Die Christenverfolgung im Römischen Reich [Reprint 2020 ed.] 9783112311752, 9783112300596

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Die Christenverfolgung im Römischen Reich [Reprint 2020 ed.]
 9783112311752, 9783112300596

Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
ZUR BIBLIOGRAPHISCHEN ORIENTIERUNG
I. ZUM PROBLEM DER METHODE
II. DIE RELIGIONSPOLITIK ROMS VOR DEM AUFKOMMEN DES CHRISTENTUMS
III. DIE VERFOLGUNGEN VON IHREM BEGINN BIS ZU COMMODUS
IV. DAS JURISTISCHE PROBLEM
V. DIE VERFOLGUNG IM 3. JAHRHUNDERT
VI. DIE DIOKLETIANISCHE VERFOLGUNG UND DER SIEG CONSTANTINS

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AUS DER WELT DER R E L I G I O N FORSCHUNGEN UND BERICHTE Herausgegeben von Erich Fascher, Hans-Werner Gensichen Gustav Mensching u n d G e o W i d e n g r e n N E U E FOLGE 2

DIE C H R I S T E N V E R F O L G U N G IM R Ö M I S C H E N R E I C H VON

J A C Q U E S MOREAU

VERLAG A L F R E D T Ö P E L M A N N / B E R L I N W 30 1961

DIE C H R I S T E N V E R F O L G U N G IM R Ö M I S C H E N R E I C H VON

JACQUES MOREAU

VERLAG ALFRED TÖPELMANN / BERLIN ¥ 3 0 1961

Diese Ausgabe ist eine erweiterte Fassung des Buches „LA PERSÉCUTION D U CHRISTIANISME D A N S L'EMPIRE R O M A I N " das im Jahre 1956 in Paris, im Verlag Presses Universitaires de France, erschien.

Archiv N r . 67/61 Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nidit gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. ©

1961

by Alfred Töpelmann, Berlin W 30 Printed in Germany

An Helene und Fritz Homeyer

INHALTSVERZEICHNIS Zur bibliographisdien Orientierung

9

I. Zum Problem der Methode

11

II. Die Religionspolitik

Roms vor

dem Aufkommen des

Christentums

19

III. Die Verfolgungen von ihrem Beginn bis zu Commodus • •

26

IV. Das juristische Problem

61

V. Die Verfolgung im 3. Jahrhundert VI. Die diokletianische Verfolgung und der Sieg Constantins

70 98

Z U R BIBLIOGRAPHISCHEN O R I E N T I E R U N G Die beiden Artikel „ChristenVerfolgungen" des Reallexikons für Antike und Christentum (RAC) II (1954) 1159—1228, von J. Vogt (historischer Teil) und H. Last (juristischer Teil) enthalten eine reichhaltige Bibliographie, welche alle Arbeiten von Bedeutung erwähnt. Hier genügt es, auf einige unentbehrliche Werke hinzuweisen: a) Die von den Bollandisten in Brüssel herausgegebenen Acta Sanctorum (seit 1643) und Analecta Bollandiana (AnBoll, Zeitschrift, seit 1882) sind für jeden, der sidi mit den Märtyrerakten und Heiligenlegenden beschäftigt, unentbehrlich. b) Grundlegend — und bis jetzt nicht ersetzt — sind die 22 Bde von S. Le Nain de Tillemont, Histoire des Empereurs und Mémoires pour servir à l'histoire ecclésiastique des six premiers siècles (1. Aufl. 1690—1738). c) Eine gute Materialsammlung, nidit immer sehr kritisch verwertet, bietet P. Allard, Histoire des persécutions", 5 Bde (1903—1908). d) Viele Literaturangaben findet man in H. Grégoire (mit P. Orgels, J. Moreau u. A. Maricq) Les persécutions dans l'empire romain (1950). Eine zweite, vermehrte Auflage dieses Werkes befindet sich im Druck. e) Über die Textausgaben der Kirchenväter, die zu benutzen sind, bietet B. Altaner, Patrologie 3 (1958) die beste Orientierung. f) Zur Frage der diokletianischen Christenverfolgung und der konstantinischen Revolution enthält die 1960 erschienene 2. Auflage von J. Vogts „Constantin der Große und sein Jahrhundert" die wesentlidie Bibliographie.

I. Z U M P R O B L E M D E R M E T H O D E Der Historiker, der die Christenverfolgungen im römischen Reich zum Gegenstand seiner Betrachtung macht, sieht sich vor ganz besondere Schwierigkeiten gestellt, gilt es doch nicht nur, Probleme zu bewältigen, wie sie jede historische Untersuchung mit sich bringt; sondern auch noch gewisse geistige und seelische Hemmungen zu überwinden, ehe man sich an eine historische Darstellung der Maßnahmen wagen darf, die der römische Staat getroffen hat, um die Ausbreitung des Christentums einzuschränken oder die neue Religion im Reich völlig auszurotten. Das Wort "Verfolgung" — der übliche Ausdruck für die gegen die Kirche gerichteten Verfolgungen — ist schon an sich belastet durch die ihm anhaftende negative Bedeutung 1 ; nicht anders ist es im Französischen und im Englischen. Eine Verfolgung ist — so heißt es nach Littré —, "une poursuite injuste et violente (persécution)". Noch deutlicher drückt sich das Oxford English Dictionary aus; es definiert das Wort "persécution" als "action of persecuting or pursuing with enmity or malignity; esp. the infliction of death, torture or penalties for adherence to a religious belief or an opinion as such, with a view to the repression or the extirpation of it". Daher ist es fast unmöglich, sich sachlich über die Religionspolitik der römischen Kaiser vor Konstantin zu äußern, ohne nicht gleichzeitig das negative Urteil heraufzubeschwören, das sich die ideologischen Gegner dieser Politik zu eigen gemacht haben. Seit Jahrhunderten verbindet sich mit dem Wort Verfolgung ein Werturteil, von dem sich freilich der Historiker möglichst freimachen sollte. Er braucht darum noch nicht die Partei der Henker gegen ihre Opfer zu ergreifen; er sollte aber die Maßnahmen verstehen lernen und sie in die richtige soziale und menschliche Perspektive rücken — Maßnahmen, die zweifellos grausam waren, die aber unter dem Drude gewisser politischer Situationen getroffen wurden und keineswegs immer nur der Willkür 1

J. Vogt, RAC II, 1159. 11

und Bosheit entsprungen sind. Hier gilt es eine Lücke, die durdi das Fehlen von heidnischen oder doch wenigstens unparteiischen christlichen Quellenberichten entstanden ist, nach Möglichkeit zu füllen und die Übertreibungen der christlichen Apologeten und Hagiographen zu berichtigen. Für die christlichen Autoren war jede Art von Verfolgung ein Werk des Teufels, ein Angriff auf die Gerechtigkeit, die sie in ihrer Religion verkörpert sahen. Die Verfolgungen allein als politische und soziale Erscheinungen zu betrachten und dabei auch noch die unendlich komplexe Natur all dessen, was in das Gebiet des Religiösen fällt, zu berücksichtigen — das allein verlangt vom Historiker schon eine innere Anstrengung und Umstellung; muß er sich doch bewußt von einer ganzen Welt von Vorstellungen freimachen, die das Ergebnis einer langen christlichen oder antichristlichen Tradition sind. Die Gelehrten pflegen sich entweder ganz auf den Standpunkt der Kirche zu stellen oder sie versuchen, die Verfolger zu rehabilitieren und ihre Handlungen zu rechtfertigen. Zwischen diesen beiden extremen Haltungen gibt es natürlich zahlreiche Zwischenstufen, aber schon die Grundkonzeption, von der ausgegangen wird, ist so mit Problematik geladen, daß selbst diejenigen, die sich aufrichtig um größtmögliche Objektivität mühen, in jedem Augenblick auf der Hut sein müssen. Erschwerend kommt auch noch die unpräzise Verwendung des Wortes Verfolgung hinzu. Das Wort bezeichnet zwar Verfolgungen gegen die Kirche, aber dahinter kann sich recht Verschiedenartiges verbergen: ungerechte Gewaltmaßnahmen, willkürliche Quälereien, Massenhinriditungen auf Befehl Verständnis- und verantwortungsloser Beamter, allgemeine, vom Staat angeordnete Maßnahmen, die mehr oder weniger strikt durch 'die Provinzstatthalter durchgeführt wurden, Pogrome und Haßausbrüche einer fanatischen oder aufgehetzten Volksmenge, lokaler Widerstand, der heimlich oder offen von Beamten an einem Ort geschürt wurde — alles, was die ersten Christen an wirklichen oder übertrieben dargestellten Leiden durchgemacht haben, bezeichnen die Historiker und Chronisten als Verfolgungen. In jedem einzelnen Fall sind daher sowohl Umstände als Umgebung aufs genaueste zu untersuchen, will man feststellen, welcher Art die Prüfungen waren, die die Kirche zu bestehen hatte, und wieweit die Kaiser und die Behörden die Verantwortung dafür trifft. Dem Historiker stehen zur Lösung so zahlreicher Probleme nur wenige Hilfsmittel zur Verfügung. Die offiziellen Quellen sind äußerst 12

dürftig: kein einziger Gesetzestext aus den ersten Jahrhunderten, nur vereinzelte Anspielungen bei den heidnischen Autoren. Der Historiker sieht sich also auf die christlichen Autoren beschränkt, von denen zwar einige, wie etwa Eusebius, ihre Aufgabe ernst auffaßten, die meisten aber keinen Hehl aus ihren apologetischen Absichten machten. D a z u kommen die Märtyrerakten, also authentische Dokumente aus den Prozeßverhandlungen über Zeugenbefragungen, Gerichtsurteile und Hinrichtungen. Aber neben diesen glaubwürdigen Zeugnissen — wie viele absichtliche Fälschungen oder naive Ausschmückungen, wie viele Irrtümer, die auf Mißachtung der Chronologie beruhen, auf Unwissenheit, auf dem bloßen Wunsch, einen K ä m p f e r für das Christentum zu glorifizieren, indem man sich, selbst um den Preis der Wahrheit, bemühte, gemeinsame Züge zwischen seinem Leiden und dem des Herrn zu entdecken! Nach den Verfolgungen des 3. und 4. Jhdts., in denen die Archive der christlichen Gemeinden im ganzen Reich zugrunde gingen, blieb den Hagiographen häufig nichts anderes übrig, als die Tatsachen nach unsicheren Überlieferungen zu rekonstruieren; die Folge davon war, daß sie berüchtigten Verfolgern — Kaisern und Provinzstatthaltern — die Verantwortung für Martyrien zuschoben, von denen man nicht mehr wußte, wann sie eigentlich stattgefunden hatten; auf diese Weise sind Formeln wie "sub Decio", "sub Diocletiano" zu allgemein gebräuchlichen Epoche-Marken geworden 2 , deren sich die Verfasser der Heiligenleben und Martyrologien bedienten, — ja, in zahlreichen Akten tauchen sogar Beamte, die als berüchtigte Verfolger in einer Provinz bekannt geworden sind, zu ganz verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mehrmals auf. So ist z. B. Anulinus, Prokonsul in A f r i k a unter Diokletian, ein solcher Verfolgertyp, dessen Aktivität sich bis nach Norditalien erstreckt haben soll, und zwar unter Nero, Valerian, Gallien, Maximinian und Diokletian 3 . Dakian, ein fast unbekannter Praeses, der den hl. Vinzent verurteilte, ist zum Verfolger fast aller spanischer Märtyrer geworden 4 . Selbst erfundenen oder unbekannten Persönlichkeiten wie Rictiovarus, angeblich Präfekt unter Maximin oder dem alemannischen oder vandalischen Schattenkönig Chrocus, der entweder z. Z. Valerians oder unter Theodosius d. J . lebte, hat man ganze Zyklen von H. Delehaye, AnBoll., 58 (1940) 148. ' H. Le Blant, Les Actes des martyrs (1882) 25—26. 4 B. de Gaiffier, AnBoll., 72 (1954) 378—396. 2

13

Märtyrern zugeschrieben, gegen alle Wahrscheinlichkeit und jede Rücksicht auf die Chronologie 5 . Trotz jahrhundertelanger geduldiger Forschungsarbeit, die die Bollandisten mit einem bewunderungswürdigen Aufwand von Gelehrsamkeit und zweifellos auch erfolgreich geleistet haben, ist es bisher nicht gelungen, die erwünschte Klarheit auf diesem Gebiet zu schaffen 6 . Aber die chronologische Ungenauigkeit, die keineswegs nur eine Besonderheit der Märtyrerakten oder Martyrologien ist, stellt weder die einzige noch die größte Schwierigkeit dar. Die Zerstörungen, die Zeit und Menschen, Unwissenheit oder Bösartigkeit angerichtet haben, sind ein Faktum, mit dem die historische Forschung stets rechnen muß; die Tatsache, daß es in der Geschichte der ersten Jahrhunderte des Christentums eine größere Rolle spielt als zu anderen Zeiten, ändert nichts an dem eigentlichen, dem Kernproblem. Denn viel heikler ist die Frage, wie die Auffassungen von der Geschichte der Kirche, so wie sie in den heiligen Schriften und bei den Kirchenvätern vorliegen, zu beurteilen sind. Die Verfolgungen werden darin nicht nur unter rein menschlichen Gesichtspunkten betrachtet, sondern sogar, auf einer höheren, übernatürlichen Ebene, als die. notwendige Voraussetzung für das Heil des auserwählten Volkes und der Frommen angesehen. Die Überzeugung, die hier zugrunde liegt, stammt ursprünglich aus dem jüdischen Geist; sie hat ihren schönsten Ausdruck in der Bergpredigt gefunden: "Selig seid Ihr, so Euch die Menschen hassen und Euch absondern und schelten Euch und verwerfen Euern Namen als einen bösen um des Menschensohnes willen" (Luk. 6, 22). Die Apostel sind ausgesandt worden wie Schafe unter die Wölfe; sie werden den Gerichtshöfen überantwortet und mit Ruten gegeißelt; verraten, gehaßt, immer auf der Wanderschaft, werden sie erst gerettet, wenn sie bis zum Ende ausharren 7 . Die Verfolgung der Gerechten ist eines der Zeichen, das zugleich mit dem Auftreten der falschen Propheten, der Kriege, der Fluten und Hungersnöte das Ende der Zeiten ankündigt. Sie ist also in der eschatologischen Sicht der Evangelien als unabwendbares Schicksal dargestellt; stolz preisen Akten und Briefe jene Gemeinden, die durch Drangsale und Leiden des Himmelreiches würdig werden. Alle Prüfungen, die de Gaiffier, a.O. 380. Die diesbezüglichen Arbeiten von Pater H . Delehaye sind bei R . Aigrain, L'hagiographie (1953) verzeichnet. 7 Vgl. Math. 10, 17—23; Mark. 13, 9—13; Luk. 21, 1-2—19. B 6

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die Christen ertragen, haben nur eine einzige Ursache, nämlich die religiösen Verfolgungen, für die die Schuldigen — ob Juden oder Römer — einst ewige Strafe erleiden werden 8 . Die Apokalypsen und zahlreiche andere Schriften aus der apostolischen Zeit rühmen alle, die treu geblieben sind, d. h. also die Märtyrer, die sich durch ihr Zeugnis das ewigen Leben erworben haben. Der Römerbrief des zweiten Bischofs von Antiochien, Ignatius, enthält einen leidenschaftlichen Aufruf, in den Tod zu gehen — nicht nur in den gewöhnlichen Tod, sondern ausgesuchte Qualen zu erleiden 0 . Der hl. Irenäus zitiert die Worte eines anonymen Märtyrers: "Ich bin Gottes Weizen und werde von den Zähnen der Tiere zermahlen, damit ich reines Brot werde" 10 . In den ältesten christlichen Quellen wird stets die Vorbildlichkeit des Märtyrertodes besonders hervorgehoben; natürlich wird auch des traurigen Loses derer gedacht, die unter der Herrschaft des Fürsten dieser Welt leben müssen; das Wesentliche bleibt aber doch stets das einzeln oder in Gemeinschaft abgelegte Zeugnis derer, die für Christi Ruhm sterben. In all dem wird das für uns entscheidende Problem der Koexistenz von Kirche und Staat überhaupt nicht berührt; für die ersten Christen gab es nur die Auserwählten und die anderen; wir erfahren nichts über die Gründe, die Rom, bzw. seine Repräsentanten veranlaßten, gegen die Kirche vorzugehen. Sowohl die Ausbreitung des Christentums als das steigende Interesse, mit dem der Staat das religiöse Leben im Reiche überwachte, beides mußte die Christen in der Folgezeit schicksalsmäßig dazu zwingen, eine Verständigungsbasis mit den staatlichen Machthabern zu suchen. Die Apologeten waren die ersten, die es versuchten, die Kaiser davon zu überzeugen, daß eine friedliche Koexistenz durchaus möglich sei. Meliton von Sardeis weist in einem Schreiben an M a r k Aurel zuerst darauf hin, daß friedliche Beziehungen zwischen Staat und Kirche nicht nur normal und wünschenswert seien, sondern sogar vorteilhaft für beide Seiten. Wie J. Vogt, R A C II, 1160. B. Aube, Histoire des persécutions jusqu'à la fin des Antonins 2 (1875) 247; Ign. v. Antiochien, Römerbr. 4—7. Ober das Datum dieses Briefes vgl. unten, S. 45. 1 0 Iren., adv. Haer. V, 28,4. Dieser Satz steht auch bei Ign. von A n tiochien, Römerbr. 4, es scheint aber nicht, daß er sich auf die Zeit Trajans bezieht, in welche die Uberlieferung das Martyrium des Ignatius zu datieren weiß. Vgl. unten, S. 45. 8 8

15

erklärt man es sich dann, als Christ, daß die Kaiser die Gläubigen dennodi verfolgt haben? Damit, daß die bis dahin einzigen Gegner der Kirche, N e r o und Domitian, Unmenschen waren, unwürdig ihres Herrscheramtes, Schandflecken in der römischen Geschichte, wie es selbst die heidnischen Autoren zugeben 1 1 . In der Folgezeit wird bei den christlichen Schriftstellern mehr und mehr der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß alle Kaiser, die allgemeine Verehrung genossen haben, auch die christliche Religion geduldet, wenn nicht überhaupt protegiert haben; nur die impii iniusti, turpes truces, vani dementes, die R o m schändeten, haben auch die Gerechten verfolgt 1 2 . So ist allmählich eine feste Tradition entstanden, die die christliche H a g i o graphie jahrhundertelang beherrschen sollte und die dazu beitrug, die Vorstellungen über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat im römischen Reich unter zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten zu verfälschen: einmal wurde die Geschichte der Verfolgungen ausschließlich als eine Art Zweikampf zwischen dem Kaiser und der Kirche betrachtet; man prüfte jeden einzelnen Kaiser und seine Herrschaft und sah die Verfolgung als eine persönliche Streitsache zwischen ihm und der Kirche an. Auf diese Weise verlor man das Problem, das in größerem Zusammenhang gesehen werden will, völlig aus dem Auge; man vergaß, daß sich die Politik ändert, sobald neue äußere Umstände eintreten oder neue Persönlichkeiten auftauchen — man vergaß ferner, daß auch die innerhalb von Gemeinschaften bestehenden Beziehungen den gleichen soziologischen Gesetzen unterworfen sind, die überhaupt die Beziehungen zwischen Individuen und gesellschaftlichen Gruppen regeln. Unterstrich man so die Persönlichkeit der einzelnen Verfolger stark, so verfuhr man mit den Verfolgten genau in der entgegengesetzten Weise: man stempelte einfach alle Märtyrer zu Verteidigern des orthodoxen Glaubens, ohne zu prüfen, ob es sich um Sektierer handelte oder ob sie überhaupt Angehörige der großen Kirchengemeinde waren. Es gibt gar nicht wenige Märtyrer, die eine bewundernswerte Glaubenstreue und Unerschütterlichkeit bewiesen haben, obgleich sie sich zu einer Lehre bekannten, die alles andere als orthodox war 1 3 . Es ist sicher kein Zufall, daß das einzige authentisch Euseb., Kirchengesch. IV, 26, 9. Am prägnantesten wird dieser Gedanke bei Tertullian, Apol. V, 4 ff., ausgedrückt. 13 R. Pidion, Lactance (1902) 339. Vgl. Lakt., de mort. pers, 13,2. 11

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16

bezeugte Märtyrergrab, das man in Rom in situ gefunden hat, das eines führenden Häretikers, des Novatian, ist 14 . Auf der anderen Seite hat die Überzeugung, daß nur die "bösen" Kaiser dazu imstande gewesen wären, die Gläubigen zu verfolgen, einzelne Autoren dazu verleitet, ganz im guten Glauben über die Leiden der Kirche zu schweigen, die die sog. "angesehenen und guten" Kaiser wie Trajan, Mark Aurel, Septimius Severus der Kirche zugefügt haben. Diese Tendenz erreichte ihren Höhepunkt mit Laktanz: der Inhalt seines Werkes "Ober die Todesarten der Verfolger" stützt sich in der Hauptsache auf die Behauptung, daß alle Kaiser, die Christen verfolgt haben, elend, grauenhaft und unrühmlich umgekommen sind. Natürlich muß der Autor diejenigen Herrscher mit Stillschweigen übergehen, die, obgleich sie den Christen feindlich gesinnt waren, eines natürlichen Todes gestorben sind; er trägt auch keine Bedenken, Aurelian eine Verfolgung oder doch wenigstens die Absicht, die Christen zu verfolgen, zuzuschreiben, und zwar nur deshalb, weil dieser Kaiser ermordet wurde. Von einer einzigen beachtlichen Ausnahme abgesehen, dem Kaiser Konstantin 15 , hat das Beispiel des Laktanz keine Nachfolge bei den Kirchenhistorikern gefunden. Mit der großen Christenverfolgung unter Diokletian hielt man die Leidenszeit der Kirche für abgeschlossen. Die Zahl der Verfolgungen wurde ein für allemal festgelegt; die Wahl fiel entweder auf die mystische Zahl sieben 16 oder, in Erinnerung an die zehn Plagen in Ägypten, auf zehn. Vergebens sollte der hl. Augustin gegen die willkürliche Zählweise protestieren 17 . An ihr wird auch während des gan1 4 L . Hertling — E. Kirschbaum, Die römischen Katakomben und ihre Märtyrer (1950) 81. 1 5 Konstantin, Rede an die Versammlung der Heiligen 16—20. 1 8 Liber Genealogus ( = Chron. Minora, ed. Mommsen I, 196): 7 Verfolgungen vor der des Antichrist; Prologus Pasdiae (ebd. 738): 6 Verfolgungen, die 7. ist die des Antichrist. 1 7 Augustin, Civ. Dei, X V I I I 52. Orosius (VII, 7—25) zählt 10 Verfolgungen vor dem Antichrist, während Sulpicius Severus (II, 30—33) 9 erwähnt vor der letzten, am Ende der Zeiten. Es ist schwer zu bestimmen, wann diese Lehre entstanden ist. Sie ist jedenfalls später als Euseb; es scheint aber doch, daß die Christen schon vor der diokletianischen Verfolgung angefangen hatten, die Verfolgungs- und Friedenszeiten zu zählen. Vgl. J . Vogt, L a Parola del Passato 34 (1954) 5—15; J . Moreau, Byzantion 25/7 (1955/7) 241—276.

2

Moreau

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zen Mittelalters durch bis in die Neuzeit festgehalten, so beharrlich, daß sogar noch im 18. Jhdt. ein erweiterter Laktanz erscheinen sollte, der die von der Tradition fixierten und bei Laktanz noch fehlenden Verfolger behandelt 18 . Es ist nicht leicht, Vorurteile und jahrhundertealte Traditionen zu beseitigen; die moderne Geschichtsschreibung — die katholische ebenso wie die protestantische, von Baronius und den Magdeburger Zenturiatoren angefangen — hat an der Vorstellung von den zehn Verfolgern festgehalten; sie ist auch heute noch nicht aus den Handbüchern verschwunden, ja, sie taucht sogar gelegentlich mit der Vorstellung einer Dauerverfolgung verbunden auf: Seit dieser Zeit (Domitian) wurden die Christen immer verfolgt, sowohl unter den guten als unter den bösen Kaisern. Die Verfolgungen fanden statt bald auf Befehl der Kaiser oder aus besonderem Haß von Seiten der Beamten, bald auf Grund eines Volksaufstandes, bald infolge von Senatsbeschlüssen, die sich auf kaiserliche Reskripte stutzten oder in Gegenwart der Kaiser gefaßt wurden. Damals griffen die Verfolgungen allgemein um sich und wurden blutiger; und so entzündete sich der Haß der Ungläubigen, die es auf die Vernichtung der Kirchen abgesehen hatten, in immer wieder neuen Ausbrüchen. Auf Grund dieser von Zeit zu Zeit sich wiederholenden Gewalttätigkeiten haben die Kirchenhistoriker im ganzen zehn Verfolgungen unter zehn Kaisern gezählt19. In dem vorliegenden Bändchen soll nun versucht werden, ein Bild zu geben, das weniger schematisiert und weniger traditionsbelastet ist, aber hoffentlich der Wahrheit näher kommt — ein Bild der Auseinandersetzung zwischen einem mächtigen Staat und einer Religion, die zu Beginn schwach und völlig unbekannt war, die aber den Kampf aufnahm und am Ende siegte, — ein Bild der Entwicklung und des Sieges einer Kirche, die zu Anfang als Verkörperung des "inneren Proletariats" betrachtet, schließlich auf gleicher Ebene mit dem Staat verhandeln sollte, um später die furchtbarste und angesehenste Macht zu werden.

18

J . A. F. Castello, Liber

de mortibus persecutorum

auctus

(Venedig

1766). Fünf Kapitel über Trajan, Hadrian, Mark Aurel, Septimius Severus und Maximinus Thrax sind in den U r t e x t interpoliert worden. 19

18

Bossuet, Discours sur l'histoire universelle I, 10. Époque.

II. D I E R E L I G I O N S P O L I T I K R O M S V O R D E M A U F KOMMEN DES CHRISTENTUMS Die Verfolgungen dürfen stets nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Politik betrachtet werden, die den römischen Staat gegenüber fremden Kulten leitete. Dabei ist allerdings streng zu scheiden zwischen den Maßnahmen, die in republikanischer Zeit, als es noch keinen Staatsapparat in modernem Sinne gab, getroffen wurden und denen, die die Kaiser trafen im Einklang mit den politischen und Verwaltungsorganen, die den jeweils herrschenden Machtverhältnissen entsprachen. Die Römer waren stolz auf ihre Religion und rühmten sich ihrer eigenen Frömmigkeit. Cicero gibt zu, daß gewisse öffentliche Einrichtungen bei fremden Völkern den römischen durchaus gleichkommen — ja, sie sogar übertreffen können. Was aber die Religion angeht, so meint er, sind sie ohne Rivalen: religione, id est cultu deorum, multo superiores (De natura deorum, II, 8). Aber diese Religion, die Cicero als einen Kult bezeichnet — und nicht mehr —, war am Ende der republikanischen Epoche im Bewußtsein der Bürger kaum mehr als ein bloßes Nebeneinander von religiösen Zeremonien ohne tiefere Bedeutung, ohne echten religiösen Gehalt; die Priester waren nur Diener, eine Art von Vollstreckungsbeamten, und nicht etwa Seelsorger. So ist es nicht verwunderlich, daß ein Volk, dessen religiöse Bedürfnisse nicht befriedigt wurden, sich leidenschaftlich neuen Kulten zuwandte, besonders den orientalischen, die ihm das im reichen Maße boten, was dem Zeremonienwesen einer formalistischen uhd innerlich erstarrten Religion fehlte. Die höchsten Stellen im Staat waren sich bald klar über die Gefahr, die das Eindringen ausländischer Götter für die Stadt bedeutete; ohne Zweifel hätten sie auch am liebsten die Einführung privater Kulte und neuer, fremder Gottheiten direkt verboten oder doch von einer besonderen Erlaubnis abhängig gemacht. Jedenfalls ist das die Einstellung, die Cicero empfiehlt in der Schrift, in der er den idealen Staat, so wie er ihm vorschwebte, zeichnet (De Legibus II, 19). Aber selbst 2*

19

wenn die führenden Staatsmänner der Republik im Prinzip diese Einstellung teilten, so vermochten sie doch nicht, ihr in der Öffentlichkeit Geltung zu verschaffen, denn die Geschichte der römischen Religion stellt nichts als eine lange Reihe von Niederlagen vor dem Ansturm der fremden Götter dar. Die früheste uns bekannte Maßnahme, die von den Ädilen zum Schutze der heimischen Kulte getroffen wurde, fällt in das Jahr 428 v. Chr. Auf Grund einer verheerenden Dürre und Seuche — der gleichen übrigens, die zwei Jahre vorher in Athen gewütet hatte — hatten die Römer, um der Katastrophe abzuhelfen, eine große Anzahl fremder Götter und Opferkulte aufgenommen. Auf allen Straßen, in allen Heiligtümern wurden feierliche, vorher unbekannte Zeremonien abgehalten. Wir dürfen nicht erwarten, daß diese weit zurückliegenden Ereignisse in der römischen Überlieferung so deutlich faßbare Spuren hinterlassen hätten, daß es einem Historiker der augusteischen Epoche noch möglich gewesen wäre, darüber wahrheitsgetreu zu berichten. Wir müssen uns ein für allemal damit abfinden, daß wir nicht wissen, was sich damals im J a h r 428 abgespielt hat. Der Bericht des Livius 1 kann uns nicht über die damaligen Geschehnisse belehren, er zeigt uns aber, wie die Römer sich fünf Jahrhunderte später diese Ereignisse vorstellten. Mit keinem Wort verurteilt Livius die Einführung der neuen Kulte; die Wirksamkeit der peregrina atque insolita piacula wird nicht im geringsten angezweifelt. Verdächtig war den Römern nidit der Kult der fremden Götter, sondern die abergläubischen Praktiken ihrer wandernden Vertreter. Man fürchtete nicht etwa den Zorn der heimischen Götter, sondern, daß nichtrömische Elemente Unruhe und Unordnung in der Gemeinschaft stiften könnten. Die Vorstellung, daß möglicherweise die öffentliche Leichtgläubigkeit ausgenützt würde — ja, daß vielleicht Fremde Gewinn aus der römischen Neigung zum Aberglauben ziehen könnten, war unerträglich. Nur so läßt sich das Vorgehen der Ädilen im Jahre 428 erklären. Am Ende des 3. Jhdts v. Chr. waren die fremden Kulte, die unter öffentlicher Aufsicht standen, noch nicht im Bereich der Stadt zugelassen« Ihre Tempel lagen vorschriftsmäßig außerhalb des Pomeriums. Doch scheinen die Aufsichtsbeamten ihrer Aufgabe nicht mit der erwünschten Sorgfalt nachgekommen zu sein: im Jahre 213 waren neue Kulte auf dem Kapitol eingedrungen; der Senat beauftragte den 1

20

III, 30, 9—11.

Praetor der Stadt, gegen diesen skandalösen Verstoß

vorzugehen 2 .

W i e im J a h r e 428 war auch diesmal der eigentliche Grund für die Unterdrückungsmaßnahme nicht etwa die Sorge, die römischen Götter könnten sich vom V o l k abwenden, sondern die Absicht zu verhindern, daß die fremden sacrificuli und vates einen gefährlichen Einfluß auf die Seele des Volkes ausübten. I m J a h r e 2 0 4 verursachten die Schrecken des Punischen Krieges eine derartige Erregung, daß zum ersten M a l e eine ausländische Göttin, die Große Mutter vom Ida, offiziell in R o m im Tempel der Victoria Aufnahme fand, um bald darauf, im J a h r e 193 v. Chr., ein eigenes Heiligtum auf dem Palatin zu erhalten 3 . Obgleich nun die Zeremonien des neuen Kultes von der Obrigkeit zugelassen waren, w a r es den Römern untersagt, an den Prozessionen zu Ehren der Göttin teilzunehmen und sich unter die fanatici, die Hierodulen, Verschnittenen und Metragyrten zu mischen, die in ihren bunten Gewändern seltsame Musikinstrumente spielten und schamlos an die öffentliche Gebefreudigkeit appellierten — all das hätte sich nicht mit der Würde eines römischen Bürgers vertragen. D i e Beschränkungen bezogen sich in keiner Weise auf die Religion selbst, auch nicht auf ihre abschreckendsten Seiten; sie zielten einzig darauf ab, beim römischen V o l k das Bewußtsein für das, was sich gehörte (xö etmQEJieg) wachzuhalten und damit die Aufrechterhaltung der öffentlichen O r d nung zu gewährleisten. Die Obrigkeit fühlte sich in keiner Weise befugt, einen K u l t zu verbieten, selbst wenn es sich dabei um fremdartige und abscheuerregende Riten handelte; sie konnte nur versuchen, die Bürger davon fernzuhalten — ein übrigens fast aussichtsloses Unternehmen: W i e wenig der Senat imstande war, der wachsenden Ausbreitung der orgiastischen K u l t e und Mysteriendienste zu steuern, kam kraß in dem Bacdianalienprozeß im J a h r e 186 v . C h r . zum Ausdruck. D e m Senat war es durch Denunziationen zu Ohren gekommen, daß eine geheime Gesellschaft regelmäßig Orgien abhalte und ausschweifende Gelage veranstalte.

