Die autokratische Herrschaft im Moskauer Reich in der ‚Zeit der Wirren‘ 1598–1613 [1 ed.] 9783737010474, 9783847110477

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Die autokratische Herrschaft im Moskauer Reich in der ‚Zeit der Wirren‘ 1598–1613 [1 ed.]
 9783737010474, 9783847110477

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Studien zu Macht und Herrschaft Schriftenreihe des SFB 1167 „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“

Band 2

Herausgegeben von Matthias Becher, Jan Bemmann und Konrad Vössing

Dittmar Dahlmann / Diana Ordubadi (Hg.)

Die autokratische Herrschaft im Moskauer Reich in der ‚Zeit der Wirren‘ 1598–1613

Mit 4 Abbildungen

V&R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V&R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 2019, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: „Golod pri care Borise Godunove v 1601 godu“ (dt.: „Die Hungersnot 1601 in der Herrschaftszeit Boris Godunovs“), in: Rossijskaja Gosudarstvennaja biblioteka (Russische Staatsbibliothek in Moskau), otdel IZO. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2626-4072 ISBN 978-3-7370-1047-4

Inhalt

Vorwort zur Schriftenreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die ‚Zeit der Wirren‘ aus ausländischer und klimatologischer Perspektive Dittmar Dahlmann „Waß nun weitter darauß wirt werden eröfnet die Zeit“. Deutschsprachige Zeitzeugenberichte in der ‚Zeit der Wirren‘ (1598–1613) . . . . . . . . . .

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Vladimir Klimenko Sommerlicher Frost, ungeheure Hungersnöte und eine warme Arktis. Extreme klimatische Verhältnisse in Moskowien an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Facetten der Autokratie in der russischen und chinesischen Geschichte Aleksandr I. Filyushkin Das Bild der Autokratie des Moskauer Reiches in der Geschichtspolitik Russlands. Von der Selbstrepräsentation des 16. Jahrhunderts zur ‚Mobilmachung des Mittelalters‘ im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . .

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Christian Schwermann Wie man „die Kontrolle in der Welt ganz für sich allein hat, ohne von jemand anderem kontrolliert zu werden“. Ein antikes chinesisches Plädoyer für die Errichtung einer Autokratie . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhalt

Der erste russische Zar und Selbstherrscher in der eigenen und ausländischen Wahrnehmung David Khunchukashvili Die Masken der Macht Ivans IV. Die verkehrte Welt der Opricˇnina und der darauf folgenden Zeit im Spiegel der Vorstellung vom christlichen Zarentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Cornelia Soldat “Dem frommen deudschen Leser zur warnung und besserung in druck verfast” or How to Restrict the Power of the Emperor. The ‘Grumbach affair’ and German Oprichnina Pamphlets in the second half of the 16th century . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Die Legitimationsfrage der Moskauer Herrscher während der ‚Zeit der Wirren‘ Diana Ordubadi Die Berufung zur Herrschaft 1598 und die Legitimation des Zaren Boris Godunov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Isaiah Gruber The ‘Messianic’ Idea of Herrschaft in the Time of Troubles

. . . . . . . . 199

Adrian Selin Die Kandidatur des schwedischen Prinzen Karl Filip auf den russischen Thron und Groß-Novgorod. Die Entwicklung einer Intrige 1611–1615 . . 225 Maureen Perrie The pretenders of the Time of Troubles and the criteria of political legitimacy. Hereditary versus elected tsars? . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Liste der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

Vorwort zur Schriftenreihe

Im Bonner Sonderforschungsbereich 1167 „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“ werden die beiden namengebenden Vergesellschaftungsphänomene vergleichend untersucht. Sie prägen das menschliche Zusammenleben in allen Epochen und Räumen und stellen damit einen grundlegenden Forschungsgegenstand der Kulturwissenschaften dar. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des disziplinär breit angelegten Forschungsverbundes‚ die Kompetenzen der beteiligten Fächer in einer interdisziplinären Zusammenarbeit zu bündeln und einen transkulturellen Ansatz zum Verständnis von Macht und Herrschaft zu erarbeiten. Hierbei kann der SFB 1167 auf Fallbeispiele aus unterschiedlichsten Regionen zurückgreifen, die es erlauben, den Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu schärfen. Die Reihe „Studien zu Macht und Herrschaft“ bündelt Ergebnisse aus teilprojektbezogenen Workshops und dient der Publikation von Monographien, die vor allem im Zuge der Projektarbeit entstanden sind. Dies wäre ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und das kontinuierliche Engagement der Universität Bonn zur Bereitstellung der notwendigen Forschungsinfrastruktur nicht möglich, wofür an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Matthias Becher – Jan Bemmann – Konrad Vössing

Einleitung

Der vorliegende Sammelband präsentiert die Ergebnisse des internationalen Workshops in Bonn im September 2017 zum Thema „Die Entwicklung der Autokratie im Moskauer / Russischen Reich“. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Aktivitäten des Bonner Sonderforschungsbereichs SFB 1167 „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“ statt. Dementsprechend ist auch die Publikation so ausgerichtet worden, dass die unterschiedlichen Facetten der russischen Autokratie in der Phase ihrer Etablierung in Russland im Vorfeld und während der sog. ‚Zeit der Wirren‘ 1598– 1613 im interkulturellen Kontext beleuchtet werden. Der Ausbau der politischen Macht der Zaren als uneingeschränkte Selbstherrscher entwickelte sich damals im Kontext einer tiefgreifenden dynastisch-politischen und sozialen Krise im Lande. Der Band knüpft somit an ein Konzept der Macht an, das am Moskauer Beispiel als Baustein der Staatlichkeit in der Vormoderne gedeutet werden kann. Als ‚Zeit der Wirren‘ oder auf Russisch Smuta bzw. Smutnoe vremja wird die Zeitspanne zwischen dem Tod des letzten Zaren aus der Rjurikiden-Familie Fedor Ioannovicˇ, 1598, und der Berufung auf den Thron von Michail Fedorovicˇ, dem Gründer der Romanov-Dynastie, 1613, bezeichnet. In der kurzen Periode von fünfzehn Jahren erlebte Russland den Wechsel von vier bzw. fünf Herrschern, wenn man den ersten Romanov dazu zählt: Boris Godunov, sein Sohn Fedor Godunov, Lzˇedmitrij (falscher Dmitrij oder Pseudodemetrius) und Vasilij Sˇujskij. Schon im Interesse ihrer jeweiligen politischen Unantastbarkeit und rein körperlichen Unversehrtheit war jeder dieser Zaren im außerordentlichem Maße darum bemüht, nicht nur seine persönliche Position im staatlichen Gefüge mit Hilfe unterschiedlicher Strategien zu befestigen, sondern auch die Bedeutung des russischen Zarentums möglichst allumfassend zu gestalten und zur Stärkung seines alleinigen Herrschaftsanspruches beizutragen. Der Band nähert sich dieser Umbruchepoche der russischen Geschichte im ersten Kapitel aus einer ausländischen Perspektive und bietet die Einblicke auf den Staat Moskowien aus der Sicht deutschsprachiger Zeitzeugenberichte. Anschließend wird eine klimatologische Analyse dieser Zeit präsentiert, um das Phänomen

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Einleitung

der ‚Zeit der Wirren‘ nicht nur rein historisch, sondern auch interdisziplinär unter Berücksichtigung geosphärischer Faktoren und ihrer Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse zu erfassen. Im zweiten Kapitel wird das Bild der Moskauer Autokratie von der Selbstdarstellung des 16. Jahrhunderts bis zur ‚Instrumentalisierung‘ des Mittelalters im modernen Russland als transkulturelles Pendant der Errichtung der Autokratie in China entgegengesetzt. Nach dieser breit gefassten Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der untersuchten Epoche und der Autokratie-Deutungen fokussiert sich der Band im dritten Kapitel auf die Figur des ersten russischen Zaren Ivan IV., denn das Selbstverständnis der russischen Zaren als Selbstherrscher von Gottes Gnaden geht unter anderem auf seine theosophischen Überlegungen über das Wesen der Staatsmacht zurück. Entgegengesetzt wird dieser Selbstwahrnehmung Ivans des Schrecklichen seine Darstellung in deutschsprachigen Flugschriften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das letzte Kapitel geht schließlich auf die einzelnen russischen Selbstherrscher und die Frage ihrer politischen Legitimation ein. Die wechselnden Zaren in der ‚Zeit der Wirren‘ bedienten sich unterschiedlicher Legitimationsstrategien, die sich allerdings vornehmlich zwischen den Prinzipien der altrussischen Traditionsordnung der Starina und der Ausrufung bzw. Auswahl zur Herrschaft bewegten. Veranschaulicht wird dies anhand einer gezielten Auseinandersetzung mit der Thronbesteigung Boris Godunovs zu Beginn der Smuta und mit der gescheiterten Kandidatur des schwedischen Prinzen Karl Filip beim Ausklang der ‚Zeit der Wirren‘. Vertieft und umrahmt werden diese Darstellungen durch die Beiträge über die russischen theosophischen Ideengrundlagen über das Wesen der ‚Herrschaft‘ dieser Zeit sowie über die Strategien zur Begründung einer uneingeschränkten ‚Macht‘ eines Selbstherrschers. Für die Zusammenarbeit an diesem Band möchten wir allen Autorinnen und Autoren aus den Fachbereichen der Geschichtswissenschaft, Slavistik, Klimatologie und Sinologie in Deutschland, Russland, Großbritannien und Israel ganz herzlich danken. Unser besonderer Dank gilt darüber hinaus dem SFB 1167 an der Universität Bonn allgemein sowie seinem Sprecher Matthias Becher zusammen mit den weiteren Herausgebenden der vorliegenden Publikationsreihe Jan Bemmann und Konrad Vössing, die solche interdisziplinären Kooperationsprojekte wie dieses möglich machen. Zu danken haben wir auch Viktoriya Shavlokhova, der studentischen Mitarbeiterin des Teilprojektes, für all ihre Unterstützung vor und während des Workshops und der Arbeit an diesem Band. Darüber hinaus danken wir ganz herzlich Alice Lichtva, die uns während des Workshops als wissenschaftliche Hilfskraft unterstützend zur Seite stand und anschließend die Übersetzung der russischsprachigen Beiträge für diesen Band übernahm. Diana Ordubadi und Dittmar Dahlmann im Juni 2019

Die ‚Zeit der Wirren‘ aus ausländischer und klimatologischer Perspektive

Dittmar Dahlmann

„Waß nun weitter darauß wirt werden eröfnet die Zeit“.1 Deutschsprachige Zeitzeugenberichte in der ‚Zeit der Wirren‘ (1598–1613)

Abstract With the end of Mongol rule in the course of the 15th century, more and more Western and Central Europeans came to the Moscow Empire, at the time also known as Muscovy. Among them were diplomats, mercenaries and merchants, but also doctors, pharmacists, pastors and many others. Their numbers increased with the growing demand for specialists that did not exist in Muscovy. Some of them recorded their experiences, some even published their texts. One of the most famous travel reports about the country is the work of the imperial diplomat Sigismund von Herberstein, which appeared in the mid-16th century in Latin and German. Also in the ‘Time of Troubles’ from 1598 to 1613, a time of the throne vacancy between Fedor, the last Tsar from the house of the Rjurikids who died in 1598, and Mikhail, the first Tsar from the house of Romanov, elected in 1613, many foreigners held up despite or even because of the partly civil war-like conditions in the country. To them we owe the ‘foreign glances’ to the events in the country, but in the course of these 15 years, four Tsars ascended the throne, 1 Hans Georg Peyerle, Journey to Moscow. Beschreibung der moßcouitterischen Rayß, Welche ich Hanns Georg Peyerle von Augspurg mit herrn Andreasen Nathan und Matheo Bernhardt Manlichen dem Jüngern, Ady 19 Marty Ao 1606 von Crachaw aus, angefangen, und was wir wahrhafftiges gehört, gesehen, und erfahren, alles aufs Khürzest beschriben, bis zue unserer Gott lob wider dahin ankunft den 15 Decembris Anno 1608, edited, translated and annotated by G. Edward Orchard, Münster 1997, 162. In der Wiedergabe des Titels des Berichtes von Hans Georg Peyerle finden sich, unabhängig davon, welches der beiden überlieferten Manuskripte zugrunde gelegt wird, einige Lesefehler. Sie sind nicht gravierend, zeugen aber meines Erachtens davon, dass der Herausgeber und Übersetzer, der britisch-kanadische Historiker George Edward Orchard, recht oberflächlich gearbeitet hat. Ich danke den Mitarbeitern/innen des Stadtarchivs Lübeck, des Stadtarchivs Sehnde, des Stadtarchivs Augsburg, des Stadtarchivs Lüneburg, des Stadtarchivs Hannover, des Niedersächsischen Landesarchivs (NLA) in den Standorten Hannover und Wolfenbüttel und des Haus-, Hof- und Staatsarchivs (HHSTA) in Wien für ihre freundliche Beantwortung meiner Anfragen und Unterstützung meiner Forschungen. Besonderer Dank gilt den Mitarbeitern/innen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) und deren Direktor, Prof. Dr. Peter Burschel, Dr. Sarah Hadry vom Hauptstaatsarchiv München und Kerstin Schellbach von der Sächsischen Landesbibliothek – Staatsund Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) für ihre freundliche und unkomplizierte Förderung meiner Studien, die weit über das normale Maß hinausging. Viktoriya Shavlokhova, stud. Hilfskraft im SFB 1167 Bonn, danke ich für all ihre Hilfe bei meinen Recherchen, ebenso Alexander Saß und Ines Skibinski.

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Dittmar Dahlmann

including the ‘False Dmitry’ or Pseudodemetrius (1605/06), a pretender (Russian: samozvanec), who pretended to have escaped an assassination attempt and to be the last surviving son of Ivan IV. This article is about five foreigners who left records of the ‘Time of Troubles’. These were the two ‘Germans’ Conrad Bussow and Hans Georg Peyerle, the Frenchman Jacques Margeret, the Swede Peter Petrejus de Erlesunda and the Dutchman Isaac Massa. Only the reports of the mercenary Margeret and the diplomat Peter Petrejus were published contemporarily. The three other texts were handed down only as handwritten manuscripts and were published only from the 1770s until the 1990s. This article focuses on the two German-speaking authors, Bussow, who was born in the region of Lüneburg, and the jeweler Peyerle, born in Augsburg. Due to the insufficient research situation, it was first necessary to find out their most important life data and the lore of the existing manuscripts, six in the case of Bussow and two in the case of Peyerle. It turned out that a manuscript of Bussow allegedly burned during the Second World War in Dresden still exists in the Dresden State and University Library. His life data (1552 / 53– 1617) and his exact origin mentioned so far in the research could not be verified on the basis of the sources. With some certainty, however, it was possible to prove that the version of his text in the Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel is the one he sent to Duke Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel in 1613 on his return from Muscovy. This version is to be regarded as a text authorized by the author, which, however, was not taken note of by previous researchers. About the life of the Augsburg jeweler Peyerle and his manuscript, present in two only slightly different versions in the Wolfenbüttel Herzog August Library, previously circulated only speculations that consistently proved to be wrong. Peyerle was born in Augsburg around 1584, entered the Kaufleutestube in 1604, and died in his hometown in 1649, having survived the dangers and hardships of the Thirty Years’ War. Both texts are full of revealing observations about the conditions in the Moscow Empire, especially about “Macht und Herrschaft” in the country.

1.

Einleitung

Am Ende des 14. Jahrhunderts begann das Moskauer Großfürstentum, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts bestehende Oberhoheit des Mongolenreiches (Goldene Horde) abzuschütteln, was Großfürst Ivan III. (1440–1505, reg. 1462– 1505) rund hundert Jahre später auch erreichte. Damit setzte auch eine allmähliche Wiederannäherung an die mittel- und westeuropäischen Staaten ein. Es kam zu ersten diplomatischen Kontakten mit dem Kaiser in Wien und anderen europäischen Mächten.2 Im Laufe der folgenden Jahrzehnte nahm die Zahl der

2 Reinhard Frötschner, Freiherr Sigismund von Herberstein und die „Entdeckung“ Russlands in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Russen und Deutsche. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur, Ausstellung im Staatlichen Historischen Museum Moskau 2012 und im Neuen Museum Berlin 2012/13, ed. von Alexander Lewykin/Matthias Wemhoff, Petersberg 2012, 98–107; vgl. auch Bertold Picard, Das Gesandtschaftswesen Ostmitteleuropas in der

Deutschsprachige Zeitzeugenberichte in der ‚Zeit der Wirren‘

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Reisenden in beide Richtungen, von West nach Ost und von Ost nach West, stetig zu, wobei die derjenigen, die gen Osten, geographisch gesprochen gen Norden, reisten, signifikant höher war. Es reisten nicht nur Diplomaten, sondern auch Kaufleute, Söldner und viele andere. Für die Zeit zwischen etwa 900 und 1700 verzeichnete der in russischen Diensten stehende deutschstämmige Jurist, Historiker und Sprachwissenschaftler Friedrich von Adelung (1768–1843) in seiner ‚Kritisch-literärischen Übersicht der Reisenden in Russland bis 1700, deren Berichte bekannt sind‘, 1846 aus dem Nachlass zweibändig erschienen, immerhin 266 Reisende.3 Einige von ihnen, wie der kaiserliche Diplomat Sigismund (auch Siegmund) von Herberstein (1486–1566), der 1517 und 1526 das Land bereiste,4 oder der Gelehrte Adam Olearius (auch Oehlschlegel oder Ölschläger 1599– 1671), der mehr als hundert Jahre später, in den 1630er und 1640er Jahren, sogar dreimal nach Moskowien reiste, haben berühmte Berichte veröffentlicht, die bis heute immer wieder auf ’s Neue gedruckt werden.5

Frühen Neuzeit. Beiträge zur Geschichte der Diplomatie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach den Aufzeichnungen des Freiherrn von Herberstein, Graz u. a. 1967. 3 Friedrich von Adelung, Kritisch-literärische Übersicht der Reisenden in Russland bis 1700, deren Berichte bekannt sind, 2 Bde., St. Petersburg 1846, Neudruck Amsterdam 1960; vgl. auch Marshall Poe, Foreign Descriptions of Muscovy. An Analytical Bibliography of Primary and Secondary Sources, Columbus, Ohio 1995; Charles J. Halperin, Sixteenth-Century Foreign Travel Accounts to Muscovy: A Methodological Excursus, in: The Sixteenth Century Journal 6, 2 (1975), 89–111. Allgemein zur Gattung „Reisebericht“ Peter J. Brenner (ed.), Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt/M. 1988; Justin Stagl, Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens 1550–1800, Wien u. a. 2002. 4 Sigismund von Herberstein, Rerum Moscoviticarum Commentarii. Synoptische Edition der lateinischen und der deutschen Fassung letzter Hand Basel 1556 und Wien 1557. Unter der Leitung von Frank Kämpfer erstellt von Eva Maurer und Frank Fülberth. Redigiert und herausgegeben von Hermann Beyer-Thoma, München 2007: https://www.dokumente.ios-regens burg.de/publikationen/herberstein_gesamt.pdf. Grundlegend zur Beschäftigung mit Herberstein: Frank Kämpfer/Reinhard Frötschner (edd.), 450 Jahre Herbersteins Rerum Moscoviticarum Commentarii 1549–1999, Wiesbaden 2002 mit einer ausführlichen Bibliographie der Herberstein-Literatur und seiner Schriften. 5 Adam Olearius, Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen und Persischen Reyse So durch gelegenheit einer Holsteinischen Gesandschafft an den Russischen Zaar und König in Persien geschehen […], welche zum andern mahl heraus gibt Adam Olearius Ascanius, der Fürstlichen Regierenden Herrschafft zu Schleßwig Holstein Bibliothecarius und Hoffmathematicus, Schleswig 1656, unveränderter Neudruck ed. und mit einem Nachwort versehen von Dieter Lohmeier, Tübingen 1971; die Erstauflage erschien 1647 in Schleswig, nach 1656 erschienen 1661, 1663 und 1671 weitere Auflagen. Vgl. zu Olearius, Ulrich schneider, Das doppelte Antlitz Russlands. Adam Olearius und seine „Vermehrte Newe Beschreibung der Muscowitischen und Persischen Reyse“ von 1656, in: Russen und Deutsche 2012, 120–127; Kirsten Baumann/Constanze Köster/Uta Kuhl (edd.), Adam Olearius. Neugier als Methode. Tagungsband zur internationalen Tagung „Der Gottorfer Hofgelehrte Adam Olearius. Neugier als Methode?“, Schloss Gottorf, Schleswig, 24.–27. Juni 2015, Petersberg 2017.

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Dittmar Dahlmann

Auch in der ‚Zeit der Wirren‘ zwischen 1598 und 1613 hielten sich viele Ausländer im Lande auf.6 Dazu gehörten unter anderen zahlreiche Soldaten, Diplomaten und auch Kaufleute. Von besonderem Interesse sind fünf überlieferte Berichte, von denen zwei zeitgenössisch veröffentlicht, die drei anderen erst im 18. bzw. 19. Jahrhundert publiziert wurden. Keiner dieser Berichte kann als klassischer Reisebericht bezeichnet werden, denn die Reise selbst spielt bei allen Autoren kaum eine Rolle. Stattdessen scheint mir die gewählte Bezeichnung ‚Zeitzeugenbericht‘ erheblich treffsicherer, denn berichtet wird überwiegend über Gesehenes und Gehörtes während des Aufenthaltes in Moskowien.7 Dabei sind Lebenswelt und Lebensweise der einheimischen Bevölkerung, also Sitten, Gebräuche, Wirtschaft, Religion und auch die Natur, wie sie ansonsten in Reiseberichten der Zeit beschrieben wurden, kaum von Bedeutung. Von diesen fünf Autoren stammten zwei aus dem Deutschen Reich, einer aus den Niederlanden, einer aus Frankreich und einer aus Schweden. Zwei von ihnen waren Söldner,8 ein Deutscher und ein Franzose, zwei Kaufleute, ein Deutscher und ein Niederländer 6 Grundlegend zu dieser Periode der russischen Geschichte die beiden Arbeiten des amerikanischen Historikers Chester S.L. Dunning, Russia’s First Civil War. The Time of Troubles and the Founding of the Romanov Dynasty, University Park, Penn. 2001; Ders., A Short History of Russia’s First Civil War. The Time of Troubles and the Founding of the Romanov Dynasty, University Park, Penn. 2004. Vgl. auch Ruslan G. Skrynnikov, The Time of Troubles. Russia in Crisis 1604–1618, ed. and translated by Hugh F. Graham, Gulf Breeze, Fl. 1988, russ. Fassung: Smutnoe vremja. Krusˇenie carstva, Moskva 2007, Erstauflage u.d.T.: Krusˇenie carstva. Istoricˇeskoe povestvovanie, Moskva 1995; vgl. auch die ältere Darstellung von Hedwig Fleischhacker, Russland zwischen zwei Dynastien (1598–1613). Eine Untersuchung über die Krise in der obersten Gewalt, Baden bei Wien 1933. 7 Zum Begriff „Zeitzeugnis“ vgl. Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, 2. Aufl., Göttingen 2018, 11. Vgl. dazu Benigna von Krusenstjern, Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, In: Historische Anthropologie 2 (1994), 462–471; Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: Zeitenblicke 1, 2 (2002) (online unter www.zeitenblicke.de); Winfried Schulze (ed.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996; Claudia Ulbrich/Hans Medick/Angelika Schaser (edd.), Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, Köln u. a. 2012; die Diskussion über „Egodokumente“ fassen zusammen: Michael Mascuch/Rudolf Dekker/Arianne Baggerman, Egodocuments and History: A Short Account of the Longue Durée, in: The Historian 78 (2016), 11–56. Andreas Kappeler und Frank Kämpfer benutzten in ihren Artikeln den Begriff „Augenzeugenberichte“, der den Sachverhalt nur bedingt bezeichnet. Andreas Kappeler, Die deutschen Russlandschriften der Zeit Ivans des Schrecklichen, in: Friedhelm B. Kaiser/Bernhard Stasiewski (edd.), Reiseberichte von Deutschen über Russland und von Russen über Deutschland, Köln/ Wien 1980, 1–23, hier 4f.; erweiterte Fassung: Ders., Die deutschen Flugschriften über die Moskowiter und Iwan den Schrecklichen im Rahmen der Rußlandliteratur des 16. Jahrhunderts, in: Mechthild Keller u. a. (edd.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 9. – 17. Jahrhundert, 2. Aufl., München 1988, 150–182, hier 154f. Zu Frank Kämpfer vgl. unten, Anm. 95. 8 Zum Söldnerwesen im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts, Göttingen 1994.

Deutschsprachige Zeitzeugenberichte in der ‚Zeit der Wirren‘

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und ein schwedischer Diplomat. Interessanterweise waren alle fünf Protestanten, denn dem französischen Autor wird eine hugenottische Herkunft nachgesagt. Die umfassendste Darstellung lieferte der schwedische Diplomat und Historiker Petrus Petrejus de Erlesunda oder Peer Persson de Erlesunda (1570–1622), der mehrere Russlandaufenthalte nutzte, um seine Geschichte des Landes bis zur Zeit der Wirren zu verfassen. Sein Werk erschien zunächst 1615 in einer schwedischen, 1620 dann in einer erweiterten deutschen Fassung ‚Historien und Bericht von dem Großfürstenthumb Muschkow‘.9 Petrejus studierte in Marburg und stand seit 1595 in Diensten des schwedischen Staates. Zwischen 1601 und 1612 hielt er sich mehrmals für längere oder kürzere Zeit in Russland auf, 1607/08 und 1612 in diplomatischer Mission für König Karl IX. (1550–1611, reg. 1599/ 1604–1611) von Schweden.10 Teile des Werks von Petrejus bestehen aus Plagiaten der Schriften von Herberstein sowie des polnisch-italienischen Offiziers und Chronisten Alessandro/Alexander Guagnini (1538–1614), der seinerseits Herberstein plagiiert hatte. Zudem war er offensichtlich in den Besitz einer Fassung des Manuskriptes von Conrad Bussow (1554/55?–1617?) – zu ihm später mehr – gelangt, aus dem er gleichfalls ganze Passagen wörtlich übernahm. Durch ihn erfahren wir auch, dass Bussow an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, als er noch in schwedischen Diensten stand, mit der russischen Seite Verhandlungen zur Übergabe der Festung Narva führte und schließlich sogar in russische Dienste übertrat.11 Petrejus’ erzählte auf über 800 Seiten auch zahlreiche zweifelhafte Tatbestände, ist aber als Quelle durchaus wertvoll. Zeitgenössisch veröffentlicht wurde auch das Buch des französischen Söldners Jacques Margeret (1565–1619) ‚Estat de L’Empire de Russie, et Grande Duché des

9 Petrus Petrejus de Erlesunda, Historien und Bericht von dem Grossfürstenthumb Muschkow, mit dero schönen fruchtbaren Provincien und Herrschafften […], Mit der Muschowiter Gesetzen, Statuten, Sitten, Geberden, Leben, Policey vnd Kriegswesen: wie auch, was es mit jhrer Religion vnd Ceremonien vor eine Beschaffenheit hat, kürtzlich vnd deutlich in sechs Theilen zusammen gefasset, beschrieben vnd publiciret, Leipzig 1620. Sowohl die schwedische Fassung von 1615 als auch die deutsche Fassung sind als Digitalisate im Internet verfügbar. Vgl. auch Adelung 1846, Bd. 2, 238–258; Orchard 1994, XXX–XXXV, 185; Ders., Petreius, in: Joseph L. Wieczynski (ed.), The Modern Encyclopedia of Russian and Soviet History, Vol. 28, Gulf Breeze, Fl. 1982, 18f. 10 Karl IX. war Herzog von Södermanland, Värmland und einigen anderen Gebieten. Er wandte sich gemeinsam mit seinem Bruder Johann gegen die Herrschaft ihres Bruders Erik, dem Johann III. als Herrscher folgte. Nach dessen Tod 1592 wurde zunächst dessen Sohn, der polnische König Sigismund III. Wasa, auch schwedischer König, der 1599 von einem Ständereichstag abgesetzt wurde. Karl IX. war von 1599 bis 1604 zunächst Reichsverweser, dann von 1604 bis 1611 König von Schweden. 11 Petrejus de Erlesunda 1620, 277. Conradus Buß, so heißt es dort, sei „Principal und Redelführer gewesen“, um die Festung Narva „mit List und Geschwindigkeit […] unter der Mußkowiter Joch und Dienstbarkeit“ zu bringen.

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Dittmar Dahlmann

Moscouie […]‘.12 Margeret kämpfte zunächst auf Seiten von Henri IV. bis zu dessen Übertritt zum Katholizismus, dann für den Kaiser in Ungarn gegen die Türken, danach für Boris Godunov (1552–1605, reg. 1598–1605), für die ersten beiden falschen Dmitrijs,13 auch für den Zaren Vasilij Sˇujskij (1552–1612, reg. 1606–1610) sowie für den polnischen König Sigismund III. Wasa (1566–1632, reg. 1587–1632)14. In der Zwischenzeit, etwa von 1606 bis 1608 oder 1609, war er in Frankreich, wo er Henri IV. (1553–1610, reg. 1589–1610) traf, der ihn dazu ermunterte, seine Geschichte zu erzählen und sowohl für Margerets Lebensunterhalt als auch für den Druck des Buches sorgte.15 Danach war er erneut in Russland, schließlich verlieren sich seine Spuren im Jahre 1619, das allgemein als sein Todesjahr angesehen wird. Margeret, im Bericht seines deutschen ‚Kollegen‘ Conrad Bussow taucht er mehrmals als „Marsereth“ oder „Masereth“ auf, erwähnt Bussow nicht, doch kämpften beide teils mit und teils gegeneinander. Eine Zeitlang kommandierte Margeret die Leibwache des ersten falschen Dmitrij,16 den er für ‚echt‘ hielt, also für den 1591 auf welche Weise auch immer überlebenden letzten Sohn Ivans IV. (1530–1584, reg. 1547–1584). Die orthodoxe Kirche sah Dmitrij jedoch als illegitim an, denn er entstammte der siebten Ehe Ivans IV.; die orthodoxe Kirche akzeptierte drei Eheschließungen und nannte alles, was darüber hinausging,

12 Jacques Margeret, Estat de L‘Empire de Russie, et Grande Duché de Moscouie. Avec ce qui s’y passé de plus mémorable et tragique, pendant la règne de quatre Empereur: á sçavoir depuis l’an 1590 jusques an l’an 1606 en Septembre par le Capitaine Margeret, Paris 1607, danach zahlreiche Neuauflagen, die nicht gänzlich zuverlässig sind. Engl. Übersetzung: Jacques Margeret, The Russian Empire and Grand Duchy of Muscovy. A 17th-Century Account, translated and edited by Chester S.L. Dunning, Pittsburgh 1983. Eine erste russische Übersetzung erschien 1830. 13 Dunning 2004, 75–84 und 246–253. Bekannt sind nur die Todesdaten, da die Identität der beiden Männer bis heute nicht gänzlich geklärt ist. Der erste falsche Dmitrij starb am 17./27. 5. 1606 in Moskau, der zweite am 11./21. 12. 1610. Im Russischen Reich galt bis zum 1. Februar 1918 der Julianische Kalender, der im 16. Jahrhundert neun und im 17. Jahrhundert zehn Tage hinter dem damals in den meisten Ländern Europas geltenden Gregorianischen Kalender zurückblieb. Zur besseren Verständlichkeit sind zumeist beide Daten angegeben. Zu den Thronprätendenten in der Zeit der Wirren vgl. Maureen Perrie, Pretenders and popular monarchism in early modern Russia. The false Tsars of the Time of Troubles, Cambridge 1995 sowie ihren Aufsatz in diesem Band; Gerhard Menzel, Falsche Könige zwischen Thron und Galgen. Politische Hochstapelei von der Antike bis zur Moderne, Frankfurt/M. u. a. 2012, 259–289; Alexander Lavrentiev, The False Dmitry I: From Tsar to Emperor, in: Otto Gerhard Oexle/Michail A. Bojcov (edd.), Bilder der Macht in Mittelalter und Neuzeit. Byzanz – Okzident – Rußland, Göttingen 2007, 507–515. 14 Sigismund III. Wasa war zudem von 1592 bis 1599 als Sohn des schwedischen Königs Johann III. Erbkönig in Schweden, nach seiner Absetzung durch den schwedischen Ständereichstag Titularkönig von Schweden. 15 Margeret 1983, XV–XXV. 16 ibid., XVIII.

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„viehisch“.17 Margeret konnte wohl einigermaßen Russisch, war gewiss gebildet und verfügte über gute Beziehungen. Seine detaillierten Schilderungen der jeweiligen aktuellen Ereignisse sind durchaus nützlich. Der niederländische Kaufmann Isaac Massa (1586–1635 oder 1643) war der jüngste der fünf Zeitzeugen. Er ist als Kartograph bekannter als als Chronist und kam erstmals 1601 als 15-Jähriger nach Russland, wo er sich bis 1633/34 mehrmals für längere oder kürzere Zeit aufhielt. Ihm verdanken wir die erste Karte der russisch-sibirischen Nordküste aus dem Jahr 1612 sowie einige weitere Karten und Stadtpläne.18 Neben einem Bericht über die Tungusen (heute Evenken) schrieb er 1610 auch als Zeitzeuge eine Geschichte der ‚Zeit der Wirren‘ auf Niederländisch für den Statthalter Fürst Moritz von Oranien, die jedoch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts im Original und in einer französischen Übersetzung und 1982 in einer englischen Fassung erschien, herausgegeben von G. Edward Orchard.19 Diese Edition basiert auch auf den russischen und französischen Übersetzungen, denn, wie Orchard schreibt, waren seine Kenntnisse des Niederländischen ‚rather elementary‘. Er nahm dafür die Hilfe eines niederländischen Kollegen in Anspruch.20 Massa verfügte offensichtlich über ausgezeichnete Beziehungen zu einigen sehr gut informierten Russen, deren Namen er jedoch nicht nannte, und galt und gilt als ein äußerst sachverständiger Kenner des Moskauer Reiches in jeder Hinsicht. Die ‚Zeit der Wirren‘ betrachtete er wie viele andere, Russen wie Ausländer, als eine Strafe Gottes für die sündigen Herrscher und ihr ebenso sündiges Volk. So glaubte er, dass Boris Godunov (1552–1605, reg. 1598–1605) sowohl Fedor Ivanovicˇ (1557–1598, reg. 1584–1598) als auch den richtigen Dmitrij (1582–1591) ermordet hätte.21 Massa trieb intensive Geschäfte mit 17 Frank Kämpfer, Ivan (IV.) Der Schreckliche, in: Hans-Joachim Torke (ed.), Die russischen Zaren 1547–1917, München 1995, 27–49, hier 48. 18 Dittmar Dahlmann, Sibirien vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn et al. 2009, 55, 106f., 110 und 318; Johannes Keuning, Isaac Massa, 1586–1643, in: Imago Mundi 10 (1953), 65–79; sein Plan von Moskau aus dem Jahr 1605 in: Der Kreml. Gottesruhm und Zarenpracht. Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 13. Februar bis 31. Mai 2004, München 2004, 137. 19 Isaac Massa, A Short History of the Beginnings and Origins of These Present Wars in Moscow under the Reign of Various Sovereigns down to the Year 1610, translated and with an introduction by G. Edward Orchard, Toronto/Buffalo/London 1982; Ders., Histoire des guerres de la Moscovie (1601–1610), 2 Bde., Brüssel 1866; Ders., Een cort verhael van beginn en oorspronck deser tegenwoordige troeblen in Moscovia, totten jare 1610 in cort overlopen odert gouvernement van diverste vorsten aldaer, in: Rerum Rossicarum Scriptores Exteri, Bd. 2, S.-Peterburg 1868. Eine erste russische Übersetzung erschien 1874 in St. Petersburg. Vgl. Massa 1982, XXI–XXIV, 217. 20 Massa 1982, XXIV. 21 ibidem, 93–96, 180f. Fedor Ivanovicˇ war der älteste lebende Sohn Ivans IV. aus seiner Ehe mit Anastasija Romanova und damit der letzte Herrscher aus dem Haus der Rjurikiden. Er war sowohl körperlich als auch geistig behindert. Die Regierungsgeschäfte führte seit 1587/88

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Russland und war durchaus wohlhabend. Dank seiner Bekanntschaft mit dem Maler Frans Hals (1582/83–1666) gibt es von ihm als einzigem dieser Zeitzeugen sogar mehrere Porträts sowie ein Bild mit seiner Frau.22 Im Zentrum dieses Artikels stehen jedoch die Berichte zweier deutschsprachiger Autoren, des vermutlich aus Lüneburg oder dessen Umgebung stammenden Söldners Conrad (auch Conradt) Bussow (auch Bußow, Bussau, Busso oder Bussou) und des Augsburger Juweliers und Goldschmieds Hans Georg Peyerle (1584?–1649). Die erste intensivere Beschäftigung mit den Berichten von Conrad Bussow und Hans Georg Peyerle23 zeigte, dass es weder gesicherte Textgrundlagen gab noch hinreichende Lebensdaten von ihnen. Es schien mir daher zunächst sinnvoll, mich intensiver mit der Textüberlieferung und dem Leben der beiden Zeitzeugen zu befassen und mich erst in einem späteren Aufsatz ausführlicher mit dem Inhalt ihrer Schriften zu befassen. Zudem revidiere ich in diesem Beitrag einige früher geäußerte Ausführungen zu Bussows und Peyerles Leben und Werk.

2.

Conrad Bussow und sein ‚Verwirreter Zustand des Russischen Reichs‘

Seit den Studien des ursprünglich aus Schlesien stammenden Historikers und Philologen Arist A. Kunik (1814–1899) um die Mitte des 19. Jahrhunderts übernahm die Forschung unhinterfragt und weitgehend seine Behauptungen über Bussows Leben und über die Beziehungen der überlieferten Manuskripte zueinander.24 So hatte ein Gewährsmann aus dem Hannoverschen Kunik mitgeteilt, dass Bussows Angabe auf dem Titelblatt einer Fassung seines ManuBoris Godunov als Regent. Fedor war mit Irina F. Godunova, der Schwester von Boris Godunov, verheiratet und hatte eine Tochter, die im Alter von zwei Jahren verstarb. Dmitrij Ivanovicˇ war der jüngste Sohn Ivans IV. aus seiner siebten Ehe mit Marija F. Nagaja, die die orthodoxe Kirche nicht anerkannte. Marija wurde mit ihrem Sohn, dem als Erbe und Aufenthaltsort das Teilfürstentum Uglicˇ zugewiesen wurde, dorthin verbannt. Dmitrij kam 1591 wahrscheinlich während eines epileptischen Anfalls ums Leben. Allerdings war die Ansicht, er sei auf Befehl von Boris Godunov umgebracht worden, weit verbreitet. Vgl. Dunning 2004, 41–45. 22 ibidem, Abbildungen nach der Einleitung. 23 Die Schreibung des Namens variierte in den zeitgenössischen Quellen erheblich: Beu(e)rle, Beurlin, Peurlin, Peu(e)rle oder Peyerle. 24 Arist A. Kunik (= Ernst-Eduard Kunik), Ueber einige historische Schriften von Konrad Bussow, Martin Beer und Petrus Petrejus, in: Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland (1851), 29–32; Ders., Aufklärungen über Konrad Bussow und die verschiedenen Redactionen seiner moskowitischen Chronik, in: Bulletin des Sciences Historiques, Philologiques et Politiques de l’Académie Impériale des Sciences de Saint-Pétersbourg 8 (1851), 1– 79.

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skriptes, er sei „des Lüne-Burgischen Fürstenthums in den Freyen bürtig“,25 auf den Ort Ilten als Geburtsort verweise, weil Ilten, heute ein Stadtteil von Sehnde, zu jener Zeit als Zentralort der „Freigrafschaften und Freigerichte“ angesehen wurde.26 Allerdings lag Ilten zwar in dem Gebiet, das als „Freie“ oder „Große Freie“ bezeichnet wird, war jedoch nie der Zentralort dieses Territoriums, das durch das Städtedreieck Hannover – Peine – Hildesheim gebildet wird. Zudem wurde angenommen, dass Bussow ein Pfarrersohn sein könnte, weil er in seinen Text zahlreiche Bibelstellen, teils auch auf Latein und weitere lateinische Zitate einstreute, was auf eine gewisse Bildung schließen lasse. Genauso gut könnte man jedoch annehmen, Bussow sei der Sohn eines Lehrers, Arztes oder Apothekers gewesen, denn auch in diesen Kreisen war ein bestimmter Bildungskanon vorhanden. Definitiv lässt sich Bussows Herkunft nicht nachweisen, denn für Ilten sind Geburtseinträge erst seit 1648, dem Ende des 30-Jährigen Krieges, überliefert.27 Zudem war um die Mitte des 16. Jahrhunderts, als Bussow nach eigenen Angaben geboren wurde, die dortige Pfarrstelle mit Johann Martin Lunde besetzt, dem später Nikolaus Sunnemann bzw. Otto Ziegenmeier als Kapläne zugeordnet wurden.28 Ebenso wenig kann Lübeck als Sterbeort Bussows nachgewiesen werden. Zwar steht auf dem Titelblatt des sog. Akademieexemplars, er sei in Lübeck verstorben und im „Umgang der Thumkirche ehrlich begraben“ worden.29 Jedoch ergaben Anfragen beim Stadtarchiv Lübeck sowie beim dortigen Dombauverein, dass sich dies anhand der überlieferten Quellen für Stadt und Dom nicht nachweisen lässt.30 Wir können also festhalten, dass sich weder Bussows Geburtsort und -jahr noch sein Sterbeort und -jahr zweifelsfrei nachweisen lassen und sind in diesem Falle fast ausschließlich auf die überlieferten Manuskript25 Titelseite des Manuskripts, sog. Akademieexemplar, in der Handschriftenabteilung der Bibliothek der Russländischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg mit der Signatur „Fond inostrannych rukopisej No 28. Sˇifr F No 14“, Faksimileabdruck bei Ivan I. Smirnov (ed.), Konrad Bussov. Moskovskaja Chronika 1584–1613, Moskva/Leningrad 1961, 65. 26 Kunik 1851b, 34 und 37; Orchard 1994, 226–229; Smirnov 1961, 43–73. Vgl. dazu Manfred von Boetticher, Freigrafschaften im mittleren Niedersachsen, Hannover 1992, 73f. 27 Schreiben des Auskunftsteams im Niedersächsischen Landesverband für Familienkunde in Hannover an mich vom 16. 9. 2018. Mitteilung des Stadtarchivs Sehnde an mich vom 30. August 2018. 28 Hugo Remmert, Aus Iltens Geschichte, 2 Bde., o.O. o. J. [1962], hier Bd. 2, 261–267. Lunde soll die Pfarrstelle von 1525 bis 1588 bekleidet haben. Remmert listet zudem die in Ilten gebräuchlichen Nachnamen der seit dem Mittelalter im Ort ansässigen Familien auf. Darunter findet sich der Name Bussow – in welcher möglichen Schreibweise auch immer – nicht. Mitteilungen wie oben, Anm. 27. Der Name sei in der Region um Ilten nicht gebräuchlich und nicht nachweisbar. Eher träfe dies auf den Raum Lüneburg zu. 29 Wie oben, Anm. 25. 30 Schreiben von Frau Kerstin Letz vom Stadtarchiv Lübeck an mich vom 6. 9. 2018 und telefonische Mitteilung von Herrn Gustav Querfurth vom Dombauverein zu Lübeck an mich vom 23. 8. 2018.

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fassungen sowie die beiden Briefe Bussows an Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1591–1634, reg. 1613–1634) vom 28. November 1613 und an dessen Kanzler Johannes Peparinus (1573–1623) vom 3. Februar 1614 angewiesen.31 Seinem Schreiben an den Herzog fügte Bussow ein Exemplar seiner Chronik bei. Er bat darum, Mittel für den Druck zu bewilligen und zugleich um eine Anstellung oder Verwendung bei Hofe, da er mittellos sei. Diese Bitten wiederholte er noch einmal in dem drei Monate später datierten Schreiben an Peparinus. Antworten von ihm oder von Herzog Friedrich Ulrich sind nicht überliefert. Aus dem Brief an den Herzog geht hervor, dass Bussow sich seit 1569 außerhalb „Deutschlands, in Liefland und Russland“ aufgehalten und in fremden Diensten gestanden habe.32 Er stamme „aus dem löblichen Fürstenthumb Lüneburgk“. Im Titel jener Fassung, die allem Anschein die älteste und auf den 1. März 1612 datiert ist, heißt es, „geschrieben durch Conradt Bußow auß der Statt Lünneburg bürtig.“33 Wenn man annimmt, dass Bussow sein Elternhaus zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr verließ, so wurde er zwischen 1551 und 1553 geboren. Nach eigenen Angaben stand Bussow anfangs in Diensten des polnischen Königs Stephan Báthory (1533–1586, reg. 1575–1586), dann bei Herzog Karl von Södermanland, dem späteren schwedischen König Karl IX., bei dem er zum „Inspektor und Intendanten“ aufstieg. 1601 wechselte er die Seiten und trat, offensichtlich bestochen, zu Boris Godunov, dem russischen Zaren, über. Für diesen Verrat erhielt Bussow mehrere Güter, die er bei einigen Manuskripten auf der Titelseite nannte. Nach Godunovs Tod 1605 wechselte er erneut die Seiten und stand im Sold des ersten falschen Dmitrij, wurde aber 1606 von Vasilij Sˇujskij entlassen.34 31 HAB Codex Guelf. 56 Extravagantes: Brief Bussows an Herzog Friedrich Ulrich, Hannover, 28. 11. 1613, Bl. 339 V–341R und Brief Bussows an Johannes Peparinus, Wolfenbüttel, 3. 2. 1614, Bl. 342 V u. R = Adresse. Abgedruckt in einer fehlerhaften Transliteration bei Smirnov 1961, 328–331 mit einem faksimilierten Abdruck eines Teils des Briefes an Peparinus; in russischer Übersetzung ebd., 193–195; in englischer Übersetzung bei Orchard 1994, 171–175. Die Handschrift der beiden Briefe ist nicht identisch. Nur auf dem Schreiben an Peparinus findet sich unter der Unterschrift der Zusatz „manu propria“. Die Angabe bei Orchard 1994, 173, dieser Zusatz fände sich auch auf dem Schreiben an den Herzog, ist falsch. Bussow unterschrieb beide Briefe mit „Conradt Bussou“. 32 Smirnov 1961, 328. 33 HAB Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o, Bl. 604 V–766 V. Der Titel lautet: „Summarische Relation Vonn aigentlichem ursprung dieses itzigen blutigen kriegs inn Reuslandt, unnd was sich allerseits, innerhalb sechs undt zwainzig Jahren, mitt fünff regierenden Kaysern zuegetragen, wie einer nach dem andern ins Regiment und wider herab kommen […]. Allen Liebhabern der Historischen Geschichten zum freundlichen dienste und wolgefallen geschrieben den ersten Martij 1612 Durch Conradt Bußow aus der Statt Lünneburg bürtig.“ Die Titelseite ist weitgehend in lateinischen Buchstaben geschrieben. 34 Orchard 1994, XXXf.

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Sein Privatleben lässt sich nur einigen Andeutungen entnehmen. Er heiratete vermutlich in den 1590er Jahren in Riga und hatte mindestens zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, die den lutherischen Pfarrer Martin Beer heiratete.35 Sein Sohn, auch mit Namen Conrad, wurde als einer der Aufständischen von Tula im Mai 1607 nach Sibirien verbannt, von wo er aber wohl noch vor dem Tod des Vaters zurückkehrte.36 Bussow verließ das Moskauer Reich Smirnov zufolge Ende 1611 und reiste zunächst nach Riga, wo möglicherweise Verwandte seiner Frau lebten. Dort beendete er eventuell mit Hilfe seines Schwiegersohnes Martin Beer eine erste Fassung, die auf den 1. März 1612 datiert ist.37 Im November 1613 finden wir Bussow in Hannover, von wo aus er dem Herzog seinen Bittbrief und ein überarbeitetes Exemplar übersendet, das nunmehr auch auf die Ereignisse des Jahres 1613 eingeht.38 Als Autor steht dort „Conrad Busso“. In den folgenden Monaten blieb er in der Region, denn sein Brief an den Kanzler Peparinus ist auf den 3. Februar 1614 in Wolfenbüttel datiert. Schließlich gibt es jene Version des Manuskriptes, auf dessen Titelseite der Tod Bussows im Jahr 1617 und sein Begräbnis im Lübecker Dom, „im Umbgang der Thumkirchen“, mitgeteilt wird.39 Von Bussows Text existieren zurzeit sieben Fassungen, die meines Erachtens zwischen 1611/12 und der Mitte des 17. Jahrhunderts geschrieben wurden und 35 ibidem, XXX. 36 ibidem, XXXI. 37 Die beiden Fassungen, die in der HAB unter den Signaturen Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o und Codex Guelf. 41 Extravagantes aufbewahrt werden, enden im Jahr 1612, wie auf der Titelseite angekündigt. Der zweite Text hat einen lateinischen Titel, ist ansonsten aber durchgängig deutsch verfasst. „Chronicon Muscoviticarum Continens Res a morte Johannis Basilidis Tiranni, omnium quos post natos homines sol vidit, immanissimi et truculentissimi, Anno Christi 1584 mortui, mirabili varia ac luctuosa rerum conversione et vicissitudine gestas omnibus imprimis Regibus ac principibus, ut hinc exempla capiant quomodo sese erga subdita suos gerere debeant apprime, utile et lectu fructuosum, usque ad A.C. 1612.“ Darunter von fremder Hand: „Oder Konrad Bussow’s Verwirrter Zustand u. s. w. Vergl. Adelung, Krit.-liter. Übersicht d. Reis. i. R. II, S. 46 sq“. Die beiden Texte unterscheiden sich schon im ersten Satz: „Der tyrannische Großfürst Iwan Basilowitz ist gestorben im Jar 1584.“ In der Fassung 41 Extravagantes folgt hinter Großfürst der Einschub „in dem Moscowitischen Land“. Smirnov 1961, 31f. 38 Exemplar der Handschrift im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel 1 Alt 6 Nr. 205. Es trägt den Titel „Verwirreter Zustand des Rußischen Reichs unter Regierung derer Czaaren Fedor Ivanowiz, Boris Gudenow und sonderlich derer Demetriorum auch Basili Suskij und des hierauff erwehlten Konigl: Pohlnischen Printzen Uladislai von Anno 1584 biß 1613 von Jahren zu Jahren […]“. 39 Dies ist das sogenannte „Akademieexemplar, eine Fassung, die sich etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg befindet. Faksimile bei Smirnov 1961, 65. Vgl. unten, Anm. 67. Es trägt einen ähnlichen Titel wie jene Version aus dem Jahre 1612: HAB Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o: Relatio das ist Summarische Erzehlung vom eigentlichen Ursprung dieses itzigen blutigen Kriegs Wesens in Moscowiter-Land oder Reuß-Land. […] geschrieben durch Conradum Bussow, des LüneBurgischen Fürstenthums in den Freyen bürtig.“

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deren Beziehung untereinander schwer zu eruieren ist. Vier Versionen befinden sich in der Handschriftenabteilung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel,40 jeweils eine Fassung liegt im Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Wolfenbüttel,41 in der Handschriftenabteilung der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden42 und in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.43 Bei den anderen in russischen 40 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (im Folgenden HAB) unter folgenden Signaturen: Codex Guelf. 41 Extravagantes; Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o; Codex Guelf. 125.15 Extravagantes 2o und Codex Guelf. 86 Extravagantes 2o. 41 Niedersächsisches Landesarchiv (im Folgenden NLA) Wolfenbüttel: 1 Alt 6 Nr. 205. 42 Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (im Folgenden SLUB), Dresden: Mscr. Dresd. G.67. Dieses Manuskript stammt aus der Bibliothek und den Sammlungen des sächsischen Staatsmannes Heinrich Graf von Brühl (1700–1763) und gelangte 1768 mit deren Übernahme in den Besitz der ehemals Königlich Sächsischen Bibliothek. Wann und durch wen Brühl dieses Manuskript erhielt, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Mitteilung von Frau Kerstin Schellbach, SLUB Handschriftenabteilung, an mich vom 8. 11. 2018. G. Edward Orchard (ed.), Conrad Bussow. The Disturbed State of the Russian Realm, transl. and edit. by G. Edward Orchard, Montreal et al. 1994, XXXVI und 229, Jutta Harney/ Gottfried Sturm (ed.), Conrad Bussow. Zeit der Wirren. Moskowitische Chronik der Jahre 1584 bis 1613. Aus dem Frühneuhochdeutschen übertragen von Marie-Elisabeth Fritze, Berlin/Leipzig 1991, 16f. und Smirnov 1961, 60 haben die Behauptung aufgestellt, diese Fassung sei 1945 bei einem der Bombenangriff auf Dresden verbrannt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wie mir Frau Kerstin Schellbach von der Handschriftenabteilung der SLUB Dresden in einer Mail vom 15. 11. 2018 mitteilte, war das Manuskript mit anderen Beständen während des Krieges in Schloss Schieritz bei Meißen ausgelagert. Nach Kriegsende wurden diese Bestände von der sowjetischen Militäradministration beschlagnahmt und 1946 in die UdSSR abtransportiert. Der größte Teil der beschlagnahmten Handschriften, worunter sich auch die Bussowsche Handschrift befand, wurde 1957 restituiert. 43 In der Bibliothek der Russländischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg liegen zwei Exemplare des Bussowschen Manuskriptes unter den Signaturen: Fond inostrannych rukopisej Nr. 28 (Fonds der ausländischen Handschriften), Sˇifr Q Nr. 25 und Sˇifr F Nr. 14. Die erstgenannte Fassung ist die Abschrift, die 1842 von dem Dresdner Exemplar für Friedrich von Adelung erstellt wurde. Smirnov 1961, 64; Adelung 1960 II, 50. Schon auf der Titelseite finden sich sechs Abschreibfehler: Verwirreter“ nicht „Verwirrter“, „Polnischen“ nicht „Pohlnischen“, „gegenwärttig“ nicht „gegenwärtig“, „wohnhafften“ nicht „wohnhaften“, „I.H.K.“ nicht „Y.H.K.“ und „Schlößer“ nicht „Schlösser“. Laut Smirnov 1961, 67–69 wurde die zweite Version mit der Signatur F Nr. 14 in den Jahren von 1732 bis 1763 erstellt. Darauf deute das Wasserzeichen des Papiers hin, das in jener Zeit verwendet worden sei. Es sei unbekannt, wann und unter welchen Umständen diese Fassung in die Bibliothek gelangte. Diese Mitteilung erhielt ich auch dankenswerter Weise von Frau Dr. habil. Galina I. Smagina, ehemalige wiss. Mitarbeiterin der Abteilung für Wissenschaftsgeschichte der St. Petersburger Akademie. Mail an mich vom 23. 11. 2018. Nach der Edition von Smirnov habe sich niemand mehr mit den Handschriften beschäftigt. In jedem Falle befand sich diese Fassung schon Mitte der 1770er Jahre in der Bibliothek, denn sie wurde von Johann Vollrath Bacmeister, Versuch über die Bibliothek und das Naturalien- und Kunst-Kabinet der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, St. Petersburg 1776, 49 in dem Abschnitt über „Deutsche Handschriften“ erwähnt: „Büßow von den Unruhen in Rußland nach dem Tode des Zaren Feodor Iwanowitsch“. Bacmeisters Broschüre erschien auch in russischer und französischer Fassung, in beiden wird Bussows Text genannt. Smirnov 1961, 69. Kunik

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Bibliotheken und Archiven noch existierenden Fassungen ist davon auszugehen, dass sie Abschriften einer dieser sieben Versionen sind.44 Weder Smirnov noch Orchard kannten die originalen Manuskriptfassungen, die im Niedersächsischen Landesarchiv bzw. in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden liegen. Ebenso wenig war Orchard die Version bekannt, die sich unter der Signatur Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o in der Herzog August Bibliothek befindet. Sie ist meines Erachtens die früheste Fassung oder eine Abschrift der frühesten Niederschrift. Das im NLA Wolfenbüttel aufbewahrte Exemplar ist nach meiner Einschätzung das einzig überlieferte Original und die Version, die Bussow zusammen mit seinem Schreiben vom 28. November 1613 an Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel schickte.45 Darauf 1851b, 11 konstatierte, dass bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts kein Exemplar des Bussowschen Textes in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften vorhanden gewesen sei. Die etwas kryptischen Äußerungen Kuniks über mögliche Fassungen des Bussowschen Manuskriptes in estnischen oder livländischen Bibliotheken hat Orchard 1994, XXXV, dahin gehend missverstanden, dass die Bibliothek dieses Manuskript von Johann Christoph Brotze (1742–1823), einem aus Görlitz stammenden Gymnasiallehrer in Riga, im späten 18. Jahrhundert angekauft habe. Kunik vermutete jedoch nur, dass das Bussowsche Manuskript aus den Reihen der deutschbaltischen Gelehrten stammen könnte, wofür sich allerdings keine Belege finden ließen. Die Annahme lag durchaus nahe, denn für seine „Lifländische Historia“ hatte der in Estland tätige Pfarrer Christian Kelch auch das Manuskript von Bussow, von ihm Bussau genannt, benutzt und nennt Jacques Margeret, wie Bussow, Jacob Marsereth. Christian Kelch, Liefländische Historia oder Kurtze Beschreibung der Denckwürdigsten Kriegs- und Friedens-Geschichte Esth-, Lief- und Lettlands; vornehmlich in sich begreiffend Einen kurtzen Bericht von Rahmen, Eintheilung und Beschaffenheit der Provinz Liefland […] Von Christiano Kelchen, Pfarrer zu St. Johannis in Järwen im Herzogthum Esthland, Revall: Mehner 1690, 486 „Conrad Bussau, der sich um eben dieselbe Zeit in der Stadt Moscau aufgehalten, berichtet in seiner nie gedruckten Summarischen Erzehlung von diesen Russischen Händeln“ (auf den Servern der Staatsbibliothek Berlin und des Münchener DigitalisierungsZentrums). 44 Dabei handelt es sich um ein Exemplar in der Handschriftenabteilung der Russischen Nationalbibliothek (ehemals Saltykov-Sˇcˇedrin-Bibliothek), St. Petersburg, mit der Signatur Nem. F. IV, Nr. 163, das aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammt. Orchard 1994, 229; Smirnov 62. Eine weitere Fassung, die 1851 für Graf Viktor N. Panin, Justizminister von 1841 bis 1862, auf der Basis der Dresdner Handschrift erstellt wurde, befindet sich in der Handschriftenabteilung der Russischen Staatsbibliothek (ehemals Lenin-Bibliothek) in Moskau mit der Signatur fond 83, Nr. 850. Smirnov 1961, 60; Orchard 1994, 229. Eine dritte Abschrift, die 1817 für den russischen Reichskanzler Graf Nikolaj P. Rumjancev (1754–1826) in Wolfenbüttel angefertigt wurde, befand sich zunächst im Archiv des Außenministeriums, danach blieb sie lange Zeit verschollen und wurde erst 1960 in Moskau im Archiv der alten Akten (Gosudarstvennyj Archiv drevnich aktov, fond 181, opis‘ 16, delo 1408, Mitteilung des Archivs an mich vom Februar 2019) wiedergefunden. Smirnov 1961, 60; Orchard 1994, 226f.; Harney/Sturm 1991, 16. 45 Die Schreiben von Bussow an Herzog Friedrich Ulrich vom 28. November 1613 und an den Kanzler Johannes Peparinus vom 3. Februar 1614 finden sich in der HAB, Codex Guelf. 56 Extravagantes, Bl. 339 V–342R und 343–344. Sie sind abgedruckt in einer fehlerhaften Transliteration bei Smirnov 1961, 328–331, in russischer Übersetzung, ebd., 193–195 sowie in englischer Übersetzung bei Orchard 1994, 171–175.

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deuten meines Erachtens vor allem die mit Ornamenten versehene Titelseite und die besondere Schönschrift hin, die den Eindruck eines Druckes erwecken (siehe Abbildung 1).46 Die bisherige Forschung geht davon aus, dass Bussow den Text nicht allein, sondern zunächst mit Unterstützung seines Schwiegersohnes Martin Beer verfasste, wobei dessen Anteil sich nur schwer fassen lässt. Zwei Manuskripten, dem sogenannten Akademieexemplar und der Fassung im Nachlass Baudis (Codex Guelf. Extravagantes 125.15) sind Gebete, Gesänge und Lieder angehängt, die aus Beers Feder stammen, darunter ein Lied, dessen Anfangsbuchstaben der Strophen den Namen Martinus Beer ergeben.47 In seinem Brief an Herzog Friedrich Ulrich verwies Bussow darauf, dass er das Manuskript mit einem „andern ehrlichen Mann“ bzw. „mein[em] Mitgesell“ geschrieben habe. Kunik und in seiner Folge Smirnov haben darauf hingewiesen, dass der Text häufiger sich widersprechende Züge aufweise, die darauf hindeuteten, dass er mehrfach überarbeitet, aber auch von verschiedenen Autoren geschrieben worden sei.48 Die erste Niederschrift der Chronik erfolgte, wie es auf mehreren Fassungen steht, bis zum 1. März 1612 in Riga. Im benachbarten Dünamünde hatte Beer eine Pfarrstelle erhalten, ging allerdings noch im selben Jahr nach Narva.49 Zu diesem Zeitpunkt werden sich die Wege der beiden mit einiger Sicherheit getrennt haben, auch wenn sich dies nicht nachweisen lässt. Beer blieb auf jeden Fall in den baltischen Gebieten und traf 1634 in Narva mit Adam Olearius zusammen, dem er über die ‚Zeit der Wirren‘ berichtete.50 Die folgenden Versionen, so ist zu vermuten, stammen aus der Feder Bussows oder von einer unbekannten Person. 46 In dem Konvolut mit der Signatur 1 Alt 6 Nr. 205 im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel sind dem Bussowschen Manuskript noch die Texte „Portrait de la Cour de Pologne“ und „Joh. Reinhold von Patkuls Gedenken von der schwedischen Invasion in Sachsen A. 1705“ beigebunden. 47 Abgedruckt bei Harney/Sturm 1991, 231–236 in neuhochdeutscher Fassung. Nicht abgedruckt in der von Smirnov 1961 veröffentlichten Edition des Bussowschen Textes, da dieser Teil bei dem Dresdner Manuskript fehlt; abgedruckt jedoch in der Edition von Arist A. Kunik. Siehe unten, Anm. 67. 48 Smirnov 1961, 37f; Kunik 1851b, 35, 38f. und 75. 49 Smirnov 1961, 37 und 341, der die deutschbaltische und russische Forschung des 19. Jahrhunderts referiert. Danach stammte Beer aus Neustadt an der Orla in Thüringen, studierte in Leipzig, ging 1600 nach Moskau und verließ Russland wohl mit seiner Familie und seinem Schwiegervater 1611. Die Pfarrstelle in Narva hatte er in jedem Falle bis 1634, als er dort mit Adam Olearius zusammentraf. Er starb 1646. Smirnov bezieht sich vor allem auf Karl Eduard von Napiersky, Beiträge zur Geschichte der Kirchen und Prediger in Livland, 2. Heft, Mitau 1850, S. 12. 50 Smirnov 1961, 38, Anm. 96; Olearius 1647, 129; Ders. 1656, 187: „wie uns der Narvische Pastor H. Martinus Bäär, so damahls in Mußcow gelebet, erzehlete“. Bei A. Schiefner, Ueber das Stammbuch von Adam Olearius, in: Das Inland. Eine Wochenschrift für Liv-, Esth- und Curländische Geschichte, Geographie, Statistik und Litteratur, Dorpat 1851, Nr. 44, Sp. 767– 772, hier 768 ein Hinweis auf Beers Eintrag in das Stammbuch von Olearius (als Digitalisat auf

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Abbildung 1. Titelseite des Bussowschen Manuskriptes von Ende November 1613, das er an Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel schickte. Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel: 1 Alt 6, Nr. 205.

Spätestens seit den 1820er Jahren haben sich zahlreiche Wissenschaftler unterschiedlicher Provenienz bemüht, die überlieferten Manuskriptfassungen in eine gewisse Ordnung zu bringen und eine Hierarchie der Textfassungen zu erstellen. dem Server des Münchener DigitalisierungsZentrums (MDZ). Verweise auf Beer (Baer) und Olearius finden sich im Bussowschen Manuskript aus dem Nachlass von Gottfried Leonhard Baudis, Codex Guelf. 125.15 Extravagantes 2o, vgl. unten, Anm. 59.

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Dies begann mit Nikolaj M. Karamzin (1766–1826) und Arist A. Kunik sowie Nikolaj G. Ustrjalov (1805–1870), der den Text 1832 ins Russische übersetzte, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und endete mit Ivan I. Smirnov in den 1960er und G. Edward Orchard in den 1990er Jahren.51 Dabei waren Karamzin und Ustrjalov sogar der Meinung, der Verfasser der ‚Moskowitischen Chronik‘ sei Martin Beer (Baer) gewesen.52 Keiner dieser Versuche vermag wirklich zu überzeugen. Es kann hier nicht der Ort sein, dies erneut zu diskutieren. Sicherlich wird es, wie schon Kunik feststellte, verschiedene Redaktionen des Textes durch den Autor Conrad Bussow und seinen Schwiegersohn Martin Beer gegeben haben,53 doch wäre sehr viel Arbeit am Text- und auch beim Papiervergleich erforderlich, um definitiv sagen zu können, wann welche Fassung erstellt wurde und in welchen Abhängigkeiten diese Versionen zueinander stehen. In jedem Falle bezweifele ich die von Kunik bis Orchard vorgetragene Behauptung, es ließen sich drei Redaktionen des Textes feststellen und die jeweiligen Erstfassungen seien nicht überliefert.54 Nur von zwei der vier Versionen in der HAB ist bekannt, wie sie in die Bibliothek gelangten. Die Fassung, die sich mit zahlreichen anderen Schriften unterschiedlichster Provenienz, darunter auch eine Fassung des Manuskriptes von Hans Georg Peyerle, im Bestand Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o befindet, gelangte aus dem Besitz des Augsburger Kaufmanns und Agenten Philipp Hainhofer (1578–1647) 1648 an Herzog August den Jüngeren (1579–1666).55 Sie trägt den Titel ‚Summarische Relation Vonn aigentlichem ursprung dieses itzigen blutigen kriegs in Reuslandt […]‘ und ist auf den 1. März („ersten Martij“) 1612 datiert 51 Nikolaj M. Karamzin, Istorija gosudarstva Rossijskago, 5. Aufl., 12 Bde., Moskau 1989, Nachdruck der Ausgabe S.-Peterburg 1843, hier Primecˇanija k 10 tomu, Sp. 11, Anm. 28; dt. Übersetzung: Karamsin, Geschichte des Russischen Reiches, Bd. 9, Leipzig 1827, S. 357, Anm. 157. Die Bandzählung in der deutschen Übersetzung entspricht nicht der Bandzählung des russischen Originals. Kunik 1851a, 29–32; Ders. 1851b, 1–79; Orchard 1994, 226–229; Smirnov 1961, 43–73; vgl. auch S.F. Platonov, Moskva i Zapad, Reprint der Ausgabe Berlin 1926 Den Haag 1964, 42–52. 52 In Ustrjalovs Übersetzung der Bussowschen Chronik wird Martin Beer als Verfasser genannt, ebenso in Karamzins Istorija gosudarstva Rossijskago, wie oben, Anm. 51. Karamzin stellte allerdings nur apodiktisch fest, dass Martin Beer die „Moskovskaja chronika“ geschrieben habe, „nicht Konrad Bussau, wie Kelch schreibt“; wie oben, Anm. 51. 53 Kunik 1851a, 30f.; Ders. 1851b, 13–17. 54 Smirnov 1961, 59–62; Orchard 1994, 226–229. 55 Werner Arnold, Bibliotheca Augusta: Erwerbung von Handschriften im 17. Jahrhundert, in: Patrizia Carmassi (ed.), Retter der Antike. Marquard Gude (1635–1689) auf der Suche nach den Klassikern, Wiesbaden 2016, 87–109, hier 100. Es ist zur Zeit nicht festzustellen, wie und wann Hainhofer in den Besitz des Manuskriptes gelangte. Wir wissen aber aufgrund der Korrespondenz zwischen Hainhofer und Herzog August d.J., dass Hainhofer und Peyerle sich recht gut kannten. Siehe dazu unten, Anm. 86. Hainhofer war, wie man heute sagen würde, ein Multitalent. Er schrieb und publizierte Reiseberichte und Gedichte, die er auch selbst vertonte, sammelte Kunstwerke und Lautenbücher und handelte mit Nachrichten.

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und weitgehend in lateinischen Buchstaben geschrieben. Als Verfasser ist „Conradt Bußow auß der Statt Lünneburg bürtig“ angegeben.56 G. Edward Orchard hat diese Fassung nicht zur Kenntnis genommen. Am Ende des Manuskriptes findet sich eine Karte Moskaus, die viel klarer und präziser gezeichnet und erklärt ist als der Plan, der sich in der Fassung Codex Guelf. 86 Extravagantes befindet und den Orchard und Smirnov in ihren Ausgaben abdrucken.57 Sie bezeichnen dieses Exemplar als „Wolfenbüttel I“. Letzterer meint zudem, dieses Manuskript sei ein „defective copy“ des von Bussow an Herzog Friedrich Ulrich geschickten Originals, ohne zu erläutern, was denn unter „defective“ zu verstehen ist. Die Version trägt weder einen Verfassernamen noch ist sie datiert. Es ist schwer vorstellbar, dass Bussow dem Herzog eine undatierte Fassung ohne Verfassernamen hat zukommen lassen. Auf der ersten Seite findet sich oben als eine Art Überschrift ‚Newe Zeitung aus Moscowiter Landt‘, erst auf der Rückseite steht dann als Titel ‚Summarische Relation und Erzelung Von eigentlichem Ursprunge Dieses itzigen blutigen Krieges in Reussland‘.58 Die im Bestand Codex Guelf. 125.15 Extravagantes 2o befindliche Version bezeichnen Smirnov und Orchard als Wolfenbüttel II. Sie stammt aus dem Nachlass des Historikers und Juristen Gottfried Leonhard Baudis (auch Baudiss oder Baudiß) d.J. (1712–1764), der als Professor am Braunschweiger Collegium Carolinum lehrte und eine Zeitlang auch die dortige Bibliothek leitete.59 Das Manuskript trägt den Titel ‚Verwirreter Zustand des Russischen Reichs, unter Regierung derer Czaren Fedor Iwanowiz, Boris Gudenow und sonderlich derer Demetriorum, auch Basilii Zuski und des hierauf erwehlten Königl. Polnischen Printzen Uladislai von Ao 1584 biß 1613 nehmlich bis zum anfang des jetzt glücklich herschenden Czarischen Hauses […]‘. In der Titelei heißt es dann später, das Manuskript sei „der Nachwelt zum Andencken in einem alten authentiquen MSto nachgelassen von einem damahls in Moscau wohnhafften Teutschen, Herrn Conrad Busso“. Über die Datierung dieser Fassung gehen die Meinungen auseinander. Smirnov datiert sie auf die Mitte des 17. Jahrhunderts, Milde und Myl’nikov gehen davon aus, dass sie, wie angegeben, 1613 geschrieben bzw. beendet worden sei, wohingegen Orchard meint, sie sei zwischen „late 1615 and early 1617“ 56 57 58 59

HAB Handschriftenabteilung, mit der oben genannten Signatur. Vgl. Arnold 2016, 100. Orchard 1994, 178; Smirnov 1961, 245. HAB Handschriftenabteilung, Codex Guelf. 86 Extravagantes 2o. Isa Schikorsky, Baudiss, Gottfried Leonhard, in: Horst-Rüdiger Jarck u. a. (edd.), Braunschweigisches Biographisches Lexikon 8. bis 18. Jahrhundert, Braunschweig 2006, S. 69f. Der Nachlass wurde 1765 angekauft und gelangte 1767 in die HAB. Auch in diesem Falle konnte nicht geklärt werden, wie und wann Baudis in den Besitz des Manuskriptes gelangte. Georg Ruppelt/Sabine Solf (edd.), Lexikon zur Geschichte und Gegenwart der Herzog August Bibliothek, Wiesbaden 1992, 24f.

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beendet worden, also gleichsam eine Fassung letzter Hand und legt sie seiner Übersetzung zugrunde.60 Orchard selbst verweist darauf, dass im Text Ereignisse erwähnt werden, die erst nach 1613 stattgefunden haben, insbesondere die Friedensverhandlungen zwischen dem Moskauer Reich und Schweden, die 1617 im Frieden von Stolbovo endeten. Da es sich, wie auf der Titelseite geschrieben, um eine „nachgelassene“ Fassung handelt, ist es durchaus möglich, dass Bussow bis zu seinem allgemein in der Forschung angenommenen Todesjahr 1617 am Text gearbeitet hat und/oder der Text von fremder Hand später ergänzt wurde. Wie dem auch immer gewesen sein mag, so gibt es im Text eine Reihe von handschriftlichen Korrekturen mit Bleistift, teils Überschreibungen von Buchstaben, teils Einschübe. An den Rändern finden sich einige Kommentare von fremder Hand, so ein Verweis auf die Reisebeschreibung von Adam Olearius.61 Zwischen Blatt 47 und 48 ist ein Zettel eingelegt, auf dem wiederum auf Olearius und sein Treffen mit Bussows Schwiegersohn Martin Beer 1634 in Narva hingewiesen wird.62 Die zahlreichen Randbemerkungen und Anstreichungen deuten darauf hin, dass Baudis dieses Exemplar möglicherweise zur Vorbereitung einer Vorlesung zur russischen Geschichte, die am Braunschweiger Collegium Carolinum gehalten worden sein soll, benutzt hat.63 Eine der ersten Abschriften eines Wolfenbütteler Manuskripts veranlasste der russische Reichskanzler Graf Nikolaj P. Rumjancev (1754–1826) im Jahre 1817.64 Dabei handelte es sich allerdings nicht, wie Orchard angibt, um das Exemplar mit der Signatur Codex Guelf. 86 Extravagantes, sondern um die Version in Codex Guelf. Extravagantes 41, wie Karamzin schreibt. Er gibt den lateinischen Titel dieser Fassung an, die er vom Grafen Nikolaj P. Rumjancov erhalten hatte und nutzte sie als Quelle für seine ‚Geschichte des russischen Staates‘ (Istorija gosudarstva rossijskogo).65 Sie soll sich, so Smirnov, jetzt im Russischen Staatsarchiv der alten Akten befinden.66 Arist A. Kunik benutzte für die erste vollständige 60 Smirnov 1961, 60; Aleksandr S. Myl‘Nikov/Wolfgang Milde, Handschriftliche Slavica der Herzog August Bibliothek, in: Paul Raabe (ed.), Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek, Bd. 7, Frankfurt/M. 1987, 79–114, hier 86f.; Orchard 1994, 228f. Faksimiles bei Orchard 1994, 2 und Smirnov 1961, 61. 61 HAB, Codex Guelf. 125.15 Extravagantes 2o, Bl. 144R; zu Olearius vgl. oben, Anm. 5 und 50. 62 HAB, ebd., Bl. 47–48; vgl. oben, Anm. 50. 63 Myl’nikov/Milde 1987, 93 und 96. 64 Orchard 1994, 226; Harney/Sturm 1991, 16. 65 Orchard 1994, 227; Harney/Sturm 1991, 16 schreiben, dass Karamzin von Rumjancev eine russische Übersetzung erbeten habe. Das mag sein, doch Karamzin war des Deutschen durchaus mächtig und übersetzte schon in seiner Jugend deutsche Texte ins Russische. Karamzin 1845, wie oben Anm. 51 und 52. Das Manuskript, das er von Graf Rumjancov erhalten habe, habe einen lateinischen Titel, sei aber auf Deutsch geschrieben. Da von den vier Exemplaren in der HAB Wolfenbüttel nur Cod. Guelf. Extravagantes 41 den zitierten lateinischen Titel trägt, kann es sich nur um diese Fassung handeln. 66 Smirnov 1961, 72. Vgl. oben, Anm. 44.

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deutschsprachige Edition des Bussowschen Textes nicht diese Abschrift aus Wolfenbüttel, wie Smirnov und Orchard behaupten, sondern das sog. ‚Akademieexemplar‘.67 Während die von Kunik gedruckte Version als Verfasser „Conradum Bussow, des Lüne-Burgischen Fürstenthums in den Freyen bürtig“ nennt, fehlt bei der Wolfenbütteler Fassung der Verfassername auf der Titelseite ebenso wie der Hinweis der Herkunft. Aus dem von Kunik edierten Text, dies sei noch angemerkt, sind alle negativen Bemerkungen über Russland und seine Herrscher ausgelassen und durch zwei Punkte kenntlich gemacht, jedoch ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Kürzungen. Dies gilt besonders für die von Bussow häufiger gebrauchten Begriffe „tyrannisch“ oder „Tyrann“. Interessanterweise gibt es bei Kunik zudem keinerlei Hinweis auf das Werk von Karamzin und auf die russische Übersetzung, die 1831, zwanzig Jahre vor Kunik, der russische Historiker Nikolaj G. Ustrjalov (1805–1870) veröffentlicht hatte, der bis 1859 zwei weitere Auflagen folgten.68 Friedrich von Adelung erhielt 1842 eine Abschrift der Dresdner Fassung. Auch diese Version befindet sich in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Sie liegt der Ausgabe von Smirnov als Vorlage zugrunde.69 Darüber hinaus existieren in Russland zwei weitere Abschriften. Jene, die für den Justizminister Graf Viktor N. Panin (1801–1874) in Dresden angefertigt wurde, befindet sich in der Handschriftenabteilung der Russischen Staatsbibliothek (früher Lenin-Bibliothek) in Moskau, eine weitere Abschrift aus dem späten

67 Dazu genügt ein Vergleich der ersten Worte des Titels. Während es in der Fassung Codex Guelf. 86 Extravagantes 2o heißt: „Summarische Relation und Erzelung von eigentlichem Ursprunge“, lautet diese Zeile im ‚Akademieexemplar‘ und bei Kunik: „Relatio. Das ist Summarische Erzehlung vom eigentlichen Ursprung“. Zudem fehlt bei dem Wolfenbütteler Exemplar der Verfassername. Smirnov 1961, 60; Orchard 1994, 227. Der Name von Kunik taucht auf den Titelseiten der Edition nicht auf. Seine Herausgeberschaft ergibt sich aus dem Schlusssatz der Einleitung. Skazanija inostrannych pisatelej o Rossii, izdannyja Archeograficˇeskoju kommissieju. Tom 1: Moskovskija letopisi konrada Bussova i Petra Petreja, S. Peterburg 1851, VIII–XI. Das Werk trägt auch einen lateinischen Titel: Rerum Rossicarum Scriptores Exteri a Collegio Archäographico editi. Tomus I, Conradi Bussovii et Petri Petrei Chronica Moscovitca continens, Petropolis 1851. Die Einleitung ist zweisprachig: Latein und Russisch, VIII bzw. IX. 68 Orchard 1994, 228; Nikolaj G. Ustrjalov (ed.), Letopis‘ moskovskaja, in: Skazanija sovremennikov o Dmitrii Samozvance, S.-Petersburg 1831, cˇast’ 1: Ber, Paerle, Marzˇeret i De-Tu, 2. Aufl. St. Petersburg 1857, 3. Aufl., St. Petersburg 1859. Ustrjalovs Übersetzung war die erste vollständige Herausgabe des Bussowschen Textes, allerdings mit der Angabe von Beer als Verfasser. 69 Orchard 1994, 229; Smirnov 1961, 64, ein nicht vollständiges Faksimile der Titelseite auf S. 191; Adelung 1960 II, 50–52. Die Sprache dieser Fassung, so Adelung, sei „wie man aus den weiterhin mitgetheilten Proben sehen wird, für den Anfang des XVII. Jahrhunderts zu neu, was wohl auf die Schuld eines frühern modernisirenden Abschreibers zu setzen ist.“ ibidem, 51f. Die Fasssung in der Handschriftenabteilung der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg, Fond inostrannych rukopisej No 28. Sˇifr Q No 25.

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18. Jahrhundert befindet sich in der Russischen Nationalbibliothek (früher Saltykov-Sˇcˇedrin-Bibliothek) in St. Petersburg.70

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Der Augsburger Juwelier Hans Georg Peyerle und seine ‚Beschreibung der moßcouitterischen Rayß‘

Der zweite Text, die ‚Beschreibung der moßcouitterischen Rayß‘ des Augsburger Juweliers und Goldschmiedes Hans Georg Peyerle ist nur in zwei Manuskriptfassungen überliefert, die beide in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel liegen. Der Bericht verdankt seine Entstehung der zufälligen Anwesenheit des Verfassers bei einem unvorhersehbaren Ereignis. Peyerle hielt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit seit Ende 1605 oder Anfang 1606 mit seinen zwei Landsleuten und Berufskollegen Andreas (III.) Nathan und Matthias Bernhard Manlich in der polnischen Hauptstadt Krakau auf. Manlich versuchte seit Jahren einen besonders wertvollen Edelstein, einen Balaß, zu verkaufen, der das Stiftungsvermögen der Manlichen Familienstiftung darstellte.71 Bisherige Versuche, ihn an den bayerischen Herzog oder Kaiser Rudolf II. zu veräußern, waren gescheitert. So hoffte Manlich vermutlich darauf, ihn an Sigismund III. Wasa verkaufen zu können, der am 11. Dezember 1605 seine zweite Frau, Erzherzogin Constanze von Österreich, geheiratet hatte.72 Da es augenscheinlich auch in Krakau nicht gelang, den Stein zu verkaufen, reisten Manlich, Peyerle und Nathan, alle drei waren übrigens Lutheraner,73 im März 1606 auf Wunsch und Einladung von Jan Buczyn´ski, dem Gesandten des falschen Dmitrij, nach Moskau, um dort bei dessen anstehender Hochzeit mit der polnischen Adligen Maryna Mniszchówna, die am 8. Mai 1606 in Moskau gefeiert werden sollte, Juwelen und Schmuck zu verkaufen.74 70 Das Exemplar in der RSB in Moskau trägt die Signatur fond 183, Nr. 830; das Exemplar in der RNB in St. Petersburg die Signatur GPB F IV 163. 71 Gerhard Seibold, Die Manlich. Geschichte einer Augsburger Kaufmannsfamilie, Sigmaringen 1995, 176f. Balaß war die Bezeichnung für einen besonders gefärbten Rubin. Die Bezeichnung ist heute nicht mehr gebräuchlich. 72 Walter Leitsch, Das Leben am Hof König Sigismunds III. von Polen, 4 Bde., Krakau/Wien 2009, hier Bd. 3, 1420–1447. 73 Wolfgang Reinhard (ed.), Augsburger Eliten des 16. Jahrhunderts. Prosopographie wirtschaftlicher und politischer Führungsgruppen 1500–1620. Bearbeitet von Mark Häberlein, Ulrich Klinkert, Katarina Sieh-Burens und Reinhard Wendt, Berlin 1996, 47, 511 und 569. 74 Die Trauung Dmitrijs hatte bereits im Herbst 1605 nach lateinischem Ritus als „StellvertreterHochzeit“ (per procurationem) in Krakau stattgefunden. Helmut Neubauer, Pseudodemetrius 1605–1606, in: Hans-Joachim Torke (ed.), Die russischen Zaren 1547–1917, München 1995, 71–79, hier 77; Dunning 2001, 199–227; Ders. 2004, 145–151; Peyerle 1997, 116– 118.

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Zwar konnten die Kaufleute einige Waren absetzen, doch wurde Dmitrij bei einem von dem Bojaren und Thronprätendenten Vasilij Sˇujskij und dessen Anhängern am 17./27. Mai 1606 inszenierten Aufstand ermordet, seine Frau, deren Vater und ihr Gefolge interniert.75 Bei dem anschließenden Pogrom, dem vor allem zahlreiche Polen und Ausländer zum Opfer fielen, gelang es den Augsburger Juwelieren und Goldschmieden gemeinsam mit zahlreichen anderen Gästen auf das Gelände des polnischen Gesandten zu flüchten, wobei sie aber einen Teil ihrer Waren verloren.76 Die drei Augsburger waren keineswegs die einzigen Kaufleute gewesen, die sich von der Hochzeit in Krakau zur nächsten Hochzeit in Moskau auf den Weg gemacht hatten. In der 1606 anonym in Amsterdam erschienenen Schrift ‚La Lègende de la Vie et de la Mort de Demetrius dernier Grand Duc de Moscovie‘ und in Isaac Massas ‚Short History‘ wurden auch Ambrosius Cellarius aus Mailand, Philipp Holbein (Holbain) und zwei seiner Handelsbevollmächtigten, der Kaufmann Nicolai aus Lemberg, Nicholas Demist sowie Jacques Marot aus Brabant namentlich genannt.77 Ambrosius soll nach diesen Angaben Waren für 75 Neubauer 1995, 77f.; Dunning 2001, 215–241; Dunning 2004, 150–162; Smirnov 1961, 246–256. 76 Dunning 2001, 226–246; Dunning 2004, 157–166; Peyerle 1997, 118–127; Smirnov 1961, 251. Bussow schreibt allerdings fälschlich, dass auch alle Kaufleute ermordet worden seien. Immerhin gelang es Manlich, den wertvollen Edelstein zu behalten, der dann vom Vater Georg oder Sohn Hans Georg Peyerle doch noch an Kaiser Rudolf II. verkauft werden konnte. Er erlöste dafür 18.000 Gulden. Seibold 1995, 177. Vgl. auch die tagebuchartigen Aufzeichnungen von Stanisław Niemojewski (1560–1620), einem Höfling am Hofe Sigismunds III. Wasa, die auch erst am Ende des 19. Jahrhunderts publiziert wurden. Aleksander Hirschberg (ed.), Pamie˛tnik Stanisława Niemojewskiego (1606–1608), Lwów 1899. Niemojewski sollte unter anderem den Schmuck von Prinzessin Anna, der Schwester Sigismunds, verkaufen. Mein Dank gilt Ines Skibinski, stud. Hilfskraft an der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, für die Übersetzung dieses Textes. 77 Adelung 1960 II, 198–204. 1607 erschien in London auch eine englische Übersetzung: The Reporte of a Bloudie and terrible Massacre in the Citty of Mosco, with the fearefull and tragicall end of Demetrius the last Duke, before him raigning at this present, London 1607, abgedruckt in: Sonia E. Howe (ed.), The False Dmitri. A Russian Romance and Tragedy Described by British Eye-Witnesses, 1604–1612, Reprint der Ausgabe London 1916, Cambridge 1972, 27–62, hier 49f. Beide Fassungen sind auch im Internet auf verschiedenen Servern zugänglich. Seit den 1850er Jahren wurde die Vermutung geäußert, dass der Text von Isaac Massa verfasst worden sei. Philip L. Barbour, Dimitry Called the Pretender. Tsar and Great Prince of All Russia, 1605–1606, London/Melbourne 1967, 366. Bei Philipp Holbein, auch Holbain, (um 1553– um 1632) handelte es sich um den Sohn von Hans Holbein d.J., der kaiserlicher Kammerjuwelier und Edelsteinschneider war. Er war seit 1603 Mitglied des Großen Rates in Augsburg. Helmut Seling, Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529– 1868, 3 Bde., hier Bd. 3: Meister – Marken – Beschauzeichen, München 1980, 453; Anton Werner, Augsburger Goldschmiede. Verzeichnis der Augsburger Goldschmiede, Silberarbeiter, Juweliere und Steinschneider von 1346–1803, Augsburg 1913, 26. Die anderen Personen konnten nicht ermittelt werden. Massa 1982, 141f.

