Bayern in der NS-Zeit. BAND III Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt: Teil B 9783486708363, 9783486423815

Mit den neuen Veröffentlichungen hat das große Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte dem breit entfalteten

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Bayern in der NS-Zeit. BAND III Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt: Teil B
 9783486708363, 9783486423815

Table of contents :
Inhaltsübersicht
Inhalt
Vorwort
Die Industriestadt Augsburg
Der neue »Kulturkampf«
Kommunalpolitik in der »Hauptstadt der Bewegung« 1933–1935
Die Münchener Architekturszene 1933/34 als ästhetisch-politisches Konfliktfeld
Der bayerische Adel
Frauen in der Kriegsindustrie
Anhang

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Bayern in der NS-Zeit III Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt Teil Β Herausgegeben von Martin Broszat, Elke Fröhlich, Anton Grossmann

Mit 4 Karten, 26 Tabellen und 85 Abbildungen

R. Oldenbourg Verlag München Wien 1981

Veröffentlichung im R a h m e n des Projekts »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945«

im Auftrag des Bayerischen

Staatsministeriums

für Unterricht

und

Kultus bearbeitet v o m Institut für Zeitgeschichte in Verbindung mit den Staatlichen Archiven Bayerns.

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bayern in der NS-Zeit : [Veröff. im Rahmen d. Projekts »Widerstand u. Verfolgung in Bayern 1933-1945« im Auftr. d. Bayer. Staatsministeriums für Unterricht u. Kultus bearb. vom Inst, für Zeitgeschichte in Verbindung mit d. Staatl. Archiven Bayerns]. - München ; Wien : Oldenbourg N E : Institut für Zeitgeschichte < M ü n c h e n > 3. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt : Teil Β / Hrsg. von Martin Broszat . . . — 1981. ISBN 3-486-42381-9 N E : Broszat, Martin [Hrsg.]

© 1981 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege sowie der Speicherung und Auswertung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Werden mit schriftlicher Einwilligung des Verlages einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an den Verlag die nach § 54 Abs. 2 Urh. G. zu zahlende Vergütung zu entrichten, über deren Höhe der Verlag Auskunft gibt. Satz: Maschinensetzerei Robert Hurler GmbH, Notzingen Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-42381-9

Inhaltsübersicht

Gerhard Hetzer

Die Industriestadt Augsburg. Eine Sozialgeschichte der Arbeiteropposition

Franz Sonnenberger

Der neue »Kulturkampf«. Die Gemeinschaftsschule und ihre historischen Voraussetzungen

Helmut M. Hanko

Kommunalpolitik in der »Hauptstadt der Bewegung« 1933—1935. Zwischen »revolutionärer« Umgestaltung und Verwaltungskontinuität

Karl Arndt

Die Münchener Architekturszene 1933/34 als ästhetischpolitisches Konfliktfeld

Karl Otmar von Aretin

Der bayerische Adel. Von der Monarchie zum Dritten Reich

Ludwig Eiber

Frauen in der Kriegsindustrie. Arbeitsbedingungen, Lebensumstände und Protestverhalten

Inhalt Vorwort Gerhard

Hetzer

Die Industriestadt Augsburg. teropposition

Eine Sozialgeschichte der Arbei-

Vorbemerkung I. Historische Voraussetzungen 1. Industrie und Industriearbeiterschaft Augsburgs Entwicklung zum Industriezentrum (2 f.), Struktur- und Verkehrsprobleme (3f.), Herkunft und Konfession der Arbeiter ( 4 - 8 )

2. Die industrielle und soziale Topographie der Stadt Die Altstadt ( 9 - 1 4 ) , Die Außenstadt (14f.), Das Ostend ( 1 5 - 1 9 ) , Nordend und Wertachvorstadt ( 1 9 - 2 4 ) , Westend und Südend ( 2 4 - 2 6 ) , Die Arbeitervororte ( 2 6 - 3 3 ) , Lechhausen ( 2 6 - 2 8 ) , Pfersee (28 ff.), Kriegshaber (30), Oberhausen (30f.), Bärenkeller (31), Hochzoll und Siebenbrunn (31), Göggingen (31 f.), Wohnbaugebiete seit 1933 (32 f.)

3. Die Lage der Arbeiterschaft und Entwicklung der vor 1914

Arbeiterbewegung

Lohnbedingte Umschichtungsprozesse (34), Politische Konstellation bis 1914 (35 f.), Kirchliche Bindung der Arbeiter (36), Entstehung sozialistischer und katholischer Arbeitervereine (36 ff.), Entwicklung von Richtungsgewerkschaften (38 f.), Augsburg als Hochburg der wirtschaftsfriedlichen Bewegung ( 3 9 - 4 2 ) , Wiedererstarken der SPD (42 f.)

4. Wirtschaftlich-soziale und politische Entwicklung Zeit

in der

Weimarer

Produktionsumstellungen und Unterbeschäftigung in Kriegs- und Nachkriegszeit (43 f.), Novemberrevolution 1918 (45ff.), Niederwerfung der Rätebewegung (47f.), Politische Streiks (48), Kampf um Erhalt von Lohnund Arbeitszeitniveau ( 4 8 - 5 1 ) , Anfänge der K P D (51), Erste Erfolge der völkischen Bewegung (51 f.), Freie Gewerkschaften (54), Arbeitslosigkeit und Lohnabbau seit 1929 (54 ff.), SPD und K P D in den letzten Jahren der Republik (56—62), Katholische Arbeitervereine im Ringen um Selbstverständnis und Einfluß (62f.), Politischer Kampf in den Betrieben ( 6 4 - 6 7 ) , N S D A P vor der Machtübernahme ( 6 7 - 7 1 ) , Veränderungen in der Wahllandschaft (71 f.), Wahlergebnisse 1 9 1 9 - 1 9 3 3 (72 ff.), Repräsentanten von N S D A P und Polizeigewalt (74f.)

II. Die Nationalsozialistische Machtübernahme in der Stadt und bei den städtischen Betrieben 1. Die Ausschaltung von SPD und BVP im Stadtrat Kommunalpolitik in der Krise (76f.), 9. März 1933 (77f.), Absetzung von Bürgermeistern in Stadt und Umland (78 f.), Vertreibung der SPD- und BVP-Stadträte aus dem Rathaus (79f.), Rücktritt des 1. Bürgermeisters Bohl

Vili

Inhalt (80), Die NS-Biirgermeister (80f.), Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (81)

2. Politische Säuberungen in der städtischen Verwaltung

83

Gesinnungsschnüffelei in der Stadtverwaltung (83), Entlassungen von KPDund SPD-Mitgliedern (83 f.), Entlassungen wegen »politischer Unzuverlässigkeit« (84), Entlassungen wegen jüdischer Herkunft (85), Leitende Beamte und NSDAP (86 f.), Denunziationsklima in der kommunalen Verwaltung (88)

3. Die Arbeitnehmervertretung

in den städtischen Betrieben

88

Gleichschaltung der Betriebsräte (88 ff.), Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben (90f.), Auseinandersetzungen zwischen Vertrauensrat und Bürgermeistern (91 ff.)

III. Die Beseitigung der Gewerkschaften und die Machtübernahme durch die N S B O

93

Keine Kampfmaßnahmen der Gewerkschaften nach der Machtergreifung (93 f.), Verhaftungen von Gewerkschaftern und Betriebsräten (94 f.), Aufbau der N S B O ( 9 5 - 9 8 ) , 1. Mai 1933 (98), Gleichschaltung der Freien Gewerkschaften ( 9 8 - 1 0 2 ) , Zwangseingliederung christlicher Verbände in die D A F (102 f.), Initiativen der N S B O ( 1 0 3 - 1 0 6 )

IV. Soziale Lage und Verhalten der Arbeiterschaft Betrieben nach 1933 1. Maschinenfabrik Augsburg—Nürnberg

in einzelnen

(MAN)

106 106

Konflikte zwischen Firmenleitung und nationalsozialistischer Arbeitnehmervertretung (106-115), N S B O gegen Werksleitung ( 1 0 6 - 1 1 1 ) , Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (111), Die Vertrauensratswahlen von 1934 und 1935 (111 ff.), Betriebsobmann und Vertrauensrat zwischen Partei- und Betriebsloyalität (113 ff.), Innerbetriebliche Situation, Unzufriedenheit und Opposition ( 1 1 5 - 1 2 2 ) , Geringes Ansehen der D A F (115f.), Unbefriedigende Lohnsituation (116f.), Antinazistische Äußerungen und Sabotageakte (117ff.)> Zusammenhalt der Stammbelegschaft (119ff.), Gestapoaktionen (121 f.)

2. Messerschmitt — Ein nationalsozialistischer Musterbetrieb

122

Protektion von Staat und Partei (122 f.), Betriebsklima (123), Betriebsausweitung und Personalpolitik während des Krieges (123 ff.), Korruption und Indifferenz gegenüber »totalem« Kriegseinsatz ( 1 2 5 - 1 2 8 ) , Erfolgreiche Integration der Arbeiter in Kriegswirtschaft (128 ff.)

3. Die Textilindustrie

130

Rohstoffverknappungen (130 f.), Streik in der Buntweberei Riedinger (131 f.), Erholung der Branche (132 f.), Vertrauensratswahlen 1935 (133), Kurzarbeit und Stimmungstief der Textilarbeiterschaft (133 f.), NSV- und WHW-Hilfsaktionen (134 f.), Sabotageakte (135), Personalauszehrung zugunsten der Rüstungsindustrie (135 ff.)

V. Artikulation oppositioneller Stimmung bei Einheitswahlen und in Heimtückefällen

137

IX

Inhalt 1. Volksabstimmung

und Reichstagswahl

vom

12. November

1933

. . .

139

Politische Gegenpropaganda (139f.), Hochburgen der Opposition (140f.) 2. Die

Volksabstimmung

vom

19. August

1934

141

Aktivitäten von K P D , SPD und Β VP (141 f.), Popularitätsverlust des Regimes gegenüber 1933 (142), Pluralistischer Charakter des oppositionellen Votums (142 f.) 3. Die Reichstagswahlen

von 1936

und 1938

143

Ausmerzung der »Nein-Sager« (143 f.), Alte und neue Oppositionszentren (144 ff.) 4. Heimtückefälle

und Denunziationen

146

Augsburger vor dem Sondergericht München (146 f.), Hauptansatzpunkte der Kritik (147f.), Soziologie der Denunzierten und der Denunzianten (148 ff.)

VI.

Verfolgung und Widerstand von Kommunisten

150

1. Massenverhaftungen und erste Gruppenbildungen im Untergrund . . Zerschlagung der K P D durch summarische Festnahmen ( 1 5 0 - 1 5 4 ) , Aufbau illegaler Kontakte und Flugblattverteilungen (154ff.), Transporte ins K L Dachau (156 f.), Rote Hilfe und I B O K A (157 f.), Kontakte nach München und in die Schweiz (158 f.), Kommunistisches Milieu unter polizeilichem Dauerdruck (159 ff.)

150

2. Illegale

161

Gruppen

der kommunistischen

fugend

Jugendliche als Mittler zwischen K P D und R G O (161 f.), Versuch eines Zusammenhalts des K J V D (162 f.), Jungkommunisten als politischer Kern unzufriedener Arbeiterjugend (163 f.), Verfahren vor dem O L G München (164), Familiärer, soziologischer und politischer Hintergrund der Beteiligten (164-168) 3. Rote Hilfe

168

Rote Hilfe als Tarnorganisation (168 f.), Aktivierung der Uberreste der K P D (169f.), Polizeispitzel in der Organisation (170f.), Aktionen der R H (171 f.), Verhaftungen und Aburteilung (172f.) 4. Der kommunistische

Untergrund

nach 1935

173

Private Zirkel (173 f.), Einzelfestnahmen und Abhörgemeinschaften (174f.), Der Kreis um Anton Rieger (175 f.), Kommunistische Propaganda durch Einzelgänger (176f.), Milieu als Strukturmerkmal kommunistischer Betätigung (177 f.) VII.

Sozialdemokraten und verwandte sozialistische G r u p p e n

178

1. Das Ende

178

der Sozialdemokratischen

Partei

Abwarten als Handlungsrezept (178 f.), Streit um die Taktik des Widerstandes (181), Schicksal des Augsburger Führungsstammes (182) 2. Auflösung, Gleichschaltung und Tarnung sozialistischer Vereine . . . . Das Ende des Gögginger Arbeitersportvereins (182 f.), Gleichschaltung aller Augsburger Sportvereine im »Nationalen Ausschuß für Leibesübungen« (183 f.), Uberleben durch Anpassung (184 f.), Personelle Kontinuitäten in

182

χ

Inhalt NS-Organisationen (186 f.) 3. Illegale

Kontakte

(185 f.),

Tischgesellschaften

zur Auslandsleitung

(186),

der SPD

Getarnte

Vereine

1933-1935

187

Valentin Baur im Schweizer Grenzsekretariat der Sopade (188—191), Schriftenschmuggel (188 ff.), Verbindungslinie nach Nördlingen (191), Die Nerdinger-Wager-Gruppe ( 1 9 1 - 2 0 0 ) , SAJ-Mitglieder verbreiten Sopade-Schriften (191 f.), Unzufriedenheit mit Exil-SPD (192 f.), Kontakte zu Neu Beginnen und dem Prager SPD-Parteivorstand (192 ff.), Aufbau eines KontaktNetzes in Augsburg und Schwaben (194—197), Versuch der Umorganisation (197ff.), Zerfall (199 f.) 4. Die Revolutionären

Sozialisten

200

Zusammenarbeit von Josef Wager und Revolutionären Sozialisten Österreichs (200 f.), Aufbau einer militanten Widerstandsgruppe in der M A N (201 f.), Gestapountersuchungen in Deutschland und Osterreich (202ff.), »Wilde« Vereinigungen in sozialistischer Tradition (204), Verhaftungen und Strafmaß (204) 5. Der Internationale

Sozialistische

Kampfbund

(ISK)

205

Ideologische Grundlage (205 f.), Aufbau eines Augsburger Stützpunktes (206 f.), Die Rolle des Gewerkschaftsgedankens (207 ff.), Offentlichkeitsaktionen (209 ff.), Verbindungen nach München und Bobingen (211 f.), Entdeckung der Gruppe (212—215), Betrachtung: Jugendbewegung und Widerstand (215)

VIII. Verfolgung und Widerstand der katholischen Arbeiterbewegung 216 1. Bischöfliche

Amtskirche,

schen Anpassung

katholische

und Resistenz

Presse

und

Pfarrgeistliche

zwi.

216

Pfarreien (216f.), Klerus (217), Bischof und Generalvikar (217f.), Konflikte zwischen Kirche und N S D A P (218 f.), Katholische Presse (219), Pfarrer Franz Xaver Hartmann (220f.) 2. Die katholischen

Jungmännervereine

Soziale Zusammensetzung (223f.), Auflösung (224) 3. Die katholischen

(222),

222 Beharrungswille und heimliche Treffen

Arbeitervereine

Wandel des Selbstverständnisses (225 f.), Polizeiliche Überwachung (226 f.), Zeitungsstaffel im katholischen Milieu (227f.), Doppelmitgliedschaft in D A F und katholischem Verein (228 ff.), Hans Adlhoch (230f.), Halblegalität bis 1939 (231 ff.)

Franz

Sonnenberger

Der neue »Kulturkampf«. Die Gemeinschaftsschule und ihre historischen Voraussetzungen I. Historische Voraussetzungen Vergleich 1869 und 1937 (235 ff.)

225

Inhalt

XI

1. Die konfessionell-gemischte Schule im 19. Jahrhundert Scheitern der entkonfessionalisierenden Schulpolitik der Ära Montgelas (238 f.), Bekenntnisschule als Regelschule unter Ludwig I. (239 f.), Situation der Volksschullehrer (240f.), Die Simultanschulforderungen des Jahres 1848 (241 f.), Liberalismus gegen Bekenntnisschule seit 1860 (242—245), Schulsprengelverordnung von 1873 (245 f.), Simultanschulen in München und kirchlicher Widerstand (246 f.), Die Schulsprengelverordnung von 1883 (247), Streit zwischen Staatsregierung und Münchener Stadtverwaltung um die Simultanschule (248 f.), Antisozialistische und antisemitische Tendenzen der kath. Schulpropaganda (250ff.), Haltung der Volksschullehrer (252 f.)

238

2. Konflikte um die konfessionell gemischte Schule 1918—1933 Die Hoffmannsche Simultanschulverordnung (253 f.), Kirchen, SPD und BVP zur Schulfrage (254ff.), Die Haltung der Lehrer und Elternvereinigungen (256 f.), Methoden der schulpolitischen Auseinandersetzung (257ff.), Schwindende Popularität der Simultanschule (259 f.), Der Begriff »Gemeinschaftsschule« im Spannungsfeld rechter und linker Gemeinschaftssehnsucht (260-263)

253

3. Die Haltung der Nationalsozialisten zur Schulfrage bis 1933/34 . . . . NSDAP und NSLB legen sich nicht fest (263 f.), Taktische Rücksichtnahme auf die Kirchen (264f.), Schemms Eingreifen in Weißenburg (265f.), Zunehmendes Eintreten für die Gemeinschaftsschule (266 ff.)

263

II. Die Einführung der Gemeinschaftsschule in Bayern 1 9 3 5 - 1 9 3 8

. 268

1. Lehrerschaft und Nationalsozialismus Affinität der Lehrerschaft zum Nationalsozialismus (268 f.), Antiklerikalismus (269f.), Schulorganisatorisches Modernisierungsstreben (270f.), Stadtschulrat Bauer in der Tradition Kerschensteiners (272f.), Katholische Lehrervereinigungen (273f.), Gleichschaltung der Lehrer im NSLB (274f.)

268

2. Die Auseinandersetzung zwischen NSLB und ΒLV Gleichschaltung des BLV im NSLB (275 f.), Bauer contra NSLB (276 - 279), Deutsche Schulgemeinde (279 f.)

275

3. Die Anfänge des Schulkampfes in München und Nürnberg (1935) . . NS-Argumente gegen die Bekenntnisschule (280f.), Die »Nationalsozialistische Deutsche Schulgemeinde« als Kampforganisation (282 f.), Unterbindung der kirchlichen Schulpropaganda (283), Druck der NSDAP auf Lehrer und Eltern (283-286), Defensivstrategie der kath. Kirche (286), Der Fall Englschalking: Schulrechtsinterpretation gegen die Bekenntnisschule (286 f.), Reichskirchenminister Kerrl ermuntert NS-Schulkämpfer (288)

280

4. Verschärfter Schulkampf und versteifter kirchlicher Widerstand im Jahre 1936 Intensivierter Druck auf die Lehrer (289), Standessolidarität der Lehrer gegen Denunziantentum (289 ff.), Mobilisierung der NS-Formationen (291 f.), Einsatz von Schulkindern (292), Elternabende im Dienste der NSSchulpropaganda (292-295), Schlepperdienst bei Schuleinschreibungen (295 f.), Deutsch-christliche Untertöne im Schulkampf (296 f.), Einschreibeergebnisse 1935/36 (298f.), Mobilmachung der Kirchen für die Bekenntnisschule (299-302), Schwache Erfolge der »Deutschen Schulgemeinde« auf dem Lande (302f.), Das Wort vom »Kulturkampf« (304)

289

XII

Inhalt

5. Die totale Durchsetzung

der Gemeinschaftsschule

1937/38

306

Geringe Erfolge der Gemeinschaftsschule bis 1937 (306f.), Gauleiter Adolf Wagner intensiviert- den Schulkampf (307), »Woche der Deutschen Schule« (307—310), Beseitigung der Bekenntnisschulen in München, Nürnberg und Oberbayern (310 f.), Kirchliche Elternbefragungen zur Konterkarierung der NS-Gemeinschaftsschule (311 f.), NS-Plebiszite ( 3 1 3 - 3 1 8 ) , Der »Schulkampf« auf Dorfebene (316—319), Erfolglose kirchliche Gegenkampagne (319), Schwache Organisation des NS-Schulkampfes außerhalb Oberbayerns (319f.), Antimodernistische Züge der kirchlichen Argumentation (320f.), Methoden des Schulkampfes in Niederbayern und der Oberpfalz (321 f.), Polizeiliches Vorgehen gegen oppositionelle Pfarrer (323 f.)

III. Historisch-politische Bewertung des Schulkampfes im Dritten Reich

324

Nationalsozialisten in der Kontinuität des liberalen und sozialistischen Kampfes für die Gemeinschaftsschule (324ff.), Spezifika in Methodik und Ideologie (326f.), Ambivalenz des kirchlichen Widerstandes (327)

Helmut M. Hanko Kommunalpolitik in der »Hauptstadt der Bewegung« 1 9 3 3 - 1 9 3 5 . Zwischen »revolutionärer« Umgestaltung und Verwaltungskontinuität

329

Einleitung

329

I. Die alte und die neue politische und administrative Führung der Stadt

333

1. Zur Vorgeschichte

333

SPD- und BVP-Mehrheiten (333 f.), NSDAP-Stadträte (334), Karl Fiehler ( 3 3 4 - 3 3 7 ) , Franz Xaver Schwarz (337), Charakterisierung der übrigen NSFraktion (337ff.), Christian Weber ( 3 3 9 - 3 4 2 ) , Obstruktion der NS-Fraktion (342 f.), Entlassungen wegen kommunistischer oder nationalsozialistischer Betätigung 1931 (344), Rache der Nationalsozialisten (344f.)

2. Machtübernahme

im Münchner Rathaus

345

Widerstandslose Übernahme des Rathauses (345 f.), Schutzhaft für Sozialdemokraten (346f.), Amtsniederlegung durch Karl Scharnagl (347f.), Karl Fiehler wird Oberbürgermeister (348 f.)

3. Gleichschaltung des Stadtrats

350

Rechtliche Schwierigkeiten (350f.), Ausschluß der KPD-Stadträte (351 f.), Die SPD- und BVP-Stadtratsfraktion von 1933 (352 f.), Ausschaltung der Sozialdemokraten mittels Inschutzhaftnahme (353 ff.), Auszug der Β VP (355), Der NS-Stadtrat (355 f.)

4. Die neue NS-Fraktion Personelle Zusammensetzung (356 f.), Übergewicht des Mittelstandes (357f.), Ämterpatronage und Geschäftemacherei (358f.), NS-Stadträte im städtischen Dienst (359 f.), Max Köglmaier als »Auge des Innenministers« im Stadtrat (360 f.), Repräsentation anstelle tatsächlicher Mitwirkung (362)

356

Inhalt

XIII

5. Die berufsmäßigen Stadträte

362

Aufgabe der berufsmäßigen Stadträte (362f.), Pensionierung des loyalen Bürgermeisters Dr. Küfner (363 f.), NS-Ausrichtung der Stadtverwaltung durch Dr. Tempel (365 f.), Ruhestandsversetzungen (366 f.),'Sechs Referenten bleiben im Amt (367f.), Entlassung des Leiters der städtischen Straßenbahnen (368), Neuernennungen und Neuordnung der Referate (368 f.)

II. Nationalsozialistische Personalpolitik als Mittel der Gleichschaltung und Disziplinierung. Eine Fallstudie zur Durchführung des Berufsbeamtengesetzes

370

Parteipolitische Affinitäten der städtischen Arbeiter und Angestellten (370), Verhaftungen von Betriebsräten (370 f.), Denunziationen (371)

1. Die Bestimmungen beamtentums

des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufs-

371

Instrumentarium zur Amtsenthebung (371 f.), »Parteibuchbeamte« (372), »Nationale Unzuverlässigkeit« (372), Unpolitische Entlassungsgründe (372 f.), Terminschwierigkeiten für die Stadt München (373)

2. Die Prozedur der politischen Personalprüfung

373

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (373 f.), Dr. Tempel sorgt für harte Durchführung des Berufsbeamtengesetzes (374f.), Zahl der Entlassungen (375)

3. Entlassung kommunistischer Dienstkräfte

375

Sofortige Entlassung bei KPD-Mitgliedschaft (375 f.), Kompensierende Verdienste oder Gesinnungswandel (376), Einzelfälle (377), NS-Bewältigung der Rätezeit (378 ff.)

4. Zwangspensionierungen wegen »nationaler Unzuverlässigkeit« (Sozialdemokraten u.a.)

380

Differenzen zwischen Stadt und Innenministerium (380ff.), Zurücknahme von Entlassungen wegen SPD-Mitgliedschaft (382), Entlassung von Stadtratsmitgliedern aus städtischen Diensten (382 f.), Der Fall Karl Schmidt (383 f.), Rache der Nationalsozialisten am Schlachthofdirektor Kuppelmayr (384 f.), Entlassung von ehemaligen Betriebsratsmitgliedern (385 f.), Verleumdungen und Denunziationen (386ff.), Erfolgreiche Einsprüche gegen die Entlassung (388f.), Abteilung Straßenbahn (389f.), N S B O und G W B (390), »Versöhnungsaktion« der Stadt (391 f.), Intervention von Himmler (392 f.), Zahlenmaterial (393)

5. Anwendung des Paragraphen 6 Ruhestandsversetzung des Branddirektors (394 f.), Leiters der Meisterschule für das dt. Maler- und § 6 als Druckmittel bei unpolitischen Konflikten Juden (396), Pensionierung aus Gründen der (396 f.)

394 Zwangspensionierung des Lackiererhandwerk (395), (395 f.), Ausschaltung der Verwaltungsvereinfachung

6. Ergebnisse und Konsequenzen Tatsächliche Entlassungen (397f.), Einschüchterungseffekt der Prozedur (398f.), Disziplinierung der BVP-Gesinnungsgenossen (398f.), Anpassung im Gewerbeamt (399f.) und Einwohneramt (400)

397

XIV

Inhalt

7. Die Einstellung arbeitsloser Nationalsozialisten

400

Höhergruppierung von Pgs (400f.), Zögerliche Neueinstellung bei Beamtenstellen (401 f.), Von der Belegschaft zur »Gefolgschaft« (402)

III. Kommunalpolitik unter dem Hakenkreuz 1933—1935 1. Die Umgestaltung der kommunalen Verfassung

403 403

Fiehler regiert mittels Dringender Anordnungen (403 f.), Der NS-Stadtrat als Repräsentationsorgan (404f.), Fraktionsdisziplin und Führerprinzip (405f.), Rechtswidrige Beschlüsse (406), Die Deutsche Gemeindeordnung vom 1. April 1935 (407), Das Machtgefüge im Rathaus (407)

2. Die »Hauptstadt der Bewegung« zwischen Partei und Staat

408

Adolf Hitler und München (408 ff.), Einflußnahmen des Gauleiters Adolf Wagner (410), Abwehr unbefugter Eingriffe in die Stadtverwaltung (410 f.), Verhalten zu SA und SS (410 ff.), Kaum Zuwendungen für Parteigliederungen (412f.), Versuche der Stadt Staatsunmittelbarkeit zu erlangen (413 f.), Reibereien mit Hermann Esser (414f.), Fiehlers Mitarbeit an der D G O (415 f.), Hitler als »Beauftragter der N S D A P « für München (416), Umbesetzungen im NS-Stadtrat (416f.)

3. Ordnungspolitik mit ideologischen Vorzeichen (Gewerbepolitik, Einbürgerungen)

417

Verbot der Auftragsvergabe an Warenhäuser (417f.), Verhaftung von Einzelhändlern (418), Städtische Mittelstandspolitik contra Reichspolitik (418), Verordnung über Abbau selbständiger Handwerksbetriebe in Warenhäusern (418 ff.), Ungesetzliche Behandlung von Juden (421), Verdrängung der Juden aus dem Geschäfts- und Wirtschaftsleben (422 ff.), Rigorose Ausbürgerungspraxis (423 f.), Verweigerung von Aufgebotsbestellungen durch das Standesamt (424f.), München als Vorkämpferin für Ausschaltung und Diskriminierung der Juden (425), Einbürgerung eines österreichischen SA-Terroristen (425 f.)

