Die effiziente Nutzung grenzüberschreitender Wasserressourcen [1 ed.] 9783428512003, 9783428112005

Wasser ist global eine zunehmend knapper werdende Ressource, deren Bedeutung für das menschliche Leben als Trinkwasser,

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Die effiziente Nutzung grenzüberschreitender Wasserressourcen [1 ed.]
 9783428512003, 9783428112005

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LEO-FELIX LEE

Die effiziente Nutzung grenzüberschreitender Wasserressourcen

Schriften zum Völkerrecht

Band 149

Die effiziente Nutzung grenzüberschreitender Wasserressourcen Von Leo-Felix Lee

Duncker & Humblot . Berlin

Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 200212003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-11200-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2002/2003 von der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zur Promotion angenommen. Ihre Erstellung wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt durch ein großzügiges Stipendium gefördert, ohne welches mir die Erstellung nicht möglich gewesen wäre. Großer Dank gebührt meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Dr. Juliane Kokott, LL.M. Ich danke ihr für die anregenden Erfahrungen, die ich als ihr Mitarbeiter in ihrer Eigenschaft als stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) sammeln konnte. Nicht zuletzt entstand hieraus das Thema der vorliegenden Untersuchung. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den übrigen Beiräten des WBGU und ihren Mitarbeitern danken. Herrn Prof. Dr. R. Alexander Lorz, LL.M. danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, den Herren Prof. Dr. Udo-Ernst Simonis und Prof. Dr. Wilfried Erbguth für ihre Starthilfe. Dem Freundeskreis der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität danke ich für die Förderung meiner Arbeit durch einen Druckkostenzuschuß. Frau Prof. Dr. Beate Rudolf und Frau Dr. Jeanine Bucherer gilt mein Dank für ihren fachlichen Rat und vor allem für ihre Freundschaft, auf die ich mich stets verlassen kann. Mein persönlicher tiefempfundener Dank gilt Herrn Dr. Alois Weber, Paul Suerken und Karl Reisner sowie Herrn Dr. Reinhard Klenke - sie wissen wofür. Der größte Dank gebührt meiner lieben Ehefrau Dr. Tanja Maier: Amor vincet omnia. Düsseldorf, im April 2003

Leo-Fe/ix Lee

Inhaltsübersicht Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Kapitell

Historische Verteilungsregelungen

23

A. Die frühen Hochkulturen am Euphrat/Tigris und am Indus .........................

24

B. Die antike Wasserkultur Ceylons ...................................................

26

C. Das Subak-System auf Bali ..... . ................ . .................... . .............

27

D. Die islamische Tradition............................................................

29

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Kapitel 2

Universelle völkerrechtliche Regeln zur grenzüberschreitenden Wassernutzung

39

A. Fragestellung .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

B. Wassernutzung als Ausdruck territorialer Souveränität..............................

41

C. Die UN-Konvention zur nicht-schiffahrtlichen Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe ............................................................................

53

Kapitel 3

Deklarationen zur internationalen Wasserpolitik

108

A. Stockholmer Aktionsprogramm (1972) ............................................. 108 B. Mar dei Plata Action Plan: International Drinking Water Supply and Sanitation Decade (1977) ........................................................................

111

C. DublinerErklärung(1992) .......................................................... 119

10

Inhaltsübersicht

D. Kapitel 18 der Agenda 21 .......................................................... 125 E. "Earth Summit+5" (1997) .......................................................... 133 F. CSD-6 ............................................................................. 140

G. Zusammenfassung und Bewertung.................................................. 143 Kapitel 4

Der ökonomische Effizienzbegriff

147

A. Grundlagen......................................................................... 147 B. Definition des Begriffs der Gesamtwohlfahrt .............. . ........................ 150 C. Bestimmung der maximalen Wohlfahrt............................................. 153 D. Effizienzsteigerung durch Marktmechanismen ...................................... 158 E. Zusammenfassung.................................................................. 168

Abschließende Bemerkung ........................................................... 171

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Stichwortregister ..................................................................... 179

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Kapitell

Historische Verteilungsregelungen

23

A. Die frühen Hochkulturen am EuphratiTigris und am Indus

24

B. Die antike Wasserkultur Ceylons

26

C. Das Subak-System auf BaH

27

D. Die islamische Tradition ..........................................................

29

I. Das Recht des Durstes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

11. Das Recht zur Bewässerung ....................................................

32

111. Der Transfer des Eigentums an Wasser und Bewässerungsrechten ..............

35

IV. Der Mejelle-Kodex ....... . ....................... . .................... . ........

35

E. Zusammenfassung ................................................................

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Kapitel 2

Universelle völkerrechtliche Regeln zur grenzüberschreitenden Wassernutzung

39

A. Fragestellung ...................................................... . . . . . . . . . . . . . . . .

39

B. Wassernutzung als Ausdruck territorialer Souveränität.........................

41

I. Absolute territoriale Souveränität und Integrität ................................

42

11. Gemeinschaft an Gewässern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Relative territoriale Souveränität und Integrität .................................

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Inhaltsverzeichnis IV. Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit ................. . .......... . .....

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V. Umweltpflichtigkeit der Souveränität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Fazit ...........................................................................

52

C. Die UN-Konvention zur nicht-schifTahrtlichen Nutzung grenzüberschreitender

Wasserläufe .......................................................................

53

1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

1. Sachlicher Anwendungsbereich .............................................

54

2. Geographischer Anwendungsbereich ........................... . ............

56

a) Das Konzept der Internationalen Wasserläufe ............................

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b) Grundwasser und der Sonderfall der "confined groundwaters" ...........

59

H. Grundprinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

1. Art. 5 und 6: Ausgewogene und vernünftige Nutzungsaufteilung .............

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2. Art. 7: Verbot der erheblichen grenzüberschreitenden Beeinträchtigungen....

67

a) Der Begriff der Beeinträchtigung ........................................

68

b) Schutz hoheitsfreier Räume ..............................................

68

c) Erheblichkeit ............................................................

70

d) Sorgfaltspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

e) Höhere Gewalt ..........................................................

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f) Kausalität................................................................

73

3. Kollision des Grundsatzes der ausgewogenen und vernünftigen Nutzungsaufteilung mit dem Verbot der erheblichen grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen ...............................................................

73

a) Standpunkt der ILA ......................................................

74

b) Standpunkt des Asian-African Legal Consultative Committee ............

75

c) Standpunkt der ILC ......................................................

76

(1) Bericht von 1981 .....................................................

76

(2) Bericht von 1983 .....................................................

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(3) Erster Entwurf von 1991 .............................................

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(4) Vorschlag des Sonderberichterstatters McCaffrey .....................

77

(5) Endgültiger Entwurf von 1994 .......................................

78

d) Lösungsansatz von Utton ................................................

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e) Lösung in der UN-Konvention ...........................................

80

f) Stellungnahme......................................... . ...... . ..........

80

Inhaltsverzeichnis

13

III. Das Gebot der optimalen Nutzung...... . . . .....................................

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1. Funktion ...................... . ....... . ............. . ...... . ........ . .......

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2. Inhalt .......................................................................

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3. Verhältnis zu dem Grundsatz der ausgewogenen und vernünftigen Nutzungsaufteilung ...................................................................

87

IV. Verfahrenspflichten ............................................................

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1. Allgemeine Kooperationspflicht .............................................

88

2. Informations- und Konsultationspflicht bei geplanten Maßnahmen . . . . . . . . . . .

89

3. Kooperationspflichten zum Schutze der Umwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

a) Umweltschutz ........................................ . . . ........ . .......

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b) Wasserbewirtschaftung ..................................................

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4. Kooperationspflichten zum Schutz vor schädigenden Umständen oder Notfallsituationen ...............................................................

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5. Streitschlichtungsverfahren .. . . .. .. . . .. . . . .. . . .. . . . . . .. . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .

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6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Kooperationsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Kooperationsappelle .....................................................

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c) Verfahrenspflichten ......................................................

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V. Verhältnis der Konvention zu regionalen Gewässerverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Verhältnis zu bereits bestehenden Verträgen .................................

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2. Verhältnis zu nachfolgenden Verträgen ...................................... 101 a) Anpassungen nur an die Charakteristika und Nutzungen eines Gewässers

102

b) Vertragsabschlußverbot bei erheblichen Beeinträchtigungen zu Lasten Dritter und Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 VI. Zusammenfassung ............................................................. 106

Kapitel 3

Deklarationen zur internationalen Wasserpolitik

108

A. Stockholmer Aktionsprogramm (1972) ........................................... 108 I. Die Konferenz ........................ . .......... . ............................. 108 11. Systematik der Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

14

Inhaltsverzeichnis III. Zwischenstaatliche Kooperation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Wasserbewirtschaftung ......................................................... 110

B. Mar dei Plata Action Plan: International Drinking Water Supply and Sanitation Decade (1977) .................................................................. 111 I. Internationales Wassernutzungsrecht ........................................... 112 11. Ziel des Aktionsplans: Effiziente Wassernutzung ............................... 113 1. Effizienz im Sinne des Aktionsplans ........................... . ............. 113 2. Die Umsetzungsstrategie ........... . ............... . .......... . ............. 115 a) Ökonomische Anreize ................................................... 116 b) Öffentlich-rechtliche Regulierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

c. Dubliner Erklärung (1992) ........................................................

119

I. Wasser als endliche und verletzliche Ressource................................. 120

11. Beteiligung von Nutzern. Planungs- und Entscheidungsträgern ................. 121 III. Die besondere Rolle von Frauen bei der Wasserbewirtschaftung in Entwicklungsländern ................................................................... 122 IV. Wasser als ökonomisches Gut .................................................. 122 1. Effiziente Allokation ........................................................ 122 2. Effiziente Nutzung .......................................................... 124

D. KapitellS der Agenda 21 ......................................................... 125 I. Die Konferenz ................................................................. 125 11. Systematik der Ergebnisse. . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . ... . . . .. . . .. . . ... . . .. . . . ... . . . . .. 126 III. Sachlicher Anwendungsbereich des Wassermanagements ....................... 127 IV. Verhältnis zwischen Wassermanagement und internationalem Wassernutzungsrecht ........................................................................... 127 V. Rechtliche Empfehlungen...................................................... 129 1. Institutionelle Empfehlungen ............ . ................................... 129 2. Prinzipien und Instrumente .................................................. 131 a) Ökonornisierung des Wassermanagements ........................... . ... 131 b) Umweltrechtliche Instrumente ........................................... 132

Inhaltsverzeichnis

15

E. "Earth Summit+5" (1997) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133 I. Der Bericht des UN-Generalsekretärs

134

1. Grenzüberschreitende Kooperation

134

2. Ökonomisierung des Wassermanagements ................................... 134 3. Abgestufte Länderkategorien ................................................ 136 a) Hohes Einkommen, niedriger Wasserstreß ............................... 136 b) Hohes Einkommen, hoher Wasserstreß ................................... 137 c) Niedriges Einkommen, niedriger Wasserstreß ............................ 137 d) Niedriges Einkommen, hoher Wasserstreß ............................... 138 H. Programm zur weiteren Umsetzung der Agenda 21 ............................. 138

F. CSD-6 ............................................................................. 140 I. Verhältnis zwischen Wassermanagement und internationalem Wassernutzungsrecht ........................................................................... 140 H. Ökonomisierung der Wasserbewirtschaftung ................................... 141 G. Zusammenfassung und Bewertung ............................................... 143

Kapitel 4

Der ökonomische Effizienzbegriff

147

A. Grundlagen ....................................................................... 147 I. Das ökonomische Prinzip ...................................................... 147 H. Das Minimal- und das Maximalprinzip aus rechtswissenschaftlicher Sicht...... 149 B. Definition des Begriffs der Gesamtwohlfahrt ..................................... 150 I. Relevante Subjekte............................................................. 150 II. Gewichtung der individuellen Wohlfahrt ............................ . .......... 152 C. Bestimmung der maximalen Wohlfahrt .......................................... 153 I. Wohlfahrtsfunktionen .......................................................... 153 H. Effizienzkriterien ..................................... . .................. . ..... 153 l. Das Pareto-Kriterium ........................................................ 154

2. Kaldor/Hicks-Kriterium .................................................... 156

16

Inhaltsverzeichnis

D. Effizienzsteigerung durch Marktmechanismen I. Marktversagen aufgrund externer Effekte

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IIo Das Coase-Theorem ........................ . .......................... .. . 1. Invarianz- und Effizienzthese

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a) P ist Inhaber des Rechts auf Verschmutzung

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b) B ist Inhaber des Rechts auf sauberes Wasser ............................ 162 2. Rahmenbedingungen der Coase'schen Verhandlungslösung a) Transaktionskosten

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b) Vollständige Information und der Wille zur beiderseitig vorteilhaften Vereinbarung . 163 0

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III. Gefangenendilemma

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IV. Tragedy of the Commons E. Zusammenfassung .

