Die Botschaft des Thomas-Evangeliums 3110052156, 9783110052152, 9783110827828

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Die Botschaft des Thomas-Evangeliums
 3110052156, 9783110052152, 9783110827828

Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINFÜHRUNG
II. ÜBERSETZUNG DES THOMAS-EVANGELIUMS
III. DIE BOTSCHAFT DES THOMAS-EVANGELIUMS
IV. REGISTER DER THOMAS-SPRÜCHE

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DIE BOTSCHAFT DES THOMAS-EVANGELIUMS

DIE BOTSCHAFT DES T H O M A S - E V A N G E L I U M S

VON ERNST

HAENCHEN

1961

VERLAG ALFRED TÖPELMANN



BERLIN

THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK

TÖPELMANN

H E R A U S G E G E B E N VON K. ALAND, K. G. KUHN, C. H. RATSCHOW UND E. SCHLINK 6. H E F T

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. © 1961 by Verlag Alfred Töpelmann, Berlin W 30 (Printed in Germany) Archiv-Nr. 67/61 Satz und Druck: Buchdruckerei Paul Funk, Berlin W 30

INHALTSVERZEICHNIS I Einführung

Seite 7

1. Textfund und Ausgaben

7

2. Der koptische und der griechische Text

8

3. Die Übersetzung

8

4. Die Quellenfrage

9

5. Die Komposition

12

II Ubersetzung des Thomas-Evangeliums

14

III Die Botschaft des Thomas-Evangeliums

34

1. Die Lage

34

2. Das Problem der Auslegung

37

3. Der gnostische Ausgangspunkt

39

4. Das Reich = das göttliche Selbst

42

5. Die Welt

49

6. Der „Vater" und Jesus

62

7. Thomas-Evangelium, Judenchristentum, Großkirche

65

IV Register der Thomas-Sprüche

75

I. E I N F Ü H R U N G 1. Textfund

und Ausgaben

Im Jahre 1945 fanden ägyptische Bauern — etwa hundert Kilometer nordwestlich Luxor, nicht weit von dem Städtchen Nag-Hammadi — dreizehn in Leder gebundene Papyrusbücher, die dort anderthalb tausend Jahre friedlich geruht hatten. Umso bewegter waren die Irrfahrten, welche diesen koptischen Handschriftenbänden nun beschieden waren. Einer gelangte über Amerika nadi Europa, und die berühmteste seiner Schriften ist inzwischen in einer Luxusausgabe erschienen: das sogenannte „Evangelium der Wahrheit". Die anderen zwölf Bände feierten schließlich ein Wiedersehen im Koptischen Museum zu Altkairo. Sie enthielten fast nur solche Schriften, von denen man bisher lediglich die Titel (meist aus Erwähnungen bei Kirchenvätern) kannte. Umso sehnlicher wünschten die Forscher, nun diese Schriften selbst zu lesen. Aber mancherlei ließ es zunächst nicht dazu kommen. In Ägypten wurde König Faruk gestürzt; Präsident Nasser trat an die Stelle von General Naguib, und dann kam die Suezkrise und nahm den Ägyptern zunächst einmal alle Neigung, die Schriften ihrer Vergangenheit ausländischen Gelehrten zur Veröffentlichung und wissenschaftlichen Bearbeitung zu überlassen. Darum sind wir dem Direktor des Koptischen Museums in Kairo, Pahor Labib, zu großem Dank dafür verpflichtet, daß er 1956 mit der Hilfe seines inzwischen leider verstorbenen Bibliothekars Yassa Abd al Masih einen Band von 159 Tafeln mit der photographischen Wiedergabe ebensovieler koptischer Manuskriptseiten erscheinen ließ. Die Tafeln 80—99 bringen das „Evangelium nach Thomas". Johannes Leipoldt hat 1959 als erster nach Labibs Photos das ganze Thomasevangelium übersetzt. Seitdem ist die Forschung rasch in Fluß gekommen und eine ganze Reihe von kommentierten Übersetzungen erschienen. So konnten wir die Arbeiten von Jean Doresse, S»ren Giversen, Robert M. Grant, H.-Ch. Puech, R. Schippers und W. C. van Unnik benutzen (s. dazu unten S. 34 ff.), vor allem aber die editio princeps des Textes, herausgegeben von A. Guillaumont, H.-Ch. Puech, G. Quispel, W. Till und f Yassa Abd al Masih, unter dem Titel: „Das Evangelium nach Thomas". Darüber hinaus bin ich Walther Wolf-Münster für die Beratung in sprachlichen Fragen großen Dank schuldig, ohne daß ihm damit die Verantwortung für irgend eine Übersetzung aufgebürdet werden sollte; reichen Dank schulde ich weiter Frl. Dr. Cramer-Münster und Alfred Adam-Bethel. Aber auch K. H . KuhnDurham kann ich für freundliche Auskunft danken. 7

2. Der koptische und der griechische Text Der koptische Text des Thomasevangeliums, den uns Labib zugänglich gemacht hat, dürfte um das Jahr 400 geschrieben worden sein, genauer: abgeschrieben von einem älteren koptischen Exemplar. Die Sprache ist das im Süden Ägyptens übliche Sahidisch, aber mit einem beträchtlichen, wenn auch wechselnden Einschlag des weiter nördlich gesprochenen sogenannten subachmimisdien Dialekts. Letztlich aber geht dieser koptische Text des Thomasevangeliums auf eine griechische Vorlage zurück, die um die Mitte des 2. Jahrhunderts verfaßt sein mag. Tatsächlich besitzen wir Teile des Thomasevangeliums in griechischer Sprache etwa aus der Zeit von 200—250. Sie wurden schon um 1900 bekannt; aber damals ahnte man noch nicht, um was es sich bei diesen z. T. winzigen Fragmenten (s. dazu unten S. 34 ff.) eigentlich handelte. Erst die Kenntnis des koptischen Textes (den ihm Jean Doresse vermittelt hatte) erlaubte es Puech 1952 und 1954, den wahren Sachverhalt zu entdecken. Die Vermutung von Gérard Garitte, der griechische Text sei aus dem koptischen übersetzt, läßt sich nicht halten, wie ich in der Theol. Rundschau 1961 zeigen werde. Allerdings sind jene griechischen Fragmente, die man einst beim alten Oxyrhynchos fand, nicht selbst die Vorlage unseres koptischen Textes gewesen. Sondern sie waren, ebenso wie die griechische Vorlage des koptischen Thomasevangeliums, Bearbeitungen eines Originals, das wohl in Syrien verfaßt worden ist.

3. Die Ubersetzung Die Ubersetzung bemüht sich darum, so wörtlich wie möglich zu bleiben und es zu erlauben, daß die Zeilen möglichst mit denen des koptischen Textes übereinstimmen. Da die Seiten der Ubersetzung genau den Seiten der koptischen Handschrift entsprechen und die Zeilen numeriert sind, lassen sidi Stellen, auf die durch Angabe dieser beiden Zahlen verwiesen wird, leicht finden. Die Wörtlichkeit der Ubersetzung darf aber nicht soweit gehen, daß sie auch alle Fehler des koptischen Schreibers mitmacht. Er hat sich manchmal verschrieben oder Wörter ausgelassen. Wir sind in solchen Fällen fast immer den Konjekturen der editio princeps gefolgt. In Spruch 111 (99, 8) ist, wie Leipoldt und Quecke mit Recht gegen die editio princeps hervorgehoben haben, OYX OTI überliefert, nichtOYAOTI; trotzdem dürfte die Konjektur der editio princeps S. 54 wohl das Rechte treffen. An manchen Stellen, wo der Schreiber des koptischen Textes offensichtlich einen bereits verderbten Text mechanisch abgeschrieben hat, ohne ihn zu verstehen, bleibt man freilich aufs Raten angewiesen. Das ist z. B. in Spruch 60 (91,14) der Fall, wo die über8

lieferten Worte „der um das Lamm" sinnlos sind und etwas wie „Was will der mit dem Lamm?" dagestanden haben wird. Bisweilen muß man sogar — wenigstens vorläufig — auf dieses Erraten des Sinnes verzichten. Solche Fälle dürften z. B. in Spruch 61, 68 und 83 vorliegen. 4. Die

Quellenfrage

Die Forscher haben sich bisher vorwiegend mit der Frage beschäftigt, woher das ThEv jene Sprüche hat, die mit synoptischen Stellen, also mit Versen aus Mt, Mk oder Lk, so auffallend übereinstimmen. Dabei sind im wesentlidien drei Meinungen hervorgetreten. A. Der holländische Forscher Gilles Quispel nimmt an, daß „Thomas" zwei nicbtkanoniscben Evangelien sein Spruchgut verdankt: die „synoptischen" dem judenchristlichen „Hebräerevangelium", die rein gnostischen aber dem Nazaräerevangelium. Da nun das Hebräerevangelium nach Quispels Überzeugung die Tradition der vor 70 n. Chr. aus Jerusalem entwichenen urchristlichen Gemeinde übernommen hat, so kann er in manchen Fällen mit der Möglichkeit rechnen, daß uns das ThEv einen älteren und besseren Text bietet als Mt, Mk und Lk. Auf alle Fälle hätten wir im ThEv zum ersten Mal eine unabhängig neben den Synoptikern stehende Überlieferung. Wir können hier nicht im einzelnen auf die verschiedenen Vermutungen und Berichte Quispels über seine Forschungen eingehen; die „Theologische Rundschau" wird in ihrem Sammelbericht über die Literatur zum ThEv ausführlich u. a. über Quispels Thesen und die damit verbundenen Probleme Rechenschaft geben. Hier sei nur soviel gesagt: Quispels stille Voraussetzung, das Ägypten des 2. Jh. n. Chr. habe nur nichtkanonische Evangelien gekannt, ist durch die neueren und neuesten Funde widerlegt worden. Der Papyrus 52 zeigte uns schon — trotz der Winzigkeit , dieses Fragments —, daß das Johannesevangelium bereits um 125 n. Chr. in Ägypten bekannt war. Heute wissen wir aus dem vor 200 geschriebenen Pap. 75, daß die Evangelien des Lukas und Johannes in nichtgnostischen Gemeinden Ägyptens gelesen wurden. Außerdem ist es Quispel u. E. nidit gelungen, die Herkunft der „synoptischen" Sprüche im ThEv aus dem Hebräerevangelium zu erweisen. Der einzige Spruch (Nr. 2), den die antike Tradition — Clemens von Alexandrien — als im Hebräerevangelium enthalten nennt, ist überdies alles andere als „synoptisch". B. Ganz anders ist das Bild der Lage, das Forscher wie Robert M. Grant und D. N . Freedman entworfen haben: Wie die sogenannte „Naassenerpredigt", die der Kirchenvater Hippolyt überliefert, zeige, hätte die 9

gnostische Sekte der Naassener ntl. Stellen, und zwar vorwiegend synoptische, so mit einander verbunden, daß die eine den Leitgedanken hergibt, während andere ihn in dieser oder jener Richtung erweitern. Auf eben diese Weise erkläre sich nun audi die Herkunft und Art der „synoptischen" Thomassprüche: „Thomas" habe nicht außerkanonische Evangelien benutzt, sondern die kanonischen (vorwiegend Mt, Mk und Lk), und Stellen daraus mit einander kombiniert. Wenn dabei die Reihenfolge der Sprüche gegenüber den kanonischen Evangelien vertauscht erscheint, so gehe das u. a. auf die Absicht des Verfassers zurück, seine Leser zu mystifizieren. Träfe diese Auffassung zu, die Grant und Freedman entwickelt haben, dann wären wir dem ThEv gegenüber in einer ganz anderen Lage, als sie Quispel annimmt: Wir müßten von vornherein die Hoffnung aufgeben, hier zu einer ntl. Überlieferung vorzustoßen, die älter und ursprünglicher ist als der syn. Text. Denn „Thomas" hatte ja nach Grant selber schon den syn. Text vor sich, sei es, daß die kanonischen Evangelien vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, sei es auch, daß er „Lesefrüchte" daraus zu Papier brachte, also aus dem Gedächtnis zitierte. Gegen Grants These scheint uns zu sprechen, daß die dem Thomas zugeschriebene Methode — Umstellungen, um die Leser zu mystifizieren — u. E. dem Tatbestand nicht gerecht wird. Audi wäre es vielleicht besser, wenn man „Thomas" nicht zu früh mit den Naassenern in Verbindung brächte. Das Thomasevangelium ist kein naassenisches Evangelium; die naassenische Lehre vom „Urmenschen" geht ihm ganz ab. Die gnostischen Asketen, für die das ThEv spricht, sind eine durchaus eigenständige Gruppe, die sich sehr scharf von aller mythologischen Gnosis abhebt. Es gehört geradezu zur besonderen Eigenart des ThEv, daß hier die Mythologie keine Rolle spielt, dafür aber der Ernst der Lebensentsdieidung im Alltag auf eine in der Gnosis ziemlich ungewöhnliche Weise eingeschärft wird. Dagegen scheint es uns durchaus das Rechte zu treffen, daß „Thomas" die kanonischen Evangelien bereits kannte. C. Wieder andere Forscher, darunter so namhafte wie Johannes Leipoldt und Oscar Cullmann, lassen „Thomas" weder auf häretische noch auf kanonische Evangelien zurück greifen, die beides, Worte und Taten Jesu, berichten. Vielmehr rechnen sie damit, daß der Verfasser des ThEv Spruchsammlungen benutzt habe. Nach Cullmann war die ältere der von „Thomas" verwerteten Spruchsammlungen noch nicht ausgesprochen gnostisch; wohl aber war das bei der zweiten der Fall, die nach Cullmann eine Bearbeitung der ersten war. Auch Puech, eine Kapazität auf diesem Gebiet — er hat in den von W. Schneemelcher neu herausgegebenen „Neutestamentlichen Apokryphen" (Tübingen, Mohr 1960) den Abschnitt VII über die gnostischen Evangelien bearbeitet —, nimmt an,

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das ThEv sei „weder ausschließlich noch ursprünglich das Werk eines Gnostikers" gewesen (S. 221). Was Leipoldt und Cullmann an die Benutzung von Spruchsammlungen denken ließ, war die Beobachtung, daß wir im ThEv „Dubletten" finden. So kehrt z. B. Spruch 56 fast unverändert in Spruch 80 wieder. Es ist aber eine alte Erkenntnis, daß solche Dubletten darauf zurückgehen, daß verschiedene Überlieferungen über einen und denselben Gegenstand — ein Wort oder eine Geschichte — benutzt sind, die ursprünglich in verschiedenen Traditionen enthalten waren. So haben z. B. Mt und Lk Spruchgut über die Nachfolge einmal in der Mk-Fassung erhalten (Mk 8,34 f. entspricht Mt 16,24 f. und Lk 9, 23 f.), zum andern aber aus einer anderen Tradition in Mt 10, 37 f. und Lk 14, 26 f. bzw. 17, 33. Daß im ThEv eine ganze Reihe von Dubletten vorkommt, scheint uns erwiesen zu sein; dagegen vermissen wir einen zwingenden Beweis dafür, daß das ThEv ursprünglich ungnostisch war. Ein Evangelium, das sich auch in der frühesten Form als eine Sammlung „verborgener Worte" Jesu gab, deren geheimen Sinn es zu erraten gilt, ist auf alle Fälle eine esoterische gnostische Schrift. Dagegen kann man unbedenklich zugeben, daß sich in den Dubletten des ThEv innere Wandlungen feststellen lassen: an Spruch 80 läßt sich erkennen, daß man den gnostischen Gedanken nicht mehr in seiner Reinheit verstanden hat. D. h. aber: hier zeigen sich bereits Zersetzungserscheinungen innerhalb dieser Gnosis. Aber wir müssen noch einen weiteren Umstand bedenken, wenn wir den Spruchcharakter dieses Evangeliums verstehen wollen. Für die Gnosis kam es (wie wir unten S. 39 f. genauer darlegen werden) nur auf die erlösende Botschaft an, nicht auf irgendwelche Wunder des Erlösers oder sein Sterben zu unserem Heil. Die Gnosis war eine Frömmigkeit, die — wenigstens in ihrer reinen Gestalt — alles Heil in dem Wort enthalten sah, das dem Erwählten seine Verbundenheit mit dem Göttlichen und damit seine ewige Rettung zusagte. Wenn ein solcher Gnostiker die Evangelien las, dann wirkte jene gnostische Voraussetzung wie ein Sieb: die Wundergeschichten, die bei Mk, Mt und Lk einen breiten Raum einnehmen und auch bei Joh wichtig sind, fielen sozusagen von selbst aus. Sie waren ebenso wie die Passionsgeschichte unwichtig. Man braucht also gar keine Spruchsammlung als Quelle des ThEv vorauszusetzen, um seinen Charakter als einer reinen Sammlung von Jesussprüchen zu erklären. Damit soll keineswegs bestritten werden, daß es auch andere Formen der Gnosis gegeben hat, in denen Magie oder auch bestimmte Sakramente eine wichtige Rolle spielten. Z. B. hat ein Schüler des Gnostikers Valentin namens Markus die Magie in den Dienst seiner gnostischen Lehre gestellt, wie wir aus dem Bericht Hippolyts erkennen. 11

Andererseits spricht das Philippusevangelium, das in dem koptischen Kodex unmittelbar auf das T h E v folgt, immer wieder von Sakramenten, beginnend mit der T a u f e und endend mit dem Sakrament des „Brautgemachs" (nach H . M. Schenke bestand es in dem hl. Kuß, den der Myste vom Mystagogen empfing). Aber das T h E v mit seiner asketischen Gnosis weiß davon nichts, und wir haben auch keinen Anlaß zu der Vermutung, daß es nur eine exoterische Schrift war, nur für Uneingeweihte bestimmt: es ist eine durchaus esoterische Schrift, welche die letzten Erkenntnisse enthält, die dem Eingeweihten zuteil werden können. Im Grunde sind es drei Themen, die dabei zur Spradie kommen und in immer neuer Form abgehandelt werden. Einmal geht es um die Erkenntnis: Die Welt der Materie und der Triebe ist böse. Zweitens tritt dazu die nur dem Erwählten einleuchtende Kunde, die „der lebendige Jesus" bringt: Der Erwählte ist in seinem Wesenskern mit Gott verbunden und kann darum auf Erlösung hoffen. Aber nur dann, wenn er — und das ist das Dritte — die praktischen Konsequenzen zieht und sich asketisch der Welt enthält. Das sind die drei großen Themen, von denen die im Folgenden übersetzten Sprüche immer wieder, in mannigfacher Variation und ohne jeden systematischen Aufbau, sondern in lockerer Folge handeln. Das sei im Folgenden an einer Reihe von Beispielen gezeigt. 5. Die