Gerüchte wollten sogar von

Ritualmorden, Vergiftungen und Erbschleichereien wissen. Die U n terdrückungsmaßnahmen zeigen, für wie groß man die Gefahr hielt; mehr als 7 0 0 0 Angeklagte mußten sich vor Gericht verantworten; die Hauptschuldigen wurden hingerichtet; diejenigen, die in die Myste2 3

Liv. X X V , 1, 6—12. Dion. Halic., Ant. Rom. II, 19. 21

rien eingeweiht waren, kamen auf Lebenszeit ins Gefängnis 4 . Zweifellos enthält der Livianische Bericht Übertreibungen, aber auch wenn man ihn nicht wörtlich nimmt, darf man annehmen, daß sich in seinem Kern ein Stück tragischer Wirklichkeit birgt. Schon die hohe Zahl der "Verschworenen" zeigt, daß die Propagierung des neuen Kultes durch die Tarentiner, die im Jahre 209 als Sklaven verkauft worden waren, und durch die im Jahre 187 aus dem Osten zurückgekehrten Legionssoldaten des Manilius Vulso sich ohne Hindernisse in Italien hatte ausbreiten und die Sekten vermehren können, die f ü r den Bestand des Staates eine dauernde Gefahr bildeten, dadurch daß sie eine K l u f t zwischen Religion, die früher nur als Staatsreligion denkbar gewesen war, u n d Staat errichteten. Im übrigen wurde aber die Staatsräson nicht einmal herangezogen; denn wenn auch der Senat prinzipiell die Gründung bacchischer Kultvereine untersagte, so konnte er sich doch nicht dazu entschließen, sie unmöglich zu machen. Er beschränkte sich darauf, sie seinen Bedingungen zu unterwerfen. Mit anderen Worten: er konnte und wollte keinen Bürger daran hindern, Anhänger der Religion zu sein, die seiner Neigung entsprach; er weigerte sich, M a ß nahmen gegen einen Kult zu treffen, der f ü r gefährlich gehalten wurde; er ging nur scharf gegen Verbrechen vor, die mit der Ausübung einer Religion verbunden waren. Daher unterdrückte er geheime Gesellschaften und bestrafte Handlungen, die sich gegen die öffentliche Moral und das gemeine Wohl richteten, aber er bestrafte nicht etwa das bloße Bekenntnis zu einem Glauben. Im übrigen waren Maßnahmen gegen fremde Kulte in der republikanischen Epoche so selten, daß man nicht ohne Grund vermutet hat, der Senatsbeschluß gegen die Bacchanalien sei nicht auf Grund eines urrömischen Gesetzes, sondern in Nachahmung eines von Ptolemäus IV erlassenen Dekrets getroffen worden 5 . Viel mehr als auf die neuen Religionen, die man nicht offen anzugreifen wagte, richtete sich die Wachsamkeit des Staates auf die philosophischen Lehren, die als gefährlich galten. Von 181 v. Chr. an versuchte man, die Verbreitung pythagoreischer Schriften zu verhindern. Im Jahre 173 wurden zwei Epikureer ausgewiesen, im Jahre 161 Philosophen und Rhetoren; im Jahre 154 f a n d eine Ausweisung von Philosophen statt, Gesandte aus Athen, die selbst ihr Amt nicht 4 11

22

Liv. X X X I X , 8—19. F. C u m o n t , Die Orient. Religionen im röm. H e i d e n t u m 3 (1931) 194.

schützte. Im letzten Fall — übrigens dem einzigen seiner A r t — sollte ausdrücklich verhindert werden, daß die philosophischen Lehren sich im Volk verbreiten und die Sitte der Väter (mos maiorum) untergraben könnten, die ein so unentbehrlidies Werkzeug der Herrschaft in den Händen des Senats waren. Besonders merkwürdig ist der Schritt, den die Zensoren im J a h r e 92 gegen die römischen Rhetoren unternahmen: die Schulen wurden geschlossen, um die Geheimnisse der Redekunst ausschließlich der in der griechischen Sprache bewanderten Aristokratie vorzubehalten. Die Vornehmen selbst fanden natürlich nidits dabei, die Schriften der griechischen Philosophen zu lesen und bei den griechischen Rhetoren in die Schule zu gehen; sie fühlten sich in keiner Weise an die Verpflichtungen gebunden, die sie dem Volk auferlegten. Polybius gibt ganz offen zu, daß die Religion — Opium fürs Volk — nur ein Werkzeug in der H a n d des Staates sei. Schließlich hat sich aber doch die Haltung selbst in den Kreisen, die am konservativsten waren und sich am energischsten gegen Neuerungen aus Griechenland gesträubt hatten, unter dem Druck der Ereignisse gemildert; sogar der unnachgiebigste Vertreter des römischen Traditionserbes, der Mann, der den Ackerbau als einzige ehrenvolle Beschäftigung ansah, selbst C a t o hat sich am Ende seines Lebens zum Kapitalismus und zur Poesie bekehrt. Später haben dann Männer wie Scipio Africanus, Gaius Gracchus, Marius und Sulla ohne Zögern der alten römischen Religion die fremden K u l t e vorgezogen, um diese ihren eigenen Zielen nutzbar zu machen. Die Behörden blieben aber stets mißtrauisch denen gegenüber, die die ausländischen Religionen zu ihrem Vorteil ausnutzten. Im J a h r e 139 ließ der Fremdenprätor Cn. Cornelius Hispalus die Chaldäer und Juden, die den K u l t des Sabazios propagierten, aus R o m und Italien verbannen. Wieder richtete sich die Maßnahme nicht gegen den K u l t selbst, sondern nur gegen diejenigen, die Profit daraus zogen und die moralische Gesundheit der Gemeinschaft gefährdeten: " . . . qui Sabazi Jovis cultu Romanos inficere mores conati e r a n t . . . ne peregrinam scientiam venditarent" 6 . Zuweilen bewies der Senat mehr Toleranz als das Volk: der Vorfall in den Batakes, ein Großpriester aus Pessinunt, verwickelt war, gegen den ein Volkstribun das Volk aufgehetzt hatte, zeigt das zur Genüge 7 . Die Duldung ausländischer 8 7

Val. Max., I, 3, 1 u. 3. Diod., X X X V I , 13; Plut., Mar. 17. 23

Götter war also keineswegs immer nur unter dem Druck der öffentlichen Meinung durchgesetzt worden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Beispiele, die zeigen, daß die getroffenen Maßnahmen häufig keinerlei Erfolg hatten — ein Beweis dafür, daß sie weder wirklich rigoros durchgeführt, noch hartnäckig fortgesetzt wurden. Im Jahre 59 hatte der Senat die Altäre der Isis und ihrer Nebengötter auf dem Kapitol zerstören lassen; aber schon die Konsuln des folgenden Jahres mußten neue Kultgebäude, die in der Zwischenzeit rasch errichtet worden waren, wieder abtragen lassen. Die Komödie wiederholte sich in den Jahren 53, 50 und 48. Im gleichen Jahr entdeckte man im Tempel der kappadokischen Bellona Gefäße, die menschliche Leichenteile enthielten; die Überwachung des Kultes durch die Polizei kann also nicht so streng gewesen sein. Im Jahre 43 beriet man über die offizielle Anerkennung der ägyptischen Kulte, doch wurde der Plan wieder fallengelassen. Nach dem Sieg Oktavians über Antonius, den die offizielle Propaganda als einen Sieg der italischen Götter über die orientalischen Ungeheuer und den hündischen Anubis darstellte, mußten die Vorschriften, durch die die Isis-Tempel aus dem römischen Stadtgebiet verbannt wurden, noch zweimal, in den Jahren 28 und 21, wiederholt werden. Bedeutend strenger wurden die Astrologen und Magier überwacht; im Jahre 33 ließ Agrippa sie aus Rom ausweisen. Bereits im Jahre 45 v. Chr. war Nigidius Figulus verbannt worden, ebenso erging es, etwa 20 Jahre später, Anaxilaos; beide waren Neupythagoreer und wurden für magi gehalten; der Staat verfolgte diese Sekte besonders, über die die beunruhigendsten Gerüchte umliefen, weil sie angeblich die öffentliche Ordnung störte und zu einem Herd ständiger Verschwörungen zu werden drohte. Aus denselben Gründen ließ Tiberius die mathematici aus Rom ausweisen, nachdem er schon Scribonius Libo wegen Magie im Jahre 17 verurteilt hatte. Der Senatsbeschluß, der bei dieser Gelegenheit gefaßt wurde, verhängte Exil und Güterkonfiskation über alle mathematici, Chaldaei, arioli unter Androhung der Todesstrafe für die Ausländer. Zwei Jahre später wurden Juden und Isis-Anhänger aus Rom verbannt als Propagatoren eines umstürzlerischen Synkretismus: Gelegenheit und Vorwand zu dieser Maßnahme bot ein Sittenskandal in der obersten Gesellschaftsschidit. Noch später, im Jahre 52, als Furius Camillus Scribonianus verurteilt wurde, und in den Jahren 68, 69, 90 und 93 fanden Ausweisungen von Magiern und Philosophen statt; im 24

Jahre 287 und 294 sollte Diokletian noch einmal die ars mathematica und den Manichäismus verbieten, als eine fremde und schändliche Zauberlehre. In allen uns bekannten Fällen gehen also der Staat und später die Kaiser niemals gegen eine Religion oder eine magisch-philosophische Lehre als solche vor; sie handeln stets in der Absicht, die gefährdete öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und das auch meistens erst nach Aufdeckung eines Skandals oder Ausbruch von Unruhen. In diesem Sinne lautet auch noch die Vorschrift in den sententiae des Juristen Paulus z. Z. der Severer: mit den Wahrsagern, den Ausbeutern der öffentlichen Leichtgläubigkeit, ist streng zu verfahren, um sie darin zu hindern, die guten Sitten zu verderben und die öffentliche Meinung zu beunruhigen. Ebenso sollen diejenigen, die neue Sekten und unbekannte Religionen in das Reich einführen, bestraft werden, in der gleichen Weise die Astrologen, die auf den Herrscher und den Staat bezügliche Horoskope stellen, die sich politisch gewinnbringend auswerten lassen. Aber audi da, wo es sich um neue oder fremde Religionen handelt, heißt es ausdrücklich, daß sich die Verfolgungen nur gegen die richten, die es fertigbringen, die öffentliche Meinung zu beunruhigen, ex quibus animi hominum moveantur 8 .

8 Zur allgemeinen Frage der Unterdrückung von fremden Religionen, in der republikanischen Epodie und in der Kaiserzeit, vgl. H . Last, Journal of Roman Studies 27 (1937) 80—92 und R A C II, 1208—1228. Über die Maßnahmen gegen Zauberei, Astrologie, "Philosophie" u. ä. vgl. H . Janne, Latomus 1 (1937) 37—56.

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III. DIE VERFOLGUNGEN VON IHREM BEGINN BIS ZU COMMODUS Es ist kaum anzunehmen, daß die ersten Kaiser an der Religionspolitik der römischen Republik etwas geändert haben. In der augusteischen Epoche kamen allerdings zwei neue Faktoren hinzu, die das kultische Leben im Reich beeinflussen sollten. Auf der einen Seite hatten die religiösen Reformen des Herrschers die Grundlagen der römischen Gesellschaft, den alten Götterglauben und die bereits im Absinken begriffenen Kulte wieder neu belebt und gefestigt. Als Gründer und Restaurator aller Tempel und als Oberpriester nahm Augustus seine Rolle als Wiederhersteller der altüberlieferten Gebräuche sehr ernst, wenngleich seine Bemühungen kaum Widerhall in der Öffentlichkeit fanden. Seine Versuche einer Sittenreform stießen auf taube Ohren; es ist bezeichnend, daß er ausgerechnet einen hartgesottenen Junggesellen, den Dichter Horaz, damit betrauen mußte, für die Säkularfeiern, von denen Unverehelichte streng ausgeschlossen waren, um der lex Julia "de maritandis ordinibus" Nachdruck und Weihe zu verleihen, eine Hymne zu verfassen. Nicht viel mehr Erfolg als seine Bestrebungen, der Familie ihre soziale und sittliche Vorzugsstellung wiederzugeben, hatten seine Versuche, die alten Kulte wiederherzustellen. Im Jahre 5 unserer Zeitrechnung war es schon äußerst schwierig, Vestalinnen zu finden; die alten aristokratischen Familien schreckten vor einem Opfer zurück, das früher als eine besondere Ehre betrachtet wurde; sie verschafften sich, gleichsam als Privileg auf Grund des ius trium liberorum, eine Sonderbefreiung von der Vorschrift, Priesterinnen für den Vesta-Tempel zu stellen. Auf der anderen Seite sollte die Schaffung des Kaiserkultes, in seiner engen Verknüpfung mit dem Kult der Roma, dem Symbol des großen römischen Imperiums, eine ungeheure Bedrohung für das Christentum werden. Das einzige Band, das dieses nach Sprache, Religion und politischer Verfassung bunte Völker- und Rassengemisch zu einen vermochte, war eben dieser Kult, so verschiedenartige Formen die Ver26

ehrung des Kaisers oder seines Genius oder das Opfer an die Götter für sein Wohl in den einzelnen Provinzen auch angenommen hatte. Es wäre verfehlt anzunehmen, daß dieser Kult, der uns aus unzähligen Insdiriften aus allen Teilen des Reiches bekannt ist, von Anfang an obligatorischen Charakter gehabt hätte; das war noch nicht einmal zur Zeit des Tiberius, also nach Veröffentlichung des ersten darauf bezüglichen Ediktes der Fall. Im 1. Jhdt. verlangten nur selbstherrliche Kaiser, Narren wie Caligula, Nero und Domitian, daß sie wie Götter behandelt würden, und bestraften alle, die sich weigerten oder es versäumten, ihnen göttliche Ehren zu erweisen. Aber hier handelt es sich nur um einzelne Ausbrüche von Cäsarenwahnsinn; die den ersten Kaisern mehr oder weniger spontan entgegengebrachte Verehrung und die ihnen mehr oder weniger in poetischer Sprache und metaphorischen Ausdrücken bezeugte Vergottung wurde erst später verpflichtend, verwandelte sich erst in der Folgezeit in offiziell vorgeschriebene Gesten und Phrasen. Es läßt sich hier deutlich ein Kristallisationsprozeß von bestimmten Gebräuchen beobachten, eine Art sozialer Verkalkung, die mit einem Schwinden der Vitalität zusammengeht; die ursprüngliche Spontaneität wird zu etwas Mechanischem, man verehrt die Kaiser, ohne darüber zu reflektieren; von diesem Augenblick an, in dem sie wirklich und endgültig als Götter auf Erden verehrt wurden, gewöhnten sich auch ihre Soldaten daran, sie wegen eines bloßen J a oder Nein hinzuschlachten1. Doch vollzog sich diese Entwicklung erst allmählich, parallel der Ausbreitung des Christentums; vor dem 3. Jhdt. war es weder obligatorisch vorgeschrieben noch allgemeiner Brauch, dem Kaiser zu opfern. Vor Trajan werden den Christen oder denen, die man dafür hielt, auch keine Loyalitätserklärungen erpreßt; die Verfolgungen im 1. Jhdt. haben also, wie gezeigt werden soll, ganz andere Gründe. Seit Tertullian ist immer wieder die Behauptung aufgestellt worden, daß Nero der erste war, der das Schwert gegen die Sekte erhoben habe, die sich damals in Rom bemerkbar machte. Aber schon der hl. Augustin versuchte, den Irrtum zu berichtigen: "Was werden diejenigen, die das behaupten, von der Verfolgung sagen, bei der der Herr selber gekreuzigt worden ist? Wohin gehört sie? Wenn sie nämlich behaupten, man dürfe nur die Verfolgungen mitrechnen, die den Körper treffen, aber nicht diejenige, die das Haupt 1

R . Goossens, L'oeuvre de Rome (1944) 100.

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angegriffen und getötet hat — wofür halten sie dann die Verfolgung, die in Jerusalem nach der Himmelfahrt Christi stattfand, als der Heilige Stephanus gesteinigt wurde, oder die Verfolgungen, in denen Jakobus, der Bruder des Johannes enthauptet wurde, oder der Apostel Petrus, den sie in den Kerker warfen, um ihn hinzurichten, der aber dann von einem Engel befreit wurde, litt und die Verfolgungen, in denen die Gläubigen aus Jerusalem verjagt und vertrieben wurden, oder als Saulus, der spätere Apostel Paulus, gegen die Kirche wütete, oder später, nachdem er das Wort Gottes verkündet hatte, als er selbst die Qualen, die er anderen zugefügt hatte, leiden mußte, sowohl in Judäa als bei andern Völkerschaften, überall, wo ihn sein leidenschaftlicher Eifer die Lehre Christi verkünden ließ? Warum wollen sie also die Verfolgungen der Kirche erst mit Nero beginnen lassen, da sie doch bereits eine lange und fürchterliche Leidenszeit, defen ausführliche Beschreibung hier zu weit ginge, hinter sich hatte, als die Epoche dieses Kaisers begannV' D i e Kirchengeschichte war nur an den Leiden der im Entstehen begriffenen Kirche — von der Kreuzigung bis zum T o d der Apostel — interessiert, nicht an den Beziehungen zwischen dem

Christentum

und dem römischen S t a a t ; in jener ersten Zeit richtete sich die A u f merksamkeit der staatlichen Behörden in R o m noch nicht auf die neue Sekte. Erst seit dem J a h r e 59, dem J a h r , in dem der Prokurator P o r cius Festus den hl. Paulus nach R o m schickte, und nachdem Paulus ein direktes Gesuch an den Kaiser gerichtet hatte, unterstand die in P a lästina gegründete Gemeinde offiziell der römischen Gerichtsbarkeit. Vorher hatte R o m es toleranterweise den lokalen jüdischen Behörden überlassen, in allen Fällen, die die Regelung des religiösen Lebens betrafen, selbständig zu entscheiden. D i e ersten Kaiser dachten nicht daran, die Privilegien, die Cäsar und Augustus den Juden in der Diaspora zugestanden hatten, einzuschränken; sie ließen ihnen völlige Freiheit, damit sie — ein V o l k für sich — nach dem ihnen offenbarten Gesetz leben könnten, so lange es die öffentliche Sicherheit nicht erforderte, sie auszuweisen. I n Palästina selbst stießen natürlich jüdischer Nationalismus und römische Autorität härter aufeinander als anderswo; der Gegensatz wurde gelegentlich audi noch verschärft durch den Dünkel, die Unfähigkeit oder Habgier einzelner Prokuratoren. Aber bis zum Ausbruch der großen Rebellionen im J a h r e 66 handelte 2

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Civ. Dei XVIII, 52.

es sich nur um unbedeutende, lokal beschränkte Einzelfälle — selbst die von dem anmaßenden Caligula provozierten Ausfälle waren nicht mehr —, und obgleich die Evangelien, vor allem die Apokryphen, dazu neigten, die Verantwortung für die Hinrichtung Jesu den Juden zuzuschieben, um die Römer zu entlasten, kann man doch, ohne in Widersprüche zu geraten, behaupten, daß die ersten Belege der Kirche ebenso für die Toleranz der Römer als für die Anhänglichkeit der Juden an ihren Glauben Zeugnis ablegen. Gewiß, es könnten schon vor Nero einzelne Verfolgungen stattgefunden haben, von denen die christliche Überlieferung nichts weiß, oder die sie vergessen hat. Gelegentlich sind die Sektierer, die ähnlichen Lehren wie die Anhänger des Judentums folgten und die Tiberius aus Rom ausweisen ließ, als die ersten Mitglieder der römischen Gemeinde angesehen worden. Aber dann müßte man die Maßnahme, die Tacitus unter dem Jahre 19 bringt, in das Jahr 31 datieren: nach Philo wäre die Ausweisung in die Zeit der Verschwörung des Sejanus zu setzen, also kurz vor dem Jahre 31; folgt man dem Bericht des Josephus, dann kann sie zwischen 26 und 31 stattgefunden haben 3 . Aber abgesehen davon, daß die Chronologie des Tacitus im allgemeinen korrekt ist, so ist es auch recht unwahrscheinlich, daß bereits kurz nach dem Tod Christi Christen in Rom gelebt haben sollen. Diese Theorie läßt sich also kaum aufrechterhalten. Der Nachfolger des Caligula war Claudius. Er empfing im Jahre 41 zwei Gesandtschaften, eine von den Griechen und eine von den Juden aus Alexandrien. Die Vertreter der beiden feindlichen Gemeinden der großen Stadt überbrachten dem Kaiser ihre Segenswünsche, aber auch die Beschwerden ihrer Auftraggeber. Der Kaiser erteilte seine Antwort in einem an beide gemeinsam gerichteten Schreiben, von dem sich eine Abschrift, die für die Bewohner eines ägyptischen Dorfes bestimmt war, im Jahre 1920 wiedergefunden hat 4 . Das Antwortschreiben umfaßt drei Teile: in dem ersten weist Claudius die göttlichen Ehren zurück, die die Griechen ihm in ihrem Uberschwang zuerteilen wollten — Ehren, die sie in ihrem devoten Übereifer früher dem hochfahrenden Caligula gezollt hatten. Daraufhin prüft der Kaiser die Beschwer-

3

H. Janne, Latomus 1 (1937) 45—49. P. Lond. 1912. Bibliographie bei H. Janne, Melanges F. Cumont I (1936) 273—295. 4

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den, die ihm die Stadt unterbreitet hat. Der dritte Teil betrifft die blutigen antisemitischen Ausschreitungen in Alexandrien. Was die Unruhen und Ausschreitungen oder vielmehr, um die Wahrheit zu sagen, den Krieg gegen die Juden angeht, so wollte ich keine gründlichen Nachforschungen anstellen, um die Urheber ausfindig zu machen, obgleich eure Gesandten und besonders Dionys, Theons Sohn, sich im Laufe einer in Gegenwart der Parteien erfolgten Unterredung große Mühe gegeben haben, mich darüber aufzuklären; doch behalte ich es mir vor, mit unnachsichtigem Zorn gegen die vorzugehen, die den Konflikt Wiederaufleben lassen sollten. Ich warne euch ein für allemal, daß ich — wenn ihr diesem mörderischen und halsstarrigen Wüten kein Ende setzt, — mich gezwungen sehe, euch Menschlichkeit zu zeigen, wie weit ein Herrscher, der ein Freund der ist, in seinem rechtmäßigen Zorn gehen kann, wenn man ihn bis zum Äußersten reizt. Ferner beschwöre ich euch noch einmal: die Alexandriner mögen sich nachsichtig und human gegenüber den Juden verhalten, die seit so vielen Jahren die gleiche Stadt bewohnen; sie mögen keinen Anstoß nehmen an den religiösen Riten, mit denen die Juden von altersher ihren Gott verehren, sondern sie, wie zur Zeit des göttlichen Augustus, ungestört ihre religiösen Bräuche ausüben lassen, die ich ihnen selbst bestätigt habe, nach Anhören der beiden Parteien. Den Juden ihrerseits befehle ich ausdrücklich, nicht immer wieder durch ständiges Eifern zu versuchen, noch größere Privilegien bewilligt zu erhalten, als sie bereits vorher besessen haben, und in Zukunft keine gesonderte Gesandtschaft mehr zu schicken, was doch unerhört ist, so als lebtet ihr und sie in zwei verschiedenen Städten; sie sollen auch nicht versuchen, sich in die öffentlichen Spiele einzudrängen, die von den Gymnasiarchen und Kosmeten geleitet werden; sie erfreuen sich ja bereits besonderer Privilegien und genießen eine Fülle von Vorteilen in einer Stadt, die nicht die ihre ist. Es ist ihnen untersagt, Juden kommen zu lassen und solche in die Stadt einzulassen, die aus Syrien oder Ägypten auf dem Wasserwege kommen; verstoßen sie dagegen, so würde ich mich gezwungen sehen, wirklich ernsten Verdacht gegen sie zu schöpfen. Wenn sie meine Anordnungen nicht befolgen, werde ich sie mit allen Mitteln verfolgen, als Leute, die eine Seuche, die sich über die ganze Welt verbreitet, einschleppen. Der letzte "plötzliche und überraschende" Ausfall des Kaisers gegen die Juden hat die Forschung lebhaft beschäftigt; einige Gelehrte wollten darin die "erste Anspielung auf das Christentum in der Ge30

schichte" sehen. "Die Seuche, die sich über die ganze Welt verbreitet" sollte nach der Auffassung einiger Forscher nichts anderes sein als die von den ersten christlichen Missionaren verbreitete Lehre; war nicht der Apostel Paulus im Jahre 54 angeklagt worden, als "eine Seuche, ein Individuum, das unter den Juden der ganzen Welt Uneinigkeit stifte"? Nimmt man das Datum des Briefes (41 n. Chr.) mit dem Datum der antisemitischen Ausschreitungen in Antiochien (40 n. Chr.) zusammen, das in Beziehung zu der Gründung der ersten christlichen Kirche in dieser Stadt gesetzt wird, dann muß man zu dem Schluß kommen, daß jede Bewegung innerhalb einer Judengemeinde, die den römischen Behörden Anlaß zum Eingreifen gab, den antisemitischen Kreisen in einem Ort Gelegenheit zu einem Pogrom geben konnte, da sie doch in einem solchen Fall meinen mußten, daß Rom unzufrieden mit seinen jüdischen Schützlingen sei. Man muß sich jedoch vor vorschnellen Schlüssen hüten: die Chronologie der Kirche von Antiochien steht auf schwachen Füßen; es ist reine Willkür, wenn man den Pogrom in Antiochien, den Malalas in das Jahr 40 verlegt, mit der ersten Predigt in dieser Stadt in Verbindung gebracht hat. Fest steht nur, daß die Warnung des Agabos vor der Hungersnot (Apostelgesch. 11, 27) und die Verfolgungen des Herodes ( v o r dem Jahre 44), die den chronologischen Rahmen für die Datierung der christlichen Missionierung in Antiochien bilden, sich unmöglich in der Reihenfolge ereignet haben können, in der die Akten sie bringen. Unter diesen Umständen ist es nicht zulässig, die blutigen Unruhen des Jahres 40 in Antiochien als eine Folge der dort gehaltenen Predigten zu betrachten. Damit entfällt aber auch das gewichtigste Argument, das zugunsten einer Hypothese ins Feld geführt worden ist, die in dem jüdischen Kriege des Jahres 41 in Alexandrien eine Reihe christlicher Werbefeldzüge sehen wollte. Dazu kommt noch, daß der Brief des Kaisers Claudius direkt an die beiden Parteien, Juden und Griechen, gerichtet ist und daß in ihm in keiner Weise versucht wird, in die inneren Angelegenheiten der Juden einzugreifen. Es ist wenig wahrscheinlich, daß die christliche Propaganda in Alexandrien im Jahre 30 schon stark genug gewesen sein sollte, nicht nur um die Juden der Stadt zu beunruhigen, sondern um auch die beiden großen Gemeinden, von denen jede getrennt eine Gesandtschaft an den Kaiser sandte, gegeneinander aufzuhetzen. Wenn Claudius den Juden droht, so darum, weil sie den starken Einfluß ihrer Volksgenossen in allen Provinzen zu ihrem Vorteil ausnutzten und an alle Judengemeinden in der Diaspora appel31

Herten, um eine bevorzugte Stellung in Alexandrien zu erringen. Der Kaiser räumt ein, daß die beiden großen Parteien in der Stadt gleichberechtigt nebeneinander leben; sollten jedoch die Juden Verstärkungen aus den benachbarten Gemeinden heranholen, dann sähe er sich gezwungen, sie nicht mehr als eine der Gemeinden der Stadt zu betrachten, sondern als eine Verschwörergruppe, die im ganzen Reich Anhänger hat; er müßte sie dann wie Rebellen behandeln, die das Bestehen des Staates gefährdeten. So kann diese Anordnung kaum in irgendwelcher Beziehung zu der christlichen Mission stehen. Dagegen ist es durchaus möglich, daß die Ausweisung der Juden aus Rom, die Claudius befahl, eine Folge der Unruhen ist, die die erste, vor der Ankunft des Apostel Paulus stattgefundene Mission in der Gemeinde Roms hervorgerufen hatte. Unter den lobenswerten Maßnahmen, die Claudius getroffen hat, erwähnt Sueton die folgende: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit 5 : er vertrieb die Juden aus Rom, die auf Betreiben von Chrestos ständig Unruhen stifteten. Zweifellos ist mit diesem 'Chrestos' Christus gemeint und nicht etwa ein Freigelassener des gleichen Namens (der N a m e war damals ziemlich verbreitet) oder irgendein "Messias"; die Anwesenheit eines solchen Agitators in der jüdischen Gemeinde in Rom wäre zu jener Zeit undenkbar. N u r der christliche Messianismus, der den engen Rahmen des jüdischen Nationalismus sprengte, war imstande, Unruhen hervorzurufen, die sich sogar bis in die Judenkolonie in Rom auswirkten. Obgleich es eine Tradition gibt, nach der Christus erst unter Claudius den Tod erlitten haben soll, fragt es sich aber doch, ob nicht die Erwähnung des Christus auf einem Irrtum Suetons beruht. Die Ausweisung der Juden ist auch durch andere Quellen bezeugt; aber Sueton ist der einzige Autor, der sie mit dem " A u f rührer" Christus in Verbindung bringt. Erinnert man sich daran, daß die Gründung der römischen Kirche nadi Hieronymus in den Anfang der Regierungszeit des Claudius fällt — trotz der Unkenntnis, die die führenden Männer der Judengemeinde bei der Ankunft des hl. Paulus bewiesen —, dann darf man mit gutem Grund annehmen, daß sich Suetons Anspielung tatsächlich auf die ersten Ausbreitungsversuche der neuen Religion in Rom bezieht. Wie dem audi sei, die von Claudius getroffenen Maßnahmen, deren Auswirkungen übrigens keinerlei Bestand hatten, zielten auf die Judenschaft in Rom als Ganzes; diestaat5

32

Suet., C l a u d . 25,4.

liehen Behörden hatten damals noch nicht gelernt, zwischen Juden und Christen zu unterscheiden6. Erst unter Nero, nach dem Brand Roms, sind diese ausdrücklich als Christen verfolgt worden; damals machte man zum erstenmal einen Unterschied zwischen Juden und solchen, die ähnlichen Lehren folgten (et similia sectantes). Möglicherweise — aber das ist natürlich eine unbeweisbare Hypothese — war der Kaiser bereits auf die Anhänger aufmerksam geworden, die die neue Sekte unter den Mitgliedern der oberen Gesellschaftsschichten zu gewinnen vermocht hatte. Im Jahre 58 war Pomponia Graecina, die Frau des Consulars Aulus Plautus, wegen fremder abergläubischer Praktiken (externa superstitio) angeklagt worden; sie kleidete sich stets in Schwarz und ging nie aus; ihre Traurigkeit und asketische Haltung schob man auf den Schmerz, den sie über den Verlust ihre Freundin Julia, der Tochter des Drusus, erlitten hatte. "Aber es ist klar", so meint Renan, "daß die Trauer, die sie im Herzen empfand, viel tiefer ging und sie vielleicht mit geheimnisvollen Hoffnungen erfüllte." Nachdem der Senat ihren Fall dem Familiengericht zur Untersuchung übertragen hatte — ein Brauch, der fast ganz in Vergessenheit geraten war —, wurde sie für schuldlos erklärt; sie lebte noch lange Jahre in ihre mysteriöse Trauer eingesponnen, ohne daß jemand ihrem Geheimnis auf die Spur gekommen wäre. "Wer weiß", fährt Renan fort, "ob nicht das, was oberflächliche Beobachter für eine düstere Stimmung hielten, in Wirklichkeit Zeichen eines tiefen Seelenfriedens, Merkmal einer inneren Sammlung war, einer Bereitschaft zum Tod, der Verachtung für eine ungeistige und verderbte Gesellschaft, und unaussprechliche Freude über den Verzicht auf alle Freuden? Wer weiß, ob Pomponia Graecina nicht die erste Heilige der 'vornehmen' Welt war?" 7 Mit Recht hat Renan so viele Fragezeichen gesetzt; das Christentum der Pomponia Graecina bleibt, trotz einer (im übrigen später ergänzten) Inschrift eines Pomponius Graecinus und einer Inschrift mehrerer Pomponii in der KallistusKatakombe, problematisch. Man wüßte es sich nicht recht zu erklären, wie diese Aristokratin, wäre sie wirklich Christin und als solche bekannt gewesen, der Verfolgung des Jahres 64 hätte entgehen können, die keine Altersstufe und kein Geschlecht schonte, oder den Verfolgungen, denen Paulus zum Opfer gefallen ist. In Wirklichkeit wissen 6 J. Moreau, Les plus anciens témoignages profanes sur Jésus (1944) 49—53. 7 E. Renan, Oeuvres complètes, éd. définitive IV, 1126—1127.

33 3

Moreau

wir nichts Genaues aus der Zeit vor der Ankunft des Paulus in Rom und vor allem vor dem Brand, der die Stadt im Jahre 64 verheerte. Die damaligen Ereignisse sind zu Bekannt, um sich hier länger bei ihnen aufzuhalten. Tacitus schildert das Ausmaß der Katastrophe und führt dann die Maßnahmen auf, die Nero traf, um die feindlich gesinnte öffentliche Meinung zu beschwichtigen, die so weit ging, daß sie sogar den Kaiser beschuldigte, die Stadt in Brand gesteckt zu haben. Aber weder durch irgendwelche menschliche Bemühungen noch durch großzügige Spenden des Kaisers oder durch Sühneopfer an die Götter ließ sich der Verdacht beseitigen, daß der Brand auf Befehl entfacht worden sei. Um daher das Gerücht zum Schweigen zu bringen, führte Nero Angeklagte vor und ließ mit ausgesuchten Grausamkeiten Leute bestrafen, die durch ihre Schandtaten verhaßt waren und vom Volk Christen genannt wurden. Ihren Namen leiteten sie von Christus ab, der unter Tiberius durch den Prokurator Pilatus verurteilt worden war. Nachdem der verderbliche Aberglauben der Christen so eine Zeitlang unterdrückt geblieben war, lebte er wieder auf, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsland des Übels, sondern auch in der Hauptstadt, wo von überallher alle Scheußlichkeiten und Schamlosigkeiten Eingang finden und begangen werden. So wurden sie denn verhaftet — zuerst diejenigen, die geständig waren, und dann auf deren Denunziationen hin eine große Menge; die Angeklagten wurden viel weniger wegen Brandstiftung als wegen ihres Hasses auf die Menschheit verurteilt. Ihr Tod wurde zu einem Schauspiel gemacht, das sie der Verhöhnung preisgab, indem man sie mit Tierfellen bedeckte und von Hunden zerfleischen ließ oder sie kreuzigte oder gleich lebenden Fackeln, sobald der Tag sich gesenkt hatte, anzündete und die Nacht erhellen ließ. Nero hatte für dieses Schauspiel seine Gärten zur Verfügung gestellt und veranstaltete Zirkusspiele, wobei er sich selber in der Tracht eines Kutschers unters Volk mischte oder seinen Wagen lenkte. Obgleich nun diese Strafen über Schuldige verhängt wurden und die Christen schärfste Strafen verdienten, erregten sie Mitleid, da sie nicht im Interesse der Erhaltung des Staates, sondern als Opfer der Grausamkeit eines Einzelnen fielen8. Der Bericht bei Tacitus ist die einzige Stelle, die den Brand Roms ausdrücklich mit der Verfolgung in Zusammenhang bringt. Sueton 8

Tac., Ann. XV, 44. Vgl. H. Fuchs, Vigiliae Christianae 4 (1950) 65 ff. u. J. Beaujeu, L'incendie de Rome en 64 et les Chrétiens (1950). 34

(und die ersten christlichen Autoren) begnügen sich damit, das Massaker des Jahres 64 zu erwähnen, ohne die Gründe anzugeben, die Nero zu dieser Maßnahme erwogen haben. Der Unterschied in der Behandlung des Gegenstandes erklärt sich durch die verschiedene literarische Technik und die andersgerichteten Absichten, die beide Autoren bei der Abfassung ihrer Werke leiteten. Sueton erwähnt die Verfolgung und den Brand Roms an zwei verschiedenen Stellen, da er seinen Stoff nidit nach chronologischen, sondern nach systematischen Gesichtspunkten ordnet: er erwähnt also die Maßnahmen Neros, die nach seinem Urteil dem Wohl des Staates dienten, getrennt von denen, die er seiner Grausamkeit und Tollheit zuschreibt. Unter den heilsamen Maßnahmen führt er mit anderen polizeilichen Eingriffen die Unterdrückung des Christentums an. Den Brand Roms, für den er — darüber läßt er uns ebensowenig im Zweifel wie seine Zeitgenossen — Nero die Schuld gibt, erwähnt er natürlich in der zweiten Gruppe. Die ältesten christlichen Schriftsteller betrachten die Ereignisse ganz bewußt unter einem unhistorisdien Gesichtspunkt; sie wollen aus den Leiden der Kirche eine bestimmte Lehre ziehen; Clemens Romanus, der früheste Zeuge für die neronisdie Verfolgung — er sdirieb im letzten Jahrzehnt des Jhdts. —, möchte in seinem Brief seine Brüder in Korinth vor allem vor den bösen Folgen innerer Zwiste, der Quelle allen Unglücks warnen. Aus Neid und Eifersucht haben diejenigen, die wahrhafte treue und gerechte Säulen der Kirche waren, die bittere Verfolgung bis zum Tod durchgemacht. Laßt vor unserem geistigen Auge die Apostel vorüberziehen: ... Aus ungerechtem Neid hat Petrus nicht eine oder die andere Gefahr, sondern zahlreiche Übel ertragen und ist schließlich nach erlittenem Martyrium zu dem verdienten Ort aufgestiegen. Auf Grund von Eifersucht anderer hat Paulus durch seine Standhaftigkeit den Sieg davongetragen... Diesen heiligen Männern hat sich eine große Anzahl Auserwählter angeschlossen, die nur durch die Eifersucht und den Neid anderer tausend Leiden und Qualen erdulden mußten und für uns leuchtende Beispiele geworden sind. Auch Frauen, wahre Danaiden- und Dirke-Gestalten, sind nur aus Eifersucht grausigen und gemeinen Strafen unterzogen worden und haben somit das Ziel des Glaubens zu erreichen gewußt und eine herrliche Belohnung empfangen — sie, die doch so schwach an Körperkräften sind9. 9

3'

Clem. Rom., I. Korintherbrief 6. 35

Clemens Romanus hat weder die Umstände noch das Jahr, in dem Petrus und Paulus als Märtyrer starben, genau angegeben; es kann also vor oder nach der großen Verfolgung gewesen sein. Die Apologeten bis Laktanz beschränken sich darauf, Nero heftig anzugreifen, "den ersten, der mit dem kaiserlichen Schwert gegen unsere Sekte wütete, die sich in jener Zeit in Rom entfaltete" 10 . Im übrigen bemühen sich aber die früheren Kirchenväter und selbst Tertullian v o r seiner montanistischen Periode darzutun, daß ein friedliches Nebeneinander von Reich und Christentum durchaus möglich sei, und die Christen von den Beschuldigungen reinzuwaschen, die das Volk gegen sie erhob, vor allem auch von der Schuld an Brandstiftung. Tertullian geht sogar in dem Brief an Scapula soweit, daß er die Todesstrafen des Jahres 64 ableugnet und behauptet, die Verurteilung von Christen zum Tod auf dem Scheiterhaufen sei etwas nie Gehörtes und ohne Beispiel vor seiner Zeit, da "man sie früher nur durch das Sdiwert sterben ließ, so, wie es von Anfang an angeordnet war" 11 . Mit der von Nero über die Christen verhängten Todesstrafe wurde übrigens nach römischem Brauch stets Brandstiftung geahndet. Nach sorgfältiger Prüfung der Quellenfrage besteht jedenfalls kein Grund, die Authentizität der bekannten Tacitus-Stelle, deren echt taciteischen Charakter H. Fuchs überzeugend nachgewiesen hat, in Zweifel zu ziehen. Ist nun auch die neronische Verfolgung im großen ganzen gut bezeugt durch den zitierten Historikertext, so läßt sich doch leider daraus so gut wie nichts für die christliche Überlieferung entnehmen, deren sich die Legende rasch bemächtigt hat. Die Übertreibungen in den Apokryphen, wie etwa in den Akten des Petrus und Paulus, die die Ereignisse des Jahres 64 mit den Martyrien der Apostel verbinden, verdienen keinen Glauben, da sich das Jahr ihres Todes nicht genau bestimmen läßt. Die Schilderungen sind romanhaft und bedienen sich der in Abenteuergeschichten erprobten wirkungsvollsten Mittel; so lassen sie z. B. den von Petrus besiegten Magier Simon auftreten oder Persönlichkeiten aus der kaiserlichen Umgebung. Sogar so ernsthafte Autoren wie Asterius von Amasia und der hl. Johannes Chrysostomus interessieren sich mehr für die romanhaften Umstände, die die Verurteilung der Apostel begleiten, als für die Niedermetzelung der rörtiischen Gemeinde. Nach diesen Autoren wurden die 10 11

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Tertull., Apol. V, 3, 4. Tertull., ad Scap. 4, 8.