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Stichwortregister

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Abschließende Bemerkung

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Abkürzungsverzeichnis AJIL Austr. J. of Publ. Intl. Law AVR BerDGVR BGBL. BYICL DVBl. EPIL FAO Georg. Int'l Envl. L. Rev. ICJ IGH ILA ILC SRÜ UNO U.N.R.I.A.A. WBGU WVK YBILC ZRP

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American Journal of International Law Austrian Journal of Public International Law Archiv des Völkerrechts Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetzblatt British Yearbook of International and Comparative Law Deutsches Verwaltungsblatt EncycIopedia of Public International Law Food and Agriculture Organisation Georgetown International Environmental Law Review International Court of Justice Internationaler Gerichtshof International Law Association International Law Commission Seerechtsübereinkommen United Nations Organisation United Nations Reports of International Arbitral Awards Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung Das internationale Wassernutzungsrecht ist in den letzten Jahren verstärkt in das Blickfeld des Interesses gerückt. An deutschen Untersuchungen sind die von Reimann I , Torka2 , Ule 3 und Mühlhans4 zu nennen. Ein Grund für das gesteigerte wissenschaftliche Interesse mag die Verabschiedung der UN-Konvention zur nichtschiffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe im Jahre 1997 sein, die auf jahrzehntelangen Vorarbeiten der Vdlkerrechtskommission auf diesem Rechtsgebiet beruht. Die Ursachen für das Interesse gehen jedoch tiefer. Wasser stellt global gesehen - eine zunehmend knapper werdende Ressource dar, deren Bedeutung für das menschliche Leben als Trinkwasser, als Produktionsmittel in der Landwirtschaft und als industrieller Einsatzstoff, aber auch als wesentlicher Bestandteil der Umwelt nicht überschätzt werden kann. Der Glaube an die Möglichkeit, das Problem der Wasserknappheit ausschließlich mittels technischer Lösungen zu bewältigen, ist der nüchternen Einsicht in die Grenzen der finanziellen Machbarkeit und der ökologischen Verträglichkeit von wasserbaulichen Großprojekten gewichen. Zwischenstaatliches Konfliktpotential um die Nutzung grenzüberschreitender Wasserressourcen, wie es sich bereits heute in den Streitigkeiten um die Nutzung des Wassers des Jordanbeckens5 oder des GAP-Staudammprojektes der Türkei am Euphrat-Tigris6 abzeichnet, ist für die Zukunft vorprogrammiert. An sybillinischen Mahnungen fehlt es nicht. So sagte der Vizepräsident der Weltbank im Jahre 1995: "Bei vielen Kriegen in diesem Jahrhundert ging es um Öl, aber bei den Kriegen des kommenden Jahrhunderts wird es um Wasser gehen.,,7 König Hussein von Jordanien erklärte im Jahre 1990, Wasser sei das einzige Problem, welches ihn zum Krieg mit Israel veranlassen könnte. 8 Der Dringlichkeit der Probleme steht das zum Teil bereits sehr lange und intensive regionale Kooperationsverhältnis zwischen Anrainerstaaten gegenüber. Das Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung. Torka, Nicht-navigatorische Wassernutzungen: Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit. 3 Ule, Das Recht am Wasser. 4 Mühlhans, Internationales Wassernutzungsrecht und Spieltheorie. 5 Siehe Dombrowski, Wasserprobleme im lordanbecken. 6 Siehe Epiney, Nachbarrechtliche Pflichten, S. 1 ff. 7 Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07. 08. 1995, S. 11. 8 Siehe in der Washington Post vom 3. 3. 1991 den Artikel von loyce Starr, "Nature's own Agenda: A War for Water in the Middle East." 1

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Einleitung

internationale Wassernutzungsrecht ist eine Regelungsmaterie mit einer im Vergleich zu anderen Bereichen des modemen Umweltvölkerrechts - wie z. B. dem Klimaschutz oder dem Schutz der Biodiversität - langen Tradition. Wie die anfangs genannten Untersuchungen zeigen, fehlt es grundsätzlich nicht an bewährten Instrumenten und Mechanismen zur Verminderung des zwischenstaatlichen Konfliktpotentials um die Nutzung gemeinsamer Wasserressourcen. Es gilt jedoch, unter Rückgriff auf die Erfahrungen hochkooperativer Regionen, das Kooperationsniveau auch in anderen Regionen zu verbessern - eine Aufgabe, die die Völkerrechtswissenschaft durch die systematische Aufarbeitung und Analyse der bestehenden Regelungen unterstützen kann und die Reimann, Torka, Uie und Mühlhans mit ihren Arbeiten bereits begonnen haben. Die vorliegende Untersuchung will zu diesem Prozeß beitragen und ihn um eine weitere Perspektive ergänzen. Ausgangspunkt ist folgende - zunächst trivial - formulierte Überlegung. Ausgehend von dem Befund, daß das Problem der Wasserknappheit nur begrenzt durch die Erschließung bestehender und neuer Wasserressourcen auf technische Weise gelöst werden kann, bietet sich als Lösung nur an, die vorhandenen Wasserressourcen besser zu nutzen, als es bisher der Fall war. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch wird hierfür das schillernde Wort der Effizienz benutzt. Im derzeitigen politischen Diskurs wird der Begriff darüber hinaus in nahezu allen Sachgebieten als Lösung für bestehende Mißstände beschworen. Vor dem Hintergrund der Ablösung des Keynesianismus durch neoliberale Vorstellungen in der Wirtschaftspolitik, wird der Begriff der Effizienz in engem Zusammenhang mit der Privatisierung staatlicher Sektoren verwendet. Effizienz durch globale Arbeitsteilung wird auch als einer der maßgeblichen Rechtfertigungen des Globalisierungsprozesses angeführt. Aufgabe dieser Untersuchung kann es nicht sein, diese komplexen politischen Prozesse zu analysieren und sie einer umfassenden Bewertung zuzuführen, so interessant und bedeutsam diese Aufgabenstellung auch sein mag. 9 Geklärt werden soll vielmehr, inwiefern das geltende internationale Wassernutzungsrecht, das primär als Reaktion auf Souveränitätskonflikte zwischen Anrainerstaaten entstanden ist, den Gedanken der effizienten Wassernutzung bereits rezipiert hat. Dabei ist zu klären, was überhaupt unter "effizienter Wassernutzung" als unbestimmten Rechtsbegriff verstanden wird bzw. verstanden werden kann. Gerade wegen seines Gebrauchs als politisches Schlagwort erweist es sich als schwierig, den Begriff der Effizienz durch inhaltliche Konkretisierung rechtlich handhabbar zu machen. Die Untersuchung geht hierfür in folgenden Schritten vor: Das erste Kapitel dient der Untersuchung historischer Fallbeispiele. Die untersuchten Gesellschaften konnten bei der Verfolgung des Ziels, das vorhandene Wasser "bestmöglich" zu nutzen, im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten, nur begrenzt auf technische Lösungen zurückgreifen. Dies wirft die Frage auf, ob sich in

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Der interessierte Leser sei auf Yerginl Stanislaw verwiesen.

Einleitung

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ihren Regelungen Grundsätze einer effizienten Nutzung feststellen lassen. Das Kapitel dient daneben der Illustration der Wasserversorgung als Staatszweck, deren Bedeutung bei einer mehr als hinreichend gesicherten Bereitstellung oftmals in Vergessenheit gerät. Das zweite Kapitel dient der Bestandsaufnahme der universellen Regeln des internationalen Wassernutzungsrechts. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, ob ein Gebot der effizienten Wassernutzung bereits Bestandteil des geltenden universellen Völkerrechts ist. Das in Art. 5 der UN-Konvention zur nicht-schiffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe inkorporierte Gebot der optimalen Nutzung ("optimal use") stellt eine dahingehende Tendenz dar. Anhand dieser Norm kann auch festgestellt werden, auf welchem Stand sich die inhaltliche Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Effizienz (= optimal) derzeit befindet. Des weiteren ist im zweiten Kapitel das Verhältnis des Gebots der optimalen Nutzung zu den übrigen Normen des internationalen Wassernutzungsrechts zu klären. Schließlich dient das zweite Kapitel einer umfassenden Analyse der UNKonvention zur nicht-schiffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe. Hiermit soll zur allgemeinen Diskussion des internationalen Wassernutzungsrechts beigetragen werden. Das dritte Kapitel dient der Analyse der nicht-verbindlichen Deklarationen zur internationalen Wasserpolitik. Der Effizienzgedanke spielt in diesen Deklarationen, wie sich zeigen wird, eine wesentlich zentralere Rolle als im geltenden internationalen Wassernutzungsrecht. Die Frage ist, ob sich aufgrund dieser Deklarationen eine Möglichkeit ergibt, das Konzept der Effizienz im internationalen Wassernutzungsrecht weiter zu konkretisieren. Auch die Untersuchung der Deklarationen zur internationalen Wasserpolitik ist umfassender angelegt, als es allein für den Hauptzweck erforderlich gewesen wäre. Da es aber bislang an einer umfassenden und systematischen Aufbereitung dieser nicht-verbindlichen Erklärungen fehlt, wurde diese Bestandsaufnahme in der vorgenommenen Weise durchgeführt.