Komposition

Spruch 1 und 2 sind durch den Begriff „finden" in 80,13 und 80,16 verknüpft. Der griechische Text von P. Ox. 654, der 80,13 entspricht, hat zwar in Z. 4 eine Lücke, aber die Ergänzung eöpij Ist so gut wie sicher. Der koptische Text verwendet f ü r „finden" in 80,13 (wie in Spruch 111 = 99,9) das Verb „ h e £ " , dagegen in 80,16 das Verb „ g i n e " das mit „schine" = suchen ein Wortspiel bildet, das auch in Spruch 92 (96,26) und 94 (96,33) wiederkehrt. In Spruch 2 und 3 bilden „königlich herrschen" (ßaaiAeiaai) und „Königreich" (ßaaiAsia ) einen Stichwortzusammenhang; der koptische Text verwendet in 80,19 und 80,21 entsprechende Begriffe. Der den Spruch 3 beherrschende Begriff „erkennen" kehrt in Spruch 5 (81,11) wieder; sachlich aber ist „fragen und leben" in Spruch 4 (81,6—9) mit „erkennen" identisch. Spruch 5 schließt (81,13 f.) mit einer Formel, die am Ende von Spruch 6 wiederkehrt (81,21—23). Offensichtlich wurden Spruch 5 und 6 erst miteinander verbunden, als der sehr komplexe Spruch 6 schon seine heutige Gestalt mit dem Abschluß „Es gibt nichts Verborgenes usw." bekommen hatte. Spruch 6 und 7 werden durch den Gegensatz von „fasten" und „essen" (81, 15 und 81,25.27) zusammengehalten; auch ein solcher Gegensatz kann ja, da er 12

seinerseits eine innere Einheit bildet, als Bindemittel dienen. Zwischen Spruch 7 und Spruch 8 gibt das Wort „Mensch" (81,28 f.) eine Wortbrücke. Spruch 8 und Spruch 9 enthalten beide Gleichnisse, die in Mt 13 (V. 47 f. und V. 3—8) Entsprediungen haben. Spruch 9 und Spruch 10 sind durdi das Stichwort „werfen" verknüpft (82,5.10), das übrigens schon in Sprudi 8 (81,34) vorgekommen war. Insofern sind also Spruch 8 und 9 auch stichwortmäßig verbunden. Spruch 10 und 11 sind durch den Gedanken „Weltuntergang" — „Weltbrand" 82,16; „Vergehen des Himmels" 82,17 — innerlidi verknüpft. Spruch 11 seinerseits ist eine größere Komposition, die ihrerseits durch Stichwortverbindungen zu einer Einheit geworden ist: „vergehen" und „sterben", „die Toten" und „Totes", „in den Tagen" und „an dem Tage" verklammern seine Bestandteile. Man erkennt an diesen Beispielen, welche die erste große Spruchgruppe des ThEv liefert, die Art, wie „Thomas" das ihm zur Verfügung stehende Spruchgut zu einer lockeren Einheit zusammengebunden hat. Man sieht aber bei einer solchen Betrachtung zugleich in das Werden dieser Tradition hinein, in der zunächst kleine Einheiten — wie das gerade das Beispiel des Spruches 11 erkennen läßt — sich verbanden. Sie erlaubten dann später, aus den so entstandenen Gebilden größere Zusammenhänge zu schaffen. Der koptische Ubersetzer hat (vgl. dazu Anm. 110, S. 65) auch seinerseits solche Stichwortbrücken geschaffen, was bei Sprudi 77 besonders deutlich wird. Welchen Sinn die Sprüche im einzelnen haben, wird der letzte Absdinitt („Die gnostische Botschaft des ThEv") aufzuweisen suchen.

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II. ÜBERSETZUNG DES T H O M A S - E V A N G E L I U M S 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Dies sind die verborgenen Worte, die Jesus der Lebendige spradi, und es schrieb sie Didymos Judas Thomas (1) u n d sagte: W e r die Bedeutung dieser W o r t e findet, w i r d den Tod nicht schmecken. (2) Jesus spradi: Nicht soll aufhören der, welcher sucht, zu suchen, bis er' findet, u n d w e n n er findet, w i r d er v e r w i r r t sein, und w e n n er v e r w i r r t ist, w i r d er sich w u n d e r n u n d w i r d herrschen über das All. (3) W e n n sie zu euch sagen, die euch v e r f ü h r e n : Siehe, das Reich ist im Himmel! so werden die Vögel des H i m m e l s euch z u v o r k o m m e n . W e n n sie zu euch sagen: Es ist i m M e e r ! so werden die Fische euch z u v o r k o m m e n . Sondern das Reich ist inwendig in euch u n d außerhalb von euch. W e n n ihr eudi erkennt, dann werdet ihr erkannt werden,

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Eingang: Zeile 2 f.: Joh 11,16; 20,24; 21,2. — Spruch 1: Z. 14: Mk 9,1 par.; Joh 8,51 f. — Spruch 2: Z. 15 f.: Mt 7,7; Lk 11,9; vgl. Spruch 92 und 94. — Spruch 3: Z. 20: Mk 13,5 par. / Z. 21—24: Mk 13,21 par. / Z. 25: Lk 17,20 f.; vgl. Spruch 113.

Angewandte Sigel: ( ) = zur Korrektheit der Übersetzung benötigte Ergänzung. [ ] = Konjektur. < > = ausgefüllte Lücke. 14

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

und ihr werdet erkennen, daß ihr seid die Söhne des lebendigen Vaters. Wenn aber ihr euch nicht erkennt, so seid ihr in Armut und ihr seid die Armut. (4) Nicht wird zögern der Greis in seinen Tagen zu fragen ein ganz kleines Kind von sieben Tagen wegen des Ortes des Lebens, und er wird leben. Denn viele Erste werden sein Letzte, und sie werden ein einziger sein. (5) Jesus sprach: Erkenne das, was vor deinem Angesicht ist, und was vor dir verborgen ist, wird sich dir enthüllen. Denn kein Verborgenes wird nicht offenbar werden. (6) Seine Jünger fragten ihn, sie sprachen zu ihm: Willst du, daß wir fasten, und wie sollen wir beten und Almosen geben und welche Speise(Vorschriften) sollen wir beobachten? Jesus sprach: Sprecht keine Lüge und das, was ihr haßt, tut nicht. Denn offenbar ist alles vor dem Himmel. Denn es gibt nichts Verborgenes, das nicht enthüllt wird, und nichts Verdecktes, das nicht aufgedeckt werden wird. (7) Jesus sprach: Selig ist der Löwe, den der Mensch ißt, und der Löwe wird Mensch. Und abscheulich ist der Mensch, den der Löwe frißt, und der [Mensch wird Löwe]. (8) Und er sprach: Der Mensch gleicht einem Fischer, einem klugen, der sein Netz warf ins Meer. E r zog es heraus aus dem Meer, voll kleiner Fische. In ihrer Mitte fand er einen großen guten Fisch, der kluge Fischer. Er warf alle kleinen Fische fort ins

(81)

Spruch 4: Z. 7 : Mk 10,14 f. par. Mt 11,25; Lk 10,21. / Z. 9 f.: Mk 9,35; 10,31 par. Mt 20,16. / Z. 10: Vgl. Spruch 11, 16, 23, 49, 75, 106. — Spruch

S:

Z. 13 f.: Mk 4,22 par. Mt 10,26; Lk 12,2. Vgl. Spruch 6, Z. 21 ff. — Spruch

6:

Z. 1 5 — 1 7 : Mt 6,1—18. Vgl. Spruch 14, 27, 104. / Z. 2 1 — 2 3 : Vgl. Z. 13 f. — Spruch 8: Z. 29 bis 82,2: Mt 13,47 f.

15

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Meer. Er wählte den großen Fisch ohne Hemmung. Wer Ohren hat zu hören, möge hören! (9) Jesus sprach: Siehe, der Säemann kam heraus. Er füllte seine Hand, er warf. Einige (Körner) fielen auf den Weg. Es kamen die Vögel, pickten sie auf. Andere fielen auf den Fels und sandten nicht Wurzeln hinab in die Erde und trieben nicht Ähren in die Höhe. Und andere fielen auf die Dornen. Sie erstickten den Samen, und der Wurm fraß sie. Und andere fielen auf das gute Land, und es brachte gute Frucht hervor. Es und brachte sechzig und hundertzwanzig. (10) Jesus sprach: Ich habe Feuer geworfen auf die Welt, und siehe, ich bewahre es, bis sie brennt. (11) Jesus sprach: Dieser Himmel wird vergehen, und der über ihm wird vergehen. Und die Toten leben nicht, und die Lebendigen werden nicht sterben. — In den Tagen, da ihr aßet das, was tot ist, machtet ihr es lebendig. Wenn ihr seid im Lichte, was werdet ihr tun? — An dem Tage, da ihr einer wäret, wurdet ihr zwei. Wenn ihr aber zwei geworden seid, was werdet ihr tun? (12) Es sprachen die Jünger zu Jesus: Wir wissen, daß du von uns gehen wirst. Wer ists, der groß sein wird über uns? Jesus sprach zu ihnen: Am Ort, wohin ihr gekommen seid, werdet ihr gehn zu Jakobus dem Gerechten, dessentwegen der Himmel und die Erde geworden sind. (13) Jesus sprach zu seinen Jüngern: Vergleicht mich, sagt es mir, wem idi gleiche. Sprach zu ihm Simon Petrus: Du gleichst einem gerechten Engel. Es sprach zu ihm Matthäus:

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Spruch 8: Z. 1 f.: Mt 13,47 f. / Z. 2 f.: Mk 4,9 par. Mt 11,15; Lk 14,35. — Sprud} 9: Z. 3—13: Mk 4,3—8 par. — Sprud} 10: Z, 14—16: Lk 12,49. — Spruch 11: Z. 16 f.: Mk 13,31 par. / Z. 18 f.: Mk 9,1 par. / Z. 22 f.: Gen. 2,21 ff. — Sprud) 12: Z. 26: Vgl. Joh 14,5. / Z. 27: Mk 9,34 par. Mk 10,43 par. — Sprud? 13, Z. 30 — 83,7: Mk. 8,27—29 par.

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Du gleichst einem Philosophen, einem einsichtigen Menschen. Es sprach zu ihm Thomas: Meister, mein Mund wird es gar nicht ertragen, zu sagen, wem du gleichst. Jesus sprach: Ich bin nicht dein Meister, denn du hast getrunken und dich berauscht an der sprudelnden Quelle, die ich ausgemessen habe. Er nahm ihn, zog sich zurück, er sagte ihm drei Worte. Als Thomas aber zu seinen Gefährten kam, fragten sie ihn: "Was hat dir Jesus gesagt? Es sprach zu ihnen Thomas: Wenn ich euch eins der Worte sage, die er mir gesagt hat, werdet ihr Steine nehmen (und) auf midi werfen, und Feuer wird kommen aus den Steinen (und) euch verbrennen. (14) Jesus sprach: zu ihnen: Wenn ihr fastet, werdet ihr euch Sünde erzeugen, und wenn ihr betet, werdet ihr verurteilt werden, und wenn ihr Almosen gebt, werdet ihr eurem Geiste schaden. Und wenn ihr hineingeht in irgend ein Land und wandert in den Gegenden und man euch aufnimmt, eßt das, was man euch vorsetzen wird. Die, welche krank sind unter ihnen, heilt. Denn was hineingehen wird in euren Mund, wird euch nicht beflecken; aber das, was herausgeht aus eurem Mund, das ist es, was euch beflecken wird. (15) Jesus sprach: Wenn ihr den seht, der nicht geboren ist vom Weibe, werft euch nieder auf euer Angesicht (und) betet ihn an. Jener ist euer Vater. (16) Jesus sprach: Vielleicht denken die Menschen, daß ich kam zu bringen Frieden auf die Welt, und sie wissen nicht, daß ich kam zu bringen Trennung auf die Erde, Feuer, Schwert, Krieg. Denn fünf werden sein

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Spruch 13: Z. 1—7: Mk 8,27—29 par. / Z. 6: Vgl. Joh 4,10—14. / Z. 7: Lk 9,10. / Z. 12 f.: Vgl. Joh 8,59; 10,31. — Sprudi 14: Z. 15 f.: Vgl. Mk 2,18 ff. par. / Z. 19—23: Lk 10,8 f. / Z. 24—27: Mk 7,15 par. — Spruch 16, Z. 31 bis 84,3: Mt 10,34—36; Lk 12,49.51—53. 2 Haenchen, Thomas-Evangelium

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1 in einem Haus; drei werden sein gegen 2 zwei, und zwei gegen drei, der Vater 3 gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, 4 und sie werden dastehen als ein einziger. 5 (17) Jesus sprach: Ich werde euch das geben, 6 was nicht das Auge gesehen und was nicht das 7 Ohr gehört und was nicht die Hand berührt hat 8 und was nicht gekommen ist in den Sinn 9 der Menschen. (18) Die Jünger sprachen zu Jesus: 10 Sage uns: Wie wird unser Ende sein? 11 Jesus sprach: Habt ihr denn enthüllt 12 den Anfang, daß ihr sucht nach dem 13 Ende? Denn der Ort, an dem der Anfang ist, 14 dort wird auch das Ende sein. Selig 15 ist, wer stehen wird im Anfang, und 16 er wird das Ende erkennen und nicht schmecken 17 den Tod. (19) Jesus sprach: Selig ist, 18 wer war, bevor er wurde. 19 Wenn ihr mir werdet zu Jüngern 20 (und) hört meine Worte, diese Steine 21 werden euch dienen. Denn ihr habt 22 fünf Bäume im Paradiese, 23 die sich nicht bewegen im Sommer und Winter, 24 und deren Blätter nicht abfallen. Wer 25 sie erkennen wird, wird den Tod nicht schmecken. 26 (20) Die Jünger sprachen zu Jesus: Sage 27 uns, wem das Reich der Himmel 28 gleicht! Er sprach zu ihnen: Es 29 gleicht einem Senfkorn, das kleiner 30 ist als alle Samen. Wenn es aber fällt 31 auf das Land, das man bebaut, sendet 32 es heraus einen großen Sproß (und) wird 33 zum Schutz für die Vögel des Himmels. (21) Es 34 sprach Maria zu Jesus: Deine Jünger — 35 wem gleichen sie? Er sprach: Sie gleichen

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Spruch 16, Z. 1—3: Mt 10,35 f.; Lk 12,51—53. / Z. 4: s. o. Sprudi 4. — Spruch 17, Z . 5 — 9 : Vgl. 1 Kor 2.9 (Jes. 64,3?). — Spruch 19, Z. 20 f. Vgl. Mt 4,3; Lk 4,3 ? / Z. 21 f. Vgl. Offb. 2,7; 22,2. / Z. 25: Mk 9,1 f. par. J o h 8,51 f. — Sprudi 20, Z. 26—33: Mk 4,30—32. 18

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

kleinen Kindern, die sich niederließen auf einem Feld, das ihnen nicht gehört. Wenn die Herren des Feldes kommen, werden sie sagen: Überlaßt unser Feld uns! Sie ziehen sich aus vor ihnen, damit sie es ihnen hinlegen und sie ihnen ihr Feld geben. — Darum sage ich: Wenn der Hausherr weiß, daß er kommt, der Dieb, wird er wachen, bevor er kommt, (und) ihn nicht eindringen lassen in das Haus seines Reiches, damit er seine Sachen wegträgt. Ihr aber wachet vor der Welt! Gürtet euch um eure Hüften mit großer Kraft, damit die Räuber keinen Weg finden, zu euch zu kommen. Denn den Besitz, nach dem ihr blickt, werden sie finden. — Möge sein in eurer Mitte ein verständiger Mensch! Als die Frucht reif war, kam er eilends mit seiner Sichel in seiner Hand (und) mähte sie ab. Wer Ohren hat zu hören, möge hören! (22) Jesus sah kleine (Kinder) saugen. Er sprach zu seinen Jüngern: Diese Kleinen, die saugen, gleichen denen, die eingehen ins Reich. Sie sprachen zu ihm: Werden wir, indem wir klein sind, eingehen in das Reich? Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr die zwei (zu) eins macht und wenn ihr macht das Innere wie das Äußere und das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere, und wo ihr macht das Männliche und das Weibliche zu einem Einzigen, damit nicht das Männliche männlich und das Weibliche weiblich ist, wenn ihr macht Augen statt eines Auges und eine Hand statt einer Hand und einen Fuß statt eines Fußes und ein Bild statt eines Bildes, dann werdet ihr eingehen in .

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Spruch 21, Z. 4 f.: vgl. 2 Kor. 5,3. / Z. 7—14: Mt 24,43 f.; Lk 12,39 f. / Z. 10: Mk 3,27 par. / Z. 11 f.: Lk 12,35. / Z. 17 f.: Mk 4,29 (Joel 3,13). / Z. 19: Mk. 4,9.23 par. Mk 7,16 par. — Spruch 22, Z. 20—22: Mk 9,36 par.; Mk 10,13. / Z. 28—31: vgl. Gal 3,28 (Eph 2,14?). 2*

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(23) Jesus spradi: Ich werde euch auswählen, einen aus tausend und zwei aus zehntausend, und sie werden dastehen als ein einziger. (24) Es sprachen seine Jünger: Belehre uns über den Ort, wo du bist; denn es ist nötig, daß wir danach suchen. Er spradi zu ihnen: Wer Ohren hat, möge hören. Es ist Licht in dem Innern eines Lichtmenschen, und er leuchtet der ganzen Welt. Wenn er nicht leuchtet, ist Finsternis. (25) Jesus sprach: Liebe deinen Bruder wie deine Seele; bewahre ihn wie deinen Augapfel. (26) Jesus sprach: Den Splitter im Auge deines Bruders siehst du. Den Balken aber in deinem Auge siehst du nicht. Wenn du herausziehst den Balken aus deinem Auge, dann wirst du (genug) sehen, um herauszuziehen den Splitter aus dem Auge deines Bruders. (27) Wenn ihr nicht der Welt gegenüber fastet, werdet ihr das Reich nicht finden. Wenn ihr nicht den Sabbat zum Sabbat macht, werdet ihr den Vater nicht sehen. (28) Jesus sprach: Ich stand inmitten der Welt und offenbarte mich ihnen im Fleisch. Ich fand sie alle trunken; nicht fand ich einen durstig unter ihnen, und meine Seele litt Schmerz über die Söhne der Menschen. Denn sie sind blind in ihrem Herzen und sehen nicht, daß sie leer in die Welt gekommen sind (und) suchen, wieder leer aus der Welt herauszukommen. Zwar jetzt sind sie trunken. Wenn sie ihren Wein abschütteln, dann werden sie sich bekehren. (29) Jesus sprach: Wenn das Fleisdi geworden ist wegen des Geistes, ist es ein Wunder. Wenn der Geist aber wegen des Fleisches, ist es ein Wunder von Wunder. — Aber ich wundere mich

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Spruch 23, Z. 1 f.: Pred. 7,28. — Spruch 24, Z. 7—9: Mt 5, 14a. 16a. / Z. 7: s. o. Spruch 8 Ende. — Sprudi 25, Z. 12—17: Mt 7,3.5; Lk 6,41 f. / Z. 22: 1 Tim 3,16.