Apostel deshalb bestraft, weil sie das Lasterleben des Kaisers gebrandmarkt hatten. Was bleibt dann aber schließlich noch an Glaubwürdigem übrig in derart tendenziösen und legendären Berichten? Zunächst scheint der Brand Roms tatsächlich der Anlaß für die Verfolgungen gewesen zu sein: die christlichen Apologeten hüllten sich absichtlich in Schweigen über eine Beschuldigung, die ihre Gegner wieder hätten aufnehmen können; den heidnischen Autoren lag nichts daran, eine derart kompromittierende Persönlichkeit wie Nero in Schutz zu nehmen, der im übrigen von allen übereinstimmend für den eigentlichen Brandstifter gehalten wurde. Trotz der Versicherungen des Laktanz scheint die Verfolgung sich nicht weiter im Reich ausgebreitet zu haben. Betroffen wurde nur die allerdings bereits recht ansehnliche römische Gemeinde. Nero hat als erster einen Unterschied zwisdien Christen und Juden gemacht. Zweifellos hat neben dem Einfluß der Poppäa, die offenbar mit der jüdischen Religion sympathisierte, die Aktivität der eifersüchtigen Judengemeinde mitgewirkt bei dem Entschluß Neros, auf die geheimnisvolle und dem Volk verdächtige Sekte die Verantwortung für die von jedem angenommene Brandstiftung zu schieben12. Die neronische Verfolgung hat anscheinend nicht lange gedauert; auch hatten die Christen unter Neros unmittelbaren Nachfolgern nicht zu leiden. Die Überlieferung schreibt die zweite Verfolgung der Kirche Domitian zu, aber sie fügt sich in den Rahmen der von den Apologeten verfolgten Absichten so gut ein, daß man Texte, die sich auf diesen Nero so unähnlichen Kaiser beziehen, besonders sorgfältig prüfen muß. Nach Eusebius13 hatte die Kirche, die z. Z. Domitians, des "kahlköpfigen Nero", in Blüte stand, die Aufmerksamkeit der profanen Autoren auf sich gezogen; sie sollen ausführlich über das Unglück, das die römische Gemeinde betroffen hatte, berichtet haben, insbesondere über die Verbannung einer großen Anzahl von Christen auf die Insel Pontia. Unter diesen befand sich Flavia Domitilla, eine Nichte des Konsuls Flavius Clemens. Der Bischof von Caesarea zitiert in seiner Kirchengeschichte leider seine Gewährsmänner nicht. N u r in seiner Chronik nennt er einen gewissen Brettius oder Bruttius, der sonst unbekannt ist. Es ist kaum anzunehmen, daß dieser unbekannte 12 13

M. Dibelius, SB Heidelberg, Phil.Hist.Kl. 1941/2, 2, S. 21. Kirchengesch. III, 18, 4. 37

Historiker über die bloße Erwähnung der von Domitian befohlenen Verfolgung, von der gewisse hochgestellte Persönlichkeiten betroffen wurden, hinausgegangen ist; auch wird er nicht ausdrücklich gesagt haben, daß sich darunter auch Anhänger des christlichen Glaubens befanden, doch werden seine Worte die Möglichkeit einer solchen Interpretation nicht ausgeschlossen haben. Das ist zweifellos alles, was Eusebius aus der Profanliteratur erfahren konnte, das Wesentliche steht bei Sueton und Cassius D i o ; an weiteren Zeugen hat Eusebius noch Hegesipp und Tertullian herangezogen. Nach Sueton und Cassius Dio wurde Flavius Clemens, ein ob seiner Indifferenz verachteter leiblicher Vetter des Kaisers, wegen Atheismus zum Tode verurteilt 14 . Das war ein Verbrechen, das, ebenso wie die Befolgung jüdischer Bräuche, auch viele andere Leben und Freiheit gekostet hat. So wurde der Konsul des Jahres 91, Glabrio, gleichfalls ein "Atheist", mit zwei anderen Aristokraten als molitor rerum novarum hingerichtet. Einer von ihnen war ebenso wie der genannte Clemens wegen Desinteressiertheit am öffentlichen Leben beschuldigt worden, ein Vorwurf, den man auch den Christen zu machen pflegte. Es handelt sich hier um einen Kreis römischer Aristokraten, gegen die der Kaiser unter verschiedenen Vorwänden vorging, die aber anscheinend alle eine gewisse Vorliebe für die jüdische Art zu leben bezeigt haben; das kann natürlich heißen, daß sie mehr oder weniger mit dem Christentum sympathisierten. Doch ist es auch möglich, daß Eusebius, ohne über die Verfolgung viel mehr als die heutige Forschung zu wissen, aus den gegen die Opfer vorgebrachten Hauptanklagepunkten geschlossen hat, daß es sich um Christen gehandelt habe; sonst macht er keinerlei genauen Angaben; er nennt nur einen einzigen Namen, den der Flavia Domitilla, wobei er, was ihre Verwandtschaft mit Flavius Clemens und den Ort ihrer Verbannung angeht, von der profanen Überlieferung abweicht. Eusebius scheint von einer späteren Legende beeinflußt worden zu sein, die auf der Insel Pontia entstanden war, wo man den Touristen die Zufluchtsstätte der berühmten Verbannten zeigte. Für das Christentum der Flavia Domitilla glaubte man einen Beweis zu haben, als ein christlicher Friedhof, der ihren Namen trug, entdeckt wurde. Vor Eusebius weiß die kirchliche Uberlieferung nichts vom Christentum der Domitilla und der anderen vornehmen Opfer Domitians. 14

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J . Moreau, L a Nouvelle Clio 5 (1953) 121—129.

Tertullian berichtet wohl über die Exilierungen unter dem Kaiser, fügt aber zugleidi hinzu, daß die Verbannten von ihm wieder zurückgerufen worden seien. Ferner schreiben alle profanen Quellen übereinstimmend Nerva die rescissio actorum des Tyrannen zu, die allen Verbannungen ein Ende setzte. Danach kann Tertullian seine Kenntnis von einer angeblichen Verfolgung nicht aus einem heidnischen Autor, sondern nur aus einer christlichen Quelle bezogen haben. Und diese Quelle läßt sich auch nachweisen: es ist Hegesipp, der gegen 180 schrieb, der einzige Autor, der behauptet, daß Domitian selbst durch ein Edikt die von ihm vorher angeordnete Verfolgung beendet habe. Nun erwähnt aber Hegesipp unter den Tatsachen, die sich auf die Verfolgung beziehen, nur das Erscheinen der Enkel des Juda vor dem Kaiser; diese waren von Häretikern angeklagt worden, weil sie als Nachkommen Davids Prätendenten auf dem Thron Israels seien. Die Indizien, die f ü r eine Verfolgung sprechen, sind recht spärlich. Neben dem Zeugnis des Eusebius, das nur mit Vorsicht zu benutzen ist, beruft man sich zuweilen auf die Johannes-Apokalypse. Es steht aber keineswegs fest, daß ihr Text, der auf Martyrien in Vergangenheit und Zukunft anspielt, bis in die Zeit Domitians oder Nervas zurückreicht. Obgleich mit den Siegern im Kampf gegen das "große Tier" und sein Abbild zweifellos die Märtyrer gemeint sind, die wegen ihrer Ablehnung des kaiserlichen Kultes verurteilt worden waren, so ist es doch möglich, daß es sich um Opfer von Volksaufständen handelt und nicht um solche, die auf Grund eines kaiserlichen Ediktes verurteilt worden waren; in jedem Fall bezog sich das nur auf Kleinasien. Wenn in dem Brief des Plinius an Trajan, der gegen 112 geschrieben ist, von Christen in Bithynien die Rede ist, die die Kirche vor zwanzig Jahren verlassen haben, so heißt das noch nicht, daß diese Kirchenaustritte Folge einer Zwangsmaßnahme waren. Der Text kann jedenfalls nicht als Beleg für eine Verfolgung unter Domitian angeführt werden, zumal im gleichen Brief auch noch andere Gläubige erwähnt werden, die seit drei Jahren und länger — ja, sogar seit zwanzig Jahren aufgehört haben, ihre Religion auszuüben: es handelt sich hier um Angeklagte, die im Interesse ihrer Verteidigung ihren Abfall von der Kirche möglichst weit in die Vergangenheit zurückversetzen und sich absichtlich nicht auf ein datierbares Ereignis festlegen. Der einzige, möglicherweise zeitgenössische Text, der eine Anspielung auf eine Verfolgung der römischen Gemeinde unter Domitian 39

enthalten könnte, ist der Brief des Clemens Romanus an die K o rinther. Der Verfasser entschuldigt sich darin, daß sich seine Antwort an die Kirche von Korinth so lange verzögert hat. Der Grund dafür liegt, wie er sagt, "in Unglück und Leiden, die unerwartet und ohne Unterbrechung über die Kirche in Rom hereingebrochen sind". Nachdem er an die Opfer Neros erinnert hat, fährt er fort: " W i r befinden uns in der gleichen Arena und haben dieselben Prüfungen durchzumachen". Wenn hier wirklich auf eine vom Kaiser angeordnete Verfolgung angespielt sein sollte, dann hat der Verfasser absichtlich die "Vorfälle" zu bagatellisieren versucht, um die Beziehungen zwischen Kirche und Staat nicht zu vergiften. Möglicherweise war die Gemeinde auch nur Polizeischikanen ausgesetzt gewesen, die nicht zu Blutvergießen führten. Vielleicht gehen die Leiden, die die Kirche trafen, auf eine damals immer noch mögliche Verwechslung zurück zwischen nicht organisierten Juden und Christen zu einer Zeit, in der sich der Staat, von eifrigen Denunzianten unterstützt, bemühte, die Abgaben des fiscus Judaicus zu vermehren. Wie dem auch sei, die Judenpolitik der Flavier ist nicht von ihrer Haltung gegenüber den Christen zu trennen; nur auf Grund einer Vermengung des von der Tradition überlieferten Antisemitismus der Flavier mit ihrer christenfeindlichen Einstellung hat Sulpicius Severus aus Titus einen Verfolger gemacht und Hilarius von Poitiers aus Vespasian einen Feind der Kirche vom Schlage des Nero und Decius. Schließlich ist auch noch daran zu erinnern, daß die flavischen Kaiser, vor allem Domitian, den einzelnen heidnischen Religionen erhöhte Aufmerksamkeit zuwandten, besonders in Verbindung mit dem Kaiserkult. So mußte ihre Religionspolitik natürlich zu Konflikten zwischen Heiden und Christen führen; trotz aller Bemühungen der Gemeindehäupter zugunsten einer friedlichen Koexistenz, trotz ihrer Appelle an die Vernunft, mußten sich Vorfälle, wie die Ausschreitungen der fanatischen Anhänger der Artemis von Ephesus gegen die ersten Christen, wiederholen und verschärfen. Im übrigen herrschte aber nur eine allgemein feindselige Atmosphäre gegenüber allem Christlichen; bestimmte Tatsachen lassen sich nicht nachweisen. J a , es ist sogar behauptet worden, daß sich Mitglieder des kaiserlichen Hauses bekehrt hätten und daß ohne das tragische und vorzeitige Ende Domitians bereits 200 Jahre vor Konstantin christliche Herrscher zur Herrschaft über das Reich gekommen wären. Doch geht das wohl zu weit. Die verfehlten Maßnahmen der Antonine beweisen,

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daß sidi die staatliche Aufsicht über die christliche Sekte seit den Tagen Neros verschärft hatte und daß sie unter den Flaviern mehrmals zu strengsten Eingriffen, besonders in Kleinasien, geführt hat. Weder Nerva noch Trajan, noch Hadrian oder Antoninus Pius scheinen von sich aus Maßnahmen gegen die Christen ergriffen zu haben. Doch mußten einzelne Beamte unter dem Druck der öffentlichen Meinung die neue Religion brutal bekämpfen. Wir besitzen für diese Zeit glücklicherweise ein hervorragendes Zeugnis, einen Brief des jüngeren Plinius, damals Statthalter in Bithynien, in dem er den Kaiser um Instruktionen bezüglich der Christenprozesse bittet, und Trajans Antwort. Der Zufall hat diese Briefe gerettet, weil Plinius nicht nur ein Provinzstatthalter, sondern auch ein bekannter Autor war, dessen Korrespondenz gesammelt wurde. Der Fall zeigt, wie lückenhaft unsere Überlieferung ist: ohne den Brief des Plinius würden wir nichts über die Fortschritte des Christentums in Kleinasien wissen und über die Haltung der Behörden gegenüber der neuen Religion. Plinius verfaßte den Bericht, dessen einst angefochtene Echtheit heute kaum mehr bezweifelt wird, um 111/112 in Amastris oder Amisos. Er lautet: Ich habe es mir, Herr, zur strengen Regel gemacht, alle Angelegenheiten, über die ich mir nicht klar bin, dir zu unterbreiten. Denn wer kann mich in meiner Unsicherheit besser leiten oder in meiner mangelhaften Einsicht besser belehren? Ich habe den Untersuchungen gegen die Christen noch nie beigewohnt, weiß daher nicht, was und wie weit man hier zu strafen oder zu untersuchen pflegt. Auch befand ich mich in nicht geringer Ungewißheit, ob das Alter einen Unterschied mache, ob also ganz junge Personen nicht anders als Gereiftere zu behandeln seien, ob der Reuige begnadigt werden dürfe, oder ob es dem, der einmal Christ war, nicht zugute kommen soll, wenn er davon absteht; ob der Name an sich, auch ohne Verbrechen, oder nur die Verbrechen, wenn sie mit dem Namen in Verbindung stehen, zu bestrafen sind. Einstweilen habe ich es mit denen, die mir als Christen angegeben wurden, folgendermaßen gehalten: Ich habe sie gefragt, ob sie Christen wären. Gestanden sie es, so habe ich sie zum zweiten und dritten Male gefragt und ihnen mit der Todesstrafe gedroht; beharrten sie darauf, so ließ ich sie hinrichten. Denn ich war nicht im Zweifel darüber, daß — was auch immer sie gestanden — jedenfalls ihre Hartnäckigkeit und ihr unbeugsamer Starrsinn bestraft werden müßten. Andere, die 41

mit ähnlichem Wahnsinn behaftet waren, habe ich, weil sie römisdje Bürger waren, vormerken lassen, um sie nach Rom zu senden. Da sich nun während der Untersuchung selbst die Zahl der Angeschuldigten, wie dies zu geschehen pflegt, immer weiter vermehrte, so kamen vielerlei Sonderfälle vor. Es kam eine Schrift ohne Angabe des Verfassers zum Vorschein, welche die Namen vieler Personen enthielt, die leugneten, Christen zu sein oder gewesen zu sein und die nach der vorgesprochenen Formel die Götter anriefen, auch deinem Bilde, das ich deshalb zugleich mit den Götterbildern hatte herbeibringen lassen, mit Wein und Weihrauch opferten, überdies noch den Christus lästerten: lauter Dinge, wozu sich, wie es heißt, wirkliche Christen nicht zwingen lassen; diese glaubte ich nun freilassen zu müssen. Andere, von einem Angeber namhaft gemacht, sagten, sie seien Christen, bald aber leugneten sie es wieder: sie seien es zwar gewesen, aber wieder abgefallen, einige vor drei, andere vor mehreren, einer sogar vor zwanzig Jahren. Alle haben deinem Bildnis und den Götterbildern ihre Verehrung erwiesen, ebenso auch den Christus gelästert. Sie versicherten, ihre ganze Verschuldung oder ihr Irrtum habe darin bestanden, daß sie sich an einem bestimmten Tage vor Tagesanbruch zu versammeln pflegten, zu dem Christus, als zu einem Gott, gemeinschaftlich ein Gebet sprachen und sich durch einen Eid nicht etwa zu einem Verbrechen, sondern dazu verpflichteten, keinen Diebstahl, keinen Raub, keinen Ehebruch zu begehen, kein gegebenes Wort zu brechen, auch nicht den Besitz anvertrauten Gutes abzuleugnen. Danach seien sie wieder auseinandergegangen und dann abermals zusammengekommen, um in Gesellschaft ein ganz unschuldiges Mahl einzunehmen, was sie indessen seit meinem Edikte nicht mehr getan hätten, in dem ich, deinen Befehlen gemäß, geschlossene Vereine verboten habe. Um so mehr hielt ich es für notwendig, von zwei Mägden, die sie Diakonissinnen nennen, mittels der Folter die Wahrheit zu erforschen. Allein ich fand nichts als einen verkehrten, schwärmerischen Aberglauben. So schob ich also die Untersuchung auf, um dein Gutachten einzuholen. Die Sache schien mir nämlich deiner Erwägung wohl wert, hauptsächlich wegen der Anzahl der dabei Gefährdeten. Denn viele Personen jeden Alters, jeden Standes, beiderlei Geschlechts geraten in Gefahr und werden auch künftig hineingeraten. Denn nicht nur über die Städte, sondern auch über die Flecken und das flache Land 42

hat sich die Seuche dieses Aberglaubens verbreitet, dem jedoch, wie mir scheint, noch gesteuert und Einhalt geboten werden kann. So viel wenigstens steht fest, daß man die fast ganz verlassenen Tempel wieder zu besuchen begonnen hat und die lange ausgesetzten Opfer wieder darbringt, auch hier und da wieder Opfertiere zum Verkaufe kommen, wozu sich bisher nur höchst selten ein Käufer fand. Daraus läßt sich leicht der Schluß ziehen, welche Menge von Menschen auf bessere Wege gebracht werden kann, wenn man ihnen Gelegenheit zur Reue gibt. Der Kaiser antwortete: Du bist, mein lieber Secundus, bei der Untersuchung der dir als Christen angegebenen Personen ganz pflichtgemäß verfahren. Denn es läßt sich hier keine allgemeine Regel, die zur Norm dienen könnte, aufstellen. Es ist nicht nach ihnen zu fahnden; werden sie aber angegeben und überführt, so sind sie zu bestrafen, jedoch so, daß derjenige, der leugnet, ein Christ zu sein und dies durch die Tat selbst beweist, d. h. dadurch, daß er unsere Götter anruft, obgleich er früher verdächtig gewesen ist, wegen seiner Reue Verzeihung erhalten soll. Namenlose Anklagen dürfen aber bei keiner Anschuldigung berücksichtigt werden; denn das gäbe ein schlimmes Beispiel und wäre unseres Zeitalters nicht würdig15. Der Brief des Plinius gibt eine Vorstellung von Umfang und Bedeutung der christlichen Bevölkerung in allen Teilen der Provinz Pontus-Bithynien; er belehrt uns darüber, daß Hinrichtungen dort etwas ganz Normales waren, wenn die Statthalter glaubten, daß durch die Anwesenheit der Christen die öffentliche Ordnung gestört werden könnte; Plinius läßt diejenigen, die sich weigern abzuschwören, bestrafen — nicht wegen ihres Christentums, sondern wegen ihrer Halsstarrigkeit, die als Mißachtung der staatlichen Macht betrachtet wird. Trajan bemüht sich, gewisse Richtlinien aufzustellen, um etwaigen Willkürakten der Provinzstatthalter zu steuern: man soll nicht nadi den Christen fahnden und sie nidit in der Ausübung ihrer Religion hindern, solange sie keine Skandale verursachen. Namentlich unterzeichnete Anzeigen sind zu prüfen und gegen die Hartnäckigen ist aufs schärfste vorzugehen. Diese Anweisungen zeigen, daß Trajan die Christen nicht etwa für politisch gefährlich hielt, denn er verbot jede Einmischung in ihre Angelegenheiten. Im ganzen 15

Plinius d. J . , B r i e f e X , 9 6 — 9 7 .

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beobachtete der Kaiser also eine verhältnismäßig tolerante Haltung, die auch die Christen als ihrer Sache förderlich ansahen; Trajan schränkte mögliche Ausschreitungen fanatischer Beamter ein, indem er ein regelrechtes Prozeßverfahren vorschrieb, anonyme Anzeigen nicht berücksichtigt wissen wollte und denjenigen, die widerriefen, Begnadigung zusicherte. Auf der anderen Seite schuf aber das Reskript des Kaisers einen gefährlichen Präzedenzfall, da allein schon das Bekenntnis zum Christentum mit dem Tode bestraft wurde, also noch ohne Berücksichtigung der Verbrechen, deren das Volk die Christen bezichtigte — Verbrechen wie Inzest, Zauberei, Ritualmorde; auch das nomen Christianum genügte vollauf, um diejenigen, die sich zu ihm bekannten, zu verurteilen. Wie gefährlich die neue Rechtslage war, mußten selbst die erkennen, die die Entscheidung des Kaisers als einen Fortschritt begrüßt hatten. Bis zu Tertullian beklagten die Apologeten immer wieder die Inkonsequenz einer Politik, die das Christentum außerhalb des Gesetzes stellte, ohne dabei etwas zu unternehmen, um nach den Christen zu fahnden. Sie wiesen auf den ganz ungebräuchlichen Charakter des Verfahrens hin, das die Behörden anwandten, indem sie sich nicht damit begnügten, die Angeklagten als Christen zu registrieren, sondern sie zum Abfall zwängten; damit betrachteten sie, im Widerspruch zu der traditionellen Toleranz des römischen Staates, eine fremde Religion als etwas Unerlaubtes und identifizierten Rom mit seinen Göttern. Die von Trajan getroffenen Maßnahmen verraten deutlich, in welcher Verlegenheit sich der Staat gegenüber einem Problem befand, f ü r das er keine Lösung wußte; die Entscheidung, die Christen f ü r strafwürdig zu erklären, ohne sie gleichzeitig polizeilich aufgreifen zu lassen, mußte ein provisorisches Mittel bleiben, das nur so lange anwendbar war, als die Christen eine politisch ungefährliche Minorität darstellten. Die fortschreitende Ausbreitung des Christentums sollte bald wirksamere staatliche Maßnahmen erforderlich machen. Obgleich nun die H a l t u n g Trajans im großen und ganzen der Verbreitung des Christentums förderlich war, hat die spätere Überlieferung auch ihn zu einem Verfolger gestempelt. Dabei sind uns, von den Märtyrern in Bithynien abgesehen, die Namen von nur zwei berühmten Opfern bekannt: Simeon, der zweite Bischof von Jerusalem, wurde im Alter von 120 Jahren gekreuzigt, nachdem ihn "Häretiker" 44

als einen Nachkommen aus dem Stamm Davids und als Christen angezeigt hatten 16 . Hier handelt es sich deutlich um einen Parteizwist, der die Kirche von Jerusalem spaltete; es wurde an die staatlichen Behörden appelliert, ja, es scheint sogar zu Unruhen im Volk gekommen zu sein. Man ist also in diesem Fall nicht berechtigt, Trajan für den Tod des Greises verantwortlich zu machen. Weiter hat Ignatius, der Bischof von Antiochien, der als zweiter die apostolische Nachfolge angetreten haben soll, unter Trajan das Martyrium erlitten; wenigstens hält sich Eusebius an diese Tradition, die zweifellos auf Julius Africanus zurückgeht 17 . Aber abgesehen von seinem Namen und dem recht unsicher bezeugten Datum seines Märtyrertodes, weiß man so gut wie nichts über Ignatius von Antiochien. Die Akten über sein Martyrium sind wertlos, und was die unter seinem Namen überlieferten Briefe angeht — vor Origenes werden sie nicht erwähnt —, «so sind sie zwar nicht völlig frei erfunden und beliebig erdichtet, aber es befindet sich auch kein einziger Brief darunter, den nicht die fromme Phantasie der folgenden Generation überarbeitet hätte» 1 8 . Wie dem auch sei, die Zahl der Martyrien unter Trajan und den ersten Antoninen kann nicht allzu gering gewesen sein, da Epiktet in seinen Diatriben als Beispiel den sturen Fanatismus und den verblendeten mechanischen Instinkt anführt, der den Galiläern die K r a f t gibt, den Drohungen standzuhalten. D a der Philosoph Rom im Jahre 89 verließ, also vor den Ereignissen, die man gemeinhin als Verfolgung Domitians zu bezeichnen pflegt — wenn überhaupt eine solche stattgefunden haben sollte — muß er am Ort seiner Verbannung, in Nikopolis, wo er im Jahre 140 starb, Zeuge des Widerstands gewesen sein, den die Märtyrer bei dem von Trajan empfohlenen

16

Euseb., Kirchengesdi., I I I , 32, 2—6.

17

Euseb., Kirchengesch. I I I , 36.

18

D i e Chronologie und die R e i h e n f o l g e der ersten Bischöfe von Antiochien

ist sehr unsicher. N a c h J . B . L i g h t f o o t , T h e A p o s t o l i c Fathers I I , 2 (1889) 471 sei die — schon sehr umstrittene — Authentizität der Ignatiusbriefe z w a n zigmal besser belegt als die R e i h e n f o l g e der Bischöfe, die wahrscheinlidi von Julius A f r i c a n u s mit H i l f e willkürlicher K o n j e k t u r e n und Vergleiche festgelegt wurde. Bezeichnend ist, daß Irenaus den T e x t der

Ignatiusbriefe

kennt, sie aber immer ohne jede A n g a b e eines Verfassers erwähnt. D a s U r teil v o n B. Aubé ( H i s t o i r e des persécutions de l'Église jusqu'à la fin des Antonins 2 247), das wir zitieren, scheint also durchaus begründet.

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Verfahren den Befehlen und Drohungen ihrer Richter entgegengesetzt hatten. Hadrian wird nidit zu den überlieferten Verfolgern geredinet: dennoch hat gegen Ende seiner Regierungszeit der Papst Telesphorus "ein glorreiches Martyrium" erlitten. Aber obgleich die Christen unter einzelnen Ausschreitungen zu leiden hatten, war, vom Bar-KochbaAufstand in Palästina abgesehen, doch die Zeit Hadrians, an den Quadratus die erste sogen. Apologie gerichtet hat, für die Kirche verhältnismäßig günstig19. J a , bald stellte die Kirche den Kaiser sogar als einen Wohltäter hin. So hat Justin in dem Brief, den Hadrian an Minucius Fundanus, den Prokonsul von Asien um 125, richtete, einen bewußten Bruch mit der von Trajan eingenommenen Haltung sehen wollen. Hadrian beantwortete in dem Schreiben eine Anfrage, die der Vorgänger des Minucius, Licinius Silvanus Granianus, an ihn gerichtet hatte, folgendermaßen: Es scheint mir nicht geraten, diese Sache ohne Untersuchung auf sich beruhen zu lassen, damit nicht etwa die Leute beunruhigt und die Denunzianten unterstützt werden in ihrem Bestreben, Schaden anzurichten. Wenn sich die Bewohner der Provinz in ihren Klagen gegen die Christen auf klare Gründe stützen und sich auch vor Gericht verantworten können, dann sollen sie allein diesen Weg einschlagen und sich nicht nur auf Forderungen und lautes Schreien verlegen. Denn es ist wirklich viel besser, daß Du im Falle einer Anklage die Sache untersuchen läßt. Wenn sie also jemand anklagt und nachweist, daß sie gegen die Gesetze gehandelt haben, dann fälle Dein Urteil nach der Schwere des Vergehens. Wenn aber einer in verleumderischer Absicht eine Klage vorbringt, dann, beim Herkules, ziehe ihn wegen seiner Unverschämtheit zur Verantwortung und sorge dafür, daß er bestraft wird20. Justin, der das Schreiben — seine Authentizität ist gesichert — am Ende seiner ersten Apologie zitiert, hat es als Christ auf seine Weise interpretiert. Für ihn ist ein Diener Christi sdion seiner ganzen Natur 19

Die Martyrien des Getulius, seiner Frau Symphorosa, ihrer sieben Söhne

und ihrer Freunde, welche die Überlieferung in diese Zeit zu datieren weiß, sind viel zu romanhaft, um ernst genommen zu werden, obwohl Tillemont sie als "recommandables" betrachtet. 20

Euseb., Kirchengesch. IV, 9. Zum Namen des Proconsuls Granianus, vgl.

R. E. X I I I , 459 f.

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nach frei von jeder Schuld, jeder Ankläger dagegen ein Sykophant. Justin folgend haben dann Eusebius und Rufinus (in dessen Übersetzung allerdings der Sinn des Textes nicht unbeträchtlich verändert worden ist) es so verstanden, als hätte Hadrian die Auffassung, die in dem Bekenntnis zum nomen Christianum ein Verbrechen erblickte, aufgegeben und damit eine neue Aera für die Kirche eingeleitet — ein neues Regime, auf das die Apologeten des 2. Jhs. im Namen der elementarsten Gerechtigkeit sich immer wieder zu berufen nicht müde werden. Die summarische und tendenziöse Interpretation des Hadrianischen Schreibens, das in Wirklichkeit nur die von Trajan aufgestellten Prinzipien noch unterstrich, indem es auf die den Angeklagten gewährten Garantien ausdrücklich hinwies und ein Willkürverfahren, das sidi nur auf exßoriaeis stützte, für ungesetzlich erklärte — diese Interpretation hat einige christliche Schriftsteller dazu verleitet, Justin noch zu überbieten, indem sie angeblich von Antoninus Pius und Mark Aurel verfaßte Briefe fabrizierten, in denen die genannten Kaiser ihre Sympathie für das Christentum bekundeten. Die späte Legende machte sogar aus Antoninus einen Anhänger des Christentums, ebenso wie eine talmudische Legende ihn in einen Juden verwandelt hatte. In Wirklichkeit hat Hadrian keinerlei rechtskräftige Neuerung eingeführt. Aus seinem Brief an Minucius Fundanus geht nicht hervor, daß er die gerichtlichen Verfolgungen gegen die Christen eingestellt hätte. Er hielt an den Richtlinien fest, die Trajan ausgesprochen hatte, der es vorzog, lieber ein Verbrechen ungestraft hingehen zu lassen, als einen Unschuldigen auf einen bloßen Verdacht hin zu verurteilen; er bestimmte, in welchem Geist die Christenverfolgungen durchgeführt werden sollten, aber er änderte nichts an den Buchstaben des Gesetzes21. Ein Christ, der als solcher identifiziert worden ist, ist automatisch schuldig. Aber nach den Christen soll nicht gefahndet werden; sie dürfen nicht verurteilt werden, ohne daß Beweise eben für ihr Christentum beigebracht werden. Das entspricht im Geist genau dem Inhalt des Trajanischen Briefes: nec nostri saeculi est. Gerade diesen Widerspruch zwischen einer allgemeinen theoretischen Äditung des Christentums, die den Behörden die größte Freiheit bezüglich der Verfolgungen läßt, und den maßvollen Weisungen politischen und nicht juristischen Charakters, die die Kaiser gegeben haben, sollten die Apologeten des 2. Jhs. für ihre Zwecke besonders 21

W. Schmid, Maia, N . S. I, 7. Jg. (1955) 5—13.

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ausnützen; man wehrte sich gegen die falschen Maßnahmen der Präfekten und Statthalter nicht auf Grund des Gesetzes, das ihnen das Recht zu ihren Verfügungen gab, sondern unter Berufung auf den Geist, der die Kaiser leitete. So erklärt es sich, daß die Christen unter milden und gerechten Kaisern, denen jede Brutalität fremd war, Martyrien erleiden mußten; die Mittel, über die sie verfügten, um sich der Allmächtigkeit der Beamten in ihrem Bereich zu widersetzen, erlaubte es ihnen nicht, einer Politik der absoluten Toleranz zum Sieg zu verhelfen. Auch unter Antoninus Pius, dem Nachfolger Hadrians und Fortsetzer seiner Politik, gab es Märtyrer. In seiner zweiten Apologie erinnert Justin an den Märtyrertod dreier Christen in Rom, die der Präfekt Urbicus verurteilt hatte; das Urteil entsprach, wie eines seiner Opfer sagte, "weder den Absichten des frommen Kaisers noch denen des philosophischen Kaisersohnes oder denen des ehrwürdigen Senats" 2 2 . Auch der " H i r t " des Hermas, der in diese Epoche zurückreichen muß, zeigt für alles, was sich auf Märtyrer und Renegaten bezieht, ein Interesse, das man sich in einer Zeit ungestörten Friedens nicht recht zu erklären wüßte 23 . Unter M a r k Aurel, dem "Heiligen des Heidentums", und Commodus, dem seines Philosophenvaters unwürdigen Sohn, saevior Domitiano, impurior Nerone, an dessen H o f sich aber christliche Beamte ungefährdet aufhalten konnten — auch setzte sich seine Konkubine Marcia erfolgreich für die Kirche ein — unter diesen beiden Kaisern, die sich so unähnlich waren, die jedoch beide von sich aus keine feindlichen Schritte gegen die neue Sekte unternahmen, nahm die Zahl der Märtyrer erschreckend zu; einfache Gläubige wurden ebenso wie gelehrte Männer der Kirche zu Tode gemartert, überall flammten die Scheiterhaufen auf, überall wurden Christen wilden Tieren vorgeworfen. Wie ist nun dieser Ausbruch von Gewalttätigkeiten zu erklären, der sicher nicht auf irgendwelche persönliche Anordnungen der Herrscher zurückging und auch nicht auf Grund neu eingebrachter Gesetze erfolgt ist? Eine Stelle in der Apologie des Meliton von Sardeis, die jener um 172 an M a r k Aurel richtete, enthält eine Anspielung auf "neue Edikte", k r a f t derer " d a s Volk der Anbeter Gottes — was niemals vorher geschehen war — jetzt in Asien verfolgt wird". 22 23

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Justinus, 2. Apol., II, 16. Vgl. R. Joly, Hermas. Le Pasteur (1958) 39—40.

Wenn das auf Deinen Befehl hin geschieht, gut: ein gerechter Herrscher kann gar nichts Ungerechtes anordnen ... Wenn aber dieser neue Beschluß und dieses neue Edikt (das selbst feindlichen Barbaren gegenüber verfehlt wäre) nicht von Dir ausgeht, dann bitten wir Dich umso inständiger, uns diesen öffentlichen Räubereien nicht auszusetzen24. Soll man in dieser Stelle einen Beweis sehen dafür, daß die Christen in dieser Provinz niemals vorher verfolgt worden sind bis zur Verkündung dieser "neuen Edikte"? Es kann sich hier nicht um kaiserliche Edikte handeln; denn im Jahre 177, bei den Christenprozessen in Lyon, hatte der Kaiser sich ganz an die von Trajan gegebenen Richtlinien gehalten. Es müssen also Maßnahmen gewesen sein, die von den Provinzbehörden im Rahmen der ihnen erteilten Befugnisse getroffen worden sind, lokale Verordnungen, mit denen einer neuen Situation begegnet werden sollte: also ein Wiederaufleben von Volkstumulten, die sich gegen die Christen richteten. Hadrian hatte einst eingegriffen, um die Christen "gegen eine Volksmenge, die gegen sie lärmte, zu schützen", nicht um die Verfolgungen, die ihrem Glauben galten, aufzuheben. In unruhigen Zeiten konnte es, sollte Schlimmeres verhütet werden, von Vorteil sein, den entfesselten Instinkten der Menge nachzugeben. Wenn ein erregter Volkshaufe schrie: "werft die Christen den Löwen vor", dann versudite es ein geschickter Statthalter nicht, dem Volksbegehren Widerstand zu leisten; er wußte genau, daß die Leidenschaft der Menge, würde sie an einer Seite niedergehalten, sich an einer anderen gewaltsam einen Ausweg suchen würde. In einer an Mark Aurel und Commodus gerichteten Apologie erhebt Athenagoras heftig Beschwerde gegen einen Rechtszustand, dem die Christen und nur sie ausgesetzt sind: "Ihr laßt es zu, daß man uns jagt, beraubt, verfolgt. Allein auf Grund unseres Namens hat die Menge uns angegriffen und gewagt, uns zu denunzieren (unsere Ausführungen werden euch darüber belehren, daß wir ohne geregeltes Verfahren illegalerweise und ungerechtfertigt gelitten haben). Wir bitten euch daher, uns zu beschützen, auch uns, damit wir weiterhin nicht mehr Opfer der Denunzianten werden,"25 Athenagoras spielt deutlich auf das tumultuarisdie Gebaren der Menge an. Vor eine ganz ungewöhnliche Situation gestellt gegenüber 24 25

Euseb., Kirchengesch. IV, 26, 5 — 1 1 . Athenag., Bittgesuch für die Christen 3.