Im abschließenden vierten Kapitel soll der Effizienzbegriff in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Bedeutung dargestellt werden, da er originär dieser Disziplin zuzuordnen ist. Möglichkeiten und Grenzen der Übernahme des ökonomischen Effizienzbegriffs zur Konkretisierung des völkerrechtlichen Gebots der optimalen Nutzung sollen untersucht werden. Dabei wird auch dargestellt werden, welche Vorstellungen in der Mikroökonomik zur Operationalisierung effizienter Mechanismen vorherrschen. Ohne die Ergebnisse im einzelnen vorwegzunehmen, sei bereits an dieser Stelle auf zwei mögliche Bedeutungsgehalte des Begriffs der Effizienz hingewiesen, um das Verständnis der vorangehenden Kapitel zu erleichtern. Effizienz kann zum einen bedeuten, daß ein vorher festgelegtes Ziel mit einem möglichst geringen Mitteleinsatz erreicht wird. So kann das Ziel lauten, die lebensnotwendige Trinkwasserversorgung einer Bevölkerung mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz zu erzielen. Hierbei kann der geringstmögliche Wasserverbrauch - ungeachtet des übri-

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Einleitung

gen Mitteleinsatzes - verlangt sein oder aber allgemeiner, der geringstmögliche Kostenaufwand. Allein hieran zeigt sich bereits, daß je nach Wahl des Zieles und der in die Würdigung einzubeziehenden Mittel völlig unterschiedliche Bedeutungsgehalte entstehen. Die Optimierung des Mitteleinsatzes zur Erreichung eines apriori festgelegten Zieles wird im folgenden auch als Effektivität oder Wirtschaftlichkeit bezeichnet. Effizienz kann aber auch bedeuten, daß mit gegebenen Mitteln der effizienteste Zustand erzielt werden soll. Dieser Zustand ist nach der ökonomischen Vorstellung dann erreicht, wenn die optimale, also nicht mehr zu steigernde, gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt erreicht wird. Wie der Begriff der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt konkretisiert wird, soll an dieser Stelle noch nicht geklärt werden. Es bleibt vorerst lediglich festzuhalten, daß Effizienz in diesem Sinne nicht den Mitteleinsatz betrifft, sondern selbst zum Zweck bzw. Ziel wird. Bereits diese kursorischen Überlegungen zeigen, daß über den allgemeinen, diffusen Gebrauch des Begriffs der Effizienz in der Alltagssprache und im politischen Diskurs hinaus, eine inhaltliche Konkretisierung erfolgen muß, um den Begriff rechtlich nutzbar zu machen.

Kapitell

Historische Verteilungs regelungen Verteilungskonflikte um Wasser sind keine modeme Erscheinung. Roman Her-

zog kommt sogar zu dem Befund, daß die Notwendigkeit, Wasserressourcen zu

sichern und deren Verteilung zu regulieren, einer der Gründe für das Entstehen des Staatswesens gewesen sei:

"Nun kann man die Erkenntnis, daß selbst die ältesten staatsähnlichen Gebilde schon der Verteidigung gedient haben, nicht gerade als Überraschung bezeichnen. Davon sind Historiker und Staats wissenschaftler ausgegangen, als sie sich zum ersten Mal mit der Frage der Staatszwecke auseinandergesetzt haben. Wenn es hier eine Überraschung gibt, dann ist es die Deutlichkeit, mit der sich der Kampf ums Wasser als gleichrangiger (und übrigens auch gleich alter) Staatszweck herauskristallisiert hat. ,,\

Friedrich Berber kommt zu derselben Einschätzung der Bedeutung des Wasserrechts für die Entstehung von Staat und Zivilisation: "Das Wasserrecht ist seit den Urzeiten staatlichen Seins Gegenstand staatlicher Vorsorge gewesen. Ja, nach den neuesten Forschungen liegt es durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß das Wasserrecht die Keimzelle staatlicher Organisation, wie sie uns seit 6000 Jahren bekannt ist, gewesen ist. Denn als die Bewohner der afrikanisch-asiatischen Grasländer wegen der durch den Klimawechsel in ihren bisherigen Wohngebieten eingetretenen Dürre und Wassernot in die Flußtäler des Nil, des Euphrat, des Indus und des Hoangho auswichen und dort die ersten geschichtlichen Kulturen begründeten, da bedurfte die Landnahme nur eines einmaligen Zuteilungsaktes, der noch keine dauernde staatliche Organisation nötig machte. Anders aber die Wassersituation. Sollten die Felder nicht bald von den periodisch einsetzenden Überschwemmungen, bald in der wasserarmen Zeit von der Dürre vernichtet werden, sollten nicht dauernde Streitigkeiten zwischen oberen und unteren Flußanliegern über die Wegnahme von Wasser den Frieden der Gemeinschaft stören, sollte nicht nur das unmittelbar an den Fluß grenzende Land bewässert werden, sondern auch entfernter liegende Grundstücke, was die Anlage von Bewässerungskanälen erforderte: so war all dies nur möglich, wenn eine leitende Gruppe planender, entscheidender, durchführender homines fabri für die Gemeinschaft Dämme zum Schutz vor Überschwemmungen anlegte, Kanäle zur Berieselung der Felder baute, Verteilung des Wassers und Rotierungssystem regelte und erzwang, das periodische An- und Abschwellen des Stromes vorausberechnete und in die eigenen Maßnahmen einkalkulierte. All das war aber nur möglich mit einern permanenten Stab von Ingenieuren, Schreibern, Astronomen, Mathematikern sowie im Rahmen einer festen Ordnung, die nichts anderes sein konnte als die Keimzelle der staatlichen Organisation. ,,2 I

Herzog, S. 175.

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Kap. I: Historische Verteilungsregelungen

Ein Rückblick auf die frühen Hochkulturen soll dazu dienen, diese Einschätzung und die grundlegende Funktion des Wassers für den einzelnen und die Gesellschaft zu illustrieren. Zwei historische Beispiele, das Subak-System auf Bali und das islamische Recht der Wasserverteilung, schließen sich daran an. Beide Systeme der Wasserverteilung und -nutzung zeichnen sich dadurch aus, daß sie über Jahrhunderte hinweg eine funktionierende und effiziente Wasserversorgung sicherstellen konnten, im Fall des islamischen Rechts sogar unter Bedingungen großer Wasserknappheit.

A. Die frühen Hochkulturen am Euphrat/Tigris und am Indus " ... the State was in the water and came forth out of it, no less than the earth itself according to the cosmology ofthe people.,,3 Rudolf von Jhering

Die Berücksichtigung verschiedener Nutzungsanforderungen bei der Durchführung ein und derselben wasserbaulichen Maßnahme in den frühen Hochkulturen, wie z. B. der Bewässerung, der Flutkontrolle und der Navigation, ist bis in die jüngere Vergangenheit unerreicht gewesen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann verschiedene Nutzungsformen eigenständig ausgebaut ohne Rücksicht auf mögliche Konflikte mit anderen Nutzungen. 4 Archäologische Funde und schriftliche Überlieferungen belegen das im Vergleich dazu beeindruckende Verständnis der frühen Hochkulturen über den Wasserbau, das ohne ein entsprechend hochentwickeltes Administrationswesen nicht denkbar gewesen wäre. Archäologische Funde von wasserbaulichen Maßnahmen, wie dem Nahrwan Kanal mit 400 Fuß Breite (ca. 132m) und 200 Meilen (ca. 320 km) Länge, lassen darauf schließen, daß es bereits spezialisierte Wasserbauingenieure und Verwaltungsstrukturen in Mesopotamien gegeben hat. 5 Aufgrund der fragmentarischen Quellenlage ist eine umfassende Darstellung nicht möglich; zumindest soll aber ein illustratives Bild der damaligen Leistungen gezeichnet werden, da es den grundlegenden Zusammenhang von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung und der Kunst des Wasserbaus eindrucksvoll belegt.

Berber, S. 3. v. Jhering, The Evolution of the Aryan, englische Übersetzung durch A. Drucker, 1897, London, Swan Sonnenschein and Co. Ltd., zitiert in: Caponera, Principles S. 17. 4 Tec/aff, Historical Perspective, S. 78; zur Entwicklung der Wasserwirtschaft im 18. und 19. Jahrhundert in Europa als Antwort auf Hochwassergefahren und des hygienischen Problems der Abwassereinleitungen siehe Schua, S. 129 ff. S Caponera, Principles, S. 16. 2

3

A. Die frühen Hochkulturen am Euphrat / Tigris und am Indus

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Der Prolog des Hammurabi-Kodex 6 enthält 26 Gründe für die Lobpreisung des Königs. Allein 14 davon beziehen sich auf seine Funktion als Spender des Wassers.? Wahrend in Babyion das Privateigentum an Land bereits vollständig anerkannt wurde,8 war die Idee des Privateigentums an Gewässern gänzlich unbekannt. 9 Besondere Verpflichtungen traf die Eigentümer, deren Grundstück an ein Gewässer grenzten, etwa die Pflicht zur Reparatur und Instandhaltung von Kanälen, Brücken, Kaimauem und dergleichen. lO Der Hammurabi-Kodex enthält darüber hinaus strafrechtliche Vorschriften für die Verletzung dieser Pflichten. Beispielsweise sollte derjenige, der zu faul war, seinen Damm ordnungsgemäß zu warten, im Fall eines Dammbruchs und der Überflutung der Felder, verkauft werden, um aus dem Erlös die Geschädigten zu kompensieren.'! Beruhte der Dammbruch nicht auf Faulheit, so hatte der Grundstückseigentümer den Schaden notfalls durch den Verkauf seines Hab und Guts zu ersetzen. 12 Ebenso mußte derjenige, der fahrlässig bei der Öffnung seines Grabens das Feld seines Nachbams überflutete, diesem den Schaden ersetzen. 13 Beruhte die Überflutung der Nachbarfelder nicht auf Fahrlässigkeit, so war ein fixer Preis von 10 gur je zehn gar Land zu ersetzen. Der Kodex endet mit Verwünschung derjenigen, die die Gesetze brechen. Unter anderem heißt es: "Möge Ea [ ... ], seine Flüsse an ihren Quellen verschließen und dafür sorgen, daß kein Kom oder Unterhalt für Menschen auf seinem Land wachse, [ ... ] möge Adad, der Herrscher der Fruchtbarkeit, der Herrscher über Himmel und Erde,[ ... ] ihm den Regen aus dem Himmel und die Flut des Wassers aus den Quellen versagen und so sein Land mit Hungersnot schlagen.,,14 Ein ähnlich gut erhaltener Kodex ist der Manu-Kodex (Manava-Dharma-Shastra). Er enthält die überlieferten und ihrem Ursprung nach als Ausdruck des göttlichen Willens oder als Ausdruck des Prinzips der universellen Ordnung angesehenen Regeln des Hinduismus. Der Kodex beinhaltet die unterschiedlichsten Bestimmungen bezüglich Wasser. So trifft den König eine besondere Verpflichtung, WaHarnrnurabi (1795 -1750 v. Chr.), Herrscher von Babyion. Caponera. Principles S. 15. Der Hammurabi-Kodex in seiner englischen Übersetzung von L. W King findet sich auf den Internetseiten des Avalon-Projekts der Yale Law School unter: . 8 lohns. Babylonian Law - The Code of Harnrnurabi . 9 Caponera. Principles S. 17. 10 lohns. Babylonian Law - The Code of Harnrnurabi . 11 Siehe Nr. 53 in der englischen Übersetzung von L. W King: . 12 Vgl. Nr. 54, . 13 Nr. 55, . 14 Englische Übersetzung von L. W King: (Übersetzung d. Verf.). 6

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Kap. 1: Historische Verteilungsregelungen

chen und Spione an Gewässern und in Häusern, in denen Wasser verteilt wird, zu organisieren. 15 Mit dem Tod durch Ertränken oder Enthaupten wurde bestraft, wer den Damm eines Reservoirs beschädigte und dadurch den Verlust von Wasser verursachte. 16 Derjenige, der einen öffentlichen Brunnen beschädigte, mußte eine Strafe in Höhe eines Gold-Masha entrichten. 17

