Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer: Eine vergleichende Studie erwerbsbezogener Weiterbildungsteilnahme in Europa [1. Aufl. 2019] 978-3-658-28003-1, 978-3-658-28004-8

Veronika Philipps untersucht in ihrer empirischen Studie, welche Institutionen die Länderunterschiede in Europa bei den

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Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer: Eine vergleichende Studie erwerbsbezogener Weiterbildungsteilnahme in Europa [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-28003-1, 978-3-658-28004-8

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XX
Einleitung (Veronika Philipps)....Pages 1-11
Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme (Veronika Philipps)....Pages 13-40
Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung und altersbezogene Unterschiede (Veronika Philipps)....Pages 41-92
Überblick über weiterbildungsrelevante institutionelle Faktoren in Europa (Veronika Philipps)....Pages 93-149
Datengrundlage und Methoden (Veronika Philipps)....Pages 151-179
Empirische Ergebnisse zur Weiterbildungsteilnahme in Europa (Veronika Philipps)....Pages 181-205
Institutionelle Konfigurationen und relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (Veronika Philipps)....Pages 207-242
Fazit (Veronika Philipps)....Pages 243-256
Erratum zu: Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer (Veronika Philipps)....Pages E1-E1
Back Matter ....Pages 257-281

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Veronika Philipps

Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer Eine vergleichende Studie erwerbsbezogener Weiterbildungsteilnahme in Europa

Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer

Veronika Philipps

Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer Eine vergleichende Studie erwerbsbezogener Weiterbildungsteilnahme in Europa

Veronika Philipps Göttingen, Deutschland Zugl. Dissertation Freie Universität Berlin, 2019

ISBN 978-3-658-28003-1 ISBN 978-3-658-28004-8  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-28004-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung

Zum Entstehen dieser Arbeit haben viele Menschen beigetragen, denen ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Besonders bedanke ich mich bei meiner Erstgutachterin Heike Solga für die intensive Betreuung und Unterstützung während der Promotionszeit und die fachlichen Diskussionen und konstruktiven Anregungen. Ebenso danke ich Harm Kuper, der das Zweitgutachten übernommen und wertvolle Anregungen zur Arbeit gegeben hat. Weiterer Dank gilt Ralf Himmelreicher, Reinhard Pollak und Annabell Daniel für ihre Mitwirkung in der Promotionskommission. Den Teilnehmer/innen der Doktorandenkolloquien am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) danke ich für die hilfreichen Diskussionen und Denkanstöße. Ganz herzlich möchte ich meinen Kolleginnen Maria Richter, Janina Söhn und Marliese Weißmann danken, die sich Zeit genommen haben, zu größeren Abschnitten der Arbeit Rückmeldungen zu geben und die mich immer motiviert haben. Auch die Unterstützung des SOFI, an dem ich während der Promotionszeit in Forschungsprojekten als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war, weiß ich sehr zu schätzen. Für das sorgfältige Korrekturlesen der Arbeit möchte ich meiner Mutter sowie ihr und meinem Vater für den großen Rückhalt herzlich danken, den sie mir immer gegeben haben. Meine Familie und meine Freunde/innen haben für die nötige Ablenkung gesorgt und immer ein offenes Ohr gehabt. Ganz besonders danke ich Stefan für seine Geduld und die großartige Unterstützung, vor allem während der letzten Monate.

Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Begriffsklärung von erwerbsbezogener Weiterbildung . . . 2.2 Determinanten von erwerbsbezogener Weiterbildung . . . 2.2.1 Individuelle Determinanten . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Betriebliche Determinanten . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Strukturelle und institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Forschung zur Weiterbildungsbeteiligung Älterer . . . . . 2.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . .

3

Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung und altersbezogene Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Grundlagen zur Erklärung von Länderunterschieden bei Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Differenzen von generellem Weiterbildungsniveau und relativer Weiterbildung Älterer als zu betrachtendes Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Mikro-, Meso- und Makroebene der Weiterbildungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Handlungstheoretische Grundannahmen . . . . . . 3.2 Bedeutung individueller Determinanten für Länderdifferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung . . . . 3.3.1 Regelungen von Betrieben und Weiterbildungsanbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Staatliche Regulierungen . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Ökonomische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zusammenfassung: Erste Skizzierung einflussreicher institutioneller Faktorenbündel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

13 14 18 18 24 25 34 38

41 42

42 44 46 49 54 63 71 85 86

VIII 4

5

6

Inhaltsverzeichnis

Überblick über weiterbildungsrelevante institutionelle Faktoren in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . 4.1.2 Beschäftigungsschutzmaßnahmen . . . . . . . . . . 4.1.3 Ruhestandsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Zusammenfassung: Indikatoren für Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Qualifikation und Beschäftigungssystem . . . . . . . . . . 4.3 Staatliche und betriebliche Weiterbildungsstruktur . . . . . 4.3.1 Staatliche Finanzierung von Weiterbildung und staatliche Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Betriebliche Finanzierung von Weiterbildung . . . . 4.3.3 Zusammenfassung: Indikatoren für Weiterbildungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Inkludierende/exkludierende staatliche Regulierungen bezüglich Älterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Ökonomische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 4.6 Fehlende Informationen zu institutionellen Faktoren . . . . 4.7 Typische institutionelle Konfigurationen . . . . . . . . . . . 4.8 Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datengrundlage und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Europäische Individualdaten zur Weiterbildungsteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Institutionelle Daten für Länder . . . . . . . . . . . 5.2 Untersuchungspopulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Operationalisierung der Variablen . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Abhängige Variable . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Unabhängige Variable . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Kontrollvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Methodische Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Logistische Regression . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Qualitative Comparative Analysis . . . . . . . . . . 5.5 Analytisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empirische Ergebnisse zur Weiterbildungsteilnahme in Europa 6.1 Teilnahme an Weiterbildung in Europa: Eine differenzierte Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Teilnahme an Weiterbildung nach Lernform . . . . 6.1.2 Lernkontext und Finanzierung non-formaler Bildung 6.1.3 Format der non-formalen Lernaktivität . . . . . . .

93 94 95 97 100 103 105 107 108 129 131 131 138 139 142 146 151 151 151 155 157 159 159 163 164 166 166 167 176 181 181 183 186 190

Inhaltsverzeichnis

IX

6.1.4

6.2 7

Anzahl und Umfang von non-formalen Bildungsaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6.1.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Länderspezifische relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Institutionelle Konfigurationen und relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Kalibrierung des Outcome und der institutionellen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Institutionelle Bedingungen in Ländern mit hohem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Notwendige Bedingungen für relative Nachteile Älterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Hinreichende Bedingungen für relative Nachteile Älterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Institutionelle Bedingungen in Ländern mit niedrigem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Notwendige Bedingungen für relative Nachteile Älterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Hinreichende Bedingungen für relative Nachteile Älterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 239

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257

Anhang A Ergänzende Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269

8

207 207 221 223 224 234 234

Die Anhänge B, C und D können auf www.springer.com auf der Seite zu dieser Publikation eingesehen und heruntergeladen werden.

Abbildungsverzeichnis

1.1

Teilnahmequote an Weiterbildung der 25- bis 60-jährigen Bevölkerung und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildung in Europa 2011 . . . . . . . . . . . . .

5

2.1

Formen erwerbsbezogener Weiterbildung . . . . . . . . . .

17

4.1

Ausgaben für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (in % des BIP) je 1% Arbeitslosigkeit 2010 nach Land . . . . .

4.2

96

Beschäftigungsschutzindex vor individuellen Entlassungen (unbefristete Beschäftigung) 2010 nach Land . . . . . . . .

99

4.3

Durchschnittliches Alter des erstmaligen Bezugs einer Altersrente 2012 nach Land (in Altersjahren) . . . . . . . . . . . . 102

4.4

Zusammenhang zwischen Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und Ruhestandsregelungen nach Land . . . . . . . . .

4.5

104

Anteil der Schüler/innen in beruflichen Ausbildungsgängen im Sekundarbereich II mit Besuch eines kombinierten schulischen und betrieblichen Bildungsgangsa 2010 nach Land (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.6

Direkte Kosten der Unternehmen für Weiterbildung je Beschäftigtem 2010 nach Land (in Kaufkraftstandards) . . . .

5.1

107 130

Notwendige und hinreichende Bedingungen: Darstellung als Venn-Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169

6.1

Teilnahmequote an Weiterbildung 2011 nach Altersgruppen und Land (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

6.2

Teilnahmequote an Weiterbildung 2011 nach Lernform und Land (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184

XII

Abbildungsverzeichnis

6.3

Teilnahmequote an Weiterbildung 2011 nach Lernform, Altersgruppen und Land (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.4

Teilnahmequote an Weiterbildung (non-formale Bildung) 2011 nach Weiterbildungstyp und Land (in %) . . . . . . . . . .

6.5

185 187

Teilnahmequote an Weiterbildung (non-formale Bildung) 2011 nach Weiterbildungstyp und Altersgruppen in Europa (in %) 189

6.6

Teilnahmequote an Weiterbildung (non-formale Bildung) 2011 nach Format der Lernaktivität und Altersgruppen in Europa (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.7

191

Verteilung der Teilnahme an Weiterbildung (non-formale Bildung) 2011 nach Anzahl der Lernaktivitäten der Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten, nach Land (in %) . . . . . .

6.8

192

Verteilung der Teilnahmestunden für Weiterbildungsaktivitäten (non-formale Bildung) der Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten 2011 nach Land (in %) . . . . . . . . . . . . . .

6.9

195

Verteilung der Teilnahmestunden für Weiterbildungsaktivitäten (non-formale Bildung) der Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten 2011 nach Altersgruppen (in %) . . . . . . . . .

196

6.10 Relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildung 2011, unter Kontrolle von Kompositionsunterschieden, nach Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

6.11 Teilnahmequote an Weiterbildung der 25- bis 60-jährigen Bevölkerung und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildung (unter Kontrolle von Kompositionsunterschieden) 2011 nach Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1

203

Relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildungsteilnahme (unter Kontrolle von Kompositionsunterschieden) 2011 und Ankerpunkte für die Kalibrierung . . .

7.2

210

Ausgaben für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (in % des BIP) je 1% Arbeitslosigkeit 2010 und Ankerpunkte für die Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211

Abbildungsverzeichnis

7.3

XIII

Beschäftigungsschutzindex vor individuellen Entlassungen (unbefristete Beschäftigung) 2010 und Ankerpunkte für die Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.4

213

Anteil der Schüler/innen in beruflichen Ausbildungsgängen im Sekundarbereich II mit Besuch eines kombinierten schulischen und betrieblichen Bildungsgangsa 2010 (in %) und Ankerpunkte für die Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . .

7.5

215

Direkte Kosten der Unternehmen für Weiterbildung je Beschäftigtem 2010 (in Kaufkraftstandards) und Ankerpunkte für die Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.6

218

Hinreichende Bedingungen für geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (WBREL) in Ländern mit hohem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.7

227

Hinreichende Bedingungen für hohe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (wbrel) in Ländern mit niedrigem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Tabellenverzeichnis

3.1

Kombination Weiterbildungsquote der Bevölkerung (25- bis 60-Jährige) und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.2

43

Übersicht über mögliche Einflussfaktoren auf Weiterbildung insgesamt und relative Nachteile Älterer auf drei Analyseebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.3

Institutionelle Einflussfaktoren der Weiterbildungsteilnahme und institutionelle Faktorenbündel auf der Makroebene . .

4.1

112

Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsprogramme für Ältere nach Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.3

90

Übersicht über staatliche Finanzierung, Angebote und Regelungen bezüglich Weiterbildung 2010 nach Land . . . . . .

4.2

87

134

Institutionelle Konfigurationen weiterbildungsrelevanter Faktoren 2010 nach Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

4.4

Übersicht über die Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . .

149

6.1

Kombination Weiterbildungsquote der Bevölkerung (25- bis 60-Jährige) und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1

Messung und Kalibrierung von Outcome und institutionellen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.2

221

Fuzzy-Set-Werte für Outcome und institutionelle Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.3

204

222

Wahrheitstabelle für geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (WBREL) in Ländern mit hohem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

XVI 7.4

Tabellenverzeichnis

Hinreichende Bedingungen für geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (WBREL) in Ländern mit hohem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.5

230

Wahrheitstabelle für geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (WBREL) in Ländern mit niedrigem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.6

235

Hinreichende Bedingungen für hohe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (wbrel) in Ländern mit niedrigem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

236

A.1 Teilnahmequote an Weiterbildung 2011 nach Lernform, Altersgruppen und Land (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 A.2 Teilnahmequote an Weiterbildung (non-formale Bildung) 2011 nach Weiterbildungstyp, Altersgruppen und Land (in %) .

270

A.3 Teilnahmequote an Weiterbildung (non-formale Bildung) 2011 nach Format der Lernaktivität, Altersgruppen und Land (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

A.4 Verteilung der Teilnahme an Weiterbildung (non-formale Bildung) 2011 nach Anzahl der Lernaktivitäten der Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten, nach Altersgruppen und Land (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272

A.5 Verteilung der Teilnahmestunden für Weiterbildungsaktivitäten (non-formale Bildung) der 25- bis 60-jährigen Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten nach Land (in %) . . . .

273

A.6 Verteilung der Teilnahmestunden für Weiterbildungsaktivitäten (non-formale Bildung) der 25- bis 49-jährigen Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten nach Land (in %) . . . .

274

A.7 Verteilung der Teilnahmestunden für Weiterbildungsaktivitäten (non-formale Bildung) der 50- bis 60-jährigen Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten nach Land (in %) . . . .

275

A.8 Logistisches Regressionsmodell zum Einfluss des Alters auf die Weiterbildungsteilnahme in Europa 2011, Average Marginal Effects (AME) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276

Tabellenverzeichnis

XVII

A.9 Relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildungsteilnahme 2011, mit und ohne Kontrolle von Kompositionsunterschieden, nach Land . . . . . . . . . . . . . .

277

A.10 Weiterbildungsquote und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildung (unter Kontrolle von Kompositionsunterschieden) in Europa 2011 sowie Zuordnung der Länder zu Quadranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

A.11 Kombination Weiterbildungsquote der Bevölkerung (25- bis 60-Jährige) und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . .

279

A.12 Analyse der notwendigen Bedingungen für Eintreffen und Nicht-Eintreffen des Outcome „Geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung“ in Ländern mit hohem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 A.13 Wahrheitstabelle für hohe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (wbrel) in Ländern mit hohem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

280

A.14 Hinreichende Bedingungen für hohe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (wbrel) in Ländern mit hohem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

280

A.15 Analyse der notwendigen Bedingungen für Eintreffen und Nicht-Eintreffen des Outcome „Geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung“ in Ländern mit niedrigem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 A.16 Wahrheitstabelle für hohe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung (wbrel) in Ländern mit niedrigem Weiterbildungsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281

Abkürzungsverzeichnis

AES

Adult Education Survey

AME BIP

Average Marginal Effect Bruttoinlandsprodukt

CEDEFOP

European Centre for the Development of Vocational Training

CVTS ECHP

Continuing Vocational Training Survey European Community Household Panel

ESF

Europäischer Sozialfonds

EU Eurostat

Europäische Union Statistisches Amt der Europäischen Union

IALS ILO

International Adult Literacy Survey International Labour Organization

ISCED

International Standard Classification of Education

KKS KMU LFS OECD

Kaufkraftstandards Kleine und mittlere Unternehmen Labour Force Survey Organisation for Economic Co-operation and Development

PIAAC QCA

Programme for the International Assessment of Adult Competencies Qualitative Comparative Analysis

Länderkürzel AT

Österreich

BE BG CH

Belgien Bulgarien Schweiz

CY CZ

Zypern Tschechien

DE DK EE

Deutschland Dänemark Estland

XX

Abkürzungsverzeichnis

EL

Griechenland

ES FI

Spanien Finnland

FR HU

Frankreich Ungarn

IT

Italien

LT LU

Litauen Luxemburg

LV

Lettland

NL NO PL

Niederlande Norwegen Polen

PT RO SE SI SK UK

Portugal Rumänien Schweden Slowenien Slowakei Vereinigtes Königreich

1 Einleitung

Die Wichtigkeit von lebenslangem Lernen auch nach einer Erstausbildungsphase, vor allem im Rahmen von erwerbsbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen1 , wird seit Jahrzehnten von Seiten der Wissenschaft und der Politik auf nationaler wie europäischer Ebene (vgl. z. B. Rat der Europäischen Union, 2009) betont. Diese Forderung nach mehr Weiterbildung schlägt sich jedoch nicht unbedingt in der Weiterbildungsbeteiligung in allen Ländern Europas nieder, wie zahlreiche europäische Untersuchungen belegen (vgl. z. B. Boeren, 2016; CEDEFOP, 2015; Dämmrich, Vilhena und Reichart, 2014; OECD, 2017). Wenngleich es für viele Personen mittlerweile zur Normalität gehört, im Erwachsenenalter in irgendeiner Form zu lernen, so bleiben doch bestimmte Gruppen in der Weiterbildung unterrepräsentiert. Neben Geringqualifizierten betrifft dies insbesondere Ältere (vgl. z. B. Dämmrich, Vilhena und Reichart, 2014; Fourage und Schils, 2009). Die Frage nach einer Beteiligung Älterer an erwerbsbezogener Weiterbildung in Europa, die im Zentrum der Arbeit steht, ist aus folgenden drei Gründen relevant und betrifft Individuen, Betriebe sowie Wirtschaft und Gesellschaft generell: Erstens rückt das Thema durch die demografische Entwicklung in den Fokus. Vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und einer in Zukunft weiter sinkenden Zahl an Personen im erwerbsfähigen Alter wird Weiterbildung als eine zunehmend wichtige Voraussetzung dafür angesehen, dass bisher wenig oder nicht genutztes Arbeitskräftepotenzial erschlossen werden kann (Buchholz u. a., 2011). Aufgrund des längeren Verbleibs im Arbeitsleben wird die Frage nach dem Generieren und Erhalten von Wissen und Fähigkeiten über das gesamte Erwerbsleben hinweg zentral für Betriebe und ältere Beschäftigte (Mayer und Solga, 2008). Nur wenn Weiterbildung kontinuierlich und unabhängig vom Alter stattfindet, können auch Ältere 1

Erwerbsbezogene Weiterbildung umfasst hier Weiterbildung, die vorwiegend aus beruflichen Gründen gemacht wird. Mit „Weiterbildung“ ist im Folgenden immer Weiterbildung zu beruflichen Zwecken gemeint.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 V. Philipps, Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28004-8_1

2

1 Einleitung

zum Ausüben einer Erwerbstätigkeit befähigt werden. Für die Lernenden selber lassen sich dadurch Optionen zu beruflichen Veränderungen, die möglicherweise aufgrund von Aufstiegsbestrebungen, drohender Arbeitslosigkeit oder gesundheitlichen Problemen relevant werden, offen halten (Räder, 2013). Zudem wird durch veränderte politische Vorgaben bezüglich der Ruhestandsregelungen, die in den meisten westeuropäischen Ländern auf immer spätere Renteneintritte zielen, die Erwerbsarbeitszeit auf höhere Altersgruppen ausgedehnt (Moraal und Schönfeld, 2007). Dadurch sind Beschäftigte auf alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen sowie auf entsprechende Weiterbildungsangebote angewiesen. Aus Sicht der Betriebe muss aufgrund alternder Belegschaften der Qualifikationsbedarf zunehmend durch ältere Mitarbeiter/innen gedeckt werden. Weiterbildung kann hier eine Möglichkeit sein, die „Beschäftigungsfähigkeit“ längerfristig zu erhalten und vorzeitige Austritte aus dem Erwerbsleben zu reduzieren (Dietz und Walwei, 2011; Fourage und Schils, 2009; Gelderblom und Koning, 2002; Moraal und Schönfeld, 2007). Zweitens „verfällt“ berufliches Wissen aufgrund von technologischem und wissenschaftlichem Fortschritt schneller als noch in den vorangegangenen Jahrzehnten. Der wachsende Dienstleistungssektor sowie Veränderungen der Informations- und Fertigungstechnologien und Prozesse der Digitalisierung bringen neue Anforderungen hinsichtlich einer fortlaufenden Anpassung und Erweiterung von Kompetenzen mit sich (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007; Kruppe u. a., 2019). Gerade mit steigendem Erwerbsalter und mit dem länger zurückliegenden Abschluss der Erstausbildung wird es zunehmend wichtig, berufliche Fähigkeiten und Wissen zu erhalten und zu erweitern (Becker und Hecken, 2008). Auch für Ältere stellen Weiterbildungen eine Möglichkeit dar, mit neuen Anforderungen Schritt halten und sich beruflich weiterentwickeln zu können. Nur wenn sich Personen über ihr Berufsleben hinweg kontinuierlich weiterbilden, erhalten sich berufliche Fertigkeiten und eröffnen sich neue Chancen (Baltes und Hense, 2007). Zudem bekräftigte die Europäische Union angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise die „bedeutende Rolle, die Erwachsenenbildung spielen kann, [...] indem sie Erwachsenen – insbesondere den gering qualifizierten und älteren Arbeitnehmern – ermöglicht, ihre Fähigkeit zu verbessern, sich

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den Veränderungen des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft anzupassen“ (Rat der Europäischen Union, 2011, S. 1). Drittens können neben diesen Argumenten, die vorwiegend die makrostrukturelle und ökonomische Perspektive wiedergeben, weitere Gründe angeführt werden. So ergeben sich aus Befunden zu Erträgen von Weiterbildung für ältere Lernende Hinweise auf positive Effekte in Form stabilerer Beschäftigungsverhältnisse und höherer Chancen auf Wiederbeschäftigung nach einem Arbeitsplatzverlust (Bassanini, 2006), andere Studien bringen dagegen nicht immer eindeutige oder auch keine Effekte hervor (vgl. z. B. Büchel und Pannenberg, 2004). Aus einer individuellen Sichtweise kann eine Teilnahme an Weiterbildung – selbst wenn sie überwiegend aus beruflichen Gründen wahrgenommen wird – erstrebenswert sein, um sich persönlich weiterzuentwickeln oder andere bzw. zusätzliche berufliche Interessen zu verfolgen (Evans, Schoon und Weale, 2013). Eine komplette berufliche Umorientierung wird dagegen in der späten Erwerbsphase eher die Ausnahme darstellen (Söhn, 2018). Auch wenn mit der Teilnahme an manchen Lernformen nicht immer ein höheres Qualifikationsniveau einhergeht, so kann dies einen sozialen Nutzen für den Lernenden haben, wie beispielsweise neue soziale Kontakte (Boeren, Nicaise und Baert, 2010; Evans, Schoon und Weale, 2013). Weiterbildung stellt eine Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe dar und kann Individuen vor sozialer Exklusion schützen (Kronauer, 2010). Dies ist gerade für ältere Arbeitskräfte wichtig, bei denen das Risiko von Exklusion durch Entlassungen relativ hoch ist und auch Konsequenzen für finanzielle Spielräume und persönliches Wohlergehen haben kann (Friebe, 2010). Die Beteiligung an Weiterbildung hat also einen eigenständigen Wert und dient nicht ausschließlich einer direkten Anwendung auf dem Arbeitsmarkt. Demnach kann erwerbsbezogene Weiterbildung auch für Ältere eine wichtige Form der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sein. Entgegen diesen gängigen Annahmen bezüglich der hohen Bedeutung von Weiterbildung für Ältere – die generell für alle Länder Gültigkeit besitzen – zeigen sich jedoch große Länderdifferenzen in der Weiterbildungs-

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teilnahme Älterer: In ganz Europa2 lässt sich ein Rückgang der Weiterbildungsteilnahme im späten Erwerbsalter beobachten: Während im jüngeren und mittleren Erwerbsalter zwischen 25 und 49 Jahren noch über ein Drittel (37,8%) innerhalb der letzten 12 Monate an erwerbsbezogener Weiterbildung teilnimmt, sind es im Alter zwischen 50 und 60 Jahren nur noch 28,6% der Europäer (vgl. Abbildung 6.1, S. 182).3 Diese geringere Weiterbildungsbeteiligung Älterer gegenüber Jüngeren unterscheidet sich aber in ihrem Ausmaß von Land zu Land. Der Blick auf die relativen Nachteile Älterer, hier ausgedrückt in der Teilnahmewahrscheinlichkeit 50- bis 60-Jähriger im Vergleich zu 25- bis 49-Jährigen (berechnet als Quotient der Teilnahmequoten Älterer und Jüngerer)4 , zeigt Länderdifferenzen im Grad der relativen Nachteile Älterer auf (Abbildung 1.1): Während Ältere in der Schweiz eine hohe relative Wahrscheinlichkeit haben, im späten Erwerbsalter in Weiterbildungsaktivitäten eingebunden zu sein, und damit geringe relative Nachteile5 aufweisen, ist die relative Teilnahmewahrscheinlichkeit für Ältere in Griechenland deutlich geringer. Das bedarf einer Begründung. Die Verteilung der Weiterbildungsbeteiligung Älterer innerhalb Europas ist in zweierlei Hinsicht erklärungsbedürftig: Erstens wird deutlich, dass Ältere im Vergleich zu Jüngeren zwar insgesamt weniger, in manchen Ländern aber immer noch umfassend in Weiterbildungsmaßnahmen eingebunden sind, obwohl häufig angeführt wird – vor allem im Sinne von humankapitaltheoretischen Überlegungen – , dass sich eine Teilnahme an Weiterbildung für Ältere aufgrund ihres kürzeren Verbleibs im Erwerbsleben nicht lohnen würde. Argumentiert wird, dass Investitionen in Bildung von Individuen und Betrieben in späteren Erwerbsphasen weniger Nutzen haben, da die restliche Zeit für die Amortisierung der Kosten für die Weiter2

In der Arbeit sind mit „Europa“ die 26 europäischen Länder, die in der Analyse verwendet werden, gemeint.

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Hier werden sowohl non-formale als auch formale Lernaktivitäten als Weiterbildung gezählt (Erläuterungen zu Lernformen vgl. Kapitel 2.1, zur Operationalisierung von Weiterbildung in dieser Arbeit vgl. Kapitel 5.3.1). Die Ergebnisse werden für 26 Länder in Europa dargestellt (für die Begründung der Länderauswahl vgl. Kapitel 5.2).

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Bei einem Wert von 1,0 hätten Ältere und Jüngere eine identische Teilnahmequote. Werte zwischen 0 und 1 drücken das Ausmaß des Nachteils Älterer gegenüber Jüngeren aus.

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Mit „relativen Nachteilen Älterer“ ist ein statistischer, kein subjektiver Nachteil, gemeint.

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bildung zurückgeht (Becker und Hecken, 2008) und sich Ältere daher auch deutlich weniger beteiligen als die Bevölkerung im mittleren Erwerbsalter (Schömann und Baron, 2009). Warum aber variieren die relativen Nachteile Älterer zwischen den Ländern, wenn die humankapitaltheoretischen Annahmen für alle Länder gleichermaßen gelten? Abbildung 1.1: Teilnahmequote an Weiterbildung der 25- bis 60-jährigen Bevölkerung und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in der Weiterbildung in Europa 2011

Anmerkung: Relative Teilnahmewahrscheinlichkeit= Quotient aus Teilnahmequote Älterer (50-60 J.) und Teilnahmequote Jüngerer (25-49 J.); Teilnahme an mind. einer non-formalen oder formalen Lernaktivität in den letzten 12 Monaten; geordnet nach relativer Teilnahmewahrscheinlichkeit. Quelle: Eurostat, Adult Education Survey 2011, eigene Berechnungen

Zweitens ist bemerkenswert, dass die relativen Unterschiede zwischen den Altersgruppen nur bedingt mit den generellen Weiterbildungsniveaus korrelieren: So erreicht die Weiterbildungsteilnahme der Bevölkerung zwischen 25 und 60 Jahren in Frankreich und Deutschland ein ähnliches Niveau, die relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer ist aber in Frankreich deutlich niedriger (Abbildung 1.1). Umgekehrt weisen Finnland und Litauen zwar ein ähnliches Verhältnis der Weiterbildungsbeteiligung Älterer und Jüngerer auf, jedoch vollzieht sich dies auf ganz unterschiedlichen Weiterbildungsniveaus. Ein klarer linearer Zusammenhang zwischen der Weiterbildungsteilnahme Älterer und der der allgemeinen Bevölkerung

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existiert also nicht. Somit bestimmt nicht nur die Weiterbildungsteilnahme der allgemeinen Bevölkerung die Teilnahme Älterer. Stattdessen müssen andere Faktoren auf die Unterschiede zwischen Älteren und Jüngeren in der Weiterbildung wirken. Vor diesem Hintergrund steht die Suche nach den Gründen für die Differenzen zwischen den europäischen Ländern bei der relativen Weiterbildungsteilnahme Älterer im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Wieso gelingt es in manchen Ländern, dass auch ältere Bevölkerungsgruppen verstärkt an Weiterbildung teilhaben? Eine mögliche erste Erklärung können Kompositionsunterschiede sein, womit eine unterschiedliche Zusammensetzung der Bevölkerung zwischen den Ländern gemeint ist. Aus der bisherigen Forschung ist bekannt, dass eine Teilnahme an Weiterbildung von bestimmten Merkmalen wie dem erreichten schulischen und beruflichen Abschluss oder einer Erwerbstätigkeit abhängt (vgl. Kapitel 2). Wenn es nun in einem Land mehr Hochqualifizierte oder Erwerbstätige als in einem anderen gibt, dann kann dies – allein aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung der Bevölkerung – Differenzen bei der Weiterbildungsteilnahme Älterer zwischen den Ländern hervorrufen. Wie ich in der Arbeit zeigen werde, bleiben aber auch bei Berücksichtigung solcher Kompositionsunterschiede die Länderdifferenzen bestehen (vgl. Kapitel 6.2), so dass es weitere Gründe für diese geben muss. Die unterschiedlichen strukturellen und institutionellen Bedingungen der Länder bieten einen weiteren Erklärungsansatz. So können Institutionen, die national unterschiedlich ausgeprägt sind, individuelles Handeln beschränken und ermöglichen (Heinz, 1992; Scott, 2001) und somit auch das individuelle Weiterbildungsverhalten beeinflussen (Desjardins und Rubenson, 2013; Saar, Odd und Desjardins, 2013). Für die Differenzen bei der relativen Weiterbildungsteilnahme Älterer können daher institutionelle Gefüge und bestimmte Konstellationen von Institutionen, innerhalb derer sich das Weiterbildungsverhalten vollzieht, mitverantwortlich sein. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Differenzen im Ausmaß der relativen Nachteile Älterer mit Bezug auf unterschiedliche staatlich-institutionelle und ökonomische Kontexte in den Nationalstaaten ergründet. Es wird untersucht,

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mit welchen institutionellen Konstellationen diese einhergehen. Wirken die institutionellen Gefüge für die Bevölkerung in der späten Erwerbsphase in ebensolcher Weise wie für die Bevölkerung in der frühen und mittleren Erwerbsphase oder gibt es bestimmte Bereiche institutioneller Regulierung, die speziell für diejenigen in der späten Erwerbsphase relevant sind? Der Rolle von bestimmten Institutionenkonstellationen für Disparitäten in der Weiterbildungsteilnahme Älterer wurde bisher in der Forschung noch nicht nachgegangen. Wenngleich vereinzelt Befunde zu ausgewählten institutionellen Faktoren auf die Weiterbildungsteilnahme der allgemeinen Bevölkerung existieren, so fehlt es an Forschung zu institutionellen Faktoren und insbesondere Institutionenkonstellationen und ihrer Wirkung auf die Weiterbildungsteilnahme der Gruppe Älterer. An dieser unzureichenden Befundlage setzt die Arbeit an, in der diese bislang nicht untersuchten Konstellationen von Institutionen und ihre Wirkung auf die Weiterbildungsnachteile Älterer gegenüber Jüngeren in den Blick genommen werden. Um dies untersuchen zu können, wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf erwerbsbezogene Weiterbildung fokussiert, da damit Lernaktivitäten betrachtet werden, die während des Erwerbslebens stattfinden und mit der die Frage nach der Rolle der Institutionen für Personen in der späten Erwerbsphase beantwortet werden soll. Hier werden also erwerbsbezogene Lernaktivitäten betrachtet, die – nach dem Beenden einer Erstausbildungsphase – im Erwachsenenalter stattfinden und die strukturiert bzw. organisiert erfolgen.6 Damit sind sowohl Weiterbildungen in Form von Kursen oder Workshops, z. B. Sprachkurse oder EDV-Lehrgänge zu beruflichen Zwecken, als auch Weiterbildungen mit einer Abschlussprüfung Gegenstand der Arbeit. Um den Einfluss von Institutionen und ihren Bedingungen für die Weiterbildung Älterer aufzudecken, wird ein Vergleich von 26 Ländern in Europa durchgeführt. Mit der Konzentration auf ausschließlich Länder in Europa wird sichergestellt, dass einerseits ein ausreichender Grad an Vergleichbarkeit gegeben ist. So sind alle hier betrachteten Länder EU- oder OECD-Mitglieder und wirtschaftlich entwickelt, weisen ähnliche Bevöl6

Für eine Diskussion verschiedener Lernformen und der hier nicht einbezogenen Lernformen siehe Kapitel 2.1.