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über dieses, wie sich dieser große Reichtum (87) niedergelassen hat in dieser Armut. (30) Jesus sprach: Wo drei Götter sind, dort sind Götter; wo zwei oder einer ist — ich bin bei ihm. (31) Jesus sprach: Nicht ist ein Prophet genehm in seinem Dorfe. Nicht heilt ein Arzt die, welche ihn kennen. (32) Jesus sprach: Eine Stadt, die man erbaut auf einem hohen Berg und befestigt, kann nicht fallen und sich nicht verbergen. (33) Jesus sprach: Was du hören wirst mit deinem Ohr (mit dem anderen Ohr),* predigt es auf euren Dächern. Denn niemand zündet eine Lampe an (und) stellt sie unter ein Gefäß noch an einen verborgenen Ort, sondern er stellt sie auf den Leuchter, damit alle, die hineinkommen, und alle, die hinausgehen, ihr Licht sehen. (34) Jesus sprach: Wenn ein Blinder führt einen Blinden, fallen sie zu zweit hinunter in eine Grube. (35) Jesus sprach: Es ist unmöglich, daß jemand hineingeht in das Haus des Starken und es gewaltsam nimmt, es sei denn, er bindet dessen Hände. Dann wird er sein Haus auf den Kopf stellen. (36) Jesus sprach: Tragt nicht Sorge vom Morgen bis zum Abend und von der Abendzeit bis zum Morgen, was ihr anziehen werdet. (37) Es sprachen seine Jünger: Wann wirst du uns erscheinen, und wann werden wir dich sehen? Jesus sprach: Wenn ihr euch eures Schamgefühls entledigt und eure Kleider nehmt (und) sie unter eure Füße legt, wie die ganz kleinen Kinder, (und) darauf tretet. Dann werdet (ihr sehen)

Spruch 30, Z. 3—5: Mt 18,20 (s. dazu Billerbeck I 794 f.) — Spruch 31, Z. 5—7: Mk 6,4 par. Joh 4,44. — Sprudj 32, Z. 8—10: Mt 5,14 b. 7,24 f. 12,25. — Sprudo 33: Z. 10—12: Mt 10,27; Lk 12,3 / Z. 13—17: Mk 4,21 par. Mt 5,15; Lk 11,33. — Spruch 34, Z. 18—20: Mt 15,14; Lk6,39. — Sprudj 35, Z.20—23: Mk 3,27 par. — Spruch 36, Z. 24—26: Mt 6,25.28; Lk 12,22.26. — Spruch 37, Z. 30 f.: s. Gen 2,25; 3,7. Vgl. Spruch 21, 51, 113. * als vermutliche Dittographie zu streichen.

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1 den Sohn des Lebendigen und werdet euch nicht (88) 2 fürchten. (38) Jesus sprach: Viele Male habt ihr 3 gewünscht, zu hören diese Worte, 4 die ich euch sage, und ihr habt nicht 5 einen anderen, sie von ihm zu hören. Es werden 6 Tage kommen, da ihr mich suchen (und) 7 nicht finden werdet- (39) Jesus sprach: Die Pharisäer 8 und Schriftgelehrten haben genommen die Schlüssel 9 der Erkenntnis; sie haben sie versteckt. Sie sind weder 10 hineingegangen und die, welche hineingehen wollten, 11 haben sie nicht gelassen. Ihr aber, seid klug 12 wie die Schlangen und ohne Falsch wie die 13 Tauben! (40) Jesus sprach: Ein Weinstock wurde 14 gepflanzt außerhalb des Vaters, und da er nicht 15 stark ist, wird er ausgerissen werden mit seinen Wurzeln 16 (und) zugrundegehen. (41) Jesus sprach: Dem, der hat in seiner 17 Hand, wird man geben; und wer nicht hat — auch das 18 wenige, das er hat, wird man aus seiner Hand nehmen. 19 (42) Jesus sprach: Werdet Vorübergehende! 20 (43) Es sprachen zu ihm seine Jünger: Du — 21 wer bist du, daß du uns dies sagst? — Aus dem, was ich 22 sage, erkennt ihr nicht, wer ich bin. 23 Sondern ihr seid geworden wie die 24 Juden. Denn sie lieben den Baum, sie has25 sen seine Frucht, und sie lieben die Frucht, 26 sie hassen den Baum. (44) Jesus sprach: 27 Wer den Vater lästert, dem wird man vergeben, und 28 wer den Sohn lästert, dem wird man vergeben. 29 Wer aber den heiligen Geist lästert, 30 dem wird man nicht vergeben, weder auf Erden 31 nodi im Himmel. (45) Jesus sprach: Nicht liest man 32 Trauben von Dornbüschen noch pflückt man 33 Feigen vom Kameldorn, < denn > sie tragen nicht 34 Frucht. Ein guter Mensch bringt Spruch 38, Z.2—5: Mt 13,17; Lk 10,24 / Z . 5 f . : vgl. Mk 2,20 par. Lk 21,6 / Z. 6 f.: Joh 7,34 — Spruch 39, Z. 7—11: Mt 23,13; Lk ll,5i2 / Z. 11—13: Mt 10,16; vgl. Sprudi 102 — Spruch 40, Z. 13—16: Mt 15, 13; vgl. Joh 15,6 — Spruch 41, Z. 16—18: Mk 4,25 par. Mt 25,29; Lk 19,26. Vgl. Sprudi 70 — Spruch 43, Z. 20 f.: vgl Joh 8,25 / Z. 24—26: Mt 12,33; Lk 6,43 f. Mt 7,17 — Spruch 44, Z. 27—31: Mk 3,28 f. par. / Z. 30f.: Mt 6,10; 18,18; 28,19 — Spruch 45, Z- 31—35: Lk. 6,44; Mt 7,16 / Z. 34 — 89,5 s. die folgende Seite.

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etwas Gutes aus seinem Schatz. Ein schlechter Mensch bringt Schlechtes aus seinem schlechten Schatz, der in seinem Herzen ist, und er sagt Schlechtes, denn aus der Überfülle des Herzens bringt er Schlechtes. (46) Jesus sprach: Von Adam bis zu Johannes dem Täufer gibt es unter den von Weibern Geborenen keinen, der Johannes den Täufer übertrifft, sodaß seine Augen nicht brechen. Aber idi habe gesagt: Jeder, der unter euch klein werden wird, wird das Reich erkennen und wird Johannes übertreffen. (47) Jesus sprach: Es ist unmöglich, daß ein Mensch reitet auf zwei Pferden (und) zwei Bogen spannt, und es ist unmöglich, daß ein Diener dient zwei Herren. Oder er wird ehren den einen und den anderen wird er beleidigen. Kein Mensch trinkt alten Wein und begehrt sofort zu trinken neuen Wein. Und keiner gießt neuen Wein in einen alten Schlauch, damit er ihn nicht zerreißt, und man gießt nicht alten Wein in einen neuen Schlauch, damit er ihn nicht verdirbt. Man legt nicht einen alten Lappen auf ein neues Kleid, weil es einen R i ß geben wird. (48) Jesus sprach: Wenn zwei Friede machen mit einander in einem Haus, werden sie sagen zum Berg: Fall um! Und er wird umfallen. (49) Jesus spradi: Selig sind die Einsamen und Erwählten. Denn ihr werdet das Reich finden; weil ihr aus ihm seid, sollt ihr wiederum dorthin gehen. (50) Jesus sprach: Wenn man zu euch sagt: Woher seid ihr geworden? Sagt zu ihnen: Wir sind aus dem Licht gekommen, dem Ort, wo das Licht geworden ist aus sich selbst. Es < stand >

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Spruch 45, Z. 1—5: Lk 6,45; Mt 12,35.34 — Sprudi 46, Z. 6—12: Mt 11,11 f.; Lk 7,28 / Z. 10: vgl. Spruch 111 — Spruch 47, Z. 14—17: Mt 6,24; Lk 16,13 / Z. 17—19: Lk 5,39 / Z. 19—23: Mk 2,21par. — Spruch 48, Z. 24 f.: Mt 18,19 ! Mk 11,23; Mt 17,20; Lk 17,6; Mt 21,21, vgl. l.Kor. 13.2. 23

1 2 J 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

und es erschien in dem Bild von ihnen. Wenn man euch sagt: < W e r > seid ihr?, sagt: Wir sind seine Söhne, und wir sind die Erwählten des lebendigen Vaters. Wenn man euch fragt: Was ist das Zeichen eures Vaters an euch?, sagt ihnen: Es ist Bewegung und Ruhe. (51) Es sprachen zu ihm seine Jünger: Wann wird die Ruhe der Toten sein, und wann wird die neue Welt kommen? Er sprach zu ihnen: Diese, auf die ihr wartet, ist gekommen; aber ihr erkennt sie nicht. (52) Es sprachen zu ihm seine Jünger: Vierundzwanzig Propheten haben gesprochen in Israel, und alle haben gesprochen in dir. E r sprach zu ihnen: Ihr habt gelassen den vor euch Lebenden und ihr habt gesprochen von den Toten. (53) Es sprachen zu ihm seine Jünger: Die Beschneidung — nützt sie oder nicht? E r sprach: zu ihnen: Nützte sie, dann wird ihr (plur.) Vater sie von ihren Müttern beschnitten zeugen. Aber die echte Beschneidung im Geiste hat gefunden vollen Nutzen. (54) Jesus sprach: Selig sind die Armen, denn euer ist das Reich der Himmel. (55) Jesus sprach: Wer nicht haßt seinen Vater und seine Mutter, wird nicht Jünger sein können mir. Und (wer) seine Brüder (nicht) haßt und seine Schwestern (und nicht) sein Kreuz trägt wie ich, er wird nicht würdig sein meiner. (56) Jesus sprach: Der, welcher die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam gefunden. Und wer einen Leichnam fand, die Welt ist seiner nicht wert. (57) Jesus sprach: Das Reich des Vaters gleicht einem Manne, der einen < guten > Samen hatte. Sein Feind kam des Nachts.

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Spruch 50, Z. 3: vgl. Lk 16,8; Joh 12,36 J Z. 4: vgl. Joh. 6,57; Rö 9,26 (Hosea 1,10) — Spruch 51, Z. 7—10: Lk 17,20; vgl. Spruch 3 u. 113 / Z. 11 f.: vgl. Joh. 11,24—26 — Spruch 52, Z. 17: Mt 8,22; Lk 9,60; 24,5; vgl Joh 8,53 — Spruch 53, Z. 19: vgl. Rö 2,25; 3,1 / Z. 22: vgl. Rö 2,29; Kol 2,9 — Spruch 54, Z. 23 f.: Lk 6,20 (Mt 5,3); vgl. Spruch 55, Z. 25—29: Mk 8,34 par. Mt 10,37 f.; Lk 14,26 f.; vgl. Spruch 101 — Spruch 56, Z. 32: vgl. Hebr 11,38. Vgl. Spruch 80, 110, 111 — Spruch 57, Z. 33 — 91,7: Mt 13,24—30. 24

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E r säte Lolch unter den guten (91) Samen. Der Mann ließ sie ( = die Knechte) nicht ausreißen den Lolch. E r sprach zu ihnen: Damit ihr nidit hingeht, sagend: Wir werden den Lolch ausreißen!, und mit ihm den Weizen ausreißt. Am Tag des Erntens nämlich wird der Lolch offenbar werden. Man wird ihn herausreißen und verbrennen. (58) Jesus sprach: Selig ist der Mensch, der gelitten hat. E r hat das Leben gefunden. (59) Jesus sprach: Schaut aus nach dem Lebendigen, solange ihr lebt, damit ihr nicht sterbt und ihn zu sehen sucht und ihn nicht sehen könnt. (60) < S i e s a h e n > einen Samariter, als er ein Lamm trug und nach Judäa hineinging. Er sprach zu seinen Jüngern: das Lamm? Sie sprachen zu ihm: Damit er es tötet und es verzehrt. E r sprach zu ihnen: Solange es lebt, wird er es nicht essen, sondern wenn er es getötet hat und es eine Leiche geworden ist. Sie sprachen: Anders wird er es nicht machen können. E r sprach zu ihnen: Suchet auch ihr nach einem O r t für euch zur Ruhe, damit ihr nicht zur Leiche werdet und man euch verzehrt. (61) Jesus sprach: Zwei werden ruhen auf einem Bett; der eine wird sterben, der andere wird leben. — Salome sagte: Wer bist du, o Mann, wie aus (dem) Einen? Du stiegst auf mein Speiselager und aßest von meinem Tisch! Jesus sprach zu ihr: Ich bin der, der von dem Gleichen ist. Man gab mir von den Sachen meines Vaters. — Ich bin deine Jüngerin! — Deswegen sage ich: Wenn er gleich ist, wird er sich füllen mit Licht. Wenn er aber geteilt ist, wird er sich mit Dunkel füllen. (62) Jesus sprach: Ich sage meine Geheimnisse denen, die würdig sind

Spruch 57, Z. 107: Mt 13,24—30. — Spruch 58, Z. 8 f.: vgl. Jak 1,12 (l.Petr3, 14) — Spruch 61, Z. 23—25: Lk 17,34 (Mt 24,40f.) / Z.25: Mk 15,40; 16,1 / Z. 29f.: vgl. Mtll,27f.; Lk 10,22 (Joh 6,37.39; 17,2.6.9) — Sprudj 62, Z.35: Mt 13,11; Lk 8,10. 25

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meiner Geheimnisse. — Was deine rechte Hand tun wird, (92) soll deine linke nicht erkennen, was sie tut. (63) Jesus sprach: Es war ein reicher Mann, der viele Güter hatte. Er sprach: Ich werde meine Güter gebrauchen, um zu säen und zu ernten, zu pflanzen und meine Scheunen zu füllen mit Frucht, damit ich nicht an etwas Mangel leide. Das ist es, was er dachte in seinem Herzen. Und in jener Nacht starb er. Wer Ohren hat, möge hören! (64) Jesus sprach: Ein Mann hatte Gäste. Und als er bereitet hatte das Mahl, sandte er seinen Knecht, damit er die Gäste einlade. Er ging zu dem ersten. Er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte: Ich habe Geld(forderungen) an Kaufleute. Sie kommen zu mir am Abend. Ich werde gehen und ihnen Aufträge geben. Ich entschuldige mich für das Mahl. — Er ging zu einem anderen. Er sagte zu ihm: Mein Herr hat dich eingeladen. Er sagte zu ihm: Ich habe ein Haus gekauft, und man bittet mich für einen Tag. Ich werde keine Zeit haben. Er kam zu einem anderen; er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte zu ihm: Mein Freund wird heiraten, und ich werde ein Mahl geben. Ich werde nicht kommen können. Ich entschuldige mich für das Mahl. Er kam zu einem anderen. Er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte zu ihm: Ich habe ein Gut gekauft; ich gehe den Pachtzins holen. Ich werde nicht kommen können. Der Knecht ging. Er sagte seinem Herrn: Die, welche du zum Mahl geladen hast, lassen sich entschuldigen. Der Herr sagte zu seinem Knecht: Gehe hinaus auf die Straßen; die, welche du finden wirst, bringe sie, damit sie das Mahl einnehmen. Die Käufer und die Kaufleute < werden > nicht h i n e i n < g e h e n > in die Orte meines Vaters.

Spruch 62, Z. l f . : Mt 6,3 — Spruch 63, Z. 3—9: Lk 12,16—20 / Z. 9f.: Mt 4,9

par. (7,16). Mt 11,15. Lk 14,35. Offb. 13,9. — Sprudi 64, Z. 10—35: Lk 14,16— 24 (Mt 22,2—10) / Z. 34: vgl. Mk 11,15—17. 26

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(65) E r sprach: Ein gütiger Mann besaß einen Weinberg. E r gab ihn Bauern, damit sie ihn bearbeiteten und er seine Frucht bekomme von ihnen. E r sandte seinen Knecht, damit die Bauern ihm die Frucht des Weinbergs gäben. Sie ergriffen seinen Knecht, sie schlugen ihn; beinahe hätten sie ihn getötet. Der Knecht kam; er sagte es seinem Herrn. Sein Herr sagte: Vielleicht < h a b e n sie ihn n i c h t > erkannt? E r sandte einen anderen Knecht. Die Bauern schlugen den anderen. Da sandte der Herr seinen Sohn; er sagte: Vielleicht werden sie sich scheuen vor ihm, meinem Sohn! Jene Bauern, da sie wußten, daß er der Erbe des Weinbergs sei, ergriffen sie ihn, erschlugen ihn. Wer Ohren hat, möge hören. (66) Jesus sprach: Belehrt mich über diesen Stein, den die Bauleute verworfen haben! E r ist der Eckstein. (67) Jesus sprach: Wer das All erkennt und sich selbst verfehlt, verfehlt den ganzen Ort. (68) Jesus sprach: Ihr seid selig, wenn sie euch hassen und euch verfolgen, und sie werden keinen Platz finden an dem Ort, an dem sie euch verfolgten. (69) Jesus sprach: Selig sind die, welche verfolgt wurden in ihrem Herzen! Jene sind es, die den Vater in Wahrheit erkannt haben. Selig sind die Hungernden, denn man wird den Leib dessen füllen, der wünscht. (70) Jesus sprach: Wenn ihr das in euch erzeugt, so wird das, was ihr habt, euch erretten. Wenn ihr das nicht in euch habt, so wird dieses, was ihr nicht habt, euch töten. (71) Jesus sprach: Ich werde dieses Haus zerstören und niemand wird es < wieder > aufbauen.