B. Die antike Wasserkultur Ceylons Eine Beschreibung der auf Sri Lanka (Ceylon) beheimateten antiken Wasserkultur hat Weeramantry in seinem Sondervotum zum Gabcikovo-Nagymaros-Fall vor dem Internationalen Gerichtshof als Beispiel für eine Gesellschaft angeführt, in der die heute als oftmals unvereinbar geltenden Ziele der Entwicklung und des Umweltschutzes gemeinsam verwirklicht wurden. 18 Gebirgsflüsse wurden in große Auffangreservoirs geleitet, die zum Teil ein Ausmaß von 4000 acres (ca. 16 km2) hatten und wiederum in andere Auffangvorrichtungen mündeten. Diese speisten dann hunderte von kleinen Tanks,19 die den Nukleus eines Dorfes bildeten. 2o Einige der Vorrichtungen sind heute noch in Gebrauch, so die Tanks von Tissawewa (3.Jh. v. Chr.), Nuwarawewa (3. Jh. v. Chr.), Minneriya (275 n. Chr.), Kalawewa21 (5. Jh. n. Chr.) und Parakrama Samudra22 (11. Jh. n. Chr.). Jedem größeren Auffangbecken waren "Erosionsbecken" vorgelagert, um den mitbeförderten Schlamm aufzufangen. 23 Als eine umweltschutzorientierte Maßnahme sind die sog. "forest tanks" anzusehen, welche oberhalb der Dörfer in den Wäldern errichtet wurden. Sie dienten keinen Bewässerungszwecken, sondern als Wasserstellen für wildlebende Tiere. 15 Caponera, Principles S. 19 mit Verweis auf Kapitel IX, Teil 264 - 266 des Manu Kodex, abgedruckt in: Müller; S. lO3 (379). 16 Kapitel IX, Teil 279 des Manu-Kodex. 17 Kapitel VIII, Teil 309 des Manu-Kodex. 18 lCl, Case Conceming the Gabcikovo-Nagymaros Project (Hungary / Siovakia), Dissenting Opinion Weeramantry, S. 8 ff., . 19 Die Einwohner bezeichnen die Vorrichtungen selber als "tank", nach dem portugiesischen Wort "tanque" für Reservoir. 20 Weeramantry, Fn. 18, mit Verweis auf: Amold Toynbee, S. 257 und die technischen Beschreibungen der Anlagen durch loseph Needham, S. 368 ff. 21 Das Kalawewa-Reservoir ist z. B. von einem 3,25 Meilen (ca. 5,2 km) langen Damm umschlossen, der eine Höhe von bis zu 40 Fuß (ca. 13 m) aufweist und die Stadt Anuradhapura über einen 50 Meilen (ca. 80 km) langen Kanal mit Wasser versorgt; Weeramantry, Fn.18. 22 Der See von Parakrama wird sogar von einem 9 Meilen (ca. 14,4 km) langen Damm umfaßt, hat ebenfalls eine Höhe von 40 Fuß (ca. 13m) und umschließt eine Wasserfläche von 6000 acre (ca. 24 km2 ); Weeramantry, a. a. O. (Fn. 18), mit Verweis auf Brohier; Ancient Irrigation, S. 9. 23 Weeramantry, Fn. 18, mit Verweis auf Goldsmith / Hildyard, S. 291 bis 304.

c. Das Subak-System auf Bali

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Der Historiker Sir James Emerson Tennent berichtet über zahlreiche unterirdische Kanäle, die unter dem Bett eines jeden Sees gebaut wurden, um den Fluss des Wassers gleichmäßig zu halten, solange wie in den Reservoirs Wasser vorhanden war?4 König Parakrama Bahu (1153 -1186 n.Chr.), der 163 Reservoirs, 2376 kleine Tanks, 3910 Kanäle und 165 Dämme errichten oder restaurieren ließ, bestimmte, daß "nicht einmal die kleinste Menge Wasser, das als Regen fällt, in den Ozean gelangen soll, ohne für den Menschen nutzbar gemacht worden zu sein".25 Trotz der Größe der unternommenen wasserbaulichen Maßnahmen wurden umweltschützende Belange integriert, wie die Tränken für wildlebende Tiere und die Vorrichtungen zum Schutz vor Sedimentablagerungen belegen. In den antiken Chroniken von Sri Lanka, den sogenannten Mahavamsa, ist eine Predigt des Mahinda, Sohn des Kaisers Asoka von Indien, an den König Devanampiya (247 - 207 v. Chr.) verzeichnet, die den König zum Bhuddismus bekehrt haben soll: "Oh, großer König, die Vögel der Luft und die Bestien haben als Gleichberechtigte ein Recht auf Leben und das Recht sich frei in jedem Teil des Landes zu bewegen wie Ihr. Das Land gehört den Menschen und allen Lebewesen; Ihr seid nur der Vormund. ,,26 Diese Einstellung für umweltschützende Belange spiegelte sich in königlichen Erlässen wider, die z. B. bestimmten, daß gewisse Primärwälder unter keinen Umständen gefällt werden dürften. Diese Maßnahme beruhte auch auf dem bereits vorhandenen Wissen, daß eine hinreichende Waldbedeckung der Berge für das Funktionieren des Bewässerungssystems notwendig war, da die Bergwälder den Monsunregen aufhielten und speicherten. 27

c. Das Subak-System auf BaH Das Subak-System, das seinen Ursprung in der hinduistischen Religion hat, hat trotz der Rezipierung des Islam in weiten Teilen Indonesiens im 14. Jahrhundert und der folgenden Kolonialisierung durch Portugiesen, Niederländer und Briten ab dem 17. Jahrhundert auf Bali bis in die heutige Zeit überlebt. Als Subak wird die Gemeinschaft einer Anzahl von Reisbauern bezeichnet, die in gegenseitiger Selbsthilfe ein System von Dämmen und Kanälen errichtet haben, um Wasser aus einem Oberflächengewässer auf die Felder zu leiten. Ein Subak umfaßt gewöhnlich ein ca. 100 Hektar großes Gebiet. Größere Subak sind in kleinere Einheiten, die sog. Tempekan unterteilt. Eine Besonderheit des Subak-Systems ist, daß seine MitglieWeeramantry, Fn. 18, mit Verweis auf Goldsmithl Hildyard, S. 291 und 296. Zitiert in: Weeramantry, Fn. 18. 26 Weeramantry, Fn. 18, m. w. N. 27 Weeramantry, Fn. 18 mit Verweis auf Goldsmithl Hildyard, S. 299 und Brohier, Interrelation, S. 65. 24

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Kap. I: Historische Verteilungsregelungen

der aus unterschiedlichen Dörfern stammen können und die Bewirtschaftung des Subak unabhängig von der jeweiligen Dorfverwaltung ("desa") erfolgt. Dies ist um so bemerkenswerter, als das Subak auch für die Versorgung der Dörfer mit Wasser, das für andere Zwecke als der Bewässerung der Felder vorgesehen ist, verantwortlich ist. Zwar kann das Trinkwasser gewöhnlich durch Dortbrunnen sichergestellt werden, aber für die Entsorgung des Abwassers sind die Dörfer auf das durch das Subak zur Verfügung gestellte Wasser angewiesen. Aufgrund der sakralen Bedeutung des Wassers im Hinduismus und seiner Verwendung für rituelle Zwecke existiert ein absolutes Verbot, Oberflächengewässer für menschliche oder häusliche Abfallentsorgung zu nutzen. Haushalte verfügen deshalb über Abwassergruben, die nicht in der Nähe von Ober- oder Grundgewässern errichtet werden dürfen. Das Abwasser wird durch die Bereitstellung von Wasser durch den Subak zweimal wöchentlich durch eigens dafür vorgesehene Kanäle im Dorf abgeleitet. Die interne Organisation des Subak wird durch Gewohnheitsrecht, das sog. awig-awig, geregelt, das sich von Subak zu Subak, insbesondere in finanziellen Angelegenheiten, unterscheiden kann. Die Grundprinzipien sind indes dieselben und wurden in den Jahren 1939/1940 durch den Radscha von Bali in seiner Eigenschaft als Provinzgouverneur der niederländischen Verwaltung kodifiziert. Zweck der gewohnheitsrechtlichen Regeln ist es, die faire Nutzungsaufteilung des Wassers unter den Bauern sicherzustellen. Als relevante Faktoren und Umstände für die Aufteilung werden dabei unter anderem berücksichtigt: die Frage, welche Feldfrüchte gepflanzt werden sollen, die Bodenbeschaffenheit, die zwei Monsunperioden, die Lage des individuellen Feldes und die Bedürfnisse der abhängigen Dörfer. Die Verwendung des Wassers wird von allen Mitgliedern eines Subak in einer Versammlung beschlossen, die einmal im Monat stattfindet. Die Versammlung besitzt die souveräne Kompetenz, über alle Fragen der Wasserverteilung, -bewirtschaftung und angrenzende Fragen zu entscheiden. Die Versammlung bestimmt über den Inhalt des geltenden Gewohnheitsrechts ("awig-awig"), so über die Verpflichtung der Bauern, Reis anzubauen, den Zeitpunkt des Anbaus der zweiten und dritten Ernte, die Durchführung wasserbaulicher Maßnahmen und ihrer Wartung, die Schlichtung von Streitigkeiten, die Strafen und den Zeitpunkt für die Durchführung ritueller Zeremonien. Das Fehlverhalten eines Mitglieds wird nicht als strafrechtliches Vergehen, sondern als "Unordnung" angesehen ("adharma"), deren Folgen von der ganzen Gemeinschaft zu korrigieren sind. Als äußerste Sanktion kann ein Mitglied jedoch aus dem Subak ausgeschlossen werden. Der Vollzug der Entscheidungen der Versammlung obliegt einem aus der Mitte der Mitglieder gewählten Vorstand ("kelian subak"), seinen Vertretern ("ke1ian tempek"), seinen Assistenten ("kesinoman"), denen die Kontrolle der Zuleitungen zu den Feldern obliegt und den Boten ("saya"), die den einzelnen Bauern davon in Kenntnis setzen, daß nun sein Feld bewässert werden soll.

D. Die islamische Tradition

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Aufgrund der religiösen Bedeutung des Wassers im Hinduismus liegt Wasser außerhalb der Definition "Sache" (res). Es kann deshalb kein Gegenstand einer Aneignung sein, was sich auch im traditionellen indonesischen Recht ("adat") niedergeschlagen hat. Dieses kennt eine Reihe von Rechten zur Nutzung von Wasser, sei es eigenständig oder aber in Verbindung mit Land, aber kein Eigentum am Wasser. Das am weitesten ausgestaltete Recht des hak guna air weist jedoch alle Charakteristika eines Eigentumsrechts auf, wird jedoch nicht als solches angesehen, sondern nur als Besitz- und Nutzungsrecht. Das Eigentumsrecht am Wasser das praktisch von der Gemeinschaft ausgeübt wird - wurde durch die Niederländer formal in Indonesien nach niederländischem Rechtsvorbild eingeführt, wonach Oberflächengewässer als öffentliches Eigentum und Grundwasser als privates Eigentum qualifiziert wurden. Durch Art. 33 Abs. 3 der indonesischen Verfassung wurde bestimmt, daß alles Wasser und alle darin enthaltenen natürlichen Reichtümer durch den Staat kontrolliert werden und zum größten Wohl des Volkes genutzt werden sollen: Art. 33 (3). The land, water and natural riches therein shall be controlled by the State and shall be exploited for the greatest welfare of the people. 28

Art. 2 des "Agrarian Law" von 1960 konkretisierte die Verfassungsbestimmung, indem es den Staat ermächtigt, alle Angelegenheiten betreffs des Besitzes und der Nutzung von Land, Wasser, des Luftraumes und anderer natürlicher Ressourcen zu regeln, in seiner Eigenschaft als Repräsentant des indonesischen Volkes, dem diese Ressourcen von Gott anvertraut wurden. Im Jahre 1972 wurde die Provincial Water Regulation erlassen, um das SubakSystem mit den bestehenden rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen zu harmonisieren. Zu diesem Zweck wurde das Subak-System in die kommunale Verwaltungsebene ("kabupaten") integriert. Die Verwaltung kontrolliert nunmehr die Zuflüsse der Hauptflüsse und die wichtigen Teile des Bewässerungsnetzwerkes, die vormals durch die Subak errichtet und unterhalten wurden. Die Entscheidungskompetenz wurde zum größten Teil von den Subak- Versammlungen auf die Regency Irrigation Commission übertragen. Den Kelian Subak verbleibt - unter der Aufsicht der Subak-Versammlungen - die Kompetenz für die Wasserverwaltung ab 50 Meter von der Mündung eines tertiären Kanals von einem sekundären Kanal, wobei einem Kelian Subak unter besonderen Umständen die Verantwortung bis hinauf zum primären Kanal übertragen werden kann.

