Der entropologische Gottesbeweis: Die physikalische Entwicklung des Entropieprinzips, seine philosophische und apologetische Bedeutung 9783111481050, 9783111114194

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Der entropologische Gottesbeweis: Die physikalische Entwicklung des Entropieprinzips, seine philosophische und apologetische Bedeutung
 9783111481050, 9783111114194

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis.
Vorwort.
A. Physikalischer Teil
1. Die verschiedenen Formen des Entropiegeseizes
2. Die naturwissenschaftlichen Bedenken gegen das Entropiegesetz
Anhang über Isenkrahes Erste Voraussetzung
B. Philosophischer und apologetischer Teil
1. Philosophische Bedenken gegen die absolute Gültigkeit des Entropiegesetzes.
2. Zwei naturphilosophische Voraussetzungen des verallgemeinerten Entropiegesetzes
3. Weltende und Weltanfang
4. Der entropologische Gottesbeweis
Literaturverzeichnis.
I. Zum physikalischen Teil.
II. Ergänzungen zum philosophischen und apologetischen Teil

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DER ENTROPOLOGISCHE GOTTESBEWEIS Die physikalische Entwicklung des Entropieprinzips, seine philosophische und apologetische Bedeutung

Von

Dr. Josef Schnippenkötter

Bonn 1920 A. Marcus & E. Webers Verlag

Dem Andenken meiner f Frau Maria geb. Paffrath.

Inhaltsverzeichnis. Vorwort A. P h y s i k a l i s c h e r

Seite

5

Teil.

1. Die verschiedenen Formen des Entropiegesetzes

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2. Die naturwissenschaftlichen Bedenken gegen das Entropiegesetz Anhang über Isenkrahes Erste Voraussetzung

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B. P h i l o s o p h i s c h e r u n d a p o l o g e t i s c h e r Teil. 1. Philosophische Bedenken gegen die absolute Gültigkeit des Entropiegesetzes

27

2. Zwei naturphilosophische Voraussetzungen des verallgemeinerten Entropiegesetzes

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3. Weltende und Weltanfang

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4. Der entropologische Gottesbeweis

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Vorwort. Im letzten Jahrzehnt war die Frage nach der Berechtigung des apologetischen Entropieargumentes vielfach Gegenstand literarischer, zum Teil lebhafter Auseinandersetzungen. Es fehlt aber bis heute eine einheitliche Bearbeitung des entropologischen Gottesbeweisproblems. Es war das Bemühen des Verfassers, diese auf Anregung von Professor Dr. Stölzle (Würzburg) zu hefern. Für die philosophischen und theologischen Folgerungen, die man aus dem Entropieprinzip gezogen hat, ist ausschlaggebend der physikalische Inhalt und die physikalische Bedeutung dieses Satzes. Da wir aber in der Fachliteratur noch einer Monographie des Entropiegesetzes entbehren, so sah sich Verfasser veranlaßt, bevor er den philosophischen und theologischen Konsequenzen' nachging, zunächst dem naturwissenschaftlichen Inhalt des Satzes eingehende Studien zu widmen. Diese physikalischen Untersuchungen sind in einem druckfertigen Manuskript zusammengefaßt unter dem Titel: „Das Entropieprinzip. Eine historisch-kritische, physik a l i s c h e M o n o g r a p h i e." In einer zweiten Arbeit mit dem Titel: „ D a s E n t r o p i e p r i n z i p in s e i n e r p h i l o s o p h i s c h e n B e d e u t u n g u n d a p o l o g e t i s c h e n V e r w e r t u n g " wurde dann die erkenntnistheoretische und naturphilosophische Seite des Satzes untersucht und eine kritische Darstellung des Gottesbeweises auf Grund des Entropiesatzes gegeben. Die beste Arbeit über das vorliegende Problem ist die Programmschrift von C. Isenkrahe, „Energie, Entropie, Weltanfang, Weltende" (Trier 1910), in der sechs notwendige „Voraussetzungen" für einen bündigen entropologischen Gottesbeweis formuliert worden sind. Sie ist aber als Programmschrift nicht in die verdiente breitere Öffentlichkeit gedrungen und heute vergriffen. Außerdem sind seit Erscheinen jener Arbeit wichtige Forschungsergebnisse der neuesten Physik zu verzeichnen, die Isenkrahe noch nicht behandelt hat. Mit der kleinen Druckschrift wurde auch nicht die Absicht verfolgt, eine möglichst vollständige Sammlung, Sichtung und Bearbeitung des hierher gehörigen Materials zu liefern. Diese wurde vom Verfasser angestrebt. Bei den bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist aber an eine Drucklegung der beiden umfangreichen, schon vor fast zwei Jahren fertiggestellten Manuskripte auch weiterhin vorläufig nicht zu denken. Deswegen veröffentlicht Verfasser hier in Kürze nur die wich-



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tigsten Ergebnisse der beiden genannten Arbeiten, ohne die so notwendige Begründung dafür auch überall auszuführen. Er hat aber das vollständige Literaturverzeichnis hinzugefügt und auch im Text, soweit es angängig war, die Quellen [in eckigen Klammern] angegeben, so daß eine Nachprüfung für den Leser immerhin ermöglicht bzw. erleichtert ist. Die erste Zahl (kursiv) bezieht sich auf die Nummer im Literaturverzeichnis; die zweite Zahl gibt die Seite an. R e c k l i n g h a u s e n , August 1920. Josef Schnippenkötter.

A. Physikalischer Teil.

1. Die verschiedenen Formen des Entropiegeseizes. Schlagen wir die Werke auf, die sich mit dem Entropiegesetz befassen, so läßt sich schon bald erkennen, wie mannigfaltig die Formen sind, in die der Inhalt des Entropiegesetzes gegossen ist. Das Verständnis des Satzes ist anerkanntermaßen schwierig [3c, 481; 136, 199f.; 137, 460; 213, 675; 105, 15; 39, 63—4], Der später Entropieprinzip genannte Satz 1 wurde in seinen ersten Anfängen auf dem Gebiet der Wärmelehre ohne weitere Vorgeschichte von Carnot 1824 [36] gefunden und aufgestellt. Insbesondere galt der Satz bezüglich der Naturvorgänge, bei denen Wärme in Arbeit umgesetzt wird. Da erkannte Carnot als erster die Notwendigkeit eines Wärmeüberganges von einer höheren Temperatur in eine niedrigere, also einer e i n s e i t i g e n R i c h t u n g des Wärmeüberganges, ohne die eine Arbeitsleistung der Wärme unmöglich sei. Unter Zugrundelegung dieser Annahme und mit Hilfe eines neuen, außerordentlich fruchtbaren Gedankenexperiments, des „umkehrbaren Kreisprozesses", gelang es ihm, einen auch heute noch gültigen Satz über die Beziehungen zwischen Wärme, Temperatur und Arbeit herzuleiten: „Die bewegende Kraft der Wärme ist unabhängig von dem Agens, welches zu ihrer Gewinnung benutzt wird, und ihre Menge wird einzig durch die Temperatur der Körper bestimmt, zwischen denen in letzter Linie die Überführung des Wärmestoffes stattfindet" [36, 23], Carnot benutzte allerdings dabei die nach heutigen und zum Teil auch schon damaligen Anschauungen f a l s c h e V o r a u s s e t z u n g , daß die Wärme ein Stoff sei, dessen Quantität unverändert beibehalten würde. So war Carnota Satz nur teilweise richtig. Nachdem durch die Entdeckungen Mayers und Joules es als unzweifelhaft angesehen werden mußte, daß Wärme und Arbeit ä q u i v a l e n t sind, und der Äquivalenzwert zahlenmäßig festgestellt war, entstanden große wissenschaftliche Schwierigkeiten; der Mayer Joule sehe Satz schien mit dem Carraoischen Satz unvereinbar zu sein, da letzterer auf ganz anderen Voraussetzungen gründete, seinem Inhalte nach aber nicht bezweifelt werden konnte. Der Lösungsversuch von Holtzmann [102a] mißglückte. W. Thomson erkannte vor allem die Größe der Widersprüche [205, 186—7]. Sie wurden dann zuerst 1850 von Clausius [42] überwunden, 1851 unabhängig von Claudius auch von W. Thomson [204 und 205\ Es konnte das aber nur geschehen unter Aufstellung eines neuen allgemeinen Satzes über die R i c h t u n g v o n W ä r m e ü b e r g ä n g e n bzw. über d i e R i c h t u n g d e r 1 Man kann zwischen den Ausdrücken „Entropiegesetz", „Entropiesatz" und „Entropieprinzip" erkenntniskritische Unterscheidungen machen, von denen aber aus praktischen Gründen, die in der erkenntnistheoretischen Richtung dieser Schrift liegen, abgesehen wurde.



