Die Erfindung der Kreativität 9783518295953

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Die Erfindung der Kreativität
 9783518295953

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suhrkamp taschenbuch

wissenschaft 1995

Andreas Reckwitz

Die Erfindung der Kreativität Zum

Prozess

gesellschaftlicher Ästhetisierung

In der Gegenwartsgesellschaft haben sich die Anforderung und der Wunsch,

kreativ zu sein und schöpferisch Neues hervorzubringen, in ungewöhnlichem Maße verbreitet, Was ehemals subkulturellen Künstlerzirkeln vor-

behalten war, ist zu einem allgemeingültigen kulturellen Modell, ja zu einem Imperativ geworden, Andreas Reckwitz untersucht, wie im Laufe des 20. Jahrhunderts das Ideal der Kreativität forciert worden ist: in der Kunst der Avantgarde und der Postmoderne, den creative industries und der Inno-

vationsökonomie, in der Psychologie der Kreativität und des Selbstwachstums sowie in der medialen Darstellung des kreativen Stars und der Stadtplanung der creative cities. Es zeigt sich, dass wir in Zeiten eines ebenso radikalen wie restriktiven Prozesses gesellschaftlicher Ästhetisierung leben.

Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, Im Suhrkamp Verlag sind erschienen: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne (2017),

Ästhetik und Gesellschaft. Grundlagentexte aus Soziologie und Kulturwissenschaften (stw 2118, hg. zusammen mit Sophia Prinz und Hilmar Schäfer) und Poststrukturalistische Sozialwissenschaften (stw 1869, hg. zusammen mit Stephan Moebius).

suhrkamp

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Inhalt Einleitung: Die Unvermeidlichkeit des Kreativen L

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Betlit

Ästhetisierung und Kreativitätsdispositiv: Das gesellschaftliche Regime des ästhetisch Neuen

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Künstlerische »Schöpfung« zwischen Geniesubjekt und Publikum: Die Formierung des modernen Kunstfeldes

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Universitatsbinburhe®

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54

3. Zentrifugale Kunst: Die Selbstentgrenzung der Kunstpraktiken

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90

4. Der Aufstieg der ästhetischen Okonomie: Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Permanente

A

6. Auflage 2019 Erste Auflage 2012 suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1995 © Suhrkamp Verlag Berlin 2012 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darfin irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden, Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim Printed in Germany

ISBN 978-3-518-29595-3

Innovation,

Designökonomie

creative industries und

...000.000000000r

Die Psychologisierung der Kreativität: Vom pathologischen Genie zur Normalisierung des Ressourcen-Selbst ...000000000

6. Die Genese des Starsystems: Die massenmediale Konstruktion expressiver Individualität ..............00. 7, Creative Cities: Die Kulturalisierung der Stadt 8. Ästhctisierungsgesellsclmft: Strukturen, Dissonanzen, Alternativen Literaturverzeichnis

..........

........0...0..000

...00000

Ausführliches Inhaltsverzeichnis

....000000000000000

369 405

»Wir könnten ein Bild malen [{...}. Na, das ist ja wohl schon gemacht worden [...]. Wir könnten es auch mit einer Skulptur versuchen. Oh! Eine aus Ton oder aus Bronze? [...] Irgendwie hab’ ich den Eindruck, dass das

auch schon gemacht wurde. [...] Wir könnten uns um-

bringen, aber selbst das ist ja nicht neu [...]. O nein [...]. Wie wär's denn damit, eine Handlung in die Welt

zu setzen, ohne dass wir an ihr bereiligt wären? Neeeein. Das wurde schon gemacht.

[...] Und sprechen? Könn-

ten wir nicht einfach etwas sagen? [...] Alter Hur. Erwas zu verkaufen, bevor es angefertigt wurde? [...] Das ist

auch schon gemacht worden? Und es einfach noch mal zu verkaufen? Das wurde auch schon gemacht. Schon mal gemacht? Zweimal sogar2« Grupa Azorro, Everything has been done I, 2003

Einleitung: Die Unvermeidlichkeit des Kreativen

Wenn

es einen Wunsch gibt, der innerhalb der Gegenwartskultur

die Grenzen des Verstehbaren sprengt, dann wäre es der, nicht kreativ scin zu wollen, Dies gilt für Individuen ebenso wie für Institutionen. Nicht kreativ sein zu können ist eine problematische, aber eventuell zu heilende und mit geduldigem Training zu überwindende Schwäche, Aber nicht kreativ sein zu wollen, kreative Potenziale bewusst ungenutzt zu lassen, gar nicht erst schöpferisch Neues aus sich hervorbringen oder zulassen zu wollen, erscheint als ein absurder Wunsch, so wie es zu anderen Zeiten die Absicht gewesen

sein mag, nicht moralisch, nicht normal oder nicht autonom zı sein. Wie könnte ein Individuum oder eine Institution, ja, eine ganze Gesellschaft das nicht wollen, was scheinbar natürlich in ihr

angelegt ist, wohin es oder sie natürlicherweise strebt: zur kreativen Selbsttransformation?

Welche außergewöhnliche Relevanz der Kreativität als individuelles und soziales Phänomen in unserer Gegenwart zugeschrieben wird, lässt sich an Richard Floridas programmatischer Studie

The Rise of the Creative Class aus dem Jahr 2000 ablesen.‘ Florida zufolge ist die zentrale Transformation, die sich in den westlichen

Gesellschaften zwischen der Nachkriegszeit und der Gegenwart

ereignet hat, weniger eine technologische als eine kulturelle. Sie findet seit den 1970er Jahren statt und betrifft die Entstehung und Verbreitung eines »kreativen Ethos«, Dessen Träger ist eine neue, sich rasch ausbreitende und kulturell tonangebende Berufsgrup-

pe, die creative class mit ihren charakteristischen Tätigkeiten der Ideen- und Symbolproduktion — von der Werbung bis zur Softwareentwicklung, vom

Design bis zur Beratung und zum Touris-

mus. Kreativität bezieht sich in Floridas Darstellung nicht allein auf ein privates Modell der Selbstentfaltung. Sie ist in den letzten

drei Jahrzehnten auch zu einer allgegenwärtigen ökonomischen Anforderung der Arbeits- und Berufswelt geworden.

Nun ist Floridas Studie alles andere als eine neutrale Darstellung, ı Richard Florida, Zhe Rise ofthe Creative Class, And How Irs Transforming Work, Leisture, Community, and Everyday Life [2000], New York 2005.

vielmehr versucht sie genau das zu fördern, von dem sie spricht. Ihr Blick ist selektiv. Aber tatsächlich sprechen viele Indizien dafür, dass das normative Modell der Kreativität und entsprechende

Praktiken, die versuchen, das scheinbar flüchtige Moment der Kreativität zu institutionalisieren, spätestens in den 1980er Jahren im

Kern der westlichen Kultur angekommen sind und diesen seitdem

hartnäckig besetzt halten.* Kreativität umfasst in spätmodernen Zeiten dabei eine Dopplung von Kreativitätswunsch und Kreativi-

tätsimperativ, von subjektivem Begehren und sozialer Erwartung: Man will kreativ sein und soll es sein.

Was meint hier Kreativität? Kreativität hat zunächst eine doppelte Bedeutung. Zum einen verweist sie auf die Fähigkeit und die Realität, dynamisch Neues hervorzubringen, Kreativität bevorzugt das Neue gegenüber dem Alten, das Abweichende gegenüber dem Standard, das Andere gegenüber dem Gleichen. Diese Hervorbringung des Neuen wird nicht als einmaliger Akt gedacht, sondern als etwas, das immer wieder und auf Dauer geschieht, Zum anderen nimmt Kreativität Bezug auf ein Modell des »Schöpferischen«, das sie an die modernc Figur des Künstlers, an das Künstlerische und Ästhetische insgesamt zurückbindet.? Es geht um mehr als um eine rein technische Produktion von Innovationen, sondern um die

sinnliche und affektive Erregung durch das produzierte Neue. Das ästhetisch Neue wird mit Lebendigkeit und Experimentierfreude in Verbindung gebracht, und sein Hervorbringer erscheint als ein

sozialen Kriterienkatalogs, der seit gut dreißig Jahren in zunehmendem Maße in den westlichen Gesellschaften zu einer prägenden Kraft geworden ist. Als besonders bemerkenswert erweist sich diese Entwicklung zunächst im ökonomisch-technischen Herzen der kapitalistischen Gesellschaften, der Sphäre der Arbeit und des Be-

rufs. Das, was ich den »ästhetischen Kapitalismus« der Gegenwart nennen will, basiert in seiner fortgeschrittensten Form auf Arbeitsweisen, die das lange vertraute Muster einer routinisierten Arbei-

rer- und Angestelltentätigkeit, ihres standardisierten und versachlichten Umgangs mit Objekten und Subjekten, hinter sich gelassen haben. An deren Stelle sind Tätigkeiten getreten, in denen die

ständige Produktion von Neuartigem, insbesondere von Zeichen und Symbolen (Texten, Bildern, Kommunikation, Verfahrenswei-

sen, ästhetischen Objekten, Körpermodifizierungen), vor einem an

Originalität und Überraschung interessierten Publikum zur wichtigsten Anforderung geworden ist: in den Medien und im Design, in der Bildung und in der Beratung, in der Mode und in der Architektur. Die Konsumkultur erwartet diese ästhetisch ansprechenden, innovativen Produkte, und die creative industries bermühen sich, sie bereitzustellen. Der Kreative als Berufstätiger dieser creative economy bezeichnet mittlerweile eine Sozialfigur von beträchtlicher kultureller Attraktivität auch über ein engeres Berufssegment hinaus.* Die Orientierung an Kreativität betrifft jedoch nicht nur die Arbeitspraktiken, sondern auch die Organisationen und Ins-

schöpferisches Selbst, das dem Künstler analog ist. Das Neuartige

titutionen selbst. Diese haben sich einem Imperativ permanenter

im Sinne des Kreativen ist dann nicht lediglich vorhanden wie eine

Innovation unterworfen. Insbesondere Wirtschaftsorganisationen,

technische Errungenschaft, es wird vom

Betrachter und auch von

aber mittlerweile auch andere — politische oder wissenschaftliche —

dem, der es in die Welt setzt, als Selbstzweck sinnlich wahrgenom-

Institutionen haben sich so umstrukturiert, dass sie nicht nur die Fabrikation immer wieder neuer Produkte auf Dauer stellen, son-

men, erlebt und genossen.

Aus soziologischer Perspektive ist Kreativität nun kein bloßes

dern ihre internen Strukturen und Abläufen permanent erneuern,

semantisches Oberflächenphänomen, sondern das Zentrum eines

um damit in einer sich beständig verändernden Organisationsum-

z Vgl. zu diesem Thema auch Gerald Raunig/Ulf Wuggenig (Hg.), Kritik der Krea-

welt »responsiv« zu bleiben.?

2007; Peter Spillmann/Marion von Osten (Hg.), Be Creative! — Der

des Schöpferischen oder: Ingenium est ineffabile?, Stuttgart 1991; Hans-Ulrich Gumbrecht (Hg.), Kreativität — ein verbrauchter Begriff?, München 1988. Zu einer Ideengeschichte der Kreativität als Einbildungskraft vgl. James Engell, Zhe Creative Imagination, Cambridge 1981. 10

4 Vgl. Angela McRobbie, »Jeder ist kreative, Künstler als Pioniere der New Economy?«, in: Jörg Huber (Hg.), Singularitäten — Allianzen. Interventionen ır, Wien, New York 2002, S. 37-59; Cornelia Koppetsch, Das Ethos der Kreativen. Eine Studie zum Wandel von Arbeit und Identität am Beispiel der Werbeberufe, Konstanz 2006. a

tivität, Wien

kreative Imperativ, Zürich 2003; Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst, Frankfurt/M. 2007, S. 1526 3 Vgl. allgemein zum Begriff der Kreativität: Günter Blamberger, Das Geheimnis

Vgl. zur flexiblen Spezialisierung bereits Micheal J. Piore/Charles E Sabel, 7he Second Industrial Divide. Possibilities for Prosperity, New York 1984; zur Organisationsinnovation Andrew H. van de Ven, Zhe Innovation Journey, New York 1999. IX

Über die Berufs-, Arbeits- und Organisationswelt hinaus ist das 1970er Jahren immer tiefer in die kulturelle Logik der privaten Le-

zur Verfügung zu stellen, wie es für die klassische Industriegesellschaft galt. Es wird von ihnen vielmehr eine permanente Ästhetische Selbsterneuerung erwartet, die immer wieder die Aufmerksamkeit

bensführung der postmaterialistischen Mittelschicht (und darüber

der Bewohner und Besucher fesselt — sie wollen und sollen crea-

hinaus) eingesickert. Es würde zu kurz greifen, anzunehmen, dass

zive cities sein.® Das kreative Arbeiten, die innovative Organisation,

Doppel von Kreativitätswunsch und Kreativitätsimperativ seit den

deren spätmodernes Selbst im Wesentlichen nach Individualisie-

das sich selbst entfaltende Individuum, die creative cities — sie alle

rung strebt. Diese Individualisierung hat eine besondere Form: sie

nehmen teil an einem umfassenden kulturellen Ensemble, das die

zielt auf eine kreative Gestaltung von Subjektivität ab. Kreativität beziehrt sich hier weniger auf das Herstellen von Dingen, sondern auf die Formung des Individuums selbst. Es handelt sich — wie es Richard Rorty umschreibt — um eine Kultur der »Selbsterschaffung« (self-creation).“ Man kann nicht genug betonen, dass diese Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung, die das spätmoderne

Produktion von Neuem auf Dauer stellt und das Faszinosum der Schöpfung und Wahrnehmung von neuartigen, originellen Objek-

ten, Ereignissen und Identitäten nährt. Im Grunde ist das alles höchst merkwürdig. Man muss nur historisch einen Schritt zurücktreten, um sich der Seltsamkeit bewusst zu werden, die angesichts der gegenwärtigen Universalisierung der

Subjekt verfolgt, nicht als Universalien missverstanden werden

Kreativität, ihrer Festlegung auf eine scheinbar alternativlose und

sollten. Sie gehen vielmehr auf ein historisch außergewöhnliches Vokabular des Selbst aus dem Umkreis der Psychologie des Selbst-

allgemeingültige Struktur des Sozialen und des Selbst leicht ver-

wachstums

(self growth)

zurück,

die wiederum

ein romantisches

deckt wird. Die Idee der Kreativität ist zwar sicherlich keine Erfindung unserer Post- oder Spätmoderne. Aus einer soziologischen

Erbe verwaltet. Erst vor ihrem Hintergrund geht es dem Selbst um

Perspektive auf die Genese der Moderne

eine quasikünstlerische, experimentelle Weiterentwicklung in allen

vom letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bis ins zweite 20. Jahrhunderts im Wesentlichen auf kulturelle und schen beschränkt gewesen.” Es waren die künstlerischen tischen Bewegungen seit dem Sturm und Drang und der

seinen

Facetten,

in persönlichen

Beziehungen,

Freizeitformaten,

Konsumstilen und körperlichen oder psychischen Selbsttechniken. Die Orientierung an der Kreativität des Selbst ist dabei regelmäßig mit einem Streben nach Originalität, nach einer Unverwechselbarkeit des Ichs verbunden.”

insgesamt ist sie jedoch

Drittel des soziale Niund ästheRomantik,

die in immer neuen Schüben die Überzeugung forciert haben, dass

die Welt und das Ich schöpferisch-kreativ zu gestalten seien. Gegen

Schließlich sticht die gesellschaftliche Ausrichtung an Kreativität in einem weiteren Bereich ins Auge: in der Transformation des

das bürgerliche und nachbürgerliche Establishment, gegen deren Moralität, Zweckrationalität und soziale Kontrolle gerichtet, haben

Urbanen, in der Umgestaltung des gebauten Raums der westlichen

sie die nichtentfremdete Existenz als einen Dauerzustand kreativer

Großstädte. Viele der Metropolen zwischen Barcelona und Seattle, zwischen Kopenhagen und Boston sind seit den 1980er Jahren dabei, sich über den Weg spektakulärer Architektur, der Restaurierung von Stadtvierteln, der Neugründung von Kulturinstituti-

Neuerfindung definiert und zelebriert. Dies gilt für die Romanti-

ker zu Beginn des 19. Jahrhunderts ebenso wie für die ästhetischen Avantgarden und vitalistischen Bewegungen der Lebensreform um 1900, schließlich für die Counter Culture der 1960er Jahre, die das

onen und einer gezielten Arbeit an ansprechenden Atmosphären 8 Vgl. zu diesem Begriff Charles Landry, Zhe Creative City. A Toolkit for Urban Innovators, London S

ästhetisch neu zu erfinden. Es reicht nicht mehr aus, dass die Städte ihre Grundfunktionen erfüllen, Wohnraum und Arbeitsstätten 6 Vgl. Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidaritat [1989], Frankfurt/M. 1992, S.162ff. 7 Vgl. Paul Leinberger/Bruce Tucker, 7he New Individualists. The Generation after the Organization Man, New York 1991; Daniel Yankelovich, New Rules. Searching

for Self-Fulfillment ın a World Turned Upside Down, New York 1981 I2

2009.

Mit dem Begriff »Moderne« ist die gesellschaftliche Formation gemeint, die sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunächst im Westen, dann globalisiert

ausbilder und reproduziert, »Spätmoderne« bezeichnet jene Version der Moderne, die sich seit den 1980er Jahren herauskristallisiert. Ein baldiges Ende der Moderne

soll mit dem Präfix »Spät-« jedoch nicht angedeutet werden, Zu diesen Begriffen vgl. auch Peter Wagner, Sociology of Modernity, London 1994.

13

»kreative Zeitalter« als ein age of aquarius proklamierte. In diesen

werkökonomie nachgezeichnet: Die ehemalige antikapitalistische

künstlerischen und gegenkulturellen Nischen ist Kreativität als eine

»Künstlerkritik« von 1800 bis 1968, die Kritik an der Entfremdung

Emanzipationshoffnung in Stellung gebracht worden, die den re-

im Namen

pressiv scheinenden okzidentalen Rationalismus von bürgerlicher

tizität ist in das aktuelle projektorientierte Arbeiten und in die

Erwerbsarbeit, Familie und Bildung überwinden sollte.'” Für den dominanten Alltagsrationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts, gegen den der Kreativitätswunsch dieser Minderheiten gerichtet war,

Organisationen

wäre ein verallgemeinerter Kreativitätsimperativ völlig undenkbar

Das Doppel von Kreativitätswunsch und Kreativitätsimperativ reicht jedoch weit über die Felder von Arbeit und Konsum hinaus.

von Selbstverwirklichung, mit ihren flachen

Kooperation

Hierarchien

und Authen-

bereits eingebaut.

Scheinbar hat sich dann die Tradition der Künstlerkritik durch ihre fAächendeckende ökonomische Realisierung überflüssig gemacht.‘

gewesen. Was sich in der spätmodernen Kultur seit den 1970er Jahren vollzieht, ist nun eine bemerkenswerte Umkehrung: Ideen und Praktiken ehemaliger Gegen- und Subkulturen sind in die He-

genwartsgesellschaft. Wie der Prozess aussieht, in dessen Verlauf die minoritären Ideen der Kreativität in eine verbindliche gesellschaft-

gemonie umgeschlagen. Das Kreativitätsideal der scheinbar hoff-

liche Ordnung umgeschlagen sind und sich in verschiedenen sozi-

nungslos randständigen ästhetisch-künstlerischen Gegenbewegun-

alen Feldern schrittweise institutionalisieren, haben wir noch gar

Es umfasst die gesamte Struktur des Sozialen und des Selbst der Ge-

gen ist in die dominanten Segmente der Gegenwartskultur, in ihre

nicht richtig verstanden. Das ist die Ausgangsfrage dieses Buches.

Arbeits-, Konsum- und Beziehungsformen eingesickert und dabei

nicht dasselbe geblieben. Aus funktionalistischer Perspektive kön-

Was sich seit dem letzten Viertel des gerade vergangenen Jahrhunderts abspielt — so meine Leitthese —, ist tatsächlich die Ausbildung

nen die ästhetischen und künstlerischen Subkulturen in der Geschichte der Moderne dann wie jene Seedbed-Kulturen scheinen,

sitivs. Dieses betrifft verschiedenste gesellschaftliche Sektoren und

die Talcott Parsons im alten Griechenland und Israel, in der grie-

chischen Philosophie und der jüdischen Religion ausgemacht hat:!!

eines ebenso heterogenen wie wirkungsmächtigen Kreativitätsdispoihre Praktiken — von der Erziehung bis zum Konsum, vom Sport bis zum Beruf und zur Sexualität. Sie alle werden gegenwärtig Im-

Brutstätten alternativer und zunächst marginaler kultureller Codes,

perativen der Kreativität entsprechend umgeformt. Zur Klärung

die mit zeitlicher Verzögerung

der Genealogie dieses Kreativitätskomplexes, seiner unreinen und

den

Mainstream

revolutionieren.

Die unbeabsichtigten Auswirkungen der künstlerischen Gegenbewegungen auf die Gegenwart hat Daniel Bell bereits 1976 in Zhe Cultural Contradictions of Capitalism hellsichtig herausgearbeitet und diese insbesondere im zeitgenössischen Konsumhedonismus ausgemacht. In Bezug agf die Arbeits- und Organisationswelt haben Luc Boltanski und Eve Chiapello vor wenigen Jahren in ihrer Analyse von Managementdiskursen unter dem Titel Der neue Geist

des Kapitalismus die Kippbewegung von Ideen der künstlerischen Gegenkulturen

in den gegenwärtigen

»neuen

Geist« der Netz-

unebenen Vorgeschichte will dieses Buch beitragen. Es geht dabei nicht um eine Ideengeschichte von Kreativitätsvorstellungen. Vielmehr soll der widersprüchliche Prozess rekonstruiert werden,

in dessen Verlauf in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern im gleichen Zeitraum Techniken

und

Diskurse entstanden sind,

welche die soziale Praxis und ihr Subjekt mehr und mehr in die Richtung einer scheinbar natürlichen und universalisierten Krea-

tivitätsorientierung gelockt und sie geformt haben: in der Kunst, in einzelnen Segmenten der Ökonomie, in Teilen der Humanwissenschaften, in den Massenmedien, in der politischen Planung des

10 Vgl. zu diesen ästhetischen Gegenbewegungen Andreas Reckwirtz, Das hybride Subjekt, Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006, S. 204 ff., S. 289 ff. und S. 452 ff. Zum Begrifff der Counter Culture vgl. auch Theodore Roszak, Zhe Making of a Counter Culture. Reflections on the Technocratic Society and on Its Youthful Opposition, New York 1969.

ır Vgl. Talcott Parsons, Gesellschaften. Evolutionäre und komparative Perspektiven [1966], Frankfurt/M. 1986, S. 149 ff.

14

städtischen Raumes., Am Ende ist die einstmals elitäre und oppositionelle Orientierung am Kreativen allgemein erstrebenswert und

zugleich für alle verbindlich geworden. ı2 Daniel Bell, Zhe Cultural Contradictions of Capitalism [1976], New York 1996; Luc Boltanski/Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus [1999], Konstanz 2003.

I5

Ein solcher Blickwinkel auf das, was man das kreative Ethos der spätmodernen Kultur nennen kann, setzt voraus, dieses nicht als Ergebnis einer Befreiung von Individuen und Institutionen aus

hand, dass Neues entsteht, es fördert systematisch in allen mögli-

Zwängen zu verstehen, so dass sie nun endlich kreativ sein dürfen. Aus der Perspektive einer allgemeinen poststrukturalistischen

kreative Praktiken und Subjektkompetenzen hervor und legt dem gesellschaftlichen Zuschauer nahe, überall nach dem ästhetisch

chen Bereichen die dynamische Produktion und die Rezeption von Neuem,

und zwar von

Neuem

als ästhetisches Ereignis. Es lockt

Ontologie des Sozialen kann man zu Recht davon ausgehen, dass

Neuen und nach kreativen Leistungen Ausschau zu halten. Kreati-

soziale ebenso wie psychische und organische Strukturen ganz ge-

vität scheint als ein natürliches Potenzial immer schon vorhanden,

nerell in einem ständigen Prozess des Entstehens und Verschwin-

aber zugleich wird systematisch dazu angehalten, sie zu entwickeln,

dens, des Neuknüpfens und Auflösens begriffen sind.‘* Auch wenn

und zugleich wird sehnsüchtig gewünscht, kreativ zu sein. Für die Genese des Kreativitätsdispositivs kommt

man an den Individuen und ihrer Alltagspraxis ansetzt, kann man

ganz allgemein voraussetzen, dass in ihrem Verhalten trotz aller Routine immer schon Unberechenbares und Improvisiertes steckt.

dabei einem

bestimmten sozialen Feld eine zentrale Bedeutung zu, das ansons-

ten von der Gesellschaftsanalyse gerne an den Rand gedrängt wur-

Dieses Werden und Vergehen der sozialen Formen und die Unkal-

de: der Kunst, dem Künstlerischen und dem Künstler. Sicherlich ist

kulierbarkeit der Individuen als Kreativität zu beschreiben hieße jedoch, sich vorschnell eines besonderen kulturellen Vokabulars zu bedienen. In diesem Buch geht es mir nicht um diese ontologische Ebene des Werdens und Vergehens, die ständige Entstehung des

die Entstehung des ästhetisch-kreativen Komplexes kein Ergebnis

Neuen

des 20. Jahrhunderts vorbereitet worden ist. Dieser vielgliedrige

reich von Wissenschaft und Technik, entwickelt worden zu sein.!® Ausgehend von unserer gegenwärtigen Situation stellt sich jedoch heraus, dass gerade der Kunst die Rolle eines langfristig wirksamen Schrittmachers zukommt, dessen struktureller Grundriss — in einer Weise, die sicherlich in vielerlei Hinsicht den Intentionen und Hoffnungen, welche die Kunst in der Moderne gehegt hatte, wi-

Komplex

Begriffen

derspricht — sich im Kreativitätsdispositiv einprägt. Nichrt die tech-

und diese zu begehren, sie in und uns selbst in die RichKreativität als ein soziales und Kontext gleichsam erfunden registriert dabei nicht kurzer-

nische Innovation des Erfinders, sondern die ästhetische Kreation des Künstlers liefert am Ende das soziale Modell für Kreativität.

kulturelles Phänomen, das unsere Gegenwart prägt: um den gesellschaftlichen Kreativitätskomplex als eine historisch außergewöhn-

liche Erscheinung des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts und insbesondere seit dem Beginn legt uns nahe,

in schr voraussetzungsreichen

über unsere Kreativität zu denken entsprechenden Techniken zu üben tung kreativer Subjekte zu gestalten: kulturelles Phänomen ist in diesem worden.'* Das Kreativitätsdispositiv

13 Vgl.zu einer solchen poststrukturalistischen Ontologie nur Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft {2005], Frankfurt/M. 2007; Gilles Deleuze/Felix Guattari, Tüanusend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie IT [x980], Berlin 1992. Vgl. im Unterschied dazu Joas‘ Ansatz, eine Philosophische Anthropologie menschlicher Kreativität zu entwickeln: Hans Joas, Die Kreativität des Handelns, Frankfurt/M. 1992; ähnlich Heinrich Popitz, Wege der Kreativität, Tübingen 1997.

14 Eine solche Perspektive auf Kreativität isı von der Sichtweise Michel Foucaults auf die Genealogie der Moderne inspiriert. Foucault selbst hat allerdings auf ästhetische Phänomene nie diesen Blickwinkel eingenommen, sondern dazu tendiert, das Ästhetische im Sinne der antiken Astherik der Existenz als das Andere, 16

ersten Blick Kreativität als kulturelles Modell historisch nicht auf die Kunst beschränkt, sondern auch anderswo,

vor allem im Be-

Dieses trägt damit zu einem Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung bei.

Die Herauskristallisierung des Kreativitätsdispositivs lässt sich kühl beobachten und sezieren. Aber Kreativität und Ästhetik sind im Horizont der Kultur der Moderne normativ und affektiv zu auf-

geladen, als dass Wertfreiheit möglich wäre. Der Rückgriff auf nicht die Alternative zu den Dispositiven der Moderne zu schen. Vgl. zu einer kritischen Perspektive auf Foucaults Verständnis von Ästhetik und Kreativität Fabian Heubel, Das Dispositiv der Kreativität, Darmstadt 2002. x

in der Welt per se, sondern um ein sehr viel spezifischeres

einer einfachen Expansion des Kunstfeldes. Auch scheint auf den

Zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreativirätsmodellen in der frühen Mo-

derne auch außerhalb der Kunst vgl. Joas, Die Kreativität des Handelns, Kapitel 2, Neben dem ästhetischen Modell des Audrucks kann man hier auf jene der Produktion, der Revolution, des Lebens und der Intelligenz verweisen.

17

ausgeschöpfte kreative Potenziale des Menschen liefert in den letz-

ten zweihundert Jahren einen gängigen Maßstab der Kultur- und Gesellschaftskritik. Die grundsätzliche Haltung, in der ich dieses Buch geschrieben habe, ist dann auch die eines Schwankens zwischen Faszination und Distanz. Auf der einen Seite steht die Fas-

zination darüber, dass die ehemals gegenkulturelle Hoffnung auf eine self’creation des Individuums in neuen institutionellen Formen Realität geworden

scheint, dass Elemente ehemaliger ästhetischer

Utopien gegen alle Widerstände anscheinend in gesellschaftliche Praxis umgesetzt werden konnten. Die Faszination schlägt jedoch rasch in ein Unbehagen um: dass die Verwandlung dieser alten, ja auch emanzipatorischen Hoffnungen in einen Kreativitätsimperativ neuartige Zwänge eines Aktivismus permanenter ästhetischer Innovationen mit sich gebracht hat und eine zwanghafte Zerstreu-

Iysen — bis auf das Kapitel 2, das in einem systematischen Zugriff auf das Kunstfeld bis ins 18. Jahrhundert zurückgeht — das 20. Jahrhundert, So wie die unterschiedlichen sozialen Felder in der gesellschaftlichen Realität keineswegs nahtlos aufeinander abgestimmt sind und — wenn

auch miteinander vernetzt — sich jeweils durch

ihre eigene Dynamik auszeichnen, so bauen diese Kapitel nicht aufeinander auf, sondern haben den Status miteinander verbunde-

ner Einzeluntersuchungen, in denen die Entstehung der Kreativirätskultur von verschiedenen Seiten gewissermaßen »in die Zange genommen wird«, Zusammen bilden sie ein Mosaik, bei dem trotz aller Eigentümlichkeit der einzelnen Elemente sich die übergrei-

fenden Konturen des Dispositivs der Kreativität herausschälen.'®

ung der subjektiven Aufmerksamkeit im unendlichen, niemals be-

friedigenden Zyklus der kreativen Akte. Der methodische Leitgedanke der Arbeit an diesem Buch war, gesellschaftstheoretische Überlegungen und genealogische Detailanalyse miteinander zu verzahnen, Das Buch will einerseits allgemein die Strukturen einer Gesellschaftsformation herausarbeiten, welche die Orientierung an der Kreativität in ihr Zentrum

gestellt hat. Die systematische Analyse dieses Kreativitätsdispositivs als spezifische Form einer Ästhetisierung des Sozialen findet

sich konzentriert in Kapitel ı und Kapitel 8, die eine theoretische Klammer bilden. Zugleich aber will das Buch die Genealogie des Kreativitätsdispositivs anhand einzelner wichtiger Komplexe von Praktiken und Diskursen im Detail nachverfolgen. Daher gilt das

16 Die Arbeit an diesem Buch war kein einsamer Prozess. Viele haben mich dabei

Interesse der Kapitel 2 bis 7 sehr unterschiedlichen, spezialisierten

Anne Gräfe, die mir in Frankfurt/Oder bei der Redaktion des Manuskripts engagiert geholfen haben. Dank gilt auch Arne Böker, Florian Hermann, Stefan Oberfell, Gabi Reichle und Hendrik Stary, die zuvor bereits in Konstanz die Arbeit am Buch unterstützt haben. Mareike Clauss, Sophia Prinz, Hilmar Schäfer,

Kontexten und ihrer Genese: der Entwicklung künstlerischer Praktiken (Kapitel 2 und 3), den ökonomischen Managementtechniken und creative industries (Kapitel 4), der Psychologie (Kapitel 5), der

Entwicklung der Massenmedien und ihres Starsystems (Kapitel 6), schließlich den Veränderungen in der Gestaltung des städtischen Raums und der Stadtplanung (Kapitel 7). In jedem dieser Kapitel geht es darum, anhand der wichtigsten Stationen nachzuzeichnen,

wie sich in den widersprüchlichen und konflikthaften Konstellationen der einzelnen Felder allmählich eine kulturelle Orientierung an Kreativirät herausgeschält hat und ein entsprechender Ästhetisierungsprozess in Gang gekommen ist, Zeitlich umfassen die Ana18

unterstützt, Besonderer Dank gilt Christoph Burmeister, Daniel Felscher und

Hannes Krämer und Anna-Lisa Müller vom Lehrstuhl Kultursoziologie in Konstanz bzw. Frankfurt/Oder danke ich für Anregungen und Kritik. Gemeinsam mit den letzteren beiden habe ich in Konstanz das Forschungsprojekt »Genealogie und Praxis des Kreativsubjekts« durchgeführt. Der Universität Konstanz

danke ich für die Möglichkeit, ein Semester am Kulturwissenschaftlichen Kolleg des Exzellenzclusters zu verbringen. Eva Gilmer und Jan-Erik Strasser vom Suhrkamp Verlag sei für die sehr sorgfältige Durchsicht des Manuskripts gedankt,

Ich hatte in den letzten Jahren die Gelegenheit, viele Ideen des Buches an unterschiedlichen Orten zur Diskussion zu stellen — allen, von deren Anregungen ich profitieren konnte, danke ich herzlich. I9

L Asthetisierung und Kreativitätsdispositiv: Das gesellschaftliche Regime des ästhetisch Neuen

des 18. Jahrhunderts parallel zur Ausbildung des sozialen Feldes der Kunst geprägt und hat seitdem eine wechselvolle Karriere hinter sich. In mancher Hinsicht scheint der Begriff dermaßen mehrdeu-

Das Kreativitätsdispositiv ist mit Prozessen einer gesellschaftlichen

Ästhetisierung eng verbunden, aber nicht mit ihnen identisch. Formate des Ästhetischen und Prozesse der Ästhetisierung finden sich in der Moderne wie auch zuvor und andernorts in sehr unter-

schiedlichen Versionen und Richtungen. Das Kreativitätsdisposi-

tiv heftet sich an eine besondere Ästhetisierungsweise, koppelt sie an

bestimmte

nichtästhetische

Formate

(Öl Gegen die Selbstermächtigung der Künstler kann

gemessene Kriterien verfügen, um die Originalität ihrer Leistung

das Publikum die Fähigkeit zum Vergleich ins Spiel bringen, die ge-

beurteilen zu Originalgenie Autoren selbst das Publikum

rade die Kunstkritik mit ihrer historischen Reflexion künstlerischer Formen entwickelt. Erst durch den historisch abgesicherten Vergleich aus der Beobachterperspektive könne angesichts der Vielzahl von Künstlern und Kunstwerken über deren Originalität ein Urteil gefällt werden. Originalität und damit das Neue werden so zu re-

Genies«.*

Die

Entproblematisierung

dieses

Beobachtungspro-

blems kann dann nur über Temporalisierung erfolgen: Während die Zeitgenossen das Neue verkannt haben, weiß die Nachwelt die kreative Leistung zu Würdigen.

Im Dauerkonflikt darum, wer dazu legitimiert ist, den Neuheitswert von Kunstwerken zu beurteilen, steht im bürgerlichen

Kunstfeld somit eine Produzentenlogik einer Publikumslogik gegenkönnen. Wenn die Kompetenzdifferenz zwischen und Masse absolut sein soll, dann können nur die kompetente Kritiker sein. Die Beobachtung durch muss aus dieser Sicht die Originalität des Werkes

regelmäßig verfehlen und in konservative Verkennung oder populäre Fehleinschätzung münden, sie muss zum Phänomen des »verkannten Genies« führen. Das Publikum entwertet das Werk, indem es ihm nicht gewachsen ist und der Konventionalität des guten Geschmacks unterwirft. Im Extrem erscheint das Originalwerk außerhalb des engsten Anhängerkreises inkommunikabel. Diese Produzentenlogik manifestiert sich in der seit 1800 verbreiteten »Philisterkritik«, die sich zugleich häufig gegen die Kunstkritik und den Kunstmarkt richtet und in Fichtes Forderung mündet, das geniale Werk »soll sich erst sein Publikum erziehen«.® 40 Vgl. Edgar Zilsel, Die Geniereligion. Ein kritischer Versuch über das moderne Persönlichkeitsideal mit einer historischen Begründung [1918}, Frankfurt/M, 1990. 41 Ebd., S.108, 42 Vgl. Franz Roh, Der verkannte Künstler, München 1948.

43 Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen, Tübingen 1801, S, m. 72

lationalen Begriffen. Zum zweiten verfügt nur das Publikum über

eine affektive Kompetenz: Das künstlerische Genie wird zu einem solchen schließlich erst durch den Enthusiasmus des Publikums, das in ihm und seinen Werken den fraglichen Totalitätsbezug der Kunst spüren soll. Diese Affizierung, die »Ergriffenheit« durch die Kunst kann durch den Autor jedoch nicht erzwungen werden. Das ästhetisch Neue erweist sich dann nicht nur als eine Evaluierungs-, sondern auch als eine Affizierungsfrage. Die Konkurrenz von Produzenten- und Publikumslogik, zwischen »verkanntem Genie« und Kritik an der Genieinflation wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch eine dritte Logik der sozialen 44 Diese Kritiklinie beginnt bei prominenten Autoren wie Goethe und Kant. Vgl, 45

Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft [1790}, Frankfurt/M. 1977, S. 241-246. Friedrich Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie [1795/1797}, Paderborn, München u.a. 1979, S.239.

73

Zertifizierung des Neuen ergänzt, die am Ende die Avantgarden perfektionieren werden: die Logik der Skandalisierung, in der sich die Produzenten- und Publikumslogik auf bestimmte Weise miteinander verschränken. Hier lässt der Produzent seine originelle Leistung durch die Ablehnung des Publikums zertifizieren.“ Die Ablehnung eines Werkes als unästhetisch oder unkünstlerisch, die aggressiven Affekte, die es hervorruft, verschaffen ihm eine entsprechende Aufmerksamkeit, und seine Provokationskraft kann als ein Zeichen seiner eigentlichen Originalität, seiner unverstandenen Neuheit interpretiert werden, die gegen den überkommenen Geschmack verstößt. Die Konkurrenz zwischen genialischer Produ-

zentenlogik, Publikumslogik und Skandalisierungslogik verankert damit im bürgerlichen Kunstfeld einen andauernden Definitionskampf darum, was eigentlich als ästhetisch neuartig zählt.

Vie de boheme Die Etablierung der Boheme ist als Übersetzung der Genieästhetik in die Soziokultur zu verstehen. Wenn die Genieästhetik nicht mehr nur ein Fremdbeschreibungsdiskurs ist, sondern sich in eine

Selbstsubjektivierung des Künstlers umsetzt, dann bildet die Boheme dessen kollektives Produkt: ein auch stadträumlich lokalisierbares künstlerisches Milieu, das sich als Subkultur das bürgerliche Establishment auf Distanz hält. Insbesondere das Paris der 1830er

Jahre kann als prototypischer Ort einer solchen Boheme gelten, die sich im Lauf des 19. Jahrhunderts auch andernorts — in Berlin, München oder New York — einrichtet. Die Boheme ist ein Milieu von Postadoleszenten, die in die Stadt geflohen sind, um Künstler zu werden, aber auch von älteren »Dauer-Bohemiens«, Sie umfasst

neben der künstlerischen Tätigkeit den Mikrokosmos einer teils ökonomisch prekären, teils opulenten (in der jeunesse dorde) Al-

2.3 Grenzüberschreitungen und Delegitimierungen des Künstlerischen Das Quadrat der ästhetischen Sozialität, das sich aus KünstlerKreateuren, Kunstwerken, bürgerlichem Publikum und Aufmerksamkeitsfiltern durch marktförmige und staatliche Institutionen zusammensetzt, bildet den Grundriss des bürgerlichen Kunstfeldes,

Diese Struktur verkompliziert sich jedoch durch zwei Tendenzen, die versuchen, im Lauf des 19. Jahrhunderts die Reichweite des Ästhetischen auszuweiten. Hier ist zum einen die Entstehung der

Boheme als künstlerische Gegenkultur zu nennen, zum anderen die Etablierung von Universalierungsdiskursen des Schöpferischen

und Ästhetischen. Ihre Strategien, den Anwendungsbereich ästhetischer Praktiken und Subjektivitäten zu entgrenzen, leisten für die spätere Entstehung des Kreativitätsdispositivs wichtige Vorbereitungsarbeit. Diese Tendenzen zur Entdifferenzierung des Ästherischen werden allerdings von Versuchen einer Pathologisierung von

tagskultur mit hedonistischer Ausrichtung.””

In der Boheme wird den ästhetischen Praktiken eine Form gegeben, die jene Grenzen des Ästhetischen unterminiert, die von der genialistischen Kunstreligion gezogen wurden. Hier verschiebt sich

der Referenzpunkt der an Originalität orientierten Tätigkeit des Künstlers von den Kunstwerken auf die Gesamtheit eines Lebensstils und letztlich auf den Künstler selbst.*® Der Lebensstil umfasst neben den im engeren Sinne künstlerischen Praktiken auch die

Freizeitgestaltung und die intimen Beziehungen. Die eigentlichen Kunstwerke sind diesen Alltagsaktivitäten gleichgestellt, wenn sie nicht gänzlich sekundär werden. Die Lebensform der Boheme erfindet sich offensiv als Lebensstil, das heißt als ein Insgesamt von Praktiken,

deren

Zeichenhaftigkeit

bewusst

gestalter wird.

Die-

ser Bohemelebensstil verfährt im Modus der Subversion, so dass

er der genannten Skandalisierungsstrategie der modernen Kunst entspricht. Immer geht es um die Markierung einer symbolischen

Differenz zur etablierten Lebensform — jener des bürgerlichen juste

Ästhetik und Künstler beantwortet, die sich in der Protopsychologie und Kulturkritik finden, 46 Innerhalb der bildenden Kunst gilt Gustave Courber als der Erste, der dieses Mittel der Skandalisierung bewusst einsetzt, Vgl. Bätschmann, Ausstellungskünstler, S.124-132.

74

47 Vgl. die weiterhin beste Studie zu diesem Thema von Helmut Boheme. Analyse und Dokumentation der intellektuellen Subkultur hundert bis zur Gegenwart {1968], Stuttgart 2000; auch Wofgang moderne Künstler, Frankfurt/M. 1998, S. 189 ff 48 Zum Stil des Lebens als soziologischer Reflexionsbegriff vgl. Georg losophie des Geldes, Frankfurt/M. 1989, S. 622 4E,

Kreuzer, Die vom 19. JahrRuppert, Der Simmel, Phi-

75

milieu —, ob in der Kleidung, in der Form intimer Beziehungen

oder der sprachlichen Artikulation. Die exakte Ausrichtung dieser nonkonformistischen Stilisierung kann dann ganz gegensätzlich sein — ein Zuvie] oder Zuwenig, eine gezielte Extravaganz oder eine

bewusste Vernachlässigung —, entscheidend ist die Profilierung des Abweichenden gegen das Durchschnittliche.*® Im Verhältnis zum Künstler der Genieästhetik entleert der Boheme-Lebensstil die Idee der Originalität damit teilweise, aber noch nicht vollständig von Bedeutungen und beginnt, sie zu formalisieren: Teilweise entleert

ist sie, indem sie den Bezug zu einer Erfahrungstotalität jenseits der differenzierten und rationalisierten Moderne aufgibt, den das Werk des Kunstgenies versprach. Das Neue ist nun kein Erlösungs- und

bürgerlichen Publikums nicht mehr allein auf die einzelnen Künstler und ihre Werke, sondern auch auf das Bohememilieu als eine kollektive Existenzweise. Tatsächlich ist die Boheme keine verborgene, sondern von Anfang an eine medial inszenierte Subkultur, sie hängt von einer

bürgerlichen Dramatisierung ab, die in Herny Murgers Scenes de la vie de boheme 185ı einen frühen Höhepunkt finder.” Diese me-

diale Darstellung schwankt zwischen einer Domestizierung der Boheme als hedonistische Idylle von jungen Erwachsenen und ihrer Skandalisierung als politisch-moralischem Gefahrenherd. Die Bohemekultur entgrenzt damit die ästhetischen Praktiken über die Kunst hinaus und führt zugleich zu einer neuen Limicierung:

Versöhnungsphantasma, sondern ein bloßes Differenzneues in Ab-

Die Entgrenzung erfolgt, indem die ästhetische Gestaltung vom

setzung von der etablierten Lebensweise. Zugleich aber enthält der subversive Lebensstil der Bohemekultur durchaus noch wertende Elemente, aber in einer gegenüber der Kunstreligion veralltäglichten Weise: Er wird als Ort von individuellen Ausdrucksmöglichkeiten verstanden, die in einer moralisierten und versachlichten Gesellschaft marginalisiert sind, In der Boheme findet damit eine Kollektivierung, das heißt eine Transformation der individuellen Künstlerexistenz in eine gemeinsame Gegenkultur statt, Die Boheme betreibt gewissermaßen eine

Kunstwerk auf den Lebensstil übertragen und der Mechanismus der Subversion verallgemeinert wird. Die erneute Einschränkung ist keine psychologisch-charakterologische, sondern letztlich eine soziale im Sinne der Selbstsoziologisierung: Der Künstler versteht

»Selbstsoziologisierung« nach innen (als Subkultur) und nach außen (gegen die Hegemonie).”” Die Polarität von Originalgenie und

bürgerlichem Publikum wird somit vom Antagonismus zwischen Künstlermilieu und Bürgertum überlagert. Über die Individualität des Genies hinaus wird der Künstler damit zu einem im engeren Sinne sozialen Typus, und zwar sowohl in der Selbst- als auch in

der Fremdbeschreibung. Damit verkomplizieren sich jedoch auch die Publikumsrollen: Das Künstlermilieu tritt selbst als - wenn auch minoritäres — Publikum auf, welches das Bürgertum als soziale Klasse unter kritische Beobachtung stellt, um sich zugleich der

Abhängigkeit vom bürgerlichen Erwerbspublikum so weit möglich zu entziehen. Ebenso richtet sich nun jedoch die Beobachtung des 49 Vgl. dazu Kreuzer, Die Boheme, S. 154 fF. so Der Begriff der Selbstsoziologisierung soll sich hier nicht auf die akademische

Disziplin der Soziologie beziehen, sondern auf die Selbstthematisierung der Boheme-Akteure, die sich als radikale Gruppe im Angesicht einer gesellschaftlichen Übermacht wahrnehmen. 76

sich als Mitglied einer Gegenkultur, die sich als »kleine, radikale Minderheit« einer Verallgemeinerung entziehen will.

Universalisierungsprogramme des Schöpferischen Bekanntlich wird die Formierung des Kunstfeldes seit der Mitte

des 18. Jahrhunderts von einer diskursiven »Explosion« begleitet, die nicht nur die Ästhetik als philosophische Disziplin, sondern auch damit zusammenhängende Populärphilosophien, Bildungssowie Erziehungsprogrammatiken umfasst. Die Genieästhetik bildet hier nur ein enges Segment eines breiten diskursiven Feldes des Ästhetischen und Künstlerischen. Große Teile dieses Diskurskomplexes arbeiten daran, die Grenze zwischen der Kunst und nichtkünstlerischen sowie populären ästhetischen Praktiken zu sichern. Diesem Grenzregime entgegen stehen jedoch die emphatischen Universalisierungsprogramme des Ästhetischen, wie sie seit 1800 an verschieden Stellen durchbrechen. Sie arbeiten an einer

Entgrenzung des Ästhetischen und des schöpferischen Subjekts jenseits der Kunst. Universalisierungstendenzen sind bereits Mitte des ı8. Jahrhunderts in Ansätzen in philosophischen und populası

Vgl. Henry Murger, Scenes de Ia vie de boheme, Paris 1851; auch Honore de Balzac, Un prince de Ia boheme, Paris 1892.

77

risierten Debatten beobachtbar, Edward Young etwa, der 1759 in Conjectures on Original Composition den Begriff des schöpferischen

schen am Produzenten ästhetischer Werke an. Das Publikum als

Genies

dass jedes Subjekt auf seine Weise

tisch sozial auf das Bürgertum beschränkt), aber gegenüber dem

»Originalität« enthalte und damit zu kreativen Leistungen fähig sei, dass dies allerdings bei den meisten durch die Umstände verhindert

Produzenten lediglich passiv und rezeptiv. Erforderlich erscheint nun, auch die Position des aktiven, des schöpferischen Subjekts zu

werde:

verallgemeinern. Dies kann in zweierlei Weise erfolgen: durch die Übertragung kreativer Subjektkompetenzen vom Künstler auf den Nichtkünstler und durch eine Entgrenzung der Handlungsreferenz, auf die sich die schöpferische Praxis bezieht, von der Kunstproduktion auf die gesamte Lebensweise, Der Künstler und das Kunstwerk können in diesem Rahmen weiterhin modellhaft erscheinen, aber nicht länger im Sinne eines außeralltäglichen, unerreichbaren Ideals, sondern eines imitierbaren Modells, das für die ganze Gesellschaft und für jeden vorbildlich sein soll.

einführt,

»[Die]

proklamiert,

Natur

[...] bringt uns alle als Originale zur Welt.

[...] Da wir nun alle geboren werden, wie kommt es doch, dass

wir als Kopien sterben? Die Nachahmung, der Affe [...] ergreift die Feder und streicht das Unterscheidungs-Zeichen der Natur aus.«” Obwohl Young kein Erziehungsprogramm zur Kreativität

für jedermann vorlegt, sondern sich bald auf das singuläre künstlerische Genie konzentriert, bleibt bemerkenswert, dass hier nicht der konforme Charakter, sondern das schöpferische Individuum als natürliche Grundlage angenommen wird, auch wenn diese infolge von hinderlichen Sozialisationsbedingungen in den meisten Fällen nicht zum Tragen komme.

ästhetischer

Rezipient

/rt bereits

universalisiert

(wenn

auch

fak-

Unter dem Aspekt ihrer diskursiven Wirksamkeit sind mit den Arbeiten von Schiller, Emerson,

Marx und Nietzsche historisch

Diese punktuellen Universalisierungstendenzen des ästhetischen

vier Universalisierungsprogramme von besonderer Bedeutung, die

Diskurses verwandeln sich seit etwa 1800 in systematische Univer-

in vier unterschiedliche Richtungen weisen: Schiller und Emerson ebnen den Weg für eine »ganzheitliche« ästhetische Erziehung, die

salisierungsprogramme, die teilweise auch in die bürgerlichen Bildungsinstitutionen eingehen. Man kann sie als kulturelle »Ästhetisierungsprojekte« interpretieren, die den Autonomieansprüchen der Kunst wie der Genieästhetik entgegentreten und diese zugleich voraussetzen. Die Annahme der Autonomie der ästhetischen gegenüber der nichttästhetischen Praxis sowie der Eigenständigkeit eines Kreateurs ästhetischer Werke im Verhältnis zum zweckrati-

onal und moralisch Handelnden stellt sich nun als notwendiger

an den humanistischen Gymnasien in Deutschland beziehungsweise den Liberal Arts Colleges in den Vereinigten Staaten auch institutionell Einfluss ausübt; die Ansätze von Marx und Nietzsche verstehen sich demgegenüber als antibürgerliche, kulturrevolutionäre Programme, die Ästhetisierungen »von links« und »von rechts« zu forcieren versuchen. Friedrich Schillers ästhetischer Idealismus in Über die ästhetische

erster Schritt heraus, um in einem zweiten Schritt die ästhetische

Erziehung des Menschen

Praxis verallgemeinern zu können. Wenn

beitsteilung in der Moderne an, die für die Individuen eine »Zerstückelung ihres Wesens«® bedeute, Die Mobilisierung des anthropo-

die ästhetische (Selbst-)

Kreation eine nicht nur legitime, sondern gegenüber der Rationalisierung der Moderne auch überlegene Existenzweise bezeichnen

soll, dann stellt sich nämlich die Frage, warum diese ästhetische (Selbst-)Kreation nicht zum Ziel eines allgemeinen Programms des »neuen Menschen« werden soll. Dieses würde das Originalgenie gewissermaßen demokratisieren. Generell setzen die Universalisierungsprogramme des Ästheti-

einer sozialen Ar-

logisch begründeten ästhetischen »Spieltriebs«, der den sinnlichen und den gestalterischen Trieb zusammenführt, erscheint dann als Strategie, die Ganzheitlichkeit des Individuums wiederzugewin-

nen und zugleich die moralisch-politische Vervollkommnung im »ästhetischen Staat« zu ermöglichen. Ralph Waldo Emersons postromantischer Transzendentalismus hat die Diagnose eines verbrei-

S.39£. (modernisierte Überserzung). Zu Young vgl. auch Günter Blamberger,

teten sozialen Konformismus zum Ausgangspunkt, der die wahre, expressive Natur des Menschen verdecke: »[A]lle Menschen [...]

Das Geheimnis des Schöpferischen oder: Ingenium est ineffabile?, Stuttgart 1991, S.60f.

53 Vgl. Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen {1795}, Stuttgart 2000, S.24.

52 Edward

78

setzt an der Diagnose

Young,

Gedanken

über die Original-Werke

[1759],

Heidelberg

1977,

79

haben ein Bedürfnis nach Ausdruck, danach, sich auszudrücken.«* Der Künstler, insbesondere der Dichter, erscheint dann als Modell

grundfolie dient ihm die dominante,

einer schöpferischen

»Spontaneität« verknüpft sich für Emerson die Individualität des

schen Moralität setzt Nietzsche mit der Figur des Übermenschen das Ideal eines »ästhetischen Zustands« entgegen, in dem sich die

Einzelnen mit der Teilhabe an einem übergreifenden, auch religiös begründeten Strom der Natur, Während Schillers Modell der äs-

zen sollen: ein Subjekt des grenzenlosen Schaffens und Genießens,

Selbstermächtigung

(self+reliance).

In seiner

thetischen Erziehung noch einen Bezug zur rezeptiven Erfahrung von Kunstwerken bewahrt, löst sich Emersons aktivistisches Krea-

letztlich aus der christlichen

Pflichtenethik gespeiste Moralisierung des Subjekts, Dieser asketiantiken Traditionen des Appolinischen und des Dionysischen kreudas seine Sinne und Affekte aus der moralischen Kontrolle löst. In Abgrenzung von Kants Einschränkung des Asthetischen auf den

tivsubjekt fast ganz aus dieser Kopplung an die Kunst,

interesselosen Rezipienten wird das ästhetische Subjekt nun pro-

Auch die Grundintuition von Marx’ Entfremdungskritik ist die einer Kritik an gesellschaftlicher Entästhetisierung. Dieser wider-

duktionsästhetisch und affekttheoretisch zugleich gedacht. Diese

sprächen die anthropologischen Grundbedürfnisse. Als Kernpro-

keiten der bürgerlichen Kunst verknüpft Nietzsche allerdings mit

blem werden die der bürgerlichen Gesellschaft inhärente Arbeitstei-

lung sowie die kapitalistische Bedürfnismanipulation identifiziert,

einer Reexklusivierung des Kreativsubjekts, indem er dieses auf den »Übermenschen« bezieht.

Erzwungene Sinnesaskese und Ästhetizismus erscheinen dann als zwei Seiten der gleichen Medaille. Marx’ normatives Modell der

Pathologisierungen des Ästhetischen

menschlichen

Entgrenzung des Ästhetischen aus den engen Erfahrungsmöglich-

Praxis ist im Kern tatsächlich ein ästhetisches, ver-

standen in der allgemeinsten Bedeutung entfalteter Sinnlichkeit. Ihre Realisierung bedürfe jedoch eciner postbürgerlichen Gesell-

Die Universalisierungsprogramme des Ästhetischen, des Kreativen und des Künstlers bleiben, wie bereits angedeutet, ebenso wenig

schaft:

unwidersprochen wie die Genieästhetik. Vielmehr setzt nach 1800

Erst durch den gegenständlich entfalteten Reichtum des menschlichen We-

ein Diskurs der Pathologisierung des Künstlers ein, der diesen auf eine psychisch gefährdete und gesellschaftlich riskante Figur zu

sens wird der Reichtum der subjektiven menschlichen Sinnlichkeit, wird ein musikalisches Ohr, ein Auge für die Schönheit der Form, kurz, werden erst menschlicher Genüsse fähige Sinne, welche als menschliche Wesenskräfte sich bestätigen, teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt.”

Auch hier erscheint der Künstler als Modell einer schöpferischen Existenz, wie sie für die nichtentfremdete menschliche Arbeit generell gelten sollte. Nietzsches Ästhetisierungsprogramm schließlich richtet sich gleichfalls an ein Subjekt der »Selbstschöpfung«, das sich produktivistisch selbst steigert, wobei diese Selbstschöpfung vom bürgerlichen Bezugspunkt der Arbeit gelöst wird.” Als negative Hinter-

reduzieren versucht: Der strukturellen Öffnung ästhetischer Praktiken stehen Versuche ihrer gesellschaftlichen Delegitimierung ent-

gegen.”” Dass die Mystifizierung des Künstlers und der Kunst, wie sie die Genieästhetik betreibt, zu einer solchen Parhologisierung

parallel verläuft, kann nur auf den ersten Blick überraschen. Letztlich wird nämlich in beiden Fällen das gleiche Differenzschema

zum Einsatz gebracht; die affektive Wertigkeit kippt nun jedoch von der einen Seite der Differenz auf die andere, Grundlegend ist hier wie dort die Unterscheidung zwischen der psychischen und charakterologischen Aufferalltäglichkeit des Künstlers und der Konformität der Mehrheit. Während die Genieästhetik dies als Überlegenheit des Originalgenies gegenüber der Durchschnittlichkeit des

54 Ralph Waldo Emerson, »The Poet« [1844], in: ders., 7he Works, Bd.3, Boston, New York 1909, S.7-45, hier: S. 11 (Übersetzung A.R.) 55 Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: ders./Friedrich Engels,

Sämtliche Werke, Bd.2, Berlin, New York 1988; ders., Ako sprach Zarathustra [z883-1885], in: Samtliche Werke, Bd. 4, Berlin, New York 1999.

Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 40 (Ergänzungsband I, Schriften bis 1844), Berlin

57 Diese kulturkritische Pathologisierung ist innerhalb der Philosophie vorbereitet

(Ost) 1962, S. 541 f. 56 Vgl. Friedrich Nietzsche, Menschliches, 80

Allzumenschliches I und IT [1878}, in:

worden, vgl. vor allem Soren Kierkegaard, Entweder-Oder. {1843], Leipzig 1885.

Ein Lebensfragment



Publikums interpretiert, stellt der Pathologisierungsdiskurs nun je-

Leluts Dır demon de Socrate, der mit anekdotischen Pathografien

doch die riskante psychische Anormalität des Künstlers der psychischen »Gesundheit« des Normalen gegenüber, Die Genieästhetik bindet die Lockerung geistig-seelischer Routinen an die Fähigkeit zum Schöpferischen — wie sie dann in den ästhetischen Utopien

beginnt, und Moreau de Tours La psychologie morbide, der fragwürdige Theorien bezüglich anormaler Veränderungen im Nervensystem der vermeintlichen Künstlergenies aufstellt.” Während die

verallgemeinert wird —, während der Pathologisierungsdiskurs den

des Ästhetischen die Besonderheit des Künstlers auf der Ebene au-

Genieästhetiken

wie

die anderen

idealistischen

Programmatiken

Künstler radikal auf seine Psyche reduziert: Ganz ohne produktive

tonomer sinnlicher und geistiger Akte ausmachen,

Leistung scheint seine psychische Verfasstheit ebenso krank wie ge-

die Pathologisierungen eines dem genau entgegengesetzten Materialismus: Das Genie ist nun nicht mehr als Gehirn und Psyche. Seine psychische Unberechenbarkeit wird dem »gesunden Menschen-

sellschaftsgefährdend.

Welchen Weg nimmt eine solche Strategie der Pathologisierung von Kreativität? Die Ideengeschichte enthält einen reichhaltigen semantischen Bestand, der — auf Galens Temperamentenlehre zurückgreifend — außergewöhnliche künstlerische und intellektuelle Leistungen mit Charaktereigenschaften der »Melancholie« identifiziert. Diese bezeichnet ein weites Feld von Merkmalen zwischen Introversion und Depressivität und ist nicht zwangsläufig negativ besetzt: Die Melancholie erscheint hier als Supplement der Kreativität. ® Dass Elemente aus dieser Semantik des Melancholischen so umfunktioniert werden können, dass sie zu einer Pathologisierung des Künstlers beitragen, setzt jedoch zwei Entwicklungen voraus: den Kampfcharakter, den das Kunstfeld in der Auseinandersetzung zwischen

Geniekünstler

und

Publikum

sowie zwischen

Boheme

und Bürgerlichkeit erhält, sowie die Verwandlung der »Charak-

terlehre« in eine psychologische und auch medizinische Disziplin, In diesem Kontext entsteht der Typus des psychisch »Anormalen«. Der kulturelle Konflikt um Originalität und Subversion, der sich nicht nur auf Kunstwerke, sondern auch auf Lebensstile bezieht, greift auf subtile Ironisierungen und offensive Pathologisierungen

bedienen sich

verstand« gegenübergestellt, so dass der Künstler in der kulturellen Hierarchie nicht mehr über, sondern unter diesem rangiert. Im Extrem läuft dies auf eine Identifikation des Künstlers mit der A(b)-

normalität des Morallosen und Krankhaften hinaus, die sich etwa in Max Nordaus Entartung findet.® Der Künstler ist dann vollständig aus der Position einer auratischen Figur in die eines degenerierten »konstitutiven Außens« abgeglitten, das sich jenseits der Moral

und Gesundheit der Mehrheit befindet. Der Enthusiasmus für die

Außeralltäglichkeit des Genies hat sich in eine aggressive Abgrenzung verkehrt, die bis in Vernichtungsfantasien hineinreicht.“'

Man

muss jedoch festhalten: Trotz ihrer völlig gegenläufigen

Tendenzen stimmt der Pathologisierungsdiskurs mit der Genieästhetik und der Subkultur der Boheme in einer Grundannahme

überein. Gemeinsam platzieren sie die Künstlerfigur als ein kul59 Vgl. Louis E _Lelut, Du demon de Socrate, Paris 1836; Jacques-Joseph Moreau, La psychologie morbide

dans ses rapports avec la philosophie de Uhistoire,

ou De

l’influence des nevropathies sur le dynamisme intellectuel, Paris 1859; vgl. zur Patho-

tes Werk, sondern durch psychische Unberechenbarkeit aus. Wenn

logisierung des Genies in der Psychologie auch unten Kapitel 4.2. 60 Vgl. Max Simon Nordau, Entartung, Berlin 1892. 61 Allerdings werden auch diese Parhologisierungstendenzen zum Teil in die Mythologisierung des Künstlers eingespeist. Die vermeintliche Charakterauffälligkeit und Amoral des Künstlers können die künstlerischen Selbstbeschreibungen als Zeichen einer Auserwähltheit durch Leiden, als morbide Opposition gegen

diese nicht mehr als die notwendige Kehrseite der Originalität der Kunst erscheint, da dem Werk selbst sein Wert abgesprochen wird,

die Philister, aber auch als Widerpiegelung gesellschaftlicher Defekte in der eigenen Psyche deuten (vgl. Eckhard Neumann, Künstlermythen, Frankfurt/M. 1986,

bleibt nur noch die Diagnose eines Mangels an psychischer Anpas-

S. 155 f£) Auch aus der Sicht des Publikums können psychische Besonderheiten

sungsfähigkeit übrig, den man den Pseudogenies attestiert. Entwickelt wird eine solche Pathologie des Künstlers seit Louis

ist das starke Interesse an der Figur van Gogh seit dessen Tod 1891 (vgl. nur Matthias Arnold, Vincent van Gogh. Werk und Wirkung, München 1995, S. 808 f£.).

des Künstlers zurück. Die Diskreditierung der bürgerlichen Moral durch Boheme und Künstler soll so ihrerseits diskreditiert werden: Der Künstler zeichne sich im Kern nicht durch ein bewundernswer-

58 Vgl. Hanna Hohl, Saturn, Melancholie, Genie, Hamburg, Stuttgart 1992. 82

des Künstlers zu einem Gegenstand der Faszination werden. Beispielhaft dafür

Hier findet eine Entmoralisierung des Pathologischen in Richtung des Interessanten statt.

83

turelles Anderes,

das sich außerhalb

der dominanten

kulturellen

Ordnung bewegt. Dieser Ort des Künstlers als »das/der Andere« scheint damit — trotz der vereinzelten Universalisierungsprogramme — für das bürgerliche Feld der Kunst kennzeichnend.®“ Die

exakte Bedeutung dieses Anderen oszilliert jedoch zwischen drei unterschiedlichen

Registern:

einem

charismatisch-ästhetischen,

einem quasisoziologischen und einem psychopathologischen. Im charismatisch-ästhetischen Register ist der Künstler eine auratische Exklusivfigur und Schöpfer originaler Werke mit Bezug zur Totaliträt menschlicher Existenz. Er ist das mystifizierte Andere, Die Grenze zum Innen entspricht der zum Publikum, das nicht Produzent, sondern Rezipient, das nicht Impulsgeber, sondern Impulsempfänger ist. Das Innen ist hier auf das Außen angewiesen,

es empfängt von dort seine ästhetischen Erregungsintensitäten. Im quasisoziologischen Register ist der Künstler demgegenüber

es auf einen »zweckentfremdeten Gebrauch von Wahrnehmung«“ beruht. Auch lenkt er den Blick darauf, wie das Publikum und das ästhetisch

Neue

die

Kunstkommunikation

strukturieren,

Aller-

dings neigt Luhmann zu einer Intellektualisierung des Kunstfeldes: Die kommunikative Reflexion über Kunst erscheint gegenüber der sinnlichen Wahrnehmung der Kunstwerke federführend. Auch die Konflikte zwischen Prozessen der Grenzmarkierung und der Ent-

grenzung des Künstlerisch-Ästhetischen geraten unter die Räder der funktionalistischen Voraussetzung systemischer Autonomie, Am Beispiel der französischen Literatur betont demgegenüber Bourdieu zu Recht diese konflikthafte Genese des Feldes, in deren

Verlauf populäre Kunstformate mit der reinen Ästhetik konkurrieren, wobei Letztere in einem ambivalenten Verhältnis zur Boheme-

kultur steht. Die Produzenten- und die Publikumslogik stehen hier im Wettbewerb miteinander. In Die feinen Unterschiede weist er zu-

Angehöriger des antihegemonialen, sozial marginalisierten Kollektivs der Boheme. Er ist das intendierte, selbstproduzierte Andere, Die Boheme als selbstbewusstes Außen markiert eine Grenze zum

dem auf die Subjektivierungseffekte des Kunstfeldes mit Blick auf seine bürgerlichen Nutzer hin, die sich im »legitimen Geschmack«

Innen der Bürgerlichkeit als Klasse. Das Außen wirkt hier als ag-

mann, die historische Entgrenzung des Kunstfeldes, seinen langfristigen Modellcharakter für andere gesellschaftliche Felder und damit die spätere Entstehung des Kreativitätsdispositivs zu denken. Entgrenzung bedeutet bei ihm prinzipiell eine Popularisierung der Rezeption. Zudem neigt Bourdieu dazu, das Soziale der Kunst auf

gressive Irritation und effektvolle Delegitimierung des Innen. Im psychopathologischen Register schließlich ist das Künstlergenie auf eine unberechenbare Psyche und auf moralische Degeneriertheit reduziert. Es ist das verworfene Andere. Der Künstler markiert hier

das Außen zu einem Innen, in dem sich die psychische Normalität der Mehrheit befindet, und ist Gegenstand aggressiver Verwerfung,

2.4 Das bürgerliche Kunstfeld und seine Affektkartografie

üben. Bourdieu hat jedoch ebensolche Schwierigkeiten wie Luh-

die Konflikte zwischen den beteiligten Gruppen um Distinktion zu reduzieren und die interobjektive Sozialität zwischen den Kunstwerken und den Rezipienten beziehungsweise den Produzenten an den Rand zu drängen.“ Man kann somit einige Elemente aus den Interpretationen Luh-

manns und Bourdieus aufnehmen, um am Ende jedoch zu einer anders akzentuierten Lesart des gesellschaftlichen Stellenwerts des

Die aus soziologischer Perspektive aussagekräftigsten Analysen zur

Kunstfeldes zu gelangen. Um es noch einmal zusammenzufassen,

Entstehung des modernen Kunstfeldes als ganzem finden sich in

lautet der Kern dieser alternativen Lesart: Darin, dass es das Soziale

Niklas Luhmanns Die Kunst der Gesellschaft und in Pierre Bourdieus

auf einen Ort der Produktion und Rezeption ästhetischer Objekte

Die Regeln der Kunst. Allerdings werden die Defizite beider Ansätze deutlich, Luhmann stellt zwar zu Recht heraus, dass das Kunstfeld sich von anderen sozialen Formaten dadurch unterscheidet, dass

und Ereignisse festlegt, stellt sich das soziale Feld der Kunst als ein exemplarisches Format für die Entwicklung der Kultur der Moderne insgesamt heraus. Das Grenzregime des autonomen Kunstfeldes

62 Vgl. zur kulturtheoretischen Denkfigur des Anderen/Außens Ernesto Laclau/ Chantal Mouffe, Hegemonie und radikale Demokratie, Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1991

63 Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 41.

84

64 Zu einer entsprechenden Kritik an Bourdieu auch Heinich, Ce que l’art fait a

la sociologie.

85

wird dementsprechend immer wieder von Entgrenzungstendenzen einer Politik des Ästhetischen unterlaufen. Gesellschaftlich modellhaft kann das Kunstfeld langfristig in allen seinen Bestandteilen wirken: Die Kunst erwartet in außergewöhnlicher Weise von allen Beteiligten eine Orientierung am ästhetisch Neuen, an der überraschenden, originellen Abweichung vom Standard. Sie übt ihre Teilnehmer in einer Sensibilisierung für eigendynamische sinnlich-

des Neuen bringt dieses Affiziertwerden in eine besondere Form:

in die des Begehrens nach immer wieder neuen, überraschenden Objekten. Wie deutlich geworden ist, kreuzen sich im Rahmen des bürgerlichen Kunstfeldes neben diesen beiden positiven Affektlinien

affektive Impulse, die auf Distanz zum normativen und zweckrationalen Handeln gehen. Sie trainiert die Künstler zugleich in der

— Rezipient/Kunstwerk und Künstler/Kunstwerk — noch weitere Linien, und zwar positive wie negative. Auf den beiden genannten Subjekt-Objekt-Affekten bauen entsprechende Subjekt-SubjektAffekte auf: die Bewunderung des Künstlers als singulärer Schöpfer

Ausbildung eines Produktionsethos ästhetischer Werke. Die Kunst

von Werken

legt das Soziale somit auf eine spezifische »Publikumskonstellation«

rung des Künstlers, der sein Werk als Ausdruck eigener Individu-

fest, in der ästhetische Reize für ein handlungsentlastetes Publikum verfertigt werden.

alität wahrnimmt.

Grundlegend für diese Interpretation des Kunstfeldes ist ein

durch

sein Publikum

sowie die Selbstenthusiasmie-

In mancher Hinsicht scheinen im bürgerlichen

Kunstfeld damit die am Subjekt orientierten Affekte jene, die sich ans Objekt

heften, zu

überlagern;, Im

Zentrum

steht dann

der

weiterer Aspekt, der bei Luhmann und Bourdieu zu kurz kommt:

Enthusiasmus für das Ideal-Ich des Künstlers als schöpferische

Die

Einheit von Individualirät und Totalitätsbezug, auch über seine Werke hinaus. Hier lassen sich zudem Affektaffekte beobachten: ein Affiziertwerden durch die Affektivität, eine »Begeisterung für die Begeisterung«, Affektaffekte ergeben sich auch aus den Univer-

Kunst

im

so verstandenen

Sinne

zeichnet

sich durch

eine

spezifische Affektlogik und -politik aus. Diese Affektlogik betrifft sowohl die innere Struktur des Feldes als auch das Verhältnis zu

anderen gesellschaftlichen Sphären. Gilles Deleuze ermutigt zu Recht dazu, »Affektenlisten« sozialer Gebilde zu erstellen und die

affektiven Relationen, Knotenpunkte und Diffusionen, die in soziale Konstellationen eingebaut sind, einer gründlichen Analyse zu unterziehen.® Für ein Verständnis des modernen Kunstfeldes ist eine solche Affektkartografie in der Tat unverzichtbar. Im Verhältnis zu den anderen sozialen Feldern der Moderne, die sich gleichzeitig seit dem Ende des 18, Jahrhundert ausbilden, scheint die Kunst nun

durch ein außergewöhnlich hohes Maß an systematisch produzierter Affektivität gekennzeichnet. Im Meer der sich erkaltenden Systeme der Moderne ist die Kunst ein heißes Archipel. Diese affektive

Intensität ergibt sich bereits aus ihrer Grundaktivität: der Verfertigung ästhetischer Praktiken, der Rezeption und Produktion von Kunstwerken. Diese sind per definitionem auf eine Intensivierung sinnlich-affektiver Relationen ausgerichtet: auf das Gefühl der ästhetischen Freiheit, auf handlungsentlastete Ergriffenheit, Versen-

kung, Bestürzung, Verblüffung, Genuss oder Vergnügen im Umgang mit dem Kunstwerk und auf das Gefühl des Enthusiasmus in der Hervorbringung eines solchen Werks, Das ästhetische Regime 65 Vgl. Gilles Deleuze, Spinoza. Praktische Philosophie, Bertin 1988, S. 161 ff. 86

salisierungsprogrammen des Ästhetischen, in denen über einzelne Kunstwerke und Künstler hinaus die schöpferische Entfaltung des

Menschen selbst zu einem allgemeinen, kulturell attraktiven Ziel wird. Die Subkultur der Boheme verkompliziert die Affektpolitik

des Künstlerischen zusätzlich. Sie bewirkt gleich mehrere weitere Affektlinien: die emotionale Befriedigung, die sich für den Bohemien aus der Ausdehnung des kreativen Anspruchs vom Kunstwerk

auf den Lebensstil ergibt; eine emotionale Selbstvergewisserung der Künstlergemeinschaft als kollektive Avantgarde; die verächtliche Abgrenzung dieses Kollektivs von der Borniertheit des bürgerlichen Publikums; umgekehrt die aggressive Polemik, ja Furcht von Teilen der Bourgeoisie gegenüber der Destabilisierung der kulturellen Ordnung durch die Boheme, aber auch die Attraktivität, die dem libertären Lebensstil der Bohemiens teilweise insgeheim im Bürger-

tum zukommt. Die Pathologisierung des Künstlers wiederum zieht in die Affektkartografie des Kunstfeldes eine weitere, letzte Achse ein: die ironische bis hasserfüllte Degradierung des Künstlers als eine riskante und unmoralische Figur.

Das moderne Kunstfeld in seiner frühen, bürgerlichen Version zeichnet sich damit nicht nur durch ein hohes Maß an affektiver 87

und

Subjekts, der unmöglich zum Eigenen werden kann, da er dem Ra-

konflikthaft, da intensive positive und negative Affekte wirksam

tionalismus und Moralismus der bürgerlichen Welt von Arbeit und Familie widerspricht. Das Publikum bewundert im Künstler nicht nur dessen Produktivismus der Kunstwerke, sondern auch, dass er

Intensität aus. Diese erweist sich zudem

als widersprüchlich

sind. Die bürgerliche Kunst bildet ein affektives Kampffeld: Hier werden Kunstwerke, Künstler und das Ästhetisch-Schöpferische mystifiziert, zugleich emotionalisierte Konflikte zwischen Künst-

lern und Publikum um Originalitätsstandards und die legitime Reichweite des Ästhetischen ausgefochten, und schließlich wird das Künstlerische zum verhassten Symbol für eine Auflösung rationaler Ordnungen. Die Spannung zwischen der Autonomisierung des Kunstfeldes und den Entgrenzungsversuchen durch die ästhe-

tischen Utopien und die Bohemekultur befördert diese affektiven Konflikte.

In der sich seit dem Ende des ı8, Jahrhundert formierenden Gesellschaft der Moderne bilder das soziale Feld der Kunst damit mehr als lediglich eine weitere spezialisierte und ausdifferenzierte, nach Autonomie strebende Sphäre, In ihrer Ästhetisierung des Sozialen und der Orientierung am (ästhetisch) Überraschenden und Abweichenden unterscheidet sie sich zunächst grundsätzlich von der Rationalisierung der anderen, der dominanten Felder der Moderne,® auch wenn deren Entästhetisierung niemals total

war. Dieser Sonderstatus des Kunstfeldes hat seit Schopenhauer dem funktionalistischen Argument Auftrieb verschafft, der Kunst komme innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft der Status einer Kompensationsinstanz zu: sie wirke gegenüber den rationalen Systemen als ein sinnlich-affektiver Ausgleich.“ Die Vorstellung der Kompensation befrieder allerdings vorschnell den affektpolitischen Kampfcharakter, den das Kunstfeld in der bürgerlichen Gesellschaft auszeichnet, In deren Rahmen wird der Künstler zu einem Objekt melancholischer Identifizierung, die unter Umständen in aggressive Abwehr umschlägt:® Man identifiziert sich mit einem Ideal-Ich, dessen Imitation jedoch gesellschaftlich zunächst undenkbar erscheint. Der Künstler ist der faszinierende Andere des bürgerlichen 66

Die Kunst lässt sich damit als Antwort auf den Affektmangel der (bürgerlichen

N 1

und organisierten) Moderne interpretieren, vgl. dazu genauer unten Kapitel 8.1.

Vgl. Arthur Schopenhauer, Die Welr als Wille und Vorstellung (1819], Frankfurt/M. 1986

es sich erlauben kann, seiner Imagination zu folgen, seine Werke

und sich selbst in der Form der sozialen Abweichung, des historisch Neuen und des Andersartigen zu gestalten — und in dieser antikonformistischen Ausrichtung doch gesellschaftlich anerkannt wird, wenn auch häufig erst posthum. Die Entstehung des Kreativitätsdispositivs wird schlussendlich das Verhältnis des Kunstfeldes zu den anderen gesellschaftlichen Bereichen umwälzen. Das nichtimitierbare Ideal-Ich des auratischen Künstlers wird sich im Lauf des 20. Jahrhunderts in ein imitierbares Ideal-Ich, das des kreativen Selbst, umkehren. Damit der Künstler zu einem allgemein anerkannten kulturellen Modell

als Kreativsubjekt werden kann, müssen sich die Kunst und die anderen Felder in einer Weise verändern, in der sie sich strukturell aneinander angleichen. Wir werden sehen, wie insbesondere in der kapitalistischen Ökonomie, den Massenmedien, der popu-

lären Psychologie und der Gestaltung des Stadtraums Ästhetisierungsprozesse stattfinden, die auch dort das kreative Subjekt und das gesamte soziale Regime des ästhetisch Neuen zu einem Strukturmodell werden lassen. Zugleich verändern sich jedoch auch die künstlerischen Praktiken;: Das Kunstfeld wird die kreativen Kompetenzen des Künstlers ausdehnen und veralltäglichen und die Reichweite künstlerischer Verfahren ins Extrem erweitern. Am

Ende stellen sich Ökonomie, Massenmedien und psychologische Subjektdiskurse als ebenso ästhetisiert dar, wie das Kunstfeld und sein Künstler entauratisiert werden. Alle bilden dann gleichberechtigte, miteinander vernetzte Segmente

des Kreativitätsdispositivs.

Das Kunstfeld wird schließlich zugleich verloren und gewonnen haben: Es wird seinen außeralltäglichen Status als Raum exklusiver ästhetischer Praktiken und Identifikationen abgeben müssen und in seiner entzauberten Version zugleich zum Modell der spätmodernen Gesellschaft avancieren.

und

ihrer Kreativitätsorientierung

insgesamt

68 Erwas anders wird das Sigmund Freud entlehnte Konzept der melancholischen Identifizierung bei Judith Burler verwendet, vgl. dies., Piyche der Macht, Das

Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt/M. 2001, S. 125 ff 88

89

3. Zentrifugale Kunst: Die Selbstentgrenzung der Kunstpraktiken

vollends durchbricht. In ihrem Zentrum findet eine Selbstentgrenzung der einzelnen Komponenten des Kunstfeldes statt, insbesondere eine Transformation der Form kreativer Praxis und ihres Trägers, des Künstlersubjekts. Dieses wird nun nicht mehr als Ex-

3.1 Namuths Pollock Im Jahr 1951 erscheint Hans Namuths Kurzfilm Jackson Pollock, Zuvor hatte Namuth bereits eine Reihe von Schwarzweißfoto-

grafien publiziert, die Pollock bei der Arbeit in dessen Atelier zeigen. Die Fotoreihe findet zunächst kaum Beachtung; der Kurator

der Fotografieabteilung am New Yorker Museum of Modern Art (MOMA), Edward Steichen, tut sie als inadäquat ab: »[W]issen Sie, Namuth,

das ist nicht die Art und Weise, in der man

einen

Künstler fotografiert.«' Die Einzigartigkeit der Künstlerpersönlichkeit wird Steichen zufolge durch die Darstellung des Malaktes banalisiert. Der Film, der auf die Fotoserie folgt, zieht hingegen rasch Aufmerksamkeit auf sich; 1951 wird er im MOMA und auf

dem Filmfestival in Woodstock gezeigt. Zum ersten Mal wird das Medium

des Films genutzt, um einen bildenden Künstler in actıu

zu präsentieren, um gewissermaßen — so der Anspruch — das Mysterium der künstlerischen Kreativität der Öffentlichkeit zugänglich

klusivfigur, als das auratische Andere der kulturellen Ordnung der Moderne modelliert, sondern als Träger »ästhetischer Arbeit«, bei der erlernbare Kompetenzen und Prozeduren — auch kollektiver Art — ebenso wie die Nutzung von Zufällen zum Einsatz kommen. Namurhs Bilder und Filme lassen sich in ihrer Widersprüchlichkeit als Dokumente dieser Verschiebung lesen, und sie treiben als

Bestandteil des visuellen Künstlerdiskurses diesen Umschlag voran. Sie zitieren das genialistische Künstlermodell des 19. Jahrhunderts und stellen zugleich die Umwandlung künstlerischer Kreativität in Richtung dessen dar, was man

eine »zentrifugale Kunstpraxis«

nennen kann. Namuths hat über fünfhundert Fotografien geschaffen, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen:* einerseits Stillleben von Pollocks Atelierhaus sowie Portraits von ihm selbst, andererseits Fotos von Pollock bei der Arbeit in seinem Atelier. Auf den Fotos der ersten

Gruppe erkennt man ein einfaches Landhaus, eingebettet in die Natur, Pollock als lonely man, an der Fensterbank lehnend, auf der Wiese oder in seinem Oldtimer sitzend, immer mit Zigarette, Jeans

und hellem offenen Hemd oder mit Jeansjacke oder schwarzem T-

zu machen.*

Shirt, lässig wirkend und zugleich kontemplativ,

In mancher Hinsicht ist Namuths Arbeit in die lange Reihe der — textuellen und bildlichen — Künstlerportraits einzuordnen, die bis zur Renaissance zurückreichen und der Geniereligion des Künstlers den Weg geebnet haben. Bemerkenswert wird Namuths Portrait jedoch dadurch, dass sich an ihm eine grundsätzliche Transformation verdeutlichen lässt, welche die künstlerische Praxis, den Künstler und das Verhältnis zwischen ihm und seinem Pu-

verzerrtem Blick in die Kamera schauend. In der zweiten Fotogruppe betrachtet man Pollock in Aktion. Die Leinwand liegt auf dem

blikum betrifft. Diese Rekonfiguration kann man seit dem Beginn

n

des 20. Jahrhunderts beobachten, bevor sie seit den 1960er Jahren Nach Hans Namuth/Barbara Rose, Pollock Painting, New York 1980, S. 47. (Über-

n

setzung A,R.)

90

Einzelne Passagen aus diesem Abschnitt lehnen sich an einen früheren Text von mir an: Andreas Reckwitz, »Vom Künstlermythos zur Normalisierung kreativer Prozesse«, in: Christoph Menke/Juliane Rebentisch (Hg.), Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Berlin 2011, S.98-117.

mit schmerzhaft

Boden, und in gebückter Haltung mit schwingenden Bewegungen — durch deren Schnelligkeit die Abbildungen häufig unscharf werden — praktiziert er das Drip-Painting. Die Darstellung der Beinbewegungen

steht im Zentrum

des fotografischen

Interesses und

erweckt den Eindruck einer tänzerischen Choreografie. Namuchs

gerade einmal zehnminütiger

Farbkurzfilm

nimmt

Motive dieser zweiten Gruppe von Fotos auf und unterlegt sie mit einem von Pollock gesprochenen Kommentar sowie atonaler 3 Namuth/Rose, Pollock Painting enthält die Fotos und kommentierende Aufsätze von Rose Namuth und Rosalind Krauss, Zur zeitgenössischen Wirkung der Fotos vgl. Allan Kaprow, »The Legacy of Jackson Pollock«, in: Art News 57 (1958), S. 2426 und S. 55-57. Zur kunsthistorischen Bedeutung Pollocks vgl. nur Leonhard Emmerling, Jackson Pollock, Köln 2003. DA

Musik von Morton Feldman.* Zunächst sieht man Pollock beim Anziehen seiner derben, mit Farbe beschmutzten Arbeitsschuhe.

Diese Schuhe — man mag hier an den Verweisungszusammenhang mit van Goghs Bauernschuhen und deren kunsttheoretischer Thematisierung bei Heidegger denken —* werden im Verlauf des Films immer wieder fixiert. Pollock ist beim Umgießen und Umrühren der Farbe zu sehen und schließlich in langen Sequenzen bei den tänzerischen

Bewegungen

des

Drip-Painting.

Auf diesen

ersten

Teil des Films folgt in einem kurzen zweiten Teil ein Ortswechsel, der Pollock in einer Galerie beim Aufhängen seiner Bilder zeigt. Man erkennt von hinten eine Besucherin (tatsächlich seine Ehefrau), die aufmerksam eines der Gemälde betrachtet. Insgesamt ist

die zeitliche Gewichtung innerhalb des Films jedoch eindeutig: Die knappe Szene in der Galerie mit ihrer förmlichen Atmosphäre ist der Darstellung des lebhaften Produktionsprozesses des Bildes, der in aller Ausführlichkeit verfolgt wird, untergeordnet. Noch offensichtlicher wird dies im dritten Teil des Films, der den drama-

turgischen Höhepunkrt bildet: Pollock bemalt in der Drip-Technik eine auf dem Boden arrangierte Glasscheibe, drapiert darauf Kieselsteine, Knöpfe und andere kleine Objekte und wird dabei in einer spektakulären Einstellung von unterhalb der Scheibe gefilmt. In mehrerer Hinsicht zitiert Namuths Darstellung ganz offensichtlich Versatzstücke aus dem genieästhetischen Künstlermodell

des 19. Jahrhunderts. Pollock wird als eine einsame, monologische und betont männliche Figur präsentiert — eine solitäre Position, die das isolierte Setting des Holzhauses in der freien Natur noch

unterstreicht. Während

beispielsweise Alexander

Liberman

im

Jahr 1960 in seinem Bildband Zhe Artist in His Studio die von ihm portraitierten Maler durchgängig im Businessanzug im Stil eines urbanen Industrial Designers darstellt,® inszeniert Namuth Pollock als antibürgerlichen Beatnik. Dieser verkörpert das künstlerische als expressives Subjekt, das in seiner Arbeit sein Innerstes nach

Außen kehrt. Pollocks Tun erscheint dann auch weniger überlegt 4 Hans Namuth/Paul

Falkenberg, Jackson Pollock, Film, Museum

at Large, USA

1950, IO min.

s Vgl. dazu Fredric Jameson, Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham 1991, S.6 E 6 Alexander Liberman, Zhe Artist in His Studio, New York 1960.

als trancehaft, als unbändiger Ausdruck einer inneren Welt, Die künstlerische Praxis wird hier wie selbstverständlich mit der Herstellung eines dauerhaften Werkes identifiziert, und sie findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Atelier statt. Dem entspricht eine Symbiose von Introversion und Extroversion: Die Darstellung des geradezu manisch in sich versunkenen Künstlers ist gekoppelt an die wie getrieben erscheinende Aktivität des Malprozesses. Pollocks Kommentare verdeutlichen diesen Anspruch der Expressivität im Sinne eines Passungsverhältnisses zwischen Innen und Außen: Mit

den Worten »Zu meinem letzten Gemälde hatte ich den Kontakt verloren«’ wischt er einen Entwurf von der CGlasscheibe. Dies ist jedoch nur die eine Seite. In Namuths Darstellung Pollocks wird zugleich eine grundsätzliche kulturelle Rekonfiguration dessen sichtbar, was Kunstproduktion bedeutet. Die Normalisie-

rung künstlerischer »Schöpfung« als künstlerische Arbeit zeichnet sich ab, wie sie sich dann in den 1960er und 70er Jahren durchsetzen wird. In Pollocks Drip-Painting wird der Prozess künstlerischer Verfertigung so veralltäglicht, dass er manchem zeitgenössischem Betrachter bereits banal erscheint. Denn im Drip-Painting redu-

ziert sich die Kreation des Bildes auf eine Bewegung des Künstlerkörpers im Raum, bei der zufällig und fast automatisiert Farbe auf der Leinwand verteilt wird. Der Akt des Malens ist kein intendierter Prozess eines reflexiven Selbst, sondern spielt sich offenbar ohne dessen bewusstes Zutun ab. Wenn er Objekte auf der Glasfläche verteilt, erscheint Pollock zudem weniger als Kreateur von vollständig »Neuem« denn als Arrangeur gegebener Gegenstände. Indem

der Film den Blick auf das Drip-Painting und die Objektarrangements lenkt, richtet sich die Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Künstler als entrücktes Originalgenie, sondern auf die kreativen Techniken und das in ihnen verwendete Material: Der Künstler ist ein Arbeiter mit dem Material, er wird gewissermaßen selbst zum Medium, durch das sich das Material arrangiert.

Damit gerät der Produktionsprozess für den Betrachter jedoch zu einer Performance: zur Aufführung vor einem Publikum, welche die

Privatheit des Ateliers sprengt. Folgerichtig hat Harold Rosenberg — offenbar vor dem Hintergrund von Namuths Films — die Stilrichtung, für die Pollock steht, nicht mehr Abstrakter Expressionis7 Es handelt sich um ein Zitat aus der Filmsequenz (Übersetzung A.R.).

93 92

3.2 Externe und immanente Entgrenzungen des Künstlerischen

mus, sondern action painting genannt.® Das ästhetische Objekt der Kunst ist hier nicht mehr das fertige, materielle Werk nach Art des Gemäldes im Museum, sonden die Aufführung durch den Künstler

vor einem Publikum. Im doppelten Sinne des Verbs »to perform« ist die Ausführung hier zugleich eine Aufführung. An die Stelle des abgezirkelten Kunstwerkes tritt damit das Kunstereignis, so dass seit den 1960er Jahren die performance art paradigmatisch für die postmoderne Kunst insgesamt werden kann.

In Namurths

Film wird deutlich, dass die Performance dabei

nicht allein ein Kunstereignis ist, sondern der postmoderne Künstler als Individuum selbst erst in der öffentlichen, vor allem medialen, Performance seiner Person zu einem sozial anerkannten und bewunderten Künstler avanciert. Ganz unmittelbar trug Namuths Film dazu bei, Pollock in der amerikanischen Kunstszene und einer breiteren Öffentlichkeit als Star zu installieren, ein Status, der

aus seinen Werken allein — die als sperrig und unzugänglich galten — kaum härte erwachsen können. Indem der Künstler vor einem breiteren Publikum die Intimität seiner Kunstpraxis enthüllt, seinen Körper visuell zur Verfügung stellt, direkt zum Publikum

spricht und damit als ganze Persönlichkeit vermeintlich sichtbar wird, kann er zum Kunststar werden. Die Merkmale des Originalgenies — Exzentrik, Bohemeattitüde, Expressivität — tauchen so als Versatzstücke der Selbstinszenierung des Künstlersubjekts wieder auf, die unabhängig von der Kenntnis seiner Werke identifiziert werden können. Die Performativität der künstlerischen Praxis, die im Film deutlich wird, lässt sich damit zugleich als eine Performativität des künstlerischen Selbst lesen, das nicht einsam im Atelier Kunst schafft, sondern sich erst durch den faszinierten Blick des Publikums als Künstler zertifizieren lässt: Die Künstlerfigur wird so

zu einem ästhetischen Objekt eigener Art.

Die Transformation, welche die künstlerische Praxis, das Künstler-

subjekt und das gesamte Feld der Kunst im Laufe des 20. Jahrhunderts erfahren, wird in Namuths Pollock-Arbeiten bruchstückhaft deutlich. Was sind ihre allgemeinen Merkmale? Wie wir im vergangenen

Kapitel gesehen haben, bor das alte,

bürgerliche Kunstfeld den Hintergrund für eine dramatische Konstellation, die auf den affektiv brisanten Konflikten um die künstlerische Kreativität beruhte: auf dem Kampf des Originalgenies mit sich selbst und seinem Kampf mit dem Publikum um die legitime Beurteilung seiner Originalität; der extremen Auratisierung

des Künstlers als Schöpfungs- und Versöhnungsinstanz und seine gegenläufige Pathologisierung; schließlich dem Konflikt zwischen Boheme und Bürgerlichkeit, In der Entwicklung des nachbürgerlichen Kunstfeldes ist nun jedoch schrittweise eine affektive Entdramatisierung zu beobachten, besonders deutlich im »postmodernen«

Kunstfeld seit 1980. Auf einer ersten, noch

oberflächlichen

Ebene trägt eine verbreitete Dekonstruktion des Künstlermythos zu dieser Entdramatisierung bei, wie sie in künstlerischen Selbstthematisierungen von Max Ernst bis Martin Kippenberger und Bruce Nauman

betrieben wird.” Die eigentliche, Transformation

betrifft jedoch die strukturelle Entgrenzung aller vier Komponenten, die ich im letzten Kapitel als kennzeichnend für die ästhetische

Sozialität des modernen

Kunstfeldes herausgearbeitet habe: des

Künstlers als Kreateur des Neuen; der ästhetischen Objekte; des Publikums und der institutionellen Rahmungen der Aufmerksamkeitslenkung. Es handelt sich hier um immanente Entgrenzungen innerhalb der Kunst. Sie lassen sich von den verschiedenen Versuchen einer externen Entgrenzung unterscheiden, die sich bereits ansatzweise im bürger-

lichen Kunstfeld des 19. Jahrhunderts fanden. Die beiden wichtigsten Entgrenzungsstrategien, die wir bisher verfolgt hatten, betrafen

die Universalisierungsprogramme des Ästhetisch-Schöpferischen und die Subkultur der Boheme. Sie bezogen sich streng genommen 9 Vgl. Perer-Klaus Schuster/Eugen Blume (Hg.), Ausst.kat. »Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden«. Dekonstruktionen des Künstlermythos, Museum für 8 Vgl. Harold Rosenberg, »The American Action Painters«, in: Art News sı (1952), S.22-23 U. 48-50.

Gegenwart 14, Berlin 2008. 95

94

nicht mehr auf die Kunst als eigenständiges Feld, es ging vielmehr grenzung ist hier insofern »extern« orientiert, als es ihr darum geht,

von Tätigkeiten im Umgang mit Objekten und Zeichen, die in vielerlei Hinsicht erlernbar und imitierbar erscheinen und dabei auf Techniken aus anderen sozialen Feldern wie der Wissenschaft,

eine nichtkünstlerische Praxis analog zum ästhetischen Grundriss

dem Handwerk, der Medien, der Werbung oder des Designs zu-

um eine Transformation von »Kunst in Lebenspraxis«. Die Ent-

der Kunst zu gestalten. Diese Entgrenzung des Ästhetischen, die von der Kunst ausgeht, aber jenseits der Kunst wirkt, intensiviert sich im Lauf des 20. Jahrhunderts, und es wird in den nächsten Kapiteln darum gehen, diesen Prozess in den entsprechenden gesellschaftlichen Feldern zu verfolgen. So werden die — zunächst philosophischen und kulturkritischen — Diskurse der Universalisierung des Ästhetisch-Schöpferischen seit den 1950er Jahren in psychologischen und pädagogischen Modellen eines »kreativen Selbst« aufgenommen und wirken sich auf das Selbstverständnis der akademischen Mittelschicht aus.!” Die Lebensstil-Boheme wiederum wird in der jugendlichen und postadoleszenten Counter Culture zitiert, weitergeführt und schließlich in Konsum- und Lebensstilkulturen verankert, die eine Voraussetzung für die Enstehung des »ästhetischen Kapitalismus« liefern.''

rückgreifen. Es findet gewissermaßen eine Prozeduralisierung des

»Kunstmachens« statt, die sich nun aus profanen, normalisierten Arbeitsprozessen und Methoden zusammensetzt, die nicht verborgen, sondern offensiv gezeigt und weiterentwickelt werden. Der Künstler verliert damit seinen Sonderstatus als Exklusivfigur und

entwickelt sein professionelles »Kompetenzprofil«, Seine Tätigkeit transformiert sich von einer außeralltäglichen Aktivität in ästhetische Arbeit, die auch einen kollektiven Charakter erhalten kann. Damit eng verbunden ist die Entgrenzung der ästhetischen Ob-

jekte. Vielfach löst sich seit dem Jahrhundertbeginn die Fixierung von Kunstwerken als dinglich abgeschlossene, einzigartige Einhei-

ten auf‚fÜas, was als Kunst zählt, expandiert, erwa in die Richtung von Performances, Installationen, aber auch Grenzzonen zwischen Kunst und Design. Auch die ästhetische Haltung des Kunstpu-

also jen-

blikums gewinnt an Spielraum: Die Einschränkungen des bürger-

seits der Kunst wirken, so finden seit 1900 ebenso immanente struk-

lichen Geschmacks verlieren an Bedeutung,'* und der Rezipient fungiert selbst zunehmend als aktiver Teilnehmer am Kunstpro-

Wenn

die externen

Entgrenzungen

des Ästhetischen

turelle Entgrenzungen des Kunstfeldes statt. Immanente Entgrenzung heißt: Der Anwendungsbereich der Komponenten, die den Grundriss der ästhetischen Sozialität bilden, dehnt sich aus; die

” Exklusivitätsmerkmale, die das bürgerliche Kurfstfeld kennzeichneten, verlieren demgegenüber an Prägekraft,Die immanenten Ent-

grenzungen umfassen somit mehr als eine quantitative Expansion von Personen und Objekten (mehr Künstler, mehr Kunstwerke, größeres Publikum), obwohl diese durchaus stattfindet. Sie beziehen sich in erster Linie auf die Erweiterung dessen, was als ein legitimes Kunstwerk, als künstlerische Aktivirät und als akzeptable Rezeptionshaltung »zählt«, Die wichtigste Entgrenzung betrifft das, was als kreative Praxis

anerkannt und was von der Subjektposition des Künstlers erwartet wird.!? Die künstlerische Praxis umfasst nun eine ganze Bandbreite ıo Vgl. dazu unten Kapirel 5 sowie Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Wei-

lerswist 2006, S. 452 ff. ı1 Vgl. unten Kapitel 4. ı2 Zum 96

Wandel

des Künstlermodells allgemein vgl. Verena Krieger,

Was ist ein

zess, statt nur Empfänger zu sein. Schließlich findet innerhalb der Aufmerksamkeitsregulierungen des Kunstfeldes durch Markt und Staat ebenso

eine Entgrenzung

statt: Die Orientierung der Auf-

merksamkeit am ästhetisch Neuen entledigt sich größtenteils der bürgerlichen Bindungen des Kanonischen und des aus Sicht der Kunstkritik Wertvollen. Ein Indikator für diese Entkanonisierung

ist die Umorientierung der Kunstmuseen vom Klassischen auf das Zeitgenössische, Wechselnde und Aktuelle.!* Alle immanenten Entgrenzungen des Kunstfeldes haben zur Konsequenz, dass dieses Künstler? Genie — Heilsbringer — Antikünstler, Köln 2007; Michael Werzel, »Autor/Künstler«, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.), Asthetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch, Bd. ı, Stuttgart, Weimar 2000, S. 480-544; Martthias Michalka/Beatrice von Bismarck (Hg.), 7he Artist as..., Nürnberg 2006.

13 Zur Erosion des bürgerlichen Geschmacks und den neuen Synthesen von akademischem und populären Geschmack vgl. nur Bernard Lahire, La culture des individus. Dissonances culturelles et distinction de soi, Paris 2004. 14 Diese institutionellen Wandlungsprozesse sind von der Kunstsoziologie gut dokumentiert, vgl. in Bezug auf das Museum nur Peter Galassi u.a. (Hg.), Making Choices 1929, 1939, 1948, 1955. The Museum of Modern Art, New York 2000.

97

am Ende des 20. Jahrhunderts zu einem Strukturmodell für das gesellschaftliche Kreativitätsdispositiv insgesamt werden kann. Ich will im Folgenden diesen allmählichen Prozess der Ent-

zur Lösung der Frage, wie ästhetisch Neues produzierbar wird, wo-

grenzung des sozialen Feldes der Kunst anhand seiner zentralen Stationen detaillierter nachverfolgen. Historisch lassen sich zwei

drücklich verworfen wird das alte Modell des Schöpfer-Künstlers,

Entgrenzungskontexte

markieren,

die ineinander

übergehen:

die

Avantgarden ab 1900 und die postmoderne Kunst seit den 1960er Jahren.'* Weder die Avantgarden noch die postmoderne Kunst sind

auf Kunststile zu reduzieren, sondern als Zusammenhänge zu ver-

stehen, in denen sich die Produktionspraktiken von Kunst, die sozialen Kriterien legitimer Kunstwerke, die Form des Künstlersubjekts und die Stellung des Publikums verändern. Schrittweise lassen sich hier mehrere Transformationslinien nachzeichnen, die die Form der Kreativität betreffen: die Prozeduralisierung der künstlerischen Praxis seit dem Surrealismus; die verschiedenen Tendenzen zu einer »Materialisierung« des Künstlerischen vom Bauhaus bis zur Minifrnl Art; die Readressierung des Publikums als gleichberechtigte Instanz seit Marcel Duchamp; die Umdefinition von künstlerischer Kreativität in eine Appropriation des Gegebenen;

die Reorientie-

rung vom Werk auf das Kunstereignis; schließlich die doppelte Modellierung des Künstlers als Arrangeur und als Kunststar,

3.3 Avantgarde-Kreativität Prozeduren und Automatismen Die erste einschneidende Transformation der Form der Kreativität betrifft ihre Prozeduralisierung. Im Kontext der Avantgarden wird diese am systematischsten im Surrealismus betrieben. Hier werden Techniken entwickelt, in denen man »Kunst als Verfahren« — so der Titel eines Aufsatzes des russischen Literaturtheoretikers Victor SN

I

Zu einer solchen Lesart der Avantgarden, die sie nicht auf eine Vorbereitung der Autonomieästhetik des Modernismus reduziert, vgl. Peter Bürger, Zheorie der Avantgarde [1974], Frankfurt/M.

