Die Braut des Königs: Zur interreligiösen Dynamik der mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen 3110279657, 9783110279658, 9783110313543

Die mittelhochdeutschen Werke ›König Rother‹, ›St. Oswald‹, ›Orendel‹, ›Kudrun‹, ›Salman und Morolf‹ und ›Ortnit‹ erzähl

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German Pages 308 [310] Year 2018

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Die Braut des Königs: Zur interreligiösen Dynamik der mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen
 3110279657, 9783110279658, 9783110313543

Table of contents :
Einleitung
Forschungslinien
Der Spielmann und sein Erbe
Probleme der Datierung
Die Suche nach der verlorenen Erzählung
Entwicklung des Gegenstands
Brautwerbungen und interreligiöse Konflikte
Methodische Überlegungen und Fragestellung
Materialität, Erzählkomplexe, Textauswahl
Inszenierungen und Brechungen religiöser Sinndimensionen
Einleitung
Der Heilige als Held: ›Oswald‹
Die ›wunderbare‹ Handlung
kristenleichen glauben meren
Typen der Heiligkeit
Das Heilige und das Komische
Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹
Die Königin von Jerusalem
Der Graue Rock und das Neue Testament
Heroen des Alten Testaments
Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen
Fälschungen und abgewiesene Alternativen
Segeln unter dem Kreuz: ›Kudrun‹
Ein göttliches Schauspiel: ›Ortnit‹
Verkleidung und Identität: ›Salman‹
Fazit
Religiöse Differenz als Herausforderung
Einleitung
Das Bild der Sarazenen
Handlungsraum Orient
Machemet und Apollo
Hoevesch unde vreisam
Konflikt und Religion
Integration und Ausgrenzung
Die Macht der Versöhnung: ›Kudrun‹
Rom, Byzanz und Babylonie: ›Rother‹
Politische Effekte der interreligiösen Konflikte
Mission und Vernichtung
Die Ausweglosigkeit der Zerstörung: ›Orendel‹
Sinnlose Gewalt: ›Ortnit‹
Der König als Missionar: ›Oswald‹
Fazit
Interaktion von narrativem Modell und diskursivem Gehalt
Einleitung
Ehen zwischen Religionen
In Purpur geboren: ›Rother‹
Lîp unde Lant
Keusche Ehen: ›Oswald‹ und ›Orendel‹
Unwillige Bräute: ›Ortnit‹ und ›Salman‹
Fazit
Schluss
Literaturliste
Abkürzungen
Brautwerbungserzählungen
Quellen
Wissenschaftliche Literatur

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Rabea Kohnen Die Braut des Königs

Hermaea

Germanistische Forschungen Neue Folge Herausgegeben von Christine Lubkoll und Stephan Müller

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Rabea Kohnen

Die Braut des Königs

Zur interreligiösen Dynamik der mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

ISBN 978-3-11-027965-8 e-ISBN 978-3-11-031354-3 ISSN 0440-7164 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Satz: epline, Kirchheim unter Teck Gesamtherstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Für Lilly und den Löwen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2010 von der Philologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen und für den Druck leicht überarbeitet. Für die Unterstützung und Förderung auf dem Weg dahin bin ich vielen Menschen zu großer Dankbarkeit verpflichtet. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Bernd Bastert, der nicht nur das erste rîs für diese Arbeit gepflanzt hat, sondern mir auch immer Möglichkeiten eröffnet hat, mich wissenschaftlich weiterzuentwickeln und meine Miete zu bezahlen. Mein Dank für Weichenstellungen und inhaltliche Anregungen gilt neben Herrn Bastert auch dem zweiten Betreuer dieser Arbeit, Prof. Dr. Nikolas Jaspert. Für zahlreiche Lektionen in gründlichem Denken danke ich Prof. Dr. Manfred Eikelmann und Prof. Dr. Carsten Zelle, die gemeinsam mit Prof. Dr. Luuk Houwen so freundlich waren, mit mir zu disputieren. Prof. Dr. Klaus-Peter Wegera danke ich für seine freundliche linguistische Hilfestellung bei Fragen der Datierung. Dr. Silvia Reuvekamp danke ich dafür, dass Sie mir nicht nur eine ausgezeichnete Mentorin war und ist, sondern auch zu einer lieben Freundin wurde. Für ihre Hilfe beim Korrekturlesen und Freundschaft danke ich Bianca Häberlein, Lina Herz, Pola Rudnik, Philipp Trettin und Verena Warczok. Dr. Anja Becker danke ich für anregende Diskussionen über langsam wachsende Kapitel. Dr. Nadine Krolla dafür, dass wir den Weg der Promotion gemeinsam gegangen sind – unser gemeinsamer Dank gilt dem Erfinder der Telefon-Flatrate. Der Research-School der Ruhr-Universität Bochum gilt mein Dank für die großzügige Finanzierung meiner Promotion durch ein Stipendium sowie die vielfältigen Gelegenheiten über den Tellerrand der eigenen Disziplin zu klettern. Prof. Dr. Stephan Müller und Prof. Dr. Christine Lubkoll danke ich für die Aufnahme in die Reihe ›Hermaea‹. Den Mitarbeitern des De Gruyter-Verlags danke ich für die intensive Betreuung der Publikation. Besonders herzlich möchte ich meinem Mann und unserer Familie für Ihre Liebe und Unterstützung danken.

Inhalt Einleitung  1 Forschungslinien  6 Der Spielmann und sein Erbe  7 Probleme der Datierung  13 Die Suche nach der verlorenen Erzählung  29 Entwicklung des Gegenstands  39 Brautwerbungen und interreligiöse Konflikte  39 Methodische Überlegungen und Fragestellung  50 Materialität, Erzählkomplexe, Textauswahl  58 Inszenierungen und Brechungen religiöser Sinndimensionen  67 Einleitung  69 Der Heilige als Held: ›Oswald‹  75 Die ›wunderbare‹ Handlung  76 kristenleichen glauben meren  77 Typen der Heiligkeit  80 Das Heilige und das Komische  86 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹  89 Die Königin von Jerusalem  89 Der Graue Rock und das Neue Testament  92 Heroen des Alten Testaments  98 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen  110 Fälschungen und abgewiesene Alternativen  114 Segeln unter dem Kreuz: ›Kudrun‹  114 Ein göttliches Schauspiel: ›Ortnit‹  117 Verkleidung und Identität: ›Salman‹  119 Fazit  126 Religiöse Differenz als Herausforderung  129 Einleitung  131 Das Bild der Sarazenen  132 Handlungsraum Orient  132 Machemet und Apollo  135 Hoevesch unde vreisam  137 Konflikt und Religion  143 Integration und Ausgrenzung  145 Die Macht der Versöhnung: ›Kudrun‹  145 Rom, Byzanz und Babylonie: ›Rother‹  148

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 Inhaltsverzeichnis

Politische Effekte der interreligiösen Konflikte  157 Mission und Vernichtung  160 Die Ausweglosigkeit der Zerstörung: ›Orendel‹  164 Sinnlose Gewalt: ›Ortnit‹  173 Der König als Missionar: ›Oswald‹  182 Fazit  192 Interaktion von narrativem Modell und diskursivem Gehalt  195 Einleitung  197 Ehen zwischen Religionen  202 In Purpur geboren: ›Rother‹  219 Lîp unde Lant  233 Keusche Ehen: ›Oswald‹ und ›Orendel‹  242 Unwillige Bräute: ›Ortnit‹ und ›Salman‹  260 Fazit  268 Schluss  270 Literaturliste  273 Abkürzungen  273 Brautwerbungserzählungen  274 Quellen  277 Wissenschaftliche Literatur  282

Einleitung Die mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen ›König Rother‹, ›St. Os­­ wald‹, ›Orendel‹, ›Ortnit‹, ›Kudrun‹ und ›Salman und Morolf‹ erzählen alle vom gefahrvollen Erwerb einer Braut und sie alle tun dies auf ähnliche Art und Weise, nutzen einen gemeinsamen Schatz von Handlungsrollen, Figurenkonstellatio­ nen, Raumkonzepten, Motiven und narrativen Verknüpfungen. In der Geschichte ihrer Erforschung wurden sie oftmals auf diese Gemeinsamkeiten reduziert, wodurch sowohl der individuelle Charakter jeder Erzählung als auch ihre kultu­ relle Prägung und diskursive Verortung oftmals verdeckt wurde. Die vorliegende Studie setzt an der Beobachtung an, dass diese Textgruppe nicht nur durch ein gemeinsames narratives Modell miteinander verbunden ist, sondern auch einen inhaltlichen roten Faden teilt. In jeder der Erzählungen begegnen sich Christen und Sarazenen1 und geraten in Konflikt miteinander, wobei diese Konflikte in engem Zusammenhang mit dem Erwerb der jeweiligen Braut stehen: In jedem Werk werden Ehen über die Grenze der Religion hinweg angestrebt oder abge­ wendet, wodurch sich diese Grenze oftmals verschiebt. Die zentrale These der

1 In dieser Arbeit werden die Begriffe Muslim und Islam nur in Bezug auf realhistorische Objekte gebraucht. Für die literarischen Imaginationen der orientalischen Andersgläubigen werde ich den Begriff ›Sarazene‹ verwenden und ihre sehr unterschiedlich ausgestaltete Religion als ›sa­ razenisch‹ bezeichnen. In den mittelhochdeutschen Texten herrscht der Begriff ›Heide‹ vor, der in der germanistischen Forschung ebenfalls gebräuchlich ist: »Dem Begriff ›Heide‹ haftet bereits seit dem Mittelalter eine gewisse Mehrdeutigkeit an. Er bezeichnete ursprünglich jeden Ange­ hörigen von Glaubensgemeinschaften, der nicht kristen, jude oder ketzer war. Im Besonderen bezeichnete heiden auch Angehörige von vorchristlichen Völkerschaften und noch Ungetaufte. In der modernen Sprache wird die Bezeichnung Heide in diesem Sinne auch meist auf Konfessi­ onslose und Angehörige früher Volksreligionen begrenzt, die später ›bekehrt‹ wurden (die heid­ nischen Sachsen und Slawen zum Unterschied zu den christianisierten/christlichen  Sachsen und Slawen) […] und – seit dem 15. Jahrhundert – Zigeuner« (Kofler 1996, 10). Obwohl der Termi­ nus der in den Brautwerbungserzählungen am meisten verbreitete ist, erscheint er mir aufgrund seiner historisch-semantischen Polyvalenz im Allgemeinen und den mit ihm verbundenen mo­ dernen Konnotationen im Besonderen terminologisch problematisch und für die vorliegende Studie nicht sinnvoll. Auch wenn der Begriff ›Sarazene‹ seine eigene Problematik mitbringt, so sind Sarazenen ursprünglich nur ein eng begrenzter Volksstamm (s. Hensler 2006, 58), ist er in historiographischen und literaturwissenschaftlichen Arbeiten, in englischer, französischer und deutscher Sprache eingeführt (z. B. Tolan 1996, Hensler 2006) und konturiert meines Erachtens die orientalischen Andersgläubigen besser als der Begriff ›Heide‹ und betont den Kunstcharakter ihres literarischen (aber auch historiographischen) Entwurfes besser als die Bezeichnung ›Mos­ lem‹. Damit dient die gewählte Begrifflichkeit dem Erkenntnisziel der vorliegenden Studie, die nicht so sehr das Verhältnis der Brautwerbungserzählungen zur zeitgenössischen ›Realität‹, son­ dern ihre Verwobenheit mit zeitgenössischen Diskursen und Schreibweisen untersuchen will.

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 Einleitung

vorliegenden Studie ist, dass sich durch die Verbindung des narrativen Modells der gefährlichen Brautwerbung mit dem kulturell relevanten und diskursiv vorge­ prägten Thema des Religionskontaktes eine besondere Dynamik ergibt, die diese Textgruppe prägt und sich in spielerischen Variationen entfaltet. Damit schließt sich diese Untersuchung der Brautwerbungserzählungen an eine aktuelle Diskussion an, denn kaum ein anderes Thema hat in den letzten Jahren in der allgemeinen Wahrnehmung so viel Aufmerksamkeit erfahren, wie das Verhältnis von Christentum und Islam beziehungsweise den von diesen Reli­ gionen geprägten Kulturen. Schon die 1978 von Edward Said veröffentlichte und mittlerweile in 26 Sprachen übersetzte Studie ›Orientalism‹ stieß im Rahmen der neu aufkommenden Postkolonialismus-Studien eine Diskussion über die Wahr­ nehmung des Orients im Okzident und die Beziehung zwischen beiden Kultur­ kreisen an.2 Vielleicht noch kontroverser als die Thesen Saids wurde die Studie ›Clash of Civilizations‹ (1996) von Samuel Phillips Huntington diskutiert, die mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erneut in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit geriet, schienen sich doch seine Thesen von einem zukünftigen Aufeinanderprallen der Kulturen durch diese Ereignisse zu bestätigen.3 Doch nicht nur Huntingtions Ansätze wurden seitdem immer wieder und vermehrt unkritisch (s. dazu Pohr 2006) rezipiert, das Verhältnis zwischen »der christlich islamisch geprägten zur jüdisch-christlich geprägten Welt hat sich in den letzten Jahren zu einem, wenn nicht zu dem Thema entwickelt« (Lexutt; Metz 2009, 7), das prägend für das Imaginäre unserer Kultur ge­wor­den ist. Das Kli­ schee des arabischen Terroristen ist, mal als stilisierte Bedrohung, mal in komi­ scher Brechung, zum festen Bestandteil der westlichen Populärkultur geworden.4 Doch auch historische, politische und ökonomische Hintergründe des aktuellen

2 Saids Studie wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Kritische Einwände erhoben u. a. Lewis 1993, Irwin 2006, Ibn Warraq 2007. Edward Said hat bis zu seinem Tod 2003 zu diesem Thema publiziert. 3 Huntington selbst lehnte diese Interpretation seiner These, dass im 21. Jahrhundert nicht po­ litische, ideologische oder wirtschaftliche Auseinandersetzungen sondern Konflikte zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturkreise die Weltpolitik bestimmen würden, jedoch ab und qualifiziert die Terroranschläge auf das World-Trade Center als »Angriff gemeiner Barbaren auf die zivilisierte Gesellschaft der ganzen Welt« (Huntington 2001). 4 Ein sehr erfolgreicher Vertreter der ersten, bedrohlichen Inszenierung des Islam ist die Fern­ sehserie ›24‹, die in mittlerweile acht Staffeln vom Kampf der Counter Terrorist Unit gegen in den USA geplante Anschläge (auch) durch muslimische Terroristen erzählt. In komischer Brechung hingegen spielt der amerikanische Comedian und Bauchredner Jeff Dunham mit dem Klischee des islamistischen Terroristen, wenn er mit seiner Puppe ›Achmed the dead Terrorist‹ auftritt.



Einleitung 

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Konfliktes werden zum Gegenstand fiktionaler Entwürfe besonders im Medium des Films.5 Die Begegnungen und Konflikte zwischen Christen und Muslimen im Mittel­ alter werden dabei sowohl für fiktionale Imaginationen als auch in politischer Rhetorik und Publizistik zum Referenzrahmen für die Interpretation des aktuel­ len Verhältnisses zwischen den Religionen und den durch sie dominierten Kul­ turkreisen. Dieser Zugriff ist jedoch nur selten differenziert und ernsthaft an der Geschichte und Kultur des Mittelalters interessiert – sehr viel häufiger werden unhinterfragte Gemeinplätze in klischeehafter Verknappung gebraucht.6 Dazu hat auch die von George W. Bush vorgenommene Verknüpfung seines ›Kriegs gegen den Terror‹ mit dem Begriff des Kreuzzuges (»This crusade, this war on terrorism«) beigetragen sowie das Parallelisieren bzw. Kontrastieren von ›Kreuz­ zug‹ und ›Dschihad‹.7 Die Kontakte zwischen Religionen im Mittelalter schmelzen in der allgemeinen Wahrnehmung daher häufig auf eine eindimensionale und moralisch negativ besetzte Vorstellung der Kreuzzüge als eskalierender Gewalt gegen Andersgläubige zusammen. Dabei hat die Erforschung der mittelalterlichen Kulturkontakte zwischen Christentum und Islam, weit über die militärischen Auseinandersetzungen hin­

5 So erzählt z. B. ›Charlie Wilsons’s War‹ (Dir. Mike Nichols, Universal Pictures, 2007) von der Unterstützung afghanischer Mudschahedin durch die Amerikaner in Zusammenarbeit mit Sau­ di-Arabien, Israel und Ägypten, wobei sich der Film auch als Kritik an der aktuellen politischen Lage zwischen Orient und Okzident versteht. Die wirtschaftlichen Interessen Amerikas im Vor­ deren Orient und ihren Einfluss auf politische Entscheidungen, sowie den Zusammenhang so­ zialer Probleme und einer zunehmenden religiösen Fanatisierung beleuchtet der Film ›Syriana‹ (Dir. Stephen Gaghan, Warner Brothers, 2005). 6 In diesem Sinne hat Jonathan Riley-Smith (2005) den Film ›Kingdom of Heaven‹ (Dir. Ridley Scott, 20th Century Fox, 2005) in der ›Times‹ kritisiert, der zugleich einen hohen Anspruch auf Authentizität erhebt, dann aber ein krudes, von der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts stark beeinflusstes, Bild der Kreuzfahrerherrschaft liefert: »The makers of the Kingdom of Hea­ ven follow a modified version of the constructs of Scott and Michaud. A cruel, avaricious and cowardly Christian clergy preaches hatred against the Muslims and most of the crusaders and settlers are equally stupid and fanatical. At the same time the Holy Land is portrayed as a kind of early America, a New World welcoming enterprising immigrants from an impoverished and repressive Europe. And in the midst of all the bigotry a brotherhood of liberal-minded men has vowed to create an environment in which all religions will co-exist in harmony and is in touch with Saladin, who shares its aim of peace.« 7 Zu den Folgen s. Jaspert 2004, 203: »Die mittelalterlichen Kreuzzüge sind seit dem 11. Sep­ tember 2001 wieder in aller Munde, und viel wird über sie geschrieben. Dies ist in Politik und Presse mitunter derart unreflektiert geschehen, daß dem Begriff ›Kreuzzüge‹ jüngst die zweifel­ hafte Ehre zuteil wurde, in der Wahl zum ›Unwort des Jahres‹ knapp hinter ›Gotteskrieger‹ den zweiten Platz zu belegen.«

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 Einleitung

aus, durchaus Angebote für die Perspektivierung und Historisierung der interreli­ giösen Begegnungen und Konflikte unserer Zeit zu machen. In den letzten Jahren haben sich die wissenschaftlichen Bemühungen in diesem Bereich zum Beispiel mit Blick auf den Kunst- und Kulturtransfer in multireligiösen Gebieten wie den lateinischen Königreichen in der Levante, Sizilien oder Südspanien oder auf die Konstitution von Wahrnehmungsmustern des ›Anderen‹ sowie deren Bedeutung für die eigene Identitätsbildung, intensiviert.8 In der Germanistischen Mediävistik wurden diese und andere Fragen zur literarischen Konfiguration interreligiöser Kontakte und Konflikte im Mittelalter in erster Linie an Werke der Chansons de geste, besonders an den ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach und das ›Rolandslied‹ des Pfaffen Konrad herange­ tragen.9 Die Hinwendung zu diesen Fragen bietet aber auch die Möglichkeit, lite­ rarische Werke und Textgruppen neu zu beleuchten, denen bislang mit weniger Forschungsinteresse begegnet wurde. Der besonders in der romanistischen For­ schung zunehmend diskutierte Zusammenhang zwischen der Darstellung inter­ religiöser Konflikte mit dem Erzählen von Liebe und Ehe über Religionsgrenzen hinweg lenkt den Blick auf eine Gruppe mittelhochdeutscher Werke, die seit der Untersuchung von Christian Schmid-Cadalbert (1985) zu einer Textgruppe zusammengefasst werden, für die ich den von der gängigen Terminologie leicht abweichenden Begriff der ›Brautwerbungserzählungen‹ vorschlagen möchte.10 Zu dieser Gruppe zählen ›König Rother‹, ›St. Oswald‹,11 ›Orendel‹, ›Ortnit‹, ›Salman und Morolf‹ und ›Kudrun‹ sowie der nur fragmentarisch erhaltene ›Dukus Horant‹.12 Sie alle sind über das literarische Modell des gefährlichen Erwerbs einer Braut verbunden. Diese gemeinsame narrative Basis ermöglicht es, vergleichend zu betrachten, wie die Texte Begegnungen zwischen Religio­

8 Exemplarisch für eine solche Ausrichtung sei hier nur der Band ›Konfrontationen der Kultu­ ren‹ (Gaube, Schneidmüller, Weinfurter 2005) genannt. 9 So zum Beispiel von Ines Hensler (2006), die das Bild des Sarazenen in französischen und deutschsprachigen Texten analysiert oder von Barbara Sabel (2003), die dem Toleranzdenken in mittelhochdeutschen Texten, besonders aber im ›Willehalm‹ nachgeht. Zu den deutschsprachi­ gen Bearbeitungen der französischen Chansons de geste insgesamt s. Bastert 2010. 10 Der Begriff ›Brautwerbungsepen‹ scheint mir die Nähe zum heroischen und insbesondere zum mündlichen Erzählen zu sehr betonen, da ich diese Nähe für eine problematische Prämisse im Umgang mit dieser Textgruppe halte, wie die weitere Argumentation dieser Einleitung offen legen wird. 11 Hierbei handelt es sich weniger um ein einzelnes Werk als um eine ganze Gruppe inhaltlich eng miteinander verbundener Erzähltexte unterschiedlicher Länge um die Brautwerbung des Heiligen Oswald (s. u.). 12 Die erhaltenen Passagen des ›Dukus Horant‹ enthalten keinen Kontakt oder Konflikt zwischen Religionen und werden in der vorliegenden Studie daher nur perspektivisch mit einbezogen.



Einleitung 

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nen und Kulturen inszenieren, akzentuieren und kontextualisieren und so die Möglichkeiten des Erzählens über die Begegnung von Christen und Sarazenen ausspekulieren. Dabei entfalten sie in der Verbindung und Durchdringung von diskursivem Gehalt und narrativer Umsetzung im Modell der gefährlichen Braut­ werbung ihre eigene Qualität und Attraktivität. Vor dem Hintergrund des verbindenden Erzählmodells wird diese Text­ gruppe gerade in ihren inhaltlichen Divergenzen und in ihrer internen Dynamik interessant: Wo ›Oswald‹ und ›Orendel‹ die christlichen Helden durch Momente der Heiligkeit, Verbindungen zu alttestamentlichen Heroen oder direkte himmli­ sche Unterstützung ihrer Vorhaben als Krieger in göttlicher Mission inszenieren, nehmen andere Werke genau diese Strategien auf, um sie dann abzuweisen oder ironisch zu brechen. Und wo einige Werke die Sarazenen nach gängigen Mustern als götzenverehrende Polytheisten beschreiben, setzt der ›Salman‹ dem die Vor­ stellung eines monotheistischen Glaubens der Sarazenen an einen namenlosen Gott entgegen. Wo im ›Orendel‹ von der Vernichtung der Gegner die Rede ist, kann der ›Oswald‹ von ihrer Aufnahme in die christliche Glaubensgemeinschaft, kann die ›Kudrun‹ von ihrer Integration in ein politisches Bündnissystem erzählen. Dass diese Texte jedoch noch nicht mit neueren kulturwissenschaftlichen Ansät­ zen untersucht worden sind, hängt sicherlich auch mit ihrer insgesamt geringen Präsenz in der germanistischen Forschung der letzten Jahrzehnte zusammen.13

13 Nach den Monographien von Michael Curschmann (1964) und Christian Schmid-Cadalbert (1985) sind sie nur noch von Claudia Bornholt (2005) als Textgruppe in den Blick genommen worden. Curschmann behandelt allerdings nur einen Teil der Gruppe, weil er nicht von der Ka­ tegorie der ›Brautwerbungserzählungen‹ sondern der der ›Spielmannsepen‹ ausgeht. Auch geht es ihm nicht so sehr um eine Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Grup­ pe, sondern mehr um eine Konturierung seiner Ergebnisse zum ›Oswald‹, wie schon der Titel der Studie ›Der Münchener Oswald und die deutsche spielmännische Epik‹ vermuten lässt. In diesem Sinne fallen seine Erläuterungen zu ›Salman‹, ›Rother‹ und ›Orendel‹ mit jeweils unge­ fähr 10 Seiten relativ kursorisch aus. Schmid-Cadalbert stellt in seiner Studie ›Der Ortnit AW als Brautwerbungsdichtung‹ den ›Ortnit‹ ganz in das Zentrum seiner Überlegungen. Die anderen Brautwerbungs­erzählungen interessieren ihn nur soweit, als er aus ihnen ein ›Brautwerbungs­ schema‹ abstrahieren kann, mit dem er den ›Ortnit‹ als pointierte Abweichung von der Gruppe erweisen kann. Die 2005 von Claudia Bornholdt veröffentlichte Studie ›Engaging Moments – The Origins of Medieval Bridal-Quest Narrative‹ konzentriert sich nicht so sehr auf die mittelhoch­ deutschen Brautwerbungserzählungen an sich, sondern versucht sie in ein mündliches Erzähl­ universum einzubinden, das sie unter anderem mit lateinischen Chroniken, besonders aber mit skandinavischen Brautwerbungserzählungen verbunden habe. Dabei kann sie zum Teil interes­ sante Parallelen und Verbindungen aufzeigen, bleibt aber so weit hinter der Forschungsdiskus­ sion selbst der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück, dass ihre Ergebnisse die Forschung insgesamt nicht vorantreiben können. So übernimmt sie unreflektiert die in der Forschung mittlerweile überholte Vorstellung spielmännischer Autorschaft und konturiert ihre Thesen in

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 Einleitung

Diesen beiden Themenkreisen, den Inszenierungen und Brechungen reli­ giöser Sinndimensionen sowie der religiösen Differenz als Hersausforderung, werden die ersten beiden Kapitel der vorliegenden Studie nachgehen. Das dritte Kapitel wird auf den Ergebnissen dieser Analysen aufbauend danach fragen, wie sich der diskursive Gehalt interreligiöser Begegnungen und Konflikte mit dem narrativen Modell der gefährlichen Brautwerbung verbindet. Die zentrale These der folgenden Überlegungen ist, dass sich die kulturellen Konfiguratio­ nen interreligiöser Konfrontationen und die narrative Faktur der Werke gegen­ seitig beeinflussen, durchdringen und dynamisieren. Die damit verbundenen Spannungsverhältnisse und Austauschbewegungen be­schreib­bar zu machen, ist das zentrale Ziel der vorliegenden Studie. Sie versteht sich damit sowohl als ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Aneignung der Konfrontation zwischen Christen und Muslimen im Mittelalter als auch zur Erforschung des diskursiven Potentials, das dem narrativen Modell der gefährlichen Brautwerbung eigen ist.

Forschungslinien Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Brautwerbungserzählungen ist häufig noch immer von den Prämissen und Vorstellungen geprägt, die im 19. Jahr­ hundert zu diesen Werken entwickelt wurden. Diese wurden zwar gelegentlich hinterfragt, aber noch keiner zusammenhängenden kritischen Revision unter­ zogen. Da diese Konzepte den Zugang zu den in dieser Studie zu untersuchen­ den Werken in mehrfacher Hinsicht verstellen, soll dieses im Folgenden geleistet werden, um den Blick für die folgende Untersuchung sowohl zu öffnen als auch zu schärfen. Die folgende Forschungsdiskussion soll daher zentrale Linien in der Aus­ein­ an­der­setz­ung mit den Brautwerbungserzählungen aufzeigen, die die Forschung von ihrem Beginn bis in die heutige Zeit in vielen Punkten bestimmen. In einem ersten Teil werde ich mich mit dem ›Erbe des Spielmanns‹, also den Implikati­ onen und Problemen der Vorstellung ›spielmännischer‹ Literatur, beschäftigen. Ein Schwerpunkt liegt in diesem Teil der Darstellung auf dem Beginn der Erfor­ schung der zu untersuchenden Textgruppe, da die in dieser Zeit entwickelten Positionen den aktuellen Diskurs, zumindest implizit, noch oftmals dominieren.

erster Linie in einer Auseinandersetzung mit der 1939–40 von Theodor Frings veröffentlichten Darstellung der Entstehung der ›Spielmannsepen‹. Die 2012 erschienene Dissertation von Sarah Bowden konnte für die Überarbeitung der vorliegenden Studie leider nicht mehr berücksichtigt werden.



Forschungslinien 

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Es wird zu zeigen sein, wie die immer noch wirksamen Vorstellungen ›spiel­ männischer‹ Autorschaft auch die Datierung der Braut­wer­bungs­er­zähl­un­gen be­stimm­en. Am Beispiel des ›Orendel‹ werde ich darstellen, dass die Frühdatie­ rung der Werke ins 12. Jahrhundert oder sogar darüber hinaus auf hoch problema­ tischen Vorannahmen beruht und keinesfalls einen Forschungskonsens darstellt. Auch wenn es nicht das Ziel der vorliegenden Studie ist, die Brautwerbungser­ zählungen einer be­stimm­ten Entstehungszeit zuzuordnen, ist die Reflexion der Offenheit dieser Frage eine wichtige Vorbedingung für die folgenden Analysen. Anschließend werde ich mich mit dem so genannten ›Braut­wer­bungs­­schema‹ beschäftigen, das in einer Vielzahl jüngerer Beiträge zu dieser Textgruppe einen bedeutenden Stellenwert einnimmt. Der Schwerpunkt der Darstellung wird hier auf aktuelleren Forschungs­positionen liegen, die jedoch häufig ebenfalls auf grundlegende Vorstellungen des frühen 19. Jahrhunderts rekurrieren: »Und das 19. Jahrhundert – das wer­den wir noch merken – ist zäh« (Groebner 2008, 77). Die Darstellung erhebt insgesamt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, son­ dern soll zur Positionierung der aktuellen Untersuchung und zur Entwicklung ihrer Frage­stellung genutzt werden. Dies ist umso leichter zu rechtfertigen, als die Forschungs­geschichte der Brautwerbungserzählungen bis zum Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts sehr gut aufgearbeitet ist und die seitdem erschie­ nenen Publikationen zu einem Großteil an den jeweils relevanten Stellen der vor­ liegenden Studie diskutiert werden.14

Der Spielmann und sein Erbe Im 19. Jahrhundert entwickelte Johann Gottfried Herder, unter anderem in Ausei­ nandersetzung mit dem biblischen Schöpfungsbericht, den Werken Homers und den angeblichen Gesängen Ossians, die Vorstellung einer der Kunstpoesie gegen­ überstehenden Natur- oder Volkspoesie: In der alten Zeit aber waren es Dichter, Skalden, Gelehrte, die eben diese Sicherheit und Festigkeit des Ausdruckes am meisten mit Würde, mit Wohlklang, mit Schönheit zu paaren wußten; und da sie also Seele und Mund in den festen Bund gebracht hatten, sich einander nicht zu verwirren, sondern zu unterstützen, beyzuhelfen: so entstanden daher jene für uns halbe Wunderwerke von αοιδοις, Sängern, Barden, Minstrels, wie die größten Dichter der ältesten Zeiten waren. Homers Rhapsodien und Ossians Lieder waren gleichsam impromptus, weil man damals noch von Nichts als impromptus der Rede wußte; dem letzteren sind

14 Michael Curschmann (1968) liefert für die Zeit bis 1967 einen umfassenden Überblick zur Er­ forschung der ›Spielmannsepen‹ insgesamt und zu jedem einzelnen Text ausgehend vom For­ schungsstand der 60er Jahre.

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 Einleitung die Minstrels, wiewohl so schwach und entfernt, gefolgt; indessen doch gefolgt, bis endlich die Kunst kam, und die Natur auslöschte (Herder 1773, 40 f.).

Während Herder den Unterschied zwischen Kunst- und Naturpoesie an formalen und inhaltlichen Kriterien festmacht,15 sieht Jacob Grimm in seiner Aneignung der Gedanken Herders eine grundsätzliche Verschiedenheit der beiden Litera­ turformen. Zum einen betont er, dass sie in der Zeit getrennt wären und nicht gleichzeitig auftreten könnten – es sei daher in seiner Zeit unmöglich, Naturpo­ esie nachzuschaffen. Für den deutschen Sprachraum gilt ihm das Mittelalter als eine, vielleicht sogar als die Epoche der Naturpoesie. Zum anderen nimmt Grimm aber auch unterschiedliche Produktionsarten für Kunst- und Naturpoesie an. Ver­ mutet Herder »Dichter, Skalden, Gelehrte« als Schöpfer und Träger der Naturpo­ esie, so weist Grimm den gebildeten Individuen die Produktion von Kunstpoesie zu, in der »ein menschliches Gemüt sein Inneres bloß gebe«. In der Natur- oder Volkspoesie hingegen sollen die Taten und Geschichten gleichsam einen Laut von sich geben, welcher forthallen muß und das ganze Volk durchzieht, unwillkürlich und ohne Anstrengung, so treu, so rein, so unschuldig werden sie behalten, allein um ihrer selbst willen, ein gemeinsames, treues Gut gebend, dessen ein jedweder teil habe (Grimm 1808, 167).

Das Autorsubjekt verschwindet hier völlig, die Taten und Geschichten generieren sich als im Volk widerhallender »Laut« selbst. Dieses »Eigenthum des Volkes« muss sich seiner Vorstellung nach »von selber an und fortgesungen haben« (Grimm 1811, 6). Wie man sich diese Art der Literaturgenese genauer vorstellen kann, lässt er jedoch im Dunkeln: »Über die Art, wie das zugegangen, liegt der Schleier eines Geheimnisses gedeckt, an das man Glauben haben soll« (ebd.). Diese als natürlich begriffene Literatur, »so treu, so rein, so unschuldig« (Grimm 1808, 167), deren Entstehung und Rezeption als mündlich gedacht werden, lässt sich am ehesten als Gegenbild zur zeitgenössischen, schriftlichen literari­ schen Kommunikation über das Massenmedium des Buchdrucks und der ano­

15 »Als formale und inhaltliche Kriterien gelten nach Herder (›Sprünge und Würfe‹, 1773) der Verzicht auf logische Begründung, Erzählkontinuität und Informationsgenauigkeit zugunsten eines episodisch reihenden Erzählens, die Abwesenheit eines ausdifferenzierten Erzählers im Text (bedingt durch die physische Präsenz des Erzählers in der für die V[olkspoesie] zunächst konstitutiven mündlichen Erzählsituation), eine auf Individualisierung verzichtende Personen­ typik und das weitgehende Fehlen von reflektierenden Momenten. Inhaltlich verweisen fast alle Gattungen der V[olkspoesie] auf allgemeinmenschliche Daseins- und Verhaltensformen, so dass Themen wie Familie, Liebe, Kampf, mythische Naturerfahrung, Tod oder Jenseitsvorstellungen im Mittelpunkt vieler volkspoetischer Werke stehen« (Weidhase; Holmes 2007, 815).



Forschungslinien 

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nymen Lektüre verstehen und erscheint daher gerade in ihren geheimnisvollen Anteilen attraktiv.16 Aus dieser Gegenbildlichkeit, dieser im wahrsten Sinne des Wortes ›naiven‹ Literatur ist auch die Ablehnung aller gelehrten Einflüsse auf sie oder einer gelehrten und damit künstlichen Herkunft ihrer Inhalte und Stoffe zu sehen.17 Diese müsste vielmehr im Bereich der Sagen und Mythen zu suchen sein.18 Als Träger der Naturpoesie erscheint in den ›Kleinen Schriften‹ Wilhelm Grimms dann, in Anlehnung an die Figur Volkers im ›Nibelungenlied‹, der umherziehende, für das Volk vortragende Sänger oder Spielmann, »gleichsam als Inkarnation der Volksseele« (Schröder 1967, 2). In der Person des Spielmanns bot sich in der Folgezeit eine Möglichkeit, die vage Idee einer Entstehung von Literatur aus sich selbst heraus zu konkretisieren. So vertreten Ludwig Uhland und August Wilhelm Schlegel die Position, dass der Sänger zumindest zum Teil

16 »Das Interesse an fremder Poesie im 18. Jahrhundert gilt, wie ich meine, nicht in erster Linie den einzelnen Texten, sondern einer durch die Texte noch rudimentär zu greifenden Praxis des Dichtens, die eine Alternative zum Literaturbetrieb der Gegenwart aufzeigt. Anhand der alten Lieder wie auch der Volkslieder soll die mündliche Kommunikation innerhalb von geschlosse­ nen Produktions-Rezeptions-Gemeinschaften vergegenwärtigt werden. Dies wird von den Auto­ ren des 18. Jahrhunderts zum Gegenbild ihrer Gesellschaft stilisiert, in der die fortgeschrittene Schriftlichkeit die unmittelbare Kommunikation vom Mund zum Ohr durch eine indirekte, ano­ nyme Massenkommunikation ersetzt hat. Die zur Gegenwart alternative Praxis der Gedichtpro­ duktion und -rezeption wird nicht als nur akzidentielles Merkmal der Lyrik, sondern als Wesens­ merkmal von Poesie schlechthin begriffen« (Schneider 2004, 27). 17 »Nachdem aber die Bildung dazwischen trat, und ihre Herrschaft ohne Unterlaß erweiterte, so mußte, Poesie und Geschichte sich auseinander scheidend, die alte Poesie aus dem Kreis ihrer Nationalität unter das gemeine Volk, das der Bildung unbekümmerte, flüchten, in dessen Mitte sie niemals untergegangen ist, sondern sich fortgesetzt und vermehrt hat, jedoch in zunehmen­ der Beengung und ohne Abwehrung unvermeidlicher Einflüsse der Gebildeten. […] Ich wenigs­ tens meinerseits habe es nie glauben können, daß die Erfindungen der Gebildeten dauerhaft in das Volk eingegangen, und dessen Sagen und Bücher aus dieser Quelle entsprungen wären« (Grimm 1808, 168 f.). 18 »Dergestalt sah sich J. Grimm über das Historische hinaus auf den göttlichen Ursprung zu­ rückverwiesen. So gelangt er zu einer Art naturhafter Offenbarungsvorstellung, die fast der reli­ giösen adäquat oder doch analog erscheint. […] Jedenfalls wurde es J. Grimm auf diesem Wege und auf diese Weise wesentlich leichter das ›Unerklärliche‹ jenes ›wundervollen‹ Ur-Ausganges sowohl der Sprache als auch der Naturpoesie und ›Volkspoesie‹ wenigstens andeutend zu um­ schreiben, diesen ›in einem Ganzen ausgehen‹ wie jenes aus dem Gemüt des Ganzen Hervortre­ ten. Nun endlich erklärt sich vollends das nahe Aneinanderrücken von Volkspoesie und Mythos, von Naturpoesie und Mythologie. In den Mythen ertastet er eine Urstufe der Volkspoesie« (Mark­ wardt 1959, 366).

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auch Dichter der von ihm vorgetragenen Werke sei19 und Georg Gottfried Gervi­ nus macht in seiner ›Geschichte der poetischen Nationalliteratur‹ wichtige Unter­ kategorien innerhalb der Volkspoesie auf. Neben dem echten Volksgedicht und Volksepos gebe es auch noch eine Gruppe der »Kunstpoesie gleichsam innerhalb der Volkspoesie«, die durch eine »subjektive Bearbeitung« der »alten Simplicität und Heiligkeit des Volksgesanges« bis zu seiner »Entstellung« durch »Erdich­ tung, Hinzu­dichtung, Umdichtung« durch einzelne Personen gekennzeichnet sei (Gervinus 1835, 184 ff.). Zu der so beschriebenen Textgruppe zählt er unter anderem ›Rother‹, ›Salman‹ und ›Herzog Ernst‹ (ebd. 194). In der zweiten Auflage seiner Literaturgeschichte weist Gervinus (1840, 223 ff.) diese Werke versuchs­ weise einer »Klasse von fahrenden Sängern und Spielleuten« zu. Hatten die Grimms den Spielmann als Träger einer Literaturepoche gesehen, deren Werke sich auf natürliche Weise aus sich selbst und durch das gesamte Volk dichten, wird er durch die Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts immer mehr zum Schöpfer oder zumindest zum Bearbeiter der von ihm vorgetragenen Stoffe und Werke. Auf der anderen Seite verengt sich aber das Spektrum der ihm zugewiesenen Literatur und er wird neben Rittern und Geistlichen zum dritten literaturschaffenden Stand.20 Das Korpus der in diesem Zusammenhang als ›Spielmannsepik‹ etikettierten Werke gruppiert sich um fünf Texte, von denen vier im Rahmen dieser Arbeit behandelt werden (›Rother‹; ›Salman‹, ›Oswald‹, ›Ortnit‹).21 Diese Gruppe wird der angeblich anspruchsvolleren Dichtung der Höfe (und Geistlichen) gegenübergestellt: Als gattungsbestimmendes Kriterium gilt meist der Stil der Werke (im weitesten Sinne). Man versteht darunter einen Komplex bevorzugter Motive, typischer Vorgänge und formelhafter Wendungen in der sprachlichen Darstellung, Mischung von Ernst und Scherz, bunte Fülle der Ereignisse, geringe Sorgfalt in Metrik und Reim, alles in allem eine gewisse Unbeküm­ mertheit der Erzählweise, die mehr auf Unterhaltung und Belustigung des Publikums aus ist als auf künstlerische Form (Schröder 1967, 1).

Diese Einschätzung der Werke und die Vorstellung spielmännischer Autoren, »deren Lebensweise und Vortragsart man eine solche Darstellungsweise zutrauen

19 S. dazu Schröder 1967, 2. Mit dieser Wendung nähert sich die Forschung der Vorstellung Her­ ders wieder an. 20 Siehe dazu grundlegend Bahr 1954, zusammenfassend Schröder 1967, 1–8. 21 Zu dieser Gruppe wird als fünfter Text zumeist der ›Herzog Ernst‹ gezählt, zum Teil aber auch aus unterschiedlichen Gründen ausgeschlossen (Ehrismann 1927, 39 ff., Schneider 1943, 241 ff.). »Früher wurde dieser Gruppe, wie gesagt, gern der ›Reinhart Fuchs‹ zugesellt, neuerdings ist es der ›Dukus Horant‹ (Hor), den man hier anschließen möchte; für den ›Karl und Elegast‹ ist gele­ gentlich mit ähnlichem Recht ein Gleiches gefordert worden« (Curschmann 1968, 5 f.).



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konnte« (ebd.), durchdringen sich dabei gegenseitig.22 Die vor dem Hintergrund einer Ästhetik des 19.  Jahrhunderts und in Abweichung von den höfischen Romanen wie Gottfrieds ›Tristan‹ oder Wolframs ›Parzival‹ als mangelhaft emp­ fundene Erzählweise dieser Texte scheint auf unterlegene Autoren in Hinblick auf Intellekt, Geschmack und Bildung hinzuweisen. Der Spielmann als Litera­ turschaffender im Medium der Mündlichkeit, der mit seinen Vorträgen vor bunt gemischtem Publikum seinen Lebensunterhalt verdienen muss, plausibilisiert wiederum, dass seine Epik qualitativ überhaupt keinen hohen Anspruch verfol­ gen kann.23 Die Frage nach der Existenz und Identität von Spielmännern im Mittelalter hat zu einer intensiven Forschungsdebatte innerhalb der Germanistischen Medi­ ävistik geführt, die so gut erschlossen ist, dass sie hier nicht noch einmal nach­ gezeichnet werden muss.24 Es reicht vielleicht festzuhalten, dass sich kein einzi­ ger Beleg für Spielmänner als Autoren mittelhochdeutscher Werke finden ließ. Auch konnte Michael Curschmann in seiner 1964 erschienenen Untersuchung ›Der Münchener Oswald und die deutsche spielmännische Epik‹ aufzeigen, dass die als ›spielmännisch‹ wahrgenommenen und kritisierten Eigenheiten der Texte

22 Gelegentlich wurde auch das Vorkommen von Spielleuten in den Werken dieser Gruppe als Zeichen für spielmännische Autoren gesehen, die sich selbst in diesen Figuren ein Denkmal set­ zen würden (z. B. Krogmann 1936, Sp. 849). Dieses unhaltbare Argument wurde bereits 1924 von Hans Naumann (1924, 792) mit der Entgegnung wiederlegt, dann könne man genauso gut Riesen für die Verfasser halten. 23 Rüdiger Brandt (2005, 14) systematisiert die Argumentation für eine spielmännische Verfas­ serschaft folgendermaßen: »Die Zusammengehörigkeit zumindest dieser fünf Epen […] und die Annahme spielmännischer (in Abgrenzung zu klerikaler oder ministerialischer bzw. adliger) Ver­ fasserschaft wurde überwiegend mit drei Argumenten begründet: 1. Eine Reihe von Stilistika, z. B. Wiederholungen, Apostrophen, Asyndeta, formelhafte Wendungen schien auf die Herkunft der Stoffe aus mündlicher Tradition zu verweisen; das ermöglichte die Abgrenzung vom höfi­ schen Epos, das in Deutschland ja von vornherein auf schriftliche Vorlagen zurückging, wäh­ rend andererseits eine Zugehörigkeit zur Heldenepik aus stofflichen Gründen entfiel. Als Träger und Bewahrer dieser Mündlichen Tradition sah man Spielleute. 2. Die formalen, sprachlichen, stilistischen und kulturellen Standards der Epen sowie ein Hang zur ›Burleske‹ wurden als Kenn­ zeichen von Autoren minderer ›handwerklicher‹ und ästhetischer Qualifikation bzw. minderer Seriosität gedeutet. Auch dies ließ sich auf Spielleute beziehen, insofern man für diese keine am Trivium, speziell an der Rhetorik orientierte Schulung annehmen konnte oder wollte. 3. Dieser Eindruck wurde bestätigt durch ›Lohn‹- und ›Trunkheischen‹, andere zur Situation vagierender Berufsautoren passende Textbestandteile und das Auftauchen von Spielleuten innerhalb der li­ terarischen Handlung.« 24 Sie lief in zwei Phasen ab. Zuerst in Nachfolge der romantischen Konzeption des Spielmanns bis zur grundlegenden Kritik durch Hans Naumann (1924), dann in den Zeit von 1960 bis unge­ fähr 1985. S. dazu: de Boor 81951, 250–2, Schröder 1967, 1–8, Curschmann 1964, 127–155, Cursch­ mann 1968, 1–6, 84–96, Brandt 2005.

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sehr viel eher geistliche Autoren wahrscheinlich machen25 – eine Einschätzung, die auch schon zuvor zu finden ist und sich mittlerweile weitestgehend durchge­ setzt hat.26 Dennoch behält Curschmanns (1968, 2) Feststellung, »daß nichts die Erfor­ schung dieser Gruppe von Epen so behindert hat wie ihr Name« ihre Gültig­ keit. Obwohl der Begriff ›Spielmannsepik‹ in der jüngeren Forschung zumeist in »salvatorischen problematisierenden Anführungszeichen« (Brandt 2005, 13) erscheint, wurden die implizit mit ihm verbundenen Einschätzungen und Prä­ missen noch keiner grundlegenden kritischen Revision unterzogen. Wie stark die Vorstellung einer ›spielmännischen‹ Literatur die moderne Literaturgeschichts­ schreibung auch nach dem ›Tod des Spielmanns‹ beeinflusst, wie sehr sie sich in den entsprechenden Handbuchartikeln und auch der Editionspraxis nieder­ schlägt, hat jüngst Rüdiger Brandt (2005) eindrucksvoll gezeigt. Dabei gehören meines Erachtens nicht nur die Begriffe ›Spielmannsepik‹ und ›spielmännische Epik‹ auf den Begriffsfriedhof,27 sondern auch die Bezeichnung ›Epik‹ an sich, weil sie in diesem Fall nicht nur eine übertriebene Nähe zur Heldenepik sugge­ riert, sondern die Vorstellung mündlichkeitsnaher, archaischer Dichtung durch die forschungsgeschichtliche Prägung für diese Textgruppe ebenfalls noch mit­ schwingt. So wird aber der Blick für die Nähe zu anderen Texttypen (Legende,

25 Curschmann 1964, 127–155. Er selbst vertritt dabei die These ursprünglich spielmännischer Stoffe, die von Geistlichen in vor- oder frühhöfischer Zeit für ihre Zwecke umgearbeitet werden: »Als der Geistliche, dem Zug der Zeit folgend, die Welt im Detail mit theologischer Fragestellung zu durchdringen begann, übernahm er von dem spilman dessen Stoff, ein bereits stark verschlis­ senes Material, und formte ihn zu seien Zwecken aus. Bis dahin hatten die tragenden Kräfte der Entwicklung diese ›Trivialliteratur‹ nicht tradiert. […] Zugleich bedeutet diese Epik eine erste, heimische Blüte der Minnedichtung. Bis zu einem gewissen Grad füllt sie für uns die durch den Verlust des einheimischen Minnesangs entstandene Lücke aus. Was, wie dieser ›von unten‹ kam, konnte zunächst nicht erhalten werden. Diese Epik aber kommt ›von oben‹ und arbeitet doch mit dem Stoff der Unterschicht« (ebd., 153 f.). 26 Geistliche als Verfasser aller oder zumindest einiger ›Spielmannsepen‹ nimmt zum Beispiel Helmut de Boor (81951, 252) an. Curschmann verweist in seinem Forschungsbericht (1968, 84) auf den bereits erwähnten Aufsatz von Naumann, sowie auf Arbeiten von S. Stein, Schwietering, Kralik und Maurer. 27 Bereits an der andauernden Verwendung der Begriffe ›Spielmann‹, ›Spielmannsepik‹ und ›spielmännisch‹ – trotz des häufig geäußerten Unbehagens der Forschung – lässt sich eine an­ dauernde Wirkmächtigkeit oder zumindest das Fehlen eines alternativen Konzeptes erkennen. Für die Abschaffung der Begriffe ausgesprochen haben sich u. a. Helmut de Boor (81951, 252: »besser schaltet man das Wort [Spielmann] aus der literaturgeschichtlichen Terminologie ganz aus«) und Rüdiger Brandt (2005, 41: »Die Kategorien ›Spielmannsepik‹ und ›spielmännische Epik‹ gehören eigentlich beide auf den Begriffsfriedhof, wenn man die dagegen vorgebrachten Argumente ernst nimmt«).



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schwankhafte Erzählungen, etc.) unnötig verstellt. Ich werde daher in dieser Arbeit den neutraleren Begriff ›Brautwerbungserzählungen‹ verwenden und möchte ihn für den zukünftigen Gebrauch in der Forschung zur Bezeichnung der untersuchten Textgruppe vorschlagen. Das ›Erbe‹ des Spielmanns in der aktuellen Forschungsdiskussion äußert sich in drei eng miteinander verbundenen Punkten: Zum einen gelten diese Texte im Allgemeinen noch immer als qualitativ minderwertig. Zweitens meint man in ihnen der Mündlichkeit noch sehr nahe stehende Literatur zu fassen. Aufgrund ihrer Ungeschliffenheit im Vergleich zu höfischer Literatur, gemäß einer Vorstel­ lung von Aufstieg, Blüte und Verfall der mittelalterlichen Literatur und vor dem Hintergrund ihrer Verortung an der Schnittstelle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit werden sie drittens oft immer noch unkritisch in das zwölfte Jahr­ hundert datiert, was im Folgenden hinterfragt werden soll.

Probleme der Datierung Mit der Vorstellung spielmännischer Autorschaft ist von Anfang an die Annahme einer frühen Entstehung der Brautwerbungserzählungen noch vor den höfischen ›Klassikern‹ verbunden, von der die meisten Datierungsversuche im 19. Jahrhun­ dert ausgehen. Doch melden sich schon früh zum Teil sehr gewichtige Stimmen, die die Probleme einer solchen Frühdatierung ins 12. Jahrhundert oder sogar noch darüber hinaus ansprechen und die Texte stattdessen im 13., 14. oder sogar 15. Jahrhundert verorten, so dass bislang keine Einigkeit in dieser Frage herge­ stellt werden konnte. Da diese Textgruppe in der jüngeren Forschung jedoch nicht intensiv diskutiert wurde und wird, berufen sich die meisten der verein­ zelten Beiträge vage auf einen zu Unrecht behaupteten Forschungskonsens einer Frühdatierung ins 12. Jahrhundert.28 Dies ist umso problematischer, als die wesentlichen Argumente für eine solche Frühdatierung von prekären Prämissen der frühen Forschung ausgehen: spielmännische Autorschaft, mündliche Textvermittlung, klare Entwicklungsli­ nien in der Literaturgeschichte und abbildhafter Bezug von Literatur auf kultu­

28 So z. B. Michael Embach (1996, 767): »Die These, daß der – leider nur fiktiv greifbare – Urtext des ›Orendel‹ vermutlich zum Ende des 12. Jahrhunderts hin entstanden sei, wird mittlerweile von der überwiegenden Anzahl der Forscher vertreten. Obwohl ein definitiver Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme bis heute nicht zu erbringen ist, und es auch nicht an Stimmen ge­ fehlt hat, die teils eine frühere, teils eine spätere Entstehungszeit für wahrscheinlicher hielten, hat sich vor allem in den neueren Beiträgen zur Orendelforschung diese Frühdatierung doch durchgesetzt.«

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relle und geschichtliche Konfigurationen sind nur einige von ihnen. Dabei haben so manche der aus diesen Vorannahmen entwickelten Argumente allein durch ihre Sedimentierung in der Forschungsdiskussion faktischen Charakter erlangt und müssen dringend auf ihre Validität hin hinterfragt werden. Um diese Pro­ blemlage mit der nötigen Intensität zu reflektieren und doch nicht den Rahmen der Vorüberlegungen dieser Arbeit zu sprengen, wird sich die folgende Darstel­ lung exemplarisch auf den ›Orendel‹ beziehen, zu dessen Datierung eine beson­ ders intensive Forschungsdiskussion geführt wurde, die sich in ihren Grund­linien aber mit denen zu den anderen Brautwerbungserzählungen deckt. Grundsätzlich wäre an anderer Stelle aber eine Revision der Datierung aller Brautwerbungserzählungen im Einzelnen zu leisten, denn sie können natürlich zu ganz unterschiedlichen Zeiten entstanden sein, da strukturelle Ähnlichkeiten und interetextuelle Bezüge kein Beweis für einen gemeinsamen Entstehungszeit­ raum sind. Für die vorliegende Studie ist aber zunächst nur von zentraler Wichtig­ keit, dass die gängigen Argumente für eine Frühdatierung aller Brautwerbungs­ erzählungen auf höchst problematischen Prämissen beruhen und prinzipiell einer Neubewertung unterzogen werden müssen. Denn diese allgemeine Frühda­ tierung wird nicht selten explizit oder implizit als Forschungskonsens ausgege­ ben, obwohl die Schwierigkeit der Datierung des ›Orendel‹, der wie alle anderen Brautwerbungserzählungen mit Ausnahme des ›Rother‹ nur spät überliefert ist, ebenfalls zu einem Forschungstopos geworden ist.29 Für die Frühdatierung des ›Orendel‹ wurden unterschiedliche Arten von Argumenten vorgebracht: inhaltli­ che, literaturkritische, vergleichende sowie sprach- und formgeschichtliche. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass keines von ihnen stichhaltig ist. Inhaltliche Argumente für die Frühdatierung des ›Orendel‹ sind schon Teil der ersten Datierungsversuche dieses Werkes und nehmen noch in den neuesten Bei­ trägen eine gewichtige Rolle ein. Zum einen wird versucht, im ›Orendel‹ Spuren einer alten germanischen Sage zu identifizieren. 1888 widmet Ludwig Beer dieser Frage eine 120seitige Abhandlung, die inhaltliche Aspekte des ›Orendel‹ mit däni­ schen und norwegischen Ausprägungen einer Jahreszeitensage vergleicht, und eine entsprechende deutsche Sage eines Sommergottes als Vorstufe des ›Orendel‹ annimmt. In dieselbe Richtung zielt 1968 Wolfgang Jungandreas, interessanter­ weise jedoch ohne die Untersuchung Beers zu nennen. Obwohl beide für ihre Deutung eine frühe Entstehung und mündliche Tradierung des ›Orendel‹ voraus­

29 s. Harkensee 1879, 68; Vogt 1890, 470; Vogt 1894, 408; Schwietering 1941, 113; de Boor 81951, 250 ff.; Teuber 1954, 8 f.; Ebenbauer 1974, 25; Schmid-Cadalbert 1985, 18; Vollmann-Profe 1986, 220. Zur späten Überlieferung der Texte s. das Kapitel »Materialität, Erzählkomplexe, Textaus­ wahl« in dieser Einleitung.



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setzen müssen, haben ihre hochspekulativen, sich auf Namensähnlichkeiten und Parallelen auf der Ebene allgemeinliterarischen Konfigurationen (Reisen, Gefan­ genschaft und Flucht, Kampf um die Hand einer Frau) stützende Argumentation ihrerseits keine Beweiskraft für eine Datierung des Werkes im 12. Jahrhundert. Daneben und in der Folge überwiegen stärker historisch orientierte Argu­ mentationen, die einen direkten Bezug literarischer Werke auf außerliterarische Ereignisse annehmen. Mit Friedrich Heinrich von der Hagen (1844, XII) geht man dabei davon aus, dass die Inhalte der Brautwerbungserzählungen rein mündlich tradiert worden seien und dadurch die Augenzeugenschaft des Autoren oder seiner direkten menschlichen ›Quellen‹ eine besonders enge zeitliche Nähe zwi­ schen historischen Ereignissen und ihrer literarischen Verarbeitung in diesen Werken garantiere. Elard Hugo Meyer bemüht sich besonders intensiv, die Handlung um Orendel und Bride in ihrer Gesamtheit sowie einzelnen Details mit historischen Ereignissen im Heiligen Land zu identifizieren. Die Parallelen, die er zwischen dem ›Orendel‹ und historiographisch überlieferten Geschehnissen im Heiligen Land, besonders um die Heirat von Guido von Lusignan und Sybille von Jerusalem, ziehen kann, gelten ihm als Beweis einer direkten Anknüpfung des Dichters an die histori­ schen Vorbilder.30 Obwohl Meyer selber einräumen musste, dass »die angeführ­ ten parallelen der dichtung und der geschichte nur teilweise völlig zutreffen und einige darunter minderwertig sind« (Meyer 1983, 535) und identifikatorischen Schlussfolgerungen, die er aus diesen Parallelen zieht, in der Forschungsdiskus­ sion seiner Zeit heftigen methodischen Widerspruch hervorrufen,31 berufen sich neuere Darstellungen auf Meyers Argumentation, zum Teil sogar ohne die Kritik an seiner Herangehensweise zu rezipieren.32 In ähnlicher Art und Weise setzt sich auch die Argumentation Friedrich Hein­ rich von der Hagens zur Darstellung der Tempelritter (von der Hagen 1844, XIX)

30 »Das resultat unserer bisherigen untersuchungen ist also, dass der dichter des Orendel, wel­ cher wahrscheinlich am rhein zu hause Palästina keinesfalls, vielleicht Italien sah, um 1190 eine vermutlich mythische erzählung an die geschichte des letzten jeru­sale­miti­schen herscherpaares angeknüpft habe« (Meyer 1865, 391). 31 So schon früh Heinrich Harkensee (1879, 63 f.), der Meyers früheren Aufsatz von 1865 Punkt für Punkt widerlegt, und Arnold E. Berger (1888, LIX), der feststellt: »Historisch ist nichts in unserem Gedichte ausser dem Königreich Jerusalem, den Tempelherren und einigen geogra­ phischen Namen.« Berger gibt jedoch zu, dass der »anschauungskreis« des ›Orendel‹ gut in die von Meyer vorgeschlagene Zeit passe (A. Berger 1888, LXI). Auch Friedrich Vogt lehnt Meyers methodisches Vorgehen ab, denn »die angaben des gedichtes über das heilige land [sind] meist so konfus und wilkürlich, dass man hier von vornherein keine bestimmten und zuverlässigen historischen beziehungen erwarten darf« (Vogt 1890, 483). 32 Ebenbauer 1974, 26 f.; Plate 1888, 180 ff., Embach 1996, 772 f.

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bis in die neuste Forschung fort. Die Ambivalenz dieser Darstellung, bei der die positiven Aspekte jedoch überwögen, ist für Wolfgang Jungandreas ein zwingen­ des Argument für die Datierung des Textes »weit vor 1300«.33 Michael Embach meint aus der Präsenz der Templer als Verteidiger des Heiligen Grabes anstelle der diese um das Jahr 1300 ablösenden Johanniter schließen zu können, dass »die Erzählung eine gewisse Zeit vor dieser ›Wachablösung‹ fertiggestellt« worden sei (Embach 1995, 772). Diese Art, literarische Werke in einem Abbildverhältnis zur außerliterari­ schen Realität zu sehen, ist aus mehreren Gründen höchst problematisch. Zum einen setzt sie historische Geschehnisse in vereinfachender Weise als absolute Fakten voraus, die uns aber immer nur über eine begrenzte Zahl unterschied­ lich motivierter und damit auch gefärbter Quellen zugänglich ist. Welche Rolle die Tempelherren zu welcher Zeit in Jerusalem gespielt haben, wie positiv oder negativ sie aus welcher Perspektive und zu welcher Zeit gesehen werden, sind komplexe Fragen und keineswegs simple und sichere Bezugspunkte für eine Datierung. Zum anderen sagt die Bezugnahme eines literarischen Textes auf außerliterarische Zusammenhänge, die es ja durchaus geben kann, noch nichts über die zeitliche und räumliche Nähe oder Ferne zwischen beiden aus. Wenn man sich von der Prämisse einer spielmännischen Autorschaft und damit ver­ bundenen rein mündlichen Tradierungswegen löst, erscheint die Vermittlung über Kreuzzugschroniken und literarische Werke mindestens so wahrscheinlich wie die Augenzeugenschaft des Autors oder menschlicher ›Quellen‹. Referen­ zen auf historische Personen, Geschehnisse und Konfigurationen können daher immer nur einen terminus post quem liefern. Zum dritten, und das ist der wesentliche Kritikpunkt, verkennt ein Vorgehen, das in dieser Direktheit von Inhalten auf Entstehungszusammenhänge schließt, die Verfahren literarischer Weltaneignung, die auch über weite räumliche und zeitliche Distanzen hinweg funktionieren. Ansonsten hätte Heinrich von Veldeke Eneas kennen müssen, Goethe nicht über Antigone schreiben können und die moderne Gattung des historischen Romans wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Dies zeigt sich auch in der literarischen Behandlung interreligiöser Konflikte im Lauf des Mittelalters. Während die frühen Werke eher die Auseinandersetzun­

33 »Zeitlich muß das Epos weit vor 1300 entstanden sein, weil die Tempelherren, die als ritter­ liche Verteidiger des Hl. Grabes im Gefolge Brides erscheinen, von dem Dichter noch verhält­ nismäßig gut beurteilt werden. Schon im 13. Jahrhundert waren Klagen wegen Anmaßlichkeit, Treulosigkeit und Ausschweifungen der Tempelherren laut geworden«, Jungandreas 1968, 88. S. ähnlich auch Rüth 1992, 196 ff.



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gen in Südfrankreich und Spanien thematisieren (›Rolandslied‹, ›Willehalm‹),34 bleibt die narrative Ausfaltung von Konflikten und Kämpfen im Orient und im Heiligen Land über die Jahrhunderte hinweg literarisch attraktiv. Zu nennen wären hier exemplarisch der ›Wilhelm von Wenden‹ Ulrichs von Etzenbach und der ›Reinfried von Braunschweig‹ (beide um 1300), der ›Wilhelm von Öster­ reich‹ Johanns von Würzburg (beendet 1314), der ›Herzog Herpin‹ aber auch die deutschen Übersetzung der ›Historia Hierosolymitana‹ des Robertus Monachus (beides im 15. Jahrhundert).35 Der ›Anschauungskreis‹ der Darstellung von Kon­ flikten zwischen Christen und Sarazenen im Orient mit all seinen typischen Figuren, Motiven und Stofftraditionen kann daher kein Kriterium für eine frühe Entstehung des Textes sein. Lenkt man den Blick aber darauf, wie genau im ›Orendel‹ von diesen Kon­ flikten und vom Heiligen Land erzählt wird, fallen Verfahren auf, die eher für eine zeitliche Distanz sprechen. Dazu gehört sowohl die Zielsicherheit, mit der zentrale Figuren und Requisiten der chronikalischen und literarischen Behand­ lungen der Kreuzzüge aufgerufen werden (Jerusalem, das Heilige Grab, Tem­ pelritter, eine Königin, andersgläubige Feinde) als auch die Vagheit, mit der dies geschieht. Dadurch werden eindeutige Zuordnungen nicht nur erschwert, sondern Polyvalenzen geradezu forciert. Durch die Überblendung mehrerer mar­ kierter Zeitebenen, eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wird dieser Effekt noch verstärkt.36 Insgesamt erscheint es daher als methodisch äußerst fragwür­ dig, von bestimmten Inhalten oder historischen Bezügen – unter Ausblendung aller literarischen Traditionen, historiographischen Vermittlungsformen und narrativen Strategien – direkte Rückschlüsse auf die Entstehungsbedingungen eines Werkes ziehen zu wollen. Ähnliche Probleme bringt auch die zweite inhaltliche Argumentationsweise für eine Frühdatierung des ›Orendel‹ mit sich, die das im Text behandelte Thema des ›Grauen Rocks‹ als Trierer Herrenreliquie auf die Translation des Heiligen Rocks von Trier im Jahr 1196 in den Hauptaltar des Doms bezieht und daraus auf eine Enststehung im zeitlichen und räumlichen Umfeld dieses Ereignisses schließt. Es scheint in der Tat naheliegend, von einem gesteigerten Interesse an dieser Reliquie im Trier des 12. Jahrhunderts auszugehen. Die Idee, der Dichter des ›Orendel‹ habe versucht, dieses Interesse im Sinne des Bistums zu befriedi­

34 Im Orient spielt hingegen der ›Graf Rudolf‹, der wohl um 1170/80 entstanden ist und nur fragmentarisch erhalten (ca. 1400 Verse). 35 Zu den Übersetzungen der ›Historia Hierosolymitana‹ s. Kraft 1905 und die Edition von Bar­ bara Haupt. 36 Siehe dazu weiter unten das Kapitel »Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.«

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gen, hat ihm schon früh den Titel eines ›Propagandageistlichen‹ (Naumann 1924, 77 ff.) eingebracht.37 Es ist jedoch zumindest fraglich, ob die im doppelten Wortsinn abenteuerliche Erklärung des ›Orendel‹, wie der Graue Rock nach Trier kam, wirklich in diesem Sinn verstanden werden kann. Denn sie konterkariert nicht nur grundsätzlich die offizielle kirchliche Darstellung (s. Heinen 1995), sondern zeigt als fiktionale und literarisch geprägte Alternative die Möglichkeit des Fiktiven solcher Berichte insgesamt auf. Dementsprechend scharf fällt dann auch die intellektuelle und geistliche Kritik an den ›Orendel‹-Drucken des frühen 16. Jahrhunderts aus.38 Als kirchlich gesteuerte Propaganda kann man sich den der Verbindlichkeit anstre­ benden klerikalen Version widersprechenden ›Orendel‹ gerade in der prekären Zeit der Etablierung der Reliquie daher nicht sinnvoll denken. Und auch hier gibt der Bezug zu außerliterarischem Geschehen nur einen terminus post quem an, denn das Interesse an der Reliquie des Heiligen Rockes bleibt in Trier auch in den folgenden Jahrhunderten lebendig, wie Wolfgang Sei­ brich zeigen kann (1996, 175 ff.). Als etablierte und allgemein anerkannte Reli­ quie wäre der Rock in späterer Zeit deutlich weniger brisant, aber deshalb nicht weniger reizvoll für fiktionale Literatur gewesen. Dass die Erhebung des Rockes durch Kaiser Maximilian I. im Jahr 1512 sowohl in seinem eigenen Ruhmeswerk eine bedeutende Stellung einnimmt (siehe z. B. die Darstellung auf der Ehren­ pforte) als auch in den beiden Drucken des gleichen Jahres als direkter Kontext und Bezugspunkt genannt wird, zeigt, dass das Interesse an der Trierer Herren­ reliquie bis in die Frühe Neuzeit hinein Bestand hatte. Der ›Orendel‹ könnte aus dieser Perspektive genauso gut im 15. Jahrhundert entstanden sein wie im 12. Wenn man seine großen Freiheiten im Umgang mit der offiziellen Rocklegende bedenkt, erscheint ein späterer Zeitraum sogar deutlich plausibler. Neben diesen Verknüpfungen mit historischen Inhalten oder Kontexten führen auch literaturkritische Annahmen, die oft weniger aus den Texten ent­ wickelt als vielmehr als Voraussetzung immer schon in ihrer Behandlung mitge­

37 Zur Kritik an diesem Konzept, das von Alfred Ebenbauer (1974) aufgenommen wurde, s. aus anderer Perspektive Plate (1988, 168 ff.). 38 »So beklagt sich beispielsweise der einflußreiche Rektor der Trierer Universität und spätere Trierer Weihbischof Johann Enen (ca. 1480–1519) bitter über den in seinen Augen unseriösen Stil dieses Werkes. In seiner aus dem Jahr 1514 stammenden, deutsch geschreibenen ›Medulla Gesto­ rum Treverensium‹ greift er den ›Orendel‹ scharf an, weil dieser nicht der offiziellen, kirchlich legitimierten ›Helena-Agritius‹ Tradition folge. […] Auch der im Jahr 1513 von dem Straßburger Arzt und Schriftsteller Johannes Adelphus Muling (U um 1522) veröffentlichte Bericht über die Wiederauffindung des ›Heiligen Rockes‹ beurteilt den ›Orendel‹ ausgesprochen negativ« (Em­ bach 1996, 785).



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führt werden, zu einer Datierung ins 12. Jahrhundert oder sogar darüber hinaus. Dabei gelten die Brautwerbungserzählungen insgesamt und der ›Orendel‹ im Besonderen zumeist als ›schlechte Literatur‹, als »endlose[s] poesielose[s] gewäsch« (Beer 1891, 494), als »lächerliche[s] Gedicht« (Lachmann 1833, 466). Der Zusammenhang zwischen der Annahme einer spielmännischen Autorschaft und der bemängelten Qualität dieser Texte wird im Urteil Herrmann Schneiders besonders deutlich: Unsere Dichtungen sind nicht höfisch und nicht geistlich; sie möchten von beidem etwas sein, statt des Höfischen trifft man aber ein leeres Großtun mit Macht und Pracht und statt des Geistlichen Frömmelei. Im ganzen steht die Spielmannsdichtung künstlerisch gesehen niedrig, sie trägt dick auf und unterstreicht überstark, sie zeigt den Gesichtskreis des neugierigen, abergläubischen, leichtgläubigen, aufreizungshungrigen kleinen Mannes (Schneider 1943, 243).

Auch wenn die aktuellsten Forschungsbeiträge ihr Urteil vorsichtiger formu­ lieren,39 bleibt die grundsätzliche Aussage doch ähnlich. Im Vergleich mit den höfischen Klassikern erscheinen die Brautwerbungserzählungen sowohl sti­ listisch als auch in der Verhandlung ihrer Inhalte roher und schlichter, woraus insgesamt das Urteil eines ›noch nicht‹ geschlossen wird. So sieht Michael Cursch­mann, dessen Einschätzung bis heute in vielerlei Hinsicht zu Recht hohe Verbindlichkeit hat, in dieser Textgruppe das ›Minneproblem‹ eben noch nicht so durchdringend und zufriedenstellen gelöst wie bei Wolfram.40 Löst man sich aber von den Vorannahmen einer zielgerichtet fortschreiten­ den Entwicklung von Literatur im Allgemeinen sowie von mündlichkeitsnahen,

39 »Insgesamt darf man für den Text daher nicht die stilistische Kunstfertigkeit der gelehrten und gebildeten Buchdichtung des 13. Jahrhunderts erwarten. Ein Befund, der sich natürlich auch von dem soziologisch völlig verschiedenartigen Publikum der angesprochenen Literaturformen her erklärt« (Embach 1996, 794). »Während gelegentlich Skepsis herrscht, die Entstehung der Dichtung wesentlich eher anzusetzen, als sie in ihrer frühneuzeitlichen Überlieferung dokumen­ tiert ist, wird doch in der Regel der Ursprung der Dichtung im späten 12. Jh. gesucht. Für einen solchen Ansatz sprechen u. a. die unbekümmerte Freude am umgang mit narrativen Elementen, wie sie auch in den erwiesenermaßen in die frühe Zeit gehörenden Dichtungen Herzog Ernst und König Rother vorkommt, und die eher sorglose Behandlung von Metrum und Reim« (Masser 2002, 359 f.). 40 Die gesamte Monographie ›Der Münchener Oswald und die deutsche spielmännische Epik‹ (Curschmann 1964) läuft auf das Kapitel ›Die Lösung des Minneproblems durch Wolfram‹ zu, in dem Curschmann die »Phänomenologie der ›Mißerfolge‹ der spielmännischen Epik« (S. 156) zur Folie für Wolframs Erfolg macht. Es wäre allerdings zu fragen, ob der Begriff der ›Minne‹ für die Brautwerbungserzählungen in der von ihm angelegten Weise überhaupt angebracht und zielführend ist.

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von Spielmännern getragenen oder zumindest vermittelten Brautwerbungserzäh­ lungen im Besonderen, weisen Charakteristika wie Serialität des Handlung, bur­ leske oder sogar schwankhafte Komik, formelhafte Redundanzen in der sprach­ lichen Gestaltung sowie Freiheiten in Reim und Metrum eher auf eine sehr viel spätere Zeit, wie Helmut de Boor schon 1949 festgestellt hat.41 Auch wenn Gisela Vollmann-Profe demgegenüber kritisch anmerkt, dass »Trivialität kein eindeuti­ ges Indiz für späte Entstehung« sei (1986, 220), kann ein solche Einschätzung noch weniger als Beweis für eine Frühdatierung ins 12. Jahrhundert gelten. Zumal ein solch literaturkritisches Urteil für die Brautwerbungserzählungen anders aus­ fiele, wenn man sie unvoreingenommener und mit Texten des späten Mittelalters anstelle von Klassikern der höfischen Epik zusammensehen würde. Dann könnte manches, was ihnen jetzt als Trivialität ausgelegt wird (wie Serialität des Erzäh­ lens, Fokussierung auf das Handlungsgeschehen, burleske Formen der Komik, etc.), als Ausdruck anderer Darstellungs- und Stilkonventionen bzw. veränderter Gestaltungs- und Wirkungsabsichten erscheinen. Der Vergleich mit anderen Texten spielt auch für die Datierung eine wichtige Rolle. Wenn dabei jedoch zumeist die Brautwerbungserzählungen untereinander in Beziehung gesetzt werden, entstehen zwangsläufig Zirkelschlüsse.42 Schon Herrmann Paul (1880, Sp. 10 f.) und Friedrich Vogt (1890, 480) haben eindringlich darauf verwiesen, dass die Datierung eines Werkes nicht durch den Vergleich mit anderen Werken, deren Datierungen ebenfalls unsicher sind, gewonnen werden kann. Allgemeine Vergleiche mit Werken außerhalb dieser Textgruppe, wie ein Vergleich mit dem ›Nibelungenlied C‹ durch Emil Kettner, bleiben eher spärlich, deuten aber eher auf eine spätere Entstehung hin.43

41 »Das Erzählgerüst stellen die Brautwerbungsformel und der spätantike Apolloniusroman, einer der großen Lesestoffe des späten Mittelalters; vermutlich ist die Umarbeitung in dem fran­ zösischen Roman Jourdain de Blaivies benutzt. Dazu treten geläufige Abenteuermotive aus der ritterlichen Romanliteratur. Diese Erzählgrundlage, der Legendenton mit einer mechanisierten Wundervorstellung – Maria trägt Orendels Anliegen ihrem Sohn in formelhaft wiederholter An­ rede vor, dieser entsendet Gabriel mit Geld, Brief oder Botschaft – die seelenlose Übersteige­ rung der Heldentaten, die Armut in der Erfindung von Neuem, bei denen der Typus Merzian, Prinzian, Belian vorherrscht, die völlige Sorglosigkeit gegenüber der Form in Sprache Rhythmus und Reim, all das wäre in der Massenliteratur des spätesten Mittelalters denkbar. Es hätte – auf anderer Ebene – seine nächsten Artverwandten in den letzten Nachblüten des Heldenromans, etwa den jüngsten Formen des Wolfdietrich oder der Virginal, wie sie die geschriebenen und gedruckten Heldenbücher des 15./16. Jahrhunderts sammelten« (de Boor 81951, 255). 42 Exemplarisch für solche Argumentationen s. A. Berger 1888. Zur Kritik an seinen Aussagen im Einzelnen s. Vogt 1890, 480; Jungandreas 1968, 88. 43 Da er sich den Einfluss vom ›Nibelungenlied‹ auf den ›Orendel‹ denkt, vermutet er eine Ent­



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Zumindest implizit spielt der Vergleich mit anderen Texten auch in der Aus­ einandersetzung mit sprach- und formgeschichtlichen Fragen eine wichtige Rolle. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts versuchen Heinrich Harkensee (1879) und Arnold E. Berger (1888), den ›Orendel‹ aufgrund der sich in ihm zeigenden Freiheiten im Reim als nicht ins 13. Jahrhundert zugehörig zu erweisen, in dem strengere Regeln für die Reimbildung gegolten hätten.44 Zu Grunde liegt diesen Datierungsversuchen die Vorstellung einer chronologischen und eindimensiona­ len Entwicklung der Qualität von Dichtung. Harkensee reflektiert die Probleme einer solchen Argumentation zum Teil bereits selber und die zeitgenössische Forschung übt harsche Kritik an dem Vorgehen Bergers.45 Dennoch schließt sich Wolfgang Jungandreas (1968, 88) noch ganz selbstverständlich der Position an, dass die ungenauen Reime des ›Orendel‹ »in ihrer Primitivität« ein weit höheres Alter als das 13. Jahrhundert verraten. Aber sogar wenn man für die Dichtung des 13. Jahrhunderts insgesamt ein besonderes Streben nach Reimgenauigkeit und stilistischer Glätte ansetzen will, muss man dabei doch zwischen einzel­ nen Werken, Autoren und Texttypen differenzieren. Darüber hinaus wäre zu überlegen, ob ein geringes Interesse an Reimgenauigkeit und anderen formalen Aspekten der Dichtung eher für eine noch deutlich spätere Entstehung sprechen

stehung des letzteren »nach 1230«, wobei er aus der »geringfügigkeit des beigebrachten Materi­ als« keine zu weiten Schlüsse ziehen will (Kettner 1894, 451). 44 »Aus der Reimkunst allein lässt sich das Alter des Gedichtes nicht bestimmen, da die Spiel­ mannspoesie sich erst spät und nicht völlig von den ungenauen Reimen frei zu machen vermoch­ te, auch mögen die Dichter dieser Gattung je nach dem Grade ihrer Bildung auf verschiedener Höhe der Reimkunst sich befunden haben, sicher aber würde es unerlaubt sein, Reimfreiheiten von der Beschaffenheit und in der Anzahl, wie Orendel sie bietet, einem Dichter des dreizehnten Jahrhunderts zuzuweisen. Es ist die Reimkunst des zwölften Jahrhunderts, welche uns entgegen­ tritt« (Harkensee 1879, 62). S. auch A. Berger 1888, LXI. 45 »Das Gefährlichste freilich bei dieser ganzen Untersuchung über die Sprache des Originals liegt darin, dass B. unbedenklich und ohne die nöthigste Vorsicht die klingenden Reime ebenso als sprachliche Zeugen befragt, wie die stumpfen, so ziemlich der ärgste und unter Umständen verhängnisvollste methodische Fehler, der bei der sprachlichen Prüfung eines Gedichts aus der Mitte des 12. Jh.’s – und etwa um 1160 setzt B. den Orendel an, allerdings mit ganz ungenügenden Gründen – irgend begangen werden kann« (Roethe 1891, Sp. 30). Während Gustav Roehte eher dem methodischen Vorgehen Bergers als seiner Datierung widerspricht, zeigt Friedrich Vogt noch sehr viel deutlicher den geringen Aussagewert der einzelnen Argumente für eine Datierung ins 12. Jahrhundert auf. Apokope und Dehnung der offenen Stammsilbe wiesen als Eigenheiten der Dichtung nicht auf die Reimweise des 12. Jahrhunderts, zumal auch mit »alt überlieferten Formen« im Reim zu rechnen sei, die nicht für eine frühe Abfassung um 1160 insgesamt spre­ chen. Demgegenüber macht er den Wortbestand stark, der im 14. oder sogar 15. Jahrhundert erstmalig belegt sei (Vogt 1890, 476 f., 485 f.).

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könnten – eine Möglichkeit, die bei den Versuchen, den ›Orendel‹ im 12. Jahrhun­ dert zu verorten, gar nicht in Betracht gezogen wird. Sicherlich am genausten hat Ernst Teuber die Datierung des ›Orendel‹ durch sprach- und formgeschichtliche Argumente in seiner nur maschinenschriftlich vorliegenden und damit schwer zugänglichen Dissertation von 1954 betrieben und sein Urteil hat in der Forschung nach ihm große Autorität erreicht. Aufgrund von Untersuchungen zu Wortgebrauch, Reimtechnik und Stil nimmt er eine Datie­ rung auf die Zeit zwischen 1250–1300 vor, der sich explizit unter anderem Michael Curschmann (1964, 15 f., 124) und Alfred Ebenbauer (1974, 25 f.) anschließen. Laut Corinna Biesterfeldt (2004, 64) ist Teuber der entscheidende »Kronzeuge« für die Frühdatierung des Orendel in der aktuellen Forschungslandschaft. Umso ent­ scheidender ist es, hier die methodischen Mängel dieser Arbeit aufzuzeigen.46 Zuallererst muss festgehalten werden, dass die Datierung in das 12. Jahrhun­ dert nicht nur das Ziel der Untersuchung Teubers ist, sondern auch ihr Ausgangs­ punkt. Denn er macht sich von vornherein den Beweis zur Aufgabe, dass »der Orendel als in Reimpaaren abgefasste Legende vom Grauen Rock eine Schöpfung des 12. Jh. ist« (Teuber 1954, 18). Es geht ihm nicht um eine unvoreingenommene Datierung des überlieferten Textes, sondern um eine Fundierung der Frühdatie­ rung »an Hand gewisser Kriterien« (ebd.), womit er – im Gegensatz zu kultur- und literaturwissenschaftlichen Indizien – sprach- und formgeschichtliche Aspekte meint. Eine solche Fragestellung nimmt ihre Beantwortung zwar nicht notwendi­ gerweise vorweg, lenkt die Untersuchung aber doch in eine bestimmte Argumen­ tationsrichtung: So untersucht Teuber zum Beispiel im Wortgebrauch ein Wort nur, »sofern es aussergewöhnlich erscheint und einen archaischen Charakter trägt« (ebd., 45). Er konzentriert sich also auf diejenigen Textbausteine, die auf eine frühe Datierung verweisen. Ein zweites grundlegendes Problem liegt in der Auswahl der Vergleichstexte, die für die Datierung herangezogen werden. Diese wird an keiner Stelle insge­ samt offen gelegt und scheint für jeden Aspekt gesondert zu erfolgen. Für die ›Negation durch den Präfix en- (-ne)‹ (ebd., 32 ff.) vergleicht Teuber den ›Orendel‹ z. B. mit ›Herzog Ernst A‹, ›Lanzelot A‹, ›Bertold E‹, ›Schlegel‹, ›Karlmeinet‹, ›Herzog Ernst C‹, und der ›Pilgerfahrt‹, die ihm zum Teil ebenfalls nur in Editi­ onen vorliegen.47 Zum einen ist die Breite der Vergleichstexte sehr gering, zum anderen werden gattungstypische Besonderheiten ausgeblendet und dialektale

46 Auf diese geht Corinna Biesterfeldt (2004, 64 f.) ebenfalls ein und stellt darüber hinaus die Frage, ob »die nur maschinenschriftlich vorliegende und daher nicht ohne weiteres zugängliche Dissertations Teubers […] dort, wo man sich auf sie beruft, tatsächlich immer konsultiert und überprüft worden ist« (ebd., 65, Anm. 75). 47 Zu den verwendeten Textgrundlagen s. Teuber 1954, IV ff.



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Unterschiede unzureichend beleuchtet. Nimmt man dann noch hinzu, dass mit dem ›Herzog Ernst A‹ der einzige Vergleichstext, der aus der von Teuber vermute­ ten Entstehungszeit des ›Orendel‹ stammt, nur in kurzen Fragmenten überliefert ist, erscheint das Kriterium kaum aussagekräftig. Ebenso problematisch ist es, wenn die anderen Brautwerbungserzählungen, deren Datierung ebenso unsicher ist wie die des Orendel, als Vergleichstexte für das 12. Jahrhundert herangezogen werden (ebd., 20). Sehr viel häufiger ist das gewählte Vergleichscorpus jedoch noch unzuver­ lässiger und intransparenter. So schreibt er in der Einleitung seines Kapitels zum Wortgebrauch: »Zum Vergleich herangezogene Belege aus anderen Denkmälern entnahm ich den oben genannten Wörterbüchern sowie Glossaren einzelner Ausgaben des 12.-15. Jh., sofern solche vorlagen« (ebd., 45). Damit unterliegt die Auswahl der Vergleichstexte aber nicht nur der Kontingenz vorhandener Glos­ sare, sondern auch der Abhängigkeit von Wörterbuchartikeln, von denen man gerade für die spätere Zeit keine Vollständigkeit der Belegangaben verlangen kann.48 Dass ein Wort, eine Schreibweise oder Bedeutung dort für das 14. und 15. Jahrhundert nicht angegeben ist, muss nicht heißen, dass es sie in dieser Zeit nicht gegeben hat. Für Phänomene, die sich nicht über Glossare und Wörterbü­ cher erschließen lassen, muss dann auch schon mal eine »rasche[r] Durchsicht etlicher Denkmäler des 12.–14. Jh.« reichen, denn »eine exakte Untersuchung würde Jahre in Anspruch nehmen« (ebd., 29 und 29 Anm. 1). Die methodischen Mängel sowohl bei der Auswahl als auch die Auswertung des Vergleichscorpus lassen daher Zweifel an der Belastbarkeit der gewonnen Ergebnisse aufkommen. Dazu kommt, dass auch die für die Untersuchung Teubers verwendete Text­ basis des ›Orendel‹ höchst problematisch ist. Er arbeitet nämlich nicht mit den einzigen erhaltenen Überlieferungszeugen (Vers- und Prosadruck aus dem Jahr 1512), sondern mit den Ausgaben von der Hagens, Bergers und Steingers. Insbe­ sondere die Ausgabe Steingers, auf die er sich im Wesentlichen bezieht, zielt aber bereits auf eine Korrektur und Rückübersetzung des überlieferten Textes in ein Mittelhochdeutsch des 12. Jahrhunderts. Dies ist insgesamt charakteristisch für die Forschung zu den Brautwerbungserzählungen,49 im Fall der Arbeit Teubers

48 Teuber arbeitet nach eigener Aussage mit den Wörterbüchern von Benecke, Müller, Zarncke und Lexer sowie dem Grimmschen Wörterbuch und den Glossaren der DTM (Teuber 1954, 21). 49 Ein erstes Beispiel dafür liefert die Ausgabe des ›Münchener Oswald‹ von Georg Baesecke, aber auch die heute einschlägigen Ausgaben des ›Wiener Oswald‹, der ›Kudrun‹ und des ›Oren­ del‹ beruhen noch auf diesem Prinzip. Wie großzügig besonders die frühen Editoren dabei mit dem überlieferten Text umgingen, zeigt ein Zitat Baeseckes aus seiner Ausgabe des Münchener Oswalds: »Fand man […] Altes und Neues gar zu eng in einander verschlungen? Aber doch nicht so, daß nicht wenigstens die Enden der Fäden sichtbar wären und die Art ihrer Verknüpfung das

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aber besonders prekär, denn insbesondere mit Blick auf die sprachlichen Fein­ heiten, an denen Teuber seine Datierung ja ausrichtet, ergibt sich ein verfälschtes Bild. So zitiert Teuber (ebd., 42) z. B. den Druck D (V. 325): enbleip nie me dan zwene, wohingegen im Druck enbleib nye mer den zwen steht – in Bezug auf die untersuchten Phänome der Auslautverhärtung und Synkope ergeben sich hier völlig unterschiedliche Eindrücke. Dieses Problem verschärft sich überall dort, wo Teuber ganz selbstverständlich mit den Konjekturen Steingers für die eigene Argumentation arbeitet (z. B. S. 47, 49, 55) – und dass, obwohl er selber in seiner Einleitung massive Kritik an der Ausgabe Steingers aufgrund ihrer Ungenauigkeit und Überlieferungsferne übt.50 Man könnte sagen, die Arbeit Teubers leiste weniger eine Datierung des überlieferten ›Orendel‹ als eine Datierung des Editionstextes Steingers, die aber bereits die Rekonstruktion eines Werkes des 12. Jahrhunderts ist, so dass der Versuch eine Entstehung des ›Orendel‹ in dieser Zeit durch sprachliche und formale Kriterien zu erweisen, notwendig in einen Zirkelschluss führen muss. Dieses Problem ist aber nicht so sehr Teuber anzukreiden, der die Schwierigkei­ ten seiner Textbasis ja durchaus sieht, als vielmehr seinen Rezipienten, die diese in ihrer Übernahme seiner Datierung einfach ausblenden. In der Rezeption dieser Untersuchung wird außerdem nicht immer ganz deut­ lich, dass es Teuber keineswegs darum geht, den tradierten ›Orendel‹ zu datieren: Er gibt vielmehr de Boor völlig Recht damit, dass »der Orendel in seiner über­ lieferten Gestalt zunächst dem späten M.A. zugeschrieben werden muß« (ebd., 10) und weist Steingers Rückübersetzung entschieden zurück, da der uns vor­ liegende Orendeltext »zu jung und in seinen drei Formen zu uneinheitlich« sei,

Entwirren lockte und lohnte! […] König Oswald aber, über dessen Gestalt sich greifbar deutlich wie nirgends sonst in der Heimat Geschichte, Legende, Sage und Dichtung die Hände reichen, ist ein Stiefkind der Forschung geblieben, und statt daß jetzt die Kenner aller Feinheiten der Sprache und Technik gegen einander abwägen und die klar aufgeteilten Motive hin und her­ wenden können, um jedes an seinen Platz zu stellen, statt dessen muß erst die gröbste Sonde­ rung vorgenommen und die Grundlage für eine Rekonstruktion hergerichtet werden« (Baesecke 1907, V). Eine solche Textvorlage verfestigt wiederum literaturgeschichtliche Verortungen und entsprechende Interpretationen der Werke im 12. oder 13. Jahrhundert. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass noch in jüngerer Forschung häufig die auf einen Archetypus zielende Edition des ›Salman‹ durch Friedrich Vogt (1880) anstelle der von Alfred Karnein (1979) zitiert wird, weil letz­ tere versucht, einen Lesetext des 15. Jahrhunderts abzubilden (explizit Haug 1988b, 182 Anm. 9). 50 »Vergleicht man daher die überlieferte (n) Hs. bzw. Drucke mit dem Textbild Steingers, so wird bald die mangelnde Sorgfalt und unkritische Haltung des Herausgebers sichtbar. Dieser neue Orendel ist gleichsam eine Umkehrung der Wirklichkeit während im (oft sehr mangelhaf­ ten) Apparat der überlieferte Wortlaut herauszufinden ist, gibt der zusammenhängende Text eine mögliche Vorform wieder« (Teuber 1954, 8; Hervorhebung im Original).



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»als daß man es wagen dürfte, diesem Text des 15. Jh. ein mögliches älteres Aus­ sehen (des 12.Jh.) aufzuzwingen!« (ebd., 9). Teuber selbst geht, wie viele Forscher vor und nach ihm,51 von einer mehrfachen und durchgreifenden Überarbeitung des ›Orendel‹ aus und »so bleibt das Original verdeckt, und es macht nun grosse Mühe, aus dem jüngeren Material die älteren Reste herauszulesen« (ebd., 11). Genau dies will er mit seiner Arbeit leisten und auf sprachlicher und for­ maler Ebene die ›älteren Reste‹ zusammenstellen. Für diesen Zweck ist es dann auch nicht problematisch, wenn die jeweilige Belegdichte in den meisten Fällen sehr gering ist.52 Will man aber, neueren philologischen Positionen folgend, den überlieferten Text als unhintergehbare Form ernst nehmen, ist der Erkenntnis­ wert dieser Spurensuche für die Datierung eher gering. In seiner Untersuchung erlaubt die Vorstellung der mehrfachen Überarbeitungsschritte Teuber außer­ dem, alle Indizien, die für eine späte Entstehung des Textes sprechen, als nach­ trägliche Zutaten abzutun. Beispielsweise seien hier nur die Argumentationen für die Flexionsform mannen und die Steigerung durch Adverbien genannt.53 Dass Teuber also zu seiner Datierung des ›Orendel‹ in das 12. Jahrhundert kommt, liegt zum einen daran, dass er gezielt nach den vereinzelten Indizien sucht, die (auch schon) früh in anderen Texten belegt sind und alle Phänomene, die auf eine spätere Zeit deuten, als nachträgliche Zutaten konsequent ausblen­ det. Zum anderen befördern sowohl die seiner Untersuchung zu Grunde liegende mangelhafte Textbasis als auch das unsystematische, schmale und in keiner Weise repräsentative Vergleichscorpus dieses Ergebnis. Wenn aber nur einzelne Wörter, rekonstruierte Reime und vereinzelte grammatische Archaismen auf das 12. Jahr­ hundert als Entstehungszeit einer nicht mehr herzustellenden Vorstufe weisen, gibt es eigentlich nur einen plausiblen Grund, ein Werk in diese Zeit zu datieren: weil man es so will. Das kann aber keine Grundlage für die wissenschaftliche Auseinandersetzung sein und die Ergebnisse Teubers müssen mit der geboten Vorsicht rezipiert werden. Auch wenn die genaue Überprüfung und Widerlegung der Beispiele im Einzelnen im Rahmen dieser Einleitung nicht zu leisten ist,

51 von der Hagen 1844, XXI; Vogt 1890, 487; Vogt 1891, 496; Beer 1891, 493; Vogt 1894, 407 f.; Schneider 1943, 248; Curschmann 1989, Sp. 44; Embach 1996, 796; Masser 2002, 361. 52 Beispielhaft seien hier die vollen Nebensilbenvokale genannt, für die Teuber im gesamten Text nur drei Belege findet, von denen zwei sich auf Konjekturen beziehen und die dritte nur in der verbrannten Handschrift belegt ist, die Teuber nur im Abdruck v.d. Hagens und in den Apparaten der anderen Ausgaben rezipieren kann (Teuber 1954, 21 f.). 53 Zu mannen s. Teuber 1954, 25. Zum Gebrauch von harte als Steigerungsadverb sagt er bei­ spielsweise: »So stände der Orendel im Gebrauch von ›harte‹ als Steigerungsadverb Rüdiger von Hünchoven näher als Hartmann von Aue oder gar den Herzog Ernst-Fragmenten. Aber für eine Chronologie bedeuten diese geringen Zahlen nur wenig, denn eine Überarbeitung in spätmhd. Zeit stand für unsere Dichtung von vornherein fest!« (ebd.,42).

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liefern sie insgesamt aufgrund der Schwächen ihrer methodischen Grundlagen in keinem Fall einen handfesten Beweis der Entstehung des ›Orendel‹ – weder in einer für uns grundsätzlich verlorenen Vorstufe und noch viel weniger in seiner überlieferten Gestalt – im 12. Jahrhundert. Vor diesem Hintergrund erlangen diejenigen Stimmen zusätzliches Gewicht, die eine Datierung des ›Orendel‹ in eine solch frühe Zeit generell für unbeweisbar oder zumindest unbewiesen halten. Schon 1880 formuliert Hermann Paul diese Position von der Beschäftigung mit dem ›Salman‹ ausgehend deutlich, weil die Existenz eines Originals aus dem 12. Jh. ebenso wie bei dem verwandten Gedichte von Orendel höchst problematisch scheint. So lange keine besseren Beweise vom Gegentheil beigebracht sind als bisher, dürfte es doch wohl gerathener sein, den Morolf wie den Orendel einfach als Werke des 14. Jh.’s zu betrachten (Paul 1880, Sp. 9).

Diesem Rat, den Wunsch nach der Wiederherstellung eines ›Originals‹ aus dem 12. Jahrhundert aufzugeben und die Texte in ihrer spätmittelalterlichen Überliefe­ rung ernst zu nehmen, haben sich – mit unterschiedlicher Konsequenz – immer wieder Forscher angeschlossen. Noch im 19. Jahrhundert argumentiert Friedrich Vogt in eine ähnliche Richtung, erwägt besonders auch die spätmittelalterlichen Elemente des ›Orendel‹ und lehnt jede konkrete Datierung explizit ab.54 Die in der gleichen Zeit entstandene Monographie von Richard Heinzel liest sich insgesamt als Plädoyer, mit dem überlieferten Text zu arbeiten, und dementsprechend deut­ lich macht er auch die spätmittelalterlichen Eigenheiten des ›Orendel‹ und die Nähe zu anderen Werken des 14. Jahrhunderts sichtbar (Heinzel 1892). Julius Schwietering betont den prozessualen Charakter mittelalterlicher Überlieferung, vor deren Hintergrund jeder Versuch einer Wiederherstellung verlorener ›Originale‹ scheitern muss (Schwietering 1941, 113). Ohne im Rahmen seiner Einführung zur Legende näher auf Gründe einzugehen, stellt Hellmut Rosenfeld fest, dass mancherlei dafür spricht, »daß die überfüllte Dichtung kein Spielmannsgedicht des 12. Jh.s, sondern Versroman des 14./15. Jh.s ist« (Rosen­ feld 1961, 49). Besonders deutlich spricht sich Helmut de Boor wiederholt dafür aus, dass der ›Orendel‹ in seiner überlieferten Gestalt dem späten Mittelalter zugehörig und die Existenz einer älteren Fassung des 12. Jahrhunderts gänzlich unsicher sei.55 Zuletzt hat Rüdiger Brandt diesen Zweifel in einem grundlegenden

54 Vogt 1890, bes. S. 476; Vogt 1894, bes. S. 407. 55 In seiner Literaturgeschichte setzt sich de Boor (81951, 249) damit auseinander, dass er ›Ore­ ndel‹, ›Salman‹ und ›Oswald‹ der wissenschaftlichen Konvention folgend im 12. Jahrundert be­ handelt: »Wir behandeln die Legendenromane, darstellerischer Gewohnheit folgend, dennoch an dieser Stelle. Wir sind uns jedoch klar darüber, daß die Originale des 12. Jahrhunderts, auch



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Aufsatz weiter verfolgt und demonstriert, dass die Brautwerbungserzählungen im Spätmittelalter nicht nur literarisch, sondern auch kulturgeschichtlich aus­ gesprochen anbindungsfähig sind.56 Dementsprechend entschieden plädiert er

wenn sie bestanden haben, mit keiner Scheidekunst mehr wiederzugewinnen sind. Alle von Widersprüchen des Inhalts oder Aufbaus ausgehenden Versuche, Schichten der Übermalung abzutragen, gehen von einer Verkennung der kompositorischen Grundsätze aus und tragen For­ derungen einer logischen und psychologischen Einheitlichkeit an diese Gedichte heran, die dem Stil der Ketten und selbständigen Erzählgliedern nicht gerecht wird. Es ist sehr möglich, daß die Gedichte des 12. Jahrhunderts sehr anders ausgesehen haben als die erhaltenen Texte. Aber wir können nichts tun als die Gedichte als Ganzes so nehmen, wie wir sie besitzen; alles andere wäre historische Verfälschung.« Darüber hinaus stellt er auch deutlich spätmittelalterliche Merkmale fest und fordert eine gründliche Neuuntersuchung dieser Frage: »Für ›Oswald‹ und ›Orendel‹ geschieht die Rückdatierung lediglich aus literarischen Erwägungen; stilistische Eigenheiten und die Beliebtheit von Brautwerbungsgeschichten in der vorhöfischen Epik lassen eine Vor­ stufe des späten 12. Jahrhunderts denkbar erscheinen. Doch die stilistische Begründung hält kaum stich; namentlich für den ›Orendel‹ ließe sich eine stilistische Zuordnung zum spätmit­ telalterlichen Balladenstil durchführen. Und das stoffliche Element ist ebensowenig zwingend; die weite Verbreitung und große Beliebtheit des ›Apolloniusromans‹ – der das Grundschema des ›Orendel‹ liefert – im späten Mittelalter würde das Auftreten anderer Brautwerbungsgeschichten im 14./15. Jahrhundert wohl begreiflich machen. Der massive, holzschnitthafte Wunderglaube, die Zurichtung des Stoffes auf ein wirkliches Massenpublikum weisen eher auf die späte als auf die frühe Zeit. Der Zweifel der älteren Forschung an dem hohen Alter beider Gedichte scheint mir nicht unbegründet; die ganze Frage ist neuer Untersuchung wert« (de Boor 81951, 248 f.). Noch deutlicher äußert sich de Boor 1965 (Bd. 2, 1861 f.): »›Orendel‹. Legendenroman, erst im 15./16. Jh. überliefert und in seiner jetzigen Gestalt sicher ein Werk der Spätzeit, des 14. oder erst 15. Jh.s. Ein alter Kern des späten 12. Jh.s wird ohne Möglichkeit der Rekonstruktion und vielleicht über­ haupt zu Unrecht angenommen.« 56 »Aus dem Zeitraum des 15. und 16. Jhs. werden die ›legendenhaften Spielmannsepen‹ trotz ihrer Überlieferung dagegen völlig exkludiert, obwohl es dort für sie relevante inner- und außer­ literarische Kontexte gibt. ›S&M‹ stünde im 12./13. Jh. völlig isoliert, besitzt aber mit 4 vollständi­ gen Hss., einem Fragment und zwei Drucken im 15. Jh. einen beachtlichen Überlieferungskom­ plex, der hinsichtlich spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Interessenlagen an Gewicht gewinnt, wenn man an die Spruchdichtungen von ›Salomon und Markolf‹ seit dem 14. Jh. sowie deren Dramatisierungen (Folz, Sachs) denkt. Den Zusammenhang der Handschrift (15. Jh.; nicht erhalten) und der beiden Drucke /1512) des ›Or‹ mit der Trierer Reliquienverehrung macht sogar Bumke selbst deutlich. Im Fall des ›Osw‹ dagegen wird eine entsprechende Aktualität dadurch verstellt, dass er nur bemerkt: ›Der Oswald-Kult war im 12./13. Jahrhundert vor allem in Süd­ deutschland verbreitet‹. Damit wird dann letzten Endes doch suggestiv die These einer frühen Entstehung zementiert; aber Oswald-Verehrung in Deutschland war weder regional begrenzt, noch hat sie im Spätmittelalter abgenommen« (Brandt 2005, 24). Zu diesem letzten Punkt ließe sich darüber hinaus noch ergänzen, dass der Nothelfer-Kult um Oswald, der ja im ›Oswald‹ am Ende des Textes fiktiv durch Christus selbst ›begründet‹ wird, erst für das 14. Jahrhundert zu belegen ist (Göller 1982, 314 f.).

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dafür, diese Textgruppe in ihrer tatsächlich überlieferten Form ernst zu nehmen und in dieser Form als Zeugnisse der Zeit ihrer Überlieferung zu lesen. Die fünf Epen sind in den Textformen, in denen sie überliefert sind, literaturgeschichtlich in funktionaler, literatursoziologischer, mentalitätsgeschichtlicher, stilgeschichtlicher und manch anderer Hinsicht ausschließlich den Zeiträumen zugehörig, in welche die einzel­ nen Überlieferungsträger verweisen. Lediglich stoffgeschichtlich kann bzw. muss man von dieser Zuordnung eine Ausnahme machen. Dass es sich jedoch um ältere, zum Teil sehr alte Stoffe handelt, kann nicht dazu führen, dass man weiter mit fiktiven Vorformen operiert und diese zum Bestandteil einer deutschen Literaturgeschichte zwischen (ungefähr) 1150 und 1190 macht (Brandt 2005, 41).

Dieser deutlichen Absage an eine Suche nach frühmittelalterlichen ›Originalen‹ und den damit verbundenen literaturwissenschaftlichen Konzepten schließt sich Christian Kiening an und lehnt das »germanistische Fantasma einer ›Spiel­ mannsepik‹ des 12. Jahrhunderts« insgesamt ab (2009, 389).57 Daraus ergeben sich für diese Arbeit mehrere Schlussfolgerungen. Zum einen erscheint es geboten, die Datierung der Brautwerbungserzählungen in das 12. Jahrhundert nicht unkritisch zu übernehmen. Selbst wenn es in dieser Zeit bereits Vorformen der überlieferten Werke gegeben haben sollte, führt kein Weg zu ihnen zurück. Es wird daher konsequent mit den überlieferten Formen gear­ beitet werden. Zum anderen soll bei den kulturellen Kontextualisierungen, die den methodischen Zugang der Arbeit grundlegend bestimmen, immer auch eine späte Entstehung der Brautwerbungserzählungen offen gehalten werden. Zudem erscheint es geboten, die Frage der Datierung für jeden Text einzeln zu stellen. Da das eigentliche Thema der Arbeit aber nicht die Datierung der Brautwerbungser­ zählungen ist, kann dies nur eine methodische Prämisse sein. Eine umfassende Untersuchung zu diesem Problemfeld, die die Forschungsgeschichte mit Bezug auf die Argumente der Datierung für alle Texte aufarbeitet, diese selbst sprachund literaturwissenschaftlich auswertet und mit Blick auf ihre Entstehungszeit kulturell kontextualisiert, wäre dringend notwendig und sicherlich reizvoll.

57 Für den ›Salman‹ formuliert Armin Schulz (2002, 248 Anm. 24): »Die überlieferten Hand­ schriften, deren Varianzen sich in überschaubaren Grenzen halten […] stammen ausschließlich aus dem späten 15. Jahrhundert; eine Rückdatierung auf das 12. Jahrhundert, wie sie der älteren, stark normalisierenden Textausgabe von Friedrich Vogt zugrunde liegt, erscheint damit höchst problematisch: Entweder ist der Text tatsächlich ein Produkt des 15. Jahrhunderts, oder er wurde in diesem Zeitraum zumindest stark umgearbeitet.«



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Die Suche nach der verlorenen Erzählung Eng verbunden mit den Fragen der Datierung ist die Situierung der Brautwer­ bungserzählungen an der Grenze von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, die ins­ gesamt ein Problem für die germanistische Mediävistik darstellt.58 Ohne in diese umfangreiche und immer noch aktuelle Forschungsdiskussion zu tief einsteigen zu wollen, lässt sich festhalten, dass Versuche, ›Mündliches‹ in den schriftlich überlieferten Werken festzumachen, gescheitert sind. Die mündliche Literatur des Mittelalters ist uns grundsätzlich nicht mehr zugänglich: Was überliefert ist, ist nicht mehr mündlich, und was nur mündlich ist, ist nicht überliefert. Dies gilt umso mehr, als Mündlichkeitssignale, als gezielt eingesetzte literarische Strategie des Fingierens und nicht als Reflex einer unmittelbaren Verschriftung gewertet werden müssen. Die andauernde Verortung der ›Spielmannsepen‹ auf der Grenze von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit erfolgt jedoch aus einer in sich bereits höchst problematischen Argumentationslogik heraus, die im Folgenden hinterfragt werden soll. Es wurde bereits erwähnt, dass man die stofflichen Ursprünge der Volksoder Naturpoesie zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Sagen und Mythen vermutet hat. Bei dieser Ursprungssuche versuchte man ebenfalls, die Brautwerbungs­ handlung, die die ›Spielmannsepen‹ mit ›Ortnit‹ und ›Kudrun‹ aber auch mit dem ›Tristan‹ und dem ›Nibelungenlied‹ verbindet, als ›Brautwerbungssage‹ oder ›Brautwerbungsmythos‹ zu erklären.59 Es galt, die tatsächlich überlieferten Texte,

58 Das Forschungsfeld umfasst die Diskussion mündlicher Literaturproduktionsweisen (memo­ rierend vs. improvisierend, zusammenfassend s. Ebenbauer 2001), Fragen nach der zeitgenös­ sischen Rezeption (hörend vs. lesend) und darüber hinausgehende Implikationen eines ›oral state of mind‹ und die Zusammenhänge von Mündlichkeit und Gedächtniskultur (z. B. A. Ass­ mann; J. Assmann; Hardmeier 1983, J. Assmann 1992). Für das Mittelalter hat sich die von Ursula Schäfer in Anlehnung an die Terminologie Paul Zumthors entwickelte Kategorie der Vokalität, »die beides – die Tatsache, daß Schriftliches existierte, wie auch die Tatsache, daß man oralaural damit umging – auf besondere Weise in sich vereint« (1992, 92) als produktiv erwiesen. Zusammenfassend s. auch Schmid-Cadalbert 2000, eine kritische Reflexion liefert Deutsch 2003. 59 »1853 behauptete H. Leo aufgrund von Ähnlichkeiten, daß die Brautwerbungssage von Karna in der ›Mahābhārata‹ mit der Siegfriedsage identisch sei. Ein Jahr später vertrat Holtzmann in seinen ›Untersuchungen über das Nibelungenlied‹ die Ansicht, die Ähnlichkeit der Karna- und der Siegfriedsage sei nicht mythologisch zu deuten, sondern sie lasse auf ein großes nationales Epos schließen, das in indogermanischer Urzeit in Asien entstanden und von den Germanen nach Europa gebracht worden sei. Damit widersetzte er sich nicht nur einer mythologischen Sinndeutung, sondern brach auch die kaum angefochtene Hegemonie der Lachmannschen Lie­ dertheorie, welcher auch Heusler 1905 in einer programmatischen Abhandlung entgegentrat. Populär wurde die von Benfey in den Studien zur ›Pantschatantra‹ (1859) vertretene Wanderthe­ orie mit Indien als Urheimat der Märchen und der Wanderung der Erzählstoffe von Volk zu Volk.

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auf ihren mythischen Ursprung hin durchsichtig zu machen, die durch Zeit und Bearbeiter verschüttete Sage zu rekonstruieren.60 Es verwundert nicht, dass man Chancen hierfür bei den als mündlichkeitsnah wahrgenommenen ›Spielmanns­ epen‹ und ihren nahen Verwandten in der Heldenepik61 sah und vor dem Hinter­ grund der geringen Wertschätzung der überlieferten Form dieser Texte besonders bemüht war, zu ihrer ursprünglichen Gestalt zurückzukehren.62 Die weite Ver­ breitung von Brautwerbungserzählungen in unterschiedlichsten Werken, Sagen und Märchen63 hat diese Tendenz weiter befördert, wie Christian Schmid-Cadal­ bert ausführt: Forschungsgeschichtlich hatte die enge motivische Verwandtschaft der mittelhochdeut­ schen Brautwerbungsdichtungen mit Mythen-, Märchen- und Sagenstoffen zur Folge, daß die meisten von ihnen als Dichtungen des 12. oder 13. Jahrhunderts fast niemanden interessierten. Sie fanden höchstens als Motivhorte Beachtung, die es motivgeschichtlich auszubeuten galt, oder als depravierte Endprodukte einer literarischen Tradition, die zur Rekonstruktion der »Urtexte« herhalten mußten. Dies führte dazu, daß vielen dieser Dich­ tungen kaum der Status dichterischer Texte zugesprochen wurde; man betrachtete sie als

Mythologische Sinndeutung und Wandertheorie verband Vogt bei der Erschließung einer ger­ manischen Brautwerbungssage auf mythischer Grundlage. Müllenhoff rekonstruierte auf einer ähnlichen Basis eine austrasische Dietrichdichtung und erklärte den ›König Rother‹ als Kon­ taminationspunkt derselben mit einem Brautwerbungsmythos« (Schmid-Cadalbert 1985, 25 f.). 60 »Denn je älter, so das Credo, desto echter und unmittelbarer, und dieses Begehren ist in den frühen wissenschaftlichen Projekten deutlich spürbar. In der historischen Philologie artikuliert sich der Wunsch nach dem Kern, dem ältesten Ur-Text, aus dem alles Weitere hervorgegangen sein wird – letztlich wohl ein religiöses Motiv, das im 19. Jahrhundert mit beträchtlicher Verve auf die Ergründung nationaler historischer Schriften übertragen wurde. Die Texte sollten auf ihre ältesten Versionen zurückgeführt und im Druck einem gebildeten Publikum zugänglich gemacht werden« (Groebner 2008, 65), 61 Die Grenze zwischen ›Spielmanns-‹ und Heldenepik erschien schon immer durchlässig, da man in beiden letzte Reste der Volks- und Naturpoesie zu erkennen meinte (Behr 2003, 475). Auch für Heldenepik wurde mit Spielleuten als Bewahrer und Bearbeiter gerechnet, wie Helmut de Boor kritisch referiert: »Sein Bereich [der des Spielmanns] spannt sich aber noch weiter; er gilt zugleich als Bewahrer und Fortbildner der heroischen Epik […] und als Schöpfer ihrer neuen Gestalt im breiten Heldenroman von der Art des Nibelungenliedes« (de Boor 81951, 250). 62 Diese Verteilung der Wertschätzung zwischen vermuteter Urform und überliefertem Werk wird schon in dem Urteil Gervinus’ über ›Rother‹ deutlich: »Was aber mochte das für ein Volks­ gedicht sein, das, wie die Quelle des Rother, nicht einmal seine Heimat, seinen Namen, seine Geschlossenheit, seine Hauptfacten, seinen Charakter und Geist, seine eigenthümlichsten Schönheiten behaupten konnte, sondern bis auf die letzten Spuren vertilgt hat: denn was ist vom Rother in der Erzählung der Vilkinasage zu erkennen, als der Rumpf vom Gerippe? oder was hat Rother von Dieser Erzählung beibehalten, als die vagsten Züge? oder was daran gescheut und unverändert und unveräußert gelassen?« (Gervinus 1835, 185). 63 Eine Zusammenstellung solcher Texte liefert Geißler 1955.