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kerungsstrukturen auf und bieten überhaupt in irgendeiner Form Weiterbildung an.7 Andererseits unterscheiden sich die 26 Länder – wie später noch gezeigt werden wird – hinsichtlich ihrer jeweiligen institutionellen Ausgestaltung. Diese institutionelle Varianz ist eine zentrale Voraussetzung dafür, den Einfluss von Institutionen und ihren Bedingungen für die Weiterbildung Älterer aufzudecken. Trotz der Existenz einer „Lifelong-Learning-Strategie“ der Europäischen Union und des Diskurses auf europäischer Ebene ist die Rolle der einzelnen Nationalstaaten bei Fragen der Weiterbildung groß (Prokou, 2008). Dies hängt damit zusammen, dass selbst bei Vorhandensein derselben politischen Ziele (wie beispielweise der Schaffung einer „Europäischen Wissensgesellschaft durch Lebenslanges Lernen“, wie sie die Europäische Kommission unterstützt) der jeweilige nationale Kontext aufgrund spezifischer sozialer und wirtschaftlicher Strukturen entscheidend ist. Zudem liegt die Entscheidungsgewalt im Bildungssystem bei den jeweiligen Nationalstaaten. Die übergeordnete Forschungsfrage der Arbeit lautet zusammengefasst: Welche Konstellationen institutioneller Bedingungen können Länderunterschiede in Europa bei den relativen Nachteilen Älterer in der erwerbsbezogenen Weiterbildungsteilnahme erklären? Um diese Frage beantworten zu können, wird im ersten Analyseschritt ermittelt, welche Kompositionseffekte auf die Weiterbildungsteilnahme zu erkennen sind. Es muss also zunächst überprüft werden, ob Ältere durch solche variierenden Anteile (z. B. Geringqualifizierter oder Nichterwerbstätiger) in manchen Ländern eine höhere Weiterbildungsteilnahme aufweisen als in anderen Ländern. Im zweiten Schritt wird untersucht, welche Konstellationen von institutionellen Bedingungen die Länderunterschiede bei den relativen Nachteilen Älterer in der Weiterbildung bedingen, die sich jenseits der zuvor identifizierten Kompositionsunterschiede zeigen. Der Hauptfokus der vorliegenden Studie richtet sich auf diesen zweiten Analyseschritt.

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Im Gegensatz dazu wäre ein Vergleich mit Entwicklungsländern schwierig, da in diesem Fall andere Weiterbildungsdefinitionen und Bedarfe wie beispielsweise der Ausbau von Lese- und Schreibfähigkeiten der Bevölkerung im Vordergrund stehen und ein anderer Bevölkerungskontext anzutreffen ist (UNESCO, 2016, S. 29).

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Mit der Arbeit soll ein Beitrag zur bildungssoziologischen Ungleichheitsforschung geleistet werden. Die Tatsache, dass Ältere in geringerem Maße in Weiterbildung eingebunden sind, ist Ausdruck von sozialer Ungleichheit im Lebenslauf. Dass Ältere offenbar nicht dieselben Chancen einer Weiterbildungteilnahme haben wie Personen im frühen und mittleren Erwerbsleben und mit besonderen Hürden konfrontiert sind, ist mit unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsmarktchancen verbunden. Insofern berührt die Arbeit die Frage nach sozialer Ungleichheit beim Zugang zu Weiterbildung und ihren strukturellen und institutionellen Bedingungen. Die Arbeit trägt dazu bei, die bislang wenig beachtete Gruppe der Älteren in der Weiterbildung in den Fokus zu rücken und die institutionellen Bedingungen der Nachteile dieser Gruppe gegenüber jüngeren Bevölkerungsgruppen aufzudecken. Aufbau der Arbeit Bevor der Forschungsstand zu den Einflussfaktoren auf Weiterbildung dargelegt wird (Kapitel 2), soll zunächst das Verständnis von Weiterbildung diskutiert werden. Der Begriff „Weiterbildung“ umfasst eine Vielzahl verschiedener Lernaktivitäten und wird für die Arbeit eingegrenzt und definiert. Danach werden empirische Forschungsbefunde zu individuellen und betrieblichen Determinanten der Weiterbildung dargestellt, bevor diese auf der strukturellen und institutionellen Ebene diskutiert werden. Dabei liegt der Fokus auf ländervergleichenden Forschungsergebnissen. Schließlich wird der Stand der Forschung zur hier relevanten Gruppe der Älteren und ihrer Weiterbildungsbeteiligung beschrieben, bei dem sich Forschungslücken ausmachen lassen. Im 3. Kapitel wird ein theoretischer Rahmen für die vorliegende Untersuchung entwickelt. Dafür werden zunächst grundlegende theoretische Annahmen sowie die hier relevanten drei Analyseebenen der Weiterbildungsteilnahme – Mikro-, Meso- und Makroebene – beschrieben. Ebenso werden die „Quadranten“ der entwickelten konzeptionellen Vier-FelderTafel eingeführt, die die Kombination aus generellem Weiterbildungsniveau eines Landes und relativer Weiterbildung Älterer als zu betrachtendes Phänomen beinhalten. Diese dienen als Grundlage zur Beantwortung der Forschungsfrage. Anschließend erfolgt die Diskussion theoretischer Perspekti-

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ven zur Erklärung von Weiterbildung und diesbezüglich altersbezogener Unterschiede auf drei Ebenen: Auf der Mikroebene wird auf die Bedeutung individueller Merkmale für Länderunterschiede eingegangen. Danach werden institutionelle Bedingungen für die Weiterbildungsteilnahme erörtert, zum einen für die Mesoebene in Form betrieblicher Regelungen, zum anderen auf der Makroebene in Form staatlicher Regulierungen. Hier werden dann – unter Rückgriff auf die im Forschungsstand aufgezeigten institutionellen Faktoren – institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme beschrieben und wie diese direkt und indirekt auf die Beteiligung Älterer wirken. Schließlich werden ökonomische Rahmenbedingungen, die weiterbildungsrelevant sind, dargelegt. Die hier identifizierten Einflussfaktoren werden zu institutionellen Faktorenbündeln zusammengefasst, auf deren Basis erste Annahmen zur Wirkung auf die relativen Nachteile Älterer in der Weiterbildung getroffen werden. Das 4. Kapitel beschäftigt sich mit der institutionellen Ausgestaltung der Länder. Ziel ist es, einen Überblick über die in Forschungsstand und Theoriekapitel identifizierten für Weiterbildung relevanten Institutionen in Europa zu geben. Damit werden hier bereits sowohl empirische Ergebnisse als auch ein Teil der Operationalisierung präsentiert. Am Ende werden dann institutionelle Konfigurationen dargestellt, wie sie tatsächlich in den Ländern auftreten. Auf dieser Grundlage werden anschließend Hypothesen aufgestellt, die sich auf in der Arbeit unterschiedene notwendige und hinreichende Bedingungen für die Weiterbildungsteilnahme Älterer beziehen. Kapitel 5 befasst sich mit den verwendeten Datengrundlagen: dem „Adult Education Survey“, mit dem europäische Individualdaten zur Weiterbildungsteilnahme zur Verfügung stehen, und den genutzten Makrodaten (hauptsächlich von Eurostat und der OECD) für die Darstellung der Institutionen in den Ländern. Welches die Untersuchungspopulation ist und welche Länder aus dem zur Verfügung stehenden Sample ausgeschlossen werden müssen, wird im Anschluss beschrieben. Danach erfolgt die Operationalisierung der abhängigen und unabhängigen Variablen für den ersten Analyseschritt, also für die Schätzung der Weiterbildungswahrscheinlichkeit Älterer gegenüber Jüngeren. Schließlich werden die angewandten methodischen Verfahren der logistischen Regression und der „Qualitative

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Comparative Analysis“ (QCA) sowie die analytische Herangehensweise zur Beantwortung der Forschungsfrage beschrieben. Die QCA eignet sich insbesondere für die Untersuchung institutioneller Konstellationen im zweiten Analyseschritt. Kapitel 6 umfasst den ersten Teil der empirischen Ergebnisse. Anfangs erfolgt die Deskription der Weiterbildung nach Lernform, Lernkontext, Format und Intensität der Lernaktivität, um genauer zu beleuchten, welche Differenzen diesbezüglich – vor allem bei Älteren – in den Ländern auftreten. Im Anschluss wird der erste Analyseschritt zur Beantwortung der Forschungsfrage vorgenommen, dessen Ziel es ist zu zeigen, welche Länderdifferenzen es in Europa in der Weiterbildungsteilnahme bei Älteren – auch unter Berücksichtigung von Kompositionsunterschieden zwischen den Ländern – gibt. Dazu wird die Verteilung der Länder auf die in Kapitel 3 entwickelten konzeptionellen Quadranten vorgenommen, in denen generelle Weiterbildungsbeteiligung (hoch/niedrig) und relative Nachteile Älterer (hoch/niedrig) kombiniert werden. Damit sind die Voraussetzungen zur Durchführung des zweiten Analyseschritts erfüllt, da nun das aus dem ersten Schritt resultierende Ausmaß der relativen Nachteile, die noch unabhängig von den Kompositionsunterschieden in den Ländern bestehen, ermittelt wurde. Diese relativen Nachteile stellen das Explanandum für die QCA in Kapitel 7 dar. Hier wird analysiert, welche Konstellationen von institutionellen Faktoren die Länderunterschiede bei den relativen Nachteilen Älterer in der Weiterbildungsteilnahme bedingen. Dies wird für zwei Ländergruppen untersucht, erstens für Länder mit hohem, zweitens für Länder mit niedrigem Weiterbildungsniveau. Je Ländergruppe wird eine QCA durchgeführt, mit der sich notwendige und hinreichende Bedingungen für relative Nachteile Älterer identifizieren lassen. Schließlich werden in Kapitel 8 die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst, die Grenzen der Arbeit aufgezeigt und es wird ein Fazit mit Bezug auf sozialpolitische Implikationen gezogen.

2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

Welche Faktoren beeinflussen die Teilnahme an erwerbsbezogener Weiterbildung und die Weiterbildungsteilnahme Älterer? Was gibt es diesbezüglich für ländervergleichende Forschungsergebnisse? In diesem Kapitel wird der Forschungsstand zu diesen Fragen zusammengetragen. Dafür soll zunächst eine Begriffsklärung erfolgen und verdeutlicht werden, was in der vorliegenden Arbeit unter erwerbsbezogener Weiterbildung verstanden wird. Damit wird zugleich abgegrenzt, welche Bereiche von Weiterbildung nicht Gegenstand dieser Arbeit sind (Abschnitt 2.1). Danach wird der Stand der Forschung beschrieben. Der Fokus liegt dabei zuerst auf der Darstellung der Forschung im Bereich individueller Determinanten von Weiterbildung und welche Bedeutung Einflussfaktoren auf der Individualebene laut den Studien haben (Abschnitt 2.2.1). Dies ist deshalb von besonderem Interesse, weil die Zusammensetzung der Bevölkerung eines Landes nach solchen individuellen Einflussfaktoren zwischen Ländern unterschiedlich sein kann und dadurch Länderdifferenzen in der Weiterbildungsteilnahme auftreten können. Diese möglichen Kompositionsunterschiede werden im Theoriekapitel (Kapitel 3.1.2) genauer erläutert und in den Analysen (Kapitel 6.2) berücksichtigt. Zudem werden hier betriebliche Determinanten diskutiert (Abschnitt 2.2.2). Abschnitt 2.3 fasst dann die Ergebnisse von ländervergleichender Weiterbildungsforschung in Europa zusammen, die sich mit strukturellen und institutionellen Bedingungen auseinandersetzen. Ein besonderes Forschungsinteresse dieser Arbeit besteht darin zu analysieren, welche Bedeutung institutionelle Bedingungen für die Weiterbildungsteilnahme Älterer haben. Welche Befunde zur Wirkung speziell für die Gruppe der Älteren in verschiedenen Ländern existieren, wird in Abschnitt 2.4 beschrieben. Im letzten Abschnitt 2.5 wer-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 V. Philipps, Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28004-8_2

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

den Schlussfolgerungen in Hinblick auf bestehende Forschungslücken und die Analysestrategie der vorliegenden Arbeit gezogen.

2.1 Begriffsklärung von erwerbsbezogener Weiterbildung Bevor der Forschungsstand beschrieben wird, soll zunächst der Weiterbildungsbegriff diskutiert und geklärt werden, welche Lernformen darunter gefasst werden können und in welchen Kontexten Weiterbildung stattfinden kann. Dies dient dazu, den in dieser Arbeit verwendeten Begriff von Weiterbildung festzulegen und von anderen Definitionen abzugrenzen. Es gibt keine einheitliche Definition von Weiterbildung in der Forschungsliteratur, so dass Ergebnisse empirischer Studien teilweise schwer zu vergleichen sind. Zu beachten ist, dass manchmal der Begriff des „Lebenslangen Lernens“ synonym mit Weiterbildung verwendet wird, wenngleich dieser sich auf Lernen in allen Lebensphasen bezieht und zudem auch die Erstausbildung umfasst (European Commission, 2010, S. 4). Die Europäische Kommission bezeichnet als Lebenslanges Lernen „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen, bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt“ (Europäische Kommission, 2001, S. 9). Damit wird ein relativ breites Spektrum an Lernprozessen beschrieben. Bildung im Erwachsenenalter („adult education“) umfasst laut Europäischer Kommission „all forms of learning undertaken by adults after having left initial education and training, however far this process may have gone (e.g., including tertiary education)“ (European Commission, 2006, S. 2). Hier wird Erstausbildung explizit aus dem Weiterbildungsbegriff ausgeschlossen. Darüber hinaus kann Weiterbildung nach einer Studie zur Begriffsbestimmung von Erwachsenenbildung auch universitäre Abschlüsse umfassen, die nach dem Abschluss der Erstausbildungsphase nach einer Pause absolviert wurden (National Research and Development Centre for Adult Literacy and Numeracy, 2010). Im Allgemeinen wird also unter Weiterbildung eine Lernaktivität im Erwachsenenalter nach einer (zunächst)

2.1 Begriffsklärung von erwerbsbezogener Weiterbildung

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abgeschlossenen Phase der Erstausbildung verstanden. Lernaktivitäten – auch im Erwachsenenalter – werden oftmals in formales, non-formales und informelles Lernen eingeteilt, wie es auch die Europäische Union und Eurostat in der Klassifikation der Lernaktivitäten macht (Eurostat/European Union, 2016). Diese bezieht sich auf alle Arten intentionalen Lernens, schließt also beiläufiges Lernen aus. Formales Lernen findet demnach in Bildungs- oder Ausbildungseinrichtungen statt und führt zu anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen (ebd.). Darunter wird der Besuch von Bildungsgängen gefasst, die vor allem auf regulierten Curricula basieren und in der Regel Bestandteil der Erstausbildung sind. Beispiele sind Lernaktivitäten in Schulen, das duale System der Berufsausbildung und abschlussbezogene Fortbildungen wie z. B. Meister/in in deutschsprachigen Ländern. Nicht-formales Lernen ist außerhalb des formalen Bildungssystems angesiedelt und führt nicht unbedingt zum Erwerb eines formalen Abschlusses (ebd.). Es handelt sich um strukturierte Lernaktivitäten im Rahmen einer Lehr-Lern-Beziehung, die sowohl innerhalb als auch außerhalb von Bildungseinrichtungen und am Arbeitsplatz stattfinden können. Typischerweise wird diese Lernform in Kursen, Workshops oder Seminaren von unterschiedlicher Dauer angeboten. Informelles Lernen umfasst sämtliche Aktivitäten, die explizit einem Lernziel dienen, aber weniger strukturiert und organisiert sind (ebd.). Diese Lernaktivitäten finden außerhalb einer Lehrer-Lerner-Beziehung statt und können in der Familie, mit Freunden oder am Arbeitsplatz auftreten (Behringer und Schönfeld, 2014). Dies ist relativ schwer zu greifen und entgegen der Definition der Europäischen Union weist diese Form oftmals beiläufige und nicht-intentionale Elemente auf (Kuwan und Seidel, 2013; Boeren, 2016, S. 10). Einige Studien zu Bildung im Erwachsenenalter beziehen sich auf diese drei Formen von Lernaktivitäten. Jedoch sind insbesondere strukturierte und organisierte Lernaktivitäten, also formales und non-formales Lernen, Gegenstand von Untersuchungen. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass Indikatoren für formales und non-formales Lernen leichter zu bilden

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

und besser verfügbar sind als im Bereich des informellen Lernens (Boeren, 2016, S. 12; Groenez, Desmedt und Nicaise, 2007). Wird das Ausmaß nonformaler und formaler beruflicher Weiterbildung betrachtet, dann zeigt sich eine deutliche Dominanz non-formaler Weiterbildung.1 Neben dieser Unterscheidung der Lernaktivitäten im Erwachsenenalter trennen die meisten empirischen Studien nach dem Ziel oder der Motivation der Weiterbildungsteilnahme, erstens Weiterbildung, die beruflichen Zecken dient, zweitens Weiterbildung aus privaten Gründen oder persönlichem Interesse. Diese Differenzierung ist zur Erklärung ungleicher Beteiligungsstrukturen sinnvoll und aussagekräftiger als die reine Unterscheidung nach Lernaktivitäten (Groenez, Desmedt und Nicaise, 2007). Zur näheren Betrachtung erwerbsbezogener Weiterbildung wird in Untersuchungen vor allem die Rolle der Arbeitgeber berücksichtigt, die zentral für eine Teilnahme zu beruflichen Zwecken ist (Dämmrich, Vilhena und Reichart, 2014). Dabei werden die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber und die zeitliche Verortung der Weiterbildungsteilnahme während der Arbeitszeit als Kriterien genutzt, oder aber die Durchführung vom Betrieb oder von externen Anbietern (für einen Überblick über Formen beruflicher Weiterbildung siehe Kaufmann und Widany, 2013, S. 35). Neben betrieblicher Weiterbildung kann es außerhalb des betrieblichen Kontextes auch berufliche Weiterbildung geben, die – je nach Definition – nicht vom Arbeitgeber (mit)finanziert wird und außerhalb der Arbeitszeit erfolgt. In der Weiterbildungsforschung wird dies oftmals als individuell-berufliche Weiterbildung bezeichnet, bei der angenommen wird, dass in erster Linie der Lernende Nutzen aus der Weiterbildungsinvestition zieht (Kuper, Unger und Gnahs, 2013b; Schiener, 2006, S. 148–149). Ergebnisse internationaler Studien belegen durchgängig, dass der Großteil der erwerbsbezogenen non-formalen Weiterbildung im betrieblichen Umfeld organisiert oder vom Arbeitgeber unterstützt wird, so dass betrieblicher Weiterbildung ein beson-

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Die Teilnahmequote in diesem Bereich macht im Durchschnitt von 26 europäischen Ländern 2007 17% aus, während die Teilnahmequote an formaler beruflicher Weiterbildung etwa 6% beträgt (Dämmrich, Vilhena und Reichart, 2014, S. 31–32).

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2.1 Begriffsklärung von erwerbsbezogener Weiterbildung

deres Gewicht innerhalb der erwerbsbezogenen Weiterbildung zukommt (vgl. z. B. O‘Connell, 1999).2 Abbildung 2.1: Formen erwerbsbezogener Weiterbildung

Erwerbsbezogene Weiterbildung

Formales Lernen

Non-formales Lernen

Informelles Lernen

betriebliche Weiterbildung

außerbetriebliche Weiterbildung

Anmerkung: Die graue Fläche zeigt die Lernformen an, die in der vorliegenden Arbeit Weiterbildung umfassen; eigene Darstellung.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden in der Arbeit formale und non-formale Bildung im Erwachsenenalter gemeinsam betrachtet, die aus beruflichen Gründen aufgenommen werden (Abbildung 2.1). Damit ist Weiterbildung mit Arbeitsmarktbezug Gegenstand der Arbeit. Dieser Fokus wird gewählt, da Erwerbstätigkeit ein zentrales Element von Gesellschaften ist und angenommen werden kann, dass beruflich motivierte Weiterbildung eine größere Nähe zu Institutionen beispielsweise des Arbeitsmarkts aufweist, als es bei nicht-beruflicher Weiterbildung der Fall ist. Hier wird erwerbsbezogene Weiterbildung betrachtet, unabhängig davon, ob sie im betrieblichen Kontext oder außerhalb von Betrieben stattfindet. Der Vorteil dessen, sich neben betrieblicher gleichzeitig außerbetriebliche Weiterbildung anzusehen, ist, dass damit auch wohlfahrtsstaatliche Aktivitäten im Blick bleiben. Eine Analyse ausschließlich von betrieblicher Weiterbildung würde den Ausschluss Arbeitsloser und Nichterwerbstätiger bedeuten. Darüber hinaus sprechen bei einem Ländervergleich methodische Grün2

Eigene deskriptive Befunde werden in Kapitel 6.1 vorgestellt.

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

de gegen eine getrennte Analyse nach Weiterbildungstyp bzw. -segment (vgl. Kapitel 5). Nicht-berufliche Weiterbildungsprozesse, die hauptsächlich einem privaten Interesse entspringen, werden nicht betrachtet, da angenommen werden kann, dass zur Erklärung beruflicher und nicht-beruflicher Weiterbildung ganz unterschiedliche Erklärungsansätze und Institutionen eine Rolle spielen.3 In dieser Arbeit wird ausschließlich institutionalisierte bzw. organisierte Weiterbildung, also formales und non-formales Lernen, einbezogen. Informelle Lernprozesse bleiben aus der Betrachtung ausgeschlossen, da diese zum einen vielfältige Lernaktivitäten beinhalten und auch alltägliches Lernen am Arbeitsplatz umfassen würden, was für diese Arbeit zu weitführend wäre. Zum anderen ist informelles Lernen schwer zu erfassen und zu operationalisieren (Kuper und Schrader, 2013).

2.2 Determinanten von erwerbsbezogener Weiterbildung 2.2.1 Individuelle Determinanten Es existiert eine breite Forschung zu Einflussfaktoren für die Teilnahme an Weiterbildung auf der Individualebene. Während bei Forschung im Rahmen von psychologischen Ansätzen vor allem motivationale, verhaltenstheoretische Faktoren sowie die Entwicklung der Individuen im Vordergrund stehen, konzentriert sich der hier aufgezeigte Forschungsstand auf soziologische Studien. Es gibt zahlreiche Untersuchungen auf mikrosoziologischer Ebene dazu, durch welche Individualmerkmale Ungleichheiten in der Weiterbildungsteilnahme hervorgerufen werden.4 Hier stehen Studien der ländervergleichenden Forschung im Mittelpunkt. Einzelländerstudien

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Nicht-berufliche Weiterbildungsprozesse spielen dennoch eine bedeutende Rolle für Bildung im Erwachsenenalter (Bilger und Kuper, 2013). Auch in der Phase nach dem Erwerbsaustritt stellt Weiterbildung eine soziale Teilhabemöglichkeit für Personen im Ruhestandsalter dar (Formosa, 2014), zumal die Lebenserwartung stetig ansteigt. Sie sind aber für die Fragerichtung dieser Arbeit nicht entscheidend.

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Im Folgenden werden die Ergebnisse auf Weiterbildung bezogen, die zu beruflichen Zwecken gemacht wird. Falls in einer Studie ein anderer (Weiter-)Bildungsbegriff verwendet wird, wird dies explizit erwähnt.

2.2 Determinanten von erwerbsbezogener Weiterbildung

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werden nur für den Fall herangezogen, dass in bestimmten Bereichen solche Studien fehlen. Eine der als zentral angesehenen individuellen Determinanten von Weiterbildung ist der Bildungsstand. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass je höher der schulische oder berufliche Bildungsabschluss ist, desto eher nehmen Personen an Weiterbildung teil. Dies zeigt sich sowohl bei deskriptiven Analysen (O‘Connell und Jungblut, 2008, für 11 Länder in Europa sowie Kanada und die USA) als auch in multivariaten Untersuchungen: Für 13 europäische Länder konstatieren Fourage und Schils (2009), dass die Wahrscheinlichkeit einer Weiterbildungsteilnahme mit zunehmendem Bildungsniveau steigt. Auch bei Brunello (2004) bestätigt sich dies in der Analyse von 11 europäischen Ländern: Im Vergleich zu niedrigen Schulabschlüssen haben Personen mit höherem Sekundarabschluss eine höhere Teilnahmewahrscheinlichkeit, Personen mit tertiärem Abschluss weisen die höchste Teilnahmewahrscheinlichkeit auf. Dieser Befund wird ebenso für verschiedene Arten von Weiterbildung bestätigt: Die Teilnahmewahrscheinlichkeit ist sowohl bezogen auf arbeitgeberfinanzierte als auch nicht vom Arbeitgeber finanzierte Weiterbildung für Personen mit höherem Bildungsabschluss deutlich höher als für Personen unterhalb eines postsekundären Abschlusses (Dämmrich, Vilhena und Reichart, 2014, für 26 europäische Länder). Als weiterer individueller Einflussfaktor für Weiterbildungsbeteiligung wird das Alter untersucht. Die Ergebnisse sind diesbezüglich eindeutig: Obwohl die Gefahr gerade bei Älteren besteht, dass ihre in der Erstausbildung erworbenen Fähigkeiten und ihr Wissen veraltet sind, ist die Weiterbildungspartizipation älterer Erwerbstätiger geringer als die Jüngerer. Es zeigt sich, dass die Beteiligung bis zum mittleren Erwerbsalter ansteigt und dann wieder abfällt (Leven u. a., 2013, S. 84; Schiener, 2006, S. 170). Dies lässt sich bei bivariaten Analysen feststellen (vgl. z. B. für fünf europäische Länder Moraal, Schönfeld und Schöpe, 2007, für 30 europäische Länder Behringer und Schönfeld, 2014) und wird durch multivariate Ergebnisse bestätigt, die zeigen, dass die Weiterbildungswahrscheinlichkeit für Jüngere höher als für Ältere ist (vgl. z. B. Kaufmann und Widany, 2013). Eine Studie für Deutsch-

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

land konstatiert, dass 50- bis 64-Jährige im Vergleich zu 18- bis 29-Jährigen nur knapp halb so hohe Chancen – bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Geschlecht, Migrationshintergrund sowie schulischem und beruflichem Abschluss – haben, an beruflicher Weiterbildung teilzunehmen (Kuper, Unger und Hartmann, 2013). Auch bei Berücksichtigung weiterer Einflussfaktoren wie Erwerbsstatus und Betriebsgröße bleibt dieser Nachteil Älterer gegenüber Jüngeren bestehen. Ebenso zeigt sich dies in vielen ländervergleichenden Studien: Dämmrich, Vilhena und Reichart (2014) stellen in einer Studie mit 26 europäischen Ländern fest, dass die Wahrscheinlichkeit einer Weiterbildungsteilnahme mit steigendem Alter zurückgeht. Zudem zeigen Fourage und Schils (2009) für 13 europäische Länder, dass Ältere eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, an Weiterbildung teilzunehmen als jüngere Personen zwischen 25 und 44 Jahren: Bei 45- bis 54-Jährigen ist diese um 3,2% niedriger, bei 55- bis 64-Jährigen sogar um 5%. Weitere Studien bestätigen die geringeren Teilnahmewahrscheinlichkeiten Älterer (vgl. z. B. für 15 EU-Länder Wolbers, 2005 und für 18 Länder weltweit Desjardins, Rubenson und Milana, 2006). Generell wird dies damit erklärt, dass sich für ältere Arbeitskräfte eine Investition in Weiterbildung nicht mehr auszahlen würde, da die Zeitspanne bis zum Ende des Erwerbslebens kürzer wird (Boeren, Nicaise und Baert, 2010; Gelderblom und Koning, 2002). Geschlechterunterschiede in der Weiterbildung sind im Gegensatz zu den beiden zuvor genannten soziodemografischen Merkmalen nicht ganz so eindeutig. Wird die gesamte Bevölkerung betrachtet, finden sich in der Regel Nachteile in der Weiterbildungsbeteiligung für Frauen (Dieckhoff und Steiber, 2011). Wenn ausschließlich die erwerbstätige Bevölkerung in die Analyse einbezogen wird, zeigen sich ganz unterschiedliche Ergebnisse: Manche Studien finden bei der Mehrheit der untersuchten Länder keine signifikanten Unterschiede zwischen erwerbstätigen Männern und Frauen beim Weiterbildungsverhalten (vgl. z. B. Arulampalam, Booth und Bryan, 2004 für 10 europäische Länder und Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007 für 7 europäische Länder). Dieckhoff und Steiber (2011) konstatieren dagegen in ihrer Studie mit 23 Ländern in Europa eine höhere Teilnahmewahrscheinlichkeit für Männer als für Frauen unter Kontrolle von sozio-

2.2 Determinanten von erwerbsbezogener Weiterbildung

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demografischen Merkmalen, Betriebsmerkmalen wie Betriebsgröße und Branche sowie Arbeitsplatzcharakteristika wie Teilzeitarbeit. Das Gegenteil finden dagegen Dämmrich, Vilhena und Reichart (2014) in ihrer Untersuchung von 26 europäischen Ländern zu verschiedenen Arten beruflicher Weiterbildung: Sowohl bei arbeitgeberfinanzierter als auch bei nicht arbeitgeberfinanzierter Weiterbildung haben Frauen eine leicht erhöhte Teilnahmewahrscheinlichkeit im Vergleich zu Männern. Für Deutschland findet sich in Westdeutschland bei höherem Frauenanteil im Betrieb ebenfalls ein leicht positiver Effekt für die Teilnahme der Beschäftigten an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen, in Ostdeutschland sogar ein deutlich positiver Effekt (Düll und Bellmann, 1998). Dies variiert mit der betrachteten Branche und trifft vor allem auf den privaten Dienstleistungssektor zu, während in anderen Branchen wie dem verarbeitenden Gewerbe kein bzw. ein leicht negativer Effekt des Frauenanteils auf Weiterbildungsteilnahme zu finden ist. Diese uneindeutigen Ergebnisse können damit zusammenhängen, dass hohe Frauenanteile in Branchen zum einen mit geringeren Weiterbildungschancen (z. B. Gastgewerbe), zum anderen mit hohen Weiterbildungschancen (z. B. Kredit- und Versicherungsbranche) zu finden sind (Käpplinger, 2007). Es deutet vieles auf eine komplexe Wechselwirkung des Geschlechts mit Branche, Beschäftigungsposition und Beschäftigungsform hin. Unter der Annahme, dass das Vorhandensein gerade von jüngeren Kindern im Haushalt zeitliche Restriktionen und daher geringere Weiterbildungsaktivitäten mit sich bringen kann, kann auch dies eine mögliche Determinante der Weiterbildungsteilnahme darstellen. Eine aktuelle OECDStudie stellt fest, dass insbesondere jüngere Erwachsene bis 34 Jahre geringere Teilnahmequoten an non-formaler und/oder formaler Weiterbildung aufweisen, wenn Kinder unter 13 Jahren im Haushalt leben, im mittleren Erwachsenenalter zeigen sich kaum noch Unterschiede zwischen Haushalten mit und ohne Kinder (OECD, 2017, S. 414). Über solche deskriptiven Auswertungen hinaus wird festgestellt, dass minderjährige Kinder im Haushalt insbesondere das Weiterbildungsverhalten von Frauen negativ beeinflussen (Hubert und Wolf, 2007). Dieckhoff und Steiber (2011) finden dagegen

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

keinen Effekt des Vorhandenseins von Kindern im Vorschulalter auf die Weiterbildungsteilnahme von Frauen, auch nicht unter Berücksichtigung der Arbeitszeiten. Auch laut einer Studie für jüngere Erwachsene in Belgien hat die Anzahl der Kinder keinen Effekt auf Weiterbildung, die direkt mit dem eigenen Arbeitsplatz verbunden ist (Knipprath und De Rick, 2015). Jedoch zeigt sich bei Weiterbildung, die nicht direkt mit dem Arbeitsplatz verbunden ist, dass (unter Kontrolle des Erwerbsstatus) Kinderlose eine 1,6-fach höhere Teilnahmewahrscheinlichkeit als Personen mit einem Kind und eine 3-mal höhere als Personen mit zwei oder mehr Kindern haben. Nur ausgewählte Studien untersuchen Ausländerstatus oder Migrationshintergrund als mögliche Determinanten von Weiterbildung, so dass es kaum international vergleichende Studien gibt und hier nur Studien über Deutschland berichtet werden. Pischke (2001) stellt für Deutschland fest, dass Ausländer/innen – auch unter Kontrolle verschiedener soziodemografischer Merkmale und Betriebsfaktoren – deutlich weniger Weiterbildungsteilnahmen aufweisen als Deutsche. Dieser Befund bestätigt sich ebenso in Studien, die den Migrationshintergrund heranziehen und als Einflussfaktor untersuchen. So haben Personen mit Migrationshintergrund eine geringere Wahrscheinlichkeit einer Weiterbildungsteilnahme als jene ohne Migrationshintergrund. Diese Ergebnisse bleiben auch stabil, wenn Bildungsabschluss, Erwerbsstatus, berufliche Position und Branchenzugehörigkeit berücksichtigt werden (Geerdes, 2005; Kuper, Unger und Hartmann, 2013). Besonders Migranten der ersten Generation haben eine geringere Chance auf Weiterbildung, aber auch Personen der zweiten Generation sind noch benachteiligt (Öztürk, 2011). Neben dem Einfluss der soziodemografischen Charakteristika von Individuen wie Bildungsstatus, Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund und Kinder werden in der Literatur weitere Einflussfaktoren der Weiterbildung wie tätigkeitsbezogene Merkmale diskutiert. Diese sind mit der Beschäftigung und dem Arbeitsumfeld verbunden, wie z. B. der Erwerbsstatus oder die Art der Beschäftigung.