1981; Richard Sheppard, Modernism — Dada

— Postmodernism, Evanston 2000. Der Begriff der »postmodernen« Kunst kann hier nur eine Krücke sein, vgl. zu diesem Konzept Leslic Fiedler, »Cross the Border — Close the Gap«, in: ders., Collected Essays, Volume II, New York 1971, S. 461-485; Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur. Entstehung

und Entwicklung einer alternativen Tradition, Stuttgart 1988,

Sklovskij von 1917 —® betreibt. Es geht um praktische Methoden von auch der Status des Neuen selbst nicht unberührt bleibt. Ausdas Max Ernst 1934 als »letzte{n] Aberglaube[n], als trauriges Rest-

stück des Schöpfungsmythos« und im »westlichen Kulturkreis« als »Märchen vom Schöpfertum des Künstlers«'” abtut. Die Differenz,

die hier entfaltet wird, ist die zwischen Subjekt und Verfahren: An die Stelle des aktiven Subjekts der Kreation soll die Eigendynamik von kreativen Prozessen treten, die »wie von selbst« ablaufen und

den Künstler mitreißen. Dieser ist keine Steuerungsinstanz, sondern gerät in eine passive oder mediale Position, indem er bei der

Entstehung seines Werkes zuschaut. An die Stelle der Anforderung an das Originalgenie, das Werk in die Welt zu setzen, tritt die Anforderung, sich so zu dezentrieren, dass man die Werke sich selbst

in die Welr setzen lässt. Im Surrealismus kippt damit die Perspektive gegenüber der Normalität des Neuen um: Nicht mehr die Schöpfung des Ori-

ginalwerks ist die Ausnahme, vielmehr scheint die Entstehung des Neuen und Überraschenden ohne Zutun des Subjekts die Regel. Letzteres kann durch übermäßige Selbstkontrolle allerdings zu einem systematischen Hindernis für diesen natürlichen Fluss der Dinge werden. Zentral für die Prozeduralisierung künstlerischer Kreativität, wie sie die Surrealisten forcieren, ist der Mechanismus des Zufalls.'® Das unberechenbare Ereignis geschieht von selbst;

das Subjekt ist statt Schöpfer eher ein Registrator, der diesen Zufall zulässt. Die Produktion von Neuem

im Sinne des Zulassens des

Zufalls liefert damit eine Alternative zum Expressivitätsmodell zwischen Künstler und Werk: Während Letzteres davon ausgeht, dass nur ein bestimmer Künstler ein bestimmes Werk hervorzubringen

vermag, lassen sich die Produkte des Zufalls nicht mehr eindeutig einem Urheber zuschreiben.

Die Kreativitätstechniken enthalten

16 Viktor Sklovskij, »Kunst als Verfahren« [1917], in: Fritzz Mierau {Hg)), Die Erweckung des Wortes, Essays der russischen Formalen Schule, Leipzig 1987, S.11-32. ı17 Max Ernst, »Was ist Surrealismus?«, in: Ausst.kat, Was ist Surrealismus?, Kunsthaus Zürich, Zürich 1934, S.3-6, hier: S.3. 18 Vgl. dazu Bernhard Holeczek, »Zufall als Glücksfall. Die Anfänge eines künstlerischen Prinzips der Avantgarden«, in: ders./Lida von Mengden (Hg.), Zufall als Prinzip, Heidelberg 1992, S.15-24.

98 99

zugleich jedoch das Paradox der »Spontaneitätsprogrammierung«: Für Zufälle offen zu sein soll mit Hilfe erlernbarer Techniken möglich werden, so dass sich das Unberechenbare in einen Gegenstand methodischer Berechenbarkeit verwandelt. Autoren

wie Andre

Breton,

Max

Ernst

oder

Andre

Masson

entwickeln im surrealistischen Kontext verschiedene solcher »Kreativirätstechniken«. Dabei lassen sich drei Typen voneinander

unterscheiden:

innerpsychisch,

interobjektiv und intersubjektiv

orientierte Methoden, Wenn Breton die bekannten Techniken einer »automatistischen« Text- und Bildproduktion (&criture automatique) skizziert,'” dann handelt es sich um Kreativitätsmetho-

den, die in erster Linie auf innerpsychische Prozesse bezogen sind. Ihre beiden wichtigsten Ansatzpunkte sind das Vorbewusste und

die Geschwindigkeit: Das Subjekt trainiert sich gezielt in einem Bewusstseinszustand nach Art des etat de r&ve, einem Zustand mittlerer, gelockerter Aufmerksamkeit zwischen der Selbstkontrolle des Bewusstseins und dem Schlaf, in dem Bilder und Wörter spontan und ungeordnet mental auftauchen können. Im künstlerischen Produktionsprozess — etwa beim Auftragen der Farbe auf die Leinwand —— ist dann Geschwindigkeit der elementare Trick, um die Automatik des Prozesses zu erhalten und die Kontrolle des Bewusstseins zu überholen. Masson identifiziert das zentrale Problem, das sich aus diesem Produktionsverfahren ergibt: das des Aufhörens. Wenn die kreative Produktion keinem vorgefassten Plan folgt, stellt sich das Problem, wann das Kunstwerk »fertig« ist.“ Eine zweite Version des surrealistischen Prozeduralismus findet sich bei Max Ernst. Hier geht es um einen Automatismus, der sich in der Auseinandersetzung mit den Objekten und dem Material ergibt. Ernst entwickelt in Anlehnung an ein Kinderspiel beispielhaft die Methode der »Frottage», ein Verfahren des grafischen Durch-

reibens von Alltagsobjekten durch Papier:?! Alltagsgegenstände mit ı9 Vgl. Beate Bender, Freisetzung von Kreativität durch psychische Automatismen. Eine Untersuchung am Beispiel der surrealistischen Avantgarde der zwanziger Jahre, Frankfurt/M. u.a. 1989, S.73-103. Vgl. programmatisch Andre Breton, »Erstes Manifest des Surrealismus« [1924}, in: ders., Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek 1968, S.9-44. 20 Vgl. Bender, Freisetzung von Kreativität, S.167-186. 21 Vgl. ebd., S.125-146, S.154-159; Max Ernst, »Au-del& de la peinture« [1936], in: ders., Eeritures, Paris 1970, S. 244-265.

einer interessanten Oberflächenstruktur werden etwa mit Kohle-

stiften auf das Papier durchgerieben und die Formen, die sich bei verschiedenen Objekten ergeben, auf dem Papier übereinander aufgetragen. Das Durchreiben liefert damit ein quasiautomatisch erzeugtes Negativ des Objekts und die Übereinanderschichtung zusätzlich eine zufällige Kombination. Ecriture automatique und Frottage sind als Techniken der Kunstproduktion gedacht, aber sie

weisen strukturelle Gemeinsamkeiten mit jenen Methoden auf, die

sich in einem ganz anderen Diskurs finden: dem der Psychologie, von dem sie teilweise beeinflusst sind und den sie selbst beeinflussen. So verwendet die &riture automatique Elemente aus Freuds »freier Assoziation«, und die Frottage weist Ähnlichkeiten mit Ver-

fahren der experimentellen Kreativitätspsychologie auf. Auch der dritte Typus von Kreativitätstechniken, die surrealis-

tischen Spiele, die unter dem Namen recherches experimentales bekannt werden, setzt sich im Kern aus Assoziationstechniken zusam-

men.* Diese kommen nun jedoch in einer sozialen Gruppe zum Einsatz und ähneln dem, was man seit den 1950er Jahren aus der Organisationspsychologie als Brainstorming kennt.* Die Generie-

rung von Assoziationen soll sich hier nicht aus innerpsychischen oder interobjektiven, sondern aus intersubjektiven Prozessen ergeben, so dass das Originalgenie von der Kreativitätsgemeinschaft abgelöst wird. Die recherches experimentales zielen nicht auf die

Kunstproduktion, sondern sind eher als mentale Lockerungsübungen zu verstehen, um skurrile Ideen hervorzubringen: Die Grenze

zwischen Kunst und Spiel wird fließend. Dabei verlaufen die verschiedenen recherches experimentales bei aller Varianz immer nach

dem gleichen Muster: zwei disparate Phänomene sollen in einen intelligiblen Zusammenhang gebracht werden.“ Die Gruppenkonstellation kann sich hier in mehrfacher Hinsicht als Kreativitätsmotor erweisen, indem sie den Einzelnen unter einen fiktiven 22 Vgl. Ralf Convents, Surrealistische Spiele, Frankfurt/M. 1996. 23 Vgl. dazu unten Kapitel 5.4. 24 So wird etwa von den Spielteilnehmern ein Gegenstand als Vorstellungsinhalt

ausgewählt — beispielsweise eine Wahrsagekugel — und mit einer Kette von sechsundzwanzig völlig zusammenhanglosen Fragen konfrontiert: »1, Ist sie dem Tag

oder der Nacht zugehörig? 2. Ist sie vorteilhaft für die Liebe?« bis zu Nr. 26 »Mit welchen Verbrechen korrespondiert sie?« (vgl. Convents, Surrealistische Spiele, S.56). 101

100

werden, findet sich schon im Dadaismus und Surrealismus.

zeitlichen Problemdruck setzt, eine Kette von Assoziationen von einem Teilnehmer zum nächsten ermöglicht und schließlich einen

spielerischen Wettbewerb ermutigt. Die surrealistische Prozeduralisierung der Kreativität weitet deren Geltungsbereich damit auf der Ebene der Praktiken wie der Subjekte aus. Nicht nur die Kunst, sondern auch andere Aktivitä-

ten von psychologischen Verfahren bis hin zu Kinderspielen sollen ein Kreativitätspotenzial enthalten. Dies entspricht einer Universalisierung von Kreativität auf der Subjektebene: Wenn Kreativität von Assoziationstechniken abhängt, lässt sie sich nicht mehr auf

den Künstler beschränken, sondern jeder scheint ihrer potenziell fähig. Im Umkreis des Surrealismus wird so konsequent auf Personengruppen hingewiesen, die zuvor Opfer von Pathologisierungen

waren — auf Kinder, primitive Völker und psychisch Kranke — und die nun zur Kreativität prädestiniert scheinen, da ihre Assoziations-

Dar-

über hinausgehend, wandelt sich der Materialitätsbezug der Kunst besonders durch systematische Grenzüberschreitungen zwischen Kunstkreation und Artefaktproduktion insgesamt, vor allem der Grenze

zwischen

Kunst

und

technisch-industrieller

Herstellung,

Solche Interferenzen zwischen Künstlerischem und Technischem finden sich vor allem in zwei sehr unterschiedlichen Zusammenhängen: in der Hybridisierung von Kunst und Technik im Design,

wie sie beispielhaft die osteuropäischen Konstruktivisten und das Bauhaus in den 1920er Jahren versuchen, sowie in der künstlerischen Serialität der Minimal Art in den USA der 1960er Jahre. Die Produktions- und Designkunst, insbesondere in der Sowjetunion und in der Weimarer Republik, entgrenzt ästhetische Objekte über das hinaus, was bislang als Kunstwerk galt, und betreibt zugleich eine Technisierung und Kollektivierung der ästhetischen Prozesse. Die sowjetischen Konstruktivisten der 1920er Jahre 1ösen die werkästhetische Verknüpfung von Kunstwerk und künst-

ketten weniger fixiert sein sollen, als dies für das westliche, erwachsene Durchschnittssubjekt gilt.”” Das pathologische oder zurückgebliebene Subjekt ist dann nicht nur normal, sondern erweist sich als Beispiel für ein kreatives Selbst, das für den Künstler seinerseits vorbildlich werden kann.

Arbeitsbegriff: Arbeit ist demzufolge insgesamt Schöpfung und

Materialisierungen und Technisierungen

standen werden,“ Wenn jede Arbeit in diesem allgemeinen Sinne schöpferisch ist, dann weitet sich der Bezug vom Kunstwerk

Neben der Prozeduralisierung der Kreativität setzt im Umkreis der

Avantgarden und später auch im Postmodernismus eine »Materialisierung«, das heißt eine Materialitätsorientierung des kreativen

Prozesses, ein. In deren Kern findet sich eine Erweiterung des Verständnisses dessen, was als materieller Träger, als Objekt von Kunst in Frage kommt. Der Fokus des ästhetischen Prozesses verschiebt sich dabei von den Ideen und Bedeutungen in die scheinbar »nie-

dere« Ebene der Marerialität der Dinge, die zu bearbeiten sind. Die strikte Grenze zwischen Kunst- und Alltagsobjekten wird unterminiert, indem die Kunst verstärkt seit den 1970er Jahren profane Dinge ästhetisiert; Body Art und Land Art sind nur zwei Beispiele für diese Tendenz. Dass einzelne Alltagsgegenstände — etwa als objets trouves — in die Gestaltung von Kunstwerken einbezogen

lerischer Tätigkeit durch den verallgemeinerten Nexus von Objekt und Arbeit ab.*° Eine zentrale Rolle spielt dabei der Marx’sche Kunst nur ein spezieller Fall, der seinen privilegierten Ort verliert,

Umpgekehrt kann dann auch künstlerische Tätigkeit als Arbeit verzum Objekt insgesamt aus. Kunst kann somit aus ihrer Funktion als Bedeutungsproduzentin gelöst und auf die Materialgestaltung bezogen werden. Sie ist »Produktionskunst«: »Kunst ist Schaffen von Gegenständen.«®® Der Begriff der Arbeit wirkt universalisierend, die Arbeitsrealität aber ist eine historisch-spezifische: die der technisierten Industriegesellschaft. Daraus ergibt sich eine Einglie26 Vgl. Verena Krieger, Kunst als Neuschöpfung der Wirklichkeit. Die Anti-Asthetik der russischen Moderne, Köln 2006.

27 Vgl. ertwa Aleksandr Bogdanov: »jede Art von schöpferischer Tätigkeit — in der Technik, der Sozio-Ökonomie, der Politik, im Alltagsleben, in der Wissenschaft

25 Bekannt sind hier Prinzhorns Untersuchungen der Gemälde psychisch Kranker,

und der Kunst — ist eine Form der Arbeit. {...} es gibt keine strenge Grenze zwischen schöpferischer Tätigkeit und einfacher Arbeit«, in: ders. »Wege des prolerarischen Schaffens« [1920}, in: Peter Gorsen/Eberhard Knödler-Bunte (Hg.), Proletkult Bd.2. Zur Praxis und Theorie einer proletarischen Kulturrevolution in Sowjetrußland 1917-1925, Stuttgart 1975, S. 47-51, hier: S.47£. 28 Hja Erenburg, Und sie bewegt sich doch!, Leipzig t989, S. 165.

aus der sich die art brut ergibt. Vgl. Hans Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken, Berlin 1922,

103

102

derung der Produktionskunst in den industriell-technischen Kom-

Gesetze von Form und Farbe vermitteln will, auf deren Grundlage

plex, und ein Hybridsubjekt von Künstler und Ingenieur entsteht,

individuelle Kombinationen und Lösungen möglich scheinen.“

ein im Kollektiv arbeitender »Ingenieurkünstler«, der sich als »Erfinder der Dinge, Organisator [...] von Materialien, Arbeiter an der Form«? verstehen lässt. Die sowjetische Produktionskunst ist kurzlebig und wird in den 1930er Jahren durch Agitationskunst verdrängt. Ihre Umsetzung bleibt zudem auf Nischen wie die Textilbranche beschränkt. Generell stellt sich in Bezug auf die Produktionskunst die Frage, was das

Zugleich geht es um die systematische Vermittlung eines taktilen

stärker Diskurs und Praxis verbindende Version einer »Materialisierung« des Künstlerischen findet sich zur gleichen Zeit im Weimarer und Dessauer Bauhaus. Es setzt an der handwerklichen Praxis der Kunstgewerbe- und Werkstättenbewegungen an und überführt diese schließlich in das historisch wirkungsmächtige Modell eines

»Designs« von Alltagsobjekten. ”C Das Bauhaus dekonstruiert nacheinander zwei Untemcheidungé1, die für das bürgerliche Kunstfeld zentral waren: die zwischen Kunst und Handwerk sowie zwischen Kunst und Technik/Industrie. Dementsprechend ist die Ausbildung im Bauhaus auf eine Kombination von künstlerischen, hand-

werklichen und technischen Kompetenzen ausgerichtet, so dass die Grenze zwischen artes liberales und artes mechanicae hinfällig und »Bauen« zum Klammerbegriff werden könnte. Die künstlerische Praxis scheint immer schon zugleich technisch-manuelle Fertigkei-

ten im Umgang mit den Material zum Einsatz zu bringen, so wie die handwerkliche Tätigkeit künstlerische Kompetenzen enthalten soll. Im Fokus steht damit nicht das Kunstwerk, sondern das äs-

thetisch gestaltete Gebrauchsobjekt, nicht die autonome ideelle Gegenwelt, sondern die Ästhetisierung der praktischen Dingwelt. Künstlerische Kompetenzen sollen in diesem Zusammenhang ausdrücklich erlernbar sein. Johannes Itten entwickelt beispielhaft eine Kontrast-, Form- und Farblehre, die Sensibilität für universale 29 Boris Kusner, »Die Organisatoren der Produktion«, in: Hubertus Gaßner/Eck-

hard Gillen (Hg.), Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus, Dokumente und Ke tare. Kunstdebatten in der Sowjetunion von 1917 bis 1934, Köln 1979, S. 123 f., hier: S.124. 30 Vgl. Magdalena Droste, Bauhaus 1919-7933. Reform und Avantgarde, Köln 2003; Frank Whitford (Hg.), Das Bauhaus, Selbstzeugnisse von Meistern und Studenten, Stuttgart 1993.

104

künstler«

sollen hier gewissermaßen

ästhetische »Schlüsselkom-

petenzen« vermittelt werden, so dass die Jagd nach der Originalität von der Herstellung eines harmonischen Effekts gemäß den Standardmustern abgelöst wird. Die zweite Bauhaus-Phase lässt die Orientierung am Handwerk hinter sich und richtet sich auf maschinell hergestellte Gebrauchsgegenstände aus. Damit werden Entwurf und Ausführung — im klassischen Kreativitätsmodell untrennbar verbunden — separiert, und die Kunst als Design nähert sich dem Muster technisch-ingenieurhafter Entwicklung an. Der astheusche Mehrwert gegenüber der technischen Leistung scheint "zuch hier in der Anwendung und Variation vermeintlich universaler Grundfarben und -formen zu liegen, so dass sich der Gestalter konsequent als ein für Formen sensibilisierter Techniker versteht.” Die Interferenz zwischen künstlerischer und handwerklichtechnischer Praxis im Bauhaus mündet am Ende in eine Transformation von Kunst in Design. Faktisch manifestiert sich dies seit der Nachkriegszeit in der allmählichen Expansion der westlichen

Designindustrie als eigenständiger ästhetische Industrie.” Dass die künstlerische Orientierung am industriell verfertigbaren Material nicht notwendig die Grenze zum Kunsthandwerk und Design überschreiten muss, demonstriert in den 1960er Jahren jedoch die Minimal Art, die als Wegbereiterin der postmodernen Installationskunst gelten kann.* Der Minimal Art geht es nicht um Gebrauchsgegenstände, son-

dern um die auf den ersten Blick klassische Darbietung ästhetischer Objekte im handlungsentlasteten Ausstellungsraum. In anderer Weise findet jedoch auch hier eine Fokussierung auf die technische 31 Vgl. Johannes Itten, Kunst der Farbe. Subjektives Erleben und objektives Erkennen 3

n

spezifisch Ästhetische, Nichtingenieurhafte an ihr sein soll. Eine

Gefühls für unterschiedliche Materialien. Dem sogeannten »Werk-

als Wege zur Kunst, Ravensburg 1967. Bei Laszlo Moholy-Nagy, dem wichtigsten Protagonisten des Industrie-Bauhau-

ses, wirkt sich dies bis in den charakteristischen roten, monteurhaften Anzug

hinein aus. 33 Vgl. genauer zur Entwicklung des Designbranche als creative industry unten Kapitel 4.4. 34 Vgl. dazu Daniel Marzona, Minimal Art, Köln 2006; David Batchelor, Minimalism. Movements in Modern Art, Cambridge 1997.

105

Die Aktivierung des Rezipienten

Materialität der reproduzierbaren Dinge statt,/Die Minimal Art distanziert sich vom visuellen Illusionismus def klassischen bildenden Kunst und setzt auf die Platzierung dreidimensionaler Objekte im Raum, die der Betrachter beim Herumgehen erfasst. Diese spe-

cific objects (Judd) sind in der Regel industriell gefertigte Objekte, etwa Dan Flavens Leuchtstoffröhren oder Donald Judds farbige Plexiglasformen, die somit bereits in nichtkünstlerischem Kontext Verwendung finden und vom Künstler nicht selbst hergestellt

wurden. Gegen das Modell des Originalwerks sind die Artefakte

Parallel zur Prozeduralisierung des kreativen Akts und der Entgren-

zung der Objekte ästhetischer Verfahren betreiben die Avantgarden und — noch deutlich stärker — die postmodernen Kunstformen eine Aktivierung des Rezipienten. Die Unterscheidung zwischen

Produzenten und Rezipienten schwächt sich damit ab, so dass die Asymmetrie zwischen »(er)zeugendem« Originalgenie und »empfangendem« Publikum nivelliert wird. Die Kunstpraxis adressiert

durch »Serialität« gekennzeichnet, sie sind eine Reihe miteinander identischer Objekte, Der kreative Akt besteht dann im räumlichen Arrangement der industriell gefertigten Produkte, die so zweckent-

das Publikum nun als eine Ansammlung von Subjekten, die selbst

fremdet werden, Das eigentlich künstlerische Objekt sind dann

kreativen Status vom Autor zum Rezipienten auf den (noch recht

nicht die einzelnen Dinge, sondern es ist die Atmosphäre, die sich für den Betrachter aus der Platzierung der Dinge im (Museums-)

traditionell formulierten) Begriff:

Raum ergibt. Der Rezipient wird dabei nicht als ein körperlich stillgestellter Betrachter, sondern als ein körperlich mobiles, sinnlich

vielfältig ansprechbares Wesen in einem räumlich-dinglichen Kontext adressiert., Den industriellen Artefakten kommt die Aufgabe zu, sinnlich-affektive, räumliche Atmosphären hervorzurufen, die nicht ihrem ursprünglichen Verwendungszusammenhang entspre-

chen. Flavens installierte Leuchtstoffröhren beispielsweise scheinen letztlich nicht als solche interessant, sondern darin, dass sie über Si-

multankontraste und optische Mischungen den Ausstellungsraum buchstäblich in anderem Licht erscheinen lassen. Im Kunstgegenstand soll kein Sinn dechiffriert werden, es geht vielmehr um die

»Kkreativ« und aktiv sind, indem sie Deutungen

erfinden und Af-

fizierungen zulassen. Marcel Duchamp bringt diesen Transfer des

In summa

ist der Künstler nicht der einzige, der den Schöpfungsakt voll-

zieht, denn der Betrachter stellt den Kontakt des Werkes mit der Umwelt her, indem er seine tieferen Eigenschaften entziffert und deutet und dadurch seinen Beitrag zum schöpferischen Prozess liefert. ”

Damit ist zum einen vorausgesetzt, dass die Kunst publikumsorientiert sein soll (was nicht heißt, dass sie populär werden müsse — größtenteils ganz im Gegenteil), sie also im Publikum kognitive und ästhetische Prozesse anstoßen will. Dass diese Publikumsorientierung noch in den 1960er Jahren nicht selbstverständlich ist, zeigt

sich beispielhaft an Michael Frieds Auseinandersetzung mit der Minimal Art, die im Gewand des ästhetischen Modernismus die

Erzielung eines Affekteffekts, der sich durch das Arrangement des

romantische Kritik an den philisterhaft konsumierenden Massen

Materials ergeben soll. Damit sind in der Minimal Art jedoch mehrere wichtige Trans-

wiederholt, indem sie der postmodernen Kunst vorwirft, es durch

formationslinien angedeutet, welche die Entgrenzung der Praxis der Kreativität im Kunstfeld insgesamt betreffen und die noch detaillierter zum Thema werden sollen: die Orientierung an einem aktiven Publikum, die Logik der Appropriation und der Kopie sowie die Ästhetik des Installativen und Performativen.

nem Publikum ausgesetzt zu sein, anzukämpfen.?® Zum anderen ist

ihre »Theatralizität« aufgegeben zu haben, gegen die Struktur, eidie Publikumsorientierung der Avantgarden und der postmodernen Kunst eine spezifische: Das Publikum wird nicht als Vehikel der Unterhaltung oder der Skandalisierung gedacht, sondern als

ein Ensemble von Subjekten, die letztlich genauso selbstreflexiv und affızierbar sind wie der Künstler selbst und dabei zugleich in 35

Marcel Duchamp,

»Der schöpferische Prozess« [1957], in: Robert Lebel (Hg.),

Marcel Duchamp.

Von der Erscheinung zur Konzeption, Köln 1972, S.165-167,

hier: S.167. 36 Vgl. Michael Fried, »Art and Objecthood«, in: Artforum 5 (1967), S.12-23. 106

107

ihren einzelnen Reaktionen unberechenbar und auf legitime Weise

eigenständig. Das Publikum wird so zum Komplizen des Künstlers, Diese Orientierung am aktiven Rezipienten findet sich in einer klassischen Version bei Marcel Duchamp und später in der von ihm maßgeblich beeinflussten Concept(ual) Art. Immer geht es darum,

dass der Rezipient nicht passiv bleibt, sondern selbst »kreative Arbeit« leistet. Es handelt sich um eine Arbeit an der Werke und um ein Experimentieren damit, tion mit den Werken sinnlich und emotional löst. Mit der Aktivierung des Rezipienten ist

der Entschlüsselung was die Konfrontain einem selbst auseine Reorganisation

sondern ein gegebenes, profanes ausgewählt — die künstlerische Auswahl nimmt ihm seine Alltagsbedeutung und rckontextualisiert es. Verfertigt wird dann kein Objekt, sondern ein Kontext — etwa das Urinal im Museum —, an den sich kontingente Bedeutungen

des Rezipienten heften können. Die Concept Art, die Mitte der 1960er Jahre entsteht, nimmt

Elemente von Duchamp auf und avanciert zu einer der international wirkmächtigsten der postmodernen Kunstformen.“ Sie ist eine installative Kunst,

die mit Fotografien, Texten

und

Dingen

hantiert und nicht Werke, sondern »Arbeiten« herstellt. Auch hier

der Kunstproduktion eng verknüpft, die von vornherein mit einem

ist das Neuartige des Kunstwerks nicht im Objekt und dessen Her-

reflexiven Rezipienten rechnet. Dieser Zusammenhang zeigt sich

stellung zu sehen, sondern in einer künstlerischen Idee, die das

gut in Duchamps Installationen und Readymades.”” Ein Beispiel

Arrangement der Dinge transportieren will: »Ideen allein können

liefert seine Installation 7rois Stoppages Etalons (Drei KunststopfFaden längennormal, 1913): ein Holzkasten, der drei Holzleisten sowie Glasscheiben enthält. Diese Arbeit ist das Ergebnis eines Experiments: Duchamp hatte drei Bindfäden von einem Meter

Länge auf eine Leinwand fallenlassen, und die in zufälliger Form

Kunstwerke sein« (Sol LeWiet).“!

Das Neue

soll ein intellektuell

anregender — häufig einfacher, sicherlich zuvor schon einmal gedachter — Gedanke sein, den das Publikum sich erarbeiten muss. Wenn etwa Hans-Peter Feldmann in seiner Arbeit Alle Kleider einer Frau auf 72 neben- und übereinander aufgehängten Schwarz-

auf dem Boden aufgetroffenen Fäden »produzierten« dort nun individuell ihr eigenes Längenmaß, das vom standardisierten Meter abweicht. Die Holzleisten bilden die drei neuen »Meter«-Längen ab. Duchamp imitiert hier letztlich eine nichtkünstlerische Praxis, nämlich das wissenschaftliche Experiment, in dem Neuartiges von der Versuchsanordnung selbst unberechenbar hervorgebracht wird,

weißfotos sämtliche Kleidungsstücke — Röcke, Blusen, Unterwäsche etc, — abbildet, die (vorgeblich) eine bestimmte Frau in ihren

Zugleich ist diese Anordnung jedoch Ergebnis eines Konzepts des

cessoires ohne Menschenkörper. Die Arbeit thematisiert damit das Verhältnis zwischen künstlerischen und profanen Gegenständen,

Künstlers, mit dem sich der Rezipient auseinandersetzen soll. Sie ist »ein Kasten, der eine Idee enthält«®® — hier die Einsicht, dass Maßeinheiten Konventionen sind. Dem Rezipienten werden dann vom Künstler — häufig in Form eines schriftlichen Kommentars in der Ausstellung oder im Katalog — Erläuterungen des Kunstwerks an die Hand gegeben, die in ihm einen entsprechenden Aha-Effekt

auslösen können/Duchamps Readymades sind erwas anders aufgebaut. Hier gibt es keine Versuchsanordnungen, sondern bereits existierende Gegenstände wie Flaschentrockner, Schneeschaufeln

oder das bekannte Urinal. Es wird kein Objekt neu geschaffen, 37 Vgl. zu Duchamps Kunstpraxis nur Dieter Daniels, Duchamp und die anderen, Köln 1992; Janis Mink/Marcel Duchamp, Marcel Duchamp, Köln u.a. 2006. 38 Mink/Duchamp, Marcel Duchamp, S. 45. 108

Kleiderschränken hat,“ dann verdeutlicht die Arbeit genau die im

Titel genannte Idee. Die Alltäglichkeit der Kleidungsstücke wird zum musealen Ausstellungsobjekt, die banalen Gegenstände ver-

wandeln sich in rätselhafte, ja unheimliche Formen, in Körperacund der Rezipient hat die entsprechende Erschließungsarbeit zu leisten, um das Rätsel aufzulösen. Kein Lernprozess, sondern ein spontaner »Aha-Effekt« auf Seiten des »Rezipienten-Produzenten« ist hier kennzeichnend. 39 So formuliert Duchamp in Bezug auf das Urinal: »Ob Mr Mutt das Werk eigenständig hergestellt hat oder nicht, ist unerheblich, Er hat es ausgesucht.« (Nach Mink/Duchamp, Marcel Duchamp, S.67.) 40 Vgl. Daniel Marzona/Uta Grosenick (Hg.), Conceptual Art, Köln 2005; Paul Wood, Conceptual Art, London 2002. 41 Sol LeWitt, »Sentences on Conceptual Art« in: Arr&Language ı (1969), S.11-13, hier: S.12, 42 Das Werk ist 1974 entstanden und in Hans Peter Feldmann, Alle Kleider einer Frau, Toronto, Düsseldorf 1999 abgebildert.

109

einem genieästhetischen Originalitätsanspruch, sondern nistet sich

3.4 Kreativität in der postmodernen Kunst

in die Wiederholung des Gegebenen und Vergangenen ein,

Appropriationsverfahren: Das relativ Neue

Drei Varianten von Appropriationsverfahren lassen sich voneinander unterscheiden, und überall ergeben sich Modelle dessen,

In der postmodernen Kunst bilden sich seit den 1960er Jahren eine

was das relativ Neue in der Kunst (und darüber hinaus) bedeuten

Reihe von Praktiken, die den Anspruch der Originalität und radi-

kanr/l‚/fn einer ersten Version greift man auf bereits vorhandene Dinge zurück. Dies gilt etwa für Duchamps Readymades, später für die Environments von Alan Kaprow mit ihren junk-Objekten.

kalen Neuartigkeit von Kunstwerken problematisieren und neujustieren. Die Kritik am Originalgenie sowie an der Unterscheidung zwischen Original und Kopie ist hier verbreitet, und Rosalind Krauss hat sie als eine Kritik am Mythos des »großen Bruchs« auf den Begriff gebracht.”® Diese Dekonstruktion des Originalitätsanspruchs sollte man jedoch nicht dahingehend missverstehen, dass

Das

Neue

besteht

hier in der Selektion

der Gegenstände,

ihrer

kommentierten oder unkommentierten Rekontextualisierung. Die zweite Variante ist die serielle Produktion identischer Formen. Hier

werden Objekte sehr wohl hergestellt, aber sie sind Ergebnis eines

in der postmodernen Kunst das künstlerisch Neue aufgegeben wür-

industriellen Verfahrens,

de. Es wird vielmehr relativer und subtiler markiert — und damit

objekte, die nicht vom Künstler erfunden wurden; zudem werden

potenziert,

sie in Serie fabriziert, ähnlich einem Konsumobjekt. Dies gilt für die Multiples der Minimal Art: Hier ist das Neue im neuartigen räumlichen Arrangement der vertrauten Objekte und in der Atmosphärenkreation zu sehen, die sich aus ihm ergibt.

Exemplarisch

für

diese

alternativen

Produktionsverfahren

jenseits des »Originals« sind die Popart und Andy Warhols Siebdruckverfahren,

die serielle

Reproduktion

industrieller

Formen

in der Minimal Art, die wir bereits gesehen hatten, schließlich die Postproduction und Appropriation Art, die auf bestehende kulturelle Objekte, zum Beispiel massenmedial verbreitete Fotografien, zurückgreift.“ Im Grunde kann man in allen diesen Fällen von Appropriationsverfahren sprechen, denn das Grundmodell der Produktion ist immer das gleiche: Es geht nicht darum, der existie-

und/oder es handelt sich um

Eine dritte Variante bildet die Reproduktion

Standard-

medialer Forma-

te, etwa von Fotografien. Warhols klassischer Siebdruck, in dem Portraits prominenter Personen verarbeitet werden, gehört ebenso

in diese Gruppe wie Sherry Levines, Cindy Shermans und Elaine Sturtevants Reproduktionen und ihr »Nachstellen« von bekannten Fotografien. Die Reproduktion erweist sich dabei als rekontex-

renden Objektwelt ein ex nihilo geschaffenes Artefakt hinzuzufügen,

tualisierende Zitation, deren Unterschied zum

sondern vielmehr auf die existierende Objekte- und Bedeutungswelt zu antworten, indem man sich vorhandener Dinge bedient.

allerdings umso auffälliger wird. In dieser Gruppe sind die medialen Originale selbst bereits technische Reproduktionen, sie sind gewissermaßen »Kopien ohne Original« (Derrida). Warhol bedient sich dabei vertrauter Verfahren aus seiner Arbeit als Werbegrafiker

Der Künstler wird dann zum »Plagiator« (Sherrie Levine), und die

Alltagskultur wird ihm zur »ummensen Enzyklopädie, die ihm als Quelle dient«,** Dieses Sich-Bedienen bedeutet jedoch immer eine ı Resignifizierung: Die Alltagswelt ist der Anfangs-, nicht der Endpunkt des künstlerischen Prozesses, Das Neue ergibt sich nicht in 43 Vgl. Rosalind E. Krauss, Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Dresden, Amsterdam 2000, S.197-219. 44 Vgl. dazu allgemein Romana Rebbelmund, Appropriation Art, Frankfurt/M. u.a. 1999; Stefan Römer, Künstlerische Strategien des Fake, Köln 2001; Nicolas Bourriaud, Postproduction, New York 2002. 45 Sherrie Levine, »Statement«, in: Ausst,kat, Mannerism. A Theory of Culture, Vancouver Art Gallery, 27.3.-25. 4. 1982, Vancouver 1982, S. 48. 110

Original dadurch

und erzielt durch die üppige Farbgebung der Siebdruck-Reproduktionen Verfremdungseffekte.“® Ein anderes Verfahren wählt Elaine Sturtevants Postproduction Art: Wenn sie beispielsweise in der Fotografie La rivoluzione siamo noi in die Rolle von Beuys aus dessen bekanntem, gleichnamigem Portraitfoto von 1972 schlüpft,* sie die gleiche Kleidung trägt wie dieser und den energischen Schritt auf den Betrachter zu imitiert, dann entblößt sie in der Subtilität der 46 Vgl. Klaus Honnef, Andy Warbol. 1928-1987, Köln 2006, 47 Es handelt sich um einen Offsetdruck auf braunem Tonpapier in sechzig Exem-

plaren; der 1988 entstanden ist. 11I

tallationen integrieren spezifische räumliche Bedingungen.

Der

Differenz des Bildes zum Original Letzteres bis zur Kenntlichkeit. Das Neue des Postproduction-Kunstwerks besteht dann in einer Neuinterpretation des »Originals«, das sich selbst als ein kulturelles

Raum, in dem die Aufführung stattfindet, und darüber hinaus ein einzelner spezifischer Ort sind ihr integraler Bestandteil. Zudem ist

Stereotyp erweist.

die Performance — wie auch manche Installation — nicht wiederholbar, sondern temporär, indem sie vom singulären Feedback des

Vom Werk zum Ereignis: Asthetik des Installativ-Performativen

Publikums abhängt, das nur ein einziges Mal in dieser Konstellation zusammenkommt. Für die Ereignisorientierung der Installations- und besonders der Performance-Kunst ist elementar, dass das Ereigniswerk erst

Eine Reihe von Strukturmerkmalen der postmodernen Kunst fin-

durch die Mitwirkung des Publikums entsteht. Der Kunstdiskurs

den sich seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre beispielhaft in den Bewegungen der Installationskunst und der Performance-Kunst,

selbst thematisiert seit den 1960er Jahren diese antikonsumistische

für die das Happening und Alan Kaprows Environments erste Impulse liefern.“ Im Zentrum dieser Bewegungen steht die Ablösung

die darauf hinausläuft, dass »[j]jeder Mensch ein Plastiker [...} [jjeder Mensch ein notwendiger Mitschöpfer« ist.” Das Publikum

des Kunstwerks durch das Kunstereignis.® Der Künstler produziert hier kein dauerhaftes und räumlich transportables oder flexibel ausführbares Artefakt, sondern eine einmalige Siruation, eine räumlich und zeitliche Aufführung, an der Akteure und/oder Gegenstände beteiligt sind. Ästhetische Objekte müssen also nicht mehr fixiert,

Akteur und Zuschauer, dem Versuch der Gemeinschaftsbildung

und antiauratische »Partizipation« und »Betrachtereinbeziehung«,

soll das Ereignis mitkreieren. Dies geschieht auch interaktiv in bestimmten Inszenierungsverfahren wie dem Rollenwechsel zwischen zwischen Betrachter und Akteur oder durch Formen wechselseitiger Berührung. Die Schraube der Aktivierung des Rezipienten

sie können auch temporär sein. Indem die Aufführung selbst das Kunstwerk ist, findet eine Angleichung an die Alltagswelt jenseits

wird damit eine Windung

der Kunst statt:”” Auch deren soziale Praxis ist schließlich zwangs-

geht es nun

weitergedreht:

Über die Aktivierung

der Interpretationen des Zuschauers in der Konzeptkunst hinaus darum,

dass auch

der Zuschauer-Körper

aktiv wird

läufig performativ, das heißt, auch sie stellt beständig über die Aufführung/Ausführung von Körpern und Objekten eine Wirklichkeit

und dass der Mitspieler — gegen das klassische Modell des handlungsentlasteten Raums des Ästhetischen — im Kunstraum folgen-

her. Indem in der postmodernen Kunst an die Stelle des Werks zunehmend das Kunstereignis tritt, werden Rahmenbedingungen

reiche Entscheidungen trifft und damit beispielsweise über den weiteren Verlauf der Performance oder das Funktionieren einer

relevant, die für jede Alltagsinteraktion gelten und die durch das

Installation mitbestimmt. Systematisch wird damit immer wieder

Werk im klassischen Sinne künstlich eingeklammert wurden: die Orts- und Zeitgebundenheit der Praxis.” Performances und Ins-

die Grenze zwischen dem Erleben von Kunst und nichtkünstleri-

mance. Live Art Since the 60s, London 1998 und als frühe Selbsttheoretisierung Allan Kaprow (Hg.), Assemblage, Environments and Happenings, New York 1965. 49 Vgl. dazu Erika Fischer-Lichte, Asthetik des Performativen, Frankfurt/M. 2004; Juliane Rebentisch, Asthetik der Installation, Frankfurt/M. 2003.

so Diese Position wird programmatisch in der Fluxus-Bewegung vertreten, vgl. George Maciunas, »Neo-Dada in Music, Theater, Poetry, Art« (1962), in: Ausst.

kat. In the Spirit of Fluxus, Minneapolis, Walker Art Center 1993, S. 156£. 51 Vgl. zur Thematisierung von Ort und Kontext Perer Weibel, »Kontext-Theorie der Kunst«, in: ders., Kritik der Kunst. Kunst der Kritik: es says & T say, Wien, 112

München 1973, S. 65-69; zur Einmaligkeit der Live-Performance vgl. Peggy Phelan, Ihe Politics of Performance, London 1993, S. 146ff. 52 Vgl. dazu insgesamt Goldberg/Reiss, Performance, S.30ff. Das bekannte Zicat von Joseph Beuys findet sich Georg Jappe, »Nicht einige wenige sind berufen, sondern alle: Interview mit Joseph Beuys über ästhetische Erziehung«, in: Kunstnachrichten (Luzern), 9, 6.2.1973, 0.5. 5 Zur Destabilisierung von Frames insgesamt vgl. Erving Goffman, Frame-Analysis, An Essay on the Organization of Experience, Boston 1974. w

48 Vgl. dazu insgesamt Julie H. Reiss, From Margin to Center. The Spaces of InstalIation Art, Cambridge 1999; Roselee Goldberg/Laurie Anderson Reiss, Perfor-

schen Praktiken unterlaufen und thematisiert. Die damit verbundene Frame-Destabilisierung verläuft häufig auch über Affekte:® Der Ekel und Schmerz des Zuschauers, der sich etwa angesichts

113

einer nicht nur gespielten, sondern realen Selbstverletzung auf der Bühne ergibt — man denke an die Performances von Marina Abramovic —, hat nicht mehr den Stellenwert einer handlungsentlasteten

Theater, wird der individuelle Künstler von einem ganzen Künst-

lerkollektiv mit Eigennamen ersetzt.”

Katharsis angesichts eines Bühnendramas, sondern richtet sich auf

3.5 Postmoderne Künstlersubjekte

die Zwischenzone zwischen der Lebenswelt des Alltags und dem Kunstereignis.”* Im Rahmen der Performance-Kunst entwickelt der »Rezipient-Produzent« dabei eine gesteigerte ästhetische Auf-

merksamkeitsweise, eine Haltung, die man als »verstreute Konzentration« umschreiben kann. Da in einer Performance anders als in

einem klassischen Theaterstück mit seiner linear-psychologischen

Der Künstler als Arrangeur Wie spätestens seit den 1990er Jahren deutlich sichtbar wird, laufen die Transformationen der künstlerischen Praktiken in einer neu-

Dramatik potenziell jedes scheinbar noch so unwichtige Detail relevant werden kann, ohne dass die Handlung ein Selektionskriterium an die Hand geben würde, entwickelt der kompetente Rezipient eine Reizsensibilität für das scheinbar Banale, Hier wird der für urbane Interaktionen charakteristische moderne »Reizschutz« (Simmel) zugunsten einer Aufmerksamkeitserweiterung aufgeweicht.” Mit der Entgrenzung des Werks zum ästhetischen Ereignis und der Aktivierung der ästhetischen Dispositionen des Publikums

wie die Kompetenzprofile anderer Berufe aus den creative indus#ries, die sich im Rahmen des ästhetischen Kapitalismus im letzten

transformiert sich im Rahmen der Performance- und Installations-

Viertel des 20. Jahrhunderts entwickeln.® In der Kunst zeichnen

kunst auch das Künstlersubjekt: Die Künstler verwandeln sich vom

sich damit die Merkmale des professionellen Kreativsubjekts und seiner ästhetischen Arbeit insgesamt ab.

Werkproduzenten

zu Initiatoren von Atmosphären.”

Es geht ih-

nen in erster Linie um die Herstellung eines Wahrnehmungs- und

en Form des Künstlersubjekts zusammen: Der Künstler (oder das Künstlerkollektiv) ist nun in erster Linie ein an Vermittlung orientierter Arrangeur ästhetischer Prozesse, Ein künstlerisches »Kompetenzprofil« löst die exklusive Figur des Künstler-Originals ab. Die-

ses Profil, in dem sich semiotische, affektorientierte, intellektuelle und mediale Kompetenzen vereinen, hat eine ähnliche Struktur

diale und multiperzeptive Aufgabe, bei der an allen potenziellen Ef-

Als Arrangeur geht es dem Künstler im Kern darum, gegebene Elemente aus der soziokulturellen Welt der Gegenwart und Vergangenheit auszuwählen, zu modifizieren, zu kombinieren und zu präsentieren. Der Künstler ist dann — wie Burgin im Jahr 1969 fest-

fekträdern zugleich gedreht wird: Immer geht es um die Mischung

stellt — »nicht als Schöpfer neuer Materialformen, sondern eher als

und Kombination von Seh- und Höreindrücken, von Körperbewegungen und Film, von Requisiten, Zuschauerraumgestaltung

manipulator«

und

und Schlussmarkierungen,

einen souveränen Umgang mit diversen soziokulturellen Kontex-

Die kreative Gestaltung richtet sich auf ein publikumsorientiertes »Gesamtkunstwerk«, und nicht selten, etwa im postdramatischen

57 Beispielhaft sind hier Künstlerkollektive wie Rimini Prorokoll, She She Pop oder

Affizierungsraumes, dessen Wirkung jedoch immer unberechenbar bleibt. Die Atmosphärenkreation ist von vornherein eine interme-

um

die Änderung

von Anfangs-

Koordinator existierender Formen zu sehen«, er ist ein »Zeichen(Hall

Foster).”

Die Tätigkeit des Arrangeurs

setzt

Gob Squad. Parallel zu dieser Angleichung existieren soziale Abgrenzungsstrategien zwischen Künstlern und »kommerziellen« Kreativarbeitern, vgl. Karen van den Berg, »Kreativität, Drei Absagen der Kunst an ihren erweiterten Begrifl«, in: Stephan A, Jansen/Eckhard Schröter u.a. (Hg.), Rationalität der Kreativität?, Wiesbaden 2009, S.207-224. 59 Victor Burgin, »Situationsästhetik« {1969], in: Gerd de Vries (Hg.), Über Kunst. Künstlertexte zum veranderten Kunstverständnis nach 1965, Köln 1974, 5.77-89, hier: S.77; Hal Foster, Recordings: Art. Spectacle. Cultural Politics, Seattle 1985, S. 99-115, hier: S, 100. o

5 54 Vgl. Fischer-Lichte, Asthetik des Performativen, S.9F, Vgl. zu Abramovic Paula Orrell (Hg.), Marina Abramovic and the Future of Performance Art, München 2010. 55 Vgl. Georg Simmel, »Die Großstädte und das Geistesleben«, in: ders., Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908, Band I, Gesamtausgabe Band 7, Frankfurt/ Main 1995, S H6-131.

56 Vgl. zu einem systematischen Begriff der Atmosphäre Gernot Böhme, Atmosphare, Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/M. 1995.

114

I15

ten voraus, Er muss mit dem historischen Bestand der Hochkultur

ebenso vertraut sein wie mit den globalisierten Populärkulturen der Gegenwart. Dass die postmoderne Kunst häufig — seit Peter Weibels Aufsatz von 1973 — den Anspruch erhebt, »Kontextkunst« und — mit Nicolas Bourriaud — »relationale Ästhetik« zu sein, entspricht dieser semiotischen

Universalkompetenz:®

Die Kontextkunst

re-

Grenzen zwischen Künstler und Kurator, die sich seit den 1970er Jahren beobachten lassen.® Das Berufsbild eines Freien Kurators formiert sich in Deutschland 1969 in der Gründung der »Agentur für geistige Gastarbeiter« durch Harald Szeemann, der drei Jahre später zum ersten programmatischen Ausstellungsleiter der Kasseler Documenta wird., Der Kurator sicht sich in seiner Tätigkeit als

Aektiert ihre räumliche, dann ihre institutionelle, schließlich ihre gesellschaftliche Einbettung und macht sie zum Thema. Die relationale Ästhetik verweist auf eine Kunst, die nicht im engeren Sinne

Arrangeur und intellektueller Kommentator selbst als Künstler, als exhibition auteur, und dies hat als Gegenreaktion wiederum eine

Neues schafft, sondern auf bereits geschehene gesellschaftliche und

gerufen. Der »Künstler-Kurator« ähnelt der Figur des Regisseurs und ist gewissermaßen ein Künstlersubjekt zweiter Ordnung: Über die künstlerische Anordnung von Material hinaus geht es nun um

kulturelle Veränderungen Bezug nimmt, sich in diesen nach Art eines »social interstice« einnistet und sie in der künstlerischen Repräsentation kritisch kenntlich macht. Der Künstler als soziokultureller Arrangeur ist gewissermaßen

multikompetent: er ist ebenso quasiwissenschaftlicher Rechercheur

Übernahme kuratierender Tätigkeiten durch die Künstler hervor-

das Arrangement schon bestehender Kunstwerke und -situationen im dreidimensional-musealen wie intellektuellen Raum. Das Ziel ist immer die Herstellung eines räumlichen, atmosphärischen und

und Selbstkommentator, er ist Kurator und Atmosphäreninitiator, schließlich Agent einer politisch-kulturellen /ntervention. Die künstlerische Praxis hat in der Moderne immer wieder die Materialrecherche als Vorbereitungsarbeit enthalten, aber die postmoderne Kunst integriert noch systematischer und offensiver quasi- und

zen und Mäzenen gehört. Wie in der Performance ist hier die Prä-

pseudowissenschaftliche oder auch journalistische Praktiken wie

begrenzten kulturellen Events. Die Tätigkeit des postmodernen

die des Sammelns, Beobachtens, Dokumentierens und Archivierens in den Produktionsprozess selbst.* In diesen Verfahren geht es jedoch nicht um die Sicherung von Objektivität, sondern vielmehr um die Subjektivität der Recherche, wie sie sich an Christian Boltanskis »persönlichen Museen« zeigt, Des Weiteren integrieren postmoderne Künstler auf ihre Weise Kompetenzen des Kunstwissenschaftlers und Theoretikers. Der Selbstkommentar wird Teil des

Künstlers ist dabei häufig und die des Künstler-Kurators immer kollektiv. Andy Warhols Factory erscheint hier vorbildlich für eine kollektive »Kreativitätsmaschine«, die es ermöglichen soll, kreative Tätigkeiten verschiedener Akteure anzuregen und miteinander zu

Kunstwerks und unabdingbar für die Selbstkontextualisierung. Der Künstler verlässt sich nicht auf die Kommentare der Kunsthistoriker und Kritiker, sondern betreibt eine Selbstexplikation als »Künstler-Intellektueller«. _ Aufschlussreich in diesem Zusammenhang sind die fießenden

intellektuellen Zusammenhangs, zu dem auch eine Koordination und kommunikative Vernetzung von Personen, medialen Instan-

sentation selbst das temporäre Werk; an die Stelle des dauerhaften oder reproduzierbaren Werks tritt die Organisation eines zeitlich

verknüpfen.® Elementar

für das

Aufgabenportfolio

des

Künstler-Kurators

und Performance-Künstlers, aber auch des Typus des postmodernen Künstlers insgesamt ist die Tätigkeit als Atmosphärenmanager. Hier kreuzt sich das Arrangement von Zeichen mit dem Initiieren von Affekten: Der Künstler ist als Zeichenarrangeur und Selbstkommentator Diskursmanager, gleichzeitig aber auch Initiator von Atmosphären.

Das Arrangement der Dinge (und Körper) im

Raum zielt auf Afizierungen beim Publikum ab, auf eine »begeh60 Vgl. Weibel, »Kontext-Theorie der Kunst«; Nicolas Bourriaud, Relational Aes61

116

thetics, Paris 1998. Günter Metken macht Mitte der 1970er Jahre in der französischen bildenden Kunst beispielhaft eine solche »ethnologische« Tendenz aus, die sich danach ausbreitet. Vgl, Günter Merken, Spurensicherung, Köln 1977; zu diesem Thema auch Haf Foster, »An Archival Impulse«, in: October 110 (2004), S.3-22,

62 Vgl. dazu Beatrice von Bismarck, »Haltloses Ausstellen. Politiken des künstlerischen Kuratierens«, in: Michalka/dies., Zhe Artist as, S.33-47; Hans Dieter Huber, »Künstler als Kuratoren«, in: ders./Hubert Locher u.a. (Hg.), Kunst des Ausstellens, Ostfildern-Ruit 2002, S, 225-228. 63 Vgl. Nar Finkelstein, Andy Warhol, London 1989.

117

bare Ereignisstruktur«.“ Solches Affektmanagement

macht es er-

forderlich, unterschiedlichste mediale Formate im weiteren Sinne

(Foto, Film, Computer, Schauspiel, Tanz, Musik, Dinginstallation etc.) zu beherrschen und auch eine architektonische, eine spazioatmosphärische Kompetenz zu entwickeln, die es ermöglicht, ganze Räume zu entwerfen.

Schließlich übernimmt das postmoderne Künstlersubjekt immer wieder die Rolle eines Agenten von »Interventionen«.° Es soll eine Aufmerksamkeit für das Kunstereignis und für das »Problem« geschaffen werden, das in ihm vermittelt wird. Im Zentrum der künstlerischen Produktion kann dann im Extrem diese geschickte Aufmerksamkeitsmobilisierung selbst stehen, etwa bei Kunstaktionen wie denen von Christoph Schlingensief.® Die erfolgreiche Interven-

institutionelle Transformation, die das globale Kunstfeld seit den 1970er Jahren erfasst, erleichtert eine solche Professionalisierung des künstlerischen Aufmerksamkeitsmanagements: Die globale Institutionalisierung von sozialen Kontexten, die auf die Präsentation zeuer Kunst ausgerichtet sind — in Form von Biennalen, Kunstmessen, Kunstfestivals oder kuratierten Sonderaustellungen

in einer explosionsartig anwachsenden

Wahl eines passenden Ortes und Zeitpunktes, die Mobilisierung des entsprechenden Publikums, der Medien und der Kritik sowie die gezielte Verbreitung einer Selbstkommentierung. Die Intervention

dieses Typs geht über den Kunstskandal der Avantgarden hinaus. Zwar sind beide am Publikum orientiert, aber die Intervention will

nicht Ablehnung mobilisieren, sondern positive Aufmerksamkeit und damit eine Reflexion seitens der Öffentlichkeit anregen. Insgesamt zeichnet sich das Kompetenzprofil des postmodernen Künstlers damit durch eine Kombination von Fähigkeiten aus, die sich einerseits an das ästhetische Material und andererseits an das Publikum richten. Der gesamte gesellschaftliche Zeichen-, Narrations- und Affekthaushalt inklusive aller verfügbaren medialen Formate verwandelt sich in potenzielles Material für die Kunst. Das Arrangement dieses Materials wird zugleich an eine geschickte

Mobilisierung der Aufmerksamkeit des Publikums gebunden, Die 64 Harald Szeemann, »Konzept für die documenta 5«, in: Klaus Staecck (Hg.), gung der Documenta oder Die Kunst soll schön bleiben, Göttingen 1972, S, Ar3, hier: S, Auz2. 65 Vgl. dazu Anne-Marie Bonnet, Kunst der Moderne. Kunst der Gegenwart, 2004, S. 135£; Philip Ursprung, Die Kunst der Gegenwart. 1960 bis heute, chen 2010, S. 45,69.

BefraAr2Köln Mün-

66 Zu Schlingensief vgl. Catherina Gilles, Kunst und Nichtkunst. Das Theater von Christoph Schlingensief, Würzburg 2009. 118

Museumsland-

Sie verschärft zugleich den Wettbewerb um die knappe Ressource der Aufmerksamkeit des Kunstpublikums, das sich zwischen den einzelnen Kunstprodukten und Künstlern entscheiden muss.”

Künstler-Performativität

tion setzt sowohl eine Analyse des Wirkungskontextes der Kunst als auch eine reflektierte Strategiebildung dahingehend voraus, wie dieser Kontext am besten beeinflusst werden kann. Dazu gehören die

globalen

schaft —, erwartet von ihr das Angebot überraschender Ereignisse.

Im postmodernen Kontext erfährt das Künstlersubjekt als Arrangeur und Vermittler eine Professionalisierung und Verallräglichung.

Dies ist jedoch nur die eine Seite. Insbesondere seit den 1980er Jahren kann man eine erneuerte affektive Besetzung der Figur des

Künstlers beobachten, jedoch in einer veränderten Version. Die Repräsentation

des

Künstlers

im

Rahmen

der Geniereligion

des

19. Jahrhunderts spaltete sich zwischen dem etablierten, allerdings dadurch auch in seiner Innovativität eingeschränkten »Künstlerfürsten«, dem in seiner Originalität anerkannten, aber bereits verstorbenen Künstler-Genie und dem umstrittenen Gegenkünstler (Bohemekünstler, Skandalkünstler, Sezessionisten, Dandies etc.)

au£.«’$pätestens seit den 1940er Jahren schält sich jedoch ein Nachfölgemodell heraus, wie es erstmals bei Pablo Picasso — oder auch dem genannten Jackson Pollock — deutlich wird:® der Künstler als ein massenmedial repräsentierter Star, der ästhetische Originalität und sozialen (Aufmerksamkeits-)Erfolg zu Lebzeiten in sich vereinigt. Joseph Kosuth und Andy Warhol können etwas später als Verkörperungen einer solchen erfolgreichen postmodernen Künst67 Vgl. zu diesem institutionellen Kontext Pascal Gielen, 7he Murmuring of the Artistic Multitude. Global Art, Memory and Post-Fordism, Arasterdam 2010; Bonnet, Kunst der Moderne., S.36 ff, Zum Zusammenhang zwischen dem Prozess der Muscalisierung und der Ausbildung von creative cities vgl. auch unten Kapitel 7.4.

68 Zu Picasso vgl. ctwa John Berger,

Glanz und Elend des Malers Pablo Picasso, Rein-

bek bei Hamburg 1973. Zur Vorgeschichte des Künstlers als performing selfin den Massenmedien um 1900 vgl. auch unten Kapitel 6,2.

119

lerfigur gelten. Seit den 1990er Jahren verbreitet sich dieses Muster im Rahmen eines Systems von Kunststars, das Maler und Aktionskünstler ebenso umfasst wie Regisseure und Autoren. Im postmodernen Kunstfeld entkoppelt sich zumindest teilwei-

se die Anerkennung der Performativität des Künstlersubjekts vom Interesse an seinem Werk.® Während das klassische Künstlermodell auf einem Nexus zwischen Werk und Person beruhte, folgt nun die Selbst- und Fremddarstellung des Künstlers zunehmend einer medialen Eigenlogik, gegenüber der die Rezeption der Kunstwerke

und -ereignisse im Extremfall getrennt verlaufen kann. Zentral ist dann nicht, dass der Künstler ein Werk hergestellt hat (wobei dieses natürlich trotzdem vorhanden sein muss), sondern dass er sich als Künstler performativ produziert, das heißt sich durch ein identifizierbares Aussehen, eine besondere Form des Auftretens, einen

bestimmten Umgang mit den Medien, typische Verhaltensweisen jenseits der Kunstproduktion (Privatsphäre, Werbung, Politik etc.) — permanent selbst dar- und herstellt. Die Massenmedien ermöglichen diese dauerhafte Publizität der Person. Es kommt ein weiterer Faktor hinzu: In der bildenden Kunst wird in den 1960er Jahren das Dealer-critic-System, das den am Werk interessierten Kunstkritikern als Gutachter des ästhetischen Wertes eine starke Stellung sicherte, durch ein Dealer-collectorSystem abgelöst.”” Nun entscheidet das Publikum der Sammler über den Erfolg eines Künstlers, so dass die »populäre«, fachfremde Betrachtung der Selbstinszenierung des Künstlers wirksam werden kann. Dem Konzeptkünstler Joseph Kosuth gelingt es so Mitte der 1960er Jahre als einem der Ersten, sich — unabhängig

von seinen sperrigen Werken — medial als dandyesker Rebell und geschäftstüchtiger Intellektueller zu präsentieren. Andy Warhol perfektioniert

diese Sicherung

von

Wiedererkennbarkeit

durch

die Performativität seiner selbst als Teil der New Yorker CelebrityKultur und als Objekt der globalen Medien.“ Generell ist für den

postmodernen Künstler nach Kosuth und Warhol die Visualität der Performance, die Präsentation des medialen Bildes der eigenen Person unverzichtbar, um Unterscheidbarkeit und Individualität zu sichern.

Die Kultivierung der Künstler-Performativität jenseits des Werkes greift einerseits auf ein Element aus dem klassischen Kunstfeld zurück: auf die Selbststilisierung des Künstlers in der Bohemekultur. Wie wir gesehen haben, hatte sich bereits dort die künstlerische Gestaltungsabsicht vom Werk auf die öffentliche Demonstration eines Lebensstils verschoben. Andererseits ist das postmoderne Künstlersubjekt nicht länger Teil einer idenrtifizierbaren Gegenkultur, sondern Bestandteil der globalen creative class. Die Selbststilisierung muss daher einem anderen Muster folgen. Sie zielt auf die Profilierung eines wahrnehmbaren und attraktiven Stils als Individuum ab, die zwangsläufig mit einer Distinktion gegenüber anderen Individualstilen innerhalb des Kunstfeldes verknüpft ist. Diese Produktion eines individuellen Stils greift auf den historischen Pool der Versatzstücke von Künstlerhaftigkeit zurück, die sich seit dem 18. Jahrhundert akkumuliert haben, und kombiniert sie in neuer Weise, Dies gilt für Künstlermodelle wie das des Bohemiens ebenso wie für das des Künstlerfürsten, des Politkünstlers oder Künstleringenieurs, des introvertierten Außenseiters oder des extrovertierten maskulinen Künstlers. Diese Logik der Differenz, die zum Einsatz kommt, um einen individuellen Stil als medial sichtbare Künstlerpersönlichkeit zu

verfertigen, wird beispielhaft deutlich, wenn man mit Pipilotti Rist, Markus Lüpertz und Christian Boltanski auf den ersten Blick sehr unterschiedliche zeitgenössische Künstler einander gegenüberstellt.”? Die Schweizer Konzeptkünstlerin Rist inszeniert sich in den Massenmedien von Vogue bis Emma als ein unkonventioneller Typ, die bis in die Kleidung hinein mit vielfältigen Weiblichkeitsformen

experimentiert. Zugleich machr sie deutlich, dass sie nicht allein, sondern als Leiterin eines Künstler-Teams agiert. Lüpertz erscheint

69 Vgl. dazu allgemein Isabelle Graw, Der großte Preis, Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur, Köln 2008; Nina Tessa Zahner, Die neuen Regeln der Kunst, Frankfurt/M. 2006; Wetzel, »Autor/Künsrtler«, 70 Vgl. Graw, Der große Preis, S.128-131. 71 Vgl.zu Kossuth Blake Stimson, »The Promise of Conceptual Art«, in: ders./Alexander Alberro (Hg.), Conceptual Art. A Critical Anthology, Cambridge, London 1999, S, XXXVIIF. und zu Warhol Zahner, Die neuen Regeln der Kunst. 120

demgegenüber in seiner Anlehnung an postromantische Figuren wie die des Künstlerfürsten, des Narziss und des Dandy auf den ersten Blick wie ein lebender Anachronismus.

Boltanski schließ-

72 Vgl. dazu im Derail die Analyse von Sabine Kampmann, Künstler sein. Systemtheorerische Beobachtungen von Autorschaft, München 2006. I2I

lich verweigert sich konsequent jeder nach Authentizität strebender

3.6 Die Kunst als exemplarisches Format der Spätmoderne

Selbstdarstellung und ersetzt sie durch ihre selbstreflexive Thematisierung im Medium der Kunst selbst; in Dokumentensammlungen

Das soziale Feld der Kunst ist im Lauf des 20. Jahrhunderts, insbe-

und Interviews treibt er ein Spiel mit seiner Biografie, während er

sondere seit den 1970er Jahren, zentrifugal geworden:

selbst unsichtbar bleibt. Die Frage, ob der postmoderne Künstler generell eher dem Typus der medienorientierten Kreativen (Rist), des neogenialischen Revival (Lüpertz) oder der Selbstdekonstrukti-

dessen, was als künstlerisches Objekt gilt, hat sich entgrenzt und

on (Boltanski) folgt, würde jedoch ins Leere greifen. Alle drei sind

Der Bereich

integriert auch bisher nichtkünstlerische Ereignisse und Artefakte;

die Praktiken und Kompetenzen der Künstlersubjekte haben sich

vielmehr beispielhafte Figuren des postmodernen Kunstfeldes, in-

ausgedehnt und umfassen nun solche von Arrangeuren und Atmosphärenproduzenten; der Rezipient schließlich wird als »Kokre-

dem es ihnen jeweils gelingt, im Rahmen des Aufmerksamkeits-

ativer« adressiert. Das Verhältnis der zentrifugalen Kunst zu den

wettbewerbs als individuelle, unterscheidbare Performances ihrer

anderen

selbst wahrgenommen werden. Entscheidend ist nicht die jeweilige

Vernetzungen und Grenzzonen charakterisiert: Im Zuge von Grenz-

sozialen

Feldern

ist damit

durch

Grenzüberschreitungen,

inhaltliche Füllung dieser Performance, sondern dass durch eine

überschreitungen werden Objekte und Kompetenzen anderer sozi-

spezifische Kombination,

alen Praxen künstlerisch angeeignet, zum Beispiel Techniken und Gegenstände der Massenmedien, Methoden des Wissenschaftlers oder Gegenstände der Natux.-In Vernetzungen beeinflussen sich verschiedene Felder wechselseitig, zum Beispiel Kunst und Wer-

Nuancierung oder partielle Innovation

in der sichtbaren Herstellung des Selbst erfolgreich eine Differenz zu anderen Künstlern im Feld markiert wird, so dass Unterscheidbarkeit gesichert ist und zugleich eine attraktive Figur entsteht. Im Gegensatz zum Künstler des bürgerlichen Kunstfeldes stellt sich das postmoderne Künstlersubjekt somit nicht mehr als ein riskantes und faszinierendes, dabei nichtverallgemeincrungsfähi-

ges Anderes gegenüber der herrschenden Kultur dar, sondern als Knotenpunkt innerhalb eines umfassenderen, weit über die Kunst hinausreichenden massenmedialen Systems von kreativen Stars,

das beanspruchen kann, allgemein erstrebenswerte Eigenschaften des Individuums zu präsentieren.”” Der postmoderne Künstler wird zum imitierbaren Ideal-Ich: ein Subjekt, dem die individuelle Selbststilisierung ebenso gelingt wie der Erfolg als Kreativarbeiter.

Er bringt das in eine Synthese, was im bürgerlichen Kunstfeld im Wesentlichen nur getrennt voneinander gedacht werden konnte: ein Werk und ein Selbst, die neue ästhetische Standards setzen und zugleich gesellschaftliche Anerkennung in der Gegenwart mit sich bringen.”*

bung oder Kunst und Stadtmanagement. Schließlich sind Grenzzonen entstanden, deren Zuordnung zur Kunst oder einem anderen

Feld mehrdeutig ist, etwa die Architektur oder das Design. Während das bürgerliche Kunstfeld primär an der Stabilisierung seiner Grenzen als autonome Kunst arbeitete, hat die zentrifugale Kunst damit im Kern ein-konträres Interesse an systematischer Vernetzung, Grenzüberschreitung und der Bildung von Zwischenzonen zwischen Innen und Außen. Wir haben im Detail gesehen, wie im postmodernen, zentrifugalen Kunstfeld damit grundlegende Prozesse der Entgrenzung stattfinden. Den strukturellen Grundriss, den sich das soziale Feld der Kunst zu Beginn der Moderne gegeben hat, hat es im Zuge

dieses Prozesses jedoch n»icht verloren. Es hat ihn vielmehr reproduziert und radikalisiert. Die spezifische ästhetische Sozialität der London, New Yoark 2006). Dies bedeutet natürlich nicht, dass es real keine mar-

73 Dieser Starcharakter globaler Künstler ist mittlerweile zum Gegenstand selbstironischer künstlerischer Performances geworden, etwa bei Andrea Fraser — vgl. Nina Möntmann, Kunst als sozialer Raum. Andrea Fraser, Martha Rosler, Rirkrit Tiravanija, Renee Green, Köln 2002. Vgl. zum Star-System ausführlich Kapitel 6 dieses Buches. 74 Vgl. als Beispiel für den Typus des global erfolgreichen Künstlers die Young British Artists (dazu Julian Stallabrass, High Art Lite. The Rise and Fall of British Art, 122

ginalisierten Künstler gäbe, sondern dass diese in der kulturellen Repräsentation an Legitimität verloren haben. Anders als im Typus des verkannten Genies des 19. Jahrhunderts kann Marginalität nicht mehr als Voraussetzung für Kreativität in Anspruch genommen werden. Zur sozialen Prekarität von Künstlern in der Gegenwart vgl. nur Angela McRobbie, »Jeder ist kreativ.. Künstler als Pioniere der New Economy?«, in: Jörg Huber (Hg.), Singularitaten — Allianzen. Interventionen ı1, Wien, New York u,a 2002, S. 37-59.

123

Kunst beruht nach wie vor auf den genannten vier Säulen: der Produktion des ästhetisch Neuen durch den Künstler als kreatives Subjekt (nun teilweise erweitert zum kreativen Kollektiv); der Aus-

richtung an spezifisch ästhetischen Objekten; einem ästhetisch orientierten Publikum und einem institutionalisierten Management

der Aufmerksamkeit für diese Kunstobjekte und -ereignisse. Das zentrifugale Kunstfeld bildet wie sein bürgerliches Vorgängermodell nach wie vor eine Form des Sozialen, die in diesem Rahmen auf eine fortgesetzte Hervorbringung und Rezeption von ästhetisch Neuartigem ausgerichter ist, Hinsichtlich der zentralen Stellung dieses ästhetisch Neuen ergibt sich nun jedoch eine paradoxe Konstellation, Bereits in den Avantgardebewegungen, erst recht im Rahmen des Postmodernismus, hat der Kunstdiskurs immer wieder eine Dekonstruktion des »Mythos des Neuen« der Kunst und der Künstlerfigur als originellem Schöpfer betrieben. Wie wir gesehen haben, hat sich diese Dekonstruktion in eine entsprechende Kunstpraxis des bewussten Kombinierens, Arrangierens, Uminterpretierens und »Plagiierens« umgesetzt.”* In der Struktur des Kunstfeldes hat diese Selbstent-

zauberung jedoch micht dazu geführt, dass die Orientierung am Überraschenden, Andersartigen und Unkonventionellen und ihrer »tradition of the new«’® verschwunden wäre. Im Gegenteil: Die Entzauberung des Schöpferkünstlers hat die Möglichkeiten für eine fortgesetzte strukturelle Orientierung des Kunstfeldes am Überraschenden und Andersartigen erweitert und radikalisiert. Indem das Neue nicht mehr mit dem totalen Bruch des genialen Künstlers identifiziert oder in einer radikalen Stilavantgarde verortet wird, dehnt sich drastisch aus, was als relativ Neues zählen kann. Das ästhetisch Neue wird ungeniert fabrizierbar, wenn auch

die Rearrangements und Appropriationen, auch jene der Populärund Medienkultur legitimerweise als künstlerisch interessant klassifiziert werden. Indem sich der Stellenwert des interessanten Neuen liberalisiert,

kann sich das soziale Regime des Neuen umso robuster perpetuieren. Dieses relativierte und zugleich radikalisierte Verständnis der 75 Vgl. zur Ablösung des Avantgarde-Modells des radikalen Bruchs durch die postmoderne Kunst Krauss, Die Originalität der Avantgarden. 76 Diese Formulierung wird von Rosenberg geprägt: Harold Rosenberg, 7he Tradition of the New, New York 1959.

124

Kreativität verändert auch die Haltung zum ästhetisch »Alten«, das

nicht einfach als überholt abgelehnt, sondern dessen Aneignung und Kombination

in den Dienst der Neuheitenkreation gestellt

wird. Indem die Interpretation und das Neuarrangement des Alten wie auch der zeitgenössischen populären Kultur zu legitimen

Prozeduren der Kreativität werden, erhält die Kunst Zugriff auf ein enorm erweitertes Berätigungsreservoir. Eine ähnliche Wirkung hat die Auflösung der Genre- und Mediengrenzen, das Zulassen der Zufallsproduktion und die Toleranz gegenüber der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Kunststile. Die strukturelle Entgrenzung

der Komponenten des Kunstfeldes läuft so darauf hinaus, dass das Regime des ästhetisch Neuen als Überraschungsproduzentin — jenseits aller Einschränkungen der bürgerlichen Kunst — in reiner, unbegrenzter Form möglich wird. Eine wichtige Rolle bei dieser Radikalisierung der Ausrichtung am ästhetisch Neuen spielt das veränderte Verhältnis zwischen

Künstlern und Rezipienten. Während im bürgerlichen Kunstfeld das /’art pour l’art der Produzentenlogik und der Populismus der Publikumslogik einander gegenüberstanden und beide von der Lo-

gik der Skandalisierung der frühen Avantgarden überlagert wurden, kehrt das zentrifugale Kunstfeld deren Skandalisierungslogik in die Form einer paradoxen Logik der Übermst/7zmgserwzzrzrung um. In der postmodernen Kunst wird das Publikum nicht mehr als Instanz des bürgerlichen Geschmackskonservativismus (»E€pater la bourgeoisie«), sondern demokratisch-komplizenhaft als Ensemble aktiver, kreativer und offener Rezipienten adressiert. Es wird nun ohne Einschränkungen vorausgesetzt, dass das Publikum durch das ästhetisch Neue überrascht werden will,”” Die Kunst gerät damit in die Situation, diesem Affizierungswunsch durch das Unbekannte, Irritierende und Verstörende nachzukommen. Der Antagonismus 77 Natürlich gibt es soziale Grenzen der Irritationsfähigkeit des Kunstpublikums. Man kann jedoch die These vertreten, dass die von der Kunstsoziologie de-

monstrierte Ausdehnung des Typus eines kulrturellen »Allesfressers« (omnivore nach Richard Peterson), der hochkulturelles und populäres Interesse ungeniert miteinander vereint, der generalisierten Überraschungserwartung hilft, sich zu etablieren: Die Einschränkungen des bürgerlichen Geschmacks erodieren, und das populäre, durch die Massenmedien angetriebene Interesse am Sensationellen

dehnt sich zugleich aus. Vgl. Richard A, Peterson/Roger M. Kern, »Changing highbrow taste: From snob to omnivore«, in; American Sociological Review, (61) 1996, S.900- 907.

125

zwischen

Publikumslogik

und

Produzentenlogik

löst sich in der

Komplizenschaft zwischen Künstlern und Publikum im Rahmen eines Regimes der ästhetischen Irritation auf.

dispositiv verste\hen zu können. Einen anderen Weg schlagen Luc Boltanski und Eve Chiapello ein. Er besteht darin, nicht (allein)

kapitalismus witterte, machte Arnold Gehlen eine nachbürgerliche

die ästhetisch orientierte Rezeption, sondern auch und mehr noch die ästhetische Produktion, die kreative Arbeit, als formgebend für breite gesellschaftliche Segmente auszumachen, und zwar hier vor allem für die Arbeit in der postfordistischen Organisation.® Allerdings: In Boltanskis und Chiapellos Der neue Geist der Kapitalismus interessieren nicht die Struktur und Genese des Kunstfeldes und seiner künstlerischen Praktiken, sondern in erster Linie die »Künstlerkritik«, das heißt die Kapitalismus- und Entfremdungskritik, wie sie in den ästhetisch-künstlerischen Diskursen seit 1800 formuliert wurde. Grundsätzlicher als dies bei den Theoretikern der Postmoderne

Autonomie der »Reflexionskunst« aus, die dem Publikum nicht mehr Bildung und Emanzipation, aber doch »Entlastung« verspre-

und bei Boltanski/Chiapello gedacht wurde, gilt es, die Kunst als ein Strukturmodell für die Sozialität der Spätmoderne zu lokali-

che.‘® Beide Diagnosen wurden vor der Strukturtransformation der zentrifugalen Kunst und der Etablierung des Kreativirätsdis-

sieren, Während das Kunstfeld zu Beginn seiner Entwicklung im 19. Jahrhundert in seiner Fixierung auf rein ästhetische Praktiken gegenüber den anderen, rationalisierten Feldern der bürgerlichen Moderne strukturell inkompatibel war und deshalb eine kompensatorische Funktion übernehmen konnte, avanciert es im letzten

Dass

nicht nur die Binnenstruktur

des Kunstfeldes,

sondern

auch sein Stellenwert in der Gesamtgesellschaft sich im 20. Jahr-

hundert wandelt, hat die soziologische Analytik seit den 1920er Jahren wiederholt beschäftigt und nicht selten zur Kulturkritik

motiviert. Dass das Kunstfeld zum exemplarischen Format und Schrittmacher für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung wer-

den konnte, schien dabei jedoch zunächst kaum denkbar. Während Theodor W. Adornos Theorie der Kulturindustrie eine Kolonialisierung großer Teile des Kunstbetriebes durch den Konsumenten-

positivs formuliert.

Den

gegenwärtigen

Verhältnissen

eher ange-

messen erscheinen demgegenüber die Diagnosen der Autoren der Postmoderne der 1970er und 1980er Jahre, die eine Expansion des Ästhetischen aus der postmodernen Kunst heraus in andere Sphären konstatierten.”” Sie betrachteten die Entgrenzungsprozesse der Kunst allerdings primär unter dem speziellen Aspekt der Unterminierung der Grenze zwischen Hoch- und Populärkultur und ausge-

hend vom Rezipienten/Konsumenten, der das Ästhetische diesseits und jenseits der Kunst wahrnimmt. Übereinstimmend neigen sie dazu, die Entgrenzung mit einer Auflösung der Kunst gleichzusetzen, die Jean Baudrillard mit dem Schlagwort der vermeintlich banalen »Transästhetik« beklagt. Nicht zuletzt deshalb sind diese Theorien von begrenzterem Nutzen, als es zunächst scheinen mag, um das postmoderne Kunstfeld als Modellfall für das Kreativitäts78 Vgl. Max Horkheimer/Iheodor W. Adorno, »Kulturindustrie, Aufklärung als Massenberrug«, in: dies., Dialektik der Aufklärung {1944], Frankfurt/M. 2003, S.141-191; Arnold Gehlen, Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Materei, Frankfurt/M. 1960, S. 201 ff 79 Vgl. Jean Baudrillard, Le Complot de l’art, Paris 2000; Jean-Francois Lyotard,

»Das Erhabene und die Avantgarde«, in: ders., Das Inhumane. Plaudereien über die Zeit, Wien 1989, S. 159-187; Fredric Jameson, Zhe Cultural Turn, Selected Writings on the Postmodern. 1983-7998, London 1998,

126

Viertel des 20. Jahrhunderts zu einem exemplarischen Format für das Kreativitätsdispositiv insgesamt. Was ist darunter zu verstehen? Mit »Formaten« sind hier unterschiedliche soziale Formen zugleich gemeint: soziale Praktiken, Diskurse, Subjektformen und Subjekt-Artefakt-Relationen. Exemplarische Formate sind dann

soziale Formate, die auch außerhalb ihres primären sozialen Geltungsraums Modellcharakter erhalten, sowohl normativ als auch

affektiv. Exemplarische Formate werden so zum Gegenstand der Imitation und Diffusion, wobei in den Übersetzungsprozessen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen nicht mit

einer Eins-zu-eins-Reproduktion zu rechnen ist. Unterschiedliche soziale Einheiten können zu Trägern und Mittlern dieser Diffusionen exemplarischer Formate werden: Diskursfragmente, mediale

Bilder, mobile Subjekte oder mobile Artefakte.*! 80 Luc vgl. 81 Die der

Boltanski/Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003; darüber hinausgehend Gielen, Zhe Murmuring of the Artistic Multitude, staatliche (deutsche) Bürokratie, so wie sie den empirischen Hintergrund bürokratischen Herrschaft in Max Webers Wirschaft und Gesellschaft dar-

stellt, lieferte beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderes ein solches »exem127

Das Kunstfeld in Form der zentrifugalen Kunst liefert in diesem Sinne ein exemplarisches Format für Praktiken, Diskurse, Subjektformen und Subjekt-Artefakt-Konstellationen auch außerhalb der Kunst, im und für das Kreativitätsdispositiv. Diese beispielhafte

Relevanz gilt für das Künstlersubjekt und eine kreative Praxis, die nicht auf zweckrationale Produktion oder Verhaltensstandardisierung, sondern auf die Produktion von ästhetisch Neuem ausgerichter ist; sie gilt auch für die Prozeduralisierung der Kreativität. Exemplarische Relevanz erhalten Objekte und Ereignisse, die nicht als primär instrumentell, sondern als ästhetisch begriffen werden.

Sie gilt für die Ausbildung von Publika, die sich in erster Linie von einem Interesse an ästhetischen Erlebnissen und Überraschungen leiten lassen und dabei selbst kreative Aneignungspraktiken einsetzen. Die exemplarische Relevanz findet sich schließlich auch in den institutionellen Arrangements, die primär am Problem des Aufmerksamkeitsmanagements gegenüber dem Neuen orientiert sind, Wie alle historisch effektiven exemplarischen Formate wirkt auch die zentrifugale Kunst auf der Ebene der Gesamtgesellschaft damit im Sinne einer sozialen Entdifferenzierung, das heißt einer Angleichung von

Handlungsformen

unterschiedlichster sozialer Felder,

unabhängig davon, welche spezialisierten Aufgaben sie erfüllen.*“ Die Tatsache, dass das Kunstfeld und das Modell des Künstlers im Rahmen der postmodernen Kunst und des Kreativitätsdispositivs vom marginalen Außen ins kulturelle Zentrum der Gesellschaft vorgerückt sind, lässt sich an einer weiteren Veränderung des Feldes ablesen: am Wandel seiner Affektkartografie. Während das bürgerliche Feld der Kunst sich als ein emotionales Kampffeld plarisches Format« für formal rationalisierte Organisationen auch außerhalb des Staates, etwa in der Wirtschaft. 82 Vgl. zu diesem grundsätzlichen Muster der entdifferenzierenden Grenzüberschreitung auch Andreas Reckwitz, »Grenzdestabilisierungen — Kultursoziologie und Poststrukturalismus«, in: ders., Unscharfe Grenzen, S.301-320; auch

Eugen Buß/Martina Schöps, »Die gesellschaftliche Entdifferenzierung«, in: Z 8 (1979), S. 315-329. Dass das Kunstfeld mit seinem ästhetischen Regime des Neuen zu einem exemplarischen Format für andere soziale Felder wird, darf nicht monokausal missverstanden werden, Es handelt sich nicht um einen unilinearen Prozess, der von der Kunst als Zentrum ausgehen würde, sondern um einen der sozialen Vernetzung zwischen den verschiedenen Praxisfeldern, so dass auch die künstlerischen Praktiken nicht unbeeinflusst von diesen anderen Praktiken und Diskursen bleiben, 128

darstellte, das von Linien intensiver positiver und negativer Affekte durchzogen

war, sind aus dem

Feld der zentrifugalen

Kunst die

negativ konnotierten sozialen Affekte fast vollständig verschwun-

den.® Parallel zur Normalisierung des kreativen Selbst, die der psychologische Diskurs, die populären Star-Systeme und die ästhetische Ökonomie

mit ihrem Modell des Kreativarbeiters auf jeweils

ihre Weise betreiben, ist die Pathologisierung des Künstlers und des Künstlerischen, die noch mindestens bis in die 1920er Jahre äußerst präsent war, zu einem Ende gekommen. Auch die wechselseitige aggressive Distinktion zwischen Boheme und Bourgeoisie, die zumindest bis in die 1970er Jahre immer wieder für feste Fronten sorgte, scheint sich im Rahmen der Komplizenschaft zwischen den Kreativsubjekten auf und vor der Bühne aufgelöst zu haben.

Demgegenüber wirken die positiven Affizierungen des Künstlerischen, wie sie von Anfang an das Kunstfeld prägten, auch in der zentrifugalen Kunst fort, wenn sie auch im Zuge des Verlusts der exklusiven Stellung der Kunst und des Künstlers an Intensität und Aura eingebüßt haben.

Eine weitere positive Affektlinie ist dabei

hinzugekommen: die Bewunderung des Künstlers nicht nur für sei-

ne ästhetische Produktivität und Originalität, sondern auch für seinen gesellschaftlichen Erfolg, der sich nicht zuletzt in der sozialen Aufmerksamkeit für seine Person manifestiert — die Bewunderung des Bewundertwerdens. Die Entgrenzung der Kunstpraktiken im Rahmen des Kreativitätsdispositivs stellt die Kunst nun vor ein Problem: Inwiefern un-

terscheidet sie sich noch grundsätzlich von ihrer sozialen Umwelt? Was ist die Besonderheit des Künstlerischen, wenn eine Diffusion ästhetischer Sozialformen in verschiedenste Bereiche der Gesellschaft stattgefunden hat, die alle dem Regime des ästhetisch Neuen folgen? Diese Problemstellung begleitet den Übergang von der bürgerlichen zur zentrifugalen Kunst von Anfang an. Sie findet sich in

der seit den 1920er Jahren allgegenwärtigen Reflexion darüber, »was Kunst ist«,* in einer Kulturkritik des Künstlerischen, welche die 83

Dies schließt nicht die bewusste Kultivierung negativer Affekte gegenüber den Kunstwerken aus. Im Gegenteil zielt die Irritationsorientierung der postmoder-

nen Kunst regelmäßig auf negative Gefühle wie Verwirrung oder Angst ab, die jedoch in das Kunstfeld integriert sind und dessen Reproduktion nicht stören, sondern sichern. 84 Diese Debatte mündere in eine nominalistische und institutionalistische Defini-

129

Inflation der Kunst beklagt, schließlich aber auch in einer künst-

lichungsbedingungen.“© Wenn man beispielsweise die ästhetische

lerischen Selbstkritik, die eine Repolitisierung der Kunst fordert.” Anders als die Kulturkritik am Künstlerischen suggeriert, die häufig

Erfahrung, die für das Publikum typischerweise mit der postmodernen Performance-Kunst verbunden ist, als eine Schwellenerfah-

von einem Modell der Autonomie bürgerlicher oder modernistischer Kunst geleitet ist, bedeutet die gegenseitige strukturelle An-

rung versteht,*” dann ist genau eine solche Förderung ästhetischer Reflexivität gemeint: In dem Moment, in dem etwa eine Installati-

gleichung des Kunstfeldes und anderer gesellschaftlicher Segmente

on oder eine Aufführung auf der Bühne beim Zuschauer klaustro-

jedoch »icht, dass die formale und inhaltliche »Füllung« des Regi-

phobische Angst oder Ekel hervorruft, besteht die Kunstaneignung nicht nur in diesen Gefühlen, sondern auch in der subjektiven

mes des ästhetisch Neuen diesseits und jenseits der Kunst in glei-

cher Weise erfolgen muss. Im Gegenteil: Einige Indizien sprechen

Reflexion der Entstehungsbedingungen dieser Gefühle. In diesem

dafür, dass das zentrifugale Kunstfeld auf die Ästhetisierung und

Zusammenhang evoziert die zentrifugale Kunst häufig gezielt nega-

Kreativitätsorientierung seiner Umwelt

zive sinnlich-affektive Reaktionen, und geht Orientierung an der Positivität ästhetischer die außerhalb der Kunst dominiert. Diese tät, die ihre Vorläuferin in einer Ästhetik

reagiert und — ob implizit

oder explizit — entsprechende Unterscheidungsstrategien entwickelt hat. Auf diese Weise können sich neue Differenzen zwischen

den ästhetischen Rezeptionsweisen anderer Bereiche (Design, Me-

damit auf Distanz zur (Wohlfühl-)Erlebnisse, Ästhetik der Negativides Hässlichen findet,

dien, Unterhaltung, Kreativarbeit, Natur) und dem ausbilden, was

zielt auf (reflexive) Erlebnisse der Verwirrung und des Unwohlseins

die sinnlich-affektive Erfahrung genuin künstlerischer Objekte und

ab. Die Politisierung des Ästhetischen stellt eine weitere Strategie

Ereignisse ausmachen soll. Die wichtigste Unterscheidungsstrategie der zentrifugalen Kunst

der postmodernen Kunst dar, in der ästhetische Reflexivität zum Einsatz kommt: Die Kunst wählt hier die Gesamtgesellschaft als narrativen oder imaginären Bezugspunkt und legt es auf die Strit-

gegenüber dem nichtkünstlerischen Ästhetischen besteht darin, die

Rezeption des Publikums in eine bestimmte Richtung zu lenken: es geht ihr um die Ausbildung einer Haltung ästhetischer Reflexivität. Über die sinnlich-affektive Anregung und Erregung hinaus wird

zur Reflexion dieser Affizierungen ermutigt, so dass die zentrifugale Kunst ästhetische Operationen zweiter Ordnung fördert: Diese finden nicht einfach statt, sondern beobachten ihre eigenen Ermögtion von Kunst, etwa bei Arthur Danto und George Dickie, vgl. Arthur Danto, »The Artworld«, in: Zbe Journal of Philosophy 61 (z964), S.571-584; George Dickie, Art and the Aesthetic, An Tnstitutional Analysis, Ichaca 1974. Soziologisch interessant

zwischen

ist

Nelson

Goodmans

künstlerischem

und

Kunsttheorie,

nichtkünstlerischen

die

von

Formen

einem

Kontinuum

des Ästherischen

ausgehr, Sozial als Kunst akzeptiert sind dann insbesondere jene ästhetischen Objekte, die sich durch eine gesteigerte syntaktisch-semiotische Dichte, Fülle

und Mehrdeutigkeit auszeichnen. Die soziale Unterscheidung Kunst/Nichtkunst durchschneider ein solches Kontinuum gradueller Differenzen. Dass die Kriterien für ästhetische Dichte und Fülle nicht ein für alle Mal festliegen, erweist sich dann als Ursache für die historische Stritrigkeit der Kunst. Vgl. Nelson Goodman, Languages of Art: An Approach to @ Theory of Symbols, Indianapolis 1968. 85 Vgl. Fried, Art and Objecthood; Baudrillard, Ze Complor de l’art, Zur Repoliti-

sierung vgl. Pascal Gielen/Paul de Bruyne (Hg.), Being un Artist in Post-Fordist Times, Rotterdam 2009.

130

tigkeit ihrer Rezeption an. Die postmodernen Kunstformen unterscheiden sich vom Ästhetischen außerhalb der Kunst entsprechend dadurch, dass sie häufig gezielt auf eine solche Polarisierung des Publikums setzen.® Wenn

das Kreativitätsdispositiv zur Hegemonie wird, kann die

ästhetische Reflexivität, wie sie die zentrifugale Kunst entwickelt, eine Form annehmen, die Selbstreflexion und Gesellschaftskommentar in einem ist: Sie kann sich auf die allgemeine Struktur des Regimes des ästhetisch Neuen

selbst richten. Die Kunst ist dann

der Ort der Selbstbeobachtung des Kreativitätsdispositivs. Genau eine solche Reflexion der sozialen Form der Kunst im Besonderen und eines sozialen Regimes des ästhetisch Neuen im Allgemeinen

hat in der Kunst der Avantgarden und der Postmoderne stattgefunden und findet dort weiterhin statt: eine Reflexion über den

Kreativitätsanspruch des Künstlers, über den Status des Publikums 86 Eine solche reflexive Funktionsbestimmung von Kunst kann natürlich auf die gesamte Tradition des modernen, im weiteren Sinne bürgerlichen oder kriti-

schen Kunstverständnisses von Kant bis Adorno und Brecht zurückgreifen. 87 Vgl. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S.305-31488 Vgl. dazu Rebentisch, Asthetik der Installation, S.276 ,

131

und darüber, was ein Objekt oder Ereignis zu einem künstlerischen macht, schließlich über die Mechanismen des Aufmerksamkeitsmanagements durch Institutionen, Kanonisierungen oder Märkte.

4: Der Aufstieg der ästhetischen Ökonomie:

Der Ort dieser Reflexion über die Grundbedingungen der Kunst durch die Kunst ist dabei nicht nur der Kunstdiskurs, sie findet

Permanente Innovation, creative industries und Designökonomie

auch in den Kunstwerken und -ereignissen selbst statt. Nur in einem ersten Schritt nehmen diese Reflexionen allein die Kunst unter die Lupe — in einem zweiten Schritt thematisieren sie letztlich Strukturen des Kreativitätsdispositivs als Ganzes. Wenn das Kunst-

4.1 Das doppelte Paradox des Neuen und seine Auflösung

feld in mancher Hinsicht das Modell für dieses Dispositiv bildet,

Geht man von Max Webers epochaler Darstellung in Wirtschaft

dann kann es sich konsequenterweise auch zum bevorzugten Ort der Problematisierung seiner Mechanismen entwickeln. Die zentrifugale Kunst übernimmt dann die Funktion einer Instanz der

und Gesellschaft aus, ist für den modernen Kapitalismus die Förderung von Kreativität alles andere als eine strukturelle Voraus-

gesamtgesellschaftlichen Selbstbeobachtung. Aber dies geschieht nicht nur, weil die moderne Kunst von Anfang an die Prätention verfolgte, die gesellschaftliche und menschliche Totalität im Medium des Künstlerischen erfahrbar zu machen, sondern vor allem,

weil sie seit ihrer Entstehung eine Sozialität der Kreativität und des ästhetischen Publikums erprobt hat, die sich nun als von gesamtgesellschaftlicher Prägekraft erweist. Mit nur wenig Übertreibung kann man feststellen: Erst wenn die Gesellschaft wie die Kunst geworden ist, kann die Kunst die Gesellschaft wirklich über sich selbst belehren.

Während die zentrifugale Kunst eine solche ästhetische Selbstreflexion von Grundbedingungen des Kreativitätsdispositivs fördert,

setzung. Nicht die Mobilisierung des Innovativen und Kreativen,

sondern Regelhaftigkeit und Standardisierung sind seine zentralen Eigenschaften.‘ Weber rekonstruiert die besondere Form der Pro-

duktion von Gütern im westlichen Kapitalismus, mit der er zu Beginn des 20. Jahrhunderts konfrontiert wird, als eines der hervorstechendsten Phänomene dessen, was er formale, bürokratische oder technische Rationalitzät nennt. Die moderne Ökonomie ist ihm zufolge ein Betriebskapitalismus, der auf der zweckrationalen Einrichtung von Regeln effizienter Wirtschafts- und Arbeitsorganisation beruht, deren letztes Ziel ökonomische Rentabilität ist. Dieser unterscheidet sich damit grundsätzlich vom fluideren und

unberechenbaren »Abenteuerkapitalismus« vormoderner Gesellschaften. Der kapitalistische Betrieb legt stattdessen Formen der

setzt sie allerdings damit doch nicht ihre eigene Prägung durch diese Grundbedingungen außer Kraft. Die zentrifiguale Kunst bleibt Agentin eines schrankenlosen sozialen Regimes des ästhetisch

Arbeitsteilung, der hierarchischen Weisung und Planung, eines berechenbaren Umgangs von Subjekten untereinander und von

Neuen und seiner Normalisierung des kreativen Selbst. Mögen die Kunstinhalte und -formen sich auch kritisch mit diesen Bedin-

in einer Maschine, sie erweist sich als Trägerin der Versachlichung und Entzauberung. Ihr dominanter Handlungstypus ist in Max Webers Analyse ein administrativ-technischer, und die Persönlichkeitsform, die sie voraussetzt und fördert, der ebenso disziplinierte

gungen auseinandersetzen — als künstlerische Ereignisse, hervorgebracht von Künstlersubjekten mit breiten intellektuell-medialen

Subjekten mit Dingen fest. Die moderne Ökonomie ähnelt dar-

Portfolios und im Angesicht eines an Irritationen interessierten Pu-

wie fachlich geschulte, entemotionalisierte Berufsmensch.

blikums, reproduzieren auch diese Kritik-Events den immerwährenden Zyklus des ästhetisch Neuen. Sie gliedern sich ein in eine

nomie als eine extrem regulierte Rationalmaschine

Webers zugespitzte Lesart der avancierten kapitalistischen Ökoist nun

keine

Ästhetik der Irritation, in der auch die Akte der Kritik einer Logik

gesellschaftstheoretische Spekulation. Sie bestätigt sich vielmehr

der ästhetischen Überraschung folgen.

in historisch-soziologischen Detailanalysen des Prozesses, in dem ı Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 1980, S. 31 ff.

132

133

sich in den Vereinigten Staaten und in Westeuropa an der Wen-

Ökonomie

de vom 19. zum 20. Jahrhundert ein »organisierter Kapitalismus«

auf neue Technologien aus, welche die Produktivität steigern, sowie

(Hilferding) der Großkorporationen herauskristallisiert.” Ein letzt-

durch die Ausnutzung weiterer Mittel, um Mehrwert zu generie-

lich ingenieurwissenschaftliches Modell der Organisation, das die-

durch eine außerordentliche Dynamik

im Rückgriff

ren. Neben der maximalen Ausbeutung der Arbeitskraft zielt dies

se als ein reibungslos funktionierendes »System« mit standardisier-

nicht zuletzt auf immer

ten Einzelteilen (Subjekten, Objekten, Verhaltensweisen,

renmärkte. Die sich selbst antreibende Kapitalakkumulation unterminiert Marx zufolge beständig bisherige Wirtschafts-, Rechts-

Regeln)

versteht, leiter das Management dieses Betrriebskapitalismus an; Fredric Taylors scientific management stellt hier nur den Gipfel des Eisbergs dar. Die koordinierte Spezialisierung unter der Führung von Manager-Ingenieuren und mit der Masse der Angestellten und Arbeiter als Basis macht den Kern der »Matrix-Organisation« aus.

Diese ökonomischen Praktiken sind gerade nicht an der kreativen Herstellung von Neuem orientieren, sondern betreiben — einmal in die Welt gesetzt — auf systematische Weise eine Wiederholung des

neue Strategien zur Ausweitung der Wa-

und Lebensformen zugunsten einer umfassenden Kapitalisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, in der »[a]lles Ständische und

Stehende verdampft«.* Stellt man Weber und Marx nebeneinander, ergeben sich somit zumindest auf den ersten Blick zwei einander widersprechende Charakterisierungen der ökonomischen Praktiken in der zweiten

Gleichen, nämlich die Reproduktion der sozialen und technischen

Hälfte des 19. Jahrhunderts, ja des Kapitalismus insgesamt. Aus der einen Perspektive haben diese eine extreme Schliefßung des Sozia-

Organisationsregeln, die die Herstellung und Verteilung von stan-

len, eine Wiederholung des Gleichen im Namen rationalistischer,

dardisierten Investitions- und Konsumgütern sichern.

effizienzsteigernder Prinzipien, damit eine Minimierung

Die Interpretation auf der Linie Webers ist nun jedoch nicht

der För-

konkurrenzlos. Zieht man Marx zu Rate, dessen Kapitalismusana-

derung des Neuen zur Folge. Auf der anderen Seite stehen sie für eine extreme Öffnnng, eine unendliche Dynamik der Innovation,

Iyse etwa ein halbes Jahrhundert früher datiert und die wichtigste

die das jeweils Alte in nie dagewesener Radikalität immer wieder

theoretische Alternative zu Weber markiert, ergibt sich ein völlig

hinter sich lässt, Zusammenbetrachtet heißt das: Die Ökonomie

anderes

Innovati-

des Kapitalismus scheint einerseits immer schon »schöpferisch«

onskraft, die Joseph Schumpeter knapp einhundert Jahre später

gewesen zu sein, während sie andererseits genau umgekehrt eine

in Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie von »schöpferischer

rigide Standardisierung des Verhaltens mit sich bringen soll. Wie kann man mit diesem Antagonismus umgehen? Die Opposition zwischen Marx und Weber ist sicherlich auch darin begründet, dass ihre Themen nicht völlig deckungsgleich sind: Webers Blick richtet sich auf die Binnenstrukturen ökonomi-

Bild: das einer unendlichen

wirtschaftlichen

Zerstörung« sprechen lässt.* Für Marx ist das zentrale Merkmal der westlichen Ökonomie der nie an ein Ende kommende Prozess der reinen Kapitalakkumulation und der Generierung von Mehrwert,* Dieser Prozess setzt im Rahmen einer aus traditionalen Zwängen entbundenen bürgerlichen Gesellschaft auf die maximale Ausbeutung der historisch jeweils verfügbaren Produktivkräfte. Die Vgl. zu diesem Prozess Yehonda Shenhav, Manufacturing Rationality. The Engineer-

das Marktgeschehen im Auge hat, das die einzelnen Organisationen transzendiert. Auch ergibt sich aus der historischen Verschiebung eine Differenz: Der organisierte Kapitalismus um 1900, mit

ing Foundations of the Managerial Revolution, Oxford 1999; Alfred D. Chandler jr., The Visible Hand. The Managerial Revolution in American Business, Cambridge

Mitte des 19. Jahrhunderts, dem Marx gegenübersteht, nicht iden-

kapitalistische zeichnet sich dann gegenüber jeder vormodernen S

scher Betriebe und ihre Arbeitsorganisation, während Marx primär

1977; Maury Klein, Zhe Flowering of the Third America. The Making of an Organi[n

zational Society, 1850-1920, Chicago 1993. Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie [1943}, Tübingen, Bascl 1993. 4 Vgl. Karl Marx, Das Kapital, Bd. ı {1867}, in: ders./Friedrich Engels (Hg.), MarxEngels-Werke (MEW), Bd.23, Berlin (Ost) 1988.

134

dem Weber konfrontiert wird, ist mit dem Industriekapitalismus tisch.® Aber auch wenn man sich jener Phase eines »Hochkapitalis5 Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei [1848}, Berlin 2003, S. 16.

6 Vgl. zur entsprechenden Weiterentwicklung der Marx’schen Theorie: RudolF Hilferding, Organisierter Kapıtalismus, Kiel 1927. Die Unterscheidung zwischen

135

mus« der großen Korporationen zuwendet, so wie er sich im letzten

schaftsorganisation der organisierten Moderne verläuft sie in eige-

Viertel des 19. Jahrhunderts besonders ausgeprägt in den Vereinig-

nen Abteilungen, getrennt vom

ten Staaten und in Deutschland etabliert, stehen eigentlich nicht

Routinebetrieb. ” Die Technikgeschichte und Techniksoziologie hat

die Theorien

produktiven und administrativen

erweist sich

darauf hingewiesen, dass technische Innovationen, die im Rahmen

die Realität selbst als widersprüchlich. Schiebt man beide Theorien wie Folien übereinander, so erweisen sie sich in Wahrheit als zwei

ge Entdeckungen Einzelner waren und ökonomisch ebenso zufällig

komplemenrtäre Perspektiven, in denen sich die doppelte Paradoxie

aufgegriffen wurden, mit dem Hochkapitalismus zu einer Spezial-

zueinander

im Widerspruch,

vielmehr

des Neuen in der hochkapitalistischen Ökonomie ausdrückt. Sie ist für die Phase vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre hinein kennzeichnend. Die erste Paradoxie des Neuen betrifft das Verhältnis zwischen der Binnenstruktur der ökonomischen Organisationen und den externen Konsequenzen ihrer Aktivitäten, Im Sinne von uninten-

des Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts größtenteils zufälli-

aufgabe innerhalb der Wirtschaftsorganisation werden, die sich in die organisationelle Arbeitsteilung fügt.* Mit Hilfe dieses Arran-

gements kann der Kapitalismus auch in seiner stark organisierten Form (und sehr ähnlich dem Staatssozialismus seit den 1920er Jahren) »innovativ« sein, ohne dass der bürokratische Wiederholungs-

charakter des regulierten produktiv-administrativen Arbeitens tangiert wäre. Genau dies macht die zweifache Paradoxie des Neuen

dierten Handlungsfolgen trägt der Hochkapitalismus tatsächlich zu einer Vielzahl neuartiger und unberechenbarer sozialer und kultureller Phänomene aufßerhalb der ökonomischen Institutionen

Struktur der Wiederholung und Reproduktion im Innern der Or-

im Rahmen der Ökonomie der organisierten Moderne aus: Eine

bei, auf die Marx zu Recht hinweist - von Verdinglichungen des

ganisationen geht Hand in Hand mit unbeabsichtigten Folgen in

Alltagslebens über die Unterminierung des Geschlechterdualismus bis hin zur Entstehung neuer sozialer Ungleichheiten, die entspre-

der Umwelt der Okonomie, die mannigfachen sozialen Wandel mit

chenden politischen Gegentendenzen Vorschub leistet. Diese Dy-

Spezialabteilungen für technische Innovationen gekoppelt.

namik unberechenbarer Folgen in der Umwelt des Ökonomischen

Die Kultur der Ökonomie in ihrer bürokratischen Version der organisierten Moderne ist damit in ihrem Kern vom Modell des

geht jedoch mit einem Höchstmaß an Berechenbarkeit innerhalb

sich bringen, und sie ist zugleich innerhalb der Organisationen an

der Wirtschaftsorganisationen einher, eben mit jener Weber’schen formal-technischen Rationalität, die eine standardisierte Produktion von Gütern ermöglicht. Die Wiederholungsstruktur im Innern

Technologischen geleitet.” Diese Kultur der Technik, wie sie sich

der arbeitsteilig-hierarchischen Organisationen und die unbere-

schen — imaginären Repräsentation der Ökonomie als »Maschine«,

chenbaren externen Konsequenzen der ökonomischen Sphäre existieren nebeneinander und sind aufeinander angewiesen.

setzt die Identifikation von sozialem mit technischem Fortschritt voraus und enthält ein allgemeines Ideal der Maschinenhaftigkeit, ein Ideal der »sachlichen«, an Effizienz orientierten Regulierung

Die Binnenstruktur dieser Organisationen

ist dabei jedoch

im Managementdiskurs im weiteren Kontext des scientific manage-

ment ebenso manifestierte wie in der — ob afırmativen oder kriti-

ihrerseits zweigeteilt, so dass sich‘ hier eine zweite Paradoxie des Neuen ergibt. Es stellt sich heraus, dass die Herstellung des Neuen dort durchaus Raum hat, aber einen festen Ort: Sie wird nämlich enggeführt auf die Produktion des technisch Neuen, und diese stellt

des Sozialen. Das Modell des Technologischen strebt damit nach

sich als eine systematische Aufgabe der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Forschung und Entwicklung dar. In der Wirt-

der Kultur um 1920 ausbilder und bis in die 1970er Jahre hinein dominiert, vgl. Perer Wagner, Sociology of Modernity, London 1994. Vgl. dazu Werner Rammert, Zechnik aus soziologischer Perspektive, Opladen 1993,

7 Die »organisierte Moderne« ist das Pendant zum organisierten Kapitalismus auf

(

gesamtgesellschaftlicher Ebene. Der Begriff bezeichnet in der Verwendung von Peter Wagner jene Form der Moderne, die sich in der Wirtschaft, im Staat und in

Industriekapitalismus und Hochkapitalismus — letzteres identisch mit dem organisierten Kapitalismus oder Fordismus — als zwei historische Phasen ist — teilweise auf der Grundlage anderer Begriffe — Konsens auch der nichtmarxistischen Wirtschaftsgeschichte seit Werner Sombart. 136

S. 162-176; David E Noble, Forces of Production. A Social History of Industrial Automation, Osford 1984, S.42£.

9 Vgl. dazu in Bezug auf die USA Cecelia Tichi, Shifting Gears. Technology, Literature, Culture in Modernist America, Chapel Hill 1987.

