse verzerrt. Wenn die Einzelnen jedoch flexibel sind und von einem Arbeitsplatz zum anderen wechseln können, wird sie das weniger beunruhigen: Sie mögen an einem Arbeitsplatz Glück und an einem anderen Pech haben, insgesamt macht sich ­tugendhaftes Verhalten jedoch mehr bezahlt als lasterhaftes.89 Unter solchen Umständen ist es auch recht plausibel, dass die Marktergebnisse von Faktoren abhängen, die von Menschen kontrolliert und für die sie verantwortlich gemacht werden können, wie zum Beispiel Leistungen und Entscheidungen, und nicht von ererbten Talenten und vom Zufall  – wie bereits erwähnt, ist genau dies die große Sorge vieler linker Kritikerinnen des Verdienstbegriffs. Smith geht auf dieses Problem nicht ein, doch man kann sehen, warum es für ihn nicht so dringend ist, wie es das heute sein mag. Erstens ist er der Meinung, dass die Menschen von Natur aus sehr gleich sind,90 und indem er für eine allgemeine staatliche Grundausbildung eintritt, stellt er sicher, dass niemand zurückbleibt, ohne die grundlegenden Fähigkeiten – Lesen, Schreiben und Rechnen91 – zu erwerben, über die man in einer Marktgesellschaft verfügen muss. Zweitens spielen Entscheidungen und Leistungen bei ihm tatsächlich eine große Rolle für menschlichen Erfolg, weil er davon ausgeht, dass Humankapital leicht zu erwerben ist und die Menschen zwischen Arbeitsplätzen wechseln können. Das eigene Finanz- und Humankapital richtig zu investieren, ist Teil dessen, was der Markt belohnt – und nach Smiths Darstellung ist dies ein kontinuierlicher Prozess im Laufe des Erwachsenen­lebens, sodass es durchaus plausibel erscheint, dass Menschen in hohem Maße dafür verantwortlich gemacht werden können.92

89 Dennoch war sich Smith dessen bewusst, dass keine menschliche Gesellschaft jemals Tugenden und Belohnungen genau zur Deckung bringen kann. Endgültige Gerechtigkeit – Bestrafung für Ungerechtigkeit und Belohnung für Tugend – könne nur im Jenseits erhofft werden (TMS II.II.3.12, III.II.12). Smiths Hoffnung auf wahre Gerechtigkeit im Jenseits sollte nicht mit einem Feuerbachschen Trost für diejenigen verwechselt werden, deren Leben ein Misserfolg ist: Smith betont, dass wir „zu dem Glauben an ein künftiges Dasein nicht nur durch die Schwachheiten, durch die Hoffnungen und Befürchtungen“ gebracht würden, „die der menschlichen Natur anhaften, sondern durch die edelsten und höchsten Prinzipien, die ihr innewohnen, durch die Liebe zur Tugend und durch den Abscheu vor dem Laster und der Ungerechtigkeit“ (TMS III.V.10 / (TEG S. 270)); für eine Diskussion der Parallelen zu Kant siehe Lindgren, The Social Philosophy of Adam Smith, Kap. VII. 90 Vgl. Abschnitt 4.3 dieses Buches. 91 WN V.I.III.II.16. 92 Vgl. auch Miller, Principles of Social Justice, S.  145, der meint, dass „Verdienst gestärkt wird, wenn die Möglichkeiten, selbst verdienstvoll zu werden, von der Initiative und der Wahl des Einzelnen abhängen, und nicht etwa durch ein anderes menschliches Wirken künstlich verteilt werden“.

164 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

Dieses harmonische Bild ist jedoch bedroht, wenn der Markt keinen wirklich freien Wettbewerb ermöglicht, und insbesondere, wenn zwischen den verschiedenen Parteien ein Machtgefälle herrscht. Smith selbst erörtert dieses Problem im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Lohnverhandlungen.93 Die Arbeitgeber könnten länger ohne die Arbeitnehmer auskommen als umgekehrt; außerdem könnten sie „sich […] leichter verbinden“ 94, da sie zahlenmäßig weniger seien und oft das Gesetz auf ihrer Seite hätten. Die Löhne würden also nicht durch das freie Spiel der Kräfte auf dem Markt bestimmt, sondern durch die „Verhandlungsstärke“ der verschiedenen Parteien.95 Es sollte allerdings klar sein, dass derart zustande gekommene Preise kaum als Verkörperung des Urteils eines unparteiischen Beobachters  – oder übrigens auch der Grenzproduktivität  – angesehen werden können. Das Bild, das Smith von diesen Lohnverhandlungen zeichnet, ähnelt eher der Beziehung zwischen Feudalherren und den von ihnen Abhängigen als dem „Feilschen und Aushandeln“ auf einem freien Markt. Um es allgemeiner auszudrücken: Wann immer es eine einseitige Macht gibt, die die Preise verzerrt  – was auf den heutigen Märkten eher die Regel als die Ausnahme sein könnte  – lassen sich Marktergebnisse nicht in dem Sinne als Belohnung für tugendhaftes Verhalten rechtfertigen, wie dies hier dargestellt wurde.96 93 WN I.VIII.12. In diesen Passagen wird deutlich, dass er vor der Zeit der Gewerkschaften schreibt, was eine direkte Anwendung auf die heutige Welt problematisch macht. Auf struktureller Ebene beziehen sich seine Argumente allerdings auf jegliche Machtungleichgewichte zwischen verschiedenen Gruppen auf Märkten. 94 WN I.VIII.13 / (WN Buch 1, S. 92). Vgl. auch WN I.XI, Schlussbetrachtung S. 9 ff., bezüglich der Unterschiede in der Fähigkeit dieser Gruppen, den Gesetzgeber zu ihren Gunsten zu beeinflussen. 95 Cropsey, Polity and Political Economy, S. 75. 96 Für eine Diskussion der gegenwärtigen Relevanz dieses Problems, insbesondere in Form von freiwilliger Knechtschaft, Kinderarbeit und Schuldknechtschaft, siehe Debra Satz, „Liberalism, Economic Freedom, and the Limits of Markets“, Social Philosophy and Policy 24(1) (2007), S. 120–140. Sie betont, dass Smith das Problem der ungleichen Machtverteilung auf den Arbeitsmärkten viel differenzierter sah als viele andere klassisch liberale Denker und Mainstream-Ökonominnen. Dieser Gedanke ist mit einem Problem in Bezug auf Verdienst und Markt verbunden (wenn auch nicht damit identisch), das kürzlich von Teun J. Dekker aufgeworfen wurde („Desert, Democracy, and Consumer Surplus“, Politics, Philosophy and Economics 9(3) (2010), S. 315–338). Dekker legt dar, dass die Existenz von Konsumentenüberschüssen bedeute, dass der Markt nicht die demokratische Bewertung dessen widerspiegele, was Güter wert seien, und dass eine durchschnittliche Bewertung zu gerechteren Ergebnissen führen würde. Die Abweichung der Marktpreise von einer durchschnittlichen Bewertung kann die Folge ungleicher Machtverhältnisse auf dem Markt sein, da diese die Angebotsfunktion verändern können. Ein Konsumentenüberschuss (und auch ein Produzentenüberschuss!) kann allerdings auch aus der Tatsache resultieren, dass Individuen heterogene Präferenzen haben. Damit sein Modell funktioniert, muss Smith davon

5.2 Sind Marktergebnisse verdient? | 165

Auf einem Smithschen Markt wird der Druck auf die Arbeitnehmer jedoch erheblich gemindert, wenn die Arbeitgeber ebenso um Arbeitskräfte konkurrieren müssen wie die Arbeitnehmer um Arbeitsplätze. Dies ist in einer wachsenden Wirtschaft, wie zum Beispiel zu Smiths Lebzeiten in den amerikanischen Kolonien, der Fall.97 Wenn die Arbeitnehmer eine echte98 Wahl zwischen verschiedenen Optionen haben, ähnelt der Lohnfindungsmechanismus eher dem Urteil eines unparteiischen Beobachters, als wenn sie aus purer Notwendigkeit gezwungen sind, das erstbeste Angebot anzunehmen, das sie erhalten, oder wenn sich die Arbeitgeber zusamengetan haben, um die Löhne zu senken. In Hegels Darstellung sieht der Markt in dieser Hinsicht völlig anders aus. Wie wir gesehen haben, macht es sein Bild eines ungezügelten Marktes problematisch, nach irgendwelchen geordneten Mustern im Wirtschaftsbereich zu suchen. Entscheidend ist allerdings, dass Hegels Individuen nicht die große Auswahl zwischen verschiedenen Berufen haben, deren Existenz Smith annimmt. In der Hegelschen Darstellung sind die Menschen in einem Beruf gefangen, was sie verwundbar für die Willkür anderer macht.99 Sie treffen eine einmalige Lebensentscheidung darüber, welchen Beruf sie wählen, und es ist klar, dass ihr familiärer Hintergrund sowie glückliche oder unglückliche Umstände einen großen Einfluss darauf haben können100 – aber im Gegensatz zu den Individuen auf dem Smithschen Markt können sie sich nicht davon befreien, indem sie zu einem späteren Zeitpunkt ihres Lebens einen anderen Beruf wählen. Es ist daher die Kombination aus subjektiver Freiheit im Konsum und bei Investitionen und einer viel weniger ausgeprägten Freiheit bei der Wahl der Beschäftigung, die zur Folge hat, dass die Zuschreibung von Verdienst auf dem Markt äußerst problematisch wird.



ausgehen, dass diese Überschüsse langfristig ausgeglichen werden, sodass, in den Worten Dekkers, der „Netto-Konsumentenüberschuss“ verschwindet. 97 WN I.VIII.22. 98 Also nicht nur gleichermaßen schlechte Optionen, wie z. B. in dieser oder jener Fabrik ausgenutzt zu werden. 99 Vgl. auch Miller, Principles of Social Justice, S. 133 ff., der argumentiert, dass für die Anwendbarkeit des Verdienstbegriffs Handlungen nicht erzwungen oder manipuliert werden dürfen. Es hängt davon ab, welche Vorstellung jemand von Zwang hat, ob wirtschaftliche Notwendigkeiten als Zwang zählen. Nach dem Hegelschen Bild ist dies jedoch durchaus plausibel. 100 Olsaretti diskutiert dieses Beispiel – die Entscheidung, einen bestimmten Beruf zu erlernen – in der Tat als eine der Möglichkeiten, wie der Zufall in den Marktprozess eintritt und die Anwendbarkeit des Verdienstbegriffes untergräbt (Liberty, Desert and the Market, S. 73).

166 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

Die subjektive Freiheit ist allerdings selbst ein wichtiger Wert. Für Hegel besteht daher eine zwangsläufige Spannung zwischen dem Markt als Bereich der subjektiven Freiheit und der Vorstellung, dass dieser tugendhaftes Verhalten belohnen könnte. Hätten alle Bürger stets die Freiheit, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, wann immer sie dies wünschen, könnte dieses Problem umgangen werden. Da dies aber kaum je der Fall sein wird, handelt es sich um eine höchst reale Spannung. Beide Prinzipien, die subjektive Freiheit und die Idee, dass das Einkommen in gewisser Weise dem Verdienst entsprechen sollte, sind Schlüsselelemente der Vision einer modernen Gesellschaft. Als solche haben sie noch immer beträchtlichen Einfluss. Für Hegel und Smith haben sie eine tiefe, regelrecht metaphysische Dimension, die ihre Vorstellungen von der Überlegenheit modernen Gesellschaften untermauert. Wie wir gesehen haben,101 ist für Hegel die Frage, wie die subjektive Freiheit in ein gesellschaftliches Ganzes integriert werden kann, ohne es zu unterminieren, die Frage der modernen Gesellschaft. Für Smith hingegen ist die zen­ trale Frage für den Aufbau seines gesamten Systems die nach dem gerechten Lohn der Tugend.102 Die Marktgesellschaft ist für Smith die natürliche Ordnung des sozialen Kosmos  – dies drückt sich insbesondere in der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz aus, die der Perspektive des unparteiischen Beo­ bachters entspricht. Sie erlaubt Unterschiede in Reichtum und Rang zwar, doch diese müssen so verteilt sein, dass es von einem unparteiischen Beobachter gutgeheißen werden kann. Überdurchschnittliche Belohnungen müssen an diejenigen gehen, deren Verhalten die soziale Ordnung unterstützt und stabilisiert, die also tugendhaft leben; oder zumindest müssen sie neben Fällen von ererbtem Vermögen und reinem Glück auch an die Tugendhaften gehen. Wäre dies nicht der Fall, würden also sämtliche Belohnungen an die lasterhaftesten Individuen gehen, dann würde die Gesellschaftsordnung genau jene Eigenschaften ihrer Bürger untergraben, auf die sie für einen friedlichen und prosperierenden Fortbestand angewiesen ist. Außerdem würde man den Markt, wenn er systematisch zum Gedeihen der Lasterhaften und zum Verderben der Tugendhaften führen würde, schwerlich als gerecht ansehen können – was es schwierig machen würde, seinen Schöpfer als wohlwollend zu bezeichnen. Für 101 Abschnitte 3.4 und 3.5 dieses Buches. 102 Wie sehr sich Smith um dieses Prinzip sorgte, geht aus einem Brief an Edmund Burke aus dem Jahr 1783 hervor, in dem er ihn zu seiner Ernennung zum Paymaster General beglückwünschte und schrieb: „Es verschafft mir […] große Genugtuung zu sehen, dass das, was den höchsten Ehrenprinzipien so entgegenkam, sich am Ende nicht als unvereinbar mit dem Interesse erweisen konnte“ (Corr. 226, vgl. für eine Diskussion auch Hanley, Adam Smith and the Character of Virtue, S. 126 f.).

5.3 Wie steht es um die Armen? | 167

Smith liegt die Forderung, dass sich in einer Marktgesellschaft „Tugend bezahlt macht“, zumindest für die Mehrzahl der Menschen, die meiste Zeit und auf lange Sicht, also fast auf dem Niveau der Theodizee. Für Hegel hingegen liegt die Theodizee in der Erkenntnis, dass die Weltgeschichte, mit all ihren Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten, die Entwicklung der Freiheit ist. So wie Menschen und Zivilisationen auf dem Weg zur Freiheit geopfert werden müssen, so ist auch das Prinzip der subjektiven Freiheit so zentral, dass ihm die Sorge um die Gerechtigkeit in der Marktgesellschaft geopfert werden muss. Mit diesen Ergebnissen stecken wir in einem Dilemma. Die Idee, dass Märkte bestimmte Verhaltensweisen eher belohnen sollten als andere, ist höchst einflussreich  – doch können wir dem Marktmodell von Smith heute noch einen Sinn abgewinnen? Oder ist der Markt so beschaffen, dass wir, wenn wir ihn als Raum für subjektive Freiheit erhalten wollen, den Begriff des Verdienstes aufgeben müssen? Diese Frage, sowie einige weiterführende Über­ legungen zur Rolle des Verdienstbegriffs auf dem Markt, werden im Schluss­ abschnitt aufgegriffen. Zuvor muss jedoch noch auf einen zweiten Aspekt der Frage der sozialen Gerechtigkeit, auf das Problem der Armut und der sozialen Ausgrenzung, eingegangen werden.

5.3 Wie steht es um die Armen? Argumente für soziale Gerechtigkeit werden oft aus Sorge um die Armen vorgebracht. Dies ist besonders dann plausibel, wenn man davon ausgeht, dass Märkte Verdienst nicht belohnen, oder dass Verdienst überhaupt keine normativ relevante Kategorie ist. Doch selbst wenn man denkt, dass der Begriff des Verdienstes – mit Einschränkungen – auf Märkten eine Rolle spielen kann, ist dies mit der Sorge um die Auswirkungen des Marktes auf die am schlechtesten Gestellten nicht unvereinbar; entweder weil man der Meinung ist, dass nicht jede Form von Armut verdient ist (und vielleicht können wir den Unterschied nicht einmal erkennen), oder weil man der Meinung ist, dass Armut, sei sie verdient oder nicht, bekämpft werden sollte. Die Frage ist jedoch, wie genau das Problem der Armut mit dem Markt zusammenhängt. Die Diskussion in diesem Abschnitt konzentriert sich auf zwei Aspekte dieses Problems: Einerseits können nicht alle Arten von Armut und sozialer Ausgrenzung dem Markt angelastet werden; andererseits hängt es davon ab, welche Sicht des Marktes man hat, ob man ihn als Allheilmittel oder als Bedrohung für die Armen sieht. Häufig treffen soziale Ausgrenzung und Armut bestimmte soziale Gruppen besonders hart, zum Beispiel ethnische oder religiöse Minderheiten, und diese

168 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

Art von Diskriminierung wird manchmal dem Markt angelastet. Man muss sich jedoch fragen, in welchem Sinne er dafür verantwortlich gemacht werden kann. Es ist hilfreich, zwischen dem Markt im Sinne formaler Regeln und Institutionen und den Entscheidungen der Marktteilnehmer innerhalb dieses Rahmens zu unterscheiden  – wie wir noch sehen werden, kann der Markt im ersteren Sinne möglicherweise sogar gegen solche Diskriminierungen wirksam sein. Wie bereits betont wurde, funktioniert der Markt für Smith und Hegel vor dem Hintergrund gleicher Rechte, die jedermanns Person und Eigentum schützen.103 Nach Smith schuldet der Souverän „allen Klassen seiner Untertanen“ „Gerechtigkeit und Gleichheit der Behandlung“.104 Für Hegel schützt das „abstrakte Recht“ alle Bürger gleichermaßen: „Der Mensch gilt [als Mensch], weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Ita­ liener usf. ist“.105 Auf dem Markt begegnen sich die Menschen demnach als gleichberechtigte Individuen und müssen sich als solche anerkennen, um in gegenseitige Tauschbeziehungen treten zu können.106 Diese Gleichberechtigung ist zudem das einzige Recht, das auf dem Markt eine Rolle spielt. Man könnte daher erwarten, dass Interaktionen auf dem Markt dazu beitragen könnten, Ungleichheiten abzuschwächen, die sich aus anderen Faktoren wie Rasse, Geschlecht oder Religion ergeben, aber für die Fähigkeit, auf dem Markt zu handeln, nicht relevant sind. Schließlich sind die sozialen Beziehungen in einer Marktgesellschaft veränderbar, und Unterschiede können nicht durch rechtlichen Schutz zementiert werden.107 Bei Smith finden wir die starke Überzeugung, dass diejenigen, die Reichtum erlangt haben, nicht in der Lage seien – oder nicht in der Lage sein sollten –, ihn gegen die Kräfte des

103 Es sei denn, dass einigen Gruppen nicht einmal rechtliche Gleichstellung gewährt wird; in diesem Fall gehen die Probleme allerdings viel tiefer und können nicht ausschließlich dem Markt angelastet werden. 104 WN IV.VIII.30 / (WN Buch 4, S. 198). 105 GPR § 209; vgl. Enz § 488, § 539. Vgl. Ritter, Hegel and the French Revolution, S. 76 ff., für eine Diskussion, die dieses Thema mit Hegels Ansichten über die Französische Revolution verbindet. 106 Für eine Diskussion des Austauschs als „Form der wechselseitig anerkennenden Interaktion“ bei Smith, siehe Darwall, „Equal Dignity in Adam Smith“, S. 133; vgl. auch Thomas J. Lewis, „Persuasion, Domination and Exchange: Adam Smith on the Political Consequences of Markets“, Canadian Journal of Political Science / Revue canadienne de science politique 33(2) (2000), S.  273–289. Lewis stellt das egalitäre Ethos des Austauschs der Herrschaft und Abhängigkeit in der feudalen Gesellschaft gegenüber. Hegel betont in GPR § 192 die Gleichheit der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft, die sich in wechselseitigen Beziehungen begegnen, in denen sie allesamt „anerkannt“ werden. 107 Vgl. insbesondere Young, Economics as a Moral Science, S. 139 f.

5.3 Wie steht es um die Armen? | 169

Marktes zu sichern.108 Wenn dies der Fall ist, setzen Märkte rechtliche Gleichheit und damit die negative Freiheit aller nicht nur voraus, sondern könnten diese auch stärken.109 Allerdings sollte die Macht des Marktes, die Gleichberechtigung zu stärken, nicht überschätzt werden, und Smith ist sich dessen durchaus bewusst. Zum einen ist die Herausforderung, rechtliche Gleichheit angesichts großer Ungleichheiten bei Vermögen und Einkommen aufrechtzuerhalten, beträchtlich. Denn der Druck der wirtschaftlich Mächtigen auf diejenigen mit politischer Macht – die eine unparteiische Perspektive einnehmen sollten – kann ungeheuer groß sein, und gleiches gilt für die Versuchung der politisch Mächtigen, ihre Macht zu missbrauchen, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.110 Wenn dies geschieht, wird die rechtliche Gleichheit nicht gestärkt, sondern durch den Markt und die von ihm geschaffenen Ungleichheiten ­untergraben. Es ist auch eine Tatsache, dass es Marktwirtschaften gab und gibt, in denen Minderheiten offen diskriminiert wurden oder werden. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen wirtschaftlichen Motiven und rassistischen Vorurteilen mündete sogar in ein ganzes Forschungsprogramm über die „Ökonomie der Diskriminierung“, das von Gary S. Becker begründet wurde.111 Es befasst sich weniger mit den rechtlichen Rahmenbedingungen des Marktes, als vielmehr mit den Präferenzen der Marktteilnehmer. Becker zeigt, dass Menschen eine „Vorliebe“ („taste“) für Diskriminierung entwickeln und sogar bereit sein können, materielle Nachteile in Kauf zu nehmen, um diese zu pflegen.112 Dies zeigt, dass die Annahme, Menschen seien nur an materiellem Gewinn inter-

108 Er argumentiert, dass es in „Handel treibenden Ländern“ (im Gegensatz zu feudalen Gesellschaften) unwahrscheinlich sei, dass Familien sehr lange reich blieben, da in der einen oder anderen Generation irgendein Verschwender das Geld vergeuden würde und die Familien keinerlei Möglichkeit hätten, ihre Position durch gesetzliche Regelungen zu festigen (WN III.IX.16). 109 Vgl. Abschnitt 6.4 dieses Buches. 110 Vgl. Abschnitt 2.5 dieses Buches. 111 Gary S. Becker, The Economics of Discrimination (Chicago: University of Chicago Press, 1957). 112 Ein ähnliches Phänomen wird von Smith diskutiert: Der Fall der „Bergleute und Salzsieder“ in Schottland, die zwar höhere Löhne erhielten als die Bergleute anderswo, aber unter erheblichen Einschränkungen ihrer Freiheit litten. Smith erklärt hierzu, dass Sklaverei „von der tyrannischen Veranlagung“ herrühre, die, wie er fürchtet, „als für die Menschheit natürlich bezeichnet werden muss“, und die die Arbeitgeber dazu bringe, höhere Löhne zu akzeptieren, anstatt den Arbeitern volle Freiheit zu gewähren und niedrigere Löhne zu zahlen (LJ (A), S. 192/ S. 117). Für eine Diskussion vgl. Lewis, „Persuasion, Domination and Exchange“, S. 285 f.

170 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

essiert, selbst in Fällen problematisch ist, in denen dies zu günstigen Ergebnissen führen könnte. Um Probleme der ethnischen oder religiösen Dis­ kriminierung anzugehen, ist es daher wichtig, die Ursache dieser Art von Ungleichheit – die „Vorliebe“ für Diskriminierung – von den Ungleichheiten zu unterscheiden, die durch den Markt als solchem verursacht werden; der Markt kann Ungleichheiten auf der Grundlage diskriminierender Entscheidungen fortbestehen lassen, aber wenn seine Rahmenbedingungen gerecht sind, verursacht er sie nicht. Innerhalb eines Rahmens gleicher Gesetze für alle erlaubt eine Marktgesellschaft allerdings massive Ungleichheiten in Bezug auf Einkommen und Vermögen. Wie Hegel feststellt, ist „was und wie viel ich besitze“ vom Standpunkt des Rechts aus betrachtet eine „Zufälligkeit“.113 Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet demnach: Wie beeinflusst der Markt innerhalb dieses Rahmens gleicher Rechte die Verteilung der Einkommen? Die Auffassungen des Marktes bei Smith und Hegel unterscheiden sich in dieser Hinsicht sehr stark. Für Smith ist das wirtschaftliche Wachstum in einer Marktgesellschaft eine Flut, die alle Boote hebt und selbst für die untersten Schichten der Gesellschaft beispiellosen Reichtum herbeiführt: [U]nd dennoch ist es vielleicht wahr, dass der Komfort eines europäischen Fürsten nicht immer den eines fleißigen und mäßigen Bauern in dem Grade übertrifft, wie der Komfort des letzteren denjenigen manches afrikanischen Königs, des absoluten Herrn über Leben und Freiheit von zehntausend nackten Wilden.114

Dieses „Paradox der Zivilgesellschaft“115 findet sich bereits in Lockes zweiter Abhandlung,116 und viele Schriftsteller des 18.  Jahrhunderts haben darüber nachgedacht.117 Was Smith besonders auffällt, ist, dass es den armen Mitgliedern der Marktgesellschaft besser geht als denen in einem „unzivilisierten Staat“, obwohl ihre Arbeitskraft nicht nur sie selbst unterstützt, sondern auch

113 GPR § 49. 114 WN I.I.11 / (WN Buch 1, S. 17), vgl. ED I.1, LJ(A) S. 337 und 340. 115 Vgl. zum Beispiel Istvan Hont, The Jealousy of Trade (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2005), S. 92. 116 Laut John Locke „wohnt, nährt und kleidet sich“ der „König eines großen und frucht­ baren Landes“ dort [in Amerika] „schlechter als ein Tagelöhner in England.“ John Locke, Über die Regierung, übers. von D. Tidow (Stuttgart: Reclam Verlag, 1974), Kap. 5, Abschnitt 41. 117 Zum Beispiel Mandeville, Hutcheson, Hume oder Johnson; vgl. Winch, Riches and Poverty, S. 57 f.

5.3 Wie steht es um die Armen? | 171

das ­Gewicht all derer tragen muss, die nicht oder nicht „produktiv“ arbeiten.118 Smith ist in seinen Formulierungen in dem Frühen Entwurf eines Teils des Wohlstands und in den Vorlesungen über Rechtswissenschaften radikaler als im Wohlstand selbst, in dem er behauptet, dass „derjenige, der sozusagen die Last der Gesellschaft trägt, die wenigsten Vorteile hat“119 – und dennoch gehe es solche Individuen besser als in einem „unzivilisierten Staat“, in dem die Früchte ihrer Arbeit ihnen alleine zufallen würden. Das Wirtschaftswachstum ist eine „Folge der Arbeitsteilung“, die „jene allgemeine Wohlhabenheit hervorbringt, die sich bis auf die untersten Stände des Volkes erstreckt.“120 Um die volle Entfaltung der Arbeitsteilung zu ermöglichen, müssten jedoch Ungleichheiten zugelassen werden: Sie ergäben sich notwendigerweise aus „den verschiedenen Graden der Fähigkeit, des Fleißes und der Sorgfalt der verschiedenen Individuen“.121 Aber diese Ungleichheiten seien „nützlich“, weil sie zur „vereinigten Arbeit einer großen Menge von Arbeitern“ führten, um die Menschen mit den Notwendigkeiten und dem Luxus des Lebens zu versorgen.122 Da die Wirtschaft kein Nullsummenspiel, sondern ein Win-Win-Spiel sei, stelle es keinen Verlust für die Gesellschaft dar, dass ­einige ein größeres Stück des Kuchens hätten als andere  – Smith ist der

118 WN II.III.1, Übersetzung angepasst; Smith betont, dass beide Arten von Arbeit, produktive und unproduktive, von gesellschaftlichem Nutzen sein könnten, dass jedoch allein „produktive“ Arbeit „in einem bestimmten Gegenstande oder einer verkäuflichen Ware festgelegt und verwirklicht“ werde, und dass sie „die Vollendung der Arbeit wenigstens noch eine Zeitlang überdauert“ (WN II.III.1 / (WN Buch 2, S. 78). Es geht also um eine Unterscheidung zwischen Investition und Konsum. Für eine Diskussion siehe zum Beispiel Mark Blaug, Economic Theory in Retrospect, 5. Ausgabe (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), S. 53 ff. 119 LJ (B), S. 489. In einer derartigen Textpassage des Frühen Entwurfs, die meiner Lesart des Smithschen Marktes als eines Marktes, auf dem Tugend belohnt wird, zu widersprechen scheint, argumentiert Smith, dass „diejenigen, die am meisten arbeiten, am wenigsten bekommen“, und vergleicht einen reichen Kaufmann mit seinen „Angestellten und Buchhalter[n]“ sowie einen Handwerker mit einem armen Landarbeiter (ED I.5). Der reiche Kaufmann könnte jedoch seinen Vorteil durch ungleiche Machtverhältnisse auf dem Markt erworben haben, wie bereits erwähnt wurde. Was den Handwerker und den Arbeiter betrifft, so ist diese Bemerkung für meine Lesart problematisch. Sie könnte jedoch eher als eine Beschreibung eines bestimmten Stadiums der Entwicklung der Marktgesellschaft statt als längerfristige Tendenz verstanden werden  – ein schurkenhafter Handwerker sollte auf lange Sicht schlechter als ein tugendhafter, hart arbeitender Landarbeiter gestellt sein, da sich der Arbeiter zu anderen, besser bezahlten Arbeitsplätzen hocharbeiten können sollte. 120 WN I.I.10 / (WN Buch 1, S. 15), vgl. ED I.10. 121 LJ (A), S. 337 f. 122 WN I.I.11 / (WN Buch 1, S. 16).

172 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

­ einung, dass dies helfe, den Kuchen insgesamt größer zu machen, und somit M für alle von Vorteil sei.123 Dass es den Armen in der Marktgesellschaft besser gehe, ist eines von Smiths Hauptargumenten für diese Wirtschaftsform. Wie wir gesehen haben, sieht er den „reichlichen Lohn der Arbeit“ als „das natürliche Merkmal wachsenden Nationalreichtums“124 und versteht gesellschaftlichen „Reichtum“ („opulence“) als einen Zustand, in dem die Preise niedrig und die Löhne hoch sind, sodass die Angehörigen der Arbeiterklasse ein komfortables Leben führen können.125 Wie progressiv diese Sichtweise war, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Smith zu einer Zeit schrieb, als Armut noch weitgehend als unabänderliche gesellschaftliche Tatsache galt und viele der Ansicht waren, dass die Armen aufgrund des gesellschaftlichen Bedarfs an billigen Arbeitskräften in Armut gehalten werden sollten.126 Smith lehnt diese Ansicht ausdrücklich ab: Dienstboten, Tagelöhner und Arbeiter verschiedener Art machen den bei Weitem größten Teil jeder großen politischen Gemeinschaft aus. Was immer aber die Umstände des größten Teils verbessert, kann niemals als ein Nachteil für das Ganze angesehen werden. Sicherlich kann keine Gesellschaft blühend und glücklich sein, deren meiste Glieder arm und elend sind. Überdies ist es nicht mehr als billig, dass die, die die gesamte Masse des Volkes mit Nahrung, Kleidung und Wohnung versorgen, einen solchen Anteil von dem Produkt ihrer eigenen Arbeit erhalten, um sich selbst erträglich nähren, kleiden und wohnen zu können.127

Smith ist optimistisch, dass hohe Löhne die Armen nicht zu Müßiggang verleiten würden; er meint im Gegenteil, dass der „reichliche Lohn der Arbeit“ den 123 Vgl. WN IV.III.II.11, LJ (A), S. 50. 124 WN I.VIII.27 / (WN Buch 1, S. 101). 125 WN I.VIII.36, vgl. auch ED I.12, wo er den „hohen Preis der Arbeit“ als „das Wesen des öffentlichen Reichtums“ bezeichnet. Vgl. die Abschnitte 2.5 und 2.6 dieses Buches. 126 Vgl. Gertrude Himmelfarb, The Idea of Poverty (New York: Knopf, 1983), Kap. II, die Smiths Ansichten als „wahrhaft revolutionär“ bezeichnet (S. 46); und Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, 205 ff. Wie Fleischacker bemerkt, könnte Smith zu zusätzlichen politischen Maßnahmen gegen die Armut geschwiegen haben, weil er die Literatur seiner Zeit zu diesem Thema als „ekelerregend bevormundend“ empfand und sich davon distanzieren wollte (A Third Concept of Liberty, S. 167). 127 WN I.VIII.36 / (WN Buch 1, S. 109). Es ist interessant, darauf hinzuweisen, dass Smith den Begriff „Billigkeit“ statt „Gerechtigkeit“ verwendet. Wie andere Verwendungen dieser Begriffe in WN und LJ zeigen, verwendet er „Gerechtigkeit“ für kommutative Gerechtigkeit und „Billigkeit“, wenn ein bestimmtes Ergebnis aus der Perspektive eines unparteiischen Beobachters zwar wünschenswert, jedoch nicht unbedingt in positivem Recht kodifiziert (oder kodifizierbar) ist (vgl. zum Beispiel WN III.IV.8, LJ (A), S. 105 und LJ (A), S. 119).

5.3 Wie steht es um die Armen? | 173

„Fleiß des gemeinen Mannes“ erhöhe, seine „Körperkräfte stärkt“128 und ihn „tätiger, fleißiger und flinker“ mache.129 Die bessere Stellung der Armen ist ein zentraler Aspekt der Smithschen Antwort auf Rousseaus Kritik an der modernen Gesellschaft: Die Alternative, zu einer Gesellschaft der Gleichen zurück­ zukehren, würde die ärmsten Mitglieder der Gesellschaft – und auch alle anderen  – viel schlechter stellen, als es in der Marktgesellschaft der Fall ist.130 Smiths Argumente für das „System der natürlichen Freiheit“ können daher in einem Rawlsschen Sinne als eine Art „maximin-Prinzip“ (Maximierung der minimalen Position) zugunsten der Armen gesehen werden: Es geht ihnen in einer freien Marktgesellschaft besser als in sämtlichen anderen Gesellschaftsformen, die Smith sich vorstellen kann.131 In unserem Kontext ist es wichtig zu betonen, dass diese Verbesserung der Situation der Armen ohne jegliche Verletzung der „strengen Gerechtigkeit“, das heißt der individuellen Eigentumsrechte, erreicht wird.132 Einige Autorinnen entdecken bei Smith Anliegen, die sich auf Umverteilungsmaßnahmen des Staates beziehen, etwa in seiner Bemerkung über öffentliche Subventionen für Schulen.133 Im Großen und Ganzen vertritt Smith allerdings klar eine strikte Verteidigung der Eigentumsrechte, sowie die Abschaffung ungerechter, einseitiger Privilegien für die Reichen, und er geht davon aus, dass die ­segensreiche Wirkungen freier Märkte den Armen dann helfen würden, sich selbst zu versorgen. Der Staat soll also nicht deswegen auf Eingriffe in den 128 WN I.VIII.44 / (WN Buch 1, S. 113). 129 WNI.VIII.44 / (WN Buch 1, S. 113). Er fügt hinzu, dass das einzige Risiko hoher Löhne darin bestehe, dass sie die Arbeitnehmer dazu veranlassen könnten, sich zu überarbeiten, d. h. ihre Gesundheit um des Geldes willen zu gefährden. 130 Vgl. insbesondere Michael Ignatieff, „Smith and Rousseau“, in The Needs of Strangers (New York: Viking Penguin, 1985), S. 105–131, hier S. 116 ff., und Rasmussen, The Problems and Promise of Commercial Society, S. 101 ff. 131 Vgl. zum Beispiel Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 225. 132 Vgl. insbesondere Hont und Ignatieff, „Needs and Justice in the Wealth of Nations“. Wie von ihnen dargelegt wird, steht im Zentrum des Wohlstands der Nationen eine Frage, die aus der Tradition der Naturrechtslehre übernommen wurde, nämlich wie sichere Eigentumsrechte (die Ungleichheit des Eigentums implizieren) mit angemessener Fürsorge für diejenigen ohne Eigentum zusammen bestehen können. Für eine kritische Diskussion siehe zum Beispiel Samuel Fleischacker, A Short History of Distributive Justice (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2004), S. 18, S. 32 ff. 133 WN V.I.III.II.55, Vgl. Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 205. Unter den Autorinnen der Sekundärliteratur hat vor allem Fleischacker Probleme der Umverteilung bei Smith betont, allerdings hebt er zu Recht hervor, dass ein großer Teil von ihnen mit der Abschaffung von Maßnahmen zu tun hat, die den wirtschaftlichen Aktivitäten der Armen im Wege stehen, sodass sie ihr Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen können. Für eine Diskussion siehe auch Gordon und Young, „Distributive Justive“ (Kap. VI in Young, Economics as a Moral Science).

174 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

Markt ­verzichten, weil Smith sich nicht um das Schicksal der Armen gekümmert hätte, sondern er geht im Gegenteil davon aus, dass der freie Markt normalerweise besser dazu in der Lage ist, ihre Situation zu verbessern als irgendwelche Umverteilungsmaßnahmen. Während in Smiths Verständnis der freie Markt zur Überwindung der Armut beiträgt, erzeugt er sie für Hegel. Diese Veränderung der Sichtweise könnte durch den Beginn der „Industriellen Revolution“ und die Massenarmut in England beeinflusst worden sein, das als das Land mit der „fortschrittlichsten“ Wirtschaft galt.134 Nach Hegels Auffassung hat der Markt die im Matthäus­ evangelium beschriebene Wirkung: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“135 Hegel zitiert die erste Hälfte dieser Aussage in den ­Jenaer Manuskripten von 1805/06 in Bezug auf die Reichen in der Marktgesellschaft;136 in der veröffentlichten Fassung der Grundlinien der Philosophie des Rechts ist es die zweite Hälfte, die für die Betrachtung der Situation der Armen besonders relevant erscheint. Hegel teilt Smiths Ansichten über die Notwendigkeit der Ungleichheit, die sich aus dem Prinzip der „Besonderheit“ in der bürgerlichen Gesellschaft ergebe: Menschen unterschieden sich hinsichtlich ihrer „subjektiven Zwecke, Bedürfnisse, […] Willkür, […] Talente, äußere[n] Umstände usf.“,137 was zu einer ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen führe. Das Problem sei jedoch, dass die Tendenz zu mehr Ungleichheit sich selbst verstärke: Der Reichtum fließe tendenziell denjenigen zu, die bereits vermögend seien. In den Jenaer Manuskripten vergleicht Hegel den Reichtum mit physischer Masse: „Eine größere Masse zieht die kleineren an“;138 und in späteren Vorlesungen vertritt er die Auffassung, dass diejenigen, die einen großen Kapitalstock hätten, am Markt automatisch privilegiert seien, da sie sich geringere Gewinne pro Kapitaleinheit leisten könnten.139 Was Hegel noch stärker von Smith unterscheidet ist jedoch die Tatsache, dass er nicht davon ausgeht, dass der von den Reichen geschaffene Reichtum in die ärmeren Schichten der Gesellschaft „herunterrieselt“. Die bürgerliche Gesellschaft sei „Schauspiel ebenso der Ausschweifung, 134 Vgl. den Abschnitt 3.4 dieses Buches. 135 Matthäus 25,29, zitiert nach der Lutherbibel 2017. Der Begriff „Matthäus-Effekt“ wurde von Robert Merton geprägt, der ihn auf die Wissenschaftssoziologie anwandte („The Matthew Effect in Science“, Science 159 (3810) (1968), S. 59–63. 136 Jenenser Realphilosophie II, S. 140. 137 GPR § 49. 138 Jenenser Realphilosophie II, S. 140. 139 Griesheim, S. 494, 609.