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V e r w a n d l u n g e n von Wärme in Arbeit und umgekehrt. Neben dem Mayer-Jouleschen Satze, der als der „erste Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie" bezeichnet wurde, gilt von nun an in gleicher grundlegender Weise deTCarnot-Clausiussche Satz, den man den „zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie" nannte. Es gibt für den „ z w e i t e n H a u p t s a t z d e r m e c h a n i s c h e n ; j W ä r m e t h e o r i e " zwei Klassen von Ausdrucksformen. Die erste Klasse besteht aus sogenannten Axiomen. Hierunter versteht man grundlegende Sätze (Grundsätze), die als allgemeingültig und richtig ohne Beweis aufgestellt und angenommen werden können. Es gibt die verschiedenartigsten Fassungen dieser Axiome. Clausius selbst hat sein Axiom mehrfach geändert, mit der Zeit schärfer und genauer formuliert. Seine erste Passung lautet: „Der Erzeugung von Arbeit entspricht als Äquivalent ein bloßer Übergang von Wärme aus einem warmen in einen kalten Körper" [42, 500]; oder auch: „Die Wärme kann nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen." Später formulierte er unter Berücksichtigung von Einwänden gegen die Wörtchen „von selbst": „Ein Wärmeübergang aus einem kälteren in einen wärmeren Körper kann nicht ohne Kompensation stattfinden" [49a, 82]. Eine dritte Fassung von Clausius lautet: „Negative Verwandlungen können nicht ohne positive Verwandlungen vorkommen, wohl aber positive Verwandlungen ohne negative geschehen." Auch diese Änderung in eine weniger einfache Form geschah, um einen Vorwurf zurückzuweisen, der behauptete, daß dem zweiten Hauptsatze ein recht bedenklicher logischer Mangel anhafte. Das TAomaonsche Axiom lautet: „Es ist unmöglich, mittels unbelebter Stoffe mechanische Arbeit aus einem Material zu erhalten, wenn man es unter die Temperatur des kältesten ihn umgebenden Körpers abkühlt" [205, 8—9], Andere Forscher glaubten aus bestimmten Gründen andere Fassungen dieses grundlegenden Satzes aufstellen und vertreten zu müssen. So C. Neumann [94, 101], von Dallwitz [73c, 577], Schiller [38c, 500], Oslwdld [7c, 244; 168, 88; 105, 17], Förster, Januschke, Dressel, Oyözö, Chwolson [38c, 533—4], Planck [153, 11—12 Anm.; 168, 87], Nernst [139, 18 ff.], Perrin [172, 62], Insbesondere war es das Bestreben der Physiker, den zweiten Hauptsatz der mechanischen W ä r m e theorie zu einem auch für a n d e r e Naturprozesse gültigen erweisen zu wollen, das zu solchen Formulierungen Veranlassung gab. Die zweite Klasse der Äusdrucksformen besteht aus dem eigentlichen „zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie". Es sind die Sätze, die sich bei der theoretischen Untersuchung der thermodynamischen Prozesse unter Zugrundelegung des „ersten Hauptsatzes" und des eben erwähnten „Axioms" als Folgerungen ergeben. Diese Formen sind meist mathematischer Natur. Sie entbehren daher im allgemeinen der Anschaulichkeit, haben aber dafür den großen Vorzug scharfer und präziser Fassung. Im wesentlichen haben wir hier -wieder zwei Fälle zu unterscheiden. Im ersten Falle, dem mathematisch und



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logisch einwandfreiesten, ist der zweite Hauptsatz eine G l e i c h u n g . Sie drückt die Konstanz einer gewissen Größe bei thermodynamischen Vorgängen aus. Diese Vorgänge sind aber nicht-wirkliche Vorgänge. Beziehung zur Wirklichkeit — und darin Hegt ihre große Bedeutung — haben sie nur insofern, als diese nicht-wirklichen, idealen, gedachten, umkehrbaren Kreisprozesse eine G r e n z e für die wirklichen Vorgänge darstellen, die wir zwar nicht erreichen, der wir uns aber unbegrenzt nähern können. Im zweiten Falle verliert der „zweite Hauptsatz" seine sonst so befriedigende Aussage der Gleichung. Jetzt haben wir eine U n g l e i c h u n g für thermodynamische Vorgänge. Mit der Ungleichung geht das Quantitative des Gesetzes verloren. Es drückt jetzt nur noch eine qualitative Beziehung, eine Richtung aus. Aber diese Ungleichung hat dagegen wieder den Vorzug, nicht für erdachte, nicht-wirkliche, sondern für die wirklichen Vorgänge der mechanischen Wärmetheorie zu gelten. Die hier in Betracht kommende Größe hat Clausius 1865 „Entropie" genannt [47, 390], Infolgedessen können wir den „zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie" auch E n t r o p i e s a t z nennen. Der E n t r o p i e b e g r i f f ist einer der schwierigsten Begriffe. Sein Charakterbild schwankt in der Geschichte, schwankt auch heute noch. Mathematisch ist er scharf definiert, aber seine p h y s i k a l i s c h e D e u t b a r k e i t i s t unsicher und dunkel. Man kann eine ganze Skala von Deutungen anführen. Es gibt Physiker, die jede wirkliche physikalische Bedeutung für den Entropiebegriff überhaupt l e u g n e n [227, 88; 119,182; 103, 8; 11, 251; 32, 324; 173, 390], Andere behaupten, daß eine physikalische Definierbarkeit und Meßbarkeit nur für n i c h t w i r k l i c h e (umkehrbare) Vorgänge existiere [49a, 204 ff.; 92, 685—6], Wieder andere betonen, der Entropiebegriff habe Bestimmbarkeit nur für V o r g ä n g e , N a t u r p r o z e s s e [49a, 206; 176, 32—3], während eine vierte Gruppe von Physikern sich dahin entschied, daß die Entropie eine eindeutige und vollständige physikalische Zustandsgröße auch für im G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d e sich befindende Körper oder Systeme darstelle [94, 124; 45; 47, 387 ff.; 137, 468—9; 214, 218—9; 93. 55; 161, 73], Sagen weiter einige, daß nur die Entropie d i f f e r e n z zwischen zwei Körpern oder Systemen bestimmbar sei, nicht aber der absolute Betrag [92, 685—:6], so tritt man neuerdings für die Definitionsmöglichkeit der a b s o l u t e n Entropie eines Körpers ein [168, 270]. Man ist sich fernerhin ebensowenig einig über die D i m e n s i o n der Entropie und ihr Verhältnis zur Energie [136, 163; 7a—c; 227, 88 und 91; 5, 21—2; 55, 155; 53, 152; 35, 547; 212, 73; 150, 189], wie über die Art und Weise, wie dieser der Wärmetheorie entlehnte Begriff auf a n d e r e Gebiete übertragen werden soll [5, 90—1]. Den Entropiebegriff hat man durch A n a l o g i e n verschiedenster Art dem Verständnis nahezubringen, ihn dadurch zu ersetzen und zu übersetzen versucht; so Zeuner durch „Wärmegewicht" [137, 458 ff.; 94, 254 ff.; 57, 437; 168, 85 Anm.], Maxwell [54, 408—9 ; 57, 429] durch



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„Quantitätsfaktor" [57, 436ff.; 105, 11—12; 6, 146], Mach \126, 332] u. a. Für das Wort „Entropie" sind ferner noch eine ganze Reihe von anschaulichen U b e r s e t z u n g e n , B i l d e r n , V e r g l e i c h e n gefunden; so „Verwandlungswert" [45; 47, 387 ff.; 57, 426 und 428], „Zerstreuungsgrad" [4, 47—8; 6, 140ff.; 7c, 245], „Entwertung der Energie" [4, 47—8], „ N i c h t verwandlungswert" [212, 73], „ W ä r m e s t o f f " [35, 547], „Wärmeinhalt" [57, 450; 223a, 715 und 729; 224, 155], „abgenützte Energie" [53, 152; 55, 154], „Verminderung des Ereignisvorrats" [87, 515], „gebundene Wärme'' [101, 51 ff., 67] u. a„ auch ganz Falsches [63a, 272; 84, 69; 67, 95], Das Bestreben, den Entropiesatz auf verschiedenen Gebieten a n z u w e n d e n , ist stets sehr rege gewesen. Die Forscher haben das zum größten Teile für Einzelgebiete der exakten Naturwissenschaften mit dem besten Erfolge getan; so für thermo-mechanische [49a, 358; 103, 34] und thermo-elektrische [204\ 121a\ Vorgänge, für die Theorie der Strahlung [226; 114—118; 190, 116], besonders aber für thermochemische Prozesse [Horstmann, Loschmidi, Pfaundler, W. Gübs, Helmholtz, Duhem, Boltzmann, Planck, Kirchhoff, Ostwald, Arrhenius, Nernst, van t'Hoff u. a.]. Von einer erfolgreichen Anwendung des Entropiesatzes auf organische Vorgänge kann n i c h t gesprochen werden [175, 499 ff.; 8a und b; 58a]. Weiterhin versuchte man, von den speziellen Wärmevorgängen abzusehen und in größter Allgemeinheit den Entropiesatz auch dort anzuwenden, wo die Wärmeerscheinungen in den Hintergrand treten; man versuchte also ihn auf alle Naturproze&se zu erweitern. Hierhin gehören die Bemühungen von Planck \15S\, der „die allgemeinste Form des zweiten Hauptsatzes" folgendermaßen ausspricht: „Der Entropiewert eines jeden Prozesses ist positiv oder auch gleich Null. Im ersten Fall ist der Prozeß natürlich, im zweiten neutral" [153, 37]. Auch dio Regel von Le Ghatelier-Braun gehört hierher [27; 38c, 475], So groß auch die Erfolge der Anwendungen des Entropiesatzes vornehmlich auf physikalisch-chemischem Gebiet waren — wobei sich Erweiterungen, Verallgemeinerungen und interessante neue Einblicke in das Wesen des immer mehr sich Geltung verschaffenden Satzes ergaben —, so kann man doch nicht sagen, daß es allgemein gelungen ist, den Entropiesatz eindeutig und einwandfrei für alle Naturvorgängo zu formulieren. Die Anwendung des Entropiesatzes auf das ganze U n i v e r s u m ist die weitaus größte Verallgemeinerung, die vorgenommen werden kann. Sie ist, dem naturphilosophischen Drange des Menschen entsprechend, auch schon gleich nach Aufstellung des „zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie" von Thomson 1852 und Helmholtz 1854 ausgeführt worden [203; 97~\. Glausius wagte erst 1863 seinen Satz auf das Weltall auszudehnen [46, 1—2], 1865 prägte Glausius die seitdem so oft zitierten Weltsätze: „Die Energie der Welt ist konstant. Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu" [47,