137

Ordnung urd Wandel zugleich, genauer: nach technischem Wandel im Rahmen einer sachlichen Ordnung. Antonio Gramsci hat

diese Symbiose von Hochkapitalismus und Technizismus in der besonderen Fassung, die sie seit den 1920er Jahren in den Vereinigten Staaten erlangte, »Fordismus« genannt.'” Diese Gesellschaft, die sich auf der Grundlage standardisierter Massenproduktion bildet, enthält zugleich ein emphatisches Leitbild des Sozialen, dem zufolge die Organisation als prototypische Einheit einer wohlgeordneten Sozialität erscheint, in die sich das Individuum einfügt. Zugleich setzt der Fordismus als Kehrseite der Massenproduktion die Massenkonsumtion der breiten Mittelschicht voraus und präsentiert sich als »Wohlstandsgesellschaft« (affluent society), die nach

Wohlstand durch Konsum strebt. Im kulturellen Imaginären des Fordismus bildet die Technik gemeinsam mit dem versachlichten

des bürokratischen Betriebskapitalismus abschwächt. An deren Stelle treten neben neuer Selbständigkeit vermehrt postbürokratische Arbeitsformen, etwa kommunikative Netzwerke zwischen den

Organisationen, die Projektarbeit, die auf eine Entdifferenzierung der Arbeitschritte im Team und auf einen begrenzten Zeithorizont setzt, und die Tätigkeit als Intrapreneur, das heißt als quasiselbstän-

diger Unternehmer innerhalb der Organisation.'*

Was die Arbeitsinhalte und -techniken angeht, ist die bereits klassische Diagnose einer »postindustriellen Gesellschaft« weiter-

geführt und die spätmoderne Ökonomie als Wissensökonomie charakterisiert worden, in der die Arbeit mit Informationen und Ideen — auch von den digitalen Informationstechnologien gefördert — einen immer größeren Anteil bei immer mehr Beschäftigten

ausmacht.'* Auf der Ebene der ökonomischen Subjektivierungsfor-

Kollektiv und dem Wohlstand durch Konsum eine Trias.'!

men schließlich haben Nikolas Rose und andere eine »ew enterprise

Der Fordismus und organisierte Kapitalismus sind in vielerlei Hinsicht Geschichte. Dass sie von einer neuen Form des Kapitalismus abgelöst wurden, ist in den Sozialwissenschaften seit den 1980er Jahren eine verbreitete Beobachtung. Claus Offe und Lash/ Urry diagnostizieren entsprechend einen disorganized capitalism,

culture ausgemacht: In ihrem Zentrum steht die Formung des Indi-

und marxistische Autoren haben den Begriff des Postfordismus ge-

prägt.'* So haben Piore und Sabel in Zhe Second Industrial Divide beispielhaft herausgearbeitet, wie die alte fordistische economy of scale, die Ökonomie der standardisierten Massenproduktion, seit den 1970er Jahren durch eine economy of speed verdrängt worden ist, die auf die beschleunigte Herstellung ständig wechselnder Güter für begrenzte Konsumentensegmente setzt.'* Auf der Ebene der Arbeitsorganisation findet damit eine »flexible Spezialisierung« statt, welche die eindeutigen Arbeitsteilungen und strikten Hierarchien

z —

Vermarktlichung, des beschleunigten Warenumschlags, der Digi-

Vel. zur spezifischen Orientierung am Sozialen im organisierten Kapitalismus

15 Zur Wissensökonomie vgl. Nico Stehr, Wissen und Wirtschaften. Die gesellschaft-

William H. Whyte, Zbe Organization Man, New York 1956; David Riesman, The Lonely Crowd. A Study of the Changing American Character {194911961], New Haven 2001,

lichen Grundlagen der modernen Ökonomie, Frankfurt/M. 2001. Vgl. zur Digita-

talism, Cambridge 1987; Amin Ash (Hg.), Post-Fordism. A Reader, Oxford 1994. 3 Vgl. Michael J. Piore/ Charles E Sabel, Zhe Second Industrial Divide. Possibilities for Prosperity, New York 1984.



bewähren. Das Pendant zu diesem Arbeitskraftunternehmer ist der aktive Konsument, der anstelle des Massenkonsums des Fordismus sich einen individuellen Lebensstil aus unterschiedlichen symbolischen Gütern zusammenstellt.'© Der »desorganisierte« Kapitalismus der Gegenwart vereinigt damit diverse Elemente in sich, die ihn vom organisierten Kapitalismus unterscheiden. Aus der Perspektive einer Theorie des Kreativitätsdispositivs machen die genannten Prozesse einer radikalisierten 14 Vgl. Charles Heckscher/Anne Donellon (Hg.), Zhe Post-Bureaucratie Organizazion, London 1994.

York

12 Vgl. Claus Offe, Disorganized Capitalism. Contemporary Transfromation of Work and Politics, Cambridge 198s; Scott Lash/John Urry, Zhe End of Organized Capi-

138

Haltung entwickelt, in der es darum geht, sich auf dem Markt zu

1971,

zo Vgl. Antonio Gramsci, Selectious from the Prison Notebooks, New S2778

I

viduums als ein unternehmerisches Selbst, das nicht nur beim Verkauf von Produkten, sondern auch hinsichtlich der eigenen beruflichen Kompetenz- und Profilentwicklung eine unternehmerische

lisierung Mantuel Castells, Zhe Rise of the Network Society. The Information Age. Economy, Society, and Culture, Bd. ı, Oxford 1996. ı6 Vgl. Nikolas Rose, »Governing Enterprising Individuals«, in: ders., /nventing Our Selves. Psychology, Power, and Personhood, Cambridge 1996, S.150-168; Ul

rich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt/ Main 2007; Paul du Gay, Consumtion and Identity at Work, London 1996,

139

talisierung der Wissensgrundlagen oder der Globalisierung aller-

Branchen

dings nicht den Kern der postfordistischen Ökonomie

aus. Zwar

lung, Unterhaltung und Architektur, Werbung und Musik, Design

sind dies alles wichtige Merkmale der postfordistischen Wirtschaft, als deren eigentliches Zentrum stellt sich jedoch die ästhetische Ökonomie heraus. Diese bildet den Strukturkern der Gegenwartsökonomie, um den sich die anderen genannten Merkmale herum

und Internetdienste, Öffentlichkeitsarbeit und Ausstellungswesen,

gruppieren und von dem sie abhängen. Die ästhetische Ökonomie

trägt entscheidend zur Entstehung L‘\lnd Verbreitung des Kreativitätsdispositivs als Ganzem bei. Die Okonomie der Gegenwart, so meine These, ist in rationalistischen oder kognitivistischen Begriffen nicht zu verstehen, da sich in ihrem Zentrum keine rationalen oder kognitiven Prozesse, sondern solche der sinnlt1ph—emotionalen Affiziertheit befinden, das heißt Prozesse einer Asthetisierung des Ökonomischen, Die ästhetische Wirtschaft löst die Orientierung der

kapitalistischen Ökonomie an der Produktion neuartiger Waren aus der Fixierung am technischen Fortschritt und entgrenzt sie auf

zweifache Weise: Zum einen setzt sie über technische Erfindungen hinaus auf permanente Innovationen, auch auf der »kulturellen« Ebene der Organisationsstruktur und der Kompetenzen der Individuen. Zum anderen bezieht sie diese Innovationen jenseits des bloß Technischen zunehmend auf das ästhetisch Neue, das heißt, auf die Produktion neuartiger Zeichen, Sinneseindrücke und Affekte. Na-

wie

Medien

und

Beratung,

Forschung

und

Entwick-

Mode und Tourismus. Die emphatische Semantik der Kreativität und der Kreativwirtschaft, die in der öffentlichen Debatte in diesem Zusammenhang verwender wird, ist jedoch nicht mehr als ein

erster Indikator. Welche Merkmale kommen diesen neuen ökonomischen Praktiken seit den 1970er und 80er Jahren tatsächlich zu, so dass man sie als eine ästhetische Ökonomie verstehen kann, die

sich von der formalen Rationalität des Fordismus grundsätzlich unterscheidet?!* Vier Eigenschaften lassen sich nennen: (1) In großen Teilen der Organisationspraxis stellt sich »Znnova-

tion«, das heißt die Herstellung neuer Prozesse und Objekte, nicht länger als ein Spezialproblem der Forschung und Entwicklung dar, sondern als eine dauerhafte Aufgabe der Organisation insgesamt. Es findet also eine zeitliche und soziale Generalisierung der Innovationsorientierung statt, die sowohl für die Produkt- wie für die Organisationsentwicklung gilt: eine permanente Innovation,

Innova-

tion wird auf dieser Ebene zunächst weiterhin als eine technische, zunehmend aber auch als eine Aufgabe der beständigen kulturellen Reformierung von Organisationsroutinen und Mitarbeiterkompe-

tenzen wahrgenommen. Die Innovationsorientierung ist auf dieser

türlich stützt dabei nicht die Ökonomie das Kreativitätsdispositiv,

Ebene noch nicht eigentlich an Sinnen und Affekten, das heißt

und sie ist nicht zur Gänze eine ästhetische Ökonomie, dazu ist sie

ästhetisch orientiert, sie liefert aber eine wichtige Voraussetzung für

viel zu heterogen, ebenso wenig wie sie zur Gänze postfordistisch

das generalisierte Regime des Neuen der ästhetischen Ökonomie.

ausgerichtet ist (so wie sie zuvor niemals vollständig fordistisch

(2) In der Arbeitspraxis ist die Herstellung von Neuem zuneh-

oder formal-rational war). Es sind vielmehr bestimmte, herausge-

mend semiotisch, perzeptiv und affektiv orientiert. Im breiten

hobene und expandierende Arbeits-, Markt- und Konsumformen, die die ästhetische Ökonomie forcieren. ; Bereits in der Selbstbeschreibung stellen sich seit dem Ende der 1990er Jahre die creative industries und die creative economy als Kernbereiche und Avantgarden der postfordistischen Wirtschaft

und expansiven Feld der creative industries geht es vor allem um

dar, und sie sind auch ins besondere Interesse der politischen Förderung gerückt.!” Die creative economy im engeren Sinne umfasst

die Kreation jener wirkmächtigen Güter und Dienstleistungen, die 18 Die Konzepte »ästhetische Ökonomie« und »ästhetischer Kapiralismus« verwende ich deckungsgleich: Die hier behandelte westliche Ökonomie des 20. Jahrhunderts ist durchgängig kapitalistisch organisiert. Dabei muss die Frage nach etwaigen ästhetischen Orientierungen in nichtkapitalistischen Ökonomien offengelassen werden. Insbesondere vormoderne Ökonomien des ständisch eingeschränkten Tausches und der Gabe haben in erheblichem Umfang sinn-

ı17 Vgl. John Howkins, 7he Creative Economy. How People Make Money From Ideas,

lich-affektive Elemente enthalten, die sich als eine gegenüber der Spätmoder-

London 2001; David Hesmondhalgh, 7he Cultural Industries, London, Thousand Oaks 2002, Vgl. zur Ausweitung des Begriffs im Rahmen staatlicher Förderpro-

ne alternative Ästhetisierung des Sozialen darstellt. Andererseits scheint für die staatssozialistische Ökonomie sowjetischer Prägung (anders als für die aktuelle

gramme das zweite Creative Industries Mapping Document (DCMS), hrsg. vom

chinesische Version eines Staatskapitalismus) gerade ein zentrales Problem darin

UK Department of Culture, Media and Sport, London 2001, 5.5.

bestanden zu haben, dass sie sich nur mangelhaft ästhetisieren ließ,

140

141

mit neuen Bedeutungen ausgestattet sind, die attraktive Zeichen darstellen und die auf der Ebene von sinnlichen Wahrnehmun-

leistungen sinnliche und affektive Erfahrungen zu machen, Ökonomische Organisationen müssen entsprechend eine Sensibilität

gen und Emotionen auf überraschende Weise erlebt und genossen könnte diese Arbeitsweise vordergründig in

für die Bedürfnisse ihres ästhetischen Publikums entwickeln. In der ästhetischen Ökonomie wird der Konsument gewissermaßen selbst

den Begriffen der »Wissensgesellschaft« als Ideenmanagement und Ideenkreation umschreiben. Es geht jedoch weniger um die Fabri-

als »kreativ« adressiert, und er modelliert sich als ein solcher: als ein Subjekt, das nicht bloß Güter kauft und nutzt, sondern aktiv

kation von Ideen im Sinne von kognitiven Einsichten, sondern um

Bedeutungen, Erfahrungen und Emotionen produziert und sich mir ihrer Hilfe einen eigenen Lebensstil zusammenstellt. Die öko-

werden können. Man

die assoziative Stiftung von Bedeutungen, die an materiale Träger (Wörter, Bilder, Töne, Gebäude, Verhaltensweisen) und an sinnli-

nomische Organisation

che Wahrnehmungen und Emotionen gekoppelt sind, also um die Produktion ästhetischer Objekte und ästhetischer Ereignisse. Die Semiotisierung der Güter geht mit deren sinnlicher und affektiver

eine Produktionsstätte war, die sich eigenständig steuert, sondern sicht sich in grundsärzlicher Abhängigkeit von der unberechenba-

Ästhetisierung einher, die sich nicht allein auf Gegenstände, son-

nimmt

sich damit nicht mehr primär als

ren Aufmerksamkeit eines ästhetisch orientierten Konsumentenpublikums.

und Ereignisse bezieht. Diese Formen

Die ästhetische Ökonomie, die sich entlang dieser vier Struktur-

des Arbeitens zielen damit im Kern auf Zeichen-, Wahrnehmungsund Affektkreation ab, auf ästhetische Innovation.‘” Die kreative

merkmale entwickelt, bewirkt damit eine Auflösung der genannten

dern auch auf Situationen

Arbeit ist Ästhetische Arbeit,

(3) Die Arbeitspraktiken des ästhetischen Kapitalismus werden

doppelten Paradoxie des Neuen, wie sie im organisierten Kapitalismus herrschte. Zugleich bedeutet sie eine grundlegende Ästhetisierung dieser Innovationsorientierung. Im ästhetischen Kapitcalismus

Ihr liegt ein

kollabieren die beiden fordistischen »Stoppregeln«, die die Perma-

postromantisches Arbeits- und Berufsmodell zugrunde, dem zufolge befriedigende Arbeit »kreative Arbeit« sein muss, die anstelle der Wiederholung technischer oder administrativer Prozesse auf die ab-

nenz des Neuen verhindern sollten: Die Trennung des gesellschaftlichen Wandels von einer bürokratischen Wiederholungsstruktur im Innern der Wirtschaftsorganisation und die Trennung zwischen Organisationsroutine und Spezialabteilungen für technische Innovation sind in einer Ökonomie, die auf das ästhetisch Neue in Permanenz setzt, nicht länger haltbar. Wie ist die ästhetische Ökonomie nun entstanden? Tatsächlich

von

einer spezifischen

Motivationskultur

getragen:

wechslungsreiche und herausfordernde Herstellung von neuen, vor

allem ästhetischen Objekten und Ereignissen ausgerichtet ist. Diese kreative Arbeit kann und soll zugleich eine Transformation des Selbst ermöglichen. Die innovationsorientierte Organisation wie auch die

semiotisch-ästhetische Arbeitsweise verlangen nach einem solchen

kreativ motivierten Subjekt. Dessen Arbeiten und Selbstbild können und sollen eine Quelle von emotionalem Enthusiasmus sein. (4) Eine an Innovation und Kreation orientierte Wirtschaft

muss auch ihre Konsumenten als ästhetisch orientierte Subjekte begreifen. Die neuen Konsumenten sind weniger oder bestenfalls sekundär am Nutzen und Statuskonsum von materiellen Gütern interessiert, sondern daran, im Umgang

mit Gütern

und Dienst-

19 Zum Begriff der ästhetischen Innovation vgl. Wolfgang Fritzz Haug, Kritik der Warendästhetik, Frankfurt/M. 1971, S.48£. Ein ähnlicher, allerdings etwas unpräziser Arbeitsbegriff finder sich in Maurizio Lazzarato, »Immaterielle Arbeit«, in: Toni Negri u.a. (Hg.), Umberschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion, Berlin 1988, S.39-52.

142

ist sie alles andere als plötzlich aufgetreten. Eine pauschale Gegenüberstellung des Fordismus oder organisierten Kapitalismus mit dem Postfordismus oder desorganisierten Kapitalismus als zwei gesellschaftlichen Formationen, die einander um 1980 ablösen, kann eine solche Diskontinuität suggerieren, würde aber die Entstehung der neuen Arbeits- und Konsumformen letztlich rätselhaft scheinen lassen. Die Ästhetisierung des Ökonomischen ist zudem nicht als eine bloße Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise zu Beginn der 1970er Jahre aufzufassen, in der eine Sättigung der Gütermärkte deutlich wurde.“® Auch wenn diese Krise tatsächlich 20 Vgl. zu einer solchen primär wirschaftshistorischen Interpretation David Harvey, The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Oxford 1989, S 173 .

143

Grenzen der fordistischen Ökonomie demonstriert hat, bedurfte es kultureller Faktoren, um eine Transformation der wirtschaftlichen Praxis zu ermöglichen.“ Unter der genealogisch-archäologischen Lupe stellt sich heraus, dass sich Praktiken einer ästhetischen Ökonomie im Umkreis und im Innern der fordistischen, formal-rationalen Ökonomie selbst bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts allmählich herausgebildet haben. Wo lassen sich nun die Praktiken und Diskurse lokalisieren, die eine Orientierung der Ökonomie an Innovationspermanenz, an Kreativität und am Ästhetischen vorantrieben? Vier unterschiedliche Kontexte sind hier von besonderer Relevanz. Ich will ihnen in diesem Kapitel im Detail nachgehen: (1) Als Erste zu nennen sind die im weitesten Sinne bürgerlichen Gegenbewegungen, die sich an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert gegen den aufkommenden bürokratisch-ökonomischen Rationalismus richten. Zwei völlig verschiedene, aber lerztlich komplementär orientierte kulturelle Nischen, die gegen diesen heraufkommenden Mainstream die Normalität ästhetischer Arbeit beziehungsweise permanenter Innovation zu positionieren versuchen, sind die britische Arts-and-Crafis-Bewegung und der spätbürgerliche Diskurs des »Unternehmers« in der deutschen Nationalökonomie. (Kapitel 4.2) (2) Ein zweiter wichtiger Kontext, der zur Revision einer ratio-

nalistischen Kultur der Ökonomie beiträgt, findet sich in der USamerikanischen Managementlehre seit den 1950er Jahren. Gegen die bürokratische Dominanz wird hier in zwei unterschiedlichen Zusammenhängen die Notwendigkeit thematisiert, dass Organisationen sich der Herausforderung permanenter Innovationen stellen

drei Branchen: die Mode, die Werbung und das Design. Sie lassen sich als Mikrokosmen

der ästhetischen Ökonomie

im Innern des

Fordismus lesen, denen im Lauf der Zeit eine Leitfunktion für den wirtschaftlichen Wandel zukommt. (Kapitel 4.4)

(4) Um die Etablierung der ästhetischen Ökonomie nachvollziehen

zu

können,

lohnt

es sich

abschließend,

einen

Blick

auf

zwei weitere Komplexe zu werfen, die sich seit den 1980er Jahren

herausgebildet haben: auf die sogenannte postmoderne Managementlehre, die die Organisation als ein kulturelles und emotionales Ensemble interpretiert, sowie auf die Querschnittsdisziplin einer

Designökonomie, für die »Design« zum Paradigma zeitgenössischen Wirtschaftens insgesamt geworden ist. (Kapitel 4.5) Diese historischen Praktiken und Diskurse, ohne die die Genese der ästhetischen

Ökonomie

kaum

verständlich wäre, scheinen

disparat und heterogen. Es stellt sich jedoch heraus, dass sie durch zwei übergreifende Transformationslinien strukturiert sind: zum einen ein Strang, der an der Annahme einer Fluidität und »natürlichen Innovationskraft« des ökonomischen Subjekts und der Binnenstruktur der Organisation ansetzt (Unternehmerdiskurs, personality and organization, Innovationsökonomie); zum anderen ein Strang, der von einem Muster ästhetischer Arbeit im Handwerk

und bei der Verfertigung von Konsumobjekten und Bildern ausgeht (Arts and Crafts, Werbung, Mode, Design). Insgesamt gilt: zur Klärung der Genese des Kreativitätsdispositivs ist eine alternative Geschichte der modernen Ökonomie nötig. Sie ist im Kern weder als ein Prozess der Formalisierung und Rationalisierung noch der Vermarktlichung zu erzählen. In ihrem Verlauf unterwirft vielmehr

müssten: Hier ist zum einen der Diskurs um personality and orga-

das vermeintliche kulturelle Andere der wirtschaftlichen Rationa-

nization von Bedeutung, zum anderen die Innovationsökonomie. (Kapitel 4.3) (3) Einen dritten, entscheidenden Faktor für die Etablierung der ästhetischen Ökonomie liefern die frühen creative industries. Die »Kreativökonomie« ist nämlich keine Erfindung der Gegenwart. Schon seit den 1920er Jahren bilden sich einzelne Branchen

lität, das Ästhetische, die Ökonomie der affektiven Logik kreativer

Produktion und ästhetischer Rezeption. Am Ende dieses Prozes-

ses hat sich auch die Opposition zwischen Ökonomie und Kunst, wie sie für den bürgerlichen und organisierten Kapitalismus galt, in eine Strukturähnlichkeit von ökonomischen und künstlerischen Praktiken verwandelt.

heraus, die primär an der Fabrikation von Bedeutungen und Gefühlen orientiert sind. Langfristig besonders wirkungsmächtig sind zr Zu einer solchen kulturtheoretischen Analyse ökonomischer Praktiken vgl. grundsätzlich Paul du Gay/Michael Pryke (Hg.), Cultural Economy. Analysis and Commercial Life, London, Thousand Oaks 2002.

144

Cultural

145

4.2 Bürgerliche Oppositionsnischen gegen die organisierte Moderne

liefern für sie die Initialzündung.“ Der stärker an der Praxis orientierte William

Morris

und andere Mitstreiter in Großbritanni-

en und später auch den Vereinigten Staaten führen diesen Impuls Arts and Crafts

weiter, der sich auch in der Gründung kleiner Handwerkskollek-

185ı findet im Londoner Crystal Palace die erste Weltausstellung

tive niederschlägt, die sich auf Innenarchitektur und Architektur spezialisieren.

statt, eine opulente Präsentation von Dingen, Inncenarchitektur und Architektur, so wie sie die industrialisierte Massenproduktion

bereits enthalten: Es geht um die Auflösung der Differenz zwischen

insbesondere in England der damaligen Zeit möglich gemacht hat.

Arbeit und Kunst durch den Rückgriff auf die Tradition des Hand-

Im Kontrast dazu wird auch Kunsthandwerk aus den Kolonien

werks. Damitr soll zugleich die für die moderne Ästhetik zentrale

des Empire und aus der eigenen vorindustriellen Vergangenheit gezeigt. Während die Ausstellung erfolgreich die technische Über-

als einer ästhetisch minderwertigen Aktivität dekonstruiert werden.

Das Leitbild von Arts and Crafts ist im Namen

Unterscheidung zwischer der Kunst und dem

der Bewegung

(Kunst-)Handwerk

legenheit der Industriegesellschaft zelebriert, stößt sie bei einer kleinen Gruppe auf heftige Ablehnung. So hebt Gottfried Semper in seinem Artikel Wissenschaft, Industrie und Kunst die im Vergleich schlechtere Qualität der Industrieproduktion hervor, die er in der Ausstellung demonstriert sieht.*“ Aus seiner Sicht

An deren Stelle tritt eine neue Arbeitspraxis, in der das Handwerk

erscheinen

Kreateur-Objekt-ästhetischer Nutzer denkt und damit die seit der zweiten Hälfte des 18, Jahrhunderts vertraute Trias Künstler/Autor—Werk-Rezipient von der Kunst auf den Bereich von Arbeit und

die industriellen

Produkte,

ihre Materialverarbeitung,

ihr Aussehen und auch die Ästhetik ihrer räumlichen Anordnung gegenüber jenen aus nichtindustrieller Herstellung als ein Rückschritt, Diese Kritik am Industriekapitalismus, die nicht an sozialen Missständen, sondern an der handwerklichen und ästhetischen Qualität der Waren ansetzt, stellt zunächst eine Minderheitsposition dar. Sie findet sich vor allem in Großbritannien, ist dort mit einem zivilisationskritischen Diskurs, erwa bei Matthew Arnold,

verknüpft und erhält in der Arts-and-Crafis-Bewegung einen konkreten Ort.** Diese Bewegung bildet eine gegen die standardisierte Industrieproduktion gerichtete kulturelle Nische und forciert ein alternatives Verständnis von Arbeit und Produktion. Die kunsthis-

selbst als legitime Kunst erscheint, die sowohl eine Auseinandersetzung mit dem Material als auch eine intellektuelle Anstrengung erfordert. Zentral und historisch ungewöhnlich für die Konfiguration von Arts and Crafts ist, dass sie von vornherein in Begriffen der Trias

Produktion

überträgt,

Dies wird beispielhaft deutlich, wenn Wil-

liam Morris feststellt, dass es der Bewegung um kunsthandwerkliche Artefakte »hergestellt von den Menschen — für die Menschen, eine Freude für Hersteller und Nutzer« geht. Bemerkenswert

ist

an dieser Aussage dreierlei: Erstens befindet sich das Objekt im Zentrum einer symmetrischen Relation zwischen Produzent und Konsument — es gibt weder ein Primat der Produktion noch eines der Zirkulation. Zum Zweiten werden Produzent und Konsument

nicht als bloße Teilnehmer am Warentausch betrachtet, sondern in ihrer Stellung gegenüber der Materialität des Objekts begriffen:

torisch und zugleich ethisch orientierten Bücher von John Ruskin

als handwerklicher Hersteller (»aker) und als Nutzer (wser). Beide

22 Gorttfried Semper, »Wissenschaft, Industrie und Kunst, Vorschläge zur Anregung

werden nicht nur individualisiert, sondern auch als »Menschen« (the people) zugleich demokratisiert. Schließlich und drittens wer-

Grace Lees-Maffei/Rebecca Houze (Hg.), Zhe Design History Reader, Oxford, New York 2010, 5. 53 f

146

24 Besonders wichtig sind hier John Ruskins Zhe Seven Lamps of Architecture, London 1849 und 7he Stones of Venice, London 1851 Im Original »made by the people — For the people, as a joy for the maker and ıhe 2 user«, in: William Morris, »The Beauty of Life« {1880], in: May _ Morris (Hg.), The Collected Works of William Morris, London 1910-1915, London 1992, Bd.22, S.51-80, hier S.55. “

des nationalen Kunstgefühles« [1851], in: ders., Wissenschaft, Industrie und Kunst und andere Schriften über Architektur, Kunsthandwerk und Kunstunterricht, Mainz 1966 5.25-71. 23 Vgl. Eileen Boris, Art and Labor, Philadelphia 1986; CGerda Breuer, Asthetik der schönen Genugsumkeit oder »Arts and Crafts« als Lebensform, Braunschweig 1998;

147

den Arbeit wie Konsum als im Kern affektive Prozesse (»Freude« —

tik zurück, löst es jedoch aus dem exklusiven Kontext des Original-

‚joy) umschrieben: Sowohl die Kreation des Objekts als auch dessen Die ästhetisierte Trias Kreateur-Objekt-Nutzer führt dazu, dass

genies und überträgt es auf die Arbeit am Objekt durch ein beliebiges Subjekt. Es findet neben der Ästhetisierung der Nutzung von Alltagsdingen auf diese Weise eine postromantische Ästhetisierung

der Produzent als ein Handwerker-Künstler modelliert wird, der sich in dem von ihm geschaffenen Objekt »ausdrückt«. Arbeit wird

der Arbeit statt, wie sie seit dem Beginn des ı9, Jahrhunderts in unterschiedlichsten Versionen etwa bei Fourier, Marx und Emerson

Gebrauch sollen sinnlich sensibel und lustvoll sein.

dann nicht als technische Regelanwendung, sondern als Erschaf-

formuliert wird.”® Die Arts-and-Crafts-Bewegung baut allerdings

fung eines individuellen Objekts durch ein ebenso individuelles Subjekt aufgefasst. Die Individualität dieses Gegenstandes manifestiert sich Ruskin zufolge gerade nicht in seiner Perfektion, sondern in seinen Unregelmäßigkeiten, in Abweichungen und Idiosynkrasien. Wichtig ist dabei die Identifikation des Kreateurs mit dem Prozess des Herstellens: »Eigentlich denke ich, dass die richtige Frage, wenn man sich das Ornament anschaut, lautet: Wurde es mit Genuss und Freude gemacht, fühlte sich der Kunsthandwerker bei der Arbeit gut?«® Die Kompetenz des Handwerker-Künstlers erscheint damit universalisierbar und im Prinzip für jeden zugänglich. Dessen »Erfindungsgabe« sei eine allgemein menschliche Ei-

auf einem dreifachen Antagonismus auf, so dass sie auf eine Produktions- und Konsumtions-Subkultur beschränkt bleibt, die sich dagegen sträubt, ohne weiteres in einer kapitalistischen Ökonomie aufzugehen: Sie ist antiindustriell, antikapitralistisch und antiästhetizistisch. Sie lehnt die industrielle und technisch-standardisierte Produktion ab und setzt auf individuelle Einzelstücke; sie hegt eine prinzipielle Skepsis gegenüber dem Markt und dem kommerziellen

genschaft, deren Entfaltung aber eine Umgebung von ästhetisch

Interesse und favorisiert nichtkommerzielle Kooperativen; schließlich ist die Bewegung gegen den damaligen Ästhetizismus gerichtet: Während dieser auf den Reiz des Neuen als rein ästhetischem

Impuls und auf wechselnde Stile setzt, geht es Arts and Crafts um eine ästhetische Befriedigung jenseits des Modezyklus. Die Objekte

anregenden Artefakten voraussetze — diese Bedingung erscheint im industriellen England allerdings nicht mehr erfüllt. Arts and Crafis adressiert den Nutzer somit ebenso wie den Kreateur als ein Sub-

sind für den langfristigen Gebrauch gedacht und sollen einem universalen Maßstab der Schlichtheit entsprechen.”

jekt mit sinnlich-affektiven Ansprüchen gegenüber den hergestell-

Der »divinatorische« Unternehmer als Innovator

ten und verwendeten Dingen. Auch der Konsument verlange nach

»Authentizität« der Gebrauchsgegenstände, die in der Massenproduktion nicht gegeben sei.” Die Arts-and-Crafis-Bewegung richtet sich gegen die scheinbar alternativenlose Hegemonie der Massenproduktion des Industrie-

kapitalismus. In ihrer Zeit erscheint sie hoffnungslos marginal und in der öffentlichen Wahrnehmung häufig geradezu antimodern. Ex post lässt sie sich jedoch als ein kultureller Experimentalraum erkennen, der in mancher Hinsicht die ästhetische Ökonomie vorbereitet, indem sie eine Ästhetisierung des Arbeitsprozesses, der Güter wie auch der Nutzer betreibt. Dabei greift Arts and Crafts auf das Modell der ästhetischen Schöpfung aus dem Umkreis der Roman26 Ruskin, Zhe Seven Lamps of Architecture, S, 160. 27 Dieser Anspruch finder sich zu dieser Zeit faktisch allerdings allein in jener kleinen reforınistisch orientierten Fraktion der oberen Mittelschicht, der die Arts-

and-Crafis-Kunsthandwerker selbst angehören. 148

Auch wenn sich die Arts-and-Crafts-Bewegung in scheinbar hoffnungsloser Defensive gegen die Dominanz des Industriekapitalismus befindet, erweist sie sich, wie bereits gesagt, langfristig als ein einflussreicher Experimentalraum, der mit prä- und antifordistischen Mitteln eine postfordistische Kreativökonomie denkbar macht. Es mag verblüffend erscheinen, dass einem zweiten kulturellen Kontext kurz nach 1900, der der Arts-and-Crafis-Bewegung 28 Vgl. Herbert A. Applebaum, Zbe Concept of Work. Ancient, Medieval, and Modern, Albany 1992, S, 409 f., 429 f. und S.436f. Zu ebenfalls romantischen Vorläufern eines ästhetischen Konsumenten vgl. Colin Campbell, Zhe Romantic Ethic

and the Spirit of Modern Consumerism, Oxford 1987. 29 Im späteren Verlauf der Arts-and-Crafis-Bewegung kollabieren alle drei Antagonismen: Mit dem Kaufhaus Z/berty in London entsteht im Jahr 1875 beispielhaft ein erfolgreiches Unternehmen, das qualitativ hochwertige Gebrauchsgüter im Stil von Arts and Crafts industriell, für den Markt und saisonal wechselnd verkauft,

149

völlig fremd ist, innerhalb der Genealogie des Kreativitätsdispositivs ein komplementärer Stellenwert zukommt.

spätbürgerliche nationalökonomische

Gemeint ist der

schen Steuerung erscheint, wird der Unternehmer als die Instanz der unberechenbaren Kreation des Neuen eingeführt. Er sei somit

und dabei zugleich poli-

»die einzige wirklich gegen die Unentrinnbarkeit der bureaukrati-

tische Diskurs über den »Unternehmer«, wie er insbesondere in Deutschland geführt wird. Prägende Figuren dieses Diskurses sind Schumpeter und Sombart, später auch von Mises und Knight.“

schen rationalen Wissens-Herrschaft (mindestens: relativ) immune Instanz«, ®

Der Unternehmerdiskurs entsprach zu seiner Zeit keineswegs dem kulturellen Common sense, sondern einer Minderheitenposition gegenüber einer mehr und mehr dominierenden »Managementrevolution«, die vor allem in Deutschland und den USA versachlichte Großkorporationen

favorisierte.

Demgegenüber

positionieren

Schumpeter und andere die Subjektfigur des Unterncehmers als Gegenmodell. Im Management und in der öffentlichen Debatte erscheint er im Rahmen des sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausbildenden organisierten Kapitalismus allerdings bereits als eine antiquierte Figur.* Für uns ist die diskursive Konstruktion des Unternehmers aus dem Geiste der Wirtschaftswissenschaft jedoch deshalb von Interesse, da hier erstmals systematisch versucht wird, eine ökonomische Subjektform als Vorbild zu entwickeln, deren

Joseph Schumpeter geht in seiner Zheorie der wirtschaftlichen Entwicklung von der Differenz zwischen dem wirtschaftlichen Kreislauf und der wirtschaftlichen Entwicklung aus.” Dieser Kreislauf, die ewige Wiederkehr des Gleichen, die ähnlich dem menschlichen

Blutkreislauf zu denken sei, gilt ihm als nicht erklärungsbedürftiger Normalfall. Umso nötiger ist die Erklärung von ökonomischen Brüchen, Für Schumpeter gehen diese Verschiebungen des Gleichgewichts vom Bereich der Produktion aus; eine Eigendynamik der Konsumenten sicht er ausdrücklich nicht, Grundlegende Innovationen der Produktion seien — abgesehen von graduellen Verbesserungen — auch in der kapitalistischen Ökonomie ein Ausnahmefall, der sich immer nur gegen Widerstände durchsetzen lasse. Innovationen

bestehen dabei in einer Kombinationsleistung: Es geht nicht bloß um die Herstellung eines neuartigen Objekts, sondern um das in-

wichtigste Fähigkeit es ist, Neues in die Welt zu setzen.

telligente Arrangement von Elementen, von »Dingen und Kräften«.

Vor 1900 galt die Figur des Unternehmers, wenn sie überhaupt in der Nationalökonomie oder ihren Vorgängerdisziplinen thema-

Das Neue entsteht nicht aus dem Nichts, sondern bedeutet, »diese Dinge und Kräfte anders [zu] kombinieren«,* Der Unternehmer als Typus bezeichnet bei Schumpeter den Träger genau dieser Neukombinationen. Dieses Verständnis befindet sich durchaus in der Nähe zur Konzeption des Neuen als

tisiert wurde, als eine Person, die Kapital zum Einsatz bringt oder eine Leitungs- und Überwachungsfunktion innehat. Adam Smith definierte den Unternehmer als Kapitalanwender (von Boden, Geld und Arbeit), während ihn die französische Tradition, etwa bei Jean-Baptiste Say, an seiner Funktion der Koordination von Arbeit festmachte.* Die Unternehmerfigur tritt erst in dem Moment ins Zentrum der nationalökonomischen Debatte, in dem sie als das kulturell Andere gegen den »Manager« in Stellung gebracht werden kann. Während dieser als Agent der Planausführung und techni-

Neuarrangement des Alten in der Kunst der Avantgarde und der Postmoderne.*° Neukombinationen können sich nun auf verschiedene Ebenen beziehen: auf die Herstellung einer neuartigen Ware,

auf eine Produktionsmethode, auf die Erschließung neuer Absatzmärkte oder die Umstrukturierung des Betriebs, Die Kreation des

Neuen wird damit nicht allein auf die Herstellung eines — zum Beispiel technisch neuartigen — Objekts bezogen, sondern auch

30 Vgl. dazu auch Bröckling, Das unternehmerische Selbst, S. 108 ff.

auf die Veränderung von sozialen und technischen Regeln und des

31 Vgl. Chester I, Barnard, Zhe Functions of the Executive, Cambridge 1938; Reinhatd Bendix, Work and Authority in Industry. Ideologies of Management in the Course of Industrialization, Berkeley 1956; Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie,

32 Vgl. Hans Jacger, »Unternehmer«, in: Otto Brunner/Reinharr Koselleck u.a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, Stutgart 1990, S, 707-732.

150

33 Weber, Wirtschaft und Cesellschaft, S.129. 34 Joseph A, Schumpeter, Zheorie der wirtschaftlichen Entwicklung [1911], Berlin 1987; siehe auch ders., »Unternehmer«, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaf“ ten, Jena 1928, S, 476-487.

35 Schumpeter, Zheorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S, 100. 36 Vgl. dazu oben Kapitel 3,5.

ISı

Verhältnisses zum

Markt.

Generell setrzt Schumpeter voraus, dass

bart hervor.”® Das Werk sei das Unternehmen

selbst, es ist »wie

das Problem des Neuen eine Aufgabe des Subjekts ist (und nicht

ein körperlich lebendiges Wesen«‘!

etwa der O7gzmiszztion‚ wie es später die Innovationsökonomie

unternehmerischen »Verwirklichungsbedürfnis[ses)«. Obgleich da-

an-

und darin ein Ergebnis des

nimmt): es bedarf eines Persönlichkeitstypus, der zum Neuen fähig

mit der Unternehmer auch hier in Analogie zum Künstler-Genie

ist,

Diese Disposition setzt bei Schumpeter drei Eigenschaften vo-

gedacht wird, geht Sombart auf entschiedene Distanz zur Künstlerfigur und zieht eine Parallele zu einem anderen Typus: dem Ent-

raus: ein neues Sehen, eine Durchsetzungsfähigkeit des Willens

decker und Eroberer. Während der Künstler sein Werk selbstge-

sowie eine starke affektive Besetzung des Machens. Generell fehle

nügsam schaffe, gehe es dem Unternehmer Durchsetzung. Auf verräterische Weise wird Sombart hypermaskulinisiert, der Künstler Nun ist es der Unternehmer, der mit den

es nicht an technischen oder anderweitig revolutionären Möglich-

keiten, im Gegenteil: Das Neue ist eigentlich immer schon reichlich vorhanden. Das eigentliche Problem besteht nicht darin, es zu entdecken, sondern es zu realisieren. Dies erlaubt auch eine Unterscheidung zwischen dem 1ypus des Erfinders und des Unterneh-

um dessen erfolgreiche der Unternehmer von hingegen feminisiert. Insignien des ehemals

künstlerischen Originalgenies ausgestattet wird: Er sei eine »divina-

torische Natur« mit »genialer Intuition«.* In diesem Sinne kommt

ganisation und auf dem Markt in die Tat um. Dazu bedarf es zum

er in der Ökonomie ebenso wie in anderen Bereichen vor. Er sei mehr als der Kaufmann, in dem Sombart lediglich den Utilitaristen

einen der Offenheit für andere, revolutionäre Perspektiven, zum

und geschickten Rechner sieht: der Unternehmer ist Innovator.

anderen einer »Willensstärke«,

Wenn man es zusammenfasst, stellt der spätbürgerliche Diskurs den unternehmerischen Innovator als eine Exklusivfigur von höchster affektiver Intensität dar., Das Unternehmerische wird dabei einerseits als anthropologische Konstante postuliert, zugleich

mers: FErsterer entwickelt erwas Neues, Letzterer setzt es in der Or-

eines Ȇberschuss(es)

an Kraft«,”

diese neue Perspektive in der Organisation und auf dem Markt gegen Widerstände durchzusetzen. Ein Umgang mit ökonomischer

Ungewissheit — worin Frank Knight später das eigentliche Kennzeichen des Unternehmers sieht —® scheint hier charakteristisch zu

als eine Eigenschaft, die letztlich normalverteilt ist.* Das bedeutet

sein. Die Durchsetzung des Neuen stellt sich für Schumpeter somit

aber, dass die ausgeprägte unternehmerische Orientierung eine rare

nicht primär als eine perzeptive oder kognitive, sondern als eine energetische, voluntative Leistung eines Unternehmers dar, der Lust am Durchsetzen von Innovationen entwickelt, Es ist diese Affekti-

niert werden kann, Für Schumpeter vermag selbst der zum Unternehmerischen Disponierte in der Praxis nicht durchgängig Unter-

vität, die ihn von der »Rationalmaschinerie«

mit ihren Managern

und Angestellten unterscheidet, Sie lässt sich als eine »Freude am Werk, an der Neuschöpfung als solcher«?” verstehen, aber auch als ein sportlicher Ehrgeiz, gewinnen zu wollen. Allerdings steht diese affektive Identifizierung Schumpeter zufolge in eigentümlichem

Kontrast zu der äußeren »Glanzlosigkeit«, der geringen Attraktivität des Unternehmers, die ihm zu dieser Zeit in der Öffentlichkeit zukommt. Die Orientierung der Unternehmerfigur an einem »Werk« im erweiterten, nachhandwerklichen Sinne hebt auch Werner Som37 Schumpeter, Zheorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S.126. 38 Vgl. Frank H. Knight, Risk, Uncertainty and Profit, Chicago u.a. 1971. 39 Schumpeter, Zheorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S.139.

152

Eigenschaft ist, die nicht von jedem erwartet oder gar jedem antrainehmer zu sein, da er doch immer wieder in die bequemere Routine zurückfällt.

Die Innovationsorientierung des Unternehmerischen

erscheint damit nicht wirklich routinisierbar. Der Unternehmer wird vielmehr — ganz ähnlich wie wir es im klassischen Künstlerdiskurs gesehen hatten — als ein Originalgenie der Kreation verstanden. Trotz dieser Exklusivtendenz ist es dem Unternehmerdiskurs ein prinzipielles Anliegen, die Notwendigkeit der Innovation als

Kern — wenn auch nicht als Regelfall — der Funktionsfähigkeit des 40 Vgl. Werner Sombart, »Der kapitalistische Unternehmer«, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 29 (1909), S. 689-758. 41 Ebd., S.701. 42 Ebd., S.741. 43 Vgl. zu dieser quantitativen Verteilung die entsprechende Fußnote in Schumpe-

ter, Zheorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S.120. 153

Kapitalismus zu begründen. Dieses Neue ist nicht lediglich das technisch Neue der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, sondern das Neue der Revolutionierung von Organisation und

43 Innovationspermanenz als Managementproblem »Personality and organization« und das Motivationsproblem

Markterfolg, Es scheint nur konsequent, dass Schumpeter mit der managerial revolution auch das Ende des Kapitalismus wittert. Der

Unternehmer erweist sich somit gewissermaßen als ein »gegenkul-

Die Entstehung und Ausbreitung der formal-rationalen Betriebsor-

tureller« Typus, der mit der bürgerlichen Kultur zu verschwinden droht. Die Arts-and-Crafis-Bewegung und der spätbürgerliche Unternehmerdiskurs kann man zusammengenommen betrachten. Sie fordern auf komplementäre Weise gegen die Dominanz des forma-

ganisation im Weber’schen Sinne in den USA und in Deutschland

len Rationalismus in der Ökonomie die Notwendigkeit der ästhetischen Arbeit beziehungsweise der permanenten

Innovation ein.

seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war von Anfang an durch jene neue Form des Wissens angeleitet, die sich unter dem Begriff »Management« versammelte, Wenn die ökonomische Praxis sich nun nicht mehr in erster Linie als Aktivität von Individuen — von Selb-

ständigen und Familienunternehmen — versteht, sondern als ein Geschehen von Organisationen und damit von kollektiven Einhei-

Dies geschieht zum einen in einer dezidiert an ästhetischer Pro-

ten, dann bezeichnert das Management eine Form des Wissens und

duktion orientierten, aber marktfernen Richtung und zum anderen in einem strikt marktorientieren Innovationsmodell, dem jedoch

Regierens, die diese kollektive Einheit beobachtet und lenkt. Das

die Idee einer ästhetischen Arbeit im eigentlichen Sinne letztlich fremd ist. In beiden Fällen werden Kreation und Innovation mit

enormer affektiver Intensität ausgestattet, In beiden greift man semantisch auf vormoderne Figuren wie die des Handwerkers und Eroberers zurück. Schließlich schränkt sich das Modell einer produktiven Schöpfung hier wie dort selbst ein: einerseits durch den

Antiindustrialismus, die Marktskepsis und den Antiästhetizismus, andererseits in der Gegnerschaft des heroischen Unternehmers zur modernen Organisation als solcher. Es ergeben sich damit Parallelen zu den Selbsteinschränkungen, denen die Figur des Künstlers im Rahmen des bürgerlichen Kunstfeldes unterliegt: Der Unternehmer ähnelt dem künstlerischen Originalgenie so, wie die Arts-

and-Crafis-Bewegung sich als Subkultur nach Art der Boheme präsentiert. Trotz dieser Limitierungen erweisen sich beide kulturelle Nischen als Impulse auf dem Weg zur langfristigen Umstellung des ökonomischen Feldes auf Kreativitätsorientierung. Sie befinden sich jeweils am Anfang der beiden Stränge, die dort zusammenlaufen werden: des managementorientierten Stranges der Innovation

Management, wie es in der Managementlehre als Disziplin vermittelt wird, versucht, ein rationales Wissen über Organisationen zu

gewinnen und effizienzsteigernd einzusetzen. Yehonda

Shenhav

und

David Noble

haben

gezeigt, wie die

Entstehung und Verbreitung der Managementlehre, wie sie in den

1880er Jahren zunächst in den USA einsetzte, ein offener und umstrittener Prozess war. Sie entstand als eine Subdisziplin der Inge-

nieurwissenschaften und nahm die erfolgreiche Arbeit von Organisationen buchstäblich als ein technisches Problem wahr;* die ersten

Betriebswirte waren demzufolge ausgebildete Ingenieure. Diese Managementlehre ist zunächst stark von den praktischen Problemen der neuen Großindustrien wie Eisenbahn-, Maschinen-, und Schiffsbau, später auch der Chemie- und Automobilindustrie geprägt. Das bereits erwähnte, von Fredric Taylor entwickelte Modell des seientific management stellt nur eine, allerdings besonders einflussreiche Variante im Rahmen des größeren Feldes eines Ma-

nagements dar, das die Organisation analog einem technischen System mit standardisierten Einzelteilen denkt.** Seit den 1920er, verstärkt seit den 1950er Jahren entdeckt die Managementlehre nun

und des an symbolisch-sinnlicher Produktion orientierten Stranges

jedoch schrittweise »Kreativität« als Wirklichkeit und Notwendig-

der Kreation.

keit der Organisation. Der Ausgangspunkt ist dabei zunächst die 44 Vgl. Shenhav, Manufacturing Rationality, David F, Noble, America by Design. Science, Technology, and the Rise of Corporate Capitalism, New York 1979. 45 Vgl. Frederick Taylor, Scientific Management [1913), Minneola 1998,

154

Identifikation eines Motivationsproblems als Krux der modernen Organisation: Diese setze motivierte Mitarbeiter voraus, aber die maschinenhafte Korporation übersche diese Notwendigkeit, was zu

opponiert. Mit ihrer Aufmerksamkeit für die psychische Struktur der Organisationssubjekte bilder sie zugleich den Übergang zur

Human-resources-Schule der 1950er Jahre, der zufolge die Subjek-

unerwünschten Phänomenen wie ineffizienter Arbeit oder Exitstra-

te sich allerdings »icht mehr auf harmonistische soziale Wesen

tegien führt. Das Motivationsproblem wird von der Human-relations-Schule, später von der Human-resources-Schule thematisiert,

reduzieren

Für beide steht das Verhältnis der Organisation zur Persönlichkeit des einzelnen Mitarbeiters im Mittelpunkt der Betrachtung, sie be-

gründen die Personality-and-organization-Bewegung im Management. Seit den 1920er Jahren finden im Rahmen der Personal management movement erstmals empirische Untersuchungen zur Arbeitszufriedenheit und -motivation statt, Wegweisend sind die indus-

triepsychologischen Studien von Hugo Münsterberg und Walter Dill Scott sowie die sogenannten Hawrhorne-Interviews.‘© Letztere machen sichtbar, wie allein die Tatsache, dass Arbeitnehmern Aufmerksamkeit gezollt wird, ihre Arbeitsleistung nachhaltig verbessert, Die Hawthorne-Interviews liefern die Initialzündung für die

lassen,

sondern

unstillbar

nach

Selbsterfüllung

und

Selbstverwirklichung (self fulfillment) in der Arbeit streben. Nur indem die Organisationen dieses Streben nach Selbsterfüllung ernst nimmt, ist sie dazu in der Lage, das Motivationsproblem zu lösen.“ Der Durchbruch der Human-relations-Bewegung findet mit Chris Argyris’ Buch Personality and Organization 1957 statt.” Die neue Perspektive auf die Organisation, die hier entwickelt wird,

ist im Wesentlichen ein Resultat der Rezeption der Psychologie dieser Zeit, insbesondere der Self-growth-Psychologie von Abraham Maslow und anderen.” Argyris nimmt diese Psychologie beim Wort und setzt es als wissenschaftlich erwiesen voraus, dass die menschliche Psyche nach kreativer Selbstexpression strebt. In ihr wirke ein Energiestrom, der nach »Zielen der Verwirklichung

und Steigerung des Selbst«” trachtet. Für das Subjekt sei damit

Human-relations-Schule im Management.” Gegen das behavioris-

keine Vermeidung von Spannungen, sondern gerade eine positi-

tische Ingenieurmodell, für das die Mitarbeiter black boxes waren,

ve Anspannung kennzeichnend: Es will sich und seine Umgebung

entdeckt sie deren psychische Innenwelt und strebt nach ihrer posi-

entwickeln. Freude (joy) wird hier von Lust (pleasure) geschieden: Im Unterschied zum energetischen Stillstand des pleasıure basiere

tiven Beeinflussung. Die Beziehung zwischen den Individuen und

der Organisation wird hier primär als eine intersubjektive Relation zwischen den Individuen gedacht, und als deren zentrales Motiv gelten soziale Anerkennung

und harmonisches Miteinander.

Im

joy auf dem produktiven Ungleichgewicht zwischen Bedürfnis und 49 Der Übergang zwischen der Human-relations- und der Human-resources-Schule

ist fließend: 1927 macht der belgische Sozialist Hendrik de Man (vgl. Der Kampf um die Arbeitsfreude, Eine Untersuchung auf Grund der Aussagen von 78 Industriearbeitern und Angestellten, Jena 1927) als Voraussetzung für gelungene Arbeit

Ergebnis führen die Human-relations-Reformen zu einer Organisation mit starkem Gruppenethos.“® Die Human-relations-Schule befindet sich an einer genealogischen Gelenkstelle: In ihrer dezidierten Orientierung an der

innerhalb der Großorganisation die Befriedigung von Spiel-, Neugier- und Kon-

struktionsinstinkten aus. Abstrakter und bescheidener weist Alexander Heron 1948 darauf hin, dass Mitarbeiter »capable of producing ideas that can be used«

Organisation als einer geordneten Entität, die jede Abweichung

(Why Men Work, New York 1977, S.175) sein müssten, um ihre Motivation zu

vermeidet, teilt sie einerseits den Diskursraum mit dem seientific management, gegen das sie ihrem eigenen Selbstverständnis nach

sichern. Auch in Chester Barnards Organisation and Management, Cambridge 1941, und Peter Druckers Zhe Concept of the Corporation, New York 1946, finden

sich erste Kritiken an repressiven Tendenzen der technokratischen und gruppen46 Vgl. Hugo Münsterberg, Prychologie und das Wirtschaftsleben. Ein Beitrag zur an-

48 Vgl. dazu auch Whyte, Zhe Organization Man, Teil 1. 156

orientierten Korporation.

so _ Meilensteinc in diesem Feld sind Chris Argyris, Personality and Organization, New York 1957; ders., Integrating the Individual and the Organization {x964],

New York 2009 und Douglas McGregor, 7he Human Side of Enterprise, New York 1960. n P

gewandten Experimental-Psychologie, Leipzig 1912; zusammenfassend auch Emil Walter-Busch, Das Auge der Firma. Mayos Hawthorne-Experimente und die Harvard Business School, 1900-r960, Stutrgart 1988. 47 Vgl. Eiton Mayo, 7he Human Problems of an Industrial Civilization (1933], New York 1977.

Vgl. dazu ausführlich Kapitel 5.4 dieses Buches.

52 Argyris, Personality and Organization, S.28. 157

Realität. Das Subjekt wolle sich beständig transformieren und auf immer neue Weise entfalten — dies gilt auch für den Beruf. Der Harmonismus der Human-relations-Schule erscheint aus dieser Perspektive wenig zielführend. Die Vorstellung eines Subjekts nach

mischer Organisationen behauptet. Man begründer sie zunächst je-

doch rein psychologisch: Es sei das menschliche Subjekt in seinem vorgeblichen Bedürfnis nach Selbstveränderung und Kreativirät, das diese Dynamisierung fordert — um den Preis einer desaströsen

Art der Psychologie des Selbstwachstums münder zwangsläufig in

Ineffizienz der Organisation,

einen Antagonismus zwischen dem Individuum und der Organi-

stillzustellen. Die Human-resources-Schule ist wie die mit ihr ver-

falls diese versucht, die Bedürfnisse

sation mit ihrer spezialisierten und hierarchischen Struktur. Dieser

bundene Schule der »positiven Psychologie« humanistisch grun-

Gegensatz stellt sich als der eigentlich Grund für das Motivations-

diert und nimmt

problem heraus und dafür, dass die Organisationen nicht so effizi-

vorweg, wie sie Ende der 1960er Jahre von Seiten der Gegenkultur

Elemente der progressiven Organisationskritik

formuliert wird. Sie verbindet die humanistische Begründung je-

ent agieren, wie sie sollten und auch könnten.

Es bedarf damit aus dieser Perspektive einer neuen, postbüro-

doch mit einer funktionalistischen: Will die Organisation effizient

kratischen Form der Organisation, die Douglas McGregor eine

arbeiten, wird sie das Motivationsproblem lösen müssen. Die Ziele der Organisation selbst, ihre Einbindung in den formalen Ratio-

Organisation im Sinne der »Theorie Y« nennt und in seiner einAussreichen Unterscheidung der klassischen Organisation nach

»Theorie X« gegenüberstellt. Die Struktur einer solchen Alterna-

nalismus, stehen in der Human-resources-Schule jedoch nicht zur Debatte. Es ist nicht die Stellung der Organisation auf dem Markt, die hier als Movens der Innovationsorientierung erscheint, sondern

tivorganisation bleibt allerdings bei Argyris wie bei McGregor skizzenhaft. Während Ersterer zunächst lediglich andeutet, die Aufgabe

die Anpassung der Organisation an ihre innere Umwelt, das heißt,

der künftigen Organisation bestehe darin, »den Individuen dabei zu helfen, dass sie wachsen können und kreativ werden«,” bringt

postbürokratischen Organisation vage. Trotzdem war die Human-

er später ein systemtheoretisches Vokabular in Anschlag, dem zufolge die Organisation sich als ein »offenes System« strukturieren soll — offen gegenüber den Individuen, die nun eigene Systeme in seiner inneren Umwelt bilden. Diese Offenheit setze voraus, dass

die menschlichen Psychen. Wohl deshalb bleibt das Modell der resources-Schule einflussreich genug, um in der Managementlehre die Vorstellung eines Arbeitnehmers als kreatives Selbst zu implantieren, Sie liefert darin eine wichtige Voraussetzung für den postmodernen Managementdiskurs.”®

die Aufgabenspezialisierung in der Organisation zurückgenommen und die Kompetenzen des einzelnen Mitarbeiters ausgeweitet werden. McGregor verweist seinerseits auf die Notwendigkeit einer Vorgesetztenrolle, die nicht auf Kontrolle, sondern auf Beratung ausgerichtet ist. Die Fähigkeiten des Mitarbeiters seien als »Ressource« des Unternehmens zu betrachten, und entsprechend sei in einem »Management qua Selbstkontrolle«* eine Selbstentwicklung der Individuen anzustreben. Argyris entwickelt schließlich den Grundriss einer Art energetischer Koevolution von Individuum und Organisation, von »persönlichem Wachstum« und »Organisationswachstum«.”® Im

Rahmen

der Human-resources-Bewegung

wird damit erst-

mals die Notwendigkeit einer dauerhaften Dynamisierung ökono53 Ebd., S. 212. (Übersetzung A.R.) 54 McGregor, Zhe Human Side of Enterprise, S.75. (Übersetzung A.R.) 55 Argyris, Integrating the Individual and the Organization, S 315 . 158

Die Innovationsökonomie und das Umweltproblem

Komplementär zur Personality-and-organization-Schule entstand ein zweites verändertes Modell des Managements: das der Innovationsökonomie. Die Notwendigkeit der Innovation in Permanenz

wird hier nicht psychologisch, sondern auf der Ebene der Organisationen und ihres marktförmigen Umfeldes begründet. Das eigentlich zu lösende Problem der Wirtschaftsorganisation ist nach

diesem Verständnis kein Motivations-, sondern ein Umweltproblem. Die Initialzündung für die Innovationsökonomie liefert 1961 Tom Burns’ und George Stalkers Buch Zhe Management of Innovation. Die Studie bewegt sich innerhalb eines größeren Kontextes von Arbeiten, die sich Ende der 950er Jahre kritisch mit der Rea56 Vgl. Nikolas Rose, Governing the Soul. The Shaping of the Private Self, London 1990, S.103ff.

159

lität formal-rationaler Organisationen auseinandersetzen.” Anders als in der Human-resources-Schule gerät hier die Organisation als eine emergente soziale Struktur in den Blick, und dieser Blick wittert Schwächen: dass die Organisation nicht dem formalistischen

Modell entspricht oder gar nicht erst diesem Modell entsprechen sollte. Burns und Stalker untersuchen vor diesem Hintergrund die Entwicklung von Unternehmen der britischen Elektroindustrie, die relativ erfolglos mit der Einrichtung von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen nach dem klassischen Muster der Spezialisierung auf technische Innovationen experimentiert haben. Sie kommen in ihrer reichlich trockenen Studie zu einem zeitgenössisch

Burns und Stalker skizzieren nun die Alternative eines »orga-

nischen Managementsystems«,

dessen

Hauptmerkmal

darin be-

stehen soll, mit der strikten Spezialisierung und Hierarchisierung der klassischen Organisation zu brechen. Ein »Innovationsmanage-

menzt« setze voraus, dass Arbeitsprozesse nicht mehr nebeneinander stattfinden, sondern ständig und auf offene Weise miteinander ko-

ordiniert sind: Es geht nicht darum, lediglich eine Spezialaufgabe zu erfüllen, sondern an der Weiterentwicklung des Unternehmens

als Ganzes in einer veränderlichen Umweltr teilzunehmen. Dass dies vom

Mitarbeiter ein stärkeres, auch emotionales

Engagement

und

eine Überwindung der eigenen Grenzen verlangt, sehen Burns und

spektakulären Schluss: dass sich für Unternehmen die ökonomi-

Stalker — ganz in Gegensatz zu Argyris und zur späteren postmo-

sche Notwendigkeit ergeben kann, sich in toto einer Dauerinnova-

dernen Managementlehre — allerdings gerade als Achillesferse des

tion zu unterwerfen.

neuen Modells. Das Innovationsmanagement stellt sich letztlich als Daueraufgabe des gesamten Unternehmens auch jenseits der For-

Ausgehend von einem ansatzweise systemtheoretisch informierten Verständnis von ökonomischem Management, wird die Orga-

schungsabteilungen heraus; die Frage ist nur, wie die Mitarbeiter

nisation als eine Sphäre der Binnenkomplexität verstanden, die in einer Umwelt situiert ist, Anders als bei Argyris richtet sich der Blick

dazu zu motivieren sind.

jedoch nicht auf die »innere Umwelt« der Psychen der Mitarbeiter, sondern auf die äußere soziale Umwelt, die sich aus technologischen

wicklung angelangt. Mit der Arbeit von Burns und Stalker setzt begrifflich noch unbeholfen eine Fundierung der Ökonomie als

Entwicklungen, konkurrierenden Unternehmen und Konsumenten zusammensetzt, Entscheidend ist nun die Frage, ob diese Umwelten

eine Veranstaltung permanenter Innovation innerhalb der Organi-

stabil oder dynamisch sind. Die klassische Managementlehre ging von einer stabilen Umwelt aus und konnte damit das als allgemeingültig umzusetzen versuchen, was Burns und Stalker das »mecha-

nische Managementmodell« nennen: den formalen Rationalismus. Tatsächlich erweisen sich die Markt- und Technikumwelten jedoch häufig als instabil. Die Aufgabe besteht dann darin, die Organisationsstruktur so auszurichten, dass sie die Dynamik in der Umwelt zu

Erneut sind wir an einem wichtigen Punkt der kulturellen Ent-

sation und über technologische Innovationen hinaus ein. Diese Neukonfiguration der Managementlehre baut auf einem Denken in System-Umwelt-Differenzen auf: Wenn die Umwelt dynamisch ist, muss sich das System anpassen. Innovationspermanenz, so folgt daraus, ist paradoxerweise eine Anpassungsleistung. Eleganter als bei Burns und ebenso wirkungsmächtig wird dieser neue kulturelle

Horizont 1967 von Karl Weick in Zhe Social Psychology of Organization aufgespannt,” der fordert, Wirtschaftsorganisationen von

begreifen und durch eigene Neupositionierungen und Reorganisa-

Grund als interpretative und prozesshafte Aktivität zu sehen. Im

tionen darauf zu reagieren vermag: »[D]ie sich wandelnden Bedingungen lassen beständig neuartige Probleme und unvorhersehbare Handlungsnotwendigkeiten entstehen.«® Hier ist keine einmalige

gleichen Jahr, in dem Jacques Derrida Die Schrift und die Differenz veröffentlicht und untergründig mit diesem verbunden,® postuliert Weick, dass statt von Organisationen als Strukturen nur vom Organisieren als Prozess die Rede sein sollte. Organisationen reproduzieren sich, aber enthalten gewissermaßen immer eine Iterabilität von Aktivitäten in der Zeit, die somit immer schon das Poten-

Veränderung gefragt, sondern eine Organisationsstruktur, die ein permanentes »management of innovation« betreibt. 57 Tom Burns/George M. Stalker, Zhe Management of Innovation [1961], Oxford 2008; Vgl. auch Michael Crozier, Zhe Bureaucratie Phenomenon, Chicago 1964; James G. March/Herbert A. Simon, Organizations, New York 1958. 58 Burns/Stalker, 7he Management of Innovation, S.121. (Übersetzung A.R.) 160

zial für neue Ereignisse enthält. Das Organisieren ist im Kern ein 59 Karl Weick, Der Prozeß des Organisierens [1967}, Frankfurt/M. 1995. 60 Jacques Derrida, Die Schrift und die Differenz [1967}, Frankfurt/M. 1992. 161

kommunikativer und interaktiver Prozess, in dem auch die Organisationsumwelt interpretiert wird, In der konstruktivistisch gewen-

deten Version des System-Umwelt-Denkens, wie sie Weick entwi-

le der Innovationsökonomie, die sich seit Beginn der 1980er Jahre häufen, an Burns’ und Weicks Leitgedanken der auf Dauer gestellten und zugleich institutionell entgrenzten Innovation an. Diese Modelle greifen auf eine schon existierende Organisationspraxis

ckelt, handelt es sich bei den Informationen über sich wandelnde Marktbedingungen nicht um Abbildungen, sondern um tastende

zurück und spitzen sie zu. Sie arbeiten häufig mit suggestiven Me-

Interpretationen einer chronisch mehrdeutigen Umwelt, Das Neue

taphern.

ist bei Weick also eindeutig nicht auf technische Erfindungen zu

Kline und Nathan Rosenberg hervor, dass diese sich immer im Spagat zwischen Marktorientierung und technischer Entwicklung befindet; immer geht es um ein Management von Ungewissheit, so dass die verschiedenen Schritte des Innovationsprozesses in einem ständigen Vor und Zurück verlaufen und über Feedback-Schleifen miteinander verbunden sind. Nicht die Technologie ist der Ausgangspunkt zur Entwicklung des Neuen, sondern es sind die Probleme, die sich in der Routine der Organisation ergeben. Das Rugby-Modell der Innovation, wie es Hirotaka Takeuchi und Ikujiru Nonaka anhand japanischer Unternehmen wie Honda und Canon

reduzieren, sondern das Ergebnis eines Zulassens von Neuinterpretationen auf der Ebene der Informationsverarbeitung der Organi-

sation. Gefragt ist deren evolutionäre Entwicklung: »Evolutionäre Systeme sind kreative Systeme [...].«® Kreativität bezieht sich da-

mit auf die ganze Organisation als soziales System und ist nicht mehr auf die Fähigkeiten von Individuen einschränkbar. Tom Burns und Karl Weick liefern damit organisationspsycho-

logische und organisationssoziologische Impulse für einen Paradigmenwechsel: Wirtschaftsorganisationen sollen für ein basales Umweltproblem sensibilisiert und, als Antwort darauf, Innovation jenseits des Spezialfalls der Technologie auf Dauer gestellt werden, Seit den 1970er Jahren reorientiert sich die Managementlehre auf breiter Front hin zur Innovationsökonomie und zum Innovationsmanagement. Was dort unter »Innovation« verstanden wird, ist

So hebt das Kettenmodell

der Innovation

von Stephen

entwickeln, verzichtet sogar vollständig auf die Annahme geordneter Schritte in Richtung von Innovation und stellt ein multidisziplinäres Projektteam in den Mittelpunkt, das mit ehrgeizigen Innovationsaufgaben konfrontiert wird und diese nahezu eigenständig in die Hand nimmt. Andrew van de Veen schließlich vergleicht in

allerdings doppeldeutig. Teilweise werden Modelle eines postbü-

seinem

rokratischen Managements ausgearbeitet, teilweise aber auch die alte technikorientierte Tradition der Innovationsorientierung fortgesetzt, vor allem anhand der sogenannten »linearen Modelle«, die

mit einer Reise, in der schleppende und rasante Phasen einander

einen planbaren und zugleich technisch induzierten Prozess vor

Feuerwerk-Modell

unternehmerische

Innovationsprozesse

abwechseln.® Während diese nonlinearen Modelle Innovation als einen diskontinuierlichen Prozess gestalten wollen, hat sich paralJel dazu die Frage in den Vordergrund geschoben, welche struktu-

Augen haben. In diesem Zusammenhang findet sich immer wieder

rellen Bedingungen eine solche permanente Innovation ermögli-

ein Vier-Phasen-Schema,

(discovery)

chen. Die in der Innovationsökonomie weitverbreitete Antwortet

in den Laboren der Grundlagenforschung die Erfindung (invention) der anwendungsorientierten Forschung, dann die Entwicklung (development) in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen des Unternehmens und schließlich die Verbreitung (diffusion) des Produkts folgen soll. Idealerweise folgen die vier Phasen chrono-

darauf lautet, dass die antibürokratischen Strukturen des sozialen »Netzwerks«, das verschiedene Organisationen und ihren Informationsfluss miteinander verknüpft, ebenso hilfreich sein können

in dem

auf die Entdeckung

wie die der communities of practice, das heißt dichter sozialer Gemeinschaften, die ein implizites Wissen teilen. Als relativ egalitäre

logisch aufeinander, und es gibt eine institutionelle wie räumliche

Kommunikationsverbünde sollen beide eine Diffusion von Wissen

Trennung der vier Kontexte.® Demgegenüber schließen die sogenannten nonlinearen Model-

63

61 Weick, Der Prozefl des Organisierens, S.360. 62 Vgl. dazu Holger Braun-Thürmann, /nnovation, Bielcfeld 2005, S.30 ff 162

Vgl. Stephen J. Kline/Nathan

Rosenberg,

»An Overview of Innovation«,

in:

Ralph Landau/Nathan Rosenberg (Hg.), Zhe Positive Sum Strategy, Washington D.C. 1986, S.275-306; Hiroraka Takeuchi/Ikujiro Nonaka, »The New New Product Development Game«, in: Harvard Business Review 64 (1986), S.137-146; Andrew H. van de Ven, Zhe Innovation Journey, New York u.a. 1990.

163

erleichtern, aus dem sich via Neukombination Innovation ergeben

kann,®'

Betrachtert man

die Personality-and-organization-Schule

die Innovationsökonomie

zusammen,

ermutigen

beide

und

Manage-

mentlehren eine Abkehr vom

bürokratischen Rationalismus der

Organisation

die Notwendigkeit

Gegenüber der Massenproduktion von Investitions- und Konsumgütern scheint Mode, Werbung und Design zunächst ein supplementärer Status zuzukommen: Das Design liefert einen ästhetischen Zusatzwert (added value) für Objekte, die im Kern technisch und funktional sind; die Werbung versucht insbesondere über

permanenter

visuelle Darstellungen den Verkauf dieser Waren zu unterstützen,

Innovation. Diese Dauerinnovation wird einerseits psychologisch mit den Selbstveränderungswünschen der Mitarbeiter, andererseits

die aber auch ohne Werbung schon komplett sind; und die Mode scheint in der Form der hochgradig ästhetisierten Haute Couture

mit einer notwendigen Anpassung an die veränderliche Organisa-

als Relikt des postaristokratischen Luxuskonsums. Zwischen 1920 und 2000 Ainder jedoch eine komplette Umkehr dieser Wertigkeit

und

behaupten

tionsumwelt begründet. Auf dem Weg zur ästhetischen Ökonomie ausgereifter Form bilden sie jedoch nur einen Entwicklungsstrang und, wie sich zeigen wird, einen Zwischenschritt. Das Neue wird in ihrem Kontext zwar auf Dauer gestellt, aber es wird nur bedingt ein Verständnis für ästhetisch Neues entwickelt. Kreativität wird so im Wesentlichen auf technische oder organisationelle Innovation enggeführt, In der Rückschau Kkristallisiert sich he„raus‚ dass für die Entstehung und Ausbreitung der ästhetischen Okonomie ein zweiter Entwicklungsstrang nötig war: die Formierung der creative industries im engeren Sinne.

statt. Alle drei Branchen verwandeln sich von bloßen Hinzufügungen zu kulturellen Leitformaten der Ökonomie. Sie stellen sich als exemplarische Formate einer Ästhetisierung des Ökonomischen

dar. Obwohl sie sich zunächst weitgehend unabhängig voneinander entwickeln, folgt dieser Prozess einem übereinstimmenden Muster: Einer ersten Formierungsphase in den 1920er Jahren, in der das Ästhetisierungspotenzial der drei Branchen bereits vorhanden, aber systematisch begrenzt ist, folgt in den 1960er Jahren eine Transformationsphase. Die jugendlichen Gegenkulturen dieser Zeit, die

von ökonomischer Seite als stilorientierte Konsumenten angesprochen werden, bilden den historisch entscheidenden Transforma-

4.4 Die Etablierung der creative industries Der Begriff creative industries stammt aus den 1990er Jahren, und seine historische Anwendung ist ein vorgreifender Anachronismus. Eine ökonomische Praxis, die in erster Linie nicht Dinge, sondern

Symbole und sinnliche Eindrücke produziert, gibt es bereits seit den 1920er Jahren, also seit dem Beginn des Fordismus. Frühere Versionen einer solchen Symbolökonomie lassen sich bis in die

tionsriemen für eine umfassende ästhetische Mobilmachung. Es findet eine »kreative Revolution« statt, die sich — in der dritten, der

Etablierungsphase — seit den 1970er Jahren von den Gegenkulturen löst und generalisiert, so dass sich die creative industries zu Leitbranchen des ästhetischen Kapitalismus aufschwingen. Diesem all-

mählichen Wachstum eines Nukleus der ästhetischen Ökonomie in den drei Branchen will ich im Folgenden detaillierter nachgehen.

bürgerliche Moderne und die luxusorientierte Adelskultur zurückverfolgen.® Im Rahmen des industrialisierten Kapitalismus stellt

Die Mode

sich die Symbol- und Sinnesökonomie zunächst als Nische dar. Es bilden sich zeitgleich vor allem drei solcher kurzfristig marginaler, langfristig aber wirkungsmächtiger Branchen einer ästhetischen Ökonomie: die (Bekleidungs-)Mode, die Werbung und das De-

Mode (fashion) ist ein doppeldeutiger Begriff.®“ Er bezeichnet einerseits einen konkreten, handwerklich oder industriell angefer-

sign. 64 Vgl. etwa John Seely Brown/Paul Duguid, »Organizational Learning and Communities-of-Practice«, in: Organization Science 2 (1991), S, 40-57. 65 Vgl. Werner Sombart, Liebe, Luxus und Kapıtalismus [1932}, Berlin 1967

164

tigten Gegenstand, die Bekleidung, die den menschlichen Körper

bedeckt. Andererseits verweist er auf ein bestimmtes kulturelles 66 Vgl. allgemein Malcolm Barnard, Fashion Theory, London 2007. Soziologische Yheorien der Mode bieten beispielhaft Roland Barthes, Systöme de Ia mode, Paris 1967 und Elena Esposito, Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, Paradoxien der Mode, FrankFurt/M. 2004.

165

Modell: auf das Modische, den ständigen, fortschrittslosen Wech-

Form »nach unten« imitiert und »oben« von neuen Variationen

sel, die Aufeinanderfolge von Gegenständen, die mit Bedeutungen des Neuen und Zeitgemäßen aufgeladen sind. Das paradigmatische Feld der Mode in diesem Sinne ist zunächst die Bekleidungsmode.

beantwortet werden.® Die Mode ist damit primär ein Mittel der Markierung von (Macht-)Differenzen zwischen sozialen Gruppen am Körper der Frau. Das Spiel der Zeichen und Affekte bleibt in

Sie liefert ein Modell für Produkte, denen primär ein symbolischer und ästhetischer Wert zukommt, die der Selbststilisierung von Subjekten dienen und die ästhetisch immer wieder Neues bieten

der sozialen Grenze zwischen gesellschaftlichen Gruppen hält sie in Schach. Zwar zielt das einzelne Bekleidungsstück oder der Be-

der Haute Couture grundsätzlich limitiert, denn die Eindeutigkeit

müssen, Es existiert damit eine grundlegende strukturelle Überein-

kleidungsstil durch den Künstler-Designer auf ästhetische Einzig-

stimmung zwischen Mode und Kunstfeld.

artigkeit ab — die Trägerin betreibt damit jedoch im Wesentlichen

Zunächst ist die Reichweite der so verstandenen Mode jedoch begrenzt. Die Initialzündung zu einer symbolischen und ästhetischen Nutzungsweise der Bekleidung findet sich in der höfischen

kulturelle Distinktion im Spiel der Klassen. Hinzu kommt, dass die

Haute Couture weite Teile der Gesellschaft vom Modezyklus aus-

schließt und sich mehr oder weniger vollständig an Frauen richtet.

Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, insbesondere in Frankreich. Im 19. Jahrhundert bleibt zunächst die europäische Aristokratie der

Ökonomisch und technisch ist sie durch das Ideal der Handarbeit

hauptsächliche Abnehmer und zugleich Schrittmacher der Mode.

ist.

In der zweiten Hälfte des gleichen Jahrhunderts gewinnt die ökonomische Elite des neuen, vor allem US-amerikanischen Bürgertums in diesem Zusammenhang an Bedeutung; die Modebranche wandelt sich von der Hofmode zur Haute Couture.” In Paris treten

mit Charles Worth und Paul Poiret die ersten Modeschöpfer mit Starqualitäten hervor. Die Mode gilt nicht mehr als bloße Schneiderei, sondern wird als Kunsthandwerk anerkannt. Sie entwickelt die Ambition, immer wieder Originelles zu kreieren, und liefert damit eine Alternative zum Markt industriell-standardisierter Pro-

dukte: Die Bekleidungsmode ist damit das erste ökonomisch re-

beschränkt, dem die Textilindustrie zunächst qualitativ unterlegen Die Haute Couture legt die Mode damit auf ein exklusives For-

mat fest. Allerdings gibt cs gegenläufige Tendenzen, die zukünftige Entwicklungen vorwegnehmen: So kommt mit der sogenannten Reformbekleidung für Frauen und Männer in den 1880er Jahren zum

ersten Mal eine »Antimode«

(anti-fashion) auf, die versucht,

das Haute-Couture-Monopol zu brechen. Die Figur des Dandy nutzt seit den 1830er Jahren die ästhetischen Angebote der exklusi-

ven Mode als Instrument für eine originelle Stilisierung als Individuum., Gegenkulturelle Modetendenzen existieren in der Boheme. Schließlich gerät nach 1900 der Künstleranspruch der Haute Cou-

levante Segment, dessen Produkte analog der Kunst individuellen

ture-Designer, einzigartige Bekleidungsstücke zu schaffen, durch

»Schöpfern« mit Originalitätsanspruch zugerechnet werden können. Dass sich die Mode der »Künstler-Designer« zunächst eng an

immer stärkere Tendenzen

den individuellen Abnehmerinnen orientiert, stellt zugleich eine

Parallele zur neuzeitlichen Auftragskunst her, Die Luxusmode der Haute Couture ist jedoch die exklusive Mode einer sozialen Klasse, und sie ist vorindustrielles Handwerk. Sie folgt dem, was Georg Simmel unter dem Einfluss des Luxus-

konsums der nowvelles riches 1905 als Modezyklus beschreibt: An der Spitze werden zum Zwecke der Differenzmarkierung modische Innovationen präsentiert, die im Laufe der Zeit in verwässerter 67 Vgl. Bonnie English, A Cultural History of Fashion in the 20th Century. From the Catwalk to the Sidewalk, Oxford 2007, Kapitel ı. 166

illegaler, täuschend echter Kopien der

Originale (Produktpiraterie) in die Defensive.®

Nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere seit 1960 erlebt das Modesystem einen zweifachen Umbruch: Es wandelt sich zunächst von einer Exklusiv- zu einer Inklusionsform und wird an-

schließend zu einem dynamischen System pluraler Stile, das sich primär nicht mehr an Klassen, sondern an aktive Konsumenten als

Individuen mit Stilisierungswünschen wendet, Es findet seit den 1920er Jahren eine Demokratisierung der 68 Vgl. Bd. 69 Vgl. und

Georg Simmel, »Philosophie der Mode« [1905}, in: ders., Gesamtausgabe, 10., Frankfurt/M. 1995, S.8-38. zu diesen Kontexten Christopher Breward, Fashion, Oxford 2003, S.6s ff. S. 159 ff. 167

Mode insofern statt, als die industrielle Fertigung von Bekleidung

als qualitativ hochwertig anerkannt wird und die Mittelschichten so in den Modezyklus integriert werden. Auf diese Weise avanciert die Bekleidungsmode zur Kreativ/ndustrie. Die französische Desi-

gnerin Coco Chanel steht paradigmatisch für diese soziale Öffnung der Haute Couture, die zugleich eine »ästhetische Inklusion«, das heißt eine Sensibilisierung größerer sozialer Gruppen für ästhetische Standards, mit sich bringt. Für das Kreativitätsverständnis der Mode bedeutet die Umstellung auf industriell gefertigte Bekleidung, dass der Modedesigner im Wesentlichen nicht mehr als Schöpfer von Einzelstücken auftritt, sondern den Entwurf für Massenprodukte pret 4 porter liefert. Dieser einschneidende Wandel

mindert den Originalitärsstatus des Modeschöpfers jedoch nicht. ® In der Zwischenkriegszeit, in der die Designer Filmstars ebenso ausstatten

wie

die berufstätige

Frau,

akkumulieren

sie vielmehr

symbolisches Kapital als öffentlich bekannte Kreativstars eigenen Rechts. Die Umstellung des Originalitätsmodells läuft hier parallel dem der Avantgardekunst: So wie von Duchamp bis Warhol die

technische Reproduzierbarkeit von Kunstobjekten den Künstlerstatus nicht tangiert, sobald die Vorstellung eines künstlerischen Originals im strikten Sinne verabschiedet worden ist, so kann nun auch der Modedesigner als derjenige auftreten, dessen Entwurf originell ist, auch wenn die Bekleidung zur Massenware wird.”'

Die Umstellung von Exklusivität auf Inklusion im Modesystem ist jedoch noch nicht alles. Um 1960 findet in diversen Subkulturen

Londons ein auf lange Sicht einschneidendes Ereignis statt: Die Modebranche entdeckt den street style. Auf der Suche nach einem individuellen Stil wird in studentisch und künstlerisch geprägten Stadtteilen wie Soho abseits der etablierten Modeindustrie mit der Kleidung experimentiert.”” Eine solche individualisierende und ex70 Vgl. English, A Cultural History of Fashion in the zoth Century, S. 30 f£. 7:

Es verwundert daher nicht, dass ab der Zwischenkriegszeit eine Überschneidung von Modeszene und Avantgarde-Kunstszene stattfindert, wofür die Modeentwürfe der Avantgarde-Künstlerinnen Elsa Schiaparelli und Madeleine Vionnet frühe

Beispiele liefern. 72 Vgl. Breward, Kashion, S.182 ff.; Diana Crane, Fashion and Its Social Agendas.

Class, Gender, and Identity in Clothing, London, Chicago 2000, S. 132 fF.; English, A Cultural History of Fashion in the 20th Century, S.80ff.; auch Ted Polhemus, Streetstyle. From Sidewalk to Catwalk, London 1994. 168

perimentelle Mode harte es schon zuvor gegeben — etwa in den Bohemezirkeln —, aber die Londoner Szene wird von einer größe-

ren Gruppe getragen: von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diesen street style nimmt die Modebranche auf und entwickelt ihn weiter. Eine besondere Rolle spielen die Londoner Art and Design

Schools, die den Modedesigner als Künstler verstchen. Bahnbrechend wirkt Mary Quant mit ihrer 1955 gegründeten Boutique Bazaar. Der street style richtet sich zunächst in erster Linie an das

jugendliche Publikum und gegen die Haute Couture, spätestens seit Yves Saint Laurents offensivem Umgang mit popkulturellen Versatzstücken Mitte der 1960er Jahre werden Street-style-Elemente

jedoch auch in die Haute Couture und die Mittelschichtsmode integriert. Seit den 1970er Jahren ist in diesem Rahmen eine umfassende ästhetische Mobilisierung des Lebensstils durch die Mode zu beobachten. Sie ist vorbildlich für die ästhetische Ökonomie insgesamt, und in ihr verschränken sich drei Strukturmerkmale: (1ı) Die Modebranche »entdeckt« auf breiter Front den aktiven und eigendynamischen Konsumenten, der ein Interesse an und ei-

nen Sinn für individuelle ästhetische Stilisierung kultiviert. Er wird als ein eigenständiges kreatives Selbst adressiert, das nicht einen vorgegebenen modischen Stil kopieren, sondern sich ein indivi-

duelles Arrangement zusammenstellen will. Die Norm der Abweichung kommt hier erstmals jenseits der Kunst als gesellschaftlicher Standard zur Geltung, und die Jugend- und Subkulturen sowie urbane Kunstszenen sind ein Mikrokosmos für diesen »ästhetischen Aktivismus«. Die Ansprache des Konsumenten als ein Individuum, das an seinem eigenen Stil arbeitet, weitet sich jedoch in die Mittelschicht hinein aus, und zwar für Frauen wie für Männer.”* Stärker

als das alte Klassen-Modesystem beruht dieses neue Modesystem pluraler Stile nicht nur auf Zeichen, sondern auch auf Affekten, indem nun Mode und individuelle Identität aneinandergekoppelt werden: Der persönliche Zook — ein Begriff von Mary Quant — wird zum Mittel der Kreation des Selbst.

(2) War der alte Modezyklus ein Zyklus von Klassendifferenzen, der vom Luxusgeschmack angetrieben wurde, so sind die Zyklen des neuen Modesystems pluraler Stile durch eine abstraktere 73

So proklamiert die neue Herren-Modezeitschrift Gentlemens Quaterly (GQ) »What we would like to see is men dressing more to the limits of their own personalirty and inventiveness« GQ, Februar 1965, S.84.

169

Unterscheidung strukturiert: der zwischen hip und square. Auch der Code hiphquare, also die Differenz zwischen einem »coolen«, »authentischen« und einem konventionellen Stil, stammt aus den Jugend- und Subkulturen mit ihrem street style, aber ist seit den 1970er Jahren über diese Gruppe hinaus verallgemeinert worden. Der Hip-square-Code übersetzt den Neu-alt-Code des Modesys-

neuen Stil verwandelt werden. Zu dieser Gruppe gehört Saint Laurent, der in den 1960er Jahren Accessoires der Protestkultur und des Science-Fiction-Films aufnimmt und später mit Versatzstücken des britischen Empire experimentiert. Westwood, die zunächst offensiv auf eine Rezeption der Punk-Kultur setzt, hantiert 1981 in ihrer »Piratenkollektion« mit afrikanischen und Barock-Elementen. Oder

tems

kann

aber — dies ist die zweite Möglichkeit — der Modesigner hält seinen

dieser erst jetzt in reiner Form wirken: Die Unterscheidung von

einmal entwickelten Stil konstant und varliert ihn nur in Nuancen. Zu dieser zweiten Gruppe gehört das neusachliche Antidesign Miyakes ebenso wie der dezente urbane Weiblichkeitslook von Karan.

insgesamt.

Von

strikten

Klassengrenzen

entbunden,

»oben« und »unten«, die zuvor die Semiosis der Mode beschränkte,

wird nun überlagert durch jene zwischen »originell« und »konventionell«. Diese Unterscheidung zielt nicht in erster Linie auf Statusgruppen ab, sondern auf Differenzen gelungener Individualität (und von daher dann wiederum auf Lebensstilgruppen). Jegliche Bekleidung erhält, ob der Träger dies will oder nicht, einen ästhetischen Wert als Individualitätsindikator und kann als konventionell oder originell dechiffriert werden. Es gibt keinen Nichtstil mehr.

Da im Gegensatz zur Eindeutigkeit der Klassenmode die jeweils konkrete Ausfüllung der Hzip-square-Unterscheidung aber chronisch umstritten bleiben muss, multiplizieren sich im neuen Mo-

desystem die ästhetischen Stile, sie existieren nebeneinander und konkurrieren miteinander,”* (3) Obwohl das Modesystem seit den 1970er Jahren mit dem modischen empowerment des Mittelschichtsnutzers rechnen muss,

verliert die Figur des Modedesigners nicht an Bedeutung. Vielmehr

Der postmoderne Modedesigner vermag somit seine Stellung als Kreativstat, der ihm schon Ende des 19, Jahrhunderts zugewachsen ist, noch auszubauen und sich als eine medial sichtbare Figur zu inszenieren, die den Künstlermythos zitiert.”” Am vorläufigen Ende dieses Prozesses der Transformation des

Modesystems ist die Modebranche als Knotenpunkt in der ästhetischen Ökonomie insgesamt aufgegangen, in der die Grenzen zwischen Mode, Design, Werbung, Medien, Kunst, Starsystem und Verkauf fließend geworden sind. Charakteristisch für diese Grenz-

überschreitungen ist, dass sich die großen Modeunternehmen seit den 1960er Jahren in Richtung allgemeiner Design- und Lifestylekorporationen weiterentwickelt haben:’® Mode wird zum Bestandteil des Designs von Alltagsobjekten insgesamt, so wie Letztere sich in Gegenstände der Mode im weiteren Sinne verwandelt haben.

wandelt sich seine Form in einer Weise, die der Transformation des

postmodernen Künstlersubjekts in Richtung der bereits beschriebenen Doppelstruktur von Arrangeur und Star ähnelt,”* Yves Saint-

Die Werbung

Laurent, Vivienne Westwood, Issey Miyake und Donna Karan sind

Die Werbung hat eine andere, für ein rationalistisches Verständnis der Moderne ebenso »unreine« Herkunft wie die Mode. Sie beginnt nicht am Pariser Hof, sondern auf den öffentlichen Märkten der amerikanischen Provinz mit ihren volkstümlichen Shows. Jack-

exemplarische Vertreter dieses postmodernen

Modedesigners.”®

Dieser nimmt entweder die Form eines Kombinators unterschiedlicher und immer wieder neuer kultureller Impulse an, die in einen

son Lears hat diese dubiosen Wurzeln des Werbegeschäfts in der 74 In diesem Zusammenhang können auch Bewegungen der Anti-Fashion wie im Punk oder in der extrem minimalistischen japanischen Mode (etwa die gestherics of poverty von Comme des Garcons) sowie Retro-Bewegungen, die das scheinbar

Überholte zitieren, problemlos in den Modezyklus eingespeist werden, die diesen so — gegen ihre Absichten — zusätzlich dynamisieren. Vgl. dazu English, A Cultural History of Fashion in the 20th Century, S 102 . 75 Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 3.5. 76 Vgl. Breward, Fashion, S.85 ff

170

77 Auch die Models, die früher Mannequins hießen, können spätestens seit Twiggy (Lesley Hornby) in der Öffentlichkeit den Status von Kreativstars eigenen Rechts

annchmen. Vgl. dazu Harriet Quick, Catwalking: A History of the Fashion Model, London 1997. 78 VYgl. Englisch, A Cultural History of Fashion in the 20th Century, S.138 . Pierre Cardin und Yves Saint Laurent waren die ersten Modedesigner, die sich als Mar-

ken für cin ganzes Arsenal von ästhetischen Alltagsobjekten profilierten. 171

karnevalesken Atrmosphäre der Märkte — nicht im Sinne einer abstrakten Tauschwirtschaft, sondern der konkreten Marktplätze mit

ihren Verkaufsständen — freigelegt, die bis ins 18. Jahrhundert zu-

sumentenbeeinflussung gebe, die lediglich anzuwenden seien, wie

es Claude Hopkins in seinem Buch Scientific Advertising darlegt, das noch bis in die 1950er Jahre als Standardwerk gilt.* Der Kon-

rückreichen.”* Die Waren wurden hier nicht nur verkauft, sondern in regelrechten Performances angepriesen, Kleidung und Schmuck verführerisch inszeniert und Medizin wie exotische Gegenstände publikumswirksam präsentiert: Der Sökonomische Markt ist ur-

sument wird aus einer eigentümlichen Kombination von behavioristischen Reiz-Reaktions-Annahmen, die es vor allem auf seine Schamgefühle und Statusängste abgesehen haben, und Versuchen

sprünglich ein Jahrmarkt. Als spezialisierte Profession entwickelte sich die Werbung jedoch erst nach 1900 in engem Zusammenhang mit der Ausbreitung von

und Effizienz der Ware betrachtet. Es ist nur konsequent, dass in

fordistischer Massenproduktion und Massenkonsumtion, Auch der Verkauf der Waren gerät nun ins Visier des Eökonomischen Managements, und ihr öffentliches Bewerben wird in entsprechenden

einer rationalen Überzeugungsarbcit mit Blick auf die Nütrzlichkeit der Massenkultur der 1940er und 1950er Jahre der Werber gerne

als typische Version von William Whyres konformistischem organization man dargestellt wird. Der Werber ist »che man in the grey flanel suit« aus einer der New Yorker Großagenturen der Madison Avenue,

so wie Rock

Hudson

ihn 1961 in Lover Come Back dar-

Abteilungen der Korporationen, seit den 1920er Jahren in den USA auch in eigenständigen Werbeagenturen systematisch geplant.“”

stellt.” Die Werbung hat in dieser Zeit einen schlechten Ruf: Vance

Die Werbung als öffentliche, den Käufer stimulierende Warenpräsentation ist dabei eng mit dem Aufkommen visueller Medientechnologien, der Fotografie und des Films, verbunden. Sie ist von Anfang an eine ästhetische Arbeit, die Bilder produziert, die beim Betrachter sinnlich-affektive Wirkungen und eine Identifikation mit der Ware hervorrufen wollen. Die Werbung präsentiert nicht Dinge, sondern Stile und ästhetische Ensembles und greift in den

kulturkritischem Unterton als Ort zwielichtiger Manipulation.”

1920er Jahren in ihrem Grafikdesign auch auf Elemente des ästhetischen Modernismus zurück.? Die Werbeindustrie ist jedoch in ihrer Konstitutionsphase, die

bis in die 1950er reicht, zugleich der Prototyp einer rationalistischen Organisation.” Sie ist strikt arbeitsteilig strukturiert und versteht sich gerade nicht als eine »kreative«, sondern als eine quasiwissenschaftliche Unternehmung, Ihr Anspruch lautet, dass es allgemeine wissenschaftliche, in der Regel psychologische Gesetze der Kon79 Vgl. Jackson Lears, Fables of Abundance. America, New York 1994.

A Cultural History of Advertising in

80 Ebd., S. 189 f£.; vgl. auch Stephen Fox, 7he Mirror Makers. A History of American Advertising and Its Creators, Chicago, Urbana 1997. Vgl. Roland Marchand, Advertising the American Dream. Making Way for Modernity, 1920-1940, Berkeley 1985; Stuart Ewen, AU Consuming Images, The Polities of Style in Contemporary Culture, New York 1988, S. 110 F 82 Vgl. Thomas Frank, 7he Conquest of Cool. Business Culture, Counterculture, and the Rise of Hip Consumerism, Chicago 1997, S.34 ff.; vgl. dokumentarisch Martin Mayer, Madison Avenue, Köln 1959.

Packard schildert sie in seinem Buch

Zhe Hidden Persuaders mit

Die Transformation der Werbebranche von der fordistischen Korporation in eine genuine Kreativbranche findet zwischen 1960 und 1970 statt. George Lois hat sie als creative revolution dramatisiert.®® Die Nische, in der sich dieser neue Typus der Werbeagentur schon zuvor andeutet, lässt sich präzise benennen: Es ist die von Bill Bernbach geleitete, 1949 gegründete New Yorker Agentur Doyle Dane Bernbach Agency (DDA). Bernbach entwickelt eine Werbung, die zunächst — analog der anti-fashion und des anti-design — als anti-advertising erscheint. Sie stürzt die nach Wissenschaftlichkeit strebenden Regeln des Genres um und entwickelt das Ideal einer durchästhetisierten Werbung, das sich im Laufe der 1960er Jahre

vor allem in den zahlreichen Neugründungen kleiner Agenturen rasch verbreitet. Ein Beispiel für diese Werbeform bietet Bernbachs legendäre Reklame für Volkswagen: Der einfache, jahrelang unveränderte VW-Käfer wird hier in seiner Gewöhnlichkeit als etwas Besonderes präsentiert. Auf einer Abbildung der Kampagne wird so der Käfer winzig klein dargestellt und mit der Überschrift Zhink small versehen. Der scheinbare Nachteil des Fahrzeugs wird iro-

81

172

83 Claude C, Hopkins, Scientific Advertising [1923}, New Yoark 2010. 84 Delbere Mann, Lover Come Back (de. Ein Pyjama für zwei), Film, USA 1961 85 Vance Packard, Zhe Hidden Persunaders, New York 1957, 86 Vegl. Frank, 7he Conquest of Cool, S. 5 f£.; George Lois/Bill Pitts, Zhe Art of Advertising. George Lois on Mass Communication, New York 1977.

173

nisch in seine Stärke verwandelt.” Auf einer zweiten Abbildung

schem Unterton als Alleinstellungsmerkmal der Marke VW-Käfer

hältnis zu den kulturellen Entwicklungen seiner Zeit entwickeln, ob nun in der Populärkultur, der Kunst oder der Technik. Die Werbung der creative revolution bedient sich so in ihren Kampagnen einer Reihe von Methoden, die aus der Kunst und anderen Kreativbereichen bereits bekannt sind: Sie kombiniert das scheinbar Inkommensurable, sie entwickelt intelligente Wortspiele, sie zeigt intermediale Kompetenz (so die Verwendung von Cartoons in den

präsentiert: Warum etwas Perfektes ändern?®

1960er Jahren) oder integriert intertextuell historische Bezüge.”'

der Kampagne wird ein VW-Käfer wie auf einer Automobilmesse in Scheinwerferlicht getaucht. Darunter findet sich der Text Zhe 51 %2 33 ... 60 61r Volkswagen, Anders als die Modelle anderer Automobilhersteller bleibt der Käfer über Jahre hinweg gleich. Aber diese scheinbare Konventionalität wird in dieser Werbung mit ironi-

Die Werbeformate der creative revolution von Bernbach und anderen haben mehrere Eigenschaften. Das Vorbild für den Werber ist nicht mehr der Administrator und Naturwissenschaftler, sondern der Künstler. Werbung lasse sich nicht standardisieren, sondern müsse versuchen, originelle Einfälle zu entwickeln. Die Transformation der Werbung zur Kreativbranche setzt entsprechende organisatorische Reformen voraus: zum einen den postbürokrati-

schen Rückbau der Arbeitsteilung und Hierarchie in den Agenturen zugunsten von Kreativprojektteams, die eine eigenverantwortliche Werbestrategie »aus cinem Guss« entwickeln, zum anderen

eine stärkere Emanzipation von den Wünschen der Auftraggeber. In Bezug auf die Vorbildfunktion des Künstlers stellt Bernbach fest: »Es ist schon eine Ironie, dass das, was die Geschäftswelt am stärksten mit Misstrauen

betrachtet, die Kunst

(artistry), sich als

Insbesondere die Bernbach-Werbung ähnelt in mancher

Hinsicht

der Concept Art: Am Anfang steht eine Idee, die in der visuellen Darstellung umgesetzt wird und die den Betrachter vor ein Rätrsel

stellt, das er dann jedoch in einem Aha-Erlebnis aufzulösen vermag. Die »neue Werbung« adressiert damit den Konsumenten nicht als zu manipulierende black box oder als bornierte Nützlichkeitsmaschine, sondern als ein reflexives Subjekt, das ihr nicht mehr naiv gegenübersteht.

Während

die US-amerikanische

Werbung

ihre creative revo-

Iution damit zunächst aus eigenem Antrieb vollzieht, markiert auch hier — analog zur Modebranche — die Verarbeitung der Jugend- und Gegenkultur in den 1960er Jahren den entscheidenden zweiten Schritt, der die Werbung langfristig in einen umfassenden Ästhetisierungsagenten verwandelt. In diesem Kontext verbreitet

das nützlichste Werkzeug herausstellt, das wir haben.«® Bernbachs Kollege Howard Gossage proklamiert entsprechend, dass das Ziel der Werbung nicht der Verkauf von Gegenständen, sondern von

sich der im Zusammenhang mit der Mode bereits eingeführte Hip-square-Code als Leitdifferenz auch in der Werbung. Zugleich

möglichst ungewöhnlichen Ideen sei.”

Produkts zur Inszenierung eines Lebensstils als Stil des Erlebens. Tatsächlich bildet die Counter Culture — trotz ihrer zunächst häufig

Gossage und Bernbach nennen als Voraussetzung werberischer Kreativität das, was bereits aus dem postmodernen Kunstdiskurs vertraut ist: eine Kultivierung des alltäglichen Wahrnehmungs-

und Differenzierungsvermögens und eine Sensibilität für aktuelle

verschiebt sich der Fokus der Werbung von der Präsentation eines

konsumkritischen Haltung — ein Milieu offensiver Konsumenten mit Schrittmacherfunktion, die unkonventionelle, »junge« Pro-

dukte verlangt, die ästhetisch vom Gängigen abweichen.” Und es

semiotische Tendenzen. Der Werber muss ein enthusiastisches Ver-

ist die Counter

87

entwickelt, in deren Kontext der Wert eines Objekts sich jenseits

Bob Levenson, Bill Bernbachs Book: A History of Advertising That Changed the

History of Advertising, New York 1987, S.28. Die US-amerikanische Fernsehserie Mad Men (konzipiert und produziert von Matthew Weiner, von 2007 bis 2010 wurden vier Staffeln ausgestrahlt) lässt sich in mancher Hinsicht als fiktionalisierte Dokumentation dieses Umschlags der Werbung von der Administration zur Kreativbranche Anfang der 1960er Jahre verstehen.

88 Vgl. Frank, Zhe Conquest of Cool, 5.86£. 89 Levenson, Bill Bernbachs Book, S.113. (Übersetzung A.R.) 90 Vgl. Howard Luck Gossage, £t die Werbung noch zu retten?, Berlin 1967.

174

Culture,

die postmaterlalistische

Orientierungen

seiner vordergründigen Nützlichkeit daran bemessen soll, dass es

zu einem »authentischen« und sinnlich befriedigenden Lebensstil beiträgt. Seit den

1970er Jahren

werden

beide Ästhetisierungsschübe

91 Vgl. die Katalogisierung der Bernbach-Werbung in: Levenson, Bill Bernbachs Book, 92

Vgl. zu diesem Aspekt ausführlich Frank,

Zhe Conquest of Cool, S88 f£.