D. Die islamische Tradition Die islamische Tradition der Wasserverteilung ist untrennbar an die Lebensbedingungen der ariden arabischen Halbinsel, dem Entstehungsort des Islam, ge28

Die englische Übersetzung ist abgedruckt in: Blausteinl Flanz (Hrsg.), 98 - 4.

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Kap. 1: Historische Verteilungsregelungen

knüpft. Wasserknappheit und damit der möglichst sparsame Gebrauch von Wasserressourcen sowie die Deckung des menschlichen Grundbedarfs, haben die islamische Tradition maßgeblich geprägt. Die Vermeidung von Wasserverschwendung und die gerechte Verteilung des Wassers, im Sinne der Deckung des existentiellen Grundbedarfs, gewinnen höchste Priorität. Nicht verwunderlich ist daher, daß das Gewohnheitsrecht in ariden Zonen den Hauptwert einer Immobilie in den darauf belegenen Wasservorkommen sieht. Je knapper das Wasser wird, desto mehr wird Land als ein akzessorisches Beiwerk angesehen, was im Gegensatz zur Bewertung von Land in europäischen Staaten steht. 29 Diese Entwicklung wurde gleichzeitig durch den Umstand begünstigt, daß die frühe arabische Bevölkerung aus nomadischen Beduinen bestand, die keinen Landbau betrieben. Obwohl die Nomadenstämme durch einen "brüderlichen Pakt", der die Entnahme und Nutzung von Wasser durch die Nomaden betraf, mit den seßhaften Stämmen verbunden waren, kam es oft zu Konflikten. War die seßhafte Bevölkerung stark genug, so respektierten die Nomaden deren Gewohnheiten der Wasserverteilung und "nutzung. Waren sie es nicht, kam es regelmäßig zu Streitigkeiten. Vor dem Erscheinen des Propheten Mohammed in der Zeit der Ignoranz ("djhilyya") gab es damit keine etablierten Regeln der Wasserverteilung und -nutzung. 30 Die Verbreitung des Islam beendete diese Konflikte. Das islamische Wasserrecht entwickelte sich als ein integraler Bestandteil des gesamten islamischen politischen und sozialen Systems und ist zutiefst religiös verwurzelt. Die Grundprinzipien des islamischen Wasserrechts sind darauf ausgerichtet sicherzustellen, daß allen Mitgliedern der moslemischen Gemeinschaft Wasser zur Verfügung steht. Dieses Leitziel ist der historische Grund dafür, daß in vielen moslemischen Staaten Wasser der Gemeinschaft zugeschrieben, d. h. als öffentliches Gut betrachtet wird, insbesondere in den Staaten, deren Verfassungen die Grundsätze des Islam anerkennen, so in Afghanistan, Bangladesch, Indonesien, Iran, Malaysien, Pakistan, Saudi Arabien, Kuweit, Katar und anderen Staaten?) Nach den Vorschriften Mohammeds hat das Geschenk des Wassers eine religiöse Verpflichtung zur Folge, die sich aus der Natur des Wassers ergibt, aus dem alles Lebendige gemacht wurde. 32 Danach ist der freie Zugang zu Wasser das Recht der moslemischen Gemeinschaft. Hiermit sollte die Aneignung und die Hortung des Wassers durch einzelne Personen verhindert werden, deren unweigerliche Folge Wasserknappheit und der Ruin aller gewesen wäre. 33 Zwar bestehen innerhalb des Islam unterschiedliche Glaubensströmungen und Schulen mit den damit einherFAO, Moslem Countries, S. 28. Caponera, Principles S. 69. 31 Caponera, Principles S. 68. 32 Kapitel XXI, 30. Sure des Koran: "Und wir machten aus Wasser alles Lebendige." (dt. Übersetzung zu finden unter: . 33 FAO, Moslem Countries, S. 12. 29

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D. Die islamische Tradition

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gehenden Streitigkeiten über die geltenden Rechtssätze, 34 von allen wird indes ein Kernbestandteil an Regeln als direkte Entscheidung des Propheten anerkannt: Bekannt ist zunächst die Einrichtung sog. waqf. Hierbei handelt es sich um die Bestellung eines Nießbrauchs an einem Brunnen oder einer sonstigen Wasserquelle zugunsten der gesamten moslemischen Gemeinschaft. Der Brunnen wird religiösen Zwecken und der öffentlichen Daseinsvorsorge gewidmet. Des weiteren sollen höherliegende Felder vor den unteren Feldern bewässert werden. Um das Horten von Wasser zu verhindern, bestimmte der Prophet, daß Wasser niemals höher als bis zum Fußknöchel reichend gespeichert werden solle. Der Prophet anerkannte des weiteren eine Schutzzone (" harim ") um jeglichen Kanal, Brunnen oder eine sonstige Wasserquelle, innerhalb derer zum Schutz der bestehenden Einrichtungen kein neuer Brunnen gegraben werden durfte?5 Neben diesen einheitlichen Überlieferungen bestehen noch weitere zwischen den unterschiedlichen Strömungen des Islam streitige Überlieferungen (" ahadith "). So wird zum Teil überliefert, daß der Prophet den Verkauf von Wasser verboten habe, um die Aneignung von Wasser zu verhindern. Des weiteren sei es nach dem Propheten ein Verbrechen, wenn der Eigentümer einer Wasserquelle einem Verdurstenden den Zugang zum Wasser verweigere. Aus den Überlieferungen entwickelten sich im traditionellen islamischen Recht zwei Arten des Rechts am Wasser. Das Recht des Durstes ("chafa") bezeichnet das Recht, Wasser zu nehmen, um seinen Durst zu stillen beziehungsweise sein Vieh zu versorgen. Daneben existiert ein Recht zur Bewässerung ("chirb"). Hierbei ergeben sich unterschiedliche Anwendungsbereiche und Ausgestaltungen der beiden Rechte innerhalb der unterschiedlichen Glaubensströmungen und ihren Rechtsschulen. I. Das Recht des Durstes

Das Recht des Durstes besteht nach der sunnitischen Strömung uneingeschränkt sowohl an großen Gewässern, die als res nullius betrachtet werden, als auch an Gewässern, die einer Gemeinschaft gehören, wie etwa einem gemeinschaftlich errichteten Kanal. Differenzierte Ansichten bestehen innerhalb der sunnitischen Doktrin bezüglich der Anwendbarkeit des Recht des Durstes auf Wasser, das sich ein einzelner angeeignet hat. Die Schule der Hanifiten erachtet das Recht des Durstes unter dem Vorbehalt für anwendbar, daß eine Notwendigkeit zur Wasseraufnahme besteht. Die Malikiten erkennen das Recht des Durstes unter dem Vorbehalt an, daß die Person - sofern sie in der Lage dazu ist - eine Kompensation für das Wasser zahlt. Die Shafiiten 34 Zu den verschiedenen Strömungen und Schulen, siehe FAD, Water Laws in Moslem Countries, Rom, 1973, S. I ff. 35 FAD, Moslem Countries, S. 12 m. w. N.

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Kap. 1: Historische Verteilungsregelungen

und Hanbaliten erkennen ein Recht des Durstes ohne Vorbehalte an. 36 Von den bisher aufgezählten Wasserquellen sind Brunnen oder Wasserlöcher zu unterscheiden, die zum Zwecke der öffentlichen Wohlfahrt gegraben wurden und solche, die von Nomaden erstellt wurden. Für die erstgenannten gilt der freie Zugang für jedermann, wobei in Zeiten der Knappheit das Vieh erst zur Tränke geführt werden durfte, wenn alle Menschen ihren Anteil bekommen hatten. Bei den letztgenannten Brunnen und Wasserlöchern hatten die Nomaden als Erschließer des Wassers bis zu ihrem Wegzug das exklusive Recht an dem Brunnen bzw. der Wasserstelle. Sie durften jedoch einem Durstenden den Zugang nicht verweigern, wenn ihre Bedürfnisse bereits befriedigt waren. Wenn die Nomaden weiterzogen, wurde der Brunnen zum öffentlichen Gut, das jeder nutzen durfte. Für öffentliche Brunnen und Wasserlöcher galten folgende Nutzungsprioritäten: 37 1. die Person, die durch den Mangel an Wasser am meisten leidet; 2. die Person, die den Brunnen oder das Wasserloch ausgehoben hat; 3. die Reisenden, die im übrigen auch berechtigt waren, den Ausgräber des Wassers um Seile, Eimer und dergleichen zu bitten, um das Wasser zu schöpfen; 4. die lokalen Einwohner; 5. das Vieh des Gräbers; 6. das Vieh des Reisenden; 7. das Vieh der lokalen Einwohner. Die schiitische Doktrin erstreckt das Recht des Durstes im Gegensatz zur sunnitischen Doktrin nur auf öffentliche Gewässer, nicht jedoch auf Gewässer und Wasser im Privateigentum. Die dritte und kleinste Strömung des Islam neben der sunnitischen und schiitischen ist die der Ibaditen. Sie folgen grundsätzlich der Ansicht der Sunniten, was den Anwendungsbereich des Recht des Durstes angeht, allerdings mit der Einschränkung, daß das Recht sich nicht auf Wasser erstreckt, das sich bereits in einer Ziegenhaut, einem Becher oder einem anderen vergleichbaren Behältnis befindet. 38 11. Das Recht zur Bewässerung

Auch das Recht zur Bewässerung (" chirb ") hat sich innerhalb der verschiedenen Strömungen und Schulen unterschiedlich ausgestaltet. Die sunnitische Doktrin unterscheidet wie beim Recht des Durstes zwischen großen Gewässern, an denen 36 37

38

FAO, Moslem Countries, S. 14 f. m. w. N. FAO, Moslem Countries, S. 15. FAO, Moslem Countries, S. 14 f. m. w. N.