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400; 48, 16 —17]. In immer neuen Wendungen hat man diese Sätze zu erläutern versucht und den Entropiesatz in bezug auf das ganze Universum in der verschiedensten Weise als a l l g e m e i n e s Naturprinzip, als Entropie p r i n z i p zum Ausdruck gebracht. Einige Formulierungen wurden oben beim Entropiebegriff schon angeführt. Allen liegt eine einsinnige Weltentwicklung zu Grunde. Das Ziel dieser Weltentwicklung ist ebenfalls recht verschiedenartig. Man liest vom „Stillstehen" der Welt [53, 141, 153, 157; 32,327 ; 208,27—8], vom „Wärmetod" [23, 33; 119, 183; 213, 685; 122, 213; 186, 203; 180, 87; 67, 94, 101—2; 88, 180—1; 87, 29], vom „Kältetod" [53, 153; 15, 18—9; 28, 26—7], von eigenartiger Yerquickung von Wärme und Kälte [183, 209], von „Entwertung der Materie" [151 ; 140, 104 ff.], vom „nirgends gestörten Äthermeer" [214, 246 ff.]. Die Anwendung auf die „Welt" ist leider nicht immer mit der Vorsicht, Umsicht und Gewissenhaftigkeit getätigt worden, wie es für gewisse Sondergebiete von namhaften Forschern geschehen ist. Wir kommen später darauf zurück. Es gibt aber noch eine andere Art von Erweiterungen des Entropiesatzes, die nicht nach dem O b j e k t der Anwendung intendiert, sondern die die größte Allgemeinheit durch eine p h i l o s o p h i s c h e Auswertung des Entropiegesetzes nach seinem tiefsten und allgemeinsten I n h a l t erstrebt. Diese Art der Erweiterung stellt die „Welt" nicht als Objekt einem physikalischen Satze gegenüber, sondern verallgemeinert den für die physikalischen Prozesse so grundlegenden Satz für a l l e s N a t u r g e s c h e h e n , sogar für a l l e s G e s c h e h e n ü b e r h a u p t . Dem Objekte nach intendiert diese Auffassung also eigentlich auf die Verallgemeinerung und Erweiterung des eigenen Inhaltes und sucht die tiefste sachliche Bedeutung des Entropiesatzes herauszustellen. Brunhes' naturphilosophische Fassung des Entropiesatzes lautet: „Es gibt etwas, was verloren geht" [29, 587]; wahrscheinlich im Anschluß an Poincarés größte, aber, wie er selbst sagt, „entleerte" Verallgemeinerung des Energiesatzes: „Es gibt etwas, das konstant bleibt" [171, I X ; 170, 136], Ostwald nennt den zweiten Hauptsatz „das Gesetz des Geschehens" überhaupt und formuliert: „Damit etwas geschieht, müssen nichtkompensierte Intensitätsunterschiede vorhanden sein" [146, 246 ff., 264], H. Driesch und Natarp [138, 388 ff.] teilen den Entropiesatz in zwei voneinander unabhängige Sätze, von denen der eine apriorisch und mit dem Osttvaldschen Gesetz des Geschehens identisch sei. Auf die engen Beziehungen zwischen Entropiegröße und Z e i t g r ö ß e macht außer Ostwald [146, 265, 275] auch Hort aufmerksam [103, 8, 13 Anm.]. Goldscheid tritt für Klärung des R i c h t u n g s b e g r i f f e s auch für die organischen Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften ein [76~\. Bergson nennt den Entropiesatz „la plus métaphysique des lois de la physique" [200, 41]. Die Erweiterung des Entropiesatzes zu einem allgemeinen p h i l o s o p h i s c h e n Prinzip brachte ihn in Berührung mit grundlegenden philosophischen Begriffen.



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Noch besser gelingt es, den Wahrheitsgehalt des Entropieprinzips ans Licht zu stellen, wobei sich auch noch weitere Formen des Entropiesatzes ergeben, wenn wir die hauptsächlichsten M e t h o d e n berücksichtigen, deren man sich bedient hat, um den Entropiesatz zur Darstellung und physikalisch einwandfreien Anschauung zu bringen. Von Bedeutung sind da zunächst die Bemühungen der E n e r g e t i k e r , das Verständnis des Entropiesatzes zu fördern. Nur noch die energetische Methode greift den physikalischen Entropiesatz auf seine Richtigkeit und Gültigkeit hin an. Um dem aus dem Entropiesatz zu folgernden Ausnahmecharakter der Wärmeenergie zu entgehen, suchte man nach einer anderen Form des Satzes unter Benutzung der Erkenntnisse über den in vollster Allgemeinheit angenommenen Satz von der Konstanz der Energie. Einen solchen Satz glaubte man in dem ¿/eZwischen Intensitätsgesetz gefunden zu haben, das die Clausiussche Form als Teilbestandteil enthalte. Es lautet: „Jede Energieform hat das Bestreben, von höherer zu niederer Intensität überzugehen" [93, 62; 57, 431, 1167—8; 55, 153—4; 53, 155]. Später taucht dieses Helmsche Intensitätsgesetz auch in erweiterter Form auf, indem von ihm gesagt wird: „Es gibt ferner das M a ß f ü r d i e K r a f t , mit welcher der Verschiebungsvorgang sich vollzieht, und für die Größe der die Verschiebung stets begleitenden A r b e i t . Beides wächst und sinkt proportional mit der Differenz I 1 —1 2 " [57, 292; 227, 90; 136, 168; 54, 462; 185, 94; 94, 300; 11, 266—7]. Der Versuch der Energetiker, in dem berechtigten Streben nach einer möglichst einheitlichen Gestaltung unseres Weltbildes, das Energieprinzip zum Ausgangspunkt theoretischer Forschungen zu machen, muß nach heftigem Kampfe als gescheitert angesehen werden [94; 95; 21; 161]. Große Schwierigkeiten bereiten die Methode der Faktorenzerlegung der Energie und das Verständnis des Intensitätsbegriffs [21, 48; 54, 466 ff.; 57, 283, 451; 94, 271, 289; 105, 17 ff.]. Die theoretischen Waffen anderer Methoden, z. B. der thermodynamischen und statistischen, haben sich als überlegen erwiesen. Andererseits liefert die Erfahrung so kräftige Stützen für die physikalische Gültigkeit des Entropiesatzes, daß besonnene Energetiker die Richtigkeit des Entropiesatzes selbst nicht zu leugnen wagen [94, 319; 57, 439, 1165; 224]. Wir haben keinen physikalischen Grund, an der Richtigkeit des physikalischen Entropiesatzes zu zweifeln, sondern müssen ihn nach dem Stande der Wissenschaft als zu recht bestehend anerkennen. Weitere Stützen des Entropiesatzes liefern die beiden wichtigsten Methoden, die wir heute kennen: Plancks klare und einwandfreie t h e r m o d y n a m i s c h - e m p i r i s c h e M e t h o d e und Boltzmanns erfolgreiche und bedeutungsvolle s t a t i s t i s c h e M e t h o d e vom Standpunkt der kinetischen Gastheorie aus. Diese Methoden bieten gleichzeitig neue Formen und Aüffassungsweisen des Entropieprinzips. Sie liefern aber auch recht bedeutungsvolle Richtlinien für die erkenntnistheoretische Bewertung der sog. unbedingten Wahrheit und



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absoluten Gültigkeit des Entropieprinzips, wie sie für die Beurteilung des Entropieprinzips als Grundlage philosophischer und apologetischer Beweise unerläßlich sind. Durch Boltzmann hat der E n t r o p i e b e g r i f f eine allgemeine und weitreichende Definition erfahren; sie ist bis heute die bedeutungsvollste geblieben. Es ist gelungen, den statistisch-wahrscheinlichkeitstheoretischen Entropiebegriff mit analogen Funktionen der physikalischen Chemie und mit dem thermodynamischen Entropiebegriff in engste Beziehungen zu setzen, so daß man von einer Identität sprechen konnte. Die hieraus folgende Boltzmannsche Auffassung des Entropieprinzips als eines physikalischen Mittelwertsatzes oder als eines Durchschnittsgesetzes hat sich auch durch neuere Untersuchungen immer mehr Freunde verschaffen können und ist heute die am weitesten verbreitete. Die hieraus sich ergebenden erkenntnistheoretischen Folgerungen sind für gewisse philosophische und apologetische Beweisgänge von allergrößter Tragweite. Wir kommen im folgenden Kapitel darauf zurück. Die thermodynamische Methode ist aber nicht verdrängt worden; sie hat durch den Nernstschen Wärmesatz (1906) ihre Daseinsberechtigung erneut nachgewiesen; dem Nernstsohen Satz verdanken wir außerdem die Definition der absoluten Entropie. Überschauen wir „ d e n E n t r o p i e s a t z " mit der bunten Mannigfaltigkeit aller seiner Formen, so ergibt sich doch ein g e m e i n s a m e r G r u n d g e d a n k e . Dieser Grundgedanke ist die R i c h t u n g , die T e n d e n z , der S i n n , den alle Naturprozesse trotz möglicher Gegensätzlichkeiten einschlagen und in der Gesamtheit verwirklichen. Diese, „Vorliebe" der Natur für eine bestimmte Richtung ist fraglos vorhanden. Sein sprachlicher Ausdruck ist „das Entropieprinzip". Mit dieser Richtung im Naturgeschehen hat der Physiker zu rechnen; und unter Berücksichtigung dieser Tatsache in der Natur ist ihm die Deutung vieler Vorgänge erklärlich und anschaulich geworden. Dieses „Entropieprinzip" wird auch der zukünftigen physikalischen und chemischen, ja vielleicht der gesamten naturwissenschaftlichen Forschung als leitendes P r i n z i p dienen.

2. Die naturwissenschaftlichen bedenken gegen das Entropiegesetz. Der Entropiesatz hat sich von Anfang an gegen Bedenken der mannigfachsten Art verteidigen müssen. Die naturwissenschaftlichen Einwände hat Verfasser in seiner im Vorwort erwähnten Monographie ausführlich behandelt und sie übersichtlich zusammengestellt. Die verschiedenen Gruppen dieser Bedenken mögen hier in aller Kürze angedeutet, und ein Hinweis auf ihren Wert und ihre Berechtigungen mag hinzugefügt sein. Letzteres ist naturgemäß nur möglich unter Berücksichtigung der verschiedenen Formen des Entropiesatzes, die eben auch verschiedenen Inhalt zum Ausdruck bringen.