175

jenseits der Orientierung an jugendlichen Lebensformen verall-

spruch. Um

gemeinert:

die Aufmerksamkeit des Betrachters zu fesseln, wird

einer ästhetisch befriedigenden

gelegentlich auch auf Schockeffekte zurückgegriffen, so etwa in der von Oliviero Toscani entworfenen Benneton-Kampagne in den

Selbstgestaltung stellt, Die Demonstration der Nützlichkeit eines Produkts wird dann durch die Suggestion von lustvoller Origina-

1980er Jahren, die mit Aidskranken und Bürgerkriegsopfern arbeitet.” Auch die Subjektfigur des Werbers entfernt sich weit vom se-

lität eines Lebens mit dem Produkt (oder auch — auf der Metaebene — der Originalität der Werbung selbst) überlagert. Um einen entsprechend attraktiven Lebensstil darzustellen, bemüht sich die Werbung insbesondere, das sinnliche und affektive Potenzial der Visualität auszuschöpfen, das heißt, begehrenswerte Bilder zu schaffen.” Das beste Beispiel für diesen Ästhetisierungsschub lie-

riösen »man in the grey flanel suit« und präsentiert sich als Teil ästhetisch stilbewussten jeweiligen Now generation. Spätestens den 1980er Jahren — in denen kunstaffine britische Agenturen Saachi & Sacchi ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken —

Die Werbung

adressiert einen

seinen Lebensstil den Anspruch

Konsumenten,

der an

der seit wie ver-

steht sich die Werbebranche insgesamt als »kreative« Leitbranche der ästhetischen Ökonomie.*”

fern die Werbekampagnen von Pepsi Cola seit 1961. In den Cola Wars mit Coca Cola versucht sich Pepsi angesichts kaum wahrnchmbarer Unterschiede seitens der Produkte dadurch zu profilie-

Das Design

ren, dass es zur Hip-square-Unterscheidung greift,”“ Während Coca Cola als provinzielles Massenprodukt dargestellt wird, inszeniert

Zwei historisch bedeutsame Impulse für die Etablierung des mo-

sich Pepsi als junges, unkonventionelles Produkt, als Ausdruck von Erlebnis, Authentizität, Emotion und Aktivität für jene, die

Arts-and-Crafis-Bewegung und das Bauhaus.

dernen Designs hatten wir bereits in Augenschein genommen: die Das Design umfasst

als »think young« erscheinen: »Come Alive! You're in the Pepsi Generation« (1963). In den Kampagnen seit 1969 werden dann unter

Aktivitäten, in denen Objekte des alltäglichen Lebens über ihren

dem Leitjingle »You’ve got a lot to live, and Pepsi’s got a lot to give« beispielhaft in jedem der Filme in schnellem Schnitt und in Farbe

ziert werden.

Gebrauchswert hinaus als primär oder sekundär ästhetische fabriDas

Design

ist in diesem

Sinne ästhetische Arbeit

mit diversen Materialien und eine Ästhetisierungsinstanz par excellence: bisher Unästhetisches wird in Ästhetisches umgewandelt.

eine Reihe von Szenen mit hoher Freizeitaktivität dargestellt, in denen die Pepsi-Flasche nur noch einen Nebenrolle spielt. Es werden Versatzstücke eines aktiven, naturnahen, emotional befriedigenden

Neuzeit insbesondere im Umkreis der Adelskultur, aber die Initial-

Lebensstils unter Gleichgesinnten

zündung des Designs im modernen Sinne lässt sich in der Design-

präsentiert, zu denen

Pepsi zu

passen scheint.” Im Zuge der creative revolution entwickelt sich die Werbebranche damit von einer Einrichtung zur Produktvermittlung zu einem Gestaltungsraum von Bildern und Texten mit Originalitätsan93

Natürlich könnte man hier Baudrillards Diagnose des Hyprertextes anschließen, vgl. Jean Baudrillard, Symbolic Exchange and Death [1976], London 1993, S. 5o ff 94 Vgl. auch J. C. Louis/Harvey Z. Yazijian, Zhe Cola Wars, The Story of’the Global Battle between the Coca-Cola Company and PepsiCo, Inc, New York 1980. 95 In Outdoors (1970) beispielsweise — einem Werbefilm aus dieser Kampagne mit Pionierbedeutung — sieht man gegeneinander geschnitten und in rascher Folge eine Gruppe Schlauchboot fahren, zwei Radfahrer, einen Bergkletterer, eine

Gruppe am Lagerfeuer, eine Gruppe Ourdoor-Wanderer.

Der Werbefilm ist

einzusehen unter: (hrrp://www.yourube.com/warch?v=gNd]N3tq VRw) (lerzter Zugriff: 27.7.2010). 176

Handwerkliche Versionen eines solchen Designs finden sich in der reformbewegung des Arts and Crafts und ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der Entästhetisierung der Objekrtwelt durch die Industrialisierung festmachen.

Um

1900 setzt die Konkurrenz

zwischen

zwei umfassenden

Designbewegungen ein, die beide die industrielle Fertigung einbe-

ziehen: das ornamentale Art Deco und der antiornamentale Modernismus und Funktionalismus, der auf die ästhetische Kraft der 96 Vgl. auch Pasi Falk, »The Benetton-Toscani Effekt. Testing the Limits of Advertising«, in: Mica Nava/Andrew Blake (Hg.), Buy this Book, Studies in Advertising and Consumption, London, New York 1997, S. 64-83. 97 Vgl. dazu grundsätzlich Martin Davidson, Zhe Consumerist Manifesto. Advertising in Postmodern Times, London 1992; vgl. zum Wandel des Images des Werbers

Frank, Zhe Conquest of Cool, Sa fE. 177

technischen und abstrakten Formen setzt.® Dieser Modernismus als ästhetisch-technisches Reformprogramm erhält in der Zwischenkriegszeit durch das Bauhaus einen Schub und münder in den 1930er Jahren, nun ausgehend von den USA, in die kulturelle Hegemonie des International Style. Die International Exhibition of Modern Architecture im. New Yorker MOMA 1932 markierte dessen internationalen Durchbruch und die Kanonisierung des Internatonal Style als Designstil der westlichen kulturellen Eliten in der In-

Kern technisches Produkt. Das modernistische Design setzt demgegenüber zwar in der Tradition des Werkbundes und des Bauhau-

neneinrichtung, der Architektur, bei den Gebrauchsobjekten und

ses auf eine grundsätzliche Neugestaltung von Alltagsgegenstän-

im Grafikdesign. In der Nachkriegszeit scheint dieser Modernismus im Westen zunächst alternativlos, er etabliert sich in Deutschland etwa an der Ulmer Hochschule für Gestaltung und breitet sich im elektronischen Produktdesign internationaler Marken wie Braun und Philips aus.” Der Funktionalismus ist hier nicht nur ein ästhetischer, sondern auch ein benurtzungsorientierter, der nach der »besten Form« für den jeweiligen Zweck sucht. Allerdings erweist sich diese Dominanz des Modernismus als weniger eindeutig, als es den Anschein hat. Sobald das Design in den USA seit den 1930er Jahren etwa in der Automobilindustrie in den Dienst einer offensiven Produktprofilierung gestellt wird, setzt es häufig auf ästhetische Strategien in der Nachfolge des opulenten Art Deco. Stilbildend ist hier der US-amerikanische Designer Raymond Loewy, der 1936

den, in der von Anfang an funktionale und sinnliche Aspekte Hand

eine eigenständige Designfirma gründet und das Prinzip »Guter Stil verkauft sich besser« formuliert:'*” Das Design dient in diesem Zusammenhang dazu, einem Gebrauchsobjekt für die Massen einen ästhetischen Extrawert zu verschaffen, und Loewy setzt dabei

auf antimodernistische spektakuläre Formen wie das streamlining des Automobils.

sowohl für den Modernismus als auch für das Art Deco. Letzte-

res begnügt sich im Grunde mit einer Oberflächenästhetisierung der Produkte, die im Kern technische Güter bleiben, die lediglich nachträglich ästhetisch ergänzt werden, wie es Loewy am Auto-

mobil beispielhaft vorgeführt hat. Das Design liefert hier einen »Zusatzwert« (added value), ein ästhetisches Supplement für ein im

in Hand gehen sollen. Aber das Spiel der Bedeutungen und Affekte im Umgang mit den Gegenständen wird dadurch eingefroren, dass der Modernismus in einer Deduktion des Ästhetischen aus dem Technisch-Funktionalen (forms follows function) suggeriert, es gebe

eindeutige und finale Lösungen von Designproblemen. Die Entsicherung dieser Ästhetisierungsbremsen im Designbe-

reich findet zeitlich, sozial und inhaltlich analog zu den entsprechenden Prozessen in der Mode- und der Werbebranche statt. Die

entscheidende Transformationsphase fällt erneut in die 1960er und 1970er Jahre mit der Counter Culture. In diesem Zeitraum formiert sich im internationalen Design eine kritische Bewegung des Antidesign und Radical Design, die sich gegen die Vorgaben des Modernismus wendet und vor allem von kleinen, jungen Designagen-

turen ausgeht.'” Eine wichtige Rolle spielen dabei die traditionell kunstaffinen italienischen Agenturen wie Archizoom, Superstudio

und die Gruppe Global Tools sowie Agenturen in Großbritannien wie Archigramm, die allesamt von der Kunstszene des Postmodernismus, der Konsum- und Elitenkritik der Protestbewegung sowie

Die allmähliche Formierung der Designbranche in der ersten Hälfte des 20, Jahrhunderts, vor allem im Industrie- und Produktdesign, führte somit zu einer grundlegenden Ästhetisierung

den kritischen Tendenzen zur sinnlichen Wiederaneignung des urbanen Lebens beeinflusst sind.'“ Von dieser Seite werden auch Design-Kunst-Aktionen gestartet, die für Designfragen sensibilisie-

der Objektwelt, jedoch einer gebremsten. Diese Einschränkung gilt

ren wollen und das Design als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

98 Vgl. zur Geschichte des Designs im 20. Jahrhundert Lees-Maftei/Houze (Hg.), The Design History Reader; Peter Dormer, Design since 1945, London 1993.

No-Stop-City-Aktion von Archizoom.'® Diese Designobjekte be-

der Gestaltung sozialer Räume präsentieren, zum Beispiel 1969 die 99 Vgl. nur John Heskett, Philips, A Study of the Corporate Management of Design,

101

Dormer, Design since 1945, S.83

. Loewy proklamiert seine Strategie »g00d

102

Vgl. Andrea Branzi, Zhe Hot House. Italian New Wave Design, Cambridge 1984;

style sells more product« in Raymond Loewy, Never Leave Well Enough Alone, New York 1951.

103

Peter Cook, Archigram, Basel 1991. Vgl. dazu Andrea Branzi, /Vo-stop city: Archizoom Associati, Orleans 2006.

London 1989,

100 Vgl. Dormer, Design since 1945, S.8

178

dienen sich einer ornamentalen Ästhetik des Populären — paradig.. S.101 , und S. 120 ff,

179

matisch ist Ettore Sotsass Mickey-Mouse-Tisch aus dem Jahr 1972

— und werden häufig wie skulpturale Kunstwerke geformt. Das

radikale Design

forciert in dieser Transformationsphase

drei Tendenzen, die in ähnlicher Form auch in der Mode und der

Werbung zutage traten: Es entdeckt das Publikum, das heißt adressiert die Konsumenten als emanzipierte Nutzer mit eigensinnigen ästhetischen Interessen. In Merthoden wie der design ethnography

nimmt man entsprechend Lebensstile und ihr Alltagsdesign in den Blick.'®* Zweitens ergibt sich nach dem Aufbrechen der modernistischen Hegemonie ein Differenzspiel immer wieder neuer ästhetischer Stile; insbesondere die Kombinierbarkeit von Elemen-

ten der Hoch- und Populärkultur scheint unendliche Möglichkeiten zu schaffen. Drittens erweitert das Design seinen Anspruch in Richtung einer Totaltransformation

der gesamten

Artefaktwelt.

Es versteht sich nicht als eine bloße Nische des Produktdesigns,

erlaubt es auch, nicht nur materiale Güter, sondern ganze Environments und Atmosphären zum Gegenstand einer Designgestaltung zu machen. Zum anderen forciert das Design als Generaldisziplin das dynamische und unendliche Spiel der Neuheit und Differenz für ein an Selbstästhetisierung interessiertes Publikum, indem es seit den 1980er Jahren ähnlich der Mode immer neue Stile (NeoPrimitivismus,

Super-Normal-Bewegung

etc.)

entwickelt.

Das

modernistische Design der »Design-Klassiker« wird dann zu einem Stil unter mehreren.'”” Die Faszination, die diese Entfesselung der Designstile für die Konsumenten bedeutet, manifestiert sich in der

breiten massenmedialen Aufmerksamkeit für Design und in dessen Institutionalisierung als Kulturgut: in Designmuseen

(erstmals

in London 1989), in Designzeitschriften (so Wallpaper, gegründet 1996) und den Publikationen von Designverlagen (etwa im international agierenden Taschen-Verlag, 1980 gegründet). Nach dem

sondern verfolgt das politische Projekt, der menschlichen Umwelt insgesamt eine die Sinne befriedigende und praktisch handhabbare

Vorbild des erfolgreichen Künstlers präsentiert das Feld des De-

Form zu geben. Robert Venturis Schrift Learning from Las Vegas, in der er emphatisch die populäre Ästhetik und ihre Orientierung an Analogien, Symbolen und Bildern propagiert, und Victor Papaneks

oder Terrance Conran — als attraktives Kreativsubjekt, Im Designer scheinen ästhetische und ökonomische Kompetenzen eine Symbiose einzugehen. Das Design kann jedoch nur dadurch zur Generaldisziplin der Kreativökonomie werden, dass es über die Produktsemantik hinaus auf eine ästhetische Gestaltung von langfristig wirkenden Marken, schließlich von kollektiven Identitäten insgesamt abzielt und sich so in eine ästhetisch orientierte allgemeine Unternehmens- und Organisationsberatung verwandelt.‘® Immer geht es ihm um die

Design for the Real World, das auf ein umfassendes Design setzt, dem eine offene semiotische Funktion zukommt, sind in diesem Zusammenhang von besonderer diskurshistorischer Relevanz.' In dieser Transformationsphase wird damit eine Struktur erprobt, die sich in den 1980er Jahren verallgemeinert und sich vom Bezug auf das kritische Radical Design löst. Das Design erhält nun den Status einer Generaldisziplin der Kreativökonomie. Zum einen

avanciert der ästhetische Wert für eine immer größere Zahl von Produkten

von einem

Zusatzwert zu einer primären

Eigenschaft,

so dass die Produktsemantik den Kern der Ware ausmacht.'® Dies 104 Vgl. zusammenfassend Tony Salvador u.a., »Design Ethnography«, in: Design. Management Journal, 10 (1999), S. 3541 105 Robert Venturi/Denise Scott Brown u.a., Learning from Las Vegas, The Forgotten Symbolism of Architectural Form [1972], Cambridge 2001; Victor Papanek, Design for the Real World: Human Ecology and Social Change, New York 1971

106 Vgl. Guy Julier, 7he Culture of Design [2000), London 2008, S, 93 fF.; C. Thomas Mitchell, Redefining Designing, From Form to Experience, New York 1993 Vgl. zur Produktsemantik Klaus Krippendorf/Reinhart Butter, »Product Semantics. Exploring the Symbolic Qualities of Form«, in: immnovation 3 (1984), S.4-9, Ein Beispiel für diese Designorientierung von Unzernehmen, die zuvor wenig äs180

signs seit den 1980er Jahren den Design(er)star — etwa Philipp Stark

Herstellung symbolisch-affektiver Identifizierungen und um die Sicherung von Unterscheidbarkeit. Eine Initialzündung für diese generelle Orientierung an der Marke findet sich in Wally Olins The Corporate Personality.'” Die Markenbildung (branding) muss therisch interessiert waren, ist der Wandel der Haushaltswarenfirma Alessi in den 1980er Jahren, und ein Beispiel für die Tendenz zum Environment-Design die Entdeckung der »Bürolandschaft« als Designer-Beträtigungsfeld, Vgl. dazu Julier, Zhe Culture of Design, S.75 . 107

Vgl. zu diesen letzten Entwicklungen

Mateo

Kries,

7oral Design.

Die Inflation

moderner Gestaltung, Berlin 2010, S. 46 ff. 108 Vgl. Bernd Schmitt/Alexander Simonson, Marketing-Asthetik, Strategisches Management von Marken, Identity und Image, München, Düsseldorf 1998. 109 Wally Olins, Zhe Corporate Personality. An Inquiry into the Nature of Corporate Identity [19781, London 1987. 181

sich nicht zwangsläufig auf kommerzielle Unternehmen richten, sondern kann auch staatliche oder öffentliche Institutionen bis hin zu ganzen Nationen einbeziehen, die eines sinnlich-affektiven »Relaunches« ihrer Identität bedürfen.!!® In diesem umfassenden Sinne richtet sich das Design nicht nur auf visuelle Oberflächen einzelner Objekte, sondern auch auf räumliche Environments und schließlich auf ganze Organisationskulturen:!!! Der Adressat eines solchen »internen Designs« einer Organisation — der räumlichen Gestaltung des Arbeitsumfeldes, von Mitarbeiterevents und inter-

sich im Rückblick wie eine Relation von Frage und Antwort lesen lässt. Vor dem Hintergrund der wahrgenommenen Notwendigkeit einer Neustrukturierung ökonomischer Organisationen jenseits

nen Ritualisierungen beispielsweise — ist nicht mehr der Kunde des

des Fordismus

Produkts, das hergestellt wird, sondern die Organisationsmitglieder selbst sollen aus dem Design eine verstärkte Motivation und

industries als Lösung seiner strukturellen Probleme an: Indem die Kreativökonomie Arbeit als ästhetische Arbeit modelliert, bietet sie eine Antwort auf das genannte Motivationsproblem der bürokratischen Organisation. Indem sie sich offensiv auf den Konsumenten ausrichtet, diesen als einen ästhetischen adressiert und seine ästhetische Sensibilität durch Differenzspiele von Stilen und Erlebensofferten anheizt, gibt sie der permanenten Innovation eine Richtung jenseits der Fixierung auf technische Entwicklungen. Sie verspricht damit eine Antwort auch auf das zweite Problem der bürokrati-

Identifikation empfangen. Designproduzenten werden damit im Arbeitsprozess zu Designkonsumenten: Ein gestaltetes Arbeitsumfeld im weitesten Sinne ist Voraussetzung für die postindustrielle Arbeit.

Das Design hat sich damit in eine exemplarische Praxis zur intelligenten Gestaltung von affektiv befriedigenden Atmosphären insgesamt verwandelt und verzahnt sich immer stärker mit der

auf der einen Seite, die Entfaltung der drei Leitbranchen der Kreativökonomie Mode, Werbung und Design auf der anderen Seite

sind zunächst im Wesentlichen unabhängig voneinander verlaufen, Der für die Ausbildung einer ästhetischen Ökonomie entscheiden-

de Moment

ist eingetreten, sobald beide Stränge aufeinanderge-

troffen sind und sich miteinander verzahnt haben, ein Prozess, der

boten

sich die Formen

des Arbeitens

der creative

Sphäre des Managements. Diese Verquickung von Management und Design und die Etablierung einer »Designökonomie« markiert

schen

den bislang letzten Schritt, der der ästhetischen Ökonomie zur Verbreitung verhilft. Er soll abschließend behandelt werden.

diese Richtung, und zwar in zwei Kontexten: Das »postmoderne« Management von Tom Peters und anderen koppelt das Kreative

Organisation,

das

Umweltproblem.

In der Tat entwickelt

sich seit den 1980er Jahren die ökonomische Managementlehre in und das Unternehmerische aneinander, die »Designökonomie« als Managementtechnik präsentiert offensiv die ästhetische Arbeit als

4.5 »Management by Design«

Modell jeglichen postindustriellen Wirtschaftens. Die postmoderne Managementlehre, die Tom

Zwei zunächst voneinander getrennte kulturelle Stränge habe ich herauspräpariert, um die Genese der ästhetischen Ökonomie nachzuvollziehen: Die Reform des Organisationsmanagements in der Personality-and-organization-Schule und der Innovationsökonomie 110 Vgl. Dormer, Design since 1945, S.109f. Eines der ersten Beispiele eines solchen

Peters/Robert: H. Waterman,

{n Search of Excellence,

Lessons from Ämericas Best-Run Companies, New York 1982; Tom

Peters, Zhriv-

ing on Chaos. Handbook for a Management Revolution, New York 1987; ders.,

Marke British Airways, ein zweites die Gründung von Starbucks 1987 in Seattle,

Liberation Manugement. Necessary Disorganization for the Nanosecond Nineties, London 1992; ders., Zhe Cirele of Innovation. You Can’t Shrink Your Way to

Shakers. A Chronology of Words that Shaped our Age, Oxford 2006, S.233. Vgl. Julier, 7he Culture of Design, S.191 ff.; John Heskett, Design: A Very Short Introduetion, Oxford 2002, S.68 ff.

182

ı12 Vgl. exemplarisch Tom

umfassenden Design-Relaunches ist in den 1980er Jahren die Umgestaltung der ein drittes die Ausrichtung der internationalen Kulturpolitik Großbritanniens auf das Leitbild des Cool Britannia 1998. Zu Starbucks vgl. Schmiee/Simonson, Marketing-Ästhetik, S. 113 ff. Vgl. zu Cool Britannia John Ayvco, Movers and IX

Peters, Rosabeth

Moss Kanter, Charles Handy und andere in den 1980er Jahren entwickeln, schließt zunächst an die Leitidee der permanenten Innovation von Seiten der Innovationsökonomie an.!!* Während diese

Greatness, London 1998; Rosaberh Moss Kanter, Zhe Change Masters. Innovation and Entrepreneurshiph in the American Corporation, New York 1983; dies.,

When Giants Learn to Dance. Mastering the Challenge of Strategy, Management, and Careers in the 1990s, New York 1989; Charles Handy, Zhe Age of Unreason, London 1989; zu diesem Komplex vgl. auch Rose, Governing the Soul, S. 103 ff. 183

jedoch

immer

wieder eine Spannung

zwischen den Innovations-

notwendigkeiten der Organisation und der vorgeblichen Routineund Sicherheitsorientierung der Arbeitnehmer annahm,''* greift das postmoderne Management die Kernannahme der Pexsonality-

and-organization-Schule auf, der zufolge jeder Mitarbeiter eine natürliche Tendenz zum

Managementlehre die Organisation eindeutig aus einem technokratischen Verständnis herauslöst: Organisationen werden nun

als kulturelle und affektive Veranstaltungen aufgefasst, in die der Mitarbeiter als interpretierendes und emotionales Wesen eingebet-

tet wird. Die Kulturalisierung bezieht sich dabei sowohl auf Form

individuellen Selbstwachstum hege. Die

und Inhalte der Arbeitspraxis — die Kreation von Ideen, Symbolen

scheinbar anstrengungslose Passung von dynamischem Individu-

und Konsumentenerlebnissen — als auch auf den organisationellen Hintergrund: Die Organisation erscheint nun selbst primär als

um und dynamischer Institution, die sich somit ergeben soll, er-

scheint denkbar oder gar zwingend, indem die postbürokratische Managementlehre das ökonomische Subjekt wie die Organisation entsprechend umdefiniert. Der arbeitende Mensch wird nun in einem doppelten Sinne als natürlicherweise innovativ vorausgesetzt:

als ein kreatives Subjekt, das nach Selbstwachstum und immer neuen Ideen strebt, ımd als ein unternehmerisches

Selbst, das in

einer dynamischen Umwelt nach der Herausforderung sucht, sich

selbst und seine Ideen durchzusetzen. Chris Argyris’ Individuum der Selbstverwirklichung und Joseph Schumpeters Unternehmer erweisen sich in dieser Perspektive als ein und dieselbe Person, So ergibt sich in Rosabeth Moss Kanters Managementmanual 7he Change Masters konsequenterweise eine Komplementarität zwischen der Notwendigkeit zur organisationellen Innovation und einer natürlicherweise vorhandenen Kreativität des Einzelnen. In

einer Unterscheidung zwischen »the people« und »machines«, die an die lebensphilosophische Differenz von Leben und Form erinnert, werden dem menschlichen Subjekt vitalistisch »kreative Fähigkeiten« und eine »Macht zur Idee« (idea power) zugeschrieben,

die begierig nach Betätigungsmöglichkeiten streben. Kanter kop-

pelt dieses Kreativsubjekt an die Figur des »inneren Unternehmers« (internal entrepreneur), des im Sinne von Schumpeter unternehme-

risch Handelnden, der nun jedoch auch innerhalb der Organisation wirkt.‘!

Die Symbiose von kreativ-unternehmerischem Selbst und innovativer Organisation wird auch dadurch denkbar, dass die 113 Vgl, erwa Jürgen Hauschildt, /m»ovationsmanagement, München 2004, S. 155 f 114 Vgl. Kanter, 7he Change Masters, S.23 ff. Eine ähnliche Kopplung von Kreativität und internem Unternehmertum finder sich in Peter E Drucker, Innovation and Entrepreneurship, Oxford/Burlington 2007, S.30ff. Zur Generalisierung des Untenehmerischen als Managementtechnik vgl. nur Rose, »Governing

Enterprising Individuals«, 184

ein kulturelles Gebilde von implizitem Wissen, Routinen, Werten und Selbstinterpretationen. Tom Peters, dessen Publikationen und Tätigkeit als Unternehmensberater die Managementlehre seit den z980er Jahren am stärksten geprägt haben, wählt den Antagonismus zwischen der »Rationalität« der alten bürokratischen Organisation und der »Kultur« der neuen, dynamischen Organisation ausdrücklich als Ausgangspunkt.'!* Kultur kommt dabei eine Doppelbedeutung zu: Kulturell an der Organisation ist zum einen die permanente Kreation von Ideen, Zeichen und Erlebnisformen. Kulturell ist zum anderen jedoch auch das Ensemble an Werten und Identitäten, das die »Organisationskultur« als Hintergrund sinn- und wertvollen gemeinsamen Arbeitens zur Verfügung stellt, Während auf der einen Ebene Kultur inhärent dynamisch und fluide scheint, ist sie auf der anderen stabil: Damit das Unternehmen auf eine permanente Produktion neuer Ideen ausgerichtet sein kann, bedarf es eines der Kreativität förderlichen, sicheren Rahmens gemeinsamer Identitäten und Werthaltungen.‘‘“ Neben der Kulturalisierung des Ökonomischen erweist sich für die postmoderne Managementtechnik die Emotionalisierung der Organisationen und ihrer Arbeitsformen als zentral. Entgegen aller Postulate eines Sicherheitsstrebens seitens der Mitarbeiter geht man

nun davon aus, dass diese durch die unternehmerische Dynamik und Unberechenbarkeit positiv, ja enthusiastisch affıziert werden, Die positiven Affekte richteten sich vor allem auf die Beweglich115 Peters/Waterman, In Search of Excellence, S29 . 116 Es ist bezeichnend, welche Semantiken Peters importiert, um beide Funktionen der innerorganisatorischen Kultur zu umschreiben: Die Dynamik der Ideen

und Zeichen wird mit Metaphern aus den Feldern der Kunst, des Spiels und der experimentellen Wissenschaften belegt, während die Srabilitär des kulturellen Hintergrunds mit Begriffen aus dem Bereich religiösen Glaubens gestützt wird,

185

keit, die sich sowohl aus der kollektiven Symbolproduktion des

Teams als auch aus der Wettbewerbsituation des Markrtes ergibt; der Enthusiasmus resultiere aus der Bewegtheit des Momenits, in dem etwas passiert und etwas geschaffen wird. So zitiert: Kanter

einen Chipco-Manager: »Das ist wie beim Rodeo, Es zieht einen in seinen Bann und macht einfach Spaß. Da gibt es nicht einen Moment der Langeweile, die Zeit vergeht wie im Fluge.«!!” Peters bedient sich eines hochgradig affektiven Vokabulars, um die Faszination und emotionale Intensität der in jedem Moment beweglichen Organisation zu umschreiben, wie Karneval«,!$

und nennt sie ein »Unternehmen

Ausgehend von diesem Verständnis der Wirtschaftsorganisation und ihres Marktumfeldes als einer kulturellen und affektiven Praxis und des Mitarbeiters als einer kreativ-unternehmerischen Doublette, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einer Managementlehre,

welche die ästhetische Arbeit als Grundstruktur einer fortgeschrittenen postindustriellen Ökonomie einfordert. Diese Verallgemeinerung des Modells der ästhetischen Arbeit findet sich in der »Designökonomie«, die seit den 1990er Jahre als eine allgemeine

Managementtechnik Profil gewinnt, In dem Moment, in dem sich

zelle«, für jedes erfolgreiche Unternehmen alternativlos ist. Auch den Konsumenten charakterisiere eine Findigkeit und Originalität

im Umgang mit Waren und Erlebnissen, die das Unternehmen ausnutzen müsse: »als Konsumenten machen wir aus unseren Bedürfnissen immer etwas Neues und Andersartiges«,'“® Das design thinking als Managementtechnik geht von einer Ästhetisierbarkeit

jeder Ware und Dienstleistung als Trägerin von Symbolen, Perzepten und Affekten aus. Schlagwortartig stellt Kelley fest, die Designökonomie strebe nicht nach der Entwicklung von Substantiven, sondern von Verben, das heißt, es geht ihr nicht um ein Ding, das den Besitzer wechselt, sondern darum, dem Konsumenten ein sinnlich-emotional befriedigendes Tun zu ermöglichen. Genau dies ist mit »designing new experiences«'”' gemeint. In einer Management-Version der Ästhetik der Präsenz tritt die semiotische

Bedeutung der Ware dabei hinter die sinnlich-affektive Erfahrung mit ihr zurück,!?? Die Designökonomie präsentiert die künstlerische Arbeit offensiv als Modellfall für die Projektarbeit im postfordistischen Unternehmen insgesamt.'”? Dabei erweist sich nicht der solitäre Künstler

Designagenturen in Agenturen der Organisationsentwicklung ver-

als Vorbild, sondern das postmoderne Künstlerkollektiv. Die design driven innovadtion verbindet zwei Arbeitsformen miteinander, die

wandelt haben, versuchen sie, eine Managementgrundlage für er-

aus der postmodernen Kunst vertraut sind: »nach außen« die auf-

folgreiche Wirtschaftsorganisationen insgesamt zu liefern, die sich die Designbranche zum Vorbild nimmt: ein management by design,

merksame Beobachtung des Zeichen- und Affekthaushaltes der Gegenwartskultur, »nach innen« den Versuch einer Programmierung von Spontaneität. Den Postulaten zufolge, die Roberto Verganti aus der Arbeit der italienischen Designagenturen wie Alessi, Memphis und Artemide, aber auch aus der Arbeit von Apple schlussfolgert

In Tom Kelleys 7he Art of Innovation. Lessons in creativity from

IDEO und Tim Browns Change by Design, deren Leitlinien aus der Beratungspraxis amerikanischer Unternehmen erwachsen sind,''”

wird entsprechend vorausgesetzt, dass die Arbeit im antibürokratischen Projektteam, verstanden als enthusiastische »kreative Keim117 Kanter, 7he Change Masters, S, 69. (Übersetzung A.R.) 118 Peters, Liberation Management, S.15. 119 Tim Brown, Change By Design. How Design Thinking Transforms Organizations

And Inspires Innovation, New York 2009; Tom Kelley, 7he Art of Innovation. Lessons in Creativity from IDEO, New York 2001 Die Agentur IDEO, aus deren Arbeit beide Manuale hervorgehen, wurde 1991 gegründer und liefert das wohl beste Beispiel für ein management by design. Vg}. ähnlich ausgerichtet auch Michael Shamiyeh, Creating Desired Futures. Solving Complex Business Problems with Design Thinking, Basel 2010; Thomas Lockwood, Design Thinking, Integrating Innovation, Customer Experience, and Brand Value, New York 2009.

186

120 Brown, Change By Design, S.177. ı121 Kelley, Zhe Art of Innovation, S.214. ı122 Vgl. Brown, Change By Design, S. 14 ff. Ein Beispiel aus der Beratungspraxis, das Brown darstellt, illustriert diese Ästhetisierungsstrategie, Es stellt sich in einem

bestimmten Beratungsprojekt von [IDEO als zu kurz gegriffen heraus, lediglich technisch ein neues Fahrrad zu fabrizieren, vielmehr wird deutlich, dass es eigentlich um die Evozierung einer neuen »Fahrraderfahrung« geht. Andere Designaufgaben bestehen demnach etwa darin, nicht die Nahrung, sondern das experiencing food, nicht das Hotel, sondern das experiencing checking in neu zu gestalten. ı23 Vgl. Rob Austin/Lee Devin, Artful Making. What Managers Need to Know About How Artists Work, New York 2003. 187

und auf das Management insgesamt überträgt,'““ muss die design driven innovation zunächst die globalen wie lokalen Bedeutungs-

sers Schneide«,'”” zwangsläufig immer wieder einstellt, Obwohl sie zunächst von der Verallgemeinerbarkeit der ästhetischen Arbeit

angebote und kulturellen Trends aufmerksam verfolgen, um darin

ausgegangen waren, kommen Austin und Devin zu dem einschrän-

Lücken und Desiderata auf die Spur zu kommen. Der Manager als Design-Manager stellt sich als ein Experte für diese semiotischen

kenden Schluss, dass nicht jeder für diese emotionale Anstrengung geeignet scheint: »Eigentlich ist die Gestaltungsarbeit (artfül work) nicht für jeden gemacht.«!26

Zirkulationen dar, der Designschools und Künstler, Kulturanthro-

pologen und Modeschöpfer, Marktforscher und Journalisten ebenso wie Ingenieure, Subkulturen und erfinderische Konsumenten-

gruppen als Quellen kultureller Entwicklungen nutzt, Um vor dem Hintergrund dieser globalen Zeichen- und Affektzirkulation ästhetisch Neues zu kreieren, sind dem management by

4.6 Die Ästhetisierung des Ökonomischen und der affektive Kapitalismus

die sich aus

Die Genese der ästhetischen Ökonomie aus disparaten Kontexten,

der Arbeit des Künstlerkollektivs auf die Projektarbeit insgesamt

wie ich sie nachgezeichnet habe, folgt dem Muster jener Interfe-

übertragen

renz, die für das Kreativitätsdispositiv insgesamt kennzeichnend ist: der Interferenz zwischen einem sozialen Regime des Neuen und

design zufolge

menarbeit« fehlen der Arbeit von Vorbild zu

zwei Selbsttechnologien

ließen: »Loslassen«

erforderlich,

(release) und »gestaltende Zusam-

(artful collaboration). Rob Austin und Lee Devin empästhetischen Ökonomie, sich in beiden Hinsichten die Schauspielern und Regisseur im Theaterensemble zum nehmen. Release bezeichnet hier eine Befreiung der In-

Prozessen der Ästhetisierung. Ein Regime des Neuen

muss im Prin-

zip genauso wenig ästhetisch orientiert sein, wie die Ästhetisierung

am Neuen ausgerichtet sein muss. Das Kreativitätsdispositiv bil-

dividuen aus mentalen Zwängen, die jedoch zugleich deren innere Konzentration fördert und damit kreative Prozesse in Gang setzt.

det jedoch die Schnittmenge zwischen beiden Prozessen, und die

Die Aufgabe des Art Directors — sei es eines Regisseurs oder eines Teamleiters — besteht darin, dieses Loslassen zu fördern, das sich als eine indirekte Steuerungstechnik darstellt. Artful collaboration wiederum bezeichnet ein gemeinsames Experimentieren, in dem die unberechenbaren Aktionen des Einzelnen von den anderen

wie sie entsteht. Wie deutlich geworden ist, verlaufen die Radi-

Teilnehmern als willkommener Anlass aufgenommen werden, mit

Genese der ästhetischen Ökonomie zeigt gleichsam exemplarisch, kalisierung eines ökonomischen Regimes der Innovation und die Ästhetisierung des Ökonomischen zunächst unabhängig voneinan-

der. Beide Tendenzen grenzen sich auf ihre Weise vom formal rationalisierten organisierten Kapitalismus ab, der die Orientierung am Neuen auf technische Innovationen einschränkte und damit auch

einem eigenen Einfall zu reagieren. Das überraschende Verhalten von Ego wird von Alter gerade nicht als verstörend, lästig oder bedrohlich wahrgenommen, sondern als Spielmaterial für eigene Fortsetzungen. Insgesamt stellt sich im Rahmen des management by design die ästhetische Arbeit als eine durchaus ambivalente Aktivität von enormer affektiver Intensität dar: Sie enthält nämlich neben ihren emotionalen Reizen des Schaffens von Neuem und des

entästhetisierte. In ihrer Kombination gelingt es beiden Prozessen, eine Alternative zum fordistischen Muster der bürokratischen Ar-

gegenseitigen Sichanfeuerns auch das Risiko des Scheiterns und des Gefühls der Überforderung, das nagende Gefühl des Zweifels,

Neuen der formal-rationalistischen Ökonomie aufzubrechen versuchen und damit ein radikalisiertes ökonomisches Regime des Neu-

das sich im Zuge des kreativen Prozesses, der »Arbeit auf Mes-

en forcieren, ohne dabei im Kern ästhetisch ausgerichtet zu sein.

beit und des standardisierten Konsums auf den Weg zu bringen. Die beiden kulturellen Stränge, die am Ende in der ästhetischen Ökonomie verarbeitet werden, verlaufen seit 1900 zunächst komplementär zueinander: Es finden sich auf der einen Seite Versionen

einer Kultur der Ökonomie, welche die doppelte Paradoxie des

Der bürgerliche Unternehmerdiskurs der Jahrhundertwende, wie er 124

Roberto Verganti, Design-Driven Innovation, Changıng the Rules of Competition

by Radically Innovating What Things Mean, Boston 2009. 188

125 Austin/Devin, Artful Making, S.123. 126 Ebd., S. 180. (Übersetzung A.R.) 189

später im Neoliberalismus neu angeeignet wird, setzt auf eine solche Dynamisierung des Ökonomischen und ihres Trägers, des Unternehmers, Die Innovationsökonomie der 1950er und 1960er Jahre

Die creative industries können _damit zu radikalen Ästhetisierungsagenten der postfordistischen Okonomie avancieren.

In der seit den 1980er Jahren entfalteten ästhetischen Ökono-

arbeitet an einer Neuausrichtung der Organisation als eine Einheit,

mie, die von der auf Kulturalisierung und Emotionalisierung der

die sich angesichts eines veränderlichen Marktumfeldes dauerhaft selbst zu transformieren hat. In beiden Kontexten wird Innovationspermanenz sicherlich nicht mit ästhetischer Arbeit identifiziert,

vom management by design gleichermaßen beeinflusst ist, konvergieren beide Entwicklungsstränge: jener eines verallgemeinerten

aber gleichwohl gehen beide bereits auf Distanz zu einem versach-

lichten und technikfixierten Modell der Innovation: Der Unternehmerdiskurs versieht die unternehmerische Tätigkeit mit einem

hohen Maß an affektiver Intensität, die Innovationsökonomie be-

ginnt, mit Vorstellungen einer »Organisationskultur« und deren Innovationsfreundlichkeit zu experimentieren. Der Personality-andorganization-Diskurs wiederum liefert das psychologisierte Pendant zur Innovationsökonomie und beginnt, die Organisationsmitglieder als Subjekte zu verstehen, die nach Selbstkreation streben. Zunächst getrennt von diesen Ansätzen

einer Managementre-

Organisation

setzenden

postmodernen

Managementlehre

und

Regimes der ökonomischen Innovation und jener der Ästhetisierung des Ökonomischen. Die ästhetische Ökonomie stellt sich nun als Designökonomie in einem generalisierten Sinne dar. Sie betreibt ein Ästhetisches Management. In ihr prägt sich damit im Kern jener Grundriss einer ästhetischen Sozialität ein, der sich von Anfang an im Feld der Kunst fand: die Ausrichtung von sozialen Praktiken an der Verfertigung und Rezeption ästhetischer Erlebnisse, die Orientierung dieses Ästhetischen am Neuen, Originellen und Überraschenden und schließlich ein Grundriss des Sozialen, in dessen Rahmen

Kreateure,

kreative Praktiken

und ein am

Äs-

form, tauchen am Rande der fordistischen Ökonomie jene Ästheti-

thetischen Erleben interessiertes Publikum sich gleichermaßen an

sierungstendenzen auf, wie man sie zunächst in der Arts-and-Crafts-

ästhetischen Objekten und Ereignissen ausrichten und dabei von

Bewegung und in den frühen creative industries ausmachen konnte.

Mechanismen der Aufmerksamkeitsregulierung gerahmt werden.

Hier erhält die Güterproduktion primär die Form ästhetischer Ar-

Gegen den klassischen Antagonismus zwischen Wirtschaft und

beit, in ihrem Zentrum steht die Herstellung von Zeichen, Sinneserleben und positiven Affekten. In allen diesen Kontexten finden sich Vernetzungen mit dem Kunstfeld. Die Ästhetisierungsstrategie der Arts-and-Crafis-Bewegung geht jedoch auf Distanz zum un-

Kunst, zwischen Ökonomischem und Ästhetischem bildet sich die

endlichen Zyklus der Warennovitäten. Auch das frühe Design, vor allem im Kontext des Bauhauses und des Funktionalismus, fügt

sich nicht reibungslos in eine Überbietungssequenz des Neuen ein, sondern sucht nach stabilen, reproduktionsfähigen ästhetischen Formen. Hinzu kommt, dass die creative industries selbst nicht un-

eingeschränkt ästhetisch ausgerichtet sind, sondern die Produktion

ästhetische Ökonomie genau in diesem Grundriss, der von der Kunst vorgeprägt wurde, Ökonomische Produktion stellt sich nun nicht als standardisierte Herstellung von Gütern, sondern als ästhetische Arbeit, vor allem als eine »kreative« Arbeit am ästherisch Neuen und

Singulären dar. Die produzierten Objekte mögen materiell oder immateriell sein, sie sind jedoch primär hinsichtlich ihres sinnlichemotionalen Werts von Relevanz, der über ihren Gebrauchs- oder Statuswert hinausgeht. Die Konsumenten bilden ein Publikum, das in erster Linie an einer solchen sinnlich-emotionalen Nutzung inte-

durch nichtästhetische Faktoren beeinflusst bleibt, Dies gilt etwa

ressiert ist und sich durch eine allgemeine Überraschungserwartung

für die Orientierung an sachlicher Information in der Werbung und die Ausrichtung an der Symbolik von Klassenunterschieden in der Mode. Es hart sich gezeigt, dass die Verarbeitung durch die Jugendkulturen, die Counter Cultures und kritischen Ästhetikdiskurse in den 1950er und 60er Jahren das Ästhetisierungspotenzial der Mode, des Designs und der Werbung »entbindet«, so dass diese sich eindeutig an einem Regime des ästhetisch Neuen ausrichten.

auszeichnet. Die Relation zwischen Publikum und Kreateuren wiederum wird über ein Aufmerksamkeitsmanagement für sinnliche

190

Reize und emotionale Verheißungen reguliert, das sich konzentriert in den Ausstellungsräumen der urbanen Erlebnisökonomie massenmedial verbreitet in der Werbung findet.'”

und

127 Vgl. zum Begriff der Erlebnisökonomie Joseph Pine/James Gilmore, 7he Experience Economy. Work is Theatre and Every Business a Stage, Cambridge 1999. 191

Im postmodernen, zentrifugalen Kunstfeld hatten sich Entgrenzungstendenzen aller vier Komponenten der ästhetischen Sozialität herausgestellt, ohne die auch und gerade die ästhetische Ökonomie nicht denkbar wäre: Die Kreation von Neuem ist hier wie dort

ästhetische Arbeit, die sich nicht primär als Schöpfung von Originalen, sondern als ein Neuarrangement von Zeichen, sinnlichen

Güter und Dienste jedoch insofern einen ästhetischen Charakter, als es sich um den Versuch handelt, anderen ästhetische Erlebnisse zu verschaffen. Zugleich enthält dieser Arbeitstypus im Kreationsprozess selbst charakteristischerweise Wahrnehmungen und Ge-

fühle, die als selbstbezüglich empfunden werden.!””

Impulsen und Affekten versteht, das auf kulturelle Entwicklungen

Der desorganisierte Kapiralismus ist häufig im Kern als eine Aexibilisierte und reflexive Wissensökonomie beschrieben worden,

antwortet. Die ästhetischen Objekte sind hier wie dort nicht mehr

als ein »kognitiver Kapitalismus«.'° In seinem Herzen finden sich

allein materielle Gegenstände, sondern zunehmend auch immaterielle Atmosphären, Die ästhetische Arbeit geht hier wie dort von einem aktivierten Publikum aus, Das Aufmerksamkeitsmanagement schließlich orientiert sich hier wie dort eindeutig an der Präsentation des Neuen und am Vergessen des Alten. Die Organisationen der ästhetischen Ökonomie — unter anderem der Werbung und des Designs, der Mode und der Architek-

Prozesse der Gewinnung, Verarbeitung und Anwendung von theoretischem wie praktischem Wissen, ein Wissen, dessen Zugänglichkeit und Transformierbarkeit mit der digitalen Revolution neue Dimensionen angenommen hat. Diese Wissenstätigkeiten sind nicht mehr auf wenige Spezialisten in den Forschungs- und Ent-

tur, der Unterhaltung und der Medien — bilden damit Prototypen

anspruchsvollen Requalifizierung seiner Mitarbeiter wie auch auf

dessen, was man dÄsthetische Apparate nennen kann,'® das heißt institutionelle Komplexe der Produktion, Präsentation und Konsumtion, Mischformen aus ästhetischen und nichtästhetischen

einem hohen Informationsstand der Konsumenten. Diese Interpretation der postfordistischen Wirtschaft als Wissensökonomie hat zu Recht Transformationsprozesse der Arbeitsorganisation, der

wicklungsabteilungen beschränkt. Der kognitive Kapitalismus basiert somit im Unterschied zur alten Industriegesellschaft auf einer

Praktiken, deren zentraler Zweck jedoch darin besteht, ästhetische

medialen Grundlagen und der Qualifikationsprofile herausgearbei-

Ereignisse hervorzubringen. Diese ästhetischen Apparate setzen sich zu großen Teilen aus zweckrationalen und normativen Praktiken zusammen, etwa der Personalauswahl und des Vertriebs, der Verwaltung und der Marktbeobachtung, der internen Kommunikation und Verhandlung. Ihr entscheidendes Merkmal ist jedoch, dass diese zweckrationalen und normativen Formate als Mittel für einen sinnlich-affektiven Zweck fungieren, für die Hervorbringung

tet, die sich seit den 1970er Jahren beobachten lassen. Sie hat diese Transformationen jedoch in einen konzeptuellen Rahmen gestellt, der den kognitiven Kapitalismus am Ende auf eine avanciertere

immer neuer ästhetischer Ereignisse, Diese ballen sich zum einen

rung dieser permanenten Innovation zu erfassen.

beim Konsumenten und in seinem ästhetischen Konsum, sie finden sich zugleich in der ästhetischen Arbeit selbst. Ästhetische Arbeit

bezeichnet damit eine hybride Praktik, in der sich Zweckrationalität und sinnliche Selbstzweckhaftigkeit miteinander vermischen.

Praktiken des Arbeitens sind generell zweckorientiert, indem sie

auf die Hervorbringung von Gütern oder Diensten für austauschbare andere Subjekte ausgerichtet sind und darin Lebensunterhalt oder Gewinn versprechen. In der ästhetischen Arbeit haben diese 128 Vgl. zu diesem Begriff auch Kap. 1.3. Vgl. die in diesem Zusammenhang interessante Studie von Pierre Guillet de Monthoux, 7he Art Firm. Aesthetic Management and Metaphysical Marketing, Stanford 2004

192

Version des organisierten Kapitalismus reduzieren muss. Die Theorie des kognitiven Kapitalismus entwickelt zwar ein Bewusstsein für die radikalisierte Innovationsorientierung der Gegenwartsökonomie, es fehlen ihr aber die Begriffe, um die grundlegende Ästhetisie129 Vgl. die entsprechenden Analysen der Arbeitssoziologie, die das sinnliche Erleben der Kreativarbeiter untersuchen, etwa Martin Baethge, »Arbeit, Vergesellschaftung, Identirät. Zur zunehmenden normativen Subjektivierung der Arbeit«, in Soziale Welr (1991), S. 6-19; Paul Leinberger/Bruce Tucker, Zhe New

Individualists. The Generation After the Organization Man, New York 1991, 5.226-268; 352- 387; Hans J. Pongratz/ G. Günter Voß, Arbeitskraftunternehmer.

Erwerbsorientierungen in entgrenzten Ärbeitsformen, Berlin 2003, S, 65 ff. 130 Diese Interpretationslinie leitet sich von Bell her: Daniel Bell, Zhe Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting, New York 1999, vgl. auch

Stehr, Wissen und Wirtschaften. Zum Begriff des kognitiven Kapitalismus, vgl. Carlo Vercellone (Hg.), Capitalismo cognitivo. Conoscenza e finanza nell’epoca

postfordista, Rom 2006. 193

Wenn man davon ausgeht, dass die Gesellschaft der Spätmo-

die Struktur der ästhetischen Ökonomie damit nur unvollständig.

derne wesentlich vom Kreativitätsdispositiv geprägt ist, wird die elementare Ästhetisierung des Ökonomischen sichtbar, die sich aus

Das Ästhetische dieser Okonomie besteht nämlich nicht nur in der Motivation zur Arbeit als Mittel der Selbstentfaltung, sondern ebenso in den spezifischen Zechniken und Kompetenzen einer ästhetischen Arbeit, die gelernt hat, virtuos mit Symbolen, Sinnen

der ästhetischen Arbeit und dem ästhetischen Konsum ergibt. Im Kern geht es dieser Ökonomie nicht um Informationen, sondern

um die Zirkulation von Symbolen, sinnlichen Erfahrungen und Emotionen. Im Kern ist sie kein kognitiver, sondern ein ästhetischer Kapitalismus. Die Reflexivisierung des Wissens erscheint in diesem Rahmen eher als ein Instrument zur Perfektionierung

sowohl der Kreativarbeit als auch des ästhetisch interessierten Konsumenten.

Das

Paradigma

Designökonomie.

dieser ästhetischen

Ökonomie

ist die

Design bezeichnet dann in umfassender Weise

die intelligente Konstruktion eines Arrangements von Objekten, Schemata, Zeichen, Sinneseindrücken und Affekten mit Hinblick auf einen ästhetischen und informierten Nutzer. Das Design kann

sich ebenso sehr auf einzelne Artefakte wie auf Dienstleistungen, auf mediale Zeichenträger,

aber auch auf ganze räumliche

(auch

virtuelle) Umgebungen richten, und das ästhetische Management ist die Organisationsform,

die die Rahmenbedingungen

für eine

solche Designtätigkeit bereitstellt. Wichtig ist: Die ästhetische Ökonomie

ist damit mehr als eine Symbolökonomie

oder eine

Ökonomie der Zeichen. Zeichen und Symbole sind zwar ihr elementarer

Bestandteil,

aber diese wirken

in erster Linie nicht als

bloße Bedeutungsträger, sondern als Erregungsinstrumente der Sinne und Affekte,' Luc Boltanski und Eve Chiapello haben in Der neue Geist des Kapitalismus

klar

und

deutlich

herausgearbeitet,

inwiefern

das

und Affekten zu hantieren, sowie schließlich in einer ästhetischen Selbstsensibilisierung der Konsumenten und einer Ausrichtung der Ökonomie an deren Wünschen. Eine an Kreativität orientierte Motivation allein hätte nicht ausgereicht, um die ästhetische Ökonomie, wie wir sie heute kennen, zu realisieren. Es bedurfte darüber hinaus vor allem der Kompetenzen zur ästhetischen Arbeit,

die sich aus jenen creative industries herleiten, welche seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Techniken der ästhetischen Bearbeitung

und Konstruktion von Objekten kultiviert haben, Und schließlich: Bei Boltanski und Chiapello bleibt die Wirkung des Konsumenten auf die Veränderung der Arbeitskultur seltsam unsichtbar. Die Erablierung der ästhetischen Ökonomie setzt aber auch eine Entdeckung des Publikums von Seiten der Wirtschaftsorganisationen voraus, die dessen Wünsche nach ästhetischen Gütern und nach Entfaltung von Kreativität im Konsum systematisch beobachten und berücksichtigen. Ein elementares Merkmal der ästhetischen Ökonomie, das sei an dieser Stelle nochmals hervorgehoben, ist ihre Orientierung an affektiver Intensität. Die Praktiken des ästhetischen Kapita-

lismus sind zugleich solche eines affektiven Kapitalismus und die Orientierung an Kreativität, an der Produktion und Konsumtion des ästhetisch Neuen ihr Zentrum. Michael Hardt hat mit seinem

kulturelle Modell eines projektorientierten Arbeitens, das den desorganisierten Kapitalismus kennzeichnet, auf einer sich seit dem

Konzept

Ende der 1960er Jahre verändernden Arbeitsmotivation vor allem in der akademischen Mittelschicht basiert, die vom Künstlermodell der nichtentfremdeten, expressiven Arbeit angeleitet ist. Zu Recht weisen sie darauf hin, dass die Gegen- und Alternativkulturen der 1960er und 70er Jahre eine historische Gelenkstelle mar-

die Relevanz des Affektiven noch unterschätzt.!?® Demgegenüber

132

194

Zum Konzept der Zeichenökonomie vgl. Lash/ Urry, Economies of Signs and Space, Generell sind die Gegenkulturen historisch einzubetten in ein breiteres kul-

der postfordistischen

Ökonomie

Prozesse

hingewiesen,

aber

turelles Netzwerk der 1950er und 1960er Jahre, in dem auch vergleichbare kulturelle Muster mit weniger radikalem Anspruch vertreten werden, etwa in den poporientierten Jugendkulturen der 1950er Jahre oder in kritischen bürgerli-

kieren, in deren Nachfolge sich ein postmaterialistisches Arbeitsethos verbreitet hat.'* Aber auch Boltanski und Chiapello erfassen 131

der affektiven Arbeit auf solche emotionalen

im Zentrum

chen

Diskursen

wie der Organisationssoziologie

wirklichungspsychologie,

Vgl. zu diesem

(Argyris)

umfassenden

oder der Selbstver-

historischen

Zusam-

menhang, der den Stellenwert der 68er-Bewegung relativierı, Detlef Siegfried, Time is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 133

60er Jahre, Göttingen 2006. Vgl. Michael Hardt, »Affektive Arbeite, in: Marion von Osten (Hg.), Norm

195

machrt Nigel Thrift zu Recht die Affektivität der gegenwärtigen

die Herstellung und den Gebrauch faszinierender Objekte durch

Ökonomie mindestens ebenso sehr auf Seiten der Konsumtion aus, in dem sich Konsum-Affektgemeinschaften bilden.'** Einiges

faszinierte Subjekte.'

spricht dafür, den Fixpunkt aller dieser Prozesse des Affızierens und Affiziertwerdens,

der emotionalen

Erregung

und

des

Erregtwer-

dens, die das ökonomische Feld der Gegenwart prägen, in der Orientierung an Kreativität, im Herstellen und Rezipieren des Neuen

als ästhetischem Ereignis zu sehen. Diese Affektivität heftet sich sowohl an die Arbeits- als auch an die Konsumseite der Kreativität:

Sie umfasst den Enthusiasmus, der sich aus der Herstellung neuartiger symbolisch-perzeptiver Objekte und Atmosphären in der ästhetischen Arbeit ergibt, Sie umfasst ebenso die Faszination, die aus der Konfrontation mit ästhetisch neuartigen Produkten und Erlebnisumgebungen

im Konsum

resultiert, und die Faszination

im Zusammenhang mit der eigenständigen Verarbeitung dieser Produkte zu einem ästhetischen Stil durch das Individuum. Sicherlich enthalten alle historischen Formen der Ökonomie, nicht allein der kapitalistischen, ihre spezifischen, schwächeren oder stärkeren

Affektstrukturen — ihre emotionalen Potenziale des symbolischen Tauschs, der sozialen Distinktion, der Naturbearbeitung, von Wohlstand und Komfort oder von Solidarität. Aber die Affektivirät

des ästhetischen Kapitalismus ist verglichen damit quantitativ ausgedehnt und qualitativ unmittelbar auf die Akte der Produktion und Konsumtion bezogen. Es handelt sich um eine Affektivität, die sich aus der Ästhetisierung ergibt. Produktion und Konsumtion werden dabei kurzgeschlossen: Produzieren heißt hier immer auch Konsumieren, nämlich die sinnlich-affektiven Reize des Herstellungsprozesses selbst, Konsumieren heißt immer auch Produzieren,

nämlich die aktive Herstellung von Erlebnissen und Stilen. So wie in der Kunst sind damit auch in der Ökonomie die affektiven Re-

lationen weniger intersubjektiv als »interobjektiv« strukturiert: sie wenden sich nicht an andere Subjekte, sondern richten sich auf der Abweichung, Zürich 2003, S.211-224. Hardrı bezieht sich insbesondere auf

Arbeitsformen mit einem dezidiert intersubjektiven Bezug, einer Emparhie für den Kunden, ob im Bereich der Gesundheit oder der Unterhaltung, Vgl. dazu auch Arlie Russell Hochschild, Zhe Managed Heart. Commercialization of Human Feeling, Berkeley, Los Angelos 1983.

134 Vgl. Nigel Thrift, Non-Representational Theory, Space, Polities, Affect, London, New York 2008, S.29ff.

196

135

Vgl. zu einer ähnlichen These mit Blick auf die Naturwissenschaft und die Finanzökonomie Karin Knorr Cetina, »Sociality wich objects: social relations in postsocial knowledge societies«, in: Zheory, Culture & Society, 14 (1997), S.1-30.

197

5. Die Psychologisierung der Kreativität: Vom pathologischen Genie zur Normalisierung des Ressourcen-Selbst

soll nicht Originalität, sondern psychische Normalität.* Dass er die Klecksografie als ein systematisches und intersubjektiv überprüfba-

res Testverfahren einsetzt, markiert in der Genealogie der Psychologie bereits unabhängig von der besonderen Ausrichtung des Tests einen bemerkenswerten Schritt. Seit 1900 gewinnt die Psychologie

als neuartige intellektuelle Technologie nämlich ihren gesellschafts.1 Rorschachs Klecksbilder Zwischen 1911 und 1922 führt Hermann Rorschach — ohne dass er sich dessen bewusst war und letztlich gegen seine Absicht — in den psychiatrischen Kliniken in Münsterlingen, Bern und Herisau die ersten psychologischen Kreativitätstests durch. Der Mediziner und Psychiater Rorschach, der ein ausgeprägtes Interesse an der gerade

entstehenden Psychoanalyse und den zeitgenössischen Kunstströmungen der Avantgarde pflegt, setzt in seiner klinischen Praxis erstmals systematisch Klecksbilder als Testverfahren für Probanden ein.! Es handelt sich um zufällig generierte, symmetrische Wasserfarbenbilder, aus denen Rorschach zehn für eine Testbatterie auswählt, sieben davon in schwarzer Farbe, die letzten drei mehrfarbig. Wenn man die daraus resultierenden Formen gegenständlich inter-

pretieren will, ergeben sich mannigfache Deutungsmöglichkeiten. So könnte man auf Rorschachs dritter Tafel zwei tanzende Zwerge

mit blutigen Füßen sehen. Oder eine doppelte Antarktis. Bild acht könnte die Organe eines menschlichen Oberkörpers darstellen, an dessen Seiten zwei Ratten nagen. Oder aber eine reich ornamentierte Suppenschüssel. Der Fantasie der Probanden scheinen keine Grenzen gesetzt.

Experimente mit Tintenklecksen sind keine Erfindung Rorschachs. 1857 veröffentlicht Justinus Kerner sein Büchlein Klecksographien, in deren Gefolge das Hantieren mit den Wasserfarbenbildern in bürgerlichen Kreisen zu einem Gesellschaftsspiel wird.* Es

geht um möglichst ungewöhnliche und unterhaltsame Interpretationen der eigenhändig produzierten Klecksbilder. Das Interesse von Rorschach, der 1921 mit seinem Buch Psychodiagnostik eine breitere Öffentlichkeit sucht, ist jedoch ein völlig anderes: getestet werden ı Vgl. Ewald Bohm, Lehrbuch der Rorschach-Psychodiagnostik. Für Psychologen, Ärzte und Pädagogen, Bern 1951,

2 Justinus Kerner, Klecksographien, Stuttgart 1857. 198

lichen Einfluss nicht zuletzt durch die Entwicklung einer spezifischen Technik: durch psychologische 7ests, die einzelne Individuen

dazu anhalten, in einem klinischen Setting ihre mentalen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, um diese am Ende miteinander vergleichen zu können.* Diese Verfahren sind größtenteils schriftlich und standardisiert, und sie werden quantitativ ausgewertet, Vor allem in den USA setzt man sie zunächst im Rahmen

der neuen sogenann-

ven Intelligenztests ein. Rorschachs Test ist einerseits Teil dieser

psychologischen Testbewegung, er bietet aber mit seiner ergebnisoffenen Aufgabenstellung, deren Resultate einer Einzelfallinterpretation bedürfen, eine verhältnismäßig individualisierte Version, die sich gegen eine strikt standardisierte Psychometrie richtet,

Das Ziel des Rorschachtests ist zunächst eindeutig: Er wird in psychiatrischen Kliniken eingesetzt, um psychisch »normale« von

psychisch »kranken« Subjekten zu unterscheiden und um zwischen verschiedenen psychischen Krankheitsbildern differenzieren zu können. Die Auswertung interessiert sich weniger für die Inhalte der gebotenen Interpretationen — also dafür, dass der Proband X als Y deutet, wie es im Zentrum des Interesses der Psychoanalyse stünde —, als für deren Form, das heißt für die allgemeinen Wahrnehmungsmuster, die sich in einer Deutung manifestieren. Das Bemerkenswerte an Rorschachs Verfahren besteht nun darin, dass

es keine Normalitätsstandards vorgibt, sondern diese erst im Test selbst generiert werden: Da der Psychologe den Probanden keine Common-Sense-Sätze

oder

-Bilder vorlegt,

für die es eindeutig

richtige oder falsche Antworten gibt, sondern auf interpretationsoffene, zufällig generierte Bilder setzt, demonstriert das Verfahren

unfreiwillig den Konventionscharakter von psychischer Normalität. Immer gehrt es darum, herauszufinden, ob der Proband dazu in 3 Hermann

Rorschach, Psychodiugnostik. Methodik und Ergebnisse eines wahrneh-

mzmgs'dirlgnz)siisf/)en Experiments, Bern 1921

4 Vgl. dazu Michael M. Sokal, Piychological Testing and American Society, 1890-1930, New Brunswick 1990,

199

der Lage ist, »gute Formen« zu produzieren. Was eine gute Form ist, bestimmt sich jedoch danach, ob diese Antworten von »einer

größeren Anzahl [...] vollsinniger Versuchspersonen am häufigsten gegeben worden waren«.? Die absolute Differenz gesund/krank wird also zunächst in die graduelle, qualitative Differenz von besser und schlechter überführt und diese am Ende quantitativ bestimmt.

Das Verfahren ist zirkulär: gesund und normal ist schließlich, was häufig vorkommt.

Im Lauf von Rorschachs Auswertung verschieben sich jedoch das Interesse der Analyse und ihre Bewertungsmaßstäbe in bezeichnender Weise: Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt das,

was nicht dem Standard psychischer Normalität und Durchschnittlichkeit entspricht — das »Originelle«, das nicht mehr pathologisch, sondern wertvoll erscheint. Rorschach führt nämlich im Fortgang seiner Auswertung zusätzlich zu seiner Ausgangsunterscheidung zwischen gesund und krank beziehungsweise guter und schlechter Form die Unterscheidung zwischen »Stereotypie« und »Originalantwort« ein.® Die häufigsten Interpretationen — etwa jene Antworten, die in den Bildern Darstellungen von Tieren erkennen — sind per definitionem Indikatoren für ein stereotypes Denken. In einer normativen Nebenbemerkung stellt Rorschach fest, dass eine

Ansammlung solcher Stereotypen »ohne jegliche Originalität des Denkens« auf einen »sterilen, aber stolzen Techniker der Logik«" verweise. Gerade jene Normalität, auf die die Untersuchung aus

nötigt sicht: zu jener zwischen guten und schlechten Originalantworten. Eine weitere Plausibilisierung dieser Unterscheidung findet

nicht statt, und es gleicht einer Kapitulation, wenn er feststellen muss, dass »[gJanz absurd gesehene und ganz hervorragend treffende Deutungen [...] sich bei den Schizophrenen nebeneinander [finden]«. Damit wird deutlich, dass selbst die Unterscheidung zwischen wertvollen und wertlosen Originalantworten nicht mit der zwischen gesund und krank zusammenfällt. Trotzdem bleibt

Rorschachs Bewertung selbst der »guten« Originalantworten ambivalent: Ein Zuviel von ihnen deute auf einen »weltfremden«® 1ypus hin. Die Dekonstruktion der eigenen Grundannahmen tat der ungewöhnlichen Karriere, die Rorschachs Testverfahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den USA erlebte, keinen Abbruch.” Der Rorschachtest, den Bruno Klopfer zum »psychologischen Röntgenstrahl« der Persönlichkeitspsychologie verklärt, wurde massenhaft auf die heimgekehrten Soldaten und später auf Schulkinder angewandt, kam aber auch bei der Berufsberatung und bei psychologischen Gutachten vor Gericht zum Einsatz. Immer wurde der Test dazu verwendet, psychische Normalität und Anormalität herauszufinden. In unserem Zusammenhang ist jedoch entscheidend, dass

sich im ursprünglichen Rorschachtest zwei konträre Diskursivierungen der menschlichen Persönlichkeit überlagern: eine Psychologie des Anormalen, wie sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der

war, erweist sich damit unter der Hand als konformistisch, und

Psychiatrie einsetzt, und eine an Differenzen interessierte Persön-

die »Originalantworten«, das heißt die ungewöhnlichen und über-

lichkeitspsychologie. Letztere macht im Subjekt (oder zumindest in bestimmten Individuen) mehr und mehr eine Fähigkeit zur Her-

raschenden Deutungen, gewinnen normativ die Oberhand. Jene abweichenden Interpretationen, die gemäß Rorschachs Ausgangs-

annahme Indikatoren für neurotische oder anderweitig psychisch problematische

Orientierungen

sein sollten,

können

nun

umge-

kehrt als Originalitätsindikatoren positiv gewertet werden. Abweichende Wahrnehmung, zu Anfang ein Zeichen von problematischer psychischer Devianz, wird nun als nichtstereotypes Denken ausgezeichnet. Auch die Originalantworten definiert Rorschach dabei zunächst rein quantitativ — sie kommen seltener vor —, bevor er sich auch hier zu einer qualitativen adhoc-Unterscheidung ge5 Rorschach, Psychodiagnostik, S.23. 6 Ebd., S.43. 7 Ebd., S.36. 200

vorbringung ungewöhnlicher Wahrnehmungen und Handlungen aus und konzentriert ihre Iheorien, Testverfahren und schließlich auch Therapien auf diese »kreativen« Kompetenzen, die nicht als problematische Devianz, sondern am Ende als Zeichen psychischer Gesundheit eingestuft werden. Der Rorschachtest fügt sich zwar zunächst in das psychologische Dispositiv des Anormalen ein, aber gegen seine Ursprungsintentionen gerät er zum Kreativitätstest und begründer die Kreativitätspsychologie. 8 Ebd., S. 45 und S, 59. 9 Vgl. James Wood/M. Teresa Nezworski/Scott O. Lilienfeld, Whats Wrong with the Rorschuch?, San Francisco 2003. 201

5.2 Die psychologische Pathologisierung des »Genies«

des Subjekts, die dieses als ein im Kern kreatives Wesen bestimmen.

Die moderne Psychologie lässt sich über ihre Theorien und Diskur-

praktische Wirkungen nicht nur in der psychologischen Anamnese und Therapie, sondern trägt seit den 1960er Jahren zur Transformation des populären Verständnisses dessen bei, was ein gelungenes

Diese Umdeutung des modernen Selbst zum kreativen Subjekt hat

se hinaus als ein Netzwerk von gesellschaftlichen Subjektivierungstechniken verstehen, die therapeutisch diagnostizieren, was ein normales oder erstrebenswertes, ein problematisches oder zu überwindendes Selbst ist. Die Psychologie, deren Vorgeschichte sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt und die sich

Selbst und ecine befriedigende Lebensführung sein sollen, vor allem in der akademischen Mittelschicht, die gegenüber der Psychologi-

sierung aufgeschlossen ist.

als

Dass im Feld der psychologischen Vokabulare und Selbsttech-

eine universitäre, aber auch als eine praktische, nicht zuletzt staatlich und ökonomisch vielseitig einsetzbare Disziplin etabliert, liefert spezifische Vokabulare des Selbst und entwickelt Techniken zur

nologien die Diskreditierung der kreativen Persönlichkeit von ihrer

seit 1900 in Deutschland,

den

USA,

England

und Frankreich

Evaluierung und Selbstveränderung von Individuen. Mit Foucaule kann man zu Recht darauf hinweisen, dass dem Diskurs- und Pra-

Normalisierung abgelöst wird — so wie es sich bei Rorschach bereits andeutet —, ist kein unilinearer Prozess. Die psychologische Entdeckung des kreativen Menschen als Normalität und als Ideal scheint vielmehr zunächst historisch unwahrscheinlich. Die frü-

xisfeld der Psychologie als »Wahrheitsspiel« innerhalb der moder-

he, von der Medizin

nen Humanwissenschaften eine Schlüsselbedeutung zukommt.‘'®

späten 19. Jahrhunderts nimmt zwar durchaus Phänomene in den Blick, die sich im Umkreis psychischer Kreativität ansiedeln lassen; sie greift dabei auf das Etikert des »Genialen« aus der Genieästhetik zurück. Aber sie betreibt eine vehemente Pathologisierung dieses Genialen, Die szientistisch — kognitivistisch beziehungsweise be-

Wenn die Kultur der Moderne von Anfang an eine auf das Subjekt zentrierte, ja fixierte ist, sie die zentrale Differenz zwischen subjek-

tiver Innenwelt und einer Außenwelt anderer Subjekte und Objekte immer wieder neu herstellt, dann erweist sich die Psychologie im 20. Jahrhundert als die zentrale Instanz der Verwissenschaftlichung

und Popularisierung von Vorstellungen bezüglich dieser subjektiven Innenwelt und als Ort, an dem entsprechende Technologien des Selbst systematisch entwickelt werden.

Dieses Feld aus wissenschaftlicher und populärer Psychologie, Psychotherapie, Psychotechnik, Psychiatrie und Psychotests übt auf seine Weise entscheidenden Einfluss auf die Etablierung des Kreativitätsdispositivs aus. Wie in den vergangenen beiden Kapiteln deut-

lich geworden ist, werden psychologische Diskurse und Techniken seit den 1920er Jahren in künstlerischen Methoden ebenso wie im

ökonomischen Management rezipiert. Aber auch unabhängig von

und Psychiatrie beeinflusste Psychologie des

havioristisch — orientierte Schulpsychologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nimmt diese Pathologisierung zwar teilweise zu-

rück, aber zugunsten einer empirischen Wissenschaft des Wahrnehmens

und Verhaltens, in deren Perspektive »kreative« Wahr-

nehmungen und Verhaltensweisen nicht systematisch ins Blickfeld geraten. Die protopsychologische Psychiatrie ab der Mitte des 19. Jahr-

hunderts ist in ihrem Kern eine Psychologie des Anormalen, die, ausgehend von den Geisteskrankheiten, ihr Interesse auf das gesamte Feld »devianten« Verhaltens ausdehnt.'! Die im selben Zeitraum verbreitete Thematisierung des »Genies« lässt sich genau in

diesen Einflüssen entwickeln und verbreiten sie Interpretationen

diesen Kontext einordnen. Der Gegenstand der Psychologie des Anormalen sind jene Devianzen, die sich in jedem unwillkürli-

10 Vgl. zu einer solchen Interpreration der Psychologie Nikolas Rose, nventing Our Selves. Psychology. Power, and Personhood, Cambridge 1996. Etwas anders

chen, das heißt nicht vom Subjekt kontrollierbaren Verhalten aus-

orientiert sind die Arbeiten von Eva Illouz und Anthony Giddens, die aber die Psychologie ebenfalls als kulturelles Aushandlungsfeld zur Definition des Selbst verstehen, vgl. Eva Illouz, Die Errettung der modernen Seele. Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe, Frankfurt/M. 2009; Anthony Giddens, Modernity

das Musterbeispiel darstellt. Foucault erkennt in der exzessiven Thematisierung pathologischer Sexualität im 19. Jahrhundert ein

and Self-Identity. Self and Society in the Late Modern Age, Cambridge 1991.

ır Vgl. Michel Foucaule, Die Anormalen, Frankfur/M. 2003, S. 208-214.

202

drücken, etwa in psychischen Automatismen, für die die Epilepsie

203

was

darum, den Kompetenzen auf die Spur zu kommen, die Kreati-

George Becker die mad genius controversy nennt, das heißt die brei-

onsakte ermöglichen, vielmehr soll die Gesamtpersönlichkeit unter dem Aspekt ihrer psychischen Berechenbarkeit beleuchtet werden. Die gebotenen Erklärungen für die psychische Unausgeglichenheit des Genies reichen von Behauptungen einer neurasthenischen Konstitution bis hin zu biologischen Degenerationsthesen. So setzt Noble Royse 1890 voraus, dass die ungleiche Verteilung psychischer „Energien« das exzentrische Genie zu psychischen und physischen Krankheiten prädestiniere, Cesare Lombroso attestiert ihm eine

wichtiges

Betätigungsfeld

dieser

(A-)Normalisierung.

Das,

te Thematisierung der psychischen Defekte »genialer« Individuen zwischen 1850 und 1910,'* lässt sich nun als ein zweiter, bedeutsamer Strang einer solchen Psychiatrie der Anormalität lesen. Wir hatten bereits gesehen,'* wie eine solche Pathologisierung des genialen Individuums in paradoxer Weise an die künstlerische Genicästhetik anknüpft. Diese baute auf dem Antagonismus zwischen der Schöpfungskraft des Künstlers und der Durchschnittlichkeit der Masse auf. Die psychologische Pathologisierung des Genies übernimmt diese Unterscheidung, vertauscht jedoch die Wertigkeiten:

übermäßige affektive Erregbarkeit, Warren Babcock schließlich sieht in ihm einen Spezialfall des biologisch Degenerierten. Die-

Die Mehrheit zeichner sich nun durch psychische Berechenbarkeit aus, während das Genie eine problematische Instabilität an den Tag

sem böten sich demzufolge prinzipiell vier funktional äquivalente

lege. In der Psychiatrie und einem psychologisierenden kulturkri-

riere als Krimineller, der Leidensweg des psychisch Kranken — oder

tischen Diskurs — von Louis Cesare Lombroso und Noble che Wahrnehmungsfähigkeit tung, sondern als Mangel an

eben eine Existenz als (künstlerisches oder intellektuelles) Genie,'>

L&lut und Jaques-Joseph Moreau bis Royse — erscheint die außergewöhnlides Genies dann nicht mehr als LeisRationalität.**

Lebenswege: ein früher Tod wegen Lebensuntüchtigkeit, eine Kar-

zwar als Kriterium dafür verwendet werden, jemanden in die Gruppe der Genies einzuordnen, dass diese Leistungen in der psycholo-

Interessant ist, dass die Annahme der psychischen Instabilität des schöpferischen Menschen am Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend mit soziologischen Argumenten verknüpft wird, nämlich dem Verweis auf die anomische Struktur der genialischen oder bohemehaften Lebensform und ihre mangelnde soziale Integration,'® Parallel zur Pathologisierung des Genies kristallisieren sich jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei gegenläufige

gischen Analyse jedoch in die zweite Reihe treten. Es geht nicht

Tendenzen heraus, die beginnen, innerhalb des protopsycholo-

ı2 Vgl. George Becker, Mad Genius Controversy, Study in the Saciology of Deviance, Beverly Hills 1978. 13 Vgl. Kapitel 2.3 in diesem Buch.

14 Diese protopsychologischen Arbeiten bauten häufig auf vergleichenden biografischen Untersuchungen auf, Sie setzen mit der ersten Pathografie eines anerkannten (philosophischen) Genies, von Sokrates, durch Lelur 1836 ein, reichen über Moreaus 1859 veröffentlichten empirischen Vergleich von 180 künstlerischen und

intellektuellen Ausnahmeerscheinungen, denen überwiegend nervöse Störungen artestiert werden, und Cesare Lombrosos international breit rezipierte und umstrittene Studie Genmio e follia bis hin zu N.K. Royses um Seriositäc bemühte A Study of Genius und schließlich den bereits vorsichtiger argumentierenden Nachzügler Genie, Irsinn und Ruhm von Wilhelm Lange-Eichbaum, Vgl. Louis E Lelut, Du Demon de Socrate, Paris 1836; Jacques-Joseph Moreau, La psycholo‚gie morbide dans ses rapports avec la philosophie de Ühistoire, ou De linfluence des neEuropathies sur le dynamisme intellectuel, Paris 1859; Cesare Lombroso, Genio €& „follia, Rom 1864; Noble Kibby Royse, A Study of Genius, Chicago 1890; Wilhelm

Lange-Eichbaum, Genie, Irrsinn und Ruhm. Mythos und Pathographie des Genies, München 1928.

204

gischen Feldes den Gedanken einer Normalität des Genialen ins Spiel zu bringen — wenn auch auf zunächst dubiose Weise, Dies gilt zum einen für die Phrenologie, die, von den Brüdern Fowler ver-

fochten, als praktische Hirnkunde in den Vereinigten Staaten der 1830er Jahre populär wird.'” Hier handelt es sich letztlich um eine frühe Version der differenziellen Psychologie, die von der unhintergehbaren Verschiedenartigkeit der Individuen ausgeht, so dass

auch »übermäßige« Ausprägungen, zum Beispiel außergewöhnli15 Vegl. Royse, A Study of Genius; Lombroso, Genio e follia; Warren La Verne Babcock, »On the Morbid Heredity and Predisposition to Insanity of the Man of &

Charakteristisch für diese Psychiatrisierung des Genies ist, dass die schöpferischen Leistungen der fraglichen Ausnahmeindividuen

Genius«, in: Journal of Nervous and Mental Disease z (1895), S.749-769. Vgl. dazu Becker, Mad Genius Controversy, S. 38 ff

ı7 Vgl. dazu Michael M. Sokal, »Practical Phrenology as Psychological Counselling in the r9rh-Century United States«, in: Christopher D, Green/Marlene G, Shore (Hg.), Zhe Transformation of Psychology. Influences of 19th-Century Philosophy, Technology and Natural Science, Washington 2001, 5. 21-44.

205

che intellektuelle oder künstlerische Fähigkeiten, eine unproblema-

sivitätsideals erneut, aber erstmals mit afırmativer und universaler

tische Spielart darstellen. Zum anderen entfalten Francis Galtons

Stoßrichtung in die psychologische Praxis eingeführt werden.

Überlegungen zur Vererbbarkeit von Genialität, die er im Wesent-

Der Art und Weise, in der die Psychologie seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in unterschiedlichen Kontexten und Versionen

lichen als intellektuelle Hochbegabung versteht und anhand der

Verwandtschaftsverhältnisse »genialer« Männer aus der Kunst, Po-

Kreativität problematisiert, soll im Folgenden detaillierter nachge-

litik und Wissenschaft untersucht, eine ähnliche Wirkung.'® Galtons Vererbungstheorie mündet in eine darwinistisch begründete

Prämierung kognitiver Hochbegabung als gesellschaftlich notwen-

gangen werden, In einem ersten Schub ab 1910, in einem zweiten in den 1950er Jahren bilden sich unabhängig voneinander mehrere psychologische Kontexte heraus, in denen gegen den alten Patho-

dig, die bis hin zu rassistisch-eugenischen Fantasien reicht — die

logisierungsdiskurs das kreative Selbst als positive Figur seine Form

psychischen Instabilitäten in der Verwandtschaft müsse man gewis-

erhält. Die Psychoanalyse und die Gestaltpsychologie — zwei in-

sermaßen in Kauf nehmen, um gesellschaftlich nützliche Hochbe-

tellektuelle Nischen am Rande der Schulpsychologie — begründen zunächst zwei voneinander unabhängige Stränge einer psycholo-

gabungen zu erhalten. Galton und die Phrenologen markieren damit eine biologistisch In beiden Fällen ist die Abkehr von der Figur des degenerierten Genies mit einer Rücknahme der Identifizierung zwischen dem Schöpferischen und dem Künstlerischen verbunden: Genialität wird nun im Wesentlichen bei Personen mit außergewöhnlicher kognitiver Intelligenz gesehen. In welchem Verhältnis kognitive In-

gischen Rehabilitierung von Kreativität: einen persönlichkeitsorientierten und einen kognitivistischen Zweig. Eine breitere, praxisorientierte Thematisierung erfährt die Frage nach der Kreativität jedoch erst in den 1950er Jahren, als die Psychologie der Selbstverwirklichung und die der kreativen Intelligenz den persönlichkeitsorientierten und den kognitivistischen Strang weiterführen, Seit den 1980er Jahren bildet sich schließlich ein allgemeines psycholo-

telligenz mit etwaigen kreativen Fähigkeiten der Hervorbringung

gisches Programm der Alltagskreativität heraus. Hier münden der

von Der sich dern

ativirätspsychologie in eine Synthese, die die Psychologie zu einer tragenden Säule des Kreativitätsdispositivs werden lässt.

ausgerichtete Gegenbewegung zur Parhologisierung des Genialen.

(ästhetisch) Neuem steht, bleibt jedoch hier eine offene Frage. Wandel des Verständnisses des Genialen, dem zufolge dieser nicht mehr in erster Linie durch ästhetische Kreativität, sondurch intellektuelle Hochbegabung auszeichnet, so wie er sich

persönlichkeitsorientierte und der kognitivistische Zweig der Kre-

bei Galton anbahnt, stellt sich in der Rückschau als eine genealogische Gelenkstelle dar. Indem man überdurchschnittliche Fähigkeiten auf der Ebene kognitiver Intelligenz zurechnet, können sie entpathologisiert werden und am Ende sogar vorbildlich erscheinen. Im Kontext dieser Intelligenzforschung kann nach 1950 auch Kreativität - nun ausdrücklich unter diesem Begriff — gänzlich unbelastet von der Debatte um »Genie und Wahnsinn« zum Thema und am Ende sogar zum Ziel der psychologischen Förderung werden (ein normatives Programm, das Galton und den Phrenologen an-

gesichts ihrer biologischen Annahmen nicht möglich war). Erst vor diesem entdramatisierten Hintergrund kann dann Kreativität auch als quasiästhetische Kompetenz nach Art des Künstler- und Expres18 Vgl. Francis Galton, Hereditary Genius. An Inquiry into its Laws and Conse-

quences, London 1869. 206

5.3 »Kreativität« am Rande der Schulpsychologie Psychoanalyse und Schöpfung: Zwischen Sublimierung und Wiederholungsbruch Im Gegensatz zur Schulpsychologie der Jahrhunderrwende, der es in erster Linie um die empirische Überprüfung von allgemeinen Wahrnehmungsgesetzen geht, behandelt Sigmund Freuds Psychoanalyse die Frage nach der psychischen Struktur des »Schöpferischen« — in erster Linie auf die klassische Figur des genialen Künstlers bezogen — an einzelnen Stellen durchaus, ohne dass dieses 'Thema bei ihm eine zentrale Rolle spielen würde. Dem strikten Gegensatz zwischen dem Normalen und dem Anormalen steht Freud denkbar fern. Freuds in diesem Zusammenhang zentraler Text Eine 207

Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci erklärt die Dynamik des schöpferischen Subjekts im Sinne einer Theorie sexucller Sublimie-

ferkraft« ist keine unspezifische, sondern eine Neugierde, eine Gier nach dem Neuen, Verborgenen und Überraschenden. Die schöp-

rung.'” Es geht Freud nicht um die Ermöglichungsbedingungen

ferische Orientierung ist bei Freud damit eindeutig eine sekundäre,

für einzelne kreative Akte, er möchte vielmehr erklären, wie eine außergewöhnliche schöpferische Persönlichkeitsstruktur zustande

eine Ersatzfunktion der sexuellen Libido, die sich ein kompensato-

kommt.

Diese kann aus seiner Sicht nicht vorausgesetzt werden,

risches Objekt gesucht hat. Die Weiterentwicklung

der Psychoanalyse

im Anschluss

an

es gilt, sie aus etwas anderem, Dahinterliegendem abzuleiten: aus einer Umlenkung libidinös-sexueller Energien in künstlerisch-intellektuelle Schaffensfreude. Einem populären Irrtum der Rezep-

eine primäre Relevanz kreativer Orientierungen im Subjekt zu be-

tionsgeschichte zufolge hat Freud Kunst mit Neurose gleichgesetzt

zuzeichnen. Eine einflussreiche Diskursverschiebung bewirkt Otto

und

sind seine Aussagen jedoch subtiler. Letztlich handelt es sich für Freud bei der neurotischen und der schöpferisch-kreativen Persön-

Rank mit Kunst und Künstler. Studien zur Entwicklung und Genese des Schaffensdranges.”® Rank hatte zunächst einen Entwurf auf der Linie der Freud’schen Triebpsychologie vorgelegt,*' aber in der

lichkeitsstruktur um funktionale Äquivalente, so dass es hier eine Verbindung zu Babcocks Theorie der funktionalen Äquivalenz von

Triebstruktur des Subjekts den menschlichen »Schaffensdrang« zu

damit

den

Parhologisierungsdiskurs

verlängert.

Tatsächlich

Freud setzt genau hier an, und es finden sich mehrere Versuche, gründen, diese tendenziell zu universalisieren und normativ aus-

späteren Arbeit wirft er diesem vor, durch seine Fixierung auf die

Künstlerrum und psychischer Störung gibt — allerdings mit dem

verfehlen. Von der Lebensphilosophie beeinflusst, setzt Rank hin-

entscheidenden Unterschied, dass bei Freud das unproblematische

gegen eine solche Orientierung am Schöpferischen als menschliche

Gegenbild des »Normalen« als naiv erkannt wird und entfällt.

Universalie voraus. Tatsächlich sei das Subjekt nicht nur Trieb-, sondern auch Willenssubjekt und dieser Wille keine unbewusste Kraft, sondern ein freier und bewusster Wille, Audruck einer ursprünglichen Vitalität des Ichs, die nach Verwirklichung und Gestaltung strebe. Der Gestaltungswille ist asexuell und daher durch

Die Mechanismen dieser funktionalen Äquivalenz erläutert Freud in seiner Fallstudie zu Leonardo. Freud geht generell von einem frühkindlichen Zusammenhang zwischen elementarem Sexualtrieb und Wissbegierde aus — gewissermaßen einer infantilen Sexualforschung, die später von Sexualverdrängung, gesteuert durch das Über-Ich, abgelöst wird. Nach der Pubertät entwickelt sich das

keine Sublimierungsthese begründbar,

Ranks Universalisierung eines kreativen Schaffensdrangs bereitet

Verhältnis zwischen Forschertrieb und Sexualität nun in drei unterschiedlichen Szenarien: Im Fall der neurotischen Hemmung — etwa

in mancher Hinsicht die spätere selfgrowth psychology vor, ist aber zugleich in ihrer Fixierung auf das Verhältnis zwischen Schaffen und

angesichts einer übersteigerten Moral - sind sowohl die Begierde

Trieb tief im Schopenhauer-Nietzsche-Diskurs des 19. Jahrhunderts

nach

eingeschränkt.

verwurzelt. Dabei bleiben die Gegenstände des kreativen Tuns und

Beim »neurotischen Denkzwang« bleibt die Wissbegierde dagegen stark und ungehemmt, wird aber selbst sexualisiert, das heißt, die Sexualität bricht immer wieder aus dem Unbewussten hervor. Bei

dieses Tun selbst eigentümliche black boxes, Festzuhalten bleibt jedoch, dass Ranks Darstellung in eine systematische Trennung zwi-

neuen

Erfahrungen

als auch

die Sexualität

drängt, um dann das Subjekt unbewusst wieder heimzusuchen, sie wird vielmehr von Anfang an in eine künstlerisch-intellektuelle Be-

schen dem allgemeinen schöpferischen Willen des Menschen und dem engeren modernen Typus des Künstlers, der »Ideologie des persönlichen Künstlertypus«, mündet. Der moderne Künstler habe nämlich das schöpferische Bestreben gerade »icht entfaltet, sondern

gierde nach neuen Einsichten und Erfahrungen sublimiert. Dieser

dessen Einschränkung bewirkt. Rank zufolge hat der Künstler sich

der kreativen Sublimierung schließlich wird die Libido nicht ver-

"Typus ist Freud zufolge der am besten ausbalancierte, wie man an

Leonardo sehen könne. Hier bleibt die Neurose aus. Die »Schöp19 Sigmund Freud, Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinei [19:0}, Frankfurı/M. 1995. 208

20 Otto Rank, Kunst und Künstler. Studien zur Genese und Entwicklungen des Schaf“ fensdranges {1932], Gießen 2000. Eine aktuelle Weiterführung von Rank finder

sich in Andrew Brink, 7he Creative Matrix, New York 2000. 21 Otto Rank, Der Künstler. Ansätze zu einer Sexual-Prychologie, Leipzig 1918. 209

in der Alternative zwischen Werk und Leben aufgerieben, die unver-

einbar erschienen; er sei immer leidender Entsagungskünstler gewesen. Nun gelte es, den Kreativitätswillen von der Künstlerideologie und damit letztlich von der Kunst zu befreien. Nun gilt: »[DJer schöpferisch Begabte, der auf den künstlerischen Ausdruck im Dienste der Persönlichkeitsgestaltung verzichten kann [...], wird

den selbstschöpferischen Typus neu schaffen, der seinen Schaffensdrang direkt in den Dienst der eigenen Persönlichkeitsgestaltung stellen kann.« Es geht um eine »willensmäßige Lebenskunst«,*

Damit nimmt Rank den alten Pathologisierungsdiskurs auf und weist ihn zugleich zurück, Tatsächlich war der moderne Künstler — so scheint es nun — ein pathologischer Fall, aber nicht, weil er zu sehr in unbürgerlicher Weise das Leben in Kunst transfomiert hat, sondern weil ihm dies infolge der Trennung seines Werks von der Alltagspraxis zu wenig gelungen ist. Während in Ranks Fixierung auf eine bestimmte Persönlichkeitsform die Struktur des kreativen Prozesses leer bleibt, steht diese

im Mittelpunkt von Lawrence Kubies Neufassung des psychoanaIytischen Kreativitätskonzepts.” Die Psychoanalyse wurde in den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg zur dominanten Form psychologischer Therapie, und der Pathologisierungsdiskurs

löste sich auf. Kubie schließt vor diesem historischen Hintergrund an die Unterscheidung zwischen Kreativität und Neurose an, aber nicht an die Willensontologie Ranks, sondern bestimmt den kre-

ativen Prozess als eine spezifische Form der Wahrnehmung und Interpretation, genauer als einen besonderen Umgang mit symbolischen Ordnungen. Generell verläuft Kubie zufolge das Erlernen

für Kreativität herausstellen. Im Fall von Neurosen manifestierten sich Dissoziationen in zwanghafter Wiederholung — etwa von Affekten, die sich von den Situationen gelöst haben, in denen sie

zunächst aufgetreten waren. Im Fall der Kreativität seien Dissozi-

ationen hingegen die Voraussetzung dafür, dass sich verschiedene Elemente auf neue und überraschende Art und Weise miteinander verbinden. Damit kommen Kubie zufolge weder das libidinöse Unbewusste noch der bewusste Wille als Antriebskraft der Kreativicät in Frage. Die entscheidende Instanz sei vielmehr die Zwischenebene des

Vorbewussten. Dessen Leistung bestehe darin, die eindeutigen Zuordnungen der symbolischen Ordnungen aufzulockern. Nur so sei

Kreativität möglich, die »die vorbewusste symbolische Funktion, unsere Psyche ganz allgemein und unsere Symbolvorgänge im Be-

sonderen von der Starrheit rettet«.“ Das Kernproblem der sozialen Praxis scheint damit der Umgang mit Wiederholungen zu sein. Die unproblematischen Wiederholungen in Alltagsroutinen drohen im Fall neurotischer Orientierungen, die für Kubie ubiquitär sind,

in Zwangshandlungen abzugleiten, an denen man sich affektiv festklammert. Kreative Akte ermöglichen gerade ein solches Aufbrechen von zwanghaften Wiederholungen. Poststrukturalistisch avant Ia lettre, ersetzt Kubie damit das Spezialproblem des genialen Künstlers durch die allgemeine Annahme

einer Notwendigkeit,

Alltagsfixierungen spielerisch aufzulösen, und seine Beschreibung dieses Prozesses als Lockerung symbolischer Ordnungen durch das Vorbewusste bedient sich aus den Kreativitätsmodellen der künst-

lerischen Avantgarden,

alltäglicher Verhaltensformen so, dass zunächst quasiautomatische

Nachahmungsversuche stattfinden, die anschließend einer selbstreflexiven Kontrolle unterworfen werden, so dass danach wiederum eine Routinisierung stattfinden kann. Entscheidend ist nun, dass an den Übergängen zwischen vorbewusster Nachahmung, reflexiver Kontrolle und Reautomatisierung die verschiedenen Inhalte der Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen und Verhaltenselemente voneinander getrennt werden. Diese »Dissoziationen« sollen sich als eine Voraussetzung sowohl für Neurosen als auch 22 Rank, Kunst und Künstler, 5.360. 23 Vgl. Lawrence Kubie, Pıychoanalyse und Genie, Der schöpferische Prozefß [1958), Reinbek bei Hamburg 1966.

Gestaltpsychologie und »produktives Denken«

Die Psychoanalyse konzentriert sich auf die Binnenstruktur des psychischen

»Apparats«

und

auf die Differenz zwischen

unter-

schiedlichen Persönlichkeitstypen. Die Gestaltpsychologie, die sich insbesondere in Deutschland in den 1910er bis 1930er Jahren entwickelt, baut hingegen auf einer Dezentrierung des Subjekts auf und versucht, bestimmte Handlungs- und Denkprozesse als eigen-

dynamische Sequenzen weitgehend unabhängig von Eigenschaften 24 Ebd., S.33.

ü

210

ZIE

unterschiedlicher Subjekttypen unter die Lupe zu nehmen.”” Auch

cxperimcntell

sie liefert eine Alternative zur zeitgenössischen sensualistischen und

Übergänge auch dort gesehen werden, wo eine entsprechende Reiz-

zunehmend behavioristischen Schulpsychologie. Sie stellt das, was

mundhwc fehlt. Hier werden Gestaltstrukturen des Bewegungsabl„1ui$ zum Einsatz gebracht, die keine Basis in den Sinneswahrneh-

Max Wertheimer »produktives Denken« nennt, das heißt alltägliche Prozesse der Problemlösung, ins Zentrum ihrer Forschung.

Es geht damit nicht um Kreativität im Sinne eines vorgeblichen schöpferischen Potenzials im Individuum, das nach Ausdruck strebt, sondern um die konstruktiven Antworten, die in der praktischen Auseinandersetzung mit Handlungsproblemen gegeben

nachzuweisen,

wie

im

Nacheinander

der

Bilder

mungen selbst haben. Die Frage, die sich nun in den Vordergrund schiebt, betrifft jedoch die Mechanismen des Übergangs von einer »alten« zu einer

„neuen« Gestaltstruktur.

Kognitive Schemata

mögen

zu großen

werden. Die Produktion von Neuem ist in diesem Zusammcnhang nicht im Sinne des Künstlermodells handlungsentlastet, sondern

Teilen routinisiert angewandt werden, aber in der Handlungspraxis kommt es immer wieder zu Situationen, in denen neue Gestaltstrukturen erarbeiter werden müssen. Die gleichen Sinneswahr-

eine konstruktive Reaktion im zweckrationalen Handlungsvollzug. Es findet damit in der Gestaltpsychologie eine Veralltäglichung

wichtigste gestaltpsychologische Konzept ist entsprechend das der

und Universalisierung, ja Anthropologisierung einer Handlungsform statt, die Neues schafft. Nicht die Kunst, sondern die experi-

sche Erklärungsversuche der Entstehung des Neuen als unzurei-

mentelle Wissenschaft ist ihr Paradigma. Die Gestaltpsychologie, wie sie Max Wertheimer, Karl Duncker, Wolfgang Köhler, Kurt Levine und andere vertreten, richtet sich

nehmungen werden dann ganz anders eingeordnet als zuvor; das »„Umstrukturierung«,

Wertheimer

kritisiert bisherige

philosophi-

chend.’® Entweder sah man in Weiterführung des aristotelischen Syllogismus Prozesse der formalen Logik am Werk, in denen das

Neue sich aus dem Bekannten via Schlussverfahren ableiten lässt.

Die Kritik

Dies wird jedoch dem konstruktivistischen Charakter der Wahr-

gilt insbesondere der »elementaristischen« Perspektive Wundts auf

nchmungsprozesse nicht gerecht und suggeriert einen nahtlosen,

gegen Wilhelm Wundts Wahrnehmungspsychologie.

die Wahrnehmung, die nun mit einer holistischen, »gestaltorientierten« Perspektive konfrontiert wird. Während jene von der Vor-

berechenbaren Übergang vom Alten zum gar nicht sonderlich Neu-

vertreten

en. Oder aber man folgte der Hume’schen Assoziationspsychologie und interpretierte das Neue als eine letztlich zufällige Verbindung

die Gestaltpsychologen die 1hese, dass erst Musterbildungen, sinn-

von Perzeptionen — dies nimmt jedoch den Problemlösungscharak-

lich-kognitive Schemata und »Gestalten« Sinn ergeben.“” Im ei-

ter des produktiven Denkens nicht ernst. Das entscheidende Merkmal der Entstehung des Neuen ist für die Gestaltpsychologen statt-

gegebenheit

einzelner

Sinneswahrnehmungen

ausgeht,

gentlichen Gründungsdokument der Gestaltpsychologie, Werthei-

mers »Experimentelle[{n]} Studien über das Sehen von Bewegung«,” liefert das aufkommende Interesse an bewegten Bildern durch die frühe Kinematografie den Ausgangspunkt. Wertheimer versucht 25

Zur Gestaltpsychologie insgesamt vgl. Herbert Fitzek/Wilhelm Salber, Gestaltpsychologie, Darmstadt 1996; Mitchell CG. Ash, Gestalt Psychology in German Culture, 1890-1967. Holism and the Quest for Objectivity, Cambridge u.a. 1988.

26 Eine frühe Begründung der Gestaltpsychologie findet sich bei Ehrenfels. Sein schlagendes Beispiel für das Primat perzeptiver Muster gegenüber einzelnen Sin-

neseindrücken ist die Fähigkeit, aus vorgeblich getrennten Tönen eine Melodie zu hören. Die Wahrnehmung stellt damit bereits einen produktiven Akt dar, Vgl. Christian von Ehrenfels, »Über Gestaltqualitären«, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche

Philosophie 14 (1890), 5.242-292.

27 Max Wertheimer, »Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegunge«, in; Zeitschrift für Psychologie 61 (1912), S, 161-265212

dessen ein Gestaltwechsel, der unberechenbar ist, der jedoch als ein Fortschritt auf dem Weg zu einer adäquateren Wahrnehmung erscheint. Der Gestaltwechsel als elementarer Prozess der Umstrukturierung, die »Gestaltmetamorphose« (Köhler), die die Form einer Kippfigur besitzt, verspricht eine bessere Handlungsbewältigung.

Immer geht es darum, dass sich ein Handlungsproblem stellt, das von den Beteiligten als drängend und hinderlich wahrgenommen wird und nach einer Veränderung der perzeptiven Gestalt verlangt. Obwohl die Gestaltmetamorphosen kognitive und intellektuelle

Leistungen sind, beschreiben die Gestaltpsychologen sie zugleich als einen sinnlichen

und

emotionalen

Prozess,

in dem

sinnliche

28 Vgl. Max Wertheimer, Productive Thinking, New York, London 1945.

213

Wahrnehmungen um

neu

arrangiert

werden,

eine innermentale

Reflexion,

sondern

Es handelt um

einen

sich

Umsturz

nicht der

Muster, der sich aus dem Zusammenhang der Empfindungen der einzelnen Sinne ergibt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die

Gestaltwechsel häufig als Prozesse des Kippens mentaler Bilder nach Art von Kippfiguren gedeutet werden. Die Umstrukturierungen und Rezentrierungen sind dabei nicht affektfrei: Friedrich Sander beispielsweise analysiert, wie das Entstehen dieser neuen Mus-

ter von emotionaler Beunruhigung angetrieben ist.”” Die Affekte heften sich dabei nicht an das Neue als Neues, sondern richten sich gegen die unaufgelöste Handlungssituation. Es herrscht eine emotionale Spannung, die nach Auflösung in der »guten Gestalt«

strebt, in der alle Wahrnehmungselemente »passen«.

Die Gestaltpsychologie versucht, wie bereits erwähnt, ein Vokabular zu entwickeln,

in dem sich die Prozesse des produktiven

In beiden Konstellationen räumt Wertheimer damit eine Alltäglichkeit der Herstellung neuartiger Wahrnehmungsmuster ein, die über die Problemlösung unter Handlungsdruck hinausgeht. Die Gestaltpsychologie, die den cognitive turn in der Psychologie der späten 1960er Jahre vorbereitet, treibt mit ihrem Verständnis von Kreativität als allgemeiner Problemlösungsfähigkeit deren normative Aufwertung im Sinne einer nützlichen und erstrebenswerten Eigenschaft voran; sie bleibt jedoch auf ein enges innerpsychologisches Forschungsunternehmen beschränkt. Den zentralen Schub erhält die Kreativitätspsychologie in den 1950er Jahren: Im

Rahmen

der Self-growth-Psychologie und in der Intelligenzfor-

schung avanciert Kreativität zum Ziel einer individuellen und ge-

sellschaftlichen Technologie des Selbst. Beide Schulen setzen die Bifurkation zwischen Psychoanalyse und Gestaltpsychologie, von Persönlichkeitspsychologie und Kognitivismus auf ihre Weise fort.,

Denkens weitgehend ohne Rekurs auf die Subjekte beschreiben lassen sollen. Nicht die Subjekte in ihren unberechenbaren — und häufig eher hemmenden

— Eigenschaften

seien es, die einer Lö-

sung zustreben, die Gestaltstruktur selbst strebe eigendynamisch in Auseinandersetzung mit der Handlungssituation eine solche an: es

5.4 Kreativität als psychologische Notwendigkeit Sich selbst verwirklichen — die »self growth psychology«

handele sich um »die strukturelle Dynamik der Situation«.*® Hier findet sich eine Parallele zur

Neubeschreibung von Kreativität im

Kunstfeld seit den Avantgarden: das Neue scheint wie von selbst abzulaufen, die Subjekte sind nicht Herr des Verfahrens. Anders als

die Modelle und Praktiken künstlerischer Kreativität wird die Ge-

staltpsychologie jedoch nicht müde, den ‚ationalen Charakter, die gerichtete Struktur von Gestaltwechseln zu betonen. Interessanterweise räumt Wertheimer am Ende von Productive Thinking allerdings ein, dass eine vollsrändige Identifikation der Produktion von Neuem mit einem Problemlösungsprozess, in dem eine instabile Anfangs- in eine stabile Schlusskonstellation überführt wird, doch

Die Bedeutung, die der self growth psychology für die Transformation des gesellschaftlichen Vokabulars des Selbst seit den 1950er Jahren zukommt, kann kaum überschätzt werden. Ihre Wirkungen erzielt diese zunächst US-amerikanische Bewegung, die auch unter

den Bezeichnungen humanistische Psychologie, positive Psychologie und human potential movement auftritt, mit ihrem Modell eines Selbst, das sich »verwirklichen« oder »entfalten« will, kann und

soll, über den Weg der Beratung und Therapie von Individuen,

aber auch im Rahmen des Erziehungs- und Bildungssektors sowie

lungsproblem statt. Zudem könnten Prozesse des Gestaltwechsels

der Organisationsberatung. Zentral für diesen Diskurszusammenhang sind Abraham Maslow, Carl Rogers und Rollo May, im weiteren Sinne auch Erich Fromm, Gordon W. Allport und Fritz Perls.*? Die self growth psychology bildet in den USA der 1950er Jahre eine Nische zwischen der akademisch dominierenden, vor allem beha-

auch ohne äußeren Anlass, spielerisch-experimentell,

vioristischen Schulpsychologie und der therapeutisch dominanten

zu kurz greift:?' Bereits die Identifizierung eines Problems in einer scheinbar unproblematischen Situation bedeute produktives Denken. Hier findet ein Umsturz der Wahrnehmung ganz ohne Hand-

29 Vgl. Fitzek/Salber, Gestaltpsychologie, S. 45 . 30

Wertheimer, Productive Thinking, S.238. (Überset'l.ung A.R.}

31 Vgl.ebd., S.242£

214

stattfinden.

32 Vgl. insgesamt zur self growth psychology Duane Philip Schultz, Growth Psychol0gy, New York, London 1977 und M. Seligman/Mihaly Csikszentmihälyi, »Positive Psychology. An Introducrtion«, in: American Psychologist 55 (2000), S.5-14.