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Moreau

erneuter und verstärkter Pöbelhetze, waren die Kaiser machtlos und nicht mehr imstande, Anordnungen, die im Geiste Trajans oder Hadrians gegeben wurden, Geltung zu verschaffen. In allen uns bekannten Fällen sind die Beamten durch lokale Umstände zu ihrem Vorgehen gezwungen worden. Mark Aurel hatte persönlich nur kühle Verachtung für den verblendeten Eigensinn der Märtyrer, doch hat dieser hochmütige und strenge Philosoph, der seine Lehre mit großer Treue zum nationalrömischen Götterkult zu verbinden wußte, niemals von sich aus Verfolgungen gegen die Christen angeordnet. Während seiner Regierung wurden nur dieselben Fehler gemacht, die auch schon unter früheren Kaisern begangen worden waren. Die Politik eines Trajan oder Hadrian hat ihrer Zeit den Stempel aufgedrückt; der Philosophenkaiser mußte dagegen dem Druck des Volkes nachgeben und erkennen, daß es unmöglich war, beide Parteien zu einer Politik der Toleranz zu verpflichten. Die zahlreichen Katastrophen, die zu Beginn seiner Regierungsepoche über das Reidi hereingebrochen waren, hatten das Volk in höchste Erregung versetzt. Zu den ununterbrochenen, durch äußere Kriege verursachten Schwierigkeiten — von den neunzehn Jahren seiner Regierungszeit mußte Mark Aurel siebzehn Jahre hindurch Krieg führen — zu den Mißständen, die durch Barbareneinfälle in Ost und West verursacht wurden, kamen noch entsetzliche Naturkatastrophen, ernste finanzielle Krisen und im Jahre 175 die Gefährdung des Thrones durch den Usurpator Avidius Cassius. In Rom stürzten Pest, Hungersnot und eine schreckliche Überschwemmung des Tibers die Bevölkerung in tiefste Verzweiflung. Unter diesen Umständen waren Pogrome unvermeidlich. Wir wissen durch Tertullian, daß die Heiden den Christen die Schuld für diese Katastrophen gaben; die religiösen Zeremonien, die der Kaiser angeordnet hatte, um die Pest zum Erlöschen zu bringen, mußten noch dazu beitragen, die Abneigung der großen Menge gegen diejenigen, die nicht an diesen Feiern teilnahmen, zu steigern. Dazu kamen, daß die Kirche im Laufe des 2. Jhdts. rasche Fortschritte gemacht hatte und daß allein das zahlenmäßige Anwachsen und die geographische Ausbreitung der neuen Sekte Mißtrauen bei den Anhängern der alten Tradition erwecken mußte. Aber das war noch nicht alles. In seinem Bericht unterstreicht Eusebius mit Recht, daß im 2. Jhdt. die Häresien für die Kirche viel gefährlicher waren als die Verfolgung. Vor allem bildeten die Anhänger 50

des Gnostizismus ansehnliche Minoritäten innerhalb der christlichen Gemeinden; numerisch besonders stark in Edessa, Ägypten und sogar in Gallien und Afrika, waren sie bestrebt, einen modus vivendi zu finden zwischen dem heidnischen Synkretismus und der christlichen Gnosis. Da die Gnostiker eine ausgesprochene Abneigung gegen die streng hierarchische Organisation der Kirche hegten, stellten sie keine ernsthafte Gefahr für den Staat dar. Im Gegenteil, diejenigen, die innerhalb der Kirche gegen die gnostischen Häretiker kämpften, griffen die gesamte griechisch-römische Kultur heftig an und wurden dadurch bis zu einem gewissen Grade die Nachfolger der jüdischen Traditionalisten, die jeder Assimilation feind waren. Während die orthodoxe Kirche das Martyrium als eine Nachfolge der Leiden Christi betrachtete und die ganz radikal gesinnten Christen die zweite Taufe — die Bluttaufe — als das einzig wirksame Mittel betrachteten, um die nach der ersten Taufe begangenen Sünden zu tilgen, wandten sich die verschiedenen gnostischen Schulen entschieden gegen das Märtyrertum und bemühten sich, zu leben — und zwar in gutem Einverständnis mit den Behörden. Der Polemik gegen diese Richtung, vor allem den Ignatius-Briefen, diesen leidenschaftlichen Aufrufen zum Märtyrertum, gelang es schließlich, die Bedeutung der gnostischen Sekte beträchtlich zu mindern. Einen Augenblick sah es fast so aus, als ob die christliche Kirche von der radikalsten und fanatischsten Sekte, der der Montanisten, mitgerissen werden sollte; die Sekte tauchte zuerst in Phrygien auf, nach Epiphanes im Jahre 156, nach Eusebius im Jahre 172; in ihrem leidenschaftlichen Eifer war sie dem Judentum ähnlich; ihre Anhänger weigerten sich hartnäckig, irgendeinen Kompromiß - mit dem Staat zu schließen; in exaltierter Schwärmerei drängten sie sich zum Märtyrertum. Die Sekte, zu deren Sprecher sich Tertüllian machte, sollte nicht lange florieren; zweifellos hat sie aber einen tiefen Eindruck auf die Heiden gemacht und nicht wenig dazu beigetragen, den H a ß gegen die Christen zu schüren. "Aber die Kirche", so schreibt Renan, "bedurfte weniger wunderbarer Gaben als der Disziplin. E>er. Widerstand, den die durch die Bischöfe repräsentierte Orthodoxie den Propheten aus Phrygien entgegenzusetzen wußte, war eine entscheidende Tat der konstitutionellen Kirche"28. Genau zur selben Zeit, als die Montanisten sich, den leidenschaftlichen Aufrufen in den Briefen des Ignatius fol26

E. Renan, Oeuvres completes V, 378.

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gend, ins Martyrium stürzten, wurde die kirchliche Disziplin verschärft, d. h. also die hierarchische Organisation, der es die Gläubigen verdanken sollten, daß sich der ganze Zorn der weltlichen Machthaber auf sie entlud. Dagegen blieben die gnostischen Sekten, in denen es so gut wie keine Disziplin gab, völlig unangefochten: die einzige Sekte, aus der Märtyrer hervorgingen, war die des Marcion; sie war aber auch die einzige, die eine kirchliche Organisation hatte 27 . Das fast völlige Verschwinden der gnostischen Sekten und das Emporkommen einer Montanistenkirche erklären es, warum der Periode der Sicherheit und der Verachtung nun Zeiten der Angst und des Schreckens folgten, und warum in der zweiten H ä l f t e des 2. Jhdts. zum erstenmal heidnische Autoren die Kirche nicht nur nebenbei erwähnen, sondern sie — wie Fronto und Celsus — mit aller Schärfe angreifen oder — wie Lukian — ihren überlegenen Spott über sie ausgießen. Dazu kam auch noch, daß sich das Wachsen der Kirdie nachteilig auf die Juden auszuwirken begann, die zusehen mußten, wie die Zahl der Proselyten bei ihnen zurückging. Die jüdischen Gemeinden spielten häufig eine beträchtliche Rolle in den Volksaufständen, die die Städte im Osten erschütterten. So also lagen die Verhältnisse, als die Verfolgungen ausbrachen, in den düsteren Jahren unter Mark Aurel, als Pest und Krieg bereits den Untergang der alten Welt ahnen ließen. Zwischen 163 und 167, als Justin schon, durch die Intrigen des Philosophen Crescens bedroht, seine Apologie verfaßt hatte, erlitt er mit mehreren Glaubensgenossen den Märtyrertod, nach einem Prozeß unter der Leitung des Stadtpräfekten Julius Rusticus. Die Akten über das gerichtliche Verhör, die nicht frei von Interpolationen sind, erwähnen seine Ankläger nicht, aber Eusebius und der hl. Hieronymus zögern nicht, auf Grund eines einzigen reichlich unklaren Satzes von Tatian, einem zynischen und zänkischen "Philopsophen" (Skandalmacher), diesem die Schuld für das tragische Ereignis zuzuschieben 28 . Sagaris, Bischof von Laodikäa, erlitt um 164 unter dem Prokonsul Sergius Paullus den Märtyrertod; um die gleiche Zeit kam wohl auch Thraseas, Bischof von Eumenia, um 29 . Der Bischof von Antiochien, Theophilus, der unter Commodus schrieb, bezeichnet diese Jahre als 27 28 29

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W. H . C. Frend, Journal of Ecclesiastic History 5 (1954) 25—37. Euseb., Kirchengesch. IV, 16, 7—8. Euseb., Kirchengesch. IV, 26, 3.

eine Epoche der Verfolgungen: "Die Frömmsten werden unaufhörlich mit Steinwürfen angegriffen — ja, zuweilen sogar getötet" 30 . Dionys von Korinth erwähnt in einem Brief das Martyrium des Bischofs von Athen, Publius, das anscheinend unter Mark Aurel, zwischen 161 und 170, stattgefunden hat 31 . Zu den hervorragendsten Zeugnissen über die Verfolgung zählen diejenigen, die Eusebius in einer verlorengegangenen Sammlung älterer Martyrien vereint hatte; daraus haben sich Fragmente in seiner Kirchengeschichte erhalten. Das wertvollste Stück ist zweifellos der Brief der Kirdien von Vienne und Lyon an die Christen in Asien und Phrygien 32 . Im gleichen Kapitel hat Eusebius über die Martyrien der Philadelphier berichtet, ferner über den Märtyrertod des Polykarp, des Pionius von Smyrna, des Karpos, Papylos und der Agathonike aus Pergamon 33 . Eusebius sagt ausdrücklich, daß der Bericht über Pionius, dessen Tod er gleichzeitig mit dem des Marcioniten Metrodor behandelt hatte, unmittelbar dem Brief der Gemeinde von Smyrna über das Martyrium des Polykarp folgte, und daß Pionius und Metrodor etwa um dieselbe Zeit wie der Bischof von Smyrna, also unter Mark Aurel, umgekommen seien. Obwohl Eusebius keine chronologischen Angaben bezüglich der Märtyrer von Pergamon macht, sind die Ereignisse sicher noch in die Periode der gemeinsamen Regierung des Mark Aurel und Commodus zu datieren. Jedenfalls zitiert Polykrates von Ephesus am Ende des 2. Jhdts. insgesamt fünf Männer aus Kleinasien, alle Quartodekimaner, die bestimmt Zeitgenossen waren: Polykarp, Thraseas, Sagaris, Papirius (in den Akten von Pergamon Papylos) und Meliton. Die moderne Forschung hat unter Berufung auf späte Zeugnisse die Datierung des Eusebius angezweifelt und die Martyrien des Pionius, Metrodor, Karpos, Papylos und das der Agathonike in die decianische Epoche versetzt. Man sollte aber die Datierung des Eusebius nicht ablehnen, wenigstens nicht ohne schwerwiegende Gründe; nichts ist einfacher als Martyrien, deren Zeitpunkt nicht feststeht oder unsicher ist, in die Epoche des Decius zu verlegen; man folgt am besten der 30

Theoph., ad Autolyc. III, in fine.

31

Euseb., Kirchengesch. IV, 2 3 , 2 . Euseb., Kirchengesch. V, 1. Euseb., Kirchengesch. IV, 15, 1—8.

32 33

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Chronologie des Eusebius und setzt sowohl die Martyrien von Smyrna als die von Pergamon unter Mark Aurel an. Dasselbe gilt für das Martyrium des Polykarp, das gleichfalls unter Mark Aurel stattfand; trotz des von Eusebius angegebenen Datums ließ die Forschung auf Grund einer ingeniösen und gelehrten Berechnung von Waddington (1867) den Bischof von Smyrna im Jahre 155 unter Antoninus Pius sterben. Das Datum ist erschlossen aus einem Kapitel des Briefes der Kirche von Smyrna an die Kirche von Philomelion, das Eusebius nicht zitiert und das ein selbständiger Zusatz zu sein scheint von der H a n d des kühnen Fälschers, Verfassers einer phantastisch ausgeschmückten Lebensbeschreibung des Polykarp — eines Mannes, der sich selbst als den Märtyrer Pionius ausgibt. Ferner fehlt ein sicherer Anhaltspunkt zur Datierung des Prokonsulats des Quadratus, das im gleichen K a pitel erwähnt ist; anstatt die vermutete Fixierung auf die Zeit um 155 um jeden Preis retten zu wollen, ist es klüger, die Chronologie des Eusebius zu akzeptieren und anzunehmen, daß Polykarp unter Mark Aurel den Märtyrertod erlitten hat. Aber kann man vielleicht noch zu einer exakteren Datierung kommen? Liest man die Martyrien nacheinander — das des Polykarp und die Passion der Märtyrer zu Lyon —, so muß es auffallen, daß sich sowohl unter den pergamenisdien als den gallischen Märtyrern Phrygier befinden, die in beiden Fällen eine recht ähnliche Rolle spielen. Diese Phrygier können sehr wohl Montanisten gewesen sein. Bei Alexander, einem gebürtigen Phrygier und Arzt von Beruf, berühmt wegen seiner kühnen Sprache, die vom apostolischen Charisma angerührt war (d. h. daß er die Gabe der Weissagung besaß) — bei diesem Alexander, der in Lyon umkam, liegt der Verdacht besonders nahe, daß er ein Häretiker war, ebenso wie Alkibiades, der nur von Wasser und Brot lebte, ehe er sich, auf eine Vision hin, im Gefängnis davon überzeugen ließ, daß jegliche Nahrung gut sei. In Smyrna hatte sich ein Phrygier namens Quintus, der erst kürzlich aus seiner Heimat gekommen war, selbst dem Gericht gestellt und mehrere Gläubige mitgebracht. Beim Anblick der wilden Tiere wurde er jedoch schwach und widerrief. Der Bearbeiter des Martyriums verfehlt es nicht, den Obereifer zu tadeln, der im Widerspruch zu den Lehren des Evangeliums stehe. Es war charakteristisch für den Montanismus, daß sich seine Anhänger in exaltierter Schwärmerei in ein Verlangen nach dem Martyrium hineinsteigerten; die Tatsache, daß sowohl in Lyon als in Smyrna Phrygier zugegen waren, die deutlich 54

charakteristische montanistische Züge tragen, läßt vermuten, daß die beiden Episoden in die gleiche Zeit fallen, also nadi 171, dem D a t u m des ersten Auftreten des Montanus. Henri Grégoire und Paul Orgels haben die umstrittene Frage bezüglich der Datierung des Martyriums des P o l y k a r p wieder aufgenommen und sich mit guten Gründen für das J a h r 177 entschieden 34 . Doch bleiben noch einige Schwierigkeiten, die zwar ihre Hypothese noch nicht unbedingt zu erschüttern brauchen, aber der Klärung bedürfen. Sie betreffen das " A p o s t e l a m t " des Bischofs von Smyrna und seine Beziehungen zu Ignatius und Irenaus. Polykarp kann natürlich als Hundertjähriger gestorben und in seiner Kindheit noch Männern begegnet sein, die Zeugen des Lebens Christi waren; die Daten des Ignatius von Antiochien sind unsicher. Die A r t und Weise, wie Irenaus, dessen Leben uns wenig bekannt ist, von denen spricht, " d i e dem Polykarp bis auf den heutigen T a g folgten", würde die Fixierung des Martyriums ins J a h r 177 unmöglich machen, wenn man sicher sein könnte, daß der Verfasser diesen Satz kurz nach 180 niedergeschrieben hat. In jedem Fall ist es aber unmöglich, die beiden Perlen der frühchristlichen Literatur — den Brief der Kirche von Smyrna und den der Kirchen von L y o n und Vienne — zeitlich allzu weit auseinanderzurücken. U m die Mitte des Jahres 177 begingen die in Lyon versammelten Vertreter der drei Gallien die große Feier des Kaiserkultes. Die Christen, die der Menge sowohl durch ihre Religion als durch ihre fremde Abkunft — stammte doch die Mehrzahl der Christen aus dem Osten — verdächtig waren, wurden plötzlich angegriffen. Ein Tribun der städtischen Kohorte ließ sie in Abwesenheit des römischen Legaten verhaften und ins Gefängnis werfen; nach der Rückkehr des Legaten f a n d ein Verhör statt; zehn der Gefangenen wurden schwach und widerriefen. D i e heidnischen Sklaven der Angeklagten gestanden unter Androhung von Folterstrafen, daß ihre Herren tatsächlich die greulichen Schandtaten begangen hätten, die den Christen vom Volk nachgesagt wurden: Menschenfresserei und Inzest. Die Angeklagten erlitten unter ausgesucht grausamen Torturen den Tod. Die weniger Robusten, wie etwa der ehrwürdige Bischof Pothinus, durften ihr Leben in luft- und lichtlosen Kerkern beschließen; die Jugendlichen 3 4 AnBoll. 69 (1951) 1—38; contra, H. I. Marrou, ebd. 71 (1953) 5—20; W. Telfer, Journ. of Theological Studies, N. S. 3 (1952) 79—83.

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wie z. B. die rührende und furchtlose Blandina, traten in der Arena auf; doch die wilden Tiere verschonten sie, und sie kehrte, nachdem ihre Quäler ermüdet von ihr abgelassen hatten, wieder in den Kerker zurück. Mittlerweile hatte der Legat erfahren, daß einer der Hauptangeklagten römischer Bürger war; er beschloß daraufhin, die Hinrichtungen aufzuschieben und sich in der Angelegenheit an den Kaiser zu wenden. In der Zwischenzeit besannen sich zahlreiche Angeklagte, die schwach geworden waren, und kehrten in den Schoß der Kirche zurück. Schließlich traf die Antwort des Kaisers ein. Wie das Gesetz es vorschrieb, sollten die überzeugten Christen den Tod erleiden, die Abtrünnigen jedodi straflos ausgehen. Aber es gab keine Abtrünnigen mehr. Diese unerwartete Wendung versetzte das Volk in höchste Wut und den Legaten, der noch kurz zuvor so ängstlich gewesen war, in einen solchen Zorn, daß er nicht einmal davor zurückschreckte, einen römischen Bürger, Attalus, mit glühenden Eisen zu foltern, ehe er ihn enthaupten ließ. Blandina, die mit einem fünfzehnjährigen Mädchen in die Arena geführt wurde, sprach ihrer kleinen Begleiterin Mut zu und ließ wiederum eine Reihe von Folterungen über sich ergehen; ihre wahrhaft übermenschliche Ergebung entlockte selbst den Zuschauern Ausrufe der Bewunderung 35 . Nicht weniger erbaulich war das Ende des ehrwürdigen Polykarp und seiner Gefährten. Man muß schon die Originalberichte lesen, will man wirklich etwas von dem Geist verspüren, der dem Märtyrertum seinen Sinn und Wert gegeben hat. Diese unglücklichen Menschen ertrugen ihre Leiden freudig, ohne ihre Feinde herauszufordern, ohne sich zu brüsten, ohne Trotz, erfüllt von echter Demut und Liebe: "Sie erniedrigten sich selbst und gaben sich in die Hand des Allmächtigen, 35 J. H . Oliver u. R. E. A. Palmer, Hesperia 24 (1955) 320—349 haben auf Grund von zwei schon bekannten Inschriften das Protokoll einer Senatssitzung rekonstruieren können, bei der Kaiser und Senat, dem Antrag einflußreicher Gallier stattgebend, die Auslieferung zum Tode verurteilter Verbrecher als trinqui für die Zirkusspiele erlaubten. Die Provinzgemeinden waren damals finanziell nicht in der Lage, solche trinqui, d. h. Gladiatoren, die als rituelle Opfer sterben mußten, zu erwerben. Wenn diese Maßnahme nicht der einzige Grund für die Verfolgung von Lyon gewesen ist, erhellt sie zum mindesten den außergewöhnlich grausamen Charakter der Hinrichtungen.

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der sie nunmehr erhöht hat. Sie verteidigten alle Menschen und klagten niemanden an. Sie beteten für diejenigen, die sie folterten, wie Stephanos, der vollendete Märtyrer: «Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an" 36 . Es ist nicht verwunderlich, daß diese Hinrichtungen, die von Behörden befohlen wurden, die anscheinend nur dem lauten Drängen der Volksmenge nachgaben und ungern ihre eigenen Vorschriften zur Anwendung brachten, die Christen angespornt haben; selbst die Henker bewunderten ihre Opfer statt sie zu verachten, und unter den Zuschauern bewirkte ihr Anblick manche erschütternde Bekehrung. Man darf aber nicht vergessen, daß die Behörden trotz der grausamen Strafen und des reichlichen Blutvergießens nur in seltenen Fällen die Grenzen dessen überschritten, was Trajan und Hadrian in ihren Reskripten angeordnet hatten: nach Christen, die nicht denunziert worden waren, wurde nicht gefahndet; die Angeklagten in Lyon durften ganz offen mit auswärtigen Kirchen korrespondieren, ja, ein vornehmer Bürger aus Lyon, Vettius Epagathus, war nicht mit den anderen verhaftet worden, obgleich man wußte, daß er ein Christ war; er wurde erst gefangen gesetzt, nachdem er seine Glaubensbrüder verteidigt und sidi öffentlich zu seinem Glauben bekannt hatte. Nicht alle Märtyrerberichte erreichen die gleiche Höhe, auf der sich die Verfasser der Berichte aus Smyrna und Lyon bewegen. Sind die Märtyrerakten aus Pergamon und diejenigen des Pionius auch noch glaubwürdig, so kann man das gleiche nicht von den späten Erzeugnissen behaupten; der rhetorische Überschwang und die Schilderung des Prozeßverfahrens können zwar einen echten Kern enthalten, aber man wird ihnen gegenüber doch ein berechtigtes Mißtrauen nicht los. Zu diesen Berichten gehört z. B. das Martyrium der Felicitas und ihrer sieben Söhne aus dem Beginn der Regierungszeit Mark Aurels; es erinnert stark an die Makkabäergeschichte; der Kaiser wird darin als dummer und grausamer Potentat hingestellt. Ähnlich sind die Märtyrerakten aus Autun, aus dem letzten Teil der Regierung des Kaisers, und die Berichte über Epipodus, Alexander und Symphorian und die der hl. Cäcilie, einer Römerin, die mit Valerian, Tiburtius und Maximus zum Tod verurteilt wurde, zu beurteilen. Die genannten Texte, die von Unwahrscheinlichkeiten und unbezeugten Tatsachen

30

Märtyrer von Lyon: Euseb., Kirdiengesdi. V, 2, 5.

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strotzen, können mit den oben erwähnten Berichten audi nidit entfernt verglichen werden 37 . Man darf von einem Herrscher wie Commodus nicht erwarten, daß er auf irgendeinem Gebiet eine zusammenhängende Politik verfolgt hat. Hätte er sich an bestimmte Grundsätze gehalten, dann hätte er tolerant und dem Christentum wohlgesonnen sein müssen, da er unter dem Einfluß seiner Mätresse Marcia und einiger hochstehender Hofbeamter wie des Karkophor und des Kämmerers Prosenes stand 38 . Aber selbst wenn er einmal auf Fürsprache der Marcia Schritte unternommen hat, um die zur Arbeit in den Bergwerken verurteilten christlichen Bekenner zu befreien, so konnte und wollte er doch keinen neuen Kurs einschlagen. Die allgemeinen Richtlinien, die das Verhalten des Staates gegenüber dem Christentum regulierten, blieben in Kraft, die jeweiligen lokalen Verhältnisse oder der Fanatismus der Behörden waren nach wie vor in den einzelnen Fällen die ausschlaggebenden Faktoren. Der Prokonsul von Afrika, Vigellius Saturninus, der als erster in dieser Provinz wütete, verurteilte am 21. Juni 180 mehrere Christen punischer Abkunft aus Madaura; dreizehn Tage später starben die zwölf Märtyrer aus Scillium, deren Akten das älteste lateinisch verfaßte Dokument der christlichen Literatur darstellen. Das Verhör beweist, daß sich die Behörde an das sdion von Plinius geübte Verfahren hielt: der Prokonsul versprach den Angeklagten Begnadigung, wenn sie "Vernunft annähmen" und bereit wären, bei der Felicitas des Kaisers zu schwören; er ging sogar so weit, ihnen eine Bedenkzeit von dreißig Tagen einzuräumen. Erst als seine Vorstellungen nichts fruchteten, verurteilte er sie zum Tode durch das Schwert39. Im Jahre 184 und 185 präsentierte sich eines Tages eine größere Anzahl von Christen auf dem Richtplatz vor dem Prokonsul von Asien, Arrius Antoninus, der sich später gegen den Kaiser empörte und der, wie sein Kollege in Kappadokien, wegen seiner Strenge bekannt war. Arrius schickte die Christen, die keinerlei Versuche gemacht hatten, sich zu verteidigen, wieder fort, nachdem er vorher einige her37 P. Allard, Hist. des persécutions pendant les deux premiers siècles 4 (1911) 440—459. 38 Tertull., ad Scapulam 4; CIL VI 8489 = Diehl ILCV 3332; H. Grégoire, Les persécutions dans l'empire romain (1950) 30. 39 O. von Gebhardt, Ausgew. Märtyreracten (1902) 22 ff.

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ausgegriffen und ausgerufen hatte: "Wenn ihr Unseligen schon sterben wollt, habt ihr denn keine Stricke, gibt es keine Abgründe?" — ein beredtes Zeugnis für die Hilflosigkeit einer Politik, die nicht das richtige Mittel zwischen totaler Vernichtung und völliger Toleranz zu finden verstanden hatte 40 . Zwischen 183 und 185 wurde Apollonius — wahrscheinlich ein Senator — in Rom verurteilt, nachdem er vor dem Prätorianerpräfekten Perennis erschienen war. Dieser, in großer Verlegenheit darüber, daß er gegen eine so hochgestellte Persönlichkeit vorgehen sollte, holte den Rat des Senats ein, ein nicht übliches Verfahren. Schließlich blieb ihm aber doch nichts übrig, als kraft seiner Vollmacht, wenn auch gegen seinen Willen, einen Mann von unbeugsamer Hartnäckigkeit zum Tod zu verurteilen. Das ist jedenfalls der Eindruck, den man aus einem Zeugnis gewinnt, das Eusebius in gedrängter Form wiedergibt; die erhaltenen griechischen Akten enthalten grobe Irrtümer, obgleich sie einen Text bieten, der gelegentlich befriedigender ist als eine armenische Version, die frei von diesen Fehlern ist. Der Prozeß des Apollonius stellt mehrere juristische Probleme, darunter auch das, wie man mit den Denunzianten verfahren ist. Der Denunziant wurde vom Richter bestraft, weil er die Anklage "zur Unzeit" erhoben habe. Daraus kann man schließen, daß es sich um einen Sklaven oder Freigelassenen des Senators gehandelt haben muß. Wie war es aber möglich, daß ein Prozeß seinen Lauf nahm, wenn die Anklage nicht zulässig war? Wahrscheinlich hat das Bekenntnis zum Christentum, das Apollonius bei dem auf Grund der Denunziation erfolgten Verhör abgelegt hatte, ein neues Anklageverfahren ausgelöst; das neue Verfahren war gleichbedeutend mit einer Denunziation 41 . Seit Nero oder, besser, von Trajan bis Commodus ist die rechtliche Situation der Christen unverändert geblieben. Im Prinzip waren sie ganz in der Gewalt der Behörden, in deren Augen die Zugehörigkeit zur Kirche genügte, um sie zu Verbrechern zu stempeln; in der Praxis genossen sie eine Freiheit, die zwar nicht ungefährdet war, aber, von kritischen Perioden abgesehen, doch beinahe überall respektiert wurde. Die Obrigkeit zog es vor, die Christen zu ignorieren, solange keine schwerwiegenden Gründe zum Eingreifen zwangen. Nach dem Aussterben der Antoninischen Kaiser änderte sich mit dem Regierungs40 41

Tertull., ad Scapulam, V, 1. E. Griffe, Bull, de Littérature Ecclésiastique 1952, 65—76.

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antritt der Severer, der in vieler Beziehung einen Wendepunkt in der römischen Kaisergeschidite darstellte, die Lage. Dem Regime des theoretischen Verbotes folgte das der Erlasse, wobei allerdings Toleranz und Strenge in den Maßnahmen abwechselten. Aber ehe wir zur Behandlung dieser neuen Phase in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat übergehen, gilt es, sich mit einem schwierigen und umstrittenen Problem zu beschäftigen, nämlich dem der juristischen Grundlage der Verfolgungen während der beiden ersten Jahrhunderte.

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IV. D A S J U R I S T I S C H E P R O B L E M Seitdem man begonnen hatte, einen Unterschied zwischen Christen und Juden zu machen, breiteten sich rasch verleumderische Gerüchte über die Christen unterm Volk aus: sie wurden der abscheulichsten Verbrechen bezichtigt; es hieß, daß sie nächtliche Zusammenkünfte abhielten, um wer weiß was für dunkle Riten zu begehen — Inzeste, Ritualmorde, Kannibalismus. Diese Verleumdungen hielten sich hartnäckig; bei jedem antichristlichen Volksaufstand wurden sie wieder in Umlauf gesetzt — immer wieder bemühten sich die Apologeten, sie zurückzuweisen 1 . Die Behörden und die gebildeten Heiden hatten natürlich recht bald begriffen, daß es sich um völlig haltlose Beschuldigungen handelte. Wenn ein aufgeblasener Dummkopf wie Fronto sie noch ernst nimmt, so hält es doch Celsus, obwohl er ein eingefleischter Christenfeind ist, für unter seiner Würde, sich derartiger Argumente zu bedienen, die, so gemein und unbegründet sie auch sind, doch vom Pöbel benutzt worden sind und auch immer wieder benutzt werden im K a m p f gegen diejenigen, die sich nach Auffassung der Menge von ihr selbst unterscheiden, die irgendwie anders sind — das tertium genus. T r a j a n schlug bereits den richtigen Weg ein: wie hätte er anordnen können, nicht nach den Christen zu fahnden, wenn er geglaubt hätte, daß sie wirklich die Verbrechen begingen, deren sie beschuldigt wurden? Viel ernster war es in den Augen der aufgeklärten Heiden, daß man die Christen des Atheismus bezichtigte, des Hasses gegen das menschliche Geschlecht, des Religionsfrevels, der Majestätsbeleidigung, der Feindlichkeit gegen den Staat, der Bildung geheimer Gesellschaften — denn so lauteten die Beschuldigungen, die erhoben wurden. Konnten nun diese Beschuldigungen zur juristischen Grundlage eines Rechts Verfahrens gemacht werden? Gewiß, aber auch hier beweist die Haltung des Plinius, daß die Behörden nicht etwa darauf aus waren, den Christen die Verbrechen nachzuweisen, die man ihnen zur Last 1

J . P. Waltzing, L e crime rituel reproché a u x chrétiens du 2e s. 2 (1926).

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legte: allein das Bekenntnis zum Namen genügte, um sie zu verurteilen: nomen und nicht flagitia cohaerentia nomini 2 . Die entscheidende Frage ist die, ob das Bekenntnis zum Namen auf Grund eines ausdrücklich formulierten und im ganzen Reich gültigen Gesetzes gerichtlich verfolgt worden ist— eines Gesetzes, das die Ausübung der neuen Religion verbot, oder ob die Christen von den Behörden bestraft wurden auf Grund der gewöhnlichen Befugnisse, die sie dazu ermächtigten, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Ansichten der Gelehrten gehen darüber auseinander; die Vertreter der einen Richtung folgen Callewaert und glauben, daß es ein spezielles, meist Nero zugeschriebenes Gesetz gegeben habe, das institutum Neronianum Tertullians. Andere folgen Mommsen und betrachten die Verfolgung als eine staatspolizeiliche Aktion, die sich ohne Anwendung eines geregelten Rechts Verfahrens gegen solche richtete, die als Verbrecher galten. Mommsen war der Ansicht, daß das Bekenntnis zum Christentum, das eo ipso mit einer Aufgabe der traditionellen römischen Religion verbunden war, für ein Verbrechen gegen den Staat gehalten wurde; andere Forscher verknüpften die Verfolgung mit der allgemein geltenden Theorie der coercitio (d. h. Züchtigungsgewalt) der Behörden und zogen es daher vor, in der Weigerung der Christen, die bestehende Ordnung anzuerkennen, und in ihrem Ungehorsam gegenüber den Behörden den eigentlichen Grund für die Verfolgung zu sehen. Wieder andere vertreten die Anschauung, daß die Christen den Gesetzen gegen bestimmte Verbrechen zum Opfer gefallen sind — Verbrechen wie Kindermord, illegale Zusammenkünfte, Einführung verbotener Kulte und vor allem Hochverrat, der durch die Weigerung, die Gottheit des Kaisers zu verehren, als erwiesen galt. Die ganze unendlich komplizierte Entwicklung der Unterdrückung des Christentums, bei. der persönliche Veranlagung und Umstände ebenso wie Willkür und pedantischer Legalismus eine Rolle spielten, wäre unverständlich, wenn 2

M a n soll auch nie vergessen, d a ß die P o l e m i k der christlichen A p o l o -

geten gegen die Magistrate, die " d e n N a m e n " allein als s t r a f b a r betrachteten, v o n der berühmten Stelle in der B e r g p r e d i g t " D i e Menschen v e r w e r f e n Euern N a m e n " inspiriert ist. Auch die F r a g e des Plinius an T r a j a n , ob das Bekenntnis z u m N a m e n genüge, um die Christen z u verurteilen, ist eigentlich zuerst v o n den A n g e k l a g t e n an T r a j a n gestellt worden. V g l . P .

de

M o u x y , N o m e n Christianorum, Sonderdruck aus Atti della A c c a d e m i a d e l l e Scienze di Torino, 91 (1956/7).