D. Die islamische Tradition

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als res nullius keine individuellen Rechte bestehen können und dem Wasser, das individuell zugeordnet ist. Zu der ersten Kategorie gehört das in Seen und Flüssen gespeicherte Wasser sowie das Regenwasser, das auf herrenloses Land fällt. Zur zweiten Kategorie gehört das Wasser in kleinen Flüssen, Bewässerungskanälen und Brunnen sowie das Wasser aus Quellen und das Regenwasser, das auf ein kultiviertes Grundstück niedergeht. 39 Das Recht zur Bewässerung ist für die unterschiedlichen der Gemeinschaft zugeordneten Gewässer differenziert ausgestaltet. Ein See kann ohne Beschränkungen zu Bewässerungszwecken genutzt werden. Flüsse dürfen hingegen nur genutzt werden, wenn dadurch der Gemeinschaft keine Beeinträchtigung entsteht. Der Niederschlag, der im Niemandsland fallt, darf grundsätzlich von jedem genutzt werden, jedoch genießt der Eigentümer des nächstgelegenen kultivierten Grundstücks Priorität. Befinden sich mehrere kultivierte Grundstücke in der Nähe, so besteht unter den Eigentümern grundsätzlich keine Rangfolge im Nutzungszugriff, mit der Ausnahme, daß der Eigentümer, dessen Anbau am meisten der Bewässerung bedarf, seine Bedürfnisse zuerst befriedigen darf. 4o Das Recht zur Bewässerung ist auch bei den Gewässern, die im privaten Eigentum stehen, anknüpfend an deren unterschiedliche Charakteristika nach sunnitischer Rechtsansicht differenziert ausgestaltet. Für kleinere Flüsse, d. h. solche, die aufgestaut werden müssen, um sie für Bewässerungszwecke nutzen zu können, gilt, daß die oberen Grundstücke vor den unteren Grundstücken bewässert werden müssen, wobei das aufgestaute Wasser nicht über den Fußknöchel reichen darf. Wahrend die Schule der Shafiiten den allgemeinen Standpunkt vertritt, daß der Oberanrainer nur zur Weiterleitung des überschüssigen Wassers verpflichtet sei, bestimmt die Schule der Malikiten konkreter, daß der Oberanrainer das überschüssige Wasser den Unteranrainern erst dann zukommen lassen müsse, nachdem er seine Felder bewässert hat. Für mögliche Flutschäden haftet der Oberanrainer nicht, es sei denn sie wurden grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt. 41 Bewässerungskanäle stehen im Gesamthandseigentum der Erbauer. Die Entscheidung über die Nutzung eines Kanals erfolgt somit durch eine einvernehmliche Vereinbarung aller Berechtigten, die sehr unterschiedlich und individuell ausgestaltet sein kann. So kann die Verteilungsregelung beispielsweise darin bestehen, daß in einem Brett, das als Barriere dient, eine Anzahl von Löchern angebracht werden, deren Durchmesser jeweils dem Anteil eines Eigentümers entspricht und an denen separate Röhren als Zuleitungen zu den Feldern angebracht werden. Eine andere übliche Verteilungsregelung besteht in der Vereinbarung eines zeitlichen Rotationssystems, das sowohl die stündliche als auch tägliche Fluktuation der Wassermenge berücksichtigt.42 39 40 41

42

3 Lee

FAO, FAO, FAO, FAO,

Moslem Countries, Moslem Countries, Moslem Countries, Moslem Countries,

S. S. S. S.

15 ff. m. w. N. 15 m. w. N. 16 m. w. N. 16 f. m. w. N.

34

Kap. 1: Historische Verteilungsregelungen

Der Erbauer eines Brunnens besitzt grundsätzlich das ausschließliche Recht, das geförderte Wasser zur Bewässerung einzusetzen, ohne Rücksicht darauf, ob der Brunnen sich auf seinem Grundstück oder auf herrenlosem Land befindet. Eine Ausnahme besteht nach Rechtsansicht der Malikiten insofern, als derjenige, dessen eigener Brunnen eingestürzt ist, überschüssiges Wasser seiner Nachbarn einfordern kann. Sofern ein Verschulden vorliegt, trifft ihn eine Vergütungspflicht für das in Anspruch genommene Wasser. Die Schafiiten sehen es als generelle Verpflichtung an, überschüssiges Wasser für Nachbarfelder zur Verfügung zu stellen. Die Hanifiten hingegen erkennen keine Einschränkung des ausschließlichen Nutzungsrechts der Brunnenerbauer an. Dem Eigentümer eines Grundstückes steht das Wasser einer auf seinem Grundstück belegenen Quelle sowie der darauf niedergehende Regen zu. In keinem Fall darf er jedoch überschüssiges Quell- oder Regenwasser zur Bewässerung anderer Felder verweigern, die Gefahr laufen zu vertrocknen. 43 Nach schiitischer Rechtsansicht besteht das Recht zur Bewässerung ohne jegliche Einschränkungen zugunsten der Gemeinschaft und enthält dementsprechend differenzierte Verteilungsregelungen nur für den Fall, daß an einer Wasserressource mehrere Personen ein Recht zur Bewässerung haben. Für Quellen, Brunnen und Regenwasser besteht im Falle des Überschusses keine Verteilungsregelung. In Zeiten, in denen das Wasserangebot den Wasserbedarf unterschreitet, wird das vorhandene Wasser proportional zur Größe des jeweiligen Grundstückes unter gebührender Berücksichtigung der Lage des Grundstückes zwischen den Berechtigten verteilt. Auch nach schiitischer Doktrin steht das Recht zur Bewässerung den Erbauern zu. Im Unterschied zur sunnitischen Doktrin besteht zwischen den Erbauern jedoch keine Gesamthandsgemeinschaft, sondern das Recht zur Bewässerung bemißt sich anteilig nach dem von jedem erbrachten Ge1d- und Arbeitseinsatz zu. Nach schiitischer Doktrin handelt es sich bei größeren Gewässern nicht um ein Gut, das der Gemeinschaft gebührt, sondern die Nutzung des Flusses steht den Anrainern zu, wobei der obere Anrainer jeweils Priorität vor den unteren Anrainer genießt. Er darf hierbei das Wasser folgendermaßen nutzen, selbst wenn dies bedeutet, daß dadurch die Ernte von unteren Anrainern beeinträchtigt wird: Erntefrüchte dürfen vollständig mit Wasser bedeckt werden; für Bäume gilt, daß der Fuß des Baumes unter Wasser gesetzt werden darf. Bei Dattelpalmen darf das Wasser bis zur Höhe des Stamms reichen. 44 Die Doktrin der ibaditischen Strömung des Islam folgt im wesentlichen den sunnitischen Grundsätzen bezüglich des Rechts zur Bewässerung. Unterschiede ergeben sich in folgenden Punkten: Anrainer eines Flusses sind gleichermaßen berechtigt. Staubarrieren zu errichten, um das Wasser zur Bewässerung ihres Anbaus zu nutzen. Der Anteil des genutzten Wassers darf aber in keinem Fall mehr als ein Fünftel des gesamten tatsächlichen Durchflusses an Wasser betragen. Der jeweils 43

FAO, Moslem Countries, S. 17 m. w. N.

44

FAO, Moslem Countries, S. 18 m. w. N.

D. Die islamische Tradition

35

nächste Anlieger darf den verbleibenden Wasserzufluss wiederum bis zu einem Fünftel nutzen.

III. Der Transfer des Eigentums an Wasser und Bewässerungsrechten Die allgemeine Knappheit und damit die soziale Kostbarkeit des Wassers hat zu einer besonderen Regulierung des kommerziellen Umgangs mit Wasser geführt, wobei sich auch hier Unterschiede zwischen den religiösen Doktrinen herausgebildethaben. Die sunnitische Doktrin erkennt grundsätzlich das Recht zum Handel mit Wasser an. Nach der malikitischen und schafiitischen Schule muß beim Verkauf einer Wassermenge der Zweck der Transaktion genau bekannt sein und ausdrücklich vereinbart werden. Wasser kann daher nicht als unbestimmte Menge verkauft werden. Die hanifitische und die hanblitische Schule erachten nur den Verkauf von Wasser in Gefäßen als zulässig. Das Recht zur Bewässerung folgt grundsätzlich dem Grundeigentum; indes kann das Land auch ohne das sich aus dem Land ergebende Recht zur Bewässerung verkauft werden. Die unterschiedlichen sunnitischen Schulen sind sich jedoch nicht einig über die Veräußerbarkeit des Rechts zur Bewässerung, nachdem es von dem Grundeigentum einmal losgelöst wurde. Die Hanifiten nehmen ein Verbot des Verkaufs eines Bewässerungsrechts an. Es kann lediglich im Wege der Erbschaft transferiert werden. Der Inhaber des Rechts zur Bewässerung kann dieses jedoch an ein anderes eigenes Grundstück, auf dem noch kein Bewässerungsrecht ruht, knüpfen. Durch den Verkauf dieses Grundstücks wird gleichzeitig auch das Recht zur Bewässerung übertragen. Im Gegensatz dazu ist nach Ansicht der Malikiten das Recht zur Bewässerung frei verfügbar; es kann teilweise oder ganz verkauft werden. Die Ansprüche aus dem Recht zur Bewässerung können zudem zeitweilig gegen ein Entgelt abgetreten werden, ohne daß dabei das Recht zur Bewässerung selbst übertragen wird. 45 Nach schiitischer Doktrin muß beim Verkauf von Wasser die Quantität genau bestimmt sein, so etwa nach Gewicht oder Volumen. Die ibaditische Doktrin folgt den sunnitischen Prinzipien, wobei sie eine vergleichbare Ansicht wie die malikitische Schule bezüglich der Übertragbarkeit des Rechts zur Bewässerung vertritt. 46

IV. Der Mejelle-Kodex Das Recht des Durstes und das Recht zur Bewässerung haben sich bis in die heutige Zeit in islamisch geprägten Staaten tradiert47 . Ein wesentlicher Grund hier45

FAO, Moslem Countries, S. 20 m. w. N.

46 FAO,

3*

Moslem Countries, S. 21 f. m. w. N.

Kap. 1: Historische Verteilungsregelungen

36

für war, daß diese beiden traditionellen Rechte Eingang in die Zivilrechtskodifikation des Osmanischen Reiches 48 (1300 bis 1922 n.Chr.), den Mejelle, gefunden hatten. Das Recht des osmanischen Reiches beruhte ursprünglich auf der Scharia, dem religiösen islamischen Recht, und den Dekreten des Sultans (" Qawaninhukm"). Mitte des 19. Jahrhunderts führte die Notwendigkeit der grundlegenden Regelung des Zusammenlebens von Moslems und Nicht-Moslems innerhalb des Osmanischen Reiches sowie die sich rasch verändernde Beziehung zu anderen Staaten zu einem Reformdruck, der schließlich in der Kodifikation des Mejelle in den Jahren 1870 bis 1876 mündete. Der Mejelle besteht aus 16 Büchern und insgesamt 1851 Artikeln. Als Vorbild des Mejelle diente der Code Napoleon, jedoch wurden dessen Vorschriften kritisch auf ihre Konformität mit den Grundsätzen des islamischen Rechts (Scharia) überprüft und an bestehende soziale Bedürfnisse angepaßt. Hierbei wurde nicht nur auf die im osmanischen Reich herrschende Schule der Hanifiten Rücksicht genommen, sondern bezog auch andere Schulen und Riten bei den Reformbemühungen ein. Der in Türkisch entworfene und dann in das Arabische übersetzte Mejelle hatte im gesamten osmanischen Reich bis zu dessen Untergang in den Jahren 1922/23 Gültigkeit und wurde nach einer Übergangszeit in der türkischen Republik durch einen säkularisierten Zivilrechtskodex ersetzt, der am 17. Februar 1926 in Kraft trat. 49 Nach Art. 1234 des Mejelle handelt es sich bei Wasser um ein nicht handelbares Gut, zu dem alle ein Zugangsrecht haben. Art. 1235 bestimmt ferner, daß auch Grundwasser der Gemeinschaft zuzurechnen ist. Art. 1236 regelt den näheren Anwendungsbereich der vorhergehenden Vorschriften. Hiernach sind diese Bestimmungen einschlägig für fließendes Wasser (fließende Welle), das nicht angeeignet wurde, das Wasser in großen Seen und im Meer sowie für Wasser, das sich in einem Brunnen befindet, dessen Erbauer unbekannt ist. Das Recht des Durstes (" chafa ") hat sich in den Mejelle als das Recht zum Trinken und Tränken der Tiere (" hakki chefe ") tradiert, wonach jeder seinen Durst aus öffentlichen Gewässern stillen und sein Vieh tränken darf, sofern die Größe der Viehherde nicht zu Beeinträchtigungen führt (Art. 1267). Art. 1268 bestimmt, daß das Recht sich auch auf private Wasserressourcen erstreckt, wenn keine öffentliche Wasserressource in der Nähe zu finden ist. Ist dies der Fall, so steht dem Durstigen ein Betretungsrecht des fremden Grundstücks zu, das er auch gegen den Willen des Eigentümers durchsetzen darf, um an das Wasser zu gelangen. Den Durstigen trifft jedoch die Pflicht, keine Schäden an den Anlagen zu verursachen. 5o

47

FAD, Moslem Countries, S. 38.