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Die ersten Einwände richteten sich gegen das Clausiusache Axiom und waren e m p i r i s c h e r Natur. Die ursprüngliche Fassung dieses Axioms hatte Clausius ja selbst schon ändern müssen. Aber auch gegen das neu formulierte Axiom und gegen den eigentlichen zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie wurden viele Erfahrungstatsachen bis in die Gegenwart hinein geltend gemacht. Die Erscheinungen konnten jedoch sämtlich im Sinne des Clausiusachen Satzes gedeutet werden, und in Arielen Fällen lieferte der Angriff nachher sogar wertvolle Bestätigungen für die Richtigkeit des Entropiesatzes. Wir nennen die Maschine von Hirn [49a, 373 ff.; 94, 108]; Dupre [49a, 375]; Bankines Strahlenkonzentration [49b, 314 ff., 353; 83, 57]; Eddys Strahlungssirene [17]; Bartoli; Wand [49a, 378ff.]; Tait[49b, 306ff.; 219]; Kohlrauschs Thermosäule [49b, 311 ff.]; Tolver Prestona Diffusionsmaschine [174]; Pictet [.152]; Burton [38c, 489]; Aug. Schmidt [185b; 185a, 85ff.; 127; 128; 82]; Ferd. Braun [28, 16, 28; 5, 98]. Auch die neuen Interferenzerscheinungen und das Zeeman-Phänomen (v. Laue, Corbino) haben sich bestens mit dem .Entropiesatz abgefunden [114—118; 68; 50], Wesentlicher schon sind die Einwände, die sich gegen das auf a l l e Naturprozesse verallgemeinerte Entropiegesetz richten. So gut sich der Entropiesatz auf physikalisch-chemischem Gebiet bewährt hat, so unterliegt die Übertragung auf alle. Naturvorgänge stärksten Bedenken. Gewisse kosmische Beobachtungen sind Veranlassung gewesen (Arrhenius, Newcomb, Spencer), für s i d e r i s c h e Prozesse eine eindeutige Entropiezunahme in Frage zu stellen und die Konstanz der Entropie zu behaupten [1, 162; 111; 11, 273; 1, 170], Besonders aber sind die o r g a n i s c h e n Vorgänge der Beachtung wert. Die Möglichkeit der biologischen Ausnahmen vom Entropiegesetz ist von anerkannten Physikern wiederholt hervorgehoben und vertreten worden. Über die Größe der Entropieabnahme bei den organischen Prozessen im Vergleich zu der Zunahme bei den physikalisch-chemischen Vorgängen läßt sich nichts Sicheres angeben. Ein schließliches Überwiegen der Entropieabnahme kann aber nicht a limine abgelehnt werden. Auf alle Fälle ist die allgemeine Richtung des Weltprozesses im Sinne der Entropiezunahme nicht bedenkenlos sichergestellt [98, 30; 78, 377; 9, 265; 70, 178; 11, 271—2; 12, 361; 13; 101; 58; 4, 71; 201, 417ff.; 84, 9 0 f f . ; 90; 3; 55, 154 Anm.; 49a, 386; 214, 232, 271—2; 5]. Die r a d i o a k t i v e n Erscheinungen sind sowohl für [133, 512—3; 140; 225, 24—5; 55] als auch gegen [214, 243ff.; 39, 76; 105, 27—8; 29, 27 ff.] den Entropiesatz gedeutet worden. Wissenschaftliche Sicherheiten lassen sich nicht vertreten. Neben den empirischen Bedenken gibt es t h e o r e t i s c h e Einwände. Die bedeutsamsten theoretischen Einwände gegen den Entropiesatz haben die sogenannten Energetiker vorgebracht, die sich mit der Formel von der Zunahme der Entropie nicht einverstanden erklären konnten. Die physikalische Wissenschaft hat jetzt aber diese ener-



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getischen Bedenken ad acta gelegt, da die formalen Gründe sich nicht als stichhaltig genug erwiesen und die erwartete Befruchtung der physikalischen Methode in weitem Umfange aus- und hinter anderen Auffassungen zurückblieb. Zudem haben auch die Energetiker die einseitige Richtung der Naturprozesse und ein „Altern" der Welt zugegeben. Die Bedenken anderer Theoretiker sind ohne tiefere Wirkung geblieben [102a und b; 43; 49, 361—2; 219; 220; 52; 184; 79; 209, 192], Epochemachend in der Geschichte des Entropiesatzes war die Behandlung auf Grund der k i n e t i s c h e n W ä r m e t h e o r i e . Sie ergab auf der einen Seite eine Bestätigung der Richtigkeit des thermodynamischen Entropiesatzes, auf der anderen Seite aber zeitigte sie schwerwiegende Bedenken gegen gewisse Fassungen des Satzes und brachte vor allen Dingen die apodiktische Notwendigkeit der durch den Satz zum Ausdruck gebrachten Entropiezunahme zu Fall. Schon die Form, daß alle Naturvorgänge mit einer Energieumwandlung in Wärme verbunden seien, stößt auf Schwierigkeiten, da die Definition der Wärme im Sinne der kinetischen Theorie diesen Satz für die molekularen. Naturvorgänge schon aufgeben muß. Dann aber ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß mit der molekularstatistischen Betrachtungsweise grundsätzlich die Möglichkeit der Ausnahmen vom Entropiesatz gegeben ist, die sich durch keine Diskussion wieder beseitigen läßt. Für etwa auf den Entropiesatz aufzubauende Beweise über Anfang und Ende der Welt ist diese Tatsache von entscheidender Bedeutung [188; 176, 46 ; 4, 54; 136; 72, 365; 23, 231; 121b; 49b, 314; 28, 27; 212, 103—4], Andere, singuläre Bedenken gegen die allgemeine Gültigkeit des Entropiesatzes Hegen in gewissen molekularen Vorgängen, die zwar teils nur in der Phantasie als möglich gegeben (z. B. die Maxwdlschen „Dämonen"), teils aber auch dürch physikalische Erfahrungen nahegelegt werden (z. B. die Broumachen Bewegungen). Zwischen der m e c h a n i s t i s c h e n Weltanschauung der Physik und der kinetischen Gastheorie bestehen noch unüberbrückte Gegensätze. Da beide Theorien wissenschaftlich wohl begründet sind, so darf die Schwierigkeit, die sich hieraus für das Bestehen des Entropiesatzes ergibt, nicht einfach übersehen werden [93, 54], Lippmann, Poincaré und Zermelo haben in neuerer Zeit besonders darauf hingewiesen [29; 121b; 172, 66—7; 231; 22; 169, 136—7; 171, X V I I I f., 419 ff., 444; 59, 5 ff.]. Der hypothetische Charakter der physikalischen Definition vom W e s e n d e r W ä r m e , den wir nicht vergessen dürfen, wenn wir daran denken, die Unterlage zu einem folgenschweren Beweise zu bauen, geht am besten aus der Tatsache hervor, daß auch andere Hypothesen zur Erklärung der Erscheinungen aufgestellt sind. So Rankines Molekularwirbel [93, 111 ff.; 49a, 369—73], Redtenbachers Dynamiden8



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system [137, 501], Zehnders Ätherwärme [230], Callmdam neueste Stofftheorie [35; 73b\ H a t schon die BoltzmannBche Auffassung des Entropiesatzes rein logisch das absolute Fundament untergraben, so haben die neueren experimentellen und theoretischen Untersuchungen über die M i k r o p h ä n o m e n e (z.B. Broumsche Bewegungen, Opaleszenzerscheinungen,. automatische Konzentrationsschwankungen in Emulsionen und die theoretischen Arbeiten vor allem von Smoluchowski) mit Sicherheit das Vorkommen von Naturprozessen konstatiert, in denen ein antientropischer Verlauf vorliegt. Die absolute Souveränität und Geltungdes Entropiesatzes ist endgültig gebrochen, man hat den Gültigkeitsbereich des Entropiesatzes einschränken müssen und ist imstande gewesen, die untere Gültigkeitsgrenze festzulegen. Die Bedeutung dieses wissenschaftlichen Ergebnisses für die Folgerungen einer Weltgeneralisation und die Stringenz etwa auf dem Entropiesatz ruhender Beweise liegt auf der Hand [187; 139, 211—2; 2, 134ff.; 192—197b; 178; 210; 211; 73d; 73b; 123; 11, 266ff.; 106, 490 ; 57, 300; 139, 212; 70, 178 ff., 685], Neue Bedenken gegen den Entropiesatz, der von der Wärme als der letzten Energieform spricht, in die alle Energien schließlich übergehen würden, sind dem Gedanken der Planckachen N u l l p u n k t s e n e r g i e [164; 62; 202; 199, 198; 177, 73 f., 406; 73e, 498—500; 51; 198; 217; 218; 141; 230] zu entnehmen. Vor allem ist dann neben dem endgültigen Wärmetod auch der Kältetod in Frage gestellt, sofern er die absolute „Energielosigkeit" und Arbeitsunfähigkeit darstellen soll. Dieses Bedenken der Nullpunktsenergie ist bei all den vielen damit verbundenen und noch ungeklärten Fragen doch wissenschaftlich durchaus ernst zu nehmen. D i e Form des Entropiesatzes, die fast ausnahmslos den Schlüssen auf Weltende und Weltanfang untergelegt wurde, ist durch die Nullpunktsenergie der modernen Physik stark erschüttert worden. Die Einwände gegen den Entropiesatz auf Grund a s t r o p h y s i k a l i s c h e r Anschauungen und k o s m o l o g i s c h e r Folgerungen sind zwar beachtenswert, aber empirisch-wissenschaftlich und wissenschaftlich-methodisch weniger fundiert und weniger durchschlagend als die Unterlagen, die zur Aufstellung des Entropiesatzes selbst führten [129, 6 f f . ; 179; 67, 95ff.; 37, 185; 1; 64; 206; 207; 75, 159f.; 84, 81 ff.; 46, 3; 81, 699; 124a, 128ff.; 124b, 292; 23, 230—1; 66; 67, 87 ff.]. Eine ernsthafte Erschütterung des Weltentod-Gedankens, der etwa dem Entropiesatz entnommen werden könnte, ist von dieser Seite dem besser und fester grundgelegten Entropiesatz gegenüber kaum zu erwarten. P h i l o s o p h i s c h e Folgerungen oder Voraussetzungen des empirischen Entropiesatzes können grundsätzlich dem Satze keinen Schaden zufügen. Trotzdem sind solche Versuche gemacht worden