4. Hauptstadt der deutschen Kunst

426

Schaffung des städtischen Kulturamts 1934 (426f.), Eingriffe Hitlers (427), Kulturabteilung (427f.), »Säuberung« der Bibliotheken (428), Neuorganisation des Kulturwesens (428 f.), Hans Zöberlein als Leiter des Kulturamts (429f.), Max Reinhard übernimmt Abteilung Literatur und Theater (430), Bildende Kunst und Musik (430 f.), Totale Ausrichtung auf NS-Kunst (431), Vorgänge um eine Plastik von Fritz Koelle (431 ff.), Kompetenz- und Ideologiestreit um den städtischen Musikbeauftragten (433 f.), Münchner Kammerspiele (434ff.), Förderung von NS-Künstlern (436f.), Ausbürgerung ausländischer Gelehrter (437f.), Hitlers Interesse an der bildhauerischen Gestaltung der Ludwigsbrücke (438 f.), Rücktritt Zöberleins (439), Umbildung des Kulturamtes und des Stadtrats (439 f.)

Ausblick Schwund des Selbstverwaltungsrechts (440f.), Einflußnahme Hitlers auf Baubehörden (441), Hans Lammers als »Beauftragter der N S D A P « (441)

440

Inhalt

XV

Karl Arndt Die Münchener Architekturszene sches K o n f l i k t f e l d

1 9 3 3 / 3 4 als ä s t h e t i s c h - p o l i t i -

I. Das »Haus der Deutschen Kunst« — Ein Symbol der neuen Machtverhältnisse

443

443

Begegnung Hitlers mit Troost 1930 (443 f.), Grundsteinlegung als kulturpolitische Propagandainszenierung (444 ff.)

1. Baugeschichte

447

Organisations- und Finanzierungsfragen (447ff.), Einweihungsfeierlichkeiten 1937 (450 f.), »Die Große Deutsche Kunstausstellung« 1937 (451 f.), Ausstellungsexponate (452 f.), Die Kunst des 20. Jahrhunderts am Pranger (454ff.), Ausstellung »Entartete Kunst« (456), Propagierung der Architektur (456 f.)

2. Baubeschreibung

457

Intentionen Hitlers und Troosts (457f.), Zum Grundriß (458f.), Zur Baugestalt (460f.), Schinkels Berliner Museum als Gegenbeispiel (460ff.)

3. Planungsgeschichte: Vom Glaspalast zum Haus der Deutschen Kunst

462

Das Vorprojekt Adolf Abels (462 ff.), Architektenwettbewerb (464 f.), Hitlers Eingriff in die Bauplanung (465f.), Der Bauplatz (466f.), Die Idee eines Forums (467f.), Der Architekt: Paul Ludwig Troost (468), Vorentwürfe ( 4 6 8 - 4 7 0 ) , Der Bauherr: Adolf Hitler (471 f.), Zeichnungen Hitlers (472 ff.), Einflußnahme Hitlers auf Troost? (474 f.)

4. Stilgeschichtliche Analyse

475

Extrem der reaktionären Rückwendung (475f.), Klassizismus im 20. Jahrhundert ( 4 7 7 - 4 8 1 ) , Das Haus der Deutschen Kunst als Prototyp nationalsozialistischer Architektur (481 ff.), Streitgespräch zwischen Walter Riezler und Winfried Wendland (481 f.), Troost als Leitfigur der NS-Monumentalarchitektur (482 f.), Albert Speer und Hermann Giesler ( 4 8 3 - 4 8 5 )

II. Robert Vorhoelzer: Verfemter Architekt der Moderne

485

Schaffensdaten (485—488), Akademische Laufbahn (488 f.), Vorhoelzer im Visier der NS-Kulturkämpfer (489 ff.), Anschuldigungen werden aktenkundig (490f.), Dienstbesprechung zwischen Vertretern der T H und des Kultusministeriums (491 f.), Die Rolle German Bestelmeyers (492 ff.), Georg Buchners entschiedene Stellungnahme (494 f.), Studentische Proteste gegen die Beurlaubung Vorhoelzers (495), Stellungnahme des Kultusministeriums (495f.), Intervention von Heß (496f.), Politische Berufungen an der T H (497)

III. Der Münchner Bund Abriß der Geschichte (498 f.), Mitglieder (499), Funktionalistische Architektur (500 f.), Der Kampfbund deutscher Architekten und Ingenieure: Die Reaktion auf dem Vormarsch (501—504), Verleumdung des Bundes (501), Anfeindung von Paul Renner und Jan Tschichold (502 f.), Zwischenfall beim Vortrag Paul Schulze-Naumburgs (503 f.), Der Bund Deutscher Architekten und der Deutsche Werkbund schalten sich gleich ( 5 0 4 - 5 0 8 ) , Die Reichskammer der Bildenden Künste (504), Der Deutsche Werkbund (505),

498

XVI

Inhalt Schutzhaft für Künstler (505 f.), Jahresversammlung im Mai 1933 (506f.), Nationalsozialist als Leiter des Werkbundes (507), Selbstauflösung des Münchner Bundes (508-512), Riemerschmied entgeht Gleichschaltung durch Werkbund (508 f.), Aufruf an prominente Künstler (509 f.), Regionaler Gleichschaltungsversuch durch Bayer. Kunstgewerbeverein (510), Auflösung im Februar 1934 (512)

Karl Otmar von Aretin

Der bayerische Adel. Von der Monarchie zum Dritten Reich .. I. D i e Stellung des Bayerischen Adels vor 1933

513 513

1. Der bayerische Adel in der Monarchie

513

Politische Voraussetzungen (513 f.), Adel war nicht »regierende Schicht« (514f.), Reichsrat der Krone Bayern (515), Hofgesellschaft (515), Landbesitz (515), Genossenschaft katholischer Edelleute (515 f.)

2. Der Adel in der Revolution Republik

und in den Anfängen

der

Weimarer 516

Revolution als Verrat (516f.), Adel und Monarchie (517), Kardinal Faulhaber als Monarchist (517f.), Kronprinz Rupprechts Thronanspruch (518)

3. Die bayerischen Adelsverbände

in der Weimarer Republik

518

Verein für den gebundenen Grundbesitz (518 f.), Bayerischer Grundbesitzerverband (519), Verband des größeren Grundbesitzes in Bayern (519), Moritz Frhr. von Franckenstein (520), Heimat- und Königsbund (520), Gäa (520ff.), Einfluß des Adels auf die bayerische Politik (522f.), Auflösung der Fideikommisse und Lehen (523), Deutsche Adelsgenossenschaft (523), Jungadel (523f.), Beziehungen zur BVP (524)

4. Die Rolle des bayerischen Adels in den Jahren 1926—1932

524

Distanzierte Haltung zur Monarchie (524 f.), Adlige in SA und SS (525), Kontakte zum Rechtsradikalismus (525), Agitation für Young-Plan (526 f.), Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus (527ff.), Guttenbergs Reden 1931 und 1932 (529f.)

5. Die Monarchisten in der Krise der Weimarer Republik

531

Bayerische Landtagswahl vom 28. 4. 1932 (531), Hinwendung der BVP zur Monarchie (531 f.), Die Münchner Neuesten Nachrichten und die Süddeutschen Monatshefte (532), Die Haltung der Sozialdemokraten (532f.), Fritz Schäffer zur Wiedererrichtung der Monarchie (533 f.), Berliner Sicht der bayerischen Pläne (534 f.), Kabinettssitzung vom 21. 2. 1933 (535 f.), Schäffers Plan einer Koalition mit den Nationalsozialisten (536), Abwartende Haltung Bayerns (538f.), Die Wahlen vom 5. März 1933 (539), Beunruhigung in Berlin (539), Haltung des Adels zur Monarchie Anfang 1933 (540 ί.)

II. D e r bayerische Adel im Dritten Reich Machtübernahme in Bayern (541), Forderung von Kronprinz Rupprecht nach neuer Verfassung (541 f.), Hoffnung auf Errichtung der Monarchie schwindet (542 f. )

541

XVII

Inhalt

1. Das Ende des politischen Einflusses des Adels in Bayern

543

Auflösung des Heimat- und Königsbundes (543 ff.), Das Ende der Gäa (545), Beziehungen Adliger zur BVP (545 f.)

2. Die Deutsche Adelsgenossenschaft

546

Ausbreitung rechtsradikaler Ideen (546), Die Bayerische Landesleitung in den zwanziger Jahren (547f.), Fürst Bentheim stellt die D A G dem NSRegime zur Verfügung (548), »Förderung erbwerter Familien« (548ff.), Die Genossenschaft katholischer Edelleute (550)

3. Der grundbesitzende Adel und sein Einfluß auf die Bevölkerung . . .

551

Auflösung der Fideikommisse (551), Das Reichserbhofgesetz (551), Gründe für ablehnend-reservierte Haltung (551 f.), Alt-Parteigenossen im Adel (552 f.), Überwachung adliger Großgrundbesitzer durch NS-Stellen (552 f.), Wolffskeel, Stauffenberg (553f.)

4. Die Zugehörigkeit NSDAP

bayerischer Adliger zu den Gliederungen

der 554

Du Moulin, Spreti (554), Malsen-Ponickau (554f.), Beitrittswelle im Frühjahr 1933 (555), Reitervereine (555), Eugen Graf Quadt (555 f.), Pgs. und Arbeitsdienstführer (556)

556

5. Frühe Verfolgungen: Der Fall Erwein von Aretin Verhaftungen am 5. 3. 1939 (556f.), Eingreifen Epps (557f.), Der Fall vor dem Reichsgericht Leipzig (558), Heydrichs und Hitlers Rolle (558 f.), Entlassung Aretins und Solidarität des Adels (559), Karl Ludwig Guttenberg und die Weißen Blätter (560 f.), Alexander von Müller (560)

561

6. Bayerischer Adel und Widerstand Gegnerschaft des Hauses Wittelsbach (561 f.), Widerstandsbewegung bayerischer Monarchisten (562), Die Ausbürgerung des Kronprinzen (562 ff.), Die Widerstandsgruppe Franz Sperr (564), Verbindungen zu Stauffenberg (564f.)

Zusammenfassung

565

Anhänglichkeit des bayerischen Adels an die Dynastie (565 f.), Bayerisches Selbständigkeitsdenken (566), Wachsendes Mißtrauen der Nationalsozialisten gegenüber dem Adel (566 f.), Religiöse Bindungen (567)

Ludwig Eiber Frauen in der Kriegsindustrie. stände und Protestverhalten

Arbeitsbedingungen,

Lebensum569

I. Einführung

569

1. Literatur, Quellen und Zielsetzung

569

2. Die Frauenerwerbstätigkeit

571

bis zum Jahr 1939

Funktion (571 f.), Motive (572), Zahlenmaterial (572), Abbau der Frauenarbeit (573), Mutterschaft als höchstes Gut (573), Zunehmende Integration der Frauen in den Arbeitsprozeß 1938 (573), Frauenhilfsdienst, Pflichtjahr (573f.), Notdienstverordnung (574)

XVIII

Inhalt 3. Die Integration der Frauen in die Kriegswirtschaft Zwangsarbeit ausländischer Frauen (574), Hitlers Veto gegen den umfassenden Arbeitseinsatz der Frauen (575), Werbekampagnen während des Kriegsbeginns (575 f.), Kündigungsverbot (576), Rückgang der Erwerbstätigen dank Familienunterhalt bei Einberufungen (576), NS-Frauenschaft als Erfüllungsgehilfin bei Fraueneinsatz (576f.), Propagandaaktionen 1940/41 (578), Zwangsmaßnahmen gegen früher erwerbstätig gewesene Frauen (578 f.), Mutterschutzgesetz 1942 (579f.), Meldepflichtverordnung Januar 1943 (580), »Auskämmung im zivilen Sektor« (580), »Ehrendienst der deutschen Frau« (580f.), 2. Meldepflichtverordnung (581), Grenzen der Mobilisierung (581 f.), Schonung der »besseren Damen« (582)

574

4. Strapazen und Verweigerung Arbeitskräftenumsetzung aus der Konsumgüterindustrie (582 f.), Begleitende Maßnahmen zur Erleichterung der Fabrikarbeit (583 f.), Mutterschutzgesetz vom 17. Mai 1942 (584), Arbeitszeit, Nachtarbeit, Urlaub und Krankheit (584ff.), Frauenlöhne - ungleiche Bezahlung (586), Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin (586f.), Ursachen (587f.)

582

II. Dokumentation

588

Anhang Bildnachweis

645

Biographisches zu den Autoren

646

Abkürzungsverzeichnis

647

Personen- und Sachregister

652

Vorwort

In Band II dieser Reihe begann das Institut für Zeitgeschichte im Jahre 1979 mit der Veröffentlichung einer Serie monographischer Forschungsergebnisse, die im Rahmen des Projekts »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933—1945« erarbeitet wurden. Diese Serie wird mit diesem Band (III) und dem gleichzeitig erscheinenden folgenden Band (IV) der Projektreihe »Bayern in der NS-Zeit« fortgesetzt und abgeschlossen. Ein Kernstück des Forschungsprojekts — die mit einer großen Zahl von Einzelstudien am Beispiel Bayerns beabsichtigte Auffächerung einer Sozialgeschichte politischen Verhaltens im Dritten Reich (unter dem Serientitel »Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt«) — ist damit zu Ende geführt. Bei allen diesen Beiträgen ging es darum, die konkreten Auswirkungen nationalsozialistischer Herrschaft in einzelnen lokalen und gesellschaftlichen Bereichen aufzuspüren, die jeweilige Betroffenheit und das Verhalten sozialer Gruppen gegenüber nationalsozialistischen Werbungen, Neuordnungsmaßnahmen, Zumutungen und Verfolgungen auf der Grundlage verschiedenartiger Traditionen und geschichtlicher Vorerfahrungen in bestimmten sozial-kulturellen Milieus, Interessenund Konfliktsituationen so präzise wie möglich herauszuarbeiten. Im letzten Kapitel des IV. Bandes der Reihe wird versucht, den Gesamtertrag dieser nunmehr in der stattlichen Zahl von zwanzig Beiträgen vorliegenden Einzelstudien in einer Zwischenbilanz auch in bezug auf die Erkenntnisse, die sich daraus für die Definition und Differenzierung des Widerstandsbegriffs ergeben, zu erläutern. Mit den vorbereiteten Schlußbänden der Reihe wird dann noch einmal der Widerstand im engeren Sinn, unter dem Gesichtspunkt sowohl politischer Gruppierungen (Band V) wie individueller Widerstandsgeschichten (VI) in den Mittelpunkt gerückt. Zur Einführung in diesen Band begnügen wir uns mit einigen Hinweisen auf Inhalte und Ergebnisse der hier enthaltenen Beiträge, um auch diejenigen Leser, die mit den Problemen der Forschung auf diesem Gebiet weniger vertraut sind, auf die Spur der Fragestellungen zu führen, die für die Herausgeber und die Autoren des Bandes bei ihrer Arbeit bestimmend gewesen sind. Wie schon im Vorwort zu Band II muß noch einmal betont werden, daß die Heterogenität der Themen und ihrer Zusammenstellung bewußt beabsichtigt wurde, weil das Nebeneinander verschiedenster Ausschnitte der Lebenswirklichkeit in der N S Zeit am besten geeignet scheint, die große Variationsbreite des politischen Verhaltens und seiner Bedingungen in den Blick zu bringen. So werden in diesem Band aus der komplexen Fülle dieser Lebensverhältnisse sechs exemplarische Szenen aufgeblendet: Die Arbeiterschaft in einer Industriestadt, die Auseinandersetzung um die Volksschule, Machtergreifung und Kommunalpolitik in München, die neue Monumentalarchitektur

XX

Vorwort

des Dritten Reichs als kunstgeschichtliches und politisches Konfliktfeld, bayerischer Adel und Monarchismus, Frauen in der Kriegsindustrie. In zwei Fällen, bei den Beiträgen von Gerhard Hetzer und Franz Sonnenberger, gelang es, die wesentliche Substanz größer angelegter historischer Dissertationen, die im R a h m e n des Projekts angeregt und innerhalb des Fachbereichs Geschichte der Universität M ü n c h e n fertiggestellt w u r d e n , in die Projektveröffentlichung einzubringen. Zwei Beiträge stammen von Hochschullehrern (Karl Arndt, Karl O . von A r e t i n ) außerbayericher Universitäten, die auch aufgrund ihrer Vertrautheit mit bayerischen Verhältnissen, hervorragende Spezialisten für die von ihnen bearbeiteten Themen sind. Mit H e l m u t H a n k o konnte ein Verfasser gewonnen werden, der über langjährige praktische und geschichtliche Kenntnis auf dem Gebiet der M ü n c h n e r Kommunalpolitik verfügt. Die Dokumentation über die Frauenarbeit in der Rüstungsindustrie übernahm L u d w i g Eiber, der vor zwei Jahren schon eine im Rahmen des Projekts angeregte lokalgeschichtliche Dissertation über die Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung in Selb und Hof w ä h r e n d der NS-Zeit vorgelegt hat. Im engen, vielfältigen Arbeitskontakt mit den Autoren und aufgrund der bewährten Zusammenarbeit mit den Staatlichen Archiven B a y e r n s konnten die Herausgeber nicht nur die Quellengrundlage für die einzelnen Untersuchungen wesentlich bereichern, sondern auch gewährleisten, daß die für das Projekt maßgeblichen Perspektiven trotz der Unterschiedlichkeit der Thematik für alle Beiträge verbindlich blieben. W a s in wissenschaftlichen Sammelbänden normalerweise schwer erreichbar ist, die Einhaltung eines einheitlichen R a h m e n s der M e t h o d e und die Bündelung auf einen gemeinsamen Fokus von Fragestellungen, gelang, w i e w i r glauben, hier in beträchtlichem M a ß e . Darin erblicken die Herausgeber einen wesentlichen Erfolg konzentrierter Projektarbeit und insofern auch ein lohnendes Resultat der intensiven Zuarbeit, die den Autoren der Beiträge seitens des Projektstabes zuteil w u r d e . M i t der Studie von Gerhard Hetzer w i r d innerhalb der monographischen Serie ein erster, auch dem U m f a n g nach gewichtiger Beitrag zur materiellen und VerhaltensSituation der industriellen Arbeiterschaft im Dritten Reich vorgelegt. Die nur bei lokaler Begrenzung gegebene Möglichkeit, geschichtliche, gesellschaftliche und politische Strukturen und soziale Milieus plastisch zu veranschaulichen, demonstriert die Studie am Beispiel Augsburgs. A u s der Vielfalt der Erkenntnisse, die durch eine solche lokal- und sozialgeschichtliche M i k r o a n a l y s e gewonnen werden können, seien hier nur einige beispielhaft genannt: A u s der allgemeinen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung seit dem 19. Jahrhundert kennen w i r den Begriff einer nicht nur das Politische, sondern die Gesamtheit der Lebensverhältnisse prägenden Arbeiterkultur b z w . -Subkultur, die — ebenso wie das dichte katholische Milieu — eine wesentliche Voraussetzung dafür w a r , daß die in dieser Tradition stehende Arbeiterschaft dem Nationalsozialismus gegenüber vielfach i m m u n blieb. Erst die genaue topographisch-sozialgeschichtliche Untersuchung einzelner Stadt- und Industrieviertel, wie der Verfasser sie hier für A u g s b u r g und seine Arbeiterquartiere vornimmt, vermag aber konkret vor A u g e n zu führen und dingfest zu machen, w o r a u s sozialdemokratisches oder kommunistisches »Milieu« im einzelnen bestanden hat: altstädtische Viertel oder Arbeitervororte mit ebenso hoher Verelendungsquote w i e intensiver »proletarischer« K o m m u n i k a t i o n in sozialdemokratischen

Vorwort

XXI

und kommunistischen Stammkneipen, Athletenklubs, Radfahrer-, Sänger- und Naturfreundevereinen; häufige familiäre und Freundschafts-Verstrebungen zwischen den Angehörigen desselben Betriebs oder den Bewohnern derselben Arbeitersiedlung ebenso wie die gewerkschaftlichen, parteipolitischen oder Vereins-Gruppierungen. Am lokalen Beispiel manifestiert sich, daß die für die politischen Verhältnisse in Deutschland vor 1933 charakteristische tiefe Kluft zwischen der Arbeiterbewegung und den bürgerlichen Parteien vielfach in sozialer Segregation massiv fundamentiert war und von daher eine Beharrungskraft — nicht zuletzt in den gegenseitigen sozial-kulturellen Vorurteilen — erhielt, die politisch schon lange nicht mehr rational war. Das Exemplum Augsburg zeigt aber auch, daß gerade Teile der hochqualifizierten, in Industriebranchen mit moderner Technologie wie der M A N beschäftigten Arbeiterschaft schon seit dem 19. Jahrhundert dazu tendierten, als eine Art Arbeiteraristokratie mit gleichsam handwerklichem Ehrbegriff aus der gewerkschaftlichen oder parteipolitisch vermittelten Fabrikarbeitersolidarität sozialistischer Prägung auszuscheren, sich in wirtschafts-friedlichen »gelben« Werksvereinen abzusondern und an die Leine unternehmerischer Interessenpolitik nehmen zu lassen, zumal wenn diese mit Vorzügen patriarchalisch-betrieblicher Sozialpolitik aufwarten konnte. Hier entstanden schon lange vor 1933 Anknüpfungspunkte für die Gefolgschaftsparolen der späteren nationalsozialistischen »Arbeitsfront«, wenn auch in der großen Mehrzahl der Augsburger Industriebetriebe die vorherrschende sozialistische, freigewerkschaftliche Tradition 1933 nur mit Zwangs- und Einschüchterungsmaßnahmen gebrochen werden konnte. Neben den krisenbedingten materiellen und sozialen Ursachen der politischen Radikalisierung der Arbeiterschaft vor 1933, gegen die sich die Mobilisation des erschreckten Mittelstandes durch den Nationalsozialismus erfolgreich richten konnte, gab es, wie die Augsburg-Studie zeigt, auch andere gewichtige sozialgeschichtliche Gründe. Schon im Ersten Weltkrieg waren es nicht in erster Linie die einheimischen, sondern die von außen notdienstverpflichteten, ohne familiären Zusammenhang in provisorischen Unterkünften einquartierten Fabrikarbeiter, die den Kern der linken USDP bildeten. Radikalisierung der Arbeiterschaft, nicht zuletzt innerhalb der kommunistischen Arbeiterjugend, hatte häufig ihren Grund in sozialer Entfremdung. Umgekehrt wurde die im ganzen eher gemäßigte sozialdemokratische Tradition in Augsburg begünstigt durch die Alteingesessenheit der Mehrheit der Arbeiter und ihrer beibehaltenen Bindungen an die katholische Kirche. Zu den interessantesten Ergebnissen der Untersuchung gehört der Nachweis, daß gerade die Überlappung von Arbeitermilieu und katholischem Milieu, die vor 1933 ähnlich wie in Augsburg in vielen Industriemetropolen an Rhein und Ruhr anzutreffen war, ein besonders starkes Potential der Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus ergab. Auf der Grundlage solcher Analyse der historischen Voraussetzungen verfolgt die Studie den Prozeß der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht nur auf kommunalpolitischer, sondern gerade auch auf betrieblicher Ebene. Am Beispiel einzelner Firmen oder Branchen werden, nicht zuletzt mit Hilfe von Quellen aus Industriearchiven, Einblicke in die innerbetrieblichen Verhältnisse während der NS-Zeit möglich, die der Forschung bislang meist verwehrt waren. Allzu einfache Vorstellungen von der nur propagandistischen Bedeutung der nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation und ihrer Vertrauensmänner werden dabei ebenso korrigiert wie die naive Vorstellung einer widerspruchsfreien Interesseneinheit von

XXII

Vorwort

N S D A P und industriellem Unternehmertum. Bei der ausführlichen Darlegung sowohl des kommunistischen wie des sozialdemokratischen oder christgewerkschaftlichen Widerstandes, die auf dem Hintergrund anschauungsgesättigter sozialgeschichtlicher Lagebeschreibung vorgenommen wird, gelingt es, einzelne Akteure oder Gruppen dieses Widerstands aus den Berichten der Polizei oder den Urteilen der Justiz als lebendige Gestalten hervortreten zu lassen, sie als Menschen mit sozialem und persönlichem Profil nachvollziehbar zu machen: die Jungkommunistin Anna Nolan, den waghalsigen sozialdemokratischen Eisendreher Josef Wager, den beherzten katholischen Gewerkschaftler Hans Adlhoch und manche andere. Aus gutem Grund setzt auch Franz Sonnenberger mit seiner Untersuchung über den Schulkampf im Dritten Reich schon im 19. Jahrhundert an. Tatsächlich befand sich der Nationalsozialismus bei der Ablösung der Konfessionsschule durch die sogenannte Gemeinschaftsschule auf der historischen Linie des Liberalismus, der in Bayern schon in den siebziger Jahren, in der Ära des Bayerischen Kultusministers Lutz, gegen den wachsenden Widerstand des aufkommenden politischen Katholizismus und der katholischen Kirche vergeblich versucht hatte, die Volksschule zu entkonfessionalisieren und von kirchlicher Schulaufsicht freizumachen. Der »neue Kulturkampf«, in den sich die katholische Kirche vor allem in den Jahren 1935—1938 in leidenschaftlicher Auseinandersetzung mit der NSDAP, dem nationalsozialistischen Lehrerbund und der nationalsozialistischen Werbeorganisation »Deutsche Schulgemeinde« verstrickt sah, verlief, wie die vom Verfasser zitierten Dokumente eindrucksvoll zeigen, vielfach nach den Mustern des »alten« Kulturkampfes. Das ebenso gewichtige Unterscheidungsmerkmal lag aber darin, daß die nationalsozialistische Volksschulpolitik in ihrer Methode alles andere als liberal war, sich vielmehr aller verfügbaren Pressionen und Sanktionen von unten und oben bediente und glaubte, das Ziel einer fortschrittlichen Umgestaltung des Schulwesens mit den rückschrittlichen Mitteln purer Gewalt herbeiführen zu können. Das Thema ist wie kaum ein anderes geeignet, neben der Stärke des kirchlichen Widerstandes die moralisch-politische Ambivalenz mancher Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Nationalsozialismus in der NS-Zeit zu verdeutlichen. Gerade in bezug auf die nationalsozialistischen Anstrengungen zur Mobilisierung der Volksschullehrer gegen Kirche und Geistlichkeit, die in vielen bayerischen Dörfern die althergebrachte Einheit von Kirche und Schule aufspaltete und den Gegensatz christlicher und nationalsozialistischer Weltanschauung im Gegenüber von Pfarrer und Lehrer auf Dorfebene personalisierte, zeigt sich auch, daß im Hintergrund dieses Weltanschauungskampfes starke soziale Spannungen wirksam waren. Die Nationalsozialisten machten sich nicht ohne Erfolg zum Vorreiter der sozialen Emanzipation der Lehrerschaft von geistlichkirchlicher Bevormundung. An der Spitze der nationalsozialistischen Bestrebungen zur Gemeinschaftsschule standen nicht nur fanatische Ideologen oder brutale Parteifunktionäre, sondern auch manche aufrechte Idealisten, wie der Münchner Schulrat Josef Bauer, ein Schüler des sozialdemokratischen Schulreformers Georg Kerschensteiner, der, obwohl »Alter Kämpfer« der N S D A P , schließlich selbst wegen der Methoden des Schulkampfes mit der Partei in Konflikt geriet. Auch dies ein Beispiel dafür, zu welcher Frontenverkehrung des Widerstandes es bei dieser Auseinandersetzung kommen konnte.