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mehr oder weniger geschickt verfertigte Flickwerke unterschiedlich begabter Kompilatoren (Schmid-Cadalbert 1985, 14).

Die Orientierung am Gemeinsamen, Reinen und Ursprünglichen änderte sich auch nicht mit dem methodischen Übergang von mythologischer Deutung hin zu stärker strukturell orientierten Untersuchungen. Hermann Tardel prägte als erster den Begriff des ›Brautwerbungsschemas‹ (Tardel 1894, 43), der dann von Georg Baesecke aufgenommen wurde (Baesecke 1907, 66). Bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein wurde besonders die (geographische) Herkunft der ›Brautwerbungssage‹ intensiv diskutiert und dabei sowohl eine orientali­ sche Salomosage als auch skandinavische Quellen oder russische Märchen in Anschlag gebracht.64 Diese Suche nach einer zu rekonstruierenden ›Ursprungssage‹ und ihrer Ent­ wicklung zu den überlieferten Werken hin, erfuhr durch die folgenden struktura­ listischen Untersuchungen sowohl eine Korrektur als auch eine Weiterführung: Eine Korrektur, weil die Konstruktion von hypothetischen Stammbäumen der Erzählungen zugunsten einer vergleichenden Untersuchung der gegebenen Werke aufgegeben wurde – eine Weiterführung, weil die konkrete Form der überlieferten Texte weiterhin hinter die gemeinsamen, über­individuellen Linien zurücktreten musste. Der Versuch Vladimir Propps, alle russischen Zaubermärchen auf eine gemeinsame Strukturformel zurückzuführen,65 inspirierte ähnliche Ansätze in der Erforschung des ›Brautwerbungsschemas‹. So untersuchten Theodor Frings

64 S. dazu zusammenfassend Schmid-Cadalbert 1985, 26 ff. 65 Eine leicht veränderte Neuauflage erschien 1969 und bildet die Basis für die benutzte Über­ setzung (Propp 1972). Propp versucht durch die Herausarbeitung der gemeinsamen Elemente der Zaubermärchen diesen Erzähltyp zu definieren und von anderen Typen abzugrenzen: »Wir wollen die einzelnen Sujets dieser Märchen untereinander vergleichen. Zu diesem Zweck iso­ lieren wir die Bestandteile von Zaubermärchen nach speziellen Methoden und vergleichen an­ schließend auf dieser Basis die einzelnen Märchen. So gelangen wir zu einer morphologischen Darstellung, d.h. zu einer Beschreibung der Märchen auf der Grundlage ihrer Bestandteile sowie deren Beziehungen untereinander und zum Ganzen« (ebd., 25). Die Handlung aller Zaubermär­ chen lasse sich dadurch in 31 invariante ›Funktionen‹ unterteilen, die sich 7 Handlungskreisen (z. B. Held, Gegenspieler, Schenker, etc.) zuordnen lassen (ebd., 79). Mehrere Handlungskreise können dabei in einer Figur zusammenfallen oder ein Handlungskreis kann sich auf mehrere Figuren verteilen. Es müssen auch nicht alle Funktionen in jedem Märchen realisiert sein. Das erstaunliche an Propps Analyse ist jedoch, dass die Reihenfolge der realisierten Funktionen in allen Märchen stabil bleibt: »Zur Gruppierung der Funktionen ist vor allem zu sagen, dass bei weitem nicht jedes Märchen sämtliche Funktionen enthält, was aber das Gesetz der Reihenfolge in keiner Weise beeinflußt, denn das Fehlen einzelner Funktionen verändert nicht die Anord­ nung der übrigen Funktionen« (ebd., 28). Dies ermöglicht ihm eine invariable ›Strukturformel‹ des slawischen Zaubermärchens aufzustellen.

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und Max Braun die in slawischen Volksliedern enthaltenen Brautwerbungen in Hinblick auf die sie verbindende Handlungsformel66 – ein geplanter zweiter Band zu den mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen blieb leider aus. Diese Lücke wird in den folgenden Jahren von mehreren Forschern gefüllt. Geschlossen wird sie aber erst mit der Arbeit von Christian Schmid-Cadalbert aus dem Jahr 1985, der die unterschiedlichen Überlegungen einer überindividuellen Struktur­ formel der mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen verbindet und zu einem ausdifferenzierten ›Brautwerbungsschema‹ hin weiterentwickelt.67 In dieser Arbeit stellt er unter anderem ein Korpus derjenigen mittelhoch­ deutschen Werke zusammen, die so grundlegend durch die Brautwerbungshand­ lung geprägt sind, dass sie als eigenständige literarische Gruppe der Brautwer­ bungsdichtungen gelten können: ›Kudrun‹, ›Ortnit‹, ›Oswald‹, ›Rother‹, ›Salman‹ und der nur fragmentarisch erhaltene ›Dukus Horant‹.68 Mit dieser Kategorienbil­ dung wird die alte Bezeichnung ›Spielmannsepik‹ im Grunde überflüssig. Denn nur der ›Herzog Ernst‹, der ja ohnehin häufiger ausgesondert worden war (s.o.), geht nicht in dieser neuen Textgruppe auf. Alle anderen Werke werden mit den beiden, gewöhnlich der Heldenepik zugeordneten Werken ›Ortnit‹ und ›Kudrun‹ kombiniert. Die Begründung dieser Textgruppe stellt einen wichtigen Einschnitt und Neubeginn in der Erforschung der mittelhochdeutschen Brautwerbungser­ zählungen dar. Genau diese Werke sollen daher in der vorliegenden Studie ver­ gleichend untersucht werden. Der ›Dukus Horant‹ muss jedoch aufgrund der thematischen Orientierung der Arbeit ausgeschlossen werden, da er in seiner

66 Frings und Braun (1947) entwickelten gegenüber Propp ein deutlich flexibleres Strukturmo­ dell, das Christian Schmid-Cadalbert wie folgt zusammenfasst: »Ausgangspunkt einer Lieddich­ tung ist das ›Thema‹ (inhaltliche Grundidee), das eine erste Konkretisierung erfährt durch Ver­ knüpfung mit einem ›Handlungsschema‹. Durch das Handlungsschema werden die Ideen und Vorstellungen des Themas in erzählbare Vorgänge umgesetzt; die abstrakte Idee verbindet sich mit einem Handlungsgerüst. Das Handlungsschema wird in einem zweiten Konkretisierungsver­ fahren aufgelöst in ›Motive‹ und ›Teilthemen‹. Motive sind die nach dem gewählten Handlungs­ schema geformten und geordneten inhaltlichen Bausteine. Alle Motive bilden die ›Motivkette‹, welche der aus dem Thema durch Vermittlung des Handlungsschemas gewonnen Liedfabel ent­ spricht. Die Motivkette ist insofern der individualisierende Faktor im System der Gestaltungsmit­ tel, als aus ein und demselben Thema verschiedene Motivketten bzw. Liedfabeln gewonnen wer­ den können. Das Motiv wird seinerseits gestaltet durch eine ›Handlungsformel‹ oder eine Kette von Handlungsformeln. Eine Handlungsformel ist der äußere Vorgang, durch den das einzelne Motiv erzählbar gemacht wird […] Brautwerbung kann im untersuchten serbischen Liedkorpus sowohl Handlungsformel als auch Handlungsschema bzw. durchkomponiertes, selbständiges Liedthema sein« (Schmid-Cadalbert 1985, 28 f.). 67 Eine Übersicht der Untersuchungen zum ›Brautwerbungsschema‹ gibt er ebd., 28–39. 68 ebd., 79. Darüber hinaus nennt er noch ›Dietrichs Flucht‹, ›Nibelungenlied‹, ›Tristan‹ und ›Wolfdietrich‹ als Werke, die zum Teil von diesem ›Schema‹ bestimmt würden.



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fragmentarischen Form nicht für eine Analyse interreligiöser Konflikte fruchtbar zu machen ist. Doch auch über die Begründung der Textgruppe hinaus war die Studie Schmid-Cadalberts einflussreich und wird in der aktuellen Forschungsdiskus­ sion fast immer zitiert, wenn es um die Brautwerbungserzählungen und das sie verbindende literarische Muster geht69 – es ist daher nicht übertrieben zu sagen, dass das von ihm entworfene ›Brautwerbungsschema‹ kanonische Bedeutung erhalten hat. Er definiert es in dreifacher Hinsicht: als Raumstruktur, als Vertei­ lung der Handlungsrollen und als zehn zu durchlaufende Handlungsfixpunkte. Die Raumstruktur sei dreiteilig in das Reich des Werbers, das Reich des Brautva­ ters und ein dazwischen liegendes Meer getrennt, die Handlungsrollen verteilten sich grob auf die Räume des Werbers einerseits und den der Braut andererseits. In direkter Anlehnung an Propp sind auch für Schmid-Cadalbert Handlungsrol­ len und Figuren nicht identisch, vielmehr können mehrere Handlungsrollen in einer Figur zusammenfallen oder eine Handlungsrolle auf mehrere Figuren ver­ teilt sein. Auf der Seite des Werbers finden sich z. B. der »Nenner«, der »außerge­ wöhnliche Helfer« und der »Bote«. Die Handlung jeder Brautwerbungserzählung müsse weiterhin 10 Handlungsfixpunkte durchlaufen, die sowohl in der Raum­ struktur fest verortet als auch an bestimmte Handlungsrollen gebunden sind.70 Der Entwurf dieses Erzählschemas führt zu zwei Problemen, wobei eines schwerer wiegt als das andere. Zunächst zu dem weniger Schwerwiegenden: Keine der Brautwerbungserzählungen erfüllt das Schema in vollem Maße: Zum Beispiel, weil der Held nicht mit dem Brautvater, sondern einem Konkurrenten kämpfen muss (›Rother‹, ›Salman‹) oder es überhaupt keinen Brautvater gibt (›Orendel‹), nicht die Entführung der Braut, sondern erst ihre Rückentführung eine Ehe zur Folge hat (›Kudrun‹), die Kemenaten­szene Teil der Botenfahrt ist (›Oswald‹) oder die Botenfahrt erst nach der Landung des Heeres im Gebiet des Brautvaters nachgeholt wird (›Ortnit‹). Es ließen sich noch zahlreiche weitere Abweichungen und Varianten finden – das muss die heuristische Beobachtung tendenzieller Gemeinsamkeiten aber nicht wertlos machen. Zumal Schmid-

69 Z. B. von Bloh 2002, 248 Anm. 361; Kiening 2007, 78 Anm. 2. 70 Diese Fixpunkte sieht er in: 1. Ratsszene, 2. Botenbestimmung und -fahrt, 3. Hilfe­verpflichtung der Dienstleute, 4. Landung am heimlichen Ort, 5. Gang des Werbers vom heimlichen Ort zur Re­ sidenz des Brautvaters (3. bis 5. nur bei einer Heerfahrt des Werbers s. o.), 6. Kemenatenszene, 7. Entführung der Braut, 8. Kampf zwischen Werber und Brautvater, 9. Heimführung der Braut und 10. Hochzeit (ebd., 83 ff.). Einen Handlungsfixpunkt definiert er als »ein überindividuelles Handlungselement […], das an bestimmte Orte der Raumstruktur sowie an bestimmte Hand­ lungsrollen gebunden ist und im Handlungsablauf seinen festen Platz hat« (Schmid-Cadalbert 1985, 87).

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Cadalbert angibt, wie schon Baesecke (1907, 266) und Curschmann (1964, 40) vor ihm, besonders an diesen Abweichungen interessiert zu sein (Schmid-Cadalbert 1985, 20, 23). Dennoch sollte vor diesem Hintergrund eine gewisse Vorsicht in Hinblick auf die Belastbarkeit des entwickelten Erzählmodells gewahrt werden, das für keinen Text trägt. Gravierender ist eine Verschmelzung des durch Abstraktion gewonnenen Handlungsschemas mit der Sinnebene der Texte. Das Ziel von Schmid-Cadalbert ist es, die Texte vom Vorwurf der bloßen Unterhaltungsliteratur zu befreien und sie als Reflexionsmedium von Normen und Werten zu erweisen.71 Diese Reflexion erfolge durch die über das Schema gesteuerten Rezeptionserwartungen und die Möglichkeiten, sie zu durchkreuzen. Jede der oben beschriebenen Abweichungen wertet Schmid-Cadalbert daher als Schemabruch72 – also intendierte und mar­ kierte Nicht-Einhaltung der Normen und Werte vermittelnden, voraussagbaren »Antierzählung«: Das abstrahierbare, idealtypische Schema ist sozusagen die Antierzählung. Es dient nur der Norm- und Wertvermittlung, ist daher voraussagbar und uninteressant. Erst in der Abwei­ chung vom Schema, im Schemabruch, vermittelt der sich des Schemas bedienende Autor thematischer Relevanz. Schemabrüche signalisieren, welche Normen und Werte zur Dis­ kussion gestellt werden, und geben dem erzählten Text als Schemaindividuation die Funk­ tion eines Verhaltensentwurfes (ebd., 29).

Das Brautwerbungsschema avanciert vom heuristischen Instrument des Interpre­ ten zum normativen, textgenerierenden Erzählmodell, ohne dass dieser Zirkel­

71 »Brautwerbungsdichtungen wurden in dieser frühen Phase der Untersuchung des Schemaas­ pekts meist verstanden als auf der Basis dieses tradierten Motivfundus weigehend zufällig und regellos ›gebastelte‹ Texte, welche eine immer unersättlicher werdende Unterhaltungslust mit stets neuen und umfangreicher werdenden Geschichten zu befriedigen hatten. Gegenüber der ›höfischen‹ Literatur wurden deshalb diese Texte als minderwertig eingestuft. Eine Neueinschät­ zung des Schemaaspektes von Brautwerbungsdichtungen bewirkten nach Frings und Braun vor allem Kuhn, Curschmann und Siefken. Sie wiesen dem Brautwerbungsschema die Funktion einer stoffgestaltenden Form zu, einer Geschichten-Matrix, welche die Rezeptionserwartung in einer bestimmten Weise ausrichtet und zugleich, da gezielt variierbar, die literarische Reflexion und Erprobung von Handlungs- und Verhaltensweisen erlaubt« (Schmid-Cadalbert 1985, 39). Der Ansatz, als ›schlechte Literatur‹ eingestufte Texte über ihre spezifischen Wege, soziale Normen zu hinterfragen und auszuloten, wieder in die Forschungsdiskussion einzubinden, ist vielver­ sprechend – es bleibt aber zu fragen, ob die textinterne Reflexion wirklich über die Brechung eines etablierten Schemas als Antierzählung funktioniert. 72 »Den ›Leitcharakter‹ der Handlungsfixpunkte kann man daran erkennen, das a) eine Nicht­ realisation explizit verhindert wird, b) eine Nichtrealisation gravierende Folgen für die weitere Handlung hat oder c) eine vorläufige Nichtrealisation nachträglich korrigiert wird. Die Nichter­ füllung eines Handlungsfixpunktes muß als Schemabruch gewertet werden« (ebd., 87).



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schluss reflektiert würde: Durch die Eliminierung aller individuellen Züge und die Konstruktion einer Metaerzählung, die allen Texten im Großen und Ganzen, aber keinem im Genauen entspricht, wird eine ›reine‹ Form des Schemas gewon­ nen – um dann im nächsten Schritt genau die zuvor eliminierten individuellen Züge als Brüche zu klassifizieren.73 Diese Überblendung von Erzählgrammatik und Sinnebene kann jedoch noch weiter getrieben werden, indem dem Erzählschema eine inhaltliche Deter­ mination zugeschrieben wird. So wird der Brautwerbung per se die Sicherung von herrscherlicher Macht im Zusammenhang eines feudalen Personenverban­ des durch die Zeugung eines Erben unterstellt74 und im Kurzschluss zwischen Schema und Sinn bald zu einer unhintergehbaren ›Prämisse‹ des Schemas, einer ideologischen Norm erklärt.75 Doch auch diesen unterstellten, ›feudalen‹ Sinn­ gebungen fügen sich die Texte in ihrer überlieferten Form nicht, so dass Armin Schulz konstatiert: Die mündliche Erzähltradition, in der die Ursprünge des feudalen Brautwerbungsschemas zu suchen sind, ist uns nicht mehr zugänglich. In der schriftlichen Überlieferung jedoch finden wir so gut wie nie die narrative und ideologische Norm, wie sie vor allem Christian Schmid-Cadalbert mit beeindruckender Klarheit aus dem vorhandenen Material rekonstru­ iert hat. Im Gegenteil: Wir finden beinahe überall nur Abweichungen vom Idealtypus. Das feudale Brautwerbungsschema ist somit nichts als ein heuristisch wertvolles Konstrukt. Es hat keinen Rückhalt in der Realität der Überlieferung (A. Schulz 2002, 249).

73 So auch Kiening 2007, 78: »Pointierterweise ist eben dort, wo der Typus am dominantesten scheint, seine Bedeutungsdimension im individuellen Text am schwersten faßbar. Wo aber kein Basisreferenztext bestimmbar ist, der den Typus vertreten kann, kann nur das allgemeine Prin­ zip gelten: der Typus wird als Schnittmenge herauspräpariert aus eben jenem Corpus, dem auch der Text angehört, den man im Blick auf den Typus zu verstehen hofft. Es droht also die Zir­ kularität des Vorgehens – oder die Inkommensurabilität der Perspektiven: Die diachrone oder serielle Betrachtungsweise führt zu einer Literaturgeschichte, die auf das Ensemble der Texte zurückblickt, die synchrone Betrachtungsweise zu einer Historischen  Semantik, die distinkte Sinngefüge in spezifischen geschichtlichen Momenten in den Blick nimmt.« 74 »Das zugrunde liegende Prinzip ist relativ einfach. In eine spezifische mittelalterliche Dich­ tung wird ein darin vermeintlich verborgenes archaisches Prinzip hineingelesen, das dann – in einem weiteren Arbeitsgang – als Ergebnis wieder aus ihr herausgezogen wird und präsentiert als jener heidnisch-mythische Urgrund, den der mittelalterliche Texte ›eigentlich‹ enthalte« (Groebner 2008, 81). 75 »Brautwerbungserzählungen sind sozusagen Staatsromane einer dynastischen Herrschafts­ sicherung, von der nicht nur der Regent, sondern auch seine Gefolgsleute profitieren. […] Damit ist das Brautwerbungsschema genuin weltlich angelegt« (A. Schulz 2002, 234).

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An dieser Stelle mischt sich in die Diskussion um das Verhältnis von Idealtypus und abweichender Realisationen des Modells auch noch in neueren Forschungs­ beiträgen das ›Erbe des Spielmanns‹ ein, womit sich der Kreis zum Anfang der Forschungsdiskussion schließt. Denn auch die narratologischen Ansätze zum ›Brautwerbungsschema‹ verorten die mit ihm erzählten Texte auf der Schwelle von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit.76 Die Funktion als heuristisches Konstrukt hat das Schema endgültig überschritten, wenn es als simple, mündliche Erzäh­ lung vor der schriftlichen Kodifizierung der überlieferten Texte imaginiert wird. Diese Erzählung, die nur in der Wiederholung gelebt habe, sei in den Details und Ausschmückungen vielleicht variabel gewesen – der essentielle Plot und damit die Realisation des Schemas sei aber schon aus produktionstechnischen Gründen invariant und beständig, denn nur diese Festigkeit habe den mündlichen Dich­ tern überhaupt die Produktion ihrer Texte erlaubt. Erst mit dem Schritt in die Schriftlichkeit könne das Schema für andere Zwecke frei und in seiner Variation zur ›Problemstruktur‹ werden.77 Am Beispiel des ›Rother‹ hat sich Lorenz Deutsch (2003) kritisch mit der ›Ein­ führung der Schrift als Literarisierungsschwelle‹ auseinandergesetzt. Er zeigt dabei auf, dass das Bild einer »spezifisch mündlichen Geistesverfassung, einer oralen Noetik« (ebd., 74) schon immer, besonders aber von der Medientheorie der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, als negative Spiegelung einer Schriftkultur geprägt ist.78 In Anlehnung an die Ergebnisse von Albert Lord erweist Deutsch, dass »das Bild von Einfachheit, archaischer Naivität und Areflexivität« der mündlichen Dichtung nicht gerecht wird (ebd., 90) und die von Walter Haug und

76 »Zum einen soll versucht werden, die Schemagebundenheit von Brautwerbungsdichtungen zu verstehen als historisch bedingte, im Kontaktbereich orale Tradition/ Schriftlichkeit ausgebil­ dete literarische Praxis« (Schmid-Cadalbert 1985, 39). 77 »Im Bereich der geschriebenen Brautwerbungsdichtung entwickelt sich das Schema hin­ gegen immer mehr von der Vermittlungs- zur Problemstruktur. Der Autor benutzt das Schema selbst als ›Spielform‹. Variation wird sinntragend eingesetzt, indem sie nicht isoliert geschieht, sondern sowohl syntagmatisch innertextlich, funktional in den Erzählverlauf eingebunden, wie auch paradigmatisch intertextuell im Spiel mit Traditionen und Normen als Verhaltensentwurf eingesetzt wird« (ebd., 98, s. auch S. 47, 56, 81 97). In eine ähnliche Richtung zielt auch der Bei­ trag von Haug 1995. 78 Die Schrift habe in dieser Theorie erst »Differenzierung, Technologisierung und Distanzie­ rung und die von diesen abhängigen und induzierten Aufklärungspotentiale Reflexivität, Re­ flexion und Individualisierung« ermöglicht. Sie gelte daher als »Katalysator sozialer und kog­ nitiver Evolution« und ermögliche »intellektuelle und soziale Differenzierung«. Im Gegensatz dazu könne die körpergebundenen Mündlichkeit kollektive Wissensbestände zwar speichern, aber nur in »repetetiver Zeremonialität« aktualisieren und sei auf die »beständig wiederholte Verkörperung des kulturellen Wissens angewiesen« (Deutsch 2003, 74 f.).



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Christian Kiening für den ›Rother‹ konstatierten ›Literarisierungen‹ im Übergang zur Schriftlichkeit ebenso gut Teil mündlicher Literatur sein könnten.79 Wenn mündliche Dichtung aber auch schon komplex, variantenreich und selbstreflexiv sein kann, taugt sie nicht mehr als Existenzraum eines simplen und invarianten ›Brautwerbungsschemas‹, das dann auf der Stufe der Schrift zur Problemstruk­ tur avancieren kann.80 Insofern fordert Deutsch folgerichtig, die Wirkungsmacht eines solchen narrativen Schemas nicht zu hoch einzuschätzen.81 Mit Hinrich Siefken (1967) ist das Schema für ihn daher ein motivlicher Ermöglichungsrahmen für die Narration, und nicht als ein mündlich mög­ lichst einfaches Erzählmuster, das man vergleichend rekonstruieren kann, um dann in den schriftlichen Realisationen Abweichungen und Brüche zu konstatieren (Deutsch 2003, 85).

Die Idee eines solchen flexibleren Erzählmodells ›Brautwerbung‹, das nicht mehr den ›feudalen Sinn‹ der Narration trägt82, sondern deren Attraktivität durch die gut funktionierende Verknüpfung bekannter motivlicher Einheiten begründet ist, scheint mir ausgesprochen fruchtbar für eine neue Erzählgrammatik der Braut­ werbungserzählungen zu sein.83

79 »Im Kontext der schon vorgetragenen Kritik der Prämissen der restriktiven Konzeption münd­ licher Erzählung ist nicht einzusehen, warum Vorgänge und Verhaltensweisen von Figuren nicht auch in mündlicher Literatur jenseits von schematischer Selbstverständlichkeit begründbar und somit diskutierbar sein sollen« (ebd., 83). 80 »Beobachtungen der Textstruktur, die als erzähltheoretische Erkenntnisse unser Wissen über die Funktionsweise des Textes grundsätzlich erweitern, werden in einem methodischen Sprung in ein rezeptionsästhetisches Modell spezifischer mündlicher und schriftlicher Wahr­ nehmungspotentiale integriert und dienen dort als Belege für ihre – erst durch ihre Spiegelung erzeugten – Vorläufer« (ebd., 90). 81 »Das von Kiening vertretene Modell scheint von einem systematischen Primat der Schema­ strukturen auszugehen. Das Schema ist verantwortlich für die die Abläufe in der erzählten Welt, etwas passiert, weil es das Schema so verlangt. Nun mag das Schema Erzeugungsrahmen für die Produktion sein, aber man kann es schlecht an die Erzeugerposition setzen.« (ebd., 88). S. dazu auch A. Schulz (2000, 27): »Die Vorstellung einer Tiefenstruktur, die für die Phänomene der Text­ oberfläche ›verantwortlich‹ ist, ist dabei jedoch nichts als eine metaphorische Hilfskonstruktion, die nicht dazu verleiten sollte, dasjenige zum Erzeuger des Textes zu erklären, was immer bloß Metakonstrukt des Interpreten bleibt.« 82 Gegen eine solche Verknüpfung von Erzählmodell und kultureller Logik hat sich jüngst auch Stephan Müller (2010) ausgesprochen. 83 Auch Jan-Dirk Müller hat jüngst die Wirkmächtigkeit und Bedeutung, die so genannten ›Tie­ fenstrukturen‹ zugeschrieben werden, kritisiert: »Differenzen auf der Oberfläche werden als Transformationen einer und derselben Tiefenstruktur beschrieben. Obwohl Tiefenstrukturen Ergebnisse wissenschaftlicher Konstruktion – Abstraktion aus einer großen Zahl von Oberflä­ chentexten – sind und theoretisch auch stets als solche eingeführt werden, werden sie in der

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Von diesen neuesten Ansätzen ausgehend zeigt sich, dass sich die For­ schung in Hinblick auf die Brautwerbungserzählungen deutlich stärker von ihren Anfängen emanzipieren muss, als sie es bislang getan hat. Dazu gehört es auch, sich endlich und endgültig von der Terminologie des ›Spielmanns‹ und des ›Spielmännischen‹ zu verabschieden, die keinen Erklärungswert mehr hat – der Erforschung der Texte aber immer noch schadet. Darüber hinaus muss meines Erachtens auch das ›Erbe des Spielmanns‹ einer Revision unterzogen werden. Dies betrifft insbesondere die Verortung der Texte auf der Schwelle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und die daraus resultierenden Interpretationen. Anstatt den Blick auf hypothetische mündliche Vorformen zu lenken, müssen die überlieferten Formen der Brautwerbungserzählungen in den Fokus gerückt und als literarische Kunstwerke ernst genommen werden. Denn die Existenz mündli­ cher Vorformen ist weder zu beweisen noch zu leugnen. Aber auch wenn schon vor der Entstehung der überlieferten Texte von Rother und Salman, von Kudrun und Oswald erzählt wurde – und damit müssen wir rechnen –, auch wenn das Erzählmodell der Brautwerbung so populär und weit verbreitet war, dass es auch in der mündlichen Literatur genutzt wurde – und auch damit müssen wir rechnen –, können diese prinzipiell nicht mehr fassbaren Erzählungen nur geringes inter­ pretatorisches Potenzial für die überlieferten Werke entfalten. Diese in ihrer gegebenen Form zu untersuchen bedeutet aber auch, sie als Werke des späten Mittelalters, entweder generell oder als Bearbeitung eines älteren Textes, anzusetzen, ernst zu nehmen und zu interpretieren. Eine Aus­ nahme stellt in dieser und in manch anderer Hinsicht der ›Rother‹ dar. Dieses im frühen 13. Jahrhundert überlieferte Werk hebt sich sowohl sprachlich als auch thematisch und in seiner poetischen Gestaltung deutlich von den übrigen Texten ab – das gemeinsame Erzählmodell der gefährlichen Brautwerbung und auch manch andere intertextuelle Beziehung binden ihn trotzdem eng an die übrigen Werke der Gruppe. Die Produktivität einer gemeinsamen Betrachtung aller Braut­ werbungserzählungen wird sich im Verlauf der Studie immer wieder erweisen. Auch die Implikationen der Forschungsreferenz zu dem von Schmid-Cadal­ bert entwickelten ›Brautwerbungsschema‹ müssen sowohl in Hinblick auf seine Verbindlichkeit für eine Werkgruppe, in der es keinem einzigen Text entspricht, als auch in seiner Funktion, den ›Sinn‹ der Erzählung zu tragen, kritisch hin­

praktischen Textanalyse oft latent substantialistisch behandelt, als ein ›hinter‹ der Oberfläche bloßer Erscheinungen stehendes (sie gleichwohl bestimmendes und durch Analyse hinter ihnen aufzuspürendes) ›eigentliches‹ Substrat. […] Man rechnet mit erheblichen Freiheiten bei der Be­ setzung der einzelnen ›Funktionen‹. Gelegentlich werden sogar Handlungselemente postuliert, die im Text gar nicht vorkommen. Damit wird die konkrete literarische Gestalt dem Strukturmus­ ter (das doch aus ihr abstrahiert ist) nachgeordnet« (J.-D. Müller 2007a, 32).



Entwicklung des Gegenstands 

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terfragt werden. Das strukturalistische Modell hat sich in den Denkformen des ›Schemabruchs‹ und mehr noch des ›Schemazwangs‹ verselbständigt und kann so kaum noch seine ursprünglich beabsichtigte heuristische Funktion erfül­ len. Viel sinnvoller erscheint mir der Ansatz von Lorenz Deutsch, die narrative Grammatik der gefährlichen Brautwerbung als flexiblen Ermöglichungsrahmen des Erzählens von unterschiedlichen Inhalten zu verstehen. Den Elementen des Brautwerbungsmodells, wie der Konstellation Werber und Braut und der mit ihr verbundenen Gefahr, oder typischen Szenen der Beratung, Botensendung, etc., kommen meines Erachtens dabei durchaus die Funktion zu, Rezeptionserwar­ tungen zu wecken und zu lenken: Allerdings nicht vor dem Hintergrund einer normativen Antierzählung, sondern im intertextuellen Spiel der Werke unter­ einander.

Entwicklung des Gegenstands Brautwerbungen und interreligiöse Konflikte Eine solche Funktion des Brautwerbungsmodells erlaubt dann auch eine inter­ pretatorische Öffnung auf die insgesamt bislang in der Forschung häufig ver­ nachlässigten Inhalte und Themen, die in den Werken verhandelt werden. Denn die Konzentration der Forschung auf die strukturellen Gemeinsamkeiten der Brautwerbungserzählungen hat die Untersuchung ihres diskursiven Gehaltes stark eingeschränkt. Einige in der neusten Zeit erschienene Forschungsbeiträge zeigen eine mögliche Richtung für eine solche thematische Orientierung auf: Corinna Biesterfeld (2004) untersucht unter anderem am Beispiel des ›Oswald‹ und ›Ortnit‹ die Moniage der Helden als Erzählschluss, Monika Schulz (2005) nimmt den ›Rother‹ in ihre Untersuchung säkularer und geistlicher Eherechts­ diskurse auf und Christian Kiening (2006, 2009) hat den geistlichen Aspekten im ›Orendel‹ und im ›Wiener Oswald‹ jüngst jeweils einen Aufsatz gewidmet. Und auch Stephan Müller (2010) behandelte das Spannungsverhältnis von Herrschaft und Heiligkeit.84 In all diesen neueren Ansätzen ist ein Interesse an denjenigen

84 Beispielhaft für die Untersuchung einzelner Texte auf ihren diskursiven Gehalt und ihre Ein­ bindung in kulturelle Kontexte sind ebenfalls der Beitrag von Michael Embach zur Verortung des ›Orendel‹ in der Trierer Rockverehrung (Embach 1995) und die von Hedda Ragotzky und Christa Ortmann (1993) vorgenommene Erarbeitung des römisch-byzantinischen Verhältnisses mit Blick auf die Konzeption idealer Herrschaft im ›Rother‹. Vergleichend hat sich z. B. Hans-Joachim ­Böckenholt (1971) dem Frauenbild in den Brautwerbungserzählungen angenähert und Vicki-Jane Roberts-Gassler (1984) die in den Texten dargestellten ökonomischen Systeme betrachtet.

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Aspekten der Texte zu beobachten, die von der älteren Forschung als ›unecht‹85 ausgesondert wurden, an geistlichen Traditionen und religiösem Gehalt. Ist der Blick einmal in diese Richtung geöffnet, fällt er schnell auf einen inhaltlichen Aspekt, der sich wie ein roter Faden durch alle Brautwerbungser­ zählungen zieht. Denn in diesen Werken werden nicht nur religiöse Inhalte ver­ handelt, sie alle erzählen auch von Konflikten zwischen Religionen. In jeder Brautwerbungserzählung treffen Christen und Sarazenen aufeinander, geraten in Konflikte und tragen diese auf dem Schlachtfeld aus. Rother muss seinen Konkur­ renten Ymelot, den König aus der babylonischen Wüste, ausschalten, Morolf die schöne Frau seines Bruders gleich zwei andersgläubigen Entführern entreißen, Oswalt und Ortnit kämpfen gegen die nicht-christlichen Väter ihrer zukünftigen Ehefrauen, Orendel hat es mit ganzen Heerschaaren Andersgläubiger zu tun, die Jerusalem belagern und auch im Kampf um Kudruns Hand stehen sich Christen und Sarazenen gegenüber. Damit schreiben sich die Brautwerbungserzählungen in die Geschichte interreligiöser Auseinandersetzungen ein, die sich nicht nur in literarischen, sondern auch in hagiographischen, historiographischen, theologisch-normati­ ven und juristischen Texten niederschlägt. Die Geschichte von Christen­tum und Islam im Mittelalter beginnt mit der Berufung Mohammeds zum Propheten im Jahr 609. In den kommenden Jahrhunderten breitet sich die von ihm begründete Religion mit großer Geschwindigkeit zunächst über die gesamte arabische Halb­ insel und dann auf weite Teile des Mittelmeerraumes aus.86 Begegnungen zwi­ schen Christentum und Islam finden in erster Linie in den von Muslimen erober­ ten Gebieten oder in Grenzbereichen wie Spanien und Byzanz statt. Dennoch bleibt aus christlicher Sicht die theologische und intellektuelle Beschäftigung mit der neuen Religion auf einem niedrigen Niveau.87 Mit den Kreuzzügen inten­

85 So stellt z. B. Ingeborg Koeppe-Benath (1967) eine Sammlung der christlichen Aspekte der »Spielmannsepen« zusammen. Georg Baesecke versucht im Kommentar seiner Oswald-Ausgabe (1907) alle geistlichen Einflüsse als nachträgliche Kontaminationen auszusondern. Auch Achim Masser urteilt (1976, 162): »wenn zu allem noch ein religiös getönter Überwurf kommt […], so ändert das im Grunde nichts am Wesen dieser Dichtungen.« 86 »Mit der endgültigen Eroberung Siziliens zu Beginn des 10. Jahrhunderts kam der Mittel­ meerraum fast vollständig unter islamische Kontrolle. Vor dem Beginn des Ersten Kreuzzugs er­ streckte sich damit die islamische Welt, der dār al-islām, von der Straße von Gibraltar im Westen bis zum indischen Subkontinent im Osten« (Jaspert 2006, 5). Zur islamischen Expansion s. Ken­ nedy 2007, Noth 2001 und Nagel 1998, 1–27. 87 »More basically, Catholic Europeans failed to concern themselves with Islam because of the very character of early Medieval Latin culture. The concentration on Scripture and patristic wri­ tings and the dependence on the summaries of knowledge compiled in late antiquity led to an emulation or continuation of past efforts and achievements, leaving little scope for seriously



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sivieren sich die Kulturkontakte zwischen Muslimen und Christen, inhaltlich fundierte Auseinandersetzungen mit dem Islam bleiben jedoch die Ausnahme. Von allen großen Kreuzzugschronisten beschreibt nur Otto von Freising die Muslime als Monotheisten – sehr viel häufiger wird ihnen Polytheismus und Götzenanbetung, ja sogar Teufelsanbetung vorgeworfen.88 Doch es gibt auch schon im 12. Jahrhundert Stimmen, die die Identität des christlichen und islami­ schen Gottes proklamieren.89 Die Begegnung von Christentum und Islam und die in diesem Zusammen­ hang zu situierenden Konflike sind in mehrerlei Hinsicht einzigartig. Zum einen begegnen sich hier zwei Religionen auf Augenhöhe und stehen sich in Staaten(verbänden) gegenüber, die (auch) von politischen Interessen bestimmt und mit militärischer Macht ausgestattet sind.90 Sowohl Christentum als auch Islam vertreten einen Universalanspruch ihrer Gültigkeit für alle Menschen, wodurch ein prinzipieller religiöser Konflikt, auch außerhalb aller punktuellen politischen oder territorialen Interessen, zwischen ihnen entstehen muss.91 Doch

tackling the post-Biblical, postclassical, postpatristic – and from this viewpoint inherently mar­ ginal – phenomenon of Islam« (Kedar 1984, 41). Auch Arnold Angenendt äußert sich in diese Richtung: »Umgekehrt hatte das Christentum kein vergleichbares Verhaltensmuster für den Islam, war dieser doch erst später gekommen und darum eine irgendwie ›überflüssige‹ Religion« (Angenendt 2007, 390). 88 Zu der Darstellung der Muslime in den Kreuzzugschroniken der Salierzeit s. Jaspert 2007, 312 ff. Zusammenfassend stellt er fest: »Die Kreuzzüge und die durch sie erfolgte Intensivierung christlich-islamischer Beziehungen – seien sie in Form kriegerischer oder friedlichere Kontak­ te – führte also in aller Regel keineswegs zu einer genaueren Wahrnehmung oder Darstellung der islamischen Religion« (ebd., 320). 89 Im 9. Jh. wird in Byzanz eine Formel für Muslime entwickelt, die sich zum Christentum be­ kehren lassen wollen. Dabei müssen sie unter anderem Muhammad als ihrem Gott abschwören. Manuel I. Komnenus (Regierungszeit 1143–1180) lässt diese Passage streichen. »From Manuel’s standpoint, it seems, Muslim converts should be asked only to renounce the errors of Mu­ hammad, not the true, eternal God, who was after all the same as the Christian God. Manuel succeeded in having the formula altered, but only in the face of strong resistance by conservative church members offended at the suggestion that the Muslim god was the same as their own« (Tolan 2002, 124). 90 Diese Ausgangsthese ist im Dienste der in der vorliegenden Studie gewählten Fragestellung vereinfachend, in dem sie sowohl die Situation der orientalischen Christen als Minderheit unter muslimischer Regierung sowie die muslimische Bevölkerung der lateinischen Königreiche in der Levante vernachlässigt. Auch die unterschiedlichen Machtkonstellationen zwischen Christen, Muslimen und Juden in der Geschichte Südspaniens sind selbstverständlich komplexer zu den­ ken. 91 »Es wurde schon angesprochen, daß die politische Landkarte des mittelalterlichen Muslims nur zwei Territorien kennt, das ›Gebiet des Krieges‹ (arab.: dār al-harb) und das ›Gebiet des Islam‹ (arab.: dār al islām), das sich ständig auf Kosten des ersteren ausdehnen soll, bis es den

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es stehen sich nicht nur zwei Religionen, sondern auch in kultureller Hinsicht zwei ›Welten‹ gegenüber. Vielleicht ist es diese grundsätzliche Qualität des Kon­ fliktes, die die Muslime wie keine andere Religionsgemeinschaft oder Bevölke­ rungsgruppe als ›die Anderen‹ für die christliche Welt des Mittelalters wahr­ nehmbar und instrumentalisierbar macht. Die Auseinandersetzung mit diesen ›Anderen‹ zieht sich, mit unterschiedli­ cher Intensität, durch das gesamte Mittelalter. Ohne die Linien dieser vielfältigen Begegnungen in militärischen, diplomatischen und merkantilen Bereichen und deren Niederschlag in historiographischen, theologischen oder juristischen Dis­ kursen nachzeichnen zu wollen,92 möchte ich kurz auf die Kontinuität der Ausei­ nandersetzung mit der islamischen Welt im Spätmittelalter hinweisen. Sowohl Pläne zur Rückeroberung des Heiligen Landes93 als auch Hoffnungen auf eine Mission der Muslime halten sich bis ins 14. Jahrhundert, punktuell sogar darüber hinaus.94 Und obwohl John Tolan zu dem Schluss kommt, dass der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Islam im 12. und 13. Jahrhundert in der Folgezeit

gesamten bewohnten Erdkreis umfasst« (Nagel 1998, 221). »Zwar ist organisierte Mission kein Wesensmerkmal des Christentums; wohl aber hat der Christusglaube wesensnotwendig univer­ salen Charakter […]. Nur in dieser universalen Gestalt als Religion für die ganze Welt gewinnt der Inhalt der Verkündigung auch des historischen Jesus an Israel den ihm inhaltlich zukommenden Adressatenkreis in der gesamten Menschheit als lebensgestaltende Alternative, die sich unter den universalen Religionen zu bewähren hat« (Selge 1996, 40). Im Gegensatz zum Christentum, das stärker auf den Glauben des Einzelnen zielt, kann der Islam Andersgläubige als dhimmis leichter in seine Strukturen integrieren. Die Brisanz des Konfliktes zwischen Christentum und Islam erwächst dabei aus ihrer Ähnlichkeit zueinander (Jaspert 2006, 8) sowie der auf beiden Seiten vorhandenen Überzeugung die letztgültige Offenbarung zu besitzen (Sabel 2003, 63). 92 Die christlich-muslimischen Kontakte und Beziehungen im Mittelalter sind ein aktuelles Thema der Geschichtswissenschaft und die Vielzahl der Publikationen allein zu den Kreuzzügen und ihren Folgen kaum noch zu überblicken. Die Studie ›Islam and the west‹ von Norman Daniel (1960) kann jedoch immer noch als grundlegend für das Bild des Islam im mittelalterlichen Euro­ pa gelten. Aus der neueren Forschung seien exemplarisch nur Riley-Smith 2008, Hagemann 1999 und Bauer; Herbers; Jaspert 2001 genannt. 93 Zu den späteren Kreuzzügen und ihrer geistesgeschichtlichen Eingebundenheit s. Housley 1992. 94 Erst mit den Mendikantenorden beginnen im 13. Jahrhundert organisierte Versuche, die Mus­ lime zu missionieren (Kedar 1984,136 ff.). Zu Beginn des 14. Jahrhunderts macht sich nach an­ fänglicher Begeisterung allmählich Resignation breit (Tolan 2002, 196). Doch auch zu Beginn des 15. Jahrhunderts kann der Papst Kreuzzugsablässe an Franziskaner für den Schutz Konvertierter gegen die Tartaren vergeben, so dass Norman Housley zu dem Schluss kommt: »Rather than re­ placing the crusade, hopes for conversion in the late Middle Ages therefore served to provid with another raison d’être« (Houseley 1992, 381).



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nicht mehr viel hinzugefügt wird,95 sprechen unter anderem zwei Koran-Überset­ zungen im 15. Jahrhundert für ein andauerndes, vielleicht sogar neu erwachen­ des, Interesse am Islam.96 Dieses Interesse wird auch durch die Eroberung Kon­ stantinopels 1453 durch Mehmed II. befördert, die den endgültigen Untergang des oströmischen Reiches bedeutet. Die ›Türkenbedrohung‹, der sich Westeuropa jetzt direkt gegenüber sieht, führt zu diversen neuen Kreuzzugsplänen und Ver­ sprechen – umgesetzt wird davon jedoch so gut wie nichts.97 Dennoch nehmen die Ideen, Figuren und Geschichten der Kreuzzüge, besonders des ersten, im 15. Jahrhundert eine wichtigen Raum ein.98 So wirken die ersten Kreuzritter als Vorbilder für Ideale der Ritterlichkeit im Allgemeinen und für die Ritterorden im Besonderen (Housley 1992, 392 f.). Auch die mittelhochdeutschen Brautwer­ bungserzählungen lassen sich in diesem, sich über die Jahrhunderte entwickeln­ den, Kontext verorten, wie die vorliegende Studie zu zeigen hofft. Damit stehen sie zugleich in einer langen Reihe literarischer Werke, die die Begegnungen von Christentum und Islam verhandeln.99 In der mittelhochdeut­

95 »The ideological responses to Islam that I examine in this book were redeployed countless times in medieval and modern Europe. Europeans would not again expend the same intellec­ tual effort against Islam as did their forbears to explain, refute, convert. Rather, the intellectual weapons forged in the twelfth and thirteenth centuries were reused, anthologized, translated, published. […] Little truly new was written about Islam between 1300 and the Enlightenment« (Tolan 2002, 275 f.). 96 Die Übersetzung durch Johannes von Segovia ist nicht erhalten, jüngst konnte jedoch ein Fragment dieser Übersetzung von Reinhold F. Glei und Ulli Roth (2009) ediert werden. Dabei zeigt sich eine weit größere wörtliche Nähe zum Koran als beispielsweise in der Übersetzung durch Robert von Ketton aus dem 12. Jahrhundert. Die zweite Koranübersetzung des 15. Jahrhun­ derts wurde von Johannes Gabriel Terrolensis verfertigt. Zu diesen und weiteren Übersetzungen s. Bobzin 2006. 97 Zur Eroberung Konstantinopels 1453 s. Runciman 1965, zu den Folgen des Ereignisses in West­ europa ebd., 160–180. 98 Norman Housley (1992, 392 f.) geht in diesem Zusammenhang auf die Popularität von Kreuz­ zugsdichtungen, wie des im 14. Jahrhundert entstandenen zweiten Kreuzzugszyklus, am Hof Philipps III. von Burgund um 1450, eine Schauspiel über die Eroberung Jerusalems während des ersten Kreuzzuges zu Ehren Karl IV. oder den Druck von ›Godfrey de Bouillon or the Siege and Conquest of Jerusalem‹ durch William Caxton im Jahr 1481 ein. 99 In der lateinischen Literatur ließe sich hier auf ›Gesta Tancredi In Expeditione Hierosolymi­ tana‹ (um 1130) Radulfs von Caen und die lateinischen Tradition der Kreuzzugslieder verwiesen (Schmuck 1954, Spreckelmeyer 1974). Im Französischen entstehen u. a. zwei große Kreuzzugs­ zyklen, einer im 12. und einer im 14. Jahrhundert (s. Foulet 1989, 98 ff.) und zahlreiche lyrische Werke der französischen und okzitanischen Troubadours und Trouvères (Marcabru, Bertran de Born, Giraut de Bornelh, etc.), die häufig die Abreise ins Heilige Land und die Trennung von der Geliebten (oder die Sehnsucht nach einer Geliebten in orientalischer Ferne) thematisieren (s. dazu auch Ramey 2001, 35–52). Mit der französischen Kreuzzugsliteratur in ihrer Breite und

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schen Literatur können das ›Rolandslied‹ des Pfaffen Konrad und der ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbachs als zwei zentrale und auch von der Forschung inten­ siv diskutierte Beispiele gelten. Doch das Thema zieht sich durch unterschiedli­ che Gattungen, wie Adaptationen französischer Chansons de geste (›Rennewart‹, ›Arabel‹, ›Karl und Galie‹, ›Herpin‹, ›Loher und Maller‹), Artusromane (›Parzival‹, ›Wigalois‹), Minne- und Aventiureromane (›Flore und Blanscheflor‹), Versnovel­ len (›Die Heidin‹) und Sangspruchdichtung (z. B. von Reinmar, Walther, Neid­ hart) und durch die Jahrhunderte vom 12. (›Rolandslied‹) durch das 13. (›Wille­ halm‹, ›Rennewart‹) und mit den im Umkreis Elisabeths von Nassau-Saarbrücken entstandenen Prosaepen bis ins 15. Jahrhundert.100 In Hinblick auf die Begegnungen zwischen Christen und ›Sarazenen‹ in diesen Werken und den dadurch entstehenden interreligiösen Konflikten war die germanistische Forschung besonders an zwei miteinander verbundene Fragen interessiert: zum einen an der Darstellung der Sarazenen und zum anderen an der im Text zum Ausdruck kommenden Toleranz oder Intoleranz gegenüber den religiös Anderen. Der 1925 von Hans Naumann publizierte Aufsatz ›Der wilde und der edle Heide – Versuch über die höfische Toleranz‹ kann dabei als Aus­ gangs- und immer noch relevanter Bezugspunkt der Forschung gelten. Besonders intensiv wurden in diesem Zusammenhang das tendenziell als besonders intole­ rant geltende ›Rolandslied‹ und der tendenziell als besonders tolerant erschei­ nende ›Willehalm‹ untersucht.101 Den Techniken der Darstellung orientalischer Andersgläubiger wird aktuell auch in der Geschichtswissenschaft und Romanis­ tik besondere Aufmerksamkeit zu Teil.102 Für den Bereich der mittelhochdeut­

ihren (auch poetisch-sprachlich verstandenen) Beziehungen zur Historiographie hat sich zuletzt Alexandre Winkler (2006) auseinander gesetzt. 100 Eine Systematisierung der mittelhochdeutschen Kreuzzugsdichtung hat Ulrich Müller (1972) versucht, eine zusammenhängende Untersuchung des gesamten Textkorpus steht nach der, methodisch mittlerweile überholten, Arbeit von Wentzlaff-Eggebert (1960) bislang aus. 101 S. z. B. Kaplowitt 1962, 15. Besonders der ›Willehalm‹ wurde in dieser Hinsicht viel diskutiert. Zusammenstellungen der Forschungspositionen bietet Ines Hensler 2006, 52 ff. Rüdiger Schnell (1993) hat die Frage behandelt, ob Wolfram im ›Willehalm‹ in dieser Hinsicht ›seiner Zeit vor­ aus‹ sei und die Forschungsbeiträge zu dazu in Pro- und Contra­stimmen gegliedert. Er selbst kommt vor dem Hintergrund zeitgenössischer theologischer und historiographischer Kontexte zu dem Urteil, dass sich Wolfram, im Gegensatz zu anderen volkssprachlichen Dichtern, auf der diskursiven Höhe seiner Zeit befinde. Das Besondere im ›Willehalm‹ seien nicht die vertretenen Positionen im Umgang mit den Sarazenen, sondern die literarische Wirkung des Werkes durch Strategien der Personalisierung und Emotionalisierung (ebd., 202). 102 Aus historischer Perspektive sei exemplarisch verwiesen auf Daniel 1960, Southern 1978, Tolan 1996, 2002 und Jaspert 2007. Als romanistische Untersuchungen sind u. a. de Weever 1998, Ramey 2001 und Hensler 2006 zu nennen, die sich auf Comfort 1940, Jones 1942, Bancourt



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schen Literatur wurde das Thema u. a. früh von Siegfried Stein (1933), später von Stephen Kaplowitt (1962), Hans Szklenar (1966), Ingeborg Köppe-Benath (1967) und jüngst von Ines Hensler (2006) untersucht.103 Hensler beschreibt die ihrer Studie vorausliegende Forschungsdiskussion dabei wie folgt: Die Forschung bis in die neunziger Jarhe des letzen Jahrhundert ist also von zwei Fragestel­ lungen geprägt: Zum einen von der Frage nach dem Realitätsgehalt der ›Fremddarstellung‹, zum anderen von der Frage nach der kontinuierlichen Entwicklung in der Darstellung, die häufig an der anscheinend zunehmenden Anerkennung des Sarrazin gemessen wird. […] Die Entwicklungstheorie hin zu einer positiveren Bewertung der Sarrazins ist in der (Litera­ tur-)Wiss­enschaft weit verbreitet, wenngleich gelegentlich konstatiert wird, dass das ›alte‹, negative Bild der Sarrazins erhalten blieb (Hensler 2006, 13).

Diese Entwicklung hin zu einem positiveren Bild wird häufig in Verbindung zu verstärkten Kulturkontakten durch die Kreuzzüge gesehen und so auch zu einem Mittel, Autoren und Werke in bestimmten Phasen einer ›Kreuzzugsideologie‹ zu verorten.104 Dies ist aus mindestens zwei Gründen hochproblematisch. Zum einen

1982 und Daniel 1984 stützen können. Strickland 2003 verbindet literaturwissenschaftliche und kunstgeschichtliche Ansätze. 103 Damit sind jedoch nur erste Linien gezeichnet. Die auf die ›Spielmannsepen‹ konzentrier­ te Arbeit von Köppe-Benath ist methodisch überholt und in vielen Ergebnissen fragwürdig, al­ lerdings immer noch als Zusammenstellung von Wert – die Darstellung der Sarazenen streift sie jedoch eher, als sie systematisch zu behandeln. Siegfrid Stein zeichnet eine große Linie der Entwicklung des Sarazenenbildes, was die Arbeit trotz vieler immer noch aktueller Ergebnisse im Einzelnen methodisch ebenfalls problematisch macht, zumal er seine Textanalysen äußerst knapp hält. Die leider nicht veröffentlichte Arbeit von Stephen Kaplowitt ist durch ihren vorur­ teilslosen Zugang zu den Texten wertvoll, ergibt allerdings wenig für die spezifisch literarische Qualität der Werke und verfolgt ebenfalls eine eindimensionale Entwicklung religiöser Toleranz. Ines Hensler schließlich kann im Rahmen ihrer Untersuchung zu den Chansons de geste nur we­ nige mittelhochdeutsche Texte (›Rolandslied‹, ›Willehalm‹, ›Rennewart‹) einbeziehen, an diesen Werken jedoch exemplarisch wichtige Linien, auch in Übereinstimmung mit und Abgrenzung von der französischen Tradition, aufzeigen. 104 In Bezug auf die Gruppe der Brautwerbungserzählungen wird diese Tendenz besonders deutlich bei Kaplowitt 1962. So führt er zum ›Rother‹ aus: »As far as the relationship between the attitudes toward the heathens and the crusades is concerned, it might be mentioned that the notable lack of animosity toward the Moslems in conjunction with outspoken contempt for the Greeks closely parallels the situation which developed in the course of the twelfth century, when the passionate hatred of the infidels of the early years of the crusading era was gradu­ ally transferred to the Byzantines« (ebd., 53 f.), oder zu ›Salman‹: »As far as the closeness of the relationship between these attitudes and the crusaders is concerned, the feelings about the heathens and their treatment in the poem are most reminiscent of the era of the Third Crusade« (ebd., 68). Den ›Oswald‹ situiert er aufgrund der Bekehrung durch Argumente in Abgrenzung von ›Rolandslied‹ und ›Kaiserchronik‹ im 13. Jahrhundert (ebd., 78), den ›Orendel‹ bringt er mit

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geht die Vorstellung einer eindimensionalen und konsistenten ›Kreuzzugsideolo­ gie‹ an der Komplexität der unterschiedlichen Positionen in zum Teil auch in sich äußerst disparaten Diskursen (theologisch, juristisch, historiographisch) zum Islam im Mittelalter vorbei.105 Man könnte eher entgegengesetzt formulieren: Zu fast allen Zeiten lassen sich positive und negative, pragmatische und dogmati­ sche Urteile über Muslime und den Umgang mit ihnen finden, die jeweils von unterschiedlichen Darstellungsinteressen bestimmt und durch unterschiedli­ chen Darstellungsstrategien geformt sind. Zwar lassen sich gewisse Tendenzen beobachten, zum Beispiel ein Anstieg der Missionshoffnungen im 13. Jahrhun­ dert, doch können diese nicht auf eine so schwer zu fassende Größe wie zuneh­ mende oder abnehmende ›Toleranz‹ hin vereindeutigt werden.106 Zum anderen sperren sich die mittelhochdeutschen Werke genauso wie die zur Konstruktion eines ›ideologischen Hintergrundes‹ herangezogenen historio­ graphischen oder theologischen Quellen gegen die Einordnung in eine eindi­ mensionale Entwicklungslinie (Schnell 1993, 186) – häufig stehen in einem Text ablehnende, neutrale und sogar positive Urteile über die Sarazenen nebenein­ ander (Hensler 2006, 1). Die Schwierigkeiten einer solchen Einordnung sind für literarische Werke vielleicht insofern noch größer, als hier verstärkt mit Eigen­ gesetzlichkeiten wie unzuverlässigem Erzählen, Unterschieden in den Positio­ nen von Erzähler und Figuren und mit Komik evozierenden Strategien gerechnet werden muss. Der auch für die Brautwerbungserzählungen verfolgte Ansatz, lite­ rarische Werke in die Entwicklung einer ›Kreuzzugsideologie‹ einzuordnen, geht daher nicht nur an der Komplexität der historiographischen und theologischen

antimuslimischen Stimmungen nach der Eroberung Jerusalems durch Saladin in Zusammen­ hang (ebd., 88), die Wärme in der Beschreibung der Sarazenen in der ›Kudrun‹ erinnert ihn an die Situation im lateinischen Osten im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert (ebd., 154) und die brutalen Schlachtenbeschreibungen des ›Ortnit‹ und »presence of strong anti-heathen feelings« sieht er als Reminiszenz an den ersten Kreuzzug (ebd., 159). 105 Dieses Problem verschärft sich noch weiter, wenn man versucht, die theologisch-normati­ ven Positionen in Übereinstimmung mit ihren häufig sehr viel pragmatischeren Umsetzungen in Einklang zu bringen. Als Beispiel seien nur auf die Landesherren im lateinischen Königreich von Jerusalem verwiesen, die die Missionierung ihrer muslimischen Sklaven zum Teil aus wirtschaft­ lichen Motivationen hintertrieben haben. S. dazu Favreau-Lilie 2001, 87 ff. 106 Die Problematik dieses Begriffes hat Ines Hensler eingehend diskutiert (Hensler 2006, 315 ff.). Auch John Tolan (2002, 281) lehnt eine solche Perspektive ab und fordert stattdessen eine Unter­ suchung der Darstellungstrategien: »The goal [of this book], rather than to dole out posthumous prizes for ›tolerance‹ or castigations for intolerance, is to understand what motivated individual writers to portray Saracens as pagan idolaters or to paint Muhammad as a debauched heresi­ arch – or, on the contrary, to argue that Islam was as legitimate (or nearly so) as Christianity.« Unter besonderer Berücksichtigung Wolframs hatte z. B. Barbara Sabel (2003) mittelalterliches ›Toleranzdenken‹ untersucht.



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Diskurse, sondern auch an der Literarizität dieser Texte vorbei. Nicht weniger problematisch sind jedoch Studien, die den interreligiösen Konflikt in den Braut­ werbungserzählungen als nachträgliche und damit äußerlich bleibende Überfor­ mung einer ursprünglicheren Textgestalt margi­nalisieren107 oder ihn ausschließ­ lich an seinem ›Realitätsgehalt‹ messen.108 Die letzte Tendenz zeigt sich auch in wiederholten Versuchen, das Gesche­ hen der Brautwerbungserzählungen mit bestimmten historischen Ereignissen zu identifizieren. Die Suche nach solchen Geschehnissen, auf die man die literari­

107 Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert (1960) kommt bei seiner Untersuchung der Brautwer­ bungserzählungen im Rahmen seiner Monographie ›Kreuzzugsdichtung des Mittelalters. Studien zu ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit‹ zu dem Schluss, dass die Kreuzzugsthe­ matik, trotz »echter Begeisterung für den heiligen Krieg« (ebd., 115) z. B. des Rother-Dichters, hier zum einen durch die »auf Unterhaltung gerichtete Erzählweise« (ebd., 98) zum anderen durch die »alte Brautraubsage‹ (ebd., 104) überlagert sei. Mehrfach beobachtet er, dass die Thematik trotz allem »heldisch« (ebd., 98) bleibe, bzw. eine »heldische Intoleranz« (ebd., 104) dominiere. 108 Walter Kofler hat in seiner Untersuchung ›Der Held im Heidenkrieg und Exil‹ (1996) ein brei­ tes Textkorpus der »Spielmanns- und Heldendichtung« extensiv untersucht. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die »Übernahme von Schauplätzen der orientalischen und osteuropäischen Kreuzzüge weitgehend oberflächliche Folie bleibt« (ebd., 138 f.). Es ist aber fraglich, ob er bei Aussagen wie »Organisation und Taktiken der in den Texten dargestellten Heere entsprechen kaum den historischen Fakten der Kreuzzüge. Vor allem fällt auf, daß in den Texten nirgends spezielle Belagerungsmaschinen verzeichnet sind, obwohl Heere oft mehrere Jahre vor der Stadt liegen« (ebd., 140) literarischen Texten angemessene Maßstäbe anlegt. Insgesamt misst er die untersuchten Texte an einer von ihm aufgestellten Definition des Kreuzzuges (»Ein Kreuzzug ist ein Krieg gegen angebliche Feinde des christlichen Glaubens, der katholischen Kirche und des Papstes, unternommen von Freiwilligen, die sich zum Zeichen ihrer Unterstellung unter die päpstliche Autorität mit einem Kreuz kennzeichnen« (ebd., 14). Dass nur wenige Texte diese Kriterien erfüllen, ist nicht überraschend. So kommt Kofler zu folgenden Schlüssen: »Staatlich geführte Heidenkämpfe, wie sie in den Texten der Spielmanns- und Heldendichtung darge­ stellt werden, hätten – zumindest was den Großteil des ethischen Gehalts betrifft – schon im 9. Jahrhundert so stattfinden können. Die Abfassungszeit der Texte war aber oft erst das 12. und 13. Jahrhundert. Es lag nahe, die archaischen Vorlagen mit ›modernen‹ Kreuzzugselementen an­ zureichern, sodaß die Texte an jene mit ›richtigen‹ Kreuzzügen angenähert wurden. Eine Mög­ lichkeit dazu war, Kreuzzugskolorit in eng begrenzte Passagen der Texte einfließen zu lassen, ohne die ethisch-ideologische Line des Gesamtwerks ernsthaft zu berühren. […] Der Kriegszug eines Königs und seiner Männer zur Erwerbung oder Rückgewinnung einer Frau konnte ja nicht ohne weiteres zu einem Kreuzzug hochstilisiert werden. Den zeitgenössischen Textrezipienten hätte dieses Vorgehen als Etikettenschwindel erscheinen müssen« (ebd., 202 f.). Die Frage nach dem ›Etikett‹ Kreuzzug scheint im Falle der Untersuchung Koflers die Sicht auf die Texte insge­ samt eher verstellt zu haben. Zum einen berücksichtigt er nicht die in der Geschichtswissen­ schaft angeregt geführte Debatte um die Definition des Begriffes ›Kreuzzug‹ (s. z. B. Hehl 1994), zum anderen wird durch die Konzentration auf ›realistische‹ Darstellung wenig über die spezifi­ sche Qualität der literarisch geformten interreligiösen Konflikte erhellt.

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schen Werke durchsichtig zu machen versuchte, begann schon im 19. Jahrhun­ dert. Besonders intensiv wurde sie für den ›Rother‹ geführt, dessen Protagonist sowohl mit dem Langobarden Rothari als auch mit Roger von Sizilien, Heinrich VI. und Friedrich I. identifiziert wurde.109 Friedrich Vogt sieht im ›Salman‹ u. a. eine Reflexion der Eroberung von Akkon während des dritten Kreuzzuges.110 Elard Hugo Meyer (1865, 393) hat für den ›Oswald‹ einen Bezug zwischen War­ munts Gespräch mit Oswald und den Kreuzzugspredigten Bernhards von Clair­ vaux im Rheinland hergestellt und auch die Oswald und Bernhard zugeschrie­ ben Wunder aufeinander bezogen.111 Im gleichen Aufsatz führt er ebenfalls aus, dass der ›Orendel‹ Ereignisse um die Eroberung Jerusalems durch Saladin 1187 darstelle und man in den Hauptfiguren Orendel und Bride literarische Porträts Guidos von Lusignan und Sibylles von Jerusalem sehen müsse.112 Für den ›Ortnit‹ glaubte man ebenfalls historische Anknüpfungspunkte finden zu können. Karl Müllenhoff (1867) interpretierte die Kampfhandlungen im Text als Reminiszen­ zen an die vergeblichen Versuche der Christen die Gipfelburg auf dem Berg Tabor im Jahr 1217 einzunehmen und nannte sie »ein Stück Zeitgeschichte« (ebd., 190). In der Brautwerbungshandlung sah er außerdem einen Reflex der Ehe zwischen

109 Eine Anknüpfung an die langobardischen Könige Authari und Rothari wurde von Willy Krogmann in seinen Artikel zum ›Rother‹ im Verfasserlexikon (1936, Sp. 852 f.) aufgenommen und auch von Curschmann (1968, 34) bestätigt. Für eine ›Vermischung‹ der historischen Fi­ guren Rotharis und Rogers von Sizilien in Rother haben sich Friedrich Panzer (1925) und Jan de Vries (1922, XCII ff.) ausgesprochen. Auch die Figuren Ottos II. (Singer 1889), Heinrichs VI. (Siegmund 1959) und Friedrichs I. (Urbanek 1976, 220; 1979) wurden als Anknüpfungspunkt vorgeschlagen. Zur kritischen Reflexion dieser Verortungen s. das Kapitel »Rom, Byzanz und Babylonie: ›Rother‹«. 110 »Wenn dieser Teil des Gedichtes irgendwelchen historischen Hintergrund hat, so ist es die Belagerung und Eroberung von Akka 1190/91, und jenen Herzog Friedrich darf man auf Her­ zog Friedrich von Schwaben deuten, der an der Belagerung hervorragenden Anteil nahm« (Vogt 1880, CXII). In diesem Bezug sieht Vogt das entscheidende Argument für seine Datierung des Werkes auf kurz nach 1191 (ebd., CXV), worin ihm Hans-Friedrich Rosenfeld in seinem Artikel zum ›Salman‹ im Verfasserlexikon (1953, Sp. 9) folgt. 111 Meyer stellt ebenfalls eine Beziehung zum zweiten Kreuzzug her, bei dem Konrad III. am Tag des Heiligen Georg, der auch im ›Oswald‹ bei der Vorbereitung der Heerfahrt erwähnt wird, eine Beratung einberufen habe. Obwohl er dies selbst als »schwankende Hinweisung« (Meyer 1865, 393) bezeichnet, folgt ihm Siegmar Schultze (1888, 57–59) darin und vermutet weitergehend eine Beeinflussung der Oswald-Figur durch Konrad III. 112 Diese Einschätzungen wurden von Heinrich Harkensee (1879) und Arnold E. Berger (1888) kritisiert, im Jahr 1893 aber von Meyer mit neuen Argumenten verteidigt. Im 20. Jahrhundert haben sich Gustav Ehrismann (1922, 344) und Willy Krogmann (1955) der Grundlinie von Meyers Interpretation angeschlossen. Zu dieser Forschungsdiskussion s. Kaplowitt 1962, 324 ff.



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Friedrich II. und Isabella von Jerusalem (ebd. 191 f.).113 Auch einzelne Hand­ lungsteile der ›Kudrun‹ wurden mit Ereignissen des zweiten oder des fünften Kreuzzuges in Verbindung gebracht.114 Diese Forschungsansätze wurden 1962 von Stephen Kaplowitt in seiner Dissertation ›Influences and reflections of the crusades in medieval German epics‹ einer gründlichen Revision unterzogen. Er stellt dabei fest, dass fast alle vorgeschlagenen Kontextbezüge unhaltbar sind.115 Bis auf wenige Ausnahmen kommt er daher zu folgendem Schluss: »the relatively sober facts of crusade history only occasionally appealed to poets satisfactory source material« (ebd., 529). Seine Auseinandersetzung mit den eben genannten Forschungspositionen bleibt dabei allerdings immer auf der Ebene der Wahrscheinlichkeit des einen oder anderen Bezuges ohne die Vorgehensweise an sich zu hinterfragen, so dass die Konzeption der Beziehung zwischen Text und Kontext auch von ihm nur als Abbildung oder Spiegelung gedacht werden kann. Denn obwohl sich seiner Meinung nach im ›Ortnit‹ und ›Orendel‹ Reminiszenzen an historische Ereig­ nisse finden lassen, bliebe immer noch generell zu fragen, ob eine solche Iden­ tifikation von Text und Kontext den literarischen Werken gerecht werden kann. In diesem Sinne soll in der vorliegenden Studie die Beobachtung kontextueller Referenzen auf die interreligiösen Konflikte der Kreuzzüge hin aufgenommen aber unter einer methodisch geschärften Herangehensweise neu untersucht werden. Die Verbindung von Brautwerbungshandlung und interreligiösem Konflikt, die für die vorliegende Studie von besonderem Interesse sein wird, wurde in der

113 Die Verbindung zu diesem Paar sieht er dadurch begründet, dass Isabella in Tyrus gekrönt wurde und von diesem Hafen aus zu Friedrich reiste. Die Stadt Sunders/Tyrus spielt auch im ›Ortnit‹ als Landungshafen eine Rolle. Arthur Amelung (1871) stimmte diesen Einschätzungen zu, wohingegen Friedrich Neumann (1982) Kritik an der zweiten These (Bezug auf die Ehe zwi­ schen Friedrich und Isabella) anmeldete und in der Erwähnung von Sunders/Tyrus eher eine Reminiszenz an die Eroberung der Stadt 1124 sehen wollte (ebd., 211 f.). Elard Hugo Meyer (1894) hat sich Müllenhoffs Thesen angeschlossen und sie auf spätere Kreuzzugsereignisse hin erwei­ tert, unter anderem durch die Verbindung Elberichs mit einem parvus Saracenus in historischen Quellen zum Kampf um Mont Tabor (ebd., 67 ff.). Zur generellen Problematik solcher Kurzschlüs­ se literarischen Erzählens mit außerliterarischer Realität s. das Kapitel »Probleme der Datie­ rung« dieser Arbeit. 114 Für Parallelen zu Ereignissen des fünften Kreuzzugs hat sich in erster Linie Ernst Martin (1883) ausgesprochen, worin ihm Karl Droege (1913) teilweise folgte und Friedrich Panzer (1901, 198 Anm. 1) widersprach. 115 Er weist die vorgeschlagenen Bezüge für ›Rother‹ (Kaplowitt 1962, 297), ›Salman‹ (Ebd., 317), ›Kudrun‹ (ebd., 511), und ›Oswald‹ (ebd., 324) zurück. Im Fall des ›Ortnit‹ (ebd., 361 f.) und ›Orendel‹ (ebd., 492) stimmt er den genannten Forschungspositionen, zum Teil mit leichten Ein­ schränkungen, zu.

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Forschung zwar wiederholt festgestellt,116 aber noch nicht analytisch in den Blick genommen. Dabei geht die Forschung häufig von der Vorstellung einer ›ursprüng­ lichen‹ Brautwerbungserzählung mit einer äußerlich bleibenden ›Kreuzzugsthe­ matik‹ aus, wobei der Erwerb der Frau zentral bleibe.117 Oftmals bleibt das Ver­ hältnis zwischen Brautwerbungshandlung und interreligiösen Konflikt aber auch unbestimmt. Demgegenüber werde ich die Brautwerbung als literarische Umsetzung, als narrative Entfaltungsmöglichkeit des Erzählens von Konflikten zwischen Christen und Sarazenen zu beschreiben versuchen.118

Methodische Überlegungen und Fragestellung Ein zentrales Ziel dieser Arbeit ist es daher, die Verhandlung der interreligiö­ sen Konflikte in den Brautwerbungserzählungen im Zusammenspiel mit ihren ­kulturellen, mit ihren diskursiven Kontexten zu untersuchen und beschreib­ bar zu machen. Jeder Text steht in inner- und außerliterarischen kontextuellen

116 Wentzlaff-Eggebert 1960, 98 ff., 116.; Köppe-Benath 1962, 345 ff., 361; Folz 1980, 57; Rüth 1992, 39 ff.,113; Embach 1995, 766, Kofler 1996, 130; Dobozy 1996, 48. 117 »Ziel der Aktionen ist nur in Ausnahmefällen die Unterwerfung der heidnischen Länder. Auch die Bekehrung der Bevölkerung zum ›rechten‹ Glauben steht nie im Mittelpunkt der Ak­ tion. Vielmehr gilt es, eine geeignete Frau für den König zu erringen oder begangenes Unrecht der Heiden zu rächen« (Kofler 1996, 138), »Weltliches Ziel dieser Heidenkämpfe bleibt in allen drei Epen die Erringung der Frau. Der Missionsgedanke tritt dahinter zunächst völlig zurück. Der alte Sagenstoff scheint uneingeschränkt über die fromme Geisteshaltung des Dichters zu triumphieren«, »Dem Ablauf des äußeren Geschehens im ›Rother‹, der Brautraubgeschichte, ließ sich die Kreuzzugsthematik leicht einflechten« (Wentzlaff-Eggebert 1960, 101, 116), »Die Kämpfe geben vielmehr nur allgemeinen Kreuzzugshintergrund, um damit dem Interesse der Adressaten entgegenzukommen« (Rüth 1992, 198). 118 In diese Richtung gehen die Überlegungen von Michael Embach (1995, 773 f.), auch wenn seine enge Funktionsbestimmung des ›Orendel‹ und die Vorstellung ›spielmännischer Versatz­ stücke‹ problematisch sind: »Die besondere Leistung des Orendelautor hätte demzufolge darin bestanden, die althergebrachte, ›offizielle‹ kirchliche Darstellung von der Heilig-Rock-Übersen­ dung nach Trier mit Hilfe epischer Versatzstücke aus dem Fundus der volkssprachlichen, ›spiel­ männisch‹ geprägten Literatur des 12. Jahrhundertes in einen völlig neuartigen literarischen Kontext eingekleidet zu haben. Bei diesem Literarisierungsprozess überwog ganz eindeutig die lokale, christlich-legendarische Schicht der Heilig-Rock-Thematik, auch wenn in der so zustande gekommenen Dichtung hier und da Relikte aus einem heldenepisch-ritterlichen Erzählbereich durschimmern mochten. Im ganzen betrachtet wurden diese Elemente jedoch weitgehend ma­ jorisiert und zum literarischen ›Vehikel‹ einer örtlichen, frömmigkeitsgeschichtlichen bzw. kir­ chenpolitisch relevanten Botschaft umfunktioniert.«



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Zusammenhängen und wird erst durch diese Eingebundenheit verständlich.119 Jede literaturwissenschaftliche Analyse muss daher notwendigerweise mit einer Konzeption des Text-Kontext-Bezuges operieren, auch wenn diese implizit und unreflektiert bleiben kann.120 Es muss sich daher die Frage stellen, wie das Ver­ hältnis literarischer Texte zu ihrer kulturellen Umgebung überhaupt zu denken und seine Erforschung methodisch abzusichern ist. Die Germanistische Mediävistik hat sich immer schon verstärkt für die kon­ textuelle Eingebundenheit ihrer Gegenstände interessiert.121 Insofern brachte der Cultural Turn in den Literaturwissenschaften für sie auch weniger eine grund­ legende inhaltliche Neuorientierung als vielmehr eine Schärfung der methodi­ schen Herangehensweisen. Herrschte im 19. und bis in die Mitte des 20. Jahrhun­ derts hinein die Vorstellung vor, mittelalterliche Literatur ließe sich, zum Beispiel in Hinblick auf die höfische Kultur oder juristische Verfahren, als ein Abbild, ein »mehr oder weniger direkte[s] Dokument historisch-gesellschaftlicher Faktizität« (Peters 1997, 370 f.) lesen, so wurde das Verhältnis zwischen Text und Kontext seit den 50er Jahren methodisch unterschiedlich konzeptualisiert. Vor dem methodischen Hintergrund eines Basis-Überbau Modells der materialistischen Geschichtstheorie entwickelte z. B. Erich Köhler (1956, 76, 82) Deutungen des höfischen Romans als Entwurf eines Dienstethos für den niederen Adel. Unter den Stichworten der Gönnerforschung und literarischen Interessen­bildung unter­ sucht die Germanistische Mediävistik die Entstehungs­bedin­gungen von Literatur

119 »Kein Text kann aus sich selbst heraus verstanden werden. Ein Text, auf den dies zuträfe, wäre ein hermetischer Text, der seine Bedeutung nicht kommunizieren könnte und der die Be­ deutung seiner Zeichen nicht mit den Zeichen außerhalb seiner selbst teilte. Ein solcher Text wäre nicht lesbar, geschweige denn interpretierbar« (Hallet 2006, 53). So kann Rüdiger Schnell (2008, 97) die Kontextgebundenheit literarischer Texte eine »literaturwissenschaftliche Binsen­ weisheit« nennen. 120 »Um die spezifische Form der Textorganisation überhaupt entschlüsseln zu können, müs­ sen wir Interpretationen also Hypothesen darüber zugrunde legen, worauf Texte bzw. ihre Ele­ mente bezogen sind. Andernfalls bliebe die Bedeutung der einzelnen Elemente und damit des Textganzen opak. Man darf daher vermuten, dass literaturwissenschaftliche Ansätze stets mit einem – mal mehr, mal weniger elaborierten – Text-Kontext-Modell operieren. Die Frage lautet also gar nicht, ob Literaturwissenschaftler die untersuchten Werke kontextualisieren, sondern wie bewusst sie dies tun und inwiefern sie ihre Praxis und Strategien der Kontextualisierung selbst theoretisch reflektieren und explizieren« (Neumann; Nünning 2006, 4). 121 Zur Tradition der intensiven Beschäftigung mit Text-Kontext-Fragen in der Germanistischen Mediävistik führt Ursula Peters aus: »Dass die literaturhistorische Mediävistik auf diesem Feld der literaturwissenschaftlichen Diskussion bisher eine gewichtige Stimme hatte, ist nicht er­ staunlich, beschäftigt sie sich doch seit Beginn ihrer Aktivitäten im wesentlichen mit dem, was man die Rekonstruktion des im weitesten Sinne historischen Kontextes bzw. seine Applizierung für das Verständnis mittelalterlicher Dichtung nennt« (Peters 1997, 370 f.).

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an mittelalterlichen Höfen und durch andere literaturtragende Gruppen, sowie die damit einhergehende Prägung der Werke.122 In der aktuellen kulturwissenschaftlichen Orientierung des Faches hat eine Pluralisierung kontextbezogener Forschungsansätze stattgefunden. Beispielhaft dafür sind die Arbeit an einer historischen Anthropologie, wie sie z. B. Jan-Dirk Müller in seinem Buch ›Spielregeln für den Untergang‹ (1998) am Beispiel des ›Nibelungenliedes‹ entwirft oder wie sie die von Werner Röcke und Hans Rudolf Velten gesammelten Beiträge im Sammelband ›Lachgemeinschaften‹ (2005) zu erproben versuchen. Auch Untersuchungen zur Körperlichkeit, sowohl als Thema mittelalterlicher Literatur als auch als Bestandteil ihres Vortrags, ihrer Performanz haben sich als fruchtbar erwiesen.123 Neuere Forschung zu Münd­ lichkeit und Schriftlichkeit als Produktions-, Tradierungs- und Rezeptionsformen versteht sich in Verbindung mit gedächtnis­theo­retischen Konzepten ebenfalls als Teil der kultur­wissen­schaftlichen Prägung der Germanistischen Mediävistik.124 Nicht zuletzt setzen die Arbeiten zur Genderforschung einen kultur- und kontex­ torientierten Fokus.125 Die Reihe der Arbeiten und Forschungsfelder, die sich in der Germanistischen Mediävistik kulturwissenschaftlich orientieren, ließe sich ohne Mühe weiter fortsetzen. Ganz aktuell lässt sich dabei ein methodisch geschärftes Interesse an der Verwobenheit literarischer Texte mit ihren diskursiven Kontexten erkennen, wie es Beate Kellner (2004) in ihrer Studie ›Ursprung und Kontinuität‹ zu Denkfor­ men der Genealogie im Mittelalter an den Tag gelegt hat.126 »Die Untersuchung des Verhältnisses von Text und Kontext gehört zu den altehrwürdigsten Aufga­ ben der Literatur und Kulturwissenschaft« befindet auch Jan-Dirk Müller (2007c, VII) in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Sammelbandes ›Text und Kontext‹, dessen Beiträge besonders der Verbindung von außerliterarischen Kon­ texten mit spezifisch literarischen Erzählmustern nachgehen. Diese Richtung

122 S. dazu den von Joachim Heinzle (1993) herausgegebenen Sammelband zur ›literarischen Interessenbildung‹. 123 Siehe dazu z. B. die von Christian Kiening in seiner Aufsatzsammlung ›Zwischen Körper und Schrift‹ (2003a) zusammengestellten Beiträge (›Körper und Zeichen‹, ›Körperteile und Au­ torinszenierung‹, ›Ich-Körper-Karten‹). 124 Kontrovers diskutiert wurden in diesem Zusammenhang die Thesen von Harald Haferland (2004), der die in der jüngeren Forschung zumeist als Signale einer fingierten Mündlichkeit ge­ werteten Texteigenschaften als Gedächtnisstützen einer weiter existierenden mündlichen Tra­ dition wertet und von hier ausgehend die Fassungsvielfalt der Texte erklären will. Zu diesen Thesen hat u. a. Heike Sahm (2008) kritisch Stellung genommen. 125 S. dazu u. a. Kraß 2006; Bennewitz; Tervooren 1999; Haas; Kasten 1999. 126 »Jeder Text lässt sich als ein Bündel von diskursiven Fäden auffassen, welche in heterogene Diskurszusammenhänge hinein zu verfolgen sind« (Kellner 2004, 99).



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verfolgt auch die monographische Studie Jan-Dirk Müllers, die in der Interaktion von ­Kulturmustern und Erzählmustern das Schließen ›Höfischer Kompromisse‹ zu ergründen.127 Im Umfeld dieser Forschungsansätze soll für die vorliegende Studie ein methodischer Ansatz gewählt werden, der flexibel genug ist, die unterschiedli­ chen kontextuellen Zusammenhänge, in denen die Brautwerbungserzählungen stehen, fassbar zu machen. Dazu bietet sich der Zugang des New Historicism an, der zum einen fest in den Traditionen der von Michel Foucault begründeten Dis­ kursanalyse steht, zum anderen aber auch den Blick auf konkrete, intertextuelle Bezugsweisen und die Dynamik dieser Austauschprozesse öffnet. Insofern liefert er neue Impulse für eine historische Lesart von Texten unter Berücksichtigung der theoretischen Prämissen des Poststrukturalismus (Baßler 2001a, 7). Diese von Stephen Green­blatt angetriebene und von ihm mittlerweile ›Poetics of Culture‹ genannte Ausrichtung ist mit leichter Zeitverzögerung auch in der Germanisti­ schen Mediävistik angekommen128 und bereits erfolgreich erprobt worden (A. Becker 2009, 147 ff.; Schausten 1999). Auch für die vorliegende Studie soll sie, mit einigen notwendigen Anpassungen, das methodische Rüstzeug liefern. Anschlussfähig erscheinen mir dabei die folgenden Prämissen und Vorstel­ lungen des New Historicism: Texte können als ein Gewebe von Diskursfäden,

127 Er formuliert das Ziel seiner Studie wie folgt: »Dieses Buch ist ein Versuch und ein Wagnis. Es will einige der großen Themen beschreiben, die die höfische Kultur um 1200 beschäftigen, ausgehend von einigen Grundmustern höfischer Epik des deutschen Mittelalters, die besonders produktiv für das Erfinden immer neuer und anderer Geschichten sind. Es unterstellt, daß diese Grundmuster nicht zufällig und beliebig, sondern daß sie spezifisch für die hochmittelalterli­ che Laienkultur sind, daß sie auf für dies maßgeblichen, unhinterfragten Kulturmustern aufru­ hen. Gegenstand ist damit ein Ausschnitt aus der imaginären Welt, die vor allem die höfische Literatur um 1200 für eine adlige Gesellschaft entwirft, eine Literatur, die, wie ich glaube, auf deren Selbstbild, Erwartungen, Wünsche, Befürchtungen usw. Bezug nimmt, affirmatisch oder kritisch, normativ oder entgrenzend« (J.-D. Müller 2007a, 1). 128 Erste Anknüpfungspunkte finden sich bei Röcke 1995 und Peters 1997. Ursula Peters äußert dabei ihre Verwunderung, dass sich die Germanistische Mediävistik angesichts der »konzeptio­ nell wie empirisch nicht sehr befriedigenden Situation« in Bezug auf die Text-Kontext-Forschung der neueren Zeit »nicht schon längst mit den Konzepten des sog. New Historicism auseinander­ gesetzt hat« (ebd., 375). Unter den Etiketten New Historicism bzw. Poetics of Culture verbirgt sich allerdings keine geschlossene Schule, sondern eine ganze Reihe kontextorientierter An­ sätze (s. Ostheimer 2008, 187). Zu den gemeinsamen Prämissen und Praktiken zählen u. a. die historische und kulturelle Einbettung eines jeden Textes, die dynamische Zirkulation sozialer Energie, Fragen nach Ausgeschlossenem und Unterdrücktem z. B. in den Kategorien race, class und gender und das Widersetzen gegen eine Teleogie anstrebende master narrative durch eine kontingenzbetonte Analysemethode (s. Volkmann 2008, 541 f.). Zum aktuellen Interesse an einer »kontextuellen Literaturwissenschaft« s. Neumann; Nünning 2006, 3).

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die in sie hinein und auch wieder aus ihnen heraus führen, begriffen werden, wodurch Literatur als eine diskursive Praxis beschreibbar wird.129 Die Kultur, auf die sich diese Praxis bezieht, kann dabei nicht als monologisch und in sich sinnvoll verstanden werden,130 sondern muss als mehrstimmiges und dispara­ tes System aufgefasst werden.131 Erfahrbar wird eine Kultur durch ihre textuellen Zeugnisse, nur in ihnen wird sie lesbar.132 Anders als in Modellen der Widerspie­ gelung von Kultur in Literatur oder von Literatur als Aufbau über einer kultu­ rellen Basis erscheint die Kultur in neueren Ansätzen nicht mehr als schlecht­ hin gegebener Gegenstand, sondern als Problem, als etwas, das letztendlich erst in der Konstruktion des Interpreten entsteht und sinnfällig wird. Dabei ist der Interpret selbst ebenfalls in kulturelle Zusammenhänge eingebunden, sein Standpunkt kann daher notwendigerweise nicht objektiv sein.133 Diese diskursive Vernetztheit und Abhängigkeit von Text, kulturellem Kontext und Interpreten führt zu einem Misstrauen gegenüber (vorschnellen) Meta-Erzählungen und zu einer Privilegierung direkter Bezüge und kontingenter Einzelfälle, die in synchro­ ner Ausrichtung die kulturellen Kontexte einer bestimmten Zeit beschreibbar machen sollen. Diese Reduktion auf den synchronen kulturellen Kontext wird in der vorlie­ genden Studie nicht übernommen, der Blick soll vielmehr über diesen hinaus auch auf diachrone Diskurslinien hin erweitert werden. Auch in Hinblick auf einige weitere Facetten des New Historicism sind Modifizierungen nötig.134 Zum einen soll nicht versucht werden in Greenblatts »schräger anekdotischer Virtuosi­

129 »Diskursfäden laufen in den Text hinein und aus dem Text hinaus, sind innerhalb und au­ ßerhalb des Textes vielfältig verwoben« (Baßler 2001a, 16). 130 »Kultur ist nicht mehr der schlechthin gegebene Gegenstand, den man nur zu erschließen brauchte, sondern allenfalls ein Geschehenszusammenhang, dem nicht einmal eine bestimmte Intention zugeschrieben werden kann. […] Kultur ist nicht einfach mehr die Antwort, vor der alle Fragen verstummen, sondern das Problem selber« (Fauser 32006, 13). 131 »Man muß eine geschlossene oder statische, singuläre oder homogene Vorstellung von Ideo­ logie durch eine heterogene und instabile, durchlässige und prozessuale ablösen!« (Montrose 2001, 70). 132 Ostheimer 2008, 190. Die Frage, inwiefern dieser ›Text‹ auch aus bildlichen oder plastischen Kunstwerken, Architektur, Filmen, Riten, etc. bestehen kann, ist für die vorliegende Studie nicht von Interesse und kann hier daher ausgeblendet werden. 133 »Denn jeder Versuch einer Selbstverortung muss notwendigerweise auch von der Position desjenigen handeln, der da schreibt. ›Von wo aus wird gesprochen?‹, lautet die Frage des stren­ gen kahlköpfigen Philosophen; besser, wir versuchen sie zu beantworten. Denn der komplett entkörperte Blick von ganz, ganz weit oben ist das Privileg von Gott, und von Alfred Hitchcock« (Groebner 2008, 10). 134 Zu der in diese Modifikationen einfließenden Kritik am New Historicism s. Peters 1997, 377; Volkmann 2008, 542.



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tät« (Liu 2001, 95) vorzugehen, um einen punktuellen Zusammenhang zwischen Literatur und Kultur zu erhellen, sondern ein systematischerer Zugang gewählt werden: Im Mittelpunkt des Interesses werden die sechs Brautwerbungserzäh­ lungen und die in ihnen verhandelten interreligiösen Konflikte stehen. Diese besser oder neu zu verstehen, ist Ziel der Untersuchung.135 Dies bedeutet auch, die zum Teil in neuhistoristisch geprägten Forschungs­ beiträgen vorgenommene Egalisierung von Literatur und ihren kulturellen Kon­ texten zum Teil wieder zurückzunehmen. Die literarischen Texte sind als lite­ rarische Werke, das heißt in ihrer ästhetischen Besonderheit, ihrer poetischen Gemachtheit und unter Berücksichtigung der in ihnen wirksamen Lizenzen und Gestaltungsräume des Fiktionalen, von Interesse. Nur zum Teil zurückgenommen wird diese Egalisierung, weil die zu diesen Texten in Beziehung zu stellenden Kontexte in manchen Fällen ebenfalls in ihrer Textualität von Interesse sind, wenn zum Beispiel nach den in historiographischen Quellen genutzten Erzähl­ mustern oder motivischen Parallelen in biblischem und literarische Narration gefragt wird.136 Eine solche Reduzierung der Kontexte auf ihre erzählerische, paraliterarische Dimension kann ihnen nicht gerecht werden – sie aber vielleicht doch sinnstiftend perspektiveren. Im Fokus der Untersuchung stehen jedoch immer die literarischen Texte. Dies bedeutet aber auch, dass die Fragestellung von der (Re-)Kon­struktion einer synchronen kulturellen Schicht abrückt und sich in diachrone Richtung hin öffnen muss. Denn literarische Texte stehen, so wie alle anderen Texte auch, nicht nur in Verhandlungen mit dem kulturellen Umfeld, in dem sie ent­ stehen, sondern auch mit Diskurslinien, die zum einen weit in der Zeit zurück, zum anderen aber auch bis in die Zeit des Interpreten hineinreichen können.137 Diese Linien können sich sowohl auf die Form des Gesagten, also auf Erzähl­ muster, Motive, Gattungstraditionen, etc. als auch auf inhaltlich bestimmte

135 In diesem Sinne erprobt die vorliegende Studie eine Vermittlung von textzentrierter und kulturell-kontextualisierender Analysearbeit, wie sie von Neumann; Nünning 2006, 9 gefordert wird. 136 Hier drückt sich also das von Louis Montrose geforderte Interesse an der Geschichtlichkeit von Texten und der Textualität von Geschichte (Montrose 2001, 67) aus. 137 Dies ist im Fall interreligiöser Konflikte zwischen Christentum und Islam offensichtlich der Fall. Wie sehr unsere aktuelle Eingebundenheit in Fragen religiöser Toleranz und Intoleranz auch die Wahrnehmung des Mittelalters prägt, hat zuletzt Nikoals Jaspert 2007, 320 ff. gezeigt. Versuche, das theologische und philosophische Denken des Mittelalters vor den Vorwürfen pau­ schaler Intoleranz und unreflektierter Gewalt gegenüber Andersgläubigen zu retten, kann auch zu verzerrenden Darstellungen führen – so wählt z. B. die von Athina Lexutt und Detlef Metz aus­ gewählte Textsammlung ›Christentum – Islam‹ nur diejenigen mittelalterlichen Quellen aus, die, politisch korrekt, eine ›tolerante‹ Haltung gegenüber dem Islam einnehmen (Lexutt; Metz 2009).

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Diskurse richten. Diese letzteren könnten in Bezug auf das zu untersuchende Thema im Bündel der theologisch-normativen, historiographischen, juristi­ schen (etc.) und literarischen Diskurse zum Umgang mit dem religiös Anderen zu suchen sein. Einer methodischen Konkretisierung hingegen bedarf die Vorstellung eines Austauschs kultureller Energien, die besonders von Stephen Greenblatt mit mer­ kantilen Metaphern beschrieben wird. Wie genau lässt sich die Interdependenz von Text und Kontext denken? Die Orientierung der neohistoristischen Analy­ sepraktiken in ihrer Suche nach konkreten und punktuell verorteten Bezügen zwischen Texten an Phänomenen der Intertextualität wurde von unterschied­ licher Seite aus beobachtet138 und zuletzt im Sammelband ›Kulturelles Wissen und Intertextualität‹ für eine genauere Konzeptionalisierung des Text-Kontext Verhältnisses fruchtbar gemacht, wie Wolfang Halett formuliert: Der Begriff Intertextualität ist ein wichtiges methodisches Paradigma einer kulturwissen­ schaftlichen Literaturwissenschaft, das es erlaubt, die Zugehörigkeit eines Textes zu seiner kulturell-diskursiven Umgebung und die kulturelle Aufladung seiner Bedeutung als eine Vielfalt von Textbeziehungen zu konzeptualisieren und zu beschreiben (Hallet 2006, 55).

Die gleichzeitige Orientierung an Traditionen der klassischen Diskursanalyse erlaubt es aber auch, diese ganz konkrete Ebene zeitweilig zu verlassen bzw. die einzelnen Texte in ihrer Gesamtheit als kulturelles Archiv zu betrachten,139 in dem sie intertextuell unterschiedlich eng miteinander vernetzt sind, Diskurse und Spannungsfelder bilden, an die andere Texte auch ohne direkten Prätextbezug anknüpfen können. Diese unterschiedlichen Formen und Ebenen des als intertextuell verstan­ denen Kontextbezuges und diskursive Eingebundenheit in synchroner und dia­ chroner Hinsicht werden sich in den folgenden Kapiteln mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung fokussiert. So werden im folgenden und letzten Abschnitt der Einleitung der paratextuelle Kontext handschriftlicher Ko-Überlieferung sowie die engen intertextuellen Beziehungen literarischer Komplexe, wie die

138 So z. B. von Louis Montrose (2001, 63): »Praktisch bedeutet dieses Projekt [des New Histo­ ricism] eine Neuausrichtung an der Achse der Intertextualität. Der diachrone Text einer auto­ nomen Literaturgeschichte wird ersetzt durch den synchronen Text eines kulturellen Systems«. Alan Liu hat den New Historicism als eine Methode kultureller Intertextualität ohne Definition seiner ›Sprache‹ gekennzeichnet (Liu 2001, 139). 139 Die Vorstellung des ›Archivs‹ ist der Diskurstheorie Foucaults entlehnt, wird hier allerdings relativ simpel als der »Fundus des in textueller Form Gesagten bzw. Verschriftlichten, das sich im Archiv intertextuell vernetzt« (Ostheimer 2008, 191) verstanden.



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Fassungen eines Textes untersucht werden.140 In den folgenden Kapiteln werden je nach Erkenntnisziel mal mehr kontextuelle Bezüge im Sinne von markierten intertextuellen Verweisen, mal mehr inhaltlich-diskursive Zusammenhänge oder die Tradition von Erzählmodellen privilegiert und untersucht werden. Dabei kann die kontextuelle Verortung der Brautwerbungs­erzählungen, selbst im Hin­ blick auf das gewählte Thema des interreligiösen Konfliktes, nicht erschöpfend geleistet, sondern nur angestoßen werden. Die vorliegende Studie gliedert sich dabei in drei Kapitel, die die Darstellung der interreligiösen Konflikte und ihre Verwobenheit mit dem narrativen Modell der gefährlichen Brautwerbung mit unterschiedlichen Schwerpunkten untersu­ chen werden. Das erste Kapitel geht der Frage nach, ob und wie die christlichen Figuren als Kämpfer für ihren Glauben inszeniert werden und wie die militärischen Aus­ einandersetzungen mit den Sarazenen als religiöse Kriege gestaltet werden. In diesem Zusammenhang werden Fragen der Heiligkeit und des göttlichen Willens eine wichtige Rolle spielen. Im zweiten Kapitel wird den Anderen, den Saraze­ nen, stärkere Aufmerksamkeit zuteil. Auch wird sich die Frage stellen, wie sich die Brautwerbungs­erzählungen in der Diskussion um die Behandlung Anders­ gläubiger im Mittelalter verorten lassen. Das dritte Kapitel wird, die Ergebnisse der ersten beiden aufnehmend, der Verbindung zwischen den interreligiösen Konflikten und der Brautwerbungshandlung nachgehen und in dieser Richtung nach narrativen Traditionslinien fragen. Diese Form einer kontextorientierten Untersuchung kann keine umfassen­ den und vollständig befriedigenden Interpretationen der einzelnen Brautwer­ bungserzählungen liefern. Sie kann aber die Grundlagen sichtbar machen, deren eine solche weiter gehende Analyse bedarf und Wege in sie hinein aufzeigen. Für eine Textgruppe wie die mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen, deren Kontexte bislang in erster Linie in nicht belegbaren mündlichen Vorstufen gesucht worden sind, halte ich eine solche Aufarbeitung, die ihren Bezügen zu historiographischen, hagiographischen, theologischen und literarischen Werken und Diskursen nachgeht, für besonders geboten. Denn die Vieldeutigkeit der literarischen Texte, ihre multiplen und komplexen Sinnangebote und die ihnen eigene Literarizität im Ausloten fiktionaler Spielräume, können erst vor dem Hintergrund ihrer kontextuellen Eingebundenheit erfahrbar und beschreibbar werden. Die Beschreibung eines solchen literarischen Spiels in und mit kulturel­ len Kontexten ist das zentrale Interesse der vorliegenden Studie. Beginnen wird

140 Eine Auffaltung möglicher Kontexte für mittelalterliche Literatur, darunter auch die KoÜberlieferung, gibt Rüdiger Schnell 2008, 97.

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sie ihren Weg aber bei der materiell fassbaren Seite der mittelalterlichen Texte, in einer Betrachtung ihrer Überlieferung.

Materialität, Erzählkomplexe, Textauswahl Die lange Zeit deutlich auf die ›Urfassungen‹ und Vorstufen der Texte zielende Forschung hat die Auseinandersetzung mit der konkreten Überlieferung im Fall der Brautwerbungserzählungen stärker behindert, als es bei anderen Textgrup­ pen und Gattungen der Fall war. Mehr oder weniger deutlich wurden sämtliche Überlieferungsträger für unzureichend erklärt und ein Großteil des Forschungs­ aufwandes bestand lange Zeit in der Aussortierung ›unechter‹ Elemente und der Konstruktion des archetypischen Erzählverlaufes.141 Schon vor dem Aufkommen der New Philology hat Helmut Brackert ein solches Vorgehen am Beispiel des Nibelungenliedes kritisiert: [A]lle auf uns gekommenen Hss. oder Hss.-Gruppen bieten einen Text, der von Redakto­ ren und Schreibern immer schon nach bestimmten Tendenzen verändert und umgeformt worden ist. Der Archetypus entzieht sich damit von neuem jeder sicheren Bestimmbarkeit. […] Damit ist weiter gesagt: Wir können die Mischung, die der gemeinsame Text für uns bietet, nicht rückgängig machen; wir können nicht über den gemeinsamen Text zurück bis zu irgendeinem »Original« gelangen (Brackert 1963, 173).

In den folgenden fast 50 Jahren hat sich eine eingehende Beschäftigung mit der mittelalterlichen Handschriftenkultur entwickelt, die den Variantenreichtum und konkrete Materialität der Werke völlig neu bewertet. Die von Paul Zumthor (1984, dt. 1994) begründete Idee der mouvance als einer grundsätzlichen Eigenschaft mittelalterlicher Literatur wurde von Bernard Cerquiglini (1989) aufgenommen und führte zur Etablierung der New Philology.142 Diese ›neue Philologie‹ spricht zum einen jedem Überlieferungsträger prinzipiell die gleiche Bedeutung zu und legt zum anderen verstärkten Wert auf seine Materialität, also Untersuchungen zur Einrichtung der Handschriften, der Ko-Überlieferung in Sammelhandschrif­

141 So sagt z. B. Georg Baesecke (1907, 184) über Christus im ›Oswald‹: »Aber eben dieses Auftre­ ten [an sich] ist schon unecht, es ist eine grobe Fälschung der Wahrheit im Sinne des Dichters.« 142 Für die Germanistische Mediävistik war das Sonderheft der ZfdPh ›Philologie als Textwis­ senschaft. Alte und neue Horizonte‹ (Tervooren; Wenzel 1997) prägend. In Auseinandersetzung mit dieser methodischen Neuorientierung hat Karl Stackmann (1994) viele ihrer Forderungen als durchaus traditionelle Praktiken der Forschung zu zeigen versucht. Ursula Peters hat hingegen 2007 die Besonderheiten der mittelalterlichen Textüberlieferung als Ansatzpunkt einer grund­ sätzlicheren Alterität dieser Literatur stark gemacht.



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ten, etc. Beide Ansätze sind geprägt von der Erkenntnis, dass »die mittelalterli­ chen Texte wesentlich durch die Art ihrer Überlieferung geprägt sind« (Bumke 1996, 78). Die Einsicht, dass sich die Aufmerksamkeit von der Suche nach dem Original abwenden und der konkreten Überlieferung zuwenden muss (Bumke 1996, 4), hat sich bereits in neuen editorischen Leitsätzen und Programmen durchgesetzt. Eine Vermittlung der methodischen Prämissen der New Philology mit dem prag­ matischen Ziel eines konsistenten Lesetextes für die literaturwissenschaftliche Arbeit hat beispielsweise Joachim Bumke mit seiner Edition der vier Fassungen der ›Nibelungenklage‹ erreicht. Intensiv wurde auch die variantenreiche Überlie­ ferung des ›Nibelungenliedes‹ diskutiert.143 Die Beobachtung, dass ›strukturelle Offenheit‹ (Heinzle 1978, 231) und variantenreiche Überlieferung für mittelal­ terliche Werke die Regel und nicht die Ausnahme darstellen (Bumke 1996, 58), bewahrheitet sich auch an mehreren Brautwerbungserzählungen.144 Nur ›Rother‹ und ›Kudrun‹ haben, aufgrund ihrer (quasi-)unikalen Überliefe­ rung, eine feste Textgestalt.145 Der ›Orendel‹ bietet in insgesamt drei Textzeugen zwei sprachlich und inhaltlich voneinander abweichende Versfassungen und eine Prosabearbeitung. Der ›Salman‹ ist in neun Textzeugen überliefert, unter denen sich die Handschrift E zum Teil deutlich von den anderen unterscheidet und der Druck von 1499 u. a. einen neuen Schluss ergänzt.146 Dabei sind alle nicht fragmentarischen Überlieferungsträger, bis auf die in Straßburg verbrannte Hand­ schrift St, jeweils mit Illustrationen ausgestattet, deren Bildprogramme ebenfalls eigene Akzente setzen. Eine handschriftenorientierte Untersuchung des ›Salman‹ könnte also durchaus ergiebig sein – jedoch liegen die Textzeugen nicht so weit auseinander, dass man von verschiedenen Fassungen sprechen müsste und die Differenzen nicht mehr in einer kritischen Edition einholen könnte. Anders sieht es im Fall des ›Ortnit‹ und des ›Oswald‹ aus, die beide nicht nur breit, sondern auch in sehr unterschiedlichen Fassungen überliefert sind. Noch völlig unzureichend untersucht sind dabei die Verhältnisse der sieben ›Ortnit‹

143 z. B. Brackert 1963. Zusammenfassend s. J.-D. Müller 2002, 42 ff. 144 Eine Übersicht der Handschriften auf dem neuesten Stand der Forschung findet sich unter den jeweiligen Einträgen im Handschriftencensus www.handschriftencensus.de. 145 Die von Peter K. Stein begonnene und von Ingrid Bennewitz beendete Ausgabe des ›Rother‹ bietet eine zuverlässige Textgestalt nach der einzigen vollständigen Handschrift, die Varianten der Fragmente und Lesarten früherer Herausgeber. Im Folgenden beziehen sich daher der Titel ›Rother‹ und die Abkürzung ›ro‹ auf diesen Editionstext. Diakritische Zeichen werden je nach ihrem Informationsgehalt aufgelöst oder ignoriert. Entscheidungen der Herausgeber werden nicht kenntlich gemacht. 146 Zu dieser erweiterten Fassung s. Kohnen 2012.

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Fassungen zueinander sowie der literarische Komplex der Texte um Sankt Oswald. Die Fassungen des ›Ortnit‹ weichen nicht nur sprachlich, sondern auch in Bezug auf den Umfang und den Inhalt in hohem Maße voneinander ab. Bis auf die Studie von Dinckelacker (1972), die nur einige wenige Textpassagen zueinander in Bezie­ hung setzt, wurden keine systematischen Versuche unternommen, die Verhält­ nisse zwischen ihnen aufzuschließen. Dass es grundlegende Unterschiede gibt, lässt sich schon an einer ganz punktuellen Textbeobachtung aufzeigen: Wo Ortnit zu Beginn seiner Heerfahrt in der Fassung AW das Ziel ausgibt, die Sarazenen zu töten, sprechen andere Fassungen vom Taufen der andersgläubigen Gegner. Die ›Oswald‹-Texte liegen noch weiter auseinander, was sich auch in unter­ schiedlichen Titeln niederschlägt. ›Münchener Oswald‹, ›Wiener Oswald‹, der nur fragmentarisch erhaltene ›Linzer Oswald‹, die Prosafassungen ›Budapester Oswald‹ und ›Berliner Oswald‹ sowie die Kurzfassungen in ›Der Heiligen Leben‹ bieten zum Teil sehr ähnliche, zum Teil aber auch deutlich voneinander abwei­ chende Geschichten über das Leben des Heiligen Oswald und seiner Werbung um eine sarazenische Prinzessin. Der ›Linzer Oswald‹ erzählt den Teil einer Schlacht, die nicht im orientalischen Bereich anzusiedeln und überhaupt nicht mit den anderen Texten in Zusammenhang zu bringen ist (s. Curschmann 1973), wohinge­ gen die Kurzfassungen zum Teil dem Handlungsverlauf des ›Münchener Oswald‹ folgen, sich zum anderen aber auch direkt an die Geschichte Oswalds in der his­ toriographischen bzw. hagiographischen Darstellung Bedas Venerabilis in seiner ›Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum‹ anlehnen. Auch hier wurde, neben der Aufstellung der Textgruppe und einer kurzen Übersicht der jeweiligen Inhalte, noch wenig getan. Vergleichende Forschungsansätze zielten zumeist darauf, ent­ weder den ›Münchener‹ oder den ›Wiener Oswald‹ als älteren, ›ursprünglicheren‹ Text zu erweisen. Es besteht also sowohl in Bezug auf die ›Ortnit‹­-Fassungen als auch auf die ›Oswald‹-Texte ein deutliches Forschungsdesiderat des Vergleichs und der fas­ sungsspezifischen Interpretation. Die vorliegende Studie kann als Untersuchung der gesamten Gruppe der Brautwerbungserzählungen diese Forderungen nicht erfüllen, sondern die Breite der Überlieferung nur als grundsätzliche Bedin­ gung der Überlieferung mitführen und punktuell für die Interpretation fruchtbar machen. In beiden Fällen wird man sich für die vergleichende Analyse aller Braut­ werbungserzählungen aus pragmatischen Gründen für jeweils eine Fassung ent­ scheiden müssen, wohl wissend, dass man damit große Teile der Überlieferung ausblendet. Entscheidend für diese Auswahl kann nicht die Suche nach einem möglichst ›ursprünglichen‹ Text sein. Ein Kriterium kann die Breite der Überliefe­ rung der jeweiligen Fassungen sein, so dass ein möglichst großer Teil der Hand­ schriften des Werkes abdeckt wird. Ein anderes, deutlich pragmatischeres, bildet die Existenz brauchbarer Editionen.



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Im Fall des ›Ortnit‹ habe ich mich daher für die Fassung ›a‹ entschieden, die Walter Kofler mit denen ihr nahe stehenden Fassungen ›e‹, ›y‹ und ›z‹ zum ›Ortnit D‹ zusammenschließt. Damit grenzt er sie zum einen vom ›Ortnit AW‹ (zwei Textzeugen) sowie von der Fassung K (ein Textzeuge) und der nur fragmenta­ risch überlieferten Fassung C (zwei Fragmente) ab. Von 14 Textzeugen entfallen daher zehn auf den ›Ortnit D‹, inklusive der weit verbreiteten Fassung ›z‹, des in sechs Auflagen gedruckten Heldenbuchs. Auch liegt hier mit der Ausgabe von Walter Kofler nach der Leithandschrift b eine brauchbare kritische Edition vor, die zumindest einen Ausschnitt der breiten Überlieferung (Fassungen a und z) leicht zugänglich macht.147 Noch problematischer gestaltet sich die Auswahl eines ›Oswald‹-Textes. Den größten Teil der Überlieferung deckt der ›Münchener Oswald‹ ab, mit vier voll­ ständigen Handschriften, einer eng am Text ausgeführten Prosa-Auflösung sowie einem Fragment. Für die vorliegende Studie empfiehlt sich dieser Text auch, weil er bislang am meisten Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren hat und daher in Auseinandersetzung mit diesen Beiträgen und Positionen diskutiert werden kann. Darüber hinaus steht er den anderen Brautwerbungserzählungen sowohl formal148 als auch inhaltlich149 am nächsten und verspricht daher die dichtesten Ergebnisse für eine vergleichende Studie. Auch in diesem Fall werden die inhalt­ lichen Argumente durch ein pragmatisches gestützt, liegt doch für den ›Münche­

147 Wenn nicht anders ausgewiesen, beziehen sich der Titel ›Ortnit‹ und die Abkürzung ›or‹ daher im Folgenden auf den Editionstext von Kofler nach der Handschrift ›b‹. Die dort abge­ druckten diakritischen Zeichen werden je nach ihrem Informationsgehalt aufgelöst oder igno­ riert. Herausgeberentscheidungen werden nicht kenntlich gemacht. Auch der ›Ortnit AW‹ liegt in einer neuen, kritischen Edition von Walter Kofler vor und wird nach dieser zitiert. Da diese Fassung jedoch nur zwei Textzeugen umfasst, wird sie wie die anderen nur zum Vergleich her­ angezogen werden. Eine zweite kritische Edition dieser Fassung ist von Stefan Jolie, Viktor Millet und Dietmar Peschel angekündigt. Die anderen Ortnit-Fassungen werden direkt aus den jeweili­ gen Handschriften zitiert. 148 Bis auf den abseits stehenden ›Linzer Oswald‹ und den ›Wiener Oswald‹ heben sich alle ›Oswald‹-Texte (›Budapester‹ und ›Berliner Oswald‹, sowie die stark kürzenden Fassungen in ›Der Heiligen Leben‹) schon durch die Prosa-Form von den anderen Brautwerbungserzählungen ab. Hier könnte allerdings ein Vergleich der Strategien der Prosa Bearbeitung des ›Oswald‹ und des ›Orendel‹ interessante Ergebnisse bringen. 149 Der ›Wiener Oswald‹ ist noch stärker als der ›Münchener Oswald‹ an hagiographischen Mus­ tern orientiert und lässt die Brautwerbungshandlung dadurch zurücktreten. Für die vorliegende Studie wurden beide Texte zunächst als Basis in Erwägung gezogen. Die Analyse hat dann erge­ ben, dass der ›Münchener Oswald‹ für eine vergleichende Studie der Brautwerbungserzählun­ gen, gerade in der stärker ausagierten Spannung zwischen geistlichen und weltlichen Anteilen, produktiver ist.