2.2 Determinanten von erwerbsbezogener Weiterbildung

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Als ein zentraler Faktor wird das Ausüben einer Erwerbstätigkeit gesehen. Erwerbstätige haben mehr Gelegenheit bzw. Anlass, an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme teilzunehmen als Nichterwerbspersonen. Je nach Art der Weiterbildung zeigen sich Differenzen nach Erwerbsstatus: Nichterwerbstätige haben in der Regel keine Gelegenheit, an betrieblicher Weiterbildung zu partizipieren5 , jedoch können sie an beruflicher Weiterbildung, die außerhalb des betrieblichen Umfeldes ohne betriebliche Unterstützung stattfindet, teilnehmen. So nehmen vor allem Erwerbstätige an betrieblicher Weiterbildung in Deutschland teil, während an individuellberufsbezogener Weiterbildung (also solche, die nicht vom Arbeitgeber finanziert wird) mehr Arbeitslose und Personen in Bildungsmaßnahmen teilnehmen als Erwerbstätige (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2018, S. 348). Unter Berücksichtigung weiterer Merkmale wird deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an Weiterbildung für Arbeitslose und die Gruppe der Auszubildenden, Praktikant/innen, Studierenden im Vergleich zu Vollzeiterwerbstätigen deutlich geringer ist. Für weitere Nichterwerbspersonen wie Hausfrauen ist diese Chance auf Weiterbildung nochmals verringert (Rosenbladt und Bilger, 2008, S. 165). Dies zeigt sich auch in ländervergleichenden Untersuchungen. Im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit gibt es ebenso nach beruflicher Position Unterschiede. Im Vergleich zu un- und angelernten Arbeiter/innen ist die Weiterbildungschance für Facharbeiter/innen und ausführende Angestellte höher. Für Meister und qualifizierte Angestellte sowie Beamte ist diese Chance nochmal deutlich höher (Kuper, Unger und Hartmann, 2013). In ländervergleichenden Studien bestätigt sich dieser Befund. So finden Dieckhoff, Jungblut und O’Connell (2007) in 7 Ländern deutlich höhere Weiterbildungschancen für Manager sowie Büro- und Dienstleistungspersonal im Vergleich zu Un- und Angelernten, während bei Handwerkern keine eindeutigen Effekte auftreten. Bezogen auf den Umfang der Erwerbstätigkeit wird berichtet, dass Beschäftigte mit einer geringeren Wochenarbeitszeit weniger in berufliche 5

Dass Nichterwerbstätige dennoch an betrieblicher Weiterbildung teilnehmen, wird damit zusammenhängen, dass manche Befragte zum Zeitpunkt der Weiterbildung noch erwerbstätig waren. Prinzipiell nehmen an betrieblicher Weiterbildung fast ausschließlich Erwerbstätige teil.

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

Weiterbildungsmaßnahmen eingebunden sind als Vollzeitbeschäftigte, und Teilzeitbeschäftigte eine geringere Wahrscheinlichkeit der Partizipation aufweisen (Kaufmann und Widany, 2013; Schiener, 2006, S. 178). Dies bestätigt sich auch in ländervergleichenden Studien. Hier wird festgestellt, dass Weiterbildung für Personen mit einer Mindestarbeitszeit von 15 Stunden in der Woche wahrscheinlicher ist als für andere Erwerbstätige (Brunello, 2004). Dagegen haben laut einer Studie von Arulampalam, Booth und Bryan (2004) Teilzeit- und Vollzeiterwerbstätige in 8 von 10 untersuchten Ländern in Europa dieselbe Wahrscheinlichkeit einer Weiterbildungsteilnahme. Hinsichtlich befristeter Arbeitsverträge liegen uneindeutige Ergebnisse vor. Die Befristung hat in den meisten Ländern bei Frauen keinen signifikanten Effekt, in Dänemark und Finnland einen negativen und in Frankreich sogar einen positiven Weiterbildungseffekt. Tendenziell weisen Männer mit befristeten Arbeitsverhältnissen eine geringere Teilnahmewahrscheinlichkeit auf (vgl. ebd., für 10 europäische Länder). Für Deutschland findet sich ebenfalls eine geringere Teilnahmewahrscheinlichkeit an betrieblicher Weiterbildung für befristet Beschäftigte (Schiener, 2006, S. 180). Diese zwischen den Ländern abweichenden Ergebnisse könnten mit unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen zusammenhängen (vgl. Kapitel 3). 2.2.2 Betriebliche Determinanten Neben individuellen Determinanten wird in Untersuchungen vielfach belegt, dass betriebliche Merkmale als Einflussfaktoren der individuellen Weiterbildungsteilnahme eine Rolle spielen. Betriebe mit spezifischen Merkmalen unterstützen die Weiterbildungsteilnahme ihrer Mitarbeiter/innen und bieten damit ihren Beschäftigten einen besseren Zugang zu Weiterbildung. Zahlreiche Studien stellen fest, dass die Betriebsgröße die Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung entscheidend beeinflusst. Je größer die Zahl der Beschäftigten im Betrieb – und damit auch die funktionale und fachliche Arbeitsteilung – ist, desto wahrscheinlicher sind betriebliche Weiterbildungsangebote (Düll und Bellmann, 1998; Käpplinger, 2007). Dies kann wiederum damit zusammenhängen, dass kleinere Betriebe Erstausbildung anstelle von Weiterbildungsaktivitäten anbieten, um ihren Qualifizierungsbedarf zu

2.3 Strukturelle und institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme in Europa

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decken (Düll und Bellmann, 1998). Auch viele ländervergleichende Studien betonen den Einfluss der Betriebsgröße (vgl. z. B. Behringer und Descamps, 2009, für Deutschland und Frankreich; Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007, für Beschäftigte im privaten Sektor in 7 europäischen Ländern; Haak, 2003, für Dänemark und Deutschland; Mytzek-Zühlke, 2005, für Deutschland, Dänemark, Schweden und Vereinigtes Königreich). Ebenso finden Markowitsch und Hefler (2007) in ihrer Studie von Betrieben in 25 europäischen Ländern, dass mehr Weiterbildungsmöglichkeiten in größeren Betrieben existieren und zudem in solchen mit ausgeprägten Personalentwicklungsstrategien, mit innovativen Arbeitsplätzen und in wissensintensiven Branchen. Verbindungen zur Branche, in der jemand tätig ist, sehen zahlreiche Studien. Die Branche steht in engem Zusammenhang zum Qualifikationsbedarf der Mitarbeiter/innen und damit zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen. Ergebnisse aus der Betriebsforschung zeigen, dass Weiterbildungsquoten und Weiterbildungsintensität höher sind in Betrieben, die vergleichsweise hohe Löhne zahlen und die viele Arbeitnehmer/innen mit Tätigkeiten auf höherer Ebene oder mit höheren Qualifikationen beschäftigen (O‘Connell und Jungblut, 2008). Auch eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst wird als förderlich gesehen: So nehmen Beschäftigte des öffentlichen Sektors und einzelner Dienstleistungsbereiche eher an Weiterbildung teil als diejenigen im privaten Sektor (Arulampalam, Booth und Bryan, 2004, in 10 europäischen Ländern; Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007, für 2 von 7 Ländern; Hubert und Wolf, 2007 für Deutschland).

2.3 Strukturelle und institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme in Europa Über die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen individuellen und betrieblichen Determinanten hinaus gibt es empirische Forschung zu strukturellen Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme. Diese Bedingungen sind im Rahmen der vorliegenden Arbeit besonders wichtig, da sich die Hauptfragestellung auf institutionelle Bedingungen und ihre Rolle für Län-

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

derdifferenzen bei der Weiterbildung Älterer bezieht. Insgesamt ist die Bedeutung struktureller und institutioneller Faktoren im Vergleich zu individuellen Faktoren für die Weiterbildungsteilnahme noch weniger erforscht. Wenn der institutionelle Kontext im Bereich der Bildung untersucht wird, dann insbesondere im Zusammenhang mit der Erstausbildung oder für den Einstieg in den Arbeitsmarkt (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007). Im Folgenden werden ländervergleichende empirische Studien vorgestellt, die die Bedeutung institutioneller Faktoren für Weiterbildung in verschiedenen Bereichen untersuchen. Dazu zählen Eigenschaften des Bildungssystems, der Erwachsenenbildung, des Arbeitsmarktes und Wohlfahrtsstaates, der Interessenorganisation von Arbeitnehmer/innen und der Wirtschaftsstruktur. Die Forschung betrachtet verschiedene Eigenschaften des Bildungssystems als institutionelle Bedingungen für Weiterbildung. Als möglicher Einflussfaktor auf Weiterbildung werden öffentliche Ausgaben für Bildung als Ländermerkmal geprüft. Dämmrich, Vilhena und Reichart (2014) untersuchen dies anhand ihres Samples mit 26 europäischen Länder auf Basis des „Adult Education Survey“ (AES) und stellen fest, dass mit steigenden öffentlichen Bildungsausgaben in einem Land die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme an arbeitgeberfinanzierter Weiterbildung steigt. Bei nicht arbeitgeberfinanzierter Weiterbildung zeigt sich dieser Effekt allerdings nicht. Dies kann mit speziellen Programmen in Ländern zusammenhängen, die gemeinsam von Staat und Arbeitgeber finanziert werden, wie sie beispielsweise in Frankreich existieren (Behringer und Descamps, 2009). Eine weitere bildungsbezogene Eigenschaft ist die Ausgestaltung und der Stellenwert des beruflichen Ausbildungssystems in den Ländern. Dies wird in der Forschungsliteratur als zentral für Weiterbildungsaktivitäten gesehen, die Ergebnisse dazu verweisen in unterschiedliche Richtungen. Einige Studien fokussieren auf die Stratifizierung von Bildungssystemen, die das Ausmaß der Untergliederung in klar voneinander getrennte Bildungswege beschreibt und inwieweit eine Trennung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung vorliegt (Allmendinger, 1989; Müller und Shavit, 1998).

2.3 Strukturelle und institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme in Europa

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So stellt Brunello (2004) auf Basis des „European Community Household Panel“ (ECHP) für 10 europäische Länder fest, dass die Teilnahme an Bildung bzw. Weiterbildung in weniger stratifizierten Schulsystemen wie beispielsweise in Irland und dem Vereinigten Königreich höher ist als in stratifizierten Schulsystemen, wie sie in Deutschland existieren. Der Grad der Stratifizierung wird hier anhand des Schulalters gemessen, in dem die Differenzierung beginnt. Begründet wird der Befund damit, dass es in stratifizierten Bildungssystemen eine höhere berufliche Spezialisierung gibt, die den Bedarf an zusätzlicher Qualifizierung nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt verringert, und dass damit Weiterbildung weniger notwendig ist. In weniger stratifizierten Ländern ist der Weiterbildungsbedarf dagegen groß, da aufgrund der fehlenden Spezialisierung in der Erstausbildung das fehlende Wissen durch Weiterbildung kompensiert werden muss. Auch Groenez, Desmedt und Nicaise (2007) konstatieren auf Basis des „EU-Labour Force Surveys“ (LFS), dass je weniger die Sekundarschulen in einem Land stratifiziert sind – gemessen anhand der Anzahl verfügbarer Bildungswege für 15-Jährige – , desto höher ist die Teilnahme an formaler oder non-formaler Bildung.6 Gedeutet wird dies als Hinweis darauf, dass sich Erwachsene in einheitlichen Schulsystemen mehr allgemeines Wissen angeeignet haben, weniger Erfahrungen mit Versagen hatten und insgesamt eine positivere Einstellung zum Lernen aufweisen. Das Verhältnis von Erstausbildung und Weiterbildung analysiert Wolbers (2005) mit dem LFS für die EU-15-Länder. Er zieht dazu den Anteil von Schüler/innen der höheren Sekundarstufe in beruflicher Bildung heran und stellt fest, dass je stärker ein Land Richtung beruflicher Bildung orientiert ist, desto eher nehmen Arbeitskräfte an Weiterbildung teil. In Ländern, in denen der Fokus auf Angeboten der allgemeinen Bildung liegt, gibt es demnach weniger Weiterbildungsaktivitäten. Damit wird belegt, dass Weiterbildung die berufliche Erstausbildung eher ergänzt, was somit für ein komplementäres Verhältnis anstatt eines substituierenden Verhältnisses zwischen Weiterbildung und Erstausbildung spricht.

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In der Studie von Groenez, Desmedt und Nicaise (2007) wird sowohl Weiterbildung zu beruflichen als auch nicht beruflichen Zwecken betrachtet.

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

Vereinzelt werden weitere bildungsbezogene Ländermerkmale herangezogen. Almeida und Aterido (2008) nutzen die durchschnittlichen Jahre in der Ausbildung und konstatieren, dass es einen starken positiven Zusammenhang mit der Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung gibt. Genutzt wurden betriebliche Daten des „Enterprise Surveys“ der World Bank, die 66 Entwicklungsländer umfassen, so dass dies eine spezielle Länderauswahl darstellt und das Merkmal der Schul- und Ausbildungsdauer gegebenenfalls nicht für alle Länder ein sinnvolles Merkmal darstellt. Um auch den Einfluss von Rahmenbedingungen für Erwachsenenbildung auf Länderebene zu erforschen, beziehen Dämmrich, Vilhena und Reichart (2014) einen Index für die „Offenheit gegenüber Erwachsenenbildung“ als Makroindikator in die Analyse der 26 europäischen Länder mit ein. Dieser Index basiert auf den Kriterien Zugangsbarrieren, historisch gewachsenes Weiterbildungssystem, günstige demografische Strukturen und ökonomische Situation, Existenz eines zusammenhängenden strukturellen Rahmens sowie Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen für Erwachsenenbildung. Es zeigt sich sowohl für nicht vom Arbeitgeber finanzierte als auch für vom Arbeitgeber finanzierte Weiterbildung ein eindeutig positiver Effekt. In ähnlicher Weise gehen auch Groenez, Desmedt und Nicaise (2007) vor, die zwei Indikatoren zu politischen Strategien lebenslangen Lernens entwickeln und diese als Einflussfaktor in der Analyse berücksichtigen: Erstens „kohärente“ Maßnahmen lebenslangen Lernens, zweitens umfassende Maßnahmen lebenslangen Lernens. Für jeden Indikator werden verschiedene Charakteristika als „adäquat“, „unzureichend“ oder „teils teils“ beurteilt und daraus ein Summenindex aller als adäquat eingestuften Merkmale gebildet. Dabei werden sowohl verschiedene Politikstrategien als auch konkrete Maßnahmen berücksichtigt. Der erste Indikator („kohärente Maßnahmen“) bezieht sich auf die Qualität von Maßnahmen, Partnerschaften zwischen Akteuren (z. B. Sozialpartnerschaft, Weiterbildungsanbieter) und erleichternde Faktoren wie Beratungseinrichtungen. Der zweite Indikator steht für umfassende Maßnahmen und enthält Ausmaß und Vielfalt von Angebot, Sichtbarkeit und Anerkennung von vorheriger Bildung und inwiefern benachteiligte Gruppen berücksichtigt werden. Die Indikatoren werden genutzt, um die Weiterbildungsteilnahme benachteiligter Gruppen,

2.3 Strukturelle und institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme in Europa

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wie z. B. Geringqualifizierte, zu untersuchen. Beide Indikatoren weisen einen positiven Effekt für die relative Teilnahme an non-formaler und formaler Bildung Geringqualifizierter im Vergleich zu Hochqualifizierten auf. Eine wichtige Rolle spielen Institutionen des Arbeitsmarktes und des Wohlfahrtsstaates, wozu es eine Reihe von Studien gibt. Dämmrich, Vilhena und Reichart (2014) beziehen öffentliche Ausgaben für soziale Sicherung in ihre Studie mit ein und konstatieren, dass je mehr ein Staat für soziale Sicherung ausgibt, desto höher die Weiterbildungsteilnahme ist. Dies trifft sowohl auf arbeitgeberfinanzierte als auch auf nicht arbeitgeberfinanzierte Weiterbildung zu. Angenommen wird, dass gerade für die Teilnahme an individuell finanzierter Weiterbildung entscheidend ist, dass durch den Wohlfahrtsstaat soziale Sicherheit garantiert wird und damit auch die individuelle Bereitschaft steigt, „riskantere“ Investitionen zu tätigen. Die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik wird in der Studie von Groenez, Desmedt und Nicaise (2007) untersucht. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die auf ein hohes Maß an Beschäftigung abzielt, sollte eine hohe Weiterbildungsbeteiligung und insbesondere benachteiligte Gruppen fördern. Es zeigt sich, dass der Anteil der Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik am Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Arbeitslosem einen positiven Einfluss auf die Teilnahme Geringqualifizierter an non-formaler und formaler Bildung hat. Als weitere Bedingungen von Weiterbildung, die dem Arbeitsmarkt zugeordnet werden können, werden in der Forschung Aspekte der Interessenorganisation und -vertretung von Arbeitnehmer/innen wie gewerkschaftliche Aktivitäten diskutiert. Einige Studien bestätigen, dass das Vorhandensein von Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsmitgliedschaft einen positiven Einfluss auf Weiterbildung hat. So wird in einer Untersuchung mit dem ECHP für sieben europäische Länder der Einfluss von Gewerkschaftsdichte auf berufliche Weiterbildungsaktivität geprüft. Arbeitskräften in Branchen mit hoher Gewerkschaftsdichte wird dabei eine höhere Weiterbildungswahrscheinlichkeit zugeschrieben (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007). Dies bestätigt sich ebenso bei Groenez, Desmedt und Nicaise (2007), die den Grad der Gewerkschaftsmitgliedschaft in ihre Analysen einbeziehen

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

und feststellen, dass dieser positiv auf die Teilnahme an formaler oder non-formaler Bildung wirkt. Die dargelegten Ergebnisse stehen im Einklang mit Ergebnissen, die sich auf der Meso- und Mikroebene zeigen: Bei gewerkschaftlich organisierten Betrieben gibt es eine höhere Weiterbildungswahrscheinlichkeit als bei Betrieben ohne gewerkschaftliche Organisation (Dustmann und Schönberg, 2009), und für Großbritannien wird festgestellt, dass Gewerkschaftsmitgliedschaft mit einer höheren Weiterbildungsaktivität von erwerbstätigen Männern einhergeht (Booth, Francesconi und Zoega, 2003). Die Befunde zu Gewerkschaften und ihrem Einfluss auf Weiterbildung sind dennoch nicht eindeutig und einige Effekte erweisen sich in manchen Studienergebnissen als nicht signifikant. Dies ist der Fall bei Coulombe und Tremblay (2007), die den Grad gewerkschaftlicher Organisation in 14 OECD-Ländern mit dem International Adult Literacy Survey (IALS) analysieren und einen leicht negativen, aber nicht signifikanten Effekt finden. Ebenso finden sowohl Brunello (2004) für neun europäische Länder als auch Bassanini u. a. (2005) für 13 Länder, die das ECHP als Datengrundlage nutzen, keine signifikanten Effekte von Gewerkschaftsdichte auf Bildungspartizipation.7 Insgesamt zeigt sich, dass einflussreiche Gewerkschaften eine breite Weiterbildungspartizipation begünstigen können, die Ergebnisse dazu fallen jedoch unterschiedlich aus (vgl. auch Acemoglu und Pischke, 1999; O‘Connell und Jungblut, 2008). In der Forschungsliteratur finden sich Hinweise darauf, dass ebenso die Lohnstruktur in einem Land, die mit Gewerkschaftsaktivitäten in Verbindung steht, Auswirkungen auf Weiterbildung haben kann. So ist anzunehmen, dass komprimierte Lohnstrukturen8 Weiterbildung begünstigen, da sie einen Anreiz für Arbeitgeber darstellen, Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren, während der Anreiz für Arbeitnehmer/innen sinken soll7

Bassanini u. a. (2005) und Brunello (2004) analysieren Bildungspartizipation im Erwachsenenalter, so dass hier nicht ausschließlich Weiterbildungsteilnahme, sondern beispielsweise auch Teilnahme an Erstausbildung einbezogen ist.

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Eine hohe Lohnkompression heißt, dass es bei den Arbeitnehmer/innen nur geringe Lohnunterschiede gibt, während eine niedrige Lohnkompression eine große Lohnspreizung bedeutet.

2.3 Strukturelle und institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme in Europa

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te (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007). Die Studie von Dieckhoff, Jungblut und O’Connell (ebd.) mit sieben europäischen Ländern konstatiert einen Effekt von Lohnkompression auf Weiterbildung. Hier zeigt sich – auch unabhängig von der Gewerkschaftsdichte – , dass eine hohe Lohnkompression höhere Weiterbildungschancen hervorruft. Auch Brunello (2004) stellt in seiner Untersuchung von neun europäischen Ländern mit dem ECHP eine höhere Bildungs- bzw. Weiterbildungsaktivität in Ländern mit höherer Lohnkompression fest. Weiterhin bestätigt sich der positive Effekt einer hohen Lohnkompression auf Weiterbildung bei Coulombe und Tremblay (2007) in ihrer Untersuchung von 14 OECD-Ländern mit IALS. In der Forschung werden außerdem verschiedene Faktoren der Arbeitsmarktflexibilität als Weiterbildungsbedingung in den Blick genommen, darunter der Umfang des Beschäftigungsschutzes und das Ausmaß atypischer Beschäftigung wie befristeter Beschäftigung in einem Land. Brunello (2004) untersucht anhand von Haushaltsdaten des ECHP in neun europäischen Ländern die Auswirkungen von Beschäftigungsschutzmaßnahmen auf die Teilnahme an Bildung. Es wird ein leicht negativer Zusammenhang zwischen dem Grad des Beschäftigungsschutzes und einer (Weiter-)Bildungsteilnahme aufgezeigt. Dies steht der Annahme entgegen, dass mit einem höheren Beschäftigungsschutz der Austausch von Arbeitskräften reduziert wird und damit Anreize für Weiterbildung gesteigert werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Bassanini u. a. (2005) mit derselben Datenbasis für 13 europäische Länder, die zudem zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen unterscheiden. Auch hier wird ein negativer Einfluss von Beschäftigungsschutz auf (Weiter-)Bildungsteilnahme gefunden, sowohl für regulär Beschäftigte als auch – für diese Gruppe jedoch nicht signifikant – für befristet Beschäftigte. Demnach geht ein hohes Maß an Beschäftigungsschutz mit geringerer Weiterbildung einher. In der Studie von Almeida und Aterido (2008), die den Einfluss von Beschäftigungsstabilität auf Weiterbildungsbeteiligung in Entwicklungsländern untersuchen, zeigen sich gegenteilige Ergebnisse. Beschäftigungsstabilität wird mit einem Index erfasst, der Regelungen bezüglich Entlassungen, Einstellungen und Arbeitszeitanpassungen von Beschäftigten berücksich-

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

tigt. In der Tendenz gibt es eine höhere Weiterbildungsbeteiligung in Ländern mit einer höheren Beschäftigungsstabilität und damit mit strengerem Beschäftigungsschutz. Ebenso wird das Ausmaß von befristeter Beschäftigung in einem Land als Einflussfaktor für Weiterbildungsteilnahme identifiziert. Der Anteil an befristet Beschäftigten an allen Beschäftigten in einem Land bewirkt eine Reduzierung der Bildungs- bzw. Weiterbildungsbeteiligung (Bassanini u. a., 2005). Nach diesen Ergebnissen ist also zu vermuten, dass diese Art der Arbeitsmarktflexibilität die Anreize für Individuen und Arbeitgeber verringert, in Weiterbildung zu investieren. Der wirtschaftliche Kontext als Weiterbildungsbedingung ist Gegenstand der Forschung auf Länderebene. Wird das BIP pro Kopf als Indikator allgemeiner Wirtschaftskraft eines Landes in der Analyse berücksichtigt, zeigt sich kein Effekt auf die Teilnahme an non-formaler und formaler Bildung (Groenez, Desmedt und Nicaise, 2007). Zudem wird die generelle Situation am Arbeitsmarkt in Studien berücksichtigt. Wolbers (2005) untersucht mit dem LFS 15 EU-Länder und bezieht die Arbeitslosenquote als möglichen Einflussfaktor auf Weiterbildung mit ein. Es wird die Tendenz deutlich, dass eine hohe Arbeitslosenquote geringere Weiterbildungschancen hervorruft. Dies bestätigen auch weitere Studien (vgl. z. B. Coulombe und Tremblay, 2007 für 14 OECD-Länder). Dagegen steigt die Beteiligung an Bildung und Weiterbildung laut Bassanini u. a. (2005) mit zunehmender Arbeitslosigkeit im Land an, jedoch sind die Koeffizienten nicht signifikant. Die Autoren deuten dies als Hinweis darauf, dass Weiterbildungsaktivitäten von Individuen und Betrieben eher antizyklisch in Zeiten von Konjunkturrückgang oder Stagnation stattfinden, nämlich dann, wenn die Kosten für bevorstehende Erträge geringer sind. Die Ergebnisse der Studie decken sich mit dem Befund, dass eine hohe Arbeitslosenquote mit einer höheren Teilnahmewahrscheinlichkeit an arbeitgeberfinanzierter Weiterbildung einhergeht (Dämmrich, Vilhena und Reichart, 2014). Manche Studien berücksichtigen den Grad an Innovation, durch die eine Wirtschaft geprägt ist, als Einflussfaktor für Weiterbildung auf Länderebene.

2.3 Strukturelle und institutionelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme in Europa

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Die Annahme ist, dass insbesondere in Ländern mit hohem Innovationsgrad eine stetige Weiterqualifizierung der Arbeitskräfte und damit Weiterbildung notwendig ist. Jedoch gibt es nur wenig empirische Befunde dazu, die außerdem zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Der Einfluss von Ausgaben für Forschung und Entwicklung – als Indikator für Innovation – auf Weiterbildung wird von Dämmrich, Vilhena und Reichart (ebd.) auf Basis des AES für 26 europäische Länder geprüft. Sie stellen fest, dass mit steigenden Ausgaben die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme sowohl an arbeitgeberfinanzierter als auch nicht arbeitgeberfinanzierter Weiterbildung steigt. Bassanini u. a. (2005) betrachten den Einfluss von Institutionen auf Weiterbildung und finden ebenfalls heraus, dass für die 13 Länder im ECHP die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme mit steigenden öffentlichen Ausgabenanteilen für Forschung und Entwicklung größer wird. Ebenso betrachten Coulombe und Tremblay (2007) die Ausgaben für Forschung und Entwicklung als Anteil am BIP im IALS-Sample mit 14 OECD-Ländern. Hier sind die Ergebnisse nicht eindeutig und die Effekte erweisen sich als nicht signifikant. Dagegen wird ein positiver Einfluss auf non-formale und formale Bildung gefunden, wenn ein Innovationsindex herangezogen wird, der unter anderem Investitionen in Forschung und Entwicklung und weitere Aspekte der Innovation eines Landes abbildet (Groenez, Desmedt und Nicaise, 2007). Alternativ wird in der Studie der Einfluss des Anteils der Beschäftigten in wissensintensiven Berufen untersucht. Das Ausmaß wissensintensiver Arbeitsplätze in einem Land weist ebenso einen positiven Einfluss auf. Hervorzuheben unter den betrachteten Studien ist die Arbeit von Groenez, Desmedt und Nicaise (ebd.), in der Eigenschaften der Makroebene für die Weiterbildungsteilnahme und Gründe für Unterschiede in den EU15-Ländern auf Basis des Labour Force Surveys umfangreich untersucht werden. Dies ist die einzige Studie, die die gesamte Bandbreite der in der Forschungsliteratur als wichtig erachteten institutionellen Faktoren und der in diesem Abschnitt diskutierten Merkmale berücksichtigt. Neben der Teilnahme der gesamten Bevölkerung analysieren sie auch Ungleichheiten bei der Teilnahme bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie Geringqualifizierter

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

und Arbeitsloser. Dabei wird die Teilnahme an non-formaler und formaler Bildung in den letzten vier Wochen als zu erklärendes Merkmal untersucht. Der Zweck der Weiterbildungsteilnahme bleibt dagegen unberücksichtigt, so dass nicht zwischen beruflicher und privater Weiterbildung differenziert werden kann. Die Studie – wie auch die anderen hier dargestellten Studien – folgt einer Einzelinstitutionenlogik, in der die institutionellen Bedingungen als einzelne Faktoren bzw. additiv betrachtet werden. In der vorliegenden Arbeit besteht der Anspruch, über eine solche Einzelinstitutionenlogik hinauszugehen, indem verschiedene Konstellationen von Institutionen in den Blick genommen werden (vgl. Kapitel 7). Insofern bieten die hier präsentierten Studien Anhaltspunkte für die Beantwortung der Forschungsfrage. Wie solche Institutionen aber zusammen auf die Weiterbildung Älterer wirken, ist bislang eine offene Frage.

2.4 Forschung zur Weiterbildungsbeteiligung Älterer Wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt worden ist, beschäftigen sich international vergleichende Studien mit Fragen der Wirkung von Institutionen auf die Weiterbildungsteilnahme der Bevölkerung. Ob auch Forschung zur Wirkung solcher Institutionen speziell für die Einbindung von Älteren in Weiterbildung existiert, und was überhaupt an Erkenntnissen zur Weiterbildung Älterer vorliegt, wird in diesem Abschnitt beschrieben. Es fällt erstens auf, dass in der Forschungslandschaft bislang vor allem Prozesse auf der Mikroebene interessierten: in Form von Weiterbildungsverhalten von Individuen mit dem Ergebnis, dass mit zunehmendem Alter die Weiterbildungsteilnahme zurückgeht (Abschnitt 2.2.1), außerdem bezüglich Weiterbildungsmotivation. Es wird konstatiert, dass Ältere ein nachlassendes Interesse an einer Weiterbildungsteilnahme haben und eine zunehmende Distanz zu Weiterbildung aufweisen (vgl. z. B. Weiss, 2009). Gleichwohl ist die Weiterbildungsbeteiligung in der späten Erwerbsphase in Deutschland in den letzten Jahren leicht gestiegen (Leven u. a., 2013, S. 83–84), und auch für die Mehrheit der europäischen Länder lässt sich ein Anstieg der Teilnahme 55- bis 64-Jähriger an beruflicher Weiterbildung

2.4 Forschung zur Weiterbildungsbeteiligung Älterer

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zwischen 2007 und 2016 feststellen.9 Zudem existieren einzelne Studien wie die deutsche „EdAge“-Studie zu Bildungsbeteiligung und -interessen Älterer (Tippelt u. a., 2009), in denen das Lern- und Bildungsverhalten von 45-Jährigen und Älteren mithilfe quantitativer und qualitativer Methoden tiefergehend untersucht wird. Zweitens konzentriert sich die bisherige Forschung auf Weiterbildung Älterer in Betrieben. Für Deutschland zeichnet sich ab, dass für die Weiterbildung Älterer die Größe des Betriebs eine entscheidende Rolle spielt, und dass vor allem in Großbetrieben Ältere ab 50 Jahren vergleichsweise umfassend in Weiterbildung einbezogen werden (vgl. z. B. Bellmann und Stegmaier, 2006; Bellmann und Leber, 2008). Ältere haben außerdem eine höhere Weiterbildungswahrscheinlichkeit in Betrieben mit Tarifbindung und mit altersgemischten Arbeitsgruppen und altersgerechten Arbeitsplätzen (Bellmann und Stegmaier, 2006). Neben diesen strukturellen Faktoren wird zudem festgestellt, dass die Haltung gegenüber der älteren Belegschaft im Betrieb eine Rolle spielt. So gibt es mit höherer Wahrscheinlichkeit Weiterbildungsangebote für Ältere in den Betrieben, die positiv eingestellt sind gegenüber dieser Belegschaftsgruppe bezüglich ihrer Lernbereitschaft und Lernfähigkeit (ebd.). Zwar gibt es oft verschiedene Annahmen und Vorurteile bezüglich älterer Arbeitskräfte, die sich vor allem auf eine geringere Lern- und Leistungsfähigkeit beziehen (für einen Überblick vgl. Findsen, 2015). Jedoch zeigen Ergebnisse von Betriebsbefragungen auch, dass Kompetenzen Älterer seitens der Betriebe nicht als Defizite Älterer wahrgenommen werden, sondern die betriebliche Sicht eher dadurch geprägt ist, dass Ältere in anderer Weise leistungsfähig sind als Jüngere und wichtige Erfahrungsträger/innen darstellen (Zimmermann, 2009, S. 18). Ein klares Defizit gibt es dagegen bei der Forschung zu institutionellen Bedingungen, die Ältere kaum in den Blick nimmt. Manche Analysen zur Wirkung von Institutionen auf Weiterbildungsteilnahme konzentrieren sich nur auf die Haupterwerbsphase zwischen 25 und 54 Jahren, wie es bei Arulampalam, Booth und Bryan (2004) und teilweise auch bei Bassanini

9

Vgl. Ergebnisse des AES, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eurostat/de/data/database, Code trng_aes_101 (letzter Zugriff 08.08.2019).