Das osmanische Reich umfaßte die Gebiete der heutigen Staaten Lybien, Somalia, Saudi Arabien, Jordanien, Irak, Iran, Syrien, Libanon und Türkei. 49 FAD, Moslem Countries, S. 36 m. w. N. 50 FAD, Moslem Countries, S. 38. 48

E. Zusammenfassung

37

Das Recht zur Bewässerung (" hakki chirb ") erstreckt sich auf alle öffentlichen Gewässer und berechtigt jedermann, sofern durch die Nutzung keine Rechte Dritter beeinträchtigt werden. Das Recht zur Bewässerung beinhaltet auch das Recht, nach Belieben Bewässerungskanäle, Deiche und Pumpvorrichtungen zu errichten, sofern die Anlagen keine Überflutungen hervorrufen, das Wasser erschöpfen oder aber den Wasserspiegel so weit senken, daß die Schiffahrt beeinträchtigt wird. Das Recht zur Bewässerung hinsichtlich eines privaten Gewässers steht hingegen nicht jedermann, sondern ausschließlich den Anrainern zu. Die Erhaltung der Gewässeranlagen richtet sich nach Artikel 1321-1326. Der Erhalt der Flüsse auf öffentlichem Gebiet oblag dem Staat. Wenn jedoch die Staatseinnahmen niedrig waren, durften die Kosten auf private Personen umgelegt werden. Private Gewässer mußten von den Eigentümern gepflegt werden. Jeder öffentliche Brunnen wurde durch den sogenannten "harim" geschützt, das heißt in einem Gebiet von 40 arshuns (ca. 758m 2 ) um den Brunnen herum durfte kein anderer Brunnen eingerichtet werden. Der harim anderer Wasserentnahmemöglichkeiten wurde detailliert in Art. 1282-1291 geregelt.

E. Zusammenfassung Der historische Überblick zeigt, daß die Wassernutzung frühzeitig als Staatszweck begriffen wurde. Auch in den Fällen, in denen die Wasserverteilung ursprünglich in Formen der Selbstorganisation geregelt wurde, wurde die Wasserbewirtschaftung mit zunehmender Gesellschaftsbildung staatlich reguliert. Aus dem historischen Rückblick lassen sich erste Schlüsse auf essentielle Bedingungen einer geregelten und effizienten Wasserverteilung ableiten: 1. Voraussetzung für die dauerhafte Leistungsfähigkeit der betrachteten Regeln der Wasserverteilung war, daß sie den physischen Gegebenheiten der Lebenswelt entsprachen und die menschliche Wassernutzung bestmöglich an die natürlichen Voraussetzungen angepaßt haben. Das Beispiel der Wasserkultur auf Ceylon zeigt, daß Belange des Umweltschutzes bereits als integrale Bestandteile einer Wasserbewirtschaftung begriffen wurde, die auf eine dauerhafte Ressourcennutzung abzielt. In allen betrachteten Beispielen spielte die religiöse Wertschätzung für das Wasser als Schutzmechanismus vor einer Übernutzung eine bedeutende Rolle. Die "Entzauberung der Welt"51 hat den Weg zu einer religiös transzendenten Begründung von Handlungsrestriktionen endgültig versperrt. Es fehlt jedoch nicht an Versuchen, solche Handlungsrestriktionen auf der Basis rationaler Begründung neu zu formulieren. Konzepte wie die der intergenerationellen Gerechtigkeit oder der Umweltpflichtigkeit der Souveränität, auf die noch später eingegangen wird, sind als solche Versuche anzusehen. 52 51

Weber, S. 304.

Kap. 1: Historische Verteilungsregelungen

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2. Verteilungskonflikte machen die Regulierung der Wasserverteilung unabdingbar. Diese setzt aber voraus, daß die Verfügungsgewalt des einzelnen über Wasserressourcen zugunsten anderer oder der Allgemeinheit beschränkt werden kann, sei es durch ein Rotationssystem des Wasserzuflusses im Fall des SubakSystems, durch eine rigide Reihung des Nutzungsrechts im Rahmen des islamischen Rechts des Durstes oder auf eine andere Weise. In allen betrachteten Beispielen, wie übrigens auch im deutschen Recht, sind alle bedeutenden Wasserressourcen dem Privateigentum entzogen. Die rechtliche Beschränkung im islamischen Recht ging sogar soweit, den Handel mit Wasser zu hemmen, um ein Unterlaufen der primären Verteilungsregeln auf dem kommerziellen Umweg zu unterbinden. 3. Die Regulierung der Wassernutzung geht über die Regelung der Verteilung hinaus. Auch die Errichtung, der Betrieb und die Instandhaltung wasserbaulicher Maßnahmen wurden staatlich reguliert, da sie nicht nur Individualzwecken dienten, sondern auch Allgemeininteressen damit verbunden waren. Auch in der Gegenwart stellen diese drei Kriterien wichtige Faktoren der Wasserbewirtschaftung dar. Darüber hinaus stellt sich aber eine weitere Aufgabe für das Wassernutzungsrecht, die sich in der Vergangenheit in der Form nicht gestellt hat. Denn aufgrund relativ stabiler Nutzungsmuster genügten statische Regelungen. Die individuelle Lebensführung und das gesellschaftliche Gesamtgefüge unterlag in der Vergangenheit keinen großen Schwankungen. Wissenschaftlicher Fortschritt, technische Machbarkeit, Bevölkerungswachstum und das Entstehen neuer Nutzungsformen machen dagegen Verteilungsregelungen erforderlich, die dem daraus folgenden kontinuierlichem Wandel gerecht werden. Selbst zwischen bereits bestehenden Nutzungen, können aufgrund von Veränderungen des Produktionsprozesses (in Landwirtschaft und Industrie) Konflikte auftreten, die vormals nicht bestanden. Insbesondere müssen aber heute Nutzungskonflikte zwischen bestehenden und neuen Nutzungsformen ausgeglichen werden. Hierin liegt eine Herausforderung, die - wie noch zu sehen sein wird - Überlegungen erforderlich machen, die über die in der Vergangenheit gefundenen Lösungsansätze hinausgehen. Dies heißt im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand der effizienten grenzüberschreitenden Wassernutzung, daß die aus den historischen Beispielen abgeleiteten oben genannten drei Punkte notwendige, aber nicht hinreichende, Bedingungen für eine effiziente Wassernutzung sind. Aus heutiger Sicht sind zusätzliche Bedingungen erforderlich. Es reicht nicht aus, starre Verteilungsmuster zu formulieren; vielmehr erfordert eine effiziente Wassernutzung eine Regelung, die die dynamische Veränderung der Nutzungsmuster erfaßt. Im nächsten Kapitel ist deshalb unter anderem zu untersuchen, ob das geltende internationale Wassernutzungsrecht dieser Aufgabe gewachsen ist. 52

Siehe Kapitel 2: B. IV. und V.

Kapitel 2

Universelle völkerrechtliche Regeln zur grenzüberschreitenden Wassernutzung A. Fragestellung Die folgende Bestandsaufnahme der universellen völkerrechtlichen Regeln zur grenzüberschreitenden Wassernutzung soll klären, in welchem Umfang allgemeine Regeln des Völkerrechts bereits eine effiziente Nutzung grenzüberschreitender Wasservorkommen gebieten. Fraglich scheint im Vorfeld, ob Süßwasser überhaupt ein geeigneter Gegenstand allgemeiner völkerrechtlicher Regelungen sein kann. 1 Denn die "globale Wasserkrise" gründet sich nicht auf einen globalen naturwissenschaftlichen Ursache-Wirkungszusammenhang, so daß ein Bedürfnis nach der Ordnung eines globalen physischen Interaktionsgefüges nicht besteht. Es handelt sich vielmehr um einen "Flikkenteppich" regionaler Wasserkrisen mit den unterschiedlichsten Ursachen, Gründen und Lösungspotentialen. Hierin unterscheidet sich die Problemlage von den globalen Umweltproblemen, die jüngst als Gegenstand konzertierter internationaler Bemühungen aufgegriffen wurden, sei es das Ozonloch2 , der Klimaschutz 3 oder die biologische Vielfalt4 , bei denen die naturwissenschaftlichen Ursache-Wirkungszusammenhänge gerade nicht regional begrenzt sind. Gemeinsam ist den oben genannten "modernen" Umweltproblemen und der globalen Wasserkrise jedoch, daß sie aufgrund ihrer potentiell gravierenden Folgen auch aus der Warte der internationalen Sicherheitspolitik betrachtet werden müssen. Hier ergibt sich nämlich auch für regionale Wasserkrisen eine globale Perspektive. Mehr noch: Aufgrund der essentiellen Funktionen des Süßwassers (Trinkwasser, Bewässerungswasser und Sanitärwesen) kann gerade Wassermangel zu krisenhaften Folgen mit überregionalen oder sogar globalen Implikationen führen, die von Hungersnöten, Epidemien, Migrationsbewegungen bis hin zu offeKokott, Schutz des Süßwassers, S. 176 (179). Siehe Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht v. 22. 3. 1985, BGBI. 1988 II, S. 902 ff. sowie das dazugehörige Montrealer Protokoll v. 16. 9. 1987, abgedruckt in: Hohmann, S. 1704 ff.; Änderungen: S. 1714 ff. 3 Siehe das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderung v. 9.5. 1992, BGBI. 1993 II, S. 1784 ff. 4 Siehe das Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt vom 5. Juni 1992, abgedruckt in: I.L.M. 31 (1992), S. 822 ff. 1

2

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Kap. 2: Universelle völkerrechtliche Regeln zur Wassernutzung

nen Konflikten reichen können. 5 Die Folgen von Wassennangel eröffnen damit auch eine menschenrechtliche Dimension, die ebenfalls zu einer globalen Perspektive zwingt. 6 Mit der Feststellung, daß gemeinsame internationale Interessen an der Verhinderung und Milderung regionaler Wasserkrisen bestehen, ist jedoch noch nicht geklärt, welche Funktion allgemeine völkerrechtliche Regelungen wahrnehmen können. Denn tatsächlich unterliegen alle bedeutenden grenzüberschreitenden Flüsse und Seen7 regionalen Abkommen, wenn auch mit sehr unterschiedlichem Regelungsniveau, die den allgemeinen Regeln vorgehen. Der Auffangfunktion der subsidiären universellen Regeln eröffnen sich somit wenig Einsatzfelder. Deshalb wird in diesem Teil näher zu untersuchen sein, welche Funktionen universelle Nonnen neben den regionen spezifischen Regelungen überhaupt wahrnehmen können. Die Ausgangsfrage ist deshalb folgendennaßen zu relativieren: Besteht neben regionalen Verträgen und regionalem Volkergewohnheitsrecht ein eigenständiger Bedarf für allgemeine Nonnen, um eine gerechte und effiziente grenzüberschreitende Nutzung zu verwirklichen? Aufschluß darüber könnte insbesondere die UNKonvention zur nicht-schiffahrtlichen Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe geben, die ,sofern sie in Kraft treten wird, die erste universelle vertragliche Regelung des internationalen Wassernutzungsrechts darstellen wird. In weiten Teilen kodifiziert die Konvention lediglich bereits etabliertes Volkergewohnheitsrecht. Insbesondere Art. 5 und 7 enthalten die zwei zentralen gewohnheitsrechtlichen Regeln des internationalen Wassernutzungsrechts: Das Gebot zur ausgewogenen und vernünftigen Nutzungsaufteilung ("equitable and reasonable utilization") und das aus dem Nachbarrecht entwickelte Verbot der erheblichen grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigung ("no harm rule"). Beleuchtet werden sollen aber auch die Regelungen der Konvention, die kein Gewohnheitsrecht kodifizieren. So gibt die Konvention durch Art. 5 Hinweise auf ein Gebot der optimalen Nutzung. Denn die Vorschrift bestimmt u. a.: Art. 5 "Watercourse States shall [ ... ] utilize an international watercourse [ ... ] with a view to attaining optimal and sustainable utilization [ ... ]."