215

Psychoanalyse. Mit der Gründung der American Association for Humanistic Psychology (AHP) 1962 und des Journal for Humanistic Psychology im folgenden Jahr findet eine erste Institutionalisierung statt. Von Anfang an ist die self growth psychology eng mit neuen

praktischen Therapieformen, etwa Rogers’ klientenzentrierter Gesprächstherapie und Perls’ Gestalttherapie, verknüpft.

scheidende Wende innerhalb des psychologischen Feldes, die hier vollzogen wird, ist jene von einer Psychologie der Pathologien und

der Normalirät zu dem, was Frank Dumont ein psychologisches „Modell menschlichen Wohlbefindens« (wellness model of human nature) nennt.* Die Persönlichkeitsmodelle derart unterschiedlicher Schulen wie die der Psychiatrie, der Psychoanalyse und des Be-

Der kulturelle Transformationsprozess, den sie bewirkt, hat eine

haviorismus teilten die Leitfrage, wie sich pathologische psychische

dreistufige Struktur, ähnlich wie man sie zur gleichen Zeit in ganz

Reaktionen erklären und überwinden lassen. Die Persönlichkeitstheorie der positiven Psychologie setzt hingegen nicht mehr bei der

anderen gesellschaftlichen Bereichen, den creative industries der Werbung und der Mode, beobachten konnte: eine Inkubationsphase in den 1950er Jahren, eine gegenkulturell beeinflusste Phase der Radikalisierung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre und eine Hegemonialisierungsphase seit Mitte der 1970er Jahre. Die humanistische Psychologie platziert sich in der Nachkriegszeit kulturkritisch gegen einen vorgeblichen sozialen Konformismus. Sie wird dann im Kontext der Counter Culture und Studentenbewegung intensiv rezipiert, mit gegenkulturellen Elementen — etwa bei Her-

bert Marcuse oder Timothy Leary — angereichert und erfährt in diesem Zusammenhang breite öffentliche Beachtung. Anschließend verliert sie ihren gegenkulturellen Status und avanciert zum Kern einer neuen dominanten Therapiepraxis, die sich flächende-

ckend an die psychologisch sensibilisierte und an psychischer Fortentwicklung interessierte akademische Mittelschicht richtet. Die Selbstverwirklichungspsychologie hat die Idee der Selbst-

Heilung des Kranken, sondern bei der qualitativen Verbesserung des Mittelmäßigen an. Das Ergebnis dieser Perspektivenverschie-

bung ist eine enorme Ausweitung der Sphäre des psychologisch Therapier- und Beratungsbedürftigen. Es bedarf gerade nicht eines störenden psychischen Symptoms oder einer Abweichung, um

die psychologische Arbeit beginnen zu lassen. Es geht vielmehr um die qualitative Verbesserung des normalen, sozial angepassten

und unauffälligen Verhaltens. Damit findet ein Strukturwandel der psychologischen Subjektivierungstechniken statt: Anstatt das Unerwünschte aufzuspüren und auszumerzen, geht es darum, psychische Potenziale zu mobilisieren, die im Prinzip unerschöpflich sind. Immer scheint noch eine weitere Verbesserung oder Steige-

rung möglich. Eine solche Psychologie ist nicht limitierend, sondern liminal: Das Individuum soll sich einem imaginären Grenzzu-

stand psychischer Reife und psychischen Wohlbefindens annähern,

lich, am ehesten in Herbert Marcuses ausdrücklichen Anleihen an

der niemals erreicht wird. Diese Funktionsveränderung der Psychologie bahnt sich in den USA schon seit ungefähr 1910 an und schlägt sich zunächst in populärer Selbsthilfeliteratur nieder, in der es um beruflichen Erfolg, persönliche Beliebtheit sowie den Alltag der Partnerschaft und Er-

Schillers Modell des menschlichen Spieltriebs.?* Trotz dieses langen

ziehung geht,” Die Hintergrundfolie der Self-growth-Psychologie

historischen Vorlaufs ist die Verarbeitung, Verwissenschaftlichung

in den 1950er Jahren allerdings ist das durchschnittliche, sozial angepasste Verhalten, das im gleichen Zeitraum ins kulturkriti-

entfaltung sicherlich nicht erfunden. Hier sieht man sich vielmehr an die deutsche und britische Romantik und den deutschen Idealismus zurückverwiesen.** Eine direkte Bezugnahme auf den

romantisch-idealistischen Diskurs findet sich allerdings nur spär-

und therapeutische Universalisierung des Konzepts expressiver Subjektivität im speziellen Feld der Psychologie ein spätes Ereignis und lässt sich erst in der Self-growth-Schule lokalisieren. Die ent-

36 Vgl. Frank Dumont, »From Illness to Wellness Models of Human Nature«, in:

33 Vgl. hierzu oben Kapitrel 4.4. 34 Vgl. dazu Charles Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt/M. 1996, S. 639 ff. 35 Vgl. Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud [1955], Frankfurt/M. 1995, S. 1718

ism to the Twenty-First Century, Cambridge 2010, S.35- 74 37 Vgl. dazu T. J. Jackson Lears, »From Salvation to Self-Realization. Advertising and the Therapeutic Roots of the Consumer Culture, 1880-1930«, in: ders./Ri-

216

ders., A History of Personality Psychology. Theory, Science, and Research from Hellen-

chard Wigheman Fox, Zhbe Culture of Consumption. Critical Essays in American History 1880-1980, New York 1983, S. 1-38.

217

sche Visier von Autoren wie David Riesman, William Whyte und

Douglas McGregor gerät.? Diese social adaption war nun gerade ein zentrales Ziel der US-amerikanischen Sozialpsychologie der 1930er und 1940er Jahre, erwa im Erziehungsbereich und der Organisationsberatung, und sie lieferte auch das Ideal großer Teile der

populären Selbsthilfeliteratur.”” Während diese Sozialpsychologie mit der Differenz zwischen sozialer Angepasstheit und antisozialer Abweichung arbeitere, teilt die Self-growth-Psychologie das Feld der Persönlichkeiten neu auf: Sie unterscheidet zwischen jenen, die Maslow »Selbstverwirklicher« (self-achualizing people) nennt, und jenen anderen, die in ihrem Entfaltungsstreben gehemmt sind.“”

pleiben.«?? Diese Entfaltung eines authentischen inneren Selbst bedeutet Selbstwachstum (selfgrowth) und ist auf die ganze Biografie des Individuums bezogen. Andererseits meint Selbstverwirklichung eine alltägliche Haltung, die Maslow die »Motivation S(ein)« (bmotivation) im Unterschied zur »Motivation M(angel)« (d-motiva-

tion) nennt und mit einem permanenten Streben nach »GipfelerJebnissen« (peak experiences) identifiziert.* Während die verbreitete Motivation

M, die Mangelmotivarion

(deficiency (d)-motivation)

auf Zweckrationalität und Erfüllung sozialer Erwartungen, letzt-

lich auf die Kompensation eines Mangels ausgerichtet ist, ist die

wird angedeutet, dass in jedem Subjekt das universale Potenzial

Motrivation S, die Seinsmotivation (being (b)-motivation) an einem zweckfreien Erleben des einzelnen Moments in seiner ganzen Intensität orientiert. Die Polarität dieser Persönlichkeitstypen betrifft damit die Differenz zwischen einer Orientierung an zweckrationalem Handeln und einer an selbstbezüglicher Wahrnehmung. Die Selbstverwirklicher sind dazu in der Lage, immer mehr Elemente ihrer Alltagswelt in solche Wahrnehmungsakte um ihrer selbst willen zu transformieren. Bestimmte Erfahrungen scheinen dafür prädestiniert:

zur Selbstentfaltung stecke, Das Konzept der Selbstverwirklichung münder so in den therapeutischen Imperativ, sich aktiv in Rich-

das Erleben der Elternschaft und die Liebeserfahrung, die mystische, oze-

Diese Orientierung am Ideal der Selbstentfaltung ist jedoch eng mit einem Konzept der Kreativität der Persönlichkeit verknüpft. In ihrem Modell der Selbstverwirklicher bedienen sich Maslow, Rogers und andere einer doppelten Strategie von Typologisierung und

Universalisierung: In der Tradition der differenziellen Psychologie soll einerseits der sich selbst verwirklichende vom sozial konformistischen Persönlichkeitstyp unterschieden werden. Andererseits

tung der self-actualizing people zu entwickeln. Was genau ist Selbstverwirklichung? Das psychologische Modell enthält zwei Konnotationen: die der Entfaltung eines inneren Kerns des Individuums auch gegen äußere Widerstände und die einer im weitesten Sinne ästhetischen Transformation alltäglicher

Wahrnehmung, Einerseits bedeutet die »Neigung des Menschen, sich selbst zu verwirklichen, seine Potenziale zu entfalten«,*! Sie lässt sich in dem Imperativ zusammenfassen: »Was ein Mensch sein kann, das muss er auch sein. Er muss seiner ureigenen Natur treu 38 Vgl. David Riesman, 7he Lonely Crowd, A Study ofthe Changing American Character [1949/1961], New Haven 2001; William H. Whyre, Zbe Organization Man, New York 1956; Douglas McGregor, 7he Human Side of Enterprise, New York 1960.

39 Vgl. William Graebner, Zhe Engineering of Consent. Democracy and Authority in Twentieth-Century America, Madison 1987; Rose, Inventing Our Selves, S.114-149. 40 Vgl. Abraham Harold Maslow, Motivation and Personality {1954}, New York 1970; ders., Toward « Psychology of Being, New York 1968; Carl R. Rogers, On Becoming a Person [1961], Boston 1995. 41 Rogers, On Becoming a Person, S.351. (Übersetzung A.R,) 218

anische oder Naturerfahrung, die ästhetisch-künstlerische Wahrnehmung,

der kreative Moment, die therapeutische oder intellekruelle Selbsterfahrung, das sexuelle Erleben, bestimmte Formen sportlich-körperlicher Erfüllung etc.*

Diese Wahrnehmungsweise der peak experiences soll sich grundsätzlich von der durchschnittlichen, in das zweckrationale Handeln eingebundenen Perzeption unterscheiden, indem sie dem Gegenstand der Wahrnehmung totale Aufmerksamkeit um seiner selbst willen schenkt, komplexer und weniger selektiv erfolgt sowie angstfrei gegenüber dem Unbekannten und Irritierendem bleibt. Es herrscht dann das, was Carl Rogers eine »Offenheit für Erlebnisse und Erfahrungen« (openness £o experience) nennt.*> In diesem Verständnis

von peak experiences liefern Maslow und die anderen Autoren der Self-growth-Psychologie nichts anderes als eine Reformulierung

42 43 44 45

Maslow, Motivation and Personality, S.22. (Übersetzung A.R.) Vgl. ders., Toward a Psychology of Being, S.83 . Ebd., S.85. (Übersetzung A,R.) Vegl. Rogers, On Becoming a Person.

219

D

dessen, was der klassische Diskurs der Ästhetik zweckfreie ästhetische Erfahrungen nannte, nur dass diese nun vollständig in das Alltagsleben integriert sind und es mehr und mehr umwälzen sol-

len. Das Programm der positiven Psychologie ist in diesem Sinne ein umfassendes Ästhetisierungsprogramm des Alltags, der durchdrungen sein soll von »Gipfelerlebnissen, empfunden als etwas, was

seinen Wert in sich hat, als sich selbst begründende Augenblicke«.“ Sowohl das weite und basale Verständnis von Selbstverwirklichung im Sinne einer Ästhetisierung der Lebenswelt als auch das engere Verständnis als biografische Entfaltung subjektiver Potenzi-

ale enthalten eine Vorstellung von Kreativität, die auf die gesamte Lebensform bezogen wird.“ Kreativität bezieht sich hier nicht allein auf herausgehobene Akte des Schöpferischen oder eine kognitive Problemlösungskompetenz, sondern auf die permanente Transtormation alltäglicher, selektiver und »dünner« Wahrnehmung in totale und »dichte« Wahrnehmung,. Diese Umwälzung in allen Bereichen der Lebenspraxis zu vollziehen macht die besondere Struktur der Biografie der Selbstverwirklicher aus. Die »sich selbst verwirklichende Kreativität«, die Maslow von der bloßen spezialisierten »Kreativität des Talents«, etwa von Künstlern und

Typus des Selbstverwirklichers jedoch seinerseits zur Zielscheibe eines psychologischen Normalisierungsprogramms. Das Normale bezeichnet hier ein normatives Ideal, letztlich einen psychischen Grenzzustand höchster ästhetisch-kreativer Aktiviertheit, dessen

Potenzial in jedem Subjekt bereits angelegt sei. Es handelt sich um einen Zustand, den jedes Subjekt erreichen sol/ und den es zugleich, ob bewusst oder unbewusst, ohnehin erreichen will. In welcher Weise das Individuum seine Kreativität im Einzelnen entfaltet, mag im Einzelfall deutlich verschieden sein, entscheidend ist, dass eine

Transformation der Wahrnehmungsstrukturen und der Biografie hin zu einer allgemeinen Form des kreativen Selbst stattfindet. In markanter Form deutlich wird diese psychologische Normalisierungstendenz

1972 in John

Curtis

Gowans

7he Development

of the Creative Individual“” Gowan umreißt hier letztlich ein psychologisches Stufenmodell der Entwicklung des kreativen Selbst. Er kapert Piagets und Eriksons kognitivistisch-moralistische Entwicklungspsychologie, reformuliert sie im Sinne der self growth psychology und präsentiert das kreative Selbst und seine Selbstver-

wirklichung als das eigentliche Ziel menschlicher Entwicklung. Kreativität setzt dabei immer die Transformation von angstbesetz-

Erfindern, abgrenzt, bezieht sich damit auf diese grundlegende

ter Unordnung in lustvolle Komplexität voraus. Als entscheidend

Kompetenz, eine neue, ästhetische Wahrnehmungshaltung zu entwickeln, die überraschende Eigenschaften von Objekten und Situationen der Alltagswelt sichtbar und möglich macht. Da die Wahrnehmung angstfrei und weniger schematisiert verläuft, wird

für diesen Entwicklungsprozess stellen sich die nach Erikson dritte und sechste Stufe in der Ontogenese dar, die Kinder im Vorschul-

sie überraschender Details eher gewahr. Rollo May definiert demgemäß Kreativität als eine Begegnung mit der Welt, in der man sich auf die Welt einlässt, statt sie formen zu wollen.® Die Self-growth-Psychologie der ersten Generation tritt mit dem

rhetorischen Gestus der Befreiung eines geknebelten Selbst auf. Die Leitdifferenz zwischen Subjekten mit einer Mangelmotivation und der ein de, der

jenen mit einer Seinsmotivation ist asymmetrisch: Während erste Typus sozialen Erwartungen folgt, bezeichnet der zweite Ideal, an dem sich das Selbst natürlicherweise orientieren würwenn man es nur ließe. Im Zuge der wachsenden Attraktivität self growth psychology seit dem Ende der 1960er Jahre wird der

46 Maslow, Toward a Psychology of Being, S.90. (Überserzung A.R.) 47 Vgl. zum Folgenden ebd., S. 15ıE 48 Vgl. Rollo May, 7he Courage to Create, New York 1975. 220

alter beziehungsweise Postadoleszenten betreffen. Das gesellschaftliche Problem besteht Gowan zufolge darin, dass die Mehrheit jedoch daran scheitert, diese Kreativitätsphasen erfolgreich zu ab-

solvieren und vielmehr in niedrigeren Stadien regressiv verharrt: »[DJarin zu scheitern, kreativ zu werden, bedeutet in seiner gan-

zen Entwicklung zu scheitern.«” Daraus ergibt sich gegenüber der

klassischen Psychologie des Anormalen eine Umkehrung: Neurosen und Psychosen werden von Gowan nicht mehr übermäßiger Genialität oder Kreativität zugeordnet, sondern umgekehrt als extreme Ausprägungen eines Verharrens in einem vorkreativen, angstbesetzten und an starren Regeln orientierten Zustand interpretiert, Seine Entwicklungspsychologie des kreativen Selbst mündert in ein

umfassendes psychologisches Therapie- und Beratungsprogramm, in ein Plädoyer für einen »neuen Schub im Bereich der humanisti49 John Curtis Gowan, 7he Development of’the Creative Individual, San Diego 1972. 5o Ebd., S.101. 22I

schen Entwicklungsförderung für Erwachsene«,* der auf eine psychologische Lebensbegleitung für alle und auf Dauer hinauslaufen soll. Sie soll dabei helfen, die Stufen der ontogenetischen Kreativitätsleiter zu erklimmen. Kreativität und Intelligenzforschung

dern der Naturwissenschaftler und Erfinder, wie Guilford hervorhebt.

Die Frage nach der Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit treibt auch Guilford und die kognitivistische Kreativitätspsychologie der ‚950er und 1960er Jahre um, allerdings nur im Rahmen der Intelligenzforschung. Diese war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

die einflussreichste Version einer differenziellen Psychologie, die Im September 1950 hält Joy Paul Guilford am State College in

Pennsylvania den Eröffnungsvortrag des 58. Kongresses der Amer-

sich nicht mit Persönlichkeitstypen, sondern mit Kompetenzunterschieden von Individuen beschäftigte. Die Intelligenzforschung

ican Psychological Association. Er trägt den Titel »Creativity«,”

interessierte sich zu Beginn des Jahrhunderts vor allem für Kinder

und Guilford beklagt, dass die bisherige psychologische Forschung

und Jugendliche mit schulischen Problemen, um dann mit Alfred Binet und mit William Sterns »Intelligenzquotienten« das gesam-

die Frage nach den Bedingungen von Kreativität sträflich vernachlässigt habe. Diese Ignoranz könne sich die US-amerikanische

Gegenwartsgesellschaft nicht mehr leisten. Eine Ökonomie der

te Spektrum kognitiver Intelligenz abzustecken. Im Rahmen der

Hochtechnologien, die sich in einem globalen Systemwettbewerb

umfangreichen Testreihen von Lewis Terman entwickelte sie seit den 1920er Jahren ein besonderes Interesse für kognitive Hochbe-

befinde, sei auf die Ausschöpfung aller kreativen Begabungen an-

gabul‘nf;éflf4 Terman

gewiesen. Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist

des Genies an; diese verwandelt sich in die Figur des »Hochbe-

die Notwendigkeit, die Achsenmächte militärtechnologisch zu schlagen, noch ebenso im Gedächtnis, wie die neue politisch-öko-

gabten« (exceptional talent). Intelligenz bezieht sich in diesem Zu-

nomische Systemkonkurrenz zur Sowjetunion erste Formen ange-

Kompetenzen, die für den Schulerfolg relevant sind, und sie wird von vornherein als statistisch normalverteilt definiert. Terman möchte die kognitive Hochbegabung, die im Geniediskurs diskreditiert schien, rehabilitieren und sie gerade nicht als Eigenschaft zweifelhafter Außenseiter, sondern als Qualifikationsprofil einer gesellschaftlichen Funktionselite ausweisen. Im Zentrum seiner Untersuchungen stehen daher Längsschnittstudien, die die Korrelation zwischen früh festgestellter Hochbegabung und beruflichem Erfolg sowie zwischen erfolgreichen Hochbegabten und charakterlich-moralischer Stabilität nachweisen sollen. Kreativität wird innerhalb des breit rezipierten Intelligenzkonzeptes Termans allerdings nicht eigens zum Thema. Sie geht als Teilelement in der generellen kognitiven Intelligenz, den »allgemeinen Fähigkeiten«

nommen hat. Der Weg, um ökonomisch-technologische Höchstleistungen zu erbringen, führt nach Guilford über die Gehirne der Individuen — über ihre Kreativität: »Warum bringen wir unter den angeblich vorurteilsfreien modernen erzieherischen Praktiken nicht eine größere Zahl von kreativen Hochbegabungen hervor?«® Die Psychologie präsentiert sich somit auch hier nicht mehr als

Kämpferin gegen Pathologien und seelisches Leid, sondern als Einrichtung zur Förderung psychischer Ressourcen. Wie der self growth psychology geht es auch der kognitivistischen Kreativitätspsycholo-

gie um das Ausschöpfen und Abrufen schöpferischer Potenziale. Während Erstere die ganzheitliche Persönlichkeit auch gegen die gesellschaftlichen Erwartungen zum Ziel hat, steht bei Letzterer

knüpft ausdrücklich

an die klassische Figur

sammenhang im Wesentlichen auf mathematische und sprachliche

allerdings die gesellschaftliche Nützlichkeit im Vordergrund. Kreativität wird nun als kognitive Problemlösungskompetenz gefasst, und das Modell für den Kreativen ist nicht der Künstler, son-

(general ability g), auf. Die Bewegung der kognitivistischen Kreativitätsforschung, die

51 Ebd., S.109. 52 Vgl. Joy Paul Guilford, »Creativity«, in: American Psychologist 5 (1950), S. 444454, dt. in: Gisela Ulmann (Hg.), Kreativitätsforschung, Köln 1973, S.25-43. 53 Ebd., S.26.

54 Vgl. Lewis Madison Terman, Mental and Physical Traits of a Thousand Gifted Children. Genetic Studies of Genius, 5 Bde., Stanford 1925. Für eine kritische Be-

222

mit Guilford beginnt und mit dem Zorrance Test of Creative Think-

trachtung desselben vgl. Joy Paul Guilford, »Creativity. Yesterday, Today, and Tomorrow«, in: Journal of Creative Behaviour 1 (1967), S.3-14-

223

ing 1966 ihren Höhepunkrt erreicht,”” setzt genau hier ein: Kreativität sei als ein autonomes Bündel von Kompetenzen zu verstehen, dessen exaktes Verhältnis zur mathematischen Intelligenz nicht theoretisch vorgegeben werden rige Intelligenzforschung habe die Vielseitigkeit menschlicher Intelligenz vernachlässigt. Ihr wird

und sprachlichen dürfe. Die bisheund Komplexität ein Modell mul-

tipler Intelligenz(en) entgegengesetzt, und die Kreativitätspsychologie lässt dabei keinen Zweifel an dem besonderen Stellenwert der

Kreativität gegenüber der »bloßen« mathematischen und sprachlichen Intelligenz. Kreativität müsse sich allerdings ebenso empirisch und standardisiert testen lassen wie herkömmliche Intelligenz. Die

pothesen zu testen«.”” Zugleich ist die Testreihe jedoch so angelegt, dass auch experimentell-spielerisches Denken geprüft wird, das über solche Problemlösungsprozesse hinausgeht. Im sprachlichen Teil des Tests

wird

beispielsweise

dazu

aufgefordert,

sich

unge-

wöhnliche Gebrauchsmöglichkeiten für Alltagsgegenstände auszudenken oder dazu, eine Geschichte zu einem bildlich dargestellten Ereignis zu erfinden.

Seit den 1ı950er Jahre werden

diese Kreativitätstests von der

Entwicklung praktischer Techniken zur Kreativitätsförderung begleitet. So entwickelt Alex Osborn die Methode des Brainstorming

entscheidende, wirkungsmächtige Unterscheidung, die Guilford

als Kreativtechnik.° Osborn versteht die Produktion neuer Ideen als eine kollektive Anstrengung ganzer Teams und entwickelt einen

einführt, um die kreative Intelligenz abzugrenzen, ist die zwischen

Fragekatalog, der ihre Ideenproduktion in Gang setzen solll. Die

»Konvergenzdenken«

(comvergent

thinking)

und

»Divergenzden-

Kunst besteht hier — ganz ähnlich den surrealistischen recherches

ken« (divergent thinking): Die bisherige Intelligenzforschung sei wie selbstverständlich auf das Konvergenzdenken fixiert geblieben,

Gruppe, vor allem das Risiko wechselseitiger Sanktionierung, zu

das heißt auf die Fähigkeit, logische Operationen richtig vollziehen

vermeiden

zu können. Letztlich handele es sich dabei jedoch um ein bloßes

ähnliche Stoßrichtung gehen William Gordons Kreativitätstechni-

gxper/.'mentzlles — darin, und

die

die hemmenden

gegenseitige

Faktoren

Anregung

zu

innerhalb

steigern.

der

In eine

reproduktives Denken, das an Schulleistungen orientiert ist. Kre-

ken, die er mit seiner Synetics-Gruppe an der Harvard-Universität

ativität hingegen sei Divergenzdenken, die Fähigkeit zur Entwicklung unkonventioneller Perspektiven, zur Abweichung vom Pfad

entwickelt. Auch hier ist die heterogene Gruppe Kreativitätsstimulans. Der Imperativ dieses Förderungsprogramms ist ein postavantgardistischer: »Das Fremde vertraut und das Vertraute fremd

der scheinbar einzig möglichen Lösung.

Kreativität in diesem Sinne lässt sowohl quantitative als auch qualitative Definitionen zu. Ein rein quantitatives Verständnis findet sich in Frank Barrons

Creativity and Psychological Health, wo

die seltene Antwort zugleich als die originelle gilt.°° Das qualitative Verständnis des Kreativen schwankt zwischen einer allgemeinen Identifikation mit der Fähigkeit zu neuen Musterbildungen

und Assoziationen und einer engeren, an praktischen Ergebnissen orientierten Problemlösungsfähigkeit. In Ellis Paul Torrances groß angelegtem 7orrance Test of Creative Thinking sind beide Elemente enthalten, was zu einem gewissen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis führt. Torrance definiert Kreativität zweckrational und im Sinne eines geordneten »Prozesses, einen Sinn für Probleme,

Mängel und Lücken in seinem Wissen zu entwickeln, die jeweilige Schwierigkeit zu identifizieren, nach Lösungen zu suchen und Hy55 Vgl. Ellis Paul Torrance, Tormance Tests of Creative Thinking, Princeton 1966, 56 Vgl. Frank Barron, Creativity and Psychological Health, New York 1963, S. 200ff 224

machen.«””

Die sich etablierende kognitivistische Kreativitätspsychologie sieht sich jedoch durchgängig mit einem Abgrenzungsproblem konfrontiert, das eine Schwierigkeit der anvisierten praktischen Förderung

von

Kreativität spiegelt:®

Einerseits

geht es um

eine

eindeutig positive Bewertung kreativer Eigenschaften als gesellschaftlich wünschenswert, andererseits sieht sich die Kreativitätspsychologie immer wieder genötigt, zwischen wünschenswerter

und fragwürdiger Produktion von neuen Ideen zu unterscheiden. Die uneingeschränkte Förderung des Divergenzdenkens wäre ein57 Torrance, Torrance Test of Creative Thinking, Bd. 1, S.6. {(Übersetzung A.R.)

58 Vgl. Alex Osborn, Applied Imagination. Principles and Procedures of Creative Problem Solving, New York 1953. 59 William J.J. Gordon, Synectics, New York 1961, S, 35. (Übersetzung A.R.) 60 Ein wichtiger Schritt für diese Erablierung war die Gründung des Institute for Personality Assessment and Research in Berkeley bereits 1949 sowie die Einrichtung des Creative Problem Solving Institute 1954. 225

fach zu riskant. Aufschlussreich ist hier Richard Crutchfields Unterscheidung zwischen der konformistischen, der kreativen und der

konterformistischen Persönlichkeit.” Indem der kreative Iypus dem Konformisten entgegengesetzt wird, erhält die Argumentation

eine kulturkritische Stoßrichtung: Der kreative Typus sei im Unterschied zum gesellschaftlich bedauerlicherweise dominierenden Konformisten durch genügend Ich-Stärke gekennzeichnet und daher zum divergent thinking fähig. Einmal mehr werde deutlich, dass Kreativität und Intelligenz im engeren Sinne nicht korrelieren müssen: Konformismus kann nämlich durchaus mit einer ausgeprägten kognitiv-logischen Intelligenz verbunden sein. Aber Crutchfield grenzt die kreative Kompetenz noch nach einer anderen Seite hin ab, nämlich gegen die »Konterformisten«. Beide Typen bringen neue, ungewöhnlich Ideen hervor, aber die Ideen des Konterformisten erweisen sich als nicht von Dauer. Der Grund dafür ist, dass dieser der Mehrheit aus Prinzip widerspricht, es geht ihm um

den »Unterschied, um des Unterschieds willen«. Das Ergebnis sei-

und Messick jedoch an ihrer Abgrenzung fest: »[E]s ist notwendig, zwischen Kondensation [das heißt der Verdichtung verschiedener

Deutungsmöglichkeiten] und völlig chaotischer Komplexität zu unterscheiden.«“ In dem Moment, in dem Kreativität pädagogisch und politisch gefördert werden soll, stellt sich damit in neuer Form das Origina-

lirätsparadox, das wir bereits im sozialen Feld der Kunst gesehen hatten:® Der Wert des Neuen

kann von Zeitgenossen

nicht un-

bedingt beurteilt werden — aber er muss beurteilt werden, wenn Kreativität in einem institutionalisierten Rahmen zum Ziel pädagogischer und berufspraktischer Bemühungen werden soll. In der

kognitivistischen Kreativitätspsychologie schlägt damit immer wie-

der ein Vokabular des Psychisch-Kognitiven in ein Vokabular des Sozialen um, verkehrt sich eine Bezugnahme auf kognitive Kompetenzen in eine Referenz auf das Publikum, das Kreativität zerti-

fiziert — und sei es ein Publikum, das aus den Psychologen selbst besteht. Zugleich jedoch müssen diese sozialen Beobachtungsinstanzen für die Versuche, kreative Hochbegabung empirisch zu er-

en »pseudokreative« Akte, die ihn beispielsweise zum »modischen

mitteln, störend erscheinen: Analog zur logischen Intelligenz soll

Liebling der High Society machen«.“ Der Konterformist wird bei

auch Kreativität schließlich als eine kognitive Struktur im Innern der Subjekts festgemacht werden. Dass wie im Fall von Crutchfields Konterformisten das Publikum selbst sogar ins strategische Visier der Kreateure geraten kann, die dieses von ihrer Kreativität zu überzeugen versuchen, muss dann wie eine unzulässige Beein-

Crutchfield mit bemerkenswerten Äästhetisch-künstlerischen Assoziationen, mit dem Bohemien und dessen angeblicher Vorliebe für »das Bizarre« in Verbindung gebracht.

Die Notwendigkeit, produktive von unproduktiver Kreativität abzugrenzen, sehen Mitte der 1960er Jahre auch Philip Jackson und Samuel Messick, Neuartigkeit und Ungewöhnlichkeit sind zwar zweifellos ein Kennzeichen kreativer Akte, aber dies erscheint noch nicht ausreichend — »irgendwie müssen wir noch die bloßen Seltsamkeiten (oddities) aussondern«.° Wahre Kreativität müsse

Aussung der Versuchsanordnung erscheinen. Die kognitivistische Kreativitätspsychologie sieht sich daher gezwungen, immer wieder neue Anläufe zu unternehmen, um eine »wahre« Kreativität von einer nur scheinbaren abzugrenzen, wobei Letztere entweder ein Zuviel an Sozialorientierung enthält (der modische Konterformist)

auch sozial angemessen sein und zum Kontext passen — wobei die

oder aber ein Zuwenig (die Absurdität des Verrückten oder Kuri-

Autoren durchaus einräumen, dass der Schöpfer sich dem Kritiker gegenüber langfristig als überlegen erweist. Selbst im Fall einer

osen).

Kreativität höchster Stufe, etwa bei einem Kunstwerk, das immer

wieder neue Interpretationsmöglichkeiten eröffnet, halten Jackson 61

Vgl. Richard S. Crurchfield, »Detrimental Effects of Conformity Pressures on Creative Thinking«, in: Pychologische Beitraege 6 (1962), S. 436-471. 62 Ebd. S. 469. (Übersetzung A.R.) 63 Philip W. Jackson/Samuel Messick, »The Person, the Product and the Response:

Conceptual Problems in the Assessment of Creativiey«, in: Journal of Personality 33 (1965), S. 309-329, hier S. 313. (Übersetzung A.R.) 226

64 Ebd., 5.320. 65 Vgl. oben Kapitel 2.2.

227

5.5 Die Normalität der Kreativität: Psychologische Kreativitätspraxeologien

Kreativität entscheidet,«® Entscheidend ist hier, nicht vom Subjckt auszugehen, sondern vom Fluss der Handlungspraxis, die sich aus einzelnen Situationen zusammensetzt, Kreativität, die in dieser

Zweiten Weltkrieg zerfällt, wie wir gesehen haben, in zwei komple-

Perspektive eine »Achtsamkeit« für die Einzigartigkeit der Situation erfordert, soll sich einmal mehr ergeben, wenn man ihr eine

mentäre Felder: Die Self-growth-Psychologie setzt an der Therapie

Chance gibt; sie erscheint als das natürliche Sein der alltäglichen

des privaten Selbst an, die kognitivistische Kreativitätspsychologie an der Diagnose und Förderung vor allem beruflich verwertbarer

täglicher Techniken der perzeptiven Selbstöffnung aktiv gefördert

Die psychologische

Problematisierung

von

Kreativität nach

dem

Dinge, wenn das Subjekt diese nur lässt — was durch eine Fülle all-

kreativer Kompetenzen. Vieles spricht dafür, dass seit den 1980er Jahren beide Subjektivierungsprogramme zusammenlaufen und

werden soll.

sich gegenseitig stützen. Die zu diesem Zeitpunkt erreichte scheinbare psychologische Alternativlosigkeit eines kreativen Selbst, die

nier für die Bedingungen kreativer Arbeit bei Künstlern interessiert, entdeckt das How-Phänomen als Kern eines solchen alltäglichen kreativen Zustands: eine weite Öfihung der Wahrnehmung,

einen wichtigen Baustein zur Etablierung des gesellschaftlichen Kreativitätsdispositivs liefert, speist sich nicht zuletzt aus dieser Verschränkung. Aus ihr geht hervor, was man eine »Kreativitätspra-

xeologie« nennen kann. Kreativität wird zum Orientierungspunkt eines ganzen psychologischen Lebensprogramms und aller Alltags-

praktiken, in deren Zentrum ein »kreativer Habitus« steht: ein Ensemble von inkorporierten Schemata und Strategien, die das

Subjekt permanent und scheinbar ganz natürlich zur lustvollen Wahrnehmung und Hervorbringung des Neuen, zum Experiment mit sich selbst befähigen. Die psychologische Kreativitäspraxeolo-

gie integriert das Ideal-Ich des schöpferischen Selbst in den Pragmatismus des privaten und beruflichen Alltags. Vor allem drei Imperative sind für diese Subjekttechnologien kennzeichnend: eine Mikrologik der Wahrnehmungstransformation, die Entfaltung kreativer Alltagstechniken im Sinne eines generalisierten Künst-

lerideals und die Entwicklung der Kreativitätsorientierung als soziale Strategie auf dem Aufmerksamkeitsmarkt. Seit den 1980er Jahren findet sich in der »positiven Psycholo-

gie« verstärkt die Tendenz, das groß angelegte Projekt der Selbstverwirklichung auf der Mikroebene in eine permanente Aufmerk-

samkeitstransformation zu überführen. Maslows hochfliegende peak experiences werden hier von Mihäly Csikszentmihälyis alltagsnahen Fow-Erfahrungen als Ziel des kreativen Selbst abgelöst. Karl-Heinz Brodbecks Arbeiten gehören in diesen Kontext, der behauptet: »Kreativität ist alltäglich. Jede unscheinbare Handlung birgt und verbirgt einen kreativen Aspekt, den es zu entdecken gilt. Kurz und paradox gesagt: Man wird kreativ, wenn man sich zur 228

Mihäly Csikszentmihälyi, der sich zunächst in klassischer Ma-

die zugleich eine enge Konzentration auf eine bestimmte Aufgabe bedeutet und vom Subjekt als zeitlos und befriedigend empfunden wird.” Das Bemerkenswerte dieses Zustands ist, dass er die klassische Unterscheidung der Ästhetik zwischen zweckgebundenem Verhalten und zweckfreier Wahrnehmung unterläuft. Denn das fragliche Verhalten ist einerseits gerade kein handlungsentlastetes, in ihm findet vielmehr die Auseinandersetzung mit einer herausfordernden Aufgabe statt, welche die ganze Aufmerksamkeit erfordert.

Andererseits wird dieses Tun Csikszentmihälyi zufolge jedoch als eine »autotelische Erfahrung« erlebt, in der eine Intensivierung und Komplexitätssteigerung der gesamten Wahrnehmung als Selbstzweck stattfindet und mit Lustempfinden verbunden ist: es handelt sich um eine »optimale Erfahrung« (optimal experience). Der FlowZustand befindet sich exakt zwischen den Polen der »Langeweile« und der »Angst«, er bedeutert eine lustvolle Konzentration, die Ungezwungenheit und Sicherheit in sich vereint. Die Kreativität

steckt somit nicht in etwaigen neuartigen Resultaten des Handelns, sondern in der Transformation der Wahrnehmungsverfassung. Sie ist eine Metakompetenz: Der kreative Habitus vermag banalste Handlungsakte in herausfordernde Situationen zu verwandeln. Eine vollständige Transformation der alltäglichen Lebensfüh66 Karl-Heinz Brodbeck, Extscheidung zur Kreativität, Darmstadt 1995‚ 5.2.

67 Vgl. Mihäly Csikszentmihälyi, Fow. The Psychology of Optimal Experience, New York 1990; 7he Evolving Self. A Psychology For The Third Millenium, New York 1993; Creativity. Flow and the Psychology of Discovery and Invention, New York 1996.

229

rung ist auch das Ziel der Kreativitätstechnologien, die sich seit

dienen soll, wird nicht weiter thematisiert. Smicth suggeriert viel-

den 1990er Jahren in der (proto)psychologischen Beratungspraxis

mehr, dass die experimentelle Haltung zum Selbstzweck der Alltagspraxis werden soll.

finden. Anders als im Brainstorming geben sie nicht nur Methoden für die Generierung von Ideen an die Hand, sondern sind auf eine dauerhafte kreative Transformation des Alltags in Permanenz ausgerichtet. In der entsprechenden Selbsrhilfeliteratur taucht der

Künstler explizit als Modell auf, und zwar letztlich der Typus des postmodernen Künstler als ein Arrangeur semiotischer und perzeptiver Alltagsprozesse. Die Aufweichung der Grenze zwischen Arbeit und Privatsphäre, wie sie nicht nur künstlerischen Berufen, sondern auch den Tätigkeiten der creative industries eigen ist, liefert den ge-

sellschaftlichen Hintergrund für eine solche permanente Arbeit am eigenen Kreativpotenzial. Ein Beispiel liefert Twyla Tharp mit ihrem Kreativitätsmanual Zhe Creative Habit. Learn it and Use it for Life.® In ihrer Darstellung wird aus der beruflichen Kreativarbeit

eine verallgemeinerte Arbeit an der subjektiven Ressource Kreativität, die weder Zufallsprodukt noch Ergebnis von Begabung oder einzelnen Techniken ist, sondern das Ziel eines auf Dauer angelegten Habitus, in dessen Rahmen die Umwelt beständig nach neuen

Anregungen abgetastet wird: »/A/lles nährt meine Kreativität.«® Das kreative Selbst soll einen reflexiven Bezug auf seine gesamte

Biografie entwickeln, so dass Tharp jedem empfichlt, sich seiner »Kreativbiografie« über entsprechende Selbsttests bewusst zu werden (»Was war der erste kreative Moment, an den du dich erinnern kannst? Was ist deine wichtigste kreative Ambition?«), Jeder soll

seinen individuellen creative code entfalten, dessen grundsätzliche Existenz außer Frage steht. In eine ähnliche Richtung zielt auch Keri Smiths Ratgeber How to be an explorer of the world.® Darin

schließt sie an die ethnografischen Tendenzen in der postmodernen Kunst an und empfiehlt jedem deren Sammlerattitüde, die sich den alltäglichen Objekten und Situationen im Gestus einer »Abenteuerreise« nähert. Ob dieser alltagsexperimentelle Habitus — methodisch mit einer Art Feldtagebuch abgestützt — einem bestimmten Zweck, etwa einem Projekt aus den Kreativberufen oder der Kunst 68 Twyla Tharp, Zhe Creative Habit. Learn it and Use it for Life. A Practical Guide, New York 2003, Tharp ist eine bekannıc New Yorker Choreografin. 69 Ebd.,, S.10. 70 Keri Smith, How to Be an Explorer of the World. Portable Life Museum, New York 2008, 230

Schließlich besteht eine letzte Wendung des praxisorientierten Kreativitätstrainings darin, den intersubjektiven Kontext der Kre-

ativanstrengungen systematisch einzubeziehen. Mit »Intersubjektivität« ist dabei nicht die — weiterhin empfohlene — Kollektivität der Ideenproduktion gemeint, sondern die soziale Anerkennung kreativer Leistungen als neu und wertvoll durch ein Publikum. Diese Orientierung am Publikum findet sich beispielhaft in Robert Sternbergs Investitionstheorie der Kreativität.”' Sternberg hebt

hervor, dass die in der Kreativitätspsychologie von Anfang an beronte Fähigkeit zur freien Assoziation nur eine kreativitätsstiftende Kompetenz unter mehreren ist. Als mindestens ebenso wichtig stellen sich drei weitere Dispositionen heraus: die Kompetenz, den Ideenmarkt geschickt zu beobachten, die Fähigkeit, andere von den eigenen Ideen zu überzeugen, und schließlich die selbstbewusste

Entscheidung zum Dissens. Das kreative Subjekt setzt — so Sternberg — gezielt auf relativ unbekannte Ideen, die auf Widerstand stoßen und zugleich »Wachstumspotenzial« versprechen. Es ist risikoorientiert und »investiert« in eine ungewöhnliche Idee auf dem Markt der Ideen, von der es vermutet, dass es durch sie Teil einer Avantgarde wird. In Gegensatz zu Crutchfields Kritik am Konterformisten — der Trends setzt, dessen Kreativität aber unauthentisch

und problematisch scheint — bietet Sternberg damit ein positives Modell jenes Kreativen, der am Aufmerksamkeitsmarkt geschult ist. Wenn kreative Leistungen zunächst neu und umstritten sind,

um dann in einem zweiten Schritt — jedoch nie garantiert — Anerkennung zu finden, dann besteht die quasiunternehmerische Findigkeit des Kreativen darin, auf solche gegenwärtig strittige Ideen zu setzen, die in der Zukunft eine intersubjektive Zerrtifizierung versprechen. Neben diese Fähigkeit zur abschätzenden Beobachtung des Ideenmarktes muss die Bereitschaft treten, für die eigenen Ideen Überzeugungsarbeit zu leisten. Das erfolgreiche Kreativsubjekt stellt sich gerade nicht als weltabgewandrter Künstler oder Wissenschaftler dar, sondern als geschickter Selbstvermarkter. Die 71%

Robert J. Sternberg, »The Development of Creativity as a Decision-Making Process«, in: Robert Keith Sawyer (Hg.), Creativity and Development, Oxford 2003, S.91-138.

231

dritte und wichtigste Voraussetzung ist aber letztlich die Entscheidung, kreativ sein zu wollen. Man muss auf lustvolle Weise bereit

dazu sein, sich im Dissens zur Mehrheit zu befinden: Wenn man es nicht aushalten kann, eine Zeitlang umstritten zu sein, wird man

nie ein anerkannter Neuerer werden.

Anders als Csikszentmihälyi hat Sternberg nicht eine an Kreativität orientierte Lebensführung als Ganze, sondern anerkannte kre-

ative Leistungen im Beruf vor Augen (wobei sein Kreativitätsmodell durchaus auch auf andere Bereiche, erwa den privaten Markt der

Anerkennung als kreatives Selbst, übertragbar scheint). Bemerkenswert ist, dass sich in diesem ebenso diagnostisch wie therapeutisch-

normativ orientierten Modell die Kompetenzen des abweichenden

Denkens

in Assoziationen

und Analogien,

wie man

es vom

Künstlersubjekt kennt, mit jenen des Ideenunternehmers kreuzen, den wir in der Darstellung des nationalökonomischen Unterneh-

merdiskurses um 1900 bereits kennengelernt hatten.”” Ludwig von Mises Chancenspekulation und Joseph Schumpeters unternehmerischer Wille, die im neoliberalen Kontext als »unternehmerisches Selbst« wiederauftauchen, werden nun statt auf Waren auf kulturelle Ideen bezogen und in das Modell eines erfolgreichen kreativen

Habitus integriert, Diese Marktorientierung des Kreativsubjekts ist zugleich jedoch eine Sozialorientierung: Der erfolgreiche Kreative durchschaut das soziale Spiel der Kreativitätszertifizierung durch ein Publikum,

um in diesem Kontext eine Strategie zu verfolgen,

die auf kritisch beäugte Abweichung und aufgeschobene Akzeptanz

setzt. Die Konsequenz ist für Sternberg ein Erziehungsprogramm unter der Überschrift »Wie man seine Kreativität entwickelt: 21

Wege, um sich für Kreativität zu entscheiden«: Das Subjekt soll dazu gebracht werden, das Risiko kreativer Abweichungen ebenso selbstbewusst auf sich zu nehmen wie seine Chancen zu kalkulieren und zu versuchen, diese gezielt durch Überzeugungsarbeit zu beeinflussen.

5.6 Auf dem Weg zur kreativitätsorientierten

Regierung der Selbstregierung Die Transformation des psychologischen Komplexes, in deren Verlauf die Pathologisierung der Kreativität sich in deren aktive Förderung umkehrt, lässt sich in einer von Foucault inspirierten Perspektive deuten. Dieser hat allerdings nur sehr lückenhafte Aus-

sagen zur Genealogie der westlichen Psychologie gemacht.” Seine Schriften zur Pathologisierung anormaler Subjektformen befassen sich im Wesentlichen mit der Vorgeschichte der Psychologie im 19. Jahrhundert und schließen mit der Psychoanalyse um 1900 ab.”® Um die Umwälzung des psychologischen Komplexes von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart zu entschlüsseln, kann man jedoch eine Unterscheidung weiterentwickeln, die Foucault in seinem Spärwerk unabhängig von der Psychologie einführt: jene

zwischen der »Disziplinierung« und der »Regierung der Selbstregierung« als zwei verschiedenen Steuerungsformen.”* Überträgt man sie auf die Psychologie, unterscheiden sich beide nicht nur in Bezug

auf die Steuerungsformen des Selbst, sondern auch hinsichtlich der Vorstellungen von Normalität, Differenz und Affektivität, Die Disziplinierung bezeichnet eine Steuerungsform des Sub-

jekts, die negativ begrenzend und/oder positiv regulierend wirkt. Sie verneint eine legitime Eigendynamik dieses Subjekts. Dessen innere Regungen und Neigungen erscheinen vielmehr als ein po-

tenzieller Störungsherd, der weitgehend ignoriert oder eliminiert werden kann. Die Disziplinierung begreift das Subjekt nicht als 73 In zwei seiner frühesten Arbeiten hat Foucault der Psychologie einen Konflikt zwischen einem szientistisch-gesetzeswissenschaftlichen und einem hermeneutisch-existenzialistischen Paradigma attestiert, Vgl. Michel Foucault, »Die Psychologie von 1850 bis 1950« [1957], in: ders., Schriften in vier Banden. Dits et Ecrits, Bd. ı, Frankfurt/M. 2001 S.175-195; sowie ders., »Die wissenschaftliche Forschung und die Psychologie« [1957], ebd., S.196-222. 74 Vgl. Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft [1960}, Frankfurd/M, 1973; Die Anormalen; Die Macht der Psychiatrie, Frankfurt/M. 2005. Vgl. für eine Verlän-

gerung von Foucaults Perspektive ins erste Drittel des 20. Jahrhunderes: Nikolas

72 Vgl. dazu oben Kapitel 4.2.

Rose, Zhe Psychological Complex. Psychotogy, Polities und Society in England, 18697939, London 1985. 75 Vgl. zu dieser Unterscheidung Michel Foucault, Geschichte der GouvernementaLität I, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am College de France 19771978, Frankfurt/M. 2004, besonders die Vorlesungen 2-4.

232 233

ein sich selbst organisierendes, seine eigene Welt konstruierendes System, sondern gewissermaßen als eine »Trivialmaschine« (H.v.Foerster), die sich von außen formen lässt. Die Pathologisierung des Genies und dessen Identifikation mit einem Subjekt des Übermaßes und der unberechenbaren Denk- und Verhaltensweisen, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitet

war, lässt sich als Vorstufe einer solchen Disziplinierungspsychologie deuten, die mit den Mechanismen der Begrenzung und des Ausschlusses arbeitet. Sie hantiert mit dem Antagonismus zwischen einem normalen, berechenbaren Verhalten und einer Anormalität des psychophysischen Exzesses. Das Interesse gilt hier in erster Linie der Behandlung oder Exklusion des anormalen Typus, aber man beginnt bereits, das alltägliche Verhalten unter dem Aspekt

des Anormalen und der Abweichung abzutasten. Diese Psychologie der Disziplinierung, die sich an die psychische Ausnahmeerscheinung richtet, neigt dazu, sich in Richtung einer Disziplinierung der Mehrheit auszuweiten, deren Verhalten zum Gegenstand einer positiven Regulierung werden soll. Sowohl die am Modell der sozialen Angepasstheit des Individuums orientierte US-amerikanische Sozialpsychologie, die sich in den 1920er Jahren etablierte, als auch der Behaviorismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg enorm an Boden gewann, lassen sich als solche Strategien verstehen, die die Berechenbarkeit des Verhaltens der

Mehrheit nicht mehr voraussetzen, sondern sie durch eine entsprechende psychologisch informierte Sozialisation aktiv hervorzubringen versuchen.”® Der Fluchtpunkt des disziplinierenden Blicks ist generell die Normalisierung des Verhaltens, und zwar eine Normalisierung erster Ordnung: Sie richtet sich in erster Linie auf die äußerlich sichtbaren Verhaltensweisen, während die Innenwelt des Subjekts im Wesentlichen eine black box bleibt, die der Normalisierung keinen systematischen Widerstand entgegenzusetzen scheint.

Normalität bezeichnet hier ein sozial unauffälliges und angepasstes Verhalten: Idealerweise handeln alle Subjekte gleich, so dass Individualität in erster Linie als »abweichendes Verhalten« sichtbar

wird. Die psychologische Disziplinierung lässt sich letztlich als 76 Vgl. zu diesem Kontext Graebner, Zhe Engineering of Consent; Peter Miller/Ted O’Leary, »Hierarchies and American Ideals 1900-1940«, in: Zhe Academy of Management Review 14 (1989), S.250-265; Ludy T. Benjamin jr., A Brief History of Modern Psychology, Malden, Oxford 2007, S.93 ff.

234

eine Antwort auf die gesellschaftliche Frage nach einer Sicherung der sozialen Berechenbarkeit

interpretieren, die sich im Rahmen

einer durch sprunghafte Industrialisierung, Migration und Urbani-

sierung sowie die Ausbreitung von Großkorporationen geprägten Gesellschaft stellt. Es geht hier um die Formierung des Sozialcharakters einer organisierten Moderne, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als zentrale Aufgabe stellt.”

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche massive Problem- und Perspektivenverschiebung stattfinden musste, damit „Kreativität« zum positiven Bezugspunkt des psychologischen Komplexes werden konnte. Die Voraussetzung dieser Blickverschie-

bung ist, dass der Psyche des Subjekts eine legitime Eigendynamik zugeschrieben wird. Die postdisziplinäre Psychologie begnügt sich natürlich nicht damit, diese Selbstorganisation nur zu konstatieren und unbegrenzt zu akzeptieren, sondern möchte sie zumindest auf indirekte Weise beeinflussen. Dies setzt jedoch voraus, dass dem Subjekt eine unhintergehbar scheinende Fähigkeit zur psychischen Selbstgestaltung und Weltkonstruktion, eine Autopoiesis seiner selbst zugeschrieben wird. Genau dies ist jedoch die Voraussetzung für eine postdisziplinäre Form der Steuerung, für eine gouverne-

mentale »Regierung der Selbstregierung«, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Psychologie anbahnt und seit den 1950er

Jahren an Fahrt gewinnt. Die Frage, die sich stellt, lautet jedoch, in welchem Vokabular

eine solche innere Dynamik der Psyche beschrieben werden kann und welche Selbsttechnologien daraus folgen. Die Psychoanalyse lässt sich als erste Version einer psychologischen Regierung der Selbstregierung interpretieren: Sie setzt das Subjekt als ein Konglomerat konflikthafter innerer Momente voraus und versucht, es zur Reflexivität anzuleiten, Die einzelnen Stränge der Kreativi-

tätspsychologien (zu denen, wie deutlich wurde, die späte Psychoanalyse gehört) gehen hingegen einen anderen Weg, Das Subjekt erscheint hier nicht primär als ein Konfliktherd, sondern als ein strukturiertes Ensemble psychischer Ressourcen, die zum intelligenten Handeln und schließlich zur Hervorbringung neuartiger und

subjektiv befriedigender Wahrnehmungen und Aktivitäten genutzt werden. Die Gestaltpsychologie, die späte Psychoanalyse, die em77

Vgl. zu diesem Konzept Peter Wagner, Sociology of Modernity, London 1994. Vgl.

dazu auch Kap. 8.1 dieses Buches,

235

pirische Intelligenz- und Kreativitätsforschung und die self growth

und Emotionalität als positive Ressourcen,

psychology betrachten die psychische Eigendynamik entsprechend

der eigenen Entwicklung.“ Auch die psychologische Regierung der

als produktiv und vital. Befand sich die disziplinierende Psycholo-

kreativen Selbstregierung kommt am Ende nicht ohne einen Maß-

gie gegenüber ihrem Gegenstand noch in einer Haltung der Begren-

stab des Normalen aus, aber sie entwickelt eine Normalisierung zweiter Ordnung: Hier herrscht eine »Identität in der Differenz«.

zung und Regulierung und die Psychoanalyse in einer der Aufforde-

rung zur Reflexivität, dann nehmen die Kreativitätspsychologien in erster Linie eine Haltung der Förderung und Steigerung des im psychischen Innern Gegebenen an. Diese Psychologie des Ressourcen-Selbst kann das kreative Subjekt als Normalform voraussetzen und damit in Diagnose und Therapie dem gesellschaftlichen Kreativitätsdispositiv eine weitere Stütze verschaffen.

als Motivationsquelle

Aufgrund der Eigendynamik ihrer Psyche kann es die Individuen in unterschiedlichste Richtungen treiben, sie sollen dabei aber trotz aller Verschiedenartigkeit der abstrakten Kategorie des »kreativen Selbst« entsprechen. Dies ist der Fall, wenn sie tatsächlich zur in-

dividuellen Entwicklung und zum gesunden Selbstwachstum fähig scheinen und ihre eigene »kreative Biografie« entwickeln. Das Sub-

Erstmals erscheint die Psyche damit im Kern nicht mehr als ris-

jekt scheint entsprechend nur dann normal, wenn es auf Individu-

kant, sondern gewissermaßen als »wohlwollend« und »gütig« und kann so ins Visier einer ebenso wohlwollenden wie antreibenden

alität und Erfahrungserweiterung setzt. Das Muster des kreativen

Förderung geraten.’”® Die spätmoderne Psychologie des Ressourcen-Selbst versteht sich dementsprechend in erster Linie nicht mehr als »Behandlung«, sondern als »Beratung«, und ihr Ideal ist

Selbst grenzt sich damit gegen einen Konventionalismus ab, der unmittelbar darauf ausgerichtert ist, soziale Erwartungen zu erfül-

Jen, statt das innere psychische Potenzial zu entfalten. Eine zweite

nicht die Sicherung sozialer Berechenbarkeit, sondern das aktiv problemlösende und das sich in seinen Erlebensqualitäten steigern-

Abgrenzung, die sich seit den 1990er Jahren im Rahmen der gesellschaftlichen Hegemonie des Kreativitätsdispositivs beobachten lässt, berrifft die des Modells des erfolgreichen gegen das erfolglose

de Subjekt.”” Sicherung von Motivation und Lebensqualität sowie

Kreativsubjekt: Das negative Andere eines Kreativsubjekts, das sich

gesellschaftliche Innovation werden dann zu Leitvorstellungen des

über seine kreativen Leistungen geschickt soziale Anerkennung ver-

psychologischen Komplexes. In dieser Perspektive hat das Subjekt

schafft, ist das erfolglose kreative Selbst, dem die ideenunternehmerischen Kompetenzen fehlen.

eine natürliche Tendenz zur Selbsttransformation. Im Unterschied

zur disziplinierenden Steuerung gelten zudem seine Affektivität 78

IMecnhistorisch kann man hier einen Bezug zu dem sehen, was Charles Taylor ein Weltbild der benevolence nennt, dessen Ursprung er im Deismus des 18, Jahr-

hundert ausmacht (vgl. Taylor, Quellen des Selbst, S. 438 F.). Die Psychologie des Ressourcen-Selbst verlagert gewissermaßen den Ort dieser grundsätzlichen Güte von Gort in die Psyche. 79 Vgl. zu diesem Ihema auch Boris Traue, Das Subjekt der Beratung, Zur Soziologie einer Psycho-Technik, Bielefeld 2010; Jens Elberfeld u.a. (Hg.), Das beratene

Selbst. Zur Genealogie der Therapeutisierung in den »langen« Siebzigern, Bielefeld 2011. Die Vorstellung einer natürlichen kreativen Selbsttransformation des Subjekts wird seit den 1980er Jahren in der Psychologie zunehmend auch neurophysiologisch begründet. Vgl. Marc Runco, Creativity, Amsterdam u.a. 2007, Kapitel 3. Eine populäre Aneignung der Neurophysiologie greift auf Roger Sperrys Theorie der linken und rechten Gehirnhälfte zurück und machrt die kreative im

Unterschied zu den logischen Fähigkeiten in der rechten Hälfte aus. Umfassender ist hier das Bild eines »kreativen Gehirns« in seiner Gesamtheit. Vgl. dazu Arne Dietrich, »Ihe Cognitive Neuro-Science of Creativity«, in: Poychonomic

Bulletin & Review 1ı (2004), S. 1011-1026. 236

Die Psychologie des Ressourcen-Selbst, welche die therapeutische und beratende Praxis seit den 1980er Jahren dominiert, nimmt damit Bestandteile aus beiden Strängen der Psychologisierung der Kreativität auf, die die vorhergehenden Jahrzehnte prägten, dem kognitivistisch-pragmatischen Zweig der Gestaltpsychologie und

Intelligenzforschung wie auch dem persönlichkeitspsychologischen Zweig der späten Psychoanalyse und self growth psychology. Das zweckrationale Modell der Kreativität als Problemlösungsprozess und das ästhetisch-expressive Modell der Kreativität als Erweite-

rung der alltäglichen Erfahrung um ihrer selbst willen werden trotz ihrer Widersprüchlichkeit miteinander kombiniert. Das Ideal ist nun ein Subjekt, das dazu fähig ist, sein inneres Begehren nach kreativ-ästhetischer Selbstentfaltung und die soziale Notwendigkeit kreativer Problemlösungen in Alltag, Beruf und Gesellschaft mitei80 Vgl. zu einem solchen positiven Emotionsverständnis der neueren Psychologie

auch Hlouz, Die Errettung der modernen Seele. 237

ologie c}es Krenander zu verknüpfen. Das Ziel der positiven Psych sfuhrung‚ Leb;n der ng isieru Ästhet e ativen ist dann eine pmgrmztisc/; {ts u.nd Sub}el siven expres des k tzwec Selbs Praxis in der die kreative

6.

Die Genese des Starsystems: Die massenmediale Konstruktion expressiver Individualität

en Erfolg 'Lugl'e1ch\ ist. Mittel zum Zweck für beruflichen und privat reiche krcguve 5}1berfolg das quent, dass

Es scheint dann nur konse

sich selbst lexpenmenuert‚ jekt nicht nur antikonformistisch mit kreativen Leistungen durch sondern mit der Anerkennung seiner et.* das gesellschaftliche Publikum rechn

Eine Kultur, die sich vom Modell der Kreativität leiten lässt, setzt eine entsprechende Form des Individuums voraus: ein kreatives Subjekt. Seine Vermittlung und Verbreitung erfolgt gesellschaftlich insbesondere über zwei komplementäre Wege: über Praktiken des Einübens in kreative Kompetenzen und über Repräsentationen, in

denen ein kreatives Subjekt als vorbildlich und attraktiv dargestellt wird, Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, trägt die Psychologie des Ressourcen-Selbst, deren Beratungs- und Therapiepraxis seit den 1970er Jahren bis in die Arbeits- und Organisationswelt

und den Erziehungsbereich hineinreicht, in entscheidender Weise zur Ausbildung alltäglicher Techniken und Motivationen bei, die privat und beruflich ein kreatives Selbst zu realisieren versuchen. Scheinbar weit davon entfernt findet seit Beginn des 20, Jahrhunderts ein letztlich komplementärer Prozess statt: die breit gestreute Repräsentation bestimmer kreativer Subjekte als Srars in den — vor allem visuell orientierten — Massenmedien. Ausgehend von den USA, zeigen diese seit erwa 1900 ein ungewöhnliches Interesse an der visuellen und textuellen Darstellung einzelner Individuen.'

»Starfähig« sind dabei jedoch kaum Personen, die lediglich herausgehobene berufliche Positionen innehaben, sondern vor allem jene, die sich durch einen ausgeprägten »expressiven Individualismus« auszeichnen: Es handelt sich um Individuen, deren vermeintliche

Einzigartigkeit und kulturelle Produktivität sich in ihren Werken und in ihrer öffentlich dargestellten Subjektivität selbst ausdrückt und verwirklicht.” Die modernen Stars erweisen sich in diesem Sin-

23

Vel. allgemein zur Genese ues Stars P, David Marshall, Celebrity and Power, Indianapolis, London 1997; Sean Redmond/Su Holmes (Hg.), Stardom and Celebrity, Los Angeles, London 2007; Chris Rojek, Celebrity, London 2001.

entmihälyi die Publikumskompo8x Neben Robert Sternberg betont au ıch Csiksz nente von Kreativität (vgl. ders., Creativity).

238

Zum Begriff des expressiven Individualismus in Bezug auf die US-amerikanische

Kulturgeschichte vgl. Robert N. Bellah u‚ a., Habits of the Heart, Individualism and Commitment in American Life, Berkeley u.a. 1985, S.142-163; ähnlich auf Europa nach der Romantik bezogen Taylors Begriff des Expressivismus, vgl. Charles

239

ne als Nachfolger der Figur des Künstlers. Sie werden zum Gegen-

stand eines ästhetischen Blicks von Seiten des Publikums: Der Star ist gerade nicht jemand, mit dem ein Verhältnis der Kommunikation oder des Austauschs eingegangen wird. Er ist ein Subjekt, das

Ich avancieren,* weil er aufgrund seiner Leistungen als expressives Individuum in besonderem Maße öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit soziale Anerkennung im Übermaß erhält.

primär als ästhetischer, als sinnlich-affektiver Gegenstand eigenen Rechts betrachtet wird.

6.1 Das massenmediale Aufmerksamkeitsregime

Drei unterschiedliche Zuschreibungsmuster von Kreativität las-

sen sich in Bezug auf den Star unterscheiden: der Star als Produzent eines Werks

(der Werk-Star); der Star, dessen Gestaltungsleistung

Das öffentliche Interesse für den Kreativstar markiert die historisch jüngste Etappe in der Genealogie subjektorientierter Aufmerksam-

sich im Wesentlichen auf sich selbst bezieht (der Persönlichkeits-

keitsregime.” Frühe Kommentare zur Ausbildung des Starsystems,

Star); der Star, dessen Werk in seiner körperlichen Performance besteht (der Performance-Star). Für alle drei Startypen gilt, dass

wie man sie vor allem in der Frankfurter Schule und ihrem Umfeld, etwa in Adornos und Horkheimers Bemerkungen zur Kulturindustrie, Benjamins Thesen zur Ersatz-Aura von Filmstars und

sich die Aufmerksamkeit auf sie richtet, da sie aus der Sicht des Publikums etwas Neues, Ungewöhnliches oder Originelles produzieren.

Diese kreative Leistung wird als ästhetisches

Ereignis, als

Leo Löwenthals Analyse der »Konsumidole« findet, haben dazu tendiert, im Starsystem ein Merkmal

der Massenkultur zu sehen,

sinnlich-affektiver Selbstzweck wahrgenommen. Beim Werk-Star ist das kreative Produkt eben dieses — künstlerische oder anderwei-

die sich in grundsätzlichem Gegensatz zur bürgerlichen Kultur befinde.® Gegen diese Annahme eines historischen Bruchs durch

tig ästhetisch wirksame — objektivierte Werk und der Star sein fas-

die Massenkultur würde ich die Genese des Starsystems jedoch in

zinierender Repräsentant. Im Fall des Persönlichkeits-Stars sind der Starkörper und die Starbiografie selbst das vom Publikum fasziniert

den historisch länger zurückreichenden Prozess der Transformation von Berühmtheitsregimen einordnen, in deren Rahmen bereits

die Entstehung des Künstlerideals die eigentliche Neuentwicklung darstellte. Leo Braudy hat ausgeführt, in welchem Maße sich die modernen und spätmodernen Bedingungen von Ruhm und Berühmtheit grundsätzlich von jenen der Antike, des Mittelalters und der Frühen Neuzeit unterscheiden.” Die klassische Form des

Ruhms, das heißt von gesteigerter und langfristiger öffentlicher Aufmerksamkeit bestimmten Personen gegenüber, richtete sich von der Antike bis zur Frühen Neuzeit im Wesentlichen auf politische, militärische und kirchliche Führer, Demgegenüber ist die 4 Zu diesem Charakter des Stars als Ideal-Ich am Beispiel des Filmstars vgl. klas-

“a

sisch Christian Metz, Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino 11977} Münster 2000.

Zu einer Analyse von Aufmerksamkeitskulturen vgl. generell Georg Franck, Öko-

nomie der Aufmerksumkeit, Ein Entwurf, München 1998. Vgl. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, »Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug«, in: dies., Dialektik der Aufklärung {1944], Frankfurt/M. 2003, S.141-191; Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit {1936], Frankfurt/M. 2007, S.27-34, insbesondere S.31; Leo Löwenthal, Literatur und Gesellschaft {1964}, Neuwied am Rhein 1988. 7 Vgl. Leo Braudy; Zhe Frenzy of Renown. Fame and Its History, New York 1997.

-

X

verfolgte originelle Produkt der eigenen Selbstgestaltung. Beim Performance-Star schließlich stellt die körperliche Aufführung des Subjekts — etwa auf der Filmleinwand oder der Konzertbühne — sein kreatives »Werk« dar, das vom Rezipienten im Moment seiner Verfertigung beobachter wird. Als Star ist das Kreativsubjekt gerade kein »innenorientiertes«, sondern ein »außenorientiertes« Subjekt, das sich vom Publikum als erfolgreicher Hervorbringer von ästhetisch Neuem zertifizieren lässt.* Die Expansion eines ganzen Starsystems — von Filmschauspielern und Popgruppen, prominenten Malern, Regisseuren und Architekten, schließlich auch Comedians, Talkshowmoderatoren oder prominenten Köchen — trägt dazu bei, das Modell eines kreativen Subjekts mit enormer gesellschaftlicher Attraktivität auszustatten und das Kreativitätsdispositiv zu installieren. Der Star kann zum gesellschaftlich verbreiteten IdealTaylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt/M. 1996, S, 639- 681. Zur Unterscheidung zwischen innen- und außenorientiertem Subjekt vgl. David Riesman, 7he Lonely Crowd, A Study of the Changıng American Character [1949/1961], New Haven 2001, Kapitel ı.

240

241

moderne Form der Berühmtheit seit der Renaissance zunächst eng

sein Modestil etc. — einen Teil dieser öffentlichen Darstellung. Der

mit der Werkindividualität des Künstlers verknüpft, bevor sie sich

Star kann gerade dadurch zum Ideal-Ich avancieren, dass er nicht auf berufliche und künstlerische Leistungen beschränkt ist, sondern als »totale Persönlichkeit« sichtbar wird. In ihm drücken sich

im 20. Jahrhundert unter dem Etikett »Star« auf verschiedenste me-

dial präsente Versionen des expressiven Individualismus ausdehnt.® Erst im Kontrast zum Politikparadigma des Ruhms wird die besondere Struktur moderner Star- und Prominenzformen deutrlich. Der klassische Ruhm hängt in der Regel von der Herkunft ab, er

bezieht sich auf Ämter, die mit gesellschaftlicher Steuerungsmacht verbunden sind, und ist nur schwach mit Leistung korreliert.” Er ist an einem öffentlichen Amt orientiert und schließt das Privatleben in der Regel aus. Indem sich im Gegensatz dazu der Künstler als Paradigma einer modernen Form von Berühmtheit ausbildet, richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf herausgehobene Leistungen eines Individuums unabhängig von dessen Stand. Diese

Alltäglichkeit wie Außeralltäglichkeit aus: Alltäglich ist er, indem er in Werk wie Persönlichkeit einen kulturellen Typus repräsentiert

(Marlon Brando als lonely rebel, die Rolling Stones als angry young men etc.).'* Außeralltäglich fasziniert er hingegen durch die Idiosynkrasie seines Werkes, seiner Performance oder seiner Persönlich-

keit, die sich nicht in einen Typus einfügt und die zum Gegenstand der Auratisierung werden kann.'

Für die Form

moderner

Berühmtheit

im Allgemeinen

und

die Figur des Stars im Besonderen ist eine strukturelle Rahmenbedingung entscheidend: Der Star hat seinen Ort in der Darstel-

Leistungen sind nicht mit politischer Macht verknüpft, sondern

lung durch die Massenmedien und ist an die Transformation der

beziehen sich auf bestimmte hergestellte Objekte, die zuvor kaum ruhmfähig gewesen sind: auf Kunstwerke. Wie wir bereits ausführlich gesehen haben, wird der Künstler dadurch, dass er sich selbst und seine »inneren« Ideen und Imaginationen in einem objekti-

vierten Werk ausdrücken soll, zum Prototypus eines expressiven

Medientechnologien gebunden. Während die Repräsentation des Künstlergenies seit der Renaissance zunächst eng an das Massenmedium des Buchdrucks gekoppelt war, ist die Konstitution des Stars seit dem Ende des ı9. Jahrhunderts nicht nur mit der weiteren Entwicklung der periodischen Printmedien und ihres »Berühmtheits-

Subjekts, das durch »Selbsterschaffung« (selfcreation) charakteri-

journalismus«

siert ist,

mit der Entstehung und Verbreitung der Medien zur technischen

In dem Maße, in dem der Künstlermythos in der engen Fassung der Geniereligion seit dem Ende des ı9. Jahrhunderts erodiert, kann sich diese Orientierung der Berühmtheit an außergewöhnlicher expressiver Individualität in der Form des medialen Stars verallgemeinern. Dieser hat eine doppelte Struktur: Die Aufmerksamkeit richtet sich nun auf das Öffentliche und das Private, und im Star verschränken sich Alltäglichkeit u»d Außeralltäglichkeit

Reproduktion visueller und auditiver Darstellungen (Fotografie, Schallplatte, Kinofilm, Fernsehen, später das Internet) verknüpft.

(celebrity journalism), sondern

auch

und vor allem

miteinander, In seiner massenmedialen Repräsentation ist der Star grundsätzlich eine öffentliche Figur. Zugleich bildet über seine

Es ist nur scheinbar trivial zu betonen, dass die Massenmedien einen ganz grundsätzlichen Effekt haben: Sie versetzen das Subjekt flächendeckend und auf Dauer in eine besondere Position, nämlich die des Rezipienten, des Teilnehmers an einem Publikum, der nicht interagiert oder produziert, sondern in erster Linie kognitiver und ästhetisch-sinnlicher Beobachter des Geschehens ist,'? Wenn für die moderne Gesellschaft generell die allmähliche Ausbildung von Pu-

beruflich-künstlerischen Leistungen hinaus das Private — seine ge-

10 Zu diesem typisierenden Aspekt der Stars vgl. evwa Richard Dyer, Stars, London

samte

Biografie, seine persönlichen

Beziehungen

und Interessen,

2002.,

-

1

8 Eine dritte, christlich imprägnierte Haltung, die jedoch auch in der Moderne durchaus noch Wirkungen zeigt — zum Beispiel in der publikumsscheuen Fraktion der Geniekünstler —, finder sich Braudy zufolge in einer generellen Skepsis gegenüber der »eitlen« Orientierung an öffentlicher Aufmerksamkeit. 9 Zur Unterscheidung zwischen Ascribed- und Achieved-Merkmalen vgl. Talcor Parsons,

242

Zhe Social System, Toronto 1951, S. ı80ff.

Zu diesem Aspekt der auratischen Individualität des Stars vgl. klassisch Roland

Barthes, »Das Cesicht der Garbo«, in: ders., Mythen des Alltags, Frankfur/M. 1964, S.73-75, neuerdings Jeffrey C. Alexander, »The Celebrity-Icon«, in: Cultural Sociology 3 (2010), S.323-336. ı2 Zu einer Soziologie der (audiovisuellen) Massenmedien vgl. nur Joshua Meyrowitz, No Sense of Place. The Impact of Elertronic Media on Social Behavior, New York 1985.

243

blikumsfunktionen in den verschiedensten sozialen Feldern kennzeichnend ist und sich in diesem Kontext der besondere Fall eines ästhetisch interessierten Publikums herauskristallisiert,'* das eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung des Kreativitätsdispositivs darstellt, dann wird deutlich, dass dem Feld der Massenmedien eine Schrittmacherfunktion für diese Entwicklung zukommt. Die

zu setzen, die beanspruchen, neuartig zu sein. Diese Präferenz für

Massenmedien befinden sich in dieser Hinsicht von Beginn an in

Die systematische Präferenz für das Neue geht allerdings mit einer scheinbar gegenläufigen — zweiten — Tendenz Hand in Hand:

einer strukturell analogen Position zum

sozialen Feld der Kunst,

mit dem sie teilweise verschränkt sind: Beide Felder adressieren das Subjekt im Wesentlichen als Rezipienten.'“ Der Star als Gegen-

Neues gilt für die Produktion von sogenannten Nachrichten (zews)

wie für neue Unterhaltungsprogramme, neue Schallplatten und Hits, neue Buchveröffentlichungen — und immer wieder neue, auf

ihre Weise überraschende Stars. Die Massenmedien enthalten da-

mit eine systematische Tendenz zur »Selbstveralterung«. der

Produktion

von

symbolischen

»Markern«,

die über

längere

stand der Bewunderung setzt die Entstehung und Expansion einer solchen Beobachterposition des Publikums voraus.

Zeiträume die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen und zu binden vermögen und damit der flottierenden Aufmerksamkeit Halt geben. Diese Marker (populäre Fernsehserien, große

Die Massenmedien liefern noch in einer zweiten, damit verbundenen Hinsicht eine technologische Voraussetzung für die Entste-

politische Themen, klassische Autoren etc.) müssen zugleich hinreichend symbolisch produktiv sein, um trotzdem immer wieder

hung des Kreativitätsdispositivs im Allgemeinen und des Systems

überraschende Ereignisse zu bieten. Eine dritte Eigenschaft, die die massenmediale Präferenz für das Neue kennzeichnet, ist der Affektcharakter des Neuen. Obwohl das mediale Neue auch rein kognitiv

kreativer Stars im Besonderen: Sie enthalten eine strukturelle Präferenz für Neues — für kognitiv wie für ästhetisch Neues.'” Dies hat seinen Grund: Die Massenmedien in Schrift und Bild bieten die technischen Möglichkeiten für eine Multiplizierung der Zeichen und sinnlichen Impulse, mit denen das Publikum konfrontiert wird. Neben der Wahrnehmung und Fzce-fo-face-Kommunikation in der alltäglichen Handlungspraxis eröffnet sich damit eine weit darüber hinaus reichende Sphäre von medial vermittelten Wahrnehmungs- und Kommunikationsofferten. Angesichts dieser Überfülle ergibt sich ein Wetrtbewerb um die Aufmerksamkeit des Betrachters, sowohl zwischen medialen und nichtmedialen wie auch

sein und primär der Informationsgewinnung dienen kann — man denke nur an die klassischen politischen Nachrichten —, breitet sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein mediales Regime des Neuen aus, das primär auf sinnliche Reize und affektive Erregungen, insgesamt also auf ästhetische Überraschungen um ihrer selbse willen setzt.'° Hier geht es um die Produktion handlungsentlasteter affektiver Reize — ob des Erregenden oder Schockierenden oder schwächer des Überraschenden oder Interessanten --, die den massenmedialen Ereignissen erst Aufmerksamkeit sichern.

zwischen unterschiedlichen medialen Ereignissen. Von daher liegt

Die Repräsentation des Stars befindet sich im Zentrum eines

es auf der Hand, dass die Massenmedien Strategien zur Aufmerk-

solchen massenmedialen Regimes des ästhetisch Neuen. Der Star

samkeitsgewinnung entwickeln. Deren wichtigste — die so grundlegend ist, dass sie kaum je thematisiert wird — lautet, auf Ereignisse

wird zum

13 Vgl. bezüglich der gesellschaftstheoretischen Bedeutung der Publikumsfunktion Rudolf Stichweh, Zuklusion und Exklusion, Bielefeld 2005, S. 13 . Allerdings geht es der Systemtheorie nicht um die Ästherisierung des Publikums. 14 Der Aktivierung des Rezipienten im postmodernen Kunstfeld seit den 1970er Jahren entspricht dann die Aktivierung des massenmedialen Rezipienten durch

das Internet. ı5 Vgl. dazu Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Opladen 1996, S.32ff. Zum Zusammenhang von Medialisierung und Kreativitätsdispositiv

sowie zum dortigen Aufmerksamkeitsproblem vgl. systematischer auch unten Kapitel 8.3.

244

Star, indem

er sich in irgendeiner interessanten Weise

vom »gewöhnlichen« Individuum unterscheidet. Im Starsystem werden darüber hinaus immer wieder neue Stars publik gemacht, die immer wieder neue Abweichungen markieren. Zugleich ver-

spricht der Star immer weitere neue Werke oder Ereignisse. Er ist trotz seines

Wiedererkennungswertes

gerade

kein

fixes Subjekt,

sondern eine Art »epistemisches Objekt«, das sich beständig transformiert und dessen das Publikum nie ganz habhaft wird.'” Der 16 Diese Tendenz ist auf mannigfache Kulturkritik gestoßen, vgl. nur Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels [1967}], Berlin 1996.

17 Vgl. zum

Konzept

des epistemischen

Objekts

in Bezug auf die Wissen-

245

Star vermag sich also als ein symbolischer Marker zu etablieren, der über lange Zeit die Aufmerksamkeit bindet, und sorgt gleichzeitig

Jahren in einer weitgehenden Ästhetisierung von Subjekten als

dafür, durch Ereignisse oder Werke interessant zu bleiben. Er ist ein ästhetisches Ereignis: Im Rahmen der — insbesondere audiovisuellen — Massenmedien hat die Darstellung von Subjekten im Unterschied zu Objekten oder abstrakten Entitäten generell ein außerordentliches Potenzial, sinnlich-emotionale Erregung zu er-

durch die audiovisuelle Kultur, kann sich die Form des idealen Subjekts so vom innerlichen »Charakter« zur äußerlichen, faszinierenden »Persönlichkeit« verschieben.*“ Auf der Affektebene changiert

wahrnehmbare Körper mit Gesichtern und Stimmen. Angetrieben

die Relation des Betrachters zu den Bildern des Stars dabei zwischen zwei Modi: der Objektbesetzung und der Identifikation. Die

zeugen (names make news). Dies gilt für die Stars im besonderen

libidinöse Besetzung des Stars kann diesen auf einer ersten Ebene

Maße, die vom Publikum als faszinierende Identifikationsobjekte

zum faszinierenden oder quasisakral angebeteten Objekt machen. Sie kann auf einer zweiten Ebene jedoch auch in eine Identifikati-

wahrgenommen werden (allerdings in anderem Maße auch für die Antistars wie Attentäter oder Massenmörder).!® Für den affektiven Reiz der Stardarstellung ist die medientechnische Umwälzung von der Schriftkultur zur Kultur audiovisueller Medien von besonderer Bedeutung.'” Diese verändert die Bedingungen für die Darstellbarkeit von Subjekten, Die Starfiguren bewegen sich zumeist nur sekundär auf der Ebene schriftlicher Texte

on, »eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung«, umschlagen:** Der Rezipient setzt sich dann an die Stelle des Stars und nimmt diesen zum Vorbild für die Gestaltung seines Selbst.

Die Genealogie des massenmedialen Starsystems und sein Beitrag zur Erablierung des Kreativitätsdispositivs will ich im Folgen-

(Zeitschriftenartikel, schriftliche Biografien etc.), sondern existie-

den schrittweise verfolgen: zunächst die Genese eines Systems von

ren seit 1900 primär im Medium des technisch reproduzierten (bewegten) Bildes und des Tons. Während das Schriftmedium dazu anleitete, Subjekte in ihrer psychologischen Innerlichkeit zu begrei-

einigten Staaten; dann die Entstehung eines Systems von Filmstars seit den 1920er und eines von Musikstars seit den 1950er Jahren;

fen, trainieren die audiovisuellen Medien darin, Subjekte primär

schließlich die Expansion und Verallgemeinerung des Starsystems

auf der Ebene ihrer sinnlich wahrnehmbaren Oberfläche festzumachen.?® Dass der Star zum faszinierenden Ideal-Ich werden kann, hängt nicht zuletzt von dieser massenmedial verbreiteten Präsenz

seit den 1980er Jahren.

seiner sinnlich erfahrbaren

Bildlichkeit

(und

Stimmlichkeit)

ab,

(Kunst-)Stars in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Ver-

6.2 Der Kunststar als performing self

so dass die Performativität seines Körpers zum Gegenstand eines ästhetisierten Blicks wird.*! Generell kann man feststellen: Das mediale Starsystem trainiert die moderne Kultur seit den 1920er

Die Entstehung der Starfigur ist zunächst an das kulturelle Milieu der Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

schaft Hans-Jörg Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, Frankfurt/M. 2006. Ich übertrage es hier auf eine ästhetische Konstellation.

gebunden. Hier findet eine Spektakularisierung öffentlich herausgehobener Individuen statt: Künstler und weitere Personen geraten ins Visier eines neuen Sichtbarkeitsregimes. Dieses Regime

18 Zu Letzterem vgl. unten Kapitel 6.4. 19 Zur besonderen Struktur der Visualität in der Medientechnologie vgl. nur John Ellis, Visible Fictions. Cinema, Television, Video, London 1992, grundsätzlich auch Marshall McLuhan, Die Gutenberg-Galaxis, Das Ende des Buchzeitalters [1962}, Bonn u.a. (995; Friedrich A, Kittler, Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993 20 Dieser Aspekt wird in Benjamin, Das Kunstwerk, S, 23 ff. hervorgehoben. 21 Dieser »Blick« (gaze) hat die Filmstudien exzessiv interessiert, Vgl. erwa Laura Mulvey, »Visual Pleasure and Narrative Cinemae«, in: Sereen 3 (1975), S. 6-18.

246

wirkt jedoch nicht primär kontrollierend und zergliedernd wie 22 Vgl.zu dieser fruchtbaren Unterscheidung Warren I Susman, Culture as History, New York 1985, S.271- 285. 23 Jacques Lacan, »Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion« [1949l, in: ders., Schriften I, Weinheim, Berlin 1986, S.61-70, hier: 5.64. Zur Unterscheidung von Objektbeserzung und Idenrtifizierung vgl. Sigmund Freud, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« [1905], in: ders., Gesammelte Werke V, Frankfurt/M. 1999, S.27-145.

247

das Foucault'sche Panoptikon,** es ist vielmehr identifikationsstiftend und an affektiven Reizen ausgerichtet, Wie wir gesehen hat-

(human interest journalism) nennt, ein Genre massenmedialer Information und Unterhaltung hervor, das die öffentliche Aufmerk-

ten, befand sich der Künstler seit der Entstehung des modernen

samkeit auf herausgehobene Individuen als Starfiguren richtet.”

Künstlermythos im Zentrum der Aufmerksamkeit des bürgerlichen Publikums, da dieses von vornherein einen Nexus zwischen Werk und Autor annahm. Die Künstlerbiografien, Autobiografien und Künstlerportraits, in anderer Weise auch die Kunstkritik in ihrer Konstruktion eines Werk-Individuums bedienten seit der Renaissance dieses Interesse, Es richtete sich besonders auf die als klassisch

Der hıuman interest journalism bewegt sich größtenteils auf der Ebene von Texten, arbeitet aber auch mit Text-Foto-Kombinationen. Anfangs handelt es sich um ein Produkt der unbürgerlichen, an spektakulären Neuigkeiten (zews) orientierten Massenpresse, bevor sich subtilere, stärker an nuancierten Persönlichkeitsbeschreibungen ausgerichtete Versionen enwickeln, etwa in den Zeitschriften

eingeordneten Figuren der Vergangenheit und begründete einen

Vanity Fair und New Yorker, später auch Life. Es entwickeln sich entsprechende journalistische Genres, darunter vor allem das In-

Nachruhm, der sich aus dem Werk speiste. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildet sich in den

terview, die Homestory und das Foto-Feature. Das Interesse die-

Vereinigten Staaten in ersten Umrissen ein genuines künstlerischen

ses Journalismus richtet sich auf die Verknüpfung von beruflichen

Starsystem heraus, das insbesondere die Literatur und darin Auto-

Leistungen und Privatleben, Er will der expressiven Persönlichkeit, „wie sie wirklich« ist, auf die Spur kommen. Geeignete Objekte sind jene Personen, die herausgehobene, öffentlich relevante beruf-

ren wie Walt Whitman und Mark Twain, aber auch Charles Dickens

und Oscar Wilde (die auf ihren Lesereisen quasi zu amerikanischen Autoren

werden)

umfasst.?”

Nur

auf den ersten

Blick handelt es

sich um eine bloße Fortsetzung des Interesses des Kunstfeldes an

seinen Autoren. Die allmähliche Ausbildung des Starsystems beruht vielmehr auf Voraussetzungen, die über die Strukturmerkmale des bürgerlichen Kunstfeldes hinausgehen und dem Star die Qualität einer besonderen öffentlichen Sichtbarkeit verleihen. Sie unter-

minieren die Grenzen zwischen der Hochkultur und der Sphäre des Populären, Die Folge ist, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf Stars als alltäglich-außeralltägliche performing selves richtet.“® Vor allem drei Bedingungsfaktoren sind hier zu nennen: (1) Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und damit bereits vor

liche Leistungen und eine nichtkonformistische Persönlichkeit zugleich vorweisen können, also »eine Person, die sich in einer einzigartigen, originellen Weise verhält«.?® Der human interest journalism

geht damit von einem allgemeinen, vorbildlichen Modell expressiver Subjektivität aus, deren Kreativität über ein »Werk« hinaus

die Persönlichkeit und Biografie umfasst. Künstler wie Mark Twain oder George Bernard Shaw sind »Licblinge« des Persönlichkeitsjournalismus der Jahrhundertwende, aber es werden auch einzelne

Politiker, Wissenschaftler oder Unternehmer wie Theodore Roosevelt, Albert Einstein oder Henry Ford zum Gegenstand. (2) Die mediale Visualisierung des Starkörpers führt dazu, dass

mit dem, was Ponce de

der Künstler jenseits seines objektivierten Werks zum performing selfwird und als Repräsentant eines persönlichen, verkörperlichten

Leon den Typus eines »Berühmtheitsjournalismus« (celebrity jour-

Stils auftritt, den das Publikum imitieren kann.” Vor allem bildende

nalismn) und »Journalismus mit allgemeinmenschlichem

Interesse«

27 Vgl. Charles Leonard Ponce de Leon, Self-exposure. Human-Interest Journalism

24 Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses

and the Emergence of Celebrity in America, 1890-1940, Chapel Hill u.a. 2002; auch Joe Moran, Star Authors, London 2000, S. 15-34.

der Entwicklung und Ausbreitung der audiovisuellen Medien bringen die US-amerikanischen

Printmedien

{1975], Frankfurt/M. 1976. Ich behandle somit hier die Vorgeschichte des postmodernen Systems von Künstlerstars, das Thema von Kapitel 3,5 war. 26 Der Begriff des performing self ist der kulturhistorischen Analyse von Sarah Burns entlehnt, die ihn als Schlüsselkonzept zur Beschreibung einer neuen Subjektform in den USA am Ende des 19. Jahrhunderts verwender. Vgl, Sarah Burns, Inventing the Modern Artist, New Haven 1996, S.1-16 und S.221-246.

25

248

28

Harry Franklin Harrington,

Chats on Feature Writing, New York, London

1925,

S.56 (Übersct7.ung A.R.). Es handelt sich hier um ein Zitat aus einem zeitgenös-

sischen Handbuch zum Schreiben von’Features.

29 Vgl. Burns, Inventing the Modern Artist, S.221-246; Philip Fisher, »Appearing and Disappearing in Public. Social Space in Late-Nineteenth-Century Literature and Culture«, in: Sacvan Bercovitch (Hg.), Reconstructing American Literary History,

Cambridge 1986, S. 155-188.

249

Künstler und Schriftsteller werden seit Mitte des 19. Jahrhunderts,

Whitman, Twain und Wilde bedienen sich erfolgreich dieses For-

verstärkt seit den 1880er Jahren im Medium der Fotografie präsent,

mats.?! Vor der Etablierung des Films ist die Lesereise der einzige Weg, der es dem Star ermöglicht, als bewegter Körper und Sprecher sichtbar zu werden. Die Bedeutung der Lesereise erschließt sich

und auch die schriftliche Darstellung kann sich dementsprechend

auf die Beschreibung äußerer Manierismen und Besonderheiten konzentrieren. Paradigmatisch für diesen neuen Künstlertypus ist der amerikanische Maler James McNeill Whistler: Whistler wird einerseits aufgrund seines Werkes anerkannt, zugleich ist er einer der ersten bildenden Künstler in den USA, der daran arbeitet, dass sich die Aufmerksamkeit der Medien auf die Vorgänge in seinem Privatleben und sein exzentrisches Äußeres richtet. Bereits zuvor nutzen Autoren wie Walt Whitman und Oscar Wilde das Format der Pressefotografie für eine Spektakularisierung ihres Aussehens,

um zu Repräsentanten eines Boheme- oder Dandystils zu werden.“ Kennzeichnend für diese Formen der Visualisierung ist wiederum die Kombination von Außeralltäglichkeit und Veralltäglichung: Auf der Ebene der bildlichen Darstellung kann der Künstlerstar

zum einzigartigen, scheinbar perfekten Gegenstand des Begehrens werden, aber als Stilrepräsentant eignet er sich (anders als der Werkproduzent im traditionellen Sinne) zur Imitation durch den Betrachter, der zum Beispiel die Accessoires und Posen übernehmen kann.

jedoch erst vor einem doppelten kulturellen Hintergrund: einem republikanischen Öffentlichkeitsmodell, dem zufolge sich das Kollektiv im Ruhm der Persönlichkeit spiegelt, sowie einem Entertainmentmodell des Publikums., Mit David Blake kann man darauf hinweisen,” dass sich jenseits des Atlantiks seit der Amerikanischen Revolution eine kulturelle Le-

gitimation von Berühmtheit festsetzt, die das individuelle Streben nach Ruhm nicht als ein egoistisches Interesse deutet, sondern als Ausdruck des Dienstes, den ein Individuum an der demokratischen

Öffentlichkeit leistet. Das Publikum spiegelt sich in den außerge-

wöhnlichen Leistungen dieses Individuums »aus seiner Mitte«, Die Bewunderung für die berühmte Persönlichkeit fällt mit einer Selbstbestätigung des Publikums als demokratischer Masse zusammen. Dieses amerikanische Modell des Publikums ist ein politisches, und zwar im Sinne einer kollektiven Repräsentation im charismatischen

Einzelnen. Vor diesem Hintergrund kann etwa Walt Whitman den Persönlichkeitskult auf seinen Lesereisen als strikt demokratisch

(3) Es bildet sich in den Vereinigten Staaten ein doppelt legitimiertes Modell des Publikums aus, das zur Etablierung des frühen

verstehen: Seine poetischen Leistungen erscheinen als Dienst an der

Starsystems beiträgt. Diese Doppeldeutigkeit manifestiert sich in einem populären Format, das insbesondere Autoren seit der Mitte

jener Potenziale, die in jedem Einzelnen stecken.

amerikanischen Öffentlichkeit und seine Auftritte als Darstellung

Im Format der Lesereise zeigt sich aber auch, dass es eine Form

des 19. Jahrhunderts pflegen: die Lesereise. Die Lesereise ist gerade

des Publikums gibt, das primär am Spektakulären orientiert ist,

nicht medial vermittelt, sondern basiert auf der Präsenz des Körpers

also an einer Betrachtung des Außergewöhnlichen um der Betrach-

und der Stimme des Künstlers vor einem räumlich anwesenden, lokalen Publikum. Autoren wie Dickens, Beecher-Stowe, Emerson, 30

Dies gilt etwa für die weit verbreitete Fotograhe Whitman and his butterfly von 1873, auf der Whitman mit imposantem Bart, einfacher Strickweste und nachlässigem Hut versonnen einen Schmetrerling betrachtet, und das Foto von Wilde 1882 auf seiner Amerika-Reise in New York — in Samtjacke, Kniebundhose, nachdenklich auf den Ellenbogen gestützt, in der anderen Eand ein Buch, lässig auf einem üppigen Sofa drapiert. Vgl. Walr Whitman, half-length portrait, seated,

facing left, wearing hat and sweater, holding butterfly, forograßert von Phillips & Taylor, Philadelphia, als digitale Reproduktion abrufbar (http://hdl.loc.gov/loc, pnp/ppmsca.07141), letzter Zugriff: 29.7.2011; Oscar Wilde/Sarony, fotografiert von Napoleon Sarony, Januar 1882, in: Richard Eilmann, Oscar Wilde, New York 1988, S.460.

250

tung willen. Diese Form des Publikums bildet sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Rahmen der amerikanischen Entertainmentkultur aus, für deren Begründung dem Zirkusunternehmen 2T. Barnum eine wichtige Rolle zukommt.” Barnum präsentiert lebende Kuriositäten, er ist ein Organisator des Spektakulären, der

Talente, Tiere und Atmosphären in Attraktionen verwandelt. Das 31 Vgl. New 32 Vgl. 33 Vgl.

David Haven Blake, Walt Whitman and the Culture of American Celebrity, Haven u.2. 2006, S.197 £; Moran, Star Authors, S.15-34. Blake, Walt Whitman, S.218., 1976 Braudy, Zhbe Frenzy of Renown, S. 491-505; Bluford Adams, E pluribus Bar-

num. The Great Showman and the Making of U.S. Popular Culture, Minneapolis

1997. 251

Publikum bewundert hier nicht sich selbst im demokratischen Star, sondern den Star als Produzenten von Außergewöhnlichkeiten und Stifter von sinnlichen Attraktionen. Auch der »Wanderzirkus« der

körperungen des Stars des 20. Jahrhunderts zukommt, ergibt sich demgegenüber in erster Linie aus ihrer Performance-Kreativität.

Sie ist in der spezifischen »Ästhetik der Präsenz« des Performance-

Autoren auf Lesereise gerät unter den Einfluss dieser zweiten, an

Künstlers begründet:?

der lustvollen Betrachtung orientierten Form eines Publikums. Der

aufführung identisch. Anders als im Falle des Autors, Malers oder

frühe Star, der sich im Vortrag präsentiert, ist damit letztlich beides

Komponisten verschwindet der Künstler hier nicht »hinter« seinem Werk, der Filmschauspieler und Popmusiker ist vielmehr für den

zugleich: Stellvertreter für die Massen und spektakulärer Gegen-

Das Werk ist mit der körperlichen Selbst-

In beiderlei Hinsicht kann der körperlich

Rezipienten im Vollzug dieses »Werks« körperlich präsent — wenn

anwesende Star zur Quelle einer kulturell legitim erscheinenden Bewunderung werden. Das zweifache Öffentlichkeitsmodell von demokratischer und

auch in der Regel medial vermittelt. Das ästhetische Erleben des

geren Sinne auf die Performativität des Stars richten. Oder anders

spektakulärer Repräsentation, die Visualisierung des Stars und sei-

formuliert: das Subjekt ist hier das Objekt seiner eigenen kreativen

nes persönlichen Stils und der Berühmtheitsjournalismus liefern damit die Rahmenbedingungen dafür, dass der ursprünglich europäische Geniemythos von der zunächst US-amerikanischen Form des Künstlerstars abgelöst wird. Zugleich reicht das Feld der starfähigen performing selves am Ende des ı9. Jahrhunderts bereits über den Künstler hinaus.”“

Gestaltung und präsentiert sich vor dem Publikum als ein solches. Auch wenn die klassische Werk-Kreativität in einzelnen Segmenten des Starsystems im 20. und 21. Jahrhundert weiterhin ein-

stand der Betrachtung.

Publikums kann sich dann statt auf ein ästhetisches Objekt im en-

flussreich bleibt, spricht vieles dafür, dass die enorm erfolgreiche mediale Verbreitung des Ideals des expressiven Subjekts durch das Starsystem nur infolge der Institutionalisierung von PerformanceKreativität möglich war, die vor allem in den Bereichen des Films

und der Musik stattfindet.” Kultur- und subjekthistorisch ist die Anerkennung einer ästhetischen Leistung sowohl von Schauspie-

6.3 Performance-Kreativität Dem Künstler (Autor, Maler, Komponisten) wird eine kreative Leis-

lern als auch von »ausführenden« Musikern ein ungewöhnlicher Schritt. Beide gelten bis ans Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber den klassischen Produktionskünstlern als minderwertig und le-

tung im Sinne der Werk-Kreativität zugeschrieben, Die allmähliche Spektakularisierung der Künstlerfigur am Ende des 19. Jahrhunderts bleibt damit trotz aller Tendenzen zu einer Persönlichkeits-

originellen Schöpfung.” Dass der Schauspieler und der Musiker sich von randständigen Iypen in Prototypen gesellschaftlich an-

diglich als Ausführende

gegenüber

einer vorgängigen,

eigentlich

Kreativität, wie sie der Berühmtheitsjournalismus vorantreibt, und zur Performance-Kreativität,

wie sie die Lesereise ermöglicht,

an

die Existenz eines Werkes gebunden. Die besondere Bedeutung, die nun seit den 1920er und vor allem in den 1950er Jahren dem

Filmschauspieler und dem Popmusiker als paradigmatischen Ver34 Dies gilt erwa für die Politik. Ein prominentes Beispiel ist Theodore Roosevelt, vgl. dazu Fisher, »Appearing and Disappearing in Public«. Die frühe Star- und Publikumsorientierung ist auch in den Vereinigten Staaten einer vehementen Kulturkritik ausgesetzt. Diese speist sich vor allem aus der romantischen Se-

mantik einer subjektiven Expressivität, die im Kern unbeobachter bleiben soll, sowie einer christlichen Vorstellung von der Eitelkeit des Ruhms. Vgl. dazu auch Braudy, Zhe Frenzy of Renown, S.380f£., 445-450 und S, 464-468.

252

35 Zum Begriff der Ästherik der Präsenz vgl. Doris Kolesch, »Ästhetik der Präsenz. Theater-Stimmen«, in: Josef Früchtl/Jörg Zimmermann (Hg.), Asthetik der Inszenierung, Frankfurt/M. 2001, S. 260-275; zum verwandten Begriff der Präsenzkultur im Unrterschied zur Sinnkultur vgl. Hans Ulrich Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik. Über die Produktion von Präsenz, Frankfurt/M. 2004. 36 Zu den Differenzen zwischen Film- und Musikstar vgl. auch Marshall, Celebrity and Power, S.79-18 und S. 150-184. 37 Vgl. zum dubiosen Ort des Theaterschauspielers im 19. Jahrhundert Edward Berenson/Eva

Giloi

(Hg.),

Constructing Charisma.

Celebrity,

Fame,

and Power in

Nineteenth-Century Europe, New York 2010. In der Musik gelingt es allerdings gelegentlich einzelnen Interpreten — eher im Sinne einer klassizistischen Perfektionsästhetik — als Beispiele von Virtuosentum zu erscheinen, vgl. Heinz von Loesch (Hg.), Musikalische Virtuosität, Mainz 2004.

253

erkannter ästhetischer Kreation verwandeln können, baut neben den veränderten

medientechnischen

Grundlagen — der Reprodu-

zierbarkeit der Aufführungen im Film und auf der Schallplatte — auf jenem veränderten, sich von der Werkästhetik entfernenden Kreativitätsmodell auf, das die ästhetisch erregende Leistung in der Aufführung des performing self selbst festmacht.

Filmstars

Die Hollywood-Filmindustrie liefert den institutionellen Rahmen für die schrittweise Entfaltung des Filmschauspielers und der -schauspielerin als Stars in diesem Sinne. Richard DeCordova arbeitet heraus, wie voraussetzungsreich

die Etablierung des Film-

stars in diesem Zusammenhang war:? Die frühen Filme um 1900 werden vom Publikum in erster Linie als technisch-visuelle Spektakel betrachtet, ohne dass die Darsteller von besonderem Interesse wären. Dies ändert sich mit dem Bewusstsein für »Filmpersönlichkeiten« (picture personalities), das heißt für die nun namentlich bekannten Schauspieler, die über mehrere Filmrollen hinweg eine Identität als Darsteller erhalten. Die Filmpersönlichkeit — als die erste gilt Florence Lawrence — ähnelt strukturell der von Theaterschauspielern, es bedarf jedoch noch eines weiteres Schritts, damit der Star im eigentlichen Sinn entsteht: Das Privatleben der Darsteller muss zum Gegenstand medialen — nicht zuletzt von der Filmindustrie angeheizten — Interesses werden. Der Filmstar wird dann als »totale« Persönlichkeit inszeniert, die außerfilmische und filmische Darstellungen umfasst.?” Die Darstellung des Privatlebens dieses Stars fasziniert den Zuschauer durch die Kombination von Opu-

lenz und Krisenhaftigkeit: Der Filmstar schwelgt im Luxus und

Zum Prototyp von Performance-Kreativität vermag der Filmstar jedoch erst in dem Moment zu werden, indem er im Film (und darü-

ber hinaus) nicht nur als Rollenträger und Typus erscheint, sondern sich als expressives Subjekts eigenen Rechts formen kann. Es spricht

einiges dafür, dass eine wichtige Funktion für diese Entwicklung dem method acting zukommt, das von Lee Strasberg im Anschluss an das russische Avantgardetheater in den 1940er Jahren entwickelt wird. Es wird zunächst Theaterschauspielern vermittelt und ermutigt den Darsteller, an Erlebnisse und Emotionen aus dem eigenen

Leben anzuknüpfen, um die Rolle im Moment des Spielens leiblich eigenständig interpretieren zu können.“' Jede kleine Geste, jede mi-

mische Reaktion, jede sprachliche Nuance und Positionierung des Körpers im Raum kann so zu einem Gegenstand individueller Gestaltung durch den Schauspieler werden. Das merthod acting erlaubt ihm damit, seine Darstellung als Eigenkreation zu modellieren und zugleich seine »realen« Erlebnisse in die Aufführung zu übersetzen. Der erste im method acting ausgebildete Schauspieler ist Marlon Brando, und an ihm zeigt sich beispielhaft, wie der Schauspieler seit den 1950er Jahren zum attraktiven Symbol einer eigenständigen expressiven Individualität wird.”“ Brandos Starcharakter ist nicht zuletzt in der Idiosynkrasie seiner Darstellung begründet, die immer wieder überrascht und in der sich zugleich die Selbstkreation des Individuums Brando vollzieht: sein nachhaltiges Schweigen, sein intensiver Blick, seine ausgefeilte sprachliche Verzögerungs-

technik, die provozierende Zurschaustellung seines perfekten Körpers und dessen unkalkulierbare Beweglichkeit — dies alles trägt zur Suggestion von Individualität bei. Das hochindividualisierte und emotionalisierte Spiel Brandos affiziert das Publikum im Moment

des Schauens, zugleich verleiht es dem attraktiven sozialen Typus

ist ein Trendsetter, zugleich ist seine Biografie immer wieder von

des »jungen Wilden« Ausdruck. Darüber hinaus nimmt das Publi-

Rückschlägen bedroht.“

kum Brando nicht allein als Performance-Star wahr, sondern auch

38 Vgl. Richard deCordova, Picture Personalities. The Emergence of the Star System in America, Chicago 1990. Zur reichhaltigen Literatur zum Filmstar insgesamt vgl. nur Edgar Morin, 7he Stars, Minneapolis 2005; Richard Dyer, Heavenly Bodies. Film Stars and Society, London, New York 2003; Christine Gledhill (Hg.), Star-

dom. Industry of Desire, London 1991. 39 Dieser Hollywood-Filmstar der 1920er bis 1940er Jahre ist der Prototyp für Leo Löwenrhals Staranalysen, in denen er ein medial äußerst sichtbares Konsumidol dem Produktionsidol gegenüberstellt Vgl. Löwenthal, Literatur und Gesellschaft, 40 Vgl. dazu Dyer, Stars, S.38-65.