5.3 Wie steht es um die Armen? | 175

des Elends“,140 und es gebe nichts an der Funktionsweise des Marktes an sich, das dieses Elend verringern würde. Obwohl er es nicht explizit zum Ausdruck bringt, scheint Hegel davon auszugehen, dass die Arbeitnehmer um Arbeitsplätze konkurrieren, und nicht die Arbeitgeber um Arbeitnehmer, was die Löhne drückt – etwas, das für Smith nur in wirtschaftlich „rückläufigen“ oder „stagnierenden“ Situationen geschieht. Das größte Problem ist jedoch, dass der Markt Menschen in extreme Armut stürzen kann, sodass sie keine Möglichkeit mehr haben, diese durch Arbeit zu überwinden. Hegel macht nicht ganz klar, ob dies nur dann geschehen könne, wenn Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren, doch ist dies sicherlich das größte Risiko, dem sie ausgesetzt sind. Wie wir gesehen haben, qualifiziert ihr Humankapital sie normalerweise für die Arbeit in einem bestimmten Wirtschaftszweig – im chaotischen Spiel der Marktkräfte könne jedoch jeder Industriezweig „zunichtewerden“, zum Beispiel wenn sich die Mode ändert oder wenn es „Erfindungen in anderen Ländern“ gebe.141 Diese Risiken nähmen zu, wenn die Reichen immer rücksichtsloser würden und in immer riskantere Geschäftsideen investierten: Scheiterten diese, stürze dies noch mehr Arbeitnehmer in Verzweiflung.142 Für Smith kann die Armut überwunden werden, wenn der Markt von ungerechten Überbleibseln der Feudalzeit befreit wird; für Hegel ist das Problem der Armut viel schwieriger zu lösen. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die bürgerliche Gesellschaft die Bande der Familie zerrissen habe und die „allgemeine Macht […] die Stelle der Familie“143 übernehme, und somit für die Versorgung der Armen verantwortlich sei. Das Problem bestehe jedoch nicht so sehr darin, dass dafür nicht genügend materielle Ressourcen zur Verfügung stünden. Vielmehr gebe es nicht genug Arbeit. Private Wohltätigkeitsorganisationen würden „von der Zufälligkeit“144 abhängen; sie könnten zwar ein Auskommen sichern, aber keine neuen Arbeitsplätze. Das Gleiche gelte, wenn die Last, die Armen „auf dem Stande ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten“, entweder direkt den Reichen oder „reichen Hospitälern, Stiftungen [oder] Klöstern“ auferlegt werde.145 Dies führe zu einem Einkommen, das nicht durch 140 GPR § 185, Kursivierung hinzugefügt. 141 Jenenser Realphilosophie II, S. 139 f. 142 GPR § 241, Griesheim, S.  495. Der Prozess verstärke sich selbst: Je mehr Menschen in Armut gerieten, desto leichter werde es für die höheren Ränge der Gesellschaft, „unverhältnismäßigen Reichtum in wenigen Händen zu konzentrieren“ (GPR § 244, vgl. Hotho, S. 608). 143 GPR § 241. 144 GPR § 242. 145 GPR § 245.

176 | 5 Gerechtigkeit auf dem Markt

Arbeit „vermittelt“ werde, was bedeute, dass es „gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbständigkeit und Ehre“146 verstoße. Würden hingegen die staatlichen Behörden (oder private Wohltäter) Möglichkeiten zur Arbeit nur um der Schaffung von Arbeitsplätzen willen anbieten, so würde dies die Überproduktion verstärken und so das Problem der Armut eher verschärfen als beheben.147 Die Dialektik der Überproduktion treibe die bürgerliche Gesellschaft auf andere Kontinente, wo sie in den Kolonien nach neuen Märkten suche148 – was lediglich die Tatsache unterstreiche, dass es innerhalb ihrer eigenen Grenzen keine Lösung für das Problem der Armut gibt.149 Man könnte meinen, dass für Hegel die einzige Lösung des Problems der Armut in den Korporationen, den „zweiten Familie[n]“150 der bürgerlichen Gesellschaft, liege. Eine ihrer Aufgaben besteht schließlich in einer Art So­ zialversicherung: Geraten einige Mitglieder in Not, werden sie von den reicheren Mitgliedern unterstützt. Darüber hinaus geht Hegel auf die Korporationen ein, nachdem er das Scheitern der polizeilichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung beschrieben hat, was darauf hindeuten könnte, dass sie eine Antwort auf die zuvor diskutierten Probleme darstellen. Außerdem führt er aus, dass die schlimme Armut in Großbritannien eine Folge des „Aufheben[s] der Korporationen“ sei.151 Die Frage ist jedoch, ob die Korporationen wieder eingeführt werden könnten, wenn ein gewisser Anteil der Bevölkerung bereits in Armut geraten ist. Außerdem ist nicht jeder Arbeitnehmer Mitglied einer 146 GPR § 245, Vgl. auch Griesheim, S. 498. Wie Priddat feststellt, vertritt Hegel seit seinen frühesten politischen Schriften die Auffassung, dass es ehrenvoller sei, durch eigene Arbeit Geld zu verdienen als Almosen zu empfangen (Hegel als Ökonom, S 38 ff.). 147 GPR § 245. Dieses Argument zeigt, dass Hegel, obwohl er Say als Autor der politischen Ökonomie zitiert, nicht an Say’s berühmtes Gesetz glaubt, nach dem das Angebot seine eigene Nachfrage schaffe. Dieses Gesetz gilt nur, wenn das gesamte Einkommen für den Konsum verwendet und nicht gehortet wird. Die Vorstellung, dass die Verwendung von Geld Ungleichgewichte zwischen dem globalen Angebot und der globalen Nachfrage ermögliche, könnte Hegel bei Steuart gefunden haben (vgl. Chamley, „Les origines de la pensée économique de Hegel“, S. 254). Für eine Diskussion des Sayschen Gesetzes siehe zum Beispiel Blaug, Economic Theory in Retrospect, Kap. VI. 148 GPR § 246 ff. 149 Dies wurde insbesondere von Avineri (Hegel’s Theory of the modern State) betont, der behauptet, dass es keine vergleichbare Stelle in Hegels System gebe, an der er ein Problem offenlasse, ohne eine „Aufhebung“ vorzusehen (S. 151f.). Für eine neuere Diskussion, die ein noch dramatischeres Scheitern von Hegels gesamtem philosophischen Bestreben in seiner Behandlung des Pöbels sieht, siehe Frank Ruda, Hegels Pöbel. Eine Untersuchung der Grundlinien der Philosophie des Rechts (Konstanz: Universitätsverlag Konstanz, 2011). 150 GPR § 252. 151 GPR § 245, vgl. Hotho, S. 711.

5.3 Wie steht es um die Armen? | 177

­Korporation.152 Letztlich stellt Hegel resigniert fest, dass die beste Lösung darin bestehen könnte, die Armen betteln gehen zu lassen,153 da alle anderen Maßnahmen scheiterten. Die wichtige Frage „wie der Armut abzuhelfen sei, ist eine vorzüglich die westlichen Gesellschaften bewegende und quälende“.154 Um zu verstehen, warum dies für Hegel so problematisch ist, muss man die nicht-materiellen Dimensionen der Armut berücksichtigen, die sowohl er als auch Smith deutlich erkennen. Beide haben einen klaren Blick dafür, dass Armut, selbst wenn sie nur relativ ist, nicht nur ein Problem der materiellen Entbehrung ist. Sie stellt darüber hinaus ein Problem der sozialen Ausgrenzung und der Einstellung zur Gesellschaft sowie zu sich selbst dar, ein Problem des mangelnden Respekts anderer und sich selbst gegenüber. Smith spricht von der Scham, die die Armen empfinden, wenn sie verachtet und übersehen würden,155 und er vertritt die Auffassung, dass jeder das Minimum an materiellen Gütern haben sollte, das nötig ist, um ohne Scham „öffentlich […] zu erscheinen“.156 Hegel geht noch expliziter auf die nicht-materiellen Folgen von Armut ein. Den Armen der bürgerlichen Gesellschaft möge es besser gehen als den Bewohnern eines „primitiven“ Staates, doch wie Smith akzeptiert Hegel, dass Armut relativ zu den vorherrschenden Bedingungen ist, wobei das Existenzminimum „bei verschiedenen Völkern sehr verschieden“ sei.157 Die Armen verglichen ihre Situation nicht mit derjenigen der Armen früherer Epochen, sondern mit der der reicheren Schichten ihrer eigenen Gesellschaft.158 So bestehe die bittere Ironie der Armut in der bürgerlichen Gesellschaft darin, dass die Wünsche der Armen ebenso durch die Gesellschaft bestimmt seien wie die der Reichen: Sie sähen all den Luxus, den sie sich möglicherweise aneignen könnten, doch sie wüssten, dass diese Gegenstände 152 Tagelöhner und Hilfsarbeiter sind keine Mitglieder, vgl. Hotho, S. 711, GPR § 252. 153 GPR § 245, vgl. Griesheim, S. 611 f. 154 GPR § 244 Z, vgl. auch Hotho, S. 703. 155 TMS I.III.2.1. Für eine Diskussion, vgl. Hanley, Adam Smith and the Character of Virtue, S. 50. 156 WN V.II.II.IV.3 / (WN Buch 5, S. 226). 157 GPR § 244 Z, Griesheim, S. 608, für eine Diskussion vgl. zum Beispiel Richard A. Davis, „Property and Labor in Hegel’s Concept of Freedom“, in William Maker (Hrsg.), Hegel on Economics and Freedom (Macon, GA: Mercer University Press, 1987), S. 183–208, hier S. 201 ff. 158 In einem Naturzustand können die Armen die Natur nicht für ihr Elend verantwortlich machen, denn „die Natur“ ist kein verantwortlicher Akteur, „aber im Zustande der Gesellschaft gewinnt der Mangel sogleich die Form eines Unrechts, was dieser oder jener Klasse angetan wird.“ (GPR § 244 Z). Diese Frage wird besonders dringlich, wenn man bedenkt, dass die subjektive Freiheit und „Willkür“ der einen die anderen ins Elend stürzen kann, wie die Passage in GPR § 244 Z zu implizieren scheint.

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das Eigentum anderer Menschen und für sie selbst unerreichbar seien.159 Viele Arme160 grollten daher gegen die Gesellschaft, die ihnen den Zugang zu diesen Reichtümern verwehre, und entwickelten eine „Pöbel“-Mentalität, die auf einem „Verlust des Gefühls des Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und Arbeit zu bestehen“161, beruhe. Hegel scheint sich bei der Bewertung dieser Mentalität in einem Zwiespalt zu befinden. Einerseits lehnt er sie ab, andererseits sieht er jedoch sehr deutlich, dass die Armen nicht in der Lage sind, den „Genuss der weiteren Freiheiten und besonders der geistigen Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft“162 zu empfinden, was ihre Empörung zu rechtfertigen scheint. Der vielleicht wichtigste Vorteil der bürgerlichen Gesellschaft, der den Angehörigen des „Pöbels“ verwehrt bleibe, sei eine berufliche Identität, „Ehre“ und die Bildung, die man durch Arbeit erwirbt, und es ist durchaus plausibel, dass sie ohne diese Vorteile auch die Bereitschaft verlieren, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten.163 Während die materielle Seite der Armut durch Sozialversicherung und Wohlfahrtsstaat bis zu einem gewissen Grad überwunden wurde,164 ist die Frage nach ihren nicht-materiellen Auswirkungen nach wie vor aktuell.165 159 GPR § 195. Darüber hinaus weckten die Fabrikanten in der bürgerlichen Gesellschaft immer neue und immer raffiniertere Begehrlichkeiten bei den Kunden, wodurch die Kluft zwischen dem, was die Armen haben, und dem, was sie sich wünschen, noch ­g rößer würde (Griesheim, S. 493). 160 Die Armut als solche macht niemanden zum Angehörigen des Pöbels, sondern „eine Gesinnung, durch die die innere Empörung gegen die Reichen, gegen die Gesellschaft, gegen die Regierung usw.“, die mit der Armut verknüpft sei, zusammen mit „Leichtsinnigkeit“ und „Arbeitsscheue“ (GPR §  244 Z, vgl. auch die Bemerkung in Griesheim, S. 608, dass es auch einen reichen Pöbel geben könne; zur Diskussion siehe Ruda, Hegels Pöbel, Kap. 6). Hegel gibt allerdings keinen Grund dafür an, warum einige arme Menschen zum „Pöbel“ werden und andere nicht. 161 GPR § 244. 162 GPR § 243. 163 GPR § 244 Z, Hotho, S.  703, Griesheim, S.  606 ff. In den Griesheim-Vorlesungen stellt Hegel fest, dass man ohne einen Beruf seinen Kindern keine Fähigkeiten und Kenntnisse vermitteln könne, dass man für medizinische und juristische Dienstleistungen auf Wohltätigkeit angewiesen sei und dass man noch nicht einmal den Trost der Religion erlange, da „der Arme […] in Lumpen […] nicht in die Kirche gehen“ könne (Griesheim, S. 606). 164 Die Idee einer Sozialversicherung war bereits von Aufklärern wie Paine und Condorcet diskutiert worden (vgl. Gareth Stedman Jones, An End to Poverty? A Historical Debate (New York: Columbia University Press, 2004), Kap. I. Sie fand jedoch erst im späten 19. Jahrhundert weite Verbreitung. 165 Vgl. zum Beispiel Frasers und Honneths Debatte (in Umverteilung oder Anerkennung?) darüber, ob Anerkennung und Umverteilung als zwei verschiedene Ziele sozialer Gerechtigkeit angesehen werden sollten (Fraser) oder ob Fragen der Umverteilung unter eine Theorie der Anerkennung subsumiert werden könnten (Honneth). Sie teilen die Annahme, dass beide Aspekte bei der Behandlung der Probleme von Armut und Ungleichheit von zentraler Bedeutung sind.

5.3 Wie steht es um die Armen? | 179

Auch wenn es einigen Marktgesellschaften gelungen ist, Einkommen so an die Armen umzuverteilen, dass ein akzeptabler Lebensstandard nach absoluten (im Gegensatz zu relativen) Maßstäben gesichert ist, stellen sich die Fragen nach sozialer Ausgrenzung und Mangel an Selbstachtung so dringend wie eh und je. Wieder unterscheiden sich die Antworten von Smith und Hegel. Für Smith wohnt einer wohlgeordneten Marktgesellschaft mit Wirtschaftswachstum166 die Tendenz inne, diese Probleme einzudämmen. Nicht nur verbessere sie, wie wir bereits gesehen haben, die Situation der Armen, da der Reichtum in sämtliche Klassen „herabrieselt“. Darüber hinaus würden die Gewinne infolge des verstärkten Wettbewerbs um immer weniger rentable Investitionsmöglichkeiten langfristig sinken.167 Wie bei der Erhöhung der Löhne ist Smith der Ansicht, dass diese Entwicklung in England bereits begonnen habe und sich voraussichtlich fortsetzen werde.168 Die Pachtpreise für Land stiegen in einer wachsenden Wirtschaft, wenn Land knapper werde;169 sie sänken jedoch, wenn die Produktivität des Landes nicht mehr gesteigert werden könne.170 Nimmt man diese Bemerkungen zusammen, so wird deutlich, dass die Marktgesellschaft für Smith längerfristig zu mehr materieller Gleichheit171 und zu einer Situation tendiert, in der die Einkommensunterschiede immer mehr das Ergebnis von Verdienst sind, da das Kapitaleinkommen sinkt. Mehr Gleichheit kann wiederum zu mehr Mitgefühl und mehr gegenseitigem Respekt zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten führen. Bevor wir für andere etwas

166 Vgl. Smiths Bemerkungen zum wachsenden, stationären oder schrumpfenden Zustand im WN I.VIII (vgl. Kapitel 2.6 dieses Buches). Im stationären oder schrumpfenden Zustand werden die Löhne bis zum Existenzminimum gedrückt, und die Bevölkerung nimmt ab. Für die Länder Europas sei dies jedoch nicht relevant (vgl. WNI.XI.15). Zu China, das sein Beispiel für ein stagnierendes Land ist, stellt er fest, dies sei nicht so sehr der Natur „seines Bodens, seines Klimas und seiner Lage“ geschuldet, als vielmehr seinen „Gesetzen und Einrichtungen“ (WN I.XI.15 / WN Buch 1, S. 132). 167 WN I.IX.2ff., vgl. auch II.IV.5 ff. Fabrikanten können im Gegenteil „im Ruin ihres Landes“ gedeihen (WN IV.I.29 / WN Buch 4, S. 217). Smith ist der Ansicht, dass die Interessen der Händler und Produzenten daher immer in einem gewissen Gegensatz zu den Interessen des Landes als Ganzem stehen (WN I.XI, Schlussbetrachtung, S. 10). Die einzige Ausnahme von dieser Regel seien neue Kolonien, in denen es sowohl hohe Löhne als auch hohe Gewinne geben könne (WN I.XI.11). 168 WN I.IX.6. Sichere Eigentumsrechte verstärkten diese Entwicklung: je mehr Rechts­ sicherheit, desto niedriger die Zinsen, da die Händler keine Risikoprämie mehr verlangen müssten (WN I.XI.16f.). 169 WN I.XI.Concl.8. 170 WN II.III.9. 171 Vgl. auch Schliesser, „Some Principles of Adam Smith’s Newtonian Methods“, S. 37.

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empfinden könnten, „müssen wir selbst uns einigermaßen wohl befinden“172, wobei es sich um eine Bedingung handelt, die in einer wohlgeordneten Marktgesellschaft selbst für die ärmsten Bürger erfüllt ist. Wenn Menschen einander sehr ungleich sind, wird es ihnen eventuell unmöglich, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen.173 Wird ihre materielle Situation jedoch immer ähnlicher, ist es wahrscheinlich, dass sie immer mehr Sympathie und somit auch mehr gegenseitigen Respekt füreinander empfinden. In Smiths optimistischer Vision sind die ärmeren Schichten der Marktgesellschaft materiell besser gestellt, aber auch unabhängiger und besser ausgebildet.174 Sie werden als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft anerkannt, als „verantwortungsbewusste, moralische Akteure“175 in einer „Kultur der Ehrbarkeit, die sich auf alle sozialen Schichten erstreckt“.176 Es wird nie völlige Gleichheit geben, aber alle können sich die Lederschuhe leisten, ohne die man sich „schämen würde, in der Öffentlichkeit aufzutreten“177 – und die langfristigen Tendenzen gehen in Richtung noch größerer Gleichheit und damit noch größeren gegenseitigen Respekts und gegenseitiger Anerkennung aller Bürger.178 All dies hängt allerdings von der optimistischen Annahme ab, dass die Wirtschaft wächst und dass das, was der Großteil der Bevölkerung zu bieten

172 TMS V.II.9 / (TEG S. 332), für eine Diskussion siehe zum Beispiel John Robertson, The Scottish Enlightenment and the Militia Issue (Edinburgh: John Donald Publishers, 1985), S. 223. 173 Vgl. Smiths Bemerkungen über das Schicksal der Sklaven, das in einer reichen Gesellschaft viel schlimmer sei als in einer armen, da ihre Besitzer in ersterer in Bezug auf ihre Lebensweise so weit von ihnen entfernt seien, dass sie sie nicht einmal als Menschen betrachteten (LJ (A), S. 184). 174 Vgl. WN V.VII.III.54 / (WN Buch 5, S. 117), wo Smith feststellt, dass sich jeder Einzelne der unteren Klassen, wenn er „unterrichtet und intelligent“ sei, „achtungswerter“ fühle, „eher auf die Achtung seiner Vorgesetzten rechnen“ könnte und daher „geneigter [sein werde], seinerseits die Vorgesetzten zu achten“; was ein zusätzlicher Grund für den Souverän sei, sich um die öffentliche Erziehung zu kümmern (WN V.I.III.II.61). 175 Himmelfarb, The Idea of Poverty, S. 63. 176 Diese Formulierung stammt von Muller, Adam Smith in His Time and Ours, S. 95. 177 WN V.II.II.IV.3 / (WN Buch 5, S. 225). Smith definiert hier ausdrücklich „Lebensbedürfnisse“ als „nicht bloß Waren, die zum Lebensunterhalt unentbehrlich sind, sondern auch alle die, ohne welche nach Landessitte anständige Leute, selbst des niedrigsten Standes, nicht bestehen können.“ 178 Es gibt eine Bemerkung in WN, die dieser Lesart zu widersprechen scheint: „Wo es große Besitztümer gibt, da gibt es auch große Ungleichheit. Für einen sehr reichen Mann muß es wenigstens fünfhundert Arme geben, und der Überfluß der wenigen setzt die Dürftigkeit der vielen voraus“ (V.I.II.2 / WN Buch 5, S, 25). Die Frage ist allerdings, wie arm diese Armen sind – und die Tatsache, dass es die einzige Bemerkung dieser Art in den Vorlesungen und dem Wohlstand ist bedeutet, dass sie in einer Gesamtdeutung von Smith nicht allzu viel Gewicht haben kann.

5.3 Wie steht es um die Armen? | 181

hat  – nämlich die eigene Arbeitskraft  – nachgefragt wird, sodass die Löhne steigen.179 Diese Annahme hat also ein enormes Gewicht in der Architektur des Smithschen Systems. In der Hegelschen Vorstellung hingegen soll das Problem des Pöbels durch die Polizei und die Korporationen gelöst oder abgemildert werden  – es bleibt allerdings unklar, ob dies gelingt.180 Das Gewicht, das in Smiths System auf der Annahme des Wirtschaftswachstums ruht, liegt demnach auf diesen beiden Institutionen und ihrer Fähigkeit, die Armen in die Gesellschaft zu integrieren. Hegels Schweigen zum Problem der Armut deutet darauf hin, dass er trotz seines Bewusstseins der gegenwärtigen Lage in England nicht vorausgesehen hat, wie drängend die „soziale Frage“ in den Jahrzehnten nach seinem Tod werden würde.181 Es war Marx, der einige Jahrzehnte später die Theorie aufstellte, dass der Kapitalismus notwendigerweise ein Proletariat hervorbringe, das die Fahne der sozialistischen Revolution tragen werde.182 Der historische Weg der westlichen kapitalistischen Volkswirtschaften war allerdings ein anderer: In einem langen historischen Prozess und durch ein Bündel von Maßnahmen  – Gewerkschaften, Betriebsgesetzgebung, progressive Besteuerung, Sozialversicherungssysteme usw.  – wurde ein größerer Teil der materiellen Ressourcen nach und nach auf die ärmeren Mitglieder der Gesellschaft um­ gelenkt. Es war kein ganz „freiwilliges“ Herunterrieseln des Wohlstands, wie Smith es vorhergesagt hatte – obwohl man auch dafür wohl Beispiele finden könnte. Man kann aber wohl sagen, dass es ohne das Anwachsen des Kuchens (das Smith ebenfalls vorhergesagt hatte) schwieriger gewesen wäre, eine Umverteilung in der Weise zu erreichen, wie sie tatsächlich insbesondere in den 1930er bis 1970er Jahren stattgefunden hat. Was hingegen fortzubestehen scheint, sind die Grundlinien in der Diskussion über die Armutsbekämpfung: Während politisch rechte Teilnehmerinnen an dieser Debatte (und viele Ökonomen) dafür argumentieren, dass diese durch den Markt zu geschehen habe, ruft die politische Linke nach Umverteilungsmaßnahmen durch den Staat. Unabhängig davon, was über die Verteilungseffekte konkreter Maßnahmen gesagt werden kann  – und die empirische Forschung zu diesem Thema ist

179 Vgl. auch West, „Adam Smith and Alienation“, S. 545. 180 Vgl. auch Kap. 7 dieses Buches. 181 Vgl. Gareth Stedman Jones, „Hegel and the Economics of Civil Society“, in Sudipta Kaviraj und Sunil Khilnani (Hrsg.), Civil Society: History and Possibilities (Cambridge: Cambridge University Press, 2001), S. 105–131, hier S. 129 f. 182 Vgl. Karl Marx: A Reader, zum Beispiel S. 81 (Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie), S. 251 ff. (Kommunistisches Manifest).

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alles andere als einfach183 –, sind die von Smith und Hegel ererbten intellektuellen Ansätze hier noch sehr präsent.

5.4 Schluss: Wie man Theorien zu Gerechtigkeit und Markt entwickelt Bevor ich auf verschiedene Strategien zur Theoriebildung bezüglich sozialer Gerechtigkeit zurückkomme, möchte ich, um dieses Kapitel abzuschließen, ­einige weitergehende Schlussfolgerungen zum Begriff des Verdienstes sowie über die immateriellen Aspekte der Armut und deren Beziehung zum Markt ziehen. Smiths Darstellung dessen, wie der Markt die bürgerlichen Tugenden belohnt, liefert ein wirkmächtiges Modell dafür, wie ein Verdienstprinzip auf Märkten verwirklicht werden könnte. Der Markt, als die gute natürliche Ordnung des wirtschaftlichen Bereichs, verleitet die Menschen dazu, zum „gemeinsamen Kapital“ beizutragen, indem sie auf umsichtige und ehrliche Weise die Interessen anderer und ihre eigenen Interessen fördern. Eine optimistischere Vorstellung vom Markt in Bezug auf seine Fähigkeit, Verdienst zu belohnen, ist schwer vorstellbar. Die Frage ist jedoch, was wir heute mit diesem Modell anfangen können, wenn wir uns vom metaphysischen Hintergrund seines Systems und von seinen Annahmen über die „Natürlichkeit“ der Märkte verabschieden. Gibt es ohne diesen Hintergrund irgendeinen Grund zu der Annahme, dass Märkte jemals die perfekte Form annehmen würden, die Smith beschreibt, sodass wir Verdienst irgendwie in ihnen „finden“ könnten? Können wir die Idee der Anwendung eines Verdienstprinzips auf den Markt noch sinnvoll nachvollziehen, oder haben wir lediglich eine intellektuelle Gewohnheit beibehalten, ohne zu erkennen, dass ihre Grundlagen ausgehöhlt wurden? Oder sollten wir, mit Hegel, davon ausgehen, dass Märkte durch einseitige Abhängigkeiten und unvorhersehbare Folgen entstellt werden, und dass sie daher keine Strukturen aufweisen, die in irgendeiner Weise mit den Vorstellungen von Verdienst in Verbindung gebracht werden könnten?

183 Vgl. zum Beispiel Berger, Der diskrete Charme des Marktes, Kap. 4, der betont, dass die Verwendung unterschiedlicher Indikatoren zu sehr verschiedenen Ergebnissen in Bezug auf die Entwicklung der Einkommensverteilung in kapitalistischen Gesellschaften führen kann.

5.4 Schluss: Wie man Theorien zu Gerechtigkeit und Markt entwickelt | 183

Lassen Sie mich an dieser Stelle auf eine Annahme von Smiths Modell hinweisen, die ich bisher nicht explizit erörtert habe, die jedoch einen entscheidenden Unterschied gegenüber dem Bild moderner Ökonominnen vom Markt darstellt. Smith geht davon aus, dass die natürlichen moralischen Empfindungen der Einzelnen am Markt nicht von dem Wunsch überlagert werden, ihren materiellen Gewinn zu maximieren, etwa indem sie dort kaufen, wo es am billigsten ist, unabhängig davon, wie viele moralischen Probleme mit der Herstellung einer Ware verbunden sind. Auf dem Smithschen Markt streben die Menschen vielleicht nicht nach den höchsten Tugenden, doch die bürgerlichen Tugenden der Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Gerechtigkeit sind ihnen wichtig. Moderne Wirtschaftsmodelle machen im Gegensatz dazu keinerlei Annahmen darüber, ob der Einzelne nach irgendwelchen moralischen Produktionsstandards bei den von ihm gekauften Gütern fragt. Wie Alasdair MacIntyre so treffend formuliert hat: Wenn der Metzger, bei dem wir unser Abendessen kaufen wollen, zufällig einen Herzinfarkt erleidet, während wir im Laden stehen, würden wir nicht einfach gehen und uns denken: „Aha! Wie ich sehe, ist er heute nicht in der Lage, mir mein Fleisch zu verkaufen.“184 Aber so würden die Käuferinnen in den meisten Modellen der Wirtschaftslehrbücher reagieren; zumindest gibt es in diesen Modellen nichts, das auf gegenteiliges Verhalten hinweisen würde. Einem solchen Akteur wäre es auch gleichgültig, ob Unternehmen ihre Waren durch die Ausbeutung von Kinderarbeit, die Verschwendung natürlicher Ressourcen oder die Diskriminierung von Minderheiten produzieren. Bringt man allerdings keinerlei moralische Prämissen in das Modell ein, dann ist es unwahrscheinlich, dass am Ende auf wundersame Weise Moral herauskommt  – und ohne eine solche Annahme gibt es keinen Grund zu glauben, dass die Märkte den Menschen das geben, was sie verdienen, auch wenn die Grundlagen des Verdienstes lediglich die anspruchslosen bürgerlichen Tugenden sein mögen. Die Akteure in Smiths Modell dagegen besitzen diese Tugenden und interessieren sich für sie auch bei anderen Menschen: Sie sind bescheiden, ehrlich und gesetzestreu, sie sorgen sich um die gesellschaftlichen Normen von Anstand und Respekt und sind auf ihren guten Ruf bedacht.185 Ohne diese Annahme bricht die ganze Vorstellung von Märkten, die die Ausübung bürger­licher Tugenden belohnen, zusammen. Es fragt sich demnach, ob die Individuen auf heutigen Märkten ihre moralischen Grundüberzeugungen einbringen, oder ob sie sich lediglich nutzenmaximierend verhalten. Es gibt drei Gründe, die dafür sprechen, dass Letzteres 184 Alasdair MacIntyre, Dependent Rational Animals. Why Human Beings Need the Virtues (London: Duckworth, 1999), S. 117. 185 Vgl. TMS VI.I.7 ff.

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wahrscheinlicher ist. Da gibt es, erstens, den sich selbst bewahrheitenden Charakter gesellschaftlicher Theorien – und da das seit mehr als einem Jahrhundert bestehende Modell des Marktes besagt, es handle sich bei ihm um einen moralfreien Bereich, ist es unwahrscheinlich, dass dies das Verhalten der Menschen auf den Märkten nicht beeinflusst haben sollte. Zweitens sind die mächtigsten Akteure auf den heutigen Märkten in der Regel keine natürlichen Personen, sondern Institutionen, insbesondere Unternehmen – und es ist unklar, was es für ein Unternehmen bedeuten würde, Mitgefühl mit anderen zu zeigen. Man könnte vermuten, dass das Verhalten von Unternehmen von den Erwartungen und damit auch von den moralischen Gefühlen ihrer Aktionäre abhängen müsste. Manchmal mag dies zutreffen. Unternehmensstrukturen entwickeln jedoch häufig eine Eigendynamik, die von den offiziellen Verpflichtungen gegenüber ihren Aktionären weit entfernt sein kann. Sind Aktionäre darüber hinaus selbst Institutionen, zum Beispiel Pensionsfonds, dann ist der Abstand zu menschlichen Individuen, die von moralischen Gefühlen beeinflusst werden könnten, ziemlich groß. Dies führt uns zum dritten Problem, nämlich zur Komplexität und internationalen Dimension moderner Märkte. Smiths Überlegungen bezüglich der Abschwächung des Mitgefühls für Menschen in fremden Ländern implizieren, dass – wenn Waren aus entfernten Teilen der Welt kommen – es sehr wahrscheinlich ist, dass die Käuferinnen deren Produktionsbedingungen keine Beachtung schenken, weil sie schlecht in der Lage sind, Mitgefühl mit all den Individuen zu empfinden, die in die Transaktionskette eingebunden sind.186 Man stelle sich beispielsweise Folgendes vor: Eine Verkäuferin in New York hat einen Teil ihrer Ersparnisse in einem Pensionsfonds angelegt, der sie in eine Reihe von Unternehmen investiert hat, von denen einige Subunternehmer in Indien beschäftigen. In diesem Fall ist die emotionale und vorstellungsmäßige Distanz zu den Familien, die vom Verhalten dieser Subunternehmer betroffen sind, enorm groß. Daher ist es problematisch, davon auszugehen, dass die Bande des Mitgefühls stark genug sind, diese große Distanz zu überwinden. Dies gilt besonders dann, wenn die ­Verkäuferin zu der Überzeugung gelangt ist, es sei moralisch in Ordnung, ­maximale Erträge von ihren Ersparnissen zu erwarten, und die einzige Möglichkeit, armen Kindern in Indien zu helfen, bestehe darin, Geld an Wohl­tätigkeitsorganisationen zu spenden. Kurz gesagt: Es ist äußerst problematisch, anzunehmen, dass die moralischen Gefühle der Menschen in den modernen, globalisierten und gewinn­ orientierten Märkten diejenige Rolle spielen, die sie spielen müssten, damit die 186 Vgl. zum Beispiel TMS III.III.4.

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Idee, dass Märkte die bürgerlichen Tugenden belohnen, irgendeinen Sinn ergibt. Wenn Unternehmen den Konkurrenzkampf gewinnen können, indem sie selbst die grundlegendsten Regeln der Gerechtigkeit verletzen, anstatt von moralisch empörten Kunden und Lieferantinnen aus dem Geschäft gedrängt zu werden, erscheint es regelrecht zynisch zu fragen, ob sie ihre hohen Profite verdienen – abgesehen von all den anderen Problemen, die bereits diskutiert wurden.187 Man könnte also denken, die Vorstellung von Verdienst sei nichts anderes als eine Ideologie, die wir aufgegeben sollten – je eher, desto besser. Dies wäre allerdings eine übereilte Schlussfolgerung, die „den Markt“ in einem Maß als gegeben hinnimmt, das wir nicht akzeptieren müssen. Märkte hängen von ­politischen und kulturellen Institutionen ab, die bis zu einem gewissen Grad von uns gestaltet werden. Natürlich können sie nicht gesteuert werden, indem man einfach einen Schalter umlegt. Doch es gibt trotzdem Institutionen wie das Rechtssystem, das Steuersystem oder das Kartellamt, die die Ergebnisse von Märkten bis zu einem gewissen Grad beeinflussen können. So hängt zum Beispiel die Grenzproduktivität von Arbeitnehmerinnen nicht nur von „reinen“ Marktkräften, sondern auch von Faktoren wie Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz, Exportsubventionen oder der Verfügbarkeit bezahlbarer schulischer und beruflicher Ausbildung ab. Außerdem – und das ist wichtig – kann sich die Haltung der Einzelnen ändern: Es liegt nicht in der Natur von Märkten, dass der Einzelne nur auf den Preis von Dingen achtet, ohne sich für die Bedingungen zu interessieren, unter denen sie hergestellt werden. Es ist unwahrscheinlich, dass Märkte ein Prinzip des Verdienstes jemals umfassend realisieren werden, und es lohnt sich daher, noch einmal zu betonen, dass alles, was sie belohnen können – sofern sie überhaupt etwas belohnen – nur eine Kategorie von Tugenden ist, und wohl nicht einmal die höchste, die wir uns vorstellen und nach deren Verwirklichung wir streben können. Dennoch sind Märkte umso gerechter, je mehr sie – ceteris paribus188 – diesem 187 Dennoch hat die Vorstellung, dass der Markt tugendhaftes Verhalten belohnt, auch heute noch ihre Anhänger. Siehe zum Beispiel Ian Maitland, „Virtuous Markets. The Market as School of the Virtues“, Business Ethics Quarterly 7(1) (1997), S. 17–31, oder McCloskey, The Bourgeois Virtues. Eine ausgewogenere Sichtweise der Chancen und Risiken der Smithschen Tugenden in einer Marktgesellschaft findet man in Thomas Well und J. J. Graafland, „Adam Smith’s Bourgeois Virtues in Competition“, Business Ethics Quarterly 22(2) (2012), S. 319–350. 188 Es könnte sein, dass eine im Sinne des Verdienstes gerechtere Gestaltung des Marktes mit anderen Desideraten für die Gestaltung der Rahmenbedingungen von Märkten in Konflikt steht. Dann sollten diese Konflikte jedoch offen diskutiert werden, statt den Begriff des Verdienstes einfach fallen zu lassen.

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Prinzip entsprechen. Jedes System von Regeln belohnt oder bestraft durch positive bzw. negative Anreize bestimmte Verhaltensweisen, unabhängig davon, ob dies von denjenigen, die die Regeln aufgestellt haben, beabsichtigt wurde oder nicht. Smith geht es um die Frage, ob die Anreize der Marktgesellschaft Verhaltensformen belohnen, die von einem unparteiischen Beobachter gebilligt werden können. Der Gedanke, dass „Tugend sich lohnen soll“ ist für ihn eine Art regulatives Ideal, wie dieses System von Regeln funktionieren sollte. Dieser Gedanke ist für uns noch nachvollziehbar, auch wenn  – oder gerade weil – wir nicht mehr davon ausgehen, dass diese Regeln eine Frage der „natürlichen Ordnung“ des gesellschaftlichen Kosmos wären, sondern wir wissen, dass sie bis zu einem gewissen Grad von menschlichem Handeln abhängen. Wenn man den Begriff des Verdienstes völlig aufgibt, verliert man die Möglichkeit, die Frage, welches Verhalten auf Märkten belohnt wird, aus einer normativen Perspektive zu beantworten. Es ist allerdings fraglich, ob wir uns in dieser Frage wirklich eines Urteils enthalten und die intuitive Reaktion, die wir wahrscheinlich auf sie haben, aufgeben sollten. Die Intuition, dass Märkte gute, ehrliche Arbeit belohnen sollten, die den wirklichen Interessen anderer dient, ist tief in unserem gemeinsamen moralischen Verständnis verankert, wie man in der öffentlichen Debatte an den regelmäßigen empörten Aufschreien über Einkommen sehen kann, die zu dem Beitrag, den sie für das soziale Ganze leisten, anscheinend jeglichen Zusammenhang verloren haben – sei es, weil sie zu hoch oder weil sie zu niedrig sind. Auch wenn wir zu Recht ziemlich skeptisch sein mögen, was die Fähigkeit der heutigen Märkte betrifft, Tugend zu belohnen, sollten wir die normative Intuition dahinter nicht aufgeben – vielmehr sollten wir über die Frage nachdenken, ob die Märkte an die Belohnung des richtigen Verhaltens näher herangeführt werden könnten. Hierzu müssen wir noch nicht einmal völlig mit Smith darin übereinstimmen, worin die bürgerlichen Tugenden bestehen. Häufig werden wir uns jedoch zumindest darüber verständigen können, welches die jeweiligen „Laster“ sind, die nicht zum größten Markterfolg führen sollten; und manchmal können wir diese unterdrücken, indem wir die Regeln des Systems so verändern, dass Erfolg mit solchen Methoden schwieriger zu erreichen wird. Irreführende und aggressive Werbung ist zum Beispiel in vielen Ländern verboten. Denn die Fähigkeit, die Wünsche anderer zu manipulieren, sollte auf Märkten nicht zum Erfolg führen, und sie ist gewiss kein Element von Smiths bürgerlichen Tugenden. Tatsächlich haben viele zentrale Fragen der „Strukturierung“ des Marktes in Bezug auf Verdienst genau mit den Faktoren zu tun, die sich aus der Analyse von Smiths und Hegels Darstellung ergeben haben: Unzulänglichkeiten des Marktes, einseitige Abhängigkeiten als Folge von unterschiedlichen Ausstiegsmöglichkeiten und vor allem Machtungleichgewichte.