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

u. a. (2005) der Fall ist. Die Mehrheit der Studien zieht Alter lediglich als Kontrollvariable in den Analysen heran. Als eine spezifische Institution, die speziell auf die Teilnahme Älterer an Weiterbildung wirkt, werden die Ausgestaltung des Rentensystems und die Möglichkeiten zur Frühverrentung diskutiert. Fourage und Schils (2009) untersuchen die Wirkung von Frühverrentungsanreizen auf die Weiterbildungsteilnahme 55- bis 64-jähriger Beschäftigter für 13 europäische Länder auf Basis des ECHP. Die Autoren finden eine geringere Teilnahme Älterer in Ländern mit generösen Frühverrentungssystemen, während flexible Frühverrentungsmodelle Weiterbildung im späten Erwerbsleben fördern. Gerade in Ländern wie Dänemark und Finnland mit traditioneller Erwachsenenbildung und flexiblen Frühverrentungsmodellen, die den Beschäftigten mehr Wahlfreiheit lassen bezüglich des Renteneintrittsalters und eine moderate Rentenhöhe aufweisen, scheint die Bereitschaft älterer Beschäftigter und der Arbeitgeber größer zu sein, in Weiterbildung zu investieren. Bei Frühverrentungsmodellen mit einem höheren Ersatzeinkommen wie in Deutschland und den Niederlanden ist die Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer dagegen niedriger. Bassanini u. a. (2005) zeigen, dass der Anreiz zur Teilnahme an Bildungsmaßnahmen und Weiterbildung, um Kenntnisse und Fähigkeiten aufrechtzuerhalten oder zu erweitern, mit zunehmendem Alter sinkt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es in einem Land großzügige Frühverrentungssysteme gibt, also ein früheres Renteneintrittsalter mit höherem Rentenbezug möglich ist. Das bedeutet, dass das erwartete Renteneintrittsalter die Weiterbildungsbereitschaft verringert. Es gibt demnach einen Forschungsbedarf für die in der vorliegenden Arbeit zu beantwortende Frage nach den institutionellen Faktoren der Weiterbildung Älterer. Die Tatsache, dass es wenig Forschung zur Weiterbildung im späten Erwerbsalter gibt, ist insbesondere vor dem Hintergrund auffällig, dass die Einbindung der Gruppe der Älteren länderübergreifend eine besondere Rolle in öffentlichen und politischen Diskursen spielen sollte. Wie bereits ausgeführt wurde (Kapitel 1), gewinnen Bildung und Weiterbildung gerade für die ältere Bevölkerung an Bedeutung, da durch die Rücknahme

2.4 Forschung zur Weiterbildungsbeteiligung Älterer

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von Frühverrentungssystemen und die Ausdehnung des Erwerbslebens in allen Ländern Europas mehr Ältere im Erwerbsleben stehen und Wissen und Fähigkeiten aufrechterhalten und weiterentwickelt werden müssen (vgl. z. B. Blossfeld u. a., 2014; Findsen, 2015; Moraal und Schönfeld, 2007). Des Weiteren wird die Notwendigkeit betont, sich nicht nur im späteren Erwerbsleben weiterzubilden, sondern darüber hinaus auch in späteren Lebensphasen, in denen auch nicht-berufliche Weiterbildung als Möglichkeit aktiven Alterns, persönlicher Entfaltung und sozialer Teilhabe gesehen wird (Formosa, 2014; Staudinger und Heidemeier, 2009). Daneben verdeutlicht die Forschung zu Erträgen von Weiterbildung, dass Weiterbildungspartizipation für Ältere überaus wichtig ist. So wird darauf verwiesen, dass eine höhere Weiterbildungsbeteiligung älterer Arbeitnehmer/innen mit einem längeren Erwerbsleben einhergeht (Fourage und Schils, 2009) und eine Weiterbildungsteilnahme im späteren Erwerbsleben die „Beschäftigungsfähigkeit“ erhalte (vgl. z. B. für die Niederlande Gelderblom und Koning, 2002). Ebenso lässt sich ein Effekt von Weiterbildung auf Beschäftigungssicherheit feststellen. So können Beschäftigte durch eine Teilnahme an Weiterbildung stabilere Beschäftigungsverhältnisse und höhere Chancen auf Wiederbeschäftigung nach einem möglichen Arbeitsplatzverlust erlangen. Dies gilt vor allem für ältere Geringqualifizierte, für die der Produktivitäts-Lohn-Unterschied mit steigendem Alter zunehmend komprimiert wird, beispielsweise durch betriebliche Personalpolitik oder institutionelle Faktoren wie Mindestlohn (Bassanini, 2006). Andere Studien zeigen wiederum keine Wirkung von Weiterbildung für 45- bis 54-Jährige Erwerbstätige hinsichtlich Einkommen, Beförderung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit (Büchel und Pannenberg, 2004).10 Insgesamt zeigt sich, dass – mit Ausnahme der Wirkung von Regelungen zum Renteneintritt – in den vorhandenen Studien in der Regel nicht explizit die Wirkung der institutionellen Rahmenbedingungen auf die Ein10

Im Allgemeinen sind die Befunde zu Weiterbildungserträgen für die Lernenden nicht immer eindeutig und variieren je nach betrachteter Lernform, Art des Ertrags oder auch nach Land (vgl. z. B. Ebner und Ehlert, 2018; Kuper und Schrader, 2013). Insbesondere wenn für die Eingangsselektion, also konfundierende Variablen, kontrolliert wird, sind oftmals keine Erträge mehr nachweisbar (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007).

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

bindung der Älteren in Weiterbildung untersucht wird. Somit existiert eine Forschungslücke im Hinblick auf strukturelle Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme Älterer im Ländervergleich. Es bleibt somit eine offene Frage, welche der institutionellen Faktoren, die allgemein einen Einfluss auf Weiterbildung haben, speziell auf die Teilnahme der Gruppe Älterer an Weiterbildung wirken und somit die eingangs konstatierten Länderunterschiede hervorbringen. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, diese Lücke zu füllen.

2.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Forschung zu Determinanten von Weiterbildung führt vor Augen, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen an Weiterbildung partizipieren. Aus der mikrosoziologischen Perspektive treten – auch länderübergreifend – Unterschiede in der Teilnahme nach sozialen und tätigkeitsbezogenen Merkmalen zutage. Personen mit hohem sozioökonomischen Hintergrund weisen in der Regel eine höhere Teilnahme an Weiterbildung auf, während gerade jene mit geringem sozialen Status aus Weiterbildung ausgeschlossen bleiben. Zudem legt der Forschungsstand nahe, dass auf der Mesoebene Eigenschaften des Betriebes für die Weiterbildungsteilname eine Rolle spielen können. Dies muss in der vorliegenden Arbeit bei der Analyse der Länderunterschiede in der Weise berücksichtigt werden, dass sich Länder nach solchen Merkmalen, die Weiterbildung determinieren, unterscheiden und Kompositionseffekte eine Rolle für Länderunterschiede spielen können. Neben der umfangreichen Forschung zu individuellen Determinanten der Weiterbildungsteilnahme wird zunehmend der Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen auf länderspezifische Unterschiede erforscht. Wenngleich die Untersuchungen einzelner institutioneller Faktoren nicht immer eindeutige oder teilweise auch widersprüchliche Ergebnisse hervorbringen, wie z. B. zum Effekt gewerkschaftlicher Aktivitäten, so belegen die Studien insgesamt deutliche institutionelle Einflüsse auf die Weiterbildungsbeteiligung. Sie weisen aber auch gewisse Einschränkungen auf. Oftmals beziehen

2.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

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die Untersuchungen nur einzelne institutionelle Faktoren ein, oder sie konzentrieren sich auf ausgewählte Bereiche wie Arbeitsmarktinstitutionen. Zudem gibt es keine Forschung dazu, wie die als relevant erachteten Institutionen in Kombination auf Weiterbildung wirken. Dies ist insofern problematisch, als dass möglicherweise sich gegenseitig verstärkende Effekte von Institutionen außer Acht gelassen werden. Die Aussagekraft der Studien weist außerdem hinsichtlich der Definition der Bildungsaktivität Grenzen auf. Manche Studien verwenden einen relativ weiten Bildungsbegriff und betrachten sowohl Weiterbildung als auch Erstausbildung. Selbst wenn Studien zu institutionellen Bedingungen der Erstausbildung oder der Teilnahme an Bildung Anhaltspunkte für die Untersuchung von Weiterbildung bieten, so ist eine klare Abgrenzung von Weiterbildung zu anderen Prozessen wie Erstausbildung nötig. Andere Untersuchungen wiederum betrachten ausschließlich betriebliche Weiterbildung, was den Fokus auf rein arbeitgeberunterstützte Weiterbildung richtet und andere Formen beruflicher Weiterbildung außer Acht lässt. Der Fokus der meisten europäischen Studien liegt auf einem kleinen Teil der EU-15-Länder, neuere Studien beziehen mittlerweile auch weitere Länder mit ein. Die wenigsten haben jedoch osteuropäische Länder im Blick. Erst mit den neuen Datengrundlagen wie PIAAC („Programme for the International Assessment of Adult Competencies“) oder dem Adult Education Survey, an denen sich unter anderem auch die neueren EU-Mitgliedsstaaten beteiligen, verbessern sich die Analysemöglichkeiten. Damit besteht nun die Chance, Analysen auf Grundlage einer größeren institutionellen Varianz durchzuführen und auf einer breiteren empirischen Basis zu forschen. Zudem gibt es nahezu keine Forschungsbefunde zu Älteren in der Weiterbildungsteilnahme, die sich auf strukturelle Bedingungen beziehen und einen Ländervergleich beinhalten. Hier setzt die vorliegende Studie an, in der institutionelle Bedingungen und Konstellationen dieser Bedingungen für die unterschiedlich hohe Weiterbildungsteilnahme Älterer im Vergleich zu Jüngeren in Europa untersucht werden. Der Beitrag dieser Arbeit besteht darin, die vorhandene Forschung zur Bedeutung institutioneller Bedingungen auf die Gruppe der Älteren zu übertragen und aus den theoretischen Annahmen zur Wirkung von Institutionen abzuleiten, was das für die er-

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2 Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf die Weiterbildungsteilnahme

werbsbezogene Weiterbildungsteilnahme Älterer bedeutet. Dabei werden auch Länder Europas einbezogen, die bisher in den Studien zu wenig Berücksichtigung gefunden haben.

3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung und altersbezogene Unterschiede

In diesem Kapitel wird diskutiert, welchen Beitrag Theorien zur Erklärung der Weiterbildungsteilnahme im Allgemeinen und der relativen Nachteile Älterer im Ländervergleich leisten können. Dafür werden vor allem soziologische Erklärungsansätze genutzt, da diese – neben dem Einfluss soziodemografischer Charakteristika – Arbeitsplätze als Lernumgebung, strukturelle Gegebenheiten und Institutionen in den Blick nehmen. Damit gehen diese über die sozialpsychologische Perspektive hinaus, wenngleich im Folgenden auch verhaltenstheoretische Ansätze kurz dargelegt werden, die vor allem auf das Individuum gerichtet sind. Diese spielen eine Rolle bei der Erklärung des Weiterbildungsverhaltens, indem sie auf Einstellungen und Motivation Bezug nehmen. Daneben werden ökonomische Ansätze herangezogen, die das Weiterbildungsverhalten unter Kosten-NutzenGesichtspunkten zu erklären suchen. Zunächst werden im Abschnitt 3.1 allgemeine theoretische Grundlagen zur Erklärung von Länderunterschieden bei Weiterbildung beschrieben. Ziel ist es, auf diese Weise zu verdeutlichen, was das zu erklärende Phänomen ist, welche theoretischen Ebenen relevant sind und welche handlungstheoretischen Annahmen der Arbeit zugrunde liegen. Im Anschluss werden Theorien auf drei Ebenen diskutiert: Erstens auf der Mikroebene, bei der die Bedeutung von individuellen Merkmalen wie soziodemografische Charakteristika für Länderdifferenzen in der Weiterbildung thematisiert wird (Abschnitt 3.2). Danach wird die Rolle institutioneller Bedingungen beschrieben und welchen Einfluss sie zum einen auf der Mesoebene hinsichtlich Regelungen von Betrieben und Weiterbildungsanbietern (Abschnitt 3.3.1), zum anderen auf der Makroebene in Form von staatlichen Regulierungen haben können (Abschnitt 3.3.2). Daraus werden Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme abgeleitet, indem zusätzlich auf die in Kapitel 2.3 gewonnenen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 V. Philipps, Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28004-8_3

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Erkenntnisse aus dem Forschungsstand zu institutionellen Faktoren zurückgegriffen wird. Als weiteres strukturelles Merkmal werden ökonomische Rahmenbedingungen dargestellt (Abschnitt 3.4). Schließlich werden die theoretischen Überlegungen zusammengefasst und einflussreiche institutionelle Faktorenbündel beschrieben, die die Faktoren zusammenfassen (Abschnitt 3.5).

3.1 Grundlagen zur Erklärung von Länderunterschieden bei Weiterbildung 3.1.1 Differenzen von generellem Weiterbildungsniveau und relativer Weiterbildung Älterer als zu betrachtendes Phänomen In der vorliegenden Arbeit werden die Länderunterschiede bei der Weiterbildung Älterer im Vergleich zu Jüngeren reflektiert. Dafür wird als relatives Maß für die Ungleichheit zwischen den Altersgruppen die relative Wahrscheinlichkeit der Weiterbildungsteilnahme Älterer herangezogen. Mit relativer Wahrscheinlichkeit ist die Wahrscheinlichkeit der Weiterbildungsteilnahme Älterer (50- bis 60-Jähriger) im Vergleich zu Personen in der frühen und mittleren Erwerbsphase (25- bis 49-Jähriger) gemeint. Berechnet wird sie als Quotient aus der Teilnahmequote Älterer und der Teilnahmequote Jüngerer. Da die Teilnahmequote Älterer immer niedriger als die Teilnahmequote der jüngeren Altersgruppe ist, wird in der Arbeit synonym von relativen Nachteilen Älterer gesprochen. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit liegt bei der Betrachtung der Unterschiede zwischen Älteren und Jüngeren in der Weiterbildungsteilnahme und welche Faktoren für diese Differenzen verantwortlich sind. Gleichzeitig ist auch die Betrachtung des generellen Niveaus an Weiterbildung in einem Land aus folgenden Gründen relevant: Im Ländervergleich können unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten der Weiterbildungsquote der Bevölkerung – hier im Alter der Haupterwerbsphase zwischen 25 und 60 Jahren – und der relativen Nachteile Älterer in der Weiterbildung auftreten. Wie sich bei Ergebnissen zu Länderunterschieden zeigt (vgl. Abbildung 1.1 in Kapitel 1), hängen die relativen Unterschiede zwischen

3.1 Grundlagen zur Erklärung von Länderunterschieden bei Weiterbildung

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den Altersgruppen nur teilweise mit den generellen Weiterbildungsniveaus zusammen. Daher ist es wichtig, beide Aspekte theoretisch zu berücksichtigen. Anhand der Vier-Felder-Tafel – im Folgenden als „Quadranten“ bezeichnet – (Tabelle 3.1), die die möglichen Kombinationen der Weiterbildungsquote der Bevölkerung im Alter von 25 bis 60 Jahren und relativer Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer für Beispielländer enthält, soll verdeutlicht werden, dass je nach Konstellation etwas anderes erklärt werden muss. Für die Länder im ersten Quadranten, die ein hohes absolutes Weiterbildungsniveau bei gleichzeitig hoher relativer Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer aufweisen, stellt sich die Frage, welche Faktoren Ältere auf ein ähnlich hohes Weiterbildungsniveau wie das der allgemeinen Bevölkerung ziehen. Im zweiten Quadranten mit allgemein hoher Weiterbildung, aber relativ niedriger Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer, ist zu fragen, welche Faktoren die hohen relativen Nachteile Älterer beeinflussen, obwohl doch das absolute Weiterbildungsniveau hoch ist. Umgekehrt muss für Länder im dritten Quadranten geklärt werden, weshalb Ältere eine vergleichsweise hohe Weiterbildungsteilnahme haben, obwohl das durchschnittliche Weiterbildungsniveau niedrig ist. Im vierten Quadranten, der Länder mit sowohl geringer Weiterbildungsquote der Bevölkerung als auch niedriger relativer Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer umfasst, muss gefragt werden, welche negativen Faktoren die Weiterbildungsteilnahme der allgemeinen Bevölkerung auf ein ähnlich niedriges Niveau wie das der Älteren ziehen. Tabelle 3.1: Kombination Weiterbildungsquote der Bevölkerung (25- bis 60Jährige) und relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer in Europa Weiterbildungsquote Bevölkerung (25-60 J.) hoch niedrig

Relative Teilnahmewahrscheinlichkeit Älterer hoch niedrig Quadrant I Quadrant III

Quadrant II Quadrant IV

Eigene Darstellung

Die relativen Nachteile Älterer können also nicht komplett losgelöst von der durchschnittlichen Weiterbildungsteilnahme betrachtet werden. Es

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

gibt relative Differenzen, bei denen gleichzeitig unterschiedliche generelle Weiterbildungsniveaus zentral sind und unterschiedliche Erklärungen erfordern. Insofern spielt für die vorliegende Analyse zu relativen Nachteilen Älterer das durchschnittliche Weiterbildungsniveau ebenso eine Rolle und muss in der Analysestrategie berücksichtigt werden. 3.1.2 Mikro-, Meso- und Makroebene der Weiterbildungsteilnahme Für die Erklärung der Weiterbildungsbeteiligung (Älterer) können Aspekte auf drei unterschiedlichen Analyseebenen (vgl. Kapitel 2) relevant sein: Auf der Mikro-, Meso- und Makroebene. Erstens stehen auf der Mikroebene Verhaltensweisen und Einstellungen im Mittelpunkt. In der vorliegenden Arbeit sind damit das Weiterbildungsverhalten von Individuen sowie individuelle Determinanten der Weiterbildungsteilnahme gemeint. Die Entscheidung für oder gegen eine Weiterbildungsteilnahme wird aber nicht ausschließlich vom Individuum getroffen, sondern hängt auch von anderen Ebenen ab. Daher werden zweitens soziale Systeme und deren Strukturen auf der Makroebene untersucht (Weymann, 2007, S. 108). Damit sind im Kontext dieser Arbeit institutionelle Rahmenbedingungen in den Ländern gemeint, z. B. unterschiedliche staatliche Regulierungen im Bereich des Bildungssystems und des Arbeitsmarktes, die auf die Weiterbildungsteilnahme Einfluss nehmen können und einen besonderen Stellenwert in der Arbeit einnehmen. Außerdem können ökonomische Faktoren als strukturelle Rahmenbedingungen weiterbildungsrelevant sein (vgl. Abschnitt 2.3). Zwischen den beiden genannten Ebenen liegt die Mesoebene, auf der Weiterbildungsanbieter und Organisationen wirken und Angebote für Lernaktivitäten bereitstellen und gestalten. Dazu gehören beispielsweise Betriebe, die auch als Anbieter fungieren, indem sie selbst Anreize setzen, Angebote für ihre Mitarbeiter/innen zur Verfügung stellen und bestimmte Weiterbildungsstrategien für ihre Beschäftigten verfolgen. Diese drei genannten Ebenen sind nicht unabhängig voneinander. Faktoren der Mikroebene wie Individualmerkmale, die als Determinanten von Weiterbildung auftreten und Ungleichheiten produzieren, hängen mit den institutionellen Faktoren auf der Makroebene zusammen. So hat beispiels-

3.1 Grundlagen zur Erklärung von Länderunterschieden bei Weiterbildung

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weise der individuell erreichte Schulabschluss immer auch etwas mit der generellen Bildungspolitik in einem Land zu tun. Zudem ist der (potenziell) Lernende eingebettet in Strukturen der Lernanbieter, ohne die eine Teilnahme nicht stattfinden könnte. Auch der Zusammenhang zwischen Meso- und Makroebene ist eng: Gibt es staatliche Regulierungen bezüglich Weiterbildung oder Gesetze gegen die Diskriminierung Älterer, dann ist zu erwarten, dass sich dies auch auf der Betriebsebene niederschlägt, auf der Beschäftigung und Weiterbildung größtenteils stattfindet. Organisationen wie Betriebe werden durch staatliche Normen und kollektive Vereinbarungen reguliert (Hillmert, 2011, S. 224). Somit beeinflussen Entscheidungen auf der Makroebene die Ausgestaltung von Betrieben und Lernanbietern, und Weiterbildungsaktivitäten in Betrieben hängen vom Ausmaß der staatlichen Unterstützung ab (Boeren, 2017, S. 168–169). Aufgrund dieser Zusammenhänge sind für eine Untersuchung der Bedingungen einer Weiterbildungsteilnahme immer alle drei Ebenen wichtig. Um die Gründe für die Länderdifferenzen in der relativen Weiterbildungsteilnahme Älterer aufzudecken, werden daher in dieser Arbeit Prozesse auf diesen drei Ebenen einbezogen. Es wird unmittelbar deutlich, dass die Makroebene für einen Ländervergleich zentral ist, da Institutionen länderspezifisch unterschiedlich ausgestaltet sind. Aber auch Einflüsse auf der Mikro- und Mesoebene sind potenziell wichtig, um Länderunterschiede erklären zu können. Es können Länderdifferenzen dann auftreten, wenn die Verteilung der weiterbildungsrelevanten Charakteristika der Gruppe der Älteren zwischen den Ländern variiert und dadurch Ungleichheiten hervorrufen. Das heißt, wenn die Verteilung der Individualmerkmale, die das zu beobachtende Phänomen – die Weiterbildungsteilnahme – beeinflusst, von Land zu Land unterschiedlich ist, kann dies Länderdifferenzen erzeugen. Diese Kompositionsunterschiede, worunter ich eine unterschiedliche soziale Zusammensetzung der Bevölkerung eines Landes nach Individualmerkmalen verstehe, sind theoretisch relevant. Solche Kompositionseffekte können nicht nur bezüglich der Individualmerkmale auf der Mikroebene auftreten, sondern ebenso auf der Mesoebene

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

bezogen auf Betriebe. So kann die Verteilung von Betrieben mit spezifischen Merkmalen wie Betriebsgröße oder Branche des Betriebs in einzelnen Ländern unterschiedlich ausgestaltet sein. Da bestimmte betriebliche Merkmale weiterbildungsrelevant sind, kann diese Struktur von Betrieben wiederum individuelles Weiterbildungsverhalten beeinflussen und Länderdifferenzen hervorrufen. Hier kann man von Kompositionseffekten auf der Mesoebene sprechen, die in der Arbeit ebenfalls berücksichtigt werden. Neben Makrotheorien können also auch Theorien, die sich auf die Mikro- und die Mesoebene beziehen, zumindest einen Teil der Länderunterschiede durch Kompositionseffekte erklären; und zwar sowohl bezüglich der absoluten Weiterbildungsteilname, als auch bezüglich der relativen Nachteile Älterer. Daher werden theoretische Perspektiven auf diesen drei Ebenen in den Abschnitten 3.2 bis 3.4 beschrieben. 3.1.3 Handlungstheoretische Grundannahmen Bevor diese Perspektiven dargelegt werden, wird geklärt, welches Verhältnis von Handeln und Struktur der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt. Grundsätzlich unterliegen den im Folgenden diskutierten theoretischen Ansätzen ähnliche Annahmen darüber, wie Individuen handeln. Die Ansätze begründen Handeln zwar unterschiedlich, indem sie verschiedene Orientierungsprinzipien für individuelles und soziales Handeln zugrunde legen. Sie haben aber grundlegende Gemeinsamkeiten, die für die Beantwortung der Forschungsfrage wichtig sind. So wird das Handeln der Akteure in den hier betrachteten Theorien als von strukturellen Faktoren abhängig angesehen. Individuelles Handeln ist determiniert durch den Kontext der jeweiligen Institutionen und der Sozialstruktur (Weymann, 2007, S. 109). Individuen sind von ihrer Umwelt umgeben und handeln innerhalb dieser gegebenen Strukturen (Boeren, 2017). Bezogen auf lebenslanges Lernen wird dies im „Bounded Agency“-Konzept diskutiert, das den Fokus auf Individuen als Handelnde legt, ohne die Strukturen aus den Augen zu verlieren1 : „By examining bounded agency, the focus moves from structured 1

Das Konzept wird z. B. für die Erklärung von Ergebnissen ländervergleichender Studien zu Bildung im frühen Erwachsenenalter herangezogen (Evans, Schoon und Weale, 2013, S. 28).

3.1 Grundlagen zur Erklärung von Länderunterschieden bei Weiterbildung

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individualization onto individuals as actors, without losing the perspective of structuration“ (Evans, 2007, S. 93). Danach vollzieht sich individuelles Handeln in Verbindung mit der subjektiven Wahrnehmung der Strukturen (Evans, Schoon und Weale, 2012, S. 255–258), das heißt Individuen sind sich der Hürden und Gelegenheiten von Lernprozessen bewusst (Cross, 1981). Das Individuum handelt demnach nicht vollständig losgelöst von sozialen Beziehungen, Rollenerwartungen und Gelegenheitsstrukturen, sondern wird von der Umwelt beeinflusst, wenn auch nicht allein durch sie bestimmt. Menschliches Handeln ist abhängig von den vorhandenen Optionen und Gelegenheiten, deren Umfang wiederum von Faktoren wie sozialer Herkunft abhängt (Evans, Schoon und Weale, 2012; Rubenson und Desjardins, 2009). Der Annahme, dass sich individuelles Handeln an institutionellen Bedingungen orientiert, liegt das Handlungsmodell der funktionalen Rationalität zugrunde. Dies bedeutet eine rationale Anpassung der Akteure an vorgegebene Ziele von Institutionen, während substantielle Rationalität bedeutet, dass Mittel und Ziele vom Individuum selbst gewählt werden (Mayer und Müller, 2009, S. 441).2 Nach den Annahmen der funktionalen Rationalität verhalten sich Individuen institutionenkonform, weil sie die Belohnung einer Bestrafung durch Normverletzung vorziehen. Wenn es z. B. das Angebot für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe gibt, einen Geldausgleich für etwas zu erhalten, dann ist davon auszugehen, dass dieses Angebot – vorausgesetzt sie sind über dieses Angebot informiert – auch wahrgenommen wird (ebd., S. 442). Für die vorliegende Studie bedeutet das, dass es bestimmte Gelegenheitsstrukturen bzw. Anreizstrukturen für Weiterbildung gibt, die Individuen möglichst zu ihrem Vorteil nutzen. Individuen machen sich also eher die Institutionen zunutze, als von ihnen sanktioniert zu werden. Dieses Akteursmodell wird hier – bei gleichen individuellen Merkmalen der Akteure wie beispielsweise dem Bildungsstand – generell für alle 2

Bei funktionaler Rationalität steht die Frage nach der Zweckrationalisierung des Handelns, bei substantieller Rationalität die Frage nach der Sinnhaftigkeit bezüglich bestimmter Zwecke im Vordergrund.

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Länder gleichermaßen angenommen: Die Grundannahme ist, dass sich Personen mit gleichen Individualmerkmalen bei unterschiedlichen Anreizstrukturen auch unterschiedlich verhalten. Oder andersherum gesagt, bei gleichen Anreizstrukturen wird ein gleiches Verhalten vorausgesetzt. Letzteres bedeutet, dass bei einem vergleichbaren Niveau an Beschäftigungsschutz in zwei Ländern, sich Akteure wie potenzielle Lernende, Beschäftigte und Arbeitgeber auch gleich verhalten. Demnach sollten Individuen nicht nur gemäß ihrer Sozialisation handeln, sondern sich an den vorhandenen Weiterbildungsangeboten und der Weiterbildungskultur in einem Land orientieren. Daher ist von einem universellen Mechanismus auszugehen, der für die Akteure aller Länder gleichermaßen gilt. Dies ist ein gängiges Akteursmodell, das in der ländervergleichenden Arbeitsmarktund Lebenslaufforschung – oftmals nur implizit – unterstellt wird: Länder können damit als unabhängig voneinander behandelt werden. Mit dem Modell der funktionalen Rationalität wird die Wichtigkeit institutioneller Rahmenbedingungen für den Lebenslauf und die Begründung beobachteter länderübergreifender Unterschiede im individuellen Handeln herausgestellt. Damit wird in der Arbeit eine makroinstitutionelle Sicht verfolgt, bei der das genannte Akteursmodell unterstellt wird. Für die theoretischen Perspektiven können zusammenfassend folgende Grundlagen formuliert werden: Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Phänomen bezieht sich in erster Linie auf die Unterschiede zwischen Älteren und Jüngeren in der Weiterbildung, die als relative Nachteile Älterer bezeichnet werden. Dabei ist zu beachten, dass diese relativen Nachteile Älterer auf unterschiedlichen allgemeinen Weiterbildungsniveaus in den Ländern stattfinden. Damit spielt in der Arbeit auch die Weiterbildung der allgemeinen Bevölkerung eine Rolle. Als Grundlage werden hier theoretische Ansätze auf der Mikro-, Meso- und Makroebene dargestellt und diskutiert, welchen Beitrag sie zur Erklärung von Länderdifferenzen in der Weiterbildungsteilnahme sowohl der allgemeinen Bevölkerung als auch der relativen Nachteile Älterer leisten können. Auf der Mikro- und Mesoebene werden zwar Kompositionseffekte berücksichtigt, die Länderunterschiede verursachen können. Im Rahmen dieser Arbeit ist aber die makroinstitu-

3.2 Bedeutung individueller Determinanten für Länderdifferenzen

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tionelle Sichtweise zentral, da auf Basis des hier unterstellten Handlungsmodells funktionaler Rationalität die Wichtigkeit von Institutionengefügen unterstrichen wird, innerhalb derer Individuen und Betriebe handeln. Daher werden die institutionellen Gründe der Länderdifferenzen als relevant erachtet und untersucht, welchen Beitrag diese für die Erklärung der Länderunterschiede in der absoluten und relativen Teilnahme an Weiterbildung leisten. Diese Perspektive wurde bislang in der Forschung vernachlässigt (vgl. Kapitel 2).