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(Häckel, Gilbert, Stöhr), die wir natürlich als wissenschaftlich unzulässig ablehnen müssen [89, 150—1 ; 74, I I , 13f., 116f„ 124 f., 147 ff. ; 84,85 ff.]. Die Prüfung der physikalischen Seite des Entropieprinzips führt zu dem E r g e b n i s , d a ß d i e G ü l t i g k e i t des E n t r o p i e s a t z e s i n n e r h a l b g e w i s s e r , r e l a t i v weiter Grenzen des p h y s i k a l i s c h e n Forschungsg e b i e t e s a u f r e c h t e r h a l t e n , sogar neu b e s t ä t i g t worden ist,daß aber d e r E n t r o p i e s a t z s e i n e E i g e n s c h a f t als G r u n d l a g e von r ä u m l i c h und z e i t l i c h weitest gehendenWeltfolgerungen sowohl logischg r u n d s ä t z l i c h als auch empirisch-tatsächlich durch die w i s s e n s c h a f t l i c h e n F o r s c h u n g s r e s u 1 t ä t e der P h y s i k s e l b s t e i n g e b ü ß t hat. Mit dieser Feststellung ist aber in den entropologischen Gottesbeweis eine starke Bresche geschlagen; die Bündigkeit des Arguments ist aufgehoben. Der Gottesbeweis hat nur Geltung, wenn die Voraussetzung gilt, die Isenkrahe als seine „Zweite Voraussetzung" so formuliert: Die Beweiskraft des Entropiearguments erscheint wesentlich abhängig von folgender Voraussetzung: „Es gibt entweder überhaupt keine Prozesse in der Welt, durch welche die Entropie vermindert wird, oder, wenn es solche gibt, so ist doch der Gesamtbetrag der Verminderung geringer als der der Entropievermehrung. Gegenteilige Erwägungen sind als untriftig nachweisbar bzw. nachgewiesen" (105, 29). Anhang über Isenkrahes Erste Voraussetzung. Es sei gestattet, bezüglich der „Ersten Voraussetzung" Isenkrahes hinzuzufügen, daß wir ihre selbständige Formulierung nicht mehr für nötig halten. Isenkrahe sagt: „ W i l l . . . die Apologetik das Entropieargument zu ihren Schlußfolgerungen benutzen, so bedarf sie dazu als einer E r s t e n V o r a u s s e t z u n g der Aussage: Der Satz, daß bei gewissen Naturprozessen die Entropie vermehrt wird, ist richtig. Alle gegen ihn geltend gemachten Gründe können als unrichtig nachgewiesen werden" [105, 241. Bei der Aufzählung der gegen den Entropiesatz geltend gemachten Gründe hebt Isenkrahe in erster Linie die von energetischer Seite aus der Methode der Faktorenzerlegung nach Analogie sich ergebenden eigentümlichen Gegensätze zum Satz von der „Vermehrung der Entropie" hervor. Soweit sich aber die Gründe zur Aufstellung der Isenkrahe sehen Ersten Voraussetzung auf d i e s e Seite der Entropiebehandlung beziehen, können wir von ihnen sagen, daß sie jetzt als hinfällig gelten. Der Entropiesatz ist von physikalischer Seite auf vielfachen Wegen abgeleitet und begründet worden, so daß es bedenklich erscheinen würde, physikalisch genommen, die Richtigkeit dieses Satzes ernsthaft in Zweifel zu ziehen, n u r d e s h a l b , weil die Energetiker ihn in ihren theoretischen Rahmen nicht einordnen und a«



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dabei experimentelle Gründe für die Richtigkeit ihrer/ Behauptung nicht anführen können, im Gegenteil: gerade diese die besonnenen Energetiker selbst zu weiteren Forschungen Anlaß gegeben haben, um die Widersprüche aufzudecken. Wenn deswegen Isenkrahe sagt, daß „der physikalische Satz von der Vermehrung der Entropie bei denjenigen Vorgängen im Gebiet der Wärmelehre, die man als .nicht umkehrbare Prozesse' bezeichnet, durchaus nicht unangefochten dasteht, sondern von ernst zu nehmenden Männern der Wissenschaft m i t s a c h 1 i c h e n G r ü n d e n bekämpft wird", so halten wir das heute nur mehr für richtig, wenn die Gründe der energetischen Methode ausgeschaltet werden. Denn diese sind nicht sachlicher, sondern formaler Natur. Und den aus formalen Gründen zu ziehenden Konsequenzen stehen sachlich Widersprüche entgegen. Nun aber zählt Isenkrahe tatsächlich auch noch zwei andere geltend gemachte Gründe auf, indem er Helm zitiert. Diese beiden Bedenken sind ein „sachlich-prinzipielles" und ein „mathematisches". Helm führt diese Bedenken an im Anschluß an die v e r a l l g e m e i n e r t e n Sätze, wie sie Clausius 1865 formulierte: „Die Energie der Welt ist konstant", „die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu". Diese Sätze (und damit denn auch „der Entropiesatz") sind berechtigter Kritik unterworfen worden auch von Nicht-Energetikern. Vgl. S. 43 ff. Die beiden noch zu besprechenden Bedenken Helms beziehen sich aber nicht auf diese Verallgemeinerung, wenngleich auch Helm auf „das im Begriff W e l t liegende Bedenken" nachdrücklichst hinweist. Hier haben wir es mit zwei anderen Bedenken noch zu tun, die den e i g e n t l i c h e n physikalischen Entropiesatz, den zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie, betreffen, insofern er die tatsächliche Vermehrung der thermodynamischen Entropie zum Ausdruck bringt, wie sie z. B. Glaueins und Planck fordern. Das erste „sachliche" Bedenken liegt nach Helm im Entropiebegriff. Er sagt: „Die Energie der uns bekannten Körper können wir nur angeben, wenn ein jeder in einem Zustande des G l e i c h g e w i c h t s ist, die Entropie eines Systems solcher Körper nur, wenn sich das System im Gleichgewichte befindet; Gleichgewicht ist nun aber in dem Teil des Universums, der uns interessiert, nie vorhanden, und wäre es einmal vorhanden, so — interessierte uns die Sache nicht mehr" [94,125], Darauf ist folgendes zu erwidern. Es ist nicht richtig, daß wir die Entropie eines Körpers nur im Zustande des G l e i c h g e w i c h t s angeben können. Clausius hat das nicht behauptet, und andere Physiker, die seihen Entropiebegriff annehmen, auch nicht. Nur bei V o r g ä n g e n, P r o z e s s e n „interessiert uns" der Entropiebegriff; da hat Helm völlig recht. Bei Gleichgewichten, d. h. bei Zuständen, in denen nichts geschieht oder nichts geschehen kann, interessiert uns der Entropiebegriff nicht. Die Entropie wird aber t a t s ä e h l i e h durch • eine Zustandsänderung gemessen. Zwar ist diese Zustandsänderung eine umkehrbare, d. h. eine solche, die eigentlich „aus lauter Gleichgewichts-



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zuständen besteht". Das Wesentliche aber für die Entropie ist nicht das Gleichgewicht, sondern die Änderung. Dieser umkehrbaren Änderung kommen wir durch eine Grenzbetrachtung nahe, so nahe, wie wir nur wollen. Und mit der beliebigen, unendlichen A n n ä h e r u n g an die Gleichgewichtslagen bestimmt sich auch die Größe der Entropie. Solche Grenzübergänge sind in der Mathematik nichts Ungeläufiges. Auch die Größe eines Differentialquotienten ist nur „angebbar", wenn wir die Differenzen im Zähler und Nenner beliebig, „unendlich" klein w e r d e n lassen. Der Differentialquotient ist nicht bestimmt durch die Größen „Null" im Zähler und Nenner. Dann hätten wir —und damit 0 wirklich einen „unbestimmten" Ausdruck. Sondern der Differentialquotient ist nur dann „angebbar", wenn wir durch den Ü b e r g a n g dy z u m L i m e s bekommen: — ; und damit ist er ganz „bestimmt". Der „Null" (bzw. den Nullen) im Differentialquotient entspricht das „Gleichgewicht" beim Entropiebegriff. Ebensowenig, wie wir im Differenzenquotienten die Differenzen gleich Null setzen, um den Differentialquotient zu bestimmen, nehmen wir für die Zustände des Körpers das Gleichgewicht, um die Entropie anzugeben. Sondern ebenso, wie wir uns beim Differentialquotienten der Null b e l i e b i g n ä h e r n , so n ä h e r n wir uns beim Entropiebegriff b e l i e b i g dem Gleichgewicht durch die umkehrbare Zustande ä n d e r u n g . „Hieraus folgt — lesen wir bei Clausius —, daß, wenn wir für einen in umkehrbarer Weise, aber auf beliebigem Wege g e s c h e h e n e n t i b e r g a n g des Körpers aus einem gegebenen Anfangszustande in seinen gegenwärtigen Zustand das Integral (der Entropie) b e s t i m m e n können, wir dadurch den Wert der Entropie bis auf eine auf den Anfangszustand bezügliche Konstante erhalten" [49a, 206]. Kann doch auch die E n e r g i e eines Körpers nur durch eine (wenn auch nicht wie bei der Entropie notwendig reversible) Zustandsä n d e r u n g , nur durch einen V o r g a n g , einen P r o z e ß angegeben werden. Nur wenn wir Wärme oder Arbeit usw. zuführen oder abführen, kann von der bis auf eine additive Konstante im Körper enthaltenen Energiegröße die Rede sein. Die Angabe der Energie für einen im Gleichgewichtszustande befindlichen Körper ist an und für sich nicht möglich; nur durch die „Arbeitsfähigkeit", d. h. durch den Gedanken des Natur V o r g a n g e s , bekommt der Energiebegriff erst Sinn und Bedeutung, überhaupt erst Existenzmöglichkeit. Die Energie eines im Gleichgewicht befindlichen Körpers oder Systems oder Universums „interessierte uns nicht". [Auch 176, 32 f.] Folgendes Analogon mag noch angeführt sein. Man betrachtet in der Mathematik eine k r u m m e Linie auch als eine Folge von sehr vielen und sehr kleinen g e r a d e n Linien. Der krummen Linie n ä h e r t man sich dann durch einen Grenzübergang zu unendlich vielen und