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ner Oswald‹ eine kritische Edition vor, die nur sparsam in die Überlieferung des 15. Jahrhunderts eingreift.150 Sowohl für den ›Münchener Oswald‹ (im Folgenden der Einfachheit halber ›Oswald‹) als auch für den ›Ortnit‹ kann also mit existierenden Editionen gear­ beitet werden und der ›Salman‹ ist mit der 1979 von Alfred Karnein herausgegebe­ nen Edition ebenfalls gut erschlossen.151 Eine modernen Ansprüchen genügende Edition liegt mit der im Jahr 2000 erschienenen, von Peter K. Stein vorbereiteten und nach seinem Tod von Ingrid Bennewitz vervollständigten, Ausgabe für den ›Rother‹ vor. Für die ›Kudrun‹ und den ›Orendel‹ bereitet die Wahl der Arbeits­ grundlage jedoch Schwierigkeiten. Im Fall der ›Kudrun‹ ließe sich zum einen nach der 2000 neu aufgelegten gängigen Ausgabe Karl Stackmanns von 1965 in der Reihe der ATB zitieren.152 Diese liefert jedoch einen stark normalisierten, das heißt sprachlich und metrisch ins 13. Jahrhundert ›rückübersetzen‹ Text, wobei diese Eingriffe u. a. einen der beiden Belege des Begriffes heide im Text fabrizie­ ren (ku 705,1). Da die vorliegende Studie sich bemüht, den Brautwerbungserzäh­ lungen in ihrer tatsächlich überlieferten Form gerecht zu werden, wird stattdes­ sen die handschriftengetreue Edition von Franz Bäuml zu Grunde gelegt.153 Demgegenüber kann die Editionslage des ›Orendel‹ nur als desolat beschrie­ ben werden. Die aktuellste Ausgabe (1935) ist ebenfalls in der Reihe ATB erschie­ nen und wurde von Hans Steinger besorgt, der zur Herstellung des Archetyps (ebd., VIII, XXX) zum Teil massiv in seinen Text eingreift. Die älteren Ausgaben von Ludwig Ettmüller (1858) und Arnold E. Berger (1888) verfahren ähnlich – wobei der erste eher eine Nachdichtung als eine Edition liefert. Einzig die älteste

150 Der Titel ›Oswald‹ und die Abzürkung ›os‹ beziehen sich daher im Folgenden, sofern nicht explizit auf einzelne Handschriften rekurriert wird, auf den von Michael Curschmann hergestell­ ten Editionstext. Herausgeberentscheidungen werden nicht kenntlich gemacht. Die anderen ›Oswald‹-Texte werden nach den in der Literaturliste vermerkten Ausgaben zitiert. 151 Der Titel ›Salman‹ und die Abzürkung ›sa‹ beziehen sich daher im Folgenden, sofern nicht explizit auf einzelne Handschriften rekurriert wird, auf den von Alfred Karnein hergestellten Edi­ tionstext. Herausgeberentscheidungen werden nicht kenntlich gemacht. Diakritische Zeichen der Einzelhandschriften werden je nach ihrem Informationsgehalt ignoriert oder aufgelöst. 152 Dieser folgt auch die Ausgabe von Uta Störmer-Caysa (2010), wobei die Herausgeberin rück­ blickend zu der Erkenntnis gelangt, dass man die ›Kudrun‹ »neu, näher an der Handschrift, edie­ ren müsste« (ebd., 575). 153 Im Folgenden beziehen sich daher der Titel ›Kudrun‹ und die Abkürzung ›ku‹ auf den von Franz Bäuml hergestellten Text. Diakritische Zeichen werden je nach ihrem Informationsgehalt ignoriert oder aufgelöst, Schaft-s als rundes s wiedergegeben. Sonderzeichen werden, insofern unproblematisch möglich, durch gängige Entsprechungen wiedergegeben. Die Schreibung von u/v und i/j wird normalisiert. Es wird gemäß der Handschrift ohne die Anzeige von Versen nach Strophen zitiert.



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Ausgabe von Friedrich Heinrich von der Hagen liefert nach eigener Angabe (ebd. XXVIf) einen sehr handschriftennahen Text, mit einigen am Druck (D) ori­ entierten ›Korrekturen‹.154 Ludwig Denecke hat 1972 die beiden Druckfassungen als Faksimile herausgegeben, die als Textgrundlage herangezogen werden sollen und müssen. Dabei steht die weitestgehend mit der Handschrift parallele Versfas­ sung im Mittelpunkt, die (bearbeitete) Prosafassung kann nur punktuell zum Ver­ gleich herangezogen werden. Auch wenn mit dem Faksimile des Versdrucks ein authentischer Text zur Verfügung steht, kann sie eine kritische Neuedition des ›Orendel‹, die aktuellen methodischen Anforderungen genügt, nicht ersetzen.155 Nach diesen Reflexionen über die, in der vorliegenden Studie nicht zu erfas­ sende aber doch mit zu bedenkende, Variantenvielfalt besonders des ›Ortnit‹ und des ›Oswald‹, aber auch in geringerem Maße des ›Salman‹ und des ›Orendel‹ und der Wahl der Textgrundlagen, soll eine weitere Überlegung zur Überlieferung der Brautwerbungserzählungen aus der Einleitung heraus und in die eigentliche Untersuchung hinein führen. Geht man davon aus, dass die Texte, mit denen ein Werk in einer Sammelhandschrift überliefert ist, oft etwas über seine Rezeption und Kategorisierung zur Zeit der Abfassung dieser Handschrift aussagen,156 ergibt sich für die sechs untersuchten Brautwerbungserzählungen ein sehr unterschied­ liches Bild. Der ›Rother‹ ist in der einzig erhaltenen Handschrift allein überliefert, der ›Salman‹ in zwei Handschriften und beiden Drucken allein. Einmal wird er mit ›Ortnit‹, ›Wolfdietrich‹ und ›Rosengarten‹ in einen heldenepischen Kontext

154 In diesem Sinne wird die Ausgabe von der Hagens auch von Curschmann (1989, 43) im We­ sentlichen als Abdruck der Handschrift gewertet. In der Berliner Staatsbibliothek liegt unter der Signatur Ms. germ. qu. 817a eine Abschrift der Handschrift durch Christian Moritz Engelhardt (s. Degering 1926, 143), die für eine neue Ausgabe systematisch mit dem Abdruck von der Hagens verglichen werden müsste. Eine solche Ausgabe ist von der Verfasserin geplant. 155 Der Titel ›Orendel‹ und die Abkürzung ›od‹ beziehen sich daher im Folgenden auf den Text des Versdrucks, der nach Druckseiten zitiert wird. Zur besseren Lesbarkeit werden diakritische Zeichen je nach ihrem Informationsgehalt aufgelöst oder ignoriert, Schaft-s wird als rundes s wiedergegeben, offensichtliche Fehler in eckige Klammern gesetzt. Die Schreibung von u/v und i/j wird normalisiert. Der Titel ›od H‹ bezieht sich auf den Editionstext von der Hagens, da er die für uns beste Quelle der verbrannten Handschrift ist. Auch hier wird das Schaft-s als rundes s wiedergegeben. ›od P‹ meint den Prosadruck, für den die gleichen Regeln wie für den Versdruck gelten. 156 Diese Annahme verfolgt zum Beispiel Timo Reuvekamp-Felber in seiner noch nicht veröf­ fentlichten Habilitationsschrift und auch das von Bart Besamusca geleitete HERA-Forschungs­ projekt ›Dynamics of the Medieval Mauscript‹ formuliert auf seiner Homepage ein solches Ver­ ständnis mittelalterlicher Sammelhandschriften: »In each unique, newly formed text collection new meanings are generated, enabling us to understand the cultural identity of the compiler or commissioner of a manuscript and to investigate how cultural, social and moral heritage is conveyed to new generations.«

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gestellt und einmal mit dem ›Salomon und Markolf‹ überliefert. Dieser letzte Kound damit Kontext ist für die vorliegende Studie, die sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat die geistlichen und gelehrten Aspekte der Brautwerbungserzählungen zu zeigen, interessant. Denn diese Zusammenstellung zeigt, dass der ›Salman‹ auch als Teil des lite­ rarischen Komplexes rezipiert wurde, zu dem er inhaltlich gehört. Sabine Griese (1999) hat die lateinischen und deutschsprachigen Texte um Salman/Salomon und Markolf/Morolf zusammengestellt und als zusammengehöriges Geflecht wahrnehmbar gemacht. Bei dem hier mit dem ›Salman‹ überlieferten Text handelt es sich um ein lateinisches Streitgespräch zwischen dem mit gelehrten Argumenten operierenden Salomo und seinem gerissenen aber derben Gegner Markolf, der den weisen König durch Wortwitz und Dreistigkeit bei jeder Streit­ frage schlägt.157 Die gemeinsame Überlieferung dieser beiden Texte lässt auch für den ›Salman‹ Rezipienten vermuten, die sowohl des Lateinischen mächtig waren, als auch dem gelehrten Witz von Sprichwörtern und ihrer Verkehrung des ›Salomon und Markolf‹ folgen konnten.158 Der ›Orendel‹ hingegen ist nur einzeln überliefert. Doch weist hier die Ein­ richtung der beiden Drucke deutlich auf eine Rezeption mit religiös-geistlichem Schwerpunkt. Das Bildprogramm stellt den Heiligen Grauen Rock deutlich in den Vordergrund: Einschließlich des Titelholzschnittes159 wird im Versdruck zunächst auf sechs Bildern die Geschichte des Rockes dargestellt, später zeigt ein weiterer Holzschnitt das Wiederfinden des Rockes im Magen eines Fisches und das vorletzte Bild zeigt die Niederlegung des Rockes in Trier. Von insgesamt 33 Holzschnitten bilden fast ein Viertel die Geschichte des Rockes ab – im Prosa­ druck sind es mit zwei von sechs sogar ein Drittel. Im Versdruck zeigen neun der übrigen 25 Bilder das Eingreifen von Engeln in die Geschichte. Der Prosadruck hingegen bindet die Geschichte Orendels an zeitaktuelles Heilsgeschehen, indem es der eigentlichen Handlung noch einen Bericht über die Hebung des Heiligen Rockes im Jahr des Druckes (1512) und eine Liste der mit ihm gehobenen weiteren Heiltümer anfügt.

157 Zu diesem Text s. auch die Untersuchung und englische Übersetzung von Ziolkowski 2008. 158 Zu Vermutungen über die Rezipienten dieses Werkes s. auch Curschmann 1992. 159 Auch der Titel des Versdrucks betont die Bedeutung der Reliquie und die religiöse Bedeu­ tung des Werkes: »Die hystori dises buechlins […] so der graw rock (darinnen künig Arenndel die Haiden bestritten erfochten und erobart, das hailig grab durch wunderbarliche hilff deßs Allmaechtigen gottes derso vil unzalliche wunderliche ding durch sein geliebten fründ gewürckt hat, der die goetlich hailig geschrift vol ist) yetz bey unnsern zeitten an der selben stat zu trier erfunden ist« (od 1).



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Völlig eindeutig ist die Rezeption als geistlich geprägte Literatur im Fall des ›Oswald‹, der beinahe ausschließlich mit theologischer und religiöser Literatur in Deutsch und Latein überliefert ist. Besonders oft begegnet eine Verbindung mit marianischen Texten, aber auch mit Legenden steht der ›Oswald‹ häufig zusammen. Eine besondere Nähe ist dabei zur Alexius-Legende zu beobachten, die ein dem ›Oswald‹ nicht unähnliches Spannungsfeld von Askese und Leben in der Welt thematisiert.160 Diesem klaren Befund steht in der Ko-Überlieferung der ›Kudrun‹ und des ›Ortnit‹ allerdings ein völlig anderes Bild gegenüber. Die unikal im Ambraser Heldenbuch tradierte ›Kudrun‹ steht dort mit höfischen und heldenepischen Werken aber auch mit mehreren Mären Herrands von Wildo­ nie zusammen.161 Der ›Ortnit‹ ist bis auf eine Ausnahme (Handschrift W) immer gemeinsam mit dem ›Wolfdietrich‹ zusammen überliefert, mit dem er auch einen narrativen Konnex bildet. Neben dem Ambraser Heldenbuch, in dem diese beiden Texte ebenfalls zu finden sind, dominieren bei umfangreicheren Sammel­ handschriften heldenepische Kontexte in den so genannten ›Heldenbüchern‹. Religiöse Mitüberlieferung lässt sich nur am Rande finden: Die Handschrift g schließt mit einem Mariengebet. In der bereits erwähnten Handschrift W erfährt der ›Ortnit‹ jedoch eine von anderer Seite her für die vorliegende Studie interes­ sante Kontextualisierung, wenn er zusammen mit der Versnovelle ›Die Heidin‹ überliefert wird, die von der verbotenen aber keuschen Liebesbeziehung zwi­ schen einem christlichen Ritter und einer sarazenischen Frau erzählt. Mit diesem Spannungsfeld von weltlichen und geistlichen, lateinischen und volkssprachigen, religiösen und heldenepischen Kontexten zeigen sich bereits erste Linien, der die weitere Untersuchung folgen wird. Die schon hier aufschei­ nende Diversität der einzelnen Brautwerbungserzählungen in Bezug zu diesen Kontexten, die aber durch beständig gezogene Verbindungslinien und Brücken erzählerisch spannungsvoll ausgenutzt werden kann, wird sich dabei immer wieder zeigen.

160 s. dazu Egidi 2009; Paschinger 2004. 161 Zur Konzeption des Ambraser Heldenbuches s. zuletzt Schubert 2008.

Inszenierungen und Brechungen religiöser Sinndimensionen



Einleitung 

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Einleitung In diesem Kapitel sollen die Christen als eine der beiden Konfliktparteien in den Brautwerbungserzählungen im Mittelpunkt stehen. Es soll zum einen gezeigt werden, welche (kontextuellen) Techniken angewendet werden, um sie als milites christi, als Streiter für den Glauben, zu inszenieren und damit die Kämpfe mit den Sarazenen als religiös motivierte und aufgeladene Auseinandersetzungen zu gestalten. Zum anderen aber wird auch zu zeigen sein, wie diese Techniken und ihre Ergebnisse weitergesponnen, neu kombiniert und spielerisch verdreht werden können – und wie durch diese intertextuelle Dynamik pointiertes Abweichen und ebenso pointierte Erfüllung von Erwartungshorizonten gestaltet werden können. Die Stilisierung militärischer Auseinandersetzungen mit religiösen Mitteln ist weder ein Spezifikum der Brautwerbungserzählungen noch des interreligiö­ sen Konfliktes, es stellt eher den Normalfall dar. Die Vorstellung, dass ein Sieg immer auch vom göttlichen Wohlwollen abhängt, ist schon in der Antike weit verbreitet und setzt sich im Mittelalter fort.1 In diesem Sinne übernehmen die Karolinger öffentliche und private religiöse Riten als Vorbereitung militärischer Auseindersetzungen von ihren römischen Vorgängern, die für das gesamte Mit­ telalter prägend werden.2 Diese religiösen Elemente der Schlacht und ihrer Vor­ bereitung können in literarischen Texten in unterschiedlichem Maß abgerufen und akzentuiert werden. Eine dahingehende Tendenz ist allen Brautwerbungs­ erzählungen gemein, auch wenn die jeweilige Umsetzung sehr unterschiedliche Akzente setzen kann. Reliquien und Fahnen spielen eine große Rolle bei der rituellen Vorbereitung und Austragung militärischer Konflikte.3 Auch in den Brautwerbungserzählun­

1 »Über die Grenzen der Religion hinweg war die Vorstellung verbreitet, daß einer unter meh­ reren Göttern bzw. der eine allmächtige Gott über Sieg und Niederlage entscheide, die Schlacht also ein Gottesurteil darstelle« (Ohler 1997, 59). So auch K. Schreiner 2000, 55. 2 »As was the case with their Roman and late antique predecessors, the Carolingian kings and emperors developed and sustained a matrix of public religious rites and ceremonies involving broad sections of the population in an effort to propitiate God and to obtain divine support in battle. Charlemagne, in particular, would appear to have established a program of fasts, alms, prayers, special intercessory masses, and public liturgical rites that were designed to galvanize public support for military actions and to gain God’s aid for Carolingian arms. In 780, Charle­ magne issued a capitulary containing wide-ranging instructions for the bishops in the regnum Francorum to organize an entire program of Christian rituals on behalf of the army« (Bachrach 2003, 33). 3 Zu der Verknüpfung von Krieg und Religion im Mittelalter s. grundlegend Bachrach 2003. Auf Fahnen und Reliquien bezieht er sich auf den Seiten 64, 82, 90 ff., 107, 128, 149, 154, 157 ff., 174 f., 192 f.

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gen sind sie für die religiöse Inszenierung der Kämpfe von Bedeutung. So wird im Rother eine Reliquie in die Schlacht geführt, als die Christen einsehen müssen, wie widerstandsfähig die Rüstungen der Sarazenen sind, um diese doch im Ver­ trauen auf Gott durchdringen zu können.4 Orendel kämpft ausschließlich in dem Heiligen Grauen Rock Christi, führt diese Herrenreliquie also als Rüstung in die zahlreichen Kämpfe. Morolf lässt für den Kampf mit Fores Heer eine Fahne aus roter Seide anfertigen, in die ein Bild aus Gold gestickt wird, das die unter dieser Fahne kämpfenden Krieger als Christen ausweist (sa 72). Morolf selbst führt diese oder eine ähnliche Flagge noch in zwei weiteren Schlachten selbst ins Feld. Auch Orendel lässt ein goldenes Passionsbildnis herstellen, das er auf seinem Schiff in den Orient bringt und am Heiligen Grab opfern will (od 18 f.). Eine spezifisch interreligiöse Stoßrichtung wird durch das Kreuzzeichen erreicht, das die christlichen Ritter und ihre Schiffe im ›Oswald‹, ›Orendel‹ und in der ›Kudrun‹ tragen. Die historisch erste Kreuznahme dieser Art, und damit eine Umdeutung des alten Pilgerzeichens zum Symbol der Kreuzfahrer, berichtet u. a. Wilhelm von Tyrus im Anschluss an den Aufruf Urbans II. 1095 in Clermont.5 In diesem Sinne lässt auch Oswald seine Krieger das Kreuz nehmen und an ihrer Kleidung befestigen.6 Das Kreuz ist dabei Mittel des gegenseitigen Erkennens im

4 die kefsin man over bant / vor den konin reckin. / sie hovin sich gegin der dicke. / daz heilichdum vor ze vorderost, / sie vuhtin uf den godis trost (ro 4146 ff.). 5 »Es hatten aber alle miteinander verabredet und auch der Papst hatte es ihnen geboten, daß die, welche den Zug mitzumachen gelobten, das segensreiche Zeichen des lebendig ma­ chenden Kreuzes auf ihren Kleidern tragen sollten, zur Erinnerung an das Leiden, dessen Stätte zu besuchen sie sich vorgenommen hatten, in Nachahmung von jenem, dessen ›Herrschaft auf seiner Schulter ruhte‹, als er uns zu erlösen kam. Auch das Wort des Jesaja: ›Er wird ein Zei­ chen aufrichten unter den Völkern und zusammenbringen die Verzagten Israels‹ kann dahin verstanden werden. Auch das Gebot des Herrn: ›Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir‹, schien wörtlich in Erfüllung zu gehen« (Die Übersetzungen von Wilhelms Historia stammen hier und im Folgenden von E. und R. Kausler 1840). Convenerat autem apud omnes et id ipsum de mandato domini papae injunctum fuerat, ut quotquot praedictae viae voto se obligarent, vivificae crucis salutare signum vestibus imprimerent; et in humeris illius sibi portarent memoriam, cujus passionis locum visitare proposuerant; illum imitantes, cui ad nostram redemptionem properanti, Factus est principatus ejus super humerum ejus (Isa. IX, 6). De quo etiam non immerito videtur posse intellegi illud Isaiae: Levabit Dominus signum in nationibus, et congregabit dispersos Israel (Isa. XI, 12). Sed et illud mandatum Domini juxta litteram videbatur impleri: Qui vult venire post me, abneget semetipsum; et tollat crucem suam, et sequatur me (Matth. XVI, 24) (WTH I,16, Sp. 235 f.). 6 von den herren die da waren chomen / wurden die kräutz alle aufgenomen; / mit der selben vart / ein michel gedreng zuo den kräutzen ward; / ieglicher wolt sich hart schamen, / solt er der kräutz nicht aines haben. / si machtens auf die wappenrock all sant, ob si chämen in fremde lant / und von den haidem wurden bestanden, / daz si pei den kräutzen sich erchanden (os 1607 ff.).



Einleitung 

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Kampf, damit aber auch Zeichen des individuellen Bekennens zu diesem Unter­ nehmen. Ähnlich wird auch im ›Orendel‹ die Kreuznahme zum Moment der indi­ viduellen Entscheidung jedes Einzelnen zum Kriegszug, denn Orendel will auf keinen Fall mit bezwungen knechten kämpfen. Sollten diese bei der Unterneh­ mung sterben, wäre ihr Seelenheil nicht gesichert (od 16). Doch natürlich nehmen alle Krieger begeistert die goldenen Sporen auf.7 Die Holzschnitte der beiden Druckfassungen des ›Orendel‹ zeigen darüber hinaus immer ein Kreuzzeichen in Verbindung mit Orendels Flotten. In der Kudrun begegnen ebenfalls Kreuze tra­ gende Ritter (ku 844), deren Schiffe mit Kreuzen auf den Segeln gekennzeichnet sind (ku 853). Auch die Heilsversprechen in den Schlachtenreden der Braut­wer­bungs­er­ zähl­ungen zielen auf die besondere Qualität des inter­reli­giösen Kampfes.8 Zum einen findet hier das Vertrauen auf die göttliche Unterstützung in der Schlacht ihren Ausdruck.9 Daneben erscheint jedoch auch die Idee der Sündenvergebung, der remissio peccatorum. Die positive Wirkung des Kampfes gegen die ›Ungläu­ bigen‹ wird schon von Leo IV. im 9. Jahrhundert angedacht, setzt sich aber erst nach der Ansprache Urbans II. in Clermont durch.10 Auch wenn er zunächst ver­ mutlich nur einen Erlass der irdischen Bußleistung als ›Gegenleistung‹ für die Teilnahme am Kreuzzug verspricht, wurde seine Aussage von Zeitgenossen und späteren Chronisten als Versprechen der Tilgung der Sünden selbst gedeutet. »Die Kreuzfahrer erwarteten also, dass sie unmittelbar ins Paradies einzögen, sollten sie während des Zuges sterben« (Jaspert 2006, 30).11

7 Do hieß er [Orendel] auff den hoff tragen / Zwey albende warent wol beschlagen / Mit manchem guldein sporen / Do schuff der iüngeling wol geborn / Er hieß sy schütten auff den hoff / Vil laute rieff der iunge künig doch / Nun wol dar ir stoltzen helde / und kauffent die haysse helle / Umb das goldt schön und rott / Ich sag euch ir mussent leyden not / Umb die red vil unmassen / Woellent ir sy nit lassen / Die stoltzen ritter iungen / Wie bald sy auffsprungen / Wie bald sy sich buckten / Die goldin sporn sy alle auffzuckten (od 17). Dass diese Sporen zu Kreuzen kombiniert werden sollen, wird daran ersichtlich, dass genau zwei für Orendel übrig bleiben. Auch der Redaktor der Prosa­ fassung folgt dieser Auffassung: welcher mit mir faren wöll / der nem zwen guldin sporn (od P 9). 8 Zu Schlachtreden in hochmittelalterlichen Chroniken s. Bliese 1989, der ein Corpus von 92 Werken auf gemeinsame Topoi untersucht. Claudia Brinker-von der Heyde (2005, 14 ff.) hat sich mit der Kommunikation im Umfeld von Schlachten am Beispiel des Rolandsliedes beschäftigt und geht in diesem Zusammenhang auch auf Ansprachen an die eigenen Truppen ein. 9 So sagt z. B. Morolf mag der heiden funff dusent me gehan, / so sint wir doch eine cristin diet. / der riche crist von himelriche / der lat uns under wegen nit (sa 71) und ein Bischof verspricht Oren­ dels Männern vor der letzten Schlacht Wer dem grawen rock bey gestat / Des sol werden vil gut rat / Darzu ist im got und sein mutter holdt (od 136). 10 Zur Ablasspraxis während der Kreuzzüge s. Endmann 2003. 11 Zur Entwicklung von Urbans Position und seiner Rezeption s. Jaspert 2006, 29 f. Wilhelm von Tyrus gibt die Worte Urbans wie folgt wieder: »Wir aber überlassen durch die Barmherzigkeit

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Diese Vorstellung wird auch in mehreren Brautwerbungserzählungen auf­ gegriffen. So feuert der Graf Arnold im ›Rother‹, nachdem Rother gefangen genommen worden ist und zum Galgen geführt wird, seine Männer dazu an, den König zu befreien. Im Gegenzug verspricht er ihnen nicht nur eine reiche Belohnung durch Rother selbst, sondern stilisiert den Kampf gegen Ymelot und seine Männer auch als Wille Gottes und stellt den Rittern die Vergebung ihrer Sünden in Aussicht.12 Er macht deutlich, dass sie in godis recht handeln und auch der Erzähler betont, dass sie mit rechtime gelouven in die Schlacht ziehen. Wer in diesem Kampf sterbe, könne das himelriche erwarten, denn seine Seele soll genade haven und in das wunnichliche leven geleitet werden. So oder ähnlich versprechen auch Morolf13, Oswald14, Orendel15 und Ortnit16

Gottes und gestützt auf die Autorität der heiligen Apostel Petrus und Paulus allen gläubigen Christen, die gegen sie die Waffen nehmen und sich der Last dieses Pilgerzuges unterziehen, alle die Strafen, die die Kirche für ihre Sünden über sie verhängt hat. Und wenn einer dort in wahrer Buße aus dem Leben kommt, so darf er fest glauben, daß ihm Vergebung seiner Sünden und die Frucht ewigen Lohnes zuteil werden wird«; Nos autem, de misericordia Domini et beatorum Petri et Pauli apostolorum auctoritate confisi, fidelibus Christianis, qui contra eos arma susceperint, et onus sibi hujus peregrinationis assumpserint, injunctas sibi pro suis delictis poenitentias relaxamus. Qui autem ibi in vera poenitentia decesserint, et peccatorum indulgentiam et fructum aeternae mercedis se non dubitent habituros (WTH I,15, Sp. 234). Noch eindeutiger formuliert Fulcher von Chartres: »Aber allen, die dorthin auf dem Land- oder Seeweg reisen, oder gegen die Heiden kämpfend ihr Leben verlieren, wird eine Vergebung ihrer Sünden zuteilwerden« (Übersetzung R. K.); Cunctis autem illuc euntibus, si aut gradiendo, aut transfretando, sive contra paganos dimicando, vitam finierint, peccaminum remissio praesens aderit (FCH I,1, Sp. 828). 12 »Nunar, goten knechte, / lazit it an minen trechtin / unde hoelfit im vromicliche: / ir virdinet daz himilriche«, / sprach Arnolt ein got knecht, / »ia vore wir godis recht! / swer hie hute wirt irsclagin, / des sele sal genade haven. / die heiden sulwir slan! / dar denke sante Ylien an / unde sanctus Iohannes der Toufere, / daz Rothere were / der aller turiste man / der ie koninriche gewan!« (4067 ff.) »nu horet, gote knechte, / warumbe wir hute vechtin:/ uns sint gebotin zwei lon, wi mugin iz deste gerner ton! / daz ist sichirliche / daz schone himelriche. / swe hie ligit tot, / des sele wirt geledigot / in das wunnichliche leven: / waz mochte dar bezzeris sin gegevin? / daz ander ist also getan: / generder den getruwin man, / er vorit uch in sin lant / unde behalt unsich alle samt!« / do troveten ime die ougin. / mit rechtime gelouven / bestundin sie die heidinschaft / unde sclogin ir eine michele craft (ro 4125 ff.). 13 Wer noch hut waget sinen lip / durch sinen rechten heren, / was got dem grosses lones git! (sa 485). 14 »wann wer auf der vart wirt erschlagen, / des sel muoß grosse genad haben / in dem ewigen leben / des will ich eu mein treue geben!« / also sprach der furst her: / »leib und sel ist behalten immer mer, / iegleicher wirt rain als ain westerbar, ihr heren, daz sag ich euch fur war!« (os 1549 ff.). 15 Im Fall des ›Orendel‹ ist das Erlösungsversprechen diskutabel. Orendel sagt zu seinen Män­ nern: Nun wol dar ir stoltzen helde / und kauffent die haysse helle / Umb das goldt schön und rott / Ich sag euch ir mussent leyden not (od 17). Hans Steinger ›korrigiert‹ die Verse in seiner Ausgabe zu ir enkoufent nit die heizen helle / umb daz golt so schone und rot (V. 316 f.), lässt Orendel seine



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ihren Männern das Seelenheil als ewigen Lohn für die Unterstützung im Kampf. Bis auf die Kudrun, die eine bedeutungsvolle Ausnahme bildet (s.  u.), wird also in allen Brautwerbungserzählungen die Vergebung der Sünden für den Kampf gegen die Sarazenen in Aussicht gestellt. Eine etwas andere Qualität haben die in den Texten vorgenommenen Insze­ nierungen der Protagonisten als Streiter Christi durch göttliche Interventionen. So wird Morolf durch das Eingreifen Gottes vor dem Tod im Kampf bewahrt (sa  70) und Ortnits Krieger glauben zumindest, dass ein Engel ihrem Heer vorweg reite (or 367 ff.). Diese Momente verblassen aber vor der Dichte von Wundern, die im ›Orendel‹ und ›Oswald‹ geschehen. So finden sich im ›Orendel‹ 23 Ein­ griffe Gottes in den Handlungsverlauf.17 Schon damit gehen diese beiden Werke

Männer also in Bezug auf die moralische Ungefährlichkeit des edlen Materials beruhigen. Dieser Wortlaut lehnt sich an die Prosafassung (P) an, die jedoch einen anderen Sinn transportiert: Nu wolt an ir stoltzen hölden / welcher mit mir faren wöll / der nem zwen guldin sporn / doch lasset eüch das gold so wol nicht gefallen / das ir die haissen hell darum kauffet / wann ich sag eüch fürwar / das wir haben angst und not vor uns zu leiden« (od P 9). Auch hier wird der (verführerische) Wert des Goldes angesprochen – jedoch mit der Warnung vor den kommenden Leiden in der Schlacht verbunden, das als haisse helle charakterisiert wird. Das Konzept der Hölle wird also als Metapher für diesseitige Qualen verwendet, wobei der Bezug zum Jenseitigen noch durch­ scheint. Diese Bedeutung wäre für die Verse in D ebenfalls denkbar, jedoch erscheint es vor dem Kontext der anderen Werke der Gruppe ebenso sinnvoll, Orendels Worte in der Versfassung anders zu lesen und die Kreuznahme als Möglichkeit des Freikaufens von der Hölle zu inter­ pretieren, also auch hier den Einfluss des Gedankens der remissio peccatorum zu sehen. In der Prosafassung würde diese Idee jedoch nur noch schwach durchscheinen. 16 Ir lieben schar genossen, wir sullent vber se. / got gebe vns allen gelicke, / wie es vns dort erge. / wellich kristen dort ersterbet, dem geb ich den trost, / daz sin edele sele ist eweklich erlost (or 26). 17 Durch das Eingreifen Christi ist zunächst sein eigenes Blut auf dem Grauen Rock immer wieder sichtbar (od 73). Im weiteren Verlauf geschehen die meisten Wunder durch die Fürbitte Marias bei ihrem Sohn, König Orendel um des heiligen grabes ere Willen zu helfen. So werden Orendels Schiffe durch einen Wind aus dem Clebermeer befreit (od 20), gehen dann jedoch trotz Orendels Gebeten in einem Sturm unter. Mit Gottes Hilfe und der Fürsprache Sand Wielands zu Bare erreicht er sicher den Strand (od 24) und mit der Hilfe von Petrus und den anderen Aposteln gelingt es ihm, genug Fische zu fangen, um Ise von seiner Nützlichkeit zu überzeugen (od 27). Der Engel Gabriel bringt ihm den Auftrag den Grauen Rock zu kaufen und auch die finanziellen Mittel dazu (od 32). Weil unser here dafür sorgt, dass er bei jedem anderen Käufer wertlos aus­ sieht (od 33 f.) kann er ihn auch tatsächlich erwerben. Gabriel rettet ihn später aus der Gefan­ genschaft eines Riesen (od 36), kleidet ihn mit goldenen Schuhen ein, damit er am Turnier vor Königin Bride teilnehmen kann (od 44). Wiederholt kämpfen die Erzengeln Gabriel, Raphael und Michael an seiner Seite (od 54, 68, 81, 106 f.). Eine göttliche Stimme verkündet Bride Orendels wahre Identität und Bestimmung (od 60), ein Engel verbietet den beiden zunächst vorläufig (od 73) und dann endgültig (od 143) den Geschlechtsverkehr, ein weiterer befiehlt Bride Orendel in der Schlacht beizustehen (od 77), wo ihr die hayligen syben gab unsers herren den Weg weisen (od 82). Ein Engel rettet Bride und Orendel aus der Gefangenschaft durch einen Zwerg bei der Be­

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über die gemeinsamen Linien zur Stilisierung der christlichen Ritter hinaus. Es wird jedoch zu zeigen sein, dass sie dies noch in anderer Hinsicht tun. Sowohl ›Oswald‹ als auch ›Orendel‹ entwickeln durch den Aufruf historiographischer, hagiographischer und biblischer Kontexte eine jeweils eigene Dimensionierung des interreligiösen Konfliktes.

lagerung von Westvale (od 96), ein weiterer erteilt ihnen den Auftrag die Stadt Trier zu schützen (od 108). Dort angekommen, hat Bride einen prophetischen Traum von der Einnahme Jerusalems durch die Sarazenen (od 118 f.) und von einem Engel erhalten sie den Auftrag bei ihrer Rückreise den Rock in Trier zu lassen (od 119). Als Orendel, Ise und Bride auf dem Weg nach Jerusalem in Gefangenschaft geraten, schreibt Maria einen Brief an Orendels Truppen (od 135 f.) und ein Engel weckt Orendel und informiert ihn über den Stand der sich anhebenden Schlacht (od 137). Am Ende des Werkes werden Bride, Orendel, Ise und der Wächter Achill in den Himmel aufge­ nommen (od 143).



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Der Heilige als Held: ›Oswald‹ Es konnte der Forschung nicht entgehen, dass mit sand Oswald von Engel­land eine historische Figur und ein äußerst populärer Heiliger zum Protagonis­ten einer Brautwerbungserzählung wird.18 Schon Georg Baesecke hat 1907 Elemente herausgearbeitet, die der ›Oswald‹ aus historiogra­phischen und hagiographi­ schen Texten zu St. Oswald von Nord­humbrien entnimmt und spätere Untersu­ chungen haben diese Bemühungen aufgenommen.19 Interpretatorisch standen dabei zumeist die Spannungen zwischen dem als feudal-weltlich bestimmten Brautwerbungsmuster und den legendarischen bzw. geistlichen Elementen, die über die Figur des Heiligen in den Text gelangen, im Mittelpunkt. Die ältere For­ schung hat hier zumeist eine Kontamination der ›ursprünglichen‹ Erzählung mit einem leicht zu marginalisierenden »religiös getönte[n] Überwurf« gesehen,20 neu­ere Ansätze sprechen entweder von der »Dekonstruktion des Brautwerbungs­ schemas von seinen inneren Prämissen her« durch eine »Hybridisierung profaner und legendarischer Erzählmuster« (A. Schulz 2002, 135) oder konstatieren einen ›höfischen Kompromiss‹ (J.-D. Müller 2007a, 107–69, bes. 123–9), versuchen also das mutmaßliche Eindringen des Legendarischen interpretativ zu bewältigen. Es ließe sich aber auch positiv nach Gründen fragen, warum eine Brautwer­ bungserzählung St. Oswald als Protagonisten wählt und was die Funktion dieser

18 Oswald scheint schon zur Entstehungszeit der ›Historia‹ Bedas auf dem Kontinent bekannt und verehrt worden zu sein. Beda berichtet, dass der nordhumbrische Apostel der Friesen, Erzbi­ schof Willibrod von Utrecht, Oswald in seiner neuen Heimat zu Popularität verholfen habe (BVH III, 13). Im weiteren Verlauf des Mittelalters führen vor allem dynastische Beziehungen nach England wiederholt zu einer Anregung des Kultes (Riain-Raedel 1995, 210; Göller 1982, 306). So entstehen z. B. in Regensburg im 12. Jahrhundert (wahrscheinlich in St. Emmeran) zwei Kompila­ tionen aus Bedas ›Historia‹, die nur Oswaldstellen auswählen (Göller 1982, 308). Oswalds Popu­ larität in Deutschland schlägt sich auch in Kalendarien, Reliquienverehrungen und zahlreichen Patrozinien nieder (Folz 1980, 62 ff.). 19 Einen Überblick über die Überlieferung zu St. Oswald sowie zu seinem Kult gibt Folz 1980 der in Bezug auf die mittelhochdeutschen Texte feststellt: »Si l’on fait abstraction de ce dernier passage, la légende populaire qui vient de naître n’est que très superficiellement liée à la tradi­ tion ecclésiastique d’Oswald« (ebd., 58). Infolge dessen wird er, gemeinsam mit dem ›Orendel‹ und dem ›Salman‹ unter die Legendenromane (de Boor 81951, 248) bzw. die legendenhaften Epen (Bumke 2000, 74) gezählt. 20 Georg Baesecke (1907, 265) denkt sich die Beeinflussung der Spielmänner als Autoren der Werke durch die hagiographische Tradition als relativ lose durch eine Aufnahme des legendari­ schen Stoffs über die Predigt. Achim Masser (1976, 162) fasst zusammen: »wenn zu allem noch ein religiös getönter Überwurf kommt – im ›Salman und Morolf‹, vor allem im ›Oswald‹ und ›Orendel‹ – so ändert das im Grunde nichts am Wesen dieser Dichtungen«.

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Wahl für die Geschichte sein könnte. Die für die vorlie­gende Studie gewählte Frage nach den interreligiösen Konflikten in den Brautwerbungserzählungen ist geeignet, das Potenzial des nordhumbrischen Heiligen aus dem 7. Jahrhundert für eine solche Erzählung beschreibbar zu machen. Im Folgenden soll es in drei­ facher Hinsicht erarbeitet werden: Zum einen soll kurz die Stilisierung Oswalds als Heiliger durch das bestän­dige Eingreifen Gottes sichtbar gemacht werden, zum anderen die Bedeu­tung des historischen Oswald bei der Christianisierung Englands für den Text fruchtbar gemacht und zum dritten die produktive Ver­ handlung zweier Typen von Heiligkeit gezeigt werden.

Die ›wunderbare‹ Handlung Im ›Oswald‹ wird der Protagonist von Anfang an als Sand Oswald bezeich­net (os 19, 75, 103, 113, etc.). Der deutlichste Ausweis dieser Heiligkeit besteht in der Häufigkeit und Wichtigkeit der von Gott für ihn gewirkten Wunder, die sich an entscheidenden Stellen der Handlung ereignen und diese so vorantreiben. So befiehlt ein Engel Oswald, Paug zu heiraten und den christlichen Glauben zu ver­ breiten (os 59–70), und Oswalds Rabe wird von Gott durch die Fähigkeit alle Spra­ chen zu sprechen zum idealen Boten (os 355–7, 391–406). Vor allem die Wunder im Umfeld der Missionierung Arons und seiner Männer sind breit ausgestaltet (2993–3179). Wie sehr das Geschehen in der Hand Gottes liegt, in der die ande­ren Figuren zu Spielbällen werden, zeigt sich in einer zunächst höchst irritierenden Passage des Werkes. Als sich der Rabe mit Paugs Ring und Brief ausgestattet auf der Rück­ reise nach England befindet, schickt Gott ihm einen Sturmwind, der den Vogel so sehr durchschüttelt, dass er Paugs Ring verliert: nu sant daz himlisch kind / einen ungefuogen sturmwint, / daz sich der rab dreistund ubergab (os 1203 ff.). Dies ist die einzige Stelle, an der Oswalds Mis­sion durch himmlische Mächte behindert wird. Im Anschluss an diese Szene wird aber die grenzenlose Voraussicht und Allmacht Gottes demons­triert. Denn er hatte schon zuvor einem Einsiedler befoh­ len, für Oswald zu beten (os 1237–8), so dass dieser den Raben erkennt und ihm helfen kann. Darauf befiehlt Gott dem Fisch (os 1277), der den Ring im Magen trägt, diesen an den Strand zu bringen. Diese Episode zeigt das Wirken Gottes in Oswalds Welt überdeutlich. Die völlige Abhängigkeit der Figuren von diesen Eingriffen werden an meh­ reren Stellen vorgeführt. Als Oswald den Raben bei seiner anschließen­den Fahrt ins Land Aron daheim vergisst, schicken Gott und Maria (os 1779–80) einen Engel, der den Raben überredet, seinem Herrn zu folgen und nach Paugs Bitte an Maria öffnet sich das Tor der Burg, so dass sie fliehen kann (os 2565–7). In dieser



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Episode wird die Bedeutung der Wunder dadurch vorgeführt, dass alle anderen Lösungsmöglichkeiten versagen. Als Paug aus der Burg Arons mit vier Beglei­ terinnen fliehen will, verkleiden sich alle als heidnische Ritter, um unbemerkt entkommen zu können. Als sie jedoch am Burgtor ankommen, finden sie es ver­ schlossen vor (os 2543 ff.) und für die zweite Flucht­möglichkeit, einen Sprung von den Burgzinnen, erscheint ihnen die Mauer zu hoch (os 2547 ff.). Das Scheitern aller Fluchtmöglichkeiten versetzt die Frauen in große Eile (die jung kungin her wider ab floch, os 2550), denn sie erwarten bald die Rückkehr Arons von der für ihn inszenierten Jagd auf den goldenen Hirsch. In dieser großen Bedrängnis fällt Paug vor dem Burgtor auf die Knie und betet inständig zu Maria: nu hort ich ie sagen mär, / wie genadig unser frau wär, / wie si prächte mit ir güet / wasser zuo der glüet. / Marei, dein genad laß an uns schein / und hilf uns armen magedein, / daz wir froleich komen von hinnen / und säld in deinem namen gewinnen! (os 2557 ff.).

Indem Paug ihre erhoffte Rettung mit dem Löschen von Glut durch Was­ser ver­ gleicht, unterstreicht sie noch einmal die Dringlichkeit ihrer Lage und verweist darüber hinaus bildlich auf die von ihr angestrebte Rettung ihrer Seele durch das Wasser der Taufe. Wenn als Antwort auf ihr Gebet das Schloss des Tores, wie von einem Sturm aufgestoßen, bricht, nur um sich hinter den vier Frauen wieder zu schließen (os 2576 ff.), wird die Macht des göttlichen Eingriffes gerade vor dem Versagen der natürlichen Alternativen akzentuiert und so die Bedeu­tung des Wunders für den Handlungsverlauf unterstrichen. Der himlische trachtin erscheint als zusätzliche Figur, die an entscheidenden Stellen in die Handlung eingreift und sie gelingen lässt. Durch diese Interventi­ onen wird der besondere Status Oswalds hervorgehoben, dessen Vorhaben sich so intensiver göttlicher Aufmerksamkeit erfreuen. Dies erklärt sich auch daraus, dass Oswald von Anfang an im Auftrag Gottes handelt.

kristenleichen glauben meren Der Auftrag König Oswalds in der Brautwerbungserzählung besteht von Anfang an in der Verbreitung des christlichen Glaubens. Auf seinen Wunsch, eine Frau zu heiraten, reagieren die himmlischen Mächte daher auch gleich mit der Bot­ schaft, er solle sich eine haidnische kuniginne erwählen, diese mit einem Heer erobern und dabei missionarisch tätig sein: du muost in die haidenschaft cheren /

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und kristenleichen glauben meren.21 Der Pilger Wârmunt berichtet ihm von der sarazenischen Prin­zes­sin Paug, die gerne Christin werden und auch selbst an der Ausbreitung des Christentums mitarbeiten möchte.22 Die Werbung um eine pas­ sende Braut und die von Gott geforderte missionarische Arbeit bedingen sich also gegenseitig. Wie wichtig die Mission als Handlungsziel ist, wird unterstrichen, als Oswald seinen Fürsten die bevorstehende Heeresfahrt zunächst mit den Worten ankündigt ich wil in die haidenschaft keren / und cristenleichen glauben meren (os  1533 f.) und erst danach die Entführung Paugs als weiteres Ziel ankündigt. Und Oswald ist erfolgreich – er besiegt Paugs Vater Aron und tauft schlussendlich ihn und sein gesamtes Heer. Die Ausbreitung des Christentums durch die Mission der Sarazenen ist demnach ein zentrales Thema des ›Oswald‹. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Wahl des Protagonisten und der durch seine Figur aufgerufene Kontext sinnvoll gewählt. Denn der historische König Oswald von Nordhumbrien ist maßgeblich an der Christianisierung Englands im 7. Jahrhundert beteiligt, sein gesamtes Leben der Überlieferung nach von diesem Ziel bestimmt. Entscheidend geprägt wird das Bild Oswalds von Beda Venera­ bilis in seiner ›Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum‹, in der er die Geschichte der Angelsachsen in eschatologischer Perspektive unter dem Gesichtspunkt der Christianisierung behandelt (Spitzbart 1997, 5).23 Im Mittelpunkt des Inte­

21 Ein Engel teilt ihm den Willen Gottes mit: ich wil dir raten, furst guot: / nim dir dhain frauen in den landen dein / ich wil dir ez raten auf die treuen mein: / du muost varen uber mer / mit ainem kreftigen her / nach ainer haidnischer kuniginne: / die soltu uber mer her pringen (os 60 ff.). 22 Paug wünscht sich nicht nur für sich selbst und vier gleichgesinnte Damen die Taufe, sie alle wollen auch kristenleichen glauben meren / paideu spat und frue, / nun habent si niemant der in helf darzuo (os 251 ff.). 23 Im Anschluss an Bedas ›Historia‹ entsteht eine Reihe von Werken, die sich (auch) mit Os­ wald beschäftigen. Unter ihnen wurde Alkuins ›Versus de Patribus Regibus et Sanctis Euboricen­ sis Ecclesiae‹ für den europäischen Kontext besonders wichtig, da es durch seinen Aufenthalt am Hof Karls des Großen und durch seine Arbeit an dessen Hofschule auch in der karolingischen Gesellschaft bekannt wurde. John Edward Damon geht sogar soweit zu vermuten, dass auch das Ideal des kriegerischen adligen Heiligen über Alkuin aus England importiert und bekannt ge­ macht wurde (Damon 2003, 22 f.). Ohne diese Werke im Einzelnen näher beleuchten zu wollen, sei doch auf einige gemeinsame Tendenzen und gegenüber Beda auf neue Elemente hingewie­ sen, die für den ›Oswald‹ bedeutsam sind. Insgesamt tendieren die Autoren nach Beda dazu die legendarischen Aspekte im Leben Oswalds stärker zu betonen, also besonderen Wert auf die Wunder zu legen, die sich an seinen Reliquien ereignet haben sollen. Ähnlich wie später die Brautwerbungserzählung, verlegt dabei auch schon Aelfric die Wunder in die Lebenszeit des Herrschers (Göller 1982, 308 f.) und verleiht ihr dadurch zusätzliche Wichtigkeit. Besonderes Gewicht auf Oswalds Tod hingegen legt Drogo von St. Winoc, in dessen Darstellung Oswald als Märtyrer erscheint. David Defries vermutet, dass sich hierin ein kontinentaler Vorbehalt dagegen spiegeln könnte, die Heiligkeit eines Herrschers ganz auf seine Rolle als König und seinen Kampf



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resses steht für ihn dabei immer die Christianisierung Englands – jeden König misst er an seinen Verdiensten und Rückschritten auf diesem Feld. Unter Edwin beschreibt er erste Fortschritte in diese Richtung, die jedoch nach seinem Tod unter den beiden neuen Königen Osric und Eanfrith (Oswalds Bruder) wieder ver­ loren gehen.24 Von außen bleibt die Bedrohung durch den Briten Penda und den Heiden Caedwalla bestehen, die Edwin nicht besiegen konnte.25 Dieser Status des Heidentums und der Apostasie bieten Beda die Kontrastfolie für den Entwurf des Heiligen Oswald, eines durch und durch christlichen Königs (Stancliffe 1995, 43). Der größte Verdienst Oswalds ist die Christianisierung eines weit über Nord­ humbrien hinausreichenden Gebietes – zum einen durch die Eroberung zuvor heidnischer Gebiete, vor allem aber durch die Mission ihrer Bevölkerung. Nach der Darstellung der mittelalterlichen Quellen wächst Oswald im Exil im König­

gegen die Gegner des christlichen Glaubens zu begründen (Defries 2006). Einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Literarisierung der Oswald-Figur geht im 12. Jh. Reginald von Durham, der in seiner ›Vita sancti Oswaldi‹ zwar im Wesentlichen das von Beda gelieferte Material über­ nimmt, darüber hinaus aber auch völlig Neues berichtet (Göller 1982, 310). Dieses in einem eher anekdotischen Stil verfasste Werk weist einige interessante Parallelen zu den mhd. Texten auf, die Annemiek Jansen wie folgt zusammenfasst: »1. Oswald wants his future bride to be his equal in all respects. 2. Oswald insists that his future father-in-law should receive baptism. 3. The time of Oswald’s death is predicted to him: in Reginald’s work by angels, in a vision Oswald has when he is suffering from the plague, and in the ›Munich Oswald‹ by Christ, who is present at Oswald’s wedding disguised as a pilgrim. 4. Oswald and his wife live in chastity. In the ›Munich Oswald‹ they are exhorted to this way of life by Christ himself; in Reginald’s ›Life‹ Oswald adopts a life of chastity as a result of the vision he had during his illness. 5. A rock is made to yield water. In Reginald’s work this rock is near the place where Oswald is killed: a large raven-like bird seizes Oswald’s right arm and drops it on the rock, at which a spring rises from the rock. In the ›Munich Oswald‹ the king, with God’s help, makes a rock yield water at the request of his pagan oppo­ nent, Aron. 6. A multitude of people wants to receive baptism. In the ›Munich Oswald‹ Aron’s whole army is baptized; in Reginald’s ›Life‹ all Oswald’s subjects want to be baptised after Os­ wald has had a vision in which St. Columba appeared to him« (Jansen 1995, 233 f.). 24 »Jeder dieser beiden Könige verriet, als er die Zeichen des irdischen Reiches erlangt hatte, durch Verfluchung die Geheimnisse des himmlischen Reiches, in die er eingeweiht worden war, und wandte sich dem früheren Schmutz des Götzendienstes zu, um befleckt und verloren zu sein« (Die Übersetzung folgt hier und später der Ausgabe von Günther Spitzbart); Qui uterque rex, ut terreni regni infulas sortitus est, sacramenta regni caelestis, quibus initiatus erat, anathematizando prodidit, ac se priscis idolatriae sordibus polluendum perdendumque restituit (BVH III,1). 25 Obwohl der Brite Caedwalla Christ gewesen sei, »erwies [er] der christlichen Religion keine Ehre« (nec religioni Christianae […] aliquid inpedebat honoris) und war in seinen Morden inner­ halb der Kirche, an Frauen und Kindern »noch grausamer als der Heide« (barbarus erat pagano saeuior) (BVH II, 20). Aus Sicht der Engländer (also auch Bedas) scheinen die christlichen Briten den Heiden näher zu stehen als ihnen selbst. S. dazu auch Stancliffe 1995, 37.

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reich Dál Riada auf der Insel Iona in Westschottland auf,26 dessen Kloster zu dieser Zeit das bedeutendste Zentrum keltischer Missionsarbeit ist. Er und seine Brüder kommen dort früh mit dem Christentum in Kontakt und lassen sich taufen.27 Nach dem Tod seines Bruders Eanfrith, König von Bernicia, kehrt Oswald aus dem Exil zurück und besiegt Caedwalla mit einem kleinen, aber mit dem Glauben an Christus bewaffneten Heer (BVH III, 1). Während seiner Regierungszeit entwi­ ckelt Oswald große Energien, um sein Volk zu bekehren (Stancliffe 1995, 65). Er lässt nach Bischof Aidan aus Iona schicken, für den er in Lindisfarne ein neues Kloster gründet und legt so die Grundlagen für die Christianisierung Englands mit (Stancliffe; Cambridge 1995b, 1). Die Predigten Aidans übersetzt Oswald in der Darstellung Bedas dann höchstpersönlich ›simultan‹ für das Publikum. Auch sonst ist er bemüht, den Glauben zu verbreiten und wird Taufpate für einen Stam­ mesfürsten, dessen Tochter er im Anschluss heiratet. Der Einfluss Oswalds auf die Missionierung Englands ist so bedeutend, weil es nach ihm keinen entschei­ denden Rückfall zur heidnischen Religion mehr gibt (Rollason 2007, 7 f.). Mit der Wahl Oswalds als Protagonisten der Brautwerbungserzählung kann somit eine Erwartungshaltung gesteuert und die Handlung historisch dimensi­ oniert werden. Die Christianisierung Europas im Frühmittelalter wird durch die Figur Oswald mit der Missionierung der Muslime im Orient überblendet. Mit Oswald wird der Beginn einer Erfolgsgeschichte in Hinblick auf die Ausbreitung des Christentums erzählt, die über die Methoden der Eroberung, der Predigt, aber auch der politischen Heirat an das Geschehen der Brautwerbungshandlung anknüpfbar ist. Entscheidend für die literarische Umsetzung ist dabei auch der Typus des Heiligen, den Beda mit Oswald neu begründet.

Typen der Heiligkeit Im ›Oswald‹ verändert sich die Darstellung des Protagonisten in dem Moment, als er gegen die Sarazenen kämpfen muss. Bis zu diesem Punkt erhält die Figur zumeist Anweisungen von anderer Seite und führt sie aus und wenn er nicht

26 Oswalds Vater Aethelfriths hatte vor Edwin als König von Bernicia regiert und mit der Unter­ werfung von Deira die Grundlage für das nordhumbrische Königreich gelegt. Als er von seinem Schwager Edwin gestürzt und getötet wurde, mussten seine Söhne vor der Verfolgung durch den neuen König fliehen. 27 Dies ist bereits im ›Life of Columba‹ (um 700) überliefert. S. Stancliffe 1995, 33,40; Göller 1982, 305.



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weiter weiß, bittet er Gott im Gebet um Hilfe.28 Als er den Sarazenen jedoch im Feld gegenübersteht, übernimmt Oswald selbst die Regie über das Geschehen, motiviert seine Männer mit dem Versprechen ihres Seelenheils, ergreift selbst die Kriegsfahne und eilt seinen Männern voraus in die Schlacht.29 Während deren Verlauf lenkt er seine Truppen und verfolgt eine kluge Kampfstrategie.30 Auch die Benennungen und Vergleiche, mit denen der Erzähler Oswald in dieser Szene belegt, heben sich vom Rest des Textes ab. Im Kampf gegen die Sarazenen wird Oswald als weigant (os 2903) bezeichnet, der vacht als ein wilder per (os 2907). Der Heilige entfaltet sein eigentliches Potenzial also erst in der Schlacht. Damit rekurriert die Erzählung auf die Konzeption des Heiligen bei Beda, die zu seiner Zeit absolut neuartig war. Denn Beda zeigt den König Oswald als Krieger. Vor der Schlacht gegen Caedwalla lässt er als Zeichen seines Glaubens ein großes Holzkreuz errichten, ja »im Glaubenseifer« (fide ferfens) legt er sogar selbst mit Hand an. Nachdem er allein auf Knien zu Gott gebetet und um dessen Hilfe gebeten hat, fordert er auch seine Begleiter dazu auf. Das Gebet um Schutz vor dem Feind begründet er damit, einen gerechten Krieg zu führen.31 Die eigent­ liche Kampfhandlung schmilzt auf einen Satz zusammen,32 doch Oswald hat ein himmlisches Siegeszeichen errichtet und einen himmlischen Sieg errungen.33 In

28 So stammt der Auftrag, seine Frau im Herrschaftsbereich der Sarazenen zu suchen, von Gott, der Hinweis, den Raben als Boten zu benutzen, von Wârmunt und der Plan zu ihrer Be­ freiung von Paug selbst. Schon zu Beginn bittet er Gott um eine Möglichkeit eine Frau ›ohne Sünde‹ zu nehmen, er betet um göttlichen Beistand, als er den Raben in England vergessen hat und auch bei der Verfolgungsjagd auf dem Meer benötigt er eine göttliche Intervention, um Aron zunächst entkommen zu können. Dies wurde auch von der Forschung beobachtet, zum Beispiel von Walter Kofler: »Obwohl Oswalt in allen Phasen der Aktion geschickt agiert, erreicht das Un­ ternehmen immer wieder einen toten Punkt, der erst mit Hilfe Gottes überwunden wird« (Kofler 1996, 68). 29 sant Oswalt nicht enlie, / den sturmvan er selb in sein hant gevie. / her gegen den haiden was im gach / die seinen eilten im vast nach (os 2877 ff.) und wenig später sand Oswald der weigant / fuort den sturmvon in sein selbes hand: / der manhait was er nicht ein tor, den seinen vacht er ritterleichen vor (os 2903 ff.). 30 und gab den seinen rat und ler; / er fuort den streit so weisleich, / des freuten sich die seinen all geleich (os 2908 ff.). 31 »er [Gott] weiß nämlich, daß wir für das Wohl unseres Stammes einen gerechten Krieg be­ gonnen haben«; scit enim ipse [Deus], quia iusta pro salute gentis nostrae bella suscepimus (BVH III, 2). 32 »Sie handelten alle wie er befohlen hatte, rückten dementsprechend bei Anbruch der Mor­ gendämmerung gegen den Feind vor und erlangten den Sieg gemäß dem Verdienst ihres Glau­ bens«; Fecerunt omnes, ut iusserat, et sic incipiente diluculo in hostem progressi, iuxta meritum suae fidei uictoria potiti sunt (BVH III, 2). 33 caeleste erigendum tropeum, caelestis inchoanda uictoria, caelestia usque hodie forent miracula celebranda (BVH III, 2).

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 Der Heilige als Held: ›Oswald‹

der zweiten von Beda geschilderten Schlacht bei Matherfield stirbt Oswald durch die Hand seines alten Widersachers Penda, der seinen Leichnam grausam zerstü­ ckelt. Doch Oswald stirbt als miles Christi (BVH IV, 14) und wird als Streiter Gottes zum Märtyrer. Damit weicht Beda von allen Traditionen ab und wirkt zukunftsweisend.34 In der Frühzeit des Christentums werden ausschließlich Christen, die durch Verfol­ gung für ihren Glauben starben, heiliggesprochen – den friedlich leidenden Mär­ tyrern steht die gewaltsame Staatsmacht gegenüber (Stancliffe 1995, 42). Durch den Wandel zur Staatsreligion unter Konstantin dem Großen sieht sich das Chris­ tentum mit neuen Fragen nach der Rechtmäßigkeit von Gewalt, der Vereinbar­ keit von Religion und Herrschaft sowie Schwierigkeiten gegenüber, bestehende Gesellschaftsstrukturen mit christlichen Inhalten zu füllen. Die Klärung des reli­ giösen Status der im zweifachen Sinn Gewalt ausübenden Herrscher und Könige erweist sich dabei sowohl als wichtig als auch als schwierig.35 Um Könige als Heilige zu inszenieren, entwickeln die Historiographen der Merowinger etwa zeitgleich zu Beda das Modell des leidenden Königs, des roi souffrant, der schicksalsergeben und möglichst gewaltfrei herrscht. Allerdings werden so unter den Merowingern nur besonders friedliebende Könige zu Hei­ ligen stilisiert (Hoffmann 1975, 12), so dass sich das Modell eher zur Darstellung unbedeutender Herrscher anbietet (H.-J. Becker 1982, 11). Auch in Bedas ›Historia‹ schließen sich militärisch erfolgreiches Königtum und Heiligkeit aus – die einzige Ausnahme von dieser Regel ist seine Konzeption des Heiligen Oswald (Stancliffe 1995, 41). Mit ihm entwirft er ein Konzept, das die Fragen der Vereinbarkeit von Gewalt und Religion, Herrschaft und Heiligkeit in einer Art und Weise diskutiert, die für die folgenden Jahrhunderte attraktiv bleibt. Was aber genau lässt den kriegerischen König von Nordhumbrien für Beda zu einem Heiligen werden? Robert Folz, der sich intensiv mit dem Thema heiliger Könige und Königinnen im Allgemeinen36 und auch König Oswald im Besonde­ ren beschäftigt hat, sieht die Heiligkeit dieses ›zutiefst christlichen‹ Mannes in seinem gewaltigen Glauben, der Christianisierung Nord­hum­briens, seiner Fröm­

34 »The interest of Bede’s picture of Oswald as both active king and saint is that it is unusual, if not unique, for its time. There was no Life of a saint-king for Bede to draw ideas from, no clear exemplar. Of course there were figures like King David in the Old Testament, or the Emperor Constantine from the late Roman Empire« (Stancliffe 1995, 42). 35 Die Chance zu nutzen, Macht und Herrschaft sakral zu legitimieren, ist ein überzeitliches und überreligiöses Phänomen, wie Hans Christoph Brenneke (2007, 115) zeigt. Für christliche Herrscher ist sie von besonderer Bedeutung, wo sie sich gegen bereits bestehende abweichende Formen der Herrschaftslegitimation durchsetzen müssen (H.-J. Becker 1982, 19). 36 Folz 1984, Folz 1992.



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migkeit und Demut sowie des tragischen Endes seiner Regierungszeit begründet (Folz 1980, 50 f.). An diesem letzten Punkt anschließend hat John Edward Damon den Begriff des martyred warrior kings geprägt.37 Neben seinen positiven Charak­ tereigenschaften wie Frömmigkeit und Demut und seiner vorbildlichen Lebens­ führung wird Oswald nicht zum Heiligen, obwohl er seine Herrscherpflichten ausführt, sondern gerade weil er sich im Dienste der Verbreitung des christlichen Glaubens militärisch erfolgreich ist. Diese Art kriegerische Gewalt mit christli­ chen Interessen zu verbinden, bietet den Hintergrund für die Popularität Oswalds in England und auf dem Kontinent (Riain-Raedel 1995, 222). Es bliebe sogar zu fragen, ob Oswalds Tod eine so große Bedeutung zukommt, wie Damon veranschlagt. Denn obwohl Oswald in der späteren hagiographi­ schen Überlieferung als Märtyrer bezeichnet wird und sein Tod auch bildlich als freiwilliges Martyrium dargestellt wird,38 findet sich die Bezeichnung bei Beda noch nicht und auch die Umstände seines Todes erfahren wenig Aufmerksam­ keit. Es scheint, als habe sich Beda noch weiter von den bestehenden Vorstellun­ gen seiner Zeit gelöst, wenn er nicht die Umstände von Oswalds Tod, sondern die Art seines Lebens zur Grundlage seiner Heiligkeit gemacht hat. Sein Leben als vorbildlicher christlicher Herrscher, seine Missionstätigkeit und nicht zuletzt die militärische Verteidigung des christlichen Glaubens begründen seinen sakralen Status.39 Damit habe Oswald sich, so Karl-Heinz Göller, nicht nur als Patron für die Kreuzfahrer geeignet,40 sondern wird auch zu einem attraktiven Helden für die Brautwerbungserzählung. Im ›Oswald‹ wird dieses Konzept des aktiv kämpfenden Heiligen aufgenom­ men und zugleich mit einem sehr viel traditionelleren Konzept der Heiligkeit ergänzt bzw. kontrastiert. Auch dieses wird bereits ganz zu Beginn des Textes in

37 »Among the earliest native English saints appeared a unique subclass: martyred warrior kings. The best representative of this group, Oswald of Northumbria, came to the throne by def­ eating pagan enemies in a battle preceded by his raising of a cross as a sign of the holiness and justice of his mission. As a king, he lived an exemplary (though hardly peaceful) life, and his death in battle earned him the title of King and Martyr« (Damon 2003, 22). 38 In diesem Bildtyp wird der in Gebetshaltung kniende Oswald durch den heidnischen Geg­ ner hingerichtet. Eine Darstellung dieses Martyriums finden sich z. B. im Queen Mary’s Psalter (BritM Ms Roy 2 B VII fol. 258v-9). 39 »Bede regarded Oswald, and Oswald alone, as a saint-king – and a saint thanks to the life he lived as a king, not to a life lived after laying aside royal power, not yet thanks to dying a martyrs’ death« (Stancliffe 1995,41). 40 »Oswald galt nämlich in England und bald auch auf dem Kontinent als der große Vorkämp­ fer des heiligen Kreuzes, denn er hatte mit seinen eigenen Händen auf dem Schlachtfeld von Denisesburn ein hölzernes Kreuz errichtet, vor diesem Kreuz kniend gebetet und durch die Un­ terstützung des Kreuzes den Sieg über die heidnischen Feinde errungen« (Göller 1982, 313).

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 Der Heilige als Held: ›Oswald‹

der Figur Wârmunts aufgerufen – von da an begegnen immer wieder Momente der Heiligkeit in der Weltabkehr und des Eremitentums, wie der für Oswald betende Einsiedel. Oswald selbst wird auf zwei Arten mit diesem Konzept der Heiligkeit verbunden: zum einen über seinen Raben und zum anderen über die Prüfung durch Christus. Der Rabe hat in der christlichen Gedankenwelt einen ambivalenten Status.41 Nach Levitikus 11,15 und Deuteronomium 14,14 gilt er als unreines Tier, in der Geschichte der Arche wird er als Aasfresser zum unzuverlässigen Boten (Gen 8,6–7). Eine positive Bewertung erfährt er jedoch im Zusammenhang mit den Wüstenvätern. So wird schon Elias in der Wüste von Raben ernährt, die ihm morgens Brot und abends Fleisch bringen (1 Kön 17,6). In Anlehnung an diese Darstellung werden auch Paulus Eremita und Antonius von Raben gespeist, die die Grenze zwischen dem Göttlichen und der Wildnis überqueren können.42 Auch in der Folge sind Heilige, die mit einem Raben in Verbindung gebracht werden, häufig Eremiten oder Einsiedler.43 In der Selbstdisziplin des Raben, der seine eigene Wildheit bändigt, um den Menschen Nahrung zu bringen und nicht selbst zu verschlingen, spiegelt sich die Disziplinierung der Eremiten wider. Doch Oswald wird nicht nur über das Attribut des Raben mit diesem Heili­ gentypus in Verbindung gesetzt, sondern auch durch seine bis zur Weltentsagung gehende Großzügigkeit. Der ›Oswald‹ ist eine Erzählung vom miltisten man / so er daz leben ie gewan (os 3 f.). Seine milte wird in verschiedenen Bewirtungsszenen bewusst gehalten und bleibt sein beständiges Attribut. Am Ende des Werkes, als Christus in der Verkleidung eines Pilgers vor ihm erscheint, wird diese Großzü­ gigkeit bis an ihre Grenzen geführt. Denn Oswald hatte vor der Schlacht gegen die Sarazenen versprochen, alles zu verschenken, worum man ihn im Namen Gottes in Zukunft bitten würde. Christus prüft Oswald, indem er immer weiter reichende Forderungen stellt, bis er zum Schluss sein Königreich und seine Ehefrau von ihm verlangt. Auch diese gibt Oswald ohne zu klagen fort.44 Als er alles verschenkt

41 Raben spielen aufgrund ihrer Intelligenz und Zähmbarkeit in den mythologischen Ge­ schichten vieler Völker eine Rolle. Häufig vertreten sie dabei das Unheimliche, werden als Aas­ fresser zu Vorboten von Krieg und Tod. Sie werden aber auch positiv als Weisheitsvogel besetzt und damit Göttern des Lichts zugeordnet (Apollo, Odin, Mithras, Lug, etc.). S. Peuckert (1935/6). Zum Raben im ›Oswald‹ s. auch St. Müller 2001 und Bockwyt 2005. 42 Zum besonderen Verhältnis zwischen Heiligen und wilden Tieren s. Nitschke 1966. 43 So auch der hl. Meinrad und Vinzenz von Zaragoza. Zu Meinrad s. Kimpel 1974, zu Vinzenz Schütz 1976. Benedikt von Nursia, der ebenfalls eine Zeitlang als Einsiedler gelebt hat, wird von einem Raben vor vergiftetem Essen gewarnt. 44 Als es um Paug geht zögert er jedoch einen Augenblick und bittet sie um ihr Einverständnis: sand Oswalt der red hart erschrikt, / die frauen er traurichleich anplikt: / er sprach mit eren:  / »pilgrein, ich gib si dir recht geren. / ich verzeich dich nicht der frauen mein, / möchte ez nür ir



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hat, bittet Oswald um die Kleidung seines Gegenübers, denn er wolle jetzt selbst als armer Pilger durch die Lande ziehen: pilgrein, nu gib mir dein gewät! / daz wil ich nun legen an / und will mich geleichen ainem armen man. / von dem meinem allen / wil ich nu willichleichen wallen / hin in fremde lant, / do ich pin unerchant. / reichtuom wil ich meiden / und willikleichen leiden / schmäch und armuot (os 3460 ff.).

Diese Großzügigkeit Oswalds ist bereits in der Darstellung Bedas angelegt. Er demonstriert sie bei einem Pfingstfest, bei dem Oswald nicht nur Speisen an die Bedürftigen austeilen lässt, sondern beim Anblick ihrer Armut auch das kostbare Geschirr weggibt. Die Folge dieses Handelns, das besonders in der ikonographi­ schen Oswaldtradition große Beliebtheit erfährt, ist die Segnung von Oswalds rechtem Arm durch Bischof Aidan. Dieser Arm, der alles verschenkt, wird in der Folgezeit zu einer der bedeutendsten Reliquien Oswalds. Besondere Aufmerk­ samkeit erfährt er in der ›Vita Sancti Oswaldi‹ Reginalds von Durham: Hier ist es nämlich ein großer Rabe, der nach Oswalds Tod auf dem Schlachtfeld mit seinem rechten Arm auf einen Baum fliegt – als er ihn fallen lässt, entspringt eine Quelle mit heilendem Wasser an dieser Stelle (RDV 355 f.). In der hagiographischen Oswaldtradition wird also bereits die Verbindung von Oswalds Großzügigkeit, seiner Heiligkeit und dem Raben hergestellt. Daraus ergibt sich die folgende These: Der ›Oswald‹ verbindet zwei Konzepte von Heiligkeit in einer Figur. Oswald ist sowohl der kriegerische König, der für die Verbreitung des Christentums in die Schlacht zieht als auch ein Mann von einer solchen Großzügigkeit, die ihn am Ende, wenn auch nur kurzzeitig, zum Pilger und Eremiten macht. Beide Konzepte stehen dabei nicht unvermittelt nebeneinander, sondern sind kausal miteinander verknüpft: Um gegen die Sara­ zenen erfolgreich zu sein, muss Oswald bedingungslose milte versprechen und nur durch die Hilfe von Eremiten und Pilgern kann er seine Mission erfüllen. Der von Nikolaus Miller 1978 beobachtete Weg Oswalds aus der Welt durch die Welt hindurch ist also vielleicht gar nicht so sehr eine Frage von weltlicher Brautwer­ bungserzählung und legendarischer Weltabkehr, sondern vielmehr ein Teileffekt der Verknüpfung zweier Heiligkeitstypen, die eine spannungsvolle, interessante Konstellation eröffnen.

wil gesein.« / do sprach der auserwelt degen: / »frau, ich will dich dem pilgrein geben / durch den willen unseres lieben herren: / der pett soltu mich geweren!« / si sprach, als wir horen jehen: / »waz ist gottes will daz sol geschehen!« (os 3443 ff.).

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 Der Heilige als Held: ›Oswald‹

Das Heilige und das Komische Als vorerst abschließende Beobachtung zum literarischen Umgang des ›Os­ wald‹ mit seinem zugleich historischen und heiligen Protagonisten, lässt sich das komische Potenzial der beiden zuvor vorgestellten Konzepte der Heiligkeit beobachten.45 Dass das »für modernes Empfinden geradezu schockierendbefremdliche Nebeneinander von Komik und Sakralität« (Staubach 2005, 7) in mittelalterlicher Kunst und Literatur für ein zeitgenössisches Publikum die weder schockierende noch befremdliche Verletzung der Regel, sondern eher die Regel selber bedeutet hat, ist in jüngster Zeit von mehreren Seiten aus genauso betont worden wie die produktiven und spannungsvollen Kombinati­ onen von Sakralität und Heiligkeit im Mittelalter.46 Im Sinne der Inkongruenz­ theorie47 bietet das Sakrale einen »bequemen Kontrast« zum Alltäglichen und Banalen aber auch zum Sexuellen (Kipf 2005, 111).

45 Die Forschung zur Komik im Mittelalter hat sich lange Zeit an der theologischen Diskussion des Lachens abgearbeitet. Eine intensive Beschäftigung mit diesem Thema liefert Le Goff (22004). Eine Reflexion und teilweise Revision dieser Forschungsbemühungen hat zuletzt Tobias A. Kem­ per (2005) angestellt. 46 Grebe; Staubach 2005; Röcke; Velten 2005; Gvozdeva; Röcke 2009. Schon 1948 hatte Ernst Robert Curtius die Verbindung von Komik und Heiligkeit in der mittelalterlichen Hagiographie beobachtet: »Humoristische Elemente gehören also zum Stil der mittelalterlichen Heiligenvi­ ta. Sie waren im Stoff selbst gegeben, aber wir dürfen sicher sein, daß das Publikum sie auch erwartete« (ebd., 428). Walter Haug (1982) ist den Durchdringungen von Komik und Heiligkeit u. a. am Beispiel des ›Oswald‹ nachgegangen und kommt zu dem Schluss: »Das Heilige und das Komische stehen nicht nur nebeneinander, sondern die beiden Phänomene können in ein sehr viel tiefgründigeres Verhältnis zueinander treten« (ebd., 22). S. dazu auch den ebenfalls 1982 erschienenen Aufsatz von Max Wehrli. 47 Eine systematische Definition des Komischen stellt ein fachübergreifendes Problem dar. Otto Marquard (1976, 148) fasst einige besonders einflussreiche Deutungen wie folgt zusammen: »Ko­ misch ist – meint Kant in seiner dritten Kritik – und zum Lachen zwingt die ›plötzliche Verwand­ lung einer gespannten Erwartung in nichts‹. Komisch ist – meint Schelling im identitätsphilo­ sophischen Ansatz – und zum Lachen zwingt ›die Umkehrung jedes möglichen Verhältnisses, das auf Gegensatz beruht‹. Komisch ist – meint Friedrich Theodor Vischer – und zum Lachen zwingt der Gegensatz zum Erhabenen. Komisch ist – meint Karl Rosenkranz – und zum Lachen zwingt ›die Aufheiterung des Häßlichen ins Schöne‹. Komisch ist – meint Bergson – und zum Lachen zwingt ein als Mechanismus sich gebendes Lebendiges. Komisch ist – meint Freud spe­ ziell im Blick auf den Witz – und zum Lachen zwingt eine momentane Verdrängungsersparung. Komisch ist – meint Plessner – und zum Lachen zwingt eine unabweisbare, nicht unmittelbar bedrohliche, aber unbeantwortete Situation«. In Bezug auf eine historische Untersuchung des Komischen hat sich die, von Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer begründete, Inkongru­ enztheorie als fruchtbar erwiesen (s. dazu auch Steinmetz 1999, 257), die sich vielleicht extrem verknappend als ›komische Effekte entstehen durch die pointierte Auflösung eines Gegensatzes‹



Das Heilige und das Komische 

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In diesem Sinne wird auch die im Kampf gegen die Sarazenen eröffnete Rolle Oswalds als Streiter Christi am Ende des ›Oswald‹ komisch gebrochen, als er Christus selbst gegen seine eigenen Kämmerer verteidigen muss. Christus, der in dieser Szene bezeichnenderweise als himlisch degen (3247), also ›himmlischer Kämpfer‹ bezeichnet wird, lässt sich zunächst neun Mal bewirten und beschen­ ken. Als er noch mehr Speisen verlangt, mahnen Oswalds Kämmerer vorsichtig an, der gierige Pilger müsste genug für ein halbes Jahr haben (os 3272), doch Oswald lässt sich nicht beirren. Als der König selbst speisen will, erscheint der Pilger erneut vor seinem Tisch und dieses Mal versuchen die Kämmerer ihn von dort abzudrängen und zu vertreiben (os 3315 ff.). Oswald aber nimmt den Pilger bei der Hand, führt ihn zu einem warmen Ofen und lässt ihn erneut bewirten. Dabei verlangt Christus zuerst den Braten, den man gerade Oswald aufgetragen hatte, dann seinen goldenen Becher und schließlich sein kostbares Tischtuch. Daraufhin eskaliert die Situation, denn die schintvessel (›Leuteschinder‹) und Kämmerer beschließen den gierigen Pilger zu erstechen. In diesem Moment kann sich Oswald als wahrer Streiter Christi zeigen, indem er sich voll Wut auf seine eigenen Leute stürzt: daz begund sand Oswalt unterstan: / sein grosseu er in des betwang, / daz er von dem tische sprang. / der edel furst hochgeporen / schluog ainen schintvessel zuo den oren, / den andern stieß er an den giel, / daz er an den rucken viel; / dem dritten gab er ainen ungefuogen schlag, / daz er gestrekt vor seinen füessen lag, / den vierden nam er pei dem har / und zoch in umb gar ungewar. / er sprach: »wart an die vaigen pueben, / wie treibent die so ungefuegen! / waz welt ir, umb weu er mich pitt? / nu geht ez doch aus eurem kasten nit!« (os 3386 ff.).

Die zuvor aufgebaute komische Spannung zwischen der augenscheinlichen Gier des Pilgers und seiner wahren Absicht, Oswald zu prüfen, sowie der religiös moti­ vierten Großzügigkeit Oswalds und der langsam verzweifelnden ökonomischen Vernunft seiner Finanzverwalter, löst sich in entfesselter Gewalt. Diese wirkt angesichts der geklärten Besitzverhältnisse (nu geht ez doch aus eurem kasten nit!) überzogen – die Kämmerer versuchen schließlich in Oswalds Sinne zu handeln. Dies wird auch in der zweiten Pointe der Szene ersichtlich, wenn Chris­ tus Oswald zur Ruhe mahnt, aus Angst, er könne sonst noch ihn selbst erstechen und das später bereuen (os 3418). Der körperlich vehemente Einsatz für Chris­ tus, der Oswald im Kampf mit den Sarazenen zu einem Heiligen macht, wirkt im häuslichen Bereich überzogen. Die aus dieser Spannung entstehende Komik

zusammenfassen lässt. Zu neuen Entwicklungen in diesem Bereich in unterschiedlichen Diszip­ linen wie der Sprachtheorie, Psychologie und Philosophie und ihrer eher zögerlichen Aufnahme in die Literaturwissenschaft s. Kipf 2005.

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 Der Heilige als Held: ›Oswald‹

diskreditiert Oswald als miles christi nicht, denn Komik und Heiligkeit schließen sich nicht aus. Der warrior king wird aber seiner etwas trockenen Ernsthaftigkeit beraubt und zu einer lebendigeren literarischen Figur. Eine ähnliche Technik wendet der Text auch in Bezug auf den Heiligkeitsty­ pus des Eremiten an. War schon Oswalds schneller Weg vom mächtigen König zum armen Pilger (s.o.) durchaus komisch gezeichnet, so ist damit noch nicht das Ende der ›witzigen Weltabsage‹ erreicht. Nachdem Christus sich zu erkennen gegeben hat, verspricht er Oswald, nach seinem Tod einer der vierzehn Nothelfer zu werden. Er kündigt ihm auch an, nur noch zwei Jahre zu leben. In dieser Zeit darf er sein Königreich und seine Frau behalten – nur mit ihr schlafen dürfe er nicht.48 Die komische Wendung dieser Forderung liegt in der exakten praktischen Umsetzung, die Christus selbst vorschlägt: Um die Keuschheit zwei Jahre durch­ zuhalten, sollen Oswald und seine Frau einen Wasserbottich49 neben ihr Bett stellen: Wann immer Oswalds manhait ihn betwingen will, soll er in das Wasser springen und Paug solle ebenso handeln (os 3515 ff.). Genauso handhaben es die beiden dann auch, wenn sie der werlt freud betwang, / ietweders in daz wasser sprang (os 3533 f.). Im Modus des Komischen wird Oswalds Heiligkeit zugleich menschlich und, im besten Sinne des Wortes, unterhaltsam.

48 Auch dieses Motiv findet sich schon in der hagiographischen Oswaldtradition. Im zehnten Kapitel der ›Vita sancti Oswaldi‹ Reginalds wird das Volk Englands von Seuchen heimgesucht und Oswald betet zu Gott seine Untertanen zu verschonen und stattdessen ihn selbst zu strafen. Daraufhin erkrankt der König und sieht schon bald sein Ende nahen. Als sich sein Hofstaat um sein Sterbebett versammelt, erscheinen jedoch drei Engel. Sie versprechen Oswald, dass er jetzt noch nicht sterben soll. Auch das gesamte englische Volk soll von der Krankheit um Oswalds Willen befreit werden. Er brauche aber auch keine Angst vor dem Tod zu haben, denn er werde an einem bestimmten Tag sterben und als Märtyrer in den Himmel aufsteigen. Nachdem Oswald sich daraufhin von seiner Krankheit wieder erholt, beschließt er, seine Lebensführung auf dieses Schicksal hin auszurichten und zu verbessern. Dabei wird besonderer Wert auf die Keuschheit Oswalds gelegt und auch seine Frau, die von Reginald den Namen Kyneburga erhält, schließt sich Oswalds Vorbild an und tritt in ein Kloster ein. 49 Die Funktion des Wasserbottichs erschöpft sich allerdings nicht im komischen Effekt: Nach­ dem Oswald und Paug zu Beginn durch das Meer zwischen ihnen räumlich getrennt waren und durch das Wasser der Taufe im Glauben vereint worden sind, stellt der Wasserbottich die beson­ dere Begrenzung ihrer Liebe auf das Emotionale und Geistige dar. Wasser wirkt im ›Oswald‹ also insgesamt körperlich trennend, aber spirituell verbindend.



Die Königin von Jerusalem 

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Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹ Der ›Orendel‹ nutzt Kontexte in ihrer Pluralität, um der Geschichte des Trierer Königssohns und seinen Kämpfen in und um Jerusalem Tiefe zu verleihen, seinen Protagonisten zu inszenieren und seine Handlungen zu legitimieren. Die beson­ dere Technik des Werkes liegt dabei in einem Zeitarrangement, das mehrere Ebenen miteinander überblendet, also die Gleichzeitigkeit eigentlich ungleich­ zeitiger Ereignisse behauptet. So wird das Textgeschehen zum einen in der Zeit der lateinischen Königreiche, zum anderen aber wenige Jahre nach dem Tod Jesu Christi und zugleich zur Zeit König Davids um 1000 v. Chr. verortet. Die Deckung dieser Zeitschichten wird durch die stabile Größe des Ortes, durch Jerusalem als das Zentrum der Handlung erreicht. Dieser semantisch hochbesetze Raum mit seinen loca sancta bietet sich für eine solche Überlagerung besonders an – das Besondere im ›Orendel‹ ist jedoch die Behauptung der Gleichzeitigkeit der unter­ schiedlichen Zeitschichten. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie jede der Zeit­ schichten dazu dient, die handelnden christlichen Figuren und ihre Kämpfe mit den Sarazenen mit kultureller, historischer Energie aufzuladen.

Die Königin von Jerusalem Die politische Konstellation des Heiligen Landes, wie sie im ›Orendel‹ dargestellt ist, erinnert an das lateinische Königreich von Jerusalem vom 12. bis ins 13. Jahr­ hundert, denn das christliche Jerusalem ist von sarazenischen Nachbarn umge­ ben.50 Darüber hinaus werden, neben der bereits genannten Kreuznahme und der remissio peccatorum, zwei weitere Marker für diesen Zeitraum gesetzt. Zum einen herrscht Bride als Königin über Jerusalem und zum anderen wird sie dabei von Tempelherren unterstützt. Der Orden der Tempelritter konstituiert sich 1120 unter der Leitung Hugos von Payens und erhält von König Balduin Räumlichkeiten am Tempelplatz, von dem sie ihren Namen ableiten (WTH XII, 7).51 Schon in den ersten Jahren sind die Templer sehr erfolgreich und ziehen große Mengen von Anhängern und finan­ ziellen Mitteln an. Mit dem Schwinden königlicher Präsenz im Heiligen Land während des 13. Jahrhunderts festigt sich die Macht der Templer durch ihr mili­ tärisches und politisches Wissen sowie ihr stehendes Heer noch einmal enorm

50 Die gelegentlich zu findende Behauptung, Königin Bride sei eine sarazenische Prinzessin oder Jerusalem zu Beginn des Textes in der Hand der Sarazenen, hat keinen Rückhalt im Text. 51 Die folgenden Informationen zum Templerorden stützen sich auf Jaspert 2006, 138 ff.

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

(Jaspert 2006, 146). Doch im Gegensatz zu den Deutschordensrittern und Johan­ nitern konzentrieren sich die Templer auch nach dem Fall des lateinischen König­ reichs auf das Heilige Land und etablieren keine Landesherrschaft in Europa, wodurch sie angreifbar werden. So lässt Philipp IV., der der übernationalen Macht der Ritterorden misstraut und ihre finanziellen Ressourcen an sich bringen will, die Templer 1307 gefangen setzen und der Häresie anklagen, auf dem Konzil von Vienne 1312 wird schließlich die Auflösung des Ordens verfügt. In der germa­ nistischen Forschung wurde zuweilen versucht, die Präsenz der Tempelritter im ›Orendel‹ sowie ihre negative Beurteilung im Text für eine Datierung des Werkes fruchtbar zu machen (s.o.), was in dieser direkten Bezugname höchst problema­ tisch ist. Wichtiger als diese Spekulationen erscheint mir, dass die Erzählzeit des Werkes auf diese Weise in einem bestimmten Zeitrahmen zwischen der Gründung des Ordens zu Beginn des 12. bis zu seiner Auflösung zu Beginn des 14. Jahrhun­ derts verortet wird. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Rolle Brides als Königin Jeru­ salems an Bedeutung. Im lateinischen Königreich von Jerusalem ist die Herr­ schaftslinie mehrfach auf weibliche Nachkommen angewiesen, führen hier doch beständige Kriege zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate unter der männlichen Bevölkerung und lassen ungewohnte Umweltbedingungen einige Thronerben in jungen Jahren sterben.52 In Jerusalem und auch in anderen Kreuzfahrerherrschaf­ ten wird daher die Herrschaft besonders stark von Frauen bestimmt (Jaspert 2006, 64). Für den ›Orendel‹ sind diese Frauen interessant, weil sie eine Möglichkeit dar­ stellen, die durchaus ungewöhnliche Figur der Bride zu kontext­ua­li­sie­ren. Bride herrscht nämlich nicht nur unabhängig über Jerusalem und wird von ihren christ­ lichen und sarazenischen Untertanen respektiert, sie zögert auch nicht Prügel aus­ zuteilen, an Orendels Seite in die Schlacht zu ziehen, eine Stange schwingend – in der mittelalterlichen Literatur traditionell eine Waffe der Riesen – ihre Gegner zu fällen, ihren Mann aus der sarazenischen Gefangenschaft zu befreien, alleine auf gefährliche Spionagemissionen auszuziehen oder Jerusalem im Alleingang von den Sarazenen zurück zu erobern. Für eine solche Frauenfigur lassen sich zwar auch literarische Vorbilder finden,53 es liegt jedoch ebenso nahe, hier historiogra­ phische Darstellungen der Königinnen von Jerusalem in den Blick zu nehmen. Unter ihnen nimmt Melisende, der Wilhelm von Tyrus in seiner ›Histo­ ria rerum gestarum in partibus transmarinis‹ (WTH, Bücher 13–18) viel Raum

52 Jaspert 2006, 63 f., Hamilton 1978, 143. 53 So ziehen z. B. die Amazonen Camilla im ›Eneasroman‹ und Pentesilie im ›Rennewart‹ in den Kampf (s. Politis 2008a, 2008b) und in den Artusromanen begegnen mehrere selbständige Herrscherinnen – die allerdings fast immer auf der Suche nach einem passenden Mann sind.



Die Königin von Jerusalem 

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und Lob zukommen lässt, eine besondere Stellung ein.54 Als Erbin ihres Vaters Balduin II. heiratet sie Fulko von Anjou und hat mit ihm zwei Söhne. Nach Wil­ helms Urteil erlangt sie in ihrer Ehe nach einem Zerwürfnis großen politischen Einfluss über ihren Mann.55 Nach dessen Tod 1143 wird sie gemeinsam mit ihrem Sohn (Balduin III.) gekrönt und übernimmt die Regierung.56 Melisende regiert klug und bleibt trotz späterer Machtkonflikte mit ihrem Sohn eine treibende poli­ tische Kraft im Königreich (s. Hamilton 1978, 152 ff.) – besonders die Kirche bleibt eine enge Verbündete der frommen und großzügigen Königin.57 Diese Königin, die über 30 Jahre lang in Jerusalem Macht ausübt, ist ein interessanter Bezugs­ punkt für die Figur der Bride.58 Einen Bezugspunkt zur Befreiung Orendels aus sarazenischer Gefangen­ schaft durch Bride ließe sich vielleicht in der Geschichte der Königin Morphia sehen. Orendel wird bei der Belagerung der Burg Westvale gefangen genommen.

54 Zu den Königinnen Jerusalems nach Melisende zählt u. a. Theodora Komnena, die nach dem Tod ihres Mannes Balduin III. noch einige Jahre als Witwenkönigin in Akkon residierte, bevor sie mit ihrem Cousin und Liebhaber Andronikus Komnenos zu Nur ad-Din nach Damaskus entfloh. Politisch bedeutender war aber sicherlich Sibylla, die Schwester des ›Lepra-Königs‹ Balduin IV., die gemeinsam mit ihrem zweiten Mann Guido von Lusignan ihr Leben lang versuchte, die Macht über das Königreich an sich zu reißen. Auch ihre Mutter Agnes war eine bedeutende Persön­ lichkeit in der Politik Outremers, auch wenn sie selbst nie offiziell den Titel einer Königin von Jerusalem führte. Zu diesen und weiteren Königinnen s. Hamilton 1978. 55 »Der König aber wurde, um seine Gemahlin, die er früher erbittert hatte, zu besänftigen, von diesem Tage an zu einem solchen Weibermann, daß er künftighin auch in Kleinigkeiten nichts ohne ihr Mitwissen vornahm«; Rex autem ab ea die ita factus est uxorius, ut ejus quam prius ex­ acerbaverat, mitigaret indignationem, quod nec in causis levibus, absque ejus conscientia attentaret aliquatenus procedere (WTH 14,18 Sp. 598). 56 »Er hinterließ zwei noch unerwachsene Kinder, nämlich Balduin seinen Erstgeborenen, der dreizehn, und Amalrich, der sieben Jahre alt war. Die königliche Gewalt kam in die Hände der gottgeliebten Königin Melisende, der sie nach dem Erbrecht zukam«; duobus superstitibus liberis, adhuc impuberibus relictis, Balduino videlicet primogenito annorum tredecim, et Amalrico annorum septem; reseditque regni potestas penes dominam Milisendem, Deo amabilem reginam, cui jure haereditario competebat (WTH 15,27, Sp. 640). 57 Melisende stiftet unter anderem einen Konvent in Bethanien, den sie üppig ausstatten lässt, als Wohnort für ihre jüngste Schwester Yveta. Auch sonst scheint sie eine großzügige Förderin religiöser und künstlerischer Projekte zu sein. So ist z. B. der Melisende-Psalter (jetzt British Li­ brary, MS Egerton 1139), der für sie produziert wurde, ein herausragendes Beispiel für die Buch­ kunst in Outremer. Es lassen sich ebenfalls großzügige Schenkungen an unterschiedliche Orden, Kirchen und religiöse Einrichtungen nachweisen (s. Hamilton 1978, 156). 58 Melisende ist in erster Linie politisch erfolgreich und greift nicht körperlich in militärische Auseinandersetzungen ein – dies ist doch eher den literarischen Frauenfiguren im Reich der Fiktion vorbehalten. Sie lanciert aber Militärkampagnen wie die, die 1157 zur Eroberung der Höh­ lenfestung el-Hablis führt (WTH 18,19).

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

Auf Ises Nachricht hin eilt Bride mit einem 30.000 Mann starken Heer dorthin. Ein Zwerg namens Alban verspricht ihr, dort angekommen, sie zu ihrem Mann zu führen. Als er auf dem Weg sexuelle Gefälligkeiten von ihr fordert, verprügelt ihn Bride so sehr, dass er davon wieder Abstand nimmt. Er überlistet sie jedoch und schließt sie bei Orendel ein, woraufhin ein Engel erscheint und den Zwerg aus­ peitscht. Orendel und Bride vergeben Alban und erobern mit ihren verbundenen Heeren die Burg Westvale und anschließend die gesamte babylonische Wüste. Weniger spektakulär, aber listenreich arbeitet Königin Morphia, die Mutter Melisendes, an der Befreiung ihres Mannes Balduin II. aus der Gefangenschaft des türkischen Fürsten Balak in Kharpart in der Darstellung des Ordericus Vitalis. Ihm zufolge habe Morphia zunächst Armenier engagiert, die als Türken verklei­ det versuchen sollten, Balduin zu retten. Als dieser Plan scheitert, nimmt sie Lösegeldverhandlungen auf und kann ihren Mann so nach weniger als einem Jahr Gefangenschaft befreien (s. Hamilton 1978, 148). Es ließen sich leicht noch weitere Beispiele für starke Frauenfiguren im Königreich Jerusalem finden – wichtig scheint mir aber zu sein, dass die Darstellung dieser Frauen in den ent­ sprechenden historiographischen Werken eine intertextuelle Folie für die Figur der Bride liefern können. Damit wird aber nicht nur die Figur selbst historisch dimensioniert, sondern auch das zeitliche Kontinuum des lateinischen Königrei­ ches in Jerusalem gestärkt.

Der Graue Rock und das Neue Testament Über diese Zeitschicht wird eine weitere gelegt, wenn der Graue Rock Christi auch chronologisch unmittelbar an die Passionsgeschichte angeschlossen wird. Zu Beginn des Werkes erfährt der Rezipient zunächst von der Geschichte dieses Kleidungsstückes, das von Maria und Helena auf dem Ölberg aus einem Stück genäht und dann von Jesus während seiner vierzig Tage andauernden Fastenzeit getragen wird. Nach seiner Kreuzigung kommt der Rock zunächst in den Besitz des Herodes’ und dann in den eines alten Juden. Weil sich die Blutflecke aber nicht herauswaschen lassen, versenkt Herodes den Rock in einem Steinsarg im Meer, wo ein Wasserwesen (ein männlicher syren) ihn befreit. Er wird an einen Strand gespült und von einem armen Pilger gefunden, der ihn als Rock Christi erkennt und ihn als unwürdiger Sünder zurück ins Meer wirft. Dort wird er von einem Walfisch gefressen, der später von Orendel und Ise gefangen wird. Der Text macht für jeden dieser Abschnitte Zeitangaben, so dass sich eine für das Zeitarrangement des Orendel zentrale Aussage machen lässt: Von der Kreuzi­ gung Christi bis zum Finden des Rockes durch Orendel vergehen etwa 16 Jahre.



Der Graue Rock und das Neue Testament 

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Neben dem Chronotopos der Kreuzfahrerherrschaften in Jerusalem wird also noch ein zweiter, und zwar der des Neuen Testaments aufgemacht. Dieser Zeitbezug wird durch mehrere Anknüpfungen auf der Motiv-Ebene noch verstärkt. So fangen Orendel und Ise den Wal in einem ›reichen Fischzug‹, bei dem Orendel dem Fischerkönig59 beweisen muss, dass er selbst auch Fischer und kein Räuber ist. Um diese Aufgabe zu erfüllen, bittet er zunächst den himm­ lischen Vater um Beistand und wirft danach die Netze im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes aus. Die Apostel (zwölffpoten) sind seine himm­ lischen Fürsprecher und Sandt Peter do von Rome kommt ihm zur Hilfe (od 27). Petrus ist im Neuen Testament der Jünger, der von Jesus beim reichen Fisch­ zug den Auftrag erhält, in Zukunft ein Menschenfischer zu sein (Lk 5,3–10 und Joh 21,1–23). Nach dem Matthäus-Evangelium erhält Petrus einmal von Jesus den Auftrag vor dem Stadttor angeln zu gehen und den ersten Fisch, den er fängt, zu öffnen. Mit dem Geldstück, das er in dem Fisch finde, solle er die Steuer bezahlen (Mt 17, 24–27). Um den Grauen Rock kaufen zu können, lässt Maria Orendel vom Erzengel Gabriel darüber hinaus 30 goldene Pfennige bringen (od 33), wodurch ein Verweis auf die 30 Silberlinge als Judaslohn (Mt 26,6–16, Mk 14,3–11, Lk 22,3–6, Joh 12,3) hergestellt wird: Er gab in im vil geringe / Umb XXX gulden pfenninge / Als vil was auch der erst schatz / Do got unser herr umb verkaufft ward (od 34). Auch der Heilige Graue Rock findet seine erste Erwähnung in der Passionsgeschichte (Joh 19,23 f.). Über Petrus, den reichen Fischzug, den Judaslohn und den Grauen Rock selbst wird die Geschichte Jesu im Neuen Testament über die Entfaltung einer Erzählzeit hinaus als intertextuelle Folie des ›Orendel‹ sichtbar. Der Text ruft darüber hinaus die spätere hagiographische und theologi­ sche Tradition zum Heiligen Rock auf. So findet sich die Vorstellung, der Rock sei von Maria selbst gewebt worden, schon im 11. Jahrhundert von Rupert von Deutz (›Commentaria‹, Sp. 789B) begründet und auch der Steinsarg und das Ver­ sinken des Rockes sind Motive der hagiographischen Rock-Tradition. In der im Mittelalter sehr weit verbreiteten Chronik des sog. Fredegar wird berichtet, König

59 Die Figur des Ise ist in mehrerer Hinsicht interessant. Er ergänzt das Paar Orendel/Bride und wird durch die Verwendung ähnlicher Formeln auch sprachlich in ihre Nähe gerückt. Als Fischer herrscht er über 800 weitere Fischer und wohnt in einer Burg, die het wol gezimmet ainem künig der do seß zu Rome (od 28). Ungefähr in der Hälfte des Werkes (od 89 f.) holt ihn Orendel nach Jerusalem, macht ihn zum Herzog und gibt ihm den Auftrag das Heilige Grab zu bewachen. In der Folge ist es Ise, der aktiv Kämpfe mit den Sarazenen auf ihrem Territorium sucht. Zunächst scheint die Figur jedoch dem Muster des ›Bösen Fischers und seiner Frau‹ zu entsprechen, die dem Helden das Leben schwer machen. Die Anlehnung an diesen z. B. aus dem ›Gregorius‹ oder ›Wigalois‹ bekannten Typus besteht darin, dass Ise und seine Frau Orendel wochenlang für sich arbeiten lassen, ohne ihm auch nur Kleidung zu überlassen. Diese Spannungen in der Figuren­ konzeption des Fischers wären sicherlich eine weiterführende Untersuchung wert.

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

Guntram habe den Rock in Zafad in einer Marmorkiste gefunden und nach Jeru­ salem gebracht (FSC, Sp. 614C, s. Pohlsander 1995, 125). Almann von Hautvillers schreibt in seiner ›Vita sanctae Helenae‹ über den Transport des Heiligen Rockes durch die Kaiserin Helena (595F-596A), sie habe in einem Kasten Reliquien in ihr Vaterland geschickt. Dieser sei aber bei Besançon untergegangen und erst nach langer Zeit habe man die Reliquien dem Wasser entreißen können. Mit dem Grauen Rock wird also nicht nur ein wichtiger Zeitmarker gesetzt, sondern es werden auch geistliche Bezüge aufgemacht. Die für den aktuellen Kontext interessanten theologischen Auslegungen des Heiligen Rockes zielen auf die Metaphorik des ›Einkleidens‹.60 Schon früh wird er als Symbol für das ›Einkleiden‹ Gottes mit einem menschlichen Körper und damit als Symbol für Christus selbst gedeutet.61 Die allen Reliquien inhärente Spannung von Verweisen und Realpräsenz wird dadurch gesteigert, denn mehr noch als andere Reliquien wird aus der Sicht mittelalterlicher Theologen in ihm die Präsenz Gottes auf Erden erfahrbar. Zum anderen markiert der Rock aber auch deutlich eine Leerstelle, indem er den »Blick auf denjenigen eröffnet, der ihn getragen hat« (Eckert 1995, 34). Christian Kiening fasst dieses Spannungsver­ hältnis wie folgt: Geschaffen und ungeschaffen, Kunstwerk und Abdruck in einem, ist der Rock zugleich ein Kleid Christi und, als mit dem Erlöser mitwachsend gedacht, ein Stück von dessen Existenz. Fülle (durch die Teilhabe am Passionsgeschehen) und Leere (durch die Abwesenheit des Erlösers) verschränken sich in ihm und wecken jene charakteristische Mischung aus Sehn­ sucht und Erfüllung (Kiening 2009, 11).

Diese Verschränkung von Fülle und Leere wird auch im ›Orendel‹ deutlich, indem mehrere Versuche, sich mit dem Rock zu bekleiden, daran scheitern, dass er auch in seiner Leere auf das Schicksal desjenigen, der ihn getragen hat, hin durchsich­ tig bleibt. So kann der alte Jude das Blut Christi nicht aus dem Stoff waschen, um den Rock wieder ›tragbar‹ zu machen und er muss aufgrund seiner Macht von

60 Verbreitet sind auch Deutungen, die an der Ungeteiltheit des Rockes ansetzen. An die Erzäh­ lung des Johannesevangeliums anknüpfend, nach dem die Soldaten um die Kleider Christi spie­ len, werden die viergeteilten Kleidungsstücke als die Ausbreitung des Christentums in die vier Weltgegenden, der nicht geteilte, sondern verloste Rock hingegen als Einheit der Kirche gesehen. So z. B. bei Thomas von Aquin: ›Lectura super Ioannem‹, 19e. Zu den theologischen Interpretati­ onen der Bibelstelle insgesamt s. Eckert 1995, zur Auslegung in der Vätertheologie s. Sauser 1995, zur theologischen Rocktradition des Hochmittelalters Ronig 1995. 61 Franz Roning führt u. a. Hrabanus Maurus und Hildegard von Bingen an (Roning 1995, 74 f.) und Ekkart Sauser formuliert, der Rock sei »schon bei den frühen Kirchenvätern Zeichen für den Leib Christi, mit dem er sich bekleidet« (Sauser 1995, 54 f.).



Der Graue Rock und das Neue Testament 

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Herodes entsorgt werden. Tragemund hingegen hält sich selbst nicht für würdig den Rock zu tragen, in dem Jesus für seine Sünden gestorben sei: Ach du himelischer herre mein / Das mag wol dein rock sein / Herre do du empfiengst des speres stich / Den hastu geliten lieber herre durch mich / Und durch alles menschlich künne / Wie du uns von der bitteren helle gewünne / Der rock zimpt mir nit zu haben / Noch kainem sünder auff erdtrich zu tragen (od 9 f.).

Auch in der Erzählung selber werden also das Passionsgeschehen und die Rock­ reliquie eng miteinander verbunden. Bevor der Rock auf Orendel ›trifft‹, ist er bereits in der Vorgeschichte der Erzählung als von Maria gewebt und von Jesus bei der Kreuzigung getragen mit der Erlösungstat Christi verbunden (od  4). Dieses semantisch hoch besetzte Kleidungsstück geht dann aber mit dem Prot­ agonisten des Textes eine ganz eigene Verbindung ein. Christian Kiening (2009, 21) hat zuletzt festgestellt, dass die Vorgeschichten beider ›Protagonisten‹ etwa den gleichen Zeitrahmen (13–16 Jahre) einnehmen, wodurch sie von Beginn an eng aufeinander bezogen und als zwei gleichwertige Akteure ausgewiesen seien. Orendels Einkleidung in den Rock wird dementsprechend erzählerisch zeleb­ riert. Zuerst dient er sechs Wochen nackt bei Ise und seiner Frau (od 30), bevor sie ihm Lumpen kaufen. Doch Orendel will nur den Grauen Rock tragen und bleibt lieber unbekleidet, deshalb sach man den elenden man / On den grawen rock nacket stan (od 30 f.). Erst durch die finanzielle Unterstützung durch Maria und ein weiteres Wunder,62 ist Orendel in der Lage den Rock zu kaufen. Der Trierer Königssohn wird also von himmlischer Seite zum neuen Träger des Rockes erwählt. Dabei wird von Anfang an klar gemacht, dass es bei der Geschichte Orendels nicht um eine imitatio christi im Sinne eines zweiten Passionsgeschehens gehen wird. Schon in der Vorgeschichte des Rockes heißt es, er würde dem künig Orendel zuo troste (od 4) kommen. In diesem Sinne erhält der Rock für Orendel eine neue Funktion und mit ihr verbunden eine neue Aufgabe. Gabriel informiert ihn, dass der Rock für Orendel eine undurchdringliche Rüstung sei: Darinn bistu bas beschlossen denn in stehelen ringen / Dich enmag kain schwert dardurch gewinnen (od 33). In dieser Rüstung solle er mit den Sarazenen fünfzehn Kämpfe austragen, das ließ dir got unnd sandt Maria sagen (od 33). Der Rock wird damit vom Zeugen der Marter Christi zu einer undurchdringlichen Rüstung für einen Verteidiger der

62 Obwohl der Königssohn jetzt genügend Geld zur Verfügung hat, will Ise den Rock lieber je­ mand anderem verkaufen. Sooft aber ein potenzieller Käufer das Kleidungsstück begutachtet, erscheint er brüchig und verfault zu sein. Nachdem Orendel den Rock kaufen kann und ihn an­ legt, wird er wie neu.

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

Christenheit, mit dem Heiligen Rock fließt die Autorität der Erlösungstat in die Aufgabe Orendels ein. Im Folgenden verschmelzen Orendel und die Herrenreliquie zu einer metony­ mischen Einheit. Da er bei seiner Ankunft in Jerusalem keinen Namen nennt, wird er von allen nach seinem Kleidungsstück ›der Graue Rock‹ genannt.63 So verbindet sich die ›Einkleidung‹ des Protagonisten mit der Herrenreliquie mit dem Motiv des ›unbekannten Helden‹, der sich erst in seiner wahren Identität offenbart, wenn er seine Qualität unabhängig von Namen und Herkunft unter Beweis gestellt hat.64 Obwohl sich der Graue Rock als Kleidungsstück und der Graue Rock als Mensch prinzipiell unterscheiden lassen, gibt es auch Momente, in denen beide zusam­ men fallen oder zumindest die Bezeichnung zweideutig wird. Als Orendel Merci­ ans Forderung, er solle ihm dienen, zurückweist, schickt er ihn mit den Worten fort: Und sich also lieb dir sey dein ere / So vergich des grawen rocks nymmer mer (od 62).65 Die Art in der Orendel hier in der dritten Person vom ›Grauen Rock‹ spricht, lässt die Beziehung zwischen Mensch und Kleidungsstück changieren. Wenige Verse später gebraucht der Riese Liebman den Begriff ›Grauer Rock‹ in einem ambigen Sinne, wenn er von Königin Bride fordert: So gebent uns herauß den grawen rock / Auff disen tempel hoff / Oder das hailige grab will ich verprennen / Die cristen leüt quellen darinnen (od 64). Seine Forderung erhält durch die Doppeldeutigkeit eine besondere Schärfe, wenn er seine Drohung, das Heilige Grab zu verbrennen und die anwesenden Christen zu foltern, nicht nur an die Herausgabe einer Person, sondern auch die der Herrenreliquie bindet. An diesen Stellen wird deutlich, wie der Graue Rock als Reliquie dem Grauen Rock als Helden einerseits nicht nur Schutz im Kampf, sondern auch eine besondere Dig­ nität verleiht, andererseits der Graue Rock als Held in der Verpflichtung steht, die Dignität des Grauen Rockes als Reliquie zu verteidigen. Die Verbindung zwischen beiden ist daher keine Verschmelzung oder Assi­ milation, vielmehr eine funktionale Verschränkung. So erzählt der Text sowohl,

63 Den Namen erhält er zuerst von einem einheimischen Ritter: Got gruß euch herr grawer rock / Ich kan euch nit anders genennen wayß got / Ob ich euch herr nun erkante / Wie gern ich euch anders nante / Der was der allererste man / Der dem kunig Orendel seinen namen benam / Fürbaß hieß man in nit anders dann den grawen rock (od 38). Auch Bride nimmt diesen Namen auf (od 71). 64 Dies ist ein verbreitetes Motiv z. B. im Artusroman. Zum Thema ›Name‹ s. auch J.-D. Müller 2007, 170 ff. 65 Der letzte Vers auf den es hier ankommt, ist etwas schwierig zu deuten. Hans Steinger ›korri­ giert‹ ihn in seiner Ausgabe zu so vergich min zu eime knehte nummer mere, wo H So tu wider den Growen Rock nit mere (od H 1534) und P und hüt dich als lieb dir leyb und leben sey / das du deßs grawen rocks nymmermer zu ainem knecht gedenckest (od P 28) hat. Aus dem Kontext der Stelle ergibt sich auch für D, dass Mercian den Grauen Rock nicht mit seiner Dienstforderung als etwas verjehen soll, das er nicht ist.



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wie es Orendel mit der Hilfe des Grauen Rockes schafft, erfolgreich gegen die sarazenischen Heere zu bestehen, als auch wie der Graue Rock es ›schafft‹, mit Hilfe Orendels an seinen sicheren Bestimmungsort zu gelangen. Denn nach dem Kriegszug nach Trier erhält Orendel durch einen Engel den Auftrag die Reliquie in der Stadt zu lassen, die der Ort des jüngsten Gerichtes sein wird. Die Trans­ lationsgeschichte des Heiligen Rockes, mit der der Text begonnen hatte, endet in einem steinernen Sarg im Trierer Dom. So wie der Rock Christi in Jerusalem startet und in Trier endet, wird auch Orendel noch endgültig von Trier nach Jeru­ salem geführt. Die Präsenz der Herrenreliquie in Trier und die Anwesenheit des Trierer Königssohnes am Heiligen Grab sind das Ergebnis einer chiastischen, zeit­ lich leicht versetzten Erzählstruktur.66 Der Heilige Rock erfüllt für den ›Orendel‹ mehrere Funktionen. Zum einen wird er durch seine zeitlich genau bestimmte Reise nach der Kreuzigung Christi zu einem wichtigen Zeitmarker. Diese Verortung der Erzählzeit kurz nach dem Passi­ onsgeschehen wird durch weitere intertextuelle Verbindungen zum Neuen Testa­ ment unterstrichen. Zum Anderen werden über den Rock die Themen der Passion und damit auch der Erlösung prägnant in den Text geholt. Die Verbindung, die der Rock dann in der chiastischen Verbindung ihrer Wege und in der metonymi­ schen Verschmelzung ihrer Namen mit dem Trierer Prinzen eingeht, zeigt diesen als einen von himmlischer Vorsehung bestimmten Streiter für den christlichen Glauben. Indem er als ›Rüstung‹ in alle militärischen Auseinandersetzungen mit den Sarazenen hineingetragen wird, erhält der Kampf Orendels durch die Präsenz Christi in der Reliquie außerdem eine besondere Legitimation.67

66 S. dazu die Ausführungen von Christian Kiening (2009, 400): »Die Koppelung zwischen Held und Gewand zeigt sich strukturell als Chiasmus der Handlungsfolge: Der Rock befindet sich zu Beginn in Jerusalem, am Ende in Trier, Orendel zu Beginn in Trier, am Ende in Jerusalem. Zwischen diesen Polen durchläuft die Geschichte drei Phasen: (1) zunächst sind Rock und Held getrennt und befindet sich das Heilige Grab in heidnischer Hand, (2) dann sind beide vereint, wird das Heilige Grab für die Christenheit gewonnen und nimmt Orendel den Rock mit nach Trier, (3) schließlich sind beide wieder getrennt, der Rock deponiert in Trier, der Held beschäftigt im Orient mit der Verteidigung des Heiligen Grabes. Zwei für das christliche Abendland zent­ rale Momente werden damit zusammengeführt: der Anspruch auf einen Besitz der realen Orte des Heils und die Erwartung einer realen Übertragung der Heilskräfte. Zusammengeführt wer­ den auch zwei Typen der Präsenz Christi in der Geschichte: hier die loca sancta, dort die sacrae reliquiae, beide dadurch charakterisiert, dass sie zwar angeschaut, vielleicht berührt werden können, vor allem aber als Quellen des Heils zu gelten haben, aus denen sich ihrerseits die Re­ präsentationen speisen«. 67 Die Realpräsenz des Heiligen in seinen Reliquien ist in diesem Beispiel sowohl verstärkt als auch vermindert. Verstärkt wird sie dadurch, dass der Heilige Rock über die weit verbreitete theologische Deutung als Symbol für das ›Einkleiden‹ Gottes mit einem menschlichen Körper und damit als Bild für Jesus selbst verstanden werden kann und dieser im Handlungsgeschehen

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

Heroen des Alten Testaments Ein dritter Zeitmarker versetzt die Erzählzeit des ›Orendel‹ um das Jahr 1000 v. Chr., denn Bride wird wiederholt als die Tochter König Davids angesprochen. Und auch diese Zeitebene wird fruchtbar gemacht, um die Protagonisten und ihre Kämpfe zu akzentuieren, indem Bezüge zu Texten des Alten Testaments hergestellt werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Figur Davids selbst, doch auch die Geschichte der Makkabäer wird in den Text hinein geholt. Die Wahl dieser Figuren ist nicht ungewöhnlich, bieten sie sich doch in ihren Kämpfen für Gott als Vorbilder für die christlichen Stilisierungen gottgewollter Gewalt an, für die die pazifistischen Grundsätze des Neuen Testamentes nur wenige Anknüpfungspunkte boten. Daher orientierten sich Darstellungen des heili­ gen, gottgewollten Krieges entweder an klassische Autoren wie Cicero oder an alttestamentlichen Helden.68 Diesen war Gott noch als Jahwe Zebaot, als Herr der Heere erschienen. Besonders die Erfolgsgeschichte König Davids und die Kämpfe der Makkabäer um Jerusalem boten in diesem Zusammenhang attrak­ tive Vorbilder. Orendel wird als Nachfolger König Davids inszeniert, indem Bride ihn mit dem Schwert, der Krone und dem Mantel ihres Vaters ausstattet. Zusätzlich zur Einkleidung mit dem Rock Christi wird er also auch mit den Herrschaftsinsignien des erfolgreichsten König Jerusalems im Alten Testament, dem idealen Vertreter von »Gottes Königtum auf Erden« (NJB, 268), ausgestattet.69 Diese drei Gegen­ stände sind dabei nicht zufällig gewählt, sondern repräsentieren unterschiedli­ che Abschnitte aus Davids Leben sowie unterschiedliche Legitimationen seiner Herrschaft, die im ›Orendel‹ auf den Protagonisten übertragen werden.

auch direkt das Geschick Orendels und der Reliquie eingreift. Vermindert wird sie dadurch, dass Christus nicht durch die Reliquie oder um ihretwillen handelt – vielmehr ist Maria die eigent­ liche Initiatorin der göttlichen Eingriffe und diese bittet ihren Sohn konsequent, um der Ehre seines Grabes Willen in die Handlung einzugreifen. 68 »Churchman responded to this challenge in two complementary ways. One, pioneered by Ambrose, was to turn to classical Roman authors, particularly Cicero. The second was to turn to the Old Testament. Here, they found not just that the chosen people of God had fought, but that God himself had fought for them, against their enemies.« (Stancliffe 1995, 67). S. auch Jacobson 2001, 344 f. 69 »Das zweite Buch Samuel faßt die politischen Ergebnisse der Regierung Davids nur kurz zusammen; diese waren allerdings beträchtlich. Die Philister wurden endgültig zurückgeschla­ gen, die Vereinheitlichung des Territoriums wird durch die Besetzung kanaanitischer Restge­ biete vollendet, vor allem durch die Einnahme Jerusalems, das zur politischen und religiösen Hauptstadt des Reiches wird. Das ganze Ostjordanland wird unterworfen, und David dehnt seine Kontrolle aus bis über die Aramäer des südlichen Syriens.« (NJB, 268).