(93)

Spruch 65, Z. 1—15: Mk 12,1—9 par. / Z. 16: s. Spruch 63. — Spruch 66, Z. 16—19: Mk 12,10 par. — Spruch 67, Z. 19f.: vgl. Mk 8,36 par. — Spruch 68, Z. 21 f.: Mt 5,11; Lk 6,22. — Sprudi 69, Z. 25: Mt 5,10 / Z. 28: Lk 6,21 (Mt 5,6 — Spruch 70, Z. 30—33: vgl.Mk 4,25 par.; vgl. Sprudi 41. — Spruch 71, Z.34f.: vgl. Mk 14,58; Lk 26,61; Mk 15,29: Mt 27,40; Apg 6,14; Joh 2,19. 27

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(72) < Ein Mann sagte > zu ihm: Sage meinen Brüdern, daß sie die Sachen meines Vaters teilen sollen mit mir! E r sagte zu ihm: Mann, wer hat midi zum Teiler gemacht? E r wandte sich zu seinen Jüngern, er sprach zu ihnen: Bin ich etwa ein Teiler? (73) Jesus sprach: Die Ernte ist zwar groß, die Arbeiter aber wenig. Bittet aber den Herrn, daß er Arbeiter aussendet zur Ernte! (74) Er sagte: Herr, es sind viele um den Brunnen herum, keiner aber am Brunnen. (75) Jesus sprach: Es stehen viele vor der Türe, aber die Einsamen werden hineingehen ins Brautgemach. (76) Jesus sprach: Das Reich des Vaters gleicht einem Kaufmann, der eine Warenladung hatte und eine Perle fand. Der kluge Kaufmann gab die Warenladung fort; er kaufte sich einzig die Perle. Sucht auch ihr für euch nach dem Schatz, der nicht vergeht, der bleibt, dem Ort, in den keine Motten eindringen, um zu fressen, und kein Wurm zerstört. (77) Jesus sprach: Ich bin das Licht, das über allen ist. Ich bin das All. Es ist das All aus mir hervorgegangen, und das All ist zu mir gelangt. Spaltet ein Holz — ich bin dort. Hebt den Stein hoch, und ihr werdet mich dort finden. (78) Jesus sprach: Weswegen seid ihr herausgegangen aufs Feld? Zu sehen ein Rohr, das durch den Wind bewegt wird? Und um zu sehen einen Mann, der weiche Kleider anhat? < Seht, eure > Könige und eure Gro-

(94)

Spruch72, Z. 1—6: Lk 12,13 f. — Spruch 73, Z. 6—9: Mt9,37f; Lk 10,2. — Spruch 75, Z. 15: vgl. Mk 2,19 par. Mt 25,10 — Spruch 76, Z. 14—18: Mt 13, 45 f. / Z. 19—22: Lk 12,33 (Mt6,19f.) — Spruch 77, Z. 23: vgl. Joh. 8,18 / Z. 25 f.: Rö 11,36; 1. Kor 8,6. — Spruch 78, Z. 28—95, 2: M t l l , 7 f . ; Lk 7, 24 f. / Z. 32: vgl. OfTb. 6,15 28

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

ßen! Diese haben weiche Kleider an, und sie werden nicht erkennen können die Wahrheit. (79) Eine Frau sprach zu ihm aus der Menge: Heil dem Mutterschoß, der dich getragen hat, und den Brüsten, welche dich ernährten! E r sprach zu ihr: Heil denen, die gehört haben das Wort des Vaters (und) es bewahrt haben in Wahrheit. Denn Tage werden kommen, da ihr sagen werdet: Heil dem Mutterschoß, der nicht empfangen hat, und den Brüsten, die nicht Milch geben. (80) Jesus sprach: Wer erkannt hat die Welt, hat den Leib gefunden. Wer aber den Leib gefunden hat — die Welt ist seiner nicht wert. (81) Jesus sprach: Wer reich geworden ist, soll König werden, und wer Macht hat, er soll verzichten. (82) Jesus sprach: Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe, und wer mir fern ist, ist fern vom Reich. (83) Jesus sprach: Die Bilder sind dem Menschen offenbar, und das Licht in ihnen ist verborgen. Im Bild des Lichtes des Vaters wird es (er?) offenbar werden, und sein Bild ist verborgen durch sein Licht. (84) Jesus sprach: Heute, wenn ihr seht das, was euch gleicht, freut ihr euch. Wenn ihr aber sehet eure Bilder, die vor euch sind — weder sterben sie noch erscheinen sie —, wieviel werdet ihr ertragen? (85) Jesus sprach: Adam ist entstanden aus einer großen Kraft und aus einem großem Reichtum, und er wurde eurer nicht würdig. Denn wäre er würdig geworden, < hätte er > nicht den Tod < geschmeckt > . (86) Jesus sprach: < Die Füchse

(95)

>

Spruch 78, Z. 2: vgl. Joh 8,32. — Spruch 79, Z.3—8: Lk 11,27 f. / Z. 9—12: Lk 23,29. — Spruch 80,: vgl. Spruch 56 und 11. — Spruch 81, Z. 15—17: vgl. 1. Kor 4,8. — Spruch 86, Z. 34—96,4: Mt 8,20; Lk 9,58. 29

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

haben ihre Höhlen, und die Vögel haben ihr Nest. D e r Sohn des Menschen aber hat keinen O r t , um sein Haupt zu neigen und zu ruhen. (87) Jesus sprach: Elend ist der Leib, der an einem Leibe hängt, und elend ist die Seele, welche hängt an diesen beiden. (88) Jesus sprach: Die Engel werden zu euch kommen und die Propheten, und sie werden euch geben, was euer ist. U n d ihr selbst, was in eurer Hand ist, gebt ihnen. (Und) sagt euch: Wann werden sie kommen (und) das Ihrige empfangen? (89) Jesus sprach: Weswegen wascht ihr die Außenseite des Bechers? Versteht ihr nicht, daß, wer die Innenseite gebildet hat, auch der ist, der die Außenseite gebildet hat? (90) Jesus sprach: K o m m t zu mir, denn sanft ist mein Joch und meine Herrschaft mild, und ihr werdet R u h e finden f ü r euch. (91) Sie sprachen zu ihm: Sage uns, wer du bist, damit wir an dich glauben! E r sprach zu ihnen: I h r prüft das Antlitz des Himmels und der Erde, und den, der v o r euch ist, habt ihr nicht erkannt, und diesen Augenblick versteht ihr nicht zu prüfen. (92) Jesus sprach: Suchet, und ihr werdet finden. Aber das, wonach ihr mich in diesen Tagen fragtet, habe ich euch an jenem Tage nicht gesagt. Jetzt will ich es sagen, und ihr sucht nicht danach. (93) G e b t nicht das Heilige den Hunden, damit sie es nicht auf den Mist werfen. W e r f t nicht die Perlen den Säuen hin, damit sie es nicht machen . . . . (94) Jesus spradi: W e r sucht, wird finden, und wer anklopft, dem wird man öffnen. (95) < Jesus sprach > : Wenn ihr Geld habt,

(96)

Spruch 86, 2 . 1—4: Mt 8,20; Lk 9,58. — Spruch 87, Z. 4—7: vgl. Spruch 112. — Spruch 89, Z. 13—16; Lk 11,39 f. (Mt 23,26). — Spruch 90, Z. 17—20: Mt 11,28—30. — Spruch 91, Z. 22—25: Mt 16,3; Lk 12,56. — Spruch 92, Z. 26: Mt 7,7 f.; Lk 11,9 f. — Spruch 93, Z. 30—33: Mt 7,6. — Spruch 94, Z. 23 f.: Lk 11, 10 (vgl. Spruch 2). — Spruch 9S, 35—97,2: Lk 6,34 f. (Mt 5,42).

30

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

leiht nicht auf Zins aus, sondern gebt dem von dem ihr sie nicht zurückbekommen werdet. (96) Jesus sprach: Das Reich des Vaters gleicht einer Frau. Sie nahm ein wenig Sauerteig; sie < v e r b a r g > ihn in Mehl. Sie machte ihn zu großen Broten. W e r Ohren hat, möge hören! (97) Jesus sprach: Das Reich des < V a t e r s > gleicht einer Frau, die einen Krug trägt, der voll Mehl ist, und die einen weiten Weg geht. D e r Henkel des Kruges zerbrach; das Mehl strömte herab hinter ihr auf den Weg. Sie merkte (es) nicht; sie wußte nichts v o m Mißgeschick. Als sie in ihr Haus gelangt war, stellte sie den Krug auf den Boden. Sie fand ihn leer. (98) Jesus sprach: Das Reich des Vaters gleicht einem Mann, der vorhatte zu töten einen mächtigen Mann. E r zog aus der Scheide das Schwert in seinem Hause. E r durchbohrte die Wand, um zu wissen, ob seine Hand stark sein werde. Dann tötete er den Mächtigen. (99) Die Jünger sprachen zu ihm: Deine Brüder und deine Mutter stehen draußen. E r sprach zu ihnen: Die (Menschen) dieser Plätze, die den Willen meines Vaters tun, diese sind meine Brüder und meine Mutter. Sie sind es, die eingehen werden ins Reich meines Vaters. (100) Sie zeigten Jesus ein Goldstück und sprachen zu ihm: Die Kaiserlichen fordern von uns Abgaben. Er sprach zu ihnen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, gebt Gott, was Gottes ist, und das, was mein ist, gebt es mir! (101) W e r nicht haßt seinen Vater und seine Mutter wie ich, wird mir nicht < Jünger > sein können, und wer nicht liebt seinen < Vater und > seine Mutter wie ich, wird mir nicht < Jünger > s e i n können. Denn meine Mutter

(97)

Spruch 9ß, Z. 1 f.: Lk 6,34 f. (Mt 5,42). — Spruch 96, Z. 3—5: Mt 13,33; Lk 13, 20 f. / Z. 6: s. Sprudi 71. — Spruch 99, Z. 21—25: Mk 3,32—34. — Spruch 100, Z. 27—30: Mk 12,14—17 par. — Spruch 101, Z. 32—35; Mt 10,37; Lk 14,26 f. Vgl. Mk 10,29 par. Vgl. Spruch 55. 31

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

. . . , aber meine wahre < Mutter > gab m i r das Leben. (102) Jesus sprach: Wehe ihnen, den Pharisäern, denn sie gleichen einem Hund, welcher liegt auf der Krippe der Rinder. Denn weder frißt er noch läßt er die Rinder fressen. (103) Jesus sprach: Selig ist der Mann, der weiß, < in welchem > Teile die Räuber hereinkommen, damit er aufsteht, seine (Kraft?) sammelt und sich gürtet um die Hüften, bevor sie hereingekommen sind. (104) Sie sprachen < z u ihmù>: Komm, laß uns heut beten und fasten! Jesus sprach: Was ist denn die Sünde, die ich tat, oder worin besiegten sie mich? Sondern wenn der Bräutigam k o m m t aus dem Brautgemach, dann mögen sie fasten und beten. (105) Jesus sprach: W e r kennen wird den Vater und die Mutter, man wird ihn nennen „Sohn der H u r e " . (106) Jesus sprach: Wenn ihr die zwei zu einem macht, werdet ihr sein Söhne des Menschen, und wenn ihr sagt: Berg, fall um!, so wird er umfallen. (107) Jesus sprach: Das Reich ist gleich einem Hirten, der hundert Schafe hat. Eins von ihnen verlief sich, das größte. E r ließ die neunundneunzig; er suchte nach diesem einen, bis er es fand. Als er sich abgemüht hatte, sagte er zu dem Schaf: Ich liebe dich mehr als die neunundneunzig. (108) Jesus sprach: W e r aus meinem Munde trinkt, er wird werden wie ich; ich selbst werde werden er, und das Verborgene wird sich ihm offenbaren. (109) Jesus sprach: Das Reich gleicht einem Manne, der auf seinem Acker einen < verborgenen > Schatz hat, von dem < er > nicht weiß. Und < nach seinem > Tode ließ er den Schatz seinem Sohn. D e r Sohn wußte nicht (davon). E r nahm

Spruch 102, Z. 2—5; vgl. Spruch 39. 43. / Z. 9 f.: Lk 12,35. — Spruch 104, Z. 19—21: s. Spruch 22 und 48. — 4 f. — Spruch 109, Z. 31—99,3: Mt

32

(98)

— Spruch 103, Z.6—8: Lk 12,39; Mt24, Z10—16: Mk2,18—20par. — Spruch 106, Spruch 107, Z. 22—27: Mt 18,12 f.; Lk 15, 13,44.

1 jenen Acker; er verkaufte ihn. Und der, welcher (99) 2 ihn gekauft hatte, kam. Beim Pflügen < fand er > den Schatz. 3 Er begann, Geld zu geben auf Zinsen denen, die er wollte. 4 (110) Jesus sprach: Wer die Welt gefunden hat 5 und reich geworden ist, soll auf die Welt verzichten. 6 (111) Jesus sprach: Die Himmel werden sich aufrollen und 7 die Erde vor euch, und der Lebendige aus dem 8 Lebendigen wird nicht sehen Tod (noch Furcht), denn 9 Jesus spricht: Wer sich selbst findet — die Welt 10 ist seiner nicht wert. (112) Jesus sprach: Wehe 11 dem Fleisch, das an der Seele hängt! Wehe der 12 Seele, die am Fleische hängt! (113) Es sprachen 13 zu ihm seine Jünger: Das Reich, wann 14 wird es kommen? — Es wird nicht kommen 15 im Ausschauen danach. Man wird nicht sagen: 16 Siehe hier! oder: Siehe dort! Sondern das Reich 17 des Vaters ist ausgebreitet über die Erde und 18 die Mensdien sehen es nidit. (14) Simon Petrus sprach 19 zu ihm: Maria soll von uns weggehen! Denn 20 die Frauen sind des Lebens nicht wert. Jesus sprach: 21 Siehe, ich werde sie ziehen, 22 daß ich sie männlich mache, damit sie 23 auch zu einem lebendigen Geist wird, der 24 euch Männern gleicht. Denn eine Frau, die sich 25 zum Manne macht, wird eingehen ins Reich 26 der Himmel. 27 Das Evangelium 28 nach Thomas

Spruch 109, Z. 1—3: Mt 13,44. — Spruch 110, Z. 4 f.: s. Spruch 56 und 80. — Spruch 111, Z. 6: vgl. Hebr. 1,12; Offb. 6,14. — Spruch 112, Z. 10—12: s. Spruch 87. — Spruch 113, Z. 12—18: L k l 7 , 2 0 f . (Mt24,23). 3

Haendaen, Thomas-Evangelium

33

III. D I E B O T S C H A F T D E S T H O M A S - E V A N G E L I U M S

1. Die Lage Die etwas über hundert Sprüche des Thomasevangeliums 1 ( = • T h E v ) lassen sich leicht in zwei Gruppen scheiden. Die erste besteht aus „synoptischen" Sprüchen. Sie bildet freilich keine völlige Einheit. Denn während manche Sprüche mehr oder weniger mit solchen übereinstimmen, die wir in den synoptischen Evangelien lesen, sind andere diesen nur im Stil verwandt, haben jedoch in den Synoptikern keine Entsprechungen 2 . Die zweite Gruppe läßt sich besser negativ als positiv charakterisieren: die Sprüche dieser A r t haben weder genaue Gegenstücke in den synoptischen Evangelien, noch tragen sie synoptischen Charakter. Wenn man nach einer positiven Bezeichnung sucht, kann man sie am ehesten „gnostisch" nennen 3 . 1

Zitiert nach der editio princeps: „Evangelium nach Thomas. Koptischer Text, herausgegeben und übersetzt von A. Guillaumont, H.-C. Puech, W. Till und t Yassa Abd al Masih." Leiden, Brill 1959. Wir folgen in der Regel Tills Übersetzung und geben die Sprüche in der Numerierung dieser Ausgabe. Wegen der abweichenden Zählung in anderen Ubersetzungen wird der Fundort nach der photographischen Textausgabe von Pahor Labib ("Coptic Gnostic Papyri in the Coptic Museum at Old Cairo", vol. I, Kairo 1956) mit Tafel und Zeilenzahl angegeben.

2 Z. B. Spruch 97 (97, 7—15), s. u. S. 61; Spruch 98 (97,15—20), s. u. S. 59. 3

34

Z . B . Spruch 2 (80,14—19): „Wer sucht, soll nicht aufhören zu suchen, bis er findet, und wenn er findet, wird er erschüttert sein; wenn er erschüttert worden ist, wird er sich wundern und wird über das All herrschen." Die griechische Fassung findet sich in dem Papyrus Oxyrhynchus 654, 6—9; vgl. dazu die Rekonstruktionen von Joseph A. Fitzmyer S.J., "The Oxyrhynchus LOGOI and the Coptic Gospel according to Thomas" (Theol. Studies 20, 1959, 505—560), 516 ff., und von Otfried Hofius, „Das koptische Thomasevangelium und die Oxyrhynchus-Papyri Nr. 1, 654 und 655" (Evangelische Theologie 1960, 21—42, 182—192), 27 f. Dazu, daß in 80, 18 die erste Halbzeile leer ist, schreibt Soren Giversen, „Thomasevangeliet. Inledning, oeversaettelse og kommentarer" (Köbenhavn, Gads Forlag 1959, S. 30: „In der photographischen Ausgabe des Textes könnte es so aussehen, als wenn in Tafel 80,18 einige Buchstaben am Anfang der Zeile fehlten. Die erste Hälfte dieser Zeile ist nicht beschrieben gewesen, denn der Papyrus war hier zufällig so uneben, daß der Schreiber sein Schreibgerät nicht verderben

Beide Gruppen sind zahlenmäßig ungefähr gleich stark. Die Reihenfolge der Sprüche läßt keine durchgehende Ordnung nadi den Gruppen erkennen. "Wohl aber folgen öfter mehrere Sprüche der gleichen Gruppe aufeinander. Der Verfasser hat diese Gruppen nicht unterschieden. E r macht über die Herkunft der Sprüche keine Angabe — außer einer einzigen: es sind sämtlich „verborgene W o r t e " des „lebendigen Jesus" 4 . Dieser Ausdruck besagt nicht, daß es sich um Reden des Auferstandenen handelt. Denn einmal schließen nicht wenige Sprüche eine solche Situation aus; sie gehören deutlich in das vorösterliche Leben Jesu 5 . Zum anwollte. " Das klingt wahrscheinlicher als die Anmerkung Leipoldts („Thomasevangelium übersetzt und besprochen", in: Johannes Leipoldt, Hans-Martin Schenke: Koptisdi-gnostische Sdiriften aus den Papyrus-Codices von NagHamadi [ = Theol. Forschungen, 20. Veröffentlichung], Hamburg-Bergstedt, Herbert Reich, Evg. Verlag G.m.b.H. 1960) 10 A 3 : „Hier wurde eine halbe Zeile der oberen Papyrussdiicht entfernt, anscheinend ohne Störung des Sinnes. Vielleicht stand in der Lücke ein Y . " Wie der griechische Text und seine Parallelen bei Clemens Alexandrinus Strom. II 9 , 4 5 und V 14,96 zeigen, ist der Schluß des koptischen Textes entstellt. Der Kettenspruch müßte stilgemäß enden wie im Griechischen: „ . . . und wenn er sich gewundert hat, wird er König werden, und König geworden, wird er ruhen." Nach Clemens stand dieser Spruch in einem Hebräerevangelium. Trifft das zu, dann kann man es nicht als ein Evangelium synoptischen Typs bezeichnen. Denn der synoptische Spruch Mt 7, 8 = Lk 11. 10 (der in Spruch 94 (96, 33 f.; vgl. auch Spruch 92 (96, 25—29) genauer zitiert wird) dient hier nur als Einleitung einer Klimax rein gnostischer Begriffe. S. o. S. 2 f. 4

„Das sind die verborgenen Worte" (Xoyoi djtoxpucpoi) „die der lebendige Jesus sagte und die Didymus Judas Thomas aufschrieb" (80,10—12).

s Z . B . Spruch 13 (82,30 — 83,14); s. S. 13 und 17. Grant (in: Robert M. Grant und David N. Freedman: „Geheime Worte Jesu. Das Thomasevangelium." Frankfurt/M. Sdieffler, 1960 (Übersetzung d. amerik. Textes v. Siegfr. George) 128 vermutet nach Hippolyt Philos. V 8 , 5 , daß es die drei geheimen Worte der Naassener waren: Kaulakau, Saulasau, Zeesar (vgl. Jes. 28,10). Aber die Jünger würden auf Jesu Worte an Thomas, wenn dieser sie ausspräche, reagieren wie auf eine Gotteslästerung, auf welche die Juden (Joh 8,59 und 10, 31) mit Steinigung antworten. Also hätten die Worte des Thomas wie eine Lästerung geklungen. Eine solche hätten sie z. B. darin gefunden, wenn Jesus seine Identität mit seinem „Zwillingsbruder" Thomas erklärt hätte; nach Spruch 108 (98,28—30), der sich mit unserem Spruch (83,4—7) berührt, wäre das durchaus möglich. Die Thomasakten scheinen in Kap. 67 auf unsere Stelle anzuspielen. Doresse (in: "L'Evangile selon Thomas ou Les paroles secretes de Jesus", Paris, Plön 1959) 142 denkt an das ebenfalls in Nag-Hammadi gefundene Buch des Thomas, das von Matthias (Matthäus ist überliefert!) verfaßt ist, wo der letztere das Wort 3*