Vorwort

XXIII

In einen anderen Bereich nationalsozialistischer Machteroberung und Politik führt H e l m u t M . H a n k o s Studie über die Münchner kommunalpolitische Szene in den Jahren 1933—1935. Personifiziert sowohl in grobschlächtig barocken Biertisch-Politikern v o m Schlage des NS-Stadtrats Christian Weber als auch in relativ gemäßigten, sachkundigen Kommunalbeamten, wie dem 1933 eingesetzten nationalsozialistischen Oberbürgermeister Fiehler, hatte die nationalsozialistische Machtübernahme im Münchner Rathaus keineswegs ein einheitliches Gesicht. In der auch sonst üblichen K o m b i n a t i o n von Gewaltmaßnahmen, vor allem gegenüber linken Stadträten und städtischen Bediensteten und verführerischen Angeboten z u m opportunistischen Weitermachen gegenüber der großen Mehrheit des städtischen Fachpersonals, auch sofern es politisch der Bayerischen Volkspartei z u z u o r d n e n war, gelang es den Nationalsozialisten nach außen hin, den Anschein eines relativ geräuschlosen Regimewechsels in der Stadt zu erwecken. D i e ausführliche Darstellung der D u r c h f ü h r u n g des sogenannten Berufsbeamtengesetzes im Bereich der Stadt München, ein Hauptkapitel der Studie, verdeutlicht gleichwohl, in welchem Maße der Machtwechsel angeheizt w u r d e von persönlich-politischen A n i m o s i täten und Denunziationen, die sich, auch nach der Meinung der damaligen staatlichen Aufsichtsverwaltung, von der gesetzlichen Grundlage des Berufsbeamtengesetzes oft weit entfernten. G e r a d e dieser Teil der U n t e r s u c h u n g kann Modellcharakter beanspruchen; zeigt er doch, daß großstädtische Verwaltungen mit ihrer Vielzahl von k o m m u n a len Einrichtungen und Betrieben und ihrem relativ hohen Anteil von städtischen Angestellten und Arbeitern sehr viel stärker von sozialen und politischen Gegensätzen »besetzt« waren, als, zumal in Bayern, die staatliche innere Verwaltung oder MinisterialBürokratie, weshalb hier der Machtwechsel auch dramatischer verlief. H ä u f i g ging es dabei gar nicht in erster Linie um politisch-weltanschauliche Prinzipien, sondern u m die persönliche Abrechnung mit Amtsinhabern, die der N S D A P vor 1933 besonders hinderlich gewesen waren. D i e Darstellung zeigt im übrigen, wie illusionär die B e m ü hungen waren, München z u m Vorreiter einer neuen nationalsozialistischen Gemeindeordnung zu machen. Diese Bestrebungen scheiterten vor allem an Hitler, der durch seine persönlichen Eingriffe in die kommunalen Angelegenheiten der » H a u p t s t a d t der Bewegung«, besonders im städtischen B a u - und Theaterwesen, schon in den ersten Jahren nach 1933 demonstrierte, welches Zuständigkeitschaos die unmittelbare Führerherrschaft erzeugen mußte. Hitlers persönliche Einflußnahme auf die dekorative Gestaltung der Münchner L u d w i g s b r ü c k e ist hier nur ein spektakuläres Beispiel; auch das episodische Wirken des neuen nationalsozialistischen Kulturreferenten Zöberlein mit seinen bizarren Vorstellungen völkischer städtischer Kulturarbeit grenzt ans G r o t e s k e . Bemerkenswert ist insbesondere, was der A u t o r aufgrund des genauen Studiums der städtischen Verwaltungsakten aus der N S - Z e i t an Erkenntnissen zu der Frage liefert, inwieweit auch das »normale« städtische Verwaltungshandeln von nationalsozialistischen Weltanschauungselementen infiziert wurde. Ein Beispiel ist die Münchner Gewerbepolitik, bei der sonst »sachtreue« städtische Referenten — vielleicht weil sie es nötig hatten, sich der Partei anzubiedern — unverlangt und ohne rechtliche G r u n d l a g e Interessen der »arischen« Geschäftsinhaber gegenüber ihren jüdischen Konkurrenten besorgten, und einer Verquickung der Verwaltung mit dem antijüdischen Geschäftsneid nationalsozialistischer Parteigänger V o r s c h u b leisteten: Eines von vielen Beispielen des

XXIV

Vorwort

selbsttätigen Antisemitismus auf lokaler Ebene, der die von oben verordneten antijüdischen M a ß n a h m e n im Dritten Reich in fataler Weise ergänzte. Ebenfalls in die frühen J a h r e des Dritten Reichs in M ü n c h e n führt die architekturgeschichtliche Untersuchung des Göttinger Kunsthistorikers Karl Arndt. In ihrem ersten Teil befaßt sie sich mit der Baugeschichte des » H a u s e s der Deutschen Kunst« und zeigt dabei, auch anhand von Planungsskizzen, inwieweit der von Hitlers M ü n c h n e r Architekten Troost entworfene und von Hitler selbst mitbestimmte Bau von der M ü n c h n e r Klassizismustradition abwich und schon die ersten Formelemente der später ins Riesenhafte gesteigerten NS-Repräsentationsarchitektur aufwies. Die nationalsozialistischen Bauten sind im historischen Rückblick i m m e r wieder als A u s d r u c k monströser Selbststilisierung apostrophiert w o r d e n . A b e r k a u m je w u r d e versucht, das Unschöne dieser Architektur unter ästhetischen und kunstgeschichtlichen Gesichtspunkten im einzelnen darzulegen. Eben dies leistet die feinsinnige Interpretation Arndts, gerade im Vergleich mit Beispielen moderner Architektur, die in München in den z w a n z i g e r Jahren geschaffen w o r d e n waren. Im zweiten Teil der Darstellung w i r d die kunstgeschichtlichästhetische Betrachtung ergänzt durch die ausschnitthafte Rekonstruktion der M ü n c h ner architekturpolitischen Szene im J a h r 1933, gekennzeichnet durch die Entfernung führender moderner Architekten w i e Robert Vorhoelzers, der mit seinen Postbauten in München vor 1933 eindrucksvolle A k z e n t e jener Formschönheit funktionellen Bauens gesetzt hatte, die im diametralen Gegensatz zu der gigantomanischen KlassizismusRenaissance des Nationalsozialismus standen. M i t den Intrigen, Denunziationen und ideologischen Vorurteilen, die an der Hochschule und in der Stadt zur »Reinigung« von unerwünschten begabten Architekten und Architekturlehrern führten, blendet der Verfasser ein heikles Kapitel des Machtwechsels im akademischen Bereich auf. Versuchter Widerstand, Anpassung und ehrgeizige Erbötigkeit als mitbestimmende Faktoren dieses Prozesses w e r d e n hier im Detail plastisch sichtbar. Zu den einflußreichen sozialen Gruppen, auf deren Konformität das N S - R e g i m e sich nie recht verlassen konnte und deren Einstellung und Verhalten die Gestapo noch während des Krieges mißtrauisch beobachtete, gehörte der bayerische Adel. A u s intimer, historiographischer und familiärer Vertrautheit mit diesem T h e m a verdeutlicht der M a i n z e r Historiker Karl O t m a r von Aretin im historischen Rückgriff zunächst die — im Vergleich z u m preußischen Adel — traditionell sehr viel geringere Staatsbindung des bayerischen Adels. Zwar machten die starken Vorbehalte der bayerischen Aristokratie gegenüber der W e i m a r e r Republik einzelne Adlige schon vor 1933 auch zu Parteigängern der N S D A P , w ä h r e n d andere sich der monarchistischen Opposition anschlossen; insgesamt gesehen ergibt sich jedoch, daß der bayerische Adel in seiner Mehrheit weder durch ein positives Verhältnis z u m Nationalsozialismus noch durch A k t i v i s m u s im konservativen Widerstand besonders hervortrat. Kennzeichnend für seine Rolle und Situation im Dritten Reich w a r eher die passive Zurückhaltung, die traditionelle Bewahrung gesellschaftlicher Unabhängigkeit, eine Art aristokratischer Skepsis und Verweigerung gegenüber dem Nationalsozialismus, die gleichwohl von der Partei immer wieder als Stein des Anstoßes empfunden w u r d e , zumal es weithin sichtbar w a r , w e n n von den adligen Herrensitzen bei nationalen Feiertagen n u r die Flagge mit dem Adelswappen, nicht aber die H a k e n k r e u z f a h n e gehißt w u r d e . Die Bandbreite des

Vorwort

XXV

politischen Verhaltens des bayerischen Adels in der NS-Zeit führt die Studie an zahlreichen Beispielen exemplarisch vor Augen. Dabei wird auch sichtbar, daß die wirtschaftlich-soziale Stellung, d. h. relative Unabhängigkeit oder, infolge der Verarmung mancher Linien bayerischer Adelsgeschlechter, wirtschaftliche Bedürftigkeit, Gründe für oppositionelles oder opportunistisches Verhalten sein konnten. Unter den Bedingungen der, wenigstens beabsichtigten, totalen Erfassung der Menschen im Dritten Reich, die sich während des Krieges in einer kolossalen Beanspruchung der Arbeitskräfte für die Kriegs- und Rüstungsindustrie ausdrückte, offenbart sich, daß auch diejenigen Formen der Resistenz, die in erster Linie auf materielle und soziale Interessenwahrung gerichtet waren, politische Bedeutung erlangen konnten. Am Beispiel des Rüstungseinsatzes der Frauen wird dies in der Dokumentation von Ludwig Eiber vor Augen geführt. Mehr als die Männer, die in der Regel schon durch die »Schule« der industriellen Disziplin gegangen waren, riskierten es im Zweiten Weltkrieg häufig die arbeitsverpflichteten Frauen, gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen zu rebellieren oder, trotz der scharfen polizeilichen und politischen Beaufsichtigung in der Rüstungsindustrie, durch »Blaumachen« zivilen Ungehorsam gegenüber den Arbeitseinsatzbehörden des Dritten Reichs zum Ausdruck zu bringen. Aus einer Vielzahl von Einzelberichten entfaltet die Dokumentation ein reichhaltiges Spektrum der sozialen Verhältnisse der Frauen in der Rüstungsindustrie. Dabei wird unter anderem auch deutlich, daß der größere Freiraum der Frauen für nonkonformistisches Verhalten nicht zuletzt in der Frauenideologie des Nationalsozialismus selbst begründet war. Das Regime tat sich mit dem totalen Kriegsarbeitseinsatz der Frauen schwer, nachdem es in den Jahren vor 1937/ 38 immer wieder betont hatte, daß Haus und Herd der eigentliche Bestimmungsplatz der Frau seien. Wie in manchen anderen Politikbereichen eröffnete die opportunistisch wechselnde Programmatik des NS-Regimes Resistenz-Handlungsräume dadurch, daß sie es der Opposition gegen nationalsozialistische Zumutungen ermöglichte, sich selbst auf nationalsozialistische Grundsätze zu berufen. Wie im vorangegangenen Band (II) der Reihe, ist auch in diesem wiederum versucht worden, die einzelnen Beiträge durch »sprechende« Illustrationen mit eigenem Dokumentationswert zu veranschaulichen. Die Herausgeber hoffen, daß das erfreulich starke Leserinteresse, das den ersten Bänden dieser Reihe zuteil wurde, mit den vorstehend skizzierten Beiträgen erneut geweckt werden und zu einer vertieften Kenntnisnahme der Lebenswirklichkeit in der NS-Zeit beitragen kann. München, im Februar 1981

M. B.

GERHARD HETZER

Die Industriestadt Augsburg E I N E S O Z I A L G E S C H I C H T E DER A R B E I T E R O P P O S I T I O N

VORBEMERKUNG

Als drittgrößte bayerische Großstadt nach München und Nürnberg zählte Augsburg im Jahre 1933 rund 176 000 Einwohner. Mit 56 Prozent lag der Anteil der Arbeiterschaft an der erwerbstätigen Bevölkerung hier höher als in Nürnberg (51,2%) und München (41,1%). Noch deutlicher waren die Unterschiede beim Anteil der »klassischen« Industriearbeiter in den Großbetrieben mit den dominierenden Branchen der Textilindustrie (1925: 144 Betriebe und 16 348 Beschäftigte) sowie der Maschinen-, Apparateund Fahrzeugbauindustrie (152 Betriebe mit 13 644 Beschäftigten), in denen rund 55 Prozent aller industriell Beschäftigten tätig waren 1 . Als Sitz einer Reihe von Behörden und eines lebendigen Handelsgewerbes war Augsburg gewiß auch eine Beamten- und Geschäftsstadt, aber in erster Linie doch eine Metropole der Industrie und Industriearbeiterschaft - und somit auch ein Zentrum verschiedener politischer und gewerkschaftlicher Richtungen der Arbeiterbewegung. Wenn sich dieser Beitrag zum Ziel gesetzt hat, Lage und Verhalten der Arbeiterschaft in Augsburg während der NS-Zeit sowie deren Widerstand und Verfolgung darzustellen, so muß er auch auf historisch gewachsene Strukturen zurückgehen. Es geht hierbei nicht nur um statistische und organisationsgeschichtliche Befunde, sondern auch darum, Arbeiter-Milieu im Rahmen der politisch-sozialen Atmosphäre der Stadt zu erfassen. Von dieser konkreten Empirie, nicht von vorgegebenen Begriffskategorien aus, sollen im Hauptteil der Untersuchung die für die Augsburger Arbeiterschaft wichtigen Entwicklungen in exemplarischer Auswahl und unter verschiedenen Blickwinkeln rekonstruiert werden. 1

Vgl. r u m Vorstehenden Volks- und Berufszählung von 1925, Ztschr. des Bayerischen Statistischen Landesamts Jg. 59 (1927). Daraus (S. 17, 8 8 f . ) g e h t u . a. hervor, daß in Augsburg im Jahr 1923 60,7% aller in Industrie und Handwerk Beschäftigten (Arbeiter und Angestellte) in Großbetrieben (mehr als 50 Beschäftigte) und 26,1 % in Riesenbetrieben (über 1000 Beschäftigte) tätig waren, während die entsprechenden Anteile in München nur 40,9% und 6,4% bzw. in N ü r n b e r g 54,1% und 17,1% ausmachten.

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Gerhard Hetzer Der durchgängige Wechsel der Perspektive zwischen der sozialen Kategorie Arbeiter-

schaft und der politischen Arbeiterbewegung (kommunistischen, sozialdemokratischen, katholischen, u. a.) geht von der Erwartung aus, daß die gegenseitige Beleuchtung von sozialer Lage und politisch relevantem Handeln einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung der Befunde leisten kann, ohne daß sich hieraus ein Bedingungsverhältnis zwingend ableiten läßt. Diese Arbeit kann nur einige, nicht alle Facetten der Lebenswirklichkeit der Augsburger Arbeiterschaft in der NS-Zeit zur Ansicht bringen. Ihr Verfasser hofft gleichwohl, daß sich diese Facetten zu einem Bild vereinigen, das die abstrakten Leitbegriffe dieser Arbeit (Widerstand und Verfolgung) veranschaulicht. Bei der Materialsammlung für diese Darstellung vermochte der Verfasser in erster Linie auf Bestände der staatlichen Archive Bayerns, des Stadtarchivs Augsburg, des Bundesarchivs sowie des Archivs der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg zurückzugreifen. Der hier veröffentlichte Beitrag ist aus einer umfangreichen Dissertation hervorgegangen, die im Rahmen des Projekts »Widerstand und Verfolgung« vom Institut für Zeitgeschichte angeregt wurde. Mit dieser Arbeit hat der Verfasser 1978 an der Universität München bei Professor Dr. Thomas Nipperdey promoviert. Für den Zweck dieser Veröffentlichung wurde sie in langandauerndem Arbeitskontakt mit den Herausgebern dieser Reihe erheblich gestrafft und stärker auf die Bereiche Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung konzentriert, im Einleitungsteil ausgeweitet und ergänzt sowie in der Gliederung überarbeitet.

I. HISTORISCHE VORAUSSETZUNGEN

1. Industrie

und

Industriearbeiterschaft

Während der Industrialisierungsphasen des 19. Jahrhunderts hatte sich in Augsburg und seinem unmittelbaren Umland ein stürmisches Wachstum der Bevölkerung (zwischen I860 und 1920 mit Zuwachsquoten bis über 2 7 % pro Jahrzehnt) ergeben, das erst in der Weimarer Zeit deutlich abgebremst wurde (zwischen 1925 und 1933 nur noch eine Zunahme von 6 , 7 % ) . Die in dieser Phase entstandenen Augsburger Großbetriebe siedelten sich bevorzugt in den Niederungen zwischen der Altstadt und den Flußläufen von Lech und Wertach, die sich im Norden der Stadt vereinigen, vor allem im Ostend, dem Zentrum der Textilindustrie, im Nordend (Sitz der M A N ) sowie in der westlich angrenzenden Vorstadt rechts der Wertach an. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts legte sich gleichsam ein Halbmond von dichten Industrieansiedlungen vom Südosten bis zum Nordwesten um die Altstadt. Seit den 1850er Jahren griff die Industrialisierung über die Flüsse Lech und Wertach hinaus, nach Lechhausen (östlich des Lech) und nach

Die Industriestadt Augsburg

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Oberhausen, Kriegshaber und Pfersee (westlich der Wertach), schließlich in das südliche Vorland Augsburgs bis nach Göggingen, Haunstetten und Siebenbrunn. Das Wachstum der Vorort-Bevölkerung übertraf noch erheblich das der Stadt. 1908 bestand die Fabrikarbeiterschaft in Kriegshaber, Hochzoll, Friedberg, Lechhausen und Oberhausen ausschließlich oder überwiegend aus Pendlern Augsburger Betriebe, während sie in Pfersee, Göggingen, Siebenbrunn, Haunstetten und Gersthofen zu 70 bis 100 Prozent am Heimatort beschäftigt war 2 . Während die zahlreichen Kleinbetriebe des Bau-, Bekleidungs-, Holz-, Nahrungsund Genußmittelgewerbes sowie der Metallwarenerzeugung, der elektrotechnischen und feinmechanischen Industrie oft noch handwerklichen Charakter hatten (durchschnittliche Beschäftigtenzahl 1925 pro Betrieb: 4,5 Personen), handelte es sich bei den im Gürtel um die Altstadt entstandenen Unternehmen fast ausschließlich um Großbetriebe. Das galt vor allem für die Textilindustrie: die kombinierten Baumwollspinnereien und -Webereien (mit durchschnittlich 905 Beschäftigten pro Betrieb), die wollverarbeitenden Betriebe (820), die Baumwollspinnereien und -Zwirnereien (632), die Textilveredelungs- und -ausrüstungsbetriebe (604) und die Baumwollwebereien (351). Die Augsburger Textilindustrie wies unter den Beschäftigten die höchsten Arbeiteranteile auf (zwischen 86,1 und 94,4% in den einzelnen Sparten), davon fast durchweg mehr als die Hälfte Frauen - im Gegensatz zur ebenfalls meist großbetrieblichen Maschinen-, Apparate-, und Fahrzeugbauindustrie mit höheren Anteilen an Industriebeamten und -angestellten und einer nur geringen Frauenquote unter den Arbeitern. Das Textilgewerbe vermochte in Augsburg auf eine bis ins Mittelalter zurückreichende Tradition zu blicken. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren von über 30 000 Einwohnern der Stadt etwa 6500 als Meister und Gesellen in der Barchentweberei beschäftigt gewesen3. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts war die handwerkliche Wirtschaftsverfassung der Weber durch den Aufbau von Großmanufakturen bedroht worden, die zwar, so die weithin berühmte Kattundruckerei des Johann Heinrich Schüle, die Krisen im Gefolge der Napoleonischen Kriege bis auf Ausnahmen nicht überlebt, aber den Boden für die nach dem Anschluß Bayerns an den Zollverein einsetzende Welle von Fabrikgründungen bereitet hatten. Mit der Auflösung der Weberinnung war 1861 der Schlußpunkt der Geschichte eines ruhmreichen und selbstbewußten reichsstädtischen Handwerkszweiges gesetzt worden. Im Gegensatz zum oberfränkischen Textilgebiet um Hof war die Hausweberei in Augsburg im 19. Jahrhundert nahezu erloschen. Für die Wahl Augsburgs als Industriestandort waren die Wasserkräfte der Lech- und Wertachkanäle, die nach Fertigstellung der Eisenbahnlinien nach München (1840), Nördlingen-Nürnberg (1849) und Ulm (1854) zunächst günstige Verkehrslage sowie das Arbeitskräftereservoir des Weberhandwerks entscheidend. Waren die Textilfabriken bereits als Großbetriebe konzipiert worden, so hatten sich die ersten Maschinenfabriken aus Werkstätten mit einer Handvoll von Handwerkern und Arbeitern entwickelt. Erst nach 1871 hatten sich diese unter Entwicklung eigener Fertigungsprogramme aus ihrer 2

3

Siehe Ergebnisse einer Erhebung der städtischen Gewerbeinspektion bei Wiedemann, Adolf: Augsburgs Eingemeindungen und ihre Folgen, besonders in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht. Ungedr. Diss. Würzburg 1921, S. 15ff., 26ff., 36ff., 5Iff. Zorn, Wolfgang: Augsburg. Geschichte einer deutschen Stadt. Augsburg 1972, S. 207.

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Gerhard Hetzer

subsidiären Stellung gegenüber der Textilindustrie zu lösen vermocht, w ä h r e n d der Anschluß des Oberelsaß an das Reich die A u g s b u r g e r Spinnereien und Webereien unter starken K o n k u r r e n z d r u c k gesetzt und zu umfassenden Modernisierungsmaßnahmen wie zur A u s w e i t u n g des Stammkapitals g e z w u n g e n hatte. M i t dem S c h w u n d der Bedeutung der Wasserkraft als Energiequelle w a r e n die Nachteile des Standorts A u g s burg stärker hervorgetreten : die weite Entfernung zu den Häfen (die für den Rohstoffimport der Textilbetriebe und die für den Export arbeitenden Zweige der Maschinenindustrie erhöhte Frachtkostenbelastung bedeutete), die Abgelegenheit von den Revieren der Steinkohle- und Eisenerzförderung, der Mangel eines tieferen Hinterlandes angesichts der nahen Zollschranken Österreichs und der Schweiz, der fehlende A n s c h l u ß an ein Wasserstraßennetz, das Ausbleiben einer leistungsfähigeren N o r d - S ü d v e r b i n d u n g der Eisenbahn. Allerdings besaß die Textilindustrie den Vorteil einer breiten Fächerung von Verarbeitungsstufen am Ort. Sie w a r ebenso w i e die Maschinenindustrie auf verstärkte Qualitätsarbeit, jene z u d e m auf Spezialisierung der Produktion angewiesen. Waren nach der J a h r h u n d e r t w e n d e im Textilsektor k a u m noch N e u g r ü n d u n g e n zu verzeichnen gewesen, so hatte der A u s b a u der metallverarbeitenden, der Papier- und Schuhindustrie bis 1914 einen gewissen Ausgleich geschaffen. N a c h 1918 konnten bei verschärfter Wettbewerbssituation keine neuen Unternehmen, die Einfluß auf Arbeitsmarkt und Sozialstruktur hätten nehmen können, auf D a u e r Fuß fassen. Moderne, entwicklungsträchtige Industrien, w i e die Elektrobranche oder Chemiebetriebe hatten die Stadt gemieden oder sich im U m l a n d niedergelassen. Die vorhandenen Fabriken waren, soweit leistungsfähig, noch ausgebaut worden, jedoch bis auf A u s n a h m e n in die Abhängigkeit auswärtiger Konzerne geraten. Ein H i n w e i s auf die langfristig ungünstige Perspektive der A u g s b u r g e r Wirtschaft w a r die bei unverändert hohem Anteil der in Industrie und H a n d w e r k Beschäftigten (1882: 5 3 , 6 % , 1895: 5 5 , 2 % , 1907: 5 3 , 1 % , 1925: 5 5 , 6 % , 1933: 5 8 , 6 % ) zögernde A u s w e i t u n g des Dienstleistungssektors. Der niedrige Angestelltenanteil resultierte aus der weitgehend kleinbetrieblich gebliebenen Struktur des Handels und dem schwach entwickelten Verwaltungskörper in wichtigen Industriezweigen*. Die Bevölkerungsstruktur, bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einem langsamen, durch die Etablierung von Behörden und einer starken Garnison nach dem Übergang an B a y e r n verstärkten sozialen und herkunftsmäßigen Umschichtungsprozeß unterworfen 5 , hatte durch die kausal mit der Industrialisierung verbundene A u s w e i t u n g aller gesellschaftlichen Bereiche eine Erosion erfahren. Die zunehmend dichtere Besiedelung der Altstadtquartiere führte nach A u f h e b u n g der Festungseigenschaft und dem teilweisen A b b r u c h der M a u e r n zur A u s w e i s u n g neuer Baugebiete auf den noch freien Flächen der Hochterrasse und in den nach Korrektionen bebaubaren Talauen von Lech und Wertach. 4

5

Anteile der Beamten-und Angestelltenschaft in Wirtschaftsgruppen 1933: Maschinenbau 18,3%, Nahrungsmittelgewerbe 13,4%, Papiererzeugung 12,7%, Textilindustrie 12,2%, Metallwarenfertigung 7 , 2 % . Nach: Kleines Statistisches Lexikon der Stadt Augsburg, hrsg. vom Statistischen Amt der Stadt Augsburg. Augsburg 1937, S. 12. Vgl. Haertel, Volker: Die A u g s b u r g e r W e b e r u n r u h e n 1784 und 1794 und die Struktur der Weberschaft Ende des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben, Bd. 64 (1971), S. 65, 1 8 6 - 1 9 6 .

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Die ersten Textilbetriebe hatten ihre Anlernkräfte aus den alten Gebieten der Hausweberei in den »Stauden« zwischen Fischach und Türkheim sowie den Dörfern des westlichen Umlandes bezogen, wo sich neben zahlreichen Handwerkern und Taglöhnern von alters her Familien mit Baumwollspinnen für die Augsburger Weberei ernährt hatten, daneben aus zuströmenden Arbeitern aus dem Mülhausener Industriegebiet, aber auch aus der Schweiz, Württemberg und Vorarlberg 6 . So stammten 1844 über ein Drittel der in der »Mechanischen Baumwollspinnerei und -weberei« (SWA) beschäftigten Arbeiter nicht aus dem Königreich Bayern. 1859 waren erst 22,6 Prozent der Belegschaft dieses Betriebes in Augsburg heimatberechtigt 7 . Ähnliches ist für die Metallindustrie festzustellen, wo zwischen 1852 und 1859 in der Sanderschen Maschinenfabrik, dem Vorläufer der späteren »Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg« (MAN), qualifizierte Arbeiter wie Former und Gießer zu 2A von außerhalb Bayerns, vor allem aus Württemberg und der Schweiz, gekommen waren, während Augsburg in dieser Gruppe nur knapp 5 Prozent, hingegen zusammen mit dem schwäbischen und altbayerischen Hinterland die Masse der Schlosser und Taglöhner gestellt hatte8. Das allmähliche Heranwachsen einer einheimischen Fabrikarbeiterschaft, der sich seit den 1860er Jahren viele Kräfte aus Mittelschwaben und dem Allgäu zugesellt hatten, zeigt die Herkunft von 245 zwischen 1863 und 1870 in die »Zwirn- und Nähfadenfabrik Göggingen« ( Z N F G ) eingetretenen Arbeitern. Von ihnen stammten nur 4 Prozent aus Gebieten außerhalb Bayerns, hingegen 62 Prozent aus Schwaben und 26,9 Prozent aus Göggingen selbst, dagegen ganze 1,6 Prozent aus Augsburg', das genügend nähergelegene und wohl auch besser bezahlte und durch Stiftungen gesicherte Arbeitsplätze bot. Geschlossenere ethnische Gruppen, die sich längere Zeit ein Sonderbewußtsein bewahrten, stellten böhmische Textilarbeiter, von denen 1869 eine erste größere Gruppe als Streikbrecher nach Pfersee gelangt war10, seit den 1870er Jahren auch italienische Fabrikund Ziegeleiarbeiter sowie Maurer, aus denen sich in Göggingen eine kleine Kolonie gebildet hatte". Noch in den 1930er Jahren bestand in Augsburg ein slawisch-böhmischer Unterhaltungsverein. Der Zustrom von Arbeitskräften hatte die einheimische Bevölkerung Augsburgs zunächst in die Minderheit gedrängt. 1871 lag der Anteil der Ortsgebürtigen bei nur mehr 38,2 Prozent, 1885 bei 36,4 Prozent. Die tendenziell sinkende Fluktuation in den Betrieben12 und die Konsolidierung einer Stammbevölkerung in den neueren Arbeiterquartieren in Verbindung mit einer vermutlich überdurchschnittlichen Geburtenrate der

Reuther, Otto: Die Entwicklung der Augsburger Textilindustrie. Diessen 1915, S. 56ff. Absolute Zahlen bei Fischer, Ilse: Industrialisierung, sozialer Konflikt und politische Willensbildung in der Stadtgemeinde. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte Augsburgs 1840-1914. Augsburg 1977, S. 35. 8 Ebenda, S. 121. ' Einzelaufstellung bei Stoll, Siegfried: Die Landgemeinde im Einflußbereich der benachbarten Industriestadt. Dargestellt am Beispiel der Entwicklung Göggingens vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, in : Deininger, Heinz Friedrich (Hrsg.): Göggingen. Beiträge zur Geschichte der Stadt. Göggingen 1969, S. 265. 10 Fischer, a.a.O., S. 121f. 11 Stoll, a.a.O., S. 220f., 268. 12 Für die Textilindustrie siehe Diill, Franz August: Der Betriebsschutz in der Augsburger Textil-Industrie. Eine Untersuchung über dessen Auswirkung in volkswirtschaftlicher und sozialer Bedeutung. Diss. Würzburg 1927, S. 24-28. 6 7

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seßhaft gewordenen Arbeiterbevölkerung ließ den heimischen Anteil in der Folgezeit aber ansteigen. 1907 betrug er in der Gesamtbevölkerung 39,5 Prozent 13 . Die Berufsgruppe der Wirtschaftsabteilung »Industrie und Handwerk« hatte 1907 in Augsburg mit 44,0 Prozent die höchste Quote an ortsgebürtigen Erwerbspersonen. Das bedeutet, daß die Augsburger Arbeiterschaft rund 70 Jahre nach Beginn des Fabrikzeitalters zu den am stärksten verwurzelten Elementen der Stadt gehörte. Leider liegen für die folgenden Jahrzehnte keine amtlichen Unterlagen über die Herkunft der Bevölkerung vor, doch ist trotz der großen Fluktuation zwischen 1911 und 1919 - im Jahresmittel rund 20 300 Zuzüge14, wobei 1917 erstmals größere geschlossene Gruppen von preußischen Arbeitern in die Stadt beordert worden waren - von einer bis 1933 tendenziell weiter steigenden Ortsgebürtigkeit der Arbeiter auszugehen. Die Herkunftsbereiche der Zuwanderer zwischen 1871 und 1907 waren relativ konstant geblieben: rund 30 Prozent der Einwohner waren in Schwaben außerhalb Augsburgs geboren, rund 20 Prozent in anderen rechtsrheinischen Bezirken Bayerns bei zugunsten der altbayerischen Gebiete sinkendem Anteil Frankens, etwa 11 Prozent aber in Gegenden außerhalb des Königsreichs, vor allem in Württemberg, aber auch Österreich-Ungarn 15 . Die Wanderungsbewegung des 19. Jahrhunderts hatte die Konfessionsstruktur der ehemaligen Reichsstadt stark verändert. Der Anteil der Protestanten, 1649 bei endgültiger Verankerung der Gleichberechtigung beider Glaubensbekenntnisse (auf der Grundlage der Parität in allen städtischen Ämtern) wohl bei über zwei Dritteln liegend16, war bis 1840 auf 38,9 Prozent, bis 1910 auf 24,6 Prozent gesunken und lag nach den Eingemeindungen 1933 bei nur mehr 18,5 Prozent. Protestantische wie auch jüdische Bevölkerung war relativ stark im Stadtkern sowie in Innenstadtrandgebieten mit bevorzugter Wohnlage vertreten, erreichte aber selbst im vornehmeren Westend kaum noch 30 Prozent der Einwohnerschaft. Den niedrigsten Protestantenanteil der Altstadt wiesen das Georgsund Kreuzviertel wie das Pfärrle auf - trotz besonderer Konzentration katholischer Anstalten (1933 lebten etwa 15,5% der Bevölkerung der Dompfarrei in Klöstern, Stiften und konfessionellen Heimen) 17 - wohl eine Folge der konfessionellen Gliederung im alten Weberhandwerk, das am Ende des 18. Jahrhunderts zu etwa % katholisch gewesen war18. In den industriellen Vororten mit pfarrkirchlicher Tradition lag der Katholikenanteil zwischen 82,7 Prozent (Pfersee) und 87,5 Prozent (Kriegshaber), in der Vorstadt links der Wertach bei 84,5 Prozent. 1933 dürften rund 85 Prozent der Augsburger Arbeiter katholisch gewesen sein.