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33.000 Gulden, Holbein für 35.000 Gulden verloren haben. Namentlich erwähnt wurde auch Andreas Nathan, der Waren für 200.000 Gulden geliefert und bei den Plünderungen nochmals 10.000 Gulden verloren hatte.78 Der anonyme Verfasser dieser Schrift schrieb an mehreren Stelle von „nous autres marchands Allemands“, so dass davon ausgegangen werden kann, dass auch er ein deutscher Kaufmann war.79 Die Kunde von der Ermordung des falschen Dmitrij und des nachfolgenden Blutbads sowie der Festsetzung der ausländischen Kaufleute auf dem Gelände des polnischen Gesandten verbreitete sich im übrigen Europa offensichtlich relativ rasch, denn schon Anfang Dezember 1606 wandte sich der Augsburger Bürgermeister an Kaiser Rudolf II. mit der Bitte, sich in dieser Angelegenheit an den russischen Zaren zu wenden.80 Bevor wir uns mit diesen Bemühungen beschäftigen, wollen wir uns zunächst dem Verfasser des Berichts zu wenden. Der Augsburger Juwelier und Goldschmied Hans Georg Peyerle war bisher in der Historiographie über die ‚Zeit der Wirren‘ ein großer Unbekannter. Außer seinem Beruf und seinem Bericht über die Reise von Krakau nach Moskau und zurück nach Augsburg sowie dem dazwischen liegenden erzwungenen Aufenthalt in Moskau im Zeitraum zwischen dem 19. März 1606 und dem 15. Dezember 1608 war über ihn kaum etwas bekannt. Die erste Nachricht über Peyerles ‚Moßcouitterische Rayß‘ verdanken wir August Ludwig von Schlözer, der im Mai 1768 der Petersburger Akademie berichtete, dass er „in der vortrefflichen Wolfenbüttler Bibliothek“ eine Reihe von russischen Manuskripten gefunden habe, darunter auch Peyerles Reise nach Moskau von 1606 bis 1608.81 Fünf Jahre später, 1773, veröffentlichte Christoph von Schmidt, gen. Phiseldek, Jurist, Archivar und Bibliothekar am Braun78 Adelung 1960 II, 203; vgl. auch Russia seu Moscovia itemque Tartaria. Commentario Topographico atque politico illustrato, Lugdunum Batavorum [Leiden] 1630, 148f., auf verschiedenen Servern online verfügbar. Jacques-Auguste de Thou, Histoire Universelle Depuis 1543 jusqu’en 1607, tome 14: 1601–1607, London 1734, 497, auf verschiedenen Servern online zugänglich. 79 Adelung 1960 II, 199, Anm. 189. 80 Leitsch 1960, 44 zitiert HHStA Wien, Russica 1606, fol. 5–6: Bürgermeister von Augsburg an den Kaiser, 7. 12. 1606. 81 August Ludwig von Schlözer, Auszug eines Rapports des Herrn Prof. Schlözers an die Petersburger Akademie, Braunschweig, den 16. May 1768, in: Johann Christoph Gatterer (ed.), Allgemeine historische Bibliothek von Mitgliedern des königlichen Instituts der historischen Wissenschaften zu Göttingen, Bd. 8, Halle 1768, 283–284. Schlözer erwähnt weiterhin „Chronicon Moscoviticum“, also eines der Bussowschen Manuskripte ohne Verfassernamen, heute wie Peyerles Manuskript im Bestand Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o, sowie „Abschriften einer Menge von Briefen, die zwischen K. Sigismund und dem Demetrius gewechselt worden.“ Schlözer verwies zugleich darauf, dass „Hr. Collegienrath Müller“ angefangen habe, die Zeit der „falschen Demetrien“ zu beschreiben und wies auf den 5. Band von Gerhard Friedrich Müllers „Sammlung Russischer Geschichte“ hin.

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schweiger Collegium Carolinum, am Wolfenbütteler Archiv und an der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek den Text auszugsweise und in einer modernisierten Fassung.82 Weitere vier Jahre später publizierte er in der von Johann Georg Meusel herausgegebenen Zeitschrift ‚Der Geschichtforscher‘ eine vollständige Fassung des Textes im Original. Zuvor war sein Versuch, alle in der Wolfenbütteler Bibliothek befindlichen Texte, die sich auf Russland bezogen, in einem Band zu publizieren, gescheitert, da er dafür keinen Verleger finden konnte.83 Schmidt-Phiseldek legte seinem Abdruck das auch heute noch unter der Signatur Codex Guelf. 32.5 Aug. 2o vorhandene Manuskript zugrunde, das er mit der Fassung Codex Guelf. Extravagantes 41 verglich, die dort fehlenden Wörter ergänzte und die Varianten, die ihm „anmerkenswerth schienen“, mitteilte.84 Bei dem Bestand Codex Guelf. 32.5 Aug. 2o handelt es sich um einen Sammelband mit zahlreichen Abhandlungen und Berichten aus dem 17. Jahrhundert im Umfang von mehr als 1.100 Blatt, der 1648 durch Ankauf von Philipp Hainhofer erworben wurde.85 Hainhofer, ein Augsburger Patrizier, war Kunsthändler und politischer Agent, ein Nachrichtenhändler, der unter anderem in engem Kontakt zu Herzog August d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel stand und über ein dichtes Netzwerk, auch über den deutschsprachigen Raum hinaus, verfügte.86 Aus der Korrespondenz zwischen Hainhofer und Herzog August wissen wir, dass Peyerle mit seinem Landsmann gut bekannt war und für den 82 Christoph von Schmidt, genannt Phiseldek, Versuch einer neuen Einleitung in die russische Geschichte. Nach bewährten Schriftstellern, Theil 1, Riga 1773, 315–385: Anhang zum ersten Theil. Auszug aus einem auf der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel befindlichen Manuscripte, welches den Titel führt: Beschreibung der Moscuitterischen Rayß […], 108 Blätter klein fol. Zu Schmidt-Phiseldek vgl. Günther Wiegand, Rußland im Urteil des Aufklärers Christoph Schmidt genannt Phiseldek, in: Erna Lesky et al. (ed.), Die Aufklärung in Ost- und Südosteuropa: Aufsätze, Vorträge, Dokumentationen, Köln 1972, 50–86. SchmidtPhiseldek war von 1759 bis 1762 Hauslehrer der Söhne des Grafen Burkhard Christoph von Münnich (1683–1767) in Vologda und St. Petersburg und hatte in dieser Zeit Russisch gelernt. 83 Christoph von Schmidt-Phiseldek, Beyträge zu der Russischen Geschichte aus den Handschriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Johann Georg Meusel (ed.), Der Geschichtforscher, Halle/S., 5. Theil 1777, 148–193, 6. Theil 131–245, hier 5. Theil, 148f. 84 ebd., 149f. 85 Aleksandr S. Myl‘nikov/Wolfgang Milde, Handschriftliche Slavica der Herzog August Bibliothek, in: Paul Raabe (ed.), Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 7, 1987, 79–114, hier 82. Peyerles Text fol. 499R–600R, daran anschließend eine weitere Fassung der Bussowschen Chronik fol. 604R–765 V. Auch im Bestand Codex Guelf. 41 Extravagantes sind diese beiden Manuskripte zusammengebunden. Die Herkunft dieses Bestandes lässt sich nicht klären. 86 Arnold 2016, 89–100. Die HAB Wolfenbüttel und das Kunsthistorische Institut der Universität Trier betreiben zur Zeit gemeinsam die Digitalisierung und Aufarbeitung des Nachlasses Hainhofer, der teilweise in der HAB liegt. Roland Gobiet (Bearb.), Der Briefwechsel zwischen Philipp Hainhofer und Herzog August d. J. von Braunschweig-Lüneburg, München 1984. Aus dieser Korrespondenz geht eindeutig hervor, dass sich Vater und Sohn Peyerle und Hainhofer recht gut kannten. Hainhofer schreibt den Namen „Peurlin“.

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Herzog bisweilen Schmuck fertigte.87 Es liegt die Vermutung nahe, dass Peyerle, der 1649 starb, eine Fassung seines Berichtes für die Bibliothek an Hainhofer verkauft oder ihm gegeben hat. Woher die zweite Version des Manuskriptes stammt, ließ sich nicht ermitteln. Schmidt-Phiseldek unternahm augenscheinlich keinen Versuch, etwas über die Person des Verfassers herauszufinden. Dies war auch bei Friedrich von Adelung der Fall. Er beschränkte sich in seiner ‚Kritisch-literärischen Übersicht der Reisenden in Russland‘ auf eine zusammenfassende Inhaltsangabe, Mitteilungen über die Auffindung der Peyerleschen Manuskripte und deren Erstdruck sowie den Hinweis darauf, dass Anfang des 19. Jahrhunderts eine Abschrift eines Peyerleschen Manuskriptes für das Museum des Grafen Nikolaj P. Rumjancev in St. Petersburg erworben wurde.88 Diese Abschrift nutzte wiederum der russische Historiker und Schriftsteller Nikolaj M. Karamzin für seine zwölf Bände umfassende ‚Istorija gosudarstva rossijskogo‘, die zwischen 1803 und 1826 erschien und in deutscher Übersetzung seit 1820 publiziert wurde. Der letzte Band endete mit der ‚Zeit der Wirren‘, in dem er zahlreiche nicht-russische Quellen verarbeitete. 1832 veröffentlichte der russische Historiker Nikolaj G. Ustrjalov eine russische Übersetzung nicht nur Peyerles, sondern auch der Schriften von Jacques Margeret und Konrad Bussow, dessen Text sowohl er als auch Karamzin als das Werk von Bussows Schwiegersohn Martin Beer (Baer) ansahen.89 Diese Bände wurden 1834 in der Zeitschrift ‚Dorpater Jahrbücher für Litteratur, Statistik und Kunst, besonders Russlands‘ ausführlich besprochen.90 Im weiteren Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts gab es in der Sekundärliteratur hin und wieder einen Verweis auf Peyerles Text, aber keine dezidierte Auseinandersetzung oder eine Neuedition.91 Erst 1960 ging Walter Leitsch in seiner Wiener Dissertation ‚Moskau und die Politik des Kaiserhofes im XVII. Jahrhundert‘ auf das Schicksal der drei Augsburger Juweliere und Goldschmiede sowie ihrer Leidensgenossen etwas näher ein und erörterte ihren Zwangsaufenthalt im Kontext der kaiserlichen Politik gegenüber dem Moskauer Zartum.92 87 Gobiet (Bearb.) 1984, 507 und 531f. 88 Adelung II 1960, 186f.; Karamzin 1843, Bd. 11, Sp. 86 und primecˇanija, Sp. 50, Anm. 240, Ders., Geschichte des Russischen Reiches, Bd. 10, Leipzig 1827, 293, Anm. 112. 89 Zapiski Georga Paerle o putesˇestvii ego iz Krakova v Moskvu i iz Moskvy v Krakov, s 19 Marta 1606 goda po Dekabrja 1608. Perevod s Nemeckoj rukopisi, in: Nikolaj G. Ustrjalov (ed.), Skazanija sovremennikov o Dimitrii Samozvance, cˇast‘ II, 1–129 und 173–216. Vgl. dazu oben, Anm. 52 und 68. 90 D. Jasykow, Russische Geschichte, in: Dorpater Jahrbücher für Litteratur, Statistik und Kunst, besonders Russlands, 2. Bd., Riga/Dorpat 1834, 308–316. 91 Fleischhacker 1933, 205 in der russischen Übersetzung von Ustrjalov, aber auch Maureen Perrie, Ruslan Skrynnikov und Chester S.L. Dunning nutzten Peyerle und Bussow als Quellentexte in einer englischen oder russischen Übersetzung. 92 Walter Leitsch, Moskau und die Politik des Kaiserhofes im XVII. Jahrhundert. I. Teil 1604– 1654, Graz/Köln 1960, 43–46.

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Mehr als 20 Jahre später publizierte er einen summarischen Artikel über „westeuropäische Reiseberichte über den Moskauer Staat“ im 16. und 17. Jahrhundert.93 Leitsch unterschied nicht zwischen den bereits zeitgenössisch publizierten und den teils erst zwei oder drei Jahrhunderte später bekannt gewordenen Darstellungen, wies aber auf die Berichte von Margeret, Petrejus, Massa, Bussow und Peyerle hin, ohne näher auf deren Inhalt einzugehen.94 Zwischen 1966 und 1988 veröffentlichten dann Helmut Neubauer und Frank Kämpfer drei Artikel über Bussow und Peyerles ‚Beschreibung der moßcouitterischen Rayß‘.95 Aus ihnen erfahren wir, dass er, wie im Titel seines Textes schon mitgeteilt, gemeinsam mit seinen Landsleuten und Berufskollegen Andreas III. Nathan und Matthias Bernhard Manlich im März 1606 von Krakau nach Moskau reiste, um auf Einladung von Jan Buczyn´ski, des Gesandten des falschen Dmitrij, bei dessen bevorstehender Hochzeit mit Maryna Mniszchówna Schmuck und Goldschmiedearbeiten zu verkaufen. Unter Verweis auf nicht näher bezeichnete Bestände des Augsburger Stadtarchivs schrieb Neubauer, Peyerle sei jünger gewesen als seine Begleiter. Zudem ließe sich nachweisen, dass es bei Manlich und Nathan seit 1609/10 einen „rapiden Vermögensverfall“ gegeben habe.96 Was darunter genau zu verstehen ist, verschwieg der Autor allerdings. Peyerle referierend erfahren wir, dass Nathan in Krakau für die Reise einen Dolmetscher, Sebastian Löffel, und einen Diener, Jacob de Wien, zwei ortsansässige Deutsche, engagiert habe.97 Zur Gruppe gehörten auch die „gutscher“, wie Peyerle ausführt, und, so steht zu vermuten, auch wenn er es nicht ausdrücklich erwähnt, eine polnische und/oder eine russische Begleitung, denn Buczyn´ski

93 Walter Leitsch, Westeuropäische Reiseberichte über den Moskauer Staat, in: Antoni Ma˛czak/Hans Jürgen Teuteberg (ed.), Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Aufgaben und Möglichkeiten der historischen Reiseforschung, Wolfenbüttel 1982, 153–176. 94 ebd., 163 mit Anm. 41–45, 174f. 95 Helmut Neubauer, Ein Augsburger Bericht über die Moskauer „Wirren“, in: Studien zur Geschichte Osteuropas. III. Teil. Gedenkband für Heinrich Felix Schmid, Graz/Köln, 130–140; Frank Kämpfer, Deutsche Augenzeugenberichte über die „Zeit der Wirren“, in: Kaiser/ Stasiewski 1980, 24–42; Ders., Facetten eines deutschen „Rußlandbildes“ um 1600, in: Keller u. a. 1988, 206–222; vgl. auch Ders., Der Moskauer Kreml – seine Wahrnehmung von außen, in: Der Kreml. Gottesruhm und Zarenpracht. Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 13.2. bis 31. 5. 2004, ed. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, München 2004, 157–171. 96 Neubauer 1966, 130f. In Anm. 2 auf S. 131 wird auf „Goldschmiedeakten, Fasc. 6–8“ sowie auf einige Seiten in einem Manuskript von Julie Harksen-Dessau über Augsburger Goldschmiede im Stadtarchiv Augsburg verwiesen. In Anm. 4, S. 132 erfolgt ein Verweis auf „Steuerbücher 1609–1615“. Dazu ist anzumerken, dass im Augsburger Stadtarchiv die Steuerbücher seit 1346 „in nahezu lückenloser Folge erhalten“ sind. Bernd ROECK, Als wollt die Welt schier brechen. Eine Stadt im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, 2. Aufl., München 2018, 3. 97 Neubauer 1966, S. 130f.; Peyerle 1997, 124.

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hatte ihnen freies Geleit und freie Verpflegung ab der russischen Grenze zugesagt.98 Helmut Neubauer hatte Kämpfer schon für seinen ersten Beitrag das „Manuskript einer kritischen Edition des Berichtes von Peyerle, ‚die er vorbereitete‘“, überlassen.99 Kämpfer sieht Peyerle „als Vertreter des deutschen Bürgertums“, der mit seinen beiden Kollegen „sein Fuhrwerk mit Gold- und Silberwaren aus Augsburg über Krakau und Smolensk nach Moskau“ führte, „in der Hoffnung, bei der Zarenhochzeit großen Gewinn zu machen.“100 Es ist wohl durchaus problematisch, einen Augsburger Juwelier als Vertreter des deutschen Bürgertums, was immer dies zu Beginn des 17. Jahrhunderts gewesen sein mag, zu charakterisieren. Bernd Roeck bleibt in seiner Darstellung über ‚Lebenswelt und Kultur des deutschen Bürgertums in der Frühen Neuzeit‘ bei seiner Definition des Begriffs ‚Bürger‘ eher vage, betont aber „mannigfache Abstufungen und Differenzierungen“.101 In seiner Studie über Augsburg, „Eine Stadt in Krieg und Frieden“, hebt er hervor, dass neben der Wirtschaftskraft das Prestige des ausgeübten Berufs eine entscheidende Rolle spielte. Peyerle gehörte nach seiner Hochzeit zur Schicht der „Mehrer“ und damit zu jenen rund acht Prozent der Augsburger Bevölkerung, die die höchsten Steuersätze zahlten, wobei die Spannweite zwischen 10 und über 500 Talern lag.102 Ausgangsort der Reise war zudem, wie es im Titel des Berichts heißt, nicht Augsburg, sondern Krakau (Crachaw). Zu fragen wäre doch zunächst, in welchen Geschäften die Augsburger in die polnische Residenzstadt gekommen waren. Immerhin denkt Kämpfer darüber nach, welche Motive und Erwartungen denn zu „diesem riskanten Unternehmen“ geführt hätten. Wie riskant das Unternehmen war, ließ sich für die drei Augsburger Kaufleute kaum feststellen. Sie mögen eine Reihe von Gerüchten über Unruhen im Moskauer Reich gehört haben, aber nun saß doch offensichtlich eine Person auf dem Moskauer Thron, die die Unterstützung des polnischen Königs genoss und im Begriff stand, eine polnische Adelige zu heiraten. Wenn also der polnische Gesandte diesen Händlern in eigenen Angelegenheiten gute Geschäfte sowie darüber hinaus auch 98 99 100 101

Neubauer 1966, 131; Peyerle 1997, 125. Kämpfer 1980, 41. Der Verbleib dieses Manuskriptes lässt sich nicht mehr klären. ibidem, 28f. Bernd Roeck, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit, 2. erw. Auflage, München 2011, 2–4. 102 Bernd Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, 2 Bde., Göttingen 1989, hier Bd. 1, 425.; Ders. 2018, 92–95. Allerdings war der soziale Aufstieg trotz Reichtum nicht für alle reichen Bürger möglich. Wirte und Bierbrauer hatten kaum die Möglichkeit „zum Konnubium mit Frauen aus ‚stubenfähigen’ Familien.“ Roeck 1989, 425. Über Frauen in Augsburg vgl. Lyndal Roper, Das fromme Haus. Frauen und Moral in der Reformation, Frankfurt/M./New York 1995.

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Schutz und Trutz mit Brief und Siegel – Andreas Nathan erhielt einen Patentbrief mit des Großfürsten eigenhändiger Unterschrift und dem Abdruck des großen Siegels – versprach, dann konnte man doch schon einmal ein gewisses Risiko auf sich nehmen. Die Goldschmiede nahmen es in Kauf, denn Geschäfte ohne Risiko versprachen auch keine großen Gewinne. In der Hanse war der Ausspruch „Koopmanns Good is as Ebb und Flood“ als Kern, geradezu als Wesen der Kaufmannschaft, geläufig.103 In der erweiterten Fassung von 1988 bereicherte Kämpfer seine Ausführungen mit mehreren Zitaten aus Peyerles Bericht, fragte allerdings nicht grundsätzlich nach Sinn, Zweck und Ziel des Berichtes, sondern meinte, man könne seinen „düsteren“ Bericht vielleicht mit dem negativen Gesamteindruck vergleichen, den „moderne busynessmen (sic!) erhalten, die auf einer Geschäftsreise zufällig in einen Putsch oder eine Revolution“ gerieten und monatelang in einem Botschaftsgebäude auf ihre Befreiung warten müssten.104 Wobei hier nur knapp auf die Unterschiede in den Kommunikationsformen verwiesen sei. In seinem Artikel von 1980 stellte Kämpfer am Ende seiner Ausführungen über Peyerles Text fest, dass offensichtlich keine „Absicht der Publikation“ bestanden hätte. Der Text entbehre „jener Darstellungshaltung, die andere fesseln oder belehren“ wolle. Möglicherweise sei der Bericht für jene Stellen verfasst worden, „die noch längere Zeit mit der Erlangung von Schadenersatz befasst waren. Die Kenntnis des Adressaten würde uns bei der Beurteilung des Textes wesentlich weiterhelfen.“105 Es würde aber auch schon weiterhelfen, etwas mehr über den Verfasser des Berichts zu wissen. Im Jahr 1997 publizierte der britisch-kanadische Historiker Edward G. Orchard eine deutsche Originalfassung von Peyerles Manuskript zusammen mit einer englischen Übersetzung.106 Seine knappe Einleitung enthält keine Anmerkungen und geht vermutlich davon aus, dass der Leser entweder ausreichend informiert ist oder nicht ausreichend informiert zu werden braucht. In der Bibliographie am Ende des Bandes werden sechs Titel genannt. Orchard stützte sich auf die Studie von Walter Leitsch ‚Moskau und die Politik des Kaiserhofes im XVII. Jahrhundert‘ von 1960 sowie auf die Aufsätze von Helmut Neubauer und 103 Versuch eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs, worin nicht nur die in und um Bremen, sondern auch fast in ganz Niedersachsen gebräuchliche eigenthümliche Mundart […] gesammelt, herausgegeben von der bremisch deutschen Gesellschaft, I. Theil A-F, Bremen 1767, 414. Vgl. auch Jochen Hoock, Der vollkommene Kaufmann. Zur historischen Anthropologie des Händlers, in: Nils Jörn/Detlef Kattinger/Horst Wernicke (edd.), „kopet uns werk by tyden“. Beiträge zur hansischen und preußischen Geschichte. Festschrift für Walter Stark zum 75. Geburtstag, Schwerin 1999, 47–50. 104 Kämpfer 1988, 214. 105 Kämpfer, 1980, 31. Diese Ausführungen fehlen in der Version von 1988. 106 Peyerle, 1997, wie oben, Anm. 1. Zu Orchards englischer Übersetzung des Textes von Conrad Bussow vgl. oben, Anm. 42.

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Frank Kämpfer, wobei er die Zweitfassung Kämpfers nicht zur Kenntnis genommen hatte. Orchard stellte, Neubauer folgend, fest, dass Manlich und Nathan „impoverished“ nach Augsburg zurückgekehrt seien. Über das Schicksal Peyerles könne man nur spekulieren und so schrieb er: „Peyerle was completely wiped out, having staked all his fortune on the Moscow enterprise. He probably hung around various Polish aristocratic households, hoping for a revival of his fortunes. His only remaining capital was his manuscript, of which he had copies made in the hope of finding a patron or a publisher, apparently without success.“107

Auch Kämpfer schrieb unter Berufung auf Neubauer und Leitsch, dass die Smuta Peyerle den „finanziellen Ruin gebracht“ habe.108 Zwei Jahre später veröffentlichte Romualda Poljakov einen knappen Überblick zu den Russlandberichten deutscher Reisender, in dem sie auch auf die Texte von Peyerle und Bussow hinwies.109 Orchards Edition ist ihr entgangen. Sie verweist auf die beiden Manuskripte in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel sowie auf den Abdruck des Textes durch Christoph von Schmidt gen. Phiseldek von 1777, der teilweise Lesefehler enthalte.110 Um welche Lesefehler es sich handelt und welches Manuskript dem Abdruck zugrunde liegt, wird jedoch nicht angemerkt. Zugleich wiederholt sie ohne Nachweis die Behauptung Neubauers, die Begleiter Peyerles hätten nach 1609/10 ihr „Vermögen“ eingebüßt. Die europäische Dimension der Hochzeit des falschen Dmitrij mit der polnischen Adeligen ist ihr wie auch allen anderen bisherigen Autoren entgangen. Über den Verfasser und seine Begleiter erfahren wir auch in der neueren Literatur so gut wie nichts, obwohl doch Augsburg in der Frühen Neuzeit als „ökonomische Hauptstadt des Alten Reiches“ galt und die dortigen Gold- und Silberschmiede sowie Juweliere spätestens seit dem Mittelalter in Europa als die besten ihrer Zunft bekannt waren,111 wie der polnisch-litauische Adlige Teodor Billewicz 1677 feststellte.112 Sie belieferten nicht nur die Reichen und Mächtigen des Reiches, sondern auch die europäischen Höfe zwischen Wien, Stockholm und Moskau bzw. später St. Petersburg.113 Schon ein flüchtiger Blick in die Se107 Peyerle 1997, VII. 108 Kämpfer 1980, 39 mit Anm. 48. 109 Romualda Poljakov, „Mit aufrichtiger Feder meist gegenwärtig aufgezeichnet“. Rußlandberichte deutscher Reisender vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. u. a. 1999, 45–49. 110 Poljakov 1999, 47. 111 Ulrich Rousseaux, Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, 49. 112 Der litauische Adlige Teodor Billewicz 1677, in: Gier 2015, 308–318, hier 314. Auszüge aus Billewiczs Reisetagebuch. 113 Bernd Roeck, Geschichte Augsburgs, 2. durchgesehene Aufl., München 2017, 146; Helmut W. Seling, Silberhandel und Goldschmiedekunst in Augsburg im 16. Jahrhundert, in: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock, Bd. 3: Beiträge, ed. von den

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kundärliteratur über diese Berufsgruppe, die seit dem 19. Jahrhundert erschienen ist, hätte genügt, um Hans Georg Peyerle näher kennenzulernen. So legte 1897 August Weiss seine Arbeit über das „Handwerk der Goldschmiede in Augsburg“, vor, in dem ein Georg bzw. Hans Georg Peyerle häufiger erwähnt wird.114 Weiss wie auch Emil von Schauss115 werteten die Bestände des Augsburger Stadtarchivs sowie des heutigen Hauptstaatsarchivs München, im 19. Jahrhundert als „Bezirksarchiv München“ bezeichnet, aus. Dazu gehörten vor allem die „Hofzahlamtsrechnungen“ des herzoglichen Hofes in München. Dort findet sich ein Georg bzw. Hans Georg Peyerle für den Zeitraum zwischen 1593 und 1629 mit mehreren Rechnungen in nicht unbeträchtlicher Höhe.116 Hans Georg Peyerle war der Sohn des Juweliers Georg Peyerle und seiner Frau Susanna Zeilner oder Zeiler und wurde um 1584 in Augsburg geboren.117 Sein Vater Georg Peyerle, geboren um 1557 in Augsburg, mit einiger Wahrscheinlichkeit zunächst mit Susanna Zeilner und dann mit Barbara Hamburger verheiratet, war ein vermögender Juwelier sowie Goldschmied und besaß Haus und Grundstück im Kuhgäßchen 1, unweit des Domes gelegen.118 Er starb 1617 in seiner Heimatstadt.119 Im Jahre 1604 trat Hans Georg Peyerle in die „Augsburger

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Städtischen Kunstsammlungen Augsburg und dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, Augsburg 1981, 162–170; Lorenz Seelig, Fürstliche Magnifizenz im Spiegel der Augsburger Goldschmiedekunst, in: Christoph Emmendörfer/Christof Trepesch (edd.), Zarensilber. Augsburger Silber aus dem Kreml. Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg 25. Februar – 1. Juni 2008, 90–105. August Weiss, Das Handwerk der Goldschmiede in Augsburg bis zum Jahre 1681, Leipzig 1897, 346–356. Emil von Schauss, Historischer und beschreibender Catalog der königlich bayerischen Schatzkammer zu München, München 1879, 34, 63f. und 67. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern Hofzahlamt, Bde. 39 (1593), 45, 46 (1599), 49 (1600), 51 (1602), 56 (1607), 59 (1610), 61 (1612), 73 (1623), 75 (1625) und 79 (1629). Ich danke Frau Archivrätin Dr. Sarah Hadry für die rasche und unkomplizierte Hilfe bei der Recherche nach den Archivalien und der Anfertigung von Scans des hier genannten Materials. Die Schreibweise des Familiennamens kommt in den Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts in stark abweichenden Formen als Beuerle, Beurle, Beurlin, Beurer, Peyrle und Peurlin etc. vor. In der Prosopographie der Augsburger Eliten des 16. Jahrhunderts findet er sich in der Form „Beurlin“. Ich nutze weiterhin die bekannte Form Peyerle. Das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt. Ich danke Prof. Dr. Mark Häberlein, Bamberg, für seine grundlegenden Ausführungen über Peyerle und dessen Familie sowie das Augsburger Umfeld. Reinhard 1996, 47f. Werner 1913, 21. Werner nennt Hans Georg Peyerle als Besitznachfolger seines Vaters. Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock. Ausstellung der Stadt Augsburg in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern anlässlich des 450. Jubiläums der Confessio Augustana, 3 Bde., Augsburg 1980/81, hier Bd. 2, 300; Helmut Seling, Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529–1868, 3 Bde., hier Bd. 3: Meister – Marken – Beschauzeichen, München 1980, 452 und 454. Weder Vater noch Sohn Peyerle finden sich im zitierten Verzeichnis der Augsburger Goldschmiedemeister von Helmut Seling, sondern werden als Juweliere bezeichnet, waren aber beide Mitglieder der

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Kaufleutestube“ ein. Die Kaufleutestube war ein Zusammenschluss der nichtpatrizischen reichsstädtischen Kaufleute.120 Der Eintritt setzte ein Mindestalter von 20 Jahren voraus, woraus sich das ungefähre Geburtsjahr ergibt. Bei seiner Reise über Krakau nach Moskau 1606 war Peyerle also etwa 22, bei seiner Rückkehr 24 Jahre alt.121 Dies bestätigt die Vermutung von Neubauer, er sei der jüngste der drei Kaufleute gewesen. Vier Jahre später, 1612, heiratete er Sabina Ammann, die Tochter eines Augsburger Großkaufmanns und der Sabina Rem. Diese Familie gehörte dem Patriziat an, so dass Peyerle nun in den sog. Stand der Mehrer aufstieg, jener Kaufleute, die mit dem Patriziat verwandt und verschwägert waren.122 Sie hatten unter anderem Zugang zur exklusiven Herrentrinkstube und stellten eigene Ratsherren.123 In den Taufregistern der evangelischen St. Anna-Pfarrei sind zwischen 1613 und 1629 zehn Kinder der Familie verzeichnet, darunter Georg Anton und Hans Georg. Peyerle wird zudem mehrfach als Taufpate genannt.124 1618 zahlte Hans Georg Peyerle eine Vermögenssteuer von 35 Gulden, was auf ein steuerpflichtiges Vermögen zwischen 7.000 und 14.000 Gulden schließen lässt; 1632, noch mitten im Verlauf des 30-jährigen

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Kaufleutestube. Juweliere, damals als Soliers (auch Soyers) bezeichnet, waren Kaufleute, die vor allem die Bestellungen von ausländischen Höfen vermittelten. Georg Peyerle galt als reich und zahlte 1611 100 Gulden an Steuern. Werner 1913, Vf. und 21. Schon Georg Peyerle, der Vater, arbeitete für Kaiser Rudolf II., für die bayerischen Herzöge und für den sächsischen Hof. Augsburg 1980, Bd. 2, 300; vgl. auch Sabine Heym, Silberkammer – Schatzkammer – Reiche Kapelle. Augsburger Goldschmiedekunst in der Münchner Residenz, in: Reinhold Baumstark/Helmut Seling (edd.), Silber und Gold. Augsburger Goldschmiedekunst für die Höfe Europas. Katalog zur Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums 23.2. – 29.5. 1994. Katalog von Lorenz Seelig, München 1994, 83–101, hier 90; Herbert Haupt, Bemerkungen zur Charakteristik von Schatz-, Silber- und Kunstkammer in der frühen Neuzeit am Beispiel der habsburgischen Sammlungen, in: Ibidem, 127–134, hier 131. Die Rechnungen erreichten Summen bis zu 29.000 Taler. Archivalische Belege finden sich in den Documenta Rudolphina, dazu unten, Anm. 134–136, sowie im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, oben, Anm. 116. Reinhard 1996, XVI. Matthäus Bernhard Manlich wurde 1560 geboren und starb 1627; Andreas III. Nathan wurde 1565 geboren und starb 1616. Ibid., 517 und 569. Seine Mutter war Anna Beurlin, eine Schwester von Hans Georg Peyerles Großvater Hans Beurlin. ibidem, 46f. und 569. ibid., 47f. und XV. Einen knappen Überblick über die sozialen, wirtschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse in Augsburg an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert bietet Inge Keil, Augustanus Opticus. Johann Wiesel (1583–1662) und 200 Jahre optisches Handwerk in Augsburg, Berlin 2000, 21–25. ibid., XV. ibid., 47f. Ein Hans Georg Peyerle, offensichtlich der Sohn, findet sich für die Jahre 1667 und 1668 als Zechpfleger der evangelischen Pfarrkirche zum Hl. Kreuz. Johann Jacob Brucker, Entwurf einer urkundenmäßigen Geschichte der evangelischen Pfarrkirche zum heiligen Creuze in des H.R.R. Stadt Augspurg zur Erläuterung der Geschichte der evangelischen Kirche in Schwaben, Augspurg 1753, 296. Die Zechpfleger verwalteten treuhänderisch das Vermögen einer Pfarrgemeinde. Vgl. Andreas Link, Augspurgisches Jerusalem. Bürger, Künstler, Pfarrer – Evangelische Barockmalerei, Berlin/München 2009, 128f.

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Krieges, zahlte er 82 Gulden Steuern, was auf mehr als eine Verdoppelung des Vermögens verweist.125 Damit gehörte er zwar zur Oberschicht Augsburgs, aber nicht zu den reichsten Bürgern der Stadt, deren Steuerleistung bei über 100 Gulden lag.126 Spätestens seit Mitte der 1620er Jahre stand Peyerle als Handelsagent in enger Geschäftsbeziehung zum polnischen König Sigismund III. Wasa, für den er auch den Geldtransfer zwischen den Höfen in Warschau/Krakau und München erledigte.127 Mit einiger Wahrscheinlichkeit war bereits sein Vater als dessen Agent tätig, doch lässt sich dies nicht definitiv belegen.128 Als Prinz Władysław, als Władysław IV. Wasa von 1632 bis 1648 König von Polen und Großfürst in Litauen, 1624/25 eine Reise durch verschiedene westeuropäische Länder unternahm, besuchte er auch München und Augsburg. Dort traf er sowohl mit Hans Georg Peyerle als auch mit Philipp Hainhofer zusammen. Sie seien, so Hainhofer, „mit mir vnd Ihren agenten allhie dem Hanß Jeorg Peurlin, vnd mit gar wenig Ihrer hern auf der gassen gangen.“129 Bei diesem Besuch wurden auch „Erzeugnisse des Kunsthandwerks“ eingekauft.130 In den folgenden Jahren erhielt Peyerle mehrere Aufträge von Herzog August d.J. für Gnadenpfennige, einen Auftrag Sigismunds III. Wasa für ein goldenes Wehrkreuz mit mehreren hundert Diamanten und verkaufte Schmuck an dessen

125 Auskunft von Mark Häberlein aufgrund privater Unterlagen; Werner 1913, 21. Zur Steuerpolitik und zur Berechnung der Steuer vgl. Roeck 1989 I, 384–433, Ders., 92–100. Das steuerpflichtige Vermögen wurde nicht jedes Jahr, sondern in Intervallen von rund sieben Jahren geschätzt, so dass sich durchaus größere Schwankungen ergeben konnten. Aus den Steuerlisten geht zudem nicht hervor, ob Barvermögen oder Immobilienbesitz versteuert wurde. Von daher haben sie bezüglich der Vermögensverhältnisse nur eine geringe Aussagekraft. 126 Roeck 1989 I, 425; Ders., 2018, 95. Gegen eine einmalige Sonderzahlung von 750 Gulden konnte man sich zudem auf Dauer von weiteren Steuerzahlungen befreien lassen. Roeck 2018, 92. 127 Helmut Seling, Einleitung, in: Baumstark/Seling 1994, 17–31, hier 26, vgl. auch Lorenz Seelig, Katalog, in: Ibidem, 137–613, hier 310f. Leitsch 2009, hier Bd. 1, 52f. und 417. Sigismund III. betätigte sich auch selbst als Goldschmied. Ibid., Bd. II, 949. 128 Werner 1913, Vf. und 21. 129 Gobien 1984, 424: Brief Hainhofers an Herzog August d.J. vom 5./15. August 1624. Zur Reise des Prinzen vgl. Bolko Schweinitz (ed.), Die Reise des Kronprinzen Władysław in die Länder Westeuropas in den Jahren 1624/25, München 1988, 74f. Der Band enthält die Tagebuchaufzeichnungen einiger Begleiter des Prinzen. Polnisches Original: Adam Przybós (ed.), Podróz królewicza Władysława Wazy do krjów Europy Zachodniej w latach 1624–1625 w ´swietle ówczesnych relacji, Kraków 1975. Auszüge der Aufzeichnungen: Stefan Pac und Jan Hagenaw – Reisebegleiter des polnischen Kronprinzen Wladyslaw Wasa 1624, in: Helmut Gier (ed.), Reisen und Reisende in Bayerisch-Schwaben und seinen Randgebieten in Oberbayern, Franken, Württemberg, Vorarlberg und Tirol, Weißenhorn 2015, 221– 228. 130 Keil 2000, 105.

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Gemahlin.131 Im Spätsommer 1637 reiste er zudem mit dem Ratsherrn und Oberrichter Johann Ulrich Österreicher zur Hochzeit Władysławs mit Cäcilia Renata von Österreich nach Polen.132 Als Agent war er auch für den Wiener Kaiserhof tätig. Er sei, so Lorenz Seelig, der „typische Repräsentant der Augsburger Juweliere und Silberhändler“ gewesen, „die gezielt die großen Höfe aufsuchten.“133 Zu den Kunden der Familie gehörte auch Kaiser Rudolf II. Die Hofkammerbestände der ‚Documenta Rudolphina‘ verzeichnen Rechnungen von Georg bzw. Hans Georg Peyerle seit April 1601 bis zum Oktober 1612.134 Rund acht Monate nach Peyerles Rückkehr in die polnische Residenz Krakau – Mitte Dezember 1608 – verzeichnete die kaiserliche Hofkammer Rudolfs II. am 22. August 1609 das „Anlangen“ des Augsburger Bürgers Georg Peÿrl auf Zahlung von 150 fl [Gulden] „ausstenndigen zehrungs costen“, der die Hofkammer drei Tage später auch nachkam.135 Nach Kaiser Rudolfs II. Tod zahlte die Hofkammer dessen Schulden. Ganz oben auf der Liste stand Georg Peyerle, dem für Schmuckstücke, Edelsteine und anderes sowie ein „shön groß Vrwerch mit goldt vnd Silber geziert, und mit Edelgestein versetzt“ am 18. Oktober 1612 die Summe von 11.300 Talern ausgezahlt wurde.136 Im Jahre 1624 stellte Hans Georg Peyerle mit Hilfe der Kesselschmiede Battista Busch und Philipp Jakob Drentwett drei große „Credentz und Kiehlkessel mit fünf Kanten von Silber nach der Augsburger Prob“ für den „Fürsten Johann Duniy Danielowitsch, Woiwode in Reussen“ her.137 Peyerles Kunde war der Hochadelige Jan Daniłowicz (1570–

131 Gobien 1984, 507 und 531f.: Briefe Hainhofers an Herzog August d.J. vom 12./22. März 1629 und vom 29. November/6. Dezember 1629. Hainhofer teilte auch mit, dass Peyerle für das Wehrkreuz 500 Reichstaler als Macherlohn erhielt. Brief vom 29.11./6. 12. 1629. Ein Gnadenpfennig war eine Münze mit einem Bildnis eines Herrschers als Zeichen von dessen Huld. Leitsch 2009, Bd. IV, 23–53 im Dezember 1628 und im Januar 1629. August Fink, Die Gnadenpfennige Herzog August d.J. von Braunschweig, in: Braunschweigisches Jahrbuch 38 (1957), 61–82. 132 Gobien 1984, 640: Brief Hainhofers an Herzog August d.J. vom 31. August/10. September 1637. Hainhofer schrieb, er würde „auf Ihrer Haimkonfft vernemmen“, wie die Geschäfte gelaufen seien. Zu Władysław vgl. Leitsch 2009, Bd. III, 1629–1708. 133 Seelig, Katalog, in: Baumstark/Seling 1994, 319. 134 Dokumente im Internet auf der Webseite „Kaiser Rudolph II. und seine Welt“, aufzurufen unter documenta.rudolphina.org. Das Inhaltsverzeichnis weist auf „Personen, Dokumente und Essays“ hin. Vgl. auch Manfred Staudinger, Hans Vermeyen, Kammergoldschmied Kaiser Rudolfs II. in Prag, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien 91 (1995), 263–271, hier 272: Forderung Georg Peyerles von 5.320 Talern im April 1601, die ihm Ende Juli in Augsburg ausgezahlt werden sollten. 135 Dokument im Internet unter „documenta.rudolphina.org. Die Rechnungen von Peyerle im Personenverzeichnis. 136 Die Dokumente im Internet unter documenta.rudolphina.org, Buchstabe P. 137 Weiss 1897, 356 mit Verweis auf einen Aktenbestand im Augsburger Stadtarchiv. Bei einem der Kinder von Drentwett war Peyerle Taufpate.

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1628), der von 1613 bis 1628 Woiwode in Ruthenien war.138 Trotz aller Widrigkeiten war die Geschäftslage gut, die Familie Peyerle führte offensichtlich ein Leben ohne größere materielle Sorgen. Peyerle starb am 7. April 1649 in seiner Heimatstadt Augsburg.139 Über die letzten zwölf Jahre seines Lebens wissen wir eher wenig. Sicherlich waren die mehr als zwei Jahre, die er erzwungenermaßen in Moskau verbringen musste, ein tiefer Einschnitt in seinem Leben. Aber sie haben ihn nicht aus der Bahn geworfen. Auf das familiäre und berufliche Netzwerk war Verlass und seinen Beruf übte er mit einigem Erfolg bis in die späten 1640er Jahre aus.140 Zwar schädigten die Auswirkungen des 30-jährigen Krieges, insbesondere die schwedische Besatzung bis 1635, die Stadt und ihre Bürger schwer. Jedoch erholten sie sich davon ungemein rasch. Schon zwei Jahre später hätten Goldschmiede, Juweliere und andere Handwerker keinen Mangel an Bestellungen oder beim Absatz der Waren gehabt.141 Walter Leitsch hat sich in seiner Arbeit aus dem Jahre 1960 auch kurz mit dem Fall der Augsburger Kaufleute im Kontext der kaiserlichen Politik gegenüber Moskau und Polen beschäftigt.142 Seinen Ausführungen liegen die im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv überlieferten Akten zugrunde. Danach führten die Augsburger Goldschmiede Juwelen und Schmuck im Wert von 500.000 Gulden mit sich, wovon der falsche Dmitrij Stücke im Wert von 300.000 Gulden gekauft haben soll, die er allerdings nicht mehr bezahlen konnte.143 Die Kaufleute beklagten sich beim Kaiser über diese Angelegenheit, vor allem darüber, dass der neue Zar, Vasilij Sˇujskij, sich weigerte, für den Schaden aufzukommen und sie ausreisen zu lassen.144 Leider sind mehrere Dokumente undatiert, so dass es sich als schwierig erweist, den genauen Hergang zu rekonstruieren.145 Eine Variante des Textes von Peyerle oder ein Hinweis darauf findet sich nicht in den Dokumenten. 138 Kazimierz Lepszy, Jan Daniłowicz, in: Polski Słownik Biograficzny, Kraków 1934, Bd. 4, 414f. Daniłowicz hielt darüber hinaus zahlreiche weitere Ämter und war in zweiter Ehe mit Zofia Z˙ółkiwska, der Tochter des Krongroßhetmans von Polen, verheiratet und Großvater des polnischen Königs Jan III. Sobieski. Ich danke Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg, Justus Liebig-Universität Gießen, für den Hinweis auf die Identität dieser Person und zahlreiche Literaturhinweise zu den Verhältnissen in Polen. 139 Reinhard 1996, 47. 140 Weiss und von Schauss führen aus, dass Rechnungen Peyerles an den herzoglichen Hof in München bis zum Jahr 1647 vorliegen. Vgl. oben, Anm. 114 und 115. 141 Werner 1913, VI. 142 Leitsch 1960, 43–46. 143 ibid., 43 mit Bezug auf ein undatiertes Schreiben an den Kaiser, das von Phillip Holbain, Jacob Bechler, Georg und Hans Georg Peyerle, Andreas Nathan und Ambrosio Zehlario unterzeichnet war. HHStA Polonica, fol. 9–15. Die mir vorliegenden Scans sind nur mit großer Mühe zu entziffern. 144 ibid. 145 ibid., 43–45.

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Nachdem der Augsburger Bürgermeister sich Anfang Dezember 1606 an den Kaiser gewandt und um Intervention beim Zaren gebeten hatte, kam es in den folgenden Monaten zum Austausch von Gesandten zwischen dem kaiserlichen Hof und Zar Vasilij Sˇujskij, der allerdings beteuerte, alle Ausländer entlassen zu haben und für den Schaden nicht haften zu können.146 Es bleibt unklar, wann Hans Georg Peyerle die Erst- und die Zweitfassung seiner Moskauer Erlebnisse verfasst hat. Die beiden Versionen unterscheiden sich nur in Nuancen voneinander, die schon Schmidt-Phiseldek und Orchard in ihren Editionen zutreffend kenntlich gemacht haben. Es steht zu vermuten, dass eine Erstfassung des Berichtes bald nach der Rückkehr nach Augsburg niedergeschrieben wurde, als die Eindrücke noch frisch waren. Möglicherweise konnte sich Peyerle auf eigene und/oder fremde Notizen stützen. Denkbar ist jedoch auch, dass der Text noch in Moskau verfasst wurde. Doch ist meines Erachtens keine der beiden überlieferten Versionen dort entstanden. Dagegen spricht vor allem, dass wohl kaum eine solche Menge an einheitlichem Papier, wie es bei beiden Exemplaren der Fall ist, zur Verfügung gestanden hat. Die im Bestand Codex Guelf. 32.5. vorhandene Fassung könnte später von einem Schreiber abgeschrieben worden sein, da das Schriftbild sehr gleichmäßig und sauber ist. Die am Rande befindlichen Hinweise, die Orchard als Zwischenüberschriften verwendet, wurden jedoch von anderer Hand eingefügt. Da sich dieser Text in jenem Konvolut befindet, das 1648, ein Jahr vor Peyerles Tod, in die Wolfenbütteler Bibliothek gelangte, ist es möglich, dass er für Hainhofer bzw. für den Herzog eine Abschrift anfertigen ließ, die an einem sicheren Ort aufbewahrt werden sollte. In jedem Falle lässt sich festhalten, dass Peyerle die Welt adeliger und gekrönter Häuser von Jugend auf vertraut gewesen ist. Wir können wohl mit einiger Sicherheit annehmen, dass er seinen Vater zumindest zum bayerischen Herzog ins nahegelegene München begleitete. In Krakau dürfte er mit Sigismund III. Wasa zusammengetroffen sein, der sich selbst als Goldschmied betätigte. Da eine Reise nach Moskau gewiss nicht von Beginn an beabsichtigt gewesen war, wussten Peyerle und seine Begleiter wohl nur das, was ihnen der Dolmetscher und Jan Buczyn´ski erzählt hatten. Sie trafen also auf eine weitgehend unbekannte Welt und auch wenn sie sich in Moskau im Zentrum des Geschehens befanden, so lag ihr Aufenthaltsort, der Hof des polnischen Gesandten, eher an der Peripherie der Ereignisse. Sie konnten diesen Ort nicht verlassen und waren mehr als zwei Jahre auf Nachrichten von außen angewiesen. Die Beziehungen zum polnischen Königshaus, die mindestens bis zum Ende der 1630er Jahre andauerten, tragen meines Erachtens mit zur Erklärung bei, 146 Bürgermeister von Augsburg an den Kaiser, 7. Dezember 1606, HHStA Wien, Russica 1606, fol. 5–6: Original, zitiert bei Leitsch 1960, 44.

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warum Peyerle den falschen Dmitrij, der von Beginn an von polnischer Seite unterstützt wurde, als den ‚echten‘ Thronfolger ansah. Er vertraute offensichtlich darauf, dass der polnische König und sein Adel keinen ‚falschen‘ Prinzen unterstützen würden. Darüber hinaus hatte er vor, während und nach der Gefangenschaft fast ausschließlich Umgang mit Polen, die für ihn die entscheidenden Informationsquellen waren. Den geschulten Blick von Hans Georg Peyerle, über den er trotz seiner Jugend verfügte, bemerkt man in vielen Fällen. Hier sei nur ein Ereignis aufgegriffen, dass die unterschiedlichen Formen von Macht und Herrschaft in aller Deutlichkeit zeigt. Anlässlich einer Audienz, die wenige Tage vor der Hochzeit des Pseudodmitrij I. stattfand, wollte, wie Peyerle schreibt, der „Czar inn wehrung dieser ceremonien seine magnificenz (sonderlich vor dem herrn gesandten)“ beweisen. Der falsche Zar tat dies, indem er die Mitglieder des russischen Hochadels seine Macht spüren ließ und sie zu niederen Diensten, etwa dem Tragen eines Fußschemels, zwang. Dies seien, so Peyerle „schlechte sachen, daß unsere potentaten und fürsten iren schlechtesten edelknaben nit sollten bevehlen.“ Die polnischen Herren, die dies sahen, hatten „ursach zue den discoursen mit einander, daß sie hatten Gott dem Allmechtigen zu dancken, wegen irer freyheiten, so sie inn irem vatterland haben.“147 Entscheidendes Kriterium für die Herrschaft ist nicht nur bei den beiden deutschsprachigen Chronisten deren Legitimität. Sie konnte sich in unterschiedlichen Formen zeigen, dadurch, dass der rechtmäßige Herrscher mit Gottes Hilfe siegt und die dynastische Nachfolge erwiesen ist. So besiegte Pseudodmitirj die Truppen Boris Godunovs, weil Gott dem rechtmäßigen Herrscher in seinem Kampf beistand. Zudem erkannte die leibliche Mutter, Marija Nogaja, in ihm ihren eigenen Sohn Dmitrij. Bussow und auch Isaac Massa sehen in den Kämpfen um den Thron darüber hinaus eine vom Papst und den Jesuiten inszenierte Verschwörung, um die Macht des Katholizismus auszudehnen und den orthodoxen Glauben zu eliminieren. Anklänge an diese These finden sich noch in einigen Darstellungen im 20. Jahrhundert.148 Allerdings sah Bussow das „langwierige blutige Kriegswesen“ auch als eine Strafe Gottes an, weil in seinen Augen und denen anderer Protestanten die Orthodoxie „eine Abgotterey“ war. Er verglich sie mit den „verstockten Egyptiern“, die sich nicht zum 147 Peyerle 1997, 114f. 148 Dafür bot die Schrift des Jesuiten Antonio Possevino, der sich in den Jahren 1581/82 in Moskowien aufgehalten und als Gesandter des Papstes Gregor XIII. einen Waffenstillstand zwischen Moskowien und Polen-Litauen vermittelt, zugleich aber versucht hatte, die russisch-orthodoxe mit der römisch-katholischen Kirche unter Führung des Papstes zu vereinen, einen willkommenen Anlass. Antonio Possevino, Moscovia, Vilnius 1586 und Antwerpen 1587. Eduard Winter, Russland und das Papsttum, 2 Tle., Teil I: Von der Christianisierung bis zu den Anfängen der Aufklärung, Berlin 1960, Kap. IV.

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„rechten wahren Christlichen Glauben“ bekennen wollten, und sich fast wie Heiden oder zumindest wie Ketzer verhielten.149 Die beiden Zeitzeugen Bussow und Peyerle waren in den Zentren des Geschehens in Moskau oder in Kaluga und konnten gleichsam aus erster Hand berichten und zahlreiche wichtige Ereignisse und Fakten beschreiben. Ihre Aufzeichnungen liefern uns eine Außensicht des Geschehens, die es ermöglicht, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Darüber hinaus erhalten wir zugleich einen tiefen Einblick in die Gedanken- und Vorstellungswelt zweier „deutscher Bürger“ an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert.

Literatur Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen a)

Archivalien

Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, Kurbayern Hofzahlamt, Bde. 39 (1593), 45, 46 (1599), 49 (1600), 51 (1602), 56 (1607), 59 (1610), 61 (1612), 73 (1623), 75 (1625) und 79 (1629). Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Codex Guelf. 56 Extravagantes, Codex Guelf. 32.5. Aug. 2o, Codex Guelf. 41 Extravagantes, 86 Extravagantes und 125–15 Extravagantes: Manuskriptfassungen der Text von Conrad Bussow und Hans Georg Peyerle sowie Brief Bussows an Johannes Peparinus. Niedersächsisches Staatsarchiv, Wolfenbüttel 1 Alt 6 Nr. 205, Manuskriptfassung des Textes von Conrad Bussow und Brief Bussows an Herzog August. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Dresden: Mscr. Dresd. G.67, Manuskriptfassung des Textes von Conrad Bussow. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, Russica, Karton 6 (1606–1615): Brief des Augsburger Bürgermeisters an Kaiser Rudolf II., 7. 12. 1606; Eingaben der Kaufleute aus den Jahren 1606 bis 1613.

b)

veröffentlichte Quellen

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Vladimir Klimenko

Sommerlicher Frost, ungeheure Hungersnöte und eine warme Arktis. Extreme klimatische Verhältnisse in Moskowien an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert1

Abstract Here I present a high-resolution record of temperature variability in Muscovy for the late sixteenth-early seventeenth centuries. It is shown that the relatively benign climate of Muscovy in the mid-sixteenth century was followed by a significant deterioration towards the end of the century and culminated in the coolest temperatures of the past two millennia between 1580–1610 A.D. with 1601 and 1608 being the coldest summers on the full record for the Common Era. In the central part of the country the Time of Trouble Cold Episode (TTCE) was characterized by moderately cold winters, extremely cold and rainy summers and unprecedented instability of climatic conditions. Extreme climate of TTCE has profoundly impacted the region and resulted in a long series of crop failures and disastrous famine (1601–1608 A.D.) contributing to the political unrest and social transformation. In the north of the country this cooling displayed an antiphase pattern peaking about two decades earlier and terminating in the 1600–1610s when a significant warming ensued leading to the renewed Arctic exploration and several remarkable voyages of discovery. I suggest that TTCE was not an isolated regional event and must be placed in a broader context of the overall global trend towards cooling during the Little Ice Age. This cooling is largely associated with: 1) decline of the major greenhouse gases (carbon dioxide and methane) atmospheric concentrations; 2) abrupt weakening of the western air masses flow across Europe; 3) cluster of violent volcanic eruptions, including one of the largest during the past millennium eruption of Huaynaputina in February 1600.

Einführung Bis vor einiger Zeit verfügte die Geschichtswissenschaft über keine zuverlässigen Informationen zu kurzfristigen Klimaveränderungen seit Beginn der menschlichen Zivilisation. Aus diesem Grund dominierte auch die Vorstellung, dass sich die klimatischen Bedingungen in den letzten Jahrtausenden gar nicht verändert 1 Der Verfasser dankt der Russischen Wissenschaftlichen Stiftung (Projekt 16-17-00114) für die finanzielle Förderung der Arbeit an diesem Artikel. Er dankt zudem der Alexander von Humboldt-Stiftung für die langjährige persönliche Unterstützung seiner Forschungen.

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hätten. Doch die moderne Paläoklimatologie zeigte sich dazu in der Lage, die Chronologie der klimatischen Ereignisse seit Beginn der menschlichen Zivilisation, und insbesondere in den letzten zwei Jahrtausenden, ziemlich genau zu rekonstruieren. Moderne paläoklimatische Archive, die über eine hohe zeitliche Auflösung verfügen, belegen zweifellos, dass maßgebliche Klimaveränderungen im Verlauf des gesamten Jungholozäns (der letzten 5.000 Jahre) stattfanden und auf erstaunliche Weise mit einschneidenden Wendungen der Sozialgeschichte zusammenfielen. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist das Klima Moskowiens, unter diesem Namen war damals der russische Staat bekannt, an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Dies ist die Epoche der sogenannten ‚Zeit der Wirren‘, eine der dramatischsten Perioden in der Geschichte des Landes, die im Jahr 1598 mit dem Tod des Zaren Fedor, des letzten Rjurikiden, ihren Anfang nahm. Doch sollten die Gründe für die womöglich entscheidende Wende in der russländischen Geschichte tatsächlich ausschließlich im Auslöschen einer Dynastie, im Auftauchen einer Reihe von selbsternannten Zaren, in den Machtkämpfen der Bojaren-Clans, in der Aggression der europäischen Staaten und im vollkommenen Verlust der staatlichen Kontrolle gesucht werden?

Trend der Klimaveränderungen auf der nördlichen Halbkugel im letzten Jahrtausend Seit dem ersten Experiment dieser Art2 wurden im Verlauf der letzten zwanzig Jahre mehr als zehn zusammenfassende Klimarekonstruktionen publiziert, die sich auf die nördliche Halbkugel in den letzten Jahrtausenden bezogen3. Einige von ihnen sind auf Abbildung 1 zu sehen. 2 Vgl. Vladimir V. Klimenko/Vladimir A. Klimanov/Michail V. Fedorov, Istorija srednej temperatury Severnogo polusˇarija za poslednie 11000 let, in: Doklady Akademii Nauk, Nauki o Zemle 348, 4 (1996), 626–629; Vladimir V. Klimenko, Klimat: neprocˇitanaja glava istorii, Moskva 2009, 408. 3 Vgl. Thomas J. Crowley/Thomas S. Lowely, How Warm Was the Medieval Warm Period?, in: Ambio 29, 1 (2000), 51–54; Jan ESPER/Edward R. Cook/Fritz H. Schweingruber, Lowfrequency Signals in Long Tree-ring Chronologies for Reconstructing Past Temperature Variability, in: Science 295, 5563 (2002), 2250–2253; Andreas Moberg/Dmitrij M. Sonecˇkin/ Karin Holmgren et al., Highly Variable Northern Hemisphere Temperatures Reconstructed from Low- and High-resolution Proxy Data, in: Nature 433, 7026, (2005), 613–617; Michael E. Mann/Zhihua Zhang/Malcolm K. Hughes et al., Proxy-based Reconstruction of Hemispheric and Global Temperature Variations over the Past Two Millennia, in: Proceedings of the National Academy of Sciences 105, 36 (2008), 13252–13257; Craig Loehle/ J. Huston McCulloch, Correction to: A 2000-year Global Temperature Reconstruction Based on Nontree Rings Proxies, in: Energy and Environment 19, 1 (2008), 93–100.

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Abbildung 1: Rekonstruktionen der Jahresdurchschnittstemperatur auf der nördlichen Halbkugel in den letzten 2000 Jahren: K,4 MSH,5 MZH,6 LM7.

Heute kann als gesichert gelten, dass die Geschichte des Klimas in den letzten zwölf Jahrhunderten in drei Phasen eingeteilt werden kann: – die ‚mittelalterliche Wärmeperiode‘ (Medieval Warm Period – MWP) etwa ab dem Jahr 900 bis zum Jahr 1200 (1300) mit einem Kälteintervall zwischen den Jahren 1070 und 1150; – die ‚Kleine Eiszeit‘ (Little Ice Age – LIA) von ca. 1300 bis 1900 und – die ‚Epoche der heutigen Erwärmung‘ (nach 1900). Somit fällt der hier behandelte Zeitraum, die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, vollständig in die sogenannte ‚Kleine Eiszeit‘ (LIA), eine langanhaltende und hauptsächlich kalte Epoche, die jedoch mehrfach durch kurze Wärmeperioden (nicht länger als etwa 20–30 Jahre) unterbrochen wurde. 4 5 6 7

Vgl. Klimenko/Klimanov/Fedorov 1996, 626–629; Klimenko 2009, 408. Vgl. Moberg/Sonecˇkin/Holmgren et al., 2005, 613–617. Vgl. Mann/Zhang/Hughes et al., 2008, 13252–13257. Vgl. Loehle/McCulloch, 2008, 93–100.

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Auffällig ist, dass in allen vorgestellten Rekonstruktionen die Epoche der ‚Zeit der Wirren‘ – selbst vor dem Hintergrund der allgemeinen Kältephase während der ‚Kleinen Eiszeit‘ (LIA) – als ein Zeitraum mit einem besonders intensiv ausgeprägten Temperaturrückgang herausragt, der das verhältnismäßig freundliche Klima am Anfang und in der Mitte des 16. Jahrhunderts ablöste. Mehr noch, die Kältephase während der ‚Zeit der Wirren‘, die sogenannte TTCE – ‚Time of Troubles Cold Episode‘, war auch gleichzeitig die kälteste Zeitspanne in den letzten zwei Jahrtausenden. Die Tatsache, dass die Menschen jener Zeit zuvor nichts Vergleichbares erlebt hatten, kann somit zu einem gewissen Teil auch die katastrophalen Folgen der Kälteperiode für diverse Länder und vor allem für Moskowien erklären.

Das Klima der ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) in Zentralrussland Es sind zahlreiche Forschungsarbeiten bekannt, die die Klimaveränderungen in Zentralrussland während des letzten Jahrtausends auf der Grundlage historischer, dendrochronologischer und palynologischer Daten behandeln.8 Einen genaueren Überblick über die durchgeführten Untersuchungen gibt die Arbeit von Klimenko und Solomina aus dem Jahr 2010.9 Die Zusammenfassung der Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen wurde von uns in einer Arbeit durchgeführt, in der erstmals die Chronologie der Saisontemperaturen (Winter und Sommer) sowie die Jahresdurchschnittstemperaturen und die Niederschlagsmenge in Zentralrussland während der letzten zwei Jahrtausende mit einer zeitlichen Auflösung in Dekaden aufgeführt wurde10. Schließlich wurde erst kürzlich eine ausführliche gesamteuropäische Klimarekonstruktion durchgeführt, die das heutzutage detailreichste Bild der jährli8 Für Klimaveränderungen auf der Grundlage historischer Informationen vgl. Michail E. Ljachov, Klimaticˇeskie e˙kstremumy v central’noj cˇasti Evropejskoj territorii SSSR v XIII–XX vv., in: Izvestija Rossijskoj Akademii Nauk. Serija geograficˇeskaja 6 (1984), 68–74; Rudol’f K. Klige/Alexandr M. Voronov/Andrey O. Selivanov, Formirovanie i mnogoletnie izmenenijavodnogo rezˇima Vostocˇno-Evropejskoj ravniny, Moskva 1993, 127; auf Grundlage dendrochronologischer Informationen vgl. Nikolaj V. Lovelius, Izmencˇivost’ prirosta derev’ev, Leningrad 1979, 232; Olga N. Solomina et al., Dendrochronologicˇeskie „letopisi“ „Vologda“ i „Solovki“ kak istocˇnik dannych o climate poslednego tysjacˇeletija, in: Doklady Akademii Nauk, Nauki o Zemle 439, 4 (2011), 539–544. 9 Vgl. Vladimir V. Klimenko/Olga N. Solomina, Climatic Variations in the East European Plain During the Last Millennium: State of the Art, in: Rajmund Przybylak et al. (eds), The Polish Climate in the European Context: An Historical Overview, Berlin 2010, 71–101. 10 Vgl. Vladimir V. Klimenko/Andrej M. Slepcov, Obobsˇcˇenie paleoklimaticˇeskich dannych i rekonstrukcija klimata Vostocˇnoj Evropy za poslednie 2000 let, in: Izvestija Russkogo Geograficˇeskogo Obsˇcˇestva 6 (2003), 45–54.

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chen Schwankungen der Sommertemperatur auf dem geographischen Koordinatennetz von 5×5о ab dem Jahr 755 darstellt11. Auf Abbildung 2 sind die Ergebnisse der vorgenommenen Rekonstruktionen der Saison- und der Jahresdurchschnittstemperaturen im Zentrum der Osteuropäischen Ebene (russ.: Russkaja (Vostocˇno-Evropejskaja) ravnina) vom 16. bis zum 17. Jahrhundert dargestellt, zusammen mit einem Fragment der Rekonstruktion der Jahresdurchschnittstemperatur auf der Nordhalbkugel. Aus dieser Abbildung geht hervor, dass die recht günstigen Klimabedingungen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der zweiten Jahrhunderthälfte begannen, sich rasch zu verschlechtern, bis sie schließlich von einer starken und unerwarteten Kältephase abgelöst wurden. Diese Kältephase äußerte sich am stärksten im Sommer. Dabei stellten sich die 30 Jahre zwischen 1591 und 1620 als die kältesten Jahre des gesamten rekonstruierten Zeitraums, also mindestens der letzten anderthalb Jahrtausende, heraus. Die kälteste Sommerdekade (1596–1605) und die kältesten Sommer (1601 und 1608) mit einer Temperatur, die um fast 2,5 оС von der Norm des 20. Jahrhunderts abweicht, fallen ebenfalls in die Zeit der Jahrhundertwende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den Sommern zeichneten sich die Winter um den Jahrhundertwechsel durch besondere Instabilität aus; anstelle der „strengen“ Winter der 1590er Jahre gab es Anfang des 17. Jahrhunderts milde und feuchte Winter. Während also im Zeitraum zwischen 1580 und 1599 in den Chroniken von neun strengen Wintern die Rede war (fast jeder zweite), berichteten sie zwischen 1600 und 1619 nur von dreien. Schließlich häuften sich an der Jahrhundertwende solche gefährlichen und extremen Phänomene wie die Wiederkehr der Kälte nach Sommerbeginn (im Zeitraum zwischen 1580 und 1619 kehrte der Winter achtmal zurück) oder die frühen Fröste am Ende des Sommers (viermal), siehe dazu Abbildung 2.

11 Vgl. Jürg Luterbacher et al., European Summer Temperatures since Roman Times, in: Environmental Research Letters 11, 2 (2016).

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Abbildung 2: Rekonstruktion der Jahresdurchschnitts- und Saisontemperaturen im Zentrum und im Norden Moskowiens vom 16. bis zum 17. Jahrhundert: Zentrum: Sommer,12 Zentrum: Sommer, Zehnjahresmittel,13 geglättet mit einem zehnjährigen gleitenden Mittelwert, Zentrum: Winter,14 Zentrum: Jahr,15 Norden: Jahr,16 Nordhalbkugel: Jahr.17 Die Temperaturabweichungen sind nach den Durchschnittswerten zwischen 1951 und 1980 berechnet.

12 13 14 15 16

Vgl. Luterbacher et al. 2016, 2. Vgl. ebd. Vgl. Klimenko/Slepcov 2003, 45–54. Vgl. ebd. Vgl. Vladimir Klimenko et al., Multi-archive temperature reconstruction of the Russian Arctic for the past two millennia, in: Geography, Environment, Sustainability 7 (2014) No. 1, 16–29. 17 Vgl. Moberg et al. 2005, 613–617.

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Selbstverständlich erregten solche ungewöhnlichen meteorologischen Phänomene die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen, sodass diverse zeitgenössische Chroniken zahlreiche Zeugnisse dieser dramatischen Ereignisse enthalten.18 Der Winter des Jahres 1601 war außergewöhnlich mild und schneereich. Der Schnee auf den Feldern reichte einem Menschen „bis an die Brust“ und unter dem Schnee begann die Wintersaat zu faulen. Im Sommer begann es ab dem 29. Juni, „ununterbrochen“ zu regnen. Es regnete zwölf Wochen lang und „das Korn und die Sommerfrüchte wurden durchnässt und überwinterten im Feld“. Mitten im Hochsommer (28. Juli) brach starker Frost ein: „Der große Frost und die Kälte töteten alle Pflanzen und jegliches Gemüse, und es gab drei Sommer lang eine große Hungersnot“ („velikij mraz i pozjabe vsjakoe zˇito i vsjakij ovosˇcˇ, i byst’ glad velik 3 leta“.19 In diesem Jahr sind in den Chroniken gleich mehrere Daten des Sommerfrostes vermerkt: 28. Juli, 15. und 29. August: „Früh im Sommer begann der große Frost“ („rano v lete stali velikie morozy“). Viele Chroniken berichteten davon, dass am 1. September 1601 der erste Schnee fiel. Im September begann die Ernte des Sommergetreides, das aufgrund des Wärmemangels noch grün geblieben war. Am 4. Oktober jedoch schneite es und der Schnee bedeckte die gesamte Saat, und „[hat] […] einen großen, grausamen Schaden angerichtet“ (velikuju jari ˇskodu ucˇinilo“). Ab dem 10. Oktober schneite es eine ganze Woche lang ziemlich stark und die Schneehöhe reichte bis zur Mitte des Unterschenkels. Durch die Kältewelle fror der Dnepr zu, und man konnte auf dem Eis wie im tiefsten Winter fahren. Dies war der Beginn einer Katastrophe ohnegleichen. Nach einem harten schneearmen Winter des Jahres 1602, der durch starken Frost gekennzeichnet war, begann dem Anschein nach ein recht freundlicher Frühling. Doch „am Donnerstag der zehnten Woche nach Ostern“ (21. Juli nach gregorianischem Kalender) kam ein „großer, grausamer Frost“ und es gefror „alles Blühende und alles Gartengemüse“. Auch im nächsten Sommer 1603 „machte die große Kälte jede menschliche Arbeit auf dem Feld unmöglich, als hätte das Feuer den gesamten Boden zerfressen“ („pobi mraz sil’nyj vsjak trud del cˇelovecˇeskich v poljach […] i jako ot ognja pojadena byst’ vsja zemlja“). Allein in Moskau wurden 127.000 Menschen in drei Massengräbern begraben, was sicherlich jedoch nur ein Teil der Verhungerten war. In Moskau, Smolensk und anderen Städten wüteten Epidemien, so dass die Lebenden es kaum schafften, die Verstorbenen zu be-

18 Vgl. Evgenij P. Borisenkov/Vasilij M. Paseckij, Letopis’ neobycˇajnych javlenij prirody za poslednie 2,5 tysjacˇi let, S.-Peterburg 2003, 536; Evgenij P. Borisenkov/Vasilij M. Paseckij, Tysjacˇeletnjaja letopis’ neobycˇajnych javlenij prirody, Moskva 1988, 522. 19 Die angeführten Zitate hier und im Folgenden entstammen der Quellensammlung von Borisenkov/Paseckij 1988. Die in Klammern gesetzten russischen Originalzitate sind sinngemäß ins Deutsche übersetzt worden.

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graben. Es heißt, dass infolge der „Großen Hungersnot“ ein Drittel der Bevölkerung Moskowiens ums Leben kam, also etwa drei Millionen Menschen. Der Zeitraum zwischen 1601 und 1603 trägt die traurige Bezeichnung ‚der Godunov-Hunger‘ bzw. ‚der große Hunger‘. Doch sollte an dieser Stelle berücksichtigt werden, dass diese Definition ernstzunehmende Ungenauigkeiten enthält. Diese bestehen darin, dass der Hunger in Moskowien im Jahr 1603 noch nicht vorbei war, sondern sich auf acht lange Jahre bis 1608 ausdehnte.20 So verweisen die Chroniken des Jahres 1604 erneut darauf, dass „das Wetter im Frühling schlecht war, die ganzen Blüten wurden vom Frost erschlagen“ („vesna nepogodna byla. Zacvetsˇee zˇito pobil moroz“). In Moskau fiel sogar mitten im Sommer Schnee, es gab Frost und man fuhr auf Schlitten. („Na Moskve sredi leta vypal sneg velikij, i moroz byl, v sanjach ezdili.“). Im darauf folgenden Jahr 1605 brach in den Zentralregionen Moskowiens eine Trockenzeit aus: „Im Sommer gab es eine große Trockenheit, und es regnete sehr wenig“ („letom suchost’ byla velmi […] dozˇdu malo byvalo“), während 1607 und 1608 heftige Regenfälle die Ernte zerstörten. Erst nach 1608 verschwanden die Klimakatastrophen ebenso schnell, wie sie in Moskowien eingetreten waren, und die Chroniken des nächsten Jahrzehnts enthalten kaum noch Zeugnisse von extremen klimatischen Bedingungen. Erst im Jahre 1619 waren die westlichen Regionen Moskowiens erneut von spätem Frost betroffen – am 5. Mai „in der höchsten Blütezeit“ fiel Schnee: „Und das Vieh konnte wegen des Schnees und des Frosts nicht auf die Felder getrieben werden, und das Heu war teuer“ („i ne mogla zˇivotina choditi na pole iz-za snega i moroza, a seno bylo dorogo“). Somit bestätigen und vervollständigen die historischen Zeugnisse das dramatische Bild der ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE), das sich vor dem Hintergrund der abrupt eingetretenen globalen Kältezeit entwickelte und von einem gemäßigt kalten Winter, einem sehr kalten und regnerischen Sommer und außergewöhnlich schwankenden Klimabedingungen gekennzeichnet war.

Das Klima der ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) im Norden Russlands und in der russischen Arktis Es gibt nur eine geringe Anzahl von Arbeiten, die der Erforschung des Klimas in Nordosteuropa in den letzten tausend Jahren gewidmet sind. Den vollständigsten Überblick und eine Zusammenfassung der Ergebnisse bietet eine von uns

20 Vgl. Borisenkov/Paseckij 2003, 536.

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kürzlich herausgegebene Arbeit.21 Unsere Temperaturrekonstruktion (Abbildung 2) zeigt, dass die Klimaschwankungen in den höheren und mittleren Breitengraden sich nicht immer synchron zueinander verhielten, sondern zeitweise sogar diametral entgegengesetzt waren. Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts kam es, gemessen am globalen Trend, im Norden Moskowiens zu einem drastischen Abfall der Temperatur. Im Verlauf eines Jahrzehnts (1560er–1570er Jahre) fiel die Jahresdurchschnittstemperatur um beinahe 1o Celsius und blieb bei diesem Rekordtief bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Während aber anschließend in den zentralen Regionen Moskowiens eine bislang unbekannte Kälte wütete, war die Arktis paradoxerweise von einer kurzen, aber intensiven Erwärmung betroffen, deren unverkennbare Spuren in zahlreichen historischen Zeugnissen enthalten sind. Eine kurze Chronologie der wesentlichen Ereignisse in der untersuchten Region sieht wie folgt aus.22 Mitte des 16. Jahrhunderts führten die Russen eine intensive Kolonialisierung der Küsten der Kola-Halbinsel durch, die erstaunlicherweise zeitlich mit der Wärmephase in der Arktis zusammenfiel, welche bis zum Beginn der 1570er Jahren andauerte. Während dieser Zeit entstand auf Murman23 an der Küste des Flusses Kola, eine dauerhafte, wenn auch recht kleine Siedlung und nicht weit davon entfernt das weltweit nördlichste Pecˇengskij-Kloster (Pecˇenga-Kloster).24 Der Zulauf der Russen in den äußersten Norden intensivierte sich besonders um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Es heißt, dass er nicht zuletzt durch die politische Unterdrückung aus Moskau gefördert wurde, die sich vor allem während der Regierungszeit Ivans des Schrecklichen besonders verstärkte. Doch wir vermuten, dass bei der Bewegung nach Norden auch die sich rasch verbessernden klimatischen Bedingungen eine positive Rolle spielten. Ein indirektes Zeugnis für diese Vermutung bildet die Tatsache, dass Ende des 16. Jahrhunderts, unter den Bedingungen einer erneuten Kälteperiode, niemand mehr in die eigentlich klimatisch günstigere Region des Weißen Meeres fliehen wollte. Aus diesem Grund musste Moskau mithilfe von Zwangsmitteln das Unterland der Nördlichen Dvina besiedeln. Dort wurde im Jahre 1584 die Stadt Archangel’sk gegründet. Mitte des 16. Jahrhunderts entstand in England eine ernsthafte öffentliche Besorgnis über das in dieser Zeit etablierte maritime Monopol Spaniens und 21 Vgl. Vladimir V. Klimenko/Dittmar Dahlmann/Vladimir V. Matskovsky, Multi-archive temperature reconstruction of the Russian Arctic for the Past Two Millennia, in: Geography, Environment, Sustainability 7 (2014) 1, 16–29. 22 Vladimir V. klimenko/Natalia A. Astrina, Documentary evidence of strong climate variations of the Russian Arctic in the 15–20th centuries, in: History and Modernity 1 (2006), 179–218. 23 Frühere Bezeichnung für die Kola-Halbinsel. 24 Das Kloster liegt an der Mündung des gleichnamigen Flusses in die Barents-See.

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Portugals für den Handel mit dem Osten. Auf der Suche nach einer neuen, alternativen nördlichen Seeroute in Richtung Osten wurden einige Expeditionen entsandt, denen es gelang, die Küsten von Novaja Zemlja zu erreichen und bis in die Kara-See vorzudringen. Bald nach den Engländern griffen auch die Holländer in den Wettlauf um die Erkundung der nordöstlichen Durchfahrt ein. Einem von ihnen, Oliver Brunel, gelang es als erstem Europäer, um 1580 den Ob’-Unterlauf zu erreichen. Allerdings scheiterten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts alle darauf folgenden Versuche, darunter auch ein weiterer von Brunel selbst sowie drei Reisen von Willem Barents zwischen 1594 und 1597. Zu dieser Zeit erreichte die Temperatur im westlichen Sektor der Arktis ihr tausendjähriges Minimum (Abbildung 2). Es ist also nicht verwunderlich, dass Barents’ Schiff bei dessen letzter Fahrt schon am 21. (31.) August 1597 ausgerechnet in dem Teil der KaraSee in eine Eisfalle geriet, der heutzutage bis Ende Dezember eisfrei bleibt. Die Situation veränderte sich im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts von Grund auf, als die Seefahrt in den arktischen Gewässern ein bislang unbekanntes Ausmaß annahm. In dieser Zeit erreichte eine ganze Reihe englischer (Henry Hudson, William Gourdon), holländischer (Jan van Hoorn, Jan Cornelisz May, Cornelis Bosman), und dänischer (Jens Munk) Expeditionen die Küsten von Novaja Zemlja und drangen manchmal tief in die Kara-See vor. Im Jahr 1607 erreichte Henry Hudson im Umkreis von Spitzbergen den nördlichen Breitegrad 80о 23′ und stellte damit auch einen erstaunlichen Weltrekord auf. Diese Errungenschaft wurde erst 200 Jahre später von dem englischen Seefahrer und Walfänger William Scoresby übertroffen, der 1806 bis zum 81о 30′ nördlicher Breite vordrang. Eine Reihe erfolgreicher Schiffsfahrten setzte sich auch im Jahr 1610 fort. Das Schiff von Kondratij Kurocˇkin fuhr den Enisej von Turuchansk aus abwärts und durch die Kara-See, ohne jegliche Hindernisse, bis zur Mündung des PjasinaStroms an der nordwestlichen Küste der Halbinsel Tajmyr. Schließlich umrundeten unbekannte russische Seefahrer noch vor 1618 den äußersten nördlichen ˇ eljuskin – und überwanden auf diese Weise 260 Jahre vor Punkt Eurasiens – Kap C Adolf Erik Nordenskjöld den mühseligsten Teil der Nordostpassage. Nicht weniger Erstaunliches ereignete sich an den südlichen Küsten der Barents- und Kara-See. Dort, 180 Kilometer von der Taz-Mündung und über 2.000 Kilometer von Archangel’sk entfernt, entstand 1601 eine lebhafte Handelsstadt namens Mangazeja, die auf ihrem Höhepunkt über 2.000 Einwohner zählte, eine Festung sowie drei Kirchen hatte. In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts dockten in Mangazeja, einer Stadt, die sich ihres Daunenmarkts und des Handels mit Walrossstoßzähnen (rybnyj zub) rühmte, jährlich um die 16 bis17 Schiffe an. Gemessen an den Verhältnissen des 18. Jahrhunderts würde jede Seefahrt solcher Art als eine Heldentat gelten. Die von uns rekonstruierten Temperaturen zeigen,

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dass alle hier aufgeführten Ereignisse in der Arktis genau in der Wärmeperiode stattfanden (Abbildung 2). Die russische Regierung reagierte entschlossen und ziemlich eigenartig auf die neue Möglichkeit der Seefahrt im Norden. 1619 untersagte Michail Romanov unter Androhung der Todesstrafe die Nutzung des nördlichen Seeweges über Mangazeja (Mangazejskij morskoj chod), aufgrund seiner Befürchtung, dass dieser Weg auch von Ausländern genutzt werden könnte. Somit wurde das Schicksal von Mangazeja besiegelt. Die Stadt erlosch allmählich im Laufe mehrerer Jahrzehnte, bis sie 1672 letztlich vollständig verlassen wurde, als eine erneute Kältewelle (Abbildung 2) die Lebensbedingungen der Menschen dort unmöglich machte. Mangazeja ist nie wieder auferstanden.

Die Ursachen für die ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) Die moderne Klimatologie vermutet, dass es für die Beschreibung der globalen oder regionalen Klimaschwankungen in der Auflösung von Jahrzehnten oder Jahrhunderten ausreicht, einige äußere und innere Faktoren bezüglich des klimatischen Systems zu beachten. Zu den wesentlichen äußeren Faktoren zählen: – die physisch-chemische Zusammensetzung der Atmosphäre (Treibgase und Aerosole), – die Sonnenaktivität und – die Vulkanaktivität. Zu den inneren Faktoren zählen spontane aperiodische Schwankungen der grundlegenden Parameter des klimatischen Systems (Temperatur und Druck). Für das in dieser Arbeit behandelte Osteuropa ist die Veränderung der Druckfelder über dem Nördlichen Atlantik, die sogenannten nordatlantischen Schwankungen (NAO), von wesentlicher Bedeutung sowie die Veränderungen der Temperaturen der Oberflächengewässer des Ozeans im nichttropischen Teil des Atlantik: die Atlantische Multidekadenoszillation (AMO). Um das Phänomen genauer zu beschreiben, ist es üblich, folgende Indices zu verwenden: den Index NAO und den Index AMO. Auf Abbildung 3 wird die Chronologie der grundlegenden klimabildenden Faktoren im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts dargestellt. Auf den ersten Blick erscheint die Konzentration der wichtigsten Treibgase unserer Atmosphäre – Kohlendioxid und Methan – nicht bemerkenswert, da diese die 4–5% des Maximums aus dem 16. Jahrhundert nicht überschreiten. Dennoch zeigen unsere Berechnungen, dass selbst solche Veränderungen einen Temperaturrückgang vom Maximum der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Minimum von 1590 bis1610 hervorrufen können, also um 0,12 оC auf der Halb-

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kugel und entsprechend um (0,2–0,25) оC in den zentralen und nördlichen Regionen Moskowiens. Dem Charakter der Veränderungen der Sonnenstrahlung (der Wärmestrom, der auf die äußere Oberfläche der Atmosphäre trifft) zufolge hätte sie recht bald die Erhöhung der globalen und regionalen Temperaturen fördern sollen, da genau im Zeitraum der ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) die Sonnenaktivität ihr Jahrhundertmaximum erreichte. Tatsächlich jedoch stellte es sich ganz anders heraus. Das Klimasystem befand sich in dieser Zeit unter dem Einfluss anderer, um einiges bedeutenderer Faktoren, die genau die dramatische Abkühlung an der Jahrhundertwende hervorriefen.

Abbildung 3: Rekonstruktionen der Jahresdurchschnittswerte der grundlegenden klimabildenden Faktoren im 16. und 17. Jahrhundert. Sonnenstrahlung – Veränderungen der Sonnenstrahlung dRSI25 im Vergleich zu den Durchschnittswerten für den Zeitraum zwischen 1500 und 1700,26 Vulkanaktivität,27 Konzentration von Kohlenstoff und Methan in der Atmosphäre,28 Winterindex NAO,29 Index AMO30.