35

dern: auch der „Vater" ( = Gott) wird „der Lebendige" genannt®. Der Ausdruck besagt, daß er — wie Jesus — das wahre Leben besitzt und verleiht. Der Verfasser legt auf eine genaue historische Situationsangabe keinen W e r t . Dagegen bezeichnet er im Einleitungssatz alle Sprüche als „verborgene W o r t e " Jesu 7 ; nicht weil Jesus sie insgeheim nur zu Thomas gesprochen hätte — der Verfasser deutet nur an, daß Thomas diese mit geheimem Sinne erfüllten W o r t e einmal aufgeschrieben hat (damit werden die kanonischen Evangelien für diese Gnostiker überflüssig!). Unter dem oberflächlichen Sinn liegt nach der Meinung des Verfassers also in jedem Fall ein verborgener, und auf ihn kommt es eigentlich an. Denn wer Jesu an Thomas gehört haben will: „Ith werde dir offenbaren, was du in deinem Herzen denkst: wie man sagt, daß du wirklich mein Zwillingsbruder und Gefährte bist, wie du weißt, daß du es bist , und auf welche Weise du gezeugt bist und von welcher Art du werden wirst, wie man dich meinen Bruder nennt . . . " R. Schippers (in: "Het evangelie van Thomas. Apokriefe Woorden van Jesus." Vertaling, inleiding en kommentaar [ = Boeketreeks 14]. Kampen 1960) 73 meint, Thomas habe sich in den Himmel aufgenommen gesehen. — Die zu Feuer werdenden Steine erinnern ihn an die feurigen Steine von Ez. 2 8 , 1 4 . 1 6 , die „Gottes Gegenwart und Majestät" andeuten; zum verzehrenden Feuer vgl. 2. Kön 1,10. 6 Spruch 3 (81,2) und 50 (90,4). 7

36

Das spricht gegen Puechs Vermutung (Hennecke-Schneemeldrer 221), das ThEv sei „weder ausschließlich noch ursprünglich das Werk eines Gnostikers" gewesen. Dazu hat ihn der Fund einer Leichenbinde bei Behnesa geführt, auf der das letzte Satzglied des P. Ox. 654 stand: „Jesus spricht: Nichts ist begraben, was nicht auferweckt werden wird", während im entsprechenden koptischen Text in Spruch 5 (81,10—14) diese Worte fehlen. Aber der koptische Text ist keineswegs einfach eine Übersetzung des griechischen Textes der drei Oxyrh. Papyri 654, 1 und 655. Vielmehr sind der griechische und der koptische Text jeweils zugleich in gewissem Grade eine Bearbeitung. Das Logion, auf das sich Puech beruft, ist offenbar ein Wanderspruch, der in P. Ox. 654 hinzugefügt wurde. Daß auch Gnostiker von (gegenwärtiger geistlicher) Auferstehung sprechen und darum auch dies Logion übernehmen konnten, ist deutlich und wird auch durch das (nicht gnostische, aber einzelne gnostische Züge benutzende) Johannesevangelium bestätigt. Auch O. Cullmann spricht in seinem methodisch sehr wichtigen Aufsatz „Das Thomasevangelium und die Frage nach dem Alter der in ihm enthaltenen Tradition" (ThLZ 85, 1960, 321—334) 328 eine ähnliche Vermutung wie Puech aus: „Wir haben . . . mit einer Entwicklung einer stark gnostischen Sammlung aus weniger ausgeprägten, obwohl auch gnostischen Sammlungen zu rechnen" (328). Dabei wirkt der Schein mit, daß „längere zusammenhängende Gruppen nichtgnostischer Logien von gnostischen Einzel-

diesen Sinn, diese

EQjxsveia findet, „wird den T o d nicht schmecken" 8 ,

also das todüberlegene Leben finden. 2.

Das Problem

der

Auslegung

In dieser Lage bieten sich uns zwei Wege zur Auslegung an. Entweder wir gehen von dem einzelnen Spruch aus. Ist er „synoptisch", dann vergleichen wir ihn mit dem, was ihm in den synoptischen Evangelien entspricht. Aus etwaigen Abweidlungen von dem synoptischen Wortlaut und Sinn versuchen wir zu erkennen, welche gnostisdie Tendenz am Werke ist 9 . Dabei können uns gnostische Auslegungen synoptischer Stellen helfen, die der Kirchenvater Hippolyt mitgeteilt hat 1 0 . A m Schluß kann man das Ergebnis aller dieser Einzeluntersuchungen ziehen und die A r t der gnostischen Verkündigung zu bestimmen versuchen, welche uns im T h E v begegnet. logien unterbrochen werden" (330). In Wirklichkeit gibt es keine nichtgnostischen Sprüche im ThEv. Man darf die Frage nach dem Charakter der Sprüche im ThEv nicht mit der ganz anderen nach der Art des dabei benutzten Materials vermengen. 8

Dieses Urteil über die Bedeutung aller Sprüche des ThEv dürfte als Äußerung des Thomas gedacht sein und nicht als Beginn der Sprüche Jesu. Insofern ist Leipoldts Zählung richtiger als die der editio princeps. Aber um das Durcheinander der Zählungen zu beenden, wird man trotzdem bei der letzten bleiben. — Die Wendung »den Tod nicht schmecken" kann auch ein Nachhall aus Mk 9 , 1 par. sein und muß nicht unbedingt aus Joh. 8, 51 abgeleitet werden. Doch ist dort gerade von Jesu Wort die Rede.

9

So gehen die meisten Erklärer vor. Im Grunde ist das auch der Fall in den verschiedenen Aufsätzen von G. Quispel zum ThEv: (1) The Gospel of Thomas and the New Testament, Vigil. Christ. 11,1957,189—207. (2) L'Evangile selon Thomas et les Clementines, Vigil. Christ. 12, 1958, 181— 196. (3) Some remarks on the Gospel of Thomas, New Test. Stud. V, 1958/ 59, 276—290. (4) L'Evangile selon Thomas et le Diatessaron, Vigil. Christ. 13, 1959, 87—117. Gegen Quispels Versuch (in 3), im ThEv einen gegenüber den Synoptikern selbständigen Text zu erweisen, hat sich aus formgeschichtlichen Erwägungen mit Recht Hans Werner Bartsch ausgesprochen: Das Thomasevangelium und die synoptischen Evangelien, New Test. Stud. 1959/ 60, 249—261. Quispels Behauptungen von Ubereinstimmungen des ThEv mit dem Heliand (in Nr. 3, S. 283 ff.) hat Willy Krogmann in seinem Aufsatz: Heliand, Tatian und Thomasevangelium, ZNW 51, 1960, 255—268 nachgeprüft und widerlegt.

10

Grant hat in seinem Aufsatz: Notes on the Gospel of Thomas, Vigil. Christ. 13, 1959, 170—180, solche Stellen bei Hippolyt in einer Liste aufgeführt 175): Hippolyt V 7 , 2 6 . 2 8 ; V 8, 3 . 6 . 1 1 . 2 7 . 4 5 ; V 9 , 3 , 2 1 .

37

Aber wir können auch einen anderen Weg gehen. Wir können uns an das halten, was der Verfasser im Eingang des Werkes sagt, und versuchen, dieses so zu sehen, wie er es gesehen haben wollte: als Sammlung „verborgener Worte" Jesu, deren Deutung das wahre Leben vermittelt. Dann müssen wir a l l e diese Worte, ob sie uns leidit oder schwer verständlich sind, als Aoyoi otJtöv.QUCpoi nehmen, deren eigentlicher Sinn nicht an der Oberfläche liegt. Gibt es nun eine Methode, um den verborgenen Sinn aller dieser Sprüche zu finden? Das ist tatsächlich der Fall: wir müssen von jenen Sprüchen ausgehen, die unverhüllt das gnostische Antlitz zeigen. Von ihnen aus lassen sich dann auch jene Züge erkennen, die sich in anderen Sprüchen unter dem synoptischen Schleier verbergen. Ob das so gewonnene Verständnis zutrifft, läßt sich bis zu einem gewissen Grade an den schon erwähnten Zitaten Hippolyts nachprüfen. Wenn jene Erklärungen, zu denen wir gelangt sind, mit dieser gnostischen Tradition übereinstimmen, dann können wir ziemlich sicher sein, daß wir das Rechte getroffen haben. Wir ziehen diesen zweiten Weg vor, der von der Intention des Verfassers ausgeht. Man darf freilich nicht hoffen, daß einem jede Lösung sofort in den Schoß fallen wird. Mandie Sprüche wirken zunächst wie unbezwingliche Festungen, und bisweilen ist die Tradition derart „zersagt" 11 , daß der Sinn fraglich bleibt. Dennoch enthält diese Methode weniger Unsicherheitsfaktoren und führt eher zu einem Gesamtverständnis der gnostischen Botschaft im ThEv. 11

Das gilt z . B . von Spruch 3 2 : „Jesus sagte: Eine Stadt, die man befestigt auf einem hohen Berg erbaut, kann nicht fallen noch wird sie sich verbergen können." Hier hat sich — und man wird dafür doch wohl am ehesten

die

mündliche

Überlieferung

verantwortlich

machen;

schließlich

hat man ja die kanonischen Evangelien nicht nur abgeschrieben, sondern auch vorgelesen und nacherzählt — zweierlei verbunden: das W o r t von der Stadt auf einem hohen Berg, die sich nicht verbergen kann, und ein W o r t von dem auf den Felsen gegründeten Haus, das nicht fallen kann. Mt 12, 25 zeigt, wie leicht sich Haus und Stadt gesellen. Vgl. K . H . Kuhn, Museon 73, 1 9 6 0 , 3 1 9 f. In einem Fall können wir den Wandel der Tradition vielleicht noch genauer verfolgen. Spruch 56 (90, 3 0 — 3 2 ) bringt einen edit gnostischen Wortlaut: „Wer die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam

(rtxcä[ia) gefunden, und

wer einen Leichnam gefunden hat, dessen ist die Welt nicht wert" (zur Deutung s . S . 5 0 ) . Spruch 80 ( 9 5 , 1 2 — 1 5 ) bringt denselben Spruch in etwas abweichender F o r m (s. o. S. 55). Vielmehr darf man aber noch Spruch 110 (99, 4 f.) und 111 ( 9 9 , 6 0 — 1 0 ) mit hinzu nehmen. Spruch 110, „Wer die Welt gefunden hat (und) reich geworden ist, möge auf die Welt verzichten", versteht das Finden der Welt nicht mehr gnostisch, sondern als „mit der Welt zurecht

38

3.

Der gnostische

Ausgangspunkt

D i e Grundelemente aller Gnosis finden sich auch im T h E v wieder: Einst sind Teile der göttlichen Unwirklichkeit, des himmlischen Urlichtes, in die materielle Welt geraten. Wenn man die Gnostiker nach ihrer Herkunft fragt, dann heißt Jesus (Spruch 50) 1 2 sie antworten: „Wir sind aus kommen und dabei reich werden" (s. dazu S. 55 f. und 68). Erst der folgende Appell zum Verzidxt gibt dem Satz wieder gnostisdien Sinn. Die gnostische Bedeutung des „reich werden" ist vergessen. Spruch 111 enthält am Ende ein Jesuswort im Jesuswort (obendrein das einzige, in dem es nicht heißt: „Jesus sagte", sondern „Jesus sagt"): „Wer sich selbst findet, dessen ist die Welt nicht wert". Denn er hat sich ja in einer Einheit mit dem Göttlichen gefunden. Es fragt sich, ob Spruch 56 nicht durch eine Verbindung zweier ursprünglich selbständiger Worte zustande gekommen ist: „Wer die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam gefunden" und „Wer sich selbst gefunden hat, dessen ist die Welt nicht wert". Spruch 48 und 106 sind ebenfalls Parallelen. Spruch 48 (89, 24—26) lautet: „Wenn zwei miteinander Frieden machen in demselben Haus, werden sie zum Berge sagen: Fall um! Und er wird umfallen." Dieser Spruch wird in 106 (98, 18—20) deutlicher gnostiziert: „Wenn ihr die zwei zu eins macht" (s. dazu S. 52 f.)", werdet ihr Söhne des Menschen werden, und wenn ihr sagt: Berg, fall um!, wird er umfallen". Was hier beiden Worten zu Grunde liegt, dürfte ein Spruch sein, der ursprünglich etwa gelautet hat: „Wenn zwei in demselben übereinkommen, werden sie zu diesem Berge sagen: Hebe dich hinweg!, und er wird sich hinwegheben" (eav 6xio a\)(icpojvf|ocooiv ev xcp odütqj, Egoücjiv t ö öpei ToiJTcp • |i.Exdßa evdsv, jtal [XEtaßriaETai). Das EV Tcp all™, „in demselben" meinte ursprünglich: in demselben Anliegen. 12

Spruch 50 Anfang = 89, 31—35. Die in der Fortsetzung 89, 36 ff. und in den Sprüchen 83 und 84 berührte Lehre vom Bild (EIXÖIV) ist nicht ganz deutlich. Nach 89, 35—90,1 „Es (stand) und es erschien in ihnen" hat sich das göttliche Licht in den Erwählten offenbart. Aber damit ist es nicht jedermann sichtbar. Sehen kann man zwar den (gnostisdien) Menschen, nicht aber das in ihm verborgene göttliche Licht. Denn so heißt es in Spruch 83 (95, 20—24): „Die Bilder sind dem Menschen offenbar, und das Licht in ihnen ist verborgen". Hier wird man vielleicht mit Doresse 107 und Giversen 119 den Satz beenden. Der dann folgende Satz „Im Bild des Lichtes des Vaters wird es (er?) sich offenbaren, und sein Bild ist verborgen durch sein Licht" bleibt freilich dunkel und wird auch durch die verschiedenen Erklärungsversuche von Doresse, Giversen, Grant und Schippers nicht durchsichtig. Spruch 84 (95, 24—29) ist einfacher: „Wenn ihr euresgleichen seht, freut ihr euch. Wenn ihr aber eure Bilder seht, die vor euch entstanden sind, die weder sterben noch erscheinen, wieviel werdet ihr ertragen?" Von jedem Erwählten existiert ja ein himmlisches Urbild (gnostische Texte sprechen von ihm bisweilen als einem himmlischen Gewand, mit dem die auf-

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dem Licht gekommen, dem Ort, w o das Licht durch sich selbst entstanden ist." Weil aber „dort, w o der Anfang ist, auch das Ende sein wird" (Spruch 18) 13 , ist mit der Herkunft der gnostisdien Gläubigen aus dem göttlichen Urlicht auch schon ihr Ziel beschrieben: „Selig sind die Auserwählten, denn ihr werdet das Reich finden; weil ihr daraus seid, sollt ihr wieder dorthin gehen" (Spruch 49) 14 . fahrende Seele bekleidet wird), das im vollen Glanz des Ewigen erstrahlt. Aber es wird dem Menschen in seinem Erdenleben nicht sichtbar. Was wird der Erwählte sagen, wenn er seinem wahren Ich in dessen göttlicher Kraft und Schönheit begegnen wird? 13

Spruch 18 84, 9—17. Die Komposition dieses Gespräches ist ziemlich ungeschickt. Die Jünger bitten Jesus: „Sage uns, wie unser Ende sein wird!" Darauf antwortet Jesus: „Habt ihr denn schon den Anfang entdeckt, daß ihr nach dem Ende fragt? Denn" — und hier beginnt wohl erst ein Stück wirklicher gnostischer Tradition — „dort, wo der Anfang ist, wird auch das Ende sein". Daß damit auf Offb. 1, 8 oder 21, 6 angespielt wird, hält Giversen 55 für möglich, und Doresse 148 meint sogar, wie auch Grant 133, daß hier das „Wort", Christus selbst, „Anfang und Ende" ist. Aber damit scheint uns diese Stelle ebensowenig zu tun zu haben wie mit dem Wort des Sophisten Antiphon, daß das Ende einer Sache gut wird, wenn man sie gut anfängt. Viel besser paßt Giversens Hinweis auf Plotin Enn. V. 8, 7: (p. 549): Man solle nicht nach den Gründen für einen Anfang sudien, besonders für eine solche T E X E I U D P ' / J I ] , die mit dem X E X O ; identisch ist. Auf die gnostische Deutung einer griechischen philosophischen Konzeption von Anfang = Ende folgt dann in unserm Spruch ein Makarismus: „Selig ist, wer am Anfang stehen wird, und er wird das Ende erkennen und den Tod nicht kosten". Damit ist wieder nicht Jesus allein gemeint und gepriesen, sondern jeder Gnostiker.