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unendlich kleinen Geraden. Unter dieser Betrachtung des Wesens einer b r u m m e n Linie ist man imstande, gewisse B e g r i f f e d e r k r u m m e n L i n i e scharf definieren und formulieren zu können. Nach Hdm müßte man nun analogerweise etwa so sagen: Diesen gewissen Begriff (z. B. der Richtung der krummen Linie in einem bestimmten Punkte) kann man nur „angeben", wenn die Linie eine g e r a d e Linie ist. Die G e r a d e ist aber in dem uns interessierenden Teile des Universums (eben hier bei der k r u m m e n Linie) nicht vorhanden, und wäre sie vorhanden, so — interessierte uns die Sache nicht mehr (weil wir ja nach der Richtung der k r u m m e n Linie fragen). Wir glauben nicht, daß der Mathematiker Hdm ein solches „sachlichprinzipielles Bedenken" gegen den Begriff der Richtung einer krummen Linie geltend machen würde. Sein „sachlich-prinzipielles Bedenken" gegen den Entropiebegriff ist aber genau dieser Art. Und „die krumme Linie" ist s o w e n i g „eine gerade Linie", als der „umkehrbare Prozeß" ein „Gleichgewicht" ist. Damit ist die Behauptung Helms widerlegt, daß die Entropie nur im Gleichgewichtszustande angebbar sei. Der zweite der von Isenkrahe aufgezählten Gründe Helms, gegen den Entropiesatz ist „mathematischer Natur". „Da S bei adiabatischen Vorgängen nicht abnehmen kann, bei umkehrbaren adiabatischen Vorgängen aber konstant bleibt, so hat man gelegentlich geschlossen, daß es bei nicht umkehrbaren adiabatischen Vorgängen steige. Dieser Schluß ist aber unberechtigt; denn man weiß nicht, ob etwa N mit abnehmendem dQ g e g e n N u l l k o n v e r g i e r t , man weiß nur, daß es nie negativ ist. Es könnte sehr wohl sein, daß bei allen adiabatischen Prozessen mit d Q auch N und dS verschwänden, wie das jüngst von Wiedeburg wahrscheinlich gemacht worden ist. Die Clausiussche Schlußweise beweist nichts weiter, als daß S bei adiabatischen Vorgängen nicht abnehmen kann, ob es konstant ist oder wächst, bleibt auf diesem Wege schlechthin unerledigt" [94, 125—6], Hierbei ist zunächst zu bemerken, daß Wiedeburga energetischer Ansatz mit seiner radikalen ungeprüften Folgerung aus den oben schon mitgeteilten Gründen auszuschalten ist. Zu betrachten wäre nur der m a t h e m a t i s c h e Einwand, ob N mit abnehmendem dQ n i c h t g e g e n N u l l k o n v e r g i e r e n k ö n n e . An anderer Stelle [94,318] lesen wir denselben Gedanken: „Aus der Ungleichung dQ £ T . dS zu schließen, daß, wenn d Q = 0 ist, dS > 0 sein könne, ist ein bedenklicher Schluß." Es handelt sich also um die Frage: Kann bzw. muß bei Richtigkeit der Ungleichung dQ < T .dS, wenn dQ = 0 ist, dS > 0 sein? Diese Frage muß unseres Erachtens bejaht werden. Denn wir haben bei adiabatischen Vorgängen nicht den Fall eines Grenzüber-



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gangs. Der adiabätische Prozeß ist iin mathematischen Sinne möglich und wirklich. D. h.: nicht durch einen Grenzübergang dergestalt, daß Vir d Q kleiner und kleiner werden lassen, nähern wir uns beliebig einem adiabatischen Prozeß, sondern wir s e t z e n tatsächlich dQ g l e i c h Null. Denn das ist die Definition des adiabatischen Vorgangs, daß Q keinerlei Veränderungen erfährt, der Zuwachs d Q also g l e i c h Null sein soll. Wir haben hier also keine funktionale Beziehung zwischen dQ und dS [vgl. 94, 318], die uns natürlich unbekannt wäre; sondern für die Adiabate s e t z e n wir d Q g l e i c h Null in der auch von Wiedeburg als richtig erkannten Ungleichung dQ < dS. {Der Faktor T kann hier weggelassen werden.) Soll aber dS unter allen Umständen größer sein als d Q, so m u ß es im Falle d Q = 0 auch p o s i t i v sein, und kann nicht zu gleicher Zeit größer als Null und doch wieder gleich Null sein. S muß also bei einem nicht-umkehrbaren adiabatischenVorgang steigen und kann nicht konstant bleiben. • Die mathematische Möglichkeit einer Konvergenz gegen Null ist hier beseitigt durch den Ausschluß des mathematischen Grenzübergangs für adiabatische Vorgänge, mit anderen Worten: sie ist beseitigt durch den Ausschluß per definitionem der Existenz einer (natürlich unbekannten) Funktion zwischen d Q und dS für adiabatische Prozesse. Damit glauben wir auch Helms mathematischen Einwand zurückgewiesen zu haben. Bei der Isenkrahesehen Ersten Voraussetzung haben wir gewisse Unterscheidungen zu machen, die nach dem Wortlaut nicht scharf auseinandergehalten zu sein scheinen. Es ist da die Rede von dem „Satz, daß bei gewissen Naturprozessen die Entropie vermehrt wird"; und in der Schlußbemerkung ist die Erste Voraussetzung folgendermaßen nochmals zusammengefaßt: „Es wird angenommen, daß sich überhaupt in der Weltentwicklung ein gewisses Etwas nachweisen lasse, welches man als .Verschlechterung der Energie', .Verminderung ihrer Nutzbarkeit und Verwandlungsfähigkeit', als .Entropie' im Clausiusschen Sinne bezeichnen kann, daß dieses Etwas eine durch eine gewisse Einheit meßbare Größe sei, und daß diese Größe — entgegen der Behauptung mancher Naturforscher — beim Fortgang der Weltentwicklung durch gewisse Naturprozesse tatsächlich vermehrt werde." Und Isenkrahe fügt hinzu: „Durch diese Annahme gewinnt der Entropiebeweis überhaupt erst Boden" [105, 77—8], Unter Entropiebeweis versteht Isenkrahe die philosophisch-apologetische Folgerung aus dem Entropiegesetz, daß die W e l t ein Ende und damit einen Anfang und damit einen Schöpfer hat, der also (als Gott) existiert. Dieser Entropiebeweis kann natürlich erst Boden gewinnen durch ein W e l t - Entropiegesetz. Und so lesen wir bei Isenkrahe mit Recht von der „Weltentwicklung", in der sich etwas nachweisen lasse, und vom „Fortgang der Weltentwicklung", bei der etwas



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vermehrt würde. Clausiiis hat ein Welt-Entropiegesetz ( in der Form aufgestellt, daß die Entropie der Welt einem Maximum zustrebe. Nehmen wir das Streben nach dem Entropiemaximum als den Ausdruck des Welt-Entropiegesetzes an, so gehen aber in diese Form bestimmte natur p h i l o s o p h i s c h e , also m e t a physische Voraussetzungen ein über den Begriff Welt, die wir später besprechen werden. Soweit Isenlcrdhe also den Entropiesatz auf das Objekt Welt verallgemeinert wissen will, soweit also das Streben nach einem W e l t - Entropiemaximum durch den „Entropiesatz" ausgedrückt werden soll, würde unter dieser Annahme die Isenkrahesehe Erste Voraussetzung zu Recht bestehen. Aber zugleich würde sie dann auch in die ü b r i g e n von ihm formulierten Voraussetzungen zerfallen, die ja gerade diese naturp h i l o s o p h i s c h e n Voraussetzungen noch näher ans Licht setzen, u n d a l s s e l b s t ä n d i g e V o r a u s s e t z u n g b r a u c h t e sie n i c h t m e h r zu e x i s t i e r e n . Andererseits: will Isenkrahe in seiner „Ersten Voraussetzung" auf gewisse energetische Bedenken gegen die F o r m e l von der „Vermehrung der Entropie" hinweisen, so wird er aber doch mit allen Energetikern die W e l t e n t w i c k l u n g s t a t s a c h e , die Tatsache einer R i c h t u n g aller Naturprozesse anerkennen, wie es ausdrücklich selbst Wiedeburg tat, der Clausius gegenüber den Satz von der K o n s t a n z (statt der Vermehrung) der Entropie aufstellte. So dunkel also und schwer faßbar in gewisser Weise der Clausiussche Satz von der „Vermehrung der Entropie" sein mag, vom sachlich - p h y s i k a l i s c h e n Standpunkte aus dürfen wir seine Richtigkeit, soweit er die dauernde Vorliebe der Natur für bestimmte Zustände, einen eindeutigen Sinn, eine konstante Richtung allen Naturgeschehens, ein physikalisches Entwicklungsprinzip zum Ausdruck bringt, behaupten und damit die besondere Fassung der Ersten Voraussetzung Isenkrahts fallen lassen. Wir dürften demnach den apologetischen Entropiebeweis, um mit Isenkrahe zu reden, physikalisch tatsächlich Boden gewinnen lassen. Aber eine andere Frage ist es, inwieweit ü b e r h a u p t ein physikalisches Gesetz oder ein physikalisches Prinzip Grundlage eines Beweises sein kann, dessen Gegenstand nicht auf physikalischem Boden liegt und empirisch unerreichbar ist. Für solche Beweise bleibt j e d e r physikalische Satz eine „Voraussetzung", und für den vorliegenden Fall ist dies nicht ein besonderes Charakteristikum des Entropiesatzes, wie man das aus der Isenkraheschea. Arbeit schließen könnte. Darüber aber soll im folgenden gehandelt werden.