WBGU, Jahresgutachten 1997, S. 3. Zu einem Menschenrecht auf Wasser siehe McCaffrey, Human Right to Water, S. 1 ff.; sowie Benvenisti, S. 384 ff.; WBGU, Jahresgutachten 1997, S. 172 f. 7 Einen Sonderfall stellen Grundwasservorkommen dar, die in keinem oder einem marginalen Austauschverhältnis mit Oberflächengewässern stehen, sog. "confined groundwaters". Da bzgl. solcher Wasservorkommen zwar keine regionalen vertraglichen Regelungen bestehen, sich aber auch keine gewohnheitsrechtlichen Regeln herausgebildet haben und nach h.M. eine Anwendung der Regelungen für Oberflächengewässer nicht ohne weiteres möglich sei, werden diese gesondert behandelt in Kapitel 2: C. I. 2. b) . 5

6

B. Wassemutzung als Ausdruck territorialer Souveränität

41

Es wird zu klären sein, welcher Rechtscharakter diesem Teil der Vorschrift zukommt und welche Auslegungsmöglichkeiten für das Tatbestandsmerkmal optimal bestehen. Hiermit werden die Grenzen des bestehenden allgemeinen Vcilkerrechts verlassen; denn das Gebot der optimalen Nutzung kann, wie noch zu sehen sein wird, keine völkergewohnheitsrechtliehe Geltung in Anspruch nehmen. 8 Es sollen jedoch gerade auch die jüngsten Entwicklungsstendenzen beleuchtet werden. Die Frage ist, ob sich ein Rechtsgrundsatz der effizienten Nutzungsaufteilung in statu nascendi konturiert und wie sich'ein solcher in das bestehende allgemeine internationale Wassernutzungsrecht, insbesondere neben den Grundsatz der ausgewogenen Nutzungsaufteilung, einfügen würde. Die Fragestellung soll im folgenden durch eine Untersuchung der dogmatischen Grundlagen des internationalen Wassernutzungsrechtes9 und seiner Regelungen lO beantwortet werden.

B. Wassernutzung als Ausdruck territorialer Souveränität Die Souveränität der Staaten ist nicht nur Ausgangspunkt des Rechtserzeugungsverfahrens im Vcilkerrecht. Sie ist auch Grundlage für die inhaltliche Konkretisierung völkerrechtlicher Regeln. Sie ist inhaltliche Grundlage der fundamentalen materiellen Normen. Die Souveränität garantiert die umfassende und ungestörte Ausübung der Hoheitsrechte innerhalb des Territoriums. 11 Die territoriale Souveräntität (Gebietshoheit) beinhaltet grundsätzlich auch das Recht, auf die im eigenen Staatsgebiet belegenen natürlichen Ressourcen nach eigenem Gutdünken unter Ausschluß der Interessen anderer Staaten zurückzugreifen. 12 Dieser Anspruch, der sich gedanklich problemlos aus der territorialen Abgrenzung der einzelstaatlichen Hoheitsbereiche ableiten läßt, führt indes aufgrund der widerspruchsvollen Eigenschaften des fließenden Wassers zu Spannungen: Denn was heute in einem Staatsgebiet fließt und deshalb Teil dieses Staatsgebietes ist, fließt morgen in einem anderen Staatsgebiet und ist deshalb Teil eines anderen Staatsgebietes. \3 Die rechtliche "Departementalisierung,,14 des Umweltmediums steht im Widerspruch zu seinem mobilen grenzüberschreitenden Charakter. In diesem Konflikt zwischen Siehe Kapitel 2: C. III. Siehe Kapitel 2: B. 10 Siehe Kapitel 2: C. 11 Hinds, Souveränität, S. 35. 12 Odendahl, S. 43 ff. 13 Berber, S. 8. 14 Odendahl, S. 98; Picht, S. 152 (157).

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Kap. 2: Universelle völkerrechtliche Regeln zur Wassernutzung

der Fiktion der monadenhaft nebeneinander und voneinander unabhängig existierenden Herrschaftsbereiche 15 und der realen physisch vermittelten Interdependenz stellt sich nun die Frage, ob die Fakten zugunsten eines idealtypischen Souveränitätsverständnisses negiert werden können oder aber die Ausgangsvorstellung von der Souveränität zugunsten einer Berücksichtigung der realen Gegebenheiten modifiziert werden muß. Berber16 hat für das Herrschaftsverhältnis über Gewässer theoretische Überlegungen auf der Grundlage der historischen Völkerrechtspraxis 17 und Völkerrechtslehre angestellt, auf die nachfolgende Autoren immer wieder zurückgegriffen haben. 18 Nach Berber sind fünf Positionen zu dem Problem denkbar: 19 1. das Prinzip der absoluten territorialen Souveränität; 2. das Prinzip der absoluten Integrität des Staatsgebiets gegen Einwirkungen von außen; 3. das Prinzip der beschränkten territorialen Souveränität, beschränkt durch die Rücksichtnahme auf eine (ebenfalls beschränkte) Integrität des anderen Staatsgebiets gegen Einwirkungen von außen; 4. das Prinzip der beschränkten Integrität des Staatsgebiets gegen Einwirkungen von außen, beschränkt durch Rücksichtnahme auf die (beschränkte) territoriale Souveränität des anderen Staates; 5. das Prinzip der Gemeinschaft an solchen Gewässern, sei es Gesamthandsberechtigung oder irgendeine andere absolute Beschränkung in dem freien Gebrauch der Gewässer für alle Anlieger in der Weise, daß keiner ohne die positive Mitwirkung der anderen verfügen kann.

I. Absolute territoriale Souveränität und Integrität

Die Prinzipien der absoluten territorialen Souveränität und der absoluten Integrität sind insofern Gegensätze, als sie sich gegenseitig in ihrer Anwendung ausschließen. Der absolute Nutzungsanspruch des einen Staates läßt sich nicht mit dem absoluten Integritätsanspruch eines anderen Staates vereinbaren. Ein kohärentes Rechtssystem läßt sich bei gleichzeitiger Geltung beider Prinzipien deshalb nicht entwickeln. Grundsätzlich ist jedoch die Anwendung jeweils eines der Prinzipien denkbar. Wenn das Prinzip der absoluten territorialen Souveränität für alle Anliegerstaaten gilt und von allen respektiert wird, so hat ein Staat freien Zugriff auf die tatsächlich durch sein Gebiet fließende Wassermenge. Nach dem Prinzip der absoluten Integrität hat ein Staat jeweils einen Anspruch auf den ungestörten natürlichen Zufluß des Wassers, den er seinerseits nicht nach anderen Ländern be15 16

17 18 19

Siehe Vitzthum, S. 36. Berber; S. 14 ff. Zum Bestand historischer Völkerrechtspraxis insbes. Berber. Ule, S. 114 ff.; Mühlhans, S. 3; Hinds, Souveränität, S. 35 ff. Berber; S. 14.

B. Wassernutzung als Ausdruck territorialer Souveränität

43

schränken darf. Das Prinzip der absoluten territorialen Souveränität berücksichtigt prioritär die Interessen des obersten Anrainers. Das Prinzip der absoluten Integrität hingegen prioritär die Interessen des untersten Anrainers. Nachfolgende Unterbzw. Oberanrainer können sich demnach erst dann aus der Ressource befriedigen, wenn die Interessen des obersten bzw. untersten Anrainers vollständig befriedigt sind?O Im Bereich der grenzüberschreitenden Wassernutzung führen beide Prinzipien demnach jeweils zu einer starken Hierarchisierung des Nutzungszugriffs. Ein Anrainerstaat, der nicht durch das Prinzip der absoluten Souveränität bzw. Integrität berechtigt wird, wäre beim Zugriff auf grenzüberschreitende Wasservorkommen allein vom Wohlwollen des Ober- bzw. Unteranliegers abhängig. Die Souveränität der betroffenen Staaten über einen essentiellen Teil ihres Staatsgebietes, die nationalen Gewässer, von denen ein Großteil zumeist aus grenzüberschreitenden Gewässern besteht, würde damit zu einer abhängigen Funktion der Souveränität eines anderen Staates verkommen. Hierin besteht die Gemeinsamkeit beider Prinzipien, die eine gemeinsame Behandlung rechtfertigen. Ein weit größerer Nachteil der beiden Positionen ist jedoch, daß sie besonders anfallig dafür sind, von Staaten benutzt zu werden, um einseitige Interessen als Rechtspositionen deklariert durchzusetzen - ein Ergebnis, dem eine anarchische Auffassung des Vcilkerrechts zugrunde liegt und das ausschließlich die egoistischen Interessen der Staaten zur Richtschnur ihres Handeins erhebt, ohne Lösungen für Interessenkonflikte zwischen ihnen anzubieten?l Als klassisches und - oftmals einziges - Beispiel der Staatenpraxis für das Prinzip der absoluten Souveränität wird die "Harmon"-Doktrin zitiert. Im Jahre 1895 erstellte US-Justizminister22 Judson Hannon eine Stellungnahme auf Anfrage des US-Außenministeriums 23 anläßlich eines Streits mit Mexiko über die zunehmende Wasserentnahme durch amerikanische Farmer am Rio Grande. In der Stellungnahme kam Hannon im wesentlichen zu dem Ergebnis, daß die USA gegenüber Mexiko nicht verpflichtet seien, die Nutzung auf ihrem Territorium einzuschränken. Aus der absoluten Souveränität der USA über ihr Territorium folge das Recht der USA, frei über das Wasser des Rio Grande innerhalb ihres Territorium zu verfügen, ungeachtet der Konsequenzen für Mexiko: "The fundamental principle of internationallaw is the absolute sovereignity of every nation, as against all others, within its own territory.[ ... ] The fact that the Rio Grande lacks sufficient water to permit its use by the inhabitants of both countries does not entitle Mexico to impose restrictions on the United States which would hamper the deveIopment of 20 Das Prinzip der absoluten territorialen Integrität beinhaltet eine rigide Hierachisierung der Nutzer, wie sie auch der US-amerikanischen Doktrin der ersten Aneignung ("prior appropriation") zu eigen ist; vgl. Somaeh, S. 209 ff.; Teclaff, HistoricaI Perspective, S. 21 ff. 21 Wolfrum, V