14 Spruch 49 = 89, 27—30. Leipoldt schließt aus dem Anfang: „Selig sind die Einsamen (fiovaxo?) und Auserwählten, denn ihr werdet das Reidi finden, usw.": „Hier scheint verbreitetes Einsiedlertum und Manichäismus vorausgesetzt, vgl. Spruch 75" ( = „Viele stehen vor der Tür, aber es sind (nur) die Einsiedler, die in das Brautgemach eintreten werden"). In seinen „Bemerkungen" fügt Leipoldt 16 hinzu: „Der Text ist in seinem heutigen Bestände nicht alt. An 3 Stellen erwähnt er Einsiedler ((iovajc6s). An der ersten darf man vielleicht monachos = Einzelgänger nehmen (16). An den beiden andern dürfte aber eine verbreitete Askese vorausgesetzt sein (50,76). Man wird fragen, ob die Auserwählten, die einmal mit den jiovaxoi zusammen erscheinen, manichäische Auserwählte sind (50). Jedenfalls führen uns diese Beobachtungen ins vierte Jahrhundert." Grant hat in seinem Aufsatz „Notes on the Gospel of Thomas" einen Nachtrag hinzugefügt, in dem er, im Anschluß an Schoedel (dessen Übersetzung des ThEv er benutzt), darauf verzichtet, in Spruch 16, 50 und 76 „Mönche" zu sehen; „das Wort sollte

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Viele gnostisdie Schriften bieten verwickelte Gedankensysteme auf für die Erklärung, wie es z u jenem Urfall kam und wie die Erlösung die Rückkehr ermöglicht. Das T h E v stellt keine soldien Überlegungen an. Audi da, w o es an das Rätsel dieser Urtrennung rührt — wir kommen später auf diese Sprüdie zurück —, weist es nur auf das Rätselhafte jenes Geschehens hin, aber so, daß es als unsere eigene Lebensfrage fühlbar wird. Thomas liegt nichts an Spekulationen, sondern alles an der Praxis. D . h. aber hier: er muß zeigen, wie es zu diesem gnostischen Selbstverständnis und Glauben kommen kann. Welche Erfahrung dazu verhelfen mag, verdeutlicht der Spruch 58 1 5 : „Selig ist der Mensch, der gelitten hat. Er hat das Leben gefunden." Man muß tief unter der Welt gelitten haben; dann erst kann einem die Erfahrung aufgehen, daß man nicht zu ihr gehört, daß man ihr fremd ist, und daß sie einem feindlich ist. Das Jesuswort von Spruch 86 gilt ,einzelne' oder ,Einsame' übersetzt werden (so J. Doresse . . . 175). Es ist darum unnötig, Thomas nach dem Beginn des Mönchtums zu datieren." Wir haben auf S. 58 f. zu zeigen versucht, daß diese Deutung aus dem Gesamtzusammenhang des ThEv heraus sich organisch ergibt. 15

Spruch 58 = 91, 7—9. Die editio princeps 61 verweist auf Jak 1,12 („Selig der Mann, der die Anfechtung durchsteht, denn erprobt geworden wird er den Kranz des Lebens empfangen, den er verhieß denen, die ihn lieben") und 1. Petr 3,14 („doch wenn ihr auch leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, selig" seil, seid ihr). Aber beide Stellen sind unserem Spruch innerlich fremd. Denn Jak. 1,12 begründet die Seligpreisung mit der Belohnung des Erprobten, l . P e t r 3,14 aber setzt das Leiden (nämlich durch Christenverfolgung) nicht als notwendig voraus. Giversen 100 zieht zwar dieselbe ntl. Stellen in Betracht. Es fällt ihm aber auf, daß in Spruch 58 ein „um der Gerechtigkeit willen" fehlt. Aber er geht dem nicht weiter nach. Grant 155 denkt an Mt 11,28 und findet dementsprechend hier eine Parallele zu Spruch 90. Doresse 179 stellt fest, daß die kanonischen Seligpreisungen Mt 5, 3—12 und Lk 6, 20—23 nichts Entsprechendes bieten. Dafür bringt er eine Parallele, die sich in Brief 16 des Gregor von Nazianz und bei Elias von Kreta (Migne PL 136, Sp. 395) findet, als aus einer öi&aaxa/aa rieTgou stammend ( = Resch Apokryphon 72): „Die Seele, welche leidet, ist Gott nahe". Schippers 110 dagegen sieht hier eine Seligpreisung des guten Gnostikers, der sich viel Mühe gegeben hat. Diese den gnostischen Sinn weit verfehlende Auslegung hat eine falsche Ubersetzung in Spruch 97 („non sciverat laborare") hervorgerufen. — Die Ausleger vergessen zu leicht, daß zum mindesten manche Gnostiker sehr tief unter der Welt gelitten haben, die sie ja in ihren eigenen Leidenschaften, also im eigenen Innern, am Werke erlebten. Diese Erfahrung entspricht in gewissem Sinne der, die Paulus Rom 7, 24 in die Worte ausbrechen ließ: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Todesleibe?" 41

nicht nur von Jesus, sondern von jedem dieser gnostischen Christen: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihr Nest. Der Sohn des Menschen aber hat keinen Ort, um sein Haupt zu neigen und auszuruhen." 16 Der Gnostiker ist auf Erden heimatlos und von der Welt gehetzt. Darum hat sich Thomas auch das aneignen können, was die synoptische Überlieferung über die Verfolgung sagte. Wie er es verstand, dafür gibt uns Spruch 69 1 7 den Schlüssel: „Selig sind die, welche verfolgt wurden in ihrem Herzen! Diese sind es, die den Vater in Wahrheit erkannt haben." D i e Menschen, v o n denen hier die Rede ist, litten nicht unter der Volkswut oder staatlicher Verfolgung. Sondern sie fühlten sidi in ihrem Innern bedrängt: die Welt selbst war es, die ihnen zusetzte. Wer sich zufrieden und beruhigt in die Welt einfügt, dem bleibt die gnostische Heilsbotschaft sinnlos. Wenn aber ein Mensch begreift, daß seine Heimat nicht hier sein kann, dann ist er reif für die rettende Erkenntnis, die der gnostische Erlöser Jesus bringt: Die Gnostiker gehören zu dem „Vater" und dürfen bekennen: „Wir sind seine Söhne und die Auserwählten des lebendigen Vaters" (Spruch 50) 18 . 4.

Das Reich

=

das göttliche

Selbst

Der Gnostiker leidet unter der Welt. Aber was so leidet, kann nicht selbst ein Stück Welt sein, sondern ist außer- und überweltlich, — sonst 16 Sprudi 86 = 95, 34 — 96, 4. Die sahidische Übersetzung von Mt 8,20 — Lk 9, 58 liest ähnlich wie Thomas: „ihre" Nester. Den Hinweis auf das Ruhen hat Thomas hinzugefügt (Grant 168) oder seine Tradition. Diese Ruhe ist nicht auf Erden zu finden („z.B. in der Ehe": Schippers 121), sondern „innen" (Grant 168); aber der Spruch selbst deutet das nicht an. 17 Sprudi 69a = 93,25—27: „Selig sind die, die verfolgt worden sind in ihrem Herzen. Diese sind es, die den Vater in Wahrheit erkannt haben." Hier wird Mt 5, 10 gnostisdi abgewandelt; „den Vater erkennen" bedeutet für Thomas soviel wie „selig sein" (Giversen 110). Schippers 115 erklärt „in ihrem Herzen" damit, daß damals die „Lebensverfolgung weniger drohend war". Grant 161 f. sieht in unserem Sprudi wieder eine bewußte Komposition aus ntl. Stellen: „Von den Verheißungen an die Verfolgten (Matth. 5,10) wendet sich Thomas zu Matth. 5,8 und fügt hinzu: „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." Für ihn bedeutet die Schau Gottes dasselbe wie „den Vater in Wahrheit kennen" (Kenntnis und Verehrung des Vaters in Wahrheit, Joh. 4, 22—23)." Uns scheint es allzu literarisch gedacht, wenn man sich die einzelnen Wendungen so aus den verschiedenen Evangelien gleichsam herausgezupft denkt. Man muß die mündliche Oberlieferung des (kanonischen und nichtkanonischen) Evangelienstoffes mit in Rechnung stellen. 18 Spruch 50 = 89, 31—90,7; vgl. Anm. 12.

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litte er nicht an der Welt. Dieses überweltlichen „Selbst" muß sidi der Gnostiker bewußt werden, und er wird es im Zuspruch der gnostischen Botschaft. Erst damit kommt er aus der Welt heraus und findet sich selbst. „ W e r das All erkennt und sich selbst verfehlt, verfehlt das Ganze" (Spruch 67) 1 9 . Und Spruch I I I 2 0 ergänzt: „ W e r sich selbst findet, die Welt ist seiner nicht wert." Wodurch ist er der W e l t überlegen? Spruch 19 2 1 verrät es uns: „Selig ist, wer war, bevor er wurde." Seiner irdischen Existenz ist eine nichtirdische, außerweltliche vorangegangen: er ist aus der Ewigkeit hierhergekommen und wird darum auch, wieder 19

Spruch 67 = 93,19 f. Till sagt dazu in der editio princeps S. 39: „dasGanze: wörtlich: den ganzen Ort". Doresse übersetzt zu Unrecht: „Celui qui connait le Tout, qui n'a besoin que de lui-meme, il a besoin de tout le Lieu" (105) und bezieht 185 „le Tout" auf Jesus, ohne sagen zu können, was dann mit dem „Ort" gemeint ist. Giversen 109 hebt mit Recht hervor, daß die Selbsterkenntnis einer der wichtigsten Bestandteile der gnostischen Lehre ist, und verweist dafür auf die bekannte Stelle Exc. e Theod. 78: „Von der Heimarmene befreit nicht nur die Taufe, sondern auch unsere Erkenntnis, wer wir waren, was wir geworden sind usw." Grant 161 findet den Sinn des Spruches unverständlich, vermutet aber wie Doresse, daß Jesus das All ist. — Während für die Griechen die Selbsterkenntnis die eigene Grenze des Menschen aufzeigte und ihn damit vor der Hybris bewahrte, sich den Göttern gleich zu stellen, zeigt die gnostische Selbsterkenntnis dem Menschen gerade seine Identität mit dem Göttlichen. Das „erkenne dich selbst" hat also hier und dort einen entgegengesetzten Sinn.

2" Spruch 111 = 99, 6—10 (hier kommt aber nur 99, 9 f. in Betracht). Doresse 110 hat, wie Garitte nachwies, die Stelle falsch übersetzt und darum auch nicht erklären können (203). Grant faßte in der englischen Ausgabe den Satz (nach Sdioedels Ubersetzung) als Frage: „Sagte nicht Jesus . . . " . Aber Tills Konjektur (für „ouch hoti" liest er „oude ehote hoti"; Haplographie!) ergibt den besten Sinn; nur hier tritt übrigens für die perfektische Form „Jesus hat gesagt" im koptischen Text das Präsens ein. Schippers 130 sieht zu Unrecht in „sich selbst finden", „eine Leiche finden", „den Leib finden" dieselbe Sache, nämlich das in Mt 16, 25 f. par. genannte „sein Leben erhalten Wollen". Das geht an dem gnostischen Sinn der Sprüche 56, 80 und 111 vorbei. 21

Spruch 19 = 84, 17—25; wir haben aber hier nur 84, 17 f. herangezogen. Giversen 56 weist darauf hin, daß sich dieser Spruch auch im Philippusevangelium findet (bei Schenke 47 ist es Spruch 57, mit dem Wortlaut: „Selig ist, wer ist, ehe er wurde. Denn der, der ist, war und wird sein."), und in der armenisch erhaltenen Stelle Irenäus Epideixis 43, die das Wort dann freilich auf den Gottessohn und Logos auslegt (TU 31, I 1907). Giversen hat aber erkannt, daß das Wort im gnostischen Sinne von jedem Erwählten gilt. 43

dorthin zurückkehren. Der schon erwähnte Sprudi 18 22 , „Der Ort, an dem der Anfang ist, dort wird auch das Ende sein", gilt nicht nur, wie Doresse 148 meinte, für Christus, der das Alpha und Omega ist, sondern für jeden Erwählten. Der Sprudi 49 2 3 bestätigt das: „Ihr seid aus dem Reich . . . ihr sollt wiederum dorthin gehen!". Das Wort „Reich" ist nun aber ein Schlüsselwort; es eröffnet uns den gnostisdien Sinn vieler Sprüche des ThEv. Das Reich ist für Thomas nicht mehr jene kommende Gottesherrsdiaft, weldie die ersten Christen herbeisehnten! Es meint vielmehr die jenseits der Welt liegende Lichtsphäre des Göttlichen, von der Spruch 50 gesprodien hatte (s. o. S. 39) und zugleich, jenen Teil davon, den der einzelnen Gnostiker verborgen in sich trägt. Diese Fassung des Reichsbegriffes (die an die Stelle des apokalyptischen „Dereinst" das gnostische Hier und Jetzt setzt) widerspricht der großkirchlichen, und Thomas weiß das. Denn er bekämpft die Lehre vom dereinst kommenden Reich in Spruch 113 24 . Auf die Jüngerfrage, wann das Reich kommen werde, erwidert Jesus: „Es wird nicht mit Erwartung kommen. Man wird nicht sagen: ,Siehe hier!' oder ,Siehe dort!'. Sondern das Reich des Vaters ist über die Erde ausgebreitet, und die Menschen sehen es nidit!". Thomas denkt dabei nicht an die christliche Kirche (von einer liodrjaict spricht er nirgends), sondern an die einzelnen Gnostiker, die das göttliche Licht selbst verborgen in sich tragen. Dieselbe Anschauung liegt audi hinter dem umstrittenen Sprudi 3 2 5 : „Wenn 22 Sprudi 18 = 84, 9—17; s. o. Anm. 13. 23 Spruch 49 = 89,27—30; wir zitieren hier nur 89,29 f. 24 Sprudi 113 = 99,12—18. Doresse 203 f. verweist nur auf Mt 2 4 , 3 . 2 3 . 2 6 , Lk 17,20 f. und Mk 13,4—21. Grant 180 denkt dabei an das crinsiov E X J I E T D Ö E O J G ( E V O I I P A V Ü ) von Didadie 16,6. D a dieses Zeichen (des Kreuzes) nach Justin in der Natur gegenwärtig ist, habe Thomas vielleicht dies im Sinne gehabt. Zu jenem Zeichen vgl. auch Ode Sal. 27 und 42 sowie Bousset, Kyrios Christos 1931 S. 291. Aber der Gnostiker hat keine solchen eschatologischen Spekulationen angestellt. D a r u m ist die im Text gegebene Erklärung vorzuziehen. 25 Sprudi 3 = 80, 19 — 81, 5. Der koptisdie Text bietet „sök h e t " = „vorangehen", „führen", für das griechische im P. O x . 654. Darin hat G. Garitte (Le Musion 73, 1960, 151 ff.) den Beweis dafür zu finden gemeint, daß der griediisdie Text aus dem Koptisdien übersetzt sei; denn „ziehen" sei sinnlos. In Wirklichkeit ist aber der koptische Text sinnlos, denn wie kann Jesus zu seinen Jüngern sagen: „Wenn eure Führer euch sagen usw." und so diesen Führern eine Irrlehre vorwerfen, wenn in der Perspektive des ThEv Jakobus der Gerechte (Spruch 12) als solcher Führer erscheint? D a s griechische etaceiv kann aber auch „verführen" bedeuten,

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sie, welche euch verführen, zu euch sagen: .Siehe, das Reidi ist im Himmel!', so werden die Vögel des Himmels euch zuvorkommen. "Wenn sie zu euch sagen: ,Es ist im Meer!', so werden die Fische euch zuvorkommen. Sondern das Reich ist in euch und außer euch." Diese letzte Aussage über das Reich hat man nicht verstanden, weil sie der zuvor proklamierten Innerlichkeit des Reiches widerspreche 28 . In Wirklichkeit hatte sie aber f ü r die Gnostiker einen guten Sinn. Sie drückte nämlich jenes Doppelte im Reichsbegriff des T h E v aus, das wir oben schon angedeutet haben: „in uns" ist das Reidi, sofern es sich um das ewige Selbst im Gnostiker handelt; „außer uns" ist es jedoch, wenn wir von jener göttlichen Lichtsphäre sprechen, aus der das gnostisdie Selbst kam und in die es wieder eingehen wird. Von diesem Reich redet nun eine ganze Anzahl von Sprüchen des ThEv. Sie klingen vielfach ganz synoptisch. Aber sie sind es nicht. Da ist etwa der Spruch 9 27 . Er variiert die uns aus Mk 4, 3—9 par. bekannte Geschichte vom viererlei Acker. Das „gute Land" ist das Reich = das himmlische Selbst des Gnostikers, auf das der Same des Offenbarungswortes fällt und Frucht bringt. Daß wir dieses „gute Land" zu Recht auf das Reich im Innern des Gnostikers deuten, bestätigt die Erwähnung dieser Auffassung bei Hippolyt. Als er das Gleichnis wiedergegeben hat, fährt sein Text fort: „Das heißt, sagt er (nämlich der gnostisdie Gewährsmann Hippolyts, dessen Schrift er zitiert), das schöne und gute Land, von dem auch Moses gesprochen hat . . . " 28 In andern Fällen sagt das T h E v ausdrücklich, daß ein Gleichnis vom „Reich" handelt. So lautet Spruch 96 29 : „Das Reich des Vaters gleicht einer Frau. Sie nahm ein wenig Sauerteig, sie verbarg ihn in Mehl. Sie und diesen (seltenen) Sinn hat es hier. Da ihn der Kopte nicht verstand, hat er sidi zu helfen gesucht, indem er das vermeintliche „ziehen" mit „voranziehen" wiedergab, ohne zu merken, wie wenig dieser neue Sinn paßte. 26

Schippers 62 hält „und außer euch" für eine falsche Zutat des koptischen Übersetzers. Doresse 124 verweist auf Hippolyt V 7, 20, wo es vom Himmelreich heißt, es sei zugleich verborgen und offenbar. Aber das hat mit unserer Stelle nichts zu tun; denn weder das Reidi im Gnostiker noch das jenseitige Lichtreich ist offenbar.

27 Spruch 9 = 82, 3—13. Quispel 201 f. findet hier in „auf den Weg" den ursprünglichen Text des Gleichnisses, während Mk 4, 4 mit xaoa TT]V 6 S 6 V = „neben den Weg" einen schlechteren Text biete. Aber itaoü kann im hellenistischen Griechisch auch „auf" bedeuten (s.W.Bauer, Wörterb.5 1211), und das meint es bei Mk. auch. 28

Hippolyt V 8, 29 f.; das hat Doresse 136 schon gesehen.

2

9 Spruch 96 = 97, 2—6. 45

machte ihn zu großen Broten. Wer Ohren hat, möge hören." Die Einleitung muß, wie bei den synoptischen Gleichnissen auch, etwa in dem Sinn verstanden werden: „Mit dem Reich des Vaters verhält es sidi so. Eine Frau usw." Vom „Vater" spricht Thomas, weil die Gnostiker die Bezeichnung „Gott" für das höchste Göttliche vermieden. Der w e n i g e Sauerteig, der im Brotteig verborgen ist, ist jenes ewige Selbst im Gnostiker (ohne daß man die Frau allegorisch, sei es auf den höchsten Gott oder auf einen Demiurgen, zu deuten hätte). Diese Auslegung belegt wieder Hippolyt, indem er aus seiner gnostischen Quelle die Worte zitiert 30 : „Dies . . . ist das Himmelreich, das in euch liegt wie ein Schatz, wie der in drei Maß Mehl verborgene Sauerteig." Die Gnostiker betonten absichtlich, daß es nur wenig Sauerteig ist und daß er verborgen ist. Denn weil das göttliche Selbst im Gnostiker nicht welthaft ist, läßt es sich nicht sehen und vorweisen. Es ist also wirklich verborgen. Hier ist tatsächlich der Punkt, wo vom Gnostiker Glauben gefordert wurde; er mußte sich auf eine Wirklichkeit verlassen, die man nicht greifen und nachweisen kann. Daß damit ihre Realität aber nicht ausgeschlossen ist, hat die Gnosis gern daran zu zeigen versucht, daß sie dieses „innere Reich" mit einem Punkt verglich. Ein Punkt hat ja, streng genommen, keine Ausdehnung in irgend einer Richtung. Er ist das Nichts. Und dennoch ist er wirklich! Den Beleg für diese gnostische Argumentation liefert uns wieder Hippolyt 31 : „Der nichts seiende und aus nichts bestehende Punkt, der unteilbar ist" (also ist er eine unzerstörbare, ewige Einheit!), „wird zu einer für sein" (des Gnostikers) „eigenes Bewußtsein unfaßbaren Größe werden. Das . . . ist das Himmelreich, der unteilbare Punkt, der im Leibe ist, den . . . niemand kennt als allein die Pneumatiker." Denn sie allein haben ja diese Wirklichkeit in sich. Wenn wir uns an diese gnostische Anschauung halten, dürfen wir das Senfkorngleichnis in Spruch 2032 auf eben dieses „innere Reich", dieses göttliche Selbst deuten. Die Kleinheit des Senfkorns und der große Sproß, den es treibt, entsprechen dem „wenigen" Sauerteig und den „großen" Broten. In diesem Gegensatz findet der gnostische Ausleger einerseits die unscheinbare, verborgene Existenz des Göttlichen im irdischen Leibe des Erwählten angedeutet, andererseits die unermeßliche Herrlichkeit, zu der es sich dereinst entfalten wird, wenn es in die göttliche Urwirklichkeit zurückkehrt. 30 Hippolyt V 8, 8. 31 Hippolyt V, 9, 6 f. 32 Spruch 20 =

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84,26—32.