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die Verfolgungen auf Grund eines Gesetzes erfolgt wären, in dem das Verbrechen, das in der Anhängerschaft zum Christentum bestand, genau definiert war. Die Verschiedenartigkeit der über die Gläubigen verhängten Strafen, der Ausnahmecharakter einzelner Züchtigungen — wie etwa die Verschickung von Christinnen ins Lupanar, die einige Statthalter anordneten —, die den Behörden gewährte Handlungsfreiheit, die es erlaubte, ein Verfahren zu unterbrechen, noch ehe eine Gemeinde völlig vernichtet war — ja, die es ihnen sogar ermöglichte, Christen zurückzuschicken, die aus eigenem Antrieb die Todesstrafe suchten, und schließlich die Verpflichtung, in besonderen Fällen die Entscheidung des Kaisers einzuholen — das sind alles Faktoren, die gegen das Vorhandensein eines speziellen Gesetzes sprechen. Ferner, haben sich nicht auch die Apologeten bald an den Kaiser, bald an die Statthalter gewendet? Selbst die Kaiser hätten aber niemals die Macht besessen, gegen ein bestehendes Gesetz zu entscheiden oder es zu ändern. Die Texte, aus denen man auf das Vorhandensein eines Spezialgesetzes hat schließen wollen, haben bei weitem nicht die Beweiskraft, die ihnen zugeschrieben worden ist. Es handelt sich hier um zwei Abhandlungen Tertullians " A d nationes" und "Apologeticum", die sich in der allgemeinen Anlage recht ähnlich sind. Der Autor klagt über die Unwissenheit der Heiden in bezug auf die Christen und über das geringe Interesse, Näheres über ihre Religion erfahren zu wollen. Die Beamten befaßten sich nicht eingehender mit den einzelnen Fällen, die ihnen vorgelegt würden, und bemühten sich nicht um echte Geständnisse für die angeblichen Verbrechen: das bloße Abschwören genüge ihnen. Nullum criminis nomen extat nisi nominis crimen est. Der Abschnitt, in dem Tertullian auf die Gesetze anspielt und auf d a s Gesetz, ist direkt von Athenagoras angeregt, der die völlige Freiheit, der sich die Heiden und sogar die monotheistischen Philosophen erfreuten, denen weder die Gesetze noch die Kaiser irgendwelche Hindernisse in den Weg legten, mit den Leiden vergleicht, die die Christen für ihren Glauben erdulden müssen. Es ist ganz klar, daß der Autor hier als Rhetor und nicht als Jurist spricht und auch kein bestimmtes Gesetz im Auge hat. Tertullian nimmt das Thema auf und erklärt, daß man ein ungerechtes Gesetz nicht achten könne; wenn die Gesetze gegen das Christentum ungerecht sind, dann sollten sie abgeändert werden, so wie man es früher auch mit vielen anderen Gesetzen gemacht hat. Es handelt sich nicht darum, 63

ein einzelnes Gesetz zu ändern, sondern alle Gesetze, die sich auf die den Christen vorgeworfenen Verbrechen beziehen, also die lex de maiestate, die lex Iulia de collegiis usw. Nachdem der afrikanische Apologet das non licet esse vos, die Illegalität des Christ-Seins, erörtert hat, behandelt er der Reihe nach die den Gläubigen unterschobenen Delikte und erklärt, daß sich im Grund alle Anklagen unter zwei Hauptverbrechen einordnen lassen: sacrilegium und maiestas: summa haec causa, immo tota est. An anderer Stelle, in einem einige Jahre nach dem Apologeticum verfaßten Schreiben an Scapula, den Statthalter der Provinz Afrika, macht er keinerlei Anspielung auf ein Sondergesetz, sondern faßt die Gründe, die zur Verurteilung der Christen führten, in folgender Weise zusammen: sacrilegi, hostes publici, maiestatis rei. Nirgends zitiert er das, was man ein "Phantom-Gesetz" genannt hat — nirgends erwähnt er ein Datum oder nennt er einen Namen. Es ist bezeichnend, daß das einzige authentische Zeugnis, auf das er seine Leser hinweist, nicht ein Gesetz ist, sondern ein einfaches mandatum, nämlich die Vorschriften, die Trajan dem Plinius gab. Er spricht in dem Apologeticum zwar von einem institutum Neronianum, aber der Ausdruck besagt nicht, daß Nero ein Gesetz gegen die Christen eingebracht hat. Tertullian, der die Behauptung des Meliton von Sardeis, nach der nur die schlechten Kaiser die Kirche verfolgt hätten, übernommen hat, führt aus, daß Nero, dieser ungerechte und ausschweifende gottlose Unmensch, die Christen bestraft hätte, weil diese alle Eigenschaften besäßen, die er selbst nicht besaß. Er sei es also gewesen, der mit den Verfolgungen begonnen habe — Nerone damnatio invaluit; er ist der dedicator damnationis, der damnator, der persecutor. Und obgleich der Senat alle von Nero getroffenen Maßnahmen später zurückgenommen habe, diese allein habe er beibehalten: erasis omnibus hoc solum institutum Neronianum. Es ist behauptet worden, daß institutum dasselbe wie lex bedeute. Das stimmt aber nicht; Tertullian verweist seine heidnischen Leser auf ihre Annalen; damit sind die Kaiserbiographien Suetons gemeint. Sueton erwähnt u. a. polizeilichen und legislativen Maßnahmen die Verurteilung der Christen: multa sub eo et animadversa severe et coercita nec minus instituta; das institutum Tertullians stammt also aus Sueton und bedeutet einzig und allein den von Nero eingeführten Brauch, die von ihm geschaffene Einrichtung. Wenn es noch eines weiteren Beweises bedarf dafür, daß es kein neronisches Gesetz gab, dann liefert ihn ein wertvoller Satz von 64

Laktanz: Ulpian, so sagt er, hat im 7. Buch von «de officio proconsulis» die traurigen Erlasse zusammengestellt, die darüber belehren, welche Strafen über diejenigen zu verhängen sind, die sich zum Christentum bekennen. Die leider verlorengegangene Sammlung enthielt die Reskripte der Kaiser auf die Anfragen, die ihre Stellvertreter in den Provinzen an sie gerichtet hatten, d. h. also die kaiserlichen Weisungen und die Präzedenzfälle, die die Machtbefugnisse regelten, soweit sie dem eigenen Ermessen der Prokonsuln und Statthalter anheimgestellt waren. Audi hier ist also nicht von einem Gesetz die Rede; die von der örtlichkeit abhängige und nicht konsequent durchgeführte Art und Weise der Verfolgungen schließt diese Möglichkeit aus. Die Statthalter konnten nur gestützt auf die Züchtigungsgewalt und ausschließlich kraft ihrer gegen die Christen vorgehen. Das erklärt auch, warum alle uns bekannt gewordenen Prozesse in der Hauptstadt geführt wurden oder anläßlich des Besuches des Statthalters in einer Stadt, stets aber in seiner Gegenwart; es erklärt auch, warum der Beamte über den Gang des Verfahrens selbständig entscheiden konnte. Plinius bestraft die tief eingewurzelte Halsstarrigkeit, die pertinacia, die inflexibilis obstinatio. Es versteht sich von selbst, daß kein Gesetz jemals diese Haltung zu einem Hauptanklagepunkt gemacht haben kann. Was die christlichen Apologien angeht, ob sie nun an den Senat, an den Kaiser oder die Statthalter gerichtet sind, so ist darin niemals eine lex rogata erwähnt, ein Senatsbeschluß oder ein kaiserliches Edikt, nur gesetzliche Vorschriften, die eine genaue Ermittlung ihrer Religion ermöglichten und zugleich die eigentliche Zielscheibe für die Angriffe schufen. Auf welcher juristischen Grundlage beruhten also die Verfolgungen, die die Statthalter im Rahmen ihres imperiums und die römischen Behörden, die mit der polizeilichen Ordnung in einer Stadt beauftragt waren, gegen die Christen anordneten? In anderen Worten, worin bestand das Verbrechen, das die Anwendung der coercitio rechtfertigte? Die christlichen Texte geben keine Antwort auf die Frage, da die Apologien immer nur ganz allgemein gehaltene Entgegnungen auf die Vorwürfe der Heiden sind und sich nicht bemühen, die Beweise der Juristen zu widerlegen, sondern nur die von Gegnern, die mehr oder weniger aufrichtig und aufgeklärt sind. Über die ersten Märtyrer waren die für Brandstifter bestimmten Todesstrafen verhängt worden, gleichzeitig hatte man sie aber wegen Einführung einer superstitio

5

Moreau

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nova ac malefica exitiabilis angeklagt — eines Verbrechens, das bereits vorher zum Eingreifen gegen Pomponia Graecina geführt hatte. Viel später sollte Plinius mit den gleidien Worten die christliche Religion in Bithynien charakterisieren, nämlich als superstitio prava, immodica: Der Vorwand, der die Verfolgungen möglich machte, kann wohl die Tatsache gewesen sein, daß die christliche Religion im Gegensatz zum mos maiorum stand; sie war schon darum eine religio illicita, weil ihre Anhänger niemals in der üblichen Form um ihre offizielle Anerkennung ersucht hatten. Das genügte völlig. Wenn sich dann allmählich bei den Heiden die Überzeugung festsetzte, daß die Christen auch Majestätsverbrechen begingen, so kam das daher, weil der in der Kaiserzeit recht dehnbar gewordene Begriff des Majestätsverbrechens es erlaubte, in diese Kategorie so ungefähr alle Verbrechen politischer Art einzuordnen, von der mangelnden Ehrfurcht dem Kaiser gegenüber angefangen bis zum Vergehen gegen die Staatssicherheit. Aber bei den Verfolgungen kann dieser Anklagepunkt nicht die Hauptrolle gespielt haben. Das Sich-Fernhalten vom kaiserlichen oder nationalen Kult war an sich noch kein Verbrechen. Wäre das der Fall gewesen, so würde seine Bekämpfung im Reich unlösbare Probleme aufgeworfen haben. Man hätte doch nur die hochgestellten Persönlichkeiten in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers überwachen können; es läßt sich im übrigen nicht beweisen, daß die aktive Teilnahme am kaiserlichen Kult vor dem 3. Jh. obligatorisch gewesen wäre. Die Opfer, die Plinius den Christen in Bithynien vorschrieb, sollten nicht Beweise für ihre Loyalität sein, sondern nur ihren Abfall ad oculos demonstrieren. Die Gesetze bezüglich der Kollegien und Hetärien sind zu wenig bekannt, als daß sie Schlußfolgerungen auf den Status der christlichen Gemeinden erlaubten. Im übrigen ist es bekannt, daß zahlreiche Gesellschaften im römischen Reich existierten, die nicht gesetzlich anerkannt waren. Wahrscheinlich hat man diejenigen, die wegen Gründung verbotener Verbände für schuldig erklärt wurden, wegen Majestätsbeleidigung und nicht de vi gerichtlich verfolgt. Die Möglichkeit, dem eigentlichen und ursprünglichen Verbrechen, das das Bekenntnis zum Christentum an sich schon bedeutete, noch weitere strafwürdige Verbrechen anzufügen, hat sich erst im Laufe der Jahre entwickelt; die Statthalter haben dann von ihr je nach Umständen und Bedarf Gebrauch gemacht. Eines der besonders charakteristischen Merkmale der späten Kaiserzeit ist die erweiterte Machtvollkommenheit, deren sich der Provinzstatthalter erfreute; er besaß 66

völlige Handlungsfreiheit. Plinius hat sich nur deshalb an Trajan gewendet, weil ihn das Ausmaß der durch die Christen in Bithynien ausgelösten Bewegung erschreckte. Der Legat in Lyon hielt sich im Jahre 177 nicht strikt an die von Trajan und Hadrian erteilten Instruktionen, die noch Mark Aurel im wesentlich bestätigt hatte. Statt sich darauf zu beschränken, nur diejenigen zu bestrafen, die sich zu Christus bekannten, und die Abgefallenen, wie es der Brauch gestattete, freizulassen, war er darauf aus, sowohl die einen als die anderen der Verbrechen zu überführen, deren der Pöbel sie bezichtigte. Diesen Vorstoß gegen das Herkommen hatte ihm eine überreizte öffentliche Meinung oktroyiert, die davon überzeugt war, daß die Christen tatsächlich die ihnen nachgesagten scheußlichen Verbrechen begingen, und die selbst bei reumütigem Verhalten niemals auch nur die geringste Nachsicht gezeigt hätte. Die coercitio hat aber allmählich, im Laufe der ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit ihren ursprünglichen Charakter verloren und wurde praktisch mit der cognitio extra ordinem identisch. Der Kaiser, als Träger des imperium, dessen Stellvertreter, der Stadtpräfekt von Rom, und die Provinzstatthalter erweiterten den Bereich ihrer coercitiven Macht, indem sie die Normen festlegten, nadi denen die Beschuldigten zu bestrafen waren. Auf diese Weise wprde bald diese ursprünglich außerordentliche Intervention der Behörden (extra ordinem) zur festen Institution, zur cognitio, die von einem besonderen Recht regiert war. Diese Umwandlung der coercitio zur cognitio hatte zur Folge, daß die Koerzitionsmaßnahmen tatsächlich als Strafen angesehen wurden. Diese Entwicklung des Rechtsverfahrens erlaubt es, die Unterschiede in der Behandlung der Christen je nach der Provinz, nach der Person des Magistrates und des Kaisers, nach der politischen und wirtschaftlichen Lage, usw. zu verstehen. Auch erklärt sich dadurch, welche Rolle das Institutum Neronianum in der christlichen Überlieferung gespielt hat: Nero war tatsächlich der erste, der ein solches Verfahren gegen eine Christengemeinde eingeleitet und so den notwendigen Präzedenzfall geschaffen hatte 3 . Es wäre natürlich verfehlt, das Problem der Verfolgungen nur unter juristischen Gesichtspunkten betrachten zu wollen. Unberechen3 Vgl. U . Brasiello, L a repressione penale in diritto Romano (1937) 189; A. Ronconi, Studi in onore U. E. Paoli (1956) 615—618; J . Beaujeu, Latomus 19 (1960) 302—304.



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bare Leidenschaften, psychologische und politische Strömungen waren stets Faktoren, die mitwirkten. Für den Staat handelte es sich im Grunde nur darum, sich möglichst bequem aus einer unbequemen Situation zu ziehen und die öffentliche Meinung zufriedenzustellen, ohne in einen endlosen und schwierigen Kampf gegen das Übel verwickelt zu werden. Die eingesetzten Mittel mußten elastisch genug sein, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten, ohne den Eindruck zu erwecken, daß man sich dem Willen der aufrührerischen Menge gefügt hätte. So betrachtet, läßt sich die Lage der Christen im römisdien Reich mit Recht mit der der religiösen Minderheiten im türkischen Reich vergleichen: der Staat nahm keine Notiz von ihnen, solange er nicht gezwungen wurde einzugreifen, doch ging er unter dem Druck äußerer Umstände oder eines Umschwungs in der öffentlichen Meinung höchst grausam und gewalttätig gegen die Christen vor, wobei er sidi im Namen des elementarsten Grundrechts auf die Erhaltung des Staatswohles als des höchsten Gesetzes berief. Durch eine Berufung auf Gesetze — und solche ließen sich stets leidit finden — wahrten die Behörden ihr Ansehen nach außen hin, handelten also im Einklang mit dem verlogenen Grundsatz, den Tacitus den Tiberius aussprechen läßt: "minui iura quotiens gliscat potestas, nec utendum imperio ubi legibus agi possit". (Ann. III, 69.) Im Laufe der ersten zwei Jahrhunderte lebten die Christen im römischen Reich zwar inmitten einer ihnen feindlich gesinnten Welt, die sie haßte, doch gewährten ihnen der römische Friede und die staatliche Ordnung das Minimum an Sicherheit, das es der Kirche ermöglicht hat, sich auszubreiten und stärker zu werden; man kann wohl, so paradox es klingen mag, behaupten, daß der Staat sie damals mehr beschützt als ihr Wachsen gehemmt hat. Gewiß, ihr Schicksal war unsicher und ihr Leben gefährdet und stets bedroht; die Apologeten hatten durchaus recht, sich über die Willkürlichkeit der Verfolgungen zu beklagen; doch blieben die Christen wenigstens verschont vor den unbarmherzigen Massakern und blutigen Kriegen, die mehrmals besonders diejenigen Gebiete der Diaspora verheerten, in denen zwei einander feindliche religiöse Gruppen nebeneinander lebten, nämlich die Griechen und die Juden. Die Größe einer Sache besteht nicht in der Zahl ihrer Märtyrer, sondern , in der moralischen Widerstandskraft derer, die für sie zu sterben bereit sind. So betrachtet, verdienen die Christen unsere un68

eingeschränkte Bewunderung. Die H a l t u n g der römischen Behörden, die im letzten die Ausbreitung der Kirche förderte, beruhte auf einer unklaren Zwischenstellung, die sie jeder moralischen Rechtfertigung enthob. N e r o hatte zuerst gegen die Christen gewütet, um die Schande, die ihn drückte, von sich abzuwälzen und der Wut des Volkes N a h r u n g zu geben. Dieser tragische Anfang, das institutum Neronianum, sollte — wie verschieden die Einstellung und die Maßnahmen der späteren Kaiser auch waren — in der Folgezeit eine Politik schwer belasten, die dadurch, daß sie in ihrem Bemühen, das Schlimmste zu verhüten, hin- und herlavierte und ihre Zuflucht zu Winkelzügen nahm, und dadurch, daß sie eine notwendige Entscheidung hinausschob und zwischen Kampf bis zum letzten und völliger Toleranz schwankte, wegen ihrer Inkonsequenz versagen mußte und schließlich zu schändlichen Mitteln griff, zu Niedermetzelungen, denen jeder Zug von Größe abging und die von kleinen Beamtengehirnen organisiert waren 4 .

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Vgl. neben den wichtigen, S. 67, Anra. 3 erwähnten Arbeiten, H. Last, R A C II 1208—1228; A . N . Sherwin-White, Journal of Theological Studies, N . S. III, 2 (1952) 199—213; J. G. Ph. Borleffs, Vigiliae Christianae 6 (1952) 129—145.

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V . D I E V E R F O L G U N G I M 3. J A H R H U N D E R T Mit der Ermordung des Commodus begann eine Aera der Verwirwirrungen, die das Regime der Antoninischen Kaiser hatte in Vergessenheit geraten lassen; das Reich wurde ausgeboten, die Thronprätendenten bekämpften sich unbarmherzig. Glücklicherweise gelangte aber ein Kaiser auf den Thron, dem es gelang, die Ordnung wiederherzustellen — eine jener tatkräftigen Persönlichkeiten, wie sie Rom zu seinem Glück häufig fand, wenn es am Rande des Abgrunds angelangt zu sein schien, die entweder sein bereits absterbendes Leben zu verlängern oder seinem geschwächten Körper neue Kräfte zuzuführen vermochten. Ein solcher Kaiser war Septimius Severus, ein gebürtiger Afrikaner aus Lepcis Magna, ein erfahrener Militär und Beamter, ein Mann aus der Provinz, der keine Bedenken hegte, überlebte Verfassungseinrichtungen abzuschaffen, und der sich, zum Nachteil des Senats und Italiens, auf die Armee und die Provinzen stützte. Es gelang ihm, das Reich und vor allem bestimmte Provinzen wie sein Geburtsland Afrika, Syrien, woher seine Frau stammte, und die Donauprovinzen, aus denen seine treuesten Legionen kamen, wieder zu einem Wohlstand zu führen, der im Gegensatz zu den Verfallserscheinungen des 3. Jhdts. stand. Noch um 250 erinnerten sich die Ägypter mit Sehnsucht der Zeit der Severer, während der ihre Städte blühten 1 und die überall in der Welt errichteten Triumphbögen verkündeten den Ruhm des restitutor rei publicae, propagator imperii. Septimius Severus, der Nordafrika und den Osten gut kannte, die beiden Länder, ohne die die römische Wirtschaft sich nicht halten konnte, hatte die Bedeutung des Christentums wohl erkannt, dessen zahlreichste und aktivste Gemeinden sich gerade in den genannten Provinzen befanden. Obgleich er sich persönlich den Kulten seiner Geburtsstadt verbunden fühlte, trug doch der Einfluß seiner Umgebung, im wesentlichen der der Prinzessinnen dazu bei, ihn religiösen Dingen gegenüber aufgeschlossen und vorurteilslos zu machen. Es ist 1

T. C. Skeat—E. P. Wegener, Journal of Egyptian Archaeology 21 (1955)

224—247.

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daher nicht verwunderlich, daß er den Christen wohlwollend gegenüberstand und daß er persönlich zu Toleranz neigte, um so mehr, als sich die Christen für ihn im Kampf gegen die beiden Prätendenten Niger und Albinus eingesetzt hatten. Tertullian bringt unzweideutige Beweise für seinen guten Willen vor: der Kaiser hat christliche Senatoren gegen den Pöbel geschützt und einigen Gläubigen Vertrauensposten am Hof gegeben oder sie ihnen erhalten, wie dem Leibarzt, dem Erzieher seines ältesten Sohnes und dem Kämmerer; auch hat Caracalla die Milch einer christlichen Amme getrunken 2 . Trotzdem redinet die Kirche Septimius Severus zu den Verfolgern, da es während seines Regimes zu Martyrien kam; außerdem ergriff er zuerst Maßnahmen gegen die Christen, die einen Bruch mit dem seit Trajan üblichen Verhalten: conquirendi non sunt bedeuteten. D a mit war die Staatsräson mit den persönlichen Sympathien des Herrschers in Konflikt geraten. Zweifellos wäre ein Kompromiß zwischen Kirche und Staat möglich gewesen, vielleicht hätten ihn die Behörden und viele Christen sogar gewünscht. Aber die unversöhnliche Haltung der schwärmerischen Sekten, vor allem der Montanisten, die Nordafrika beunruhigten, hätten jeden Versuch in dieser Richtung sofort zunichte gemadit. Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Bestand des an allen seinen Grenzen bedrohten Reiches von der Einigkeit und Zusammenarbeit aller seiner Bewohner abhing, wurden von christlicher Seite aus die radikalsten Parolen ausgegeben — Parolen, die zur Verweigerung des Militärdienstes aufriefen und die mit den Gesetzen Spott trieben, mit Hilfe derer die Kaiser versuchten, die Fruchtbarkeit der Ehen zu fördern und zu heben. Den Aufrufen des Celsus, der unter Mark Aurel die Christen dazu ermahnt hatte, ihre negative Haltung aufzugeben, sich um den Kaiser zu scharen, für ihn zu kämpfen und öffentliche Ämter anzunehmen, antwortet Tertullian in seinen montanistischen Schriften nur mit Verachtung, mit Geringschätzung und Drohungen. De Corona ist ein offener Aufruf zur Desertion: ein Christ kann nicht Soldat sein, ein Bekehrter muß sofort aus der Armee austreten. Origenes wiederholt dasselbe: "Wir kämpfen nicht auf seiten des Kaisers, selbst wenn er es verlangte; wir kämpfen für ihn, indem wir ein eigenes Lager errichten, wo wir zu Gott beten" 3 . Tertullian gibt zu, daß die Christen, durch den Heiligen 2 3

Tertull. ad Scapulam IV, 5. Orig., c. Celsum V I I I , 73.

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Geist vom Joch des Götzendienstes befreit, ihrem eigenen Gesetz folgen, und Origenes rechtfertigt die Tatsache, daß seine Glaubensgenossen freiwillig weder öffentliche Stellen annehmen noch Ämter ausüben, damit, daß in jeder Stadt eine "Gemeinschaft besteht, ein auf das Wort Gottes gegründetes 0X)0TT)jia itatpiSog" 4 . Die gleiche negative Haltung besteht den Ehegesetzen gegenüber, den leges Papiae, die Severus soeben verbessert hatte; Tertullian bezeichnet sie als "äußerst eitel" 5 . Tatian hatte rücksichtslos die Mütter großer Familien geschmäht und seinen Spott an Eutychis aus Tralleis ausgelassen, einer Mutter von dreißig Kindern, der zu Ehren Pompeius eine Statue hatte errichten lassen. "Warum haltet ihr das Bild einer Frau, die dreißig Kinder zur Welt gebracht hat, für ein so wunderbares Werk? Sie hat ihrer Sinnlichkeit bis zum äußersten nachgegeben, sie sollte also eher ein Gegenstand des Abscheus sein; sie sollte eher mit der Sau verglichen werden, von der es heißt, daß die alten Römer ihr aus dem gleichen Grund einen Mysterienkult gestiftet haben" 6 . Im Jahre 209 oder 210 weist Tertullian die Toga zurück, um das Pallium anzulegen; damit fordert er Rom heraus; er will die kaiserliche Propaganda lächerlich machen und dem offiziellen Römertum ein wahrhaftes Manifest entgegenschleudern 7 . Diese übertrieben heftige Weigerung, sich enger an den Staat anzuschließen, mußte, auch wenn die Mehrheit der Christen nichts mit ihr zu tun hatte, das Mißtrauen der Behörden und all derer erwecken, denen an der Erhaltung des Reiches lag. Tertullian hatte gut reden, wenn er behauptete, daß die Christen ebenso wie die Heiden an der Bewahrung eines Regimes interessiert seien, das sie gegen die Barbaren schütze; man kann ihm seine eigenen Worte entgegenhalten: " D e r Christ ist ein Fremdling in dieser Welt; er ist ein Bürger des himmlischen Jerusalems" 8 . Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Verantwortungsbewußten mit allen Mitteln versuchten, die Bewohner des Reiches um ihr Oberhaupt zu sammeln — ja, man träumte sogar von einer religiösen Einigung — , gerade in dieser Zeit gefällt sich der montanistische Zweig des Christentums geradezu in seiner Weige4

Orig., c. Celsum V I I I , 75.

5

Tertull., Apol. IV, 8.

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Tatian, adv. Graecos 34.

7

D. van Berdiem, Museum Helveticum 7 (1944) 100—114.

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Tertull. de Corona 13.

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rung, das, was des Kaisers ist, anzuerkennen, und in seiner Gleichgültigkeit dem Staat gegenüber. Der Historiker Cassius Dio läßt Mäcenas im Hinblick auf den zukünftigen Augustus aussprechen, was in jener Zeit die Geister beschäftigte: "Bemühe auch du dich, die Gottheit nach den Gesetzen des Vaterlandes zu verehren, und zwinge die anderen, sie zu verehren. Verabscheue und verachte jene, die auf dem Gebiet der Religion dazu neigen, fremde Gebräuche anzunehmen, und das nicht nur wegen der Götter — wer sie verachtet, hat vor nichts mehr Ehrfurcht — sondern weil diejenigen, die sich empören und religiöse Neuerungen einführen, viele Menschen zu fremden Gesetzen verleiten. Daraus entstehen dann Verschwörungen, Revolutionen, unerlaubte Verbindungen — kurz, alles, was sich mit der Monarchie nicht verträgt. Dulde daher weder Atheismus noch Magie" 9 . Klingt das nicht wie eine Antwort auf die Drohungen Tertullians: "wir sind überall, wir sind die Zahl . . . Und wenn wir auch nur eine kleine Gruppe wären, so genügten doch eine einzige Nacht und einige Fackeln . . ," 1 0 Auch wenn die Behauptung des Apologeten etwas übertrieben ist, nach der die Mehrzahl der Städte zum Christentum übergetreten sei, so ist doch nicht daran zu zweifeln, daß sich die Christen in Afrika damals stark vermehrten: zwischen 200 und 220 vereinigte ein Bischofskonzil des prokonsularischen Afrika und Numidiens 71 Teilnehmer, ein zweites, um 240 und ein drittes, im Jahre 256, 90 Teilnehmer 11 . Diese Entwicklung beunruhigte den Kaiser berechtigterweise ebenso wie der Erfolg der jüdischen Propaganda; auf einer Reise in Palästina, die er im Jahre 202 machte, verbot er den jüdischen Proselytismus; bezüglich des Christentums traf er die gleiche Maßnahme: Judaeos fieri sub gravi poena vetuit. — Idem etiam de Christianis sanxit 12 . Damit inaugurierte er eine neue Aera der Unterdrückungspolitik, wenn diese sich auch nidit sofort auswirken sollte. An Stelle eines Regimes, in dem das Christentum zwar offiziell verboten war, das aber im übrigen Unkenntnis vorgab und nur unter dem Druck der Volksmenge nachgab und auf Grund von Denunziationen dritter, Cass. Dio, L I I , 36. Tertull., Apol. 37, 3. " Cyprian, Briefe, 7 1 , 4 ; 7 3 , 3 ; 5 5 , 1 0 ; 52. 1 2 Script. Hist. Aug., Sev. 16, 9.

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setzte der Kaiser nun ein Regime ein, das die Freiheit überwachte und den Christen verbot, ihrem Glauben neue Anhänger zu gewinnen. Ein solches Regime, das den segensreichen und langen Frieden, dessen sich nadi Tertullians eigenen Worten die Kirche erfreute, nicht stören sollte, behagte natürlich den Fanatikern nicht, die den Seelenhirten vorwarfen, sich im Frieden wie Löwen und im Kampf wie Hirsche zu benehmen. Die Kirdie sah sich plötzlich auf sidi selbst zurückverwiesen. Dazu kam, daß die Gemeinden, sehr zu ihrem Mißfallen, eine behördlidie Untersuchung über sich ergehen lassen mußten: um 212 erschienen die Christen in den Polizeilisten (matrices) neben denjenigen, die wegen übler Sitten oder wegen Ausübung eines übelbeleumdeten Berufes unter ständiger Polizeiaufsicht standen 13 . Wie die Polizei in jedem Staat, so paktierte auch die Polizei des römischen Reiches mit der Unterwelt und ließ sidi bestechen. In einer Zeit, in der sich die Sitten völlig gewandelt hatten und in der in den städtischen Abrechnungen ganz unverblümt festgestellt wurde, wieviele Krüge Wein den Steuerbeamten spendiert wurden oder spendiert werden sollten, — in einer solchen Zeit ließen sidi auch die Christen, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, von den benéficiarii und den curiosi, den Polizeibeamten in Uniform oder Zivil, Lösegelder auferlegen. Tertullian macht keinen Hehl aus seiner Empörung über diese Praktiken, die in seinen Augen ebenso schwere Verfehlungen sind wie die Flucht vor Verfolgungen. Er geißelt die Schuldigen mit Worten, die sidi in einer Übersetzung kaum ebenso prägnant wiedergeben lassen: pedibus stetisti, cucurristi nummis14. Wie das Edikt des Jahres 202 im einzelnen angewendet wurde, entzieht sich unserer Kenntnis : einige der Martyrien aus jener Zeit kann man sidi besser erklären, wenn man annimmt, daß sie in Anwendung der schon früher geltenden Gesetze (die nicht abgeschafft worden waren) erfolgt sind als auf Grund der von Septimius Severus erlassenen Vorschriften. In Städten wie Alexandria und Karthago, wo die Überwachung viel rigoroser gehandhabt wurde, hatten die Christen mehr zu leiden als im übrigen Reich. Audi in Rom kam es zu vereinzelten Gewaltakten; der Papst Zephyrin schenkte dem Häteriker Natalis, der für den Glauben gelitten hatte, Verzeihung 15 . 13 14 15

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G. Lopuszanski, Antiquité Classique 20 (1951) 5—46. Tertull., de fuga in persecutione 12. Euseb., Kirchengesch. V, 28, 8—12.

Die Märtyrerakten aus Gallien berichten über die Verurteilung des hl. Irenäus und des hl. Andeolus; die zeitgenössischen Quellen enthalten nichts darüber 10 . In Kappadokien zeichnete sich, zu Beginn des Regimes, der Legat Claudius Licinius Herminianus durch seinen Eifer im Verfolgen aus; der Bischof von Cäsarea, Alexander, war noch im Gefängnis, als Caracalla den Thron bestieg1'. Alexandrien war ein Mittelpunkt unermüdlicher christlicher Propaganda. Die dortige, von Pantänus begründete Schule für christliche Philosophie versuchte, griechisches Gedankengut mit den Lehren der Kirche zu verbinden; sie muß sofort von dem Edikt des Jahre 202 betroffen und unter behördliche Aufsicht gestellt worden sein. Ihr Leiter Klemens mußte nach Kappadokien fliehen, wo er noch vor 215 starb. Origenes wurde trotz seiner Jugend sein Nachfolger; es gelang ihm, den Häschern zu entkommen, im Gegensatz zu seinem bereits verhafteten Vater Leonidas, der enthauptet wurde. Eusebius berichtet, daß aus ganz Ägypten und aus der Thebais die Kämpfer Gottes nach Alexandrien gesandt wurden und dort nach den verschiedenartigsten Folterungen die Märtyrerkrone empfingen, darunter mehrere Schüler des Origenes, die als Katechumenen und Neugetaufte Opfer des Gesetzes wurden. Ein junges Mädchen, Potamiäna, die mit ihrer Mutter den Märtyrertod erlitt, gemahnte durch ihren Mut an das Beispiel, das einst Blandina gegeben hatte, ja, sie bewirkte sogar noch die Bekehrung eines Soldaten, des Basilides, der bald darauf auch umkam 18 . In Karthago erlitten im Jahre 203 — unter dem Prokurator Hilarianus — Perpetua und Felicitas mit ihren Gefährten den Märtyrertod. Perpetua, die erst kurz zuvor die Taufe empfangen hatte, wurde in Thuburbo mit dem Katecheten Saturus und vier Katechumenen verhaftet, und zwar auf Grund des Edikts, das verbot, Proselyten zu machen. Felicitas, eine Sklavin, gesellte sich ihr im Gefängnis zu. Die authentischen Akten der Perpetua und Felicitas stellen eines der Hauptwerke der hagiographischen Literatur dar; gewichtige Gründe sprechen dafür, sie Tertullian zuzuschreiben; sowohl Vorwort als Schluß verraten deutliche montanistische Tendenzen; sie machen sich 16 P. Allard, Histoire des persécutions pendant la première moitié du 3e s. 4 (1919) 163—171. 17 Tertull., ad Scapulam 3; Euseb., Kirchengesch. VI, 12,5. 18 Euseb., Kirchengesch. VI, 4—5.

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auch sonst im Text bemerkbar, in dem prophetische Visionen eine beträchtliche Rolle spielen. Alle Märtyrer begrüßen den Tod als eine Befreiung. Wie ergreifend die Freude der Felicitas, die bei ihrer Verhaftung schwanger war, der aber dann nach ihrer Entbindung gestattet wurde, die Folterqualen ihrer Gefährtinnen zu teilen! Wie rührend die Standhaftigkeit der Perpetua, die weder das Flehen ihres greisen Vaters noch die Tränen ihres Kindes zu brechen vermochte! 19 Außer den genannten Märtyrern kamen auch noch andere Christen unter demselben Statthalter um, und zwar zufolge von Volksunruhen, die sich an der Parole entzündet hatten, den Christen ihre eigenen Begräbnisstätten fortzunehmen: Areae non sint 20 . Gleichfalls als Folge von Volksaufständen erklären sich vereinzelte Martyrien aus der Regierungszeit Caracallas. Caracalla, eine Karikatur seines Vaters, einer der verworfensten römischen Kaiser, war kein Verfolger. Die Christen behielten ihre Stellung am H o f , und wenn auch Ulpian damals sämtliche auf die Unterdrückung des Christentums bezüglichen offiziellen Reskripte zusammenstellte, so machte doch der Kaiser keinen Gebrauch von ihnen. Dieser Brudermörder, der sich selbst f ü r den frömmsten Menschen hielt, neigte, zweifellos nicht ohne politische Hintergedanken, zu einem recht vagen Synkretismus; auf seinen Reisen pflegte er allen lokalen Gottheiten zu opfern; und in dem riesigen Mithräum, das er unter seinen Thermen einrichten ließ, f a n d man einen Marmorzippus, der gleichzeitig Zeus, Helios, Sarapis und Mithras, in einen einzigen Gott vereinigt, geweiht war, "dem unbesiegbaren H e r r n der Welt". Späte Akten rechnen seiner Epoche mehrere Martyrien zu, aber hier liegen wohl Verwechslungen, die auf seinen Namen M. Aurelius Antonius zurückgehen, vor; die Martyrien gehören also in eine andere Zeit. Denunziationen provozierten in Afrika, unter dem Prokonsul Scapula, einen Wiederausbruch von Verfolgungen (211—213), die ähnlich verliefen wie die unter Mark Aurel. Trotz der grausamen Folterungen scheinen die Behörden nicht die Initiative ergriffen noch das Edikt des Jahres 202 in Anwendung gebracht zu haben. Zu Beginn der Regierungszeit hatte aber ein ernster Vorfall im Heer große Aufregung verursacht: ein christlicher Soldat hatte sich bei der Verteilung des donativum geweigert, den Kranz aufzusetzen. Die leiden19 20

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Passio Perpetuae et Felicitatis 6, ed. C. J. M. J. van Beek (1936). Tertull., ad Scapulam 3.

schaftlidie Verteidigungsrede, die Tertullian damals verfaßte, ist bekannt (De Corona), aber man macht sich meist nicht klar, welchen Erfolg die Verteidigung hatte: die Rede des feurigen Apologeten war nicht gerade dazu angetan, die Richter zur Milde zu stimmen. Im Jahre 212 veröffentlichte Caracalla die Constitutio Antoniana, die allen freien Untertanen im Reidi das Bürgerrecht gewährte 21 . Seitdem in Ägypten ein Fragment der Sammlung der kaiserlichen Konstitutionsordnung, eine Übersetzung aus dem Lateinischen ins Griechische, entdeckt worden ist — ein Fragment, in dem ein, wenn auch stark verstümmelter, Teil der Ordnung oder eines sie ergänzenden Edikts erhalten ist —, hat die Frage der Interpretation die Forschung immer wieder beschäftigt. Die Meinungen der Gelehrten darüber gehen auseinander. Die antiken Autoren, die das Edikt erwähnen, behaupten einstimmig, daß es allen Bewohnern des Reiches ohne Ausnahme das römische Bürgerredit gewährt habe; noch der hl. Augustin lobt die Maßnahme rückhaltlos als gratissime atque humanissime factum. Aber auch das alte nichtrömische Redit scheint nach 212 noch angewendet worden^ zu sein; einige Gelehrte nehmen an, daß der Gießener Papyrus eine Ausnahme enthalte: danach seien die sogenannten dediticii vom Bürgerrecht, bzw. dem einer anderen Gemeinschaft, ausgeschlossen geblieben. Es scheint, daß sich tatsächlich die Zahl der Bürger im Verhältnis zu der der Nichtbürger im Reich ganz beträchtlich vermehrt hat. Aber die Antoninisdie Konstitution stellt keine umwälzende Neuerung, sondern nur den rechtlichen Abschluß einer langen Entwicklung dar. Cassius Dio berichtet darüber so, als wäre die Maßnahme im Interesse des Fiskus getroffen worden; danach sei die Zahl der Bürger vermehrt worden, um die Steuereinnahmen zu erhöhen, denn nur von römischen Vollbürgern konnten Erbschaftsund andere Steuern erhoben werden. Die Ratgeber des Herrschers hatten jedoch ganz andere Ziele im Auge: es galt den Behörden neue K r ä f t e zuzuführen; die kleine Zahl der bisher zur Munizipalverwaltung zugelassenen Bürger stöhnte unter der Last der ihnen aufgebürdeten Aufgaben; sie sollte daher aus dem erweiterten Kreis der Neubürger erhöht werden 22 .

2 1 Vollständige Bibliographie bei C. Sasse, Die Constitutio Äntoniniana (1958). 22 D . van Berchem, Museum Helveticum 1 (1944) 113—114.