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15 16 17 18

Fischer, a . a . O . , S. 82. Aufstellung bei Kulzer, Hermann: Die Bevölkerungsbewegung der Stadt Augsburg seit 1900. Ungedr. Diss. Erlangen 1925, Tabelle 60. Siehe die Aufstellung bei Fischer, a . a . O . , S. 78. Ergebnisse der Volkszählungen von 1635 und 1645 bei Zorn, a . a . O . , S. 218f. Vorläufiges Ergebnis der Volkszählung 1933, in: Kommunale Mitteilungen N r . 265 (1933). Zorn, a . a . O . , S. 233.

Die Industriestadt Augsburg 2. Die industrielle

und soziale Topographie

9 der Stadt

Die Altstadt

Die Mittelpunktsfunktion Augsburgs f ü r Handel und Gewerbe hatte bereits im Spätmittelalter die soziale Topographie der Stadt geprägt. Die auf einem H ö h e n z u g zwischen Lech und Wertach gelegenen Stadtteile waren mit Klöstern, Stiftshöfen und Marktstraßen, mit D o m , Reichsabtei, Bischofssitz und Rathaus Wohnstätte sozialer Oberschichten und damit Brennpunkt des gesellschaftlichen Lebens. A m Ostabfall dieser H ö h e und in der sich weiter nach Osten, gegen den Lech erstreckenden Senke hatte sich ein Handwerkerbezirk entwickelt, in dem sich mit Metzgern und Bäckern nicht nur das Lebensmittelgewerbe, sondern auch jene Handwerkszweige — Müller, Gerber, Färber, Wollweber — angesiedelt hatten, die Wasserkräfte aus den vom Lech in diese Quartiere geleiteten Werkkanälen sowie Gewerbeflächen vor den Mauern benötigten. Etwa seit Ende des 13. Jahrhunderts waren jenseits des Mauerringes im N o r d e n der Bischofsstadt, vor dem Frauentor, eine Vorstadt um die Stifte Heilig Kreuz, St. Georg und St. Stephan, künftig W o h n - und Arbeitsstätte der Augsburger Leinenweber (Kreuz- und GeorgsViertel, Pfärrle), und im Osten vor dem Barfüssertor um den Triebkanal des Lauterlechs ein weiteres Handwerkerviertel, nach einer dort errichteten Kirche Jakobervorstadt genannt, entstanden. Im 14./15. Jahrhundert wurden beide Vorstädte in den erweiterten Mauerring einbezogen". Von unwesentlichen Veränderungen abgesehen, waren damit die noch 1933 gültigen Grenzen der Altstadt abgesteckt, die seit 1781 in acht nach einem Litera-System bezeichnete Bezirke (Litera A - Η ) eingeteilt war. N a c h 1933 lebten in den Quartieren der Altstadt rund 46 700 Einwohner (26,5% der Stadtbevölkerung). Mit rund 278 Personen je Hektar war die Altstadt das am dichtesten besiedelte Gebiet Augsburgs. Die Trennungslinien zwischen mittelalterlicher Bischofsund Bürgerstadt einerseits und den Handwerkervierteln andererseits wurden noch 1933 durch die Nordsüdachse von Karolinen- und Maximilianstraße zwischen Domkirche und St. Ulrich und Afra, deren Prachtfassaden den reichsstädtischen Glanz der Stadt in Erinnerung riefen, markiert. In der Westhälfte einschließlich der östlich an diese Achse angrenzenden Häuserzeilen (Litera Β, D und Teile von Litera C) hatte sich (mit Ausnahme eines handwerklich-industriellen Braugewerbegebietes im Süden) der U b e r gang vom reichsstädtischen Handelszentrum z u m Geschäfts- und Dienstleistungsbereich des 20. Jahrhunderts vollzogen. A m Westrand der Altstadt waren seit 1860 Mauerring und Stadttore fast vollständig abgebrochen worden und hatten einer modernen Verkehrsachse (Fugger-, Kaiserstraße) mit dem Königsplatz (nach 1933 Adolf Hitler-Platz) an der Stelle eines ehemaligen Stadttores als Verkehrsknotenpunkt des modernen Augsburg Platz gemacht.

" Siehe hierzu Schröder, Detlev: Stadt Augsburg. Historischer Atlas vonBayern. Teil Schwaben, H e f t 10, hrsg. von der Kommission für Bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München. München 1975, S. 159-168.

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Hingegen hatte sich auf der weit bevölkerungsreicheren Osthälfte (Litera A, Teile von C, G, H), an deren Rand die Stadtbefestigung relativ intakt geblieben war, die über Jahrhunderte tradierte Gewerbe- und Sozialstruktur bei starker Durchmischung von Handwerkerschaft und ärmlichem Einzelhandel mit Fabrikarbeiterschaft und gesellschaftlichen Randgruppen fortgesetzt. Auch im Norden (jenseits des Domes), in der Frauenvorstadt, auch »untere Stadt« genannt, bestand zwischen dem westlichen und dem östlichen Teil in stark abgeschwächter Form eine ähnliche soziale Segregation. Seit dem Niedergang des Weberhandwerks in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein soziales Umbruchsgebiet, hatte das westlich der Hauptverkehrsachse (Frauentorstraße) gelegene Kreuzviertel durch die an seinem Rand gelegenen Regierungsbehörden und durch Garnisonierung von Militär mit der Ansiedlung von Berufssoldaten und Militärbeamten sowie Kleingewerbe eine Aufwertung erfahren, während das Georgsviertel am Nordrand der Altstadt wie das östlich der Frauentorstraße gelegene Pfärrle (Litera E) bis zur Jahrhundertwende ein ähnlich ärmliches Gepräge hatten wie die Jakobervorstadt. Während in der Zentralstadt einschließlich des westlichen Ulrichsviertels großstädtische Bauweise mit bis zu 60 Prozent Wohngebäuden mit drei und mehr Stockwerken vorherrschend war, hatte sich am Nordost- und Nordrand der Altstadt vielfach die Einzelbauweise mit Häusern von 1-2 Stockwerken bewahrt20. Das einzige größere Neubaugebiet seit 1900 lag hier im Pfärrle, an dessen Nord- und Osträndern neben Einzelbauten mit Mietwohnungen gehobener Güteklasse auch Wohnblocks der Stadtgemeinde (erbaut 1909/10 und 1918) und der Allgemeinen Baugenossenschaft für Augsburg und Umgebung (1929/33) entstanden waren. Die Tendenz der Abwanderung von Wohnbevölkerung aus der Altstadt, vor allem der Zentralstadt, in der sich neben dem Einzelhandel bereits vor 1914 erste Kaufhäuser und Einheitspreisgeschäfte sowie private Verwaltungen niedergelassen hatten, war schon bis 1910 bemerkbar geworden und, zeitweilig durch den Zuzug von billige Wohnungen Suchenden abgebremst, bis 1933 weiter fortgeschritten. Die Altstadt hatte in der Zeit zwischen 1925 und 1933 einen Bevölkerungsrückgang von 700 Personen zu verzeichnen. Tendenzen zur Uberalterung wiesen vor allem die südliche Jakobervorstadt und das östliche Ulrichsviertel auf21, dort allerdings auch durch das städtische Altersheim mitbedingt. Dieses Quartier zwischen Rotem Tor, Judenberg und Schlossermauer trug die Zeichen eines der »Verslumung« entgegengehenden alten Unterschichtenviertels im Herzen der Stadt. Hier war das in Hinterhof und Wohnung betriebene ärmliche Kleingewerbe besonders verbreitet. Nach baulichem Zustand der Wohngebäude und hygienischen Verhältnissen waren hier die größten Mißstände zu finden, zumal der hohe Grundwasserspiegel erst nach dem Zweiten Weltkrieg einen Anschluß an die Schwemmkanalisation erlaubte. Hier unternahm die nationalsozialistische Stadtverwaltung einen ersten, durch den Kriegsausbruch allerdings in Anfängen steckengebliebenen Sanierungsversuch. Im Bezirk Litera A besaßen noch 1925 68,5 Prozent aller Wohnungen keinen eigenen Abort (städtischer Durch20

21

Rost, Hans: Die Wohnungs-Untersuchung in der Stadt Augsburg vom 4. Januar bis24. März 1904. Augsburg 1906, S. 21-27. Kulzer, a.a.O., Tafeln 14, 19.

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schnitt 44,7%). Hier wurden zusammen mit einigen vernachlässigten Arbeiterquartieren der Außenstadt die höchsten Ziffern an allgemeiner Mortalität, Tuberkulose- und Säuglingssterblichkeit registriert. Lechviertel und Jakobervorstadt hatten gerade wegen ihrer Vernachlässigung am meisten lokales Kolorit bewahrt. Hier sprach eine selbst in den Zeiten stärkster Zuwanderung noch großteils ortsgebürtige Bevölkerung 22 ein relativ unverfälschtes Augsburger Idiom, hier war auch der Arbeiteranteil mit teilweise über 50 Prozent der höchste im Altstadtbereich. In der Jakobervorstadt, von der ursprünglichen Kernstadt noch sichtbar durch den Straßenzug des Grabens getrennt, hatte sich ein gegenüber anderen Altstadtvierteln stärkeres Eigenbewußtsein erhalten. Alljährlich wurde ein großes Volksfest gefeiert, während das Fest der »Oberstadt« längst an die Peripherie verlegt worden war. Diese Vorstadt war mit ihren zahlreichen Gaststätten, darunter, wie im Lechviertel, einer Reihe von Spelunken mit stationärer und wandernder Prostitution, ein Kommunikationszentrum für die Arbeiterschaft der Altstadt und des gesamten Augsburger Ostens geblieben, für dessen Fabrikviertel jenseits von Jakober- und Vogeltor sowie Oblatterwall die Jakobervorstadt zu einem Gutteil Abgabe- und familiäres Kerngebiet gewesen war. Hier lag mit über 50 Wohngebäuden die von Jakob Fugger seit 1514 auf Stiftungsbasis für minderbemittelte Augsburger errichtete Siedlung, die sogenannte Fuggerei, ein frühes und vielbewundertes Beispiel sozialen Wohnungsbaus. Die Jakobervorstadt wurde durch die Bombardements von 1944/45 unter allen Stadtteilen am härtesten getroffen und in stark veränderter Form wieder aufgebaut. Die soziale Struktur der Altstadtviertel wird in folgender Tabelle sichtbar. Soziale Zusammensetzung der Altstadtviertel (nach der Volkszählung vom 17. Mai 1939) 23

Stadtviertel

Innenstadt/St. Ulrich-Dom Lechviertel, östl. Ulrichsviertel Georgs-, Kreuzviertel Pfärrle (mit Bleich) Jakobervorstadt-Nord Jakobervorstadt-Süd

Arbeiter

Angestellte

Beamte

Hausangestellte

%

%

%

%

23,3 51,0 36,5 42,4 47,3 49,7

24,7 11,8 17,9 21,0 17,8 15,0

8,0 3,5 6,0 5,6 2,8 3,2

8,1 2,5 4,6 3,1 3,9 2,4

Selbständige

%

18,8 9,0 12,1 6,3 9,9 9,6

Mitarbei- Berufslose tende F a m . SelbAngehörige ständige

%

%

2,4 1,5 1,7 0,9

14,6 20,7 21,1 20,7 16,6 18,6

1.7 1,6

Die höchsten Arbeiterquoten - in den ärmeren Altstadtquartieren wie überhaupt in Arbeitervierteln ist die Kategorie der »selbständigen Berufslosen« überwiegend der Arbeiterbevölkerung zuzurechnen (Rentner, Arbeiterwitwen, etc.) - erreichten die 22

25

Ortsgebürtigkeitl880:0stend44,0%,jakobervorstadt-Süd43,6%,östlichesUlrichsviertel43,2%,Jakobervorstadt-Nord43,0%, Südend 4 0 , 0 % , nördliches Lechviertel 3 9 , 3 % , Zentralstadt35,7%, Kreur- und Georgsviertel 3 3 , 5 % , Nordend 3 3 , 4 % , Pfärrle 3 2 , 0 % , Westend 2 9 , 2 % , westliches Ulrichsviertel 2 8 , 8 % , Wertachvorstadt 2 7 , 9 % . Nach Fischer, a . a . O . , S. 111. Unveröffentlichtes Material des Amtes für Statistik und Stadtforschung Augsburg zur Volkszählung 1939.

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Gebiete um Kirch- und Spitalgasse sowie an Mittlerem und Hinterem Lech im östlichen Ulrichsviertel und um Paradies-, Meister Veits-, Kurzem und Langem Lochgäßchen in der südlichen Jakobervorstadt. Geht man davon aus, daß die Altstadtbevölkerung einen erheblichen Teil der Augsburger Fabrikarbeiter des 19. Jahrhunderts gestellt hatte, so wird man einen starken Ubergang von Handwerksgesellen, Taglöhnern, Knechten und Fuhrleuten zur Industrie anzunehmen haben. Gegen einen hohen Anteil proletarisierter ehemaliger Mittelständler spricht der bis auf das östliche Ulrichsviertel nicht augenfällige Hausbesitz von Arbeitern wie überhaupt der überdurchschnittlich hohe Anteil an Mietwohnungen 24 . Ja, die Altstadt war, wie das hier vor 1914 besonders verbreitete Schlafgängerunwesen25 und der hohe Ledigenanteil der Bevölkerung noch 1933 andeuten, bevorzugte Durchgangsstation für neuangekommene Arbeitskräfte, die sich hier jedoch nur selten auf Dauer niederließen. Neben den von jeher verwurzelten Elementen waren die persönlich weniger mobilen, die älteren und vor allem die schlecht bezahlten Arbeiter zurückgeblieben. Andererseits neigten kapitalkräftige, ausweitungsfähige Gewerbebetriebe zur Abwanderung. Wohl waren 1925 noch über ein Drittel aller als »Fabriken« ausgewiesenen Betriebe auf dem Areal der Altstadt zu finden 2 ', doch handelte es sich fast ausschließlich um Klein- und Mittelbetriebe. Großindustriellen Charakter trug die im westlichen Ulrichsviertel, dem alten Brauerzentrum, gelegene Aktienbrauerei »Zum Hasen«, die nach dem Konzentrationsprozeß in diesem Gewerbezweig (zwischen 1873 und 1933 war die Zahl der Braustätten, einschließlich Mälzereien, von 64 auf 21 zurückgegangen) mit Abstand die höchste Produktion hatte und 1933 rund 300 Arbeiter beschäftigte. Die am Ostrand der Jakobervorstadt gelegene, 1882 durch Fusion entstandene Zündholzfabrik »Union« A G war nach Aufkauf durch einen schwedischen Konzern 1928 stillgelegt worden und hatte rund 400 Arbeitskräfte, darunter 2/j Frauen, entlassen.

Die Außenstadt In den seit 1860 ringförmig um die Altstadt gewachsenen Vierteln Ostend, Nordend, Wertachvorstadt, Westend und Südend, in denen 1933 mit rund 67 600 Personen 38,5 Prozent der Gesamtbevölkerung ansässig waren, hatte sich die Sozialstruktur der angrenzenden Altstadtquartiere meist fortgesetzt. Neben Wohnvierteln, in denen die Arbeiterschaft bis zu 71 Prozent der Einwohner stellte, waren Quartiere entstanden, in denen der Arbeiteranteil unter 5 Prozent lag. In den 1850er Jahren beginnend, hatte gegen Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts die Wohnbebauung der Gebiete mit der frühesten und stärksten industriellen Konzentration - Ostend, Nordend, Vorstadt rechts der Wertach - eingesetzt, z. T . auf dem " Ergebnisse der Wohnungszählung 1925. Arbeiten desStatistischenAmtesderStadt Augsburg, Heft 2. .Augsburg 1926, S. 32, 47. 25 Rost, a.a.O., S. 120f. 26 Augsburger Statistisches Taschenbuch, hrsg. vom Städtischen Statistischen Amt. Augsburg 1927, S. 91.

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Boden bis ins Mittelalter zurückreichender Ansiedlungen, die an den Ausfallstraßen in Richtung Landsberg, Friedberg und Ulm im Bereich des Wertachüberganges sowie im Gebiet der sogenannten Bleich außerhalb der Befestigungsanlagen bestanden hatten, deren Spuren nun aber rasch verschwanden27. Wir charakterisieren im Folgenden die einzelnen Außenstadtgebiete.

Das Ostend Das Ostend zerfiel in zwei, nur durch Industrieanlagen und schüttere Wohnbebauung verbundene Bereiche, deren Mittel- und Bezugspunkte Großbetriebe bildeten, die im wesentlichen bis 1860 entstanden waren. Im südlichen Teil lagen nebeneinander die »Augsburger Kammgarnspinnerei« (AKS), die Färberei und Bleicherei Martini und Co., die Weberei am Sparrenlech und die Neue Augsburger Kattunfabrik (NAK), im Norden und Osten die Teilbetriebe der Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA), die Weberei am Fichtelbach und die Baumwollfeinspinnerei; dazwischen die erst nach 1900 zu größeren Betrieben angewachsenen Anlagen der Maschinenfabrik Kleindienst und Co., des Eisenwerks Frisch und der Baufirma Thormann und Stiefel. Die AKS hatte 1933 unter Einschluß ihrer Webereiabteilung mit rund 2450 Beschäftigten, davon etwa 58 Prozent Frauen, den höchsten Belegschaftsstand ihrer Geschichte erreicht. An über 96 000 Spindeln wurde Doppelschicht gearbeitet. 1836 von Nürnberg übersiedelt, hatte sich das Unternehmen zu einem der größten wollverarbeitenden Betriebe im Zollverein entwickelt und 1867 bereits etwa tausend Arbeiter gezählt". Nach vorübergehendem Beschäftigungseinbruch 1927/28 konnte die AKS durch Neueinstellung von rund 500 Personen während der Wirtschaftskrise zur Entlastung des Augsburger Arbeitsmarktes beitragen. Zum Kerngebiet des Ostends gehörte die seit 1854 von der AKS errichtete, bis 1935 auf 356 Wohnungen anwachsende Werkswohnsiedlung, das sogenannte Kammgarnquartier. Im Osten und Norden des Viertels erstreckten sich die weitläufigen Anlagen der SWA. Mit rund 3450 Beschäftigten bildete die SWA im Sommer 1933, wenigstens der Arbeiterzahl nach, den größten Betrieb Schwabens29. Das Unternehmen war 1837 als kombinierter Spinnerei- und Webereigroßbetrieb gegründet worden und hatte sich bis 1910 auf vier Einzelwerke - die Spinnereien Altbau und Rosenau sowie die Spinn Webereien Proviantbach und Aumühle - ausgedehnt. Nach Aufholen von Rationalisierungsrückständen durch Ausbau der Mehrstuhlbedienung, Automatisierung und Ubergang zur Doppelschicht bei zeitweiligem Personalabbau befand sich die SWA seit 1931 in günstiger Entwicklung. 1933 wurde der Produktionsstand von 1913 wieder erreicht30. 17

Schröder, a.a.O., S. 164f.; Zum Alter der Wohngebäude Rost, a.a.O., S. 39. Genzmer, Werner: Hundert Jahre Augsburger Kammgarn-Spinnerei 1836/1936. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Wollgewerbes. Augsburg 1936, S. 68. " Und zwar aufgrund des im Vergleich zur MAN geringeren Angestelltenanteils. Vgl. Kluftinger, Hermann: Die technische Entwicklung der Werke seit dem Jahre 1900, in: Hundert Jahre Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg. Augsburg 1937, S. 177. 30 Lindenmeyer, Otto: Das letzte Vierteljahrhundert, in:Hundert Jahre Mechanische Baumwollspinnerei, a.a.O., S. 123. 2S

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Der Betrieb hatte durch Einrichtung einer Weberschule zur Heranbildung einer einheimischen Textilarbeiterschaft beigetragen. Uberalterungstendenzen in der Belegschaft nach Kriegsende - 1927 knapp 59 Prozent weibliche Arbeiter - war mit relativ gutem Erfolg durch Werbung von Jungarbeitern entgegengearbeitet worden". An den Westrändern des Viertels hatten sich um Johannes Haagstraße sowie an Friedberger- und Prinzstraße Wohngebiete mit starker Angestelltenbevölkerung entwickelt. Keimzellen des Ostends waren jedoch das Kammgarnquartier und die Arbeiterkolonien der SWA um Lechhauser-, Oblatterwall-, Johannes Haag-Straße, wo der Bau fabrikeigener Wohnungen 1862 aufgenommen worden war, und am Proviantbach - das seit 1892 entstandene Proviantbachquartier. Bis 1921 waren die Wohnsiedlungen auf 400 Einheiten angewachsen. Die Arbeiterkolonie mit schematischem Grundriß, gleichförmigen, allerdings bei Häusern für Meister und Angestellte großzügiger gestalteten Wohnungen und zum Teil, so im Kammgarnquartier, kleinen Gartenparzellen fand bei weiteren Betrieben Augsburgs Nachahmung. Die meist zwei bis vier Zimmer umfassenden Wohneinheiten, im Mietniveau erheblich unter dem Marktpreis, waren trotz zusätzlicher Verpflichtungen, die ihre Bewohner gegenüber dem Betrieb eingingen, etwa der Mitarbeit in den Werksfeuerwehren, sehr begehrt gewesen, hatten jedoch für die nach 1914 herangewachsene Arbeitergeneration, die ein von der Arbeitswelt unbeeinflußtes Privatleben höher schätzte, an Attraktivität verloren, zumal der Vorteil des kurzen Arbeitsweges nach Ausbau der innerstädtischen Verkehrsmittel - seit 1880 Pferdebahnen, seit 1897/98 elektrische Straßenbahnen - nur vermindert ins Gewicht fiel. Das Bemühen der Großbetriebe, durch Beschaffung billigen Wohnraumes, Einrichtung und mehrheitliche Finanzierung von Krankenkassen, Unterstützungs- und Pensionsfonds, Fabriksparkassen sowie Bädern, Kindergärten und Bibliotheken eine Stammarbeiterschaft zu erhalten, die um dieses Netzes an sozialer Sicherung willen niedrigere Löhne und auch ein gerüttelt Maß an Bevormundung in Kauf nahm, hatte die Augsburger Textilindustrie in ihren Aufbaujahren zum regierungsamtlich empfohlenen Modell für ganz Bayern werden lassen'2, war allerdings auch im patriarchalischen Selbstverständnis des meist protestantischen frühen Augsburger Großunternehmertums begründet. Noch 1925 waren rund 38 Prozent aller Wohngebäude im Ostend im Besitz von Aktien- und sonstigen Handelsgesellschaften". Dort hatte sich bis zur Jahrhundertwende wie in keinem Arbeiterviertel, vom Südteil der Vorstadt links der Wertach abgesehen, eine Großblockbauweise (Häuser mit 3—4 Stockwerken) verbreitet, ohne jedoch infolge günstiger Raumeinteilung, Versorgung mit Wasser, Gas und Elektrizität sowie Abwasserbeseitigung zum vernachlässigten Mietskasernenviertel abzusinken34. Bereits 1904 hatte die dortige Bevölkerung geringe Neigung zum Wohnungswechsel und eine die Altstadtviertel übertreffende Bezugsdauer gezeigt35 - zweifellos ein beachtenswerter Erfolg der betrieblichen Sozialpolitik. 1933 war das Ostend bei tendenzieller 31 32 33 34 35

Kluftinger, a.a.O., S. 174. Genzmer, a.a.O., S. 103. Wohnungszählung 1925, a.a.O., S. 32. Statistisches Taschenbuch, a.a.O., S. 93 und Wohnungszählung, a.a.O., S. 51, 59. Rost, a.a.O., S. llOff.

2. D a s O s t e n d : M e c h a n i s c h e B a u m w o l l s p i n n e r e i u n d W e b e r e i A u g s b u r g (SW A). W e r k e A u m ü h l e u n d P r o v i a n t b a c h ; links das P r o v i a n t b a c h q u a r t i e r ( u m 1918).

3. V o r den T o r e n d e r S W A ( u m 1912). 4. W e r k s w o h n u n g e n d e r S W A im P r o v i a n t b a c h q u a r t i e r - e r b a u t seit 1892.