Von keinem anderen Gegenstande als diesem ewigen Kern oder Keim im Erwählten spricht ein weiteres Reichsgleichnis, das vom Sdiatz im Acker in Spruch. 10933. Audi diesen verborgenen Schatz hat die Gnosis mit jenem Selbst identifiziert; das beweist wieder Hippolyt 34 (s. o. beim Gleichnis vom Sauerteig). Das Gleichnis begegnet uns hier in Spruch 109 allerdings in einer schon „zersagten" Form: Jemand besitzt einen Acker, in dem ein Schatz ruht. Er ahnt nidits davon, ebensowenig sein Sohn, dem er den Acker vererbt. Der Sohn verkauft den Acker an einen Dritten, und der findet beim Pflügen einen Sdiatz. Daß er damit ein lukratives Zinsgeschäft beginnt, zeigt, daß das Gleichnis diese Form nicht von Thomas bekommen hat. Denn das ThEv lehnt das Zinsnehmen scharf ab. Aber diese Fassung der Geschichte illustrierte für diese Gnostiker die Wahrheit, daß die meisten Menschen gar nicht ahnen, welcher Sdiatz in ihnen angelegt ist, und daß darum nicht jeder diesen Schatz in seinem Acker findet = das göttliche Selbst in sich entdeckt. Von diesem handelt auch das Gleichnis vom verlorenen Schaf in Spruch 10785. Entgegen dem lukanischen Bericht wird dieses Schaf im ThEv „das große" genannt und der Hirt versichert ihm ausdrücklich, daß er es mehr liebt als die anderen neunundneunzig. Damit wird nicht etwa die Sünderliebe Jesu veranschaulicht; im Gegenteil: der gnostische Gott und — ihm entsprechend — der gnostische Jesus liebt nicht das Unwerte, sondern das einzig Wertvolle: das in die Welt abgeirrte göttliche Selbst. Dieses findet sich keineswegs in jedem Menschen, sondern nur in sehr wenigen: „Jesus sagte: Ich werde euch auswählen einen aus Tausend und zwei aus Zehntausend . . . so beschreibt Spruch 233® diese Lage. Spruch 7637 bringt, an Mt 13,45 f. erinnernd, das Reichsgleichnis von der köstlichen Perle: Ein kluger Handelsmann gibt für sie seinen ganzen Warenpacken 38 hin. Was hier mit der Perle gemeint ist, zeigt die unmittelbar darauf folgende Ermahnung: 39 „Sucht auch, ihr nach einem Schatz, der nicht aufhört zu bestehen . . . " — es geht also auch hier wieder um 33 Spruch 109 =

98, 31 — 99, 3.

34 Hippolyt V 9, 8. 35 Spruch 107 =

98,22—27.

36 Spruch 23 =

86,1—3.

37 Spruch 76 =

94,13—18.

38

cpoQtiov kann freilich auch die Ladung eines Schiffes bedeuten. Aber das Gleichnis bewegt sich wohl in dem bescheideneren Alltag, wo der Handelsmann mit seinem Warenpacken umherzieht.

39 Spruch 76 =

94,19—22.

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jenen göttlichen Wesenskern des Erwählten (vgl. das Hippolytzitat S. 46 oben). Klug ist der Händler in den Augen der Gnostiker, weil er sich ohne Zögern für das Selbst entscheidet und alles andere fortgibt. "Weil alles andere vergänglich ist, ist diese Wahl für die Gnostiker die einzig sinnvolle. Aus demselben Grunde wird auch jener Fischer »klug" genannt, von dem das Fischfanggleichnis in Spruch 8 4 0 erzählt. Hier ist die synoptische Tradition erheblich in gnostischem Sinne abgeändert: es handelt sich nur noch um einen einzigen Fischer, und dieser findet in seinem N e t z neben den vielen kleinen Fischen, welche die weltlichen Güter symbolisieren, einen großen Fisch, für den er sich entscheidet. Dieser große Fisch, von dem die synoptische Fassung nichts weiß, vertritt wieder jenes Göttliche im Menschen, mit dem verglichen alles andere wirklich „kleine Fische" sind. Diese gnostische Anschauung hat die Reduzierung der Mehrzahl von Fischern in der synoptischen Geschichte auf den einen im T h E v erzwungen: man findet sein Selbst nur als einzelner. Von Perlen handelt auch der Spruch 93 4 2 „Gebt nicht das Heilige den Hunden, damit sie es nicht auf den Mist werfen. Werft die Perlen nicht den Säuen hin, damit sie es nicht < v e r n i c h t e n > " . Auch in diesem Heiligen und diesen Perlen dürfen wir wieder jenes göttliche Erbe sehen, das wir der Welt nicht preisgeben sollen. Damit wechselt das Thema etwas. Bisher war stets von der Entdeckung, von der Wahl des Selbst die Rede. Hier wird deutlich, daß die Bewahrung dieses Selbst für die Gnostiker ein ebenso wichtiges Anliegen war. Zur Erläuterung können wir abermals Hippolyt 4 ® das Wort geben, der erneut seinen gnostischen Gewährsmann zitiert. Dabei erwähnt er sogar einen Spruch, der im T h E v als N r . I I 4 4 « Spruch 8 =

81,28 — 8 2 , 3 .

« Mt 13,47—50. Hunzinger (Festschrift f. J . Jeremias, Berlin 1960, 218 f.) tut bei seinem Versuch, hier ein echtes Jesuswort zu rekonstruieren, dem Text Gewalt an: als der Fischer das Wurfnetz mit den kleinen Fischen eingebracht habe, sehe er erst den großen Fisch im Wasser, und werfe nun die kleinen Fische fort, um den großen zu fangen. Nach dem T h E v sieht der Fischer den großen Fisch mitten unter all den kleinen in seinem Netz. Das dürfte überdies natürlicher sein. Denn wenn er die kleinen Fische erst ins Wasser werfen müßte, um den großen zu fangen, würde der kaum, ungestört dadurch, ruhig im selben Ort verharren. « Spruch 93 = 96,30—33. « Hippolyt V 8, 32 f. 44

48

Spruch 11 = 82,19—22 kommen hier nur in Betracht: der Mensch macht das Tote, das er ißt (Tier oder Pflanze) lebendig, indem er sich die N a h rung einverleibt. Wenn aber der Gnostiker die ewige Speise bekommt, dann gibt sie ihm eine überirdische Existenz.

vorkommt, ohne freilich das T h E v zu nennen: „Sie sagen: Wenn ihr Totes gegessen und es lebendig gemacht habt, was werdet ihr tun, wenn ihr Lebendiges esset? Lebendig aber nennen sie Gedanken und Worte und Menschen, die Perlen jenes noch jenseits der Individuation Stehenden, die in die Schöpfung hinabgeworfen sind. Das ist das Wort, sagt er: W e r f t das Heilige nicht den Hunden vor und nicht die Perlen den Säuen!, indem sie sagen: das Werk der Hunde und Säue sei die Vereinigung der Frau mit dem Manne", also das Sexuelle. Diese Deutung erinnert uns daran, daß wir bisher etwas versäumt haben. W i r haben immer nur davon gesprochen, daß die Gnostiker des T h E v die Erkenntnis des göttlichen Selbst im Menschen predigten. Aber man würde diese Gnostiker mißverstehen und gewaltig unterschätzen, wenn man meinte: diese Selbsterkenntnis war für sie nur ein einmaliger Akt, womöglich gar ein rein intellektuelles Ereignis. In W i r k lichkeit sahen sie darin eine Entscheidung, die immer wieder und zwar in der Praxis des Lebens erfolgen muß. Gewiß trennt sich der Gnostiker in der Selbsterkenntnis von der Welt. Aber das wäre in den Augen des Thomas eine leere Deklamation geblieben, hätte man es nicht immer wieder und in der Praxis des Alltags durchgeführt. Die Reichsgleichnisse, von denen wir bisher gesprochen haben, reden also in Wahrheit nicht von einem einmaligen Geschehen, von einer Entscheidung, die nun automatisch das ganze weitere Leben regelt. Es geht vielmehr um eine Wahl, die in der Praxis ständig erneuert werden muß 4 5 . Der Verzicht auf die Welt muß hier und jetzt wirklich werden — vor allem im Verzicht auf die stärkste Bindung an die Welt, auf die Verbundenheit der Geschlechter.

5.

Die Welt

Damit kommen wir in stärkerem Maße zu dem Thema „Welt". Im Grunde haben wir freilich schon immer mit von ihr gesprochen. Denn weil das Selbst ja innerhalb der Welt existiert, in einem Leibe, der selbst zur Welt gehört, der selbst Welt ist, läßt sich die Problematik des Selbst gar nicht von jener trennen, welche die Welt aufwirft. Darum werden wir auch jetzt noch weiter vom Selbst reden, obwohl unser eigentlicher Gegenstand nun die Welt sein wird. Dieses Ineinander von Selbst und Welt trotz ihrer abgründigen Verschiedenheit machen bereits die ersten Sprüche deutlich, die wir hier erwähnen müssen. 45

Das gilt zunächst von jenen Gnostikern, die im T h E v zu W o r t kommen. Aber es dürfte zugleich genügen, um das allzu einfache Bild zu zerstören, nach dem jeder Gnostiker ein cftiaei aco^ofievo;

4

Haenchen, Thomas-Evangelium

ist.

49

Wir hatten oben schon den Spruch I I I 4 6 angeführt, in dem es heißt: „Wer sich selbst findet, — die Welt ist seiner nicht wert". H ä t t e damals, als diese Worte geschrieben wurden, ein gnostisdier Kierkegaard gelebt, er hätte vom „unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Selbst und W e l t " gesprochen. Worin besteht dieser Unterschied? Spruch 5 6 4 7 antwortet: „Wer die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam gefunden". Die Welt ist im Vergehen begriffen. Richtig erkannt ist sie nichts anderes als ein ungeheurer verwesender Leichnam, ein jrrcö[xa. Zugleich aber ist sie etwas, das lockt und befleckt. Von hier aus begreifen sich die vielen asketischen Sprüche im T h E v . Der Spruch 42 4 8 beschreibt am kürzesten das rechte Verhalten gegenüber der Welt: „Werdet Vorübergehende!". Woran die Erwählten vorübergehen sollen, ist natürlich die Welt. Die Loslösung von der Welt kann in mancherlei Bildern beschrieben werden. Spruch 27 4 9 benutzt, um das rechte Verhältnis zur Welt darzustellen, das Wort „fasten" (das ein sich der Nahrung Enthalten besagt): „Wenn ihr nicht der Welt gegenüber fastet, werdet ihr das Reich nicht finden, u n d " — damit wird ein neues, aber verwandtes Bild eingeführt — „wenn ihr den Sabbat nidit wirklich haltet, werdet ihr den Vater nicht sehen!". Man würde das T h E v völlig mißverstehen, wollte man annehmen, es gebiete hier die strenge Beachtung des jüdischen Sabbatritus und verschärfe die jüdischen Fastenvorschriften. Denn die Sprüche 6 5 0 , 14 5 1 und 104 5 2 lehnen ja das Fasten im jüdischen (und frühchristlichen) Sinne scharf ab: „Wenn ihr fastet, werdet ihr euch eine Sünde schaffen". Thomas will nicht, daß man sich mit einer solchen Teilenthaltung schon von der Welt befreit wähnt. D a r u m ist der jüdische Sabbat, an dem sich der fromme J u d e (wie damals jedermann wußte) möglichst aller weltlichen Betätigung enthielt, nur ein Bild für das gnostische Fernbleiben von der Welt. « S. o. Anm. 20. 4? Spruch 56 = 90, 29—31. Hier geht Grant 154 f. ausnahmsweise ganz in die Irre, indem er schreibt: „Durch die Erwähnung des Reiches will Thomas entweder absichtlich dem Leser irgendwelche Geheimnisse vorspiegeln oder er gebraucht „Leichnam" als identischen Ausdruck für „Leib" und folglich für das „Selbst"." Diese Mißdeutung kommt daher, daß Grant das Erkennen der Welt als „offensichtlich gut" wertet. « Spruch 42 = 88,19. Mit 2 Kor 4.16 (so Grant 147) hat dies Wort nichts zu tun. 49 Spruch 27 =

86,17—20.

so Spruch 6 = 81, 14—23. 51 Spruch 14 = 52 Spruch 104 = 50

83,14—16; daraus stammt das folgende Zitat. 98,10—16.

Die kanonischen Evangelien hatten den Menschen vor das Entweder/ Oder gestellt: Gott oder Mammon! Aber auch den Gnostikern war das Entweder/Oder nicht unbekannt; für sie lautete es: Das Reich oder die Welt! Weil er dieses Entweder/Oder unvergeßlich einprägen wollte, ist Spruch, 47 5 3 so lang geworden. Er enthält nicht nur eine Variation des synoptischen Wortes, daß man nicht zwei Herren dienen kann, auch nicht nur die synoptischen Sprüche über die Unvereinbarkeit von Alt und Neu, sondern vor alledem noch zwei neue Bildworte: „Man kann nicht" zugleich „zwei Pferde besteigen oder zwei Bogen spannen". Michaelis 24 findet darin den Sinn: „Man kann nicht alles auf einmal haben"; im kanonischen Wort Jesu sei doch etwas ungleich Ernsteres gemeint als die Sucht, überall dabei zu sein und es nicht ertragen zu können, daß einem etwas entgeht". Es ist seltsam, daß das ThEv derart mißverstanden — und dabei unterschätzt — werden kann. Denn es meint ja etwas wirklich Ernstes: man kann sich nicht auf zweierlei einlassen, von denen jedes den ganzen Menschen fordert: entweder das Reich oder die Welt! Diese Gnostiker dachten nicht daran, alles auf einmal haben zu wollen, sondern nur das einzig Notwendige: die Ewigkeit. Von dem Verhältnis zur Welt handeln auch Sprüche, denen man diesen Sinn zunächst gar nicht ansieht; es sind wirklich „verborgene Worte". Da ist der merkwürdige Spruch 21 5 4 . Er ist kein einheitliches Gebilde, sondern aus verschiedenen, mehr oder minder verwandten Worten zusammengesetzt. Zunächst fragt Maria (Magdalena) Jesus, wem seine Jünger gleichen. Es geht hier also um das Wesen des rechten Jüngers Jesu. Ein Bildwort antwortet: Sie gleichen kleinen Kindern, die sich auf einem fremden Feld niedergelassen haben. Wenn die Besitzer des Feldes kommen und sie auffordern, ihnen ihr Feld zu geben, dann „ziehen sie sich aus vor ihnen, damit sie es ihnen übergeben". Dieser Spruch ist so dunkel, weil hier zwei Bilder durcheinandergehen. Mit dem „Feld" ist (vgl. Mt 13,38: „Das Feld ist die Welt") nichts anderes gemeint als die Welt, in welcher der Gnostiker ja lebt. Wenn man von ihm (in der Sterbestunde) verlangt, daß er diese Welt verläßt, dann zieht er seinen Leib aus: dieser gehört mit zur Welt. Das weltlose Selbst aber ist dann befreit. 53 Spruch 47

=

83,12—23.

Quispel 194 f. sieht die Lesart „alter Wein in

neuen Schläuchen" (weil sie auch im persischen Diatessaron auftaucht und der Erfahrung entspricht) als ursprünglich an. Aber müssen Erweiterungen denn immer sinnlos sein? Daß das T h E v oft den im 2. Jh. gebräuchlichen T e x t zeigt, ist richtig. Aber das besagt nicht, daß dieser Text ursprünglich ist, sondern nur, daß er damals beliebt war. 54 Spruch 21 =

4*

84, 34 — 8 5 , 1 9 .

51

Aber der Mensch lebt nicht nur in der Sterbestunde. Die "Welt will schon vorher das Ihre. Darum fügt der Spruch 21 an das soeben besprochene Bildwort den Spruch vom wachenden Hausherrn an 5 5 , der den Dieb nicht „in das Haus seines Reiches" eindringen läßt. Das ist sehr ungeschickt ausgedrückt. Aber es zeigt uns recht deutlich: hier wird die Welt als der Dieb oder Einbrecher verstanden, der dem Gnostiker sein „Reich" nehmen will. Zu allem Überfluß wird das im Folgenden noch ausdrücklich gesagt: „Ihr aber, wacht vor der Welt . . . , damit die Räuber keinen Weg finden, zu euch zu kommen". Man versteht das nur, wenn man sich klar macht, daß die Welt ja stets auf der Lauer liegt, um den Gnostiker in ihre Bindungen einzuspannen. Darum muß er jeden Augenblick auf dem Posten sein. Der Spruch 22 5 6 kann uns die Gesamtanschauung illustrieren, die hinter diesen Worten steht. Schon in den kanonischen Evangelien werden Christen gelegentlich ¡jixpoi, „kleine" (Kinder) genannt, und die jtaiöia sind Vorbilder für die, welche in das Gottesreich eingehen wollen. Der Spruch 22 aber prägt nun diesen Begriff der „kleinen Kinder" gnostisch um. Die Säuglinge, von denen er redet, stehen noch jenseits des Unterschieds, den das Verlangen zwischen den Geschlechtern erkennt und schafft. Darum ist das kleine Kind das Ideal für die gnostische Askese, die ja durch ihre Enthaltsamkeit den paradiesischen Zustand der spannungslosen Einheit zurückbringen will. Daß dieses gemeint ist, zeigt die Fortsetzung; nicht nur der Gegensatz zwischen männlich und weiblich, sondern auch der von außen und innen, von oben und unten, d. h. a l l e Gegensätze, die unsere Welt hier enthält, sollen zur Einheit gebracht werden, „zu einem einzigen werden". Die ganze Welt der Vielheit — und sie beginnt schon bei der Zwei — soll verschwinden. Damit, daß E v a neben Adam trat, ist im Grunde der Fall aus der göttlichen Ein55 85, 6 ff. Befremdlich ist das Tempus der Vergangenheit in 8 5 , 1 7 f. Der Sinn ist freilich deutlich: das Bild der Ernte deutet hier nicht das Gericht an, sondern die Vollendung. Aber warum wird das Beispiel des Mannes, der rechtzeitig mit der Sichel die Frucht abmäht, im Perfekt I gegeben? Vermutlich ist es als Erzählung eines (vorbildlichen) Vorfalls empfunden worden. Die Wendung „Wer Ohren hat usw." weist ausdrücklich auf den verborgenen Sinn hinn: man soll rechtzeitig in sich das eigentliche Wesen des (erwählten) Menschen entwickeln. 56 Spruch 22 = 85,20—35. Selbstverständlich hat der Gnostiker nicht nur Interesse daran, daß der Unterschied zwischen Mann und Weib (durch Askese) aus der Welt verschwindet. Diese Differenz ist ja nur ein besonders wichtiger Spezialfall jener weltlichen Unterschiede, die zugleich weltliche Bindungen und Spannungen schaffen. Der Gnostiker soll eigentlich aus dem Ganzen dieser weltlichen Wertungen heraustreten.