Heroen des Alten Testaments 

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Zuerst erhält Orendel das Schwert Davids. Als Orendel Jerusalem das erste Mal gegen ein Sarazenenheer verteidigen muss, lässt Bride das Schwert ihres Vaters bringen. Die Bedeutung dieser Szene ist auch daraus ersichtlich, wie breit sie ausgestaltet ist. Als der Kämmerer Bride das gewünschte Schwert bringt, wird sie, zunächst ohne erkennbaren Grund, sehr wütend und zerschlägt die Waffe an den Wänden und auf dem Rücken ihres Untergebenen und zeigt sich damit zum ersten Mal von ihrer ›kriegerischen‹ Seite.70 Die Bedeutung der Davidswaffe wird darüber hinaus noch dadurch unterstrichen, dass sie im Folgenden erst ›wieder­ gefunden‹ werden muss, denn sie liegt an einer geheimen Stelle in der Erde ver­ graben. Der geschundene Kämmerer führt Bride an den richtigen Ort71 und sie kann Orendel mit dem Schwert Davids ausstatten. Das Schwert Davids steht für seine persönliche Kampfkraft, seinen Mut und seinen unerschütterlichen Glauben, denn er erwirbt es durch seinen Kampf gegen Goliath,72 gegen den keiner der Krieger Sauls antreten will. David tritt ungerüstet und kaum bewaffnet gegen den riesigen Krieger an und besiegt ihn durch seine Geschicklichkeit und sein Vertrauen auf Gott, das er Goliath entgegen schleudert: Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Sichelschwert, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn der Heere, des Gottes der Schlachtreihen Israels, den du verhöhnt hast. / Heute wird dich der Herr mir ausliefern.73

70 Er gab es fraw Breyden in die hande / Sy schlug es in ain stainen wandt / Sy brach es zu dreyen klainen stucken / Sy schlug im das ain über seinen rucken (od 65). 71 So grub man auff den alten saß / Der des küniges Davids was (od 66). 72 »Da trat aus dem Lager der Philister ein Vorkämpfer namens Goliat aus Gat hervor. Er war sechs Ellen und eine Spanne groß. / Auf seinem Kopf hatte er einen Helm aus Bronze und er trug einen Schuppenpanzer aus Bronze, der fünftausend Schekel wog. / Er hatte bronzene Schienen an den Beinen und zwischen seinen Schultern hing ein Sichelschwert aus Bronze. / Der Schaft seines Speeres war (so dick) wie ein Weberbaum und die eiserne Speerspitze wog sechshundert Schekel. Sein Schildträger ging vor ihm her«; et egressus est vir spurius de castris Philisthinorum nomine Goliath de Geth altitudinis sex cubitorum et palmo / et cassis aerea super caput eius et lorica hamata induebatur porro pondus loricae eius quinque milia siclorum aeris / et ocreas aereas habebat in cruribus et clypeus aereus tegebat umeros eius / hastile autem hastae eius erat quasi liciatorium texentium ipsum autem ferrum hastae eius sescentos siclos habebat ferri et armiger eius antecedebat eum (1. Samuel 17,4–7). 73 Und weiter: »Ich werde dich erschlagen und dir den Kopf abhauen. Die Leichen des Heeres der Philister werde ich noch heute den Vögeln des Himmels und den wilden Tieren (zum Fraß) geben. Alle Welt soll erkennen, dass Israel einen Gott hat. / Auch alle, die hier versammelt sind, sollen erkennen, dass der Herr nicht durch Schwert und Speer Rettung verschafft; denn es ist ein Krieg des Herrn und er wird euch in unsere Gewalt geben.«; tu venis ad me cum gladio et hasta et clypeo ego autem venio ad te in nomine Domini exercituum Dei agminum Israhel quibus expro­ brasti / hodie et dabit te Dominus in manu mea et percutiam te et auferam caput tuum a te et dabo cadaver castrorum Philisthim hodie volatilibus caeli et bestiis terrae ut sciat omnis terra quia est

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

Tatsächlich siegt David und nimmt das Schwert des Philisters an sich (1. Samuel 17,54).74 Diese Konnotationen, die das Schwert König Davids aufwirft, werden im ›Orendel‹ durch inhaltliche Parallelen unterstützt. So kämpft Orendel nicht nur ebenfalls wiederholt gegen Riesen,75 sondern tut dies ebenso leicht gerüstet wie David. Denn Orendel kämpft nur im Grauen Rock, voller Vertrauen auf den göttlichen Schutz. Die äußere Rüstung wird damit auch zum Zeichen der inneren Rüstung des Glaubens an die kriegsentscheidende Macht Gottes. Als zweites erhält Orendel von Bride die Krone ihres Vaters, die in einen Helm eingelassen ist.76 Diese Krone ruft die zweite Lebenshälfte Davids, als König der vereinten Stämme Judas und Israels, wach, in der er weitreichende Eroberungen machte. Besonders die Eroberung Jerusalems von den Jebusitern und der Ausbau der Stadt zur Königsresidenz und religiösem Zentrum der Juden durch die Überführung der Bundeslade (2. Samuel 6) sind zentrale Errungen­ schaften seiner Herrschaft.77 Seine Krone gewinnt er bei der Eroberung Rabbas (das heutige Amman in Jordanien). Er nimmt sie dem besiegten König vom Haupt und trägt sie fortan als seine eigene.78 Hier wird David also nicht mehr

Deus in Israhel / et noverit universa ecclesia haec quia non in gladio nec in hasta salvat Dominus ipsius est enim bellum et tradet vos in manus nostras (1. Samuel 17, 45–47). 74 Als David später von Sauls Hof flüchten muss, kann er zu seinem Schutz und für seinen weiteren Kampf eben nur das Schwert Goliaths erlangen, das in einem Tempel deponiert liegt (1. Samuel 21,9–10). 75 Nachdem er bereits auf seinem Weg nach Jerusalem von einem namenlos bleibenden Riesen gefangen gesetzt worden war, tritt er im weiteren Verlauf nacheinander gegen Metwin (od 51), Liebman (od 63 f.) und Pellian (od 74) an. 76 Sy satzte im auff sein haubte / Einen helm vil wol gepaute / Darunder lag vil schöne / Von gold ain liechte krone / Als sy der künig David / Hat gefurt vil manchen streyt (od 66). 77 »Dennoch eroberte David die Burg Zion; sie wurde die Stadt Davids. / David sagte an jenem Tag: Jeder, der den Schacht erreicht, soll die Jebusiter erschlagen, auch die Lahmen und Blinden, die David in der Seele verhasst sind. Daher sagt man: Ein Blinder und ein Lahmer kommt nicht ins Haus. / David ließ sich in der Burg nieder und nannte sie die Stadt Davids. Und David begann ringsum zu bauen, und zwar vom Millo an bis zur Burg. / David wurde immer mächtiger und der Herr, der Gott der Heere, war mit ihm«; cepit autem David arcem Sion haec est civitas David / proposuerat enim in die illa praemium qui percussisset Iebuseum et tetigisset domatum fistulas et claudos et caecos odientes animam David idcirco dicitur in proverbio caecus et claudus non intrabunt templum / habitavit autem David in arce et vocavit eam civitatem David et aedificavit per gyrum a Mello et intrinsecus / et ingrediebatur proficiens atque succrescens et Dominus Deus exercituum erat cum eo (2. Samuel 5,7–10). 78 »David sammelte also das ganze Heer, zog nach Rabbas, kämpfte gegen die Stadt und nahm sie ein. / Dann nahm er ihrem König die Krone vom Haupt, deren Gewicht ein Talent Gold betrug und an der ein kostbarer Stein war; sie wurde nun Davids Krone. Und er schaffte eine sehr große Beute aus der Stadt fort«; congregavit itaque David omnem populum et profectus est adversum Rabbath cumque dimicasset cepit eam / et tulit diadema regis eorum de capite eius pondo auri ta-



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als herausragender Krieger im Zweikampf, sondern als erfolgreicher König und Feldherr beschrieben. Wenn diese Krone im ›Orendel‹ dazu noch als in einen Helm eingearbeitete erscheint, den David selbst während vieler Kämpfe getra­ gen habe, wird die kriegerische Seite des Königs und seiner Expansionsbestre­ bungen noch verstärkt. Auch dies findet in der Brautwerbungs­erzählung eine inhaltliche Parallele, erobern Bride, Ise und Orendel doch mit der babylonische Wüste zugleich das gesamte Territorium der umliegenden sarazenischen Herr­ schaftsgebiete. Davids Mantel, den Orendel erst nach seiner ersten Schlacht gegen die Sara­ zenen erhält,79 ist vielleicht der wichtigste der drei Gegenstände, denn er steht für die göttliche Legitimation der Herrschaft Davids. Als David als junger Mann an Sauls Hof kommt, entsteht zwischen diesen beiden von Samuel zum König gesalbten Männern schnell eine Konkurrenzsituation.80 Saul zeigt sich in der Folge immer mehr als Enttäuschung für Gott und seinen Propheten Samuel, während sich David als würdig erweist.81 Sauls Sohn Jonathan stellt sich dabei von Anfang an auf die Seite Davids. Seinen eigenen Anspruch auf die Thronfolge gibt er damit auf und bestätigt die Rechtmäßigkeit von Davids Salbung. Sinnfäl­ lig wird dieser Entschluss Jonathans, wenn er David seine persönliche Ausrüs­ tung und darunter besonders seinen Mantel schenkt (NJB 2007, 363 Anm. 18,4). Wenn Bride Orendel in Davids Mantel einkleidet, wird damit auch seine von Gott gewollte Herrschaft unterstrichen. Denn schon zuvor hat der Leser erfahren, dass

lentum habens gemmas pretiosissimas et inpositum est super caput David sed et praedam civitatis asportavit multam valde (2. Samuel 12, 29–30). 79 Und legt in auch mit trewen / Bede in pfeller und auch in zobel / Als wir es an dem buch haben / Sy legt im an mit treüen / Einen zobel mantel neüen / Der was gekauffet an der stund / Noch teürer dann umb tausent pfundt / Sy satzte im auch auff sein habt weyt / Ein kron die künig David furte zu seiner hochzeyt (od 72). 80 In 1. Samuel 16, 1 wird gesagt: »Der Herr sagte zu Samuel: Wie lange willst du noch um Saul trauern? Ich habe ihn doch verworfen; er soll nicht mehr als König über Israel herrschen. Fülle dein Horn mit Öl und mach dich auf den Weg! Ich schicke dich zu dem Betlehemiter Isai; denn ich habe mir einen von seinen Söhnen als König ausersehen«; dixitque Dominus ad Samuhel usquequo tu luges Saul cum ego proiecerim eum ne regnet super Israhel imple cornu tuum oleo et veni ut mittam te ad Isai Bethleemitem providi enim in filiis eius mihi regem. 81 Der, den Gott David gegenüber Saul gibt, wird in der kommenden Geschichte zwischen den beiden immer wieder, auch durch Davids nobles und Sauls hinterhältiges Verhalten, herausge­ arbeitet. Im Kommentar der Jerusalemer Bibel heißt es dazu: »Der religiöse Grundgedanke der Samuelbücher ist Gottes Königtum auf Erden, die Voraussetzungen und Schwierigkeiten seiner Verwirklichung. Das Ideal wurde nur unter David erreicht. Diesem Gelingen ging das Scheitern Sauls voraus, und all die Treuebrüche der Königszeit, die Gottes Strafgericht und den Untergang des Staates herbeiführen sollten, folgten nach« (NJB, 268).

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

Bride von einer göttlichen Stimme mitgeteilt wurde, Orendel solle der neue König über Jerusalem sein (od 60). Mit Davids Schwert, Krone und Mantel wird die Lebensgeschichte dieses großen jüdischen Königs in den ›Orendel‹ hinein geholt. Davids Mut, seine persön­ liche Kampfkraft, sein unerschütterlicher Glaube, seine Qualitäten als Heerführer und König und nicht zuletzt seine Auserwähltheit durch Gott werden in diesen Requisiten aufgerufen und können so in Beziehung zu Orendel und seinen Taten gesetzt werden. Dabei zeigen sich in jedem Fall Parallelen zwischen der Geschichte Davids und der Orendels, die dazu berechtigen, den Trierer Königssohn als Nach­ folger des herausragenden alttestamentlichen Königs gestaltet zu sehen. Orendels beständige Kämpfe um Jerusalem und das Heilige Land, die Struk­ tur und der Stil ihrer Erzählung erinnern darüber hinaus an weitere Bücher und Helden des Alten Testaments. Von der Forschung wurde immer wieder die man­ gelnde Stringenz des ›Orendel‹, seine iterierende Struktur, seine »beispiellos wirre[n] Handlung« (J.-D. Müller 2007a, 129 Anm. 52) kritisiert. Damit gemeint sind vor allem die wiederholten Kämpfe um Jerusalem, die sich in Aufbau und sprachlicher Umsetzung sehr ähneln, so dass der Schlusspunkt des Werkes beinahe beliebig gesetzt erscheinen kann. Doch lässt sich hinter dieser Redun­ danz auch ein erzählerisches Prinzip vermuten, das sich vor der Erzählweise der Makkabäerbücher konturieren lässt.82 Denn auch in diesen beiden Texten

82 Die insgesamt 4 Makkabäerbücher gehörten nicht zum jüdischen Kanon, waren aber in der Septuaginta, der in Alexandrien gesammelten griechischen Übersetzung des Alten Testaments, enthalten. Während das 1. und 2. Makkabäerbuch 1546 auf dem Konzil von Trient endgültig als deuterokanonische Schriften in der Vulgata verankert wurden, fielen Makkabäer 3 und 4 unter die Apokryphen. Dieser kanonisch unsichere Status scheint die Rezeption der ersten beiden Bücher während des Mittelalters jedoch nicht behindert zu haben. Diese ersten beiden Bände, die ich im Folgenden mit dem Begriff Makkabäerbücher bezeichnen werde, erzählen von einem Aufstand der Juden gegen die Seleukiden, eine kleinasiatische Herrscherdynastie, unter Antiochus IV. Epiphanes (175–164 v. Chr.). Die Bemühungen der seleukidischen Herrscher Jeru­ salem zu einer griechischen Polis umzuorganisieren und die Ausübung der jüdischen Religion massiv einzuschränken, führten nach einem besonders schweren Erlass im Jahre 167 zu Wider­ stand unter den nicht anpassungswilligen Juden. Angeführt wurde er von den Hasmonäern, einer Priesterfamilie aus Modein, deren Oberhaupt Mattatias war. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Judas Makkabäus die Führung, dessen Name sich zunächst auf seine Brüder und dann auf alle Widerstandskämpfer übertrug. Judas und seine Brüder schaffen es, den Tempel in Jerusalem wieder zu weihen, woran noch heute das jüdische Chanukkafest erinnert, und die Seleukiden aus dem Land zu vertreiben – müssen jedoch alle mit ihrem Leben für diese Er­ folge zahlen. Für die mittelalterliche Rezeption der Makkabäerbücher bedeutend, aber für den aktuellen Kontext weniger interessant, sind die in 2. Makk 6 und 7 geschilderte Martyrien des Eleasar und der sieben Brüder mit ihrer Mutter, die im 4. Makkabäerbuch ausführlich erzählt werden. Diese glaubenstreuen Juden werden von der seleukidischen Obrigkeit verfolgt, gefol­



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werden unterschiedliche Kämpfe (um Jerusalem) ohne kausale Verknüpfungen hintereinandergeschaltet und sprachlich ähnlich umgesetzt. So wird besonders Judas Makkabäus wiederholt von feindlichen Heeren angegriffen. Dabei lassen sich auch auf sprachlicher Ebene Ähnlichkeiten zum ›Orendel‹ beobachten, wenn die diversen Schlachten jeweils mit knappen und redundan­ ten Worten geschildert werden. Dies trifft auf die gesamte Vielzahl der Kämpfe zu: Sie müssen sich gegen Apollonius (1 Mak 3, 10 ff.), Seron (1 Mak 3, 13 ff.) und die auf Befehl König Antiochus handelnden Anführer Gorgias (1 Mak 4,1 ff.) und Lysias (1 Mak 4,26 ff.) erwehren. Nach diesen Schlachten ziehen die Israeliten nach Jerusalem, wo sie einen neuen Altar bauen und den Tempel wieder weihen. Anschließend greift Judas von sich aus die Nachkommen Esaus (1 Mak 5,3), die Beoniter (1 Mak 5,5) und die Ammoniter (1 Mak 5,6) an und unternimmt mit seinen Brüdern Feldzüge nach Gilead und Galiläa (1 Mak 5,21 ff.). In Galiläa zieht Judas erobernd von Bosora, über Datema, Alema, Kaspin, Maked nach Bosor. Noch eine ganze Reihe von Schlachten und Belagerungen (u. a. um Jerusalem) folgen auch nach Judas Tod unter seinen Brüdern Jonathan und Simeon, der auch Jerusalem endgültig (im Kontext der Makkabäerbücher) für die Israeliten erobern und die ›Fremden‹ aus der Stadt vertreiben kann (1 Mak 13,49 ff.). Durch die sprachlichen Ähnlichkeiten und das Fehlen einer kausalen Verknüpfung scheint die Handlung zu verschwimmen. Die Geschichte der Makkabäer ist auch eine Geschichte über den sich wie­ derholenden Verlust und Wiedergewinn Jerusalems und des Tempels.83 Wenn im ›Orendel‹ also iterierend von Kämpfen gegen die Sarazenen vor Jerusalem und in seiner Umgebung berichtet wird und wenn diese Kämpfe darüber hinaus

tert und getötet, weil sie die religiösen Gesetze und Speisevorschriften nicht brechen wollen. Die ersten christlichen Märtyrererzählungen lehnen sich an diese Schilderungen an, die durch die Kommentierung des Aurelius Augustinus schnell weite Verbreitung fanden (s.  Auffarth 2002, 134). 83 »Jerusalem war menschenleer wie eine Wüste, / von den Kindern der Stadt / ging keines mehr ein oder aus. / Die heilige Stadt war entweiht. / Ausländer hausten in der Burg, / sie war ein Gasthaus für fremde Völker«; et Hierusalem non habitabatur sed erat sicut desertum non erat qui ingrederetur et egrederetur de natis eius et sanctum conculcabatur et filii alienigenarum erant in arce ibi erat habitatio gentium et ablata est voluptas ab Iacob et defecit ibi tibia et cithara (1 Mak 3, 45). Es wird ebenfalls von der Wiederweihung des Tempels und der Befestigung des Zionsberges durch Judas berichtet (1 Makk 4, 36 ff.). Doch auch wenn die Israeliten den Tempel halten, bleibt Jerusalem selbst in der Hand der Feinde. In 1 Makk 6,18 ff. wird von einem Versuch Judas’ berich­ tet, die Stadt zu belagern, den er jedoch aufgrund der Intervention des Königs, der im Gegenzug Bet-Zur belagert, aufgeben muss (1 Makk 6, 32 ff.). Daran schließt sich eine erfolglose Belagerung des Tempels durch König Antiochus (1 Makk 6, 51 ff.) und weitere Auseinandersetzungen um Jerusalem und den Tempel an.

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

formelhaft und stereotyp erzählt werden, dann könnte in diesem Verfahren eine Anlehnung an eines der prominentesten Muster mittelalterlichen Erzählens zur Inszenierung ›Heiliger‹ Kriege gesehen werden. Anstatt in die Nähe mündlichen (und damit oft zu Unrecht als defizitär gedachten) Erzählens ließe sich das Werk so in der Nachahmung biblischer Narrativik verorten. Aus dieser Perspektive wäre die Handlung des ›Orendel‹ vielleicht »wirr« – aber durchaus nicht »bei­ spiellos«. Von den Makkabäerbüchern aus schließt sich der Kreis zum primären Chro­ notopos des ›Orendel‹, der Zeit der Kreuzzüge und des lateinischen Königreiches in Jerusalem.84 Denn der Kampf der Makkabäer gegen die hellenische und damit aus ihrer Perspektive heidnische Übernahme der Heiligen Stadt Jerusalem wurde zum Vorbild für die hochmittelalterliche Kreuzzugsbewegung. Sowohl Guibert von Nogent85 als auch Wilhelm von Tyrus86 legen Urban II. für seine Rede in Clermont 1095 Verweise auf die Makkabäer in den Mund.87 Auch die Historio­

84 Zur Rezeption der Makkabäergeschichte im Umfeld der Kreuzzüge s. Christoph Auffarth 2002, 123 ff. Ich danke dem Autor herzlich für den Hinweis auf dieses Kapitel seines Buches, in dem er zu dem Schluss kommt, dass die Identifikation mit den Makkabäer von den an den ersten Kreuzzügen beteiligten Laien ausging, die sich so ein für sie erreichbares Heiligenideal ›schufen‹ (ebd, 146 u. a.). 85 »Wenn einst die Makkabäer das höchste Lob der Frömmigkeit erhielten, weil sie für die Ze­ remonien und den Tempel kämpften, dann ist es auch euch, ihr christlichen Ritter, rechtmä­ ßig gestattet die Freiheit eurer Heimat mit Waffenkunst zu verteidigen« (Übersetzung R. K.); Si Machabaeis olim ad maximam profuit pietatis laudem, quia pro caeremoniis et templo pugnarunt, et vobis, o milites Christiani, legitime conceditur ut armorum studio libertatem patriae defendatis (Guibert von Nogent ›Historia‹ II,2, Sp. 700). 86 »Der Tempel des Herrn, aus dem er in seinem Eifer die Käufer und Verkäufer hinausgetrieben hat, daß das Haus seines Vaters nicht eine Mördergrube werde, ist nun ein Sitz der Teufel gewor­ den. Das ist es, was den großen Priester Mattatias, den Erzeuger der heiligen Makkabäer, zu sei­ nem rühmlichen Eifer entzündet hat, wie er selbst bezeugt, wenn er sagt: ›Der Tempel Gottes ist wie ein Mensch, dem die Ehre genommen ist, seine kostbaren Geräte hat man weggeführt.‹ Die Stadt des Königs aller Könige, die den andern die Gesetze des unverfälschten Glaubens gegeben hat, muß heidnischem Aberglauben dienstbar sein«; Templum Domini, de quo zelans Dominus vendentes ejecit et ementes, ne domus Patris ejus fieret spelunca latronum (Matth. XXI), factum est sedes daemoniorum. Id ipsum enim et Mathathiam sacerdotem magnum, sanctorum progenitorem Machabaeorum, ad zelum accendit commendabilem, sicut ipse testatur, dicens: Templum Domini quasi vir ignobilis; vasa gloriae ejus abducta sunt captiva (I Mach. II, 8) (WTH I,15, Sp. 232). 87 Die Forschung hat sich bemüht aus den Berichten der Autoren Fulcher von Chartres, Robert dem Mönchen, Baldric von Bourgueil, Guibert von Nogent, Wilhelm von Malmsbury, Wilhelm von Tyrus und einigen weiteren die ungefähre Gestalt der Rede zu rekonstruieren (dazu noch immer grundlegend Munro 1906).



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graphen der Kreuzzüge, wie Raymond von Aguileirs88 und Fulcher von Chart­ res89 nutzen die Darstellungen der Makkabäerbücher für ihre Beschreibung und Interpretation der Schlachten um Jerusalem (s. Auffarth 2002, 125 f.). Darüber hinaus ziehen auch die Päpste in ihren Kreuzzugsaufrufen immer wieder eine Verbindung zwischen den angesprochenen Rittern und den Makkabäern. Schon in der erste Kreuzzugsbulle, ›Quantum praedecessores‹ Eugens III., deren Text sich auch in den ›Gesta Frederici‹ Ottos von Freisings findet (I, 36), erscheinen die Makkabäer als Vorbild für die Kreuzfahrer.90 Zahlreiche Päpste schließen sich Eugen in dieser Hinsicht an (Schwerin 1937, S. 69, Anm. 327), so dass Chris­ toph Auffarth (2002, 129) zu dem Schluss kommen kann, dass die Makkabäer in diesem Kontext das »einzige Exempel aus der Bibel« seien, »das regelmäßig genannt wird«. Mit dem ›Orendel‹ sind die Makkabäerbücher darüber hinaus auf motivi­ scher Ebene verbunden. Nur an dieser Stelle der Bibel findet sich das Motiv der ›Schlachtepiphanie‹ (s. Versnel 1987), das aus der antiken griechischen Religion in die biblische Schilderung eingegangen ist.91 In diesen Texten wird gleich mehr­

88 Raimund von Aguilers vergleicht z. B. die Zahlen der Feinde, die Kreuzritter bzw. Makka­ bäer besiegt haben: »Ich würde wagen zu sagen, wenn es nicht für anmaßend gehalten werden würde, diesen Krieg für wichtiger zu halten als die Kriege der Makkabäer, weil die Makkabäer mit 3.000 Mann 48.000 Feinde hingestreckt haben jetzt aber mehr als 60.000 Feinde mit der Kraft von 40 Rittern in die Flucht geschlagen wurden. Aber weder schätzen wir die Makkabäer gering noch soll die Tapferkeit unserer Ritter gerühmt werden, sondern wir wollen verkünden, dass Gott damals für die Makkabäer Wunder gewirkt hat, für uns aber noch größere Wunder« (Über­ setzung R. K.); Auderem, inquam, nisi arrogans judicarer, bellum hoc Machabaeorum bellis praeferre, quoniam, si Machabaeus in tribus millibus, hostium quadraginta et octo millia prostravit, hic, plus quam sexaginta millia hostium, ope quadringentorum militum in fugam versa sunt. Sed nos neque Machabaeum contemnimus, nec virtutem militum nostrorum praedicamus, sed Deum tunc in Machabaeo mirabilem, in nostris mirabiliorem annuntiamus (Raimund von Auguilier ›His­ toria‹ VII, Sp. 601). 89 Fulcher von Chartres ›Historia‹, Prolog, Sp. 823. 90 »Jener tapfere Matathias sei euch ein Vorbild, der nicht im Geringsten zögerte, sich selbst mit seinen Söhnen und Verwandten dem Tod auszusetzen und alles, was auch immer er in der Welt besaß, zurückzulassen, um die Gesetze der Väter zu bewahren und der schlussendlich mit göttlicher Hilfe, aber doch durch viele mühevolle Taten, selbst, wie seine Nachkommen, mann­ haft über seine Feinde triumphierte« (Übersetzung R. K.); Sit vobis etiam in exemplum bonus ille Mathathias, qui pro paternis legibus conservandis seipsum cum fliliis et parentibus suis morti exponere, et quidquid in mundo possidebat relinquere nullatenus dubitavit: atque tandem, divino cooperante auxilio, per multos tamen labores tam ipse quam sua progenies de inimicis viriliter triumphat (Eugen ›Ad Ludovicum regem Galliarum‹, Sp. 1065). 91 »An biblischen Vorbildern ist wiederum das an hellenistischen Vorbildern orientierte Mak­ kabäerbuch das einzige, das explizit die militärische Epiphanie schildert. […] Wohl klingt das Thema in [sic!] Neuen Testament an, wenn Jesus bei seiner Gefangennahme seine Verfügungs­

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

fach vom Eingreifen Gottes durch die Entsendung von himmlischen Kriegern in die Kämpfe der Makkabäer berichtet,92 unter anderem heißt es: Schon war die Schlacht heftig entbrannt, da erschienen den Kämpfenden vom Himmel her fünf herrliche Reiter auf goldgezäumten Pferden und stellten sich an die Spitze der Juden. / Zwei von ihnen nahmen den Makkabäer in ihre Mitte, deckten ihn mit ihren Rüstungen und schützten ihn vor jeder Verwundung; auf die Feinde aber schossen sie Pfeile und Blitze. Diese wurden geblendet und flohen verwirrt nach allen Seiten. / So kamen zwanzigtau­ sendfünfhundert Mann und sechshundert Reiter um.93

Dieses Bild eines kriegerischen Gottes, der die Gläubigen in ihren Kriegen aktiv unterstützt, und von ihm gesandter Hilfe im Kampf, hat stark auf die mittelal­ terliche Historiographie und Literatur gewirkt. Hier sind es zumeist Heilige, die den Christen in ihren Schlachten zur Seite stehen.94 Im Spätmittelalter und noch mehr der Frühen Neuzeit rückt immer deutlicher die Gottesmutter als »Maria vom Siege« als Vermittlerin zwischen Gott und den christlichen Streitern in den Vor­

gewalt über zwölf Legionen Engel bekräftigt. Aber er verzichtet bewußt auf sie, obwohl der ›Herr Zebaoth‹ sie ihm leicht zur Verfügung stellen könnte. Ebensowenig ist das Motiv des ›Tags den Herrn‹ benutzt. Die realisierte Hilfe eines himmlischen Heeres, in einem historischen Be­ richt bezeugt, findet sich biblisch wieder nur im Makkabäerbuch« (Auffarth 2002, 131 f.). Dies überrascht insofern nicht, als die jüdische Bevölkerung zur Entstehungszeit der Makkabäer­ bücher stark von der griechischen Kultur geprägt ist. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die aus der griechischen Religion stammende Schlachtepiphanie ausgerechnet im Kampf gegen diese Hellenisierung in einer Schlacht gegen die Griechen geschildert wird. Die Makka­ bäerbücher, die vom Widerstand gegen die zunehmende Hellenisierung des jüdischen Volkes berichten, sind damit literarisch betrachtet Zeugnisse für genau diesen kulturellen Einfluss. 92 Zur Schlachtepiphanie in den Makkabäerbüchern s. Habicht 1979, 187 f., sie erscheint in fol­ genden Bibelstellen: 2 Makk 2,21; 10, 29 ff.; 12,22 f. 93 sed cum vehemens pugna esset apparuerunt adversariis de caelo viri quinque in equis frenis aureis decori ducatum Iudaeis praestantes / ex quibus duo Macchabeum medium habentes armis suis circumseptum incolomem conservabant in adversarios autem tela et fulmina iaciebant ex quo et caecitate confusi et repleti perturbatione cadebant / interfecti sunt autem viginti milia quingenti et equites sescenti (2 Makk 10, 29–31). 94 s. dazu Kolb 1987; K. Schreiner 2000, 55–76. Ein spätmittelalterliches literarisches Beispiel für die militärische Hilfe von Heiligen bietet der Herzog Herpin, in dem die Christen im Kampf um Toledo Gott um Hilfe anflehen Aber got der almechtige, der vergysset syner fründe nit. Da geschag ein groß wonderzeychen vmb der cristenheyt willen. Als die heyden die crysten vmbsatzt hatten, da quamen yne zu helffe von gotz verhenckeniß der heyliger herre sant Iergen vnd sante Iacob vnd sante Dionisius und viel ander heyligen. Die warhen alle wieß gewappent, sye ryden zu dem stryt zu vnd slügen der heyden viel darnieder. Der Text ist nach der Wolfenbütteler Handschrift (Cod. Guelf. 46 Noviss. 2°, fol. 93v) zitiert, eine erste kritische Edition des ›Herzog Herpin‹ ist zurzeit an der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Bernd Bastert in Vorbereitung.



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dergrund.95 Im ›Orendel‹ wird sie in besonderem Maße als solche akzentuiert. Dies steht insgesamt im Zusammenhang einer deutlichen Ausrichtung des Textes auf Maria. Schon der erste Holzschnitt zeigt prominent Maria mit dem Jesuskind in Begleitung von St. Helena beim Spinnen des Heiligen Rockes mit der entspre­ chenden Überschrift Wie vnser liebe fraw den rock selber gespunnen hat (od 3). Der eigentliche Text beginnt dann mit einer zeitlichen Verortung um die Geburt Christi sowie der Geburt der künigin sandt Marie, bzw. einem Lob dieser beiden Ereignisse.96 In den folgenden Versen wird der Graue Rock ganz darüber cha­ rakterisiert, dass er eigenhändig von Maria auf dem Ölberg gesponnen worden sei (od 4), womit er als wesentliches Element der Handlung in direkter Verbin­ dung zur Gottesmutter steht. Auch der ›zweite‹ Protagonist Orendel wird ganz zu Beginn seines Handlungsstranges mit Maria verknüpft. Der erste Holzschnitt, auf dem er zu sehen ist, zeigt ihn in einer Kapelle vor einer Madonna knieend (od 12) und der Titel lautet Also gieng der iung künig Orendel in ain Cappellen und knyete für unser frawen bild und empfieng sein schwert (od 11). Dort betet Orendel am Tag seiner Schwertleite zu Maria und bittet um ihre Hilfe für seine Ritterschafft sein weiteres Handeln.97 Die hier als Königin und Kaisierin angesprochene Maria, erscheint im weiteren Verlauf des Textes als beständige Fürbitterin für Orendel bei ihrem Sohn Christus. Ihre Darstellung entspricht dem besonders von Bern­ hard von Clairvaux geprägten Bild Marias als Herrin: Maria ist jetzt nicht mehr nur die Mutter mit dem Kind, sondern die Himmelskönigin, die Patronin des Kämpfers und des Sünders. Als Königin steht sie direkt neben Christus. Beide thronen gemeinsam im Himmel in königlicher Macht (Delius 1963, S. 157).

95 »Als Vorkämpferin gegen das Böse, als ›Siegerin in allen Schlachten Gottes‹ und als Patro­ nin der christlichen Heere gegen Häretiker und Türken prägte Maria maßgeblich die politische Religiösität des 16. und 17. Jahrhunderts« (K. Schreiner 2000, 105). In seiner umfangreichen Stu­ die zu Maria gibt Klaus Schreiner (1994) im Kapitel »Maria, die Siegreiche« zahlreiche Beispiele für Marias Schlachtenhilfe, insbesondere im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. 96 Also gut die weile was / Do der hailige crist geboren was / Also gut was auch die weile / Das geborn ward die künigin sandt Marie / Und wer der hailige crist nit geborn / So weren manig tausent selen verlorn (od 3). Diese erweiterte Art der zeitlichen Verortung erinnert an die Datierungsprak­ tiken des deutschen Ordens, in dem Maria besonders intensiv verehrt wurde: »Der marianische Einschlag dieser zeigt sich […] darin, daß Datumsangaben sich nicht mit der herkömmlichen For­ mel ›in unsirs herrin jare‹ (anno domini) begnügen, sondern in die abgewandelte Formel ›anno incarnationis christi‹ eine Marienbezeichnung einfügen: ›in der zeit daz gebar Christum eine meit clar‹« (Kolb 1989, 178 f.). 97 Er sprach heüt han ich empfangen mein schwert zwar / Auff der künigin sandt Marie gnad / Das sy mir helff auff diser erden / Das ich ain guter ritter werde / Zu beschützen witteben und waysen / Das bit ich dich himelische kayserin / Und bitte es auch die vil werde / Die künigin sandt Marie (od 12).

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

Jeder dieser Eingriffe Marias wird auf ähnliche Art und Weise erzählt, hier ein Beispiel für die akute Hilfe im Kampf: Die künigin sandt Marey / Sy sprach draut sun vil guter / Hilff dem künig Orendel auß nöten / Draut sun lieber herre / Durch deins hayligen grabes ere / Do sprach unser trechtein / Ich thus vil gern draut muter mein / Do sandt im crist von himele / Drey engel bald hernidere / Den vil hayligen engel herre / Den guten sandt Gabriel // Vnd den guten sandt Raphael / Und auch den guten sandt Michael / Die hayligen drey engel / Die furten drey schwert in iren henden / Sy sprachen hörstu künig Orendel / Uns hat got und sein muter zu dir gesendet / Das wir dich on allen zweyfel / Behuten sollen vor allem folck feyge / Wirstu den under uns erschlagen / So wil got in dem himel dein sele haben / Du solt frölich streyten / In disen gegenwertigen zeyten / Die engel riten mit im in den streyt (od 57 f.).

Die drei Erzengel Gabriel, Rafael und Michael kämpfen auf Marias Bitte hin zweimal gemeinsam an Orendels Seite (od 57 f., 68 f.) und zweimal erscheint Gabriel, um den vor seinem Feind liegenden Orendel neue Kraft zu geben (od 81, 107).98 Hier greifen also keine Ritterheiligen in die Kämpfe ein, sondern Maria lässt als Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen die frömmigkeitgeschichtlich eng mit ihr verbundenen Erzengel (Keller 2005, 449) entsenden. Vor der letzten Schlacht greift Maria sogar noch direkter in das Geschehen ein und lässt durch eine Taube einen von ihr geschriebenen Brief an Orendels Truppen überbrin­ gen, die noch nichts von der Gefangenschaft ihres Herren wissen (od 135 f.). Die be­sondere Rolle, die Maria für den ›Orendel‹ als ganzen einnimmt, findet sich auch in der Gestaltung der Schlachtepiphanie wieder, die die Brautwerbungs­ erzählung mit vielen anderen mittelalterlichen Texten und durch das Erscheinen von Engeln in besonderem Maße mit den alttestamentlichen Makkabäerbüchern verbindet. Der Verehrung, die Maria in militärischen Kontexten besonders im Spätmittel­ alter entgegengebracht wurde, entspricht auch ein fortlebendes oder sogar inten­ siviertes Interesse an den Makkabäern in dieser Zeit: Besonders die christlichen Ritterorden wurden immer wieder in Verbindung mit den Makkabäern gebracht.99

98 Auch in anderen Momenten erhält Orendel Hilfe und Anweisungen durch Gabriel und unbe­ nannte Engel. So wird er von Gabriel mit dem Geld für den Grauen Rock und einem Paar goldener Schuhe ausgestattet und aus der Gefangenschaft des Riesen auf seinem Weg nach Jerusalem befreit. Im weiteren Verlauf der Handlung verbietet ein nicht benannter Engel zweimal Orendel und Bride den Geschlechtsverkehr, gebietet Bride Orendel in der Schlacht zu schützen, rettet Bride und Orendel aus der Gefangenschaft des Zwerges, berichtet dem Paar von der Belagerung Triers, weist Orendel an, den Heiligen Rock in seiner Heimatstadt zu lassen und weckt Orendel in der entscheidenden Schlacht gegen Ende des Werkes. 99 Zu den Makkabäer-Vergleichen in päpstlichen Privilegien für den Templerorden s. Auffarth 2002, 129.



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Im 14. Jahrhundert sind es unter anderem die Deutschordensritter, die sich auf diese Tradition berufen, wie das ›Chronicon terrae Prussia‹ des Ordenspriesters Peter von Dusburg zeigt.100 Auch ikonographisch schlägt sich die Popularität der Makka­bäer­ge­schich­te im 14. Jh. nieder. Der neu aufkommende und schnell sehr populäre Bildtypus der ›neun guten Helden‹ gliedert Judas Makkabäus gemein­ sam mit König David und dem Propheten Josua unter die drei jüdischen Helden ein.101 In typologischen Zyklen dieser Zeit erscheint er als Präfiguration Christi, seine Tempelreinigung wird der Vertreibung der Händler aus dem Tempel durch Christus und seine Verklagung bei König Demetrius dem Motiv des ›Ecce Homo‹ gegenübergestellt (Minuth 1988, 232).102 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Makkabäerbücher durch das gesamte Mittelalter ein häufig genutztes Muster bereitstellten, um interreligi­ öse Kriege zu beschreiben. Sie dienten als Vorbild, um die spirituelle Dimension kriegerischer Handlungen von Gruppen und Einzelpersonen zu inszenieren. Es scheint daher, auch im Zusammenhang mit der von Text markierten Bezugnahme auf König David, nicht unangebracht, eine mögliche Anlehnung des ›Orendel‹ an diesen wirkungsmächtigen Text anzunehmen. Die Schlachtepiphanie, die den ›Orendel‹ auch motivlich mit den Makkabäer­büchern verbindet, ist marianisch

100 Nachdem er lobend von den Makkabäern gesprochen hat, stellt er eine Verbindung zu sei­ nem eigenen Orden her: »Ihren heiligen Krieg tatkräftig nacheifernd verdient dieser Ritterorden, das heißt das Haus vom Hospital St. Marien der Deutschen in Jerusalem, sich mit ehrbaren Mit­ gliedern zu schmücken. […] Sie sind nämlich auserwählte Ritter und Kämpfer, die voller Eifer für das Gesetz der [christlichen] Heimat die Feinde mit starker Hand aufreiben« (die Übersetzung folgt Houben 2005, 218); Quorum bella sacer hic ordo milicie videlicet domus hospitalis sancte Marie Theutonicorum in Jerusalem strenue imitans membris honorabilibus meruit decorari / […] Sunt namque milites et bellatores electi zelo legis patrie manu valida hostes conterentes (Peter von Dusburg ›Chronica‹, 29). 101 Darstellungen dieses Bildtypus finden sich z. B. am Kölner Rathaus und dem ›schönen Brun­ nen‹ in Nürnberg. Zur Bedeutung der ›neun guten Helden‹ für die Literatur im späten Mittelalter (hier den ›second cycle de la croisade‹) formuliert Alfred Foulet (1989, 99): »At the center of a soon-proliferating cycle stands a martial figure whose prowess in many a combat has charmed a public never weary of hearing tales about prestigious heroes who fight and slay innumerable foes. At the beginning of the fourteenth century this avid interest was crystalized in the literary and iconographic cult of the ›nine worthies‹ (three Jews: Joshua, David, and Judas Maccabeus; three pagans: Hector, Alexander, and Caesar; three Christians: Arthur, Charlemagne, and God­ frey of Bouillon). The epic hero is not allowed to remain in splendid isolation; he may be the brightest star within his family constellation, but the deeds of his father, grandfather, brothers, sons, nephews, and grandsons are likewise memorable and so must be praised in epic song.« 102 Zur Popularität der Makkabäer im Spätmittelalter s. auch K. Schreiner 2000, 38 ff. Er nennt unter anderem den Kölner Makkabäer-Kult und die Verehrung dieser alttestamentlichen Helden am burgundischen Hof in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

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 Geschichtete Geschichte: ›Orendel‹

gestaltet, Maria als Schutzpatronin in militärischen Kontexten gezeigt. Diese Rolle Marias könnte ein Argument für die Spätdatierung des ›Orendel‹ sein.

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Die im ›Orendel‹ aufgerufenen Zeitschichten und die mit ihnen verbundenen Vor­ bilder für den Protagonisten und seine Taten sind nicht zufällig gewählt, sondern stehen in einem engen Verweiszusammenhang zueinander. So ruft bereits Oren­ dels Stilisierung als Kreuzritter und christlicher König von Jerusalem Traditions­ linien zum Alten wie zum Neuen Testament wach.103 Wie eng diese Beziehungen zwischen den Kreuzfahrern und den Makkabäern in der Kunst und Literatur des 12. bis ins 16. Jahrhundert geknüpft werden, ist bereits angeklungen. Für den Kampf der Makkabäer um Jerusalem und dessen historiographisch-literarische Gestaltung in den Makkabäerbüchern ist aber wiederum König David eines der Vorbilder.104 Und im Christentum wird David besonders verehrt, weil er typo­ logisch105 und genealogisch auf Christus bezogen werden kann. Diese genealo­ gische Deutung schlägt sich im Stammbaum Jesu nieder, der als ›Wurzel Jesse‹ zu einem beliebten Bildtyp besonders in der künstlerischen Ausgestaltung von Kirchen während des gesamten Mittelalters wird, worin seine Abstammung bis hin zu Davids Vater Isaia (Jesse) verfolgt wird. Die Idee einer verwandtschaft­ lichen Beziehung zwischen David und Christus stützt sich dabei auch auf die Prophezeiung Natans, die eine Verbindung von Davids Geschlecht und messia­

103 »Die neuere Kreuzzugsforschung hat mit Recht unterstrichen, in welch starkem Maße die Kreuzfahrer sich sowohl in alttestamentliche als auch in neutestamentliche Traditionen stellten. Ersteres, indem sie sich in direkter Parallele zum auserwählten Volke Gottes sahen, letzteres durch ihren betonten Christozentrismus. Die Parallelisierung zwischen dem alttestamentlichen Volk Gottes und dem exercitus Dei des Kreuzzuges ist eine Konstante jener Jahre, denn Chronis­ ten und Kreuzfahrer zogen diesen Vergleich wiederholt« (Jaspert 2007, 325). 104 Als Mattatias stirbt, erinnert er seine Söhne als sein Testament an die Taten ihrer Vorväter, u. a. auch an David: »David hielt die Treue: darum erhielt er den Königsthron als ewiges Erbe; David in sua misericordia consecutus est sedem regni in saecula (1 Makk 2, 57). 105 In seinem Sieg über Goliath wird David als Typus zu Christus gesehen, der den Satan besiegt. Darüber hinaus sind beide durch das Motiv des von Gott bestimmten aber von den Menschen verworfenen Königs verbunden. Beide führen eine missachtete Gruppe Menschen an: David seine Bande und Jesus seine Gemeinde. Der Triumph Davids über seine Feinde im Kampf und seine Krönung zum König über alle Israeliten kann weiterhin als Bild für den kämpfenden und siegreichen Christus am Weltende gedeutet werden. S. dazu u. a. Nitsche 1998, bes. S. 182 ff.



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nischer Hoffnung herstellt.106 Im ›Orendel‹ wird die enge inhaltliche Beziehung zwischen den Kreuzfahrern, den Makkabäern, König David und Christus aber nicht nur hergestellt, sondern auch zeitlich überblendet: Der Text behauptet die Gleichzeitigkeit dieser ungleichzeitigen Geschehnisse. Dies tut er jedoch nicht naiv, sondern in einer gesteuerten Dispensierung der kontinuierlichen und kausalen Zeitfolge zugunsten eines symbolischen Zugleich, indem die (chrono-)logische Unmöglichkeit des Zeitarrangements vor Augen geführt wird. Dies geschieht an zwei zentralen Stellen: in der Genealogie Brides und im schon angesprochen Vorgang des ›Einkleidens‹ Orendels. Bride wird als die Tochter und als das einzige Kind Davids vorgestellt. Damit stellt sich der Text nicht nur in Widerspruch zum Kinderreichtum des Königs (2 Sam 13–16), sondern auch zur Nachfolge Davids durch seinen Sohn Salomo, der kaum weniger bekannt und populär als sein Vater ist. Noch schwerer wiegt, dass mit dieser Kappung einer von David ausgehenden genealogischen Linie auch der oben genannte biologische Zusammenhang zwischen David und Christus sabo­ tiert wird. Die Existenz Christi wird jedoch nicht in Frage gestellt. Dass dieser Konstruktion eine Textstrategie zu Grunde liegt, lässt sich daran erkennen, wie leicht die Unmöglichkeit hätte entschärft werden können – dazu hätte nur die Beziehung Davids zu Bride von ›Vater‹ in ›Vorfahr‹ geändert werden müssen. Dass dies nicht geschieht, zeigt meines Erachtens eine Privilegierung einer symboli­ schen oder topologischen Ordnung der Erzählwelt vor einer kausalen und chro­ nologischen. Spielerisch wird die Überblendung der unterschiedlichen Zeitebenen in der Ausstattung Orendels in die Aporie getrieben. Die Inszenierung seiner Einklei­

106 »Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern legst, werde ich deinen leibli­ chen Sohn als deinen Nachfolger einsetzen und seinem Königtum Bestand verleihen. / Er wird für meinen Namen ein Haus bauen und ich werde seinem Königsthron ewigen Bestand verlei­ hen. / Ich will für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein. Wenn er sich verfehlt, werde ich ihn nach Menschenart mit Ruten und mit Schlägen züchtigen. / Meine Huld aber soll nicht von ihm weichen, wie sie von Saul gewichen ist, den ich vor deinen Augen verstoßen habe. / Dein Haus und dein Königtum sollen durch mich auf ewig bestehen bleiben; dein Thron soll auf ewig Bestand haben«; cumque conpleti fuerint dies tui et dormieris cum patribus tuis suscitabo semen tuum post te quod egredietur de utero tuo et firmabo regnum eius / ipse aedificabit domum nomini meo et stabiliam thronum regni eius usque in sempiternum / ego ero ei in patrem et ipse erit mihi in filium qui si inique aliquid gesserit arguam eum in virga virorum et in plagis filiorum hominum / misericordiam autem meam non auferam ab eo sicut abstuli a Saul quem amovi a facie tua / et fidelis erit domus tua et regnum tuum usque in aeternum ante faciem tuam et thronus tuus erit firmus iugiter (2 Samuel 7, 12–16). Im Neuen Testament wird mehrfach der Bezug zu diesen Worten hergestellt (Apg 2,30, 2 Kor 6,18, Hebr 1,5) und die Bezeichnung ›Sohn Davids‹, die Jesus vom Volk erhält, ist eine Anerkennung seines messianischen Anspruches (NJB, 268).

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dung mit dem Rock Christi und den Insignien Davids wurde bereits angespro­ chen. Am Körper des Königs verbinden sich dabei auf engstem Raum die Zeitebe­ nen des Alten und des Neuen Testaments, der Mantel Davids legt sich bildlich um den Heiligen Rock. Doch neben der Aura Davids in seinen Insignien und der Präsenz Christi in der Herrenreliquie wird noch eine dritte Heilsquelle in die Aus­ stattung Orendels hinein geholt, die die Unmöglichkeit des Zeitarrangements deutlich vor Augen führt: In das Schwert Davids ist nämlich die Reliquie des früh­ mittelalterlichen Heiligen Brandan eingelassen.107 Die offensichtliche Unmög­ lichkeit des Zusammentreffens der frühmittelalterlichen Heiligenreliquie und des Heiligen Rockes in einer (auch) als alttestamentlich inszenierten Welt macht klar, dass eine kontinuierliche oder kausale Zeitordnung dispensiert wird. Durch dieses symbolische ›Zugleich‹ der Kämpfe Davids, der Makkabäer, der Kreuzrit­ ter und des heilsbringenden Wirkens Christi und seiner Heiligen wird zum einen eine Stilisierung des Protagonisten als mit der Autorität seiner Vorgänger ausge­ statteten Nachfolgers gezeigt und zum anderen sein Kampf gegen die Sarazenen um Jerusalem als Weiterführung einer ewigen und doch immer gleichen Ausei­ nandersetzungen zwischen dem ›Volk Gottes‹ und den Anderen in besonderer Intensität sichtbar.108 In dieser Inszenierung des ›ewigen‹ Kampfes um die Heilige Stadt in einem andauernden interreligiösen Konflikt nimmt der ›Orendel‹ diese Traditionen auf und führt sie in seine Entstehungs- oder zumindest Bearbeitungszeit des 15. Jahr­ hunderts hinein. Dies zeigt sich auch in der Beteiligung Kaiser Maximilians I. an der Erhebung des Rockes im Jahr 1512, als dessen treibende Kraft er gesehen werden kann (Kiening 2009, 386). Er hat dieses Ereignis ebenfalls in seine ›Ehren­ pforte‹ aufgenommen. Auch aufgrund des Interesses Maximilians für die Braut­ werbungserzählungen, die sich in der Aufnahme von ›Ortnit‹ und ›Kudrun‹ in das von ihm in Auftrag gegebene ›Ambraser Heldenbuch‹, der Integration von König Oswald in sein Wappenbuch (s. J.-D. Müller 1982, 196) und nicht zuletzt

107 So sagt Bride zu Orendel: Se hin das gut schwert in dein handt / Und behalt es wol mit synnen / Do ist sandt Branckiczegen heiltum innen / Es gefurte nye kain ander man / Er must den öbersten sig han (od 66). St. Brandan, ein irischer Heiliger des 5. Jahrhunderts, erfreut sich auch im Spätmittelalter auf dem Kontinent noch großer Beliebtheit in einer lebendigen literarischen Tradition. Die lateinische ›Navigatio sancti Brendani‹ wurde mehrfach ins Mittelhoch- und Mit­ telniederdeutsche, ins Altprovenzalische, Altfranzösische und Altitalienische übertragen und ist breit überliefert. 108 Ohne Hinblick auf die Zeitregie hat zuletzt auch Christian Kiening (2009, 397) zu dieser li­ terarischen Strategie bemerkt: »Indem Orendel Bride, die Tochter König Davids, gewinnt, ver­ bindet sich mit ihm die Aura des großen alttestamentlichen Herrschers, indem in das DavidsSchwert eine Brandans-Reliquie eingeschlossen ist, diejenige des frühmittelalterlichen irischen Reise-Heiligen. In Orendel laufen die Linien des Heils zusammen.«



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der narrativen Anlehnung des ›Theuerdank‹ an diese Textgruppe zeigt, wurde in der Forschung eine Beteiligung Maximilians an den ›Orendel‹-Drucken vermu­ tet (Embach 1995, 776 ff.). Auch inhaltlich könnte man dem Kaiser, der den Titel eines Königs von Jerusalem trägt (ebd., 781) und Zeit seines Lebens einen großen ›Türkenzug‹ plant, ein Interesse am ›Orendel‹ unterstellen. Eine konkrete Beteili­ gung von seiner Seite ist jedoch nicht nachzuweisen. Sein Interesse an der Rock­ hebung und an der militärischen Auseinandersetzung mit den Muslimen kann jedoch als beispielhaft für die Zeit um 1500 gelten.

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 Fälschungen und abgewiesene Alternativen

Fälschungen und abgewiesene Alternativen Erst vor dem Hintergrund der Inszenierungen des Heiligen im ›Oswald‹ und ›Orendel‹, der Dimensionierung des Kampfes gegen die Sarazenen als religiöse Unternehmung, der permanenten göttlichen Präsenz und Hilfe sowie der Him­ melfahrt der jeweiligen Protagonisten können die Strategien im Umgang mit dem Thema des religiösen Krieges in den übrigen Brautwer­bungs­er­zähl­ungen beschrieben und akzentuiert werden. In diesen Texten spielt Religion eine gerin­ gere Rolle und die im ›Oswald‹ und ›Orendel‹ beobachteten Techniken zur Ent­ faltung von Heiligkeit im Umfeld des Protagonisten und zu seiner Legitimation als ›Kämpfer Gottes‹ werden nicht genutzt – verhandelt wird der Zusammenhang von göttlicher Macht und göttlichem Willen mit den Handlungen der Protago­ nisten dennoch. Doch begegnen in ›Kudrun‹, ›Ortnit‹ und ›Salman‹ eher Brüche, Wendungen, Fälschungen und die Inszenierung des Kampfes für Gott als abge­ wiesene Alternative.

Segeln unter dem Kreuz: ›Kudrun‹ Siegfried von Mohrland wirbt um die Hand Kudruns. Ihr Vater Hetel weist ihn ab und verspricht sie Herwig, woraufhin Siegfried dessen Land angreift. Doch als Kudrun von Hartmut entführt wird, verbünden sich Siegfried, Hetel und Herwig. In dieser gesamten Auseinandersetzung zwischen Christen und Sarazenen spielt ihre unterschiedliche Religion keine Rolle, wird weder zur Motivation noch Legi­ timation der Kämpfe genutzt und auch nicht über Symbole, Requisiten oder sprachliche Mittel aufgerufen. Doch dies bedeutet nicht, dass Kreuzfahrer in der ›Kudrun‹ keine Rolle spielen. Sie tauchen sogar relativ häufig auf – nur nicht da, wo man sie erwarten würde. Die religiöse Sinndimension eines Kampfes wird zum Beispiel in der Ge­­ schichte von Kudruns Eltern Hetel und Hilde aufgerufen. Hetels Boten hatten Hilde überzeugt, diesen Mann zu heiraten und sie mit einer List in sein Land gebracht. Doch Hildes Vater Hagen setzt seiner Tochter mit einem Heer nach, um Hetel zu stellen. Hetels Gefährte Wate steht am Strand und sieht die Schiffe kommen.109 Hagen reist unter dem Kreuzzeichen und er und seine Männer werden von Wate als ›Pilger‹ erkannt, wobei dieser mittelhochdeutsche Begriff auch ›Kreuzfahrer‹

109 Da es Abende begunde. da sach von Tennelant Horant der degene kune. es was im wol bekannt. ein Creutz in ainem Segele. pilde lagen darynne. sölher pilgremme hette Watte der alte lützel mynne (ku 488).



Segeln unter dem Kreuz:  

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bedeuten kann.110 Wate bringt diesen Pilgern als seinen Gegnern wenig Liebe entgegen – für den Kampf zwischen Hagen und Hetel entfaltet das Bild jedoch keine weitere Bedeutung. Aber wozu dient dann diese Identifikation von Hagens Truppen mit einem Kreuzfahrerheer? Dass gerade Hagens Männer als Kreuzfahrer bezeichnet werden, ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass er in seiner Jugend zweimal mit ›echten‹ Kreuzfahrern in Kontakt gekommen ist. Als Hagen mit den drei Mädchen auf der Greifeninsel festsitzt, wird in ihrer Sichtweite ein ganzes Kreuzzugsheer, oder wie es im Text wörtlich heißt ein gotes heer, durch ein Seebeben zerstört.111 Hagen kann einem angespülten Kreuzfahrer Rüstung und Waffen abnehmen und so gegen die Greifen kämpfen. Später sind es Kreuzfahrer, die die Kinder auf der Insel finden.112 Doch die Retter entpuppen sich bald als Bedrohung, quält der Graf von Garadie doch zunächst die Mädchen mit seinen Fragen (ku 117) und beschließt dann, Hagen als politische Geisel zu nehmen, obwohl dieser eine friedliche Lösung vorschlägt.113 Als die Ritter Hagen gefangen setzen wollen, kämpft er gegen die Kreuzfahrer, bis die Mädchen ihn davon abhalten, auch den Grafen zu töten (ku 135 f.). Ein viertes Kreuzzugsheer begegnet unmittelbar nachdem Siegfried, Hetel und Herwig ihr Bündnis geschlossen haben. Obwohl die drei Hartmut folgen und Kudrun befreien wollen, fehlen ihnen die dazu nötigen Schiffe. Wate hat jedoch in der Nähe siebzig gute Schiffe voll Proviant entdeckt und schlägt mit den Worten got tut mit gewalte. als es umb in stat (ku 838) vor, diese zu kapern. Die anderen gehen auf seinen Vorschlag ein und überwinden mit ihm die 3.000 Kreuzritter und schleppen sie auf den Strand. Der Erzähler betont, dass Hetel das

110 Der Begriff ›Kreuzzug‹ an sich ist modern. Im Mittelalter wurden Kreuzzugsunternehmen häufig als peregrinatio, also als Pilgerreise bezeichnet. 111 Ich waiß nit von welhem ennde geflossen uber mer zu den Stainwenden. kam ein grosser gotes heer. die starchen grunde wellen kerten sy vil sere. die ellenden maide. hetten ugemutes dester mere / Der kiel In zerprast. des leutes nicht genaß. die alten Greyffen komen. da das geschehen was. Sy trugen zu ir neste vil manigen todten man. des frage vil sorgen gewan. / […] Hagen noch der leute sach ligen bey dem mer. da die waren ertruncken. des warn gotes her (ku 85–88). Der Untergang der Flotte ließe sich in Verbindung mit dem Sturm im ›Orendel‹ bringen, bei dem alle 72 Schiffe des christlichen Heeres untergehen und nur Orendel mit dem Leben davon kommt. 112 ku 108 ff. Bevor sie die Kinder auf ihr Schiff lassen, versichern sie sich noch mit der Frage seyt ir kint getauffet. was tut ir danne hie (ku 113), keine Nixen oder Waldgeister (ku 109, 112) an Bord zu nehmen. 113 Der Graf von Garadie liegt im Streit mit Hagens Vater Sigebant, der viele seiner Männer er­ schlagen oder gefangen genommen hat. Obwohl Hagen seine Unschuld an diesen Taten betont und anbietet, den Grafen mit seinem Vater zu versöhnen, besteht dieser darauf, Hagen als Geisel zu nehmen (ku 129–132).

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 Fälschungen und abgewiesene Alternativen

Ziel ihrer Reise »mit ihren Kreuzen« egal ist – er sucht sich sogar noch ihre besten Ritter aus, um für seine Sache zu kämpfen.114 Anschließend segeln sie unter dem Kreuzzeichen Hartmut hinterher, so dass dessen Männer sie zunächst ebenfalls für ein Kreuzzugsheer halten.115 Diese fünf Begegnungen lassen mehrere gemeinsame Linien erkennen. Zum einen sind die ›echten‹ Kreuzzugsheere nie erfolgreich. Sie gehen unter, stran­ den oder kommen von ihrem eigentlichen Ziel ab. Gerade in diesem Scheitern aber werden sie für die Erzählung interessant: Der Untergang des ersten Heeres liefert Hagen die Waffen zum Überleben, das zweite Heer bringt ihn nach Hause, das dritte Heer liefert den gegen Hartmut Verbündeten die benötigten Schiffe und zusätzliche Kämpfer. Zum anderen entwickelt sich ein Spiel mit der Identität als ›Kreuzfahrer‹ und ihrer Gegner, wobei die Seiten von zwei Figuren, die im Text beide sowohl als Werber wie als Brautväter auftreten, gewechselt werden können. So kämpft Hagen zunächst gegen seine Retter/Entführer auf dem Schiff des Grafen von Garadie und erscheint später Wate als Anführer eines Kreuzzugsheeres. Mit diesem kämpft er als Brautvater gegen den Brautwerber Hetel, wobei die Schlacht unentschieden bleibt und der Streit von Hilde geschlichtet wird. Später kämpft auch Hetel mit den Schiffen eines (echten) Kreuzzugsheeres als Brautvater gegen den Brautwerber Hartmut. Auch hier wird die Schlacht nicht entschieden, da Hartmut und seine Männer entkommen können – Hetel aber wird zuvor von Hartmuts Vater getötet. Auch die ›unechten‹ Kreuzzugsheere scheinen nicht sehr erfolgreich zu sein.

114 Hetel der enruchte. ob sy im mer auf das mer. mit ir Creutze komen. Er nam aus in heer. Funffhundert oder mer. der pesten die sy funden. der brachten Sy vil wenig ze Hegelingen der gesundten (ku 844). War zuvor das Verhalten der Kreuzfahrer Hagen gegenüber als ambivalent geschildert worden, gerät hier das Verhalten der Protagonisten gegenüber den Pilgern in Zweifel. Sie nut­ zen die einzige ihnen gegebene Möglichkeit, um gegen Kudruns Entführer Hartmut zu kämpfen und sie ihrem rechtmäßigen Verlobten Herwig zurückzubringen, doch der Erzähler mahnt die Behandlung der Kreuzfahrer als Fehlverhalten an: Ich wayss nit ob des entgulte Hettel und seine man. daz ditz Volck ellende. daz hertzenlayd gewam. daz sy sich da musten schaiden. in den fremden lannden. Ich wane daz got rache. daselbß seinen annden (ku 845). Der Sieg Hartmuts auf dem Wülpesand könnte von dieser Strophe aus gesehen auch als Rache Gottes erscheinen, durch die vorsichtig-subjektive Formulierung (ich wass nit; wane) bleibt es jedoch bei einer Andeutung. 115 Da sach der Marner auf der unden wagen. ain Schif mit reichen Segeln. hiess ers dem kunige sagen. do das gesach herr Hartmut. und auch alle die seine. in den Segele warn creutze. sy jahen es wern Pilgrame. / Schiere sahen sy vliessen. drey kyele gut. und newe kyelen reiche. die trugen auf der flut. manigen der das creuatze truoge selten. durch die gotes ere. an seinen claiden. des muesten entgelten die Helden aus Ormanie sere (ku 853 f.).



Ein göttliches Schauspiel:  

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Insgesamt zeigt diese wiederholte Instrumentalisierung der Kreuzzugsheere ein Bewusstsein für die Möglichkeit der religiösen Sinngebung von Kämpfen und eröffnet damit einen Erwartungshorizont für die Rezeption. Umso auffälliger ist es daher, dass in der Auseinandersetzung mit den Nicht-Christen um Siegfried von Mohrland jede Inszenierung als religiöser Konflikt fehlt. So wird das Poten­ zial ›Kämpfer für Gott‹ zu sein einerseits aufgerufen, andererseits aber dort, wo es im Kampf gegen die Sarazenen Sinn entfalten könnte, abgewiesen. Der Kampf unter dem Kreuz als echter oder falscher ›Pilger‹ wird als Erzählelement vielmehr so frei verfügbar, dass auch Siegfried und seine sarazenischen Krieger Hartmut unter dem Zeichen der Christen angreifen können. Dennoch, oder vielleicht sogar gerade deswegen, erscheint die ›Kudrun‹ als ein Beleg für die thematische Wichtigkeit der interreligiösen Konflikte in den Brautwerbungserzählungen. Die Figur Siegfrieds hätte leicht auch ein christli­ cher Gegner sein können, die Kreuzfahrerheere könnten durch andere Schiffs­ verbände vertreten werden. Wenn das Motiv des interreligiösen Konfliktes und seine literarischen Inszenierungsformen in der ›Kudrun‹ aufgerufen werden, erscheinen sie als Marginalie. Doch durch ihr Erscheinen werden sie zugleich als abgewiesene Alternative greifbar. Damit setzt die ›Kudrun‹ für die Frage nach den interreligiösen Konflikten in den Brautwerbungserzählungen einen Kontra­ punkt, der dieses inhaltliche Element als ein Verbindendes für die untersuchte Textgruppe explizit macht. Zugleich wird aber auch deutlich, dass die Auseinan­ dersetzungen zwischen Christen und Sarazenen und deren Inszenierungsformen in den Brautwerbungserzählungen Elemente eines literarischen Spiels werden können, dass gerade von den Wendungen und Brechungen des Erwarteten lebt. Ebenso deutlich, aber auf anderem Wege, zeigt sich dies im ›Ortnit‹.

Ein göttliches Schauspiel: ›Ortnit‹ König Ortnit herrscht in Lamparten, dem mächtigen König dienen Rom und Latron.116 Und auch er erhält, ähnlich wie Oswald und Orendel, bei seiner Werbung um die sarazenische Prinzessin seiner Wahl mehrfach ›wunderbare‹ Hilfe. Doch greift nicht Gott in die Handlung ein, sondern Ortnits Vater: der listige, übermenschlich starke und mit einer Tarnkappe ausgestattete Zwerg Elbe­ rich. Dieser sorgt nicht nur für eine ausgezeichnete Ausrüstung seines Sohnes mit

116 Das eingedeutsche Wort Latron leitet sich von Lateransbasilika in Rom ab. Es wäre möglich, diese Stelle als Inszenierung Ortnits als Gegenpart zu Nachaol, dem sarazenischen König Jerusa­ lems, in weltlicher und geistlicher Hinsicht zu sehen.

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 Fälschungen und abgewiesene Alternativen

einer kostbaren Rüstung und dem von ihm selbst geschmiedeten Schwert Rose (or 121 ff.), sondern begleitet ihn auch auf seiner Reise in den Orient. Durch seine Tarnkappe ist er dabei nur für Ortnit, der Elberichs magischen Ring trägt, sicht­ bar. Die dadurch entstehende optische Leerstelle wird von den anderen Figuren unterschiedlich interpretiert. Die erste Vermutung äußert Elias, als Elberich seine Anwesenheit auf dem Schiff der Christen zu erkennen gibt: Es ist der zweger einer: der tifel oder got. Elberichs magische Unsichtbarkeit führt zu einer Identifikation mit dem religiös Übersinnlichen – wobei offen bleibt, ob er gut oder böse ist. Ortnit klärt seinen Freund über Elberichs Identität als wildes twerg auf, verschweigt aber seine ver­ wandtschaftliche Beziehung zu ihm (or 249). Die Verwechslung des Magischen mit dem Göttlichen greift auch bei Elberichs Besuchen in der Burg König Nacha­ ols. Dieser hält den Zwerg ebenfalls zunächst für den Teufel (or 281), ebenso wie seine Soldaten (or 380). Im Gespräch mit dem sarazenischen König nutzt Elberich diese ›Verwechslung‹ jedoch, indem er sich als ein ander bot (or 282) bezeichnet und behauptet, sein Gott habe ihn geschickt, um Nachaol um die Hand seiner Tochter zu bitten. Als der König jedoch wütend ablehnt, treibt der Zwerg ein wenig seinen Spaß mit ihm, reißt ihm den Bart aus und verschwindet wieder. Mehr Erfolg hat Elberichs ›göttliche Komödie‹ bei seinem zweiten Besuch in der Burg, bei dem er direkt das Gespräch mit der Prinzessin sucht. Im Gegensatz zu ihrem Vater vermutet sie in der unsichtbaren Gestalt, die sie berührt und zu ihr spricht, sofort einen ihrer Götter Machemet oder Apollo. Auch dies verneint Elberich mit den Worten, er sei ein ander bot (or 406) und beweist seine Macht, indem er die Götterstatuen der Sarazenen in den Burggraben stößt und sich somit als stärker als diese Götter erweist. Von hier bis zum Schluss des Werkes bleibt das Bild, das sich die Prinzessin von Elberich macht, in der Schwebe. Zum einen wird klar, dass sie ihn für Ortnits Gott hält, zum anderen weiht Elberich sie auch zum Teil in seine List ein (or 443) und bereits auf ihrer Flucht kommen ihr Zweifel an der göttlichen Natur des Zwerges (or 464 f.), doch noch nach der Ankunft in Lamparten wünscht Siderat, Ortnits Gott noch einmal zu sehen (or 511). Der Prin­ zessin gegenüber spielt Elberich die Rolle des christlichen Gottes also recht über­ zeugend. Den Wachen in Nachaols Burg erscheint er hingegen, eine der gestürzten Götterstatuen vor sich hertragend, als Apolle vnd Machemet, uwer got (or 451). Um Zeit für Ortnit und Siderat zu gewinnen, aber auch um die Sarazenen zu irren, zu effen und um sinen spot (ebd.) zu treiben, weist er sie an, die Königstochter in Ruhe beten zu lassen. Darüber hinaus fordert er die Wachen auf, vor ihm nieder zu knien und ihn anzubeten (or 451–454). Die Sarazenen lassen sich zu Elberichs Freude tatsächlich von ihm ›betören‹ (or 456):



Verkleidung und Identität:  

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Do vielent si vor den sercken menigen harten val / – nach dem iren orden. do waz gros der schal! / des erlachet der cleine vnd huob sich balde da von (or 455).

Ortnit erhält keine Hilfe durch echte Wunder, er kann seine sarazenische Prin­ zessin vielmehr durch Elberichs Fälschungen göttlichen Eingreifens erringen. Dabei ist es eine Sache, die sarazenischen Gegner in die Irre zu führen, sie im Glauben zu lassen, der christliche Gott zu sein oder ihre falschen Götter durch ein ›Puppenspiel‹ zu diskreditieren. Doch Elberich macht auch nicht davor Halt, die Christen zu manipulieren und sich vor ihnen göttliche Macht anzumaßen. Beim Marsch auf Montabure lässt er sich von Ortnit ein Pferd geben und trägt darauf, selbst unsichtbar, die Fahne der Christen. Seinen Sohn instruiert er, ihn den Krie­ gern gegenüber als Engel auszugeben. Ortnit geht aber noch einen Schritt weiter und verkündet ihnen, dass in der Anwesenheit des Engels jeder, der vor Monta­ bure falle, direkt in den Himmel geleitet würde (or 370). Dieser Plan geht auch auf und Ortnits Männern versprechen, besonders tapfer zu kämpfen, da sie ja unter göttlichem Schutz stünden (or 367 ff.). Die Textstrategien, mit denen Oswald und Orendel als Kämpfer Gottes gezeichnet werden, die göttliche Hilfe, der Einbruch von Wundern in die Welt und die Unterstützung durch Engel werden im ›Ortnit‹ zu Handlungsstrategien der Figuren, die sich durch Magie und Schauspiel sowohl ihren eigenen Truppen als auch ihren Gegnern und der umworbenen Prinzessin gegenüber als von Gott begünstigt darstellen. Diese Inszenierung wird zur Methode, das Werbungsziel durch gesteigerte Kampfkraft des eigenen Heeres, Ablenkung ihrer Wachen und nicht zuletzt durch die Überzeugung der Prinzessin selbst, zu erreichen. Selbst das Versprechen des Seelenheils, das Ortnit seinen Männern gibt, zeigt sich als strategisches Kalkül. Theater verleiht göttliche Macht und göttliche Macht wird zum Theater.

Verkleidung und Identität: ›Salman‹ Im ›Salman‹ spielt die religiöse Identität der Christen wie im ›Oswald‹ eine große Rolle. Anders als in diesem Werk wird die Identität jedoch in ihrer Ambi­ valenz zum Problem. Salman und sein Bruder Morolf sind Christen. Und nicht nur irgendwelche Christen, sondern höchst wichtige. König Salman wird in der ersten Strophe des Werkes mit den Worten Zu Jherusalem wart ein kint geborn, / das sich zu faugte wart erkorn / uber alle christen diet (sa 1) eingeführt und damit als Vorläufer oder Nachfolger Christi stilisiert. An der so aufgerufenen Zeitachse des Neuen Testamentes spiegeln sich, dem Verfahren im ›Orendel‹ nicht unähn­ lich, eine alttestamentliche und eine hochmittelalterliche Zeitebene. Zum einen

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 Fälschungen und abgewiesene Alternativen

ist auch in diesem Text Jerusalem als christliches Zentrum von sarazenischen Herrschaftsgebieten umgeben, die Christen greifen die sarazenische Stadt Ackers an und Tempelherren dienen in Morolfs Heer. Zum anderen wird Salman auch über seinen Namen hinaus mit König Salomo identifiziert: Zum einen über die Verbindung zu seinem Vater König David,117 zum anderen über den Topos des Minnesklaven118 und zuletzt durch den literarischen Komplex um Salomon und Markolf, der die Rolle Salmans als weiser Richter als intertextuelle Folie bewusst hält. Doch die Überlagerung der Zeitebenen geht nicht sinnstiftend auf wie im ›Orendel‹, sondern führt zu unauflösbaren Spannungen. Denn Salomon ist eine prominente Figur des Alten Testaments, die sich leicht als Präfiguration Christi, aber kaum als sein Nachfolger in der Imagination einer Kreuzzugszeit denken lässt. Als Präfiguration Christi kann er selbst aber natürlich kein Christ sein und war im Mittelalter auch ikonographisch (z. B. als Gewändefigur) deutlich als vorchristliche Figur wahrnehmbar.119 Damit muss sich die Frage stellen, wie der Text mit der historischen Religionszugehörigkeit Salomos zum Judentum umgeht. Auf

117 Als Affer die Nacht vor Salmans geplanter Hinrichtung mit ihm in ihrer Kemenaten verbringt, lässt sie zu seiner Unterhalten einen Spielmann kommen aber dem spielman er die harp uß der hende nam, / er leit die uff sine beine, / vil schone streich er dar an. / er gedacht an kunig Davit den vatter sin, / der vor der alten Troige / herdacht ds erste seiten spiel (sa 468). Die Verbindung zwischen König David und der Geschichte Trojas setzt die Dynamik intertextuellen Verweisens weiter fort – es ließe sich überlegen, ob hier die Themen der ›Schönsten Frau der Welt‹ und der vernichtenden Gewalt, die ihre Entführung (aus einer bestehenden Ehe!) auslöst, mit der in der Ilias überlieferten Geschichte um Helena perspektiviert werden könnte. 118 Die Liebe Salomos zu seinen andersgläubigen Frauen wird in der Bibel als Schwäche und Abkehr vom wahren Glauben beurteilt. In der Literatur des Mittelalters erscheint er vor diesem Hintergrund häufiger in der Rolle des ›Minnesklaven‹: »Dem mittelalterlichen Publikum war die Schwäche des biblischen Königs Salomon für (heidnische) Frauen nicht nur aus der biblischen Überlieferung (1 Reg 11, 1–8), sondern auch aus der literarischen Tradition vertraut. Vor allem im höfischen Roman wird Salomon wiederholt als exemplum für die zerstörerische Macht der Liebe angeführt, und auch in der bildenden Kunst war das Motiv des Minnesklaven verbreitet. Beispiele hierfür – v.a. aus der Dichtung und bildenden Kunst des späten 13. bis 15. Jahrhunderts – hat Friedrich Maurer [Maurer 1953] gesammelt. Dabei zeigt Maurer, dass Salomon gemeinsam mit anderen biblischen, und hier primär alttestamentlichen Figuren, zu den Hauptfiguren dieser Exempelreihen gehört. Maurer gibt zusätzlich Belege aus der mittelhochdeutschen Literatur an, in denen Salomon zu den biblischen auch literarische Figuren aus der klassischen und arthuri­ schen Literaturtradition als Minnesklaven an die Seite gestellt werden« (Bornholt 2006, 235). S. zu diesem Thema auch Schnell 1985. 119 So z. B. am Querhaus der Kathedrale von Chartres gemeinsam mit Hiob (s. Büchsel 1995) oder am Dom zu Freiberg mit der Königin von Saba und David. Auch auf Fenstern oder in der Innenausstattung von Kirchen finden sich salomonische Szenen (z. B. im Nordquerhaus des Straßburger Münsters, um 1230).



Verkleidung und Identität:  

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den ersten Blick scheint der Text dieses Detail als unproblematisch auszublen­ den, auf den zweiten finden sich jedoch zwei Hinweise, die die religiöse Identität Salmans und Morolfs nicht klären, sondern in Frage stellen. Als Morolf seine zweite Flucht aus Fores Burg plant, bietet er seinen Wäch­ tern an, ihnen zu erzählen was ich in der judischeit / und inn der heidenschafft erlitten haben (sa 309). Natürlich muss er hier nicht auf im Text selbst erzählte Ereignisse Bezug nehmen, aber es bleibt die Frage, wo die als Raum gedachte judischeit in Parallele zur heidenschafft überhaupt vorzustellen ist.120 In der vagen Erzählzeit der Kreuzzüge vermutlich nirgendwo, zur ebenfalls aufgerufe­ nen Zeit des Alten Testamentes gerade in dem politischen und geographischen Raum, der im aktuellen Erzählzusammenhang christlich besetzt ist: in und um Jerusalem. Der Bruch in der Raumzeitregie wird hier also wahrnehmbar gemacht und damit Morolfs und auch Salomons christliche Identität hinterfragbar. Dass diese religiöse Identität nicht zu vereindeutigen ist, sondern gerade in spielerischer Doppeldeutigkeit besteht, zeigt eine besonders grausame Episode. Bevor Morolf sich zum ersten Mal auf die Suche nach Salme macht, sucht er in Jerusalem den alten Juden Berman auf. Auf Morolfs Bitte um einen Ratschlag führt dieser den Bruder des Königs in sein Hinterzimmer, wo Morolf ihm zunächst ein langes Messer durch das Herz sticht und ihn dann vom Gürtel aufwärts die Haut abzieht (sa 159 ff.). Diese Haut präpariert er und gebraucht sie als Kostüm. Somit leiht sich der Sohn König Davids121 und Bruder König Salomos, der histo­ risch betrachtet Jude sein müsste und in der Erzählung zum Christ wird, für sein Vorhaben eine jüdische Scheinidentität, was das Spiel vom Sein und Schein des Glauben eindringlich vorführt. Doch Salman und Morolf sind nicht nur als Christen gezeichnet und benannt und über die intertextuellen Verweise auf die Geschichte des biblischen Salo­ mons auch mit dem Judentum assoziiert, sie werden darüber hinaus durch ver­ wandtschaftliche Beziehungen mit dem Bereich des Wunderbaren in Verbindung gebracht. So wie Ortnit einen Zwerg als Vater hat, sind auch der König von Jerusa­ lem und sein Bruder mit Fabelwesen verwandt. In ihrem Fall ist es eine merminne und ihr Sohn, der Zwerg Madelger, die Morolf bei der Rückgewinnung Salmes von König Princian tatkräftig zur Seite stehen.122 Diese im Text als ›wild‹ bezeichneten

120 Die räumliche Bedeutung von heidenschafft wird z. B. deutlich, wenn Salman den Körper des vermeintlich verstorbenen Morolfs nicht in der heidenschafft ligen lassen will (sa 354). 121 Morolfs Abstammung von David wird in ähnlicher Weise betont wie das Verwandtschafts­ verhältnis zwischen David und Salman, indem Morolf wie sein Vater singt (sa 252). 122 Sie furent uber den wilden se / viertzehen tage oder me. / si kament zu Kastel hinder einen holen berg, / des pflag ein Mereminne / und manig wilde getwerg. //[…] Das ich uch sage, das ist war, / da sprach die Mereminne ieso: / »horest du, sune Madelger, / lege an ein nebel kappe / und

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 Fälschungen und abgewiesene Alternativen

und in sarazenischem Territorium lebenden Wesen und ihre verwandtschaftliche Beziehung zu den Hauptfiguren ist einerseits geeignet, die Ambivalenz der Figur Morolfs zwischen listigem Helden und amoralischem Mörder zu unterstreichen,123 zum anderen wird aber auch eine eindeutige religiöse Identität des faugte uber alle christen diet weiter demontiert. Im Gegensatz zum ›Orendel‹, in dem die Über­ blendung der unterschiedlichen Zeitebenen eine Inszenierung des ›ewigen‹ inter­ religiösen Konfliktes erlaubt, führt sie im ›Salman‹ zu einer Problematisierung der religiösen Identität Salmans und Morolfs, die im Text mit deutlich parodistischen Tendenzen und tiefschwarzem Humor ausgestaltet wird.124 Doch trotz dieser Ambivalenz auf christlicher Seite, der eine starke Auf­ wertung der Sarazenen entspricht, hat der militärische Austrag ihrer Konflikte immer den Sieg der Christen zur Folge. Interessant ist die Art und Weise, wie von der Vorbereitung dieser Schlachten und von den Kämpfen selber berichtet wird. Alle vier großen Kämpfe zwischen Christen und Sarazenen (mit Fore vor Jerusalem, mit Fore in Wendelsee, mit Isolt auf der Rückreise, mit Princian und Pelin in Ackers) haben einen relativ langen Vorlauf: Die Heere werden gemus­ tert, Fahnen vorbereitet oder Truppen im Wald versteckt. Damit wird ein weiter Raum für den Austrag des Konfliktes eröffnet und Erwartungshaltungen für die folgenden Schlachten geweckt – auf der Suche nach literarischen Vorbildern ließe sich leicht an die langen Schlachtenbeschreibungen aus dem ›Rolands­ lied‹ oder dem ›Willehalm‹ denken. Was jetzt in Parallele zum ›Oswald‹ oder ›Orendel‹ folgen könnte, wäre ein durch Gott und seine Engel unterstützter Kampf gegen die Andersgläubigen. Diese Möglichkeit des Erzählens wird aber abgewiesen, die Erwartungshaltung enttäuscht oder nur zum Teil erfüllt. Denn dem umfangreichen Vorlauf folgen immer nur ganz wenige Strophen, die das

gang bald vor den berg. // Ich smacke tutsche isserin gewant. / Morolff ist komen in das heiden lant.« / Madelgere das wilde getwerg / das leite ane ein nebel kappe / und hup sich vor den holen berg. // Da sach er Morolff gan / under manigem werden dinst man / da er ine ferest ane sach, / abe zoch er die nebel kappe, / gerne mogent ir horen, wie er sprach: // »Morolff, lieber oheim min, / du solt mir got wilkum sin.« / er name ine bi der hende und furte in in den berg. / vil schone enphing ine die Mereminne / und manig wildes getwerg. // Da sie ine ferest ane sach, / nu horent, wie sie zu im sprach: / »bis got wilkum, Morolff, in diß lant. / dich hat der kunig Salmon / nach siner frauwen uß gesant.« // Da sprach der listige man: / »schone frauwe wol gethan, / nu rate, liebe mume min, / wie ich wider gewinne / die edele kunigin« (sa 728 ff.). 123 Diese Hauptfigur führt zu einer moralischen Unterminierung der christlichen Partei. Diese Linie soll hier allerdings nicht explizit weiter ausgefaltet werden, weil sie zum einen in der For­ schung bereits diskutiert wurde und mir die andere Seite dieses moralischen Gefälles, die Auf­ wertung der sarazenischen Figuren interessanter erscheint (s. u.). 124 Zum Humor des ›Salman‹ und seinen parodistischen Tendenzen s. Kohnen 2012, A. Schulz 2002, Neudeck 1998, Haug 1988b.



Verkleidung und Identität:  

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eigentliche Kampfgeschehen schildern  – die Christen siegen jedes Mal, doch jedes Mal ohne ernst zu nehmende Gegenwehr. Die militärische Auseinanderset­ zung zwischen Christen und Sarazenen ist zwar keine Leer­stelle, aber doch eine markierte ›Minimalstelle‹. In der Vorbereitung dieser Kämpfe kann jedoch, wie im ›Ortnit‹, das Göttliche zum Schauspiel werden. Als Salman von Fore und seinem Hofstaat zum Galgen geführt wird, sucht er nach einer Möglichkeit, sein Horn zu blasen und so seine Truppen zur Rettung herbeizurufen. Er erreicht sie, indem er Affer erklärt, er müsse den Engel Michael mit seinem Horn herbeiführen, um seine Seele in den Himmel zu geleiten.125 Obwohl Salme seine List durchschaut, erlaubt Fore ihm, das Signal zu geben. Während seine drei Hilfstruppen sich nähern, deutet Salman das Geschehen als Spirituelles aus. Die schwarze Schar seien die Teufel, die seine Seele in die Hölle führen wollen, die bleiche Schar die Verwandten Christi, die aus der Hölle frei gekommen seien und die weiße Schar die Engel, die sie in den Himmel bringen würden.126 Die bleiche Schar wird von Morolf angeführt, was ihrer Deutung als ›Verwandte Christi‹ eine konkrete Bedeutung für den Text gibt. Die Vorstellung, sie seien unsers herren mage / und sint komen uß der hellen dar bezieht sich auf das Motiv der ›Höllenfahrt Christi‹, das in der deutschen volks­ sprachigen Literatur im späten Mittelalter populär wird.127 Die hier getroffene Behauptung, es seien besonders Verwandte Christi geret­ tet worden, nimmt möglicherweise die Idee der ›Wurzel Jesse‹ auf, die die Ver­ wandtschaft Christi mit König David versinnbildlicht – in diesem Sinne wäre Morolf als Sohn Davids tatsächlich mit Christus verwandt. Im Mittelpunkt dieser

125 er sprach: »frauwe, durch die beste tugent din, / nu helffe mir, das ich geblase / dristunt min cleines hornelin. // Es sol min urkunde sin, / das Sant Michel entphae die sele min. / es vernimet die engelsche diet, / si nement der selen war / und lant sie verderben niht (sa 494 f.). 126 Er sprach: »jungfrauwe, siehest du eine swartze schar, / daz sint die tuffel und nement miner selen war. / siestu eine bleiche schar, / das sint unsers herren mage / und sint komen uß der hellen dar. // Sehest du ein wisse schar. / das sint alles engel und nement miner selen war, / wan ich bin ein sundig man. / den strit macht du gerne schauwen, / den sie umb die sele werdent han« (sa 507 f.). 127 Die Idee, Christus sei vor seiner Auferstehung in die Hölle hinabgestiegen, knüpft an meh­ rere Bibelstellen an (Ps 16,10; Apg 12,31; Mt 12,40, 1 Petr 3, 19; etc). Als Teil der liturgischen Credo-Formel erscheint der Descensus ad inferos zuerst in der vierten Formel des Sirmium, bei Tertullian ›De Anima‹ 7,3 und 55,2. Ausgearbeitet wird sie im apokryphen, im Mittelalter in meh­ rere Volkssprachen übersetzten, Nikodemius-Evangelium (s. dazu insgesamt Loerke 2003). Auch in geistlichen Spielen (Oster- und Passionsspiele) wird die Höllenfahrt Christi integriert. Sie ist zwar auch schon Bestandteil früher Passionsspiele (wie dem von Muri), im 15. Jahrhundert wird sie aber deutlich populärer und als Möglichkeit einer stärkeren Dramatisierung genutzt (Kroll 1932, 137 ff.). Zur literarischen Tradition des Descensus- bzw. Unterweltsbesuchs-Motivs s. Fren­ zel 2008, 700–714.

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 Fälschungen und abgewiesene Alternativen

Instrumentalisierung des Göttlichen für diesseitige Zwecke als Schauspiel steckt also, im Rahmen der textinternen Fiktion, ein Funken Wahrheit. Diese sinnvolle Beziehung zwischen Morolf, der bleichen Schar und Christus führt aber zugleich ihre Unmöglichkeit in einer natürlichen Chronologie der Ereignisse vor. Eine zweite Szene der Schlachtvorbereitung, in diesem Fall vor der ersten militärischen Begegnung von Christen und Sarazenen, zeigt Morolf im Span­ nungsfeld von Identität und Schauspiel, von Glauben und List. Obwohl die Sara­ zenen mehr Männer haben, äußert Morolf sein Vertrauen auf die Hilfe Christi. Er lässt eine Fahne aus roter Seide machen, in die er ein goldenes Bild wirken lässt, das seine Streiter als Christen ausweisen soll. Dann führt er die Fahne vor seinen Rittern selbst in die Schlacht (sa 71–73). Diese Szene ähnelt sehr der im ›Orendel‹, in der der Trierer Prinz ein goldenes Bildnis Christi anfertigen lässt und es auf seinem Schiff mit in das Heilige Land führt. Auch die ›Bezeichnung‹ als Chris­ ten lässt sich leicht mit der Kreuznahme in ›Oswald‹ und ›Orendel‹ in Beziehung setzen und das von Morolf gezeigte Gottvertrauen kann ihn in die Nähe der Pro­ tagonisten dieser Texte rücken. Doch vor dem Hintergrund des bislang für die Inszenierung der Christen und ihrer Kämpfe im ›Salman‹ Gesagten können auch Zweifel an dieser Dar­ stellung aufkommen. Dann fällt auf, dass die gesamte Handlung Morolfs auf Außenwirkung zielt – so wie er im zweiten Teil der Geschichte in die Rollen des Kranken, des Spielmanns, des Metzgers und des Krämers schlüpft, erscheint Morolf in dieser Szene durch seine Äußerungen und das äußere Zeichen der Fahne als religiöser und religiös motivierter Kämpfer. Ähnlich wie bei den späteren Verkleidungen wird er auch hier – sogar zweimal in drei Strophen – als listiger man (sa 71, 73) bezeichnet. Hier bleibt also offen, ob die Identität Morolfs als Streiter Christi ›echt‹ oder Teil seines Repertoires als Verkleidungs­ künstler ist. Doch nach der Konstruktion einer unsicheren religiösen Identität der Chris­ ten, ihrer moralischen Diskreditierung durch den brutalen Mörder Morolf, der Instrumentalisierung des jenseitigen Kampfes um die menschliche Seele für mili­ tärische Zwecke, der weitestgehenden Aussparung der Kämpfe zwischen Chris­ ten und Sarazenen und der möglichen Rollenhaftigkeit des christlichen Ritter­ tums wagt der Text eine letzte Pointe. Im Kampf gegen Pellian ergeht es Morolf wie Orendel: Er wird im Kampf von seinem sarazenischen Gegner niedergestreckt und kann sich aus eigener Kraft nicht retten. In diesem Moment spricht er ein kurzes Gebet. Und tatsächlich: Gott greift in das Geschehen ein und sante ime ein craffte, / das er an dem heiden wart siegehafft (sa 770). Zusammenfassend lässt sich daher für den ›Salman‹ beobachten: Die eigent­ lichen Kämpfe mit den Sarazenen interessieren in diesem Text nicht. Was interes­ sant ist, sind hingegen die verschiedenen literarischen Möglichkeiten die Chris­



Verkleidung und Identität:  

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ten, die Sarazenen und die Begegnungen zwischen ihnen zu inszenieren. Dazu nimmt der Text vielfältige Strategien der anderen Brautwerbungserzählungen auf, kombiniert sie und akzentuiert sie so neu. Dabei wird jede Form des Eindeu­ tigen zugunsten einer ambivalenten Dynamik zwischen Realität und Schauspiel, zwischen Schein und Sein dispensiert. Wurde im ›Ortnit‹ die Inszenierung der Brautwerber als Streiter Christi von einer Textstrategie zu einer Handlungsstrate­ gie der Protagonisten, werden im ›Salman‹ die Möglichkeiten einer solchen Insze­ nierung selbst zum Thema.

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 Fazit

Fazit Zu Beginn des Kapitels wurde festgestellt, dass alle sechs Brautwerbungs­ erzählungen die von ihnen erzählten interreligiösen Konflikte durch die Auf­ nahme religiöser Aspekte der Kriegsführung (wie Fahnen, Reliquien, Kreuze, Heilsversprechen) akzentuieren. Im Laufe des Kapitels hat sich nicht nur ergeben, dass die Intensität dieser Inszenierung stark variieren kann, sondern auch, dass diese unterschiedlich besetzt, variiert, abgewiesen oder ironisch gebrochen werden kann. Der ›Oswald‹ wählt mit seinem Protagonisten eine historische Figur. Durch die so aufgerufenen historiographischen und hagiographischen Kontexte kann der Kampf gegen die Sarazenen und deren Missionierung perspektiviert und so mit zusätzlicher Bedeutsamkeit aufgeladen werden. Die Figur des Heiligen ver­ bindet sich mit dem beständigen Eingriff Gottes in die Erzählwelt, die sich in Wundern äußert und so den Weg des Protagonisten legitimiert und auszeichnet. Die literarische Attraktivität des Werkes liegt auch darin begründet, dass der ›Oswald‹ in der vorausliegenden Tradition bereits vorhandene Aspekte (wie die kriegerische Seite Oswalds, seine Freigebigkeit, die Figur des Raben) nicht nur aufnimmt, sondern weiter treibt, zueinander in Beziehung setzt und konfligieren lässt und so ihr Komik evozierendes Potenzial entfalten kann. Der ›Orendel‹ arbeitet mit ähnlichen Strategien, da auch in diesem Werk die himmlische Unterstützung des Protagonisten ein wichtiger Aspekt seiner Legiti­ mierung und Inszenierung als Kämpfer für den christlichen Glauben ist. Anders als der ›Oswald‹ stellt dieses Werk jedoch mehrere kontextuelle Bezüge her. Durch die sich überlagernden Zeitebenen des Alten und des Neuen Testamentes, des lateinischen Königreiches in Jerusalem und der sich auch paratextuell in Über­ schrift und Anhang äußernden Eingebundenheit des Werkes in seine Überliefe­ rungszeit zu Beginn des 16. Jahrhunderts, wird zum einen der Kampf um Jerusa­ lem zwischen dem Volk Gottes und den Anderen als ein überzeitliches Phänomen reklamiert und zum anderen der Protagonist mit der Autorität seiner göttlichen Erwählung durch den Grauen Rock, seiner Nachfolge König Davids und seiner Identität als Herrscher über ein christliches Königreich Jerusalem ausgestattet. Durch dieses Zeitarrangement kann eine furiose Translationsgeschichte des Hei­ ligen Rockes erzählt werden, die in der Aufdeckung ihres fiktionalen Status und ihrer symbolischen Logik dem Kult um den Heiligen Rock sowohl dient als sich ihm auch entzieht. Im ›Salman‹ werden ebenfalls Strategien zur Inszenierung der Christen verfolgt, diese führen jedoch nicht zur Stiftung und Sicherung einer religiösen Identität, vielmehr zur Brüchigkeit derselben. In diesem Werk wird, ähnlich



Fazit 

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wie im ›Ortnit‹, die göttliche Hilfe, die Oswald und Orendel in ihrer Fülle zuteil wird, in die Regie der Figuren gelegt. Dadurch wird sie zu einem zielgerichteten Schauspiel, wobei das magisch Wunderbare das göttlich Wunderbare substitu­ ieren kann. Im diesen Sinne lässt sich Morolfs Handeln als ›Kreuzritter‹ auch als eine der vielen Rollen interpretieren, die er im Laufe der Handlung annimmt. Wenn Gott dann aber doch in die Handlung eingreift und das Leben des Helden rettet, gerät eine vereindeutigende Interpretation dieses Werkes endgültig an ihre Grenzen. Was sich in der Summe dieser Unterschiede für alle Texte beobachten lässt, ist ein Interesse an dem in Szene setzen des göttlichen Willens und der göttlichen Präsenz, der religiösen Aufladung der Handlung und der christlichen Protago­ nisten. Sogar dort, wo wie in der ›Kudrun‹ eben diese Aufladung abgelehnt wird, wird sie nicht einfach nicht thematisiert, sondern aufgerufen, um dann als Alter­ native abgewiesen zu werden. Alle Brautwerbungs­erzählungen arbeiten sich an der Inszenierung religiöser Sinndimensionen ab.

Religiöse Differenz als Herausforderung



Einleitung 

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Einleitung Jede Brautwerbungserzählung handelt vom Streit um eine Frau und damit von einem Interessenkonflikt.1 Doch die Konfliktparteien stehen sich darüber hinaus auch auf einer grundlegenderen Ebene gegenüber. Nachdem im letzten Kapitel die religiöse Gestaltung der Christen und ihrer Kämpfe im Fokus der Untersu­ chung stand, soll das folgende Kapitel die Darstellung der Sarazenen und der Effekte der Konflikte auf sie beleuchten. Diese Effekte erweisen sich dabei nicht selten als die andere Seite der Medaille christlicher Ziele, können sich zuweilen aber auch erst aus dem Handlungsverlauf ergeben. Dabei soll zunächst das in den jeweiligen Texten entworfene Bild der Saraze­ nen nachgezeichnet werden, bevor die Ebenen und Effekte der Konflikte in den Blick genommen werden. Zunächst sollen die in der ›Kudrun‹ und im ›Rother‹ gestalteten Szenarien der Integration und Ausgrenzung auf politischer Ebene im Mittelpunkt stehen. Von dadurch gewonnenen Erkenntnissen ausgehend, werden dann die Konflikte in ›Orendel‹, ›Ortnit‹ und ›Oswald‹ in ihrer Vernetztheit mit Diskursen zum Umgang mit Andersgläubigen im Mittelalter untersucht werden.

1 Maringer und Steinweg (1997, 5) definieren wie folgt: »Interessenkonflikte können als Kon­ flikte um materielle Ressourcen und darüber vermittelt Macht und Einfluß verstanden werden«. In Bezug auf die zu erringende bzw. zu verteidigende Frau greift der Terminus ›materielle Res­ sourcen‹ zwar nur bedingt, entscheidend ist für diese Art Konflikt jedoch, dass um reelle Objek­ te, auch im weiteren Sinne, gestritten wird.

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 Das Bild der Sarazenen

Das Bild der Sarazenen Die Darstellung der Muslime im Mittelalter ist in der aktuellen Forschung von interdisziplinärem Interesse und wurde auch bereits in den Brautwerbungserzäh­ lungen untersucht.2 Diese Beiträge sind besonders an der textinternen Bewer­ tung der Andersgläubigen interessiert, also direkt oder indirekt an der sich in den Brautwerbungserzählungen äußernden ›Toleranz‹. In den folgenden Ausführun­ gen möchte ich einen Schritt zurückgehen und zunächst die literarischen Gestal­ tungen der Sarazenen, ihrer Kultur und Religion in den Blick nehmen.

Handlungsraum Orient Alle Werke verorten das Herrschaftsgebiet der Sarazenen im Orient. Das scheint normal zu sein – wenn man aber bedenkt, dass in den Chansons de geste und ihren deutschen Bearbeitungen nicht nur die spanischen Muslime, sondern auch alle anderen Antagonisten (Normannen, Sachsen, Ungarn) unterschiedslos als Sara­ zenen bezeichnet werden, zeichnet sich hier doch eine bestimmende Linie für die untersuchte Textgruppe ab. Der orientalische Raum wird dann auch in den Braut­ werbungserzählungen sehr unterschiedlich durch Referenzen auf außerliterari­ sche topographische oder symbolische Größen oder den Verzicht darauf akzen­ tuiert. Zwei der Texte (›Orendel‹, ›Salman‹) strukturieren ihren Erzählraum um ein christliches Jerusalem herum, in zwei Texten ist Jerusalem in sarazenischer Hand, spielt aber in der Handlung keine Rolle (›Rother‹, ›Ortnit‹), zwei weisen den Sarazenen die babylonische Wüste als Lebensraum zu (›Orendel‹, ›Rother‹) und zwei Werke (›Oswald‹, ›Kudrun‹) verorten das Reich der Sarazenen nur sehr ungenau und ohne an einer realistischen Geographie angelehnte Referenzen. Mit der babylonischen Wüste wird ein semantisch hoch besetzer Raum auf­ gerufen. Im ›Rother‹ kommt König Ymelot aus diesem Gebiet, in dem er über 72 Könige herrscht,3 im ›Orendel‹ erscheint diese Wüste ebenfalls als Heimat 72 sara­

2 S. Stein 1933; Köppe-Benath 1967; Kaplowitt 1962, 1976. 3 An einer Stelle im ›Rother‹ werden die Sarazenen als Valewin (ro 4097) bezeichnet und damit geographisch näher an den byzantinischen Handlungsraum angebunden. Valewen ist der mhd. Begriff für das Volk der Kyptschaken oder Kumanen, die im 11. Jahrhundert ein Gebiet von der Donau bis nach Kleinasien besetzten. Ursprünglich waren sie schamanistischen Glaubens und verehrten den Himmelsgott Tängri, wurden jedoch früh vom Manichäismus und dem nestoriani­ schen Christentum beeinflusst. Im 11. Jahrhundert gewinnt der Islam zunehmend Bedeutung bei den Kumanen und erst im 13. Jahrhundert werden sie Ziel christlicher Missionierungsversuche,



Handlungsraum Orient 

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zenischer Könige.4 Die darüber hinaus erwähnten Wüsten­ge­biete und Burgen scheinen ebenfalls in diesen Raum oder zumindest in seine unmittelbare Nähe verortbar.5 Damit rekurrieren beide Texte nicht nur auf eine bestehende politischgeographische Ordnung,6 sondern auf eine biblische Topographie. Das babylo­ nische Reich ist schon vor Christi Geburt untergegan­gen und die Stadt Babylon lange zerstört. Die Präsenz dieser Großmacht in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters7 ist jedoch durch ihre bedeutende Rolle in der biblischen Geschichte begründet. Die Gescheh­nisse des Alten Testamentes, der Turmbau zu Babel und die Deportation der jüdischen politischen Führungsschicht nach der Eroberung Israels durch die Assyrer (Babylonisches Exil), werden im Neuen Testament auf­ gegriffen. Hier erscheint die Stadt, besonders prominent in der Offenbarung des Johannes (v.a. Offb. 17–18), als ›Große Hure Babylon‹ – eine Personifikation des Widerchristlichen, der Jerusalem als Heilige Stadt gegenübersteht.

bis sie im 14. Jahrhundert vollständig christianisiert im Gebiet des heutigen Ungarn sesshaft werden (Göckenjan 1991, 468 f.). 4 Neben den Beizeichnungen ›Heide‹ und ›Sarazene‹ verwendet der Text auch ›Suriant‹ (od 83) und ›Surgute‹ (od 57), was eventuell auf die babylonische Kultur der Assyrer verweisen könnte. Daneben bezieht sich der Begriff suriani in lateinischen und griechischen Quellen des Mittelal­ ters zum einen auf das geographische Gebiet des heutigen Syriens und »zumindest in Palästina in der Regel ebenfalls auf Orthodoxe«, also auf Christen, »deren Umgangssprache Arbabisch war und die ihre Liturgie auf Griechisch oder Syrisch feierten« (Pahlitzsch 2001, 15 f.). Da die Saraze­ nen im ›Orendel‹ aber eindeutig als Nicht-Christen gezeichnet werden, scheint die Bezeichnung aber nicht auf einen innerchristlichen Konflitk zu zielen. 5 Die beiden Riesen, die Jerusalem mit ihren Heeren belagern, kommen aus umliegenden Wüsten: Liebmann kommt aus der Wüste Beschan, Pellian aus der Wüste Derschan. Nachdem Orendel mit seinen Begleitern die nicht näher verorteten Burgen Westvale und Montelie erobert hat, unterwirft er die 72 Könige der babylonischen Wüste. Zwei davon halten sich jedoch nicht an ihre Eide und wollen Orendel stattdessen zu ihrem Dienstmann haben. Dafür können sie ihm das gesamte Gebiet von Akkon bis zum Jordan anbieten. Der letzte und gefährlichste Gegner, König Minolt, residiert in einem ›grünen Flecken‹ innerhalb der babylonischen Wüste in seiner Burg Muntwol und bietet Bride an, ihr alle 72 Könige dieser Wüste Untertan zu machen, wenn sie ihn heiraten wolle. Die einzige sarazenische Gruppe, die außerhalb des groben geographischen Raumes zwischen den heutigen Staaten Israel und Irak genannt wird, ist ein die Stadt Trier be­ lagerndes Heer. 6 Auch Bagdad, Kairo und Ägypten konnten im Mittelalter mit der Bezeichnung ›Babylon‹ gemeint sein. Diese Verwendung belegen z. B. die von Malcom Barber und Keith Bate heraus­ gegebenen Briefe von Kreuzfahrern, Pilgern und Siedlern aus dem nahen Osten im 12. und 13. Jahrhundert (Barber; Bate 2010, 43 u. a.). Dementsprechend wird auch Saladin häufig als rex Babiloniae oder imperator babiloniae angesprochen (s. J. Hartmann 1933, 52, 55). 7 Zur Rolle Babylons als sarazenischer Herrschersitz in den Chansons de geste und der histo­ riographischen Tradition s. Hensler 2006, 71 Anm. 49.

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 Das Bild der Sarazenen

Dieses Bild bleibt auch im Mittelalter prominent, nicht zuletzt durch Augus­ tinus’ Darstellung in seinem Werk ›De civitate dei‹, in dem Babylon als Bild für die civitas diaboli bzw. terrena civitas, Jerusalem für die civitas dei genutzt wird. Schon in der Offenbarung wird die ›Hure Babylon‹ auf das Römische Reich hin durchsichtig (Biguzzi 2006, 386) und auch daran knüpft Augustinus an, wenn eine direkte Ablösung des Babylonischen durch das Römische Reich postuliert und beide Städte zu Verkörperungen der terrena civitas erklärt (Horn 1997, 174).8 Wenn den Sarazenen im ›Rother‹ und ›Orendel‹ ein Lebensraum im heutigen Irak, also im Zweistromland, zugewiesen wird, rufen die Texte nicht nur ein zeit­ genössisches muslimisches Gebiet auf, sondern aus christlicher Sicht auch einen Bereich der Andersgläubigen, der Gegner des Christentums schlechthin. Im ›Orendel‹ wird der babylonischen Wüste ein christliches Jerusalem gegen­ übergestellt – hier wird also die augustinische Polarität übernommen. Auch im ›Salman‹ herrscht der christliche König über Jerusalem, seine sarazenischen Gegner in Wendelsee und Ackers. Im Gegensatz zum ›Orendel‹, der zwar keine genaue, aber doch eine insgesamt an realen Bezugsgrößen orientierte Topogra­ phie entwirft, ordnet der ›Salman‹ den geographischen Aufbau der Welt deutli­ cher den Bedürfnissen der Handlung unter. So sind dem Herren von Wendelsee sowohl Ackers als auch Indien, das z. B. im Gegensatz zur ›Kudrun‹ hier ebenfalls als sarazenisch vorgestellt wird, dienstpflichtig. Die sarazenischen Königreiche sind beide von Jerusalem aus nur über das Meer zu erreichen, was die Trennung zwischen dem christlichen und dem sarazenischen Raum betont und die Über­ windung dieser Grenze durch Morolf mit Fluchten, U-Boot-Reisen und großen Heerfahrten auf dem Schiff erzählbar macht. Die lockere Referenzialität dieser Raumanordnung zeigt sich im Kampf um Jerusalem in der problemlosen Einbe­ ziehung indischer Kampftruppen auf sarazenischer, und Kriegern aus Neapel und Marseille (sa 68) auf christlicher Seite.9 Das ebenfalls in den (sarazenischen) Handlungsraum integrierte Reich der Meerfrau und ihrer Zwerge (die mit den Christen verwandtschaftlich verbunden sind), betont den spielerischen Cha­ rakter der entworfenen Topographie ebenso wie die punktuellen Verweise auf Harfen als tutsch (sa 120) bzw. Salme als tutsche frau (sa 632). In sarazenischer Hand befindet sich Jerusalem im ›Rother‹ und im ›Ortnit‹, spielt aber in keinem der Texte eine Rolle als Handlungsraum. Dass diese Mög­ lichkeit für den ›Ortnit‹ aus bestimmten Gründen abgewiesen wird, soll später

8 Die Verbindung dieser beiden polytheistischen Staaten im biblischen und mittelalterlichen Denken könnte eine Basis für die Verbindung von orientalischem und römischem Polytheismus in der Darstellung der Sarazenen sein, die häufig Apollo und Machemet als Götter verehren. 9 Auch die Könige von Marroch und Schrap bzw. Sarant kommen König Salomon zu Hilfe und kämpfen auf christlicher Seite.



Machemet und Apollo 

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in diesem Kapitel gezeigt werden. Hier bestimmen die Hafenstadt Sunders und die Bergfestung Montabur die orientalische Geographie.10 Noch unbestimmter erscheint der Handlungsraum jenseits des Meeres im ›Oswald‹, in dem das bereiste Land pragmatisch nach seinem König ›Aron‹ heißt.11 In dieser Hinsicht geht nur noch die ›Kudrun‹ weiter, die Siegfrieds arabisch konnotiertes Königreich Mohr­ land mit der Hauptstadt Alzabê lose an das Meer anbindet, an dem auch Irland, Dänemark und die Normandie liegen.12 Das Gestaltungsspekt­rum des sarazeni­ schen Raumes reicht also von der Verwendung hochbesetzter geographischer Angaben (Jerusalem und Babylon im ›Orendel‹, Babylon im ›Rother‹) über punk­ tuelle Anknüpfungen (›Ortnit‹), einen spielerischen Umgang mit bekannten Orten (›Salman‹) bis hin zu einer funktionalen Unbestimmtheit (›Oswald‹, ›Kudrun‹).

Machemet und Apollo Sehr viel deutlicher differieren noch die Vorstellungen zur sarazenischen Religion, die eine Spannbreite von der Verehrung von 72 Götzen bis hin zum monotheisti­ schen Glauben an einen namenlosen Gott zeigen. Damit sind die Brautwerbungs­ erzählungen zumindest in der mittelhochdeutschen Literatur eine Ausnahme. In den meisten mittelhochdeutschen Texten, wie auch in den historiographischen Werken der ersten Kreuzzüge und den französischen Chansons de geste, sowie ihren deutschen Adaptationen, werden die Sarazenen als Polytheisten und Göt­ zendiener beschrieben. Es ist in der Forschung mehrfach gesehen worden, dass diese Darstellung der Sarazenen nicht (nur) auf Unwissenheit beruht, sondern auch bestimmte Ziele verfolgt. So führt beispielsweise John Tolan aus: Christians of northern Europe and of Byzantium could imagine their Saracen ene­mies as idolaters who practiced the discredited and colourful rites of the an­cient pagans, devoting sacrifices and prayers to a pantheon of idols that in­cluded Jupiter, Apollo, Priapus, and their special god Muhammad. This image of Saracen idolatry provided a useful caricature with which the Christian author could justify and glorify the killing of Muslims and the conquest

10 Doch sind die Sarazenen im ›Ortnit‹ nicht auf diesen Raum beschränkt. Ein enger Verbünde­ ter Ortnits, Zacharias, ist Sarazene und herrscht über Messina, von wo aus er Ortnit mit Schiffen und sonstiger Unterstützung zur Seite steht. 11 Es wäre zu überlegen, ob diese Bezeichnung ein Derivat von ›Akkon‹ sein könnte. Dafür las­ sen sich jedoch in keiner der Fassungen des ›Oswald‹ Hinweise finden. Auch eine Anspielung auf den alttestamentlichen Bruder Mose mit Namen Aron führt nicht weiter. Dieser wird jedoch im Islam (Harun) als Prophet verehrt. Bei dem weitestgehenden Desinteresse am Islam im ›Oswald‹ ist jedoch fraglich, ob hier ein solch tiefgehendes Wissen eingespielt wird. 12 Zur Konzeption des Maritimen in der ›Kudrun‹ s. Kohnen 2011.