5.4 Schluss: Wie man Theorien zu Gerechtigkeit und Markt entwickelt | 187

Die Frage des Verdienstes berührt hier die im zweiten Teil dieses Kapitels erörterten Fragen der immateriellen Dimensionen der Armut. Ein zentraler Aspekt der seelischen Probleme, die Hegel als „Mentalität des Pöbels“ bezeichnet, ist ein Gefühl des „Feststeckens“: Es wird einem das Recht verweigert, an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft teilzuhaben. Für einige gesellschaftliche Gruppen scheint der Arbeitsmarkt nicht mehr offen und einladend zu sein, ein Ort, an dem sie sich in die Gesellschaft integrieren, Anerkennung für ihren Beitrag erhalten und vielleicht etwas tun können, was sich als Erwerb von Verdienst bezeichnen lässt. In ihrer ursprünglichen Form war die Idee, dass Märkte Verdienst belohnen, jedoch genau gegen solche soziale Ausgrenzung gerichtet. Jeder sollte die Chance haben, auf dem Markt belohnt zu werden, solange er oder sie bereit ist, sich an die Spielregeln zu halten: die Gesetze zu befolgen, hart zu arbeiten und die bürgerlichen Tugenden zu praktizieren, die dafür sorgen, dass die Verfolgung der eigenen Interessen anderen bei der Verfolgung der ihren hilft und sie nicht dabei behindert. Typischerweise sind die Probleme, die eine Anwendung des Verdienstbegriffes auf Märkte verhindern, die gleichen Hindernisse, die benachteiligte Personen davon abhalten, auf Märkten Erfolg zu haben. Sie können jedoch, zumindest in gewissem Umfang, durch kluges politisches Handeln beseitigt werden. Es ist eine Aufgabe, die Märkte so zu gestalten, dass sie, wenn sie schon nicht perfekt sind, so doch dem Smithschen Modell zumindest näherkommen; und zwar in dem Sinne, dass sie es Menschen ermöglichen, sozial eingebunden zu sein und für harte, ehrliche Arbeit belohnt zu werden. Heute erfordert die Herausforderung, jedem die Chance auf Beteiligung an der Steigerung des Wohlstands der Nation zu geben, allerdings proaktivere Maßnahmen als diejenigen, die Smith in seinen Überlegungen zur Bildung vorschlug. Außerdem erfordert sie möglicherweise viel stärke Eingriffe, als sie diejenigen, die seinen Namen für sich beanspruchen, zulassen würden. Eine wichtige Dimension ist hierbei die Frage, ob Einkommen hauptsächlich als Arbeitseinkommen oder als Kapitaleinkommen erworben wird. Nach Ansicht zahlreicher Autorinnen hat es in den letzten Jahren eine massive Verschiebung von Arbeits- zu Kapitaleinkommen gegeben, die mit einem zunehmenden Ungleichgewicht von Einkommen und Vermögen einherging. Kapitaleinkommen ist jedoch oft unverdient, vor allem wenn das Vermögen, auf dem es beruht, geerbt wurde oder das Ergebnis von Glück bei finanziellen Spekulationen ist. Aus der Smithschen Sicht ist dies eine gefährliche Entwicklung – nicht nur aufgrund des Einflusses, den Superreiche auf politische Prozesse nehmen können, sondern auch aufgrund der Abkopplung des relativen Reichtums von jeglicher Vorstellung von einem Beitrag zum sozialen Ganzen

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durch die Ausübung bürgerlicher Tugenden. Dies bedeutet, dass die Menschen am unteren Ende der Gesellschaft zunehmend die Hoffnung verlieren, sich nach oben arbeiten zu können, und dass sie in die Art von Apathie und Rebellion gegen die Gesellschaft verfallen, die Hegel beim „Pöbel“ seiner Zeit beobachtete. Dies führt schließlich zu der Frage, wie man Gerechtigkeit und Markt ­t heoretisch erfassen kann. Ich habe weiter oben zwischen der Theoriebildung über Marktgesellschaften und derjenigen über den Markt unterschieden, wenn es um die Auseinandersetzung mit sozialer Gerechtigkeit geht. Ich gehe davon aus, dass es nicht ausreicht, nur Ersteres zu tun, ohne dem Markt und seinen direkten Auswirkungen auf Gleichheit, Armut und Gerechtigkeit Aufmerksamkeit zu schenken. Die zeitgenössische Theorie folgt weitgehend einer Hegelschen Strategie: sie hat die Idee der Verwirklichung von Gerechtigkeit auf Märkten aufgegeben und sich stattdessen auf die Institutionen konzentriert, die den Markt umgeben. Das ist auch Hegels Antwort auf die Probleme der bürgerlichen Gesellschaft. Obwohl die Polizei und die Korporationen versuchen, die Probleme der sozialen Ausgrenzung und der Armut zu lindern, besteht Hegels Lösung letztlich darin, dass es eine zusätzliche soziale Sphäre – den Staat – geben muss, in der eine allgemeine, nicht-formale Art von Anerkennung ihren Ort hat; wo die Einzelnen nicht nur Wirtschaftsbürger (bourgeois), sondern Staatsbürger (ci­ toyens) sind.189 Es ist allerdings fraglich, ob dies eine ausreichende Lösung ist, und zwar aus mindestens zwei Gründen. Erstens ist es einfach nicht dasselbe, ob man Almosen beziehungsweise Unterstützung vom Staat erhält, oder ob man eine Arbeit hat und sich und seine Familie selbst unterstützt. Aus der Perspektive der etablierten Wirtschaftswissenschaften, in denen die Arbeitszeit normalerweise als etwas verstanden wird, das Menschen generell minimieren möchten, mag es gleichwertig erscheinen. Berücksichtigt man hingegen die weitergehenden normativen Dimensionen des Arbeitsmarktes, die uns in den Schriften von Smith und Hegel begegnen, 189 Vgl. Abschnitt 6.4 dieses Buches. Ein ähnlicher Gedanke wird von Miller geäußert, der meint, „die leistungsorientierte Zuteilung von Arbeitsplätzen und Belohnungen müsste durch eine robuste Form gleicher Staatsbürgerschaft ausgeglichen werden  – robust in dem Sinne, dass die Menschen ein starkes Verständnis ihrer Gleichheit als Bürgerinnen haben, ungeachtet ihrer unterschiedlichen wirtschaftlichen Verdienste, und robust in dem Sinne, dass gleiche Staatsbürgerschaft das bestimmende Prinzip für Leistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung ist“ (Principles of Social Justice, S.  200). Zur gleichen Staatsbürgerschaft in einer kapitalistischen Gesellschaft siehe insbesondere T. H. Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates (Frankfurt am Main: Campus, 1992).

5.4 Schluss: Wie man Theorien zu Gerechtigkeit und Markt entwickelt | 189

so ist klar, dass dies nicht gleichwertig ist. Für beide Autoren ist die Teilnahme am Wirtschaftsleben des eigenen Landes mehr als nur eine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen: Es ist außerdem eine Möglichkeit, bestimmte Tugenden auszuüben, oder ein Berufsethos zu erwerben und von den Mitgliedern eines bestimmten Berufsstandes anerkannt zu werden. Zweitens ist es fraglich, ob wirtschaftliche Ausgrenzung und Ungleichheit durch politische Inklusion tatsächlich überwunden werden können. In Hegels Beschreibung des Staates begegnet uns die Frage nach der Anerkennung der Armen wieder: Die politische Vertretung wird durch die Stände und Korporationen organisiert,190 und die Mitglieder des „Pöbels“, also diejenigen, von denen man erwarten könnte, dass sie den dringendsten Bedarf an politischer Anerkennung haben, sind genau diejenigen, die aus diesen Strukturen herausfallen.191 Obwohl es keine Korporationen mehr gibt, besteht das Problem, dass politischer Einfluss, öffentliches Interesse und gesellschaftliche Anerkennung wirtschaftlichem Erfolg folgen, in vollem Umfang fort. Die Hoffnung, dass andere Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens die Ausgrenzung, die mit fehlendem wirtschaftlichem Erfolg einhergeht, kompensieren könnten, erscheint daher ziemlich problematisch. Dies bedeutet, dass man auf die Frage der sozia­ len Anerkennung nicht eingehen kann, ohne wirtschaftliche Fragen und deren Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Anerkennung in den heutigen Gesellschaften ausgedrückt wird, zu berücksichtigen. Es bedeutet, dass zusätzlich zu den politischen Fragen auch Fragen der Gerechtigkeit innerhalb der Märkte erörtert werden müssen. Der Markt ist wohl oder übel eine Realität unseres Lebens, und dies ist ein zwingender Grund dafür, ihn im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit nicht theo­ retisch zu vernachlässigen. Der Markt ist weder eine „black box“, die eisernen Gesetzen folgt und nur als Ganze akzeptiert oder abgelehnt werden kann, noch ist er ein normativ farbloses „System“, das einfach in den normativen Rahmen der übrigen Gesellschaft integriert werden könnte. Vielmehr hat er zwar sicherlich seine Eigendynamik, hängt aber doch auf komplexe und subtile Weise von den ihn umgebenden Institutionen ab. Es ist vielleicht nicht möglich, ihn vollständig zu zügeln, bis zu einem gewissen Grad ist sein Ergebnis jedoch durch seine rechtliche und politische Rahmung beeinflussbar. Statt sich ausschließlich auf Umverteilung zu konzentrieren, ist ein zentrales Problem, wie es den ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht werden 190 GPR § 300 ff. 191 Zur Frage, wie der Pöbel die richtige Haltung gegenüber dem Staat entwickeln könnte, vgl. auch Ruda, Hegels Pöbel, Kap. 10.

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kann, durch Eigeninitiative aus der Armut herauszukommen und gleichberechtigt in die sozialen Strukturen des Wirtschaftslebens integriert zu werden. Häufig geht es dabei um den Erwerb von Humankapital. Daher lag in Debatten über die Armutsbekämpfung zu Recht ein wichtiger Schwerpunkt auf der Notwendigkeit einer qualitativ hochwertigen staatlichen Bildung, die jedem Kind die Chance gibt, wesentliche Fähigkeiten zu erwerben und seine Talente und deren gesellschaftlich sinnvollen Einsatzmöglichkeiten zu entdecken. Doch nicht nur die Schulbildung, sondern auch Weiterbildungseinrichtungen können dem Einzelnen dabei helfen, neue Rollen zu übernehmen und im Laufe des Lebens zusätzliches, oder andersartiges, Humankapital zu erwerben. Solche Institutionen geben Menschen die Chance, frühere Entscheidungen, bei denen Glück oder äußere Umstände eine erhebliche Rolle gespielt haben mögen, zu revidieren und Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Ein weiteres Problem betrifft das Verhalten von Unternehmen und die Frage, ob Märkte ausschließlich Effizienz belohnen, oder ob in ihnen auch ein gewisses Bewusstsein für größere moralische Zusammenhänge existiert, zumindest im Sinne grundlegender Standards von Menschenrechten und Legalität. Dies ist insbesondere für internationale Unternehmen von Belang, die in Ländern agieren, deren ordnungspolitische Strukturen schwach ausgeprägt sind. Um Märkte gerechter zu machen und besser auf Praktiken hin auszurichten, die für alle Beteiligten Vorteile haben, sind mehr Transparenz und mehr Bewusstsein bei den Käuferinnen entscheidend. Das Smithsche Idealbild von Märkten, die es belohnen, wenn Güter durch die Ausübung der bürgerlichen Tugenden bereitgestellt werden, kann hier eine heuristische Funktion übernehmen: Es kann uns dabei helfen, zu fragen, ob wir der Meinung sind, dass ein Unternehmen die von ihm erzielten Gewinne verdient, oder ob es möglicherweise unrechtmäßig Macht über andere ausgeübt oder auf andere Weise gegen grundlegende Regeln der Moral verstoßen hat. Schließlich scheint die Macht einiger reicher Einzelpersonen und großer Unternehmen nicht so weit von den feudalen und kommerziellen Missbräuchen entfernt, die Smith kritisierte und im Gegensatz zu denen er seine Vision einer offenen, leistungsorientierten Marktgesellschaft entwickelte. Diejenigen, die dafür plädieren, den Begriff des Verdienstes, auf den Markt angewandt, ganz aufzugeben, laufen letztlich Gefahr, denjenigen in die Hände zu spielen, denen es darum geht, solche unverdienten Privilegien zu verteidigen. Ein Großteil der heutigen Kritik an Märkten scheint nicht nur mit ihren ­Auswirkungen auf die Armen oder die natürliche Umwelt zu tun zu haben, sondern auch mit dem Problem, dass sie Verhaltensformen zu belohnen scheinen, die ein unparteiischer Beobachter nicht gutheißen könnte, etwa kurz- statt

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langfristiges Denken oder das Anbieten von Produkten, die zwar modisch aussehen, jedoch nicht von solider Qualität sind. Der Begriff des Verdienstes kann als „kritischer Begriff“, wie Miller dies ausdrückt, sehr nützlich sein: als Begriff, der uns hilft, Intuitionen zu Aspekten des Wirtschaftssystems zu formulieren, die aus dem Ruder laufen.192 Damit rechtfertigt das Prinzip, dass Märkte Verdienst belohnen sollten, freie Märkte nicht. Man kann aus Olsarettis Analyse der Versuche derartiger Rechtfertigungen schließen, dass diese vom Verdienstprinzip zu viel erwarten: Als alleinige Grundlage für den Aufbau eines gerechten Marktsystems reicht es nicht aus. Es kann uns jedoch helfen, ein solches System so weit wie möglich mit unseren Intuitionen über Gerechtigkeit in Einklang zu bringen. Es dient nicht dazu, „den freien Markt“ als solchen zu rechtfertigen oder zu verwerfen; vielmehr unterscheidet es zwischen Fällen, in denen diese Übereinstimmung stärker oder schwächer ist. Unter ansonsten gleichen Bedingungen sollten wir versuchen, sie zu stärken. Dies sind nur einige der Fragen, die man stellen könnte, wenn Gerechtigkeit im Hinblick auf Märkte selbst diskutiert wird. Es mag noch andere geben, die weit weniger offensichtlich sind, zumindest für die Philosophinnen unter uns. Märkte haben einen primären Einfluss auf soziale Gerechtigkeit, der nicht vernachlässigt werden sollte, unabhängig davon, wie wichtig andere Institutionen, wie etwa die staatliche Bildung, sind. Zum Beispiel waren, soweit ich weiß, Kartellgesetze oder die Struktur der Unternehmensbesteuerung selten von Interesse für Autoren, die über sozialen Gerechtigkeit geschrieben haben – dabei könnten sie weit größere Auswirkungen auf die Verteilung haben als einige Veränderungen im System der Umverteilung.193 Häufig sind solche Fragen sehr detailliert: Eine versteckte Klausel im Kleingedruckten einer Verordnung zum Arbeitsschutz kann beispielsweise einen großen Einfluss darauf haben, wie Unternehmen sich verhalten oder wie sie versuchen, sie zu umgehen. Auch geht es nicht bei allen Faktoren, die die Gerechtigkeit von Märkten beeinflussen, um Fragen positiver Gesetze und Vorschriften; gesellschaftliche Erwartungen, Vorbilder und Netzwerke können enorme Auswirkungen haben, wie etwa, wenn der Zugang zu bestimmten Arbeitsplätzen von sogenannten „old boy 192 Miller, Principles of Social Justice, S. 123, S. 127 und S. 140 ff. 193 Ein hervorragendes Beispiel für die Art von Forschung, die mir vorschwebt, ist Peter Dietschs Aufsatz „The Market, Competition and Equality“ in Politik, Philosophie und Wirtschaft 9(2) (2010), S. 213–244, der die Auswirkungen des Wettbewerbs auf verschiedene Gruppen auf dem Markt erörtert. Auch er betont die Vernachlässigung dieses Bereichs durch die Forschung, sein Aufsatz ist jedoch ein vielversprechender Anfang. Anm. der Autorin zur deutschen Ausgabe: Dieses Forschungsfeld ist seit 2014 stark gewachsen, sodass die Aussage 2020 nicht mehr ganz stimmt.

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networks“ kontrolliert wird. Solche Fragen wurden zwar schon oft von feministischen und postkolonialen Philosophen aufgeworfen, ihre Relevanz für die Verteilungsgerechtigkeit, durch ihre wirtschaftlichen Folgen, war bisher allerdings kein großes Thema. Mit diesen Thesen im Hinterkopf möchte ich auf das Beispiel von Wilt Chamberlain zurückkommen. Dieses Beispiel beschreibt einen Fall, in dem viele der Hindernisse, die einer Belohnung bürgerlicher Tugenden durch den Markt im Wege stehen, keine Rolle spielen. Es gibt keine offensichtlich schädlichen externen Faktoren: Basketballspielen verschmutzt weder die Atmosphäre, noch produziert es Waffen, die in die falschen Hände gelangen könnten, noch macht es süchtig (obwohl der letzte Punkt umstritten sein könnte). Am wichtigsten ist jedoch, dass sämtliche Transaktionen vor einem Hintergrund der Gleichberechtigung stattfinden und weder Zwang noch einseitige Macht im Spiel sind, die den Markt verzerren würden. Der Kauf von Eintrittskarten ist völlig freiwillig, und allein die Tatsache, dass sie in der Lage sind, Geld für diese Karten auszugeben, beweist, dass die Käufer nicht in bitterer Armut leben und ihre Entscheidung aus Not oder Mangel an Wahlmöglichkeiten getroffen haben könnten. Dieser Markt entspricht fast perfekt Smiths Vorstellung. Je ähnlicher ein Markt einer solchen Situation ist, um so plausibler ist es, seine Ergebnisse als verdient zu bezeichnen, selbst wenn er durch die „Lotterie der Natur“ dem Einfluss des Glücks stets unterworfen bleiben wird. Was das Beispiel jedoch so faszinierend macht, ist die Tatsache, dass es eine Person beschreibt, deren Ausgangslage es nicht als wahrscheinlich erscheinen ließ, dass sie jemals ein Vermögen anhäufen würde. Es ist der Fall von jemandem, der es von einer sehr niedrigen zu einer hohen gesellschaftlichen Stellung geschafft hat, und obwohl Talent und Glück dabei gewiss eine Rolle gespielt haben, wären seine Leistungen ohne harte Arbeit nicht möglich gewesen. Es ist allerdings auch zu beachten, dass Wilt Chamberlains Talent in einer staatlichen Schule entdeckt wurde, die es in einem Staat, der nach Nozicks Vorstellungen organisiert wäre, gar nicht geben würde. Letztlich kommt es vielleicht nicht so sehr darauf an, dass glückliche Einzelne wie Chamberlain sehr viel mehr verdienen können als andere, die weniger Glück haben  – bis zu einem gewissen Grad sind Sport- und Popstars Sonderfälle, aufgrund der spezifischen Mechanismen öffentlicher Aufmerksamkeit. Was zählt, ist, dass jeder Einzelne die Chance hat, seinen Weg zu erfolgreicher Teilnahme an Märkten zu finden, und dass Märkte, insbesondere Arbeitsmärkte, allen die Chance bieten, sich zu entwickeln. Je größer die ­Anzahl der Märkte ist, die auf freiwilligen Transaktionen ohne einseitige ­Abhängigkeiten und Ausbeutung beruhen, desto eher können wir den Erfolg

5.4 Schluss: Wie man Theorien zu Gerechtigkeit und Markt entwickelt | 193

derjenigen, die auf ihnen ein hohes Einkommen erzielen, unter normativen Gesichtspunkten gutheißen. Dies ist eine Frage der die Märkte umgebenden Institutionen, wie etwa öffentlicher Schulen  – und es liegt nahe, die vom Glück Begünstigten wie Chamberlain zu besteuern, um Mittel für derartige Zwecke aufzubringen. Doch es ist auch eine Frage der Marktstrukturen selbst. Wer über soziale Gerechtigkeit nachdenkt, sollte versuchen, auf alle diese normativen Dimensionen des wirtschaftlichen Bereichs einzugehen. Das hilft nicht nur, mehr und bessere Vorschläge dazu zu entwickeln, wie die Situation in unseren Gesellschaften verbessert werden kann. Es hilft auch, die zahlreichen und komplexen normativen Fragen zu verstehen, um die es auf Märkten geht. Indem wir uns um eine Theorie des Marktes selbst bemühen, können wir seine normativen Probleme besser verstehen, aber auch seine ­normativen Potentiale freisetzen.

6 Freiheit, Freiheiten und der Markt 6.1 Einleitung

F

reiheit ist einer der umstrittensten Begriffe in der Geschichte des politischen Denkens. „Gebt mir die Freiheit oder gebt mir den Tod“, war der Schlachtruf der amerikanischen Revolutionäre. „Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn“ ist der letzte Wunsch des Helden in Goethes Faust. Im Schlachtruf der Französischen Revolution stand „Liberté“ an erster Stelle. Es ist jedoch nicht klar, ob das Wort in diesen drei und in den vielen anderen Fällen, in denen es von Denkerinnen und Protestierenden, Romanautorinnen und Rebellen verwendet wurde, dasselbe bedeutet. In der politischen Philosophie ist die Diskussion über verschiedene Begriffe oder Aspekte von Freiheit,1 zumindest seit der Zeit der genannten Revolutionen, ein ständiges Thema. Die systematische Untersuchung verschiedener Freiheitsbegriffe ging oft Hand in Hand mit der Entdeckung bzw. Wiederentdeckung dessen, was Denker der Vergangenheit mit diesem Begriff meinten. Obwohl Isaiah Berlins berühmte (oder berüchtigte) Unterscheidung zwischen „negativer“ und „positiver“ Freiheit an zahlreichen Universitäten bis heute gelehrt wird, 2 hat sich die wissenschaftliche Diskussion in Richtung anderer Konzepte weiterentwickelt. In den letzten Jahren drehte sie sich insbesondere um den „republikanischen“ Freiheitsbegriff, wie er von Philip Pettit und Quentin Skinner vorgeschlagen wurde, und darum, ob und wie er sich von anderen Freiheitsvorstellungen unterscheidet. In diesem Kapitel wird die Beziehung zwischen verschiedenen Aspekten der Freiheit in den Darstellungen der Marktgesellschaft bei Smith und Hegel erörtert. Den gängigen Klischees über Smith und Hegel zufolge gehört ersterer zum Lager der „negativen Freiheit“, verstanden als dem Fehlen äußerer Einmischung, wobei den wirtschaftlichen Freiheiten im Markt eine zentrale Bedeutung zukommt. Hegel wird hingegen häufig als Paradebeispiel eines Denkers der „positiven“ Freiheit gesehen. Bei ihm kommt dem Staat eine zentrale Rolle dabei zu, vielfältigere Formen von Freiheit zu ermöglichen. Wie wir noch 1 Anm. d. Übers.: Ich übersetze „liberty“ und „freedom“, die im engl. Original synonym verwendet werden, beide mit „Freiheit“. 2 Isaiah Berlin, Two Concepts of Liberty: An Inaugural Lecture Delivered before the University of Oxford on 31 October 1958 (Oxford: Clarendon Press, 1958).

6.1 Einleitung | 195

sehen werden, haben diese Klischees einen wahren Kern. Die Dinge sind allerdings komplexer – sowohl in den Darstellungen von Smith und Hegel, als auch im Hinblick auf die verschiedenen Aspekte von Freiheit und deren Zusammenhänge. Insbesondere ist der Begriff der „positiven“ Freiheit weitaus gehaltvoller und differenzierter, als es die einfache Gegenüberstellung mit „negativer“ Freiheit impliziert. Die von Smith und Hegel beschriebenen Aspekte und Dimensionen von Freiheit hängen in hohem Maße von ihren Auffassungen des Marktes und seines Verhältnisses zur Gesellschaft ab. Es geht um die Beziehung zwischen verschiedenen Aspekten von Freiheit und um die Bedeutung, die diesen Ideen in einer liberalen Gesellschaft zukommen kann. Ich beginne mit einer Voraussetzung, die Smith und Hegel sowie viele zeitgenössische Denkerinnen teilen: In einer liberalen Marktgesellschaft verfügen die Bürger über zahlreiche „negative“ Freiheiten, wie etwa die Meinungs- und Religionsfreiheit. Wichtig ist, dass der Markt selbst ihnen ebenfalls eine Art negativer Freiheit gewährt: die Freiheit, mit ihrem Besitz so zu verfahren, wie es ihnen beliebt, ohne dass eine zentrale Planungsinstanz eingreifen würde.3 Wie wir gesehen haben, ist dies sowohl für Smith als auch für Hegel ein zen­trales Argument für den Markt. Strenggenommen müsste man auch ein Argument dafür liefern, wie und warum ein System des Privateigentums – vielleicht zusammen mit Umverteilungsmaßnahmen  – mit negativen Freiheiten vereinbar ist, oder warum es dasjenige System ist, das im Großen und Ganzen zu den wenigsten Einschränkungen negativer Freiheit führt. Versteht man negative Freiheit nicht nur in einem rein formalen Sinn als Freiheit innerhalb irgend­eines Eigentumssystems, so muss man Gerry Cohen zustimmen, dass jedes System von Eigentumsrechten einige Freiheiten zulässt und andere einschränkt: Ich bin frei, mein eigenes Eigentum zu nutzen, jedoch nicht das von anderen – und wenn ich nicht zumindest über eine bestimmte Menge an Eigentum verfüge, klingt die Rede von der „Freiheit“ zu kaufen und zu verkaufen wie ein leeres Versprechen. Eine Marktgesellschaft ist daher nicht schon per definitionem frei, sondern besteht aus „komplexen Strukturen von Freiheit und Unfreiheit“.4 Bei den in diesem Kapitel behandelten Themen gehe ich jedoch davon aus, dass für Smith und Hegel eine wohlgeordnete Marktgesellschaft tatsächlich allen Bürgerinnen ein 3 Vgl. Kap. 2.5 und 3.4 dieses Buches. Für eine Zusammenfassung der zeitgenössischen ­Argumente bezüglich der negativen Freiheit auf dem Markt siehe zum Beispiel Satz, Why some Things Should Not Be for Sale, S. 122. 4 Gerry A. Cohen, „Capitalisms, Freedom and the Proletariat“, in Alan Ryan (Hrsg.), The Idea of Freedom. Essays in Honour of Isaiah Berlin (Oxford: Oxford University Press, 1979), S. 9–25, hier S. 12. Für eine ähnliche Kritik an Nozicks Vorstellung von Freiwilligkeit siehe auch Olsaretti, Freedom, Desert and the Market, Kap. IV–VI.

196 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

hohes Maß an negativer Freiheit zugesteht, vielleicht das höchste, das man in einer komplexen modernen Gesellschaft realistischerweise erwarten kann. „Wohlgeordnet“ zu sein kann dabei ein gewisses Maß an Umverteilung durch Steuern oder Institutionen wie die Korporationen beinhalten; es sollte mindestens so viel Umverteilung und Rechtsschutz beinhalten, wie erforderlich ist, um zu verhindern, dass die negative Freiheit der Bürgerinnen durch die Notwendigkeit ausgehöhlt würde, ausbeuterische Verträge zu akzeptieren. Bei vielen zeit­ genössischen Debatten über die Art der Freiheit, die in einer kapitalistischen Gesellschaft bestehen kann, zum Beispiel bei der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen, geht es um die Frage, welche und wie viele solcher Maßnahmen erforderlich sind, um eine mehr als rein formale Freiheit zu ermöglichen.5 Dies sind wichtige Fragen, doch scheint es unwahrscheinlich, dass Smiths optimistische Annahmen in Bezug auf das Wirtschaftswachstum und seine Verteilungseffekte oder Hegels wie ein frommer Wunsch klingender Vorschlag, mächtige Korporationen einzuführen, uns viel bei ihrer Lösung helfen können; es sei denn vielleicht, indem sie uns verdeutlichen, dass sich beide nicht unter die Verteidiger eines rein eigentumsrechtlich verstandenen Freiheitsbegriffs subsummieren lassen. Für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Freiheit und Markt sind ihre Schriften dennoch äußerst wertvoll, denn sie können uns helfen, Fragen aufzuwerfen, die in den aktuellen Diskussionen vernachlässigt werden: Ist die wirtschaftliche Freiheit einer Marktgesellschaft nur dies, oder bezieht sie sich auf andere, reichhaltigere Freiheitsbegriffe? Ich nähere mich diesem Thema in zwei Schritten und gehe dabei auf zwei kritische Fragen ein, die häufig aufgeworfen wurden, wenn es um Freiheit als Abwesenheit von Hindernissen ging. Die erste Frage bezieht sich darauf, wie die Freiheit der Einzelnen in einer Marktgesellschaft mit Autonomie zusammenhängt. Nutzen sie ihre Freiheit, um ein authentisches, selbstbestimmtes Leben zu führen – oder werden sie in sinnentleerten Konsum getrieben, weil sie aus Wünschen heraus handeln, die nicht wirklich ihre eigenen sind? Trifft letzteres zu, stellt sich die Frage nach dem Wert der negativen Freiheit. Wie wir sehen werden, erkennen Smith und Hegel sowohl Chancen – die in den heutigen Debatten häufig übersehen werden – als auch Risiken für die Autonomie des Einzelnen auf dem Markt. Im dritten Abschnitt gehe ich auf die von Smith und Hegel vorgeschlagenen Lösungen ein. Dabei wird sich herausstellen, dass es beiden nicht nur um die Freiheit als Abwesenheit von Hindernissen geht, sondern auch um die Fähigkeit der Menschen, autonom zu handeln. Ihre Argumente widerlegen die Behauptung von 5 Vgl. z. B. den bezeichnenden Titel des Buches von Philippe van Parijs, Real Freedom for All: What (if Anything) Can Justify Capitalism? (Oxford: Oxford University Press, 1998).

6.2 Markt und Autonomie | 197

Denkern wie beispielsweise von Hayek, der darauf besteht, dass es ausreicht, sich allein auf die negative Freiheit zu konzentrieren: Es kommt auch darauf an, ob der „Raum“ der negativen Freiheit auf eine Weise genutzt werden kann, die autonome Entscheidungen und persönliche Entwicklung ermöglicht. Die zweite kritische Frage, die im vierten Abschnitt diskutiert wird, betrifft die Stabilität eines Gesellschaftssystems, in dem die Menschen weitreichende wirtschaftliche Freiheit haben: Würden die Kräfte des freien Marktes dieses nicht zerstören und so die Bedingungen der Freiheit selbst untergraben? Bedürfte es nicht Mechanismen der kollektiven Selbstregierung, die sich diesen Kräften widersetzen können? Smith und Hegel stellen uns hier zwei unterschiedliche Modelle vor. Für Smith wirkt sich die Gewährung weitreichender negativer Freiheiten positiv auf die Stabilität der Gesellschaft aus und führt zu einem sich selbst verstärkenden Prozess, der auch zu weitergehenden Formen von Freiheit führt. Für Hegel ist die negative Freiheit äußerst wertvoll, doch da sie sich potenziell eher selbst untergräbt als verstärkt, muss sie durch Institu­ tionen ergänzt werden, die umfassendere Formen von Freiheit garantieren. Im Schlussabschnitt fasse ich die daraus resultierenden Thesen zusammen: Sobald man die abstrakte Ebene verlässt und nach der konkreten Verwirklichung von Freiheit fragt, zeigt sich, dass rein theoretische Diskussionen darüber, was Freiheit „ist“, unzureichend sind. Stattdessen braucht man die richtige Balance zwischen verschiedenen Aspekten von Freiheit, die in verschiedenen historischen Kontexten unterschiedlich aussehen kann. Bei der Diskussion darüber, welche Aspekte von Freiheit in einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt verwirklicht sind oder fehlen, spielt der soziale Kontext, darunter vor allem der Markt, eine entscheidende Rolle. Unterschiedliche Modelle des Marktes führen zu unterschiedlichen Konzepten, wie die verschiedenen Aspekte von Freiheit miteinander verbunden sind und welche politischen Maßnahmen es braucht, um ein harmonisches Zusammenspiel der Freiheiten für alle Bürgerinnen zu gewährleisten. Statt abstrakte Konzeptionen gegeneinander auszuspielen, muss sich ein Modell liberaler Gesellschaften mit den Beziehungen zwischen den verschiedenen Konzeptionen und Dimensionen von Freiheit auseinandersetzen, die wir aus unserer Geistesgeschichte übernommen haben.

6.2 Markt und Autonomie In vielen ihrer Modelle gehen Ökonominnen standardmäßig davon aus, dass Akteure „die Befriedigung ihrer Präferenzen maximieren“. Diese Voraussetzung verschleiert allerdings entscheidende Fragen dazu, wie Individuen ihre

198 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

Präferenzen ausbilden und nach ihnen handeln: Sind sie hilflose Opfer instinktiver Triebe, oder handeln sie nach selbstgewählten Werten und Prinzipien? Diese Frage lässt sich mit Hilfe des Begriffs der Autonomie beantworten. Er hat zwei Aspekte.6 Es gibt, erstens, die „Kompetenzbedingung“: Hat jemand die Fähigkeit, seinen Präferenzen entsprechend zu handeln, ohne systematische Selbsttäuschung oder Mangel an Willenskraft? Eine zweite Bedingung ist die Fähigkeit, nach den eigenen Präferenzen zu handeln, nach Wünschen, über die man nachgedacht hat, die man gutheißen und mit denen man sich identifizieren kann. Dies wurde als „Authentizitätsbedingung“ bezeichnet; sie bezieht sich auf die Tradition, nach der Freiheit als persönliche Entwicklung und Individualität verstanden wird, wie etwa bei John Stuart Mill.7 Bei der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Freiheit einer Markt­ gesellschaft und der Autonomie hilft es, diese beiden Aspekte zu unterscheiden und zu fragen, wie sie vom Markt – in den verschiedenen Formen, die Smith und Hegel beschreiben – beeinflusst werden. Die positive Wirkung des Marktes auf die Kompetenz autonomen Handelns verdankt sich der Tatsache, dass er den Bürgern die Möglichkeit bietet, autonomes Verhalten zu erlernen, weil er sie dazu erzieht, sich auf sich selbst zu verlassen und mit anderen als unabhängige Akteure zu interagieren. Wie wir gesehen haben, liefert Smith eine ausführliche Darstellung der Tugenden und der Art und Weise, wie der Markt Anreize bietet, (einige) von ihnen zu erwerben, insbesondere die Klugheit, also die Fähigkeit, im eigenen langfristigen Interesse zu handeln.8 Die Einzelnen müssen Selbstbeherrschung entwickeln, um ihre kurzfristigen Wünsche zu überwinden und die Wünsche und Vorlieben anderer Menschen zu berücksichtigen. Dies lehrt sie, ihre spontanen Emotionen zu kontrollieren und über die weitergehenden Folgen ihres Handelns nachzudenken. Smiths positive Beschreibungen unabhängiger Handwerker zeigen, dass er davon überzeugt ist, dass sie sich in der Welt besser orientieren und autonomer handeln können als die meisten, wenn nicht sogar alle, Mitglieder einer feudalen Gesellschaft.9 Arbeiter erfänden häufig Maschinen, während 6 Diese Unterscheidung zum Begriff der Autonomie wurde von einer Reihe zeitgenössischer Autoren getroffen; für eine zusammenfassende Darstellung siehe John Christman, „Autonomy in Moral and Political Philosophy“, in Edward N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy Ausgabe vom Herbst 2009: http://plato.stanford.edu/archives/ fall2009/entries/autonomy-moral/ (letzter Zugriff im April 2020). 7 John Stuart Mill, Über die Freiheit. Übers. von Kurt Seilin (Stuttgart: Reclam, 1974), insbesondere Kap. 3. 8 Vgl. Abschnitt. 5.2 dieses Buches. 9 Man könnte meinen, dass zumindest die Feudalherren mehr Möglichkeiten hatten, selbstbestimmt zu handeln. Aber Smith beschreibt die Grundbesitzer seiner Zeit als

6.2 Markt und Autonomie | 199

Sklaven „sehr selten erfinderisch“ seien, da sie keinen Anreiz hätten, den Arbeitsprozess zu verbessern.10 Menschen, die für ihren eigenen Profit arbeiteten, zeigten „viel mehr Tatkraft und Fleiß bei ihrer Arbeit“ als Sklaven oder abhängige Pächter.11 Da die Marktgesellschaft den Großteil der Bevölkerung von Personen, die früher im Grunde Sklaven waren – nämlich Pächter von Feudalherren  – in unabhängige Arbeiter verwandelt, erlangen diese „Tatkraft“ und „Fleiß“, was ihre Fähigkeit eigenständig zu handeln verbessert. Wichtig ist, dass diese Charaktereigenschaften nicht nur für eine bestimmte Aufgabe, sondern für eine Vielzahl von Projekten und Lebensentwürfen nützlich sind. Die „bürgerlichen Tugenden“ von Smith teilen mit den aristotelischen Tugenden eine teleologische Struktur: Sie dienen dem Glück derjenigen, die sie praktizieren. Für Smith setzen die Tugenden im Gegensatz zu Aristoteles allerdings kein „allgemeines und endgültiges Ziel des telos selbst“ voraus;12 vielmehr ermöglichen sie den Menschen, verschiedene Arten von Leben zu führen, während sie in Harmonie mit sich selbst und der Gesellschaft stehen.13 Selbstbeherrschung, um das klassische Beispiel zu nennen, ist für alle Unterfangen erforderlich. Sie sei die Tugend, von der „auch alle anderen Tugenden ihren Glanz in erster Linie zu empfangen“ scheinen.14 Indem der Markt die Bürger zu kompetentem Urteilsvermögen und Selbstbeherrschung erzieht, führt er sie zur Autonomie. Dieselbe Idee – dass die Marktgesellschaft ihre Mitglieder erzieht – findet sich auch bei Hegel, und zwar in dem Gedanken, dass der Einzelne in der bürgerlichen Gesellschaft Bildung erfährt.15 Wie bereits erörtert wurde, lehrt in einer Marktwirtschaft die Arbeit die Einzelnen, zu ihren unmittelbaren, natürlichen Instinkten auf Distanz zu gehen, weil sie auf den Willen anderer,

„nicht nur unwissend, sondern auch jener Anstrengung des Geistes unfähig, die erfordert wird, um die Folgen politischer Maßnahmen vorherzusehen und zu begreifen“ (WN I.XI, Schluss von Kap.8 / WN Buch 1, S. 344). Er bringt dies ausdrücklich mit der Tatsache in Zusammenhang, dass sie nicht arbeiten. Dasselbe könnte auch für die feudalen Grundbesitzer früherer Zeiten gelten. 10 WN I.I.8 / (WN Buch 4, S. 238), vgl. auch WN IV.IX.47, LJ (A), S. 346. 11 LJ (A), S. 186. 12 M. J. Calkins und Patricia Werhane, „Adam Smith, Aristotle, and the Virtues of Commerce“, Journal of Value Inquiry 32(1) (1998), S. 43–60, hier S. 50. 13 Vgl. insbesondere Fleischacker, A Third Concept of Liberty, S. 7, S. 150 und passim. Wie Fleischacker hervorhebt, muss Smith die Frage nach dem Endzweck des menschlichen Lebens nicht beantworten, da Moral für ihn in Anstand besteht, nicht im Nutzen für irgendeinen Zweck. 14 TMS VI.III.11/ (TEG S. 293). 15 Diese Parallele wird auch von Frederick Neuhouser, „The Wealth of Nations and Social Science“, The Adam Smith Review 2 (2006), S. 234–238, hier S. 234, gezogen.