52

heit bereits vollzogen (Vgl. Evangelium nach Philippus, Sprudi 71, 116, 24 f.: „Als E v a noch in Adam war, existierte kein Tod. Als sie sidi von ihm trennte, entstand der Tod."). Das besagt der zunächst rätselhafte Sprudi I I 5 7 : „ D a ihr eins wäret, seid ihr zwei geworden" — in jedem Menschen, der zum Bewußtsein des eigenen Geschlechts erwacht, wiederholt sich ja dieses Urgeschehen. Aber auch der im Rahmen des T h E v zunächst unverständliche Spruch 89 58 findet so seine Erklärung: „Versteht ihr nicht, daß der, welcher das Innere gemacht hat, auch der ist, welcher das Äußere gemacht hat?" Für Thomas gehört ja das Äußere zur Welt, das Innere aber ist das Reich. Wie kann er da behaupten, beide hätten einen und denselben Schöpfer? Die gnostisdie Erklärung ist sehr einfach.: Thomas hört aus dem Spruch nur das Eine heraus, daß der innerweltlich verstandene Gegensatz von Innen und Außen aufgehoben werden soll, damit die göttliche Einheit hergestellt wird. Dasselbe spricht aber auch eine andere Stelle im T h E v aus, nämlich der Spruch 106 5 9 : „Wenn ihr die zwei zu einem macht, werdet ihr Söhne des Menschen werden", und von hier aus wird auch die gnostisdie Umformung von Lk 12,13 f. in Spruch 72 6 0 verständlich. Dort fordert ein Mann Jesus auf, er möge die Brüder des Mannes veranlassen, „die Sachen seines Vaters" mit ihm zu teilen. Jesu antwortet nicht nur: „ O Mann, wer hat mich zum Teiler gemacht?", sondern er wendet sich überdies an seine Jünger und sagt zu ihnen: „Bin ich denn ein Teiler?" All das versteht man sofort, wenn Jesus als das Gegenteil eines Teilers vorausgesetzt wird, nämlich als der, welcher die große Einheit wieder5? Spruch 11 =

82,22—24.

S.o.Anm.43.

58 Sprudi 89 = 96,13—16. Schippers 122 meint: „ E s geht in der Gnosis immer um die Innenseite der Dinge." D a s ist mindestens sehr mißverständlich. Denn nur der (erwählte) Mensch hat ein solches „Innen", nicht aber die Dinge. Grant 169 f. erklärt das Wort als gegen die Beobachtung ritueller Vorschriften gerichtet. Aber damit kommt sein eigentlicher, gnostischer Sinn noch gar nicht zur Sprache: das Auslöschen des Unterschieds von Innen und Außen, mit dem keineswegs Gott als Schöpfer der Materie gepriesen werden soll! 59 Spruch 106 = 60

98,18—22.

Spruch 72 = 94,1—6. Richtig Grant 163: Jesus „ist gekommen, die verlorene Einheit des Menschen wiederherzustellen." Schippers 116 spricht hier von der tendenziösen Behandlung des Textes durch Thomas. Gewiß legt Thomas den Text in seinem Sinne aus. Aber das tun die kanonischen Evangelien auch. Beide glauben jeweils, den rechten Sinn der Sprüche wiederzugeben. Im übrigen steht auch „Thomas" schon in einer (gnostischen) Tradition.

53

herstellt. Von dieser Einheit handelt endlich auch der zunächst so befremdende Spruch 4 6 1 : „Nicht wird zögern der hochbetagte Mann, zu fragen ein kleines Kind von sieben Tagen nach dem Ort des Lebens, und er wird leben". Dabei ist nicht an ein mirakelhaftes Gespräch zwischen dem Greis und dem Kind von sieben Tagen gedacht, sondern an die Erkenntnis, die den Alten angesichts dieses Kindes aufgehen kann, das noch in der Einheit ruht. Wenn er ebenfalls nun in diese Einheit eingeht, dann wird er, der erste — denn er ist ja schon vor langer Zeit geboren — zum Letzten, und sie werden ein einziger sein", da Greis und Kind beide nun von derselben Einheit jenseits aller Gegensätze umfangen sind. Aber zurück zu Spruch 22. Er fährt sehr überraschend fort: 6 2 „Wenn ihr Augen anstelle eines Auges macht und eine Hand anstelle einer Hand und einen Fuß anstelle eines Fußes, ein Bild anstelle eines Bildes, dann werdet ihr ins Reich eingehen". Die drei Begriffe Hand, Fuß und Auge kommen in Mk 9,43—47 vor unter dem Stichwort axävbakov: wenn eines dieser Glieder den Menschen ärgert, dann soll er lieber darauf verzichten. Denn es ist besser, verkrüppelt in das Leben einzugehen als gesund in die Hölle geworfen zu werden. Die Gnostiker haben das Wort in einer anderen Reihenfolge übernommen und auch mit einem anderen Sinn gefüllt (wobei das Sprichwort „Auge für Auge", ebenfalls umgedeutet, Pate stand): der Spruch redet bei ihnen von der Verwandlung von Auge, Hand und Fuß aus fleischlichen Organen in entsinnlichte, geistliche. Da aber, wo noch die Leidenschaft Mann und Weib beherrscht, da gilt für die Gnostiker des ThEv der Spruch 87 6 3 : „Erbärmlich ist der Leib, der von einem Leibe abhängt, und erbärmlich die Seele, die von diesen beiden abhängt". Eine Parallele dazu — die freilich zugleich das selbständige Eigenleben solcher Sprüche belegt — enthält der Spruch 112 6 4 : 61

Spruch =

81, 5 — 1 0 . Der naassenische Spruch, den Hippolyt V 7 , 2 0 zitiert

(„Wer midi sucht, wird midi finden in Kindern vom 7. Jahre an, denn dort im 14. Äon verborgen offenbare ich midi") zeigt eine gnostische

Äonen-

spekulation, die dem T h E v ganz fremd ist, und verfehlt gerade dessen Gedanken, daß das ganz kleine Kind noch jenseits der entscheidenden irdischen Unterschiede steht. Die Kinder vom 7. Jahre an sind ja doch die größeren. Aus diesem

Zitat läßt sich keine Benutzung des T h E v bei den Naassenern

erschließen. Im übrigen müssen die Alten nidit immer gerade die wenigen Quellen benutzt haben, die uns erhalten geblieben sind. 62 Spruch 8 5 , 3 1 — 3 5 . 63 Sprudi 87, = 64 Spruch 112 =

54

96,4—7. 99,10—12.

„Wehe dem Fleisch, das von der Seele abhängt; wehe der Seele, die von dem Fleische abhängt!". Denn beide sind, wie Grant 179 riditig erkannt hat, einander feindlich. Grant verweist hier auch auf Spruch 29 6 5 : „Jesus sagte: Wenn das Fleisch wegen des Geistes entstanden ist, so ist das verwunderlich. Wenn aber der Geist wegen des Leibes entstanden ist, so ist das noch verwunderlicher." In Spruch 79 6 6 erscheint die uns aus Lk 11,27 f. bekannte Tradition, aber kombiniert mit Lk 23,29. Diese Verbindung erlaubte die U m biegung des synoptischen Spruches ins Asketisdi-Gnostische: Eine Frau aus der Menge preist den Leib, der ihn getragen hat, usw. Jesus aber entgegnet: „Heil denen, die das W o r t des Vaters gehört und es in Wahrheit bewahrt haben. Denn es werden Tage kommen, da ihr sagen werdet: Heil dem Mutterleib, der nicht empfangen hat, usw." Das „Wort des Vaters", von dem hier die Rede ist, müssen wir als die Forderung der geschlechtlichen Enthaltsamkeit verstehen. Die kommenden Tage sind die Sterbestunde. In ihr wird die Frage brennend: H a t sich im Menschen das weltlose Selbst gebildet oder hat die Bindung an die Welt die Entstehung dieses Selbst verhindert? In diesem zweiten Fall ist nichts Ewiges da, das den T o d überdauert. H a t man diesen Zusammenhang erkannt, dann versteht man auch die Verbindung von Spruch 79 mit Spruch 80 67 . An sich ist Spruch 80 nur eine Variante zu 56, bei der das W o r t jrrcofict durch das gleichsinnige W o r t oco|xa ersetzt ist. Cullmann 328 hat vermutet, daß hier eine verschiedene Übersetzung des aramäischen Wortes „pagra" vorliegt. Guillaumont 246 dachte an die entsprechende hebräische Form „päger", weil das aramäische „pagra" primär „Leiche" bedeutet. K . H . Kuhn 314 will eher die Ähnlichkeit der griechischen Wörter ntco^a un< ^ acüjxa zur Erklärung der Variante heranziehen. E r weist aber noch auf etwas anderes hin: Wenn der koptische T e x t aus dem Griechischen übersetzt ist, dann lohnt es sich, die koptische Ubersetzungstechnik zu studieren. Wir können sie bei der sahidischen Ubersetzung des N . T . beobachten. Dabei ergibt sich,: das sechsmal im N . T . vorkommende W o r t jrt(ü|ia wird in der sahidischen Übersetzung in allen diesen Fällen mit aajjia wiedergegeben. Es ist also durchaus möglich, daß dieser sahidische T e x t des N . T . die Gestalt des Spruches 80 beeinflußt hat. Aber schon M t 24,28 (jtTtö|xa) und Lk 17,37 (aco^a) zeigen diesen Unterschied. L k bringt das weniger „grobe" W o r t ; gemeint ist auch hier: „Leiche" (vgl. W . Bauer, Wörterb. 65 Sprudi 29 = 86, 31 — 87,2. 66 Spruch 79 = 95, 3—12. 67 Spruch 80 = 95,12—15. 55

5. A. s. v. 1581). Nur wer die Welt als eine Leidie sieht, als das Vergehende und Verwesende, von dem man so weit wie nur irgend möglich fern bleiben muß, nur der verhält sich richtig und bewahrt seinen ewigen Wert. Von der Bindung an die Welt — einer verhängnisvollen Bindung! — handelt auch das Gleichnis vom Gastmahl, der lange Spruch 64 6 8 . Es ist die ausführlichste Geschidite, die das T h E v bietet. Hier wird berichtet, warum die (vier) Gäste die Einladung ausschlagen: der eine muß Kaufleuten Kauforder geben, der zweite ein neugekauftes Haus besichtigen, der dritte das Hochzeitsmahl für einen Freund veranstalten und der vierte die Zinsen seines Gutes einkassieren. Alle diese Beispiele sollen zeigen, wie der Mench verstrickt ist in die Gesellschaft und in das Erwerbsleben. Darum folgt er dem Ruf ins „Reich" nicht, das hier mit dem Gastmahl gemeint ist. Die Deutung wird nur knapp am Ende sichtbar: die „Käufer und Verkäufer" — die Wendung erinnert an Mk 11,15 — „werden nicht in die Orte meines Vaters kommen". In dieselbe Richtung zielt auch die Geschichte vom reichen Kornbauern, der Spruch 63 69 . Er berührt sich locker mit Lk 12,16—21 — das Lukasevangelium steht überhaupt der Tradition am nächsten, die uns im T h E v begegnet. Natürlich, fehlt hier die lukanische Wendung „reich sein bei Gott" — wir erwähnten schon, daß die Gnostiker das Wort „Gott" nicht lieben, vielleicht weil es sich mit der Pluralität des Göttlichen in der Gnosis nicht recht verträgt. Außerdem ist aber Thomas der Gedanke fremd, daß man sich mit einzelnen guten Werken ein Kapital bei Gott ansammelt. Was unter diesen Umständen von der synoptischen Erzählung übrig bleibt, ist die Geschichte eines Menschen, der .völlig in dem weltlichen Betrieb aufgegangen ist. Plötzlich überrascht ihn der T o d — und damit ist für diesen Menschen alles aus. Denn wer auf Erden das wahre Leben nicht in sich selbst gefunden und bewahrt hat,

68

Spruch 64 = 92,10—35. Thomas hat kein Interesse an jenen Zügen, die Mt und Lk jeweils eintrugen, um ihre Deutung des Gleichnisses auf die Geschichte der Kirdie und deren Mission heraus zu bringen. Weil er keinen solchen Zug übernahm, wirkt sein Text so „echt" im Sinne der historischen Kritik, die jene Züge als interpretierende Einfügungen erkannt hat. Rengstorfs Versuch („Die Stadt der Mörder", in: Judentum, Urchristentum, Kirdie. Festschrift f. J . Jeremias, Berlin i960, 106—129), den Einschub des Mt als literarischen xöjiog zu erweisen, dürfte übersehen, daß es sich um die Erwähnung einer durdi Jahrtausende üblichen Kriegspraxis handelt, deren Beschreibung dann leicht monoton und typisch wirkt.

69 Spruch 63 =

56

92,2—10.

ist ganz der Vergänglichkeit ausgeliefert — er besitzt ja keinen ewigen Kern, sondern vergeht wie ein Tier 70 . Vor dem Reichtum warnt und zum Verzicht rät der Spruch HO 71 , der freilich aus einer schon getrübten Quelle geflossen ist: „Wer die Welt gefunden hat und reich geworden ist, soll auf die Welt verzichten". Hier wird das gnostische Erkennen der Welt in ihrer Nichtigkeit, von dem Spruch 56 gehandelt hatte, ersetzt durch das positive „die Welt finden", das mit „reich werden" zusammenfällt — es ist der erfolgreiche Geschäftsmann, den dieser Spruch vor Augen hat. Nur die Forderung zum Verzicht, die zum Schluß kommt, verhilft doch noch der gnostischen Tradition zum Sieg. Sie läßt sich auch in dem „zersagten" Spruch 8172 spüren: „Wer reich geworden ist, soll König werden, und wer Macht hat, soll verzichten". An sich sind „reich werden" und „König werden" ja gnostische Begriffe mit entgegengesetztem Inhalt: Stufen des Gnostikers auf dem Weg zur Vollendung (s. dazu S. 70 f.). Spruch 95 73 warnt (durch eine uns aus Lk 6,34 bekannte Tradition inspiriert) vor dem Zinsnehmen — man solle lieber dem geben, von dem man nichts zurückerwarten kann. Warum? Weil der, welcher Zins nimmt, dem Egoismus und damit der Welt verfallen ist. Gegen diesen Egoismus richten sich auch die beiden Sprüche 2574 und 26 75 : „Liebe deinen Bruder wie deine Seele; hege ihn wie deinen Augapfel" mahnt der erstere, während der andere das uns bekannte Wort vom Splitter im Bruderauge und im eigenen variiert. Daß darauf in Spruch 27 76 die Enthaltung von der Welt gefordert wird, zeigt uns, daß diese Gnostiker tatsächlich Welthaftigkeit und Egoismus als eine Art innere Einheit betrachten. Ebenso gefährlich wie der Reichtum und verschwistert mit ihm ist der Genuß. Wer im Genuß lebt, der ist für das „Reich" verloren; das lehrt der Spruch 7877. Er hat die Beziehung zu Johannes dem Täufer abge70

D a ß der Nichtgnostiker beim Sterben zunichte wird, dürfte Spruch 34 = 87, 18—20 meinen: „Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in eine Grube hinunter." Denn wie Schippers 94 betont, ist der Nichtgnostiker der „Blinde". Läßt sich ein solcher von einem anderen „Blinden" durchs Leben führen, landen sie beide im Nichts.

71 Spruch 110 =

9 9 , 4 f.

" Spruch 81 = 95,15—17. " Spruch 95 = 96, 33 f. 74 Spruch 25 = 86,10—12. 75 Spruch 26 = 86,12—17. 76 Spruch 27 =

86,17—20.

77 Spruch 78 = 94, 28 — 95, 3.

57

streift, die er in Mt 11 und Lk 7 besaß, und mündet jetzt in die Feststellung: Könige und eure Großen (^eyiatavog), die haben die weichen Kleider an, und sie < w e r d e n > die Wahrheit nicht erkennen können". Sie sind ja im Banne der Welt. Es ist jedoch nicht nur der Genuß oder der Reichtum, womit die Welt den Menschen an sich lockt. Nach der gnostischen Überzeugung, die das ThEv vertritt, gehört auch die eigene Familie des Menschen zu diesen Lockmitteln der Welt. Von diesem Verständnis aus hat Thomas auch jene „synoptischen„ Sprüche aufnehmen können, die den H a ß gegen Vater und Mutter fordern. So der beschädigt erhaltene Spruch 101 78 : „Wer nicht haßt seinen Vater und seine Mutter wie ich, wird mir nicht > J ü n g e r < sein können; und wer (seinen Vater nicht) liebt und seine Mutter wie ich, wird mir nicht > J ü n g e r < sein können. Denn meine Mutter, die . . . > m e i n e < wahre > M u t t e r < aber hat mir das Leben gegeben." Jener Vater, den Jesus liebt und den auch seine Jünger lieben sollen, wird der „lebendige", d. h. lebenspendende Vater sein; die wahre Mutter ist vielleicht der Geist. Eine Parallele zu diesem Spruch bringt Nr. 55 79 : „Wer seinen Vater nicht haßt und seine Mutter, wird mir nicht Jünger sein können. Und wer seine Brüder und seine Schwestern (nicht) haßt (und nicht) sein Kreuz (auf sich) nimmt wie ich, wird nidit meiner würdig sein." Man muß sich innerlich auch von der Bindung an die eigene Familie lösen, wenn man wirklich von der Welt ganz frei werden will. Das bestätigt der Spruch 1680, der Luk 12,49.51—53 und Mt 10,34—36 nahesteht: „Vielleicht denken die Menschen, ich sei gekommen, um Frieden auf die Welt zu bringen, und sie wissen nicht, daß ich gekommen bin, um Zerwürfnisse auf die Erde zu bringen, Feuer, Schwert, Krieg. Denn es werden fünf sein in einem Hause, drei werden gegen zwei und zwei gegen drei sein, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, und sie werden dastehen als einziger (jiova/og) Dieser Spruch berührt sich mit den Verfolgungssprüchen, von denen wir oben S. 42 gesprochen haben. Aber worum es dem Gnostiker hier eigentlich geht, das zeigt uns der zunächst freilich sinnlos anmutende Schluß. Wer nämlich bei dieser gnostischen Abkehr von der Welt (sie ist das gnostische „Kreuztragen") konsequent ist, der muß schließlich zum isolierten Einzelnen werden. Erst als ein solcher |iovor/6