25 Dt.: Sonnenstrahlung (russ.: solnecˇnaja radiacija).

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Es ist offensichtlich, dass die wichtigste Triebkraft für den drastischen Temperaturrückgang der ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) in diesem Fall die Vulkantätigkeit ist. Tatsächlich endete die diesbezüglich ziemlich ruhige Periode, die fast das ganze 16. Jahrhundert angedauert hatte, nach dem Jahre 1585 mit einem plötzlichen Ausbruch der Vulkanaktivität, als innerhalb von lediglich 15 Jahren nacheinander mindestens drei starke Vulkanausbrüche stattfanden, welche zu den 50 stärksten in den letzten 2.500 Jahren gehören. Das ist der einzige Fall in der Geschichte des gegenwärtigen globalen Vulkanismus, dass drei so große Ereignisse in einem so kurzen Zeitraum passierten31. Zwei von diesen Ausbrüchen, wahrscheinlich die indonesischen Vulkane Kelut (1586) und Raung (1593), gehören zur Kategorie der starken Ausbrüche, und der Ausbruch des Vulkans Huaynaputina in den peruanischen Anden (Februar 1600) führte zu den stärksten Verwüstungen des Jahrtausends. Es ist anzumerken, dass einer der Höhepunkte der Vulkanaktivität (Abbildung 3) durchaus von dem Ausbruch des Vulkans Billy Mitchell (Papua-Neuguinea) hervorgerufen wurde, dessen genaues Datum bis jetzt nicht festgestellt werden konnte, das aber zweifellos zwischen 1560 und 1600 liegt. Als wichtigster Grund für die starke Kaltzeit während der Smuta wird in der letzten Zeit nur der Ausbruch des Huaynaputina angesehen,32 aber diese Erklärung ist aus meiner Sicht zu oberflächlich, weil die Abkühlung 26 Vgl. Gilles Delaygue/Edouard Bard, An Antarctic View of Beryllium-10 and Solar Activity for the Past Millennium, in: Climate Dynamics 36, 11 (2010), 2201–2218; Friedhelm Steinhilber et al., Total Solar Irradiance During The Holocene, in: Geophysical Research Letters 36, L19704 (2009). 27 Vgl. Chaochao Gao et al., Volcanic Forcing of Climate Over the Past 1500 Years: An Improved Ice Core-Based Index For Climate Models, in: Journal of Geophysical Research 113, D23111 (2008). 28 Für Kohlenstoff vgl. Cecelia MacFarling Meure et al., The Low Dome CО2, CН4 and N2O Ice Core Records Extended to 2000 Years BP, in: Geographical Research Letters 33 (2006) 14, L14810; für Methan vgl. David M. Etheridge et al., Atmospheric Methane between 1000 A. D. and Present: Evidence of Anthropogenic Emissions and Climatic Variability, in: Journal of Geophysical Research 103, 13, 15 (1998), 979–15, 993. 29 Vgl. Valerie Trouet et al., Persistent Positive North Atlantic Oscillation Mode Dominated the Medieval Climate Anomaly, in: Science 24, 5923 (2009), 78–80. 30 Vgl. Michael E. Mann et al., Global Signatures and Dynamical Origins of the Little Ice Age and Medieval Climate Anomaly, in: Science 326, 5957 (2009), 1256–1260. 31 Vgl. Michael Sigl et al., Timing and climate forcing of volcanic eruptions for the past 2,500 years, in: Nature 523, 7562 (2015), 543–549; Thomas J. CROWLEY/Matthew B. Unterman Technical details concerning development of a 1200-year proxy index of global volcanism, in: Earth System Science Data 5, 1 (2013), 187–197. 32 Shanaka L. De Silva/Gregory A. Zielinski, Global influence of the AD 1600 eruption of Huaynaputina, Peru, in: Nature 393, 6684 (1998), 455–458; Kenneth Verosub/Jake lippman, Global impacts of the 1600 eruption of Peru’s Huaynaputina volcano, in: Eos 89, 15 (2008), 141–143; Alexandra WITZE, The volcano that changed the world, in: Nature (2008) doi:10.1038/news. 2008.747; Marie-Antoinett Mèliéres/Chloé Maréchal, Climate Change: Past, Present, and Future, New York 2015.

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viel früher als dieser Ausbruch begann (Abbildung 2). Außerdem ist es bekannt, dass ein einzelner Ausbruch, sogar von katastrophalem Ausmaß, keine so lang anhaltende Phase, eine 20 bis 30 Jahre dauernde Kaltzeit, hervorrufen kann, weil Schwefelsäureaerosol aus der Atmosphäre mit den Niederschlägen innerhalb von maximal drei bis vier Jahren ausgewaschen wird. Deswegen machte erst die Entstehung eines beispiellosen Clusters von mehreren Ausbrüchen am Ende des 16. Jahrhunderts den Eintritt der ziemlich langen und intensiven Kaltzeit möglich. Tatsächlich warf in dieser Zeit eine Serie kräftiger tropischer Ausbrüche eine große Menge an Schwefeloxiden in die Atmosphäre aus, die nach der Reaktion mit dem Wasserdampf einen dicken Hitzeschild auf dem Weg der Sonnenstrahlung bildeten. Die Dichte des Hitzeschildes reichte für einen lang anhaltenden (15–20 Jahre) Rückgang der globalen Temperatur um 0,25–0,30 oC und der regionalen Temperaturen auf 0,4–0,6 oC aus, und diese Werte sind recht nah an jenen Abweichungen, die in der Rekonstruktion (Abbildungen 1 und 2) festgehalten sind. Deswegen sollte man für eine vollständige Erklärung des einzigartigen Ausmaßes der Klimakatastrophe in der ‚Zeit der Wirren‘ die zusätzlichen Ursachen für das Aufkommen der ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) suchen. Diese scheinen jetzt im inneren Wandel des Klimasystems zu liegen, der mit den Indices NAO und AMO in der Abbildung drei beschrieben wird. Strenggenommen sind diese Indices keineswegs unabhängig und charakterisieren allgemein die Intensität der Übertragung von Wärme und Feuchtigkeit aus dem Atlantik auf den europäischen Kontinent. Abbildung 3 weist an der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert deutlich einen starken Rückgang beider Indices und folglich eine Minimierung des westlichen Luftmassenstroms auf, sowie eine Möglichkeit des tiefen Durchbruchs der Arktikluft. Die Phänomene AMO und NAO haben eine niedrig frequentierte zeitliche Struktur, die periodische Komponenten einer zehnjährigen Dauer enthält. Aus dem Grund formierten genau diese Komponenten zusammen mit der unterdurchschnittlichen Kohlenstoffdioxidkonzentration und mit der plötzlich gestiegenen Vulkanaktivität die ungünstig kalten Bedingungen, unter denen sich die ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) zu formieren begann. Es kann festgehalten werden, dass der letzte Ausbruch des Huaynaputina-Vulkans dem bereits geschwächten Klimasystem einen coup de grâce versetzte, was letztlich zu einer Klimakatastrophe führte.

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Zusammenfassung 1. Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts waren die Zentralgebiete Moskowiens von einer präzedenzlosen Kältewelle betroffen. Dabei wurde das Minimum der Wintertemperaturen in den 1590ern und das der Sommertemperaturen in den Jahren von 1600 bis 1610 erreicht. 2. In den subarktischen und arktischen Zonen erreichte die Kältephase ihren Höhepunkt bereits früher, in den 1570–1590ern Jahren, während sich am Anfang des 17. Jahrhunderts die Jahresdurchschnitts- und Sommertemperaturen drastisch erhöhten und die Blütezeit der arktischen Seefahrt ermöglichten. 3. Die Gründe für die Formierung der ‚Time of Troubles Cold Episode‘ (TTCE) liegen in einer äußerst ungünstigen Kombination einer Reihe klimatischer Faktoren: dem Nachlassen der Intensität der atlantischen Westwinddrift, der Minderung der Kohlenstoffdioxid- sowie der Methankonzentration in der Atmosphäre und in der Formierung eines gewaltigen Clusters von Vulkanausbrüchen am Ende des 16. Jahrhunderts. Aus dem Russischen übersetzt von Alice Lichtva, M.A.

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Facetten der Autokratie in der russischen und chinesischen Geschichte

Aleksandr I. Filyushkin

Das Bild der Autokratie des Moskauer Reiches in der Geschichtspolitik Russlands. Von der Selbstrepräsentation des 16. Jahrhunderts zur ‚Mobilmachung des Mittelalters‘ im 21. Jahrhundert1

Abstract Historical politics means a set of measures to form a particular historical image, that appeals to a specific audience to encourage certain motives, assessments and actions. Historical politics can be initiated by both the authorities and various social groups. Thus, a few kinds of historical politics can be simultaneously implemented in the society. They are mixed into a complex cocktail whose ingredients struggle with each other. The history of Moscow autocracy is no exception. It was formed in the 15th–16th centuries, during the period when Russian authorities realized the importance and necessity of historical self-presentation, which developed in several ways: creating the historical concept of presenting ‘The State of All Russia’, and then the Russian kingdom, in the international arena; creating historical justification of the old age and grandeur of the Russian monarchy from Vladimir Monomakh (and then Vladimir the Baptist) to Ivan IV the Terrible. The Moscow kingdom of the 16th century is declared the apotheosis of the monarchy, its highest point, almost ready to immediately embody the idea of bringing about the Kingdom of God on the earth. That is the reason why disappointment was so bitter when just a few years after those ideas were promulgated, everything collapsed, the Rurik dynasty was interrupted, and the boyar Boris Godunov, and then the impostor False Dmitri, ascended to the throne. In order to recover from this blow, there was a need for a historical reboot in the form of the ‘Time of Troubles’ that destroyed the Russian world. Troubles and disruption of the God-chosen Rurik dynasty destroyed part of the principles of historical politics. It was necessary to legitimize the new Romanov dynasty. As a royal dynasty, it had very weak historical roots. Therefore, in the 17th century there was less appeal to history in justifying the greatness and significance of the Romanov dynasty, than in case with the Rurik dynasty in the 16th century. In the 18th century, the situation changed radically. During the era of Peter I (1689–1725), when creating the Russian Empire, the image of the Moscow kingdom became highly soughtafter in the official ideology. It was portrayed as an antithesis to the Petrine reforms. Such contrast with Peter’s bright reform era was created consciously to justify the need for and

1 Der Aufsatz wurde mit Unterstützung des russischen Nationalfonds (RNF) verfasst, Projekt 16-18-10080 „Mobilizovannoe srednevekov’e: obrasˇcˇenie k srednevekovym obrazam v diskursach nacional’nogo gosudarstvennogo stroitel’stva v Rossii i stranach Central’no-Vostocˇnoj Evropy i Balkan v novoe i novejsˇee vremja“.

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rightness of the reforms. The Moscow kingdom and elements of its power became a symbol of political inefficiency. Our view of the ‘non-modernity’ of Moscow autocracy has so far been largely influenced by discourses of the Petrine era. The next stage of development was the publication of ‘the History of the Russian State’ (Istorija gosudarstva Rossijskogo) by N. M. Karamzin, whose first volume came out in 1817. In his book, Ivan the Terrible became the main anti-hero of the Russian history and a symbol of Moscow tyranny. During the Soviet period, the process of partial rehabilitation of the Moscow autocracy began. Firstly, its period was declared as the period of creating the Russian national state. Secondly, due to the fact that Stalin was leaning towards Ivan the Terrible. Today, the issue of the Moscow autocracy and its main symbol – Ivan the Terrible – has become a controversial one, and it is not a dispute about the past, but about the future, the ideals of Russia and the choice of its historical path. Today there is a kind of ‘mobilization of the Middle Ages’ in the historical policy of Russia. The country does not talk about the future, yet actively argues about the past. The recent glorification of the image of Ivan the Terrible by anti-liberal circles of Russian society is a reflection of current trends in Russia’s political development. The image of Ivan the Terrible is obviously associated with Stalin (their cult is characteristic for the same social groups), and, broadly speaking, with the image of an anti-liberal ruler, a firm hand, scary for the enemies from the West.

Im Januar 2017 gab das russische Vol’noe istoricˇeskoe obsˇˇcestvo (Freie geschichtswissenschaftliche Gesellschaft), eine Vereinigung von Historikern, die liberale Ideen vertritt, ein Manifest heraus. Darin wurde eine wichtige Kritik an der derzeitigen russischen Geschichtspolitik geäußert: „Die Geschichte Russlands wurde durch die Geschichte der Macht in Russland ersetzt.“ Um Russland dessen eigentliche Geschichte wiederzugeben, müsse eine Geschichte der Gesellschaft geschrieben werden, die Geschichte der Menschen. Diese Kontroverse hat sehr alte Wurzeln. Bereits Nikolaj A. Polevoj gab von 1829 bis 1833 als Gegengewicht zur ‚Istorija gosudarstva Rossijskogo‘ (Geschichte des russischen Staates), verfasst von dem offiziellen Hofhistoriographen Nikolaj M. Karamzin, eine sechsbändige ‚Istorija russkogo naroda‘ (Geschichte des russischen Volkes) heraus.2 Allerdings bestand dabei das Paradox, dass die Gesellschaft, für deren Interessen sich Polevoj so sehr einsetzte, die Werke Karamzins viel besser aufnahm. Das Werk von Polevoj wurde kritisiert und hinterließ keine merkliche Spur in der Historiographie. Auffällig ist, dass die besondere Aufmerksamkeit, die in erster Linie den Herrschern und nicht der Gesellschaft geschenkt wird, nicht nur in der russischen Geschichtsschreibung, sondern auch in der politischen Geschichte allgemein zu finden ist. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begründeten die 2 Vgl. Nikolaj M. Karamzin, Istorija gosudarstva Rossijskago, 5. Aufl., 12 Bde., Moskva 1989; Nikolaj M. Karamsin, Geschichte des Russischen Reiches, 11 Bde., Riga 1820–1833; Nikolaj A. Polevoj, Istorija russkogo naroda, Bde. 1–6, Moskva 1829–1833.

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berühmten französischen Historiker Marc Bloch und Lucien Febvre ihre eigene wissenschaftliche Bewegung, die nun als Annales-Schule bekannt ist. Sie verkörperte eine Opposition zur offiziellen Geschichtsschreibung. Bloch und Febvre bezeichneten diese offizielle Geschichte als ‚Geschichte der Könige und Minister‘ und richteten dagegen ihre ‚Kämpfe für die Geschichte‘.3 Sie führten zur Entstehung einer neuen wissenschaftlichen Ausrichtung, der historischen Anthropologie, die sich nun stärker auf den ‚Menschen in der Geschichte‘ konzentrierte. Dies jedoch widerspricht nicht der Tatsache, dass die Geschichte der menschlichen Gesellschaften gleichzeitig auch immer die Geschichte ihrer Herrscher im Fokus hat. Die Behandlung der Geschichte der Macht ist für die Geschichtspolitik immer systemrelevant und wurde nicht von der russischen Staatsmacht in Gang gebracht. Unter Geschichtspolitik wird hier die Gesamtheit aller angewandten Mittel verstanden, die zur Herausbildung des einen oder anderen Geschichtsbildes verwendet werden. Dieses Geschichtsbild ist an ein bestimmtes Publikum gerichtet und soll es zu bestimmten Motiven, Bewertungen und Handlungen bewegen. Geschichtspolitik kann sowohl von der Staatsmacht als auch von diversen öffentlichen Gruppen ausgehen.4 Auf diese Weise können in der Gesellschaft mehrere Formen der Geschichtspolitik gleichzeitig existieren. Heute ist dies in Russland der Fall. Hier gibt es die Geschichtspolitik der Staatsmacht, die des Vol’noe istoricˇeskoe obˇscˇestvo, die der Nationalisten, der Kommunisten, der Anhänger der imperialen Idee, der Separatisten usw. Die nebeneinander bestehenden Formen der Geschichtspolitik vermengen sich zu einem komplexen Gemisch, dessen Ingredienzen einen Kampf gegeneinander austragen. Die Geschichtspolitik überträgt bestimmte Muster oder Deutungsweisen in das menschliche Bewusstsein. Diese verselbstständigen sich anschließend, können dabei unterschiedlich lange bestehen bleiben und auch unterschiedlich einflussreich sein. Die vorgegebenen Muster und Deutungsweisen der historischen Ereignisse ersetzen nicht selten die historische Realität. Wir erinnern uns an die erfundenen Deutungsweisen, diskutieren darüber und widerlegen die Mythen, die wir selbst geschaffen haben. Im Grunde genommen ist die Geschichtspolitik ein Kampf der Mythen. 3 Vgl. Lucien Febvre, Combats pour l’histoire, Paris 1953. 4 Vgl. Beatrix Bouvier/Michael Schneider (edd.), Geschichtspolitik und demokratische Kultur. Bilanz und Perspektiven (Politik- und Gesellschaftsgeschichte 78) Bonn 2008; Claudia Fröhlich/Horst-Alfred Heinrich (edd.), Geschichtspolitik. Wer sind ihre Akteure, wer ihre Rezipienten?, Stuttgart 2004; Horst-Alfred Heinrich/Michael Kohlstruck (edd.), Geschichtspolitik und sozialwissenschaftliche Theorie, Stuttgart 2008; Etienne François/Stefan Troebst (edd.), Geschichtspolitik in Europa seit 1989. Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich (Moderne europäische Geschichte 3), Göttingen 2013; Harald Schmid (ed.), Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis. Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis (Formen der Erinnerung 41), Göttingen 2009.

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Die Geschichte der Moskauer Autokratie ist hier keine Ausnahme. Sie entstand im 15. und 16. Jahrhundert, in einer Zeit, als sich die russische Staatsmacht der Wichtigkeit und Notwendigkeit einer historischen Selbstrepräsentation bewusst wurde. Die Selbstrepräsentation der Staatsmacht der Moskauer Rus’ entwickelte sich in unterschiedliche Richtungen. Zum einen wurde ein historisches Konzept für die Darstellung des ‚Allrussischen Staates‘ geschaffen, das im Anschluss auch für die Selbstrepräsentation des Zarenreichs auf der internationalen Bühne relevant war. Das Konzept bestand in Form von Instruktionen an Diplomaten in den Gesandtschaftsbüchern, die ausufernde historische Exkurse halbmythischen Charakters enthielten. Dieses Phänomen entstand Ende des 15. Jahrhunderts und entwickelte sich rasant seit der Mitte des 16. Jahrhunderts, während der Auseinandersetzungen zwischen Ivan IV., dem Schrecklichen, den polnischen Diplomaten und dem Heiligen Römischen Reich.5 Russland wurde dabei hauptsächlich als der Träger des einzigen wahrhaften Glaubens – des orthodoxen Glaubens – dargestellt. Die Glorifizierung des wahren Glaubens sei das Ziel und der Sinn von Russlands Existenz. Es sei der richtige Staat, der die richtige Politik verfolge, die Gerechtigkeit wiederherstelle und die Ländereien wiedergewinne, die ihm durch die Feinde streitig gemacht wurden. Er kämpft zudem gegen die Welt des Islam und alle fremden Ideen für die Erhöhung des Christentums. Russland lebe in Frieden mit jenen Ländern, deren Verhalten den russischen Vorstellungen entspreche. Sollten diese sich jedoch falsch verhalten, verlange es von ihnen, ‚sich zu bessern‘. Genau diese Nichteinhaltung von Vereinbarungen und ein aus russischer Sicht falsches Verhalten war der Grund für den Krieg mit Livland, dem litauischen Großfürstentum.6 Zum anderen wurde eine historische Grundlage für das Alte Reich und die Größe der russländischen Monarchie von Vladimir Monomach, im Anschluss an Vladimir den Großen bis zu Ivan IV., dem Schrecklichen, geschaffen. Das 5 Vgl. Konstantin Ju. Erusalimskij, Istorija na posol’skoj sluzˇbe: diplomatija i pamjat’ v Rossii XVI veka, in: Lorina P. Repina (ed.), Istorija i pamjat’: istoricˇeskaja kul’tura Evropy do nacˇala Novogo vremeni, Moskva 2006, 664–732; Ders., Istoricˇeskie Exempla Posol’skogo prikaza, in: Andrej Ju. Dvornicˇenko (ed.), Trudy kafedry istorii Rossii s drevnejsˇich vremen do XX veka, S.-Peterburg 2006, 307–328; Aleksandr I. Filjusˇkin, Izobretaja pervuju vojnu Rossii i Evropy: Bemplaaltijskie vojny vtoroj poloviny XVI v. glazami sovremennikov i potomkov, S.-Peterburg 2013, 98–171. 6 Vgl. Edward L. Keenan, Muscovy and Kazan: Some introductory remarks on the Patterns of Steppe Diplomacy, in: Slavic Review 26 (1967), 548–558; Jaroslaw Pelenski, Muscovite imperial Claims to the Kazan khanate, in: Slavic Review 26 (1967), 559–576; Ders., Russia and Kazan. Conquest and Imperial Ideology (1438–1560s), The Hague 1974, 65–138; Frank Kämpfer, Die Eroberung von Kazan‘ 1552 als Gegenstand der zeitgenössischen russischen Historiographie, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 14 (1969), 7–161; Aleksandr I. Filjusˇkin, Problema genezisa Rossijskoj imperii, in: Ilja Gerasimov (ed.), Novoja imperskaja istorija postsovetskogo prostranstva, Kazan’ 2004, 375–408.

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Moskauer Reich des 16. Jahrhunderts wurde als Höhepunkt der Monarchie proklamiert, das bereits zum damaligen Zeitpunkt beinahe bereit gewesen wäre, die Idee vom Reich Gottes auf Erden zu verkörpern. Dies hing in vielen Aspekten mit den eschatologischen Erwartungen am Ende des 15. Jahrhunderts zusammen sowie mit der Selbstwahrnehmung des russischen Volkes als ‚Neues Israel‘.7 Das ‚Skazanie o knjazjach vladimirskich‘ (Die Erzählung über die Fürsten von Vladimir) (1530–1540) begründete die Idee der Abstammung der russischen Monarchen vom römischen Kaiser Augustus. Die Stepennaja kniga (1563) (Stufenbuch) rief die Idee ins Leben, dass die Heldentaten der russischen Herrscher jene Stufen seien, die das von Gott auserwählte russische Volk beschritt, um zum Reich Gottes zu gelangen. Diese gesamte Ideologie arbeitete im Sinne der Glorifizierung der Rjurikiden-Dynastie.8 In diesem Zusammenhang gab es ein sehr interessantes Ereignis. Um dem Zaren Ivan IV. ein Kompliment zu machen, sagten die litauischen Diplomaten, dass „er nicht der letzte im Universum“ sei. Dies rief auf russischer Seite einen Sturm der Empörung hervor. Russische Diplomaten verkündeten, dass „nicht der letzte“ der zehnte oder der fünfzehnte bedeute. Der russische Zar sei jedoch der erste im Universum.9 Umso größer war die Enttäuschung, als einige Jahre nach der Verbreitung dieser Idee im Volk alles zusammenbrach, die Dynastie der Rjurikiden ausstarb und der Bojar Boris Godunov den Thron bestieg, worauf hin ihm dann sogar noch der Falsche Dmitrij als ein Usurpator (samozvanec, wörtlich: Selbstberufener oder Selbsternannter) folgte. Es entstand ein Konflikt auf der Bedeutungsebene. Auf der einen Seite bestanden die erhabenen Vorstellungen vom Zaren, die sich vom 15. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts entwickelt hatten. Auf der anderen Seite entsprachen Monarchen wie Boris Godunov oder der Falsche Dmitrij (ein Günsting und ein Usurpator (samozvanec)) offensichtlich nicht diesem Status. Um sich von diesem Schlag zu erholen, war ein vollständiger 7 Vgl. Daniel B. Rowland, Moscow – The Third Rome or the New Israel?, in: The Russian Review 55, 4 (1996), 591–614; Andrej Korenevskij, „Novyj Izrail’“ i „Svjataja Rus’“: e˙tnokonfessional’nye i sociokul’turnye aspekty srednevekovoj russkoj eresi zˇidovstvujusˇcˇich, in: Ab imperio 3 (2001), 123–142; Charles J. Halperin, National Identity in Premodern Rus’, in: Russian History 37 (2010) 3, 275–294; Maureen Perrie, Moscow in 1666: New Jerusalem, Third Rome, Third Apostasy, in: Quaestio Rossica 3 (2014), 75–85. Vgl. dazu auch den Beitrag von Isaiah Gruber in diesem Band. 8 Vgl. dazu Gail Lenhoff/Ann Kleimola (edd.), The Book of Royal Degrees and the Genesis of Russian Historical Consciousness (Stepennaja kniga carskogo rodoslovija i genezis russkogo istoricˇeskogo soznanija), Bloomington, Ind. 2011. Anm. der Herausgeber. 9 ‚[…] to ukorizna, a ne pochvala, cˇto neposlednejsˇej to ljubo desjatoj ili pjatnadcatoj […] A my z Bozˇ’eju voleju nad soboju bolsˇego ne vedaem nikogo, a ne tokmo cˇto pjatonatcatye ili desjatye, ili pjatyja ni ˇsestye, ni paki drugija. No vezde bo Bozˇiem miloserdiem pervye esmy v gosudarech‘. Moskau, Rossijskij gosudarstvennyj archiv drevnich aktov, fond 79, opis’ 1, Nr. 10, 381–382; Moskau, Otdel rukopisej Rossijskoj nacional’noj biblioteki, Nr. Q IV–33, 59–60.

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historischer Neuanfang notwendig, der durch die ‚Zeit der Wirren‘ (smuta) verkörpert wurde und die russische Welt zerstörte. Gleichzeitig entstanden auch alternative Sichtweisen auf die Natur der Moskauer Autokratie, die in der Verbreitung einer bestimmten Geschichtspolitik Gestalt annahmen. Eines dieser historischen Konzepte stammte aus den Werken des Emigranten und Dissidenten Fürst Andrej Kurbskij (1528–1583). Darin führte er die historische Basis für die ‚Wurzeln des Bösen‘ auf die Moskauer Großfürsten zurück und bezeichnete sie als Vertreter eines „von jeher blutsaugenden Geschlechts“.10 Nach der „europäischen Entdeckung Russlands“ seit dem Ende des 15. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts bildeten sich wirkmächtige Diskurse der westeuropäischen Wahrnehmung Russlands heraus. Diese durchliefen eine Entwicklung von der anfänglichen Faszination gegenüber der Strenge und Macht der russländischen Autokratie (Paolo Giovio, Albert Kompenskij und Johann Fabri) bis hin zur Enthüllung der Moskauer Tyrannei, die in den Schriften Sigismund von Herbersteins sogar mit der türkischen verglichen wurde.11 Nun stellt sich die Frage, was anschließend mit all diesen Diskursen geschah? Sowohl die smuta als auch die Überwindung der Distanz zu den von Gott auserwählten Rjurikiden zerstörten einen Teil der Prinzipien dieser Geschichtspolitik. Notwendig war nun die Legitimation der neuen Romanov-Dynastie. Für eine Zarendynastie hatte sie sehr schwache historische Wurzeln, nur eine Verbindung mit der ersten Frau Ivans des Schrecklichen, Anastasija Romanova. Deshalb wird für die historische Untermauerung der Größe und Wichtigkeit der Romanov-Dynastie weniger an das 17. Jahrhundert erinnert als im Falle der Rjurikiden an das 16. Jahrhundert. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf den erheblichen Verdiensten der Romanovs bei der Überwindung der Krise während der smuta. Eine Belebung begann erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als Latuchins Redaktion des ‚Stufenbuches‘ (stepennaja kniga) entstand, die einen

10 Vgl. Konstantin Ju. Erusalimskij, Kak sdelana „Istorija“ A. M. Kurbskogo: Problemy chronologii teksta, in: Germenevtika drevnerusskoj literatury 11 (2004), 591–618; Ders., Andrej Kurbskij kak renessansnyj istorik, in: Lorina P. Repina (ed.), Vremja – Istorija – Pamjat’: istoricˇeskoe osoznanie v prostranstve kul’tury, Moskva 2007, 181–226. 11 Vgl. Andreas Kappeler, Ivan Groznyj im Spiegel der ausländischen Druckschriften seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des westlichen Russlandbildes, Frankfurt/M. 1972; Stefan Mund, Orbis russiarum: Genèse et development de la répresentation du monde „russe“ en Occident à la Renaissance, Genève 2003; Thomas Ott, «Livonia est propugnaculum Imperii»: Eine Studie zur Schilderung und Wahrnehmung des Livländischen Krieges (1558–1582/83) nach den deutschen und lateinischen Flugschriften der Zeit (Osteuropa-Institut München: Mitteilungen 16), München 1996; Aleksandr I. Filjusˇkin, Kak Rossija stala dlja Evropy Aziej?, in: Ab Imperio 1 (2004), 191–228; Cornelia Soldat, Erschreckende Geschichten in der Darstellung von Moskovitern und Osmanen in den deutschen Flugschriften des 16. und 17. Jahrhunderts, Lewiston 2014; vgl. auch den Aufsatz von Cornelia Soldat in diesem Band.

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Teil der alten Ideologie wiederbelebte.12 Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde eine neue Tendenz zur Schaffung von Artefakten der Vergangenheit, die mit berühmten russischen Herrschern zusammenhingen, klar erkennbar. So entstanden beispielsweise zahlreiche Ikonen und Reliquien, die angeblich mit dem Namen Aleksandr Nevskijs verbunden waren.13 Doch auch die dissidentische Richtung entwickelte sich weiter, beispielsweise etwa Grigorij Kotosˇichins Geschichtsbild der Altgläubigen, in dem auf das ‚Stoglav‘ (Hundertkapitelsynode) Ivan des Schrecklichen als Ideal verwiesen wird, sowie auch die Entschleierung der russischen Autokratie durch den Westen (Adam Olearius). Im 18. Jahrhundert veränderte sich die Situation radikal. In der Epoche Peters I. (1689–1725) wurde während des Aufbaus des Russischen Reiches dringend ein konkretes Bild des Moskauer Reiches für die offizielle Ideologie benötigt. Aber auf welche Art und Weise? Das Moskauer Reich wurde als eine Antithese zu den Petrinischen Reformen dargestellt, als ein stinkender, fauler und perspektivloser Sumpf.14 Dieser Kontrast zur strahlenden Epoche der Reformen unter Peter I. wurde bewusst geschaffen, um deren Notwendigkeit und Wichtigkeit zu untermauern. Das Moskauer Reich und dessen Herrschaftselemente wurden zu einem Symbol für politische Ineffizienz (unfähige Strelitzen, ein ineffektives Amtssystem, Engstirnigkeit und Unbeweglichkeit der Staatsmacht, korrupte Voevoden und Richter usw.). Unsere Wahrnehmung des Moskauer Reiches als ‚altmodisch‘ ist bis heute in vielerlei Hinsicht durch den Einfluss dieser Diskurse aus der petrinischen Epoche bedingt. Ihre Tragweite erwies sich als äußerst beständig. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann das Interesse an der Vergangenheit der russländischen Monarchie zu wachsen. Es äußerte sich in der Suche nach ihren materiellen Symbolen. Kaiserin Elisabeth befahl, die Gräber von Boris und Gleb zu finden. Katharina II. interessierte sich für Rjurik und seine Gefährten Sineus und Truvor. Sie befahl, eine Gedenkmedaille zu Ehren der Siedlung Truvor bei Pskov zu prägen. Auf diese Weise verband sie diesen Ort mit dem Namen Truvor. Ungefähr um diese Zeit tauchte auch das Kreuz Truvors auf, das tatsächlich nicht im 9., sondern im 14. Jahrhundert hergestellt wurde. Die nächste Etappe dieser Entwicklung war die Publikation der ‚Geschichte des russischen Staates‘ von Nikolaj M. Karamzin. Der erste Band erschien im Jahre 1817. Karamzin verwendete als erster russischer Historiker aktiv historiographische Schriften von Dissidenten, darunter Aufsätze von A. M. Kurbskij, als Quellen sowie auch Schriften der Westeuropäer über das Russland des 16. und 12 Vgl. Nikolaj N. Pokrovskij/Aleksej V. Sirenov (edd.), Latuchinskaja Stepennaja kniga. 1676 god, Moskva 2012. 13 Vgl. Alexey Sirenov, The Legitimation of the Image of the Saint: on the Issue of the Authenticity of the relics of Alexander Nevsky, in: Studia Slavica et Balcanica Petropolitana 1 (2016), 100–109. 14 Vgl. Elena Pogosjan, Petr I – architektor rossijskoj istorii, S.-Peterburg 2001.

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17. Jahrhunderts. In seinem Buch wird Ivan der Schreckliche zu dem bedeutendsten Antihelden der russischen Geschichte und einem Symbol der moskowitischen Tyrannei erklärt.15 Seine negativen Bewertungen entsprangen in erster Linie den verwendeten Quellen. Dank der schriftstellerischen Begabung Karamzins wurde das von ihm dargestellte Bild der Moskauer Autokratie als blutrünstige Tyrannei zu einem Stereotyp im öffentlichen Bewusstsein. Dieses verfestigte sich dann durch tadelnde literarische Werke bedeutender Schriftsteller, ‚Boris Godunov‘ von Aleksandr Pusˇkin oder ‚Das Lied vom Kaufmann Kalasˇnikov‘ von Michail Lermontov sowie bildliche Darstellungen. Das Gemälde Il’ja Repins ‚Ivan der Schreckliche tötet seinen Sohn‘ wurde als ein Bild, das die russische Monarchie falsch darstelle, von der Obrigkeit verboten. Es wurde sogar ein Versuch unternommen, das Bild während einer Ausstellung zu zerstören, indem es mit einem Messer zerschnitten wurde. Doch fanden liberale russische Zeitschriften Mittel, das Kunstwerk Repins zu reproduzieren. Sie veröffentlichten eine Radierung ‚Besucher betrachten die Kunstausstellung‘, auf der zu sehen war, wie die Besucher das Bild Repins anschauten.16 Auf diese Weise wurde das erlassene Verbot umgangen. Im 19. Jahrhundert wurde kein einziges tatsächlich prägendes oder bedeutendes Werk geschaffen, das die Moskauer Autokratie positiv darstellte. Es gab zwar viele positiv konnotierte Texte, allerdings waren ihre Autoren aus literarischer Sicht nicht bedeutend, beispielsweise M. N. Zagoskin, E. F. Rozen und andere. Sie nahmen weder einen besonderen Einfluss auf die Literatur noch auf die öffentliche Meinung. Dafür gab es eine große Anzahl an Texten, die die Moskauer Monarchie des 16. Jahrhunderts in den dunkelsten Farben darstellten. Diese hatten auf die öffentliche Meinung eine viel größere Wirkung. Die Werke der Historiker entwickelten sich in die gleiche Richtung. So waren die Kritiker der Autokratie V. O. Kljucˇevskij und S. F. Platonov viel angesehener als deren Apologet D. I. Ilovajskij. Als in den Jahren von 1813 bis1820 in Kazan’ ein Denkmal zu Ehren der ‚Eingliederung der Stadt‘ in das Moskauer Reich durch Ivan den Schrecklichen im Jahre 1552 gebaut wurde, beschloss man, altägyptische Tempel als architektonisches Vorbild zu nehmen. Es wurde keinerlei altrussische Symbolik beim Tempelbau verwendet. Es ist bekannt, dass Ivan der Schreckliche nicht in das im Jahre 1826 eingeweihte Nationaldenkmal ‚Tausend Jahre Russland‘ in Groß-Novgorod mit aufgenommen wurde. Doch gab es in diesem Falle eine Intrige: Ivan III. taucht auf 15 Vgl. Aleksandr I. Filjusˇkin, Sotvorenie Groznogo carja: zacˇem N. M. Karamzinu byl nuzˇen „tiran vseja Rusi“?, in: Tetradi po konservatizmu, 4 (2016) 123–130. 16 Vgl. Natal’ja N. Mut’ja, Alljuzivnyj aspekt v istoricˇeskoj zˇivopisi I. E. Repina. „Ivan Groznyj i syn ego Ivan 16 nojabrja 1581 goda“, in: Tvorcˇestvo Il’i Repina i problemy sovremennogo realizma. K 170–letiju so dnja rozˇdenija. Materialy Mezˇdunarodnoj naucˇnoj konferencii, Moskva 2015, 71–84.

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dem Denkmal zweimal auf. Vor den Füßen des einen befindet sich ein besiegter Livländer, ein Tatar überreicht dem (anderen) Großfürsten die Krone und hinter ihm steht ein sich verneigender sibirjak (d. h. Sibirien-Bewohner). Die Gesamtheit der aufgeführten Symbole bezieht sich hier jedoch vielmehr auf Ivan den Schrecklichen, der Livland eroberte, Kazan’ bezwang, sich die kazanische Krone aufsetzte und mit der Eingliederung Sibiriens begann. Unter Ivan III. fanden lediglich lokale Kriege mit Livland statt, und Kazan’ wurde nicht vollständig bezwungen. Kazan’ gelangte im Jahre 1487 nur in ein Protektoratsverhältnis, und nach Sibirien bzw. in den Nordural gab es lediglich einzelne Züge russischer Voevoden.17 Doch gibt es in den Aufzeichnungen M. O. Mikesˇins, der das Denkmal entwarf, keinerlei Hinweise darauf, dass er Ivan den Schrecklichen durch den zweifachen Ivan III. verschleiern wollte. Zu Zeiten der Sowjetunion begann dann allmählich die Rehabilitierung der Moskauer Autokratie. Einerseits wurde sie als eine Entstehungsepoche des russischen Nationalstaates proklamiert. Heute ist klar, dass diese These absolut falsch war.18 Andererseits kam es aufgrund von Stalins Sympathie für Ivan den Schrecklichen auch zur Rehabilitierung des Zaren. Dies geschah nicht nur im Rahmen historischer Werke, sondern auch in der Geschichtspolitik. Valentin Kostylev erhielt für seinen Roman über Ivan den Schrecklichen den Stalin-Preis, und Sergej Eisenstein wurde beauftragt, einen Film über den Zaren zu drehen.19 Die meisten sowjetischen Historiker vertraten die These, dass Ivan der Schreckliche besser war als die europäischen Herrscher, da unter ihm weniger Menschen ermordet wurden als in der Bartholomäus-Nacht in Frankreich.20 Parallel dazu entstanden jedoch auch alternative Sichtweisen, die sich in den 1980er und 1990er Jahren entwickelten. Sie verkörperten die liberale Strömung der russischen Geschichtswissenschaft und enthüllten die Bösartigkeit der Moskauer Autokratie, so beispielsweise V. B. Kobrin, A. L. Chorosˇkevicˇ und andere.21 Heute wird über das Thema der Moskauer Autokratie und ihren wichtigsten Protagonisten, Ivan den Schrecklichen, viel gestritten. Doch beziehen sich die 17 Vgl. . Aleksandr I. Filjusˇkin, Kogda i zacˇem stali stavit’ pamjatniki istoricˇeskim personazˇam Drevnej Rusi?, in: Drevnjaja Rus’ vo vremeni, v lucˇnostjach, v idejach. Al’manch 7 (2017), 382–397. 18 Vgl. Michail M. Krom, Rozˇdenie gosudarstva: Moskovskaja Rus’ XV–XVI vekov, Moskva 2018. 19 Vgl. Maureen Perrie, The Popular Image of Ivan the Terrible, in: Slavonic & East European Review, 56, 2 (1978), 275–286; Dies., The image of Ivan the Terrible in Russian folklore, Cambridge 1987; Dies., The Cult of Ivan the Terrible in Stalin’s Russia, Basingstoke 2001. 20 Vgl. Aleksandr A. Zimin, V kanun groznych potrjasenij. Predposylki Pervoj krest’janskoj vojny v Rossii, Moskva 1986, 102–103. 21 Vgl. Vadim B. Kobrin, Ivan Groznyj, Moskva 1991; Anna L. Chorosˇkevicˇ, Rossija v sisteme mezˇdunarodnych otnosˇenij v seredine XVI veka, Moskva 2003.

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Uneinigkeiten nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft. Es geht hier vor allem um die russischen Ideale und um Entscheidungen bezüglich des eigenen historischen Weges. Heute erfolgt in der russischen Geschichtspolitik eine Art ‚Mobilmachung des Mittelalters‘. Das Land diskutiert nicht über die Zukunft, sondern über die Vergangenheit. Den Großfürsten und Zaren werden massenhaft Denkmäler errichtet, es erscheinen Filme und zahlreiche Bücher. In der Gesellschaft sind Rekonstruktionen der Ereignisse aus der russischen Geschichte vom 13. bis zum 17. Jahrhundert sehr beliebt. Der Umgang mit der Figur Ivan des Schrecklichen ist ein Indikator für politische Neigungen und Vorlieben. Im Jahr 2016 wurden ihm zwei Denkmäler gewidmet. Eines befindet sich in der Stadt Orel, wo der auf dem Pferd sitzende Monarch glorifiziert wird. Das andere steht in Krasnojarsk in Form eines blutigen Pfahls als ein Symbol für die Übeltaten des Zaren, der eine Vorliebe dafür hatte, Menschen zu pfählen. In beiden Fällen wurde dabei die Initiative von der Gesellschaft ergriffen, die ihrerseits sehr gespalten ist. 2017 wurde in Aleksandrov (ehemals die Aleksandrovskaja sloboda der opricˇnina) erstmals der Tag Ivans zelebriert, der Geburtstag Ivans des Schrecklichen. Ausgerechnet in den 1990er und 2000er Jahren wurden den Ereignissen aus der Geschichte des Moskauer Reiches zahlreiche Denkmäler gewidmet: der Schlacht an der Vedrosˇ (1500), der Schlacht bei Sud’bisˇcˇi (1555), der Schlacht bei Molodi (1572) usw. Als Alternative zum Kult Ivans des Schrecklichen entwickelt sich heute auch der von der Regierung geförderte Kult Ivans III. Auch ihm zu Ehren werden Denkmäler aufgestellt, was an recht ungewöhnlichen Orten erfolgt, wie zum Beispiel in Chanty-Mansijsk. Darüber hinaus gibt es ein Projekt für ein grandioses Denkmal für Ivan III., das in seinen Ausmaßen mit dem Nationaldenkmal Tausend Jahre Russland in Novgorod konkurrieren kann. Auch der Tag des Sieges über die Tataren am Fluss Ugra (1480) soll in das Register der Gedenktage Russlands aufgenommen werden. Grundsätzlich gibt es heutzutage viele Denkmäler in Russland. Ein solches verdiente sich selbst eine Figur wie der Zar Fedor Ivanovicˇ, der ältere Sohn Ivan des Schrecklichen. Ihm wurde in Josˇkar-Ole ein Denkmal errichtet, da er der Begründer dieser Stadt war. Zu Ehren Boris Godunovs gibt es jedoch kein Denkmal und es wird wohl auch nie eines geben. Für das heutige Russland gilt ein Günstling als Herrscher auf dem Zarenthron als ein negatives Symbol.

Schlussfolgerungen 1. Hinsichtlich der Geschichte der russländischen Monarchie ist und bleibt die Geschichtspolitik sehr vielschichtig. Hier muss auch eine banale Aussage gemacht werden: sowohl die Historiker als auch die Gesellschaft diskutieren

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hierbei nicht über die reale Geschichte Russlands. Sie diskutieren über die Gegenwart und die Zukunft des Landes. Mithilfe der Darstellung der Vergangenheit ergeben sich Ideen über die Gegenwart. Dies erfolgte im 17., im 18., im 19. Jahrhundert und in der sowjetischen Epoche. Das Bild der russländischen Monarchie hatte in diesen Jahrhunderten ein unterschiedliches Maß an Anforderungen. Die Staatsmacht zog es häufig vor, auf Symbole zu verweisen, die ihr zeitlich näher standen als auf die ihrer unmittelbaren Vorgänger. Bilder aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit passten nicht zur Legitimierung der eigenen Taten. Die einzige Ausnahme ist hier die Einführung des 4. Novembers als Feiertag im Jahre 2004. Es ist der Tag der Einheit des Volkes, der Tag des Sieges über die Polen in der ‚Zeit der Wirren‘. Der Fokus liegt hierbei jedoch nicht auf der monarchischen, sondern auf der antipolnischen Idee. Zudem wurde eine Alternative zum 7. November benötigt, die zeitlich nahe lag. Auf das negative Bild der Moskauer Monarchie wurde vom 19. bis zum 21. Jahrhundert besonders aktiv von Vertretern liberaler Kreise verwiesen, für die Ivan der Schreckliche eine negative Schlüsselfigur gewesen war. Dies war die Fortsetzung einer Tradition, die noch im 16. Jahrhundert von Andrej Kurbskij begründet worden war. Die Darstellung Ivans des Schrecklichen in den schillerndsten Farben durch Vertreter antiliberaler Kreise der russländischen Gesellschaft ist eine Widerspiegelung moderner Tendenzen in der politischen Entwicklung Russlands. Das Bild Ivans des Schrecklichen wird offensichtlich mit dem Stalins gleichgesetzt. Ihr Kult ist stets für die gleichen Gesellschaftsgruppen charakteristisch. Genauer gesagt, ist dies das Bild eines antiliberalen Herrschers mit harter Hand, den die Feinde aus dem Westen fürchten. Die Aufgabe professioneller Historiker ist es, die Geschichte zu erforschen und sich von den Diskursen der Geschichtspolitik – sowohl von liberalen als auch von nationalistischen – nicht beeinflussen zu lassen. Dafür ist es notwendig, die von der Geschichtspolitik konstruierten Darstellungen der Ereignisse genau zu definieren und von den Realitäten der Vergangenheit klar abzugrenzen. Es ist nicht einfach, dies zu tun, doch genau darin äußert sich die Professionalität eines Historikers. Beenden möchte ich meine Schlussfolgerungen gerne mit einer Paraphrase der wissenschaftlichen Maxime Marc Blochs: ‚Wir müssen die Vergangenheit nicht bewerten, sondern verstehen‘.22 Aus dem Russischen übersetzt von Alice Lichtva, M.A.

22 Marc Bloch, Apologie der Geschichte oder Der Beruf des Historikers, hg. von Lucien Febvre, München 1985, 107–111, hier insbesondere 111.

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Wie man „die Kontrolle in der Welt ganz für sich allein hat, ohne von jemand anderem kontrolliert zu werden“. Ein antikes chinesisches Plädoyer für die Errichtung einer Autokratie1

Abstract As a form of monarchical government, autocracy was scorned by many schools of premodern Chinese statist thought. In the pre-imperial and imperial periods, i. e. up until 1911, political thinkers and scholar-officials mostly strove to limit the power of the monarch and to develop a set of customs or a code of “rules of the game” (Spielregeln) that would help to prevent the concentration of power in the hands of one person or even make sure that the administration and its processes of governing could be run smoothly without necessitating the interference of the emperor, who in fact was often reduced to his ceremonial and ritual functions. And yet there have been said to be exceptions, the most prominent being the First Emperor, Shi huangdi (r. 247–221 B. C. E as king and 221–210 B. C. E. as emperor of Qin), who founded the empire in 221 B. C. E., and his prime minister Li Si (c. 280–208 B. C. E.), whom tradition depicts as the mastermind of the short-lived Qin dynasty’s (221–206 B. C. E.) allegedly authoritarian rule. His so-called biography in the ‘Shiji’ (Records of the Scribes), a world history composed ca. 100 B. C. E., contains a memorial to the throne which introduces a plan to “keep control in the world all for oneself and to be controlled by none” to the Second Emperor of Qin (r. 210–207 B. C. E.). This document, which clearly belongs to the so-called tradition of Legalism, is the most important testimony to autocratic thought in pre-modern China. Proceeding from an analysis of the political order of the early empire and of institutions relevant to the topic of autocracy like remonstrances and court conferences, the decisions of which were based on the principle of majority vote, the paper discusses the historical and philosophical background of the memorial, analyzes its line of argument to show in how far it goes beyond the positions of earlier Legalist thinkers, and finally investigates its authenticity, coming to the conclusion that Li Si cannot have been its author.

Das vormoderne chinesische Staatsdenken kreist um die Monarchie – und dies in großartiger Eintönigkeit, kennt es doch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keine anderen Ordnungsmodelle. Aber auch wenn die monarchische Regierungsform erst kurz vor dem Ende des Kaiserreichs 1911 im Zusammenhang mit der Re1 Für wertvolle Hinweise danke ich Paul Fahr und Heiner Roetz.

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zeption des europäischen Konstitutionalismus und Parlamentarismus grundsätzlich in Frage gestellt wurde, wäre es falsch, das chinesische Kaisertum im Gefolge Karl August Wittfogels (1896–1988) als eine Ausprägung der „orientalischen Despotie“ zu charakterisieren.2 Tatsächlich genoss die Autokratie als Typus monarchischer Herrschaft in fast allen Denkschulen des alten China den denkbar schlechtesten Ruf. Antike und kaiserzeitliche Staatsdenker waren im Hinblick auf die Unwägbarkeiten der Thronfolge in der Regel darauf bedacht, die Macht des Monarchen zu begrenzen und Mechanismen zu entwickeln, die diesen in Schach hielten.3 Nicht nur im herrschaftstheoretischen Idealfall, sondern durchaus auch in der Herrschaftspraxis war die Zentralverwaltung so angelegt, dass sie den totalen Ausfall der Herrschaftsspitze – zum Beispiel im Falle der Unmündigkeit des Thronfolgers oder wenn dieser von körperlichen oder geistigen Gebrechen oder gar Desinteresse oder Handlungshemmung geplagt wurde – über Jahre hinweg zu kompensieren vermochte, so dass sich einerseits die Aufgaben des Monarchen auf das Zeremonielle beschränken konnten, sich an2 Siehe Karl August Wittfogel, Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power, New Haven/London 1957; dt. Fassung: Die orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht, Köln 1962; sowie hierfür mit der Theorie der hydraulischen Gesellschaft den Grund legend Ders., Wirtschaft und Gesellschaft Chinas. Versuch der wissenschaftlichen Analyse einer grossen asiatischen Agrargesellschaft. Erster Teil: Produktivkräfte, Produktionsund Zirkulationsprozess (Schriften des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt/M. 3), Leipzig 1931. Wittfogels Theorie der „orientalischen Despotie“ wurde bereits unmittelbar nach Erscheinen seines gleichnamigen Buches von Edwin G. Pulleyblank (1922–2013) als „travesty of the facts of the history of the so-called Oriental countries“ aufs Schärfste kritisiert, siehe Ders., Rezension zu: Karl August Wittfogel, Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power, New Haven/London 1957, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 21 (1958), 657–660, hier 658. Dies hat freilich nicht verhindert, dass der Mythos von der weitgehend uneingeschränkten Macht und Selbstherrschaft chinesischer Kaiser in der schönen, populärwissenschaftlichen und ansatzweise sogar noch in der Fachliteratur bis heute perpetuiert wird. Man denke etwa an die stereotype Darstellung des Qianlong 乾隆-Kaisers (reg. 1735–1796) als Despot in dem jüngsten Roman von Christoph Ransmayr: Cox oder Der Lauf der Zeit, Frankfurt/M. 2016, und vgl. die rezente Studie von Ari D. Levine, der Formen von konsensualer Herrschaft und Partizipation in der Song 宋-Zeit (960–1279) untersucht, aber den Song-Kaisern in einer contradictio in adiecto zugleich einen Anspruch auf autokratische Universalherrschaft attestiert: Court and Country: Discourses of Socio-Political Collaboration in Northern and Southern Song China, in: The Medieval History Journal 19.2 (October 2016), 351–393. Dies zeigt, wie wirkmächtig die Thesen Wittfogels bis heute sind, selbst wenn es um die Frage der Teilhabe der Eliten an der Macht geht. Zu einer umfassenden kritischen Auseinandersetzung aus indologischer Perspektive siehe Udo Witzens, Kritik der Thesen Karl A. Wittfogels über den „Hydraulischen Despotismus“ mit besonderer Berücksichtigung des historischen singhalesischen Theravâda-Buddhismus (Dissertation Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg), Heidelberg 2000. 3 Siehe Yuri Pines, Envisioning Eternal Empire: Chinese Political Thought of the Warring States Era, Honolulu 2009. Vgl. auch die bemerkenswert kundige und differenzierte Darstellung von Samuel E. Finer, The History of Government from the Earliest Times, 3 Bde., Bd. 1: Ancient Monarchies and Empires, Oxford 1997, 480–483 („The Emperor“).

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dererseits aber die Bürokratie unter schwachen Kaisern stets zu verselbständigen drohte.4 In der 2.132 Jahre währenden Geschichte des chinesischen Kaisertums gab es nur wenige Herrscher, anhand deren sich Wittfogels These von der völlig unkontrollierten Konzentration von Macht in der Hand eines „agrarmanagerialen“ Monokraten an der Spitze einer sogenannten hydraulischen Gesellschaft belegen ließe. Überhaupt steht Wittfogels Annahme, dass eine solche Gesellschaft durch eine umfassende, zentralisierte Bürokratie verwaltet werde, seiner Theorie von der totalen Macht eines Selbstherrschers an ihrer Spitze im Wege, denn gerade der chinesische Fall dokumentiert eindrücklich, dass der Verwaltungsapparat Institutionen wie das Amt für Remonstrationen ( jianyi 諫議) oder die Hofkonferenz (huiyi 會議) hervorbrachte, die als Instrumente der Herrscherkritik und gestützt auf Verfahren wie das der Mehrheitsentscheidung primär der Kontrolle des Monarchen dienten: „The emperor was no autocrat, and his performance was under continuous institutional scrutiny.“5 Dabei kam das eben erwähnte Prinzip der Mehrheitsentscheidung auf den Hofkonferenzen zum Tragen.6 Interessanterweise gehen die Einschätzungen zur Anwendung der Mehrheitsregel im alten China weit auseinander. So war der Kaiser nach Bielenstein konventionsrechtlich lediglich an die einhellige Meinung der Diskutanten gebunden.7 Hingegen kommt Liao Boyuan 廖伯源 in seiner Studie zu den Han 漢-zeitlichen Hofkonferenzen zu dem Schluss, dass der Monarch in seinem Urteil völlig frei war und sich – in autokratischer Manier – auch gegen die geschlossene Meinung seiner Beamtenschaft entscheiden konn4 Siehe hierzu jetzt auch aus transkulturell komparierender Perspektive Thomas Ertl, Konsensuale Herrschaft als interkulturelles Konzept, in: Matthias Becher/Stephan Conermann/ Linda Dohmen (edd.), Macht und Herrschaft transkulturell: Vormoderne Konfigurationen und Perspektiven der Forschung (Macht und Herrschaft 1), Göttingen 2018, 123–143, insbesondere 126–129. Das bekannteste Beispiel für eine dysfunktionale Herrschaftsspitze ist der Wanli 萬曆-Kaiser (reg. 1572–1620), der sich in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit – ob nun aufgrund körperlicher oder psychischer Probleme, wegen einer Handlungshemmung oder einer Abhängigkeit von Opium, das ihm möglicherweise als Arznei verabreicht worden war, oder aus Protest gegen seine Führungsbeamten, gegen die er sich bei der Regelung der Thronfolge nicht durchsetzen konnte – gänzlich von den Amtsgeschäften zurückzog; siehe Ray Huang, 1587, a Year of No Significance: The Ming Dynasty in Decline, New Haven 1981, 1–41. 5 Siehe Hans Bielenstein, The Bureaucracy of Han Times, Cambridge 1980, 143. Vgl. Ders., The Restoration of the Han Dynasty. Volume IV: The Government, in: Bulletin of the Museum of Far Eastern Antiquities 51 (1979), 1–300, hier 53. Siehe auch Pulleyblank, Rezension zu: Karl August Wittfogel, Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power, New Haven/London 1957, 658–659. 6 Siehe Wang Yü-ch’üan, An Outline of the Central Government of The Former Han Dynasty, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 12 (1949), 134–187, hier 176. Zur Geschichte der Mehrheitsentscheidung im alten Europa und Indien siehe Egon Flaig, Die Mehrheitsentscheidung. Entstehung und kulturelle Dynamik, Paderborn 2013. 7 Siehe Bielenstein 1979, 53.

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te.8 Sicherlich gehen diese Differenzen auf widersprüchliche Belege in den Traditionsquellen zurück, was wiederum darauf hindeutet, dass eine Mischverfassung vorliegt, in der das Prinzip der Mehrheitsentscheidung zwar bekannt war, aber bei potentiell ausgeprägter Konsensorientierung oder gar Akklamationsbereitschaft der Partizipationselite jederzeit vom Monarchen außer Kraft gesetzt und somit zum bloßen Zählprinzip degradiert werden konnte. Es gab also keine checks and balances zur wechselseitigen Kontrolle von Verfassungsorganen, wie Bielenstein meinte,9 sondern lediglich konventionsrechtlich bindende Spielregeln, an die sich die Akteure nicht unbedingt halten mussten.10 Den Eliten gelang es folglich nicht, ihren Anspruch auf Teilhabe an der Macht unverbrüchlich zu institutionalisieren. Der Herrscher hatte einen breiten Korridor des Handlungsspielraums, innerhalb dessen er lavieren konnte, ohne sanktioniert zu werden. Wenn er diesen Korridor allerdings gänzlich verließ oder gar systematisch missachtete, wurde er spätestens nach seinem Ableben als Autokrat bzw. als Tyrann oder Gewaltherrscher (bao jun 暴君) gebrandmarkt. Die Vergabe eines schlechten kanonischen Namens (shihao 諡號) an einen verstorbenen Monarchen scheint zumindest in der Zeit der „Streitenden Reiche“ (Zhanguo 戰國, 5. Jh. bis 221 v. Chr.) und in der frühen Kaiserzeit, als ein Glossar posthumer Namen – auch solcher, die negativ konnotiert waren – zusammengestellt wurde, ein Druckmittel in den Händen der Eliten gewesen zu sein, denn der Name charakterisierte die Persönlichkeit des damit Bezeichneten, beurteilte die Qualität seiner Herrschaft und wurde in Inschriften und in der amtlichen Geschichtsschreibung dauerhaft verwendet, woraus sich auch vor dem Hintergrund des Ahnenkults ein erhebliches Drohpotential ergab.11 Über die Namenswahl 8 Siehe Liao Boyuan 廖伯源, Qin Han chaoting zhi lunyi zhidu 秦漢朝廷之論議制度 (Ways of Imperial Consultation and Court Deliberation in the Qin and Han Dynasties), in: Journal of Chinese Studies 35 (1995), 141–172. 9 Siehe Bielenstein 1980, 143: „Han government depended on a system of checks and balances, in which various interests struggled for influence but none ever gained absolute control.“ Vgl. ebd., 147. 10 Siehe Gan Huaizhen 甘懷真, Huangquan, liyi yu jingdian quanshi: Zhongguo gudai zhengzhishi yanjiu 皇權、禮儀與經典詮釋:中國古代政治史研究 [Kaiserliche Macht, Ritual und Klassikerexegese: Studien zur politischen Geschichte des antiken China], Taipeh 2004, 539–552 (Huangdi zhidu shifou wei zhuanzhi 皇帝制度是否為專制, „War das Kaisertum eine Autokratie?“); zum europäischen Mittelalter vgl. Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, sowie Ders., Kontrolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter, Darmstadt 2016. 11 Siehe Christian Schwermann, Schlechte Namen, Leserlenkung und Herrscherkritik in antiken chinesischen Texten, in: Günther Distelrath/Ralph Lützeler/Barbara Manthey (edd.), Auf der Suche nach der Entwicklung menschlicher Gesellschaften: Festschrift für Hans Dieter Ölschleger zu seinem sechzigsten Geburtstag von seinen Freunden und Kollegen (Bonner Asienstudien 11), Berlin 2012, 539–594.

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befand im frühen Kaiserreich nach dem Ableben des Monarchen ein Konsilium von Würdenträgern, deren Entscheidung wohl von einem mündigen Thronerben unter Umständen noch abgeändert werden konnte.12 Zudem legitimierte die konfuzianische Tradition seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. den Tyrannenmord,13 was sich unter anderem in einem gescheiterten Attentat auf König Zheng 政 von Qin 秦 (d.i. Ying Zheng 嬴政 bzw. Zhao Zheng 趙政, reg. 247–221 v. Chr. als König von Qin), den nachmaligen „Ersten Kaiser“ (Shi huangdi 始皇帝, wörtlich: „Erster Erhabener Höchster“, reg. 221–210 v. Chr. als Kaiser von Qin),14 227 v. Chr. niedergeschlagen haben soll.15 12 Siehe Hans van Ess, The Origin of Posthumous Names in ‚Shih-chi‘ 14, in: Chinese Literature: Essays, Articles, Reviews (CLEAR) 30 (2008), 133–144, hier 133–137. Zum Ursprung posthumer Namen in der frühen Zeit der Westlichen Zhou 周 (1045–771 v. Chr.) siehe Du Yong 杜勇, Jinwen ‚sheng cheng shi‘ xinjie 金文“生称谥”新解 (A New Interpretation of the Use of Posthumous Titles for Living Western Zhou Kings As Seen in the Inscriptions on Ancient Bronze Objects), in: Lishi yanjiu 历史研究 2002 (Historical Research) 2002/3, 3–12, 190, der die ältere einflussreiche These von Guo Moruo 郭沫若 (1892–1978) widerlegt, die kanonischen Namen seien anfänglich schon zu Lebzeiten ihrer Träger verliehen worden. Eine detaillierte Analyse der Vergabe kanonischer Namen an hohe Würdenträger der Chunqiu 春秋- (722–481 v. Chr.) und Zhanguo 戰國-Zeit (5. Jh. bis 221 v. Chr.) bietet Dong Changbao 董常保, Chunqiu Zuozhuan shihao yanjiu 春秋左傳諡號研究 [Studien zu den kanonischen Namen in ‚Chunqiu‘ und ‚Zuozhuan‘], Chengdu 2013. 13 Siehe Mengzi 孟子 1B8, in: Mengzi zhengyi 孟子正義, ed. Jiao Xun 焦循, Peking 1987, juan 5, 145, und Xunzi 荀子 18, in: Xunzi jijie 荀子集解, ed. Wang Xianqian 王先謙, Peking 1988, juan 12, 324. Vgl. Heiner Roetz, Die chinesische Ethik der Achsenzeit: Eine Rekonstruktion unter dem Aspekt des Durchbruchs zu postkonventionellem Denken, Frankfurt/M. 1992, 122f. 14 Der Titel huangdi 皇帝, „Erhabener Höchster“, den sich der Erste Kaiser gab, hatte eine religiöse Konnotation, denn di 帝 war ursprünglich die Bezeichnung für den Höchsten Ahnengott der Shang 商-Dynastie (ca. 1600 bis 1045 v. Chr.). Er wählte ihn, um seinen Leistungen einen angemessenen Ausdruck zu verleihen und seiner späteren Bewertung durch posthume Zuweisung eines kanonischen Namens zu entgehen. Zugleich verfügte er, dass sein Thronerbe den Titel „Zweite Generation“ (ershi 二世) erhalten und entsprechend für jeden Nachfolger weitergezählt werden sollte. Mit der Abschaffung der kanonischen Namen sollte er sich nicht durchsetzen. Vgl. Reinhard Emmerich, Die Autorität eines chinesischen Dynastiegründers: Das Beispiel des Ersten Kaisers, in: Matthias Becher/Stephan Conermann/ Linda Dohmen (edd.), Macht und Herrschaft transkulturell: Vormoderne Konfigurationen und Perspektiven der Forschung (Macht und Herrschaft 1), Göttingen 2018, 223–268, hier 254, Fußnote 1. 15 Siehe Zhanguo ce 戰國策, Shanghai 1985, juan 31, 1128–1143, sowie Shiji 史記, komm. Pei Yin 裴駰/Sima Zhen 司馬貞/Zhang Shoujie 張守節, Peking 1959, juan 6, 233, juan 34, 1561, juan 83, 2475 und juan 86, 2526–2538. Zur Darstellung im ‚Shiji‘ siehe David McCraw, Background for the ‚Biography of Ching K’o‘, in: Center for Chinese Studies, University of Hawai‘i (ed.), Chinese Social Relationships: The Ideal vs. the Real, Honolulu 1988, 21–32, sowie Dorothee Schaab-Hanke, Dolchstecher, Bluträcher: Warum hat das Shiji ein „Attentäterkapitel“?, in: Oriens Extremus 47 (2008), 177–191. Zur Rezeptionsgeschichte siehe Yuri Pines, A Hero Terrorist: Adoration of Jing Ke Revisited, in: Asia Major, Third Series 21.2 (2008), 1–34, zu einer deutschen Übersetzung des sogenannten Attentäterkapitels im ‚Shiji‘ Hans van Ess, Die Aufzeichnungen des Historiographen, die erste Standardgeschichte Chi-

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Dieser bildete die erste und berühmteste Ausnahme von der Regel des konsensorientierten Monarchen.16 Zu recht hebt Finer die herausragende Bedeutung seiner Maßnahmen für die Institutionengeschichte Chinas hervor, folgt allerdings bei der Einschätzung seiner Persönlichkeit wenn auch nicht Wittfogel, so doch blind den tendenziösen konfuzianisch geprägten Traditionsquellen: „No single man ever, in the entire 3,000 years of Chinese history, performed so historic a task as he did nor left so great and so indelible a mark on the character of government at any time or in any place in the world. Although he reigned a mere eleven years as emperor, the changes he wrought in China’s institutions were determinative. Shih Huang-ti was a barbarous and cruel megalomaniac of cyclonic energies who forged his newly conquered dominions into one community in the image of his own kingdom of Ch’in writ large, and all the successor empires built upon and adapted its basic institutional structures.“17 Zudem unterschlägt Finer – fast möchte man sagen: bezeichnenderweise – den entscheidenden Beitrag eines wichtigen Führungsbeamten. Bei der Gründung des Kaiserreichs 221 v. Chr. soll sich Shi huangdi nämlich auf die Expertise seines Kanzlers Li Si 李斯 (um 280 bis 208 v. Chr.) gestützt haben, den die Traditionsquellen als Vordenker und Architekten der Autokratie der kurzlebigen Qin 秦-Dynastie (221–206 v. Chr.) charakterisieren und der die Regierungsgeschäfte bis in die Zeit des Zweiten Kaisers (Ershi huangdi 二世皇帝, d.i. Ying Huhai 嬴胡 亥 bzw. Zhao Huhai 趙胡亥, reg. 210–207 v. Chr.) hinein geführt haben soll.18 nas, und das Aufkommen des bürokratisch organisierten Zentralstaates, in: Martin Hose (ed.), Große Texte alter Kulturen. Literarische Reise von Gizeh nach Rom, Darmstadt 2004, 87–110, hier 101–109. Bislang wurde dieser Text vor allem als Ausdruck einer „ethic of moralized vengeance“ verstanden, vgl. Mark Edward Lewis, Sanctioned Violence in Early China, Albany 1990, 80–94. Aber das Motiv des Tyrannenmords ist für die historische Erzählung des Anschlags auf den Ersten Kaiser mindestens ebenso wichtig, denn hier ist unter anderem wörtlich von der „Tyrannei des Königs von Qin“ (Qin wang zhi bao 秦王之暴) die Rede, siehe Shiji 1959, juan 86, 2529, vgl. Zhanguo ce 1985, juan 31, 1129. 16 Siehe jetzt Emmerich 2018, insbesondere 224f. zum Forschungsstand und zur weiterführenden Literatur, von der hier stellvertretend die beiden wichtigen neueren Studien von Martin Kern, The Stele Inscriptions of Ch’in Shih-huang: Text and Ritual in Early Chinese Imperial Representation (American Oriental Series 85), New Haven 2000, und Charles Sanft, Communication and Cooperation in Early Imperial China: Publicizing the Qin Dynasty, Albany 2014, genannt seien. Zu einem anregenden transkulturellen Vergleich der Darstellungen in den Traditionsquellen siehe die rezente Studie von Christoph Harbsmeier, Living Up to Contrasting Portraiture: Plutarch on Alexander the Great and Sima Qian on the First Emperor, in: Hans van Ess/Olga Lomová/Dorothee Schaab-Hanke (edd.), Views from Within, Views from Beyond: Approaches to the Shiji as an Early Work of Historiography (Lun Wen: Studien zur Geistesgeschichte und Literatur in China 20), Wiesbaden 2015, 263–296. 17 Siehe Finer 1997, 473. 18 Siehe Derk Bodde, China’s First Unifier: A Study of the Ch’in Dynasty as Seen in the Life of Li Ssu (Sinica Leidensia 3), Leiden 1938, Yuri Pines, From Teachers to Subjects: Ministers Speaking to the Rulers, from Yan Ying 晏嬰 to Li Si 李斯, in: Garrett P.S. Olberding (ed.), Facing the Monarch: Modes of Advice in the Early Chinese Court (Harvard East Asian

Ein antikes chinesisches Plädoyer für die Errichtung einer Autokratie

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Seine sogenannte Biographie – tatsächlich handelt es sich ausweislich des Titels ‚Li Si liezhuan‘ 李斯列傳 um „Aufgereihte Überlieferungen zu Li Si“ –19 in den ‚Aufzeichnungen der Schreiber‘ (‚Shiji‘ 史記), einer um 100 v. Chr. verfassten Universalgeschichte des Sima Tan 司馬談 (gest. 110 v. Chr.) und seines Sohnes Sima Qian 司馬遷 (um 145 bis um 86 v. Chr.), enthält eine Throneingabe, in der er dem Zweiten Kaiser einen Plan vorlegt, wie dieser „die Kontrolle in der Welt ganz für sich allein haben [könne], ohne von jemand anderem kontrolliert zu werden“ (du zhi yu tianxia er wu suo zhi ye 獨制於天下而無所制也).20 Dieses Dokument, dessen Bezüge auf ältere Verwaltungslehrer wie Shang Yang 商鞅 (gest. 338 v. Chr.), Shen Buhai 申不害 (gest. 337 v. Chr.) und Han Fei 韓非 (gest. 233 v. Chr.) eine Orientierung an Grundpositionen des sogenannten Legismus oder Politischen Realismus verraten,21 ist der wichtigste – möglicherweise sogar der einzige – Textzeuge für autokratisches Denken im vormodernen China. Zum einen soll die nun folgende Analyse seinen historischen und geistesgeschichtlichen Hintergrund sowie seine Argumentation beleuchten, um die Unterschiede zu älteren legistischen Denkern zu bestimmen.22 Zum anderen wird zu fragen sein, ob denn Li Si in Anbetracht der oben formulierten Kautelen überhaupt der Autor gewesen sein kann und wer, wenn nicht er, diese Schrift mit welcher Intention verfasst haben könnte. Die Beantwortung dieser Fragen dürfte wiederum weitreichende Konsequenzen für die Beurteilung des Stellenwerts der Autokratie in der antiken chinesischen Herrschaftstheorie haben.

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Monographs 359), Cambridge, Mass./London 2013, 69–99, und Reinhard Emmerich, Chinas Zweiter Kaiser in neuem Lichte?, in: Shing Müller/Armin Selbitschka (edd.), Über den Alltag hinaus: Festschrift für Thomas O. Höllmann zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2017, 53– 87. Auch die anderen im ‚Shiji‘ enthaltenen Erzählungen über historische Persönlichkeiten des Altertums werden in der Regel als „Aufgereihte Überlieferungen“ (liezhuan 列傳) rubriziert. Die in der Sekundärliteratur verbreitete Bezeichnung dieser Schriften als Biographien ist irreführend, denn in China gab es zu diesem Zeitpunkt weder die Praxis noch das Konzept einer individuellen Lebensbeschreibung, wie wir es aus dem antiken Griechenland kennen. Wie die chinesische Gattungsbezeichnung besagt, ging es hier vielmehr darum, anhand der Taten einer Person und der von ihr überlieferten Dokumente einen bestimmten Typus von historischem Akteur exemplarisch vorzustellen. Entsprechend sind diese Texte häufig von Stereotypen geprägt, reproduzieren Topoi, die sich auch in anderen „Überlieferungen“ finden, und sind deshalb – gelinde gesagt – hinsichtlich ihres Quellenwertes nicht über jeden Zweifel erhaben. Hier und im Folgenden sollen der Bericht über die Taten des Li Si und die darin inserierten, ihm zugeschriebenen Dokumente neu bewertet werden. Siehe Shiji 1959, juan 87, 2554. Siehe hierzu jetzt Kai Vogelsang, Shangjun shu: Schriften des Fürsten von Shang (Kröners Taschenausgabe 168), Stuttgart 2017, 22–79 (Politischer Realismus im Alten China). Vgl. Christian Schwermann, Rhetorical Functions of Quotations in Late Pre-Imperial and Early Imperial Memorials on Questions of Civilian-Military Leadership, in: Asiatische Studien / Études Asiatiques 68 (2014), 1069–1114, hier 1085–1098.

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Bei näherer Betrachtung der historischen Rahmenerzählung in den ‚Aufgereihten Überlieferungen zu Li Si‘ fällt zunächst auf, dass die Throneingabe als eine Reaktion auf die autokratischen Allüren des Zweiten Kaisers präsentiert wird: Aus Sorge, für die Rebellion des Chen Sheng 陳勝 und des Wu Guang 吳廣 (beide gest. 208 v. Chr.) verantwortlich gemacht zu werden, habe Li Si sein Plädoyer für die Errichtung einer Selbstherrschaft nicht aus eigenem Antrieb abgefasst, sondern sich beim Kaiser einschmeicheln wollen.23 Dessen erklärte Absicht sei es nämlich gewesen, „die Welt ganz für sich allein in Anspruch zu nehmen, um sich selbst zu befriedigen“ (zhuan yong tianxia shi ji 專用天下適 己).24 Das Dokument selbst, das demnach in den Jahren 209 oder 208 v. Chr. – d. h. nach Beginn der Rebellion und vor dem Tod ihrer beiden Anführer – aufgesetzt worden sein dürfte, muss zumindest gekürzt worden sein, denn eingangs fehlt nicht nur die Erwähnung des Anlasses der Eingabe, sondern auch jegliche Grußformel und captatio benevolentiae. Vielmehr geht es unmittelbar in medias res: 夫賢主者 , 必且能全道而行督責之術者也 。 督責之 , 則臣不敢不竭能以徇其主 矣。此臣主之分定,上下之義明,則天下賢不肖莫敢不盡力竭任以徇其君矣。是 故主獨制於天下而無所制也。能窮樂之極矣,賢明之主也,可不察焉! 故《申子》曰「有天下而不恣睢 , 命之曰以天下為桎梏」者 , 無他焉 , 不能督 責,而顧以其身勞於天下之民,若堯、禹然,故謂之「桎梏」也。夫不能修申、 韓之明術,行督責之道,專以天下自適也,而徒務苦形勞神,以身徇百姓,則是黔 首之役,非畜天下者也,何足貴哉!夫以人徇己,則己貴而人賤;以己徇人,則己 賤而人貴。故徇人者賤,而人所徇者貴,自古及今,未有不然者也。凡古之所為尊 賢者,為其貴也;而所為惡不肖者,為其賤也。而堯、禹以身徇天下者也,因隨而 尊之,則亦失所為尊賢之心矣,夫可謂大繆矣。謂之為「桎梏」,不亦宜乎?不能 督責之過也。 故韓子曰「慈母有敗子而嚴家無格虜」者,何也?則能罰之加焉必也。故商君之 法,刑弃灰於道者。夫弃灰,薄罪也,而被刑,重罰也。彼唯明主為能深督輕罪。 夫罪輕且督深,而況有重罪乎?故民不敢犯也。 是故韓子曰「布帛尋常,庸人不釋,鑠金百溢,盜跖不搏」者,非庸人之心重, 尋常之利深,而盜跖之欲淺也;又不以盜跖之行,為輕百鎰之重也。搏必隨手刑, 則盜跖不搏百鎰;而罰不必行也,則庸人不釋尋常。是故城高五丈,而樓季不輕 犯也;泰山之高百[千]仞,而跛䍧牧其上。夫樓季也而難五丈之限,豈跛䍧也 而易百[千]仞之高哉 ? 峭塹之勢異也 。 明主聖王之所以能久處尊位 , 長執重 勢,而獨擅天下之利者,非有異道也,能獨斷而審督責,必深罰,故天下不敢犯 也。今不務所以不犯,而事慈母之所以敗子也,則亦不察於聖人之論矣。夫不能 行聖人之術,則舍為天下役何事哉?可不哀邪!

23 Siehe Shiji 1959, juan 87, 2553–2554. 24 Ebd., 2553.

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且夫儉節仁義之人立於朝,則荒肆之樂輟矣;諫說論理之臣閒於側,則流漫之志 詘矣;烈士死節之行顯於世,則淫康之虞廢矣。故明主能外此三者,而獨操主術 以制聽從之臣,而修其明法,故身尊而勢重也。凡賢主者,必將能拂世磨俗,而廢 其所惡,立其所欲,故生則有尊重之勢,死則有賢明之謚也。是以明君獨斷,故權 不在臣也。然後能滅仁義之塗,掩馳說之口,困烈士之行,塞聰揜明,內獨視聽, 故外不可傾以仁義烈士之行,而內不可奪以諫說忿爭之辯。故能犖然獨行恣睢之 心而莫之敢逆。若此然後可謂能明申、韓之術,而脩商君之法。法脩術明而天下 亂者,未之聞也。 故曰「王道約而易操」也。唯明主為能行之。若此則謂督責之誠,則臣無邪,臣 無邪則天下安,天下安則主嚴尊,主嚴尊則督責必,督責必則所求得,所求得則 國家富,國家富則君樂豐。故督責之術設,則所欲無不得矣。羣臣百姓救過不給, 何變之敢圖 ? 若此則帝道備 ,而可謂能明君臣之術矣 。 雖申、韓復生 , 不能加 也。25 Was den tüchtigen Herrscher angeht, so muss er gewiss fähig sein, ein vollkommenes Verständnis des rechten Weges [, andere zu beherrschen,] zu entwickeln und die Technik zu praktizieren, andere zu beurteilen und zur Verantwortung zu ziehen. Wenn er sie beurteilt und zur Verantwortung zieht, werden es die Minister nicht wagen, ihre Fähigkeiten nicht zu erschöpfen in ihrem Bemühen, sich nach dem Herrscher zu richten. Wenn die Rollen von Minister und Herrscher auf diese Weise festgelegt und die Pflichten von Vorgesetztem und Untergebenen geklärt sind, wird es niemand unter den Tüchtigen und Untüchtigen auf der Welt wagen, nicht sein Bestes zu geben und seine Fähigkeiten zu erschöpfen in seinem Bemühen, sich nach dem Herrscher zu richten. Aus diesem Grunde wird der Herrscher die Kontrolle in der Welt ganz für sich allein haben, ohne von jemand anderem kontrolliert zu werden. Er wird fähig sein, ein Höchstmaß an Freuden zu genießen. Könnte ein tüchtiger und klarsichtiger Herrscher es versäumen, sich dies klarzumachen? Daher sagte Meister Shen:26 „Herr über die Welt zu sein, aber nicht tun und lassen zu können, was man will, das heißt ‚sich die Welt zur Fessel zu machen‘.“27 Dies liegt ausschließlich daran, dass [ein Herrscher] nicht fähig ist, andere zu beurteilen und zur Verantwortung zu ziehen, sondern sich im Gegenteil für die Völker der Welt abmüht, so wie es Yao und Yu taten.28 Deshalb nennt man dies „sich die Welt zur Fessel zu machen“.

25 Ebd., 2554–2557. 26 Gemeint ist der oben erwähnte Verwaltungslehrer Shen Buhai. 27 Vgl. Fragment Nr. 20 in Herrlee G. Creels Ausgabe der Shenzi 申子-Fragmente: Shen PuHai: A Chinese Political Philosopher of the Fourth Century B.C., Chicago/London 1974, 381. Creel übersetzt: „Shen-tzu said, ‚To possess the whole world and yet not [make use of the fact that one may] act without constraint is called using the world to make shackles [for oneself].‘“ 28 Es handelt sich um zwei mythische Herrscherfiguren, deren Regierungszeiten traditionell in die zweite Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr. datiert werden und die sich beide um die Bändigung einer großen Flut verdient gemacht haben sollen. Während Yao 堯 abgedankt haben soll, um sein Reich nach meritokratischen Prinzipien dem Tüchtigsten zu übergeben, wird Yu 禹, dem es durch die Anlage von Wasserbauwerken gelungen sein soll, das Hochwasser endgültig abzuleiten, die Gründung der legendären und nicht in schriftlichen Überresten belegten Xia 夏-Dynastie zugeschrieben.

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Was nun denjenigen angeht, der nicht fähig ist, sich die klarsichtige Technik von [Meister] Shen und [Meister] Han29 zu eigen zu machen und die Methode zu praktizieren, andere zu beurteilen und zur Verantwortung zu ziehen, um die Welt ausschließlich zu seiner eigenen Befriedigung zu haben, sondern der [stattdessen] nur bestrebt ist, seinen Körper zu strapazieren und seine geistige Kraft zu erschöpfen, um sich selbst nach der Bevölkerung zu richten, so ist er der Knecht der Schwarzköpfe, aber keiner, der die Welt unterjocht. Wie könnte er es wert sein, Wertschätzung zu genießen? Nun, wenn er die anderen dazu bringt, sich nach ihm zu richten, dann wird er selbst Wertschätzung genießen, während die anderen erniedrigt werden. Wenn er sich selbst nach den anderen richtet, dann wird er selbst erniedrigt, während die anderen Wertschätzung genießen. Daher wird derjenige, der sich nach anderen richtet, erniedrigt, wird aber derjenige, nach dem sich die anderen richten, Wertschätzung genießen. Vom Altertum bis heute hat es keinen gegeben, bei dem dies nicht so war. Bei all denjenigen, die im Altertum aufgrund ihrer Tüchtigkeit geachtet wurden, geschah dies, weil sie Wertschätzung genossen. Bei all denjenigen, die im Altertum aufgrund ihrer Untüchtigkeit verachtet wurden, geschah dies, weil sie erniedrigt wurden. Und weil Yao und Yu sich selbst nach der Welt gerichtet haben, würde es folglich an der Einstellung fehlen, die die Voraussetzung dafür bildet, dass man aufgrund seiner Tüchtigkeit geachtet wird, wenn man diesen beiden folgen und sie achten würde. Nun, dies dürfte man wohl einen großen Irrtum heißen. Ist es nicht angemessen, diesen als „sich [die Welt] zur Fessel zu machen“ zu bezeichnen? Er beruht auf dem Fehler, [der darin besteht,] dass man nicht fähig ist, andere zu beurteilen und sie zur Verantwortung zu ziehen. Deshalb sagte Meister Han: „Eine liebevolle Mutter hat einen verzogenen Sohn, aber in einem streng geführten Haushalt gibt es keine aufsässigen Strafarbeiter.“30 Warum ist das so? Weil der streng geführte Haushalt fähig ist, Bußen verbindlich gegen sie zu verhängen. Deshalb haben die Gesetze des Fürsten von Shang31 das Entsorgen von Asche auf der Straße mit Körperstrafen geahndet. Was nun das Entsorgen von Asche angeht, so ist es ein leichtes Vergehen, aber die Verurteilung zu einer Körperstrafe ist eine schwere Buße. Nur der klarsichtige Herrscher ist fähig, ein leichtes Vergehen streng zu beurteilen. Wenn nun ein Vergehen leicht ist, die Beurteilung hingegen streng, um wieviel mehr gilt das bei einem schweren Vergehen? Deshalb wagen es die Leute nicht, gegen ihn anzugehen. Aus diesem Grunde sagte Meister Han: „Bei ein paar Metern Leinen oder Seide wird ein gewöhnlicher Mensch nicht die Gelegenheit versäumen[, sie mitgehen zu lassen], aber 29 Gemeint ist der oben erwähnte Verwaltungslehrer Han Fei. 30 Vgl. Han Feizi 韓非子, Kap. 50, in: Han Feizi jijie 韓非子集解, ed. Wang Xianshen 王先慎, Peking 2003, juan 19, 461: 夫嚴家無悍虜,而慈母有敗子,吾以此知威勢之可以禁暴,而 德厚之不足以止亂也。 Vgl. die Übersetzung von Christoph Harbsmeier (TLS – Thesaurus Linguae Sericae. An Historical and Comparative Encyclopaedia of Chinese Conceptual Schemes, edd. Christoph Harbsmeier und Jiang Shaoyu, http://tls.uni-hd.de/home_en.las so, letzter Zugriff am 24. 3. 2019): „Now in a strict household there are no obstreporous slaves but a doting mother will have good-for-nothing sons. From this I understand that through a position of authority one may put a stop to violence, and that through generosity one cannot stop political chaos.“ 31 Gemeint ist der oben erwähnte Verwaltungslehrer Shang Yang.