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 Das Bild der Sarazenen

of Muslim territo­ries. By creating a largely imaginary enemy outside the bounds of Chris­tian Europe, the Chansons de Geste could revel in the knightly violence that was in reality more often directed at internal Christian enemies (Tolan 2002, 276).

Wenn also diese sehr wirklichkeitsferne Imagination der Muslime der Verherrli­ chung des Krieges gegen sie dient, muss sich die Frage aufdrängen, welche Stra­ tegien mit einer realistischeren Darstellung verfolgt werden könnten und wie die mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen in diesem Spannungsfeld zu verorten sind. Vor einer solchen Betrachtung, die im Verlauf des gesamten Kapi­ tels punktuell aufgegriffen werden soll, müssen jedoch die jeweiligen Konzepte des sarazenischen Glaubens kurz umrissen werden. Der typischen Darstellung als Polytheisten und Götzendiener entsprechen nur zwei Texte der Gruppe. Im ›Orendel‹ verehren die Sarazenen 72 Götzenbil­der, die sie bei der Eroberung Jerusalems im Heiligen Grab aufstellen und zu deren Verehrung sie die Einwohner Jerusalems zwingen. Ähnlich wie im ›Orendel‹ sind auch im ›Ortnit‹ die Sarazenen als Götzendiener und Polytheis­ten gezeichnet, doch werden hier ihre Götter namentlich genannt: Sie glauben an Apollo und Machemet. Interessanterweise referiert die Königstochter auf diese beiden mehr­ fach im grammatischen Singular als min got (or 406). Als Elberich um die Hand der Prinzessin wirbt, eröffnet sich ein kleiner Einblick in das religiöse Leben der Sarazenen (or 403 ff.). Mutter und Tochter beten während der Schlacht zusammen im bet hus (or 409) der Burg an einem Schrein und klagen Apollo und Mache­ met ihr Leid. Sowohl in diesem Bethaus als auch auf der Burgmauer befinden sich Götterstatuen, die Elberich für seine Zwecke zerstört oder ›sprechen lässt‹. Sowohl die Prinzessin als auch ihr Vater beharren Elberich gegenüber auf ihrem Glauben und vertrauen auf ihre Götter (z. B. or 285), die sie mehrfach anrufen (z. B. or 295). Im ›Ortnit‹ wird der Glaube der Sarazenen auch nicht nur in Abgren­ zung zum Christentum benannt, sondern als eigener orden bezeichnet (or 456). In der ›Kudrun‹ wird der Glaube der Sarazenen inhaltlich nicht thematisiert, ihre Differenz zum Christentum nur minimal wahrnehmbar gemacht. Diesem ganz besonderen Umgang mit dem religiös Anderen wird später in diesem Kapitel noch intensiv nachgegangen werden. Auch im ›Rother‹ wird der Glauben der Sarazenen nur angerissen, wenn der Leser erfährt, dass König Ymelot über die uncristin lant (ro 2569) herrscht und jetzt selber Gott sein will (her wolde selve wesen got, ro 2576). Ob es sich dabei aber nur um einen Machtanspruch handelt oder tatsächlich religiöse Inhalte beschrieben werden, bleibt unklar. Diese Unbe­ stimmtheit erklärt sich in beiden Texten zum einen aus der reduzierten Rolle der Sarazenen: In der ›Kudrun‹ ist nur einer der drei Werber um Kudrun Sarazene und spielt keine zentrale Rolle; im ›Rother‹ entwickelt sich das Hauptgeschehen zwischen Ost- und Westrom und die Sarazenen erscheinen nur in kleinen Teilen



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der Handlung. Zum anderen legen diese beiden Texte aber auch einen sehr viel stärkeren Fokus auf Politik als auf Religion, was eines der Hauptthemen des vor­ liegen Kapitels sein wird. ›Oswald‹ und ›Salman‹ zeigen die Sarazenen weder als Götzendiener noch als Polytheisten. Oswalds Gegenspie­ler König Aron glaubt an Machemet, bei dem er Frieden schwört (os 922 ff.) oder seinen Männern befiehlt (os 978 ff.). Im Reli­ gionsgespräch mit Oswald nach der großen Schlacht beharrt er auf dem Glauben an seinen Gott, den er als den alten im Gegensatz zum junge[n] tor (os 3005 ff.) Christus bezeichnet, und an dessen Schöpfung. Nur im ›Salman‹ hat der Gott der Sarazenen genau wie der der Christen keinen Namen, wodurch diese Darstellung dem realen Islam am nächsten kommt. Dies liegt auch darin begründet, dass die Religion der Sarazenen dem Christentum nicht entgegengesetzt geschildert, sondern als sehr ähnliches Phänomen dargestellt wird. Auch für die Sarazenen wird zur Messe geläutet, es gibt lange Predigten, Pfarrer und Kapläne. Als Morolf Fore des Nachts verspottet, kann er darin die Stimme seines Gottes erkennen, der ihn für seine Sünden straft. Der Sarazene Isolt vertraut im Kampf gegen Salmans Heer auf seinen got der gnaden (sa 569), der ihm den Sieg gegen den König von Jerusalem gewähren soll. Morolf kann den sarazenischen Torwächter durch den got, den du gleubest an (sa 638) um eine Audienz bei Princian bitten, und dieser kann ihn später mit den Worten nu kere nach dime got befolhen (sa 662, s. auch 695) entlassen. Mit Blick auf die Glaubensinhalte sind in diesem Text keine Unter­ schiede zwischen beiden Religionen festzumachen.

Hoevesch unde vreisam Auch in Hinblick auf die gesellschaftliche Verortung der Sarazenen differieren die Texte untereinander und zum Teil auch in sich. So können z. B. im ›Orendel‹ die positiven, höfischen Figuren Mercian und Schudan auftreten, aber mit Prin­ cian auch der einzige Sarazene aller Brautwerbungserzählungen, der wirklich als grausam und bösartig geschildert wird. Diese Vielseitigkeit ist nicht nur für die Brautwerbungser­zählungen bestimmend, sondern durchaus eine Konstante des (literarischen) mittelalterlichen Sarazenenbildes – diese können in jede Rolle schlüpfen, können schön und hässlich,13 gut und böse, weise und töricht sein, wie Lynn Tarte Ramey ausführt:

13 Dies trifft in besonderem Maße auf die Sarazeninnen zu. Strategien ihrer Integration als posi­ tive und Ausgrenzung als bedrohliche Figuren hat Jacqueline de Weever (1998) aufgezeigt.

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The Saracen was remarkable, above all, for his or her ability to transform into what­ever literary device the Christian author most needed. If a hideous rene­gade was called for, a Saracen fit the role. Likewise, if a model of courtliness and chivalry was on the menu, the Saracen filled the part superbly (Ramey 2001, 44).

In bedrohlichen Rollen begegnen unzivilisierte, wilde Sarazenen, wobei sich diese Eigenschaften verstärkt bei den sarazenischen Brautvätern bzw. direkten Gegenspieler der Helden finden. Ymelot im ›Rother‹ ist ein heidin vreisam (ro 2570), der einen Angriffskrieg gegen das christliche Konstantinopel führt, dessen Basileus gefangen nimmt und zu einem Ehebündnis zwingt. Als Ymelot und seine Männer Rother bei der Hochzeitsfeier entdecken, schließen sie jede fried­ liche Lösung mit dem römischen König sofort aus und wollen ihn töten. Auch die beiden sarazenischen Brautväter der Textgruppe, Nachaol im ›Ortnit‹ und Aron im ›Oswald‹,14 tragen bedrohliche Züge: Sie lassen jeden töten, der um die Hand ihrer Töchter anhält, weil sie sie selber heiraten wollen. Nachaol lässt die Köpfe der Werber anschließend auf den Zinnen seiner Burgmauer ausstellen. Als Nachaols Frau eine Kapitulation vorschlägt, schlägt er sie (382), und als er mit 20.000 Mann gegen den isolierten Ortnit antritt, nimmt er dessen Kapitulation nicht an (or 473 f.). Am Ende des ›Ortnit‹ bringt er mit seinen Drachen großes Leid über die Christenheit, um sich an seinem Schwiegersohn zu rächen (or 569). Im ›Oswald‹ befürchtet Warmunt, dass Aron seine Tochter töten würde, wüsste er von ihrem heimlichen Christenglauben (os 250). Er bricht das dem Raben bei Machemet gegebene Friedensverspre­chen, als er von seiner Botschaft erfährt und will ihn töten lassen (os 981 f.). Auch Oswald gegenüber handelt er ähnlich: Als Oswald nach der Schlacht die gefallenen Sarazenen wiedererweckt, um Aron von der Macht des Christengot­tes zu überzeugen, hält dieser sich nicht an sein Ver­ sprechen, sich taufen zu lassen, sondern will mit seinen Kriegern erneut gegen Oswald kämpfen. Im ›Orendel‹ zeigt sich vor allem Minolts Ritter Princian als grausam. Als Bride Minolt nicht heiraten will, lässt Princian sie ausziehen, aus­ peitschen und nackt in einen Kerker sperren. Doch fast alle diese Figuren haben auch Anteil an einem höfischen Bild der Sarazenen, das in den Brautwerbungserzählungen eindeutig das dominante ist. Ein Teil dieses Bildes liegt im sagenhaften Reichtum der Sarazenen begründet, der sich oft in luxuriöser Ausstattung zeigt. König Nachaol schickt am Ende des ›Ortnit‹ nicht nur zwei Drachen in das Land seines Widersachers, sondern ebenfalls kostbare Geschenke, das Zimmer von Fores Schwester Affer ist kostbar

14 Auch Crispian im ›Salman‹ ist ein sarazenischer Brautvater, dessen Tochter von einem Christen entführt wird. Da diese Geschichte der erzählten Handlung jedoch vorgelagert ist, spielt er im Werk nur eine untergeordnete Rolle.



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ausgestattet (sa 463), und sie kann nach der Schlacht große Reichtümer an Morolfs Männer verschenken (sa 548 ff.). Oswalds Gegenspieler Aron zeichnet sich durch seinen Reichtum aus, wenn er die christlichen Goldschmiede groß­ zügig versorgt (os 2288 ff.), und seiner Frau gegenüber äußert, er könne sich von ihnen noch jede Menge goldene Hirsche herstellen lassen, denn er sei reich genug (os 2675). Im ›Orendel‹ besitzen Mercian und Schudan ein kostbares Schachspiel (od  40), und Mercian kann Orendel mit kostbarer Rüstung und ebensolchen Waffen ausstatten (od 42). Exorbitanten Reichtum zeigt der Riese Metwin, der auf einem mit einer Decke aus Silber geschmückten Elefanten reitet, dessen Schild mit Edelsteinen und Perlen geschmückt ist. Er selbst trägt ein kayserlich geschmeyde und einen kostbaren 19eckigen Helm, in den eine magisch-mechanische Kons­ truktion eingearbeitet ist, mit der er auf einer Linde sitzende Vögel singen und fliegen lassen kann (od 51 ff.). Häufig sind die Grenzen zwischen Reichtum und Magie fließend. So ist Fores Neffe Elias ein Meister der Zauberkunst und lässt einen magischen Stein in den Ring ein, mit dem Fore Salme für sich gewinnt (sa 93), auch König Princian bedient sich dazu eines magischen Ringes (sa 601 ff.). Oswalds Gegner Aron hat ein magisches Horn, mit dem er Truppen aus der weiten Umgebung zum Kampf rufen kann (os 2699). In vielen Fällen sind die Sarazenen als besonders großzügig gestaltet. König Aron bewirtet Oswalds Raben zuvorkommend und freigebig, solange er noch nichts von dessen Werbungsabsichten weiß, und den christlichen Goldschmie­ den gegenüber ist er großzügig und freundlich. Sein höfischer Lebensstil zeigt sich in der großen Jagd auf den goldenen Hirschen, die standesgemäß reitend mit Jagdhörnern, Hunden, Bögen und Spießen durchgeführt wird. Orendel begeg­ net mit Mercian ein höfischer Heide, der mit seinem Bruder in einer Laube beim Schachspiel sitzt und dem nicht als Adligen zu erkennenden Orendel großzügig Pferd und Ausrüstung für ein Turnier leiht. Besonders die sarazenischen Prin­ zessinnen zeichnen sich durch überragende und sehr europäisch ausgestaltete Schönheit aus: Sowohl Salme im ›Salman‹ als auch Ortnits Braut Siderat haben leuchtend blonde Haare und strahlend weiße Haut (or 398 ff., sa 5 f., 635). Siegfried von Mohrland (›Kudrun‹) ist ein edler Ritter, der mit Ehren an Hetels Hof lebt und turniert, sodass der Erzähler von ihm sagen kann: Es kund ein Ritter edele nymmer gefarn bas (ku 583). Er und die Sarazenen, die ihn beglei­ ten, werden unter anderem über ihre Musik definiert. Zum einen singt der Christ Horant für Kudrun ein Lied aus Amile, das noch nie ein Christ zuvor gelernt hat (ku 397), zum anderen singen die Sarazenen selbst eine Weise aus ihrem Land beim Empfang durch Königin Hilde am Ende des Werkes (ku 1588). Die beiden sarazenischen Könige im ›Salman‹, König Fore und König Princian, vereinen schließlich höfische Tugenden und höchste herrscherliche Qualitäten auf sich.

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Fore schickt einen Boten von gepflegtem Äußeren und hervorragenden Umgangs­ formen an Salmans Hof (sa 54 ff.) und wird selbst in seinem charakterlichen Adel (sa 422), seine Großzügigkeit gegenüber dem gefangenen Salman, der selbst über sich richten darf (sa 425 ff.), und seine höfischen Umgangsformen akzentuiert. So weist er auch seine Schwester Affer an, König Salman zuvorkommend zu behan­ deln, denn er sei ein furste lobelich (sa 462). An seinem Hof herrschen fröhliches Treiben (sa 187) und gesittete Frömmigkeit (sa 199 ff.). Im Falle Princians wird sein höfisches Benehmen mit ausgesprochener milte in materieller Hinsicht gestaltet: Er ist dem als Schwerkranken verkleideten Morolf gegenüber ausgesprochen großzügig und höflich, versucht seine Schmerzen zu lindern und verspricht ihm, ihn mit Speisen, Kleidern und finanziellen Mitteln reich zu beschenken und ihn auch an seinem Hof wohnen zu lassen (sa 639 ff.). Damit knüpft das Bild der sarazenischen Könige im ›Salman‹ mehr noch als die Gestaltung der anderen Texte an eine Tradition der Darstellung des ›edlen Heiden‹ an, die sich in Historiographie und erzählender Literatur in besonde­ rem Maße an der Figur Saladins kristallisiert.15 Das negativen Bild, das die frühen abendländischen Quellen von diesem »wilden Saladin, jenem übelsten Räuber und Zerstörer des Landes«16 zeichnen, beginnt sich schon bald deutlich aufzu­ hellen. Besonders durch die Schonung der christlichen Bevölkerung Jerusalems nach der Erborung der Stadt durch Saladin 1187 mehren sich positive Urteile über den Sultan von Ägypten und Syrien.17 Von diesem und ähnlichen Ereignisse aus­ gehend, verfestigt sich die Vorstellung von Saladins Großzügigkeit im Umgang mit Menschen, insbesondere christlichen Gefangenen, und materiellen Gütern. In der mittelhochdeutschen Lyrik wird der Bezug auf den milten König Saladin geradezu topisch.18 Hier lässt sich nicht nur eine Parallele zu Princians Freige­

15 Saladin (arab. Salah ad-Din Yusuf bin Ayyub) wurde 1137 oder 1138 geboren und starb am 4. März 1193. Im Laufe seines Lebens wurde er nicht nur zum Sultan von Ägypten und Syrien, sondern auch zum bedeutensten Gegner der Kreuzfahrer. Sein wichtigster militärischer Erfolg gegen diese war die Eroberung Jerusalems im Jahr 1187 aber auch danach lieferte er sich zahlrei­ che Gefechte mit den Teilnehmern des 3. Kreuzzuges, u. a. mit Richard Löwenherz. Einführend und mit einschlägigen Literaturverweisen s. Möhring 2005a. Zum Bild Saladins in der Historio­ graphie und Literatur des Mittelalters s. Jubb 2000 und J. Hartmann 1933. 16 ferox Saladinus / Latro ille pessimus, terre devastator (›Carmina Burana‹ 50, 14 f.). Zum nega­ tiven Saladinbild s. Jubb 2000, 5–18. 17 Zu diesem Wandel s. Jubb 2000, 19–32. 18 denke an den milten Salatîn / der jach, daz küniges hende dürkel solten sîn, / sô werden si erforht und ouch geminnet (Walther von der Vogelweide, Philippschelte V.7–9); Salatîn, der twanc mit sîner milten hânt ein wunder (Tannhäuser, Leich V,21); got miltern hêrren nie geschuof wan Wilhalm grâf von Hiuneburc […] nû saget, wer sô grôze milte in al der werlde noch getuo? / swaz man der gebenden vürsten vür gezelle, / des milten Salatînes hant gesaete nie so wîten schatz, /



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bigkeit ziehen, sondern auch zu Fores Aufforderung an Salman, über sich selbst zu richten (sa 425 ff.). Dieses Vorgehen, den Gefangenen zu fragen, wie er in einer umgekehrten Situation über seinen Gegenüber urteilen würde, lässt sich in ganz ähnlicher Weise auch für Saladin in einer Fassung der Eracles, der französischen Übersetzung und Fortsetzung der ›Historia‹ des Wilhelm von Tyrus, belegen.19 Neben höfischem Verhalten entwickelte sich auch religiöse Toleranz zum festen Bestandteil der Wahrnehmung Saladins im Westen.20 Diese verdichtet sich in der Verbindung der Figur Saladins mit der stoffgeschichtlich alten ›Ringpara­ bel‹, die nicht erst in Lessings ›Nathan der Weise‹ erfolgt, sondern spätestens im ›Decameron‹ Giovanni Boccacios (I,3) eingetreten ist. Auch hier lässt sich eine Verbindung zur Gestaltung König Princians im ›Salman‹ finden, der sich bei seiner zuvorkommenden Behandlung und Freigebigkeit gegenüber dem Verklei­ deten Morolf nicht nur bewusst ist, dass dieser einer anderen religiösen Gruppe angehört, sondern dessen Glauben an einen anderen Gott auch akzeptiert, denn er verabschiedet sich von ihm mit den Worten kere dime got enpholen (sa 695). Insgesamt begegnen die sarazenischen König Fore und Princian ihren christli­ chen Gegnern immer ausgesprochen höfisch und deren abweichende religiöse Orientierung steht dem niemals entgegen. Es ließen sich leicht noch weitere Anknüpfungspunkte an das Bild Saladins im abendländischen Mittelalter finden – schon über den Namen Fore, der wahr­ scheinlich eine Ableitung von Pharao ist, wird eine Verbindung zu Ägypten her­ gestellt, über das Saladin als Sultan herrschte. Und auch Fores erste wirkliche Handlung, der Angriff auf das christliche Jerusalem, erinnert besonders im höfi­ schen und verhandlungsbereiten Auftreten seines Boten an Saladins Eroberung von Jerusalem und das im Westen bewunderte, milde Verhalten gegenüber den Eroberten.21 Nur steht dem Erfolg der historischen Figur das Scheitern der lite­ rarischen gegenüber. Auch die Verhandlungen, die Saladin mit Richard Löwen­

noch nieman, der ie wart geborn (Bruder Wernher, Str. 56); künec Salatîn / gab du êre wîlent mange marc (Konrad von Würzburg, Lied 23, 31–2); ez sol ouch bî den milten sîn / der edel künig Salatîn; gesegen iu disen wîn / der milte künic Salatîn (Seifried Helbling VII, 363–4; XIII, 113–4). Zur Groß­ zügigkeit Saladins s. Jubb 2000, 33–42. Ein insgesamt sehr positives Saladin-Bild zeichnet ›Die Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs des Frommen von Thüringen‹ (insb. V. 7656 ff.). 19 Hier handelt es sich um ein Gespräch zwischen Saladin und seinem Gefangenen Renaud de Châtillon. Auf die Frage Saladins, wie er ihn bestrafen würde, wenn die Rollen vertauscht wären, antwortet Reynaud, dass er Saladins Kopf abschlagen würde. Daraufhin greift Saladin Reynaud zunächst selber mit dem Schwert an und lässt ihn anschließend köpfen (›La Continuation de Guillaume de Tyr‹, 55–6, 43. Den Hinweis verdanke ich Jubb 2000, 45). 20 Inwieweit sich diese Urteile auf Tatsachen stützen können, ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. S. dazu Jubb 2000, 44–52, Möhring 2005b, 165–172. 21 Jubb 2000, 19 ff.

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 Das Bild der Sarazenen

herz und Friedrich Barbarossa über interreligiöse Ehen zwischen ihren Familen geführt haben soll,22 macht ihn für den Plot der Brautwerbungserzählung anbin­ dungsfähig. Interessant wäre es auch, einen Bezug zwischen den Erzählverläufen des ›Salman‹ und den zahlrichen Reise- und Verkleidungsabenteuern herzustellen, die sich in der europäischen Literatur besonders des Spätmittelalters um Saladin ranken.23 Darüber hinaus gibt es mehrere Erzählungen über Liebesbeziehungen zwischen Saladin und christlichen, adligen Damen.24 Eine von diesen Erzählun­ gen findet sich in der französichen Prosaerzählung ›Saladin‹ aus dem 15. Jahr­ hundert.25 Hier wird berichtet, wie Saladin inkognito in den Westen und nach Frankreich reist, wo sich die französische Königin in ihn verliebt (XI). Sie gesteht ihm diese Liebe, aber Saladin weist sie, als weit über ihm stehende, verheira­ tete Dame, höflich zurück. Daraufhin bedroht sie ihn mit einer falschen öffent­ lichen Anklage und er willigt in die Beziehung ein, in deren Verlauf die Königin seine geheime Identität erfährt (XV–XVI). Als Saladin nach Syrien zurückkehrt, überredet die französische Königin ihren Mann zu einer Pilgerreise in das Heilige Land (XXVI). Dort erzählt sie ihm, ihr wäre in einem Traum eingegeben worden, sie müsse Saladin zum Christentum bekehren. Doch der König traut seiner Frau, völlig zu Recht, in dieser Sache nicht und lässt sie von seinem geschätzten Ritter André de Chauvigny begleiten (XXVIII). Als dieser erkennt, dass die Königin in Saladin verliebt ist und keine Absicht hat, wieder nach Frankreich und zu ihrem Ehemann zurückzukehren, reißt er sie körperlich aus der privaten Unterhaltung mit Saladin heraus, wirft sie auf sein Pferd und bringt sie zu ihrem Eheman zurück. Der König bricht mit seiner Frau und schickt sie zur Bestrafung zurück zu seinem Vater (XXIX). Das Werk berichtet nicht, wie genau diese Bestrafung aussieht – in anderen Fassungen ist von ihrer Verbrennung die Rede (Jubb 2000, S. 130). In dieser Geschichte finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Geschichte und die Erzählweise des ›Salman‹: Die ausgesprochen positive Dar­

22 Über die (historisch eher unwahrscheinliche) Werbung Saladins um die Tochter Friedrichs I. berichten die ›Annales Colonienses maximi‹ (S. 787). Zu den Verhandlungen zwischen Saladin und Richard Löwenherz über eine Ehe zwischen ihren Geschwistern Johanna von England und al-Adil s. Gillingham 1979, 196. 23 s. dazu Jubb 2000, 113–124. 24 s. dazu Jubb 2000, 125–132. 25 Der ›Saladin‹ ist der letzer Teil einer Trilogie, zu der auch noch ›Jehan d’Avesnes‹ und ›Fille du conte de Pontieu‹ gehören (Crist 1972, 9). Die Trilogie wurde zwischen 1465 und 1468 für Karl den Kühnen, den Schwiegervater Maximilians I., hergestellt (Jubb 2000, 184). Zur abweichen­ den Kurzfassung und den verwandten mittelniederländischen ›Saladin‹-Texten s. Claassens 1995 und Jubb 2000, 180–194.



Konflikt und Religion 

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stellung des sarazenischen Herrschers, die Liebe einer christlichen Königin zu ihm, seine Verkleidung, die Listen der Königin, um dem geliebten Mann zu folgen, der enge Vertraute des Königs, der mit ihrer ›sicheren‹ Rückkehr beauf­ tragt wird, die zahlreichen Reisen und die brutale Rückentführung der Ehefrau des Königs, ihre Verstoßung und Bestrafung – ob sich hier ein direkter intertex­ tueller Bezug herstellen ließe, muss jedoch unklar bleiben. Deutlich ist aber, dass die sarazenischen Könige im ›Salman‹ insgesamt nach dem Typ der positiv besetzten Figur Saladins gestaltet sind. Damit werden sie, auch wenn sie anders als Saladin gegen die Christen z. B. beim Kampf um Jerusalem unterliegen, als Gegenpartei mit eigenem Wert geschildert. Dabei könnte ein ähnlicher Mecha­ nismus greifen, wie er in einem bestimmten Zweig der Saladin-Literatur etabliert wurde. Hier wird der ›edle Heide‹, der sich durchaus zum Christentum hingezo­ gen fühlt, gezeigt, wie er die verworfenen Sitten des christlichen Klerus sieht, verabscheut und sich daher wieder von dieser Religion abwendet. Gerade in der Verbindung von Andersartigkeit und Vorbildlichkeit kann Saladin hier ein Ins­ trument zur (indirekten) Kirchenkritik werden. Bedenkt man die Strategien des ›Salman‹, die religiöse Identität der christlichen Partei in Zweifel zu ziehen und spielerisch auszuhebeln, könnte hier das Gegengewicht der in vielerlei Hinsicht ausgezeichneten sarazenischen Antagonisten weiter zur Verunsicherung der üblichen Zuweisungen von Gut und Böse, Recht und Unrecht beitragen. Durch die Anlehnung an die Figur Saladins erhielte diese Strategie dann zusätzliches Gewicht und intertextuelle Tiefe.

Konflikt und Religion Unter der Perspektive interreligiöser Konflikte muss sich die Frage stellen, ob die Sarazenen ebenfalls mit religiöser Motivation in die Schlacht ziehen. Doch dies trifft in keinem Fall zu. Eine Ausnahme stellt höchstens der ›Rother‹ dar, in dem Ymelot nicht nur die Gebiete der Christen erobern, sondern dort auch selbst Gott sein will. Doch auch diese Motivation richtet sich nicht explizit gegen die Christen, sondern ist mit der Art seines Herrschaftsanspruches – auch über die nichtchristlichen Länder – verbunden. So richtet sich die sarazenische Aggression bei dem Kampf am Ende des Textes gegen Rother und seine Männer nicht gegen die Christen als Christen, sondern vielmehr gegen Rother als Kon­ kurrenten um die Hand der byzantinischen Prinzessin sowie als Eindringling bei deren Hochzeitsfest mit Ymelots Sohn. In der ›Kudrun‹ ist Sieg­frieds militä­ rische Aktion gegen Herwig nicht religiös motiviert, sondern gegen den Konkur­ renten gerichtet.

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 Das Bild der Sarazenen

Nachaol und Aron, die jeden töten lassen, der um die Hand ihrer Töchter wirbt, handeln nicht aus religiösen, sondern sehr persönlichen Gründen – es wird zumindest nicht erwähnt, dass sie einen Unterschied zwischen christlichen und sarazenischen Werbern machen. In den Schlachten, die sie mit ihren künf­ tigen Schwiegersöhnen führen, wird von sarazenischer Seite aus keine religiöse Motivation erwähnt. Aron reagiert jedoch insofern negativ auf die Religion der Christen, als er seine Tochter, zumindest nach Warmunts Aussage, für ihren neuen Glauben töten würde und sehr erbost ist, als der Rabe in seiner Werbung Maria erwähnt (os 966 ff.). Sogar die vielfältigen Kämpfe um Jerusalem im ›Orendel‹, vor denen die Sarazenen androhen, das Heilige Grab zu zerstören und die Christen darin zu quälen,26 richten sich gezielt gegen Orendel. Seine Auslieferung wird verlangt und die genannte Androhung wirkt als Druckmittel, um ihn vor die Tore der Stadt zu zwingen. Die Frage, warum Orendel von den Sarazenen als Bedrohung emp­ funden wird, könnte jedoch zumindest teilweise auf eine religiöse Motivation hindeuten, die keinen starken christlichen König in Jerusalem will – hier gibt der Text aber keine Anhaltspunkte für weitere Spekulationen. Ein zumindest teilweise von sarazenischer Seite religiös motivierter Konflikt findet sich im ›Salman‹. Als Fore beschließt, um die Hand von Königin Salme von Jerusalem zu werben, meldet sich deren Vater Crispian zu Wort. Er wolle Fore gerne mit 1.000 Kriegern unterstützen, denn es habe ihn immer bekümmert, dass seine Tochter in der Christenheit leben müsse. Damit stellt der Text eine Parallele zum ›Ortnit‹ und ›Oswald‹ her, in denen die Befreiung der Prinzessin aus dem sarazenischen Reich die Brautfahrt mit motiviert. Interessanterweise bringt hier also die Vertauschung der Handlungsrollen auch eine teilweise Verschiebung der Motivation mit sich. Über die Befreiung Salmes hinaus verfolgen die Sarazenen jedoch auch im ›Salman‹ keine religiös bestimmten Ziele.

26 Die Handschrift H liest verkern, was sich auf die Religion der Bürger beziehen könnte.



Die Macht der Versöhnung:  

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Integration und Ausgrenzung In der Betrachtung der sarazenischen Religion sind der ›Rother‹ und die ›Kudrun‹ durch ihre sehr sparsame Zeichnung der religiös Anderen aufgefallen. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass die Konflikte zwischen Christen und Sarazenen in diesen beiden Texten in erster Linie auf politischer Ebene statt­ finden und Religion nur eine sekundäre Rolle spielt. Dennoch sind sie für eine Erforschung der interreligiösen Konflikte in den Brautwerbungserzählungen von Bedeutung. Ähnlich wie bereits im ersten Kapitel bietet die ›Kudrun‹ eine deutli­ che Abgrenzung, einen akzentuierten Kontrapunkt von der übrigen Gruppe, die deren Gemeinsamkeiten und Regeln ex negativo sichtbar macht. Der ›Rother‹ hingegen verhandelt den Konflikt zwischen Christen und Sarazenen im Kontext ›europäischer‹ Innen- und Außenpolitik und betrachtet den interreligiösen Kampf so auf ganz eigene Weise. ›Kudrun‹ und ›Rother‹ besetzen dabei die beiden Extrempunkte eines Spek­ trums politischer Interaktion mit den Sarazenen, das von vollständiger Integra­ tion in eine groß angelegte Bündnisgemeinschaft im Falle der ›Kudrun‹ hin zur totalen Ausgrenzung aus einem West-Ost-Römischen Bündnis im ›Rother‹ reicht. Ein ähnliches Spannungsfeld wird mit religiösen Sinndimensionen auch in den anderen Texten der Gruppe begegnen.

Die Macht der Versöhnung: ›Kudrun‹ Die ›Kudrun‹ erzählt eine Geschichte politischer Integration und endet in einem (Erzähl-)Weltumspannenden Bündnissystem. Auch die Gruppe der Sarazenen um ihren König Siegfried von Mohrland wird in die dazu gehörige Heiratspolitik einge­ bunden, ihr Weg ist also einer der zunehmenden Einbindung in die Welt der Chris­ ten. Dabei herrscht schon zu Beginn des Werkes ein Miteinander zwischen Chris­ ten und Sarazenen vor. König Sigebant vergibt Lehen an beide Gruppen (ku 186) und Siegfried von Mohrland lebt als sarazenischer König mit seinen Gefährten als Ritter an König Hetels Hof (ku 579 ff.). Auch wenn seine Werbung um Kudrun nicht erfolgreich ist, wird sie auch nicht als in religiöser Hinsicht problematisch mar­ kiert27 und Kudrun selbst findet durchaus Gefallen an dem höfischen Sieg­fried:

27 Hetels hoher muot lässt ihn Siegfried abweisen (ku 58). Das im höfischen Kontext ambiva­ lente Adjektiv könnte in diesem Zusammenhang durchaus als Kritik des Erzählers an Hetels Ein­ stellung verstanden werden.

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 Integration und Ausgrenzung

Es kund ein Ritter edele nymmer gefarn bas. Sy trug im holden willen. offt thet Sy das. wie salber varwe ze sehenne an seinem leibe. Er phlag ir mynne gerne da gab yms nyemand ze weibe (ku 583).

Der höfische Ritter und König Siegfried fällt in seiner christlichen Welt eigent­ lich nur durch seine äußere Erscheinung aus dem Rahmen, denn sein Körper ist salwer varwe – der König von Mohrland ist also dunkelhäutig und dunkelhaa­ rig. Doch trotz seiner Vorbildlichkeit ist Siegfried nur lose in die christliche Welt integriert. Er turniert zwar mit seinen Männern am Hof Hetels, im Gegensatz zu den anderen Werbern um Kudrun werden in seinem Fall aber keine politischen Verbindungen oder lehensrechtlichen Beziehungen zwischen den Königreichen Hegelingen und Alzabee erwähnt.28 Vielleicht kann Siegfrieds Werbung auch aus dieser Situation heraus von Hetel ohne Angabe von Gründen abgewiesen werden. Die daraus resultierenden Kämpfe zwischen Siegfried und dem christli­ chen Brautvater bzw. Konkurrenten werden jedoch zu keinem Zeitpunkt religiös aufgeladen. Sogar die erste eindeutige begriffliche Unterscheidung zwischen Christen und Sarazenen findet erst nach diesen Kämpfen, ja sogar nach der Ver­ söhnung statt. Denn der Krieg zwischen Siegfried und Herwig bzw. Hetel führt nicht zu einem endgültigen Bruch, sondern vielmehr zu einem ersten politischen Bündnis: Alle drei ziehen gemeinsam in die Schlacht gegen Herwig, der Kudrun gegen ihren Willen entführt hat. Damit ist ein neues Verhältnis zwischen den Gruppen begründet. Mit der Versöhnung geht ein beiderseitiges Dienstverspre­ chen einher.29 In der Schlacht auf dem Wülpesand bewähren sich Siegfried und seine Männer als wertvolle Verbündete.30 Erst aus dieser Situation heraus werden die religiösen Unterschiede thema­ tisiert, als man nach der Schlacht die Gefallenen in Gruppen zueinander legt. Neben der Unterscheidung in die Krieger aus Ormanie und aus Hegelingen wird hier auch eine zwischen Christen und Sarazenen aufgemacht.31 Doch diese Tren­ nung kippt schnell in eine Integration auf einer höheren Ebene, die sowohl die

28 Das lehnsrechtliche Verhältnis zwischen Hildes Vater Hagen und Hartmut ist z. B. für Hetel ein Grund, Hartmuts Werbung abzuweisen (ku 610). 29 Also kam es ze sune. als ich euch han gesait. do giengen zu einander. die Recken Vil gemait. aneinander puten Sy dienst. die Ee veinde waren. Ir hass der was versuenet. Sy riten den von Ormanie ze varen (ku 834). 30 Die vil stoltzen Moren. als ich han vernomen. die waren vor ir Schiffe. zu Iren veinden komen. der wannde do Hettel in sorgen. wol geniessen. Sy waren Helde kuene. man sach das plut durch die vesten Helmen vliessen / Ir Vogt den Sy hetten. wie mocht der kuner sein. des tages frumte swayssig maniger brune schein. Er was in starchen Sturmen ain marer heldt vil gute Wie kundens wesen kuener der alte Wate vnd auch Frute (ku 874 f.). 31 Der Morn man. besonnder ir yeglichen vant. also tet man da den degen von Hegelinge landt. und



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beiden Religionsgemeinschaften, als auch die gegnerischen Parteien umfasst, denn alle werden gemeinsam ehrenvoll beigesetzt.32 Für das Seelenheil aller Gefallenen wird darüber hinaus an dem Ort der Schlacht ein Kloster errichtet und reich ausgestattet, in dem viele Messen für die Krieger gelesen werden. Die Aven­ tiure endet mit dem Wunsch des Erzählers Nu ruche Sy got begnaden. die da sindt gelegen (ku 918) – schon hier sind alle Parteien im Kampf um Kudruns Hand, wenn auch vorerst nur in Tod und Leid, vereint. Diese Linie der Integration setzt sich im Verlauf des Textes fort. Als Kudrun befreit ist und mit ihren Verwandten, Verbündeten und den Gefangenen aus Ormanie nach Hegelingen zurückkehrt, wird Siegfried von Königin Hilde ehren­ voll begrüßt. Dabei verspricht er, den Frieden zwischen ihren beiden Ländern dauerhaft zu wahren.33 Die umfassende Inte­gration der Sarazenen gelingt dann durch Kudruns umfassende Heiratspolitik, als sie beschließt, Siegfried mit Herwigs Schwester zu verheiraten, was der Erzähler mit den Worten kommentiert ich wane also grosser sune nye gefueget ward. als tet das kind (ku  1644) – Kudrun versöhnt in der Tat die gesamte Erzählwelt miteinander. Wie absolut die Integra­ tion Siegfrieds in deren Herrschaftsverband ist, zeigt sich auf eben der Ebene, auf der er zu Beginn des Textes als Außenstehender markiert war. Als Siegfried seiner zukünftigen Braut gegenübersteht, heißt es im Text: Den kunig von karadi hiess man dar gan. Sy sprachen zu der frawen. welt ir disen man. der machet euch gewaltig Neun kunig reiche. bey dem sach Sy Salben steen manigen Ritter lobeleiche. / Sein Vater vnd sein Mueter die waren nicht einain. sein varbe cristenliche an dem Helde schain. sein har lag auf dem haubte. als ein golt gespunnen. sy ware gar unweyse. solte sy im Ir mynne nicht gunnen (ku 1663 f.).

Wurde Siegfrieds ›Farbe‹ zu Beginn des Werkes noch als salbe, als dunkel benannt, erscheinen jetzt nur noch seine Ritter als dunkelhäutig. Er selbst hat

den von Ormanie. must ir stat beschaiden. die leget man besonnder Sy warn baide Cristen. unde Hayden (ku 913). 32 Dass diese Handlung nicht selbstverständlich ist, zeigt die Figurenrede Irolts: Do sprach Yrolt. man sol auch die begraben. die vnns den schaden taten. oder amn sol Sy die raben. vnd die wilden wolfe auf dem Werde lassen niessen. da rieten das die weysen. daz Sy der Cristen ainen nicht ligen liessen (ku  911). 33 Sy naigten ir vleissiklichen. da jr grus geschach. den kunig von den Moren komen man da sach. mit den seinen Recken auf den grus mit schalle. ein Weyse von Araben. sungen do die pesten alle. Fraw Hilde do gepaite. daz Er zu dem gstade gie. den Vogt von karadie sy vleissklich emphie. seyt willekomen her Seifrid ein kunig aus Morlannden. Ich solt es ymmer dienen. daz Ir hulffet rechen meinen anden / Frauw Ich dien es gerne. Wo ich euch gedienen mag. so ich in die Lanndt nu kume. die mein vil manigen tag. sint heer gewesen von jugende. seit ich begunde reiten auf schaden Herwiges. nu wil ich nymmermer mit im gestreiten (ku 1588 ff.).

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vielmehr eine varbe cristenliche und goldblondes Haar, was mit seiner Herkunft aus einer interkulturellen Verbindung erklärt wird. Dadurch wird zum einen das Modell interkultureller bzw. interreligiöser Beziehungen über den verhandelten Einzelfall hinaus für die Erzählwelt der ›Kudrun‹ als unproblematisch erfahr­ bar. Zum anderen wird die Andersartigkeit des sarazenischen Königs Siegfried abgeschwächt: Seine Integration in Kudruns Bündnissystem führt zur partiellen Auflösung seiner kulturellen Identität. Diese Auflösung wird jedoch zugleich begrenzt, indem über Siegfrieds Begleiter eine Kulisse des höfischen aber auch exotischen Fremden aufrecht erhalten wird: Bei ihrer Begrüßung durch Hilde singen die edelsten von ihnen ein arabisches Lied (ku1588) und im Gegensatz zu Siegfried verbleiben seine Begleiter dunkelhäutig (ku 1163).

Rom, Byzanz und Babylonie: ›Rother‹ Der ›Rother‹ erzählt die Geschichte eines politischen Bündnisses zwischen Ostund Westrom, von der Anerkennung des weströmischen Herrschaftsanspruches durch den byzantinischen Basileus und von der so hergestellten Einheit der Christenheit. Dennoch dient der Konflikt mit den Sarazenen nicht nur zur Kontu­ rierung dieses Bündnisses, sondern verhandelt die politische Konstellation des byzantinischen Reiches zwischen dem christlichen Westen und dem muslimi­ schen Osten im Mittelalter. Dabei nutzt das Werk Textstrategien, die zum einen intensiven Realitätsbezug suggerieren, sich zum anderen aber auch jeder konkre­ ten Verortung entziehen und die entworfene Ordnung als literarisches Ausspeku­ lieren politischer Möglichkeiten deutlich macht, die erst durch ihre wiederholten Kontextbezüge Bedeutsamkeit und Tiefe gewinnen. Dieses Verfahren beschreib­ bar zu machen, ist das Ziel des folgenden Kapitels. König Rother residiert in Bari und Aachen, zu seinen Gefolgsleuten zählt der Herzog von Meran, er vergibt Reims, Lothringen, Brabant und viele weitere Land­ striche Europas als Lehen an seine Vasallen, ist der Vater Pippins und Großvater Karls des Großen, der Vater seiner Braut herrscht als Kaiser Ostroms über Kon­ stantinopel – immer wieder begegnen dem Rezipienten im ›Rother‹ Personen, Orte und politische Konstellationen, die sich auf eine außerliterarische mittelal­ terliche Welt beziehen lassen. Der Text schreibt sich damit in geschichtliche und geographische Ordnungen ein. Durch die Konfrontation des weströmischen Herr­ schers Rother mit dem oströmischen Kaiser Konstantin und das genealogische Andocken an die Reichsgeschichte wird dabei über punktuelle Kontextbezüge hinaus historische Bedeutsamkeit suggeriert. Diese Bezugnahmen des Textes führten in der frühen Forschung zu der Annahme, der Text ließe sich als literarisch kodierte Abbildung eines histori­



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schen Geschehens lesen. Dementsprechend dominieren zu Beginn der ›Rother‹Forschung Beiträge, die versuchen, das Textgeschehen auf ein konkretisierba­ res historisches Substrat hin durchsichtig zu machen.34 Die neuere Forschung versucht nicht mehr eine bestimmte historische Situation oder Personengruppe im Werk wiederzufinden, sondern sucht den Kontextbezug des ›Rother‹ in seiner Eingebundenheit in zeitgenössische Diskurse.35 Als besonders prägend erscheint dabei die Verortung des Bräutigams als weströmischer Herrscher und die des Brautvaters als oströmischer Kaiser im Text. Damit ruft der ›Rother‹ eine der zentralen politischen Konstellationen des frühen und hohen Mittelalters auf, denn seit dem Untergang des Imperium Romanum und dem Aufstieg der Franken unter Karl dem Großen zu den neuen Herrschern Westroms und Kaisern durch Gottes Gnaden und die Hand des Papstes, stehen sich das alte Ost- und das neue Westrom als Konkurrenten gegenüber.36 Dass der daraus resultierende Konflikt, das so genannte ›Zweikaiserproblem‹, für die Grundstruktur der Rol­ lenverteilung des Textes prägend ist, wurde in der neueren Forschung mehrfach angemerkt.37

34 In diesem Sinne wurde auch versucht, über die im Text genannten Personen und Orte auf die Entstehungsbedingungen des Werkes zu schließen. Neben den Höfen Heinrichs VI. und Friedrich Barbarossas, denen ein Interesse unterstellt wurde, sich in der Figur Rothers abbilden zu lassen, gerieten vor allem bayerische Adels- und Grafengeschlechter in den Blick, die man in den Ratgebern und Helfern an Rothers Hof (Lupolt, Berchter, etc.) identifizieren zu können mein­ te. So wurde als möglicher Entstehungsort z. B. Regensburg im Umkreis Heinrichs Jasomirgott ins Auge gefasst (Gellinek 1968, 86 f., Zimmermann 1993). Am weitesten hat Ferdinand Urbanek diese Linie in seiner Studie Kaiser, Grafen und Mäzene im ›König Rother‹ (Urbanek 1976) verfolgt, in der er das Geschlecht der Tengelinger als Gönner des Rotherdichters zu erweisen sucht. Vor­ sicht gegenüber diesen Deutungen hat z. B. Ursula Peters (1999, 294) angemahnt. 35 So entwickelt z. B. Monika Schulz (2001, 2005) eine Deutung der Kemenatenszene vor dem Hintergrund zeitgenössischer Ehemodelle, wenn sie sie als Herstellung eines Konsenses zwi­ schen Rother und der Prinzessin liest, und Stephan Fuchs-Jolie beschäftigt sich mit der doppel­ ten gewalt (als Macht und physische Gewalt) Rothers vor dem Hintergrund des zur Entstehungs­ zeit des Textes neu aufkommenden höfisch-weltlichen Ethos (Fuchs-Jolie 2005, bes. 204 ff.). 36 Durch den Übertritt der Franken zum Christentum unter Chlodwig am Ende des 5. Jahrhun­ derts und ihren Aufstieg zur führenden Macht Westeuropas unter Karl dem Großen verlor der oströmische Kaiser sein Monopol als rechtgläubiger Nachfahre der römischen Caesaren. S. dazu Lilie 2003, 150: »Ostrom hatte sein Monopol verloren, denn der Westen trat zu ihm in Konkur­ renz. Die Franken und später die Deutschen beanspruchten dieselbe Geltung, freilich nicht in der ideologischen Konstruktion eines einzigen Kaisertums mit mehreren Vertretern […], son­ dern sie beanspruchten den Kaisertitel für sich allein […]. Byzanz verhielt sich seinerseits nicht anders: Beide Seiten sprachen der jeweils anderen das Recht auf den Kaisertitel ab und bean­ spruchten ihn für sich.« 37 In der Forschung wurde der vom Text aufgerufene römisch-römische Konflikt zwischen By­ zanz und dem römisch-deutschen Reich schon früh gesehen, zumeist aber für die bereits ange­

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Im Kontext der vorliegenden Studie muss sich dabei die Frage stellen, welche Rolle der sarazenischen Partei für und in diesem Konflikt zukommt. Sie hat in der ›Rother‹-Forschung bislang wenig Beachtung gefunden. Zumeist wurde die Bedeutung der Sarazenen auf ihre Funktionen für die Erzähllogik einerseits und die Charakterisierung der Figuren Rother und Konstantin andererseits hin gedeu­ tet. So erklärt Monika Schulz erzähllogisch die Rolle König Ymelots aus einer Spaltung der Brautvaterrolle heraus: Daß übrigens diese Heidenthematik in der Rotherdichtung, anders als in den späteren Brautwerbungsdichtungen, zunächst von der Brautvaterseite abgekoppelt ist, liegt zum einen schlicht darin begründet, daß hier der Brautvater, der Basileus, ja kein echter Heide ist, sondern ins christliche Byzanz gehört. Auf einer zweiten Ebene dann darf der Brautva­ ter im Rother kein inzestuöser Heide sein wie etwa im Ortnit, denn sonst wäre die friedli­ che Integration der Brautvaterpartei am Schluß der Rotherdichtung undenkbar (M. Schulz 2005, 31).38

Christa Ortmann und Hedda Ragotzky sehen im interreligiösen Konflikt des Textes eine Möglichkeit, die dargestellte Ost-West-Spannung zu lösen, fokussie­ ren in ihrer Argumentation aber ganz die Vorbildlichkeit Rothers als Handlungs­ mittel und Darstellungszweck: Damit ist die Ost-West-Spannung, die das Karlsreich bedroht, als Krise welt- und heilsge­ schichtlichen Ausmaßes gedeutet, die der weströmische Repräsentant zu bewältigen hat. Er bewältigt sie a) im Medium des Glaubenskampfes, in dem Gott selbst die Rother-Herrschaft bestätigt, ihr den Sieg verleiht und sie damit als gottunmittelbare Herrschaft legitimiert; sie ist es, die das Gottesreich auf Erden und das Karlsreich als dessen geschichtliche Institution schaffen kann und soll. Diese unmittelbare Evidenz bewirkt die Umkehr des oströmischen Herrschers zum richtigen, in Rother präsenten Herrschaftskonzept als einer Umkehr zu Gott selbst (Ortmann; Ragotzky 1993, 334 f.).

sprochenen ›Dekodierungsversuche‹ fruchtbar gemacht. Erst Christian Gellinek (1968, 82) be­ ginnt eine Auseinandersetzung mit der politischen Konstellation des ›Rother‹ auf abstrakterer Ebene. Die Deutung des Werkes als Verhandlung des ›Zweikaiserproblems‹ findet sich in der neueren Forschung bei Ortmann; Ragotzky (1993, 333) und Monika Schulz (2001, 87). 38 Einerseits bestätigt diese Interpretation eine der Kernthesen dieser Arbeit: Der interreligiöse Konflikt ist eine Konstante der Brautwerbungserzählungen. Aus dieser Beobachtung lässt sich jedoch nicht in der von Monika Schulz angewandten Weise eine Gesetzmäßigkeit für die Text­ genese ableiten. Es ließe sich theoretisch auch eine Brautwerbungsdichtung ohne interreligiö­ sen Konflikt (wie sie in der ›Kudrun‹ fast vorkommt) oder mit einer Integration des heidnischen Brautvaters (wie im ›Oswald‹) denken. Wenn im ›Rother‹, der höchstwahrscheinlich als erste Brautwerbungsdichtung in seiner überlieferten Form entsteht, ein interreligiöser Konflikt gestal­ tet ist, dann nicht, weil dies von inneren Gesetzmäßigkeiten der Gruppe gefordert wird, sondern weil es ein inhaltliches Interesse an dieser Gestaltung gibt.



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Beide Ansätze sind nicht unberechtigt, jedoch auch nicht vollständig geeignet, die Bedeutung der Sarazenen im ›Rother‹ in Bezug auf dessen Eingebunden­ heit in zeitgenössische Diskurse zu beschreiben. Im Folgenden soll daher dem Zusammenhang zwischen dem Westen, dem Osten und dem noch weiter entfern­ ten Osten, der Konfiguration zwischen Rom, Byzanz und Babylon nachgegangen werden. Am Ende des Werkes vergibt Rother Lehen an seine loyalen Gefolgsleute – unter anderem Schottland im Norden (ro 4833), Polen im Osten (ro 4870), Spanien im Westen (ro 4845) und Sizilien im Süden (ro 4889). Sein Reich erstreckt sich über die gesamte Fläche Europas. Obwohl Rother, wie auch Konstantin, im Werk nur als König angesprochen wird, hält er damit eine Machtfülle in der Hand, die kein historischer Kaiser des weströmischen Reiches jemals besaß. Es verwundert daher auch nicht, wenn Rother einen Reichstag in Rom (ro 620 ff.) oder Aachen (ro 5015) abhält – sind doch beide Orte auf engste mit der Geschichte des römischdeutschen Reiches verbunden. Eher irritieren muss in diesem Zusammenhang, wenn zu Beginn des Werkes gesagt wird: Bi deme westere mere / saz ein kunic der heiz Ruother./ in der stat zu Bare / da lebete er zu ware (ro 1 ff.). Wieso sollte der weströmische Herrscher im apulischen Bari residieren? Die ältere Forschung hat hier einen Hinweis auf den in der Figur Rother ›kodierten‹ Langobardenkönig Rothari gesehen (s.o.). Es ließe sich aber auch einfach handlungslogisch mit der Lage Baris argumentieren, die es als ein günstiges Sprungbrett nach Byzanz erscheinen lässt. Aber in einem Text, in dem selbst Distanzen in das mythische Reich der Riesen spielend über­ wunden werden, hätte Rothers Reise genauso gut von Rom aus starten können. Doch über die Lage Baris an der Adriaküste und einer der am besten ausgebauten Straßen des Mittelalters (Via Appia Traiana) lässt sich ein nicht uninteressanter Kontextbezug herstellen, führt sie doch dazu, dass Bari im Mittelalter ein immer wieder umkämpftes Gebiet, ein bedeutender Handlungsort und als Folge aus beidem ein kultureller Schmelztiegel ist. Im Kontext des ›Rother‹ ist die Bedeutung, die Bari sowohl für das Byzantini­ sche Reich als auch islamische Expansionsversuche in Europa hatte, besonders bemerkenswert, denn Bari verweist wie kaum eine andere Hafenstadt Europas auf den Orient. Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches im 6. Jahrhundert gehörte Bari zum byzantinischen Einflussbereich in Unteritalien. Obwohl die Stadt im Laufe der Jahrhunderte von Langobarden und Sarazenen erobert wurde, gehörte sie bis zur Eroberung durch die Normannen 1071 immer wieder auch Konstantinopel und gilt als »Hauptstadt des byzantinischen Unter­ italien« (Lilie 2003, 263). Danach versuchen die Byzantiner bis ins 12. Jahrhundert hinein, die Stadt wieder in ihren Besitz zu bringen. Die günstige Lage der Stadt macht sie aber auch zu einem Einfallstor für die islamische Expansion. Im Jahre

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847 erobert Halfun die Stadt und gründet ein Emirat, das bis 871 Bestand hat. In der Folgezeit muss sich die Stadt wiederholt gegen sarazenische Angriffe vertei­ digen (de Leo; Musca 1977). Im 11. und 12. Jahrhundert wird die Stadt von den Normannen beherrscht und 1194 von Kaiser Heinrich VI. erobert. Auch in dieser Zeit leben zahlreiche adlige byzantinische Familien und eine bedeutende muslimische Minderheit in der Stadt. Jetzt gewinnt aber auch das Potenzial der Stadt als Tor vom Westen in den Osten neue Bedeutung: Sie wird zu einem zentralen Hafen für die Kreuzfahrer (Ohler 1997, 24). Wenn die Geschichte Rothers nicht in Rom oder Aachen, sondern in Bari als dessen Herrschaftssitz beginnt, wird damit eine Stadt gewählt, die wie kaum eine andere in Europa zum Schauplatz politischer und militärischer Kon­ flikte im Machtdreieck Westrom, Ostrom und Dār al-Islām geworden ist. Damit wird von Anfang an die von Westrom aus gedachte außenpolitische Stoßrichtung des Werkes deutlich, die nicht nur auf den oströmischen Nachbarn, sondern auf ein weltpolitisches Machtdreieck zielt. Man könnte vielleicht sogar die Position der älteren Forschung, der Text beginne in Bari, weil dies die Residenz König Rotharis ist, umdrehen – weil Bari der chronologische Startpunkt und auf topolo­ gisch-symbolischer Ebene der Angelpunkt der Handlung ist, liegt die Benennung des Protagonisten als ›Rother‹ nahe. Schon früh wurde in der Forschung bemerkt, dass Rothers Herrscherge­ walt strukturell nicht auf die Konstantins, sondern auf die Ymelots bezogen ist. Während Konstantins Reich sich in der Darstellung des Werkes ganz auf das Umland Konstantinopels beschränkt, unterstehen Ymelot und Rother jeweils 72 Könige und ihr politischer Einflussbereich umspannt ein riesiges, nicht genau abzugrenzendes Gebiet.39 Ymelot wird dabei als oberste Autorität des sarazeni­ schen Raumes imaginiert, wenn einführend über ihn gesagt wird: Do hob sich under deme himele / von zwein unde sibinzik kunigen / von woster Babilonie / zo Constantino deme kuninge / die aller groziste hervart / die iergin gewart. / Ymelot gerte sin zo man, / her was ein heidin vreisam. / ime ne mochte nicht widirstan, / her wolde die riche alle han / bedwungin mit grozir gewalt. / uber al uncristin lant / so nevirsaz neiman sin gebot, / her wolde selve wesen got. / Simelin hiez sin wib, / her virlos zo Jerusalem sint den lif (ro 2563 ff.).

Ymelot herrscht also über die gesamte Dār al-Islām und strebt danach, seinen Machtbereich weiter auszudehnen. Dabei stellt er für die westliche Welt nicht nur eine politische, sondern auch eine religiöse Bedrohung dar, denn her wolde selve

39 Rothers Reich übersteigt mit dem Herrschaftsgebiet seiner ›riesigen‹ Lehnsleute den realhis­ torischen Raum, Ymelots Herrschaftsgebiet erstreckt sich über einen sich jeder genauen Defini­ tion entziehenden Raum im Orient.



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wesen got. Ähnlich wie die Werke der Chansons de geste, die von den Konflik­ ten zwischen Christen und Sarazenen an der spanischen Grenze oder im Heili­ gen Land erzählen, wählt der ›Rother‹ mit Byzanz ein geographisches Gebiet als Erzählraum, in dem sich Christen und Muslime im Mittelalter besonders häufig und besonders intensiv begegneten. Mit der Schlacht am Yarmuk 636 beginnt eine Eroberung byzantinischer Provinzen, die mit der Belagerung Konstantino­ pels 717/18 einen ersten Höhepunkt findet (Lilie 2003, 90, 160). Die absolute Über­ macht der Araber erzwingt im 7. und 8. Jahrhundert die totale Konzentration auf deren Abwehr (ebd., 141). Diese Konzentration muss Folgen für das Verhältnis zwischen Ost- und Westrom haben. Denn obwohl Byzanz als erster christlicher Staat in vielem Vorbild für den Westen ist und den Anspruch auf den Vorrang des oströmischen Kaisertums niemals aufgibt, muss es sich doch wiederholt mit der Bitte um Hilfe nach Rom wenden,40 von dem es sich kulturell, politisch und religiös zusehends entfernt.41 Zum anderen führen die Auseinandersetzungen mit den Arabern aber auch zu Kulturkontakten zwischen Christen und Muslimen im byzantinischen Raum, die zum Teil zu Annäherungen führen.42 In der Zeit der Kreuzzüge wird Byzanz schließlich von beiden Seiten aus bedroht. Zwar trägt das Hilfegesuch, das Kaiser Alexios I. Komnenos an Papst Urban II. richtet, nicht unwesentlich zur Entstehung der Kreuzzugsbewegung bei, doch bleibt das sich entwickelnde Konzept des ›Heiligen Krieges‹ den Byzan­ tinern fremd43 – ihnen geht es in erster Linie um Hilfe bei der Abwehr der Araber, der Rückeroberung Jerusalems und Gebieten der Levante, auf die sie Ansprüche erheben. Anstelle der erhofften Hilfstruppen, die sich unter den Befehl des oströmi­ schen Kaisers stellen, erreicht Konstantinopel ein gemischtes Heer, dessen fürst­ liche Anführer nur äußerst widerwillig bereit sind, Alexios die von ihm geforder­

40 So nicht nur im Vorfeld des ersten Kreuzzuges, sondern auch bereits um das Jahr 845 (Lilie 2003, 199). 41 Indizien für diese Entfremdung zwischen Ost- und Westrom sind z. B. der Bedeutungsverlust des Lateinischen im Byzantinischen Reich oder das morgenländische Schisma. 42 So wirft Ralph-Johannes Lilie (2003, 160–16) z. B. die Frage auf, ob das islamische Bilderver­ bot Einfluss auf den byzantinischen Ikonoklasmus gehabt haben könnte. 43 »Der Gedanke des heiligen Krieges gegen die Ungläubigen war den Byzantinern trotz einiger Ansätze in den vorangegangenen Jahrhunderten fremd. Die religiöse Komponente des Kreuzzugs scheinen sie bis zu Ende des Unternehmens nicht begriffen zu haben. Sie sahen, dass das Kreuz­ fahrerheer auch Truppen enthielt, die vorher gegen Byzanz gekämpft hatten, und sie fürchteten mit einem gewissen Recht, dass die Kreuzfahrer sich gegen Byzanz wenden könnten. Entspre­ chend war ihre Einstellung gegenüber den Kreuzrittern von vorneherein kritisch, sogar feindse­ lig« (Lilie 2003, 360, s. auch ebd., 240).

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ten Lehnseide zu leisten und selbst Ansprüche auf das zu erobernde Heilige Land stellen. Die daraus folgende eher zögerliche Unterstützung von byzantinischer Seite aus führt wiederum bei den Kreuzfahrern zu Irritationen.44 Als die Kreuz­ fahrer dann eigene Staaten in der Levante gründen und ihre Lehnseide gegen­ über Alexios übergehen, verhärten sich die Fronten. Besonders durch die Bemü­ hungen Bohemunds von Antiochien, der im Anschluss an den ersten Kreuzzug versucht, in Westeuropa Unterstützung gegen seine Auseinandersetzungen mit Ostrom zu erhalten, verdüstert sich dort das Byzanzbild nachhaltig (Lilie 2003, 365). Der zweite Kreuzzug verstärkt den Bruch zwischen Ost- und Westrom weiter  – es kommen sogar Gerüchte auf, die Oströmer würden mit den Türken gegen die Kreuzfahrer kollaborieren, so dass ihnen in der Folge häufig das Schei­ tern des Kreuzzuges zu Lasten gelegt wird (Lilie 2003, 395). Mit der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer im Jahr 120445 wird endgültig deutlich, dass sich die Grenzen von Freund und Gegner im Osten aus weströmischer Sicht verschoben haben. Auch wenn der Angriff des Kreuzfahrer­ heeres nicht im Vorfeld geplant ist, sondern sich erst unterwegs gegen die ost­ römische Hauptstadt richtet,46 lässt sich dieser Angriff nicht ohne die vorausge­ hende Veränderung der Wahrnehmung des Byzantinischen Reiches im Westen denken. Ostrom ist von dem, durch einen Kreuzzug vor der muslimischen Bedro­ hung zu rettenden, Bruder des Römischen Reiches im Westen zu einem poten­ ziellen Objekt eines Kreuzzuges geworden. Ein besonders wichtiger Aspekt dieses negativen Byzanzbildes ist die andere Einstellung Ostroms zu den Muslimen und dem mit ihnen auszutragenden Konflikt. Während die Kreuzfahrer ihre Unterneh­ mung als heiligen Kampf der Christen gegen die ›Ungläubigen‹ begreifen, sehen die Byzantiner in erster Linie politische Konflikte, in denen ihre territorialen Ansprüche sowohl von Westrom als auch von der Dār al-Islām bedroht werden.

44 »Den byzantinischen Ansprüchen auf das Heilige Land, das seit Jahrhunderten im Besitz der Ungläubigen war, dürfte man eher verständnislos gegenübergestanden haben: Wieso erhob By­ zanz Anspruch auf etwas, was es gar nicht besaß? Und wieso unterstützte es nicht vorbehaltlos ein Unternehmen, das aus religiösen Gründen […] diese Stätten der Christenheit zurückgewin­ nen wollte, sondern beanspruchte diese Gebiete für sich allein?« (ebd., 352). 45 Der ›Rother‹ wird in der Regel, zum Teil deutlich, vor dieses Jahr datiert. Die häufig proble­ matischen Gründe für eine frühe Datierung wurden in der Einleitung diskutiert. Gerade vor dem Hintergrund der weit ausgeführten Schonung Konstantinopels am Ende des Werkes durch das Heer Rothers könnte aber auch eine Interpretation dieser Passage als Reaktion auf die Ereignisse des Jahres 1204 interessant sein. Aber auch wenn man die Entstehung des Werkes nicht so spät ansetzen will, wird mit der Eroberung Konstantinopels eine veränderte Wahrnehmung des By­ zantinischen Reiches im Westen deutlich, die sich seit dem ersten Kreuzzug ankündigt. 46 Zu den Gründen dieser Ablenkung des Kreuzzuges s. Wolff; Hazard 1969, 168 ff.



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Diese weltpolitische Konstellation scheint für den ›Rother‹ über das so genannte Zweikaiserproblem hinaus eine gewisse Rolle zu spielen. Auch hier wird das in diplomatischer und militärischer Hinsicht schwach erscheinende Reich Konstantins aus dem Osten von Ymelot und aus dem Westen von Rother bedroht. Aus der Sicht des Erzählers und auch der westlichen Figuren erscheint dabei Kon­ stantins Unwillen zur Kooperation mit Rom und anders herum seine Bereitschaft, sich Ymelot in Verhandlungen zu ergeben, tadelnswert. Interessanterweise ist sowohl die diplomatische Bedrohung, die Rother/Dietrich in seiner Freigebig­ keit und Prachtentfaltung von innen für den byzantinischen Staat darstellt,47 als auch die militärische Bedrohung von außen durch Ymelot mit der byzantinischen Prinzessin als Braut verknüpft. Für Rother sind sein Auftreten und seine militäri­ sche Potenz erklärte Mittel, um die Hand der Königstochter zu gewinnen. Ymelots Angriff auf Konstantinopel steht jedoch zunächst in keinem Verhältnis zur Prin­ zessin: Er will Konstantin unterwerfen, nicht dessen Tochter zur Frau. Erst als ihm im zweiten Teil der Geschichte gelingt, das byzantinische Heer zu besiegen, lässt er sich auf ein Angebot Konstantins ein, wie Rother berichtet wird: alse min herre [Konstantin] wider quam, / ime inran der heidiniske man. / do sante der koninc Constantin / botin na der tochter sin. / si stalin sie deme koninc Rothere / unde vortin sie widir over mere. / do reit der koninc Ymelot / unde vorte manigin helit got / har zo Criehen in daz lant / unde stifte rouf unde brant / unde vienc Constantine / den leiden herren minin. / do loste Constantin sinen lif / unde gaf daz Rotheres wif / deme vreislichen koninge / van woster Babilonie / des sune sal sie nemin hinacht (ro 3798 ff.).

Damit verdoppelt sich in Ymelot die Rolle des Widersachers auf eine ganz bestimmte Weise: Er wird zu einem zweiten Brautwerber, dessen Anspruch in direkter Konkurrenz zu dem Rothers steht. Beide Parteien, Westrom und die isla­ mische Welt, wollen die Hand der byzantinischen Prinzessin für sich. Wo sich Rothers Werbung, zumindest auf der Ebene der Textaussage, auf die ebenbür­ tige Frau und die genealogische Sicherung der eigenen Herrschaft richtet, wird in Ymelots Verhandlung mit Konstantin die politische Dimension der möglichen Ehe deutlicher: Indem der Herrscher Ostroms seine Tochter in den Orient ver­ heiratet, erkennt er die militärische und damit politische Dominanz Ymelots an. Sowohl die dem Werk zugrunde liegende weltpolitische Struktur als auch die Ausprägung der Brautwerbungshandlung verteilt sich also auf die drei Reiche

47 Zu den Strategien der Gewaltvermeidung s. Kiening 2003b, 145 f. Rothers finanzielle Po­ tenz erlaubt ihm sowohl Anhänger durch Gaben direkt an ihn zu binden als auch seine Stellung in Konstantinopel durch repräsentatives Auftreten zu festigen, wie Stephan Fuchs-Jolie (2005, 198) ausführt: »Für Dietherich ist es [das Zeremoniell] ein Mittel, Constantins Hof in Grund und Boden zu repräsentieren und bis zur Lähmung niederzukuscheln.«

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Westrom, Ostrom und Dār al-Islām. Die Verbindung des politischen Konfliktes mit der Brautwerbungshandlung erscheint dabei nicht zufällig. Mit den beiden Eheoptionen der Prinzessin werden auch zwei Bündnisoptionen des Byzantini­ schen Reiches verhandelt, so wie Heiratspolitik im Mittelalter immer auch Bünd­ nispolitik ist. Die Gefahr eines Bündnisses zwischen Byzanz und Babylon gegen den Westen wird in einer Szene besonders intensiv verdeutlicht. Als Rother und seine Männer in die Feier eindringen, die für die Hochzeit zwischen Basilistium48 und der byzantinischen Prinzessin ausgerichtet wird, werden sie durch die Beob­ achtungen und Kombinationsgabe der Sarazenen entdeckt. Basilistium fordert, Rother als Kompensation für die Gefangennahme seines Vaters zu töten und Kon­ stantin unterstützt ihn dabei: Imelot heiz die koninge / von woster Babilonie / Rothere van, / he woldin selve han. / »introwen«, sprach Constantin, »des willich helfe wesen din, / daz he uns icht inrinne! ienir alde mit deme barde, / die mowit die lude harte / mit herverten ovir lant. / nu ha wir sie alle samt, / so ne vreiskin die Romere / lichte nimmer mere, / war die koninc si kumin / oder wie her sin ende have genomin« (ro 3999 ff.).49

In Konstantins Aussage wird klar, dass er das sarazenische und byzantische Reich als Verbündete ansieht, denen die Römer als potenzielle militärische Gefahr gegenüberstehen. Durch seine Absicht, mit Rother auch seine Gefolgs­ leute und damit alle Beweise für den Mord am König aus dem Westen verschwin­ den zu lassen, plant er Betrug an den Römern. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Passage steht die bereits erwähnte Schlachtenrede Arnolds, die den Kampf gegen die Sarazenen in die Nähe eines Kreuzzugsunternehmens rückt. Damit ruft der ›Rother‹ die außerliterarische Vorstellung auf, Byzanz habe mit den Muslimen in der Levante gemeinsame Sache gegen die Kreuzfahrer gemacht. Im Medium der Literatur kann diese Gefahr jedoch überwunden werden. Rother kann mit der Unterstützung Arnolds die Sarazenen überlisten und vernichtend schlagen. Nur Ymelot ist es gestattet, in seine Heimat zurückzukehren, um dort zu berichten.50

48 Der Name Basilistium erscheint an den byzantinischen Kaisertitel ›Basileus‹ angelehnt zu sein. Auch hierin wird die potenzielle Nähe zwischen Byzanz und Babylonie durch ein Heirats­ bündnis zwischen Basilistium und der byzantinischen Prinzessin angedeutet. 49 Der Kommentar der ›Rother‹-Ausgabe von Ingrid Bennewitz liest dazu: »Gemeint ist ›wir müssen auch Berchter töten, sonst veranstaltet er wieder einen Kriegszug.‹« 50 Auch im ›Salman‹ werden die Sarazenen militärisch überwunden und in den Kämpfen bis auf den letzten Mann getötet, ihre Burgen geschleift. Nur Prinzessin Affer begleitet das Heer der Christen zurück nach Jerusalem. Die Auslöschung der Gegner wird als Ziel mehrfach the­



Politische Effekte der interreligiösen Konflikte 

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Im Anschluss daran findet eine Vereinigung der westlichen und östlichen Christenheit statt, die sich von den realhistorischen Verhältnissen und ihren Niederschlägen in der zeitgenössischen Historiographie deutlich unter­scheiden. Durch die Schonung Konstantins und seiner Stadt durch Rother und Rothers Anerkennung durch Konstantin wird eine politische Lage des Gleichgewichts innerhalb des christlichen Europas entworfen. Vor dem Hintergrund des nega­ tiven Byzanz-Bildes der Kreuzzugszeit erhält die Abwendung von Ymelot und dem muslimischen Osten als Bündnispartner besonderes Gewicht. Aber auch die weströmische Partei verhält sich vorbildlich und großzügig, indem sie Konstanti­ nopel nicht zerstört, das Herrscherpaar schont und in ihrer Macht belässt. Inso­ fern wird die Dichotomie Ostrom-Westrom im ›Rother‹ gerade nicht per translatio oder Integration aufgelöst, sondern bleibt bestehen. Das Werk erzählt also nicht von der Marginalisierung oder Auflösung des Byzantinischen Reiches, sondern von der ideologischen Anerkennung des weströmischen Herrschaftsanspru­ ches durch den oströmischen Kaiser. Ihre Verbindung bedeutet eine Abschot­ tung gegenüber dem sarazenischen Osten, der über den kurzfristigen Sieg in der Schlacht am Waldrand hinausgeht. Durch das Ehebündnis zwischen Byzanz und Rom wird ein dauerhaftes innerchristliches Bündnis gefestigt. Die Sarazenen dienen jedoch nicht nur als handlungslogischer Katalysator für die Vereinigung von Rother und Konstantin – ihre Desintegration aus dem christlichen Europa definiert vielmehr die Art und Weise des zwischen den beiden römischen Kaisern geschlossenen Bündnisses.

Politische Effekte der interreligiösen Konflikte In ›Kudrun‹ und ›Rother‹ stehen sich zwei sehr unterschiedliche Effekte inter­ religiöser Konflikte gegenüber. Im ›Rother‹ führt der Konflikt zur Auslöschung des in Konstantinopel lagernden sarazenischen Heeres und zur räumlichen Aus­ grenzung der Sarazenen im Ganzen durch das Bündnis der beiden christlichen Kaiser. Die topographische Verlagerung des interreligiösen Konfliktes ist auch daran abzusehen, dass der Anführer der Sarazenen in Jerusalem sterben wird

matisiert, z. B. wenn Morolf seine Männer gegen Fores Heer zu einem Kampf auf Leben und Tod motiviert (sa 486 f.), bzw. äußert künig Fore und die sinen müssent den lip verloren han (sa 523). Charakteristisch für die Schlachten sind die hohen Verluste auf Seiten der Sarazenen durch ein­ zelne christliche Streiter (sa 518, 565, 566, 575) und die an sie anschließenden Zerstörungen der sarazenischen Befestigungen und ihrer Länder durch die Christen (sa 540, 745). Als Morolf Prin­ cian in einem Zweikampf besiegt, nachdem alle übrigen Krieger friedlich abziehen sollen, zögert Morolf nicht, sein Versprechen zu brechen und alle Sarazenen niederzumachen (sa 774).

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 Integration und Ausgrenzung

(ro 2578). Für die Erzählwelt des ›Rother‹ ist die Auslöschung bzw. Ausgrenzung der Sarazenen absolut. Im Gegensatz dazu erzählt die ›Kudrun‹ von einem völlig anderen Verhältnis zwischen Christen und Sarazenen. Schon zu Textbeginn dominiert ein friedliches Zusammenleben beider Gruppen. Im Konflikt zwischen dem Sarazenen Siegfried von Mohrland und Kudruns Vater Hetel bzw. ihrem Verlobten Herwig spielt die religiöse Differenz der Kampfparteien keine Rolle und wird erst thematisiert, nachdem sie verbündet auf dem Wülpesand gegen Hartmuts Truppen gekämpft haben, wenn die Gefallenen nach Herkunft getrennt und doch gemeinsam bestat­ tet werden. Dieses Bündnis zwischen Siegfried und Kudruns Verwandten wird am Ende des Werkes dauerhaft besiegelt: Die inter- und innerreligiösen Konflikte der Kudrun-Handlung münden in einem friedenssicheren Bündnissystem, in das auch der König von Mohrland als gleichwertiges Mitglied integriert wird. Diese Integration zeigt Spuren der Auflösung des kulturell Fremden, die jedoch sofort eingedämmt werden. In Bezug auf die Folgen der interreligiösen Konflikte stellen ›Kudrun‹ und ›Rother‹ zwei Ausnahmen innerhalb der Brautwerbungserzählungen dar, denn in diesen beiden Werken liegen sie in erster Linie auf der Ebene der Bündnispo­ litik, auf der die Sarazenen aus- oder eingeschlossen werden können. Diese Son­ derstellung lässt sich aus der Bedeutung der interreligiösen Konflikte als solche für die beiden Werke erklären. Für die ›Kudrun‹ lässt sich der Status des inter­ religiösen Konfliktes am besten mit dem Konzept der abgewiesenen Alternative beschreiben. Er wird als ein verbindendes Element aller Brautwerbungserzählun­ gen aufgerufen, doch die religiöse Differenz entfaltet für den Textzusammenhang kein eigenes Konfliktpotenzial – in keiner anderen Brautwerbungserzählung erfährt der Leser so wenig über die Religion der Sarazenen wie in der ›Kudrun‹. Dennoch wird das Bündnissystem, das Kudrun am Ende der Geschichte herstellt, durch die Integration des Orients in seinem Umfang und seiner Bedeutsamkeit als friedenssichernde Ordnung verstärkt. Im ›Rother‹ konfiguriert sich der Konflikt zwischen Rother und Ymelot durch die dritte Partei Ostrom auf einzigartige Weise, stehen sich hier Christ und Sara­ zene als Konkurrenten um das gleiche Bündnis (mit Ostrom) gegenüber, das nur einer von ihnen schließen kann. Durch die sarazenische Bedrohung wird das gelungene römisch-byzantinische Bündnis als innerreligiöses definiert und erfahrbar, inhaltlich spielt das religiös Fremde jedoch kaum eine Rolle. Die Abgrenzung gegenüber den Sarazenen hat im ›Rother‹ ihre religiöse Dimension in der durch sie möglichen Einigung der Christenheit. Für diese ist es notwendig, die sarazenische Partei auszulöschen oder zumindest räumlich vollständig aus­ zugrenzen. In beiden Fällen wäre sowohl der Konflikt selbst als auch die Art der Konfliktlösung ohne religiöse Differenz der beteiligten Parteien denkbar. Diese



Politische Effekte der interreligiösen Konflikte 

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Differenz spielt aber dennoch eine Rolle. So wird im ›Rother‹ der Konflikt durch Ymelots Anspruch, in den von ihm eroberten Gebieten selbst als Gott verehrt zu werden, deutlich verschärft und auch die politische Einheit der beiden christ­ lichen Reiche als umso wünschenswerter dargestellt. In der ›Kudrun‹ hingegen wird in der Integration König Siegfrieds zum einen die Abweisung der Alternative deutlich, die Brautwerbungshandlung eng an einen Konflikt auf religiöser Ebene zu binden. Zum anderen wird durch die Einbeziehung des als arabisch darge­ stellten Weltteils die allumfassende Bedeutung der versöhnlichen Bündnispoli­ tik Kudruns noch größer. In den weiteren Brautwerbungserzählungen gewinnt die religiöse Dimension des Konfliktes auch in der Art seiner Lösung eine eigen­ ständige Bedeutung, spannt sich hier das Feld nicht so sehr zwischen politischer Ausgrenzung bzw. Auslöschung oder Integration, sondern (auch) zwischen spiri­ tueller Erlösung oder Verdammnis auf.

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 Mission und Vernichtung

Mission und Vernichtung In drei der sechs Brautwerbungserzählungen, in ›Ortnit‹, ›Orendel‹ und ›Oswald‹, werden die Konflikte und Kämpfe zwischen Christen und Sarazenen nicht nur als Auseinandersetzungen zweier Religionsgemeinschaften gezeigt, sondern auch durch diesen Unterschied begründet und motiviert. Die in diesen Texten ent­ falteten Konflikte gehen über die um den Erwerb einer Frau gelagerten Interes­ senkonflikte hinaus und sind auf einer grundsätzlicheren Ebene anzusiedeln. In diesen Werken ist nicht (nur) die Frau als Objekt, das beide Seiten beanspruchen, Gegenstand des Konfliktes, sondern die eigene religiöse Identität im Gegensatz zur Identität der Anderen wird zur Konfliktursache. Eva Maringer und Reiner Steinweig bestimmen den Zusammenhang von Glaubens- und Identitätskonflikt wie folgt: Identitätskonflikte können auf der kollektiven Ebene gewissermaßen als Steigerung von Wertkonflikten verstanden werden: Hier geht es nicht nur um einzelne gegensätzliche Wert­ vorstellungen, sondern um die Gesamtheit der Wertvorstellungen und des damit verbun­ denen Selbstbildes von Personen oder Gruppen, die von anderen Personen oder Gruppen infrage gestellt oder deren Geltung und Realisierbarkeit streitig gemacht werden. […] Ideo­ logische, Weltanschauungs- und Glaubenskonflikte können als spezielle Form von Identi­ tätskonflikten verstanden werden (Maringer; Steinweg 1997, 6).

Die Geltung des eigenen Selbstbildes, wie zum Beispiel das des universellen Anspruches der eigenen Religion, wird durch die bloße Existenz einer anderen Gruppe in Frage gestellt. Ein solcher Konflikt kann grundsätzlich auf drei Arten gelöst werden. Zwei davon stellen eine endgültige Lösung des Konfliktes dar, sind aber in diesem totalitären Anspruch nur schwer zu realisieren: Eine der beiden Konfliktparteien muss entweder durch Integration in die andere aufgelöst oder in ihrer Existenz vernichtet werden.51 Die dritte Strategie besteht darin, den Kon­ flikt zugunsten eines möglichst friedlichen Miteinanders (partiell) auszusetzen und dieses Miteinander durch mildere Formen der Ausgrenzung und Integration (wie räumliche Trennung, Handelsabkommen, etc.) zu regeln. Hier können auch

51 Im Kontext christlicher Religionsgeschichte treffen diese beiden Tendenzen durchaus auch auf den Umgang mit abweichenden Strömungen innerhalb des Christentums auf. Diese können als Häresien militärisch verfolgt und ausgelöscht werden (wie z. B. die Albigenser oder Hussi­ ten) oder aber in die allgemeine Kirchendoktrin aufgenommen werden (wie zum Beispiel die Mendikanten). Insofern zeigt sich die Grenze zwischen ›Heiligem‹ und ›Ketzer‹ im Mittelalter oft als erstaunlich dünn. S. dazu u. a. Werner; Erbstösser 1986; F. Berger 2000; Heim 2001 und die Arbeiten von Herbert Grundmann, insbesondere Grundmann 1963.



Mission und Vernichtung 

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inhaltliche Verhandlungen der Konfliktursache greifen, der Konflikt z. B. durch den Erweis einer gemeinsamen Basis entschärft werden. In ›Ortnit‹, ›Orendel‹ und ›Oswald‹ werden diese drei Möglichkeiten im Verlauf der Narration ausgespielt, gegeneinandergestellt und so diskutiert. Die Aktion geht dabei beinahe ausschließlich von der christlichen Seite aus, die über die Mission, Vernichtung oder das Zusammenleben mit den Sarazenen entschei­ den kann. Damit schreiben sich die Brautwerbungserzählungen in ein dichtes diskursives Netz ein, aus dem Fäden in den Erzählzusammenhang hinein und auch wieder aus ihm hinausführen. Nur in dieser Verwobenheit mit juristischen und historiographischen, besonders aber theologisch-normativen Diskursen zum Umgang mit Andersgläubigen im Mittelalter können die Gestaltungen der interreligiösen Konflikte in den Brautwerbungserzählungen in ihrer spezifischen ›Webstruktur‹, ihren inhaltlichen Akzentuierungen und literarischen Inszenie­ rungen verständlich werden. So erweist sich der, seltene aber durchaus bedeutsame, literarische ›Ausnah­ mefall‹ des friedlichen Zusammenlebens zwischen Christen und Sarazenen, wie es bereits in der ›Kudrun‹ zu zeigen war und wie es auch punktuell im ›Ortnit‹ und ›Orendel‹ begegnen wird, realhistorisch eher als Regel denn als Ausnahme für die langfristige Interaktion von Christen und Muslimen im Mittelalter. Überall dort, wo im Mittelalter christliche Herrscher mit ihren muslimischen Untertanen agieren (oder andersherum Christen unter der Herrschaft von Muslimen leben), ist man auf eine pragmatische Haltung angewiesen. So ziehen z. B. die christ­ lichen Königreiche in Jerusalem nicht genug europäische Siedler an, um das Land zu bestellen. Daher ist die muslimische Bevölkerung, besonders Bauern und Sklaven, schon aus wirtschaftlicher Sicht viel zu wertvoll, um sie zu töten oder auch nur zu vertreiben – die Flucht von Bauern in muslimische Herrschafts­ gebiete zu verhindern ist vielmehr ein wichtiges Anliegen der christlichen Füh­ rungsschicht. Im Falle der muslimischen Sklaven ist ihr wirtschaftliches Potenzial für viele Landesherren von weit größerer Bedeutung als ihre Mission.52 So kann Marie-Luise Favreau-Lilie (2001, 92) zusammenfassen: »Die Franken dachten weder an Ausrottung noch an Gewaltmission«. In ähnlicher Weise zeigt sich auch in Spanien oder auf Sizilien eine politische und juristische Regelung des Mitein­

52 »Was den Umgang mit den ›Ungläubigen‹, Muslimen und Juden, betrifft, so prägten nur in der Eroberungsphase, während der ersten zwölf Jahre nach der Ankunft der Kreuzfahrer vor der nordsyrischen Stadt Antiochia, Fanatismus, Brutalität und Beutegier das Handeln der Kreuzfah­ rer. Blutbäder unter den Einheimischen haben die bereits im Lande seßhaft gewordenen und auf die Konsolidierung ihrer Stellung bedachten adeligen Kreuzfahrer seit der Einnahme von Sidon in den Stätten Syriens und Palästinas nicht mehr angerichtet« (Favreau-Lilie 2001, 62, s. auch ebd., 93).

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 Mission und Vernichtung

anders unterschiedlicher Religionen und der damit verbundenen Probleme als zentral. Die Mission oder Vernichtung der Muslime spielt praktisch keine Rolle.53 Doch trotz ihrer praktischen Bedeutungslosigkeit spielen Vorstellungen der endgültigen Mission oder Vernichtung der Muslime eine wichtige Rolle im dis­ kursiven Archiv des Mittelalters. Denn das Christentum begreift sich, sowohl in der Welt außerhalb als auch innerhalb der Brautwerbungserzählungen, als Uni­ versalreligion. Durch seinen Anspruch auf die universelle Gültigkeit der christli­ chen Verkündigung für jeden und seine Erwartung der vollständigen Bekehrung aller Menschen bzw. des endgültigen Sieges des Christentums über seine Gegner am Ende der Zeit, muss es sich durch die bloße Existenz anderer Religionen her­ ausgefordert fühlen. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Herausforderung inhaltlich besonders in theologischen und dort besonders in normativen Texten begegnet, die befreit von der Unmittelbarkeit pragmatischer Zwänge entwerfen können, wie es sein sollte. In diesem Sinne äußert sich der Universalitätsanspruch gegenüber dem Islam zum Beispiel bei Thomas von Aquin, in seiner Diskussion von gerechtfer­ tigten Gründen eines Krieges gegen die Muslime. In Anlehnung an die Position Innozenz IV. (s. u.) führt er die Behinderung der christlichen Prediger und Mis­ sionare als einen solchen Grund an, geht aber in der Auffassung der Behinde­ rungsarten deutlich weiter. Für ihn stellen auch Blasphemien, unter denen er in diesem Zusammenhang die öffentliche Ausübung des Islam versteht, einen solchen Grund dar (s. Kedar 1984, 183 f.). Ein weiteres Beispiel aus dem 13. Jahr­ hundert, eine Sammlung franziskanischer Exempel, liefert ein noch deutlicheres Bild. In einem Dialog zwischen Franziskus und einem Sultan argumentiert der Heilige dafür, die Sarazenen zu bekriegen, weil sie durch ihre bloße Existenz den Glauben der Christen behindern würden.54 Wird im Aufeinanderprallen von Christen und Muslimen die bloße Existenz der anderen Religion, also die religiöse Identität ihrer Angehörigen zum Konflikt­

53 Diese Interaktionen in multireligiösen Gebieten eröffnet ein weites Forschungsfeld, dessen Sondierung in der vorliegenden Studie nicht geleistet werden kann. Für den aktuellen Kontext kann die Beobachtung genügen, dass die (mehr oder weniger friedliche) Koexistenz und deren Regelung den Normalfall der Kulturkontakte zwischen Christentum und Islam im Mittelalter darstellen. Über den bereits zitierten Aufsatz von Marie-Luise Favreau-Lilie hinausgehend sei in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von Ronnie Ellenblum (1998) und der von Hans Eberhard Mayer (1997) herausgegebene Sammelband genannt. Einführend s. auch Jaspert 2006, 87 ff. 54 Benjamin Kedar (1984, 157) fasst die Argumentation wie folgt zusammen: »For him, the crusade is a just act of retribution, deduced from the Gospel itself, for the Saracens’ blasphemies against Christ and their efforts to enlarge their numbers at the expense of Christendom. In other words, the very existence of Islam as a religion denying Jesus’ divinity and aiming at universal adherence justifies Christian military expeditions against its believers.«



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grund, kann nur die Auslöschung dieser religiösen Differenz zu einer endgültigen Lösung führen. Dazu sind die zwei bereits genannten Strategien denkbar: Zum einen können die Individuen der anderen Partei physisch ausgelöscht werden, womit auch die religiöse Differenz endet. Zum anderen kann ihre religiöse Iden­ tität durch Mission Ziel dieser Auslöschung sein, was den Individuen die Auf­ nahme in die andere religiöse Gemeinschaft ermöglicht. In beiden Fällen überlebt nur eine der beiden Religionen den Konflikt.55 Die Nebeneinanderstellung dieser beiden Möglichkeiten findet sich auch in mehreren mittelalterlichen Quellen. Die bekannteste ist sicherlich der Aufruf zum Wendenkreuzzug, den Bernhard von Clairvaux verfasst hat. Hier heißt es wörtlich, die christlichen Krieger dürften im Kampf gegen die heidnischen Wenden nicht nachlassen, bis »entweder ihre Reli­ gion oder ihr Stamm vernichtet« sei.56 Auch für die spätere Auseinandersetzung mit dem ›Orendel‹ ist es an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass der Begriff ›Stamm‹ bzw. nationes eine doppelte Deutung zulässt: Zum einen kann von der Vernichtung der Ungläubigen die Rede sein, zum anderen aber auch nur die Zer­ schlagung ihrer politischen Strukturen gemeint sein. Die Vorstellung der Auslöschung der Andersgläubigen oder ihrer Aufnahme in die eigene religiöse Gemeinschaft fließt aber punktuell auch in die historio­ graphischen Werke des zweiten Kreuzzuges ein, wie sich in der Chronik Odos von Deuil ›De ludovici profectione in orientem‹ zeigt. Hier erscheint das Ziel der Kreuzfahrer darin, am Heiligen Grab ihre »Sünden im Blut der Heiden oder ihrer Bekehrung zu tilgen«.57 Diese und weitere Belege aus historiographischen

55 »Im Religionskrieg wird der Feind wegen seiner anderen Religion erschlagen oder im güns­ tigeren Falle gezwungen, die jeweils andere Religion anzunehmen« (Bronisch 1998, 221 f.). 56 Hans Dieter Kahl (1992, 65) fasst die Position Bernhards wie folgt zusammen: »Eine universa­ le Lösung der Heidenfrage ist angestrebt, auf den zwei Wegen, die damals vorstellbar waren, um das Heidentum auszulöschen: entweder durch physische Ausrottung seiner Träger oder durch ihre Bekehrung.« Bei Bernhard selbst heißt es: »[So] erklären wir nach dem Beschluß des Herrn Königs, der Bischöfe und Fürsten, die in Frankfurt zusammengekommen waren, daß sich die Stärke der Christen gegen jene rüsten soll, daß sie das Zeichen des Heiles auf sich nehmen, jene Stämme völlig zu vernichten oder auf immer zu bekehren […] Denn das untersagen wir ganz und gar, daß sie auf irgendeine Art mit ihnen einen Vertrag schließen; weder für Geld noch dadurch sonstigen Tribut dürfen sie es tun, bis mit Gottes Hilfe entweder ihre Religion oder ihr Stamm vernichtet ist«; consilio domini regis et episcoporum et principum, qui convenerant Frankonovort, denuntiamus armari Christianorum robur adversus illos, et ad delendas penitus, aut certe convertendas nationes illas signum salutare suscipere […]. Illud enim omnimodis interdicimus, ne qua ratione ineant foedus cum eis, neque pro pecunia, neque pro tributo, donec, auxiliante Deo, aut ritus ipse, aut natio deleatur (Bernhard von Clairvaux, ›Epistola 457, Ad universos fideles‹, Sp. 651 f.). Die Übersetzung folgt der Edition von Winkler 1992. 57 »Es ist sicherlich richtig, dass der König sich vor kurzem mit dem Papst besprochen hat und dass er keinen Rat und keinen Befehl in dieser Hinsicht erhalten hat. Er weiß und wir wissen

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und literarischen Werken hat Hans Dietrich Kahl in seinem Aufsatz ›Die welt­ weite Bereinigung der Heidenfrage‹ (1992) zusammengestellt. Zusammenfassend kommt er zu folgendem Urteil: Es gibt unterschiedliche Nuancierungen im einzelnen: bald ist ausdrücklich nur von Ver­ nichtung die Rede, bald allein von Bekehrung; bald erscheint Christianisierung als sekun­ däre Möglichkeit, die weniger in Betracht gezogen wird als die Ausrottung der »Ungläu­ bigen«, bald regt sich echt missionarischer Geist, der sich nun im Kreuzzugsfieber auch militärische Mittel zunutze zu machen versucht; einmal ist die Spitze primär gegen die »Heiden« als solche gerichtet, ein andermal mehr gegen ihr »Heidentum« und darüber hinaus allen »Ungläubigen« auf dieser Erde überhaupt (Kahl 1992, 78).

Obwohl Hans Dietrich Kahl diese Tendenzen nur in einer relativ schmalen Text­ basis verfolgen kann, zeigt sich das sprichwörtliche Konzept von ›Tod oder Taufe‹ doch in seiner gattungs- und diskursübergreifenden Bedeutung. In besonderem Maße wird es in literarischen Werken aktualisiert, die sich noch deutlicher als die anderen angesprochenen Texte von den pragmatischen Zwängen einer außer­ literarischen Wirklichkeit lösen und die Möglichkeiten interreligiöser Konflikte im fiktionalen Modus ausloten können. Dabei sind sie jedoch in der narrativen Entfaltung der Konflikte anders als theoretisch-normative Texte gezwungen, das Behauptete auch vorzuführen, wobei die Handlung den Setzungen des Erzäh­ lers (z. B. der Sarazenen als ubel oder des Helden als tugenthaft wie im ›Salman‹) unterlaufen und diskreditieren kann. Dieser Spannung soll in den folgenden Betrachtungen des ›Ortnit‹ und ›Orendel‹ nachgegangen werden.

Die Ausweglosigkeit der Zerstörung: ›Orendel‹ Orendel erweist im Verlauf der Handlung permanent seine militärische Überle­ genheit gegenüber den Sarazenen. Der Königssohn aus Trier zieht nach Jerusa­ lem, um sich selbst dem Heiligen Grab zu opfern. Dort angekommen besiegt und tötet er einige sarazenische Ritter im Turnier, woraufhin die Stadt dreimal von den Sarazenen angegriffen wird. Diese Heerfahrten werden von Riesen angeführt. Mit Mentwin kommen 12 Könige mit jeweils 600 Mann, mit Liberian 1400 und mit Pellian 1600 Krieger nach Jerusalem. Die beiden letzten drohen in ihren Verhand­

(aber), dass wir das Heilige Grab besuchen wollen und, auf Befehl des Heiligen Papstes, unsere Sünden im Blut der Heiden oder ihrer Bekehrung zu tilgen« (Übersetzung R. K.); Certum vero est regem nuper cum papa locutum fuisse, et super hoc nec praeceptum ejus, nec consilium accepisse. Visitare sepulchrum Domini convenimus nos et ipse et nostra crimina, preacepto summi pontificis, paganorum sanguine vel conversione delere (IV 40, Sp. 1224).



Die Ausweglosigkeit der Zerstörung:  

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lungen mit Bride, das Heilige Grab zu zerstören und die Christen in der Stadt zu quälen.58 Im Alleingang, bzw. gegen Pellians Heer mit Brides Hilfe, kann Orendel jedes Mal alle Angreifer besiegen und Jerusalem verteidigen. In dieser Rolle als Verteidiger der Heiligen Stadt für den christlichen Glauben und den Schutz der dort lebenden Christen, kommt Orendel den Zielen der historischen Kreuzfahrer näher als jeder andere Held der Brautwerbungserzählungen. Standen doch bei den Kreuzzugsaufrufen von Anfang an die Befreiung der Heiligen Stätten und der orientalischen Christen von der Herrschaft der Muslime deutlich im Vordergrund. Von der Rolle als Verteidiger zu der als Eroberer wechseln die Christen mit der Ankunft Ises an den Hof in Jerusalem, der als frisch ernannter Herzog einen groß­ angelegten Expansionskrieg beginnt. Ise, der neben Bride und Orendel gleich­ wertig als dritte Hauptfigur agiert, ist der schillerndste Charakter der Erzählung.59 Nachdem er Orendel am Strand aufgelesen hat, werden er und seine Frau in der Rolle der ›bösen Fischer‹ gezeigt, die als geldgierige und moralisch fragwürdige Figuren in der mittelhochdeutschen Literatur häufig auftreten (z. B. im ›Grego­ rius‹ Hartmanns von Aue oder im ›Wigalois‹ Wirnts von Grafenberg).60 So lassen Ise und seine Frau Orendel sechs Wochen lang nackt arbeiten, bis er sich seine Kleidung selbst verdient hat. Ise ist jedoch zugleich ein ›König der Fischer‹ – er ist reich an Besitz und Einfluss: seine Burg ist so wunnigleich (od 28), sie wäre einem König von Rom angemessen. Darüber hinaus dienen ihm 800 weitere Fischer. Damit grenzt er sich von der Armut der anderen ›üblen Fischer‹ ab und rückt an eine völlig andere literarische Figur heran. In den mittelalterlichen Geschichten vom Heiligen Gral spielt der roi peschierres oder Fischerkönig eine bedeutende Rolle (s. Gnädinger 1978). Ähnlich wie zum Beispiel Anfortas in Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹ erscheint Ise zunächst als einfacher Fischer und erweist sich dann als Herrscher – jedoch als Fischerkönig im wörtlichen Sinn, als König über andere Fischer. In dieser Figur werden schon zu Beginn zwei literarische Typen aufgerufen, miteinander kontrastiert und dadurch beide ironisch gebrochen. In Jerusalem zum Herzog

58 Für den Fall, dass Bride Orendel nicht ausliefert, drohen Liberian und Pellian an das hailige grab wil ich [ver]verprennen / Die cisten leüt quellen darinnen (od 64 und wortgleich 74). 59 Ingeborg Benath (1962, 354) sieht im »brüchigen« Charakter Ises eine Kompilation aus meh­ reren Figuren der Vorlage. Es spricht meiner Ansicht jedoch nichts dagegen, die Vielseitigkeit der Figur als Anlage des Textes zu begreifen. In ähnlicher Weise ist auch Bride zugleich als würde­ volle Königin und schonste ob allen wiben gestaltet, aber auch als wilde Kriegerin, die vor einer handfesten Prügelei nicht zurückschreckt und verdeckt in feindlichem Gebiet ermittelt und bis zum Schluss des Werkes als Jungfrau, deren Keuschheit verteidigt werden muss. 60 Der Bezug zum ›Gregorius‹ wird durch das Motiv des vom Fischer im Bauch eines Fisches wiedergefundenen Objekts (im ›Gregorius‹ der Schlüssel zu den Fesseln der Hauptfigur, hier der Graue Rock Christi) verstärkt.

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ernannt, erweist sich Ise auch als fähiger Turnierritter. Ähnlich wie Bride, die die schönste höfische Dame der gesamten Welt, eine eigenständige Königin und eine furchteinflößende Kriegerin sein kann, wird auch Ise als unterschiedlich per­ spektivierbare Figur gezeigt. Diese Ambivalenz und Vieldeutigkeit der Figuren ist für die Darstellung der interreligiösen Konflikte insofern von Interesse, als jede von ihnen zumindest eine unterschiedliche Position zum Umgang mit den Sara­ zenen vertritt. Ises Expansionskrieg endet in der Unterwerfung aller umliegenden saraze­ nischen Herrschaften und in einem Bündnissystem, das auf Treueschwüren der sarazenischen Könige gegenüber Orendel beruht. Unter Ises Führung bricht das christliche Heer zur Belagerung der Burg Westvale auf. Nach dem Sieg der Chris­ ten schwören die 13 sarazenischen Könige in der Burg Orendel die Treue und helfen bei der Einnahme Montelies, wo weitere 7 Könige sich Orendel unterwer­ fen. Gemeinsam gelingen den Heeren die Eroberung der gesamten babylonischen Wüste und die Unterwerfung ihrer 72 Könige. Das aus diesen Siegen entstehende Treueverhältnis zwischen Orendel und den sarazenischen Herrschern bleibt rein säkular: sie verpflichten sich ihm zu Dienst, schwören Treue und Eide.61 Diese militärisch durchgesetzte und politisch-diplomatisch gesicherte Befrie­ dung des Jerusalemer Umlandes ist jedoch nicht von Dauer, denn die Schwüre der babylonischen Könige sind alles meynayde.62 Die vernichtenden Niederlagen der

61 Die burg ward gewunnen / Und dreyzehen haydenischer künig darinnen / Der grawe rock der schöne weygant / Der ward erlöst do zu handt / Das sy sich an in ergabent / Dienstes des sy nye gepflagen / Sy schwurent im theüre ayde / Die liessent sy alle reyne / mit den dreyzehen künige / Die bezwanck er montelie / Darinnen warent gesessen / Syben haydenisch künig wol vermessen / Der grawe rock der weygant / Die syben haydenisch künig bezwang / Do sy sich an in ergabent / Dienstes sy rein pflagent / Sy schwurent im treü vnd ayd / Sy liessent sy auch allereyn // Mit den zweinzig künigen / Furentsy auff die wuste Babilonien / Darinnen warent gesessen / Zwen und sybenzig künig wol vermessn. / Der grawe rock der weygant / Die zwen und sybenzig kunig bezwang / Do sy sich an in ergabent / Dienstes sy rein pflagent / Sy schwurent im treu vnd ayde / Und wurdent doch alle meynayde / Also der degen lobesan / Bezwang die haydenschen man (od 97 f.). In der Prosabe­ arbeitung P wird die Idee der Mission jedoch auch an dieser Stelle aufgegriffen und es heißt es bei der Eroberung von Westvale: allererst erhub sich angst und not Wann wölcher Haid sich nicht wolt lassen tauffen der must sterben (od P, 49). Doch obwohl die Mission der Sarazenen in diesem Abschnitt keine Rolle spielt, kann ich Walter Kofler nicht zustimmen, der behauptet: »Trotz des oben zitierten göttlichen Auftrags an Orendel, gegen die Heiden zu kämpfen, verschwindet der religiöse Gegensatz mitunter fast völlig. Dies gilt vor allem für die Westvâl-Episode, in der erst im Laufe der Handlung erwähnt wird, daß die namenlosen Gegner Heiden sind« (Kofler 1996, 130). 62 Die Konjektur der Ausgabe von Steinger sie liezen sie alle meine (od 2567) erklärt sich nicht aus dem Kontext der Stelle, sondern als Parallele zu den Versen 1975 f., in denen es um die Eide der Tempelritter Orendel gegenüber geht. Sowohl die Handschrift (od H, 2546 meineide) als auch der Versdruck (s.o.) bieten Lesarten von ›Meineid‹.



Die Ausweglosigkeit der Zerstörung:  

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Sarazenen vor Jerusalem hindern sie genauso wenig an einem erneuten Angriff auf die Stadt, wie ihre Treueschwüre Orendel gegenüber. Sowohl Orendels als auch Ises bisherige militärische Erfolge gegenüber den Sarazenen erweisen sich als wertlos, als die beiden Brüder Durian und Elin ihnen den Krieg ansagen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine andere Strategie zur Lösung des interreligi­ ösen Konfliktes in dieser Auseinandersetzung Anwendung findet. Die beiden ver­ langen von Orendel, sich ihnen zu unterwerfen – im Gegenzug wollen sie ihm das Land zwischen Ackers und dem Jordan untertan machen (od 99). Orendel macht seine Entscheidung von der Religionszugehörigkeit der beiden Könige abhängig: Do sprach der grawe rock / das sag ich euch das waiß got / Wöllent ir mir machen unterthan / Das landt von Aackers biß auff den Jordan / Und wöllent sich auch lassen tauffen / Und zu dem waren cristglauben lauffen / So wil ich auff diser erden / Vil gerne ir beder diener werden (od 99).

Damit wird die Missionierung der Sarazenen als neue Lösungsstrategie für den interreligiösen Konflikt in den Text eingeführt. Sollten sich die beiden Könige taufen lassen, würde Orendel sich ihnen freiwillig unterwerfen und damit auch Jerusalem ihrer Herrschaft unterstellen. Er begehrt also keine Macht für sich selbst, sondern eine nicht an Personen gebundene christliche Herrschaft in Jeru­ salem. Doch Durian und Elin lehnen Orendels Forderung ab und greifen die Stadt an. Erst als Orendel Durian im Zweikampf besiegt, lenkt Elin ein und wird auf Orendels Anweisung gemeinsam mit den noch lebenden sarazenischen Kriegern getauft (od 107). Schon in der dritten ›Riesenschlacht‹ um Jerusalem wurden die sich ergebenden Sarazenen getauft (od 83 f.), im Streit mit Durian und Elin nimmt die Frage nach der Konversion jetzt allerdings viel breiteren Raum ein und erscheint als eigenständige Lösungs­mög­lichkeit. Die Mission der Sarazenen scheint sich als erfolgreicher Ansatz zu bestätigen, als Bride, Ise und Orendel zur Verteidigung Triers, gegen ein angreifendes Heer von 13 sarazenischen Königen, 16 Grafen und 12 Herzögen, eilen. Doch die Angrei­ fer reagieren unerwartet: Als sie von Orendels Ankunft hören, kommen ihm Vil manig stolzer ritter iunge (od 117) barfuß und in wollenem Gewand entgegen und fallen vor ihm auf die Füße und bitten Bride um Fürsprache bei ihrem Mann.63

63 Dieser massenhafte Wunsch nach Bekehrung erinnert an die Berichte Jakobs von Vitry, die John Tolan wie folgt zusammenfasst: »In Acre, Saracens (many of them slaves of Christians) daily come to him for baptism, Jacques affirms; Christ and the Virgin appear to them in dreams ordering them to do so and warning them of the imminent victory of the Christians. When the crusaders were besieging Damietta, Jacques says, Saracens crossed the Nile to receive baptism; more would have done so if not for the dangers of crossing the river« (Tolan 2002, 196).

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 Mission und Vernichtung

Das er in vergeb ir schuld / Und sy ließ kommen zu huld / Sy wolten sich lassen tauffen / Und an den waren cristum glauben / Mit weyben und auch mit kinden / Mit dem sy möchten behalten und bezwingen (od 117).

Diese Szene geht aus mehreren Gründen über die zuvor dargestellten Missions­ handlungen hinaus: zum einen entscheiden sich die Sarazenen für die Taufe, bevor sie gegen Orendel gekämpft haben. Dabei bleibt offen, ob die Angst vor ihm und seinen tapferen Kriegern (od 3133 ff.) ihre einzige Motivation ist – ihr Auf­ tritt im Büßergewand, ihr Fußfall vor Orendel und ihre Bitte um Vergebung ihrer Schuld und ihre Hoffnung zu hulde64 zu kommen, könnten als äußere Anzeichen einer demütigen, ›richtigen‹ Geisteshaltung und einer freiwilligen Entscheidung gewertet werden. Zum anderen werden zum ersten Mal auch Frauen und Kinder der Sarazenen in den Missionsprozess mit eingeschlossen. Vielleicht am bedeu­ tendsten ist jedoch, dass in dieser Szene, ähnlich wie im ›Oswald‹, mit der Taufe der anwesenden Sarazenen die Christianisierung der sarazenischen Welt neu angestoßen werden könnte, wollen sie doch auch die, die sy möchten behalten und bezwingen (od 117) der Taufe zuführen. Bride bittet Orendel eindringlich um die Taufe für die Sarazenen, zu der der König natürlich sofort bereit ist. Doch die suggerierte Freiwilligkeit der Taufe wird direkt als nur scheinbare entlarvt. Denn auch hier tritt eine, bereits in der ersten Taufzeremonie verwen­ dete, Formulierung auf: sy theten es gern oder ungeren / Sy musten alle cristen werden (od 118). Die Freiwilligkeit der persönlichen Entscheidung spielt in dieser Szene also entgegen den zuvor gegebenen Indizien keine Rolle, in dieser Hinsicht unterscheidet sich die ›friedliche‹ Taufe vor Trier nicht von der durch den Sieg im Kampf erzwungenen vor Jerusalem. Dies legt nahe, die Missionswilligkeit der Sarazenen in erster Linie Orendels militärischer Macht zuzuschreiben – wie im ›Ortnit‹ ist auch im ›Orendel‹ Mission immer Ergebnis von Zwangstaufen, auf die sich die Sarazenen nur in Angst um ihr Leben einlassen.65

64 Der Begriff hulde kann allgemein die Gunst des Höheren gegen die niedriger gestellten be­ zeichnen, hat aber auch eine starke lehnsrechtliche Bedeutung. Darüber hinaus kann auch die göttliche Gnade impliziert werden (s. DWB Bd. 10, Sp. 1888–1894). Zur Ritualität des Unterwer­ fungsaktes s. Althoff 1997. 65 Dieser Zusammenhang von Taufe und Unterwerfung spiegelt sich auch in der Formulierung Sy schlugent manchen hayden zu tod / Die dem heiligen grab nit wolten sein underthan (od 138) wider. Diese Formulierung lässt zwei Deutungen zu: entweder müssen alle sterben, die sich nicht taufen lassen, sich also nicht in religiöser Hinsicht dem Heiligen Grab, als Symbol für das Christentum, unterwerfen wollen oder es werden alle getötet, die sich nicht in politischer Hin­ sicht dem Heiligen Grab, als Symbol für eine christliche Herrschaft in Jerusalem, unterwerfen wollen. Beide Möglichkeiten können sich auch überlagern und zusammen gedacht werden.



Die Ausweglosigkeit der Zerstörung:  

 169

Aber auch die Mission der Sarazenen erweist sich nur als vorläufiges Mittel, einen Frieden unter christlicher Dominanz herzustellen. Als Orendel, Ise und Bride in das Heilige Land zurückkehren, müssen sie feststellen, dass sie verraten worden sind: Die beiden zum Christentum bekehrten Herzöge, denen sie Jeru­ salem in ihrer Abwesenheit zur Verteidigung überlassen hatten, haben sie den Sarazenen für Geld verkauft.66 Die neuen religiösen Verpflichtungen sind für die sarazenischen Figuren des ›Orendel‹ genauso wenig bindend wie ihre politischen Eide. Die Taufe der Krieger auf dem Schlachtfeld bleibt, wie ihre militärische Unterwerfung und politische Einbindung, folgenlos. Nachdem diese Alternativen im Erzählfluss abgewiesen wurden, kommt es zur letzten großen interreligiösen Auseinandersetzung des Textes, in der die mög­ lichen Ziele und Ergebnisse des Konfliktes eng geführt werden. Auf einer Erkun­ dungstour wird Bride entführt und zu König Minolt gebracht, der als neue Macht in der babylonischen Wüste vorgestellt wird.67 Doch Orendel und Ise kommen ihr zur Hilfe und nach einem imposanten finalen Gefecht können sie Minolt und sein Heer besiegen.68 Orendel lässt den König zu sich bringen und es entspinnt sich ein kurzer Dialog zwischen ihnen und Ise: Der grawe rock hieß bald entspringen / Den künig Meynolt herfür bringen / Do in der grawe rock ansach / Gern mügt ir hören wie er sprach / Wiltu dich tauffen lan / Und an den waren crist glauben han / Wilt du aber got nit werden underthan / So mustu den leib verloren han / Do sprach künig Meynolt / So wer uns vil weger der tod / Das wölt ich alles gern leyden / Das

66 Bei der Abreise des christlichen Heeres nach Trier heißt es: Do hieß man bald entspringen / zwen ander hertzogen dar bringen / Das warent gewesen zwen haidensche man / Und warent gewesen dem grawen rock gehorsam / Und hettent sich lassen tauffen / Und waren dem hailigen grab underthan / Man befalch den selben also schone / Bede kreütz und auch krone / Und das vil heilige grab / Das gabent sy den heyden umb einen schatz (od 109). 67 Er verspricht Bride, ihr die 72 Könige dieser Wüste Untertan zu machen, wenn sie ihn heira­ te. Zugleich verspricht er ihr auch, eher kontraproduktiv, Trier zu zerstören und Orendel und Ise hängen zu lassen (od 132). 68 Die Bedeutung dieser Auseinandersetzung wird durch mehrere Ereignisse unterstrichen – zum einen treffen Orendel und Ise in großer Gefahr auf einen alten, christlichen Torwächter, der sie beschützt und ihnen Zugang zum König verschafft. Es stellt sich heraus, dass es sich um Ises Onkel Achilles handelt, der unter König David in Ungnade gefallen war und jetzt die Chan­ ce erhält, zu seinen christlichen Glaubensbrüdern zurückzukehren. Dieser Plot erinnert an die Adan-Passagen aus dem ›Wigalois‹ Wirnts von Grafenberg: hier kämpft der Protagonist vor der zentralen Auseinandersetzung mit dem Sarazenen Roaz gegen den alten Torwächter Adan, der ihn nach dem Kampf vor der Rache der Hofdamen rettet, Wigalois die Treue schwört und sich zum christlichen Glauben bekehrt. Zum andern erhalten Ise und Orendel erst in letzter Minute die Unterstützung ihres Heeres, dass ihnen durch einen Brief der Gottesmutter, der während einer Messe von einer Taube auf dem Altar abgelegt wird, nachgeschickt wird.