B. Philosophischer und apologetischer Teil.

1. Philosophische Bedenken gegen die absolute Gültigkeit des Entropiegesetzes. Rein physikalisch betrachtet, hat der Entropiesatz als absolutes Naturgesetz keine Gültigkeit mehr, sondern es bestehen bestimmbare Gültigkeitsgrenzen; aber auch aus erkenntnistheoretis c h e n Gründen kann von einem absoluten Gesetz keine Rede sein. Denn der Entropiesatz ist ein E r f a h r u n g s s a t z , ebenso wie der Energiesatz. Zwar hat man vom E n e r g i e s a t z öfter behauptet, daß er apriorische Geltung habe oder auf dem Wege des reinen Denkens erschlossen werden könne. Aber selbst die a l l g e m e i n s t e Erfahrung, die den Energiesatz zum umfassendsten und grundlegendsten Naturprinzip stempelt, bleibt eine Erfahrung und ist nicht imstande, dem Energiesatz einen anderen erkenntnistheoretischen Charakter als den der Erfahrung zu geben. Hieraus folgt aber, daß der E n t r o p i e s a t z , für den empirische Ausnahmefälle heute anerkannt werden, a fortiori ein Erfahrungssatz ist, wenn selbst dem bisher ausnahmslos geltenden Energiesatze nur eine empirische Begründung zuerkannt werden kann. Die Erfahrungsunterlagen des E n e r g i e s a t z e s sind zunächst in der geschichtlichen Entwicklung zu finden. Diese weist bis zur Entdeckung immer nur auf Beobachtungen und Experimente hin. Und auch für die Entdecker selbst, J. R. Mayer, Hirn, Joule usw., waren Beobachtung und Versuch Anlaß, Grundlage und Richtung zur Aufstellung des Energieerhaltungssatzes, das einen empirischen Tatsachenkomplex zum Ausdruck .bringt [191, 351—2], Heute ist Zahl und Art der Erfahrungsunterlagen für dieses Naturgesetz, das ja schlechtweg a l l e s Naturgeschehen beherrschen soll, unermeßlich groß. Es läßt sich kaum mehr auseinanderhalten, in welchen Erfahrungstatsachen man eine positiv führende, grundlegende Tatsache für dieses Gesetz sehen und in welchen Erfahrungstatsachen man eine Folgerung und nachträgliche Bestätigung erblicken soll. Und andererseits führt die Verneinung dieses Prinzips zu so merkwürdigen empirischen Konsequenzen, daß auch das rein indirekte Beweisverfahren gewichtig für die Richtigkeit des Prinzips sprechen muß. Aber trotzdem kann von einem Apriorismus dieses allgemeinen Gesetzes keine Rede sein. Die Erfahrungsunterlagen des E n t r o p i e s a t z e s treten noch klarer in die Erscheinung. Schon bei Garnot ist es die empirische Dampfmaschine, die den Anlaß zur Aufstellung des Satzes bietet und die erste Fassung des, wenn auch noch nicht ganz erfaßten, Inhalts formt. Auch Clausius und Thomson können sich für das Axiom, daß Wärme nur von einem Körper höherer Temperatur zu einem Körper geringerer Temperatur übergehen könne, bzw. daß es unmöglich sei, Arbeit lediglich



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durch Abkühlung eines Körpers zu erhalten, nur auf die Erfahrung berufen. Clausius tut dies zwar nicht ausdrücklich, sondern er sagt, daß sein Grundsatz „nicht selbstverständlich" und „ein neu aufgestellter Grundsatz" sei [49a, 364 ff.]. Das kann natürlich nichts anderes bedeuten, als daß die E r f a h r u n g diesen Grundsatz nahelegt, aus dem er seine weiteren Schlüsse gezogen hat. Aus der Erfahrung nahmen auch die Gegner ihre Waffen gegen dieses Axiom; und die Erfahrung wieder gab Clausius die Mittel an die Hand, sein Axiom und den zweiten Hauptsatz klarer und einwandfreier, als er es zuerst getan hatte, zu formulieren. Und wie oft auch im weiteren Entwicklungsgange des Entropieprinzips l o g i s c h e Bedenken andere Fassungen aufkommen ließen, in allen aber war die G r u n d l a g e die Erfahrung, daß die Wärme von selbst keinen anderen Weg geht, daß es kein Perpetuum mobile zweiter Art gibt, daß immer der wahrscheinlichere Zustand erstrebt wird, daß alle Energieformen in Wärmeenergie sich umsetzen wollen, daß es nur irreversible Prozesse gibt, und wie allemal die Erfahrungstatsache formuliert und festgehalten sein mag. Die Annahme eines entsprechenden Gesetzes führte zu Folgerungen, die die Erfahrung bestätigte. Und die Nichtannahme führte im allgemein zugänglichen Erfahrungsbereiche menschlicher Wissenschaft zu Konsequenzen, die es in diesem Erfahrungsbereiche nicht gab. Dabei bleibt bestehen, daß der Entropiebegriff selbst ein mathematischer Begriff ist, den nur theoretisch-physikalische Gedankenarbeit konzipieren und formulieren konnte, und durch den eine physikalische Erfahrungstatsache auf einen präzisen Ausdruck gebracht werden sollte. Den Erfahrungscharakter des E n e r g i e s a t z e s haben namhafte Phvsiker und Philosophen ausdrücklich anerkannt. So Planck [154, 2—4, llÌAnm.1908; 158,656\Helm\94, \2±—5\,Hasenohrl[92,670— \\MvüerPfaundler[137, 467], Börner'[26, 452], F.Braun [28, 27], IsenJcrahe [105, 10—11; 264, 15 Anm. 2], Chwolson [38a, 127; 39, 3,51], Pfaundler [286a, 517], Dressel [ 5 7 , 4 5 , 2 8 0 ; 54, 449 f.], H. Poincaré [170,131], Helm [93,41], Slaby [191,351},Auerbach [4,31,23—4], Seeliger [188,16—7], E. Becher [11, 227 ff.], Gutberiet [83, 63], Den Erfahrungscharakter des E n t r o p i e s a t z e s haben u. a. anerkannt: Wüllner [229, 349], H. Poincaré[171, V—VI, XIV], Fick [72, 363 f.], Nernst [140,103], Henning [99,123], F. Exner [70,177], Callendar [35, 547], A. E. Haas [87, 514 f.], Wendungen, wie „deduktive Ableitung" [96], „deduktiver Beweis" [165, 38 f.], „einfach logisch-konsequente Folgerung" [53,150], zur Annahme „logisch gezwungen" [89, 147] sind nicht mißzuverstehen ; die Grundvoraussetzungen sind, wie meist an Ort und Stelle ausdrücklich betont, von empirischem Charakter, und damit geht auch in die sonst deduktiv gehaltene Ableitung der Erfahrungscharakter der Grundlage mit ein. Die meisten Naturforscher nehmen heute nicht nur den Erfahrungs-



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charakter der physikalischen Sätze, sondern auch den empirischen Charakter der großen P r i n z i p i e n der Naturwissenschaft an. Aber auch a n d e r e A u f f a s s u n g e n sind von Physikern und Philosophen vertreten worden. Oben wurde schon Chwolson genannt, der ausdrücklich den Erfahrungscharakter der physikalischen Sätze gewahrt wissen will. Andere Äußerungen von Chwolson können aber einen Widerspruch begründen und irreführen. Zunächst: „Es gibt drei selbständige, d. h. voneinander unabhängige, w a h r e W e l t g e s e t z e , vielleicht die e i n z i g e n d r e i w i r k l i c h e n W a h r h e i t e n , zu denen der forschende Menschengeist bisher vorgedrungen ist, denn alles übrige Wissen ist Stückwissen, alle übrigen sogenannten Wahrheiten sind entweder nur ungefähr richtig, oder sie sind überhaupt bestreitbar. Das wichtigste von den drei Gesetzen ist. . . das Entropiegesetz" [39, 42], Ferner: „Wir wollen nun kurz die Frage streifen, ob die beiden Gesetze, das Massen- und das Energiegesetz, a b s o l u t r i c h t i g sind. Beide Gesetze haben Skeptiker gefunden, die die Möglichkeit von Ausnahmen zugeben. Mit Sicherheit ist aber bisher keine solche Ausnahme nachgewiesen worden. M i t e i n i g e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t läßt sich behaupten, daß die beiden Gesetze unter den Bedingungen, die in der unserer Beobachtung zugänglichen Welt herrschen, g e n a u e r f ü l l t w e r d e n . In anderen Teilen des Universums können ganz andere Bedingungen herrschen und ganz andere Gesetze gelten, die, ebenso wie die bei uns gültigen Gesetze, S p e z i a l f o r m e n unbekannter u n i v e r s e l l e r Gesetze bilden" 139, 51]. Will also Chwolson, wie oben schon betont, für das Massen- und das E n e r g i e gesetz eine „absolute Richtigkeit" noch nicht annehmen, sondern nur „mit einiger Wahrscheinlichkeit" die genaue Erfüllung dieser Gesetze in der von uns beobachteten Welt anerkennen, so stellt er die Wahrheit des E n t r o p i e satzes als eine gänzlich andersgeartete dar: „Ich behaupte, daß die Entdeckung dieses Gesetzes [Entropiegesetz] das H ö c h s t e ist, was der menschliche Geist auf a l l e n G e b i e t e n d e s W i s s e n s u n d K ö n n e n s bisher geleistet hat; daß der diesem Gesetz zugrunde liegende Gedanke an philosophischer Tiefe, an allumfassender Bedeutung für die Erkenntnis des Seienden, an unendlicher Fruchtbarkeit unvergleichlich dasteht, und daß keine Wissenschaft ein Resultat, einen Gedanken aufzuweisen hat, der sich an Großartigkeit mit dem Entropiesatze vergleichen ließe. Auf diesen Satz, d e m d e r S c h ö n h e i t s s t e m p e l der a b s o l u t e n W a h r h e i t aufg e d r ü c k t i s t , kann die Menschheit stolzer sein, als auf alles übrige, was sie erreicht und erkämpft, denn fast alles übrige ist entweder streitig oder nur in begrenztem Maße richtig. Unter den wenigen w i r k l i c h e n W a h r h e i t e n , zu denen sich die Menschheit durchgerungen, steht das Entropiegesetz obenan" [39,63], — „Das Entropiegesetz ist das unvergleichlich mächtigste Instrument, welches die Physik besitzt, um die geheimsten, nie geahnten Gesetze aufzusuchen, denen die physikalischen