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Die Constitutio ist gelegentlich auch als Versuch betrachtet worden, den staatlich anerkannten Kulten neue Anhänger zu gewinnen, und damit für die in Lethargie versinkende civitas wieder den einigenden sittlich-moralischen Mittelpunkt zu schaffen, der durch den Abfall der Christen ernstlich bedroht war; in dem Edikt wurde auch tatsächlich die Abhaltung einer allgemeinen supplicatio zu den unsterblichen Göttern angeordnet. Es ist sogar behauptet worden, daß die Zulassung so vieler Reichseinwohner zum Bürgerrecht recht eigentlich den Weg zu einer allgemeinen Christenverfolgung gebahnt habe, da das Bekenntnis zum Christentum nur für Vollbürger, die wegen Majestätsbeleidigung verurteilt werden konnten, als ein Verbrechen galt, während gegen die peregrini nur auf dem Wege eines normalen kriminellen Verfahrens vorgegangen werden durfte; außerdem wäre mit der Ausdehnung des Bürgerrechts zugleich das Recht, an den Kaiser zu appellieren, aufgehoben worden 23 . Die vorgetragene Meinung beruht auf der Überzeugung, daß die Verfolgungen gegen die Christen auf Grund des Gesetzes zur Bekämpfung der Majestätsbeleidigung erfolgt seien; das ist aber in keiner Weise bewiesen. In jedem Fall schloß die Constitutio Antoniana die Christen nicht ausdrücklich aus der nationalen Gemeinschaft aus; die Lage der Kirche hat sich also nach 212 in keiner Weise verschlechtert, ganz im Gegenteil. Nicht vor der Verfolgung durch Decius im Jahre 250 bekamen die Christen die Folgen der im Jahre 212 geschaffenen Situation zu spuren . Nach Caracallas Tod änderten weder die kurze Regierungszeit des Macrinus noch das durch exzentrische Orgien entwürdigte vierjährige Regime des Hohen Priesters des Baal von Emesa, Elagabal, etwas an der Lage der Kirche. Nachfolger des verweichlichten Syrers war der »edle und gute« Kaiser Alexander Severus, den die Historia Augusta, ein spätes Sammelwerk, mit allen Tugenden geschmückt hat. Da sein Vorgänger die syrische Dynastie und den Thron durch sein Treiben in Verruf gebracht hatte, war es nicht besonders schwierig, nach, ihm als ein Vorbild der Sittenstrenge und Moral zu gelten. Alexander Severus stand völlig unter der Herrschaft seiner Mutter, Julia Mammäa, einer gebildeten und toleranten Frau, und hatte das 23 E. Perrot, Rev. hist. de droit 1924, 367—369. Vgl. H . Grégoire, Les persécutions, 112—113. 24 H. Grégoire, a.O. 110.

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Glück, von hervorragenden Juristen wie Paulus und Ulpian beraten zu werden. Selbstverständlich herrschten an dem völlig orientalisierten und dem Synkretismus ergebenen Hof keinerlei Vorurteile gegen das Christentum oder Judentum: Iudaeis privilegia reservavit, Christianos esse passus est25. Julia Mammäa stand mit einem der größten Gelehrten seiner Zeit, Origenes, in häufigem Briefwechsel; sie ließ ihn sogar an ihren Hof nach Antiochien kommen (218 oder 232); der römische Presbyter Hippolytos widmete ihr und einer gewissen Severina, vielleicht Julia Aquilia Severa, einer der Frauen Elagabals, eine Schrift 26 . Zu jener Zeit feierte ein Wundertäter, Apollonius von Tyana, der im 1. Jhdt. gelebt hatte, eine Art Auferstehung dank einer Biographie, die der Rhetor Philostrat auf Wunsch der Kaiserin Julia Domna, der zweiten Frau des Septimius Severus, verfaßt hatte. Dieser Pythagoräer im "modernen Gewand" wurde ein Heiliger des Heidentums, der in manchem an die christlichen Heiligen erinnert. Möglicherweise wollte Philostrat dem Christus der Kirche einen philosophisch gefärbten Christus für die Heiden gegenüberstellen. Nach der Historia Augusta soll Alexander Severus in seinem Lararium den Apollonius neben Abraham, Orpheus und Christus verehrt haben 27 . Das klingt nicht sehr wahrscheinlich, wirft aber ein charakteristisches Licht auf die religiöse Atmosphäre der damaligen Epoche, in der ein christlicher Laientheologe, Julius Africanus, ein Freund des Origenes, damit beauftragt wurde, für den Kaiser die sdiöne Bibliothek im Pantheon aufzubauen. Die erste Hälfte des 3. Jhdts. ist die Epoche, in der die Kirche ihre großen Eroberungen machte; es gelang ihr, nicht nur Anhänger in der Volksmasse zu gewinnen, sondern auch in den obersten Schichten der Bevölkerung, an der Universität, am Hof. Die christliche Religion war damals tatsächlich erlaubt. Überall, im Osten des Reiches, in Afrika, in Rom erstanden öffentliche Stätten der Andacht, wie etwa in Dura am Euphrat, wo um 235 ein Mithräum, verschiedene Tempel, eine Synagoge und eine Kirche friedlidi nebeneinander standen28; seit jener Zeit mehrten sich in Kleinasien auch die Inschriften, 25 26 27 28

Script. Hist. Aug., Sev. Alex., 22, 4. Euseb., Kirchengesch. VI, 28. Script. Hist. Aug., Sev. Alex., 29, 2. O. Eißfeldt, R A C IV, 358—370.

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die unverhüllte Bekenntnisse zum Christentum sind; es war also nicht länger nötig, seinen Glauben hinter einem doppeldeutigen symbolischen Zeichen zu verbergen 29 . Auch in Rom selbst tritt um 230 ein Umschwung ein, der den christlichen Begräbnisstätten zugute kommt; die bestehenden Friedhöfe werden erweitert und verschönert, neue werden angelegt. Damals vereinigte die Kirche die Verwaltung aller christlichen Friedhöfe in ihrer Hand, so daß sie, ehemals Eigentum bestimmter Familien, nunmehr in den Besitz der Kirche kamen. Diese umwälzende Neuerung beweist, daß das Christentum damals volles Bürgerrecht erworben hatte 30 , ja, wir würden sogar über einen eklatanten Beweis dafür verfügen, dürfte man einer in der Historia Augusta überlieferten Anekdote wirklich Glauben schenken: danach soll Alexander Severus einen Rechtsstrseit zwischen der Gemeinde und dem Collegium der Schankwirte in Rom um ein Grundstück zugunsten der Christen entschieden haben. Möglicherweise hat der Verfasser der Biographie Alexanders seinem Helden das Ganze nur angedichtet, um die Maßnahmen des Kaisers Gratian, der Ende des 4. Jhdts. alle heidnischen Tempel säkularisieren ließ, anzuprangern. Der Gegensatz im Verhalten zwischen dem toleranten Heiden und dem fanatischen Christen sollte die Überlegenheit des ersten besonders unterstreichen 81 . D a ß die Wahl gerade auf Alexander Severus fiel, ist recht bezeichnend. Und doch ist sogar dieser Tugendheld, der nur den einen Fehler begangen hatte, in einer Zeit zu leben, in der der Staat nicht ein tugendhaftes, sondern ein tatkräftiges Oberhaupt brauchte, in einigen späten Texten zum Verfolger gestempelt worden; unter anderen Märtyrern feiert das römische Martyrologium am 2. März auch das Gedächtnis zahlreicher Blutzeugen, die in Rom unter Kaiser Alexander und dem Präfekten Ulpian "lange Zeit gefoltert und zum Tode verurteilt wurden". Es erübrigt sich hinzuzufügen, daß sich diese Behauptungen auf nichts stützen als die Tatsache, daß Ulpian, wie schon erwähnt, eine Sammlung aller offiziellen, auf den Status der Christen bezüglichen Reskripte veranstaltet hat. Wenn trotzdem einige wenige Märtyrer unter Alexander Severus gelitten haben, so sind sie in Volksauf® H . Grégoire, Les persécutions, 17 ff.

2

80

30

F. De Visscher, AnBoll. 69 (1951) 50 ff.

31

A. Alföldi, Klio 31 (1938) 2 4 9 — 2 5 3 .

ständen umgekommen, ohne daß den Staat dafür Verantwortung trifft: so starb im Jahre 222 der Papst Callistus, der aus dem Fenster gestürzt und in einen Brunnen geworfen wurde 32 . Alexander Severus, ein Mann, der für den Frieden geboren war, war vom Schicksal dazu verurteilt, Krieg zu führen. Die persische Gefahr, die auch seinen Nachfolgern noch unaufhörlich zu schaffen machte, wurde akut nach der Gründung des mächtigen und starken Sassanidenreidies durdi Ardaschir, der die römischen Legionen in Medien sdilug. Kurz darauf, im Jahre 234, überschritten die Germanen den Rhein und die Donau. Diese Häufung von Niederlagen verursachte einen Aufstand im Heer; die Soldaten ermordeten den Kaiser und seine Mutter und verliehen den Purpur einem aus ihrer Mitte, Maximinus Thrax, einem primitiven Hirtensohn, einem Koloß, aus dem die Historia Augusta eine Art Mischung aus Gargantua und Herkules gemacht hat. Aber dieser völlig ungebildete Heide verstand sein Handwerk, den Kampf. Er stellte die Ordnung im Heer wieder her und sicherte die römischen Grenzen. Dieser Kaiser, der alles den Soldaten verdankte, verachtete alle, die im Kriege nichts taugten und die seine Vorgänger begünstigt hatten, also den Senat und die Privilegierten, die sicher hinter der Front lebten, ganz besonders aber alle Afrikaner. Eusebius führt die Maßnahmen, die Maximin gegen die Kirche traf, auf seinen Haß und Widerwillen gegen den Hof Alexanders zurück. In Wirklichkeit war es die Abneigung der Soldaten gegen alle, die sich hinter der Front befanden, in irgendeiner Art sicheren Verstecks; zu ihnen gehörten auch die Christen. Die Verfolgungen des Maximin waren nur von kurzer Dauer und nicht besonders blutig, aber gefährlich für die Kirche, denn der schlaue Barbar hatte begriffen, daß er die Kirche vernichtend treffen könnte, wenn er, statt unterschiedslos die Gläubigen zu verfolgen, nach ihrem Haupt zielte: " . . . nachdem er eine Verfolgung angestiftet hatte, befahl er, nur die Obersten der Kirche zu töten, also diejenigen, die verantwortlich für die Verkündung des Evangeliums waren" 3 3 . Seine Anordnungen scheinen allerdings nicht strikt durchgeführt worden zu sein. In Rom wurden der Papst Pontian und der Gegenpapst Hippolyt verbannt; in Palästina hatten 3 2 P. Allard, Histoire des persécutions pendant la première moitié du 3e s. 4 (1919) 206 f. 3 3 Euseb., Kirchengesch. V I , 28.

81 6

Moreau

Ambrosius und Protoktet mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihr Freund Origenes riditete eine Exhortatio ad martyrium an sie, doch wurden sie nicht hingerichtet. Ambrosius lebte noch im Jahre 248, als der gleiche Origenes ihm seine Schrift contra Celsum widmete. Die einzige Provinz, in der die Christen Martyrien erlitten, war Kappadokien, aber hier handelte es sich um eine rein örtlich begrenzte Verfolgung, die nicht von einer obersten Behörde ausgegangen war. Wieder einmal hatte sich die durch Naturkatastrophen gesteigerte Volkswut gegen die Christen gewendet; Unterstützung fand sie bei einem fanatischen Statthalter, Serenianus. Noch 22 Jahre später erinnert der hl. Cyprian in einem Schreiben an den Bischof von Kappadokien, Firmilian, an die Flucht der montanistischen Häretiker unter der Führung einer Prophetin, die es sogar gewagt hatte, die Eucharistie auszuteilen. Es ist ganz klar, daß die Panik infolge der Christenverfolgungen ausgebrochen war und diese wiederum von den Erdbeben, die weitgehende Zerstörungen angerichtet hatten, verursacht worden war. "Das Unglück war um so furchtbarer, als es völlig unerwartet und plötzlich nach einer langen, weit zurückreichen Friedenperiode ausbrauch" 34 . Aber die Unruhen übertrugen sich nicht auf die anderen Provinzen, in denen diejenigen, die zu fliehen vermocht hatten, Zuflucht fanden. Ja, merkwürdigerweise war Origenes auf seiner Flucht vor der Verfolgung ausgerechnet nach Kappadokien, also in den Hauptherd der Unruhen, geraten. Die Gesamtpolitik des Maximin, der sich ausschließlich seiner Armee widmete, und der vor allem durch seine neue Strategie des Bewegungskrieges den Bürgern schwere finanzielle Opfer auferlegte, führte zu einer ursprünglich gegen die Steuereinnehmer gerichteten Revolte der "anständigen Bürger" in Nordafrika. Der Senat bekämpfte die Konfiskationen und hohen Steuern; von ihm unterstützt kam die Dynastie der Gordiane zur Regierung. Diese wurden aber schon im Jahre 244 beseitigt. Der Kinderkaiser Gordian III. und sein Schwiegervater Timesitheus fielen als Opfer des niditendenwollenden Perserkrieges und der Intrigen eines Offiziers arabischer Abstammung, der unter dem Namen M. Julius Philippus Kaiser wurde. Dieser verfolgte die gleiche tolerante Religionspolitik wie die letzten Severer; seine Frau und er standen mit Origenes im Briefwechsel. Eusebius will sogar wissen, daß ein Bischof dem Kaiser untersagt habe, 34

82

Cyprian, Briefe 75, 10,1.

seine Kirche zu betreten, ehe er nidit Buße getan habe; der hl. Chrysostomus versichert, daß sich das in Antiochien unter dem Bischof Babylas tatsächlich zugetragen habe. Dionys von Alexandrien deutet an, daß sich schon vor Valerian einige Kaiser offen zum Christentum bekannt hätten. Der hl. Hieronymus und Orosius machen beide aus Philipp den ersten christlichen Kaiser 3 5 . Zweifellos war er in seinem Herzen Christ, aber die Zeit war noch nicht reif, um sich offen zum Christentum zu bekennen; mit großem Gepränge ließ Philipp anläßlich der Tausendjahrfeier Roms im Jahre 248 die heidnischen Festlichkeiten begehen. Er beschützte aber die Christen und gestattete dem Papst Fabian, die irdischen Reste seines Vorgängers Pontian nach Rom zu überführen 36 ; auch betraute er Bischöfe mit Verwaltungsaufgaben. Fulvius Aemilianus, der zweimal Konsul war und im Jahre 245 im Amt starb, war zweifellos ein Christ". Die persönlichen Maßnahmen des Kaisers genügten aber nicht, um die Christen gegen Volksbewegungen zu schützen; so hat die Bevölkerung von Alexandrien, von einem heidnischen Priester aufgehetzt, gegen die Christen einen der zahlreichen Pogrome angezettelt, wie sie von Zeit zu Zeit auch gegen die Juden provoziert wurden: die Häuser der Gläubigen wurden geplündert, Christen getötet; die Mehrzahl flüchtete. Schließlich brach eine Revolte aus und darüber geriet die Verfolgung in Vergessenheit 38 . Der Vorfall blieb eine Ausnahme, die nur die Regel bestätigt: in den ersten fünfzig Jahren des 3. Jhdts. fand keine allgemeine und blutige Verfolgung statt. Unter den Severern, deren Politik trotz des kurzen Zwischenspiels unter Maximin sich unter Philipp fortsetzte, wurde die Kirche geduldet, ja sogar von oben her gefördert; die Christen blieben völlig unbehelligt und lebten so sorglos, daß Origenes im Jahre 247/ in Erinnerung an das, was er selbst in seiner Jugend durchgemacht hatte, wehmütig äußerte: "Damals war zweifellos die Zahl der Glaubenstreuen noch klein, aber sie waren treu und schritten auf dem harten und steinigen Pfad empor, der zum Leben führt" 3 9 . Er klagt über die Verweichlichung und die Verkalkung der 35

6*

Vgl. Grégoire, Les persécutions 11 u. 9 0 — 9 1 .

36

Liber Pontificalis, ed. Duchesne I, 145.

37

Acta Sanctorum Maii, IV, 302.

38

Euseb., Kirdiengesdi. V I , 41.

38

Orig., Homil. in Jeremiam IV, 3, S. 25

Klostermann.

83

Christen seiner Zeit. Die Blutzeugen gehörten schon einer Zeit an, die man für abgelaufen hielt, und so konnte Origenes noch im Jahre 248 schreiben: "Nur um ein Beispiel zu geben, also damit die große Menge dfcr Christen durch den Anblick einiger, die für den Glauben kämpfen müssen, gestärkt werde und den T o d verachten lerne, nur darum sind von Zeit zu Zeit einzelne für den christlichen Glauben gestorben. Aber Gott wollte nicht, daß das Christenvolk ausgerottet würde" 4 0 . Philipp war es gelungen, mit den Persern einen ehrenhaften Frieden zu schließen, aber durch die Revolten, die in allen Teilen des Reiches ausbrachen, entmutigt, glaubte er sich nicht stark genug, um dem Ansturm der germanischen Horden am Limes begegnen zu können. E r faßte den Plan, abzudanken. Es fand sich ein tatkräftiger Mann, der bereit war, die Verteidigung der Grenze zu übernehmen; Decius siegte gegen alle Erwartung, seine Soldaten riefen ihn zum Kaiser aus, und die Balkanarmee schlug und ermordete den Kaiser, den das Heer im Osten ausgerufen hatte. "Der blutdürstige Tiger, der unbarmherzige Decius" 4 1 entfesselte eine Verfolgung, die die Kirche als eine der fürchterlichsten betrachtete, die sie bis dahin hatte erleiden müssen. Die Edikte des Decius "hatten es auf die Auserwählten abgesehen; sie zielten darauf, überall den Namen Jesu auszurotten und die Gläubigen durch übermäßige Folterqualen dem Götterkult wieder zuzuführen". Zwar hatte sich die Kirche weit ausgebi-eitet und zählte überall neue Anhänger, aber diese verfügten nicht mehr über die Seelenstärke, die einst die alten Glaubenskämpfer besessen hatten. Die Gründe, die Decius zur Verfolgung veranlaßten, sind einfach: genau so wie Maximin mußte auch dieser Soldatenkaiser, der alles dem illyrischen Heer verdankte, — dem besten, aber auch dem rohesten und am wenigsten von der christlichen Propaganda beeinflußten Heer — , um die Opfer seiner Soldaten rechtfertigen und in ein günstiges Licht setzen zu können, von den Bürgern hinter der Front gleichwertige Anstrengungen verlangen und darauf dringen, daß auch die Zivilbevölkerung ihr Äußerstes hergab. Von seinem Regierungsantritt an (Sept./Okt. 294) ging er, dem Beispiel Maximins folgend, schlagartig vor: im Dezember begannen die Verhaftungen der Christen; am 20. Januar 250 starb 40

Orig., c. Celsum I I I , 8.

41

P. Corneille, Polyeucte, I V , 2.

84

der Papst Fabian den Märtyrertod. Der Kaiser wachte darüber, daß die Kirche in Rom ohne Oberhaupt blieb; im Mai ließ er Calocerius und Parthenius, zwei einst von Philipp begünstigte Hofbeamte, töten, vielleicht auch Geiseln aus Persien, und Sennen 42 . Die Märtyrerberichte über die decische Verfolgung sind im großen und ganzen wertlos. Den Kaiser hat sein schlechter R u f zu einem Verfolgertypus gestempelt, dem man den Märtyrertod zahlreicher Christen zuschrieb, die in unbekannter Zeit verurteilt worden sind. Man hat sogar zuverlässig datierte Martyrien in seine Epoche verlegt, wie das des Pionius; dazu erfand man noch Legenden wie die der berühmten sieben Schläfer ausEphesus. Andere Akten wie die des Polyeuktos, des hl. Dionys, des Lukian und Marcian, des Bischofs Nestor aus dem pamphylischen Megydos, stammen aus späterer Zeit und verdienen daher nur begrenzte Glaubwürdigkeit. Einige Martyrien aus dieser Epoche sind nicht auf Grund des kaiserlichen Edikts erfolgt, sondern durch Pöbelhetze veranlaßt worden, so der Tod des Saturninus aus Toulouse 43 . Was die decische Verfolgung von den vorangegangenen unterscheidet, ist ihr umfassender Charakter und die bis in Einzelzelheiten ausgearbeitete Planmäßigkeit, mit der vorgegangen wurde. Davon geben die bei Eusebius erhaltenen Briefe des Dionys von Alexandrien eine gute Vorstellung, ferner die Briefe des hl. Cyprian und vor allem dessen Schrift "Über die Abgefallenen", d. h. über diejenigen, die dem Glauben untreu geworden waren, und schließlich noch die 43 Opferbescheinigungen (libelli) auf Papyrus aus Ägypten 44 . Die Maßnahmen im Dezember des Jahres 249 sollten aber nur eine Art Vorspiel sein. Gegen Mitte des Jahres 250 befahl ein Edikt allen Untertanen des Reiches, an einem allgemeinen Bittopfer teilzunehmen, einer den unsterblichen Göttern dargebrachte Supplicatio. Diese Anordnung betraf keineswegs nur die Christen allein, sondern sollte die Einmütigkeit der gesamten, um ihren Herrscher gescharten Bevölkerung anläßlich des dies imperii öffentlidi beweisen 45 . An jedem Ort wurde eine Kommission eingesetzt, die darüber wachen sollte, daß die vorgeschriebenen Zeremonien ausgeführt wurden und daß jeder Einwohner einen Ausweis über das vollzogene Opfer erhielt. Decius ver42

Vgl. J . Gregg, The Decian Persecution (1897).

43

E. Griffe, Bullet. Litt. Ecclé. 1950, 129—135.

44

G. Samonati, Dizionario Epigrafico IV, H . 26 (1957).

45

A. Alfoldi, Klio 31 (1938) 3 2 3 — 3 4 8 .

85

sprach sich von der angeordneten Feier eine Neubelebung des nationalen Bewußtseins zugunsten seines persönlichen Prestiges; es handelte sich also nicht mehr um eines der alten Bittopfer, sondern um einen öffentlichen Akt, der dem Kaiser selbst galt — um eine Bitte an die Götter, ihm am Jahrestag des Kaiserreiches ihre Gunst und ihren Schutz zu gewähren. Man verlangte von den Christen nicht etwa eine formelle Absage ihres Glaubens; eine bloße Geste genügte — und sie erhielten ihren Opferausweis, waren frei. Einige brauchten nicht einmal zu opfern; wenn sie nur einige Körner Weihrauch vor den Altar warfen, hatten sie ihren guten Willen bewiesen. Die Behörden bezeigten im allgemeinen Entgegenkommen; sie verschafften sogar Christen, die nicht geopfert hatten, gegen Entrichtung einer Geldsumme die sogen, libelli, die Opferbescheinigungen. Der Zwang, sich öffentlich durdi ein Opfer zur römischen Reichseinheit zu bekennen, brachte die Christen in ernste Gewissenskonflikte; die Zahl der Abtrünnigen stieg damals erheblich. Diejenigen, die nach einer gewissen Bedenkzeit keine Opferzeugnisse vorweisen konnten, wurden eingekerkert; man folterte sie, um von ihnen wenigstens eine scheinbare Einwilligung zu erzwingen. Viele sagten sich vom Glauben los, während andere im Kerker unter Folterqualen starben. Der Bischof von Karthago, der hl. Cyprian, rettete sich durch Flucht und betreute von seinem Zufluchtsort aus weiter seine Gemeinde; zwei Bischöfe aus seiner Provinz fielen ab, ebenso wie zwei spanische Bischöfe 46 . Auch der Bischof Dionys von Alexandrien entkam mit mehreren Gläubigen; einige zurückgebliebene Christen erlitten den Märtyrertod in der ägyptischen Hauptstadt; andere kamen im Innern des Landes um, wo die Volkswut sich auf die Gläubigen gestürzt hatte. In Syrien und Palästina starben die Bischöfe von Jerusalem und Antiochien im Gefängnis; ein dritter Bischof, Achatius, überlebte die Kerkerhaft. Origenes wurde in Cäsarea verhaftet und mußte bis zum Ende der Verfolgung im Gefängnis bleiben; er starb drei Jahre später an den Folgen der Mißhandlungen, die er erduldet hatte 47 . Die Verfolgungen ließen gegen Ende des Jahres nach; ein neuer Angriff der Goten machte die Gegenwart des Kaisers auf dem Kriegsschauplatz nötig. Bald danach fiel er im Kampf, und damit hörte die iü

V g l . Ch. S a u m a g n e , Bullet. Soc. N a t . Antiqu. de France 1957, 23—42.

47

Euseb., Kirdiengesch. V I , 39 u. 46.

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Verfolgung auf. Sie war kaum blutiger gewesen als einige der vorangegangenen. Was sie in den Augen der Christen so fürchterlich gemacht hatte, war die unerbittlidie Konsequenz, mit der sie durchgeführt worden war. Die kalte Hartnäckigkeit eines Beamten war furchtbarer als ein fanatischer Ausbruch; dadurch, daß Decius von allen die Opferzeremonie forderte, hatte er die Christen gezwungen, entweder sich zu verraten oder abzufallen. Viele gaben unter dem geschickt ausgeübten sanften Zwang nach. Die Gläubigen fielen in Massen ab. Besonders charakterschwach zeigten sich die Beamten, die sich in sicheren Stellungen befanden und wohlhabend waren. Aber noch gefährlicher war für die Kirche die große Zahl der Abtrünnigen: sie stellten ein ernstes Problem dar; sollte man sie wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen? Sollte man einen Unterschied machen zwischen denen, die tatsächlich geopfert hatten (sacrificati), jenen, die sich damit begnügt hatten, Weihrauch auf den Altar zu streuen (thurificati) und denen, die sich einfach unter der Hand Opferbescheinigungen verschafft hatten (libellatici)? So viel Mühe sich der Bischof von Karthago, Cyprian, und Dionys von Alexandrien auch gegeben hatten, die Frage vernünftig und tolerant zu lösen, es brachen doch leidenschaftliche Diskussion darüber aus, die die Einheit der Kirche bedrohten und sogar Spaltungen hervorriefen. In Rom trat der Presbyter Novatian für unnachsichtige Behandlung der Abtrünnigen ein. In Karthago führte eine unerwartete Einigung zwischen Bekennern und Abgefallenen zur Bildung einer getrennten Kirche, deren geistiges Oberhaupt Novatus war; schließlich verleugnete er aber seine Grundsätze und machte gemeinsame Sache mit Novatian; ihre Sekte erhielt sich im Osten bis zum Konzil von Nicäa 48 . Nach dem Tod des Decius schien die Lage des Reiches hoffnungslos zu sein. Trebonianus Gallus wurde, obgleich er die Niederlage selbst verschuldet hatte, von seinen Truppen zum Kaiser ausgerufen. Etwas später ernannte das Heer im Osten Aemilius Aemilianus zum Augustus. Kurz darauf wurde der gegen ihn ausgesandte Valerian auf den Thron erhoben. In Italien standen sich drei Armeen gegenüber. Den Aemilianus, Sieger über Trebonius Gallus, ermordeten seine eigenen Soldaten. Allein Valerian blieb am Leben. Als mittlerweile die Goten von neuem in die Donauprovinzen eingebrochen waren und innere Zwiste das Reich verheerten, da brach, um das gleichsam 48

Euseb., Kirchengesch. VI, 43—46; Cyprian, Briefe 52, 54, 67, 68.

87

apokalyptische Grauen vollzumachen, eine Seuche aus und wütete unter der Bevölkerung. Diese Häufung von Katastrophen, für die man die Christen verantwortlich machte, führte zu neuen Verfolgungen in Rom und Ägypten. Der Papst Cornelius wurde festgenommen und nach Centumcellae deportiert, aber die entschlossene H a l tung seiner Getreuen scheint den Kaiser eingeschüchtert zu haben — ein Beweis dafür, daß die Krise von 250, wenigstens in Rom, gänzlich überwunden war 4 9 . Das Exil des Papstes Lucius unter dem Prätendenten Aemilianus hatte keine weiteren Folgen 50 . Die ersten Jahre der Valerianischen Regierung verliefen für die Kirche völlig friedlidi. Dionys von Alexandrien, der die Behauptung aufgestellt hat, daß die Kaiser glücklich regierten, solange sie die Gläubigen nicht verfolgten, schreibt: " E r war gütig und freundlich gegen die Männer Gottes. Keiner seiner Vorgänger war so wohlwollend und entgegenkommend ihnen gegenüber; auch jene, die ganz offen Christen gewesen sein sollen, bezeigten ihnen nicht so viele Beweise der Zuneigung und des Vertrauens, wie Valerian sie ihnen zu Beginn seiner Herrschaft gab. Sein ganzes Haus war voll von Gläubigen, ein Haus Gottes" 5 1 . Trotzdem gibt es eine Überlieferung, nach der Valerian eine aktive Rolle in der decischen Verfolgung gespielt haben soll. Der Brief des Dionys an Hermammon, den Eusebius ganz willkürlich auseinandergerissen hat, läßt sich allerdings nur verstehen, wenn man die beiden Teile wieder zusammenfügt 52 . Der zweite Teil enthält ein Eulogium auf Gallien, der der Kirche den Frieden wiedergab; der erste, ebenso rhetorisch gehaltene Teil beschreibt in den düstersten Farben die vorangegangene Verfolgung. D a aber der Vorgänger des Gallien kein anderer als sein Vater Valerian war, so hat sich Dionys alle Mühe gegeben, das Andenken an den letzten möglichst schonend zu behandeln; er schiebt also dem künftigen Usurpator Macrian alle Verantwortung für die Verfolgung zu. Die Behauptung, daß Valerian ein halber Christ gewesen sei, ist skeptisch zu beurteilen, ebenso wie die rhetorisch übertreibende Charakteristik des Macrian, der Finanzminister und außerdem noch Archisynagogos der ägyptischen Magier gewesen sein soll, ein sadistischer Unmensch, der kleine Kinder für 48

88

P. Allard, Les dernières persécutions du troisième siècle 3 (1907) 23.

50

Cyprian, Brief 58.

61

Euseb., Kirchengesch. V I I , 10, 3.

52

Euseb., Kirchengesch. V I I , 10, 2 — 9 und 22, 12—23.

seine Zauberpraktiken ermordete und die Christen verabscheute, deren bloße Anwesenheit schon genügte, um seine schwarze Kunst wirkungslos zu machen. Es ist nicht zu leugnen, daß Macrian Verbindungen zu bestimmten orientalischen Sekten unterhielt; er bediente sich ihrer auch später, um das Reich zu erobern. Audi läßt sich die Tatsache nicht leugnen, daß er, mit der Ordnung der Finanzen im Reich betraut, dem Kaiser den R a t gegeben haben kann, sich der Reichtümer der Kirche zu bemächtigen, um die völlig erschöpften Staatskassen wieder aufzufüllen. Aber das trifft nicht die Hauptsache: von der Einziehung der Kirchenschätze war erst später, in dem zweiten Edikt, die Rede, so daß Valerian alleinverantwortlich für seine Maßnahmen bleibt. Laktanz, der keinen Grund hatte, sich vorsichtig über Gallien zu äußern, erwähnt Macrian überhaupt nicht, dessen tragisches Ende er doch recht wirksam im de mortibus persecutorum hätte verwerten können. Der Kaiser ordnete im Jahre 257 Maßnahmen an, auf Grund derer — wenn auch nur für kurze Zeit, da er im Jahre 259 gefangengenommen wurde — viele Christen ihr Blut vergießen mußten, wenigstens behauptet das Laktanz 5 3 . An allen Grenzen des Reiches drohten Feinde, die Finanzen waren völlig zerrüttet — der Feingehalt des Silbers sank unter Decius von 5 0 % auf 4 0 % , unter Valerian auf 1 6 % bis 1 4 % und unter seinem Nachfolger Gallien schließlich auf 2% — das Reich schien dem Zusammenbruch nahe. Die Franken fielen in Gallien ein, durchquerten Spanien und setzten nach Afrika über. Die Goten kamen über das Sdiwarze Meer und verwüsteten Kleinasien; der Perserkönig Sapor bemächtigte sich Antiochiens und setzte dort einen Marionettenkaiser ein. Gallien, das Rom nicht mehr gegen die Barbaren zu schützen vermochte, gab sich selbst einen einheimischen Kaiser, Postumus 54 . In dieser verzweifelten Situation ging Valerian zunächst daran, die Christen aus dem Weg zu räumen, die ohnehin als ein gefährlicher Fremdkörper im Reich galten; dann versuchte er, das Kirchengut zu konfiszieren, um wenigstens bis zu einem gewissen Grade Ersatz für die fehlenden Einkünfte aus Gallien und dem Osten zu schaffen 55 . 53

de mort, persec. 5 , 1 .

54

Vgl. H . Grégoire, Les persécutions 117 f.

65

Über die Verfolgung unter Valerian, vgl. A. Alföldi, Klio 31 (1938)

338 ff.

89

Das erste Edikt, im August 257, betraf nur den Klerus. Es verlangte, daß Bischöfe, Priester und Diakone den Staatsgöttern ein Opfer darbräditen. Es war bei Todesstrafe verboten, christliche Gottesdienste abzuhalten und sich auf den Friedhöfen zu versammeln. Auf das Edikt hin, das in Afrika und in Alexandrien sofort zur Anwendung kam, wurden sogleich der hl. Dionys und der hl. Cyprian eingekerkert, während der Legat in Afrika zahlreiche Christen zur Zwangsarbeit in die Bergwerke verschickte56. Im J a h r darauf wurden in einem zweiten Edikt die Maßnahmen verschärft: diejenigen Bischöfe, Priester und Diakone, die sich geweigert hatten zu opfern, sollten auf der Stelle den Tod erleiden, die christlichen Senatoren und Ritter ihren Rang und ihr Vermögen verlieren; auf Verweigerung des Opfers stand Todesstrafe, für die vornehmen Frauen Verbannung und Konfiskation aller Güter. Den Caesariani, dem riesigen Heer von Beamten, die im Palast und auf den kaiserlichen Domänen beschäftigt waren, wurde mit Güterentziehung und Verurteilung zur Zwangsarbeit auf den Domänen gedroht 57 . Das Edikt zielte vor allem mit darauf ab, dem Staatsschatz neue Mittel zuzuführen: soweit es sich um Senatoren und Caesariani handelte, erfolgte auch keine Rückerstattung der konfiszierten Güter, wenn sie vom Glauben abfielen. Das Hauptziel war aber zweifellos, die führenden christlichen Kreise zu beseitigen. So wurde der hl. Cyprian auf Grund dieses zweiten Edikts zum Tode verurteilt. Zuerst war er geflüchtet, als der Prokonsul ihn herausgefordert hatte, dann aber beschloß er, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und kehrte nach Karthago zurück. Die authentischen Akten über seinen Prozeß lassen deutlich erkennen, welches Ansehen und weldie Verehrung er bei der Menge genoß. Der Prokonsul Galerius Maximus konnte unmöglich länger zögern; das am 14. September des Jahres 258 verkündete Urteil lautete: Seit langem hast du das Leben eines Hochverräters geführt und mit zahlreichen anderen eine dunkle Verschwörung angezettelt. Du bist ein erklärter Feind der Götter und der Gesetze des römischen Staates. Selbst die frommen und verehrungswürdigen Augusti Valerian und Gallien und der allerhöchste Cäsar Valerian vermochten es nicht, dich wieder dazu zu bringen, den Staatsgöttern zu dienen. Weil du der

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56

Acta proconsularia Cypriani I, 1 u. 8; Euseb., Kirdiengesch. V I I , 11, 4.