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2000 Unzen geschmolzenes Gold wird selbst ein Räuber Zhi nicht stehlen.“32 Dies liegt freilich weder daran, dass die Begierde eines gewöhnlichen Menschen [besonders] stark wäre oder der Gewinn, den ein paar Meter [Leinen oder Seide abwerfen, besonders] groß wäre oder das Verlangen eines Räuber Zhi [besonders] schwach wäre. Noch sollte man glauben, dass dieses Verhalten eines Räubers Zhi bedeutet, dass er das Gewicht von 2000 Unzen [geschmolzenem Gold] für leicht hält. Wenn ein Diebstahl verbindlich mit einer Verstümmelung der Hand bestraft wird, dann wird ein Räuber Zhi keine 2000 Unzen [Gold] stehlen. Wenn aber Bußen nicht verbindlich verhängt werden, dann wird ein gewöhnlicher Mensch nicht die Gelegenheit versäumen, ein paar Meter [Leinen oder Seide mitgehen zu lassen]. Aus diesem Grunde wird selbst [ jemand, der so stark ist wie] Lou Ji, eine Stadtmauer nicht so leicht überwinden, wenn sie gut zehn Meter hoch ist, und weidet ein lahmes Schaf auf dem Gipfel des Taishan, obwohl er rund 1600 Meter hoch ist.33 Wenn nun [ jemand, der so stark ist wie] Lou Ji, Schwierigkeiten hat mit einem Hindernis, das gut zehn Meter hoch ist, wie kann dann ein lahmes Schaf mit Leichtigkeit eine Höhe von rund 1600 Metern [erklimmen]? Weil die Umstände verschieden sind im Hinblick auf den Grad der Steigung. Der Grund, aus dem ein klarsichtiger Herrscher und ein weiser König dauerhaft eine geachtete Stellung einnehmen, lange an ihrer gewichtigen Machtposition festhalten und die Gewinne der Welt für sich allein in Anspruch nehmen können, besteht nicht darin, dass sie eine außergewöhnliche Methode hätten, sondern dass sie fähig sind, ihre Entscheidungen allein zu treffen und andere eingehend zu beurteilen und zur Verantwortung zu ziehen und dass sie strenge Bußen verbindlich machen. Deshalb wagt es niemand auf der Welt, gegen sie anzugehen. Wenn nun ein Herrscher sich nicht darum schert, warum man nicht wagt, gegen ihn anzugehen, sondern sich stattdessen damit befasst, wie die liebevolle Mutter ihren Sohn verzieht, dann wird er auch kein klares Verständnis von den Urteilen der Weisen haben. Nun, wenn er nicht fähig ist, die Technik der Weisen zu praktizieren, wie kann er dann verhindern, dass er zum Knecht der Welt degradiert wird? Man kann nicht umhin, ihn zu bedauern! Zudem: wenn sparsame, maßvolle, menschliche und rechtliche Männer bei Hofe stehen, dann ist es vorbei mit wilden und ungenierten Lustbarkeiten; wenn remonstrierende und debattierende Minister sich von der Seite einmischen, dann werden unbekümmerte 32 Vgl. Han Feizi jijie 2003, Kap. 49, juan 19, 447: 布帛尋常,庸人不釋;鑠金百溢,盜跖不 掇。Vgl. die Übersetzung von Christoph Harbsmeier (TLS, http://tls.uni-hd.de/home_en.las so, letzter Zugriff am 24.3.19): „A few feet of cloth or silk an ordinary person may not miss an opportunity of taking, but one hundred taels of red-hot molten gold even Robber Zhi may not use an opportunity to pick up.“ 33 Die Höhenangabe bai ren 百仞, „einhundert ren“, im Text ist nicht korrekt, da ein ren 仞 sieben chi 尺 hat und ein chi in der Qin- und Han-Zeit 23,1 Zentimetern entsprach, der Gipfel des Taishan aber 1532 Meter hoch ist. Auf Grundlage der Parallelstelle in Han Feizi jijie 2004, Kap. 49, juan 19, 447, emendiere ich bai ren zu qian ren 千仞, „eintausend ren“: 故十仞之城, 樓季弗能踰者,峭也;千仞之山,跛牂易牧者,夷也。故明主峭其法而嚴其刑也。Vgl. die Übersetzung von Christoph Harbsmeier (TLS, http://tls.uni-hd.de/home_en.lasso, letzter Zugriff am 24.3.19): „Thus as for a city wall ten spans (meters) high, even Louji is unable to climb over: this is because it is so steep. As for a mountain that is two thousand meters high, lame goats find it easy to grase there, because it is not too steep. Therefore the enlightened ruler makes his laws steep and makes his punishments severe.“

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und übermütige Bestrebungen vereitelt; wenn heroische Haudegen, die für die Redlichkeit in den Tod gehen, es in der Welt zu Ansehen bringen, dann ist Schluss mit ausschweifenden und ergötzlichen Vergnügungen. Deshalb ist ein klarsichtiger Herrscher fähig, diese drei [Gruppen vom Hof] auszuschließen und die Technik des Herrschers allein in der Hand zu halten, um die folgsamen Minister zu kontrollieren und seine klarsichtigen Gesetze zu pflegen. Deshalb wird er selbst geachtet und ist seine Machtposition gewichtig. Jeder tüchtige Herrscher wird zweifellos fähig sein, das zu verwerfen, was er verabscheut, und das zu etablieren, was er begehrt, indem er die [Bedenken der] Welt wegwischt und [ihre] Konventionen schleift. Deshalb wird er zu Lebzeiten eine geachtete und gewichtige Machtposition haben und nach seinem Tod einen posthumen Namen, der Tüchtigkeit und Klarsichtigkeit zum Ausdruck bringt. Daher trifft ein klarsichtiger Fürst seine Entscheidungen allein. Deshalb befinden sich Gewicht und Einfluss nicht bei den Ministern. Nur dann kann er die Pfade von Menschlichkeit und Rechtlichkeit ausradieren, denen die Mäuler stopfen, die in Überredungen daherschwadronieren, die Taten der heroischen Haudegen konterkarieren, akustische und visuelle [Nachrichtenübermittlung] blockieren und nach innen Sehkraft und Hörvermögen ganz für sich allein haben. Deshalb kann er von außen nicht durch die Taten von menschlichen und rechtlichen heroischen Haudegen gestürzt werden, und kann [seine Stellung] von innen nicht usurpiert werden durch die Beredsamkeit von Remonstranten und zänkischen Streithähnen. Deshalb kann er in herausragender Alleinstellung tun und lassen, was er will, ohne dass es jemand wagt, dagegen anzugehen. Dann, und nur dann, kann man von ihm sagen, dass er fähig ist, die Techniken von [Meister] Shen und [Meister] Han klar zu verstehen und die Gesetze des Fürsten von Shang zu pflegen. Ich habe noch nie davon gehört, dass die Welt in Unordnung gerät, wenn die Gesetze gepflegt und die Techniken klar verstanden werden. Deshalb heißt es zwar, der Weg des Königs sei einfach und leicht einzuhalten, aber [tatsächlich] ist nur ein klarsichtiger Herrscher fähig, ihn einzuschlagen.34 Wenn es so geschieht, dann nennt man dies die wahrhafte Umsetzung der Technik, andere zu beurteilen und zur Verantwortung zu ziehen, und dann wird es unter den Ministern keine Bösewichte geben. Wenn es unter den Ministern keine Bösewichte gibt, wird die Welt ruhig und friedlich sein. Wenn die Welt ruhig und friedlich ist, wird der Herrscher ehrfurchtgebietend und geachtet sein. Wenn der Herrscher ehrfurchtgebietend und geachtet ist, werden andere verbindlich beurteilt und zur Verantwortung gezogen. Wenn andere verbindlich beurteilt und zur Verantwortung gezogen werden, wird [der Herrscher] das erlangen, wonach er strebt. Wenn er das erlangt, wonach er strebt, werden Land und Herrscherhaus reich sein. Wenn Land und Herrscherhaus reich sind, werden die Freuden des Fürsten reichlich sein. Wenn also die Technik, andere zu beurteilen und zur Verantwortung zu ziehen, eingesetzt wird, dann erlangt ein Herrscher alles, was er begehrt. Wenn den Ministern und der Bevölkerung nicht einmal eine Gelegenheit ge34 Es gelang mir nicht, die Quelle des Zitats zu identifizieren. Meine Lesung weicht hier von der Interpunktion der Pekinger Zhonghua-Shuju-Ausgabe des ‚Shiji‘ (vgl. Shiji 1959, juan 87, 2557) ab, nach der es sich um zwei unabhängige Sätze handelt. Ich betrachte diese als Teile eines komplexen Satzgefüges mit einem initialen konzessiven Nebensatz, in den das Zitat eingebettet ist und dessen Prädikat durch die Partikel ye 也 markiert wird: 故曰「王道約而 易操」也,唯明主為能行之。

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geben wird, ihre Fehler wiedergutzumachen, welche Aufstände sollten sie dann anzuzetteln wagen? Wenn es so ist, dann ist der Weg des Kaisers bereitet und es kann [vom Herrscher] heißen, er sei fähig, die Techniken von Fürst und Minister klar zu verstehen. Selbst wenn [Meister] Shen und [Meister] Han wieder zum Leben erwachen würden, könnten sie dem nichts hinzufügen.

Während der Throneingabe Einleitung und Schlusswort mit den ihnen eigenen formelhaften Unterwerfungsgesten fehlen, ist sie argumentativ klar strukturiert und überzeugend aufgebaut. Der Autor führt mit Shang Yang, Shen Buhai und Han Fei nicht nur die drei bedeutendsten Verwaltungslehrer in der Tradition des Politischen Realismus an,35 sondern stützt sich auch auf ihre drei Kernbegriffe der „Technik, Kunst, Methode; Praxis“ (shu 術; hier im engeren Sinne von „Herrschaftstechnik“), „Machtposition“ (shi 勢, hier im engeren Sinne von „Amtsmacht“36) und „Norm; Gesetz“ (fa 法), um seine eigene These zu entwickeln, die da lautet, dass der Monarch seine Vormachtstellung und Privilegien langfristig am besten sichere, wenn er sich auf die Herrschaftstechnik der Evaluation und Haftbarmachung und die Verschärfung und strikte Anwendung des Strafrechts stütze.37 Dabei müsse es ihm primär darum gehen, seine Richtlinienkompetenz jederzeit durchzusetzen und stets Autonomie in der Entscheidungsfindung zu bewahren, woraus schon erhellt, dass hier ein Weg zur Errichtung einer Autokratie beschrieben wird. Dies zeigt sich auch an den Leitwörtern dieser Schrift. Insgesamt 19 Mal ist von der „Fähigkeit“ oder dem „Vermögen“ (neng 能) des Monarchen die Rede, wobei sieben dieser 19 Belege auf seine Fähigkeit referieren, „die Technik zu praktizieren, andere zu beurteilen und zur Verantwortung zu ziehen“ (xing du ze zhi shu 行督責之術).38 Mit der so bezeichneten Herrschaftstechnik der Evaluation und Haftbarmachung ist zum einen die strikte Anwendung des Strafrechts gemeint, zum anderen aber die von Shen Buhai entwickelte Technik der Personalsteuerung, die unter dem Namen „Performanz und Titel“ (xing ming 刑名) bekannt ist. Diese Maßnahme beruht auf der Vorstellung, dass die Leistung eines Beamten an seinem Amtstitel und damit an der Beschreibung seiner Aufgaben gemessen werden kann.39 Eigentlich handelt es sich hierbei um ein Instrument zur Leistungssteigerung in Zentral- und Lokalverwaltung des Reiches, wie die 35 Zitate aus und Anspielungen auf diese drei Schriften verwendet der Autor nicht nur, um seinen eigenen Thesen Autorität zu verleihen, sondern auch zur Einleitung von Argumentationsschritten; siehe die Analyse in Schwermann 2014, 1094–1098. 36 Siehe Vogelsang 2017, 32. 37 Vgl. Schwermann 2014, 1093. 38 Siehe ebd., 1093–1094. 39 Siehe Herrlee G. Creel, The Meaning of 刑名 Hsing-ming, in: Herrlee G. Creel, What Is Taoism? and Other Studies in Chinese Cultural History, Chicago/London 1970, 79–91, sowie Creel 1974, 119–124.

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2002 in einem alten Brunnen bei Liye 里耶, Provinz Hunan 湖南, entdeckten Dokumente aus dem Archiv der Kreisverwaltung Qianling 遷陵 in der Kommandantur Dongting 洞庭 zeigen. Diese Kommandantur wird von den Traditionsquellen interessanterweise gar nicht erwähnt und wurde offenbar kurz vor Gründung des Kaiserreichs 221 v. Chr. eingerichtet, nachdem Qin 223 v. Chr. das Land Chu 楚 erobert hatte.40 Unter den insgesamt über 4.000 Dokumenten aus der Zeit von 222 bis 209 v. Chr. finden sich u. a. detaillierte Evaluationsbögen wie die „Unterlagen zur Prüfung von Beamten des Getreidespeicheramts“ (Cang ke zhi 倉課志).41 In der Throneingabe wird die eigentliche Funktion dieses Einstufungsinstruments in geradezu grotesker Weise ad absurdum geführt. Es geht dem Verfasser weder um Leistungssteigerung noch um die Optimierung von Arbeitsabläufen in der Verwaltung. Vielmehr will er mit Hilfe der Personalsteuerung sicherstellen, dass niemand aus der Beamtenschaft noch sonst jemand es wagt, die Richtlinienkompetenz des Kaisers in Frage zu stellen: die Forderung der Partizipationselite nach Mitwirkung an der Entscheidungsfindung soll im Keime erstickt werden. Dieser Anspruch auf Selbstherrschaft des Monarchen kommt auch in der inflationären Verwendung des Leitwortes du 獨 zum Ausdruck.42 Insgesamt finden sich fünf Belege für das Adverb du 獨, „allein“, und zwei Belege für das in den meisten Wörterbüchern gar nicht lemmatisierte transitive Verb du 獨, „nur (dies) allein haben, (etwas) ganz für sich allein haben“.43 Dabei handelt es sich um die folgenden Phrasen: „Entscheidungen allein treffen“ (du duan 獨 斷, adverbial, zwei Belege), „die Kontrolle in der Welt ganz für sich allein haben“ (du zhi yu tianxia 獨制於天下, verbal),44 „die Gewinne der Welt für sich allein in Anspruch nehmen“ (du shan tianxia zhi li 獨擅天下之利, adverbial), „die Technik des Herrschers allein in der Hand halten“ (du cao zhu shu 獨操主術, adverbial), „akustische und visuelle [Nachrichtenübermittlung] blockieren und nach innen Sehkraft und Hörvermögen ganz für sich allein haben“ (se cong yan ming, nei du shi ting 塞聰揜明,內獨視聽, verbal) und „in herausragender 40 Siehe Liye Qin jiandu jiaoshi 里耶秦簡牘校釋 [Kollation und Erläuterung der Bambusleisten und Holztäfelchen von Qin aus Liye], ed. Chen Wei 陳偉, Bd. 1, Wuhan 2012, 2–5, sowie Hou Xiaorong 后曉榮, Qin dai zhengqu dili 秦代政區地理 [Zur Verwaltungsgeographie der Qin-Dynastie], Peking 2009, 425–429. 41 Siehe Liye Qin jiandu jiaoshi 2012, 169f., 8–496 (495); die Zahlenangaben beziehen sich auf Schicht 8 von Brunnen Nr. 1, Dokument Nr. 496 (495). 42 Vgl. Schwermann 2014, 1094. 43 Soweit ich sehe, ist es nur im Thesaurus Linguae Sericae (TLS, http://tls.uni-hd.de/home_en. lasso, letzter Zugriff am 24. 3. 2019) vermerkt, und zwar mit folgender Belegstelle: 獨此一足 矣。 „Nur dies allein zu haben war schon hinreichend.“ Vgl. Han Feizi jijie 2003, Kap. 33, juan 12, 297. 44 Da das direkte Objekt des Verbs zhi 制, „kontrollieren“, in der Regel nicht mit yu 於 markiert wird, bleibt nur die Möglichkeit, du 獨 als transitives Verb zu analysieren, welches das Nomen zhi 制, „Kontrolle“, sowie die Ortsangabe yu tianxia 於天下 regiert.

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Alleinstellung tun und lassen, was man will“ (luoran du xing zisui zhi xin 犖然獨 行恣睢之心, adverbial). In dieser Weise wird der Herrscher durchweg als ein Autokrat dargestellt, der Entscheidungen autonom trifft, seine Minister wie auch überhaupt alle seine Untertanen durch Evaluation und Haftbarmachung in Schach – um nicht zu sagen: in Angst und Schrecken – hält und über sämtliche Einkünfte nach eigenem Gutdünken und vor allem: im eigenen Interesse verfügen kann. In letzterem besteht offenbar der eigentliche Zweck der so konzipierten Selbstherrschaft. Implizit stellt der Verfasser in Aussicht, mithilfe der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen die Trennung zwischen öffentlicher Kasse und den privaten Einkünften der kaiserlichen Familie aufheben zu können. Dass bereits in der frühen Kaiserzeit zwischen kaiserlicher Privatschatulle, aus welcher der Herrscher u. a. auch Belohnungen von Privatleuten bezahlen musste, und öffentlichen Einnahmen unterschieden wurde, zeigt die entsprechende Einteilung der Finanzverwaltung, in welcher der Schatzkanzler (zhisu neishi 治栗內史, ab 144 v. Chr. da nong ling 大農令 bzw. ab 104 v. Chr. da si nong 大司農, wörtlich: „Großer Aufseher über die Landwirtschaft“, welche die Quelle der Steuereinnahmen darstellte) für die Verwaltung der öffentlichen Gelder und der Schatzmeister der kaiserlichen Schatzkammer (shaofu 少府) für die Betreuung der kaiserlichen Privateinkünfte zuständig war.45 Das Ansinnen, diese Trennung aufzuheben, muss schon auf die Zeitgenossen mehr als ungeheuerlich gewirkt haben, zumal es alle vorangegangenen Anstrengungen insbesondere der älteren Verwaltungslehrer konterkarierte, überschießende Macht- wie auch Besitzansprüche von Monarchen mithilfe der Zentralverwaltung einzuhegen und eine solide Finanzierung im öffentlichen Sektor, d. h. eine sinnvolle Verwendung der Steuereinnahmen aus der Landwirtschaft, sicherzustellen. Für noch größere Erschütterung dürfte das abschließende Kettenargument im letzten Abschnitt der Eingabe gesorgt haben. In dieser Zusammenfassung seiner vorangehenden Argumentationsschritte erklärt der Verfasser die Umsetzung der von ihm vorgestellten Herrschaftstechnik des Evaluierens und Haftbarmachens in letzter Konsequenz zur Voraussetzung für die Pazifizierung der gesamten Welt und dafür, dass der Herrscher in der Lage ist, seine Bedürfnisse, insbesondere diejenigen materieller und sinnlicher Art, jederzeit und auf Dauer uneingeschränkt – man ist versucht, hinzuzufügen: ungestraft – zu befriedigen. Im letzten Glied seines Kettenarguments bezeichnet der Autor dieses Vorgehen als „Weg des Kaisers“ (di dao 帝道) – eine unverfrorene Anspielung auf den älteren 45 Siehe Charles O. Hucker, A Dictionary of Official Titles in Imperial China, Stanford 1985, 163, 414f., 469, 471; vgl. Bielenstein 1980, 43–69, zur weiteren Entwicklung dieser Ämter in der Han-Zeit.

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Wertbegriff vom „Weg des [wahren] Königs“ (wang dao 王道),46 den er zuvor ebenfalls in Anschlag gebracht hat. Im Unterschied zum „Weg des [wahren] Königs“, der seit dem späten vierten Jahrhundert v. Chr. auf die Wiedervereinigung der sogenannten Streitenden Reiche (Zhanguo) unter einem legitimen konsensorientierten Monarchen in der Nachfolge der Könige der Westlichen Zhou referiert,47 meint der „Weg des Kaisers“ allerdings die Errichtung einer Autokratie, nämlich den totalen Abbau des bestehenden Herrschaftsverbandes, insbesondere der Partizipationselite der Führungsbeamten, deren Vorgänger – die Ratgeber an den Fürstenhöfen der Streitenden Reiche – das Konzept vom „Weg des [wahren] Königs“ geprägt hatten. Im Ergebnis soll dieser Abbau dazu führen, dass der Kaiser als einziger Herrschaftsträger in der Welt verbleibt: „Aus diesem Grunde wird der Herrscher die Kontrolle in der Welt ganz für sich allein haben, ohne von jemand anderem kontrolliert zu werden.“ (是故主獨制於天下 而無所制也。) Hierzu ist dem Verfasser jedes Mittel recht. Wenn Li Si tatsächlich der Autor dieser Eingabe gewesen sein sollte, dann hätte er in ihr die Interessen seiner eigenen peer group verraten. Als Führungsbeamter und Angehöriger derjenigen Partizipationselite, welche u. a. mithilfe ihrer Einsprüche den Monarchen zu kontrollieren und an die konventionsrechtlichen Spielregeln zu binden trachtete, hätte er den Ausschluss der Remonstranten vom Hof gefordert – wörtlich: „denen die Mäuler gestopft, die in Überredungen daherschwadronieren“ (yan chi shui zhi kou 掩馳說之口) – und der Sabotage des Remonstrationswesens Vorschub geleistet. Nicht zuletzt hätte er, der ausweislich der Traditionsquellen selbst erfolgreich remonstriert hatte,48 seine eigene Existenz für überflüssig, ja, sogar schädlich erklärt und ihre Grundlage zerstört. Deshalb muss nun abschließend die entscheidende Frage gestellt werden, ob er überhaupt der Verfasser dieses Plädoyers für die Errichtung einer Autokratie gewesen sein kann, welche weiteren Indizien dagegensprechen und wer, wenn nicht Li Si, diesen Text verfasst haben könnte. Ein rezenter Manuskriptfund zeigt, dass im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der wichtigsten Traditionsquelle, nämlich der ‚Aufgereihten Überlieferungen zu Li Si‘ im ‚Shiji‘, die – wie oben ausgeführt – keine individuelle Lebensbeschrei46 Siehe hierzu Léon Vandermeersch, Wangdao ou la voie royale: recherches sur l’esprit des institutions de la Chine archaïque. Tome I. Structures cultuelles et structures familiales (Publications de l’École Française d’Extrême-Orient 113), Paris 1977. 47 Siehe Pines 2009, 26, 108–111 (zum Ersten Kaiser als Verkörperung des „Wahren Königs“) und 229 (Fußnote 5). 48 Man denke etwa an seine erfolgreiche „Schrift gegen die Ausweisung von Gästen“, d. h. von ausländischen Beratern (‚Jian zhu ke shu‘ 諫逐客書), aus dem Jahre 237 v. Chr. – eine Ausweisung, die übrigens ihn selbst betroffen hätte; siehe Shiji 1959, juan 87, 2541–2545, vgl. juan 6, 230.

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bung darstellen, sondern eine beispielhafte Vorstellung eines bestimmten Typus von historischem Akteur anhand der ihm zugeschriebenen Taten und Dokumente, prinzipiell größte Vorsicht geboten ist. Laut ‚Shiji‘ soll sich Li Si nach dem plötzlichen Tod des Ersten Kaisers auf einer Inspektionsreise im August 210 v. Chr. einer Verschwörung des Palasteunuchen Zhao Gao 趙高 (gest. 207 v. Chr.) angeschlossen,49 den letzten Willen des Verstorbenen – bekundet in einem Schreiben an seinen erstgeborenen Sohn und Kronprinzen Fusu 扶蘇 (gest. 210 v. Chr.) – unterdrückt, diesen sowie den ihm treuen General Meng Tian 蒙恬 (gest. 210 v. Chr.) zum Selbstmord gezwungen und den jüngeren Sohn Huhai inthronisiert haben, um nur zwei Jahre später selbst einer Intrige des Zhao Gao zum Opfer zu fallen, der ihm als Kanzler nachfolgte.50 In Ermangelung von Alternativen wurde dies als Gang der Ereignisgeschichte akzeptiert, bis die Universität Peking 2009 ein Korpus von Bambusmanuskripten unbekannter Provenienz ankaufte, das eine ‚Schrift über Zhao Zheng‘ (Zhao Zheng shu 趙正(政)書) enthält, d. h. eine erzählende Quelle über den Tod des Ersten Kaisers, seine Regelung der Thronfolge und die Taten seines Nachfolgers.51 Im Gegensatz zum ‚Shiji‘ berichtet das Manuskript, dass der Erste Kaiser unmittelbar vor seinem Ableben auf Anraten des Li Si sowie des „Großsekretärs“ (yushi 御史) Feng Quji 馮去疾 (gest. 208 v. Chr.)52 nicht seinen erstgeborenen Sohn Fusu, sondern den jüngeren Huhai persönlich zum Thronfolger erklärte. Nach seiner Inthronisierung habe dieser seinen älteren Bruder Fusu sowie den „Hauptstädtischen Kommandanten“ (zhongwei 中尉) Meng Tian töten lassen, eine Generalamnestie erlassen, Zhao Gao zum „Aufseher des kaiserlichen Haushalts“ (langzhong ling 郎中令) befördert und sich auf eine Inspektionsreise begeben. Ohne den Remonstrationen seines Neffen Ziying 子嬰 (gest. 206 v. Chr.)53 und des Li Si Gehör zu schenken, habe er letzteren drei Jahre später 49 Zu Zhao Gao siehe Michael Loewe, On the Terms bao zi, yin gong, yin guan, huan, and shou: Was Zhao Gao a Eunuch?, in: T’oung Pao 91 (2005), 301–319. 50 Siehe Shiji 1959, juan 6, 264f., 271–273, und juan 87, 2548–2552, 2558–2562. Vgl. Emmerich 2018, 228–247. Siehe außerdem Reinhard Emmerich, Von Kaisern, Kronprinzen und deren Erziehern. Anmerkungen zum Herrschaftsverständnis der frühen chinesischen Kaiserzeit, in: Christian Wittern, Shi Lishan (edd.), Essays on East Asian Religion and Culture. Festschrift in Honour of Nishiwaki Tsuneki on the Occasion of His 65th Birthday, Kyoto 2007, 177–200, hier 177–180, zur Frage der Thronfolge. 51 Siehe Zhao Zheng shu 趙正(政)書, in: Beijing daxue cang Xi Han zhushu 北京大學藏西漢 竹書, ed. Beijing daxue chutu wenxian yanjiusuo 北京大學出土文獻研究所, Bd. 3, Shanghai 2015, 151–194. Vgl. die Übersetzung von Emmerich 2017, 74–87. 52 Laut ‚Shiji‘ war Feng Quji bis zu seinem Selbstmord 208 v. Chr. im Zusammenhang mit der Intrige gegen Li Si Kanzler zur Rechten (you chengxiang 右丞相), während Li Si als Kanzler zur Linken (zuo chengxiang 左丞相) fungierte; siehe Shiji 1959, juan 6, 271. 53 Ausweislich Shiji 1959, juan 6, 274f., war Ziying der letzte Herrscher von Qin. Zhao Gao soll ihn nicht mehr zum Kaiser, sondern nur noch zum König von Qin erhoben haben, nachdem er Huhai, den Zweiten Kaiser, 207 v. Chr. getötet hatte.

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töten lassen und Zhao Gao in Personalunion zum Kanzler und „Großsekretär“ (yushi 御史) erhoben. Dieser wiederum habe Huhai getötet, um wenig später selbst durch die Hand von General Zhang Han 章邯 (gest. 205 v. Chr.) zu sterben. Die Schrift endet mit dem folgenden Kommentar des Erzählers: „Ich sage: Huhai war einer von jenen, von denen man sagt, sie hören nicht auf Remonstrationen. Vier Jahre nach seiner Thronbesteigung war er selbst tot und sein Staat war untergegangen.“ (曰:胡亥所謂不聽閒(諫)者也。立四年而身死國亡。)54 Das Manuskript stammt vermutlich aus den ersten Jahrzehnten der Westlichen Han 漢-Dynastie (206 v. Chr. – 9 n. Chr.).55 Zwar datiert die Abschrift wohl frühestens aus der Regierungszeit des Han-Kaisers Wu 武 (Xiaowu huangdi 孝武 皇帝, reg. 141–87 v. Chr.), da sich an einer anderen Stelle des Korpus der posthume Name von dessen Vorgänger Jing 景 (Xiaojing huangdi 孝景皇帝, reg. 157– 141 v. Chr.), findet, aber die Schrift selbst dürfte deutlich früher abgefasst worden sein, denn der Autor bezeichnet den Ersten und Zweiten Kaiser als Könige von Qin, erkennt also ihren Anspruch auf den Kaisertitel nicht an und betrachtet Qin auch nach Gründung des Kaiserreichs noch als eines der Streitenden Reiche.56 Zhao Huacheng 趙化成 argumentiert, dass die Schrift aus der Zeit vor 166 v. Chr. datiert, da der Han-Kaiser Wen 文 (Xiaowen huangdi 孝文皇帝, reg. 180 bis 157 v. Chr.) in diesem Jahr die Legitimität der Qin-Dynastie anerkannt habe.57 Wenn man das Thema der historischen Erzählung berücksichtigt – im Mittelpunkt stehen die Remonstrationen des Ziying und des Li Si gegen die Maßnahmen des Zweiten Kaisers sowie dessen Unempfänglichkeit für Herrscherkritik –, liegt die Vermutung nahe, dass der Text in der von laissez faire geprägten Regierungszeit von Kaiser Wen verfasst wurde, der sich als konsensorientierter Monarch präsentierte und zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung Einschränkungen und 54 Siehe Beijing daxue cang Xi Han zhushu 2015, Bd. 3, 174, Bambusleisten 49–50. 55 Wie oben ausgeführt, ist die Herkunft des Manuskripts ungeklärt. Der Fund wurde nicht im Rahmen einer archäologischen Grabung gemacht, sondern offenbar von einem Antiquitätenhändler erworben, der ihn Grabräubern abgekauft haben dürfte. Auch wenn Schriftträger, Tusche und Kalligraphie nach neuesten eingehenden Analysen von Christopher J. Foster und Thies Staack keinen Anlass geben, an der Authentizität des Dokuments zu zweifeln, wird diese aufgrund der Fundumstände doch wohl immer unter Vorbehalt stehen. Zur Problematik solcher Funde im Allgemeinen und zur Frage der Authentizität der West-Han-zeitlichen Bambusmanuskripte der Universität Peking im Besonderen siehe jetzt Christopher J. Foster, Introduction to the Peking University Han Bamboo Strips: On the Authentication and Study of Purchased Manuscripts, in: Early China 40 (2017), 167–239, und Thies Staack, Could the Peking University Laozi 老子 Really Be a Forgery? Some Skeptical Remarks, in: heiDOK – Der Heidelberger Dokumentenserver (Universitätsbibliothek Heidelberg), http:// www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/22453 [16 S.], letzter Zugriff am 24. 3. 2019. 56 Siehe Zhao Huacheng 趙化成, Beida cang Xi Han zhushu ‚Zhao Zheng shu‘ jian shuo 北大藏 西漢竹書《趙正書》簡說 [Kurze Erläuterung zur ‚Schrift über Zhao Zheng‘ aus den WestHan-zeitlichen Bambusmanuskripten der Universität Peking], in: Wenwu 文物 (Cultural Relics) 2011/6, 64–66; vgl. Emmerich 2017, 70f. 57 Siehe Zhao Huacheng 2011, 65f.

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Bestrafungen von Herrscherkritik aufhob, also in dem Zeitraum zwischen 180 und 166 v. Chr.58 Damit könnte die ‚Schrift über Zhao Zheng‘ weit über ein halbes Jahrhundert älter sein als die ‚Aufzeichnungen der Schreiber‘ und nur rund dreißig Jahre nach den Ereignissen, die zum Untergang der Qin-Dynastie geführt haben sollen, entstanden sein. Hieraus und aus ihrer im Vergleich zum ‚Shiji‘ limitierten Erzähltechnik und ihrem kruden Stil zu schließen, sie sei glaubwürdiger als die ‚Aufgereihten Überlieferungen zu Li Si‘ im ‚Shiji‘, wäre freilich naiv, denn in beiden Quellen dominiert die exemplarische Erzählweise, die der Orientierung gegenwärtigen Handelns dient, indem sie historisches Handeln an bestimmten Prinzipien misst und als positives oder negatives Exemplum präsentiert.59 Im vorliegenden Fall bedeutet das: Die ‚Aufgereihten Überlieferungen zu Li Si‘ charakterisieren ihren Protagonisten als intriganten Opportunisten, weil sie ihn als Beispiel für den Typus des illoyalen Ministers präsentieren wollen. Die ‚Schrift über Zhao Zheng‘ hingegen stellt Li Si als loyalen Beamten und aufrechten Remonstranten dar, weil sie am Zweiten Kaiser ein Exempel statuieren will, das im Erzählerkommentar wie oben zitiert expliziert wird: „Huhai war einer von jenen, von denen man sagt, sie hören nicht auf Remonstrationen. Vier Jahre nach seiner Thronbesteigung war er selbst tot und sein Staat war untergegangen.“ Der Zweite Kaiser verkörpere den Typus des Tyrannen, des schlechten letzten Herrschers, der dank seiner Beratungsresistenz zum Totengräber seiner eigenen Dynastie wird, soll das heißen.60 Wie es eigentlich gewesen, d. h. ob Li Si nun ein intriganter Opportunist oder ein loyaler Remonstrant oder eine zwischen diesen beiden Polen schillernde Figur gewesen ist, lässt sich bei dieser Quellenlage – d. h. auf Grundlage zweier einander widersprechender exemplarischer Narrative – (noch) nicht entscheiden. Wohl aber lässt sich sagen, dass das ältere Manuskript in Widerspruch zur jüngeren Darstellung der ‚Überlieferung zu Li Si‘ steht und damit deren Wert entscheidend relativiert. Vor diesem Hintergrund wiegen nun allerdings die Widersprüche innerhalb des ‚Shiji‘ selbst umso schwerer. Diese Diskrepanzen wurden ein Jahr vor Erscheinen der West-Han-zeitlichen Bambusmanuskripte der Universität Peking vom Autor dieses Beitrags in folgender Weise beschrieben 58 Siehe Michael Loewe, Biographical Dictionary of the Qin, Former Han and Xin Periods (221 BC – AD 24) (Handbuch der Orientalistik: Abt. 4, China: Bd. 16), Leiden 2000, 306–311, und Charles Sanft, Six of One, Two Dozen of the Other: The Abatement of Mutilating Punishments under Han Emperor Wen, Asia Major, Third Series 18.1 (2005), 79–100. 59 Siehe Jörn Rüsen, Die vier Typen des historischen Erzählens, in: Ders., Zeit und Sinn: Strategien historischen Denkens, Frankfurt/M. 1990, 153–230, hier 182. 60 Zum Topos des schlechten letzten Herrschers siehe Arthur F. Wright, Sui Yang-ti: Personality and Stereotype, in: Ders., The Confucian Persuasion, Stanford I960, 47–76, Yuri Pines, To Rebel is Justified? The Image of Zhouxin and Legitimacy of Rebellion in Chinese Political Tradition, in: Oriens Extremus 47 (2008), 1–24, sowie Schwermann 2012.

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und bewertet: „While the essentials of the plot of Li Si’s biography61 may conform to historical fact, the narrative about his motives to draw up the memorial might have been made up by its authors to present him as an opportunistic careerist and sycophant, who merely confirmed the Second Emperor’s convictions to save his own skin. For example, this is corroborated by its being at variance with the parallel account of the events leading to Li Si’s demise in the ‚Annals of the First Emperor of Qin‘ (‚Qin Shi Huang ben ji‘ 秦始皇本紀). Whereas the annals relate that he was imprisoned, sentenced to the Five Punishments (wu xing 五刑)62 and executed because he had remonstrated against the imposition of additional taxes, construction work on the Epang Palace (Epang gong 阿房宮) and other kinds of corvée,63 his biography, as we have seen, tells us that he was afraid of the Second Emperor and paid deference to his wishes for fear of being deprived of his rank. According to this narrative, Li Si’s memorial is just an attempt to please the Second Emperor by compliance and thus a gratifying reply to an earlier statement of the monarch, in which he makes his autocratic ambitions explicit.“64 Nach dem Vergleich mit der ‚Schrift über Zhao Zheng‘ darf man vermuten, dass nicht einmal die Kernelemente der Handlung in den ‚Aufgereihten Überlieferungen zu Li Si‘ den historischen Fakten entsprechen. Da das Manuskript die Darstellung in den ‚Grundlegenden Annalen des Ersten Kaisers von Qin‘ bestätigt, wonach der Erste Kaiser auf dem Sterbebett Huhai persönlich zu seinem Thronerben bestimmt hat,65 darf man zudem bis auf weiteres, d. h. vorbehaltlich des Fundes bislang noch unbekannter Quellen, davon ausgehen, dass Li Si aufgrund seiner Remonstrationstätigkeit hingerichtet wurde und nicht, weil er einer Intrige zum Opfer gefallen war. Auch der Hinweis auf die posthumen Namen im vorletzten Abschnitt der Throneingabe – ein weiterer interner Widerspruch – deutet darauf hin, dass diese tatsächlich eine Fälschung ist. Hier stellt der Verfasser dem Zweiten Kaiser nämlich in Aussicht, dass „er zu Lebzeiten eine geachtete und gewichtige Machtposition und nach seinem Tod einen posthumen Namen haben wird, der 61 D. h. der ‚Aufgereihten Überlieferungen zu Li Si‘. 62 Bei den sogenannten Fünf Strafen handelt es sich um Tätowierung, Amputation der Nase, Amputation des Beins unterhalb des Knies, Kastration und Enthauptung. Vgl. aber Shiji, juan 87, 2562, wonach an Li Si nicht nur die Fünf Strafen vollzogen worden sein sollen, sondern zudem er selbst an der Taille zweigeteilt und unter Anwendung der Sippenhaftung seine Verwandtschaft bis zum dritten Grade (d. h. Eltern, Brüder, Frau und Kinder) ausgerottet worden sein soll. 63 Siehe Shiji, juan 6, 271–273. Zum Epang-Palast siehe Charles Sanft, The Construction and Deconstruction of Epanggong: Notes from the Crossroads of History and Poetry, in: Oriens Extremus 47 (2008), 160–176. 64 Siehe Schwermann 2014, 1082f. 65 Siehe Shiji, juan 6, 264. Hiernach hätten dann Li Si und Zhao Gao den erstgeborenen Sohn Fusu und General Meng Tian mit einem gefälschten Brief des Ersten Kaisers zum Selbstmord gezwungen.

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Tüchtigkeit und Klarsichtigkeit zum Ausdruck bringt“ (sheng ze you zun zhong zhi shi, si ze you xian ming zhi shi ye 生則有尊重之勢,死則有賢明之謚也). Allerdings berichten die ‚Grundlegenden Annalen des Ersten Kaisers von Qin‘ für das Jahr 221 v. Chr., dass Zhao Zheng auf Vorschlag von Li Si und weiteren Führungsbeamten den Kaisertitel annahm und dass er zugleich die bewertenden posthumen Namen abschaffte.66 Zu dem Zeitpunkt, als Li Si seine Throneingabe angeblich abgefasst haben soll, nämlich auf dem Höhepunkt des Aufstandes des Chen Sheng und des Wu Guang 209 oder 208 v. Chr., wäre die Institution der posthumen Namen, die erst von den ersten Han-Kaisern wiedereingeführt wurden, also schon seit mehr als einem Jahrzehnt obsolet gewesen! Zusammen mit den geradezu grotesken inhaltlichen Forderungen bzw. Versprechungen der Eingabe – man denke an die Aufhebung der Trennung zwischen öffentlicher Kasse und kaiserlicher Privatschatulle – spricht all dies dafür, dass der Text aus dem Pinsel eines Han-zeitlichen Autors stammt, der einerseits unbewusst Realien seiner eigenen Lebenszeit wie die Institution posthumer Namen auf die späte Qin-Zeit übertrug und andererseits eine für seine eigene Epoche skandalöse Vorstellung – die Zusammenlegung der öffentlichen Gelder mit den kaiserlichen Privateinkünften – in diese hineinprojizierte, um die Figur des Li Si in überzeugender Weise der Kategorie des illoyalen und verantwortungslosen Ministers zuordnen und en passant die vollständige Auflösung der Zentralverwaltung am Kaiserhof der späten Qin glaubhaft dokumentieren zu können. Wer dies getan hat, wird wohl bis auf weiteres nicht sicher geklärt werden können. Es gibt indes einige wenige Indizien, die darauf hindeuten, dass Sima Tan, der 110 v. Chr. verstorbene Vater des Sima Qian und Co-Autor des ‚Shiji‘, zumindest eine Mitverantwortung tragen könnte. Denn die dem Li Si zugeschriebene Eingabe weist gewisse Parallelen zu der Kritik des Sima Tan am konfuzianischen Modell monarchischer Herrschaft in dem von ihm verfassten Traktat zur ‚Essenz der Sechs Schulen‘ (‚Liu jia zhi yaozhi‘ 六家之要指) auf.67 Man vergleiche etwa die Kritik der Throneingabe an der am Volkswohl orientierten charismatischen Herrschaft der mythischen Monarchen Yao und Yu, insbesondere die Wendung „seinen Körper strapazieren und seine geistige Kraft erschöpfen, um sich selbst nach der Bevölkerung zu richten“ (ku xing lao shen, yi shen xun bai xing 苦形勞神,以身徇百姓), mit Sima Tans Bewertung des

66 Siehe Shiji, juan 6, 236. 67 Siehe hierzu Kidder Smith, Sima Tan and the Invention of Daoism, ‚Legalism‘, et cetera, in: Journal of Asian Studies 62.1 (2003), 129–156. Zu Sima Tans Beitrag zum ‚Shiji‘ siehe Dorothee Schaab-Hanke, Sima Tans Anteil an Kapitel 27 des Shiji, in: Dies., Der Geschichtsschreiber als Exeget: Facetten der frühen chinesischen Historiographie (Deutsche Ostasienstudien 10), Gossenberg 2010, 211–222.

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Monarchismus konfuzianischer Prägung im Hinblick auf sein Ideal des delegierenden Führungsstils im Sinne des daoistischen laissez faire: 儒者則不然。以為人主天下之儀表也,主倡而臣和,主先而臣隨。如此則主勞而 臣逸。至於大道之要,去健羨,絀聰明,釋此而任術。夫神大用則竭,形大勞則 敝。形神騷動,欲與天地長久,非所聞也。68 As for the Confucian scholars, however, they are not like this. They believe that the ruler of men is the proper model of All under Heaven. [According to them,] the ruler [should] take the lead, and the ministers [should] accord [with him], the ruler [should] go first, and the ministers [should] follow [him]. If it is like this, the ruler will make strenuous efforts and the ministers will be at leisure. When it comes to the main points of the great Dao, one [should] dispense with desires and drive out intelligence, one [should] abandon these and rely on techniques instead. Now, as for mental energy, it will be exhausted if one uses it on a grand scale; physical shape will get worn out if one puts it under a great strain. That someone whose physical shape and mental energy are in state of agitation and commotion is willing to partake in the longevity of Heaven and Earth is not something that I have heard of.69

Man vergleiche auch die folgende Passage aus dem Traktat zur ‚Essenz der Sechs Schulen‘: 凡人所生者神也,所託者形也。神大用則竭,形大勞則敝,形神離則死。死者不可 復生,離者不可復反,故聖人重之。由是觀之,神者生之本也,形者生之具也。不 先定其神〔形〕,而曰「我有以治天下」,何由哉?70 It is mental energy which keeps all men alive; it is physical shape which they take refuge in. Mental energy will be exhausted if one uses it on a grand scale; physical shape will get worn out if one puts it under a great strain. If physical shape and mental energy depart, one will die. What is dead cannot become alive again. What has departed cannot return. Therefore the sages attached great importance to them [i. e. to physical shape and mental energy]. When one looks at it from this point of view, mental energy is the root of life, physical shape is the means to maintain life. If one has not first stabilized one’s mental energy [and physical shape], but says, „I have got what it takes to govern All under Heaven“, from where does it accrue?! 71

Die Unterschiede zwischen Sima Tans Ideal eines delegierenden Führungsstils im Sinne des daoistischen laissez faire und dem Entwurf einer autokratischen Form monarchischer Herrschaft in der Throneingabe sind offensichtlich. Aber zugleich fällt auf, dass beide Texte betonen, wie essentiell der Einsatz von Herrschaftstechniken (shu 術) im Hinblick auf soziale Stabilität und dynastische Kontinuität ist. Zudem argumentieren beide, dass Aktionismus auf Seiten des 68 69 70 71

Siehe ‚Shiji‘, juan 130, 3289. Siehe Schwermann 2014, 1089, Fußnote 69 [Hervorhebungen von mir]. Siehe Shiji, juan 130, 3292. Siehe Schwermann 2014, 1089, Fußnote 69 [Hervorhebung von mir].

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Monarchen eben dieser Kontinuität abträglich ist.72 Wie oben gesagt, sind dies nur wenige und schwache Indizien. Die Eingabe könnte ebenso von einem anderen Autor der frühen Han-Zeit gefälscht worden sein, der unbewusst sein eigenes Ideal von laissez faire auf den dem Li Si zugeschriebenen Entwurf einer Autokratie abfärben ließ, und dann von Sima Tan und Sima Qian bei der Kompilation des ‚Shiji‘ unkritisch oder auch ganz gezielt übernommen worden sein. Sicher scheint jedenfalls, dass Li Si diesen Text nicht selbst verfasst haben kann. Aber was bedeutet das nun für die Autokratie im antiken China? Die wichtigste aus dem Altertum überlieferte Quelle zur Errichtung einer Selbstherrschaft scheint eine Fälschung zu sein, die nur das Schreckbild einer Autokratie an die Wand malt, so, wie einer ihrer zahlreichen Gegner sie sich in den schlimmsten Farben ausmalte, um seine Zeitgenossen davon zu überzeugen, despotischen Anwandlungen von Monarchen entschlossen entgegenzutreten. Weder in der frühen Kaiserzeit noch davor gab es einen Staatsdenker oder Verwaltungslehrer, der ernsthaft die Umwandlung einer konsensorientierten Monarchie in eine Selbstherrschaft gefordert hätte. Im Gegenteil waren selbst diejenigen Verwaltungslehrer, die in der Tradition des Politischen Realismus standen, daran interessiert, die Partizipationselite der Führungsbeamten nicht gänzlich zu entmachten. Vor diesem Hintergrund stellt sich freilich auch die Frage, inwieweit denn die Herrschaft des Ersten Kaisers autokratisch geprägt war. Wenn sogar die in die Traditionsquellen inserierten Dokumente wie Throneingaben oder gar kaiserliche Edikte, die allesamt archiviert wurden, gefälscht sein können, warum sollte dann ausgerechnet das historische Narrativ stimmen, das diese umrankt?

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Ein antikes chinesisches Plädoyer für die Errichtung einer Autokratie

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Der erste russische Zar und Selbstherrscher in der eigenen und ausländischen Wahrnehmung

David Khunchukashvili

Die Masken der Macht Ivans IV. Die verkehrte Welt der Opricˇnina und der darauf folgenden Zeit im Spiegel der Vorstellung vom christlichen Zarentum „Ne poryvaja so zvonom kolokolov, Groznyj ne mog obojtis’ i bez zvona ˇsutovskich bubencˇikov.“1 Michail Bachtin Abstract The 15th and 16th centuries saw the creation and development of the new concept of power in Muscovite Russia – the notion of the Orthodox Tsar. The status of the Muscovite grand prince was changing from that of the most powerful ruler but still primus inter pares during the 14th and 15th centuries, to the only source of power in Muscovy in the 16th century. This process manifested itself in the coronation ritual of Ivan IV’s crowning as the first Russian Tsar in 1547. During the creation of the image of the Orthodox Tsar, many new structural elements were developed in Muscovy or adapted from existing ones for the new political situation. The most significant ideas and paradigms were the notion of ‘Moscow as a New Israel’, the teachings of the Greek deacon Agapetos (first half of 6th century) concerning the two natures of the ruler – the human (the dust) and the divine, and the dynastical legitimization of the power of the Tsar in ‘The Tale about the Princes of Vladimir’, which was included in the ‘Book of Royal Degrees’ (stepennaja kniga). All these ideas were reflected and further developed in the new Muscovite iconography, architecture and rituals. After the establishment of the oprichnina, the image of the Christian ruler was challenged by the new system of images invented for use by the new personal army of the Tsar, the oprichniki: dog heads, brooms, dark horses, black robes, blasphemous mockeries of the monastic life, etc. In this paper, I argue that Ivan the Terrible deliberately created this new mix of apocalyptical and folkloristic images with the aim of destroying the image of the Christian Tsar, which restricted his power, and thus make himself the lone source of authority in his realm. To support this hypothesis, I analyze the symbolism of the oprichnina as related to the image of the Christian ruler. For my analysis I draw on the carnival-theory of Mikhail Bachtin, which helps to describe the bipolar logic of the symbolic system of the oprichnina. In order not to restrict myself to one point of view I consult also the liminalitytheory of Michael Turner, which allows us to see in this symbolism an intentional challenge to the idea of the Christian Tsardom. 1 „Da Ivan der Schreckliche mit dem Glockenläuten nicht brach, konnte er auch ohne Narrenschellen nicht auskommen.“ Michail Bachtin, Tvorcˇestvo Fransua Rable i narodnaja kul’tura srednevekov’ja i renessansa, Sobranie socˇinenij, Bd. 4, Moskva 2010, 290; dt. Übersetzung: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt/M. 1987.

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David Khunchukashvili

Next to the Russian chronicles and the many reports from foreigners I consult also the writings of Ivan IV. Compared to the relatively numerous references to the image of the Christian Tsar in his writings, there are no surviving sources where the first Russian Tsar explicitly explains the logic behind the symbolism of the oprichnina. Nevertheless, it is still possible to find some carnival elements and a pointed derision of the Christian symbols in his writings, especially those written under the pseudonym of Parfenii Urodivyi and in his letter to the Kirillo-Belozersky monastery.

Einführung Im Jahre 1573 organisierte Zar Ivan IV. in Velikij Novgorod die Hochzeit zwischen dem livländischen Herzog Magnus und seiner Nichte Marija Vladimirovna Starickaja, deren Vater der Moskauer Selbstherrscher vier Jahre früher zum Selbstmord gezwungen hatte.2 Während des Vorsingens des Glaubensbekenntnisses tanzte der Zar zusammen mit jungen Mönchen. Um den Takt für diesen gotteslästerlichen Spott-Tanz anzugeben, schlug der Zar mit seinem Stab auf die Köpfe der Gäste3, die wussten, dass eine Weigerung der Teilnahme an dieser Maskerade, die die christlichen Symbole auf eine so demonstrative Art verzerrte, sie das Leben kosten würde.4 Das Glaubensbekenntnis sang er jedoch „auswendig so fertig und ohne mangel“.5 Ivan IV. war aber auch gleichzeitig derjenige Herrscher, der sich als erster gekrönter russischer Zar an der Entstehung und Entwicklung eines christlichen Zarentums aktiv beteiligte: Er baute Kirchen, organisierte Kirchenkonzile, unternahm zahlreiche Pilgerreisen, war der zentrale Akteur in den wichtigsten religiösen Feierlichkeiten etc. Die Ambivalenz zwischen diesen beiden Bildern eines Zaren fiel schon einem der ersten russischen Historiker des 18. Jahrhunderts,

2 Zur Beschreibung des Selbstmordes des Fürsten Vladimir Starickij und der Hinrichtung seiner Verwandten siehe Ruslan Skrynnikov, Ivan Groznyj, Moskva 1975, 148f. Deutsche Fassung: Ruslan Skrynnikow, Iwan der Schreckliche und seine Zeit. Mit einem Nachwort von HansJoachim Torke, München 1992, 167. 3 Salomon Henning, Liffländische Churlendische Chronica, in: A. Hansen (ed.), Scriptores rerum Livonicarum. Sammlung der wichtigsten Chroniken und Geschichtsdenkmale von Liv-, Ehst- und Russland in genauem Wiederabdrucke der besten, bereits gedrückten, aber selten gewordenen Ausgaben, Bd. 2, Leipzig 1848, 262. 4 Fürst Repnin-Obolenskij wurde Andrej Kurbskij zufolge für seine Ablehnung, die Maske anzuziehen, hingerichtet. Andrej Kurbskij, Istorija o delach velikogo knjazja moskovskogo, ed. Konstantin Erusalimskij, Moskva 2015, 138. 5 Henning 1848, 262. Dass der Zar das Glaubensbekenntnis, dieses Mal das „Symbolum Athanasiii“, mit großer Freude während üppiger Festmähler vorsang, bestätigte auch Peer Persson de Erlesunda. Petrus Petreius de Erlesunda, Historien und Bericht von dem Großfürstenthumb Muschkow, Leipzig 1620, 563. Online unter: https://digital.slub-dresden. de/werkansicht/dlf/80017/17/. Zuletzt besucht am 25.04.19.

Die Masken der Macht Ivans IV.

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M. M. Sˇcˇerbatov, dem zufolge Ivan IV. v tol’ raznych vidach predstavljaetsja, cˇto ˇcasto ne edinym ˇcelovekom javljaetsja6, auf. Nur wenige Forscher haben den Versuch unternommen, jene provokative, antichristliche und antiklerikale Vorgehensweise des ersten russischen Zaren während der Opricˇnina zu verstehen und zu erklären. Der psychoanalytische Ansatz ist in den Werken der vorrevolutionären russischen Historiker wie Ja. ˇ istovicˇ oder P. Kovalevskij und einiger amerikanischer Autoren der 1970er und C 1980er Jahre wie Richard Hellie oder Robert Crummey zu finden.7 Dieser Zugang ist allerdings nicht produktiv und führt in eine Sackgasse: Die Diagnostizierung von psychischen Erkrankungen des Zaren erklärt keineswegs die komplizierte volkstümlich-apokalyptische Symbolik der Opricˇnina. Zu Recht weisen Aleksandr Pancˇenko und Boris Uspenskij darauf hin, dass diese Interpretation mit dem Verzicht auf eine wissenschaftliche Erklärung gleichzusetzen sei.8 Für das Verständnis der Zarengestalt in dieser Zeit sind Michail Bachtins9 umstrittene, aber dennoch sehr einflussreichen Theorien der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lachkultur und die sich auf sie stützenden Studien von Dmitrij Lichacˇev10, Aleksandr Pancˇenko11 sowie sie in Frage stellenden und modifizierenden Abhandlungen von Jurij Lotman12, Boris Uspenskij13 und Aron Gurevicˇ14 zur volkstümlichen Lachkultur der Alten Rus’ und des europäischen 6 Ivan IV. „hat so viele Seiten, dass es scheint, als ob es viele Ivans gäbe.“ Michail Sˇcˇerbatov, Socˇinenija. Istorija Rossijskaja ot drevnsˇejsˇich vremen, 12 Bde., Bd. 5, Teil 2, S.-Peterburg 1903, 825. 7 Ein Forschungsüberblick der psychoanalytischen Erklärungsversuche findet sich in dem Artikel von Sergej Bogatyrev, der in seinen in den 1990er Jahre verfassten Abhandlungen selbst zu den Anhängern des psychoanalytischen Ansatzes gehörte. Sergej Bogatyrev, Groznyj car’ ili groznoe vremja? Psichologicˇeskij obraz Ivana Groznogo v istoriografii, in: Russian History/Histoire Russe 3, 22 (1995), 285–308. 8 Aleksandr Pancˇenko/Boris Uspenskij, Ivan Groznyj i Petr Velikij: koncepcii pervogo monarcha. Stat’ja pervaja, in: Trudy otdela drevnerusskoj literatury (TODRL) 37 (1988), 54– 78, 54. 9 Bachtin 2010. 10 Dmitrij Lichacˇev, Lachen als „Weltanschauung“, in: Ders./Aleksandr Pancˇenko, Die Lachwelt des alten Rußland, mit einem Nachtrag von Jurij M. Lotman und Boris A. Uspenskij, eingeleitet und herausgegeben von Renate Lachmann, München 1991, 7–81. 11 Aleksandr M. Pancˇenko, Lachen als Schau-Spiel, in: Ebd., 85–180. Ausführlicher zum Christusnarrentum siehe vor allem auch die Monographie von Sergej Ivanov, Holy Fools in Byzantium and Beyond, Oxford 2006. 12 Ein Beispiel der Modifizierung der Theorie von Michail Bachtin ist in der Rezension des Buches von Dmitrij Lichacˇev und Aleksandr Pancˇenko durch Jurij Lotman und Boris Uspenskij zu finden: Jurij Lotman/Boris Uspenskij, Novye aspekty izucˇenija kul’tury drevnej Rusi, in: Voprosy Literatury 3 (1977), 148–167. 13 Pancˇenko/Uspenskij 1988. 14 Für eine wertvolle Kritik der Theorie von Michail Bachtin im Spiegel der Volkskultur des europäischen Mittelalters siehe die Monographie von Aaron Gurjewitsch, Mittelalterliche Volkskultur: Probleme zur Forschung, 2. Aufl., Dresden/München 1992. Doch nicht jede

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Mittelalters von entscheidender Bedeutung. Der Karneval, in dem sich die ambivalente volkstümliche Lachkultur Bachtin zufolge manifestiert, stellt eine umgekehrte Welt dar, die Welt, in der Oben und Unten ihre Plätze tauschen. Genau auf diese Idee stützt sich Lichacˇev, wenn er die Opricˇnina als ‚Anti- bzw. Gegenwelt‘ (antimir) bezeichnet.15 Die Übertragung des binären Wesens der mittelalterlichen Lachkultur auf die Vorgehensweise des Moskauer Zaren erlaubt es, die inhärente Logik in den Handlungen des Zaren während und nach der Opricˇnina sowie in der Symbolik der Kleidung und der Lebensweise der Opricˇniki zu erkennen. Einen möglichen Schlüssel zur inhärenten Logik der Opricˇnina-Symbolik bietet auch die für diese Fragestellung bisher unberücksichtigt gebliebene Forschung zum Schwellenzustand (Liminalität) von Victor Turner, der anhand seiner anthropologischen Untersuchungen der Bräuche von afrikanischen Stämmen die sozio-kulturelle Bedeutung der Rituale der Statusumkehr aufzeigte.16 Außerdem erlaubt das Konzept des Schwellendaseins von Turner, die Opricˇnina als die Zeit der Herausforderung und Infragestellung des christlichen Zarentums zu betrachten: „Faßt man das Schwellendasein als eine Zeit und einen Ort des Rückzugs von normalen sozialen Handlungsweisen auf, kann man es als eine Zeit möglicher Überprüfung der zentralen Werte und Axiome der Kultur, in der es vorkommt, sehen.“17 Kritik des Ansatzes von Bachtin war produktiv. Ein Beispiel der wohl schärfsten, ja galligen und gleichzeitig das Konzept von Bachtin zum Teil völlig missverstehenden Kritik kam vom Erforscher des Karnevals Dietz-Rüdiger Moser in einem polemischen und die Verfechter der Theorie von Bachtin persönlich angreifenden Aufsatz. Moser erachtete es nicht einmal für notwendig, die Originalübersetzung des Buches von Bachtin anzuschauen und stützte sich auf eine kurze Kompilation der Bachtin-Monographie durch Alexander Kämpfer, wofür er zu Recht durch Elena Nährlich-Slateva kritisiert wurde. Elena Nährlich-Slateva, Eine Replik zum Aufsatz von Dietz-Rüdiger Moser „Lachkultur des Mittelalters? Michail Bachtin und die Folgen seiner Theorie“, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 85 (1991), 409–422, 410f. Einen Aspekt des Karnevals teilten aber sowohl Bachtin als auch Moser (auch wenn Moser dies nicht merkte bzw. nicht merken wollte), nämlich seine Ambivalenz. bzw. seine Umkehrungsfunktion, die für meine weitere Argumentation am wichtigsten ist: Dem in der Forschung ebenso höchst umstrittenen und zum Teil scharf kritisierten Ansatz von Moser zufolge – dazu siehe z. B. die Monographien von Michael Kuper, Zur Semiotik der Inversion: verkehrte Welt und Lachkultur im 16. Jahrhundert, Berlin 1993 und Norbert Schindler, Widerspenstige Leite: Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1992 – repräsentierte der durch die Kirche gelenkte Karneval die civitas diaboli als Gegenbild zur civitas dei nach Augustin von Hyppo und verkörperte somit die Antiwelt zur christlichen, soteriologischen Welt. Dietz-Rüdiger Moser, Lachkultur des Mittelalters? Michael Bachtin und die Folgen seiner Theorie, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 84 (1990), 89–111, hier 99f. 15 Lichacˇev 1991, 53. 16 Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherf, Frankfurt/New York 2005. 17 Turner 2005, 160.

Die Masken der Macht Ivans IV.

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Die Spannung zwischen der in den narrativen, visuellen und rituell-liturgischen Quellen herausgearbeiteten Vorstellung vom christlichen Zarentum einerseits und der volkstümlich-apokalyptischen Symbolik der Opricˇnina andererseits führt zu folgender Frage: Wie lassen sich die äußere Erscheinungsweise und die Handlungen von Zar Ivan IV. während der Opricˇnina und der darauf folgenden Zeit im Spiegel der vielschichtigen und hochentwickelten Idee des christlichen Zaren erklären? Die folgende These soll im Weiteren überprüft werden: Die zweite Hälfte der Herrschaft Ivans IV. stellt eine gezielte Infragestellung der Vorstellung vom christlichen Zaren und des durch Gott legitimierten Reiches dar. Mit Hilfe der symbolischen und rituellen Verspottung der christlichen Tradition wollte Ivan IV. seine Macht von der Bindung an die imaginäre Figur des christlichen Zaren befreien und seine eigene Person zur einzigen Quelle der Macht stilisieren. Zieht man eine Parallele zum elisabethanischen England, dessen Herrschaftssystem Ernst Kantorowicz in seiner berühmten Monographie „The King’s Two Bodies“18 ausformuliert, lässt sich folgende Hypothese aufstellen: Durch die Opricˇnina verlieh Ivan IV. beiden Körpern des Zaren die Macht – sowohl dem göttlichen als auch dem irdischen.

Die Opricˇnina als verkehrte Welt Der erste russische Zar neigte zu theatralischen Effekten und Verkleidungen. Sein karnevalisiertes Auftreten ist in vielen Berichten bezeugt, daher beschränke ich mich auf die beiden schillerndsten Beispiele. Als im Jahre 1571, dem vorletzten Jahr der Opricˇnina, die Botschafter des Krim-Khans in Moskau ankamen, um ihren Tribut einzufordern, „kleidete Groznyj sich und seine Bojaren in Bauernkittel, in Lumpen und Schafspelze, den Boten antwortete er: „Seht ihr, wie ich herumlaufe? Das hat mir der Zar [gemeint ist der Khan der Krim – d. Verf.] angetan! Mein ganzes Reich hat er verwüstet und das Reichsgut verbrannt. Ich habe nichts mehr, was ich dem Khan noch geben könnte!“19. Statt den Gesandten auf gewöhnliche Weise den Empfang zu verweigern oder diplomatisch zu versuchen, Zeit zu gewinnen, inszenierte Ivan ein Spektakel à la opéra buffa, an dem auch seine Untertanen teilnehmen mussten, wenn sie nicht hingerichtet werden wollten. Dass eine solche Umgangsweise mit den „Ungläubigen“, wie man damals alle Nicht-Orthodoxen betrachtete, dem Ideal des christlichen Zaren ent18 Ernst Kantorowicz, The King’s Two Bodies: a study in medieval political theology, Princeton 1957, Neuauflage Princeton 2016; dt.: Die zwei Körper des Königs: eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, Stuttgart 1992. 19 Lichacˇev 1991, 30.

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schieden widersprach, bedarf keines Kommentars, ebenso wie die inszenierte Verkleidung. Gleichzeitig handelte es sich nicht um eine Verkleidung um der Verkleidung willen, sondern sie hatte eine konkrete Botschaft für seine Untertanen: Ivan IV. zeigte demonstrativ, dass er auch in dieser armen Kleidung und trotz der öffentlichen, gut inszenierten Demütigung vor den tatarischen Gesandten in seinem Reich der einzige Herrscher war, obwohl er auf solche Weise die Würde des christlichen Zaren zweifelsohne verletzte. Einen anderen Hinweis auf die Neigung des Zaren zur Verkleidung und die Deutung ihrer symbolischen Bedeutung findet man bei Isaak Massa, einem holländischen Kaufmann und Diplomaten, der um 1600 in Moskau lebte. Massa schrieb, wenn der russische Zar rote Kleidung trug, „vergoss er Blut“, wenn er schwarze Farben bevorzugte, dann war dies ein Zeichen für baldige Hinrichtungen, wenn er aber weiße Kleidung trug, belustigten sich alle, aber nicht, wie es sich für wahre Christen gebühre.20 In dieser Nachricht sind vor allem die beiden folgenden Punkte von Bedeutung: Die Neigung des Zaren zur Verkleidung war auch 20 Jahre nach seinem Tod bekannt bzw. stimulierte sie nach seinem Tod die Entstehung solcher Gerüchte. Und noch relevanter: Die Nachfahren erinnerten sich daran, dass diese Belustigung des Zaren und seiner Untertanen für wahre Christen nicht gebührend gewesen sei. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf die unterschiedliche Stellung gegenüber dem Lachen im durch die Scholastik geprägten mittelalterlichen Westen einerseits und der Kiever und Moskauer Rus’ andererseits hinzuweisen. So stellt Jacques Le Goff fest, dass die Kleriker das Lachen in Spannung zwischen jenem Faktum, dass Jesus Christus nicht gelacht haben soll, und der Aussage von Aristoteles, demzufolge das Lachen ein besonderes Merkmal des Menschen sei, betrachteten.21 Schon allein an diesem Beispiel ist der Unterschied zur Kiever und Moskauer Rus’ ersichtlich, in der Aristoteles so gut wie nicht rezipiert wurde, weswegen ein positiver oder zumindest neutraler Blick auf das Lachen als eine unabdingbare Fähigkeit des Menschen gar nicht möglich war. Zur selben Schlussfolgerung kommt auch Tobias Kemper: „Zumindest im lateinischen Westen wird – im Unterschied zum Osten – das Lachen nicht prinzipiell verworfen, sondern ist als natürliche menschliche Fähigkeit grundsätzlich anerkannt.“22 Der Karneval selbst stellt Sergej Averincev zufolge eine in der Zeit

20 Isaac Massa, A Short History of the Beginnings and Origins of These Present Wars in Moscow under the Reign of Various Sovereigns down to the Year 1610, Translated and with an Introduction by G. Edward Orchard, Toronto/Buffalo/London 1982, 21. 21 Jacques Le Goff, Lachen im Mittelalter, in: Jan Bremmer/Herman Roodenburg (edd.), Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute, Darmstadt 1999, 43–56, hier 46f. 22 Tobias A. Kemper, Iesus Christus risus noster. Bemerkungen zur Bewertung des Lachens im Mittelalter, in: Anja Grebe/Nikolaus Staubach (edd.), Komik und Sakralität. Aspekte einer

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begrenzte Erlaubnis zum Lachen dar. Das Lachen war selbstverständlich auch in den russischen volkstümlichen Feiertagen wie Svjatki oder Maslenica fest verankert,23 doch es wurde im Vergleich zum westlichen Mittelalter von Seiten der Kirche nie toleriert. Die Gestalt eines Narren in Christo (Jurodivyj) kann nicht als ein Beleg für das legitimierte Lachen gelten, weil es seine Aufgabe war, Menschen durch narrenhafte, provokative Handlungen zum Weinen zu bringen, nicht zum Lachen.24 In Anbetracht dessen sollten die Belustigungen des Zaren, von denen Isaak Massa schrieb, seinen Zeitgenossen umso gotteslästerlicher erscheinen. Vielschichtiger ist die Symbolik der Kleidung der Opricˇniki, vor allem der Hundeköpfe und der an das Pferd angehefteten Besen. In Kombination mit ihrer schwarzen Kleidung und den schwarzen Pferden, auf denen sie ritten, machten die Opricˇniki einen furchterregenden Eindruck. Und es bedarf keiner großen theologischen Kenntnisse, um feststellen zu können, dass diese Gestalt dem Topos des heiligen Heeres, wie es auf der Ikone „Geheiligt sei das Heer des himmlischen Königs“ oder auf dem Großen Banner zu sehen ist, entschieden widersprach. Ob diese Herausforderung einen folkloristischen oder einen apokalyptischen Ursprung hatte oder beides, ist nicht endgültig zu klären. Die Antwort wird immer von der jeweiligen Akzentsetzung abhängen. In allen drei Fällen wäre es aber eine eindeutige Abkehr von der sich zu diesem Zeitpunkt herauskristallisierenden Tradition, denn weder die apokalyptischen Symbole noch die volkstümlichen Attribute wurden jemals auf die Gestalt des Zaren und seine Untertanen in dieser Form projiziert. Die apokalyptische Symbolik wurde vielmehr zum Symbol des Kampfes für den „wahren“ Glauben, wie es auf der Ikone „Geheiligt sei das Heer des himmlischen Königs“, in der die Geschichte des Moskauer Reiches in die Heilsgeschichte eingeschrieben wurde: Diese monumentale Ikone setzte die Eroberung von Kazan’ im Jahre 1552 mit der Zerstörung von Jericho gleich und identifizierte das Heer des Zaren mit dem Heer des Erzengels Michaels.25 Ein anderes Beispiel wäre das Große Banner (Velikij Stjag) ästhetischen Paradoxie in Mittelalter und früher Neuzeit, Frankfurt am Main 2005, 16–31, hier 20. 23 Sergej S. Averincev, Bachtin i russkoe otnosˇenie k smechu, in: Sergej Nekljudov/Elena Novik (edd.), Ot mifa k literature: Sbornik v cˇest’ semidesjatipjatiletija Eleazara Moiseevicˇa Meletinskogo, Moskva 1993, 341–345, hier 342. 24 Ebd. 25 Zu den apokalyptischen Motiven auf der Ikone siehe Nina Kvilidze, Svjasˇcˇennyj obraz carja v moskovskoj zˇivopisi vtoroj poloviny XVI v., in: Nina Chacˇaturjan (ed.), Svjasˇcˇennoe telo korolja. Ritualy i mifologija vlasti, Moskva 2006, 435 sowie den Aufsatz von Daniel Rowland, Biblical Military Imagery in the Political Culture of Early Modern Russia. The Blessed Host of the Heavenly Tsar, in: Michael Flier/Daniel Rowland (edd.), Medieval Russian Culture, 2 Bde., Bd. 2, Berkeley/Los Angeles/London 1994, 183–199. Zu den Parallelen mit anderen ostslavischen und byzantinischen Ikonen siehe Aleksej Sirenov, Stepennaja kniga i russkaja istoricˇeskaja mysl’ XVI–XVII vv., S.-Petersburg 2010, 34f. Die Relevanz von Daniel Kap. 12 und Offenbarung Kap. 19 für die Deutung der Ikone ist ebenso ein Hinweis für den Einfluss

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Ivans IV., das dem expansionistischen Krieg um den Zugang zur Ostsee den Nimbus eines Kreuzzuges verlieh.26 Die wichtigste Quelle, in der sowohl der Hundekopf als auch der Besen beschrieben und ihre Bedeutung erläutert wurden, ist der Bericht von Johann Taube und Elert Kruse. Beide waren livländische Adlige, die während des livländischen Krieges gefangengenommen und vom Zaren als Geiseln gehalten wurden. Einige Jahre später waren sie zu führenden Opricˇniki geworden, weswegen ihre Berichte eine große Relevanz für die Erforschung dieser Zeit darstellen. Nach der Flucht verfassten sie ein Schreiben an Hetman Johann Kotkowitz mit dem Ziel, ihren Dienst für den Zaren zu rechtfertigen.27 Aus diesem Grund sollte man der starken Kritik am Zaren in diesem Bericht nicht allzu viel Glauben schenken und sie immer durch zusätzliche Quellen bestätigen. Die zentrale Stelle dieses Schreibens lautet: „Es musten auch seine Aprisna oder Ausgesonderte eine kentliche vnd merkliche Anzeichen haben im Reitten die etwa: Hundeköpffe den Pferden an Helsern vnd an jren Flitschen, eine beserne Fegkwasche; zu einer Bedeutung, er wollte erstlich als ein Hundt beissen, vnd was oberig im Lande gar ausfegen.“28

Die Erklärung der Opricˇniki-Symbolik durch Taube und Kruse ist sehr pragmatisch: Die Hundeköpfe und die Besen symbolisieren die vom Zaren legitimierte Gewaltanwendung gegen seine angeblichen Feinde. Die Einführung der Hundeköpfe als Symbole der Diener des Zaren bedeuten Charles Halperin zufolge für Ivan IV., dass er die Opricˇniki als „hunting dogs, who hunted down his enemies, and guard dogs, protecting his imperial person“29 betrachtete. Zwar schließt Halperin andere Deutungsmöglichkeiten nicht aus, er findet sie aber

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der apokalyptischen Symbolik. Daniel Rowland, Blessed Is the Host of the Heavenly Tsar. An Icon rom the Dormition Cathedral of the Moscow Kremlin, in: Valerie Kivelson (ed.), Picturing Russia. Explorations in Visual Culture, Yale 2008, 35. Für die apokalyptischen Motive auf dem Großen Banner siehe ausführlicher bei Sergei Bogatyrev, The Heavenly Host and the Sword of Truth: Apocalyptic Imagery in Ivan IV’s Moscovy, in: Valerie Kivelson/Karen Petrone/Nancy Shields Kollmann (edd.), The New Muscovite Cultural History. A Collection in Honor of Daniel B. Rowland, Bloomington/ Indiana 2009, 77–91. Michail Roginskij, Poslanie Ioganna Taube i E˙lerta Kruze kak istoricˇeskij istocˇnik, in: Russkij istoricˇeskij zˇurnal 8 (1922), 11. Johann Taube/Elert Kruse, Zar’ Iwan der Grausame. Sendschreiben an Gotthard Kettler, Herzog zu Kurland und Semgallen, in: Johann Philipp Gustav Ewers/Moritz von Engelhardt (edd.), Beyträge zur Kenntniß Rußlands und seiner Geschichte, Bd. 1/1, St. Petersburg 1816, 203f. Die Übersetzung von Roginskij ins Russische ist folgende: Opricˇniki (ili izbrannye) dolzˇny vo vremja ezdy imet’ izvestnoe i zametnoe otlicˇie, imenno sledujusˇcˇee: sobacˇ’i golovy na ˇsee u losˇadi i metlu na knutovisˇcˇe. E˙to oboznacˇaet, cˇto oni sperva kusajut, kak sobaki, a zatem vymetajut vse lisˇnee iz strany. (Roginskij 1922, 38). Charles J. Halperin, Did Ivan IV’s Oprichniki Carry Dogs’ Heads on Their Horses?, in: Canadian – American Slavic Studies 46 (2012), 65.

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überflüssig. Es scheint aber durchaus wichtig zu sein, die möglichen Inspirationsquellen für diese Symbolik zu suchen. Zuerst sollen aber andere schriftliche Zeugnisse angesprochen werden, in denen die Symbolik der Opricˇniki thematisiert wird. Neben dem Bericht von Taube und Kruse stehen uns noch vier schriftliche und eine visuelle Quelle zur Verfügung. Der deutsche Opricˇnik Heinrich von Staden, der sich im Vergleich zu seinen „Kollegen“ Taube und Kruse vor niemandem rechtfertigen musste, erwähnte neben der schwarzen Kleidung nur den Besen als Erkennungszeichen der Opricˇniki: Es mustenn auch die in Aprisna Schwartze kleider vnndt hüte tragen, vnndt füretenn ann dem kocher da die flischenn inne stecketenn an einenn stock gebundenn wie ein quast oder besenn Darbey wurdenn die in Aprisnai erkantt.30

Der italienische Monsignore Gerio, der im Jahre 1570 die polnisch-litauische Gesandtschaft begleitete, beschrieb das Auftreten des Zaren auf folgende Weise: „Thus came ahead 3,000 very well disciplined arquebusiers followed by [Ivan’s] buffoon riding an ox, then a tall person dressed in gold. Following him [came Ivan] with a bow on his side and a dog’s head hung on the neck of his horse. Then after [Ivan came] approximately 4,000 horsemen.“31

Aus dieser Quelle folgt unmissverständlich, dass auch der Zar selbst diese Symbolik verwendete, was ihn zu einem der Opricˇniki machte. Diese Quelle ist auch deswegen relevant, weil ihr Autor ein Beobachter und kein Mitglied der Opricˇnina war und daher einen unvoreingenommenen und „frischen“ Blick auf diese Institution werfen konnte. Die letzte schriftliche Quelle ist eine anonyme Flugschrift, die zum ersten Mal von Andreas Kappeler publiziert und im zweiten Schritt in Zusammenarbeit mit Ruslan Skrynnikov ins Russische übersetzt wurde. Diese Quelle bestätigt den Bericht von Gerio, dass der Zar selbst dieses Attribut verwendete. Gemäß dem

30 Genrich Sˇtaden, Zapiski o Moskovii, v dvuch tomach. Tom pervyj: publikacija, ed. Evgenij Rycˇalovskij/A. Tjulpin/Anna Chorosˇkevicˇ, Moskva 2008, 94. In der russischen Übersetzung lautet die Passage: „Te, kto byl iz opricˇniny, dolzˇny byli takzˇe nosit’ cˇernye odezˇdy i sˇapki i privjazyvat’ k kolcˇanu so strelami ukreplennye na palke venik ili metlu.“ Ebd., 95. Ich zitiere den deutschen Text nach der in dieser Fußnote angegebenen Edition. 31 Ins Englisch übersetzt durch Andrea Polegato und Sandro Puiatti. Halperin 2012, 50. Der italienische Originaltitel lautet: Cosi innanzi vennero circa trè mila archibugieri molto ben all’ ordine, poi seguitava il suo buffone à cavallo à un bove, et un alto vestito di oro, poi lui seguitava con l’arco al lato et une testa di cane, attacata al colle del suo cavallo, poi dietro à liu circa quattro mila cavalli. Das Original findet sich bei Aleksandr Turgenev, Akty istoricˇeskie, otnosjasˇcˇiesja k Rossii, izvlecˇennyja iz inostrannyh archivov i bibliotek, Bd. I. Vypiski iz vatikanskogo tajnago arсhiva i iz drugich rimskich bibliotek i archivov, s 1075 po 1584 god, S.-Peterburg 1841, 214.

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anonymen Autor war es dieses Mal ein silberner Hundskopf gewesen, der bei jedem Schritt „dz maul von einander gesperret / und gar laut geschnappet hat.“32 Es ist nicht außer Acht zu lassen, dass alle schriftlichen Quellen entweder aus der Zeit der Opricˇnina stammen und bzw. oder über diese Zeit berichten, was bestätigt, dass diese Symbolik weder zuvor noch danach existierte. Gleichzeitig sind alle Quellen, die die Hundeköpfe und Besen erwähnen, ausländischer Herkunft. Da sie aber so heterogen sind und ihre Autoren so unterschiedliche Intentionen hatten, gibt es keinen Anlass, an der Authentizität der Aussagen zu zweifeln, wie dies Charles Halperin überzeugend zeigt.33 Anders formuliert: Auch wenn einige Autoren die Grausamkeit der Opricˇnina und ihres Anführers übertrieben haben sollten, muss dies noch nichts für die Symbole der Opricˇniki bedeuten, die sie allen diesen Quellen zufolge zweifellos verwendet haben. Streiten kann man also nur über die Bedeutung der Symbolik, nicht über ihre Existenz. In den schriftlichen russischen Quellen findet man keine Erwähnung der Symbole, was aber nicht bedeutet, dass solche Erwähnungen nie stattgefunden haben. Der Brand Moskaus im Jahre 1571 zerstörte das Opricˇnina-Archiv34, was als eine mögliche Erklärung für das Fehlen russischer Quellen dienen kann. Eine russische Quelle, die die Beschreibung von Taube und Kruse bestätigt, existiert dennoch: Die Rede ist von einem Kerzenhalter, der sich heute im Museum Aleksandrovskaja sloboda befindet und aller Wahrscheinlichkeit nach im 17. Jahrhundert hergestellt wurde.35 Auf dem Kerzenhalter ist ein Reiter abgebildet. Der in seiner Hand zu sehende Besen und der an das Pferd angehängte Hundskopf wirken wie eine getreue Visualisierung des Berichts von Taube und Kruse. Es ist aber kaum möglich, dass ein russischer Handwerker aus dem 17. Jahrhundert diese Quelle jemals gesehen, geschweige denn gelesen haben konnte.36 Außerdem gibt es keine Hinweise darauf, dass die ausländischen Autoren voneinander abgeschrieben haben. Schließlich ist der Hinweis von Charles Halperin auf die Einzigartigkeit dieser Symbolik ein Beleg dafür, dass die oben besprochenen Beschreibungen der Realität entsprechen und keine Fälschungen sind.37

32 Andreas Kappeler, Die letzten Opricˇninajahre (1569–1572) im Lichte dreier zeitgenössischen Broschüren, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 19 (1971), 19. 33 Halperin 2012, 64. 34 Ruslan Skrynnikov, Nacˇalo opricˇniny, Leningrad 1966, 20. 35 Halperin 2012, 58. 36 Ebd., 59. 37 No previous historian has noted the incredible novelty of the image of a horse carrying a dog’s head. Such an image nowhere appears in the vast scholarly literature on dogs in West European history, literature and art. Taube and Kruse, Gerio, and the Flugschrift did not borrow the concept of dogs’ heads on horses from any known European cultural model. Ebd., 64.

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Was sind nun die Inspirationsquellen für diese Symbolik und wie verhält sich eine so ausstaffierte Opricˇniki-Armee zum auf der Ikone „Geheiligt sei das Heer des himmlischen Königs“ abgebildeten und dem Erzengel Michael folgenden Heer des Bezwingers von Kazan’? In der Forschung wurden unterschiedlichste Hypothesen hinsichtlich der Symbolik der Hundeköpfe und des Besens geäußert38. Die in der Forschung wohl einflussreichsten Interpretationen stammen aus der Feder von Andrej Jurganov und Priscilla Hunt. Jurganov zufolge handelt es sich um ein Heraufbeschwören der apokalyptischen Völker Gog und Magog, die manchmal mit Hundeköpfen porträtiert wurden.39 Diese Interpretation entspricht der These von Jurganov, die Opricˇnina sei der Versuch des Zaren gewesen, seine Untertanen schon vor der Parusie von den Sünden zu reinigen. Diese apokalyptische Theorie über die dem Satan dienenden Völker Gog und Magog würde implizieren, dass der Zar nicht nur die Opricˇniki als satanische Völker betrachtete, sondern auch sich selbst mit dem Satan gleichsetzte, was kaum vorstellbar ist und anhand keines der Selbstzeugnisse des Zaren belegt werden kann.40 Das wäre sogar für Ivan IV., den Schrecklichen, undenkbar gewesen. Schließlich betont Jurganov selbst, dass Ivan IV. die Opricˇniki als eine gerechte Waffe in seinem Kampf gegen die Sünder betrachtete und kritisiert somit die These von Pancˇenko und Uspenskij, die Opricˇniki seien die peinigenden Kräfte des Satans gewesen.41 Die Kernidee von Jurganov, dass die Opricˇnina von apokalyptischen Erwartungen entschieden geprägt wurde, scheint zu überzeugen, allerdings mit einer Einschränkung: Diese prägende Auswirkung der Apokalypse fand in der Opricˇnina zwar eine neue Symbolik, insgesamt war die Endzeiterwartung aber nichts Neues für das Russland des 16. Jahrhunderts, weil die Vorbereitung auf das zweite Ankommen Christi eine zentrale Idee für das christliche Zarentum selbst

38 Den wohl ausführlichsten Forschungsüberblick zu dieser Frage findet man überraschenderweise bei Charles Halperin, obwohl er die Notwendigkeit der über die Erklärung von Taube und Kruse hinausgehenden Interpretationen infrage stellt. Ebd., 45–47. 39 Andrej Jurganov, Opricˇnina i strasˇnyj sud, in: Otecˇestvennaja istorija 3 (1997), 52–75. Unerklärlicherweise zitiert Jurganov den Aufsatz von Priscilla Hunt an keiner Stelle, obwohl er doch vier Jahre vor seinem Beitrag erschien. 40 Auf diesen Widerspruch weist auch Halperin hin. Halperin 2012, 46. Der Hinweis von Jurganov auf den Bericht von Albert Schlichting, der den Gang der Zarenuntertanen zum Hinrichtungsort mit dem Gang zum Jüngsten Gericht vergleicht, taugt nicht, weil es sich hier nicht um ein Zeugnis der russischen Bürger handelt, sondern um eine farbige Allegorie des deutschen Arztes. Ebd., 53. Dasselbe gilt auch für andere Beispiele aus Schlichting: Die Hinweise auf das Jüngste Gericht sind nur emotionale Äußerungen bzw. Allegorien und keine Beweise dafür, dass die Zeitgenossen Ivans IV. ernsthaft an die Möglichkeit des durch den Zaren veranstalteten Jüngsten Gerichts auf Erden gedacht haben könnten. 41 Jurganov 1997, 69.

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war, was Jurganov wiederum selbst betont.42 Daher bleibt die Frage nicht hinreichend beantwortet, warum erst jetzt? Ob sich die apokalyptische – sowie volkstümliche, was Jurganov nicht thematisiert – Symbolik der Opricˇnina tatsächlich primär aus den Endzeiterwartungen speiste und durch sie stimuliert wurde oder vielmehr eine andere Aufgabe hatte, nämlich die Herausforderung des christlichen Zarentums, soll im Weiteren thematisiert werden. Priscilla Hunt zufolge seien die Hundeköpfe und der Besen Symbole der Narren in Christo, mit denen die Opricˇniki ihr zufolge assoziiert wurden.43 Zu dieser Theorie kehre ich in den nächsten Unterkapiteln zurück. Während der Hundekopf als Erkennungszeichen der Opricˇniki sowohl apokalyptische als auch folkloristische Ursprünge haben kann – man sei z. B. an die Verwendung des aus dem volkstümlichen Vokabular stammenden Wortes sobaka in den Briefen des Zaren erinnert – entstammt der Besen eindeutig der volkstümlichen Symbolik. In der Volkskultur spielte er eine wichtige Rolle im Ritual der Reinigung, was sich unter anderem in der Symbolik der Narren in Christo widerspiegelte, deren Attribut der Besen war. Außerdem glaubte man an die Fähigkeit des Besens, seinen Besitzer gegen dunkle Kräfte zu verteidigen.44 Als Aneignung und karnevalisierte Verspottung dieses Symbols des Christusnarrentums kann die bekannte Episode von der Verhaftung, Verbannung und Ermordung des Metropoliten Filipp im Jahre 1568 betrachtet werden: Nachdem der Metropolit auf Befehl des Zaren während der Liturgie von den Opricˇniki verhaftet und verprügelt worden war, schlugen ihn die Opricˇniki der Vita des Metropoliten zufolge mit ihren Besen.45 In dieser Geste kommt die symbolische Herausforderung des christlichen Zarentums anhand der ambivalenten Logik der volkstümlichen Lachkultur besonders deutlich zum Ausdruck: Durch die inmitten der Liturgie organisierte heidnische Handlung wurde das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche rituell entmachtet. Ebenso ist es möglich, in dieser zweifelsohne inszenierten und durchdachten Entmachtung die Logik der 42 Auch in der ersten Pskover Chronik wird die Opricˇnina als noch eine Etappe vor dem Jüngsten Gericht betrachtet und nicht als ein Versuch des Zaren, sein Volk vor dem Jüngsten Gericht durch sein Pendant auf Erden zu reinigen. Ausführlicher dazu siehe den Aufsatz von Reinhard Frötschner zur Rezeption des Moskauer Kriegsbildes in den zeitgenössischen Quellen. Rajnchard Frecˇner, Recepcija oficial’nogo moskovskogo „obraza vojny“ na periferii carstva i ego transformacija vsledstvie porazˇenija v Livonskoj vojne (na materiale povestvovatel’nych istocˇnikov ich Pskova konca XVI veka), in: Aleksandr I. Filjusˇkin (ed.), Baltijskij vopros v konce XV–XVI v.: sbornik naucˇnych statej, Moskva 2010, 275–291. 43 Priscilla Hunt, Ivan IV’s Personal Mythology of Kingship, in: Slavic Review 52, 4 (1993), 769– 809. 44 Andrej Bulycˇev, Simvolika snarjazˇenija opricˇnogo voina, in: Evgenij Rycˇalovskij/A. Tjulpin/Anna Chorosˇkevicˇ (ed.), Genrich Sˇtaden: Zapiski o Moskovii, 2 Bde., Bd. 2, Stat’i i kommentarii, Moskva 2009, 70f. 45 „Zˇitie sv. Filippa“ Tulupovskoj redakcii, in: V. Kolobkov, Mitropolit Filipp i stanovlenie moskovskogo samoderzˇavija. Opricˇnina Ivana Groznogo, S.-Peterburg 2017, 583f.