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 Mission und Vernichtung

wissent on allen zweyfel / Meyster eyse das schwert auff hub / Dem haiden er das haubt ab schlug / Er sprach wie nun haidenischer man / Du hast uns vil zu laid gethan (od 138 f.).69

Die von Orendel vertretene Strategie der Sicherung einer christlichen Herrschaft durch Mission wird erneut abgewiesen: der besiegte Minolt weigert sich, seinen Glauben zu wechseln. Dass seine andere Herangehensweise, die Verteidigung der Heiligen Stadt gegen sarazenische Angriffe, zu keiner dauerhaften Lösung des Konfliktes führen kann, wird in der Minolt-Episode ebenfalls deutlich. Wie viele Heerführer er auch immer besiegt, aus der weiten Wüste Babylons wird sich immer wieder ein neuer erheben. Verteidigung und Mission sind nicht geeignet, eine christliche Herrschaft in Jerusalem dauerhaft zu sichern. Aus den Worten Ises, die seinen Schwertstreich begleiten, wird nicht deut­ lich, ob die Verweigerung der Taufe ihn motiviert – die Formulierung Du hast vns vil zu laid gethan70 scheint eher eine Motivation der Rache nahezulegen, wie sie auch im ›Ortnit‹ im Wüten des Elias begegnet. War Ise bislang der Architekt eines politischen Systems durch militärische Unterwerfung und Bündnistreue, so bricht in dieser Szene eine für den Text bislang untypische Gewaltsamkeit aus ihm hervor: Es ist die einzige Szene, in der ein wehrloser Gegner hingerichtet wird. Die Fassung der Handschrift ruft in den Worten Minolts sogar eine politi­ sche Lösung auf, die dadurch umso entschiedener abgewiesen wird.71 Die ungebremste Gewalt setzt sich weiter fort: nach der Siegesfeier wird die Macht der 72 Könige der babylonischen Wüste augelöscht, wobei die Fassungen des Textes unterschiedliche Akzente setzen: in der Handschrift verbrennt Ise die Könige selbst, im Druck ihre Burgen und damit Machtzentren, die Prosafassung lässt Achilles die gesamte Babilonj (od P 68) verbrennen. Erst mit dieser Ausmer­ zung der sarazenischen Bedrohung gelangen die Kämpfe um Jerusalem zu einem

69 An dieser Stelle geht die Überlieferung interessanterweise in Bezug auf Minolts Antwort auseinander, denn in der der in der Prosafassung wird Minolts Absage an den Christenglauben verstärkt: Antwurdt Minelot / wäre ichts würsers oder härbers dann der tod das woltich on alle swär gern leyden / Ee ich gelauben wolt an euwern gott / der da ist ein rechter trugner (od P 68). 70 Die Prosafassung weicht in diesem Punkt ab und lässt Ise sagen: wils got mein herr so mag ich meine augen wol vor dir behalten (od P 68), was zugleich Abscheu vor Minolts Entscheidung suggeriert als auch eine Verbindung zwischen Ises Tat und dem von ihm vermuteten Willen Got­ tes herstellt. 71 In der Fassung der Handschrift scheint eine politische Lösungsmöglichkeit noch einmal kurz auf. Hier reagiert Minolt nicht abweisend, sondern ausweichend auf Orendels Forderung: Do sprach der künig Mynolt, / Er wolt jn jmer geben golt, / Das sy in liessent leben, / Er wollte jn sin rich alles geben (od H 3769 ff.). Der Begriff rich könnte hier sowohl als Reichtum/Besitz als auch als Macht/Herrschaft gedeutet werden, wobei mit der Aufgabe seines gesamten Reichtums auch die seiner Macht als Herrscher bedingt wäre.



Die Ausweglosigkeit der Zerstörung:  

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Abschluss. Die Heilige Stadt selbst kann von Bride in einer erneuten Spionage­ mission leicht durch eine List zurückerobert werden.72 Wo Verteidigung, Mission und politische Bündnisse scheitern, ermöglicht erst die Auslöschung der Sara­ zenen bzw. ihrer politisch-sozialen Strukturen eine dauerhafte christliche Herr­ schaft in Jerusalem.73 Die drei Hauptfiguren Bride, Orendel und Ise sterben ein halbes Jahr später und werden von Engeln in den Himmel geführt. Doch ganz so widerspruchsfrei und folgerichtig wie die Entwicklung der erfolgreichen Lösung des interreligiösen Konfliktes erscheint, ist sie nicht. Hinter der gesamten Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Christen und Sarazenen im ›Orendel‹ steht die Frage nach dem ›warum überhaupt‹? Denn der Konflikt zwischen den beiden Religionsgruppen besteht nicht von Anfang an: vielmehr wird er erst durch die Ankunft des Helden im Heiligen Land ausgelöst. Königin Bride ist keine Frau in Not, ihre Herrschaft in Jerusalem zu Beginn des Werkes nicht gefährdet. Sie herrscht als christliche Königin sowohl über Glau­ bensgenossen als auch über die Sarazenen der Stadt, die sie akzeptieren, sogar wertschätzen und ihr dienen, wie König Eygel seinem Sohn Orendel schon vor seinem Aufbruch berichten kann: Ir dienet das hailige grab / Und darzu vil der haydenschafft (od 13). Dies wird bei der Ankunft des Trierer Königssohns am Hof der Königin von Jerusalem deutlich: hier trifft er auf turnierende Sarazenen und auch auf die höfischen Brüder Mercian und Schudan, die mit harten grossen eren leben, in einer Laube des Hofes Schach miteinander spielen und zu der künigin gute wan haben (od 40). Auf Orendels Bitte um Unterstützung beim Kampf hin erklärt ihm Mercian geduldig, dass sie beide ungetauft wären und deshalb nichts um Orendels Gottes willen tun würden – sein Pferd und seine Ausrüstung dürfe er aber gerne benutzen. Orendel, der in dem Turnier einen Mann nach dem anderen vom Pferd sticht und tötet, wird zur Bedrohung. Als er seinen Bruder Sudan tötet, flieht Mercian. Doch es sind die christlichen Tempelritter, die handeln und das sarazenische Heer unter der Führung des Riesen Metwin rufen um Orendel zu beseitigen. Sogar Königin Bride deklariert die Tötungen der sarazenischen Krieger, die sie als die

72 Die Sarazenen hatten das Heilige Grab durch 72 Götzenbilder entweiht und die Bevölkerung von Jerusalem gezwungen, diese anzubeten. Die Rückeroberung Jerusalems ist daher auch als religiöse zu werten, als eine Reinigung der Stadt vom Unglauben. Diese Idee, das »Anliegen, Palästina und vor allem die heilige Stadt, Jerusalem, von ritueller Beschmutzung zu säubern, durchzieht viele Kreuzzugschroniken« (Jaspert 2007, 317). 73 Die unterschiedlichen Varianten des Textes, die entweder die Auslöschung der politischen Strukturen (D, H) bzw. des gesamten Landstriches und damit wahrscheinlich aller seiner Bewoh­ ner (P) beschreiben, spiegeln die unterschiedlichen Deutungen des Begriffes nationes in Bern­ hards Aufruf zum Wendenkreuzzug (s.o.) wieder.

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 Mission und Vernichtung

ihren benennt, als Affront. Bei ihrer ersten Begegnung mit Orendel eröffnet sie das Gespräch mit einem Tadel: Ir hand mir erschlagen meinen man / Die mir des hayligen grabes solten gehutet han (od 59) – offenbar unterscheidet Bride bei ihren Untergebenen nicht nach Religionszugehörigkeit, sondern nach Loyalität. Auch die anderen Angriffe der Sarazenen richten sich, trotz der erwähnten Drohun­ gen dem Heiligen Grab gegenüber, explizit und ausschließlich gegen Orendel – sowohl Liberian als auch Pellian wollen mit ihrem Heeresaufgebot die Herausgabe des Fremden erreichen. Mit Orendels Ankunft in Jerusalem bricht also eine neue christliche Gewalt in eine Gesellschaftsordnung ein, in der Christen und Saraze­ nen unter einer christlichen Königin zusammenleben. Diese Königin beschützt mit ihren Tempelherren das Heilige Grab und weder dieser Schutz noch ihre Herrschaft ist in Gefahr – die in der Stadt lebenden Sarazenen haben vielmehr guote wan zu ihr und auch von Außen ist vor Orendels Ankunft keine Bedrohung erkennbar. Erst sein kriegerisches Auftreten und Ises Expansionskrieg führen zu einem offenen Konflikt und einer Situation, in der Jerusalem in die Hand der Sara­ zenen fällt und das Heilige Grab durch ihre 72 Abgötter beschmutzt wird. In der Figur Königin Brides personifiziert sich eine Alternative zum Kampf zwischen den Religionen. Denn obwohl sie Orendel und Ise in jeder Hinsicht unterstützt, selber in die Kämpfe eingreift, Heere anführt und Spionagemissio­ nen übernimmt, wird mit ihrer Figur nicht nur am Anfang, sondern auch später im Text ein alternatives Konzept zur Lösung, oder vielleicht besser gesagt zur Aussetzung des interreligiösen Konfliktes verbunden. Das friedliche Zusamm­ leben von Christen und Sarazenen mit gegenseitiger Wertschätzung, das unter ihrer Herrschaft in Jerusalem möglich war, stellt die Sinnhaftigkeit der christli­ chen Aggression im weiteren Textverlauf prinzipiell in Frage. Es konnte bereits gezeigt werden, dass die Strategien, die Orendel und Ise zur Lösung des interre­ ligiösen Konfliktes verfolgen, in der letzten Auseinandersetzung mit Minolt eng geführt werden. Doch auch Bride führt ihre Gespräche mit dem Sarazenenkönig. Als sich Orendel durch sein Erscheinen in Gefahr begibt, bietet sich Bride ihm an, sollte er den König von Jerusalem verschonen.74 König Minolt lehnt dies ab und Brides Angebot führt ins Leere. Es zeigt jedoch, dass die Königin zu einem engen persönlichen Zusammenleben mit dem sarazenischen Herrscher bereit wäre, wenn es Orendel beschützen und somit den Frieden wahren würde.75

74 Bride formuliert ihr Angebot als hypothetische Möglichkeit: ob ich bey dir sesse / Und mit dir trunck und esse / Und dich kust an deinen mund […] Und keme dann der grawe rock der degen iunck / zu uns in das hauß eingan / Nun sag wie solt es umb unser leben stan (od 134). 75 Natürlich ließe sich leicht einwenden, dass sie dieses Zugeständnis in einer Zwangslage macht und der Kampf gegen die Sarazenen und der endgültigen Sieg der Christen durch die Zerstörung der babylonischen Wüste, nicht zuletzt durch die beständige göttliche Hilfe und die



Sinnlose Gewalt:  

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Obwohl Bride, Orendel und Ise harmonisch miteinander agieren, werden in diesen Figuren unterschiedliche Strategien der Lösung des interreligiösen Konfliktes in ihrer Pluralität deutlich. So wie Orendel für die Verteidigung der christlichen Städte und der an kriegerische Auseinandersetzungen gebunde­ nen Christianisierung der Sarazenen steht, vertritt Ise zunächst ihre militärisch durchgesetzte politische Unterwerfung und zum Schluss die erfolgreiche Aus­ löschung ihrer Machtstrukturen bzw. sogar die Auslöschung des sarazenischen Volkes. Demgegenüber wird an die Figur der Bride durch ihre Gespräche mit Minolt, aber auch durch ihre Fürsprache für die Sarazenen bei der Taufzeremonie in Trier und ihre abschließende listenreiche Einnahme Jerusalems ohne offenen Kampf, besonders aber durch ihre stabile Herrschaft eines gemischtreligiösen Jerusalems zu Beginn des Werkes, ein Konzept des Nicht-Lösens des interreligö­ sen Konfliktes, seines Aussetzen zugunsten eines friedlichen Zusammenlebens beider Religionen gebunden. Es wäre ein Leichtes gewesen und hätte nahe gelegen, Königin Bride zu Beginn als bedrängte Herrscherin darzustellen, die auf Rettung durch einen christlichen Befreier Jerusalems wartet. Dies geschieht jedoch nicht: In ihrer von beiderseitiger Akzeptanz geprägten Herrschaft über Christen und Muslime wird das Zusammenleben als Alternative aufgezeigt, die keiner Rettung bedarf. Durch diese Darstellung wird auch im erfolgreichen Ende des Textes noch ein leises ›warum überhaupt?‹ hörbar.

Sinnlose Gewalt: ›Ortnit‹ Blickt man von hier auf den ›Ortnit‹, so zeigt sich auch dort das friedliche Zusam­ menleben zwischen Christen und Sarazenen als Alternative zum Austrag des interreligiösen Konfliktes. In der großen Ratsversammlung zu Beginn des Textes hebt der Erzähler zwei Vertraute heraus, die Ortnit bei sich behalten will. Zum einen seinen Verwandten Elias und zum anderen den Sarazenen Zacharias.76 Obwohl Ortnit ihn als getruwer werder heiden anspricht und ihm anbietet ihn im Falle eines Religionsübertrittes an eins bruoder stat (or 68) zu haben, will ihm der Fürst lieber ungetauft me dienen, wen ein cristen duot (or 69). Diese Entschei­ dung wird nicht weiter hinterfragt und Zacharias leistet Ortnit wertvolle Dienste.

Aufnahme der Protagonisten in das Himmelreich, als gut und richtig erscheint. Wie bereits er­ wähnt, setzt sich ja auch Bride aktiv für diesen Kampf ein. Dies ändert aber nichts daran, dass in den Handlungen dieser Figur eine Alternative zum Handlungeschehen sichtbar gemacht wird. 76 Im in der Arbeit zitierten ›Ortnit D‹ bleibt der sarazenische Berater namenlos.

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 Mission und Vernichtung

Dadurch kommt es bei der Belagerung Montabures zu seinem etwas seltsamen Bild: die Heerführer der christlichen Belagerer wohnen in kunstvollen sarazeni­ schen Zelten aus meisterhaft gewobener Seide. In Ortnits schattenspendendem Zelt könnten leicht 500 Krieger übernachten. Zeltstangen aus Elfenbein und ein großer karfumckel stein, der Licht spendet, runden das Bild ab.77 Diese Vorteile, die Ortnit durch die Freundschaft mit einem Sarazenen ent­ stehen, ruft der Text unmittelbar vor der ersten Schlacht mit Nachaol auf. Dieser Kampf begründet im Gegensatz zur Freundschaft mit Zacharias eine Feindschaft, die Ortnit viele seiner Männer kostet, schlussendlich aber auch in Nachaols Rache zur Verwüstung seines eigenen Landes und zu seinem eigenen Tod führt. Die durch Ortnits Angriff auf Sunders und Montabure provozierte Feindschaft mit dem Sarazenen wird ihn in sein Verderben führen. Ähnlich wie an der Figur Brides lässt sich dabei für den ›Ortnit‹ an der des Zacharias, der zu Beginn des Werkes in der Ratsszene, in der Mitte durch seine Zelte und am Ende bei Ortnits Empfang präsent gehalten wird, die Frage eines ›warum überhaupt?‹ festmachen. Auch in diesem Werk wird die Option eines friedlichen und damit lukrativen Zusammenleben der Religionen aufgerufen. Diese Anlage wird noch dadurch ver­ schärft, dass die Alternative zu diesem Zusammenleben nicht in der gewaltsamen Vernichtung der Sarazenen, sondern im Scheitern und im Untergang des christ­ lichen Helden liegt. Denn Ortnit erringt zwar die schöne Prinzessin, doch den Kampf gegen ihren Vater gewinnt er nur für den Moment. Dieses Defizit bedeutet schlussendlich das Scheitern König Ortnits, wie die Forschung bereits mehrfach angemerkt hat.78 Noch nicht genügend berücksichtigt wurde meines Erachtens, dass sein Scheitern nicht nur auf persönlicher oder struktureller Ebene (Braut­ werber – Brautvater), sondern auch auf der thematischen Ebene des interreligiö­ sen Konfliktes verankert ist und auf dieser ausagiert wird. Dass der Text Möglichkeiten im Umgang mit den Sarazenen verhandelt, dabei aber keine eindeutige Botschaft fixiert, wird schon an einer Variante in der Überlieferung des Werkes deutlich. Zu Beginn des Werkes erklärt Ortnit seinen

77 Do hüetent die herren vf daz wite felt. / do sluog man dem kunge vff manig herlich gezelt: / dry worent sidin – gar meisterlich geweben –, / als im der riche heiden zuo Messin hette geben. // Des kunges gezelt wart gespannen, daz es schette truog. / finf hundert kiener heilde hettent dar vnder gemaches genuog: / zwo stangen helfenbeinin, luter als ein spiegel glas / vnd an etwederm orte ein knopf dar vf was. // Al mitten dar vnder lag ein karfunckel stein, / der in des kinges gezelt reht als ein kertze schin (or 375 ff.). 78 Christian Schmid-Cadalbert hat das Scheitern Ortnits als zentrale Linie des Textes in Abgren­ zung zu der Gruppe der restlichen Brautwerbungserzählungen, als seine spezifische ›Schema­ individuation‹ begriffen und dementsprechend genau und vielseitig analysiert (Schmid-Cadal­ bert 1985, 101–232, bes. 203).



Sinnlose Gewalt:  

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Lehnsleuten und Freunden das Ziel der Unternehmung. Im Ambraser Helden­ buch (Handschrift A) tut er das mit folgenden Worten: »mit vroleichem mute«, sprach der chunich Ortneit, »Sul wir die haiden toten, die ninder christen sint«.79 Die übrigen Ortnit-Fassungen liefern jedoch einen anderen Befund. Zwei Fassun­ gen (C und K) sparen diese Passage insgesamt aus, doch vier lassen Ortnit nicht vom toeten, sondern vom tauffen der Sarazenen sprechen.80 Das Nebeneinander der beiden Varianten zur endgültigen Lösung des inter­ religiösen Konfliktes besteht aber nicht nur auf der Ebene der Überlieferung, sondern ist auch bezeichnend für den Textverlauf. Jede von ihnen wird dabei schwerpunktmäßig von einem der beiden Berater König Ortnits, seinem Vater Elberich und seinem engsten Vertrauten Elias, vertreten. Die Konkurrenz der beiden von diesen Figuren vertretenen Vorgehensweisen zur Konfliktlösung wurde bereits an anderer Stelle beobachtet. So führt Christian Schmid-Cadalbert (1985, 135 ff.) in seiner Analyse des ›Ortnit AW‹ vor, wie Elberich immer wieder seine Kenntnis und List gegen Elias Stärke und Kampfkraft ausspielt.81 Besonders deutlich wird dies im Kapitel ›Der Kampf um Suders: Konflikt der Helfer‹ (ebd., 158 ff.). Wenn er dort jedoch behauptet »Die Kontrastierung Christen-Heiden ver­ blaßt im Ortnit AW während der Schlacht um Suders zugunsten einer Gegenüber­ stellung von Ortnit, Elberich und Elias« (ebd., 159), ist ihm nur bedingt zuzustim­ men – der Konflikt zwischen Elberich und Elias beinhaltet nämlich nicht nur die Methode des Vorgehens, Gewalt oder List, sondern entzündet sich auch inhalt­ lich an der Behandlung der Sarazenen, der Alternative Tod oder Taufe. Diese Ver­ handlung soll im Folgenden genauer in den Blick genommen werden. Schon zu Beginn der Schlacht von Sunders prallen Ortnits gewaltsames Vor­ gehen und Elberichs listige Pläne aufeinander. In Sunders angekommen bittet

79 Zitiert nach der Ausgabe nach der Handschrift A von Walter Kofler, Strophe 27 f. 80 Neben der Fassung AW gibt es sechs weitere: a, e, y, z werden von Kofler in einer Ausgabe unter ›Ortnit D‹ zusammengefasst, C ist nur in Fragmenten überliefert und K steht für die Hel­ denbuchfassung. Die Fassung a liefert in HS a toffen, und in HS b triffen (ebenfalls im Sinne von ›tauffen‹, Vgl. Strophe 342, 348). Fassung e (HS e) döffen, y »Vil mangen well wir tauffen, die noch nit cristen sint« (or y 24,1) und z wir söllen überfliessen / mit ritterlicher schar / Vnd teiffend heiden blinde / die noch nit cristen sind (or z 14 ff.). 81 Eine ähnliche Beobachtung macht auch Walter Kofler für den weiteren Textverlauf: »Ortnît ist in der Verfolgung seines Kampfziels wankelmütig. Zunächst respektiert er den von Alberîch überbrachten Wunsch der Heidenprinzessin, ihren Vater zu schonen und auf die Einnahme der Stadt zu verzichten. Als sein Heer nach der letzten Schlacht die fliehenden Heiden verfolgt, möchte er Nachaol jedoch töten, scheitert aber mit dem Vorhaben (Ort. I,1: 470–478). Ortnîts Ressourcen werden im kontraproduktiven Nebeneinander von Militäraktion und Listaktion auf­ gerieben. Ortnît selbst kämpft zwar tapfer, erreicht aber nicht die angestrebten Ziele, weil er zwi­ schen eigenen und fremden Entscheidungen hin und her schwankt« (Kofler 1996, 71).

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 Mission und Vernichtung

Ortnit Elberich um Rat, wie die Stadt des sarazenischen Herrschers zu zerstö­ ren sei und gibt als Kampfparole die Tötung aller Einwohner aus.82 Elberich ist darüber entsetzt und antwortet ihm: daz wer ein arger list! / so wer och gar vbel, daz du ein kung bist! / woltestu also erzirnen den din hus genos, / e daz du im wider seitest, so wer din laster gros (or 274).

Bevor Ortnit seinen zukünftigen Schwiegervater so erzürne, solle er ihm lieber einen Boten schicken – doch der König verweigert dies aufgrund der Unreinheit Nachaols (or 275). Um Ortnit vor dieser Schuld zu bewahren, reist Elberich selbst als Bote zu Nachaols Burg Montabure. Als er dort, selbst unsichtbar, auf den Herrscher der Sarazenen trifft, entspinnt sich zwischen ihnen ein kurzer Dialog, in dem in erster Linie eine mögliche Bekehrung Nachaols thematisiert wird. Elbe­ rich gibt sich dabei als Bote Gottes aus und mahnt den König im Namen dessen, der auch ihn als Mensch erschaffen habe, seine ›Unseligkeit‹ zu verlassen und sich zu bekehren. Doch Nachaol vertraut auf die Macht seines eigenen Gottes: min got heisset Machemet.83 Erst als dieser Bekehrungsversuch Elberichs geschei­ tert ist, kommen die beiden zum eigentlichen Thema, der Brautwerbung. Nachaol lehnt Ortnits Werbung um seine Tochter rigoros ab – auch, als Elberich ihn zweimal davor warnt, der König aus Lamparten werde die Prinzes­ sin ansonsten gewaltsam erobern. Elberich erreicht weder durch seine List, als Gottesbote aufzutreten, noch durch seine Warnungen vor Ortnits Heeresmacht ein Einlenken des sarazenischen Königs in Glaubensfragen oder in Bezug auf seine Tochter. Die gewaltfreie Strategie Elberichs scheitert und der Zwerg reagiert darauf mit Gewalt: anstelle eines Briefes von Ortnit erhält Nachaol einen kräf­ tigen Schlag auf den Hals, der ihn so wütend macht, dass er von seinen Leuten

82 nu rot vnd lere, vil lieber Elberich, / wie wir die stat zersterent dem heidenschen kunge rich. // Die porten stont offen: ich wen, daz vns nieman wer. / so den die lite entsloffent, so tringen wir in mit her. / sy miessent des engelten, daz sy heiden sint. / wir went sy alle teten – die wip und och die kint (or 272 f.). 83 »Wo ist des landes herre?« der kung sprach: »daz bin ich!« / im wart so ser grussen, er begund ferhten sich. / »was ist, daz do sprichet? waz meinstu oder wie? / bistu selber der tifel, was duostu den hie?« // »Nein ich«, sprach der cleine, »ich bin ein ander bot. / mich hat her gesant min meister vnd min got.« / »vf dines gottes mere der vf enaht ich nit. / waz er mir gebitet, daz aht ich als ein wiht. // Ich acht och harte cleine sin gebot vnd sin gebet. / so gloube ich an anders keinen: min got heisset Machemet. / ich will im gerne dienen, er ist der herre min.« / mit zorne sprach der cleine: »wiltu iemer vnselig sin? // Der, an du gelobest, der duncket mich ein wiht. / vnd du den nit erkennst, den man gewaltig siht? / der dich hat erschaffen, daz du bist menschlich. / sage mir: wo ist Apollo vnd Machemet in himelrich?« // »Wen sy es duon wellent«, sprach der heiden do, / »mich vnd min gesellen machent sy alle fro.« / mit zorne sprach der cleine: »die rede ist ein wint! / noch bin ich stercker wen sy beide sint« (or 281–5).



Sinnlose Gewalt:  

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festgebunden werden muss. Bei seiner Rückkehr muss Elberich Ortnit also sagen: du gewinnest sy den mit strite, so wurt sy niemer din (or 302). Gewalt erscheint als die einzige Strategie zur Lösung des Konfliktes. In der Schlacht um Sunders wird dann das Maß, die Motivation und das Ziel dieser Gewalt im Zusammenspiel der drei Figuren Elberich, Ortnit und Elias dis­ kutiert. Denn noch immer will der Zwerg seinem Sohn keinen Rat zur Zerstörung der Hafenstadt Sunders geben: Sein im Zorn gegebener Hinweis auf die ohnehin geöffneten Pforten könnte bedeuten, dass Ortnit keinen Rat nötig hat – aber auch, dass eine Zerstörung der Stadt überflüssig ist (or 308). Es entbrennt ein wütender Kampf innerhalb der Stadtmauern, der mit 45 Strophen einen nicht geringen Anteil am Gesamtumfang der Erzählung (569 Strophen) hat. Als Ortnit auf Elberichs Rat hin den Rückweg zu den Schiffen sichert, wird Elias mit seinen 5000 Männern von den Sarazenen überwältigt. Im letzten Moment kann Ortnit seinen Freund noch retten, doch dessen Krieger sind alle gefallen. Dadurch verändert sich sowohl die Motivation Elias’, der jetzt nur noch auf Rache sinnt, als auch das Ziel seiner Gewalt. Denn das christliche Heer muss Sunders auf dem Weg zu Nachaol nur durchqueren – Elias aber will alle in der Stadt lebenden Sarazenen töten. Dadurch verliert seine Gewalt jedes Maß und er wütet fast besinnungslos unter den Sarazenen.84 Als Elberich ihm ein Versteck zeigt, in dem tausend Sarazenen verborgen sind, fallen diese ihm zu Füßen und bitten um Gnade und die Taufe.85 Elias zerrt sie jedoch alle aus der Höhle und schlägt ihnen die Köpfe ab.86 Später lässt er seinen Zorn im Tempel der Sarazenen an den Statuen ihrer apgette aus.87

84 Wie gründlich Elias vorgeht, lässt sich an der späteren verallgemeinernden Bemerkung sit daz er Sunders hat gewunen vnd die burger erslagen (or 382) erkennen. Auch Elias Haltung lässt sich diskursiv durch Positionen perspektivieren, die eine prinzipielle Vernichtung aller Sara­ zenen fordern. Zwei Beispiele dafür gibt Benjamin Kedar (1984, 189): »Finally, at the hawkish extreme of the continuum of opinions, there was the call for the outright extermination of the Saracens unmigitated by any reference to the possibility of conversion. The ›Summa unversae theologiae‹, traditionally ascribed to Alexander of Hales (d. 1245) but not completed until about 1256, lays down that the verse ›You shall not allow a witch to live‹ (Exodus 22:18) applies to he­ retics and Saracens; therefore they can justly be killed and despoiled by those who wield legi­ timate power. Similarly Benoît of Alignan, after describing the Saracen view of Paradise in his ›Tractatus fidei contra diversos errores‹, exclaims that ›the absurdities of Machomet […] are not worthy of debate, but rather are to be extirpated by fire and sword‹«. 85 Sy fielent im zuo fuosse: »ir sillent vns lossen leben! / wir went uns lossen trifen, an gottes gnode ergeben.« (or 342). 86 »gerne«, sprach der Risse, »gelten mir mine man. / mit minem besem rise enschlahe ich vch den ban. // Ich setz vch eine buosse – der enbrechent niht. / men muos noch hite schowen, ob men die minen siht. / wem ich mit minem swerte gibe einen slag, / der muos die buosse vasten vnz an den gingesten dag« (or 342 f.).

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 Mission und Vernichtung

Will man diesen blutigen Kampf in den Straßen von Sunders in Beziehung zu außerliterarischen Vorbildern setzen, drängen sich Schilderungen der Erobe­ rung Jerusalems während des ersten Kreuzzuges auf, wie sie sich in der ›Gesta Francorum‹ und in der Chronik Wilhelms von Tyrus finden.88 Die dort gegebene Beschreibung zeigt, ähnlich wie der ›Ortnit‹, einen vollkommenen Sieg der Chris­ ten und zugleich ein unglaubliches Blutbad unter den Sarazenen. So heißt es in der ›Historia‹ (VIII, 19–20) Wilhelms: Sofort durchzogen der Herzog und die, welche mit ihm waren, in geschlossenen Gliedern, mit gezückten Schwertern und mit Schilden und Helmen bedeckt, die Straßen und Plätze der Stadt, und streckten alle Feinde, die sie finden konnten, ohne auf Alter oder Rang Rücksicht zu nehmen, mit der Schärfe des Schwertes nieder. Und es lagen überall so viele Erschlagene und solche Haufen abgeschlagener Köpfe umher, daß man keinen andern Weg oder Durchgang mehr finden konnte, als über Leichen.89

Dabei wird eine ähnliche, und doch in entscheidender Hinsicht abweichende, Episode erzählt wie die Tötung der sich versteckenden Sarazenen durch Elias.

87 Er het in von der vnfuore nie so balde broht, / er het in sime hertzen ein anders do erdoht: / er lief zuo dem bette huse, do er die apgette fant. / er nam sy by den beinen, vnd sluog sy vmb die want (or 356). 88 In der neueren historischen Forschung wird wiederholt betont, dass man diese Beschreibun­ gen mit Vorsicht zu genießen hätte, denn sie seien nicht so sehr am tatsächlichen Geschehen, das deutlich weniger rauschhaft und blutig gewesen sei, sondern vielmehr an literarischen Vor­ bildern orientiert gewesen, wie Kaspar Elm ausführt. Die »Blutsprache« des Textes sei Instru­ ment, die ›Reinigung‹ des Heiligen Landes zu inszenieren (Elm 2001, 50). Dabei lehne er sich an die Darstellung der Makkabäerbücher an. Damit stünde der ›Ortnit‹ in ähnlichen intertextuellen Verweiszusammenhängen wie der ›Orendel‹ – auch hier wird über die Chronik Wilhelms von Tyrus und die biblische Geschichte der Makkabäer ein zeitliches oder vielleicht besser zeitloses Kontinuum des Kampfes zwischen Christen und Nicht-Christen im Heiligen Land aufgemacht. »Wenn von den christlichen Chronisten«, so bestätigend Ernst-Dieter Hehl, »keiner das Massaker zu vertuschen gesucht habe, dann um alttestamentliche Parallelen der Makkabäer-Kriege entwe­ der zu beschwören, ja noch zu übertreffen« (Hehl 2004, 240). So auch Nikolas Jaspert (2004, 217): »Es ist auch hinlänglich bekannt, daß die Kreuzfahrer sich in Parallele zu alttestamentlichen Gestalten und Heeren setzten. Dies schlug sich auch in den Berichten über die größten Exzes­ se – etwa über das Massaker des Sommers 1099 in Jerusalem – nieder. Die Autoren griffen mit ihren blutrünstigen Bildern und Formulierungen auf literarische Vorbilder aus Antike und dem Alten Testament zurück. Sie wollten also kein absolut getreues Abbild des Geschehens liefern«. Für den aktuellen Kontext ist jedoch nicht so sehr der Realitätsgehalt der Beschreibung, als ihre szenische Inszenierung von Interesse. 89 Porro dux et qui cum eo erant per vicos civitatis et plateas, strictis gladiis, clypeis tecti et galeis, juncto agmine discurrentes, quotquot de hostibus reperire poterant, aetati non parcentes, aut conditioni, in ore gladii indifferenter prosternebant. Tantaque erat ubique interemptorum strages et praecisorum acervus capitum, ut jam nemini via pateret aut transitus, nisi per funera defunctorum (WTH VIII,19, Sp. 427).



Sinnlose Gewalt:  

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Wilhelm beschreibt, wie sich der größte Teil der einheimischen Bevölkerung in den Tempel flüchtet.90 Doch dies bedeutet für sie keine Rettung, denn der Tempel wird zunächst von Tankred und später von vereinten Truppen der Kreuzritter gestürmt, die alles und jeden im Tempel niedermachen: Sie drangen mit einer Menge von Rittern und Fußgängern herein, und stießen, ohne Jemand zu schonen, was sie fanden mit den Schwertern nieder, und erfüllten alles mit Blut.91

Die rauschhafte Gewalt, die Tötung der Gegner ohne Rücksicht auf Stand, Alter oder Geschlecht und die Aggression im Tempel lassen die Berichte über die Erobe­ rung Jerusalems als intertextuelle Folie für Elias’ Verhalten erscheinen. Doch vor dem Hintergrund dieser inhaltlichen Parallelen wird ein entschiedenes Abwei­ chen in der Wertung entwickelt. Dies wird an zwei Punkten deutlich: Zum einen kämpft Elias nicht um Jerusalem, sondern um eine unbedeutende Hafenstadt und zweitens kennzeichnen die Reaktionen der anderen Figuren sein Verhalten deutlich als verurteilungswürdig. Als Elias nämlich nach dem ersten Versteck ein zweites voller Frauen und Kinder findet, die ebenfalls um Schonung bitten, greift der Zwerg Elberich ein und klagt Ortnit dieses Missverhalten.92 Ortnit kann Elias mit seinen Worten nur eben so (vil kume, or 351) davon abbringen die Frauen zu enthaupten. Elias wütet während dessen immer wilder in der Stadt und tötet jeden, der ihm in den Weg kommt: sy werent kristen oder heiden; die sties er in den munt (or 352). Sein fanatischer und von Rache getriebener Kampf, der auch vor taufwilligen Frauen und Kindern, ja sogar vor christlichen Verbündeten nicht Halt macht, lässt ihn in den Augen Elberichs als tifel, in den Ortnits als des vbeln difels kint (or 353 f.) erscheinen. Erst als Ortnit ihn deswegen scharf zurechtweist, weicht er mit seiner Wut und Gewalt auf die Statuen im Tempel aus. Zum anderen aber entbehrt der Kampf um die Hafenstadt Sunders, deren Eroberung für Ortnits Heer keinen Nutzen als ihre ungehinderte Durchquerung

90 »Der größte Theil des Volks hatte sich nach der Halle des Tempels geflüchtet, weil dieser in einem entlegenen Theile der Stadt stund, auch mit einer Mauer, mit Thürmen und starcken Thoren verwahrt war«; Tanta autem per urbem erat strages hostium, tantaque sanguinis effusio, ut etiam victoribus posset taedium et horrorem ingerere; Confugerat porro in atrium templi populi pars maxima, eo quod locus in parte urbis esse videretur secretior, muro quoque et turribus, et portis validioribus apprime communitus (WTH, VIII,19,20, Sp. 428). 91 illuc descendunt unanimes, et intromissa tam equitum quam peditum multitudine, quotquot ibi reperiunt, nemini parcentes, obtruncant gladiis, sanguine replentes universa (WTH VIII,20, Sp. 428). 92 Mit zorn sprach der cleine vs der steines want, / har wider durch die toten, do er den kung vant: / »din ohen will den frowen kein friden geben: / die gern kristen wirden, den nimet er daz leben!« (or 347).

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hat, der Legitimation des Kampfes um die Heilige Stadt Jerusalem, wie sie in der Chronik Wilhelms hergestellt wird. Dies wird gerade in der Parallele deutlich, die in der Abschlachtung sich versteckender Bürger liegt. Kann Wilhelm dies als ein »gerechtes Urteil Gottes« für die Ungläubigen beschreiben, die den Tempel durch ihre Gebräuche entweiht hätten, der jetzt durch ihr Blut gereinigt werde,93 zerrt Elias Frauen und Kinder aus völlig bedeutungslosen Höhlen. Dass dieser Kampf nicht in Jerusalem stattfindet, über das Nachaol ja ebenfalls als König herrscht, sondern irgendwo am Rand seines Reiches, zeigt die Sinnlosigkeit der entfesselten Gewalt, die für die siegreichen Christen keinen gewin bringt. Am Ende der Schlacht sieht man Ortnit daher nicht triumphieren, sondern verzwei­ feln: »Daz los mich got gebiessen«, sprach der kung Otnit, / »daz so mag kristen in mime dienste lit! […] // waz hilfet mich min zorn? waz ich dar vmb tete, so wer es doch verlorn. / an solicher her verte nimet nieman kein gewin« (or 360 f.).

Keinen Gewinn bringen auch die Taufen, die Ortnit und Elberich durchführen, nachdem sie Elias an der Tötung der sich ergebenden Frauen und Kinder hindern. Taufe und Schonung fällt hier zusammen, sie wird mit dem Ziel des Königs, das ihn Milde stimmt, motiviert. So erinnert er Elias daran du mehtest doch gedencken, daz wir sint von frowen kumen (or 350). Elias hingegen verkehrt das Bild der Taufe in dieser Auseinandersetzung zu einer Szenerie der Gewalt.94 Doch so oder so – in Sunders wird für das christliche Heer nichts gewonnen, die Stadt durch die punktuellen und aus reinem Überlebenswillen motivierten Taufen nicht christlich.

93 »Es war dieß ein gerechtes Urteil Gottes, daß die, welche das Heiligthum des Herrn mit ihren abergläubischen Gebräuchen entweiht und dem gläubigen Volke entzogen hatten, es mit ihrem eigenen Blute reinigen und den Frevel mit ihrem Tode sühnen mußten«; justoque Dei judicio id certum est accidisse, ut qui superstitiosis ritibus Domini sanctuarium profanaverant, et fidelibus populis reddiderant alienum, id proprii cruoris luerent dispendio et morte interveniente piaculare solverent flagitium (WTH VIII,20, Sp. 428). 94 Vil schier der Lamperter zuo dem Rissen sprang. / er sprach gezengenliche: »din lip habe vndang! / waz wissest du die frowen, die von dir erstorben sint? / du solt mir helfen triffen die wip und och die kint.« / Do sprach der king von Russen: »daz mag nit ergan! / du muost ein andern pfaffen zuo dime touffe han. / die mir zuo dem wasser folgen, die werdent vngesunt: / alle, die ich teiffe, die stos ich an den grunt« (or 348 f.). Ähnlich wird eine Mission der Sarazenen in der Über­ lieferungsgeschichte des ›Salman‹ nur in zynischer Brechung greifbar, wenn es im Druck von 1499 nach dem Kampf gegen Isolt aus Morolfs Mund heißt: Wir sindt der heiden worden bekant / Wir handt sie die cristenheit erkennen geleret / Die köpffe hant wir yn zuo den ersen gekeret / Wir hant sy gedöifft in irem blut / Wir hant sy gefirmet das es ir keime we dut / Wir hant sy gemartelt vnd zuo heiligen gemacht / Das möchte kein bischoff so balde balde han erdacht (sm d, 575 f.).



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Die eigentliche Herausforderung, die Auseinandersetzung mit dem Vater der Braut, führt ebenfalls nur bedingt zum Erfolg. Ortnits Ziel dessen Burg Monta­ bure zu erobern und alle Bewohner zu unterwerfen (ich musz die burg gewinen vnd al die dar ynne sind, or 363), erweist sich schnell als nicht realisierbar. Elbe­ rich kann zwar die Verteidigungsgeschütze in den Burggraben werfen (or 378 ff.), sein erneuter Versuch König Nachaol von einer friedlichen Verheiratung seiner Tochter mit dem König aus Lamparten zu überzeugen, scheitert jedoch (or 386 ff.). Durch List und Drohungen kann er dennoch die Prinzessin zur Flucht mit seinem Sohn überzeugen. Als er Ortnit diese Botschaft bringt, treffen die beiden Stra­ tegien der Berater erneut aufeinander: während Elberich Ortnit bittet, König Nachaol zu verschonen, damit dessen Tochter ihn umso leichter als Ehemann annehme, und heimlich mit ihr zu fliehen, verspricht Elias Ortnit, ihm die Frau schon zu beschaffen, wenn sie nur durch die Pforten der Burg brechen könnten. Ortnit hört zunächst auf Elias, doch die Sarazenen fliehen, ziehen sich hinter ihre Mauern zurück und verschließen die Tore – die Burg des sarazenischen Königs bleibt uneinnehmbar. Elberich indes kann die Prinzessin unbemerkt hinaus zu Ortnit bringen, der mit ihr flieht. Doch die List des Zwerges täuscht nur die Wachen: Nachaol durch­ schaut sofort, was geschehen ist, und setzt den beiden mit seinem Heer nach. Mit List kann der Vater der Braut also nur vorübergehend überwunden werden. Ortnit stellt sich den zahlenmäßig weit überlegenen Angreifern und kämpft bis zur totalen Erschöpfung. In diesem Moment erscheint Elias mit seinen Männern und kann den zu Boden sinkenden ablösen, bis er wieder zum Kampf bereit ist. So schaffen sie es, die Sarazenen in die Flucht zu jagen. Doch keiner von ihnen kann Nachaol im Kampf oder auf dem Weg zurück in seine Burg töten: auch mit Gewalt ist dieser Brautvater nicht zu überwinden. Ähnlich wie König Oswald formuliert Ortnit zu Beginn des Textes nicht nur das Ziel, die schöne Prinzessin zu erobern, sondern auch die Sarazenen im Land ihres Vaters zu missionieren oder (im Ortnit AW) zu töten. Dies gelingt ihm jedoch nur in der machtpolitisch marginalen Hafenstadt Sunders – und diese Bedeu­ tungslosigkeit wird als solche in der Darstellung der Szene auch inszeniert. Dort, wo es darauf ankommt, in der Auseinandersetzung mit König Nachaol, führt Elberichs Weg der Mission durch ein Religionsgespräch bzw. der friedlichen Über­ einkunft nicht zum Ziel, weil sich der König beiden Angeboten verschließt. Aber auch Elias’ Methode des Kampfes bis zum Ende kann nicht zum Erfolg führen, weil sich Nachaol zweimal durch Flucht der militärischen Überlegenheit der Christen entzieht. Der interreligiöse Konflikt wird dadurch nur vorübergehend, nicht endgültig gelöst. Der Fortgang des Textes zeigt vielmehr, wie er sich durch Ortnits Einfall in Nachaols Land und den Raub seiner Tochter noch verschärft, als dieser mit List

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und Gewalt zurückschlägt. Die Drachen, die er als Geschenke in das Land des Schwiegersohnes sendet, bedeuten nicht nur den Tod des Königs von Lamparten, sondern sind auch ein Angriff auf die Christenheit als solche. Dies wird deut­ lich, wenn der Jäger König Nachaol mit dem Versprechen ich wen, der kristenheit gros schade von in geschiht (or 545) von seinem Plan überzeugen kann und der Erzähler diese Formulierung beim Wüten der Drachen bestätigend aufnimmt: ich wen, der cristen heite gros leit von in geschiht (or 565). Vor diesem Hintergrund erscheint der ›Ortnit‹ nicht die Geschichte der Lösung eines interreligiösen Kon­ fliktes, sondern vielmehr die von seinem Beginn – und das durch christliche Aggression – zu erzählen.

Der König als Missionar: ›Oswald‹ Ein völlig anderes Szenario entwickelt der ›Oswald‹, dessen Handlung insgesamt auf die Missionierung der Sarazenen, auf eine Vermehrung der Christenheit durch Bekehrung ausgerichtet ist. Militärische Gewalt erscheint in diesem Werk nur als Mittel zum Zweck für eine solche Ausbreitung der eigenen Religion, als Überzeu­ gungsarbeit auf dem Schlachtfeld. Dieses zentrale Interesse an der Missionierung der Sarazenen ist nicht nur für die mittelhochdeutsche Literatur ungewöhnlich,95 sie spielt auch in anderen Diskursen nur eine verhältnismäßig geringe Rolle. Im Frühmittelalter begegnet dem Islam in Westeuropa zunächst nur Desinteresse. Im Gegensatz zu den zahlreichen Völkern, die in dieser Zeit christianisiert werden, erscheinen die Muslime nur als militärische Bedrohung: als Feinde der Christen­ heit, aber nicht als mögliches Ziel von Mission (Kedar 1984, 4, 41). Auch die orien­ talischen und byzantinischen Christen beenden nach der Ausbreitung des Islam ihre missionarischen Bemühungen auf der arabischen Halbinsel.96 Eine mögliche Missionierung der Muslime spielt auch im Zusammenhang der frühen Kreuzzüge keine Rolle. Keine der verschiedenen Wiedergaben von

95 Am Beginn des ›Rolandslieds‹ erhält Karl der Große jedoch ebenfalls von Gott den Auftrag, Spanien zu erobern, um die Muslime zu bekehren und nach dem Kampf um Tortolose werden die sarazenischen Gegner getauft (Vers 351–60. S. auch die zugehörige Miniatur in der Heidelberger ›Rolandslied‹-Handschrift Cpg 112, 5r). In der eigentlichen Handlung spielt die Missionierung und Taufe der Sarazenen aber nur eine sehr untergeordnete Rolle. 96 (Kedar 1984, 12). Benjamin Kedar führt diese Zurückhaltung auf das Wissen um die geringe Toleranz der Muslime gegenüber Angriffen auf ihren Glauben zurück: »Most Catholic Europeans knew little or nothing about Muslim internal affairs. And yet the sources suggest that one facet of Islam must have been surprisingly well known: the absolute prohibition of attacks against the Muslim creed« (Kedar 1984, 9).



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Urbans II. Rede in Clermont erwähnt sie und auch in den zahlreichen Briefen dieses Papstes, die die Kreuzzüge behandeln, findet sich keine Thematisierung einer möglichen Mission. Der gleiche Befund ergibt sich auch für seine Nachfol­ ger. Das primäre Ziel der Kreuzzüge ist die ›Befreiung‹ der unter muslimischer Herrschaft lebenden Christen und ihrer Kirchen sowie die ›Rückeroberung‹ des Heiligen Landes – im praktischen Austrag tritt der Identitätskonflikt hinter einen Interessenkonflikt zurück (ebd., 57 ff.). Erst ab der Mitte des 12. Jahrhunderts tritt die Mission der Muslime im Hei­ ligen Land als Kreuzzugsziel in unterschiedlichen Quellen, wie zum Beispiel der ›Gesta Treverorum‹ auf (ebd., 65 ff.). Eine systematische Missionsarbeit im Orient wird aber erst im 13. Jahrhundert insbesondere von den Mendikantenorden auf­ genommen.97 Während des fünften Kreuzzuges versuchen Franz von Assisi und Oliver von Paderborn, den ägyptischen Sultan al-Kāmil zu bekehren und so eine weitreichende, ›vertikale‹ Mission in Gang zu setzen (Tolan 2002, 201 f.). Dieser Versuch scheitert, doch in der Erinnerung seines Ordens bleibt die Hoffnung auf die Bekehrung der Muslime lebendig (Kedar 1984, 136 ff.). In dieser Zeit werden diese Hoffnungen durch mehrere Ereignisse unterstützt. Die Eroberung Konstan­ tinopels durch die Kreuzfahrer im Jahr 1204 macht die Stadt zu einem neuen Ein­ fallstor für westliche Eroberungen im Orient und eine damit verbundene Christi­ anisierung.98 Um 1273 postuliert der Autor des ›De statu Saracenorum‹, dass die Muslime insgesamt auf der Schwelle zur Bekehrung stünden – ihr Glaube sei dem Christentum so nahe, dass sie ohne Gewaltanwendung, nur durch das reine Wort Gottes bekehrt werden könnten.99 Diese Hoffnungen werden jedoch kaum durch Erfolge belohnt. In den Kreuz­ zugsstaaten scheitern missionarische Bemühungen nicht selten an den christli­ chen Feudal- und Landesherren: Ihre muslimischen Sklaven sind häufig bereit sich taufen zu lassen, auch weil sich ein Zusammengehen von Bekehrung und Freilassung eingespielt hat. Der damit für die Besitzer einhergehende materielle

97 Marie-Luise Favreau-Lilie (2001, 87) formuliert für das Königreich Jerusalem, »daß individu­ elle Missionsarbeit vor dem frühen 13. Jahrhundert, besonders vor dem Eintreffen des engagier­ ten Predigers Jakob de Vitry in seinem Bistum Akkon, nicht stattfand«. 98 Auch das Vordringen der Mongolen erscheint zunächst eine Chance – könnte das Reitervolk bekehrt werden, ließen sich die orientalischen Muslime in die Zange nehmen und endgültig be­ siegen (Tolan 2002, 201). 99 »This optimism [regarding Muslim conversion to Christendom] is even more marked in the ›De statu Saracenorum‹ (1273), traditionally attributed to William of Tripoli, but which now ap­ pears to be an anonymous compilation that used William’s ›Notitia de Machometo‹ as its princi­ pal source. This text argues that Islam is so close to Christianity that the conversion of Muslims by peaceful means should be an easy task« (Tolan 2002, 204). Diese Schrift hat unter anderem die Auffassung von Sir John Mandeville stark beeinflusst (Kedar 1984, 180 f.).

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Verlust bietet reichlich Sprengstoff zwischen ihnen und den Missionaren der Bettelorden. Außerhalb der von Christen eroberten Gebiete bleibt die christliche Mission insgesamt erfolglos (Kedar 1984, 144 ff.). Im Modus der Fiktionalität eröffnet sich im ›Oswald‹ eine Möglichkeit, von einem erfolgreichen Missionsunternehmen, durchgeführt durch einen dafür in jeder Hinsicht prädestinierten Heiligen, zu erzählen. Im Rahmen dieser Erzäh­ lung sind die Christen den Sarazenen nicht nur militärisch überlegen, sondern Gott selbst greift mit Wundern in das Gespräch zwischen Oswald und Aron ein und kann so eine von innerer Überzeugung ausgehende Bekehrung zum christli­ chen Glauben erreichen. Doch zunächst stehen sich beide Heere im Kampf gegenüber, wobei beide Seiten auf die totale Vernichtung des anderen zielen. So äußern die Sarazenen bei ihrem Angriff und hiet sein die welt geschworen, / so müessen die cristen ir leben han verloren! (os 2845 f.) und die Christen versprechen Oswald zwar die haiden alle sant / koment nimmer haim zuo lant! (os 2875). Auch Oswald selbst kündigt den Sarazenen an, dass sie nicht mehr gerettet werden können.100 Und tatsäch­ lich machen die Christen die Sarazenen bis auf den letzten Mann nieder.101 Das sarazenische Heer wird also nicht nur besiegt, sondern planmäßig komplett aus­ gelöscht. Doch der Konflikt zwischen Christen und Sarazenen endet hier noch nicht, denn König Aron selbst lebt noch. Der vollständige Sieg der Christen in der Schlacht wird nun zum Hintergrund für ein Religionsgespräch zwischen den beiden Königen. Oswald begrüßt seinen zukünftigen Schwiegervater dementsprechend mit den Worten: ir sult euch taufen geren! (os 2956). An diese Aufforderung Oswalds zur Taufe und Arons Weigerung schließt sich ein längerer Dialog zwischen den beiden an, in dem Oswald seinen zukünftigen Schwiegervater von der Macht des Christengottes überzeugen will. Dies will er mit Hilfe von göttlichen Zeichen erreichen, die ihm auf sein Gebet hin auch alle gewährt werden. Zunächst lässt er Arons gefallene Krieger wieder auferstehen. Als der sarazenische König daraufhin den Kampf erneut aufnehmen will, verweigern diese sich ihm mit der Begründung, sie seien nach ihrem Tod in die Hölle gefahren – jetzt würden sie die Chance nutzen wollen Christen zu werden, um dem zu entgehen. Daraufhin schlägt Oswald mit seinem Schwert auf

100 sand Oswalt die haiden ansach, / daz wort er furstleich sprach: / »ir haiden , ir sult euch weren, / euch chan niemant mer erneren!« (os 2883 ff.). 101 man vacht ainen sumerlangen tag, / daz niemant chainer rast pflag / vollikleichen untz auf den abend dan: / do wurden erschlagen die haidnischen man. / chunig Aron ward siglos, / dreissig tusent haiden er verlos; / die wurden im all sampt erschlagen, / als wir noch horen sagen / ez mocht anderst nicht enwesen, / man ließ ir chainen nicht genesen; /si verluren alle den leib (os 2131 ff.).



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den Felsen, woraufhin eine Quelle entspringt und ein natürliches Taufbecken entsteht. Nachdem auch dieses Zeichen geschehen ist, fordert Oswald Aron noch einmal nachdrücklich auf, sich taufen zu lassen, woraufhin dieser bekennt: er sprach: »milter kunig Oswalt, / dein got hat aller ding gewalt. / mein got ist Machmet genant, / der haiden her uber alle lant: / des wil ich mich becheren / und cristen glauben meren. / ich muoß der warhait jehen, / ich han solch zaichen von Machmeten nie gesehen. / ich will mich dem der Jesus ist genant: / der ist her uber alle lant, / daran will ich beleiben stät. / Oswalt, zeuch mir ab mein gwät! / von got pistu gewert: / Oswalt, mein hertz der tauf gert« (os 3109 ff.).

Aron erkennt durch die vom Christengott durch Oswald gewirkten Wunder dessen Stärke an, weil er solche Zeichen von Machemet nie gesehen habe – der Glauben an Jesus erscheint dabei als warhait. Daraufhin tauft Oswald Aron auf den Namen Zentinus und auch Paug und ihre Damen sowie alle sarazenischen Krieger werden von ihm getauft. Die letzteren wünschen sich von Oswald direkt wieder sterben zu dürfen, damit sie ihr Seelenheil nicht doch noch durch Sünden verspielen können. Nur Oswald, Zentinus, Paug und ihre Damen bleiben zurück. Doch damit endet die Ausbreitung des Christentums in der sarazenischen Welt nicht, denn Zentinus bekräftig sein zuvor gegebens Versprechen,102 den cristen glauben zu meren. Damit überträgt sich der Oswald zu Beginn des Werkes ver­ liehene Missionsauftrag auf seinen Schwiegervater und überschreitet die Grenze der in diesem Werk erzählten Handlung, die mit Oswalds Tod enden wird. Für den Leser bleibt die Perspektive offen, ob die Ausbreitung der christlichen Reli­ gion in der sarazenischen Welt mit Oswalds Sieg über Aron/Zentinus eine Initial­ zündung erfahren hat. Die hohe Bedeutung dieser Szene für das Textganze lässt sich auf mehre­ ren Ebenen ablesen. Zum einen befindet sie sich auf dem Höhepunkt des Span­ nungsbogens – erst nach Zentinus’ Taufe und dem endgültigen Verschei­den des sarazenischen Heeres sind Oswald und Paug sicher und das glückliche Ende kann beginnen. Zum anderen erhält Oswald, wie schon zuvor in der Schlacht als weigant, auch in dieser Szene eine neue Bezeichnung, wenn er vom Erzähler als hailant (os 3061) bezeichnet wird. Die so hergestellte Christusnähe der Figur wird noch dadurch unterstrichen, dass auch Christus selbst nur wenige Zeilen zuvor von Aron als heilant angesprochen wird (Oswalt, edler furst reich, / du gichst dein got sein ein hailant, os 3053). Zum dritten ist die Dichte der göttlichen Eingriffe hier besonders hoch und die drei in der Bekehrungsszene von Oswald gewirkten Wunder (Auferstehung der 30.000 gefallenen Sarazenen, Erschaffung eines rie­

102 ich wolt mich taufen geren / und auch cristen glauben meren (os 3043 f.).

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sigen Taufbeckens, erneuter Tod der frisch Getauften) sind die einrucksvollsten des Textes. Die frühe Forschung sah in der Bekehrungsszene eine Interpolation, die es auf dem Weg zur ›ursprünglichen‹ Oswalderzählung zu tilgen gelte.103 Dabei zeigt sich in der Gestaltung ihre Bedeutung für das Textganze: in einem ausgepräg­ ten Spannungsbogen, der Intensität der aufgerufenen Bilder, dem Potential des Bezugs auf König Oswald von England als Missionar. Eine Vorform ohne diese Szene müsste eine völlig abweichende, eigenständige Erzälung gewesen sein, denn in der überlieferten Form stellt die Missionshandlung eine zentrale Linie des Werkes dar. In diesem Werk wird mit der Mission der Sarazenen eine Lösung des inter­ religiösen Konfliktes entworfen, die von den politischen Lösungen im ›Rother‹ und in der ›Kudrun‹ entschieden abweicht. War schon in der ›Kudrun‹ die Integ­ ration Siegfrieds mit der partiellen Auflösung seiner kulturellen Identität durch ein ›Erbleichen‹ verbunden, so erzählt der ›Oswald‹ von einer tiefer gehenden Assimilation. Der interreligiöse Konflikt wird gelöst, indem die Divergenz der Religionen aufgelöst wird. Getauft können Aron und seine Männer in die irdi­ sche Gemeinschaft der Christen und, und das ist noch entscheidender, auch in die jenseitige Gemeinschaft der durch Christus Erlösten aufgenommen werden. Doch so positiv und einvernehmlich wie diese Lösung in der Taufe der Saraze­ nen dargestellt wird, die letzten 72 von ihnen springen aus Angst leer auszugehen gemeinsam in das Wasser,104 so bleibt doch auch die alternative Lösung des Kon­ fliktes präsent. Denn der Integration der Sarazenen bei Auslöschung der Differenz ihrer reli­ giösen Identität steht auch in der Bekehrungsszene die Auslöschung der Saraze­ nen als solche gegenüber. Oswald spricht diese Entscheidung zwischen ›Tod oder

103 Beispielhaft sei dafür der Kommentar aus der Ausgabe von Georg Baesecke angeführt: »V. 2943 empfängt Oswald den besiegten Schwäher spöttisch (vgl. 2950), 2945 mit parallelem Ein­ satz ehrenvoll, und er fordert ihn auf, sich taufen zu lassen. V. 2949/50 antwortet er auf die erste Anrede, 2951/52 mit dem verräterischem oderdeutschen halt auf die zweite. Ich glaube, daß die zweite in christlicher Tendenz zugefügt ist. Ist das wahr, dann sind alle die Tauf- und Wunder­ szenen bis V. 3184 interpoliert« (Baesecke 1907, 220). Siegfried Stein hat dieser Deutung schon 1933 widersprochen: »Baesecke […] nimmt hier wieder eine Reihe von geistlichen Interpolatoren an, die aber nur nötig werden, wenn man das ›Spielmannsepos‹ außerhalb jeder literarischen Tradition sieht« (S. Stein 1933, 50 f.). 104 er [sand Oswalt] tauft drei sumerlang tag, / daz er nie kainer rast gepflag. / an dem dritten tag, do sich tag und nacht wolt schaiden, / dannoch waren ungetauft zwen und sibitzig haiden: / die vorchten, ez wolt in werden zuo spat / und begunden eilen also drat; / si vorchten, si müesten versaumet sein, / und sprungen mit einander darein, / und wurfen das wassers drei stund in den mund: / iegleichem war ein raine sel kund (os 3131 ff.).



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Taufe‹ Aron gegenüber direkt an. Nachdem er auf dessen Wunsch den Felsen mit seinem Schwert geteilt und so ein Taufbecken erschaffen hat, stellt er den saraze­ nischen König vor die Wahl: sichstu, haidnischer man, / waz zaichens hat mein got getan? / noch soltu zuo der tauf gahen / und cristenleichen glauben enpfahen! / und woltstu daz nicht pald tuon, / so hastu weder frid noch suon: / ietzund mit dem schwert mein / schlach ich dir ab daz haubet dein! (os 3099 ff.).

Aron entscheidet sich für die Taufe und bekennt sich zur Wahrheit des christli­ chen Glaubens. Die Alternative hätte für ihn die gleiche radikale Ausgrenzung aus der Welt der Lebenden bedeutet wie für die sarazenischen Krieger im ›Rother‹. Im ›Oswald‹ wird jedoch deutlich gemacht, dass der Integration in die Gemeinschaft der Christen eine noch weiter gehende Ausgrenzung gegenübersteht. Deutlich wird dies nach der Wiedererweckung der sarazenischen Krieger durch Oswald. Als Aron erneut mit ihnen gegen die Christen kämpfen will, lehnen sie mit den folgenden Worten ab: »her, lat von eurem zoren! / ir sult von dem krieg lan, / wir wellen euch nicht pei bestan! / wir sein gewesen an dir stund / pei der haissen helle grunt, / do ist uns also we geschehen,« / begunden die haiden alle jehen: / »habt ez auf alle unser er, / an Machmeten gelauben wir nimmer mer! / er mag niemant nicht pei bestan, / wir wellen an Jesum Christ gelauben han; / dem wellen wir dienen fur aigen, / der mag uns hilf erzaigen« (os 3026 ff.).

Hier wird im literarischen Zusammenhang bewiesen, dass es bedeutet sein See­ lenheil zu verlieren und in der haissen helle grunt gefangen zu sein, wenn man als Nicht-Christ stirbt. An Arons Wahl zwischen Tod und Taufe hängt also nicht nur die Entscheidung über die diesseitige Integration (in das Christentum) oder Ausgrenzung (aus dem Leben), sondern auch die Entscheidung über die jensei­ tige Integration oder Ausgrenzung aus der Gemeinschaft der Erlösten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich eine Besonderheit des Textes: Oswald fährt mit dem gött­ lichen Befehl, das Christentum zu verbreiten, nach Aron. Dennoch führt er keinen Krieg auf sarazenischem Boden und weicht damit von der in ›Salman‹, ›Ortnit‹ und dem ›Orendel‹ erzählten Handlung ab.105 Stattdessen entwirft der Text eine Konfiguration, bei der der militärische Konflikt zwischen Christen und Sarazenen auf neutralem Boden ausgetragen und anschließend den Andersgläubigen der Wert der christlichen Religion durch Wunder bewiesen werden kann. Damit wird

105 Auf der Ebene der Figurenmotivation wird dies auch durch die mehrfach betonte Unein­ nehmbarkeit von Arons Burg motiviert. Dass dies jedoch als Begründung auf einer darüber lie­ genden Erzählebene nicht ausreicht, wird z. B. daran deutlich, dass auch Arons Jagd vor der Burg nicht für eine Kampfsituation zwischen Christen und Sarazenen genutzt wird.

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die territoriale Ebene des Kampfes zwischen beiden Religionen und eine solche Möglichkeit der Christianisierung ausgeschlossen – das Christentum dehnt sich im ›Oswald‹ nicht durch Eroberung, sondern durch Mission aus. Die in diesem Werk vorgenommene Fokussierung auf die jenseitigen Folgen des interreligiösen Konfliktes wird auch daran deutlich, dass die sarazenischen Krieger lieber sofort sterben wollen, als ihr Seelenheil erneut zu verspielen: sie wählen Taufe und Tod. Die Verlagerung des Konfliktaustrages und seine Art und Weise könnte jedoch auch durch das Wissen um normative Positionen des Islam und Chris­ tentums begründet sein. Wie bereits erwähnt, war das strenge muslimische Verbot gegen Angriffe auf ihren Glauben in Europa früh und weit bekannt.106 Im ›Oswald‹ erscheint dieses Verbot in der Bedrohung, die Paugs neuer Glauben für ihr Leben darstellt. Warmunt erklärt Oswald zu Beginn, dass Aron seine Tochter umbringen lassen würde, wüsste er, dass sie Christin ist. Auch können Paug und ihre Damen niemanden finden, der ihnen zur Taufe verhilft. Die Auslagerung der Konfliktlösung auf eine neutrale Insel könnte eine Reflexion der Schwierigkeiten von Mission in muslimischen Ländern darstellen. Dies würde erklären, warum Oswald und sein Heer im Land Aron keine missionarischen Versuche unterneh­ men – obwohl sie doch mit dem Auftrag die Christenheit auszudehnen in dieses Land gereist waren. Im Zusammenhang mit zeitgenössischen Theorien zum Kreuzzug ist auch die Art und Weise interessant, wie der interreligiöse Konflikt im ›Oswald‹ gelöst wird. Denn Oswald versucht erst dann Aron und seine Männer von der Wahrheit des christlichen Glaubens zu überzeugen, nachdem er sie militärisch vernich­ tend geschlagen hat. Der Sieg auf dem Schlachtfeld bahnt den Weg zur friedli­ chen Predigt und zur Überzeugung der sarazenischen Gegner. König Aron, der seine eigene Tochter für ihren Glaubensübertritt getötet hätte, wird gezwungen, Oswalds Bekehrungsversuch zuzuhören. Diese Verbindung von Kreuzzug und Mission, bei der der eine die andere möglich macht, wird durch Innozenz IV. zum normativen Modell, wie Benjamin Kedar ausführt: It fell to Pope Innocent IV, the erstwhile canon lawyer Sinibaldo dei Fieschi, to formulate the linakge between Christian warfare and infidel conversion that would become norma­ tive. […] Thus, forcible conversion is inadmissible, but warfare aimed at opening the way for Christian preachers is lawful if papally authorized.107

106 »Most Catholic Europeans knew little or nothing about Muslim internal affairs. And yet the sources suggest that one facet of Islam must have been surprisingly well known: the absolute prohibition of attacks against the Muslim creed« (Kedar 1984, 9). 107 Kedar 1984, 159 f. Kedar bezieht sich auf Innocents Werk ›Apparatus super quinque libros Decretalium‹, von dem er einen Auszug im Anhang seiner Untersuchung kritisch abdruckt. Eine längere Textpassage ist ediert bei Kedar 1979, 79–82.



Der König als Missionar:  

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Die Position, dass die Wegbereitung der Mission ein unabhängiger Kreuzzugs­ grund sei, hat einige Vorläufer, wird aber erst von Innozenz IV. klar durchdacht und präzise formuliert.108 Sie bestimmt die Diskussion über den Zusammen­ hang von Kreuzzug und Mission bis weit über das Mittelalter hinaus, wird durch kanonisches Recht und theologische Literatur transportiert und erhält durch die Autorität des Papstes und ihren Rückhalt in der Tatsache, dass nur in langfristig eroberten Gebieten Missionserfolge zu verzeichnen waren, langfristig Gewicht.109 Benjamin Kedar gibt in seiner Studie Beispiele vom 14. bis zum 17. Jahrhundert für die intensive Rezeption und Übernahme der Konzeption Innozenz IV. an (Kedar 1984, 169). Es werden jedoch immer wieder auch Stimmen laut, die den Krieg gegen die Andersgläubigen und die damit verbundenen Tötungen generell ablehnen. Ein für den ›Oswald‹ interessantes Argument gibt der Dominikaner Robert Holcot in seinem Werk ›Super Librum Sapientie‹. Auf die Frage, ob es einem Christen erlaubt sein kann, einen Andersgläubigen zu töten, antwortet er mit nein, »weil Gott nicht den Tod des Sünders will, sondern dass er sich bekehrt und lebt. Aber nach dem Tod des Körpers kann nicht bekehrt werden, wenn der Körper nicht auf wunderbare Weise wiederhergestellt und wiedererweckt wird«.110 Es wäre

108 Kedar 1984, 160. Die wichtigste dieser Vorstufen sieht Kedar bei Oliver von Köln in seinem Brief an den Neffen Saladins, Sultan al-Kāmil (ebd., 125). Oliver unterscheidet sich in seiner Darstellung von früheren, die in eine ähnliche Richtung gehen, nach Kedar wie folgt: »Com­ ponents of this argument had appeared before: In the ninth century, Ermold the Black had Louis the Pious say that since the Saracens are not willing to convert, the Franks must wage war against them; some three centuries later, Bernard of Clairvaux maintained that it would not have been lawful to kill the Saracens if it were possible to prevent them by some other means from attacking the Christians. But it is only with Oliver that mission and crusade are explicitly brought into casual relationship, with the Saracen prohibition of missionizing ma­ king the crusade inevitable. True, the casual link between the two is still encumbered by other, traditional elements. But less than a generation later the link was to become disentangled and precise« (ebd., 131 ff.). 109 »But while extreme views on mission and crusade were expressly formulated, it was the Innocentian conception of crusade paving the way for mission that remained the most influen­ tial. Transmitted from one generation to another through the cannels of canon law and theo­ logy, studied at the universities, enjoying the aura of authority, obviously congruent with main­ stream patristic thought, and sufficiently consonant with the hard fact that the only Muslim countries to become Catholic were those that Catholics permanently conquered, this view hat a clear edge over the various private views, no matter how adroitly expressed« (Kedar 1984, 202 f.). 110 Das Werk wurde vielfach gedruckt (Basel 1481, 1488, 1489, 1506, 1586, Hagenau 1494, Köln 1479, Paris 1486, 1489, Reutlingen 1489, Speier 1483, Venezia 1483) hat aber meines Wissens noch keine moderne Edition erfahren. Ich zitiere daher nach Kedar 1984, 177: Movetur questio

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 Mission und Vernichtung

reizvoll, sich auf eine Spätdatierung des ›Oswald‹ einzulassen und als auf eine Antwort auf dieses Dilemma zu sehen – wer Krieg gegen die Sarazenen führt, um sie zu bekehren, muss im wirklichen Leben in Kauf nehmen, die Seelen der dabei Getöteten nicht mehr retten zu können. Im Imaginationsraum der Literatur spielt die Geschichte von König Oswald aber genau diese Möglichkeit durch: die Über­ legenheit im Kampf sichert die Aufnahme der Predigt, die Schau des Jenseits und der göttlichen Wunder im Diesseits, die ohne Zwang zum Glaubenswechsel zu überzeugen vermögen.111 Der Tod der sarazenischen Krieger ist notwendig, aber nicht endgültig, er verhindert ihr Seelenheil nicht, sondern bedingt es geradezu. Statt ›Tod oder Taufe‹ können die Besiegten bis auf Aron im ›Oswald‹ nur ›Tod und Taufe‹ oder noch genauer ›Taufe wegen Tod‹ wählen. Dadurch wird auch, bis zu einem bestimmten Punkt, die Freiwilligkeit der Taufe trotz militärischer Unterlegenheit vorgeführt – die gefallenen sarazeni­ schen Krieger erkennen ihren Irrweg durch die direkte Ansicht der Hölle und ihr Wunsch, Christen zu werden, entstammt der Furcht vor den anderweitigen Folgen. Und obwohl Oswald Aron gegen Ende ihres Gesprächs mit dem Tod bedroht, sollte er seinen Irrglauben nicht einsehen, bleibt dies eine überflüssige Geste, denn Aron hat die Wahrheit des christlichen Glaubens bereits durch die von Gott gewirkten Wunder erkannt. Auch damit ist der ›Oswald‹ auf der Höhe

utrum licitum sit et meritorium alicui christiano aliquem infidelem sicut paganum invadendo per vim occidere. Quod non, quia deus non vult mortem peccatoris sed ut convertatur et vivat. Sed post mortem corporis nequit converti, nisi corpus esset miraculose restitutum et rescitatum. Ergo talem morti tradere non est consonum divine bonitati (Kapitel 5, Lektion 65, Übersetzung R.K.). 111 Für den ›Oswald‹, in dem das Ideal der Freigebigkeit bis zur eigenen Armut eine entschei­ dende Rolle spielt und der an mehreren Stellen besitzlose Geistliche bzw. Einsiedel entschei­ dend in die Handlung eingreifen lässt (Warmunts Rat zu Beginn, Hilfe des Einsiedels bei der Wiedergewinnung des Ringes), ist vielleicht interessant, dass auch die Mendikantenorden In­ nozenz Position aufnehmen und Kreuzzug und Mission als zwei Aspekte einer Unternehmung wahrnehmen. Ein gutes Beispiel findet sich in einem Brief des einflussreichen Franziskaners Adam Marsh, wie Benjamin Kedar ausführt: »A letter by the influential English Franciscan Adam Marsh (d. 1258) suggests how the Mendicants might have perceived their concomitant espousal of these two approaches to the Saracens. […] Upon quoting once more from Bernhard, Marsh con­ cludes that the Church should wield its spiritual sword directly and its material one indirectly. Utilizing the age-old simile of the two swords, Marsh thus portrays crusade and mission as two aspects of the same effort, and thereby supplies an explicit rationale for the mendicant involve­ ment in both. […] Thus, just two decades after the pioneering endeavours of Jacques and Francis, missionary efforts among the Saracens of the Holy Land were accorded the same importance as the military attempts to wrest the country from them by military means. Adam Marsh went one step further, pointing out that these two activities were indispensable and complementary as well« (Kedar 1984, 141 f.).



Der König als Missionar:  

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des Entwurfs Innozenz IV., der die Notwendigkeit der freien Willensentscheidung für die Taufe entschieden propagiert – auch, wenn man den notwendigen Raum für eine solche Entscheidung zunächst militärisch schaffen muss.112

112 »By unequivocally rejecting forcible conversion while at the same time endorsing the forci­ ble opening of an infidel country to Catholic preachers, Innocent largely reconciled the funda­ mental principle of free choice with the popularly evolved notion of Christianization as one of the goals of crusading« (Kedar 1984, 161).

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 Fazit

Fazit Im letzten Kapitel konnten die Linien des Umgangs mit den Sarazenen in den Brautwerbungserzählungen, die Ziele und Effekte der interreligiösen Konflikte erarbeitet werden. Zu Beginn stand dabei eine Betrachtung des in diesen Texten präsentierten Sarazenenbildes. Es hat sich gezeigt, dass die einzelnen Brautwer­ bungserzählungen sehr disparate Konzepte entwerfen, die von semantisch hoch besetzten Rollen als ›ewigen Gegnern‹ aus der Babylonischen Wüste bis hin zu kaum bestimmten, diffusen Konnotationen des Orientalischen reichen. Dabei finden sich zu gleichen Teilen in jeweils zwei Texten ›typische‹ Darstellungen als Götzendiener und Polytheisten, Entwürfe eines monotheistischen Glaubens und eine nicht inhaltlich bestimmte Religion der Sarazenen. Insgesamt zeigt sich das Bild der ›Anderen‹ in den Hauptzügen als menschlich (im Sinne von nicht-dämonisch, nicht-tierisch), höfisch und insgesamt durchaus positiv. Auch wenn die Sarazenen zum Teil bedrohlich sind und moralisch nicht immer ganz einwandfrei handeln, sind sie doch nie (vielleicht bis auf die Ausnahme Princi­ ans im ›Orendel‹) als schlicht ›böse‹ gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund konnte zunächst die politische Ebene des Konflik­ tes am Beispiel der ›Kudrun‹ und des ›Rother‹ entwickelt werden, die an den gegenüberliegenden Polen der Alternative Ausgrenzung vs. Integration ope­ rieren. So erzählt die ›Kudrun‹ von Beginn an, auch durch alle Konflikte und Kämpfe hindurch, die fortschreitende Integration Siegfrieds von Mohrland in das christliche Bündnissystem bis zur partiellen Auflösung seiner kulturellen Identität. Im ›Rother‹ hingegen wird die maximale Form politischer Ausgren­ zung durch Vernichtung der Sarazenen dargestellt, wobei auf lange Sicht eine räumliche Abschottung angestrebt wird. In beiden Texten wird der Konflikt zwischen den Religionen dabei nur auf einem Nebenschauplatz verhandelt. Während die ›Kudrun‹ insgesamt die Geschichte einer friedlichen Integrationsund Bündnispolitik erzählt, deren weitreichendes Konzept durch die Aufnahme des sarazenischen Siegfrieds betont wird, handelt der ›Rother‹ von einem inner­ christlichen und innereuropäischen Bündnis, das durch die Abgrenzung vom sarazenischen Orient inhaltlich bestimmt und konturiert wird. In ›Oswald‹, ›Orendel‹ und ›Ortnit‹ stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Religionen zueinander grundlegender. Während im ›Oswald‹ in engem Aus­ tausch mit theologischen Kontexten die Erfolgsgeschichte des königlichen Mis­ sionars steht, die durch die (vorläufig gewaltsame, dann auf deren Wunsch hin friedliche) Tötung der Sarazenen nur umso deutlicher als deren Erlösung, als Rettung ihrer Seelen gezeigt wird, diskutieren ›Ortnit‹ und ›Orendel‹ die Alterna­ tive ›Tod oder Taufe‹ in zeitlicher Abfolge und mit Hilfe unter­schiedlicher Figu­



Fazit 

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renpositionen. Wo der ›Orendel‹ den schrittweisen Weg von politischer Unter­ werfung zur Mission und schließlich zur Vernichtung der Sarazenen geht, zeigt der ›Ortnit‹ seinen Helden im planlosen Nebeneinander der unterschiedlichen Ansätze, von denen keiner dauerhaft Erfolg mit sich bringt. In diesem Werk, das als einzige Brautwerbungserzählung die Ge­schich­te eines scheiternden Helden erzählt, wird die rohe Gewalt gegen die Sara­zenen besonders im Kampf um Sunders als sinnlos und auch als moralisch fragwürdig gezeichnet. In beiden Texten wird darüber hinaus eine dritte Möglich­keit zur Lösung, oder vielleicht besser zur Aussetzung des inter­reli­giösen Konfliktes gezeigt, wenn von einem friedlichen Zusammen­le­ben der Religionen in beiderseitigem Respekt gehandelt wird. Aus dieser Lösung heraus kann sich für den Rezipienten ein Interpreta­­ tionsangebot des ›warum überhaupt?‹ ergeben. Blickt man von diesen Beobachtungen noch einmal auf den Beginn des Kapitels und die unterschiedlichen Sarazenenbilder, lässt sich vielleicht jetzt auf die Frage antworten, ob es einen Zusammenhang zwischen deren Gestal­ tung und den ihnen übergeordneten Erzählzusammenhängen gibt. So lässt sich beispielsweise beobachten, dass die beiden in ihrer Idealität der Integration und durchgreifenden Mission als utopisch zu bezeichnenden Texte (›Kudrun‹, ›Oswald‹) ein diffuses Sarazenenbild entwerfen, das sich an keinen Widersprü­ chen zu außerliterarischem Wissen der Rezipienten stoßen kann. Der ›Ortnit‹ und ›Orendel‹ hingegen, die in den Schlachten gegen die Sarazenen im Kontext der Kreuzzugschronistik aber auch den Chansons de geste und ihren deutschen Bearbeitungen deutlich ›typischere‹ Handlungslinien entwerfen, gestalten diese mit ›typischen‹, d.h. polytheistischen und Götzen dienenden Sarazenen. Dass diese Rechnung aber nicht spannungsfrei aufgehen muss, sondern einen mas­ siven Widerspruch evozieren kann, zeigt das bislang ausgesparte Beispiel des ›Salman‹: in keinem anderen Text werden die Sarazenen zugleich so positiv und als fromme Monotheisten so ›realistisch‹ dargestellt, wie in diesem. Doch führt dies keineswegs, wie man vielleicht erwarten könnte, zu einem besonders res­ pektvollen Umgang mit ihnen oder zu einer friedlichen Ko-Existenz. Vielmehr muss jeder Sarazene, der in diesem Text als König oder einfacher Soldat in der Schlacht Erwähnung findet, sterben. Die Frage, welche Erzählstrategie damit verfolgt wird, soll vor dem Hintergrund der Ergebnisse zur christlichen Identität in diesem Text im nächsten Kapitel noch einmal gestellt werden.

Interaktion von narrativem Modell und diskursivem Gehalt



Einleitung 

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Einleitung Die Brautwerbungserzählungen verbinden den Austrag interreligiöser Konflikte mit der Eroberung einer Frau. Diese Beziehung kann unterschiedlich gestaltet und akzentuiert werden. Im ›Ortnit‹ und im ›Oswald‹ müssen sich christliche Brautwerber mit unwilligen sarazenischen Brautvätern auseinandersetzen, im ›Rother‹, der ›Kudrun‹ und auch im ›Orendel‹ stehen sich Christen und Sarazenen als Konkurrenten um die Hand einer christlichen Braut gegenüber. Der ›Salman‹ spielt mehrere Konfigurationen durch, wobei die Konkurrenz zwischen Christen und Sarazenen um die gleiche Braut das dominierende Modell darstellt. Die von der Forschung häufig als typisch dargestellte Auseinandersetzung eines christli­ chen Werbers mit einem sarazenischen Brautvater stellt also eher die Ausnahme als die Regel dar. Der Konflikt zwischen den Religionen wird mit Erwerb oder Verlust der Braut verbunden: in jedem Text sollen interreligiöse Ehen gestiftet oder verhindert werden. Rother muss die Heirat zwischen seiner Ehefrau und dem sarazenischen Prinzen Basilistium verhindern, Orendel seine Frau Bride gegen interessierte sara­ zenische Könige verteidigen. Demgegenüber werben Oswald und Ortnit als Chris­ ten um die Hand einer sarazenischen Prinzessin, so wie der sarazenische Siegfried um die Hand der Christin Kudrun wirbt. Im ›Salman‹ heiratet der christliche König nacheinander zwei frisch getaufte sarazenische Prinzessinnen, wobei seine erste Ehe mit Salme eine doppelte Rückentführung der Braut von sarazenischer Seite her auslöst, die ebenfalls zu interreligiösen Ehen mit der jetzt, zumindest offizi­ ell, christlichen Braut führen. Die Braut wird so in allen Fällen zum Auslöser, zur Ursache für den interreligiösen Konflikt. Doch wie ist das Verhältnis dieses Auslö­ sers zu der religiösen Qualität der Texte zu denken, die in den letzten beiden Kapi­ teln herausgearbeitet wurde? Besteht eine Motivation zur Mission, zum Dienst am Heiligen Grab und zur Unterwerfung bzw. Tötung der Sarazenen auch unabhängig vom Motiv der Brautwerbung? Wie sind Brautwerbung und interreligiöser Kon­ flikt miteinander verzahnt? Welche Prioritäten setzen die Texte? Einen ersten Einblick in diesen Zusammenhang ermöglicht die Thematisie­ rung der doppelten Motivation in ›Oswald‹, ›Ortnit‹ und ›Orendel‹. In der Rats­ szene zu Beginn des ›Ortnit‹ weiß Elias nicht nur eine iunkfrowe, die ist edel vnd hoch geborn (or 11) zu nennen, sondern auch von ihrem Vater zu berichten, der als König von Jerusalem über ein großes sarazenisches Reich herrscht.1 Durch

1 Ich nem dir wol irn vatter: der heisset Nachaol / er wonet zuo Montebure; sin lip ist mordes vol. / im dienent me der heiden, wen sy der kristenheit, / Von Jerusalem der here, der die kron treit. // Zuo Sunders do in Surgen do lit sin hobt stat (or 14 f.).

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 Einleitung

den sarazenischen Glauben des Brautvaters wird die Eroberung der Tochter zu einem Unternehmen mit religiöser Bedeutung – es geht nicht nur darum, die Frau zu heiraten, sondern auch, sie in den eigenen religiösen Raum zu überführen. Als Ortnit erfährt, dass Nachaol seine Tochter nach dem Tod ihrer Mutter selbst hei­ raten will, formuliert er daher als Ziel für die Unternehmung: daz wir die heiden irrent an der vngerehte keit / vnd wir die maget edele bringent in die kristenheit (or 25). Damit tritt aus der Perspektive des christlichen Werbers seine Rolle als Braut­ vater zugunsten einer neuen als Konkurrent zurück, wobei dieses Konkurrenzver­ hältnis durch den beabsichtigten Inzest Nachaols moralisch bereits entschieden ist. Der Antagonismus zwischen dem König von Lamparten und Nachaol entzün­ det sich an seinen unrechtmäßigen Absichten und wird damit von dem konkreten Interessenkonflikt um die Hand der Prinzessin gelöst und zu einer dauerhaften Feindschaft: Ich bin im iemer figent, die wil ich habe daz leben (or 25). Der Fokus verschiebt sich von Ortnits Heiratswunsch hin zur Rettung der von ihrem Vater bedrängten Prinzessin im Dienste des Christentums. Im Laufe der Beratung greifen in Bezug auf die Motivation und Durchführung des Hee­ reszuges religiöse und persönliche Aspekte ineinander. Ortnit plant ein kreftig her (or 18) aufzustellen, mit dem er die burg Nachaols zerbrechen (or 21) will und verspricht allen Teilnehmern das Seelenheil. Auch der von ihm ausgesprochene Auftrag zur Mission der Sarazenen betont den eigenständigen religiösen Gehalt der Unternehmung. Gegen Ende der Unterredung wird aber auch von Ortnits per­ sönlicher Sehnsucht gesprochen: die zit waz im nit geringe, die kurtzen dage lang / noch sagenden dingen; die maget in dez twang (or 65) und etwas später die maget schone in so sere twang / sy het im genomen muot und och den sin (or 75). Um diese schöne Frau zu heiraten, muss Ortnit gegen ihren Vater kämpfen – die emotiona­ len und dynastischen Motive scheinen also im Vordergrund zu stehen. Doch auch unabhängig von Ortnits Ehewunsch verdient es die Prinzessin, vor ihrem Vater gerettet und in die Christenheit gebracht zu werden, so wie die Sarazenen getauft werden sollen, um ihr Seelenheil zu retten. Noch enger werden persönliche und religöse Motive zur Ausfahrt des Helden im ›Orendel‹ verbunden. Als der junge König seinen Vater nach einer passenden Braut für ihn fragt, antwortet er, dass er in 13 Königreichen keine kennen würde, die seinem Sohn geleichen würde (od 13) – mit einer Ausnahme: Außwendig wenn ain künigin allein / Die ist ain schönes weib also reyn / Sy ist ain edel künigin herre / Und ist gesessen vil ferre / Uber den wilden sees flut / Sy ist ain edle künigin gut / Sy het sich gezogen in weißethum / Und hat doch weltlichen rum / Vil gar an sich gewunnen / Sy ist aller frawen ein brunne / Sy ist gehayssen fraw Breyden / Die schönste ob allen weyben / Ir dienet das hailige grab / Und darzu vil der haydenschafft / Möcht ich dir draut sun mit synnen / Die edel künigen gewinnen // Du soltest werden nymmer so herre / Du soltest dein leib und auch dein sele / Opfern unserem herren dem hailigen grab (od 13 f.).



Einleitung 

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Um Bride zu werben, die eine in jeder Hinsicht hervorragende Frau ist, bedeutet also für Orendel, dass er seinen Körper und seine Seele dem Heiligen Grab opfern muss. Das Verhältnis zwischen Orendels Werbung und dem religiösen Ziel seiner Fahrt ist nicht ganz leicht zu bestimmen. Er unternimmt seine Reise zwar durch die schöne junge Dame, also um ihretwillen2 – eine Heerfahrt in das Heilige Land zu unternehmen und dort Leib und Seele dem Heiligen Grab zu opfern, erscheint dabei aber nicht als eigenständiges, zweites Ziel, sondern eher als mit dem gewin der Königin identisch. In allen Überlieferungsträgern wird die Bedeutung der religiösen Dimension durch die Überschrift des Textes unterstrichen. So heißt es in H: Dis buch saget uns, wie unsers herren groger rock funden wart, und wie er eim künige von Trier wart, vnd in dem rock das heilige grap gewan, und wie er dar inne ein frouw erwarb, und vil wonders vol brocht hat, und ist dis das erst Cappitel (od H Titel).

Die Herrenreliquie wird hier deutlich in den Mittelpunkt gerückt, die Eroberung des Heiligen Grabes durch Orendel und seine Hochzeit mit ›einer Frau‹ verbun­ den. Die Drucke verschieben in ihren Überschriften den Fokus noch mehr auf den Heiligen Rock und sparen Orendels Hochzeit mit Bride ganz aus. Dadurch erscheint Orendels Wunsch nach einer Ehefrau als Auslöser eines Geschehens, dessen inhaltlicher Schwerpunkt jedoch auf einem anderen Gebiet liegt. Völlig in eins fallen Brautwerbung und religiöse Ziele im Falle des ›Oswald‹. Der junge König Oswald wünscht sich eine Ehefrau, mag es nur ane sund gesin (os 40). Nachdem er sich eine Weile mit dem Problem beschäftigt hat, erscheint ihm ein Engel und überbringt ihm einen göttlichen Auftrag: ich wil dir raten, furst guot: / nim dir dhain frauen in den landen dein. / ich will dir ez raten auf die treuen mein: / du muost varen uber mer / mit ainem kreftigen her / nach ainer haidnischer kuniginne: / die soltu uber mer her pringen. / du muost in die haidenschaft cheren / und kristenleichen glauben meren / nim dir ein haidmische kunigin, daz ist gots will und der lieben muoter sein! (os 60 ff.).

Oswald soll also unter den Sarazenen nach seiner Braut suchen und bei seiner Reise den christlichen Glauben verbreiten – beide Aufträge werden in der Rede des Engels bereits geographisch aber noch nicht inhaltlich verbunden. Dies geschieht erst im Gespräch mit dem Pilger Warmunt, nachdem Oswalds Fürsten

2 Orendels Antwort auf den Vorschlag seines Vaters lautet: Vater das elend wil ich gern bawen / Durch die schönen junckfrawen / Haissent mir bereyten schier / Zwen und sybentzig kyel / Und hayß mir an de kyel tragen / Speyß das ich acht jar genug hab / Das wil ich alles verzeren / Durch got und des grabes eren / Und auch in guten treüen / Durch die schönen junckfrawen (od 14).

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 Einleitung

und Berater dem König nicht weiterhelfen konnten. Warmunt hingegen weiß Oswald von der schönen Königin Paug zu berichten. Diese ist zwar Sarazenin, glaubt aber heimlich an Gott und Maria. Dieser Glaube bringt sie in große Gefahr: wüsste ihr Vater davon er gewun ir daz leben an (os 250). Doch Paug bewahrt nicht nur unter Todesgefahr ihren Glauben, sie und vier ihrer Hofdamen sind auch gewillt, die Ausbreitung des Christentums voranzutreiben. Dazu benötigen sie allerdings Unterstützung und haben niemant der in helf darzuo (os 254). Ähnlich wie im ›Ortnit‹ muss auch im ›Oswald‹ die sarazenische Prinzessin vor ihrem Vater gerettet werden, doch wird ihre Bedrohung hier stärker religiös motiviert. Paug zu retten bedeutet nicht nur, sie heiraten zu können, sondern in erster Linie, sie als Christin zu befreien. Dementsprechend tritt auch in Oswalds Antwort sein Heiratswunsch zugunsten einer solchen Rettungsaktion zurück: nu muoß ich uber des meres fluot! / ich hilf in zuo der tauf,« sprach der jung degen, / »und gieng ez mir an mein werdes leben. […] wolt si cristen gelauben han / daz solt sie mich wissen lan, / so prächt ich zesamen ein michel her / und füer nach ir uber mer (os 256 ff.).

Durch Warmunts Wissen konkretisiert sich Oswalds Wunsch, zu heiraten, und der Auftrag des Engels, um eine (noch) nicht christliche Braut zu werben, auf die Königin Paug, die nicht nur selbst Christin werden möchte und der Rettung vor ihrem gewalttätigen Vater bedarf, sondern auch selbst an der Verbreitung des Christentums interessiert ist. Im ›Oswald‹ ist tendenziell eine Privilegie­ rung der Missionsthematik zu beobachten. Wenn Oswald vor der Abfahrt nach Aron zu seinem Heer spricht, benennt er sein Ziel wie folgt: ich wil in die haidenschaft keren / und cristleichen glauben meren (os 1533 f.). Erst im Anschluss an dieses Motiv führt er auch seinen Wunsch aus, die Königin zu befreien: ain haidmische kuniginne / die wil ich uber mer her pringen. / ez sei den wilden haidem / lieb oder laide, / ich muoß haben die kunigin guot! (os 1535 ff.). Dennoch schließen sich beide Motive nicht aus, sie bedingen und durchdrin­ gen sich vielmehr. In der interreligiösen Ehe, die verhindert oder gestiftet werden soll, verbin­ det sich das Thema des interreligiösen Konfliktes mit der Erzählform der Braut­ werbung. Dieser Verbindung soll im Folgenden weiter auf den Grund gegangen werden. Zunächst soll das Thema der interreligiösen Ehe in ihrer, auch für die Brautwerbungserzählungen bestimmenden, Ambivalenz als Chance und Gefahr für die eigene Glaubensgemeinschaft durch innereheliche Mission beleuchtet werden. Aus dieser eher allgemeinen Betrachtung soll der Blick auf zwei, in litera­ rischen und außerliterarischen Texten genutzte, Erzählmodelle fallen, die diese Chancen und Gefahren narrativ entfalten. Diese Modelle, die ›Königin als Mis­ sionarin im Ehebett‹ und ›die verliebte sarazenische Prinzessin‹ sollen in ihren Überschneidungen aber auch in ihren Unterschieden zu den Brautwerbungser­



Einleitung 

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zählungen gezeigt werden, um die literarische Gestaltung interreligiöser Ehen in dieser Textgruppe schärfer zu konturieren. Nach einer das Feld eröffnenden Untersuchung zum ›Rother‹ sollen die interreligiöse Ehe sowie die Implikationen einer Herrscherehe auf ihren tieferge­ henden, symbolischen Gehalt hin befragt werden, um so einen weiterführenden Ansatz für die Analyse der Brautwerbungserzählungen zu gewinnen. Dieser soll dann in zwei Richtungen angewendet werden: zum einen wird die Forschungsdis­ kussion zu dem ›Problem‹ der keuschen Ehen im ›Oswald‹ und ›Orendel‹ kritisch hinterfragt und zum anderen soll der Handlungs­kon­stellation unwilliger Bräute nachgegangen werden. Das übergeordnete Ziel dieses Kapitels ist es, die inten­ sive Durchdringung der religiösen und politischen Konflikte mit dem narrativen Modell der Brautwerbung aufzuzeigen. Meine These ist, dass in der Mehrzahl der Texte zu Beginn nicht nur der Anspruch eines Herrschers auf eine Braut evoziert wird, sondern dieser mit den im lezten Kapitel zum Teil bereits aufgezeigten poli­ tischen und religiösen Ansprüchen verknüpft und verhandelt wird. Die dadurch entstehende Dynamik bestimmt den Verlauf der Handlung.

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 Ehen zwischen Religionen

Ehen zwischen Religionen Jede Religion der Welt muss sich mit der kleinsten und doch zentralsten Einheit des Zusammenlebens ihrer Gläubigen beschäftigen: der Ehe. Auf Vorschriften für Eheverbindungen, die aus der eigenen Religionsgemeinschaft hinausfüh­ ren, wurde schon immer besonderes Gewicht gelegt. Die Brautwerbungserzäh­ lungen stehen dabei in der jüdisch-christlichen Tradition des Abendlandes. Das Judentum steht interreligiösen Ehen generell kritisch gegenüber.3 Diese Haltung erklärt sich aus der politischen Lage einer Religions­gemeinschaft, die durch ihre gesamte Geschichte hindurch von äußeren Mächten bedroht ist und häufig als Minderheit unter anderen Religionen lebt. Zu besonders verwundbaren Zeiten wurde dabei verstärkt Wert auf das religiöse Endogamiegebot gelegt, wie Augus­ tin Barbara ausführt: No group ever cheerfully allows itself to die out. […] But marriage with an outsider, too, can become dangerous if it is widespread. […] During the exodus of the Jewish people, such marriages were forbidden because they weakened the physical potential of the group at the very time when it needed every ounce of strength it had. It is a continuous theme through­ out history (Barbara 1989, 5).

Obwohl (religiöse) Mischehen an vielen Stellen des Alten Testamentes ausdrück­ lich verboten werden (s. Cohn 1930, 212–4), wird doch von einigen berichtet. Jedoch erscheinen sie nicht selten als Gefahr für den eigenen Glauben. So verfolgt z. B. König Salomo eine diplomatisch weit gefächerte Heiratspolitik und geht Ehen mit Frauen aus anderen Ländern mit fremden Religionen ein. Neben der Tochter des Pharao heiratet er Moabiterinnen, Ammoniterinnen, Edomiterinnen, Sidonierinnen und Hetiterinnen. Der Autor des ersten Buchs der Könige beurteilt dieses Verhalten kritisch, wenn er mit Bezug auf Deuteronomium 7,2–4 sagt: Es waren Frauen aus den Völkern, von denen der Herr den Israeliten gesagt hatte: Ihr dürft nicht zu ihnen gehen und sie dürfen nicht zu euch kommen; denn sie würden euer Herz ihren Göttern zuwenden. An diesen hing Salomo mit Liebe.4

3 Obwohl Mischehen in den Büchern des Alten Testaments regelmäßig vorkommen, werden sie oft auch scharf verurteilt (s. dazu einführend Falk 1994). Auch im heutigen Judentum wird die Frage nach der Legitimität von Ehen zwischen Juden und angehörigen anderer Religionen inten­ siv diskutiert. S. dazu u. a. Reinharz; DellaPergola 2009, McGinity 2009, McClain 1995. 4 de gentibus super quibus dixit Dominus filiis Israhel non ingrediemini ad eas neque de illis ingredientur ad vestras certissimo enim avertent corda vestra ut sequamini deos earum his itaque copulatus est Salomon ardentissimo amore (1 Kön 11,2).



Ehen zwischen Religionen 

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Und tatsächlich lässt Salomo, dessen Fall aufgrund seiner Bedeutung für den ›Salman‹ etwas näher beleuchtet werden soll, für die Götter seiner Frauen mehrere Kultstätten errichten. Was aus heutiger Sicht durchaus als geschickter außenpolitischer Schachzug gesehen werden kann, der sicherlich auch dazu gedacht war, den aufkommenden Fernhandel zu befördern (s. Finkelstein; Silber­ man 2006, 150 ff.), erscheint dem biblischen Autor als Zeichen des religiösen Ver­ falls und wird auf Salomos persönliches Verhältnis zu Gott bezogen. Die fremden Religionen der Ehefrauen werden zur Gefahr für den Glauben des Königs: Sie machten sein Herz abtrünnig. / Als Salomo älter wurde, verführten ihn seine Frauen zur Verehrung anderer Götter, sodass er dem Herrn, seinem Gott, nicht mehr ungeteilt ergeben war wie sein Vater David. / Er verehrte Astarte, die Göttin der Sidonier, und Milkom, den Götzen der Ammoniter. / Er tat, was dem Herrn missfiel, und war ihm nicht so vollkommen ergeben wie sein Vater David.5

Als Folge von Salomos Verhalten wird die Abwendung Gottes vorgestellt, der ihm ankündigt, seinem Sohn die Herrschaft wieder zu entreißen und somit die folgende politische und religiöse Spaltung vorwegnimmt. Der religiöse Fremd­ einfluss in den Ehen des Königs wird so zur Bedrohung für die gesamte Religi­ onsgemeinschaft. Auch in Islam und Christentum wurden interreligiöse Ehen wiederholt ver­ boten.6 Besonders christlichen Frauen wurde durch die Synoden von Elvira (305 n. Chr.) und Arles (309 n. Chr.) untersagt, Juden oder Häretiker zu heiraten und auch die Ehe zwischen Christen und Muslimen wurde mehrfach unter Strafe gestellt. So formuliert Rosalind Birtwistle für die Zeit des Frühchristentums: But as Christianity became more established, most leaders wanted to protect their members, particularly women, from what they perceived as the corrupting influence of non-Chris­ tians. We may reasonably suppose that when a man became a Christian, his wife and family followed his lead, but in the early Church there were probably many Christian women with

5 averterunt mulieres cor eius / cumque iam esset senex depravatum est per mulieres cor eius ut sequeretur deos alienos nec erat cor eius perfectum cum Domino Deo suo sicut cor David patris eius / sed colebat Salomon Astharthen deam Sidoniorum et Moloch idolum Ammanitarum / fecitque Salomon quod non placuerat coram Domino et non adimplevit ut sequeretur Dominum sicut pater eius / tunc aedificavit Salomon fanum Chamos idolo Moab in monte qui est contra Hierusalem et Moloch idolo filiorum Ammon / atque in hunc modum fecit universis uxoribus suis alienigenis quae adolebant tura et immolabant diis suis (1 Kön, 7,3 ff.). 6 Nach dem Koran (Sure 5,5) ist es muslimischen Männern unter bestimmten Bedingungen gestattet, Frauen der beiden Buchreligionen Christentum und Judentum zu heiraten, muslimi­ schen Frauen ist es aber generell verboten außerhalb ihrer Religionsgemeinschaft zu heiraten (Sure 60,10).

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unconverted husbands. Not until the early fourth century do we read of formal restrictions being applied to Christians who intermarried, and these were largely aimed at preventing female exogamy (Birtwistle 2006, 332).

Interreligiöse Ehen werden also auch von Seiten des Christentums untersagt und zum Teil unter Strafe gestellt. Auf der anderen Seite wird jedoch die Gefahr reli­ giöser Exogamie aus christlicher Sicht auch als Chance für die Ausbreitung des eigenen Glaubens wahrgenommen. Auf dem Weg des Christentums von der Reli­ gion einer verfolgten Minderheit zu der des Staates im Zuge der Christianisierung Europas kommen immer wieder Stimmen auf, die in einer Ehe zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionen nicht so sehr eine Bedrohung des eigenen Glaubens sehen, sondern vielmehr die Möglichkeit den andersgläubigen Partner zum christlichen Glauben zu bekehren.7 Je nachdem wie weit verbreitet das Christentum zu einer Zeit in einer bestimmten Gegend war, konnten die Urteile über die Gefahr und das Potenzial interreligiöser Ehen also sehr unterschiedlich ausfallen. Schon für das frühe Christentum stellte sich die Frage nach der Möglichkeit interreligiöser Ehen mit Dringlichkeit. Denn im Gegensatz zum Judentum, das als Gentilreligion für die gesamte (Stammes-)Ge­mein­schaft verbindlich war, waren die Übertritte zum Christentum in der Frühzeit individuelle Entscheidungen. Häufig bekehrten sich nur die Frauen zum Christentum, während ihre Männer ihren alten Glauben behielten. Was war aber zu tun, wenn sich nur ein Ehepartner der neuen Religion zuwandte? Behielt die Ehe trotzdem ihre Gültigkeit? Eine Antwort gibt Paulus im 1. Korintherbrief mit den Worten: Den Übrigen sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie willigt ein, weiter mit ihm zusammenzuleben, soll er sie nicht verstoßen. / Auch eine Frau soll ihren ungläubigen Mann nicht verstoßen, wenn er einwilligt, weiter mit ihr zusammen­ zuleben. / Denn der ungläubige Mann ist durch die Frau geheiligt und die ungläubige Frau

7 »Marriage between Christians and non-Christians has generally been regarded with suspi­ cion by the churches, and has at times been severely punished. However, mixed marriage has also sometimes been seen as a means by which the non-Christian partner may be drawn into the faith. […] Different contexts and circumstances have shaped Western Christian views of marriage and intermarriage, and the relative strength and self-confidence of a given Christian communi­ ty had a major influence on those views. For example, at the edges of Christendom, where the Church was in a minority or a missionary situation, attitudes were not the same as they were at the centre. At times and places where Christians were particularly vulnerable, intermarriage may have put exogamous Christians themselves and their worshipping communities at increased risk« (Birtwistle 2006, 331 f.).



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ist durch ihren gläubigen Mann geheiligt. Sonst wären eure Kinder unrein; sie sind aber heilig.8

Während hier das »geheiligt sein« (sanctificatus est) einen Automatismus oder noch eher einen Zustand in der interreligiösen Ehe zu bezeichnen scheint, tritt schon in der Auslegung des Augustinus von Hippo im 4. Jh. n. Chr. eine gewisse Verschiebung ein. In seinem Werk ›De Sermone Domini In Monte Secundum Matt­ haeum‹ kommentiert er die eben genannte Bibelstelle wie folgt: »Ich glaube, dass schon einige Ehefrauen durch ihre gläubigen Ehemänner zum Glauben gefun­ den haben, und Ehemänner durch ihre gläubigen Ehfrauen.«9 In einer interreli­ giösen Ehe können die Nicht-Christen durch ihren christlichen Ehepartner zum Glauben geführt werden. Es geht Augustinus also nicht mehr um die Begründung der Validität einer ›Mischehe‹, sondern eher um ihren Wert in Hinblick auf die missionarischen Möglichkeiten. Diese Deutung erfährt im Zuge der Christianisie­ rung Europas im frühen Mittelalter große Popularität. Petrus Lombardus macht in seinem Kommentar der Korintherstelle diese Interpretation noch deutlicher, wenn er formuliert, dass der eine Partner durch den anderen bekehrt wird (alter per alterum ad fidem convertitur).10 Die Lesart der Korintherstelle als Aufruf zur Mission innerhalb der Ehe wird durch eine kleine aber bedeutsame Änderung deutlich, die mittelalterliche Autoren sprachlich an ihr vornehmen. In einer Viel­ zahl von Zitaten findet sich statt sanctificatus est (ist geheiligt) salvatur (wird gerettet). Bei manchen Autoren bildet sich die Idee aus, Ehepartner (in interreligiösen Ehen) stünden zueinander im gleichen Verhältnis wie Priester und Gemeinde. So fordert z. B. Thomas von Cobham von Ehefrauen, ihre Männer kontinuierlich zu moralischem Verhalten anzuhalten11 und Peter Cantor beschreibt es als Tod­ sünde für einen christlichen Ehemann seine nichtgläubige Frau zu verlassen, denn es sei seine Pflicht sie zu bekehren und so ihre Seele zu retten.12 Sharon

8 nam ceteris ego dico non Dominus si quis frater uxorem habet infidelem et haec consentit habitare cum illo non dimittat illam / et si qua mulier habet virum infidelem et hic consentit habitare cum illa non dimittat virum / sanctificatus est enim vir infidelis in muliere fideli et sanctificata est mulier infidelis per virum fidelem alioquin filii vestri inmundi essent nunc autem sancti sunt (1 Kor 7, 12–14). 9 Credo, jam provenerat ut nonullae feminae per viros fideles, et viri per uxores fideles in fidem veniret (I,16, Sp. 1252), Übersetzung R.K. 10 Petrus Lombardus ›Collectanea in omnes‹ VII 14, Sp. 1592. 11 Thomas von Chobham ›Summa confessorum‹ VII 2,15; S. 375. S. dazu Farmer 1986. 12 »He compared the relationship between a believing husband and his unbelieving wife to the relationship between a priest and his flock, and he concluded that such a husband committed a mortal sin if he left his wife, as long as she was willing to continue cohabiting in peace, without

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Farmer fasst die theologischen Bemühungen um innereheliche Mission daher wie folgt zusammen: In keeping their concern with the moral behavior of the laity, scholastic theologians devoted considerable attention to marital relations. One of the issues that they examined concerned mixed marriages – those between newly converted believers and unbelievers (presumably Jews or Moslems) and those between Christian women and usurers, who were virtually equated with unbelievers. The discussions centered on whether the permanence of the marriage bond should prevail or whether the believing spouse should be allowed, or even compelled, to leave the unbelieving partner. Deliberations about mixed marriages led some scholastic theologians of the twelfth and early thirteenth centuries to consider the spiritual advantages of oral communication between spouses. In the case of the marriages of usurers, moreover, early-thirteenth-century theologians assumed that it was the woman who would employ persuasion to influence her husband positively (Farmer 1986, 527).

Eine Ehe zwischen Partnern unterschiedlicher Religionen kann sowohl eine Chance als auch eine Bedrohung für den jeweils eigenen Glauben sein – inter­ religiöse Ehen zu stiften bzw. zu verhindern kann helfen, den eigenen Glauben auszubreiten oder gegen fremde Einflüsse zu sichern. Es verwundert nicht, dass interreligiöse Ehen nicht nur im theologischen, sondern auch im historiographi­ schen und literarischen Kontext zum Thema wurden. Zwei Modelle, von der Ehe zwischen Religionen zu erzählen, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden, weil sie populäre Alternativen zur Verhandlung dieses Themas über das Modell der Brautwerbung bieten und zugleich mit ihm verwandt sind. Zum einen handelt es sich dabei um die Erzählungen von frühmittelalterlichen Königinnen, die ihre Ehemänner und damit auch ihr Volk zum christlichen Glauben bekehren, zum anderen um das weit verbreitete Erzählmodell der verliebten sarazenischen Prin­ zessin. Die folgenden Ausführungen zu den literarischen und außerliterarischen Werken, die diese Erzählmodelle benutzen, zielen verstärkt auf die erzählerische Gemachtheit der Texte. Denn diese ist geeignet, die Brautwerbungserzählungen in mehrfacher Hin­ sicht zu konturieren. Die Erzählungen von den ›Missionarinnen im Ehebett‹ teilen mit diesen nicht nur eine ganze Reihe narrativer Bausteine, sondern auch den thematischen Kern der interreligiösen Ehe als Chance für die Ausbreitung des eigenen Glaubens. Sie weichen jedoch in der Verteilung der Geschlechter­ rollen von Missionierendem und Missionierten von ihnen ab. Die Erzählungen von den verliebten sarazenischen Prinzessinnen teilen mit den Brautwerbungs­

blaspheming God: But she manifestly dies in her soul if he leaves, and there is hope of life if he cohabits. Therefore, since he is believed to have her in his care just like a pastor, he sins mortally if he leaves her« (Farmer 1986, 529).



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erzählungen die Grundkonstellation von christlichem Mann und sarazenischer Frau sowie die narrativen Bausteine der Flucht und Entführung. Sie akzentuie­ ren die persönliche Bindung zwischen diesen beiden, ihre Liebesbeziehung – die Möglichkeit einer (politisch bedeutsamen) Ehe tritt deutlich in den Hintergrund. Vor dem Hintergrund dieser beiden Erzählmodelle können die Brautwerbungs­ erzählungen zum einen in Hinblick auf die interreligiöse Verbindung zwischen Mann und Frau in ihrer Eingebundenheit in historiographische und literarische Kontexte gezeigt werden, und zum anderen in ihrer spezifischen Ausgestaltung dieser Verbindung konturiert werden. Wie wichtig die Unterschiede zu diesen beiden Modellen für das Verständnis der Brautwerbungserzählungen sind, wird das Kapitel ›Lîp unde Lant‹ erweisen. Die zuvor ausgeführte Vorstellung, ein Christ könne seinen andersgläubigen Ehepartner zum Glauben führen und ihn dadurch retten, wird im Frühmittelal­ ter in normativen Texten als Anspruch an christliche Königinnen herangetragen, deren Mann noch nicht bekehrt ist. Bertha, die Frau König Ethelberts von Kent, erhält im Jahre 601 n.Chr. einen Brief von Papst Gregor dem Großen, in dem er sie um ein verstärktes missionarisches Einwirken auf ihren Mann bittet. Ähnliche Wünsche hatte 566 schon Bischof Nicetius von Trier an Clodosinde gerichtet, die Frau von Alboin, dem Begründer des Langobardenreiches in Italien. Beda Vene­ rabilis berichtet, dass Bonifatius dieselben Wünsche an Ethelburga, die zweite Frau von König Edwin von Nordhumbrien gerichtet habe.13 Dieses verstärkte kle­ rikale Interesse an christlicher Mission innerhalb einer Ehe richtet sich auf diese Frauen, weil sie durch die Taufe ihres Mannes zugleich auch die Christianisie­ rung seines Volkes befördern können.14 Für die vorliegende Untersuchung sind die historiographischen, erzählenden Quellen von noch größerem Interesse und unter ihnen bieten die Berichte von der Ehe Chlodwigs I. mit Chlothilde die meisten Anknüpfungspunkte für die Braut­ werbungserzählungen. Chlodwig I. gehört in Hinblick auf die Christianisierung Europas neben Karl dem Großen zu den bedeutendsten christlichen Königen des Festlandes (Hoffmann 1975, 15). Er lässt sich im Alter von ungefähr 33 Jahren von Bischof Remigius von Reims taufen. Chlodwig kann sich gegen alle fränkischen Gaukönige durchsetzen und ein geeinigtes Frankenreich von Aquitanien bis zur Garonne begründen. Dabei stiftet er nicht nur politische, sondern auch religiöse

13 Zur Rolle, die Frauen bei der Christianisierung Europas gespielt haben, s. Padberg 1995, 321 ff. 14 »Die frühmittelalterliche Mission strebt die Christianisierung ganzer gentes an und zielt daher auf die Gewinnung der Herrschenden für das Christentum. Mit der Bekehrung des Herr­ schers ist auch das Volk gewonnen. Große Erwartungen und Verpflichtungen werden dabei den christlichen Königinnen auferlegt« (Felber 2005, 133).