200 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

sowohl ihrer Kolleginnen als auch ihrer Kunden, Rücksicht nehmen müssen.16 Dieses „Moment der Befreiung, das in der Arbeit liegt“17 kann als die erworbene Fähigkeit verstanden werden, aufgrund selbstgesetzter Ziele zu handeln, und damit als ein Schritt in Richtung Autonomie.18 So kann das Leben in einer Marktgesellschaft Menschen helfen, ihre Kompetenz für autonomes Handeln zu entwickeln. Tatsächlich kann dieser erzieherische Aspekt des Marktes ein ziemlich unerbittliches Gesicht zeigen: Wenn Menschen nicht klug und selbstbeherrscht sind, gefährden sie ihr eigenes sozia­ les und materielles Wohlergehen und das ihrer Familien. Smith spricht von der „Aufsicht“, die die Kunden über einen Arbeiter führten,19 während Hegel die Aufassung vertritt, dass sich die Allgemeinheit der bürgerlichen Gesellschaft als die „Notwendigkeit, dass das Besondere sich zur Form der Allgemeinheit erhebe“, darstelle.20 In einer Marktgesellschaft sind die Bürgerinnen und Bürger für ihr eigenes Verhalten voll verantwortlich, ob sie es wollen oder nicht, und dies gibt ihnen die Möglichkeit, schafft aber auch die Notwendigkeit, dass sie selbstbestimmt zu handeln lernen.21 Der Markt hält allerdings nicht nur Chancen, sondern auch Risiken für die Fähigkeit der Menschen zum autonomen Handeln bereit. Diese ergeben sich bei Smith vor allem aus der zunehmenden Arbeitsteilung. Während Buch I des Wohlstands deren positive Wirkung auf die Arbeitseffizienz in den höchsten Tönen preist, ist Buch V vorsichtiger und sogar pessimistisch. In einer Passage, die später von Karl Marx oder Émile Durkheim artikulierte Befürchtungen ­antizipiert, vertritt Smith die Ansicht, dass der Arbeiter, dessen „ganzes Leben [auf] ein paar einfache Verrichtungen“ beschränkt sei, „keine Gelegenheit [hat], seinen Verstand anzustrengen oder seine Erfindungskraft zu üben, um Hilfsmittel gegen Schwierigkeiten aufzusuchen, die ihm niemals begegnen.“ Unter solchen Umständen wird ein Arbeiter so dumm und unwissend, wie es ein menschliches Wesen werden kann. Die Verknöcherung seines Geistes macht ihn nicht nur unfähig, an einer ver16 Vgl. Abschnitt 4.3 dieses Buches. 17 GPR § 194. 18 Vgl. ähnlich R. M. Wallace, „How Hegel Reconciles Private Freedom with Citizenship“, Zeitschrift für politische Philosophie 7(4) (1999), S. 419–433, hier S. 429. 19 WN I.X.II.31 / (WN Buch 4, S. 181). 20 GPR § 186, vgl. Neuhouser, Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 149 f., zur Diskussion. 21 Eine gewisse Absicherung gegen unglückliche Lebensumstände wird, zumindest in Hegels Darstellung, durch Polizei und Korporationen geboten. Er verdeutlicht allerdings nicht, ob diese Schutzmaßnahmen auch in Fällen selbstgeschaffener Probleme greifen, z. B. wenn jemand durch Glücksspiel sein Vermögen verliert oder sein Unternehmen verlassen muss, weil er gegen dessen Ehrenkodex verstoßen hat.

6.2 Markt und Autonomie | 201

nünftigen Unterhaltung Geschmack zu finden oder nur daran teilzunehmen, sondern auch unfähig freier, edler oder zarter Gefühle, und mithin einer richtigen Beurteilung selbst der gewöhnlichsten Pflichten des Privatlebens. Über die großen und umfassenden Interessen seines Landes vermag er nicht zu urteilen, und ohne dass man sich darum die erdenklichste Mühe gibt, wird er auch unfähig, seinem Vaterlande im Kriege zu dienen.22

Smith hält dies für ein spezifisches Problem der Marktgesellschaft, in der die meisten Menschen in der Industrie und nicht in der Landwirtschaft arbeiteten, einer Arbeit, die viel mehr „Verstand“ und „Erfindungskraft“ erfordere. In dieser Hinsicht seien „zivilisierte“ Gesellschaften ihren Vorgänger-Gesellschaften erschreckend unterlegen: In „barbarischen Völkern“ hätten die Menschen vielfältigere Aufgaben und beteiligten sich an der Kriegsführung sowie an der Regierung ihres Landes.23 Im Gegensatz dazu befänden sich die Arbeiter der Marktgesellschaft, die „Masse des Volkes“, in einer Situation, die – im Gegensatz zu dem, was die Marktgesellschaft scheinbar versprach – für die vollständige Entwicklung ihrer Anlagen äußerst schädlich sei. Wenn die Arbeiter geistig verkrüppelt seien, könnten sie sich nicht am wechselseitigen Austausch von Mitgefühl beteiligen. Ihre Unfähigkeit, jegliche „freie[n], edle[n] oder zarte[n] Gefühle“ zu teilen, bedroht Smiths gesamtes Modell einer Marktgesellschaft, die von Mitgefühl und gemeinsamen moralischen Empfindungen zusammengehalten wird.24 Aufgrund fehlender Bildung und Gelegenheiten zur Ausübung ihrer geistigen Fähigkeiten seien die Arbeiter anfälliger für politische Spaltungen oder religiösen Fanatismus, die Smith zu den gefährlichsten Bedrohungen für die Stabilität der Gesellschaft zählt.25 Die negativen Auswirkungen der Arbeitsteilung auf den Verstand der Arbeiter finden sich auch in Hegels Bild des Marktes, zumindest in den Jenaer Manuskripten. Er beschreibt, wie der Arbeiter „auf einen einzigen Punkt“ beschränkt werde, und durch die Mechanisierung der Arbeit „eine große Zahl von Menschen zu einer Arbeit – in Werkstätten, Fabriken, Bergwerken usw. – verurteilt wird, die völlig verdummend, ungesund und gefährlich ist und ihre Fähigkeiten 22 WN V.I.III.II.50 / (WN Buch 5, S. 109 f.); vgl. auch LJ (B), S. 539. 23 WN V.I.III.II.51, vgl. LJ (B), S. 540 f. 24 Vgl. zum Beispiel Andrew S.  Skinner, Adam Smith and the Role of the State (Glasgow: Glasgow University Press, 1974), S. 15 f. 25 Vgl. zum Beispiel TMS III.III.43, VI.II.III.13, WN V.I.III.III.7 und V.I.III.III.36. Ein weiteres Problem ist der Verlust dessen, was Smith als „Kampfgeist“ bezeichnet: Männer würden „verweichlicht und hinterhältig“ (LJ (B), S. 540), sie betrachteten „das unstete, unsichere und gefahrvolle Leben eines Soldaten mit Abscheu“ und würden körperlich unfähig, „[ihre] Kraft […] mit Anstrengung und Ausdauer zu gebrauchen“ (WN V.I.III.II.50 / WN Buch 5, S. 110). Vgl. auch Kap. 2, Fn. 101 dieses Buches.

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schwinden lässt“.26 In den Grundlinien der Philosophie des Rechts wird diese Sorge nicht explizit angesprochen, doch Hegel vertritt dort die Auffassung, dass die „Vereinzelung und Beschränktheit der besonderen Arbeit“ zu „Abhängigkeit und Not“ sowie zur „Unfähigkeit der Empfindung und des Genusses der weiteren Freiheiten und besonders der geistigen Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft“ führten, was man als Anspielung auf die Arbeitsteilung lesen kann.27 In Bezug auf die Autonomiekompetenz bietet der Markt somit ein uneinheitliches Bild. Autonomie hat jedoch auch mit der Authentizität von Wünschen und Präferenzen sowie mit den Prozessen zu tun, in denen diese sich herausbilden. Die Vorstellung, dass der Einzelne ein authentisches Leben führen soll, das von seinen eigenen Vorstellungen geleitet wird, statt blind Traditionen und sozialen Rollen zu folgen, ist eines der bestimmenden Merkmale der Moderne, zumindest im Verständnis ihrer Verteidiger. Ihr berühmtester Verfechter ist vielleicht John Stuart Mill, der sie unter dem Stichwort „Individualität“ diskutiert. Für Mill, der auf Ideen Wilhelm von Humboldts aufbaut, ist Individualität einer „der hauptsächlichsten Bestandteile des menschlichen Glücks“, ja sogar „der wichtigste[] Bestandteil individuellen und sozialen Fortschritts“, wohingegen derjenigen, der „die Welt […] einen Lebensplan für sich wählen“ lasse, dazu nichts „als affenhafte Nachahmungskunst“ brauche.28 Während Mill in seiner Darstellung einen eher elitäre Ton anschlägt, hat das Ideal eines selbstbestimmten Lebens weite Verbreitung gefunden: Es ist zu einem der zentralen Elemente des Selbstverständnisses der westlichen Welt geworden.29 Fragt man nach dem Verhältnis zwischen Authentizität und Markt, so untersucht man damit eines der zentralen Versprechen der modernen Gesellschaft. In den Darstellungen von Smith und Hegel ist dieses Verhältnis jedoch komplex. Zunächst einmal bietet der Markt eine größere Bandbreite von Optionen, aus denen man in Hinsicht auf Konsum und Lebensweise wählen kann. Auf 26 Jenenser Realphilosophie II, 139. Zu den Ähnlichkeiten der Hegelschen Formulierungen in diesem und anderen Texten mit Passagen aus Smith und Ferguson vgl. Waszek, „The Division of Labor: From the Scottish Enlightenment to Hegel“, S. 72 f. In den Grundlinien fügt Hegel ein neues Element hinzu: Er stellt fest, dass die Arbeit „immer mehr mechanisch“ werde und es damit am Ende möglich werde, „dass der Mensch davon wegtreten und an seine Stelle die Maschine eintreten lassen kann.“ (GPR § 198, vgl. auch Enz § 526). Dies ist eine gewagte Vorhersage, für die es unter den schottischen Autoren keine Entsprechung gibt (vgl. Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ‘Civil Society’, S. 226). 27 GPR § 243, vgl. auch Richard Bellamy, „Hegel and Liberalism“, History of European Ideas 8(6) (1987), S. 693–708, hier S. 700 ff. 28 Mill, Über die Freiheit, S. 161 und 167. 29 Vgl. insbesondere Charles Taylor, The Ethics of Authenticity (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1992), insbesondere Kap. 2.

6.2 Markt und Autonomie | 203

den ersten Blick mag dies nur für die Freiheit als Fehlen von Hindernissen relevant erscheinen, die ebenfalls mit der Anzahl und Qualität von Möglichkeiten zu tun hat, aus denen man wählen kann.30 Doch die Einzelnen können nur dann lernen, authentisch zu sein, wenn sie zwischen wirklich unterschiedlichen, sinnvollen Optionen wählen können. Ohne echte Alternativen, zwischen denen man wählen kann, würde der Begriff der authentischen Wahl keinen Sinn ergeben. Das erklärt, warum dieses Ideal in einer Zeit an Bedeutung gewann, in der sich der Einfluss von Sitten und Gebräuchen auf das Leben der Menschen abschwächte und die Menschen die Möglichkeit hatten, ihre „geistigen und moralischen“ Kräfte anzuwenden, die, wie Mill feststellt, „wie die Muskeln nur durch den Gebrauch stark“31 würden. Sobald die Verantwortung für ihr Leben den Einzelnen übertragen wird, wie Smith und Hegel es beschreiben, stellt sich unvermeidlich die Frage, ob Menschen Entscheidungen treffen, die „ihre eigenen“ sind. Während solche Fragen nicht nur die Wirtschaft betreffen, können in einer Marktgesellschaft Entscheidungen im wirtschaftlichen Bereich, besonders in Bezug auf die eigene berufliche Tätigkeit, durchaus die Möglichkeit zu Reflexion und authentischer Wahl bieten. Es fragt sich allerdings, ob Entscheidungen tatsächlich auf diese Weise getroffen werden. Viele Kritikerinnen des Marktes haben Bedenken geäußert, ob die Präferenzen der Menschen möglicherweise gerade nicht authentisch wären, sondern von äußeren Kräften, vom Auf und Ab der Mode oder vom Blick auf das, was andere besitzen, bestimmt werde, sodass die Menschen zu immer ­exzessiverem Konsum getrieben würden, ohne dies wirklich zu wollen oder die Dinge zu benötigen.32 Was noch schlimmer ist: Die Angst, nicht genug zu konsumieren, mit „den Nachbarn nicht mithalten“ zu können („keeping up with the Jones“), kann eine Quelle schwerwiegender psychischer Probleme sein. 33 Ähnliche Bedenken wurden bereits im 18. Jahrhundert geäußert, wobei Rousseau einer der bekanntesten dieser Kritiker war. Für ihn ist die Tatsache, dass der moderne Mensch „immer außerhalb seiner selbst“ „in der Meinung der anderen“ lebt, eines der großen Übel der Marktgesellschaft.34 Smith und Hegel

30 Vgl. zum Beispiel Berlin, Two Concepts of Liberty, S. 15. 31 Mill, Über die Freiheit, S. 167. 32 Vgl. zum Beispiel Barry Schwartz, The Costs of Living. How Market Freedom Erodes the Best Things in Life (New York/London: W. W. Norton, 1994). 33 Vgl. zum Beispiel Alain de Bottons Buch über Statusangst (Frankfurt: Fischer, 2006). 34 Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, S. 112. Hinzu kommt natürlich die alte christliche Tradition, luxuria (Verschwendungssucht) und avaritia (Geiz) als Todsünden zu verurteilen. Zur historischen Entwicklung der Ansichten über „Luxus“ siehe Berry, The Idea of Luxury.

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sind mit diesem Vorwurf gegen die moderne Gesellschaft vertraut und reagieren auf ähnliche Weise darauf. Smiths Überlegungen zu diesem Thema hängen mit seiner Darstellung des Mitgefühls zusammen. Er gibt offen zu, dass Menschen versuchen, die Aufmerksamkeit und Sympathie anderer Menschen zu erlangen, und zwar nicht nur durch tugendhaftes Verhalten, sondern auch durch den Besitz materieller Güter und durch äußere Auszeichnungen, „Ehre und Avancement“.35 „Dass man uns bemerkt, dass man auf uns Acht hat, dass man mit Sympathie, Wohlgefallen und Billigung von uns Kenntnis nimmt“ sei es, was Menschen häufig dazu antreibe, Reichtum und Status zu erwerben – es sei „die Eitelkeit, nicht das Wohlbefinden oder das Vergnügen, was uns daran anzieht“.36 Smiths Erklärung für dieses Phänomen ist einfach: Die Welt interessiere sich mehr für Menschen „von Rang und Distinktion“ und verfolge ihre „Freude und […] Heiterkeit“ mit großer Aufmerksamkeit, während „der arme Mann“ „unbeachtet kommt und geht“37 – weshalb die meisten Menschen eher zu ersterer als zu letzterer Gruppe gehören wollten. Doch für Smith hat der Wunsch nach Luxus eine weitere Dimension: die Verführung durch die „Schönheit“ des „Anscheins der Nützlichkeit“, die „oft die geheime Triebfeder der ernstesten und wichtigsten Bestrebungen sowohl des Privat- als des öffentlichen Lebens“ sei.38 Smith spricht sogar von einem „Betrug“, den die Natur begangen habe, als sie den Menschen mit diesem Wunsch ausgestattet habe: [E]s ist gut, dass die Natur uns in dieser Weise betrügt. Denn diese Täuschung ist es, was den Fleiß der Menschen erweckt und in beständiger Bewegung erhält. Sie ist es, was sie zuerst antreibt, den Boden zu bearbeiten, Häuser zu bauen, Städte und staatliche Gemeinwesen zu gründen, alle die Wissenschaften und Künste zu erfinden und auszubilden, die das menschliche Leben veredeln und verschönern.39

Bei seiner Bewertung des Wunsches nach Luxus ist Smith offenbar hin und her gerissen. In „Zeiten der Krankheit oder Niedergeschlagenheit“ neigten wir zu einer „pessimistische[n] Philosophie“, die die „Hauptziele alles Verlangens der Menschen“ verachte, während wir sie, wenn wir uns „bei besserer Gesundheit und in besserer Laune“ befänden, als „etwas Großes und Schönes und Edles“ 35 36 37 38 39

TMS II.II.2.1 / (TEG S. 133). TMS I.III.II.1 / (TEG S. 78). TMS I.III.II.1 / (TEG S. 79). TMS IV.I.6 / (TEG S. 290). TMS IV.I.10 / (TEG S. 295).

6.2 Markt und Autonomie | 205

­ansähen.40 Es ist in der Smith-Forschung umstritten, ob der Konsum von Luxusgütern notwendig ist, um die Wirtschaft im Smithschen Modell anzukurbeln.41 Die Frage, die wir uns im gegenwärtigen Kontext stellen müssen, ist allerdings, ob der Wunsch nach Luxus auch die Autonomie gefährdet, da er als eine Macht auf die Menschen wirkt, die sie nicht kontrollieren und nach sorgfältiger Abwägung gutheißen können, und die sie somit zu unauthentischen Verhaltensweisen verführt. Das zentrale Problem des Konsums von Luxusgütern besteht darin, dass er dasjenige, was er letztlich anstrebt, nicht erreicht: das Glück. Smith erwähnt den „Freiheitsverlust“, „all jene Beschwerlichkeiten, all jene Angst, alle jene Kränkungen“ und den Verlust „jene[r] Muße, […] all jenes Behagen[s], […] all jene[r] sorglose[n] Sicherheit“, die die Menschen auf sich nähmen, um auf der sozialen Leiter nach oben zu klettern.42 Der „Flitterkram und Tand“, den sie sich wünschten, sei „besser zum Spielzeug für Kinder als zum Ziel der Wünsche von Männern [ge]eignet“.43 Smith beschreibt den Fall eines Mannes, „der armer Leute Kind“ ist und genau die Art von Charakter zu sein scheint, die Rousseau verachtete. Dieser junge Mann „bewundert die Verhältnisse der Reichen“ und arbeite Tag und Nacht, um selbst in diesen Zustand zu gelangen.44 Er gebe nicht nur alle einfachen Freuden des Lebens und die Gesellschaft seiner Freunde auf,45 sondern mache „aller Welt den Hof; er erweist denjenigen Dienste, die er hasst, und ist denjenigen gegenüber unterwürfig, die er verachtet“.46 Er werde von einem Wunsch getrieben, den er nicht infrage stelle, und habe kaum eine Chance, seine falschen Annahmen über das Glück als solche 40 TMS IV.I.9 / (TEG S. 294 f.). 41 Diese Position wird von Griswold vertreten, der zu dem Schluss kommt, dass, wenn Smiths System auf dem Konsum von Luxus aufgebaut sei, es auf „einem weitreichenden Irrtum in unserem Verständnis von Glück“ (Adam Smith and the Virtues of Enlightenment, S.  222 und 224) beruhe. Dagegen vertritt Fleischacker die Auffassung, dass für Smith „die Gesamtausgaben der niederen Stände weit größer als die der höheren Stände sind“ (WN V.II.II.IV.43 / WN Buch 4, S. 247), vgl. On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 109 und 118). Wenn eine Wirtschaft wächst, scheint es jedoch so zu sein, dass sich die „Gesamtausgaben der niederen Stände“ immer mehr dem Luxuskonsum zuwenden, sodass Fleischackers Argument das Problem nicht vollständig lösen kann. Es trifft zu, dass für Smith Reichtum und Armut relativ sind (WN V.II.IV.II.3, vgl. Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S.  119). Wenn der Wohlstand zunimmt, werden allerdings immer mehr Menschen in der Lage sein, sich Dinge zu kaufen, von denen sie wegen der trügerischen Natur des „Anscheins der Nützlichkeit“ angezogen werden. 42 TMS I.III.II.1 / (TEG S. 79 f.). 43 WN III.IV.15 / (WN Buch 3, S. 186); vgl. auch TMS IV.I.10, TEG IV.I.5f., WN II.III.38, WN III.IV.15, WN V.I.II.7. Zur Tendenz der Menschen, den Einfluss äußerer Faktoren auf das menschliche Glück zu überschätzen, vgl. auch TMS III.III.31f. 44 TMS IV.I.8 / (TEG S. 290 f.). 45 Vgl. auch Rasmussen, The Problems and Promise of Commercial Socienty, S. 86. 46 TMS IV.I.8 / (TEG S. 291).

206 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

zu erkennen: Erst am Ende seines Lebens sehe er ein, dass „Reichtum und Größe bloßer Tand sind, dass ihr Nutzen lächerlich gering ist, dass sie um nichts mehr geeignet sind, die Gesundheit des Körpers oder die Ruhe der Seele ihm zu verschaffen als jene Futterale für alle möglichen Dinge, wie sie ein Liebhaber [von] Spielereien ansammelt“.47 Wie Darwall argumentiert, führt die Bewunderung des Sohnes armer Leute für die Reichen auch zu verzerrten moralischen Urteilen: Anstatt dasjenige anzustreben, was ein unparteiischer Beobachter gutheißen würde, strebe er nach der Anerkennung der Reichen und Mächtigen, wobei er gesellschaftliche Stellung mit moralischer Autorität verwechsele.48 Die Erzählung über den „Sohn armer Leute“ liefert somit ein anschauliches Beispiel für den Mangel an Authentizität, der das Schicksal des modernen Mensch in einer Marktgesellschaft sein kann: Es gelingt ihm nicht, ein vollwertiges menschliches Leben zu führen.49 Ein ähnliches Bewusstsein für das Problem „des Mithaltens mit den Nachbarn“ und die mangelnde Authentizität vieler Konsumentscheidungen findet sich auch in Hegels Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft und hat ebenfalls mit Nachahmung zu tun. Obwohl, wie wir gesehen haben, die Befreiung von rein biologischen Bedürfnissen für Hegel ein Aspekt der Entwicklung der menschlichen Geschichte hin zur Freiheit ist, kann sie zu psychologischen Problemen führen. Die Menschen wollten den anderen gleichen (vorzugsweise denen, die mehr besitzen), doch sie wollten auch anders sein („sich durch eine Auszeichnung geltend […] machen“), was eine weitere Quelle der „Vervielfältigung der Bedürfnisse und ihrer Verbreitung“ sei.50 Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ähnlich zu sein, und dem Wunsch, sich zu unterscheiden, scheint es durchaus möglich, dass die Mitglieder der Hegelianischen bürgerlichen Gesellschaft in einen unauthentischen Kampf um mehr und mehr Güter verfallen.51 Dies ist ein besonderes Risiko für die Mitglieder des gewerbetreibenden Standes: Wenn sie keiner Korporation angehören, verfallen sie genau in jenes endlose Streben, das Rousseau kritisiert hatte: 47 TMS IV.I.8 / (TEG S. 292). 48 Stephen Darwall, „Smith’s Ambivalence about Honour“, in Vivienne Brown und Samuel Fleischacker (Hrsg.), The Philosophy of Adam Smith. The Adam Smith Review, 5: Essays Commemorating the 250th Anniversary of The Theory of Moral Sentiments (London/New York: Routledge, 2010), S. 106–123. 49 Vgl. auch Fleischacker, On Adam Smith’s Wealth of Nations, S. 106 f. 50 GPR § 193. 51 Hegel beschreibt dies als eine „schlechte Unendlichkeit“, die nie befriedigt werde (Hotho, S. 575, vgl. auch Griesheim, S. 475 ff.). Verschärft wird das Problem dadurch, dass die Hersteller von Waren diesen Wunsch nach immer raffinierteren Produkten verstärken (Griesheim, S. 493).

6.3 Die wirtschaftliche Freiheit „anreichern“ | 207

Ohne Mitglied einer berechtigten Korporation zu sein […], ist der Einzelne ohne Standesehre, durch seine Isolierung auf die selbstsüchtige Seite des Gewerbes reduziert, seine Subsistenz und Genuß nichts Stehendes. Er wird somit seine Anerkennung durch die äußerlichen Darlegungen seines Erfolgs in seinem Gewerbe zu erreichen suchen, Darlegungen, welche unbegrenzt sind.52

Wie Schmidt am Busch feststellt, ist dieser grenzenlose Wunsch ein deplatzierter Wunsch nach der Anerkennung, die die Mitglieder einer Korporation von ihren Kollegen für ihre beruflichen Leistungen erhalten.53 Ohne eine solche Mitgliedschaft habe der Einzelne keinen „Sinn für ein angemessenes Maß an Konsum“ und könne in eine „ständige, gereizte Suche nach immer mehr“ verfallen.54 Eine solche Person, die keinen Status als Mitglied einer Korporation besitzt, sieht Smiths „Sohn armer Leute“ sehr ähnlich: unglücklich, unauthentisch und getrieben von fremdbestimmten Wünschen. Smiths und Hegels Beschreibungen der Marktgesellschaft, die sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden, zeigen demnach eine überraschende Ähnlichkeit, wenn es um die Chancen und Risiken der Autonomie geht. Für die Kompetenz der auf dem Markt Agierenden und ihre Fähigkeit, ein authentisches Leben zu führen, ist der freie Markt ein zweifelhafter Segen. Die Tatsache, dass sowohl Smith als auch Hegel Gegenmaßnahmen vorschlagen, zeigt, dass sie sich mit rein negativer Freiheit im Sinne ungehinderter Auswahlmöglichkeiten nicht zufriedengeben, sondern dass Autonomie, sowohl in Form von Kompetenz als auch in Form von Authentizität, wichtig für sie ist.

6.3 Die wirtschaftliche Freiheit „anreichern“ Smith und Hegel akzeptieren Freiheit im Sinne der Abwesenheit von Einmischung und gehen gleichzeitig über dieses Verständnis hinaus. Diese Tatsache korrigiert das Bild von Smith als einem Befürworter einer rein negativen Auffassung von Freiheit und dasjenige von Hegel als einem Vertreter eines lediglich positiven Freiheitsbegriffs. Das bietet uns die Gelegenheit, über ihre Gründe für die Entwicklung eines komplexeren Verständnisses von Freiheit nachzudenken. Was das Problem der Arbeitsteilung und ihrer Auswirkungen auf den Verstand der Arbeiter betrifft, ist Smith optimistisch, dass es durch staatliches 52 GPR § 253. 53 Schmidt am Busch, „Anerkennung“ als Prinzip der kritischen Theorie, Kap. 5. 54 Muller, The Mind and the Market, S. 158 f.

208 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

Handeln überwunden werden könne.55 Durch staatliche Bildung könne und solle die Regierung „die völlige Verderbnis und Verwilderung der großen Masse […] verhindern“.56 Smith fordert bekanntlich „die Einrichtung von Gemeindeschulen“, in denen die Kinder der „niederen Stände“ „Lesen, Schreiben und Rechnen“ lernen.57 Dies wirke den verdummenden Auswirkungen spezialisierter Arbeit entgegen und trage zu einem gelingenden Leben bei, „da Glück und Schmerz, die ihren Sitz lediglich im Geist haben, notwendig mehr von dem gesunden oder ungesunden, verstümmelten oder ungeschwächten Zustande des Geistes, sowie des Körpers abhängen“.58 Der Staat habe die Pflicht, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen – selbst dann, wenn dies, was nicht der Fall sei, „keinen Vorteil hätte“.59 Wie Samuel Fleischacker betont, stellt sich Smith eine Gesellschaft vor, in der die Menschen „sich selbst ein Urteil bilden können“.60 Die Regierung einer solchen Gesellschaft müsse „sowohl die Voraussetzungen für Urteilsbildung leicht zugänglich machen als auch die Entscheidungen der Menschen respektieren, sobald sie die Möglichkeit hatten, von diesen Voraussetzungen Gebrauch zu machen“.61 Die in Smiths „Gemeindeschulen“ unterrichteten Fächer dienen genau diesem Zweck: Sie helfen den Menschen, sich in einer immer komplexeren ökonomischen Welt zu orientieren und ermöglichen es ihnen, bessere Entscheidungen zu treffen, ohne sie in die eine oder andere Richtung zu drängen. Ein ähnliches Interesse an staatlicher Bildung für Bereiche, in denen die häusliche Erziehung nicht ausreichend ist, findet sich auch bei Hegel. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass Kinder, deren Familien nicht in der Lage seien, sie zu erziehen, vom Staat erzogen werden müssten und dass die allgemeine Bildung vom Staat überwacht werden müsse.62 Obwohl er zugibt, dass Eltern 55 WN V.I.III.II.50, vgl. auch LJ (B), S. 539. Vgl. auch die Formulierung in LJ (A), S. 353: „Die Auswirkungen des Handels, sowohl gute als auch schlechte, und die natürlichen Gegenmittel der letzteren“ (Kursivierung hinzugefügt). 56 WN V.I.III.II.49 / (WN Buch 5, S. 109). 57 WN V.I.III.II.52f. / (WN Buch 5, S. 112 f.). Zusätzlich zu den „kleinen Schulen“ empfiehlt Smith obligatorische Prüfungen, von „deren Bestehen das Recht, in eine Zunft einzutreten, oder ein ländliches oder städtisches Gewerbe zu treiben“, (WN V.I.III.II.57 / WN Buch 5, S. 114) oder „als Bewerber um ein höheres besoldetes oder Ehrenamt auftreten“ zu dürfen, abhängen sollte (WN V.I.III.III.14 / WN Buch 5, S. 128). 58 58 WN V.I.III.II.60 / (WN Buch 5, S. 116), Übersetzung angepasst. 59 WNV.I.III.II.61 / (WN Buch 5, S. 116). Smith stellt allerdings fest, dass die Regierung von einer besser ausgebildeten Bevölkerung profitiere, da sie „anständiger und ordentlicher“ sei und sich weniger dazu verleiten lasse, gegen Regierungsmaßnahmen zu protestieren (vgl. Kap. 5, Fn. 174 dieses Buches). 60 Fleischacker, A Third Concept of Liberty, zum Beispiel S. 7. 61 Fleischacker, A Third Concept of Liberty, S. 19. 62 GPR § 239 Z, vgl. Hotho, S. 555 und 701 f., Griesheim, S. 602.

6.3 Die wirtschaftliche Freiheit „anreichern“ | 209

ein Recht auf die Erziehung ihrer Kinder hätten, könne die Gesellschaft diese zwingen, zur Schule zu gehen.63 Smith und Hegel teilen hier den gleichen Gedanken: Wo die wirtschaftlichen Strukturen die Entwicklung der Fähigkeit des Bürgers zu eigenständigem Handeln verhinderten, müsse der Staat eingreifen. Er müsse die Mittel bereitstellen, um zumindest ein grundlegendes Maß an Autonomie zu garantieren, denn ohne dies könnten Handlungen nicht dem Einzelnen als verantwortlichem Akteur zugeschrieben werden. Dabei geht es nicht darum, vorzuschreiben, wie „das“ autonome Leben als Ideal aussehen sollte, sondern darum, dass die Akteure ein bestimmtes Maß an Autonomie erreichen, von dem aus sie aus eigener Kraft höhere Grade positiver Freiheiten entwickeln können. Um es in den Worten von John Christman auszudrücken: Ihre Vorschläge betreffen die Art und Weise, wie Wünsche geformt und umgesetzt werden, ohne jedoch die Präferenzen der Menschen inhaltlich anzutasten.64 Die von Smith und Hegel vorgeschlagenen Maßnahmen mögen aus heutiger Sicht unzureichend erscheinen. Sie liefern allerdings ein Beispiel dafür, wie man über die Bedingungen für kompetentes, autonomes Urteilen in einer Marktgesellschaft nachdenken kann. Sie erinnern uns daran, dass die Verteidigerinnen einer liberalen Marktgesellschaft, in der der Einzelne frei ist, Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen, sich fragen müssen, wie jeder dazu befähigt werden kann, dies zu tun. Andernfalls sind diejenigen, die nicht in der Lage sind, bewusste und kompetente Entscheidungen zu treffen, dem ­R isiko ausgesetzt, von anderen, die dies besser können, ausgenutzt zu werden. Dies betrifft insbesondere die Erziehung von Kindern, ist jedoch keineswegs darauf beschränkt; es kann sich zum Beispiel auch auf die Bereitstellung von Informationen über bestimmte Waren beziehen, die auf Märkten verkauft werden. Solche Maßnahmen – sowie die zu ihrer Finanzierung notwendige Besteuerung – können tatsächlich zu geringfügigen Einschränkungen der negativen Freiheit führen. Doch sie stellen sicher, dass alle die Möglichkeit haben, freie Entscheidungen zu treffen – und zwar nicht nur, weil sie nicht durch äußere Umstände behindert werden, sondern auch, weil sie in der Lage sind, das zu tun, was in ihrem eigenen Interesse liegt. Ohne diese Kompetenz ist negative Freiheit ein ziemlich blasses Ideal: Eine Sphäre negativer Freiheit, in der man ungehindert ist, scheint ohne die Fähigkeit, sich in der Welt zu orientieren und Entscheidungen im eigenen langfristigen Interesse zu treffen, kaum der Mühe wert. 63 GPR § 239. 64 John Christman, „Liberalism and Individual Positive Freedom“, Ethics 101 (1991), S. 343–359.

210 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

Die Vorschläge von Smith und Hegel dazu, wie die Menschen sinnloses Konsumverhalten vermeiden können, zu dem die Marktgesellschaft sie verführen könnte, gehen in verschiedene Richtungen. In einem grundsätzlichen Punkt sind sich die beiden allerdings einig: Das Argument für wirtschaftliche Freiheit ist nicht, dass die Menschen auf Kosten anderer Werte gierig ihre Gewinne maximieren sollten, unabhängig davon, um welche Werte es sich dabei handelt. Smiths „Klugheit“ beschränkt sich nicht nur auf finanzielle Gewinne, sondern schließt auch die Sorge um „unsere Gesundheit, unser Vermögen, unseren Rang oder unser Ansehen“ ein,65 und die größte Herausforderung ist vermutlich oft, ein Gleichgewicht zwischen diesen verschiedenen Gütern herzustellen. Darüber hinaus scheint es hier eine Annahme zu geben, die zu offensichtlich ist, um in seiner oder Hegels Darstellung explizit erwähnt zu werden, nämlich dass die Individuen häufig nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familien nach materiellen Gütern streben.66 Weder Smith noch Hegel befürworten das Menschenbild, das man später als homo oeconomicus karikiert hat: der Mensch als gewinnmaximierender Automat. Ebensowenig nahmen sie den Ansatz der Ökonomen der Chicagoer Schule, insbesondere Gary Beckers, vorweg, dass alles menschliche Verhalten – von der Entscheidung, Kinder zu bekommen, bis hin zu kriminellem Verhalten – als Ergebnis der Maximierung des Erwartungsnutzens verstanden werden sollte.67 Beschränkten, eigennützigen materiellen Ziele nachzujagen wird in den von Smith und Hegel skizzierten Marktgesellschaften zwar ermöglicht, es ist aber keineswegs ihr Ideal eines guten Lebens. Im Gegenteil: Einer der Gründe, warum sie die Marktgesellschaft befürworten, ist, dass sie eine breite Vielfalt unterschiedlicher Lebensweisen und das Streben nach unterschiedlichen Werten ermöglicht – die Art von Vielfalt und Pluralität, der Mill einen so hohen Wert beimisst. Dazu gehören zum Beispiel auch politische Aktivitäten oder Projekte

65 TMS VI.I.5 / (TEG S. 3). Zum Unterschied zwischen eigennütziger Besonnenheit und Gier bei Smith siehe auch J. B. Wight, „Adam Smith and Greed“, Journal of Private Enterprise 21 (2005), S. 46–58. 66 Vgl. zum Beispiel Hegels Überlegungen zum „Familienkapital“ in GPR § 170 ff. In den Hotho-Vorlesungen vertritt Hegel auch die Auffassung, dass Arbeit, die dem Ziel der Versorgung der Familie diene, bereits die „schlechte Unendlichkeit“ des grenzenlosen Begehrens überwinde: Es sei Arbeit für ein soziales Ganzes, die das Begehren des Individuums von „der Eigensucht der Begierde“ in „die Sorge und den Erwerb für ein Gemeinsames“, also in etwas „Sittliches“ verwandele (Hotho, S. 539 ff.). 67 Vgl. zum Beispiel Gary S. Becker, „Crime and Punishment: An economic Approach“, Zeitschrift für politische Ökonomie 76(2) (1968), S. 169–217.

6.3 Die wirtschaftliche Freiheit „anreichern“ | 211

in Kunst und Wissenschaft.68 Hätte Smith die beiden anderen Bücher, die er zu schreiben beabsichtigte, die „Philosophische Geschichte aller verschiedenen Zweige von Literatur, Philosophie, Poesie und Rhetorik“ („Philosophical History of all the Different Branches of Literature, of Philosophy, Poetry and ­Eloquence“) und die „Theorie und Geschichte von Recht und Staatskunst“ („Theory and History of Law and Government“)69, fertiggestellt, wäre viel deutlicher geworden, dass er nicht als Held derjenigen beansprucht werden kann, die ­glauben, dass Menschen ausschließlich von wirtschaftlichen Interessen geleitet werden. In der Theorie preist er nicht Unternehmer, sondern „Helden“, „Staatsmänner und Gesetzgeber“, „Dichter und Philosophen“, Erfinder, die großen „Beschützer, Lehrer und Wohltäter des Menschengeschlechts“ als Beispiele für die „erhabendste [sic!] Tugend“.70 Für Hegel steht es ebenso außer Frage, dass es im Leben höhere Ziele gibt als die Verfolgung kommerzieller Interessen: Es ist nicht nur die politische Dimension des Lebens, die oberhalb des Kampfplatzes der bürgerlichen Gesellschaft steht; der „objektive“ Geist ist noch nicht einmal die höchste Form des Geistes. Dem „absoluten“ Geist, dem Bereich der Kunst, Religion und Philosophie, widmet er sich nach seinen Überlegungen zum Staat. Er stellt eine noch höhere Form von Versöhnung und Freiheit dar.71 Man muss den Einzelheiten von Hegels Darstellung nicht zustimmen, um die Ansicht zu teilen, dass Kunst, Religion und Philosophie – alle sehr weit gefasst, als soziale Praktiken, durch die Menschen ein allgemeines Gut verfolgen, das sich in rein ökonomischen Begriffen nicht angemessen erfassen lässt – Alternativen zur Verfolgung von Eigeninteressen auf dem Markt darstellen oder diese ergänzen können. Für Hegel wäre ein Leben, das sich nur auf wirtschaftliche Ziele beschränkt und diese anderen Dimensionen des Lebens – sowie die sozialen Beziehungen, in denen sie vollzogen werden – übersieht, eines, das wesentliche Möglichkeiten menschlicher Erfüllung verpasst. Es stellt sich demnach die Frage, wie die Bürger einer Marktgesellschaft dazu befähigt werden, autonom und eigenständig zwischen diesen verschiedenen Möglichkeiten zu entscheiden, statt geistlos unauthentischen Wünschen nachzugeben. Wie können sie die vielen Möglichkeiten, die die Marktgesellschaft ihnen bietet, auf ihre eigene Weise nutzen, statt sich von fremden Kräften treiben zu lassen? 68 Für Smith unterstützt die „Zunahme des Wohlstands“ auch die Blüte von Kunst, Wissenschaft und Kultur, vgl. zum Beispiel LJ (A), S. 333 ff., HA IV.21. 69 Corr. Nr. 248, vgl. Ross, The Life of Adam Smith, S. 101, S. 305 und S. 334 ff. Smiths Lectures on Rhetoric and Belles Lettres (LRBL) geben eine Vorstellung davon, wie erstere Darstellung hätte aussehen können. 70 TMS III.II.35 / (TEG S. 209 f.). 71 Vgl. Enz § 553 ff.