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Rituale der Statusumkehrung zu erkennen, für die verbale Verunglimpfungen und körperliche Misshandlungen typisch waren46, wobei ein genauer Vergleich viele Unterschiede aufweist: Es ist nämlich der Zar selbst, der anhand der Opricˇniki den Metropoliten entmachtete, nicht aber sie selbst. Außerdem geht es hier um keine temporäre Entmachtung, die den Machtunterschied vor und nach dem Ritual nur verfestigen soll, sondern um eine reale Entmachtung. Mir geht es hier aber keineswegs um die Gleichsetzung der Opricˇnina mit einem Karneval oder einem Umkehrungsritual der afrikanischen Stämme, sondern um eine mögliche kulturelle und anthropologische Einordnung der Symbolik der Opricˇnina. Metropolit Filipp soll einige Zeit vor dieser Episode den Zaren mit Hilfe der Zwei-Wesen-Lehre von Agapetos ermahnt haben.47 Diese theologische Konstruktion entfaltete eine immense Wirkung auf die Herrschaftsvorstellungen in der Moskauer Rus’. Michael Cherniavsky sah in ihr sogar die wichtigste Quelle der politischen Gedanken in Russland.48 Ihr Autor, der Theologe Agapetos, wirkte als Diakon in der Hagia Sophia und verfasste eine Art Fürstenspiegel unter dem Titel Ekthesis Kephalaion Parainetikon für Kaiser Justinian den Großen (527–565). Die Kernaussage findet man im 21. Kapitel: „Seinem Wesen nach ist der Kaiser allen anderen Menschen gleich, in seiner Macht ist er aber wie Gott.“49 Die Episode mit der Entmachtung des Moskauer Metropoliten beeinflusste die Bewertung der Opricˇnina durch die Zeitgenossen und Nachfahren stark. In der Herrschaft der Opricˇniki sah der Autor der Vita von Metropolit Filipp das Werk Satans.50 Interessanterweise beschuldigte der Autor der Vita nicht den Zaren persönlich, sondern suchte andere Erklärungsmöglichkeiten, was die These von Rowland bestätigt, dem zufolge man die Existenznotwendigkeit eines 46 Turner 1995, 160. 47 Darauf weist Paul Bushkovitch hin: „He told the tsar that he should avoid flatterers, for innocent blood was being spilled, that he should remember that though in image he was like God, he was connected to earth by dust, that he should forgive those who sinned against him, and as Saint John the Theologian reminds us, show love for man.“ Paul Bushkovitch, The Life of Saint Filipp. Tsar and Metropolitan in the Late Sixteenth Century, in: Michael S. Flier/ Daniel Rowland (edd.), Medieval Russian Culture, 2 Bde., Bd. 2, Berkeley/Los Angeles/ London 1994, 29–46, 31. 48 Michael Cherniavsky, Tsar and People: Studies in Russian Myths, New Haven 1961, 44. 49 Eine ausführliche Analyse dieser Quelle mit der Gegenüberstellung des griechischen Originals und der russischen Übersetzungen aus unterschiedlichen Jahrhunderten findet man bei Ihor Sˇevcˇenko, A Neglected Byzantine Source of Muscovite Political Ideology, in: Michael Cherniavsky (ed.), The Structure of Russian History. Interpretative Essays, New York 1970, 80–107. Für die Zusammenfassung der Kernthesen von Agapetos siehe Gary Hamburg, Russia’s Path toward Enlightenment. Faith, Politics, and Reason, 1500–1801, New Haven/ London 2016, 36–38. 50 Ausführlicher dazu siehe bei Andrej Karavasˇkin, Vlast’ mucˇitelja. Konvencional’nye modeli tiranii v russkoj istorii XI–XVII vv., in: Rossija XXI (2006), 62–109, 90.

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gerechten christlichen Zaren mit der Rettung der Seelen seiner Untertanen verband51 und daher versuchte, auch die Gestalt eines ungerechten Herrschers zu retten. Die mit Hilfe der volkstümlichen Symbolik gestaltete Entmachtung des Metropoliten war bei weitem nicht der einzige Fall ritualisierter, volkstümlich gestalteter Entwürdigung des Kirchenoberhaupts, was darauf hinweist, dass es keine willkürliche Handlung eines verrückt gewordenen Zaren war, sondern eine durchdachte Aktion. Ausführlich und in unterschiedlichen Quellen ist die Verhaftung und Entmachtung des Novgoroder Erzbischofs Pimen während der Vernichtung von Velikij Novgorod durch die Opricˇniki 1570 dokumentiert. Sehr ausführlich wird diese Episode im Bericht eines Augenzeugen der Opricˇnina, des in die Gefangenschaft geratenen deutschen Arztes Albert Schlichting, geschildert: Der Zar habe befohlen, Pimen seine Bischofsbekleidung sowie Bischofsabzeichen abzureißen, und habe dabei festgestellt: „Du sollst kein Bischof sein, sondern eher ein Narr.“ Danach musste sich Pimen auf ein Pferd setzen, das Ivan ihm zur Ehefrau gegeben habe. Der Zar habe ihm dabei befohlen, auf solche Weise nach Moskau zu reiten und seinen Namen in die Liste der Narren einzuschreiben. Nach zahlreichen anderen Verspottungen habe Ivan ihm für seine neue Rolle passende Musikinstrumente gegeben, auf denen Pimen während seines Wegs in die Hauptstadt spielen musste.“52 In dieser ritualisierten Verwandlung des geistlichen Oberhaupts in einen Narren-Spielmann (skomoroch) verwendete der Zar die ambivalente Logik der volkstümlichen Lachkultur, wie Bachtin gezeigt hat, um seinen „Feind“ zu entmachten, oder, wie Andrej Pavlov formuliert, „the archbishop was identified with his cultural opposite, a skomorokh.“53 Diese Feststellung bestätigt eine der Prä51 „Not only the salvation of the tsar, but God’s blessing on the tsarstvo and, ultimately, the legitimacy of the whole political system depended on the ,good soil‘ of the tsar’s soul.“ Daniel Rowland, Architecture, Image, and Ritual in the Throne Rooms of Moscovy, 1550–1650: A Preliminary Survey, in: Chester Dunning/Russell Martin/Daniel Rowland (edd.), Rude & Barbarous Kingdom Revisited. Essays in Russian History and Culture in Honor of Robert O. Crummey, Indiana 2008, 53–71, 64f. 52 Albert Sˇlichting, Novoe izvestie o Rossii vremeni Ivana Groznogo, 4. Auflage, Moskva 1935. Das lateinische Original ist auf S. 28f. zu finden. Hieronim Grala ist es gelungen, die deutsche Fassung des Berichts von Schlichting im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zu finden, obwohl es als für immer verschollen galt. Grala geht davon aus, dass die deutsche Fassung eine Übersetzung der lateinischen Fassung ist, die ihrerseits auf eine polnische Vorlage zurückgeht. Ausführlicher dazu siehe bei Hieronim Grala, Zu Werk und Person Albert Schlichtings, in: Hermann Beyer-Thoma (ed.), Bayern und Osteuropa. Aus der Geschichte der Beziehungen Bayerns, Frankens und Schwabens mit Rußland, der Ukraine und Weißrußland, Wiesbaden 2000, 131–159, hier 142. Die entsprechende Stelle befindet sich in der deutschen Fassung auf Blatt 15. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern Äußeres Archiv, Bd. 4424, Moskauische Korrespondenz, Bd. 2, Folien 1–37. 53 Andrei Pavlov/Maureen Perrie, Ivan the Terrible, London 2003, 148.

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missen der oben aufgestellten These: Die Logik des Karnevals wurde während der Opricˇnina für das christliche Zarentum zum Mittel der Herausforderung. Dabei ist eine solche karnevalisierte Entmachtung keine Erfindung des Moskauer Zaren und wurde in ähnlicher Form schon von den byzantinischen Herrschern praktiziert.54 Gemäß der scharfsinnigen Anmerkung von Sergej Bogatyrev ist es möglich, in der rituellen Entmachtung von Pimen außerdem die Parodie auf eines der wichtigsten christlichen Rituale, nämlich des Palmsonntags, zu erkennen: Der auf dem Pferd sitzende und Jesus Christus symbolisierende Kleriker eines hohen Ranges55 wurde nun zu einem Spielmann.56 Die Logik der Statusumkehr, die wir in der Verwandlung des Erzbischofs in einen Narren erkennen können, lässt sich an der ebenso in Novgorod stattgefundenen öffentlichen Demütigung der von Paulus (Paavali) Juusten (Juusten – Originalname, Justen im Titel des russischen Buches) geleiteten schwedischen Gesandtschaft, die der litauische Kleriker in seinem Bericht dokumentierte, aufzeigen: Die Gesandten wurden ans Pferd angebunden und mussten hinter ihm herrennen, während eine große Menge von Einwohnern diese Erniedrigung beobachtete. Danach wurden sie ins Haus gebracht, wo sie alle für den Großfürsten vorgesehenen Geschenke auf dem Boden gefunden haben. Danach wurden sie ganz ausgezogen und so der Menschenmenge vorgeführt.57 Analog zur Parodie und Verspottung des Palmsonntagsrituals bei der Entmachtung des Novgoroder Metropoliten Pimen sieht Bogatyrev in der Demütigung der schwedischen Gesandtschaft die Parodie – m. E. eher Verkehrung – des Botschaftsrituals.58 Die bipolare Logik des Karnevals lässt sich ebenso in der schwarzen Mönchskleidung der Opricˇniki als auch in ihrem ritualisierten Leben in einer Quasi-Mönchsbruderschaft erkennen. Dies kommt besonders deutlich im Bericht von Taube und Kruse zum Ausdruck: die aber zu Fusse, musten alle in groben Bettler = oder Kloster = Tuch = Vberrucke mit schwarzen Schaffeln ge54 Igor’ Kurukin/Andrej Bulycˇev, Zˇizn’ opricˇnikov Ivana Groznogo (=Povsednevnaja zˇizn’ cˇelovecˇestva), Moskva 2010, 255. 55 In Moskau war es der Metropolit, in den anderen Städten meistens der Erzbischof. 56 Sergej Bogatyrev, Pavel Justen: protestanskij episkop i korolevskij diplomat, in: Pavel Justen, Posol’stvo v Moskoviju, aus dem Finnischen übers. v. L. Nikolaev, S.-Peterburg 2000, 45. Für die Erforschung der Semiotik dieses Rituals sind vor allem die Aufsätze von Michael Flier von primärer Bedeutung. Stellvertretend dafür siehe Michael Flier, Breaking the Code: The Image of the Tsar in the Muscovite Palm Sunday Ritual, in: Michael S. Flier/Daniel Rowland (edd.), Medieval Russian Culture, 2 Bde., Bd. 2, Berkeley/Los Angeles/London 1994, 213–242. Unter den vorrevolutionären Historikern ist die komparatistisch angelegte Abhandlung von Vladimir Savva von großer Bedeutung. Moskovskie cari i vizantijskie vasilevsy. K voprosu o vlijanii Vizantii na obrazovanie idei carskoj vlasti moskovskich gosudarej, Char’kov 1901. 57 Justen 2000, 123–125. 58 Ebd., 47–49.

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futtert, der Unterrock aber mit gulden Tuch vnd mit Zobeln und Mardern gefuttert, getragen werden.59 Dieselbe bipolare Logik der Kleidung – der mönchische Asketismus neben den im Bojarengewand verwendeten teuren Pelzen und Materialien – beschreibt auch Albert Schlichting: Der Zar habe in seiner OpricˇninaResidenz wie in einer Folterkammer gelebt. Dabei habe er gewöhnlich einen Koukoulion angehabt, das schwarze und düstere Mönchsgewand, das auch Basilianer tragen würden. Das unterscheide sich dennoch vom Mönchskoukoulion, weil es heimlich mit Pelz unterfüttert sei.60 Die schwarze Mönchskleidung war dementsprechend nichts anderes als eine Parodie, eine karnevalisierte Verspottung des Mönchstums. Besonders gotteslästerlich dürfte im 16. Jahrhundert die Verbindung der Mönchsattribute mit den militärischen Funktionen der Opricˇniki und des Zaren selbst gewesen sein: Es musten auch alle Brueder, vnd er selbst zuuoran, lange schwartze Munchsstebe mit gutten Federspiessen, damit man wol einen Bauren fellen möchte, neben langen Messern vnder den Rögken, fast einer Ehlen, auch wol lenger, tragen, domit man jme einfallen möchte, jemandt zu tödten, das dan nicht etwan nach Bötteln oder Richtschwerttern geschigkt, sondern alles fertig, vngerindert möchte gemarttert, zufletschet vnd hingerichtet werden.61

Dass auch das Leben in dieser karnevalisierten Mönchsbruderschaft nicht mit einem Kloster verwechselt werden darf, folgt aus einer ausführlichen Beschreibung der Lebensweise der Opricˇniki in der Aleksansdrovskaja sloboda durch Taube und Kruse. Besonders bemerkenswert sind die folgenden Stellen: Und wan er gessen hatte [der Zar, D. Kh.], verseumet er selten einen Tag, fuget er sich auff den Peinhof, do er altzeit vil hundert sitzen hatte, die er in seiner Gegerwarth (??r = n?) foltern, ja auch zu Tode one allen Fug und Vrsach martern liesz, welcher Ansehen jme, seiner Nattur nach, eine sondere Freude und Ergetzlichkeit gebahret, wie das Zeugnis gab, das er nimmer frölicher anzusehen und zu sprechen, als wen er bei der Pein oder Marter gewesen; […] Was aber weltliche Hendel, Morden, Todtschlagen vnd allerley Tiranney, vnd sonsten sein gantzes Regiment, verrichtet er in der Kirchen, zu welcher Hendel Furderungkh oder Hinrichtungk er keine Hengker oder Böttell, alleine seine 59 Taube/Kruse 1816, 203. Die Übersetzung von Roginskij: Pechotincy vse dolzˇny chodit’ v grubych nisˇcˇenskich ili monasˇeskich verchnich odejanijach na ovecˇ’em mechu, no nizˇnjuju odezˇdu oni dolzˇny nosit’ iz ˇsitogo zolotom sukna na sobol’em ili kun’em mechu. (Poslanie Ioganna Taube i E˙lerta Kruze, 38f.) 60 Sˇlichting 1935, 61. Das lateinische Original ist auf S. 25. Die entsprechende Stelle befindet sich in der deutschen Fassung auf Blatt 13. 61 Taube/Kruse 1816, 205. Die Übersetzung von Roginskij: Vse brat’ja i on prezˇde vsego dolzˇny nosit’ dlinnye cˇernye monasˇeskie posochi s ostrymi nakonecˇnikami, kotorymi mozˇno sbit’ krest’janina s nog, a takzˇe i dlinnye nozˇi pod verchnej odezˇdoj, dlinoju v odin lokot’, dazˇe esˇcˇe dlinnee, dlja togo, cˇtoby, kogda vzdumaetsja ubit’ kogo-libo, ne nuzˇno bylo by posylat’ za palacˇami i mecˇami, no imet’ vse prigotovlennym dlja mucˇitel’stva i kaznej. (Roginskij 1922, 40.)

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heilige Brueder [gemeint sind die Opricˇniki, D. Kh.] gebrauchte, was jm dan einfallen möchte, den zu thödten, den zu uerbrennen, verordnet er in der Kirchen, do musten die auff eilende Post, so er wollte tödten und hinrichten lassen.62

Auf sehr ähnliche Art und Weise werden die Verbrechen der in Mönchsgewänder gekleideten Opricˇniki und ihre das Mönchtum parodierende Lebensweise von Albert Schlichting geschildert, der sich im Vergleich zu Taube und Kruse nicht rechtfertigen musste, weswegen seinem Bericht mehr Vertrauen geschenkt werden darf.63 Die Verwendung der Gestalt einer Mönchsbruderschaft für eine militante Gruppe, die Veranstaltung von Orgien und Gelagen in Klöstersälen, Folterungen und Hinrichtungen in Kirchen, an denen der Zar persönlich teilnahm: Alle diese Taten, die in verschiedenen Quellen bezeugt sind, rechtfertigen die oben angesprochene und auf der Karneval-Theorie von Michail Bachtin basierende These von Dmitrij Lichacˇev, der zufolge die Opricˇnina eine ‚Antiwelt‘ war. Diese ‚Antiwelt‘ stellte somit die Vorstellung vom christlichen Zarentum gänzlich infrage. Als ‚Antiwelt‘ betrachtete die Opricˇnina und ihre die christliche Symbolik zerstörenden Rituale auch Fürst Andrej Kurbskij, der Ivan IV. mit einem ‚innerlichen Drachen‘ verglich. Während der ‚äußerliche Drache‘ einen heidnischen Christenverfolger wie Kaiser Nero symbolisiere, erscheine der ‚innerliche Drache‘ in Gestalt eines christlichen Zaren und zerstöre durch satanische und heidnische Rituale heimlich den christlichen Glauben.64 Ivan IV. habe Kurbskij zufolge den schmalen Weg Christi, den er als ein christlicher Zar gehen musste, verlassen und den ‚breiten Weg‘ des Antichristen bestritten. Dass Ivan IV. diesen ‚breiten Weg‘ gewählt habe, bedeutet für Kurbskij die Abkehr vom christlichen Zarentum als Abbild des himmlischen Jerusalems und den Verfall ins Reich des Antichristen, das sein Abbild in der Opricˇnina gefunden habe: Ivan habe das diabolische Heer versammelt, sich zum Kirchenmann ernannt und so angefangen, die Kirche Gottes grausam zu verfolgen.65 In dieser scharfsinnigen Ein62 Taube/Kruse 1816, 204f. Die Übersetzung von Roginskij: Posle togo kak on [der Zar, D. Kh.] koncˇaet edu, redko propuskaet on den’, cˇtoby ne pojti v zastenok, v kotorom postojanno nachodjatsja mnogo sot ljudej; ich zastavljaet on v svoem prisutstvii pytat’ ili dazˇe mucˇit’ do smerti bezo vsjakoj pricˇiny, vid cˇego vyzyvaet v nem, soglasno ego prirode, osobennuju radost’ i veselost’. I est’ svidetel’stvo, cˇto nikogda, ne vygljadit on bolee veselym i ne beseduet bolee veselo, cˇem togda, kogda on prisutstvuet pri mucˇenijach i pytkach do vos’mi cˇasov. […] Cˇto kasaetsja do svetskich del, smertoubijstv i drugich tiranstv i voobsˇˇce vsego ego upravlenija, to otdaet on prikazanija v cerkvi. Dlja soversˇenija vsech e˙tich zlodejstv on ne pol’zuetsja ni palacˇami, ni ich slugami, a tol’ko svjatymi brat’jami. Vse, ˇcto emu prichodilo v golovu, odnogo ubit’, drugogo szˇecˇ’, prikazyvaet on v cerkvi. (Roginskij 1922, 39f.) 63 Sˇlichting 1935. Für das lateinische Original siehe S. 25f. Die entsprechende Stelle befindet sich in der deutschen Fassung auf Blatt 13. 64 Ausführlicher dazu siehe Karavasˇkin 2006, 97f. 65 Kurbskij 2015, S. 212.

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schätzung der Vorgehensweise des Zaren durch den immigrierten Fürsten kommt die ambivalente Symbolik der Opricˇnina besonders deutlich zum Ausdruck. Die Opricˇniki selbst bezeichnete der geflohene Fürst nicht nur als Heer des Teufels, sondern in seiner dritten Antwort an den Zaren auch als „kromesˇniki“66: Dies ist eine subtile Anspielung auf die Selbstbezeichnung „Opricˇniki“. Weil „opricˇ“ und „krome“ auf Russisch „außer“ bedeuten, und „kromesˇnik“ alle bösen Geister in der Volkssprache bezeichnet,67 ist die Bezeichnung „kromesˇniki“ ein direkter Hinweis auf die unchristliche, heidnische und somit satanische Natur der Zaren-Diener. Der für den Karneval typische Rollentausch, der anhand der ritualisierten Entmachtung der geistlichen Oberhäupter, der Symbolik der Kleidung der Opricˇniki und ihres das Mönchtum verspottenden und ersetzenden Lebens in der Aleksandrovskaja sloboda gezeigt wurde, fand seine Kulmination in der durch Albert Schlichting dokumentierten Episode der Hinrichtung des Bojaren I. P. ˇ eljadin, den der Zar der Machtusurpation bezichtigte: Ivan IV. habe Fedorov-C befohlen, dem Bojaren eigene Zareninsignien sowie Kleidung zu übergeben. ˇ eljadin auf den Thron gesetzt, kniete vor ihm nieder Danach habe er Fedorov-C und sagte, dass der Bojar nun endlich das habe, wonach er sich so sehr gesehnt habe. Eine kurze Zeit darauf aber habe er gesagt, dass es sowohl in seiner Macht sei, ihn zu inthronisieren als auch zu entmachten. Im nächsten Augenblick habe er zusammen mit den Opricˇniki den Bojaren erstochen.68 In dieser Szene agierte der Zar ähnlich wie in der Episode von der Verkleidung vor den tatarischen Gesandten. In beiden Fällen zeigte Ivan IV. anhand seiner narrenhaften, theatralischen Demütigung, dass er die einzige Quelle der Macht in seinem Reich ist, unabhängig davon, wer die Zarenregalien trägt, wer sich als Zar bezeichnet oder wen er selbst zum Zaren ernennt. Boris Uspenskij sieht in dieser Episode die für den Zaren typische Maskerade und „das Spiel in einen Zaren“ (igra v carja), mit dem Ziel, einen falschen Zaren zu entkleiden.69 Diese Interpretation greift zu kurz, weil sie nicht berücksichtigt, dass ein solches „Spiel“ die Gestalt des christlichen Zaren infrage stellte und daher auch die Macht der 66 Tret’e poslanie Kurbskogo Ivanu Groznomu, in: Jakov Lur’e/Jurij Rykov (edd.), Perepiska Ivana Groznogo s Andreem Kurbskim (=Literaturnye pamjatniki), Leningrad 1979, 108. 67 Bulycˇev 2009, 56 und Stepan Veselovskij, Issledovanija po istorii opricˇniny, Moskva 1963, 14. 68 Sˇlichting 1935. Im lateinischen Original lautet der zentrale Satz: Caeterum, inquit, quemadmodum est in mea potestate te in eo solio collocare, ita etuam [etiam? D. Kh.] in eadem est positum te deponere. (S. 21) Die entsprechende Stelle befindet sich in der deutschen Fassung auf Blatt 7. 69 Boris Uspenskij, Car’ i samozvanec: samozvancˇestvo v Rossii kak kul’turno istoricˇeskij fenomen, in: Ders., Izbrannye trudy. Tom I. Semiotika istorii. Semiotika kul’tury, 2. Auflage, Moskva 1996, 142–183, 154–156.

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Person, die die Zarenwürde trug. Derjenige Zar, der sein Volk in den letzten Zeiten ins himmlisches Jerusalem führen musste und für die Rettung der Seelen seiner Untertanen vor Gott verantwortlich war, konnte nicht auf solche Weise mit der gottgegebenen, auf den Fresken des Goldenen Saals abgebildeten Zarenwürde spielen, ohne sie zu verletzen. Gerade das tat Ivan IV. aber – und zwar mit Absicht. Durch seine unzähligen Gotteslästerungen entfernte der Moskauer Herrscher seine Person möglichst weit vom Ideal des christlichen Zaren, dessen Macht immer an bestimmte, wenn auch unscharf formulierte Bedingungen gebunden war und das anhand theologischer Abhandlungen, Ikonen und Rituale zum Ausdruck gebracht wurde. Mit Hilfe der binären Logik des volkstümlichen Karnevals zerstörte Ivan IV. diese elaborierte Figur. Nunmehr war nicht der imaginierte christliche Zar, sondern er selbst, Ivan IV., Quelle bedingungsloser Macht, was er in der Hinrichtung von ˇ eljadin deutlich zeigte. Es handelte sich also nicht um einen puren Fedorov-C Karneval um des Karnevals willen, sondern um eine durchdachte symbolische Geste, die die ‚Antiwelt‘ der Opricˇnina legitimierte. Die Opricˇniki selbst erhielten ihre eigene volkstümlich-apokalyptische Symbolik: Sie waren kein durch Gott geheiligtes, durch den christlichen Zaren geführtes und dem Erzengel Michael folgendes Heer mehr, sondern eine private Leibgarde, die nur den Befehlen Ivans IV. folgte. Auch die Anwendung der Turner-Theorie, die Jeaninne Kunert um das Konzept Alltag-Außeralltag erweitert (statt Alltag-Außeralltag-Alltag bei Turner), kann diese These durchaus bestätigen und außerdem möglicherweise mit dem Ansatz von Andrej Jurganov versöhnen: „Im Kontext von Endzeiterwartungen gibt es durchaus Handlungen, die als rituelle Handlungen beschrieben werden können, die die Verkehrung der alltäglichen sozialen Ordnung kommunizieren, deren primäre Funktion jedoch nicht die Stabilisierung der bestehenden sozialen Strukturen ist, sondern die Aufhebung der alltäglichen und die Etablierung einer außeralltäglichen Ordnung, der Ordnung der Endzeit oder der ,neuen Welt‘.“70 Die Vorgehensweise des Zaren bedeutet aber nicht, dass er sich nicht mehr als gottgewollten Herrscher betrachtete und seine Macht nicht mehr als göttlich ansah. Vielmehr kombinierte der Moskauer Herrscher beide Legitimationsquellen.71 Gleichzeitig schuf er mit der Einführung der Opricˇnina eine neue 70 Jeannine Kunert, Endzeit als Wendezeit? Zum Einfluss von Naherwartungen auf die rituelle Praxis in jüdischen und christlichen Gemeinschaften in der Frühen Neuzeit, in: Dominik Fugger (ed.), Verkehrte Welten? Forschungen zum Motiv der rituellen Inversion, München 2013, 304–327, 305. 71 Wie vor allem in seiner Antwort an Fürst Andrej Kurbskij zu sehen ist, rezipierte Ivan IV. die christliche Dimension seiner Macht sehr wählerisch und ignorierte diejenigen Abhandlungen und Konzepte, die der Zarenmacht gewisse Grenzen aufwiesen, sodass sein Machtkonzept auch vor der Einführung der Opricˇnina in vielen Punkten der Vorstellung vom christlichen

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Symbolik für die nunmehr ausschließlich an seine Person gebundene Herrschaft. Dies mag als Widerspruch erscheinen. Eine nicht widersprüchliche Erklärung der Regierung Ivans IV. wäre aber viel weniger überzeugend, weil der Zar selbst eine in sich zerrissene Persönlichkeit war. Schließlich, und hier will ich auf die scharfsinnige Anmerkung von Paul Bushkovitch zurückgreifen: „we should not try to impose a false consistency on a particular era.“72 Die vorgeschlagene Erklärung für die Symbolik dieser „merkwürdigen Institution“, wie Vasilij Kljucˇevskij die Opricˇnina bezeichnete73, ist zweifelsohne nicht die einzig mögliche und bei weitem keine unangreifbare Interpretation der Opricˇnina. Sie scheint aber die Spannung zwischen der Gestalt des christlichen Zaren einerseits und der Vorgehensweise und Selbstpräsentation des historischen Zaren andererseits am überzeugendsten zu erklären.74

Der Fall Simeon Bekbulatovicˇ Nicht weniger rätselhaft als die Abdankung des Zaren und die darauf folgende Opricˇnina ist der ca. ein Jahr dauernde – dieses Mal aber eindeutig nur scheinbare – erneute Rücktritt des Zaren und die Inthronisierung des tatarischen Prinzen Simeon Bekbulatovicˇ. Bekbulatovicˇ stammte aus der Sippe des Dschingis Khan und war als Enkel seiner zweiten Ehefrau gleichzeitig ein Verwandter des Moskauer Zaren. Im Jahre 1575 krönte Ivan IV. den tatarischen Zaren widersprach. So ignorierte Ivan IV. unter anderem auch die Apologie der Nützlichkeit adliger Ratgeber, die man in der sogenannten ‚Valaamskaja beseda‘ findet. Vladimir Val’denberg zufolge war diese Quelle neben den Briefen von Kurbskij die einzige Abhandlung im 16. Jahrhundert, in der die Wichtigkeit des Bojarenrats thematisiert wurde. Vladimir Val’denberg, Drevnerusskie ucˇenija o predelach carskoj vlasti. Ocˇerki russkoj politicˇeskoj literatury ot Vladimira Svjatogo do konca XVII veka, Moskva 2006, 244f. Vieles deutet darauf hin, dass der Zar die Abhandlung kannte, weil sie höchstwahrscheinlich während der im Jahre 1551 stattgefundenen Hundertkapitelsynode (Stoglav) verfasst wurde, auf der Ivan IV. anwesend war. Galina Moiseeva, Valaamskaja beseda – pamjatnik russkoj publicistiki serediny XVI v., Moskva/Leningrad 1958, vor allem das 2. Kapitel „Stoglavyj sobor 1551 g. i vozniknovenie ,Valaamskoj besedy‘“. Falls diese Vermutung richtig ist, kann die ‚Valaamskaja beseda‘ als Beispiel dafür dienen, dass der Zar jegliche Quellen ignorierte, die seinen Herrschaftsvorstellungen gewisse Grenzen aufzeigten und somit seiner Idee des Zaren-Eigentümers, der als Stellvertreter Christi keine Ratgeber benötigt, widersprachen. 72 Bushkovitch 1994, 31. 73 Vasilij Kljucˇevskij, Bojarskaja duma drevnej Rusi, 3. Auflage, Moskva 1902, 331. 74 Dabei soll nicht der Eindruck entstehen, dass alle Travestien und Grausamkeiten der Opricˇnina und der darauf folgenden Zeit einen Zweck hatten. Als Beispiel dafür kann die Episode der Hinrichtung des Opricˇniks Ovcyn dienen, der zusammen mit einem Schaf erhängt wurde. In dieser Tat sollte man m. E. keine tiefere Symbolik als die Verspottung des Familiennamens des Erhängten suchen; Ovca heißt zu Deutsch Schaf. Zu dieser Hinrichtung ˇ to takoe opricˇnina, in: Ders., Social’no-politicˇeskaja istorija Rossii XVI siehe Ivan Polosin, C nacˇala XVII v., Moskva 1963, 151f.

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Fürsten zum Großfürsten der ganzen Rus’. Danach zog er aus dem Kreml aus und lebte auf der Arbat-Straße, die sich heute in der Stadtmitte Moskaus befindet. Er nannte sich „Ivanchen von Moskau“ (Ivanec Moskovskij) und erwies dem vom ihm selbst eingesetzten machtlosen Narrenkönig alle Ehrenzeichen, was Cherniavsky präzise als „reversal of roles“75 bezeichnet. Nach einem Jahr wurde Bekbulatovicˇ von Ivan IV. zum Fürsten von Tver’ herabgestuft, wodurch die politische Maskerade beendet wurde. Die Frage nach dem Sinn dieser Episode wurde in der Literatur ausgiebig behandelt.76 Die Meinungen gehen aber so weit auseinander, dass eine Einigung nicht in Sicht ist. Für die vorliegende Arbeit ist vor allem die Spieldimension relevant, die im Schreiben an den tatarischen Prinzen zu finden ist, aber allzu oft übersehen wird und daher erklärungsbedürftig ist. Während dieses Jahres wendete sich Ivan IV. an Simeon in einer Bittschrift und bezeichnete sich dabei in spielerischer Demütigung als „Ivanchen von Moskau“.77 In diesem kurzen Schreiben kommt die Ambivalenz des Karnevals besonders deutlich zum Ausdruck: Der von Patriarch Makarij zum Zaren gekrönte Ivan IV. inszeniert sich als Diener des machtlosen, von ihm selbst eingesetzten Narrenzaren, wodurch Oben und Unten ihre Plätze tauschen. Auch in der Form der Bitte ist die für den Karneval typische Ambivalenz spürbar: Der sich närrisch demütigende wahre Zar bittet den Karnevalszaren in einer spielerischen, ja fast witzigen Art, ihm zu erlauben, eine der grausamsten Maßnahmen seiner Herrschaft durchzuführen, nämlich „Leute aussortieren zu dürfen“78, was mit Zwangsumsiedlungen, Landenteignungen und Hinrichtungen verbunden war. Auf diese offensichtliche Dichotomie der Form und des Inhalts hat überraschenderweise nur Dmitrij Lichacˇev hingewiesen.79 Ivan zeigte allerdings in demselben Brief sehr deutlich, wem die Macht eigentlich gehörte, indem er darauf hinwies, dass der tatarische Prinz diejenigen, die von Ivan IV. zu ihm überlaufen wollten, nicht annehmen solle,80 was nichts anderes als ein für den Zaren typisches Machtspiel ist: Nach einer schriftlich angekündigten Proskynese (cˇelom b’jut) befiehlt Ivan IV. in einer spielerischen Form seinem machtlosen Protegé, was er zu tun habe – deutlicher hätte Ivan IV. die Machtlosigkeit von Bekbulatovicˇ kaum demonstrieren können. 75 Zit. nach Donald Ostrowski, Simeon Bekbulatovich’s Remarkable Career as Tatar Khan, Grand Prince of Rus’, and Monastic Elder, in: Russian History 39 (2012), 269–299, 283. 76 Ausführlicher dazu siehe den Quellen- und Forschungsüberblick bei Ostrowski 2012, vor allem 280–293. 77 Poslanie Simeonu Bekbulatovicˇu (1575), in: Dmitrij Lichacˇev/Jakov Lur’e (edd.), Poslanija Ivana Groznogo (=Literaturnye pamjatniki), Moskva 1951, 372. 78 Lichacˇev 1991, 31. 79 Ebd. 80 Poslanie Simeonu Bekbulatovicˇu 1951, 373.

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Dass dies für Ivan IV. auch und vor allem eine pure politische Maskerade war, folgt unmissverständlich aus den mündlichen Selbstzeugnissen des Zaren. So betonte er in einem Gespräch mit dem Kleriker Silvestr, dass er sich die Macht jederzeit zurückholen könne.81 Im Spiegel dieser Äußerung scheint die These von Dmitrij Lichacˇev absolut richtig, der zufolge Ivan IV. durch ein solches Verhalten die Grenzen seiner eigenen Macht austestete.82 Der Karneval war daher nicht das Ziel, sondern nur ein Mittel, das der Zar anwandte, um auf solche Weise die Kernbotschaft der Opricˇnina – die bedingungslose Macht des Moskauer Herrschers – nach ihrer Aufhebung zu aktualisieren. Ivan IV. zeigte somit noch einmal, dass er unabhängig von dem, was er tat und wie er sich präsentierte, der einzige Machthaber in seinem Reich war, genauso wie in der oben thematisierten ˇ eljadin. Dass gerade ein so Episode von der Ermordung des Bojaren Fedorov-C scharfsinniger Erforscher der Opricˇnina wie Charles Halperin in einem seiner späteren Aufsätze dazu neigt, in der Inthronisierung von Bekbulatovicˇ lediglich einen Witz zu sehen, ist sowohl überraschend als auch enttäuschend.83 ˇ eljadin und der Inthronisierung von Zwischen der Ermordung von Fedorov-C Simeon Bekbulatovicˇ zieht auch Boris Uspenskij Parallelen. Er deutet die Episode mit dem tatarischen Prinzen aber auf eine andere Weise, die Andrej Pavlov als überzeugende Interpretation betrachtet: „Ivan was demonstrating that the Tatar khans who had formerly ruled Russia had themselves been false tsars, who had now given way to the true tsars, the grand princes of Moscow. Thus in the Bekbulatovich episode Ivan was making a point both about the end of illegitimate Tatar rule and about the divinely ordained nature of his own power.“ Für Uspenskij ist dementsprechend die ganze Episode mit dem tatarischen Prinzen „entirely consistent with Ivan’s neo-Byzantine concept of the sacred and charismatic nature of the power of the tsar.“84 Der erste Teil der Argumentation ist zumindest nachvollziehbar, obwohl dennoch nicht klar ist, weswegen der Moskauer Zar diese Inszenierung ganze 23 Jahre nach der Eroberung von Kazan’ veranstalten musste. Dem zweiten Teil der Argumentation von Uspenskij widerspricht aber die ganze Tradition des christlichen Zarentums: Die spöttische, scheinbare Entäußerung seiner eigenen Macht ist weder mit der byzantinischen Herrschaftsvorstellung noch mit der auf sie gestützten russischen Variante vereinbar, was außerdem anhand der Rezeption dieser Episode durch Zeitgenossen gezeigt werden kann. 81 Ostrowski 2012, 274. 82 Dmitrij Lichacˇev, Ivan Groznyj – Pisatel’, in: Lichacˇev/Lur’e 1951, 452–467, 466. 83 „If my hypothesis that Simeon’s appointment was Ivan’s joke is valid, then one can only imagine Ivan’s laughter at how seriously his joke has been taken by modern historians.“ Charles J. Halperin, Simeon Bekbulatovich and Mongol Influence on Ivan IV’s Muscovy, in: Russian History 39 (2012), 306–330, 330. 84 Pavlov/Perrie 2003, 174.

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Weder sie noch die Nachfahren des Zaren sahen in dieser karnevalisierten, freiwilligen Selbstdemütigung vor dem tatarischen Prinzen ein „concept of the sacred and charismatic nature of the power of the tsar“85. Am erwähnenswertesten scheint die Deutung von Ivan Timofeev, des Chronisten der Zeit der Wirren, der in dieser zur Schau gestellten Demütigung ein für den Zaren unzulässiges Spiel mit dessen von Gott verliehener Würde sah: Timofeev hat dem Zaren ebenso vorgeworfen, durch diese inszenierte Abdankung mit Gottes Menschen zu spielen.86 „Der Zar habe mit den nur Gott gehörenden Menschen gespielt.“ – Timofeevs Formulierung ist bemerkenswert, weil sie auf die Grenzen der Zarenmacht hinweist, die Ivan IV. dem Chronisten zufolge durch sein Verhalten überschritt: Die Menschen, die der russische Herrscher im Brief an Kurbskij als sein Besitztum und seine Sklaven (cholopy) bezeichnet und mit denen er nach Belieben umgehen dürfe, gehören laut Timofeev keineswegs ihm, sondern Gott allein.87

Die Herausforderung der christlichen Symbolik in den Selbstzeugnissen Ivans IV. Im Vergleich zu den Selbstzeugnissen, in denen der Zar seine christlich begründeten Machtvorstellungen ausführlich darstellte, sind die schriftlichen Quellen zur karnevalisierten Dimension seiner Macht selten. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Ivan IV. sie in keinem Schreiben direkt formulierte, wie dies für den göttlichen Ursprung seiner Macht am Beispiel des Briefes an Andrej Kurbskij gezeigt werden kann. Dennoch ist es möglich, in einigen schriftlichen Zeugnissen des Zaren die ambivalente Logik der volkstümlichen Lachkultur des Mittelalters zu erkennen. Die folgenden dafür geeigneten Quellen sollen im Weiteren diskutiert werden: Die unter dem Pseudonym „Parfenij Urodivyj“ verfassten Schriften und der bald nach Aufhebung der Opricˇnina geschriebene Brief an das Kirillo-Belozerskij Kloster. 85 Die ausführlichste Zusammenfassung aller in den Quellen zu findenden Äußerungen findet man bei Ostrowski 2012, 280: „The accounts written within a few decades of Ivan’s death thus provide various theories for the placing of Simeon Bekbulatovich on the throne: Ivan wanted to evade responsibility for paying his debts (Horsey); he wanted to get at the wealth of the bishops and monasteries (Fletcher); soothsayers predicted the Muscovite tsar would die in that year (Piskarev Chronicle); Ivan wanted to find out what the people thought (i. e., whether they were loyal to him) (Piskarev Chronicle and Margeret); Ivan was playing a „game“ (Timofeev); and Ivan detected a threat to take over his throne from his son Ivan (Moscow Chronicle).“ 86 Vremennik Ivana Timofeeva, übers. von O. Derzˇavina, Moskva/Leningrad 1951, 174. 87 Ähnlich argumentiert auch Daniel Rowland, Did Muscovite Literary Ideology Place Limits on the Power of the Tsar (1540s–1660s)?, in: The Russian Review 49, 2 (1990), 125–155, 134.

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Unter dem Pseudonym „Parfenij Urodivyj“ verfasste Ivan IV. zwei Schriften: das polemische „Schreiben gegen Luther“ und „Kanon und Gebet zum furchterregenden Engel“ (Kanon i molitva angelu groznomu). Dass Ivan IV. der Autor dieser beiden Quellen ist, hat Dmitrij Lichacˇev anhand einer komparatistischen Textanalyse überzeugend bewiesen.88 Die wichtigste Frage wird aber nicht endgültig geklärt: Warum wählte der Zar für diese Schriften ausgerechnet das Pseudonym „Parfenij Urodivyj“, was ins Deutsche als „jungfräulicher Narr in Christo“ übersetzt werden kann? Sowohl Dmitrij Lichacˇev als auch Aleksandr Pancˇenko sehen in der Wahl des Pseudonyms eine Verspottung des Christusnarrentums und eine Gotteslästerung89: Weil der Zar zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schriften schon viermal (also öfter als dogmatisch möglich) verheiratet gewesen war,90 ist die Verwendung des Pseudonyms eines nie eine Frau erkannt habenden Narren in Christo entweder Ironie oder vorsätzliche Verspottung des Christusnarrentums ( jurodstvo). Die These einer Verspottung wird durch die Unvereinbarkeit schriftlicher Tätigkeit mit der Gestalt eines Narren in Christo zusätzlich verstärkt. Die ganze Hagiographie des Christusnarrentums zeugt von der Flucht der jurodivye aus Kultur und Zivilisation.91 Die letzte Bestätigung des verspottenden Charakters des Pseudonyms liegt in der möglichen Übersetzung des Adjektivs „urodivyj“ als „Geisteskranker“. In diesem Fall würde das Pseudonym bedeuten, dass ein unzurechnungsfähiger Mensch das Gebet verfasste.92 Die Argumentation von Dmitrij Lichacˇev und Aleksandr Pancˇenko zeigt ebenso unmissverständlich, dass es unmöglich ist, die Verwendung dieses Pseudonyms mit Hilfe von Priscilla Hunts oben angesprochener Theorie zu erklären. Hunt behauptet, dass Ivan IV. die Gestalt eines Narren in Christo annahm, um sich selbst und sein Reich von Sünden zu reinigen. Die Quelle dieser Vorstellung sei die „Weisheitstheologie“ gewesen, die von Metropolit Makarij ausformuliert worden sei. Die im Aufsatz von Hunt geleistete Ikonenanalyse, die die Logik dieser Theologie erklären soll, enthält zum einen nur die spätestens seit dem 5. Jahrhundert für das Christentum zum Dogma gewordene Lehre der zwei Naturen Jesu Christi, die auch zum Kern der für das Christentum typischen Ambivalenz wurde. Es ist daher nicht klar, was genau in der Moskauer Ikonographie theologisch, nicht kunsthistorisch gesehen, neu ist. Der Narr in Christo 88 D. S. Lichacˇev, Kanon i molitva Angelu Groznomu voevode Parfenija Urodivogo (Ivana Groznogo), in: Rukopisnoe nasledie Drevnej Rusi: po materialam Pusˇkinskogo Doma, Leningrad 1972, 10–27, 12–15. Es gibt aber auch eine berechtigte Kritik sowohl der Autorschaft des Zaren als auch der Möglichkeit, im 16. Jahrhundert ein Pseudonym zu verwenden. Dazu siehe ausführlich die Monographie von Nicoletta Marcialis, Ljutor izˇe ljut: prenie o vere carja Groznogo s pastorom Rokitoj, Moskva 2009, 169–178. 89 Lichacˇev 1972, 20 und Pancˇenko 1991, 91. 90 Lichacˇev 1972, 13f. 91 Pancˇenko 1991, 90. 92 Ebd., 91.

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als Bestandteil dieser Theologie fehlt auf diesen Ikonen und Fresken außerdem komplett, was übrigens auch Hunt selbst zugibt. Zum anderen kann Hunt nicht erklären, wie es theologisch möglich ist, sich von Sünden zu befreien, wenn man die Gestalt eines Narren in Christo temporär und äußerlich, und nicht permanent und innerlich annimmt.93 Das bedeutet, dass die russische Weisheitstheologie Ivan IV. keine theoretische Grundlage für diese ihn angeblich von Sünden befreiende temporäre Selbsterniedrigung anbieten konnte. Auch in der Logik der Volkskultur, zu der die Narren in Christo Aleksandr Pancˇenko zufolge ebenso gehören, wäre dies undenkbar, weil, wie oben erwähnt, der Narr in Christo keine öffentliche Funktion ausüben konnte. Wenn Ivan IV. sich Hunt zufolge durch das Christusnarrentum reinigen wollte, hätte er seine Lebensweise ändern müssen: die meiste Zeit schweigen, halbnackt oder ganz nackt neben einer Kirche auf der Straße schlafen, jedes Blutvergießen aufs Schärfste verurteilen usw.94 Dass die tatsächliche Vorgehensweise des Zaren vom Christusnarrentum weit entfernt war, bedarf keines Kommentars. Die Narren in Christo selbst verurteilten den Moskauer Selbstherrscher für seine Grausamkeit, wie im Fall des Jurodivyj Nikola von Pskov: Einer in den ausländischen Berichten weit rezipierten Volkslegende zufolge95 machte der Zar diesem Narren in Christo ein Geschenk. Nikola aber schickte dem Zaren während der Fastenzeit ein Stück rohes Fleisch als Gegengeschenk zurück. Als der überraschte Zar sagte, dass er während des Fastens kein Fleisch verzehre, fragte Nikola, warum der Zar denke, dass es schlimmer sei, Tierfleisch als Menschenfleisch zu essen.96 Auf die letzte Frage im Hinblick auf das Pseudonym gibt es noch keine überzeugende Antwort: Warum verfasste der russische Zar gerade diese Schriften unter dem Namen eines jungfräulichen Narren in Christo? Hinsichtlich des Schreibens gegen Luther argumentiert Dmitrij Lichacˇev auf folgende Weise: Ivan 93 Hunt 1993, 779–783. 94 Pancˇenko 1991, 108–113. 95 In seiner vor kurzem erschienenen Monographie zeigt Christian Münch sehr ausführlich die schrittweise Entstehung und unterschiedliche Wiedergabe der Erzählung über diese Bewegung in den zahlreichen narrativen Quellen: „Die Legende von Nikola Salos ist in nicht weniger als sechs abendländischen Dokumenten des 16. Jahrhunderts überliefert: dem Sendschreiben von Taube und Kruse aus dem Jahr 1572 (1.), einer Flugschrift aus demselben Jahr mit dem Titel Eigentliche Warhafftige Beschreibung (2.), einem sächsischen Gesandtschaftsbericht über eine Audienz bei Stephan Báthory aus dem Jahr 1577 (3.), den 1578/79 verfassten Memoiren des Opricˇnik a.D. Heinrich von Staden (4.) sowie den 1626 bzw. 1591 veröffentlichten Aufzeichnungen der englischen Gesandten Jerome Horsey (5.) und Giles Fletcher (6.)“ Christian Münch, In Christo närrisches Russland. Zur Deutung und Bedeutung des „jurodstvo“ im kulturellen und sozialen Kontext des Zarenreiches (=Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 109), Göttingen 2017, 101. 96 Edward A. Bond (ed.), Russia at the Close of the Sixteenth Century. Comprising, the Treatise „Of the Russe Common Wealth“ by Dr. Giles Fletcher; and The Travels of Sir Jerome Horsey, Knt., Now for the First Time Printed entire From His Own Manuscript, London 1856, 118f.

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habe sich nicht mehr unter eigenem Namen zur Frage der Wiederheirat äußern können, da er selbst schon mehrmals verheiratet gewesen sei. Daher tat er dies unter dem Pseudonym eines jungfräulichen Narren.97 Das hätte eine plausible Erklärung sein können, wenn ihr die Quellenlage und die Argumentation von Lichacˇev nicht selbst widersprochen hätten. Das Schreiben gegen Luther ist die verkürzte Version einer Antwort des Zaren an den protestantischen Pfarrer Jan Rokita und beinhaltet Lichacˇev zufolge keine neuen Inhalte. Herausgenommen wurde derjenige Teil, in dem Ivan IV. gegen die zweite Ehe argumentiert. Die logische Frage: Warum ließ er genau diesen Teil weg, wenn er doch dieses Schreiben schon unter einem Pseudonym verfasst hatte? Es wäre logischer, wenn man Lichacˇev folgt, gewesen, entweder nichts wegzulassen und dann das Pseudonym zu verwenden oder den Teil wegzulassen und das Schreiben dann unter seinem eigenen Namen zu verfassen. Leider bemerkte Lichacˇev diese Unstimmigkeit nicht und das Problem blieb ungelöst. Ebenso bemerkte Lichacˇev nicht, dass er an einer Stelle vom Brief gegen Luther als einer verkürzten Quelle spricht, an einer anderen aber von der Antwort an Jan Rokita, die er fälschlicherweise als Schreiben gegen Luther bezeichnet.98 In letzterer Quelle ist der Hinweis auf die Kritik an der zweiten Ehe eindeutig vorhanden: Der Zar paraphrasiert den Apostel Paulus, um seine Feststellung theologisch zu untermauern, indem er sagt, dass es besser sei, sich zu verheiraten als verführt zu werden. Gott habe aber befohlen, sich nicht scheiden zu lassen.99 Dies zeigt, dass der Moskauer Zar sich keineswegs schämte, seine Untertanen über die Frage nach der zweiten Ehe zu belehren, obwohl er selbst zu diesem Zeitpunkt schon vier Mal verheiratet gewesen war, was das Kernargument des renommierten Forschers verdirbt. Die verführerische These von Dmitrij Lichacˇev ist dementsprechend leider lediglich die Folge eines unbemerkten Argumentationsfehlers. Im Fall von „Kanon und Gebet“ ist die von Dmitrij Lichacˇev vorgeschlagene Erklärung für die Verwendung eines Pseudonyms überzeugender: Der Text des Kanons sei mit einer omnipräsenten Todesangst versehen. Der Zar habe die „unorthodoxe“ Art seiner Schrift gespürt und sie daher nicht unter seinem eigenen Namen verfassen können.100 Auch die Gestalt des Erzengels Michael, dem der Zar seinen Kanon widmete und den er um Hilfe gegen seine Feinde bat, 97 Lichacˇev 1972, 14f. 98 Ebd., 13f. Ivan IV. verbreitete nämlich die Antwort an Jan Rokita unter seinem Namen und habe aus diesem Schreiben nichts herausgenommen. 99 Otvet Janu Rokite. Herausgegeben und kommentiert von N. V. Savel’eva, übers. v. T. R. Rudi i S. A. Semjacˇko, in: Dmitrij Lichacˇev/L. Dmitrieva/A. Alekseeva (edd.), Biblioteka literatury drevnej Rusi, Tom 11, Konec XV – pervaja polovina XVI veka, S.-Peterburg 2000, 271. 100 Lichacˇev 1972, 15. Diese These unterstützten auch Pancˇenko und Uspenskij. Pancˇenko/ Uspenskij 1988, 69.

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unterscheidet sich stark von seiner Abbildung auf der Ikone „Geheiligt sei das Heer des himmlischen Königs“ und dem Großen Banner. Außerdem ist sie zu sehr mit dem Tod und der Bestrafung für die Sünden verbunden. Die Abfassung eines Gebets an den Erzengel Michael im Jahr der Aufhebung der Opricˇnina kann dessen mit Todesangst erfüllte Atmosphäre erklären: Der außen- und innenpolitisch gescheiterte Zar suchte Hilfe bei seinem Schutzengel, mit dessen Kraft er einst seine größten Siege errungen hatte. Der Kanon ist in dieser Hinsicht außerdem ein Beleg für die Wirkung der apokalyptischen Erwartungen und die Verantwortung des Zaren für die Seelen seiner Untertanen beim Jüngsten Gericht. Dass der Moskauer Selbstherrscher den Kanon unter einem Pseudonym verfasste, kann auch als Flucht von dieser Verantwortung interpretiert werden. Dass der Zar ausgerechnet das Pseudonym eines jungfräulichen Narren in Christo für die Verfassung des Kanons auswählte, kann diese Argumentation leider auch nicht erklären. Von einer Verspottung kann in diesem Fall keine Rede sein. Die letzte und gleichzeitig beste Quelle, in der eine Karnevalisierung des Christentums gefunden werden kann, ist das Schreiben des Zaren an das KirilloBelozerskij Kloster. Die bekannteste Stelle aus dem Brief ist die Behauptung des Zaren, er sei zur Hälfte ein Mönch: „Und es scheint mir, dem Verfluchten, dass ich zur Hälfte ein Mönch bin.“101 Diese Stelle verdient einen Kommentar, denn sie wird von vielen Autoren direkt auf die Herrschaftsvorstellung des Zaren übertragen. Der Brief an das Kloster stammt aus dem Jahre 1573, also nach der Aufhebung der Opricˇnina und vor der Krönung von Simeon Bekbulatovicˇ, und ist eine Antwort auf einen Brief der Mönche an den Zaren, in dem sie um Rat für einen Konflikt zwischen zwei tonsurierten und zu Mönchen gewordenen Bojaren baten.102 Schon zu Beginn des Briefes fing der Zar an, sich zahlreicher Erniedrigungsformen zu bedienen, die für seinen Stil charakteristisch waren.103 Er bat die Mönche sogar, darauf zu verzichten, ihn um einen Rat zu bitten, weil er lediglich ein unwürdiger Sklave und ein stinkender Hund sei.104 Diese reuevolle Demütigung erwies sich aber als geschickt gewähltes rhetorisches Mittel, ähnlich der

101 Poslanie v Kirillo-Belozerskij monastyr’, in: Lichacˇev/Lur’e 1951, 164. 102 Die erste Edition der Quelle und ihre wissenschaftliche Erschließung erfolgte durch Dmitrij Lichacˇev. Dmitrij Lichacˇev, Poslanie Groznogo v Kirillo-Belozerskij monastyr’, in: TODRL 8 (1951), 247–286. 103 Ausführlich zum Stil Ivans IV. siehe Sigurd Sˇmidt, Zametki o jazyke poslanij Ivana Groznogo, in: TODRL 14 (1958), 256–265 und Vasilij Kalugin, Andrej Kurbskij i Ivan Groznyj: teoreticˇeskie vzgljady i literaturnaja technika drevnerusskogo pisatelja, Moskva 1998. 104 Poslanie v Kirillo-Belozerskij monastyr’, 1951, 162.

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spöttischen Demütigung vor König Stephan Báthory.105 Denn Ivan ging alsbald zu einem scharfen, giftigen Tadel der aus seiner Sicht verfallenden Sitten im Kloster über, das weltlicher geworden sei als die Welt selbst, weswegen es für den Zaren keinen Sinn mehr ergeben hätte, zu einem Mönch dieses Klosters zu werden. Der Zar steigerte seine Kritik im Laufe des 30 Seiten umfassenden Schreibens so fließend, dass der durch die Demütigung des Zaren am Anfang der Antwort überraschte und tief berührte Adressat den scharfen verbalen Hieben wehrlos ausgeliefert war. In diesem Kontext soll auch die berühmte Aussage des Zaren, in der viele Historiker die Idee eines Mönchs-Zaren bestätigt sehen, als Stilmittel seiner Rhetorik interpretiert werden. Diese Stelle bezeichnet Dmitrij Lichacˇev scharfsinnig als Parodie auf die mönchische Demut und als Spiel in einem Mönche.106 Darin ist jenes sowohl für die schriftlichen Zeugnisse des Zaren als auch für seine Taten typische Spiel sichtbar. Man denke z. B. an den Briefwechsel mit Grjaznoj ˇ eljadin und Simeon Bekbulatovicˇ. Dieses oder die Episoden von Ivan Fedorov-C Spiel des Zaren kommentiert Dmitrij Lichacˇev scharfsinnig auf folgende Weise: „Sein Spiel mit der Demut trieb Groznyj aber nie allzu lange. Für ihn war der Kontrast zu seiner realen Position als absoluter Herrscher wichtig. Wenn er sich bescheiden und demütig stellte, trieb er damit seinen Spott mit seinem Opfer. Er liebte den unerwarteten Zornesausbruch, unerwartete und unvorhersehbare Bestrafungen und Morde.“107 Die Vorstellung von einem Herrscher, der Mönch- und Rittertum vereinigt, war zwar schon in der Kiever Rus’ verbreitet, was die Viten von Aleksandr Nevskij oder Dmitrij Donskoj zeigen können. Und weil diese Herrscher dem ersten russischen Zaren als Muster dienten, ist ein Einfluss dieser Vorstellung auf das Herrscherkonzept Ivans IV. nicht auszuschließen, ließ er sich doch wie sein Vater vor seinem Tode tonsurieren. Aber in dieser konkreten, zweifelsohne spöttischen Aussage einen Beleg für die Vorstellung des Zaren von sich selbst als einem Halbmönch zu suchen,108 ist genauso irreführend, wie im Palast der Opricˇniki ein Beispiel für ein gottgefälliges Kloster zu sehen. Vielmehr ist es eine zusätzliche Verspottung des Mönchtums, analog zur priesterartigen Verkleidung der Opricˇniki und dem Tagesablauf dieser Quasi-Mönchsbruderschaft. 105 Poslanie pol’skomu korolju Stefanu Batoriju 1579 goda, in: Sergej Pereverzencev (ed.), Car’ Ivan IV Groznyj. Samoderzˇavnyj i samovlastnyj. Svidetel’stva prizˇiznennye, Moskva 2005, 250. 106 Lichacˇev 1991, 35. 107 Ebd. 108 Hunt 1993, 791 und Sergej Perevezencev, Duchovno-politicˇeskaja koncepcija carja Ivana IV Vasil’evicˇa Groznogo, in: Vestnik moskovskogo universiteta, serija 12, 4 (2006), 88–97, 95. Auch Andrej Karavasˇkin nimmt diese Aussage des Zaren ernst. Andrej Karavasˇkin, Russkaja srednevekovaja publicistika. Ivan Peresvetov, Ivan Groznyj, Andrej Kurbskij, Moskva 2000, 188f.

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Die Analyse dieser drei Schriften des Zaren hat gezeigt, dass Elemente der volkstümlichen mittelalterlichen Lachkultur wie der Rollentausch im Karneval oder die Parodie und Verspottung christlicher Symbole auch in den Selbstzeugnissen des Moskauer Zaren gefunden werden können, ebenso wie apokalyptische Endzeiterwartungen wie im Fall des Gebets an den Erzengel Michael. Eine ausführliche Erklärung für die Anführung dieser volkstümlichen Symbolik ist aber in keiner überlieferten Quelle zu finden, was, wie oben erwähnt, nicht bedeutet, dass solche Quellen nicht existiert hätten. Das Ziel der Anführung dieser Symbolik in den Schriften des Zaren ist heterogen und auch nicht immer klar. Besonders im Fall der unter dem Pseudonym eines jungfräulichen Narren in Christo verfassten Schriften gegen Luther sollte man weiter nach einer anderen, präziseren und der Quellenlage entsprechenden Erklärung für die Verschleierung des eigenen Namens suchen. Dass Ivan sich nie als wahren Narren in Christo verstand, wurde anhand der oben thematisierten Hauptcharakteristika der Gestalt eines Jurodivyj gezeigt. Ob Ivan IV. sich als Halbmönch bezeichnete, ist zwar nicht völlig auszuschließen, aber die überlieferten Quellen sprechen dagegen. Mit der zur Schau gestellten Verspottung des Mönchtums durch die Errichtung der karnevalisierten Quasi-Mönchsbruderschaft in der Aleksandrovskaja sloboda zeigte der Zar ausreichend überzeugend, dass es ihm bei weitem nicht darum ging, zum Mönch zu werden, sondern darum, das Mönchtum durch die Opricˇniki und das christliche Zarentum durch eine unumschränkte, personelle Gewaltherrschaft zu ersetzen bzw., wie dies Agapetos formulieren würde, ging es Ivan IV. darum, auch den Staub zu vergöttlichen.

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“Dem frommen deudschen Leser zur warnung und besserung in druck verfast” or How to Restrict the Power of the Emperor. The ‘Grumbach affair’ and German Oprichnina Pamphlets in the second half of the 16th century “The very ink with which all history is written is merely fluid prejudice.” Mark Twain Abstract This essay elucidates the publicistic role of German anti-Muscovite pamphlets, especially those featuring the Oprichnina, within the (Holy Roman) imperial politics of their time. News about Ivan the Terrible’s Oprichnina, a partition of the land in 1566–1572 that supposedly entailed cruel und unjustified murders of nobles, were first printed in two German pamphlets in 1570 and 1572. No other sources, not even Russian, can be dated this early. The investigation of the pamphlets within their native milieu shows that they refer chiefly to an Imperial discourse justifying the emperor’s authority and power to policing his realm. Accordingly, the essay first looks at the environment of the German pamphlets in general and then turns to a discussion of the publicism concerning the emperor’s policing powers granted by the imperial execution ordinance (Reichsexekutionsordnung). A comparison of text shows that from the literary standpoint the German Oprichnina pamphlets were connected to the discourse of the so-called ‘Grumbach affair’ that opened the discussion about the execution ordinance. The essay concludes with a prospective on other Oprichnina pamphlets and their function within the German context.

German pamphlets Already in the 1970s, historians like Andreas Kappeler and Erich Donnert stated that the Muscovite pamphlets are connected to anti-Turkish pamphlets, but none of them showed in which way.1 As I could show, in the 16th and still in the 17th century during the 30-years-war, in German pamphlets the enemy was defamed 1 Andreas Kappeler, Ivan Groznyj im Spiegel der ausländischen Druckschriften seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des westlichen Rußlandbildes (Geist und Werk der Zeiten 33), Bern et al. 1972, 97; Michael Schilling, Aspekte des Türkenbildes in der Literatur und Publizistik der frühen Neuzeit, in: Wolfgang Harms/ Michael Schilling (eds.), Das illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit. Traditionen – Wirkungen – Kontexte, Stuttgart 2008, 227–244, Erich Donnert, Der livländische Ordensritterstat und Rußland. Der Livländische Krieg und die baltische Frage in der europäischen Politik 1558–1583, Berlin 1963, 101.

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as ‘Turk, Muscovite, Tartar, Mameluck’, and also as ‘barbarous’ and ‘tyrannical’.2 The first half of the 17th century saw obviously a stereotyped image of Muscovites, Turks, Tartars, and Mamelucks as barbarous and tyrannical people, and Germans tended to defame any enemy they had in the same way.3 German pamphlets functioned in various ways. People could delight in the depicted violence, they could shudder when reading them, but they also could compare the tyrannical behavior of the depicted Turkish and Muscovite rulers with their own and hopefully well-ordered state. In this way, the depiction of violence in pamphlets had the function of stabilizing the order within the Empire. This function touched a nerve of the recipients of the 16th century. Through the discovery of new continents and naval routes the Christian view of the world and self-conception had been shattered.4 At the same time the sources of knowledge and truth were multiplying and divergent.5 Following this, order and hierarchies were challenged, especially in religious civil wars. In this way, pamphlets in the Holy Roman Empire had not only the function to distribute news but also to socially stabilize the order of hierarchies in the Empire. The atrocities attributed to Muscovites and Turks functioned as a negative example of bad order in order to coax the lower estates that read the pamphlets into compliance with imperial measures such as taxation and enlisting soldiers. Pamphlets arose with the invention of the printing press. They could consist of one, eight, or more pages, were printed cheaply, often overnight, and were sold in city printing shops that also distributed them to the great book fairs in Leipzig and Frankfurt and to the periphery of the villages. Often, they were distributed by traveling hawkers. They cost the equivalent of six breakfast rolls and contained a wide variety of news from other places and countries. The pamphlets could be reprinted via movable print in every form the printers needed them for sale. When they had images from woodcuts, they could be printed unlimited times. When the 2 Michael Kaiser, “Ärger als der Türck”. Kriegsgreuel und ihre Funktionalisierung in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (eds.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, (Krieg in der Geschichte 40), Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, 155–183, 164. 3 Cornelia Soldat, Erschreckende Geschichten in der Darstellung von Moskovitern und Osmanen in den deutschen Flugschriften des 16. und 17. Jahrhunderts / Stories of Atrocities in Sixteenth and Seventeenth Century German Pamphlets About the Russians and Turks, Lewiston/Queenston/Lampeter 2014, 348. 4 Joachim Eibach, Annäherung – Abgrenzung – Exotisierung. Typen der Wahrnehmung ‘des Anderen’ in Europa am Beispiel der Türken, Chinas und der Schweiz (16. bis frühes 19. Jahrhundert), in: Joachim Eibach/Horst Carl (eds.), Europäische Wahrnehmungen 1650–1850. Interkulturelle Kommunikation und Medienereignisse (The Formation of Europe. Historische Formationen Europas 3), Hannover 2008, 13–73, 15f. 5 Peter Strohschneider, Fremde in der Vormoderne. Über Negierbarkeitsverluste und Unbekanntheitsgewinne, in: Anja Becker/Jan Mohr (eds.) Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren (Deutsche Literatur. Studien und Quellen 8), Berlin 2012, 387–416, 387.

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print included the use of copper engravings, the edition was limited to 1000–2000 copies. Scholars estimate the print run of a pamphlet to 1000 copies.6 The stereotyped images of Turks had been developed in German pamphlets since the middle of the 15th century, and already in the middle of the 16th century the image of a ‘Turk’ comprised inhuman atrocities, the principle of scorched earth, atrocious behavior towards women and children, the transportation or enslavement of captives into Turkey, and malice in military deeds, as Turkish officers drove their soldiers into battle with clubs and whips. The social order of the Turkish state was depicted as tyrannical and vicious.7 Since the beginning of the 16th century, the German emperor fought against the Turks in parts of Hungary. In 1526, after the death of the Hungarian king Louis II., the emperor took over the Hungarian crown, being entitled to it by marriage. Subsequently, the emperor fought against the Turks in the Habsburg hereditary lands especially after the Ottoman capture of Buda in 1541.8 Parallel to the Turkish threat in Hungary, in the Empire the Reformation caused uproar and discord among the princes and their people. Soon, the Turkish threat was explained eschatologically as God’s wrath for the discord and sinfulness among his people, and the unitas christiana was seen as solution for the fight against the Turks.9 After the Peace of Augsburg in 1555, when Catholic and Protestant princes came to an agreement on the religious question, the Empire saw a time of economic and demographical upswing that was related to economic and social processes of adaptation to early capitalism, monopolization, inflation, social mobility, and transgression of estate barriers. The ruling princes tried to cope with this social unrest by government intervention.10 Until the end of the 16th century, the Empire developed a system of territorial government to the disadvantage of the government by the nobility. The princes took the important rights into their hands. In turn, people organized territorial estates or diets (Landstände) – bodies of representatives of nobles, ecclesiastical officials, and towns, to control the princes. The princes developed a modern government with civil administration, a judiciary, and military defense, paid for by taxes authorized by the representative bodies.11

6 Soldat 2014, 53–61. 7 Schilling 2008, 229 8 Winfried Schulze, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert, 1500–1618, Frankfurt a. Main 1987 (edition suhrkamp; 1268, N. F.; 268), 65. 9 Schulze 1987, 64f. 10 Schulze 1987, 14f. 11 Schulze 1987, 205.

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The sovereign princes of the modern states issued policies (Policeyen) for their subjects as well as for their lands, their law courts, and their clerks.12 Common taxes were used to pay for the government, and until the end of the century people were used to permanently pay taxes. The Imperial taxes also multiplied by six until the end of the century.13 The Roman emperor participated in the development of the territorial state through territorial taxes as well. For the emperor, the Ottoman threat was a means to fight in the Habsburg hereditary lands at Imperial expense. A prerequisite for this novel way of financing a war was the decision of the Imperial diet in Worms in 1495 that in some cases a general imperial tax might be raised. While this general tax answered to the demands of the modern financial economy based on money rather than barter, it also answered to the demands of war. In earlier times the Emperor could raise money for a journey to Rome for his coronation. The necessary amount of money was called Romzug or Roman ‘campaign’. Since 1521 the imperial diets would raise on demand of the emperor Romzüge or Roman ‘campaigns’ as registered taxes for the Imperial estates.14 The Emperor asked the Imperial diets not only for taxes for the anti-Turkish wars, but also for help in Livonia. In 1559 the Imperial diet at Augsburg approved 100.000 fl. for Livonia.15 But the money that was raised for Livonia never entirely got there. In 1570 the Imperial diet in Speyer took the rest of the money raised in 1559 to pay imperial debts.16 In the same way the money raised in 1576 for a delegation to the tsar in order to negotiate the Livonian question was somehow lost in the imperial household, and when the delegates of the 1582 diet asked where it had gone, the Emperor did not answer.17 Also, the Emperor raised money for the Ottoman wars in Hungary at 11 Imperial diets from 1556 to 1608.18 By the beginning of the 17th century, the Imperial diets had approved more than 30 Million florins as taxes for the Ottoman wars.19

12 Schulze 1987, 209f. 13 Schulze 1987, 220f. 14 Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978, 179f. 15 Deutsche Reichstagsakten. Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559. Dritter Teilband, Bearbeiter Josef Leeb Göttingen 1999, 1470. 16 Deutsche Reichstagsakten. Der Reichstag zu Speyer 1570. Zweiter Teilband, Bearbeiter Josef Leb, Göttingen 1988, 871f. 17 Deutsche Reichsakten. Der Reichstag zu Augsburg 1582, erster Teilband, Bearbeiter Josef Leeb, München 2007, 522. 18 Schulze 1978, 75ff. 19 Schulze 1978, 368ff.

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These taxes were paid not by the ruling estates but usually by peasants and townsfolk. In order to explain the necessity of the taxes to these lower estates and to avoid uproars against over-taxation, the ruling estates commissioned, issued and tolerated pamphlets and sermons about the atrocities of the ‘Turks’ who had to be fought off by the emperor.20 Communicating the atrocities of the Turks was a means to make the subject to comply with taxes as well as to comply with the good order of the German territorial states. To achieve the latter, the Turkish atrocities were published in new numbers in the second half of the 16th century. Alleged Ottoman tyranny, contrasting the good ordering of the Imperial state, was especially emphasized. Implicit comparisons between the horrors of the Turks and the well ordered Imperial state were made to elicit support, not to criticize the means that the government took to deal with the purportedly disorderly Turks. The discourse of the Turkish threat became the driving force in the development of the modern German territorial tax state and the compliance of the subjects to the new state order. This is the reason for the increase of antiOttoman pamphlets in the second half of the 16th century.21

Anti-Turkish pamphlets and the German Oprichnina pamphlets The increase of taxes approved by the Imperial diets from 1566 on coincides with the increase of anti-Turkish propaganda in the discussions of the diets as well as anti-Turkish pamphlets. People tended to believe the atrocious stories about the Turks, because it was the information they could get quickest, and they relished in delightful horror of the atrocities. They memorized the stories because negative stories tend to stay longer in the human memory, especially when they are already familiar.22 For this reasons they also believed in the stories of the pamphlets repeating the anti-Turkish stereotypes in the light of the Livonian war and, from 1570 onwards, the pamphlets about the Oprichnina of Ivan the Terrible. From the beginning of their appearance in 1560,23 in the anti-Muscovite pamphlets the Muscovites were accused of committing typical ‘Turkish’ atrocities in Livonia, like leading people into slavery, sorting out boys for special regiments, tyrannical reign without ‘good order’, and sexualized violence against women 20 21 22 23

I use the term “Turks” in order to refer to the pamphlet discourse about Ottomans. Schulze 1978, 365ff. Daniel Kahnemann, Schnelles Denken, langsames Denken, München 2011, 370, 409f. Ein gantz erbarmlike / und eelende klage / Des armen unnd Hartgedrengden Lyfflandes / Vor etliken weken heruth in Prussen geschickt / unnd itzund rymeswyse in Druck vorfertiget. Sampt enem Klagelede der wechgeuorden Menner / Frouwen und Kindern. Dorch Johann Reinhard, Hamburg 1560. See also Kappeler 1972, 96.

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and virgins.24 The Oprichnina pamphlets are a continuation of the anti-Muscovite pamphlets from the 1560s that had developed the discourse of the Turkish threat through the use of stereotypes from the anti-Turkish pamphlets. In the second half of the 16th century, the question of taxes for the Ottoman wars was negotiated together with taxes for the Livonian war on the Imperial diets. These taxes were meant to support the wars of the Emperor in the Habsburg hereditary lands in Hungary as well as the new order of the German territorial state. The anti-Turkish pamphlets as well as the anti-Muscovite and finally the Oprichnina pamphlets were devised to support the Imperial demands for more and more cash from the lower estates of the Empire. The depiction of tyrannical order in Muscovy in case of the Oprichnina, and in the Ottoman Empire as well, served to get the moral and monetary support of the lower estates for the introduction of good order in the Empire. Of the 67 anti-Muscovite pamphlets from 1514–1701, which I have analyzed, 35 from 1560 onwards deal with the Livonian war. Five of them mention the Oprichnina. They appeared from 1570 on, three of them in 1570–1572. Kappeler already noticed the textual interrelation of the three early pamphlets. In Kappeler’s analysis the first pamphlet of 1570 appears as a source for the pamphlets appearing in 1571 and 1572.25 Still Kappeler did not attribute the textual interrelation, he fully accepts the fact that the earlier pamphlets were used as a source by later writers, but regards the three pamphlets as “important sources for the history of the Muscovite state in the years 1569–1571”.26

The Grumbach affair and the Oprichnina pamphlets A decade of public discourse about the power of the Emperor within the Holy Roman Empire preceded the publication of the first German pamphlet mentioning the Muscovite Oprichina. As Maximilian Lanzinner puts it in his work ‘Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576)’, in the 1560s the Empire witnessed two mercenary armies going rogue in the Empire’s heartlands. One of the armies had been assembled by Duke Erich von Braunschweig to defend the German towns in Livonia from Muscovite assaults. The army went plundering and looting from Münster through Saxony to Gdan´sk and back again. It was held up by an army that had been assembled by the Lower Saxon Circle according to the executive order of the 24 Schulze 1978, 57. 25 Andreas Kappeler, Die letzten Opricˇninajahre (1569–1571) im Lichte dreier zeitgenössischer deutscher Broschüren, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 19,1 (1971), 1–30, 6. 26 Kappeler 1971, 26.

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Empire (Reichsexekutionsordnung). The latter was an order that enforced decisions of the Imperial Diet through military power.27 The other incident occurred with the army of the Franconian knight Wilhelm von Grumbach that captured and looted the town of Würzburg on 4th–5th of October, 1563. Nobody intervened here, though the execution order called for it.28 Although the Emperor declared the Imperial ban on Grumbach, the latter confederated with the Duke of Saxonia Johann Friedrich II. and prepared an uprising of the Saxonian knights until 1565. Only in 1567, Imperial troops beleaguered Grumbach in Gotha and captured him there. After due process he was quartered on the market place of Gotha on April, 18th, 1567.29 The so-called Grumbach affair was one reason for an open debate about the Emperor’s authority within the realm. Grumbach’s capture of Würzburg together with his murder of his liege lord, the bishop of Würzburg, was seen as it was, a serious breach of the Emperor’s peace (Landfrieden). The emperor took Grumbach’s example to ask the imperial estates (Reichsstände) for permission to military action within the realm. On the one hand every pamphlet editor ensured his readers that a breach of the Emperor’s peace was disapproved. On the other hand, the reaction to this breach was to demand more military enforcement and intervention through the Emperor’s troops. However, the funding for these troops had to be collected as taxes, taxes that taxpayers only reluctantly paid after the imminent danger had been resolved. So, the 23.000 fl that the Emperor’s army against Grumbach in 1566 had cost, were only reluctantly reimbursed. Until 1567 only 4.000 fl. were paid.30 The Grumbach pamphlets reached all estates, bоth as published by the bishop of Würzburg and via popular songs accusing Grumbach of all sorts of atrocities including robbery and bargain with the devil.31 They were put to the same use as the anti-Turkish pamphlets that were published to convince the taxpayers of the necessity for the Türkenpfennig, a contribution to the Emperor’s wars against the Ottomans. After the news from the Ottoman front receded due to the victory of the European powers at the naval battle of Lepanto in 1571 and the relative quietness at the battlefields in Livonia at the same time, the anti-Muscovite pamphlets were put to the same use.32 27 Maximilian Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576) (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 45), Göttingen 1993, 24f. 28 Lanzinner 1993, 25. 29 Lanzinner 1993, 51ff. 30 Lanzinner 1993, 70f. 31 Ein schoen new Lied / von den Thewren Helden Wilhelm von Grumbach. Jm thon / Vom Ritter aus der Steiermarck, o. O. 1566. 32 Soldat 2014, 209.

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The texts written and published on behalf of the Grumbach affair were collected and published as a whole book of more than 300 pages by the new bishop of Würzburg, Friedrich, in 1565.33 Like a mantra Friedrich repeats Grumbach’s crimes and murder of Bishop Melchior of Würzburg. He also has all texts heavily annotated. Grumbach’s letters are annotated in a way that makes clear where the author is wrong or lying, while the Bishop’s letters as well as the parts of his auctorial text between all letters have affirmative annotations. In this way, from the beginning to the end the readers get instilled with Grumbach’s guilt. Also, Friedrich added an introduction as well as a conclusion explaining all Grumbach’s crimes that frame the letters and comments of the letters he presents. Every once in a while he repeats that Grumbach’s crimes were tyrannical or ‘Turkish’, thus associating his own work with the publicistic works of his time. With his preface, Friedrich also integrates his edition of the Grumbach papers into the cautionary discourse of the German Empire. Many pamphlets were written with an educational purpose, to give the public bad examples in order to keep them calm within the good order of the Empire. “Proverbiorum My child, when the bad boys lure you do not follow. When they tell you to go with them and that they wanted to lurk for blood and pray on the innocent and they wanted to devour them alive like hell as well as the pious as they go down to the pit. They say they wanted to find big property and fill their homes with robbed goods. If you dare to it shall be a bag to all of us. My child, do not join those. Struggle your foot from their path as their feet go to the evil and are rushing to spill blood.”34 (My Emphasis, C.S.)

Friedrich’s preface has the same tone as the preface of the first Oprichnina pamphlet, printed in Leipzig, in 1570. “The real new tiding of the cruel enemy of Christianity the Muscovite how he received and held his Majesty’s delegates and their merchants and fellow travelers in Poland. How he personally desolated his own cities and lands and treated their noble and unnoble inhabitants and farmers despicably and miserably. 33 Deß Friederichen Bisch. Zu Würtzburg […] Verantwortung […] des schand und lasterbuch, welches [.. ]. Wilh. von Grumbach […] und Ernst von Mandesloe […] in Truck außgehen […] lassen, o. O. 1565. 34 Prouerbiorum1. Mein Kind / wann dich die bösen buben locken / so folge nicht / Wann sie sagen / gehe mit uns / wir wöllen auff blut lauren / unnd dem unschuldigen on ursach nachstellen / wir wölle sie lebendig verschlingen wie die hell / unnd die frommen / als die hinunter inn die gruben faren / Wir wöllen groß gut finden / Wir wöllen unsere Heuser mit raube füllen / Wage es mit uns / es sol unser aller ein beutel sein / Mein Kind wandel den weg nicht mit inen / wehre deinem fuß vor irem pfad / dann ire füß lauffen zum bösen / unnd eylen blut zuuergiessen. The last sentence refers to Psalm 1 adapted to the times. I am indebted to David Goldfrank for this reference. IBIDEM, unpaginiert. Online available under steady url: urn:nbn:de:bvb:12bsb10153077-8, accessed 6. 5. 2018. All translations from the Early New High German: Zinaida Soldat.

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Printed for the pious German reader as a warning and improvement in 1570. Printed in Leipzig.”35 (Emphasis mine, C.S.)

This pamphlet, printed in Leipzig in 1570,36 has a telling title mentioning its function in the Empire: ”Dem frommen deudschen Leser zur warnung und besserung in druck verfast – Printed for the pious German reader as a warning and for his improvement”.37 The title of the pamphlet also tells of the new setting of the stories. The atrocities that the tsar committed in Livonia are now set in his own land: wie er etliche siener [sic] eignen Sted unnd Landschafften selbst Persönlich verwüstet unnd mit dero Einwonern / Edlen und Unedlen / Bürgern und Bawren gantz jemmerlich unnd erbermlich umbgangen hat.38 (”How he devastated some of his own towns and countries in person and handled his own inhabitants, nobles and base people, burghers and peasants in a lamentable and pitiful way.”) The pamphlet contains four pages and states in its headline that it will tell of the “cruel foe of Christianity, the Muscovite” and how he received a Polish embassy. In a second paragraph the headline states that it tells about how “he” played havoc with towns and regions and their inhabitants.39 The text states that it is a copy of a letter that the Captain of Orsha sent to the Polish King.40 The Captain himself states that an eyewitness by the name of “Jarmula Andretziewitz”,41 a former Polish captive in Muscovy, told him about 35 Warhafftige Newe Zeitung vom grausamen Feind der Christenheit dem Moscowiter / wie er der Kön. Maiestat in Polen Abgesandten / und zugleich jre Mitgeferten und Kauffleut emjpfangen und gahalten. Item / wie er etliche siener [sic] eignen Sted unnd Landschafften selbst Persönlich verwüstet unnd mit dero Einwonern / Edlen und Unedlen / Bürgern und Bawren gantz jemmerlich unnd erbermlich umbgangen hat. Dem frommen deudschen Leser zur warnung und besserung in druck verfast geschehen im Jar / 1570. Gedruckt zu Leibtzich. 36 The following paragraphs rely on the description made in Cornelia Soldat, Looking up what others wrote. Eyewitnesses and literary relations in 16th-century German pamphlets about Ivan the Terrible’s Oprichnina, in: Canadian-American Slavonic Studies (2019) (forthcoming). 37 Warhafftige Newe Zeitung vom grausamen Feind der Christenheit dem Moscowiter / wie er der Kön. Maiestat in Polen Abgesandten / und zugleich ire Mitgeferten und Kauffleut empfangen und gehalten. Leipzig 1570. 38 Warhafftige Newe Zeitung vom grausamen Feind der Christenheit dem Moscowiter / wie er der Kön. Maiestat in Polen Abgesandten / und zugleich ire Mitgeferten und Kauffleut empfangen und gehalten. Leipzig 1570. 39 Kappeler 1971, 6, quotes from a longer reprint dated Leipzig 1571 copies of which are kept in the Zentralbibliothek Zürich and the GPB Leningrad. Our copy was printed in 1570 and is kept in Staatsbibliothek zu Berlin. 40 On editor-fiction and authorship in German pamphlets see Soldat 2014, 262ff. 41 On the identification of “Jarmula” see Kappeler 1971, 6f. Thereby Kappeler assumes also indirectly that a) eyewitnesses who tell the same stories saw the same events and that b) the printing of these events after letters and tales of eyewitnesses are more reliable than works with a “historical” focus. With this assumptions Kappeler repeats assumptions of ancient and modern historians who believe more in what somebody saw with his own eyes than what

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the events in Muscovy. First he tells that the Polish embassy was received very rudely and had to pay for their subsistence in Moscow while the “Grand Prince” – this is the name the German pamphlets give the Muscovite tsar Ivan IV. – was abroad. Then the captain states that Jarmula was present when the Grand Prince with his army captured the towns of “Nowogrodt, Torks, Wierss, Perskow, and Torzhek” on the grounds that the inhabitants had been in contact with the Polish embassy and had therefore aroused suspicion of treason. In the towns he murdered and tortured nobles, monks, and others. Only Pskov was spared because “Fürst Görg” begged him. Further the Grand Prince tortured seventy nobles by sitting them on oxen with spiked saddles. He had built his own court in Jazimowitz where he received embassies and also gathered his army for an assault against Smolensk. This pamphlet is important for the study of Russian and German history in several ways. At first it is the first written source dateable to 1570 or 1571 that mentions the Oprichnina of Ivan IV. The term ‘Oprichnina’ refers a) to a part of the Muscovite state that Ivan IV set apart for himself in 1564–1572, as opposed to the rest of the land, the Zemshchina, and b) to the implementation of a state policy that included a secret police, mass repressions, public executions, and confiscation of land from Russian nobles.42 In this sense, the term occurred relatively late in Russian original sources.43 According to Nancy Kollmann, who describes Oprichnina violence as an extraordinary example during her examination of the Muscovite judicial system, the Russian chronicle accords about the Oprichnina were written “anywhere from decades later to the early and even late seventeenth century”. Also, Prince Kurbskii’s ‘History of the Grand Prince’ was written no earlier than 1573, after the Prince’s defection to the Polish-Lithuanian Commonwealth.44 So this pamphlet, appearing in Leipzig, 1570, is the oldest written account of Ivan’s Oprichnina atrocities that historians hitherto know of. Although it apparently describes a situation in Muscovy in 1570, it appears in an environment, the Electorate of Saxony, that opposed the Emperor in the Grumbach affair by granting Grumbach asylum in Gotha. The pamphlet describes an inverted story can be read in texts. On a critical view of eyewitnesses in historical writing see Soldat, 2019 (forthcoming). 42 Slovar‘ Russkogo jazyka XI–XVII vv., vyp. 13, Moskva 1987, p. 45. Slovar’ drevnerusskogo iazyka (XI–XVI vv.), Tom VI, Moskva 2000, 146–147 has the term oprishnyi but not in the sense that it received later. 43 On the appearance of the term “Oprichnina” in Russian sources see Charles Halperin, Contemporary Russian Perceptions of Ivan IV’s Oprichnina, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 18, 1 (2017), 95–124. 44 Nancy Shields Kollmann, Crime and Punishment in Early Modern Russia, Cambridge 2015, 311.