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Die Industriestadt Augsburg

Überalterung der Bevölkerung allerdings zum Abwanderungsgebiet geworden, das binnen acht Jahren über ein Zehntel seiner Bevölkerung eingebüßt hatte. 1939 waren bei einem Verhältnis von knapp 14 Werkswohnungen pro 100 Gefolgschafter neben zahlreichen Rentnern und Arbeiterwitwen noch 19,5 Prozent der SWA-Belegschaft im Ostend ansässig (AKS 2 5 % , Fichtelbach-Weberei 2 3 % und Martini knapp 17%) J 6 . Das einstmals typische Arbeiterviertel - 1880 waren 61,8 Prozent der Einwohner der Fabrikarbeiterschaft zugeordnet worden" - zeigte starke soziale Durchmischung. Am Rande der Fabriklandschaft befand sich mit dem Schlacht- und Viehhof als einem Treffpunkt von Viehhändlern, Bauern und Metzgern ein völlig andersgeartetes Element, das zur Nachbarschaft der Industriearbeiter auf Distanz hielt. Als Produkt von ohne alten Kern auf freier Fläche angesiedelten Industrieanlagen besaß das Ostend kaum ein Eigenleben als Stadtteil. Seine Arbeiterschaft orientierte sich, sieht man von den aus Fabrikkantinen und -restaurationen entwickelten Wirtschaften ab, mehr nach der nahen Jakobervorstadt. Neben den von Betrieben geförderten Gesangsund Sportvereinen aus Belegschaftsmitgliedern bestand kein bodenständiges Vereinswesen. Bezeichnenderweise war die 1924 als Seelsorgebezirk errichtete Pfarrei St. Simpert am Proviantbach die kleinste und wohl auch ärmste katholische Gemeinschaft im Stadtbereich. Soziale Zusammensetzung des Ostend (nach der Volkszählung vom 17. Mai 1939)

Arbeiter

Angestellte

Beamte

pjaus_ ..

Selbständige

%

%

%

%

%

43,2

23,9

7,8

3,5

7,1

Mitarbeitende FamilienAngehörige

Berufslose Selbständige

1,0

13,5

%

%

Nordend und Wertachvorstadt Pfärrle und Jakobervorstadt vorgelagert, Schloß sich, seit Ende der 1860er Jahre auf der sogenannten Bleich entstanden, im Norden die Klauckevorstadt an, die mit den Werkskolonien von Stadtbachspinnerei und M A N sowie einem vorwiegend von Angestellten- und Beamtenschaft bewohnten Gebiet um den Pfannenstiel das Nordend bildete. Vom linken Lechufer bis zum Übergang in die Wertachvorstadt reihte sich hier Großbetrieb an Großbetrieb. Neben dem in den 1870er Jahren aufgenommenen Werkswohnungsbau (1875 Entstehung der MAN-Siedlung an der Sebastianstraße) trat im Nordend mit den Blöcken der auf Initiative des Liberalen Arbeitervereins gegründeten Baugenossenschaft Augsburg ein weiterer Typus geregelter Wohnraumbeschaffung auf. Als Zuzugsgebiet für qualifizierte Kräfte der Maschinenindustrie hatte das Viertel

56

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Stadtarchiv Augsburg (StdA), 45/982, Untersuchung über die Werkswohnungen der Industrie (1939); dort absolute Zahlenangaben. Ergebnisse der Volkszählung von 1880 bei Fischer, a . a . O . , S. 108.

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(1880: 60,6% Fabrikarbeiter, 2 1 , 2 % Handwerker) 58 seine Homogenität eingebüßt. Wie das Ostend durch Gewerbeflächen in weiterer Bebauung behindert, hatte das Nordend seit der Jahrhundertwende ebenfalls eine beruhigte Bevölkerungsentwicklung mit seit 1925 rückläufiger Tendenz aufzuweisen. In der Werkskolonie - rund 400 Wohnungen der Stadtbach-Spinnerei, die einst mit Stolz auf die Unterbringung von nahezu der Hälfte der Belegschaft verwiesen hatte, waren 1939 nicht einmal mehr ein Fünftel der beschäftigten Arbeiter ansässig. Immerhin lag in diesem Bereich der Arbeiteranteil noch bei über 70 Prozent. Die Baumwollspinnerei am Stadtbach, 1853 zur Deckung des Garnbedarfs der Augsburger Webereien eröffnet, war einst die größte reine Spinnerei des Zollvereins gewesen. Unter Einschluß der Belegschaften der 1914 bzw. 1927 als Werk II und III angeschlossenen Wertach- und Senkelbach-Spinnereien zählte das Unternehmen, dessen Aktienmehrheit der Langenbielauer Dierig-Konzern erworben hatte, 1933 noch rund 2000 Beschäftigte, obwohl das Werk III seit 1931 weitgehend stillag. Zweitgrößtes Textilunternehmen des Nordends war die seit 1864 vom Gründer der Maschinen- und Bronzewarenfabrik L. A. Riedinger aufgebaute Buntweberei, die 1933 1200 Personen, davon 68 Prozent Frauen, beschäftigte. Ludwig August Riedinger hatte 1859 in unmittelbarer Nähe des seit 1840 bestehenden Vorläuferbetriebes der M A N eine Maschinenfabrik gegründet, die 1927 nach schweren Krisen mit noch rund tausend Beschäftigten als Teilwerk dem benachbarten Unternehmen eingegliedert worden war. Beide Betriebe hatten aufgrund der Rüstungsaufträge während des Ersten Weltkrieges eine Hochkonjunktur erlebt. Die vor 1914 auf Dieselmotoren, Druckereimaschinen und Kälteanlagen konzentrierte Produktion war zum Rüstungszentrum für U-Boot-Waffen und Artillerie geworden (1917/18 mit 10 000 Arbeitern allein bei MAN). Mitte der 20er Jahre hatte die M A N noch rund 5000 Personen beschäftigt. Diese Belegschaft schmolz bis 1933 auf 3500 Personen, darunter 2700 Arbeiter, zusammen. Der Niedergang dieser einstigen Musterbetriebe der Augsburger Maschinenindustrie war ein Paradigma der Krise der süddeutschen Metallindustrie und ein besonderer Schlag für die Wirtschaft und den angesehensten Teil der Arbeiterschaft Augsburgs, galten die Beschäftigten von M A N und Riedinger (1930 mit einem Facharbeiteranteil von 50 Prozent) doch als Typus der gutverdienenden, qualifizierten, die »Weiberarbeit« in den Textilfabriken verachtenden Arbeiteraristokratie. In manchen Familien hatten schon drei Generationen in den Maschinenfabriken eine Lebensstellung gefunden". Die Stammbelegschaft der Facharbeiter fühlte sich den Werken verbunden und war in Augsburg meist fest verwurzelt. Über 95 Prozent der MAN-Belegschaft war in Augsburg ansässig, rund ein Fünftel zumal in den nahegelegenen Wohngebieten des Nordends, der nördlichen Altstadt und der Vorstadt rechts der Wertach 40 . Ein Unternehmen anderer Branche im Nordend war die Haindl'sche Papierfabrik am Stadtbach, der Typus eines patriarchalischen Familienunternehmens, das sich hier neben den Aktien-Gesellschaften der Textil- und Maschinenindustrie erhalten hatte. Die

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" 40

Ebenda. Foth, Werner: Soziale Chronik aus hundert Jahren M . A . N . Unveröffentl. Ms. (im MAN-Archiv), 1943, S. 25. Zum Wohnungswesen der M A N siehe Foth, a . a . O . , S. 501 ff.

5. Das N o r d e n d : Blick auf die Anlagen der Maschinenfabrik A u g s b u r g - N ü r n b e r g ( M A N ) und der Stadtbachspinnerei; im Vordergrund Teile der Papierfabrik Haindl und des Stadtbachquartiers; im Hintergrund die Buntweberei Riedinger und Teile der Wertachvorstadt und Oberhausens (1921).

6. Werksiedlung der M A N - die Kolonie Sebastianstraße (erbaut 1875/1889). 7. Werkswohnungen der M A N - Innere Uferstraße/Angerstraße (erbaut 1898/99).

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Haindl'sche Fabrik hatte trotz Kurzarbeit 1931/32 größere Entlassungen vermeiden können41 und zählte 1933 rund 320 Beschäftigte. Gescheitert war dagegen ein anderes Unternehmen der Familie Riedinger: die seit 1897 vom Sohn des Firmengründers an der Wertach errichtete Ballonfabrik war nach der Kriegskonjunktur auf Möbelbau umgestellt worden, hatte aber 1931 mit 200 zur Entlassung kommenden Arbeitern in Liquidation gehen müssen. Jenseits des Senkelbachs war zwischen 1870 und 1910 als eines der am dichtesten bewohnten äußeren Stadtviertel mit überwiegender Arbeiterschaft die Wertachvorstadt entstanden. Zunächst noch von durchaus ländlichem Charakter, von ebenerdigen Häusern mit kleinen Gärten aufgelockert bebaut, in denen 1880 neben rund 42 Prozent Fabrikarbeitern 34 Prozent Handwerker wohnten 42 , war die Vorstadt mit dem weiteren Zuzug von Arbeitern ein Opfer der Bodenspekulation geworden, die Quartiere billig gebauter Mietskasernen hatte entstehen lassen, die sich rasterförmig, in rechtwinklig sich kreuzenden Straßenzügen, eintönig aneinanderreihten. Die größten Mißstände waren links der Wertach, zumal in dem südlich der Ulmer Straße gelegenen Teil, zu finden. 1904 waren hier durchschnittlich 25 Personen auf ein Wohngebäude (städtischer Durchschnitt: 17 Personen) entfallen. Die dichteste Belegung der Wohnräume war mit dem höchsten Anteil küchenloser Wohnungen und dem häufigsten Wohnungswechsel verbunden4'. Die Schäden der Gründerzeit hatten weitergewirkt. Noch 1925 hatte die Vorstadt den höchsten Anteil an Kleinwohnungen - 50,8 Prozent (gegenüber 32,8% im Augsburger Durchschnitt) - und, gemeinsam mit dem Lechviertel, der Jakobervorstadt und Lechhausen, die schlimmsten sanitären Verhältnisse- 61,6 Prozent der Wohnungen ohne eigenen Abort, unter hundert Wohnungen eine mit Badezimmer. Die Bevölkerung des ebenfalls stark von Arbeitern bewohnten, jenseits des Hettenbachs angrenzenden Oberhausen, das bereits äußerlich durch das Vorherrschen ebenerdiger und eingeschossiger Häuser von der Vorstadt unterschieden war, hielt gegenüber den »Hettenbachern« meist auf Distanz. Die schon vor 1914 als »Glasscherbenviertel« bezeichnete Vorstadt galt nach 1918 als »Spartakistennest«, wo der in bürgerlichen Kategorien denkende Betrachter in den trostlosen Straßenzügen den die Hände in den Hosentaschen verbergenden untätigen Eckensteher mit Schlägermütze und im Mundwinkel hängender Zigarette zu entdecken hoffte. Hier ließ es sich in den Wirtschaften aber auch gemeinsam zurückhassen. Hier konnte man Kommunist sein, ohne als moralisch defekt oder als Provokateur zu gelten. Stabilisierende Elemente wie der Genossenschaftsbau des Bayerischen Eisenbahnerverbandes (1900/1902) oder der für Bereiche der Außenstadt überdurchschnittliche Anteil der Arbeiter unter den Hausbesitzern (1925 knapp 19 Prozent) hatten den von keinem anderen Stadtviertel erreichten Bevölkerungsrückgang - nahezu 14 Prozent zwischen 1910 und 1935 trotz hoher Geburtenrate - nicht verhindern können. Besser stand es im Viertel rechts der Wertach, wo wie im Nordend und Ostend der Werks- und Genossenschaftswohnungsbau günstigere Sozialdaten gesetzt hatte. Die 41

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Hundert Jahre Georg Haindlsche Papierfabriken. Eine Gedenkschrift, hrsg. von den Georg Haindlschen Papierfabriken. Augsburg 1949, S. 129ff. Daten der Volkszählung von 1880; bei Fischer, a . a . O . , S. 108. Rost, a . a . O . , S. 53, 7 4 - 7 9 , HOf.

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1908 gegründete Allgemeine Baugenossenschaft für Augsburg und Umgebung hatte auf der Basis der Zusammenarbeit von Stadtgemeinde, Freien Gewerkschaften und Mieterverein den größten Teil ihrer rund 550 bis 1933 geschaffenen Wohneinheiten in Blocks rechts der Wertach errichtet, so den bis 1926 ausgebauten »Riedingerpark«, wo über die »Arbeitergenossenschaft« ein geschlossenes sozialistisches Milieu konsolidiert worden war. Wohnungen von M A N , Buntweberei und Wertach-Spinnerei waren hinzugetreten. Hier lagen der Saalbau »Elysium« und die »Schwedenlinde«, neben dem »HirschbräuSaal« der Klauckevorstadt oder dem »Weißenburger Hof« in Pfersee Hauptversammlungslokale von Linksparteien und Gewerkschaften; an den Rändern der Vorstadt lagen der als Kundgebungsgelände beliebte Kleine Exerzierplatz und das Volkshaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB). Soziale Zusammensetzung der Wertachvorstadt (nach der Volkszählung vom 17. Mai 1939)

Stadtviertel

Rechts der Wertach Links der Wertach (Süd) Links der Wertach (Nord)

Arbeiter

Angestellte

Beamte

Haus-

Selb-

angestellte

ständige

%

%

%

%

%

45,1 53,8 58,8

22,5 12,7 10,5

6,4 6,7 3,1

2,4

6,6 8,1 8,9

1,5 1,6

Mitarbei- Berufslose tende F a m . SelbAngehörige ständige

%

%

1,1 1,6 1,4

15,8 15,4 15,6

Westend und Südend Innerhalb der seit dem 19. Jahrhundert herangewachsenen Außenstadt unterschied sich vor allem das Westend von den Industrie- und Arbeitervierteln im Osten und Norden. Nach Abbruch des westlichen Mauerrings hatte sich im Gebiet zwischen der Altstadt und dem seit 1844 erbauten Hauptbahnhof in sehr großzügiger Straßenfühung ein wohlhabendes Wohn- und Dienstleistungsviertel mit Repräsentationsbauten wie dem Justizgebäude (1871/75) und dem neuen Theater (1876/77), gehobenen Einzelhandelsgeschäften, Hotels, Anwaltskanzleien und Arztpraxen entwickelt. Die Bereiche jenseits der Bahnlinie München-Augsburg-Ulm, der Rosenauberg und das Südwestend an der Ausfallstraße nach Göggingen, nach Errichtung der Artillerie- (1868) und der Infanterie-Kaserne (1882) sowie der Landmaschinenfabrik von Epple und Buxbaum und der Zahnräderfabrik Renk stärker bebaut, waren durch Anlage des Stadtgartens mit Sängerhalle (1900) und Ludwigsbau (1913) aufgewertet worden. Mit dem Thelottviertel war seit 1907 ein Quartier mit der in Augsburg bis dahin seltenen Kategorie des gehobenen Einfamilienhauses in Eigenbesitz sowie Beamtenwohnungsbau für Eisenbahner entstanden. 1927 bis 1931 hatten sich drei Wohnhöfe der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (Richard Wagner-, Schubert-, Lessinghof) mit knapp 950 Bewohnern angeschlossen. In diesen Angestellten- und Beamtenvierteln sank der Arbeiteranteil, der im Bereich von Renk und Epple und Buxbaum immerhin rund die Hälfte der Bevölkerung umfaßte, zum Teil auf unter 5 Prozent — den niedrigsten Wert der Gesamtstadt.

Die Industriestadt Augsburg

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Das Südwestend war durch die Krise in der Metallindustrie stark betroffen. Die Belegschaft der Zahnräderfabrik hatte sich bis 1933 mit rund 400 Personen gegenüber 1927 etwa halbiert. Die Tore von Epple und Buxbaum, dem nach MAN und Riedinger ältesten Großbetrieb der Maschinenindustrie, wo bereits 1926 Massenentlassungen unter den damals 1400 Beschäftigten stattgefunden hatten, waren seit Mai 1931 ganz geschlossen. An den Rändern des Südwestends, an Schertlin- und Lindauerstraße, existierten seit 1919 städtische Wohnbaracken als Asyl für verarmte, oft kinderreiche Familien, aber auch asoziale Elemente, deren Lebensführung ebenso wie deren kommunistische Präferenzen ein Dauerärgernis für die bürgerliche Nachbarschaft bildeten. Den am spätesten für eine ausgedehntere Wohnbebauung erschlossenen Bereich der Außenstadt bildete das Südend, stärkstes Wachstumsgebiet zwischen 1880 und 1910, dessen ursprüngliche Struktur (1880: 55,4% Handwerker und Fabrikarbeiter44) durch die Neubauwelle stark verändert worden war. Dieses Gebiet zerfiel 1933 in drei unabhängig gewachsene Siedlungsareale. In Anlehnung an die Westend-Quartiere war seit den 1890er Jahren südlich des Kaiserplatzes das Bismarck-Viertel in Großblockbauweise (1904 Vi aller Gebäude mit mehr als zwei Etagen und geräumigen, teueren Wohnungen) entstanden, wo das Arbeiterelement maximal 17 Prozent der Bevölkerung erreichte. Südlich der Infanterie-Kaserne, wo 1933 nur noch ein Bataillon der Reichswehr untergebracht war, hatte die Eisenbahn-Verkehrsverwaltung seit 1910 an Schertlin-, Hochfeld- und Firnhaberstraße Personalwohnungen errichtet und damit den Ansatzpunkt für einen neuen, durch Wohnblocks geprägten Stadtteil, das Hochfeld, gegeben, der in den 1920er und 30er Jahren eines der wichtigsten städtischen Zuwachsgebiete darstellte. Dort hatte das 1922 vom Mieterverein initiierte »Siedlungswerk Augsburg und Umgebung« der konstanten Wohnungsnot in Augsburg ebenso abzuhelfen versucht wie die 1924 gegründete »Gemeinnützige Bau- und Spargesellschaft der Freien Gewerkschaften in Augsburg und Umgebung« (Gebas). Deren über die freigewerkschaftliche »Bauhütte Schwaben und Neuburg« erstellten 123 Wohnungen waren im Generalakkord in der in Augsburg vorher nicht existierenden Form des geschlossenen Wohnhofes errichtet worden. Weitere Gebas-Vorhaben hatte die Wirtschaftskrise verhindert, die diese Gewerkschaftswohnungen für die breite Arbeiterschaft unerschwinglich machte. Die Gartensiedlung am Spickel im Osten des Südends, auf Genossenschaftsbasis seit 1918 für »minderbemittelte, mittelständische Bevölkerung unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsbeschädigten und kinderreichen Familien« konzipiert45, hatte regen Zuzug von Angestellten und Beamten aus der Innenstadt erfahren. Die industriellen Betriebe des Südends lagen im wesentlichen entlang der Ausfallstraße nach Haunstetten, sieht man von der auf dem Gelände der einstigen Schüleschen Manufaktur betriebenen Weberei Nagler und Sohn und dem Reichsbahnausbesserungswerk ab. Neben einer Düngemittel- und einer Hutfabrik ist die Nähfadenfabrik Schürer (1886 dorthin verlegt) erwähnenswert, die 1933 etwa 450 Beschäftigte zählte, davon 75 Prozent Frauen. Waren Schürer und die Hutfabrik Lembert relativ gut über die Krise 44 45

Daten der Volkszählung von 1880; bei Fischer, a.a.O., S. 108. Denkschrift über die Tätigkeit der Baugenossenschaften in Augsburg. Augsburg 1929, S. 71.

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gekommen, so befanden sich die weiter südlich gelegenen Bayerischen Flugzeugwerke, 1916 als Zweigwerk der Berlin-Johannisthaler Flugzeugfabrik gegründet (bei Kriegsende mit rund 1000 Beschäftigten), seit 1932 in Konkurs, nachdem der Versuch gescheitert war, dem durch die Versailler Auflagen gelähmten Betrieb durch den Bau von Schuldoppeldeckern mit etwa 150 Arbeitern ein Überleben zu sichern. Soziale Zusammensetzung des Westend und Südend (nach der Volkszählung vom 17. Mai 1939)

Stadtviertel

Bahnhofs-Bismarck-Viertel Stadtj äger-Viertel Rosenau-Thelott-Viertel Antons-Viertel Hochfeld Spickel

Arbeiter

Angestellte

Beamte

Hausangestellte

Selbständige

%

%

%

%

%

18,6 16,7 7,8 27,6 37,6 16,7

21,9 26,2 33,3 19,6 27,3 37,7

17,0 20,3 29,5 20,1 16,9 19,7

8,8 6,2 4,2 3,5

16,1 11,5 10,6 7,7 4,2 8,4

1,8 3,8

Mitarbei- Berufslose tende F a m . SelbAngehörige ständige

%

%

1,5 1,2 1,3 0,9 0,7 0,8

16,1 17,9 13,3 20,8 11,4 12,9

Die Arbeitervororte (Lechhausen, Hammerschmiede, Firnhaberau, Pfersee, Kriegshaber, Oberhausen, Bärenkeller, Hochzoll, Siebenbrunn) Eine zum Teil erheblich stärkere Konzentration von Arbeiterbevölkerung als in den östlichen und nördlichen Teilen der Altstadt und den industriellen Quartieren der Außenstadt herrschte in den zwischen 1910 und 1916 eingemeindeten Vororten, die im Sommer 1933 mit 62 270 Einwohnern mehr als ein Drittel der Bevölkerung Augsburgs stellten. Mit Abstand größter Vorort (1933 über 23000 Einwohner) war das am rechten Lechufer gelegene Lechhausen. Einst bayerischer Brückenort gegenüber der Reichsstadt, hatte der 1900 noch zur Stadt erhobene Ort vor der Eingemeindung (1913) durch die bei Augsburg liegenden Lechwasser-Nutzungsrechte nur geringe eigene Industrialisierungsansätze entwickeln können und war in die Rolle eines Arbeiterwohnbezirks für die Betriebe des Ostends und Nordends verwiesen worden. Nach 1917 bestand als einziger Großbetrieb die Bleicherei, Färberei und Druckerei Heinrich Prinz Nachf. mit (1933) rund 400 Beschäftigten. 1933 gab es in Lechhausen noch drei bis vier Dutzend Vollbauern und über hundert Nebenerwerbslandwirte. Das alte Dorf dehnte sich, mit dem vorstädtischen Zentrum des »Schlößle«, im Zuge der Industrialisierung mit großer Geschwindigkeit aus. Zwischen 1818 und 1910 wuchs die Einwohnerschaft von 2095 auf 18 405 Personen an, davon mindestens zwei Drittel in Augsburg beschäftigte Fabrikarbeiter, die in dem weiten Kranz der Neubaugebiete Lechhausens mit seinen gleichförmigen Straßen meist in kleinen, ebenerdigen oder einstöckigen Häuschen wohnten (1925 über ein Viertel davon im Besitz von Arbeitern). Zwischen 1911 und 1917 errichtete die Baugenossenschaft des »Arbeitervereins vom Werk Augsburg« (AVA) der M A N Werkswohnungen

8. Arbeitervororte: D e r dörfliche Kern von Lechhausen (um 1920).

9. Haindlsche Stiftungshäuser am Rande der Klauckevorstadt.

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in Großbauweise (Lützow-, Leipzigerstraße). Kleinwohnhäuser entstanden fast gleichzeitig durch die 1908 gegründete Baugenossenschaft Lechhausen in der Birkenau (Schillstraße). 1927/28 errichtete die städtische Wohnungsbaugesellschaft den Birkenhof und den Richard-Strauß-Hof, seit 1919 die Genossenschaft »Im eigenen Heim« in Lechhausen neben Einfamilienhäusern auch Wohnblocks (z. T. als Werkswohnungen von der Firma Prinz genützt). Kanal- und Straßenbau waren auch nach der Eingemeindung nur langsam fortgeschritten. Erschreckende hygienische Verhältnisse hatten Kinder- und Tuberkulosesterblichkeit schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts anschwellen lassen. Handwerk und Einzelhandel litten unter der Stadtorientierung der Arbeiterschaft, von der sie wirtschaftlich abhängig waren. 1939 waren in den drei Lechhauser Bezirken rund 3300 Arbeiter aus Textilgroßbetrieben wohnhaft, darunter nahezu 38 Prozent der Belegschaft der S WA, 25 Prozent der AKS und über 45 Prozent der Baumwollfeinspinnerei 4 '. Im Norden Lechhausens waren auf Gemeindegrund seit 1921 die Arbeitergartensiedlungen Firnhaberau und (seit 1932/33) Hammerschmiede entstanden; beide ursprünglich von ausgesteuerten Arbeitslosen besiedelt, die sich am Heimstättenbau selbst beteiligten. Das Pfarrdorf Pfersee war - anders als Lechhausen - im 19. Jahrhundert Ansiedlungsgebiet bedeutender Industriebetriebe geworden: der Spinnerei und Weberei Krauss und Sohn - später Spinnweberei Pfersee (1866), der Mechanischen Weberei am Mühlbach (1886) sowie der Mechanischen Buntwebereien von J . P. Bemberg (1892) und Raff (1897), die Pfersee zu einem Nebenzentrum der Textilindustrie und Mittelpunkt eines eigenen Pendlerverkehrs machten. Trotz Konzentration dieser Betriebe, zu denen seit den 1890er Jahren die Anlagen der Laubsägen- und Uhrfedernfabrik J . N . Eberle u. Cie. getreten waren, im Norden und Osten Pfersees, wo manche Straßenzüge an Trostlosigkeit der Wertach- und der Klauckevorstadt nicht nachstanden, war die Integration der Arbeiterschaft in einen bürgerlichen Kontext stärker gelungen als in Lechhausen und Oberhausen, wo die Arbeiterbevölkerung das numerisch alles überlagernde Element geworden war. Hierzu hatte beigetragen, daß sich unter den zugewanderten und primär stadtorientierten Kräften ein höherer Anteil von Angestellten und Beamten befand - vor allem in Pfersee Süd - und sich ein ausgeprägtes Stadtteilbewußtsein erhalten hatte, getragen von der ursprünglich überwiegend am Ort beschäftigten, vergleichsweise günstig wohnenden Bevölkerung, die sich in einer Vielzahl von Vereinen und Gaststätten begegnete. Die Spinnerei und Weberei Pfersee wies 1939 mit weitem Abstand das günstigste Verhältnis zwischen Belegschaftshöhe und Zahl der Werkswohnungen unter allen Augsburger Großbetrieben auf. Nahezu 61 Prozent der Belegschaft dieses Betriebes wohnte in Pfersee (Raff 5 7 , 5 % , Mühlbach-Weberei 4 5 , 6 % , Bemberg 3 4 , 6 % , Eberle 24,2%) w . Die wirtschaftliche Lage der Pferseer Betriebe, vor allem der Kunstseide verarbeitenden Buntweberei J . P. Bemberg, die den höchsten Frauenanteil der Augsburger Textilfabriken (nahezu 8 0 % ) aufwies, war mit Ausnahme von Raff und Söhne relativ günstig. Dies gilt auch für die Laubsägenfabrik Eberle, wo sich seit dem Weltkrieg 46 47

Absolute Zahlen in Untersuchung über die Werkswohnungen der Industrie (1939), StdA 45/982. Ebenda.

10. Pfersee: Blick auf Spinnerei und Weberei Pfersee, Weberei j . P. Bemberg und MühlbachWeberei; im Hintergrund die Wertachvorstadt, der kleine Exerzierplatz und das Stadtjägerviertel (1920). 11. Das Südwestend: Artilleriekaserne und Landmaschinenfabrik Epple und Buxbaum; Blick auf das Westend und St. Ulrich und Afra, rechts das Bismarck-Viertel (1920).