212 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

Smith glaubt vor allem72 an die Macht der moralischen Erziehung und meint: „Das große Geheimnis der Erziehung ist es, die Eitelkeit auf die richtigen Ziele zu lenken.“73 Es scheint hauptsächlich eine Frage der privaten Erziehung und Betreuung zu sein, die innerhalb der Familie und innerhalb der „Kreise des Mitgefühls“, unter Freunden und Nachbarn stattfinden.74 Die Nachahmung anderer, die im Konsumverhalten oft eine negative Rolle spielt, könne Menschen auch zur Tugend anleiten, wenn die „Bewunderung der Vortrefflichkeit anderer“ als Motivation diene, selbst Vortrefflichkeit anzustreben.75 Es stellt sich also die Frage, ob die moralischen Ressourcen der privaten Kreise in der Marktgesellschaft ausreichen, um jungen Menschen geeignete Vorbilder und gute Erzieher zu bieten, damit sichergestellt wird, dass sie nicht mit dem falschen Ehrgeiz des Sohnes armer Leute enden, sondern lernen, weise und mit Selbstbeherrschung Entscheidungen zu treffen.76 Eine erfolgreiche moralische Erziehung befähigt den Einzelnen dazu, das empfindliche Gleichgewicht zu finden, das in der Marktgesellschaft für ein gutes Leben erforderlich ist: seine Interessen zu verfolgen, jedoch nicht von ihnen getrieben zu werden; und zwischen Eigeninteresse im wirtschaftlichen Bereich, wo es von Vorteil ist, und Egoismus im privaten oder politischen Bereich, wo er katastrophal sein kann, zu unterscheiden. Smiths tugendhafter Bürger kann zugestehen, dass die Wahrung der „äußeren Glücksgüter“ notwendig ist, um die natürlichen Begierden mit „eifriger Sorge“ und „Klugheit“ zu befriedigen,77 aber er verfällt nicht in ein geistloses Streben nach immer mehr Gütern. Er ergreift durchaus Gelegenheiten, um finanziellen Gewinn zu machen und Ehre zu erlangen, doch er erwirbt eine „edle Standhaftigkeit“ und „erhabene Selbstbeherrschung, die sich auf das Gefühl für Würde und sittliche Richtigkeit gründet“.78 Smiths Theorie kann 72 Smith ist nicht gänzlich gegen Besteuerung, die ein kluges Verhalten unterstützt; vgl. zum Beispiel seine Ausführungen zur Besteuerung von Luxusgütern in WN V.II.II.I.6. Generell sind aber Effizienz und Gerechtigkeit das Ziel seiner Ausführungen über Steuern, nicht die Steuerung des Verhaltens. 73 TMS VI.III.46 / (TEG S.  423). Für eine Diskussion über Smiths Ansichten zur moralischen Erziehung vgl. insbesondere Hanley, Adam Smith and the Character of Virtue. Er liest Kapitel VI der Theorie von 1790 als eine Antwort auf die Probleme der „kommerziellen Korruption“ und betont, dass Smiths Auffassung von moralischer Erziehung wahre Tugend und moralische Autonomie zulasse, obwohl sie als Ausgangspunkt nehme, dass Menschen sich nach den Urteilen anderer richteten. 74 Vgl. zum Beispiel seine Ablehnung von Internaten, TMS VI.II.I.10. 75 TMS III.II.2 / (TEG S. 183). 76 Die Bedeutung der Selbstbeherrschung für die Unterscheidung zwischen tatsächlichen und eingebildeten Bedürfnissen in Smiths Darstellung wird besonders von Ignatieff betont („Smith and Rousseau“, S. 94 ff.). 77 TMS VI.I.2f. / (TEG S. 344 f.). 78 TMS VI.III.18 / (TEG S. 398).

6.3 Die wirtschaftliche Freiheit „anreichern“ | 213

durchaus als ein Appell an Selbstbeherrschung und Tugend gelesen werden, in dem er erklärt, wie diese erreicht werden können und damit seine Leserinnen zur Einübung dieser Tugenden einlädt.79 Hegels Lösung für das Problem der unauthentischen Wünsche ist eine andere; sie ist nicht auf den privaten Bereich beschränkt, sondern reicht in die bürgerliche Gesellschaft selbst hinein. Für ihn bieten die Korporationen – vom Staat beaufsichtigte Berufsvereinigungen80  – einen Bereich, in dem der Einzelne die Gefahr eines ungezügelten Konsumverhaltens überwinden kann. Wird man von den Mitgliedern der Korporation anerkannt, dann muss man nicht durch den Konsum von Luxusgütern nach Anerkennung streben, sondern kann einem etablierten Lebensstil folgen.81 Das Leben in den Korporationen geht über das reine Eigeninteresse hinaus, da die Mitglieder ein gemeinsames Ziel anstreben und die Versorgung anderer, in Not geratener Mitglieder organisieren.82 Die Einzelnen engagieren sich in der Organisation der Korporation und in ihren inneren Angelegenheiten.83 Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben müssen sie umfassendere, „politischere“ Überlegungen berücksichtigen als bei ihren privaten Angelegenheiten und gemeinsam statt allein handeln.84 Das bedeutet, dass sie den Meinungen und Urteilen anderer ausgesetzt sind. Dies kann ihnen helfen, ihre eigenen Ansichten zu hinterfragen, sie gegen Kritik zu verteidigen und so zu authentischeren Entscheidungen zu gelangen. Die Korporationen sind allerdings nur begrenzte, partielle gesellschaftliche Institutionen, und wie bereits erwähnt, ist es nicht klar, ob sie – zusammen mit der Polizei – in der Lage sind, die Wirtschaft im Zaum zu halten. Wie wir sehen werden, ist für Hegel die logische Fortsetzung der Bewegung hin zu den Korporationen die „Aufhebung“ der bürgerlichen Gesellschaft im Staat. Hierbei ist 79 Vgl. Muller, Adam Smith in His Time and Ours, S. 103. 80 GPR § 255. 81 GPR § 253, vgl. auch Griesheim, S. 617 ff. Für eine Diskussion siehe zum Beispiel G. Heiman, „The Sources and Significance of Hegel’s Corporate Doctrine’, in Z. A. Pelczynski (Hrsg.), Hegel’s Political Philosophy: Problems and Perspectives (Cambridge: Cambridge University Press, 1971), S. 111–135. 82 Zu diesen Aktivitäten gehören die Auswahl neuer Mitglieder, der gegenseitige Schutz vor „besonderen Eventualitäten“ und die Ausbildung anderer zum Mitglied. 83 GPR § 252. 84 Vgl. auch GPR § 289 über die Politik der Korporationen, die Hegel eher kritisch beschreibt, aber meint, dass diese Sphäre „dem Moment der formalen Freiheit […] überlassen“ werden könne, wo „das eigene Erkennen, Beschließen und Ausführen sowie die kleinen Leidenschaften und Einbildungen einen Tummelplatz haben“ könnten, wobei es hier auch um die „Befriedigung und Meinung von sich selbst“ gehe. Ein solches Verhalten sei in diesem Bereich dennoch „zulässig“ und beeinträchtige die Wirksamkeit des Staates nicht wirklich.

214 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

j­edoch zu beachten, dass für Hegel, im Gegensatz zu Smith, im wirtschaftlichen Bereich selbst erlernt wird, authentische Entscheidungen zu treffen, was die wirtschaftliche Seite der negativen Freiheit der Menschen erheblich einschränkt.85 Hegel würde wahrscheinlich darauf antworten, dass die Mitgliedschaft in einer Korporation in Bezug auf Freiheit dem Leben mehr hinzufügt, als sie ihm wegnimmt. Denn schließlich beschreibt er sie als freiwillige Organisationen, in die freie und rechtlich unabhängige Personen eintreten, die darauf achten, dass im Großen und Ganzen ihre Interessen befördert werden. Dieses Argument weist auf eine wichtige Frage hin: Wenn man negative Freiheit als die Abwesenheit von Hindernissen definiert, wie sollen dann „Hindernisse“ oder Einschränkungen der Freiheit im weiteren Sinne bewertet werden, die wir uns selbst auferlegen oder die wir vernünftigerweise gutheißen können? Es ist diese Frage, die uns zu positiver Freiheit im Sinne von kollektiver Selbstbestimmung führt.

6.4 Die gesellschaftlichen Strukturen der Freiheit Für Smith und Hegel geht es bei der Freiheit auf dem Markt nicht nur um Freiheit im negativen Sinne, sondern auch darum, wie die Bürgerinnen einer Marktgesellschaft dazu befähigt werden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Obwohl sich die Einzelheiten ihrer Darstellung, wie Autonomie erreicht werden kann, unterscheiden, stimmen sie in dem Bewusstsein überein, dass eine liberale Gesellschaft diese Frage berücksichtigen und Maßnahmen ergreifen muss, um sicherzustellen, dass diese Freiheit für alle Bürger erreichbar ist. Wie eingangs erwähnt, gibt es jedoch eine zweite Befürchtung bezüglich der negativen Freiheit: Sie betrifft die Stabilität des sozialen Ganzen, in dem sie ihren Platz hat. Um diese Befürchtung genauer zu erläutern, ist es hilfreich, sich die allgemeine Struktur der von Smith und Hegel entworfenen Theorien liberaler Gesellschaften in Erinnerung zu rufen. Beide entwerfen eine Gesellschaft, in der verschiedene gesellschaftliche Bereiche nach unterschiedlichen Prinzipien funktionieren. Smiths berühmtem Zitat über das Eigeninteresse „des Metzgers, des Brauers oder des Bäckers“ geht das Argument voraus, dass die Individuen in einer „zivilisierten Gesellschaft“ mit einer viel größeren Anzahl von Men85 Hegel geht auf diese Frage in den Griesheim-Vorlesungen ein und erläutert dazu, es sei nicht klar, ob die Abschaffung der Korporationen tatsächlich zu einem freieren Markt führen würde, da die Bildung von Kartellen dadurch eher erleichtert werden könnte (Griesheim, S. 625 ff.). Auch dies ist bei einem Hegelschen Bild des Marktes wahrscheinlicher als bei einem, das sich an Smith orientiert.

6.4 Die gesellschaftlichen Strukturen der Freiheit | 215

schen zusammenarbeiten müssten, als sie Freunde gewinnen könnten.86 Dies deutet darauf hin, dass in verschiedenen Sphären verschiedene Formen des Verhaltens  – Handlungslogiken, wie man sie nennen könnte  – angemessen sind. Smith verurteilt nachdrücklich jene Händler und Fabrikanten, die versuchen, die Logik des Eigeninteresses auf die politische Sphäre auszudehnen, um Einfluss darauf zu nehmen, wie Regeln gesetzt werden. Der normative Maßstab für den politischen Bereich sollte nicht das Eigeninteresse, sondern der un­parteiische Beobachter sein. Auch Smiths Überlegungen zur konzentrischen Struktur des Mitgefühls deuten darauf hin, dass in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Handlungslogiken herrschen sollten: In den vertrauten Kreisen von Familie und Freunden hat wohlwollendes Verhalten seinen Platz, während auf dem Markt Eigeninteresse innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit angebracht ist.87 Eine ähnliche Unterscheidung verschiedener Handlungslogiken prägt auch Hegels System: Die Familie hat „die Liebe“ als Charakteristikum, sie ist eine „sich empfindende Einheit“,88 in der bürgerlichen Gesellschaft hat „eigennützige Besonderheit“ ihren Platz, während die politische Sphäre der Bereich der „Allgemeinheit“ ist.89 Wie bereits festgestellt wurde, ähnelt die Struktur der Darstellungen von Smith und Hegel somit den zeitgenössischen „pluralistischen“ Gerechtigkeitstheorien, insbesondere Walzers Darstellung der „Sphären der Gerechtigkeit“,90 da in einer gerechten Gesellschaft in den verschiedenen Sphären verschiedene Prinzipien ihren Platz haben. Die Handlungslogik des Marktes ist das Eigeninteresse, und es ist ein zentraler Aspekt negativer Freiheit, dass es den Menschen hier erlaubt ist, ihrem Eigeninteresse zu folgen, auch wenn sich eine tugendhafte, selbstbestimmte ­Person nicht unbedingt dafür entscheidet, uneingeschränkt nach materiellen Gütern zu streben. In anderen gesellschaftlichen Bereichen ist Eigeninteresse jedoch nicht die angemessene Handlungslogik. Die große Herausforderung für eine differenzierte Gesellschaft nach dem Vorbild von Smith und Hegel ist es, die Grenzen zwischen diesen Sphären zu ziehen – und zu sichern. Die Menschen müssen wissen, welche Handlungslogik für welche Sphäre angemessen ist, und nach diesem Wissen handeln. Die Gefahr, der eine solche Gesellschaft ausgesetzt ist, besteht darin, dass diese Grenzen verwischt werden und zum Beispiel eine Handlungslogik alle gesellschaftlichen Bereiche beherrscht. 86 87 88 89

WN I.II.2 / (WN Buch 1, S. 20). TMS VI.II.ff., vgl. Kap. 2.5–2.6 dieses Buches. GPR § 158. Vgl. auch Avineri, Hegel’s Theory of the Modern State, S. 134. Er charakterisiert die drei Beziehungsmodi in diesen Sphären als „partikularen Altruismus“, „universellen Egoismus“ und „universellen Altruismus“. 90 Vgl. Abschnitt 4.4 dieses Buches.

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Die Gefahr negativer Freiheit – vor allem in ihrer wirtschaftlichen Dimension – für die Stabilität einer differenzierten Gesellschaft ist also die, dass sie andere gesellschaftliche Bereiche, die einer anderen Logik folgen sollten und die für die gesellschaftliche Stabilität unverzichtbar sind, untergraben könnte. Jürgen Habermas hat den Ausdruck „Kolonialisierung der Lebenswelt“ geprägt: Das „System“, das die politische und wirtschaftliche Sphäre umfasst, dringe in die „Lebenswelt“ ein.91 Das Szenario, das Habermas und ähnlich denkende Autorinnen fürchten, ist eine Gesellschaft, die vollständig von wirtschaftlichen Belangen dominiert wird, in der Geld die einzige Währung ist und alles einen Preis, aber nichts einen Wert hat.92 Eine solche Gesellschaft würde nicht nur zentralen Aspekten des menschlichen Lebens keinen Raum bieten, sie wäre auch in ihrem Innersten instabil und würde ihre eigenen Grundlagen untergraben; selbst Verteidigerinnen eines rein negativen Freiheitsbegriffs sollten daher vorsichtig sein, sie als Ideal hochzuhalten. Es stellt sich also die Frage, welche Antworten Smith und Hegel auf diese Sorge um die „kolonialisierenden“ und „selbstuntergrabenden“ Tendenzen des Marktes und seiner negativen Freiheit haben. An diesem Punkt treffen wir auf die unterschiedlichen Strukturen im Verhältnis zwischen negativer Freiheit und anderen, eingangs skizzierten Aspekten der Freiheit. Smith wird häufig als Verteidiger der negativen Freiheit gesehen. Doch ein zentraler Grund, warum er sich so sehr auf die negative Freiheit konzentriert, ist, dass er davon ausgeht, dass die Bürger einer Gesellschaft, in der es umfangreiche negative Freiheiten gibt, ein selbstbestimmteres Leben führen werden und dass eine solche Gesellschaft längerfristig stabiler und besser in der Lage sein wird, die Rechte und Freiheiten ihrer Bürger zu garantieren. Es ist diese Tendenz der negativen Freiheit, sich selbst zu verstärken und, sozusagen automatisch, zu umfassenderen Freiheitsdimensionen zu führen, der ich im Folgenden weiter nachgehe. Der Hintergrund, vor dem Smith seine Vision der Marktgesellschaft entwirft, ist der Feudalismus, das heißt eine Gesellschaftsform, die von einigen wenigen reichen und mächtigen adeligen Grundherren, von denen die restliche Bevölkerung vollkommen abhängig war, beherrscht wurde. Berücksichtigt man dies, hat die Einführung von mehr negativer Freiheit aus Smiths Sicht für alle insgesamt positive Folgen. 91 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2, Kap. VI. 92 Vgl. Oscar Wildes berühmten Satz: „Was ist ein Zyniker? Ein Mann, der den Preis von allem und den Wert von nichts kennt.“ (Lord Darlington im dritten Akt von Lady Windermeres Fächer (Stuttgart: Reclam, 2006)).

6.4 Die gesellschaftlichen Strukturen der Freiheit | 217

Erstens beinhalten Smiths Überlegungen zur Geschichte Europas ein Narrativ, wie die wirtschaftliche Freiheit und die Märkte selbst zur Verbreitung von Rechten und von unparteilichen Regierungsformen beitragen. Der freie Markt helfe nicht nur dabei, die Macht der Feudalherren zu brechen, da sie ihr Vermögen für „Flitterkram und Tand“ verschwendeten, anstatt mehr für die Leute in ihren Diensten zu bezahlen. Der Wunsch nach Luxuskonsum, für den sie Geld brauchten, habe zur Folge, dass sie ihren Pächtern im Austausch gegen höhere Abgaben größere Freiheiten gewähren würden.93 Gleichzeitig entwickelten sich in den Städten Selbstverwaltung und eine unabhängige Gerichtsbarkeit, weil die Bürger begriffen, dass sie dies dazu befähige, ihre Geschäfte besser zu führen.94 Der Handel führe auf diese Weise zu „gute[r] Regierung“ – zunächst in den Städten und dann auf dem Land. Dieser Darstellung zufolge trage die Tatsache, dass dem Markt der ihm gebührende Platz eingeräumt werde, dazu bei, dass der politische Bereich nach dem richtigen Prinzip, nämlich der Unparteilichkeit, funktioniere, was wiederum die negative Freiheit der Bürger sichere.95 Indem man den Bürgern persönliche Rechte und Eigentumsrechte  – also negative Freiheit – gewähre, trage man auch dazu bei, die Laster der feudalen Gesellschaft zu vermeiden. Da die Mitglieder einer feudalen Gesellschaft von Geburt an ungleiche Rechte und Positionen hätten, sei es wahrscheinlich, dass sie in typische Verhaltensroutinen verfielen: Die Herren waren typischerweise arrogant und traten die Rechte ihrer Pächter mit Füßen, während diese faul waren und immer bereit, ihre Herren zu betrügen. In einer Marktgesellschaft hingegen verhielten sich die Menschen anderen gegenüber als Gleichberechtigte, das heißt als mehr oder weniger unparteiische Beobachter, oder zumindest nicht als Beobachter, die allein aufgrund ihrer sozialen Stellung parteiisch wären. Statt die aus Über- oder Unterlegenheit resultierenden Laster zu übernehmen, handelten sie eher nach Prinzipien, die von einem unparteiischen Beobachter gutgeheißen werden könnten.96 Während für die Mitglieder feudaler Gesellschaften ihre Lebensweise durch die Geburt bestimmt worden sei, profitierten die Bürger der Marktgesellschaft von den Chancen, die ihnen der Markt für die Entwicklung ihrer Autonomie biete; außerdem hätten sie Anreize, die „bürgerlichen Tugenden“ auszuüben. 93 WN III.IV.10, LJ (A), S. 261. 94 WN III.II.3ff., LJ (A), S. 256, LJ (B), S. 419 ff. 95 WN III.III.12, III.IV.4. Zum Verhältnis von Handel und Freiheit bei Smith (sowie bei Hume und anderen Autoren des 18.  Jahrhunderts) vgl. Winch, Adam Smith’s Politics, S. 70 ff. 96 Vgl. auch Rasmussen, The Problems and Promise of Commercial Society, S. 124 f.

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Im Gegenzug bewahrt die Autonomie der Bürger die Marktgesellschaft vor der Gefahr, dass die negative Freiheit des Marktes ihren sozialen Zusammenhalt untergräbt. Smith ist sich sehr wohl dessen bewusst, dass der „Vorrang“, also der soziale Status, „die Ursache all des Treibens und Lärmens, all der räuberischen Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit, welche die Habsucht und der Ehrgeiz in diese Welt gebracht haben“97 ist, was darauf hindeutet, dass unersättliches Verlangen die privaten „Kreise des Mitgefühls“ in Unordnung bringen kann. Doch werden sich wahrhaft selbstbestimmte Bürger, die eine erfolgreiche moralische Erziehung durchlaufen und die von Smith beschriebene „edle Standhaftigkeit“ und „das Gefühl für Würde und sittliche Richtigkeit“ erworben haben, nicht von solch grenzenlosem Streben leiten lassen. Beispielsweise würden sie nicht um des Geldes willen Freundschaften oder das Wohlergehen ihrer Familie opfern. Ebensowenig würden sie ihr Eigeninteresse in rücksichtsloser Weise verfolgen, indem sie etwa Eigentumsrechte verletzten, wenn die Gefahr, entdeckt zu werden, gering wäre. Vielmehr würden sie die Grenzen des Eigeninteresses anerkennen  – und insbesondere die Notwendigkeit, es innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit zu verfolgen. Wie Jerry Evensky betont, ist sich Smith sehr wohl dessen bewusst, dass die soziale Ordnung nur mit Gewalt aufrechterhalten werden könnte, wenn sich die Menschen ständig und gegenüber jedermann als Profitsuchende verhalten würden, was eine liberale Gesellschaft unmöglich machen würde.98 Je weniger Menschen mit dem Charakter des „Sohns armer Leute“ eine Bevölkerung umfasse, und je mehr sie aus aufgeklärten, selbstbestimmten Akteuren bestehe, umso geringer wäre die Gefahr, dass die negative Freiheit des Marktes die sozialen Bindungen der Privatsphäre untergräbt, die die Gesellschaft zusammenhalten. Durch die Belohnung der bürgerlichen Tugenden trägt der Markt zur Bildung von Menschen mit einem solchem Charakter bei. Um jedoch die Erziehung aller Bürger zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die bürgerlichen Tugenden aus eigenem Antrieb praktiziert werden, spielen auch staatliche Schulen und moralische Erziehung eine entscheidende Rolle. Die Charaktere, die Smiths Darstellung der Marktgesellschaft bevölkern, sind zwar nicht die außergewöhnlichen Helden des antiken Tugendideals, doch sie werden auch nicht von einem unauthentischen, die Gesellschaft zerstörenden Verlangen nach immer mehr materiellen Gütern beherrscht. In Smiths Modell ist die negative Freiheit daher sowohl für die Hinführung der Menschen zu einem selbstbestimmten Leben als auch für die Stabilisierung 97 TMS I.III.2.8 / (TEG S. 90). 98 Jerry Evensky, „ ‚Chicago Smith‘ gegen ‚Kirkaldy Smith‘ “, History of Political Economy 37(2) (2005), S. 197–203.

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des sozialen Ganzen, innerhalb dessen sie diese Rechte und Freiheiten genießen, von entscheidender Bedeutung. Die negative Freiheit führt daher zu verschiedenen anderen Aspekten von Freiheit, die man häufig als „positiv“ beschrieben hat. Dieses System hat allerdings eine große Schwäche. Die Zerstörung der feudalen Strukturen durch den Markt gelang nicht vollständig, und es gibt immer wieder gesellschaftliche Gruppen – die berüchtigten „Händler und Fabrikanten“  – die ihre wirtschaftliche Macht in politische Macht übersetzen wollen. Wie wir gesehen haben, braucht Smith tugendhafte Politiker und unabhängige Richter, die die Überreste des Feudalismus beseitigen und die Rechtsgleichheit vor wirtschaftlichem Einfluss schützen.99 Manchmal können glückliche Umstände zu Verbesserungen der politischen Rahmenbedingungen beitragen, wie zum Beispiel, als in England der König geschwächt wurde, da es kein stehendes Heer gab, oder als Elisabeth I. keinen Erben hatte: Dies machte sie anfällig dafür, den königlichen Schatz zu verschleudern, wodurch die Krone weiter geschwächt wurde.100 Ist dies hingegen nicht der Fall, besteht die einzige Hoffnung auf Verbesserung darin, dass der Souverän und seine Berater weise und tugendhaft sind, die komplizierten Abläufe einer Marktgesellschaft verstehen und die Regeln des unparteiischen Beobachters befolgen. Smiths eigene Bücher sollen offensichtlich die Entwicklung solcher politischen Tugenden unterstützen, indem sie sowohl Einzelpersonen motivierten, sich diese anzueignen  – zum Beispiel durch das Lob der „Klugheit des großen Generals, des großen Staatsmannes, des großen Gesetzgebers“, das in der Theorie101 mit viel rhetorischem Aufwand gesungen wird – als auch durch die Vermittlung von Einsichten in wirtschaftliche und politische Fragen im Wohlstand. Es scheint allerdings, als ob in Smiths Bild der Gesellschaft nichts garantieren kann, dass an der Spitze der Staaten Personen mit geeignetem Charakter stehen werden, die diese Ratschläge aufgreifen und dementsprechend aus gesellschaftlicher Verantwortung statt aus Eigeninteresse handeln. In Hegels Darstellung der Gesellschaft fehlt der negativen Freiheit diese selbstverstärkende Kraft. Sein Bild der bürgerlichen Gesellschaft als in sozialer Hinsicht selbstzerstörerisch deutet bereits an, dass sie allein nicht ausreicht, um soziale Stabilität zu garantieren. Seine Staatstheorie wurde oft als gefährlich illiberal, ja sogar als Wegbereiter totalitärer Ideologien angesehen. Doch sie kann in gewisser Weise als eine Antwort auf das Problem verstanden werden, mit dem uns Smith zurücklässt: Wie lässt sich die Unparteilichkeit des 99 Vgl. zum Beispiel WN V.I.II.25. 100 LJ (A), S. 265 ff., LJ (B), S. 418 ff. 101 TMS VI.I.15 / (TEG S. 350).

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Souveräns garantieren? Darüber hinaus hat der Staat für Hegel sozusagen wesentlich mehr „zu tun“, gerade weil er nicht auf die von Smith beschriebenen selbstverstärkenden Tendenzen negativer Freiheit setzen kann. Wenn wir diese Punkte berücksichtigen, so ist es möglich, eine „rationale Rekonstruktion“ von Hegels Darstellung des Staates und seiner Behauptung zu liefern, dass in ihm „die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt“,102 die aus der Sicht des modernen Liberalismus nachvollziehbar und unverdächtig ist. Es geht nicht um die Einzelheiten von Hegels Verfassung – die man, wie bereits erwähnt, aus heutiger Sicht nicht in jedem Punkt gutheißen kann –, sondern um die Funktionen, die der Staat in seiner Darlegung der Sittlichkeit erfüllt, sowie darum, an welchen Stellen er über die sozialen Beziehungen in der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft hinausgeht. Ohne den Staat beruhen alle sozialen Beziehungen entweder auf intimen Liebesbeziehungen (in der Familie, in der sie eine rechtliche und ethische Form annehme) oder auf instrumenteller Vernunft (in der bürgerlichen Gesellschaft), wobei keine von beiden den Willen zur Aufrechterhaltung des sozialen Ganzen, innerhalb dessen sich all diese anderen Beziehungen abspielen, beinhaltet. Wie bereits erwähnt wurde, nennt Hegel die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft „den äußeren Staat“, den „Not- und Verstandesstaat“.103 Was in diesem „äußeren Staat“ fehlt, ist die Verpflichtung der Bürger, sich nicht nur auf instrumentelle Weise in ihrer „Besonderheit“ zu sehen, sondern sich gegenseitig als Bürger anzuerkennen, als Mitglieder eines sozialen Ganzen, das sie gemeinsam erhalten wollen. Dies ist eine grundlegend andere Haltung als die im Rechtssystem oder auf dem Markt, wo die Individuen ihre eigenen privaten Interessen verteidigen. Nach Hegel könnte eine Gesellschaft ohne eine solche Haltung nicht stabil sein, da die Individuen jederzeit entscheiden könnten, dass ihre eigenen Interessen wichtiger seien als die Aufrechterhaltung des sozialen Ganzen oder die Anerkennung der Freiheit der anderen.104 Die Korporationen, also die sozialen Organisationen, die in der bürgerlichen Gesellschaft entstehen, seien in ihrem Umfang begrenzt und könnten daher nur einen „beschränkte[n] und endliche[n]“ Zweck haben, nämlich das Wohl ihrer Mitglieder. Der Staat hingegen sei die Gemeinschaft aller Bürger, der „an und für sich allgemeine“ Zweck.105 Als solcher zielt er bewusst und systematisch auf das

102 GPR § 258. 103 GPR § 183. 104 Dieses Argument steht auch hinter seiner Kritik an den Vertragstheorien, vgl. Kap. 3, Fn. 153 dieses Buches. 105 GPR § 256.

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Gemeinwohl ab.106 Dies unterscheidet ihn von der bürgerlichen Gesellschaft, in der das Gemeinwohl indirekt und unbeabsichtigt (wenn überhaupt) durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes herbeigeführt wird. Der Staat „weiß […], was er will, und weiß es in seiner Allgemeinheit“; er „wirkt und handelt deshalb nach gewussten Zwecken“ und ist damit die selbstbewusste ethische Sub­ stanz.107 Was den Staat von der Familie unterscheide, sei, dass das Gute darin nicht durch das Gefühl verwirklicht werde, sondern als „politische Tugend“, als „das Wollen des an und für sich seienden gedachten Zweckes“.108 Damit also die Freiheit in einem stabilen sozialen Ganzen verwirklicht werden kann, muss es eine Dimension der Gesellschaft geben, in der der Einzelne nicht seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellt, sondern bereit ist, die Freiheit der anderen und die Erhaltung des sozialen Ganzen als Werte an sich zu akzeptieren. Nach Patten ist die Sittlichkeit des modernen Staates das „Minimum an selbstgenügsamer [nicht selbstuntergrabender] institutioneller Struktur“, in der alle Aspekte von Freiheit verwirklicht werden können.109 Der Staat ist, im Gegensatz zu Familien oder Korporationen, eine soziale Einheit, die eine ganze Gesellschaft umfasst; er ist in einer Weise selbstgenügsam, wie es einzelnen Individuen oder begrenzteren Gemeinschaften nicht möglich wäre.110 Die Gesinnung der Bürger innerhalb des Staates kann als ein funktionales Gegenstück zu zwei Aspekten des Smithschen Gesellschaftsmodells angesehen werden. Zum einen steht sie in Beziehung zu Smiths „Gerechtigkeitssinn“, der die Menschen dazu bewegt, die Regeln der Gerechtigkeit – die idealerweise im positiven Recht ihren Ausdruck finden – zu befolgen, statt stets die eigenen Interessen an die erste Stelle zu setzen und dem Gesetz nur aufgrund drohender Strafe Folge zu leisten. Andererseits kann der politische Bereich mit seinem Streben nach „Allgemeinheit“ und seinem Prinzip des Geistes als eine Parallele zu Smiths Gesetzgeber gesehen werden, der politische Entscheidungen von 106 GPR § 181 ff., vgl. Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 170 ff.; Avineri, Hegel’s Theory of the modern State, S. 178. 107 GPR § 270, Enz § 535. 108 GPR § 257, Kursivierung hinzugefügt. 109 Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 37, S. 164 f. und S. 181 ff. Patten weist auch darauf hin (S.  166), dass diese Idee nicht impliziert, dass alle Institutionen, die Hegel als Teil des Staates vorschlägt, zur Verwirklichung dieser Idee notwendig sind, was sicherlich richtig ist. Vgl. ähnliche Überlegungen in Wallace, „How Hegel Reconciles Private Freedom with Citizenship“. 110 Vgl. zum Beispiel GPR § 256 und Hotho, S. 565, wo Hegel feststellt, dass sich der Staat und die Familie viel früher in der Geschichte entwickelt hätten als die bürgerliche Gesellschaft. Zur Selbstgenügsamkeit des Staates im Gegensatz zu Familie und bürgerlicher Gesellschaft siehe auch Knowles, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel and the Philosophy of Right, S. 229.

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einer unparteiischen, „allgemeinen“ Warte aus trifft. Strukturell gibt es demnach eine Parallele zwischen Hegels Vorstellung des Geistes als „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist“111 und der Perspektive des unparteiischen Beo­bachters: In beiden Fällen berücksichtigt das Individuum die Perspektive der anderen als gleichwertig und weiß, dass die anderen dies auch tun. Der Gesetzgeber bei Smith, der die Perspektive des unparteiischen Beobachters verkörpert, entspricht der „allgemeinen“ Sphäre des Hegelschen Staates, die über den privaten Interessen steht und unparteiisch dem Gemeinwohl dient. Der Nachdruck, den Hegel auf die Notwendigkeit eines solchen „allgemeinen“ Elements in einer Gesellschaft legt, hat bekanntlich mit der Erfahrung der Französischen Revolution und ihrem Abgleiten in den Terror zu tun. Hegel analysiert diese Ereignisse als die „Verabsolutierung“ eines individualistischen Freiheitsbegriffs, die zur „Zerstörungswut“ führte, weil sie keine Mittel zur Schaffung stabiler sozialer Strukturen in sich enthielt.112 Hegels Betonung des Staates hat allerdings auch mit seiner Sicht des Marktes zu tun. Denn für eine Gesellschaft, die nicht am Rande einer Revolution steht, könnten die individualistischen Grundeinstellungen und die sozial disruptiven Wirkungen des Marktes tatsächlich die größere Gefahr darstellen. Der Hegelsche Markt ist ein zerstörerisches, dionysisches Kräftespiel, das dem Kampf aller gegen alle in einem Naturzustand ähnlicher ist als der Win-Win-Situation bei Smith, in der man nur gewinnen kann, wenn man die Interessen der anderen befördert. Hegels Markt schafft Luxus und Armut, die beide dazu tendieren, die Moral der Menschen zu korrumpieren, statt Einkommen und Lebensstile anzugleichen, wie im Bild von Smith. Obwohl der Hegelsche Markt auch Elemente der „Allgemeinheit“ enthält – ähnlich der „unsichtbaren Hand“  – und bis zu einem gewissen Grad von der Polizei und den Korporationen gebändigt wird, besteht sein grundlegendstes Merkmal darin, Chaos statt Ordnung in die Gesellschaft zu bringen. Angesichts dieses Bilds des Marktes – den Hegel gleichwohl als Bereich der subjektiven Freiheit befürwortet – ist es durchaus plausibel, dass es eine weitere gesellschaftliche Sphäre geben muss, in der die Menschen einander auf andere Weise begegnen. Dies ist für Hegel der politische Bereich des Staates. Die Betonung von „Hegel als Kommunitarist“ läuft freilich Gefahr, die Tatsache zu verdunkeln, dass der Zweck dieses Staates ein genuin liberaler ist.113 111 PG, S. 127. 112 GPR § 5, vgl. GPR § 5 Z und PS S. 582 ff. für seine ausführliche Darstellung der Französischen Revolution. 113 Muller erinnert uns zu Recht daran, dass Hegel nicht nur nach der Französischen Revolution schrieb, sondern auch zu einer Zeit, in der die Gefahr einer konservativen Restauration groß war, d. h. eines Abgleitens in eine Regierungsform, in der negative Freiheit

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Was immer auch im Sinne des eigenen Wohls des Staates sein mag,114 ein entscheidendes Element seiner Ziele ist die Verwirklichung der Freiheit der Individuen.115 Der „allgemeine Zweck“ des Staates wird in und durch die „Besonderheiten“, das heißt die einzelnen Bürger, verwirklicht. Es lohnt sich, Hegel dazu ausführlich zu zitieren: Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit  aber besteht darin, dass die persönliche Einzelheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige  Entwicklung  und die  Anerkennung ihres Rechts für sich (im Systeme der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils  übergehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar als ihren eigenen  substantiellen Geiste  anerkennen und für dasselbe als ihren Endzweck tätig sind, sodass weder das Allgemeine ohne das besondere Interesse, Wissen und Wollen gelte und vollbracht werde, noch dass die Individuen bloß für das letztere als Privatpersonen leben und nicht zugleich in und für das Allgemeine wollen und eine dieses Zwecks bewußte Wirksamkeit haben. Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzufahren und so in ihm selbst diese zu erhalten.116

Das Verhältnis zwischen Individuum und Staat ist also nicht von vollständiger Unterwerfung oder einseitiger Instrumentalisierung geprägt, sondern stellt sich vielmehr als organische Einheit dar, in der die Interessen der Individuen ­gewahrt bleiben.117



gerade nicht garantiert wurde und in der Regierungsentscheidungen auf eine Weise getroffen wurden, die der Einzelne nicht gutheißen konnte (vgl. The Mind and the Market, S. 141 und 148). 114 Die Individuen mögen nicht die einzigen Freiheitssubjekte im Staat sein – wie Neuhouser darlegt, verwirklicht der Staat selbst als „lebendiges, sich selbst reproduzierendes System“ eine Art von Freiheit, die sich von der Freiheit unterscheidet, die irgendein menschliche Individuum erreichen könnte (Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 31, vgl. auch S. 144 und 213). Für eine liberale Deutung Hegels ist es allerdings kein Problem, diese Möglichkeit zuzulassen, solange die Rechte des Individuums nicht diesem sozialen Ganzen geopfert werden. Dies ist, wie Neuhouser zeigt, zumindest am Ende der Weltgeschichte, wenn der moderne Staat erst einmal voll entwickelt ist, nicht der Fall (Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 216 ff., vgl. auch Kap. 3 dieses Buches, Fn. 48). 115 Vgl. GPR § 129. 116 GPR § 260, Kursivierung hinzugefügt. 117 Vgl. zum Beispiel GPR § 272.