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of the Grand Princes’ already reported violent atrocities and sexual assaults. But now he exercises them in his own land. In the description, there are obvious parallels to Grumbach’s atrocities with slight exaggerations.45 Grumbach attacks one town governed by a bishop, Würzburg, the Grand Prince attacks Novgorod, the see of an archbishop, and several other cities. The second-oldest pamphlet on the Oprichina appeared in Frankfurt/Main in 1572 and tells of the murder of the archbishop of Novgorod by the Grand Prince. As Grumbach forgets his own legacy and kills the bishop of Würzburg, the Grand prince, too, kills the archbishop of Novgorod. Grumbach loots monasteries, so does the Grand Prince. Friedrich of Würzburg introduces Grumbach’s crimes as follows: “Thus the obviously intentional rioters, breachers of the peace and professed proscribers Wilhelm von Grumbach, Ernst von Mandeßloe and Wilhelm vom Steyn on the 16th of September of the recent 63rd year to alleged embellishment of the highly illegal breach of the Emperor’s peace which, as the highest violation, contempt and reduction of the Roman Emperor and his Majesty as well as their reputation, dignity and authority leads to the destruction of the highest judiciary of the Holy Empire, all of the legal rules, constitutions and legislation that stand against the breach of the Emperor’s peace and its order of execution in current undiscussed law as willful tyrannical rebels and rioters through fast and holy treacherousness of unwarned things, as well as unexpected honors, through violent attack, capture, rape and scavenging of our city Würtzburg, because of that several poor innocent citizens miserably shot and murdered, additionally noble women, virgins and noble underage foster children against whom all noble and honest came, all their money, clothes, necklaces, jewelry and all belongings they dismantled and took with them without sparing any.”46 (Emphasis mine, C.S.)

45 Soldat 2014, 196ff. 46 Demnach die offenbare / mutwilligte Auffrürer / Landfridbrecher und erclerte Echter / Wilhelm von Grumbach / Ernst von Mandeßloe / unnd Wilhelm vom Steyn / unter dem Dato den sechzehenden Septembris / des nechstverlauffenen drey unnd sechzigsten jars / zu vermeynter beschönung / des verbotnen hochstrefflichen Landfridbruchs / welchen sie die angemaste Reichs unnd Landzwingere / zu höchster verletzung / veracht und verkleinerung / der Röm. Keys. unnd König. Maye. derselbigen Reputation hochheyten und Autoriteten / auch zu gentzlicher vernichtung der höchsten Justitien im heiligen Reich / allen Reichssatzungen / Constitutionen / Abschieden / dem vernewerten Landfriden / und desselbigen Executionsordnung gentzlich zuentgegen / in werendem unerörtertem Rechten / als mutwillige / fürsetzliche / Tyrannische Rebellen unnd Auffrhürer / durch geschwinde / heiliche verretereyen ungewarnter ding / auch unverwarter ehren / durch gewaltthetige uberfallung / einnemung / vergweltigung und blünderung unserer Stadt Würtzburg / darob etliche arme / unschuldige Burger jemmerlich erschossen und umbgebracht / dazu auch edler Frawen / Jungfrawen / und edler unmündiger pflegkinder / denen wider alles adeliches und ehrliches herkommen / all ire Barschaft / kleider / kleynoter / ketten / geschmuck / auch hab unnd gut abgeraubt und weggenommen / nit. Deß Friederichen Bisch. zu Würtzburg […] Verantwortung, 1r–1v.

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Friedrich keeps a certain order in his accusations. First he mentions the breach of the Emperor’s peace and of the execution order. Then he accounts for lesser crimes that become more palpable for the reader. From tyranny and treachery he comes to the violent attack and scavenging of the city of Würzburg, to the murder of citizens, “noble women, virgins and noble underage foster children” to the robbery of money, clothes, and jewelry. An introduction with the same order is given in the pamphlet Leipzig 1570: “It was reported about the Muscovite that he should there have been treacherousness in cities of houses he had it looked at and should they have dealt with the delegates and were angry at those. Because this treacherousness in Nowgorod as the big city is called (for it is very rich and thus a beautiful city) was found and reported to the Muscovite he would soon have made his way with forty thousand men and first moved to Weirtz and strangled the nobility and citizenry as well as the poor people […] From Torskaw he proceeded to the city called Novgorod and ordered the noblest citizens and merchants whose names were listed out to him in a final number of three and a half hundred people. As they had now come he had from the hour started to have them beheaded in front of his eyes. Soon he had also called the nobility to him and killed them in the same way but with a lot of them he treated in a more tyrannical and cruel way by putting them into a hot oven or had some other strange and terrible martyrdom done to those. He demanded all monks from the monasteries and only left one monk in every monastery; the other one and a half hundred he had executed and took all their treasure including bells from the monasteries. Finally he had the soldiers go into the city and had every remaining man, woman and child despicably murdered and ordered not to bury any body, but to throw them all into the water Wolawia. In front of and inside of the city Nowogrod he had spent seven whole weeks. The whole surrounding land pillaged. All of the gold and silver, and the monastery’s decoration he had collected from those rich lands he had brought to Alexandriam Slobodi.”47 (Emphasis mine, C.S.) 47 Dem Moscowiter war bricht worden / als sollte in gemelten Stedten unnd Hausern / sich einer verretherey erreget haben / und sich haben ansehen lassen / als hetten sie an E.Rön. Mai. Ihre gesandten abgefertiget / unnd dero sich zuergeben erbotten. Weil denn diese verretherey zu Nowogrod / so die grosse Stadt genennet wird (denn sie fast reich / unnd derselben landsart nach / eine schöne Stadt ist) verzeichnet funden / unnd dem Moscowiter were zugeschickt worden / habe er sich als bald mit wierzig tausent mann aufgemacht / unnd erstlich auff Weirtz zugerückt / alda denn Adel unnd gantz Bürgerschaffs durchaus erwürgen / und auch die armen leut […]Von Torskaw ist er auff die Stadt / Gros Nowogrod genant / verrücket / daselbst für die Stadt / sich gelegert / und die fürnembsten Bürger und Kauffleut / deren Namen mir auffgezeichnet / zustellete / in anzal auff drithalb hundert Personen herauß zu sich gefordert. Da sie nu kommen / hat er sie von stund an / unuerhörter sachen vor seinen augen / entheupten lassen. Bald darauff hat er auch den Adel desselbigen kreis / zu sich beruffen / sie gleich fals alle umbracht / doch mit etlichen ist er Tyrannischer unnd grewlicher umbgangen / in dem er sie / nemlich hat in fewrige ofen setzen / oder sonst mancher ley / sonderliche unnd erschreckliche marter jnen anthun lassen. Aller Münche hat er auch auß dem Klöstern gefordert / und nur in einem jeden gelassen einen Münch / die andern / seind anderthalb hundert gewessen / hat er hingericht / unnd allen schatz sampt den glocken auß den Klöstern genommen. Endlich hat er

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The order is the same: first treachery, then tyrannical behavior. In this case, the perpetrator is the ruler himself, not a subject revolting against a liege lord. When it comes to the looting of the city of Novgorod, the violation against the population is told in the same order as in the Grumbach pamphlet: first the nobility and the merchants are killed, then women and children are murdered, in the end gold and silver is looted. Several times we find in the Grumbach pamphlets the insertion of the sacking of monasteries, though not in the introduction.48 The Oprichnina pamphlet is more outspoken when it comes to the description of events and atrocities but the order in which they are told is the same as in the Grumbach introduction. This order lies at the basis of the pamphlet, microstructuring the sequence of the events, while in the details it tells more elaborate stories. This is easily explained, as events coming from Muscovy had already been printed in bloodiest details, and they could not as easily been proven as events in the city of Würzburg in the middle of the Empire. However, the events narrated in the Oprichnina pamphlet were so extraordinary that they had to be framed by two editor’s fictions.49 The pamphlet of 1572 was printed in Frankfurt am Main at the Workshop of Nicolas Basse.50 Kappeler regards the author as an eyewitness who lived in Moscow at the time when the events took place, proven by the correct spelling of names.51 Possibly, the author simply had some Russian. Our analysis shows a strong dependency of this pamphlet from the one that appeared in Leipzig in

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das Krigs volck in die Stad heissen rucken / unnd alles was noch ubrig gewesen von Mann / Weib und Kind jemmerlich lassen ermorden / auch darneben ernstlich befohlen / kein Cörper zubegraben / sondern alle in das wasser Wolawiam zuwerffen. Vor unnd in dieser Stad gros Nowogrod genant / hat er mit seinem Kriegsuolck sieben gantzer wochen zubracht. Das gantze land umbher geplundert unnd verherget. Was von Gold / Silber Klöster geschmuck / und andern herzlichen wahren und gütern / er auß dieser reichen landt art zuammen gerafft / hat er alles mit einander gen Alexandriam Slobodi füren lassen. Warhafftige Newe Zeitung vom grausamen Feind der Christenheit dem Moscowiter / wie er der Kön. Maiestat in Polen Abgesandten / und zugleich ire Mitgeferten und Kauffleut empfangen und gehalten. Leipzig 1570. Deß Friederichen Bisch. zu Würtzburg […] Verantwortung, 151v et passim: “The proscriber and his kind kept on violating several of our monasteries, poor people and churches when leaving the city without him ever being stopped by one of his followers.” “Although it is not insignificant that a lansquenet pillaged the churches in Newenmünster in such a sacrament violating manner by amongst other things spilling the holy sacrament onto the floor should die it was the same one who did not die in the way Grumbach ordered – streched on the wheel – but shot himself in his inn at his table.” Soldat 2014, 312–318. Eigentliche Warhafftige Beschreibung […]. Kappeler 1971, 7f. knows of a short version “Kurtze glaubwürdige Zeitung / unnd Summarische Verzeichniss deren verloffenen Geschichten unnd handlung / so sich newlicher zeit dess LXX. und LXXI. Jars in der Moscow und Reusslandt begeben” that is kept at the Herzog AugustBibliothek in Wolfenbüttel. The longer version is available on the internet from the University of Tallinn: http://dspace.utlib.ee/ dspace/handle/10062/28300, accessed Dec 7, 2016. Kappeler 1972, 41.

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1570.52 It is also probable that the author of the text used Italian sources, as Kappeler already suggests.53 The pamphlet contains 29 pages and begins with listing the title of the Grand Prince. Then it reports the assault of Novgorod, afterwards of Tver’. It tells about cruel torture and rape of women and children and the murder of the Bishop of Novgorod. There follows a narrative about the sacking of Narva and Pskov, the murder of Tatars in the Grand Prince’s army by the Grand Prince himself. After that follows an episode about the sparing of Pskov because of the prophecy of some ‘Nicola’ who led the Grand Prince into penitence ‘until Pentecost’. Afterwards, the Grand Prince resumes his usual torturing of people. A part about famine is followed by the tale of how the Grand Prince came to Moscow with two people sewn in bears’ hides and riding on oxen before him and how he received the Polish embassy, this part certainly coming from the pamphlet printed in Leipzig 1570. Then the pamphlet tells that the Grand Prince teaches his eldest son to murder Polish prisoners. Afterwards it tells about the arrival of Duke Magnus in Moscow, of his reception and his marriage to the Grand Prince’s niece. Magnus’ departure is followed by another episode of bloody torture and murder, this time in Moscow. As reason for this episode the pamphlet gives a Tatar raid in Moscow and the Grand Princes’ suspicion that his subjects had supported the Tatars. Now follows an episode about famine and pestilence in Moscow, and a successful Tatar raid that leads to a description of the town of Moscow. The Grand Prince afterwards supports Duke Magnus’s assault on Reval. The pamphlets ends by quoting a ‘Gewisse Zeitung’ of a certain ‘Georg Wyssval’ from Narva about the relationship between Muscovy, Poland and the Tatar ‘Emperor’. This last letter is the only part of the pamphlet that qualifies directly as an eyewitness account, by Georg Wyssval. This pamphlet has the ‘Grand Prince’ perverting religion by looting and murdering monks, as Friedrich tells in one of his longer accusations: “And it does not seem that far off that the proscriber went to our city Würzburg silently, intentional and at night. Still, in the same night he showed himself as calm and amicable that despite that a lot of our citizens were shot and despicably murdered without distress or resistance and the rest, all clergy also those from nobility and a lot of monasteries, churches and castles were taken hostage and pillaged according to the contract […]54

52 For proper detail see Soldat, 2019 (forthcoming). 53 Kappeler 1972, 43. 54 Unnd mag nicht on sein / das der Echter / still / unversehenlich unnd bey der nacht für unser Stat Würtzburg gezogen ist / Aber inn einnam derselben / hat er sich also still unnd gütlich erzeygt / das dannocht vil unser armer unschuldiger Burger / on alle not oder gegenwehr / durch ihne erschossen / unnd jemmerlich ermordet / den uberigen die wehren genommen / alle

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Now that he had pillaged the whole city, had imprisoned and killed all nobility, he had also visited the monasteries and pillaged those in the same way. He let three hundred monks bound with their backs onto sleighs and let them sleigh around. After that he let them spend the whole cold winter night outside and hit them on the head with a club before throwing them into the water the following morning.”55 (My emphasis, C.S.)

Here, too, the Muscovite pamphlet has the more curious details and atrocities to report, but it also tells the same story in nearly the same order as the Grumbach pamphlet. The same is true for the murder of the bishop that the Oprichnina pamphlet inserts into the story. “With this he had not yet satisfied his bloodthirsty and revenging heart or lost his courage but had his liege lord Bishop Melchior killed by a bloody group whom he paid, stole from, ordered and disposed in his Hofleger in Würzburg. He was killed with two honest noblemen Wolff Carl von Wenckheim and Jacob Fuchs von Wunfurt. There is nothing more tyrannic, treasonous and malicious than shooting someone despicably and murdering them is more than well proven with Grumbach’s own writings, accusations and avowals.56 Because the bishop talked to him and said whether he could do more than have innocent people killed without mercy, he answered that as grand duke he made bishops and popes but the bishop himself had not made any grand dukes. He had the bishop cruelly thrown into the water to show him that he was above him.”57 (My emphasis, C.S.)

It is the event of the killing of the bishop after looting his city and murdering the population that shows the deep similarity between Grumbach’s deeds and the Grand Prince’s in this pamphlet. Ascribing the negatively exaggerated form of Geystliche / auch denen vom Adel und viler Burger Höfe / Clöster / Kirchen / inn / und nach dem vertrag geblundert […] Deß Friederichen Bisch. zu Würtzburg […] Verantwortung, 151f. 55 Da er nun die gantze Statt geblündert, die fürnembsten gefangen unnd umbracht / hat er die Clöster allda auch gleicher massen visitirt und wolgeblündert / Auch bey dreyhundert München auf den rucken an Schlitten bunden / unnd mit inen umbher jagen lassen / Darnach hat man dieselbigen die gantze lange nacht im kalten Winter also gebunden ligen lassen / und auff den zukünfftigen morgen mit einer Keulen für die Köpff geschlagen / und ins Wasser geworfen. Eigentliche Warhafftige Beschreibung, 56 Daran hat er aber sein blutdürstig / rachgirig hertz nicht ersettigen / noch seinen mut gnugsam erkülen können / Sonder er hat für das vierdt / seinen Lehenherrn weylund Bischof Melchiorn / durch ein blutige heckermessige rott / die er mit gelt darzu erkauffft / bestelt / auß unnd abgeferrigt / in seinem Hofleger der Stat Würtzburg / sampt zweyen ehrlichen des Adels / Wolff Carln von Wenckheim / und Jacoben Fuchsen von Wunfurt / Verretherischer / Tyrannischer / Türckischer weiß jemmerlich erschiessen / ermorden / unnd umbbringen lassen / wie solches alles hernach zum aller uberflüssigsten / auch mit des Grumbachs selbst eignen schrifften / bekantnussen / unnd schuldiggebungen / mehr dann gnugsam dargethan. Deß Friederichen Bisch. zu Würtzburg [] Verantwortung, 98. 57 Da aber der Bischoff allda ihme zugeredt / ob er auch was mehr kündte / dann die Leut so jämmerlich one erbarmung umb ihr leben bringen zulassen / darauff er geantwortet / Ja er habe als ein Großfürst macht / Bapst / Bischoff / und dergleichen zuwehlen / aber sie hergegen keinen Großfürsten / Damit er aber sehe / das er macht uber in als ein Bischoff hab / hat er ihn Tyrannischer weiß ins Wasser werffen lassen. Eigentliche Warhafftige Beschreibung.

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rulership, normally called ‘tyrannical behavior’, to the ruler of a foreign country that the Empire was at war with, was a means to discuss rulership and its limitations within the Empire. The foreign rulers were used as negative allegorical examples for the introduction of good rulership. The form of allegorical argument used in the pamphlets prevented the printers from being persecuted for a crime against the crown.

Summary and Prospect Oprichnina pamphlets depict the anti-Turkish stereotypes that were already known from the Livonian war as happening in Muscovy. The pamphlets report looting and taking the booty to the Aleksandrovskaia sloboda. The atrocious murders of men, women, and children are stereotypes of violent behavior in enemy land. When the pamphlets tell that the tsar has boys driven to Aleksandrovskaia sloboda with whips, they recall the anti-Turkish stereotype of conscripting boys into the Janissaries’ regiments. The stereotypes familiar from anti-Turkish pamphlets are applied to Muscovy and Muscovite interior politics. This is confirmed in the title announcing the narration of atrocious stories for the cautioning and improvement of the German readers. It also conforms to the aim of the anti-Turkish pamphlets to accustom the population to anti-Turkish taxes, enforcing the new orders of the territorial states. For this purpose, the pamphlet reports numerous atrocities that the tsar ‘in person’ does to his subjects, regardless of estate. In a carnevalesque description, the hierarchical Muscovite order becomes reversed; the tsar kills nobles and peasants, women and children, even church hierarchs without exception. The ‘good order’ in Muscovy is depicted as under threat of a tyrant and as an implicit opposition to the ‘good order’ of the Empire that can be saved by paying taxes to the Emperor who defends the borders against the enemies. The Oprichnina pamphlets that first appeared in 1570 and 1572 are the oldest known sources for the Tsar’s atrocities at all, be they in German, Russian, or any other language. It is intriguing that some years after the resolution of the Grumbach affair and at a high point of the discourse within the Empire of whether a standing army for policing the realm should be established and how it should be financed, they appeared as another voice within the debate. Written in a time when no other news from the Eastern or Southern battlefields arrived, and when, according to Edward Keenan, in Muscovy Ivan IV had retired to a widows’ or elders’ part in the territory called ‘Oprichnina’,58 the pamphlets gave the discourse in the Empire a new drive. 58 Edward L. Keenan, The Privy Domain of Ivan Vasil’evich, in: Chester S. L. Dunning/Russell

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They also continue the pamphlet discourse of the Empire and especially into the pamphlet discourse of the Grumbach affair. As could be shown in the analysis of the microstructure of Bishop Friedrich’s introduction to his book and the introduction to the two pamphlets, the texts follow mainly the same structure. Whether or not all descriptions of war atrocities were structured in a similar way, we may assume an intertextual parallel in accordance to the overall parallel of the looting of a city and murder of the bishop. Many of the Oprichnina atrocities can be explained by the vivid phantasy of the authors.59 In the pamphlets, the ‘Grand Prince’ is accused of the breach of the Emperor’s peace. In the disguise of a Muscovite Grumbach’s crimes could be depicted more explicitly and vividly. Many elements of Grumbach’s crimes can be found in the Oprichnina pamphlets, like the murder of the bishop, unjust executions over a creek, robbery of fish, and the plundering of towns in the own land. In the end, the Oprichnina pamphlets tell us of an order that is upside down and carnevalesque. In this way, they speak allegorically about Grumbach’s breach of the Emperor’s peace. By projecting the breach of peace into a distant and exotic land, the editors gave their readers both political debate and delightful horror of the depicted violence and atrocities. On the other hand they channeled the debate in order that the recipients voted for good order within the realm and therefore complied to every law that was enforced to keep the Empire quiet.60 Another reading of the Oprichnina pamphlets is as a warning against too much power for the Emperor within the executive order of the Empire. The depiction of a tyrant in a distant land having his own policing army, looting towns and murdering reigning church figures shows the dangers inherent in the power of the ruler within the Empire. The use of an allegory prevents the printers from being sued for treason. This last interpretation gives even more sense to the last Oprichnina pamphlet that came out in 1582 and has an editor “Georg vom Hoff,61 Schösser zu S. GeorE. Martin/Daniel Rowland (eds.), Rude and Barbarous Kingdom Revisited. Essays in Russian History and Culture in Honor of Robert O. Crummey, Bloomington, IN 2008, 73–88. 59 Hugh F. Graham, How Do We Know What We Know About Ivan the Terrible? (A paradigm), in: Russian History 14 (1987), 179–198, 198. 60 Soldat 2014, 210. 61 Georg vom Hoff is mentioned as Schösser in St. Georg at about 1580 in: Johann Martin Schamel, Historische Beschreibung von dem ehemahls berühmten Benedictiner-Kloster zu St. Georgen vor der Stadt Naumburg an der Saale: Aus unterschiedenen Schrifften zusammen getragen, mit nöthigen Diplomatibus, beygefügten Anmerckungen und verschiedenen Kupffern versehen, welche zum Voraus der Historie einiger Thüring: u. a. Klöster darlegen wollen, Joh. Martinus Schamelius, Pastor Prim. Numb. Am Ende erscheinet Georgii Groitzschii libellus continens Salae fluvii descriptionem mit verschiedenen Verbesserungen, Naumburg 1728, 89. Vom Hoff was Schösser since 1576 and is buried beneath the baptismal font of Moritz church. Ibid. 1200.

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gen vor Naumburg”.62 The pamphlet gives a master narrative of the Oprichnina with a beginning, a climax and a proper ending. The editor serves as a clue why it has been written. A ‘Schösser’ in early modern Germany was a tax collector, so the association with new taxes is suggested by the very name of the editor and is also associated with the depiction of atrocities. The toponym “zu S. Georgen vor Naumburg” sets the emergence of the pamphlet in Saxonia. The Duke of Saxonia was one of Grumbach’s strongest supporters and supported his army for years, giving Grumbach the time to plan his revolt and recruit followers. Apparently, in Saxonia there were people who preferred to restrict the Emperor’s powers within the realm rather than expand them. The use of the Oprichnina was as a projection of the dangers that could occur if a ruler received more power and a standing army. It would disturb good order and even interfere into religious affairs. The audience in the Holy Roman Empire could certainly decipher the purpose of the pamphlets. In regard to the ruler, people knew how he had to behave and where the limits of his power were. The limits of the ruler’s power are signified by ‘tyrannical behavior’, the punishment of subjects without due process, the punishment of nobles regardless of their rank, the application of too much cruelty and cruelties that people could not bear as e. g. cutting up women and babies. The cautioning of the Oprichnina pamphlets is comprehensible within the discourse of the Empire: if the Emperor gets policing powers in the realm and the money to maintain a standing army according to the execution order – who would prevent him from acting tyrannically within the Empire? As Grumbach’s example showed, the hierarchical bonds between people and estates had to be maintained or the Imperial peace would seriously be offended. All this is true to the discourse of power within the Holy Roman Empire. The estates had to limit the power of the Emperor in order to maintain good order and peace. They used an open discourse within the pamphlets and on the Imperial diets for this. They could use the allegorical example of the well-known ‘Grand Prince’ of Muscovy, the news of whose autocratic power had been spread in print since the publication of Sigismund of Herberstein’s ‘Moscovia’ in 1556.63 The allegedly autocratically ruling Tsar of Muscovy could be used to set an example of tyrannical behavior, the behavior of a ruler whose power was not limited in 62 Erschreckliche / greuliche und unerhorte Tyranney Iwan Wasilowitz / itzo regierenden Großfürsten in Muscow / so er vorruckter Jar an seinen Blutsverwandten Freunden / Underfürsten / Baioaren und gemeinem Landtvolck unmenschlicher weise / wider Gott und Recht erbermlich geübet. Den jenigen / welche seines theils / und sich böser meinung an ihnen zubegeben willens / zur warnung in druck verfertigt. o.O. 1582. 63 Sigmund von Herberstein, Rerum Moscoviticarum Commentarii, Antverpia 1557. See also the online version Rerum Moscoviticarum Commentarii. Synoptische Edition der lateinischen und der deutschen Fassung letzter Hand, Basel 1556 und Wien 1557, Munich 2007, in Latin and Early Modern German on the internet: https://www.dokumente.ios-regensburg.de/ publikationen/Herberstein_gesamt.pdf (accessed 02. 04. 2019.)

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foreign policy, as could be seen in the pamphlets of the Livonian war, or in his own country, where, as the Oprichnina pamphlets suggested, he could police his country according to his own cruel will. Certain historians today argue that this image of the tyrannical or despotic Muscovite rulership was rather due to the performance Muscovites gave before foreigners, e. g. Herberstein, than to reality. The limits of the power of the Muscovite Tsar are well known now,64 as is the dread that Muscovites had for cruel punishment as it was used in the West, e. g. quartering.65

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Underfürsten / Baioaren und gemeinem Landtvolck unmenschlicher weise / wider Gott und Recht erbermlich geübet. Den jenigen / welche seines theils / und sich böser meinung an ihnen zubegeben willens / zur warnung in druck verfertigt, o.O. 1582. Schamel, Johann Martin, Historische Beschreibung von dem ehemahls berühmten Benedictiner-Kloster zu St. Georgen vor der Stadt Naumburg an der Saale: Aus unterschiedenen Schrifften zusammen getragen, mit nöthigen Diplomatibus, beygefügten Anmerckungen und verschiedenen Kupffern versehen, welche zum Voraus der Historie einiger Thüring: u. a. Klöster darlegen wollen, Joh. Martinus Schamelius, Pastor Prim. Numb. Am Ende erscheinet Georgii Groitzschii libellus continens Salae fluvii descriptionem mit verschiedenen Verbesserungen, Naumburg 1728. Warhafftige Newe Zeitung vom grausamen Feind der Christenheit dem Moscowiter / wie er der Kön. Maiestat in Polen Abgesandten / und zugleich ire Mitgeferten und Kauffleut empfangen und gehalten, Leipzig 1570.

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Die Legitimationsfrage der Moskauer Herrscher während der ‚Zeit der Wirren‘

Diana Ordubadi

Die Berufung zur Herrschaft 1598 und die Legitimation des Zaren Boris Godunov

Abstract In 1598, Feodor Ioannovich, the last Rurikid tsar, passed away without leaving an heir or designating a successor. The state found itself under the threat of a historically unfamiliar, thus dangerous interregnum period. The Assembly of the Land (Zemsky sobor) initiated by Patriarch Jov elected Boris Godunov, brother-in-law of the deceased tsar, as a new sovereign. This candidature was controversial from the very beginning. Though Godunov gained support of the Russian Orthodox Church and service class people, he could not expect the Royal Council (Boyar Duma) to swear unconditional allegiance to him. The Council considered other candidates for the Moscow throne, descended from more honorable families and more closely related to Rurikids. To found a new dynasty, Godunov had to rely on a principle later called charismatic legitimate rule by Max Weber. The essential argument in Godunov’s favor was the unbeatable dramatization of the fact that he was elected by God (his bogoizbrannost’): the references are representing participants of the 1589 election assembly as a ‘nationwide quantity’ of delegates of all Russian estates who unanimously appealed to Boris to do God’s will and accept the ‘heavy burden’ of the reign. Two variations of an approved charter (utverzhdennaya gramota) about Boris’ election to the throne were preserved: the first one is dated July 1598, and the second one, August 1, 1598. The contemporary researchers however assume the second variation to be composed much later, most probably in February 1599. The first variation had apparently been drawn up by the Patriarch to support the candidature of Boris Godunov which, at that time, had not been established. The second document is much more elaborate: it was already composed after the coming to the throne of the new tsar. Consequently, the report focuses on the consideration of these two versions of the approved charter in order to try to gradually restore Boris Godunov’s behavioral scenario which legitimized his affirmation as a tsar not only in the opinion of the Russian Orthodox Church, but also in the eyes of the Royal Council, as well as among the noblemen and common people. Particular attention is paid to the mechanisms of the dramatization of “God’s will”, to the value that the Byzantine heritage had for the Moscow tsars and their understanding of their power.

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Zum ersten Mal tauchen die Worte velikaja smuta im Sinne einer großen Verwirrung in den Quellen1 als Umschreibung der Situation im Moskauer Staat nach dem Tode des Zaren Fedor, des Sohnes von Ivan dem Schrecklichen und dem letzten Moskauer Herrscher aus der Rjurikiden-Familie, auf. Fedor hinterließ kein Testament und bestimmte auch keinen Nachfolger, was das Land in den bisher unbekannten Zustand eines Interregnums versetzte. Und obwohl es Boris Godunov infolge eines äußerst geschickten Taktierens erfolgreich schaffte, 1598 zum rechtmäßigen Zaren und Herrscher gewählt zu werden, gilt das Jahr seiner Thronbesteigung in der russischen Geschichtsschreibung als offizieller Anfang der krisenhaften Smuta, also der sog. ‚Zeit der Wirren‘ im Moskauer Staat. Als offizieller Reichsverweser des Landes zu Lebzeiten des Zaren Fedor regierte Boris, der leibliche Bruder der Zarin Irina, 1598 de facto bereits seit mehreren Jahren den Moskauer Staat.2 Seit 1589 verdankte ihm zudem die russisch-orthodoxe Kirche die Stärkung ihrer Position unter den übrigen Zentren der Orthodoxie in der Welt durch die offizielle Einführung des Moskauer Patriarchates und seine Anerkennung in Konstantinopel.3 Seit der Ernennung des Metropoliten Iov zum Patriarchen von Moskau durfte sich Godunov jeglicher Unterstützung der russischen Kirche sicher sein. In der Bojarenduma dagegen konnte man sich jedoch andere Kandidaten, die im Unterschied zu Godunov zum russischen Hochadel gehörten und auch einen engen Verwandtschaftsgrad mit den Rjurikiden aufwiesen, eher auf dem Thron vorstellen. Um sich schließlich durchzusetzen, baute Godunov seine Strategie auf ziemlich genau jenem Legitimationsprinzip auf, das später von Max Weber als ‚charismatische Herrschaft‘ bezeichnet wurde. Nach Weber basiert die Geltung der Legitimität der Herrschaft charismatischen Charakters auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen.4 Den Gegenpol zur ‚charismatischen Herrschaft‘ bildet die sog. ‚traditionale Herrschaft‘, die auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zu Autorität Berufenen5 baut. Für den Fall Godunovs scheint diese Gegenüberstellung sehr passend, denn man kann ganz gut den charismatischen Charakter der Herrschaftslegitimität mit Boris verknüpfen, während die Bojarenduma sich eindeutig auf das sog. Prinzip von Starina, d. h. der alten russischen traditio1 Vgl. dazu ausführlicher Sergej Platonov, Drevnerussija Skazanija i Povesti o Smutnom vremeni XVII veka kak istoricˇeskij istocˇnik. Issledovanie S. Platonova, S.-Peterburg 1888, 2–3. 2 Vgl. Ruslan Skrynnikov, Boris Godunov, Moskva 1978, 85–90. 3 Vgl. Skrynnikov 1978, 51–60. 4 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. rev. Aufl., bearb. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1976, 124. 5 Ebd.

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nellen Ordnung, berief. Zu betonen ist allerdings bereits die Webersche Anmerkung, dass keiner der Herrschaftstypen in seiner reinen Form historisch wirklich vorkommt. ‚Traditionale‘ und ‚charismatische Herrschaft‘ stehen einander oft nicht nur gegenüber, sondern bilden auch regelmäßig Mischformen, zumal beide Typen nicht als konstant oder stagnierend, sondern im ständigen Entwicklungsprozess zu verstehen sind. So setzte Godunov z. B. zwar auf sein Charisma, argumentierte aber zugleich mit alten russischen Traditionen und bemühte sich sichtbar, eine neue Herrschaftsdynastie zu begründen, die relativ bald einen traditionalen Legitimationscharakter in Russland erwerben sollte. Seine Gegenkandidaten aus dem Hause der Romanovy und Sˇujskie bauten zwar in erster Linie auf das Prinzip der alten Ordnung der Starina, erkannten aber auch früh, dass ohne persönliche Ausstrahlung bzw. ohne persönlichen Einfluss am Hofe und bei den Volksmassen wenig zu erreichen war. Charisma im politischen Sinne soll bei Weber eine als außeralltäglich […] geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesegnet oder als vorbildlich […] gewertet wird.6

Obwohl im russischen Falle weder Godunov noch anderen Thronanwärtern irgendwelche übernatürlichen Qualitäten wie z. B. die Fähigkeit, Wunder zu wirken oder Menschen zu heilen, zugesprochen wurden, bemühten sich der Patriarch Iov und Boris selbst sowie seine Anhänger sehr darum, die Person von Boris eben als einzige gottgesegnete und auch aufgrund seiner Verdienste in den vorherigen Regierungsjahren als äußerst vorbildliche Kandidatur vorzustellen. Eigentlich waren die Begriffe bogoizbrannost’, d. h. Auserwähltheit von Gottes Graden, oder bogoizbrannyj, also von Gott auserwählt, genau die Schlagwörter, die die ganze Wahlkampagne Godunovs bestimmten. An dieser Stelle bedarf es einer Erklärung des Begriffs Wahlen in Bezug auf einen neuen Zaren in Moskau. Ein Herrscherwahlverfahren war in Moskau zu Zeiten Godunovs nicht etabliert, da die Thronfolge normalerweise im Rahmen der Herrscherfamilie selbst geklärt und geregelt wurde. Bei fehlenden eindeutigen Thronfolgern fiel die Aufgabe, einen neuen Herrscher auszuwählen, auf die Institution des sogenannten Zemskij sobor, auf Deutsch Landes- oder Reichsversammlung,7 die formal aus Vertretern des ganzen russischen Landes bestehen 6 Ebd., 140. 7 Vgl. Hans-Joachim Torke, Konzil, Reichsversammlung und Reichsrat: Zur Bedeutung der Begriffe „sobor“ und „sovet“ in der Smuta, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 50 (1995), 363–373; E˙l’vira Sokolova, E˙voljucija soslovmo-predstavitel’skoj vlasti v Rossii s serediny XVI do serediny XVII vv. Na osnove kandidatskoj dissertacii, Moskva 2013; Lev ˇ erepnin, Zemskie sobory Russkogo gosudarstva v XVI–XVII vv., Moskva 1978. C

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und somit für das ganze Volk sprechen sollte. Und obwohl Zemskie sobory nicht einmal annähernd unserer aktuellen Vorstellung von einem demokratischen Wahlorgan entsprachen, bildeten sie zur damaligen Zeit die einzig reguläre Form der Ständerepräsentation im Moskauer Staat, wobei die Vertreter unterschiedlicher Stände und sozialer Schichten einen gewissen Einfluss auf die Machtausübung des Zentrums nehmen konnten (soslovno-predstavitel’skaja vlast‘). Der Zemskij sobor wurde in regelmäßigen Abständen in Moskau zur Klärung unterschiedlicher Fragen versammelt und konnte auch als offizieller Wahlkörper des Zaren agieren. Bei der Wahl Godunovs trug er aber 1598 noch sehr stark die Züge einer Improvisation.8 Direkt nach dem Tode des Zaren Fedor wurde seine Witwe Irina, die leibliche Schwester von Boris, vom Patriarchen Iov zur Zarin und Herrscherin erklärt.9 Gleich eine Woche später dankte sie aber ab und verkündete ihren Wunsch, sich ins Kloster als Nonne Aleksandra zurückzuziehen. Trotz der offiziellen Darstellung kann von der Freiwilligkeit dieser Entscheidung keine Rede sein, höchstwahrscheinlich geschah es aus Angst vor Massenunruhen in der Hauptstadt und nach einem starken Druck aus der Bojarenduma.10 Nach der russischorthodoxen Tradition durfte aber kein Zemskij sobor vor dem Ablauf der Trauerzeit um den Zaren Fedor, d. h. 40 Tage nach seinem Tod, einberufen werden. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass in der Zwischenzeit die Bojarenduma begann, den Zemskij sobor vorzubereiten. Demnach erhielten die Bojaren und der Klerus in Pskov, Novgorod und anderen Städten die Einladung nach Moskau, um einen neuen Zaren zu wählen. Sie konnten aber nicht in die Hauptstadt gelangen, da alle Straßen und Wege von Godunovs Leuten gesperrt wurden. In der Provinz saßen viele lokale Rangplatzinhaber, die Godunov gegenüber nicht sehr wohlwollend gestimmt waren. Daher gab es angeblich einen direkten Befehl des Regenten, die Zugänge nach Moskau zu sperren und alle Personen aufzuhalten, die bereits eine Einladung erhalten hatten.11 Nach dem Ablauf dieser Trauerzeit unternahm die Duma einen Versuch, das Volk dazu zu bewegen, nicht einer bestimmten Person, sondern der ganzen Bojarenduma als einem Regierungsorgan das Kreuz zu küssen, d. h. die oberste 8 Vgl. u. a. auch Isaiah Gruber, Orthodox Russia in Crisis. Church and Nation in the Time of ˇ erepnin 1978, 133–148. Troubles, Illinois 2012, 78–83; Sokolova 2013, 106–128; C 9 Skrynnikov 1978, 107. In den zeitgenössischen Quellen gibt es allerdings unterschiedliche Darstellungen in Bezug darauf, ob Irina offiziell zur Zarin ausgerufen wurde oder ob es von Iov nur versucht wurde, die Zarin-Witwe in die Position der Herrscherin zu bringen. Vgl. dazu z. B. Skazanie o smerti carja Fedora Ivanovicˇa i vocarenie Borisa Godunova, in: Ljudmila E. Morozova (ed.), Smuta nacˇala XVII veka v skazanijach sovremennikov, Moskva 2017, 62–76. 10 Vgl. Skrynnikov 1978, 108–109. 11 Vgl. ebd., 108.

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Macht im Staate zu übertragen.12 Der Versuch scheiterte, während der Boris Godunov ergebene und treue Patriarch Iov in der Zwischenzeit ebenfalls aktiv geworden war. Während Boris aus Sorge um die eigene Unversehrtheit und aufgrund einer angespannten Atmosphäre in der Bojarenduma aus Moskau abreiste und sich ins Novodevicˇij Kloster zu seiner Schwester zurückzog, berief der Patriarch in Moskau an seinem Hof eine umfassende und vielschichtige Versammlung ein, die bald als Zemskij sobor proklamiert wurde und die Boris einstimmig zum Zaren wählte.13 Die tatsächliche Zusammensetzung dieser Versammlung lässt sich nicht mehr rekonstruieren, allerdings steht fest, dass dabei nur die Anhänger Godunovs und keine seiner Gegner anwesend waren. Einige der Bojaren überreichten sogar ein Schreiben – das sog. Bojarenzeugnis (bojarskoe svidetel’stvo) – an den Patriarchen, in dem eine Lobeshymne auf Boris gesungen und Argumente zusammengefasst wurden, die seinen Anspruch auf den Thron bestätigten.14 Die Biografie Godunovs wurde meisterlich ausgeschmückt.15 Er habe sich seit seiner Kindheit vom zarischen Tische ernährt. Als er krank gewesen sei, habe Zar Ivan IV. ihn zu Hause besucht und demonstrierte an seinen Fingern, dass sein Sohn Fedor, seine Schwiegertochter Irina und Boris für ihn angeblich alle drei gleich wie seine drei Finger wären, und dass Groznyj Godunov die Betreuung seines Sohnes und mit ihm zusammen auch des ganzen Zartums überlassen und dass Fedor angeblich Boris den gleichen Segen in Bezug auf Irina erteilt hätte.16 Auf diese Weise wurde mangels der direkten dynastischen Kontinuität versucht, eine mittelbare geistige bzw. fast schicksalhafte Fügung zu konstruieren, durch die bereits zwei rechtmäßige Zaren von Gottes Gnaden und somit in russischer Wahrnehmung zwei Vollzieher des Göttlichen Willens Godunov als einen würdigen Thronfolger genannt hätten. Dass diese beiden zarischen Segen an Godunov frei erfunden waren, schien zu jener Zeit niemanden zu stören. Eventuell vertraute man auch darauf, dass niemand von den noch lebenden Augenzeugen 12 Vgl. Skrynnikov 1978, 107, 114. Donesenie o poezdke v Moskvu pridvornogo Rimskogo ˇ tenija v obsˇcˇestve istorii drevnostej rossijskich (1875) imperatora Michaila Sˇile v 1598 g., in: C Nr. 2, otdelenie IV., online veröffentlicht unter: http://vostlit.narod.ru/Texts/Dokumenty/ Austria/XVI/1580-1600/Schile/text1.htm. Letzter Zugriff am 27. 08. 2018. 13 Vgl. Skrynnikov 1978, 112. 14 Vgl. „Vremennik“ Ivana Timofeeva, in: Morozova 2017, 273–399, hier 310. Online-Version nach der Veröffentlichung: Vremennik Ivana Timofeeva, Moskva, Leningrad 1951, unter http://www.hrono.info/libris/lib_t/tim_text2.html. Letzter Zugriff am 3. 09. 2018. [Im Folgenden wird Vremennik nach dieser Online-Version zitiert als: Timofeev 1951, OnlineVersion]. 15 Die gleiche detailreiche Schilderung findet sich in der ersten Bestätigungsurkunde: Gramota izbrannaja i utverzˇdenaja na carstvo Carju Borisu Feodorovicˇu [Spisok I. A. Navrockogo], in: Drevnjaja Rossijskaja vifliofika (DRV), cˇ. VII, Мoskva 1788, 36–127, hier 54–55. Vorher veröffentlicht in: Opyt trudov vol’nogo Rossijskogo sobranija, tom III, Moskva 1774, 74–191. 16 Vgl. ebd.

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der geschilderten Ereignisse sich öffentlich dagegen wenden würde. Nach der Beendigung der Versammlung wurde die Entscheidung verkündet, mit der ‚allweltlichen Mehrheit‘ (vsenarodnoe mnozˇestvo) am nächsten Tag zum Novodevicˇij Kloster zu ziehen und dort Boris zu bitten, die Herrschaft zu übernehmen. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass die Auswahl Godunovs zum Zaren durch eine solche Versammlung alleine sofort gültig gewesen wäre. Der russische Historiker Kljucˇevskij vertritt die These, dass Godunov durch einen ordnungsgemäß berufenen und somit offiziell beschlussfähigen Zemskij sobor gewählt wurde und deswegen eindeutig ein legitimer Herrscher war.17 Die Inszenierung eines solchen ‚offiziellen‘ Zemskij sobors hatte aber für Godunov und seine Anhänger viel mehr Zeit in Anspruch genommen und die Einleitung von weiteren taktischen Schritten erfordert. Die Entscheidung der Versammlung blieb ohne die Ratifizierung der Bojarenduma nicht rechtskräftig. Da die Duma sich aber standhaft weigerte, sich zu dem vom Patriarchen eingeleiteten Verfahren zu äußern,18 musste der sakrale Charakter der Godunovschen Legitimation umso stärker hervorgehoben und nachgewiesen werden. Es bedurfte schließlich dreier massenhafter Delegationen zu Boris ins Novodevicˇij Kloster, um ihn zu überreden, die Krone anzunehmen, nicht nur einer, sondern sogar zweier Treueschwüre seitens der Bevölkerung für den neuen Herrscher und eines – zumindest als solchen bezeichneten – militärischen Feldzuges Godunovs gegen den tatarischen Chan, damit Boris am 1. September des gleichen Jahres als anerkannter Herrscher endlich gekrönt werden konnte. Über die Wahl Godunovs zum Zaren sind ungewöhnlicher Weise nicht nur eine, sondern zwei Bestätigungsurkunden (utverzˇdennaja gramota) überliefert.19 Beide Dokumente schildern das Wahlverfahren des neuen Herrschers und betonen seine Würdigkeit auf mehreren Seiten, allerdings unterscheiden sie sich in ihren Darstellungen in mehreren Details und tragen unterschiedliche Unterschriften unter den Texten. Die erste Urkunde20 ist auf den Juli 1598 und die

17 Vladimir Kljucˇevskij, Socˇinenija, tom 8, Moskva 1959, 59. Zit. nach S. P. Mordovina, Charakter dvorjanskogo predstavitel’stva na Zemskom sobore 1598 goda, in: Voprosy istorii 2 (1971), 55–63, hier 55. Vgl. Skrynnikov 1978, 103. 18 Vgl. Skrynnikov 1978, 115. 19 Vgl. S. P. Mordovina, K istorii utverzˇdennoj gramoty 1598 g., in: Archeograficˇeskij ezˇegodnik za 1968 god, Moskva 1970, S. 128–141. 20 Gramota izbrannaja i utverzˇdenaja na carstvo Carju Borisu Feodorovicˇu [Spisok I. A. Navrockogo]. Es existiert auch eine spätere Abschrift dieser „Juli“-Urkunde, die laut Mordovina 1970 keine eigenständige Bedeutung besitze: Gramota ob izbranii na carstvo Borisa Feodorovicˇa Godunova 1598 g. v ijule [Spisok Malinovskogo], in: Russisches Staatsarchiv der alten Akte (RGADA), Moskva, fond 197 Malinovskogo, opis’ 1, portfel’ 4, Nr. 27.

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zweite auf den 1. August21 des gleichen Jahres datiert. Trotz vieler Deutungen in Bezug auf die Existenz dieser zwei Urkunden anstelle einer einzigen ist sich die moderne russische Forschung darüber einig, dass die zweite, auf den 1. August datierte Urkunde, eigentlich viel später, anscheinend im Winter 1598 verfasst wurde. Aber alleine schon die Existenz dieser zwei Dokumente demonstriert deutlich, wie stockend die Wahl Godunovs zum Zaren verlief und vor allem wie dilettantisch die Tätigkeit eines ernst zu nehmenden, beschlussfähigen Zemskij sobor inszeniert oder besser gesagt vorgetäuscht wurde. Die erste Variante, die sog. Juli-Urkunde, wurde allem Anschein nach vom Patriarchen bzw. seinen Helfern im Frühjahr 1598 als Legitimationsschrift zur Unterstützung des zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sicher gewählten Thronanwärters Godunov verfasst. Monate lang bemühte sich zudem der Patriarch um eine umfassende Unterschriftensammlung unter dieses Dokument, vor allem in der Bojarenduma, um auf diese Weise den offiziellen Akt des Treueschwurs der Duma dem neuen Zaren gegenüber zu ersetzen. Die Notwendigkeit dieser Urkunde und ihrer Unterzeichnung relativierte sich, nachdem Boris die obersten Bojaren auf andere Weise hatte ruhig bzw. gehorsam stimmen können.22 Die zweite Urkunde,23 offiziell lediglich als ein feierliches Exemplar der bereits vorhandenen Bestätigungsurkunde gedacht, wurde nach der Krönung von der bereits etablierten Regierung Godunovs praktisch neu konzipiert. Die widersprüchlichen Verhaltensschritte Godunovs, bei denen er erst einmal an der Seite seiner Schwester versprach, sich um die Regierung im Lande zu kümmern, sich aber dann ins Kloster zurückgezogen hatte, zwischendurch die Krone annahm, später dann plötzlich abdanken wollte u. s. w., wurden in der feierlichen Version völlig verschwiegen. Die erste Urkunde wurde zwecks Beeinflussung und Überzeugung der Zeitgenossen verfasst. Die feierliche spätere utverzˇdennaja gramota diente aber einem völlig neuen Zweck und schilderte die Ereignisse in der Art und Weise, wie Godunov sie den künftigen Generationen präsentieren wollte. Ende 1598 wurde in Moskau erneut eine Landesversammlung (Zemskij sobor) und dieses Mal 21 Gramota utverzˇdennaja Borisa Feodorovicˇa, [Soloveckij spisok], in: Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg, Handschriftenabteilung, fond Biblioteka Soloveckogo monastyrja, Sol 852/962, Bl. 128–227; Gramota utverzˇdennaja, ob izbranii carem Borisa Feodorovicˇa, [Stroganovskij spisok], in: Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg, Handschriftenabteilung, fond Osnovnoe sobranie rukopisnoj knigi (f. OSRK), О. IV. 17, Bl. 87–210, veröffentlicht in: Akty, sobrannye v bibliotekach i archivach Rossijskoj imperii archeografii (AAE˙), tom 2, S.-Peterburg 1836, S. 16–54. 22 Skrynnikov 1978, 126. 23 Lediglich als Entwurf der zweiten „August“-Urkunde gilt in der Forschung die sog. PlesˇcˇeevAbschrift: Gramota, utverzˇdenaja na carstvo [Plesˇcˇeevskij spisok], in: Russische Staatsbibliothek in Moskau, Handschriftenabteilung, fond 178.1, Nr. 737. Vgl. Mordovina 1970, 138–141.

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streng nach allen Regeln der Versammlungspraxis des 16. Jahrhunderts einberufen. Dem sobor wurde die neue Bestätigungsurkunde zur Unterzeichnung vorgelegt und von diesem auch ratifiziert. Formal wurde so die „allgemeine“ Landesversammlung (vselenskij sobor), wie sie vor der Krönung agiert hatte, aufgelöst und durch die sog. Heilige Landesversammlung in ihrer traditionellen Form ersetzt.24 Auch für die eventuelle Zweifelhaftigkeit der Herrscherwahlversammlung vor der Krönung wurde so auf diese Weise eine elegante Lösung gefunden. Die Geschichte des Zemskij sobor von 1598 fällt so in mehrere Versammlungen auseinander und kann unter keinen Umständen als ein einheitliches, durchorganisiertes Verfahren beschrieben werden. Vielmehr lässt sich das Ganze als eine abenteuerliche Intrige erzählen, die zu verschiedenen Zeitpunkten zu scheitern drohte, schließlich aber doch zu Godunovs Gunsten endete. Nach der so genannten Wahl von Boris Godunov zum Zaren am Hofe des Patriarchen im Februar 1598 organisierten seine Anhänger einen Zug zu ihm ins Novodevicˇij Kloster, wo er zum ersten Mal die Krone abgelehnt und betont hatte, dass er eigentlich niemals die Herrschaft im Sinne gehabt hatte. Der Grund ist leicht nachzuvollziehen, es waren einfach nicht genügend Volksmassen da. Hier drängt sich die Parallele zu Ivan dem Schrecklichen auf, der sich seiner Zeit in die Aleksandrovskaja sloboda zurückzog und sich von den verunsicherten Bojaren mehrmals anflehen ließ, nach Moskau und zu seiner aktiven Herrschaftsausübung zurückzukehren.25 In beiden Fällen steckte hinter einem solchen Ablehnungsverhalten eine Strategie: es sollte auf diese Weise betont werden, dass die Machtausübung zwar eine äußerst wichtige und bedeutende Aufgabe, aber gleichzeitig auch eine schreckliche Bürde sei, die sich ein wahrer Christ niemals freiwillig wünschen würde und dass sich der Zar bzw. der Regent in seiner Demut selbstverständlich auch nicht als würdig genug dafür erachtete. D. h. alle Zweifel an der Reinheit der Absichten des Kandidaten mussten auf diese Weise zerstreut werden und eine unausgesprochene Analogie zu Jesus und seinem Opfer für die Menschheit in den Köpfen der Menschen geweckt werden. In Folge dessen waren noch intensivere Berufungsversuche zu erwarten, auf die man nur aufgrund eines enormen äußeren Druckes und ausschließlich zum Wohle des Staates eingehen konnte. Und so kam es auch. Die Kirche bereitete eine neue Aktion vor. Es wurde ein nächtlicher Bittgottesdienst in Moskau abgehalten, um mit Gottes Hilfe Boris zum neuen Zaren zu ernennen. Der nächtliche Gottesdienst lockte sehr viele Gläubige in die Kirchen. 24 Skrynnikov 1978, 128. 25 Vgl. Ruslan Skrynnikov, Ivan Groznyj, Moskva 2005, 196–200; dt. Fassung: Ruslan Skrynnikow, Iwan der Schreckliche und seine Zeit, München 1992, 106–110.

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Am nächsten Morgen zogen viele von ihnen zusammen mit der wichtigen Ikone der Madonna von Vladimir (Vladimirskaja Bogomater’) wieder zu Boris ins Kloster. Die Ikone wurde der Legende nach dem sich widersetzenden Godunov vom Patriarchen mit den Worten präsentiert, dass die Mutter Gottes zu ihm käme, um den Willen ihres Sohnes zu erfüllen, dem sich kein Sterblicher widersetzen dürfe.26 Laut den Quellen beeindruckte die versammelten Massen eine theatralische Geste von Boris, mit der er gezeigt hätte, dass er sich eher erwürgen lassen würde, als die Herrschaft zu übernehmen. Diese hatte wohl einen so massiven Eindruck hinterlassen, dass die Menschen anfingen, noch lauter den Regenten zur Herrschaft aufzurufen. Laut Ivan Timofeev, einem russischen Djaken (d’jak), der als unmittelbarer Augenzeuge dem Ganzen beigewohnt haben soll und später in seinem Werk „Vremennik“ verschriftlichte, erweckte dieser Eifer der Volksmassen allerdings den Eindruck einer schlecht verschleierten Inszenierung. So berichtete Timofeev z. B. von einem sehr lauten Jungen, der direkt ins Fenster von Irina schrie und Boris auf den Thron für das ganze russische Volk bat.27 Timofeev lässt in seiner Beschreibung keinen Zweifel daran, dass der Junge entweder von Boris selbst oder von seiner Gefolgschaft dazu offensichtlich angestiftet wurde, zumal es ohne Genehmigung des Regenten und der stillschweigenden Zustimmung seiner Wachsoldaten nicht möglich gewesen wäre, sich den Godunovy dermaßen zu nähern.28 Dennoch wurde schließlich durch die anwesenden Massen und laute Rufe des Namens Boris ein echter Anschein einer Volksausrufung erweckt.29 Schließlich willigte Boris ein und wurde gleich vom Patriarchen in der Klosterkathedrale als „ernannter Herrscher“ (narecˇennyj car’) gesegnet. Es fehlte aber noch immer an der Zustimmung der Duma. Daher zögerte Boris, gleich nach Moskau zu fahren und sich krönen zu lassen. Am 26. Februar fuhr Boris feierlich nach Moskau, wo er vom Patriarchen zum zweiten Mal – dieses Mal in der Maria-Entschlafens-Kathedrale (Uspenskij sobor) im Kreml – für die Herrschaft gesegnet wurde. Anschließend kehrte Boris aber ins Novodevicˇij Kloster zurück. Im März wurde auch die Prozedur einer allgemeinen Vereidigung des Volkes, die noch vor der Krönung des Zaren hätte stattfinden sollen, festgelegt. Der vorbereitete Text des Treueschwures wurde vom Patriarchen an verschiedene Bischöfe in der Provinz versendet und blieb offensichtlich unter dem Titel

26 Gramota izbrannaja i utverzˇdenaja na carstvo Carju Borisu Feodorovicˇu [Spisok I. A. Navrockogo], in: DRV, 75–78. 27 Timofeev 1951, Online-Version. 28 Ebd. 29 Skrynnikov 1978, 116.

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„Sobornoe opredelenie“ überliefert.30 Die Anweisung lautete, den Text des Eidschwures in ihren Kirchen vorzulesen und dann einen dreitägigen Gottesdienst zu Ehren und zur Gesundheit der Zarin-Witwe und ihres Bruders zu feiern.31 Der Text wiederholte einige Punkte aus dem „Bojarenzeugnis“ vom 17. Februar, vor allem die Behauptung, dass die Herrschaft Godunovs zuerst von Ivan Groznyj und danach noch von Fedor persönlich abgesegnet worden sei. Diese Aktion der Vereidigung stieß in der Provinz auf keinen Widerstand.32 Es wurde nun eine die dritte Wanderung mit dem Patriarchen ins Novodevicˇij Kloster initiiert, um den Herrscher zu ermutigen, ohne Zögern nach Moskau zurückzuziehen und seine Herrschaft endgültig zu übernehmen. Da dankte Godunov plötzlich ab. Daraufhin wandte sich der Patriarch an die Zarin-Witwe, die ihrem Bruder sofort befahl, nach Moskau zu fahren und sich krönen zu lassen.33 Auf diese Weise wurde die fehlende Ratifizierung durch die Bojarenduma durch den feierlichen Erlass der Zaren-Witwe ersetzt. Erneut wurde so die Sakralität der Godunovschen Legitimation durch den Patriarchen und durch das Wort der Zaren-Witwe und Nonne bekräftigt. Am 1. April zog Boris endlich endgültig, aber wieder feierlich in den Kreml ein. Die Juli-Bestätigungsurkunde beschrieb in allen Einzelheiten die Zeremonie am 1. April, insbesondere die Szene, als der Patriarch Boris das Kreuz des Hl. Wundertäters Petrus als Symbol für den Beginn der zarischen Herrschaft und des Erhalts des Zepters auflegte.34 Auf diese Weise wurde versucht, die Übernahme der Herrschaft als eine unumstrittene und vollzogene Tatsache darzustellen. Der Versuch, die Unterschriften in der Bojarenduma unter der Urkunde zu sammeln, scheiterte aber, daher wurde sie nur vom Klerus unterzeichnet.35 Im April sickerten die Gerüchte nach Litauen durch, dass die Bojarenduma einen gewissen Simeon auf den Thron setzen wollte.36 Bei diesem Kandidaten handelte es sich um den getauften tatarischen Chan Simeon Bekbulatovicˇ, dem Ivan der Schreckliche nach Opricˇnina-Jahren zwischenzeitlich den Moskauer

30 Vgl. Sobornoe opredelenie, ob izbranii na Carem Borisa Feodorovicˇa Godunova, in: Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg, Handschriftenabteilung, Stroganovskij spisok, fond Osnovnoe sobranie rukopisnoj knigi (f. OSRK), О. IV. 17, Bl. 30–40. Veröffentlicht in: Akty, sobrannye v bibliotekach i archivach Rossijskoj imperii archeografii (AAE˙), tom 2, S.Peterburg 1836, 13–16; Akty, otnosjasˇcˇiesja k istorii Zemskich soborov, pod redakciej Ju. V. Got’e, Moskva 1909, 12–15. 31 Skrynnikov 1978, 118. 32 Vgl. ebd., 120. 33 Gramota izbrannaja i utverzˇdenaja na carstvo Carju Borisu Feodorovicˇu [Spisok I. A. Navrockogo], in: DRV, 96–99. 34 Vgl. ebd., 101; Skrynnikov 1978, 121. 35 Skrynnikov 1978, 121. 36 Vgl. Sergej Platonov, Moskva i Zapad v XVI–XVII vekach, Leningrad 1925 / Boris Godunov, Petergof 1921, Reprint von zwei Werken, Moskva 1998, 256.

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Thron als seinen Platzhalter überlassen hatte.37 Nach einigen Monaten wurde Simeon vom Zaren wieder abgesetzt und zum Fürsten von Tver’ ernannt. Die Tatsache jedoch, dass Simeon – zumindest formal gesehen – bereits völlig legitim den Zarentitel durch den Willen Ivans IV. inne gehabt hatte, machte seine Kandidatur für Godunov in der Tat sehr gefährlich. Die Bojarenduma hoffte wohl, Simeon wie damals Groznyj auch als eine Art Marionette kontrollieren zu können. Aus Angst vor weiterem Vorgehen der Bojaren unternahm Boris einen neuen strategischen Schachzug. Seit April begann das Moskauer Militäramt unter seiner Regie die Informationen zu verbreiten, dass die tatarische Krim-Horde einen militärischen Zug gegen Moskau vorbereitete. Die herrschende Meinung in der Forschung geht davon aus, dass es sich dabei um eine gezielte Desinformation handelte. Vor dem Hintergrund der instabilen innenpolitischen Verhältnisse wurde so die allgemeine Aufmerksamkeit der Regierung auf die Frage der äußeren Sicherheit gelenkt. Im Kontext eines möglichen militärischen Angriffes aus dem Ausland bot es sich an, die Rolle eines Retters der Heimat zu spielen und auf diese Weise den Gehorsam der Bojaren zu erzwingen. Und so begann der im großen Stil veranstaltete, von Boris persönlich geleitete sog. Serpuchov-Zug.38 Das ganze Land wurde in den Zustand der Gefechtsbereitschaft versetzt. Godunov als der Oberkommandierende des Landes fuhr zusammen mit den obersten Bojaren nach Serpuchov, um dort die Verteidigung des Landes zu leiten und in die Schlacht zu ziehen. Tatsächlich kam es überhaupt zu keinen Kämpfen, aber der Zug wurde von Boris als eine passende Möglichkeit benutzt, sich selbst als herrschender Feldherr zu präsentieren und einen intensiven Kontakt zu Dienstadligen und anderen Volksschichten zu suchen. Das zarische Lager am Fluss Oka wurde als eine ganze Stadt aus weißen, stabilen Zelten aufgebaut und beeindruckte die Augenzeugen durch die imposante Schönheit, die die ganze majestätische Ausstrahlung Godunovs nach außen repräsentieren sollte.39 Boris tat alles, um die Gunst der Dienstadligen und des Militärs zu gewinnen, lud sie an seine Tafel ein, verteilte Geschenke, Geldprämien und Ränge.40 Die Begeisterung der Adligen in der Provinz half auch den Adligen in der Hauptstadt, ihr Zögern zu überwinden. Das Wichtigste war aber, dass die 37 Diese außerordentliche Situation, dass ein lebender Herrscher an seine Stelle für ein ganzes Jahr lang einen tatarischen Chan setzte, selber allerdings die eigentliche Macht in der Hand behielt, erweckte das Interesse der Historiker und der Schriftsteller bis heute. Vgl. dazu unter anderem Skrynnikov 2005, 366–376, den historischen Roman von Dmitrij Rogozˇkin, Car’ Simeon i Ivan Groznyj, Moskva 2012 sowie den Beitrag von David Khunchukashvili in diesem Band. 38 Vgl. zum Serpuchov-Zug Ljudmila Morozova, Dva carja: Fedor i Boris, Moskva 2001, 244– 249; Platonov 1921/1998, 258–259. 39 Vgl. Platonov 1921/1998, 258. 40 Vgl. Skrynnikov 1978, 123–124.

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Bojaren, die Boris’ Autorität als Oberbefehlshaber des Landes anerkannt hatten, auf diese Weise auch seine Legitimität als Herrscher akzeptieren mussten. Und so wurde der Serpuchov-Zug zum großen Erfolg Godunovs. Die englische Königin gratulierte ihm zur Thronbesteigung. Die Krim-Gesandten erkannten seinen Zarentitel an und versprachen, künftig für friedliche Beziehungen zu sorgen. Danach kehrte Boris als gefeierter Herrscher und Held nach Moskau zurück. Zu seinen besonderen Verdiensten wurde seitdem auch die Rettung des Staates vor dem Krim-Chan hinzugefügt. Der Krönung eines solchen charismatischen Herrschers durfte nun nichts mehr im Wege stehen. Man hielt es allerdings für zwingend notwendig, die Vereidigung des Volkes für Boris zu wiederholen. Traditionell sollte diese in der Bojarenduma stattfinden. Aber auch hier erlaubte sich Boris eine Abweichung von der traditionellen Ordnung. Er ordnete das „Kreuzküssen“ seiner Untertanen in der Maria-Entschlafens-Kathedrale im Kreml Ende Juli/Anfang August an, wo die Anwesenden laut die Worte des Schwures ausrufen mussten und damit den Gottesdienst vollständig übertönten.41 Auf diese Weise machte sich das moskowitische Volk in der Timofeevschen Auslegung einer großen Sünde schuldig, zu der es von Boris Godunov verleitet wurde.42 Das Kreuzküssen als Zeichen der Anerkennung des neuen Herrschers in den heiligen Hallen der Kirche war aus der Sicht des Djaken mehr als ketzerisch, denn die Menschen vergaßen die Ehrfurcht vor dem Schöpfer und zeigten mehr Angst vor einem irdischen Zaren.43 Der Text dieses zweiten Treuschwures unterschied sich gravierend von der ursprünglichen März-Version. Die Passagen konzentrierten sich nicht mehr so sehr auf die Begründung der Legitimität des neuen Zaren, die als selbstverständlich und gottgegeben dargestellt wurde, sondern vielmehr auf die Pflichten und Loyalitätsbekundungen der Untertanen dem neuen, vom Volk gewählten Herrscher gegenüber. Besonders wichtig und neu war die Passage, in der alle Untertanen schwören mussten, nicht einmal an die Möglichkeit der Herrschaft des Zaren Simeon zu denken und unverzüglich der Boris’ Regierung alle zu verraten, die es zu versuchen gedachten, Simeon auf den Moskauer Thron zu setzen.44 Und wiederum ging es somit mehr um den Willen des neuen Herrschers, der sich anmaßte, einen möglichen Plan Gottes zu durchkreuzen. Boris’ Krönung fand schließlich am 1. September 1598 statt. Der Tag wurde nicht zufällig gewählt. Traditionell wurde in Moskowien am 1 September auch das Neujahrsfest gefeiert. Das Fest symbolisierte den Beginn eines neuen Zyklus

41 Timofeev 1951, Online-Version. 42 Timofeev 1951, Online-Version; zit. nach D. I. Antonov, Smuta v kul’ture srednevekovoj Rusi: E˙voljucija drevnerusskich mifologem v knizˇnosti nacˇala XVII veka, Moskva 2009, 135. 43 Ebd. 44 Vgl. Skrynnikov 1978, 127.

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des Lebens und die Krönung des neuen Zaren an diesem Tag sollte ebenfalls den Neuanfang in der Politik des Kremls signalisieren.45 Überall in den Auswahldokumenten von Godunov wird er – wie es sich gehörte – nicht nur als Zar der ganzen Rus’, sondern mit allen dazu gehörigen Titeln und nicht zuletzt als samoderzˇec (Selbstherrscher) bezeichnet. Im Verständnis des russischen Phänomens von samoderzˇavie (Selbstherrschaft) ist unter anderem die Erklärung für den scheinbaren Widerspruch zwischen der Auserwähltheit des Herrschers von Gottes Gnaden und seiner gleichzeitigen Wahl durch das Volk, stellvertretend durch den Zemskij sobor, zu suchen. Samoderzˇavie wird in der russischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts teilweise als die einzige für Russland geeignete Regierungsform proklamiert.46 Nach theosophischer Auffassung setzt das von Gott gegebene Prinzip von samoderzˇavie eine gewisse Transpersonalität des Moskauer Selbstherrschers voraus. Gott habe einen Plan und habe auch immer einen Auserwählten für diese Position, auf den er mit Hilfe verschiedener Zeichen auch hinweise. Meistens ergebe sich die richtige Wahl aus der traditionellen Thronfolgeordnung heraus, aber vor allem in Krisenzeiten sei es die Aufgabe der Kirche und des Volkes, den Richtigen zu erkennen und ihn zum Zaren zu wählen. Ausgehend von diesen Prämissen agierte auch der Patriarch Iov bei der Durchsetzung von Boris’ Kandidatur. Der Begriff samoderzˇavie wird in der russisch-orthodoxen Tradition zudem eng mit dem Begriff vsederzˇitel’, also Pantokrator im Sinne von All- und Weltenherrscher verknüpft.47 Normalerweise gilt Jesus als einziger bekannter Pantoktator. In der russischen Kirchenlehre wurde dagegen der Gedanke etabliert, dass Gott den Menschen eben nach dem Vorbild der eigenen Pantokratie den Zaren als Selbstherrscher gegeben habe.48 Das wesentliche Merkmal von samoderzˇavie bestehe dann darin, dass zuerst der Wille Gottes bei der Auswahl des Herrschers und anschließend der Wille des Monarchen die Quelle der Gesetze sei, die für alle seine Untertanen gelten und von den Wünschen dieser Untertanen völlig unabhängig seien. Auch dem Volk kommt in dieser Konstellation eine interessante Rolle zu. Während einem einzigen einfachen Menschen jegliches Mitspracherecht bei der Wahl eines Herrschers gänzlich abgesprochen wird, wird bei der allgemeinen Stimme des Volkes (glas naroda) eine gewisse Verselbstständigung vorausgesetzt, ähnlich wie bei einer Naturgewalt, die wiederum als ein Zeichen Gottes gedeutet und somit 45 Vgl. Boris Uspenskij, Car’ i patriarch. Charizma vlasti v Rossii. Vizantijskaja model’ i ee russkoe pereosmyslenie, Moskva 1998, 139. 46 Nikolaj M. Karamzin, Zapiska o drevnej i novoj Rossii v ejo politicˇeskom i grazˇdanskom otnosˇenijach, in: Russkaja social’no-politicˇeskaja mysl’ XIX–XX vekov: N. M. Karamzin, Moskva 2001, 84; Ders., Istorija Gosudarstva Rossijskogo, T. 1, Moskau 1989, 500. 47 Nikon Episkop Serpuchovskoj, Samoderzˇavie po obrazu Bozˇija Vsederzˇitel’stva, Moskva 1906, 2. 48 Ebd.

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zur Stimme Gottes proklamiert wird. Bogoizbrannost’ bzw. Gottes Wille sei bei diesem Herrscherwahlverfahren eben entscheidend und die Qualitäten des Kandidaten nur ein Hilfsmerkmal, um den Richtigen zu erkennen.49 Bei der Zeremonie der Krönung Godunovs war darüber hinaus die Intention bemerkbar, den russischen und den byzantinischen Stil miteinander zu verbinden.50 Die starke Anlehnung an die byzantinische Tradition wurde allem Anschein nach ebenfalls dadurch bedingt, dass Godunov ein gewählter Zar war und deswegen jede Form einer zusätzlichen Legitimation gebrauchen konnte.51 In Byzanz allerdings wurde ein Herrscher mit den Königen Israels gleichgestellt. In Moskowien dagegen wurde jeder Zar bei der Krönung Jesus persönlich durch das Sakrament der Myronsalbung (russ.: miropomazanie) angeglichen.52 Kennzeichnend ist auch, dass der moskowitische Herrscher bei der Einladung zur Salbung während der Zeremonie als „Heiliger“ bezeichnet wurde, was genauso zur offiziellen Titulatur der byzantinischen Kaiser gehörte.53 Gesetzt in einen besonderen Kontext der orthodoxen Liturgie, verlieh die Salbung des Zaren ihm bei der Krönung einen spezifischen sakralen Status, das sogenannte ‚Charisma der Macht‘.54 Die Existenz eines solchen ‚Charismas der Macht‘ beim gesalbten Herrscher wurde in der russischen Kirchenliteratur überwiegend betont, nur hatte dieses ‚Charisma‘ nichts mit der Weberschen Deutung des Begriffes gemeinsam. Nach der russisch-orthodoxen Kirchenlehre ging bei der Salbung eine „besondere Gnade des (Hl.) Geistes“ auf den Zaren über.55 Es gab unter anderem eine Meinung unter den Kirchenhistorikern, dass dem Herrscher durch das miropomazanie eine besondere Gabe des Regierens verliehen wurde.56 Diejenigen gläubigen Untertanen, die diesen besonderen göttlichen Segen nicht anerkannten, sollten sogar dem Anathema unterliegen.57 Die Gegenüberstellung des ‚persönlichen Charismas‘ Godunovs und dem von Gott für jeden Moskauer Herrscher vorgesehenen transzendenten ‚Charisma der Macht‘ wurde zum Leitmotiv in der Kritik an Boris Godunov und seiner Art der Herrschaft seitens der Zeitgenossen.58 An sich herrscht in moskowitischen 49 Vgl. dazu auch die Ausführungen der Verfasserin im Aufsatz: Diana Ordubadi/Dittmar Dahlmann, Die ‚Zeit der Wirren‘ und die Moskauer Selbstherrscher (1598–1613) aus russischer Perspektive und in zeitgenössischen ausländischen Berichten, in: Matthias Becher (ed.), Transkulturelle Annäherungen an Phänomene von Macht und Herrschaft. Spannungsfelder und Geschlechterdimensionen, Göttingen 2019, 282. 50 Vgl. Uspenskij 1998, 137. 51 Vgl. ebd., 138. 52 Ebd., 20. 53 Ebd., 23. 54 Ebd., 24. 55 Ebd. 56 Ebd., 28. 57 Ebd., 25. 58 Vgl. Antonov 2009, 45–66.

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Quellen eine sehr widersprüchliche Einschätzung Godunovs. Es scheint allerdings ein immer wiederkehrendes Motiv zu sein, dass die Ursache für den Beginn der Smuta in Moskowien in Boris’ Illegitimität gesehen wurde.59 Dabei werden nicht so sehr die Art und Weise kritisiert, wie Boris auf den Thron kam, oder sein Berufungsverfahren in Frage gestellt, sondern ausgerechnet die moralischen Qualitäten des Zaren und seine mangelnde Demut und Ehrfurcht vor Gott als seine wichtigsten Vergehen dargestellt. So gab Boris Godunov z. B. bei der Krönung das heilige Versprechen ab, innerhalb der nächsten fünf Jahre für inneren Frieden zu sorgen und verkündete feierlich, dass unter seiner Regierung niemand im Lande hungern würde. In seinem Werk ‚Istorija v pamjat’ vpredidusˇcˇim rodom‘60 aus den 1619/1620er Jahren unterzog der Mönch Avraamij Palicyn als Godunovs Zeitgenosse und ein unmittelbarer Augenzeuge der ‚Zeit der Wirren‘ diesen feierlichen Schwur einer harten Kritik: es gäbe nämlich traditionsgemäß überhaupt keine Notwendigkeit, so einen Schwur abzulegen, die Tatsache jedoch, dass der neue Herrscher es sich anmaßte, diesen nach eigenem Gutdünken zu leisten, zeugte aus der Sicht der Zeitgenossen vom sündhaften Stolz und fehlender Demut.61 Der gerade erst gekrönte Zar ginge so über seine Herrschaftsbefugnisse weit hinaus und machte sich der Sünde des Hochmutes schuldig. Die Bedeutung dieses Vergehens aus der damaligen Sicht darf heutzutage nicht unterschätzt werden. Der Satz „Gott widersteht den Hochmütigen und gibt den Demütigen Gnade“ (Petrus 5,5b–7) gehörte damals zu den meist verwendeten Bibelzitaten in der altrussischen Literatur und bestimmte auch das allgemeine Verständnis der zarischen Macht in Moskowien.62 Boris dagegen machte durch sein Verhalten gleich in den heiligen Hallen der Kirche klar, dass er sich selbst und seine Herrschaft nicht Gott anvertraute, sondern ein klares Bestreben hegte, nach eigenem Gutdünken zu regieren und sich auf seinen eigenen Verstand und seine eigenen Fähigkeiten zu verlassen, was aus damaliger theologischer Sicht eine grauenvolle Sünde war.63 Ein solches Vorgehen wurde bei Palicyn eindeutig der Regierungsart des letzten Zaren aus der Familie der Rjurikiden entgegengesetzt: Indem Fedor Ioannovicˇ mehr auf Gott vertraute und seine Gedanken weniger auf die irdischen Regierungsangelegenheiten verschwendete, konnte er für innen- und außenpolitische Stabilität Moskowiens sorgen.64 Solche Darstellungen häuften sich in den Quellen aus der ‚Zeit der Wirren‘. Die Tatsache, dass Fedor so erfolgreich mit 59 60 61 62 63 64

Vgl. ebd., 45. Vgl. z. B. Avraam Palicyn, Skazanie Avraama Palicyna, S.-Peterburg 1909. Palicyn 1909, 14. Vgl. Antonov 2009, 50. Vgl. ebd., 47. Ebd., 48.

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seinem „passiven“ Regieren nur mit Hilfe eines klugen, geschickten und sehr „aktiven“ Reichsverwesers Boris Godunov sein konnte, wurde gänzlich außer Acht gelassen. Alleine das Vertrauen auf Gott und seine Güte wurde auf einmal zur wichtigsten und einschlägigen Eigenschaft eines Herrschers propagiert. Hier schimmerte die klassische mittelalterliche russische Vorstellung über Herrscher ‚als lebendige Ikone des Himmelkönigs‘ (odusˇevlennaja ikona carja nebesnogo) durch.65 Da Godunov sich aber als gekrönter Herrscher auf die eigenen Kräfte verließ, waren all seine an sich gut gemeinten, auf das Wohl des Staates gerichteten Regierungsstrategien zum Scheitern verurteilt.66 Diese Kette von Schlussfolgerungen ging bei Palicyn noch weiter und erweiterte sich durch die Begründung einer kollektiven Schuld der moskowitischen Gesellschaft. Da die Tatsache, dass Godunovs Geist vom Hochmut vergiftet gewesen und dies schon vor der Krönung bekannt gewesen sei, habe das Volk wissentlich seinen Treueschwur einem vom Hochmut befallenen Herrscher, d. h. einem von vornherein vom Herrn, also Gott, nicht gesegneten Regenten geleistet, und dadurch folglich die Sünde der ganzen Moskauer Gesellschaft bedingt.67 Trotz vieler anderer Vergehen gegen Gottes Wort durch die moskowitische Bevölkerung wurde als Hauptursache für Gottes Zorn und entsprechend den Beginn der Smuta die Thronbesteigung durch den sündigen Herrscher gesehen.68 Dafür, dass das Volk es zugelassen hätte, gehörte nach dieser Vorstellung über die kollektive Verantwortung der ganzen Gesellschaft auch die allgemeine göttliche Strafe in Form von Krankheiten, Missernten und Regierungskrisen dazu.69 Nach Timofeevs Auslegung sei auch das Auftauchen des Pseudodemetrius I. nur eine konsequente Strafe für den sündigen Herrscher Boris gewesen, während das gesellschaftliche Unheil, das zusammen mit dem falschen Zaren nach Moskowien gekommen sei, Gottes Strafe für die Sünden der Untertanen wäre, die aus Feigheit die Sünden Godunovs mit ihm geteilt hätten.70 Die Auseinandersetzung mit den Quellen vermittelt dem modernen Forscher somit ein sehr widersprüchliches Bild von Boris Godunov. Gleich bleibt stets nur die Tatsache, dass dieser historischen Figur eine enorme Bedeutung in den Zeiten der Smuta in Moskowien beigemessen wird. In den offiziellen Bestätigungsurkunden, die offensichtlich von Boris’ Anhängern bzw. eventuell sogar in seiner eigenen Regie verfasst wurden, wird der neue Zar – wie hätte es auch anders sein können – als ein selbstloser, durch das Schicksal und durch Gott für den moskowitischen Thron bestimmter Herrscher vorgestellt. In den nach seinem Tod 65 66 67 68 69 70

Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 61. Ebd., 66. Ebd. Ebd., 139.

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öffentlich gemachten Berichten von Geistlichen, die ihrerseits die Machtübernahme in Moskau durch die Familie der Romanov anzupreisen bemüht waren, erscheint Godunov als ein der Spiritualität der moskowitischen Herrschaft nicht gewachsener, machtsüchtiger Regent. Trotz mehrerer Gerüchte und Vorwürfe, die noch zu Lebzeiten von Boris über seine angeblichen Gräueltaten wie der Mord an dem jüngsten Sohn Ivans des Schrecklichen Dmitrij oder die Vergiftung des Zaren Fedors kursierten, finden sich diese kaum in den abgewogenen Zeitzeugenberichten oder in der offiziellen russischen Geschichtsschreibung wieder. Im Unterschied zu Pseudodemetrius ist hier auch keine Tendenz zu erkennen, Boris zu verteufeln oder als Antichrist darzustellen. Interessanterweise wird er auch überhaupt nicht als Usurpator des russischen Throns bezeichnet, und die Legitimität seines Auswahlverfahrens wird ebenfalls nicht wirklich in Frage gestellt. Trotzdem bleibt der Vorwurf der Illegitimität an dem Bild von Boris Godunov unwiderruflich haften. In der öffentlichen Wahrnehmung bzw. im russischen kulturellen Gedächtnis ist dieses Bild unweigerlich mit dem literarischen Werk von Alexander Puschkin aus dem Zyklus „Die kleinen Tragödien“ verbunden. Die literarische Fiktion über einen am Ende des Lebens verrückt gewordenen Tyrannen, der von dem ermordeten Dmitrij heimgesucht wird, wurde schließlich auch in der bekannten Oper „Boris Godunov“ des russischen Komponisten Modest Musorgskij auf den Musikbühnen der ganzen Welt verewigt. Wie faszinierend diese künstlerischen Verarbeitungen des historischen Materials auch sein mögen, entbehren sie aber jeglicher nachweisbaren Quellengrundlage. Dennoch wählen sie die gleiche Vorgehensweise in Bezug auf die Figur von Boris Godunov, der sich bereits die Zeitgenossen und spätere russische Historiker des 19. Jahrhunderts bedienten. Die Wurzeln jeglicher Kritik liegen im Versuch, die Persönlichkeit von Boris, seinen Charakter oder seine fehlende Moral zu verurteilen. Nach den besten Prinzipien der griechischen Tragödien wird ihm in erster Linie vorgeworfen, sich über den göttlichen Plan erheben und sein eigenes Schicksal selbst in die Hand nehmen zu wollen. Die Illegitimität seiner Herrschaft wird meistens zuerst postuliert und anschließend mit ziemlich subjektiven Argumenten begründet, die letztlich darauf hinauslaufen, dass seine Regierungsart und die von ihm gewählte Form der Herrschaftsausübung viel zu souverän waren und viel zu stark von der damaligen traditionellen Ordnung von Starina abwichen.

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The ‘Messianic’ Idea of Herrschaft in the Time of Troubles1 “Kings, Priests and Prophets, under the former dispensation, typified the Christ – the Anointed One of the Lord, – for all those functionaries had to be anointed. […] We have no more Prophets […] We have no more Priests, in the scriptural sense of the word […] But we still have kings! What may the reason be!” Moses Margoliouth, A Coronation Sermon Preached in the British Chapel at Moscow, 18562 Abstract This study addresses the notion of obedience-compelling authority (Herrschaft) in the Muscovite ‘Time of Troubles’ (Smutnoe vremia or Smuta, ca. 1598–1613/19) by focusing on the central concept of ‘God’s anointed’ (pomazannik Bozhii). This notion served as a primary component of legitimization for both sanctioned tsars and rebel ‘pretenders’, as well as a key point of contention in the struggles for power. From ‘anointed by God from his mother’s womb’ to ‘anointed with stinking filth’, the accounts of the crisis repeatedly manifest the undeniable salience of this originally Biblical concept in both theory and practice. The present paper traces the development and ‘transposition’ of the concept from its roots in the Hebrew Bible though Greek and Slavonic translations and provides examples of its use in the Time of Troubles. Drawing on an analysis of Moscow’s prevailing ‘New Israel’ self-identification, it explains how the multivalence of the ‘anointed’ concept made it a double-edged sword that contributed to dissent and revolt against the official church and state.

The Christian coronation ritual is an explicitly ‘messianic’ event in both derivation and explication. The custom of anointing monarchs with oil mimics a practice described in the Hebrew Bible, where the term for an anointed king or priest is ‫( משיח‬masˇiah). This word gave rise3 to the borrowings μεσσίας (messias) ˙ in Greek, Messias in Latin, and thereby ‘Messiah’ and all its equivalents in con1 A germinal version of a portion of this paper was presented in 2012 in Varna at the conference “Biblical Concepts in Slavic Tradition: Linguistic, Textual and Cultural-Historical Aspects,” sponsored jointly by the Israel Academy of Sciences and the Cyrillo-Methodian Research Centre of the Bulgarian Academy of Sciences. I would like to thank Moshe Taube and Alexander Kulik for their comments on that earlier version. 2 Moses Margoliouth, A Coronation Sermon, Preached in the British Chapel at Moscow, on the Sunday before the Enthronement of Alexander II, Emperor of all the Russias, London 1856, 11–13. 3 Probably via the Aramaic equivalent, ‫( משיחא‬mesˇiha), rather than directly from the Hebrew. ˙

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temporary languages. Correspondingly, the Christian ideology of rule regards the anointed monarch as a prototype, stand-in, and earthly representation of Christ himself. This conception held sway in Muscovite Rus’ no less, and perhaps more, than in other European Christian countries. As Michael Flier wrote in ‘The Cambridge History of Russia’, “The ideology that crystallised in Muscovy during the reigns of Ivan III (1462–1505), his son, Vasilii III (1505–33) and grandson, Ivan IV (1533–84), presented the Byzantine notion of the emperor-dominated realm as the Kingdom of Christ on Earth.”4 Sergei Bogatyrev adds, “In Byzantium, the head of the Church anointed the aspiring emperor, marking thereby his symbolical rebirth into a Christ-like status.”5 Boris Uspenskii has devoted an entire lengthy volume to the question of how Muscovite Rus’ reconceptualized and implemented the Byzantine practice of anointing both secular and ecclesiastic rulers (emperor/tsar and Church patriarch), especially in the sixteenth and seventeenth centuries.6 It should come as no surprise, then, that the concept of the ‘anointed tsar’ figures as an essential and inextricable factor of the Smutnoe vremia or ‘Time of Troubles’ (ca. 1598–1619). The entire period of traumatic upheaval may be understood, at least to a significant degree, as a life-and-death struggle over the question of who deserved to be called pomazannik Bozhii, i. e., ‘God’s anointed one’.7 An originally Biblical idea, this conception lay at the center of Muscovite

4 Michael S. Flier, Political Ideas and Rituals, in: Maureen Perrie (ed.), The Cambridge History of Russia (1: From Early Rus’ to 1689), Cambridge 2006, 387–408, here 389. See also Ibid., 400, on the baptismal-like form of the anointing practiced from 1584 at Muscovite coronations, which lent the ceremony an added religious significance. On confusion this may have caused during the Time of Troubles, see Boris A. Uspenskii, Svad’ba Lzhedmitriia, in: Trudy Otdela drevnerusskoi literatury 50 (1997), 404–425, here 407–418. The Byzantine practice of anointing had arisen in the twelfth century; for basic background and interpretation, see, e. g.: W. Ensslin, The Government and Administration of the Byzantine Empire, in: J. M. Hussey (ed.), The Cambridge Medieval History, 4.2: The Byzantine Empire: Government, Church, and Civilisation), Cambridge 1967, 1–54; George Ostrogorsky, History of the Byzantine State, trans. by Joan Hussey, revised edition, New Brunswick, NJ 1969, 27, 31, 46–48; Bernard Flusin, Les structures de l’église impériale, in: Cécile Morrisson (ed.), Le monde byzantine, 1: L’Empire romain d’Orient, 330–641, Paris 2004, 111–141, here 138–140; Gilbert Dagron, Emperor and Priest: The Imperial Office in Byzantium, trans. by Jean Birrell, Cambridge 2003, 3–4, 54–83, 127–157; Emil Herman, The Secular Church, in: Hussey 1967, 104–133, here 104; Boris A. Uspenskii, Tsar’ i patriarkh: Kharizma vlasti v Rossii: Vizantiiskaia model’ i ee russkoe pereosmyslenie, Moskva 1998, 114–135. 5 Sergei Bogatyrev, Ivan IV (1533–1584), in: Perrie 2006, 240–263, here 246. Cf. Michael McCormick, Legitimacy, Political, in: The Oxford Dictionary of Byzantium 2 (1991), 1203. 6 Uspenskii 1998. The reader should consult this monograph for a wealth of detail on the practice at various historical moments (which can only be touched on in the present essay). 7 Cf. Douglas J. Bennet, The Idea of Kingship in 17th Century Russia, Ph. D. dissertation, Harvard University, 1968, 1–2; Chester Dunning, Russia’s First Civil War: The Time of

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politico-religious thought and rhetoric. It formed part and parcel of the prevailing theory of the realm as God’s ‘New Israel’ – a continuation and replacement of Biblical Israel. The nature of the ‘messianic’ idea or ideas at play in the society thus constitutes an important subject for analysis in and of itself; more than that, it should comprise the bedrock of any attempt to make sense of the character of the Herrschaft for which the deeply catastrophic, enormously consequential, and desperately perplexing Time of Troubles seemed to call out.