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Frauenarbeit ( 3 0 % der Beschäftigten) wie in keinem anderen Metallbetrieb der Stadt durchgesetzt hatte. Das von Pfersee durch den großen Exerzierplatz getrennte Kriegshaber, erst 1916 nach Augsburg eingemeindet, hatte seit den 20er Jahren mit der Anlage von Neukriegshaber unmittelbaren baulichen Anschluß an das Stadtgebiet gefunden. Einziger Großbetrieb war hier die 1898 gegründete Maschinenfabrik Keller und Knappich (Bau von Azethylenapparaten) gewesen, die 1933 allerdings fast völlig zum Erliegen gekommen war. Einstmals die größte, nunmehr fast erloschene Judenkolonie vor den Toren der Reichsstadt, zeigte Kriegshaber noch am ehesten die Merkmale des Handwerker- und Tagelöhnerdorfes, wo eine bodenständige Bevölkerung in breiter Front zur Fabrikarbeiterschaft übergegangen war. Neben Hochzoll und Siebenbrunn hatte sich ländlicher Siedlungscharakter hier am deutlichsten erhalten - der Anteil der Wohngebäude nur mit Erdgeschoß lag 1925 bei nahezu einem Drittel, der bis zur Höhe eines Stockwerks bei über 82 Prozent (Oberhausen 7 0 % , Lechhausen 6 8 % ) . Daneben wies Kriegshaber die meisten Arbeiter unter den Hausbesitzern auf ( 3 5 % ) . Das im Nordwesten der Stadt an die Wertachvorstadt grenzende Oberhausen, ein altes Pfarrdorf mit ursprünglich wohlhabender landwirtschaftlicher und Handwerkerbevölkerung, war im Sog der Augsburger Industrie zu einem Problembereich mit üblen Wohn-, Verkehrs- und Schulverhältnissen geworden, die einen Anschluß an Augsburg hatten notwendig erscheinen lassen. 1910 hatte Oberhausen mit 38,6 Prozent jährlichen Todesfällen pro tausend Einwohner gemeinsam mit Lechhausen 48 (Augsburg: 18,1, östliches Ulrichsviertel: 24,9) bayerische Rekord werte erreicht. 1914 waren hier von hundert Lebendgeborenen nahezu 30, in Lechhausen über 25 und links der Wertach 23, im Westend hingegen nur mehr 5 Prozent im ersten Lebensjahr gestorben 4 '. Weiter unbefriedigende Verhältnisse bei tendenzieller Besserung hatten Alt-Oberhausen zum Abgabegebiet werden lassen, in erster Linie zugunsten des seit Anfang der 20er Jahre entstandenen Stadtteils Oberhausen-Nord, wo neben der städtischen Wohnungsbaugesellschaft auch die 1921 von den christlichen Gewerkschaften gegründete Baugenossenschaft »Augusta« aktiv geworden war. 1933 lebten dort bereits 4700 Personen, davon 3800 in den Wohnhöfen Buchenau, Weidenau, Lindenau, Eschenhof und Ulmenhof. Kommunikationszentrum blieb zunächst der alte Ortskern und der WertachvorstadtBereich um die Wertachbrücke, wo sich ein wie in allen ehemals selbständigen Vororten reich entwickeltes bürgerliches Vereinsleben abspielte, neben dem sich, mit zeitlicher Verzögerung, entsprechende Arbeitervereinigungen gebildet hatten. Neben Volksschullehrern war vor allem das industrielle Rahmenpersonal, z. B . die vor 1914 kulturell recht aktiven Textilmeister, beim Aufbau von Vereinen hervorgetreten. Arbeiter stellten auch hier, wie überall in den Vorstädten, das Gros der Mitglieder der Kriegervereine. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatten sich in Oberhausen zwei größere Industriebetriebe angesiedelt: 1876 die Mechanische Weberei M . S. Landauer (1933 rund 350 Beschäftigte) und 1895 die Schuhfabrik August Wessels, die, 1931 mit Unterstützung 48 49

In Lechhausen kamen im Jahr 1906 auf 1000 Einwohner 42,4 Sterbefälle. Kommunale Mitteilungen Nr. 266 (1933).

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der Stadt vor der Stillegung bewahrt, seit 1927 um etwa ein Drittel der Belegschaft reduziert, als Typus des saisonabhängigen Unternehmens mit stark schwankender, zwei Drittel Frauen umfassender Belegschaft (1933 durchschnittlich 700-1000 Beschäftigte) weiterbetrieben wurde. Etwa eineinhalb Kilometer nordwestlich von Oberhausen wurde 1933 mit der Anlage der Gartensiedlung Bärenkeller begonnen — wie die Firnhaberau zur Seßhaftmachung von Arbeitern konzipiert, die in einer Siedlergenossenschaft vereinigt waren. Die beiden kleinsten eingemeindeten Vororte Hochzoll und Siebenbrunn im Südosten bzw. im Süden der Stadt besaßen ursprünglich dörflich-bäuerliches Gepräge. Davon zeugten 1933 noch eine Reihe landwirtschaftlicher Betriebe. Aus der ehemaligen kurfürstlichen Zollstätte am Lechübergang und einer Kolonie protestantischer Siedler aus dem Ries zu einer Gemeinde vereinigt, war Hochzoll durch den Zuzug katholischer Fabrik- und Eisenbahnarbeiter seit 1890 (Bau der Bahnlinie Augsburg-Ingolstadt) stark angewachsen. Siebenbrunn (Meringerau), vielleicht eine ehemalige Hugenottenkolonie, wies 1933 noch den höchsten Protestantenanteil Augsburgs (40%) auf. Jeweils über die Hälfte ihrer Einwohner waren der Arbeiterschaft zuzurechnen, wobei in Hochzoll vor allem Pendler wohnten, die im Ost- und Südend arbeiteten. Die Siebenbrunner Arbeiter waren hingegen überwiegend in der 1866 dort gegründeten Weberei beschäftigt, der nahezu ein Drittel der Wohngebäude gehörte, oder in den Betrieben des nahegelegenen Haunstetten, wo sich bereits 1832 und 1856 mit der Färberei und Bleicherei des Clemens Martini und der Spinnweberei am Brunnenlech Textilbetriebe angesiedelt hatten, deren rund tausend Arbeiter sich überwiegend aus bodenständigen Kräften rekrutierten. Wie Haunstetten war im Südwesten der Stadt auch Göggingen (1933 knapp über 7000 Einwohner) außerhalb der Stadtgrenzen geblieben, obwohl der Wirtschafts-Verbund mit Augsburg stark war. Im 18. Jahrhundert Sitz einer bischöflichen Fayencemanufaktur und Schwerpunkt des Uhrmacherhandwerks, hatte sich in Göggingen mit der Niederlassung der orthopädischen Heilanstalt des Friedrich Hessing (1869) bis zum Weltkrieg einerseits ein reger Kurbetrieb entwickelt, andererseits, in scharfem Kontrast hierzu, durch die räumlich benachbarte Ausbreitung von Industrieanlagen und Wohnungen der seit 1863 in Göggingen Nähgarn produzierenden Zwirn- und Nähfaden-Fabrik (ZNFG) ein Arbeiterzentrum. Durch die ZNFG, die 1912 mit knapp 1500 Beschäftigten den Höchststand ihrer Belegschaft erreicht hatte (1933 rund 1350 Arbeiter), waren seit 1873 in drei Bauabschnitten Arbeiterkolonien errichtet worden50. Die Arbeiterschaft hatte schon vor 1914 die an Landwirtschaft und Handwerk gebundene bodenständige Bevölkerung zahlenmäßig übertroffen51, zumal neben mehreren Ziegeleien und einer Brauerei im Anschluß an die Betriebe des Südwestends sich auch hier eine Maschinenund eine Möbelfabrik angesiedelt hatten. Der gegenseitige Arbeiteraustausch mit Augsburg war intensiv: 1908 waren etwa ein Fünftel der in Göggingen beschäftigten Fabrikarbeiter Pendler aus Augsburg gewesen. 1933 waren in einigen Betrieben rund 75 Prozent, in der ZNFG wohl annähernd die Hälfte der Belegschaft Stadtbewohner,

50 51

S toll, a.a.O., S. 245. Nach Auflistung aller Berufe der Haushaltsvorstände und der alleinstehenden Personen (Stoll, a.a.O., S. 269) ergibt sich für 1912 ein Arbeiteranteil von 53-54%.

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während Göggingen wiederum durch den Niedergang der Metallindustrie des Südwestends betroffen wurde. Soziale Zusammensetzung der Augsburger Arbeitervororte (nach der Volkszählung vom 17. Mai 1939)

Stadtviertel

Lechhausen-Süd Lechhausen-Ost Lechhausen-West Firnhaberau Hammerschmiede Pfersee-Süd Pfersee-Nord Kriegshaber Oberhausen-Süd Oberhausen-Nord Bärenkeller Hochzoll Siebenbrunn

Arbeiter

Angestellte

Beamte

Haus-

Selb-

angestellte

ständige

%

%

%

%

%

60,3 63,2 56,2 75,5 84,7 38,1 44,6 48,9 53,9 64,0 82,0 52,0 55,3

10,3 8,2 14,3 8,1 4,0 18,4 16,6 14,8 10,6 14,6 7,2 13,6 9,7

2,1 2,3 4,4 0,7 0,9 13,6 12,0 9,4 3,7 8,4 2,4 7,1 5,0

1,7 1,4 1,6 0,7 1,0 2,8 2,1 1,6 0,7 0,8 0,8 2,2 2,3

8,1 9,6 8,0 4,3 3,6 10,3 8,4 9,6 9,7 4,2 2,4 8,8 9,7

Mitarbei- Berufslose tende F a m . SelbAngehörige ständige

%

%

1,8 2,6 2,0 0,9 0,9 1,9 1,2 1,8 2,4 0,6 0,3 2,1 6,8

15,6 12,7 13,6 9,8 4,8 15,0 14,9 14,0 17,5 7,5 4,7 14,1 11,1

Wichtigste Neubaugebiete seit 1933 wurden Lechhausen-Nord, Oberhausen-Nord und -West, Spickel, Hochzoll und Hochfeld. Zwischen 1933 und 1939 wurden über 5100 Wohnungen neu zur Verfügung gestellt, wenngleich bei Uberbieten der Durchschnittswerte der Jahre 1924 bis 1928 das Rekordergebnis von 1929 - Errichtung von 1420 Wohnungen in einem Jahr - nicht erreicht wurde. Trotz dieser Anstrengungen herrschte in der Stadt seit 1935 durch starken Zuzug von auswärts und steigende Eheschließungsziffern weiterhin verschärfte Wohnungsnot. Unter Weiterführung von Programmen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft - Schließung von Baulücken in OberhausenNord, Errichtung des Angerhofes in Pfersee-Nord (1934/35) - und von Baugenossenschaften bei Wiederbelebung des Werkswohnungsbaus - vor allem der M A N - in herkömmlicher Blockbauweise lag das Gewicht des öffentlichen oder öffentlich geförderten Neubaus in der NS-Zeit verstärkt auf den Kleineinheiten von Ein- bis Vierfamilienhäusern mit Gärten im Rahmen des Konzepts der Seßhaftmachung durch Bildung von Kleineigentum. 1933/34 wurden drei neue Gebiete mit Siedlerstellen in städtischer Erbpacht - Kleestraße, Friedbergerstraße, Bärenkeller - erschlossen, während die Hammerschmiede weiter ausgebaut wurde. Hammerschmiede und Firnhaberau wuchsen von 1933 bis 1939 um über 80 Prozent ihrer bisherigen Bevölkerung. Am Bärenkeller errichtete das Bauunternehmen der D A F , die »Neue Heimat«, von 1935 bis 1939 in acht Abschnitten rund 850 sogenannte Volks- und Kleinwohnungen, was die Einwohnerzahl dieser vorstädtischen Gartensiedlung auf 4900 Personen ansteigen ließ. Weitere Volkswohnungsgebiete der D A F , die seit 1938 zum Kontingentträger für Werkstoffe wurde, entstanden 1938 am Birkenhof (Lechhausen-Nord) und in der Lindenau (OberhausenNord).

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Innerhalb der älteren städtischen Quartiere wurden Bauvorhaben am Lueginsland, in der Klauckevorstadt und im Ostend durchgeführt. Daneben beschäftigte sich ein neugeschaffenes städtisches Bauamt für Altstadtsanierung mit Planungen zur Auskernung der Altstadtinnenhöfe und für Straßendurchbrüche. Eine erste größere Baumaßnahme wurde hierbei 1936/38 im östlichen Ulrichsviertel vorgenommen. Die von der »Karl Wahl-Stiftung« 1934/35 an der Haunstetter Straße in der Nähe der Flugzeugwerke errichtete »Siedlung des Volkes«, in deren 59 Wohnungen in Ein-, Zweiund Vierfamilienhäusern nach einer Richtlinie des Gauleiters Karl Wahl nur gut beleumundete, gesunde, möglichst in Arbeit stehende Bewerber aufzunehmen waren, erwies sich bezüglich der Entlastung der Wohnsituation als Blendwerk. Wenig mehr als ein Viertel der dadurch freiwerdenden Wohnungen wies größere Mißstände auf. Bezeichnenderweise hatte der Gauleiter empfohlen, »alte Kämpfer« auch dann aufzunehmen, »wenn dieselben heute eine gute Wohnung innehaben«, gleichzeitig aber die Aufnahme von Kriegsbeschädigten, »die fremder Hilfe bedürfen«, abgelehnt52. Da Wahl »in der Hauptsache brave, anständige Arbeiterfamilien . . . und zwar Arbeiter, die eine schwere Arbeit zu verrichten haben«, aufnehmen wollte, waren rund 60 Prozent der ersten Siedler »Handwerker und Werkarbeiter«53. 1939 waren 53,8 Prozent Arbeiter ansässig. Die Siedlung war somit im Vergleich zu den Kolonien Firnhaberau, Hammerschmiede und Bärenkeller soziales Mischgebiet wie die übrigen Bereiche des Hochfelds, wo im Anschluß an die 1928/29 errichtete Kriegergedächtnissiedlung 1936/37 rund 470 Wohnungen für Beschäftigte der Flugzeugwerke gebaut wurden. Von Sommer 1933 bis Herbst 1938 stieg die Einwohnerzahl von Göggingen, Haunstetten, Stadtbergen, Deuringen und Steppach um insgesamt 32 Prozent, die der Stadt hingegen um knapp 5 Prozent - auf rund 184 700. Die Steigerungsrate lag in Haunstetten, wo Werkswohnungen für Messerschmittangehörige errichtet wurden, bei 64, in Stadtbergen bei nahezu 120 Prozent. Die in dem Volkszählungsergebnis von 1939 festgehaltene soziale Verteilung der Bevölkerung in den Stadtbezirken zeigt, daß im Altstadtbereich die alten Strukturen mit den Schwerpunkten der Arbeiterbevölkerung im östlichen Ulrichsviertel und der Jakobervorstadt weitgehend erhalten blieben, während in der Außenstadt die Arbeiterviertel des 19. Jahrhunderts sich stärker zum sozialen Mischgebiet hin veränderten, und in den nach 1918 entstandenen Wohnsiedlungen sich die Tendenz zur gesellschaftlichen Segregation fortsetzte.

52 53

StdA 45/1242, Richtlinien Wahl. Amtsblatt Stadt Augsburg vom 3. 8. 1935.

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3. Lage der Arbeiterschaft und Entwicklung der Arbeiterbewegung

vor 1914

Voraussetzung für ein gemeinsames Agieren der Arbeiterschaft zugunsten einer Verbesserung ihrer gesellschaftlichen und materiellen Position war die Entwicklung eines die Gleichartigkeit ihrer Probleme erkennenden Bewußtseins. Hindernisse für diesen Prozeß waren zunächst die Heterogenität der ersten Arbeitergeneration, dann das Entstehen neuer Hierarchien durch Spezialisierung und Einzelleistungslohn. In der Textilindustrie bestand vor allem zwischen männlichen und weiblichen Arbeitern ein großes Gefalle. Zumal die älteren Spinner und Weber empfanden sich gegenüber den Arbeiterinnen, deren Anteil in der Textilindustrie zunehmend stieg (1885:41,5%, 1900:56,2%, 1924:63,9% der Beschäftigten)54 vielfach als Rahmenpersonal, obwohl bereits die bis zur Jahrhundertwende gebräuchliche Prämienentlohnung als Vorläufer des seit 1900 zur Einführung gelangten Akkordlohns tüchtigen Arbeiterinnen trotz niedrigerer Grundlöhne ein Überflügeln männlicher Kollegen ermöglicht hatte. Die Differenzen zwischen niedrigsten und höchsten Löhnen für weibliche Textilarbeiter hatten 1874 in Baumwollwebereien bei rund 53 Prozent, in Baumwollspinnereien, Kattundruckereien, Kammgarnspinnereien und Garnzwirnereien zwischen 69 und 85 Prozent und in kombinierten Baumwollspinnereien und -webereibetrieben wie der SWA, wo über ein konsequentes Prämiensystem die höchsten Löhne erzielt wurden, bei 157 Prozent gelegen. Trotz des in der gesamten Großindustrie zu beobachtenden stärkeren Aufholens unterer Lohngruppen verdienten Frauen 1911/12 in der SWA im Durchschnitt um 39, in der AKS um 100 Prozent weniger als Männer. Zwischen unterster und oberster Entlohnungsstufe klaffte eine Differenz von 370 Prozent55. Trotz des durch den Krieg begünstigten Nivellierungsprozesses und der Einführung von Tarifverträgen war große Lohndifferenz laut Reichslohnerhebung von 1920 weiter ein Kennzeichen der Augsburger Textilindustrie56. In der Metallindustrie lagen die Löhne der gelernten Arbeiter, etwa der Former, zu Beginn der Industrialisierung zum Teil höher als die des Textil-Aufsichtspersonals, waren später aber durch die Einarbeitung von Hilfsarbeitern und Anlernkräften unter Druck geraten. Die Spannweite der Entlohnung zwischen Angelernten und Hilfsarbeitern — die letzteren stellten um 1890 bis zu einem Drittel der Belegschaften — in diesem bis zum Weltkrieg fast durchwegs männlichen Gewerbezweig war geringer als in der Textilindustrie, blieb aber auch hier beträchtlich. Um die Jahrhundertwende hatten Dreher und bei Montagearbeiten eingesetzte Schlosser das Lohnniveau der Former erreicht. Die wöchentliche Arbeitszeit lag bei den Metallbetrieben 1914 im allgemeinen bei 56 bis 57 Stunden. In den Textilbetrieben wurde 1908 fast generell der Zehnstundentag eingeführt.

54 55 56

Fischer, a.a.O., S. 161 und Düll, a.a.O., S. 43. Fischer, a.a.O., S. 163. Geyer, Karl: Die Entwicklung der Löhne in der südbayerischen Textilindustrie vom Jahre 1914 bis 7. Oktober 1922. Diss. München 1922, S. 21ff.

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Eine politische Vertretung der Arbeiterschaft vermochte sich in Augsburg nur schwer durchzusetzen. Reichsstädtische Tradition im Spannungsverhältnis von Bischofsstadt mit tiefem katholischen Hinterland und einem gesellschaftlich überproportional einflußreichen Minderheitenprotestantismus hatten das politische System der Stadt seit dem Vormärz geprägt. Protestantisches Bürgertum hatte den Kern des Augsburger Liberalismus gebildet, der, seit 1866 eindeutig kleindeutsch orientiert, aufgrund des Klassenwahlrechts bei den Kommunalwahlen bis 1908 ausschließlich und bis 1918 mehrheitlich Gemeindebevollmächtigtenkammer und Magistrat der Stadt beherrschte. Demgegenüber stellte die Patriotenpartei, das spätere Zentrum, aufgrund des allgemeinen gleichen Wahlrechts bei den Reichstagswahlen im Wahlkreis Augsburg, der auch große Teile des bäuerlichen Umlandes der Stadt umfaßte, von 1874 bis 1918 in ununterbrochener Folge die Vertretung Augsburgs im Reichstag in Berlin. Wahltopographisch hatten sich bei den ersten direkten Wahlen die Trennungslinien zwischen bürgerlichen und bischöflichen Bereichen wie auch zwischen »oberer« und »unterer« Stadt, deutlich abgezeichnet. Hatten die Liberalen ursprünglich neben den großbürgerlichen Altstadtvierteln, dem Lechviertel und der Jakobervorstadt auch die seit 1860 entstehenden Erweiterungsgebiete beherrscht, so war es ihnen nur 1871 gelungen, die katholische Bastion des im Schatten von Dom und St. Stephan gelegenen Pfärrle zu brechen. Weit über die Kulturkampfzeit hinaus beherrschte infolge der starken beiderseitigen Positionen die Konkurrenz von bürgerlichem Liberalismus und »populistischem« Katholizismus die politischen Auseinandersetzungen in Augsburg. Dieser Wettstreit hatte zur Folge, daß die Liberalen, um den Zentrumsvertreter zu stürzen, bei der Stichwahl zum Reichstag im Jahre 1912 ihren Wählern den sozialdemokratischen Kandidaten empfahlen. Dies konnte dem Zentrumsmann zwar nicht die hauchdünne Mehrheit und damit das Mandat verwehren, brachte den Sozialisten aber in 41 von 45 städtischen Stimmbezirken die Majorität. Nachdem die Sozialdemokraten ab 1890 zur dritten politischen Kraft in Augsburg herangewachsen waren (Reichstagswahlergebnisse: 1871 2,4%; 1890 21,8%, 1912 29,8%), ergab sich bei den Landtagswahlen des Jahres 1912 eine Dreiteilung der politischen Repräsentation in den drei Augsburger Landtagswahlkreisen. Der Wahlkreis Augsburg I (Teile der Altstadt, bürgerlicher Erweiterungsbereich) fiel an einen Liberalen, der Kreis Augsburg II (Altstadtgebiete, Vorstädte) an einen Sozialdemokraten und der Kreis Augsburg III (Umland mit Oberhausen und Pfersee) an einen Zentrumskandidaten. Auch im gesellschaftlichen Leben der Stadt konkurrierte bürgerlich-liberales Vereinswesen mit katholischen Vereinen. Während ein Teil der späteren Arbeitervereine sich im Zeichen der liberalen Genossenschaftsidee entwickelt und später ζ. T. von ihr emanzipiert hatte, entfaltete sich ein anderer Teil im Rahmen des katholischen Vereinswesens. Seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts war Augsburg zu einem Zentrum der katholischen Arbeitervereine geworden. Dieser Erfolg war Ausdruck des Willens zur Integration in bürgerliche Lebensordnungen, zumal bei jenen Arbeitern, in denen nichtindustrielle Reminiszenzen am lebendigsten waren. Er bot auch eine der Voraussetzungen für die Stärke der wirtschaftsfriedlichen Bewegung in Augsburg vor 1914. Dem Bewußtsein der überzeugt katholi-

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sehen Arbeiter kam entgegen, daß der Sozialkatholizismus vor allem korporative Ordnungsmodelle als Heilmittel gegen Nivellierungs- und Entfremdungserscheinungen im Gefolge der Industrialisierung propagierte. Die hohe weibliche Beschäftigungsrate in der Augsburger Industrie bedeutete eine weitere Sperre für eine Mobilisierung zugunsten sozialistischer Ziele, da der Klerus seinen Einfluß auf die weibliche Bevölkerung behielt. Die Leistungen der nichtkirchlichen Wohlfahrtsverbände, etwa der Arbeiterwohlfahrt, vermochten auch nach dem Ersten Weltkrieg nicht mit denen der an die Tradition kirchlicher Armenpflege anknüpfenden Caritas Schritt zu halten. So wurde ζ. B. die Armenspeisung des unmittelbar neben der M A N gelegenen Kapuziner-Klosters St. Sebastian von Verarmten aus dem gesamten Augsburger Norden, darunter vielen alten, invaliden oder beschäftigungslosen Arbeitern, in Anspruch genommen. Zahlreiche Anzeichen deuten darauf hin, daß starke kirchliche Bindung gerade im Umkreis der materiell schlechtestgestellten Arbeiterschaft bestand, unter Sozialrentnern, Arbeiterwitwen oder un- und angelernten Kräften der Textilbetriebe und des Handwerks. So stellten die zum Lechviertel gehörenden Katholiken der Pfarrei St. Moritz die Kerntruppe der Kirchenbesucher, während sich die des »besseren Viertels«, westlich der Maximilianstraße, »gern >rar< machten« 57 . Ein großer Teil selbst der sozialdemokratisch und kommunistisch gesinnten Arbeiter schreckte trotz weitverbreiteter religiöser Indifferenz vor dem Kirchenaustritt als einem Bruch mit tradierten Werten zurück. Bis 1925 waren von der gesamten Bevölkerung Augsburgs nur 2307 Personen einer Vereinigung außerhalb der religiösen Großgruppen angeschlossen oder hatten die gemeinschaftslose Dissidenz gewählt. Auch nach einer stärkeren Austrittsbewegung seit 1929 wuchs diese Zahl bis 1933 nur auf 3733 Personen (2,1% der Bevölkerung). Einige christliche Sekten - Neuapostolische, Adventisten und Bibelforscher - hatten seit den letzten Kriegsjahren einige hundert Anhänger, vornehmlich Arbeiter, gewonnen. Verhältnismäßig viele Dissidenten und Sektenanhänger wohnten in der Wertachvorstadt, in den neuen Arbeiterquartieren Oberhausen-Nord (4,0%), Hammerschmiede (3,6%), Firnhaberau (4,6%) und in Siebenbrunn (6,9%). Noch 1933 wurden in Augsburg 92,7 Prozent der Ehen rein katholischer Partner kirchlich getraut, 92,3 Prozent aller Verstorbenen kirchlich beerdigt. Wie in anderen industriellen Zentren Deutschlands war auch in Augsburg das Arbeitervereinswesen von bürgerlich-liberaler Seite ausgegangen. 1848 bis 1850 hatte ein Arbeiterbildungsverein bestanden. Der 1862 gegründete Arbeiterfortbildungsverein verfocht als zeitweiliges süddeutsches Zentrum die Ideen Schulze-Delitzschs und vermittelte den in ihm vereinigten Arbeitern kleindeutsch-nationale und wirtschaftsfriedliche Gesinnung. Von führenden Industriellen Augsburgs finanziert, vermochte der bis 1934 existierende Arbeiterfortbildungsverein zwar keine große Zahl von Arbeitern zu binden, markierte mit seiner wirtschaftsfriedlichen Einstellung aber eine Tendenz, die im Gegensatz zur erstarkenden Sozialdemokratie und den ihr nahestehenden Freien Gewerkschaften besondere Bedeutung erhalten sollte. 16 Handwerksgesellen gründeten im März 1864 im Zuge der Auseinandersetzung zwischen Schulze-Delitzsch und Lassalle in Augsburg die erste bayerische Sektion des 57

Pfarrarchiv St. Moritz (Augsburg), Tagebuch Johann Baptist Föhr, Eintrag vom 17. 11. 1935.

D i e Industriestadt A u g s b u r g

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Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Die auch in Augsburg besonders selbstbewußten und gut organisierten Gesellen des Druckereigewerbes hatten bereits 1848 einen ersten Ortstarif erreicht und stellten der Augsburger Arbeiterbewegung in der Folgezeit einige führende Köpfe. Zu ihnen gehörte der Schriftsetzer Leonhard Tauscher, der Augsburg Ende der 60er Jahre zum wichtigsten Agitationszentrum des Lassalleanismus in Bayern machte und 1868/69 rund zehn Berufsfachvereine gründete — mit einer zahlenmäßigen Stärke, die erst um die Jahrhundertwende von den Freien Gewerkschaften wieder erreicht wurde58. Aus einer Absplitterung entstand daneben im Herbst 1869 eine von Metallarbeitern getragene Augsburger Sektion der Internationalen Gewerksgenossenschaften, ein direkter Vorläufer des freigewerkschaftlichen Metallarbeiterverbandes (DMV), der bedeutendsten Einzelgruppe der 1896 gegründeten Dachorganisation des Augsburger Gewerkschaftsvereins. Im Juni 1871 waren in der Wertachvorstadt und in Lechhausen auch die ersten Stützpunkte des »Sozialdemokratischen Vereins« gegründet worden. Beide Stadtteile blieben auch später Keimzellen der sozialistischen Bewegung Augsburgs, ζ. B. beim Aufbau des Arbeitervereinswesens, der U S P D und der K P D . Die Lechhausener Sozialdemokraten bildeten stets einen traditionsbewußten, eigenwilligen Faktor in der Augsburger SPD. Das Sozialistengesetz zerschlug diese Ansätze und brachte einen politischen wie personellen Bruch. Seine Folgen lahmten den Neuaufbau der Parteiorganisation seit Ende der 1880er Jahre für einen langen Zeitraum, während dessen die einstige Schrittmacherfunktion Augsburgs für die bayerische Sozialdemokratie endgültig verlorenging. Syndikate und Parteigruppen wurden in die Illegalität gedrängt, unterhielten aber Tamvereine, Unterstützungskassen und Lesezirkel, in denen eingeschmuggelte Zeitungen gelesen wurden - so die in London erscheinende Freiheit des aus Augsburg stammenden ehemaligen Reichstagsabgeordneten und Anarchisten Johann Most. Inzwischen waren katholische und liberale Arbeiterorganisationen auf den Plan getreten. Nachdem 1853 in Augsburg ein katholischer, 1858 dann ein protestantischer Gesellenverein gegründet worden war, tat sich 1874 ein »Christlich-Sozialer Arbeiterverein« zusammen, initiiert von dem damaligen Benefiziaten Anton Hauser, der auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes den kirchlichen Einfluß in einer durch das Reichstagswahlrecht politisch aufgewerteten sozialen Großgruppe kämpferisch zu sichern bemüht war. Die Aktivitäten zur Erfassung kirchlich gesinnter und staatsloyaler Arbeiter in katholischen Vereinen, die durch Unterstützungs- und Sterbekassen zusätzlich attraktiv waren, erwiesen sich als erfolgreich. Die von ersten Stützpunkten in den Pfarreien St. Georg (Kreuz-, Georgsviertel, rechts der Wertach), St. Max (Jakobervorstadt) und St. Joseph (links der Wertach) ausgehende Stammgruppe warb bis 1899 1030 Mitglieder. Der sozialdemokratische Verein zählte um die gleiche Zeit rund 200 Angehörige. Eigene katholische Arbeitervereine entstanden außerdem in Pfersee (1890), Kriegshaber (1892), Oberhausen (1892), Göggingen (1877/1897) und Lechhausen (1899).