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Einheit, wenn er durch seine eigene Bekehrung die katholisch geprägte Christia­ nisierung Westeuropas vorantrieb. Schon Gregor von Tour schreibt die Bekehrung des Königs in seinen ›Historia­ rum Francorum libri X‹ (GTL) seiner Frau Chlothilde zu, die ihn eindringlich bittet ihren Glauben anzunehmen, ihn durch die Festlichkeit der Messe überzeugen will und ihre gemeinsamen Söhne auch gegen seinen Widerstand taufen lässt. »Aber wie oft auch die Königin so sprach, sie konnte doch des Königs Gemüt nicht zum Glauben bekehren«.15 Sie bleibt trotzdem hartnäckig und in einem verzwei­ felten Moment in einer Schlacht gegen die Alemannen erinnert sich der König an die Worte seiner Frau, bittet Christus um Hilfe und verspricht sich in diesem Falle taufen zu lassen.16 Und tatsächlich wenden sich die Alemannen nach seinem Gebet von ihm und seinen Kriegern ab und beginnen zu fliehen. Als sie sehen, dass ihr König auf der Flucht erschlagen wird, unterwerfen sie sich Chlodwig. Bei seiner Rückkehr zieht er den Bischof von Reims, den Heiligen Remigius, zu Rate, der den König daraufhin im Geheimen in den Lehren des Christenglaubens unter­ richtet. Als er sein Volk um die Zustimmung zu seiner Taufe bitten will, bekehren sich seine Gefolgsleute geschlossen zum christlichen Glauben.17 Die Taufzeremo­

15 Sed cum haec regina dicerit, nullatinus ad credendum regis animus movebatur (GTL II,29, S. 74). Die Übersetzung ist hier und im Folgenden der Werkausgabe von Giesebrecht und Gebau­ er entnommen. 16 »Als die beiden Heere zusammenstießen, kam es zu einem gewaltigen Blutbad, und Chlo­ dovechs Heer war nahe daran völlig vernichtet zu werden. Als er das sah, erhob er seine Augen zum Himmel, sein Herz wurde gerührt, seine Augen füllten sich mit Tränen und er sprach: ›Jesus Christ, Chrodichilde sagt, du seiest der Sohn des lebendigen Gottes, Hilfe sollst du den Bedräng­ ten, Sieg geben denen, die auf dich hoffen – ich flehe dich demütig an um deinen Beistand‹«; Factum est autem, ut confligente utroque exercitu vehementer caederentur, atque exercitus Chlodovechi valde ad internitionem ruere coepit. Quod ille videns, elevatis ad caelum oculis, conpunctus corde, commotus in lacrimis, ait: Iesu Christi, quem Chrotchildis praedicat esse filium Dei vivi, qui dare auxilium laborantibus victuriamque in te sperantibus tribuere diceris, tuae opis gloriam devotus efflagito« (GTL II,30, S. 75). Die Hilfe eines fremden/neuen Gottes in der Schlacht ist nach Wolfram Herwig einer der typischen »Ursprungsakte«, die zum Wechsel der Religion einer gens führen können. Andere Motive wären z. B. die Überquerung eines Flusses oder Meeres. Zu dem Motiv im Zusammenhang der Geschichte Chlodwigs schreibt er: »With the successful response to the challenge of the primordial deed a change of religion and cult occurs. This mechanism still works with Christianization. After his decisive victory over the Alemanni, Clovis and his closest followers were baptized following the example of Constantine the Great« (Herwig 2006, 82). 17 »Als er darauf mit den Seinen zusammentrat, rief alles Volk zur selben Zeit, noch ehe er den Mund auftat, denn die göttliche Macht kam ihm zuvor: ›Wir verlassen die sterblichen Götter, gnä­ diger König, und sind bereit zu folgen dem unsterblichen Gott, den Remigius verkündet‹. Solches wurde dem Bischof gemeldet, und er befahl hocherfreut, die Taufe vorzubereiten«; Conveniens autem cum suis, priusquam ille loqueretur, praecurrente potentia Dei, omnes populus pariter adclamavit: ›Mortalis deus abigimus, pie rex, et Deum quem Remegius praedicat inmortalem sequi



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nie wird von Gregor als freudiger Akt geschildert und die neue Bedeutung Chlod­ wigs für den christlichen Glauben hervorgehoben. Als »neuer Konstantin« wird er von Remigius für die Verbreitung der neuen Religion verantwortlich gemacht.18 Die Rolle, die Chlothilde in der Darstellung Gregors bei der Bekehrung ihres Ehemannes und dadurch auch für die Christianisierung Frankreichs spielt, ist für den aktuellen Zusammenhang umso interessanter, als neuere Forschungs­ beiträge die maßgeblichen Motive für Chlodwigs Konversion eher im politischen Bereich sehen (Scheibelreiter 1997). Die höhere erzählerische Attraktivität scheint jedoch bei der Mission innerhalb einer interreligiösen Ehe gelegen zu haben. Diese Verbindung wird von Gregor mit Elementen gestaltet, die auch in den mit­ telhochdeutschen Brautwerbungserzählungen begegnen. So sendet Chlodwig Boten in das Land der Burgunder, die um ihre Hand werben sollen – von Gefah­ ren dieser Brautwerbung ist jedoch nicht die Rede.19 Die historiographischen Werke, die Gregors Text bearbeiten und fortführen, setzen deutlichere literarische Akzente. Wo Fredegar in seiner Chronik zu einer stärkeren Typisierung der Figuren neigt,20 baut der Autor des ›Liber Historiae

parati sumus‹. Nuntiantur haec antestiti, qui gaudio magno repletus, iussit lavacrum praeparari (GTL II,31, S. 76 f.). 18 »Zuerst verlangte der König vom Bischof getauft zu werden. Er ging, ein neuer Constantin, zum Taufbade hin, sich rein zu waschen von dem alten Aussatz und sich von den schmutzigen Flecken, die er von alters her gehabt, im frischen Wasser zu reinigen. Wie er aber zur Taufe hin­ trat, redete ihn der Heilige Gottes [Remigius] mit beredtem Munde also an: ›Beuge still deinen Nacken, Sicamber verehre, was du verfolgtest, verfolge, was du verehrtest.‹«; Procedit novos Constantinus ad lavacrum, deleturus leprae veteris morbum sordentesque maculas gestas antiquitus recenti latice deleturus. Cui ingresso ad baptismum sanctus Dei sic infit ore facundo: ›Mitis depone colla, Sigamber; adora quod incendisti, incende quod adorasti‹ (GTL II,31, S. 77). 19 »Da aber Chlodovech oftmals Botschaft sandte in das Burgunderland, sahen seine Boten einst Chrodichilde, die Jungfrau; und da sie fanden, dass sie schön und verständig sei, und in Erfahrung brachten, dass sie von königlichem Geschlecht, meldeten sie dies König Chlodovech. Und sofort schickte er eine Gesandtschaft an Gundobad und hielt um ihre Hand an. Jener scheu­ te sich, ihn abzuweisen und übergab den Boten die Jungfrau. Als die sie erhalten, eilten sie zum König und stellten sie ihm vor. Da er sie sah, fand er großes Wohlgefallen an ihr und nahm sie zur Ehe«; Porro Chlodovechus, dum legationem in Burgundiam saepius mittit, Chrotchildis puella repperitur a legatis eius. Qui cum ea vidissent elegantem atque sapientem et cognovissent, quod de regio esset genere, nuntiaverunt haec Chlodovecho regi. Nec moratus ille ad Gundobadum legationem dirigit, eam sibi in matrimonio petens. Quod ille recusare metuens, tradidit eam viris; illeque accipientes puellam, regi velotius repraesentant (GTL II,28, S. 73 f.). 20 »Er vermag ihr [der historischen Überlieferung] eine Form zu verleihen, die die individuellen Vorgänge nicht mehr real wiedergibt, sondern gewisse allgemeine, austauschbare Elemente an deren Stelle setzt«; »Die Personen verlieren ihre individuellen Züge, sie werden Typen: der Kö­ nigssohn, der treue Helfer, der schlaue Werber, die kluge Königstochter, der gefährliche, böse Vater, die besorgten Räte. Ereignisse werden zu kategoriellen Handlungen und insoweit vorher­

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Francorum‹ (LHF)21 die Geschichte von Chlodwig und Chlotilde zu einer umfang­ reichen Erzählung einer gefahrvollen Brautwerbung aus.22 Nachdem Chlodwig von der Schönheit und Klugheit Chlothildes gehört hat, sendet er seinen Boten Aurelianus aus. Schon an dieser Stelle thematisiert der Text den Religionsunter­ schied zwischen den beiden. Heißt es über Chlodwig, er sei fanaticus et paganus (LHF 10, S. 252), so wird jetzt explizit über Chlothilde gesagt Erat enim Chrotchildis christiana (LHF 11, S. 254). Chlodwigs Bote Aurelianus macht sich den Glauben der Prinzessin zunutze, indem er sie nach der heiligen Messe abfängt, als sie Almosen an die Armen verteilt. Zu diesem Zwecke hatte er seine Kleidung gegen Lumpen getauscht und seine Gefolgsleute im Wald zurückgelassen. Als Chlothilde Aurelianus ein Goldstück in die Hand drücken will, ergreift er die ihre, küsst sie und wirft ihren Mantel zurück. Dieses Verhalten veranlasst die Prin­ zessin, den Pilger in ihr Zimmer holen zu lassen. An dieser Stelle ist noch eine kurze Geschichte über das Verlieren und Wiederfinden von Aurelianus’ Besitz­ tümern eingeschaltet, die den literarischen Charakter dieser Szene unterstreicht. Nachdem Sie von Chlodwigs Werbung gehört hat, gibt sie Aurelianus eine zwei­ deutige Antwort:

sehbar, weil sie aus Aktion und Reaktion typischer Figuren abstrahierbar sind« (Scheibelreiter 1994, 36, 38). Die in der Geschichtswissenschaft diskutierte Frage, ob Fredegar als (eine) Person wirklich existiert hat, ist für den aktuellen Zusammenhang uninteressant. 21 Dieses weit verbreitete Werk wurde früh auch im deutschsprachigen Gebiet rezipiert: »Der ›Liber Historiae Francorum‹ zählt zu den meistverbreiteten Texten des Mittelalters« (Haupt 1982, 333). Eine Auflistung der über ganz Europa verteilten Codices gibt Bruno Krusch (LHF, 220 ff.). Der älteste erhaltene Textzeuge des ›Liber Historiae Francorum‹ stammt aus Lorsch (Geberding 1987, 210, Anm. 10). Darüber hinaus gibt es auch inhaltliche Verbindungen, besonders ins Rhein­ land: So wird die Stadt Köln drei Mal im Text erwähnt. Dieses Interesse an Köln ist einer der Gründe, aus denen die Forschung Soissons als Entstehungsort der Chronik vermutet. Der Ent­ stehungsort der anonymen Chronik wurde in der historischen Forschung kontrovers diskutiert. Seit der Arbeit von Gerberding (1987, 146 ff.) hat sich jedoch ein breiter Forschungskonsens für die Stadt Soissons entwickelt. Zuletzt hat Martina Hartmann (2004) das Frauenkloster NotreDame de Soissons als Entstehungsort stark gemacht. Die enge Verbindung dieses Klosters zu Köln könnte die frühe und weite Verbreitung der Chronik im deutschsprachigen Gebiet erklären. Den Implikationen, die die Vermutung einer weiblichen Verfasserin mit sich bringen, kann im aktuellen Zusammenhang nicht nachgegangenwerden, obwohl eine Berücksichtigung der damit zusammenhängenden Gender-Thematik für das Thema der Brautwerbung interessant wäre. So baut der unbekannte Autor (oder die unbekannte Autorin) z. B. die Rolle Chlothildes unter Ver­ wendung unterhaltender bzw. literarischer Motive deutlich aus. 22 Da der unbekannte Autor sich in der Darstellung der Ereignisse des 6. Jahrhunderts eng an Gregors Bericht hält, wurde diesen Abschnitten seines Werkes geringere Aufmerksamkeit zuteil – zumal die von ihm gemachten Ergänzungen eher in die Richtung literarischer Ausgestaltung gehen. Gerade diese literarische Präsentation des Stoffes ist für den aktuellen Zusammenhang allerdings interessant.



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Grüße Chlodwig. Es ist nicht erlaubt, dass eine Christin einen Heiden heiratet. Sorge dafür, dass niemand etwas von dieser Sache erfährt. Was immer Gott der Herr mir befiehlt, zu dem ich mich im Angesicht aller bekenne, das werde ich tun. Du aber gehe in Frieden.23

Obwohl Chlothilde einen Ring Chlodwigs im Schatz ihres Onkels versteckt, der später dazu dienen soll eben diesen von der Rechtmäßigkeit der Verlobung zu überzeugen, nimmt sie Chlodwigs Werben nicht bedingungslos an und verpflich­ tet den Boten zum Stillschweigen. Dabei wird deutlich, dass nicht ihr Onkel oder eine sonstige Gefahr ein Problem für die Heirat darstellen, sondern der heidni­ sche Glaube des Werbers. Sie beharrt auf ihrem christlichen Glauben und legt ihre Entscheidung in die Hand Gottes. Schon hier wird also angedeutet, dass die Ehe mit dem heidnischen Chlodwig, sollte sie zustande kommen, Gottes Wille sein muss. Auch die Auseinandersetzung mit dem Brautonkel wird im ›Liber historiae Francorum‹ detaillierter gestaltet (LHF c. 12). Nach einem Jahr schickt Chlodwig Aurelianus erneut nach Burgund, um Chlothilde abzuholen. Ihr Onkel Gundo­ bad verweigert dies, denn Chlodwig könne seine Nichte überhaupt nicht kennen. Aurelianus droht, Chlothilde mit einem Heer heimzuführen und Gundobad ist schon bereit diese Herausforderung anzunehmen, als seine Berater ihn zum Ein­ lenken überreden können: Man solle zumindest prüfen, ob sich im Schatz des Königs ein Verlobungsgeschenk befinde, um Chlodwig keinen billigen Vorwand zum Krieg gegen die Burgunder zu geben. Als tatsächlich ein Ring mit Chlodwigs Namen und Bild gefunden wird, lässt Gundobad Chlothilde holen. Diese erzählt, als eine Gesandtschaft Chlodwigs einmal Geschenke gebracht habe, sei ihr ein kleiner Ring in die Hand gelegt worden, den sie dann im Schatz ihres Onkels ver­ steckt habe. Dieser geht davon aus, dass dies naiv und ohne Absicht geschehen, aber dennoch eine gültige Verlobung sei und übergibt seine Nichte Aurelianus. Chlothilde wird zu Chlodwig gebracht, der sie in Soissons empfängt und zu seiner Frau nimmt. Als die beiden sich jedoch dem Ehebett nähern, bringt Chlot­ hilde das Thema Religion noch einmal ins Gespräch und fordert ihren Gatten auf zum Christentum überzutreten.24 In dieser Szene verbinden sich Brautwerbungs­

23 Chlodoveoque salutem dicito; licitum non est, christiana paganum nubere. Vide, ut hac causa nemo sciat. Quomodo iubet dominus Deus meus, quem ego coram omnibus confiteor, sic fiat. Tu vero vade in pace (LHF 11, S. 255). Übersetzungen hier und im Folgenden R.K. 24 »Zum einen bitte ich dich an den Gott des Himmels, den allmächtigen Vater, der dich erschaf­ fen hat, zu glauben. Zum anderen dich zum Herren Jesus Christus, seinem Sohn, der dich erlöst hat, dem König aller Könige, der vom Vater aus dem Himmel gesandt wurde, zu bekennen. Zum dritten [glaube an] den heiligen Geist, der alle Gerechten bestärkt und erleuchtet. Erkenne die ganze unaussprechliche Größe und immerwährende Allmacht und glaube, was du erkannt hast.

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handlung und interreligiöse Thematik besonders eng: die Königin wird zur Mis­ sionarin im eigenen Ehebett. Die weitere Bekehrung Chlodwigs gestaltet sich in enger Anlehnung an die Darstellung Gregors. Ähnlich ausführlich wie das ›Liber Historia Francorum‹ schildert auch die im 10. Jahrhundert entstandene ›Vita sanctae Chrothildis‹ die Bekehrung Chlodwigs. Es bleibt also festzuhalten, dass schon im 8. Jahrhundert in gelehrten his­ toriographischen und damit lateinischen Texten eine Verbindung von Missions­ thematik und erzählerischen Elementen der Brautwerbung in der Stiftung einer interreligiösen Ehe besteht. Diese Narrativierung der Christianisierung Europas durch das Erzählmodell einer ›Missionarin im Ehebett‹ entwickelt überzeitliche Attraktivität. Ob man daraus den Schluss zieht, dass das literarische Modell der Brautwerbungserzählung schon immer offen für religiöse Inhalte war oder, dass sich Geschichten über einen Religionswechsel ganzer Völker besonders gut mit einer Brautwerbungshandlung erzählen lassen, sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Idee einer vertikalen Mission, also der Bekehrung eines Herrschers, die die Christianisierung seines Herrschaftsbereiches nach sich zieht, wurde bereits im Frühmittelalter mit den Bekehrungsbemühungen christlicher Ehefrauen ver­ bunden. Ob diese Königinnen als »persuasive voices« (Farmer 1986), als »living sermons« (McNamara 1987) wirklich verantwortlich für die Bekehrung ihrer Ehe­ männer waren oder ob politische Erwägungen hinter ihrer Wendung zum Chris­ tentum standen, ist für den aktuellen Kontext nicht von Interesse – in beiden Fällen erweist sich die interreligiöse Ehe, bzw. eine interreligiöse Brautwerbung, als produktive narrative Umsetzung dieses Vorganges. Auch in den Auseinandersetzungen mit islamischen Fürsten hofften christ­ liche Prediger wiederholt auf Erfolge einer vertikalen Mission, wie die Predigten Olivers von Paderborn und Franz’ von Assisi vor dem ägyptischen Sultan al-Kâmil (Tolan 2002, 201 f., s. Kapitel II) zeigen. Im orientalischen Raum blieben diese Ver­ suche jedoch alle erfolglos. Umso erstaunlicher ist es, dass auch um das Jahr 1300 Vorschläge zu einer solchen Missionierung der Muslime vorgebracht wurden. Für den aktuellen Kontext ist der Plan zur ›Wiedergewinnung des Heiligen Landes‹, den Pierre Dubois in seiner gleichnamigen Schrift vorstellt, von besonderem Inte­

Gib deine falschen Götzen auf, die keine Götter, sondern nichtige Abbilder sind, verbrenne sie und baue die heiligen Kirchen, die du verbrannt hast, wieder auf«; Primum peto, ut Deum caeli, Patrem omnipotentem credas, qui te creavit. Secundo confitere dominum Iesum Christum, filium eius, qui te redemit, Regem omnium regum, a Patre de caelis missum; tertio Spiritum sanctum confirmatorem et inluminatorem omnium iustorum. Totam ineffabilem maiestatem omnipotentiamque coeternam agnosce et agnitam crede et idola vana derelinque, qui non sunt dii, sed sculptilia vana, incendeque ea et ecclesias sanctas, quas succendisti, restaura (LHF 12, S. 257 f.).



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resse.25 Nachdem er über den Wert der Verheiratung römisch-katholischer Frauen mit griechisch-orthodoxen Männern für die Etablierung des römischen Glaubens im Osten nachgedacht hat,26 schlägt er vor, speziell ausgebildete junge Frauen an muslimische Fürsten zu verheiraten: Vielleicht können den Anführern der Sarazenen (gegen die einige Krieg führen, ihre Länder rauben und weitere Güter stehlen und von denen wiederrum anderen Unrecht geschieht) in jenen Schulen ausgebildete Ehefrauen gegeben werden, ohne ihren Glauben (der Frauen) zu beschädigen und ohne dass sie mit ihnen Götzendienst begehen. Durch diese (Ehe­ frauen) können sie (die sarazenischen Anführer) mit der Hilfe Gottes und der predigenden Schüler, damit sie die Hilfe von Katholiken haben, weil sie auf die Sarazenen nicht ver­ trauen können, zum katholischen Glauben geführt und überredet werden.27

Die Vorstellung einer Ehefrau, die ihren Mann in einer interreligiösen Ehe zum christlichen Glauben führt, durchzieht die Auslegungen des 1. Korintherbrie­ fes, die päpstlichen Schreiben an englische Königinnen im 6. Jahrhundert, die Berichte über die Christianisierung Frankreichs durch die Ehe zwischen Chlod­ wig I. und Clothilde und auch die spätmittelalterlichen Pläne Pierre Dubois’. Zum Teil, wie in den Berichten über die Ehen zwischen Edwin und Aethelburga oder Chlodwig und Chlothilde, wird diese Vorstellung mit Elementen der Brautwer­ bungshandlung narrativ umgesetzt und das Modell der innerehelichen Mission eines Herrschers wurde auch in der Volkssprache, z. B. im mittelenglischen ›King of Tars‹ sowie von Chaucer in seinem ›Man of Law’s Tale‹ rezipiert.28 Dennoch ist diese Konfiguration des Themas ›interreligiöse Ehe‹, bei allen Parallelen und

25 »Pierre Dubois (1250/60–1321?) – (De recuperatione Terre Sancte/Über die Wiedergewinnung des Heiligen Landes, 1305/1307?). Pierre Dubois, ein Schüler des Siger von Brabant und Thomas von Aquin, gehörte zum Kreis der Königlichen Juristen Philipp IV. und verfaßte als Parteigänger desselben mehrere Streitschriften gegen Papst Bonifatius VIII. In seinem Hauptwerk, der für alle Prinzen der Christenheit (Teil I) und den König (Teil II) bestimmten Schrift ›De recuperatione Terre Sancte‹, entwarf er ein umfassendes politisches Programm für die Friedensordnung in Eu­ ropa, eine Kirchenreform und die künftige Gesellschaftsordnung des neubesiedelten Heiligen Landes« (Wichmann 2005, 63). 26 S. 51–2, Kap. 61. Diese würden viel effektivere Argumente haben als die Frauen Salomons, die doch den ›weisesten aller Männer‹ zum Götzendienst verleitet hätten. Die interreligiöse Ehe als Chance und Gefahr wird in diesem Text eng geführt. Der Text ist zitiert nach Evans 2000, 196. Michael Evans befasst sich in diesem Aufsatz eingehend mit dem Werk des Peter Dubois. 27 Forte majoribus Saracenis quibus alii injuriantur, guerras movent, auferunt terras suas, alia bona rapiunt, poterunt dari uxores perite provisionis istius, salva fide earum, ut non communicent cum eorum ydolatria; per quas cum auxilio Dei et discipulorum predicantium, et ut subsidium habeant a catholicis, quia de Saracenis non possunt confidere, poterunt ad fidem chatolicam induci et perduci (›De recuperatione Terre Sancte‹ 69, S. 57; Übersetzung R.K). 28 Zum ›King of Tars‹ s. Hornstein 1941, zum ›Man of Law’s Tale‹ Calkin 2011.

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Verbindungen, so nicht in den mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählun­ gen übernommen worden, sondern durch einen Wechsel der Geschlechterrol­ len modifiziert worden: während in den gerade vorgestellten Texten christliche Frauen heidnische oder muslimische Herrscher bekehren, werben in den Braut­ werbungserzählungen häufig christliche Herrscher um sarazenische Prinzessin­ nen. Doch auch für diese Konstellation hätte ein literarisches Modell als Vorbild bereit gestanden. Dieses Modell der ›verliebten sarazenischen Prinzessin‹ begegnet zum ersten Mal im Zusammenhang mit Bohemund von Antiochien.29 Mehrere Chroniken der Kreuzzüge berichten, dass er im Jahr 1100 in die Gefangenschaft des Emirs Gümüştekin Danishmend Ahmed Gazi gerät. Albert von Aachen berichtet, dass er sich drei Jahre später gegen ein hohes Lösegeld freikaufen kann.30 Auch Orde­ ricus Vitalis berichtet im zehnten Buch seiner ›Historia Ecclesiastica‹ über Bohe­ munds Gefangenschaft. Dabei gestaltet er die Geschichte seiner Befreiung jedoch auf besondere Art und Weise aus. Nach Ordericus’ Bericht verbringt Melaz, die Tochter des Emirs, viel Zeit mit den christlichen Gefangenen ihres Vaters und beschließt schließlich, ihnen zur Flucht zu verhelfen und ihre Religion anzu­ nehmen. Sie lässt Bohemund versprechen, sie nach ihrer Flucht zu heiraten. Dieser entschuldigt sich nach ihrer Befreiung jedoch mit seinen Pflichten in den bevorstehenden Kämpfen und arrangiert stattdessen eine Ehe mit seinem Neffen Roger, den Melaz als Ehemann ebenfalls akzeptiert. Als mögliche Quellen für diese abweichende Gestaltung der Rettung Bohe­ munds wurden mündliche Erzählungen, biblische Berichte und andere Chro­ niken in Erwägung gezogen – die Ähnlichkeiten der möglichen Vorlagen sind jedoch gering und über mündliche Berichte kann nur spekuliert werden.31 Ob

29 s. dazu grundlegend Warren 1914, sowie Ramey 2001, 40 ff., Friedmann 2002, 230 ff., und zuletzt Hodgson 2007, 68 ff. 30 Albert von Aachen: ›Historia Ierosolimitana‹, 680–7. 31 »Chibnall proposes that Orderic may have heard the story from one of Bohemond’s retinue, perhaps at the wedding of Bohemond and Constance of France […] The story of Melaz does not appear in any other contemporary sources, but the theme of a Muslim princess falling in love with a Christian captive later developed into a literary topos of Old French poetry, suggesting a link with oral tradition. Orderic’s version may be the earliest written example of its kind, but it is rather different in tone from the rest of his history, containing extensive dialogue and lite­ rary devices, suggesting that he may have been using an alternative source« (Hodgson 2007, 69). »Orderic’s story could be doubly inspired. On a Biblical level, Orderic compares Melaz to Bithiah, Pharao’s daughter, whom he says accompanied Moses and the Hebrews in safety when the Egyptians perished.« Als zweite Inspiration führt Ramey eine armenische Kreuzzugschronik an, die von dem Austausch einer gefangenen sarazenischen Prinzessin erzählt, der aber meines Erachtens wenig mit der Geschichte von Bohemund und Melaz gemein hat (Ramey 2001, 40 f.).



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die Geschichte der verliebten sarazenischen Prinzessin durch die ›Historia Eccle­ siastica‹ populär wird oder eine bereits verbreitete mündliche Erzählung in die Chronik Einzug findet, wird nicht mehr geklärt werden können. Für den hier untersuchten Zusammenhang ist es aber von großem Interesse, das diese Episode in der Folgezeit in vielen volkssprachigen Dichtungen aufgegriffen und ausge­ staltet wird, so dass Lynn Tarte Ramey zu dem Schluss kommt: »This common theme, the Saracen princess aiding the French warrior, repeats itself over and over in French chansons de geste and Latin tales« (Ramey 2001, 70 f.). Sie findet 17 unterschiedliche Chansons de geste, die das Motiv der sarazenischen Prinzessin behandeln, die einem gefangenen französischen Ritter helfen, zum Christentum konvertieren und den Geretteten später heiraten (ebd., 38).32 Auch in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters wird dieses Erzähl­ modell rezipiert. Zu den bekanntesten Werken zählen vielleicht die Vorgeschichte des ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach, die Ulrich von dem Türheim in seiner ›Arabel‹ ausgestaltet und die in der ›Karlmeinet‹-Kompilation erhaltene und auf einer romanischen Vorlage beruhende Erzählung ›Karl und Galie‹.33 Die im ›Willehalm‹ durch kurze Rückblicke der Figuren umrissene und in der ›Arabel‹ ausgestaltete Geschichte erzählt von Willehalms Gefangennahme durch den sarazenischen König Tybalt, seiner Begegnung mit dessen Frau Arabel und einer beginnenden Liebe zwischen beiden. Bei einem Schachspiel entfaltet sich ein interreligiöser Dialog und auch aus Liebe zu Willehalm erklärt sich Arabel zur Taufe und Flucht mit ihm bereit. Sie nutzen den Vorwand einer Vergnügungs­ reise zu Schiff, um nach Frankreich zu entkommen. In Avignon wird Arabel von Papst Leo auf den Namen Gyburg getauft und mit Willehalm vermählt. Das Heer Tybalts war bei der Verfolgung gesunken und nur der König überlebte. Die Nach­ richt, dass Gyburgs Vater Terramer mit einem Heer an der Küste der Provence gelandet sei, um ihre Untreue zu rächen, bildet die Überleitung zum ›Willehalm‹. Die Geschichte von ›Karl und Galie‹ weicht insofern vom gängigen Erzählmodell ab, als Karl kein Gefangener am Hof des sarazenischen Königs Galefer ist. Dieser

32 Diesen Sarazeninnen, die nach Ramey zu den beliebtesten Figuren der Chansons de geste des 12. und 13. Jahrhunderts gezählt werden müssen (Ramey 2001, 38), ist in letzter Zeit verstärk­ te Aufmerksamkeit der Forschung zu Teil geworden. Besonders die 12. Jahrestagung der Société Rencesvals, bei der eine ganze Reihe von Vorträgen zu den Frauenfiguren der Chansons de geste gehalten wurden (Bennett; Cobby; Runnalls 1993), hat die Bemühungen in diesem Bereich vo­ rangetrieben. Jacqueline de Weever (1998) untersucht Strategien der literarischen Integration und Ausgrenzung von Sarazeninnen. 33 ›Morant und Galie‹ hat in der Forschung bislang nur wenig Aufmerksamkeit erfahren. Mit einer grundlegenden Studie hat jedoch zuletzt Nadine Krolla erneut auf dieses Werk in seinen literarischen und kulturellen Kontextbezügen sowie in seiner eigenen Literarizität aufmerksam gemacht.

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nimmt Karl, der noch minderjährig auf der Flucht vor Mordanschlägen seiner Reichsverweser ist, vielmehr freundlich bei sich auf und unterstützt ihn in der Rückeroberung seines Reiches. Während seines Aufenthalts am Hof von Toledo hatte er die Liebe von Galefers Tochter Galie gewonnen und sich mit ihr verlobt. So kehrt er heimlich dorthin zurück um Galie zu entführen. Auf der Flucht werden sie vom Sarazenenfürsten Orias angegriffen, der Galie für sich beansprucht, doch an der französischen Grenze werden die Sarazenen von dort stationierten christ­ lichen Truppen vernichtend geschlagen. Galie wird in St. Denis getauft und der Text endet mit einem großen Hochzeitsfest. Auch bei dieser Art und Weise von einer interreligiösen Ehe und vor allem vom Zustandekommen dieser Verbindung zu erzählen, fallen Gemeinsamkeiten mit den mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen ins Auge. Die Flucht des Paares, bei der sie von sarazenischen Truppen gestellt werden, erinnert an den Erzählverlauf des ›Oswald‹ und des ›Ortnit‹. Die Hilfe, die die sarazenische Prinzessin dem fremden Ritter am Hof ihres Ehemannes bzw. Vaters zukommen lässt, kann man leicht mit der Unterstützung vergleichen, die die byzantinische Prinzessin Rother am Hofe Konstantins gibt. Am deutlichsten sind die Parallelen allerdings zur Handlung des ›Salman‹, in der Salme den unter ihrer Obhut gefan­ genen Fore befreit und ihm später nachfolgt – auch wenn hier die religiösen Vor­ zeichen zugunsten einer Flucht aus der Christenheit umgedreht sind. Für die in ›Orendel‹ und ›Rother‹ geschilderte Konstellation, in der interreligiöse Ehen nicht gestiftet, sondern verhindert werden sollen, ließen sich ebenfalls literarische Tra­ ditionen aufzeigen. So ist in der Chanson de geste ›Siege de Barbastre‹ neben der Eroberung sarazenischer Frauen auch die Verteidigung und Rückeroberung der christlichen Ehefrauen ein zentrales Thema des Werkes.34 Blickt man vom Motiv der interreligiösen Ehe, das in den Brautwerbungs­ erzählungen den Angelpunkt zwischen interreligiöser Thematik und narrativer Umsetzung bildet, auf historiographische und literarische Traditionen, lassen sich zahlreiche Anknüpfungspunkte finden. Die Ehe zwischen Religionen ist für alle Glaubensgemeinschaften eine wichtige Frage. Wie in den meisten Religionen dominiert auch im Christentum die Regel religiöser Endogamie. Unter besonde­ ren Umständen, wie in der Frühkirche, während der Christianisierung Europas oder der Konflikte im Heiligen Land, kann die interreligiöse Ehe aber immer

34 »The first [captured woman] is the countess Hermenjart, wife of Aymeri de Narbonne, whose capture start off the conflict between pagans and Christians. […] Hermanjart [!] is soon rescued and placed in the safest part of the castle, the donjon, to wait out the siege. Unlike the Saracen princess, the French matron will never encounter the enemy within her own walls. Her safety is the central concern of the troops, and whenever the question of surrender is raised, her capture is a main objection« (Ramey 2001, 55).



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wieder auch als Chance begriffen werden. Dabei kann sowohl im Kleinen missio­ niert werden, also der eine Ehepartner durch den anderen ›gerettet‹ werden, oder eine weiter reichende Mission angestrebt sein, wenn in Herrscherehen eine ver­ tikale Christianisierung angestoßen werden soll. Unter verschiedenen geschicht­ lichen und sozialen Rahmenbedingungen kann also entweder der Selbstschutz durch das Verbot religiöser Exogamie oder die Ausdehnung des eigenen Glau­ bens durch die Förderung religiöser Exogamie stärker gewichtet werden. Das Stiften und Verhindern interreligiöser Ehen, von denen die Brautwer­ bungserzählungen berichten, finden einen Wiederhall in kulturellen Kontexten und Imaginationen von der Antike bis zur frühen Neuzeit.35 Bemerkenswert ist dabei die frühe Verbindung von interreligiöser Ehe und narrativen Bausteinen der Brautwerbungserzählungen. So finden sich in der Geschichte von Chlodwig I. und Chlothilde in der Ausgestaltung des ›Liber Historiae Francorum‹ aus dem 8. Jahrhundert bereits eine Botensendung, eine heimliche Beratung zwischen Braut und Werber mit Ringübergabe (Kemenatenszene), ein dem jungen Paar feindlich gesonnener Brautonkel und die Flucht der Braut. Und auch die weit verbreite­ ten Erzählungen der ›verliebten sarazenischen Prinzessinnen‹ lassen, wie bereits ausgeführt, in ihrem Aufbau und ihrer Motivik einige Parallelen zu den Brautwer­ bungserzählungen erkennen. Die Hilfe der Prinzessin am Hof ihres Vaters (oder Ehemanns) und die gemeinsame, gefahrvolle Flucht und die Taufe der Prinzessin stellen die wichtigsten Berührungspunkte dar. Interreligiöse Ehe und Mission sind in den normativen Papstschreiben an und historiographischen Berichten über die frühmittelalterlichen, christlichen Königinnen, die ihren Mann und damit sein Volk bekehren (sollen), eng verbun­ den. Im Gegensatz zu den interreligiösen Konflikten der Brautwerbungserzäh­ lungen zielen die Bekehrungsversuche in der Ehe zunächst nur auf den Partner. Scheinbar von selbst ergeben sich weiterreichende Folgen, wie die Missionierung ganzer Völker. Auch in der Geschichte von Chlodwig und Chlothilde wird von interreligiösen Konflikten erzählt, doch entstehen diese erst nach der Bekehrung Chlodwigs, der jetzt für den christlichen Glauben in die Schlacht zieht. Sie sind nicht Teil der Brautwerbung, sondern ihre Folge. Der wichtigste Unterschied zwischen Brautwerbungserzählungen und denen von verliebten sarazenischen Prinzessinnen liegt auf der emotionalen Ebene. Zwar wird auch von Ortnits Sehnsucht berichtet und die spirituelle Liebe zwi­

35 Die Fragen nach den Möglichkeiten und Problemen interreligiöser Ehen ist auch heute noch aktuell und wird viel diskutiert. So leitet die, in dieser Arbeit mehrfach zitierte, Rosalind Birt­ wistle gemeinsam mit Heather al-Yousuf das englische ›Interfaith Marriage Network‹ (www.in­ terfaithmarriage.org.uk).

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schen Oswald und Paug findet in ihrem Brief einen Ausdruck, doch entstehen diese Gefühle der Zuneigung nicht aus persönlichem Kontakt. Dem Modell der Fernminne folgend, stehen vielmehr die nur aus den Berichten anderer bekann­ ten Qualitäten des potenziellen Partners im Vordergrund. Dabei muss die Frau vor allem genozsam sein – diese Ebenbürtigkeit drückt sich in ihrer Schönheit und Tugend, aber auch in Kategorien der Macht aus. Bride herrscht selbst über Jerusalem und das Heilige Grab, Constantin, Aron, Hagen und Nachaol sind als Brautväter mächtige Könige und auch Salman, der bei einer seitenverkehrten Werbungshandlung zum Hüter seiner Frau gegenüber den Werbungen der sara­ zenischen Prinzen wird, ist als König über Jerusalem ein bedeutender Herrscher der Christenheit. Dass sich auch die umworbenen Prinzessinnen an der Macht­ fülle ihrer Verehrer orientieren, zeigt besonders deutlich die Kemenaten­szene des ›Rother‹: Auf die Frage, wen sie heiraten wolle, entgegnet die byzantinische Prinzessin, dass ihr Dietrich gut gefalle – am liebsten aber würde sie den mäch­ tigen Rother zum Manne nehmen. Erst daraufhin offenbart sich der als Dietrich verkleidete Rother und besiegelt ihre Abmachung. Die Besonderheit der Brautwerbungserzählungen liegt genau in dieser Ver­ bindung der Brautwerbung mit einem Anspruch auf das Stiften neuer Macht, wie er in den Ratsszenen zum Ausdruck kommt und in der folgenden Handlung durchgesetzt oder auch nicht durchgesetzt wird. Sehr deutlich wird dies im Blick auf die kulturellen Kontexte des ›Rother‹.



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In Purpur geboren: ›Rother‹ Der ›Rother‹ beginnt, wie die meisten Brautwerbungserzählungen, am Hof des Protagonisten und mit einer Beschreibung seiner Macht und herausragenden Stellung. Rother ist der aller heriste man, / der da zu Rome / ie intfinc die cronen (ro 10 ff.) – er ist ein wahrer Fürst, herrscht über 72 weitere Könige, seine Hofhaltung ist angesehen und kultiviert. Als Ehefrau kommt für ihn nur eine in Frage, die van alleme adele / gezeme eime koninge, / dar zo vrowen richen herzogen (ro 39 ff.). Doch für den Herren von (West-)Rom ist nur eine Frau angemessen: die Tochter des oströmischen Herrschers Konstantin, die Lupold zu nennen weiß (ro 64 ff.). Bislang musste jedoch jeder sein Leben lassen, der um ihre Hand anhielt. Doch das hält Rother nicht ab, eine Gesandtschaft nach Konstantinopel zu senden. So wie ihm diese Prinzessin ›geziemt‹, so vertritt er den Anspruch, ihrer Hand würdig zu sein. Diese beiderseitige Angemessenheit, die Gleichrangigkeit Rothers mit Kons­ tantin, liegt textintern durch Rothers Macht und Qualitäten offen. Im politischen Kontext der Auseinandersetzung zwischen Rom und Konstantinopel ist aber genau dies ein zentrales Problem des weströmischen Kaisertums, vor dessen Hintergrund die Brautwerbung im ›Rother‹ meines Erachtens genauer konturiert werden muss als es bisher der Fall war. Denn obwohl das Zweikaiserproblem von der Forschung unterschiedlich fruchtbar gemacht wurde, ist der Bezug zwischen dem in erster Linie ideologischen Konflikt und der ›literarischen Lösung‹ der Brautwerbung noch nicht befriedigend herausgearbeitet worden. Im Folgenden soll daher gezeigt werden, dass sich die Auseinandersetzungen zwischen Ostund Westrom zentral auf Fragen der gegenseitigen Anerkennung konzentrieren, die sich in den Verhandlungen von Heiratsbündnissen ausdrücken kann. Von hier aus soll eine nicht völlig neue, aber doch in ihrer Feinjustierung für die Inter­ pretation der gesamten Textgruppe fruchtbare, Deutung des politischen Gesche­ hens im ›Rother‹ versucht werden. Das bereits im letzten Kapitel angesprochene Zweikaiserproblem ist aus west­ licher Sicht durch die Anerkennung des eigenen Anspruches durch den östlichen Basileus geprägt. Als Leo III. Karl den Großen im Jahr 800 in Rom zum römischen Kaiser, zum imperator romanum krönt, erklärt er das Reich des fränkischen Königs zum Nachfolger des Römischen Reiches. Prädestiniert ist Karl für die Kaiserkrone vor allem durch seine militärische Potenz und sein politisches Geschick, durch die er das Herrschaftsgebiet seines Vaters ausdehnen und sichern kann. Doch obwohl seine Machtfülle in Kerneuropa konkurrenzlos ist, sehen die Herrscher in Konstantinopel sich in ungebrochener Tradition des oströmischen Reiches als Kaiser der Rhomäer. Aus ihrer Perspektive hat der Papst weder das Recht noch

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die Autorität einen römischen Kaiser zu krönen – sie erkennen den westlichen Kaisertitel daher nicht an. Durch den Status, den man sich gegenseitig zuweist, sind in der Folgezeit die diplomatischen Kontakte geprägt, die auch in den Verhandlungen von ostwestlichen Eheprojekten ihren Ausdruck finden. Schon vor der Kaiserkrönung Karls hatte sich der Aufstieg der Franken ebenso angekündigt wie der, durch die muslimische Bedrohung im Osten des Reiches erzwungene, Rückzug Byzanz’ aus Zentraleuropa.36 Kaiserin Eirene schlägt 780 daher ein Bündnis und eine entsprechende Verbindung zwischen ihrem Sohn (Konstantin VI.) und Karls Tochter Rotrud vor, deren Verlobung ein Jahr später bekannt gegeben wird (Lilie 2003, 154). Als die byzantinische Gesandtschaft Rotrud 787 jedoch abholen will, übergibt Karl seine Tochter nicht (Schieffer 2000, 81 ff.). Die Gründe für diese Zurückweisung ließen sich in territorialen Konflikten in Unteritalien suchen, als nicht unwahrscheinlich gilt jedoch auch Karls Enttäuschung über den mangeln­ den Respekt ihm gegenüber von byzantinischer Seite.37 In der zeitgenössischen byzantinischen Geschichtsschreibung kamen zu dieser Zeit, vielleicht als pub­ lizistische Kompensation, vermehrt Gerüchte auf, Karl der Große würde um die Hand der Witwe Leons IV., Kaiserin Eirene, werben (Lilie 2003, 168 f.). Beidersei­ tige Empfindlichkeiten, vor allem aber die Frage nach Respekt und Anerkennung durch die jeweils anderen ›Römer‹, zeigen sich bereits hier deutlich. In der Folgezeit werden zahlreiche Eheprojekte ventiliert, scheitern jedoch zumeist. Von weströmischer Seite ist ein verstärktes Bemühen um die Anerken­ nung des eigenen Kaisertitels durch Ostrom zu solchen Zeiten zu bemerken, in denen die Stärke des weströmischen Kaisertums durch den Wechsel der Herr­

36 Das byzantinische Reich konzentriert sich zu dieser Zeit ganz auf die Bedrohung des Rei­ ches aus dem Osten von muslimischer Seite: »Der – erzwungene – Rückzug aus Byzanz hatte im ideologischen Bereich ein Machtvakuum entstehen lassen, das im Laufe des achten Jahrhun­ derts teils vom Papsttum, teils von den Franken als der unumstrittenen Vormacht des Abend­ landes gefüllt wurde. Die Krönung Karls des Großen am Weihnachtsfest des Jahres 800 in Rom war die letzte Konsequenz dieser Entwicklung« (Lilie 2006, 60 f.). Bereits aus dieser Zeit wird die Verhandlung einer Ehe zwischen Pippins Tochter Gisela und Leon IV. überliefert, die Pläne werden jedoch nicht weiter verfolgt (Lilie 2003, 165). 37 »Der eigentliche Grund für den politisch etwas unklugen Bruch Karls mit Byzanz dürfte in seinen enttäuschten Erwartungen zu suchen sein. Entgegen seinen Hoffnungen behandelte das Kaiserreich den Frankenkönig immer noch wie einen nachgeordneten Barbarenkönig […]. Es war aus oströmischer Sicht nur konsequent, als der Kaiser für 787 ein allgemeines Konzil nach Nikaia einberief und dazu zwar eine Abordnung des Papstes, nicht aber der Franken einlud. Karl wurde wohl mit einem Mal deutlich, daß ihm alle militärischen Erfolge und das politische Bündnis mit Byzanz doch niemals die Gleichberechtigung mit dem alten Kaiserstaat bringen würden« (Becher 2007, 81 f.).



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scherdynastie geschwächt erscheint. Besonders die Ottonen im 10. Jahrhundert und die Staufer im 12. Jahrhundert intensivieren die Verhandlungen mit Konstan­ tinopel. Otto I. wirbt wiederholt um eine ganz besondere Frau für seinen Sohn und Mitkaiser Otto II. Sie soll eine purpurgeborene Prinzessin, eine Porphyrogen­ neta sein. Eine solche Tochter des Kaisers muss während seiner Amtszeit oder/ und im mit purpurnem Marmor ausgekleideten Kreißsaal des Kaiserpalastes geboren sein.38 Die Verbindung dieses Ansinnens mit der Anerkennung des weströmischen Kaisertitels durch die Herrscher in Konstantinopel einerseits und mit den terri­ torialen Zugeständnissen, die sie für diese Zeichen der Anerkennung verlangen, andererseits, wird in einem Schreiben deutlich, das der Gesandte des Kaisers, Bischof Liudprand von Cremona, über seinen Aufenthalt am Hof des Basileus Nikephoros Phokas verfasst hat.39 Dieses ist nicht nur ein Bericht über die Ver­ handlungen, sondern zugleich eine Rechtfertigung über ihr Scheitern und daher kaum objektiv zu nennen – gerade die Strategien dieser Rechtfertigung machen den Text für den Zusammenhang dieses Kapitels jedoch interessant. So berichtet Liudprand sowohl von den Verhandlungen um den strittigen Titel des ›Kaisers‹ als auch über die empörte Reaktion auf die Werbung um eine Purpurgeborene.40

38 »Eine zusätzliche Form der Nachfolgesicherung oder Legitimierung begegnet spätestens im 10. Jh.: die Purpurgeburt (Porphyrogenese), die als Faktum (ohne besondere Terminologie) schon in der Spätantike existierte. Man versteht darunter entweder die Geburt in der Porphyra, einem seit dem 8. Jh. in den Quellen belegten, aber sicher schon länger existierenden Gebäude (das mit Purpurmarmor belegt war), oder die Geburt zur Regierungszeit des kaiserlichen Vaters, da diesem dann die Verwendung von Purpur in allen Formen gestattet war« (P. Schreiner 2008, 76). 39 Dieser Text wäre aufgrund motivischer Parallelen weitergehend für eine intertextuelle Lesart des ›Rother‹ fruchtbar zu machen. So berichtet Liudprand unter anderem von dem unfreund­ lichen Empfang der kaiserlichen Gesandtschaft, ihrer wenig komfortablen Unterbringung, die er als kerkerhaft beschreibt sowie Rangstreitigkeiten und verletzter Eitelkeit beim abendlichen Bankett. Von ähnlichem Interesse könnte auch die ›Pèlerinage de Charlemagne‹ sein, die von einem (fiktiven) Aufenthalt Karls des Großen am Hof des byzantinischen Kaisers Hugo und einem Vergleich zwischen beiden Männern erzählt, den Karl mit der Hilfe Gottes gewinnen kann. 40 »Am sechsten Juni aber, Sonnabend vor Pfingsten, wurde ich dem Hofmarschall und Kanz­ ler Leo, einem Bruder des Kaisers vorgestellt und hatte mit ihm einen großen Streit über Euren kaiserlichen Titel zu bestehen. Denn er wollte euch in seiner Sprache nicht Kaiser nennen, son­ dern geringschätzig König«; octavo autem Idus sabbatho primo dierum pentecostes, ante fratris eius Leonis coropalati et logothetae praesentiam sum deductus, ubi de imperiali vestro nomine magna sumus contentione fatigati. Ipse enim vos non imperatorem, id est βασίλέα sua lingua, sed ob indignationem ρήγα id est regem nostra, vocabat (Liutprand ›Relatio‹, 526 f.); »Als ich ihnen antwortete, ich sei der Heirat wegen als Anlaß zu einem dauernden Frieden gekommen, spra­ chen sie: ›Es wäre eine unerhörte Sache, daß die im Purpur geborene Tochter eines in Purpur ge­ borenen Kaisers unter die fremden Völker gegeben werde«; Quibus cum parentelae gratia, quae

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Die byzantinische Partei macht beide Forderungen, die der Anerkennung des Kaisertitels zum einen dem Namen nach und zum anderen symbolisch durch die Verheiratung mit einer Porphyrogenneta, von massiven territorialen Zugeständ­ nissen Ottos in Italien abhängig, die er jedoch nicht zu leisten bereit ist. Liud­ prand reist unvollendeter Dinge wieder ab. Im 12. Jahrhundert verfolgt der Staufer Konrad III. mehrere Heiratsprojekte mit Byzanz. Ähnlich wie zuvor Otto I. rund zweihundert Jahre zuvor, muss auch Konrad III. um seine Stellung im Reich kämpfen.41 Diesen Unsicherheiten begeg­ net er sowohl außen- als auch innenpolitisch mit einer klugen Heiratspolitik (s.  Görich 2006, 30 f.). Durch Zugeständnisse in Süditalien kann er auch zwei Hochzeiten zwischen Mitgliedern seiner Verwandtschaft und byzantinischen Adligen vermitteln.42 Obwohl dieser König laut Ralph-Johannes Lilie »geradezu ängstlich bemüht [ist], seinen eigenen Rang und den Stellenwert des westlichen Kaisertums gegenüber den griechischen Rivalen hochzuhalten« (Lilie 2003, 460), tritt die Dringlichkeit dieser Frage doch in den Hintergrund, denn Konrad wird selbst nie lateinischer Kaiser. Die von ihm ventilierten Heiratsprojekte berühren diese Frage auch nicht, da es, zumindest auf byzantinischer Seite, in keinem Fall um eine Ehe auf Herrscherebene geht. Die Bedeutung, die einer solchen Ehe zugemessen wird, lässt sich an der Inszenierung der beiden tatsächlich stattgefundenen Hochzeiten zwischen einem deutschen König und einer byzantinischen Prinzessin ablesen. Die erste dieser

esset occasio infinitae pacis, edicerem, inquiunt: »Inaudita res est, ut porphyrogeneti porphyrogenita, hoc est in purpura nati filia in purpura nata, gentibus misceatur« (ebd., 538 f.). 41 Seine Wahl und Königskrönung verläuft unter eher ungewöhnlichen Umständen und be­ gründet den staufisch-welfischen Thronkonflikt: »Eine kleine Gruppe von Fürsten kam der all­ gemeinen Wahlversammlung, die auf Pfingsten 1138 nach Mainz berufen war, zuvor und wählte Konrad am 7. März in Koblenz zum König. […] Die Wahl Konrads durch nur wenige Fürsten wird gerne als ›Handstreich‹ oder gar als ›Staatsstreich‹ bezeichnet, aber es gab weder ein formalisier­ tes Verfahren der Königswahl noch einen feststehenden Kreis von Königswählern. Lediglich auf Grund eher unwägbarer Faktoren wie Machtfülle und Autorität konnte ein Anspruch auf Betei­ ligung an der Wahl erhoben oder dessen Mißachtung beklagt werden – was die übergangenen sächsischen Fürsten taten, aber auch Erzbischof Konrad I. von Salzburg« (Görich 2006, 29). 42 Um ein gemeinsames Vorgehen in Italien abzusichern, verhandeln der Gegenkönig Konrad III. und Johannes II. über eine mögliche Ehe zwischen Konrads Schwägerin, Bertha von Sulz­ bach, und Johannes jüngstem Sohn Manuel. Um Bertha in den Königsstand zu erheben, wird sie von Konrad adoptiert. Da kurz nacheinander alle älteren Söhne Johannes’ als Erben ausfal­ len, wird Manuel 1143 byzantinischer Kaiser (Manuel I. Komnenos). Trotzdem wird die Verein­ barung eingehalten und drei Jahre später heiratet Manuel die in Eirene umbenannte Frau (Lilie 2003, 283). Zwei Jahre später (1148) handelt Konrad mit Manuel I. eine Heirat zwischen seinem Stiefbruder Heinrich Jasomirgott und einer Nichte Manuels, Theodora Komnene, aus (Lilie 2003, 408).



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beiden Verbindungen kommt aufgrund der Beharrlichkeit Ottos I. zustande. Der neue oströmische Herrscher Johannes I. Tzimiskes, der den Thron mit Gewalt erobert hat, hat ein größeres Interesse an einem freundschaftlichen Verhältnis zu den Ottonen. Er entsendet Theophanu als Braut für Otto II. in den Westen. Die Hochzeit wird mit großem Prunk gefeiert, der noch heute an der gewaltigen Heiratsurkunde, geschrieben mit Gold auf kaiserlichem Purpur, ersichtlich ist. Theophanu wird als Regentin für Otto III. zu einer bedeutenden Figur deutscher Geschichte, deren Popularität bis heute an zahlreichen historischen und bellet­ ristischen Publikationen zu ihrer Person abzulesen ist. Über die starke Präsenz, die die Kaiserin zu ihrer und bis in unsere Zeit im Westen entfaltet hat, übersieht man leicht ihre völlige Bedeutungslosigkeit für die zeitgenössische byzantinische Politik. Denn Theophanu war nicht nur nicht in Purpur geboren – ihre Verwandt­ schaft mit dem Basileus ist eher weitläufig.43 Sie findet in keiner einzigen byzan­ tinischen Urkunde Erwähnung (Lilie 2003, 246). Die zweite Ehe zwischen einem deutschen Kaiser und einer byzantinischen Prinzessin ist vielleicht nach der Entstehung des ›Rother‹ zu verorten, zeigt aber doch die Bedeutung, die einer solchen Verbindung im Heiligen Römischen Reich beigemessen wird. Und das, obwohl sie eher zufällig zustande kommt. Im November 1195 nimmt Heinrich VI. Palermo ein und bringt auf seiner Rückreise in die Heimat die Witwe Rogers III. mit nach Deutschland. Eirene, die Tochter des byzantinischen Kaisers Isaaks II. Angelou, wird auf den Namen Maria getauft und mit Heinrichs Bruder, dem Herzog Philipp von Schwaben, verheiratet (Görich 2006, 79). Am 8. September 1198 werden sie zu König und Königin gekrönt. »Er [Heinrich VI.] schuf sich damit eine Verbindung zum byzantinischen Kaiser­ haus – ein politisches Ziel, das die Staufer lange vergeblich angestrebt hatten« (Bedürftig 2000, 111). In den staufisch-welfischen Thronstreitigkeiten wird auch diese Verbindung instrumentalisiert und inszeniert. Mit marianischen Attributen als rôse âne dorn, ein tûbe sunder gallen ausgestattet, erscheint Irene-Maria in der ›Magdeburger Weihnacht‹ Walthers von der Vogelweide.44 Eine nicht unbedeu­

43 Fußbroich 1991, 41. Theophanu wird in ihrer Hochzeitsurkunde zwar als Nichte des Kaisers Johannes I. Tzimiskes bezeichnet, war mit ihm jedoch nicht leiblich verwandt, sondern die Nich­ te seiner ersten, vor seiner Thronbesteigung verstorbenen Gattin Maria Skleraina. 44 Zu der politischen Bedeutung dieser Strophe sagt Günther Schweikle in seinem Kommen­ tar (1994, 348): »Walthers Strophe setzt die staufischen Ansprüche ins poetische Bild um. […] Zentrum der Strophe ist die Transzendierung des Königspaares: Philipp in seiner Eigenschaft als Kaisersohn und Kaiserbruder wird, gemäß einer seit dem 7. Jh. tradierten Vorstellung als rex imago Dei, als Postfiguration der Trinität beschworen, Königin Irene-Maria – durch die ihr beigegebenen Attribute – als Abbild der Heiligen Jungfrau. Damit wird das ganze Geschehen, schon durch die Lokalisierung in der Stadt mit ihrem beziehungsreichen Namen, als Analogon zur Christgeburt vorgestellt, wodurch Philipp als der neu- oder wiedergeborene irdische Erlöser

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tende Rolle dürfte dabei auch ihr Status als Tochter des Basileus, als hôhgeborne küniginne gespielt haben. Und das, obwohl ihr Vater bei ihrer Hochzeit bereits nicht mehr in Konstantinopel regiert, sondern von seinem Nachfolger geblendet und in den Kerker geworfen worden war. Die Hochzeit mit dieser purpurgebore­ nen Prinzessin bringt dem Westen daher keine politischen Vorteile in Byzanz, so prestigeträchtig sie auch gewesen sein mag. Obwohl die deutschen Kaiser seit Otto I. ihr Kaisertum über Karl den Großen direkt von den römischen Kaisern her ableiteten und den byzantinischen Anspruch ablehnten, »kam es immer wieder zu Versuchen, das eigene Kaisertum von den Byzantinern anerkennen zu lassen, was vor allem durch Heiratsverbin­ dungen geschah« (Lilie 2003, 189). Doch obwohl sich die deutschen Könige und weströmischen Kaiser beständig um solche Verbindungen bemühen, zeigen nur wenige dieser Verhandlungen Erfolge. Die beiden Ehen, die zwischen Osten und Westen auf Herrscherebene zu Stande kommen, werden aufwendig inszeniert und mit Prunk gefeiert – auch, wenn in einem Fall nur eine entfernte Verwandte des Basileus in den Westen gereist ist und im anderen Fall die Tochter des oströ­ mischen Kaisers ohne dessen Zustimmung auf einem Kriegszug erbeutet wurde. Beide Ehen dienen also nicht wirklich dazu, der byzantinischen Anerkennung des weströmischen Kaisertums Ausdruck zu verleihen. Im ›Rother‹ wird aber genau dies literarisch erlebbar gemacht: Rother gewinnt nach allen Gefahren und Prüfungen mit Konstantins Zustimmung endgültig die Hand seiner Tochter. Die Erzählung wird historisch-genealogisch vor der Kaiserkrönung Karls ver­ ortet, denn Rother ist Pippins Vater, aber in einem jeder Zeitlichkeit enthobenen Modus gestaltet. So werden über die beiden Figuren Rother und Konstantin ver­ schiedenste Anknüpfungsmöglichkeiten an historische Kontexte denkbar. Schon der Name Konstantin verweist zum einen auf Konstantin den Großen, zumal in der Schonungsrede Asprians von einer Helena als Constantinis moder (ro 4402) die Rede ist. Andererseits aber entsteht durch eine solche Lesart eine Spannung zwischen der negativen Zeichnung der Figur im Text und der auch im Westen betriebenen Verehrung des ersten christlichen Kaisers.45 Konstantin ist jedoch

aus dem politischen Chaos der Zeit verstanden werden soll, dem sich – als Zeichen seiner Legi­ timität – die Fürsten in hierarchischer Ordnung unterwerfen.« S. dazu auch Nellmann 2000 und Wapnewski 1967. 45 Konstantin wurde auch im Heiligen Römischen Reich verehrt. Im 15. Jahrhundert wurde die konstantinische Schenkung als Fälschung offenbart und moderne Historiker sehen in seiner Bekehrung zum Christentum weniger einen Akt des Glaubens als einen der Sicherung römischer Macht, der zudem wahrscheinlich erst auf dem Sterbebett erfolgte. S. dazu Fuhrmann 1987, 125, 196, 207, 216. Dem Mittelalter aber galt Konstantin der Große als der erste und auch einer der bedeutendsten christlichen Kaiser.



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ein häufig vertretener Name unter den oströmischen Kaisern – vom 4. bis zum Ende des 12. Jh. gibt es zehn Basileis sowie drei Usurpatoren bzw. Gegenkaiser dieses Namens.46 In ähnlicher Weise ist Rother an die Reichsgeschichte angebunden und ihr zugleich entzogen. Die Polyvalenz dieser Figur in Bezug auf ihre Kontextbezo­ genheit zeigt sich schon in den vielfältigen Positionen, die die germanistische Forschung zu diesem Thema eingenommen hat. Sowohl der langobardische Herrscher Rothari aus dem 4. Jahrhundert, als auch Roger von Sizilien, bzw. eine ›Kontamination‹ dieser beiden historischen Figuren wurden als Vorbilder für die Hauptfigur des ›Rother‹ genauso in Erwägung gezogen wie Heinrich VI. und Friedrich I.47 Noch deutlicher werden die poly­perspek­tivi­schen Bezugsmög­ lichkeiten der Figuren am Beispiel der namenlosen Prinzessin. Es mag verwun­ dern, dass sie keinen Namen trägt – als durch Rother umworbene Prinzessin ist sie schließlich für die Handlung zentral und erscheint darüber hinaus auch als aktive Figur. Doch durch diese Leerstelle wird die Qualität des Geschichtsbe­ zuges, der sich auch schon in den vielseitigen Anknüpfungsmöglichkeiten der Figuren Konstantins und Rothers zeigt, noch gesteigert – die Figur kann mit jeder historischen byzantinischen Prinzessin in Beziehung gesetzt werden und wird so zur Personifikation der oströmischen Prinzessin schlechthin. Diese Möglichkeiten der Kontextualisierung suggerieren zum einen die Bedeutsamkeit der Erzählung in historisch-politischen Kategorien. In ihrer Pluralität entziehen sie sich jedoch zugleich jeder eindeutigen Zuordnung und siedeln den Wahrheitsgehalt des Erzählten auf einer höher liegenden Abstrak­

46 Konstantin I. (Regierungszeit 324–337), Konstantin II. (337–361), Konstantin III (641), Kon­ stantin IV. Pogonatos (668–685), Konstantin V. (741–775), Konstantin VI. (780–797), Konstantin VII. Porphyrogennetos (913–959), Konstantin VIII. (1025–1028), Konstantin IX. Monomachos (1042–1055), Konstantin X. Dukas (1059–1067), Konstantin XI. Laskaris (1204–1205) wurde nicht offiziell zum Kaiser gekrönt, Konstantin XI./bzw. XII. Dragases Palaiologos (1448–1453). Bezieht man noch nicht zum Kaiser gekrönte Ursurpatoren bzw. Gegenkaiser mit ein, erhöht sich die Zahl der byzantinischen Herrscher mit Namen Konstantin auf 15: Konstantin Doukas (913, Ursur­ pator in Konstantinopel zur Zeit Konstantins VII.), Konstantin Grabas (1125–1139, Gegenkaiser in Trapezunt), Konstantin Angelos (1193, Usurpator in Philippopel). 47 In seiner einflussreichen Studie versuchte Friedrich Panzer (1925) die Parallelen zwischen Rother und Roger von Sizilien für eine Interpretation des Werkes fruchtbar zu machen, während Jan de Vries (1922, XCIIff) von einer »Kontamination« der beiden historischen Personen (Rothari und Roger) in der literarischen Figur ausging. Klaus Siegmund erarbeitete 1959 eine historische ›Übersetzung‹ des gesamten Personeninventars des Rotherhofes um die Figur des Herrschers herum, den er, verbunden mit einer Neudatierung des Werkes an das Ende des 12. Jahrhun­ derts, mit Heinrich VI. identifizierte. In Bezug auf das mutmaßliche staufische Interesse an der Karlsthematik des Werkes und angeregt vom Gleichklang ›rot‹ und ›Rother‹ schlug Ferdinand Ur­ banek den rotbärtigen Friedrich I., Kaiser Barbarossa, als Bezugsperson vor (Urbanek 1976, 220).

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tionsebene an. Die Figuren des ›Rother‹ sind nicht mit historischen Personen zu identifizieren, die Brautwerbungshandlung nicht auf eine reale Konstellation hin durchsichtig zu machen. Mit Rother wirbt vielmehr ein Repräsentant des west­ römischen Kaisertums um die Hand der byzantinischen Prinzessin an sich. Zwi­ schen dieser abstrakten Ebene des Kontextbezuges und der konkreten narrativen Umsetzung ergeben sich Spannungen, die vom Text eher gefördert als unterbun­ den werden. Er vertritt einerseits den Anspruch, wahre Reichs- und Heilsgeschichte zu erzählen und unterfüttert diesen Anspruch auch durch ein raumzeitliches Koor­ dinatensystem vertrauter Ortsnamen und genealogischer Zusammenhänge.48 Zugleich aber wird diese Rezeptionserwartung auch mehrfach gebrochen. Der genealogische Zusammenhang ist über das nicht auserzählte, verwandtschaftli­ che Verhältnis zwischen Karl und Pippin hinaus fiktiv. Die realistische Topogra­ phie wird mit dem Reich der Riesen in den Bereich des Phantastischen erweitert, sowie die Riesen als ›liminale‹ Figuren das historisierende Ambiente unterlau­ fen.49 In ähnlicher Weise werden auch die Figuren Konstantins, Rothers und der Prinzessin, die sich jeder eindeutigen historischen Kontextualisierung entziehen und damit auf einer Metaebene zu Personifikationen ihrer Ämter als west- oder oströmischer Kaiser, bzw. als oströmische Prinzessin werden, als gewissen Typen entsprechende aber doch auch individuelle Figuren gezeichnet.50

48 Die genealogische Anbindung an das Karlsgeschlecht soll dabei die Wahrheit verbürgen: sie Rothere deme herrin / gewunnin die vil goten / Pipinchis muder, / van deme uns Karlus sit bequam / unde ein magit lossam / die gode sanctae Gerdrut: / dar zo Nivele hat sie hus / unde hilfit den ellenden / gerne uze den sunden. / von du nis daz liet / von lugenen gedihtet niet! (ro 3481 ff.). 49 Fuchs-Jolie (2005, 195) bezeichnet die Riesen, in Anlehnung an das von Victor Turner entwi­ ckelte Konzept, als »›Liminale‹ Figuren auf der Grenze zwischen Natur und Kultur.« 50 Zur typisierenden Darstellung gehört z. B. die Gegenüberstellung Rothers und Konstantins als idealem und schlechtem Herrscher. Doch diese Polarität lässt sich aufbrechen, wenn man mit Rita Zimmermann (1993) Konstantins Handeln als politisch und juristisch begründet ver­ steht, was seine Rolle deutlich aufwertet. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch der breite Raum, den der Erzähler auf die internen (emotionalen und intellektuellen) Vorgän­ ge der Figur verwendet, die sein Handeln nicht legitimieren, dem Leser aber doch verständlich machen. Auch die Figur der Prinzessin ist über ihre Funktion als ›Werbungsobjekt‹ hinaus nur schwer als Typ zu fassen, obwohl sie natürlich wie beinahe alle literarischen Heldinnen schön und tugendhaft ist. Zugleich arbeitet sie aber aktiv und listenreich am Zustandekommen ihrer Ehe mit Rother mit: Sie sorgt in der ›Schuhtauschepisode‹ selbst für ein Treffen mit Rother, wählt in der Kemenatenszene politisch klug den mächtigsten Herrscher der Christenheit zu ihrem be­ vorzugten Gatten und versorgt gefangene Gefolgsleute Rothers, nachdem sie ihren Vater mit der Drohung, seinen Hof für immer zu verlassen, unter Druck gesetzt hat. Zu dieser aktiven Rolle der Prinzessin s. auch Kerth 2010.



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In diesen Spannungen liegt die Literarizität des Werkes und ihr fiktionaler Freiraum begründet. Die Eröffnung verschiedener kontextueller Assoziations­ möglichkeiten suggeriert historische Bedeutsamkeit, wobei dieser Anspruch durch ahistorische Elemente wie die Riesen, den fiktiven Status der genealogi­ schen Zusammenhänge, die Spannungen im Gefüge der Zeitebenen oder die Poly­ valenz der historischen Bezüge unterlaufen wird. In diesem Freiraum erscheinen die Handlungsträger als individuell gestaltete konkrete Figuren einerseits, zum anderen aber auch als Vertreter allgemeingültiger Institutionen. Die Handlung des ›Rother‹ wird zwar zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt verortet, ihre Bedeutung erfährt sie aber auf einer sich dieser Verortung entziehenden abs­ trakteren Ebene, die in ihrem Anspruch allgemeingültiger ist und sich zugleich in ihrer individuellen literarischen Ausgestaltung selbst genügt. Die Handlung bildet kein historisches Geschehen ab, erhält aber durch das von ihr genutzte und aufgerufene geschichtliche Wissen zusätzliche Tiefe. Die Suggestion einer Verbindlichkeit des Erzählten über die Welt der Erzählung hinaus verleiht dem Werk eine Aura der Bedeutsamkeit. Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage, wie sich die gelungene Braut­ werbungshandlung des ›Rother‹ zu den gescheiterten historischen Versuchen verhält, einen byzantinischen Kaiser zu der Verheiratung einer seiner Töchter mit einem deutschen König bzw. weströmischen Kaiser zu bewegen. In der For­ schung zum ›Rother‹ hat in diesem Zusammenhang die These Christian Gellineks kanonischen Status erreicht.51 Er bezeichnet die Hochzeit zwischen Rother und der byzantinischen Prinzessin als eine translatio per nuptias (Gellinek 1968, 82). Dieser Begriff verbindet die Idee der translatio imperii mit dem Moment der Hoch­ zeit zwischen Ost und West. Indem Rother die byzantinische Prinzessin heira­ tet, gehe der Herrschaftsanspruch Ostroms auf ihn über. Diese Deutung knüpft er eng an die genealogische Dimension des Werkes, da Rother den »Vorrang des griechischen Hauses […] durch Nachkommenschaft auf sein vorkarlisches Haus« übertrage (ebd., 78). Auch wenn die Formulierung als ›Vorrang‹ allgemein gehal­ ten ist, wird an der parallelen Verwendung des translatio-Begriffes deutlich, was gemeint ist: Der Übergang der kaiserlichen Herrschergewalt vom Osten an den Westen. Christa Ortmann und Hedda Ragotzky (1993, 333) nehmen in ihrer Unter­ suchung die Idee »diese[r] Translation des Imperium Romanum auf die Franken« auf, legen den Schwerpunkt jedoch stärker auf die Idealität der Rotherherrschaft, die durch die Überwindung und Integration des oströmischen Herrschers narrativ entfaltet werde.

51 Dies zeigt z. B. ihre Aufnahme in den Artikel ›Rother‹ im Reallexikon der germanischen Alter­ tumskunde (Brinker-von der Heyde 2003, 370).

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In dieser Lesart verbinden sich zwei Deutungen, von der die eine unproble­ matisch, die andere jedoch zumindest diskussionswürdig ist. Die erste betrifft moralisch-ideologischen Fragen: Rother kann im Laufe der Handlung seine moralische, intellektuelle und militärische Überlegenheit gegenüber Konstan­ tin beweisen. Er und seine Nachfolger sind daher besser als weltliche Hüter der Christenheit geeignet als die Herrscher in Ostrom. Diese Vorbildlichkeit Rothers und seines Führungsstiles kann nicht bezweifelt werden. Schwieriger hingegen sind die Implikationen, die auf eine Überwindung und Integration der oströmi­ schen Herrschaft in die weströmische, bzw. auf das Erbe dieser Herrschaft durch Rothers Nachkommen zielen. Auch diese Überlegungen liegen zunächst nahe: Zum einen ist Konstantin Rother zum Schluss des Werkes völlig ausgeliefert und zum anderen werden keine Geschwister der byzantinischen Prinzessin vorge­ stellt, sie und damit ihre Kinder erscheinen als direkte Erben des Basileus Kons­ tantin. Einer solchen Interpretation steht entgegen, dass weder die Integration der oströmischen Herrschaft durch Rother noch die Ansprüche seiner Nachfah­ ren thematisiert werden. Obwohl zum Ende hin die Möglichkeit bestünde, das oströmische Reich militärisch zu unterwerfen und Schritte zu einer Integration in die weströmische Herrschaft zu unternehmen, wird davon nicht erzählt. Auch ändert sich der Status König Konstantins in keiner Weise mit seiner Anerkennung der Ehe zwischen Rother und seiner Tochter. Er behält vielmehr die volle Herr­ schergewalt über sein Reich und belehnt aus eigener Macht und freien Stücken Arnold, der auf Rothers Seite gekämpft hat.52 Dass Rother keine Verfügungsge­ walt über byzantinische Gebiete hat, wird auch in seiner Vergabe von Lehen an seine Gefolgsleute offenbar.53 Bei dem folgenden Reichstag in Aachen und der Schwertleite Pippins erscheint das Byzantinische Reich in keiner Weise in die Herrschaft Rothers integriert und auch für Pippin oder Karl wird kein Anspruch auf eine Dominanz über Byzanz erhoben. Hier ist nicht die Rede von einem neuen Abhängigkeitsverhältnis oder einer Veränderung der Herrschaftsverhältnisse: Konstantin ist weiter Herr über die mare burge, die hochberühmte Stadt Konstantinopel, deren Erobe­ rung durch Rothers Heer als Möglichkeit zwar aufgerufen und diskutiert, dann

52 Do sprach der koninc Constantin: / »Rother, live herre min, / heiz Arnolde here vore gan! / ich wil deme tugenthaften man / durch sine dugint gevin / daz he immir samfte mag levin, / der dich nerin wolde!« / do cronete man in mit golde / unde leh ime ein lant dar: / do wart he koninc in Grecia« (ro 4711 ff.). 53 Rother vergibt zwar mit Apulien und Sizilien auch Territorien als Lehen, auf die Byzanz durchgängig Ansprüche erhob, diese besitzt er aber in der Handlung des Werkes schon zu Be­ ginn, was an seiner Residenz in Bari zumindest für Apulien deutlich wird.



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in Asprians Schonungsrede aber ganz entschieden abgewiesen wird. So bleibt Konstantins Herrschaft unverletzt und sogar der Status seiner Frau als mäch­ tige Königin, als riche konigin (ro 4752), wird am Textende bekräftigt. Aber Konstantins Einstellung gegenüber dem weströmischen Nachbarn hat sich geändert: Rotheres ere was ime lief (ro 4756) oder wie Peter Stein übersetzt: »Rothers Ansehen war auch sein Anliegen geworden«. Wenn hier also von einer Integration die Rede sein kann, dann in ideologischer Hinsicht: indem Konstantin Rother seine Tochter ohne Reue zur Frau geben kann, erkennt er dessen Würde als gleichberechtigter Herrscher an und zeichnet ihn als solchen aus. Aber nur indem die unabhängige Macht des Basileus erhalten bleibt, kann aus dieser Macht heraus von einer Anerkennung der Ansprüche Rothers durch Konstantin erzählt werden. Damit verhandelt der ›Rother‹ die historische Konstellation zwischen den beiden römischen Reichen im Spielraum des Fiktionalen. Das Byzantinische Reich beansprucht trotz militärischer und politischer Unterlegenheit Zeit seines Bestehens eine »ideelle Führungsstellung« (Becher 52007, 74) in Europa und kann sich dabei auf die älteren Rechte berufen – auf genau dieser Ebene findet im ›Rother‹ eine Angleichung der beiden römischen Reiche statt. Auch liegt, wie Ralph-Johannes Lilie ausführt, die Auseinandersetzung zwischen Konstantino­ pel und Rom nicht auf der Ebene einer »ernsthaften machtpolitischen Erbausei­ nandersetzung«, sondern wird »eher zu einem mit den Mitteln der Diplomatie geführten Propagandastreit« (Lilie 2003, 19 f.). Als Teil dieses diplomatischen Netzes müssen auch die Eheverhandlungen um die Hand einer byzantinischen, möglichst purpurgeborenen Prinzessin durch die deutschen Könige bzw. west­ römischen Kaiser gesehen werden, denn die Hochzeit mit einer byzantinischen Prinzessin bedeutet keinen Weg zur Dominanz über das oströmische Reich oder zu seiner Integration in die weströmische Herrschaft – eine solche Ehe entfaltet ihre Bedeutung vielmehr vor der ideellen Stärke der Byzantiner, die idealerweise die Gleichberechtigung der deutschen Könige als römische Kaiser anerkennen sollen. Eine solche Ehe ist ausgesprochen selten und prestigeträchtig. Obwohl die Purpurgeburt praktisch keine Auswirkungen auf den Erbanspruch oder die Thronfolge hat,54 auch weil die Herrscherdynastien in Byzanz häufig gewaltsam durch Anschläge oder Usurpation wechseln, bleibt sie aufgrund ihrer Aura inte­ ressant und bietet sich in diesem symbolischen Wert besonders für eine literari­ sche Verhandlung des Zweikaiserproblems an.

54 »Da später alle Kinder eines regierenden Kaisers die Bezeichnung ›Porphyrogennetos‹ tru­ gen, kommt der Porphyrogenese bei der Auswahl des Nachfolgers keine entscheidende Bedeu­ tung zu« (Schreiber 2008, 76).

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Im Zusammenhang des ›Rother‹ löst die Ehe mit der byzantinischen Prin­ zessin unter Konstantins Segen den in der Ratsversammlung aufgemachten Anspruch ein: Rother ist dem Herrscher im Osten ebenbürtig, dessen Tochter ist ihm und er seiner Tochter ein angemessener Ehepartner. Blickt man noch einmal auf den Textbeginn zurück, wird deutlich, wie sehr dieser Anspruch auf der Ebene der Anerkennung, der Ehre verortet ist. Rothers ere, die zum Schluss des Textes Konstantin lief ist, steht auch im Gespräch zwischen Rother und seinem Werber Lupold im Vordergrund. So bittet Rother ihn: tuo mir werbes umbe das megetin / die da so wundrin schone si. / unde hilf mir miner erin! und Lupold nimmt die Ehre Rothers zweimal in seiner Antwort auf (ro 110 ff.). Durch die Hochzeit mit Kons­ tantins Tochter wird sein Ansehen in der Anerkennung des byzantinischen Herr­ schers als dem Basileus gleichberechtigter Herrscher im Kontext einer geeinten Christenheit vervollkommnet. Rother gewinnt im Zuge der Brautwerbungshand­ lung also genau die Anerkennung seiner Würde durch Byzanz, die den realhisto­ rischen Kaiser im Westen versagt bleibt. In dieser Lesart tritt die Bedeutung der biologischen Erben Rothers zurück. Durch sie wird zwar die heimische Macht in direkter Linie gesichert, doch ist die neue, ideologische Macht von größerer Bedeutung. Die Aufwertung des west­ römischen Kaisertums betrifft nicht nur Rothers biologische Erben, sondern seine Nachfahren in diesem Amt insgesamt. So hat Beate Kellner jüngst in einer umfangreichen Studie gezeigt, dass das genealogische Denkmodell im mittel­ alterlichen Denken keineswegs auf biologische Verbünde beschränkt ist. In dynastischen Systemen kann vielmehr das Moment der Amtssukzession das der biologischen Linie an Bedeutung überragen, wenn es um die Herstellung von stabilitas der Herrschaft geht: Genealogie läßt sich daher letztlich als eine Struktur der Ordnung verstehen, die für den einzelnen und die Gemeinschaft, der er angehört, im Sinne eines institutionellen Mechanis­ mus stabilitas gewährleistet, stabilitas auch und gerade gegen die Flüchtigkeit der Zeit […]. In einer Genealogie kann sowohl die Blutlinie, als auch das ›Prinzip der Amtssukzession, die Kette der Vorgänger‹ im Vordergrund stehen (Kellner 2004, 107, 120).

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch erst das Interesse an der Erzählung von Rother im ausgehenden 12. Jahrhundert – zur Zeit der Staufer. In der Forschung wurde bereits wiederholt angemerkt, dass die Staufer sich und ihre Herrschaft in der Nachfolge Karls des Großen inszenierten.55 Auch der ›Rother‹ wurde in diesen

55 Ein eindrucksvolles Beispiel für dieses Bemühen ist die Heiligsprechung Karls, wie Mat­ thias Becher ausführt: »es [kann] nicht verwunder[n], daß die französischen und deutschen Herrscher sich seit dem 12. Jahrhundert zunehmend auf Karl beriefen. Die Heiligsprechung Karls



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Zusammenhang gestellt: So sehen Christa Ortmann und Hedda Ragotzky in der Rotherherrschaft einen programmatischen Entwurf für die staufische Politik.56 Es ist jedoch zu kurz gegriffen, wenn sie im ›Rother‹ nur die »Propagandierung der Überlegenheit des weströmischen Kaisertums und damit des staufischen Anspruchs auf Vorrang« (Ortmann; Ragotzky 1993, 337) sehen. Vor dem Hin­ tergrund des realhistorischen ›Propagandastreits‹ zwischen Ost- und Westrom zwischen der Kaiserkrönung Karls des Großen und dem Fall Konstantinopels während des vierten Kreuzzuges, ist nicht, oder zumindest nicht nur, die Präsen­ tation der Überlegenheit Rothers in moralischer, intellektueller und militärischer Sicht entscheidend. Zumindest ebenso wichtig ist die Erfüllung des zu Beginn des Textes formulierten Anspruches auf Gleichrangigkeit der beiden Herrscher, die zum Schluss des Textes von Konstantin anerkannt wird. Damit diese Aner­ kennung aber ihre volle Wirkung entfalten kann, muss er auch zu diesem Zeit­ punkt als weiter unabhängiger und mächtiger König agieren können. Somit kann gerade nicht von seiner Unterwerfung oder Integration in die westliche Herr­ schaft erzählt werden. Sollte der Autor des ›Rother‹ bei seiner Dichtung staufische Interessen im Blick gehabt haben, dann liegen diese vermutlich in der Inszenierung einer von Byzanz aus erhöhten Würde des weströmischen Herrschers, die diesen Titel auch für die auf Rother in diesem Amt folgenden deutschen Könige und römischen Kaiser aufwertet. Der ›Rother‹ erzählt nicht nur vom Sichern einer Landesherr­ schaft durch eine angemessene Ehefrau und einen gemeinsamen Erben, sondern auch vom Stiften neuer ideologischer Macht des weströmischen Kaisertums. Diese Macht liegt in der Anerkennung durch Byzanz, mit der sich das christliche Europa gegen die Dār al-Islām vereinigt.57 Diese Geschichtsutopie, die politisch Wünschenswertes zugleich als durch fiktive Individuen Gewordenes und über­ individuell und -zeitlich Gültiges entwirft, wird erzählerisch durch die Art und Weise unterstützt, mit der das Werk Bezug zu historischer ›Wirklichkeit‹ herstellt

des Großen im Jahre 1165 war die Antwort Kaiser Friedrich Barbarossas auf die Versuche des französischen Königtums, den Franken für sich in Anspruch zu nehmen« (Becher 2007, 120). Zur Kanonisation Karls des Großen s. Vones 2003. 56 »Der ›Rother‹ präsentiert die Vorgeschichte des Karlsreichs, und mittels dieses Nachweises der historischen Genese formuliert er programmatische Gehalte von Herrschaft, die für Adeli­ ge, die sich dezidiert in die Tradition dieses Reichs stellen, unmittelbar relevant sind (Einheit, Universalität, christlich römische Herrschaft, Gottunmittelbarkeit dieser Herrschaft, usw.). Das Werk macht klar, was die Berufung der staufischen Politik auf Karl bedeutet« (Ortmann; Ragotz­ ky 1993, 332). 57 In diesem Sinne hält auch Jutta Rüth (1992, 28) fest: »Er [Rother] verhindert durch seine In­ tervention ein Bündnis zwischen dem byzantinischen Königtum und den Heiden und hält damit west- und oströmisches Reich zusammen.«

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und sich ihr zugleich wieder entzieht. Versinnbildlicht wird die Aufwertung der Herrschaft Rothers, und damit auch seiner Nachfolger, im Amt des weströmi­ schen Kaisers, dabei in der Ehe mit einer purpurgeborenen Prinzessin. Wenn es schon im ›Rother‹ nicht nur um das Sichern konkreter, territorialpolitischer Macht, sondern auch um das Stiften neuer, ideologischer Macht geht, so wird diese Linie in den anderen Brautwerbungserzählungen noch größere Bedeutung gewinnen. Es wird zu zeigen sein, dass die genealogische Sicherung von Macht hier noch stärker zurücktritt. Während ›Orendel‹ und ›Oswald‹ vom Stiften spirituell-religiöser Macht erzählen, führen ›Salman‹ und ›Ortnit‹ den Zusammenhang zwischen Macht und Brautwerbung im Modell der ›unwilli­ gen Bräute‹ in die Aporie. Um diese literarischen Konfigurationen vom Sichern, Stiften und Verlieren von Macht besser erfassen zu können, soll im Folgenden nach der inhaltlichen und vielleicht auch symbolischen Verbindung zwischen der Brautwerbungshandlung und der im weitesten Sinne politischen Sphäre von Macht gefragt werden.



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Lîp unde Lant Vor dem Hintergrund des zweiten Kapitels erscheint diese Ehe, die ein inner­ christliches Bündnis zwischen Rom und Konstantinopel stiftet, als Alternative zu einem christlich-sarazenischen Bündnis zwischen Konstantinopel und Babylon. Diese politische Funktion der Heirat mit der Prinzessin wird in den Verhandlun­ gen zwischen Ymelot und Konstantin deutlich. Wollte der Sarazene den Basileus auf seinem Eroberungszug zunächst töten, lässt er sich auf Konstantins Vorschlag ein, dessen Tochter mit seinem Sohn Basilistium zu verheiraten.58 Für Rother reicht seine Ehe mit der Prinzessin nicht aus – er muss zugleich die interreligi­ öse Ehe mit Basilistium verhindern. Erst als ihm dies gelingt und er seine Braut ihrem Vater und seinem Konkurrenten entrissen hat, kann ein stabiles Bündnis der beiden christlichen Reiche entstehen. Die interreligiöse Ehe erscheint im Text als abzuwendende Gefahr sowohl in Bezug auf die ›weltpolitische‹ Situation als auch in Bezug auf die Person der Prinzessin, der durch die erzwungene Hochzeit mit Basilistium Leid zugefügt wird (der stat Rotheres wif / unde quelit den erlichin lib: / van herzeleide das ist, ro 3820 ff.). Diese Inszenierung der interreligiösen Ehe als Gefahr verbindet den ›Rother‹ mit dem ›Orendel‹. Auch hier muss Königin Bride mehrfach gegen die Werbungen sarazenischer Könige verteidigt werden. Der Leser erfährt nichts von Heiratsan­ trägen dieser Herrscher an die unverheiratete Königin von Jerusalm vor Orendels Ankunft. Mit den Angriffen auf die Stadt verbindet sich dann das Motiv der Erobe­ rung ihrer Königin. So formuliert der Riese Pellian den Wunsch fraw Breyden wil ich von hertzen lieben, / da mag mich nyemanz von treiben (od 76), bevor er von Orendel getötet wird. Dann tritt das Motiv wieder zurück, bis es am Ende des Textes erneut Bedeutung gewinnt. Denn auch der finale Gegner der christlichen Helden, König Minolt, will Bride heiraten. Die Bedeutung der hier zu verhindernden interreligiösen Ehe wird auf unterschiedliche Arten markiert. Zum einen gerät Bride in die Gefan­ genschaft des sarazenischen Königs, als sie als Pilger verkleidet und alleine auf einer Spi­onagemission durch das Land streift. Bride überschreitet auch sonst die Erwartungen an weibliche Gender-Entwürfe, wenn sie wie ein Mann kämpft (Die junckfraw facht als ain man / Sy facht auß der massen, od 82) und Unterge­ bene und Gegner gleichermaßen verprügelt, wenn sie ihre Wünsche nicht erfül­

58 So erfährt Rother bei seinen verdeckten Ermittlungen als Pilger auch: do loste Constantin sinen lif / unde gaf daz Rotheres wif / deme vreislichen koninge / van woster Babilonie. / des sune sal sie nemin hinacht, / alse du selbe sen macht. / zo Constantinopole in der stat / sin mit grozer herescraft / drizic koninge / van woster Babilonie (ro 3810 ff.).

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len. Gerade in dieser Situation hätten aber auch Orendel oder Ise die gefährliche Mission übernehmen können, anstatt nutzlos beim Heer zurück zu bleiben. Doch dadurch, dass sich Bride in diese Gefahr begibt, wird die Dramatik der letzten Auseinandersetzung zwischen Christen und Sarazenen erhöht. Zum anderen erscheint, wie auch im ›Rother‹, die interreligiöse Ehe nicht nur als politisch abzuwendende Gefahr für ein christliches Jerusalem, sondern auch als Bedrohung für die Braut. Im ›Orendel‹ wird dies noch deutlich intensiver als im ›Rother‹ erzählt und sehr viel stärker mit religiöser Bedeutung aufgeladen. Als König Minolt Bride zur Frau begehrt, weigert sie sich, einen Ungetauften zu heiraten.59 Hier könnte das Motiv der vertikalen Mission durch eine christli­ che Ehefrau und Königin anzitiert sein – doch die weitere Handlung verläuft in anderen Bahnen. Denn es meldet sich der Ritter Princian zu Wort: Er wolle Bride in weniger als sechs Wochen dazu bringen, Minolt auch so zu heiraten: Da sprach ein ritter hieß Princian / Folg meines rates künig lobesan / Es sey nun ein tag gesprochen / Von noch heüt über sechs wochen / Dar zwischen wil ich sy zwingen / Die vil stoltzen küniginnnen / Das sy dich neme zu einem man / Oder wil des mein haubt verloren han / Dem die iunckfraw befolhen ward / Der was vil gar des teüfels art // Er leget di maget herre / Nacket in ainen kerkere / Do schlugent sy die gute / Das ir das rote plute / Uber den leib zu tal floß / Und von ir auff die erden goß / Und über iren leib zu tal ran / Fraw Breyd heyß weynen began (od 122 f.).

Dieser teuflische Mann wirft die Jungfrau nackt in einen Kerker und prügelt sie blutig – ihr Wille soll mit Demütigung und Folter gebrochen werden. Die Prosa­ fassung geht in der Frage des Religionswechsels noch einen Schritt weiter. Hier spricht Princian deutlich aus, dass Bride nicht nur Minolt heiraten, sondern auch seine Religion annehmen soll: in der zeit will ich die schönen magt wol dartzu bringen das sy dich gütlich zu mann nympt / auch Machmeten und Appollen umb deinet willen anbeet (od P 61). Die interreligiöse Ehe erscheint hier aus christli­ cher Sicht nicht nur als politische Gefahr für Jerusalem, als persönliche Gefahr für Bride, sondern auch als religiöse Bedrohung einer vertikalen Missionierung von außen. Dies ist umso bedeutender, als im ›Orendel‹ eine Verbindung von Königin und Herrschaftsbereich, von Frau und Land aufgenommen wird, die sehr viel konkreter ist als die im ›Rother‹ geschilderte bündnispolitische Konzeption. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen glaubt Bride in Orendel den Sohn König Ougels zu erkennen, von dem ihr eine göttliche Stimme berichtet hat:

59 Held die red laß bleyben / Du woltest dich dann lassen tauffen / Und an den waren crist glauben / Wiltu dem nit werden underthan / Ich nym dich nymmer zu einem man (od 122).



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Nun sich herr schöner jungeling / Kose mit aines rechten kayser kind / Mir sagt die gottes stymme / Von des küniges Eygels kinde / Er hup sich von Tryer / Mit zwen und sybenzig kyel / Die seind im auch alle versuncken / Unnd in dem wilden mör ertruncken / Do genaß nye kain geschlachter man / Den der junge künig lobesan / Der ist alters ain genesen / Der sol auch hie mein herre wesen / Er sol über das landt wesen künig und herr / Unnnd über die guoten burg zu Jerusalem (od 60).

Orendel verneint dieser Mann zu sein, doch nach seinem Kampf mit Liberian wie­ derholt Bride ihr Angebot – dieses Mal an den ›Grauen Rock‹, wer auch immer er sein mag, gerichtet und übergeht jeden Widerstand (od 71). Interessant ist die Verbindung, die Bride beide Male zwischen sich selbst und ihrem Land herstellt und die im Begriff herr zusammenlaufen: Orendel soll sowohl ihr herr, im Sinne von Gemahl, sein als auch über das Land und die Stadt Jerusalem als herr und König herrschen. Der Gewinn von Frau und Land ist auf das engste verknüpft. Damit steht der ›Orendel‹ in einer langen literarischen und außerliterari­ schen Traditionslinie, die Burkhardt Krause in seinem Aufsatz ›er enpfienc diu lant und ouch die magt: Die Frau, der Leib, das Land. Herrschaft und body politic im Mittelalter‹ (1996) im Kontext des ebenfalls von ihm herausgegebenen Sam­ melbandes zum Thema ›Verleiblichungen‹ aufgearbeitet hat. Er verweist unter anderem auf bekannte Beispiele der mittelhochdeutschen Literatur, wie ›Iwein‹, ›Daniel von dem blühenden Tal‹ oder ›Parzival‹. Clamide sagt Condwîr âmûrs wil mich hân, / und ich ir lîp unt ir lant (›Parzival‹ 204, 6 f.) und nachdem Iwein Laudi­ nes Gunst erwerben konnte, heißt es dâ wâren pfaffen genuoge: / die tâten in die ê zehant. / si gâben im vrouwen unde lant (›Iwein‹ 2418–20). Vor dem Hintergrund dieser und weiterer Belegstellen formuliert Krause: In den mittelalterlichen höfischen Epen fällt eine bemerkenswert häufig verwendete sprach­ liche ›Formel‹ auf, in der sich ein oft aggressiv vorgetragener männlicher Anspruch auf die Übernahme politischer Herrschaft (oder zumindest der Gelegenheit, sie für sich zu erwer­ ben) und unverhohlenes erotisches Begehren (minne) in merkwürdiger Identifizierung des einen mit dem anderen zusammenschließen. Beide Antriebe finden in der erotisch-politischen Paarformel lîp unde lant bzw. lîp unde guot (gewinnen) ihren so auffälligen wie doch den gemeinten Sachverhalt sehr gut treffenden Ausdruck (Krause 1996, 72).

In diesem Sinne ist auch Hartmuts Äußerung zu seiner Werbung um Kudrun zu verstehen, wenn er sagt wo aines Lanndes herre. leib und gut. wirbet im ze state. das weret unns an das ennde (ku 591).60 Der Zusammenhang zwischen dem Erwerb

60 Die große politische Bedeutung von Heiratsbündnissen hebt Jonathan Philipps (2001, 147) für die lateinischen Königreiche in Jerusalem hervor: »Die vorliegende Studie untersucht die Ursachen und Lösungen einer Reihe politischer und diplomatischer Auseinandersetzungen im

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einer Frau und ihres Herrschaftsbereiches wird von den Autoren mittelalterlicher literarischer Werke in unterschiedlichen Gattungen hergestellt. Beinahe kons­ titutiv erscheint er für den Artusroman, wenn man an Beispiele wie Iwein und Laudine, Parzival und Condwiramurs oder Wigalois und Larie denkt. Ostentativ wird der Zusammenhang zwischen Frau und Land in der Geschichte Herzeloydes und Gahmurets im ›Parzival‹ verknüpft. Aber auch Brünhild unterstellt ihr Reich im ›Nibelungenlied‹ dem erfolgreichen Werber König Gunther und der Held des ›Eneasromans‹ erhält gleich zweimal die Gelegenheit, mit einer Ehe auch poli­ tische Macht über das Reich seiner Frau bzw. als Erbe über das ihres Vaters zu erwerben. Das Erzählmuster ›Erwerb von lîp unde lant‹ wird sicherlich auch deshalb so weit verbreitet, weil es als verdoppeltes glückliches Ende einer jeden Erzählung über den Weg eines jungen männlichen Protagonisten durch die Welt große erzäh­ lerische Attraktivität entfaltet. Zum anderen rekurriert die Verbindung von Frau und Land auf die Chancen einer erfolgreichen Ehe im zeitgenössichen Kontext, die auch ein Mittel der territorialen Ausbreitung sein konnte, oder, wie Monika Schulz aus der Sicht der Brautfamilie negativ formuliert: »Wer eine Tochter oder Schwester verheiratete, konnte nicht sicher sein, ob nicht der fremde Mann seine Hand nach dem Familienbesitz ausstreckte«.61

lateinischen Orient vor der Schlacht von Hattin. Zu dieser Zeit nehmen Auseinandersetzungen verschiedene Formen an: Fragen feudaler Rechtsprechung, Streit über Handelsechte [!] oder Verratsvorwürfe – all dies konnte zu Konflikten führen. Alle Auseinandersetzungen jedoch, die unten diskutiert werden, wurden im wesentlichen durch Heiratsabkommen entweder verursacht oder gelöst (manchmal beides).« 61 M. Schulz 2005, 20, Anm. 50. Diese Verbindung findet sich auch in der französischen Chan­ son de geste ›Prise d’Orange‹. Greenfield und Miklautsch (1998, 45) fassen diesen Text wie folgt zusammen: »In Nîmes ist das Leben langweilig, da es keine Damen in der Stadt gibt und keine Sarazenen, die getötet werden könnten. Guillaume hört, daß die schöne Orable in der sarazeni­ schen Stadt Orange wohnt; sie haßt ihren Mann Tiebaut und wird in Orange gefangen gehalten. Guillaume begibt sich nach Orange, um die sarazenische Prinzessin zu entführen und die Stadt zu erobern. Er sieht Orable und verliebt sich. Die christlichen Eindringlinge werden erkannt und ins Gefängnis geworfen. Durch die Hilfe Orables können sie befreit werden; mit der Unterstüt­ zung der Franzosen aus Nîmes wird die Stadt erobert. Orable wird getauft und nimmt den Namen Guibourc an; sie heiratet Guillaume; beide bleiben in Orange«. Hier besteht also von Anfang an die Absicht, Orable zu befreien und die Stadt zu erobern. Die enge Verbindung von Frau und Land hebt Linsey Tarte Ramey hervor: »This voyage is one of sexual initiation for the French crusaders. Desire is clear in the set up of the tower, both desire for Orable sexually (she and her surroundings are described as most opulent and sensual) as well as desire for the power which possession of Orable will produce. the link between the town and the woman is made concrete, as the author pens: Ja ne quier mes lance n’escu porter / Se ge nen ai la dame et la cite« (Ramey 2001, 70); s. hierzu auch Bennett 1984, 5.



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Dieser Bezug des Gewinns von lîp unde lant zu lebenspraktischen Kontex­ ten verbindet sich laut Krause mit einer symbolisch-abstrakten Vorstellung der weiblichen Natur des Landes, seiner Verleiblichung in Gestalt einer Frau. Aus­ drucksformen dieses Denkens findet er unter anderem in der frühneuzeitlichen kartographischen Darstellung des Kontinentes Europa als Frau62 oder der archa­ isch-mythischen Vorstellung der weiblich-fruchtbaren Erde.63 Niederschläge dieser Vorstellung lassen sich auch in Werken zeigen, die im Rahmen dieser Arbeit bereits als Prätexte für die mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählun­ gen in Betracht gezogen wurden. So wird z. B. im ersten Makkabäerbuch Jerusa­ lem als Frau imaginiert, deren Niedergang Mattatias beklagt: Ach, warum bin ich geboren, dass ich erleben muss, wie man mein Volk vernichtet und die heilige Stadt zerstört? Ohnmächtig musste man zusehen, wie sie in die Gewalt ihrer Feinde geriet, wie die heilige Stätte Fremden in die Hände fiel. / Ihr Tempel wurde wie ein ehrloser Mann, / ihre Kostbarkeiten schleppte man als Beute fort. Auf den Plätzen erschlug man ihre kleinen Kinder; ihre jungen Männer fielen unter dem Schwert des Feindes. / Welches Volk hat nicht ein Stück des Reiches erhalten, hat sich nicht seinen Anteil an der Beute errafft? / Ihren ganzen Schmuck nahm man ihr weg. Die Freie wurde zur Sklavin.64

Jerusalem erscheint verweiblicht personifiziert, als Freie, die zur Sklavin wird. Die entgegengesetzte Situation, die Feier der Befreiung Jerusalems, wird in einem

62 »Eine mehrfach reproduzierte bekannte geographische Karte aus dem 16. Jahrhundert läßt die einzelnen europäischen Länder und Regionen sich zu einem weiblichen Leib formen – Euro­ pa ist an Haupt und Gliedern eine wohlgestaltete Frau« (Krause 1997, 31). In diesem Fall wird die Verknüpfung von Leib und Land zusätzlich durch den antiken Europa-Mythos gestützt. 63 »Die in vielen Kulturen verbreitete Identifizierung bzw. Analogisierung von Land und (weib­ lichen) Leib setzt den Prozeß der ›Verweiblichung der Erde‹ voraus. Dieser Prozeß von Projek­ tionen und Identifizierungen geht in ältere, archaisch-mythische Vorstellungsgeschichten und Mentalitäten zurück, wie sie am eindringlichsten chthonische oder kosmologische/theogonische Mythen und die mit ihnen verbundenen argrarischen Kulte repräsentieren. In ihnen war die Bin­ dung der Erde, des Landes, des Bodens, des Vegetativen allgemein als das weibliche bzw. die Materie (hylé, substantia) vorgebildet und damit die Grundalge eines ›genusdurchwobenen Rau­ mes‹ (Ivan Illich) bereits früh und dauerhaft geschaffen« (Krause 1997, 37). Zur Aktualität dieser archaischen Vorstellungen für die Zeit des Mittelalters sagt Krause: »Viele Momente kosmogo­ nischer/kosmologischer Ideen sind in den Bereich christlich-theokratischer, von vernakulären Elementen intensiv durchdrungener Herrschaftsauffassungen eingeflossen« (ebd., 45). 64 hii viderunt mala quae fiebant in populo Iuda et in Hierusalem / et dixit Matthathias vae mihi ut quid natus sum videre contritionem populi mei et contritionem civitatis sanctae et sedere illic cum datur in manibus inimicorum / sancta in manu extraneorum facta sunt templum eius sicut homo ignobilis / vasa gloriae eius captiva abducta sunt trucidati sunt iuvenes eius in plateis et iuvenes eius ceciderunt gladio inimicorum / quae gens non hereditavit regnum eius et non obtinuit spolia eius / omnis conpositio eius ablata est quae erat libera facta est ancilla (1 Makk 2, 6 ff.).

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Lied inszeniert, das im Umfeld von Kreuzzugschronistik und -li­te­ra­tur überlie­ fert ist und das mit den Versen beginnt: »Freue dich Jerusalem, die du so bitter­ lich weintest, als du als Magd im Dunkeln warst: Jubele, Jerusalem«.65 Mit dieser Ansprache Jerusalems als (weibliche) Person stellt sich dieser Text in eine lange biblische Tradition.66 Aus dieser Tradition stammt auch die Vorstellung einer Ehe zwischen dem weiblichen Land, bzw. dessen Volk und einer männlichen Instanz, die sich in den biblischen Texten zumeist als Verbindung zwischen Israel und Gott konfiguriert. Aus Jerusalem wird eine Braut: »Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, / so freut sich dein Gott über dich.«67 Diese Beziehung zwischen Bräutigam und Braut, zwischen sponsus und sponsa wird auch auf den säkularen Rahmen übertragen und ist im Mittelal­ ter »überaus gegenwärtig«.68 In der französischen Troubador-Lyrik wurde eine stärker auf die emotionale Ebene zielende Entsprechung beobachtet. Grace Frank weist in ihrer Untersuchung der Lyrik Jaufré Rudels den biographischen Gehalt

65 Hierusalem laetare / quae flebas tam amare, / dum serva tenebare: / Jherusalem, exulta! (Du Meril 1847, 255–60, hier S. 255). Der Text ist in der Handschrift ›Latin 5132‹ der Bibliothèque Na­ tionale in Paris u. a. mit einem Fragment der ›Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem‹ des Raymond von Aguilers überliefert. Zu dieser Handschrift s. France 1972. Die Übersetzung folgt Jacobsen (2001), der das Lied allerdings fälschlicherweise als Carmen Buranum 52 bezeichnet. 66 z. B. Ez 16; Zef 3,9; Sach 9,9. Die bereits angesprochene Geschichte König Davids, wie sie das erste Buch Samuel berichtet, liefert ebenfalls einen interessanten Beleg für die Konvergenz bzw. Austauschbarkeit von Frau und Land. So befürchtet Saul in der Fassung der Vulgata, dass seine Tochter Michal David liebe – die Septuaginta liefert an dieser Stelle jedoch anstelle von ›Michal‹ ›ganz Israel‹ (1 Sam 18,28). 67 gaudebit sponsus super sponsam gaudebit super te Deus tuus (Jes 62, 6). »Am breitesten entfaltet das AT die Höhen und Tiefen des Bündnisverhältnisses Jahwes zu seiner ›Familie‹ in der Braut- und Ehesymbolik. Freude, Schönheit und Kraft der Liebe Gottes, die durch die Liebe des Volkes beantwortet werden soll, kommen darin ebenso zur Geltung wie die ›Eifersucht‹ als Ausdruck des Ausschließlichkeitsanspruches Jahwes auf Israel; die unverbrüchliche Treue des Bräutigams und sein jede Rechtsnorm sprengendes (Dt 24, 1–4) immer neues Werben um die Liebe seiner Braut wie die Untreue als ›Ehebruch‹, ›Prostitution‹, und ›Unzucht‹ des abtrünnigen Volkes (Ez 16; 23; Hos 2,4–17), das in Verbindungen zu fremden Göttern und Völkern sein Heil sucht; die Verlassenheit und Hilflosigkeit der Braut Israel, die sich von ihrem Herrn entfernt, sowie die ihr durch Gott gewährte Fruchtbarkeit (Jes 54,1–10; Ps 113,9)« (Bechina 1998, 577). Be­ china verweist im Folgenden besonders auf die Bücher Jesaja und Jeremia. 68 »Der politischen Vorstellungswelt und politischen Sprache des Mittelalters war der Gedan­ ke überaus gegenwärtig, und er wurde deshalb immer wieder aufgegriffen, der einen Herrscher als den Bräutigam (sponsus) seines Landes imaginierte und damit auf metaphorischer Ebene eine eheliche Beziehung zwischen ihnen suggerierte« (Krause 1996, 35).



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der amor de lonh, der Fernliebe ab, und bezieht diese allegorisch auf das Verlan­ gen des lyrischen Ichs, das Heilige Land zu besuchen.69 Burkhardt Krause geht einen Schritt weiter, indem er nicht nur eine Verleib­ lichung und damit immer auch Verweiblichung des Landes beobachtet, sondern auch umgekehrt eine Konvergenz von literarischen Frauenfiguren und ihren Ländern unter dem Stichwort eines body politic annimmt. Diese Konvergenz gehe über eine zeichenhafte Verbindung hinaus und müsse vielmehr als Identität gefasst werden: Die vrouwe gibt dem Mann nicht nur ihr Land zum Lohn für strît, minne und dienest hin, sie repräsentiert als Person nicht nur ihr Land, sondern verkörpert in ihrem Leib das Land, ja sie selbst ist das Land (Krause 1996, 82).

Mit dieser Schlusspointe seiner an Belegen und Anregungen reichen Studie geht Krause meines Erachtens zu weit. Zum einen sind diese Frauenfiguren sehr viel mehr als nur die Verkörperung ihres Landes und können nicht auf diese eine Ebene reduziert werden. Zum anderen sind sie nicht im vollen Sinne ihr Land, das über die politische Ebene hinausreicht und zum Beispiel als topographische Größe zu fassen ist. Dennoch erscheint mir die Vorstellung einer literarischen Konvergenz von Frau und Land, die über eine zeichenhafte Repräsentation hinaus reicht, attraktiv zu sein. Diese Idee soll im Folgenden für das Verständ­ nis der Brautwerbungserzählungen fruchtbar gemacht werden. Anstelle einer Postulierung der Identität von Frau und Land, die in ihrer Allgemeinheit droht, die jeweiligen Konfigurationen der Einzeltexte mehr zu verdecken als zu erschlie­ ßen, ließe sich eher an ein Spannungsfeld von zeichenhafter Repräsentation und darüber hinaus gehender narrativer Verkörperung in gradueller Abstufung denken, wobei auch für die einzelnen Texte mit Momenten größerer oder gerin­ gerer Konvergenz zu rechnen ist. Auch müsste genauer gefasst werden, was mit dem an den Mann übergebe­ nen oder übergehenden lant genau gemeint ist – und ob das Gemeinte in allen Texten identisch ist. Es wäre wohl eher zu vermuten, dass auch hier mit Abstu­ fungen und Nuancen zu rechnen und der einfachste, direkteste Fall der Über­ gabe einer Landesherrschaft nicht immer zutreffend ist. Anstatt von territoria­ len Formen der Macht, muss vielleicht auch mit ideologischen oder spirituellen gerechnet werden. Im Falle des ›Orendel‹ scheint jedoch mit Brides bereits zitier­

69 »In any case, on the evidence of three of his poems, it would seem that the poet ardently longed to go to the Holy Land and that his far-away love was no lady of flesh and blood« (Frank 1942, 532 f.). Ramey unterstützt diese Deutung generell, kritisiert aber die Biographisierung des Kreuzzugswunsches (Ramey 2001, 26).

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ten Worten Der sol auch hie mein herre wesen / Er sol über das landt wesen künig und herr / Unnnd über die guoten burg zu Jerusalem (od 60) genau dies gemeint zu sein. Im Gespräch zwischen Ougel und Orendel zu Beginn des Textes wird jedoch eine etwas andere Beziehung hergestellt. Ougel empfiehlt seinem Sohn, er solle dein leib und auch dein sele / Opern unserem herren dem hailigen grab (od  14) und Orendel ist bereit, dies um Brides Willen zu tun. Nicht vom Gewinn einer Herrschaft, sondern von der Selbstaufopferung für eine architektonische Struk­ tur von höchstem religiösen Wert, dem Heilige Grab, ist hier die Rede. Dieses ist im Text wiederholt das Angriffsziel der Sarazenen und kann vielleicht als Symbol der christlichen Identität Jerusalems gesehen werden.70 Sich diesem Ziel ganz zu widmen, dazu ist Orendel um Brides Willen bereit. Mit dem Gewinn der schönen Königin gewinnt Orendel nicht im territorialen Sinne ein Land, sondern vielmehr die Pflicht für dessen christliche Identität zu garantieren, die Heiligen Stätten Jerusalems zu bewahren. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch sein Angebot an Elin und Durin, ihnen Jerusalem zu übergeben, wenn sie sich taufen lassen wollten.71 Auch Rother sorgt für den Schutz der Christenheit nach außen. Nach innen gewinnt er durch die Hand der byzantinischen Prinzessin kein neues Territo­ rium hinzu. In ihr ist vielmehr die Anerkennung durch den Osten, das Bündnis zwischen Konstantinopel und Rom, verleiblicht. Vor diesem Hintergrund lassen sich vielleicht auch die realen Verhandlungen zwischen Byzanz und den weströ­ mischen Kaisern um die Hochzeit mit einer purpurgeborenen Prinzessin besser fassen. Hier handelt es sich einerseits um eine ganz klassische Bündnispraxis des Mittelalters durch Eheschließung. Darüber hinaus wird in den Eheverhandlun­ gen aber jeweils auch die (mangelnde) Anerkennung der Gleichberechtigung der Gegenseite kommuniziert, die Braut wird in dieser Kommunikation zum Symbol. Ihre Bedeutung liegt dabei nicht so sehr in praktischen Erbansprüchen als viel­ mehr in ideologischen Konzepten, die sich an diese Ehen anbinden. Mit den byzantinischen Prinzessinnen Theophanu und Irene kommt nicht nur byzanti­

70 Damit wäre das Aufstellen der 72 Götzenbilder im Grab nicht nur eine Entweihung son­ dern auch der Versuch einer religiösen Übernahme der Stadt am topographisch entscheidenden Punkt. 71 Grundsätzlich anders interpretiert Bernward Plate den ›Orendel‹, den er in seiner ältesten Schicht als die Geschichte einer Pilgerreise in Verbindung mit der Frage nach dem Jerusalem­ königtum im 12. Jahrhundert zu erkennen meint, an die sich dann eine Brautwerbungsmotivik nur höchst punktuell anlagere: »Ich gehe davon aus, daß die Pilgerreise eines als Grau-Rock verkannten Königs, Grafen oder Ritters dem Orendel-Epos zugrundeliegt. Damit ist gleichzeitig gesagt, daß die These von der Brautwerbungsstruktur dieses Werkes auf der schmalen Basis we­ niger Verszeilen beruht« (Plate 1988, 187).



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nische Kultur nach Deutschland, mit ihrer Präsenz wird man auch eines Stück­ chens Byzanz’ als solches habhaft. Zu Beginn des Kapitels wurde vermutet, dass die Braut­wer­bungs­er­zäh­lun­­gen zu Beginn jeweils einen Anspruch formulieren, der durch die Werbungs­handlung eingelöst wird. Es hat sich gezeigt, dass im ›Rother‹ die ere des Protagonisten, seine Gleichrangigkeit zum Basileus in Ostrom, verhandelt wird. In Auseinan­ dersetzung mit den Erzählmustern der ›Missionarin im Ehebett‹ und der ›verlieb­ ten sarazenischen Prinzessin‹ konnte die Qualität dieser Ansprüche enger mit ihrer narrativen Umsetzung verzahnt werden. Die Brautwerbungserzählungen zeichnen sich dadurch aus, dass hier ein König eine im weitesten Sinne politisch bedeutsame Ehe mit einer Königin oder Prinzessin aus einem anderen Machtbe­ reich plant. In seiner Brautwerbung verbindet sich ein Interessenkonflikt um die Frau mit einem allgemeineren interreligiösen Konflikt. Diese sind auf das engste miteinander verzahnt, weil sich in der Frau das Ziel des politischen Anspruches ›verleiblicht‹. So ›verkörpert‹ im ›Rother‹ die Hochzeit mit der byzantinischen Prinzessin die Anerkennung durch Ostrom, die Hochzeit mit Bride im ›Orendel‹ die Bewahrung einer christlichen Identität in Jerusalem. Im Folgenden wird in zwei Richtungen zu zeigen sein, wie diese Verschmel­ zung literarisch produktiv gemacht wird, indem sie in Spannungsverhältnissen narrativiert wird. Dies kann in einer spirituellen Umwertung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau geschehen, die nicht nur Implikationen für ihre Ehe, sondern auch für die Qualität des Initialanspruches hat. Die Bräute können sich als Objekte der Begierde außerdem der Werbung widersetzen, was ebenfalls nicht ohne Folgen für die Verhandlung der erhobenen Ansprüche bleiben kann. In beiden Fällen lösen sich die Texte völlig von dem Ziel, durch die Brautwerbung weltliche Macht und biologische Erben zu sichern, und agieren stattdessen die möglichen Verbindungen von Ehe, Macht und Religion aus.