3.2 Bedeutung individueller Determinanten für Länderdifferenzen Um begründen zu können, warum Individuen ein Weiterbildungsinteresse haben und eine Weiterbildung verfolgen oder nicht, wird auf der Mikroebene der humankapitaltheoretische Ansatz herangezogen. Dieser kann erklären, warum in allen Ländern Ältere im Vergleich zu Jüngeren seltener an Weiterbildung teilnehmen. Die Humankapitaltheorie geht von Bildung als einer Investition in Humankapital aus (Becker, 1964). Individuelles Handeln wird hier mit dem Konzept der rationalen Wahl erklärt, bei dem Handeln als nutzenorientierter Entscheidungsprozess gesehen wird und erwartbare Gewinne einer Handlung mit den zu erwartenden Kosten abgewogen werden. Erst dann wird auf Basis des Grenznutzens eine Entscheidung getroffen, ob und in welchem Umfang jemand in sein eigenes Humankapital investiert (Becker und Hecken, 2008). Damit können Ungleichheiten im Zugang zu Weiterbildung – als spezifische Form der Humankapitalinvestition – erklärt werden. Aus dieser Perspektive nehmen Ältere seltener an Weiterbildung teil, da die Erträge im Hinblick auf die Lebenszeit für Ältere niedriger als für Jüngere sind. Demzufolge würden sich Investitionen in Bildung in späteren Erwerbsphasen weniger lohnen, da die restliche Zeit für die Amortisierung der Kosten für die Weiterbildung sinkt (ebd.). Als weiterer Grund für eine geringere Weiterbildungsbeteiligung Älterer wird aus humankapitaltheoretischer Sicht angeführt, dass es einen Wertverfall von Humankapital in Folge des Veraltens technischer und ökonomischer Kompetenzen gäbe

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

(Fourage und Schils, 2009, S. 89). Ältere würde dies zum einen in der Form betreffen, dass Kompetenzen durch einen natürlichen Alterungsprozess abgebaut werden. Zum anderen würde ein Wertverlust durch veränderte Anforderungen an Kompetenzen in Folge technologischer Entwicklung und Verlagerung von Branchen auftreten (ebd.). Darüber hinaus wird Älteren oftmals eine geringere Fähigkeit zum Lernen und weniger Flexibilität unterstellt (Boeren, 2016, S. 77; Fourage und Schils, 2009). Dieses Argument lässt aber außen vor, dass Ältere im Laufe ihres Lebens Kompetenzen und Wissen in bestimmten Bereichen angehäuft und mehr Arbeitserfahrung im Laufe ihres Erwerbslebens gesammelt haben (Boeren, 2016, S. 76–77). Ebenso wird mit diesem Ansatz die Weiterbildungsteilnahme anderer Bevölkerungsgruppen erklärt. So würden sich Weiterbildungsmaßnahmen für Hochqualifizierte eher lohnen, da die Kosten der Weiterbildung für den Lernenden niedriger sind als für Geringqualifizierte (Dieckhoff und Steiber, 2009). Zudem lohne es sich für Frauen aufgrund ihrer oftmals kürzeren Beteiligung im Erwerbsleben weniger, in Weiterbildung zu investieren. Damit erklärt die Humankapitaltheorie für die Seite der Individuen, warum bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Ältere, Geringqualifizierte oder Frauen – in allen Ländern – seltener an Weiterbildung teilnehmen als Jüngere, Hochqualifizierte oder Männer. Gegen humankapitaltheoretische Überlegungen kann argumentiert werden, dass bei der Entscheidung von Individuen für eine Weiterbildungsteilnahme nicht ausschließlich die unterstellten Kosten-Nutzen-Kalküle ausschlaggebend sind. Neben dem Abwägen künftiger Erträge und aktueller Kosten spielen ebenso Aspekte wie soziale und kulturelle Ressourcen sowie individuelle Präferenzen eine Rolle für die Teilnahmebereitschaft (Evans, Schoon und Weale, 2012). So kann ein Individuum die Entscheidung für eine Weiterbildung treffen, da es sich weiterentwickeln möchte oder sich für ein bestimmtes Thema interessiert. Außerdem herrscht entgegen der Annahme der Humankapitaltheorie in der Realität eine unvollständige Wettbewerbssituation. So unterliegen Erträge von Bildungsmaßnahmen gewissen Unsicherheiten, da sowohl den Individuen als auch den Betrieben nur begrenzte Informationen zur Verfügung stehen. Eine gewisse Unsicherheit herrscht zudem über Zweck und Effizienz der Weiterbildungsmaßnahmen,

3.2 Bedeutung individueller Determinanten für Länderdifferenzen

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zumal die Zurechnung von Erträgen einer Weiterbildung schwierig ist und oftmals langfristige Investitionen zugunsten von kurzfristigen fallengelassen werden (Staudinger und Heidemeier, 2009). Der Weiterbildungsbereich ist somit kein vollkommener Markt im Sinne der ökonomischen Theorie (Becker und Hecken, 2008). Für die vorliegende Arbeit ist zu beachten, dass humankapitaltheoretisch nicht begründet werden kann, weshalb in manchen Ländern weniger und in anderen Ländern mehr Investitionen im Hinblick auf die Weiterbildung Älterer stattfinden. Weshalb beteiligen sich die Akteure in manchen Ländern mit hoher Weiterbildungsbeteiligung im späten Erwerbsalter trotzdem, obwohl sie ihren Aufwand nicht ausgleichen können? So gibt es zwischen Ländern unterschiedliche Renteneintrittsalter und damit Lebenserwerbsdauern, die Unterschiede in der Weiterbildungsteilnahme erwarten lassen (auf staatliche Einflüsse wird in Abschnitt 3.3.2 eingegangen). Dennoch kann die Humankapitaltheorie sowohl die Weiterbildungsteilnahme allgemein als auch die relativen Nachteile Älterer im Ländervergleich zumindest teilweise erklären. Existieren die im Abschnitt 3.1.2 beschriebenen Kompositionsunterschiede, so können diese Länderunterschiede bei der Weiterbildungsteilnahme hervorrufen: Innerhalb der Gruppe der Älteren können Individualmerkmale, die als Determinanten von Weiterbildung auftreten, zwischen Ländern unterschiedlich verteilt sein und damit unterschiedliche Weiterbildungsquoten Älterer verursachen. So findet sich eine höhere Weiterbildungsteilnahme bei Personen mit hohem schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss, bei Erwerbstätigen, bei Personen ohne Migrationshintergrund sowie tendenziell bei Männern (siehe Abschnitt 2.2.1). Daher könnte eine höhere Weiterbildungsteilnahme in einem Land dadurch begründet sein, dass es in der Bevölkerung mehr Personen mit höheren Bildungsabschlüssen oder aber ohne Migrationshintergrund gibt, oder dass die Bevölkerung eine höhere Erwerbstätigkeit aufweist. Außerdem könnten solche Kompositionseffekte relative Nachteile Älterer erklären: Eine höhere Partizipation Älterer im Vergleich zu Jüngeren in manchen Ländern könnte durch dieselben Faktoren begründet sein, dass dort Ältere höhere Bildungsabschlüsse besitzen oder eine höhere Erwerbstätigkeit als

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Jüngere haben, oder dadurch, dass mehr Ältere keinen Migrationshintergrund haben im Vergleich zu Jüngeren. Für die Erklärung auf der Mikroebene können neben der Humankapitaltheorie auch Ansätze der Lebenslaufforschung die Weiterbildungsteilnahme im Lebensverlauf sowie Länderdifferenzen erklären. Individuen handeln im Lebenslauf unter anderem auf Basis von früheren Lebensereignissen, so dass spätere Ereignisse immer von früheren Erfahrungen beeinflusst werden, was im Konzept des Lebensverlaufs als „endogener Kausalzusammenhang“ bezeichnet wird (Mayer und Diewald, 2006, S. 10; Hillmert, 2011, S. 225). Jeder Punkt im Lebenslauf wird demnach als Ergebnis vergangener Erfahrungen und als Ausgangspunkt für nachfolgende Erfahrungen angesehen (Evans, Schoon und Weale, 2012). Aufgrund dieser individuellen Pfadabhängigkeiten kann man davon ausgehen, dass Bildungserfahrungen in früheren Lebensphasen, insbesondere während der Schulzeit, immer auch auf die Lernbereitschaft in späteren Lebensphasen Einfluss nehmen. Wer früher nicht gerne zur Schule gegangen ist und negative Erfahrungen mit Lernsituationen hatte, der wird sich auch im Erwachsenenalter nicht gerne Lernsituationen aussetzen (Cross, 1981, S. 125–126). Dagegen entwickeln jene Erwachsene, die in der Schule weniger mit Versagen konfrontiert waren, eher eine positive Einstellung gegenüber Lernen (Boeren, Nicaise und Baert, 2010). Die Einstellung Erwachsener gegenüber Bildung hängt also direkt mit eigenen Erfahrungen in der Vergangenheit zusammen. Werden Gründe für eine Teilnahme an Bildung im Erwachsenenalter aus einer sozialpsychologischen Perspektive betrachtet, dann lassen sich persönliche Einstellungen gegenüber Bildung und die Selbstwahrnehmung als lernende Person als theoretische Teilnahmehürde nennen. Cross (1981, S. 98) identifiziert drei Arten von Hindernissen einer Teilnahme. Erstens dispositionale Barrieren, die erklären – ähnlich wie im vorangegangenen Absatz beschrieben – warum Erwachsene mit niedrigem Bildungsabschluss häufiger ein mangelndes Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten zu lernen oder weniger Interesse am Lernen haben und dadurch an einer Teilnahme gehindert werden. Zweitens führt sie situationsbezogene Barrieren an, die sich aus der

3.2 Bedeutung individueller Determinanten für Länderdifferenzen

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jeweiligen Lebenssituation ergeben und oftmals mit Zeit- und Geldmangel verbunden sind. Dazu zählen insbesondere familiäre Verpflichtungen wie Kinderbetreuung, die oftmals im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter relevant sind, oder unpassende Orte und schlechte Möglichkeiten der Erreichbarkeit z. B. durch fehlende öffentliche Verkehrsmittel.3 Neben diesen auf der Individualebene angesiedelten Barrieren nennt sie drittens institutionelle Barrieren, die sich auf Hürden der strukturellen Ebene beziehen und auf die in Abschnitt 3.3.1 näher eingegangen wird. Für die vorliegende Arbeit sind diese kumulativen Lernerfahrungen insofern relevant, als dass positive Lernerfahrungen in vorausgegangenen Bildungsphasen Selbstvertrauen geben und das Bildungsverhalten in späteren Lebensphasen prägen können und mitbestimmen, ob jemand eine Neigung zur Weiterbildung entwickelt und eine Beteiligung an Weiterbildung in Betracht zieht. Unter der Annahme, dass ein hoher allgemeinbildender Schulabschluss mit positiven Lernerfahrungen einhergeht, können variierende Anteile von Personen mit hohem Schulabschluss zwischen Ländern einen Einfluss auf die Weiterbildungsteilnahme insgesamt sowie auf die relative Teilnahme Älterer haben. Wie in diesem Abschnitt dargelegt worden ist, können Länderunterschiede in der Weiterbildung insgesamt und in der relativen Weiterbildungsteilnahme Älterer durch Individualmerkmale beeinflusst werden. Dem wird in der Arbeit dadurch Rechnung getragen, dass Kompositionseffekte berücksichtigt werden. Durch den Einfluss der Individualmerkmale auf der Mikroebene könnte bereits ein Teil der Länderdifferenzen erklärt werden. Mögliche Erklärungsmomente darüber hinaus sind auf der strukturellen Ebene zu finden, die die Meso- und Makroebene umfasst. Die Bedeutung dieser strukturellen Ebene für den Weiterbildungskontext wird im Folgenden diskutiert.

3

In der Studie von Cross (1981) wird der Fokus auf die psychologische Dimension gelegt, sie bezieht sich aber explizit auf allgemeine Bildung im Erwachsenenalter. In das von ihr entwickelte „Reaktionskettenmodell“ finden die genannten Barrieren als Teil des Entscheidungsfindungsprozesses für eine Teilnahme Eingang (ebd., S. 124).

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung Die Beteiligung Älterer kann von den Möglichkeiten beeinflusst sein, die sich den Individuen durch strukturelle Rahmenbedingungen bieten. Darunter lassen sich zum einen institutionelle, zum anderen ökonomische Bedingungen fassen. Über diese Gelegenheitsstrukturen in den Ländern können die Unterschiede in der generellen Weiterbildungsteilnahme und in der relativen Beteiligung Älterer an Weiterbildung, so die zentrale Annahme der Arbeit, erklärt werden. Um diese Annahme theoretisch zu fundieren, wird zunächst in diesem Abschnitt der allgemeine institutionentheoretische Ansatz vorgestellt und dargelegt, was unter Institutionen verstanden wird und inwiefern diese im Zusammenhang mit Weiterbildung stehen. Anschließend wird beschrieben, in welcher Weise institutionelle Bedingungen auf der Mesoebene (Abschnitt 3.3.1) und auf der Makroebene (Abschnitt 3.3.2) einen Einfluss auf das individuelle Weiterbildungsverhalten haben können, bevor in Abschnitt 3.4 auf ökonomische Rahmenbedingungen eingegangen wird. Zu beachten ist, dass viele der hier diskutierten Theorien insbesondere für Erwerbstätige oder für die Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung Gültigkeit besitzen. Die Neo-Institutionentheorie ist ein Ansatz, der die Auswirkungen der Institutionen auf individuelle Handlungen beleuchten kann. Die Grundidee ist, dass die Strukturen und Funktionsweisen von Organisationen nicht nur durch technische Bedarfe und Ressourcenabhängigkeit bestimmt werden, sondern auch durch ihre soziale und politische Umwelt und damit durch institutionelle Einflüsse (North, 1992). Nee (1998, S. 8) definiert Institutionen als „webs of interrelated rules and norms that govern social relationships, comprise the formal and informal social constraints that shape the choice-set of actors“. Demnach legen Institutionen die Grenzen von sozialem Handeln fest. Institutionen sind Strukturen, die basierend auf formellen und informellen Regeln soziales Handeln zum einen beschränken und kontrollieren, zum anderen aber auch ermöglichen. Institutionen stellen also einerseits die Bedingungen von sozialem Handeln dar, sie sind gleichzeitig aber auch das Ergebnis individuellen Handelns. Die Grundlage von Institutionen

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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sind gemeinsame Vorstellungen und Werte, wie diese wahrgenommen und umgesetzt werden bzw. sich schließlich in Handlungsmustern ausdrücken. Dabei geben Institutionen dem Leben eine gewisse Ordnung, wodurch Unsicherheiten reduziert werden und Stabilität erzeugt wird (North, 1992, S. 4; Scott, 2001, S. 48). Damit prägen Institutionen individuelles und betriebliches Handeln allgemein (vgl. z. B. Heinz, 1992; Mayer und Müller, 2009) und können daher die Partizipation an Weiterbildung beeinflussen. Denn nach institutionentheoretischen Argumenten wird die Menge an Handlungsoptionen, aus der Akteure auswählen können, von institutionellen Strukturen bestimmt, was sich wiederum auf Entscheidungen bezüglich des Weiterbildungsverhaltens von Individuen und Betrieben auswirken kann. Unterschiede im Weiterbildungsverhalten der Akteure verschiedener Länder lassen sich im Zusammenhang mit unterschiedlichen institutionellen Kontexten verstehen. Ein zentrales Kennzeichen von Institutionen ist, dass sie nicht alleine für sich existieren, sondern dass sie sich mit anderen Institutionen ergänzen und voneinander abhängig sind. Das Vorhandensein einer Institution kann somit die Funktionalität und Effizienz einer anderen verstärken (Hall und Soskice, 2001, S. 17–18; Höpner, 2009, S. 311). Beispielweise existiert eine enge Verbindung zwischen der Ausgestaltung des Beschäftigungsschutzes, des Schutzes vor Arbeitslosigkeit und der beruflichen Qualifizierung in einem Land (Estevez-Abe, Iversen und Soskice, 2001, S. 162–163). Diese als institutionelle Komplementarität bezeichnete Eigenschaft kann länderspezifische institutionelle Konfigurationen hervorrufen. Richard Scott nennt in seiner Definition von Institutionen drei Elemente bzw. Säulen, die in jedem voll entwickelten institutionellen System – in unterschiedlichem Ausmaß – vorhanden sind und interagieren, um ordnungsgemäßes Verhalten aufrechtzuerhalten: „Institutions are comprised of regulative, normative and cultural-cognitive elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning to social life“ (Scott, 2001, S. 48). Demnach sind Institutionen vielfältig und geben dem sozialen Leben Sicherheit und einen Sinn. Sie umfassen – wie hier in

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

einem weiten Sinn verstanden – neben Rechten und Normen auch kognitive Regeln des menschlichen Handelns.4 Dabei ist jede Säule durch eine unterschiedliche Basis von Legitimität gekennzeichnet, die die Handlungen gegenüber der Umwelt legitimieren (Scott, 2001, S. 59).5 Gleichzeitig lassen sich oftmals Kombinationen dieser institutionellen Elemente beobachten. Es gibt in stabilen sozialen Systemen eng verbundene institutionelle Elemente, beispielsweise wenn etwas als selbstverständlich wahrgenommen wird, das normativ gebilligt und gesetzlich gestützt wird. Die Elemente können sich also gegenseitig verstärken, wenn beispielsweise eine formale Regel durch einen normativen Rahmen unterstützt wird (ebd., S. 53). Andererseits gibt es auch Situationen, in denen ein Element eigenständig wirkt oder in denen sich Elemente widersprechen und unterschiedliche Verhaltensweisen hervorrufen (ebd., S. 62). So finden sich – gemäß der „losen Kopplung“ zwischen Regelungen und tatsächlicher Praxis (Scott und Davis, 2007, S. 93–94) – formale Regelungen nicht zwangsläufig auch in der Lernkultur wieder und umgekehrt. Im Folgenden werden die drei Bestandteile von Institutionen ausführlicher dargestellt, da sie für die Beantwortung der Fragestellung wichtig sind und im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf institutionelle Elemente im Bereich der Weiterbildung bezogen werden. Zu Institutionen gehören erstens regulative Elemente wie Regeln, Gesetze und Sanktionen. Der Nationalstaat, der der zentrale Ausgangspunkt für regulative Vorschriften ist (North, 1992), ist für das Verfassen, das Begutachten und das Durchsetzen von Regeln zuständig (Scott, 2001, S. 53). Daneben gibt es eine Vielzahl an formalen und informellen regulativen Strukturen, so z. B. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften oder ein weithin geteiltes Einvernehmen bezüglich der Grenzen vertretbarer Wettbewerbspraktiken (Scott und Davis, 2007, S. 259). Diese Regeln können sowohl informelle 4

Je nach Disziplin liegt der Fokus auf unterschiedlichen Elementen. Aus ökonomischer und politischer Sichtweise werden die regulativen Elemente betont, aus soziologischer Perspektive die normativen Faktoren, aus anthropologischer Perspektive die kulturellkognitiven Elemente (Scott und Davis, 2007, S. 258).

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Bei regulativen Elementen basiert die Legitimität auf rechtlicher Billigung bzw. Sanktionierung, bei normativen Elementen ist sie moralisch gesteuert und bei kulturell-kognitiven Elementen ist sie kulturell gestützt (Scott, 2001, S. 51).

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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Gebräuche als auch formale Regeln und Gesetze sein (Scott, 2001, S. 53). Der zentral wirkende Mechanismus hinter dieser regulativen Säule ist, dass sich Individuen und Gruppen zweckmäßig verhalten und sich in ihrem Handeln an Regeln halten, um Sanktionen zu vermeiden oder Belohnungen zu erhalten (Scott und Davis, 2007, S. 259). Damit regulative Institutionen funktionieren, müssen einerseits Anreize und Sanktionen entwickelt werden (die auch unbeabsichtigte Wirkungen entfalten können), andererseits müssen existierende Regeln von den Individuen interpretiert werden (Scott, 2001, S. 54). Im Bereich der Weiterbildung gibt es eine Vielzahl an regulativen Elementen, die eine Rolle spielen: So gibt es Gesetze und Regelungen, die sich direkt auf Weiterbildung beziehen, z. B. gesetzliche Ansprüche auf berufliche Weiterbildung, aber auch solche, die Weiterbildung indirekt berühren. Der Staat ist für die Besteuerung zuständig und kann damit Regelungen schaffen, die steuerliche Anreize für Weiterbildungsmaßnahmen setzen. Ebenso können Weiterbildungsträger staatlich subventioniert werden und dadurch für geringere Weiterbildungskosten für die Teilnehmenden sorgen. Staatliche Sanktionen gibt es beispielsweise für den Abbruch von Weiterbildungsmaßnahmen im Rahmen von verpflichtenden Weiterbildungsangeboten der staatlichen Behörden für Arbeitsvermittlung. Als formale Strukturen existieren Bildungseinrichtungen, wie Einrichtungen der Erwachsenenbildung, oder auch andere Strukturen und Organisationen wie Gewerkschaften, die Weiterbildungsangebote beeinflussen können. Zweitens beinhalten Institutionen normative Elemente wie Werte und Normen. Werte sind Vorstellungen des Erwünschten oder Bevorzugten sowie die Konstruktion von Standards, mit denen existierende Strukturen und Verhaltensweisen verglichen werden können. Normen sind nach Scott (ebd., S. 54) Festlegungen darüber, auf welche Weise Ziele erreicht werden und welcher Weg angemessen ist, dies zu tun. Normative Strukturen bieten einen moralischen Rahmen für das gesellschaftliche Leben. Diese Normen sind von Personen internalisiert. Deren Verhalten wird dadurch geleitet, was als angemessen betrachtet wird (Scott und Davis, 2007, S. 260). Dabei können normative Strukturen soziales Handeln einschränken, gleichzeitig

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

aber auch ermöglichen (Scott, 2001, S. 54–55). Strukturen und Verhalten sind dann legitimiert, wenn sie mit allgemein geteilten Normen bezüglich angemessenen Verhaltens einhergehen (Scott und Davis, 2007, S. 260). Bezogen auf Weiterbildung kann gefragt werden, ob es in einer Gesellschaft bestimmte Vorstellungen über Bildungsprozesse gibt und ob allgemein geteilte Normen im Bereich von Weiterbildung existieren. So kann es zum Beispiel als angemessen gelten, wenn man Weiterbildung kontinuierlich sein gesamtes Erwerbsleben nachgeht, da Bildung im Leben ein besonderer Stellenwert zugeschrieben wird. Andererseits können Strukturen existieren, die Weiterbildung im späteren Erwerbsalter als eher unangemessen ansehen. Wenn es in einem Land ein gutes „Lernklima“ mit guten Lernbedingungen oder gar etwas wie eine „Weiterbildungskultur“ gibt, dann könnten sich dadurch bestimmte Gruppen wie Ältere aus Situationen heraus, in denen sie mit Weiterbildung in Berührung kommen, eher zu einer Teilnahme an Weiterbildung entschließen, als dies in anderen Ländern der Fall wäre. So werden in den nordischen Wohlfahrtsstaaten die Bürger befähigt, Teilnahmebarrieren zu überwinden (Rubenson und Desjardins, 2009). Diese Staaten unterstützen eine „rich adult learning culture“, in der die soziale und persönliche Entwicklung gefördert wird (ebd., S. 202–203). So ist denkbar, dass dies insbesondere für unterrepräsentierte Gruppen wie Ältere positive Effekte hat und damit die relativen Nachteile der Älteren bei der Weiterbildungsteilnahme verringert werden. Andererseits kann es auch einen „Fahrstuhleffekt“ für alle Personen geben, wodurch das absolute Weiterbildungsniveau aller in einem Land steigt. Diese normativen Vorstellungen können sich von Gesellschaft zu Gesellschaft, aber ebenso von Kohorte zu Kohorte unterscheiden, so dass Länderdifferenzen in der absoluten Weiterbildungsteilnahme und auch in der relativen Teilnahme Älterer auftreten können. Drittens enthalten Institutionen kulturell-kognitive Aspekte. Um Handeln zu verstehen und zu erklären, müssen nicht nur die objektiven Bedingungen, sondern auch die subjektive Interpretation des Handelnden selbst berücksichtigt werden (Scott, 2001, S. 57). Bei der kulturell-kognitiven Dimension geht es zum einen um kognitive Elemente, die einen Einfluss

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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darauf haben, welche Informationen Aufmerksamkeit erlangen und wie sie verarbeitet und interpretiert werden. Diese internen interpretativen Prozesse werden Scott zufolge von externen kulturellen Rahmenbedingungen geformt. Diese können aber zwischen Gruppen und Individuen variieren, da dieselben Situationen unterschiedlich wahrgenommen werden können. Aus der kulturell-kognitiven Perspektive werden Routinen befolgt, weil sie als selbstverständlich betrachtet und nicht hinterfragt werden (ebd., S. 57– 58). Kulturell-kognitive Elemente von Institutionen umfassen unbewusste Vorstellungen und als selbsverständlich angesehene Annahmen (Scott und Davis, 2007, S. 261). Im Gegensatz zur normativen Säule ist die Grundlage der Legitimität nicht moralisch geregelt, sondern kulturell gestützt. Kognitive Schemata bezüglich Weiterbildung kann es insofern geben, als dass Vorstellungen darüber existieren, ob bzw. wann etwas im Erwerbsleben gelernt wird. Oder aber jemand nimmt Informationen zu einem Weiterbildungsangebot wahr und interpretiert dies auf eine bestimmte Art und Weise. Dies kann zum einen von externen kulturellen Rahmenbedingungen abhängig sein, zum anderen von der Gruppenzugehörigkeit. Solche Unterschiede in der Wahrnehmung und Interpretation können im Weiterbildungsbereich also mit kulturellen Unterschieden in Verbindung stehen und auch beispielsweise davon abhängen, welcher Altersgruppe jemand angehört. Demnach können kulturell-kognitive Aspekte mit Länderunterschieden bei der absoluten und relativen Weiterbildungsteilnahme in Zusammenhang stehen. Die Abgrenzung zwischen normativen und kulturell-kognitiven Elementen ist jedoch insofern schwierig, als dass beide mit kulturellen Aspekten wie Lernklima in Verbindung gebracht werden können. Wenngleich die Unterteilung der Elemente nicht ganz eindeutig ist, ist es im Rahmen der Arbeit wichtig, alle Ebenen zu reflektieren. Kognitive und auch normative Elemente sind weniger sicht- und greifbar als regulative Elemente (ebd., S. 261). Bestimmte kulturelle Annahmen sind auf der normativen und regulativen Ebene umgesetzt. Insofern ergänzen sich die genannten institutionellen Elemente. Der Begriff der Kultur wird hier auf der normativen Ebene verortet und so verstanden, dass es Erwartungen bezüglich eines bestimmten Weiterbildungsverhaltens geben kann, die sich zwischen den

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Ländern unterscheiden. Kultur wird hier also nicht als etwas angesehen, innerhalb dessen man sozialisiert wurde und wodurch man sich auch in anderen Kontexten immer so verhält, wie man es gelernt hat.6 Mit Lebensverlaufsansätzen wird die Bedeutung von Institutionen für den Lebenslauf hervorgehoben und untersucht, in welcher Weise individuelle Lebensverläufe von Institutionen abhängen und wie Lebensverläufe institutionell geregelt sind. Aus der Lebensverlaufsperspektive ist das Handeln der Akteure in eine strukturelle Ebene eingebettet, so dass institutionelle Kontextbedingungen zur Beschreibung von individuellen Lebensverläufen mit einbezogen werden (Mayer und Müller, 2009; Heinz, 1992). Lernprozesse und Bildungsverläufe werden durch Institutionen und institutionelle Regelungen beeinflusst, die Optionen für Entscheidungen und damit für Lebens- und Bildungsverläufe vorgeben (Evans, Schoon und Weale, 2012; Hillmert, 2011). Durch das Zusammenspiel zwischen individuellem Handeln und strukturellen Bedingungen wird ein spezifischer Ablauf des Lebens hergestellt, der zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sowie im internationalen Vergleich gegenübergestellt werden kann (Diewald, 2013). Zwischen verschiedenen Gesellschaften gibt es demnach große Unterschiede bezüglich der Lebensverläufe, die spezifische Lebenslaufmuster erzeugen.7 Ähnlich wie bei Scotts regulativen und normativen Elementen von Institutionen, werden – in der Lebensverlaufsperspektive – Individuen in zweierlei Art und Weise von Institutionen geformt: Zum einen durch altersspezifische rechtliche Regelungen, zum anderen durch Altersnormen als Verhaltenserwartungen für ein bestimmtes Alter (Diewald, 2013; Mayer und Diewald, 2006). Erstens gibt es also rechtliche Regelungen, die ans Alter geknüpft sind: Bestimmte sozialpolitische Maßnahmen und Programme sind alterskorre6

Hier ist entscheidend, dass sich dieselben Personen in verschiedenen Kontexten auch unterschiedlich verhalten und auf kontextspezifische Anreize reagieren.

7

Auch wenn entwicklungspsychologische Ansätze nicht im Fokus der Arbeit stehen, soll hier erwähnt werden, dass Persönlichkeitsmerkmale und deren Entwicklung im Lebensverlauf durch bestimmte institutionelle Bedingungen Auswirkungen auf den individuellen Lebenslauf haben können (Mayer und Diewald, 2006).

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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liert und können Phasen im Lebensverlauf definieren (Mayer und Diewald, 2006). Beispiele dafür sind das gesetzlich festgelegte Ruhestandsalter und bestimme Fristenregelungen wie z. B. Wartezeiten und Beitragszeiten bei der Arbeitslosenversicherung, die den Lebensverlauf bestimmen und eine „Chronologisierung des Lebensverlaufs“ (Mayer und Müller, 2009, S. 438) fördern. Zweitens ist das Alter ein Muster sozialer Definitionen, die festlegen, was für ein Verhalten von Personen eines bestimmten Alters erwartet wird und angemessen ist. Das heißt, dass altersbezogene Normen darüber existieren, in welchem Lebensalter bestimmte Lebensereignisse und Verhaltensweisen angemessen sind (Diewald, 2013; Mayer und Diewald, 2006). Diese normativen Vorstellungen können von Gesellschaft zu Gesellschaft abweichen, da sie kulturell bedingt sind. Aber auch von Kohorte zu Kohorte können (innerhalb eines Landes) Unterschiede bestehen bezüglich dieser normativen Vorstellungen. Zudem gibt es eine Gliederung in bestimmte Lebensphasen, also eine vorgegebene zeitliche Abfolge von Lebensereignissen (Mayer und Müller, 2009). Kohli (1985) zufolge tritt die Sequenzierung des Lebenslaufs am deutlichsten in der Dreiteilung des Lebensverlaufs von Vorbereitung auf Erwerbsarbeit, Erwerbsarbeit und Ruhestand hervor. Dabei sind normative Setzungen über einen bestimmten Ablauf von Lebensereignissen zentral. Diese Altersnormen bezüglich einer bestimmten Abfolge des Lebenslaufs spielen auch eine Rolle bei den Vorstellungen und Entscheidungen von institutionellen „Gatekeepern“ (Heinz, 1992, S. 16). So können Gatekeeper, die im Betrieb oder auf staatlicher Ebene agieren, durch ihre Entscheidungen Türen zu Bildungs- und Erwerbskarrieren öffnen oder schließen. Dies geschieht dadurch, dass sie den Zugang zu bzw. den Ausstieg aus Statuspassagen von Personen beeinflussen, so dass gewünschte Statuswechsel verzögert oder verhindert werden. Beispielweise können in Betrieben Personalverantwortliche eher jüngere als ältere Mitarbeiter/innen auswählen, die für eine Weiterbildungsmaßnahme freigestellt oder finanziell unterstützt werden. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet das, dass altersspezifische Regelungen und Normen existieren, die beeinflussen können, in welchem

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Alter Weiterbildung überhaupt verfolgt wird. Beispielsweise könnte die gesellschaftliche Erwartung bestehen, dass einer Weiterbildung eher im früheren Erwerbsalter nachgegangen wird, da sich ein beruflicher Aufstieg später nicht mehr lohne. Ebenso würde die Sequenzierungsnorm dagegen sprechen, dass noch im späteren Erwerbsalter eine Weiterbildung in Vollzeit oder mit formalem Bildungsabschluss absolviert wird (Tosana, 2008, S. 43–46). Denn wenn ein beruflicher Abschluss während der Erwerbsphase erlangt wird, würde dies der Norm der zeitlichen Abfolge von „Ausbildung, Erwerbsarbeit, Rente“ widersprechen. Allerdings steht diese Norm im Spannungsverhältnis zum Diskurs über lebenslanges Lernen, bei dem Weiterbildung über das gesamte (Erwerbs-)Leben proklamiert wird. Altersnormen sind außerdem in der Erwerbsphase zunehmend weniger einzuhalten als früher (Heinz, 2007). Weiter kann argumentiert werden, dass sich aufgrund demografischer Bedingungen ein Wandel von Normen und damit auch von Gesetzen dahingehend vollzieht, im Leben länger zu arbeiten und auch im Alter noch aktiv und „produktiv“ zu sein (Lessenich, 2008). Zwar ist davon auszugehen, dass solche Altersnormen das Verhalten bezüglich Weiterbildung eher nachgeordnet als zentral beeinflussen. Insgesamt ist jedoch plausibel, dass sie im Vergleich zwischen den betrachteten Ländern unterschiedlich ausfallen, und demzufolge Länderdifferenzen zutage treten können, sowohl bezogen auf die absolute Weiterbildungsbeteiligung als auch auf die relativen Nachteile Älterer. Außerdem können Gatekeeper im Betrieb oder auf staatlicher Ebene bei der Verteilung von Weiterbildungschancen und beim Zugang Älterer zu Weiterbildung dahingehend eine Rolle spielen, dass sie ihren Vorstellungen zu Altersnormen gemäß handeln und Abweichungen von dieser Norm vermeiden. Wenngleich es dabei weniger um einen aktiven Ausschluss von Weiterbildung geht, da eine Gleichbehandlung oftmals gesetzlich vorgeschrieben ist, so können doch informelle Normen und fehlende Ermutigung zur Teilnahme oder Unterstützung bei einer Weiterbildungsteilnahme insbesondere bei Älteren wichtig sein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass institutionelle Faktoren und Barrieren bestehen, die in verschiedenen Lebensphasen eine unterschiedli-

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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che Rolle spielen und damit für die Erklärung von Weiterbildung Älterer relevant sind. Institutionen im Bereich von Weiterbildung werden in Anlehnung an Scott als Regelungen und konkrete Angebote verstanden, aber auch als normative Vorstellungen bezüglich Weiterbildung (Älterer). Diese Institutionen lassen sich auf der Meso- und Makroebene verorten, was in den folgenden Abschnitten vertieft wird. Zunächst werden Institutionen auf der Mesoebene diskutiert, die vorwiegend in betrieblichen Strukturen verankert sind (Abschnitt 3.3.1). Danach werden Institutionen auf der Makroebene dargelegt, bei der staatliche Aspekte bedeutsam sind sowie gesamtgesellschaftliche Strukturen, die nicht durch einzelne Betriebe definiert sind (Abschnitt 3.3.2). 3.3.1 Regelungen von Betrieben und Weiterbildungsanbietern Inwiefern Betriebe und andere Weiterbildungsanbieter für die Länderdifferenzen in der Weiterbildungsteilnahme theoretisch von Belang sind, wird in diesem Abschnitt dargelegt. Zunächst stellen Weiterbildungseinrichtungen Institutionen auf der Mesoebene dar. Dabei ist die Verfügbarkeit von Weiterbildungsangeboten wichtig für eine Weiterbildungsteilnahme, aber auch die Transparenz über das Vorhandensein solcher Angebote (Boeren, 2016, S. 97). In diesem Zusammenhang werden in der Studie von Cross (1981) neben den situationsbezogenen und dispositionalen Barrieren (vgl. Abschnitt 3.2) die wahrgenommenen institutionellen Barrieren als Hindernis für die Teilnahme an Weiterbildung genannt. Gemeint sind hier Hürden, die von institutionellen Strukturen selber hervorgerufen werden, wie hohe Teilnahmekosten oder mangelnde Transparenz. Dies bezieht sich auf Angebote von Bildungsinstitutionen, die als zeitlich, inhaltlich oder örtlich unpassend wahrgenommen werden oder zu denen Informationen fehlen (ebd., S. 98, 104–105). Solange solche institutionellen Hindernisse bestehen, kann – selbst bei Überwindung situationsbezogener und dispositionaler Barrieren – eine Person nicht an einer solchen Lernaktivität teilnehmen (Boeren, 2016, S. 97). Neben Weiterbildungseinrichtungen kommt Betrieben als „intermediärer Organisation“ des Erwerbssystems eine zentrale Rolle zu, da das Handeln betrieblicher Akteure Arbeitsmärkte strukturiert (Struck, 2008, S. 169–171).