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Erscheinungen gehorchen. Da es für alle Erscheinungen /gilt, so kann es auch zur Analyse a l l e r E r s c h e i n u n g e n benutzt werden, und dies geschieht und ist geschehen. Unübersehbar und unabschätzbar ist die Masse des Neuen, welches mit Hilfe des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik für die Wissenschaft erworben wurde Höher als alles übrige stellen wir aber die tief p h i l o s o p h i s c h e , die k o s m o l o g i s c h e Bedeutung jenes Gesetzes. Es beherrscht alle Erscheinungen, die in der Welt vor sich gehen, und als Gesetz der Tendenz i s t e s d a s G e s e t z d e r E v o l u t i o n d e r W e l t , denn es lehrt uns, daß die'Welt ein Organismus ist, der sich in einer ganz bestimmten, genau definierbaren Richtung entwickelt. So steht es e r h a b e n n e b e n den nur rein q u a n t i t a t i v e n Gesetzen der Erhaltung der Materie und der Energie. Der in ihm ausgesprochene Gedanke hat nicht seinesgleichen an Tiefe und Bedeutung, und die Menschheit darf stolz darauf sein, daß sie ihn erfaßt und seine Bedeutung gewürdigt hat"[S. 68], — „Und nochmals sage i c h : D i e M e n s c h h e i t d a r f u n d s o l l s t o l z d a r a u f s e i n , daß sie in langer und schwerer Geistesarbeit sich durchgerungen hat zur Erkenntnis e i n e r w i r k l i c h e n W a h r h e i t und den großartigen Gedanken gefaßt und erfaßt hat, der im Evolutionsgesetz der Weit ausgesprochen ist" [S. 70], — „Ich aber glaube, daß zu den , e w i g e n , e h e r n e n , g r o ß e n G e s e t z e n ' d a s E n t r o p i e g e s e t z g e h ö r t , unter dessen Herrschaft die Welt ihres Daseins Kreise vollenden muß . . . . " [S. 76], — An anderer Stelle [S. 83] spricht Chwolson von „ d e m u n f e h l b a r e n E n t r o p i e g e s e t z". Offenbar ist Chwolson durch seine Opposition gegen Häckel zu diesem scharfen Hervorheben der absoluten Wahrheit und Richtigkeit des Entropiesatzes veranlaßt worden. Aber trotzdem bleibt es unverständlich, wie Chwolson sich zu diesem extremen Standpunkt über den Wahrheitscharakter des Entropiesatzes hat verleiten lassen können. Gerade die umgekehrte Reihenfolge in den Wahrheitsgraden des Energieund Entropiesatzes vertritt Chwolson, als man erwarten sollte. Läßt er dem Energiesatze noch einige Wahrscheinlichkeit, so trägt nach ihm der Entropiesatz den Schönheitsstempel a b s o l u t e r Wahrheit, gehört der Entropiesatz zu den „ewigen, ehernen Gesetzen", ist der Entropiesatz „unfehlbar". Aber nicht nur eine umgekehrte Reihenfolge im Wahrheits g r a d e , sondern sogar einen dem W e s e n nach andersge a r t e t e n Wahrheitswert schreibt er dem Entropiesatz zum Unterschiede vom Massen- und Energiesatz zu: wie anders soll man sonst die obigen Prädikabilien deuten, als im Sinne eines unanfechtbaren, absoluten, logisch-apriorischen Axioms ? Denn auf einen Erfahrungssatz, und habe er den h ö c h s t e n Grad der Wahrscheinlichkeit, können die Epitheta „absolut", „unfehlbar", „ewig-ehern" niemals Anwendung finden. Diese Bewertungen Chwolsons sind aber auch schon rein physikalisch nicht haltbar, denn wir haben gesehen, daß es tatsächlich Ausnahmen



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vom Entropiesatz gibt, daß die Gültigkeitsgrenzen festgelegt werden konnten, und daß selbst im Gültigkeitsbereiche der Entropiesatz ein g r u n d s ä t z l i c h e r Wahrscheinlichkeitssatz ist, da er ein Durchschnittsgesetz ist. Wie irreführend für die theologische Auswertung diese Äußerungen Chwolsons über das Entropiegesetz geworden sind, indem man sich fast allgemein und oft ausschließlich auf die Autorität Chwolsons berief, davon ist später nochmal die Rede. Bezüglich des E n e r g i e g e s e t z e s hat vor allem Mayer selbst, sein erster Verkünder, die Meinung gehabt, daß er es aus Denkgesetzen deduktiv ableiten könne. Er sagt, daß seine „Thesen sieh mit Notwendigkeit aus dem Grundsatze causa aequat effectum ergeben und mit allen Naturerscheinungen in vollkommenem Einklang stehen", und das Kausalgesetz nimmt Mayer „nach dem Gesetze des logischen Grundes" an [143, 31, 43]. So wurde Mayer des Liebäugeins mit der Metaphysik beschuldigt [295, 2]. Er hatte aber doch wesentlich die Erfahrung herangezogen [143,14 f, 20, 41, 45 ff, 57, 94], Mayers deduktive Ableitung aus Denkgesetzen weist u. a. Helm nachdrücklich zurück [93, 25], Mach deutet die Begründung des Satzes durch Mayer etwas anders; er sei lediglich seinem starken, aber ungeklärten formalen Bedürfnis zu verdanken [126, 247 ff]. Weiteres über Mayers Ableitung ist bei Hell zu finden [261, 222 ff.; 317, 177, 262 u. a.]. Man hat auch das Clausiussche Axiom fälschlich als Selbstverständlichkeit betrachtet [49a, 364 ff.]. Wald [212, 2—4, 25, 45 f.] versucht ebenfalls, den Entropiesatz dem „logischen Denken" nahezubringen^ und glaubt, daß er „auf den Satz vom zureichenden Grunde zurückführbar" ist [136,164]. Vgl. auch Kossuih [39, 88; 11, 228]. Reinhold steht auf dem falschen Standpunkt, daß drei bekannte Erfahrungssätze der Physik, „die Gesetze der Erhaltung des Stoffes, der Kraft und der Bewegung", auch o h n e E r f a h r u n g zu erkennen seien [293,10]. Bei allen U r t e i l e n , Grundsätzen, Prinzipien, Axiomen, Postulaten. Thesen, Lehrsätzen, Naturgesetzen oder wie man wissenschaftliche Aussagen immer nennen will und genannt hat, kann man vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus zwei Wahrheits- oder Evidenzgrade feststellen, die scharf voneinander unterschieden werden können. Diese Unterscheidung richtet sich nach der Festigkeit der Uberzeugung, die ein Satz im Menschen zu erwecken imstande ist, oder sie richtet sich nach dem objektiven, inhaltlichen Seinsbestand der Satzaussage, nach der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit des Satzinhaltes. Entsprechend kann man auch die B e w e i s e einteilen. So spricht man von Gewißheits- und Wahrscheinlichkeitssätzen, von Gewißheits- und Wahrscheinlichkeitsbeweisen. Diese Gewißheit bzw. Wahrscheinlichkeit kann subjektiven und objektiven Charakter haben. Die Festigkeit der „Überzeugung" ist



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subjektiver, individueller Natur. Bei den Gewißheitssätzen kann es sich da zunächst um eine r e i n subjektive Gewißheit handeln, für die objektive Wahrheitsgründe völlig fehlen. Diese rein subjektiven Urteile, die über das urteilende Individuum hinaus keinen Bestand haben können, sind für die Wissenschaft wert- und belanglos. Sie scheiden auch für irgendeine Beweistätigkeit gänzlich aus. Dann gibt es aber auch Gewißheitssätze, die mit objektiven Gründen aufwarten können, ohne aber daß eine allgemeine und notwendige Gewißheit anerkannt werden kann. Hierbei sind die objektiven Gründe nicht stichhaltig und durchschlagend genug, so daß jedermann zu jeder Zeit die Richtigkeit des Satzes anerkennen m ü ß t e und sie wirkliche objektive Gewißheitssätze genannt werden könnten. Vielmehr wird in den meisten Fällen ein gutes Stück subjektiv gearteter Gewißheit hinzukommen, das die betreffenden Sätze zu Gewißheitssätzen stempelt. Vollkommene Gewißheitssätze müssen wir in den Sätzen erblicken, deren Inhalt durch eindeutige und klare Definitionen und Grundsätze geklärt ist, deren Richtigkeit in objektiver Evidenz einleuchtend ist. Die Sätze der reinen Mathematik bieten die vorzüglichsten Beispiele solcher Gewißheitssätze. Analog den Gewißheitssätzen bedürfen auch die Gewißheitsb e w e i s e keiner subjektiven Überzeugung mehr. Denn der Beweisgang selbst, der j a nur eine Anwendung evidenter Grundsätze darstellt, ist einleuchtend, und infolgedessen ist auch der Inhalt des demonstrandums einleuchtend gewiß, soweit die Prämissen per definitionem oder auch als Ergebnis eines vorhergehenden anderen, einleuchtenden Gewißheitsbeweises einleuchtend sind. Man kann von diesen objektiven Gewißheitssätzen auch sagen, daß sie eine sichere zweifelsfreie „Überzeugung" im Menschen wecken. Damit ist das subjektive Moment dieser Sätze betont, aber nicht damit gesagt, daß das Kriterium dieser objektiven Gewißheitssätze eben diese sichere, zweifelsfreie Überzeugung im Menschen sei. Denn das Wesen dieser Gewißheit liegt nicht in dem anthropologischen Bewußtsein davon, sondern in dem ontologischobjektiven Bestände der Richtigkeit der ausgesagten Beziehung. Es ist also der Einblick in einen sachlichen Tatbestand, der jedem denkenden Verstände als der Tatbestand, der er ist, einleuchtend sein muß, welcher dem Satze den Gewißheitscharakter verleiht, und nur als F o l g e des Erkennens dieses objektiven Seins und Sein-Müssens haben wir die zweifelsfreie Überzeugung im Menschen anzusprechen. Das Erkennen dieses S e i n - M ü s s e n s ist das Erkennen und Anerkennen absoluter Notwendigkeit der so und so gearteten Relation; damit hätten wir den vollkommensten Typus eines Gewißheitssatzes, der absolute Stringenz und durchschlagende Beweiskraft vermittelt; zugleich die innigste Synthese v