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 Keusche Ehen: ›Oswald‹ und ›Orendel‹

Keusche Ehen: ›Oswald‹ und ›Orendel‹ Ein grundlegender Konsens, der in der Forschung bezüglich der Brautwerbungs­ erzählungen bzw. des so genannten Brautwerbungsschemas herrscht, ist, dass das Schema auf Prokreation, auf die Zeugung eines Erben abziele. Durch die dynastische Perspektive solle die Herrschaft des Brautwerbers gesichert und für sich und den ihn umgebenden Personenverband auf Dauer gestellt werden: Die Brautwerbung wird in den Texten praktisch nicht als privates Phänomen gesehen. Viel­ mehr kommt ihr eine staatserhaltende Funktion zu: Die Monarchie braucht eine Ehepartne­ rin für den König und einen Erben.72

Diese Einschätzung stützt sich in der Forschung auf drei Hauptargumentations­ linien, deren Prämissen in der Folge beleuchtet und hinterfragt werden sollen: Zum einen können ethnologische Erwägungen zur germanischen Praxis des Brautraubes und des überkulturellen Exogamiegebots herangezogen werden. Zum anderen kann die kulturelle Logik der Dynastienbildung innerhalb einer Adelsgesellschaft als Kulturmuster stark gemacht werden und drittens können von Figuren der Brautwerbungserzählungen formulierte Ansprüche in dieser Richtung befragt werden, wobei sich diese drei Gründe auch überlagern können. Die keuschen Ehen des ›Oswald‹ und ›Orendel‹ werden vor diesem Hintergrund zum Problem, führen sie doch zu einem Bruch der angenommenen schemainter­ nen Logik.73

72 Kofler 1996, S. 53. Die Kontinuität und Verbreitung dieser These hat topischen Status er­ reicht, hier seien nur zwei weitere Beispiele aus der neueren Forschung genannt: »Das Schema der Brautwerbung, eines der produktivsten und verbreitetsten Erzählschemata, die wir kennen, eröffnet grundsätzlich einen politisch bedeutsamen, herrscherlichen Handlungsraum. Einem idealen Herrscher fehlt zur Vollkommenheit die ebenbürtige Frau. Mit dieser Ausgangssituation ist als Thema vorgegeben: Ideale Herrschaft in Hinblick auf das Problem der zeitlichen Stabi­ lisierung durch Thronfolge. Herrschaft ist vollkommen, wenn sie dauerhaft ist. Brautwerbung erscheint als Mittel zur Lösung dieses Problems« (Ortmann; Ragotzky 1993, 324); »Brautwer­ bungserzählungen sind sozusagen Staatsromane einer dynastischen Herrschaftssicherung, von der nicht nur der Regent, sondern auch seine Gefolgsleute profitieren. […] Damit ist das Braut­ werbungsschema genuin weltlich angelegt« (A. Schulz 2002, 234). 73 »Brautwerbungsepik ist auf die Fortsetzung einer adligen Dynastie angelegt, das Zeugen von Nachkommen widerspricht aber dem Virginitätsideal. […] Das hat seit je das Befremden der For­ schung ausgelöst, die mit allerlei Mitteln, von textkritischen Konjekturen bis zu interpretato­ rischen Harmonisierungsbemühungen den ›Widerspruch‹ zu bewältigen suchte« (J.-D. Müller 2007a 125).



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Die ethnologischen Grundlagen des Brautwerbungsschemas im germani­ schen Brautraub und Exogamiegebot hat in jüngerer Zeit Monika Schulz (2005, 15) hervorgehoben. Die Annahme, diese kulturelle Praxis aus germanischer und frühmittelalterlicher Zeit könnte für das Verständnis der Brautwerbungserzäh­ lungen fruchtbar gemacht werden, hängt eng mit äußerst zweifelhaften Prämis­ sen zusammen: Die Texte stünden einer weit in die Vorzeit hinein reichenden mündlichen Genese noch sehr nahe, ihr kultureller (germanischer) Gehalt ließe sich noch immer unter der Erzähloberfläche wahrnehmen bzw. aus ihr herausar­ beiten. Stimmt man diesen nicht zu, bleibt auch kein Grund bestehen, die Hand­ lung der Brautwerbungserzählungen auf die Praxis des Brautraubes zu beziehen – es käme schließlich auch niemand auf die Idee, dies in Bezug auf Mozarts ›Ent­ führung aus dem Serail‹ zu tun oder die Zeugung eines Erben als deren Hand­ lungsziel zu postulieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Exogamiegebot, das gern als überzeitliche und überkulturelle Konstante zur Verhinderung inzestuöser Beziehungen zur Erklärung für die Werbung um eine Braut über See verwendet wird. Doch was für kleine Stammesgruppen gilt, muss noch lange keine Bedeutung für komplexe soziale Systeme wie die Feudalstrukturen des Mittelalters haben. Natürlich gilt auch dort ein basales Exogamiegebot, das sich jedoch nur auf den engeren Fami­ lienkreis bezieht. In politischer Hinsicht ist für den Adel exzessive Exogamie viel eher eine Gefahr als ein Schutz. So führt George Duby als erste von drei grundle­ genden Konstanten mittelalterlicher Eheverhandlungen an: eine bewußte oder unbewußte Neigung zur Endogamie, der Wunsch, Ehefrauen in der Verwandtschaft zu finden, unter den Nachkommen eines gemeinsamen Ahnen, unter den Erbberechtigungen desselben Erbes, dessen verstreute Bruchstücke durch die eheliche Verbindung eher wieder zusammengeführt als noch weiter aufgeteilt werden sollten (Duby 2 2002, 14).

Unterstellt man den Brautwerbungserzählungen als Hauptziel die Sicherung von Herrschaftsmacht, dann ist die Wahl einer sowohl räumlich als auch dynastisch weit entfernten und nur unter Einsatz des Lebens zu erringenden Prinzessin eine schlechte Wahl und jeder Brautwerber würde in diesem Fall mit einer Frau seiner (verwandtschaftlich) näheren Umgebung, deren Erwerb keine persönliche Gefahr für ihn und damit für seine Herrschaft bedeutet, sehr viel besser fahren. Das wäre natürlich keine spannende Erzählung, aber vielleicht eignet sich die realistische Sicherung von dynastischen Herrschaftsstrukturen einfach nicht als literarischer Gegenstand. Wenn man für die Zeit des Feudaladels in Europa nach einer Gruppe sucht, die weiterreichende Exogamiegebote gefordert und auch durchgesetzt hat, dann fällt der Blick auf die Geistlichkeit. Im Kirchenrecht werden seit dem 9. Jahrhundert

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immer weiter reichende Erlasse verabschiedet (Fried 2008, 24), bis sie im 12. Jahr­ hundert eine Dichte an Verboten erreichen, die in der praktischen Umsetzung nicht mehr zu befolgen ist.74 Die daraus entstehenden Möglichkeiten, besonders für den Hochadel dynastisch sinnvolle Heiraten zu verbieten oder per Dispens zu erlauben, stellen für die Kirche kein unwesentliches Machtinstrument dar. Vor diesem Hintergrund könnte die absolute Exogamie der Brautwerbungserzählun­ gen eher geistlichen als adligen Interessen entsprechen – zumindest, wenn es in diesen Texten nur um die Perpetuierung von Herrschaft und Status ginge. Doch sieht man einmal von der ethnologischen Perspektive des Braut­ raubes und des Exogamiegebots ab, die den hoch- bzw. spätmittelalterlichen Brautwerbungserzählungen beinahe genauso unangemessen ist wie modernen Erzählungen über das Zustandekommen einer Partnerschaft, bleibt dennoch die Weiterführung einer Dynastie entschiedenes Ziel jeder Ehe des mittelalterlichen Adels.75 Von dieser kulturellen Logik her gedacht, kann eine Herrscherehe ohne Erben daher nicht erfolgreich genannt werden. Nimmt man dann eine enge Ver­ bindung von Kulturmustern und Erzählmustern an, wie Jan-Dirk Müller dies in seinem Buch ›Höfische Kompromisse‹ eindrucksvoll gezeigt hat, müssen auch die kinderlosen und besonders die keuschen Ehen literarischer Herrscher proble­ matisch erscheinen. Es ist jedoch fragwürdig, ob das, was kulturell logisch wäre, der Maßstab für literarische Handlungsentwürfe sein kann. In diesem Zusam­ menhang stimme ich Stephan Müller zu, der das Konzept Jan-Dirk Müllers dahin­

74 »Im 12. Jahrhundert erstreckte sich das Inzestverbot auf eine unüberschaubare Anzahl von Verwandten. Niemand war zu dieser Zeit in der Lage, alle 128 Vorfahren der siebten Generation namentlich zu kennen, mit deren Nachkommen er nach dem kirchlichen Eherecht verwandt war. Genau so wenig konnte man alle Personen erfassen, die aufgrund der Regeln über drei Arten der Schwiegerverwandtschaft von der Eheschließung ausgeschlossen waren. Eine Befolgung der kirchlichen Inzestverbote musste zwangsläufig am verfügbaren genealogischen Wissen schei­ tern« (Ubl 2008, 477). 75 »Von einer Epoche zur anderen den ›Status‹ eines Hauses aufrechterhalten: dieser Imperativ bestimmt die gesamte Struktur des ersten [weltlichen] Modells. In unterschiedlichem Verhältnis, den Regionen, den Ethnien, den römischen und barbarischen Traditionen entsprechend, verbin­ den sich in ihm die Materialien, aus denen es aufgebaut ist; seine Grundlage ist jedoch auf jeden Fall der Begriff des Erbes. Es ist seine Aufgabe, die Weitergabe eines unverminderten Vermögens an Gütern, Ruhm und Ehre zu sichern und den Nachkommen eine Stellung, einen ›Rang‹ zu ga­ rantieren, der zumindest dem der Vorfahren entspricht. […] Der mußte sie [seine Frau] anderswo finden, in einem anderen Haus, sie in sein Haus heimführen, in dem sie dann nicht mehr von ihrem Vater, ihren Brüdern, ihren Onkeln abhängig, sondern ihrem Ehemann unterstellt war, aber dennoch dazu verdammt, immer eine Fremde zu bleiben, immer ein wenig des Verrats am eigenen Bett verdächtigt, in das sie eingedrungen war, in dem sie ihre hauptsächliche Funktion erfüllen sollte: der Gruppe von Männern, die sie aufnahm, beherrschte und überwachte, Kinder zu schenken« (Duby 22002, 13).



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gehend kritisiert bzw. modifiziert hat, dass die Logik der Kulturmuster und den in enger Beziehung zu ihnen stehenden Erzählmustern nicht auch für die Ebene der konkreten literarischen Umsetzung bestimmend sind: Die Narration als Ganzes läuft der Logik der darin eingelassenen Narrative entgegen. Oder – in der oben aufgegriffenen Terminologie gesagt – das Erzählschema greift nicht die Logiken der Erzählkerne, die in es eingelassen sind, auf, sondern eröffnet die Möglichkeit, diese kulturellen Logiken zu transgredieren; gerade darin könnte das literarische Kapital, die spezifische Literarizität des Schemas liegen (St. Müller 2010, 193).

In diesem Sinn kritisiert Stephan Müller eine falsche Erwartungshaltung an die Brautwerbungserzählungen, in ihnen würde »das kulturelle Wissen um die Formen spitzenadeliger Reproduktion und Machtkonstituierung gespeichert […] und affirmiert« (ebd., 192). Ohne weitere Anhaltspunkte kann das Kulturmuster der dynastischen Logik, jede Ehe sei auf die Zeugung von Erben hin angelegt, nicht auch als verbindlich für literarische Ehen angenommen werden. Diese weiteren Anhaltspunkte hat die Forschung jedoch wiederholt in den Texten selbst zu finden gemeint. So bezieht sich beispielsweise Monika Schulz für den ›Rother‹ auf die Ratsszene, in der die Würdenträger unter Rothers Herr­ schaft ihm eine Ehe zur Sicherung der Erbfolge nahe legten.76 In ähnlicher Weise nimmt auch Armin Schulz die Figurenrede dieses Werks für seine Interpretation in den Dienst und führt das Dilemma der Sprecher in Bezug auf die nicht gesi­ cherte Erbfolge weiter aus: Das Problem ist benannt, aber seine Konsequenzen bleiben hier im ungefähren. Doch stürbe der Regent ohne Nachkommen, würde dies Konflikte über die Herrschaftsnachfolge nach sich ziehen, womöglich die Begehrlichkeit potenzieller Usurpatoren wecken und am Ende das ganze Reich ins Chaos stürzen (A. Schulz 2002, 233).

Die Art und Weise, wie die möglichen Probleme eines kinderlosen Herrschers und seines Reiches weitergedacht werden, geht völlig mit den Implikationen kul­ tureller Logik konform. Dennoch ist das hier gezeichnete Gefahrenszenario nicht vom Text gedeckt. Denn dort heißt es nur: do rededen die iungen graven / die in deme hove waren, / wie se ane vrowen / ir erbe solden buwen. / do duchte sie daz recht, /swar so war ein gut knecht, / deme die riche werin al udertan / unde so manic wol geboren man, / daz er ein wip neme / de ime zu vrowen gezeme. /

76 »Nicht zufällig ist dann auch die Sicherung der Erbfolge das Initialthema der Brautwer­ bungsdichtungen, das die Würdenträger des Reichs dem unverheirateten Herrscher in der soge­ nannten Ratsszene unterbreiten« (M. Schulz 2005, 15).

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unde virsciede er an erben, /so waneden se irsterben, / weme sie dan die cronen / solden gebin zo Roume (ro 19 ff.).

Die Adligen hoffen einerseits, unter einem möglichen Erben Rothers ihren eigenen Herrschaftsbereich sichern zu können und andererseits auf die Dauerhaftigkeit einer Herrscherdynastie. Die möglichen Folgen im Falle von Rothers kinderlosem Tod bleiben aber so weit im Ungefähren, dass es auch eine bloß schwierige Ent­ scheidung über seine Nachfolgeregelung nach sich ziehen könnte. Nichtsdesto­ trotz wird hier von Figuren des Textes die Zeugung eines Erben als Ziel der Braut­ werbungshandlung benannt und auch im ›Oswald‹ wird die Erbenlosigkeit als Motiv für eine Ehe erwähnt.77 Liegt darin nicht eine starke Bestätigung für die These, dass die Brautwerbungs­erzäh­lungen auf Prokreation hin angelegt sind? Dagegen lassen sich mehrere Argumente anführen. Zum einen sind Figuren nicht unbedingt kompetente Interpreten ihrer eigenen Geschichte. Zum anderen müssen sich ihre Motive nicht mit dem Erzählziel der Geschichte decken. Und zum dritten sind die beiden erwähnten Stellen im ›Rother‹ und ›Oswald‹, an denen der Wunsch nach einem Erben zur Herrschaftssicherung genannt werden, die einzigen beiden Belege für die gesamte Gruppe der Braut­wer­bungs­erzählungen. In allen anderen Texten spielen nur der Wunsch nach einer Ehefrau und die Qua­ litäten der jeweiligen Braut eine Rolle. Und auch in den beiden Texten, die eine Erbfolge thematisieren, sind diese Stellen isoliert. So beurteilt Rother den Wunsch seiner Berater zwar positiv, nimmt aber eine mögliche Erbfolge in seine eigenen Ausführungen zu dem Thema nicht auf. In seinen Worten geht es nur um eine angemessene Königin für sein Land und um die Vermehrung seiner Ehre. Auch im ›Oswald‹ wird ein Erbe nicht erneut als Grund für die Brautwerbung genannt. In beiden Fällen wird das konventionelle Ehemotiv der dynastischen Sicherung von Herrschaft zwar genannt, tritt dann aber zu Gunsten anderer Motivationen zumin­ dest deutlich in den Hintergrund, wenn es nicht sogar ganz an Bedeutung verliert. Im ›Rother‹ wird dieser Wunsch nach der Kontinuität der Dynastie erfüllt – dennoch erscheint die Sicherung der heimischen Macht für den Text nicht so interessant oder bedeutend wie die Stiftung neuer ideologischer Macht in der Anerkennung des eigenen Status durch den Basileus im Osten und die damit ver­ bundene Aufwertung für das Kaiseramt als solches. Dadurch wird die ideelle Amts­ sukzession gegenüber einer rein biologisch verstandenen Dynastie akzentuiert, beide Prinzipien gehen im ›Rother‹ jedoch harmonisch zusammen. Anders liegt der Fall bei den keuschen und dadurch bedingt kinderlosen Ehen im ›Orendel‹

77 Im Schlaf spricht Oswalds Herz zu seinen sinnen: Oswalt, sullend deineu land an ein frauen stan? / treun, daz ist nicht guot getan! / zweu sullen dir weiteu kunikreich, / du hietst dann ein frauen tugentleich? / sturbstu, so wurd ez erblos: / nim dir eine die sei dein genoß! (os 45 ff.).



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und ›Oswald‹, die in der Forschung zu massiven Irritationen geführt haben. So sagt Peter Stein (1988, 334) diese beiden Werke »pervertieren (frustrieren) einen Teil der schemabedingt zugrundeliegenden Thematik (›Brautwerbung‹)«, Armin Schulz (2002, 135) spricht von einer »Dekonstruktion des Brautwerbungsschemas von seinen inneren Prämissen her« durch eine »Hybridisierung profaner und legendarischer Erzählmuster« und Jan-Dirk Müller (2007, 239) zufolge »kontami­ niert [der ›Orendel‹] das Brautwerbungsschema mit legendarischen Motiven«. Diese Beobachtungen eines Neben- oder vielleicht eher Übereinanders eines ›genuin weltlichen‹ Brautwerbungsschemas mit legendarischen Inhal­ ten, Motiven oder Erzählmustern zieht sich durch die gesamte Forschung zum ›Oswald‹. Wo die ältere Forschung darin einen entwicklungsgeschichtlichen Prozess vom weltlichen hin zu seiner geistlichen Überformung sieht, die die Interpretation rückgängig zu machen habe,78 suchen neuere Beiträge das litera­ rische Potenzial dieser Verbindung zu erschließen. Der erste Versuch die Verbin­ dung von Brautwerbung und Keuschheit interpretativ zu bewältigen, stammt von Michael Curschmann in seiner monographischen Untersuchung des ›Oswald‹, der sie auf die Bedeutung der minne hin fokussiert: Minne und Heil stehen gegeneinander – aber in der Frage nach ihrer Vereinbarkeit! Es geht also nicht um keusche Ehe – wenn wir ›keusch‹ im engeren Sinn verstehen wollen –, sondern um heilige, oder vielmehr geheiligte Ehe (Curschmann 1964, 46).

Erst in der Prüfung durch Christus am Ende des Textes würde das Minnethema zur »Frage nach der Rechtfertigung irdischer Güter schlechthin« und vor diesem Hintergrund sei eine keusche Ehe die einzig logische Lösung, wenn auch nur eine »Notlösung« (ebd., 50). Der Versuch des Autors, die Ehe in das Heil hineinzu­ stellen und Ehe und Minne zu verbinden, sei damit zwar missglückt (ebd., 51), er spricht auch von einem »Konstruktionsfehler« (ebd., 59) – die Wahrnehmung und Diskussion des Problems sei aber ein »wichtiges Glied in der Entwicklung«, die erst bei Wolfram ihren Endpunkt finden werde (ebd., 52). Diese Deutung erscheint aus zwei Gründen problematisch: Zum einen geht die Interpretation, es würde zu Beginn keine keusche, sondern eine als Lebens­ form heilige Ehe angestrebt, über den Text hinaus. Denn Oswald wünscht sich zu Beginn eine Ehefrau, möchte ez nür an sund gesein (os 40). Ließe diese Formulie­ rung auch noch weitere Bedeutungen von an sund als ›keusch‹ zu, so wird ihre

78 Auch in diesem Zusammenhang trifft die Kritik Nikolaus Millers »Seit Baesecke ist es im übrigen ein bewährtes Verfahren, die ›Unstimmigkeiten‹ des ›Oswald‹ auf Interpolationen oder Kontaminationen, also Veränderungen durch fremde Hand zurückzuführen und auf diese Weise nicht zu erklären« (Miller 1978, 227) voll zu.

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Bedeutung in der Weisung Christi du solt aber chainer sunden mit der fraun pflegen (os 3510) sehr deutlich auf den sexuellen Vollzug der Ehe bezogen. Zum anderen wird minne im ›Oswald‹ explizit nicht thematisiert und Curschmann kann sie nur indirekt aus Oswalds Wunsch, eine Frau zu nehmen, ableiten – die Belastbarkeit dieses Ansatzes für die Interpretation des Werkes bleibt daher fraglich.79 Nikolaus Miller hat sich mit diesen Thesen auseinandergesetzt und versucht, ›Brautwerbung und Heiligkeit‹ in anderer Weise aufeinander zu beziehen (Miller 1978). Er sieht im ›Oswald‹ eigentlich zwei Geschichten erzählt: zum einen die Brautwerbung, die die Handlung in Gang bringt, zum anderen aber eine Heiligen­ geschichte, die ihr eigentliches Ziel darstellt. Diese beiden Erzählungen gehen eine Weile parallel, um sich dann aber »plötzlich«, »mit einem Schlag« in der Bekehrungsszene voneinander zu lösen. Jetzt handle Oswald auf einmal als Heili­ ger und es werde nicht mehr von »Welterwerb« durch die Brautwerbung, sondern von »Weltabsage« erzählt.80 Der Brautwerbung spricht Miller in erster Linie eine narrative Funktion zu – zugleich ermöglicht sie aber auch einen besonderen Weg der Weltabkehr darzustellen: Die Heirat bildet hier den weltlichen Ausgangspunkt des heiligenden Weges aus der Welt, welcher über das Zwischenstadium der Prüfung zur Himmelfahrt des Heiligen und zu dessen posthumer Wunderwirkung auf Erden führt. Die Ehe erscheint nicht als Ziel der Handlung, vielmehr als eine dem Heiligen aufgenötigte Ausgangssituation, die durch

79 »Der Versuch scheitert letzten Endes daran, daß der Gedanke von der minne als einer ge­ genüber dem Göttlichen überhaupt rechtfertigungswürdigen Haltung zum Weltlichen nicht durchgehalten werden kann, weil andererseits die minne nicht genügend Absolutheitsanspruch aufbringt, um sich hierbei zu behaupten« (Curschmann 1964, 59). Es bleibt zu fragen, ob der Text überhaupt den Versuch unternimmt, dessen Scheitern Curschmann hier konstatiert. S. dazu auch die Diskussion durch Nikolaus Miller (1978, 227 ff.). 80 »An einem bestimmten Punkt hebt sich also die Heidenmissionierung als eigenständige Handlung vom Brautwerbungsschema ab: der Heidenkampf schließt die Entführung der Braut erfolgreich ab und verwandelt das Gefahrenmoment der Brautwerbung in die Adres­saten der Be­ kehrung. Dieser Funktionswechsel – auf der Erzähloberfläche als »Bruch« empfunden – ergibt sich aus der religiösen Auffüllung des Brautwerbungsschemas und tritt an einer ganz bestimm­ ten Schemastelle, nämlich nach der Entführung und vor der Eheschließung auf. Der eigenartige Sprung der Geschichte hat aber zwei Seiten: der Unterbrechung der Brautwerbungshandlung entspringt der plötzliche Einsatz der Legendenhandlung. Mit einem Schlag handelt Oswald als Heiliger, obwohl die ganze bisherige Geschichte nicht die Heiligung = Weltabsage, sondern die Brautwerbung = Welterwerb erzählt.« Der Schluss erzähle dann zum einen die Brautwerbungsge­ schichte zu Ende, nutze aber zugleich dieses Ende um Oswalds »Heiligkeitsbewährung« nach­ zuholen, indem er alle irdischen Güter aufgeben müsse, durch einen zeitlich begrenzten Aufent­ halt in der Welt geprüft und schließlich nach Tod und Himmelfahrt als Heiliger eingesetzt werde (Miller 1978, 238).



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dessen Handeln gerade suspendiert wird. […] Oswalds Weg aus der Welt (Heiligkeit) wird als Weg durch die Welt (Brautwerbung) erzählt (Miller 1978, 239 f.).

Im Gegensatz zur Gesamttendenz der früheren Forschung, die den Untersu­ chungsfokus auf die Brautwerbung legte und den geistlichen Inhalten des Werkes weniger Bedeutung zumaß, stellt Miller Oswalds Weg zum Heiligen in den Mittelpunkt. Die Brautwerbung erscheint als dem Protagonisten zunächst ›aufgenötigtes‹ und dann durch sein Handeln ›suspendiertes‹ Erzählmodell. Das Verhältnis zwischen Brautwerbung und Heiligkeit erscheint als, erzählerisch durchaus fruchtbarere, Unvereinbarkeit. Millers Aufsatz wurde in der Forschung intensiv rezipiert – besonders das dualistische Konzept von sich überlagernden Brautwerbungsschema und Heiligengeschichte (Legendenmuster) prägt spätere Auseinandersetzungen.81 Im Rückgriff auf das erste Kapitel wäre zu fragen, ob sich hier tatsächlich ›Weltlichkeit‹ und ›Sakralität‹ gegenüberstehen, oder ob nicht vielmehr unterschiedliche Formen der Heiligkeit produktiv gegeneinander ausgespielt werden. Auch Jan-Dirk Müller schließt sich dieser Vorstellung an. Unter der Kapitel­ überschrift ›Antagonistische Lebensformen‹ fasst er die von Miller aufgemachte Dichotomie begrifflich als die Überlagerung zweier »mit einem Höchstwert besetzte[n] Erzählkerne« in einem gemeinsamen narrativen Zusammenhang (J.-D. Müller 2007a, 125). Der Widerspruch, der zwischen der Fortsetzung einer adligen Dynastie und dem Virginitätsideal entstehe, ermögliche die Verhandlung antagonistischer Rollen oder Lebensformen in der Figur Oswalds: So hat das religiöse Muster unbedingter Askese zuletzt das Brautwerbungsmuster aufge­ sogen. Der ›Münchener Oswald‹ bezeugt die Hybridisierung heterogener Erzählmuster, die Überlagerung von Brautwerbungs‑, Legenden- und Schwankschema. Sie erlaubt, antago­ nistische Lebensformen narrativ aufeinander zu beziehen, und gestattet Oswald, beides zu sein: heroischer König und keuscher Konverse, wobei sie von Anfang an aneinander ange­ nähert werden (J.-D. Müller 2007a, 128).

Der narrative Bezug zwischen Brautwerbung und Legende, dynastischer Perspek­ tive und Virginität, gestaltet sich dabei jedoch nicht besonders eng – sie werden miteinander versöhnt, indem sie hintereinandergeschaltet werden (J.-D. Müller

81 So zum Beispiel umakzentuierend bei Karl Heinz Göller: »Das Brautwerbungsschema wurde folglich der Legendenfassung aufgepreßt. Das ging nicht ohne Gewaltsamkeiten, da Weltan­ schauung und Moral der Spielleute zur Darstellung eines Heiligen nur schlecht passen wollten. Das Gefühlsleben und die Wertewelt der handelnden Personen sind zwar auf religiöse Gehalte ausgerichtet, wir bemerken aber immer wieder das listig lächelnde Auge des Weltkindes« (Göller 1982, 312).

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2007a, 125), bzw. indem das asketische Modell die Brautwerbung ›aufsaugt‹. Die Schwierigkeiten, die diese »neue Sinngebung der Werbung« aufwerfe,82 zeigten sich in der mehrfachen Motivation der keuschen Ehe durch Oswalds Versprechen auf See und seine Prüfung durch Christus. Ähnlich wie in Curschmanns Interpre­ tation erscheint auch bei Jan-Dirk Müller der keusche Schluss in gewisser Weise als Notlösung: So wird zwar die Herrenexistenz wiederhergestellt, aber unter der Bedingung von Virgi­ nität, also unter Ausblendung der notwendigen dynastischen Reproduktion, auf die das Brautwerbungsmuster angelegt war (J.‑D. Müller 2007a, 128).

So erscheint in J.-D. Müllers Darstellung die Verbindung von Brautwerbung und keuscher Ehe als eine der vielen Formen des Konfligierens weltlicher und geist­ licher Normen, das als Spannungsverhältnis immer neue Geschichten hervor treibe,83 für den ›Oswald‹ findet sich darin aber über die Konstatierung eines Nebeneinanders beider Modelle hinaus kein neuer Interpretationsansatz. Eine deutlich engere Verbindung von Brautwerbung und Heiligkeit, spiritu­ eller und profaner Bedeutung von Ehe stellt Christian Kiening in seinem Aufsatz ›Heilige Brautwerbung‹ (Kiening 2006) her.84 Ähnlich wie Stephan Müller sieht auch Kiening die Frage »politischer Verstetigung« (ebd., 90) durch Dynastie als »inhärente kulturelle Konfiguration« (ebd., 100) und nicht als zwangsläufiges Ziel der Brautwerbungshandlung. In den mittelhochdeutschen Oswalderzählun­ gen kann er daher eine »konsequente Transformation« der bekannten literari­ schen Muster durch geistliche bzw. legendarische Umbesetzungen sehen« (ebd.,

82 Dabei beobachtet J.-D. Müller, ähnlich wie Miller, eine sukzessive Verschiebung des Hand­ lungszieles im Erzählverlauf weg von der Herrschaftssicherung und hin zur Verbreitung der Christenheit: »Damit [der Werbung um eine sarazenische Prinzessin] beginnt sich schon das ursprüngliche Ziel zu verschieben: statt Herrschaftssicherung Mehrung des christlichen Glau­ bens« (J.-D. Müller 2007a, 127). 83 »In der Legendenhaftigkeit des höfischen Romans, der Höfisierung mancher Legenden und der Hybridisierung heroischer Erzählmuster stößt man auf Versuche der Vermittlung, die sich um bestimmte Erzählkerne lagern. Um solche narrativen Kompromißbildungen geht es im fol­ genden, die von einer Praxis erzählen, die den stillschweigend vorausgesetzten, in letzter Ins­ tanz einander entgegenstehenden Normen gleichermaßen gerecht zu werden trachtet oder aber sie aporetisch gegeneinander führt. Indem keines der beiden Modelle sich dauerhaft auf Kosten des anderen durchsetzen kann, entsteht ein Spannungsverhältnis, das immer neue Geschichten hervortreibt und immer neue imaginäre Lösungsversuche provoziert« (J.-D. Müller 2007a, 109). 84 »So wie sich die weltlichen Semantiken von Herrschaft, Familie und Verwandtschaft das ganze Mittelalter hindurch mit geistlichen Semantiken überlagern, so verknüpfen sich auch im Falle der Brautwerbung, zumal seit dem 12. Jahrhundert, profane und spirituelle Bedeutungsdi­ mensionen« (Kiening 2006, 90).



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91 f.).85 Diese »Übertragungen und Zirkulationen […], die Heil den weltlichen Strukturen und Semantiken einschreiben« (ebd., 99) müssen als Versuchsanord­ nungen in einer Erzählform verstanden werden, die nicht nur ein Spiel mit unter­ schiedlichen Elementen ermöglicht, sondern in der sich auch räumliche, soziale und ontologische Grenzen berühren. Die Brautwerbungserzählungen »beziehen sich auf Heiligkeit weniger als auf ein unverfügbares Anderes denn auf ein not­ wendiges Komplement« (ebd., 100). Gerade das Erzählen von Inversionen und Verschiebungen, das Aufzeigen der Grenzen des »Sinnmusters« Brautwerbung macht es als solches erfahrbar (ebd., 90). Diese Idee, die Brautwerbungserzählungen als Versuchsanordnungen zu begreifen, in denen die Grenzen des Erzählmusters ausspekuliert werden können, scheint Potenzial zu haben. Doch so richtig und angebracht Kienings Beschreibung der geistlichen ›Umbesetzung‹ der Brautwerbungshandlung im ›Wiener Oswald‹ auch ist, bleibt die Frage nach dem Zusammenhang und/oder Widerspruch von Brautwerbung und keuscher Ehe immer noch unbeantwortet. Doch Kienings Ausführungen legen nahe, dass dieser Zusammenhang wohl nicht als Nacheinander von Weltgewinn und Weltabkehr und auch nicht als mehr oder weniger geglückte Notlösung einer disparaten Mischung von Brautwerbungser­ zählung und Legendenmuster zu denken ist, wie es bei Miller und J.-D. Müller anklang. Genau so wenig aber wird man mit Curschmann die Frage nach der Minnekonzeption und geheiligten Ehe in den Mittelpunkt stellen und die Mis­ sionshandlung und die keusche Ehe vor diesem Hintergrund als Fehlkonstruk­ tion werten wollen. Es müssen sich vielmehr die Fragen stellen: Warum wird von einer Missionshandlung als Brautwerbung erzählt? Warum oder wie entsteht daraus eine attraktive Geschichte? In welchem Verhältnis stehen Brautwerbung und keusche Ehe zueinander und wie beeinflussen sie sich gegenseitig? Um diese Fragen zufriedenstellend zu beantworten, muss man sich meines Erachtens von der Vorstellung lösen, eine ›weltliche‹, auf Prokreation hin ange­ legte Brautwerbungserzählung habe wie ein Hypotext im Genetteschen Sinne

85 »Der Text ruft die aus älteren Brautwerbungsgeschichten, zum Beispiel dem ›Rother‹, be­ kannten Muster auf, nur um sie im gleichen Moment umzubesetzen: der Ehewunsch, der nicht mit einem Erben begründet wird; die Brautwahl, bei der nicht die vertrauten Räte, sondern der fremde Pilger die Lösung bringt; der Bote, der in Form des Raben zugleich mit dem Himmli­ schen verknüpft ist; die Listen vor der heidnischen Burg, die nur durch das Eingreifen Gottes zum Erfolg führen; die Hochzeit, die in einer völligen Preisgabe allen Besitzes mündet; die Ehe, die wie im Falle der verbreiteten Caecilienlegende keusch bleibt. Das Resultat sind einzelne ko­ mische Effekte, aber auch grundlegend semantische Verschiebungen. Die Geschichte biegt nicht bloß äußerlich ins Legendarische ein, sie koppelt Brautwerbung und Heiligkeit auf struktureller Ebene« (Kiening 2006, 92).

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Texten wie dem ›Oswald‹ oder dem ›Orendel‹ normativ vorausgelegen. Die vor­ ausgehenden Überlegungen haben versucht zu zeigen, dass die oft unkritisch vorausgesetzte Prämisse, das Ziel des Brautwerbungsschemas sei die Sicherung von Herrschaft durch die Zeugung eines Erben, hinterfragt werden muss. Ein narratives Schema kann kein über sich selbst hinausreichendes Ziel haben, da es keinen eigenen Willen besitzt. Die Gründe, eine dynastische Selbsterhaltung als ein solches Ziel dennoch anzunehmen, die Verbindung der Brautwerbungs­ erzählungen mit germanischem Brauchtum, feudaladliger Heiratspolitik oder Figurenmotivation, haben sich als fragwürdig erwiesen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der biologisch-dynastischen Ergebnisse der Brautwerbungs­ erzählungen, die der Vermutung einer solchen Zielsetzung keineswegs Recht geben. Die Ehen von Oswald und Orendel enden keusch und können daher keine Erben produzieren. Aber auch in der ›Kudrun‹, an deren Ende ein weit und solide geknüpftes Bündnissystem steht, wird die kommende Generation mit keinem Wort bedacht.86 Ebenso bleiben auch Ortnit und Siderat kinderlos. Salman zeugt zwar mit seiner untreuen Frau Salme ein Kind, doch diese Geburt wird nur en passent erwähnt und hat keine Konsequenzen für den weiteren Handlungsver­ lauf. Im Gegenteil: Nach Salmes Ermordung durch Morolf wird der König sofort wieder, diesmal mit der treuen und zuverlässigen Affer, verheiratet. Diese über 30 Jahre stabil funktionierende Herrscherehe bleibt kinderlos87 – oder zumindest sind mögliche Kinder für die Erzählung nicht interessant genug, um erwähnt zu werden.88 Nur für den ›Rother‹ spielt eine erfolgreiche Genealogie eine Rolle. Die Überlegungen zum Verhältnis von Ost- und Westrom haben jedoch gezeigt, dass das Erzählziel, die Anerkennung von Rothers ere durch Konstantin, nicht so sehr auf eine von Rother ausgehende biologische Kette von Nachfahren, sondern

86 Da die ›Kudrun‹ eine mehrere Generationen umspannende Geschichte erzählt, ist natürlich schon von Erben die Rede. Diese scheinen aber uninteressant zu sein, wenn sie nicht mehr selbst zu Protagonisten werden. Insofern erscheint in der ›Kudrun‹ die Genealogie ›von hinten‹ deut­ lich wichtiger zu sein als die ›nach vorn‹. 87 Diese Reihe ließe sich auch noch über die nur in Episoden vom Muster der gefährlichen Brautwerbung bestimmten Texten fortsetzen. So bleibt sowohl Isoldes Ehe mit Marke als auch ihre Beziehung zu Tristan kinderlos und auch der aus der Werbung Gunthers um Brünhild her­ vorgehende Sohn Siegfried, bzw. Siegfried und Kriemhilds Sohn Gunther bleiben für den weite­ ren Verlauf der Geschichte irrelevant. Einzig Etzels und Kriemhilds Sohn Ortliep gewinnt Bedeu­ tung, wenn auch nur darin, von Hagen enthauptet zu werden. 88 Armin Schulz (2002, 243) sieht daher auch für den ›Salman‹ »die dynastische Perspektive des Werbungsschemas […] implizit diskreditiert.« Anders ist es im Druck des ›Salman‹, der in einem zusätzlichen Schluss eine (komisch gebrochene) dynastische Perspektive entwirft. S. dazu Koh­ nen 2012.



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vielmehr auf das sie (und andere) verbindende Amt als weströmischer Herrscher zielt. Amtssukzession statt Genealogie könnte im weitesten Sinne auch für den ›Ortnit‹ als Fluchtpunkt der Erzählung fruchtbar gemacht werden, ist der Text doch zumeist gemeinsam mit dem ›Wolfdietrich‹ überliefert, der die Geschichte von Siderats zweiter Ehe mit einem sehr viel erfolgreicheren Helden erzählt. Vielleicht könnte in dieser ideellen Erbfolge ein Schlüssel zum Verständnis auch anderer Brautwerbungserzählungen liegen. Im Kapitel ›Lîp unde Lant‹ wurde die Beobachtung gemacht, dass die Braut­ werbungserzählungen in ihren Ratsszenen Ansprüche formulieren, die mit der Brautwerbung eingelöst werden. Im ›Rother‹ zählt hierzu auch die dynastische Verstetigung von Herrschaft, mehr aber noch die Vermehrung der ere des Königs – was durch die Heirat mit der byzantinischen Prinzessin geschieht. Orendel hingegen erhält von seinem Vater den Auftrag, sich selbst dem Heiligen Grab zu opfern – seine Ehe mit Bride macht ihn zu dessen Verteidiger. Im Kapitel ›Der­ König als Missionar‹ wurde bereits gezeigt, dass die Mission der Sarazenen von Beginn an und durch göttliche Weisung Oswalds Ziel und Anspruch ist. Und auch dieser Anspruch ist auf das engste mit der Brautwerbungshandlung verknüpft. Ebenfalls bereits kurz angesprochen wurde, dass ›die schönste Frau der Welt‹ in der Erzählwelt des ›Oswald‹ zwar der Geburt, nicht aber mehr dem Glauben nach, eine sarazenische Prinzessin ist. Sie und ihre vier Damen glauben an Gott und Maria und begehren dementsprechend die Taufe und wollen auch weiter als Missionarinnen tätig sein (os 243 ff.). Doch dieser Wunsch bringt sie alle in Lebensgefahr: sie müssen ihren Glauben vor König Aron geheim halten, denn west ers, er gewun ir das leben an (os 250). Paug sucht also nicht in erster Linie einen Ehemann, sondern jemanden, der ihr zur Ausübung ihrer Religion verhilft, sie von einer ganz konkreten Bedrohung durch ihren sarazenischen Vater befreit. Im ›Oswald‹ geht es offensichtlich nicht um territoriale Konflikte und auch nicht um einen solchen Gewinn aus christlicher Sicht – das macht schon die Aus­ tragung des Konfliktes auf neutralem Boden zwischen den beiden politischen Einflussbereichen deutlich. Das Ziel Oswalds, sein Anspruch, liegt deutlich im religiös ideologischen Bereich der Mission. Will man vor diesem Hintergrund und dem eben Gesagten die Idee der ›Verleiblichung‹ fruchtbar machen, so muss man sie ebenfalls in einem eher religiösen als territorialen Sinn denken. Dass dieser nicht weit liegt, zeigen bereits die im Kapitel ›Lîp unde Lant‹ gewählten Beispiele Jerusalems als Braut Jahwes bzw. sponsa christi. Spinnt man von hier den Faden über die Auslegungen des Hoheliedes im Mittelalter weiter,89 erkennt man schnell, dass Frauenfiguren nicht nur Länder, sondern auch Religionsge­

89 S. dazu Astell 1990, Ohly 1958.

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meinschaften ›verleiblichen‹ können, bzw. Religionsgemeinschaften als Frauen­ figuren imaginiert werden. In der Osbernus zugeschrieben Chronik ›De expugnatione Lyxbonensi‹ benutzt der Bischof von Porto eine ähnliche Metaphorik, um die Kreuzfahrer zur Eroberung des von Mauren besetzten Lissabon zu überreden. Er beschreibt die »Mutter Kirche« in Lissabon als misshandelte und verstümmelte Frau, die von den »ehrenwerten Söhnen der Mutter Kirche«, also den Kreuzfahrern, ihre Rettung erfleht.90 In diesem Zusammenhang ließe sich auch Brides Wunsch um Taufe und Erlösung als stellvertretend für ihr erlösungsbedürftiges Volk, als Legitimation für Oswalds Missionsbemühungen sehen. Ohne mit dem folgenden Bezug ein völlig konvergentes Bild herzustellen, erinnert die Konstellation durch Sarazenen bedrängter und damit hilfsbedürftiger Christen, die auf Rettung aus dem Westen hoffen, an die Darstellung Jacques’ de Vitry, wenn er im Zusammen­ hang des fünften Kreuzzuges über die Situation der Ostkirche spricht. John Tolan hat die betreffenden Stellen wie folgt zusammengefasst: The oriental church shone in antiquity, explains Jacques, spreading its rays to the West, but »from the time of the perfidious Muhammad until our own time« has been in decline, seduced and weakened by »the fallacious persuasions of the pseudo-prophet and the dis­ solute wanton charms of lust.« The remnant of the oriental church, surviving »like a lily among thorns«, cries out like the poor widow of Lamentations: »behold, and see if there be any sorrow like unto my sorrow, which is done unto me, wherewith the Lord hath afflicted me in the day of his fierce anger« (Lam. 1:12). The (female) Orient needs, indeed tearfully begs for, the military intervention of the occidental male, submitting herself to him (Tolan 2002, 199).

Trotz aller Unterschiede, Paug ist noch nicht lange und noch keine vollwertige Christin, erscheint mir das Bild eines religiös bedrängten christlichen Orients, der die Hilfe des männlichen Okzidents erfleht, die Konstellation des ›Oswald‹ erstaunlich gut zu treffen. Die Missionshandlung und insbesondere die Bekeh­ rungsszene führen also keineswegs von der Brautwerbungshandlung weg, sie lösen vielmehr den in ihr angelegten Anspruch ein. Denn nicht nur Paug und ihren Damen wird die freie Ausübung ihrer Religion ermöglicht, auch das See­

90 »Euch bittet die Mutter Kirche, als seien ihre Arme verstümmelt und ihr Gesicht verunstaltet worden, sie sucht Rache durch eure Hände für das Blut ihrer Söhne. Sie ruft laut nach euch: ›übt Rache an den Heiden und bestraft das Volk!‹ […] Und nun, ihr ehrenwerten Söhne der Mutter Kirche, vertreibt Gewalt und Ungerechtigkeit«, Ad vos autem mater ecclesia iam quasi truncis brachiis et deformi facie clamat, sanguinem filiorum et vindictam per manus vestras requirit. Clamat, certe clamat! ›Vindictam facite in nationibus, increpationes in populis!‹ […] Et vos boni filii matris ecclesie vim atque iniuriam propulsate, 78–9.



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lenheil von Arons Männern wird gerettet. Der frisch getaufte Aron/Zentinus kehrt darüber hinaus zurück in sein Land, um auch dort den christlichen Glauben zu mehren. Die beobachtete Privilegierung der Amtssukzession zugunsten der biologischen Genealogie ließe sich also auch für den ›Oswald‹ beobachten: Das ›Amt‹ des Missionars wird weitergegeben, der Brautvater wird zum ideellen Erben. So wie die mit der Brautwerbung verbundenen Ansprüche in der Mission der Sarazenen ihre Erfüllung finden, ist andersherum auch die aus dieser Werbung entstehende Ehe durch die, die Mission sowohl ermöglichende als auch durch sie bedingte Heiligkeit Oswalds geprägt. Und dies keinesfalls durch eine plötz­ liche Wendung hin zum Legendarischen. Schon zu Beginn steht sein Wunsch nach einer Ehe ane sund und dieser Wunsch einer entkörperlichten Beziehung zu seiner Frau ist für das gesamte Werk Programm. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Wahl eines Raben als Boten Oswalds. Zum einen öffnet sich über dieses Tier ein intertextuelles Fenster zu den Legenden der Wüstenväter und damit zur Wurzel des jüdisch-christlichen Eremitentums als Form der Absage an das Körperlich-Triebhafte,91 zum anderen zur hagiographischen Oswaldtradition und damit zur Heiligkeit des Protagonisten. Drittens und letztens aber unterbindet die Vogelgestalt jede sexuelle Konnotation, die zu einem Kurzschluss zwischen dem außergewöhnlichen Werber und der Braut führen kann.92 Schon die Worte, mit denen der Rabe Aron von der Ehe zwischen Oswald und Paug überzeugen will, betonen die religiöse Sinndimension einer Ehe, die die Körper bzw. die Personen der Eheleute hälig macht und sie aus aller schuld befreit und sie unser frauen huld erwerben lässt (os 962 ff.). Die Nennung Marias führt jedoch zum sofortigen Abbruch des Gespräches durch Aron.93 Obwohl die Gottesmutter im ›Oswald‹ immer wieder genannt und angerufen wird, könnte ihre eindringliche Thematisierung an dieser Stelle auch die kom­ mende Szene in ein bestimmtes Licht rücken: die Ankündigung des Raben an die Jungfrau,94 Oswald wünsche sie zu heiraten und ihr die Taufe durch seine

91 »Literarisch geworden ist diese Skepsis gegenüber dem Körper, bzw. die Angst vor dem Körperlich-Triebhaften in den zahlreichen Legenden über Eremiten und Asketen: Diesen Vorbil­ dern ist zwar, allen Versuchungen zum Trotz, die Abtötung des ›Fleisches‹ gelungen. Doch allen anderen Menschen droht ständig die Gefahr von der fleischlichen Begierde besiegt zu werden« (Schnell 2002, 98). 92 So etwa im Fall von Brünhild-Siegfried oder Isolde-Tristan. Zu dieser Konfiguration s. Stroh­ schneider 1997. 93 ab unser frauen er hart erschrikt, / zorenleichen er aufplikt: […] »er beginnet mir sein frauen vor nennen, / der will ich zuo freunt nicht erchennen!« (os 967 ff.). 94 Dort spricht der Erzengel Gabriel mit Maria. Zum einen wurde der Rabe aber nur wenige Sze­ nen zuvor, bei den Meerweibern, für einen Engel gehalten (os 670) und zum anderen ist in der

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militärische Macht zu ermöglichen, evoziert, wenn auch eher in der Bezugsform der An­spielung als der Imitation, das Bild der Verkündigung Marias – Oswalds keusche Werbung wird auf eine religiös höchstbesetzte Parallelhandlung hin durchsichtig. Die Gegenseitigkeit des Wunsches nach einer keuschen, durch Heiligkeit geprägten Beziehung, lässt sich im Brief Paugs an Oswald sehen, der weniger ein wirklicher Brief als vielmehr ein als sich optisch entfaltendes Panorama der Ein­ gebundenheit des zukünftigen Ehepaares in eine jenseitige Welt erscheint: sand Oswalt daz insigel aufprach: / der auserwelte degen / begund den prief schauen eben. / do vand er geschriben inne / die himlisch kuniginne; / sand Johannes, der werd man, / was auch geschriben daran; / sant Oswald sich selber vant, / erst ward im grosseu freud bechant. / sich und die kuniginne / vand er geschriben mitten inne: / si het in umbvangen, / gedrucht an ire wange, / chust in an den mund sein. / den prief het geschriben ain edleu chunigin (os 1416 ff.).

In diesem Sinn ist Michael Curschmanns Thematisierung von minne für den ›Oswald‹ vielleicht doch gar nicht so unangebracht. Es geht jedoch um eine besondere, spirituelle Form von Liebe, deren körperliche Komponente in einen virtuellen, vom Heiligen durchwirkten, Raum verschoben ist. Im ›Oswald‹ wird Fernminne nicht so sehr als die Handlung initiierender Topos, sondern in einer sowohl abstrakten als auch zärtlichen Qualität erfahrbar. Diese liebevolle Umar­ mung erinnert an die Hoheliedauslegung Bernhards von Clairvaux: Es ist nämlich ein Hochzeitslied, das die keusche und freudige Umarmung der Seelen zeigt, die Eintracht ihrer Lebensweise und die Liebe in Folge von gegenseitigem und gleicharti­ gem Liebesdienst.95

Eine solche Liebe, die aus beiderseitiger caritas erwächst, steht im Zentrum positiver geistlicher Ehekonzeptionen des Mittelalters, wie Rüdiger Schnell in

ikonographischen Tradition der Verkündigungsszene häufig eine Taube als Zeichen des Heiligen Geistes abgebildet. Rabe und Taube stehen bereits seit der Geschichte von Noahs Suche nach Land von der Arche aus in einem engen, wenn auch oft gegensätzlich gedachten semantischen Zusammenhang (s. dazu Messelken 1965). Für den ›Wiener Oswald‹ lässt sich eine konkrete Bezie­ hung zwischen Taube und Rabe herstellen: hier bringt der Rabe Oswald zu seiner Krönung Bal­ sam vom Himmel, so wie es eine Taube für Chlodwig in der Darstellung Hincmars mit der Sainte Ampoule getan hatte (Folz 1980, 58). In der ostschwäbischen Prosabearbeitung dient Oswald eine Taube, die erst als sie Paugs Ring im Meer verliert, schwarz und damit rabenähnlich wird. 95 est quippe nuptiale carmen, exprimens castos iucundosque complexus animorum, morum concordiam, affectuumque consentaneam ad alterutrum caritatem (›Sermones in Cantica Canti­ corum‹ I,11, Sp. 789, Übersetzung R.K).



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seiner Studie ›Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe‹ aufgezeigt hat: Wenn Theologen und Kanonisten (positiv) von ehelicher Liebe sprechen (maritalis affectus; dilectio…), meinen sie fast ausschließlich eine moralisch-karitative Disposition, die innere Bereitschaft, dem Ehegefährten in allen Nöten beizustehen. Ihrer Meinung nach hat Liebe als spontanes, leidenschaftliches, auf sexuelle Vereinigung zielendes Verlangen nichts mit der geforderten inneren Einstellung der Eheleute zu tun (Schnell 2002, 136).

Vor dem Hintergrund eines solchen Ehebildes sollte auch die Beziehung zwi­ schen Oswald und Paug gesehen werden und vor ihm muss auch der Schluss des Werkes beurteilt werden. Das komische Potenzial des von Christus empfoh­ lenen Wasserbottichs wurde von jeher gesehen und in der Regel auf den Bruch zwischen Prokreation und Virginität bezogen, der hier zum Ausdruck komme.96 Im Kapitel ›Das Heilige und das Komische‹ wurde bereits eine Deutung für diese Szene angeboten, die vor dem Hintergrund der Erkenntnisse dieses Kapi­ tels konkretisiert werden kann. Die politisch-dynastische Frage eines Erben ist hier ganz ausgeklammert – sowohl Oswald als auch Paug müssen vielmehr gegen ihre körperliche Begierde füreinander ankämpfen. Und obwohl ihre Technik komisches Potenzial entfaltet, zeigt ihr liebevolles Beieinanderliegen ohne körperliche Erfüllung der Liebe doch die außerordentliche Qualität der beiderseitigen Zuneigung. Stephen Jaeger hat sich in seinem Buch ›Ennob­ ling Love‹ auch mit solchen Formen der sublime love (vielleicht am besten mit ›erhabener Liebe‹ zu übersetzen) beschäftigt. Dabei legt er unter anderem die Position Abaelards zu diesem Thema dar: Abaelard argues that the virtue in chastity varies directly with the strength of the desire it resists. Chastity in a cold and frigid person has no value. […] »I am chaste; therefore I do not love« is something very different from »I love, but chastely (Jaeger 1999, 117).

Überblickt man von diesem Punkt aus noch einmal das Forschungsproblem der keuschen Ehen, zeigt sich, dass es eigentlich gar kein Problem sein müsste. Denn der Bruch zwischen adliger Prokreation und Virginalität tritt nur zu Tage, wenn man den Anspruch, einen Erben zu zeugen, von außen an die Brautwerbungs­ erzählungen heranträgt. In ihnen selbst wird er nur selten (›Rother‹, ›Oswald‹) als eine Motivation der Figuren erwähnt, tatsächlich gezeugte Erben spielen nur im ›Rother‹ eine Rolle und ihr ›Fehlen‹ wird in keinem der anderen Werke zum

96 So sagt z. B. Georg Baesecke (1907, 214): »Oswald erringt eine Königin, damit er nicht erbelos bleibe (V. 49): ist das der Gegenstand unseres Gedichtes, so steht der Wasserbottich des Schlus­ ses in lächerlichem Widerspruch dazu.«

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Problem. Vielleicht sollte man dazu übergehen, den ›Rother‹ in diesem Zusam­ menhang eher als Ausnahme, denn als modellbildende Regel zu betrachten. Die von außen an die Texte herangetragenen, kulturellen Ansprüche der genealo­ gisch-dynastischen Machtsicherung wurden bei der ethnologischen Betrachtung von Stammeskulturen gewonnen und sind den hoch- bzw. spätmittelalterlichen Brautwerbungserzählungen schon von daher nicht angemessen. Doch auch darüber hinaus zeigen sich Schwierigkeiten in der Übertragung von in Kultur­ mustern enthaltenen Ansprüchen und Konsequenzen auf literarische Werke, die zur Vorsicht mahnen. Geht man von der Einschätzung aus, dass die Brautwerbungserzählungen nicht auf das Zeugen eines Erben und die damit verbundene dynastische Verste­ tigung von Macht abzielen, sondern genau das erzählen wollen, was sie auch tat­ sächlich erzählen, kann der Blick auf die Qualität der keuschen Ehen frei werden, die nicht mehr als Pervertierung, Dekonstruktion, Frustration oder Bruch wahr­ genommen werden müssen, sondern in ihrem eigenen semantischen und litera­ rischen Potenzial erfahrbar werden. Dann kann in den Blick rücken, dass z. B. der ›Oswald‹ von Beginn an konsequent von einer Verbindung zwischen Mann und Frau erzählt, die auf einer spirituellen Ebene liegt und damit den mittelalter­ lichen geistlichen Konzeptionen von amicitia und caritas in der Ehe entspricht. Insofern wird auch in der keuschen Ehe keinesfalls pauschal von einer Weltab­ kehr oder einem Weg aus der Welt heraus erzählt – Oswald und Paug bleiben auch keusch Herrscher und Eheleute. Erzählt wird aber von einer aus geistlicher Sicht idealen Ehe,97 wobei der Kampf um diese Idealität gerade aufgrund der bei­ derseitigen Zuneigung und Begierde seine Tiefe gewinnt. Blickt man vor diesem Hintergrund auf den Zusammenhang zwischen der Brautwerbung und Ehe auf der einen und dem darüber hinausgehenden ›politi­ schen‹ Anspruch der Brautwerbungserzählung ›Oswald‹ auf der anderen Seite, sieht man, dass die spirituelle Ehe zwischen Oswald und Paug keine Fehlkons­ truktion und auch keine Notlösung ist. Vielmehr geht sie eine tiefe Verbindung mit der spirituellen Eroberung der Sarazenen durch die Missionshandlung ein. Der Machtgewinn, von dem dieses Werk aus christlicher Perspektive erzählt, ist

97 »Es sei hier ausdrücklich festgehalten, daß es eine von Augustin über Hugo von St. Viktor bis ins Spätmittelalter reichende Vorstellungstradition gibt, in der Ehe vor allem als Vereinigung der Herzen (coniunctio animorum) verstanden wird und in der Sexualität und emotionaler Zu­ sammenhalt in der Ehe strikt getrennt wird. […] Als Vorbild gilt die Ehe zwischen Maria und Joseph, der man trotz sexueller Abstinenz eine enge seelische Verbundenheit bescheinigte. Für Augustin repräsentiert eine Ehe, die ohne sexuelle Beziehung auskommt und in der die Eheleu­ te doch in einer festen geistig-seelischen Gemeinschaft verbunden sind, das höchste Eheideal« (Schnell 2002, 136).



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nicht territorial, ist nicht von dieser Welt. Die Verbreitung des Christentums, die auf eine ›Befreiung‹ der Sarazenen aus ihrem falschen Glauben, auf die Rettung ihrer Seelen zielt, findet nach der Konvergenz von Frau und Land ihre perfekte narrative Verdichtung und Verleiblichung in der gerade nicht leiblichen Ehe zwi­ schen Oswald und Paug.98

98 Von hier aus ließen sich ähnliche Beobachtungen zur Keuschheit im ›Orendel‹ anschließen. In diesem Werk ist es besonders Brides Jungfräulichkeit, die Christen und Sarazenen gleicherma­ ßen schützenswert erscheint und die es wiederholt (gegen den Zwerg Alban, gegen König Minolt, auch ganz zuletzt noch gegen den kurzfristigen sarazenischen König von Jerusalem, Wolfhart) zu verteidigen gilt. Interessant ist, dass auch hier die ›praktische‹ Keuschheit zwischen Orendel und Bride komisch dargestellt ist, als die Königin das zwischen ihnen liegende Schwert zunächst als einen Hochzeitsbrauch aus Orendels Heimat interpretiert.

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 Unwillige Bräute: ›Ortnit‹ und ›Salman‹

Unwillige Bräute: ›Ortnit‹ und ›Salman‹ Doch was geschieht, wenn die auserwählte Frau überhaupt nicht heiraten will? Oder zumindest nicht denjenigen, der sich als Werber um ihre Hand bemüht? Das wohl eindrucksvollste Beispiel einer solchen Konfiguration findet man in der ›Kudrun‹: Hier ist die Protagonistin eher dazu bereit, bei Schnee und Eis jeden Tag Wäsche im Meer zu waschen, als ihren Entführer zum Mann zu nehmen. In ›Ortnit‹ und ›Salman‹ wird die verweigerte Zustimmung der Braut im Zusammen­ hang mit den interreligiösen Konflikten interessant.99 Ähnlich wie Oswald plant auch Ortnit zu Beginn des Textes, die Tochter eines sarazenischen Königs zu heiraten und vor Gefahren im Elternhaus zu retten. Damit sind dies die einzigen beiden Texte, die die ›typische‹ Figurenkonstella­ tion christlicher Werber, sarazenischer Brautväter auserzählen. Anders als im ›Oswald‹ geht die Gefahr für Siderat nicht von einem heimlichen Religionswech­ sel, sondern, laut Elias, vom Wunsch ihres Vaters aus, seine Tochter nach dem Tod ihrer Mutter selbst zu heiraten.100 Zu der Motivation daz schone wip für sich zu gewinnen (or 21), tritt damit ihre Befreiung als zweite: daz wir den heiden irrent an der vngerehte keit / vnd wir die maget edele bringent in die kristenheit (or 25). Nach ungefähr zwei Dritteln des Textes tritt Siderat auch persönlich auf, als sie weinend den Kampf zwischen Christen und Sarazenen vor den Mauern Mon­ tabures beobachtet. Besondere Angst hat sie dabei, und das mag vor dem Hinter­ grund von Elias Informationen überraschen, um ihren lieben Vater (or 397). Elbe­ rich spricht sie wenig später an, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter im bet hus der Sarazenen vor Kummer niederfällt und Machemet und Apollo ihr Leid klagt, sich schlägt und die Haare rauft (or 403 f.). Auf Elberichs Angebot hin, in Lamparten Königin zu werden, reagiert sie ablehnend: sie sei in der heidenschaft gewessen und gezogen und dort, besonders bei ihrer Mutter und ihrem Vater, wolle sie auch bleiben (or 408). Daraufhin führt der Zwerg die beiden Frauen zu den Zinnen, wo sie den Kampf und den sich anbahnenden Sieg der Christen sehen können. Elbe­ richs Drohung, Ortnit würde Nachaol töten, wenn Siderat nicht seine Frau wird,

99 Zum Zusammenhang zwischen Ehekonsens, Erzählverlauf und interreligiöser Thematik siehe, von anderen Prämissen als die vorliegende Studie ausgehend, M. Schulz 2002. 100 Do sprach der kinig von Rissen: »es ist im geret, er het sin kein muot. / vnd wil dich ouch bescheiden, war vmb er das tuot: / er het im vir gesetzet – er mag sich wol schamen –, wen die muoter stirbet, die tohter will er nemen. // Er sehe och gerne sterben der junkfrowen muoter lip / dar vmb daz die junkfrowe wirde sin vil schones wip« (or 23 f.). Diese Motivation findet sich auch im ›Wie­ ner Oswald‹. So berichtet Spange dem Raben: iz ist wol drizen jar, / do starp mir min muter clar / […] / do hat mir min vater vorzalt, / wenne ich wurde sechzen jar alt / unde darzu queme, / daz er mich zu wibe neme / an miner muter stat (›Wiener Oswald‹ 457 ff.).



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bestürzt sowohl die Königin als auch Siderat. Um ihren Vater zu retten, willigt sie schließlich ein: e daz min vatter stirbet, ich tuo e waz du wilt (or 420). Erst nach Elberichs Versprechen lässt Siderat sich Ortnit zeigen und erkennt ihn eins hohen wibes wert (or 423). Doch auch während der Entführung wird Siderats Widerwillen bewusst gehalten. Sie wird mit Elberich gehen, wenn er es nicht erlassen will (or 442) und als weder Elberich noch Ortnit so recht weiter wissen, beklagt sie Alberichs man­ gelnde göttliche Macht (»ez ist ein trig nisse, daz mich het vs betrogen« or 464) und will von Ortnit zurück gelassen werden: »ich mag vch nit me volgen: setzent mich vf daz lant!« (or 465). Doch Ortnit nimmt sie mit und es kommt zum Kampf mit Nachaol. In einer Pause erklärt Ortnit Siderat seine Absicht, sie in Lamparten zur Königin zu machen, wovon sie noch immer nichts hören will: Do sprach die iunckfrowe: »daz dete mir harte we, / solt ich minen vatter beschowen niemer me / vnd min liebe muoter«, sprach die stoltze meit. / »so engilte ich der mere. daz sy Machemet leit!« (or 484).

Erst als Ortnit verspricht, ihren Vater um ihretwillen im Kampf zu verschonen, fällt sie ihm um den Hals. Zurück im Kampf will Ortnit dann aber seine gefallenen Krieger rächen und den fliehenden Nachaol töten – Siderat hat so große Angst um ihren Vater, dass ihr daz heisse wasser vber die wangen flos (or 497). Doch die Sarazenen können sich rechtzeitig hinter ihre Burgmauern retten und Ortnit so bei der Prinzessin angeben, er habe ihren Vater, wie vereinbart, verschont. Erst jetzt ist Siderat bereit, mit Ortnit zu gehen (or 500). Im Gegensatz zu den bisher betrachteten Bräuten kann Siderat nur durch Erpressung von Ortnits Werbung überzeugt werden, nur um den Vater zu retten, vor dem sie angeblich gerettet werden muss, geht sie mit nach Lamparten. Diese ›gewaltsame Rettung‹ wird erzählerisch durch ihren Gegenpart in der Elternvorgeschichte betont: Hier ist es Ortnits leiblicher Vater, der Zwerg Elberich, der Ortnits Mutter aus ›karitativen Gründen‹ vergewaltigt. Er hört, wie der König und die Königin wiederholt im Gebet um Nachwuchs bitten – doch sie werden nicht erhört. Elberich befürchtet, dass die Königin verstoßen werden könnte, wenn sie dem König keine Kinder schenkt. Als sie daher eines Tages besonders heftig allein in ihrem Zimmer weint, überwältigt Elberich sie mit Hilfe seiner Tarnkappe, »so vaste sy sich werte, so wart sy doch min wip«.101 Vater und Sohn

101 »Do ich zuo dem ersten by diner muoter lag / – daz geschach des megen griene vmb ein mitten tag –, / do fant ich sy alleine, do ich sy betwang. / du solt der vmb nit zirnen: es geschach sunder iren dang. // Din vatter vnd din muoter hort ich tir bitten / – noch irm alten orden, noch trureclichem sitten –, / daz got von himel verlihe ein kindelin. / des bat also sere die liebe muoter din. // Ich ge-

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antizipieren also beide Gefahren für eine Frau (inzestuöser Vater, Verstoßung) und ›retten‹ diese durch Gewalt und Elberichs Tarnkappenzauber. Und auch Siderats Bekehrung zum christlichen Glauben gestaltet sich schwierig. Bereits angeklungen ist ihre Frömmigkeit im Glauben an Apollo und Machemet, von denen sie nicht ablassen will – obwohl ihr Christus durchaus ein Begriff ist: den du do heissest Krist / – der mich do het beschaffen –, / do weis ich, wer er ist (or 410). Die Parenthese ist nicht unbedingt als Akzeptanz des christ­ lichen Schöpfergottes zu verstehen, sondern nimmt (vielleicht sollte man in Gedanken ein ›angeblich‹ ergänzen), das zuvor von Elberich gebrachte Argument (wie du sin nit geloubest, so bistu doch sin kint! or 409) abweisend auf. 102 Die Gotteskindschaft bleibt das einzige Argument, das die Prinzessin für den christli­ chen Glauben hört. Mit ihrer Zustimmung zu einer Heirat mit Ortnit ist aber auch ihre Taufe beschlossene Sache und wird eigenartig brutal beschrieben: noch auf dem Meer wird sie von Alberich und Elias in das Wasser ›gestoßen‹.103 Erst nach dieser Taufe kommen Glaubensinhalte wieder ins Gespräch und es zeigt sich, dass Siderat sich völlig falsche Vorstellungen gemacht hat. Sie ist noch immer davon überzeugt, dass der unsichtbare Zwerg Elberich der christliche Gott sei, der höchstpersönlich um sie geworben habe.104 Erst nach der Aufklärung dieser Täuschung wird Siderat in Lesen, Schreiben und auch dem Psalter unter­ richtet, damit sie an der selen wol genesen kann (or 523) und tatsächlich wird durch die Arbeit von Mönchen und Geistlichen der heidinischer orden […] gar an ir verstort (or 524). Besonders vor dem Hintergrund der bisher hier zum ›Ortnit‹ gemachten Beobachtungen muss diese Bekehrung höchst fragwürdig erschei­ nen. Sie beruht auf dem Gelingen von Elberichs List, die Position des Göttlichen mit Hilfe seiner magischen Fähigkeiten zu kompensieren – der Gott, den Siderat

dohte in minem muote: »nu stirbet ir der man, / so wurt vil lihte verstossen die vrowe wol getan./ so mieste daz kung rich mit erbeiten leben.« / do gewan ich sy zuo wibe. daz soltu mir vergeben! // An eime heissen tage sy vor eim bette sas / – sy weinde noch lieben kinden, ir ogen wurdent nas – / in einer kemenoten. do getorste niemen by ir sin: / wen sy weinen wolte, so lies sy nieman in. // Do stunt ich vor dem bette. ich hort, waz sy sprach. / do ich sy htte betwungen, do sy mich nit ensach, / wie vaste sy sich werte, do wart sy doch min wip« (or 181 ff.). 102 Auch dieser Satz stellt eine Parallele zur Elternvorgeschichte her, informiert Elberich Ortnit über seine Vaterschaft doch mit den Worten: wie cleine ich dich duncke: so bistu doch min kint (or 177). 103 sy woltent vf dem mere on sorge sin / Elberich vnd der Risser toften die kungin // Noch christlichem globen man sy in daz wasser sties. / vf der burg zuo Garten frowe Siderat sy hies (or 504 f.). 104 So fragt Siderat Ortnit wo ist din got verborgen? wen lostu mich in sehen? (or 511) und begeg­ net seinem Unverständnis mit der Erklärung vil lieber herre, do het ich in gern erkant: e ich dich gesehe, do warp er in mins vatter lant / die botschaft vmb mich, al durch den willen din / vnd sluog an den hals den lieben vatter min (or 513).



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mit der Taufe annimmt, ist eigentlich ein sowohl listenreicher als auch gewalttä­ tiger Zwerg mit Tarnkappe und übernatürlichen Kräften. Die Freiwilligkeit ihrer Taufentscheidung steht ebenfalls in Frage: Auch wenn sie Ortnits Werbung schlussendlich annimmt – in Hinblick auf ihre Religion hatte Siderat immer wieder ihren Glauben an die eigenen Götter betont. Auch die brutale Taufzeremonie stellt dabei eine Verbindung zu den Zwangstaufen in Sunders her. Ähnlich wie die Sarazenen hier in der Taufe die einzige Chance nutzen, das Massaker zu überleben, glaubt auch Siderat mit ihrer Einwilligung in eine Ehe mit Ortnit und der damit offenbar zwingend zusammengehenden Kon­ version das Leben ihres Vaters zu beschützen. Eine Religion, die auf eine solche Erpressung angewiesen ist, scheint inhaltlich nicht viel zu bieten zu haben. Und so ist auch Ortnits eigener Glauben recht naiv gezeichnet: Gott ist der, der seinen Dienst mit Reichtümern belohnt.105 Dieses Glaubensbekenntnis ist vielleicht aufschlussreich für den gesamten Text. Es stellt sich die Frage, was Ortnit als seinen ›Gottesdienst‹ versteht: Viel­ leicht den Kampf gegen die Sarazenen? Vielleicht ihre Zwangsmissionierung oder die ›Rettung‹ Siderats? Was es auch sei, die glückliche Heirat mit seiner Prinzes­ sin und ihre Bekehrung scheint ihm zunächst Recht zu geben. Auf lange Sicht scheitert Ortnit jedoch katastrophal: Nachaol ist nur vorübergehend besiegt, die von ihm geschickten Drachen verwüsten Lamparten und töten schlussendlich auch Ortnit selber. Entweder ist also Ortnits Glaube falsch oder aber er hat Gott doch nicht so gut gedient, wie er gedacht hatte. Ortnits Nachfolger Wolfdietrich wird erfolgreicher sein und das auch Dank seiner Auseinandersetzungen mit den Sarazenen. Im Gegensatz zu Ortnit wird er aber eine friedliche Pilgerfahrt nach Jerusalem unternehmen und im Heiligen Land bedrängte Christen unter­ stützen.106 Ich denke, es lässt sich ein Zusammenhang zwischen der nur als Fälschung zu erlangenden göttlichen Hilfe, der nur kurzfristig wirkenden Siege im Land der Sarazenen, der Ablehnung und Unwilligkeit Siderats und dem endgültigen Schei­

105 Do sprach der Lampertere: »mins gotz mag nieman gesehen. / wer in wil erkennen, der muos in mit dienst erspehen. / er git mir guot vnd ere, vnd alles daz ich han. / er git mir des guotes me, wen ich vmb in verdient han« (or 512). 106 Ähnlich wie der ›Ortnit‹ ist auch der ›Wolfdietrich‹ in recht weit voneinander abweichenden Fassungen erhalten. Die Unterstützung der Christen liegt einmal in der Tötung eines viele Chris­ ten ermordenden sarazenischen Königs in einem Wurfmesserwettkampf (Fassung B) und einmal in der militärischen Unterstützung der Christen von Ackers sowie zahlreicher abenteuerlicher Kämpfe mit sarazenischen Riesen, wobei der Abbüßung dieser Tötungssünden zum Schluss der Texte ebenfalls Raum gegeben wird (Fassung C). Eine Detailuntersuchung des inhaltlichen Zu­ sammenhangs von ›Ortnit‹ und ›Wolfdietrich‹ gerade in Bezug auf die unterschiedlichen Fassun­ gen und Erzählkontexte steht leider noch aus.

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tern Ortnits herstellen. Auch für diesen Text kann ein Zusammenhang zwischen Frau und Land angenommen werden: So wie der zu Beginn formulierte, überge­ ordnete Anspruch Ortnits, Sarazenen zu taufen, die noch keine Christen sind (or 30), nur mit äußerster Gewalt erreichbar ist, so ist auch Siderat nur durch Erpres­ sung und Gewalt gegenüber ihrem Vater zu gewinnen. In ihrer Unwilligkeit findet die Verschlossenheit ihres Landes ihren Ausdruck, das mitleidlose Vorgehen der Christen gegenüber den Einwohnern von Sunders, ihre erzwungene Taufe, spiegelt sich in der Entführung der Braut ohne ihre freiwillige Zustimmung. Man könnte vielleicht sagen, dieser Text lotet die Möglichkeit einer Brautwerbungser­ zählung aus, in der sich der christliche Werber nur mit Gewalt, auch gegen den Willen der Braut, durchsetzen kann – und wie diese Strategie kurzfristig zum Erfolg, langfristig aber in den Untergang führt. Durch dieses langfristige Schei­ tern wird aber sowohl die Vorgehensweise als auch das Ziel der Christen fragwür­ dig – vielleicht wären sie besser zu Hause geblieben. Diese Fragen nach der Legitimation der Christen, ihrer religiösen Identität und der freiwilligen oder unfreiwilligen Heirat der Braut, werden im ›Salman‹ noch viel deutlicher diskutiert – er ist sicherlich der Text aus der Gruppe der Braut­ werbungserzählungen, der das literarische Spiel mit den diskursiven Inhalten am weitesten treibt. Schon die Handlungsrollen sind nicht ganz leicht zuzuord­ nen. Ist Salman der Brautwerber, weil er in einer dem Text vorausliegenden Zeit Salme aus Indien entführt hat? Oder ist er als Ehemann Salmes in der Funktion des Brautvaters, als die sarazenischen Prinzen Fore und Princian sie als Werber, dem Erzählmuster folgend nach Ratsszene und Botensendung, für sich gewinnen wollen?107 Sind die Entführungen durch die Prinzen nicht eher Rückentführun­ gen, um Salme, dem Wunsch ihres Vaters gemäß, aus der Christenheit zu retten? Und wie sind dann die Rückentführungen Salmes durch Morolf, Salman und sein Heer zu werten? Und welche Seite hat ein größeres Anrecht auf diese Frau? Ein Hinweis darauf könnte vielleicht sie selbst und ihre Einschätzung der Situation geben. Aber auch das ist nicht leicht und widerspruchsfrei zu beant­ worten. Wird zu Beginn mehrfach Salmans große Liebe zu seiner Frau betont (sa 8, 18, 19), erfährt der Leser nichts über ihre Gefühle, wie viel auch von ihrer äußerlichen Schönheit und ihrer Wirkung auf andere berichtet wird. So erfährt man auch nicht, ob Salman sie nur gegen den Willen ihres Vaters (sa 3) oder auch gegen ihren eigenen entführt hat. Im folgenden Text überwindet Salme noch vier

107 »Das Schema der ›gefährlichen Brautwerbung‹ wird hier gleich mehrfach in Gang gesetzt, bis schließlich das glückliche Ende erreicht ist. Dabei kommt es zu erheblichen Umakzentu­ ierungen, die aus einem entscheidenden Perspektivenwechsel resultieren. Üblicherweise be­ schränkt sich die Brautwerbungsepik weitgehend auf eine einzige Perspektive, auf diejenige der christlichen Werber. Hier aber verschiebt sich mehrfach der Blickwinkel« (A. Schulz 2002, 242).



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Mal die Grenze zwischen Sarazenen und Christen – ihre Freiwilligkeit oder besser ihr eigener Wille kann dabei allerdings schwer beurteilt werden. Bei beiden Ent­ führungen durch die Sarazenen unterliegt sie Liebeszaubern,108 bei beiden Ent­ führungen durch Morolf und Salman muss sie um ihr Leben fürchten. Ihre Aussa­ gen sind also zu jedem Zeitpunkt entweder durch Magie oder Furcht beeinflusst. Dennoch ist es bemerkenswert, dass alle diesbezüglichen Einblicke, die wir in Salmes Innenleben bekommen, ihre Zuneigung zu ihren beiden sarazenischen Ehemännern und ihre Abneigung gegenüber Salman thematisieren.109 Salmes eigener Wille ist damit genauso schwer zu bestimmen, wie ihre reli­ giöse Identität. Bei ihrem Vater Crispian in Indien lebt sie als Sarazenin und wird erst von Salmen in Jerusalem getauft, im Psalter und Schachspielen unter­ richtet (sa 4). Dementsprechend kann ein alter Ratgeber König Fore auch die cristen kuniginne in Jerusalem als ihm angemessene Braut empfehlen. Crispian kann daraufhin berichten, dass dies seine ihm geraubte Tochter wäre: In der Wahrnehmung ihres Vaters erscheint sie danach zwar mit einem Christen ver­ heiratet (sa 34) und von Christen umgeben (sa 36), ihre eigene Religion bzw. einen Wechsel derselben thematisiert er jedoch nicht. Aber er ist bereit, König Fores Absicht voll zu unterstützen. Nachdem er Salme in sein Land gebracht hat, kehrt sie offenbar wieder zu ihrer alten Religion zurück – zumindest begeg­ net Morolf ihr auf dem Weg zum sarazenischen Gottesdienst (sa 196). Bei ihren weiteren Wechseln zwischen der christlichen und sarazenischen Gemeinschaft wird nichts mehr über ihre Religion erfahrbar. Ist sie eine bekehrte Christin? Oder doch eine nur vorübergehend anders agierende Sarazenin? Oder einfach

108 So heißt es zum Beispiel über den magischen Ring Fores: kunig Fore was ein listiger man, / mit sinem großen zauber /gewan er die frauwe wol getan (sa 92), Da sie das fingerlin angesach, / von dem zauber das geschach, / vil schiere geliebte ir das golt / dem richen kunig Foren / dem wart sie ußer massen holt (sa 96), Sie stieß das vingerlin an die hant, / vil schiere wart ir wol erkant / von dem zauber, der in dem stein lag, / das sie des richen konig Foren / zu allen ziten gerne pflag (sa 99). Vor diesem Hintergrund erscheint das häufig sehr negative Bild dieser Figur (z. B. Haug 1988b, 186) und vor allem die Beurteilung ihrer aktiven Rolle als Verführerin fragwürdig. So formuliert z. B. Armin Schulz: »Die zentrale Frauengestalt, Salme, zunächst mit allen positiven Eigenschaf­ ten einer adeligen Herrin geschildert, entpuppt sich immer wieder als große Untreue, als kühl kalkulierende Überläuferin und selbst als blutrünstiges Mordweib, das sich mit seiner strahlen­ den Schönheit und seiner überbordenden Sexualität nehezu jeden Mann gefügig machen kann« (A. Schulz 2002, 242). Zum negativen Salme-Bild s. kritisch auch Neudeck 1998, 98. 109 Bei der Befreiung Fores aus Salmans Kerker sagt sie: here, nu rume balde daz lant / unde sende mir einen botten and er ziit, / wann ich bin ungern / des konig Salmons wip (sa 114) und nachdem Morolf Fore getötet hat, erfährt der Leser: So denne die frouwe wunnesam / gedacht an den heidenschen man, / so mocht si kume fröude gehan, / biß das sie aber ein ander heiden / mit großem zouber ouch gewan (sa 577).

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immer das, was gerade ihr Umfeld prägt? In der Figur Salmes beginnen die Reli­ gionsgrenzen zu verschwimmen. In diesem Werk werden sowohl die Handlungsrollen in Bezug auf die Braut­ werbung, als auch die (Frei-)Willigkeit der Entführten bei den diversen Entfüh­ rungen als auch die religiöse Identität der Christen einer eindeutigen Zuordnung beraubt und bleiben im Verlauf der Handlung durch die sich langsam entfalten­ den Hinweise und Widersprüche dauerhaft in Bewegung. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der moralischen Bewertung der Helden und Schurken, der Chris­ ten und Sarazenen. Einem christlichen Helden, der gewissenlos mordet und eine ›Freude am Bösen‹ entwickelt und vermittelt, stehen ausgesprochen positiv gestaltete sarazenische Gegner gegenüber. Das Bild der Sarazenen im ›Salman‹ wurde in der Forschung mehrfach the­ matisiert und kann leicht als Spiegelung christlicher Tugenden beschrieben werden.110 Die Sarazenen sind fromm: So erscheinen Morolf ihre Messen außer­ gewöhnlich lang und Fore lässt sich vor dem Schlafengehen von 12 Kaplänen segnen, die auch im Schlaf über ihn wachen sollen (sa 322 ff.). Als Morolf ihm entwischt, interpretiert er dies sofort als Strafe Gottes für seine Sünden gegen­ über Salman (sa 338). Die Sarazenen sind großzügig: Besonders Princian nimmt sich Morolfs an, als er als armer, kranker Bettler vor ihm erscheint (sa 651 ff.). Die Sarazenen sind gerecht: Fore urteilt nicht selbst über Salmans Schicksal, sondern lässt ihn entscheiden, was er an seiner Stelle mit Fore tun würde – und so sein eigenes Todesurteil aussprechen (sa 444a). Die Sarazenen sind Monotheisten, ihr Gott wird von den Christen und der christliche Gott von ihnen respektiert. So kann der sarazenische Kämmerer Morolf mit den Worten kere dime got enpholhen (sa 695) entlassen, Morolf Princian durch den got, den du gleubest an (sa 639), bitten, ihn zu empfangen oder Fore Salman an seine christliche truwe (sa 444a) gemahnen. Und auch ein Teil von Morolfs Späßen mit den Sarazenen funktioniert nur, wenn man eine moralische Äquivalenz von Christentum und sarazenischem

110 Die übliche Spiegelung der Christen in den sarazenischen Figuren ist eine negative: »Die Karikaturen der Muslime gaben ohne Zweifel spiegelbildliche Gegenfolien des idealen Christen ab: heidnischer Götzendienst, Grausamkeit, religiöser Wankelmut, Feigheit und Promiskuität des Gegners steckten in einem binären System den Rahmen für das Idealbild des mutigen, ent­ haltsamen, in seinem Glauben unerschütterlichen und dem einen Gott dienenden miles Christi ab« (Jaspert 2007, 321). Durch die Umbesetzung der einen Stelle des binären Systems – also der positiven Zeichnung der Sarazenen mit christlichen Werten und Herrschertugenden – wird im ›Salman‹ die christliche Seite unter den Verdacht der sarazenischen Untugenden gestellt. Die (sexuelle) Verfallenheit Salmans seiner untreuen Frau gegenüber und Morolfs extrem gezeich­ nete Grausamkeit müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden.



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Glauben annimmt, wenn er nämlich das königliche Schlafzimmer so umarran­ giert (sa 323 ff.), dass der König am nächsten Morgen mit Mönchstonsur in den Armen eines jungen Kaplans auf dem Boden und die Königin im Bett mit einem weiteren nackten Kaplan erwacht. Und schlimmer noch: Als der schlaftrunkene König der kunigin minnen will, fängt er sich einen heftigen Fausthieb von dem jungen Geistlichen ein (sa 331). Komik kann diese Szene aber nur entfalten, wenn die zeitgenössischen christlichen Rezipienten den Sarazenen den ihren eigenen ähnliche Sexualnormen unterstellen – Sex außerhalb der Ehe, mit Geistlichen oder zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern ein Tabu darstellt. Vor diesem Hintergrund muss das, was in mittelhochdeutscher Literatur nicht unbedingt ein Problem sein muss, moralisch höchst fragwürdig werden: Sarazenen zu ermorden, Verträge mit ihnen zu brechen und sie abzuschlachten. Und dies umso mehr, als die christliche Religion, ähnlich wie im ›Ortnit‹ inhalt­ lich wenig zu bieten hat, das potenzielle Konversen anziehen könnte. In Morolfs Verhandlungen mit Affer über eine mögliche Taufe sind spirituelle Gründe, wie die Rettung ihrer Seele (»du solt dich lassen touffen, / so bist du genessen an der sel«, sa 580) auch völlig irrelevant. Ein anderes Versprechen Morolfs, Affer zur Königin von Jerusalem an Salmans Seite zu machen (so soltu gewaltig werden / uber das rich lant czu Jherusalem, sa 585), zeigt allerdings sofort Wirkung. Ähnlich wie an anderen Stellen der Erzählung wird auch in der folgenden Taufe das Sakrale zum Lächerlichen.111 Für diesen Text eine Beziehung zwischen Frau und Land, einen über die Brautwerbung hinausgehenden (im weitesten Sinne) politischen Anspruch festzuschreiben, ist eine unlösbare Aufgabe. Ob Salman mit dem Raub Salme mehr verfolgte, als die schöne Frau zu gewinnen, erfährt der Leser nicht – König Crispian von Indien zeigt sich aber in der Beratung mit Fore reichlich unbeein­ druckt von seinem neuen Schwiegersohn. Fore selber kämpft zwar mit einem Heer vor Jerusalem, scheitert dabei aber. Am Schluss des Textes herrscht eine ähnliche Situation wie im ›Orendel‹: alle Sarazenen, die im Laufe des Textes erwähnt wurden, sind getötet oder getauft worden. Eine Parallele zwischen Land und Frau im ›Salman‹ gibt es also vielleicht doch: Am Ende ist Salme genauso tot wie alle anderen Sarazenen auch.

111 Der Herzogin, auf deren Schoß sie sitzt, ist die erwachsene Frau zu schwer. Otto Neudeck (1998) hat z. B. auf die Parallele zwischen der Auferstehung Christi aus seinem Grab und der listigen Flucht Salmes aus ihrem dank der magischen Zauberwurzel verwiesen. Auch die eben genannten Späße Morolfs im Schlafzimmer König Fores instrumentalisieren christliche Vorstel­ lungen von enthaltsam lebenden Mönchen zur Erzeugung von Komik.

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 Fazit

Fazit Dieses Kapitel ist dem Zusammenspiel von diskursivem Gehalt und narrativem Modell auf den Grund gegangen. Dabei konnte gezeigt werden, dass die in den Werken imaginierten politisch-ideologischen oder religiösen Ansprüche eng mit dem Anspruch auf den Erwerb einer Ehefrau und dadurch auch mit der Brautwer­ bungshandlung verzahnt sind. Diese enge Bindung besteht durch eine Verbin­ dung zwischen den ›Bräuten‹ und ihren Ländern oder Religionsgemeinschaften, die über ein zeichenhaftes Verweisen hinausgeht und mit dem Begriff ›Verleibli­ chung‹ erfasst wurde. Dementsprechend lässt sich auch ein Zusammenhang zwi­ schen den politischen oder religiösen Zielen und der Art der im Text gestifteten Ehe aufzeigen. So findet Rothers Wunsch und Anspruch, seine Ehre zu vervollkommnen, in seiner Ehe mit der byzantinischen Königstochter seine Entsprechung. Denn diese Ehe ist die verleiblichte Anerkennung von Rothers Herrscherwürde durch den Basileus in Konstantinopel. In der von ihm ausgehenden biologischen Genea­ logie, viel mehr aber noch in der nicht biologischen Genealogie der Amtssuk­ zession geht diese auratische Würde auch auf seine Nachfolger über. In diesem sowohl als auch in der Nachfolge steht der ›Rother‹ in einem Spannungsfeld von Verleiblichung und Entkörperung, das die anderen Werke, in denen leibliche Erben keine Rolle mehr spielen, hinter sich lassen. So entsprechen sowohl im ›Orendel‹ als auch im ›Oswald‹ die zu Beginn der Werke formulierten spirituell-religiösen Machtansprüche auf die Bewahrung eines christlichen Jerusalems bzw. die Ausweitung des christlichen Glaubens durch Mission der in den Texten gestifteten Form keuscher Ehen, in denen die Verbindung der Partner ebenfalls ganz auf spiritueller Ebene bleibt und sich in Konzepten geistiger amicitia und Nähe ausdrückt. Der Rettung Paugs vor ihrem Vater entspricht dabei die Rettung des Seelenheils aller Sarazenen. Die ›Erben‹ sind in beiden Fällen in den Nachfolgern der Protagonisten zu sehen. Im ›Oswald‹ wird eine solche Nachfolge über den bekehrten Brautvater Aron/Zentinus im Text selber angelegt, der die Verbreitung des Christentums als Aufgabe von Oswald übernimmt. Im ›Orendel‹ richtet sich der Appell zur Missionierung des Orients und zur Eroberung des Heiligen Landes an den Rezipienten selber, wenn dieser ›ewige Kampf‹ an den zeitgenössischen Horizont angebunden wird. Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang den ›unwilligen Bräuten‹ zu, denn wie sich gezeigt hat, führt ein solcher Unwille früher oder später immer zum Scheitern der Helden. Besonders deutlich wird dies im ›Ortnit‹, der seine Braut Siderat nicht wie erhofft aus den Fängen ihres inzestuösen Vaters befreien kann, sondern sie durch Erpressung und Täuschung aus ihrer Familie



Fazit 

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reißen muss. Dabei scheitert nicht nur Ortnits Anspruch die Sarazenen zu taufen (oder vielleicht doch zu töten?), sondern langfristig auch der Erwerb seiner Braut sowie sein gesamter Lebensentwurf, wenn er durch die von seinem Schwiegerva­ ter gesandten Drachen den Tod findet. Es ist bezeichnend, dass nicht sein Erbe, sondern sein Nachfolger diese Drachen besiegen und Ortnits Land in Zukunft regieren wird – Siderats zweiter Mann, Wolfdietrich, zeigt sich den Gefahren gewachsen, an denen Ortnit gescheitert ist. Doch auch im ›Salman‹ und in der ›Kudrun‹ spielt der Wille der Braut eine entscheidende Rolle. So wird in der ›Kudrun‹ über einen weiten Teil der Erzäh­ lung berichtet, wie Herwigs Wunsch, Kudruns Hand und damit territoriale Vor­ teile zu gewinnen, an ihrem festen Willen scheitert. Die Ansprüche eines Mannes, das könnte die Aussage dieses Teils der Erzählung sein, zählen nichts, solange die Frau nicht will. Dieser Textfokus auf die Willensstärke Kudruns entfaltet seine Bedeutung am Textschluss, als sie sich als Konstrukteurin eines groß angelegten, friedlichen Bündnissystems erweist, das sich auf Ehen gründet, die im beidersei­ tigem Einverständnis geschlossen werden. Im ›Salman‹ hingegen scheitert jede der drei Ehen, die Salme eingeht. Dabei wird der Wille dieser Figur durch erzähl­ technische und magische Mittel offen gelassen, wodurch die Dynamik ihrer ver­ schiedenen ›Seitenwechsel‹ befördert wird. In diesem Werk treten politische, ideologische, spirituelle und religiöse Ansprüche deutlich zurück, so dass sich der Text in dem, was dann noch bleibt, in der bloßen Sehnsucht nach der überir­ disch schönen, sinnlichen Frau vor der Textgruppe konturieren kann.

Schluss ›Oswald‹, ›Orendel‹, ›Kudrun‹, ›Rother‹, ›Ortnit‹ und ›Salman‹ erzählen alle vom gefahrvollen Erwerb einer Braut, sie alle nutzen dafür ein gemeinsames Typenin­ ventar an Figuren, Szenen, Raumkonstellationen und sogar Formulierungen. Dennoch ist jede dieser Erzählungen einzigartig in ihrer narrativen Konfiguration. Die Attraktivität dieser Textgruppe liegt meines Erachtens genau in dieser Vielfalt begründet, in der jedes Werk neue Möglichkeiten des Erzählens, neue Möglichkei­ ten der Rekombination und Variation, neue Möglichkeiten der Komik und neue Perspektiven auf das bereits Bekannte für den eigenen Erzählzusammenhang fruchtbar macht, ergründet und auslotet. Dabei ist der spielerische Umgang mit bereits vorgeprägtem Erzählinventar eng mit der spezifischen Gestaltung inhalt­ licher Elemente und dem Entwurf von Sinnzusammenhängen verbunden. Der in der vorliegenden Studie untersuchte Zusammenhang der Textgruppe über ihre interreligiöse Thematik hat sich als fruchtbarer Zugang erwiesen, erzählen doch alle Brautwerbungserzählungen, mit Ausnahme des nur fragmentarisch erhalte­ nen ›Dukus Horant‹, nicht nur von der Konfrontation von Religionen, sondern auch vom Stiften und Verhindern interreligiöser Ehen. Das narrative Modell der gefährlichen Brautwerbung bietet dabei nicht nur die Möglichkeit, den diskursi­ ven Inhalt in attraktiver Art und Weise erzählbar zu machen – genauso wie der diskursive Gehalt nicht nur Anreiz für die Variation des Modells gibt, obwohl beides der Fall ist. Die Verbindung, die Brautwerbungshandlung und interreli­ giöse Thematik hier eingehen, geht sehr viel tiefer und bringt sie in ein dynami­ sches Verhältnis miteinander. Die Brautwerbungserzählungen partizipieren, jede für sich anders und in anderem Maße, an gelehrtem Wissen und nehmen Ideen, Vorstellungen, Prob­ leme, Handlungskonstellationen, Motive und Fragestellungen aus historiogra­ phischen, hagiographischen und theologischen Werken auf und schreiben sich somit in diese Diskurse ein. Dabei ist es unerheblich, ob das narrative Modell der gefährlichen Brautwerbung aus mündlicher Erzählkultur in die frühmittel­ alterliche Historiographie wandert oder ob es in der dort überlieferten Form im Medium der Schriftlichkeit neu entsteht. Für den Zusammenhang dieser Studie ist aber umso interessanter, dass es seit den Berichten über die Ehe von Chlodwig und Chlothilde durch Gregor von Tours, Fredegar und im ›Liber historiae Fran­ corum‹ eng mit der Thematik der interreligiösen Ehe, des Religionswechsels und dem Konflikt zwischen Christen und Nicht-Christen verbunden ist und daher von Anfang an in besonderem Maß geeignet erscheint, um Fragen der Religionsdiffe­ renz, ihrer Überwindung und die damit verbundenen Formen von Machtgewinn und Machtverlust zu narrativieren.



Schluss 

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Die Brautwerbungserzählungen tun dies bei all ihren Gemeinsamkeiten auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Auf der einen Seite stehen ideale Gottes­ streiter wie Oswald und (bereits in komischer Brechung) Orendel, aber auch Helden wie Ortnit und Morolf, die die Unterstützung Gottes trickreich oder mit magischen Mitteln nur vortäuschen. Die Legitimation des Kampfes gegen Andersgläubige als Gottesdienst wird durch mächtige Prätexte hergestellt, als Alternative abgewiesen oder durch die (religiöse) Ambivalenz der Protagonisten in Zweifel gezogen. Auf der anderen Seite begegnen grausame und mordlustige Sarazenen genauso wie andersgläubige Figuren, die nach den Idealvorstellungen des christlichen Kulturkreises gezeichnet sind und die christlichen Protagonis­ ten an Höflichkeit, Großzügigkeit und Gerechtigkeit überbieten. Die Religion der Sarazenen wird als Polytheismus und Götzendienst charakterisiert, aber sie kann auch wie in der ›Kudrun‹ als Leerstelle explizit nicht in Konkurrenz zum christ­ lichen Glauben treten oder als monotheistischer Glaube an einen namenlosen Gott sowohl dem christlichen Glauben als auch dem nicht literarisierten Islam nahe kommen. Weit gestreut sind auch die Strategien, mit denen der religiösen Differenz begegnet wird – der problemlosen bündnispolitischen Einbindung der Sarazenen steht die völlige Exklusion aus politischen Bündnissen gegenüber, der Vernichtung auf dem Schlachtfeld die Erettung durch Mission, wobei auch inner­ halb eines Textes unterschiedliche Strategien miteinander in Konkurrenz treten können. Die Handlungsmotivation des um die Hand einer Braut werbenden Königs ist explizit oder implizit immer eine doppelte, die Eroberung der Frau ist immer mit dem Gewinn von Macht verbunden. Die Verbindung zwischen König und Braut entspricht in symbolischer Art und Weise der Form des angestrebten Machtge­ winns, die Frau verkörpert ein (territorial gedachtes) Land, eine politische Insti­ tution oder eine Glaubensgemeinschaft. Indem sich Rother der Hand der byzan­ tinischen Prinzessin als würdig erweist, erhält er die Anerkennung ihres Vaters und generiert damit ein innerreligiöses Bündnissystem, das die Sarazenen an den Rand der bekannten Welt verweist. Indem Oswald Paug aus den Fängen ihres sarazenischen Vaters und damit auch ihre Seele rettet, kann er einen Missions­ prozess der nicht christlichen Welt anstoßen. Die rein spirituelle Ebene, auf der der erstrebte Machtgewinn in diesem Fall liegt, spiegelt sich in der rein spiritu­ ellen, nicht körperlichen Liebe und Ehe des Protagonistenpaares. Und die Art und Weise, in der Orendel die Jungfräulichkeit seiner Ehefrau nicht nur selber bewahrt, sondern auch gegen sarazeinische Übergriffe verteidigen muss, findet ihre Parallele in der Verteidigung des christlichen Jerusalem gegen die Attacken sarazenischer Heere. In jeder Brautwerbungserzählung ergibt sich so eine intrikate Mischung aus der Gestaltung, Position und Legitimation des (christlichen) Werbers, der Anlage

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 Schluss

seiner (sarazenischen) Antagonisten, der Ebene des angstrebten Machtgewinns, der Strategie der Bewältigung religiöser Differenz, der Haltung der Braut und des sich dadurch ergebenen interreligiösen Arrangements und seiner narrati­ ven Umsetzung. Die Lust an der literarischen Variation führt dabei ihrerseits zu immer neuen, eindeutigen, uneindeutigen, gebrochenen und verdrehten Positi­ onierungen in den Diskursen interreligiösen Kontakts und Konflikts. Dass diese diskursiven Inhalte, dass die kontextuelle Eingebundenheit der Brautwerbungs­ erzählungen für ihre Betrachtung nicht nur sinnvoll und fruchtbar, sondern für ihr Verständnis unabdingbar sind, hat sich in dieser Studie immer wieder bestä­ tigt. Denn erst in den dynamischen Austauschbeziehungen zwischen den literari­ schen Werken und ihren intertextuell begriffenen Kontexten kann ihre spezifisch literarische Qualität, ihre Literarizität sichtbar werden. Erst durch die Aufladung mit kultureller Energie können die poetischen Freiheiten im Umgang mit ihr, in ihrem Neu- und Weiterdenken, in der produktiven Rekonfiguration sichtbar werden. Dass dabei auch die Brautwerbungserzählungen wiederum füreinander zu wichtigen Kontexten werden können, ist Teil dieser Dynamik. Das sie alle verbindende narrative Modell der gefährlichen Brautwerbung trägt dabei die Handlung, ohne mit ihrem Sinn identisch zu sein, ist in sich selbst flexibel, ohne unkenntlich zu werden, lässt bündnispolitische, ideologi­ sche, spirituelle und sinnliche Deutungen der Brautwerbung zu und ermöglicht so das Erzählen von unterschiedlichen Inhalten mit unterschiedlichen Akzentu­ ierungen und Schwerpunktsetzungen. Ein solches narratives Modell kann nicht ›brechen‹ – und insofern kann sich sein Sinn auch nicht in Brüchen offenbaren. Die Wirkmächtigkeit und das erzählerische Potenzial zeigen sich vielmehr in der Offenheit dieses Erzählmusters sowohl im Hinblick auf seine eigene narrative Konfiguration als auch im Hinblick auf die mit ihm erzählerisch verarbeiteten diskursiven Inhalte. Durch die Art und Weise, in der jede Brautwerbungserzäh­ lung diese Gestaltungsmöglichkeiten interreligiöser Begegnungen und Konflikte nutzt und miteinander kombiniert, entstehen einzigartige Texte, die diskursive Positionen beziehen, verwerfen oder in spielerischer Art und Weise miteinander in Beziehung setzen und für den eigenen literarischen Zusammenhang fruchtbar machen. Gerade in der Variation und Rekombination formal stabiler Bestandteile entwickelt sich die eigene Architextualität dieser Textgruppe.

Literaturliste Abkürzungen ATB Altdeutsche Textbibliothek BVH Beda Venerabilis: ›Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum‹ DVjs Deutsche Vierteljahres-Schrift DWB Deutsches Wörterbuch GAG Göppinger Arbeiten zur Germanistik GRM Germanisch-Romanische Monatsschrift GTL Gregor von Tour: ›Libri historiarum X‹ ku ›Kudrun‹ LCI Lexikon der christlichen Ikonographie LexMa Lexikon des Mittelalters LHF ›Liber Historiae Francorum‹ Mhd. Mittelhochdeutsch MGH Monumenta Germaniae Historica Dt. Chron. Deutsche Chroniken SS rer. Ger. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi SS rer. Merov. 1 Scriptores rerum Merovingicarum SS Scriptores in Folio MTU Münchener Texte und Untersuchungen Nhd. Neuhochdeutsch NJB ›Neue Jerusalemer Bibel‹ od ›Orendel‹ or ›Ortnit‹ os ›(Münchener) Oswald‹ PBB Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur RDV Reginald von Durham: ›Vita S. Oswaldi Regis et Martyris‹ ro ›König Rother‹ RUB Reclams Universalbibliothek sa ›Salman und Morolf‹ 1VL Verfasserlexikon 2VL Verfasserlexikon. 2. völlig neu bearbeitete Auflage WTH Wilhelm von Tyrus: ›Historia rerum in partibus transmarinis gestarum‹ ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie

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 Literaturliste

Brautwerbungserzählungen Die in der Arbeit zitierten Ausgaben sind zuerst genannt und mit den jeweiligen Abkürzung (s. o.) versehen.

›Dukus Horant‹ ›Dukus Horant‹. Hrsg. von Peter F. Ganz, Frederick Norman und Werner Schwarz. Mit einem Exkurs von Salomo A. Birnbaum (ATB Ergänzungsreihe 2). Tübingen 1964. (dh) Six Germano-Judaic Poems from the Cairo Genizah. Hrsg. von Eli Katz. Microfilm. Ann Arbor, Michigan 1971. Heikki J. Hakkarainen: Studien zum Cambridger Codex T-S 10. K 22.2. 3 Bde. Bd. 1 Text (Turun Yliopiston julkaisuja B 104). Turku 1967. The oldest known literary documents of yiddish literature (C. 1382). Hrsg. von Lajb Fuks. 2 Bde. Leiden 1957.

›Kudrun‹ ›Kudrun‹. Die Handschrift. Hrsg. von Franz H. Bäuml. Berlin 1969. (ku) ›Kudrun‹. Mhd. / Nhd. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Uta Störmer-Caysa. Stuttgart 2010. ›Kudrun‹. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch hrsg. von Karl Stackman (ATB 115). Tübingen 2000. ›Kudrun‹. Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt und kommentiert von Bernard Sowinski (RUB 466). Stuttgart 1995. ›Kudrun‹. Textabdruck mit den Lesarten der Handschrift und Bezeichnung der echten Teile. Hrsg. von Ernst Martin (Sammlung germanistischer Hilfsmittel für den praktischen Studienzweck 2). Halle 1883.

›Orendel‹ ›Orendel‹ (›Der graue Rock‹). Faksimileausgabe der Vers- und der Prosafassung nach den Drucken von 1512. Hrsg. und mit einem Vorwort versehen von Ludwig Denecke (Sammlung Metzler Dokumentationen 111). 2 Bde. Bd. 1 Versfassung. Stuttgart 1972. (od) ›Orendel‹ (›Der graue Rock‹). Faksimileausgabe der Vers- und der Prosafassung nach den Drucken von 1512. Hrsg. und mit einem Vorwort versehen von Ludwig Denecke (Sammlung Metzler Dokumentationen 111). 2 Bde. Bd. 2 Prosafassung. Stuttgart 1972. (od P) ›Der ungenähte graue Rock Christi. Wie König Orendel von Trier ihn erwirbt, darin Frau Breiden und das heilige Grab gewinnt, und ihn nach Trier bringt‹. Altdeutsches Gedicht, aus der



Brautwerbungserzählungen 

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einzigen Handschrift, mit Vergleichung des alten Drucks. Hrsg. von Friedrich Heinrich von der Hagen. Berlin 1844. (od H) ›Orendel‹. Hrsg. von Hans Steinger (ATB 36). Halle (Saale) 1935. ›Orendel‹. Ein deutsches Spielmannsgedicht mit Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Arnold Berger. Bonn 1888. ›Orendel und Brîde‹, eine Rûne des deutschen Heidenthums, umgedichtet im zwölften Jahrhundert zu einem befreiten Jerusalem. Hrsg. von Ludwig Ettmüller. Zürich 1858.

›Ortnit‹ ›Ortnit‹ und ›Wolfdietrich D‹. Kritischer Text nach Ms. Carm 2 der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Hrsg. von Walter Kofler. Stuttgart 2001. (or) ›Ortnit‹ und ›Wolfdietrich A‹. Hrsg. von Walter Kofler. Stuttgart 2009. Das Dresdener Heldenbuch und die Bruchstücke des Berlin-Wolfenbüttler Heldenbuchs. Edition und Digitalfaksimile. Hrsg. von Walter Kofler. Stuttgart 2006. Die Heldenbuch-Inkunabel von 1479. Alle Exemplare und Fragmente in 350 Abbildungen. Hrsg. von Walter Kofler. CD-ROM (Litterae Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 121). Göppingen 2003. Das Straßburger Heldenbuch. Rekonstruktion der Textfassung des Diebolt von Hanowe. Hrsg. von Walter Kofler. 2 Bde. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 667). Göppingen 1999. ›Ortnit‹ and Wolfdietrich. Two medieval romances. Translated and with an introduction by John W. Thomas. Columbia, S.C. 1986. Crecelius (1876), Wilhelm (Hrsg.): Dortmunder Bruchstücke einer Handschrift des Heldenbuchs aus dem 15. Jahrhundert. In: ZfdA 19, 20. S. 468–470, 128. ›Ortnit‹ und die Wolfdietriche. Nach Müllenhoffs Vorarbeiten hrsg. von Arthur Amelung und Oskar Jänicke (Deutsches Heldenbuch 3). Berlin 1871. Nachdruck Dublin, Zürich 1968.

›Oswald‹ Der ›Münchener Oswald‹. Mit einem Anhang: die ostschwäbische Prosabearbeitung des 15. Jahrhunderts. Hrsg. von Michael Curschmann. Tübingen 1974. (os) Curschmann (1973), Michael: Sant Oswald von Norwegen. Ein Fragment eines Legendenepos. In: ZfdA 102. S. 101–114. (Abdruck des ›Linzer Oswald‹) Vizkelety (1964), András: Der ›Budapester Oswald‹. In: PBB (Halle) 86. S. 107–188. Der ›Wiener Oswald‹. Hrsg. von Georg Baesecke. Heidelberg 1912. Der ›Münchener Oswald‹. Text und Abhandlung. Hrsg. von Georg Baesecke (Germanistische Abhandlungen 28). Breslau 1907. Nachdruck Hildesheim (u. a.) 1977. Zingerle (1856), Ignaz V.: Die Oswaldlegende und ihre Beziehung zur deutschen Mythologie, Stuttgart (u. a.). (Mit Edition der Kursfassung aus ›Der Heiligen Leben‹)

276 

 Literaturliste

›Rother‹ ›König Rother‹. Mhd. Text und nhd. Übersetzung von Peter K Stein. Hrsg. von Ingrid Bennewitz (RUB 18047). Stuttgart 2000. (ro) ›König Rother‹. Hrsg. von Jan de Vries (Germanistische Bibliothek, Abteilung 2 Untersuchungen und Texte 13). Heidelberg 1922. ›König Rother‹. Hrsg. von Theodor Frings und Joachim Kuhnt (Rheinische Beiträge und Hülfsbücher zur germanischen Philologie und Volkskunde 3). Bonn (u. a.) 1922.

›Salman‹ ›Salman und Morolf‹. Hrsg. von Alfred Karnein (ATB 85). Tübingen 1979. (sa) ›Salman und Morolf‹. Mhd. / Nhd. Originaltext nach der (durchgesehenen und verbesserten) Ausgabe von Friedrich Vogt, Prosaübersetzung von Wolfgang Spiewok und Astrid Guillaume, mit dem Bildprogramm und der faksimilierten Continuatio des (älteren) Straßburger Druckes von 1499. Hrsg. von Wolfgang Spiewok in Zusammenarbeit mit Astrid Guillaume (Wodan Serie 1 Texte des Mittelalters 60 / Greifswalder Beiträge zum Mittelalter 47). Greifswald 1996. ›Salman und Morolf‹. Hrsg. von Friedrich Vogt (Die deutschen Dichtungen von Salomon und Markolf 1). Halle 1880.



Quellen 

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Quellen Die Titelangaben sind nach Name des Autors oder, bei anonymer Überlieferung, nach dem Sachtitel in der Originalsprache sortiert. Bei der Angabe mehrerer Ausgaben steht die in der Arbeit zitierte zuerst. Albert von Aachen: ›Historia Ierosolimitana‹, ›History of the Journey to Jerusalem‹. Hrsg. und ins Englische übersetzt von Susan B. Edginton (Oxford Medieval Texts). Oxford 2007. – Historia Hierosolymitana. In: MPL 166. Paris 1854. Sp. 389–715. Alkuin von York: ›Versus de Patribus Regibus et Sanctis Euboricensis Ecclesiae‹, ›The Bishops, Kings, and Saints of York‹. Hrsg. von Peter Godman. Oxford 1982. Almannus von Hautvillers: ›Vita sanctae Helenae‹. In: Acta Sanctorum August Bd. 3. Antwerpen 1737. Nachdruck Brüssel 1970. S. 580–99. – Lebensbeschreibung oder eher Predigt von der heiligen Helena gemäß der Verfasserschaft Almanns, eines Klosterbruders von Hautvillers. Aus den Acta Sanctorum (1737/1867), verglichen mit der Handschrift der Stadtbibliothek Trier. Hrsg. und übersetzt von Paul Dräger. Trier 2007. ›Annales Colonienses maximi‹. In: MGH SS 17, ›Annales aevi Suevici‹. Hrsg. von Georg H. Perts (u. a.). Hannover 1861. Nachdruck München 1990. S. 723–847. Augustinus von Hippo: ›Civitate Dei libri XXII‹. In: Ders. (Augustini Hipponensis Episcopi): ›Opera Omnia‹. 16 Bde. Bd. 7 = MPL 41. Paris 1864. Sp. 13–804. – ›De Sermone Domini In Monte Secundum Matthaeum‹. In: Ders. (Augustini Hipponensis Episcopi): ›Opera Omnia‹. 16 Bde. Bd. 3 = MPL 34. Paris 1865. Sp. 1229–307. – ›Sermones Ad Populum. Classis III. De Sanctis‹. In: MPL 38. Paris 1865. Sp. 1247–1483. Beda der Ehrwürdige (Beda Venerabilis): ›Historia ecclesiastica gentis anglorum‹. In: Ders. (Venerabilis Bedae): Opera Omnia. 6 Bde. Bd. 6 = MPL 95. Paris 1861. Sp. 23–289. (BVH) – ›Kirchengeschichte des englischen Volkes‹. Hrsg. von Günther Spitzbart (Texte zur Forschung 34). Darmstadt 21997. Bernhard von Clairvaux: ›Epistola 457, Ad universos fideles‹. In: Ders. (S. Bernanrdi Abbatid primi Clarae-Vallensis): ›Opera Omnia‹. 4 Bde. Bd. 1 = MPL 182. Paris 1859. Sp. 561–2. – Sämtliche Werke. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. und übersetzt von Gerhard Bernhard Winkler. 10 Bde. Bd. 3. Epistolae. Innsbruck 1990. – ›Sermones In Cantica Canticorum‹. In: Ders. (S. Bernanrdi Abbatid primi Clarae-Vallensis): ›Opera Omnia‹. 4 Bde. Bd. 2 = MPL 183. Paris 1862. Sp. 785–1198. ›Biblia Sacra. Iuxta vulgatam versionem‹. Hrsg. (u. a.) von Robert Weber. 2 Bde. Stuttgart 1975. – ›Neue Jersusalemer Bibel‹. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Hrsg. (u. a.) von Alfons Deissler. Freiburg (u. a.) 1985. (NJB) Die Sprüche des Bruders Wernher. Hrsg. von Anton E. Schönbach. In: Ders.: Beiträge zur Erklärung altdeutscher Dichtwerke 3/4 (1904/05). ›Carmina Burana‹. Die Lieder der Benediktbeurer Handschrift. Vollständige Ausgabe des Originaltextes nach der von Bernhard Bischoff abgeschlossenen kritischen Ausgabe von Alfons Hilka und Otto Schumann. Übersetzung der lateinischen Texte von Carl Fischer, der mittelhochdeutschen Texte von Hugo Kuhn. Anmerkungen und Nachwort von Günter Bernt. München 51991.

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 Literaturliste

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