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Damit sind sie auch im Zusammenhang mit Weiterbildungsaktivitäten zentral, denn die große Mehrheit der Lernaktivitäten findet am Arbeitsplatz statt (vgl. z. B. Boeren, 2017). Zu betrieblichen Akteuren, die die Regelungen bezogen auf Weiterbildung prägen und sie praktisch umsetzen, zählen erstens Arbeitgeber und Vorgesetzte, zweitens Gewerkschaften sowie Betriebsräte, die Regelungen im Betrieb durchsetzen. Warum diese Akteure Weiterbildungsangebote für Beschäftigte bereitstellen, ist Thema dieses Abschnitts.8 Betriebe werden durch staatliche Normen und kollektive Vereinbarungen wie Tarifverträge reguliert, so dass die institutionelle Strukturierung einen mittelbaren Einfluss auf Bildungs- und Erwerbsverläufe hat (Hillmert, 2011). Betriebliche Regelungen sind somit auch institutionelle Regelungen. Folgende institutionelle Elemente – in Anlehnung an Scott – können auf der betrieblichen Ebene Weiterbildungsentscheidungen der Akteure beeinflussen und einen Erklärungsbeitrag für die Forschungsfrage auf der Mesoebene leisten: Erstens gibt es betriebliche Regelungen in Form von formellen und informellen Regeln bezüglich des Weiterbildungsangebots in Betrieben. Zum Beispiel kann es bindende Zugangsregelungen für Weiterbildung oder auch unverbindliche Weiterbildungsleitlinien geben. Dabei können neben dem Arbeitgeber selbst auch gewerkschaftliche Akteure und Betriebsräte bedeutsam sein. Zweitens können Erwartungen gegenüber Beschäftigten seitens der Arbeitgeber bestehen, die sich auf das betriebliche Weiterbildungsangebot und darauf auswirken, welche Mitarbeitergruppen diese Angebote nutzen können und wollen. Wenn es in einem Betrieb z. B. eine allgemein geltende Norm gibt, dass Weiterbildung ebenso für ältere Beschäftigte nützlich ist, und generell ein ausgeprägtes Lernklima herrscht, dann kann dies Auswirkungen auf die Weiterbildungsteilnahme der (älteren) Beschäftigten haben und zur Erklärung von Länderunterschieden bei der Weiterbildungsteilnahme beitragen. In Betrieben kann es zudem informelle Normen z. B. bezüglich von Anspruchsrechten durch die Dauer der Betriebszugehörigkeit geben. Werden neu Eingestellten im Vergleich zu älteren Mitarbeiter/innen 8

Viele der hier dargestellten Theorien besitzen nur für Erwerbstätige Gültigkeit, da diese nicht das (Weiterbildungs-)Verhalten beispielsweise von Arbeitslosen erklären.

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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mehr Möglichkeiten zur Teilnahme an Weiterbildung (oder andere Vorteile) geboten, so kann dies gegen informelle Normen verstoßen (Hinz und Abraham, 2008). Drittens kann es kulturell-kognitive Elemente auf der betrieblichen Ebene geben: So ist denkbar, dass in Großbetrieben die Teilnahme von Arbeitskollegen/innen an einer Weiterbildung von anderen Beschäftigten als etwas Selbstverständliches wahrgenommen wird, während dies in Kleinbetrieben seltener der Fall ist, wo Weiterbildung vorwiegend außerhalb der Betriebe stattfindet. Solche „Spillover-Effekte“ können eine Art von Kultur in Betrieben sein und ein unterschiedliches Weiterbildungsverhalten hervorrufen. Institutionentheoretisch können so auf der betrieblichen Ebene Länderdifferenzen bezüglich der Weiterbildungsteilnahme insgesamt und auch der relativen Nachteile Älterer mitbegründet sein. Neben dem institutionentheoretischen Ansatz lassen sich mithilfe des humankapitaltheoretischen Ansatzes Einflüsse hinsichtlich betrieblicher Weiterbildungsentscheidungen für bestimmte Mitarbeitergruppen begründen.9 Wie auf der Mikroebene für Individuen dargelegt worden ist (Abschnitt 3.2), lässt sich für Betriebe die analoge Argumentation führen: Um die Produktivität des Betriebs zu erhöhen, lohne es sich weniger, in ältere Beschäftigte zu investieren, da diese eine kürzere Zeit im Betrieb verbleiben als jüngere Beschäftigte. Ebenso wären die Kosten des Betriebs für Weiterbildungsmaßnahmen von Gerinqualifizierten höher, da nach Einschätzung der Arbeitgeber die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Teilnahme bei geringqualifizierten Beschäftigten niedriger ist als bei Hochqualifizierten (Behringer, Kampmann und Käpplinger, 2009); für Frauen lohne es sich zudem aufgrund insgesamt kürzerer Erwerbsphasen nicht, in ihre Weiterbildung zu investieren. Jedoch kann gegen diese Argumentation angeführt werden, dass seitens der Betriebe über das reine Kosten-Nutzen-Kalkül hinaus auch stereotype Vorurteile bzw. Diskriminierung gegenüber älteren Beschäftigten eine Rolle spielen können. Ein Motiv für Weiterbildungsange-

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Damit ist dieser theoretische Ansatz insbesondere für die Erklärung der Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung relevant.

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

bote kann dagegen sein, dass damit die Zufriedenheit und Motivation der Beschäftigten gesteigert wird.10 Ob ein Betrieb eine Weiterbildung als ertragreich erachtet, hängt damit zusammen, inwiefern benötigte Kompetenzen erworben und aufrechterhalten (Behringer, Kampmann und Käpplinger, 2009) oder die Mitarbeiter/innen zufriedengestellt werden sollen. Somit sind das Qualifikationsprofil des Betriebes und die beruflichen Anforderungen an die Beschäftigten ausschlaggebend dafür, welchen Bedarf an Weiterbildung der Betrieb hat und ob ein großer Teil der Belegschaft – auch die Älteren – oder nur ausgewählte Mitarbeitergruppen Weiterbildungsmaßnahmen nachgehen (können). Generell sind die Weiterbildungsbedingungen für atypisch Beschäftigte wie z. B. geringfügig Beschäftigte sowie für Beschäftigte in Teilzeit und mit befristeten Arbeitsverträgen als schlechter einzuschätzen, da der Nutzen aus betrieblicher Sicht insbesondere dann gegeben ist, wenn die weitergebildete Personen dem Betrieb längerfristig und vollumfänglich zur Verfügung steht (Baltes und Hense, 2007). Zudem entstehen Kosten für interne und externe Weiterbildungsmaßnahmen, wie z. B. durch Arbeitsausfall bei Weiterbildung während der Arbeitszeit, Teilnahmegebühren oder Kosten für Weiterbildungspersonal (Becker und Hecken, 2009). Diese Kosten variieren mit der Betriebsgröße. So können größere Betriebe mit mehr Beschäftigten interne Weiterbildungsmaßnahmen sowohl wirtschaftlich als auch organisatorisch leichter realisieren. Dagegen ist die Freistellung von Beschäftigten in kleineren Betrieben häufig mit organisatorischen Schwierigkeiten verbunden (Behringer, Kampmann und Käpplinger, 2009; Haak, 2003). Damit hat auch die Betriebsgröße einen Einfluss darauf, ob und wenn ja welche Beschäftigten Weiterbildung betreiben. Generell spielen finanzielle Ressourcen im Betrieb und das Budget für Weiterbildung eine große Rolle (Becker und Hecken, 2009). Eine Grundannahme der Humankapitaltheorie ist, dass Betriebe nur in (betriebs)spezifisches Humankapital investieren, da Investitionen in allgemeine berufliche Fertigkeiten des Arbeitnehmers bei Verlassen des Betriebes 10

Doch auch hier kann eine Steigerung der Produktivität des Betriebs ein Beweggrund für das Weiterbildungsangebot sein, womit humankapitaltheoretischen Annahmen entsprochen wird.

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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verloren gehen und anderen Betrieben zugute kommen. Dem widersprechen empirische Ergebnisse. So übernehmen Betriebe Kosten unter anderem auch für allgemeine Weiterbildung der Beschäftigten (Acemoglu und Pischke, 1999; O‘Connell und Jungblut, 2008), was auf andere Ursachen wie institutionelle Faktoren hindeutet. Zusammenfassend kann aus humankapitaltheoretischer Perspektive erklärt werden, wie Betriebe den Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen für bestimmte Beschäftigtengruppen wie Ältere beeinflussen und weshalb betriebliche Investitionen in die Weiterbildung der älteren Belegschaft geringer sind als bei der jüngeren Belegschaft. Zudem kann nach diesem Ansatz die Betriebsgröße unterschiedliche betriebliche Weiterbildungsaktivitäten beeinflussen, was wiederum Länderdifferenzen hervorrufen kann und als Kompositionseffekt berücksichtigt werden muss. Zur Erklärung von Länderdifferenzen in der Weiterbildungsteilnahme lassen sich Arbeitsmarktsegmente betrachten, innerhalb derer Betriebe agieren. Nach dem Segmentationsansatz teilen sich Arbeitsmärkte in voneinander getrennte Segmente, zwischen denen eine eingeschränkte Mobilität herrscht (Becker und Hecken, 2009). Dieser Ansatz hat die betriebliche Strukturierung im Wirtschaftsgefüge, unterschiedliche Produktions- und Beschäftigungsstrategien und den Kontext der Handelnden und damit die strukturelle Ebene im Blick (Behringer, Kampmann und Käpplinger, 2009; Struck, 2008). Den Ausgangspunkt bildet das Konzept des dualen Arbeitsmarktes nach Doeringer und Piore (1971), das zwischen primärem und sekundärem Arbeitsmarktsegment unterscheidet. Zudem existieren weitere Unterteilungen zwischen berufsfachlichem und betriebsinternem Teilarbeitsmarkt. Im primären Segment, das aus mehreren internen Märkten besteht, befinden sich vor allem krisensichere Großbetriebe, die durch eine hohe Beschäftigungsstabilität gekennzeichnet sind (Georg und Sattel, 2006). Diese Arbeitsplätze sind relativ gut hinsichtlich Bezahlung, Sicherheit, Arbeitsbedingungen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Karriereaussichten und finden sich insbesondere im öffentlichen Dienst und bei Großbetrieben (Becker und Hecken, 2008). Solche internen Arbeitsmärkte entstehen durch

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

eine hohe Spezifität der Fertigkeiten und Arbeitserfahrungen der Beschäftigten: Zum einen wollen die Arbeitgeber die spezifischen Kenntnisse ihrer Mitarbeiter/innen nicht verlieren, zum anderen stehen Beschäftigten mit spezifischen Fertigkeiten weniger alternative Arbeitsplätze zur Verfügung. Dies ruft einen beiderseitigen Wunsch nach einem stabilen Arbeitsverhältnis hervor. Somit herrschen in internen Arbeitsmärkten Bedingungen, die Investitionen in Weiterbildung absichern, so dass es eine hohe Weiterbildungsbereitschaft der Betriebe gibt (Behringer, Kampmann und Käpplinger, 2009). Zudem zeichnen sich interne Arbeitsmärkte durch Gewohnheitsrechte aus, die auf gebräuchlichen Praktiken und Erfahrungen beruhen. Durch Senioritätsprinzipien, die mit zunehmender Betriebszugehörigkeitsdauer – und damit auch steigendem Erwerbsalter – Privilegien wie größere Arbeitsplatzsicherheit oder steigende Leistungen gewähren, wird die Sicherheit für die Beschäftigten erhöht (ebd.). Gleichzeitig kann es in internen Arbeitsmärkten eine starke Polarisierung zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ geben, das heißt, dass der Beschäftigungsschutz für die Kernbelegschaft hoch ist, während dies bei anderen Belegschaftsgruppen nicht der Fall ist (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007). Auch der Zugang zu Weiterbildung ist hier stratifiziert und unterscheidet zwischen Kernbelegschaft auf der einen und Teilzeitbeschäftigten und befristet Beschäftigten auf der anderen Seite. Dagegen werden Arbeitsplätze im sekundären bzw. externen Segment gering bezahlt und bieten wenig oder keine Aufstiegsmöglichkeiten (O‘Connell und Jungblut, 2008). Hier finden sich überwiegend kleinere und mittlere Betriebe unterschiedlichster Branchen, die vor allem Arbeitsplätze mit geringen Qualifikationsanforderungen bieten (Georg und Sattel, 2006). In diesem Arbeitsmarktsegment haben ökonomische Aspekte einen direkten Einfluss auf Kalkulationen, Preisgestaltung und auch die betrieblichen Qualifizierungsentscheidungen (Behringer, Kampmann und Käpplinger, 2009). Arbeitgeber haben kein ausgeprägtes Interesse, ihre Mitarbeiter/innen über einen langen Zeitraum zu beschäftigen, so dass Betriebe wenig in die Weiterbildung investieren. Somit haben Beschäftigte hier schlechtere Weiterbildungschancen (O‘Connell und Jungblut, 2008; Becker und Hecken, 2008).

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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Daher werden Charakteristika des Arbeitsplatzes wie Betriebsgröße und Branche – wie sie auch beim Segmentationsansatz eine Rolle spielen und wie beschrieben zwischen verschiedenen Arbeitsmarktsegmenten variieren – als Faktoren der ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Weiterbildung angesehen (O‘Connell und Jungblut, 2008). Die Weiterbildungsaktivitäten spiegeln Anforderungen der Betriebe wider, die wiederum an Branchen und Betriebsgrößen gekoppelt sind. Die höhere Weiterbildungsbeteiligung von Beschäftigten des öffentlichen Sektors im Vergleich zu denjenigen im privaten Sektor kann damit begründet werden, dass öffentliche Arbeitgeber aufgrund ihrer geringeren Profitabhängigkeit eine höhere Bereitschaft haben, in Weiterbildungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter/innen zu investieren. Zudem gehen beide Sektoren mit unterschiedlichen Berufsstrukturen einher, bei der der öffentliche Sektor durch Tätigkeiten mit einem höheren Qualifikationsniveau geprägt ist, als es im privaten Sektor der Fall ist. Dadurch ist der Bedarf an Weiterbildung im öffentlichen Sektor höher. Außerdem kann bei privaten Arbeitgebern die Angst vor Verlust ihres weitergebildeten Personals an konkurrierende Betriebe eine Rolle für die geringere Weiterbildungsbereitschaft spielen (Arulampalam, Booth und Bryan, 2004). Bei wissensintensiven Arbeitsplätzen, wie sie insbesondere in einzelnen Dienstleistungsbereichen existieren, und bei Branchen mit einem hohen Innovationsgrad, begünstigt hingegen der hohe Bedarf an Erhaltung und kontinuierlicher Erweiterung von Wissen und beruflichen Fähigkeiten eine hohe Weiterbildungsbereitschaft (Behringer, Kampmann und Käpplinger, 2009; Markowitsch und Hefler, 2007).11 Was heißt das bezogen auf die Forschungsfrage der Arbeit? Da das Ausmaß der einzelnen Teilarbeitsmärkte zwischen Ländern variiert, können hierdurch Unterschiede zwischen Ländern hervorgerufen werden, die mit einer unterschiedlichen Weiterbildungsteilnahme einhergehen können. Dies bedeutet, dass auch hier – ebenso wie auf der Mikroebene – Kompositionseffekte auf der Mesoebene bezüglich der Art der Betriebe, beispielsweise nach Branche und Betriebsgröße, berücksichtigt werden müssen.

11

Der Zusammenhang von Arbeitsmarkt und der jeweiligen Qualifikationsstruktur wird in Abschnitt 3.3.2 diskutiert.

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Ein weiterer Erklärungsansatz auf der Mesoebene ist der der „Varieties of Capitalism“ nach Hall und Soskice (2001), der ebenso Verhalten von Betrieben in den Blick nimmt und dadurch dazu beitragen kann, Länderunterschiede in der Weiterbildung zu erklären. Im Mittelpunkt steht diesem Ansatz zufolge die Unterteilung in zwei Ländermodelle institutioneller Strukturen. Diese werden anhand der Bereiche gebildet, in denen sich Betriebe koordinieren und die unterschiedliche betriebliche Strategien in der Art ihrer Koordinierung widerspiegeln: Industrielle Beziehungen, berufliche Bildung und Ausbildung, Betriebsstruktur, Betriebsfinanzierung und zwischenbetriebliche Beziehungen (ebd.). Länder mit einer bestimmten Koordinierung in einem Bereich, werden auch in anderen Bereichen ähnliche Strategien entwickeln, so dass diese sich gegenseitig verstärken im Sinne von institutionellen Komplementaritäten. Damit lassen sich unterschiedliche Niveaus und Komposition von Kompetenzen und beruflichen Fertigkeiten der Beschäftigten erklären. So existieren länderspezifische Qualifikationsstrategien („skill formation“), also eine unterschiedliche Art des Herausbildens von Kompetenzen (Culpepper und Thelen, 2008, S. 23). Diese beruhen auf verschiedenen Ausbildungssystemen, die eine zentrale Rolle für die Bestimmung und Aufrechterhaltung der „Varieties of Capitalism“ spielen. Die unterschiedlichen betrieblichen Strategien der beiden Marktwirtschaften lassen sich folgendermaßen kennzeichnen: Erstens sind die liberalen Marktwirtschaften (LME) wie Großbritannien, Irland und die USA durch wettbewerbsbasierte Marktarrangements, ein geringes Maß an kollektivvertraglichen Regelungen und durch schwache Gewerkschaften geprägt (Hall und Soskice, 2001). Zudem existieren wenig institutionelle Mechanismen, die die Abwerbung von Arbeitskräften verhindern, und die Fluktuation ist relativ hoch. Für Arbeitgeber lohnt es sich demnach weniger, in ihre Mitarbeiter/innen zu investieren (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007). Die Annahme ist, dass in diesen Ländern die Teilnahme an Weiterbildung insgesamt niedriger ausfällt und die Selektion beim Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten hoch ist. Folglich bilden sich sogenannte „general skill regimes“ (Estevez-Abe, Iversen und Soskice, 2001, S. 157) aus, die durch übertragbare Qualifikationen gekennzeichnet

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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sind und tendenziell eine niedrige Weiterbildungsaktivität hervorbringen. Spezifische „skills“12 werden hier durch „training on-the-job“ erlangt. Zweitens sind die koordinierten Marktwirtschaften (CME), wie sie z. B. in Deutschland, Österreich, den skandinavischen Ländern und den Niederlanden existieren, durch koordinierte Gehaltsfestlegung und kooperative industrielle Beziehungen gekennzeichnet, was die Abwerbungsrisiken minimiert und es Arbeitgebern tendenziell lohnender erscheinen lässt, ihren Beschäftigten Qualifizierungsmöglichkeiten zu bieten. Die CME weisen einen sozialdemokratischen oder konservativen Wohlfahrtsstaat mit ausgeprägtem Beschäftigungsschutz auf. Dadurch werden Beschäftigte seltener ausgetauscht, so dass es sich für Arbeitgeber eher lohnt, ihre Arbeitskräfte zu qualifizieren, was für die Weiterbildungsbeteiligung förderlich ist (Dieckhoff, 2007). Es bilden sich also „specific skill regimes“ aus, in denen branchen- und firmenspezifische Kompetenzen vermittelt werden. Die existierenden Institutionen setzen nicht nur Anreize für Arbeitgeber, ihre Arbeitskräfte weiterzubilden, sondern ebenso für Arbeitskräfte, spezifische berufliche Fähigkeiten zu erwerben (Culpepper und Thelen, 2008, S. 24). Im Rahmen der Arbeit kann der Varieties of Capitalism-Ansatz helfen, Länderunterschiede bei betrieblichen Strategien und im Bereich der Ausbildung sowie bei den Qualifizierungsstrategien zu erklären, die Auswirkungen auf Weiterbildung haben können.13 Dabei spielen auch nationale Regulierungen eine Rolle, wie im nächsten Abschnitt dargestellt wird. 3.3.2 Staatliche Regulierungen Neben den Institutionen auf der Mesoebene sind institutionelle Einflüsse auf der Makroebene zu identifizieren. Im Folgenden werden solche Institutionen diskutiert, die staatliche und gesamtgesellschaftliche Strukturen widerspiegeln und eine Rolle für Länderdifferenzen bezüglich der Weiter-

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In diesem Kontext werden „skills“ mit „berufliche Fertigkeiten und Kompetenzen“ übersetzt.

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Manche Ländergruppen wie die südeuropäischen Länder lassen sich allerdings nicht eindeutig den zwei Idealtypen zuordnen. Weitere externe und weiterbildungsrelevante Faktoren jenseits der staatlichen Regulierung werden bei diesem Ansatz nicht berücksichtigt (Saar und Ure, 2013).

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

bildung allgemein sowie in der relativen Weiterbildungsteilnahme Älterer spielen können. Der Staat ist ein zentraler Akteur auf der regulativen Ebene zwischen Angebot und Nachfrage. So werden in der Institutionentheorie staatliche Einheiten als ein Hauptakteur beim Generieren institutioneller Regeln und Rahmenbedingungen – also regulativer Strategien, normativer Vorstellungen sowie kulturell-kognitiver Aspekte – betrachtet (vgl. Abschnitt 3.3). Die Staatsgewalt hat unter anderem die Aufgabe der Allokation: Der Staat ist für Besteuerung, Zuschüsse, Fördermittel und Formen der Wohlfahrt zuständig (Scott und Davis, 2007, S. 266–267). Zu den relevanten staatlichen Mechanismen, die individuelles Handeln direkt oder indirekt beeinflussen, gehören Ressourcenvergabe wie Rentenzahlungen, Anwartschaften und Anrechte wie steuer- und rentenrechtliche Begünstigungen, soziale Dienstleistungen wie die Beratung bezüglich bestimmter Leistungen sowie Schutzrechte wie Mutterschutz oder Arbeitsrecht.14 Wenngleich das Individuum dabei eigenverantwortlich agieren muss und selbst entscheidet, ob es diese institutionellen Angebote nutzt oder aber ihnen nicht folgt, so strukturieren diese sozialstaatlichen Mechanismen den Kontext für individuelles Handeln (Leisering, Müller und Schumann, 2001). Es lassen sich zwei Arten der Wirkungsweise der institutionellen Bedingungen unterscheiden: Erstens gibt es jene, die individuelle Handlungen mittelbar beeinflussen und damit eine indirekte Wirkung haben, die nahezu alle Gesellschaftsmitglieder betreffen (Mayer und Müller, 2009). Im Bereich der Weiterbildung sind dies Bedingungen mit einem indirekten Einfluss, z. B. die steuerliche Absetzbarkeit von Weiterbildungskosten. Diese betrifft die gesamte Bevölkerung, also auch die Älteren. Zweitens existieren Bedingungen, die einen unmittelbaren Einfluss auf einen Teil der Bevölkerung haben (ebd., S. 443). So beziehen sich bestimmte institutionelle Faktoren speziell auf Ältere und können einen relativ direkten Einfluss auf deren Weiterbildungsverhalten haben. Darunter fallen altersspezifische Programme oder Richtlinien gegen die Diskriminierung Älterer. 14

Staatliche Einflüsse spielen nicht nur bei außerbetrieblicher, sondern ebenso bei betrieblicher Weiterbildung eine Rolle, da sich Betriebe beispielsweise auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen wie Arbeitslosengeld verlassen können.

3.3 Institutionen und ihre Bedeutung für Weiterbildung

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Die institutionellen staatlichen Faktoren beeinflussen also direkt oder indirekt, in welchem Ausmaß und in welcher Ausprägung die Nachfrageseite Weiterbildung betreibt und/oder die Angebotsseite Weiterbildung bereitstellt. Im Folgenden werden erstens die Bedingungen mit einer Wirkung auf die Weiterbildung aller Gesellschaftsmitglieder dargelegt, von denen indirekt auch Ältere beeinflusst werden. Diese umfassen Faktoren in den Bereichen Bildungssystem, Erwachsenenbildung, Arbeitsmarkt und Interessenorganisation von Beschäftigten. Danach werden zweitens die Bedingungen beschrieben, die einen Einfluss auf die Weiterbildung Älterer haben. Hier werden nicht nur Institutionen des Bildungssystems diskutiert, sondern auch jene Institutionen, die den Arbeitsmarkt regulieren und die die Bedingungen der Herausbildung und Nutzung von Qualifikationen beeinflussen (Mayer und Solga, 2008) und damit auf Weiterbildung wirken können. Bildungssystem Das nationale Bildungswesen und die Ausgestaltung der Bildungsinstitutionen können sich auf Weiterbildung auswirken und Länderdifferenzen in der Weiterbildungsteilnahme hervorrufen. Im Folgenden werden zunächst Zusammenhänge zwischen der Erstausbildung und Weiterbildung aufgezeigt. Länder unterscheiden sich in ihren Bildungs- und Ausbildungssystemen erstens anhand des Grades ihrer Standardisierung des beruflichen Bildungssystems. Dies spiegelt wider, wie Schulen und Ausbildung organisiert sind und ob es landesweit eine einheitliche Ausbildung gibt, z. B. bezüglich von Ausbildungsregelungen und Curricula. Dies ist für die berufliche Ausbildung und den Lebensverlauf relevant, da es mit unterschiedlichen Erwartungen der Arbeitgeber und Einsatzmöglichkeiten in Betrieben einhergeht (Allmendinger, 1989; Allmendinger und Hinz, 1997). Zweitens weisen Bildungssysteme ein unterschiedliches Ausmaß an Stratifizierung auf. Damit wird aufgezeigt, auf welcher Ebene der Bildungslaufbahn oder in welchem Alter Selektionen stattfinden. Daran lässt sich das Ausmaß an Selektivität eines Bildungssystems bestimmen, wobei dies vor allem im

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Bereich der schulischen Bildung bedeutsam ist (Allmendinger und Hinz, 1997) und bei Weiterbildung eine geringere Rolle spielt. Im Zusammenhang mit diesen Merkmalen von Bildungssystemen stehen auch unterschiedliche Ausprägungen von Beschäftigungssystemen. So gibt es verschiedene Arten von Qualifikationen, die in der beruflichen Ausbildung vermittelt werden, und damit verbunden bestimmte Eintrittsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt und Einsatzmöglichkeiten von Beschäftigten. Entscheidend für den Übergang in den Arbeitsmarkt sowie berufliche Platzierung und Tätigkeit ist, wie stark in einem Land die Qualifikation des Bildungs- und Ausbildungssystems mit der beruflichen Tätigkeit verbunden ist. Letzteres kann beschrieben werden erstens mithilfe von qualifikationsbestimmten Systemen („qualificational spaces“), in denen die Verbindung von Qualifikation und Beschäftigung eng ist und vor allem berufsspezifische Qualifikationen produziert werden. Hier ist Bildung relativ eng an berufliche Anforderungen geknüpft. Zweitens gibt es organisationale Systeme („organizational spaces“), in denen diese Verbindung eher lose ist und Qualifikationen weniger auf spezifische berufliche Tätigkeiten bezogen sind (Müller und Shavit, 1998, S. 4). Diese Dimensionen von Bildungs- und Beschäftigungssystemen gehen miteinander einher: So wird in Ländern mit einem standardisierten beruflichen Bildungssystem mit öffentlichen beruflichen Schulen oder Berufsausbildungen (z. B. in Deutschland und Norwegen) breiter und nicht betriebsspezifisch ausgebildet (Allmendinger, 1989). Die Beschäftigten verfügen über ein breites, marktgängiges Wissen, das sie wiederum nicht an bestimmte Betriebe bindet, jedoch an bestimmte Berufsfelder (Allmendinger und Hinz, 1997); es handelt sich um berufsfachlich strukturierte Arbeitsmärkte. Hier ist die Verbindung zwischen Qualifikationen und Beschäftigung relativ eng, da das Erstausbildungssystem die für die Erwerbsarbeit erforderlichen Qualifikationen vermittelt, die dauerhaft die Arbeitsmarktchancen bestimmen (Müller und Shavit, 1998). Dadurch gibt es relativ wenig Stellenwechsel sowie berufliche Wechsel, da letztere in der Regel nur möglich sind, wenn man sich formal weiterqualifiziert hat (Allmendinger, 1989). Zudem haben Arbeitgeber Informationen über die Inhalte vorhandener Qualifikationen der Bewerber/innen und damit verlässliche Informationen aus Bildungszer-

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tifikaten für eine schnelle Zuordnung der Bewerber/innen (Allmendinger und Hinz, 1997; Müller und Shavit, 1998). Dagegen findet in Ländern mit einem geringen Grad an Standardisierung, wie z. B. in den USA oder Großbritannien, Bildung weitgehend ungeregelt in Betrieben statt, da es keine staatlich geregelte Ausbildung gibt. Qualifikationen und berufliche Kompetenzen werden in diesen Arbeitsmärkten („organizational spaces“) on-the-job bzw. in Kursen vermittelt (Müller und Shavit, 1998). Diese beinhalten sehr stark betriebszentrierte Kenntnisse und Fähigkeiten und weniger berufsspezifisches Wissen. Insbesondere zu Beginn des Erwerbslebens sind relativ viele Stellenwechsel zu erwarten (Allmendinger, 1989). Bei Einstellungsprozessen zu Beginn der Berufslaufbahn nutzen Arbeitgeber weniger Zertifikate, sondern eher Eignungsprüfungen sowie Probezeiten (Allmendinger und Hinz, 1997; Müller und Shavit, 1998). Diese Eigenschaften von (Aus-)Bildungssystemen, insbesondere die Standardisierung, sowie die Kopplung der daraus hervorgegangenen Qualifikationen mit dem Arbeitsmarkt sind somit relevant für den Verlauf des Erwerbslebens: Es können Unterschiede hinsichtlich der Art der vermittelten Kompetenzen, der Informationen für Arbeitgeber und damit der Stellenbesetzungsprozesse, des Stellen- und Berufswechsels sowie der innerbetrieblichen Mobilität auftreten. Dies lässt wiederum Differenzen in der Weiterbildungsbeteiligung insgesamt sowie bezüglich relativer Nachteile Älterer vermuten: In Ländern mit einer engen Verbindung von Qualifikation und Beschäftigung und einem standardisierten Berufsbildungssystem, in dem die für Erwerbsarbeit erforderlichen Qualifikationen vermittelt werden, ist es nicht besonders notwendig, Weiterbildung während des Erwerbslebens zu machen (Schaeper u. a., 2006). Zudem finden weniger Berufs- und Stellenwechsel statt, was wiederum mit einer geringeren Weiterbildungsteilnahme einhergehen kann, da Einarbeitungen für neue Stellen wegfallen. Somit wären die Weiterbildungsaktivitäten insgesamt niedrig, und weder die Älteren, noch die Jüngeren nehmen verstärkt an Weiterbildung teil. Dagegen wird im Fall einer lockeren Verbindung von Qualifikation und Beschäftigung und einem unstandardisierten Berufsbildungssystem eine relativ stark ausgeprägte Weiterbildungsteilnahme angenommen, da beruf-

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

liche Kenntnisse durch Qualifikationen im Betrieb vermittelt werden und durch spätere Qualifizierung nach dem Eintritt ins Erwerbsleben Defizite aus der Erstausbildung durch Weiterbildung gewissermaßen kompensiert werden müssen (Brunello, 2004; Culpepper und Thelen, 2008). Hier wird durch den Weiterbildungsbereich die berufliche Erstqualifizierung und Einarbeitung übernommen (Schaeper u. a., 2006). Aufgrund der – vor allem in der frühen Erwerbsphase – relativ vielen Stellenwechsel, kann vermutet werden, dass mehr Einarbeitung in neue Arbeitsplätze nötig ist. In diesen Ländern müsste demnach die generelle Weiterbildungsteilnahme höher sein als in Ländern mit anders strukturierten Bildungssystemen und Arbeitsmärkten, und Ältere müssten hier ähnlich wie Jüngere während ihres beruflichen Lebens kontinuierlich Weiterbildung verfolgen. Da insbesondere Jüngere verstärkt Weiterbildung machen und damit eine höhere Weiterbildungsteilnahme haben, müssten daher auch die relativen Nachteile für Ältere in der Weiterbildungsteilnahme gering sein. Erwachsenenbildung Jenseits der Ausgestaltung des beruflichen Bildungssystems haben Institutionen im Bereich der Erwachsenenbildung einen offensichtlichen Einfluss auf die Weiterbildungsbeteiligung. Grundsätzlich ist dabei entscheidend, wie die Weiterbildungsfinanzierung gestaltet ist: Werden die Weiterbildungsmaßnahmen staatlich finanziert und die Kosten für die Teilnehmenden übernommen, oder müssen die Arbeitgeber die Kosten für ihre Beschäftigten tragen oder die Lernenden selbst? Weiterhin ist wesentlich, ob gesetzliche Ansprüche auf Weiterbildung und eine staatlich geförderte Landschaft von Weiterbildungsträgern existieren (Hinz und Abraham, 2008). Weiterbildung kann erstens durch nachfrageorientierte Finanzierung von Individuen öffentlich gefördert werden. Eine zweite öffentliche Fördermöglichkeit ist die angebotsorientierte Finanzierung. Hier werden Einrichtungen (indirekt) subventioniert, die Weiterbildungsangebote bereithalten (Balzer, 2001). Es gibt verschiedenste Formen von Weiterbildungsfinanzierung und -angeboten in Europa, unter anderem Anreizsysteme wie Abgabensysteme, bezahlten Bildungsurlaub und Weiterbildungsfonds sowie