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In dieser Rekonstruktion, die sich im Hinblick auf Hegels weitergehende metaphysische Ansprüche nicht festlegt, kann seine Vorstellung vom Staat auch für zeitgenössische Theoretikerinnen attraktiv sein, die danach fragen, wie die Bedingungen für individuelle Freiheit in konkreten gesellschaftlichen Strukturen verwirklicht werden können. Das Problem des Hegelschen Staatsbegriffs ist weder die allgemeine Idee einer sozialen Einheit, deren Ziel die Verwirklichung der Freiheit ihrer Mitglieder ist, noch die Idee, dass es in einem differenzierten Staat einige Institutionen geben muss, deren Vertreter unparteiisch handeln, statt ihre eigenen privaten Interessen zu verfolgen – diese Ideen können von liberalen politischen Theoretikern wohl kaum abgelehnt werden. Problematisch erscheint vielmehr, dass Hegel davon auszugehen scheint, dass dies der Normalfall ist, und er daher nichts über die Notwendigkeit kritischen Hinterfragens und der Kontrolle rechtlicher und politischer Institutionen durch die Bürgerinnen sagt.118 Vielmehr liegt die „Allgemeinheit“ des Staates weitgehend in den Händen einer kleinen Gruppe von Staatsdienern, die den Staat vertreten und in seinem Namen handeln – und Hegel scheint zu glauben, dass sie immer nach seinen allgemeinen Prinzipien handeln werden.119 Sein Vertrauen in das Berufsethos dieses Standes  – den er sich als gut ausgebildet und geschult in Philosophie und Wissenschaften vorstellt – scheint enorm groß, und es scheint auch einer der Gründe dafür zu sein, warum er parlamentarische Kontrolle ablehnt und es für ausreichend hält, wenn die Exekutive dem Monarchen unterstellt ist.120 Doch warum sollte man, ohne eine ziemlich substanzielle metaphysische Begründung dafür, warum dies so sein sollte – substanzieller als das von mir dargelegte Verständnis von Geist – glauben, es werde den Dienern des Staates statt um ihre eigenen Interessen immer um das öffentliche Interesse gehen? Hegel merkt an, dass Beamte ein angemessenes Gehalt ­bekommen 118 Vgl. auch Knowles, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel and the Philosophy of Right, S. 282, der feststellt, dass Hegel der Möglichkeit, „dass das Gesetz ein Esel oder, schlimmer noch, ein Tyrann sein könnte“, nicht in ausreichendem Maße gerecht wird. 119 Vgl. zum Beispiel GPR § 294: „Der Staatsdienst fordert vielmehr die Aufopferung selbständiger und beliebiger Befriedigung subjektiver Zwecke und gibt eben damit das Recht, sie in der pflichtmäßigen Leistung aber nur in ihr zu finden.“ Oder Griesheim, S. 591, wo er über die Beamten sagt, dass das Recht in einem Staat, der ganze Staat, die Gesetze, Wissenschaften, Künste usw. in ihnen ruhen. Vgl. auch Bernard Bourgeois („Der Begriff des Staates“, in Ludwig Siep (Hrsg.), Klassiker auslegen: G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (Berlin: Akademie Verlag, 1997), S. 217–242, hier S.  240), über die enge Verbindung zwischen Staat und Philosophie als der höchsten Form der Erkenntnis bei Hegel. Wenn man Hegels Überzeugung von der Möglichkeit einer solchen Philosophie nicht teilt, kann dies auch die Überzeugungskraft seiner Darstellung des Staates schwächen. 120 GPR § 289.

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müssten, damit es zu einer „Befreiung ihrer äußeren Lage und Amtstätigkeit von sonstiger subjektiver Abhängigkeit und [Beeinflussung]“ komme.121 Dies führt jedoch erneut zu der Frage, wer ihr Verhalten beurteilt und ob es bei den Beamten tatsächlich zu einer „Aufopferung selbstständiger und beliebiger Befriedigung subjektiver Zwecke“122 zugunsten des Erreichens allgemeiner Ziele kommt. Wie Rolf-Peter Horstmann polemisch anmerkt, ist es ein Trugschluss, anzunehmen, dass der Staat notwendigerweise „Vernunft“ verkörpere, nur weil dies für die Zivilgesellschaft nicht zutreffe.123 Hegel würde hierauf vielleicht antworten, dass der Staat, wenn er nicht in wahrer „Allgemeinheit“ für das öffentliche Wohl handele, kein wirklicher Staat sei; er sei dann vielmehr „ein schlechter Staat“, einer, „der bloß existiert“.124 Aber damit verschiebt sich das Problem auf die Frage, wie der „wirkliche“ Staat realisiert werden kann.125 Man kann aber dieses Problem  – das ja auch bei Smith in der Frage nach dem tugendhaften Souverän auftritt – erkennen, ohne die Bedeutung von Hegels entscheidender Einsicht zu leugnen: Auf irgendeiner Ebene der Organisation eines gesellschaftlichen Ganzen muss es ein Prinzip der „Allgemeinheit“ geben, das über die Verfolgung von Einzelinteressen hinausgeht. Ohne dies wird die Sicherung der Grundrechte und der negativen Freiheit aller Bürger zu einer Frage des Zufalls. Man könnte hier einwenden, all dies sei zwar gut und schön, aber keine Frage der Freiheit. Diese Argumente, so könnte man sagen, haben mit Einschränkungen der Freiheit zu tun, die für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Ganzen notwendig sind, aber nicht mit dem Begriff der Freiheit selbst. Für Hegel besteht wahre Freiheit jedoch nicht nur darin, dass man tut, was man will, sondern darin, die eigene Freiheit zu wollen. Zu Beginn der Grundlinien der Philosophie des Rechts definiert er den freien Willen als den Willen, der „sich […] selbst zum Inhalte und Zwecke hat“.126 Wenn eine politische Gemeinschaft, wie Hegel sie beschreibt, für die Verwirklichung von Freiheit notwendig ist, dann kann und muss ein freier Wille sie befürworten. Dies bezieht sich auf die bereits im Zusammenhang mit den Korporationen

121 GPR § 294. 122 GPR § 294. 123 Horstmann, „Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie“, S. 300 f. 124 GPR § 270 Z. 125 Ritter legt tatsächlich dar, dass die Moderne für Hegel ihre Hoffnungen verfehlt hat, da sie nicht die richtige Art von Selbstverwaltungsinstitutionen hervorgebracht hat (Hegel and the French Revolution, S. 45 ff.). 126 GPR § 15.

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aufgeworfene Frage, wie man Einschränkungen der eigenen Freiheit bewerten soll, die man sich selbst auferlegt hat, oder von denen man erkennt, dass man sie wählen würde, auch wenn man sie zunächst auf weniger bewusste Weise akzeptiert hat. Für Hegel zählen solche Einschränkungen nicht als Freiheitseinschränkungen, wenn  – und nur genau dann, wenn!  – sie tatsächlich dem Erhalt der eigenen Freiheit dienen: Man ist freier, wenn sie gegeben sind, als wenn sie fehlen. Ist die Freiheit der Einzelnen das Hauptziel des Staates, dann sind diese Einschränkungen für die Einzelnen keine Bedrohung, sondern etwas, das sie freiwillig auf sich nehmen, oder besser gesagt – da sie bereits in einer politischen Gemeinschaft leben – als die Struktur anerkennen, die ihre Freiheit möglich macht. Der Staat ist der Ort, an dem sie ihre kurzsichtigen, rein subjektiven Interessen überwinden und sich mit den rationalen Institutionen der Gesellschaft identifizieren können. Sie können im Verhältnis des „in seinem Anderen bei sich selbst“-Seins127 zum gesellschaftlichen Ganzen stehen, das Hegel als Merkmal der Freiheit beschreibt: Bin ich „im Anderen bei mir selbst“, dann ist das Andere keine Einschränkung, sondern etwas, das ich gutheißen kann und das daher Teil meines eigenen Willens ist. Hegel bezeichnet die Zugehörigkeit zu einem solchen Staat als „substantielle Freiheit“, da diese Freiheit vernünftiger sei als die rein subjektive Freiheit des Marktes: Sie schließt die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer eigenen Existenz mit ein und wird durch diese nicht eingeschränkt, sondern ist in ihnen „zu Hause“. Diese Freiheit hat eine ausgeprägte soziale Dimension: Die Bürger erkennen sich gegenseitig als freie und vernünftige Individuen an, die sich im Reich der Vernunft, nicht nur im Reich der Interessen, begegnen können und sich auf die wechselseitige Förderung ihrer Freiheit verpflichtet haben.128 Es ist dieses gegenseitige Anerkennen und Anerkanntwerden, in dem sich die Freiheit der Einzelnen sozial verwirklicht: Nur so kommt die wahre Freiheit zustande; denn da diese in der Identität meiner mit dem anderen besteht, so bin ich wahrhaft frei nur dann, wenn auch der andere frei ist und von mir als frei anerkannt wird.129

127 Enz § 24 Z2. 128 Dies wurde insbesondere von Neuhouser betont, der zur Beschreibung dieser Konzeption den Begriff „soziale Freiheit“ verwendet (Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 45 ff.). 129 Enz § 413 Z. Dies steht in Zusammenhang mit dem in Kapitel 4 diskutierten Thema der Einbettung: Die Hegelschen Individuen können gleichzeitig frei und eingebettet sein, wenn sie die sozialen Beziehungen, in die sie eingebettet sind, rational befürworten können.

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Anderseits ist der Staat nur insofern gerechtfertigt, und als Verwirklichung von Freiheit zu verstehen, als er die Bedingungen erfüllt, die für die Befürwortung durch vernünftige Individuen gegeben sein müssen. Hegel nennt es das „Recht des subjektiven Willens“, dass er nur als gültig anerkenne, was „von ihm […] eingesehen werde[n]“ könne.130 Es sei eine spezifische Leistung der modernen protestantischen Welt, dieses Recht auf Subjektivität zu gewähren: Es ist ein großer Eigensinn, der Eigensinn, der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist, – und dieser Eigensinn ist das Charakteristische der neueren Zeit […].131

Im Idealfall könne der Staat als eine Institution, die die Freiheit der Bürger verwirklicht, „durch den Gedanken gerechtfertigt“ werden. Er erscheine ihnen dann nicht als etwas „von außen Auferlegtes“,132 sondern als „ihr eigenes Wesen, ihre innere Allgemeinheit“.133 Im Staat seien die Individuen frei und könnten sich selbst als frei erkennen.134 Sie hätten „das Bewußtsein, dass mein substantielles und besonderes Interesse im Interesse und Zwecke eines Anderen [hier des Staats] als im Verhältnis zu mir als Einzelnem bewahrt und enthalten ist“.135 Dies ist es, was Hegel als „Patriotismus“ bezeichnet: Die Tatsache, dass ein Bürger gewohnt sei, „in dem gewöhnlichen Zustande und Lebensverhältnisse das Gemeinwesen für die substantielle Grundlage und Zweck zu wissen“;136 im Extremfall schließe dies auch die Bereitschaft ein, sein Leben für das soziale Ganze zu opfern.137 Interessanterweise teilt Smith, obwohl die negative Freiheit bei ihm im Mittelpunkt steht, den Gedanken, dass Freiheit ohne ein strukturiertes 130 GPR § 132. 131 GPR, Vorrede, S. 27. 132 Raymond Plant, „Hegel and the Political Economy“, in William Maker (Hrsg.), Hegel on Economics and Freedom (Macon, GA: Mercer University Press, 1987), S.  95–126, hier S. 109. 133 GPR § 153, vgl. Ver Eecke, „Hegel on Freedom, Economics, and the State“, S. 136. 134 GPR § 153, § 257, vgl. Patten, Hegel’s Idea of Freedom, S. 197. 135 GPR § 268. 136 GPR § 268. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit dieser „Patriotismus“ durch eine rationale Befürwortung des Staates unterstützt wird, die sich aus dem Verständnis seiner Bedeutung für die moderne Freiheit ergibt. Nicht alle Bürger werden den langen Prozess der Argumentation durchlaufen, der für eine solche Befürwortung notwendig ist; wichtig ist jedoch, dass sie dies tun könnten. Für Diskussionen hierzu siehe zum Beispiel Knowles, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel and the Philosophy of Right, S. 196, 315 ff., Wood, Hegel’s Ethical Thought, S. 217 f. 137 GPR § 324 und insbesondere § 325.

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s­ oziales Ganzes nicht möglich sei und dass die Einzelnen daher bereit sein müssten, gewisse Einschränkungen zu akzeptieren, um es zu erhalten. Wie bereits erwähnt, argumentiert er dafür, dass der Gesetzgeber bestimmte Dinge, die die Öffentlichkeit vor Gefahr schützen würden, wie beispielsweise die Errichtung von Brandmauern zwischen Häusern, anordnen sollte, obwohl dies die negative Freiheit einschränke.138 Buch V des Wohlstands ist eine ausführliche Rechtfertigung der Notwendigkeit von Steuererhebung, da sich das politischen Systems nur so aufrechterhalten lasse. In seiner Darstellung der Kolonien argumentiert Smith, dass Irland und Amerika helfen sollten, die Staatsschulden Großbritanniens zu tilgen, da „diese Schuld zur Aufrechterhaltung [der] Regierung eingegangen“ worden sei, der sie „die Sicherung ihrer Freiheit, ihres Eigentums und ihrer Religion“ verdankten.139 In einer Passage nähert sich Smith sogar der Sprache der positiven Freiheit – in dem hier entwickelten Sinne – an, indem er argumentiert, dass Steuern „für den, der sie zahlt, ein Zeichen nicht der Sklaverei, sondern der Freiheit“ seien, da sie bedeuteten, dass jemand „der Regierung Untertan ist, aber auch, dass er selbst Eigentum besitzt und daher nicht Eigentum eines Herrn sein kann“.140 Smith legt auch dar, dass der Einzelne bereit sein müsse, sich „Gefahren oder selbst dem Tode“ auszusetzen, nicht nur zur Verteidigung von „Freiheit und Eigentum“, sondern auch „um unser Heimatland zu schützen, in dessen Sicherheit unsere eigene Sicherheit notwendig inbegriffen ist“.141 Es findet sich also auch bei Smith die Auffassung, dass es eine politische Gemeinschaft geben muss, in der die Institutionen, die die Freiheit bewahren, von den Einzelnen gutgeheißen und unterstützt werden. Smith beschreibt dies allerdings nicht als eine politische Dimension des Lebens.142 Die sozialen Bindungen, auf die er sich anscheinend hauptsächlich stützt – die „Kreise des Mitgefühls“ – haben ihren Platz im privaten, nicht im politischen Bereich. Wie Michael Ignatieff beim Vergleich von Smith und 138 WN II.II.94. 139 WN V.III.88 / (WN Buch 5, S. 332). 140 WN V.II.II.II.II.11 / (WN Buch 5, S.  208 f.). Für eine Diskussion siehe Eric Schliesser, „Adam Smith’s Benevolent and Self-Interested Conception of Philosophy“, in Leonidas Montes und Eric Schliesser (Hrsg.), New Voices on Adam Smith (London: Routledge, 2006), S. 328–357, hier S. 347. Schliesser meint, dass für Smith „unsere Freiheit mit unserer Zugehörigkeit zu einer politischen Gesellschaft verbunden ist“, was extrem „Hegelianisch“ klingt. 141 TMS VII.II.II.II.10 / (TEG S. 485). 142 Abgesehen von diesen Passagen sieht Smiths Staat aus wie Hegels „äußerer Staat“, der auch als „Not- oder Verstandesstaat“ angesehen werden könne (GPR § 183), d. h. wie jene Institutionen, die die Marktwirtschaft stabilisieren und die Rechte ihrer verwundbarsten Mitglieder schützen.

6.4 Die gesellschaftlichen Strukturen der Freiheit | 229

Rousseau anmerkt, ziehe sich die „Vernachlässigung der Politik“ als stark individualistisches Muster durch Smiths Denken.143 Smith geht davon aus, dass Menschen eine natürliche Tendenz hätten, sich Autoritäten zu unterwerfen.144 Er hält dies aus moralischer Sicht zwar für problematisch,145 doch am Ende lobt er es als eine weise Einrichtung der Natur, da „die Rangeinteilung, der Friede und die Ordnung der Gesellschaft sicherer auf dem klaren und handgreiflichen Unterschied der Geburt und des Vermögens als auf dem unsichtbaren und oft unsicheren Unterschied der Weisheit und Tugend ruhen würden“, den die „nichts unterscheidenden Augen der großen Masse der Menschen“ niemals wahrnehmen könnten.146 In dieser Hinsicht erweist sich Smith als weniger liberal als Hegel, da er sich auf natürliche Mechanismen verlässt, statt „den Willen […] als Prinzip des Staates“ aufzustellen.147 Man kann demnach soziale Freiheit als die Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Ganzen verstehen, dessen Gesetze und Vorschriften Freiheit ermöglichen und das man deshalb als vernünftig gutheißen kann. Dieses von Smith und Hegel geteilte Freiheitsmodell mag aus heutiger Sicht nicht ausreichend sein und ich werde sein Verhältnis zu den zeitgenössischen Debatten über „republikanische“ Freiheit am Ende dieses Kapitels erörtern. Doch weit davon entfernt, eine gefährliche Vorstellung zu sein, die dazu tendiert, in ­Tyrannei abzugleiten, ist positive Freiheit in diesem Sinne etwas, das man befürworten kann, ohne die negative Freiheit zu beeinträchtigen – sie dient im Gegenteil dazu, die negative Freiheit zu sichern. Im Hegelschen Staat ist das Verhältnis zwischen negativer Freiheit und der Freiheit, die als Zugehörigkeit zu einer freien Gesellschaft verstanden wird, daher ein anderes als in Smiths Staatsentwurf. Um die negative Freiheit zu garantieren, bedarf es der Freiheit im Sinne der Zugehörigkeit zu einem vernünftigen Staat. Während Smith auf individuelle Selbstbestimmung und einen tugendhaften Gesetzgeber baut, um die Strukturen der Gesellschaft aufrechtzuerhalten – und die politische Dimension des Gemeinschaftslebens nur in vereinzelten Bemerkungen erwähnt  –, führt Hegel explizit einen

143 Ignatieff, „Smith, Rousseau and the Republic of Needs“, S. 204. 144 Vgl. TMS I.III.3. 145 TMS I.III.3. 146 TMS VI.II.1.20 / (TEG S. 367 f.). 147 GPR § 258, vgl. auch GPR § 19. Elemente der „Natürlichkeit“ finden sich auch bei Hegel, sie beziehen sich allerdings eher auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern und den verschiedenen Ständen (vgl. insbesondere seine Ansichten zum Bauernstand („substantiellen Stand“, wie er ihn nennt, Anm. d. Übers.), zum Beispiel in GPR § 203). Zur Diskussion siehe auch Neuhouser, Foundations of Hegel’s Social Theory, S. 4 f.

230 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

z­ usätzlichen politischen Bereich ein. In ihm findet der Einzelne eine Art von Freiheit, die zwar kollektiv ist, die individuelle Freiheit jedoch nicht gefährdet, sondern sichert.

6.5 Schluss: Freiheit im Kontext Diskussionen über Freiheit haben in der politischen Philosophie oft auf einer sehr abstrakten Ebene stattgefunden, wobei verschiedene Konzepte gegeneinander ausgespielt wurden. Verlässt man hingegen die abstrakte Ebene der Begriffsanalyse und fragt nach den konkreteren Verwirklichungsbedingungen von Freiheit, werden die Dinge unübersichtlicher, und es ist kaum möglich, sich ausschließlich auf einen Freiheitsbegriff zu konzentrieren, ohne andere wesentliche Aspekte dessen, was es bedeutet, frei zu sein, aus den Augen zu verlieren. Wie der Vergleich von Smith und Hegel zeigt, spielt der Charakter des Marktes und seine Beziehung zur Gesellschaft eine wichtige Rolle, wenn man untersuchen will, wie diese verschiedenen Aspekte zusammenhängen. Für Smith schaffen der Markt und die privaten „Kreise des Mitgefühls“ zusammen einen gesellschaftlichen Kontext, in dem das Vorhandensein wirtschaftlicher Freiheit auch zu Selbstbestimmung führt, was wiederum die Sorge um die selbstuntergrabenden Tendenzen der Marktgesellschaft verringert. Dies erklärt, warum er sich so stark auf die wirtschaftliche Freiheit konzentriert und zu Fragen der politischen Partizipation fast völlig schweigt. Grob gesagt, geht Smith davon aus, dass eine Marktgesellschaft für sich selbst sorgen wird, solange nur wirtschaftliche Freiheit gewährleistet ist  – und dass einige wenige Probleme, wie etwa die negativen Folgen der Arbeitsteilung, durch politische Maßnahmen behoben werden können. Sein Glaube an die natürlichen moralischen Gefühle der menschlichen Natur und an das wohltätige Design des sozialen Kosmos stützt diese Überzeugung. Die Aufgaben der Sicherung des sozialen Zusammenhalts und der Integration der Armen in die Gesellschaft  – wichtige Funktionen des Hegelianischen Staates  – wurden bereits durch die klugen Einrichtungen der Natur erfüllt. In Hegels Bild des Marktes ist der Schwerpunkt anders gesetzt. Er schätzt zwar die subjektive Freiheit, die Menschen auf dem Markt genießen, doch bedroht für ihn der Markt stets das gesellschaftliche Ganze, da er zu ungleicheren Lebensstandards führt und die Neigung fördert, eigene Interessen zu verfolgen, was gefährlich wird, wenn es auf Kosten des gesellschaftlichen Ganzen geschieht. Die Marktwirtschaft mag den Menschen einige Schritte in Richtung größerer Selbstbestimmung führen, doch wirkliche Freiheit lässt sich nur in

6.5 Schluss: Freiheit im Kontext | 231

einem gesellschaftlichen Ganzen erreichen, in dem der Einzelne nicht nur seine eigenen Interessen berücksichtigt, sondern auch die Freiheit der anderen und die Bedeutung der Aufrechterhaltung der Strukturen dieses gesellschaftlichen Ganzen anerkennt. Verfügen die Menschen zusätzlich zu ihrer subjektiven Freiheit über diese Einstellung, so sind sie – in mehr als einem metaphorischen Sinne – freier. Denn sie wollen dann nicht nur kurzsichtig ihre eigene Freiheit, um tun zu können, was ihnen beliebt; vielmehr verstehen sie dann auch in vollem Umfang, was Freiheit für alle Bürgerinnen unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft bedeutet. Sie fühlen sich daher durch die Gesetze und Institutionen des Staates nicht eingeschränkt oder entfremdet, sondern können diese als Konsequenzen ihres eigenen freien Willens akzeptieren. Es gibt daher einen wahren Kern in der Charakterisierung von Smith als Verteidiger der „negativen“ und von Hegel als Denker der „positiven“ Freiheit. Das liegt jedoch weniger daran, dass sie unterschiedliche Vorstellungen davon hätten, wie ein Staat seine Bürger behandeln sollte oder nicht: Auf praktischer Ebene sind ihre Positionen überraschend ähnlich. Vielmehr haben ihre Darstellungen unterschiedliche Schwerpunkte, da die von ihnen beschriebenen Kontexte der Freiheit verschieden sind. In der harmonischen Gesamtheit der Marktgesellschaft von Smith ist die wirtschaftliche Freiheit alles, was man braucht; andere Aspekte der Freiheit, die Smith ebenso schätzt, werden folgen, und der Markt selbst wird die Menschen zusammenbringen und die Stabilität der Gesellschaft stärken. Die chaotischen, disruptiven „Reste des Naturzustandes“ im Hegelschen Markt machen es notwendig, auf die Einstellungen, Dispositionen und Institutionen zu achten, die eine Gesellschaft, die ihren Bürgerinnen negative Freiheit gewährt, zusammenhalten können. Aus diesem Grund muss es einen Bereich des Politischen geben, in dem die Freiheit im Sinne der Teilhabe an einem vernünftigen sozialen Ganzen ausdrücklich garantiert ist. Welches Bild des Marktes man hat, spielt also eine wichtige Rolle dafür, wie man die Rolle der Regierung und das Verhältnis zwischen verschiedenen ­Aspekten von Freiheit beurteilt. Diese Unterscheidungen helfen uns, auf wichtige aktuelle Fragen bezüglich Markt und Freiheit einzugehen. Sowohl bei Smith als auch bei Hegel gibt es ein Verständnis dafür, dass nicht nur wirtschaftliche Freiheit, sondern auch Autonomie gestärkt werden kann, wenn die Menschen innerhalb einer Marktgesellschaft ein selbstbestimmtes Leben führen – allerdings auch dafür, dass die Entwicklung dieser Autonomie mit Risiken behaftet ist. Diese widersprüchlichen Tendenzen zuzugestehen, trägt dazu bei, einen Mittelweg zwischen dem libertären Lob des Marktes als Ort der Entstehung unabhän­giger, autonomer Bürger und seiner sozialistischen Verdammung aufgrund ­seiner die Gesellschaft

232 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

zersetzenden Konsequezen zu finden. Es hilft auch, sich auf die konkreten Institutionen und Bedingungen zu konzentrieren, die geändert werden könnten und sollten, um Menschen die Chance auf Entwicklung und Vertiefung ihrer Autonomie zu geben, ohne ihre negative Freiheit zu beeinträchtigen. Die Darstellungen von Smith und Hegel machen allerdings auch deutlich, dass wirtschaftliche Freiheit und Selbstbestimmung stets innerhalb eines sozia­len Ganzen existieren müssen, das die beides ermöglichenden Strukturen aufrechterhält. Einige Elemente dieser gesellschaftlichen Stabilität können sich tatsächlich von selbst ergeben, wie Smith es annimmt. Aber es scheint für heutige Gesellschaften kaum angemessen zu hoffen, dass negative Freiheit  – ergänzt durch ein paar staatliche Schulen – in den meisten Fällen diese Stabilität gewährleisten wird, besonders dann nicht, wenn man sich nicht auf deistische Hintergrundannahmen verlassen will. Häufig ist eine aktive Unterstützung dieser Strukturen erforderlich. Hegels Darstellung des Staates weist, in der liberalen Lesart, den Weg zu einem politischen Bereich und einer Art politischer Freiheit, der beim Nachdenken darüber, wie diese Strukturen unterstützt und erhalten werden können, hilfreich sein kann – obwohl sie heute anders aussehen werden als in den 1820er Jahren. Tatsächlich klingt die zeitgenössische Wiederbelebung „republikanischer“ Freiheitsvorstellungen ähnlich: Republikaner sind der Auffassung, dass für die Freiheit nicht nur die Tatsache wichtig ist, dass keine Einmischung stattfindet, sondern ebenso die Garantie der Nichteinmischung durch demokratische politische Strukturen. Das schließt die Möglichkeit von Freiheit unter einem wohlwollenden Diktator oder einem großzügigen Sklavenhalter aus  – was zählt, ist der Status als freie Bürgerinnen.148 Autoren wie Pettit und Skinner betonen, dass sich das Bürgersein von der bloßen Gewährung privater Freiheit unterscheidet; Smith und Hegel hätten ihnen darin sicher zugestimmt. Es gibt allerdings auch einen entscheidenden Unterschied zwischen diesen zeitgenössischen Konzepten der Freiheit und den Darstellungen von Smith und Hegel. Für letztere ist es wichtig, dass der Staat vernünftig ist oder dass er der Perspektive des unparteiischen Beobachters folgt – dann können die Einzelnen das Gefühl haben, die staatlichen Gesetze 148 Siehe zum Beispiel Philip Pettit, Republicanism: A Theory of Freedom and Government (Oxford: Clarendon Press, 1997); A Theory of Freedom: From the Psychology to the Politics of Agency (Cambridge: Polity Press, 2001); Quentin Skinner, Liberty before Liberalism (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998); „A Third Concept of Liberty“, Proceedings of the British Academy 117(237) (2002), S.  237–268. Für eine Diskussion über Hegel und republikanische Freiheitsbegriffe siehe auch Michael P. Allen, „Hegel between Non-Domination and Expressive Freedom“, Philosophy and Social Criticism 32(4) (2006), S. 493–512.

6.5 Schluss: Freiheit im Kontext | 233

und Vorschriften hätten aus ihren eigenen Überlegungen hervorgehen können und sie würden daher niemandem als sich selbst gehorchen und hätten niemanden über sich stehen. Da das Vertrauen in die Macht der menschlichen Vernunft auf Seiten wohlwollender Herrscher, sowie in die Gleichartigkeit der menschlichen Vernunft verschiedener Individuen, heute deutlich geringer ist, würden wir hier die demokratische Kontrolle der Regierung hinzufügen wollen, ein Gedanke, der bei Smith und Hegel nur in Ansätzen vorhanden ist.149 Indem sie sich statt auf die angebliche Rationalität oder Unparteilichkeit der Regierung auf echte Kontrolle verlassen, umgehen moderne Freiheitstheorien die kontroverse Frage, was Rationalität oder Unparteilichkeit eigentlich gebieten.150 Doch die Fragen nach dem Verhältnis des Marktes zu verschiedenen Aspekten der Freiheit sind für demokratische Staaten ebenso relevant wie für aufgeklärte Monarchien – insbesondere in Zeiten, in denen der Einfluss der Märkte auf fast alle Aspekte des Lebens immer stärker zuzunehmen scheint. Der Vergleich zwischen Smith und Hegel liefert außerdem wertvolle Erkenntnisse über die verschiedenen Aspekte der Freiheit, wie sie in der politischen Philosophie diskutiert werden. Zahlreiche Denkerinnen haben sich da­ rauf konzentriert, einen Kernbegriff von Freiheit zu finden, oder zumindest den einen Begriff, der sich am besten gegen sämtliche potenzielle Missbräuche verteidigen lässt. Die Vielfalt der Dimensionen dessen, was frei sein bedeutet, scheint sich hingegen jeder einfachen Vereinheitlichung zu entziehen. Selbstbestimmung, Freiheit als Abwesenheit von Einmischung, Authentizität, der Status als freier Bürger und die Mitgliedschaft in einer freien Gesellschaft gehen nicht völlig ineinander auf. Vielmehr hängen sie auf komplexe Weise miteinander zusammen. Die bleibende Erkenntnis aus den Darstellungen von Smith und Hegel ist weniger die Suche nach einer Formel, die alles, was in Bezug auf Freiheit wichtig ist, in einem umfassenden Begriff vereinen könnte. Sie suchen stattdessen nach Wegen, wie man verschiedene Aspekte von Freiheit miteinander kombinieren und ein optimales Gleichgewicht zwischen ihnen finden kann. Wir sind vielleicht mit dem Gleichgewicht, das sie als optimal empfanden, oder mit dem, was sie für die Grenzen des Möglichen hielten, heute nicht zufrieden. Es scheint jedoch lohnenswert, ihnen sozusagen in

149 Zu Smith vgl. seine Ausführungen zur Nützlichkeit der parlamentarischen Kontrolle (Kap. 2, Fn. 162), zu Hegel vgl. Abschnitt. 4.3 dieses Buches. 150 Siehe zum Beispiel Philip Pettit, „Republican Freedom: Three Axioms, Four Theorems“, in C. Laborde und J. Maynor (Hrsg.), Republicanism and Political Theory (Oxford: Blackwell, 2008), 102–30, 119 f.

234 | 6 Freiheit, Freiheiten und der Markt

ihrer Forschungsstrategie zu folgen, indem man die Pluralität der Freiheits­ aspekte sowie ihre komplexen Beziehungen zueinander ernstnimmt, statt nach einem einzigen abstrakten Begriff zu suchen, der alle Aspekte abdecken könnte. Denn selbst, wenn wir eine solche Formel finden könnten, würde alles davon abhängen, wie sie in den verschiedenen Kontexten unserer sozialen Lebenswelt und in den verschiedenen Bereichen, in denen wir Freiheit oder ihre Gegensätze erfahren, konkretisiert würde. Was wir aus der Vielfalt und Subtilität der Aspekte von Freiheit bei Smith und Hegel lernen können, ist die Notwendigkeit, Fragen nach Freiheit nicht nur abstrakt zu stellen, sondern die eigenen Annahmen über das Wesen dieser sozialen Kontexte offenzulegen. So unterschiedlich ihre Darstellungen auch sind: Sobald man sie im Detail analysiert, stellt man fest, dass die Unterschiede in ihren Ansichten eher aus ihren unterschiedlichen Vorstellungen vom Markt folgen als aus ihren unterschiedlichen Auffassungen über das Wesen von Freiheit. Es kommt auf die Kontexte von Freiheit an. Das gilt für die Freiheitsdebatten im 18. und 19. Jahrhundert, jedoch ebenso für diejenigen, die wir heute führen. Unser Verständnis dessen, was es bedeutet, in einer freien Gesellschaft zu leben, muss von den historischen Erfahrungen darüber, was Märkte sind und sein können, sowie von anderen historische Erfahrungen über die sozialen Verhältnisse unserer Welt, beinflusst werden. Dies mag unsere Diskussionen unübersichtlicher und weniger elegant machen, doch es bringt sie dafür den konkreten Fragen nach Freiheit oder deren Abwesenheit, denen sich unsere Gesellschaften stellen müssen, näher.

7 Der Markt in der Geschichte 7.1 Einleitung

I

n den bisherigen Kapiteln habe ich zwei Visionen des Marktes untersucht: Smiths heiteres Bild vom freien Markt als einem Ort, der Gerechtigkeit, Gleichheit, sozialen Zusammenhalt und Freiheit mit sich bringt, und Hegels Sicht des Marktes als eines Bereichs der subjektiven Freiheit, aber auch eines chaotischen, den sozialen Zusammenhalt zerstörenden Kräftespiels, das von anderen Institutionen in Schach gehalten werden muss. Diese Sichtweisen spielen auch heute noch eine entscheidende Rolle für unser Denken über Märkte – zahlreiche Missverständnisse und auch reale Konflikte zwischen Ökonomen und anderen Sozialwissenschaftlerinnen sowie zwischen konservativ und progressiv eingestellten Denkern haben damit zu tun, dass sie sich unterschiedliche Auffassungen des Marktes zu eigen gemacht haben, häufig an den Vorstellungen orientiert, die Smith und Hegel ursprünglich entwickelt hatten. Doch diese Auffassungen basieren auf Texten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Es ist daher unbedingt geboten, uns zu fragen, was sie über den Markt in der heutigen Welt tatsächlich aussagen können. In diesem abschließenden Kapitel befasse ich mich mit dem Thema Märkte und Geschichte. Sowohl Smith als auch Hegel liefern detaillierte Darstellungen der historischen Entwicklungen, die zur Marktgesellschaft geführt haben; diese sehen auf den ersten Blick zwar sehr unterschiedlich aus, doch es gibt auch große strukturelle Ähnlichkeiten.1 Obwohl es nicht mein Ziel ist, einen vollständigen Überblick über ihre jeweiligen Geschichtsphilosophien zu geben, lohnt es sich aus zwei Gründen, sich mit diesen Darstellungen zu beschäftigen: Erstens werfen sie erneut ein Licht auf

1 Die Geschichtsschreibung von Smith und Hegel ist von weißen, europäischen, protestantischen Männern verfasst, in einer Zeit, in der das Bewusstsein dafür noch nicht sehr weit entwickelt war. Inwieweit Smith und Hegel für die Verzerrungen in ihren Ansichten verantwortlich gemacht werden sollten, werde ich allerdings nicht diskutieren. Für eine Erörterung des Vorwurfs des Eurozentrismus gegen Smith siehe Eric Schliesser, „The Philosophical Subtlety of Smith“, Adam Smith Review 4 (2008), S.  231–237; für Hegel siehe zum Beispiel Andrew Buchwalter, „Is Hegel’s Philosophy of History Eurocentric?“, in Will Dudley (Hrsg.), Hegel and Geschichte (Albany: State University of New York Press, 2009), S. 87–110).

236 | 7 Der Markt in der Geschichte

Smiths und Hegels zentrale Gründe für die Befürwortung der Marktgesellschaft. Zweitens helfen sie uns bei der Beschäftigung mit der Frage, wie wir wirtschaftliche Phänomene in ihrem historischen Kontext verstehen können. Für Smith und Hegel ist es aufgrund der Abhängigkeit der Märkte von kulturellen und historischen Vorbedingungen sowie aufgrund des sich selbst bewahrheitenden Charakters von Theorien über die soziale Welt äußerst problematisch, Märkte auf ungeschichtliche Weise zu verstehen. Sämtliche Beschreibungen von Märkten, einschließlich derjenigen, die wir aus unserer Geistesgeschichte übernommen haben, müssen vielmehr im Kontext ihrer Zeit verstanden werden. Ein stärker historisch orientierter Ansatz, der die vielen und vielfältigen Formen, die Märkte annehmen können, berücksichtigt, kann uns helfen, Bilder des Marktes als Bilder zu verstehen und uns auf diese Weise die Augen dafür öffnen, dass andere Bilder und andere Wirklichkeiten möglich sind.

7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben Sowohl Smith als auch Hegel verfassten Darstellungen der Weltgeschichte, die bis zu ihrer jeweiligen Gegenwart reichten. Auf den ersten Blick sehen diese sehr unterschiedlich aus. Bei Smiths Darstellung, wie er sie in Buch III des Wohlstands und auch, mit anderem Schwerpunkt, in den Vorlesungen aufgeschrieben hat, scheint es sich hauptsächlich um eine Beschreibung ökonomischer Entwicklungen zu handeln, die vom Interesse an materiellen Gegebenheiten motiviert ist. Bei Hegel liegt der Schwerpunkt in der Geschichtsphilosophie hin­ gegen auf kulturellen und politischen Entwicklungen.2 Dabei sind sich Smiths 2 In der Sekundärliteratur wurden beide Darstellungen in einer Weise diskutiert, die ihre Gemeinsamkeiten nicht besonders hervorhebt. In Bezug auf Smith dreht sich die Diskussion um die Frage, ob, bzw. in welchem Maße, er ein ökonomischer Determinist war (für einen Überblick über diese Debatte siehe zum Beispiel John Salter, „Adam Smith on Feudalism, Commerce and Slavery“, History of Political Thought 13(2) (1992), S. 219–241). J. G. A. Pocock hat kürzlich dafür argumentiert, dass nichts von dem, was Smith schrieb, „eine Geschichte von irgendjemandem oder von irgendetwas“ sei (J. G. A. Pocock, „Adam Smith and History“, in Knud Haakonssen (Hrsg.), The Cambridge Companion to Adam Smith (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), S.  270–287, hier S.  271). Diese Position ist zu extrem; im gleichen Band betonen Sen und Rothschild die zentrale Rolle der historischen Erzählungen bei Smith (Rothschild und Sen, „Adam Smith’s Economics“). Für eine Kritik an Pocock siehe auch Schliesser, „The Philosophical Subtlety of Smith“, S.  233  ff. In Bezug auf Hegel war die Geschichtsphilosophie oft Teil der großen Auseinandersetzungen darüber, wie seine Philosophie im Allgemeinen zu verstehen sei – als konservativ oder liberal, christlich oder atheistisch. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf Hegels Behauptung über das „Ende der Geschichte“, die Francis Fukuyama für das zeitgenössische politische Denken wiederzubeleben versucht hat (Das Ende der Geschichte.