1.

A Concept in Historical Space

H. G. Wells, the famous author of science fiction novels and compositions in many other genres, asserted in his massive ‘Outline of History’ that “All human history is fundamentally a history of ideas.”8 He meant that human action results from thought, conscious or unconscious, so any attempt to explain human activity in history comes down ultimately to an investigation of the ideas lodged in people’s heads in any given place and time. Even climate, Wells argued, only “deflects and distorts” the development of human history, whereas “its living root is thought.”9 One need not fully subscribe to this reductionist view in order to recognize the major importance of ideas in history. Nor is it only ideas in the sense of ‘convictions’ or ‘beliefs’ that influence the course of events. At a more basic level, the very linguistic concepts of any society simultaneously channel and reflect its thought, thereby incessantly helping to fashion the dynamic conduits within which ostensibly higher-level ideas have the possibility to flow, diverge, spread, and evolve. The historian, who always writes at some distance of time and space from the society under consideration, should therefore pay close attention to the historical concepts of that society and not simply assume the relevance of his or her own different words. Considerations of this nature have stimulated the growth of conceptual history (Begriffsgeschichte) and related approaches, especially over the past halfcentury. The understanding that sociohistorical realities cannot be adequately explained apart from the development of linguistic concepts enables a multiTroubles and the Founding of the Romanov Dynasty, University Park, PA 2001, 4–5, 259–260; Vasilii Ul’ianovskii, Smutnoe vremia, Moscow 2006, 55. 8 H. G. Wells, The Outline of History, Being a Plain History of Life and Mankind, 3rd edition, New York 1920, 2.508. Wells may have plagiarized large portions of this work from a woman named Florence Deeks; see A. B. McKillop, The Spinster and the Prophet: Florence Deeks, H. G. Wells, and the Mystery of the Purloined Past, Toronto 2001. 9 Wells 1920, 2.508.

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disciplinary and often more satisfying approach to comprehending the past.10 When it comes to explaining the Time of Troubles, we must certainly inquire into the climatic causes of the Great Famine of 1601–1604; but we must also ask – no less crucially! – why the inhabitants of Muscovite Rus’ seemed so ready to war with each other (and with others) over the idea of the ‘anointed’, and what this concept actually meant to them. This paper represents a step in that direction, though not a comprehensive study of the question, which would require significantly more space. The Muscovite Russian word помазанникъ (pomazannik) ‘anointed one’ and its relatives, such as the adjectival forms помазан (pomazan) and помазанныи (pomazannyi) ‘anointed’, come directly from earlier Slavonic. They clearly derive from the Slavic root маз- (maz-), which carries the meanings of ‘oil’, ‘butter’, ‘smearing’, and so forth. Other derivatives of the same root include масло (maslo), which in the period under consideration usually refers to ‘olive [or other vegetable] oil’, and Масленица (Maslenitsa) ‘Maslenitsa, Oily Week’, an ancient (pagan) East Slavic festival that came to be merged with Christian pre-Lent traditions.11 It is likely that the ‘native’ Slavic meanings and associations of words formed from maz- played a significant role in the conceptualization of pomazannik during the Time of Troubles. However, it would be impossible to understand the politicoreligious dimensions of this concept without tracing the meanings that had accrued via Biblical (and other) translation, to which we now turn.

10 See, e. g.: Melvin Richter, Begriffsgeschichte and the History of Ideas, in: Journal of the History of Ideas 48, 2 (1987), 247–263; Hartmut Lehmann/Melvin Richter (eds.), The Meaning of Historical Terms and Concepts: New Studies on Begriffsgeschichte (German Historical Institute Occasional Papers 15), Washington, DC 1996; Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichten: Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt am Main 2006; Jouni-Matti Kuukkanen, Towards a Philosophy of the History of Thought?, in: Journal of the Philosophy of History 3 (2009), 25–54; Anthony Burns, Conceptual History and the Philosophy of the Later Wittgenstein: A Critique of Quentin Skinner’s Contextualist Method, in: Journal of the Philosophy of History 5 (2011), 54–83; D. Timothy Goering, Concepts, History and the Game of Giving and Asking for Reasons: A Defense of Conceptual History, in: Journal of the Philosophy of History 7 (2013), 426–452. 11 Cf. Slovar’ russkogo iazyka XI–XVII vv. [SRIa] 9 (1982), 8–9, 32–35, and 16 (1990), 290–293; I. I. Sreznevskii, Materialy dlia slovaria drevne-russkago iazyka po pis’mennym pamiatnikam 2 (1902), 113–114, 1154–1156; Charles E. Gribble, Russian Root List with a Sketch of Word Formation, 2nd edition, Columbus, OH 1981, 47.

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2.

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The Ancient Hebrew Notion of ‘Messiah’

In the Hebrew Bible12 masˇiah (‘anointed, Messiah’) and related forms from the root ˙ ‫( משח‬msˇh) ‘smear, anoint with oil’ cover a wide range of meaning, from the ˙ mundane to the apparently transcendental. Thus, Jeremiah 22:13–14 pronounces woe on the exploiter of his fellow man who gains wealth by injustice and builds a great house ‫( משוח בששר‬masˇoah ba-sˇasˇar) ‘anointed [i. e., painted] with vermi˙ lion’. In 2 Samuel 1:21 David laments the slain King Saul, speaking poetically of his shield discarded ‫( בלי משיח בשמן‬beli masˇiah ba-sˇamen) ‘without being anointed ˙ [i. e., smeared] with the oil’. Here the word masˇiah seems to bear a dual sig˙ nificance: ancient leather-covered shields had to be physically smeared with oil to keep them from cracking and falling into disrepair;13 but ‘anointing’, as other passages make clear, had also already acquired the symbolic significance of kingship. In fact, David used the same word to explain why he dared not kill King Saul when he had the chance, even though Saul was trying to murder him. Twice he refused to harm his enemy and persecutor, ‘for he is the anointed (masˇiah) of ˙ YHWH [i. e., the Supreme God]’ (1 Samuel 24:6, 26:23). Instead he only cut off a piece of Saul’s garment, after which ‘his heart [i. e., conscience] smote him’ for having taken even such a small action against the Lord’s anointed (1 Samuel 24:5). When another man claimed to have killed Saul, David had him executed, saying, ‘How were you not afraid to send forth your hand to destroy the anointed (masˇiah) of YHWH?’ (2 Samuel 1:14–16).14 Other Scriptural passages warn: ˙ ‘Touch not My anointed ones (mesˇihai); and to My prophets do no evil’ (Psalms ˙ 104/105:15; 1 Chronicles 16:22). Indeed, the supra-physical significance of Biblical ‘anointing’ extended even beyond kingship to divinely authorized ‘spokespersons’ (or in the common translation, ‘prophets’). In 1 Kings 19:16 God tells Elijah to ‘anoint’ (timsˇah) Elisha ˙ as his successor who will speak and act authoritatively in Israel on YHWH’s behalf. The kohanim or ‘priests’ charged with the tabernacle or Temple service and with ‘teaching the people the difference between holy and common’ were ‘anointed’ (masˇahta, masˇhatam) with oil (Exodus 40:12–16; Leviticus 4:5, 10:10–11; Ezekiel ˙ ˙ 44:23; etc.). The psalmist envisions brothers living together harmoniously as ‘like the good oil upon the head, running down onto the beard, the beard of Aaron, that ran down [even] onto the hem of his garments’ (Psalms 133:1–2). 12 I have used the electronic edition of the Westminster Leningrad Codex, which is a corrected version of the following edition: Karl Elliger/Wilhelm Rudolph, Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2nd emended edition, Stuttgart 1983. 13 Cf. also Isaiah 21:5: ‘Rise up, O princes, anoint (misˇhu) [your] shield!’ ˙ 14 Cf. also 1 Samuel 31:4: ‘Yet his armor-bearer was not willing [to kill King Saul], because he was sore afraid’.

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The recipient of divine calling and charisma could even be termed ‘anointed’ in the apparent absence of physical anointing. In Isaiah 45:1 YHWH calls Cyrus of Persia ‘his anointed’ (mesˇiho). The status of ‘anointed’ thus indicated God’s de˙ liberate choice of an individual (or group) for a special and important task, with concomitant protection. This idea perhaps reaches its zenith in Isaiah 61:1, which proclaims, ‘The Spirit15 of the Lord YHWH is upon me, inasmuch as YHWH has anointed (masˇah) me to bring good news to the afflicted […] to call out release to ˙ captives!’ A presumably later text, Daniel 9:25–26, predicts the appearance of an ‘anointed’ (masˇiah) ruler associated with the restoration and rebuilding of Jer˙ usalem but who will also be ‘cut off ’. This description foreshadows or corresponds to developments of the Second Temple Period (ca. 530 BCE – 70 CE), which saw the rise of a conception of ‘the Anointed/Messiah’ (ha-masˇiah) who would restore the ˙ kingdom of Israel and/or die a momentous death.16 The awe and fear inspired by the Biblical Hebrew status of ‘anointed’ clearly indicates an obedience-compelling authority that (in modern terms) could be classified under the rubric of Herrschaft. The combination ‘anointed of YHWH’ bestowed the ultimate divine sanction, but also raised the possibility that there might be another kind of ‘anointed one’ (not of God). In fact, 2 Samuel 19 made this contrast explicit by terming the rebel Absalom (son of David) ‘[he] whom we anointed (masˇahnu)’ (verse 10/11) and then describing David as ‘the anointed ˙ (masˇiah) of YHWH’ (verse 21/22). Such was the rich and multifaceted Hebrew ˙ concept of ‘messiah’ as expressed by the ancient society of Israel BCE.

3.

Transposition into Greek and Slavonic

Translation of the Hebrew concept masˇiah (‘anointed’) into Greek and, centuries ˙ later, from Greek into Slavonic would result in a fragmentation and reorganization of this multifaceted idea. The Jewish-Greek translation of the Hebrew Bible known as the Septuagint (LXX; ca. 3rd–2nd centuries BCE)17 rendered forms from the root ‫( משח‬msˇh) ‘smear, anoint with oil’ by a Greek linguistic ˙ conception that was close in terms of basic physical denotation: as a verb, χρίω 15 Or: Breath, Wind (Hebrew ruah). ˙ David Flusser, Messiah: Second Temple Period, in: Ency16 Cf., e. g.: Mark 8:27–33; Acts 1:6; clopedia Judaica 11 (1971), 1408–1410; Israel Knohl, The Messiah before Jesus: The Suffering Servant of the Dead Sea Scrolls, Berkeley 2002; Lester L. Grabbe, Judaic Religion in the Second Temple Period: Belief and Practice from the Exile to Yavneh, London 2012; Daniel Boyarin, The Jewish Gospels: The Story of the Jewish Christ, New York 2012. 17 I have used the following editions: Lancelot C. L. Brenton (ed.), The Septuagint with Apocrypha: Greek and English, London 1851; Alfred Rahlfs, Septuaginta: Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, Stuttgart 1935.

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(chriô) ‘rub, anoint with oil, color’; as the corresponding adjective, χριστός (christos) ‘rubbed on, smeared with oil’. All the Biblical Hebrew passages containing the msˇh (‘anointing’) concept that were cited in the previous section ˙ received one of these two closely related Greek translations in the LXX.18 However, the manifold supra-physical overtones of the Hebrew concept were obviously not inherent in the Koine or ‘Common’ Greek terms. Hence, they could be understood properly only within the specifically Jewish-Greek literary context or ‘style’. This situation is typical for the language of the LXX and other JewishGreek texts of the Second Temple Period – including the New Testament (NT), which often imitates the vocabulary and style of the LXX. Jewish-Greek translations and original compositions thus created a unique semiotic universe based on the Hebraic substratum.19 For its part, the NT20 began a process of semantic differentiation that would eventually have consequences for the linguistic practices of Christian societies, including Rus’. The LXX corpus uses the verb chriô (‘anoint’) and the adjective christos (‘anointed’) about seventy and forty times, respectively. By contrast, the much shorter collection of NT texts employs the noun form christos well over five hundred times in the meaning of the Jewish ‘Messiah’; the related verb chriô appears in only five instances, two of which are direct quotations from the LXX (Luke 4:18; Hebrews 1:9). The disparity meant inter alia that once these texts came to be interpreted outside the Jewish-Greek linguistic context, the set form christos would eventually become largely detached from the earlier Hebraic meanings and associations, acquiring a new (specifically Christian) significance. Moreover, in two places (John 1:41, 4:25) the NT gave the Hebraism μεσσίας

18 Daniel 9:25–26 represents a partial exception: here LXX translates the first instance of masˇiah ˙ by christos, but the second by another closely related word, χρῖσμα (chrisma) ‘anointing (oil)’. See also below for the consequences of this variation for the Slavic translation. 19 Among the large literature on the topic, see, for example: David Hill, Greek Words and Hebrew Meanings: Studies in the Semantics of Soteriological Terms (Society for New Testament Studies Monographs 5), London 1967; J. A. L. Lee, A Lexical Study of the Septuagint Version of the Pentateuch (Septuagint and Cognate Studies 14), Chico, CA 1983; Staffan Olofsson, The LXX Version: A Guide to the Translation Technique of the Septuagint (Coniectanea biblica: Old Testament 30), Stockholm 1990; Jan Joosten, The Ingredients of New Testament Greek, in: Analecta Bruxellensia 10 (2005), 56–69; Nicholas de Lange, Jewish Greek, in: A.-F. Christidis (ed.), A History of Ancient Greek from the Beginnings to Late Antiquity, Cambridge 2007, 638–645; Mark Janse, The Greek of the New Testament, in: Christidis 2007, 646–653; Jan Joosten, The Graeco-Semitic Vocabulary of the New Testament: A Plea for a New Research Tool, in: Juan Pedro Monferrer-Sala/Ángel Urbán (eds.), Sacred Text: Explorations in Lexicography (Studien zur romanischen Sprachwissenschaft und interkulturellen Kommunikation 57), Frankfurt am Main 2009, 115–126. 20 I have used the following electronic edition: Michael W. Holmes, SBL Greek New Testament, http://www.sblgnt.com (1. 8. 2018).

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(messias), thus diversifying the lexical possibilities for rendering the earlier Biblical Hebrew concept masˇiah. ˙ Translation of the Bible into Slavonic, usually from Greek, took place from the ninth century on. It significantly intensified the fragmentation and reconfiguration of the original Biblical Hebrew concept of the ‘anointed’. Since our task here is not to examine the evolution of Slavic translations, but rather to understand the linguistic options available to Muscovites in the late sixteenth and early seventeenth centuries, I shall skip over the earliest versions and give examples from the East Slavic Ostroh Bible of 1581.21 Even the dozen or so Biblical fragments cited above in Hebrew and Greek will provide ample illustration of the heightened lexical diversification manifest in contemporary Church Slavonic. In the first place, the most literal and physical meaning of masˇiah/christos ˙ could now be reassigned to an entirely different category. In the Slavic Jeremiah 22:14 the unjust man does not ‘anoint’ his house but rather пишетъ (pishet) ‘writes, draws, paints’. In other words, at least some of the base level of the Biblical ‘anointing’ concept will have dropped out of any East Slavic equivalent. In the second place, the East Slavic translation frequently employs a transliteration of Greek christos, following its sources also in abbreviating христосъ (khristos) as a nomen sacrum (thus, e. g., in 1 Samuel 24:6, 26:23; 2 Samuel 1:14– 16; and throughout the NT). Here the obviously foreign borrowing and ‘marked’ special term has no association with any verb in the language of translation, making its usage extremely different from the Hebrew and Greek precedents. Within the Slavic language khristos bears no evident relation to words for ‘anointing’; to perceive that connection requires knowledge of another tongue. In the Slavic vocabulary khristos serves primarily as a sacred (opaque) title of Jesus and of Biblical figures regarded in Christian theology as ‘foreshadowing’ him.22 In the third place, some cases of Greek chriô/christos are rendered by derivatives of the Slavic root for ‘anointing’: помажеши (pomazheshi) and помазанiе (pomazanie) in the text about anointing the priests in Exodus 40:12–16; помазано (pomazano) for Saul’s shield or weaponry in 2 Samuel 1:21; помажеши (pomazheshi) in the case of Elijah’s successor in 1 Kings 19:16. These are all instances where the context clearly requires a physical action, and thus the transliterated title khristos cannot serve. The divine action described in Isaiah 61:1, which goes beyond the physical, also receives the translation помаза (pomaza) ‘anointed’; and in Isaiah 45:1 Cyrus of Persia too is called помазанныи 21 I have used the following edition: Rafail (Roman) Turkoniak (ed.), Biblia sirech knigy vetkhago i novago zaveta, po iazyku slovensku, 61 volumes, Lviv 2003–2005. 22 The term khristos could be applied to figures other than Jesus only rarely; cf. Alexander I. Pereswetoff-Morath, ‘Whereby We Know that it is the Last Time’: Musings on AntiMessiahs and Antichrists in a Ruthenian Textual Community (Slavica Lundensia Supplementa 3), Lund 2006, 32.

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(pomazannyi) ‘anointed one’. In this manner the Slavic physical concept acquires some of the non-physical overtones of the Hebrew (via Greek). Finally, in the fourth place, the Ostroh version transliterates or borrows messias as месiа (mesia) in John 1:41 and 4.25. What began as a unitary if multidimensional concept in Biblical Hebrew has thus been fragmented and reconstituted differently via the process of passing through Greek and into Slavonic. We observe four very different conceptualizations in the East Slavic version, one of which bears no relation to ‘anointing’ and a further two of which are foreign borrowings unrelated to Slavic words for ‘anointing’. In some cases the disjunction is particularly acute: in the parallel texts Psalms 104/105:15 and 1 Chronicles 16:22, the former has pomazanyi and the latter khristy (plural); 2 Samuel 19 gives pomazakhom for Absalom (verse 10/ 11) but khristos for David (verse 21/22); influenced by variation in the Greek, Daniel 9:25–26 gives khristos and then pomazanie (though the original Hebrew uses the same word in both instances). Despite such divergences, educated monks did have access to knowledge connecting these various concepts. The occurrences in John of messias/mesia ‘Messiah’ equate the term to christos/khristos ‘Christ’. Sixteenth-century glossaries of foreign words clearly identify both Slavonic transliterations/borrowings – месiа (mesia) and х[ристо]с (khristos) – with помазаныи (pomazanyi) or помазаникъ (pomazanik), Slavic terms for ‘anointed (one)’.23 Hence, the complex of ideas going back to Hebrew masˇiah remained at least potentially linkable ˙ in the East Slavic environment, even if the average reader or hearer of the Slavonic Bible would not have perceived their common Biblical origin. At the same time, the distinct concepts necessarily conveyed different meanings and nuances, all of which had undergone considerable evolution vis-àvis their Biblical precedents. In particular, khristos evoked a specifically Christian and generally anti-Judaic theological conception; Jesus as the ‘Christ’ rejected by the ‘accursed Jews’.24 Mesia and its variants25 remained a relatively rare and 23 E. g. Liudmila S. Kovtun, Russkaia leksikografiia epokhi srednevekov’ia, Moskva 1963, 433; idem, Leksikografiia v Moskovskoi Rusi XVI – nachala XVII v., Leningrad 1975, 291. 24 On the abundance of anti-Judaic literature in Rus’ (and the centrality of anti-Judaic ideas for Rus’ Christian religion), see especially Alexander Pereswetoff-Morath, A Grin without a Cat (Lund Slavonic Monographs, 4/5), 2 vols., Lund 2002; Anatolii A. Alekseev, Adversus ioudaeos: Vostochnoslavianskaia versiia XI–XV vv., in: V. E. Bagno et al. (eds.), Mezhetnicheskie i mezhkonfessional’nye sviazi v russkoi literature i folk’lore, S.-Peterburg 2013, 25–49. 25 Note that other East Slavic texts preserved a number of alternative transliterations and transcriptions, including some that apparently reflect contact with Hebrew-knowledgeable Jews. For instance: mesei, messiia, mashika, mashiaak, mashiiak, meshiiakh, mesiiakh, mashiakh, mashle˛kh, myshle˛kh, mashleˇkh, etc. See: Halina Wa˛tróbska (ed.), The Izbornik of the XIIIth Century (Cod. Leningrad, GPB, Q.p.I.18): Text in Transcription, in: Polata K”nigopis’naia 19/20 (1987), [entire issue], here 194; Pereswetoff-Morath 2006, 21–22, 31, 96; A.

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obviously foreign curiosity, a vestige of the earlier Jewish history to which Muscovite Rus’ claimed to be the successor. The term pomazan(n)yi, however, preserved the physical meaning of ‘anointing’ as applied to kings and others selected for divine tasks, while also incorporating the supra-physical (extended) meanings of the Hebrew concept manifest especially in the book of Isaiah. It also had strong associations with ecclesiastic ritual, which, for instance, made use of oil anointing for baptism. Finally, royal pomazanie or ‘anointing’ in Muscovite Rus’ may additionally have carried connotations of ‘our’ (i. e., the native Rus’) tsar, given the linguistic root associations with ancient East Slavic custom. Taken as a whole, the concept implied a ruler chosen and appointed by God for the specific purpose of preserving and defending the Rus’ Orthodox faith and state.

4.

‘Anointing’ in the Muscovite Smuta

Muscovite Rus’ literature rested on the foundation of Old Church Slavonic translations of the Bible and ecclesiastic texts. Quotations, allusions, and imitations of Biblical language saturate the writings of the period, including the chronicles, vision tales, and other accounts associated with the Smutnoe vremia. The conceptualizations created or expressed in Slavonic thus form the linguistic bedrock that defined much of the semantic space for thought and discourse in Muscovite Rus’.26 The notions of ‘anointing’ current at the time would play a central role in the Time of Troubles. At his coronation in September 1598, Boris Godunov stressed that the preceding pious tsar, Fyodor, had been ‘anointed’ (pomazalsia) and now God’s will was that the patriarch should similarly anoint (b[y] pomazal) him (Boris) to rule.27 All subsequent rulers of the period would imitate or attempt to imitate him in acquiring and underlining this special status as pomazannik I. Grishchenko, O gebraizme машлѧхъ ‘messias’ v Palee tolkovoi, in: Vestnik Literaturnogo instituta im. A. M. Gor’kogo 1 (2012), 15–22; Sergei Temchin, Kirillicheskii rukopisnyi uchebnik drevneevreiskogo iazyka (XVI v.): Publikatsiia i obshchaia kharakteristika pamiatnika, in: Violeta Meiliu ¯ naite˙/Nadezˇda Morozova (eds.), Naujausi kalbu˛ ir kultu¯ru˛ tyrimai (Kalbu˛ ir kultu¯ru˛ sankirtu˛ archyvai 4), Vilnius 2012, 137–180, here 150. 26 See, e. g. Daniel B. Rowland, Muscovite Political Attitudes as Reflected in Early Seventeenth Century Tales about the Time of Troubles, Ph. D. dissertation, Yale University 1976, 116–117; Dmitrii M. Bulanin, O nekotorykh printsipakh raboty drevnerusskikh pissatelei, in: Trudy Otdela drevnerusskoi literatury 37 (1983), 3–13; Joel Raba, The Biblical Tradition in Old Russian Chronicles, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 46 (1992), 9–20; Isaiah Gruber, Orthodox Russia in Crisis: Church and Nation in the Time of Troubles, DeKalb, IL 2012, 38–43. 27 Akty, sobrannye v bibliotekakh i arkhivakh Rossiiskoi imperii Arkheograficheskoiu ekspeditsieiu Imperatorskoi akademii nauk [AAE] 2, S.-Peterburg 1836, 55. Compare Uspenskii 1998, 136–143.

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Bozhii, ‘God’s anointed [ruler]’ – a proof of divine legitimacy and guarantee against revolt, at least in theory. The language of ‘anointing’ hence permeates all political discourse of the period. When Mikhail Romanov ascended the throne in 1613, initiating a new dynasty, the monastic writer Avramii Palitsyn hailed him as “chosen by God before his birth and anointed (pomazannyi) from his mother’s womb” (прежде рождениа его от Бога избранныи и из чрева матерняя помазанныи).28 Yet the Biblical tradition also conveyed the understanding that even the legitimate, divinely sanctioned ‘anointed of God’ might turn evil, as had King Saul. This notion, too, proved vital to politico-religious discourse in the Time of Troubles. The rhetoric at Tsar Vasilii’s accession in 1606 denigrated Tsar Boris as an evil murderer – but nonetheless upheld his undiminished legitimacy as the anointed ruler. From this point of view, Dmitrii’s military campaign against Boris, the success of which might otherwise be seen as a sign of God’s favor, had actually constituted an unlawful rebellion against God.29 Evil deeds were not sufficient to remove the protected messianic status of an anointed tsar. Moreover, as noted above, the very formula ‘anointed of the Lord’ implied the possibility of an opposing type of ‘anointed one’. This opportunity would be exploited by the bureaucratic functionary Ivan Timofeev, among other contemporary authors. In condemning the pretender Dmitrii III, Timofeev wrote that he “had come forth from thorns, anointed with stinking filth” (от терния проникша смрадным скверны помазан).30 The same author called Dmitrii I ‘the antichrist incarnated in flesh’ (оболкся в плоть антихрист).31 Such an approach entailed also a repudiation of the Orthodox Church hierarchs who had legitimized and anointed the pretender on God’s behalf. It is no surprise, then, that in the literature of the period we find harsh opinions advanced regarding ‘false’ (or ‘Satanic’) vs. ‘true’ (or ‘Godly’) ecclesiastic patriarchs, as well as ‘false’ vs. ‘true’ tsars.32 In fact, the Gospels and related literature had predicted ψευδόχριστοι (pseudochristoi) ‘false Christs’ (Matthew 24:24; Mark 13:22) as well as ἀντίχριστοι (antichristoi) ‘antichrists’ (i. e., opponents of the Messiah/Anointed; 1 John

28 Avraamii Palitsyn, Skazanie Avraamiia Palitsyna, ed. L. V. Cherepnin/O. A. Derzhavina/ E. V. Kolosova, Moskva 1955, 238. Archpriest Terentii had made a similar statement about Tsar Dmitrii in mid-1605, see Gruber 2012, 117–118. 29 AAE 2, 104–105; Gruber 2012, 135–136. 30 Ivan Timofeev, Vremennik Ivana Timofeeva, ed. V. P. Adrianova-Peretts/O. A. Derzhavina, Moskva 1951, 127. 31 Ibid., 83. 32 Such rhetoric is widespread in the sources of the period, constituting a defining element of the politico-religious discourse. For some examples and discussion, see, e. g. Dunning 2001, 236; Gruber 2012, 40, 109–110, 114–119, 128–131, 137–138, 141–142, 153–154, 164, 183.

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2:18).33 The intense rhetoric surrounding the constant violent changes of power during the Time of Troubles manifests a similarly apocalyptic flavor, as has been pointed out by several scholars from various angles. For instance, Maureen Perrie has argued for the importance of the Biblical messianic title ‘sun of righteousness’ (Malachi 4:2) for enabling belief in the legitimacy of pretenders to the throne during the Time of Troubles.34 Aleksandr Filiushkin has remarked that the Russian ruler of this period was considered no ordinary mortal but rather a ‘tsar-messiah’, that is, the defender of Orthodoxy and “guarantor of pravda,” a term which could be translated here as ‘justice and truth’.35 Both these historians also contrast the ‘messiah’ figure with his opposite, the ruler who destroys the true faith, who lies and deceives, who is heretical or Satanic. Muscovite authors indeed portrayed the Smuta in these terms: as a mortal combat between eternal good and evil, with the fate of Orthodox Christianity – and thus the salvation of the entire world – hanging in the balance.36 Aside from the extremely catastrophic nature of the period itself, the reasons for this portrayal lay in the broader fundamental ideology of the Muscovite politico-religious society.

5.

The ‘New Israel’ in Trouble

The literati of Muscovite Rus’ – or early modern Russia – conceptualized their polity as the ‘New Israel’.37 Put simply, this means that they envisioned their church and state as a continuation and replacement of ancient Biblical Israel. In this self-image Orthodox Rus’ represented God’s new ‘chosen people’, carrying out his universal and majestic purposes on the earth. After the fall of Constantinople in 1453, Moscow envisaged itself (in the words of Charles Halperin) as the capital of “the last remaining tsarstvo [i. e., true empire] on earth, on whose survival the very possibility of salvation depended.”38

33 On East Slavic literary traditions related to the antichrist, see Pereswetoff-Morath 2006. 34 Maureen Perrie, Pretenders and Popular Monarchism in Early Modern Russia. The False Tsars of the Time of Troubles, Cambridge 1995, 66, 78–81, 165, 245–246. Perrie’s analysis draws on Boris Uspenskii’s analysis of the motif. 35 Aleksandr Filiushkin, Religioznyi faktor v russkoi vneshnei politike XVI veka: Ksenofobiia, tolerantnost’ ili pragmatizm, in: Ludwig Steindorff (ed.), Religion und Integration im Moskauer Russland, Wiesbaden 2010, 145–179, here 145, 159, 165, 178. 36 Cf. Gruber 2012, 164–167, 181, 193. 37 Cf., e. g., Daniel B. Rowland, Moscow: The Third Rome or the New Israel?, in: Russian Review 55, 4 (1996), 591–614; Joel Raba, The Gift and Its Wages: The Land of Israel and the Jewish People in the Spiritual Life of Medieval Russia, Brepols 2014; Gruber 2012, 23–50. 38 Charles J. Halperin, The Tatar Yoke, Columbus, OH 1985, 175.

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The Time of Troubles brought the notion of Russia as the ‘New Israel’ to the forefront of political consciousness. As part of the legitimation strategies adopted in 1598, Patriarch Iov publicly pronounced Boris Godunov “the inflexible true champion of the unblemished Orthodox Christian faith” and “liberator of us, the New Israel, the people called by Christ’s name”.39 The Povest’ o nekoei brani, a lament about the fate of the country during the Smuta, directly applied a plethora of Biblical quotations about Israel to contemporary Muscovy. The author of this text went so far as to address the deity as ‘Israel’s God’ (Bozhe Izrailev), with ‘Israel’ here obviously intended as a moniker of Orthodox Christian Rus’.40 The second, presumably ‘false’ Dmitrii proclaimed himself “tsar and grand prince […] chosen by God […] anointed by God (Bogom pomazannyi) […] made like the Second Israel […] the only Christian tsar under the sun”.41 As illustrated by these examples, the concept of ‘anointing’ played a central role in the ideology of rule founded on Muscovy’s claimed status as literally ‘(New) Israel’. Elsewhere I have written: Russia did not invent its claim to be Israel. Christianity as it developed in the Roman Empire was supersessionist, positing a replacement of Israel by the Church. […] In Russia, the New Israel doctrine assumed a unique form due to the peculiarities of historical development. […] With the possible or partial exception of Ethiopia, no other state in medieval and early modern times appears to have held such a view as its official and exclusive ideology. New Israel or ‘replacement’ theology did influence all Christian societies to some extent. In Russia, however, the confluence of church and state produced a ‘self-image’ governed by exclusive identification with ancient Israel.42

Some of the above phrasing may have been unfortunate, for at least one reviewer apparently misunderstood the passage as an erroneous exclusion of Byzantium from the given worldview.43 Actually, the intended argument was that Muscovy inherited its general outlook from Byzantium, and that other Christian countries also shared the same conception to a considerable degree. After Byzantium fell, only Muscovite Rus’ remained with precisely this self-conception.44 By way of

39 AAE 2, 6–8; Gruber 2012, 86–87. 40 Russkaia istoricheskaia biblioteka, izdavaemaia Imperatorskoiu arkheograficheskoiu kommissieiu [RIB] 13, 2nd edition, S.-Peterburg 1909, 257–260; Gruber 2012, 41–42. 41 Akty istoricheskie, sobrannye i izdannye Arkheograficheskoiu kommissieiu [AI] 2, S.-Peterburg 1841), 140; Gruber 2012, 127, 143. 42 Gruber 2012, 26–27. 43 Aleksandr Lavrov, [Review of] Isaiah Gruber, Orthodox Russia in Crisis: Church and Nation in the Time of Troubles, in: Cahiers du monde russe 55, 3/4 (2014), 338–344, here 340. 44 Another reviewer understood the statement in its intended sense: “Gruber notes that most, if not all, early-modern Christian states invoked New Israel imagery, but in Muscovy these ideas gained heightened trenchancy because of Russia’s status as the sole surviving Orthodox state [after 1453].” Valerie Kivelson, [Review of] Orthodox Russia in Crisis: Church and Nation in

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clarification, I would simply agree with Joel Raba that for the Muscovite bookmen, “The ancient Israelites and the Land of Israel […] were the sacred model of the world. Although this paradigm was part of Medieval Europe’s [common] Christian Weltanschauung, the message that Russia derived from the Holy Scriptures, particularly in relation to the Jews, was unique.”45 Indeed, the roots of Muscovy’s dominant self-conception as the ‘New Israel’ lay in the common theological heritage of Christianity; hence, the Church had a major role to play in facilitating rhetorical expressions of power and authority during the Time of Troubles. In 1598 Patriarch Iov took the lead in claiming to speak for God, relying heavily on ‘New Israel’ ideas in creating an entirely new legitimization paradigm for the non-hereditary tsar Boris Godunov. In place of traditional dynastic succession, three ‘voices of legitimacy’ emerged in a combination that would become typical for the Time of Troubles but remain unique in the context of the rest of Rus’/Russian history. With some slight linguistic license they may be termed: 1) vox Dei (‘the voice of God’), as represented by the proclamations of the Orthodox patriarch and other top Church hierarchs; 2) vox populi (‘the voice of the people’), as expressed by ostensible zemskie sobory or ‘councils of the land’46; and 3) vox feminae (‘the voice of a [royal] woman’), which refers to the validation almost invariably provided by a tsaritsa during this period. Wittingly or unwittingly, each ruler of the Time of Troubles then modified, expanded, and entrenched this novel paradigm of legitimacy. The supposed ‘Crimean campaign’ in the summer of 1598 provided the new government an outstanding opportunity to battle in the realm of ideas (while avoiding actual warfare). In a highly public correspondence, Patriarch Iov declared that God would give Tsar Boris “a rod of strength from Zion” and “break iron bars” before him. These expressions derived primarily from Isaiah 45, the aforementioned ‘messianic’ prophecy addressed to Cyrus of Persia.47 After Boris’ triumphant return to Moscow, the so-called Sobornoe opredelenie (i. e., ‘Conciliar Determination’, but probably a draft declaration rather than the record of any actual council) advanced the shocking claim that “the voice of the people is the voice of God” (glas naroda glas Bozhii). In Moscow of 1598 this was by no the Time of Troubles, by Isaiah Gruber, in: The Catholic Historical Review 99, 3 (2013), 565– 566, here 565. 45 Raba 2014, 345. 46 On this ‘institution’, see especially Lev V. Cherepnin, Zemskie sobory Russkogo gosudarstva v XVI–XVII vv., Moskva 1978; Donald Ostrowski, The Assembly of the Land (Zemskii sobor) as a Representative Institution, in: Jarmo Kotilaine/Marshall Poe (eds.), Modernizing Muscovy: Reform and Social Change in Seventeenth-Century Russia, London 2004, 117– 142; Isaiah Gruber, Who Counts as ‘People’ (narod)? A Reconsideration of vox populi in the First Russian Time of Troubles (Smutnoe vremia), in: Canadian-American Slavic Studies 48 (2014), 168–178, here 169–171. 47 AAE 2, 6–8; Gruber 2012, 86–87.

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means an ordinary or commonplace proverb. In fact, the idea of vox populi, vox Dei – though known in the West – completely contradicted the main thrust of all Russian Orthodox political legitimation up to 1598.48 Moreover, its prior absence from the corpus of Rus’ political rhetoric suggests that contacts with decidedly non-Orthodox Elizabethan England may possibly have provided the inspiration for this innovation.49 In addition to such official pronouncements, Boris’ administration took steps to incarnate or manifest these ideas in physical space. According to Secretary Timofeev, Boris considered his “primary and most exalted deed” to be the construction of a model of the Jerusalem Temple inside the Moscow Kremlin50 – a powerful symbol of the claimed spatial transfer of divine presence and authority from ‘Old’ to ‘New’ Israel. Such an ambitious project might have helped to establish a new family dynasty, but instead the violent rebellion led by Dmitrii cut Boris’ plans short. Subsequent rulers and pretenders of the Time of Troubles repeated the new paradigm of legitimacy invented in 1598, similarly claiming to have been ‘chosen’ by ‘all the people’. Such popular ‘election’ or ‘selection’ (izbranie) by ‘the people’ (narod) was not democratic in the modern sense of the word. Rather, it represented a kind of coordinated acclamation of the one said to be already ‘forechosen’ (predizbran) by God, with the mass of the population playing no role in the actual selection.51 In 1610, remarkably, the same concept was also used officially to justify the deposition of a tsar, allegedly ‘at the request of all the people’ (po chelobit’iu vsekh liudei gosudar’stvo).52 In their official announcement, the leading boyars – not ordinarily known for deep concern with the desires of the populus – claimed to defend Russian Orthodoxy by actualizing the alleged will of the people, who ‘do not love Sovereign, Tsar, and Grand Prince Vasilii Ivanovich of all Russia […] and do not want to serve him’.53 That pronouncement is truly astounding within the broader context of Muscovite politico-religious ideology and could only have appeared after a series of previous appeals to vox populi. To claim that the people could depose a divinely appointed and anointed tsar simply because they did not like him and no longer 48 AAE 2, 13–16; Gruber 2012, 88–90; Gruber 2014. 49 See Gruber 2014, 175–178. 50 Первое убо и верховнейшее дело его: основание во уме своем положи и промчеся всюду, еже о здании святая святых храма сего весь подвиг бе; яко же во Иерусалиме, во царствии си хотяше устроити, подражая мняся по всему Соломону самому, яве, яко уничижив толик древняго здания святителя Петра храм успения божия матере. И яже к созданию на сограждение стенам потребная готовляхуся им вся. Adrianova-Peretts/ Derzhavina 1951, 64–65. 51 See, e. g., AAE 2, 15–16; Gruber 2012, 79–80, 89, 178, 187. 52 AAE 2, 277–278; Gruber 2012, 160. 53 AAE 2, 277–278; Gruber 2012, 160.

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wished to fulfill their sworn oaths of loyalty completely contradicted the whole orientation of pre-Smuta (and post-Smuta) Muscovite politics. Yet so entrenched had the legitimacy of vox populi become in just a few years that the official accession documents for Mikhail Romanov necessarily conformed to the same pattern: churchmen proved his legitimacy by reciting the now-canonical (!) expression, ‘Even as it is written, the voice of the people is the voice of God’ (iakozhe pishet glas naroda glas bozhii).54 The legitimation strategies of the Time of Troubles had several other aspects as well. As in many cultures, alleged reluctance to accept the throne was taken as a sign of fitness to rule. Accession documents also typically provided a Reichsgeschichte beginning from Caesar Augustus, continuing through the Riurikid dynasty,55 and positing an unbroken continuity through the present new ruler. However, by far the most striking feature in terms of innovation lay in the novel dependence on a royal woman to ‘bless’ each new tsar to rule. In the absence of hereditary legitimacy in 1598, the publicists had relied on Boris’ sister’s marriage connection to the former dynasty, Irina/Aleksandra Godunova being the tsaritsa and widow of Tsar Fyodor. Such vox feminae quickly became yet another indispensable criterion of legitimacy in the Time of Troubles. Fyodor II, the son of Boris Godunov, was similarly ‘blessed to rule’ by his mother Tsaritsa Maria. Dmitrii I relied on the witness of his supposed mother, a different Tsaritsa Maria (Marfa, widow of Ivan IV), to prove his rightful claim to the throne. Vasilii Shuiskii propagated a contradictory letter from this same Tsaritsa Maria attesting that Dmitrii had lied. Dmitrii II allied with Tsaritsa Marina, the bride of the first Dmitrii, to assert his own claims. In 1613, in an imitative reprise of 1598, Tsaritsa Ksenia/Marfa played the same role for her son Mikhail Romanov. Thus, during the Time of Troubles royal women ostensibly bestowed their men with legitimacy to accede to the Muscovite throne and rule God’s ‘New Israel’.56 The strength of the Virgin Mary and Princess Olga cults in Muscovite Russia may have helped to nourish the possibility of such a development. At the height of the Troubles, the monasterial founder Galaktion of Vologda pronounced: “[Our] 54 Sobranie gosudarstvennykh gramot i dogovorov, khraniashchikhsia v Gosudarstvennoi kollegii inostrannykh del [SGGD] 1, Moskva 1813, 615–626; Gruber 2012, 171, 175. 55 The ‘Riurikid dynasty’ itself may have been a sixteenth-century invention for legitimation purposes; see Donald Ostrowski, Was There a Riurikid Dynasty in Early Rus’?, in: CanadianAmerican Slavic Studies 52, 1 (2018), 30–49. 56 For sources and discussion, see Gruber 2012, 75–96, 111–112, 116, 125, 133–137, 141–142, 163, 172–176, 188–189, passim. Cf. also Isolde Thyrêt, Between God and Tsar: Religious Symbolism and the Royal Women of Muscovite Russia, DeKalb, IL 2001, 102; idem, Marfa Ivanovna and the Expansion of the Role of the Tsar’s Mother in the 17th Century, in: Chester S. L. Dunning/Russell E. Martin/Daniel Rowland (eds.), Rude and Barbarous Kingdom Revisited: Essays in Russian History and Culture in Honor of Robert O. Crummey, Bloomington, IN 2008, 109–129, esp. 110–111.

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sins called forth the Poles and Lithuanians upon us: let [us] begin fasting and prayer and hurry to build the temple of the Sign of the Mother of God. The heavenly tsaritsa will liberate Vologda!”57 Thus, devotion to the ‘Mother of God’ (bogoroditsa) and faith in her powers likely contributed to the acceptability and appeal of assigning legitimizing power to an earthly tsaritsa in order to ‘birth’ a Christomimetic ruler – i. e., a ‘messiah’ figure charged with establishing the kingdom of God on earth.58 The violence and anguish of the Time of Troubles would arguably entrench ‘New Israel’ ideas all the more deeply in the Muscovite or Russian psyche. By the mid-seventeenth century Patriarch Nikon accomplished with his New Jerusalem monastery the kind of ambitious and ideologically motivated building project that Tsar Boris had envisioned.59 Even Peter the Great, who abolished the Muscovite patriarchate, christened the Neva River a ‘New Jordan’ as part of his program for St. Petersburg to replace Moscow as seat of the ‘New Israel’.60 More recently, the Russian Orthodox archpriest and historian Lev Lebedev has stated: “The conception of the Rus’ land as representing an image of the ‘Promised Land’ of the Kingdom of Heaven, the ‘New Jerusalem’ […] is the most astonishing and enthralling feature of the ecclesio-theological and popular consciousness of Rus’ from the tenth to the seventeenth century.”61

57 Quoted in Mikhail Tolstoi, Istoriia russkoi tserkvi: Rasskazy iz istorii russkoi tserkvi, Sortavala 1991, 483. 58 See Thyrêt 2001; Thyrêt 2008; Gruber 2012, 188; Gary Marker, Imperial Saint: The Cult of St. Catherine and the Dawn of Female Rule in Russia. DeKalb, IL 2007. Many historiographic presentations mention ‘Christomimetic’ rulership without assigning much content to the notion of ‘imitating Christ’ as king. For some indications regarding how Western medieval commentators read the Biblical stories about the ancient kings of Israel as instructive concerning the nature of anointed, Christ-like rulership, see Eric P. Miller, The Politics of Imitating Christ: Christ the King and Christomimetic Rulership in Early Medieval Biblical Commentaries, Charlottesville, VA 2001. 59 See, e. g., Kevin M. Kain, ‘New Jerusalem’ in Seventeenth-Century Russia: The Image of a New Orthodox Holy Land, in: Cahiers du monde russe 58, 3 (2017), 371–394. 60 See Robert Collis, The Petrine Instauration: Religion, Esotericism and Science at the Court of Peter the Great, 1689–1725, Leiden 2011, 403 n. 117. 61 Lev Lebedev, Moskva patriarshaia, Moskva 1995, 287. For an overview, see Charles Halperin, The Concept of the Russian Land from the Ninth to the Fourteenth Centuries, in: Russian History 2, 1 (1975), 29–38. Cf. also Andrei Korenevskii, ‘Novyi Izrail’’ i ‘Sviataia Rus’’: E˙tnokonfessional’nye i sotsiokul’turnye aspekty srednevekovoi russkoi eresi zhidovstvuiushchikh, in: Il’ia Gerasimov/Marina Mogil’ner/Aleksandr Semenov (eds.), Konfessiia, imperiia, natsiia: Religiia i problema raznoobraziia v istorii postsovetskogo prostranstva (Novye granitsy), Moskva 2012, 15–35; and Nicolas Berdyaev, The Russian Idea, trans. by R. M. French, New York 1948 which points to such ideas as fundamental for understanding the Russian psyche even in the twentieth century.

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6.

Isaiah Gruber

Orthodoxy, Moneymaking, and Dissent

The bulk of available documentation on Russian Orthodoxy during the Time of Troubles consists of economic records: business accounts, tax exemptions, donations to monasteries, loan ledgers, land surveys, and so forth. Ecclesiastic economic interests played an enormous role in shaping the historical context within which the Troubles occurred. A major expansion of monasteries into the northern and eastern regions of the state (including Siberia) in the decades prior to the Smuta seems to have resulted primarily from the lure of profitable forest products, while the lack of such profitable resources in the southern regions of the Russian realm hindered the establishment of new monasteries and the concomitant spread of Church influence there. This despite state subsidies intentionally designed to jumpstart such growth in the south. As a result, when peasants, slaves, impoverished landowners, and others fled to the southern and southwestern border regions during the Smuta, they entered a frontier zone relatively free of official Muscovite politico-religious propaganda. These borderlands soon proved an explosive tinderbox, igniting a series of violent revolts that would shake the very foundations of the state and place its continued existence in doubt.62 Remarkably, some Church institutions maintained and even increased their revenue during the horrific collapse of the Time of Troubles. The suffering and death caused by the Troubles apparently prompted an upswing in religiosity, including donations to monasteries on behalf of living and dead relatives.63 At the same time, however, ecclesiastic economic policies alienated many commoners and produced endless conflict. Some hierarchs, monks, and pious laypeople probably sacrificed greatly to help the literally starving masses, as certain tales indeed report. However, most of the surviving documents tell a very different story. Internal inventories of the Kirillo-Belozersk and Solovetskii monasteries give credence to widespread contemporary rumors of ecclesiastic hoarding of grain and other supplies during the famine – or at least confirm that some privileged churchmen remained well-fed while perhaps a quarter or a third of the population starved to death.64 62 Gruber 2012, 51–74. 63 For sources and discussion, see Gruber 2012, 97–126, 143–151, 185. 64 St. Petersburg, Rossiiskaia natsional’naia biblioteka [RNB], f. 351; Moscow, Rossiiskii gosudarstvennyi arkhiv drevnikh aktov [RGADA], f. 1111, op. 1.3, ed. khr. 111, and f. 1201, op. 1, ed. khr. 7, 9; Akty feodal’nogo zemlevladeniia i khoziaistva [AFZKh], ed. Lev V. Cherepnin, 1, Moskva 1951, 268 (No. 312); Isaac Massa, A Short History of the Beginnings and Origins of These Present Wars in Moscow under the Reign of Various Sovereigns down to the Year 1610, trans. and ed. G. Edward Orchard, Toronto 1982, 53; Cherepnin/Derzhavina/Kolosova 1955, 105–106; Jacques Margeret, The Russian Empire and Grand Duchy of Muscovy: A 17th-Century French Account, trans. and ed. Chester S. L. Dunning. Pittsburgh 1983, 58;

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Though part of the justification for monasteries had always been to help the poor, the Iosifo-Volokolamsk monastery expended only about 0.5% of its annual monetary income on charity. Kirillo-Belozersk devoted a slightly more generous but still meager 1%.65 The Solovetskii monastery carried on an immensely profitable salt trade all through the Great Famine, with revenue in the thousands of rubles per year (roughly equivalent to millions of dollars today). On a single business trip in mid-1605, at the height of the famine, its top elders collected over 1,000 rubles from various sources, including donations (vklady), loans, and sales. The main purpose of their journey consisted in presenting lavish gifts to the new sovereign Tsar Dmitrii Ivanovich – whom they clearly recognized as legitimate – as well as his ostensible mother Marfa/Maria and Patriarch Ignatii, both of whom had played key roles (willingly or not) in legitimizing his accession. During the trip these monastic business executives did find some occasion for almsgiving; an impersonal entry in their ledger reads: “To the poor was expended 5 altyn 2 dengi” – that is, 0.16 rubles, or about 0.03% of their total expenditure and a miniscule 0.015% of their income on the voyage.66 Thus, charity does not seem to have represented a primary concern of the bigbusiness monasteries; note, however, that the extant source base is inherently skewed toward the fifteen or twenty largest ecclesiastic institutions. It is even possible that major monasteries took action to help end the Troubles only once they saw their profit margins dwindle and disappear in later years (ca. 1610– 1613).67 Until then, they remained an integral part of the turbulent political system, endorsing each successive ruler of the ‘New Israel’ in exchange for renewal of their own economic privileges and maintenance of their constant legal advantage in all property disputes.68 Perhaps largely for this reason, the Smuta sources manifest a growing divergence between official perspectives and alternative, dissenting views. Some of the evidence comes from tales of miraculous signs or prophetic visions (videniia). Unsurprisingly, one common motif in these texts overlaps with the official

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Conrad Bussow, The Disturbed State of the Russian Realm, trans. and ed. G. Edward Orchard, Montreal 1994, 33–34; Zoia V. Dmitrieva, Bytnye i opisnye knigi Kirillo-Belozerskogo monastyria XVI–XVII vv., S.-Peterburg 2003, 126–39; A. P. Kazhdan et al., Tserkov’ v istorii Rossii (IX v.–1917 g.): Kriticheskie ocherki, ed. N. A. Smirnov, Moskva 1967, 126–127; Ruslan G. Skrynnikov, Krest i korona: Tserkov’ i gosudarstvo na Rusi IX–XVII vv., S.Peterburg 2000, 333; Dunning 2001, 99–100; Gruber 2012, 102–104. See Vadim I. Koretskii, Golod 1601–1603 gg. v Rossii i tserkov’, in: Voprosy istorii religii i ateizma 7 (1959), 218–256, here 232–235, 239–243, 248–249, 255–256; Gruber 2012, 103. Moscow, RGADA, f. 1201, op. 1, ed. khr. 10, ll. 1–10v.; Isaiah Gruber, Black Monks and White Gold: The Solovetskii Monastery’s Prosperous Salt Trade during the Time of Troubles of the Early Seventeenth Century, in: Russian History 37 (2010), 238–249; Gruber 2012, 119–121. Gruber 2012, 146–151, 158–159, 162–164, 168–171, 179, 185–186. For sources and discussion, see Gruber 2012, 97–126, 143–151, 185f.

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accounts: God’s wrath (gnev) befell the country because of sin (grekh), and therefore Orthodox Russians desperately needed to repent with prayer and fasting if the country were to be saved from apocalyptic disaster.69 The Povest’ o videnii nekoemu muzhu dukhovnu (Tale of a Vision [Shown] to a Certain Spiritual Man), said to date from late 1606, furnishes a remarkable example. This text consists primarily of a dialogue between the heavenly Christ, who wants to punish Muscovite Rus’ for its sins, and his mother, who together with other saints pleads for mercy. The Christ of the vision urges them to stop arguing with him, “For there is no truth even in the tsar or in the patriarch, nor in all the ecclesiastic ranks, nor in all my people, the new Israel, for they do not walk according to my tradition, and my commandments they do not keep.”70 This particular statement could not have clashed more sharply with the official Muscovite perspective, according to which the tsar, patriarch, and Church not only possessed but epitomized and defined sacred truth. Yet due to the Troubles, a provincial ‘spiritual man’ now dared to call the whole system a sham. This coincidence of the ‘New Israel’ ideology with a denunciation of the country’s top leaders, rather than an endorsement of them, sheds significant light on how fundamentally Orthodox Christian rebellions against the ruling authorities could arise during the period. It also suggests the importance of a conception of ‘false’ anointing as an ideational prerequisite for such rebellion. Otherwise it would have been anathema (literally) for an Orthodox believer to repudiate the proclaimed and confirmed pomazannik Bozhii.

7.

Conclusion: A Double-Edged Sword

The first-century Jewish-Greek apocalypse of Revelation describes the Messiah (christos) in these terms: ‘Out of his mouth proceeds a sharp, double-edged sword’ (Rev. 1:16; cf. Heb. 4:12). The imagery of a sword coming out of the mouth is clearly intended as a reference to speech or ‘the Word’ – in modern terms, perhaps, the verbal battle of ideas. The concept of the ‘anointed’ tsar proved during the Time of Troubles to have a similarly double-edged valence when applied to the various ‘true’ or ‘false’ christoi (messianic figures) of the period. He who was pomazannik Bozhii had to be obeyed absolutely and could never be harmed, let alone deposed – unless, of course, another appeared who had a stronger claim to that sacred status. 69 For sources and discussion, see Gruber 2012, 8, 14, 24, 26, 31–32, 41–42, 44, 50, 97, 102, 109, 111, 116, 131–132, 137, 142, 152–153, 155, 166, 180, 183–184, 188, 195–196. 70 …яко нѣсть истинны во царѣхъ же, и патрiарсѣхъ, и во всѣмъ церковномъ чину, ни во всемъ народѣ моемъ, новомъ Израили, яко не ходятъ по преданiи моемъ и заповѣдей моихъ не хранятъ. RIB 13, 103–104, 182–183; Gruber 2012, 3, 20, 41, 152–153, 228 n 3.

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Why did different factions within Muscovite Rus’ war with each other for a decade over the identity of ‘God’s anointed’? Obviously no single factor can explain such a complex series of events. However, the nature of the rhetoric employed in both official and unofficial sources strongly implies that literate inhabitants of the realm imagined themselves as (re)creating the continuation of divinely blessed Israel, and that they saw such divine blessing – i. e., the entire fate of the realm – as crucially dependent on choosing the right ‘anointed one’. During the Time of Troubles, some groups apparently stopped trusting (or pretending to trust) the official ideologues and hierarchs to make the right choice. This deterioration in the authority of the official Russian Orthodox Church also represents a key link to the later Raskol or ‘Schism’ of the midseventeenth century.71 Derived from a transposed variation of the key Biblical concept of masˇiah, the ˙ central Muscovite Rus’ notion of pomazannik thus played a major role in the Smutnoe vremia. The course of historical events demonstrated its enormous potency as a legitimizer of the Moscow tsar, but also that it could be subverted and used to cut in the opposite direction. In a nutshell that is the history of Herrschaft during the Time of Troubles.

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Adrian Selin

Die Kandidatur des schwedischen Prinzen Karl Filip auf den russischen Thron und Groß-Novgorod. Die Entwicklung einer Intrige 1611–1615

Abstract According to the alliance treaty between General Jacob De la Gardie and Novgorod (signed on July 25, 1611) one of the Swedish princes became a candidate for the Muscovite throne. After Karl IX had died and Gustav Adolf had been recognized as the new King of Sweden his younger brother Karl Filip (or Carl Philip, engl.: Charles Philip) became a candidate for the Muscovite throne. It was a good candidature for numerous political powers, both in Muscovy and in Sweden. After the Land Home Guard conquered Moscow Kremlin in November 1612, the preparation to the Electing Assembly started. In the same time active preparation for the Prince’s visit were taken in Novgorod. But the “sovereign Karl Filip” left Sweden only in the summer of 1613. By that time the candidature of Mikhail Romanov had won on the Electing Assembly. In late summer 1613 Prince Karl Filip had an audience with Novgorod representatives. The head of the Novgorod embassy, archimandrite Cyprian in his speech to the Prince had appealed to the so called “Varangian Legend”. The first address to the Old Russian heritage appeared in Novgorod’s political rhetoric in the Order to the Embassy of Jur’ev archimandrite Nikandr, on December, 25, 1611. The idea of the Varangian origin of Rurik was used in it. This idea corresponds with the background of a typical Muscovite “intellectual” of the late 16th century. No agreement in Vyborg was achieved. The Prince returned back to Sweden and Novgorod’s embassy – to Novgorod. But the figure of Prince Karl Filip did not leave the Novgorod scene since his leaving Vyborg. In autumn the Swedish viceregent Evert Horn initiated the plebiscite for the Novgorodians’ oath to King Gustav Adolf (if they agreed they became the King’s subjects). The plebiscite was postponed until Easter 1615; then it failed but in May 1615 Novgorod stockholders proposed a collective notion: they had sworn an oath to Prince Karl Filip as their sovereign and they could not swear to anybody else as to him. Such an oath could be recognized as treason. Proclaiming such fidelity to “sovereign Karl Filip” was symbolic for those Novgorodians who stayed in Novgorod and did not submit to the direct pressure by the King’s authorities. Those who kept fidelity to Karl Filip (and rejected to swear to the King) were subjected with great fiscal press. In such conditions Novgorod townsmen and servicemen waited for a peaceful agreement between Moscow and Sweden that had been achieved only on February 27, 1617. The election of Mikhail Romanov to the Muscovite throne was likely a result of direct violence. The idea of a czar’s election itself had embarrassed Muscovite society

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Adrian Selin

reminding the elections of czar Boris Godunov in 1598. The ideological narratives created during the first decades of their reign plotted Mikhail’s rights to the throne not on the allLand elections but on the relations with previous czars. Up to the end of 1613 positions of foreign candidatures (Prince Wladislaw from the Polish-Lithuanian Commonwealth and Prince Karl Filip from Sweden) were very strong indeed. There are numerous evidences that the servicemen from different districts were ready to reject czar Mikhail for the “true czar from a reigning race”.

Laut dem Vertrag, der am 25. Juli 1611 zwischen General Jakob De la Gardie und dem unterworfenen Novgorod geschlossen wurde, sollte einer der schwedischen Prinzen der neue Kandidat für den Moskauer Thron werden. Doch konkretisierte das Friedensabkommen nicht, welcher der schwedischen Prinzen genau dafür in Frage kommen sollte: der ältere Sohn Karls IX. Gustav Adolf oder der jüngere Karl Filip (oder Carl Philip). Ebenso wenig enthielt der Beschluss der Novgoroder Obrigkeit, der an die vom Jur’ever Archimandriten Nikandr geleitete Gesandtschaft übergeben wurde, den Namen des künftigen Zaren.1 Die Gesandtschaft reiste fünf Monate nach Vertragsabschluss mit De la Gardie, am 25. Dezember 1611, nach Stockholm ab. Inzwischen verstarb in Stockholm jedoch Karl IX. und sein ältester Sohn Gustav Adolf übernahm als neuer König den schwedischen Thron. So war die in Schweden eingetroffene Novgoroder Gesandtschaft mit einer neuen dynastischen Situation konfrontiert. Erst infolgedessen galt Karl Filip als zukünftiger Moskauer Großfürst. Der Name des „Großfürsten Karlus Filipp Karlusovicˇ“ erscheint in den offiziellen Novgoroder Dokumenten ab Januar 1612. Die Gesandtschaft Gennadijs, des Abtes von Vjazˇisˇcˇi, die von Groß-Novgorod nach Jaroslavl’ zu den Führern des Landsturms im Juni 1612 entsandt wurde, empfahl dem Fürsten Dmitrij M. Pozˇarskij ebenso Karl Filip als nominierten Herrscher. Im 20. Jahrhundert widmete German A. Zamjatin der Wahl des schwedischen Prinzen Karl Filip für die Moskauer Thronfolge zwei große Studien.2 Er untersuchte im Detail alle Entstehungs- und Realisierungsfaktoren seiner Kandidatur und wie sich diese Episode in den geistig-ideellen Zeugnissen während der Herrschaft der ersten Romanovs widerspiegelte. Zamjatin wies darauf hin, dass die Regierung in Jaroslavl’ äußerst enttäuscht war, als sie von den Novgorodern erfuhr, dass der Prinz noch nicht in Novgorod eingetroffen war. Die Gesandtschaft machte der Führung des opolcˇenie (Landsturm) lediglich über den Eidschwur der Nov1 Vgl. Prigovor novgorodskich mitropolita Isidora, voevody kn. Ivana Odoevskogo i zemskich cˇinov ob otpusˇcˇenii v Stokgol’m jur’evskogo archimandrita Nikandra s upolnomocˇennym dlja predlozˇenija rossijskogo prestola odnomu iz ˇsvedskich princev, Gustavu Adol’fu ili Karlu Filippu. 1611 dekabrja 25, in: Dopolnenija k Aktam istoricˇeskim, Bd. 1, d. 162, S.-Peterburg 1846, 283–285. 2 Vgl. German A. Zamjatin, K voprosu ob izbranii Karla Filippa na russkij prestol (1611– 1616 g.), Jur’ev 1913; Ders., Rossija i Sˇvecija v nacˇale XVII veka. Ocˇerki politicˇeskoj i voennoj istorii, S.-Peterburg 2008.

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Die Kandidatur des schwedischen Prinzen Karl Filip auf den russischen Thron

goroder gegenüber Karl Filip Mitteilung. Diese erwarteten jedoch mehr – den bereits ausgearbeiteten Vertrag mit dem jungen König. Kurz darauf brach das Landsturmaufgebot nach Moskau auf. Nach der Einnahme des Kreml im November 1612 begann die Vorbereitung der Wahlversammlung. Zamjatin untersuchte die Korrespondenz zwischen der Führung des Zweiten Landsturmaufgebotes und Novgorod und stellte dabei heraus, dass Erstere sich die Wahl eines der beiden schwedischen Prinzen auf den Zarenthron sehr stark wünschten. Davon war die gesamte Rhetorik der Korrespondenz zwischen dem opolcˇenie und der Novgoroder Regierung, die fast bis zur Wahl von Michail Fedorovicˇ andauerte, gekennzeichnet. Die folgenden Monate nach der Wahl waren die Zeit der Etablierung des neuen Zaren auf dem Thron. In der Monographie L. E. Morozovas wurde ziemlich genau untersucht, wie der Prozess des Austauschs der Führung des Landsturms mit den Vertrauensleuten des jungen Zaren in Moskau vonstattenging.3 Genau diese Führung, die sich bis Juli 1613 endgültig konstituierte, begann die Beziehungen zu Novgorod wiederaufzubauen. Während dieser Monate erfolgte in Novgorod die aktive Vorbereitung für den Empfang des Prinzen. Es sind Quellen darüber erhalten, wie an Feldlagern entlang der Straße der in großer Menge vorbereitete Proviant aufgestellt wurde. So wurden in Ladoga vom 24. bis zum 30. Juli 1613 144 Kühe und 215 Schafe aus Zaonezˇ’e zusammengetrieben. Die getroffenen Vorbereitungen für den Besuch Karl Filips können in ihrer Intensivität mit den beispiellosen Regierungsbemühungen verglichen werden, die dem Besuch des dänischen Prinzen Hans im Jahre 1602 vorausgingen.4 Tabelle 1. Anzahl des kleinen Hornviehs, das in Ladoga vom 24. bis zum 30. Juli 1613 für den jungen König Karl Filip zusammengetrieben wurde5 Feldlager bzw. Kirchspiel Osˇtinskij stan, Voskresenskij Vazˇenskij pogost Osˇtinskij stan, Rozˇdestvenskij Pirkinicˇeskij pogost Vodlozerskij stan, Nikol’skij Andomskij pogost Il’inskij pogost in Vinicy Dmitrievskij pogost in Sotskij

Kühe 59 10

Schafe 59 10

– 28

75 28

2

2

3 Vgl. Ljudmila E. Morozova, Rossija na puti iz Smuty, Moskva 2005. 4 Vgl. Adrian A. Selin, Kompleks materialov kollekcii 183 („Novgorodskie akty“) iz Naucˇnogo archiva Sankt-Peterburgskogo instituta istorii kak istocˇnik dlja izucˇenija vizita datskogo princa Chansa v Moskovskoe gosudarstvo 1602 g., in: Peterburgskij istoricˇeskij zˇurnal 1 (2017), 162–179. 5 Otpiska ladozˇskogo voevody V. F. Buturlina Jakobu Delagardi i bojarinu kn. I. N. Bol’sˇomu Odoevskomu o kolicˇestve skota, prignannogo iz pogostov v Ladogu s 24 po 30 ijulja dlja korolevicˇa Karla Filippa i dlja sˇvedov. 1612, ijulja posle 30, St. Petersburg, Naucˇnyj archiv Sankt-Peterburgskogo instituta istorii, Coll. 124, Op. 1, Carton IV, Nr. 524.

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Adrian Selin

(Fortsetzung) Feldlager bzw. Kirchspiel Nikol’skij pogost in Sˇuja Rozˇdestvenskij Ostrecˇinskij pogost Insgesamt

Kühe 31 14

Schafe 29 12

144

215

Doch „Großfürst Karlus Filipp Karlusovicˇ“ brach erst im Sommer 1613 von Schweden gen Osten auf. Zu diesem Zeitpunkt bewährte sich jedoch der Kandidat Michail Fedorovicˇ Romanov bei der Wahlversammlung. Zamjatin nahm an, dass zunächst Prinz Karl Filip gewählt wurde. Doch wurde später unter dem Druck der Kosaken Michail Romanov als Zar anerkannt. Im März 1613 wurde das Ergebnis der Zarenwahl in Novgorod bekanntgegeben. In Schweden erfolgte dies im April. Doch gab es bis zum Sommer 1613 weder in Novgorod noch in Stockholm offizielle Dokumente der Zarenwahl. Anfangs maß keiner dem Wahlsieg Michail Romanovs eine entscheidende Bedeutung bei. Die Erwartungen des Großteils der moskovitischen Dienstleute hingen mit der Vorstellung von einem prirozˇdennyj gosudar’ (geborener Souverän) oder einem carskij syn (Zarensohn) zusammen und nicht mit der eines Bojaren. Erst zum Juli 1613 hin begann die neue Moskauer Regierung, die Beziehung mit den Novgorodern und den schwedischen Machthabern wiederaufzubauen. Im Juli 1613 entsandten die Novgoroder eine Gesandtschaft des Otensker Abts Dionisij nach Moskau mit dem Vorschlag, Karl Filip als Zaren anzuerkennen. Doch wurde die Gesandtschaft vom Moskauer Voevoden, Fürst M. V. Belosel’skij, auf ihrem Weg in Torzˇok aufgehalten. Im Juli 1613 überquerte der junge Prinz Karl Filip schließlich den Bottnischen Meerbusen und erreichte Vyborg, die schwedische Grenzfestung. An Novgorod wurde daraufhin eine Urkunde des Königs Gustav Adolf zugestellt, mit der Forderung, eine Gesandtschaft nach Vyborg zu schicken.6 Der am 7. August in Vyborg angekommene Prinz benachrichtigte Novgorod über seine Ankunft und die Tatsache, dass er nun Gesandte aus dem gesamten ‚Russischen Staat‘ in Vyborg erwarte.7 Bald darauf trafen in Vyborg Vertreter Groß-Novgorods in Form einer Gesandtschaft des Chutynsker Archimandriten Kiprian ein. Der Thronkandidat empfing sie in Vyborg zu einer Audienz. Bereits bei der ersten Begegnung des ‚Großfürsten‘ mit den Novgorodern, die am 28. August stattfand, wurde klar, dass sich die Erwartungen beider Seiten unterschieden. Der Prinz 6 Vgl. Gramota sˇvedskogo korolja Gustava Adol’fa novgorodskim cˇinam ob ot’ezde brata ego Karla Filippa iz Stokgol’ma v Vyborg s trebovaniem vysylki tuda poslov. 1613 ijulja 12, in: Dopolnenie k Aktam istoricˇeskim, Bd. 2, S.-Peterburg 1846, 4f. 7 Vgl. Gramota sˇvedskogo princa Karla Filippa novgorodskim mitropolitu Isidoru, voevode kn. Ivanu Odoevskomu i zemskim cˇinam o prinjatii mer k istrebleniju gdovskich i tichvinskich mjatezˇnikov i o skorejsˇej prisylke v Vyborg upolnomocˇennych ot vsego gosudarstva. 1613 avgusta 7, in: IBID., 8–10.

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hatte erwartet, dass er von ausgewählten Persönlichkeiten des gesamten Moskauer Reiches empfangen werde, stattdessen waren nur Novgoroder Abgesandte erschienen. Diese Novgoroder waren nicht dazu bereit, dem neuen Zaren unabhängig von Moskau den Eid zu leisten. Die Begegnung in Vyborg zeichnete sich außerdem dadurch aus, dass das Oberhaupt der Novgoroder Gesandtschaft, der Archimandrit Kiprian, in seiner Rede an den Prinzen auf die sogenannte Varjazˇskaja legenda („Waräger Legende“) verwies. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war in Novgorod der Einfluss literarischer Zeugnisse aus dem vergangenen Jahrhundert besonders gut erkennbar. Es ist bekannt, dass in den Unterlagen des D’jak (Sekretär) Denis Safonov, der 1611 im Dienste Novgorods stand, einige Schriftstücke Andrej Kurbskijs entdeckt wurden.8 Doch wurde sowohl in den offiziellen Dokumenten als auch in den literarischen Zeugnissen hauptsächlich die Legende über die preußische Abstammung Rjuriks wiedergegeben. Diese Legende kam erstmals im Skazanie o knjaz’jach vladimirskich („Erzählung über die Vladimirer Fürsten“) auf, das Ende des 15. Jahrhunderts entstand. Im 16. Jahrhundert kam es zu einer Weiterentwicklung dieser Legende, und die Genealogie Rjuriks wurde auf „Augustus Caesar“ zurückgeführt. Diese genealogische Legende war im Vremennik (Chronik) des D’jak Ivan Timofeev und in den Instruktionen der Novgoroder an die Gesandtschaften aus den Jahren 1611 bis 1614 enthalten. Sowohl der D’jak Timofeev als auch Archimandrit Kiprian standen beide unter dem Einfluss der Lesetradition und politischen Rhetorik, die sich zur Herrschaftszeit Ivans des Schrecklichen herausgebildet hatte. Bereits in den 1570er Jahren entstand ein neues Verhältnis zur altrussischen Überlieferung. Genau in dieser Zeit wurden die legendären Sagen der Chronik Nacˇal’naja letopis’ (auch als Nestorchronik bezeichnet) allmählich populär. Im Vordergrund stand dabei die „Waräger Legende“. Diese Tradition entwickelte sich auf eine spezifische Art und Weise während der politischen Auseinandersetzungen der Jahre 1611 bis 1615 in Novgorod. Auf das altrussische Erbe wurde erstmals in der Novgoroder politischen Rhetorik der Smuta verwiesen, in jener eben genannten Instruktion vom 25. Dezember 1611 an die Gesandtschaft des Jur’ever Archimandriten Nikandr. Darin wurde die Idee der Abstammung Rjuriks von den Warägern vertreten. Das Geschlecht des Zaren Fedor Ivanovicˇ entsprang laut Beschluss „aus dem Waräger Fürstentum Rjuriks“. Dieser Kontext erweist sich als hilfreich bei der Bewertung dessen, wie die „Waräger Legende“ in der Rede des Archimandriten Kiprian vom 28. August 1613 in Vyborg verwendet wurde. Die Zuspitzung der politischen Situation in Novgorod – sowie auch allgemein im Moskauer Staat – war der Grund für solch einen Umgang mit der Tradition der Chroniken. In gebildeten 8 Vgl. Boris N. Morozov, Poslanija Kurbskogo v cˇemodane tusˇinskogo d’jaka Denisa Safonova, in: Pamjati Lukicˇeva, Moskva 2006, 423–436.

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Kreisen Novgorods des frühen 17. Jahrhunderts war die Vorstellung über die altrussische Epoche durch die in der Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene Legende über „Augustus Caesar“ geprägt, wobei es schwer zu sagen ist, mit welcher Überlieferung dies zusammenhing. Das Erbe der Überlieferung aus dem 16. Jahrhundert war allgemein äußerst einflussreich. In der Situation des Zerfalls des Staates und der politischen Kollision, die sich in Novgorod von 1611 bis 1614 ereignete, war die Idee der Existenzmöglichkeit Novgorods außerhalb des Moskauer Staates sehr verlockend. Es ist kein Zufall, dass die Novgoroder „Deputierten“ des Jahres 1613 – der Archimandrit Kiprian und Stepan Igolkin – sich im Nachhinein so radikal von dieser distanzierten. Die Vorstellung, dass sich die Novgoroder Eliten 1613–1614 über die Unterstützung des Kandidaten Michail Romanov einig waren (ausgenommen wenige ‚Verräter‘), wurde von jenen Novgorodern kreiert, die insbesondere nach 1615 allmählich auf die Seite der Moskauer Regierung übergingen, und entsprach nicht der Realität. Kiprian war im frühen 17. Jahrhundert eine der außergewöhnlichsten Figuren Novgorods. In den Jahren zwischen 1611 und 1617 wurden in Novgorod als Leiter verschiedener Gesandtschaften, nach Schweden, Moskau und Jaroslavl’, stets Äbte bedeutender Kloster ernannt. Doch ist die Rolle anderer Geistlicher, die zugleich Leiter von Gesandtschaften waren, wie Gennadij Vjazˇisˇcˇskij, Dionisij Otenskij oder sogar Nikandr Jur’evskij weitgehend unbekannt. Der außergewöhnlichen Figur des Chutyner Archimandriten wurden von ihren Zeitgenossen diverse Eigenschaften zugeschrieben: von panegyrischen bis hin zu radikal negativen. Positiv charakterisiert wird Kiprian in der Chronik Novyj letopisec („Neue Chronik“), die den Kreisen um den Patriarchen Filaret entsprang. Darin wird Kiprian dargestellt als jener, der diejenigen Novgoroder, die Michail Fedorovicˇ treu waren, inständig darum bat, „dass sie für den einzig wahren orthodoxen christlichen Glauben Buße leisteten“.9 Es besteht eine bekannte Kontroverse über die mögliche Beteiligung Kiprians auf die eine oder andere Art und Weise an der Erstellung dieser Schrift. Auf dem Posten des Novgoroder Metropoliten erregte Kiprian bei einem bestimmten Teil der städtischen Elite eine ihm gegenüber feindselige Haltung, was sich in der Einleitung eines Verfahrens o nepravdach i neprigozˇich recˇach10 (aufgrund „unwahrer und unschöner Reden“) gegen ihn äußerte. E. K. Romodanovskaja verfasste einen ausführlichen, Kiprian gewidmeten Aufsatz, in dem sie auf die unterschiedlichen Dimensionen der Persönlichkeit des Archimandriten hinwies: Kiprian habe nicht nur den Kult der Novgoroder Heiligen und der Heiligtümer in Sibirien vorangetrieben, sonˇ inovnik dern sei auch der Initiator der sibirischen Chroniken, der Urheber des C 9 Novyj letopisec, in: Chroniki Smutnogo vremeni, Moskva 1998, 391. 10 Aleksandr N. Zercalov, O „nepravdach i neprigozˇich recˇach“ novgorodskogo mitropolita ˇ tenija v Obsˇcˇestve istorii i drevnostej Rossijskich 1 (1896), 1–36. Kipriana (1627–1633 gg.), in: C

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Novgorodskogo Sofijskogo sobora (Materialiensammlung der Novgoroder Sophienkathedrale) und der mögliche Verfasser von Skazanie o Slovene i Ruse („Erzählung über Sloven und Rus“) gewesen.11 Es besteht an dieser Stelle keine Notwendigkeit, über die Glaubwürdigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit der „Waräger Legende“ zu sprechen. Der herausragende literarische Wert der Legende über die Berufung der Waräger sowie deren Relevanz im politischen Diskurs am Anfang des 17. Jahrhunderts führten 1613 dazu, dass die Novgoroder ‚Intellektuellen‘ sich auf die Legende im Sinne der Begründung einer eigenen Novgoroder Identität beriefen. In seinem Bericht über die Verhandlungen mit dem Thronanwärter gab der Sekretär der schwedischen Mission in Vyborg, Daniel Jurt12, die direkte Rede des Archimandriten Kiprian wieder, in welcher der Archimandrit erwähnt hatte, „dass der letzte der Großfürsten, dessen Name Rodorikus war, aus dem Römischen Reich stammte“.13 Es bestehen keine Zweifel mehr daran, dass in der Rede des Archimandriten die Legende von Kaiser Augustus wiedergegeben wurde. Ich nehme an, dass die Idee über die Abstammung der Schweden von den Warägern aus der Chronik ‚Nacˇal’naja letopis‘ („Nestorchronik“) in der Rede nicht akzentuiert wurde. Wichtiger ist hier vielmehr die Existenz solch einer Vorstellung über die altrussische Geschichte im politischen Diskurs Novgorods, die in den Köpfen der Moskauer ‚Intellektuellen‘ Mitte des 16. Jahrhunderts entstand. Eine andere Quelle dieser Ideen sind die Mitteilungen Johan Widikindis, die offensichtlich auf Dokumenten des schwedischen Staatsarchives basieren: „Aus der alten Geschichte wird erkennbar, dass einige Jahrhunderte vor der Unterwerfung Novgorods unter die Moskauer Oberherrschaft die Bevölkerung Novgorods den Fürsten Rjurik aus Schweden mit Freuden empfing; so genügt auch jetzt für den Schutz des Herzogs die Kraft der Novgoroder allein.“14

Bereits drei Jahre später unternahm Petrus Petrejus (Per Persson de Erlesunda) den Versuch, den Begriff Waräger, so wie er in Kiprians Rede verwendet wurde, zu überdenken. Unter den narrativen Quellen, die Novgorod zur Zeit der Smuta gewidmet sind, nehmen die Werke des schwedischen Diplomaten und Histori-

11 Elena K. Romodanovskaja, Kiprian Starorusenkov, in: Slovar’ knizˇnikov i knizˇnosti Drevnej Rusi. XVII vek, Bd. 2, S.-Peterburg 1993, 156–163. 12 Die Schreibweise des Namens ist aus dem Russischen transliteriert. Anm. der Herausgeber. 13 Die russ. Übersetzung des Fragments befindet sich in: Vjacˇeslav V. Fomin, Varjagi i Varjazˇskaja Rus’. K itogam diskussii po varjazˇskomu voprosu, Moskva 2005, 17–21; Das Dokument selbst in: Stockholm, Riksarkivet. Muscovitika 17, f. 134v. Einsicht in das Dokument bekam ich mit Unterstützung von A. A. Vetusˇko-Kalevicˇ, bei dem ich mich dafür herzlich bedanken möchte. 14 Jochan Videkind, Istorija desjatiletnej sˇvedsko-moskovskoj vojny, ed. Anna Chorosˇkevicˇ et al., Moskva 2000, 280. Übersetzt aus dem Russischen von Alice Lichtva.

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kers Petrus Petrejus einen besonderen Stellenwert ein.15 Gegenstand seiner Untersuchungen war das politische Leben im Moskauer Staat während der Smuta. Die besondere Aufmerksamkeit, die Petrejus in seinen Werken politischen Sachverhalten schenkte und die Aktualität des Problems der Wechselbeziehungen zwischen Russland und dem Westen in der politischen Rhetorik verschiedener Epochen bewog Wissenschaftler immer wieder dazu, sein Werk neu zu analysieren.16 Zamjatin bewertete die Überlieferungen von Petrejus sehr positiv. Seiner Meinung nach wurden die Ereignisse in Moskau zwischen 1612 und 1613, die der Wahlversammlung vorausgingen, von Petrejus, der selbst niemals in Moskau gewesen war, deutlich korrekter überliefert als in der Chronik ‚Novyj letopisec‘ („Neue Chronik“).17 G. M. Kovalenko behandelt in seinem Überblick der Novgoroder Rossika die Arbeit von Petrejus sehr aufmerksam und betont die Bedeutung des Werkes für das Bild, das bei den Schweden von den Novgorodern entstand. Denn Kovalenko zufolge erfuhren die Schweden ausgerechnet von Petrejus die Legende über die skandinavische Abstammung Rjuriks. Hinzu kommt, dass Petrejus der genealogischen Mythologie, die von den Moskauer Fürsten im 16. Jahrhundert konstruiert wurde, kritisch gegenüberstand, im Gegensatz beispielsweise zu dem D’jak Ivan Timofeev, der an die Abstammung Rjuriks von Kaiser Augustus überhaupt nicht glaubte.18 G. M. Kovalenko sieht in Petrejus absolut zu Recht einen Historiker und keinen Spion, der mit den fortschrittlichsten Methoden seiner Zeit ein sehr spannendes Phänomen untersuchte – Novgorod zu Beginn der Smuta. Heute wird diese Frage von P. S. Stefanovicˇ genauer behandelt. Er weist in seiner Arbeit auf die erstmalige Verwendung der Legende im Diskurs über die Unterwerfung Novgorods in den 1470er Jahren hin, bei der Begründung der Rechte des Moskauer Fürsten auf Novgorod als Nachfolger Rjuriks, sowie auf die Tatsachte, dass der politische Diskurs neben der Verwendung der „Waräger Legende“ auch andere Ideen von einer ‚gemeinsamen Vergangenheit‘ in verschie15 Vgl. Petr Petrej, Istorija o velikom knjazˇestve Moskovskom, transl. by Aleksej I. Sˇemjakin, Moskva 1867, Reprint in: O nacˇale vojn i smut v Moskovii, Moskva 1997. Deutsche Fassung: Petrus Petrejus de Erlesunda, Historien und Bericht von dem Grossfürstenthumb Muschkow, mit dero schönen fruchtbaren Provincien und Herrschafften […], Mit der Muschowiter Gesetzen, Statuten, Sitten, Geberden, Leben, Policey vnd Kriegswesen: wie auch, was es mit jhrer Religion vnd Ceremonien voreine Beschaffenheit hat, kürtzlich vnd deutlich in sechs Theilen zusammen gefasset, beschrieben vnd publiciret, Leipzig 1620. Die schwedische Erstfassung erschien 1615. Sowohl die deutsche als auch die schwedische Fassung sind als Digitalisate im Internet verfügbar. 16 Genauer dazu vgl. Jurij A. Limonov, Socˇinenie sˇvedskogo istoriografija nacˇala XVII v. Petra Petreja o Rossii, in: Skandinavskie cˇtenija 1998 goda, S.– Peterburg 1999, 104–113; Gennadij M. Kovalenko, Velikij Novgorod v pamjatnikach pis’mennosti XV – nacˇala XX v., Velikij Novgorod 2007, 67–71. 17 Zamjatin 2008, 197–198. 18 Vgl. Kovalenko 2007.

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denen gesellschaftlichen Schichten enthielt, was sich in erster Linie im Skazanie o Slovene i Ruse widerspiegelte.19 Darüber hinaus finden sich im Zusammenhang mit der Einladung des Fürsten auf den Moskauer Thron in den Jahren der Smuta Verweise auf die „Waräger Legende“ nicht nur in der Rhetorik Novgorods. Auch im Text Stanisław Kobierzyckis, der sich mit den von Ivan Saltykov geführten Verhandlungen bei Smolensk befasst, sind diese enthalten. Saltykov tritt darin im Namen der Moskauer Gesellschaft auf und wendet sich an Władysław mit der Bitte, den Thron „Rjuriks, des Nachfahren von Augustus Caesar“, einzunehmen (Rurico Augusti Caesaris cognate).20 Es bestehen keine Zweifel daran, dass hier die gleichen Modelle verwendet wurden, die auch in den 1470er Jahren bei der Unterwerfung Novgorods vorzufindenden sind, von welchen auch P. S. Stefanovicˇ berichtet. Um die Handlungen Kiprians in Vyborg besser zu verstehen, sollten einige Fakten aus seiner späteren Karriere genauer betrachtet werden. Die ‚sibirische‘ Episode von Kiprians Biographie wurde besonders gut untersucht. Dieser Lebensabschnitt des außergewöhnlichen Novgoroders beinhaltet die Gründung der Tobol’sker Erzdiözese, den Bau der Kathedrale der Heiligen Sophia in Tobol’sk, der Namensvetterin der Sophia von Novgorod, die Verbreitung des Kultes des heiligen Varlaam Chutynskij in Sibirien und die Abfassung der Biographie von Ermak Timofeevicˇ, des ‚Eroberers‘ Sibiriens. Ebenso gut sind auch die letzten Lebensjahre Kiprians erforscht worden, in denen er das Amt des Moskauer Metropoliten bekleidete. Es gibt Vertreter der Ansicht, dass die Abfassung des äußerst beliebten Werkes Skazanie’ o Slovene i Ruse in den 1620er Jahren ebenfalls mit dem Namen Kiprian zusammenhängt. Es ist schwer, den Einfluss dieses Werkes, das wir heutzutage als Märchen bezeichnen würden, auf das historische Denken des 17. und 18. Jahrhunderts überzubewerten, vor allem im Hinblick auf die russländische provinzielle Historiographie. Bis heute wird die Erzählung über Sloven und Rus in pseudowissenschaftlichen Studien, vorwiegend national-patriotischer Ausrichtung, verwendet und in Staraja Russa21 wurde dieser Legende zu Ehren sogar ein Gedenkstein errichtet. Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannten kirchlichen Beschlüsse Kiprians, die von ihm 19 Vgl. Petr S. Stefanovicˇ, Legenda o prizvanii varjagov v istoriografii XVI–XVII vv.: ot srednevekovych mifov k rannemodernym, in: Drevnjaja Rus’ posle Drevnej Rusi: diskurs vostocˇnoslovjanskogo (ne)edinstva, Moskva 2017, 326–344. 20 Vgl. Stanislaw Kobierzycki, Historia Władysława, królewicza polskiego i szwedzkiego, ´ ski/Włodzimierz Kaczorowski, transl. to Polish by Michal Krajewski., ed. Janusz Bylin Wrocław 2005, 164. Ich bedanke mich bei A. A. Vetusˇko-Kalevicˇ, der mich auf das Zitat bei Kobierzycki hingewiesen hat. 21 Staraja Russa liegt ewas 100 Kilometer südlich von Groß-Novgorod in der Nähe des Ilmensees. Es war bis zur Zerstörung durch Polen-Litauen im Jahre 1608 ein bedeutender Handelsplatz auf dem Weg von den Warägern in Skandinavien zu den Griechen. Anm. der Herausgeber.