254

als außerfilmischen Personality-Star, dessen Eigenschaften jedoch eng mit der filmischen Darstellung zusammenhängen. 41

Vgl. Edward Dwight Easty, On Method Acting, New York 1989, Vgl. zum Zusammenhang von Performance-Stars und method acting auch Christine Geraghty, »Re-Examining Stardom. Questions of Texts, Bodies and Performance«, in: Christine Gledhill/Linda Williams (Hg.), Reinventing Film Studies, London, New York 2000, S. 183-201. 42 Vgl. etwa Marli Feldvoß/Marion Löhndorf (Hg.), Marlon Brando, Berlin 2004.

255

nen« Sinn, der sich vor allem auf die umfassende Gestaltung von

Das method acting ist eine sehr spezielle Schauspieltechnik, aber es beeinflusst seit den 1950er Jahren generell eine Subjektivierung des amerikanischen und europäischen Filmschauspielers, die über den Typus des glamourösen Stars der Zwischenkriegszeit hinaus-

geht und den Filmschauspieler zum Prototyp einer vermeintlich unverwechselbaren

Performance-Kreativität

macht.

Hier

Artmosphären bezieht. Die Werk-Kreativität wird dabei von Ingmar z

Bergman und Alfred Hitchcock bis zu Wim Wenders und den Cohen-Brüdern mit einem massenmedial sichtbaren Personality-Stil kombiniert, so dass eine zusätzliche Gruppe globaler Kreativstars entstanden ist, die innerhalb der Massenmedien agiert.

ist die

körperliche Darstellung der Ort einer kreativen Gestaltung. Im

Popstars

Falle einer starken Performance-Qualität muss die außerfilmische Persönlichkeit des Stars zwar sichtbar sein, ist aber von abgeleite-

Neben dem Film ist die populäre Musik das zweite Feld, das in ent-

ter Bedeutung:

scheidender Weise dazu beiträgt, die moderne Starfigur zu etablie-

Erst durch die öffentliche Zurschaustellung seines

außerfilmischen Lebens wird der Star vollumfänglich zum Identifi-

kationsobjekt, zugleich hängt die Starqualität der Persönlichkeit im Kern von der als außergewöhnlich wahrgenommenen filmischen Performance ab.* Im Feld des Kinofilms kristallisiert sich seit den 1950er Jahren allerdings eine weitere Variante des attraktiven Kreativsubjekts heraus, die zumindest teilweise die Bedeutung der Filmstars einschränkt: die des Regisseurs im Sinne des cinema des auteurs, das sich in der französischen Nouvelle Vague und im amerikanischen New

Hollywood entwickelt.“ Der Filmregisseur erscheint hier nicht nur

ren.‘° Wiederum stellen sich die 1950er Jahre als wirkungsmächtige historische Schwelle heraus. Parallel zum Filmschauspieler liefert der Popstar ein zweites, medial weit verbreitetes Modell für die Performance-Kreativität des Stars, an die sich sekundär Elemente

einer Werk- und Persönlichkeits-Kreativität koppeln. Der Star der Popmusik, die sich seit der Nachkriegszeit an ein junges, zunehmend aber auch älteres Publikum richtet, produziert

ästhetische Novitäten auf allen drei Ebenen: Der Kern der Starqualirät des Popsängers ist erstens in seiner körperlichen und stimmli-

chen Performance im Livekonzert und auf der Schallplatte begrün-

erstmals als Künstler, sondern auch als Prototyp eines postmodernen Kreativsubjekts, das diverses Material (Narration, Symbolik,

det. Diese erhebt den Anspruch einer individuellen und neuartigen,

Subjekte,

wohnten mehr oder minder stark unterscheidet. Die Performance des Popmusikers umfasst die mediale Reproduktion der Stimme

Ort und

Raum,

Objekte,

Kameraführung,

Musik etec.)

überraschend arrangiert.“ Er kann damit selbst Starqualität erlan-

gen. Diese folgt jedoch (mit Ausnahme jener Regisseure, die selbst Schauspieler sind) nicht dem Muster der Performance-Kreativität, sondern einer Werk-Kreativität, und zwar im weiteren »postmoder43

Sicherlich entspricht nicht jeder Filmstar dem Muster des Performance-Star. Als

Nebentypen und Reste des alten Hollywood-Systems Ainden sich zum einen immer wieder Personality-Stars, deren Filmdarstellungen hinter ihrer persönlichen Prominenz zurücktreten, sowie zum anderen eine Art 1ypus-Star, der sich nicht durch individuelle Performance, sondern durch Wiedererkennbarkeirt in seinen

zugleich affektiv ansprechenden Leistung, die sich vom bisher Ge-

(gewissermaßen als eine »Spur« des Körpers)” und das Livekonzert. Die affektive Anziehungskraft der Popmusik und ihres Stars wurzelt in erster Linie in dieser sinnlichen Präsenz von Körper und Stimme. Ästhetische Novität beanspruchen das Popsystem und der Popstar zweitens und durchaus klassisch auf der Ebene der Musik mit ihrer spezifischen

Harmonik

und Melodik,

so dass der Pop-

und Rockstar, soweit er auch Komponist ist, zugleich ein Werk-Star ist. Charakteristisch für die Popmusik ist dabei, dass versucht wird,

Rollen auszeichnet. Vgl. zu dieser Unterscheidung Geraghty, »Re-Examining Stardom«, 44 Vgl. dazu Geoff King, New Hollywood Cinema. An Introduction, London, New York 2002, S.85-115: Diedrich Diederichsen »Künstler, Auteurs und Stars. Über menschliche Faktoren in kulturindustriellen Verhältnissen«, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Jahresring 48: Kunst/Kino, [Jahrbuch für moderne Kunst], Köln z001,

S.43-53.

46 Vgl. allgemein zum Pop-Star: Marshall, Celebrity and Power, S.150-184; Edda Hall, Die Konstellation Pop. Theorie eines kulturellen Phänomens der 60er Jahre, Hildesheim 1996. Zur spezifischen Form des Pop-/Rockkonzerts vgl. Simon

Frith, Performing Rites. On the Value of Popular Music, Cambridge 1996. 47 Zur Präsenzerfahrung von Stimmlichkeit vgl. auch Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.), Stimme. Annaherung an ein Phänomen, Frankfurt/M. 2006.

45 Vgl. zum postmodernen Künstler oben Kapitel 3.5.

257 256

die Anzahl der neuen komponierten Musiktitel zu erhöhen und deren Umlauf zu beschleunigen, somit immer wieder aufs Neue »die Codes zu brechen und umzuformen«.*® Drittens stellt sich der Musikstar auch als Persönlichkeits-Star dar: Das ästhetisch Neue an ihm ist zu einem erheblichen Teil seine Gesamtpersönlichkeit, Eine besondere Bedeutung kommt dabei seinem ästhetischen Stil zu, wie er sich in Kleidung oder Körperbewegungen manifestiert.“

Der Individualstil des Popmusikers wird dabei zugleich zum Modell für den kollektiven ästhetischen Stil seines (anfangs vor allem jugendlichen) Publikums.

Die populäre, urbane Musik, die der Popmusik im engeren Sin-

ne vorausgeht, ist ein Produkt der US-amerikanischen Metropolen am Ende des 19. Jahrhunderts.” Es handelt sich zunächst um Livemusik in den Music Halls und Theatern, die sich bereits auf prominente Interpreten stützt, deren Notationen als Songsheets

für das Mittelschichtspublikum veröffentlicht werden. Komposition und Aufführung sind dabei strikt getrennt: Die neuen Songs werden routinemäßig von anonymen funesmiths komponiert, während die dem Publikum bekannten Sänger sich vor allem durch technische Perfektion auszeichnen. Als die Songsheets allmählich von der Schallplatte verdrängt werden, tritt die Figur des privaten »Hörers« neben den Konzertbesucher, Die technische Reproduzierbarkeit der Musik führt nicht nur zu einer Vergrößerung des Publikums, die Musik erreicht auch die Privatsphäre der Hörer. Die Pop- und Rockmusik im eigentlichen (spät)modernen Sinne setzt

jedoch erst Mitte des 20. Jahrhunderts ein und ist mit mehreren strukturellen Veränderungen verbunden, die vor allem durch die Subkulturen urbaner schwarzer Musik der 1920er bis 1940er Jahre vorbereitet wurden. Erst jetzt kann der Popstar zum massenmedial verbreiteten, populären Kreativsubjekt werden, das sich in struktureller Nähe zum Künstler befindet und für das Publikum zum

des Livekonzerts, Statt durch bloße handwerkliche Präzision zeichnet sich der Popstar auf der Bühne nun durch eine als individuell erlebte Performance aus, in der sich im Empfinden des Publikums dessen Besonderheit ausdrückt.*! Presleys erotisierte Gesangsstimme und Körperbewegungen auf der Bühne sind hier ebenso revo-

Jutionär wie langfristig stilbildend. Der Popmusiker ist nicht nur Sänger

(oder Instrumentalmusiker),

sondern

ein Bühnengesamt-

kunstwerk. Die Starfähigkeit des Musikers beruht auf der spezifi-

schen Struktur des Pop- und Rockkonzerts als eine alle Sinne ansprechende, atmosphärisch dichte und improvisierte Aufführung vor einem Publikum, das zum kollektiven Mitspieler avanciert. Die Aufzeichnung von Musik auf Tonträgern bedeutet zwar den Verlust

dieses interaktiven Eventcharakters des Konzerts. Konzentriert auf die Stimmlichkeit des Künstlers und die Instrumentalbegleitung, soll jedoch auch hier die Expressivität des Pop- und Rockkünstlers durch den individuellen Sound spürbar werden. Auch im Falle

der Schallplatte geht es um mehr als um einen bloßen Musiktitel, vielmehr um eine individuelle Stimme-Instrument-Performance, die vom Hörer nun auch am privaten Ort erlebt und verarbeitet

werden kann.* Die zweite Voraussetzung für die Erablierung des Popstars betrifft die ästhetische Stilisierung seines Körpers über diverse Acces-

soires, die an verschiedene Jugend- und Subkulturen anknüpft und diesen zugleich Impulse liefert, In erheblichem Maße ist der Popstar Stilinnovator, und zwar von ganzen Lebensstilen, was neben

der Kleidung auch Mimik und Gestik, Sprechweise und Körperhaltung einschließt. Auch diese Stilinnovationen setzen ein semiotisch aktives Publikum voraus, auf dessen subkulturelle Aktivitäten

die Musikstars zugleich reagieren. Die ästhetische Stilisierung des Körpers wird ebenso wie die außermusikalische Persönlichkeit zum

Identifikationsobjekt wird. Johnny Ray und Elvis Presley sind die ersten Stars dieses Systems, das in den 1960er Jahren dann rasch an Komplexität gewinnt. Die erste, einschneidende Veränderung betrifft den Charakter

51 Vgl. dazu Keir Keightley, »Reconsidering Rock«, in: Simon Frich/Will Straw/ John Street (Hg.), Zhe Cambridge Companion to Pop and Rock, Cambridge 2001, S.109-142; Lawrence Grossberg, »Another Boring Day in Paradise, Rock and Roll and the Empowerment of Everyday Life«, in: Sarah Thornton/Ken Gelder

48 Marshall, Celebrity and Power, S.162.

{Hg.), Zhe Subcultures Reader, London 1997, S. 477-493; Heike Klippel/Hartmut Winkler, »Der Star — das Muster«, in: Kemper, »6ut I like it«, S.333-343. 52 Zur Struktur dieses »Pop-Ereignisses« vgl. ausführlich Holl, Die Konstellation Pop. Zur besonderen Form des Pop-/Rockkonzerts im Unterschied zum bürgerlichen Konzert vgl. Frith, Performing Rites.

49 Vgl. John Clarke, »Stilschöpfung«, in: Peter Kemper u.a. (Hg.), »but I like it« — Jugendkultur und Popmusik, Stutigart 1998, S. 375-392. so Vgl. Marshall, Celebrity and Power, S. 152 f

258

259

"Ihema der massenmedialen Thematisierung des Popstars. Stärker als der Filmstar kann er aufgrund seiner Kopplung an die Jugend-

und Subkulturen damit als Agent kultureller Abweichungen auftreten, von ästhetisch Neuem, das nicht nur anders, sondern auch gegenkulturell orientiert ist.”

Schließlich bilden sich seit dem Ende der 1950er Jahre zwei weitere Strukturmerkmale des modernen Pop- und Rockstars heraus: die

nung deutlich, die innerhalb des Musikstarsystems zwischen der Typisierung, damit einer Angleichung an das Publikum,

und der

ästhetischen Individualisierung, somit einer Annäherung an den Künstlermythos, existiert, Die Beatles beginnen bekanntlich 1959

als musikalische Boygroup, um sich dann Mitte der 1960er Jahre zur Rockkunstgruppe umzuformen. Sie entwickeln zunächst einen

für das jugendliche Publikum ebenso imitationsfähigen wie attrak-

Subjektform des singer/songwriter und der Charakter der Konzerte

tiven Kollektivstil (mit Mod-Frisur, eher androgynem als masku-

als medial wahrnehmbare Ansammlung von »Massen« (crowds). Insbesondere im Zuge der Rezeption der Folk-Tradition führen man-

linem Verhaltensstil, identischen Anzügen etc.) und sind durch ihre Konzerttouren und Fernsehauftritte von enormer öffentlicher

che Musikinterpreten ihre selbst komponierten und getexteten Titel

Sichtbarkeit. Daneben werden ihre Live-Performances durch ihren

auf (prominent etwa bei Bob Dylan, Lennon/McCartney oder Bob

spezifischen Sound und eine ungewöhnliche spielerisch-souveräne

Wilson).* Der Künstlerstatus der Musiker gewinnt damit zusätz-

Bühnenpräsenz von Kritikern und Publikum als von besonderer

liche Legitimität, indem sie ein Werk im klassischen Sinne bieten, sie also auch Werk-Künstler sind. Charakteristisch für das Popsys-

ästhetischer Qualität erlebt. In dieser ersten Phase überwiegt im

Verhältnis zwischen Typisierung und Idiosynkrasic die typisierende

tem ist schließlich die Selbstreferenzialität der Starqualität, die sich

Tendenz: Die Beatles stehen zunächst für ein unverbraucht schei-

aus der medialen Repräsentation des Publikums ergibt: Die Anwesenheit eines enthusiastischen Massenpublikums bei den Livekonzerten ist selbst Gegenstand medialer Darstellung. Bereits ironisch

nendes

Teenager bieten, scheint sich jedoch ihr ästhetischer Neuigkeits-

gebrochen findet sie sich 1964 im Beatles-Film A Hard Days Night,”

wert nach mehreren Jahren zu erschöpfen.

in dem die Fab Four ständig von Gruppen hartnäckiger Teenager verfolgt werden. Trotz der verbreiteten anfänglichen Kulturkritik an den vermeintlich hysterischen Fans steigert dieser Fokus auf das Publikum noch die Identifikationskraft des Stars. Dieser wird als

derjenige sichtbar, der kollektive enthusiastische Aufmerksamkeit auf sich zieht. Schließlich richtet sich die Aufmerksamkeit auf den,

Musik-

und

Stilerlebnis; aufgrund

ihrer Veralltäglichung

als unkomplizierte Boys from Liverpool, die populäre Tanzmusik für

Exakt an diesem Punkt gelingt ihnen Mitte der 1960er Jahre eine Transformation, in der sie einerseits identifizierbar bleiben, aber zugleich einen ästhetischen Experimentalismus vorantreiben, der sich sowohl auf die musikalische als auch auf die Persönlichkeitsebene bezieht. Einsetzend mit dem Album Revolver, gelingt ihnen ab 1966 der Übergang zu einer »avantgardistischen« Musik

dem ohnehin schon Aufmerksamkeit gezollt wird. Das Ergebnis ist

mit Überraschungswert, die über Rhythm and Blues hinaus ver-

die kulturelle Attraktivität des Attraktiven. In der britischen Popgruppe The Beatles zeigen sich in den 1960er Jahren in beispielhafter Form diese Struktureigenschaften des Popstars und die Mehrstufigkeit seiner gesellschaftlich wahrgenommenen »Kreativität«,” An diesem Fall wird auch die immanente Span-

schiedene Musikstile (Folk, Elektronik, Klassik etc.) miteinander kombiniert und auch die Kunstkritik interessiert, Die technisch aufwändigere Musik erfordert eine Ablösung der Konzert-Performance durch die Studio-Performance. Schließlich nimmt die medial zur Schau gestellte, außermusikalische Persönlichkeit der vier (etwa in der gemeinsamen Indien-Reise oder der Heirat von

53 Vgl. zu dieser Entwicklung Tom Holert/Mark Terkessidis (Hg.), Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft, Berlin 1997, S.5-19. Vgl. auch meine

Darstellung zum gegenkulturellen Hip-square-Mechanismus oben in Kap. 4.454 Vgl. dazu Ronald D. Cohen, Rainbow Quest. The Folk Music Revival & American Society, 1940-1970, Ambherst, Boston 2002, 55 Richard Lester, A Hard Days Night (dt. Yeah Yeah Yeah). Film. UK 1964. s6 Vgl. erwa Kenneth Womack/Todd Davis (Hg.), Reading the Beatles. Cultural 260

Lennon und Yoko Ono) die Form einer »Reise zu sich selbst« an,

die Motive aus der sich zeitgleich formierenden Counter Culture Studies, Literary Crticism, and the Fab Four, New York 2006; Kenneth Womack (Hg.), Zhe Cambridge Companion to the Beatles, Cambridge 2009; P. David Mar-

shall, »The Celebrity Legacy of the Beatles«, in: Ian Inglis (Hg.), 7be Beatles, Popular Music and Society, Basingstoke 2000, S. 163-175. 261

aufnimmt. Auch findert eine Selbstironisierung des eigenen Starstatus statt (man denke an das Cover von Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band). Die Beatles transformieren sich damit in der zweiten

Hälfte der 1960er Jahre von einem relativ fixen zu einem mobilen Objekt für Ästhetisierungen: Sie und ihre Produkte zeichnen sich

durch eine unberechenbare Beweglichkeit aus, die sie bis zu ihrer konsequenten Selbstauflösung als Gruppe und darüber hinaus zu einer Quelle des ästhetisch Neuen machen.

das Modell eines expressiven Kreativsubjekts, und sie bekräftigen zudem häufig das Paradigma des Performance-Stars. Die weitere Ausdehnung des Starsystems und des Performance-Stars werden beispielhaft im Bereich des Fernsehens (zum Beispiel Showmaster/ Moderatoren) und im Sport (vor allem im Fußball) deutlich. Die Sportstars scheinen auf den ersten Blick zwar einem ganz anderen Starregister anzugehören, dem »Helden«

und »Sieger«, tatsächlich

aber erweist sich gerade der Sport, insbesondere der Fußball, als Ort einer populären »Ästhetik der Präsenz«.°® Man kann die These

6.4 Die Expansion des Starsystems

vertreten, dass die sich steigernde Attraktivität des Fußballsports seit den 1990er Jahren auf dessen Ästhetisierung zurückzuführen ist: Die Attraktivität beruht auf den als ästhetisch wahrgenommen

Der Filmstar und der Star der Pop- und Rockmusik bilden inner-

Qualitäten des Spiels, und die Starfähigkeit von Fußballern — mit

halb des Starsystems des 20. Jahrhunderts die beiden wichtigsten Knotenpunkte. Ihr Ästhetisierungseffekt ist ein doppelter: Die

David Beckham als prominentestem Beispiel — basiert nicht zuletzt auf der Individualität und ästhetisch-stilistischen Qualität, der vor-

Wahrnehmung der Stars ist primär nicht von einem Informationsinteresse geleitet, sondern sinnlich-affektiv orientiert, und die Stars in ihrer Werk-, Persönlichkeits- und insbesondere PerformanceKreativität erscheinen wiederum als expressive Individuen, die immer wieder ästhetisch Relevantes hervorbringen. Im Umgang mit

geblichen »Genialität« ihrer Spielweise — die dann wiederum mit Persönlichkeitsqualitäten außerhalb des Spielfeldes in Zusammen-

den massenmedial präsenten Stars üben sich die Rezipienten darin, andere Subjekte mit einem primär ästhetischen Blick zu betrachten und diese in ihrem Expressions- und Kreationsanspruch als attraktiv und vorbildlich wahrzunehmen. Diese ästhetische Sensibilisierung des Publikums durch die Starkultur des Films und der Musik liefert damit einen wirkungsmächtigen Beitrag zur Etablierung des

globalen Kreativitätsdispositivs.” In dessen Rahmen erreicht das Starsystem seit den 1980er Jahren

seine ausgereifteste, spätmoderne Struktur. Es erfährt nun eine Expansion und kulturelle Generalisierung, die seine gesellschaftliche Wirksamkeit noch verstärken, aber zugleich den Nexus zwischen Star und Expressivität/Kreativität lockern. Vieles spricht dafür,

hang gebracht wird. Der Fußballstar ist natürlich alles andere als ein Werk-Star, aber er ist Performance-Star so wie der Schauspieler

und Sänger: Das Publikum beobachter den Spieler als beweglichen Körper und kann ihn so im Vollzug seiner »kreativen« Performance

sinnlich wahrnehmen.” In anderer Weise ist auch der Fernsehstar als Moderator oder Showmaster (in den USA etwa Oprah Winfrey

oder David Letterman) ein solcher Performance-Star: Seine Starqualität beruht ebenfalls auf der Beobachtbarkeit des physischen Vollzugs der ästhetischen Leistung. Diese ist nicht zuletzt eine verbale Performance, bei der es mehr auf die unterhaltsame Ausdrucks- als auf die Inhaltsseite ankomm:t. Neben der Diversifizierung des Performance-Stars gliedern sich auch alte und neue Werk-Stars (die zugleich immer auch Persönlichkeits-Stars sind) in das spätmoderne Starsystem ein. Wir hatten

bereits bei der Betrachtung des postmodernen Kunstfeldes gesehen,

dass eine Entgrenzung des Starsystems stattgefunden hat, welche die Anzahl der Subjektfiguren, die medial starfähig erscheinen, wei-

dass seit den 1980er Jahren eine Neuprofilierung des Künstlers als

ter vergrößert und damit auch die Bedeutung der Film- und Musikstars relativiert. Diese spätmodernen Stars bestätigen in der Regel

58 Vgl. dazu Hans Ulrich Gumbrecht, Lob des Sports, Frankfurt/M. 2005, auch Martin Seel, »Die Zelebration des Unvermögens. Aspekte einer Ästherik des

57 In dessen Rahmen avancieren die Film- und die Musikbranche zu zentralen Segmenten der globalen ereative industries. 262

Sports«, in: ders., Ethisch-Asthetische Studien, Frankfurt/M. 1996, S, 188-200. 59 Vgl. Richard Giulianotti, Football. A Sociology of the Global Game, Cambridge 1999, S. 122 ff.; Barry Smart, 7he Sport Star. Modern Sport and the Cultural Econo-

my of Sporting Celebrity, London 2005. 263

nach 2000 in den USA etwa für Steve Jobs und Mark Zucker-

Starfigur stattfindet, vor allem des bildenden Künstlers,® aber auch des Literaten und des Regisseurs. Hier sind auch Comiczeichner,

berg.®

Street-Art-Künstler und andere zu nennen, die bis dahin als Künstler gar nicht anerkannt waren. Das Verhältnis zwischen Werk und Persönlichkeit ist beim postmodernen Künstler paradox: Einerseits

eine quantitativ gcstug‚ute und qualitativ aufgefächerte mediale Präsenz von Subjekten, denen — ob als Schauspieler, Sänger, bilden-

ermöglicht erst das anerkannte oder umstrittene Werk dem Künstler Starfähigkeit, andererseits richtet sich das massenmediale Inte-

signer, Architekt, Intellektueller oder Kreativunternehmer — Leis-

resse nur sekundär auf dieses Werk und regelmäßig vielmehr auf die Selbstkreation der Künstlerpersönlichkeit als ’Träger eines individuellen Stils.® Der Künstler bildet aber nur mehr einen Knotenpunkt unter vielen innerhalb eines umfassenden, vielgliedrigen Starsystems. Qualitative Bewertungsdifferenzen zwischen kreativen Leistungen — etwa die Einteilung von Hoch- und Populärkultur —

ebnen sich hier weitgehend zugunsten der Einheitsgröße der Aufmerksamkeitsquantität ein, Neben dem Künstler tragen weitere

Professionen aus der ästhetischen Ökonomie zu einer Expansion und Diversifizierung der Domäne der Werk- (und Persönlichkeits-)

Stars bei. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Mode und des Designs, einschließlich der Architektur.“ Weitere professionelle Felder werden in dem Umfang starfähig, indem sich zumindest herausgehobene Subjekte nicht mehr primär als Träger einer technischen oder kognitiven Tätigkeit, sondern als Kreativsubjekte mit ästhetisierbaren Werken verstehen lassen. So finden sich im Feld der Wissenschaft seit Jean-Paul Sartre vereinzelt Fälle von medial präsenten intellektuellen Stars. Auch Unternehmerfiguren können

Die Ausdehnung und Diversifizierung des Starsystems bedeuter

der Künstler, Moderator, »genialer« Sportler, Modeschöpfer, Detungen der Kreation von Neuem, primär von ästhetisch Neuem zugeschrieben werden, Diese ästhetische Leistung kann in Form von Filmen, Liedern und Bühnenauftritten, Bildern und Installa-

tionen, Shows, körperlich-sportlichen Performances, Bekleidung, ästhetischen Gebrauchsobjekten, Kochrezepten, Gebäuden und Stadtvierteln oder reizvollen Theorien und schließlich nicht zuletzt auf der Ebene der Stilisierung der Persönlichkeit vorliegen. Die meisten der spätmodernen Startypen bewegen sich damit im Rahmen der expandierenden ästhetischen Ökonomie. Diese Expansion des Starsystems wird von zwei weiteren Tendenzen begleitet: der Erleichterung der Konvertibilität zwischen

unterschiedli-

chen Star- und Kreationstypen sowie der Entstehung von medialen Testformaten

zur Starwerdung.

Zum

einen

lassen sich zwischen

den spezialisierten Starsubsystemen Prozesse der Konversion und Grenzüberschreitung beobachten: In einem Subfeld erworbenes symbolisches (Aufmerksamkeits-) Kapital und dort unter Beweis gestellte »kreative Kompetenz« lassen sich dann unter Umständen

in ein anderes Subfeld transferieren. Schauspieler werden dann um-

starfähig werden,

standlos zu Regisseuren, Designer zu Buchautoren, Fußballspie-

indem sie sich überzeugend als »Kreative« modellieren. Dies gilt

ler zu Bekleidungsmodels, Intellektuelle zu Filmemachern. Zum anderen finden sxch seit der Jahrtausendwende erstmals mediale

60 Vgl. dazu John Albert Walker, Art and Celebrity, London 2003. 6r Vgl. meine Darstellung in Kap. 3.5. Das Künstlersubjekt kann gerade auf der Ebene der Personalty-Kreativität für das Publikum nun besonders interessant werden, was der Aufschwung der Biopics von Künstlergestalten seit den 1990er Jahren demonstriert, Vgl. Dazu Manfred Mittermayer, »Darstellungsformen des

Formate,

unter diesen

(bisher eher seltenen)

Umständen

Schöpferischen in biographischen Filmen«, in: Bernhard Fetz (Hg.), Die BiograS

6

264

phie. Zur Grundlegung ihrer Theorie, Berlin, New York 2009, S.501-533. Vgl. zu diesen Bereichen der creative industries Kapitel 4.4. Zum Star-Architekten vgl. Donald McNeill, 7he Global Architect. Firms, Fame and Urban Form, New York 2009, S. 59-81. Der Star-Koch — international am bekanntesten Jamie Olivier— liefert einen interessanten Zwischen-Fall: Einerseits ist er Werk-Kreator eines Kochstils, damit eines ästhetischen Geschmacksobjekts, als Fernsehkoch jedoch auch Performance-Star, der sich beim Kochen beobachten lässt.

63

vor allem

in Form

der sogenannten

Castingshows

für

Vgl. dazu auch Joe Littler, »Celebrity CEOs and the Cultural Economy of Tabloid Intimacy«, in: Redmond/Holmes (Hg.), Stardom and Celebrity, S.230-243. Es stellt sich die Frage nach den Grenzen der Starfähigkeit sozialcr Felder, die in vielerlei Hinsicht mit den Grenzen der Äschetisierbarkeit zusammenfallen. [itigkeiten in den Bereichen Verwaltung, Technik, soziale Dienste und Recht sind

offenbar nur begrenzt starfähig. Ein Sonderfall ist die Politik, deren Starfiguren Tendenzen des expressiven Kreativsubjekts (dessen ästhetisches Objekt hier auch

die politische Vision sein kann) mit der antiken Tradition des Ruhms qua Steuerungsmacht kombinieren. Auch hier finden sich jedoch seit den 1990er Jahren Tendenzen zu reinen Personality-Stars (»Berlusconisierung«).

265

Popsänger, in denen starfähige Individuen in Talentwettbewerben

systematisch entdeckt, miteinander verglichen und entsprechend

eines Regimes des Neuen. Dem Neuen, das sie hervorbringen — ihre Persönlichkeit und ihr Verbrechen als »Werk« —, wird vom gleichen

trainiert werden sollen.“ Zum Star zu werden erscheint hier als ein rationalisierbarer Anforderungskatalog. Das Startraining enthält

Publikum jedoch die Qualirät, wertvoll oder gar vorbildlich zu sein,

allerdings ein Aufmerksamkeitsparadox: Es wird eine Erlernbarkeit

in der Regel abgesprochen.

Die negativen Stars besitzen keine ge-

die

sellschaftlich akzeptierte kreative Kompetenz und sind nichtsdestotrotz Objekte einer intensivierten und faszinierten, nicht selten

Aufmerksamkeit, die man benötigt, um zum Star zu werden, nur

sich perpetuierenden Aufmerksamkeit. Obwohl keine anerkannte

wenigen gezollt werden kann. Die Ausdehnung und Diversifizierung des Starsystems enthält

kreative Leistung vorliegt, ergibt sich ein Aufmerksamkeitserfolg. In weniger drastischer, dafür häufigerer Weise gilt diese Entkopplung von Aufmerksamkeit und Kreationswert für den reinen

von Starkompetenzen

suggeriert, während

per definitionem

jedoch eine gegenläufige Tendenz: eine Entkopplung der Aufmerksamkeit des Publikums von der öffentlich zertifizierten kreativen Leistung.

Generell hängt die Originalirät eines Werks

oder einer

Performance, ihr Status als etwas wertvoll Neuem und ästhetisch Interessantem zwar vom Urteil des Publikums ab. Aber die Aufmerksamkeit des Publikums für massenmedial präsentierte Stars

kann sich auch von der Fähigkeit dieser Stars ablösen, gemäß dem öffentlichen Urteil erwas wertvoll Neues hervorzubringen. Vor allem in zwei Konstellationen wird diese Entkopplung von Aufmerksamkeit und Kreationswert deutlich: im Falle des »berüchtigten«, negativen Stars und des reinen Persönlichkeits-Stars, Seit der Entstehung des massenmedialen Starsystems in den 1920er Jahren erlangen auch Urheber spektakulärer Gewaltakte, vor allem Serienmörder und Amokläufer, enorme öffentliche Aufmerksamkeit und in bestimmter Hinsicht Starqualitäten.” Diese Taten durchbrechen in ihrer Monstrosität die Routinen des Üblichen, und auch bei den Tätern handelt es sich in der Regel um »Ausnahmepersönlichkeiten«, Im Zuge der Popularisierung einer Ästhetik des Bösen und Unheimlichen üben sie einen morbiden sinnlich-affektiven Reiz auf das Publikum aus.® Die »berüchtigten Stars« (notorious stars) sind

in diesem Sinne tatsächlich Stars: ästhetische Objekte im Rahmen 64 Vgl. dazu Charles Fairchild, »Building the Authentic Celebrity. The >»Idol« Phenomenon

6

I



6

266

in the Arttention

Economy«,

in: Popular Music and Society 3 (2007),

S. 355-375; Albert Moran (Hg.), T7W Formats Worldwide. Localizing Global Programs, Bristol, Chicago 2009. Praktische Strategien zur Starwerdung finden sich in Irving J. Rein u.a., High Visibility. The Making and Marketing of Professionals into Celebrities, Lincolnwood 1997. Vgl. Rojek. Celebrity, S.143-180; auch David Schmid, Natural Born Celebrities. Serial Kıllers in American Culture, Chicago 2005. Zur Ästherik des Bösen in der Kulturgeschichte vgl, nur Perer-Andre Alt, Asthetik des Bösen, München 2010.

Persönlichkeits-Star. Ebenfalls seit der Entstehung des Starsystems in der Filmbranche, aber noch gesteigert durch das Fernsehen und durch Zeitschriften wie People (1974 ff.), existiert ein Startypus, der

weder ein spezifisches Werk noch eine außergewöhnliche spezialisierte Performance vorweisen kann, dessen Starcharakter sich vielmehr ganz aus seiner medial präsentierten »Persönlichkeit« ableitet. Während Werk- und Performance-Stars zumindest sekundär immer auch Persönlichkeits-Stars sind, handelt es sich hier um verab-

solutierte Persönlichkeits-Stars, um jenen Typus, von denen Daniel Boorstin kulturkritisch feststellt, dass sie »berühmt dafür sind, berühmt zu sein«.” Um ihn vom eigentlichen Star abzugrenzen, kann man für diesen Typus den Begriff des »Prominenten« (celebrity) vorziehen. Bei diesem greift folgender Mechanismus: Durch Zufall oder eine minimale

(positive oder negative)

Abweichung

richter

sich die mediale Aufmerksamkeit auf eine Person; diese entwickelt

sich vor diesem Hintergrund zu einem symbolischen »Marker« auf Dauer, an dessen private und berufliche Existenz sich ein sich selbst verstärkendes Publikumsinteresse heftet. Die Intensität des Neuen und des sinnlich-affektiven Reizes mögen in diesem Falle eher schwach ausgeprägt sein, reichen aber aus, um einen Prominenzstar zu installieren. Seine Basis ist demnach eine selbstreferenzielle Aufmerksamkeitsspirale, in der sich Aufmerksamkeit auf den richtet, dem bisher schon — aus welchen Gründen auch immer — sporadische Aufmerksamkeit gewidmet wurde.® Die Affekte des Publi67

Daniel Boorstin, Zhe Image.

A Guide to Pseudo-Events, New York 1992, 5.57.

68 Vgl. Joshua Gamson, »The Assembly Line of Greatness, Celebrity in TwentiethCentury America«, in: Critical Studies in Media Communication ı (1992), S.1-24; Graeme Turner, Understanding Celebrity, London u.a. 2004. Theoretisch zu diesem Prozess auch Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, S u3 { 267

7. Creative Cities: Die Kulturalisierung der Stadt

kums gegenüber einem solchen Prominenzstar sind ambivalenter als gegenüber dem Star im engeren Sinne und verkehren sich leicht ins Negative: Der Prominenzstar ist kein faszinierendes Ideal-Ich mehr, sondern einc vollständig veralltäglichte Figur, der nicht selten mit Verachtung und Schadenfreude begegnet wird. Die mediale »Fabriziertheit« des Prominenten wird dem Publikum bewusst, und dies unterminiert seine Legitimationsgrundlage,

Im Falle des reinen Personality-Stars ergibt sich damit analog zum negativen Star eine Diskrepanz zwischen Leistung und Erfolg: zwischen der Tatsache, dass keine anerkannt wertvolle Kreations-

7.1 »Loft living«

Das New York, das in einer Ausgabe des Magazins Life im März 1970 bunt bebildert und mit knappem Text dem amerikanischen Mittelschichtsleser präsentiert wird, ist nicht mehr das New York

leistung vorliege, und dem sozialen Erfolg, zum Gegenstand perpe-

von Blake Edwards’ Breakfast at Tiffanys: nicht das luxuriöse Zen-

tuierter öffentlicher Aufmerksamkeit zu werden.“ Das Starsystem enthält damit das Potenzial, den Nexus zwischen Kreativsubjekt,

dem

ästhetischem Objekt und Publikum zugunsten einer reinen Orientierung am Publikum aufzulösen, das sich auch von jenem Neu-

igkeitsereignis affizieren lässt, dem es explizit oder implizit seinen Wert abspricht. Das Starsystem ermöglicht damit ein gesellschaftliches Dispositiv, das jene Subjekte auszeichnet, die ästhetisch aner-

kannt Neues kreieren — und unterhöhlt es zugleich.

trum

der eleganten

Partygänger,

die scheinbar

fern der Arbeit

Nichtstun frönen. Es ist erst recht nicht das New York, wie

es in Martin Scorseses Taxi Driver die Leinwand füllen wird: die

schmutzige Metropole, die für Gewalt, Gefahr und Anonymität steht. In der von L/fe porträtierten Stadt würde Holly Golightly ebenso deplaziert wirken wie Travis Bickle. Unter der Überschrift »Living Big in a Loft«! handelt es sich hier vielmehr um das ebenso unkonventionelle wie zukunftszugewandte New York der Lofts und seiner Bewohner, einer gegenkulturellen und zugleich etablierten Künstlerszene, die kreative Arbeit mit geselliger Freizeit verbindet. Charakteristisch für dieses Künstlermilieu ist der spezielle Raum, der ihnen eine Bühne bietet: chemalige Fabrikhallen, die nun als Atelierwohnungen genutzt werden.

Das Feature in Life macht das Leben in den Lofts erstmals einem breiten, überregionalen Publikum bekannt und präsentiert es als attraktive Lebensform.* Das »Loft Living« im New York der 1970er Jahre, das zunächst als kuriose Besonderheit erscheinen konnte, erweist sich langfristig als Keimzelle für einen tiefgreifenden Strukturwandel, der die Städte Nordamerikas und Westeuropas in den folgenden Jahrzehnten erfassen wird: Die räumlichen Strukturen der alten Industrie- und Verwaltungsstädte werden mehr und mehr durch urbane Formen des Wohnens und Arbeitens, der Freizeit und des Tourismus verdrängt, die eine semiotische und ästhetische 1 John Dominis, »Living Big in a Loft« in: Life, Bd.68, Nr. ı: (1970), S, 61-65.

69 Zum problematischen Verhältnis zwischen Leistung und Erfolg als Merkmal des Kreativitätsdispositivs vgl. genauer unten Kap. 8.4. 268

2 Die New Yorker Regionalpresse berichtete bereits einige Jahre früher über dieses Thema, das zu Beginn der 1960er Jahre jedoch noch als obskures, subkulturelles Phänomen behandelt wird, vgl. Gilbert Millscein, »Portrait of the Loft Generation«, in: New York Times Magazine (7. Januar 1962), $. 24-36.

269

»Kulturalisierung« der Städte betreiben. Im Zuge dieser Kulturalisierung werden die Städte zu Orten der beständigen Produktion

neuer Zeichen und Artmosphären: Sie sind nun creative cities. Im Life-Artikel deutet sich diese Entwicklung bereits an, indem

Wohnen, Stadtzentrum und Suburbanität räumlich strikt vonein-

ander getrennt sind, wird für die New Yorker Kunstszene die Nachbarschaft oder gar die Synthese von Wohnen und Arbeiten in den Innenstadtbezirken zum Modell. Nun hatte es in New York schon

die »kreative Stadt« als neues kulturelles Ideal ins Spiel gebracht wird. Vier großflächige Fotografien bilden den Mittelpunkt des Features: Auf der ersten sieht man eine Manhattaner Straßenschlucht voller Lastwagen im Stau, die von massiven, etwas düs-

seit den 1920er Jahren innerstädtische Künstlerkolonien gegeben, und seit den 1950er Jahren beginnen einzelne Künstler Industriebauten als spartanische Arbeits- und Wohnlofts zu nutzen., Im Life-

teren Altbauten der Jahrhundertwende eingerahmt wird., Die Bild-

nicht mehr auf eine marginale Boheme in Opposition zur etablierten akademischen Mittelschicht beschränkt, sondern als Avantgarde der kulturellen Entwicklung dieser Mittelschicht in Richtung einer creative class auftritt, Diese Vorbildfunktion ist einerseits durch die Vergrößerung der Gruppe möglich: Zu Beginn der 1960er Jahre

unterschrift lautet: »Hinter diesen schäbigen eine Künstlerkolonie«, Das zweite Foto wirft Fassade: In einer riesigen, immer noch etwas Ansammlung von Kunstwerken im Stil der

Fassaden verbirgt sich einen Blick hinter die dunklen Halle ist eine Minimal Art drapiert.

Artikel wird jedoch deutlich, dass die Künstlerszene der Lofts sich

Es handelt sich um eine Kombination aus Atelier und Wohnung.

leben in den New Yorker Lofts knapp 4000 Künstler, bereits Ende

Das großformatige dritte Foto zeigt das Leben in einem Loft in

der 1970er Jahre sind es — inklusive benachbarter Berufe — 50 000. Die Künstler werden damit zum Bestandteil der vielfältigen New Yorker Kreativökonomie. Zum anderen demonstriert die Fotoserie in Life exemplarisch, wie es dieser Künstlerszene gelingt, Motive der Counter Culture mit Idealen der amerikanischen Mittelschicht

seiner ganzen spektakulären Attraktivität: ein enormer Wohnraum

mit wuchtigen,

freistehenden

Holzpfeilern,

einem

spiegelglat-

ten Parkettboden, einer weiß getünchten, den Raum kreuzenden Wand, an der sich riesige Pop-Art-Bilder und Exemplare postmo-

derner Fotokunst aufreihen. Im Vordergrund erkennt man eine aus verschiedenen Möbelstilen zusammengewürfelte Sitzgruppe,

zu verknüpfen. Anders als etwa die Darstellung Jackson Pollocks

ein ebenso lässig wie stilsicher gekleidetes Paar, während im Hin-

ler bei der Arbeit mystifiziert wurde,” werden die Soho-Künstler

tergrund ein Kind den Wohnraum mit dem Fahrrad durchquert.

in ihrem heimischen Wohn- und Arbeitsraum als Repräsentanten eines Lebensstils in Szene gesetzt, der als kulturelles Vorbild taugt.

Der auf dem vierten Foto abgebildete Lofrwohnraum schließlich wird von einer Partygesellschaft bevölkert, die größtenteils ins Ge-

in Hans Namuths Kurzfilm, in der Pollock als heroischer Künst-

Die Kombination von kreativer, selbstorganisierter Arbeit, Freizeit

spräch vertieft ist. Der Raum scheint gleichzeitig als Arbeitsatelier

und Privatsphäre im gleichen Raum sowie die antikonformistische

zu dienen, wird jedoch durch ein riesiges rot-blaues Sitzkissen aufgelockert, auf dem einige der Besucher Platz genommen haben. Im Hintergrund spielt die japanischstämmige Gastgeberin mit einem der Gäste Tischtennis. Im Text äußert sie sich zur Größe des Lofts und bringt diese offensiv mit ihrer Kreativität in Verbindung: »Wenn du in winzigen Wohnungen lebst und arbeitest, bleiben auch deine Ideen winzig.« Das Leben im Loft im New Yorker Soho-Distrikt, wie es der

ästhetische Gestaltung der Räume lehnen sich an gegenkulturelle

Life-Artikel präsentiert, enthält damit eine Reihe von Merkmalen,

die sich für die Transformation des Stadtraums in den folgenden Jahrzehnten als paradigmatisch herausstellen werden, Während die amerikanische Mittelschichtsfamilie der Nachkriegszeit idealerweise im Einfamilienhaus in der Vorstadt logiert und Arbeiten und 270

Muster an. Zugleich jedoch erscheinen die Künstler als Vertreter eines — egalitär gewendeten — Kleinfamilienideals, als Teilnehmer

an einem beruflichen Interaktionsnetzwerk und schließlich als Repräsentanten gesellschaftlichen Erfolgs: Im Gegensatz zur prekären Existenz in den Künstlerlofts der Nachkriegszeit beeindrucken die

Lofts nun durch die hochwertige und zugleich authentisch wirkende Renovierung und ausgesuchte Möblierung. An die Stelle des marginalen Künstlers tritt die Figur des erfolgreichen Künstlers als Kreativarbeiter.

Das Loft als Raum ist dabei kein bloßer Hintergrund für den 3 Vgl. die Interpretation in Kapitel 3.1. 271

Lebensstil der Kreativen, dieser bildet sich vielmehr erst durch das räumliche Arrangement.

Wohnungen

und

Der genutzte Raum

Büros außergewöhnlich

ist für zcitgenössische

groß, und charakteris-

tischerweise handelt es sich um ein einziges Zimmer, das nicht in

einzelne Räume für spezielle Tätigkeiten aufgeteilt ist. Fußböden

mit die moderne Metropole insgesamt charakterisieren wollte.®* Auf die Innenarchitektur der Lofts bezogen, bietet dessen Atmosphäre der Weite und Offenheit — die man sonst eher aus staatlichen und religiösen Repräsentationsbauten kennt — dem privaten Leben einen

Deckenträger bleiben bewusst sichtbar. Für die äußere Erscheinung

Ort, an dem sich die Dramatik des Sozialen abspielen kann. Es ist ein Ort, der sich durch einen postaristokratischen Raumexzess auszeichnet und den Entfaltungsbedürfnissen eines primär nach Selbst-

der Lofts sind häufig ein Mauerwerk aus Ziegelsteinen und eiserne

verwirklichung strebenden spätmodernen Subjekts zu entsprechen

Feuerleitern kennzeichnend.

wodurch sich die industriellen Relikte der Jahrhundertwende in

scheint. Die Entdifferenzierung des Raums, die eine flexible und experimentelle Nutzung ermöglicht, suggeriert zudem eine »Ganzheitlichkeit« des eigenen Lebens. Der Raum wird im Loft zu einem

Orte einer postmodernen Industrieästhetik verwandeln, Da das Industriezeitalter beendet zu sein scheint, werden seine architek-

sondern ähnelt einem Ausstellungsraum, in dem das Leben der Be-

und Decken sind in der Regel aus massivem

Holz, die hölzernen

Die Architektur des Industriezeital-

ters wird in den Lofts somit zum Gegenstand einer »Umnutzung«,*

tonischen Überbleibsel nicht mehr mit harter körperlicher Arbeit an gesichtslosen Maschinen

assoziiert. Stattdessen erlebt man

die

bewussten Gegenstand des Erlebens, ist nicht nur Hintergrund, wohner und Besucher auf immer andere Weise aufgeführt wird. Das Feature »Living Big in a Loft« im Life-Magazin markiert

Architektur nun als Zeichen einer »Authentizität«, die sich sowohl aus der ununterbrochenen historischen Nutzung des Gebäudes als

eine historische Übergangsphase: Die Transformation des Stadt-

auch

ableitet,

genkultur und noch nicht ganz Hegemonie ist,” Dieser Punkt des

Zudem werden im Sinne einer Ästhetik des Postmodernismus die historischen mit zeitgenössischen Elementen kombiniert, etwa in

Übergangs manifestiert sich in der Ambivalenz der Bilder: Das letz-

der Inneneinrichtung. Der Loftraum scheint damit für die Entfaltung eines individuellen Stils, der sich aus unterschiedlichen histo-

und die im Hintergrund Tischtennis spielende Gastgeberin zeigt,

stellt bereits ein ebenso professionelles wie hedonistisches soziales

rischen Epochen bedient und damit auf Distanz zur Standardisie-

Netzwerk zur Schau. Das Foto mit den Minimal-Art-Kunstwerken

rung der Inneneinrichtung im suburbanen Einfamilienhaus geht, geradezu prädestiniert.

hingegen weckt beim Betrachter eher Assoziationen einer schwer durchschaubaren Underground Culture, weit entfernt von der bür-

Der Loftraum ist besonders dafür geeignet, jene räumliche »At-

gerlichen Mehrheit, Des Weiteren ist bemerkenswert, dass die Fo-

mosphäre«, das heißt jene sinnlich-affektive Stimmung, anzuregen,

toserie auf die Innenräume der Lofts beschränkt bleibt. Sie arbei-

aus

den

vermeintlich

natürlichen

Baumaterialien

raums wird von einer Gruppe getragen, die nicht mehr ganz Ge-

te Foto des Artikels, das die im Gespräch vertiefte Partygesellschaft

auf die die japanische Künstlerin mit ihrer Aussage »Wenn du in

tet letztlich mit einer Innen-außen-Differenz zwischen

winzigen Wohnungen lebst und arbeitest, bleiben auch deine Ideen

Raum für das alltägliche »Sozialdrama«.* Der Begriff des Sozialdra-

als komfortablen Aufenthaltsräumen und der Unwirtlichkeit des öffentlichen Raums, in dem sich diese befinden. Der Prozess, in dem die Ästhetisierung des Raums von den Innenräumen auf die

mas wurde vom Stadrthistoriker Lewis Mumford eingeführt, der da-

öffentlichen Räume übertragen und sogar zum Ziel der politischen

winzig« anspielt. Mit Sharon Zukin gesprochen, bietet das Loft den

den Lofts

S

Stadtplanung wird, findet in New York und anderswo systematisch Vgl. zum Phänomen der Umnutzung von Gebäuden in der spätmodernen Stadt Michael Guggenheim, »Mutable Immobiles. Change of Use of Buildings as a

erst seit den 1980er Jahren statt.

Problem of Quasi- Technologies«, in: Thomas

6 Vgl. Lewis Mumford, »Whar is a City?«, in: Architectunil Record 82 (1937). S.58-

Bender/Ignacio Farias (Hg.), Urban

Assemblages, How- Artor-Network Theory Changes Urban Studies, London 2009, “

S.161-179.

Vgl. Sharon Zukin, Loft Liring. Culture and Capital ın Urban Change, Baltimore 1982, S. 68 .

272

62.

7 Der Umschlag in den Mainstream ist in New York endgültig erreicht, als sich 1979 in der New York Times großflächige Immobilienanzeigen unter dem Titel »THE ULTIMATE in Loft Living« finden. Vgl. Zukin, Loft Living, S.64.

273

7.2 Funktionale Stadt und kulturorientierte Stadt

ist im generellen Stellenwert des Phänomens »Stadt« begründet: Städte sind soziale Totalphänomeme, sie sind nicht einzelnen, funk-

In den modernen Gesellschaften verdichtet sich das Soziale räumlich in den Städten,® wobei sich für alle historischen Versionen der

tional spezialisierten Systemen wie der Ökonomie, der Kunst oder

Moderne seit dem 18. Jahrhundert jeweils ein charakteristischer

diverse soziale Praktiken ganzer kultureller Lebensformen, Praktiken des Arbeitens, des Konsumierens, des privaten Wohnens, der

Stadttypus ausbildet. Die aktuelle, spätmoderne Transformation

der westlichen und schließlich der globalen Großstädte, die sich seit den 1970er Jahren herauskristallisiert hat und für die der Sieges-

zug der Lofts exemplarisch erscheint, hat der Stadtplanungsdiskurs programmatisch unter dem Etikett der creative cities zusammengefasst.” Aus soziologischer Distanz würde ich vorschlagen, hier von einer Kulturalisierung der Städte zu sprechen, die sich zunehmend

nicht mehr als funktionale, sondern primär als kulturelle Gebilde verstehen.!” Für das Kreativitätsdispositiv bildet diese Kulturalisierung des urbanen Raums eine tragende Säule. Das zentrale Merkmal dieses Stadttypus besteht darin, dass er für Bewohner, Besucher und Berufstätige zum Produktionsort immer neuer Zeichen,

Erlebnisse und Atmosphären wird. Die creative cities bezeichnen im normativen Diskurs ein erstrebenswertes Ideal, aber im Kontext

einer Theorie des Kreativitätsdispositivs muss der Begriff anders interpretiert werden: Moderne Großstädte sind nicht »von Natur aus kreativ«,'! — eine natürliche Kreativität, die sich in der Gegenwart endlich entfalten könne --, sie werden seit den 1980er Jahren vielmehr gezielt in eine Form gebracht, so dass sie dazu in der Lage sind, auf Dauer »urbane Erfahrungen« des ästhetisch Neuen hervorzubringen.'* Die besondere Bedeutung der sich kulturalisierenden Städte für die gesellschaftliche Durchsetzungskraft des Kreativitätsdispositivs 8 In diesem Abschnitt lehne ich mich teilweise an Passagen aus meinem Aufsatz

»Die Selbstkulturalisierung der Stadt: Zur Transformation moderner Urbanität \

in der »creative city«, in: Mittelweg 36 (2009), S.2-34 an.

Vgl. Charles Landry, Z7he Creative City. A Toolkitfor Urban Innovators, London 2009.

ı0 Dazu auch Sharon Zukin, Zhe Cultures of Cities, Malden 1995.

ı1 Dies suggeriert etwa die Stadrthistoriographie von Peter Hall, Cities of Tomorrow, An Intellectual History of Urban Planning and Design in the Twentieth Century,

den Massenmedien zugeordnet, in ihnen vernetzen sich vielmehr

Kunst und der Wissenschaft, Das Besondere der Städte als soziale Gebilde besteht zudem darin, dass sie auf umfassende Weise den Raum arrangieren und Ärtefakte und Subjekte im Raum platzieren, Städte prägen ihre eigene soziale Materialität aus, denen — stärker als Zeichen oder Handlungen — eine historische Persistenz zukommt,

In der Stadtsoziologie hat es seit der Chicago School der 1920er Jahre eine Neigung gegeben, die Stadt in erster Linie als eine räumliche Anordnung von Bewohnern zu begreifen und vor diesem Hintergrund nach den sozialen Ungleichheiten zwischen einzelnen Wohnvierteln zu fragen. Louis Wirth definierte die Stadt entsprechend über die drei Merkmale der Größe, der Dichte und der Heterogenität ihrer Bevölkerung.‘* Vor dem Hintergrund der neueren Raum- und Kulturtheorie kann man jedoch eine komplexere Perspektive auf das Urbane entwickeln.!* Ich gehe davon aus, dass die Stadt als soziales Gebilde auf drei Ebenen existiert. Auf einer ersten Ebene sind Städte nicht nur Ansammlungen von menschlichen Bewohnern, sondern Gefüge von materialen Artefakten, die nicht nur »im« Raum existieren, wie es ein traditionelles Con-

tainermodell des Raums suggerieren würde, sondern spezifische Raumkonstellationen produzieren und arrangieren: Gebäude, Verkehrswege, gestaltete Natur (Grünanlagen), Energieinfrastruktur (Wasser und Entwässerung, Elektrizität) etc. Dass Städte »soziale« Gegebenheiten von erheblicher Dichte sind, heißt dann, dass sie in einer erweiterten Bedeutung von Sozialität aus Subjekten ebenso wie aus Objekten, aus komplexen Arrangements von Menschen

und Dingen von enormer Ballung bestehen.'* Diese Materialitä13 Vgl. Louis Wirth, »Urbanism as a Way of Life«, in: American Jaurnal of Sociology 44 (1938), S.1-24. ı14 Vgl. zur Raumtheorie Henri Lefebvre, Production of Space [19741, Oxtford 1998,

Oxford 1989, ı2 Vgl. zur emphatischen Profilierung des Begriffs der urban experience Allan Ja-

auch Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft, Frankfur/M., New

cobs/Donald Appleyard, Zoward an Urban Design Manifesto. Technical Report, Institute of Urban & Regional Design, Berkeley 1982.

15 Vgl. Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen An-

274

York 1984, Kapitel 3; Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt/M. 2001. thropologie [1991], Berlin 1995.

275

ten und ihre räumliche Struktur beeinflussen, welche Praktiken in

ihnen möglich sind, aber sie werden zugleich durch solche Prak-

tiken der Benutzer und

Bewohner

hervorgebracht

und gestaltet.

Auf dieser zweiten Ebene besteht die Stadt aus ihrer Nutzung, aus

den alltäglichen Weisen des Umgangs mit ihr, die nach Art eines

spacing den Raum strukturieren und markieren. Diese Praktiken verarbeiten — drittens — spezifische Zeichen, kognitive Landkarten, Bilder und Diskurse des Urbanen, in denen die Stadt erst eine kulturelle Bedeutung erhält. Wenn Strädte ein soziales Totalphänomen bilden, dann auch insofern, als sich alle drei Ebenen miteinander verknüpfen, so dass der Stadt eine kulturelle Relevanz wie auch ein materiales Beharrungsvermögen zukommt. Zur besonderen Bedeutung, die der Stadtentwicklung für die Ausbildung des Kreativitätsdispositivs zukommt, trägt bei, dass sie unter modernen Bedingungen eine enge Relation zum Politischen

unterhält. Im Stadtraum konzentrieren sich politisch-staatliche Steuerungsaktivitäten, die sich in Repräsentationsbauten und öffentlichen Orten, im Wohnungsbau, den Verkehrswegen und der

Förderung oder Hemmung öffentlicher Aktivitäten manifestieren, In den Städten ist die Ausübung politischer Herrschaft nicht auf

die abstrakten Medien

rechtlicher Regeln und monetärer Ströme

beschränkt, sie wirkt darüber hinaus mittels der Gestaltung der Materialität des Raums. Tatsächlich wird mit der Einbeziehung der Städte in die Genealogie des Kreativitätsdispositivs eine entscheidende aktuelle Entwicklung sichtbar: Seit den 990er Jahren leistet

die staatlich-politische Steuerung auf dieser scheinbar niederen,

aber für die soziale Praxis wirkungsmächtigen kommunalen Ebene der Städte einen erheblichen Beitrag zur Festigung und Verbreitung

des Dispositivs der Kreativität und seines ÄsthetisierungsimperativS.

Die allmähliche Entstehung der kulturorientierten Stadt seit den 1970er Jahren ist nicht verständlich ohne ihren Vorgänger, der zugleich ihr Gegenstück ist: die »funktionale Stadt«,!* Die funktionale Stadt breitete sich in unterschiedlichen europäischen und nordamerikanischen Versionen in den 1920er und 1930er Jahren aus und lisst sich als räumliches Korrelat zur fordistischen »orga16 David Harvey spricht von einer Ablösung des Modells der »urbanen Planung« durch das des »urbanen Designs«, vgl. David Harvey, 7he Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Oxford 1989, 5. 66 f

276

nisierten Moderne« verstehen, ‘”W das sich seinerseits in Abgrenzung

zum Typus der bürgerlichen Stadt des 19. Jahrhunderts entwickelt harte.'* Für diese klassische europäische Stadt des 17. bis 19. Jahrhunderts war der strikte Dualismus zwischen Stadt und Land eben-

so grundlegend wie die Differenzierung zwischen öffentlichem und

privatem Raum. Ihre ökonomische Basis war der Handelskapitalismus. Die bürgerliche Stadt war zudem geprägt von einer Kon-

zentration der zentralen Funktionsorte bürgerlichen Lebens in ihrem geografischen Zentrum. In der zweiten Hälfte des 19. Jahr-

hunderts wird sie zum Ziel groß angelegter Stadtplanungsprojekte, am prominentesten im Falle von Paris unter der Ägide von Baron

Haussman, Der Typus der bürgerlichen Stadt gerät danach rasch in die Defensive, da ihr die planerischen Mittel zur Verarbeitung der

massiven Umwälzung des Urbanen fehlen, die mit der Industria-

lisierung, Landflucht und Proletarisierung einsetzt, und ihr somit am Ende des 19. Jahrhunderts soziale Desintegration droht.

Die funktionale Stadt liefert gewissermaßen eine gesellschaftlich wirkungsmächtige Antwort auf die bürgerliche Stadt. Von den 1920er Jahren bis in die 1970er Jahre dominiert sie den stadtplanerischen Diskurs im Westen ebenso wie in den neuen sozialistischen

Gesellschaften und wird zu großen Teilen in eine neue städtische Realität umgesetzt.‘? Ihre ökonomische Basis bilden Industrie und

Verwaltung, Das elementare Problem, auf das die funktionale Stadt sich als radikal moderne Antwort versteht, betrifft die Organisation des Arbeitens und Wohnens für Menschenmassen, somit die Schaffung einer neuen städtischen Ordnung, und ihr Leitgedanke ist die räumliche Trennung der Sphären des Arbeitens und des

Wohnens. Lebensstandard und Lebensqualität für die Massen erfordern in dieser Vorstellung eine strikte räumliche Auslagerung des Wohnens und Lebens, einschließlich der Freizeitaktivitäten, aus der inneren Stadt, Damit wird die Regulierung des Verkehrs — als öffentlicher Verkehr oder als Individualverkehr — zum zentralen Gestaltungsproblem. Das städtebauliche Ideal des Funktionalismus

ist das der »Serie«, das heißt die Reproduktion eines Prototyps, sei 17 Vgl. zur organisierten Moderne zusammenfassend Kap. 8.1. ı8 Vgl. dazu nur Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft V: Die Stadt, in: MaxWeber-Studienausgabe (MWS) 1/22-5, Tübingen 2000, S, 17-35.

ı9 Vgl. dazu Thilo Hilpert, Die funktionelle Stadt. Le Corbusiers Stadtvision — Bedingungen, Motive, Hintergründe, Braunschweig 1978, S. 14-20 und S. 39-57.

277

es im Wohnblock, sei es im Einfamilienhaus, und ihr ästhetisches Prinzip das eines antiornamentalen Purismus, der sich bis in die Gestaltung der Innenarchitektur von »Wohnmaschinen« fortsetzt. Die funktionale Stadt tritt in zwei Versionen auf: der europäischen, in der die Konzentration der Bevölkerung in Wohnblöcken dominiert, und der US-amerikanischen des Suburbanismus, der auf den Ausbau der Vorstädte setzt. Le Corbusier und Frank Lloyd Wright repräsentieren diese beiden stadtplanerischen Versionen.“ Die funktionale Stadt gerät zusammen mit der fordistischen Ökonomie zu Beginn der 1970er Jahre in eine Legitimationskrise. Zwei Phasen sind hier zu unterscheiden: Zunächst bahnt sich das Alternativmodell einer kulturorientierten Stadt in sozialen Nischen an, vor allem in einem kritischen Stadtdiskurs bei Planern und Architekten, aber auch in der Okkupation von innerstädtischen

Vierteln durch Gegen- und Subkulturen und durch die postmaterialistische Mittelschicht. In einer zweiten Phase seit den 1980er

und einzelnen städtebaulichen Ensembles eine — wie auch immer empfundene — sinnlich-affektive Atmosphäre zukommt. Dies gilt auch für den funktionalistischen Stadttypus. Dass seit den 1970er Jahren Bewohner, Besucher, städtische Okonomie und schließlich

auch die politische Planung Kulturalisierungsstrategien verfolgen, heißt jedoch, dass von den beteiligten kollektiven Akteuren ein reflexiver Bezug zum Kulturellen der Stadt hergestellt wird, deren Zeichen und Atmosphären gezielt gesteigert, intensiviert und ver-

dichtet werden sollen. »Kultur« als Leitbegriff ist im Kontext der spätmodernen Stadt uneingeschränkt positiv besetzt. Sie wird zu-

gleich mit der vitalistischen Konnotation des Dynamischen

und

Beweglichen verknüpft, die sich im Etikett der creative cities nicderschlägt. Wenn Städte sich als kreativ zu modellieren versuchen, dann bezieht sich dies auf jene Kulturalisierungsstrategien, die eine Mobilisierung und Vervielfältigung der kulturellen Ressourcen der Stadt zu betreiben versuchen.

Jahren wird die kulturelle Dynamik zu einem Ziel der Stadtpolitik

Die Kulturalisierung des Urbanen umfasst zunächst eine Semi-

selbst, wofür das von der britischen Labour-Regierung initiierte Programm »Towards an Urban Renaissance« 1998 den sichtbarsten Ausdruck liefert.? Sowohl der kritisch-gegenkulturelle Urbanis-

otisierung, das heißt die Steigerung und Verdichtung der symboli-

schen Qualitäten des Stadtraums, der als ein Ort der Generierung von Zeichen verstanden wird. Die symbolische Dichte der kultur-

musdiskurs als auch die kulturorientierte Stadtplanung betreiben

orientierten Stadt steht im Gegensatz zur symbolischen Leere der

eine aktive Kulturalisierung des Urbanen, die sich von der vorgeblichen Entfremderheit und Standardisiertheit der funktionalen Stadt abgrenzt. Diese Kulturalisierungsstrategien umfassen drei Elemente: die Semiotisierung, die reflexive Historisierung und die sinnlich-affektive Ästhetisierung des Stadtraums. Inwiefern handelt es sich hier um Kulturalisierungsstrategien?

funktionalen Stadt. Die Kulturalisierung enthält zweitens eine reflexive Historisierung: eine Wertschätzung

und Neuaneignung

des

historischen Erbes der Stadt und zugleich dessen flexible Kombination mit dem Zeitgenössischen. Sie umfasst drittens — und letztlich

als Fluchtpunkt des gesamten Prozesses — eine Ästhetisierung im engeren Sinne, das heißt, eine gezielte Steigerung und Verdichtung

»kulturell« insofern, als sich Bewohner

von sinnlich-affektiven urbanen Atmosphären, die unabhängig von

und Planer in ihnen mit spezifischen kognitiven Landkarten bewegen, ihnen alltagspraktisch ein Zeichen- und Symbolcharakter

der praktischen Nutzung des Stadtraums sinnliche und emotiona-

Städte sind immer schon

20 Le Corbusier entwickelt die Vision einer »Contemporary City of Three Million Inhabitants« mit geometrisch abgezirkelten und hochverdichteten neuen Stadtteilen, während Frank Lloyd Wright auf die suburbane Vision der »Broadacre City« setzt, die aus Einfamilienhäusern bestehen soll. Vgl. Le Corbusier, »A Con-

temporary City« [1922], in: ders., 7he City of Tomorrow and its Planning, London 1987, S. 163-180; Frank Lloyd Wright, »Broadacre City: A New Community 2

278

Plan«, in: Architectural Record 4 (1935), S.243-254. Vgl. dazu Robert Imrie/Mike Raco, Urban Renaissance? New Labour, Community and Urban Policy, Bristol 2003; Richard G. Rogers, 7owards an Urban Renaissance. Final Report of‘the Urban Task Force, London 1999.

le Befriedigung verschaffen. Auch die semiotische und historische Verdichtung erweist sich am Ende als Mittel zum Zweck dieser Ästhetisierung: Die semiotischen Umcodierungen und historischen Anreicherungen der Stadt sollen zur Bildung befriedigender Atmosphären

beitragen. Wenn

Louis Wirth

der Stadt in seiner klassi-

schen Definition generell soziale Dichte zuschreibt und dies auf

die Dichte der Bevölkerung bezieht, dann wird deutlich, dass die kulturalisierte Stadt eine Dichte neuer Qualität, eine dÄsthetischhistorisch-semiotische Dichte anstrebt, die nicht nur eine Dichte der Bewohner und der Artefakte ist, sondern auch eine Intensität, Bal279

Jung und Dynamik von Zeichen, Historizität und Atmosphären umfasst.

ationisten skizziert wird; ein bürgerlicher Vitalismus des Urbanen, für den vor allem Jane Jacobs steht; schließlich der Urbanismus der kritischen Architekten der 1960er Jahre, beispielhaft bei Aldo Rossi und Robert Venturi.* Der Kulturhistoriker Lewis Mumford und der Stadtplaner

Die Genese dieser urbanen Kulturalisierung und ihren Beitrag zur Erablierung des Kreativitätsdispositivs will ich im Folgenden schrittweise nachvollziehen: Auf den Kritischen Urbanismus, der sich in den 1960er Jahren in Opposition zur funktionalen Stadt ausbildet, folgt seit den 1970er Jahren ein mehrdimensionaler Prozess der Kulturalisierung des Stadtraums, dessen wichtigste Bestandteile die Ästhetisierung der Innenstadtwohnviertel, die ökonomischen

neuzeitlichen Stadt aus, von dem sich die urbane Realität in den Vereinigten Staaten der Nachkriegszeit jedoch weit entfernt habe. Zur Rechtfertigung einer solchen idealen Stadt stützen sie sich auf

creative clusters, die postmodernen

humanistisch-anthropologische Argumente,

Konsumräume

und der Trend

Kevin Lynch gehen jeweils auf ihre Weise vom Idealtypus der

und zu ihrer Charak-

zur Musealisierung sind. Es kristallisiert sich eine politisch geförderte »kulturorientierte Gouvernementalität« des Urbanen heraus,

terisierung bedienen sie sich jeweils einer ästhetisch orientierten

die seit der Jahrtausendwende versucht, die creative city als Ort der permanenten Produktion des ästherisch Neuen auf Dauer zu stel-

Mumford, der sich bereits in den späten 1930er Jahren kritisch zur Stadtentwicklung äußert, muss die Stadt so organisiert sein, dass sie ihren Bewohnern ein »1heater sozialen Handelns«, einen Raum für das alltägliche »Sozialdrama« bietet.?* Die Stadt ist gewissermaßen der Ort einer Goffman’schen »Präsentation des Selbst« im Alltags-

len.

7.3 Kritischer Urbanismus: Der Protest gegen die sinnliche Leere Die

kulturorientierte

Stadt

wird

zunächst

vom

Urbanismusdis-

kurs der 1960er Jahre als Vision gegen die staatliche Planung der funktionalen Stadt in Stellung gebracht. Sie erhält im Rahmen der Studenten- und Protestbewegung einen Schub und bildet den Hintergrund für die diversen Bewegungen aus den Sub- und Gegenkulturen, der akademischen Mittelschicht und der kritischen Stadtplaner und Architekten, die seit 1970 auf eine Regenerierung der im Kontext der funktionalen Stadt häufig funktionslosen, verfallenen oder entvölkerten Innenstädte als Wohn-, Freizeit- und Arbeitsorte setzen. Schon in dieser ersten Phase gehen Elemente

des Kritischen Urbanismus in einige der lokalen Stadtpolitiken ein, etwa in die Tendenzen zum Denkmalschutz. Der kritische Urba-

nismusdiskurs bildet einen Komplex heterogener Elemente, die alle auf ihre Weise für die Utopie einer ästhetisch-semiotisch-historisch verdichteten Stadt stehen und deren Rcealisierung im Namen der Bewohner und Nutzer einfordern. Mindestens vier Stränge lassen sich unterscheiden: ein humanistischer Kulturalismus des Urba-

nen, einflussreich bei Lewis Mumford und Kevin Lynch; ein kulturrevolutionärer Urbanismus, wie er von den französischen Situ280

Metapher: der des Dramas beziehungsweise der des Bildes. Für

leben, der den Bewohnern eine Intensivierung und Differenzierung des urbanen Erlebens verspricht. In diesem Sinne gelte: »Die Stadt fördert die Künste und £st selbst Kunst«. Für Mumford sind die öffentlichen Aufführungen der Urbanität, die das Leben intensivieren, nicht unbedingt harmonisch und konfliktfrei, aber sie sind auf‘ ein eindeutiges, überschaubares räumliches Zentrum angewiesen.

Kevin Lynchs Metapher gelungener Urbanität ist die des wohlgestalteten Bildes.** Sie setzt eine der konventionellen Stadtplanung entgegengesetzte Perspektive voraus: Lynch

nimmt

die Position

des Nutzers ein, der als ein psychologisch-ästhetisches Wesen mit emotionalen Bedürfnissen verstanden wird, das die Stadt im Alltag sinnlich erfährt. Diese sinnliche Erfahrung sei primär eine visuelle, und die ideale Stadt verschaffe dem Bewohner darin immer 22 Der kritische Urbanismus ist vom Metropolendiskurs der Avantgarden beeinflusst, der von Baudelaire bis zu Walter Benjamin und Virginia Woolf reicht und der auch die Figur des Flaneurs als ein mobiles Erlebnissubjekt, das für urbane Attraktionen offen ist, hervorbringt. Während der Avantgardediskurs sich jedoch vor dem Hintergrund einer spätbürgerlichen Stadt bewegte, die dabei war, ihre Grenzen zu sprengen, gewinnt der kritische Urbanismus seine Schärfe aus der Auseinandersetzung mit der funktionalen Stadt. 23 Vgl. Lewis Mumford, 7hbe City in History, New York 1961; ähnlich bereits ders., The Culture of Cities, New York 1938. 24 Vgl. Kevin Lynch, Zbe Image of the City, Cambridge 1960. 281

wieder »emotionale Befriedigung«.? Die wahrnehmungspsychologische Frage, wie diese Befriedigung erreicht werden kann, beant-

wortet Lynch, indem er auf die beiden Grundsätze der Lesbarkeit (legibility) und der Bildfähigkeit (imageability) verweist. Lesbarkeit meint hier, dass der Betrachter die einzelnen Elemente des urban Sichtbaren in ein kohärentes sinnhaftes Ganzes einzuordnen vermag, während Bildfähigkeit bedeutet, dass die Orte der Stadt sowohl einzeln als auch insgesamt dazu in der Lage sind, starke und intensive, erinnerungsfähige und positiv besetzte Bilder heryvor-

zurufen, Der idealen Stadt gelingt es, über ein Arrangement ihrer stadträumlichen Elemente — Pfade, Ränder, Viertel, Knoten- und Markierungspunkte — einen sinnlichen Eindruck zu verschaffen, der »sichtbar, kohärent und klar«? ist. Die Idealstadt, und hierfür

sind die italienischen Renaissancestädte beispielhaft, ist bei Lynch nicht dynamisch oder gar chaotisch, sondern ästhetisch stabil und auf geradezu klassizistische Weise harmonisch. Während Mumford und Lynch die ästhetische Erfahrung des Urbanen im Wesentlichen als einen Akt der Wiederholung und Routine verstehen, dynamisieren die französischen Situationisten das urbane Erleben mit Vehemenz und stellen es in einen gesellschaftskritischen Kontext.” Das situationistische Denken — pro-

minent bei Guy Debord, der Impulse vom Surrealismus und von Henri Lefbvres Stadttheorie aufnimmt — beeinflusst in den 1970er

Jahren etwa in Paris, Westberlin, Bologna oder Zürich das Verhältnis der Counter Culture zur Stadt in entscheidender Weise, Die

Situationisten zielen mit kulturrevolutionärem Gestus ganz grundsätzlich auf die Schaffung sinnlich und affektiv befriedigender Alltagssituationen. Das Ziel ist die »Verringerung der leeren Augenblicke«; es geht darum, die »poetischen Objekte und Subjekte [zu]

vervielfachen, die zur Zeit leider so selten sind«.?® Die Alltagstechnik des derive, des zweckfreien Umherstreifens in der Stadt, wird

zur wichtigsten Methode: Die Umgebung stellt sich als ein sinnliches, affektives und semiotisches Feld der Anregung dar, in das 25 Ebd,., S.5. 26 Ebd,, S.91.

27 Vgl. dazu nur Tom McDonough, 7he Situationists and the City, London 2009. 28 Guy Debord,

»Auf dem

Weg zu einer Situationistischen

Internationale«,

in:

Robert Ohrt (Hg.), Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten, Hamburg 2008, S. 39-44, hier: S, 41. 282

der Betrachter eintaucht. Gegen die Langeweile der Wiederholung erscheint die Stadt — das Paradebeispiel bleibt Paris — potenziell als Ort der Begegnung mit den Überraschungen des »Anderen«: Relikte historischer Ereignisse, Begegnungen mit fremden Ethnien und Milieus etc. Damit sich die Stadt in eine ästhetische Umge-

bung verwandeln kann, sind sowohl eine ästhetisierte Haltung des Nutzers als auch ein Stadtraum nötig, der sich ästhetisieren lässt.

Die historisch heterogenen Stadtlandschaften, in denen sich unterschiedliche zeitliche und semiotische Schichten übereinanderlagern, scheinen den Situationisten anders als die Geschichtslosigkeit der funktionalen Architektur dafür besonders geeignet. Die Alltagsästhetik des derive setzen sie dabei der Gesellschaft des Spektakels (Debord) strikt engegen: Während Letztere den passiven Konsumenten voraussetzt, geht es nun um die eigensinnige Kreativität

einer aktiven Aneignung der Stadt. Einflussreich ist die von Henri Lefebvre weitergeführte situationistische Grundintuition, der zu-

folge der Umgang mit der Stadt sich nicht auf einen espace congu, einen klassifizierbaren Raum, reduzieren lassen darf, sondern einen

espace vEcu, einen sinnlich-affektiv erlebten, verhältnismäßig ungeordneten Raum, umfassen sollte.?

Das Ideal der Großstadt als »gelebter Raum« findet sich in einer etwas profaneren Version auch in der international wohl wichtigsten urbanismuskritischen Schrift der 1960er Jahre: in Jane Jacobs’ The Death and Life of Great American Cities.” Die Autorin hält die US-amerikanische Stadtplanung der 20. Jahrhunderts bis dahin für grundsätzlich gescheitert, und sieht die Ursache hierfür in deren

clementarer Skepsis gegenüber den Chancen der Urbanität, Dies gelte für die auf den ersten Blick konträren Bewegungen der funktionalistischen Planung nach Le Corbusier mit ihrer extremen Verdichtung von Wohnfunktionen ebenso wie für Ebenezer Howards 29 Vgl. Lefebvre, Production of Space, S.362 ff Die Versuche der Situationistischen Internationale, dem architektonischen Funktionalismus eine Alternativarchitekzur entgegenzusetzen, wie es vor allem Mark Wigley Constant mit seinem Mo-

dell der Orange Construction erprobt — ein verdächtig futuristischer Prototyp für eine Gesellschaft ohne Arbeitszwang —, bleiben dagegen eine Episode. Das Gleiche gilt für Ansätze einer revolutionären Radikalisierung, die dem Spektakel das urbane »Fest« nach Art des Pariser Kommunenkampfs entgegenstellen wollen. 30 Jane Jacobs, 7he Death and Life of Great American Cities, The Failure of Current Planning, New York 1961. 283

Gartenstadtbewegung mit ihrem Kleinstadtideal.? »Urbanität« ist für Jacobs eine vitalistische Leitformel. Sie verweist auf »Lebendig-

Deren Interesse gilt nicht allein dem einzelnen Gebäude, sondern

keit«, und deren wichtigste Bedingung ist Diversität (diversity): eine

der Neuorganisation der Städte insgesamt. An der internationalen

Ansammlung von unterschiedlichen Subjekten, Milieus, Praktiken, Architekturstilen, Eindrücken und Erlebnissen. Diversität wird aus Jacobs’ Sicht durch das ermöglicht, was sie eine »gemischte Nut-

Hegemonie der funktionalistischen Architektur und Stadtplanung mit ihrem International Style im Sinne von Le Corbusier, die spä-

zung« (mixture of use) von Häusern, Straßen und Vierteln nennt,

testens 1928 mit dem Architektenkongress von La Sarraz (CIAM) erreicht war, hatte es von Anfang an vereinzelte Kritik gegeben,

und steht der funktionalistischen und suburbanistischen Vision einer strikten räumlich-sachlichen Grenzziehung zwischen Wohnen,

in der Nachkriegszeit etwa bei Alvar Aalto oder Oskar Niemeyer.* Den eigentlichen Durchbruch für eine antifunktionalistische

Arbeiten und Freizeit entgegen. Große Srtädte zeichnen sich dann nicht durch große Einheiten, sondern durch eine Kombination vieler kleiner, spezialisierter und hochindividueller Einheiten (zum Beispiel Spezialgeschäfte, spezielle Kulturangebote) aus. Avant Ia

lettre skizziert Jacobs damit ein »postmodernes« Stadtmodell, das kulturelle Heterogenität zum Ideal erklärt — freilich die friedliche,

fast idyllische Heterogenität eines »wunderbaren, fröhlichen Lebens auf den Straßen«.?

Für Jacobs muss die Stadtplanung daher von einer »mechanischen« zu einer »organischen« Planungsperspektive übergehen. In diesem Zusammenhang kommt der Revitalisierung der Altbauviertel eine ebenso zentrale Rolle zu wie einer Straßenführung, die mit visuell reizvollen Unterbrechungen und Unregelmäßigkeiten arbei-

tet, Individualität und Nichtaustauschbarkeit schon jeder einzelnen Straße seien zu fördern. Die Diversität lasse sich dabei nicht im

strikten Sinne politisch planen, sie sei eigentlich natürlicherweise in den Städten vorhanden und durch entsprechende Rahmenbe-

dingungen zu erleichtern: Die Diversität der Stadt ist meist das Ergebnis der Kreation einer unglaublich großen Zahl von verschiedenen Menschen und privaten Organisationen, [...] Die Hauptverantwortung der Stadtplanung bestcht dann darin, dass die Städte kongeniale Orte für diese Bandbreite inoffizieller Pläne und Ideen werden.?®

Architektur markieren jedoch die Planungsprojekte von Robert Venturi und Aldo Rossi.® Venturi vertritt offensiv das Programm einer Semiotisierung des gebauten Raums und liefert damit die Initialzündung für die Architektur des Postmodernismus: Architektur habe unweigerlich semiotische und symbolische Konnotationen, die der Nutzer mit Hilfe seines kulturellen Assoziationswissens

dechiffriert. Der International Style der funktionalen Stadt jedoch habe diese Alltagssemiotik geleugnet, die es nun in der Architektur wiederzubeleben gelte. Man müsse auf die Redundanz und Widersprüchlichkeit der Zeichen setzen, die für den populären Betrachter anregend wirken, und Architektur radikal vom Nutzer her begreifen, der ein gewöhnliches, alltagstaugliches Bauen immer der heroischen Architektur des Modernismus vorziehe. Rossi setzt zur gleichen Zeit auf eine radikale historische Rekontextualisierung des Bauens: Das einzelne Gebäude sei in den sozialen Raum der Stadt insgesamt einzubetten, damit aber auch in das »geschichtliche Erbe« des Bestehenden und dessen ästhetisch-räumliche Struktur, Er bereitet damit die Denkmalschutzbewegung und ihre Kritik am geschichtsvergessenen »Kahlschlag« der historischen Innenstädte in der Nachkriegszeit vor. Trotz aller Unterschiede teilen Venturi und

Rossi damit die Position, dass eine zeitgemäße Architektur auf den unweigerlich in der Stadt und im Bewusstein des Nutzers schon bestehenden semiotischen, ästhetischen und historischen Formen

Während Jacobs aus der Perspektive einer politischen Stadtpla-

34 Vgl. Alvar Aalto, »Für eine Humanisierung der Architektur«, in: ders., Synopsis,

nung argumentiert, findet sich auf Seiten der kritischen Architektenszene in den 1960er Jahren eine konvergierende Entwicklung.

Basel 1970, S.14-16; Oskar Niemeyer, »Form und Funktion in der Architektur« {r960J], in: Vittorio Magnago Lampugnani/Ruch Hanisch u.a. (Hg.), Architekturtheorie 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 2004, S, 211-213. 35 Robert Venturl, Complexity and Contradiction in Architeeture, New York 1966; ders./Denise Scort Brown u.a, Learning from Las Vegas. The Forgotten Symbolism of Architectural Form [1977], Cambridge 2001; Aldo Rossi, Larchitertura della citta, Padua 1966.

31

Vgl. dazu Ebenezer Howard, Garden Cities of To-Morrow, London 1902.

32 Jacobs, Zhe Death and Life of Great American Cities, S.20. 33 Ebd. S.255. 284

aufbauen muss. Architektur avanciert damit zu einer umfassenden Gestaltungsaufgabe von atmosphärischen Räumen. In den Worten von

Hans

Hollein:

Sie muss

7.4 Merkmale der kulturorientierten Stadt

sich intensiv mit »Raumquali-

Der kritische Urbanismusdiskurs liefert, wie wir gesehen haben, in den 1970er Jahren einen Hintergrund für die Reaktivierung von

täten und der Befriedigung psychologischer und physiologischer Bedürfnisse«"® beschäftigen. In ihrer Abkehr

von

der funktionalistischen

Architektur

historischen Innenstädten als Wohn- und Arbeitsraum für Subkul-

und

turen und Kunstszenen und zugleich für eine kritische Architektur und Stadrtplanung, die historische Bausubstanz erhält und/oder auf

Stadtplanung geht die Urbanismuskritik damit auf Distanz zu jenem sehr spezifischen Konzept des Neuen, das der urbane Modernismus bei Le Corbusier und anderen vertreten hatte. Die moderne

postmodernistische Architektur setzt. Die weitere Kulturalisierung

der westlichen Städte geht seitdem jedoch über diese Tendenzen

Stadt erschien im {International Style als ein Ort des nicht über-

hinaus. So wie in den anderen sozialen Feldern, die zum Aufstieg des Kreativitätsdispositivs beitragen, verkehrt sich auch hier

bietbar Neuen, das, einmal erreicht, universellen Wert erlangt und in seinen Formen nur noch wiederholt werden kann. Indem der architektonische Modernismus versucht, »endgültige Ausdrucksformen — Formtypen — aus neuen technischen und räumlichen Vorraussetzungen aufzubauen«,” die sich von der bürgerlichen historistischen Bauweise absetzen, vermag er zunächst radikal das Neue gegen das Alte auszuspielen. Zugleich erscheint den Nutzern nach wenigen Jahrzehnten das Neue des Modernismus in seiner

die Antihegemonie in eine neue Dominanz. Diese systematische Selbsrkulturalisierung wird von vier kollektiven Kulturalisierungs-

agenten vorangetrieben, die zugleich Ästhetisierungsagenten sind und deren Ziele im Einzelnen im Konflikt miteinander stehen können: erstens die urbanen Künstlerszenen und Subkulturen, die in den Innenstädten Vergemeinschaftungs- und Anregungsräume sutchen; zweitens die postmaterialistische, akademische Mittelschicht,

vorgeblichen Allgemeingültigkeit selbst veraltet: als Reproduktion

die beruflich häufig in der ästhetischen Ökonomie beschäftigt und von einem generalisierten kreativen Erthos der Selbstentfaltung beeinflusst ist sowie in anderen Städten als Kulturtouristen auftritt;?® drittens die lokal oder global agierenden Unternehmen des postfordistischen Konsums und der Kreativökonomie, die in den kulturalisierten Städten Absatzmärkte und einen Ort für creative clusters finden; viertens schließlich eine Stadtpolitik, die sich von den Modellen der kulturellen Regenerierung und der kreativen Stadt leiten lässt und darin einen wichtigen Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung und der Attraktivität für Bewohner und Besucher ausmacht. Die urbane Kulturalisierung, die alle vier Kulturalisierungsagenten betreiben, umfasst mehrere, miteinander verzahnte Prozesse: die Ausdehnung von ästhetisierten Stadt- und Wohnvierteln, vor allem in den historischen Innenstädten; die Etablierung

der immer gleichen Wohnblöcke, Satellitenstädte, autogerechten Innenstädte oder Fabriken. Indem die Urbanismuskritik eine Reaktivierung der historischen, vorfunktionalistischen Bausubstanz einfordert, bringt sie nur scheinbar nostalgisch das diskreditierte Alte gegen das Neue in Stellung. Vielmehr stellt sie die Architektur

vom Modell eines statischen, technischen (und auch politischen) Neuen auf ein Modell des beweglichen ästhetischen Neuen um,

das von der eigendynamischen Sinnlichkeit und Affektivität des Nutzers her denkt. Erst die Reaktivierung der historischen Bau-

substanz, kombiniert

mit stark symbolhaltiger zeitgenössischer

Architektur, ermögliche es dem Nutzer, den Stadtraum in einen Erlebnisraum, in einen Raum des derive zu verwandeln.

Das kul-

turelle Erbe der Vergangenheit dient somit nicht primär konservatorischen Zwecken, sondern einer semiotisch-sinnlichen Anreiche-

urbaner Kunstszenen; die räumliche Verdichtung der Kreativöko-

rung der Erfahrungsmöglichkeiten im Hier und Jetzt, 36 Hans Hollein, »Alles ist Architektur«, erstmals in: BAU-Schrift für Architektur und Städtebau 23 (1968), hier zitiert nach 7ransparent 16 (1985), S.64-66, hier

S.66. 37 Martin Gropius, »Der stilbildende Wert industrieller Bauformen«, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1914, Jena 1914, S.29-32, hier: S.30.

;

nomie in creative clusters; die Verdichtung von Orten eines Stil- und Erlebniskonsums; eine Renaissance der städtischen Hochkultur in postmodernen Formen, vor allem jenen der Musealisierung und 38 Zu den postmaterialistischen Werten der neuen Mittelschicht vgl. nur Paul Leinberger, /Bruce Tucker, Zhe New Individualists. The Generation after the OrganizaHon Man, New York 1991.

286 287

Eventifizierung; und schließlich die staatliche Förderung von spek-

takulärer Solitärarchitektur. Ästherisierte Stadtviertel Elementar für den Strukturwandel von der funktionalen zur kulturorientierten Stadt ist die Ästhetisierung innerstädtischer und innenstadtnaher Viertel sowie ihre Transformation in neue Wohn-,

Arbeits- und Regel durch nalistischen stils aus der

Konsumviertel.” Diese Quartiere zeichnen sich in der historische Bausubstanz aus der Zeit vor dem funktioWohnungsbau aus: Altbauten des historistischen BauZeit um 1900, der Umnutzung fähige Industriebauten

wie die Lofts, in Einzelfällen auch

ternativszenen und der neuen Mittelschicht kehrt sich dieser Pro-

zess jedoch um: Innenstadtnahe Altbauviertel avancieren teilweise schon in den 1960er Jahren — so in New York-Soho und LondonIslington — und auf breiter Front in den 1980er Jahren in vielen

historisch ältere Gebäude aus

der Frühen Neuzeit, Teilweise wird diese historische Bausubstanz durch postfunktionalistische Architektur ergänzt.

Die Regenerierung der innenstadtnahen Gegenden als Wohnviertel (cultural regeneration) steht dem Modell der funktionalen Stadt diametral entgegen. Ernest Burgess meinte 1925, es sel ein allgemeines Gesetz der modernen Stadtentwicklung, dass eine räumliche Trennung zwischen Wohn-, Arbeits- und Konsumorten stattÄndet, sich die Wohnviertel sukzessive an den Stadtrand verla-

gern und um die Stadtzentren herum sich in einer Übergangsphase ein Gürtel von Altbauquatieren legt, die hauptsächlich von sozi-

der westlichen

Städte

zu

attraktiven

Lebensorten.

Ihr zentrales

Strukturmerkmal ist, dass dort Wohnen und Arbeiten, später auch

spezialisierter Einzelhandel und Gastronomie, Unterhaltungs- und Kulturangebote in einer Weise kombiniert werden, die letztlich

Jane Jacobs’ Modell einer entdifferenzierten »gemischten Nutzung« nahe kommt.“ Die Reaktivierung von zentrumsnahen Altbauvierteln als Orte der Mischnutzung ist häufig mit dem soziologischen Begriff der Gentrifizierung beschrieben worden, seitdem Ruth Glass dieses Konzept im Jahre 1964 in Bezug auf London einführte.** Die Gentrifizierungsdiagnose lenkt den Blick auf einen Austausch von Be-

völkerungsgruppen mit unterschiedlichem sozialen Status: In einer ersten Phase ziehen gegen- und subkulturelle Milieus in entleerte oder sozial schwache Stadtviertel. Es findet eine soziale Aufwertung und anschließend ein verstärkter Zuzug der Mittelschicht statt., Ab einem bestimmten Zeitpunkt sind die sozial schwachen

Gruppen ebenso verdrängt wie jene Segmente der gegenkulturellen und künstlerischen Milieus, die über geringes ökonomisches

alen oder ethnischen Randgruppen bewohnt werden.‘“ Gestützt

Kapital verfügen. Es herrscht am Ende eine Dominanz der Mittel-

durch eine Politik der Suburbanisierung einerseits, der extremen Verdichtung des kommunalen Wohnungsbaus andererseits wurde diese Prognose des Niedergangs der historischen innenstadtnahen Quartiere zunächst Realität. Mit dem Zuzug der Kunst- und Al-

Die Gentrifizierungsdiagnose ist zweifellos in vielen empirischen Fällen triftig, aber sie setzt den kulturellen Antriebsmotor des Gen-

39 Als Fallsrudien dazu vgl. Bastian Lange, Die Raume der Kreativszenen. Culturepre-

und Oberschicht, die durch Luxussanierung weiter gefördert wird.

trifizierungsprozesses stillschweigend voraus: Dieser ist von Anfang an in der ästhetisch-semiotischen Kulturalisierung der Stadtviertel durch ihre neuen Bewohner zu suchen, die anschließend durch die

neurs und ihre Orte in Berlin, Bielefeld 2007; Richard Lloyd, Neo-Bohemia. Art and Commerce in the Postindustrial Ciry, London 201:0; Thomas Dörfler, Gentrification in Prenzlauer Berg? Milieuwandel eines Berliner Sozialraums seit 1989, Bietefeld 2010; Tim Butler, London Calling. The Middle-Classes and the Re-Making of Inner London, Oxford z003; Michael Jager, »Class Definition and the Aestherics of Gentrification: Victoriana in Melbourne«, in: Neil Smich/Peter Williams (Hg.), Gentrification of the City. London 1986, S, 78-91.

41 Jon Caulßeld, der diesen Prozess der Aufwertung der innenstadtnahen Altbauviertel am Beispiel der Stadt Toronto seit 1970 historisch im Detail nachzeich-

net, arbeitet heraus, wie dieser »postmoderne Urbanismus« zunächst von unterschiedlichen kollektiven Akteuren getragen wird — bürgerlich-konservativen

Denkmalschützern, radikalen Planern und Architekten, der Alternativbewegung und der Künstlerszene, dann vor allem aber einer jüngeren akademischen Mittelschicht. Vgl. Jon Caulfield, City Form and Everyday Life. Torontos Gentrification and Critical Social Practice, Toronto, Buffalo u,a. 1994.

40 Vgl. Ernest W. Burgess, »The Growth of the City. An Introduction to a Research [1925], in: Robert E. Park/Ernest W. Burgess u.a. (Hg.),

Zbe Cipy. Sug-

288

4

I

Project«

gestions for Investigation of Human Behavior in the Urban Environment, Chicago 1967, S.47-62.

Vgl. Ruch Glass, London: Aspects ofchange. Centre for Urban Studies, London 1964. Zur Yheorie der Gentrifizierung insgesamt vgl. Loretta Lees/Tom Slater (Hg.), 7he Gentrification Reader, New York 2010. 289

mediale Wahrnehmung, durch ökonomische Instanzen wie die Im-

zufällig stellen sich die Altbau- und Loftviertel als besonders geeig-

mobilienbranche und den lokalen Einzelhandel, schließlich durch

net für solche Umcodierungsprozesse dar: In ihnen scheinen sich

die Stadtpolitik zusätzlich gefördert wird. Die neuen Bewohner —

Spuren vergangener Bewohner wie geschichtlicher Zeiten zu mani-

seien es die Gegenkulturen, seien es die postmaterialistische Mittel-

festieren, die reaktiviert werden können.‘ Im Zuge der Umcodierung des Raums begegnen die neuen Bewohner der Historizität der Gebäude mit einer ästhetischen Haltung: Die historische Bausubstanz wird zur Generierung von affektiv reizvollen Atmosphären für gegenwärtige Praktiken genutzt. Es genügt dabei nicht, dass der

schicht — bevölkern nur jene Quartiere, die ihnen über ökonomi-

sche Kalkulationen und Sozialprestige hinaus einen semiotischen und ästhetischen Reiz versprechen.“ Damit die spätmoderne Stadt zum Ort von Gentrifizierungsprozessen werden kann, muss sie zu-

vor zu einem Gegenstand der Ästhetisierung geworden sein und ein solcher bleiben. Diese Kulturalisierung der innenstadtnahen Altbauviertel umfasst die drei genannten Bestandteile der Semiotisierung, der reflexiven Historisierung und der sinnlich-affektiven Ästhetisierung im engeren Sinne,

Zentral für die kulturelle Regenerierung ist in der ersten Phase eine semiotische Umcodierung des Viertels und seiner historischen

Bausubstanz. Der Ort wird symbolisch neubesetzt und entsprechend zum Gegenstand einer räumlichen Umnutzung.‘* Diese Umcodierung versieht ein bisher semiotisch verhältnismäßig leeres oder mit negativen Assoziationen verknüpftes Viertel (Verfall, Risiko, Hässlichkeit, mangelnder Komfort etc.) mit neuen Zeichen,

Die fundamentale Hip-square-Unterscheidung, die wir bereits in den Bereichen der Mode, des Designs und der Popmusik seit den 1960er Jahren kennengelernt harten, wird hier auch auf den Stadtraum angewandt. Wie Richard Lloyd am Beispiel des Chicagoer Stadtviertels Wicker Park darstellt, stellt sich die Leitformel grit as glamour als eine solche wirkungsvolle Umcodierungsstrategie dar:* Auf Versatzstücke aus der Bohemeästhetik zurückgreifend, wird das bisher Schäbige oder Nichtssagende in etwas Pittoreskes, auf bizarre Weise Interessantes und Authentisches umcodiert — in einen cool

place, der sich von den Vorstädten mit ihren isolierten Einfamilienhäusern wie vom monotonen Massenwohnungsbau abhebt. Nicht 43

Gentrifizierungsprozesse lassen sich daher in keiner ihrer Phasen allein mit Ver-

gebaute Raum

historisch /st, er muss von den

neuen Bewohnern

auch als historisch wahrgenommen werden. Diese reflexive Histori-

sierung hat eine paradoxe Struktur, da sie die historischen Gebäude regelmäßig als Orte einer räumlichen »Authentizität« interpretiert und sie gleichzeitig einer Umnutzung unterwirft, Das Historische wird zelebriert und zugleich umstandslos einer gegenwärtigen Verwendung zugeführt: ehemalige Fabrikhallen werden zu Loftwohnungen oder zu Clubs, wilhelminische Arbeiterhäuser zu Wohnorten für die akademische Mittelschicht und ehemals reine (Massen-)

Wohnviertel der Jahrhundertwende zu Orten von Kunst, Mode

und Design. Diese ästhetisierende Aneignung folgt einer Kombination der beiden Muster, die charakteristisch für eine Ästhetik des Postmodernismus sind:*” ein mode retro, das heißt eine Reappro-

priation des Vergangenen als Quelle ästhetischen Behagens, und ein pastiche, das heißt eine Kombination unterschiedlicher Zeichen und Nutzungsweisen verschiedenster Zeiten und Räume. Die Semiotisierung und reflexive Historisierung der Innenstadtviertel verschränken

sich so mit einer Ästhetisierung im engeren

Sinne, das heißt einer Transformation bisher sinnlich-affektiv neutraler oder sogar abstoßender Räume in solche sinnlichen und affektiven Genusses, Für diesen Prozess ist entscheidend, wie Monica Degen cs in ihrer Analyse der kulturellen Regenerierung zweier Altbau- und Industrieviertel in Barcelona und Manchester in den 1990er Jahren hervorhebt, dass sich gemeinsam mit der Alltags-

weis auf eine Nutzenkalkulation (zunächst der Nutzen der billigen Mieten, später der hohen Reputation) von Seiten ihrer jeweiligen neuen Bewohnergruppen erklären. Dies zeigt sich darin, dass es nichtästhetisierbaren Quartieren — etwa den Komplexen des Massenwohnungsbaus — anders als den Altbau- und Loftquartieren meist nicht gelingt, die neuen Bewohner aus der Kunst- und Alternativszene anzuziehen, selbst wenn ökonomische Vorteile locken. 44 Vgl. dazu ausführlicher Lange, Die Räume der Kreativszenen, 45 Vgl. Lloyd, Neo-Bohemia, S.38€.

290

46 In diesem Sinne stellen sich etwa die Berliner Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg

nach dem Mauerfall für die Neuzugezogenen — anders als für die bisherigen Bewohner — als Räume hoher semiotischer Dichte dar, in denen sich die jüdische

Vergangenheit des Scheunenviertels ebenso dechiffrieren lässt wie der Ort der DDR-Alternativszene am Prenzlauer Berg,

47 Vgl. Fredric Jameson, Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham 199t, 5. 16 ff

291

semiotik des Ortes das alltägliche sensing cities, das sinnliche Ver-

genommen

hältnis zur Stadt auf visueller, auditiver, olfaktorischer und taktiler Ebene transformiert.*® Ganz in der Tradition der vitalistischen Me-

970er und 1980er Jahren), anschließend sind sie jedoch zu Sym-

tropolenästhetik reagiert diese sinnliche Erfahrungsweise des Urbanen positiv auf eine Dichte und Abwechslung von Reizen, sofern

worden

sein

(zum

Beispiel

Berlin-Kreuzberg

in den

bolen einer global allseits geschätzten urbanen »Vitralität« geworden. Die ästhetisierten Quartiere der Kulturstädte können dann eine doppelte Anziehungskraft ausüben: auf neue Bewohner, die

diese in einem grundsätzlich sicheren oder nur moderat riskanten

aus

Rahmen stattfinden. Auch dass zumindest in der Anfangsphase der

stammen, und auf Touristen. Im Idealfall werden diese Orte in der

kulturellen Regenerierung in den Vierteln ethnische Minderheiten,

öffentlichen Aufmerksamkeit als »pulsierende Städte« (buzz cities)

sozial Deklassierte oder andere gesellschaftliche Randgruppen le-

wahrgenommen, die places to be sind — ob als Lebensort oder zumindest für einen touristischen Besuch. Inwiefern erweisen sich die Kulturalisierung und Ästhetisierung des städtischen Lebensraums als Beitrag zu einem gesellschaftlichen Regime der Kreativität? Die Antwort liegt auf der Hand: Ästhetisierung und Kulturalisierung sind hier durchgehend von einem Interesse am ästhetisch (und semiotisch) Neuen angeleitet.” In

ben, wird von den neuen Bewohnern als willkommene ästhetische

Bereicherung des Alltags, als Beitrag zum grit as glamour wahrgenommen: Soziale Heterogenität wird hier unter dem Blickwinkel der semiotisch-ästhetischen Abwechslung erlebt.*” Die kulturelle Regenerierung der innenstadtnahen Altbauviertel

betrifft auch die Außenwahrnehmung der Städte, Seit den 1980er Jahren wird immer deutlicher, dass ein überregionales, teilweise bereits globales Publikum vermittelt durch die Massenmedien Stadtviertel und Städte in erster Linie unter dem Aspekt ihres kulturellen Wertes betrachtet.”® Städte waren auch zuvor bereits Gegenstand einer überregionalen Fremdbeobachtung — als Orte der politischen oder kirchlichen Herrschaft, des Handels oder der Wissenschaft —,

sie werden nun jedoch zunehmend unter dem Aspekt bewertet, inwiefern sie »urbane Vitalität«, das heißt eine Fülle, Abwechslung

und Intensität von Zeichen, Historizität und sinnlichen Atmosphären bieten. Historische Vorläufer einer solchen kulturalisierten Wahrnehmung von Stadtvierteln sind die Künstlerviertel der bürgerlichen Gesellschaft, ecwa Montmartre in Paris oder Greenwich Village in New York zum Beginn des letzten Jahrhunderts.°* Die

ästhetisierten Stadtviertel der Spätmoderne sprengen jedoch den Rahmen solcher pittoresker Künstlerviertel, Zu Anfang mögen sie noch als primär gegen- oder alternativkulturelle Viertel wahr48 Vgl. M6nica Montserrat Degen, Sensing Cities, Regenerating Public Life in Barcelona and Manchester, London 2008, 49 Vgl. dazu Caulfield, City Form and Everyday Life, S.195£. so Vgl. zu diesem Thema ausführlich Martina Löw, Soziologie der Städte, Frankfurt/M. 2008. 51 Vgl. zur Form solcher Künstlerviertel: Diedrich Diedrichsen, »Der grüne Frack, Wo und wie die Künstler leben und was in ihren Vierteln passiert«, in: 7exte zur

Kunst 16 (1994), S.81-100. 292

anderen

Stadtvierteln,

anderen

Landesteilen

oder

Nationen

den einzelnen Entwicklungsphasen dieser Stadtviertel nimmt es unterschiedliche Formen an, so dass sich das Muster eines urbanen Ästhetisierungszyklus abzeichnet. In der ersten Phase, der Phase der Besetzung und Umnutzung durch neue Bewohner, findet in Form der Umcodierung des sozialen Raums eine »Anfangsästhetisierung« statt, in der sich die sinnliche Perzeption und empfundene Atmosphäre des Ortes radikal transformiert (auch wenn sich architektonisch noch kaum etwas geändert hat): die alten Viertel erscheinen

»ganz neu«, sie werden »entdeckt«. In der zweiten Phase, jener der Transformation des sozialen Raums durch immer mehr neue Bewohner,

Sanierungen

und

Neubauten,

neuen

Einzelhandel,

Gas-

tronomie und Kunstszene, scheint der Ort unfertig und »ständig in Bewegung«: Immer wieder ergeben sich andere semiotisch-ästhetische Reize. In einer dritten Phase sind die bauliche Veränderung und auch der Bewohneraustausch weitgehend abgeschlossen. Die Alltagsästhetik hat sich vom grit as glamour entfernt und folgt häufig eher jenem Muster, den Monica Degen als designer heritage aesthetics umschreibt:” gepflegte Sanierung kombiniert mit postmodernistischer Architektur, Zelebriert wird jetzt eine semiotisch52 Historisch ist die Verknüpfung einer Ästhetisierung des städtischen oder auch ländlichen Raums mit einer Orientierung am Neuen alles andere als zwingend, man denke etwa an Ästhetisierungsprojekte in den Renaissancestädten oder in der aristokratischen und höfischen Gesellschaft. 53 Vgl. Degen, Sensing Cities, S.71.