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Nach Maier, Georg:VomPostulatzumVerbandderdeutschenBuchdrucker, Mitgliedschaft Augsburg. Augsburg 1927, S. 65 sollen 1869 800 Textil- und 400 Metallarbeiter organisiert gewesen sein; siehe hierzu Fischer, a. a. Ο . , S. 250, Anm.

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Gerhard Hetzer Ein katholischer Arbeiterinnenverein, 1898 in Pfersee ins Leben gerufen, bildete den

Anfang einer weiblichen katholischen Arbeiterbewegung im Rahmen des seit 1891 bestehenden Verbandes nichtpolitischer katholischer Arbeitervereine Süddeutschlands (Sitz in München). Hatten dem »christlich-sozialen Arbeiterverein« 1878 neben einem Drittel Fabrikarbeiter vor allem schlecht entlohnte Eisenbahnarbeiter angehört, so entwickelten sich seit 1897 in der Auseinandersetzung mit den Anhängern integrierter Berufsfachabteilungen die ersten Verbände christlicher Gewerkschaften, zumal ein Textilarbeiterverband. Ihm gehörten 1912 rund 6 Prozent der in der Textilindustrie Beschäftigten an. Allerdings dominierten zunächst unter den in den christlichen Gewerkschaften Organisierten Beschäftigte des öffentlichen Dienstes (v. a. Eisenbahn), eine Entwicklung, die sich erst vor dem Weltkrieg zu verschieben begann (1905: 7 2 % , 1912: 4 1 % der Organisierten) 59 . 1883 hatte die Hirsch-Dunckersche Gewerkvereinsbewegung mit einer Vereinigung von Maschinenbau- und Metallarbeitern in Augsburg Fuß gefaßt. Die Gründung weiterer Verbände folgte nach 1890. Als Sammelbecken nicht konfessionsgebundener und bewußt nicht-sozialistischer Arbeiter verlangten sie ihren Mitgliedern bis 1902 bei Eintritt eine Reverserklärung gegen die Sozialdemokratie ab, zeigten sich später jedoch einer Zusammenarbeit mit den Freien Gewerkschaften geneigter, zumal als sie, bedroht durch die Werkvereinsbewegung, zu entschiedenerer sozialpolitischer Aktivität in den Betrieben gedrängt wurden. Als die Freien Gewerkschaften 1890 wieder legal in Erscheinung treten und einen schnellen Aufstieg verzeichnen konnten, standen ihnen mithin in Augsburg katholische und liberale Arbeiterorganisationen gegenüber, die in den 90er Jahren in verstärkter Rivalität ausgebaut wurden. Die beachtlichen Organisationserfolge der von staatlicher Seite noch immer des Anarchismus verdächtigten Freien Gewerkschaften führten 1893 zu einem förmlichen Gegenbündnis, dem »Verband ordnungsliebender Arbeiter« (später: »Wirtschaftlicher Verband Augsburger Arbeitervereine«), der bis 1903 bestand und dann infolge seiner konfessionellen und politischen Heterogenität zerfiel, in der Zeit seines Bestehens das Vordringen der sozialistischen Arbeiterbewegung aber stark zu bremsen vermochte. Die Wahlen zur Bestellung von Arbeitnehmer-Beisitzern beim Gewerbegericht Augsburg liefern ein Kriterium für die damalige Resonanz der sozialistischen wie der »ordnungsliebenden« Bewegung. Sowohl 1893, bei den ersten Gewerbegerichtswahlen in Augsburg, wie auch bei den nächsten Wahlen 1897 (und 1900 in Pfersee) erlangte das aus den Freien Gewerkschaften rekrutierte »Komitee klassenbewußter Arbeiter« aufgrund des geltenden Mehrheitswahlrechts die alleinige Vertretung der Arbeitnehmer. D o c h in zahlreichen Stimmdistrikten erzielten die »Ordnungsliebenden« beachtliche Erfolge, vor allem in einer Reihe von Großbetrieben, wo wirtschaftsfriedliche und leistungsorientierte Gesinnungen durch die patriarchalische Werkshierarchie seit langem gefördert worden waren. Vermochten die »klassenbewußten« Arbeiter 1897 im Bereich der Betriebe Epple & Buxbaum und Renk im Südwestend 64,7 Prozent, im Bereich der Betriebe Maschinenfabrik Riedinger und Buntweberei Riedinger im Nordend 68,6 "

Siehe Hengge, Max: Die Gewerkschaftsbewegung in Augsburg. Diss. München 1913, S. 2 2 - 2 8 .

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Prozent zu erlangen und auch unter den Arbeitern des Südends und rechts der Wertach die früheren Majoritäten »ordnungsliebender« Arbeiter zu brechen, so blieben die Bereiche M A N und Stadtbach-Spinnerei (52,4 % bzw. 58,9% für die »Wirtschaftsfriedlichen«) weiterhin widerstandsfähig60. Das war u. a. auch darauf zurückzuführen, daß der Verband der »Ordnungsliebenden« bei einigen, ζ. T. auch von den Sozialisten mitgetragenen Initiativen, etwa zur Abschaffung des Prämiensystems in der Textilindustrie, der Regelung industrieller Frauenarbeit, Einführung wöchentlicher Lohnzahlung oder Verbesserung der Wohnverhältnisse", gewisse Erfolge für die Arbeiter erreicht hatte. Die starke unternehmerische Unterstützung der »Ordnungsliebenden« zeigte sich, als sie den Freien Gewerkschaften über einen vom Industrieverein, dem gewichtigsten örtlichen Unternehmerzusammenschluß, finanzierten ersten zentralen Arbeitsnachweis das Wasser abzugraben versuchten. Das auf Druck der Kreisregierung im Jahre 1900 schließlich eröffnete städtische Arbeitsamt wurde von einem Großteil der Unternehmer bis zum Weltkrieg boykottiert. Der wirtschaftsfriedliche Zug in großen Teilen der Augsburger Arbeiterschaft war zweifellos stark geprägt von kollektiven Erfahrungen der Erfolglosigkeit gewerkschaftlicher Wirtschaftskämpfe einerseits und intensiver unternehmerischer Sozialpolitik andererseits. Zu den wenigen erfolgreichen Streiks in der frühen Gewerkschaftsgeschichte Augsburgs zählt ein Ausstand der Former in der Maschinenfabrik Augsburg im April 1869, mit Hilfe dessen es gelang, die Firma zur Entlassung eines den Arbeitern verhaßten aufsichtsführenden Angestellten zu veranlassen". Charakteristischer aber waren die erfolglos gebliebenen Versuche einzelner Arbeitergruppen oder Belegschaften, ihren Forderungen nach mehr Lohn, Milderung des Arbeitstempos, besserer Behandlung durch Vorgesetzte, Abschaffung der Fabrikstrafen, Vergütung für unverschuldete Zeitverluste bei Verarbeitung von minderwertigem Rohmaterial und schließlich nach unabhängigen Arbeiterausschüssen durch Streiks Nachdruck zu verschaffen. Mangels ausreichender Unterstützung waren die Streikenden meist zum Aufgeben gezwungen und Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt worden. So im September 1869 nach rund zweiwöchigem Ausstand im Vorläuferbetrieb der Spinnerei und Weberei Pfersee oder im Juni 1882 trotz eines Teilerfolges bei der SWA in mehreren Augsburger Textilbetrieben' 5 . Gerade in den Großbetrieben saßen die Unternehmer am längeren Hebel und verstanden es, die massive Maßregelung von »aufsässigen« Arbeitern wirksam mit der Prämiierung von »betriebstreuen« Fachkräften zu kombinieren, nicht zuletzt bei der bevorzugten Unterbringung in Werkswohnungen, der Aussetzung von Betriebspensionen u. a. Die Auseinandersetzung zwischen klassenkämpferischen und wirtschaftsfriedlichen Tendenzen in der Augsburger Industriearbeiterschaft bildete den Anlaß dafür, daß sich in den folgenden Jahren mit den von den Unternehmern geförderten Werksvereinen eine 60

Ergebnisse der Wahlen von 1893 und 1897 in den Augsburger Neuesten Nachrichten vom 1. 12. 1897.

"

Siehe Wohnungsenquete in Augsburg; veranstaltet und bearbeitetvom Wirtschaftlichen Verband der Arbeitervereine von Augsburg und Umgebung. Augsburg 1901. Fischer, a . a . O . , S. 252. Ebenda, S. 2 5 2 f f „ 291f.

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Erscheinungsform wirtschaftsfriedlicher, betriebsgebundener Arbeitervereinigungen herausbildete, wie sie in ähnlicher Bedeutung zu dieser Zeit in kaum einem anderen industriellen Zentrum Deutschlands auftrat. Am 19. April 1905 war in München ein Streik ausgebrochen, der im Mai mit der Arbeitsniederlegung von rund 80 Prozent der MAN-Arbeiter auf Nürnberg übergegriffen hatte. In Augsburg, in dessen MAN-Werk knapp 47 Prozent der Belegschaft nicht gewerkschaftlich organisiert gewesen waren64, hatten nur Werkstattversammlungen stattgefunden, bei denen Forderungen nach Tarifverträgen, Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen erhoben worden waren, bezeichnenderweise aber eine entsprechende Eingabe an die Direktion nach gewissen Vorleistungen unterblieben war. Dennoch waren seit 21. Juni rund 5600 Arbeiter in sechs Augsburger Betrieben für zwei Wochen ausgesperrt worden, während über 1600 Arbeitswillige weiter Beschäftigung oder Lohn erhalten hatten. Schließlich hatten bei Nichtbeteiligung von einem Drittel der Belegschaft 96,5 Prozent der MAN-Arbeiter für eine Wiederaufnahme der Arbeit zu den Arbeitgeberbedingungen gestimmt65. Auf dem Höhepunkt des Konflikts war aus der Sammlung Arbeitswilliger und Nichtorganisierter der »Arbeiterverein vom Werk Augsburg« der M A N (AVA) entstanden, der in der Folgezeit den Aufbau betrieblicher Wohlfahrtseinrichtungen mit Geldern der Direktion übernahm und sich zum bestaunten Modell einer Vereinigung betriebsloyaler, im Interesse ihres eigenen Fortkommens streitbar die Belange ihres Betriebes vertretender Arbeiter entwickelte. Er wurde, wie bereits erwähnt, auch zum Träger einer neuen Werkssiedlung der M A N in Lechhausen. Zum erklärten Feind der Freien Gewerkschaften wurde der AVA dadurch, daß er in der Augsburger Wirtschaftskrise der folgenden Jahre häufig Streikbrecher stellte, so 1907 bei einem zweimonatigen Brauerstreik und Bierboykott der Freien Gewerkschaften, der im Dezember 1908 zur Gründung einer gewerkschaftseigenen »Gesellschaftsbrauerei Augsburg GmbH« führte und die tarifliche Beschäftigung von 70 entlassenen Braugehilfen ermöglichte66, oder 1908 bei einem Formerstreik bei Riedinger 67 . Seit 1908 (bis 1917) Verwalter der Zentralunterstützungskasse und eines Schriftamtes mit Auskunftsstelle der wirtschaftsfriedlichen Dachverbände des Reiches, außerdem Herausgeber eines lautstarken Kampfblattes, erlangte der AVA über Augsburg hinaus Bedeutung, wenn er auch in dem Dickicht von Partei- und Wirtschaftsverbandsinteressen, das diese »gelbe« Bewegung umgab, keinen großen Einfluß gewinnen konnte, sondern letzten Endes auf ein Unternehmen (die M A N ) fixiert blieb, das, ähnlich dem wirtschaftsfriedlichen Zentrum Schneider-Le Creusot in Frankreich, mit seiner als elitär geltenden Stammarbeiterschaft über internationales Renommee verfügte. In Augsburg wurde AVA Vorbild für die Gründung einer Reihe weiterer Werksvereine in der Metall-,

Foth, a . a . O . , S. 352. Bitterauf, O t t o : Die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg A G ( M A N ) , ihre Begründung und Entwicklung bis zum Anschluß an die Gutehoffnungshütte. Ein Abriß ihrer Geschichte mit besonderer Berücksichtigung des Krieges und seiner Folgen. Augsburg 1924, S. 121. " Hirche, Kurt: Die Wirtschaftsunternehmen der Gewerkschaften. Düsseldorf 1966, S. 287. 6 7 Fischer, a . a . O . , S. 371.

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Textil-, Schuh- und Papierindustrie, die sich allerdings trotz zeitweiliger Organisationserfolge' 8 als weniger beständig erwiesen. Für einige Jahre bedeutete der Zulauf zu den Werksvereinen eine ernsthafte Bedrohung f ü r die gewerkschaftliche Organisation in den Augsburger Großbetrieben. Unter den freien Verbänden verloren der Textilarbeiterverband zwischen 1905 und 190743, der Metallarbeiterverband 14, der Schuhmacherverband über 75 Prozent seiner Mitglieder. Der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein der Maschinenbauer, der als einziger gewerkschaftlicher Verband in der M A N vor 1900 größeren Anhang besessen hatte, büßte 500 von 800 eingeschriebenen Mitgliedern ein". Zu ihrer Abwerbung hatte der A V A eine eigene Hilfskasse eingerichtet und den Verband der Komplizenschaft mit den Sozialisten verdächtigt. Der A V A betonte die altliberalen Grundsätze des Leistungsprinzips, des Sparens als »Grundbedingung persönlicher Freiheit« mit der Vision eines künftigen »Industriestaates« von Unternehmern und Arbeitnehmern unter Zurückdrängung staatlichen Einflusses. Das Häuflein überzeugter christlich organisierter Industriearbeiter wurde bis 1907/08 im Ausbau seiner Vereine gebremst 70 . In den katholischen Arbeitervereinen Augsburgs konnten sich seit 1910 die von der Münchener Verbandsleitung unterstützten Gegner der Werkvereinsbewegung nach heftigen Auseinandersetzungen mit den in der Tradition der »Ordnungsliebenden« stehenden, streikfeindlichen Verfechtern von Fachabteilungen in den eigenen Reihen durchsetzen 71 . Im Frühjahr 1913 schlossen die Arbeitervereine Kandidaten der »gelben« Liste bei den Gewerbegerichtswahlen aus, nachdem die Werkvereine, die im Jahre 1907, nach Einführung des Verhältniswahlrechts, sieben Mandate erlangt hatten, 1912 auf vier Mandate zurückgefallen waren (Freie Gewerkschaft 13, Christen 4, »Hirsche« 2)72. Auch der AVA, 1912 mit rund 2800 Mitgliedern unter den bereits abbröckelnden Werkvereinen noch auf seinem Höchststand, verlor in der Folgezeit rasch an Anziehungskraft — deutlich nach dem Kriegsausbruch 1914, als die M A N - D i r e k t i o n sich veranlaßt sah, ihre Zuwendungen an den A V A zu drosseln, ihm bisherige betriebliche sozialpolitische Aufgaben zu entziehen und die Versöhnung mit den Freien Gewerkschaften zu suchen. D e m 1916, nach Erlaß des Kriegshilfsdienstgesetzes, bei M A N gewählten Arbeiter-Ausschuß gehörten neben vier Freigewerkschaftlern nur noch drei AVA-Vertreter und je ein Hirsch-Dunckerscher und ein christlich Organisierter an. Unmittelbar vor der November-Revolution, als das Vereinsorgan des A V A zur nationalen Verteidigung im Sinne der Vaterlandspartei aufgerufen und damit in der Belegschaft erhebliche U n r u h e ausgelöst hatte, ließ die M A N -

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Mitgliederzahlen der verschiedenen Belegschaften Ende 1908: Haindl 89,5%, M A N 77,2%, Z N F G 70,8%, Wessels70,2%,BuntwebereiRiedinger49,6%,SWHaunstetten48,9%,SWA38,5%,Renkl5,2%,Maschinenfabrik Riedinger 14,5%. Bei Fischer, a.a.O., S. 312. " Zahlen bei Hengge, a.a.O., Tabelle IV. 70 Mitgliederentwicklung bei Hengge, a.a.O., Tabelle XI. 71 Gasteiger, Michael: Die gelben Gewerkschaften. Ihr Wirken und ihr Wesen. München 1909, S. 31, 166ff. ; Mattheier, Klaus: Die Gelben. Nationale Arbeiter zwischen Wirtschaftsfrieden und Streik. Düsseldorf 1973, S. 223, 236 Anm. 72 AmtsblattderStadtAugsburgvom22. 12. 1907undvom22. 12. 1912;Möhring,Marianne:100Jahreunterwegs. 1874-1974. Arbeiterverein Augsburg. Augsburg 1974, S 6 6 f .

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Direktion den Verein endgültig fallen". Im Dezember 1918 löste sich der AVA angesichts der Bildung der Zentralarbeitsgemeinschaft selbst auf. Im Gegensatz zur MAN, dem Kernbetrieb der »gelben« Bewegung, hatte diese in anderen Metallgroßbetrieben sehr viel weniger Resonanz gefunden, wohl aufgrund der hier starken freigewerkschaftlichen Tradition, die sich unter dem Sozialistengesetz offenbar sogar gefestigt hatte. Der Zulauf zu den freigewerkschaftlichen Verbänden, der sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg verstärkte, war durch die Werkvereinsbewegung nur vorübergehend gebremst worden, zumal der praktische Reformismus der Freien Gewerkschaften ihre Verteufelung als Anhänger des Umsturzes immer weniger überzeugend machte und auch die patriarchalische betriebliche Sozialpolitik der Augsburger Unternehmer die gravierenden sozialen Defizite (Fehlen kollektiver Tarifverträge und innerbetrieblicher Arbeiter-Mitbestimmung, etc.) nicht verdecken konnte. Der Stimmungsumschwung der Arbeiterschaft zugunsten der Gewerkschaften zeigte sich bei den Lohnbewegungen in der Augsburger Textilindustrie im Jahre 1912, die von einem gemeinsamen Ausschuß der Textilarbeiterverbände gesteuert wurden. Im Mittelpunkt der Aktionen, die von April bis September anhielten, stand die Forderung nach Abschluß von überbetrieblichen Tarifverträgen. Zur Erreichung dieses Ziels fand am 9. Juni 1912 auf dem Kleinen Exerzierplatz nahe der Wertach eine Demonstration statt, die mit über 20 000 Teilnehmern die größte Machtschau der Augsburger Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg darstellte und die Möglichkeiten der Aktivierung der Textilarbeiterschaft zu gemeinsamem gewerkschaftlichen Handeln eindrucksvoll aufzeigte. Inzwischen hatte auch die Sozialdemokratische Partei in Augsburg wieder Tritt gefaßt. Im Jahre 1908 war ihr trotz des sie benachteiligenden kommunalen Wahlrechts der Einzug in den Stadtrat gelungen, wo ihre Präsenz in der Folgezeit beständig, nicht zuletzt durch die Eingemeindung der Arbeitervorstädte, verstärkt wurde. Aber selbst dieser hohe Arbeiteranteil setzte die SPD bei Reichs- und Landtagswahlen bis 1914 nicht in die Lage, die Vorherrschaft des Zentrums in Augsburg zu brechen. In manchen Stadtvierteln dominierte sie freilich überlegen. Georg von Vollmar hatte bereits bei den Reichstagswahlen von 1890 in Pfersee II 60 Prozent, rechts der Wertach 59,0, links der Wertach 58,0 und 51,4, im angrenzenden Bereich Oberhausens 54,6 und in Lechhausen 52,9 Prozent der Stimmen erobert. Neben Gewerkschaftsangestellten, den Mitarbeitern der Konsumvereine oder des Parteiblattes Schwäbische Volkszeitung dominierten bis 1914 noch Handwerksmeister und Gastwirte unter den maßgeblichen Parteifunktionären. Führender Kopf der Partei war der Volkszeitungsredakteur Hans Rollwagen, ein aus Thüringen zugewanderter Schriftsetzer, der als Landtagsabgeordneter seit 1905 auf die reformistische Linie der bayerischen SPD-Mehrheit eingeschwenkt war. Bereits vor 1914 entfaltete sich ein sozialdemokratisches Vereinswesen, das sich zunehmend von den bürgerlichen Vereinen absetzte. Der 1875 gegründete Arbeitersängerbund Augsburg, eine in der Zeit des Sozialistengesetzes aktive »Sängergesellschaft Liederhalle« und der Lechhausener Gesangsverein »Wach auf« waren die Ansatzpunkte 73

StdA, 10/3746 II, Lagebericht Magistrat vom 9. 11. 1918.

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der Arbeitersängerbewegung. Dem 1920 gebildeten, zehn Vereine umfassenden Arbeitersängerkartell in Augsburg hatten sich auch ursprünglich bürgerliche Chöre aus überwiegend von Arbeitern bewohnten Stadtteilen angeschlossen, so der Volkschor »Harmonie« in Pfersee und der in Kriegshaber aus einem katholischen Arbeiterverein hervorgegangene »Liederkranz«. Ähnliches galt für die Arbeiterturnvereine, die schon 1897 bzw. 1899 in der Klauckevorstadt und in Lechhausen gegründet worden waren, den populären Radfahrerbund »Solidarität« (1900 gegründet), der bis 1920 zwölf Unterabteilungen entwickelte, oder den Touristen-Verein »Die Naturfreunde« für sozialistische Wanderer und Bergsteiger (1906 gegründet), der bis 1925 über tausend Mitglieder gewann. In Pfersee war 1908 aus proletarischen Wandervögeln, die aus Stuttgart stammten, den sogenannten Roten Falken, eine Vorläufergruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) gebildet worden.

4. Wirtschaftlich-soziale

und politische Entwicklung

in der Weimarer

Zeit

Nach der Ausnahmesituation der Kriegsjahre entstand mit der Rückkehr zur Friedenswirtschaft in zahlreichen Branchen der Metallindustrie eine kritische Lage. Einschneidende Veränderungen in der Arbeits- und Sozialpolitik hatten sich schon in der Kriegszeit vorbereitet. Die Nachkriegskonstellation, gekennzeichnet durch geringere industriewirtschaftliche Prosperität bei neuen sozialen Errungenschaften der Arbeiter, enthielt von vornherein den Keim starker Interessenskonflikte und entsprechender politischer Auseinandersetzungen. Wir wollen versuchen, diese bis zum Ende der Inflation (1924) reichende Krisenphase zu skizzieren. Während des Ersten Weltkrieges hatte die zunächst überwiegend für den zivilen Bedarf produzierende Augsburger Textilindustrie schwere Einbußen, die Metallindustrie dagegen einen rüstungswirtschaftlichen Boom erlebt. Aufgrund der Beschlagnahme von Woll- und Baumwollvorräten für den Heeresbedarf und behördlichen Spinn- und Webverboten war es seit August 1915 zu Entlassungen und Betriebseinschränkungen in den Textilfabriken gekommen. Mit bis zu 9600 ganz oder teilweise erwerbslosen Textilarbeitern hatte die Unterbeschäftigung im Winter 1915/16 einen ersten Höhepunkt erreicht. Trotz Teilumstellungen der Produktion auf den Rüstungsbedarf, Abwanderung von Arbeitskräften zur Maschinenindustrie und Herstellung von Ersatzgeweben mit Papiergarnen war nach Betriebsstillegungen und Konzentration der Heeresaufträge auf einige Höchstleistungsbetriebe ein hoher Sockel an arbeitslosen und kurzarbeitenden Textilarbeitern (Januar 1917 rund 6620, Dezember 1917 2565)" erhalten geblieben. Während die Zahl der Rüstungsarbeiter in der Metallindustrie von Ende 1916 bis Oktober 1918 von rund 7800 auf nahezu 14 600 gestiegen war, hatte sich die Zahl der in der Textilindustrie Beschäftigten seit Kriegsbeginn bis April 1918 von rund 14 500 auf 74

Ebenda, Lagebericht Magistrat vom 17. 2. 1917 und 12. 1. 1918.

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knapp 7000 vermindert. Die Belegschaft der SWA war bis Kriegsende von 3340 auf etwa 1700, die der AKS von 1290 Arbeitern auf 500 zusammengeschmolzen 75 . Die wirtschaftlichen Demobilisierungsmaßnahmen seit Dezember 1918 und damit der Wegfall der Militäraufträge, die Massenentlassungen, zumal unter den eingesetzten Frauen, zur Folge hatten, betrafen dagegen vor allem die Maschinenindustrie. Ende Februar 1919 wurden rund 7400 Vollerwerbslose gezählt. Auch in der Textilindustrie blieb, zum Teil auch infolge des Kohlen- und Kraftstoffmangels des Winters 1919/20, Unterbeschäftigung bestehen. Eine neue Hochkonjunktur wurde im Frühjahr 1921 in fast allen Sektoren der Augsburger Industrie spürbar, endete im Spätsommer 1923, auf dem Höhepunkt der Inflation, aber in einer alle bisherigen Krisen übertreffenden Katastrophe: binnen weniger Monate verfünffachte sich die Zahl der Erwerbslosen oder Teilerwerbslosen auf 10 290 Voll-Arbeitslose und 19 850 Kurzarbeiter im November 1923. Schon 1918 hatten auswärtige Konzerne in Augsburg Fuß gefaßt (Mühlbach-Weberei). Dieser Prozeß hatte sich verstärkt. M A N wie Riedinger hatten Anlehnung an die Gute-Hoffnungshütte suchen müssen, die 1920 die Aktienmehrheit der M A N übernahm. Der Rationalisierungszwang in der Textilindustrie wurde schärfer. Während Veredelungsbetriebe wie Martini und Prinz, die als einzige Textilsparte noch überwiegend Männer beschäftigten, Frauen ebenso wie die Papierindustrie nur als ungelernte Kräfte einsetzten, waren in Spinnerei- und Webereibetrieben wie der Bekleidungsindustrie Anfang der 1920er Jahre bis zu 97 Prozent der Arbeiterinnen gelerntes und angelerntes Personal. Dem lag der um die Jahrhundertwende einsetzende Ablösungsprozeß bisher bestbezahlter, meist männlicher Kräfte (Seifaktorspinner) durch an Ringspinnmaschine und Automatenwebstuhl kurz anzulernende Frauen und Mädchen zugrunde. Diese Rationalisierungsaktionen, die auf den nicht immer konsequenten Widerstand der Gewerkschaften stießen, lösten in der älteren Textilarbeiterschaft Erbitterung aus. Mitte der 1920er Jahre kam die Entwicklung zur ausgesprochenen Frauenindustrie zum Stillstand, wobei die geringe Fluktuation wie die Tatsache, daß nach Kriegsende ein Stamm von Textilern aus der Metallindustrie sofort an die alten Arbeitsplätze zurückkehrte, die Wertschätzung dieser letztlich krisenbeständigeren Tätigkeit andeutet. 1920 waren Weberei-Teilbereiche der SWA, die Werke Rosenau und Aumühle, vorübergehend stillgelegt oder auf das Werk Proviantbach konzentriert worden. Ahnliche Rationalisierungs- und Konzentrationsvorgänge, die Betriebsstillegungen und Entlassungen zur Folge hatten, spielten sich auch in anderen Bereichen ab und trugen erheblich zur Beunruhigung der Arbeitnehmer und zur Hektik der Wirtschaftskämpfe und Arbeiterkundgebungen dieser Jahre bei. An den harten Tatsachen der Wirtschaftsflaute und der unternehmerischen Kalkulation zerschellte binnen kurzer Zeit die Euphorie über die sozialen Errungenschaften, die die November-Revolution gebracht hatte. Im Gegensatz zu anderen industriellen Zentren des Reiches, auch zu Nürnberg und München, war es in den letzten beiden Kriegsjahren in Augsburg fast völlig still 75

Lindenmeyer, a . a . O . , S. 127 und Genzmer, a . a . O . , S. 78.