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Bildungsgutscheine und Bildungskonten, die in Kapitel 4.3 ausführlicher dargestellt werden. Im Zusammenhang mit Weiterbildungsfinanzierung und Weiterbildungsangeboten steht die Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates, die das Investitionsverhalten sowohl von potenziellen Weiterbildungsteilnehmenden als auch von Arbeitgebern bestimmen kann (Staudinger und Heidemeier, 2009). So ist anzunehmen, dass mit einer höheren sozialen Sicherheit die Bereitschaft von Individuen steigt, in Weiterbildungsmaßnahmen zu investieren und damit Investitionen mit vergleichsweise unsicheren Erträgen und erhöhtem Risiko zu tätigen (Dämmrich, Vilhena und Reichart, 2014). Auch Estevez-Abe, Iversen und Soskice (2001) betonen den Zusammenhang zwischen sozialer Sicherheit, betrieblichen Qualifizierungsstrategien und dem Qualifikationsniveau in einem Land. So verlassen sich die Betriebe bei ihrer Koordinierung (siehe Varieties of Capitalism-Ansatz, Abschnitt 3.3.1) auf den Wohlfahrtsstaat und seine Absicherung in den Bereichen Arbeitslosenschutz, Lohnabsicherung und Beschäftigungsschutz. In manchen Sozialstaaten, wie z. B. in den skandinavischen Ländern, werden universale soziale Rechte gewährt, d.h. die Rechte sind unabhängig von Status und Bedürftigkeit. Hier findet eine stärker egalisierende Umverteilung statt, so dass es zu mehr Ergebnisgleichheit und zu einer geringeren Reproduktion sozialer Ungleichheit kommt. In den nordischen Wohlfahrtsstaaten werden gezielte Maßnahmen für Erwachsene generell, insbesondere aber auch für benachteiligte Gruppen eingesetzt, um gleiche Lernmöglichkeiten zu schaffen (Rubenson und Desjardins, 2009). Wenn sich die universalen sozialen Rechte auch auf den Weiterbildungsbereich erstrecken, z. B. durch Rechtsansprüche auf Freistellung von der Arbeit oder durch Übernahme der Weiterbildungskosten, dann ist hier von geringeren Disparitäten bei den Weiterbildungschancen auszugehen, da auch Ältere stärker in Weiterbildung eingebunden werden. Denkbar ist, dass bei einer besonders ausgeprägten staatlichen Unterstützung von Weiterbildung auch unterrepräsentierte Gruppen wie die Bevölkerung im späten Erwerbsleben gefördert werden und eher einer Weiterbildung nachgehen, als wenn die Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen vorwiegend an der Initiative der Betriebe oder der Lernenden

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

selbst hängt. Entscheidend hierbei ist, welches Ausmaß an Angeboten es gibt und ob die Selektivität beim Zugang zu allgemeinen Weiterbildungsangeboten – insbesondere für die Gruppe Älterer – hoch ist. Für das Bereitstellen und die Inanspruchnahme von Weiterbildungsangeboten ist das Lernklima in einem Land entscheidend. So kann es in manchen Ländern eine Weiterbildungskultur geben, in der Lernen auch im Erwachsenenalter weitreichend unterstützt wird. Dies wird mit einem entsprechenden Engagement für Weiterbildungsaktivitäten von Staat, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Betrieben einhergehen, wie es beispielsweise in Skandinavien der Fall ist (Weinert, 2010, S. 77–78). Eine vorhandene Lernkultur wird sich sowohl positiv auf das Angebot an Weiterbildung als auch die Teilnahmebereitschaft auswirken (European Commission, 2010, S. 41–45). Arbeitsmarktstruktur Im Allgemeinen wird die hohe Bedeutung der Arbeitsmarktstruktur für alle Bildungsmaßnahmen – sowohl für Erstausbildung als auch für Weiterbildung – betont (Brunello, 2004). Es gibt verschiedene Institutionen des Arbeitsmarktes, die theoretisch in Zusammenhang mit Weiterbildung stehen: Die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, Regelungen zum Ruhestand, Beschäftigungsschutz und die Lohnstruktur auf dem Arbeitsmarkt. Die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik spielt im Zusammenhang mit Weiterbildung eine zentrale Rolle. Wenn die Arbeitsmarktpolitik schwerpunktmäßig aktiv ausgerichtet ist, dann werden in erster Linie Maßnahmen mit dem Ziel verfolgt, Arbeitslose bei ihrem Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt zu unterstützen (Ebbinghaus und Hofäcker, 2013, S. 867). Aktive Maßnahmen umfassen neben Arbeitsmarktdienstleistungen, also Dienstleistungen öffentlicher Arbeitsvermittlungsstellen und anderer öffentlich geförderter Beratung für Arbeitssuchende, auch verschiedene Maßnahmen, die den Weiterbildungsbereich berühren. Dazu gehören Weiterbildungen und Schulungen, Beschäftigungsanreize, geförderte Beschäftigung, Rehabilitation und Wiedereingliederung, direkte Schaffung von Arbeitsplätzen und Anreize zur Existenzgründung (Eurostat, 2012, S. 5). Ziel solcher Maßnahmen ist es einerseits, Personen mit Fähigkeiten und Erfahrungen

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auszustatten und ihre Chance auf den Erhalt des Arbeitsplatzes oder auf einen neuen Arbeitsplatz zu erhöhen, andererseits sollen Arbeitgeber dazu ermuntert werden, neue Arbeitsplätze zu schaffen und Arbeitslose einzustellen. Insbesondere die Erwerbsbeteiligung der in der vorliegenden Arbeit relevanten Gruppe der Älteren wird durch staatlich finanzierte Programme beeinflusst. Durch aktive Arbeitsmarktmaßnahmen und Weiterbildungsangebote können auch ältere Beschäftigte qualifiziert und ihre Chancen auf Rückkehr in den Arbeitsmarkt erhöht werden (Ebbinghaus und Hofäcker, 2013; Eurofound, 2013; OECD, 2013a, S. 132). Da ältere Beschäftigte aufgrund des demografischen Wandels dem Arbeitsmarkt zunehmend länger erhalten bleiben sollen, kommt der aktiven Arbeitsmarktpolitik in vielen Ländern der EU eine wichtige Rolle zu (Frerichs, 2007). Die Arbeitsmarktpolitik soll dabei der Unterstützung eines „aktiven Alterns“ dienen, um vor allem Ältere in Erwerbstätigkeit zu halten und den Anteil an Frühverrentungen zu reduzieren (Ebbinghaus und Hofäcker, 2013).15 Dagegen werden im Rahmen einer passiven Arbeitsmarktpolitik Unterstützungsleistungen wie Einkommensausgleich in Form von Arbeitslosenleistungen oder Vorruhestandsleistungen gewährt (Eurostat, 2012, S. 5).16 Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik unterscheiden sich von anderen Beschäftigungsmaßnahmen darin, dass sie in erster Linie zugunsten bestimmter Gruppen wirken sollen. Dies sind in den meisten Ländern registrierte Arbeitslose sowie benachteiligte Personen, die Schwierigkeiten haben, am Erwerbsleben teilzunehmen, insbesondere Ältere, Jüngere beim Erwerbseintritt, Menschen mit Behinderungen und Frauen nach einer Familiengründung (ebd., S. 5). Theoretisch kann eine aktive Arbeitsmarktpolitik eine hohe Weiterbildungsbeteiligung fördern, da zur Sicherung der „Beschäftigungsfähigkeit“ und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Bildungsmaßnahmen besucht werden müssen, die mit einer erhöhten Teilnahmequote einhergehen. 15

In nahezu allen EU-Ländern ist die Teilnahme an aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Weiterbildung und Schulung oder die aktive Arbeitsplatzsuche die Voraussetzung dafür, Leistungen zu erhalten (European Commission, 2016, S. 1).

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Eine passive Arbeitsmarktpolitik strebt insgesamt eine Reduzierung von Arbeitsplätzen an, während eine aktive Arbeitsmarktpolitik auf ein hohes Maß an Beschäftigung und den Erhalt von Arbeitsplätzen abzielt (Ebbinghaus und Hofäcker, 2013).

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Außerdem wird der Verbleib im Erwerbsleben durch ein Angebot aktiver Arbeitsmarktmaßnahmen beeinflusst, weil dadurch die Chancen auf (Wieder-)Beschäftigung steigen. Eine passiv ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik wird dagegen keine direkten Auswirkungen auf den Weiterbildungsbereich haben oder sogar „negativ“ wirken, da theoretisch kein Anreiz für Weiterbildung besteht, um einem Arbeitslosigkeitsrisiko vorzubeugen. Zudem sinkt nach dieser Logik die Einbindung Älterer in den Arbeitsmarkt. Sie scheiden vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus und werden auch seltener eine Weiterbildung zu beruflichen Zwecken machen.17 Die Weiterbildungsteilnahme Älterer wird auch durch Regelungen berührt, die auf den Austritt aus dem Erwerbsleben und den Übergang in den Ruhestand zielen sowie durch Erwerbsunfähigkeits- bzw. Erwerbsminderungsrenten. Entscheidend sind hierbei Möglichkeiten, die Beschäftigte zur Frühverrentung nutzen können, um vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Der Austritt aus dem Erwerbsleben wird durch wohlfahrtsstaatliche Regelungen, wie Altersrente, Sonderregelungen, Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten und Arbeitslosengeld gestaltet (Ebbinghaus und Hofäcker, 2013). Im europäischen Vergleich variieren die gesetzlichen (Früh-)Verrentungsregelungen stark zwischen verschiedenen Staaten, so dass unterschiedliche Lebenserwerbsdauern in Europa existieren und dadurch Differenzen in der relativen Weiterbildungsteilnahme Älterer hervorgerufen werden. Zudem ist nach humankapitaltheoretischen Überlegungen davon auszugehen, dass Betriebe weniger in ältere Beschäftigte investieren, wenn diese aufgrund großzügiger Regelungen weitreichende Rechte zu einem frühen Austritt aus dem Erwerbsleben besitzen. Für die vorliegende Arbeit wird angenommen, dass im Falle von großzügigen Regelungen, die einen frühen Ruhestand möglich machen, dies den Anreiz vermindert, im späten Erwerbsalter noch zu arbeiten und damit potenziell an erwerbsbezogener Weiterbildung teilzunehmen. Denn 17

Hier kann es einen Unterschied machen, inwieweit der Staat und die Arbeitsvermittlung das Ziel verfolgt, Fachkräftemangel zu vermeiden oder aber – bei hoher Arbeitslosigkeit – eher humankapitaltheoretische Argumente verfolgt und verstärkt auf „Investitionen“ in Jüngere setzt. Für den Fall, dass das Ziel der Aktivierung Älterer im Vordergrund steht, wären die relativen Nachteile Älterer bei der Weiterbildungsteilnahme geringer.

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nur diejenigen, die sich auf dem Arbeitsmarkt befinden, werden an einer Weiterbildung zu beruflichen Zwecken interessiert sein. Ein weiterer Bestandteil der Arbeitsmarktstruktur, der auch mit gewerkschaftlichen Aktivitäten in Verbindung steht und Einfluss auf die Weiterbildungsteilnahme haben kann, ist der Beschäftigungsschutz. Die Annahme ist, dass ein hohes Maß an Beschäftigungsschutz zu einer erhöhten Arbeitsplatzsicherheit beiträgt, Beschäftigte selbst bei einem Wirtschaftsabschwung seltener ausgetauscht werden und damit insgesamt längere Arbeitsverhältnisse bestehen (Acemoglu und Pischke, 1999; Estevez-Abe, Iversen und Soskice, 2001). Dadurch werden für die Betriebe die Risiken von Humankapitalinvestitionen verringert, und es lohnt sich für Arbeitgeber eher, ihre Arbeitskräfte zu qualifizieren, was für die Weiterbildungsbeteiligung förderlich ist (Dieckhoff, 2007). Allerdings kann sich der Beschäftigungsschutz auf bestimmte Arbeitnehmergruppen wie die Kernbelegschaft („Insider“) beschränken und damit Beschäftigte mit befristetem oder ohne festen Arbeitsvertrag (Leiharbeitnehmer/innen) als „Outsider“ außen vor lassen (vgl. z. B. Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007; Schmid, 2018; Schneider und Makszin, 2014). In manchen Ländern, beispielsweise den konservativen und südeuropäischen Ländern gibt es einen stark ausgeprägten Beschäftigungsschutz. Dieser ist vor allem für ältere Beschäftigte hoch, die Senioritätsrechte erworben haben. In Ländern mit gering ausgeprägtem Beschäftigungsschutz – wie Länder des liberalen Wohlfahrtsstaatstyps – werden Beschäftigte einerseits schneller entlassen, andererseits sind aber auch die Hürden für einen Wiedereinstieg geringer (Hofäcker, Buchholz und Pollnerová, 2008). Im Hinblick auf die generelle Weiterbildung und die Teilnahme Älterer kann dies bedeuten, dass Beschäftigte durch vorhandene Beschäftigungsschutzmaßnahmen bis ins späte Erwerbsalter im Betrieb verbleiben, so dass sich Weiterbildung insgesamt und auch für die älteren Beschäftigten „lohnt“. Damit wären die relativen Nachteile Älterer in jenen Ländern mit ausgeprägtem Beschäftigungsschutz geringer als in solchen, die weniger Beschäftigungsschutzmaßnahmen haben.

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Interessenorganisation und -Vertretung Als weitere institutionelle Faktoren, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt stehen und weiterbildungsrelevant sein können, werden die Interessenorganisation und -vertretung von Arbeitnehmer/innen und gewerkschaftliche Aktivitäten diskutiert. Gewerkschaften sind als Verhandlungsinstitution der Arbeitnehmerschaft bedeutsam und stellen damit eine wichtige Grundlage für Bestimmungen zu Weiterbildung dar. Sie können erstens direkt wirken, indem sie für Weiterbildungsvereinbarungen sorgen, zweitens können sie indirekt Einfluss nehmen, indem sie durch tarifliche Lohnaushandlungen die Lohnstruktur und damit auch Weiterbildungsaktivitäten in einem Land beeinflussen (O‘Connell und Jungblut, 2008, S. 116): Bezogen auf Weiterbildung gibt es Tarifverträge, die die Ausgestaltung betrieblicher Weiterbildung regeln und die sich zwischen Ländern stark unterscheiden können. Acemoglu und Pischke (1999) verweisen darauf, dass einflussreiche Gewerkschaften eine breite Weiterbildungspartizipation begünstigen, da durch sie weitreichende Beschäftigungsschutzmaßnahmen existieren, die wiederum die Fluktuation von Arbeitskräften eindämmen. Dadurch werden die Risiken von Humankapitalinvestitionen der Betriebe verringert, was Betriebe zu verstärkten Weiterbildungsinvestitionen veranlasst. Viele staatliche Maßnahmen zur Finanzierung von Weiterbildung (siehe weiter oben, Seite 76) gehen auf gewerkschaftliche Aktivitäten zurück, z. B. das Vorhandensein individueller Lernkonten, die oftmals in Tarifverträgen zwischen den Sozialpartnern ausgehandelt werden (European Commission, 2010, S. 84). Die Einbindung von Arbeitnehmervertretungen, Betriebsräten und Sozialpartnern hinsichtlich Weiterbildung kann zudem die Angebote und den Zugang benachteiligter Gruppen verbessern (Ok und Tergeist, 2003). Insofern ist anzunehmen, dass für Ältere gewerkschaftliche Regulierungen besonders relevant sind und im Falle von einflussreichen Gewerkschaften in einem Land die relativen Nachteile Älterer bei der Weiterbildung aufgrund egalitärer Zugangschancen geringer sind. Außerdem sollten sich Gewerkschaften – zumindest normativ – gegen Altersdiskriminierung einsetzen. Auch die Lohnstruktur, die durch Gewerkschaften mit beeinflusst wird, kann Auswirkungen auf Weiterbildung haben. So kann das Vorhanden-

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sein eines Mindestlohns (Acemoglu und Pischke, 1999) sowie ein hoher Beschäftigungsschutz (Brunello, 2004) tendenziell eine hohe Lohnkompression18 begünstigen. Angenommen wird, dass komprimierte Lohnstrukturen Weiterbildungsbeteiligung fördern, da sie einen Anreiz für Arbeitgeber darstellen, Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren. Zu erklären ist dies mit dem Bedarf von Arbeitgebern, zur Produktivitätssteigerung entsprechend der Mindestlöhne auch niedrig qualifizierten Arbeitskräften Weiterbildung anzubieten (Dieckhoff, Jungblut und O’Connell, 2007). Die Erwartung von Arbeitgebern bei höher qualifizierten Beschäftigten sollte sein, dass im Falle von begrenzten Möglichkeiten einer Lohnsteigerung, die Weiterbildungserträge dieser Beschäftigten eher eingefangen werden. Nachdem die indirekten institutionellen Bedingungen der Weiterbildung Älterer dargelegt worden sind, wird im Folgenden auf solche Institutionen eingegangen, die direkt auf die Weiterbildung Älterer wirken. Für deren Weiterbildungsteilnahme kann bedeutend sein, ob staatliche Regulierungen oder Angebote bestehen, die sich speziell auf Ältere beziehen. Dazu gehören Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsprogramme für Ältere. Das Ziel solcher arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen ist es, Ältere zu einer längeren Erwerbstätigkeit zu befähigen bzw. sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren (Eurofound, 2013). Die Länder verfolgen durch spezielle Programme vorrangig das Ziel, die Aktivierung Älterer und den Abbau von Frühverrentungsprogrammen voranzutreiben. So werden in vielen europäischen Ländern arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für ältere Beschäftigte vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen ausgebaut (Frerichs, 2007). In Skandinavien wurden etwa in den letzten Jahren öffentliche Weiterbildungsprogramme geschaffen, die der Aktivierung Älterer dienen sollten, um den Abbau der Frühverrentungsmöglichkeiten aufzufangen (Allmendinger und Nikolai, 2010). Solche „aktivierenden“ arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die in engem Zusammenhang mit Regelungen zum Renteneintritt stehen, sind somit ein zentraler Faktor für die Weiterbildungs18

Eine hohe Lohnkompression heißt, dass es bei den Arbeitnehmer/innen nur geringe Lohnunterschiede gibt, während eine niedrige Lohnkompression eine große Lohnspreizung bedeutet.

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3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

teilnahme Älterer. Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit bedeutet das, dass die Inanspruchnahme solcher Weiterbildungsprogramme durch Individuen bzw. Betriebe an sich zu einer höheren Teilnahme Älterer an Weiterbildung führt. Zudem können Beschäftigungsprogramme für Ältere dazu beitragen, dass diese in der Lage sind, länger erwerbstätig zu sein und im Falle von Arbeitslosigkeit wieder eine Arbeit aufnehmen zu können. Insofern können Beschäftigungsprogramme für Ältere auch die Teilnahme an Weiterbildung Älterer erhöhen. Ebenso können berufsbezogene Rehabilitationsmaßnahmen als spezifische Form der Weiterbildung einen Einfluss auf die relative Weiterbildungsbeteiligung Älterer haben. Wenn Personen aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters nicht mehr ausüben können, was insbesondere Beschäftigte in physisch stark beanspruchenden Tätigkeiten betrifft (OECD, 2013b, S. 75), gehen diese entweder vorzeitig in Rente oder es werden Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung angeboten. Diese Angebote haben das Ziel, den Verbleib – insbesondere der hier relevanten älteren Bevölkerung – im Erwerbsleben zu fördern. Wenn diese Angebote in einem Land umfassend sind, dann kann dies relative Nachteile Älterer in der Weiterbildungsteilnahme reduzieren. Zudem sind Maßnahmen gegen die Diskriminierung Älterer eine wichtige Voraussetzung für die Ausdehnung des Erwerbslebens. In diesem Zusammenhang spielen auch Einstellungen gegenüber Älteren als Beschäftigten und Annahmen über deren Leistungsfähigkeit eine Rolle (Eurofound, 2013, S. 36). Dabei sind Antidiskriminierungsgesetze im Bereich der Beschäftigung und Weiterbildung entscheidend, die sich gegen die Diskriminierung aufgrund des Alters richten. So gibt es Hinweise aus Studien, die in diesem Zusammenhang auf positive Effekte bei der Rekrutierung älterer Beschäftigter sowie auf deren längeren Verbleib im Erwerbsleben hindeuten (OECD, 2014a, S. 124). In der vorliegenden Arbeit sollte also auch berücksichtigt werden, ob es in den Ländern entsprechende Gesetze im Anwendungsbereich von Beschäftigung und Weiterbildung gibt, die eine direkte Benachteiligung von Älteren – zumindest formal – verbieten. Dies

3.4 Ökonomische Rahmenbedingungen

85

könnte das variierende Ausmaß von Disparitäten zwischen Älteren und Jüngeren in den Ländern mit begründen.

3.4 Ökonomische Rahmenbedingungen Auf der strukturellen Ebene sind neben institutionellen Bedingungen auch ökonomische Rahmenbedingungen relevant, die den Kontext für eine Weiterbildungsteilnahme darstellen. Die Wirtschaftsstruktur eines Landes, die durch ihre Branchenstruktur und ein bestimmtes Ausmaß wissensintensiver Arbeitsplätze gekennzeichnet ist, kann mit einem unterschiedlichen Weiterbildungsbedarf einhergehen und damit das Weiterbildungsangebot und die Weiterbildungsnachfrage beeinflussen. So könnte ein Grund für Länderunterschiede in der Weiterbildungsteilnahme sein, dass ein Land stark agrarwirtschaftlich geprägt ist, während es in einem anderen Land einen umfassenden Dienstleistungssektor oder innovative Branchen gibt. Generell führt Innovation zu einer größeren Nachfrage nach Lernaktivitäten und Weiterbildung (Boeren, Nicaise und Baert, 2010), so dass ein hohes Ausmaß wissensintensiver Branchen einen höheren Bedarf an Qualifizierung hervorruft. Damit können Länderdifferenzen bezüglich der generellen Weiterbildungsteilnahme begründet werden. Außerdem ist das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften zu berücksichtigen. Betriebe werden im Falle eines absehbaren oder bereits aufgetretenen Fachkräftemangels bei einer angespannten Situation am Arbeitsmarkt versuchen, durch Weiterqualifizierung ihre Nachfrage nach bestimmten Qualifikationen aus der eigenen Belegschaft zu decken. Zudem kann eine Weiterbildung auch älterer Mitarbeiter/innen ein Ausweg sein, um diese länger beschäftigen zu können und Engpässe bei bestimmten Qualifikationen abzufangen. Dies würde geringere relative Nachteile Älterer bei der Weiterbildung zur Folge haben. Daneben ist die Wirtschaftslage eines Landes im Zusammenhang mit der Weiterbildungspartizipation zu beachten. In Ländern mit einer angespannten wirtschaftlichen Situation werden Staat und Betriebe generell zurückhaltender finanzielle Unterstützung bereitstellen bzw. weniger in

86

3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Weiterbildung investieren, da sie sich aus wirtschaftlichen Gründen nur eingeschränkt dazu in der Lage sehen (Markowitsch und Hefler, 2007). Vermutlich sind davon besonders Ältere betroffen, wodurch die relativen Nachteile Älterer in Ländern mit angespannter Wirtschaftslage größer sind als in anderen Ländern.

3.5 Zusammenfassung: Erste Skizzierung einflussreicher institutioneller Faktorenbündel Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bedingungen der Weiterbildung im Allgemeinen und der relativen Nachteile Älterer auf drei Analyseebenen zu betrachten sind. Tabelle 3.2 gibt einen systematisierenden Überblick über die diskutierten Einflussfaktoren. Auf der Mikroebene sind die individuellen Determinanten der Weiterbildungsteilnahme Alter, bisherige Bildungsabschlüsse, Erwerbstätigkeit, Geschlecht und Migrationshintergrund theoretisch relevante Faktoren, die die Weiterbildungsteilnahme bedingen und daher für die Kontrolle von Kompositionseffekten in die Analyse einbezogen werden. Auf der Mesoebene können solche Kompositionsunterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der typischen Betriebsgröße oder des Anteils bestimmter Branchen wie beispielsweise des öffentlichen Sektors bestehen. Solche variierenden Anteile zwischen Ländern können eine unterschiedliche Weiterbildungsteilnahme hervorrufen und müssen daher ebenfalls statistisch berücksichtigt werden (vgl. Abschnitt 3.1.2). Das wesentliche Interesse der Arbeit besteht darin, die strukturellen Faktoren zu identifizieren, die jenseits der unterschiedlichen Zusammensetzung der Bevölkerung einzelner Länder wirken und die Länderdifferenzen in der relativen Weiterbildung Älterer verursachen. Daher liegt der Fokus dieser Arbeit auf den strukturellen und institutionellen Faktoren der Meso- und Makroebene. In diesem Kapitel wurde herausgearbeitet, dass es verschiedene Elemente von Institutionen (regulative, normative sowie kulturell-kognitive Elemente) gibt, die für das Weiterbildungsverhalten von Individuen und Betrieben eine Rolle spielen können (Abschnitt 3.3). Zudem

3.5 Zusammenfassung: Erste Skizzierung einflussreicher institutioneller Faktorenbündel

87

lassen sich die für die Weiterbildungsteilnahme relevanten Faktoren auf der Makro- und Mesoebene, also auf der staatlichen und betrieblichen Ebene, aus dem Forschungsstand ableiten. Tabelle 3.2: Übersicht über mögliche Einflussfaktoren auf Weiterbildung insgesamt und relative Nachteile Älterer auf drei Analyseebenen Mikro

Alter Bisherige Bildung Erwerbstätigkeit Geschlecht Migrationshintergrund

Meso

Art der Betriebe: Betriebsgröße, Branche Betriebliche Regelungen, Normen, kulturelle Faktoren Arbeitsmarktsegment Betriebliche Qualifikationsstrategien

Makro

(Altersbezogene) Normen u. kulturelle Faktoren, z. B. Lernkultur Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsprogramme für Ältere Berufsbezogene Rehabilitationsmaßnahmen Antidiskriminierungsgesetze bzgl. Beschäftigung Älterer Standardisierung berufliches Bildungssystem/ berufliche Qualifizierung Finanzierung von/ Angebote an Weiterbildung (staatlich, betrieblich) Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik Beschäftigungsschutzmaßnahmen Ruhestandsregelungen und Frühverrentungsmöglichkeiten Gewerkschaftliche Regulierungen Wirtschaftliche Lage Angebot an qualifizierten Arbeitskräften/Fachkräfteengpässe Wissensintensive Beschäftigung

Kompositionseffekta

Theoretisch relevante Faktoren

Zentrale institutionelle Faktoren

Ebene

Anmerkung: a Faktoren sind als Kompositionseffekt (vgl. Abschnitt 3.1.2) zu berücksichtigen; eigene Darstellung.

Die Faktoren auf der Mesoebene umfassen betriebliche Regelungen, Normen und kulturelle Faktoren sowie das betriebliche Arbeitsmarktsegment und betriebliche Qualifikationsstrategien (Abschnitt 3.3.1). Auf der Makroebene werden staatliche Regulierungen und gesamtgesellschaftliche Strukturen in den Blick genommen, die die Weiterbildungsteilnahme beeinflussen (Abschnitt 3.3.2). Als theoretisch relevante Faktoren, die die Weiterbildung Älterer direkt bedingen, wurden folgende Faktoren identifiziert: Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsprogramme für Ältere, berufsbezogene Rehabilitationsmaßnahmen und Antidiskriminierungsgesetze bezogen auf die Beschäftigung Älterer. Als indirekt wirkende Bedingungen für die

88

3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Weiterbildung der gesamten Bevölkerung und der Älteren wurden Institutionen des Bildungswesens wie die Standardisierung des beruflichen Bildungssystems sowie die berufliche Qualizierung betrachtet. Ebenso wurden Institutionen der Erwachsenenbildung und die Finanzierung von Weiterbildung als wichtige Einflussfaktoren diskutiert. Weitere Bedingungen sind die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, Regelungen zum Beschäftigungsschutz, Ruhestandsregelungen, gewerkschaftliche Regulierungen und die Interessenorganisation von Arbeitnehmer/innen. Auch ökonomische Rahmenbedingungen wie die wirtschaftliche Situation, Fachkräfteengpässe und die Wirtschaftsstruktur, die strukturelle Merkmale der Makroebene darstellen, wurden als theoretisch weiterbildungsrelevant identifiziert. Allerdings ist die Ausgestaltung von Institutionen nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Eine zentrale Eigenschaft von Institutionen ist nämlich ihre Komplementarität (vgl. Abschnitt 3.3). Dies bedeutet, dass sich verschiedene Institutionen aus unterschiedlichen Bereichen wie Bildungswesen, Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat gegenseitig ergänzen und voneinander abhängig sein können. Inwieweit diese institutionelle Komplementarität auch eine Rolle bei den relativen Nachteilen Älterer in der Weiterbildungsbeteiligung spielt, ist Gegenstand dieser Arbeit und wird bei der Analyse institutioneller Konfigurationen (Kapitel 7) berücksichtigt. Institutionelle Faktorenbündel Die institutionellen Einflussfaktoren der Weiterbildungsteilnahme (vgl. Tabelle 3.2) werden zu theoretischen Konstrukten zusammengefasst, die hier als Faktorenbündel bezeichnet werden. Diese stellen Konstrukte höherer Ordnung dar, mit deren Hilfe die Faktoren in sinnvolle Aggregate gruppiert werden können.19 Dabei werden die Faktorenbündel so gebildet, dass alle theoretisch besonders relevanten Faktoren für die Erklärung der Weiterbildungsteilnahme Älterer inhaltlich sinnvoll zusammengefasst werden

19

Die Idee hinter dem Bilden von Konstrukten höherer Ordnung ist Folgende: „Arguments that cite many causal conditions [...] often can be reformulated by grouping conditions into meaningful sets and then reconceptualizing the resulting sets as higher-order constructs“ (Ragin, 2000, S. 321).

3.5 Zusammenfassung: Erste Skizzierung einflussreicher institutioneller Faktorenbündel

89

können.20 Dies ist auch deshalb notwendig, weil bei der geplanten Analyse nicht beliebig viele Bedingungen, die für die relative Weiterbildungsteilnahme Älterer relevant sind, aufgenommen werden können.21 Die Faktorenbündel, die in der späteren Analyse die Bedingungen der Weiterbildungsteilnahme darstellen, werden also so gebildet, dass sie alle in diesem Kapitel als theoretisch relevant identifizierten Dimensionen umfassen, gleichzeitig aber möglichst gering in ihrer Anzahl sind. Dabei sollen alle Dimensionen innerhalb der Faktorenbündel berücksichtigt werden, indem es entweder einen stellvertretenden Indikator mit großer Varianz und hoher Aussagekraft für das Bündel gibt, oder indem verschiedene Indikatoren kombiniert werden (in Kapitel 5.4.2 auf S. 173 wird die Kombination von Einzelfaktoren zu Konstrukten höherer Ordnung genauer erläutert). Tabelle 3.3 zeigt die Zusammenfassung der institutionellen Faktoren zu fünf Faktorenbündeln. Das erste Bündel repräsentiert die Arbeitsmarktpolitik in einem Land und umfasst die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, Beschäftigungsschutzmaßnahmen und Ruhestandsregelungen. Mit dem zweiten Faktorenbündel „Qualifikation und Beschäftigungssystem“ wird dargestellt, ob das berufliche Bildungssystem standardisiert ist oder nicht und inwieweit berufliche Kenntnisse in der Erstausbildung oder im Erwerbsleben vermittelt werden. Das dritte Faktorenbündel steht für staatliche und betriebliche Weiterbildungsstrukturen und spiegelt die Faktoren wider, die sich auf Weiterbildungsangebote beziehen: Es enthält Faktoren zu staatlicher Unterstützung von Weiterbildung, betrieblichen Weiterbildungsangeboten, gewerkschaftlichen Regulierungen bezüglich Weiterbildung und zu Lernkultur. Im vierten Faktorenbündel werden inkludierende/exkludierende staatliche Regulierungen und Programme bezüglich Älterer einbezogen. Ob es Institutionen im Zusammenhang mit Weiterbildung speziell für die Gruppe der Älteren gibt, oder ob ein Land Ältere als Teil der Bevölkerung eher ausschließt, wird in diesem Bündel berücksichtigt. Faktoren dafür sind Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsprogramme für Ältere, Angebote beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen (insbesondere für 20

Mit der Analysemethode QCA kann auch ein Ausschnitt von Bedingungen gewählt werden, ohne dass dies zu verzerrten Ergebnissen führt.

21

Wie im Methodenkapitel (Seite 171, Fußnote 30) genauer erläutert wird, wäre das QCAErgebnis bei einer zu großen Anzahl an Bedingungen nicht mehr interpretierbar.