293

sinnliche Diversität, die zugleich vollständig risikolos und geordnet ist. Der Zyklus des ästhetisch Neuen bewegt sich nun auf einer oberflächlicheren Ebene: Zum einen wechseln einzelne Stril- und Erlebnisangebote —- neue Cafes, neue Galerien, neue Boutiquen —, zum anderen produziert das Viertel in seinen Konsum- und Unterhaltungsmöglichkeiten als Ganzes immer neue Stile und Erlebnisse, ohne sich nochmals grundlegend zu verändern. In dieser Phase besteht dann auch das Risiko einer ästhetischen Sättigung und Entdynamisierung, was dazu führen kann, dass sich der Ästhetisierungszyklus der Stadtviertel (oder der Städte insgesamt) anderswo

und Tourismus, schließlich auch die Kunstbranche — in einzelnen Stadtvierteln aus.” Während klassische Theorien der postindustriellen Gesellschaft meinten, dass kommunikativ vernetzte Wissensarbeit keiner Fixierung an bestimmte Orte mehr bedürfte — Melvin Webber spricht 1968 von einem herannahenden post-city age —,

stellt sich für die ästhetische Ökonomie eine entgegengesetzte Ent-

wicklung heraus: Sofern es sich nicht lediglich um informationellrechnische, sondern um Ästhetische Arbeit handelt, ist diese in hohem Maße ortssensibel. Obwohl sie in überregionale, teilweise global€ Netzwerke eingebunden ist, konzentriert sie sich in dem,

fortsetzt: Ein anderes Stadtviertel kann zum Objckt neuer Umcodierungen werden und seinerseits die genannten Phasen durchlau-

was die neuere Raumökonomie creative clusters nennt.”

fen.*

Reaktivie-

sind diese Prozesse der räumlichen Clusterbildungen keine Überra-

rung von in der Vergangenheit uninteressant gewordenen Vierteln

schung, Ästhetische Arbeit war, etwa im Kunsthandwerk, räumlich

unter neuen Vorzeichen möglich. Zugleich nimmt der Gesamtum-

Damit

scheint auch

eine semiotisch-ästhetische

Bezieht man

die Vorgeschichte der Kreativökonomie

mir ein,

Spezialisierung in der industriege-

meistens an bestimmte lokale »Praxisgemeinschaften« (communities ofpractice) gebunden, in denen implizites Spezialwissen weitergegeben wurde. Studien zum zerza italia, zur kunsthandwerklichen Tradition im nördlichen Mittelitalien, haben beispielhaft diese räumliche Gebundenheit der beruflichen Kompetenzen zur ästhetischen Arbeit herausgestellt.®® Die urbanen Cluster der Kreativökonomie sind jedoch nicht nur routinisierte Praxisgemeinschaften des Bewährten, sondern auch die räumliche Voraussetzung dafür, dass in diesen Branchen erfolgreich ästhetisch Neuartiges hervorgebracht werden kann. Für diese Mikrologik urbaner Kreativität scheinen vor allem drei Umstände verantwortlich: Zum einen liefern die

sellschaftlichen funktionalen Stadt zeichnet sich die Ökonomie der kulturorientierten Stadt durch eine räumliche Ballung der unter-

ästhetisierten Stadtviertel in ihrer Mischnutzung einen semiotischatmosphärischen Anregungsraum für Kreativarbeiter und Künst-

schiedlichen Branchen der Kreativökonomie — Design und Mode,

ler, in dem sich Privates und Berufliches nicht mehr voneinander

fang der ästhetisierten Quartiere zu. »Creative clusters«

Die systematische Orientierung am kulturell und ästhetisch Neuen gilt auch für die postindustriellen Arbeitsformen, die in den ästhetisierten Stadtvierteln ihren Ort haben. Die Ästhetisierung der zentrumsnahen Altbauquartiere seit den 1970er Jahren ist mit

dem Aufstieg der ästhetischen Ökonomie aufs engste verknüpft. Im Gegensatz zur räumlichen

Werbung und Beratung, Musik und Unterhaltung, Film und klas-

294

Economy. How People Make Money From Ideus, London 2001; David Hesmondhalgh, Zhe Cultural Industries, London, Thousand Oaks u.a. 2002. 6 Melvin M, Webber, »The Post-City Age«, in: Daedalıus 97 (1968), S. 1091-110, b

54 Wiederum liefert Berlin genügend Anschauungsmaterial für diesen Ästhetisierungszyklus. Während vor dem Mauerfall in Westberlin Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg in unterschiedlichen Versionen zu Kulturalisierungsvierteln wurden, setzt sich der Zyklus nach 1990 in Mitte-Nord und Prenzlauer Berg fort, erreicht dann Friedrichshain, bis er aktuell (2011) wiederum in Kreuzberg und in Neukölln-Nord angekommen ist. Vgl. dazu nur Andrej Holm, »Die Karawanc zicht weiter — Stationen der Aufwertung in der Berliner Innenstadt«, in: Cicek Bacik u.a. (Hg.), Zutercity Istanbul Berlin, Berlin 2010, S.89-101.

55 Zur Expansion der creative industries ingesamt vgl. John Howkins, Zhe Creative

n

sische Hochkultur, Medien und Informationstechnologien, stilund erlebnisorientierter Konsum und Architektur, Gastronomie

Dieses Konzept lehnt sich an die Theorie Alfred Marshalls zum Zusammenhang

von Ort und Innovation an, vgl. Alfred Marshall, Prineiples of Economics, London 1920. Zur Unterscheidung zwischen Netzwerken und Clustern vgl. Bas van Heur, Creative Networks and the City. Towards a Cultural Political Economy of Aesthetic Production, Bietefeld 2010. 58 Vgl. dazu nur Sebastiano Brusco, »The Emilian Model: Productive Decentra-

lization and Social Integration«, in: Cambridge Journal of Economics 6 (1982), S.167-184.

trennen lassen.” Wenn ästhetische Arbeit immer an der Vielfalt der gegebenen Zeichen und Atmosphären ansetzt, sich von diesen irritieren lässt und sie weiterverarbeitet, dann bieten dafür die ästhetisierten Stadtviertel der Metropolen und die dort üblichen Begegnungen mit dem relativ Fremden — seien es Subjekte anderer ethnischer

Gemeinschaften,

Subkulturen

oder Milieus,

seien

es räumliche Atmosphären des gebauten Raums oder die geballte Konfrontation mit diversen Kunst- und Konsumangeboten — entsprechende Irritationserfahrungen.

Zweitens handelt es sich bei den creative clusters um räumlich fokussierte Kommunikationszusammenhänge für »Kulturunternehmer« (culturepreneurs), und zwar nicht allein aus der gleichen Bran-

che. Im Falle New Yorks etwa bildete sich in den entsprechenden Vierteln Manhattans in den 1960er Jahren ein dichter, an bestimmten öffentlichen Orten (Cafes, Clubs, Vernissagen etc.) konzentrierter Interaktionsraum innerhalb und zwischen verschiedenen Kreativökonomien heraus. So wurde letztlich eine Grundidee von Andy Warhols Factory realisiert:” dass neue Ideen aus der ständigen Konfrontation mit den Ideen anderer erwachsen. Die informelle Face-to-face-Kommunikation scheint hier der medial vermittelten Kommunikation überlegen, wenn es um die informelle Mitteilung und die zufällige Anregung des Neuen geht. Der Pool der Teilnehmer an den clusters wird dabei regelmäßig durch Neuankömmlinge aus der Provinz aufgefüllt, die weitere Elemente in die Kommunikation einspeisen.“' Drittens bilden die creative clusters auch strategische Räume, die sich in unterschiedlicher Weise auf die Kreativitätsgenerierung auswirken können, Die Kulturunternehmer kooperieren nicht nur, sie konkurrieren auch miteinander,

Die enge räumliche Verflech-

tung macht den Erfolg wie den Misserfolg für andere unmittelbar sichtbar, was den Wettbewerb um das Neue zusätzlich anstachelt. Zudem bietet der Interaktionsraum der c/usters immer die Mög-

lichkeit, zwanglos strategisch günstige Kontakte zu knüpfen, etwa 59 Vgl. dazu Phil Hubbard, Cizy, London, New York 2006, S. 206 ff

60 Vgl. zu diesem Fallbeispiel ausführlich Elizabeth Currid, 7he Warhol Economy. How Fashion, Art, and Music Drive New York City, Princeton 2007.

61 In Bezug auf das Kunstfeld ist diese Migration von der Peripherie ins Zentrum seit dem 19. Jahrhundert ein beliebtes Thema, vgl. nur Honore de Balzac, Verlorene Wlusionen {1837/1843}, Frankfurt/M. 1996. 296

zu Türöffnern des jeweiligen Feldes, die es dann leicher machen, Aufmerksamkeit für Ideen zu erlangen und diese in erfolgreiche Ideen zu verwandeln.® In den creative clusters herrscht somit das, was

Mark Granovetter die »Stärke schwacher Bindungen« nennt, das heißt die soziale Effektivität einer Vielzahl halb beruflicher, halb privater Kontakte.® Die ästherisierten Viertel der spätmodernen Sradt erleichtern damit nicht nur die Produktion von Kreativität,

sie schaffen auch Bedingungen für die Verbreitung und soziale Zerrifizierung der daraus hervorgegangenen Ideen, Konsumräume und der touristische Blick

Die creative eity ist nicht nur Wohn- und Arbeitsort, sondern auch ein Ort für den Konsum

von ästhetischen Objekten und für das,

was ich einen generalisierten »touristischen Blick« nennen würde, John Urry hat das Konzept des touristischen Blicks eingeführt, um

die neue Erfahrungsweise zu umschreiben, die mit dem modernen Tourismus verbunden ist.“ Der touristische Blick bedeutet insbesondere in seiner individualtouristischen, spätmodernen Fassung, dass Reisende an ihren Reiseorten — seien es Großstädte, seien es Naturlandschaften — mit dem Fremden, dem Authentischen, dem

Außeralltäglichen, dem Irritierenden oder Harmonischen um seiner selbst willen konfrontiert werden wollen. Der touristische ist im Kern ein ästhetischer Blick, der auch die Stadt nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Selbstzweck versteht. Vieles spricht nun dafür, dass dieser Blick nicht auf den Tourismus im engeren Sinne beschränkt bleibt, sondern im Falle der kulturorientierten Städte

auch die Haltung der Bewohner — zumindest wiederum jener postmaterialistischen Mittelschicht, die auch die ästhetisierten Stadtviertel bevölkert — gegenüber der eigenen Stadt lenkt und insofern als »generalisiert« bezeichnet werden kann. Nicht nur die fremde, im Rahmen des globalen Städtetourismus besuchte, sondern auch die eigene Stadt kann und soll zu einem Ort immer neuer »urbaner Erfahrungen« werden, Die Bewohner empfinden sich als Besucher 62 Vegl. als Fallsrudie dazu Charles R. Simpson, SoHo. The Artist in the City, Chicago 1981.

63

Mark Granovetter, »The Strength of Weak Ties. A Network Theory Revisited«, in: Zhe American Journal of Sociology 78 (1973), S.1360-1380. 64 Vgl. John Urry, 7he Tourist Gaze, London 1990, 297

ihrer eigenen Stadt, In seiner Fixierung auf Visualität ist das Konzept des touristischen Blicks allerdings noch zu eng: Die Stadt wird nicht nur durch den Sehsinn wahrgenommen, es werden vielmehr

alle Sinne mobilisiert, um die urbane Atmosphäre zu erfassen. Die Ausdifferenzierung von Konsumräumen

ist seit den 1980er

lebnisökonomie sind ihrerseits nicht räumlich indifferent, sondern finden in erster Linie in den Innenstädten der kulturorientierten Städte statt, die sich in Erlebnisorte des Konsums verwandeln oder

von vornherein als solche errichter werden.“ Im Gegensatz zum traditionellen

Warenhaus

sind postmoderne

Konsumräume

Prä-

Jahren ein hervorstechendes Merkmal der creative cities, sie sind ein Fixpunkt der urbanen Selbst- und Fremdwahrnehmung und ein

sentationsflächen des Heterogenen und der Diversität von Stilen — sowohl innerhalb der Läden (ertwa in den Abteilungen für unter-

wichtiger Ort der alltäglichen Nutzung der Stadt durch ihre Bewoh-

schiedliche Bekleidungsmarken) als auch im Verhältnis zueinander,

ner. In den Konsumräumen

Ihre beiden räumlichen Idealtypen sind die Shopping Mall und die »semiotischen Viertel«, Semiotische Viertel bestehen in der Regel aus historischen Straßenzügen, häufig innerhalb der ästhetisierten Stadtviertel, in denen sich eine Vielzahl unterschiedlicher, auch unabhängiger Läden, vor

findet der generalisierte touristische

Blick nun variable Gegenstände seines Interesses. Dass Großstädte

verdichtete Orte des Konsums sind, ist dabei keine neuartige Entwicklung.

Die frühneuzeitlichen

Handelssrädte stellten Konsum-

knotenpunkte für Stadtbürgertum und Adel dar, und die spätbürgerliche Metropole am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte mit ihren opulenten Warenhäusern und den Einkaufsarkaden eigene räumliche Formate für einen luxusorientierten Konsumentenkapi-

talismus. In den 1920er bis 1970er Jahren ist die funktionale Stadt — zumindest in ihrer westlich-kapitalistischen Version — zwar Teil der fordistischen Gesellschaft des Massenkonsums. Angesichts seiner ausgeprägten Standardisierung des Konsums und der städtebaulichen Trennung von Wohnen und Arbeiten, die mit einem Bedeutungsverlust der Innenstädte verbunden war, blieb die Prägekraft der fordistischen Konsumkultur für den Stadtraum allerdings begrenzt. In den 1980er Jahren setzt ein grundsätzlicher Wandel der Konsumkulcur ein, dessen Voraussetzungen wir im Zusammenhang mit dem Aufstieg der ästhetischen Ökononomie beleuchtet hatten: zum einen die Verdrängung des standardisierten Massenkonsums durch einen Lebensstilkonsum, in dem der einzelne Konsument Güter zur individuellen Stilisierung verwendet; zum anderen eine Erweiterung der Konsumgüter um kulturelle Dienstleistungen und

Atmosphären, die über materielle Objekte hinausgehen. In der »Erlebnisökonomie« werden die Grenzen zwischen Konsum und Unterhaltungskultur damit fließend.“ Lebensstilkonsum und Er65 Vgl. hierzu allgemein Mike Featherstone, Consumer Culture and Postmodernism, London 1991; auch Joseph Pine/James Gilmore, Zhe Experience Economy. Work is Theatre and Every Business a Stage, Cambridge 1999; Gerhard Schulze, Die Er-

etwa Paris-Marais oder Stockholm-Sodermalm, entstehen häufig aus subkulturellen Mode- und Designszenen, in ihnen finden sich designerstreets, in denen der öffentliche Raum eine semiotische und

atmosphärische Qualität gewinnt. Shopping Malls hingegen sind in sich abgeschlossene, halböffentliche, in der Regel neu errichtete Komplexe, in denen sich kleine und mittelgroße, heterogene Konsumangebote aneinanderreihen, vor allem Filialen von Einzelhandelsketten. Mit George Ritzer kann man in den Malls das »Modell Disney« am Werk sehen, wie es 1955 erstmals in Disneyland in Südkalifornien in die Tat umgesetzt wurde:® die Errichtung einer vollständig geschlossenen Environment zu Erlebniszwecken, in denen sich Anregung mit Risikolosigkeit paart. Daneben werden seit den 1990er Jahren — als drittem Typus — dem sogenannten eatertainment, deutlich, vgl. dazu nur David Bell/Gill Valentine, Consuming Geographies. We Are Where We Eat, London 1997. 67 Auf der Mikroebene werden auch innerhalb der Verkaufsflächen nun Waren häufig ähnlich musealen Ausstellungsstücken als ästhetische Objekte drapiert, Vgl. hierzu Gail Reekie, »Changes in the Adamless Eden. The Spatial Transformation of a Brisbaine Department Store 1930-90«, in: Rob Shields (Hg.),

Lifestyle Shopping. The Subject of Consumption, New York 2004, S.170-197.

lebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfur/M. 1992, sowie oben

68 Vgl. zu diesem Begriff Ilpo Koskinen, »Semiotic Neighborhoods«, Issues 21 (2005), S.13-27,

Kapitel 4, insbesondere 4.4.

69 Vgl. George Ritzer, Enchanting a Disenchanted World. Continuity and Change in

66 Diese Entwicklung wird beispielhaft im Aufschwung der urbanen Gastronomie, 298

allem aus dem Bereich des ästhetischen Konsums (Mode, Design, Kunst etc.) aneinanderreihen, und mit Gastronomie und kleinteiligen Unterhaltungsangeboten kombiniert werden.“® Solche Viertel,

in: Design

the Cathedrals of Consumption, Los Angeles, Thousand Oaks 2010.

299

verstärkt sogenannte Lifestyle Centres gegründet, die den Versuch

zu und in den Vordergrund. ” Theater-, Film- und Musikfestivals

darstellen, Merkmale der semiotischen Viertel und der Malls zu vereinen.”” Es handelt sich meist um neu errichtete städtebauliche

und Wechselausstellungen sind ihre deutlichsten Ausprägungen. Noch bezeichnender für diese Transformation der Hochkultur

Komplexe, die jedoch anders als die Malls von öffentlichen Straßen

ist jedoch der sich in den creative cities vollziehende Prozess der Musealisierung. Das Museum bildete ein traditionsreiches Zen-

durchzogen sind. Das erste Beispiel für eine solche ganz am Konsum orientierte »Stadt in der Stadt« ist die umfangreiche Sanierung des Hafenviertels in Baltimore im Jahr 1979, genuine Lifestyle Centres inden sich im Eastern Town Center in Columbus (Ohio) oder

grum bürgerlicher Kultur, und es hat — ob aus adeligen Sammlungen erwachsen oder als bürgerliche Neugründung — seit dem Beginn des ı9. Jahrhunderts seinen repräsentativen Ort in den

am Potsdamer Platz in Berlin. Die Reize von semiotischen Vierteln und Malls werden hier miteinander verknüpft: die Abwechslung und Heterogenität des offenen Raums, zugleich die Gefahrlosigkeit

westlichen Großstädten. Indem es einen künstlerischen Kanon und

der Bewegung im kontrollierten Raum. An ihnen wird gut sicht-

Ort der räumlichen Gestaltung der Nationalgeschichte. * Der Prozess einer umfassenden Musealisierung des Urbanen, der ebenfalls in den 1980er Jahren einsetzt, bewirkt nun eine enorme Zunahme

bar, dass sich die postmodernen Konsumräume nach zwei Seiten abgrenzen: einerseits gegen die Standardisierung und Homogenität

des Massenkonsums, gegen die Reizlosigkeit des bloß funktionalen öffentlichen Raums, andererseits aber auch gegen das Risiko einer wuchernden und unkontrollierten Metropole.

Relikte der Nationalgeschichte sammelt und ausstellt, trägt es zur Auratisierung anerkannter Kunstwerke bei, und es ist zugleich ein

museumswürdiger Objekte, das heißt eine Erweiterung des Bereichs dessen, was für eine ästhetische Betrachtung in Frage kommt. Dazu gehören: Industriedenkmäler und weitere Gegenstände aus der in-

dustriellen Vergangenheit, die nostalgischen Objekte einer vorin-

Musealisierung

dustriellen — bürgerlichen, ländlichen oder adeligen — Vergangen-

Für die creative city ist bezeichnend, dass sie sowohl die bisheri-

Relikte kultureller Minderheiten, massenmediale Objekte von historischer Relevanz (Film, Fotografie etc.) und solche, die regionale Besonderheiten demonstrieren. Ähnlich der Entgrenzung des postmodernen Kunstverständnisses fol_gt auch die Expansion der museumswürdigen Gegenstände einer Ästhetik des Interessanten, Zudem werden die klassischen Ausstellungsformate, die auf Auratisierung und lineare Narration setzten, mehr und mehr ge-

heit, Relikte örtlicher Persönlichkeiten oder der Naturgeschichte, ge Populärkultur als auch die alte Hochkultur

in ihre Kulturali-

sierungs- und Ästhetisierungsstrategie einbezieht. Das populäre Vergnügen des Konsums und die Auseinandersetzung mit Werken der Hochkultur erweisen sich nun als zwei gleichrangige Versionen des generalisierten touristischen Blicks. Vor diesem Hintergrund

erlebt die ehemals bürgerliche Hochkultur in der spätmodernen Mertropole seit den 1980er Jahren unter veränderten Bedingungen

sprengt.”” Die Musealisierung trägt auf diese Weise zu jener refle-

eine Renaissance. Für diese Renaissance sind die »Festivalisierung«

xiven Historisierung bei, die die creatfive city insgesamt ausmacht.

und »Eventifizierung« kennzeichnend: Während die Darbietungen an den klassischen hochkulturellen Orten — dem Theater, der Oper,

Charakteristisch ist eine Ausstellungslogik der »indexikalen Narra-

dem Konzerthaus oder dem Museum — in der Regel dem Prinzip der Wiederholung

unterlagen

(das Repertoiretheater

mit festem

Ensemble, das örtliche Orchester, die ständige historische oder künstlerische Sammlung des Museums), tritt nun eine Struktur des

Wechsels und der Kurzfristigkeit immer neuer Kulturangebote hin-

tivierung«: Die Objekte sind in der Regel nicht für sich genommen 75 Vgl. dazu Bernaderte Quinn, »Arts Festivals and the City«, in: Urban Studies 42

(2005), S. 927-943.72 Vgl. Tony Bennett, Zhe Birch of the Museum. History, Theory, Politics, New York 1995.

73 Vgl. Kylie Message, New Museums and the Making of Culture, Oxford 2006; Kevin Herherington, »The Time of the Entreprencurial City. Museum, Heritage, and

70 Vgl. dazu Paul Knox, Cities and Design, London 2010, S. 136 .

300

Kairos«,

in: ders./Anne

City. Image, Memory, CGaze, S1208

M.

Cronin

(Hg.),

Comsuming

Spectacle, New York 2008, 5.273-294;

the Entrepreneurial

Urry,

The Tourist

301

ästhetisch außergewöhnlich oder historisch bedeutsam, sondern

ner Handschrift« (signature architects) erkennen, erstmals und beispielhaft im 1977 von Renzo Piano und Richard Rogers in Paris

werden es, indem sie auf einen größeren Zusammenhang verweisen und sich in umfassendere Narrative einbetten lassen. Indem sie

errichteten Centre Pompidou, Diese Museumsbauten wirken als

auf eine »interessante« Lebensform, Minderheitengeschichte oder Persönlichkeit verweisen, können auf diese Weise auch banale All-

gig vom Inhalt des Museums einzelne Stadtviertel oder im Extrem

architektonische symbolische Marker und können ganz unabhän-

tagsgegenstände musealisierbar werden.’* Viele der seit den 1980er Jahren neu gegründeten Museen sind dabei »postmoderne« Muse-

ganze Städte in der öffentlichen Wahrnehmung kulturalisieren und

en, die ein selbstreflexives Verhältnis zu ihrem kulturellen Beitrag

Guggenheim-Museum

entwickeln.”* Teilweise sind ihre Gründung und ihr Austellungsgegenstand unmittelbar von der postmodernen Politik der Reprä-

Kosmopolitischen mit der des Regionalen kreuzt, kann als Para-

sentation kultureller Minderheiten und der Erinnerungsarbeit beeinflusst.”® Teilweise werden gängige Museumsthemen durch eine

sie als globales kulturelles Zeichen identifizierbar machen, Das in Bilbao,

in dem

sich die Semiotik

des

digma einer solchen erfolgreichen Kulturalisierung eines Ortes via

muscaler Solitärarchitektur gelten. ®

poststrukturalistisch informierte Ausstellungspraxis dekonstruktiv

verfremdet. Erstmals findet sich diese »neue Museologie« 1995 in

7.5 Kulturorientierte Gouvernementalität

der neu gestalteren Ausstellung des Museum of Sydney und im Museo de America in Madrid, welche die Geschichte der Stadt

Die dargestellte Semiotisierung, reflexive Historisierung und at-

Sydney beziehungsweise der spanischen Kolonien in Amerika nicht

mosphärische Ästhetisierung einzelner Stadtviertel und schließlich ganzer Städte wird in den 1970er Jahren zunächst von den Bewohnern und der lokalen Okonomie getragen. Seit den 1990er Jahren ist jedoch zusätzlich eine systematische Kulturalisierung des Urba-

linear, sondern fragmentarisch erzählen. Stärker als die klassischen

Museen setzen die postmodernen Museen dabei auf jene Aktivierung des Rezipienten, die man auch aus der postmodernen Kunst kennt, und sie bemühen sich offensiv um eine Ansprache der Sinne und Affekte der Besucher.,””

Dieser forcierten Ästhetisierungslogik der Museen nach innen entspricht eine Ästhetisierung nach außen. Viele der neuen Museen befinden sich in neu errichteten Museumsbauten, die dem Typus einer »Solitärarchitektur« entsprechen: Sie fallen durch ihre Individualität auf und lassen prominente »Architekten mit eige74 Im Falle restaurierter historischer Innenstädte oder umfassender Industriedenk-

mäler stellt sich sogar die Grenze zwischen Museumsraum und Umgebung als fragil heraus, so dass die Viertel und Orte im Extremfall ihrerseits und als Ganze zum Gegenstand der Musealisierung werden können.

S

75 Vgl. zu diesen Fällen Message, New Museums and the Making of Culture. 76 Dies gilt etwa für das National Museum of the American Indians (NMAI)} in Washingron, das Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa in Wellington oder das Schwule Museum in Berlin-Kreuzberg. 7 Vgl. Viv Golding, »Dreams and Wishes, The Multi-Sensory Museum Space«, in: Sandra H. Dudley (Hg.), Museum Materialities, London 2010, S.224-240; Kate

Gregory/Andrea Witcomb, »Beyond Nostalgia. The Role of Affect in Generating Historical Understanding«, in: Simon Knell/Suzanne MacLeod u.a. (Hg.), Mwseum Revolutions, London 2007, S. 263-275.

302

nen von Seiten der politisch-staatlichen Planung zu beobachten, so dass die rreative city zum Fluchtpunkt der Stadtpolitik wird. Während die Kulturalisierungen des Urbanen durch die Bewohner häufig punktuell und spezifisch waren und sind, bemüht sich

die staatliche Planungsperspektive, die Stadtentwicklung als Gan-

ze und dabei auch die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Stadt insgesamt in den Blick zu nehmen. Dieser Übergang von einer Kulturalisierung durch die Nutzer zur politischen Kulturalisierung markiert für die Genealogie des Kreativitätsdispositivs einen Einschnitt: Kreativität wird erstmals zum systematischen Gegenstand

staatlicher Steuerung. Die Planung von Differenzen und Atmosphären Die staatliche Steuerung der kreativen Stadt basiert auf cinem entsprechenden Planungsdiskurs, für den zwei international wirkende Berater der Stadtplanung wegweisend sind: Richard Florida und 78 Vgl. zum »Bilbao-Effekt« Knox, Cities and Design, S.184-187.

303

Charles Landry. Grundiegend für Floridas Gesellschaftsverständnis

ist die Sicherung ökonomischen Wachstums. Unter postindustriellen Bedingungen scheinen dafür im besonderen Maße die Kreativökonomie und die sie tragende creative class verantwortlich.” Die räumliche Verteilung der Mitglieder dieser Klasse innerhalb

»Wettbewerbsspiel zwischen den Städten«*“ den Ausgangspunkt, allerdings ist das Entwicklungsziel der kreativen Stadt bei ihm

letztlich ambivalent, denn sie soll auch der Lebensqualität ihrer Bewohner und der sozialen Problemlösung dienen. Sein Modell der

kreativen Stadt ist eng mit der politischen Methode der »kulturel-

der Nationalstaaten und der Welrgesellschaft ist nun jedoch nicht

len Planung« und der Vorstellung verbunden, dass »kulturelle Res-

zufällig. Sie ballen sich vielmehr in einem bestimmten Stadttypus,

sourcen« ausgeschöpft werden sollten. Landry fordert ausdrück-

dem der creative city, den Florida in Bezug auf die USA etwa in

lich dazu auf, Städte als kulturelle Gebilde wahrzunehmen, wobei »Kultur« als ein Sammelbegriff für Gebräuche, Ideen und Artefakte unterschiedlichster Art verwendet wird, Entscheidend ist aus dieser Perspektive, dass jede Stadt letztlich ihre individuelle, von anderen unterscheidbare Kultur besitzt, ein spezifisches kulturelles Erbe, das ihr, wenn man es entwickelt, zur »lokalen Unterscheidbarkeit«

San Francisco, Boston oder Seattle ausmacht.® In der klassischen

volkswirtschaftlichen Analyse ging man davon aus, dass Technologie und (technisches) Humankapital die beiden wichtigsten Fakto-

ren für das wirtschaftliche Wachstum einer Region liefern. Florida aktualisiert diese Annahme für die postindustrielle Gegenwart: An die Stelle der beiden »alten« Faktoren treten Expertenwissen und

kreatives Humankapital als notwendige Bedingungen von Prosperität — aber beides sind flüchtige Elemente. Um »Technologie« und

verhelfen soll. Die kulturorientierte Stadtplanung habe an diesen Besonderheiten anzusetzen, sie sichtbar zu machen, zu steigern und

zu gestalten: »Eigentlich kann jede Stadt ein globales Zentrum zu-

» Talent« anziehen zu können, muss die Stadt einen dritten Faktor bieten: Sie muss für die creative class und die von ihr getragene Kreativökonomie attraktiv sein, und das ist sie, wenn sie sich als

mindest für irgendetwas sein.«® Die creative city ist im Planungsdiskurs damit ein mehrdeutiger

ein Ort kultureller Verschiedenartigkeit und Offenheit darstellt,

spektive kann man hier den historisch bemerkenswerten Versuch erkennen, ein politisches Steuerungs- und Planungsregime zu institutionalisieren, das im Kern auf die umfassende Dynamisierung von

das heißt, der auf Dauer »Erlebnisse höchster Qualität« bietet. Zur

creative city zu werden scheint damit für jede Großstadt unabdingbar, um im globalen Wertbewerb um die Mitglieder der creative

und suggestiver Begriff. Aus der soziologischen Beobachterper-

Kultur ausgerichtet ist, und zwar letztlich auf den drei genannten

Die rzäumliche Struktur dieser kreativen Stadt,

Ebenen von Semiotisierung, reflexiver Historisierung und Ästheti-

die Frage, inwiefern der urbane Raum selbst strukturell »krea-

sierung im engeren Sinne. Dieser Stadtplanung geht es nicht um eine

tiv« ist und was dies bedeuten kann, bleibt bei Flordia allerdings

bloße »Kulturpolitik«, wie sie etwa in den 1970er Jahren im Umkreis der Förderung von sogenannter Sozio-Kultur zur Debatte stand,“

class zu bestehen.

offen. Vielmehr kommt der kreativen Stadt bei ihm letztlich ein

abgeleiteter Stellenwert zu: sie ist eben eine Stadt für die creative class. Charles Landry, der mit seinem kurzen, 1995 erschienen Pam-

phlet Zhe Creative City als Initiator des Begriffs gelten kann, bezieht die »kreative Stadt« hingegen sehr viel deutlicher auf eine Transformation des Stadtraums.* Auch hier liefert das ökonomische 79 Vgl. Richard Florida, Kritik an Florida vgl. Policy Questionse, in: 80 Florida, Cities and the 81

Charles Landry/Franco Creative City. A Toolkit.

304

Citier and the Creative Class, New York 2005. Zu einer erwa Allen Scott »Creative Cirties. Conceprual Issues and /ournal of Urban Affairs, 28 (2006), S 1-17. Creative Class, S.104. Bianchini,

Zhe Creative City, London

1995; Landry,

Zhbe

82 Landry, 7he Creative City. A Toolkit, S, 4. 83 Ebd., S.8. Ein suggestives Beispiel aus Landrys eigener Planungstätigkeit ist die Verwandlung von Helsinki in die »Sradt des Lichts«. Helsinki ist wie andere skandinavische Städte durch einen langen, dunklen Winter geprägt. Diese nega-

tive Eigenschaft lässt sich jedoch in eine positive verwandeln und in ein interessantes »Kulturmerkmal« für Bewohner und Besucher transformieren: Die Stadt

bedarf beständiger Beleuchtung und hat auch entsprechende Traditionen wie die Lucia-Kerzenparade vorzuweisen. Die Stadtplanung stärkt auf Landrys Empfehlung hin genau dieses Merkmal, indem sie weitere Formate fördert, die Helsinki

zur Licht-Metropole machen soll (das Winterfestival des Lichts, die Förderung des Lampendesigns etc.), vgl, ebd., S, 88. 84 Vgl. etwa bei Hilmar Hoffmann, Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt/M. 1984.

305

sondern um eine totalisierende strategische Kulturalisierung des Urbanen. Dabei geht es primär um die systematische Hervorbringung einer Urbanität, die auf eine beständige Produktion und Steigerung von immer wieder neuen Zeichen und Symbolen, von historischer Reflexivität und von sinnlich-affektiven Atmosphären

abzielt. Diese Zeichen und Atmosphären sollen durch die Kunstszene ebenso realisiert werden wie durch die Kreativökonomie, durch

die Konsumräume ebenso wie durch die ästhetisierten Stadtviertel, durch Museen und Festivals, schließlich durch die Solitärarchitektur der signature architects, so dass den Bewohnern und Besuchern dauerhaft und immer wieder neu »urbane Erfahrungen« geboten werden. Im New Urbanism wird seit Ende der 1980er Jahre diese

vom klassischen Metropolendiskurs und vom kritischen Urbanismus beeinflusste Planungsvision einer umfassenden Ästhetisierung

des Urbanen beispielhaft formuliert, in deren Zentrum der Begriff der »urbanen Erfahrung« (urban experience) steht; das Ziel lautet,

»eine Stadt, in der alles öde und monoton schien, in eine Stadt zu

verwandeln, in der alles interessant und anregend ist«,“

gend Material liefern, um immer wieder neue — auch gegensätzliche — Narrationen über sich selbst hervorzubringen,

Diese Differenzpolitik bestrategien reduzieren, des städtischen Raums werden Stadtviertel sogar umschreibt:® zu urbanen

signmanagement

des Urbanen lässt sich nicht auf Wersondern leiter die reale Umgestaltung an.®” In besonders avancierten Fällen zu dem, was Guy Julier als designscapes Räumen, die einem umfassenden De-

unterworfen wurden

und in denen alte und

neue Architektur, öffentliche Räume sowie die kulturelle und kon-

sumtorische Nutzung so aufeinander abgestimmt sind, dass sich für Bewohner und Besucher semiotisch und atmosphärisch eine identifizierbare Einheit der Stadt /n der Heterogenität ergibt.“ Die Entwicklung der katalanischen Hauptstadt Barcelona seit Beginn der 1980er Jahre kann als bestes Beispiel für eine kulturorientierte Umgestaltung als designscape gelten.” Von Seiten der Stadt- und

Regionalregierung wurde hier konsequent versucht, eine urbane Identität in die Praxis umzusetzen, die Kosmopolitismus und re-

sierten Moderne setzt die strategische Kulturalisierung der einzelnen Stadt auf die Produktion von Abweichungen und Besonder-

gionale Besonderheiten miteinander verbinden sollte. Die Planung knüpfte einerseits an das architektonische Erbe der Stadt an und bemühte sich zugleich, Barcelona als eine „Kultur— und Designmetropole zu modellieren, etwa durch die Öffnung der Stadt zur Küste und durch eine Fülle neuer Kultureinrichtungen (Museum für zeitgenössische Kunst, Nationaltheater etc.). Eine solche Politik

heiten, um Differenzen zu anderen Städten und damit die eigene

des place branding muss dabei immer mit einem Paradox umgehen:

Individualität sichtbar zu machen. Dieses urbane place branding knüpft an bereits vorhandene Elemente der Stadt an — Sehenswürdigkeiten, Szenen, Naturlandschaften, Stadtpersönlichkeiten —, um

Zum einen soll die Stadt identifizierbar und damit auch semiotisch fixiert werden, zum anderen muss sie in diesem Rahmen jedoch in der Lage sein, semiotisch und atmosphärisch immer wieder neuartige Erfahrungen bereitzuhalten. Die kulturorientierte Stadtplanung zielt damit im Kern auf ein

Die strategische Kulturalisierung des Urbanen schließt eine Politik der Markierung kultureller Differenzen zwischen den Städten

ein. Anders als im Falle der »Serienstädte« der funktional-organi-

sie zu einer identifizierbaren symbolischen Marke zu verdichten und sie nötigenfalls in eine für die positive Identifikation geeignete Richtung umzuinterpretieren.®® Diese Orientierung der Stadtpolitik an symbolischen Differenzen und Individualität umfasst auch die gezielte Produktion von »Narrativierungen«, die an die »Stadt-

mythen« der Bewohner und Besucher anknüpft oder versucht, neue zu kreieren. Berlin ist hierfür erneut ein Paradebeispiel. Eine kreative Stadt, so lässt sich zusammenfassen, muss ständig genü85

Paul Bray, »The New Urbanism. Celebrating the City«, in: Places 8 (1993), S. 566s, hier: S, 58. Vgl. auch Jacobs/Appleyard, Zoward an Urbun Design Manifesto. 86 Vgl. dazı auch Stephanie Hemelryk Donald/Eleonore Kofman (Hg.). Branding Cities, Cosmopolitanism, Parochialism, and Social Chunge, New York 2009. 306

urbanes Atmosphärendesign ab. Im Zentrum der geplanten Kulturalisierung der Stadt steht deren Ästhetisierung im Sinne eines 87 Vgl. Guy Julier, Zhe Culture of Design, London 2008, S. 123 ff 88 Vgl. ders., »Urban Designscapes and the Production of Aesthetic Consent«, in: Urban Studies 42 (2005), S.869-887. 89 Zur Rolle der signature architecture vg\. Donald McNeill, 7he Global Architect, Firms, Fame, and Urban Form, New York 2009. 90 Vgl. Diane Dodd, »Barcelona — The Making of a Cultural Citye, in: dies., Planning Cultural Tourism in Europe, Amsterdam 1999, S, 53-64. Zu einer detaillierten

Analyse der Kulturalisierung einzelner britischer Städte vgl. John Punter (Hg.), Urban Design and the British Urban Renaissance, London, New York 2010.

3097

Managements von Atmosphären, In anderen Segmenten des Kre"{thltdtSdl$p()5!th$, etwa in der postmodernen

Kunst und

in der

ästherischen Ökonomie, war uns ein solches Atmosphärenmana-

bau, die Suburbanisierung und die verkehrsgerechte Stadt — im Wesentlichen dem Muster einer urbanen Steuerung erster Ordnun

folgre.”* Es handelt sich um eine ingenieurwissenschaftliche Pla-

einem räumlichen Arrangement von Objekten und Subjekten über

nungsweise, die meint, auf einem Nullniveau beginnen zu können. Ihr Anspruch ist, eine Stadt von Grund auf neu zu bauen, sie gewissermaßen in einen leeren Raum hineinzusetzen und 1dcalenveg_

den Weg der sinnlichen Wahrnehmung und mit Hilfe kultureller

se sogar die Nutzungsweisen der Bewohner zu steuern. Scheinbar

Verarbeitungsschemata eine spezifische affektiv empfundene StimAtmosphären, die um ihrer selbst willen erfahren werden, und die

lässt sich die Stadt hier durch den Planer in beliebige Richtungen lenken. Ganz anders das Planungsregime der sich kulturalisierenden Stadt: Hier liegt das Modell einer urbanen Steuerung zweiter

kulturorientierte Stadt wird

Besucher in

Ordnung vor — eine Zweitsteuerung von Prozessen, die sich bereits

erster Linie in Form solcher Atmosphären erlebbar, die gezielt von

vor der politischen Intervention selbst organisieren, Indem das Planungsregime der creative city die Stadt als dynamische kulturelle

gement als Ästhetisierungsinstrument bereits begegnet.” Zur Erinnerung: Mit dem Begriff der »Atmosphäre« ist gemeint, dass in

mung

und Gestimmtheit

entsteht. Ästhetische Atmosphären für ihre Bewohner

und

sind

den Bewohnern und den staatlichen Instanzen erzeugt werden.” Das kulturelle Muster, welches das Atmosphärendesign der crea-

tive cities anleitet, zielt auf die genannten urbanen Erfahrungen um ihrer selbst willen ab, auf eine urbane »Lebendigkeit« von hoher

Intensität im sicheren Rahmen. Angestrebt wird eine Abwechslung und Vielfältigkeit von Eindrücken, die zugleich ohne Risiko bleiben: eine Atmosphäre der domestizierten Dynamik und Diversität. Die Semiotisierung und die reflexive Historisierung des Urbanen tragen dann zur Atmosphärenbildung und damit zur Ästhetisie-

rung des Urbanen bei. Die doppelte Abgrenzung der Ästhetisierung gilt der Langeweile und Leere der funktionalen Stadt sowie der Unsicherheit und Unkontrolliertheit, wie man sie in den sozial prekären Stadtvierteln fürchtet.

Kulturplanung und ihre Grenzen

Einheit betrachtet, muss sie voraussetzen, dass diese urbane Kultur — die Ströme von Zeichen, historischen Intertextualitäten und Armosphären — bereits vor ihrer Intervention existierte und von den Bewohnern und Benutzern, Arbeitskräften und Subkulturen permanent hervorgebracht wird. Im kulturorientierten Planungsregime, wie es sich bei Jane Jacobs, Aldo Rossi oder Charles Landry findet, erscheint die deterministische Voraussetzung einer vollständigen Steuerbarkeit des Urbanen weder wünschenswert noch realistisch. Die städtische Planung kann die dynamischen kulturellen Prozesse, welche die Stadt ausmachen, gar nicht neu erfinden, die Steuerungsaufgabe muss vielmehr darin bestehen, diese bereits existierenden kulturellen Prozesse zu beeinflussen und zu steigern, Diese urbane Steuerung zweiter Ordnung lässt sich als eine spezifische Form politischer Gouvernementalität auf den Begriff bringen: eine kulturorientierte Gouvernementalität,

Gouvernementa-

Die kulturorientierte Stadtplanung der creative city unterscheidet sich strukturell! grundsätzlich von jenem Typus politischer Planung, wie er die funktionale Stadt prägte. Zieht man die Begrifflichkeit

lität bezeichnet bei Michel Foucault ganz generell eine Form der politischen Regierung avancierter liberaler Gesellschaften, die als

der soziologischen Steuerungs- und Planungstheorie heran, kann

das zu Regierende als eigendynamisch sich selbst steuernd, als ein

man feststellen, dass das Planungsregime der funktionalen Stadt — ihre Trennung von Wohnen und Arbeiten, der Massenwohnungs-

»Milieu«, das schon vor der politischen Intervention existiert und

eine »Regierung der Selbstregierung« strukturiert ist, Sie betrachtet das nun über Anregungen und Abschreckungsmaßnahmen

indi-

rekt beeinflusst werden soll.®* Dass das soziale Format der Regie91 Vgl. dazu oben Kapitel 3.5, 4.4. 92 Vgl. Gernor Böhme, Atmosphare. Essays zur neuen Asthetik, Frankfurt/M. 1995-

Vgl. als Beispiel für eine Architektur, die auf solche Atmosphärenproduktion setzt, Anna

Klingmann,

Cambridge 2007. 308

Brandscapes, Architecture in the Experience Kconomy,

93 Vgl. Helmut Willke, Systemeheorie IL, Interventionstheorie. Grundzüge einer Theorie der Intervention in komplexe Systeme, Stuttgart 1999. 94 Vgl. Michel Foucault, Geschichte der Gouvernementalität [, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am College de France 1977-1978, Frankfurt/M. 2004.

309

rung der Selbstregierung für das Kreativitätdispositiv grundlegend ist, hatten wir bereits in einem anderen Segment des Dispositivs gesehen: in den Subjektivierungstechniken der Kreativitätspsychologie, die eine Psychologie der Disziplinierung ablösten.” Im Bereich der Planung des Stadtraums findet nun ein analoger Prozess statt: Die alte Steuerungsform der ingenieurhaften Planung wird durch eine indirekte »Kreativitätssteuerung« abgelöst, die ihren Gegenstand als von Natur aus kreativ und inhärent dynamisch begreift, So wie in der Psychologie das Programm einer einfachen Disziplinierung des Subjekts spätestens seit den 1970er Jahren als überholt gilt, da es die Transformationsfähigkeit des Individuums negiert, so distanziert sich auch die Stadtplanung vom Steucrungsdeterminismus der funktionalen Stadt. So wie die Kreativität des Selbst dort

psychologisch vorausgeserzt und als positives Ziel formuliert wird, so geht die Stadtplanung der creative city hier von einer ebenso na-

treibt eine Totalisierung des Kulturellen, die ein unerwünschtes Außen von sich abspalter und dieses zugleich voraussetzt, nämlich

das Nichtkulturelle beziehungsweise das Nichtkreative. Sie präju-

diziert, dass jede Stadt eine kreative ist und zu sein hat, Ihr »Anderes« sind dann jene Städte oder Stadrviertel — und schließlich auch

deren Bewohner —, die nicht zu einer gelungenen Semiotisierung,

Historisierung und Ästhetisierung in der Lage sind, etwa weil sie keine creative industries anziehen oder ihre historische Bausubstanz

sich nicht für eine attraktive Atmosphärenbildung eignet. Solche

Srädte sind nicht imstande, den Ansprüchen kultureller Dynamik zu genügen, und sic liefern die notwendige Hintergrundfolie, vor der sich die kreativen Städte als solche positionieren.

Allerdings sind die Selbstkulturalisierung der Stadt und das Planungsregime der creative cities nicht ohne Brüche. Seit der Jahrtausendwende schälen sich Gegentendenzen und Umakzentuierungen

türlichen wie zu fördernden Dynamik des Urbanen aus. Während die technokratische Steuerung der funktionalen Stadt »in einem

heraus, die sich auf das Verständnis des Kulturellen, Ästhetischen

leeren künstlichen Raum« plante, gilt es für die (kulturorientierte) Gouvernementalität, »ein Milieu im Zusammenhang mit [...] Se-

wicklung gelten soll. Zum einen finden sich Versuche, die creative

und Kreativen

richten, das im Zusammenhang

mit der Stadtent-

rien von Ereignissen [...] zu gestalten«”® und mit einer lebendigen

cities im Sinne einer »nachhaltigen Stadt« (sustainability) ebenso weiterzuentwickeln wie zu überwinden. Die Vision einer sinnlich

Eigendynamik der urbanen Realität zu rechnen. Diese Eigendynamik ihres Steuerungsgegenstands stellt sich für

Jacobs und Aldo Rossi eine Kritik am mangelnden ökologischen

befriedigenden, sich kulturalisierenden Stadt enthält schon bei Jane

die spätmoderne Gouvernementalität des Urbanen damit im Kern als eine kulturelle dar, Foucault hatte die Frage, mit welchen Leit-

Wert der funktionalen, industriegesellschaftlichen Stadt, denn die-

kategorien die Gouvernementalität seit 1800 ihr Objekt, die »Be-

ebenso wie die ihrer nichtmenschlichen Umwelt. Jacobs’ und Rossis Gegenmodell einer ästhetisch befriedigenden Urbanität ist das einer Stadt im Gleichgewicht, das sich von der Vorstellung eines endlosen Modernisierungsprozesses distanziert. Diese ökologische

völkerung«, traktiert, durchaus offengelassen und auf drei historische Semantiken verwiesen: die des Lebens und der Natur, die der Gesellschaft und die des Marktes. In der creative city kristallisiert sich jedoch eine weitere und die letztlich historisch avancierteste Form der Gouvernementalität heraus: eine Gouvernementalität

des Kulturellen und des Ästhetischen.” Diese Steuerungsform be95 Vgl. oben Kapitel 5.6. 96 Foucault, Geschichte der Gouvernementalität I, S.38, 97 In der Gouvernementalität der Kultur sind Elemente der anderen drei Gouvernementalirätsformen enthalten: Die Förderung des Lebens transformiert sich in den Vitalismus der Kreativität, die Planung des Sozialen in den Anreiz für soziale

Prozesse der Symbolproduktion und die Implementierung des Marktes in den Aufmerksamkeitswettbewerb zwischen den Städten. Auf die Ökonomisierung

der spätmodernen Stadt wurde wiederholt hingewiesen, vgl. nur Tim Hall/Phil Hubbard (Hg.), 7he Entrepreneurial City. Geographies of Politics, Regime and Re-

310

se verbrauche

die sinnlich-affektiven

Ressourcen

ihrer Bewohner

Kritik kann sich nun auch gegen die staatliche Gouvernementalität

der creative city wenden, die auf Reizsteigerung und ökonomisches Wachstum setzt.®

Zum anderen sind Tendenzen einer Repolitisierung der Kreativität in den creative cities zu beobachten. Gerade Charles Lanpresentation,

Chichester

1998.

Die

Kulturalisierung

und

Ästhetisicrung wider-

sprechen jedoch dieser Ökonomisierung nicht, ohne dass sie kurzerhand aus dieser abgeleitet werden könnten. Zur strukturellen Homologie von Ästhetisierung und Ökonomisierung insgesamt vgl. Kap. 8.3 dieses Buches. 98 Vgl. dazu etwa Marc Roseland, Toward Sustainable Communities, Resources for Citizens and Their Governments, Gabriola Island 2005.

311

drys einflussreiche Planungsvision der kreativen Stadt enthält das Programm einer dezidierten Selbstkulturalisierung des Urbanen ebenso wie das Element einer Politisierung der Kreativität. Landry macht

in diesem Zusammenhang

den Begriff der »civic creativi-

8.

Asthetisierungsgesellschaft: Strukturen, Dissonanzen, Alternativen

ty« stark, die an der sozialen und politischen Problemlösung im

Dienste ihrer Bewohner interessiert ist.” Die »zivilgesellschaftliche« Kreativität dient damit sowohl einem ästhetischen als auch

8.1 Der Affektmangel der Moderne

einem ethischen Zweck, nämlich der Verbesserung der Lebensqualität ihrer Nutzer, Innerhalb des Planungsregimes der creative city

»Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, — wir müssen es sein.«'

wird damit eine Spannung sichtbar: zwischen der Orientierung der kulturellen Steuerung am globalen Aufmerksamkeitswettbewerb der Städte und ihrer Orientierung an den Nutzern und ihren auf

Dieses etwas pathetische Urteil fällt Max Weber nach seiner Analyse der Genese eines disziplinierten und asketischen Selbst, das sich als Voraussetzung der rationalistischen Moderne herausstellt. Die Kultur der Berufsorientierung, der Berechenbarkeit und Pflichterfüllung wurde im Kontext einiger Zweige des Protestantismus, in dem sie im 16. Jahrhundert entstanden war, noch von starken Motiven teligiöser Heilssuche angetrieben. Nachdem diese Lebensform die Entstehung des okzidentalen Rationalismus, insbesondere

Dauer befriedigenden urbanen Erfahrungen.'®

in der kapitalistischen Ökonomie, ermöglicht hatte, ist die psychologische und kulturelle Grundlage im Zuge der Säkularisierung jedoch weitgehend verschwunden. Okzidentaler Rationalismus und Kapitalismus stürmen für Weber jedoch ähnlich einem Huhn, dem

man den Kopf abgeschlagen hat, noch eine Weile kopflos weiter und setzen Berufsorientierung, Selbstdisziplin und Askese nötigenfalls mit Zwang durch, ohne dass diese Normen für die postreligiösen Individuen noch mit Sinn erfüllt oder mit Befriedigung verbunden wären.

Es ist verführerisch, diese Diagnose einer Transformation von Selbstmotivation in Fremdzwang auf die Entwicklung des Kreati-

vitätsdispositivs zu übertragen. Haben sich nicht in analoger Weise um 1800 die Zweckfreiheit ästhetischer Praktiken und die Schöpferkraft des Künstlers als ein hochgradig affektiv aufgeladenes Ideal herauskristallisiert und ihre gesellschaftliche Nische zunächst in künstlerischen Subkulturen g3funden? Har dieser starke Affekt zugunsten des Kreativen und Ästhetischen nicht im 20. Jahrhun-

dert den Impuls dafür gegeben, dass sich immer umfangreichere kreativ-ästhetische Komplexe 99 Vgl. Landry, 7he Creative City. A Toolkit, S.266 E

N

100 Diese Alternativen zum herrschenden Verständnis des Ästhetischen und Kreativen werden unten in Kapitel 8.5 zum Thema.

312

herausgebildet haben? Und stehen

ı Max Weber, »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« [1904/05, 1920), in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie T, Tübingen 1988, S. 17206, hier: S. 203, Hervorhebung M.W.

313

wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht einem machtvollen Kreativitätsdispositiv gegenüber, in dem die Wünsche, sich kreativ zu

berätigen, vollends in soziale Zwänge zu kreativem Handeln und ästhetischer Zerstreuung umschlagen, die von außen an die Individuen herangetragen werden und diesen fremd geworden sind? Eine solche von Weber inspirierte kulturpessimistische Erzählung scheint verführerisch einfach —- aber sie macht die Situation,

in der wir uns befinden, letztlich unverständlich. Zwar ist in den

tivitätsdispositiv? Die Antwort lautet: Die Dringlichkeit bestand im Affektmangel der klassischen gesellschaftlichen, insbesondere der organisierten Moderne. Diese betrieb eine systematische Verknappung der Affekte, die den vergesellschafteten Subjekten hätten Motivation und Befriedigung verschaffen können. Die Ästhetisierungsprozesse des Kreativitätsdispositivs versuchen, diese Verknappung zu überwinden.

Die gesellschaftliche Moderne bildet jedoch keinen einheitli-

verschiedenen Segmenten des Kreativitätsdispositivs, die ich in

chen

den vorangegangenen Kapiteln behandelt habe, Kreativität zum Fluchtpunkt eines gesellschaftlichen Anforderungskatalogs ge-

historische Konfigurationen: die bürgerliche Moderne und die or-

worden. Das Kreativitätsdispositiv lässt sich jedoch nicht auf eine

breite und Intensität geselischaftlich legitimer Affekte und litten

normative Erwartungsstruktur reduzieren, sondern verdankt seine Stabilität einer Konstellation aus Kreativitätsimperativen und Kre-

daher, langfristig betrachtet, an einem kulturellen Motivationsde-

ativirätswünschen. Der Wunsch der Subjekte nach einer kreativen Existenz und ästhetischer Befriedigung ist nicht als natürlich und

der Ökonomie, des Staates, der Familie, der Wissenschaft und an-

allgemeingültig vorauszusetzen, sondern wurde im gleichen sozialkulturellen Kontext geformt. Der Universalismus des Kreativitäts-

die Adelsgesellschaft und den agrarischen Traditionalismus formie-

dispositivs, der es erschwert, eine grundsätzliche Alternative zu ihm zu denken, beruht gerade darauf, dass das Dispositiv solche positiven Affekte und Erlebnisse hervorlockt und mit ihnen arbeitet, es

von diesen gestützt und gefördert wird. Hier ist der Unterschied zu Max Webers formalem Rationalismus zu finden, der auch als Zwangsapparat funktionierte, welcher disziplinierend durch den Körper und den Geist wirkte und die Affekte zu verdrängen suchte, Das Kreativitätsdispositiv hingegen hantiert mit Praktiken und Subjektmodellen, an die sich fortwährend affektive Faszination

und Erregung heften, mit dem Modell einer ästhetischen Existenz, das den Individuen nicht fremd ist, sondern sich im Zentrum ihres Affekt- und Sinnhaushaltes befindet. Dieser affektive Strukturkern macht die Besonderheit des Kreativitätsdispositivs aus. Seinen Ort in der Entwicklung der gesellschaftlichen Moderne gilt es, genauer zu bestimmen. Dispositive sind generell nicht als »evolutionäre Universalien« zu verstehen, sondern als historische und lokale Phänomene, die auf eine ganz bestimmte Problemlage antworten, auf eine historische und lokale »Dringlichkeit«.“ Auf welche Problemlage reagierte nun das Krea2 Vgl. Michel Foucault, »Das Spiel des Michel Foucault« {1977}, in: ders,, Schrifien in vier Bänden. Dits et Eerits, Bd, 3, Frankfur/M. 2004, S.391-429, hier: S, 393-

314

Block,

sondern

zerfällt zumindest

in zwei

unterschiedliche

ganisierte Moderne. Beide verknappren auf ihre Weise die Band-

fizit.* Als »bürgerliche Moderne« lassen sich die sozialen Praktiken derer Bereiche zusammenfassen, die sich im 18. Jahrhundert gegen

ren und im 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika struk-

turbildend wirken. Für die bürgerliche Moderne kennzeichnend sind die Strukturelemente der Marktökonomie, der Parlamentsdemokratie, des wissenschaftlichen Szientismus und der patriarcha-

len Kleinfamilie. Kulturell getragen wird sie von der Bürgerlichkeit als Lebensform. Idealtypisch übt sich das bürgerliche Selbst in Reflexivität und Selbsrtdisziplinierung; es konkretisiert sich in

den Figuren des pflichtbewussten Asketen und des self made man gleichermaßen. Die »organisierte Moderne« liefert dazu ein Ge-

gen- und Nachfolgemodell. Sie ist das Resultat der tiefgreifenden Transformation der gesellschaflich leitenden ökonomischen und staatlichen Praktiken, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stattfindet. Im Gegensatz zur liberalen bürgerlichen Mo-

derne werden nun Steuerung, Koordination und Planung forciert, und zwar sowohl im Rahmen der ökonomischen Korporationen als auch von Seiten des Staates. Anders als die bürgerliche Klassengesellschaft setzt die organisierte Moderne auf eine umfassende soziale Inklusion und auf das allgemeine Wohlstandsversprechen 3 Zu den Strukturmerkmalen der bürgerlichen und organisierten Moderne vgl. ausführlich Peter Wagner, Sociology of Modernity, London 1994; Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006.

315

ihrer Konsum- und Massenkultur. Die idealtypische Lebensform der organisierten Moderne umschrieb David Riesman als die des »außenorientierten Charakters«: ein Subjekt, das sich an der peer

group ausrichtet und nach gesichertem sozialen Status im Rahmen einer Normalbiografie strebt.* Wie

in den vorangegangenen

Kapiteln deutlich geworden

ist,

positionieren sich die ästhetischen Praktiken, die in das Kreativitätsdispositiv münden,

immer wieder im Gegensatz zu Struktur-

merkmalen der organisierten Moderne: Die fordistische Ökonomie mit ihrer Massenproduktion, ihren hierarchisch-funktionalen Organisationen und dem standardisierten Konsum, die Psychologie der sozialen Kontrolle, das Planungsregime der funktionalen Stadt — sie alle sind Bestandteile und Stützen der organisierten Moderne, gegen die sich die ästhetische Ökonomie,

die Psychologie

und staatlicher Makrostrukturen am Modell formaler Rationalität

und die Formierung des außenorientierten Charakters, der sich in Strukturen sozialer Koordination einfügt. Beide Rationalisierungsschübe reduzieren die gesellschaftlich legitim erscheinenden

Erregungsintensitäten zugunsten weitgehend affektneutraler disziplinierender oder sozial-koordinierender Mechanismen.’ Die Affektreduktion beschert der Moderne ein grundsätzliches strukturelles Problem, nämlich einen Motivationsmangel. Worin soll der affektive Reiz bestehen, an der rationalisierten Lebensfüh-

rung und den rationalen Institutionen teilzunehmen und sich von ihnen — jenseits von sozialem Zwang — »anrufen« zu lassen? Was

motiviert die Subjekte zu einer aktiven Teilhabe und verspricht ihnen affektive Befriedigung? Was ist attraktiv an der Moderne?

des Ressourcen-Selbst und die kulturorientierte Stadt abgrenzen.

Max Webers Diagnose des »stahlharten Gehäuses der Hörigkeit«

Das Problem der organisierten Moderne — wie auch der bis zum

lässt sich als Einsicht in diesen

Beginn des 20. Jahrhunderts weiterhin wirksamen Kultur der bür-

gerlichen Moderne — besteht in ihrem systematisch produzierten Affektmangel, den die Ästhetisierungsprozesse und schlussendlich das Kreativitätsdispositiv zu beheben versprechen.? Dieser

fundamentalen

Motivationsman-

gel der säkularen Rationalität moderner Lebensführung interpretieren. Tatsächlich

kann die Affektverknappung

der Moderne

je-

doch nicht vollständig gewesen sein. Es existierten vielmehr von Anfang an Orte und Strategien, die darauf ausgerichtet waren, den

Affektmangel ergibt sich insbesondere aus einer tiefgreifenden

Affektmangel zu kompensieren. Um diese im Detail zu verfolgen,

Entästhetisierung der sozialen Praktiken, und er ist ein Ergebnis der Rationalisierungsschübe beider Versionen der Moderne.® Der Rationalisierungsschub der bürgerlichen Moderne, der sich gegen die Affektkulturen der Adelsgesellschaft, der ländlichen und handwerklichen Volkskulturen sowie der (insbesondere katholischen)

diese Affektstruktur jedoch durch drei Kraftlinien gekennzeichnet:

Religion richtet, manifestiert sich in der Ökonomie des Warentau-

sches, der Selbständigkeit und der Professionen ebenso wie in der

Neutralität des bürgerlichen Rechts, im Objektivirätsanspruch der modernen Wissenschaft und in der Disziplinierung und Reflexionsorientierung des bürgerlichen Selbst. Der Rationalisierungsschub der organisierten Moderne betrifft die Orientierung ökonomischer

wäre eine umfassende historisch-soziologische Affektkartografie der Moderne nötig, die bisher nicht vorliegt.® Grundsätzlich scheint Neben den Prozessen der Ästhetisierung bilden die Komplexe des Religiösen und des Politischen die wichtigsten Affektballungsräume der Kultur der Moderne. Die Religion war in den vormodernen europäischen Gesellschaften der Nukleus der gesellschaftlich legitimen Affektivität, aber sie verschwindet auch in der Moderne niemals vollständig. Trotz aller Säkularisierungstendenzen bleibt das Erregungspotenzi7 Die These des Affektmangels bzw. der Affektreduktion der Moderne ist von Nor-

bert Elias bis Klaus Theweleit in sehr unterschiedlichen Versionen formuliert worden, vgl. als eine empirische Analyse in Bezug auf die organisierte Moderne nur Perer N. Stearns, American Cool, Constructing a 20th Century Emotional Style, New York 1994.

acter [1949/1961]}, New Haven 2001, 5 Es geht nicht darum, anthropologisch eine Notwendigkeit vorauszusetzen, dass Affekte »ausgelebt« werden müssten, sondern um die historisch-soziologische Feststellung, dass dieser Affektmangel in der Moderne kulturel! wahrgenommen und empfunden und daher entsprechende Gegenstrategien entwickelt wurden.

6 Vgl. zu den Ursachen der Entästhetisierung oben Kapitel 1.2.

®

4 Vgl. David Riesman, Zhe Lonely Crowd. A Study of'the Changing American Char-

Vgl. die entsprechende, berechtigte Anregung von Deleuze und Guattari in: dies., Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie I1 {1980}, Berlin 1992, S, 658694, Die neueren Ansätze einer Emotions- und Affektgeschichte bieren weitere

Impulse, vgl. programmatisch William M. Reddy, 7he Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001

316

317

al transzendenter Bezüge und sakraler Praktiken eine bedeutsame Kultur, was etwa in

winnen die Ästhetisierungsprozesse bis zur Spätmoderne an Inten-

den hartnäckigen evangelikalen Bewegungen in der Geschichte der

sität und Einfluss und drücken der Affektkultur des Westens über den Weg des Kreativitätsdispositivs schließlich ihren Stempel auf.”

Motivations- und Affektquelle der modernen Vereinigten Staaten deutlich wird.

Die Affektkultur des Religiö-

sen, die verschiedene Ausprägungen zwischen Mystik und aggressivem Millenianismus kennt, erweist sich im Rahmen der Kultur der Moderne als eine residual culture (Raymond Williams) von

fortgesetzter Beharrungskraft, insbesondere in der bürgerlichen Moderne und erneut in der Spätmoderne.? Eine Affektkultur von ausgesprochener Modernität bildet sich seit der Französischen Revolution in einem zweiten Kontext, im Bereich des Politischen. Die Politik der Moderne ist nicht auf rationale Planung und rationale

Kooperation beschränkt. Sie enthält vielmehr Affektkulturen von erheblicher Intensität, die von Fortschritts-, Emanzipations- und Erlösungshoffnungen bis hin zu Nationalismus, Militarismus und Gewalt- und Vernichtungsfantasien reichen. Die Affektivität des Politischen in der Moderne heftet sich an das Ideal einer diesseitigen Vervollkommnung des sozialen Kollektivs.'® Die gesellschaftlichen Prozesse der Ästhetisierung sind somit nicht der einzige Ort in der Moderne, an dem sich Affekte bal-

len und Motivationen erzeugt werden, Neben dem Religiösen und

Das Kreativitätsdispositiv erhebt den Anspruch, den Affektmangel der modernen Kultur auf Dauer überwunden zu haben, während

das Religiöse und Politische dieses Versprechen nicht mehr flächendeckend einzulösen vermögen. Die Grundintuition von Nietzsche, der »das Ästhetische« als eigentliche Alternative zur rationalistischen und moralistischen Tradition des Okzidents ausmacht,'!? er-

weist sich somit trotz aller Übertreibung und Einseitigkeit seiner Perspektive gesellschaftstheoretisch als ebenso hellsichtig wie treffend. Es sind die Prozesse der Ästhetisierung, die sich langfristig als die wirkungsmächtigste Antwort auf die zweckorientierten und normativen Rationalisierungsprozesse der Moderne sowie auf de-

ren Affekt- und Motivationsmangel herausstellen, und das Kreativitätsdispositiv bildet ihre machtvollste Kristallisationsform.'*

8.2 Grundstrukturen des Kreativitätsdispositivs Der Prozess der Asthetisierung, den das Kreativitätsdispositiv als

dem Politischen stellt sich das Ästhetische viel mehr als einer von drei solchen gesellschaftlichen Erregungskomplexen dar, die sich in ihrer Grundstruktur voneinander unterscheiden: Während das

Antwort auf den Affektmangel beider zuvor beschriebenen Mo-

Religiöse die Affekte an transzendente Bezüge und das Politische sie an die Vervollkommung des sozialen Kollektivs koppelt, bindet

ı1 Natürlich kann man versuchen, sowohl das Ästhetische als auch das Politische

dernen

in Gang setzt, ist — wie wir gesehen haben — durch zwei

kulturbistorisch als »Erben« der Sakralität des Religiösen zu interpretieren, so

wie es auch Begriffe wie »Zivilreligion« und »Kunstreligion« nahelegen, Aus der

das Ästhetische sie an die sinnliche Wahrnehmung um ihrer selbst willen, Innerhalb dieses Ensembles von Affektballungsräumen ge-

Gegenwartsperspektive lässt sich jedoch innerhalb der Moderne eher das Ästhe-

tische als eigentlich alternative Affektkultur zum Politischen lesen: eine Affektkultur der zweckfreien Sinnlichkeit gegen eine solche kollektiver Mobilisierung. Das religiöse Feld scheint sich in der Moderne entweder mit dem ästhetischen

9 Emile Durkheim thematisiert den Stellenwert der Religion als soziale Affekt-

quelle in exemplarischer Weise, vgl. ders., Die elementaren Formen des religiösen Lebens [1912], Frankfurt/M. 1981 Zur Relevanz von Religionen in der Spätmo-

Komplex

in den

religiösen

derne vgl. nur Hans Joas/Klaus Wiegandt (Hg.), Säkularisierung und die Weltreligionen, Frankfurt/M. 2007. Zum Begriff der residual cultureim Unterschied zur dominant und emergent culture vgl. Raymond Williams, Marxism and Literature,

Tendenzen der westlichen Gegenkulturen von der Romantik bis zum

New Age)

zugleich kompensatorisch auf intensive Affektmuster angewiesen war, die sich im Zeitalter der »europäischen Bürgerkriege« manifestierten.

(eine »mystische«

Frömmigkeit

wie

oder mit dem politischen Komplex (im Sinne eines Aktivismus, wie er in den

religiösen Fundamenztalismen zucage tritt). b

Oxford 1977, S. 121

10 Vgl. zur kulturellen Relevanz des Politischen Shmuel N. Eisenstadt, Die Vielfalt der Moderne, Weilerswist 2000, Kapitel ı. Man kann die These vertreten, dass gerade die vorgeblich politisch besonders rationalisierte organisierte Moderne

zu verbinden

Vgl. Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie {1872}. Berlin, New York 1999.

13 Die Ästhetisierungsprozesse der Moderne lassen sich sicherlich nicht vollständig als Vorläufer des Kreativitätsdispositivs verstehen, Sie finden sich beispielsweise auch im einflussreichen bürgerlichen Muster der romantischen Liebe und der emotionalen Intensität des Familienlebens, die man kaum unter ein Regime des ästhetisch Neuen und unter das Publikumsmodell subsumieren kann. Vgl. zu den Ästherisierungsagenten in der Moderne insgesamt oben Kapitel 1.2.

318

319

fundamentale Eigenschaften charakterisiert: die Kopplung ästhetischer Praktiken an ein Regime des Neuen und die Verknüpfung des Ästhetischen mit einem Ethos der Produktion, der zugleich auf ein rezipierendes Publikum angewiesen ist. In den einzelnen Kapiteln dieses Buches haben wir im Detail nachverfolgt, wie sich solche ästhetisch orientierten Praktiken, Diskurse und Subjektformen in verschiedenen sozialen Feldern allmählich herausgebildet haben. In welchem Verhältnis stehen diese Felder nun zueinander? Da es keine zentrale Instanz der Planung gibt, sind sie nicht von vornherein miteinander koordiniert. In der Rückschau stellt sich

jedoch eine Komplementarität zwischen ihnen heraus, eine Art faktische Arbeitsteilung, die das Dispositiv zu institutionalisieren vermochte: Dabei kommt dem Kunstfeld eine Schlüsselbedeutung zu. Die moderne Kunst entwickelt ein exemplarisches Format für das Kreativitätsdispositiv als Ganzes. In der Form der bürgerlichen Kunst, die Ende des 18. Jahrhunderts entsteht, hat sie ein soziales Format erprobt, das ganz auf die Kultivierung möglichst reiner, der Zweckrationalität entbundener ästhetischer Praktiken und Subjektformen ausgerichtet ist. Es orientiert das Ästhetische eindeutig am Ideal des Neuen, Originellen und Überraschenden und bindet

es an die Doppelstruktur von kreativen Produzenten und rezipierendem Publikum. Das Ideal des kreativen Subjekts ist genau hier entstanden, das heißt aus dem Künstlerideal. Anschließend har die »zentrifugale« Kunst der Avantgarden und der Postmoderne im Lauf des 20. Jahrhunderts das, was als legitime künstlerische Praxis zählt, weit über die exklusiven Strukturen der bürgerlichen Kunst und ihrer Geniereligion ausgedehnt. Das Feld der Kunst liefert damit den entscheidenden und historisch offensichtlich nicht durch funktionale Äquivalente ersetzbaren Impuls für die Entstehung ei-

ner sozialen Praxis, die an ästhetischen Wahrnehmungen, Erlebnissen und Selbstgestaltungen ausgerichtet ist; ihre gesellschaftliche Diffusion wurde jedoch nur dadurch möglich, dass sich über das

schmale Segment der Kunst hinaus die kapitalistische Ökonomie im Lauf des 20. Jahrhunderts in Kernbereichen in die Richtung einer ästhetischen Ökonomie transformiert hat. Diese hat sich einem affektintensiven Regime des ästhetisch Neuen unterworfen. Ihre Entwicklung fand in mehreren Schritten statt, in denen nach und nach ein Paradigma der technischen Innovation durch ein solches 320

der organisationellen und schließlich der ästhetischen Innovation abgelöst worden ist, Generell forciert die späitmoderne Ökonomie

damit eine ex-

plosionsartige Ausbreitung immer neuer ästhetischer Objekte. Das Kreativitätsdispositiv setzt jedoch zugleich die Formierung kreativer Subjekte voraus, die dem Ideal der kreativen Selbstgestaltung

folgen. Wie deutlich geworden ist, sind für diese gesellschaftliche »Fabrikation« des Kreativsubjekts zwei weitere soziale Felder unabdingbar: die Psychologie der Kreativität und die Massenmedien mit ihrem Starsystem. Die Psychologie als wissenschaftliche und populäre Subjektivierungsinstanz legt spätestens seit den 1970er Jahren nahe, dass das kreative Selbst nicht die Ausnahme, sondern die

gesunde Normalform des Subjekts ist: Das normale Selbst scheint nach Selbstverwirklichung und Selbstvervollkommnung nach Art

des Künstlerideals zu streben. Zugleich entwickelt der psychologische Komplex Methoden, mit deren Hilfe der Einzelne seine kreativen Kompetenzen trainieren kann. Während die Psychologie das

Kreativsubjekt gewissermaßen »von innen«, über entsprechende Technologien des Selbst zu realisieren versucht, stützen die Massenmedien, insbesondere die audiovisuellen Medien, seine Institutionalisierung »von außen«, indem sie die kulturelle Attraktivität

erfolgreicher Kreativsubjekte zur Darstellung bringen. Vor allem das massenmediale Starsystem, das Film- und Musikstars ebenso umfasst wie Kunststars und Stars aus den creative industries, insze-

niert kreative Subjekte als Gegenstand der Identifikation. Nicht das disziplinierte, sondern das expressive Individuum wird dadurch

zum populären kulturellen Modell. Die Kulturalisierung des westlichen Stadtraums, in deren Zen-

trum die Ästhetisierung urbaner Atmosphären steht, fügt dem Kreativitärdispositiv schließlich eine weitere tragende Säule hinzu. Die kulturelle Orientierung an Kreativicät erfährt hier gewissermaßen eine »Materialisierung«, das heißt, sie erhält eine materiale und damit dauerhafte Form im gebauten Raum, der so angelegt wird, dass er den Wunsch nach ästhetisch Neuem in Form von »urbanen

Erfahrungen« erfüllt, Zudem wird im Modell der creative cities die Förderung und Erablierung des ästhetisch Neuen zum Gegenstand der politischen Steuerung und Planung.‘* Wie in einem Mosaik 14 Damit sind nicht sämtliche soziale Felder abgedeckt, in denen in der Cegen-

wartsgesellschaft Ästherisierungsprozesse statrfinden. Weitere in dieser Hinsicht 321

fügen sich also die einzelnen sozialen Felder zusammen und tragen

gemeinsam zur Institutionalisierung des Kreativitätsdispositivs bei. Ästhetische Sozialität

Das Kreativitätsdispositiv ist in hohem Maße produktiv. Es basiert auf einer sehr spezifischen Form des Sozialen, der es zur Verbreitung

verhilft: einer ästhetischen Sozialität. Die Enstehung einer solchen neuen Form des Sozialen zu erkennen setzt voraus, »das Soziale« nicht als eine feste Struktur anzunehmen, die zu allen Zeiten und in allen Kontexten identisch wäre, sondern es als historisch veränderbar zu begreifen. Das Soziale als socius umfasst die verschiedensten

nur denkbaren Verknüpfungen zwischen Subjekten, Objekten und anderen Entitäten, und die Frage lautet, welche Form es in einem bestimmten historischen und lokalen Kontext annimmt.!* Man

kann nicht genug betonen, dass die Prozesse der Ästhetisierung nicht antisozial oder dem Sozialen gegenüber indifferent sind, sondern eine eigene Version des Sozialen hervorbringen. Um es noch einmal zu wiederholen: Die Besonderheit der ästhetischen Sozialirelevante Komplexe sind etwa die der persönlichen Beziehungen, des Sports und die Nutzung digitaler Medien, Es sprechen eine Reihe von Indizien dafür, dass seit den 1970er Jahren für Partnerschaften und Freundschaften Imperative der Moral, des sozialen Status und der Versorgung an Bedeutung verloren haben und sie vielmehr als Mittel zur Steigerung individueller Erlebnismöglichkeiten gesehen werden. Vgl. dazu Anthony Giddens, Zhe Transformation of Intimacy. Sexuality, Love and Eroticism in Modern Societies, Cambridge 1992. Die Ästhe-

tisierung des Sports hatte ich im Zusammenhang mit dem Sportstar angesprochen, sie umfasst jedoch auch die im weitesten Sinne ästhetischen Hoffnungen auf spezifische Körpererfahrungen und Distanz zum zweckrationalen Alltag, die mit dem spätmodernen Individualsport verbunden sind. Vgl. nur Ronald Lutz, Laufen und Läuferleben, Zum Verhältnis von. Körper, Bewegung und Identität, Frankfurt/M., New York 1989. Die ergebnisoffenen Praktiken der Nutzung des

Internets, in denen sich Konsumtion und Produktion miteinander verknüpfen, können in mancher Hinsicht als ein herausgehobenes Trainingsfeld für Kreativsubjekte und kreative Praktiken gelten. Vgl. dazu Reckwitz, Das hybride Subjekt, Kapitel 4.2.2 und 4.2.3. ı5

Vgl. zu einem solchen Verständnis des Sozialen

Bruno

Latour, Eine neue Sozio-

logie für eine neue Gesellschaft {2005}, Frankfurt/M. 2007. Auch Boltanski und Thevenor pluralisieren das Soziale, das allerdings in erster Linie als normative

Rechtfertigungsordnung gedacht wird. Vgl. Luc Boltanski/ Laurent Thevenot, Über die Rechtfertigung, Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft [1991], Ham-

burg 2007. 322

tät besteht darin, dass sie vier spezifische Instanzen und Einheiten miteinander verknüpft, nämlich Subjekte als Kreateure, ein ästhetisches Publikum, ästhetische Objekte und eine institutionalisierte Regulierung von Aufmerksamkeiten. Dies ist das tragende Gerüst des Kreativitätsdispositivs. Es muss einerseits Praktiken geben, die auf die Produktion von ästhetisch Neuem ausgerichtet sind und die von entsprechenden individuellen oder kollektiven »Kreateuren« getragen werden, Es muss auf der anderen Seite ein Publikum

geben, das primär an der ästhetischen Aneignung von Objekten und Ereignissen interessiert ist. Beide sind über eine dritte Instanz miteinander verknüpft, über ästhetische Objekte, das heißt über mehr oder minder materiale Artefakte, die mit ästhetischer Absicht

hergestellt und/oder in ästhetischer Absicht genutzt oder rezipiert werden. Diese Trias wird schließlich von institutionellen Mecha-

nismen — marktförmigen, medialen oder politisch-staatlichen — gerahmt, denen es um das Management von Aufmerksamkeit geht, Innerhalb der ästhetischen Sozialität besteht das wichtigste Koor-

dinationsproblem des Sozialen darin, welche perzeptive und affektive Aufmerksamkeit sich auf welche ästhetischen Objekte (und kreativen Subjekte) richtet. Zusammengehalten wird diese ästhe-

tische Sozialität durch ihre übergreifende Orientierung an einem ästhetischen Regime des Neuen: Immer geht es um die Produktion

und Rezeption von Ereignissen, denen eine positiv empfundene sinnlich-affektive Eigenqualität zukommt, sowie um eine Produktion und Rezeption dieser Ereignisse unter dem Aspekt, dass sie überraschend, abweichend von der Norm und originell sind. Die ästhetische Sozialirät, die das Kreativitätdispositiv hervorbringt, unterscheidet sich damit grundsätzlich von vertrauten Mustern des Sozialen, wie sie die Soziologie vor dem Hintergrund der klassischen gesellschaftlichen Moderne entdeckt und kurzerhand als universale Struktur vorausgesetzt hatte. Die beiden wichtigsten soziologischen Ansätze zur Beschreibung des Sozialen haben das

Soziale entweder in der Intersubjektivität und Kommunikation oder aber in der Verkettung von zweckrationalem Handeln festgemacht.'® Aus der ersten Perspektive konstitutiert es sich in Beziehungen der Kommunikation, in der Zirkulation von Zeichen oder in der normativen Koordination zwischen menschlichen Akteuren. 16 Vgl. zu diesen beiden Idealtypen nur Jürgen Habermas, »Arbeit und Interaktion«, in: ders., Technik und Wissenschaft als »Ideolagie«, Frankfurt/M. 1968, S.9-47.

323

Aus der zweiten Perspektive bezeichnet das Soziale eine Emergenz-

tionsteilnehmers, des interessensgeleiteten Handelnden

und des

ebene, die sich aus einer Verkettung zweckrationaler Handlungen

Objekte bearbeitenden Produzenten treten ein Publikumssubjekt

ergibt, die Artefakte herstellen oder aus denen ein interessensgelei-

der ästhetischen Rezeption und Aneignung, ein Kreationssubjekt neuartiger Wahrnehmungen, Zeichen und Emotionen sowie ein

teter Tausch entsteht.'” Die ästhetische Sozialirät des Kreativitäts-

dispositivs ist mit diesen klassischen soziologischen Vorstellungen

ästhetisch performatives Subjekt, das sich zum Gegenstand einer äs-

nicht mehr zu erfassen. Gegenüber den vertrauten Modellen des Sozialen als Interaktion, Produktion oder Tausch ergeben sich vier einschneidende Veränderungen: (1) In historisch außergewöhnlicher Weise findet sich im Zen-

thetischen Selbstgestaltung vor einem Publikum macht.

(4) Handeln und Wahrnehmen sind nicht auf eine berechenbare Reproduktion von Regelsystemen ausgerichtet, sondern auf eine

Zirkulation und

dynamische Selbsttransformation der sozialen Formen, An die Stelle des regelgeleiteten Handelns tritt das Muster der Kreativität des

Aneignung sinnlicher Wahrnehmungen und Affekte in ihrer Eigendynamik. Strukturen und Praktiken der sinnlichen Wahrnehmung

keit tritt die soziale Erwartung von Überraschungen‚ so dass nicht

trum dieser Sozialitätsform die Hervorbringung,

und die sich daran heftenden positiven Affekte bilden für die Grundstruktur des Sozialen damit keine marginalen Phänomene mehr, sondern ihren elementaren Stoff.'® Die ästhetische Sozialirät ist im Kern eine affektive und eine sinnlich-perzeptive Sozialität. (2) Die Ästhetisierung des Sozialen ist mit einer Aufwertung der konstitutiven Relevanz von (ästhetischen, offenen) Objekten für das

Soziale verknüpft. Im Kern der ästhetischen Sozialität zirkulieren nicht intersubjektive, sondern »interobjektive« Relationen zwischen Dingen und ihren Produzenten beziehungsweise Rezipien-

ten, die nicht unmittelbar miteinander, sondern über die Objekte miteinander verknüpft sind.‘” (3) Parallel dazu verwandelt sich die Form des Subjekts, das

in diese Sozialität eingepasst ist. An die Stelle des Kommunika17 Diese tcheoretischen Festlegungen setzen einen spezifischen empirischen Hintergrund voraus, der allerdings meist unausgesprochen bleibt: Das erste Muster

wurzelt in der normativen Rationalität des modernen Rechtssystems und der bürgerlichen Familie, während das zweite Muster sein empirisches Vorbild in der produktiven Arbeit und im versachlichten Warentausch der modernen Ökonomie findet, 18 Vgl. zu einer Kritik an der antiästherischen ÖOrientierung der klassischen Sozialwissenschaften auch Wolfgang Eßbach, »Antitechnische und antiästhetische Haltungen in der soziologischen Theorie«, in: Andreas Lösch (Hg.), Zechnologien als Diskurse, Konstruktionen von Wissen, Medien und Körpern, Heidelberg 2001, S.123-136. ı19 Vgl. zu einem an der Interobjektivität orientierten Konzept des Sozialen auch Karin Knorr Cetina, »Sociality wirh Objects: Social Relations in Postsocial Knowledge Societies«, in: Zheory, Culture & Society, 14 (1997), S.1-30 und Bruno Latour, »On Interobjectivity«, in: Mind, Culture, and Acitivity, 3 (1996), S. 228244.

324

Handelns, an die Stelle der sozialen Erwartung der Gleichförmigdie Wiederholung von sozialen Formen, sondern deren Auflösung und Neukonstitution zum Normalfall wird.“ Wie deutlich geworden ist, existiert diese ästhetische Form des

Sozialen im Verlauf der Entwicklung zum Kreativitätsdispositiv in drei verschiedenen »Aggregatzuständen«, nämlich als soziale Nische, als Gegenkultur und als soziale Steuerungsform. Diese unterscheiden sich hinsichtlich des Stellenwerts, die der ästhetischen

Sozialität gesamtgesellschaftlich zukommt.

Im Sinne einer so-

zialen Nische bildet sich die ästhetische Sozialität als Alternative zum rationalistischen Mainstream des Sozialen, den sie in seiner

Grundstruktur jedoch kaum zu beeinflussen vermag. Ein solches Nischendasein führte etwa die Arts-and-Crafts-Bewegung. Als Gegenkulturen tritt die ästhetische Sozialität in dem Moment auf, in dem sie offensiv versucht, das rationalistische Establishment zu delegitimieren. Eine Verdichtung solcher ästhetischen Gegenkulturen findet sich in den 1960er Jahren im radikalisierten Design, in der Psychologie der Selbstverwirklichung, im kritischen Urbanismus oder der Counter-Culrure-Musik. Die Form eines gouvernementalen Steuerungsregimes nimmt die ästhetische Sozialität schließlich an, wenn

sie soziale Legitimität jenseits der Subkulturen

erringt

20 Wie dargestellt, wird dann das Brechen der Regeln selbst zur Regel. Insofern ließe sich auch das kreative Handeln im Rahmen des Kreativitätsdispositivs durchaus innerhalb des Paradigmas des regelorientieren Handelns erfassen. Indem die Regel des Regelbrechens jedoch zur Transformation sozialer Praktiken beiträgt und damir der Akteur immer wieder mit neuartigen Ereignissen konfrontiert

wird, erhält das Handeln in diesem Rahmen eine kompliziertere Form, als sie das Paradigma des regelorientierten Handelns vorsicht. 325

und Rezeption

ums oder einer sozialen Einheit (Organisationen, Städte etc.). Im-

ästhetischer Ereignisse systematisch zu steuern. Eine solche ästhetische oder auch kulturorientierte Gouvernementalität findet sich

und in diesem

Rahmen

versucht, die Produktion

mer geht es darum, sich ästhetisch wieder und wieder anregen zu lassen und ästhetisch produktiv zu sein. Diese Mobilisierung richtet

etwa in der etablierten Kreativitätspsychologie und in der Stadtpla-

sich nicht mehr nur auf die punktuelle Hervorbringung einzelner

nung der creative city. Die »Kreativitätssteuerung« ist dabei nie eine

Werke, sondern auf die Performanz der Kreativität, das heißt auf die kreative Hervorbringung um ihrer selbst willen. Sich selbst zum Gegenstand kreativer Gestaltung zu machen, markiert dann die

eindimensionale

Steuerung

»von

oben«,

sondern

verkoppelt

die

Selbststeuerung von Subjekten und die indirekte Steuerung durch institutionelle Mechanismen. Wie deutlich geworden ist, gibt es in Bezug auf die ästhetischen Formen des Sozialen im 20. Jahrhundert eine sich verstärkende Tendenz weg von kulturellen Nischen und

reinste Form der Kreativität: Hier ist das Subjekt als Körper, Geist

und Praxis sein eigenes ästhetisches Objekt. Die ästhetische Mobilisierung hat eine paradoxe Struktur, denn

Gegenkulturen hin zu den Steuerungsformen. Auch wenn Nischen

im Aktivierungsmodell enchält das Kreativitätsdispositiv ein Mo-

und Gegenkulturen des Ästhetischen bis heute immer wieder auftauchen, werden sie nun rasch als Impulse des ästhetisch Neuen in die Kreativitätssteuerung »eingespeist«.

auf einer steigerungslosen Sequenz von ästhetischen Reizen beruht.“ Wie entsteht diese Paradoxie? Zu Beginn des Buches hatte ich die

ment der Steigerung, obwohl sein ästhetisches Regime des Neuen

drei gesellschaftlichen Regime

des Neuen

unterschieden,

die die

Ästhetische Mobilisierung

Moderne prägen:* das Regime des Neuen I, in dem auf den alten, überholten Zustand ein neuer, fortschrittlicher Zustand folgt,

Das Kreativitätsdispositiv betreibt eine umfassende ästhetische Mobilisierung der Subjekte und des Sozialen.* Diese hat eine schein-

der nicht mehr überboten werden kann; das Regime des Neuen IL, das den Fortschritt der Selbsttransformation auf Dauer stellt;

bar grenzenlose

schließlich das Regime

transformative

und

dynamisierende

Wirkung,

indem nichtästhetische Phänomene in Äästhetische verwandelt werden, die sich wiederum vom Regime des Neuen leiten lassen. Die ersten soziologischen Diagnosen der Ästhetisierung, die in den 1960er Jahren angesichts zeitgenössischer Ästhetisierungsprozesse im Massenkonsum und in den Massenmedien auftauchten, sahen hier in erster Linie eine Ausbreitung »passiver Konsumenten«, die

sich scheinbar willenlos der Unterhaltungsindustrie ausgeliefert haben. Ginge man von einem solchen Verständnis aus, wie es sich

beispielhaft in Guy Debords Gesellschaft des Spektakels findet,* wäre das Kreativitätsdispositiv jedoch nicht angemessen erfasst.

des Neuen

I11, das aus einer unendlichen

Sequenz gleichrangiger ästhetischer Reize ohne Fortschritt besteht. Grundsätzlich basiert das Regime des Neuen, welches das Kreativitätsdispositiv in allen seinen Segmenten hervorbringt, auf der

Struktur des Neuen als Reiz, Was zählt, ist die Hervorbringung und die Rezeption immer neuer, möglichst intensiver Reizereignisse, die jeweils allein in ihrer Gegenwart interessieren. Hier geht es nicht darum, besser zu sein, sondern anders.

Zugleich wirkt im Kreativitätsdispositiv jedoch ein Regime des Neuen als Steigerung, und zwar aufgrund des Aktivierungsimperativs, der von Subjekrten und sozialen Einheiten verlangt, Kreativi-

Hier findet gerade keine Ruhigstellung des Subjekts statt, sondern

tät zu potenzieren, Diese Steigerung enthält sowohl die Idee eines

dessen Aktivierung als kreative Instanz und eine Mobilisierung der

quantitativen Mehr als auch eines qualitativen Besser, und sie ergibt sich aus zwei komparativen Mechanismen: Das Subjekt (oder die

Praktiken als produktive Tätigkeiten, wobei die Produktivität nicht mehr in einem industriellen Sinne verstanden, sondern primär auf‘

21

Zum Begriff der Mobilisierung vgl. auch Peter Sloterdijk, Eurotaoismus, Zur Kritik der politischen Kinetik, Frankfurt/M. 1989, S. 30 ff. 22 Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels [1967}, Berlin 1996. 326

23

o

Sinne, Zeichen und Affekte bezogen wird. Immer handelt es sich um eine Selbstaktivierung und Selbstmobilisierung des Individu-

Zum Begriff der Steigerungslogik vgl. Gerhard Schulze, Die beste aller Welten, Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert?, München

2003, S.81ff.;

zur zeitlichen Beschleunigung als eine besondere temporale Form von Steigerungen vgl. Hartmut Rosa, Beschleunigung, Die Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne, Frankfurı/M. 2005. 24 Vgl. oben Kapitel 1.3.

327

soziale Einheit) nimmt ständig seine früheren Performances zum Maßstab, es versucht, seine kreativen Kompetenzen zu verbessern

und sich selbst zu überbieten, so dass es in seiner Entwicklung nie an ein Ende kommt. Darauf ziclen die psychologischen Kreativitätstechniken oder die Steuerung der Stadt als creative city ab. Zum anderen ist das kreative Subjekt (oder die soziale Kreativeinheit)

angesichts knapper sozialer Aufmerksamkeiten für Neues dazu angehalten, sich beständig mit anderen Subjekten und Einheiten zu vergleichen und aus diesem Grund die kreativen Leistungen zu steigern. So findet ein permanenter Vergleich der Kreativunternehmen und der creative cities untereinander, der Künstler, Stars und

Kreativarbeiter, aber auch der privaten Subjekte der Selbstgestaltung statt, die etwa in den sozialen Netzwerken des Internets miteinander um Aufmerksamkeit konkurrieren. Zugespitzt formuliert:

Im Kreativitätsdispositiv verschränken sich eine Kultur der Postmoderne und der Moderne miteinander, nämlich die postmoderne

fortschritts- und steigerungslose Sequenz ästhetischer Ereignisse in ihrer reinen Gegenwart und das moderne Steigerungsspiel der Produktivität. Die ästhetische Mobilisierung, die das Kreativitätsdispositiv betreibt, bringt eine spezifische Affektkultur hervor, die die Gegenwartsgesellschaft prägt. Wie gesagt: Die soziale Diffusion der Orientierung an Kreativität in alle möglichen gesellschaftlichen Felder

wäre nicht möglich ohne das Versprechen der Intensivierung sozialer Affektivität. Innerhalb der Affektkartografie des Kreativitätsdispositivs kann

man

vier Knotenpunkte

positiver Motivationen

und Erregungszustände (und entsprechend negative Emotionen im Falle der Frustration der Erwartungen)

unterscheiden: die kreative

Tätigkeit, das ästhetische Erleben, das Kreativsubjekt selbst und die kreativen Räume. (1) Die kreative Tätigkeit, die sich auf die Arbeit und den Be-

ruf bezieht, aber auch die Gestaltung des privaten Umfeldes, der Freizeit, des gesamten Lebensstils umfasst, verheißt einen mit der Arbeit am Neuen verbundenen Enthusiasmus ebenso wie das befriedigende Gefühl, ein scheinbar souveränes Subjekt zu sein, das sich nicht an die überkommenen Regeln und Routinen zu halten braucht. Die Arbeit am ästhetisch Neuen verspricht Befriedigung sowohl im konzentrierten fÄow der herausfordernden und zugleich

spielerischen Tätigkeit als auch im daraus resultierenden Werk, das 328

auch temporärer Natur sein kann. Da die kreative Tätigkeit die Abweichung von der Norm legitimiert, kann sich das Subjekt als »authentisch« empfinden, da sein Tun vorgeblich seinen eigenen Impulsen folget.° (2) Das ästhetische Erleben, das heißt die aus den Zweckzusam-

menhängen entbundene sinnliche Erfahrung um der sinnlichen Erfahrung willen, verspricht eine Freiheit von der Notwendigkeit.

Es bezieht sich auf Gegenstände des Alltags ebenso wie auf Kunstwerke, die Natur, urbane Umgebungen, das Erleben des eigenen Körpers

oder

ein

anderes

Subjekt

(den

Partner,

das

Kind,

den

Freund, die Gruppe). Das ästhetisch Neue zu erleben verspricht »Lebendigkeit« und die Überwindung der monotonen Wiederkehr

des ewig Gleichen. Diese Erfahrung des ästhetisch Neuen kann selbst mit aktiver, kreativer Tätigkeit verbunden sein. (3) Das Kreativsubjekt, das man im anderen und idealerweise in

sich selbst wahrnimmt, erscheint selbst als ein faszinierendes Identifikationsobjekt, mit dem es offensichtlich kein anderer Subjekttypus der spätmodernen Kultur aufnehmen

kann, vor allem nicht

jene an Pflichterfüllung und sozialer Anpassung orientierten 1ypen der bürgerlichen und organisierten Moderne, Am kreativen Subjekt, insbesondere dem Kreativstar, wird nicht nur bewundert, dass ihm scheinbar perfekt eine Lebensform der expressiven Individualität gelingt; die Bewunderung richtet sich auch und vor allem auf sein Bewundertwerden. Erfolgreiche Kreativsubjekte ziehen positive Aufmerksamkeit auf sich, sie finden soziale Anerkennung in der Aufmerksamkeit, die sich auf ihre expressive Individualität richtet, so dass sie gewissermaßen selbst zu einem ästhetischen Objekt für andere (und für sich selbst) werden. (4) Kreative Räume arrangieren den Raum so, dass das Subjekt dort kreative Tätigkeiten vollziehen, ästhetische Erfahrungen machen und sich als kreatives Selbst entwickeln kann, Räume erscheinen in dieser Hinsicht anziehend, wenn sie als »Anregungsräume«

vielfältige Reize und Begegnungen bieten, die für kreative und ästhetische Praktiken nörig scheinen. Zwischen der globalisierten

Kultur mit ihren hybriden flozos einerseits und der persönlichen 25

Die kreative Tätigkeit kann dabei auch kollektiv strukturiert sein — ob im Kreativteam oder in einer Partnerschaft als dyadische Kreationsgemeinschaft eines gemeinsamen Lebensstils — und so das Gefühl von Souveränität und Authentizität noch potenzieren.

erweist sich, wie wir

leiten. Damit ein ästhetisches Ereignis zu einem solchen werden

gesehen hatten, insbesondere die sich kulturalisierende Stadt als

kann, muss sich die Aufmerksamkeit erstens überhaupt auf dieses Ereignis richten, das heißt, es muss ein »Aufmerken« stattfinden. Zweitens muss sie zumindest für eine gewisse Zeitspanne bei die-

Wohn-

und

Arbeitsumgebung

andererseits

Kristallisationsort eines solchen kreativen Raums.

Das Kreativitätsdispositiv bildet damit insgesamt eine Affektkultur besonderer Art: Es setzt ausschließlich auf positive Affektivität. Während etwa die Affektkartografie des bürgerlichen Kunstfeldes eine Gemengelage einander widersprechender Affekte — zwischen

Geniereligion und Geniepathologisierung, zwischen ästhetischer Utropie und Geschmacksdisziplinierung — sichtbar machte, versucht das Kreativitätsdispositiv, die Affekte auf die scheinbar unbeschränkte Positivität des Gestaltens, Erlebens, Bewunderns und Anregens, des Könnens und Dürfens auszurichten.

Aufmerksamkeitskultur des Neuen

Im Zentrum einer gesellschaftlichen Orientierung an Kreativität findet sich das Problem

der Aufmerksamkeit.

Dies gilt zunächst

sem Ereignis verharren, damit sich Sinnlichkeit und Affektivität eigendynamisch entwickeln können und sich die ästhetische Episode ereignen kann.“” Im Rahmen des Kreativitätsdispositivs lenkt nun das Leitkriterium des Neuen die Aufmerksamkeit: Ereignisse,

die vom Betrachter als neuartig wahrgenommen werden, erscheinen am ehesten des Interesses wert und haben eine Chance, eine Zeitlang in dessen Lichtstrahl zu verbleiben, um einen ästhetischen Effekt zu produzieren. Auch im bürgerlichen Kunstfeld stellte sich das Aufmerksamkeitsmanagement des Publikums als zentrales Koordinations-

problem des Sozialen dar, Im Rahmen des Kreativirätsdispositivs gewinnt die Frage nach der sozialen Strukturierung von Aufmerksamkeiten jedoch an Brisanz, und zwar aufgrund der Verschiebung

für den kreativen Produzenten. Wenn Kreativität keine »natürliche

der sozialen Relevanzen vom

Fähigkeit« im Innern des Individuums ist, sondern sich erst in der

Neuen in der unmittelbaren Gegenwart und aufgrund der Zunah-

Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Umweltreize entfaltet — so wie es die postmoderne Kunst(theorie) und die neuere Kreativitätspsychologie übereinstimmen annehmen —, dann basiert die kreati-

me kultureller Aufmerksamkeitsofferten. Generell lassen sich zwei Formen des Aufmerksamkeitsmanagements voneinander unterscheiden: die kurzfristige Aufmerksamkeit für das als neu, interessant

ve Produktion auf einer Streuung der Aufmerksamkeit durch das Subjekt: Es muss seine Aufmerksamkeit auf eine Weise öffnen, dass

und originell perzipierte Ereignis in der unmittelbaren Gegenwart

eine Vielzahl unterschiedlicher Reize, Zeichen und Kombinationsmöglichkeiten »auf dem Bildschirm« seiner Wahrnehmung sichtbar werden, um diese dann zu etwas relativ Neuem zu verarbeiten. Ihre ganze Tragweite

entfaltet

das

gesellschaftliche

Aufmerk-

samkeitsproblem allerdings erst dann, wenn das Publikum als Beoabachtungsinstanz des ästhetisch Neuen ins Spiel kommt.“ Die Aufmerksamkeit des Rezipienten richtet sich in der sozialen Praxis zwangsläufig immer nur auf einen begrenzten Kreis von Phänomenen und lässt sich dabei von Aufmerksamkeitsroutinen 26 Zur Theoretisierung von Aufmerksamkeit allgemein vgl. Bernhard Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, Frankfurt/M. 2004; Aleida Assmann/Jan Assmann (Hg.), Aufinerksamkeiten. Beiträge der Archäologie der literarischen Kommunikation VIL, München 2001 Zur Historisierung des Aufmerksamkeitsproblems vgl. Jonathan Crary, Aufinerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, Frankfurt/M. 2002.

330

kanonisierten Neuen

zum

Reiz des

und die langfristige Valorisierung des ästhetisch Neuen als kulturell wertvoll. Die soziale Zertifizierung des Neuen kann kurzfristig dadurch geschehen, dass sich die Aufmerksamkeit auf das in der unmittelbaren Gegenwart als überraschend und bemerkenswert empfundene Ereignis richtet. Vor dem Hintergrund aller gegenwärtig vorkommenden ästhetischen Objekte (Kunstwerke, Designobjekte, Staranwärter etc.), die vergeblich um Aufmerksamkeit wetteifern, gelingt es hier diesem Ereignis, die Sinne und Empfin-

dungen zu erregen. Eine langfristige Zertifizierung des ästhetisch Neuen setzt demgegenüber eine kollektive Bewertung, etwa in

Expertenkreisen, voraus, die das Neuheit beanspruchende Objekt einem umfassenden Vergleich mit gegenwärtigen und vergangenen Alternativen unterzieht, der in eine Kanonisierung und die Aner-

kennung des ästhetischen Objekts als »klassisch« münden kann.“® 27 Vgl. dazu Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, Kapitel 4. 28 Ich vertrete damit eine Gegenposition zu Boris Groys, der auch auf die Ge-

331

Dieses valorisierte Neue — klassische Kunstwerke, Design- und Mo-

rinzipiell begrenzt.”” Für ihn ergibt sich damit das grundsätzli-

deklassiker, klassische Stadtviertel und Baumonumente, klassische Stars der Vergangenheit etc. — wird damit zum Bestandteil eines

che Problem, sich zwischen verschiedenen Wahrnehmungsofferten

kulturellen Gedächtnisses. Wie wir gesehen haben, waren diese Kanonisierungen

für die

Aufmerksamkeitsregulierung des bürgerlichen Kunstfeldes prägend, Ein verhältnismäßig großer Teil der Aufmerksamkeit des bürgerlichen Publikums wurde so durch die wiederholte Aneignung des Kanons gebunden.“” Im spätmodernen Kreativitätdispositiv geht die Bindung der Aufmerksamkeit an das Klassische und Kanonische jedoch zurück, der Effekt des kulturellen Gedächtnisses schwächt sich ab, und stattdessen findet eine noch striktere Orientierung der Aufmerksamkeit am gegenwärtig und kurzfristig Neuen statt, Dies lässt sich etwa in der ästhetischen Ökonomie beobachten: Sofern dort überhaupt kulturelle Elemente der Vergangenheit angeeignet werden, wird damit in der Regel nicht einfach Klassisches reproduziert, sondern im Sinne einer Logik der Kombination das Alte über den Weg von mode retro und pastiche wiederum in (relativ) Neues verwandelt. Einen ähnlichen Effekt haben entsprechende Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst, wo sich immer wieder Formate finden, die gar nicht reproduzierbar sind,

sondern nur in der unmittelbaren Gegenwart existieren (performance art, Installationen, Kunstevents, Kuratorenkunst, Festspiele etc.). Infolge dieses Relevanzverlustes des kulturellen Gedächtnisses und damit der Abnahme der Sensibiliät für das in der Vergangenheit Neue verringern sich für den Rezipienten im Übrigen die Ver-

gleichsmöglichkeiten. Es wird einfacher, von der Gegenwart überrascht zu werden, wenn man das Alte nicht mehr kennt. Gleichzeitig vervielfacht sich infolge der zunehmenden Ästhe-

entscheiden zu müssen, während der kreative Produzent mit der komplementären Aufgabe konfrontiert ist, auf die Publikumsaufmerksamkeiten entsprechend zu reagieren und diese zu beeinflus-

sen. Das Erringen und Gewähren von Aufmerksamkeit wird damit in einer Gesellschaft, die auf das ästhetisch Neue setzt, zum kultu-

rellen Kampffeld.