7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben | 237

und Hegels Darstellungen und die Art, wie sie Geschichte in ihren Systemen verwenden, auf struktureller Ebene ziemlich ähnlich, was nicht sonderlich überraschend ist, wenn man bedenkt, dass für beide Autoren Steuart, Montesquieu und Rousseau wichtige Quellen waren. Smith und Hegel sehen in den verschiedenen Stadien, in denen sich die Entwicklung der Menschheit vollzieht, eine Abfolge von sozio-ökonomischen und kulturellen Phasen, in denen Institutionen, Überzeugungen und Werte jeweils wechselseitig miteinander verschränkt sind. Für Smith sind dies die „vier Stadien der Jäger, der Hirten, der Landwirtschaft und des Handels“;3 während es für Hegel vier „welthistorische Reiche“ gibt: „1. das orientalische, 2. das griechische, 3. das römische, 4. das germanische“.4 In beiden Fällen umfasst die letzte Periode die moderne Welt ihrer jeweils eigenen Zeit, wobei die früheren Perioden so beschrieben werden, dass deutlich wird, dass sie dieser letzten Periode unterlegen sind und ihr deshalb weichen müssen. Es ist offensichtlich, dass die Darstellungen von Smith und Hegel ein Stück weit von einer Sichtweise bestimmt sind, dass die Geschichte einem Weg des unaufhaltsamen Fortschritts und der Verbesserung folge, und die die Vergangenheit im Lichte der Gegenwart beurteilt („Whiggishness“). Ihre historischen Narrative spielen eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der modernen Gesellschaft und scheinen genau auf dieses Ziel hin konstruiert zu sein. Sie beschreiben, wie wesentliche Merkmale der menschlichen Natur  – sowie zentrale Voraussetzungen für das Gedeihen des Menschen – einem stetig wachsenden Teil der Bevölkerung und, in der letzten Phase, schließlich allen Mitgliedern der Gesellschaft zugänglich gemacht werden. Smiths Geschichtsschreibung wurde von seinem Schüler Stewart als „theoretische oder mutmaßliche“ Geschichte charakterisiert.5 Unter den schottischen Literaten sah man diese Methode als „wissenschaftlich“ an und meinte, sie entspreche der „experimentellen Methode“.6 Sie erkläre, wie sich bestimmte „künstliche und komplizierte“7 Institutionen oder Bräuche aus sehr einfachen Anfängen entwickelt hätten. Zudem baut sie auf der Annahme auf, dass

Wo stehen wir?, übers. von Helmut Dierlamm (Reinbeck: Kindler Verlag, 1992)). Für eine Diskussion vgl. zum Beispiel McCarney, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel on ­History, S. 169 ff. 3 LJ (A), S. 14. 4 GPR § 354. 5 Stewart, Account of the Life and Writings of Adam Smith, LL.D., S. 293; zur Diskussion vgl. zum Beispiel Christopher Berry, The Social Theory of the Scottish Enlightenment (Edinburgh: Edinburgh University Press, 1997), S. 64 ff. 6 Vgl. zum Beispiel H. M. Hopfl, „From Savage to Scotsman: Conjectural History in the Scottish Enlightenment“, The Journal of British Studies 17(2) (1978), S. 19–40, hier S. 26 ff. 7 Stewart, Account of the Life and Writings of Adam Smith, LL.D., S. 292.

238 | 7 Der Markt in der Geschichte

­ enschen in der Regel auf vorhersehbare Weise handeln und dass InstitutioM nen aufgrund menschlicher Handlungen entstehen, und zwar sowohl als beabsichtigte als auch als unbeabsichtigte Folgen. Der Historiker stützt sich folglich auf Überlegungen bezüglich der Art und Weise, wie die Personen in einer Situation, „vermutlich, ausgehend von den Prinzipien ihrer Natur und den Umständen ihrer ­äußeren Situation, vorgegangen sind“.8 Das „Prinzip der [menschlichen] Natur“, auf dem Smith hauptsächlich aufbaut, ist der „Antrieb […] unsere Lage zu verbessen“, der uns „von der Wiege bis ans Grab“9 begleite. Er treibe die Geschichte an, weil er Individuen antreibe; und was die Geschichte voranbringe, seien die Entscheidungen und Handlungen zahlreicher Individuen. Obwohl der Eindruck entstehen kann, dass dieser Antrieb ein ahistorischer Aspekt in Smiths Geschichtsschreibung wäre, ein Anker, der es ihm erlaubt, verschiedene Epochen aus einer einheitlichen Perspektive zu betrachten,10 ist es wichtig zu beachten, dass er in verschiedenen Umgebungen sehr unterschiedliche Formen annehmen kann. Die individu­ ellen Vorstellungen darüber, was „Verbesserung“ bedeutet, hängen von den sozia­len und kulturellen Umständen ab, in denen die Menschen leben. Bei den menschlichen Motivationen, die Smith in seiner Geschichtsschreibung am Werke sieht, handelt es sich nicht ausschließlich um „ökonomische“ Motive, sondern sie umfassen ein viel breiteres Spektrum von Faktoren: Ehrgeiz, Gewohnheiten oder Gehorsam gegenüber sozialen Normen beeinflussen das menschliche Verhalten ebenso wie wirtschaftliche Interessen im engeren Sinne. Welches Verhalten sich daraus ergibt, hängt von den besonderen Umständen einer Situation ab. Dies überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass Smith den Menschen als ­soziales Tier versteht. Schließlich sind für Smith, wie bereits erörtert wurde, selbst die meisten wirtschaftlichen Motive eine Folge des Wunsches, „dass man

8 Stewart, Account of the Life and Writings of Adam Smith, LL.D., LL.D., S. 293. 9 WN II.III.28 / (WN Buch 2, S. 92). 10 Fleischacker zum Beispiel versteht Smiths „transhistorische Darstellung der menschlichen Natur“ als ein „methodisches Werkzeug“ zur Interpretation der Geschichte (On Adam Smith’s Wealth of Nations, S.  64). Vgl. auch Berrys Diskussion von Humes Geschichtsschreibung, die er Hegels historischem Verständnis der menschlichen Natur gegenüberstellt. Wie er darlegt, wurde die Annahme einer gemeinsamen menschlichen Natur von anderen Autoren der schottischen Aufklärung, darunter auch Smith, geteilt (Vgl. The Social Theory of the Scottish Enlightenment, S. 68 f., siehe auch Andrew S. Skinner, „Natural History in the Age of Adam Smith“, Political Studies 15(1) (1967), S. 32–48, hier S. 41 f.). Diese gemeinsame menschliche Natur bezieht sich jedoch wohl nur auf sehr allgemeine Merkmale und muss im Zusammenhang mit den Veränderungen des historischen Kontexts gesehen werden.

7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben | 239

uns bemerkt, dass man auf uns Acht hat, dass man mit Sympathie, Wohlgefallen und Billigung von uns Kenntnis nimmt“.11 Wie man von anderen gesehen wird, hängt jedoch nicht nur vom materiellen Wohlstand ab; es kann ebenso wichtig sein, als loyal, gesetzestreu oder mutig angesehen zu werden.12 Darüber hinaus deutet nichts darauf hin, dass Smith diese Handlungsmotive auf streng egoistische Gründe beschränkt hat. So erwähnt er beispielsweise das Motiv „den Familienstolz zu nähren“.13 Und da menschliche Motive sich aus Wünschen und Überzeugungen zusammensetzen, spielen letztere ebenso eine Rolle bei der Erklärung menschlichen Verhaltens und damit auch der menschlichen Geschichte. Zum Beispiel hatte die „vulgäre Vorstellung“, dass ein Land eine positive Handelsbilanz haben sollte, erheblichen Einfluss auf die europäische Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.14 Wie Sen und Rothschild hervorheben, unterscheidet sich Smiths Verständnis von Rationalität und Motivation daher stark von den weithin akzeptierten Auffassungen der modernen Wirtschaftswissenschaft: „Rationalität ist eine Ausübung des Denkens, der Bewertung und der Wahl, keine feste Formel mit einem vorgegebenen, zu maximierenden Faktor“.15 Stiglers Rede vom „Granit des Eigeninteresses“16, auf dem der Wohlstand aufgebaut sei, ist nur dann zutreffend, wenn man „Eigeninteresse“ in einem sehr weiten, letztlich rein formalen Sinn versteht – es bedeutet lediglich, dass Menschen normalerweise das tun, was sie als das für sich Beste ansehen. Was das ist, hängt sehr stark vom jeweiligen historischen Kontext ab. Darüber hinaus steht der Wunsch, „unsere Lage zu verbessern“, mit anderen menschlichen Neigungen – wie zum Beispiel dem Hang „zu tauschen, sich gegenseitig auszuhelfen und ein Ding gegen ein anderes zu verhandeln“17 oder der gewohnheitsmäßigen Unterwerfung unter etablierte Autoritäten18 – in Wechselwirkung, was die Situation zusätzlich verkompliziert. Dies bedeutet, dass die Geschichte nicht im strengen Sinne vorherbestimmt sein kann. Man hat Smiths

11 TMS I.III.2.1 / (TEG S. 78). 12 Für die Vielfalt der Motive, die bei menschlichen Entscheidungen eine Rolle spielen, vgl. auch Smiths Diskussion der Lohnunterschiede in WN I.8, die Faktoren wie Investitionen in Bildung, Annehmlichkeit bzw. Unannehmlichkeit, Sicherheit und die Ehre oder Schande, die mit einem Beruf verbunden sind, einschließt (vgl. Abschnitt 5.2 dieses Buches). Vgl. auch WN II. III.40 zu Ruf und Ansehen als Handlungsmotiv, das wirtschaftliche Interessen überlagern kann. 13 WN III.II.4 / (WN Buch 3, S. 147). 14 WN IV.I.5 ff. / (WN Buch 4, S. 197). 15 Rothschild und Sen, „Adam Smith’s Economics“, S. 361. 16 Stigler, „Smith’s Travel on the Ship of the State“, S. 265. 17 WN I.II.1 / (WN Buch 1, S. 18). 18 Vgl. zum Beispiel LJ (A), S. 318.

240 | 7 Der Markt in der Geschichte

Darstellung als „weichen Determinismus“ bezeichnet: Es gebe in der historischen Entwicklung von Gesellschaften zwar bestimmte vorherrschende Tendenzen, aber keinen streng festgelegten Pfad, und auch der Zufall könne eine Rolle spielen.19 Ein starker Determinismus naturgesetzlicher Ursachen wäre mit der europäischen Geschichte, wie Smith sie analysiert, in der Tat unvereinbar: Sie weiche von „der Ordnung der Dinge“20 erheblich ab, nach der sich an die Stufen der Jagd, der Nutztierhaltung und Landwirtschaft die Entwicklung von Handel und Gewerbe anschließen würde, auf einem Weg von der bloßen Selbsterhaltung hin zu Luxusgütern. In der europäischen Geschichte, deren Gang Smith als „unnatürlich und rückwärtsschreitend“21 bezeichnet, hätten die reiferen Gesellschaften der griechischen und römischen Antike einen Niedergang erlebt und seien von „barbarischen“ Stämmen überrannt worden. Europa sei in einen feudalen Zustand verfallen, in dem die Grundherren die politische, wirtschaftliche und militärische Macht auf sich vereint hätten.22 In dieser Situation habe der Wunsch die eigene Lage zu verbessern, der die Menschen sonst zu produktiver Tätigkeit treibt, zu abträglichem Verhalten und wirtschaftlicher Stagnation geführt: Ohne gesicherte Eigentumsrechte habe es sich nicht gelohnt, hart zu arbeiten, zu investieren oder Maschinen zu erfinden. Stattdessen habe der Großteil der Bevölkerung die Arbeit gemieden, wann immer es möglich gewesen sei, denn sie seien Leibeigene der Feudalherren gewesen.23 Es sei ein langsamer und mühsamer Prozess gewesen, bis der Aufstieg der Städte und die Einführung des Handels der gesamten Bevölkerung die Rechtsstaatlichkeit brachten, und in vielen europäischen Ländern sei dieser Prozess zu Smiths Leibzeiten noch keineswegs abgeschlossen gewesen. Was für Smith den „natürlichen“ „Fortschritt zum Reichtum“ dem „unnatürlichen“ überlegen macht, ist das gleiche, was die Marktgesellschaft im Vergleich zu anderen Gesellschaftsordnungen überlegen macht: Er ermöglicht es allen Mitgliedern der Gesellschaft an einem Wirtschaftssystem teilzuhaben, in dem sie auf produktive Weise „ihre Lage verbessern“ könnten und auf eine Stufe des „Reichtums“ gelangen könnte, die es ihnen erlaube, sicher zu leben und

19 Zum Beispiel Haakonssen, The Science of the Legislator, S. 186 f. Als Beispiel für den Zufall zitiert Haakonssen Smiths Diskussion darüber, dass Königin Elisabeth I. ein Erbe fehlte, was sie weniger vorsichtig mit dem königlichen Vermögen umgehen ließ, sodass spätere Monarchen einen Teil ihrer Macht an das Unterhaus abgeben mussten, um Geld von ihm zu erhalten (LJ (A), S. 270 f.). 20 WN III.I.3 / (WN Buch 3, S. 140). 21 WN III.I.9 / (WN Buch 3, S. 144). 22 WN III.IV.7. 23 Vgl. LJ (B), S. 522f., WN III.II.7 ff.

7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben | 241

einen gewissen Luxus zu genießen.24 In der Marktgesellschaft werde der „Antrieb […] unsere Lage zu verbessen“ in die richtigen Bahnen gelenkt. Es ist also kein Zufall, dass Smith die Geschichte im Licht dieses Antriebs betrachtet. Seine Theorie darüber, wie sich eine Gesellschaft so organisieren lässt, dass jeder darin wirtschaftlich erfolgreich sein kann, muss vor dem Hintergrund seiner historischen Darstellung der unproduktiven Bahnen, in die andere Gesellschaftsformen menschliche Energien lenken, gelesen werden; und umgekehrt. Der Zivilisationsprozess schaffe auch andere Güter: Fortschritt in den Künsten und Wissenschaften,25 „zivilisiertere“ Umgangsformen wie etwa weniger grausame Strafen,26 und, im Idealfall, weniger internationale Spannungen, da alle Länder durch Handel miteinander verbunden seien.27 Die Situation der Frauen verbessere sich,28 und die väterliche Autorität werde mit der Zeit „auf ein moderates und angemessenes Maß gebracht“.29 Sichere Lebensbedingungen und Schutz vor willkürlicher Gewalt stünden nicht nur denjenigen zur Verfügung, die es sich leisten könnten, sie zu bezahlen, sondern seien für alle verfügbar. Wenn alle Menschen Anreize hätten, ihre Lage auf produktive Weise zu verbessern, könnten sich alle menschlichen Fähigkeiten, Talente und Energien voll entfalten und die menschliche Natur könne sich optimal entwickeln – und in einer idealen Version von Smiths Gesellschaft gilt dies sogar für ihre ärmsten Mitglieder. Wenn alle diese Kräfte freigesetzt werden, kann sich im stabilen Rahmen der Marktgesellschaft ein positiver, sich selbst verstärkender Prozess vollziehen. Während sich Smiths „mutmaßliche Geschichte“ auf die Formen konzen­ triert, die der Wunsch nach „Verbesserung der eigenen Lage“ in verschiedenen Umgebungen annimmt, findet Hegels „philosophische Weltgeschichte“ oder „denkende Betrachtung“30 der Geschichte auf der Ebene des Geistes statt. Sie zielt darauf ab, durch die Betrachtung des empirischen historischen Materials zu beweisen, dass die Geschichte „der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen“ sei.31 Dies bedeutet, dass Hegel nie eine vollständige 24 Vgl. zum Beispiel WN V.II.II.IV.6, wo Smith erwähnt, dass Tee und Zucker für die unteren Stände Großbritanniens verfügbar geworden seien. 25 Vgl. zum Beispiel HA IV.21, LJ (A), S. 337 f. 26 Vgl. zum Beispiel LJ (A), S. 118, S. 129f. und S. 299. 27 Vgl. zum Beispiel HA IV.21, S. 118 und S. 129f. TMS VI.II.28, WN IV.III.I.1, IV.III.II.12ff., LJ (A), S. 390, LJ (B), S. 511. Für eine Diskussion vgl. Hont, The Jealousy of Trade, Kap. I. 28 Für eine Diskussion siehe zum Beispiel Stewart Justman, The Autonomous Male of Adam Smith (Norman: University of Oklahoma Press, 1993). 29 LJ (A), S. 173, vgl. LJ (B), S. 450. 30 PH (Sibree), S. 8 / (Werke Bd. 12, S. 20). 31 PH (Sibree), S. 10 / (Werke Bd. 12, S. 22).

242 | 7 Der Markt in der Geschichte

­ arstellung all dessen anstrebt, was geschehen ist; „Geschichte“ ist für ihn ein D fast technischer Begriff. Deshalb schließt er ausdrücklich Völker ohne Staaten, die Vorgeschichte, „Perioden des Glücks“32 und Völker ohne Geschichtsschreibung aus und beschränkt die geographische Reichweite der Weltgeschichte auf die Länder rund um das Mittelmeer und Europa. Hegel interessiert sich ausschließlich für die Ereignisse, die für ihn zur Entwicklung des Geistes beigetragen haben.33 Die Entwicklung des Geistes ist der Weg der Menschheit zur vollen, sich ihrer selbst bewussten Freiheit. Es ist diese Entwicklung, die Hegel im historischen Material nachzeichnet: Er beschreibt die Weltgeschichte als „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“,34 in einem „Stufengang, eine[r] Reihe weiterer Bestimmungen der Freiheit“.35 Aber diese Entwicklung ist kein friedliches Wachstum; vielmehr trete der Geist „gegen sich selbst auf“, 36 indem er sich in dialektischen Schritten bewege und dabei versuche, seine eigene spirituelle Entwicklung und die Entwicklung der äußeren Welt der Bräuche und Institutionen, die allerdings auch Teil seiner selbst sei, miteinander zu versöhnen.37 Die zentrale Achse dieser historischen Dialektik ist ein Narrativ über die ursprüngliche Einbettung des Geistes in die substantielle Einheit der griechischen Polis; seine Entzweiung im römischen Reich, in dem die subjektive Freiheit jedoch bis zu einem gewissen Grad durch das römische Recht gesichert gewesen sei; und dann der lange Prozess, in dem diese beiden Aspekte der Freiheit in den modernen Staaten des protestantischen Europas in Einklang gebracht worden seien. Hegels Geschichtsschreibung lässt allerdings die Individuen, die versuchen, ihre Lage zu verbessern, nicht außer Acht. Er vertritt die Auffassung, dass „nichts Großes in der Welt ohne Leidenschaft vollbracht worden ist“.38 Durch die „List der Vernunft“ verwirklichten die Individuen dadurch etwas, das ­größer sei als ihre unmittelbaren Ziele und das die Entwicklung zur Freiheit 32 PH (Sibree), S. 26 / (Werke Bd. 12, S. 42), siehe auch PH (Sibree) S. 39, 59 f., 61 und 75; vgl. auch W. H. Walsh, „Principle and Prejudice in Hegel’s Philosophy of History“, in Z. A. Pelczynski (Hrsg.), Hegel’s Political Philosophy: Problems and Perspectives (Cambridge: Cambridge University Press, 1971), S. 181–198, hier S. 183. 33 Vgl. PH (Sibree), S.  53; siehe auch Karin de Boer, „Hegel’s Account of the Present: An Open-Ended History“, in Will Dudley (Hrsg.), Hegel and History (Albany: State University of New York Press, 2009), 51–68, hier S. 52 f. 34 PH (Sibree), S. 19 / (Werke Bd. 12, S. 42). 35 PH (Sibree), S. 63 / (Werke Bd. 12, S. 86). 36 PH (Sibree), S. 73 / (Werke Bd. 12, S. 98), vgl. auch PH (Sibree), S. 55. 37 Vgl. Taylor, Hegel, S. 390 f. 38 PH (Sibree), S. 23 / (Werke Bd. 12, S. 38), vgl. auch PH (Sibree), S. 25.

7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben | 243

vorantreibe.39 Diese Vorstellung ähnelt der „unsichtbaren Hand“ bei Smith und der „ungeselligen Geselligkeit“ Kants, und es ist wahrscheinlich, dass Hegel von ihnen beeinflusst wurde.40 Wichtig ist jedoch, dass es sich um einen Begriff handelt, der nur rückwirkend angewendet werden kann: Die Menschen wissen nicht, dass sie auf ein größeres Ziel hinarbeiten, auch nicht die „welthistorischen Individuen“, durch deren Handeln vollbracht werde, „was an und für sich an der Zeit war“.41 Die dialektische Bewegung hin zur Freiheit führe zum modernen Staat, wo sie zur Ruhe komme, weil hier die subjektiven und objektiven Bedingungen der Freiheit in einer stabilen Gesellschaftsordnung vereint seien, in der die Freiheit aller Bürger gesichert sei. Dies ist ein zentraler Aspekt von Hegels berüchtigter Rede vom „Ende der Geschichte“: Die Dynamik, die durch einseitige oder anderweitig unbefriedigende Verwirklichungen der Freiheit in Gang gesetzt werde, könne nicht weiter voranschreiten, wenn die wahre Freiheit aller Bürger erreicht sei. Während also Smith an der Erweiterung der Möglichkeiten für Individuen, ihre Lage auf gesellschaftlich nutzbringende Weise im Rahmen gerechter Gesetze zu verbessern, interessiert ist, ist Hegel ebenso an einem Prozess der Erweiterung interessiert: der Erweiterung der menschlichen Freiheit bis zu ihrer vollen Verwirklichung für alle Mitglieder der Gesellschaft. Deshalb liegt sein Schwerpunkt auf der Ebene des Geistes, auf den unterschiedlichen Ideen und Prinzipien aufeinanderfolgender Epochen, die ihre sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen gemäß den vorherrschenden Freiheitsvorstellungen ausgebildet haben. Smiths und Hegels Darstellungen der Geschichte ähneln sich daher stärker, als es auf den ersten Blick scheint. Der Unterschied liegt in ihrer Art, die Geschichte zu betrachten, nicht darin, dass sie Unterschiedliches darin erkennen. Während Smith den „Antrieb […] unsere Lage zu verbessen“ und seine konkreten sozioökonomischen Folgen in den Mittelpunkt stellt, befasst sich Hegel mit den unterschiedlichen Formen, die das Verständnis von Freiheit und die daraus resultierenden Ideen und Wünsche in verschiedenen Gesellschaften ­annehmen, sowie mit der Frage, wie historischer Wandel daraus hervorgeht. Gemeinsam ist ihnen hingegen, dass ein zentraler Aspekt der Antwort auf die 39 PH (Sibree), S. 27 / (Werke Bd. 12, S. 49), siehe auch PH (Sibree), S. 33; für eine Diskussion vgl. zum Beispiel McCarney, Routledge Philosophy Guidebook to Hegel on History, S. 122 f. 40 Vgl. zum Beispiel Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of „Civil Society“, S. 112 f. 41 PH (Sibree), S. 30 / (Werke Bd. 12, S. 49). Zu welthistorischen Personen im Allgemeinen siehe PH (Sibree), S. 28 ff.

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Frage „Warum gibt es Fortschritt in der Geschichte?“ der gleichberechtigte Zugang zu Gütern ist, die für ein gelingendes menschliches Leben als zentral angesehen werden, und dessen Ausweitung auf alle Mitglieder der Gesellschaft. Ihre unterschiedlichen Schwerpunkte entsprechen somit der unterschiedlichen Ausrichtung ihrer Rechtfertigung dafür, dass die Marktgesellschaft anderen Gesellschaftsformen überlegen sei: während es bei Smith Reichtum, Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit zur Verbesserung der eigenen Lage sind, ist es für Hegel die Verbindung von subjektiver und objektiver Freiheit. Die fortschrittsorientierten Narrative von Smith und Hegel sind daher dazu gedacht, weitere Argumente für die Institutionen der modernen Gesellschaft anzuführen, indem sie darlegen, dass sich diese Prinzipien in keiner der anderen Gesellschaftsformen, die sich im Laboratorium der Menschheitsgeschichte beobachten lassen, voll entfalten konnten. Indem sie erklären, warum die moderne Gesellschaftsordnung so ist und sein sollte, wie sie ist, und indem sie helfen, der Politik dadurch die Richtung zu weisen, dass sie zeigen, warum alternative Modelle nicht funktioniert haben und was getan werden muss, um die Verwirklichung der Prinzipien der modernen Gesellschaft zu vervollständigen, erfüllen sie eine versöhnende Funktion. Bei Smith lässt sich dies auch anhand seiner Rhetorik beobachten: Indem er den Feudalismus als eine „unnatürliche“ Ordnung bezeichnet, disqualifiziert er dessen Überbleibsel, wie etwa das Erstgeburtsrecht und das Fideikommiss, als untauglich für die „natürliche“ Ordnung der Marktgesellschaft.42 Bei Hegel ist die historische Darstellung in ähnlicher Weise auf die theoretischen Anforderungen seines Systems zugeschnitten. Für ihn ist die Kategorie der „Natürlichkeit“ keine, mit der sich viel erklären ließe, da er den Geist als den bestimmenden Faktor der sozialen Welt sieht – doch der Geist ist selbst historisch, was bedeutet, dass auch die Art und Weise, wie Menschen die Natur betrachtet haben, dem historischen Wandel unterliegt.43 Hegels Darstellung konzentriert sich daher auf die „Vernünftigkeit“ der modernen Gesellschaftsordnung, die die verschiedenen Aspekte der Freiheit in einer einzigartig stabilen Weise verbinde. Dies bestätigt auch, was zuvor über

42 Wie Eric Schliesser anmerkt, wurde die Rede vom „Natürlichen“ „offensichtlich teilweise für rhetorische Zwecke“ verwendet, da den Lesern des 18. Jahrhunderts „Abweichungen von der Natur“ als „verwerflich und falsch“ vorgekommen sein dürften („Some Principles of Adam Smith’s Newtonian Methods in the Wealth of Nations“, S. 45). 43 Dies ist ein Schritt, den Smith nie gemacht hat: Obwohl seine historischen Berichte zahlreiche Diskussionen darüber enthalten, wie sich menschliche Gefühle in Übereinstimmung mit Veränderungen im sozialen und wirtschaftlichen Umfeld wandeln, hält er an einer Vorstellung von „Natürlichkeit“ fest, die die menschliche Vernunft und zumindest einige menschliche Gefühle über die Zeit hinweg konstant hält.

7.2 Zwei Arten Geschichte zu beschreiben | 245

seine Sicht des Marktes gesagt wurde: Er betrachtet den Markt und die soziale Welt in ihrer Gesamtheit im Licht der Freiheit und bewertet die Institutionen danach, was sie zu einem wirklich freien Leben für alle beitragen. Im Vergleich zu dem, was Smith und Hegel über die Geschichte der Marktgesellschaft schreiben, haben sie über deren Zukunft wenig zu sagen. Dies ist jedoch nicht überraschend, da die von ihnen beschriebenen geschichtlichen Entwicklungslinien das Ziel verfolgen, die Stabilität und Überlegenheit der modernen Gesellschaft darzulegen. Zukünftige Entwicklungen könnten sich innerhalb des Rahmens dieser Gesellschaft vollziehen, oder zumindest scheint dies Smiths und Hegels Gedanke gewesen zu sein.44 Dies ist keinesfalls eine einfache Aufgabe, vor allem wenn es mächtige Interessengruppen gibt und der Bereich des Marktes unberechenbar und widerspenstig ist  – aber es handelt sich um eine immanente Form der Kritik, deren Aufgabe es ist, die wertvollen Strukturen, zu denen es eine Gesellschaft gebracht hat, zu bewahren und gegen Kräfte zu verteidigen, die auf ein Abgleiten zurück in weniger entwickelte Zeiten hinarbeiten. Was für die Geschichte gleichsam „zu tun“ bleibt, ist, dass auch andere Länder zur guten Ordnung der modernen Gesellschaft gelangen. Interessanterweise sehen sowohl Smith als auch Hegel in Nordamerika das „Land der Zukunft“ (in Hegels Worten), in dem die Prinzipien der modernen Gesellschaft ohne den Ballast der feudalen Vergangenheit verwirklicht werden könnten.45 Die Möglichkeit, dass die Marktgesellschaft einen Niedergang erleben könnte, oder die Notwendigkeit, sie in Richtung neuer Organisationsprinzipien zu überschreiten, um ihre Werte zu verwirklichen, findet in den Werken von Smith und Hegel kaum Erwähnung. Smith denkt kurz über die theoretische Möglichkeit eines Land nach, das „den vollen Reichtum erworben hat, den es vermöge der Natur seines Bodens und Klimas und vermöge seiner Lage gegen andere Länder erwerben kann“ und argumentiert, dass in einem solchen 44 Zu Hegel vgl. György Márkus, „The Hegelian Concept of Culture“, Praxis International 2 (1986), S. 113–123, hier S. 118. 45 PH (Sibree), S. 86 / (Werke Bd. 12, S. 114), wo Hegel behauptet, dass Amerika das Land ist, in dem sich „in den vor uns liegenden Zeiten […] die weltgeschichtliche Wichtigkeit offenbaren soll“. Smiths Hoffnungen für Amerika basieren auf der Tatsache, dass dort der „natürliche Fortschritt“ des Reichtums in der richtigen Reihenfolge stattfinde: „Die Hauptursache des schnellen Fortschritts unsrer amerikanischen Kolonien zu Reichtum und Größe war die, dass sie bisher fast alle ihre Kapitalien auf die Landwirtschaft verwendeten“ (WN II.V.21 / WN Buch 2, S. 125). Hinzu komme eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften und damit hohe Löhne (vgl. zum Beispiel WNIV.VII.II.3). Wie Skinner feststellt, hatte „Amerika […] den Status eines Experiments erlangt, das Smiths Thesen ‚bestätigte‘ “ (A System of Social Sciences, S. 227).

246 | 7 Der Markt in der Geschichte

Fall die Löhne und Gewinne sehr niedrig wären.46 Aber er weist dieses Szenario schnell zurück, weil „vielleicht bis jetzt noch kein Land zu diesem Grade der Wohlhabenheit gelangt“ sei.47 Einige Kommentatoren48 haben Smith eine zyklische Sicht der Geschichte zugeschrieben, ausgehend von einer Bemerkung in den Vorlesungen, nach der jeder Staat eines Tages untergehen werde.49 Es ist allerdings plausibler, dass Smith, wie Locke und Hume, optimistisch war, was die Aussichten der Marktgesellschaft betrifft.50 Was Hegel betrifft, so scheint jede Frage nach der Zukunft der modernen Gesellschaft problematisch – schließlich war er es, der anmerkte, dass die Philosophie „immer zu spät“ komme und nichts darüber sagen könne, „wie die Welt sein soll“.51 Die Bedeutung dieses Satzes und von Hegels berüchtigter Behauptung über das „Ende der Geschichte“ ist natürlich höchst umstritten.52 Will Hegel nur sagen, dass man, wenn man Geschichte schreibt, in der Gegenwart enden muss? Oder handelt es sich um eine substanziellere Behauptung bezüglich der Unmöglichkeit weiterer Fortschritte in der Entwicklung hin zur Freiheit?53 Im Hinblick auf die Zukunft der Marktgesellschaft nimmt diese Frage eine konkretere Form an: Ist die von Hegel beschriebene Marktgesellschaft wirklich das „Ende“ der historischen Entwicklung zur Freiheit in dem Sinne, dass sie die tatsächliche Freiheit aller ihrer Mitglieder erreicht hat? Zweifel ergeben sich insbesondere im Hinblick auf das Problem des „Pöbels“. Wie bereits festgestellt 46 WN I.IX.14 / (WN Buch 1, S. 131). 47 Vgl. WN I.IX.15 / (WN Buch 1, S. 132). Im Aufstieg der ärmeren Länder zu Reichtum sieht er auch keine Bedrohung für die reichen, entwickelten Länder. Diese Frage – ob die reichen Länder automatisch einen wirtschaftlichen Rückgang erleben müssen, wenn ihre armen Nachbarn wohlhabender werden – wurde von den Literaten der schottischen Aufklärung kontrovers diskutiert (vgl. insbesondere Istvan Hont, „The ‚Rich Country–Poor Country‘ debate in Scottish Classical Political Economy“, in Istvan Hont und Michael Ignatieff (Hrsg.), Wealth and Virtue. The Shaping of Political Economy in the Scottish Enlightenment (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), S. 271–315). Smith vertraut allerdings darauf, dass die Arbeitsteilung in der Lage sein würde, den Reichtum der „reichen Länder“ auch dann zu erhalten, wenn die bisher armen Länder aufholen würden (Hont, „The ‚Rich Country–Poor Country‘ Debate, S. 300). 48 Zum Beispiel Robert Heilbroner, „The Paradox of Progress: Decline and Decay in The Wealth of Nations“, Journal of the History of Ideas 34(2) (1973), S. 243–262. 49 LJ (B), S. 414. 50 Vgl. zum Beispiel Haakonssen, The Science of the Legislator, S. 178. 51 GPR, Vorrede / (Werke Bd. 7, S. 27 f.). 52 Vgl. zum Beispiel die Beiträge in Will Dudley (Hrsg.), Hegel and History (Albany: State University of New York Press, 2009). 53 Vgl. zum Beispiel Daniel Berthold-Bond, „Hegel’s Eschatological Vision: Does History Have a Future?“ History and Theory 27(1) (1988), S. 14–29 für eine Diskussion der „tief­ sitzenden Ambivalenz“, die man bei Hegel zwischen einem „absolutistischen“ und einem „epochalen“ Verständnis des Endes der Geschichte finden kann.

7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen | 247

wurde, geht Hegel auf dieses Problem kaum ein, und letztlich darüber hinweg, ohne eine Lösung anzubieten. Je nachdem, wie groß die Menge des „Pöbels“ wird, mag man hierin düstere Aussichten für die Marktgesellschaft sehen.54 Obwohl er es nicht ausdrücklich feststellt, scheint Hegel die Leserin fast zu der Frage einzuladen, ob die Integration des Pöbels in die Gesellschaft nicht eine neue Wendung auf dem dialektischen Weg der Menschheit zur Freiheit erfordere. Auf jeden Fall müsste dies, solange nicht alle Mitglieder der Gesellschaft die subjektive und objektive Freiheit in einem so hohen Maß genießen, wie es menschlich realisierbar ist, eine Herausforderung für Hegels Behauptung darstellen, dass die Marktgesellschaft, wie er sie beschreibt, das „Ende der Geschichte“, ja sogar der „Weltgeschichte“ sei, wie er sie verstanden hat.

7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen 7.3.1 Wirtschaftsgeschichte und allgemeine Geschichte Damit wird deutlich, dass wir nicht darauf hoffen sollten, bei Smith und Hegel Vorhersagen über die Zukunft der Marktgesellschaft – und damit auch unsere eigene Zeit – zu finden. Stattdessen bieten ihre historischen Darstellungen eher Anlass, darüber nachzudenken, ob eine Vorhersage wirtschaftlicher Entwicklungen überhaupt möglich ist, sowie darüber, wie sich die Wirtschaftsgeschichte zur Geschichte im weiteren Sinn verhält. Was die geschichtlichen Darstellungen von Smith und Hegel zeigen, ist, dass Marktgesellschaften, und damit auch Märkte selbst, eine Geschichte haben. Sogar Smiths „System der natürlichen Freiheit“  – eine Bezeichnung, die klingt, als beschreibe sie eine außerhalb der Geschichte stehende Gesellschaftsordnung  – musste sich in einer langen und komplizierten Abfolge von Teilschritten entwickeln; und kommt es zu Fehl­ entwicklungen, wie es im Laufe der europäischen Geschichte geschah, wird es umso schwieriger, zur „natürlichen“ Entwicklung zurückzukehren. Was Menschen tun, um ihre Lage zu verbessern – die Perspektive, aus der Smith das historische Material betrachtet – hängt davon ab, was zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist,55 aber auch davon, was die Einzelnen für sich selbst wünschen und welche Vorstellungen sie von sich und ihrer Gesellschaft haben. 54 Vgl. zum Beispiel de Boer, „Hegel’s Account of the Present“, S. 56 f. De Boer scheint davon auszugehen, dass ein recht großer Teil der Bevölkerung Teil des Pöbels wird, sodass es eine Zweiteilung der Gesellschaft in reiche Kapitalbesitzer und eine Masse von Armen gibt. Dass Hegel dies annimmt, geht aus dem Text nicht klar hervor, da er davon auszugehen scheint, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung auch in den anderen Ständen und in den Korporationen organisiert ist. 55 Für eine Diskussion vgl. Salter, „Adam Smith on Feudalism, Commerce and Slavery“.

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Da Smith solche Faktoren berücksichtigt, sind seine Analysen so viel umfassender als viele spätere Wirtschaftsmodelle, in denen menschliche Motive auf ein nie endendes Verlangen nach Geld reduziert werden. Es ist allerdings auch der Grund, warum seine Theorie einen ganz anderen Charakter hat als die meisten späteren Theorien. Obwohl Smith dafür plädiert, den Kräften des Marktes freien Lauf zu lassen, weil er an seine vorteilhaften Folgen glaubt, isoliert er den Markt nicht von jeglicher „Einbettung“ und „verabsolutiert“ ihn auch nicht in methodischer Hinsicht.56 Er ist sich sehr wohl bewusst, dass der menschliche „Antrieb […] unsere Lage zu verbessen“ in so vielerlei Hinsicht von den historischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen abhängt, dass man diese nicht aus den eigenen Theorien ausschließen kann. Faktoren wie die hohe Wertschätzung, die Menschen für Anwältinnen oder Ärzte empfinden, 57 der „Familienstolz“, der stärker sein kann als wirtschaftliche Interessen,58 oder das Maß, in dem Menschen Gesetze als gerecht ansehen und sie befolgen, 59 sind nicht nur äußere Ergänzungen zum theoretischen Verständnis von Märkten, sondern können eine zentrale Rolle dafür spielen. Das erklärt, warum jegliche Vorhersagen über die Zukunft der Marktgesellschaft, die über vorsichtige Vermutungen zu allgemeinen Trends hinausgehen, schwierig, wenn nicht gar unmöglich, sind. Die Wirtschaftsgeschichte ist mit der politischen, sozialen, kulturellen und sogar der Geistesgeschichte eng verflochten, und Smith geht nicht davon aus, dass die Abhängigkeit zwischen ihnen eine einseitige ist. Er liefert Beispiele für Gesetze und Institutionen, die wirtschaftlichen Entwicklungen folgen, und für wirtschaftliche Entwicklungen, die von Gesetzen und Institutionen beeinflusst werden.60 In den frühen Stadien der Geschichte waren die Optionen für unterschiedliche politische und soziale Konstellationen vielleicht noch recht begrenzt, weil das Gebot, das 56 Polanyi, The Great Transformation, S. 43 f., wirft Smith vor, einen Charaktertypus seiner Zeit – den homo oeconomicus mit „dem Hang zu tauschen, sich gegenseitig auszuhelfen und ein Ding gegen ein anderes zu verhandeln“ (WN I.II.1 / WN Buch 2, S.18) – als ahistorisches Modell zur Erklärung des Marktes in abstrakten Begriffen zu verwenden und dabei dessen historische Voraussetzungen zu vergessen. Berücksichtigt man allerdings Smiths Schriften zur Geschichte sowie die zahlreichen Formen, die der Wunsch nach einer „Verbesserung der eigenen Lage“ in ihnen annimmt, dann wird klar, dass dieser Vorwurf eher auf das Standardklischee von Smith als auf den historischen Smith zutrifft. 57 WN I.X.I.17 ff. 58 WN III.II.4 / (WN Buch 3, S. 147). 59 Vgl. zum Beispiel WN V.II.II.IV.64 / (WN Buch 5, S. 262), wo Smith dafür argumentiert, dass Schmuggler häufig in jeder anderen Hinsicht „vortreffliche Bürger“ gewesen wären und nur gegen Gesetze verstoßen, die etwas zu einem Verbrechen machten, „was die Natur niemals dazu stempelte“. 60 Zum Beispiel LJ (A), S. 14, S. 143 ff., WN I.IX.15, III.I.3.