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verfasst wurden, als er den Posten des Metropoliten bekleidete, haben ebenfalls eine offensichtliche Verbindung zum altrussischen Erbe: im ‚Sammelband‘ folgen die Beschlüsse Kiprians unmittelbar auf die Statuten der Kiever Fürsten Vladimir und Jaroslav. Diese Statuten bilden die Basis für die kanonischen Definitionen Kiprians.22 Die Ansprache Kiprians in Vyborg sollte meiner Ansicht nach im größeren Kontext der Ansprachen der Novgoroder an die Bevölkerung in der altrussischen Epoche gesehen werden. An dieser Stelle ist der Novgoroder Metropolit Isidor besonders interessant. Vermutlich veränderte sich seine Rolle im Verlauf des Bestehens der Novgoroder Regierung zwischen 1611 und 1617.23 Dieser Novgoroder Persönlichkeit des 17. Jahrhunderts wurden von Ja. G. Solodnik und E. V. Krusˇel’nickaja ausführliche biographische Arbeiten gewidmet. Die letztere stellte Isidor als einen herausragenden Gelehrten dar, dessen im Verborgenen gebliebener Sammelband eine bemerkenswerte Rolle für die künftige handschriftliche Tradition spielte.24 Es ist bekannt, dass Isidor am 9. Juli 1611 eine Prozession zur Novgoroder Znamenskij-Kathedrale führte, die ein Symbol für den Sieg der Novgoroder über die Suzdal’er Truppen ist. Bei seiner Teilnahme an den Verhandlungen mit den Schweden und während der Ausarbeitung des Vertrages vom 25. Juli 1611 verhielt sich Isidor in den ersten Jahren der Novgoroder Regierung zurückhaltend. Nach der Rückkehr I. Jakusˇins aus Schweden am 8. April 1612 wurde die Urkunde des neuen Königs Gustav Adolf in Anwesenheit von De la Gardie dem Metropoliten Isidor vorgetragen.25 Um Isidor zu charakterisieren, betrachtete G. A. Zamjatin den Brief nach Moskau vom 15. November 1612 genauer, den Isidor etwas mehr als drei Monate vor der Zarenwahl verfasst hatte. Darin forderte Isidor den Moskauer Staat dazu auf, sich mit Novgorod zu einigen und Karl Filip als Fürsten anzuerkennen.26 Darüber hinaus ergriff Metropolit Isidor auch ein weiteres Mal die Initiative, um an das altrussische Erbe Novgorods zu erinnern. 1613/1614 gruben die schwedischen Soldaten, die sich am Jur’ev-Kloster befanden, das Grab mit den Überresten des heiligen Fürsten Mstislav und des heiligen Fürsten Fedor Jaroslavicˇ, des Bruders von Aleksander Nevskij, aus. Metropolit Isidor organisierte die feierliche Verlegung der Gebeine des heiligen Fedors. Doch kann in den Jahren der Smuta kein Appell der Nov22 Cerkovno-sudebnye opredelenija Kipriana, mitropolita novgorodskogo, in: Pravoslavnyj sobesednik, Bd. 11, Kazan’ 1867, 335–348. 23 Die Tätigkeit des Metropoliten Isidor zu Beginn der Smuta wird genauer untersucht in der Monographie von Vasilij I. Ul’janovskij, Smutnoe vremja, Moskva 2006. 24 Vgl. Ekaterina V. Krusˇel’nickaja, Klejnyj sbornik novgorodskogo mitropolita Isidora Soloveckoj biblioteki No. 860/970: Opyt izucˇenija odnoj e˙nciklopedicˇeskoj kompanii konca XVI veka, in: Istorija v rukopisjach i rukopisi v istorii. Sbornik naucˇnych trudov k 200-letiju Otdela rukopisej Rossijskogo Nacional’nogo Biblioteka, S.-Peterburg 2006, 379–398. 25 Vgl. Zamjatin 2008, 66. 26 Vgl. ebd., 109–110.

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goroder an die ‚ewige Ordnung‘ oder die Traditionen der ‚Novgoroder Unabhängigkeit‘ beobachtet werden. Es gibt auch keinen direkten Verweis darauf, dass die Idee einer möglichen Union mit dem schwedischen Königreich unter den Gebildeten Novgorods Unterstützung fand. Gleichzeitig ist es auch sinnvoll, die Ansprache Kiprians an die altrussische Bevölkerung aus dem Blickwinkel der europäischen diplomatischen Untersuchungen zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu analysieren. So schickte König Gustav Adolf nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Stolbovo Johan Skytte nach Dänemark, in die Niederlande und nach England, um sich bei den genannten Staaten für ihre Vermittlungen zu bedanken. Am 30. Dezember 1617 wurde Skytte eine Audienz beim englischen König Jakob I. (James I. Stuart) gewährt. In seiner Rede verwies Skytte beiläufig auf die lange Tradition der Beziehungen zwischen Schweden und England (so, wie auch der Chutynsker Archimandrit Kiprian in seiner Rede an Prinz Karl Filip 1613 in Vyborg auf die „Waräger Legende“ verwiesen hatte).27 In Form eines rhetorischen Mittels fand sich ein eindeutiger Verweis auf die mittelalterliche Vergangenheit, um die aktuellen politischen Aufgaben zu begründen. Nach Auffassung G. M. Kovalenkos entstanden in der Situation einer politischen Schwächung der zentralen Macht in Novgorod erneut einige Elemente eines „schlafenden“, latenten Altertums28 – die wachsende Bedeutung der Elemente der städtischen Selbstverwaltung, die Statuserhöhung der Institutionen (nicht mehr izba sondern prikaz) und vieles mehr. Ich vermute, dass dies nicht auf Groß-Novgorod allein zutrifft. Die Vorstellungen von der Novgoroder vecˇe als eine beinahe republikanische Tradition sind in der Politologie und in den Medien des jungen 21. Jahrhunderts offensichtlich überzogen. Gleichzeitig können solche Eigenschaften wie das Wachstum des lokalen Selbstbewusstseins in Zeiten der Smuta vielen, wenn nicht sogar allen Regionen des Moskauer Reichs zugeschrieben werden, die sich nicht nur stark voneinander unterschieden, 27 […] dalee Skytte perecˇislil blagodejanija, kotorye Anglija okazyvala Sˇvecii; napomnil, kak 955ogo goda, po vole korolja El’reda i popecˇeniem Jorkskogo episkopa, korol’ Olaf Sˇvedskij prinjal kresˇcˇenie, nazvavsˇis’ Skottkonung, kak potom hristianstvo bylo rasprostraneno episkopami Vinomano, Sunomano i drugimi, kotoryh mogli i donyne vidny v hrame Wexonien. Poslannik pribavil, cˇto na neskol’ko let Anglija dostavljala v Sˇveciju mnogo deneg, v cˇem ubezˇdaet ne stol’ko istorija, skol’ko otkrytija (experienz), a imenno nedavno sdelannye na poljah ˇsvedskih monety anglijskie. Nikolaj P. Lyzˇin, Stolbovskij mir i peregovory, emu predsˇestvovavsˇie, SPeterburg 1857, 75, Fußnote 83. N. P. Lyzˇin schrieb über diese Mission und stützte sich dabei auf das Itinerarium Peter Jansons (O vsech e˙tich posol’stvach pisˇet Petrus Jansonius Itinerarium oder aussführlicher Bericht, Welcher gestalt Ihre Königl. Mayest. von Schweden unlengest Abgesandter […] Herr Johan Skytte […] verreiset und wie ihm seine Ambassade abgangen […]. Gedrucket zu Hamburg bey Paul Langen; In Verlegung Michael Herings im Jahr 1619). 28 Vgl. Gennadij M. Kovalenko, „V soedinen’e s Moskovskim gosudarstvom“. Stolbovskij mir i vozvrasˇenie Velikogo Novgoroda v sostav Rossijskogo gosudarstva 1613–1617 gg., Velikij Novgorod 2017, 7f.

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sondern auch eine völlig unterschiedliche Vergangenheit hatten. Die politischen Subjekte der verschiedenen Teile des Reichs hatten ihren Ursprung, so wie es scheint, nicht in einer latenten Bewahrung der Traditionen, sondern in der pragmatischen Notwendigkeit, das alltägliche Leben zu gestalten, das für die einzelnen ‚Städte‘ bei der Selbstzerstörung des politischen Zentrums des Landes seit dem Jahr 1610 Vorrang hatte. Im September 1613 konnte in Vyborg kein Konsens erzielt werden. Die königlichen Instruktionen aus dem Jahre 1613,29 die von den Schweden für ihre Präsentation in Vyborg an die russische Deligation angefertigt wurden, sahen drei Möglichkeiten für die weitere Entwicklung der Ereignisse vor: die Thronbesteigung Karl Filips in Moskau, die schwedische Einverleibung der Novgoroder und Pskover Ländereien oder die völlige Ablehnung des schwedischen Prinzen durch die Russen. Im Falle einer Ablehnung des schwedischen Prinzen sollte die Bestätigung der Friedensbedingungen von Teusina (Tjavsinskij mir) erreicht werden und darüber hinaus schwedischen Kaufleuten das Recht zum Ein- und Verkauf jeglicher Waren im Moskauer Reich eingeräumt werden sowie auch das Recht für schwedische Untertanen, in jeder beliebigen Stadt Russlands bleiben zu dürfen. Eine Analyse dieser Instruktionen wurde von I. P Sˇaskol’skij durchgeführt.30 Es ist wichtig hervorzuheben, dass die genannten Forderungen noch vor der Entstehung jeglicher Vorstellungen über die zukünftigen Grenzziehungen in diesem Teil des Ostsee-Raumes eingefügt wurden und dies auch offensichtlich ohne jegliches Verständnis in Stockholm dafür erfolgte, wen die ‚russischen Gesandten‘ in Vyborg repräsentieren würden. Die Mission des chutynischen Archimandriten Kiprian, der sich gründlich auf die Verhandlungen mit dem zukünftigen Zaren vorbereitet hatte, konnte jedoch keine Übereinkunft mit den schwedischen Delegierten erreichen. Karl Filip war darauf aus, in Moskau zu regieren und die Novgoroder Delegation unterstützte das schwedische Angebot der Einverleibung Novgorods in das Königreich nicht. Nach dem Scheitern der Verhandlungen fuhr der schwedische Prinz am 17. Januar 1614 nach Schweden zurück. Doch die Figur des Prinzen Karl Filip verließ die politische Bühne Novgorods nicht. In der nächsten Zeit stand während der politischen Debatten sein Name stets im Raum. So verblieben in Novgorod auch genügend Befürworter der Kandidatur des schwedischen Prinzen, obwohl im Winter 1613/1614 eine große Anzahl der Novgoroder Dienstleute die Stadt verließ und in das Lager des Zaren Michail Romanov überlief.

29 Vgl. Instrukcii sˇvedskogo korolja Gustava Adol’fa, dannaja komissaram dlja peregovorov s russkimi v 1613 g., ed. Fedor Rzˇiga, in: Dejstvija Nizˇegorodskoj gubernskoj ucˇenoj archivnoj komissii 14, Nizˇnij Novgorod 1913, 10–16. 30 Vgl. Igor’ P. Sˇaskol’skij, Stolbovskij mir 1617 g. i torgovye snosˇenija Rossii s Sˇvedskim gosudarstvom, Moskva 1964, 33–36.

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Im Juli 1614 erlangten die Schweden und die Novgoroder zwar ihren Sieg auf dem Schlachtfeld, doch die Anhänger Michail Romanovs besiegten diese im Kampf um die ‚Seelen der Novgoroder‘. Anfangs ging Gustav Adolf davon aus, sich mit dem Vorschlag friedlicher Verhandlungen an Michail Romanov persönlich wenden zu können,31 doch beendeten die eingetretenen Kriegshandlungen jeglichen Friedensprozess. Bereits im Juli 1613 brachen die Moskauer Truppen nach Novgorod auf. Dies war das Scheitern der Idee von Jakob de la Gardie, der nicht zum ‚Macher der Zaren‘ wurde. Gleichzeitig nahm der König weiterhin an, dass es ihm gelingen würde, Novgorod in den Bestand des schwedischen Königreichs aufzunehmen. Ein wichtiger Punkt der vom König an E. Horn, J. A. Kruse und M. M. Palm gegebenen Instruktion war die Teilnahme der Vertreter Novgorods an den vorgesehenen Verhandlungen mit den Moskauer Gesandten, damit diese sich öffentlich vom Moskauer Zaren abwenden sollten. Der schwedische Historiograph Johan Widekindi, der über das Original der Instruktion verfügte, wies auf ein darin verwendetes rhetorisches Mittel hin: ‚Novgorod war auch zuvor ein eigenständiger Staat, unabhängig von Russland, und wurde erst in der Zeit von (Ivan) Vasil’evicˇ gewaltsam dem Großfürstentum unterworfen.‘32 Dieser Verweis auf die ‚historische Erinnerungskultur‘ korrelliert mit der Bezugnahme des Archimandriten Kiprian auf die ‚Novgoroder Vergangenheit‘ in seiner Rede an Karl Filip vom 28. August 1613.33 Auffällig ist, dass die königlichen Instruktionen erst einige Monate nach der öffentlichen Absage der Novgoroder Gesandten an Henrik Gorn und andere schwedische Vertreter in Vyborg übergeben wurden. Im Sommer 1614 kam es in Bronnicy, nicht weit entfernt von Novgorod, zu größeren kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Gefechte bei Bronnicy im Jahr 1614 unterbrachen die Friedensbestrebungen. Die Agitation auf Moskauer Seite spielte dabei eine wichtige Rolle. Bereits im Oktober 1613 schickte der Bojar D. T. Trubeckoj ein Schreiben nach Novgorod, in dem er die Ziele des Feldzuges erklärte. Direkt aus dem Feldlager des Fürsten D. T. Trubeckoj erhielten die Novgoroder die offizielle Nachricht von der Wahl Michail Fedorovicˇs. Genauer gesagt, ging es in der Nachricht nicht um die Wahl an sich – nach der Ankunft des Zaren in Moskau zog man es vor, sich an die Wahl selbst nicht zu erinnern, während man vielmehr im Sinne der Legitimation auf seine Verwandtschaft zur 31 Vgl. Videkind 2000, 317. 32 Vgl. ebd., 328. ˇ to govoril archimandrit Kiprian v Vyborge v 1613 g. Mi33 Genauer dazu Adrian А. Selin, C ninskie cˇtenija 2011, Nizˇnij Novgorod 2011, 86–97; Ders., „Invitation of the Varangians“ and „Invitation of the Swedes“ in Russian History: Ideas of Early Historiography in Late Russian Medieval Society, in: Pierre Bauduin/Alexandre Musin (edd.), ‚Vers l’Orient et vers l’Occident‘: regards croisés sur les dynamiques et les transferts culturels des Vikings à la Rous ancienne, Caen 2014, 397–406.

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letzten Dynastie hinwies –, sondern um seine Thronbesteigung in Moskau. Die Novgoroder wurden mit Verweis auf Gott und den russisch-orthodoxen Glauben dazu aufgerufen, dem ausländischen Thronkandidaten zu entsagen und Michail Fedorovicˇ ihre Treue zu schwören.34 Im Gegenzug wurde den Novgorodern völlige Vergebung versprochen sowie die Befreiung von der Gewalt seitens der Kosaken und des gesamten in Richtung Novgorod vorrückenden Heeres. Die Anzahl der aus Novgorod fliehenden Dienstleute stieg seit Mitte 1614 enorm an. Im Herbst 1614 initiierte der neue Stadthalter in Groß-Novgorod, Feldmarschall Ewert Horn, ein Plebiszit über den Eidschwur der Novgoroder gegenüber Gustav Adolf (im Falle einer Zustimmung würden die Novgoroder zu Untertanen des schwedischen Königs werden). Das Plebiszit wurde zunächst auf Ostern 1615 vertagt und fiel anschließend gänzlich aus. Allerdings erstellte die Novgoroder Regierung (der Voevode Fürst Ivan Bol’sˇoj Odoevskij, der Metropolit Isidor, einige Djaken (d’jaki), pjatikoneckie starosty35 und Adelige) im Mai 1615 eine kollektive Petition, in der sie über ihren eigenen Eidschwur gegenüber Karl Filip berichteten, gegen den sie nicht verstoßen könnten, selbst nicht zugunsten Königs Gustav Adolfs, des Bruders des Prinzen. Solch ein Eidschwur gegenüber dem König wäre nach ihrer Logik ‚Verrat‘. Die Verlautbarung solch einer Treue gegenüber dem ‚Fürsten Karl Filip‘ war für jene Novgoroder symbolisch, die in Novgorod geblieben waren und der direkten Gewalt der königlichen Regierung nicht nachgaben. Tabelle 2. ‚Ausreisen‘ der Dienstleute aus Novgorod36 Zeitraum Juli 1611 – März 1613 April 1613 – August 1614 September 1614 – Januar 1617

Anzahl der Personen 71 Dienstleute 276 Dienstleute 123 Dienstleute

34 Gramota voevody bojarina kn. D. T. Trubeckogo novgorodskim dvorjanam i vsjakim ljudjam, izvesˇcˇajusˇcˇem o ego pochode na Novgorod. Spisok. 1613 oktjabrja (?), in: Stockholm. Riksarkivet. Militaria 1287, 13: pomnja Boga i nasˇu istinnuju pravoslavnuju veru, ot razoritelej nasˇih krest’janskoj very, ot nemeckih ljudej otstali i celovali b este krest velikomu gosudarju nasˇemu carju Michailu Fedorovicˇju vsea Rusii i emu, gosudarju, sluzˇili i prjamili i dobra vo vsem hoteli i s ego gosudarevymi ratnymi ljud’mi nad nemeckimi ljud’mi i nad izmenniki, kotorye gosudarju ne sluzˇat, soopcˇa zaodno vmeste promysˇljami, skol’ko miloserdnyj Bog pomocˇi podast. 35 Die Novgoroder pjatikoneckie starosty (Fünftelältesten) waren ein kollegiales Verwaltungsorgan des Handelsstandes in Novgorod Ende des 16. Jahrhunderts. Vgl. dazu ausführlicher Velikij Novgorod. Istorija i kul’tura IX–XVII vek. E˙nciklopedicˇeskij slovar’, S.-Peterburg 2007, 404. Anm. der Herausgeber. 36 Аdrian А. Selin, Smuta na Severo-Zapade v nacˇale XVII veka: Ocˇerki iz zˇizni novgorodskogo obsˇcˇestva, S- Peterburg 2017, Prilozˇenie 4: Ot’ezdy novgorodcev v 1610–1616 gg.

Die Kandidatur des schwedischen Prinzen Karl Filip auf den russischen Thron

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Es existieren zwei Sichtweisen auf das Verhalten der Novgoroder zwischen 1613 und 1617. Eine dieser Sichtweisen bildete sich in den 1620er und 1630er Jahren im Umfeld des Patriarchen Filaret Romanov heraus und fand ihren Ausdruck im Novyj letopisec („Neue Chronik“). Demzufolge schworen zunächst die von den Schweden mit Gewalt genötigten Novgoroder ihre Treue dem schwedischen Prinzen Karl Filip und begannen anschließend, auf die Seite Moskaus überzulaufen. Bis in unsere heutige Zeit vertreten viele Wissenschaftler ähnliche Ansichten, obwohl diese Sichtweise in den 1940er und 1950er Jahren erst von V. Lileev am deutlichsten formuliert wurde.37 Eine andere Sichtweise wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von H. Almquist entwickelt und fand ihre Unterstützung durch G. A. Zamjatin.38 Ihre Meinung besteht darin, dass die Novgoroder ebenso wie viele Anführer der Landwehr oder des Landesaufgebots (opolcˇenie), insbesondere D. M. Pozˇarskij, ernsthaft annahmen, dass es das Beste für den Moskauer Staat sei, einen ‚Fürstensohn‘, einen der schwedischen Prinzen, als Thronfolger zu wählen; nach der Wahl Michail Fedorovicˇs auf den moskowitischen Thron wurde er lange Zeit in Novgorod für einen weiteren „Kosaken-Zaren“ gehalten;39 erst der Misserfolg der Verhandlungen der Novgoroder mit den Landwehrmännern (opolcˇency), ebenso wie mit Gustav Adolf, führte zum Scheitern der Kandidatur Karl Filips. Hinzu kommt, dass jene, die Karl Filip die Treue bewahrten (und es ablehnten, Gustav Adolf den Treueschwur zu leisten) einer schwerwiegenden steuerlichen Unterdrückung ausgesetzt waren. Unter diesen Bedingungen warteten die Stadtbürger und Dienstleute Novgorods auf den Friedensschluss zwischen Moskau und Schweden, der erst am 27. Februar 1617 erzielt werden konnte. Die Moskauer Regierung, die Novgorod samt der wenigen dort verbliebenen Novgoroder vom schwedischen Heer übernahm, verzichtete darauf, jeden zu verfolgen, der einst Karl Filip Treue geschworen hatte. Die Wahl Michail Romanovs auf den Moskauer Thron erfolgte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ohne Anwendung expliziter Gewalt. In jedem Fall enthalten die überlieferten Narrative bedauerlich wenig zuverlässige Informationen über die Bedingungen, unter denen der endgültige Beschluss der Wahlversammlung im Februar 1613 gefällt wurde. An der Wahlversammlung nahmen 37 Vgl. V. Lileev, Sˇvedskaja intervencija nacˇala XVII veka, in: Istoricˇeskij zˇurnal 1 (1940), 100– 110. 38 Helge Almquist, Sverige och Ryssland. 1595–1611. Tvisten om Estland, förbundet mot Polen, de ryska gränslandens eröfring och den stora dynastiska planen, Uppsala 1907. 39 Ich kann mich der Meinung von Oleg A. Kurbatov nicht anschließen, die besagt, dass de la Gardie die Novgoroder mit Absicht in die Irre führen wollte, indem er diesen Michail Fedorovocˇ als einen weiteren Kosaken-Zaren vorstellte. Vgl. Оleg A. Kurbatov, Tichvinskoe osadnoe sidenie 1613 g., Moskva 2006, 19. Ich glaube nicht, dass eine bewusste Desinformation der Novgoroder im Frühling 1613 zu den Plänen der schwedischen Führung zählte.

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bei weitem nicht alle Regionen des Moskauer Reiches teil. Allein die Idee einer Wahl des Zaren durch eine Wahlversammlung rief in der Moskauer Gesellschaft Assoziationen mit der 1598 stattgefundenen Wahl Boris Godunovs hervor. Das Problem der unzureichenden Legitimität der gewählten Zaren stellte bei den Romanovs eine ernsthafte Sorge dar. Ideologische Narrative, die in den ersten Jahrzehnten ihrer Herrschaft geschaffen wurden, begründeten das Recht Michails auf den Zarenthron nicht mit der Volkswahl, sondern mit dessen Verwandtschaftsbeziehung zum Zaren Fedor Ivanovicˇ. Bis Ende des Jahres 1613 hatten die ausländischen Kandidaten (Prinz Władysław Wasa aus der Rzeczpospolita und Prinz Karl Filip aus dem Königreich Schweden) eine starke Position. Es blieben Zeugnisse darüber erhalten, dass bis Ende 1613 Dienstleute aus verschiedenen Regionen des Moskauer Reiches bereit waren, sich von Zar Michail zugunsten eines ‚geborenen Fürsten‘ abzuwenden. Ende 1615 begannen die Friedensbestrebungen Schwedens und des Moskauer Reiches schließlich Form anzunehmen. Dies erfolgte zunächst anhand vorläufiger Verträge und später in Form eines Friedensabkommens. Später jedoch erinnerten sich während der Grenzziehung in Ingermanland 1617/18 die schwedischen Kommissare bei den Verhandlungen mit den Moskauern an die Umstände der Aufstellung Karl Filips als Thronkandidaten. Im Dezember 1617 gerieten die Verhandlungen in der Nähe der Festung Jam (später Jamburg, heute Kingisepp) ins Stocken. Das Oberhaupt der schwedischen Mission, Joachim Berndes, eröffnete seine ‚geheime‘ Verhandlungsrunde mit den Worten: Als die Beziehungen zwischen beiden Staaten noch von Karl XIII. und dem Zaren Fedor Ivanovicˇ geführt wurden (augenscheinlich 1595), entstand eine freundschaftliche Verbindung, ‚die dem litauischen König noch in dieser Zeit unangenehm war‘. Weiterhin gedachten die schwedischen Kommissare aller guten Taten des Königs Karl IX.: für das Moskauer Reich, was Sigismund III. Wasa offensichtlich missfiel. Der Krieg zwischen Russland und Schweden war im Grunde genommen das Resultat des Scheiterns der Kandidaten Władysław und Karl Filip, als es um die Moskauer Thronfolge ging, und der Friedensschluss in Stolbovo war für den ‚litauischen König […] eine gewaltige Enttäuschung‘, was zur Folge hatte, dass Sigismund Gustav Adolf einen 20-jährigen Waffenstillstand vorschlug.40 Während dieser Verhandlungen sammelten die Moskauer Kommissare alle Gerüchte, die in den Grenzgebieten Ingermanlands kursierten. Eine wichtige Nachricht war die Mitteilung aus der genannten Festung Jam darüber, dass die Krönung Gustav Adolfs vertagt werde und dass ‚in Stockholm König Gustav für die Regentschaft nicht gewollt werde und ob nicht stattdessen, für den 40 Vgl. Otpiska Semena Zˇerebcova s tovarisˇcˇami v Posol’skij prikaz o peregovorach so sˇvedskimi mezˇeval’sˇcˇikami. 1617.23.10, in: Moskau, Rossijskij gosudarstvennyj archiv drevnich aktov, fond 96, 1617, Nr. 9, f. 166–194.

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Erfolg aller, der jüngere Bruder Filip für die Regentschaft eingesetzt werden könne?‘41 Auf diese Weise blieb der Name des Prinzen Karl Filip, der einige Jahre der ernannte Herrscher eines bescheidenen Territoriums im Nordwesten des Moskauer Reiches (Groß-Novgorod und ein Teil der Novgoroder Ländereien) war, in der Geschichtskultur für einige Zeit erhalten. Die Kandidatur des niemals in Russland gewesenen Prinzen aus dem Hause Wasa hatte bei der Moskauer Wahlversammlung 1613 scheinbar keine schlechten Aussichten, obwohl niemand persönlich benannt werden kann, der diese Kandidatur unterstützt hätte. In den Vorstellungen aller politischen Kräfte, die in diesem Zeitraum der Moskauer Smuta agierten, galt der Prinz lediglich als Fürst des gesamten Moskauer Reiches. Die Idee eines gesonderten Novgoroder Staates war weder in ein politisches Projekt gefasst noch verfügte sie über irgendwelche institutionelle Unterstützung. Die rhetorischen Mittel, die in den Dialogen bezüglich der Einladung Karl Filips verwendet wurden, entstanden im Rahmen der literarischen und politischen Kultur Moskaus, die bereits Ende des 15. Jahrhunderts in Erscheinung trat und, so paradox es auch zu sein scheint, zunächst im Sinne der Legitimation der Unterwerfung Novgorods durch die Moskauer Fürsten auftauchte, um bei der Einladung des Thronfolgekandidaten aus dem Hause Wasa in den Jahren der Smuta erneut zu ertönen. Aus dem Russischen übersetzt von Alice Lichtva, M.A.

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Maureen Perrie

The pretenders of the Time of Troubles and the criteria of political legitimacy. Hereditary versus elected tsars?

Abstract This article examines the pretenders (samozvantsy) of the Time of Troubles and the arguments that they put forward in favour of their claims to the throne; and it compares their claims with those of the elected tsars with whom they competed for power. All of the pretenders (not just the False Dmitriis, but also the various cossack ‘tsareviches’ who appeared after 1605) claimed to be members of the old dynasty that had ended in 1598. The success they achieved in terms of popular support indicates that heredity continued to be an important criterion for establishing monarchical legitimacy. The Time of Troubles may be viewed as a period in which the hereditary and the elective systems of succession to the throne were in competition, but the distinction was not made in terms of constitutional principle: rather, everything was framed within a traditional pre-modern discourse of treason and heresy. The First and Second False Dmitriis denounced Boris Godunov and Vasilii Shuiskii as illegitimate rulers not because they were elected tsars, but because they were – allegedly – traitors and usurpers who had attempted to kill the true (hereditary) heir to the throne. In their turn, Godunov and Shuiskii condemned the samozvantsy not as hereditary tsars, but as impostors and heretics. The hereditary principle remained strong throughout the period, even in the legitimation strategies of the elected tsars: Boris Godunov, who stressed his link with the old dynasty, was succeeded by his son Fedor; Vasilii Shuiskii emphasised his descent from Riurik, the legendary founder of the Muscovite dynasty; the Polish and Swedish princes, Władysław and Karl Filip, drew attention to the fact that they were sons of kings; and Michael Romanov claimed to be the nephew of the last tsar of the old dynasty. The article also discusses the role of loyalty oaths in determining the legitimacy of rival candidates for the throne. The First False Dmitrii claimed not only that he was the son of Ivan the Terrible, but that a loyalty oath had been sworn to him in his father’s lifetime; and he pardoned his subjects for having sworn allegiance to Boris Godunov in ignorance of the ‘fact’ that Tsarevich Dmitrii was still alive. Subsequently Vasilii Shuiskii pardoned the Russians who had taken the oath to Tsar Dmitrii, and the Second False Dmitrii forgave those who had pledged loyalty to Shuiskii. By the later stages of the Troubles, so many cases of oath-breaking had been pardoned that loyalty oaths became increasingly meaningless. Nevertheless, the fact that oaths were taken not just to the reigning tsar, but also to members of his family, helped to strengthen the hereditary principle, so that elected tsars, such as Boris Godunov and Vasilii Shuiskii, regarded themselves as the founders of new hereditary dy-

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nasties. It was on that basis that Michael Romanov, who was elected as tsar in 1613, established the dynasty that lasted until 1917.

The outbreak of the Time of Troubles is sometimes regarded as the consequence of a crisis of political legitimacy in Russia. The extinction of the old dynasty in 1598, with the death of Tsar Fedor Ivanovich, marked the end of the system of hereditary succession to the throne that had existed throughout the Muscovite period. New and complex criteria of legitimacy were devised, the greatest innovation being election by an Assembly of the Land, which chose Boris Godunov as tsar.1 Yet within only a few years a series of pretenders (samozvantsy) appeared, all claiming to be members of the old dynasty. These pretenders were impostors,2 but their emergence, and the degree of popular support that they achieved, strongly suggest that the traditional criterion of hereditary entitlement to the throne remained a powerful one in Muscovy. This article will examine the pretenders of the Time of Troubles and the arguments that they put forward in favour of the legitimacy of their claims to the throne; and it will compare their claims with those of the elected tsars with whom they competed for power.

1.

The First False Dmitrii versus Boris Godunov

When Boris Godunov acceded to the throne in 1598, election by the Assembly of the Land was not the only factor in his legitimisation strategy: he also made the traditional claim that he had been chosen or pre-ordained by God, and he emphasised his link with the old dynasty through his sister Irina, the widow of the previous tsar, Fedor Ivanovich.3 So there were elements of continuity as well as change in the legitimisation of Boris’s rule in 1598. Even the role of some kind of representative assembly in legitimising the accession of a new tsar was not a

1 Isaiah Gruber, Orthodox Russia in Crisis: Church and Nation in the Time of Troubles, DeKalb, IL 2012, 75–93. 2 Two American historians have tentatively suggested that the First False Dmitrii may really have been Tsarevich Dmitrii of Uglich, as he claimed to be: Philip L. Barbour, Dimitry, Called the Pretender, Tsar and Great Prince of All Russia, 1605–1606, London/Melbourne 1967, 321–327; and Chester S. L. Dunning, Russia’s First Civil War: the Time of Troubles and the Founding of the Romanov Dynasty, University Park, PA 2001, 131–132. There is general agreement among historians that all the other pretenders of the Time of Troubles were impostors. 3 Gruber 2012, 81.

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complete novelty, as it seems possible that the accession of Fedor Ivanovich himself had been confirmed by an assembly in 1584.4 At first it seemed that the elective principle was generally accepted, and that Boris was seen as a legitimate tsar. It was only after the First False Dmitrii appeared in Poland-Lithuania in 1603 that serious opposition to Boris became apparent, in the form of widespread support for the pretender. ‘Dmitrii’ based his claim to the throne on the traditional principle of heredity, presenting himself as the youngest son of Ivan IV (‘the Terrible’), Tsarevich Dmitrii of Uglich, who had died in mysterious circumstances in 1591. The pretender denounced Boris not as an elected ruler, but rather as a traitor who had tried to kill the true heir (i. e. Dmitrii himself), and had then usurped the throne. In a proclamation of November 1604, issued soon after he had crossed the border into Russia, Dmitrii claimed that God had saved the Russians’ ‘true-born’ (prirozhennyi) sovereign from the attempt on his life by the traitor Boris Godunov; and he declared that he – ‘Tsarevich and Grand Prince Dmitrii Ivanovich of All Rus’’ – was marching to obtain the throne of his forefathers.5 This kind of language, in which Dmitrii described himself as a true-born sovereign coming to claim the throne of his ancestors as his rightful inheritance, was very common in his surviving proclamations, as was the use of terms such as ‘patrimony’ or ‘birthright’ to describe the subjects he had ‘inherited’ from his ancestors.6 But there is another important issue raised in Dmitrii’s proclamation of November 1604, which has not received so much attention from historians:7 he reminded his subjects that they had sworn an oath of loyalty not only to his father, Tsar Ivan Vasil’evich (Ivan the Terrible) but also to Ivan’s children, including himself. He called on the Russian people to reject the traitor Boris Godunov, and henceforward serve their true-born sovereign Dmitrii faithfully, as they had served his father, Tsar Ivan.8

4 L.V. Cherepnin, Zemskie sobory Russkogo gosudarstva v XVI–XVII vv., Moskva 1978, 125– 132. Fedor’s was the first accession to take place since the introduction of Assemblies of the Land in 1549. 5 Akty, sobrannye v bibliotekakh i arkhivakh Rossiiskoi Imperii Arkheograficheskoiu Ekspeditsieiu Imperatorskoi Akademii nauk (hereafter AAE), vol. 2, Sanktpeterburg 1836, no. 26, 76. Circular proclamation (okruzhnaia gramota) from First False Dmitrii, November 1604. 6 Ibid., no. 34, 89–91. Proclamation from First False Dmitrii to Moscow, June 1605; ibid., no. 38, 93–95. Proclamation from First False Dmitrii to Sol’vychegodsk, 12 June 1605. 7 Including the present author. In my earlier work on the pretenders of the Time of Troubles, I was primarily concerned with the ways in which the First False Dmitrii tried to prove that he was Tsarevich Dmitrii of Uglich: Maureen Perrie, Pretenders and Popular Monarchism in Early Modern Russia: the False Tsars of the Time of Troubles, Cambridge 1995. In this essay, I shall be more concerned with the ways in which he tried to justify Tsarevich Dmitrii’s claim to the throne. 8 AAE, vol. 2, no. 26, 76.

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In his reference in this proclamation to a loyalty oath to Tsar Ivan and his children, Dmitrii seems to be correctly drawing attention to the fact that oaths of allegiance in this period referred not just to the tsar, but also to his children, including those as yet unborn. Earlier loyalty oaths mentioned the tsaritsa and existing children by name; future children were referred to by some formula such as ‘whatever children God may grant’. For example, in surety deeds (poruchnye zapisi) administered to Tsar Ivan, after his second marriage to Maria Temriukovna, the boyars were required to swear that in the event of Ivan’s death they would serve Tsarevich Ivan, Tsaritsa Maria, Tsarevich Fedor and those children whom God would send the sovereign in the future; and they had to swear not to seek (iskat’) any other sovereign than Tsarevich Ivan and Tsar Ivan’s [other] children.9 The loyalty oath to Boris – which was the most recent precedent at the time that Dmitrii issued his proclamation of November 1604 – required his subjects to swear to serve Tsar Boris Fedorovich and Tsaritsa Maria Grigor’evna and their children Tsarevich Fedor and Tsarevna Ksenia, and whatever children God would give them in the future.10 It may have been on the basis of precedents such as these that the pretender or his advisers made their claim that an oath of loyalty had already been sworn to Tsarevich Dmitrii. It is not clear whether Dmitrii of Uglich was actually mentioned by name in any oath administered in Tsar Ivan’s reign, but he could have been understood to be included as a future child in the oaths that date back at least as far as the 1560s (the surety deeds). In any case, the claim was sufficiently consistent with previous custom and practice to have appeared plausible to contemporaries. These sixteenth-century loyalty oaths suggest that there may have been a kind of collective, familial element in the Muscovite concept of sovereignty: the subjects’ loyalty was pledged not just to the tsar as an individual, but to the entire royal family. The fact that the oath to Boris also included a reference to his wife and children indicates that even an elected tsar could adhere to this concept of familial sovereignty. The loyalty oaths did not explicitly determine the succession to the throne but they clearly provided a sufficiently good indication of the expected succession that the First False Dmitrii felt able to make reference to them in the proclamations he issued during his campaign for the throne, as an important part of his legitimisation strategy. 9 See for example Sobranie Gosudarstvennykh Gramot i Dogovorov, khraniashchikhsia v Gosudarstvennoi Kollegii inostrannykh del (hereafter SGGiD), vol. 1, Moskva 1813, no. 174, 474–475. Undertaking (zapis’) by Prince Ivan Mstislavskii et al., c. 1561. 10 AAE, vol. 2, no. 10, 57–58. Loyalty oath to Boris Godunov, 15 September 1598. Until his accession to the throne in June 1605, Dmitrii and his advisers would not have had access to the Kremlin archives, with their store of documents that could have served as precedents and templates for their own declarations. The oath to Boris of 1598 was probably recent enough to have been preserved in the memories of his subjects.

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Dmitrii’s reference in his November 1604 proclamation to a loyalty oath to Tsar Ivan and his children suggests that he or his advisers may have recognised that hereditary legitimacy was a rather more complicated issue than simply biological descent. By claiming that the Russian people had already sworn an oath to Tsarevich Dmitrii of Uglich, the pretender’s advisers were able to strengthen their case against Boris as a traitor and oath-breaker. But there may have been another reason why the loyalty oath featured so prominently in Dmitrii’s propaganda. Boris Godunov had sought, in the reign of Tsar Fedor, to argue that Dmitrii, as the child of Tsar Ivan’s uncanonical seventh marriage to Maria Nagaia, was not a legitimate heir to the throne.11 Giles Fletcher, the English ambassador to Russia in 1588–1589, noted that laymen were not allowed by the Russian Orthodox Church to have more than two [sic] marriages, “which is a pretense now used against the emperor’s only brother, a child of six years old, who therefore is not prayed for in their churches (as their manner is otherwise for the prince’s blood) because he was born of the sixth [sic] marriage and so not legitimate. This charge was given to the priests by the emperor himself by the procurement of the Godunovs, who make him believe it is a good policy to turn away the liking of the people from the next successor.”12

Fletcher’s account implies that prayers had been said for Dmitrii in his father’s reign, and this does indeed seem likely, since Tsar Ivan treated Maria Nagaia as his legitimate wife. On Ivan’s death in 1584, according to some sources, a bid was made by a faction of the boyars to place the infant Dmitrii on the throne instead of his mentally incompetent elder half-brother, Fedor – this suggests that the technical illegitimacy of the little tsarevich was not seen as an insuperable obstacle to his succession. And once Fedor was confirmed as the new tsar, Dmitrii and his mother, with some of her kinsmen, were sent with considerable ceremony to Uglich, which was an appanage principality (udel) traditionally allocated to the younger sons or brothers of the Muscovite Grand Princes.13 In a letter to King Sigismund of September 1604, when he was afraid that the Poles might officially recognise the pretender, Boris Godunov reminded the king that Dmitrii of Uglich was the son of Tsar Ivan’s seventh, and hence unlawful, wife;14 but the question of Dmitrii’s technical illegitimacy did not prove to be an obstacle to the pretender’s broad acceptance by the Russian people as a true-born tsarevich and later as their true-born tsar. Nevertheless, in the initial stages of

11 The Russian Orthodox Church permitted only three marriages for laymen. 12 Giles Fletcher, Of the Russe Commonwealth, in: Lloyd E. Berry/Robert O. Crummey (eds.), Rude and Barbarous Kingdom: Russia in the Accounts of Sixteenth-Century English Voyagers, Madison, WI/Milwaukee, WI/London 1968, 228. 13 Perrie 1995, 9–14. 14 Ibid., 65.

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Dmitrii’s campaign for the throne the pretender may have been concerned that the issue of his illegitimacy in the eyes of the Orthodox Church could have been used against him. The claim in his November 1604 proclamation that a loyalty oath had been sworn to him in his putative father’s lifetime may have been designed to counter any such objections, implying as it did that Tsarevich Dmitrii was regarded as a legitimate heir by his royal father. Boris Godunov died suddenly in Moscow in April 1605. His courtiers were quick to organise the swearing of an oath of loyalty to his son, Fedor Borisovich, as the new tsar. This document was somewhat unusual, in that it named Boris’s widow, Tsaritsa Maria Grigor’evna, ahead of her son Tsar Fedor.15 It also called upon the Russian people not to support ‘the criminal (vor) who calls himself Prince Dmitrii of Uglich’; and not to want Simeon Bekbulatovich or anyone else as their sovereign.16 Simeon Bekbulatovich was a baptised Tatar khan who had been temporarily placed on the Russian throne by Ivan the Terrible in 1575, in a puzzling episode which historians have explained in different ways.17 In 1598 a faction of boyars had sought to promote Simeon as a rival candidate to Boris Godunov; because of this, the loyalty oath to Boris had required his subjects to swear not to want Simeon Bekbulatovich or his children ‘or anyone else’ as their tsar.18 This undertaking was incorporated virtually word for word into the oath of allegiance to Fedor Borisovich. The basis for the legitimacy of Fedor’s accession was laid out in a letter from Metropolitan Kirill of Rostov and Iaroslavl’ to a monastery in Sol’vychegodsk.19 As Isaiah Gruber has pointed out in his discussion of this document, Fedor had essentially inherited the throne from his father, Tsar Boris; but his ideologues did not want to make the hereditary basis of his rule too explicit, at a time when the First False Dmitrii was claiming to be the true-born son of Ivan the Terrible. Instead they provided a complex set of justifications, based in part on the arguments devised in favour of Boris’s accession in March 1598. Just as Tsar Fedor’s widow, Tsaritsa Irina, had bestowed the tsardom on her brother, Boris Godunov, so Boris’s widow, Tsaritsa Maria, bestowed the tsardom on her son, Fedor Borisovich. In both cases, the widowed tsaritsas carried out these bestowals in response to petitioning by all sections of the population of the capital.20 There 15 SGGiD, vol. 2, Moskva 1819, no. 85, 191–194. Oath of loyalty to Tsaritsa Maria, Tsar Fedor and Tsarevna Ksenia, [April] 1605. 16 Ibid., 192. ‘Prince’ (kniaz’) because the Godunovs did not recognise Dmitrii as a legitimate tsarevich. 17 See Donald Ostrowski, Simeon Bekbulatovich’s Remarkable Career as Tatar Khan, Grand Prince of Rus’, and Monastic Elder, in: Russian History 39 (2012), 269–299. 18 AAE, vol. 2, no. 10, 59. 19 Ibid., no. 32, 86–89. Letter (gramota) from Metropolitan Kirill to the Vvedenskii monastery, 29 April 1605. 20 Gruber 2012, 93–96.

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were however some differences between the two scenarios. Metropolitan Kirill claimed that the throne had been bequeathed to Fedor not just by his mother, but also by his late father, Tsar Boris. And where Irina had renounced any claim she might have had to rule in her own right, and retreated into a convent, Maria remained as tsaritsa, with an unspecified role (possibly as regent). Kirill’s letter did not make any claims about Fedor’s election by an Assembly of the Land (it would in any case have been impossible for such a body to have met in the timescale available), but by listing all the segments of the population of Moscow who allegedly petitioned Maria to give her blessing to Fedor’s accession, the document implied a degree of popular acclaim and endorsement of the new tsar. The reign of Tsar Fedor Borisovich was to prove to be tragically brief: he and his mother were murdered shortly before the pretender entered Moscow in triumph in June 1605. At the time when Tsar Boris died, his army was besieging the small fortress of Kromy, which was held for Dmitrii by the Don cossack ataman Korela. The government troops at first took the oath of allegiance to Tsar Fedor, but on 7 May they mutinied in favour of Dmitrii. The leaders of the mutiny sent Prince Ivan Golitsyn to the pretender’s headquarters at Putivl’ to inform him that Godunov’s army had decided to transfer its allegiance. They justified their treachery by explaining that the oath they had sworn to Fedor Borisovich only a few days earlier was technically incorrect (and therefore not binding on them) because it did not explicitly identify the pretender as Grisha Otrep’ev.21 This oath, as we have already noted, called on the Russians not to support ‘the criminal who calls himself Prince Dmitrii of Uglich’. Boris’s government had consistently identified ‘Dmitrii’ as the renegade monk Grisha Otrep’ev; but at Putivl’ the pretender had publicly displayed a man who called himself Grisha, in order to demonstrate that Otrep’ev and the samozvanets were two different people.22 Fedor Borisovich’s advisers, apparently aware of this démarche, had decided not to name Grisha in the loyalty oath to the new tsar – but they thereby created the suspicion that they no longer knew who the pretender was, and that he might actually be Tsarevich Dmitrii of Uglich. This created a pretext for the Godunovs’ commanders to defect to the pretender. They begged his forgiveness for having taken the oath to Fedor Borisovich, and swore allegiance instead to Dmitrii as their true-born sovereign and the rightful heir to the throne.23 After the mutiny of Fedor Godunov’s troops at Kromy, the pretender left Putivl’ and made a triumphant advance towards Moscow. From Krapivna, near Tula, he sent envoys to the capital with a proclamation calling on the citizens to acknowledge him as tsar. On 1 June this proclamation was read out to the people 21 SGGiD, vol. 2, no. 87, 196–197. First False Dmitrii’s letter to Stanisław Mniszech, 24 May 1605. 22 Perrie 1995, 70. 23 SGGiD, vol. 2, no. 87, 197.

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assembled on Red Square. Its main aim was to assert Dmitrii’s right to the throne, and to reject Fedor’s claim to legitimacy. As in his proclamation of November 1604, the pretender reminded the Muscovites that they had taken an oath of loyalty to his father, Tsar Ivan, and to his children. Now he added that in that oath they had undertaken not to want nor to seek anyone other than a member of their royal dynasty (rod) to rule the Muscovite state.24 This may be a reference to undertakings such as those in the surety deeds to Tsar Ivan that the boyars would not seek a sovereign other than Tsarevich Ivan and Tsar Ivan’s other children (see above).25 The pretender’s claim about the wording of the oath to Tsar Ivan and his children was, of course, primarily directed against Fedor Godunov, who, like his father Boris, was not a member of the old dynasty. Loyalty oaths were taken very seriously at this time (they involved kissing the cross, and the salvation of one’s immortal soul depended on them). Nevertheless, while stressing the sacred significance of the oath that the Russians had already sworn to Tsar Ivan and his children, the pretender and his supporters needed to find reasons for them to break the oaths they had subsequently taken to Boris and to Fedor Borisovich. In his June proclamation Dmitrii did not mention the allegedly incorrect oath administered to Fedor Godunov, but he explained that after the death of Tsar Fedor Ivanovich the Russian people had sworn a loyalty oath to the traitor Boris Godunov because they thought that Dmitrii of Uglich was dead; and he pardoned them for this act of treason, which they had committed through fear and ignorance.26 Annulling the oaths that had been sworn to the Godunovs was an understandable strategy on the pretender’s part, but it created a potentially dangerous precedent, paving the way for the later negation – after his overthrow and murder by Vasilii Shuiskii – of the oaths that had been taken to Dmitrii himself (see below). In his June proclamation to Moscow, Dmitrii spelt out the consequences of swearing loyalty to an illegitimate tsar. He reminded the Muscovites of the oppression that they had suffered under the traitor Boris Godunov, and listed the hardships that the Russian people had faced as a result of his policies. Now – he added – the tsardom was ruled by the traitors Maria Godunova and her son Fedor, whose governance, like that of Boris, was oppressive because they were not the legitimate rulers: they had taken possession of a realm that did not belong to them, and which they therefore did not care about.27 Here he seemed to be suggesting that only a true-born tsar could truly care about his land and his 24 AAE, vol. 2, no. 34, 89. 25 It also echoed the oath to Boris in which his subjects swore not to want Simeon Bekbulatovich – or his children or anyone else – as their tsar, and the oath to Fedor Borisovich which had mentioned not only Simeon Bekbulatovich but also ‘Prince Dmitrii of Uglich’. 26 AAE, vol. 2, no. 34, 89–90. 27 Ibid., 90.

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people; and indeed Dmitrii made generous promises of rewards and benefits for all groups of Muscovite society who recognised him.28 The concept of political legitimacy that was implied here is similar to Max Weber’s notion of patrimonialism, with an admixture of the popular Russian image of the benevolence of the true tsar that had been promoted by Dmitrii’s putative father Ivan IV.29 Dmitrii’s references to the suffering that the Russian people had experienced under the Godunovs may also have involved a hint that the natural disasters of the early seventeenth century – crop failures and famine – were God’s punishment for their acceptance of an illegitimate tsar. By stressing his own legitimacy through a hereditary right to the throne, and branding Boris Godunov as a traitor and usurper, Dmitrii was providing a justification for rebellion against the new Godunov dynasty, which had become increasingly unpopular as a result of Boris’s failure to ameliorate the economic crisis. After the reading of Dmitrii’s proclamation on Red Square, a popular uprising against the Godunovs began in the capital. Dmitrii did not make his triumphal entry into Moscow until 20 June, but even before then he had begun to administer loyalty oaths which named not only himself but also his ‘mother’, Maria Nagaia (who had become a nun, with the name of Marfa, in her widowhood). In these oaths his subjects were required to promise to have no dealings with the traitors Fedor Borisovich and his supporters, and not to desire any sovereign other than Dmitrii and his mother.30 Maria Nagaia’s recognition of the pretender as her son was a very important part of his legitimation strategy. It served to refute suspicions that he was an impostor; and also stressed his link with the old dynasty. The inclusion of Maria Nagaia in the loyalty oath to Dmitrii was undoubtedly modelled on the reference to Maria Godunova in the oath to Fedor Borisovich; but the use of her full title (‘the sovereign Tsaritsa and Grand Princess the nun Marfa Fedorovna’) may also have been designed to dispel any residual doubts about her status as a legitimate wife of Ivan the Terrible, and hence the mother of a legitimate son and heir. *** If Dmitrii denounced Boris as a traitor rather than as an elected tsar (he made no mention of this supposed criterion for Boris’s right to rule), Boris in his turn had 28 Ibid., 90–91. 29 Maureen Perrie, The Image of Ivan the Terrible in Russian Folklore, Cambridge 1987. 30 SGGiD, vol. 2, no. 91, 202–203. Oath of loyalty to Tsaritsa Marfa and Tsar Dmitrii, 11 June 1605. See also AAE, vol. 2, no. 38, 94–95. The oath to Dmitrii mentions Tsaritsa Marfa first, just as the oath to Fedor Borisovich – on which it was evidently based – had named Tsaritsa Maria Grigor’evna in the first instance. Neither the oath to Fedor Godunov nor to Tsar Dmitrii mentioned any future wife and children.

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condemned Dmitrii, not on the basis of any principled rejection of the hereditary system of succession (Boris had after all designated his own son Fedor as his heir), but as a traitor, impostor and heretic. A letter from Patriarch Iov in January 1605 identified the pretender as the runaway unfrocked monk Grisha Otrep’ev, and described him as a menial fellow (stradnik), a criminal and an apostate (bogootstupnik) who had fallen into heresy and necromancy and sorcery, and who had various Satanic and devilish plans.31 A letter sent by Metropolitan Isidor of Novgorod to the Solovetskii monastery similarly described the pretender as a traitor to the tsar, and a renegade (otmetnik).32 And all of the pretender’s opponents depicted him as the tool of the Polish king and the Jesuits. There was in fact evidence to support many of these accusations, at least if we agree that the pretender was Grisha Otrep’ev (and if we accept the version of Grisha’s biography that Dmitrii’s detractors provided): the First False Dmitrii had secretly converted to Catholicism in Poland; and he had promised to cede Russian lands to his prospective father-in-law, the Polish nobleman Jerzy Mniszech. But it is also worth noting the Russian concept, explained by the semiotician Boris Uspenskii, that as a consequence of the sacralisation of the tsar in the sixteenth century any false claim to the sacred status of a tsar was regarded as blasphemous antibehaviour, characteristic of black magicians. The Godunovs’ identification of Dmitrii as a sorcerer was subsequently paralleled in Dmitrii’s depiction of the false tsar Boris as a magician, which was apparently his justification for razing Boris’s palace to the ground.33 Thus we can see the development of reciprocal accusations of treason and illegitimacy, in which Dmitrii depicted Boris as a usurper and as a ‘pretender on the throne’, while he in turn was portrayed by Boris’s supporters as an impostor and a heretic or magician.

2.

The Second False Dmitrii versus Vasilii Shuiskii

When Tsar Dmitrii was overthrown by Prince Vasilii Shuiskii in 1606, Shuiskii, like Boris before him, condemned him as an impostor, using very much the same language and the same accusations as Boris had done. One innovation, since Dmitrii had actually been crowned and anointed, was to refer to him as the ‘self31 AAE, vol. 2, no. 28, 78–79. Iov’s letter to Sol’vychegodsk, 14 January 1605. 32 Ibid., no. 29, 81. Isidor’s letter to Solovki, January 1605. 33 B. A. Uspenskij, Tsar and Pretender: Samozvancˇestvo or Royal Imposture in Russia as a Cultural-Historical Phenomenon, in: Ju. M. Lotman/B. A. Uspenskij, The Semiotics of Russian Culture, ed. Ann Shukman, Ann Arbor 1984, 259–292, esp. 273–277. See also Maureen Perrie, Uspenskii and Zhivov on Tsar, God, and Pretenders. Semiotics and the Sacralization of the Monarch, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 15 (2014), 133–149, esp. 139–140.

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styled (samonarechennyi) Tsar Dmitrii’; Shuiskii also decribed him as a second Julian the Apostate – a comparison to the fourth-century Roman emperor who had tried to restore paganism.34 Shuiskii was also able to circulate copies of Dmitrii’s correspondence with the Poles and with the Vatican, which showed that many of the accusations of treason and heresy against him were justified.35 As well as claiming that he had rid the country of the impostor Grisha Otrep’ev, Shuiskii legitimised his own accession as the outcome of an election.36 Although the assembly that chose – or confirmed – Prince Vasilii as tsar was less representative than the one that had elected Boris in 1598, Shuiskii – unlike Boris (who was linked to the old dynasty only through marriage) – was able to make an additional case for a hereditary claim to the throne, based on descent from Riurik, the legendary Varangian founder of the old dynasty and, through him, back to Augustus Caesar.37 Like Boris Godunov, Shuiskii seems to have interpreted his accession as that of the founder of a new hereditary dynasty. Although Prince Vasilii was both unmarried and childless at the time of his election (he was a widower), the oath of loyalty to the new tsar referred to his (unnamed) tsaritsa and their future children (‘whom God will grant them hereafter’).38 Shuiskii’s claim to the throne was, however, never fully accepted by the Russian people, many of whom believed that ‘Tsar Dmitrii’ was not Grisha Otrep’ev but the true Tsarevich Dmitrii of Uglich; and that he was still alive, having escaped the assassination attempt that followed his wedding in Moscow to the Polish noblewoman, Marina Mniszech. In order to counter such rumours, one of Shuiskii’s first acts, after his accession, was to disinter the remains of Tsarevich Dmitrii from their resting-place at Uglich, and have them brought to Moscow, where the tsarevich was declared to be a miracle-working saint and martyr who had been the victim of a political murder engineered by Boris Godunov. This solemn ceremony did not, however, persuade those who believed that Tsar Dmitrii was indeed Dmitrii of Uglich; nor did the public display and desecration of the False Dmitrii’s body stem the rumours that he was still alive. The revolt against Shuiskii in 1606–1607, led by Ivan Bolotnikov, was guided by this belief, even though no trace of the former tsar was found in Russia until the appearance of the Second False Dmitrii at Starodub in June 1607.39 Bolotnikov and his army laid siege to Moscow in November 1606, and although they retreated from the capital in December, the uprising in the name of 34 35 36 37

AAE, vol. 2, no. 47, 105. Shuiskii’s coronation service, 1 June 1606. Ibid., no. 48, 106–115. Shuiskii’s letter to Perm’, 6 June 1606. Ibid., no. 44, 101. Shuiskii’s letter to Perm’, 20 May 1606. See also ibid., no. 48, 110. Ibid., no. 44, 101. On Shuiskii’s justifications for his accession, see also Perrie 1995, 101–104; Viacheslav Kozliakov, Vasilii Shuiskii, Moskva 2007, 95–103; Gruber 2012, 128–139. 38 AAE, vol. 2, no. 44, 102. 39 Perrie 1995, 99–157.

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Tsar Dmitrii continued. Shuiskii evidently felt that his legitimacy required a boost, and in February 1607 he summoned the deposed Patriarch Iov back to Moscow, where he and Patriarch Germogen jointly pardoned the Russian people for breaking the loyalty oaths they had sworn to Boris Godunov and to Fedor Borisovich, and for taking an oath to Tsar Dmitrii.40 Iov had been Patriarch in the reign of Boris Godunov, and had acted as a major ideologist for the denunciation of the pretender. When Dmitrii came to the throne, he overthrew Iov and appointed his own candidate, Ignatii, who was in his turn replaced by Shuiskii with Germogen. While the involvement of the two Patriarchs was clearly meant to give loyalty oaths a high degree of significance, the fact that the breaking of such oaths could be officially pardoned (as in the case of the oaths to Boris Godunov and Fedor Borisovich) and sanctioned (as in the case of the oath to Tsar Dmitrii) created new precedents which were to be utilised by rival claimants to the throne in the future. The Second False Dmitrii claimed to be Tsar Dmitrii, who had supposedly escaped the attempt on his life in 1606. He condemned Shuiskii as a traitor and usurper who had tried and failed to kill the legitimate tsar. In a proclamation to Smolensk from Orel, in April 1608, the second Dmitrii used similar language to that of the first pretender in order to legitimise his claim to the throne and to denigrate Tsars Boris Godunov and Vasilii Shuiskii as illegitimate.41 (The Second False Dmitrii of course identified himself not only with the First False Dmitrii but also with Dmitrii of Uglich.) But he also used some of the same religious discourse of heresy and apostasy as Tsar Boris had used against the first Dmitrii. The first traitor who had plotted against him – he said – was Boris Godunov, whom he described as a malicious enemy (zlokoznennyi vrag), an apostate (otstupnik), and a heretic, who had connived with Satan, his father, and had as a result been punished by God.42 The second traitor who had conspired against him was Vasilii Shuiskii, who was depicted in similar terms: as an enemy, a renegade to the faith (otshchepenets very), a heretic and a violator of the faith (popratel’ very). Where Shuiskii had denounced the First False Dmitrii for his dealings with the Jesuits and the Pope, the Second Dmitrii condemned Shuiskii for hiring infidel Muslims to use against Christians (a reference to Tsar Vasilii’s recruitment of Crimean Tatar cavalry). Dmitrii described Shuiskii not only as a traitor, but also as his kholop (slave), i. e. subject: a reference to the fact that Shuiskii had taken – and then broken – the oath of allegiance to Tsar Dmitrii.43 40 AAE, vol. 2, no. 67, 148–160. Shuiskii’s dealings with former Patriarch Iov, February 1607. See also Cherepnin 1978, 156–157; Kozliakov 2007, 123–125. 41 D. Buturlin, Istoriia smutnogo vremeni v Rossii v nachale XVII veka, vol. 2, Sanktpeterburg 1841, prilozheniia, no. 7, 46–58. Letter of Second False Dmitrii to Smolensk, 14/24 April 1608. 42 Ibid., 48–49, 50. 43 Ibid., 50–51, 52.

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There were some other innovations in the Second False Dmitrii’s proclamation to Smolensk, compared with the proclamations of the first pretender. Reflecting the fact that he claimed to be Tsar Dmitrii – a reigning tsar who had been crowned – the second pretender described himself inter alia as anointed (pomazannyi).44 And he provided additional details about his supposed escape from Uglich. He identified the men who had saved him there as Bogdan Bel’skii, Andrei Kleshnin and Vasilii Shchelkalov, and he noted with approval that they had remembered their oath not to harm Tsar Ivan or Tsarevich Dmitrii.45 Vasilii Shuiskii, by contrast, had forgotten his loyalty oaths to Dmitrii’s father Tsar Ivan, to his brother Tsar Fedor Ivanovich, and to Tsar Dmitrii himself, in which he had promised not to work evil against them and not to choose nor desire nor consider anyone other than a member of their dynasty to rule them.46 Interestingly, Dmitrii here used the verb izbrat’ (to choose or elect) – presumably to emphasise the difference between himself as a hereditary (true-born) tsar and Shuiskii as an elected tsar.47 In his proclamation to Smolensk Dmitrii reminded the townspeople of his merciful nature: he had even pardoned Prince Vasilii for his treachery and spared his life – a reference to Shuiskii’s alleged involvement in a plot to kill Tsar Dmitrii in 1605.48 He stressed that he would display generosity and clemency towards them if they acknowledged their guilt in recognising Shuiskii as tsar: if they swore allegiance to him he would not only pardon them, but he would also richly reward them – he would however punish those who did not recognise him.49 Thus loyalty oaths again played an important part in the legitimation strategy employed by the Second False Dmitrii. In various proclamations he reminded his subjects that they had already sworn a loyalty oath to him (i. e. in his persona as Tsar Dmitrii). In a message to Suzdal’, for example, he praised the townspeople for having remembered their ‘previous cross-kissing’ to him and for having begged his forgiveness for their guilt in opposing him; and he promised them generous rewards if they served him faithfully against the traitors who had not recognised him.50 Later, in a message to Pskov, he assured his subjects that if they 44 45 46 47

Ibid., 47. Ibid., 49–50. Ibid., 51. In fact the oath to Dmitrii that was sworn in June 1605 did not have this wording, but simply required his subjects to swear not to seek (iskat’) nor desire nor consider a sovereign other than Tsaritsa Marfa and Tsar Dmitrii. See SGGiD, vol. 2, no. 91, 202–203; AAE, vol. 2, no. 38, 94. 48 Buturlin 1841, vol. 2, prilozheniia, no. 7, 48, 53–54. 49 Ibid., 53, 55. 50 Akty istoricheskie, sobrannye i izdannye Arkheograficheskoiu kommissieiu, vol. 2, Sanktpeterburg 1841, no. 100, 132–133. Commendatory letter (pokhval’naia gramota) from the Second False Dmitrii to Suzdal’, 23 October 1608.

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served him according to their former loyalty oath he would reward them when he returned to the throne of his forefathers.51 A possible excuse for his subjects’ oath-breaking, however, was the fact that the Russian people had been told that Tsar Dmitrii was dead. Perhaps remembering that the First False Dmitrii had made allowance for the treason of his subjects who had sworn an oath to Boris because they thought that Tsarevich Dmitrii had died at Uglich, the people of Iaroslavl’ asked the Second False Dmitrii to pardon them for having opposed him, because they had believed the traitors who told them that Tsar Dmitrii had been killed in Moscow.52 It was of course in practice impossible for the Second False Dmitrii to treat virtually the entire population of Russia as traitors for having sworn allegiance to Vasilii Shuiskii, just as it had been impossible for the First False Dmitrii to condemn the Muscovites en masse for recognising Boris Godunov. Loyalty oaths became increasingly meaningless, as precedents piled up of oath-breaking being pardoned and sanctioned. This was particularly true in the period (1608–1609) when the Second False Dmitrii was encamped at Tushino, outside Moscow, and many Russians cynically switched their allegiance many times over between the two rival tsars. If the Second False Dmitrii condemned Shuiskii as a traitor and oath-breaker, Shuiskii in his turn depicted this new Dmitrii as another impostor (a heretic and criminal who falsely called himself a tsar’s son).53 But because Shuiskii’s government was never sure just who the new pretender was, its condemnation of him was less detailed than Boris’s condemnation of the First False Dmitrii had been. As late as January 1610, Tsar Vasilii’s nephew, Prince Mikhail Skopin-Shuiskii, referred to the pretender simply as ‘the criminal who criminally called himself a sovereign’s son, in place of the unfrocked monk’.54 Intriguingly, the same kind of language that Boris and Shuiskii used to abuse the False Dmitriis was also used by the Second False Dmitrii, in his 1608 proclamation to Smolensk, in order to discredit the various new pretenders who had appeared on the Volga and on the steppes, all claiming to be previously unknown descendants of Ivan the Terrible: a great heresy – Dmitrii said – had manifested

51 Ibid., no. 305, 359–360. Commendatory letter from the Second False Dmitrii to Pskov, not before October 1610. 52 Ibid., no. 101, 133–134. Petition from the people of Iaroslavl’ to the Second False Dmitrii, October/November 1608. 53 AAE, vol. 2, no. 135, 247. Shuiskii’s letter to Solovki, 8 August 1609. 54 Ibid., no. 155, 268. Message (otpiska) from Prince Mikhail Skopin-Shuiskii to Ustiug, January 1610.

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itself, and many people, inspired by the wiles of the devil, were calling themselves ‘Muscovite tsareviches, true royal seed’.55 The first new pretender who claimed to belong to the old dynasty was ‘Tsarevich Petr’, who appeared on the Volga in the spring of 1606, calling himself a son of Tsar Fedor Ivanovich who had been replaced at birth by a baby girl – Tsarevna Feodosia – who had died in infancy.56 Petr sailed up the Volga towards Moscow with his band of cossacks, apparently intending to confront Tsar Dmitrii about the inadequate reward they had received for their service to him. Before they reached the capital, however, they learned that Dmitrii had been killed, and they retreated back downriver. Subsequently they joined forces with Bolotnikov’s supporters. Petr was captured with Bolotnikov at Tula in October 1607, and executed in Moscow in January 1608. If Petr had indeed been the son of Tsar Fedor, he would have had a stronger claim to the throne – on the basis of the principle of vertical succession by primogeniture – than Dmitrii of Uglich; but he does not seem to have sought to replace Dmitrii on the throne. Even after the overthrow and murder of the first pretender, Petr and his cossacks acted in the name of ‘Tsar Dmitrii’, claiming that he was still alive.57 Another long-lost relative of Dmitrii, ‘Tsarevich Ivan-Avgust’, was active in Astrakhan’ and on the Lower Volga from the summer of 1606. According to the Second False Dmitrii, Ivan-Avgust called himself the son of Ivan the Terrible by his fourth wife, Anna Koltovskaia. If he had been a real tsarevich, Ivan-Avgust – like Tsarevich Petr – would have had a better claim to the throne than Dmitrii, but he seems to have been content to act in a subordinate role to his ‘younger halfbrother’.58 The Second False Dmitrii named another Astrakhan’ tsarevich as Lavrentii, a son of Tsar Ivan’s son Tsarevich Ivan Ivanovich by his third wife Elena Sheremeteva. The New Chronicle also identified Lavrentii (‘Laver’) as one of three tsareviches at Astrakhan’, but described him as a son of Tsar Fedor Ivanovich; it named the other two as Ivan-Avgust, the son of Tsar Ivan, and Osinovik, the son of Tsarevich Ivan Ivanovich.59 Another cossack ‘tsarevich’ was Fedor Fedorovich, a ‘son’ of Tsar Fedor Ivanovich, who was executed by the Second False Dmitrii at Briansk in the autumn of 1607.60 Other sons of Tsar Fedor named by the Second False Dmitrii were Klementii, Savelii, Semion, Vasilii, 55 Buturlin 1841, vol. 2, prilozheniia, no. 7, 55 For Dmitrii’s denunciation of the cossack ‘tsareviches’ see ibid., 55–58, partly (pp. 56–58) reproduced in: Vosstanie I. Bolotnikova. Dokumenty i materialy, ed. A. I. Kopanev/A. G. Man’kov, Moskva 1959, 229–231. 56 Tsarevna Feodosia was a real person, the daughter of Tsar Fedor Ivanovich and Tsaritsa Irina, born in 1592. 57 Perrie 1995, 90–97, 134–144, 149–152. 58 Ibid., 132–134, 147–148, 176–181. 59 Ibid., 133, 176–177. 60 Ibid., 132–134, 174–178.

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Eroshka, Gavrilka and Martinka.61 In spite of the fact that all of these pretenders, if they had been real tsareviches, would have enjoyed genealogical seniority over Dmitrii of Uglich, they seem to have acted towards him as junior kinsmen and supplicants, rather than as rivals. The Second False Dmitrii, however, clearly regarded his self-appointed relatives as a threat and an embarrassment. He informed the people of Smolensk that he had sent messengers to the Lower Volga towns and to the steppe settlements to search for ‘those scoundrels who call themselves tsareviches’. When they were found, they were to be beaten with the knout and thrown into prison to await Dmitrii’s further instructions; once he had ascended to the throne of his forefathers in Moscow, he assured the townspeople of Smolensk, he would deal with the impostors.62 According to the New Chronicle, the cossacks hanged Osinovik on the Volga, and brought Ivan-Avgust and Lavrentii to the Second False Dmitrii when he was encamped at Tushino, where he had them hanged. The fate of the other ‘tsareviches’ is unknown.63 These cossack pretenders all claimed to belong to the old dynasty. We know frustratingly little about them, but their claims seem to be modelled on those of the First False Dmitrii.64 To a certain extent, they may be seen as endorsing the hereditary concept of monarchy, but without sanctioning the principle of succession on the basis of genealogical seniority within the dynasty, in so far as they all appear to have accepted the legitimacy of ‘Tsar Dmitrii’, and acted in his name. Although Tsarevich Dmitrii of Uglich would have had a weaker claim to the throne than all his pseudo-relatives, if they had actually existed, ‘Tsar Dmitrii’ had apparently gained their recognition by virtue of his success in gaining power: he had after all been crowned and anointed, and oaths of allegiance had been sworn to him.

3.

The Third False Dmitrii versus Władysław of Poland

By the summer of 1610 the situation in Russia had become even more complex than before, as a result of military intervention by both the Poles and the Swedes. Vasilii Shuiskii lost the support of his boyars, who deposed him in July. In August the provisional boyar government in Moscow invited Władysław, the son of King Sigismund of Poland, to be their new tsar. The boyars attempted to summon an Assembly of the Land to elect (vybrati) the new tsar, but in the turbulent cir61 62 63 64

Buturlin 1841, vol. 2, prilozheniia, no. 7, 57. Ibid. Perrie 1995, 174–181. In various versions of the biography of Tsarevich Petr, he was said to have been substituted at birth by a baby girl either on Boris’s orders, or by his mother Irina, who feared that Boris would try to kill him, just as he had killed Tsarevich Dmitrii. See Perrie 1995, 140–143.

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cumstances no delegates were able to arrive from the provincial towns, and the decision to take the oath to Władysław was made by representatives of all the social groups present in Moscow.65 In the oath itself they swore to serve Władysław ‘and his children, whom God will grant him’, just as they had served the former true-born great sovereign tsars and grand princes of all Rus’; and they promised not to want anyone else to rule over them, whether from Muscovy or any other state.66 Władysław, however, never came to Moscow, although the boyars in the capital – now occupied by the Poles – continued to govern in his name. After the people of Moscow took the oath to Władysław, the Second False Dmitrii, who had been encamped at Kolomenskoe, on the outskirts of the capital, fled to Kaluga, where he was murdered in December 1610 in a revenge killing by a Tatar prince in his retinue. Soon afterwards, Marina Mniszech gave birth to a son, who was named Ivan, after his putative grandfather, and the people of Kaluga swore allegiance to him as the true heir to the throne. Marina had joined the Second False Dmitrii at Tushino in September 1608, and her recognition of him as her husband (i. e. as the same person as the First False Dmitrii) had done much to reinforce the new pretender’s credibility. At one point, after the flight of the Second False Dmitrii from Tushino in December 1609, when it was believed that he might be dead, Marina had staked a claim for the Muscovite throne in her own right. In a letter to King Sigismund of 15 January 1610, asking for his protection, she argued that she had a right to the throne based on her coronation, her recognition as her husband’s heir, and a double oath of allegiance sworn to her by Muscovites of all ranks.67 After the birth of her son, however, Marina’s primary concern was to obtain the throne for him, on the basis of hereditary succession from his father and grandfather. In this aim she was supported by the cossack ataman Ivan Zarutskii, who acted as the main advocate of the candidacy of ‘Tsarevich Ivan Dmitrievich’ in the militia that was organised at the beginning of 1611 for the liberation of Moscow from the Poles.68 By that time, however, a new False Dmitrii had appeared. The Third False Dmitrii was active in various towns in the north-west of Russia: Ivangorod, Iam, Kopor’e, Gdov and especially Pskov. Little is known 65 AAE, vol. 2, no. 162, 277–278. Circular proclamation from the boyars to Perm’, 20 July 1610; ibid., no. 164, 279. Letter from Prince F. I. Mstislavskii to Perm’, 19 August 1610. See also Cherepnin 1978, 162–167; Gruber 2012, 161–163. 66 AAE, vol. 2, no. 164, 280. See also ibid., no. 165, 281. Letter from Prince F. I. Mstislavskii to Kazan’, 30 August 1610. 67 Viacheslav Kozliakov, Marina Mnishek, Moskva 2005, 227–229. The reference to a ‘double oath’ apparently refers to a second oath sworn to her at Tushino, in addition to the oath taken in Moscow at her coronation: ibid., 180. It is not clear whether Marina had ever been officially designated as heir to the throne. 68 Perrie 1995, 208–210.

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about this pretender, who claimed that he was Tsar Dmitrii (the Second False Dmitrii), who had escaped death at Kaluga. At the beginning of 1612 he established contact with the liberation army encamped outside Moscow, which took an oath to him in March. The appearance of the Third False Dmitrii surprised and embarrassed Zarutskii; and the attitude of the new Tsar Dmitrii to his ‘wife and son’ – Marina and the infant Tsarevich Ivan Dmitrievich – is unclear.69 The claims to the throne of both the Third Dmitrii and Tsarevich Ivan proved controversial in the ranks of the liberation forces. Prince Dmitrii Pozharskii, the leader of a second militia formed at the end of 1611, issued proclamations from Nizhnii Novgorod and Iaroslavl’ in which he used apocalyptic language to condemn pretenders as ‘false Christs’ and ‘precursors of the Antichrist’, who planned to implement the will of ‘their father, Satan’. These condemnations – which went much further than earlier denunciations of pretenders as heretics and apostates – were directed both against Marina and her son and against the Third False Dmitrii.70 The new pretenders failed to gain any lasting support from the liberation forces. In May 1612, when the cossack leaders of the first militia concluded that the Third Dmitrii was an impostor, they had him arrested in Pskov and brought to their Moscow encampment as a prisoner.71 In the summer of 1612 Zarutskii fled from the camp outside Moscow. He went with Marina and her son to Astrakhan’, where – according to some sources – Ivan Dmitrievich was recognised as tsar; other sources suggest that Zarutskii claimed that Tsar Dmitrii was still alive, or that he himself played the role of the tsar. Tsar Michael launched a military campaign against him in the spring of 1614. Having fled from Astrakhan’ in May, Zarutskii, Marina and ‘Tsarevich’ Ivan were captured on the River Iaik in June. Zarutskii and the infant Ivan were put to death in Moscow, and Marina died in prison shortly afterwards.72 Rumours continued to spread that Tsar Dmitrii was still alive, and false Ivan Dmitrieviches appeared in Poland and Crimea in the 1640s, but the phenomenon of samozvanchestvo had been effectively discredited by the time that the Assembly of the Land met to elect a new tsar at the end of 1612. The Third False Dmitrii had faced a rival candidate for the throne in 1611–1612 in the person of Prince Karl Filip of Sweden, the younger son of Karl IX. The candidature of one of the sons of Karl IX had been proposed by the leaders of the first militia in 1611, as a counter-weight to Władysław’s claim, and in the hope of obtaining Swedish military assistance against the Poles. On 16 July, however, the 69 70 71 72

Ibid., 211–216. Ibid., 210, 216. He was subsequently hanged at the beginning of Tsar Michael’s reign: Perrie 1995, 216–218. Ibid., 218–228

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Swedish commander Jacob de la Gardie occupied Novgorod, and the citizens took an oath of allegiance to a Swedish prince. In the agreement between the two sides, the Novgorodans stated that they ‘request and choose one of the two sons of the most mighty king – either Prince Gustav Adolf or Prince Karl Filip, with his heirs of the male gender – as Tsar and Grand Prince of the Muscovite and Vladimir principalities […] excluding all others’.73 The election of a Swedish prince by the people of Novgorod, therefore, like the earlier elections of Boris Godunov, Vasilii Shuiskii and Prince Władysław, envisaged the creation of a new hereditary dynasty. After the death of Karl IX on 30 October 1611 and the succession of his elder son Gustav Adolf, the invitation to the Russian throne was made specifically to Karl Filip. It was confirmed by the liberation forces outside Moscow, on condition that the prince converted to Orthodoxy.74 By 1612 the elective principle for acquiring a new tsar had been generally accepted: the main issue that remained was the eligibility of candidates. The delegates to the Assembly of the Land decided to exclude all foreign contenders from consideration – a decision which was directed against the Polish and Swedish princes; and it also rejected the candidacy of Marina and her son. In February 1613 the Assembly elected Michael Romanov as tsar. Even though he (like Vasilii Shuiskii and Władysław of Poland) was unmarried and childless at the time of his accession, the oath of allegiance to Michael referred to his tsaritsa and their future children.75 This time around, at last, a Russian election did actually succeed in establishing a new hereditary dynasty: the Romanovs were to survive until 1917. Even after Michael’s accession, both Władysław and Karl Filip continued to assert their claims to the Russian throne, on the basis of their elections in 1610– 1612 and the oaths of allegiance that had been sworn to them then. But they both also reminded the Muscovites that they were the sons of kings, and suggested that they might therefore bring greater prestige and stability to the country than a non-royal native Russian.76 The primary justification provided for Michael Romanov’s accession was his election, not just by the Assembly of the Land, but also by God,77 but Michael himself seems to have recognised that his lack of direct 73 Iukhan Videkind [Johann Widekind], Istoriia desiatiletnei shvedsko-moskovitskoi voiny, Moskva 2000 (Swedish Original Ed. Stockholm 1671), 180. 74 P. G. Liubomirov, Ocherk istorii Nizhegorodskogo opolcheniia 1611–1613 gg. Pereizdanie, Moskva 1939, 139–144. 75 Utverzhdennaia gramota ob izbranii na Moskovskoe gosudarstvo Mikhaila Fedorovicha Romanova, ed. S. A. Belokurov, 2nd Edition, Moskva 1906, 70–72. 76 Morin Perri [Maureen Perrie], Izbrannyi tsar’ i prirozhdennye gosudari: Mikhail Romanov i ego soperniki, in: A. P. Pavlov et al. (eds.), Gosudarstvo i obshchestvo v Rossii XV – nachala XX veka. Sbornik statei pamiati Nikolaia Evgen’evicha Nosova, Sankt-Peterburg 2007, 233– 246, here 239–242. 77 Ibid., 233–239. See also Gruber 2012, 172–176.

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hereditary legitimacy might be perceived as a disadvantage: it was for this reason, no doubt, that his ideologues described him as the ‘nephew’ of Tsar Fedor Ivanovich, whereas in reality he was merely the great-nephew of Tsar Fedor’s mother, Anastasia Romanovna, the first wife of Ivan the Terrible. In some circles, Michael’s non-royal background continued to be used against him. Prince Władysław in proclamations of 1617–1618 described him not only as a traitor, but also as ‘the son of Filaret, the Metropolitan of Rostov’.78 Some Russians too mocked Michael as ‘the son of a monk’.79 And in 1646 the pretender Timofei Ankundinov, a false son of Vasilii Shuiskii, derided Michael not only as the son of a Metropolitan, but also as the descendant of a family of tradespeople. By contrast, he stressed that the Shuiskiis were descendants of Riurik the Varangian, and he claimed that Vasilii Shuiskii had been overthrown by his ‘oath-breakers (krestoprestupnitsy)’, who placed Michael Romanov on the throne. In Ankundinov’s somewhat garbled account, therefore, Vasilii Shuiskii was a hereditary tsar (the ‘uncle’ of Tsar Dmitrii!) and Michael Romanov was a traitor and usurper.80 *** The Time of Troubles may be viewed as a period in which two systems of succession to the throne – the hereditary and the elective – were in competition, but it is worth noting that the distinction between hereditary and elected tsars was not made in terms of constitutional principle (which is in any case a somewhat anachronistic concept in Russia at this time) – rather, everything was expressed within the traditional pre-modern discourse of treason and heresy. Opposition to the first two elected tsars – Boris Godunov and Vasilii Shuiskii – took the form of support for pretenders claiming to belong to the old dynasty, who depicted the elected tsars as traitors and usurpers. After the ousting of Shuiskii, samozvanchestvo persisted, in the form of the Third False Dmitrii and Tsarevich Ivan Dmitrievich, as a counter-weight to the claims of the ‘elected’ tsars Władysław and Karl Filip, whose unpopularity stemmed from the fact that they were not 78 Perri 2007, 242. Michael had taken the oath of allegiance to Władysław in Moscow in 1610, and at the time of his invasion of Russia in 1617–18 Władysław described him as his subject (kholop) and a traitor: ibid., 242. Michael’s father, Fedor Nikitich Romanov, became Metropolitan of Rostov in the reign of the First False Dmitrii, after his forced monasticisation under Boris Godunov. He later served as Patriarch in his son’s reign. 79 S. V. Bakhrushin, Politicheskie tolki v tsarstvovanie Mikhaila Fedorovicha, in: Bakhrushin, Trudy po istochnikovedeniiu, istoriografii i istorii Rossii epokhi feodalizma (Nauchnoe nasledie), ed. B. V. Levshin, Moskva 1987, 96. 80 Delo T. Ankundinova. Evropeiskii avantiurist iz Moskovii, ed. Diula Svak [Gyula Szvák], Budapest 2011, no. 2, 65–81. Letter from Ankundinov to the Russian envoys in Constantinople, 11 December 1646.

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Russians, even if they were potential converts to Orthodoxy. The pretenders in their turn were identified by their opponents not just as impostors but also as sorcerers, heretics and even Antichrists. Nevertheless, the phenomenon of pretence provides evidence of the continued vitality of the hereditary principle, since all of the samozvantsy (not just the False Dmitriis, but also the various cossack ‘tsareviches’ who appeared after 1605) claimed to be members of the old dynasty. Their eventual exposure as impostors did not mean that the Russians rejected hereditary succession as such. The elective principle was retained when Władysław and Karl Filip were invited in 1610–1611, and again in 1612, when an Assembly of the Land chose Michael Romanov as tsar; but thereafter the principle of hereditary succession was restored, this time within the new Romanov dynasty. And as we have seen, the hereditary criterion had never really gone away. It was to be found not only in the claims of the samozvantsy, but also in the accession of Fedor Borisovich, and in the stress placed by Vasilii Shuiskii on his descent from Riurik. The foreign princes who were potential candidates for election to the throne – Władysław of Poland and Karl Filip of Sweden – both placed emphasis on the fact that they were the sons of kings. And Michael Romanov’s publicists were quick to stress (and exaggerate) his link with the old dynasty. The return of a hereditary monarchy in the form of the new Romanov dynasty restored political stability in Russia after the upheavals of the Time of Troubles but, like all hereditary monarchical systems, it contained within itself the potential for samozvanchestvo, especially where the line of succession was unclear or disputed, and new pretenders appeared in dynastic crises throughout the seventeenth and eighteenth centuries. In the absence of any political concepts in the Russian intellectual universe other than those based on hereditary monarchy, samozvanchestvo remained the main political threat to a ruling tsar: the greatest rebellion faced by the Romanovs in the early modern period – the Pugachev revolt of 1773–1774 – involved a samozvanets who claimed to be Tsar Peter III, the murdered husband of Catherine the Great.

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Liste der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Dittmar Dahlmann, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Adenauerallee 4–6, 53113 Bonn, d.dahl [email protected]. Prof. Dr. Aleksandr Filyushkin, Sankt-Peterburgskij gosudarstvennyj universitet // St. Petersburger Staatsuniversität, Universitetskaja naberezˇnaja 7/9, 199034 St. Petersburg, Russland, [email protected]. Dr. Isaiah Gruber, The Hebrew University of Jerusalem, Faculty of Humanities, Department of Russian and East European Studies, Mt. Scopus, Jerusalem 91905, Israel, [email protected]. David Khunchukashvili, M. A., Ludwig-Maximilians-Universität München, Historisches Seminar der LMU, Geschichte Ost- und Südosteuropas, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München, [email protected]. Prof. Dr. Vladimir Klimenko, NIL Global’nych problem e˙nergetiki // Laboratorium für globale Energieprobleme, Moskauer Energieinstitut des Bildungsministeriums, ulica Krasnokazarmennaja 17, korpus B, 111250 Moskau, Russland, [email protected]. Dr. Diana Ordubadi, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, SFB 1167 „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“, Poppelsdorfer Allee 24, 53115 Bonn, [email protected]. Prof. Dr. Maureen Perrie, 8 Stanley Road, Kings Heath, Birmingham, B14 7NB, UK, [email protected]. Prof. Dr. Christian Schwermann, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstraße 134, 44780 Bochum, [email protected].

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Liste der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Adrian Selin, Vyssˇaja sˇkola e˙konomiki // Higher School of Economics v Sankt-Peterburge, Promysˇlennaja ulica 17, 198099 St. Petersburg, Russland, ase [email protected]. Dr. Cornelia Soldat, Am Bürenbach 20, 40724 Hilden, Research Associate at the Cologne-Bonn Centre for Central and Eastern Europe, [email protected].