8.3 Strukturelle Rahmenbedingungen: Ökonomisierung, Medialisierung, Rationalisierung Wie ist es dem Kreativitätsdispositiv gelungen, sich durchzusetzen? Wie konnten sich ästhetische Formate, die zunächst peripher und

allein im Kunstfeld prägend waren, in solchem Maße gesellschaftlich verbreiten? Dass die Orientierung an der Kreativität eine kulturelle Antwort auf den Affektmangel der organisierten Moderne

liefert, ist die eine grundlegende Bedingung dieses Diffusionspro-

zesses. Darüber hinaus hätte das Kreativitätsdispositiv jedoch nicht ohne die Homologien und Komplementaritäten gedeihen können, die sich Ende des 20. Jahrhunderts zwischen der ästhetischen Sozialität und mehreren anderen Formen des Sozialen herausgestellt haben, die für die Gesellschaft der Moderne fundamental sind. Die spätmoderne Gesellschaft wird nicht ausschließlich von Strukturprinzipien der Ästhetisierung beherrscht. Das Kreativitätsdispositiv ist zwar umfassend, aber andere und soziologisch vertrautere Strukturmerkmale der Moderne sind in der Gegenwartsgesellschaft

tisierung der sozialen Felder, der Steigerungslogik der ästhetischen Produktion und ihrer ausgedehnten medialen Verfügbarkeit die

keineswegs außer Kraft gesetzt. Dies gilt für die formale Rationalisierung des Sozialen, das heißt die Institutionalisierung einer Zweck-Mittel-Rationalität, in deren Rahmen Regeln nach Maßga-

Anzahl der um Aufmerksamkeit werbenden sinnlich-affektiven Ereignisse. Das Aufmerksamkeitspotenzial der Rezipienten aber ist

be von Zielen implementiert werden. Dies gilt auch für die Ökonomisierung des Sozialen, das heißt die umfassende Vermarktlichung

genwartskultur bezogen die Konstellation des kulturell Neuen im Wesentlichen durch Valorisierungsprozesse und die Entscheidung, welche Elemente ins kulturelle Archiv wandern, Frankfurt/M. 1999.

29 Vgl. oben Kapitel 2.2. 332

bestimmt sieht; vgl. Boris Groys,

Über das Neue,

30 Um das Aufmerksamkeitspotenzial zu steigern, bieten sich im Wesentlichen zwei Wege: Simultanfokussierungen (zum Beispiel über ein Training in Multuirtasking),

die jedoch in Bezug auf ästhetische Wahrnehmung begrenzt sein dürften; oder Multiplizierung und Pluralisierung der Publika, so dass eine größere Menge von kulturellen Elementen jeweils die Aufmerksamkeit von verhältnismäßig kleinen Gruppen erlangt.

333

und Kapitalisierung sozialer Interaktionen. Und es gilt für die Medialisierung des Sozialen, das heißt eine Verbreitung von Medientechnologien, die in zunehmendem Maße die Kommunikation und Wahrnehmung strukturieren. Im Rahmen einer Gesellschafts-

theorie der Spätmoderne lässt sich die Ästhetisierung des Sozialen damit strukturel] als Eckpunkt eines Quadrates identifizieren, des-

sen drei andere Eckpunkte die formale Rationalisierung, die Ökonomisierung und die Medialisierung bilden.

Natürlich — auch unter spätmodernen Bedingungen finden sich soziale Praktiken und Subjektformen, die bislang von Asthetisierungsprozessen weitgehend unberührt und stattdessen ausschließlich von den nichtästhetischen Prinzipien der Rationalisierung, der Ökonomisierung, der kognitiven Medialisierung oder anderen Kriterien geprägt sind. Hier zeigen sich Grenzen der Ä}t/}eti;icmng.

So gibt es beispielsweise weiterhin administrative oder wissenschaftliche Praktiken der Ordnungsbildung oder der Überprüfung von Aussagen, die ausschließlich zweckrationalen oder normativrationalen Imperativen unterliegen. Auch existieren Fomen des Markttausches ohne ästhetischen Bezug, etwa im Falle von Investitionsgütern, und es gibt mediale Praktiken, die rein der Informati-

onsspeicherung und -verarbeitung dienen. Die Ästhetisierung und die Prozesse der Rationalisierung, der Ökonomisierung sowie der Medialisierung des Sozialen sind also nicht zwangsläufig miteinander verknüpft. Zugleich jedoch lassen sich zwischen der Ästhetisierung und der

Vermarktlichung sowie der Medialisierung strukturelle Gemeinsamkeiten erkennen. Und auch wenn zwischen Äsrhetisierung und formaler Rationalisierung keine solche Homologie besteht, ist

Ökonomisierung und Asrhetisierung Das Kreativitätsdispositiv ist keineswegs antirational. Es ist auch nicht antiökonomisch oder antitechnisch. Im Gegenteil: Es könnte nicht derart expansiv wirken, ohne auf verschiedene für die Moderne typische Rationalisierungsformen zurückzugreifen, Dies gilt im Besonderen für die Rationalisierung qua Vermarktlichung, Die gesellschaftliche Moderne hat in mehreren historischen Schüben große Teile der sozialen Praxis auf Marktstrukturen umgestellt. * Märkte sind dabei nicht auf individuelle Interessenskonstellationen zu reduzieren, sondern bilden ihre eigene Sozialität aus, für die grundlegend ist, dass Objekte, die prinzipiell vergleichbar erscheinen, miteinander im Werttbewerb

um

die »Gunst«,

das heißt die

positive Beurteilung durch Subjekte, stehen, die sich aus Knappheitsgründen nur für cine begrenzte Anzahl dieser Objekte entscheiden können. Der Markt als Form des Sozialen manifestiert sich im Tausch zwischen Anbieter und Konsument, in dessen Ver-

lauf das Objekt den Besitzer wechselt und dafür eine Gegenleistung erbracht wird. Der Markt wirkt damit auf seine Weise antitraditi-

onalistisch: Er verlangt nach ergebnisoffenen Entscheidungen des Konsumenten und nach einer offenen Konkurrenz zwischen Ob-

jekten. Der Gütermarkt ist dabei ein Spezialfall des Marktes; das Interesse des Tauschenden kann auch immateriellen Gütern wie Ideen gelten oder anderen Subjekten (etwa auf dem Arbeits- oder

Heiratsmarkt), die sich selbst »anbieten«. Die Sozialität des Marktes wirkt zunächst radikal versachlichend: Die nachgefragten Objekte oder Subjekte erscheinen im Prinzip gegeneinander abwägbar. Die Vergleichbarkeit setzt eine

deren Verhältnis zueinander eines potenzieller Komplementarität,

distanzierte Haltung gegenüber den Objekten ebenso wie deren

Vermarktlichung, Medialisierung und formale Rationalisierung liefern somit strukturelle Rahmenbedingungen, welche die gesell-

Taxierung voraus. Viele Indikatoren sprechen nun dafür, dass die Erosion der organisierten Moderne in den 1970er Jahren mit

schaftliche Verbreitung von ästhetischen Ereignissen befördern. Jedoch verhelfen sie nur solchen ästhetischen Formaten zur Verbrei-

31 Zur Genealogie der Vermarktlichung vgl. Fernand Braudel, Sozialgeschichte des

tung, deren Grundstruktur der Ökonomisierung, Medialisierung

15 bis 18 Jahrhunderts, Band 2: Der Handel, München 1986: zu einer soziologi-

und Rationalisierung tatsächlich homolog beziehungsweise kom-

schen Theoretisierung von Märkten vgl. klassisch Max Weber, Wirtschaft und

plementär ist. Nur diese Formate »passen« ins Kreativitätsdispositiv.

Gesellschaft. Grundrifß der verstehenden Soziologie [1922}, Tübingen 1980, S. 382 ff.: Georg Simmel, Philosophie des Geldes [1900]}, Frankfurt/M. 1989; in der neueren

Diskussion Klaus Krämer, Der Markt der Gesellkschaft. Zu einer soziologischen Theorie der Marktvergesellschaftung, Wiesbaden 1997 und Jens Beckert, »The Social Order of Markers«, in: Zheory and Society 38 (2009), S. 245-269.

334

335

einem neuen Schub der Diffusion und der gezielten politischen Förderung von Marktvergesellschaftung zusammenfällt.? Diese Ökonomisierung des Sozialen diesseits und jenseits der Ökonomie (etwa auch in der Stadt- und Sozialpolitik, der Wissenschaft und

Bildung) zieht immer auch eine spezifische Weise von sozialer Rationalisierung und Versachlichung nach sich, die eine grundsätzlich entästhetisierende Wirkung hat. Zugleich jedoch stellt sich eine strukturelle Homologie zwischen der sozialen Form des Marktes und der Ästhetisierung im Sinne des Kreativitätsdispositivs heraus. Über eine bloße Tauschrelation hinaus bedeutet Vermarktlichung grundsätzlich, dass sich die soziale Position eines Publikums ausbildet, das eine Haltung

der interessierten Zuwendung zu Objekten entwickelt, die um seine Aufmerksamkeit buhlen. Anders formuliert: Im Zentrum beider

Formen des Sozialen befinden sich produzierte Objekte, die sich vor einem interessierten Publikum präsentieren und dessen Aufmerksamkeit zu gewinnen versuchen. Des Weiteren setzt in dem

Moment, in dem die Marktgesellschaft zum »Kapitalismus« wird, das heißt zu einem ökonomischen Regime, dessen Güterproduktion und -distribution auf die systematische Akkumulation und Steigerung von Kapital ausgerichtet ist,* eine Dynamisierung der

Märkte ein. Eine verbreitete Strategie der Kapitalakkumulation besteht darin, auf die Produktion von immer ncuen, andersartigen Gürtern zu setzen, um den Punkt, an dem die Bedürfnisse der Konsumeten gesättigt sind, zu umgehen. Die kapitalistische Version 32 Vgl. dazu nur Ulrich Bröckling u.a. (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/M. 2000, anders und grundsätzlich auch Uwe Schimank, »Die Moderne: eine funktional differenzierte kapitalistische Gesellschaft«, in: Berliner Journal für Soziologie, ı9 (2009), S. 327-351.

Namentlich die Gouvernementalirätsstudien haben die Verquickung von Öko-

Regime des Neuen — so wie dies auch für die Ästhetisierung im Rahmen des Kreativitätsdispositivs gilt, Nun ist die Trias von Produzenten, Objekten und Publikum, die für die Vermarktlichung grundlegend ist, ebenso wenig von vornherein ästhetisch orientiert wic das Regime des Neuen, das

sich im Warenkapitalismus ausbildet, Das Marktpublikum kann Waren auch unter dem Aspcekt ihres bloßen Gebrauchs- oder Statuswertes betrachten, und das kapitalistische Regime des Neuen

kann sich primär auf technisch neuartige Produkte beschränken. Wie wir gesehen haben, findet im Kreativitätsdispositiv jedoch eine Verkopplung von Vermarktlichung/kapitalistischer Dynamisierung und ästhetischer Sozialität statt, die einander gegenseitig stützen: Die Marktobjekte interessieren primär als ästhetische Objekte, das Regime des Neuen wird zu einem Regime der ästhetischen Innovation.

Davon

profitieren die Ästhetisierung

und die Ökonomi-

sierung gleichermaßen. Zum einen ermöglichen Marktstrukturen der ästhetischen Sozialität eine erhebliche soziale Diffusion. Indem ästhetische Praktiken

auf Märkte zurückgreifen,

können

ästheti-

sche Objekte in großem Umfang produziert und zielgenau auf die jeweiligen Publika ausgerichtet werden. Zum anderen kompensiert die Ästhetisierung den grundsätzlichen Affektmangel dex;kapitalistischen Vermarktlichung.?* Erst mit der Kopplung an Ästhetisie-

rungsprozesse auf der Arbeits- und auf der Konsumseite wird für die Subjekte eine Teilnahme an den Ökonomisiermugsprozessen attraktiv. Die Ästhetisierung liefert der Ökonomisierung einen

motivationalen »Treibstoff« — die Suche nach kreativer Tätigkeit, ästhetischem Erleben, kreativer Subjektivität und kreativen Or-

ten —, den sie aus sich selbst heraus, solange sie in Versachlichung verharrt, nur in schwachem Maße hervorzubringen vermag.

d D

nomisierungs- und Ästhetisierungsprozessen jedoch vernachlässigt. Mit Braudel sind historisch-strukturell Vermarktlichung und Kapitralismus (Handels- und Industriekapitalismus) voneinander zu unterscheiden, vgl. ders., Der Handel, S12 f 34 Es existieren daneben jedoch auch anders ausgerichtete Strategien der Kapital-

der Marktvergesellschaftung forciert damit ihr spezifisches soziales

akkumulation, zum Beispiel die Reduktion von Arbeitskosten oder die ErschlieRung neuer Konsumentengruppen für Basisgüter auf nationaler oder globaler Ebene, so dass die Ausrichtung an neuen Waren und neuen Bedürfnissen für den Kapitalismus zunächst nicht zwingend ist. Tatsächlich stellt sich die radikale kapitalistische Ausrichtung am Neuen, zumal am ästherisch-kulturell Neuen, in

336

der bürgerlichen und organisierten Moderne als begrenzt dar und wird erst in der Spätmoderne vollständig entbunden (vgl. oben Kap. 4). 35 Affektmangel bedeuter nicht Abwesenheit von Affekten, Auch vor der Ästherisie-

rung der Arbeit und des Konsums gibt es marktspezifische Affektmotivationen, zum Beispiel von Sieg und Niederlage im Konkurrenzkampf. 337

Medialisierung und Ästhetisierung

Fernsehsender, Offerten im Internet) simultan nebeneinander existieren und nicht nur im Vergleich zur Vergangenheit, sondern auch

Die technische Medialisierung wirkt als eine zweite Rahmenbedin-

zu den gleichzeitig existierenden anderen Kommunikations- und

gung, die eine Ausbreitung der Ästhetisierungsformen des Kreati-

Wahrnehmungsangeboten

vitätsdispositivs erleichtert. Die soziale Praxis der modernen Ge-

ben.”

sellschaft ist seit der Frühen Neuzeit durch das Wachstum neuer

Medientechnologien geprägt; dies gilt zunächst für den Buchdruck,

So wie die Ökonomisierung ist auch die Medialisierung des Sozialen nicht zwangsläufig mit Ästhetisierungsprozessen verknüpft.

seit der Mitte des 19. Jahrhunderts für die technischen Medien der

Das Neue, das die Medien

visuellen und auditiven Reproduktion, schließlich seit den 1980er

informationeller Natur sein. Grundsätzlich existiert jedoch auch zwischen der technischen Medialität und der ästhetischen Sozialität eine strukturelle Homologie: Neben ihrer Orientierung an einem

Jahren für die digitalen Medien. Diese Medientechnologien lassen sich nicht auf Speicher- und Verbreitungsmedien der Kommunikation reduzieren, in den medialen Praktiken bilden sich vielmehr spezifische, medialisierte Wahrnehmungs- und Kommunikationsformen aus. Die »Medialisierung« des Sozialen bedeutet dann eine Ausbreitung von Praktiken, die mediale Technologien verwenden, voraussetzen oder von ihnen beeinflusst sind. Für die Entwicklung des Kreativitätsdispositivs erweist es sich als förderlich, dass die Medialisierung die technologischen Voraus-

den

Anspruch

des

Neuartigen

erhe-

bieten, kann auch rein kognitiver und

Regime des Neuen bilden die Massenmedien die beiden zentralen Instanzen der Produzenten und des Publikums als Grundgerüst des Sozialen aus, die über Objekte (Texte und Bilder) miteinander verknüpft werden.

Die Verkopplung

und wechselseitige Stützung

zwischen Ästhetisierung und Medialisierung, die sich beobachten lassen, sind analog zum

Fall der Ökonomisierung

zu verstehen:

setzungen für ihre eigene Version eines sozialen Regimes des Neuen

Die Ästhetisierung stellt der Medialisierung eine Affekt- und Motivationsquelle zur Verfügung und vermag den Affektmangel einer

liefert,*® die die Kultur des Buchdrucks ebenso geprägt hat wie sie

lediglich kognitiv-informationell ausgerichteten Medialität zu be-

nun die audiovisuellen und digitalen Medien prägt. Entscheidend hierfür ist, dass die Medialisierung technische Mittel für eine zeitlich sequenzielle Produktion von Zeichenkomplexen (Texte, Bilder etc.) bereitstellt. Dies gilt erwa für das periodische Erscheinen von

heben.® Dadurch, dass die Medienangebote nicht mehr primär als Kommunikationsofferten, sondern auch als Wahrnehmungsangebote, als Objekte sinnlich-affektiver Perzeption erfahren werden,

Zeitungen, die Sequenz von Fernsehsendungen oder für die Aktua-

nutzung aus.

bildet sich eine starke Motivation für eine perpetuierte Medien-

lisierung eines Blogs oder anderer Internetformate, Jeder neue Zei-

Umgekehrt erleichtert die Medialisierung eine soziale Diffusion

chenkomplex erhebt dabei gegenüber dem zeitlich vorhergegange-

ästhetischer Objekte. Mit der Medialisierung wird es erstens mög-

nen den Anspruch, Redundanz zu durchbrechen und eine neuartige Kommunikations- oder Wahrnehmungsofferte zu bieten, die die

lich, Aufmerksamkeit für ästhetische Ereignisse zu produzieren, die

Aufmerksamkeit des Nutzers auf sich zieht. Durch diese Sequenzialität wohnt den Medien eine strukturelle Tendenz zur Selbstveralterung inne. Neben der Sequenzialität forciert auch die Gleichzeitigkeit von Zeichenkomplexen ein mediales Regime des Neuen. Es ist technisch möglich, dass (mit steigender Tendenz) mehrere solcher medialer Sequenzen (Zeitschriften, Verlagsprogramme,

37 Das Regime des Neuen, das durch die Medialisierung ermöglicht wird, ist nicht mit dem der Vermarktlichung gleichzusetzen, auch wenn sie real häufig mireinander verknüpft sind. So findet es sich auch im Falle nichtkommerzieller Medienangebore, zum Beispiel staatlicher Fernsehprogramme, »alternativer« Radio-

stationen, nichtkommerzieller Blogs etc. 38 Eine ausschließlich kognitiv-informationell ausgerichtete Medialisierung erscheint als empirischer Grenzfall, zumindest für dice Massenmedien, Am ehesten finder man sie klassischerweise im wissenschaftlichen Feld und dem dortigen

36 Vgl. dazu auch die Darstellung in Kapitel 6. Ich hatte diesen Aspekt dort mit Blick auf das Starsystem herausgearbeitet. Zu einer Analyse dieser medialen Zeit-

Medium von Schrift und Buchdruck. Auch hier wäre jedoch zu fragen, inwiefern Ästherisierungsprozesse im Sinne des Kreativitätsdispositivs in die Wissenschaft

und Aufmerksamkeitsstruktur am Beispiel des Fernsehens vgl. John Ellis, Visible Fietions, Cinema, Televtsion, Video, London, New York 1992, S, 109- t71.

eingesickert sind, so dass etwa der emotionale Überraschungswert und das Affiziertwerden durch »attraktive Ansätze« an Relevanz gewinnen.

338

339

zwar selbst nicht im engeren Sinne medial sind, über die die Medien jedoch berichten (etwa neue Kunstereignisse, neue Konsum-

objekte, ästhetische Veränderungen des Stadtraums). Zum Zweiten werden in den Medientechnologien massenhaft Zeichenkomplexe generiert,

die selbst primär

unter einem

ästhetischen

Aspekt

erfahren werden wollen (Romane, Kinofilme, Langspielplatten, Fernsehunterhaltungsprogramme etc.). Zum Dritten wird diese äs-

thetische Haltung der Nutzer auf weitere Medienofferten übertra-

ohne Publikum kann hier eine Wiederholung des Immergleichen

stattfinden. Das Kreativitätsdispositiv hebrt diese strukturelle Verschiedenartigkeit zwar nicht auf, aber es ergibt sich nun eine KomPlementarität zwischen beiden Formen des Sozialen, die Grundzü-

ge einer ästhetischen Rationalisierung sichtbar macht. Es bilden sich nämlich zweckrationale Formate aus, die versuchen, systematisch Voraussetzungen für die ästhetische Arbeit und das ästhetische Erleben zu schaffen, Dies gilt erwa für das, was ich »ästhetische Ap-

gen: Ursprünglich informationell-kognitive Medienangebote (zum Beispiel Fernsehdiskussionen oder das World Wide Web als Ganzes) werden dann immer weniger unter diesem »sachlichen« Aspekt

oder der Stadtentwicklung,

denn als eigenständige sinnlich-affektive Ereignisse erfahren, Es findet damit eine Ästhetisierung des Kognitiven statt.

ästhetischer Ereignisse auf Dauer zu stellen versuchen. Ansätze einer ästhetischen Rationalisierung finden sich auch in jenen Tech-

parate« genannt hatte,“” das heißt für institutionelle Komplexe und Zweckverbände etwa in der ästhetischen Okonomie, im Kunstfeld die die Produktion

und Distribution

nologien des Selbst, die an der Entfaltung kreativer Potenziale Rationalisierung und Ästhetisierung

orientiert sind, etwa in der Kreativitätspsychologie.

Die kreative

Lebensführung kann sich hier als eine neue Version

methodischer

die ständige

Das Verhältnis zwischen der Ästhetisierung und der formalen Rati-

Lebensführung

herausstellen,

onalisierung des Sozialen hat eine etwas andere Form, Die Ausrich-

Selbstgestaltung

und

tung von sozialer Praxis an einem Rationalismus der Zwecke und

Die ästhetische Rationalisierung zeigt ein paradoxes Muster: Zwar entzieht sich das ästhetisch Neue streng genommen jeder zweckra-

Mittel, ihre Reorganisation auf der Grundlage dessen, was Max

deren

Ausnutzung

zentrales

ästhetischer

Ziel

Gelegenheiten

ist.

Weber »gesatzte« Regeln nennt, die variabel festgelegten Zielen

tionalen Produktion, trotzdem versucht man systematisch, Bedin-

und Zwecken genügen und versprechen, diese möglichst effizient,

gungen dafür zu entwickeln, dass es sich ereignen kann, auch wenn immer ein Element der Unberechenbarkeit und Nichtplanbarkeit

berechenbar und reibungslos zu erreichen, ist seit der bürgerlichen Moderne und verstärkt seit der organisierten Moderne ein grundlegendes Strukturmerkmal der Ordnungsbildung moderner Gesellschaften. Dies gilt nicht zuletzt für die modernen Organisationen, Wie wir bereits gesehen haben,*” wirken diese Prozesse formaler Rationalisierung in der Ökonomie (kapitalistischer oder sozialis-

bleibt, das dem zweckrationalen Programm widerspricht. Dass das

Kreativitätsdispositiv einem Steigerungsimperativ folgt, ergibt sich

aus dieser Kopplung zwischen ästhetischer und zweckrationaler Sozialität:

Da die formale

Rationalisierung generell das Ziel der

Optimierung enthält, kann im Rahmen des Kreativitätsdispositivs

tischer Art), im Staat, der Wissenschaft, aber auch der alltäglichen

eine Optimierung der ästhetischen Produktion und Rezeption an-

methodischen Lebensführung in der Kultur der Moderne grund-

gestrebt werden.

sätzlich als resolute Entästhetisierung, Dieser Antagonismus zwischen formaler Rationalität und Äs-

vermag sich der alte Antagonismus

thetisierung verliert im Rahmen

des Kreativitätsdispositivs seine

thetisierung in eine Komplementarität zu verwandeln. Solange die

Eindeutigkeit. Sicherlich besteht zwischen der ästhetischen und der zweckrationalen Sozialität keine strukturelle Homologie. Zweckrationale Strukturen beruhen weder auf einer Relation von Produzent und Publikum noch auf einem Regime des Neuen; gänzlich

Zwecke nichrt ästhetisch orientiert sind, wirkt die Rationalisierung tatsächlich entästhetisierend. Dies kehrt sich in dem Moment um, in dem die Ziele mit einem ästhetischen Inhalt gefüllt werden, so

wie im Falle der ästhetischen Apparate und der ästhetischen Tech-

39 Vgl. oben Kapitel 1.2.

40 Vgl. oben Kapitel 1.3.

340

Da die Zwecke jeder formalen Rationalisierung variabel sind, zwischen

dieser und der Äs-

341

nologien des Selbst. Auch zwischen formaler Rationalisierung und

Ästhetisierung ergibt sich damit das Verhältnis einer reziproken strukturellen Stützung: Zweckprogramme erlauben, die Orientie-

Die Ökonomisicrung,

Medialisierung

und

formale

Rationali-

sierung deferminieren die Form des Kreativitätsdispositivs damit

auf Dauer zu stellen und institutionell zu

nicht. Sie haben jedoch eine Umitierende Wirkung, die sich allerdings streng genommen nicht auf das Kreativitätsdispositiv, son-

stabilisieren. Zugleich stellt die Orientierung am Ästhetischen und

dern auf die Form des Ästhetischen und der Ästhetisierung insge-

rung am Ästhetischen

Kreativen eine erneuerte Motivationsgrundlage für die Etablierung formaler Strukturen und die Teilnahme an ihnen zur Verfügung. Limitierung statt Kolonialisierung

Ökonomisierung, Medialisierung und formale Rationalisierung liefern, so lässt sich zusammenfassend sagen, strukturelle Rahmenbe-

dingungen für die soziale Verbreitung des Kreativitätsdispositivs. Die Ästhetisierung des Sozialen lässt sich damit aber nicht auf eine kausale Wirkung oder eine Strukturwiederholung des kapitalistischen Marktes, der Medientechnologien oder der formalen Rationalisierung reduzieren.“ Die ästhetische Sozialität stellt sich vielmehr als eine eigenständige Form des Sozialen dar, aber ihre gesellschaftliche Verbreitung ist zugleich auf die strukturelle Homologie bzw. Komplementarität zur Ökonomisierung, Medialisierung und formalen Rationalisierung angewiesen. Homologie und Komplementarität bedeuten gerade nicht, dass eine Kolonialisierung oder »Verunrei-

samt richtet, welche sich gesellschaftlich durchsetzt. Wie ich bereits mehrfach betont habe, bringt das Kreativitätsdispositiv das fluide

Medium des Ästhetischen und das vielfältige Spektrum denkbarer ästhetischer Praktiken und Episoden in eine besondere, rigide Form, die sich an ein Regime des ästhetisch Neuen und an die Konstellation von Kreateur und Publikum bindet. Nicht »das Ästhetische« befindet sich in einer strukturellen Homologie und Komplementariät zur Ökonomisierung, Medialisierung und formalen Rationalisierung, sondern nur jene spezifische moderne ästhetische Sozialität, die das Kreativitätsdispositiv prägt. Dies heißt aber, dass Ökonomisierung, Medialisierung und formalen Rationalisierung nur jener Form des Äschetischen zur gesellschaftlichen Verbreitung verhelfen, die ihnen strukturell entspricht bezichungsweise die sich auf sie abstimmen lässt: einem Ästhetischen, in dem die Produzent-

Publikums-Relation zum Tragen kommt und das sich dem Regime des Neuen unterwirft. Diese drei Formen des Sozialen tragen also indirekt zu einer Begrenzung der Struktur ästhetischer Praktiken

nigung« des Ästhetischen durch das Nichtästhetische des Kapitalis-

bei, die prinzipiell flächendeckend möglich ist — zu genau jener

mus, der Medientechnologien oder der formalen Rationalisierung stattfinden würde, sondern dass sich mit deren Hilfe Strukturmuster verbreiten können, die die ästhetische Sozialität bereits selbst enthält. Mehr noch, es wird auch das konträre Bedingungsverhältnis deutlich: Die Prozesse der Ästhetisierung stellen sich ihrerseits als eine notwendige Rahmenbedingung für die Stabilität der drei

Limitierung des Ästhetischen und Kreativen, die das Kreativitätsdispositiv betreibt.

anderen Formen des Sozialen unter spätmodernen Bedingungen

Das Kreativitätsdispositiv forciert in allen seinen Segmenten eine

heraus. Die Ökonomisierung und die Medialisierung, zumindest zum Teil auch die formale Rationalisierung des Sozialen erscheinen

als kreativer Produzent und Rezipient kann und soll potenziell

8.4 Dissonanzen kreativer Lebensführung

Universalisierung der Orientierung am

Kreativen: Die Position

langfristig nur dadurch lebensfähig, dass sie sich an der Produktion

für jedes Individuum und für jede soziale Praxis gelten. Der Ide-

und Rezeption überraschender ästhetischer Ereignisse orientieren

altypus einer kreativen Lebensführung bezeichnet eine Lebensweise, die durch eine umfassende Teilnahme an den Praktiken des Kreativitätsdispositivs gekennzeichner ist. Ihr geht es darum, jegliche Alltagspraxis —- Beruf und Arbeit, Partnerschaft, Elternschaft und Freundschaft, Freizeit, Sprititualität, Körperverhältnis, Konsum und Mediennutzung — und die gesamte Biografie gemäß den An-

und damit jenen Affekt- und Motivationsmangel überwinden, der ihnen im Falle radikaler Versachlichung drobhte. 41

Zu einer solchen Reduktion der Ästherisierung auf ein Korrelat der Kapitalisie-

rung neigt etwa David Harvey, Zhe Condition of Postmodernity, An Enquiry into the Origins of Cultural Change, Oxford 1989.

342

343

sprüchen der Ästhetisierung zu formen. Eine individuelle Lebens-

weise, die dem durchgängig und maximal entspräche, markiert

die nun beides verspricht: die affektive Befriedigung, die sich aus kreativer Tätigkeit und ästhetischem Erleben ergeben soll, und die

sicherlich einen empirischen Grenzfall. Gesellschaftliche Realität gewinnt ein solches Lebensführungsmodell in der Spätmoderne zumindest annäherungsweise in jenem kreativen Milieu, das sich um die im engeren Sinne kreativen Berufe herum bildert, aber die kulturelle Attraktivität der kreativen Lebensführung reicht sozialstruk-

soziale Anerkennung

turell darüber hinaus.“ Das Kreativitätsdispositiv und die kreative

ken und als auch den Symptomen ablesen. Die neue Kritik trifft die kreative Lebensführung jedach nicht mehr von außen, sondern entsteht aus ihrem Innern. In Ansätzen haben sich im Umfeld der Teilnehmer am kreativen Milieu solche kulturellen Kritikformen ausgebildet, welche die immanenten Widersprüche thematisieren, die sich aus der kreativen und ästhetischen Praxis ergeben.* Zugleich haben bestimmte verhältnismäßig neuartige psychische

Lebensführung hängen somit voneinander ab, aber vom Dispositiv zur Lebensführung überzugehen erfordert eine Blickverschiebung von der institutionellen und diskursiven Logik des Dispositivs zur alltagspraktischen und biografischen Logik der Lebensführung. Seitdem ästhetisch orientierte Lebensformen

erstmals im Um-

kreis der Romantik entstanden, waren sie einer heftigen philosophischen und politischen Kritik ausgesetzt.** Diese Kritik an einer ästhetizistischen Gegenkultur wurzelte im Wesentlichen in den

und

Inklusion, die nun

in erster Linie ein

Subjekt erfährt, dem eine solche kreative Lebensführung gelingt.** Dass die kreative Lebensführung allerdings nicht widerspruchsfrei ist, sondern Dissonanzerfahrungen und neue Mangelzustände produziert, lässt sich seit den 1990er Jahren sowohl an den Kriti-

und physische Symptome an Relevanz gewonnen, die sich als un-

intendierte Reaktionen auf die Anforderungen durch das Kreativi-

Moral- und Ordnungsansprüchen der dominanten bürgerlichen

tätsdispositiv interpretieren lassen, insbesondere Depressions- und

Lebensform. Bezogen auf die kreative Lebensführung der Spätmoderne, die sich an das Kreativitätsdispositiv anschließt, hat eine sol-

Erschöpfungssymptome sowie Aufmerksamkeitsdefizitstörungen,

che Kritik keinen Ort mehr, denn der Antagonismus zwischen Bür-

tät orientierten Kultur, auf die ich näher eingehen will; der Steigerungszwang der Kreativität, die Diskrepanz zwischen kreativen Leistungen und kreativem Erfolg, die Aufmerksamkeitszerstreuung und die Ästhetisierungsüberdehnungen. Diese Strukturprobleme ergeben sich nicht aus einer Kolonialisierung des Ästhetischen durch das Okonomische oder Rationale, sondern aus der Struktur des Kreativitätsdispositivs selbst.

gertum und Gegen- und Subkulturen hat sich in der Lebensform des Kreativen aufgelöst. In der bürgerlichen und organisierten Moderne versprach eine bürgerliche Lebensführung soziale Anerkennung und Inklusion, litt jedoch unter dem Affektmangel, der sich aus Moralisierung und Versachlichung ergab, während die ästheti-

schen Gegenkulturen motivationale Befriedigung durch expressive Tätigkeit und einen ästhetischen Lebenssrtil in Aussicht stellten,

aber umgekehrt soziale Exklusion und Diskreditierung in Kauf

Dahinter verbergen sich vier Strukturprobleme einer an Kreativi-

Der Leistungs- und Steigerungszwang der Kreativität

nehmen mussten. Im Falle der kreativ-ästhetischen Lebensführung

der Spätmoderne ist an die Stelle des Dualismus von Bürgerlichkeit

Im Rahmen des Kreativitätsdispositivs ist kreatives Handeln keine

und Gegenkultur die Synthese des bisher Unvereinbaren getreten,

glückliche Gelegenheit, idiosynkratische Ausflucht oder zufällige Episode, sondern bildet den Kern einer kulturellen Wunschstruk-

42 Zu einer Klassendifferenzierung bezüglich der Orientierung des Berufs und des Lebensstils an Kreativität vgl. Richard Florida, Zhe Rise of the Creative Class, And How Its Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life (2000}, New York 2005. Zum kreativen Milieu vgl. auch Cornelia Koppetsch, Das Erhos der Kreativen. Eine Studie zum Wandel von Arbeit und Identitat am Beispiel der Werbeberufe, Konstanz 2006. 43 Die systematischste klassische Kritik an der ästhetischen Lebensführung findet sich in Seren Kierkegaard, Entweder-Oder. Ein Lebensfragment {1843], Leipzig 1885.

344

44 Eine populäre Darstellung dieser Doppelstruktur findet sich in David Brooks, Bobos in Paradise. The New Upper Class and How They Got There, New York 2000. 45 Kritiken werden hier im Sinne von Boltanski als reale gesellschaftliche Kritikdiskurse verstanden, vgl. Luc Boltanski, Soziologie und Sozialkritik, Berlin 2010. Vgl. zu einem beginnenden kritischen Diskurs um Kreativität in den Kulturund Sozialwissenschaften Christoph Menke/Juliane Rebentisch (Hg.). Kreation und Depression, Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Berlin 2011.

345

tur und zugleich das Telos eines sozialen Anforderungskaraloges. Jenseits von zufälligen Ereignissen wird Kreativität damit sozial als eine Leistung zurechenbar, die der Einzelne erbringt und zu erbrin-

chend zur sozialen Herabstufung und Marginalisierung, Das Individuum muss die Verantwortung dafür übernehmen, dass es sein

gen hat.“ Aktivitäten, die sich als kreativ im Sinne einer gelungenen

Potenzial nur ungenügend genutzt oder realisiert hat.

Produktion von ästhetisch Neuartigem klassifizieren lassen, werden so als Indiz dafür gewertet, dass »hinter« ihnen ein Individuum

Steigerungsimperativ des Kreativen, der sich nicht mehr auf die

steckt, dem im Kern die Eigenschaft der Kreativität zukommt.“” Dass Kreativität in diesem Sinne zur Leistungsanforderung wird,

gilt im Rahmen der kreativen Lebensführung für die ästhetische

Der Leistungsanspruch

verschärft sich zusätzlich

durch

den

geregelte Erfüllung von vergleichsweise stabilen Anforderungen (Meisterschaft im Beruf, persönliche Solidarität etc.) richtet, son-

dern sich von jener Norm der Abweichung leiten lässt, der zufolge

Arbeit im Beruf ebenso wie für persönliche Beziehungen, in denen,

interessante neuartige Akte hervorzubringen sind,“” Dabei unter-

um als Partner oder Freund in Frage zu kommen beziehungsweise diesen Status zu behalten, im weiteren Sinne kreative Leistungen

liegen diese Abweichungen ihrerseits der Steigerungserwartung, da sie einem Vergleich mit den früheren Akten dieses Individuums,

(Anregungspotenzial, Erlebnisproduktion etc.) zu erbringen sind.

vor allem aber den Akten anderer Individuen ausgesetzt sind. Die

Es gilt schließlich auch für die Selbstinterpretation und narrative Identität des kreativen Selbst, das sein biografisches Gelingen an seine kreative Leistungsfähigkeit im Beruflichen und Privaten bindet.“® Dass das Universalisierungsprogramm des Kreativen an die Leis-

ein identisches Verhalten bezogen ist, hantiert die Norm der Ab-

tungsanforderung der Kreativität gekoppelt ist, hat eine paradoxe Konsequenz: Kreativität ist eine Eigenschaft von jedem und wird doch nicht von jedem erreicht. Die universalistische Beschreibung, der zufolge jeder bereits kreativ ist, wird an den kreativen Imperativ gekoppelt, kreativ zu werden und es auf Dauer durch fortgesetztes

Neuigkeitserwartung ist so mit einem Differenz- und Distinktionszwang verbunden. Anders als eine soziale Erwartung, die auf weichung zwangsläufig mit dem Komparativ: Kreativität setzt als Hintergrundfolie jene voraus, die nicht abweichen und als Konformisten gelten. Das Ergebnis ist zwangsläufig eine Fluidität der Kriterien sozial anerkannter Kreativität und eine entsprechende Unsicherheit auf Seiten des Individuums, inwiefern es den verän-

derlichen Maßstäben zu entsprechen vermag.

Die soziale Marginalisierung über den Weg der Zuschreibung eines Kreativitätsmangels hat eine besondere Struktur, die sie von

Bemühen zu bleiben. Diese Paradoxie von Beschreibung und Imperativ wird im Kreativitätsdispositiv mit Hilfe der Differenz von Potenzial und Realisierung bearbeitet. Der Anforderungskatalog

anderen Formen gesellschaftlicher Erwartung unterscheidet. Im

der Kreativität Arbeit an sich Kreativen folgt zwischen dem

an kreativen Leistungen soll vielmehr Rückschlüsse auf die psychi-

richtet sich darauf, das natürliche Potenzial durch selbst zu realisieren. Aus der Universalisierung des eine erneute soziale Differenzmarkierung, nämlich Kreativen und den nichtkreativen Akten und Indi-

Falle der kreativen Leistung handelt es sich nämlich nicht um einen bloß »äußeren« Leistungsnachweis, wie er im Vollzug einer zweckrationalen oder normativen Handlung erbracht wird. Der Mangel

sichert, dann führt ein diesbezügliches Leistungsdefizit entspre-

sche Struktur, einen Mangel in der »Persönlichkeit« des Subjekts zulassen. Denn Kreativität ist in der spätmodernen Semantik der Subjektivität aufs engste mit den kulturellen Werten der Individu-

46 Zum soziologischen Begriff der Leistung vgl. Talcott Parsons, 7he Social System,

ativität zugleich einen Mangel an Individualität und Authentizität

viduen. Wenn das Erbringen kreativer Leistungen soziale Inklusion

Toronto 1951, S. 180 ff 47 Es handelt sich hier um einen analogen Rückschluss von der Performanz auf einen »Subjektkern«, wie Judich Butler ihn im Falle des Geschlechts ausmacht. vgl. dies., Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991, S. 31-49. 48 Kreativität als Leistungsanforderung kann sich dann auf der kollektiven Ebene ebenso auf soziale Einheiten wie Organisationen oder Städie richten.

346

alität und der Authentizität verknüpft, so dass ein Mangel an Krezu signalisieren scheint, Wenn das Subjekt ein im Kern natürlicherweise kreatives sein soll und es selbst ein solches zu sein wünscht, dann bedeutet defizitäre oder fehlende kreative Leistung, dass ihm nicht nur soziale Anerkennung versagt wird, sondern es seinem ei49 Vgl. zu diesem Begriff auch Marion von Osten (Hg.), Nerm der Abweichung, Zürich 2003. 347

genen Ich-Ideal nicht entspricht und sich entsprechend in seinem

Diskrepanzen zwischen kreativer Leistung und Kreativerfolg

Selbstverständnis unterminiert sieht. Der Einzelne ist dann gewis-

sermaßen nicht nur in seiner sozialen, sondern auch in seiner personalen Identität beschädigt.”® Solange sich das Subjekt mit seinem vorgeblich ureigenen Kreativitätswunsch identifiziert, lässt ihm die Leistungsanforderung der Kreativität kein »Außen« oder »Innen«

des legitimen Rückzugs. Das Nichtkreative als das kulturelle Außen der kreativen Lebensführung bleibt nur als ein negativer Rest übrig,

ein Ort des Versagens, von dem aus keine konstruktive Distanzierung von den herrschenden Normen möglich ist.” Dass in der kreativen Lebensführung »äußere«

soziale Erwar-

tungen und »innere« Wünsche am gleichen Ziel ausgerichtet sind, enthält damit eine außergewöhnliche Sinn- und Befriedigungsverheißung und zugleich ein besonders folgenreiches Risiko des Scheiterns. Der Verheißung einer »ganzheitlichen« Lebensform, in der ästhetische Befriedigung und soziale Anerkennung zusammenfal-

len, steht das Risiko einer Entwertung des Individuums in seinem Selbstverständnis gegenüber, das aus seiner Sicht natürlicherweise nach Selbstverwirklichung strebt. Auch wenn Schlüsse von gesellschaftlichen Problemlagen auf psychophysische Krankheitsbilder nur mit Vorsicht gezogen werden sollten, so spricht einiges dafür, dass der seit den 1980er Jahren zu beobachtende Bedeutungsgewinn von sogenannten »Unzulänglichkeitserkrankungen«, also Depression, Erschöpfung, Suchtkrankheiten und dergleichen, vor

dem Hintergrund der Leistungs- und Steigerungsansprüche des Kreativitätsdispositivs zu verstehen ist.” 5o Diese Marginalisierung des Nichtkreativen kann sich dabei auf einzelne Indi-

viduen oder aber auf ganze soziale Gruppen bezichen: Die nichtkreative Klasse ist eine Klasse von Routincarbeitnehmern,

deren mindere soziale Anerkennung

nicht nur im Sinne der Wissensgesellschaft über einen Mangel an kognitiven Kompetenzen, sondern darüber hinaus über einen Mangel an kreativen Kompetenzen legitimiert wird. In Floridas Darstellung der (beruflichen und kulturellen) Klassen werden diese nichtkreativen, unteren Klassen (Industriearbeiterschaft und einfache Dienstleistungen) als unproblematisch und ohne weiteren

Während das Problem der Leistungs- und Steigerungsanforderung die kreative Praxis im engeren Sinne betrifft, ergibt sich ein zweiter

Komplex potenzieller Dissonanzen aus dem Verhältnis zwischen dieser kreativen Praxis und ihrem Publikum. Wie wir gesehen haben, ist im Rahmen des Kreativitätsdispositivs jede kreative Tätigkeit auf ein Publikum

ve Praxis mit der entsprechenden Wahrnehmung, Bewertung und dem positiven Affizierrwerden des Publikums. Im Typus des erfolg-

reichen Künstlers oder anderer spätmoderner Kreativstars drückt sich diese ideale Symbiose von kreativer Leistung und kreativem Erfolg aus. Die sozialen Kriterien »Leistung« und »Erfolg« sind jedoch nicht identisch. Das Kriterium »Leistung« misst eine Tätigkeit normativ

anhand von Kompetenz und Gelungenheit. »Erfolg« bezieht sich hingegen auf die normative Kraft des Faktischen: Erfolgreich ist eine Tätigkeit, wenn sie faktisch zu sozialem Prestigegewinn führt (was ökonomischen Erfolg einschließt).* Wie wir gesehen haben,

war bereits der historische Vorläufer des Kreativitätsdispositivs, das bürgerliche Kunstfeld, durch eine potenzielle Dissonanz zwischen Kreateur und Publikum gekennzeichnert. Diese berrifft das mögliche Missverhältnis zwischen einer von Seiten der Produzenten als

originell klassifizierten Leistung und einem sozialen Misserfolg im Sinne des Ausbleibens einer positiven Aufmerksamkeit seitens des Publikums. Beispielhaft hierfür war die Figur des »verkannten Genies«, Dieses Missverhältnis ist nun im Kreativitätsdispositiv systematisch angelegt, denn kreative Leistungen können mit sozialem

Erfolg korrespondieren, müssen es jedoch nicht, da das Publikum als Zertifizierungsinstanz unberechenbar bleibt. Der soziale Erfolg

Kommentar vorausgesetzt; vgl. Florida, 7he Rise of the Creative Class, S.67 . Diese mangelnde und potenziell bedrohliche Distanz zwischen beruflichen Leis-

tungen und personaler Identität findet sich beispielhaft in den kreativen Berufen, vgl. zu diesem Thema Diedrich Diederichsen, »Kreative Arbeit und Selbstverwirklichung«, in: Menke/Rebentisch, Kreation und Depression, S.118-128.

52 Vgl. dazu Alain Ehrenberg, Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in

348

5

\

-

5

im weitesten Sinne bezogen, das diese erst

als neuartig, interessant und originell zertifiziert. Im Idealfall korrespondiert eine aus der Sicht des Produzenten gelungene kreati-

der Gegenwart, Frankfurı/M. 2008; vgl. auch Elisaberh Summer, Macht die Gesellschaft depressiv? Alain Ehrenbergs Theorie des »erschöpften Selbst« im Licht sozialwissenschaftlicher und therapeutischer Befunde, Bielefeld 2008, Zu dieser Unterscheidung vgl. Sighard Neckel, »Leistung« und »Erfolg«. Die symbolische Ordnung der Marktgesellschaft«, in: Eva Barlösius/Hans-Peter Müller u.a. (Hg.), Gesellschaftsbilder im Umbruch. Soziologische Perspektiven in Deutschland, Optaden 2001, S.245-265.

349

auch den Erfolg oder Misserfolg des kreativen Selbst auf dem privaten Aufmerksamkeitsmarkt von Partnerschaften und Freundschaften ein,

Generell ist die Vermarktlichung des Sozialen mit einem Re-

levanzgewinn des Kriteriums des soziales Erfolgs und dessen partieller Entkopplung von Leistungskriterien verbunden. Erfolgreich auf dem Markt ist ein Objekt oder Subjekt, wenn es Abnehmer findet — gleichgültig, durch welches Maß an Leistung, durch welchen Zufall oder welchen kurzfristigen »Appetit« der Konsumenten dieser Erfolg zustande kommt. Die Relation zwischen Produzenten und Rezipienten/Publikum ist jedoch allgemeiner als die des kommerziellen Marktes und von Anfang an in der ästhetischen Sozialität enthalten, auch dann, wenn diese sich staatlicher Regulierungen oder nichtkommerzieller Medien bedient. Die eigentliche Ursache

für die Ungleichheit der Honorierung kreativer Leistungen durch die Rezipienten ist nicht in der Ökonomie, sondern in sozialen Grundstrukturen der aisthesis zu suchen. Änders als es die künstlerische Kritik im bürgerlichen Kunstfeld suggerierte, muss es nicht die mangelnde Sensibilictät des Publikums für das »wirklich« Originelle sein, das die Übersetzung von kreativer Leistung in Erfolg

verhindert, vielmehr wird die Ungleichheit durch die prinzipielle Begrenztheit der Aufmerksamkeit des Publikums im Angesicht eines Übermaßes von kreativen Akten produziert, die um seine Gunst wetteifern. Die Aufmerksamkeit kann sich nicht auf alles

und jeden richten, nicht auf jedes Designobjekt, jeden Fernsehmoderator, jedes liebes- oder freundschaftsbedürftige Subjekt oder jeden Blogger. Diese Diskrepanz zwischen kreativen Leistungen und kreativem Erfolg mündert im Innern des Kreativitätsdispositivs in das allgegenwärtige Problem mangelnder sozialer Anerkennung für kreati-

ve Leistungen.”“ Das Kreativitätsdispositiv produziert damit seine 54 Diese Erfahrung von Dissonanz und Ungerechtigkeit schlägt sich im Bereich der kreativen Berufe in der Thematisierung von Prekarität bis hin zu Ansätzen einer

»Prekaritätsbewegung« nieder, Vgl. dazu Marion Hamm, »Prekäre Superhelden. Zur Entwicklung politischer Handlungsmöglichkeiten in postfordistischen Verhältnissen« (mit Stephan Adolphs), in: Claudio Altenhain/Anja Danilina u.a (Hg.), Vor »Neuer Unterschicht« und Prekariat. Gesellschaftliche Verhältnisse und

350

eigene Version von Erfahrungen sozialer Ungerechtigkeit, die man auf einen einfachen Nenner bringen kann: Nichts sichert mehr Kreativerfolg als bisheriger Kreativerfolg, dessen Entstehung in der Rege! von Zufällen in der Aufmerksamkeitsökonomie abhängt. Ein

solcher Mechanismus, dem zufolge anfängliche minimale Abwei-

chungen in eine Selbstverstärkung der öffentlichen Aufmerksamkeit münden, führt zur Bildung kreativer Stars, Die Gruppe der Kreativstars bezeichnet dann gewissermaßen die Oberklasse inner-

halb der Sozialstruktur, die dem Kreativitätsdispositiv entspricht,®

Hier bilden Leistung und Erfolg eine Symbiose, und es stellt sich

die Frage, ob und inwiefern sich das Übermaß an Kreationserfolg

ratsächlich auf überragende kreative Leistungen zurückführen lässt. Aufmerksamkeitszerstreuungen

Ein dritter Komplex von Dissonanzerfahrungen betrifft die Rezeption des ästhetisch Neuen durch das Publikum, Das Kreativitätsdispositiv und die kreative Lebensführung beruhen auf der Annahme, dass im Konsum von ästhetischen Innovationen, Kunstevents,

Medienangeboten oder urbanen Erfahrungen die Nutzer aus ihrem zweckfreien, sinnlich-emotionalen Erleben die gewünschte

Befriedigung ziehen. Nun finden sich jedoch Indizien dafür, dass aufgrund der exponentiellen Zunahme der um Aufmerksamkeit werbenden Novitäten das Risiko des Misslingens und der Enttäuschung der ästhetischen Rezeption wächst: Angesichts eines »Reiz-

überflusses« droht die subjektive Aufmerksamkeit sich vom Strom der Reize abhängig zu machen und die Fähigkeit zur aktiven Kon-

zentration von Aufmerksamkeit entsprechend zu schrumpfen. ®

Generell scheint ästhetisches Erleben trotz seiner Routinisierung

in ästhetischen Praktiken unberechenbarer und enttäuschungsan-

Kategorien im Umbruch. Kritische Perspektiven auf aktuelle Debatten, Bielefeld

2008, S. 165-182. 55 Hier ballt sich der soziale Erfolg durch konzentrierte Aufmerksamkeit und akktımuliert sich ein Aufmerksamkeitskapital (das sich in der Regel auch in soziales

und ökonomisches Kapital konvertieren lässt), Vgl. dazu Georg Franck, Ökono-

x b

der Kreativität bezieht sich dabei auf berufliche Leistungen ästheti-

scher Arbeit angesichts potenzieller Konsumenten, schließt jedoch

mie der Aufinerksamkeit. Ein Entwurf, München 1998, S. 3E Die Diskussion um Reizüberfluss und Reizschutz ist so alt wie die audiovisuellen Medien und die Metropole, vgl. nur Georg Simmel, »Die Großstädte und das Geistesteben« [1903], in: ders., Aufsätze und Abhandlungen 1901-t908, Bund I. Gesanıtausgabe Bd.7, Frankfurt/M. 1995, S, 116-131; Crary, Aufinerksamkeit. 351

fälliger als zweckrationales Handeln. Abgesehen von der Abhängig-

»Vorlust«, eine Verheißung von — aufgeschobener — Lust angesichts

keit gelingenden Erlebens von erworbenen kulturellen Schemata, die für das Individuum zu großen Teilen vorklassifizieren, welche

immer neuer Erregungen sprechen, welche die tatsächliche, verdichtete ästhetische Lusterfahrung zu ersetzen droht.°®

Situationen wie emotional

Das Kreativitätsdispositiv hält hier gewissermaßen eine widersprüchliche Unbefriedigtheit bereit: der Eindruck, das.s. es zugleich zu viel und zu wenig Neues gibt. Das empfundene Übermaß an ästhetischen Wahrnehmungsofferten kann als Überforderung erlebt werden. Zugleich kann sich der Eindruck festsetzen, dass im Meer des vermeintlich Neuartigen nichts wirklich Neues und Ori-

erlebt werden,

ist offenbar wiederum

vor allem die Struktur der Aufmerksamkeitsregulierung der Wahr-

nehmungsakte für dieses Gelingen oder Misslingen verantwortlich, Die soziale Praxis der Aufmerksamkeit

changiert grundsätzlich

zwischen einer gezielten Lenkung der Aufmerksamkeit durch das Subjekt und einer Haltung, in der man sich durch die Phänomene beeindrucken lässt und diesen gewissermaßen die Aufmerksamkeitssteuerung überantwortet.” Ersteres bedeute: Konzentration, Letzteres Zerstreuung. Man kann nun die These vertreten, dass gelingendes ästhetisches Erleben eine Balance zwischen beiden Polen voraussetzt. Ist dieses Gleichgewicht gestört, wächst das Enttäuschungsrisiko. In extremo: Eine vollständige Aufmerksamkeitssteu-

ginelles mehr vorkonımt, dass die Möglichkeiten des Neuen (in der Kunst, im Design, in der Stadt, im Beruf, in der Partnerschaft etc.) erschöpft sind und es dem einzelnen Ereignis an Intensität

erung durch das Subjekt versucht die Wahrnehmung zur Gänze zu kontrollieren und ist für zweckrationales Handeln typisch; reines Sichtreibenlassen durch die Reizkette macht sich umgekehrt von

Aufmerksamkeitsstörungen, die sich teilweise in eine Sucht nach neuen Wahrnehmungen um der Wahrnehmung willen verwandeln, in mancher Hinsicht als ein zweites, zeittypisches Krankheitsbild interpretieren, das das Kreativitätsdispositiv hervorbringt.”

dieser abhängig. Gelungenes ästhetisches Erleben beruht hingegen

fehlt. Komplementär zu den Depressions- und Erschöpfungssymptomen, die als Reaktion auf den Leistungs- und Steigerungszwang der Kreativität gelesen werden können, kann man die sogenannten

auf der freiwilligen, aktiven Hinwendung zu einem Phänomen und dem passiven Sich-anziehen-Lassen durch bestimmte seiner Eigen-

Ästhetisierungsüberdehnungen

schaften.

Ein ökonomisches, künstlerisches, mediales und urbanes Dispositiv, das systematisch eine große Anzahl von »sensationellen« Er-

Im Rahmen

des Kreativitätsdispositivs neigt der Prozess der Äs-

thetisierung dazu, sich unkontrolliert in unterschiedlichste soziale

eignissen produziert, die ein zweckfreies, überraschtes Aufmerken

Felder hinein auszudehnen. Diese Expansionstendenz lässt sich auf

im Rezipientensubjekt bewirken wollen, riskiert damit eine Stö-

die beiden bereits genannten Faktoren zurückführen: der affektive

rung der Aufmerksamkeitsbalance zugunsten der Zerstreuung und

Reiz der Orientierung an Kreativität, der die moderne Versachlichung und Vermarktlichung kompensiert, und die Kopplung der Ästherisierung an die ebenso expansiven Mechanismen der kapi-

zuungunsten der Konzentration. Dafür scheinen zwei Faktoren verantwortlich: die Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne, die dem einzelnen Ereignis im Angesicht der herandrängenden neuen Geschehnisse gewidmer wird, und eine Entwertung der Präsenz des gegenwärtigen Moments zugunsten zukünftiger, in ihrem Neuigkeits- und Überraschungswert vermeintlich überlegener Ereignisse., Es besteht damit die Gefahr, dass der Rezipient sich von einem Phänomen zum nächsten »treiben« lässt, so dass die Ereignisse ihre Befriedigungsversprechen nicht einlösen können. Man kann hier von einer Reduktion des ästhetischen Lusterlebens auf eine reine 57 Vgl. Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S. 65 f

352

talistischen Ökonomisierung und der technischen Medialisierung. Angesichts dieser Entgrenzung des Ästherischen in vormals nichtästhetische Komplexe hinein kann das Bedrohungsszenario der klas58 Vgl. Christoph Türcke, Erregte Gesellschaft. Philosophie der Sensuttion, München 2002, S.294f.. Eine pointierte aktuelle Kritik der Aufmerksamkeitszerstreuung

findet sich auch in Byung-Chul Han, Duft der Zeit. Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens, Bielefeld 2009, 59 Vgl. zur Historizität von Aufmerksamkeitsstörungen Peter Matussek, »Aufmerksamkeitsstörungen. Selbstreflexion unter den Bedingungen digitaler Medien«, in: Assmann/Assmann, Aufmnerksamkeiten, S.197-215.

353

sischen — bürgerlichen und organisierten — Moderne auf den Kopf

lichen.“ Im Feld des Politischen schließlich sind Ansätze dessen

gestellt werden: Während dort das Ästhetische potenziell immer

wahrnehmbar, was Colin Crouch eine »postdemokratische«

wieder einer Kolonialisierung durch Prozesse der Rationalisierung

stellation nennt, zu der vor allem eine ästhetisch orientierte Per-

ausgesetzt war, stellt sich im Rahmen des Kreativitätsdispositivs die Frage, inwiefern eine Kolonialisierung des Nichtästhetischen stattzufinden droht, das heißt eine Entwertung alternativ orientierter

sozialer Praktiken zugunsten der eindimensionalen Kriterien des Ästhetischen. In der philosophischen Debatte ist dieses Problem vor allem mit Blick auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Ästhetik und Erthik und nach einer Auflösung des Ethischen im Ästhetischen debattiert worden.“® Soziologisch kann man in mehreren sozialen Feldern das ausmachen, was ich »Ästhetisierungsüberdehnungen« nennen würde, Beispielhaft sind die Ästhetisierungstendenzen in den Massenmedien, den persönlichen Beziehungen und in der

Kon-

sonalisierung der Politik und eine Eventifizierung der politischen Kommunikation beitragen.* Auch hier sind die Ästhetisierungsprozesse eng mit Prozessen der Vermarktlichung verknüpft, und

beide stützen sich gegenseitig: Mediale Zeichensequenzen, Partner

und politische Akteure avancieren zu ästhetischen Objekten und zugleich zu Objekten der Wahl und der Entscheidung auf einem Markt der knappen Aufmerksamkeit.

8.5 Alternative Formen des Ästhetischen? Gesellschaftliche Dispositive existieren nie ohne Brüche und Fis-

Politik, die sich alle drei bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhun-

suren. Gegen alle verführerischen Erzählungen von einer simplen

derts feststellen lassen und sich seit den 1980er Jahren verstärken, In den Massenmedien — Druckmedien, audiovisuellen Medien im eigentlichen Sinne und schließlich dem Internet — ist eine Tendenz zu beobachten, dass mediale Formate, die zuvor primär kognitiv

linear-progressiven Entwicklung haben sie eine präzise bestimmbare Geschichte des Aufstiegs, der Transformation und des Widerstands. Immer werden sie mit Gegentendenzen konfrontiert. Sind nun entsprechende Alternativen zum Kreativitätsdispositiv denk-

ausgerichtet waren und der (politischen) Information dienten, sich

bar oder bereits sichtbar? Ist die Orientierung der Gegenwartskul-

zunehmend an der Erwartung orientieren, rasch wechselnde perzeptiv-affektive Reize zu liefern. Ein Ergebnis dieser Ästhetisierung

tur an der Produktion und Rezeption des ästhetisch Neuen tatsächlich derart alternativlos, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag?

des Medialen ist beispielsweise der Relevanzgewinn kurzfristiger medialer Themenfixierungen mit Erregungswert, die auf Kosten längerfristig ausgerichteter Analyse und Kommentierung gehen.**

Künstlerkritik und Sozialkritik

In Bereich persönlicher Beziehungen lässt sich eine Ästhetisierung

Welcher Stellenwert sollte den Ästhetisierungsprozessen im gesell-

des Privaten diagnostizieren: Eine Reihe von Autoren haben her-

schaftlichen Ganzen zukommen? Luc Boltanski und Eve Chiapello

ausgearbeitet, in welchem Maße sich das Knüpfen und Aufrechter-

haben für die Kultur der Moderne bekannılich auf zwei Kritiktraditionen hingewiesen: die Künstlerkritik und die Sozialkritik.“ Die Künstlerkritik misst die soziale Praxis letztlich am Maßstab der Verwirklichung des Ästhetischen. Sie war in der bürgerlichen und

halten von Partnerschafts- und Freundschaftsbeziehungen zuneh-

mend vom Kriterium leiten lässt, inwiefern diese Beziehungen eine individuelle selfcreation und gemeinsame Konsumfreizeit ermög60 Vgl. nur Martin Seel, Ethisch-dsthetische Studien, Frankfurt/M. 1996 und neuerdings Juliane Rebentisch, Die Kunst der Freiheit. Zur Dialektik demokratischer Existenz, Berlin 2011. 61 Vgl. dazu Elisaberth Klaus, »Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegensatz von Unterhaltung ist Langeweile«, in: Rundfunk und Fernsehen 3 (1996), S. 403=417; Fritz Wolf, WaCh)re Information — Interessant geht vor relevant, Frankfurt/M. 201

354

62 Vegl. Eva Illouz, Der Konsum der Romantik, Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus, Frankfurt/M. 2003; mit populärer Ausrichtung Sven Hillenkamp, Das Ende der Liebe, Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit, Stuttgart 2009. 63 Vgl. Colin Crouch, Postdemokratie, Frankfurt/M. 2008, S. 30 ff. 64 Vgl. Luc Boltanski/Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus {1999], Konstanz 2003, S, 377 ff.

organisierten Moderne

marginal und leitet nun — ins Positive ge-

wendet — das Kreativitätsdispositiv an. Die wichtigste alternative Kritiktradition der Moderne, die Sozialkritik, misst die gesellschaftliche Praxis an Kriterien der sozialen Gerechtigkeit, lässt sich aber noch breiter verstehen. Sie arbeitet mit diversen normativen Maßstäben, die Formen des Sozialen anvisieren, welche auf einer trans-

parenten

politischen Willens- und

alle, auf gleichen

Entwicklungs-

Entscheidungsbildung durch

und

Beteiligungschancen

sowie

einer moralisch begründeten gegenseitigen Fürsorge zwischen Individuen beruhen, Die Kriterien des Ästhetischen sind innerhalb des Reservoirs moderner Kritik also durchaus nicht alternativlos, auch wenn

die

gesellschaftliche

Stärke

der

sozial-moralischen

Kritik

historischen Schwankungen unterliegt. Die Sozialkritik in diesem

weit verstanden Sinne kann als ein Instrument gegen Ästhetisierungsüberdehnungen wirken, indem sie den Maßstab einer deliberativen Demokratie für die Politik, der sachhaltigen Information für die Massenmedien, einer Ethik der Fürsorge für den Anderen

in persönlichen Beziehungen oder auch das Modell der sozialen Stadt im Bereich der Stadtentwicklung zur Verfügung stellt und

damit zur Begrenzung wie Selbstbegrenzung des Ästhetischen beiträgt. Das Sozial-Moralische, so die generelle Stoßrichtung, lässt sich unmöglich auf das Ästhetische zurückführen, sondern hat sein Eigengewicht zu bewahren.® Wenn die (Soziz%l»)Kritik an Ästhetisierungsüberdehnungen je-

doch versucht, das Ästhetische grundsätzlich zu diskreditieren oder es auf eine autonome Sphäre nach Art der bürgerlichen Kunst einzuengen, hätte sie den Stellenwert des Ästhetischen im Rahmen der Kultur der Moderne nicht begriffen., Wie wir gesehen haben, muss das Projekt der Ästhetisierung und der Kreativität als eine Reaktion auf Entfremdungserfahrungen angesichts von Rationalisierungs- und Versachlichungsprozessen im Kern der gesellschaftlichen Moderne verstanden werden.® Das kulturelle Modell des schöpferischen und genießenden hom0o gestheticus ist eine kulturelle 65

Angesichts der spätmodernen Verschränkung von Ästhetisierungen und Ökono-

Antwort auf das Motivationsdefizit der gesellschaftlichen Versachlichung. Die politischen, rechtlichen und moralischen Verfahren, für

die sich die Sozialkritik einsetzt, sind jedoch wiederum sinnes- und affektreduziert und auf ihre Weise nicht selbstzweckhaft, sondern

instrumentell und daher grundsätzlich nicht dazu in der Lage, diese Leerstelle zu füllen. Mehr noch, nicht nur, dass das Ästhetische seinerseits nicht im Sozial-Moralischen aufgehen kann, ihm kommt

letztlich ein motivationales Primat zu. Das Verhältnis zwischen ästhetischen und im starken Sinne sozialen Kriterien zur Gestaltung menschlicher Praxis lässt sich als eine Relation von Zentrum und Rahmenbedingungen denken: Politische Beteiligungs- und Steu-

erungsprozesse, Bürger- und Sozialrechte, Chancengleichheit und moralische Fürsorge für den Anderen — die alten und neuen Forde-

rungen der Sozialkritik — können als notwendige gesellschaftliche Bedingungen verstanden werden, um jene »Selbstverwirklichung« zu ermöglichen, die die ästhetischen Praktiken in ihrem eigendy-

namischen und experimentellen, sinnlich-affektiven Umgang mit Objekten, anderen Subjekten, räumlichen Umgebungen und dem Selbst forcieren. Eine Selbstbegrenzung ästhetischer Praktiken, die

sich aus der Sozialkritik an Ästhetisierungsüberdehnungen ergeben

kann, widerspräche der Ästhetisierung und ihrer Bedeutung als Motivationskraft der spätmodernen Gesellschaft allerdings nicht.

Ihre Reichweite würde zwar eingeschränkt, aber sie bliebe im Zentrum des Modells einer genuin posttraditionalen Lebensform.”

Es bleibt jedoch die Frage, was ein »ästhetisches Weltverhältnis« bedeuten kann. Um es noch einmal zu betonen: Das Kreativitätsdispositiv ist nicht mit »der« Ästhetisierung identisch, sondern

liefert eine sehr spezifische Version der disparaten Ästhetisierungsprozesse, die möglich waren, sind und sein werden. Wenn das Kreativitätsdispositiv

in der im

letzten

Abschnitt

beschriebenen

Weise neue Dissonanz- und Mangelerfahrungen produziert, dann stellt sich mit besonderer Dringlichkeit die Frage nach alternativen Versionen ästhetischer und kreativer Praktiken. Wie sind diese zu

denken, und wo sind sie zu finden? Abstrakt lässt sich sagen: Die

misierungen bedeutet diese Begrenzung des Ästhetischen zugleich eine Begren-

alternativen ästhetischen Formate müssten die besondere Struktur

zung der Vermarktlichung. 66 Der Begriff der Entfremdung ist hier einer Reaktivierung wert, vgl. Rahel Jaeggi,

relativieren, die das Ästhetische im Kreativitätsdispositiv erhält; sie

Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems, Frankfur/M. 2005.

356

müssten also eine Alternative zur Produzent-Publikums-Konstella67 Vgl. zur Diskussion dieses Problems Seel, Erhisch-üsthetische Studien. 357

tion und ein Gegenmodell zum radikalen Regime des Neuen bieten, Die Frage nach den ästhetischen Alternativformaten führt also

log ein, dem das moderne Subjekt ausgesetzt ist — nur, dass die-

in zwei Richtungen. Auf der einen Seite geht es um Prozesse der Kreativität, die nicht auf ein Publikum ausgerichtet sind und sich

se Anforderung in diesem Falle noch unberechenbarer ist, da sie von »den Launen« des Publikums abhängt. Einer Vorstellung von

damit jenseits von Aufmerksamkeitsmarkt und Steigerung bewegen: um profane Kreativität, Auf der anderen Seite sind ästhetische

Kreativität, die sich vom Publikum, vom Vergleich und von der Steigerung emanzipiert, ginge es hingegen um das, was man »pro-

Praktiken gefragt, die sich nicht aktivistisch am Regime des Neuen, sondern an der Routinisierung und Wiederholung orientieren:

der Kreativität, das vom Ideal des Künstlers ausgeht, bezeichnet

eine Ästhetik der Wiederholung. Muss die ästhetische Praxis wirklich zwangsläufig mit einem Begehren nach Neuem und mit einem

die profane Kreativität ein Phänomen, das sich in den alltäglichen Praktiken und Netzwerken immer schon ergibt und dabei auf kein

Begehren nach Anerkennung und Aufmerksamkeit vor einem Publikum verknüpft sein? Wenn das Ästhetische im Kreativitätsdispositiv einseitig in ein potenziell entfremdendes Korsett gepresst

Alltäglichkeit individueller, scheinbar banaler Verrichtungen, die

fane Kreativität«

nennen

kann.® Anders

als das heroische Modell

Publikum angewiesen ist. Die profane Kreativität findet sich in der ganz ohne Zuschauer auskommen, wie auch in der intersubjektiven

wird, dann wäre es in dieser Hinsicht gerade nicht noch weiter zu

Praxis. Entscheidend für Letztere ist, dass es hier keine Trennung

begrenzen, sondern umzuformen und auszudehnen.

von Produzenten und Publikum gibt, sondern nur 7eilnehmer und

Mitspieler. Löst man die kreative Praxis von der Beurteilung durch

Profane Kreativität

ein externes Publikum, dann genügt es, dass sie von den Teilneh-

Wenn Kreativität bedeutet, dass etwas ästhetisch Neues verfertigt

situationsübergreifender und vergleichender Maßstab Sinn ergeben

on zu binden, in der ein individueller oder kollektiver Produzent dieses Neue vor einem und für ein Publikum verfertigt, um dessen Aufmerksamkeit und Anerkennung er ringt. Das Produzenten-Rezipienten-Modell der Kreativität führt letztlich das hochspezifische kulturelle Muster des modernen Künstlers fort, der sich seine Originalität von seinem Publikum zertifizieren lässt. Trotz der Universalisierung, die das kreative Subjekt über den Künstler hinaus erfahren hat, funktioniert dieses Kreativitätsmodell über den Weg

des Vergleichs und der Differenzmarkierung, nämlich zwischen dem Kreativen und dem Unkreativen, dem Originellen und dem Nichtoriginellen. Das Kreative wird zwar einerseits verallgemeinert, aber im Rahmen des Publikumsmodells immer sofort wieder »rarifiziert«, Es ist und bleibt das Besondere, das sich vom Konformen abhebt — selbst wenn die Standards dessen, was als neu und interessant zählt, variabler geworden sind. Entgegen dem eigenen Anspruch schreckt dieses Modell damit letztlich vor einer radikaleren Universalisierung des Kreativen zurück; Kreativität bezeichnet

hier immer eine Erwartungsstruktur, an der man scheitern kann. Sie fügt sich so nahrlos in den umfangreichen Anforderungskata-

würde, Für die profane Kreativirät gilt, dass sie eine lokale, eine situative kreative Praxis ist, die im jeweiligen Moment etwas für den oder die Teilnehmer Erfinderisches hervorbringt und ihnen Lust

bereitet. Die profane Kreativität kennt somit keine Rezipienten, aber sie geht auch nicht eigentlich von einem Produzenten aus: Sie

ereignet sich in der Sequenz der Praxis und der Subjekt-ObjektNetzwerke.®

Hat man einmal den Blick dafür geschärft, ist profane Kreativität jenseits der Originalitätsansprüche eines Publikums allgegenwärtig. 68 Vgl. in eine ähnliche Richtung Tim Edensor (Hg.), Spaces of Vernacular Creativity. Rethinking the Cultural Economy, London 2010; Elizabeth Hallam/Tim Ingold

{Hg.), Creativity and Cultural Improvisation, Oxford 2007; auch Thomas Osborne, »Against »creativity«, in: Economy and Society, 32 (2003), S. 507-552; Stefan

Nowotny, »Immanente Effekte«, in: Gerald Raunig/Ulf Wuggenig (Hg.), Kritik der Kreativität, Wien 2007, S.15-27. Das Adjektiv »profan« wird hier bewusst im Gegensatz zu »sakral« verwendet, zur sakralen Kreativirät, die sich weiterhin im 6

ol

wird, gibt es keinen Grund, sie zwangsläufig an eine Konstellati-

mern selbst als neu und anders empfunden wird, ohne dass ein

Horizont der Geniereligion des Künstlers bewegt. Ein solches Kreativitatskonzept ist philosophisch bei Henri Bergson und Alfred N. Whirehead angedeuter, vgl. Henri Bergson, Schöpferische Entwicklung [1907], Jena 1921; Alfred N. Whitehead, Prozeff und Realität (1929}, Frankfurt/M. 1987;

vgl. dazu auch Tim Ingold, Zhbe Perception of the Environment. Essays on Livelihood, Dwelling and Skill, London, New York 2000.

358 359

Künstlermodells der kreativen Klasse scheint diese meist gar nicht

des Etiketts »kreativ« würdig, da sie für das Publikum nichts Interessantes liefert.”” Sie umfasst Praktiken, die häufig weder professionell betrieben noch von den kulturafinen Mittelschichten getragen werden oder in den »kreativen« Stadtvierteln stattfinden, sondern etwa im scheinbaren Konformismus der Suburbanität oder in sozial prekären Quartieren, Mess Hall, ein experimentelles, lokales Kulturzentrum,

das Ava Bromberg näher unter die Lupe nimmt,

liefert ein Fallbeispiel für einen solchen Raum für diverse kulturelle Aktivitäten von Laien aus dem Stadtviertel, die keine Aufführun-

gen für ein Publikum planen, sondern diese Praxis miteinander fezlen.”} Kreativität ist in einer solchen Konstellation kein »knappes Gut«, um das ein Aufmerksamkeitswettbewerb stattfindet, sondern

ein immer schon im Überfluss vorhandenes öffentliches Gut, das

sich etwa in jeder musikalischen, kulinarischen, handwerklichen oder kommunikativen Tärigkeit einstellt. Die Unterscheidung zwischen kreativen Akten und Routinepraktiken, gegen die diese sich abgrenzen lassen, bricht damit zusammen.‘* Vier Konstellationen lassen sich bezüglich der profanen Kre-

ativität unterscheiden:

die Improvisation, das Experiment, die

Idiosynkrasie und das hermeneutische Netz. Improvisationen sind erfinderische Akte, die sich 4 (a longue aus den Anforderungen des

praktischen Handlungsvollzugs ergeben und für die die Mischung aus Zweckrationalität und zweckfreiem Spiel charakteristisch ist. 70 Vgl. Edensor (Hg.), Spaces of Vernacular Creativity, 71 Ava Bromberg, »Creativity Unbound. Cultivating the Generative Power of Noneconomic

Neighbourhood

Spaces«, in: Edensor, Spaces of Vernacular Creativity,

S.214-225. 72 Die wird auch im Beispielfall der ritualisierten Malpraxis des Kolam bei den Frauen in Tamil! Nadu deutlich, die Amar Mall unter kreativirätstheoretischem

Aspekt untersucht. Diese Bemalungen von Innen- und Außenräumen sind einerseits routinisiertes Kunsthandwerk,

Experimente distanzieren sich gezielt von den Routinen der Praxis und gehen mit ihnen von vornherein wie mit Spielmaterial um. Mit /diosynkrasien sind die Besonderheiten der abweichenden Akte des Individuums gemeint, die sich zu einer Individualität des Geschmacks und einem individuellen psychophysischen Habitus verdichten können.”* Das Weben hermeneutischer Netze schließlich meint jenen semantischen und narrativen Prozess, in dem Individuen oder Gruppen sich ein für sie jeweils einzigartiges Geflecht

von affektiv aufgeladenen Bedeutungen spinnen, etwa in Form von Selbstnarrationen, * In allen Fällen geht die ästhetische Produktion

mit einem ästhetischen Erleben desselben Prozesses einher. Die Profanität der kreativen Praxis ist dem westlichen Kreativitätsdispositiv nun keineswegs fremd. Im Gegenteil: Die allmäh-

liche Formierung eigenständiger ästhetisch-kreativer Praktiken in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die am Ende in

dieses Dispositiv münden, ist insbesondere in ihrer Anfangsphase

nicht ohne profane Kreativität denkbar. Improvisationen und Idiosynkrasien der Kunsthandwerker stehen am Anfang der Arts-and-

Crafis-Bewegung. Die subkulturelle Modebranche, wie sich etwa in den 1950er Jahren in London-Soho ausbildet, startet als kollektive

Praxis des stilbewussten do it yourself. Ähnliches gilt für die Eroberung von Stadtbrachen, für die »Kulturalisierung von unten«, wie

sie in vielen westlichen Großstadtvierteln in den 1970er und 8oer Jahren stattfand. Sobald sich die residualen oder gegenkulturellen ästhetisch-kreativen Formate jedoch in gouvernementale Steue-

rungsformen verwandeln, beginnen sie, Produktionsweisen zu perfektionieren und Aufmerksamkeitsmärkte zu etablieren. An diesem Punkt schlägt die profane Kreativität in die heroische Kreativität um und wird zur Performance.” 7

D

'Tim Edensor arbeitet beispielhaft eine solche »indigene Kreativität« in spätmodernen Stadträumen heraus. Aus der Perspektive des

S.226-242.

74 Literarisch wird ein solches Verfahren des Knüpfens neuartiger hermeneutischer Nerze beispielhaft von Marcel Proust vorgeführt, dessen Marcel in Ä Ia recher-

das Techniken und Motiven aus Mus-

che du temps perdu eine Fülle von individuellen Ähnlichkeiten, Analogien und Korrespondenzen in seine Alltagsbeobachtungen einfließen lässt. Vgl. zu einem

terbüchern folgt, zugleich ergeben sich jedoch wie natürlich Improvisationen.

in: Hallam/Ingold, Creativity and Cultural Improvisation, S.55-78.

> n

Diese sind nicht geplant, sondern ein Merkmal des Malprozesses selbsı, in deı Anwendung »ereigner sich« ein neues Muster, das von den Teilnehmerinner

selbst mit Erstaunen als gelungen crlebt wird. Vgl. Amar S, Mall, »Structure Innovation and Agency in Pattern Construcrion, The Kolam of Southern India«

Vgl. in diese Richtung Christoph Menke, »Ein anderer Geschmack. Weder Autonomic noch Massenkonsum«, in. ders./Rebentisch, Kreation und Depression,

solchen von Prouse beeinflussten alternativen Kreativitätsverständnis auch Fabian Heubel, Das Dispositiv der Kreativität, Darmstadt 2002, S, 124 ff. In den 1960er und 70er Jahren haben insbesondere die Cultural Studies die

profane Kreativität im Arbeitermilieu und in jugendlichen wie subkulturellen 361

360

Charakteristisch für die Praxis der profanen Kreativitär ist, dass

Kreativität in diesem Rahmen

weder eine soziale Erwartung noch

lent, warum ästhetische Praktiken und Episoden zwangsläufig ei-

ist. Daher sind soziale Anerkennung

nem Regime des Neuen folgen sollen. Gegen Max Bense, der im

und Selbstwertgefühl von ihnen unabhängig. Die kreativen Akte

Rahmen seiner Informationstheorie davon ausgeht, dass jede Infor-

ein internalisierter Wunsch

entziehen sich einer Bewertung von außen und haben damit nicht

mation, wenn sie sich nicht in uninteressanter Redundanz verlieren

den Charakter ciner Leistung, die für andere und vor anderen

will, ein Element des Neuen und der Variation enthalten muss und

erbracht wird. Ebenso wenig ist diese profane Praxis von einem

dass dies für ästhetische Informationen in besonderem Maße gilt,””

»Willen zur Kreativität« angeleitet. * In einem solchen erweiterten

kann

Verständnis von Kreativität gehen die herausgehobenen Konstella-

nicht den Charakter kognitiver Mitteilungen haben und insofern

tionen anerkannter OÖriginalitätsproduktion vor einem Publikum durchaus nicht unter, aber sie schwimmen wie Inseln in einem

keineswegs

Meer der profanen kreativen Praxis.

herrschenden

argumentieren, nur neuartige,

dass

ästhetische

»originelle«

Erfahrungen

E1'fahrungen

gerade

in Frage kom-

men. Dem ästhetischen Regime des Neuen lässt sich somit eine Ästhetik der Wiederholung entgegenstellen, die sich darin übt, in

der Reproduktion ästhetischer Praktiken Wahrnehmungen

und

Emotionen gleichförmig hervorzurufen und in der Konzentration

Alltagsästhetik der Wiederholung Eine zweite Alternative zum

man

auf ästhetische Objekte und Umgebungen jenen mentalen Fluss,

Kreativitätsdispositiv

weist in eine andere Richtung als die profane Kreativität: Gemeint ist eine Alltagsästhetik der Wiederholung, die sich von jedem Akti-

der die zweckrationale Praxis begleitet, nicht noch zusätzlich anzuheizen, sondern vielmehr stillzustellen. Eine umfassende Ästhetisierung in dieser Form würde eine solche Wahrnehmungs- und

vismus des Neuen distanziert. Angesichts der Institutionalisierung

Erfahrungsweise, die auf Objekte und Umgebungen konzentriert

eines Zwangs zum ästhetisch Neuen und Tendenzen zur Aufmerksamkeitszerstreuung im Kreativitätsdispositiv wird die Frage viru-

tegrieren. In der Ästhetik der Wiederholung gründet ästhetische

Milieus herausgearbeitet. Vgl. cewa Paul E, Willis, Common

Culture. Symbolie

Work at Play in the Everyday Cultures of the Young, Boulder 1990; Raymond

Generell gilt, dass das Ästhetische wie jedes Soziale — zumindest

jenseits der unberechenbaren ästhetischen Episoden — seine Form

zu liefern und damie unintendiert zum Aufbau des Kreativirätsdispositivs beizutragen, das dann rasch dazu neigte, die profane Kreativität als banal, Iaienhaft oder unoriginell abzuwerten. Wie wir gesehen haben, haben auch die Avant-

gardekunst und die postmodernistische Kunst häufig in ihrer theoretischen und praktischen Dekonstruktion des Myrthos des Künstlergenies ein Bewusstsein für

I

Befriedigung nicht im Reiz, sondern in der Erfahrung des Nicht-

mobilen und Nichtdynamischen.

Williams, »Culture is Ordinary« [1958], in: ders., Resources of Hope. Culture, Democracy, Socialism, London 1989, S.3-14. Anschließend eignete sich gerade diese subkulturelle profane Kreativität dazu, der ästhetischen Ökonomie, der

postmodernen Kunst und der Kulturalisierung der Stadt entscheidende Impulse

7

ist, mehr und mehr in die bislang zweckrationale Alltagspraxis in-

die Profanität der Kreativität erzeugt, während ihre Kunstobjekte und -ereignisse selbst trotzdem den Charakter einer Ausstellungskunst annahmen, die um die Aufmerksamkeit des Publikums warb. Offenheit für profane Kreativirät würde dann bedeuten, sie nicht unter Beobachtung zu stellen, sondern sie zuzulassen und nicht zum Gegenstand relevanter

sozialer Klassifikation zu machen, Die Grenze zwischen einer solchen Offenheit für das Profane und einem systematischen Kreativitärstraining ist freilich fragil — das hat etwa die neuere psychologische Kreativitätspraxeologie gezeigt, vgl. dazu oben Kapitel 5.4.

in Praktiken erhält, das heißt in Aktivitäten, die routinisiert, repetitiv und gewohnheitsmäßig sind.’® Intersubjektiv können sie auch die Form von Ritualisierungen annehmen. Diese basale Struktur der Wiederholung ist primär rezeptiven ästhetischen Praktiken — die immer gleiche, einmal erworbene Haltung der Filmbetrach-

tung, des Umgangs mit der Mode, des Stadtspaziergangs etc., selbst wenn

es sich um

einen

neuen

Film, ein neues Bekleidungsstück

oder eine neue Stadt handelt — ebenso eigen wie primär produktiven Praktiken — die Techniken des Komponierens, des Schreibens

eines Textes, der Arbeit an einem architektonischen Konzept, selbst 77 Vgl. Max Bense, Aesthetica, Einführung in die neue Asthetik [1965], Baden-Baden 1982, S. 208 F, und S. 276 ff 78 Vgl. zu diesem Begriff Andreas Reckwitz, »Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken«, in: ders., Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie, BicleFeld z008, S.97-130.

362

363

wenn

das

Musikstück,

der Text

oder

die Architektur

am

Ende

neuartig sein mag. Im Idealfall bedeutet Routine der ästhetischen Praxis Meisterschaft und Mühelosigkeit. Daran knüpft die Ästhetik der Wiederholung an und geht davon aus, dass es nicht das vorgeblich neue Produkt, sondern die gekonnte Wiederholung ist,

die im Kern die ästhetische Befriedigung eigendynamischer Wahrnehmungen und Emotionen hervorbringt.

Ein solches alternatives Modell des Ästhetischen jenseits des Regimes des Neuen ist nicht zufällig in kulturellen Kontexten jenseits der westlichen Moderne ausgearbeitet und angewandt worden (ohne dass man dabei der Verführung eines exotistischen Blicks er-

liegen sollte). So weist Francois Jullien auf die »Ästhetik des Faden« des alten Chinas hin, ” die auf Distanz zu Vielfalt und Abwechslung der ästhetischen Geschmäcker geht und stattdessen dazu auffordert, sich immer wieder dem zuzuwenden, »was sich durchgängig entfal-

tet«, Die ästhetische Praxis beruht hier nicht auf dem Vergleich unterschiedlicher Reize, sondern übt sich in der Erfahrung von Un-

terschiedslosigkeit und Gleichgültigkeit: »{D]er Geschmack fesselt und die Fadheit löst uns.«®® Die Fadheitserfahrung ist völlig innerweltlich und die alte chinesische Kunst in der Musik, der bildenden

Kopien.® Die westliche Differenz zwischen Kunst und Kunsthandwerk, zwischen Innovation und Reproduktion scheint vor diesem

Hintergrund obsolet, so dass die im engeren Sinne künstlerischen Tätigkeiten und ästhetische Alltagstechniken wie die Kalligrafie und die Teezeremonie in genau der gleichen Weise erfolgen.®

Es wäre allerdings kurzsichtig, die Alltagsästhetik der Wiederholung ausschließlich jenseits des Westens auszumachen. Bei näherer Betrachtung enthalten auch die Praktiken und Diskurse, die das Kreativitätsdispositiv vorbereitet haben, vereinzelt (wenn auch

langfristig marginalisiert) ästhetische Maßstäbe, die die Wiederholung gegenüber der Originalität prämieren. Dies gilt bereits für die Sensibilisierung für das Naturerleben, wie sie im Umkreis der Romantik stattfand.® Später seizen, wie wir gesehen haben, ein-

zelne Fraktionen des kritischen Urbanismus der 1960er Jahre auf die Kultivierung eines Stadtraums, der sich durch Wiedererkennbarkeit und sinnlich-emotionale Kohärenz auszeichnet.®* Auch die moderne Kunst und mediale Populärkultur haben nicht nur mic den Kriterien der Überraschung gearbeitet, sondern in einer gegenläufigen Tendenz auf die wiederholte Aneignung »klassischer«

ästhetischer Objekte gesetzt (Filmklassiker, Designklassiker, literarische oder musikalische Klassiker etc.). Im Rahmen der Psycholo-

Erfahrung reiner Sinnlichkeit und gemäßigter Emotionalität möglich wird. Die »fade« Landschaftsmalerei von Ni Zan etwa arbeitet mit äußerst sparsamen Objekten und einer extrem reduzierten Farbskala; der Künstler malt letztlich abwechslungslos immer die

82 Vgl. zur Zenmeditation nur Shunryu Suzuki, Zen Mind, Beginners Mind, New York 1970. Zur Frage von Original und Kopie in Ostasien vgl. Byung-Chul Han, Shanzhai., Dekonstruktion auf Chinesisch, Berlin 2011. 83 Die »Ästhetik der Existenz«, die Foucault in Opposition zur späteren strikten Moralorientierung einer christlichen Lebensführung anhand einiger Texte der griechischen und römischen Tradition herausarbeitet, stellt sich in ähnlicher Weise als Alternativpfad zu einem Regime des ästhetisch Neuen dar. Die Technologien des Selbst, die hier entfalter werden, haben den Charakter von Routinen einer alltäglichen Selbstsorge, in der ästhetisches Wahrnehmen und Empfinden nicht auf die Sensationen des Originellen gerichtet sind, sondern auf die lang-

gleiche Landschaft.® Die ästhetische Praxis ähnelt hier einer zenbuddhistischen Meditationspraxis, die darin trainiert, die ankommenden und wieder verschwindenden mentalen Bilder und Reize

ziehen zu lassen, um sich »in reiner Wahrnehmung« auf ein Objekt zu konzentrieren. Dieses Objekt kann am Ende durch jede belie-

N

Kunst und der Literatur so ausgerichtet, dass den Rezipienten und Produzenten die Wiederholung der immer gleichen ästhetischen

Fristige Pflege der Beziehungen zur eigenen Seele, zum Körper, zu alltäglichen

bige Alltagspraxis ersetzt werden. Die Kunst im alten China und Japan baut damit nicht auf einem Verständnis von Originalität im

Objekten und anderen Subjekten. Vgl. Michel Foucault, Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst, Frankfurt/M. 2007; vgl. dazu auch Wilhelm Schmid,

westlichen Sinn auf, sondern versteht sich als das Umarbeiten von

Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst. Die Frage nach dem Grund und die

79 Vgl. Francois Jullien, Über das Fade. Eine Eloge zu Denken und Ästhetik in China {z991], Berlin 1999. 80 Ebd., S. 33 und S. 35. 81 Ebd., S.24f..

364

Neubegründung der Ethik bei Foucault, Frankfurt/M. 1991. 84 Vgl. dazu nur Ruth Groh/Dieter Groh, »Von den schrecklichen zu den erhabenen Bergen, Zur Entstehung ästhetischer Naturerfahrung«, in: dies., Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur, Bd.1, Frankfurt/M. 1991, S.92-149.

85 Vgl. dazu oben Kapitel 7.3.

365

ativitätsdispositiv in vieler Hinsicht nicht nur robust und stabil, gie der Selbstverwirklichung schließlich beruht Csikszentmihälyis

Konzept der Flow-Erfahrung auf der Idee einer längerfristigen Konzentration auf eine Tätigkeit, die gerade in dieser Konzentriertheit zum ästhetischen Selbstzweck wird.® Die konzentrierte Wiederholung ästhetischer Praktiken ist da-

mit nicht auf einen bloßen Konformismus oder Automatismus zu reduzieren, sondern selbst als eine aktive — wenn auch nicht aktivistische — Tätigkeit zu begreifen, die ablenkende Reize ausblendet,

um sich auf die intensive Aneignung einzelner Objekte oder die Wiederholung der Akte selbst zu konzentrieren. Von daher ist die Alltagsästhetik der Wiederholung nicht antirational, sondern entwickelt ihre eigene Version formaler Rationalität: eine Rationalität der »Übung«, die anstrebt, ein befriedigendes und angemessenes Niveau zu erreichen, das nicht mehr überboten, sondern aufrecht-

erhalten werden soll.?” Während das Modell der profanen Kreativität eine Demokratisierung des Kreativen betreibt, forciert die Ästhetik der Wiederholung damit eine Entdynamisierung des Ästhetischen.

Beide können somit auf ihre Weise zu jener Veralltäglichung des

sondern weiterhin auf Expansionskurs, sowohl im Westen als auch auf globaler Ebene. Die Orientierung der sozialen Praxis an kreati-

ver Produktion, Selbstkreation und dem perpetuierten Erleben des ästhetisch Neuen erscheint gegenwärtig machtvoll und beherrscht

unser kulturelles Imaginäres.® Sie erlangt ihre Stabilität und Expansivität dadurch, dass sie durch unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen gleichzeitig gestützt wird: einen globalen

und

in den

urbanen Zentren verankerten ästhetischen Kapitalismus, der vor allem in der Design- und Erlebnisökonomie seinen Ort hat; eine

technologische Medialisierung, die — mittlerweile insbesondere in digitaler Form — den Aufmerksamkeitswettbewerb um sinnlichemotional erregende Novitäten institutionalisiert; eine staatliche Politik, die in der Kreativökonomie, den kreativen Städten und der Ausschöpfung kreativer Ressourcen zukunftsweisende Parameter

für Wachstum und Entwicklung ausmacht; schließlich eine private Kultur des Selbst, die weiterhin erstaunlich hartnäckig auf das Modell des expressiven Selbst und dessen Entfaltung setzt. Die kreativästhetische erscheint damit als die avancierteste posttraditionale

Ästhetischen beitragen, die auch das Kreativitätsdispositiv anstrebt,

Lebensform — auch wenn es sich dabei um Verheißungen handelt,

das aber dabei auf halbem Wege steckenbleibt.

die manches Individuum oder ganze soziale Gruppen gar nicht einlösen können. Vieles spricht dafür, dass die kreativ-ästhetische Lebensführung, die sich zunächst als ein genuin westliches kulturelles Muster ausgebildet hat, ihre Attraktivität auch über den Westen hinaus entfalten und auf jene ausdehnen wird, die von einer Teilnahme an ihr bislang ausgeschlossen waren.“”

Ob eine solche Relativierung des Kreativitätsdispositivs und die Verbreitung anders orientierter Versionen der Ästhetisierung — die Selbstbegrenzung des Ästhetischen, die profane Kreativität und eine Alltagsästhetik der Wiederholung — in den gegenwärtigen und

zukünftigen Gesellschaften Unterstützung finden, ist eine offene Frage. Allerdings scheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Kre86 Auf die biografische Lebensführung übertragen, heißt dies, dass Selbstkreation nicht zwangsläufig mit permanenter Selbsttransformation und einer beständigen Suche nach neuen ästhetischen Erfahrungen identisch sein muss, Sie kann auch bedeuten, das einmal verwirklichte Netz yon Praktiken und Bedeutungen

Eine Relativierung dieses Kreativitätsdispositivs wäre auf Formen der Kritik angewiesen, die über die politisch traditionsreiche Sozialkritik hinaus in erneuerter und anderer Weise Kriterien des

Ästhetischen in Stellung bringen. Einmal mehr ist gegen das Vorur88

Das kulturelle Imaginäre der kreativen Lebensführung wird auf glohaler Ebene gegenwärtig vor allem von Seiten der Tendenzen einer radikalen Remoralisierung attackiert. Insbesondere die diversen religiösen Fundamentalismen lassen sich auch als Bewegungen gegen die vorgebliche Dekadenz westlich-urbaner Ästhetisierung interpretieren,

89

Zu Ansätzen

des Selbst in der Wiederholung auf Dauer zu stellen. Vgl. zu diesem Argument Richard Shusterman, Kunst leben. Die Ästhetik des Pragmatismus, Frankfur/M. 1994 S. 223 ff 87 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die aktuelle Diskussion um ein Konzept von Ruhe, Srille, Seillscaand und Immobilität (st#/ness), so in David Bissell/Gillian

von creafive economy,

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367 366

teil anzukämpfen, Fragen des Ästhetischen und der sinnlich-emo-

Literaturverzeichnis

tionalen Entfremdung seien für den politischen Problemhaushalt

sekundär, es handele sich um bloße Luxusprobleme, die letztlich Privatsache seien. In diesem Buch ging es mir darum, zu demonstrieren, wie real und tiefgreifend die Prozesse der Ästherisierung

für die Struktur der Gegenwartsgesellschaft sind und dass sie es sind, die den Motor für deren scheinbar unendliche, steuerungslose Steigerungsdynamik liefern. Zugleich scheint das Sinnproblem, auf das die Orientierung am Kreativen eine Antwort bieten wollte,

nicht gelöst. Wenn »das Politische« darin besteht, gesellschaftliche Fixierungen offenzulegen und sie Alternativen auszusetzen, dann bestünde die Aufgabe darin, die Prozesse der Ästherisierung (so wie jene scheinbar ebenso alternativlosen der Ökonomisierung und der Medialisierung, die mit ihr aufs engste verknüpft sind) zu politisie-

ren. Anstatt das Ästhetische, das Neue und das Publikum nun aber pauschal zu bekämpfen — und sich daher der Gefahr des moralischen Fundamentalismus, des antimodernen Konservatismus oder

eines Idylls des privaten Selbst auszusetzen —, sind eher Strategien der Selbstbegrenzung in Bezug auf die Reichweite der Orientierung

am Ästherischen insgesamt, des Regimes des Neuen und der Orientierung an der Aufmerksamkeit eines Publikums gefragt. Letztlich handelt es sich hier um im weitesten Sinne des Wortes »ökologi-

sche« Selbstbegrenzungsstrategien, die der Kultur der Spätmoderne ins Haus stehen, und zwar in der ästhetischen Ökonomie ebenso wie in der Stadtentwicklung,

in der Mediennutzung

und

in der

privaten Kultur des Selbst.” Es wird darum gehen, den Ästhetisierungsüberdehnungen mit lokalen Stärkungen der Moralität des Sozialen zu begegnen, dem leerlaufenden Regime des Neuen mit gezielten Verlangsamungen und Konzentrationen zu antworten und sich der ständigen Beobachtung durch ein Publikum und dessen Originalitätszumutungen über den Weg einer Vervielfältigung

der Möglichkeiten jenseits des Blicks des Alter Ego zu entziehen. Vielleicht sind wir bisher zu sehr auf unsere Kreativität fixiert gewesen und zugleich nicht kreativ genug.

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sweater, holding butterfly«, mit violetter Tinte signiertes Foto, fotografiert von Phillips & Taylor, Philadelphia und als Teil der Feinberg402

403

Ausführliches Inhaltsverzeichnis Einleitung: Die Unvermeidlichkeit des Kreativen

..........

ı. Ästhetisierung und Kreativitätsdispositiv: Das gesellschaftliche Regime des ästhetisch Neuen ı.1 Ästhertische Praktiken

12 (Ent—)Ästhetisierungcn und Moderne

1.3 Gesellschaftliche Regime des Neuen 1.4 Kreativität als Dispositiv

.....

2000000 .....0.0.0000000000

.........000000000

......0.00000001000 0rr

z. Künstlerische »Schöpfung« zwischen Geniesubjekt und Publikum: Die Formierung des modernen Kunstfeldes 2.1 Die Kunst als Form des Sozialen

.....00..0.000000000040

2.2 Das Regime des Neuen der Kunst .......0.0000000000004 Künstler-Kreateure ...000000000000000000 000000 Das Paradox der Zertifizierung des Neuen .............2.3 Grenzüberschreitungen und Delegitimierungen des Künstlerischen .....0000000000000 00R Vie de bohe&me e Universalisierungsprogramme des Schöpferischen ....... Pathologisierungen des Ästhetischen ..........00.00000 2.4 Das bürgerliche Kunstfeld und seine Affektkartografie ........0000000000000 000rr

3. Zentrifugale Kunst: Die Selbstentgrenzung

der Kunstpraktiken 3.1 3.2 des 3.3

« 3.4 +

3.5

...0.00000000000040

E

Namuths Pollock ....0.0.00000000000 Externe und immanente Entgrenzungen Künstlerischen ....0.000000000000 000 Avantgarde-Kreativität .......00000000000 00R Prozeduren und Automatismen ‚.....00000000000004444 Materialisierungen und Technisierungen ..............0. Die Aktivierung des Rezipienten .........00000000000440 Kreativität in der postmodernen Kunst .............0.0. Appropriationsverfahren: Das relativ Neue ............. Vom Werk zum Ereignis: Ästhetik des Installativ-Performativen ...........0.00000. Postmoderne Künstlersubjekte ...........0000000000000

Der Künstler als Arrangeur ......0.00000000000000 00rr Künstler-Performativität .....00.000000000000000 0RRr

3.6 Die Kunst als exemplarisches Format der Spätmoderne

115 119 123

4: Der Aufstieg der ästhetischen Ökonomie:

...000000000000 0rr RE KK

4.1 Das doppelte Paradox des Neuen und seine Auflösung

4-2 Bürgerliche Oppositionsnischen gegen die organisierte Moderne .......000000000000004 40 Arts and Crafts ...000000000001 0RRa EK Der »divinatorische« Unternehmer als Innovator ........ 4-.3 Innovationspermanenz als Managementproblem ........

»Personality and organization« und das Motivationsproblem Die Innovarionsökonomie und das Umweltproblem ..... 4.4 Die Etablierung der creative Industries ....0.000000000000 Die Mode errn Die Werbung ..0.0..0000000004010 0KK Das Design ....0000000000001K ELE NR EEE 4.5 »Management by Design« .....000000000000 0 4.6 Die Ästhetisierung des Ökonomischen und der affektive Kapitalismus ......0.000000000000K Er

133 133 146 146

149 155 155 159 164 165

171 177 182 189

........0.0.000000000000 rr

202

Psychoanalyse und Schöpfung: Zwischen Sublimierung und Wiederholungsbruch ...... Gestaltpsychologie und »produktives Denken« .......... 5.4 Kreativität als psychologische Notwendigkeit ........... Sich selbst verwirklichen — die »self growth psychology« .. Kreativität und Intelligenzforschung .......000000000400

207 211 215 215

5.5 Die Normalirät der Kreativität:

........0..000000000e

5.6 Auf dem Weg zur kreativitätsorientierten

406

198

5.1 Rorschachs Klecksbilder ......000000000000001 0000r 5.2 Die psychologische Pathologisierung des »Genies« ....... 5.3 »Kreativität« am Rande der Schulpsychologie ...........

Regierung der Selbstregierung

......

Filmstars 000000r Popstats ..0000000000000000 6.4 Die Expansion des Starsystems 7. Creative Cities: Die Kulturalisierung der Stadt

7.1 »Loft livinge

..........

0000000000000

.2 7.3 Der 7.4

Funktionale Stadt und kulturorientierte Stadt .......... Kritischer Urbanismus: Protest gegen die sinnliche Leere ........0.00.000000004 Merkmale der kulturorientierten Stadt .........0..00000Asthetisierte Stadtviertel ...... »Creative clusters« ........... Konsumräume und der touristische Blick .........0.0.. Musealisierung .............7.5 Kulturorientierte Gouvernement alität 2.0eee e Die Planung von Differenzen und Atmosphären ........ Kulturplanung und ihre Grenzen ......00000000004440400

Strukturen, Dissonanzen, Alterna ÜVEN

Vom pathologischen Genie zur Normalisierung

Psychologische Kreativitätspraxeologien

6.1 Das massenmediale Aufmerksam keitsregime ............ 6.2 Der Kunststar als performing self

3, Ästhetisierungsgesellschaft:

s. Die Psychologisierung der Kreativität: des Ressourcen-Selbst

Konstruktion expressiver Individualität ................. 6.3 Performance-Kreativität

Permanente Innovation, creative industries und

Designökonomie

5. Die Genese des Starsystems: Die massenmediale .......

.....0...00000000000000 0r 0Er

198

207

20r

8.1 Der Affektmangel der Moderne 8.2 Grundstrukturen des Kreativitätsdispositivs Ästhetische Sozialität ......... Ästhetische Mobilisierung

............

....

Aufmerksamkeitskultur des Neuen 8.3 Strukturelle Rahmenbedingungen:

.........00000000040

Ökonomisicrung‚ Medialisierung, Rationalisierung

.........

Ökonomisierung und Ästhetisierung .........00.000004 Medialisierung und Ästhetisierung ..........00000000040 Rationalisierung und Ästhetisierung .........0000000400Limitierung statt Kolonialisierun Brr 8.4 Dissonanzen kreativer Lebensführung Der Leistungs- und Steigerungszwang der Kreativität Diskrepanzen zwischen kreativer Leistung und Kreativerfolg ............ Aufmerksamkeitszerstreuungen Ästhetisierungsüberdehnungen

8.5 Alternative Formen Künstlerkritik und Profane Kreativität Allragsästhetik der Literaturverzeichnis

408

des Ästhetischen? ........0..0474444 Sozialkritik .......0.0.00000000000000s 00R 000 EL ....0.0000000000 Wiederholung ........000004000000