57

Cyprian, Brief 80, 1.

eigentliche Urheber verabscheuungswürdiger Verbrechen bist und andere zu Schandtaten verführt hast, soll an dir ein Exempel statuiert werden zur Warnung für diejenigen, die du zu deinen Mitverschworenen gemacht hast; um den Preis deines Blutes sollen Zucht und Sitte (disciplina) gewahrt werden. Wir geben Befehl, daß Thascius Cyprian durch das Schwert hingerichtet werde5*. Es ist bemerkenswert, welche Bedeutung hier das Wort disciplina erhält. Der Hauptvorwurf, den man den Christen machte, war, daß sie nicht wie die anderen Bewohner des Reiches lebten. Wehe denen — und das gilt bis auf unsere Tage —, die im Krieg oder in Zeiten politischer Krisen nicht das von den jeweiligen Machthabern vorgeschriebene Leben führen! Hatte die decische Verfolgung viele Christen, die sich in trügerischer Sicherheit wiegten, völlig unerwartet getroffen, so fand die neue Prüfung (257—258) die einzelnen Gemeinden besser gerüstet vor; selbst die Hinrichtungen ihrer kirchlichen Vorgesetzten vermochten sie nicht wankend in der Treue zu ihrem Gott zu machen. Die karthagischen Christen bewahrten auf Mund- und Handtüchern das Blut ihres Märtyrerbischofs auf; die Behörden verwehrten es ihnen auch nicht, sich mit diesen Reliquien zu wappnen, die für spätere Zeiten als Zeugnisse eines unerschütterlichen Glaubens dienen sollten. Zahlreiche Märtyrer und Bekenner legten durch ihren Tod Beweise für die innere Stärke der Kirche in Afrika ab, wie z. B. der Diakon Jacobus und der Vorleser Marian in Lambaesis im Jahre 258, die Hll. Lucius und Montanus im Jahre 259 in Karthago 59 . Über die Grausamkeit der Verfolgung berichtet die von Prudentius aufbewahrte Legende der dreihundert Märtyrer (Massa Candida), die zu Utica in ungelöschten Kalk geworfen wurden 60 . In Rom erlitt Papst Sixtus II. den Märtyrertod mit seinen Diakonen und vielen Priestern. Ebenso erging es vornehmlich Frauen 61 . In Spanien wurde der Bischof Fructuosus aus Tarragona mit zwei Diakonen hingerichtet62. Auch in Alexandrien und Palästina kamen zahlreiche Christen um; der Bischof Dionys überlebte seine Verbannung 63 . In Gallien scheint es gleichfalls 58

Acta proconsularia Cypriani IV, 1—2. P. Franchi de'Cavalieri, Gli Atti dei SS. Montano, Lucio e compagni (1898); Studi e Testi (1900). 80 Prudentius, Peristeph. XIII. 61 Cyprian, Brief 80; Mart. hieron, 11. Sept. 62 Prudentius, Peristeph. VI. 63 Euseb., Kirchengesch. VII, 11. 69

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Blutzeugen gegeben zu haben, doch läßt sich wegen der damals in der Provinz ausgebrochenen Kriegswirren kein klares Bild von den dortigen Vorgängen gewinnen 64 . Im übrigen fand die Verfolgung bald ein Ende, als der Kaiser im Jahre 259 von den Persern gefangengenommen wurde und nadi schmählicher Behandlung auf tragische Weise umkam. Sein Leichnam soll angeblich ausgestopft und rot angestrichen in einem Barbarenheiligtum ausgestellt worden sein. Sein Tod, mors persecutoris, hat einen tiefen Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht. Die politische Krise des Jahres 259 wirkte sich für die römische Herrschaft im Osten ebenso verhängnisvoll aus wie die des Jahres 258 für den Westen: auf die Errichtung eines unabhängigen Staates in Gallien folgte im Osten die Ernennung zweier Kaiser. Die beiden Söhne des Macrian erhielten den Purpur und Odenathus, Fürst von Palmyra, machte sich zum König. Die Verteidigung des Reiches, das jetzt auf Italien, Afrika und die Donauprovinzen begrenzt war, stützte sich im wesentlichen auf Gallien, der sich seit dem Jahre 253 mit seinem Vater in die Regierung teilte. Die Lage schien aussichtslos zu sein; überall erhoben sich Usurpatoren, die Grenzen des Reiches waren ständig bedroht, die Pest setzte ihr Vernichtungswerk fort, Erdbeben erschütterten im Jahre 262 Italien, Afrika und den Osten. Die Zeit — die Historia Augusta nennt sie die Epoche der dreißig Tyrannen — ist eine der dunkelsten in der Weltgeschichte. Wie es Gallien gelang, das in Trümmer zerfallende römische Reich nicht nur unversehrt zu erhalten, sondern sogar wieder zu festigen, grenzt an ein Wunder. Die tendenziöse Geschichtsschreibung der folgenden Zeit hat den Kaiser als einen schwachen, verweichlichten, seiner Aufgabe nicht gewachsenen Mann geschildert — in Wirklichkeit war er ein tüchtiger Herrscher 65 . Er bemühte sich, dem Unheil Einhalt zu gebieten, und führte wichtige Reformen in der Verwaltung durch. Die gleiche Taktik, mit der er die Grenzen zu schützen versuchte, wandte er in seiner Religionspolitik an: er überließ dem Feuer, was nicht zu retten war. Nachdem sein Vater in Gefangenschaft geraten und er Alleinherrscher geworden war, erließ er ein Toleranzedikt. Der Originaltext des 64

E. Griffe, La Gaule chrétienne à l'époque romaine (1947) 80 ff.

65

A. Alföldi, 25 Jahre Röm.-Germ. Kommission (1930) 11 ff.

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Edikts ist zwar nicht erhalten, doch läßt sich sein Hauptinhalt und das Datum seiner Veröffentlichung mit Sicherheit aus einem anderen offiziellen Dokument ermitteln, und zwar aus einem Schreiben des Kaisers an Dionys von Alexandrien und andere ägyptische Bischöfe, in dem die früher zugunsten der Christen getroffenen Anordnungen auch auf Ägypten ausgedehnt werden. Seit langem, so sagt er, habe er der Kirche Freiheiten zugestanden. Aber diese Freiheiten konnten den Gläubigen in Ägypten nicht bekannt gemacht werden, da diese Provinz zuerst in der Hand der Söhne des Macrian und später in der des rebellischen Präfekten Aemilian war; der Brief scheint aus dem Jahre 262 zu stammen und vor dem Monat August geschrieben worden zu sein, also vor der Zehnjahresfeier der Thronbesteigung des Gallien, die in Ägypten besonders feierlich begangen wurde. Das Schreiben lautet: Ich habe angeordnet, daß sich die segensreiche Wirkung meiner großen Güte über die ganze Welt erstrecken soll. Danach sind die geweihten Stätten -wieder zurückzugeben; mögt auch ihr euch der Weisungen in meinem Erlaß erfreuen, so daß euch niemand mehr belästigt. Das, was euch danach rechtlich erlaubt ist zu tun, ist von mir bereits vor einiger Zeit huldvoll verfügt worden. Daher wird der Großschatzmeister Aurelius Quirinus darüber wachen, daß meine Anordnungen befolgt werden™. Ein zweites Reskript erstattete den Christen die ihnen entzogenen Begräbnisstätten zurück07. Das "erste Toleranzedikt" gab den Christen die Stellung wieder, die sie vor den Valerianischen Erlassen eingenommen hatten; damit wurde auch gleichzeitig der Besitzstand der Kirche anerkannt. Die Bedeutung dieser Tatsache kann gar nicht hoch genug geschätzt werden, denn die Bischöfe wurden jetzt vom Staat als Repräsentanten der Gemeinden betrachtet, die bevollmächtigt waren, in ihrem Namen von den konfiszierten Gütern Besitz zu ergreifen. Somit wurde die Kirche legitime Eigentümerin der Begräbnis- und Kultstätten. Allerdings gab es noch keine Bestimmungen, die den Status der christlichen Religion endgültig festgelegt hätte. Selbst wenn die Verfolgungen ausgesetzt waren, so war doch darum das Christentum noch nicht als religio licita anerkannt; ein plötzlicher Vorfall konnte die religiöse Friedensperiode stören und die Sicherheit der Gläubigen 66 67

Euseb., Kirchengesch. VII, 13. Euseb., a.a.O.

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wieder in Frage stellen. So wurde z. B. in Palästina unter Gallien ein Heeresangehöriger, der zum Centurio ernannt werden sollte, Marinus, von einem eifersüchtigen Rivalen als Christ denunziert und auf Grund der alten Gesetze verurteilt; da er den Kaisern keine Opfer darbrachte, konnte er auch keine römische Ehrenstellung bekleiden. Im Heer pflegte man den Christen gegenüber absichtlich ein Auge zuzudrücken; auf eine Denunziation hin mußten jedoch die Führer die Gesetze, die vor Valerian galten und die niemals abgeschafft worden waren, in Anwendung bringen. Immerhin sicherte nun das neue Reskript den Christen eine über vierzigjährige Friedenszeit, die nur einmal unter Aurelian unterbrochen wurde, die aber im übrigen der Kirche die Möglichkeit gab, sich auszubreiten, stark zu werden und zu wachsen. Der Kaiser Claudius II. Gothicus, dem der sterbende Gallien das Reich anvertraut hatte, verfolgte die Politik seines Vorgängers. Der erste und beste der illyrischen Kaiser starb nach nur zweijähriger Herrschaft an der Pest. Sein Tod wurde allgemein beklagt. Späte Akten behaupten, daß eine ganze Anzahl von Blutzeugen während seiner Regierung umgekommen seien, und zwar in Italien. Obgleich die Zeugnisse mit größter Vorsicht zu behandeln sind, ist es doch möglich, daß auf die Politik des Gallien eine Reaktion erfolgt ist, und zwar seitens des Senats, der sich zurückgesetzt und seiner alten Rechte beraubt sah. Wie dem auch sei, die Episode hat keine Spuren in den Werken der Kirchenhistoriker hinterlassen; die angegebene Zahl der Opfer beruht in jedem Fall auf Übertreibungen der Lokalüberlieferung. Aurelian, der von 270—275 regierte, war ein echter restitutor imperii, einer der bedeutendsten römischen Heerführer und bestimmt einer der tatkräftigsten und energischsten. Es gelang ihm, die in den Westen des Reiches eingebrochenen Barbaren zu besiegen und das Königreich von Palmyra wieder zu erobern, das, nachdem es von Gallien anerkannt worden war, seine Macht unaufhörlich ausgedehnt hatte und schon im Begriff gewesen war, sich von Rom loszureißen. Die Königin von Palmyra, Zenobia, sympathisierte ganz offen mit dem Judentum und vielleicht sogar mit einem häretischen Zweig des Christentums, dessen Vertreter Paulus von Samosata war; seine Lehren waren im Jahre 268 von einem Konzil verdammt worden. Für Paulus war der Sohn Gottes nicht Gott wie der Vater, sondern ein Mensch, der zwar alle anderen überragte, aber doch ein Mensch, der von Gott an Sohnes Statt angenommen worden war. Der Bischof un94

terschied zwischen dem Wort Gottes und dem Christus, der nicht selbst das Wort ist; darum, so folgerte er, darf Maria auch nicht Mutter Gottes genannt werden. Man versteht, daß diese dem strengsten jüdischen Monotheismus sich nähernden Lehren etwas Verführerisches für Zenobia haben mußten. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß diese Königin aus einer graeco-orientalischen Welt, die mit ihren Neigungen zum Judentum den Kult eines Zeug wpiatog xai EJnf]y.oog begünstigte, die Dienste des welterfahrenen Bischofs Paulus in Anspruch nahm, der ihr Hauptberater wurde 88 . Nach der Wiedereroberung Antiochiens durch Aurelian unterbreiteten die Christen dem Kaiser eine ernste Streitsadie; damit schufen sie einen Präzedenzfall, der es den Behörden ermöglichte, sich in die Angelegenheiten der Kirche zu mischen. Der abgesetzte Bischof Paulus, der zudem auf seiten der Zenobia stand, weigerte sich, sein bischöfliches Domizil dem neuen Bischof Domnus einzuräumen. Aurelian entschied, daß das Haus "denen gehöre, die mit den Bischöfen der christlichen Lehre in Rom und Italien korrespondierten" 69 . Damit anerkannte Aurelian implicite die römische Organisation der Kirche. Man hat diesen Akt häufig so aufgefaßt, als habe der Kaiser damit die Angelegenheit einfach einem auswärtigen und daher unparteiischen Schiedsgericht übergeben wollen70. Aber Euseb sagt nichts von einem Schiedsgericht; Aurelian, der sich bemühte, Rom wieder zum Mittelpunkt eines geeinten Reiches zu machen, war nur allzu froh, darauf hinweisen zu können, daß sogar die katholische Kirche von der Hauptstadt abhinge. Für die Christen blieb Aurelian allerdings trotzdem der Kaiser, der sich dominus et deus nannte und der, an die Ideologie der Severer anknüpfend, überall den Glanz des Sol Invictus erstrahlen ließ, dieser synkretistischen Gottheit, die auf die Bevölkerung im ganzen Reich eine Anziehungskraft ausübte. Es steht nicht fest, ob der Kaiser wirklich die Verehrung des Sonnengottes zur Reichsreligion machen wollte; in diesem Fall hätte er doch die Christen verfolgen müssen. Man schreibt ihm die neunte Verfolgung zu; bei den darauf bezüglichen Märtyrerakten handelt es sich aber um späte und unzuverlässige Zeugnisse71. 68 69 70 71

G. Bardy, Paul de Samosate 2 (1929). Euseb., Kirdiengesch. VII, 3o, 19. H. Grégoire, Les persécutions 60. J. Moreau, Lactance. De la mort des persécuteurs II (1950) 227 ff.

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Nach Sulpicius Severus verliefen die fünf Jahrzehnte, die Valerian von Diokletian trennen, völlig friedlich. Eusebius berichtet, daß Aurelian bereits den Entschluß gefaßt hätte, die Christen zu verfolgen, als er starb. Laktanz, der aus bestimmten Gründen den Kaiser zu den Verfolgern rechnet, gibt zu, daß das Edikt, durdi das die Christen rechtlos wurden, nur einige Provinzen betraf; die Ermordung Aurelians verhinderte auf jeden Fall, daß es zur Anwendung kam 72 . Wäre Aurelian nicht nach fünfjähriger Regierung ermordert worden, dann hätte er sich mit dem Christenproblem befassen müssen. Als Soldatenkaiser, der seinem Heer an der Donau den Purpur verdankte und der in die Perserkriege verwickelt war, hätte er den Christen gegenüber kaum eine andere Haltung einnehmen können als der spätere große Christenverfolger Galerius. Im ganzen war die Zeit von 261—303 trotz der Katastrophen, die das Reich trafen, eine Friedensära für die Kirche, ebenso wie die Zeit, die den Edikten des Decius und Valerian vorausgegangen war. Wohl gab es einzelne Märtyrer wie etwa Trophimus von Synnada, der unter Probus starb 73 ; er fiel zweifellos einem jener Volksauf stände zum Opfer, die von Zeit zu Zeit mitten im Frieden ausbrachen, ausgelöst durch die ungemein erfolgreiche christliche Predigttätigkeit. Bis zum 19. Regierungsjahr des Diokletian erfreute sich die Kirche aber einer Friedensperiode, die noch ungestörter war als die Zeit unter der Regierung der Severer; durch sie wurde vor allem die Bedeutung der Kirche im Staatsleben erheblich gefördert. Während der ersten Regierungszeit des Diokletian lebten die Christen überall ganz unbehelligt. Welchen Ansehens sich vor der Verfolgung in unseren Tagen das durch Christus der Welt verkündete, zur Verehrung des Allmächtigen aufrufende Wort bei allen Menschen, Griechen und Barbaren, erfreute, wie frei es verbreitet wurde, das zu schildern übersteigt unsere Kräfte. Aber wenn man dafür Beweise fordert, dann findet man sie in den Gunstbezeigungen, die die Kaiser den Unsrigen erwiesen haben; betrauten sie doch sogar die Christen mit der Leitung von Provinzen und entbanden sie von den Opfern, die ihr Gewissen in Konflikte gebracht hätten — so aufrichtig war ihr Wohlwollen gegenüber 72

J . Moreau, a.O.

73

G. Mendel—H. Grégoire, Bullet. Corr. Hellen. 33 (1909) 3 4 2 — 3 4 9 ;

H . Grégoire, Byzantion 4 (1927/8) 802 f.

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unserem Glauben. Und was soll ich von den Vornehmen in den kaiserlichen Palästen sagen und denen, die Vollmacht über alles besitzen? Sie gestatteten den Mitgliedern ihres Hauses, offen für ihren Glauben an Gott Zeugnis abzulegen, in Wort und Tat; ihren Frauen, Kindern und ihrer Dienerschaft erlaubten sie es fast, sich ihrer Glaubensfreiheit zu rühmen; sie bezeigten ihnen besondere Gunst und zeichneten sie unter ihren Mitarbeitern aus, so wie etwa den Dorotheus, der von allen am vertrauenswürdigsten und getreuesten galt und darum auch bei den Machthabern und führenden Persönlichkeiten in besonderem Ansehen stand, ebenso den berühmten Gorgonius und alle anderen, die sich gleicher Hochschätzung erfreuten, weil sie dem Wort Gottes folgten. Haben wir nicht gesehen, welche Gunstbezeugungen die hohen Beamten und die Führenden auf die Häupter der einzelnen Kirchen gehäuft haben? Und wie könnte man die ungeheuren Volksmengen schildern, die zu den Gottesdiensten drängten, die Zusammenkünfte in den Gotteshäusern? Als eben wegen dieses Zustroms von Menschen die alten Gebäude nicht mehr genügten, ließ man in allen Städten größere Kirchen errichten. Und dieser Ausbreitung, dieser täglichen Zunahme an Kraft und Größe stellte sich kein Haß entgegen''1.

74

Euseb., Kirchengesdi. V I I I ,

1,

1—6.

97 7

Moreau

VI. DIE DIOKLETIANISCHE VERFOLGUNG U N D DER SIEG CONSTANTINS 1 Die seit dem Edikt des Gallien wachsende Ausbreitung und der Wohlstand der Kirche standen im Gegensatz zu dem beklagenswerten Zustand des Reiches. Das Unwesen der Usurpationen hielt an, die Grenzen an Rhein und Donau wurden immer wieder von Barbaren überflutet, der Perserkrieg zog sich endlos hin. In Gallien revoltierten die hungernden Bauern und hielten Teile des Landes besetzt. Die Inflation kannte keine Grenzen mehr. Der Preis für einen Scheffel Weizen, der im Jahre 277 auf 120 Drachmen gesetzt worden war, stieg im Jahre 293 auf 300 Drachmen und im Jahre 301 auf 1 335,5. Nachdem Diokletian im Jahre 284 vom Heer im Osten zum Augustus erklärt und auch im Westen anerkannt worden war, bemühte er sich mit Hilfe radikaler Maßnahmen, das Reich zu sichern und neu zu festigen. Vor allem kam es ihm darauf an, der kaiserlichen Machtstellung und der Person des Herrschers wieder das alte Ansehen zu verschaffen. Die erste Maßnahme, die er traf, zielte darauf ab, eine etwaige Usurpation unmöglich zu machen und einen Helfer zur Bewältigung der Aufgaben, die die Kraft eines einzelnen überschritten, zu gewinnen: er ernannte also Maximian, den besten seiner Generale, zum Mitherrscher. Beide Kaiser gesellten sich sofort je einen Cäsar zu, um die Nachfolge sicherzustellen. Diesem System, das sich weder auf den dynastischen Gedanken noch auf Senat oder Armee stützte, fehlte aber noch eine ideologische und religiöse Grundlage, die den Herrschern den religiös-mystischen Nimbus zu verleihen vermocht hätte, der dem kaiserlichen Amt nach so 1 D a die Hauptquelle für diese Zeit das "de mortibus persecutorum" von Laktanz ist, erlaube ich mir, auf meinen oben, S. 95 Anm. 71, zitierten Kommentar zu verweisen. Über die Bestimmungen der verschiedenen Verfolgungsedikte, vgl. G. E. M. de Ste. Croix, Harvard Theological Review 47 (1954) 75—113.

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vielen Ermordungen von Kaisern verloren gegangen war. So wurden also die Akklamationen der Soldaten, die Diokletian zur Macht verholfen hatten, als irdische Zeichen des göttlichen Willens betrachtet. Diokletian nannte sich Jovius, Maximian Herculius; damit war ein Verwandtschaftsband zwischen ihnen geknüpft; ihre Cäsaren galten als ihre Söhne und nahmen ihre Namen an: Galerius hieß Jovius und Constantius Herculius. Die Beinamen bedeuteten, daß Diokletian gleich Jupiter, dessen Sohn er auf mystische Weise war, die Welt von der Höhe seiner Majestät aus regierte. Maximian war wie Herkules der ausführende Arm. Die Tetradien bildeten unter Diokletians Autorität ein Kollegium, dessen Stärke die Concordia Augustorum verbürgte und das auf der pietas und fides seiner Mitglieder beruhte. Dieser theokratische Absolutismus fand in einem ganzen System ausgeklügelter und künstlicher Riten Ausdruck, die dem orientalischen H o f zeremoniell entliehen war und allmählich mehr und mehr am Hof in Rom Eingang gefunden hatten und schließlich in der dem Kaiser pflichtmäßig dargebrachten adoratio gipfelten. Auch der von Aurelian bereits mit der Kaiserverehrung verbundene Sonnenkult blieb in großem Ansehen. Obgleich Diokletian ein kühner Neuerer war, hielt er doch an den alten römischen Traditionen fest und verfehlte es niemals, in seiner Gesetzgebung an die mores maiorum zu erinnern. Die aus der Provinz stammenden Kaiser waren tief durchdrungen von dem Bewußtsein der Größe Roms, auch als Rom nicht mehr Reichshauptstadt war. Durch eine Reihe glücklich geführter Feldzüge in Gallien, Britannnien, Afrika, am Rhein, an der Donau und im Osten wurden die Grenzen des Reiches neu befestigt. In den im Inland gelegenen Provinzen wurden Barbaren angesiedelt, um dem Mangel an Landarbeitern abzuhelfen. Doch die Kriege und die Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung starker Heere nötig waren, die Reorganisation der Provinzen und der Verwaltung legten der Staatskasse schwere Lasten auf. Die Einführung eines neuen Steuersystems und die Reformierung des Geldwesens waren bereits im Jahre 297 vollendete Tatsachen. Das chaotische Durcheinander wurde durch einen Verwaltungsapparat ersetzt, der drückend und unerbittlich den Bürgern den letzten Schein von Freiheit raubte. Die Natur sollte sich für den starren Bürokratismus rächen. Der Versuch, durch ein Edikt die Lebenshaltungskosten zu senken, mußte scheitern trotz der strengen Strafen, die im Falle der

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Nichtberolgung angesetzt worden waren. Dem Edikt über die Höchstpreise aus dem Jahre 301, dem sogenannten Maximal-Tarif, ging es, wie es solchen Erlassen stets zu gehen pflegt; im Westen, der weniger bevölkert und wirtschaftlich weniger erschlossen war als der übervölkerte und wirtschaftlich hochentwickelte Osten, scheint nicht einmal ein Anlauf gemacht worden zu sein, den Tarif zur Anwendung zu bringen. Besonders auffallend sind die Rücksichten, die im Maximal-Tarif auf die wirtschaftliche Lage des Heeres genommen werden. Es ist ganz klar, daß Diokletian aus Furcht vor unliebsamen Reaktionen von seiten der Soldaten es vermeiden wollte, ihnen Grund zur Unzufriedenheit zu geben. Daß derartige Befürchtungen das Haupt der Tetrachie nicht zur Ruhe kommen ließen, ist nur allzu verständlich. Zucht und Gehorsam in der Armee waren die unentbehrlichen Voraussetzungen nicht nur, um die Verteidigung des Reiches sicherzustellen, sondern auch um das Gleichgewicht zwischen den vier Regenten zu erhalten und einen Bruch zwischen ihnen zu verhindern. Dieses Gleichgewicht wurde aber dennoch gestört nach dem glänzenden Sieg, den Galerius im Jahre 297 über die Perser davongetragen hatte. Der Cäsar, den der Glorienschein eines neuen Sieges umgab und der über eine starke Armee, die ihn vergötterte, verfügte, drängte den alternden Diokletian mehr und mehr in den Schatten. So war die Lage, als im J a h r e 303 die längste und blutigste Verfolgung ausbrach, die die Christen bisher durchgemacht hatten. Es ist nicht leicht, die eigentlichen Gründe, die einen so plötzlichen Umschwung in Diokletians Verhalten bewirkten, ausfindig zu machen. Laktanz gibt Galerius die Schuld, der vom religiösen Fanatismus seiner Mutter, einer Barbarenfrau, beherrscht gewesen sein soll. Euseb schiebt in den verschiedenen Ausgaben seiner Kirchengeschichte zuerst Diokletian, dann Galerius und schließlich doch wieder Diokletian die Verantwortung für die Verfolgungserlasse zu. Gewiß lieferte Galerius, der auf eine besonders schreckliche Weise endete, dem Laktanz ein besonders gutes und typisches Beispiel für den geborenen Verfolger. Aber nichts zwang den Autor dazu, sich so, wie er es tut, des langen und breiten über den erbitterten Widerstand auszulassen, den der alte Kaiser dem Cäsar geleistet haben soll, ist doch auch Diokletian im de mortibus persecutorum mit den düstersten Farben gezeichnet; die Beweisführung des Rhetors aus Nikomedien unterstreicht sein Ende nicht weniger, wenn es auch nicht ganz so grausig wie das des Galerius war. 100

Sicher hat Galerius, der jünger, dynamischer und mit dem Heer enger verbunden war als Diokletian, eine beherrschende Rolle bei der Eröffnung der Feindseligkeiten gegen die Kirche gespielt. In dieser Beziehung war Galerius ein würdiger Nachfolger des Decius, der sich, ebenso wie jener, auf die rohe Donau-Armee stützen konnte, die sich aus Elementen zusammensetzte, die von der christlichen Propaganda so gut wie gar nicht erreicht worden waren — auf ein Heer, dessen Opfer und Verdienste in seinen Augen eine drastische Reinigungsaktion hinter der Front rechtfertigten. Der H a ß des Bauernsoldaten von der Donau gegen den Christen "in Zivil" aus dem kultivierten Osten, gegen den Christen, den die Religion der Dienstpflichtverweigerer aus Gewissenspflicht verweichlicht hatte, hat unstreitig einen starken Einfluß auf die endgültige Entscheidung ausgeübt. Doch wäre es übertrieben, wollte man behaupten, daß die Verfolgung einzig und allein von dem ehrgeizigen Galerius ausgegangen und sein Werkzeug gewesen wäre, um, auf die Armee und die heidnischen Provinzen gestützt, sein Ziel erreichen zu können, nämlich Alleinherrscher in dem bereits christianisierten Osten zu werden. N u r Diokletian besaß die Vollmacht, um ein Edikt von so weittragender Bedeutung zu unterzeichnen. Galerius kann ihn beeinflußt haben, die Entscheidung traf er allein. Diokletian hat stets eine empirische und vorsichtige Politik betrieben; ehe er beschloß, das Christentum im Reich auszurotten, ging er gegen die Christen im Heer vor. Die Schwierigkeiten, die dadurch entstanden, daß Soldaten sich weigerten zu opfern, mußte Galerius als Auflehnungsversuche gegen die religiösen Neuerungen der Tetrarchie betrachten; sie trieben ihn dazu, sofortige und radikale Maßnahmen zu treffen. Diokletian, der ein besserer Beamter als Galerius war, auch den Osten und die tatsächliche Stärke der Kirche besser kannte, hat gezögert, da er wußte, welche Schwierigkeiten eine totale Verfolgung im Reich mit sich bringen würde. Der Konflikt zwischen dem Augustus und dem Cäsar, den Laktanz so dramatisch schildert, war in Wirklichkeit ein Konflikt zwischen einer von Vorsicht geleiteten und einer radikalen Politik. Im Prinzip waren sich die beiden Herrscher einig: das Christentum bildete eine Gefahr f ü r das Reich; ihre Meinungen gingen nur darüber auseinander, auf welche Weise man es beseitigen sollte. Einige Historiker haben die Anschauung vertreten, daß bereits zu Beginn der Herrschaft Diokletians eine Verfolgung stattgefunden habe. Nach den Berichten in einzelnen, mitunter zuverlässigen Mär101

tyrerakten sollen schon vor den Edikten von 303 Christenexekutionen im Westen vorgekommen sein. Aber hier handelt es sich meist um falsche Datierungen oder um Einzelfälle, wie sie sich auch sonst in Zeiten des tiefsten Friedens ereignet haben — also um Fälle, die nicht auf einen kaiserlichen Befehl zurückgehen. Nur zwei Martyrien fallen bestimmt vor das Jahr 3 0 3 : das des Centurio Marcellus und das des Rekruten Maximilian. Beide Soldaten warfen ihre Rangabzeichen von sich und lehnten das signaculum oder sacramentum militiae ab. Die plötzliche Weigerung der christlichen Soldaten, einen Ritus zu vollziehen, der bis dahin als erlaubt gegolten hatte, erklärt sich durch die neue Religionspolitik der Tetrarchen. Während der Kaiserkult bis dahin nur als ein Zeichen der Verehrung betrachtet wurde, dem sich auch die Christen nicht entzogen, hatte er nun, da die Kaiser für Söhne der Götter galten, einen ganz neuen Sinn erhalten. Die Härte, mit der die beiden afrikanischen Soldaten bestraft wurden, erklärt sich aus der militärischen Situation: ihre Dienstverweigerung galt einer Desertion vor dem Feind gleich. Es handelte sich z war nur um einzelne Fälle, doch ließen sie die Kaiser aufmerken. Aber die Kirche wollte nidit mit dem Staat brechen; sie mahnte zweifellos die Gläubigen zu kluger Vorsicht. Jedenfalls wurden nicht sofort Maßnahmen gegen die Christen im Heer und in der Verwaltung getroffen. Die Initiative ging von Diokletian aus, der im Jahre 300 an die Offiziere den Befehl richtete, alle Soldaten zum Opfern zu zwingen. Diejenigen, die sich weigerten, sollten aus der Armee ausgestoßen werden. Ein Befehl gleichen Inhalts ging an die Hofbeamten; auf Verweigerung stand Auspeitschung. Nach Laktanz hat folgender Vorfall Diokletian zum Ausbruch seines Wütens veranlaßt: die Anwesenheit von Christen bei einem Opfer soll es den Wahrsagern unmöglich gemacht haben, aus den Eingeweiden Voraussagen zu machen. Es ist vermutet worden, daß der christliche Autor sich von dem Bericht des Dionys von Alexandrien über den Anfang der Valerianischen Verfolgung hat anregen lassen. Audi J a k o b Burckhardt zweifelte die Erzählung des Laktanz an; er meinte, es wäre absurd zu glauben, daß Diokletian die Anwesenheit der Christen an seinem H o f hätte ignorieren können. Aber es ist doch gut möglich, daß gerade das am H o f nicht unbekannte Christentum den heidnischen Palastbeamten einen bequemen Vorwand geboten hat, um ihre Gegner zu denunzieren. Die Heiden hatten nämlich keineswegs ihre Waffen gestreckt. Porphyrius hatte in den ersten J a h 102

ren des Diokletianischen. Regimes sein großes Werk gegen die Christen veröffentlicht; zwei andere polemische Werke erschienen nach dem Ausbruch der großen Verfolgung: das eine war von einem "Philosophen" verfaßt, der darauf aus war, den Brand zu schüren und dem Hof zu schmeicheln; das andere stammte von Hierokles, einem hohen Verwaltungsbeamten, der sich durch seinen Verfolgungseifer besonders hervortat. Man hat auch in Diokletians Anhänglichkeit an die alten römischen Gesetze den eigentlichen Beweggrund für sein Verhalten gegenüber den Christen sehen wollen; danach hätte er systematisch das Christentum verfolgt, ebenso wie er die Religion des Mani verboten hat; die Vier-Kaiserregierung hätte schon in sich den Keim zu einem Konflikt mit der Kirche getragen. Aber der Manichäismus kam dem Christentum nicht entfernt gleich an Bedeutung, ganz abgesehen davon, daß die manichäischen Missionare häufig als Spione des Erzfeindes — der Perser — galten, was sie tatsächlich auch häufig waren. Diokletian war viel zu vorsichtig, um sich auf ein unüberlegtes Abenteuer einzulassen. In der kritischen, durch die ökonomischen Maßnahmen verschärften Lage, bedurfte es schon eines starken Druckes von seiten einer mächtigen Hofclique, die sich durch den steigenden Einfluß der Christen bedroht glaubte, und des energischen Drängens und geschickten Vorgehens von seiten des Galerius, um den Kaiser zum Unterschreiben der Edikte zu bringen. Die Reinigungsaktion im Heer und am Hof war nichtblutig verlaufen. Galerius machte einen neuen Versuch; aber erst nach langen Beratungen mit ihm holte Diokletian beim Orakel des Apollo von Milet R a t ein und erließ dann am 23. Februar 303 das erste Edikt. Am gleichen Tage wurde die Kirche in Nikomedien, ein stattliches Gebäude gegenüber dem kaiserlichen Palast, zerstört. Das Edikt wurde am 24. öffentlich, angeschlagen. Die Berichte bei Laktanz und Euseb ermöglichen es uns, seinen Inhalt zu rekonstruieren. Der erste Teil zielte darauf ab, die Christen daran zu hindern, Gottesdienste abzuhalten; daher der Befehl, die Kirchen niederzureißen, die heiligen Sdiriften und die liturgischen Gegenstände zu konfiszieren und zu vernichten und alle religiösen Zusammenkünfte zu verbieten. Der zweite Teil richtete sich gegen die Personen; die Christen verloren ihre bürgerlichen Rechte; die Inhaber hoher Stellungen wurden ihres Ranges und ihrer Würden beraubt, die 103

Freigelassenen, soweit sie in kaiserlichen Diensten standen, zu Sklaven erklärt. Nach Laktanz soll Diokletian der Veröffentlichung des Edikts nur unter einer Bedingung zugestimmt haben: es dürfe kein Blut vergossen werden. Diese Behauptung, die einen wahren Kern enthält, ist nidit wörtlich zu nehmen; die Weigerung, die heiligen Schriften auszuliefern, galt als Hochverrat und mußte mit dem Tod bestraft werden. Jedenfalls hatte aber das bloße Bekenntnis zum Christentum nicht mehr den Tod zur Folge; in dieser Beziehung ging das Edikt nicht mehr so weit wie das des Decius oder das des Valerian. Diokletian ordnete keine allgemeine Fahndung an, er wollte nur die christliche Oberschicht und die Beamten treffen. Was die übrigen Christen anging, so beschränkte man sich darauf, ihre Religionszugehörigkeit festzustellen, wenn sie in einem Prozeß vor Gericht erschienen. Da es für alle, die in ein gerichtliches Verfahren verwickelt waren, Vorschrift war zu opfern, war es einfach, die Gläubigen ausfindig zu machen; sie wurden nur mit Ausschluß von der Gerichtsverhandlung bestraft. So richtete sich das Edikt in erster Linie gegen die Christen der oberen Stände. Hatten sie erst ihren Rang, ihre Stellung und ihre Würden verloren, dann konnten sie wie die Armen, die humiliores, gefoltert werden. Der erste Märtyrer war Euethios, ein Christ aus Nikodemien. In seinem leidenschaftlichen Übereifer zerriß er, entgegen den Vorschriften der Kirche, das Edikt. Ein solches Majestätsverbrechen mußte mit dem Tod geahndet werden. Die fanatischen Heiden, vor allem Galerius, waren keineswegs von dem Erfolg des ersten Edikts befriedigt. Sie drangen auf Verschärfung des religiösen Kampfes. Als zweimal kurz nacheinander im kaiserlichen Palast in Nikomedien Feuer ausgebrochen war, legte Galerius die Brände den Christen zur Last; Laktanz beschuldigte ihn als Urheber der unheilvollen Maßnahmen. Die Schuldigen konnten trotz einer peinlichen Untersuchung nicht gefunden werden. Daraufhin verließ der Cäsar, angeblich weil er sich bedroht fühlte, sofort die Stadt, während der Kaiser, nunmehr eingeschüchtert, alle Bewohner des Palastes einschließlich seiner Frau und seiner Tochter zu einem Götteropfer zwang. Unter den Hofbeamten waren drei, die Kämmerer Paulus, Dorotheus und Gorgonius, die sich weigerten und daraufhin den Tod erlitten. Die Priester und Diakone der Stadt wurden verhaftet und ohne gerichtliches Urteil niedergemetzelt. Der Bischof Anthimus 104

wurde enthauptet. Zahlreiche Gläubige wurden gefangengesetzt und ließen ihr Leben unter Folterqualen oder auf dem Scheiterhaufen. Ein zweites Edikt, das im Frühjahr oder zu Beginn des Sommers 303 veröffentlicht wurde, richtete sich gegen die Häupter der Kirche, die man f ü r die politischen Unruhen in Melitene und Syrien verantwortlich machte. Bischöfe, Priester, Vorleser und Exorzisten wurden eingekerkert. In den stark christianisierten Ländern wurden die Gefängnisse zu eng; man mußte daher die gewöhnlichen Verbrecher freilassen. Das dritte Edikt kam kurz vor dem 20jährigen Regierungsjubiläuni des Kaisers heraus, der aus diesem Anlaß nach Rom reiste; nach den neuen Bestimmungen sollten diejenigen Christen, die dem Glauben abgeschworen hatten, freigelassen, die übrigen aber "tausend Folterungen" unterzogen werden. Die Anordnung gab zahlreichen Statthaltern die erwünschte Möglichkeit, sich ihre Gefangenen vom Halse zu schaffen. Unter dem Druck der Folter vollzogen viele die von ihnen verlangten Geste — ja, in Einzelfällen ließ man sie sogar laufen, ohne sich vorher davon überzeugt zu haben, ob sie das Opfer ordnungsgemäß dargebracht hätten. Als Diokletian um die Mitte des Jahres 304 nach Nikomedien zurückkehrte, war er nur mehr ein Schatten seiner selbst. Auf der Reise hatte er sich eine Krankheit zugezogen; man fürchtete für sein Leben. Im Dezember hieß es sogar, er sei tot; erst am l . M ä r z 305 erschien er zum erstenmal wieder in der Öffentlichkeit. Galerius hatte die Abwesenheit und Krankheit des Kaisers klug ausgenutzt: das vierte Verfolgungsedikt vom Januar oder Februar 304 verrät deutlich, daß Galerius sein eigentlicher Urheber war: wie es vor ihm Decius getan hatte, befahl er ein allgemeines Opfer im ganzen Reich. Jede Verweigerung zog sofort ein gerichtliches Verfahren nach sich; das Gericht konnte je nach der Schwere des Falles entweder zum Tod oder zu Zwangsarbeit in den Bergwerken verurteilen. Im Rahmen dieser juristischen Bestimmungen, die im Prinzip für das ganze Reich galten, war der Strengegrad, mit dem vorgegangen wurde, in den einzelnen Provinzen verschieden. In Gallien und in Britannien konnte sich Constantius Chlorus zwar nicht der Verpflichtung entziehen, die vier Edikte zu veröffentlichen, aber in der Praxis hielt er sich nur an die Vorschriften des ersten Edikts; die Kirchen wurden niedergerissen, doch kein Christ verfolgt. 105