7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen | 249

e­igene Überleben zu sichern, für nicht-ökonomische Überlegungen kaum Raum gelassen haben mag. In einer gut funktionierenden Marktgesellschaft dagegen sind diese Dinge auf eine äußerst komplexe Weise miteinander verflochten. Man könnte sogar argumentieren, dass, je freier und reicher eine Gesellschaft ist, umso mehr Menschen politischen Idealen und kulturellen Trends folgen können  – sie sind frei, selbst zu definieren, was es für sie bedeutet, ­„unsere Lage zu verbessern“ – und umso weniger vorhersehbar damit die wirtschaftliche Entwicklung wird. In Hegels Darstellung sind die Wirtschafts- und die allgemeine Geschichte in ähnlicher Weise miteinander verflochten. Die griechische Polis wurde zum Beispiel ebenso sehr durch die Sklaverei, die das wirtschaftliche Leben prägte, wie durch ihre politischen Institutionen geprägt. Das grundlegendste Merkmal eines jeden „Volksgeistes“ scheint für Hegel allerdings zu sein, wie sich die Freiheit darin manifestiert. Dieses Grundverständnis, das in früheren Epochen vielleicht nicht einmal ganz explizit war, präge die Kultur und die Institutionen einer Zeit. In der modernen Gesellschaft hingegen seien sich die Menschen, oder zumindest einige von ihnen, ihres eigenen Selbstverständnisses und ihrer eigenen Freiheit voll bewusst geworden. Wie William Maker betont, impliziert Hegels Rede vom „Ende der Geschichte“ auch, dass die Einzelnen nichts mehr als gegeben hinnähmen, dass Traditionen sie nicht länger binden würden, sondern dass sie stattdessen  – auf der gemeinsamen Geschichte ihrer Gesellschaft aufbauend, jedoch nicht durch sie festgelegt – selbst wählen könnten, wer sie sein wollten.61 Dies bedeutet, dass es noch einen weiteren Grund dafür gibt, warum eine Konzentration auf ausschließlich wirtschaftliche Aspekte des menschlichen Lebens die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht erfassen, geschweige denn die zukünftigen Entwicklungen der Marktgesellschaft vorhersagen kann. Wie Charles Taylor es in einer berühmt gewordenen Formulierung zum Ausdruck gebracht und damit eine im Wesentlichen Hegelsche Einsicht über das Selbstbewusstsein des Geistes in moderne Begriffe übersetzt hat: der Mensch ist ein „sich selbst interpretierendes Tier“.62 Wir deuten sowohl unsere eigenen Gefühle als auch die uns umgebende Realität und gestalten sie durch Handlungen, die von Begriffen und Konzepten geprägt sind, die häufig theoretischen Zusammenhängen entnommen oder von ihnen beeinflusst sind. Theorien

61 William Maker, „The End of History and the Nihilism of Becoming“, in Will Dudley (Hrsg.), Hegel and History (Albany: State University of New York Press, 2009), S. 15–34, insbesondere S. 19 ff. 62 Charles Taylor, „Self-Interpreting Animals“, in Philosophical Papers, Bd.  1: Human Agency and Language (Cambridge: Cambridge University Press, 1985), S. 45–76.

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­ arüber, was das Wesen des Menschen sei, wie eine gerechte menschliche Ged sellschaft aussehen könnte und welchen Idealen wir folgen sollten, können sich selbst erfüllen, zerstören, oder die Gegenstände ihrer Beschreibungen auf andere Weise verändern. Um mit Taylor zu sprechen: wir können unsere Verhaltensweisen „nicht in Abstraktion von der Sprache verstehen, die wir benutzen, um sie zu beschreiben, zu beschwören oder auszuführen“.63 Es gebe keine „Außenperspektive“, und die begrifflichen Werkzeuge, die wir zur Beschreibung der gesellschaftlichen Wirklichkeit verwenden würden, könnten sich im Laufe der Zeit verändern. Das bedeutet, dass Vorhersage „grundsätzlich unmöglich“ ist  – wir haben nicht die Begriffe, um die Zukunft, die vor uns liegt, zu beschreiben.64 Hegels Satz über die „Eule der Minerva“ ist – auf diese Weise verstanden  – keine pessimistische Akzeptanz eines unabänderlichen Schicksals, sondern eine Einsicht in die Beziehung zwischen T ­ heorie und Wirklichkeit, wenn der Gegenstand der Theorie nicht die unveränderliche Natur ist, sondern die inhärent dynamische soziale Welt des Geistes, in der Leitbilder und Institutionen, bewusste und unbewusste Ideen, auf unendlich komplexe Weise miteinander verwoben sind. Smiths und Hegels Beschreibungen des Marktes als in einen historischen Kontext eingebettet liefern uns daher gute Gründe für die Annahme, dass eine zeitlose, geschichtslose Theorie „des Marktes“ niemals möglich sein wird. Sowohl die komplizierten Verbindungen zwischen wirtschaftlichen Phänomenen und politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen, als auch das sich selbst interpretierende Wesen des Menschen, aus dem der reflexive Charakter sämtlicher Sozialtheorien folgt, machen dies unmöglich. Man könnte meinen, dies habe zur Folge, dass ihre Darstellungen des Marktes uns für die Gegenwart nicht mehr viel zu sagen haben – schließlich hat sich die Welt seit 1776, als der Wohlstand zum ersten Mal im Druck erschien, und den 1810er und 1820er Jahren, als Hegel seine Vorlesungen über den „objektiven Geist“ hielt, stark verändert. Das wäre jedoch eine voreilige Schlussfolgerung. Es ist vielmehr so, dass wir uns – gerade weil die menschliche Natur und Geschichte diese Dimensionen hat – ihre Theorien und den Einflusses bewusst machen müssen, den sie auf unsere Geschichte und auf die Kategorien ausüben, in denen wir über die soziale Welt nachdenken. Denn wie man sich zu diesem intellektuellen Erbe verhält, ist bis zu einem gewissen Grad eine Frage der Entscheidung – es ist eine der Arten, auf die sich ihrer selbst bewusste Menschen frei sind. 63 Charles Taylor, „Interpretation and the Science of Man“, in Philosophical Papers, Bd. 2: Philosophy and the Human Sciences (Cambridge: Cambridge University Press, 1985), S. 15–57, hier S. 33. 64 Taylor, „Interpretation and the Science of Man“, S. 55 ff.

7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen | 251

7.3.2 „Ein Bild hielt uns gefangen“ 65 Wie in Kapitel 4 bis 6 dargelegt wurde, macht es für das Nachdenken über zentrale Themen der politischen Philosophie einen Unterschied, ob man sich das Marktverständnis von Smith oder Hegel zu eigen macht. Als zwei Prototypen dafür, wie man über die Welt der Wirtschaft und ihr Verhältnis zur Gesellschaft als ganzer nachdenken kann, spielen sie nach wie vor eine zentrale Rolle und sind für den heutigen öffentlichen Diskurs von bleibender Relevanz. Ob wir Menschen für souveräne Händler mit Humankapital oder für durch ihre berufliche Identität konstitutiv geprägte Individuen halten, hat einen großen Einfluss auf unser Verständnis der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft. Ob wir es für sinnvoll halten, den Begriff des Verdienstes auf den Markt anzuwenden, macht einen Unterschied bezüglich der Frage, wie wir Einkommensungleichheit und unterschiedliche Leistungen auf dem Markt bewerten. Ob wir glauben, dass der Markt etwas zur Bekämpfung von Armut beitragen kann, oder dass er sie in Wirklichkeit hervorbringt, hat einen Einfluss auf die Breite der politischen Maßnahmen, die wir in Betracht ziehen, wenn wir über soziale Gerechtigkeit und Gleichheit nachdenken. Wie wir die Auswirkungen des Marktes auf die Chancen und Risiken für die Selbstbestimmung des Einzelnen sowie auf sozialen Zusammenhalt und politische Beteiligung beurteilen, spielt eine Rolle, wenn wir uns fragen, worin Freiheit besteht und wie unsere Gesellschaften sich dem Versprechen von Freiheit für alle annähern könnten. Selbst die Sprache, in der wir über diese Dinge reden, ist von den theoretischen Darstellungen durchdrungen, die wir aus der Vergangenheit und insbesondere von Smith und Hegel ererbt haben. Die Art und Weise, wie wir die gesellschaftliche Wirklichkeit betrachten – welche Daten wir sammeln, welche Aspekte des menschlichen Verhaltens wir für beachtenswert halten – wird davon bestimmt, ob wir die Brille von Smith oder Hegel (oder die einer anderen Denkerin) aufsetzen. Viele zeitgenössische öffentliche Diskurse gruppieren sich um diese beiden Modelle; beinahe so, als würden die metaphysischen Hintergrundannahmen von Smith oder Hegel immer noch geteilt. Viele Kommentatoren der politischen Rechten halten ein Bild des Marktes, das eine Karikatur von Smiths Sicht ist, als Lösung aller Probleme hoch, während viele der (nichtkommunistischen) Linken unbewusste Hegelianer zu sein scheinen, mit blindem Vertrauen in einen wohlwollenden Staat. 65 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003), § 115.

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Es ist verlockend, anzunehmen, dass letztlich nur eines dieser Bilder wahr sein kann. Aber es gibt auf die Frage „Smith oder Hegel?“ keine eindeutige Antwort. Wie wir gesehen haben, hängen beide Modelle stark von metaphysischen Annahmen ab, und diese Annahmen verleihen diesen beiden Denkern den Optimismus, recht allgemeine und weitreichende Aussagen über die von ihnen favorisierten Institutionen zu treffen: Smith über den freien Markt und Hegel über den vernünftigen Staat. Sieht man von diesen Hintergrundannahmen ab, so verliert man sich schnell in der Fülle der empirischen Belege dafür, wie unterschiedlich die Strukturen verschiedener Teile der wirtschaftlichen und politischen Welt sein können. Tatsächlich lassen sich auch viele dieser komplexen Zusammenhänge bei Smith und Hegel finden – wenn auch in den Details der Texte und nicht in ihren prägnanteren Aussagen. Verschiedene Märkte für unterschiedliche Waren können zu unterschiedlichen Zeiten sehr unterschiedlich aussehen. Selbst in Bezug auf einen bestimmten Markt bilden Aussagen darüber, ob er eher dem Bild von Smith oder demjenigen von Hegel entspricht, oft nur ein grobes Raster. Es kommt jedoch nicht so sehr darauf an, ob wir in den heutigen Marktwirtschaften Beispiele für Mechanismen und Institutionen finden, die typisch für die Sicht von Smith oder Hegel sind. Worauf es ankommt, ist vielmehr die Erkenntnis, dass alle Betrachtungsweisen des wirtschaftlichen Bereichs von Theorien und Heuristiken geprägt sind. Die Modelle von Smith und Hegel haben sich, oft in impliziter Form, tief in unser Bewusstsein eingegraben. Als solche sind sie zu einem Teil unserer Sichtweise der Gesellschaft und unserer Art, sie intuitiv zu beurteilen, geworden. Wir halten sie häufig ganz einfach für wirklich – und gelangen schnell zu der Schlussfolgerung, dass diejenigen, die nicht verstehen, dass die Dinge sich tatsächlich so verhalten, etwas missverstanden haben müssen. Oft erkennen wir nicht, dass unsere geistigen Bezugsrahmen, aus denen heraus wir die Welt betrachten, letztlich nur Modelle sind – theoretische, oft von einigen einprägsamen Metaphern begleitete Darstellungen, die zu bestimmten Zeiten von bestimmten Denkern entwickelt wurden, um bestimmte Aspekte der Realität zu beleuchten und bestimmte Fragen zu beantworten. Diese Modelle und Theorien haben selbst einen historischen Kontext. Das bedeutet nicht, dass wir für die heutigen Probleme nichts von ihnen lernen könnten. Aber es heißt, dass wir uns ihres historischen Kontextes bewusst sein müssen, um sie richtig zu verstehen und um zu erkennen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, sich auf sie zu beziehen. Nur dann können wir das be­ freiende Potenzial, das in der Erforschung unserer Geistesgeschichte steckt, in vollem Umfang freisetzen.

7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen | 253

Smith schrieb zu einer Zeit, in der er sah, dass viele Elemente seiner idealen Gesellschaftsordnung bereits verwirklicht worden waren, zumindest in Großbritannien. Er war sich jedoch auch dessen bewusst, dass noch viel zu tun blieb. Vor dem Hintergrund des „Merkantilsystems“, das er für eine der gefährlichsten Ideologien der damaligen Zeit hielt, wird deutlich, warum er so viel Wert auf die emanzipatorische Kraft des freien Marktes legte. Weil er beobachtete, wie die Arbeiter durch Zunftordnungen und Ausbildungsgesetze unterdrückt wurden, plädierte er für ihre Befreiung und für die Abschaffung von Hindernissen für gewinnbringende Investitionen, wie das Erstgeburtsrecht und das Fideikommiss. Wir müssen uns allerdings fragen, ob die gegenwärtige Situation derartig ist, dass wir uns auf Smiths Argumente für den freien Markt, oder eher auf seine Argumente gegen den Merkantilismus konzentrieren sollten – und schon ein flüchtiger Blick auf die Struktur etwa der globalen Finanzindustrie legt eindringlich letzteres nahe. Betrachten wir sein philosophisches System in dessen Gesamtheit und im historischen Kontext seiner Zeit, so können wir feststellen, dass nur einige seiner Thesen über die Jahrhunderte weitergegeben, während andere vergessen wurden – doch auch, dass sie es angesichts des heutigen Zustands vieler Marktgesellschaften vielleicht wert sind, dass wir uns wieder mit ihnen befassen. Die Kritik, die heute geäußert werden muss, wird nicht die gleiche Form annehmen wie die, die Smith im 18. Jahrhundert gegen seine Gegner vorgebracht hat. Doch sie kann immer noch von seiner Kritik inspiriert werden und dazu beitragen, der naiven Verwendung seines Namens für Ideen, die er möglicherweise gar nicht unterstützt hätte, ein Ende zu setzen. Dasselbe gilt für die Möglichkeiten, uns auf Hegels Bild des Marktes zu beziehen. Da er ein halbes Jahrhundert nach Smith schrieb, ist sein Bewusstsein für die gefährlichen, zerstörerischen Aspekte von Märkten deutlich weiter entwickelt. Trotzdem können wir von dieser Seite seines Denkens ebenso viel lernen wie von seinen Einsichten in die enge Verbindung zwischen freien Märkten und persönlicher Freiheit. Aus diesem Grund sollten die Ideengeschichte und die systematische politische Philosophie nicht als zwei völlig voneinander getrennte Gebiete betrachtet werden: Die Ideen von Denkerinnen und Denkern der Vergangenheit sind ein Teil unseres Erbes geworden. Sie prägen unsere Wahrnehmung der sozialen Welt und gehen in unser Nachdenken über ethische Fragen ein, manchmal offen und manchmal als verborgene intellektuelle Strömungen, die unseren vortheoretischen Intuitionen ihre Gestalt verleihen. Es gibt jedoch keine „Grundlagen“ im „Wesen“ der wirtschaftlichen Phänomene, auf denen Theoretikerinnen aufbauen könnten: Alle Begriffe, die wir für „den Markt“ verwenden, sind Metaphern und halbbewusste Bilder, die wir mit ihm verbinden. Sie

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haben eine Geschichte und werden in Beziehung – manchmal auch in Abgrenzung – zu dieser Geschichte und dem intellektuellen Erbe gebildet, das sie uns übermittelt hat. Sich dieser Geistesgeschichte bewusst zu werden bedeutet, sich stärker klar zu machen, wie es dazu gekommen ist, dass wir die Welt in dem Lichte sehen, in dem wir sie heute sehen. Und das eröffnet uns die Möglichkeit, sie anders zu sehen, und auch, sie zu verändern. Werden soziale, auch wirtschaftliche, Phänomene auf eine stärker historisch situierte Weise betrachtet, dann können wir die Phantasie aufgeben, eine zeitlose Wahrheit über ihr Wesen erfassen zu können, die in irgendeinem platonischen Ideenhimmel verborgen wäre. Wenn man über Märkte stärker historisch nachdenkt, so muss man ihre Vielfalt und ihre Beziehungen zu kulturellen und sozialen Faktoren in Betracht ziehen. Es bedeutet auch, dass man mit der Verwendung formaler Modelle vorsichtig sein muss – denn sehr oft lautet die interessante Frage nicht, was das Modell als solches zum Ausdruck bringt, sondern wie es sich zur Realität verhält, welche Parameter man zu seiner Kalibrierung verwendet, und ob es ein erhellendes Licht auf Fragen des wirklichen Lebens werfen kann. Es bedeutet darüber hinaus, das sich selbst interpretierende Wesen des Menschen zu berücksichtigen: Wenn wir Theorien aufstellen, müssen wir wissen, dass wir nie über eine aus „harten“ Fakten bestehende Wirklichkeit theoretisieren, sondern über eine Realität, die mit Elementen früherer Theorien durchsetzt ist und die wir nicht verstehen können, ohne diesen, implizit oder explizit, Rechnung zu tragen. Daher sollten Märkte und wirtschaftliche Phänomene im weiteren Sinne auch für politische Philosophen, die häufig meinen, dass sie es mit Ideen und nicht mit der vertrackten Realität des Wirtschaftslebens zu tun haben, Untersuchungsgegenstände sein – nicht nur, weil unsere vorgefassten Meinungen über das komplizierte Wirtschaftsleben die Intuitionen, auf denen wir unsere philosophischen Theorien aufbauen, am Ende doch beeinflussen könnten, sondern auch, weil dies nicht zu tun bedeuten würde, dass wir etwas, das zu einem wesentlichen Teil unseres Lebens geworden ist, vernachlässigen und den oft einseitigen Analysewerkzeugen der Ökonominnen und Vertretern der Ökonometrie überlassen würden. Wenn wir erkennen, dass vieles von dem, was wir über Märkte denken, in Wirklichkeit Bilder sind und dass die gesellschaftliche Wirklichkeit auf vielfältige und komplexe Weise von diesen Bildern beeinflusst wird, so eröffnet dies die Möglichkeit alternativer Bilder – die schließlich auch zu alternativen Wirklichkeiten führen können. Es gibt so vieles, was an den heutigen Märkten falsch ist, dass viele umsichtige Menschen jegliche Hoffnung aufgegeben haben, das, was sie für eine ausweglose und von Fehlern behaftete Wirklichkeit halten, zu verbessern. Die Frage ist jedoch, ob es nicht eine alternative Zukunft mit Märkten

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geben könnte, in der man sie auf alternative Weise sieht und einen institutionellen Rahmen für sie schafft, innerhalb dessen sie eine positivere Rolle spielen, als dies in den letzten Jahren der Fall war. Wäre es möglich, dass Märkte, zusammen mit öffentlichen Institutionen, die Selbstbestimmung und das persönliche Wachstum der Einzelnen stärker fördern? Könnten Märkte dazu genutzt werden, nicht so sehr die Nachfrage nach materiellen Gütern, für die die natürlichen Ressourcen zunehmend knapper werden, sondern nach immateriellen Gütern zu befriedigen, deren Wachstum vereinbar ist mit den begrenzten Ressourcen der Erde? Könnten sie neue Verteilungsparadigmen unterstützen, die die der Gerechtigkeitstheorie von Rawls und vielen anderen Gerechtigkeitstheorien innewohnende Annahme überwinden, dass nur Wirtschaftswachstum es uns erlauben könnte, den Armen zu geben, ohne von den Reichen zu viel zu nehmen? Die Berücksichtigung der historischen Narrative von Smith und Hegel kann – will man sie nicht als eine Sichtweise abtun, die davon ausgeht, dass die Geschichte einem Weg des unaufhaltsamen Fortschritts und der Verbesserung folge  – als Inspiration für die Frage dienen, wie Märkte das emanzipatorische Potenzial, das Smith und Hegel in ihnen sahen, in größerem Maße, als dies heute der Fall ist, freisetzen könnten. Sie können jedoch auch als Erinnerung daran dienen, dass Märkte diese Rolle nie allein erfüllen können und dass ihre Konsequenzen entscheidend von den politischen, sozialen und kulturellen Institutionen abhängen, in die sie eingebettet sind. Die heutigen Märkte haben eine derartige Dominanz erlangt, dass es beinahe naiv erscheinen mag, darüber nachzudenken, wie sie von anderen Institutionen „gezähmt“ werden könnten. Das mag allerdings auch damit zu tun haben, dass wir, abgesehen von ihrer völligen Ablehnung, nicht viele Beschreibungen alternativer Marktgesellschaften haben. Nicht zu sehen, dass es Alternativen geben könnte, lähmt die Kritik und führt zu einer blinden Unterwerfung unter das, was man für das Schicksal des eigenen Zeitalters hält. Es scheint jedoch lohnenswert, Energie in das Nachdenken über andere Bilder zu investieren, statt pessimistisch zu resignieren. Warum stellen wir uns nicht einen Markt vor, der als Verteilungsmechanismus ausschließlich derjenigen Güter dient, die sich leicht zu Waren machen lassen, und dabei nicht unser ganzes Leben beherrscht und uns dazu drängt, so viele andere Dimensionen des Lebens – Bildung, Hobbys, Liebe, die Aufmerksamkeit anderer – ebenfalls in Bezug auf Märkte zu sehen? Warum stellen wir uns nicht einen Markt für, sagen wir, Finanzdienstleistungen vor, der etwas weniger dynamisch und innovativ ist, dafür aber die Art von Turbulenzen und wirtschaftlichem Druck auf politische Prozesse vermeidet, die wir in den letzten Jahren erlebt haben? Warum stellen wir uns nicht Märkte vor, die etwas stärker reguliert sind und

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die uns ein Leben ermöglichen, das etwas mehr Zeit für die privaten „Kreise des Mitgefühls“ und die Gegenstände des „absoluten Geistes“, Kunst, Religion und Philosophie, übriglässt? Warum erinnern wir uns nicht daran, dass diejenigen, die die Bilder des Marktes, wie wir ihn kennen, erfunden haben, dabei nicht an eine entfesselte, allumfassende Wirklichkeit gedacht haben, die allen Institutionen, Prinzipien und Ideen, die seinem Diktat nicht gehorchen, den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht? Denkt man über diese Fragen nach, so hört man im Hinterkopf das Murren seiner realistischen Freunde  – können diese Bilder, Modelle oder Visionen wirklich etwas an der realen Welt verändern?66 Doch ironischerweise ist es gerade der Einfluss bestimmter „realistischer“ Vorstellungen vom Markt auf die Geschichte der letzten Jahrzehnte, der beweist, dass sie Unrecht haben. Das neoklassische Paradigma hat frühere Einsichten, zum Beispiel bezüglich der Notwendigkeit von Kartellgesetzen, völlig über den Haufen geworfen, und diese Argumente haben auch zu institutionellen Veränderungen mit sehr konkreten Folgen für die reale Welt geführt.67 Inzwischen haben wir uns allerdings so sehr an bestimmte Bilder des Marktes und seiner unwiderstehlichen „Kräfte“ gewöhnt, dass wir dazu neigen, zu vergessen, dass die Dinge in der Vergangenheit anders waren und dass sie in der Zukunft noch anders werden könnten. Das soll nicht heißen, dass absolut alles an den ökonomischen Ideen von Hayek, Friedman und ähnlich denkenden Ökonominnen falsch war. Doch es besagt, dass wir ihre Beschreibung der Wirklichkeit nicht als einzig mögliche ansehen sollten. Ein Blick auf die Geschichte des wirtschaftlichen und politischen Denkens und auf die Geschichte von Wirtschaftsinstitutionen  – die beide bedauerlicherweise heute im mainstream der ökonomischen Lehre kaum vorkommen  – hilft uns zu erkennen, dass die Dinge anders sein könnten und dass die Formen, die Märkte annehmen können, von dem sozialen, kulturellen und intellektuellen Klima abhängen, in dem sie ihren Platz finden. 66 Der Leser mag hier vielleicht an den berühmten Satz von Ex-Kanzler Helmut Schmidt erinnert werden, dass diejenigen, die Visionen haben, zum Arzt gehen sollten. Doch dann wären die Wartezimmer ziemlich voll – Schmidts Zitat klingt, als gäbe es eine Alternative zu Visionen, doch ohne Visionen, oder zumindest ohne einige normative theoretische Elemente, gibt es kein Nachdenken über gesellschaftliche Phänomene. Die Sicht der Realisten auf die gesellschaftliche Wirklichkeit ist nicht das Gegenteil einer Vision, sondern einfach eine eher düstere Vision dieser Wirklichkeit. 67 Vgl. Colin Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II (Berlin: Suhrkamp, 2011), Kap. 3, dazu, wie eine andere Unternehmenstheorie veränderte, auf welche Art und Weise amerikanische Gerichte Fusionen zwischen Unternehmen betrachteten, die möglicherweise zu einer Kartellbildung führen könnten.

7.3 Schluss: Den Markt in seiner Zeit verstehen | 257

Kurz gesagt, wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass Märkte etwas anderes sein könnten als das, was sie gegenwärtig sind. Über sie nachzudenken ist eine komplexe Angelegenheit, bei der es immer wieder zu Missverständnissen kommt und die gewiss viel weniger elegant ist als die reine „ideale Theorie“, die man in vielen politischen Theorien der letzten Jahrzehnte sowie in den abs­ trakten Formalismen der mathematischen Ökonomie findet. Aber wir können ihr nicht ausweichen, wenn wir uns näher mit den Fragen des realen Lebens und mit den Problemen unserer Gesellschaften beschäftigen möchten. Den Markt und unsere Visionen von ihm ernst zu nehmen, indem wir verstehen, woher unsere Intuitionen und impliziten Urteile über ihn stammen, und indem wir sämtliche normativen Dimensionen unseres geistigen Erbes berücksichtigen, kann ein erster Schritt auf diesem Weg sein.

Siglenverzeichnis zu den Werken von Adam Smith und G. W. F. Hegel I Werke von Adam Smith Die Glasgower Ausgabe von The Works and Correspondence of Adam Smith. Oxford: Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1976–1983. (Verwendet mit Genehmigung von Oxford University Press, Inc.) ED: „Early Draft of Part of The Wealth of Nations“, in Band 5: Lectures on Jurisprudence, hrsg. von R. L. Meek, D. D. Raphael und P. G. Stein. Oxford Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1978, S. 562–682, zitiert nach Abschnitt und Absatz. HA: „The Principles which Lead and Direct Philosophical Enquires, Illustrated by the History of Astronomy“. Band 3: Essays on Philosophical Subjects, hrsg. von W. P. D. Wightman und J. C. Bryce, mit Dugald Stewart’s „Account of Adam Smith“, hrsg. von I. S. Ross, Oxford: Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1980, 31–106, zitiert nach Abschnitt und Absatz. Vorlesungen: Volume 5: Lectures on Jurisprudence, hrsg. on R. L. Meek, D. D. Raphael, und P. G. Stein. Oxford: Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1978, zitiert nach der Seitenzahl. LJ(A) bezieht sich auf die Darstellung von 1762– 1763; LJ(B) bezieht sich auf die Darstellung von 1766. Corr.: Band 6: Correspondence, hrsg. von E. C. Mossner und I. S. Ross. Oxford: Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1987, zitiert nach der Nummerierung der Briefe. LRBL: Band 4: Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, hrsg. von J. C. Bryce. Oxford: Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1983. Theorie oder TEG: Band 1: The Theory of Moral Sentiments, hrsg. von D. D. Raphael und A. L. Macfie. Oxford: Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1976, zitiert nach Buch, Kapitel, Abschnitt und Absatz. (Zitiert nach: Smith, Adam. 2010. Theorie der ethischen Gefühle. Auf der Grundlage der Übers. von Walther Eckstein neu hrsg. von Horst D. Brandt. Hamburg: Felix Meiner Verlag.) Wohlstand oder WN: Band 2: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (2 Bde.), hrsg. von R. H. Campbell und A. S. Skinner; Lektorat W. B. Todd. Oxford: Clarendon Press; New York: Oxford University Press, 1976, zitiert nach Buch, Kapitel, Abschnitt und Absatz. (Zitiert nach Adam Smith, 1905. Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes. Übers. von F. Stöpel. 4 Bände. 2. Auflage, durchgesehen und verbessert von R. Prager. Berlin.).

II Werke von G. W. F. Hegel | 259

II Werke von G. W. F. Hegel Die Werke Hegels werden, wenn nicht anders angegeben, nach der im Suhrkamp Verlag erschienenen Gesamtausgabe zitiert: G. W. F. Hegel, Werke. 20 Bde. Frankfurt, 1986. (Anm.  d. Übers.: Die Werke Hegels sind im Internet verfügbar unter: http://www. zeno.org.)

Zu Lebzeiten veröffentlichte Werke PG: Phänomenologie des Geistes. Neu hrsg. von Hans-Friedrich Wessels und Heinrich Clairmont. Mit einer Einleitung von Wolfgang Bonsiepen. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1988.) Enz: Logik (Teil I der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften). Werke, Bd. 8 Philosophie der Natur (Teil II der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften). Werke, Bd. 9. Philosophie des Geistes. (Teil III der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften). Werke, Bd. 10. „Z“ bezeichnet Zitate aus den „Zusätzen“. GPR: Grundlagen der Philosophie des Rechts. Werke, Bd. 7. „Z“ bezeichnet Zitate aus den „Zusätzen“. Hegel’s Political Writings, übersetzt von T. M. Knox. Oxford: Clarendon Press, 1964, zitiert nach der Seitenzahl.

Ausgaben der Manuskripte und Vorlesungsnotizen Griesheim: Ilting, Karl-Heinz, G. W. F. Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831. Vierter Band. Hrsg von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-holzboog, 1974. Dieser Band enthält die Vorlesungsnotizen von K. G. v. Griesheim 1824/25. Hotho: Ilting, Karl-Heinz, G. W. F. Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818– 1831. Dritter Band. Nach der Vorlesungsmitschrift von H. G. Hotho 1822/23 hrsg. von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-holzboog, 1974. Jenenser Realphilosophie I: Hegel, Die Vorlesungen von 1803/04. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. Sämtliche Werke. Hsg. von Georg Lasson. Leipzig: Felix Meiner, 1932. Hegel, G. W. F. 1986. Jenaer Systementwürfe I, Das System der Spekulativen Philosophie. Neu hrsg. von Klaus Düsing und Heinz Kimmerle. Hamburg: Felix Meiner Verlag. Hegel, G. W. F. 1969. JENAER REALPHILOSOPHIE. Vorlesungsmanuscripte zur Philosophie der Natur und des Geistes von 1805–1806. Hamburg: Felix Meiner. VGP: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Werke, Bde. 18–20.

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Register Abhängigkeit  98, 134, 141, 162, 168, 175, 182ff., 198, 216, 225 Adam-Smith-Problem 49ff. Anerkennung  61, 86f., 90f., 121, 126, 129ff., 137, 155, 168, 178, 180, 187ff., 207, 213, 220, 223, 226 Arbeitsmarkt, siehe Beruf; Humankapital Arbeitsteilung Erhöhung der Effizienz durch  66f., 98f., 171 Auswirkungen auf den Geist der Arbeiter  113f., 127, 200ff. Ärger  57, 155, 178 „Antrieb […] unsere Lage zu verbessen“  66, 238ff. Aristoteles  88, 104, 105, 110, 118, 131, 199 Armut  99ff., 167ff., 205, 222 „atomistisches Selbst“, siehe liberal-kommunitaristische Debatte Aufhebung / Aufgehoben sein  87, 91, 107, 213 Austausch; Warentausch  64ff., 94 ff., 115, 146ff., 168, 239, 248 Authentizität, siehe Freiheit Autonomie, siehe Freiheit Beamte  144, 224 Becker, Gary  169, 210 Berlin, Isaiah  194 Beruf  93, 102, 125, 127ff., 137, 159, 165, 178, 189, 203 Besonderheit  90, 96f., 102, 106f., 126ff., 137f., 174, 215, 223 Bildung  117f., 131f., 178, 199f., 208f., 212, 218 Buchanan, James  28, 64 bürgerlicher Humanismus, siehe auch republikanische Tradition 121 Deismus  54f., 70f., 76, 151, 232, siehe auch Religion Deutscher Idealismus  23f., 80f. Diskriminierung  168ff., 183 Effizienz  64ff., 72, 141, 158, 163, 185f., 190f., 200 Ehre  87, 103, 103, 152f., 166, 178, 204, 212 Eigeninteresse  44, 48f., 63ff., 75, 97ff., 156, 210ff.

Eigentumsrechte  62f., 71, 78, 97, 105, 117, 121, 146, 156, 173, 179, 195, 217, 228, 240 Einbettung  57, 110ff., 125ff., 226 Erziehung  46f., 73, 113ff., 131f., 199, 208, 212f. Feudalismus  46, 61ff., 106, 121, 155, 164, 175, 190, 198, 216ff., 244 Folgen, unbeabsichtigte  56ff., 60ff., 66, 238 Fortschritt  46, 52, 66, 90, 105, 127, 144, 202, 240ff. Freier Wille  85, 90, 96, 133, 148f., 225ff. Freiheit 194 soziale Freiheit  214 als Authentizität 202ff. als Autonomie  197 wirtschaftliche Freiheit  64ff., 78, 93ff., 126, 137, 148f., 165f. Gauthier, David  25, 111 Geist  86ff., 115f., 211, 222, 224, 241ff., 249 Gerechtigkeit  57ff., 62f., 70, 139f., 142ff., 221 siehe auch Verdienst; Ungleichheit „Geschichte der Astronomie“  52f. Hayek, F. A. von  28, 67, 145ff., 161, 197, 256 Honneth, Axel  80, 91, 100, 144, 147, 159f., 178 Humankapital  120ff., 132ff., 159, 162f., 175, 190 Hume, David  46f., 52f., 75, 94, 154, 170, 217, 238, 246 Hutcheson, Francis  46f., 170 Investition  68, 71, 120, 123, 134f., 158, 163, 175, 179, 184, 253 Kant, Immanuel  7, 29, 79, 90, 138, 163, 243 Komplexität  150, 184 von Smiths Naturbegriff  55 Kontext, Betrachtung im.  37ff., 230ff., 238f., 252ff. Korporationen  96, 102ff., 126ff., 161, 176, 184, 188, 196, 206f., 213f., 220f., 247 Krise, Finanzkrise, Finanzen (von 2008)  22, 26

288 | Register Landwirtschaft  64, 68, 171, 201, 229, 237, 240 liberal-kommunitaristische Debatte  108f., 138ff., 222 List der Natur  56ff. List der Vernunft  242 Lohn  71, 75, 122ff., 150, 158ff., 169ff., 179f. Macht  63, 93, 113, 164ff., 186, 190f., 217f., 240 Mandeville, Bernard de  48, 59, 64, 66, 111 Markt Koordinationsfunktion des  64ff., 96f. als Ort der Freiheit, siehe Freiheit Marx, Karl  17f., 34, 80, 101, 103, 140, 148, 181, 200 Merkantilismus  48, 63, 74, 94, 170, 253 Mill, J. S.  28, 198, 202, 210 Miller, David  25, 144ff., 160ff., 188, 191 Mitgefühl (sympathy)  47f., 61, 111ff., 124, 136, 154, 179, 184, 201, 204, 215 Kreise des  56, 111ff., 124, 136, 212, 218, 228f. Natur, Smiths Darstellung der  55 natürliche Empfindungen  55ff., 112ff., 183ff., 201 Naturrechtslehre, Tradition der  47, 61, 173 Neigung, zum Tausch, zur gegenseitiger Hilfe und zum Handel, siehe Austausch öffentliche Güter  64, 73, 102, 208f., 225 Olsaretti, Serena  146, 158, 165, 191 Phänomenologie des Geistes  86, 117 Physiokraten  48f., 68 Pöbel  99, 140, 176ff., 187f., 247f. Polizei  96, 102f., 176, 181, 188, 213, 222 Preismechanismus  50, 67, 71, 122f., 148f., 158, 162f., 185 Profession, siehe Beruf Rawls, John  24, 108, 136, 144, 146, 173, 255 Rechtspflege  63f., 78, 96 Regierung bei Hegel, siehe Staat, Hegels Darstellung des 214ff. bei Smith  62f., 67, 74ff., 113 Religion  53f., 78, 88, 134, 167ff., 178, 195f., 201, 211, 228, 256

republikanische Tradition, siehe auch bürgerlicher Humanismus  64, 229ff. Respekt  63, 102, 120f., 133, 143, 162, 176ff. Ricardo, David  28, 95 Rousseau, Jean-Jacques  110, 115ff., 173, 203ff, 228f., 237 Sandel, Michael  26, 108, 124, 133, 136 Selbstbeherrschung  111f, 116, 151, 198f., 212 Selbstbewusstsein  86f., 111f., 118, 250ff. Sittlichkeit  89ff., 116, 129, 220 Skinner, Quentin  36ff., 194, 232 soziale Normen  89, 116, 124, 157, 183, 238 soziale Schichten  126, 179f., 247 Staat äußerer  104, 220f. Hegels Darstellung des  103f., 188, 214ff., 242 Steuart, James  48, 94, 100, 107, 126, 176, 237 System von Smith  49ff. von Hegel  82ff. Taylor, Charles  31, 80, 89, 249 Theodizee 167 Tugend bürgerliche Tugenden  143ff., 182ff., 198ff., 211f., 217f. in der Politik  221ff. Ungleichheit  63, 70, 74, 99f., 167ff. Universalität  88, 96ff., 116, 126ff., 137, 188, 199, 215, 220ff. unparteiischer Beobachter  47, 57ff., 60f., 74, 150f., 155ff., 166, 186, 206, 215, 217f., 222, 232 „unsichtbare Hand“  56, 68ff., 76, 98, 221f., 243 Verdienst  144ff., 182ff. Wachstum, wirtschaftliches  68f., 71f., 100, 170f., 179f., 196 Walzer, Michael  25, 139, 215 Wirtschaft Chicagoer Schule  29, 210 Hauptströmung  23ff., 239, 256f. heterodoxe Strömungen  23 Wohlstand  66ff., 74ff., 120, 211, 240ff. zweite Natur  85, 91, 117