90

3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Ältere) sowie Antidiskriminierungsgesetze bezüglich der Beschäftigung Älterer. Schließlich umfasst das Faktorenbündel „ökonomische Rahmenbedingungen“ die wirtschaftliche Situation, das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften und die Wirtschaftsstruktur. Tabelle 3.3: Institutionelle Einflussfaktoren der Weiterbildungsteilnahme und institutionelle Faktorenbündel auf der Makroebene Institutioneller Einflussfaktor

Faktorenbündel

Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik Beschäftigungsschutzmaßnahmen Ruhestandsregelungen u. Frühverrentungsmöglichkeiten

Arbeitsmarktpolitik (A)

Standardisierung berufliches Bildungssystem/ berufliche Qualifizierung

Qualifikation und Beschäftigungssystem (B)

Staatliche Finanzierung von Weiterbildung Betriebliche Finanzierung von Weiterbildung Gewerkschaftliche Bestimmungen bzgl. Weiterbildung Lernkultur

Staatliche und betriebliche Weiterbildungsstruktur (C)

Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsprogramme für Ältere Berufsbezogene Rehabilitationsmaßnahmen Antidiskriminierungsgesetze bzgl. Beschäftigung Älterer

Inkludierende/exkludierende staatliche Regulierungen bezüglich Älterer (D)

Wirtschaftliche Lage Wissensintensive Beschäftigung Angebot an qualifizierten Arbeitskräften/Fachkräfteengpässe

Ökonomische Rahmenbedingungen (E)

Eigene Darstellung

Wie in Abschnitt 3.1.2 dargestellt, sind die Faktoren der Meso- und Makroebene eng miteinander verbunden, so dass anzunehmen ist, dass Faktorenbündel auf der Makroebene ebenfalls die Faktoren der Mesoebene abbilden. Da zudem wenig empirische Informationen zu betrieblichen Faktoren vorliegen, werden bei der Analyse Faktoren der Makroebene genutzt, um strukturelle Bedingungen auf das individuelle Weiterbildungsverhalten zu untersuchen. Daher werden für die auf der Mesoebene verorteten betrieblichen institutionellen Faktoren keine eigenen Faktorenbündel gebildet. Im folgenden Kapitel 4 wird dann empirisch geprüft, inwieweit die institutionellen Faktoren eines Faktorenbündels zusammenhängen. Dort wird auch thematisiert, welcher dieser Faktoren das jeweilige Faktorenbündel repräsentiert und in die spätere Analyse einfließt.

3.5 Zusammenfassung: Erste Skizzierung einflussreicher institutioneller Faktorenbündel

91

Zusammenfassend lässt sich – wie in diesem Kapitel argumentiert – folgende Wirkung der institutionellen Faktorenbündel auf die relative Weiterbildungsteilnahme Älterer erwarten: Länder mit einem höheren Grad an beschäftigungsfördernder Arbeitsmarktpolitik (A) bewirken eine längere Beschäftigung Älterer, wodurch sich die Unterschiede in der Weiterbildungsteilnahme zwischen Jüngeren und Älteren verringern. Dies ist damit zu begründen, dass Ältere durch einen hohen Beschäftigungsschutz, Ruhestandsregelungen für einen späteren Renteneintritt, und durch aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen länger im Erwerbsleben verbleiben und dadurch Zugangsmöglichkeiten zu erwerbsbezogener Weiterbildung erhalten. Daher wird erwartet, dass es geringe relative Nachteile Älterer bei der Weiterbildungsteilnahme in Ländern mit einem höheren Grad an beschäftigungsfördernder Arbeitsmarktpolitik gibt. Zudem ist zu vermuten, dass Länder mit einer lockeren Verbindung von Qualifikation und Beschäftigungssystem (B) eine höhere Weiterbildungsteilnahme Älterer im Vergleich zu Jüngeren aufweisen. Dies ist damit zu begründen, dass Defizite aus der Erstausbildung durch Weiterbildung ausgeglichen werden müssen und Weiterbildung kontinuierlich im Erwerbsleben stattfindet. Gleichzeitig wird die Teilnahme insbesondere für Jüngere aufgrund häufiger Stellenwechsel und Einarbeitung in der frühen Erwerbsphase hoch sein. Daher sollten sich in Ländern, in denen Qualifikation und Beschäftigungssystem locker miteinander verbunden sind, geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung zeigen. Außerdem ist anzunehmen, dass Länder mit einem hohen Grad an gut ausgebauten Weiterbildungsstrukturen (C), in denen sowohl betriebliche als auch staatliche Angebote an Weiterbildung vorhanden sind, gute Voraussetzungen für eine hohe Weiterbildungsteilnahme Älterer bieten. Nur wenn allgemein gute Weiterbildungsstrukturen existieren, können auch in der Weiterbildung unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit einer Weiterbildungsteilnahme erhalten. Daher wird erwartet, dass in Ländern mit einem hohen Grad an gut ausgebauten Weiterbildungsstrukturen geringe relative Nachteile Älterer bei der Weiterbildungsteilnahme existieren.

92

3 Theoretische Perspektiven auf Weiterbildung

Länder, die zu einem hohen Grad inkludierend sind bezüglich der älteren Bevölkerung (D), also die Gruppe der Älteren in besonderer Weise berücksichtigen und Benachteiligung Älterer gesetzlich (und kulturell) missbilligen bzw. ahnden, sollten auch die Weiterbildungsteilnahme Älterer in besonderem Maße fördern. Daher sollte sich in den Ländern, die in einem hohen Ausmaß inkludierend sind, zeigen, dass die Nachteile Älterer gegenüber Jüngeren bei der Weiterbildungsteilnahme gering sind. Bei Ländern mit ökonomischen Rahmenbedingungen (E), die gekennzeichnet sind durch eine gute wirtschaftliche Lage, ein hohes Maß an wissensintensiven Arbeitsplätzen und eine hohe Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, ist anzunehmen, dass die relativen Nachteile Älterer in der Weiterbildung gering sind. Dies ist zum einen mit einem hohen Bedarf an qualifizierten Beschäftigten und damit an Weiterbildung, zum anderen mit großen wirtschaftlichen Spielräumen von Betrieben zu erklären. Länder mit diesen ökonomischen Rahmenbedingungen sollten daher geringe relative Nachteile Älterer in der Weiterbildung aufweisen. Im Anschluss an die nun folgende Beschreibung der institutionellen Ausgestaltung in den Ländern, der institutionellen Konstellationen und der verwendeten Indikatoren, werden in Kapitel 4.8 Hypothesen aufgestellt. Dafür wird auf die eben formulierten Annahmen über die Wirkung der institutionellen Faktorenbündel zurückgegriffen.

4 Überblick über weiterbildungsrelevante institutionelle Faktoren in Europa

Nachdem aus Forschungsstand und Theorie institutionelle Faktoren der Weiterbildungsteilnahme abgeleitet und Faktorenbündel gebildet wurden, wird in diesem Kapitel die empirische Verteilung dieser Faktoren und deren Ausprägung in Europa präsentiert. Dies wird für die einzelnen Institutionen, geordnet nach den Faktorenbündeln (vgl. Tabelle 3.3), für 26 Länder dargestellt (Abschnitt 4.1 bis 4.6). Anschließend werden institutionelle Konstellationen beschrieben, wie sie tatsächlich in den Ländern auftreten (Abschnitt 4.7). Schließlich werden Hypothesen aufgestellt, die sich auf notwendige und hinreichende Bedingungen für geringe relative Weiterbildungsnachteile Älterer beziehen (Abschnitt 4.8). Das vorrangige Ziel des Kapitels ist, einen Überblick über die Bandbreite der Institutionen in den europäischen Ländern zu geben und die institutionelle Varianz in den Ländern darzustellen. Um die Forschungsfrage nach den institutionellen Bedingungen der relativen Nachteile Älterer in der Weiterbildung zu beantworten, sollen hier die weiterbildungsrelevanten Institutionen näher betrachtet und als Vorbereitung auf die anschließende Analyse operationalisiert werden. Im Rahmen der Analyse muss für jedes Land nämlich eingeordnet werden, ob bzw. inwieweit es zu den Ländern gehört, in dem der jeweilige institutionelle Faktor stark oder schwach ausgeprägt ist. Dafür soll hier die Grundlage geschaffen werden, um später für die QCA die Zuweisung der Mitgliedschaftswerte für die Länder – die sogenannte Kalibrierung (ähnlich der Operationalisierung bei anderen Verfahren, vgl. Kapitel 5.4.2) – nachvollziehbar zu machen. Gleichwohl wird dabei nicht auf jedes einzelne Land im Detail eingegangen, sondern anhand von Übersichten die Spannbreite der Institutionen dargestellt. Gleichzeitig wird diskutiert, ob Indikatoren bzw. passende Informationen zu den Institutionen für die Länder vorliegen und wenn ja, welcher Indikator da© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 V. Philipps, Die Bedeutung von Institutionen für die Weiterbildung Älterer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28004-8_4

94

4 Institutionelle Faktoren in Europa

zu geeignet ist, die Institutionen gut abzubilden und welcher Indikator letztlich das jeweilige Faktorenbündel repräsentiert (vgl. Kapitel 3.5). Somit wird hier auch schon ein Teil der Operationalisierung vorweggenommen. Für die Darstellung der institutionellen Faktoren werden Informationen aus Makrodaten und Surveydaten gewonnen, auf deren Basis die Institutionen für das Jahr 2010 berichtet werden, da dies das Jahr vor dem Erhebungszeitpunkt des hier verwendeten AES 2011 ist und damit ein möglicher Einfluss der institutionellen Faktoren auf das Weiterbildungsverhalten ein Jahr danach eingefangen werden kann (vgl. Kapitel 5.1.2).1 Wenn solche Grundlagen nicht vorliegen, werden qualitative Informationen aus Länderstudien herangezogen.

4.1 Arbeitsmarktpolitik Der Bereich der Arbeitsmarktpolitik umfasst drei institutionelle Faktoren, die die Weiterbildungsteilnahme beeinflussen können: Die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, Beschäftigungsschutzmaßnahmen und Ruhestandsregelungen (vgl. Kapitel 3.3.2). Wie sind diese einzelnen Faktoren in den Ländern nun ausgestaltet? Welche Bandbreite gibt es in Europa? Am Ende dieses Abschnitts wird untersucht, wie die dargestellten Faktoren zusammenhängen und ob ein oder gegebenenfalls mehrere Indikatoren für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik in der Analyse herangezogen werden. Ziel ist es, in der späteren Analyse anhand möglichst weniger Indikatoren (vgl. Kapitel 3.5, S. 88) für den Bereich Arbeitsmarktpolitik einzuordnen, ob ein Land eher zu den Staaten gehört, deren Arbeitsmarktpolitik die Beschäftigung fördert und damit begünstigend auf die Weiterbildungsteilnahme Älterer wirkt.

1

Falls Informationen für diesen Zeitpunkt für einzelne Länder nicht vorhanden sind, wird auf Daten angrenzender Jahre zurückgegriffen, da sich institutionelle Regeln selten sprunghaft ändern.

4.1 Arbeitsmarktpolitik

95

4.1.1 Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik Die Arbeitsmarktpolitik eines Landes lässt sich anhand ihrer Ausrichtung bezüglich aktiver und passiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen beschreiben. Wie im Kapitel 3 argumentiert wurde, kann eine aktive Arbeitsmarktpolitik eine hohe Weiterbildungsbeteiligung fördern. Aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen spielen in den europäischen Ländern eine zunehmend wichtige Rolle, um Ältere möglichst lange im Erwerbsleben zu halten. Gleichzeitig unterscheiden sich die Länder hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitsmarktpolitik und in welchem Umfang sie in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik investieren. Um dies zu beschreiben, werden als Indikator für die Arbeitsmarktpolitik die Ausgaben für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (in % des BIP) je 1% Arbeitslosigkeit herangezogen. Ausgaben für aktive Maßnahmen und öffentliche Arbeitsvermittlung und Verwaltung werden beispielsweise von der OECD verwendet und als wichtiger Indikator dafür gesehen, inwieweit Nationalstaaten aktivierende Maßnahmen durchsetzen (OECD, 2013a, S. 134).2 In der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung werden aggregierte Daten zu sozialstaatlichen Ausgaben als nicht aussagekräftig kritisiert und sollten stattdessen nach dem Bedarf gewichtet werden, da der Umfang der Ausgaben stark von der leistungsberechtigten Bevölkerung abhängt (Castles, 2002; Kuitto, 2016). Da es in den Ländern sehr unterschiedliche Niveaus an Arbeitslosigkeit gibt und damit die Gesamtausgaben eines Landes für die arbeitslose Bevölkerung ganz unterschiedlich sind, werden die Ausgaben in Bezug zur Arbeitslosigkeit gesetzt. So lässt sich die Qualität der Förderung in einem Land ausdrücken. Die mit Abstand höchsten Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik weisen mit etwa 0,25% des BIP je 1% Arbeitslosigkeit Dänemark und die Niederlande auf, die damit eine klar „aktivierende“ Strategie verfolgen (Abbildung 2

Die Ausgaben in diesem Bereich umfassen Weiterbildungen, Schulungen, Beschäftigungsanreize, geförderte Beschäftigung, Rehabilitation, Wiedereingliederung, direkte Schaffung von Arbeitsplätzen, Anreize zur Existenzgründung und Arbeitsmarktdienstleistungen (Eurostat, 2012, S. 5). Gleichwohl muss darauf hingewiesen werden, dass die Kategorie „öffentliche Arbeitsvermittlung“ nicht ganz trennscharf ist und darin StellenvermittlungsDienstleistungen wie Beratung und Fallmanagement, aber teilweise auch Elemente passiver Arbeitspolitik wie die Administration für Unterstützungsleistungen, erfasst werden (OECD, 2015, S. 117–118).

96

4 Institutionelle Faktoren in Europa

4.1). Auch Norwegen und Österreich haben – zwar mit klarem Abstand zu den beiden Spitzenreitern – mit etwa 0,17% deutlich überdurchschnittliche Ausgaben. Die Länder mit stark unterdurchschnittlichen Ausgaben unter 0,03% des BIP je 1% Arbeitslosigkeit sind Lettland und weitere (süd)osteuropäische Länder sowie Griechenland. Am unteren Ende befindet sich Rumänien, das mit 0,007% so gut wie keine Ausgaben für eine aktive Arbeitsmarktpolitik tätigt.3 Abbildung 4.1: Ausgaben für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (in % des BIP) je 1% Arbeitslosigkeit 2010 nach Land

Anmerkung: Inklusive Ausgaben für Aktivitäten der Arbeitsvermittlung und -verwaltung; geordnet absteigend nach Ausgaben. Quelle: Eurostat Labour Market Programme-Database (Codes lmp_ind_exp; lfsa_urgan); Daten für die Schweiz aus OECD (2013e, S. 263); eigene Berechnungen

Insgesamt zeigt sich bei der Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, dass die Spannweite zwischen den Ländern groß ist und eine deutliche Varianz

3

Die gesamte Arbeitsmarktpolitik, also inklusive der passiven Seite, ist hier mit unter 0,08% des BIP je 1% Arbeitslosigkeit unterentwickelt (vgl. Tabelle B.1 in Anhang B).

4.1 Arbeitsmarktpolitik

97

zwischen den Ländern besteht (Variationskoeffizient= 0,79; vgl. Tabelle B.2 in Anhang B).4 4.1.2 Beschäftigungsschutzmaßnahmen In Kapitel 3 wird argumentiert, dass ein hoher Beschäftigungsschutz zu einer erhöhten Arbeitsplatzsicherheit beiträgt und Beschäftigte seltener ausgetauscht werden. Damit lohnt es sich für Arbeitgeber eher, ihre Arbeitskräfte zu qualifizieren, was für die Weiterbildungsbeteiligung förderlich ist. Das Ausmaß des Beschäftigungsschutzes lässt sich in verschiedenen Bereichen von Arbeitsverhältnissen beobachten: Neben dem Schutz der Beschäftigten vor individuellen Entlassungen aus regulären Arbeitsverhältnissen existieren in allen Ländern zusätzliche Regelungen für die Entlassung von mehreren Mitarbeiter/innen. Der Schutz vor Kollektiventlassungen ist generell höher und wird länderübergreifend als wichtiger erachtet als bei Einzelentlassungen, so dass die Länderunterschiede in diesem Bereich nicht so ausgeprägt sind (OECD, 2013d, S. 66, 86) und der Schutz der Beschäftigten vor Massenentlassungen daher in dieser Arbeit nicht vorrangig berücksichtigt wird. Zudem gibt es gesonderte Regelungen bezogen auf befristete Arbeitsverhältnisse, die insgesamt zwischen den Ländern sehr unterschiedlich ausfallen (ebd., S. 67). Diese sind zum einen vom Ausmaß des Beschäftigungsschutzes bei regulären Arbeitsverträgen abhängig. Zum anderen betreffen diese Regelungen nur einen Teil der Beschäftigten und hier vor allem Jüngere.5 Daher ist Beschäftigungsschutz im Bereich befristeter Arbeitsverhältnisse für die Fragestellung der Arbeit weniger relevant und der Fokus liegt hier also auf dem Beschäftigungsschutz für individuelle reguläre Arbeitsverhältnisse (für einen Überblick über Beschäftigungsschutz

4

Der Variationskoeffizient ist ein Maß der relativen Streuung einer Verteilung und wird berechnet als Standardabweichung dividiert durch das arithmetische Mittel. Das bedeutet, dass die Standardabweichung der Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik 79% des Ausgabendurchschnitts ausmacht.

5

Der Anteil von Beschäftigten mit befristetem Vertrag an allen Beschäftigten in den EU27-Ländern 2010 liegt für 55- bis 64-Jährige bei 6,9%, für 20- bis 64-Jährige bei 12,9% (vgl. Eurostat Datenbank, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eurostat/de/data/database, Code lfsa_etpgan, letzter Zugriff 08.08.2019).

98

4 Institutionelle Faktoren in Europa

bei Kollektiventlassungen und befristeten Verträgen vgl. Tabelle B.3 in Anhang B).6 Die Spannbreite der Beschäftigungsschutzbestimmungen und wie diese in Europa ausgestaltet sind, lässt sich gut anhand des OECD-Index für individuelle reguläre Beschäftigungsverhältnisse abbilden. Darin werden verschiedene Aspekte der Arbeitsplatzsicherheit und Regelungen berücksichtigt, die definieren, unter welchen Bedingungen Betriebe die Möglichkeit haben, Arbeitnehmer/innen einzustellen und aus Arbeitsverhältnissen zu entlassen. Dazu gehören Bestimmungen hinsichtlich Kündigungsfristen, Zahlung von Abfindungen, Verfahrensanforderungen, Definition rechtmäßiger Entlassungsgründe, rechtlicher Folgen unrechtmäßiger Entlassungen sowie Probezeiten.7 Über ein vorhandenes Mindestmaß an Beschäftigungsschutz in Europa hinaus weisen die europäischen Länder unterschiedliche Ausprägungen beim Beschäftigungsschutz auf. Dies wird anhand des OECD-Index beschrieben, mit dem Beschäftigungssicherheit in einem Land indirekt abgebildet werden kann. So zeigt sich, dass Portugal mit 3,9 bei weitem den höchsten Indexwert der hier betrachteten Länder hat und damit einen sehr strengen Beschäftigungsschutz aufweist (Abbildung 4.2). Dahinter erreicht Tschechien – erst mit gewissem Abstand zu Portugal – einen Wert von 3,0 und damit den zweithöchsten Beschäftigungsschutz. Am unteren Ende befindet sich die Schweiz, die mit 1,5 den geringsten Schutz für Beschäftigte hat. Dazwischen verteilen sich die Werte linear und es gibt eine gewisse Konzentration im mittleren Bereich, in dem sich viele Länder befinden. Insgesamt liegt die Varianz der im OECD-Index betrachteten Länder beim Beschäftigungsschutz im mittleren Bereich (Variationskoeffizient= 0,21; vgl. Tabelle B.2 in Anhang B). 6

In Europa zeigt sich eine Tendenz zu weniger Beschäftigungsschutz seit 2008, insbesondere bei individuellen regulären Verträgen und in jenen Ländern, die zuvor noch strikte Bestimmungen aufwiesen. In den 1990er Jahren wurden die strengen Vorschriften bei regulären Arbeitsverhältnissen aufrecht erhalten, während es eine Deregulierung bei befristeten Arbeitsverhältnissen gab, was die Dualität am Arbeitsmarkt zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ verstärkte (OECD, 2013d, S. 67; Schmid, 2018, S. 55–57).

7

Der OECD-Index steigt auf einer Skala von 0 bis 6 mit zunehmendem Grad an Beschäftigungsschutz an und berücksichtigt vor allem nationale Rechtsvorschriften, aber ebenso Beschäftigungsschutz durch Tarifverhandlungen und Gerichtsentscheidungen (OECD, 2013d, S. 75).

4.1 Arbeitsmarktpolitik

99

Abbildung 4.2: Beschäftigungsschutzindex vor individuellen Entlassungen (unbefristete Beschäftigung) 2010 nach Land

Anmerkung: a Bezugsjahr 2012; b Bezugsjahr 2014; c Keine OECD-Daten für Bulgarien, Rumänien, Zypern (Berechnung anhand eines Umrechnungsfaktors aus Daten des ILO-EPLex, siehe Fußnote 9, S. 100); geordnet absteigend nach Indexwert. Quelle: OECD Employment Protection Database: OECD-Index Beschäftigungsschutz (Code eprv_v3); ILO Employment Protection Legislation (EPLEX) indicators; eigene Berechnungen

Für drei Länder (Bulgarien, Rumänien und Zypern), für die keine Informationen zum OECD-Index vorliegen, wird der „ILO Employment Protection Legislation indicator (ILO-EPLex)“ herangezogen. Dieser Index umfasst ähnliche Aspekte des Beschäftigungsschutzes bei regulären Arbeitsverhältnissen wie der zuvor berichtete OECD-Index für individuelle reguläre Arbeitsverhältnisse (International Labour Organization, 2015).8 Da die einzelnen Werte jedoch nicht direkt vergleichbar sind, werden die

8

Zusätzlich werden im ILO-EPLex im Gegensatz zum OECD-Index unzulässige Entlassungsgründe berücksichtigt, dagegen findet Rechtssprechung keinen Eingang in den ILO-EPLex (International Labour Organization, 2015). Der Zusammenhang zwischen den beiden Indizes ist mit einer Korrelation von 0,81 sehr hoch (ebd., S. 61–62).

100

4 Institutionelle Faktoren in Europa

umgerechneten Werte der drei Länder auf die Skala des OECD-Index übertragen.9 4.1.3 Ruhestandsregelungen Institutionelle Faktoren im Bereich des Rentenzugangs, die den Zeitpunkt des Austritts aus dem Erwerbsleben regeln, wirken sich darauf aus, ob jemand überhaupt an Weiterbildung zu beruflichen Zwecken teilnimmt oder nicht (vgl. Kapitel 3.3.2). Bis in die 1990er Jahre wurde Frühverrentung als passive beschäftigungspolitische Maßnahme in den meisten europäischen Ländern angewandt, um die Arbeitslosigkeit zu senken und den Arbeitsmarkt zu entlasten (Buchholz u. a., 2011). Durch demografische Veränderungen, die sich in einer steigenden Zahl von Empfänger/innen von Renten und einer sinkenden Zahl an Rentenbeitragszahlenden und jüngeren Arbeitskräften äußern, sind Betriebe und Regierungen heute zunehmend darauf angewiesen, ältere Arbeitskräfte länger im Erwerbsleben zu halten (ebd.). Daher wurden in den letzten Jahren in vielen Ländern Europas Maßnahmen zum vorzeitigen Erwerbsausstieg zurückgefahren (Moraal und Schönfeld, 2007).10 Stattdessen verfolgen die meisten Länder heute die Strategie, eine Frühverrentung zu erschweren und ältere Arbeitskräfte zu unterstützen, damit sie länger im Erwerbsleben bleiben (Hofäcker, Buchholz und Pollnerová, 2008). Ein entscheidender Faktor für die Gestaltung des Übergangs in den Ruhestand ist das gesetzlich festgelegte Rentenalter. Damit werden Anreize gesetzt, erst zum gesetzlichen Rentenalter in den Ruhestand zu gehen, um volle Rentenbezüge zu erhalten (Schils, 2005, S. 85). In den meisten der hier betrachteten Ländern ist es auf 65 Jahre festgelegt, die Bandbreite reicht 9

Dies geschieht, indem auf Basis von 20 Ländern aus dem Untersuchungssample, für die Werte beider Indizes vorliegen, ein Umrechnungsfaktor gebildet wird. Dieser Faktor wird als Quotient aus dem Durchschnitt des OECD-Index und dem Durchschnitt des ILO-Index der 20 Länder berechnet und mit den Werten für Bulgarien, Rumänien und Zypern aus der ILO-Skala (vgl. Tabelle B.3 in Anhang B) multipliziert.

10

Die geänderte Sozialpolitik zeigte sich unter anderem in der Lissabon-Strategie 2010, die die Notwendigkeit der Kombination von Flexibilität und Stabilität betont und forderte, dass Erwerbstätige bis zum Ruhestandsalter beschäftigungsfähig bleiben sollten (Moraal, Schönfeld und Schöpe, 2007). Um diese Ziele zu erreichen, strebt die EU eine Erwerbstätigenquote von mehr als 50% der 55- bis 64-Jährigen Bevölkerung an (Ebbinghaus und Hofäcker, 2013, S. 845).

4.1 Arbeitsmarktpolitik

101

aber von 59 bis 67 Jahren (Tabelle B.4 in Anhang B): Am niedrigsten ist die Altersgrenze mit 59 bei Frauen in Rumänien sowie in Frankreich, wo man mit 60 Jahren – unter bestimmten Voraussetzungen – eine staatliche Vollrente bekommt. Am höchsten liegt die Regelaltersgrenze mit 67 Jahren in Norwegen. Neben dem gesetzlichen Renteneintrittsalter existieren Sonderregelungen zum Vorruhestand und Möglichkeiten von Frühverrentung (für einen Überblick über Sonder- und Frühverrentungsregelungen in den Ländern vgl. Tabelle B.4 in Anhang B). In manchen Ländern ist Frühverrentung als vorgezogene staatliche Altersrente gar nicht möglich, andere Länder wiederum gewähren eine Frühverrentung zu unterschiedlichen Bedingungen hinsichtlich der Altersgrenze, notwendiger Beitragsjahre und finanzieller Einbußen.11 Der Zusammenhang zwischen Anreizen von (Früh-)Verrentungssystemen und dem Ausscheiden von Älteren aus dem Erwerbsleben ist vielfach belegt (Hofäcker, Buchholz und Pollnerová, 2008). Neben den Anspruchsberechtigungen auf bestimmte Rentenmodelle spielt die Höhe der Rentenzahlungen eine Rolle dafür, ob die vorhandenen Gelegenheitsstrukturen tatsächlich genutzt werden oder ob die Anreize zum Verbleib im Erwerbsleben bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter größer sind (Schils, 2005, S. 100). Auch kulturelle Faktoren können bei der Entscheidung, ob die vorhandenen Angebote und Ansprüche genutzt werden, eine Rolle spielen. Um abzubilden, wie sich die institutionellen Bedingungen bezüglich der Rente auch im realen Verhalten zeigen, wird das durchschnittliche tatsächliche Alter, ab dem erstmals eine gesetzliche Altersrente bezogen wird, als Indikator herangezogen.12 Damit lässt sich die Varianz im Bereich der Ruhestandsregelungen gut abbilden. Das durchschnittliche Rentenbezugsalter in Europa variiert zwischen 56,6 und 64,9 Jahren und hat damit eine Spannweite von über acht Jahren 11

Weitere Rentenzugangswege sind Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrenten sowie Arbeitslosigkeitsrenten, die in vielen Ländern eine frühe Rente für Arbeitslose oder Erwerbsunfähige ermöglichen. Zudem gibt es spezielle Rentenprogramme, die in schrumpfenden Industriezweigen Anwendung finden (Hofäcker, Buchholz und Pollnerová, 2008).

12

Diese Information liegt nur für 2012 vor, da der Indikator im Rahmen des Ad-hoc-Moduls „Transition from work into retirement“ der Europäischen Arbeitskräfteerhebung für dieses Jahr berichtet wird.

102

4 Institutionelle Faktoren in Europa

(Abbildung 4.3). Norwegen bildet dabei das obere Ende ab und ist mit relativ deutlichem Abstand das Land, in dem eine Altersrente erst sehr spät bezogen wird. Am unteren Ende befindet sich Slowenien, wo die Rente im Durchschnitt bereits mit 56,6 Jahren bezogen wird. Auffallend ist, dass sich die meisten der betrachteten Länder auf die Altersspanne zwischen 58 und 61 Jahren für den erstmaligen Bezug der Altersrente konzentrieren.13 Abbildung 4.3: Durchschnittliches Alter des erstmaligen Bezugs einer Altersrente 2012 nach Land (in Altersjahren)

Anmerkung: Basiert auf Befragung im Ad-hoc-Modul des LFS „Transition from work to retirement“ von Personen in Privathaushalten zwischen 50 und 69 Jahren, die zum Erhebungszeitpunkt entweder arbeiten oder nicht arbeiten, aber ab dem 50. Lebensjahr gearbeitet haben; geordnet absteigend nach Durchschnittsalter. Quelle: Eurostat, LFS ad hoc module 2012 (Code lfso_12agepens)

Die Varianz zwischen den Ländern ist hier deutlich geringer als bei den anderen beiden institutionellen Faktoren für Arbeitsmarktpolitik (Variationskoeffizient= 0,04; vgl. Tabelle B.2 in Anhang B). Insgesamt findet der Rentenbezug in den südeuropäischen Ländern – ausgenommen Spanien

13

Der Interquartilsabstand beträgt 3,1 Jahre und liegt zwischen 58,3 und 61,4 Jahren, das heißt dass sich in diesem Bereich die mittleren 50% der Daten verteilen.

4.1 Arbeitsmarktpolitik

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und Zypern – und besonders in den osteuropäischen Ländern vergleichsweise früh im Erwerbsleben statt.14 4.1.4 Zusammenfassung: Indikatoren für Arbeitsmarktpolitik Die Arbeitsmarktpolitik eines Landes kann also anhand der Faktoren Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, Beschäftigungsschutzmaßnahmen und Ruhestandsregelungen beschrieben werden, die alle theoretisch relevant sind, um die Frage nach den relativen Nachteilen Älterer in der Weiterbildung zu beantworten. Für die spätere Analyse wird nun untersucht, welche Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren bestehen und welche Faktoren das Faktorenbündel „Arbeitsmarktpolitik“ am besten repräsentieren und in der Institutionenanalyse als Indikator genutzt werden. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen den Einzelfaktoren, findet sich zwischen der Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und dem Ausmaß des Beschäftigungsschutzes kein signifikanter Zusammenhang (Korrelationskoeffizient r= 0,03).15 Damit gibt es Länder, die bei einer hohen Beschäftigungssicherheit gleichzeitig hohe Ausgaben für aktive Arbeitspolitik aufweisen, andere wiederum wenig in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen investieren. Ebenso gibt es keine signifikante Korrelation zwischen Ruhestandsregelungen und Beschäftigungsschutzmaßnahmen (r= –0,04). Dagegen ist der Zusammenhang zwischen der Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und den Ruhestandsregelungen groß. Wie sich bei der Betrachtung von institutionellen Konfigurationen in Abschnitt 4.7 zeigen wird, treten in den untersuchten Ländern bestimmte Ausprägungen an Ruhestandregelungen fast immer mit einer bestimmten Art von Arbeitsmarktpolitik auf. Der Korrelationskoeffizient beträgt 0,60 und zeigt damit einen starken positiven Zusammenhang, der auf dem 1%-Niveau signifikant ist. Das Streudiagramm (Abbildung 4.4) zeigt, dass viele Länder – darunter einige süd- und osteuropäische Länder – geringe Ausgaben für 14

Werden Geschlechterunterschiede beim Rentenbezug berücksichtigt zeigt sich, dass Frauen in allen osteuropäischen Staaten deutlich früher eine Rente beziehen als Männer. In der Slowakei, Slowenien und Tschechien ist dieser Unterschied mit über 3 Jahren besonders groß (vgl. Tabelle B.5 in Anhang B).

15

Der Korrelationskoeffizient r variiert zwischen –1 und 1 und zeigt an, ob zwei Merkmale negativ bzw. positiv statistisch miteinander zusammenhängen.

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4 Institutionelle Faktoren in Europa

aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und gleichzeitig ein niedriges Bezugsalter für eine Altersrente aufweisen. Diese enge Beziehung ist insofern plausibel, da bestimmte Ruhestandsregelungen typischerweise mit einer bestimmten Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik einhergehen. Wenn es dagegen wenig Frühverrentungsregelungen, also geringe Anreize hinsichtlich eines frühzeitigen Erwerbsausstiegs gibt, werden diese häufig durch Arbeitsmarktregulierungen ergänzt, die den Verbleib Älterer im Arbeitsmarkt sowie die Wiedereingliederung Älterer in den Arbeitsmarkt fördern (z. B. in Form hoher Investitionen in Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik (Hofäcker, Buchholz und Pollnerová, 2008)).

Ausgaben aktive Arbeitsmarktpolitik je Arbeitsloser (in % des BIP 0 .05 .1 .15 .2 .25

Abbildung 4.4: Zusammenhang zwischen Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und Ruhestandsregelungen nach Land DK

NL

NO

AT

CH

DE

FR

FI

LU

SE

BE SI PL

PT

HU IT

RU

56

SK GR BU

CZ

CYES

MT LV LT EE

58 60 62 64 Durchschnittsalter erster Bezug Altersrente 2012

66

Anmerkung: Berechnung auf Basis der Ausgaben für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (in % des BIP) 2010 und des durchschnittlichen Alters des erstmaligen Bezugs einer Altersrente 2012; Korrelationskoeffizient r= 0,60 (Signifikanzniveau: p