Dagegen bewies Maximian in Italien, Spanien und Afrika nicht die gleiche Mäßigung. Die sofort einsetzende Verfolgung war blutig, dauerte aber anscheinend nicht lange. Die Listen der in Rom, Italien und Spanien hingerichteten Märtyrer sind ziemlich lang, doch bereiten die Datierungen im einzelnen Schwierigkeiten. Der schlechte Ruf, den Maximian bei den Christen genoß, hat sehr bald dazu geführt, ihn für Todesurteile verantwortlich zu machen, die die Akten ohne nähere Begründung in seine Regierungszeit und die Periode Diokletians verlegen. Zahlreiche Martyrien in Gallien gehören nach der Tradition in eine viel frühere Zeit, also vor die Veröffentlichung der Edikte; die Geschichtlichkeit der auf sie bezüglichen Märtyrerlegenden, die sich stark vermehrten und in Zyklen zusammengeschlossen wurden, unterliegt berechtigtem Zweifel. Die berühmtesten römischen Märtyrer der damaligen Epoche sind der hl. Sebastian und die hl. Agnes. Ganz unsicher ist es, wann der Märtyrertod der hl. Cäcilie anzusetzen ist; man datiert ihn in die Zeit des Mark Aurel, des Severus Alexander oder des Diokletian-Maximian. Etwas gesicherter scheinen die Daten für die Martyrien der Vier Gekrönten, des Felix und Adauctus, des Petrus und Marcellian. Alle diese Leidensgeschichten enthalten einen historischen Kern, jedoch ohne daß sich feststellen ließe, auf Grund welchen Edikts die einzelnen Märtyrer verurteilt worden sind. In Sizilien ging Euplius freiwillig in den Märtyrertod. Die meisten zuverlässigen Dokumente stammten aus dem Verwaltungsbezirk des Maximian, aus Afrika, wo nach der Wiederherstellung des Friedens Glaubensstreitigkeiten ausbrachen, die Stoff boten zu endlosen Diskussionen über die Rechtgläubigkeit und das Verhalten einzelner Priester. In den Verhandlungen zwischen den Donatisten und den römischen Christen wurden offizielle Dokumente aus der Verfolgungszeit vorgewiesen, die uns über den Verlauf der Maßnahmen unterrichten. Danach scheinen die ersten Edikte in Afrika mit größerer Strenge zur Anwendung gekommen zu sein als im Osten. Dagegen hat das vierte Edikt, das die allgemeinen Zwangsopfer anordnete, in Afrika nicht die gleiche Rolle gespielt wie in den Provinzen, die Galerius und Diokletian unterstanden — ja, man hat sogar behauptet, daß es überhaupt nicht befolgt worden wäre. Wenn es sich darum handelte, den Status der lapsi, also derer, die abgefallen waren, genau festzustellen, so bildete stets die traditio, d. h. die Auslieferung der heiligen Schriften und der liturgischen Geräte das entscheidende Kriterium und nicht etwa die thurificatio, bzw. die sacri106

ficatio, also die Abtrünnigkeit, die in der Teilnahme an einem heidnischen Kult zum Ausdrude gekommen war. Es ist bemerkenswert, daß die Beamten, die in Afrika mit der Überwachung der Opfervorschrift betraut waren, sich von den Christen nicht bestechen ließen, so wie das im Osten der Fall war. Die Behörden scheinen sogar unter Berufung auf Präzedenzfälle von sich aus den Opferzwang an die traditio geknüpft zu haben. Wie dem auch gewesen sein mag, selbst wenn zahlreiche Christen, darunter auch mehrere Bischöfe, abgefallen waren, so konnte doch jede afrikanische Provinz auch auf die Gläubigen hinweisen, die für ihre Treue mit dem Leben bezahlt hatten. Die Gerichtsakten über eine Beschlagnahme in Cirta am 19. Mai 303 enthalten eine genaue Liste der konfiszierten Gegenstände. Der städtische Beamte, der das Verfahren leitete, ging gewissenhaft vor, ohne irgendwelche persönliche Antipathien zu verraten; die Christen leisteten nur geringen Widerstand. Im übrigen schlössen die Beamten die Augen und ließen sich anstandslos häretische oder medizinische Werke statt der heiligen Schrift aushändigen 2 . Trotz allem war aber die Verfolgung sehr heftig, wie nicht nur die zahlreichen Märtyrerakten bezeugen, sondern auch die Gruppen von dreißig, fünfzig oder hundert Märtyrern, die das Martyrologium des Hieronymus aufzählt. Das letzte datierbare Martyrium — das der Crispina — fand am 5. Dezember 304 statt. Der Prokonsul Anullinus forderte die Heilige auf zu opfern: "Opfre! Ganz Afrika hat es getan, du weißt es!" 3 Die Worte lassen darauf schließen, daß die Behörden damals ihre Aufgabe so gut wie beendet ansahen. Die Wahl eines Nachfolgers für den abgefallenen Bischof, einen traditor, in Cirta im März 305 bewog die Behörden nicht mehr zum Eingreifen. In den Diokletian unterstehenden Reichsgebieten wütete die Verfolgung schrecklich. Die einen wurden mit dem Beil hingerichtet, wie es in Arabien geschah, anderen wurden die Beine gebrochen, so in Kappadokien, wieder andere wurden mit dem Kopf nach unten an beiden Füßen aufgehängt und darunter ein Feuer angezündet, so daß der Rauch sie erstickte; anderen schnitt man Nase, Ohren oder Hände ab ... In der Provinz Pontus ... trieb man ihnen scharfes Schilfrohr unter die Fin-

2

Augustinus, Breviculus collationis cum donatistis III, 25.

3

Acta 1, ed. P. Frandii de' Cavalieri, Studi e Testi 9 (1902) 29 ff.

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gernägel, wieder anderen goß man geschmolzenes Blei über die empfindlichsten Körperteile.. .4. In Phrygien wurde ein Dorf, das ganz christlich war, mitsamt seinen Einwohnern niedergebrannt. Ferner fanden zahlreiche, mit Grausamkeiten verbundene Hinriditungen in Syrien undPhönizien statt. Doch hat sich anscheinend die heidnische Bevölkerung bei der Jagd auf die Christen nicht stark beteiligt; es ist bezeichnend, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil derer, die das Martyrium erlitten, sich entweder freiwillig den Behörden stellte oder durch sein Verhalten die Aufmerksamkeit auf sich lenkte; so sind, noch unter Diokletian, in Palästina unter vierzehn Märtyrern adit freiwillig in den Tod gegangen, zwei haben sich bei den Behörden gemeldet und nur vier wurden gesucht und verhaftet. Es gab auch Abtrünnige unter den Priestern. In Ägypten, im Nildelta und in der Thebais erreichten die raffinierten Grausamkeiten einen vorher nicht gekannten Höhepunkt; dort waren Massenhinrichtungen bis zu hundert Personen, einschließlich Frauen und Kindern, nichts Ungewöhnliches. In den Gebieten, die Galerius, dem Urheber der Verfolgungen, unterstanden, kamen die Edikte in aller Strenge zur Anwendung. Allerdings waren die christlichen Gemeinden dort weniger zahlreich; das authentische Aktenmaterial darüber ist spärlich. Die Mehrzahl der Opfer waren Soldaten oder Mitglieder des Klerus, die den Märtyrertod in Dalmatien, besonders in Salona, in Pannonien (Sirmium, Pettau, Cibalae), in Moesien und Mazedonien erlitten. Die Akten des Philippus, Bischofs von Heraklea in Thrazien und die der Agape aus Thessalonike zeigen, daß sich die Christen in diesen Gebieten verhältnismäßig leicht zur Auslieferung der liturgischen Geräte und der heiligen Sdiriften bereit fanden; für sie war das Entscheidende, nicht opfern zu müssen. Übrigens haben einige Statthalter anscheinend erst längere Zeit nach der Veröffentlichung des ersten Edikts mit den Verfolgungen begonnen. Das vierte Edikt ist nirgends mit aller Schärfe zur Anwendung gekommen. Theoretisch war die Opfervorschrift überall obligatorisch; in der Praxis verfügten die Behörden gar nicht über die nötigen Mittel, um die Befolgung der Vorschrift durchzusetzen. Im Gegensatz zum Decischen Edikt wurden weder Opferausweise ausgegeben,

* Euseb., Kirchengesdi. VIII, 12.1. 108

noch war ein selbständiges Eingreifen der Behörden vorgesehen. Es kamen also nur diejenigen Christen, die ihr Beruf oder ihr Amt mit dem Publikum in Berührung brachte, d. h. diejenigen, die sich öffentlich zu ihrem Glauben bekannten, vor Gericht; die unteren Bevölkerungsschiditen, die Armen in den großen Städten, schützte ihre Anonymität. Am 1. Mai 305 fand in Nikomedien ein Schauspiel statt, das die ganze Welt in Staunen versetzte. Diokletian und Maximian dankten ab. So wie es in der Reichsverfassung vorgesehen war, wurden die beiden Cäsaren nunmehr Kaiser und zwei völlig unbekannte Männer zu Cäsaren bestellt: Severus im Westen, Maximin D a j a im Osten. Die beiden neuen Cäsaren waren Kreaturen des Galerius. Diokletian hatte, als er die Verfassung schuf, ursprünglich eine gleichzeitige Abdankung der beiden Augusti geplant, aber Galerius benutzte schlau den Rücktritt Diokletians, um seine eigene Wahl durchzusetzen. So stellte die im Jahre 305 stattfindende Zeremonie des Regierungswechsels in gewissem Sinne die Krönung seiner Politik dar. Der Erfolg war aber nur von kurzer Dauer. Das dynastische Prinzip sollte sich schon bald auf Kosten der von Diokletian ersonnenen Wahlfolge durchsetzen, deren Fortsetzer zu sein Galerius sich rühmte. Constantius Chlorus, der in Gallien regierte, hatte sich bekanntlich der Verfolgungspolitik, von der die Regierung des Galerius ganz beherrscht war, nicht angeschlossen. Trotzdem hatte ihn Galerius aus Rücksicht auf die getroffenen Abmachungen in den Rang des höchsten Kaisers erhoben, den er auf Grund seines Alters beanspruchen durfte. Aber Galerius rechnete dabei mit dem baldigen Tod des kränklichen Constantius; er hoffte später einen seiner alten Freunde, den Licinius, dessen völliger Ergebenheit er sicher sein durfte, an seinen Platz setzen zu können. Auch war der Sohn des Constantius als Geisel am H o f in Nikomedien zurückbehalten worden. Diesem gelang es aber, sich zu seinem Vater zu begeben, der bald darauf, am 25. Juli 306, in York starb, nicht ohne ihn vorher zu seinem Nachfolger gemacht zu haben. Die Soldaten proklamierten Constantin zum Augustus, Galerius erkannte jedoch die Ernennung nicht an. Severus wurde der zweite Augustus nach Galerius, und Constantin mußte sich mit der Cäsarenwürde bescheiden. Einige Wochen später ließ sich der Sohn Maximians, Maxentius, der geschickt die Mißstimmung ausnützte, die die unpopulären Steuererhebungen und militärischen Maßnahmen im Volk ausgelöst hatten, zum princeps ernennen und machte seinen Vater zum 109

Augustus. Galerius, der damit sein Werk zusammenbrechen sah, betraute nunmehr Severus mit der Wiedereroberung Italiens. Von seinen Truppen im Stich gelassen, mußte dieser sich dem Maxentius ergeben und wurde im Jahr darauf ermordet. Galerius selbst war nicht glücklicher in seinen Unternehmungen; Maxentius blieb Alleinherrscher in Italien. In der Zwischenzeit hatte Maximian dem Constantin die H a n d seiner Tochter gegeben und ihn zum Augustus ernannt. Um die Verwirrungen noch zu steigern, hatte sich ein Usurpator, Domitius Alexander, in Afrika zum Kaiser ausrufen lassen. Die Tetrarchie war zusammengebrochen. Um wieder eine rechtliche Lage zu schaffen, appellierte Galerius an Diokletian, der zurückgezogen in Salona lebte und der allein genügend Prestige besaß, um zwischen den Rivalen zu vermitteln. Galerius, Diokletian und Maximian kamen im November 308 in Carnuntum zusammen, in der N ä h e des heutigen Wien, und trafen die folgenden Entscheidungen: Maximian sollte zum zweitenmal auf sein Amt und Constantin auf den Augustus-Titel verzichten. Licinius sollte Nachfolger des Severus werden mit dem Titel Augustus, obwohl er vorher nicht Cäsar gewesen war. Maximinus Daja blieb Cäsar im Osten. Theoretisch war somit das System der Tetrarchie wiederhergestellt. Maxentius und Domitius Alexander wurden als Usurpatoren betrachtet, also nicht de jure anerkannt. Diese Lösung befriedigte aber weder Constantin noch Maximinus Daja, die die Ernennung des Licinius nicht für rechtmäßig hielten. D a Galerius sie nicht durch Bewilligung des Titels "filii Augustorum" zufriedenstellen konnte, sah er sich im Jahre 309 dazu genötigt, sie als Augusti anzuerkennen. In der Zwischenzeit hatte der alte Maximian seine Abdankung wieder zurückgenommen. So machten im Jahre 310 sieben Augusti sich gegenseitig die Herrschaft über das römische Reich streitig. Zwei von ihnen sollten bald verschwinden. Maximian zettelte eine Verschwörung gegen seinen Schwiegersohn Constantin an, der sich weigerte, den Augustus-Titel anzuerkennen, den dieser sich zum drittenmal angemaßt hatte. Nach einer Niederlage bei Marseille wurde der Mordanschlag des Maximian aufgedeckt; er selbst geriet in Gefangenschaft und kam im Jahre 310 elend um, im gleichen Jahr, in dem sich Spanien Constantins Herrschaft unterwarf. Im Jahre 313 gelang es Maxentius, mit Hilfe seines Prätorianer-Präfekten, den afrikanischen Usurpator zu beseitigen. Diese Kämpfe um die Macht mußten natürlich auch einen Einfluß auf die Religionspolitik der miteinander rivalisierenden Kaiser haben. 110

Im Westen, wo die Christenverfolgung nur zwei Jahre gedauert hatte, kam es zu keinen neuen Verfolgungen. Im Gegenteil, Maxentius, der mit Galerius verfeindet war und der nur ungern geduldete Constantin waren gezwungen, sich auf die Gegner des Augustus zu stützen und eine der seinen völlig entgegengesetzte Politik einzuschlagen. Während also die Verfolgungen im Osten andauerten, verhielten sich die beiden Herrscher im Westen christenfreundlich, besonders Maxentius, der rebellische und offiziell geächtete Usurpator. Constantin konnte an die Religionspolitk seines Vaters anknüpfen, der nur das erste Edikt befolgt und kein Blut vergossen hatte. Dagegen mußte Maxentius von der Religionspolitik des Maximian, der ein Verfolger gewesen war, möglichst deutlich abrücken. In der Tat durften die Römer im Jahre 307 wieder einen Papst wählen, nachdem der Apostolische Stuhl seit dem Martyrium des Marcellinus im Jahre 304 verwaist gewesen war. Maxentius sah sich allerdings genötigt, den neuen Papst Marcellus und seinen Nachfolger Euseb zu verbannen, doch hatte er keinerlei Maßnahmen gegen die Christen ergriffen; dagegen machten die Streitigkeiten, die in jener Zeit die römische Christenheit spalteten, ein Eingreifen der Behörden nötig. Maxentius verfolgte also nicht nur die Christen in keiner Weise, er ließ sogar als erster Münzen mit dem Kreuzeszeichen herstellen oder versehen (307—308) und erließ ein Toleranzedikt, das viel großzügiger war als das von Galerius veröffentlichte, da es der Kirche die Rückerstattung der durch den Erlaß des Jahres 303 konfiszierten Güter gewährleistete. Im Gegensatz dazu verschlimmerte sich die Lage der Christen im Osten ständig. Seit Anfang 306 drängte Maximin Daja darauf, daß die Behörden in Palästina von allen Untertanen — Männern, Frauen und Kindern — ein Opfer verlangen sollten. In jeder Stadt brachten Herolde die Anordnung zur Kenntnis der Bevölkerung, während Polizisten in die einzelnen Häuser gingen, um amtliche Personallisten von den Bewohnern anzulegen und sie über ihre Pflichten zu belehren. Die Vorschrift fand in gleicher Weise im Heere Anwendung. Euseb, dem wir diese Nachricht verdanken, berichtet nichts über die anderen Provinzen. Da aber zu jener Zeit Maximin als Cäsar nicht das Recht hatte, selbständig gesetzliche Verfügungen zu treffen, wird das erwähnte Edikt gemeinsam von Maximian und seinem Cäsar unterzeichnet gewesen sein, sich also auf alle Provinzen im Osten erstreckt haben. 111

In zahlreichen Märtyrerakten aus Kleinasien und den Donauprovinzen ist Galerius als der Verantwortliche genannt, aber die Berichte sind vielfach unzuverlässig. Ein Soldat aus der Provinz Pontus und der Bischof Quirin in Pannonien fielen der Verfolgung zum Opfer. In Cäsarea, in Palästina, ließ der Statthalter Firmiiianus mehrere Christen hinrichten, wie z. B. den Lehrer des Euseb, Pamphilus, der am 16. Februar 309 den Tod erlitt. In Ägypten wurden mehrere Bischöfe und ein hoher Beamter, Philoromus, im Jahre 306 verhaftet, ins Gefängnis geworfen und schließlich enthauptet. Daja führte mit fanatischem Eifer die Vorschriften seines höchsten Herrn aus; nach der Zusammenkunft in Carnuntum brach allerdings ein Streit zwischen den beiden Herrschern aus. Maximin hatte, wie schon erwähnt, den Rang des Augustus für sich beansprucht, den ihm Galerius nicht zugestehen wollte. Die dadurch entstandene Spannung wirkte sich sofort in einem Nachlassen der Verfolgungen in den Maximin unterstehenden Gebieten aus. Euseb gibt seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß plötzlich eine Pause von einigen Monaten, von August bis Oktober 309, eingetreten sei. Zweifellos war diese Pause, die für die Zeitgenossen unverständlich war, eine Folge der Mißstimmung und gleichzeitig eine Art Druckmittel, das Galerius in der Frage des Augustus-Titels zum Nachgeben zwingen sollte. Kaum hatte D a j a sein Ziel, zum Augustus erhoben zu werden, erreicht, verschärfte er auch sogleich die Bestimmungen des Edikts von 306, die inzwischen nicht mehr angewendet worden waren. Ende des Jahres 309 wurden von neuem in verschärfter Form allgemeine Opfer angeordnet. Die neuen Maßnahmen scheinen aber nicht den erwarteten Erfolg gehabt zu haben. Zahlreiche Christen wurden von Heiden, die Mitleid mit ihnen hatten, oder von einflußreichen Freunden beschützt, so wie z. B. der spätere Bischof Eugen von Laodikea, der damals zum Personal des Statthalters von Pisidien gehörte; er weigerte sich zu opfern, wurde gefoltert, entging aber der Todesstrafe 5 . Unterdes war Galerius schwer erkrankt. Licinius, der nur darauf lauerte, sein Nachfolger zu werden, eilte an sein Krankenlager. Er wußte, daß D a j a alles versuchen würde, um den größten Teil des Erbes an sich zu reißen. Er wußte aber auch, da er den Osten für sich gewinnen mußte, wollte er sein Ziel erreichen, und daß die Christen, 5 Dessau, ILS 9480; P. Batiffol, Bullet. Ancienne Litt, et Archéol. Chrét. 1911, 25—34; A. Wilhelm, SB Akad. Berlin, Phil. Hist. Kl. 1932, 835 ff.

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die trotz der Verfolgungen eine mächtige Gruppe bildeten, Partei gegen D a j a ergreifen würden mit denen, die ihnen ihre religiöse Freiheit zusicherten. Es kostete ihm keine besondere Mühe, Galerius, der, von entsetzlichen Schmerzen gefoltert, am Ende seiner K r a f t war und alle H o f f n u n g aufgegeben hatte, im April 311 zur Unterzeichnung eines Toleranzedikts zu überreden. Das Edikt setzte der längsten und schrecklichsten Verfolgung, die die Kirche bisher durchgemacht hatte, offiziell ein Ende. Den lateinischen Text des Edikts hat Laktanz überliefert, Euseb die griechische Übersetzung 6 . Am Anfang standen selbstverständlich die Namen der vier anerkannten Herrscher, nur der N a m e des Usurpators Maxentius fehlte. Galerius gibt zu, daß seine Politik ein Fehlschlag gewesen sei, wenn er auch versucht, sie zu begründen; er stellt fest, daß viele Christen trotz der ihnen auferlegten Torturen ihrem Glauben treu geblieben sind. D a sie aber die heidnischen Götter nicht verehren wollen, noch ihre eigenen religiösen Feiern abhalten können, so sind sie in Wirklichkeit eine Gruppe von Menschen, die keiner Religion angehören und daher recht unbequem f ü r den Staat sind. So gewährt er ihnen denn Verzeihung und fährt f o r t : "Wir haben beschlossen, den Segen unserer Verzeihung auch auf sie auszudehnen, und zwar ohne Aufschub, so daß sie wiederum Christen sein können und die Stätten für ihre Zusammenkunft wieder errichten dürften, aber unter der Bedingung, daß sie nichts gegen die bestehende Ordnung unternehmen (ne quid contra disciplinam agant)." Der Schluß des zuSardica erlassenen Edikts enthält ausführliche Einzelvorschriften f ü r die Statthalter und fordert die Christen dazu auf, gemeinsam mit den Heiden f ü r das Wohlergehen des Kaisers und des Staates zu beten. Das am 30. April in Nikomedien veröffentlichte Edikt schenkte den Bekennern, von denen mehrere seit Jahren eingekerkert waren, die Freiheit wieder. Einige Tage darauf starb Galerius. Man hätte glauben sollen, daß das Edikt, das zum erstenmal das Christentum zur religio licita machte und den Gläubigen das Recht gab, in völliger Freiheit Zusammenkünfte zu veranstalten, den Verfolgungen f ü r immer ein Ende gesetzt hätte. Selbst Euseb, davon überzeugt, daß der Kirche nunmehr ein endgültiger und dauerhafter Frieden beschieden sein würde, läßt eine der Ausgaben seiner Kir-

6

Lakt., de mort. pers. 34; Euseb., Kirchengesdi. VIII, 17.

8 Moreau

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diengeschichte mit dem in Übersetzung wiedergegebenen Text des Ediktes schließen 7 . Die politische Lage war jedoch immer noch unsicher. Licinius, dessen Herrschaft bisher auf die Donauprovinzen beschränkt gewesen war, wäre gern Nachfolger des Galerius in allen Balkanprovinzen und in Kleinasien geworden. Als seine Truppen an die Meerenge am Bosporus kamen, fanden sie das östliche Ufer bereits von D a j a besetzt, der sich mit seinem Heer auf die Nachricht vom Tode des Galerius sofort auf den Marsch gemacht hatte. Zwisdien beiden wurde ein Abkommen erzielt, nach dem Licinius der europäische Teil des von Galerius hinterlassenen Erbes zugesprochen wurde, während D a j a die östlichen Provinzen und Ägypten erhielt. Doch deutete alles darauf hin, daß sich der Frieden nicht lange halten würde. Licinius konnte sich unmöglich, ohne an Ansehen zu verlieren, mit den kleinen Provinzen begnügen, vor allem da das kluge und diplomatische Vorgehen Constantins und kurz darauf seine blitzschnelle Eroberung Italiens ihm jede Möglichkeit einer Ausdehnung nach Westen abschnitt. Er verband sich also mit Constantin, dessen Schwester er später heiratete, und nahm gegenüber dem Christentum eine versöhnliche H a l t u n g an. Dagegen hielt Maximin mit Hartnäckigkeit an seiner Verfolgungspolitik fest; er strebte danach, alle Unzufriedenen, die sich von der toleranten Politik im Westen stark angezogen fühlten, zu beseitigen und damit die Gefahr zu bannen, die sie in seinem Herrschaftsgebiet darstellten. In Ägypten und in Syrien hatte Maximin das Edikt des Galerius nicht anschlagen lassen, sondern sich damit begnügt, die Aufhebung der Verfolgungen mündlich anzuordnen. In den kleinasiatischen Ländern, die Maximin nach dem Tod des Galerius sofort besetzt hatte, war das Edikt bereits vorher weithin bekannt gemacht worden; dort mußte er also die Verfolgung mit größter Energie aufnehmen lassen. In seiner leidenschaftlichen Verfolgungswut wandte D a j a völlig neue Methoden an. Zunächst verbot er den Christen, sich auf Friedhöfen zu versammeln. Damit vermied er jeden Bezug auf das Edikt des Galerius; da es den Gläubigen innerhalb so kurzer Zeit nicht möglich war, ihre Kirchen wieder aufzubauen, waren natürlich die Friedhöfe die einzigen Orte, wo sie ihre Versammlungen abhalten D i e erste Ausgabe in acht Büchern

(312 —

Sommer 313). Vgl.

Sdiwartz, Eusebius-Ausgabe der G. C. S. II, 3 (1909).

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E.

konnten. Weiterhin organisierte er auf einer Reise durch seine Gebiete eine Bittschriftenkampagne. Jede Stadt, durch die er kam, reichte ein Gesuch ein, in dem sie dringlich um Befreiung von den christlichen Mitbewohnern und um ein Verbot, Kirchen in ihrem Gebiet zu errichten, bat. Laktanz und Euseb beschuldigen D a j a ausdrücklich, er habe seine Beamten dazu veranlaßt, solche Bittschriften zu verfassen, die seine Politik wirksam unterstützten; auf einer Inschrift aus Arykanda ist der Text eines solchen Gesuches, das die Lykier und Pamphylier an ihn richteten, erhalten 8 . Daja hatte begriffen, daß die Stärke der Kirdie auf ihrer hierarchischen Organisation beruhte; ihm schwebte daher vor, eine heidnische Kirche nach ihrem Muster zu errichten. Mit Unterstützung der heidnischen Priesterschaft ernannte er in jeder Stadt einen Oberpriester, dem alle Tempel unterstanden. Ferner sollte ein Provinz-Hohepriester, der aus den Kreisen der angesehenen Bürger stammte und außerordentliche Ehren genoß, jeweils von einem Zentrum aus die Tätigkeit der einzelnen städtischen Priester auf eine einheitliche Linie bringen. Schließlich bemühte er sich auch noch, auf die öffentliche Meinung durch Verbreitung gefälschter Dokumente einen Druck auszuüben. Die apokryphen Akten des Pilatus wurden überall angeschlagen und in allen Schulen gelesen, ferner auf der Folter erpreßte Geständnisse von Frauen, nach denen sie angeblich an wüsten Ausschweifungen teilgenommen hätten. Noch kein halbes Jahr war nach dem Edikt von Sardica vergangen, und schon floß wieder von neuem Blut (Martyrium der Pione in Alexandrien). Den Gläubigen, die sich weigerten, abtrünnig zu werden, stach man die Augen aus und schnitt ihnen Hände, Füße und Ohren ab. In Ägypten und Phönizien, in Antiochien starben mehrere Bischöfe und Priester als Blutzeugen. Besonders hatte es der Kaiser auf die Mitglieder des Klerus und auf hervorragende Persönlichkeiten abgesehen. In der Passion des Theodotus von Ankyra schlägt der Statthalter dem Heiligen vor, ihn, wenn er abfiele, zum Oberpriester des Apollo zu machen und ihm die priesterliche Vollmacht über die ganze Stadt zu geben. Nachdem aber Constantin schließlich über Maxentius gesiegt hatte, verlieh der Senat ihm den titulus primi nominis. Nunmehr Oberhaupt des Staates geworden, ließ Constantin seinem Kol8 H . Grégoire, Rec. des inscr. gr. chrét. d'Asie Mineure (1922) 282; vgl. Euseb., Kirchengesch. I X , 7, 3—14.



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legen sofort eine Neufassung des Edikts von Galerius zukommen, daß die rechtliche Lage der Christen, die früher Maxentius unterstanden hatten, wiederherzustellen sei. Um sich den Kaiser des Westens nicht zu entfremden, der, wie er hoffte, neutral bleiben würde, bis der Kampf zwischen ihm und Licinius entschieden wäre, mußte sich Daja, ganz gegen seinen Willen, wenigstens dem Schein nach fügen. Im Herbst 312, nachdem eine Hungersnot und eine Seuche den Christen Gelegenheit geboten hatten, durch sichtbare Beweise ihrer Nächstenliebe sich die Achtung der heidnischen Bevölkerung zu erwerben, beauftragte Daja seinen Prätorianerpräfekten, die Fahndungen nach den Christen einzustellen; das hinderte ihn allerdings nicht, noch heimlich diejenigen, die bei ihm denunziert wurden, umbringen zu lassen. Im Jahre 313, als Licinius in Mailand Vorbereitungen zur Hochzeit mit der Schwester Constantins traf, fiel D a j a plötzlich in Thrazien ein. Licinius trat ihm entgegen und besiegte ihn am 30. Aprilbei (^orlu. In den Augen der Zeitgenossen handelte es sich hier um einen wahren Religionskrieg: Licinius, der nach Laktanz seinen Sieg einem Gebet an den "höchsten Gott" verdankte, einem Gebet, das ihm ein Engel diktiert und er seinem Heer vorgebetet haben soll — Licinius war für die Christen der Kaiser, den Gott dazu auserwählt hatte, um den letzten Verfolger zu vernichten. Erst viel später hat die Legende auch aus Constantin, ebenso wie aus Licinius, einen Kreuzfahrer gemacht, den ein nächtliches Traumbild oder eine Kreuzvision mit dem Symbol bekannt machte, das ihm den Sieg über Maxentius verleihen sollte. Aber das ist die spätere legendäre Erfindung; der tyrannische Beherrscher Roms, Maxentius, war trotz seiner Laster und Schwächen kein Christenverfolger, und so konnte auch der Feldzug des Jahres 312 von seinen Zeugen nicht eigentlich als Kreuzzug betrachtet werden. Damals setzten vielmehr die Christen alle ihre Hoffnungen auf Licinius; er ist es, der in Thrazien die Herrschaft des letzten Christengegners vernichtet hat. Maximin floh nach Tarsus, wo er sich halten zu können hoffte, und erließ schließlich sogar noch ein Toleranzedikt. Beim Herannahen des Licinius gab er jedoch alle Hoffnung auf und nahm Gift (Sommer 313). Licinius hatte Nikomedien, dem fliehenden Feind auf dem Fuße folgend, betreten. Am 13. Juni 313 ließ er ein an den bithynischen Statthalter gerichtetes Schreiben anschlagen. In Ergänzung des von Galerius veröffentlichten Edikts gewährte er den Christen Religions116

und Kultusfreiheit und erstattete der Kirche die während der Verfolgung eingezogenen Güter zurück. Laktanz zitiert den Text des Reskriptes. Einen zweiten Brief hat, in griechischer Übersetzung, Euseb aufbewahrt; er ist an den Statthalter von Palästina geriditet und weicht nur leicht von dem ersten ab; da das in Bithynien einst bekanntgegebene Edikt niemals in Palästina veröffentlicht worden war, mußte das Schreiben natürlich auf diesen Umstand Rücksicht nehmen. Das wichtige Dokument — fälschlich das Edikt von Mailand genannt — hat schließlich dem Osten den endgültigen religiösen Frieden geschenkt. Die Geschichte, die von den Siegern geschrieben worden ist, ehrte Constantin allein als den Urheber dieses Friedens, da Licinius seine Politik der Toleranz bald wieder aufgeben sollte und von dem großen Kaiser, dem einzigen den Christen verbliebenen Beschützer, vernichtend geschlagen wurde. So hat die Legende auch Constantin das berühmte Gebet zugeschrieben, mit Hilfe dessen Licinius einst seinen Sieg über D a j a errungen hatte. Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß Constantin sich schon seit 312 unter dem Einfluß des ihm nahestehenden Bischofs Ossius dem Christentum zugewendet hatte. Sicher ist, daß er in Mailand lange Verhandlungen mit Licinius geführt hat. N u r in den Licinius unterstehenden Gebieten war der Status der Kirche noch zu regeln gewesen. In den von Constantin verwalteten Provinzen genoß die Kirche ja bereits die Vorteile, die ihr das von Galerius erlassene und von Constantin für Italien und Afrika unter den gleichen Bedingungen erneuerte Edikt gewährt hatte; noch im Jahre 317 bezieht sich der Prokonsul von Afrika auf das Edikt des Galerius. Im übrigen hat aber Constantin schon von Ende 312 an in einem Reskript den Christen die Garantien gegeben, die Licinius viel später auch seinen Untertanen im Osten zugute kommen ließ. Wenn Licinius das Verdienst gebührt, der Verfolgung durch einen Beschluß, der alle Unsicherheit beseitigte, ein Ende gesetzt zu haben, so darf Constantin den Ruhm beanspruchen, in der religiösen Auseinandersetzung des 4. Jhidts. die entscheidende Wendung herbeigeführt zu haben. Eine Darstellung dieser umwälzenden Tat und ihrer Folgen gehört nicht mehr in, den Rahmen dieser Untersuchung. Im Jahre 313 erhielten die Christen nicht nur das Recht, ihre Religion "frei, in ihrem ganzen Umfang, ohne gestört und belästigt zu werden", auszuüben; darüber hinaus wurde der Kirche alles Eigentum bedingungslos zurückerstattet und, was noch wichtiger ist, die christ117

liehen Gemeinden wurden Träger körperschaftlicher Rechte (corpus Christianorum). Damit war eine Epoche abgeschlossen. Der Kirche sollten auch in Zukunft — unter Licinius und vor allem unter Julian — noch Leidenszeiten beschieden sein, aber sie gingen, ohne nachhaltige Wirkung zu hinterlassen, vorüber. Eine neue Welt war im Entstehen, eine Welt, die, wie alles von Menschen Geschaffene, unvollkommen wurde. Wenn nun diese neue Welt an religiös-sittlichen Werten der untergegangenen Welt überlegen war, so verdankte sie das zu einem guten Teil den Märtyrern, deren Zahl niemand kennt, allen denen, deren Namen noch heute den Kirchenkalender schmücken, aber auch den Ungezählten, quorum nomina Deus seit, die gestorben sind, ohne daß die Welt von ihnen erfahren hat 9 . Sie alle sind, in einem geschichtlichen Augenblick, für die Freiheit des menschlichen Gewissens eingetreten. Sie bezahlten mit ihrem Blut und ihrem Leben für das Recht des Mensdien auf die eigene Persönlichkeit. Sie kämpften zuerst gegen Unwissenheit und Vorurteile und später gegen die tyrannische Macht des Staates. Sie kämpften, bis ihnen Toleranz gewährt wurde — dieses so kostbare, leicht verletzliche und so häufig bedrohte Gut, das verlorengeht, sobald man auf eine Mahnung wie die des Märtyrers Paulus, der in Palästina unter Maximinus Daja sein Leben ließ, nicht mehr hört oder nicht mehr hören will. Ergreifend und einfach, schließt diese Mahnung die christliche Liebe der ganzen Welt in sich ein. Sie sei zum Abschluß hierher gesetzt: "Dann erhob er seine Stimme, er brachte Gott seine Gebete als Opfer für seine Brüder dar und bat darum, daß ihnen bald die Freiheit zurückgegeben werden möge; darauf betete er für die Juden, daß sie sich zu Gott durch Christus bekehren mögen; schließlich gedachte er derer, die am weitesten von der Wahrheit entfernt waren, der Samaritaner, und flehte für sie um dieselbe Gnade. Aber auch für die Heiden, die noch in der Finsternis des Irrtums und der Unwissenheit verharrten, bat er Gott, er möge ihre Augen dem Licht öffnen und ihnen gewähren, die wahre Religion zu empfangen. So hatte er keinen aus der großen Menge, die ihn umgab, vergessen. — Danach 9

Zur umstrittenen Frage der Zahl der Märtyrer, vgl. die lehrreiche Diskussion zwischen Pater de Moreau und H. Grégoire—P. Orgels, Bulletin de l'Académie royale de Belgique, Classe des Lettres, 5.Sér., 38 (1952)37—60 u. 62—70.

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— o unaussprechliche Milde der echten Liebe! betete er zum Schöpfer aller Lebewesen für den Richter, der ihn zum Tod verurteilt hatte, für die Kaiser und für den Henker, der ihn enthaupten sollte. Henker und Menge vernahmen sein Gebet; der Märtyrer bat, sein Tod möge ihnen nicht als Verbrechen angerechnet werden. Er betete mit lauter Stimme, und alle vergossen Tränen, zutiefst erschüttert durch den Anblick eines unschuldig zum Tode Verurteilten."10

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Euseb., Mar:. Pal. 8, 9 — 1 0 . 119