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geblieben. N u r in der Zahnräderfabrik Renk hatte im Dezember 1917, wohl unter dem Einfluß norddeutscher abkommandierter Rüstungsarbeiter, ein erfolgreicher 5tägiger Streik zur Herabsetzung der Arbeitszeit (ausgelöst durch die Einführung von Sonntagsarbeit) unter Beteiligung von 600 Arbeitern stattgefunden 76 . Die USPD, deren Anhängerschaft im Mai 1918 auf rund 300 Personen geschätzt wurde, hatte während des Krieges in Augsburg keine große Bedeutung erlangen können. Am Abend des 8. November war in Augsburg ein Arbeiterrat aus Funktionären der SPD, der Freien Gewerkschaft, des Konsumvereins sowie aus den Arbeiterausschüssen wichtiger Betriebe, wie der M A N und der SWA, gebildet worden, in den drei Vertreter der USPD erst nachträglich entsandt wurden. Die Wahl des Volksschullehrers und Volkszeitungsredakteurs Ernst Niekisch, der sich seit Herbst 1917 in der SPD betätigt hatte, zum Vorsitzenden des Arbeiterrates und des Unteroffiziers Valentin Baur, eines aus der Augsburger Gewerkschaftsbewegung stammenden Schlossers, zum Vorsitzenden des Soldatenrates schien die Kontrolle der örtlichen SPD- und Gewerkschaftsführung über die weitere Entwicklung zu gewährleisten. Seit 1914 waren die nicht-sozialistischen Gewerkschaften immer mehr in die Rolle von Randgruppen gedrängt worden, während der durch seine Burgfriedenspolitik aufgewertete freigewerkschaftliche Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) auf Veranlassung der Kriegswirtschaftsverwaltungsbehörden zunehmend zum Partner der Unternehmer geworden war. Die allgemeine Anerkennung des A D G B als Vertreter der Arbeitnehmer, die Einführung des Tarifvertragsprinzips, die 40-bis 46-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit und die später durch das Betriebsratsgesetz geregelte innerbetriebliche Mitbestimmung schienen mit einem Schlage die Erfüllung jahrzehntealter Forderungen der sozialistischen Arbeiterbewegung gebracht zu haben. Somit setzte ein Massenzustrom zu den Verbänden des A D G B ein, der es 1920/21 in Augsburg auf ca. 36 000 Mitglieder brachte (gegenüber knapp 9600 im August 1914) mit Rekordwerten in der Textilindustrie (wo 81% der Männer und 82,5% der Frauen Mitglieder wurden), aber ansehnlichen Quoten auch im Metall-Bereich (73,7% der Männer, 55,6% der Frauen). Der Vollzugsausschuß des im November 1918 gebildeten Arbeiterrates der M A N war nach dem Ausscheiden der »Gelben« bei insgesamt sieben Mitgliedern mit fünf Sozialisten besetzt. »Gelb« zu sein galt nunmehr als Makel. Auch katholische Arbeitervereine und christliche Gewerkschaften gerieten vorübergehend in eine Außenseiterposition. Aber es sollte sich schon bald zeigen, daß die Sammlungsbewegung innerhalb des A D G B die der sozialistischen Gewerkschaftstradition entgegengesetzten Strömungen nicht zum Versiegen gebracht hatte. Die SPD wurde bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1919 (mit 46,8% der Stimmen) stärkste Partei in Augsburg. Infolge der Blockbildung der nichtsozialistischen Parteien, die bei den Kommunalwahlen von 1919 eine knappe Mehrheit im Stadtrat erhielten, blieb das Amt des Ersten Bürgermeisters (bis 1929 Kaspar Deutschenbaur, dann bis 1933 O t t o Bohl) eine Domäne der BVP. Deutschenbaur, einem früheren Rechtsrat, gelang es dank seiner Autorität und seiner langjährigen Erfahrung, die 76

StdA, 10/3746 II, Lagebericht Magistrat vom 29. 12. 1917.

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ideologischen Konflikte zwischen den Sozialdemokraten und dem bürgerlichen Block weitgehend abzugleichen. Die Mehrheit im Stadtrat lag bei einer Koalition aus BVP, D N V P und wechselnden, meist liberalen Splittergruppen, doch besaß die SPD zwischen 1924 und 1929 die Majorität im Personalsenat und in der Kommission für die Verteilung der Baudarlehen. Mit dem Rechtsanwalt Friedrich Ackermann stellte die SPD während der Amtszeiten Deutschenbaurs und Böhls den 2. Bürgermeister. Bereits wenige Wochen nach der Umwälzung vom November 1918 wurde allerdings die örtliche Partei- und Gewerkschaftsführung durch die Häufung wirtschaftlicher und Versorgungsschwierigkeiten und die durch den Landtags- und Nationalversammlungswahlkampf beschleunigte Radikalisierung überrollt. Dabei bildeten durch Krieg und Demobilmachung entwurzelte Elemente, so Teile der Garnison, Matrosen und eine Erwerbslosenbewegung, mit ehemaligem Angestellten-Aushilfspersonal als Kern, ein putschistisches, gewalttätiges Ferment. Ausschreitungen - etwa am 9. Januar 1919 Angriffe auf Druckereien nicht-sozialistischer Zeitungen und am 21. Februar 1919 nach Bekanntwerden des Mordanschlages auf Eisner Plünderungen in Geschäften und Militärdepots, Befreiung von Strafgefangenen sowie Verwüstungen im Justizgebäude, Bischofspalais und in Pressehäusern - verstärkten mehr und mehr den Einfluß der U S P D als Motor revolutionärer Weiterentwicklung. Schwierigkeiten, die grundsätzlichen sozialpolitischen Errungenschaften der Novemberrevolution lokal zu verwirklichen, verwiesen die gewerkschaftliche Arbeit vielfach auf die Mittel von Demonstration und Streik, die aber nur in einigen Fällen zu Erfolgen führten (z. B. bei Anerkennung des Tarifvertragsprinzips auch von Unternehmern, die den Arbeitgeberverbänden nicht angeschlossen waren), wodurch auch in Gewerkschaften und Betrieben sich die schärfere USPD-Linie durchzusetzen begann. Bei den Reichstagswahlen von 1920 gelang es der USPD, die Mehrheitssozialisten in einer Reihe von Arbeiterhochburgen zu überrunden, so in einigen altstädtischen Quartieren, in allen Sprengein der Vorstadt links der Wertach und in Oberhausen (wo die U S P D bis zu 3 7 % erhielt) und in Kriegshaber. Die Ergebnisse der ersten Arbeiterratswahlen der M A N , die nach Erlaß des Betriebsratsgesetzes im April 1920 stattfanden, zeigen deutlich, wie sehr sich die Entwicklung radikalisiert hatte: USPD-Liste 64,4, SPD-Liste 22,6, Christen 10,8, Hirsch-Duncker 2,8 Prozent 77 . Entscheidend für den Stimmungsumschwung innerhalb der Arbeiterschaft waren aber die Vorgänge im Zusammenhang mit der Zerschlagung der Räterepublik. Anläßlich der Beisetzung Eisners fand am 26. Februar 1919 in Augsburg zum ersten Mal ein politischer Massenstreik statt, der die Arbeit in fast allen größeren Betrieben der Stadt zum Erliegen brachte. Eine vom Revolutionären Arbeiterrat initiierte Resolution, auf einer Massenversammlung im Ludwigsbau am 3. April 1919 verabschiedet, hatte Signalwirkung für die drei Tage später in München erfolgte Ausrufung der Räterepublik Bayern. Für das Augsburger Bürgertum ein Makel, den die Nationalsozialisten 14 Jahre später mit der Behauptung zu tilgen suchten, ihre Flaggenhissung auf dem Augsburger Rathaus am 9. März 1933 habe das Signal zur »nationalen Erhebung« in Bayern gegeben.

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Volkswille vom 8. 4. 1920.

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Zu weiteren Massenstreiks, von Arbeitern aus fast allen Bereichen der Industrie wie auch der städtischen Betriebe getragen, kam es am 4. und 7. April 1919 unmittelbar vor und bei der Ausrufung der Räterepublik. Nach Absetzung der Bürgermeister Wolfram und Gentner amtierte der Gewerkschaftsfunktionär Hans Edelmann als Stadtkommandant. Angesichts der Abschnürung der Stadt vom Eisenbahn- und Postverkehr nach Norden und damit von der Kohleversorgung, eines drohenden Zusammenbruchs der Lebensmittelzufuhr sowie der von »revolutionären Bankräten« angerichteten Verheerungen im privaten Kassenwesen waren die in den Ausschüssen und der Vollversammlung des Arbeiter- und Soldatenrates noch immer dominierenden Mehrheitssozialdemokraten bemüht, unter Preisgabe der bei der Ausrufung der Räterepublik getroffenen Maßnahmen, eine Versöhnung mit der SPD-Regierung Hoffmann zu finden. Trotz einer angeblichen Zusage Hoffmanns, wonach Augsburg aus dem drohenden Konflikt mit dem anrückenden Militär herausgehalten werden sollte, was zur Annahme der mit der Bamberger Regierung getroffenen Abmachungen durch eine von den Freien Gewerkschaften am 12. April abgehaltene Massenversammlung beigetragen hatte, griffen am Morgen des 20. April württembergische und bayerische Kontingente die Stadt von Süden, Südwesten und Norden an71. Neben der Schutzwache des Arbeiter- und Soldatenrates stellten sich ihnen bewaffnete Arbeiter in stellenweise heftigen Kämpfen entgegen und verwehrten ihnen bis zum Nachmittag des 22. April durch Abriegelung der Wertachbrücke den Zugang in die Vorstadt links der Wertach und nach Oberhausen. Ein am 21. April ausgerufener Generalstreik wurde trotz Gegenappellen von SPD- und Gewerkschaftsführung auf der Basis von Betriebsräten und gewerkschaftlichen Vertrauensmännerkadern bis 24. April weitgehend befolgt. Unter den 44 Todesopfern, die die Kämpfe forderten, befand sich neben etlichen Unbeteiligten mit dem Arbeiterrat Hans Frank (USPD), Leiter eines für Sozialisierungsfragen zuständigen Ausschusses des Arbeiter- und Soldatenrates, der an den Verhandlungen mit Hoffmann mitgewirkt hatte, eine der hoffnungsvollsten Nachwuchskräfte der Augsburger Arbeiterbewegung. Das Augsburger »Blut-Ostern« hinterließ nicht nur einen Mythos von verratener Treue und Tapferkeit innerhalb der linken Arbeiterbewegung, sondern infolge der gegenseitigen Vorwürfe, die sich als Folge des weiteren Dramas in München noch verbitterten, eine Vergiftung des Verhältnisses zwischen SPD und USPD (bzw. später KPD), die bis 1933 weiterwirken sollte. Haß und Verachtung der alten Kommunisten sollten Edelmann und den DMV-Führer Wernthaler, der nach dem Einmarsch vom militärischen Gruppenkommando zum »Zivilgouverneur« für Oberhausen und die Wertachvorstadt bestimmt worden war, bis ins Konzentrationslager verfolgen. Der Triumph, den ein Teil der »ordnungsliebenden« Bevölkerung im Schutze der Stadtwehr, einer unter Leitung konservativer Reserveoffiziere bis Juli 1919 auf 4700 Mann aufgestockten Bürgerwehr, angesichts der Verfolgung und Aburteilung führender Aktivisten der Räterepublik zur Schau trugen, war Indiz genug für den demütigenden Rückschlag

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Unmittelbarer Anlaßwarein bewaffneter Zusammenstoß zwischen Regierungssoldaten und AugsburgerSchutzgardisten am Bahnhof Mering in der vorherigen Nacht.

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nach den H o f f n u n g e n des Winters 1918/19, als »auch die Arbeiterbevölkerung . . . der Meinung [war], daß die Polizei nichts mehr zu sagen habe und daß nun alles nach ihrem Willen gehen müsse« 7 '. Das Zurückprallen der revolutionären Strömungen in der Arbeiterschaft verwies auf die Notwendigkeit parteipolitischer und gewerkschaftlicher Kleinarbeit, wobei die Freien Gewerkschaften als Klammer der gespaltenen sozialistischen Arbeiterbewegung einer Zerreißprobe entgegengingen. Politische Massenstreiks, wie sie am 4. September 1920 bei der Beerdigung von vier O p f e r n einer Demonstration gegen die Einführung des Lohnsteuerabzugs 80 und am 11. und 13. Juni 1921 nach E r m o r d u n g des U S P D Landtagsabgeordneten Gareis" angesetzt wurden, ließen sich nicht nur in öffentlichem Dienst und Einzelhandel, sondern auch bei Teilen der Industriearbeiterschaft immer schwerer durchsetzen. Bezeichnenderweise waren die Trauerfeiern für die Toten des 1. September 1920 auf einen Samstag verlegt worden, um bei geringeren Lohnverlusten die Teilnehmerzahl möglichst zu erhöhen' 2 . Schon der 1. Mai 1920, mit ingesamt 7000 Teilnehmern wohl die größte Augsburger Maidemonstration zwischen 1890 und 1932, war von vielen Arbeitnehmern z u m Hamstern genützt worden' 3 . Die von November 1918 bis ins Jahr 1921 andauernden Versuche freigewerkschaftlicher Betriebsräte und Vertrauensleute, andersorientierten Arbeiterverbänden, vor allem den christlichen Gewerkschaften die betriebliche Basis zu entziehen, wobei es vielfach zu erpresserischem D r u c k , zu Gewaltakten, dem Abschalten von Maschinen, erzwungenen Entlassungen (etwa auf dem H ö h e p u n k t der Kampagne im März 1919 von 60 christlich organisierten SWA-Arbeitern) kam' 4 , waren nach zahlreichen U n r u h e n , Demonstrationen und Proteststreiks durch das Eingreifen von Regierung, Stadtverwaltung und Gerichten erfolglos geblieben' 5 . Waren bei den Tarifauseinandersetzungen der Jahre 1920/21 die Gewerkschaften mit Forderungen nach Lohnerhöhungen, Alterszuschlägen, Abbau von Lohngruppendifferenzen, A u f h e b u n g des Akkords und des Ortsklassensystems" in der Offensive gewesen, so hatte sich seit Herbst 1921 die Haltung der Arbeitgeber versteift. Im Metall-, Textil- und Baubereich machten die Unternehmerverbände die Bezahlung von Teuerungszulagen von der Einführung der 48-Stunden-Woche abhängig. Zur A b w e n d u n g dieses Angriffs auf den Achtstundentag wurde ein entsprechender Schiedsspruch am 14. März 1922 vom Metallarbeiterverband mit Streik in seinen Kernbetrieben, M A N und Riedinger, beantwortet. N a c h vergeblicher A u f f o r d e r u n g des Arbeitgeberverbandes, bis z u m 20. März die Arbeit wieder aufzunehmen, erfolgte eine Generalaussperrung in allen Verbandsfirmen. Im Zuge des nun beginnenden, nahezu zehnwöchigen Arbeitskampfes, gerieten die rund 9000 Ausgesperrten mit ihren Familien mangels ausreichender

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StdA, 10/3746 II, Bericht der Schutzmannschaft vom 13. 12. 1918. Ebenda, 10/3746 III, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 4. 9. 1920. Ebenda, 10/3747 I, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 15. 6. 1921. 82 Schwäbische Volkszeitung vom 2. 9. 1920. 83 StdA, 10/3747 I, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 1. 5. 1920. 84 Schwäbische Volkszeitung vom 9. 4. 1919. 85 Siehe etwa StdA, 10/3746 II, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 2. 8. 1919 (Beilage). " 1919 gab es zwei, 1922 drei Ortsklassen in der südbayerischen Textilindustrie. 80 81

12. P r o t e s t d e m o n s t r a t i o n d e r M A N - B e l e g s c h a f t gegen d e n E i n m a r s c h d e r (April 1919).

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finanzieller Unterstützung durch die Gewerkschaftskassen und bei laufender Teuerung in tiefe Not. Angesichts des Zwanges, das Lebensnotwendigste vielfach über Leihhäuser und gemeinsame Pumpkassen zu beschaffen, äußerte sich die Verbitterung der Metaller über die Haltung eines Teiles des Einzelhandels auch in Zusammenrottungen auf dem Stadtmarkt87. Wachsende Streikmüdigkeit - trotz kommunistischer Agitation mit dem Ziel der Ausweitung zum Generalstreik - , begleitet von Gerüchten über angeblichen Verrat in der Gewerkschaftsführung und Spaltungsversuche seitens der Unternehmer, führten in der zweiten Maihälfte zum erfolglosen Abbruch des Arbeitskampfes. Die Einigung sah vor, die umkämpften Arbeitsstunden auf Verlangen der Betriebsleitungen als Uberstunden zu leisten. Die niederdrückende Erfahrung dieses nach Umfang und Dauer größten Arbeitskampfes in der Geschichte Augsburgs war die Niederlage einer im Gegensatz zu 1905 weitgehend solidarisch agierenden und leidenden Arbeiterschaft. Ähnlich deprimierend verlief ein Arbeitskampf in der Textilindustrie, wo den Arbeitgebern bereits einen Monat vorher der Durchbruch zur 48-Stunden-Woche gelungen war. Die Unterhändler der Arbeiterverbände stimmten zur Vermeidung eines längeren Ausstandes, der die Zerrissenheit der Belegschaften zwischen starken kommunistischen Aktionskernen und streikunwilligen Gruppen offenbaren mußte, von sich aus einer Entscheidung höheren Orts (durch die Reichs-Zentralarbeitsgemeinschaft) sowie der Zulässigkeit von 48 Wochenstunden »bei Bedarf« zu. Ein zuvor für den 25. April anberaumter allgemeiner Streik8' bröckelte nach Intervention der Gewerkschaftsleitung rasch ab. Von nicht kompromißbereiten Betriebsräten und Vertrauensmännern geführte wilde Arbeitsniederlegungen ebbten Anfang Mai nach der fristlosen Entlassung von Aktivisten ab8'. Die in ihrer Autorität erschütterte Leitung des freien Textilarbeiterverbandes wurde in den weiteren, im Zeichen der Geldentwertung fast pausenlos geführten Lohnverhandlungen einem Basisdruck ausgesetzt, der sich in zahlreichen Blitzstreiks, zumal in den von Rationalisierungsängsten besonders betroffenen Betrieben mit starker männlicher Belegschaft äußerte. Im Zentrum der kommunistisch geführten Ausstandsbewegung in der Textilindustrie, der SWA, bildeten Spinner des Werks Altbau die politische Speerspitze, die schon im Mai 1920 gemeinsam mit Arbeitern der FichtelbachWeberei die weit überwiegend weibliche Belegschaft des Werks Proviantbach zur Arbeitseinstellung gezwungen hatten50. Ein gleicher Versuch anläßlich des Generalstreiks vom Juni 1921 war am Polizeischutz für Proviantbach, Martini und die Röhrenfabrik Johannes Haag gescheitert". Hier hatte die Furcht vor Betriebsstillegungen und Massenentlassungen die Streikbereitschaft ebenso gelähmt wie zehn Jahre später in Teilwerken der Stadtbach-Spinnerei, wo die Arbeiter der Wertach-Spinnerei, nach Einstellung der Fabrik am Senkelbach durch die Leitung des Dierig-Konzerns, für die Ausstandsbewegung im Stamm-Werk nur schwer zu gewinnen waren. Auch die in StdA, 10/3747 I, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 29. 4. 1920. Eine geheime Abstimmung in den Betrieben hatte ein Votum von 95% für die 46-Stunden-Woche erbracht. BayHStA, MInn 73720, Wochenbericht des Regierungspräsidenten vom 10. 4. 1922. 89 StdA, 10/3747 I, Lagebericht Stadtrat vom 15. 5. 1922. 90 StdA, 10/3746 III, Lagebericht Stadtrat vom 22. 5. 1920. " StdA, 10/3747 I, Lagebericht Stadtrat vom 15. 6. 1921. 87 88

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Ablehnung eines Schiedsspruches des Landeseinigungsamtes im August 1923 in zahlreichen südbayerischen Textilbereichen ausgebrochenen Streiks erloschen in Augsburg binnen weniger Tage, im Allgäu und in Kolbermoor hingegen erst nach einer Woche'2. Die Augsburger Kommunistische Partei, bei vielleicht in den Januar 1919 zurückreichenden Vorläufern Ende Mai 1920 gegründet, hatte nur den kleineren Teil der USPDMitglieder, darunter drei von sieben Stadträten, den Kreissekretär Jakob Maier, den Vertrauensmann des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV) bei Epple und Buxbaum, Anton Rieger, und den Volkswillen-Verleger Wilhelm Dötschmann, gewinnen können, während der größere Teil, darunter Magnus Bunk, Sekretär des Verbandes der Nahrungs- und Genußmittelarbeiter, bis Herbst 1922 zur SPD zurückkehrte. Ernst Niekisch verließ Augsburg im November 1922, um das Jugendsekretariat des Textilarbeiterverbandes in Berlin zu übernehmen. Bei Mangel an politisch geschulten und charakterlich gefestigten Führern flaute das Interesse an der neuen Partei, die bei eigenen Versammlungen und Umzügen selten mehr als 300 Anhänger zu mobilisieren vermochte, rasch ab, bis über sie 1923 vom Generalstaatskommissariat ein einjähriges Betätigungsverbot verhängt wurde. Seit 1919 waren in Augsburg völkische Gruppen hervorgetreten. 1921 hatte auch die NSDAP Fuß gefaßt, nachdem Hitler am 12. Januar auf Einladung einer völkischen Vereinigung (»Bund für Deutsches Recht« - gegründet von dem Olmühlenbesitzer Dr. Gottfried Grandel) in einem Café in der Maximilianstraße zum ersten Mal in Augsburg gesprochen hatte. Laut Aussage eines Beteiligten gehörten dieser frühen Ortsgruppe der NSDAP »lauter Doktoren, Ingenieure usw. nur keine Arbeiter« an". Uber den Eisendreher Karl Bohrer, der während der Räterepublik als Mitglied des revolutionären Zwölferrates Wohnungskommissar gewesen war, und einige von dessen Kameraden, wohl aus der Zahnräderfabrik Renk, besaß die NSDAP Kontakte zu Randgruppen der abbröckelnden USPD und zur KPD. Dem über die DDP und die an Damaschkes Bodenreformprogramm orientierte Landsiedlungsbewegung zur NSDAP geratenen Dr. Otto Dickel, einem GymnasialSportlehrer, gelang es im Zuge seines Machtkampfes mit Hitler' 4 , den größten Teil der Ortsgruppe auf seine Seite zu ziehen und bis 1923 die Hauptenergien der völkischen Kräfte in Augsburg, auch aus der ehemaligen Bayerischen Mittelpartei, in seine Deutsche Werkgemeinschaft zu leiten. Ein mit antisemitischer Hetze dargebotenes, die »Schaffung deutschen, auf germanische Wesensart und Weltanschauung begründeten Rechtes«, eine ständische »wahrhaft deutsche Volksverfassung« und als Kernstück »eine freie unverschuldbare Heimstätte, ein kleines Erblehengut«, das »Volksernährung aus eigener Scholle« sicherstellen sollte, forderndes Programm sprach Personen »aus allen Ständen« an'5. So versuchte sich Dickel in punktuellem Zusammenspiel mit Kommunisten durch Agitation gegen die Gewerkschaftsführung und Solidaritätsspenden in den Metallarbei92 Ebenda, Lagebericht Stadtrat vom 15. 8. 1923. " BA Koblenz, N S 26/158, Bericht Bohrer vom 20. 4. 1941. " Siehe hierzu Maser, Werner: Die Frühgeschichte der N S D A P . Hitlers Weg bis 1924. Bonn 1965, S. 265ff. und Franz-Willing, Georg: Ursprung der Hitlerbewegung 1919-1922. Preußisch-Oldendorf 1974, S. 33f. 95 BayHStA, MInn 73720, Wochenbericht des Regierungspräsidenten vom 3. 4. 1920; Programm der Werkgemeinschaft.

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terstreik von 1922 einzuschalten. In einer Laubenkolonie nordöstlich von Augsburg »Dickelsmoor« - sollte ein Modell seines Siedlungsprogramms entstehen. Von hier aus ergaben sich Verbindungslinien zu linken Gruppen, in denen nationalrevolutionäre Tendenzen virulent waren. Was den ehemaligen Augsburger Garnisonsratsvorsitzenden Wilhelm Olschewski an die Spitze der »Aufbruch«-Bewegung der K P D brachte, erklärt auch das Engagement von Olschewskis Adlatus, des Damenschneiders Karl Horath, für den Völkischen Block, des ehemaligen KPD-Vorsitzenden Albert Jäger für die Werkgemeinschaft und der USPD-Aktivistin Lilly Prem für die abstruse »Germanische Glaubensgemeinschaft Südmark«, die ihren Wotanskult im Walde zelebrierte. Die nach den Auseinandersetzungen mit der Dickel-Gruppe am 27. Oktober 1922 von dem Stadtamtmann Dr. Adolf Frank neugegründete hitlertreue NSDAP-Ortsgruppe wuchs im Laufe des Jahres 1923 mit einem SA-Trupp von 90 Mann in Augsburg zur stärksten völkischen Gruppe heran (im November 1923 200 Mitglieder) und ließ die Dickeische Werkgemeinschaft zur Sekte verkümmern. In ihrem Vorstand befanden sich nur zwei Arbeiter - der als Gußputzer in der M A N beschäftigte Hans Rehm, der nach 1933 Handwerkskammerpräsident werden sollte, und Josef Schroffer, ein Vorarbeiterin Grandels Ölmühle. Unter 108 im Jahre 1923 neu eingetretenen Mitgliedern, deren Namen vorliegen, befanden sich über ein Drittel Arbeiter (Fach-, angelernte und Hilfsarbeiter), fast durchweg aus dem Metallbereich. Auch einzelne Söhne sozialdemokratischer Familien waren einer Bewegung beigetreten, von der die Augsburger SPDFührung erklärt hatte, »es wäre beschämend für einen anständigen Arbeiter, dieser Gesellschaft Gefolgschaft zu leisten«". Bezeichnend mag sein, daß in Lechhausen, im Nordend, Ostend und rechts der Wertach nur einzelne dieser Nationalsozialisten, fast durchweg keine Industriearbeiter, wohnten, immerhin 18 aber im politisch erodierenden Milieu links der Wertach, während rund die Hälfte der Mitglieder in der Altstadt, bevorzugt im Lechviertel und in der südlichen Jakobervorstadt, lebten, wo auch die wichtigsten Versammlungslokale der Partei lagen. Auch die Erfolge des Völkischen Blocks in Augsburg bei den Landtagswahlen vom April 1924 zeigten, daß etwa ein Viertel des Wählerpotentials der sozialistischen Parteien in Krisenzeiten für eine »faschistische« Gruppierung mobilisierbar war, wenngleich die Völkischen ihre größten Erfolge in »bürgerlichen« Stadtvierteln zu verzeichnen hatten. Der Völkische Block wurde bei dieser Wahl im westlichen Ulrichsviertel, im Stadtzentrum, im Südend und Westend stärkste Partei und erreichte in einigen Stimmbezirken, mit starker Angestellten- und Beamtenbevölkerung, die später die höchsten Stimmanteile für die N S D A P erbringen sollten (Bismarck-, Antons-, Thelottviertel), bereits Rekordwerte bis zu 54,7 Prozent. Er faßte aber auch im Kern einiger Arbeiterviertel Fuß, so in der südlichen Jakobervorstadt mit 28,6, im östlichen Ulrichsviertel mit 29,6, rechts der Wertach mit 19,8, in Kriegshaber mit 18,0 Prozent, in Lechhausen allerdings nur mit 10,3 Prozent. Auf sozialpolitischem Gebiet war die Entwicklung aufgrund der geschilderten vergeblichen Arbeitskämpfe in vieler Hinsicht für die Arbeiterbewegung rückläufig geworden - am deutlichsten sichtbar bei der Arbeitszeit. In der Textilindustrie, wo in fast *

BayHStA, MInn 73720, Wochenbericht des Regierungspräsidenten vom 10. 4. 1920.

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13. Anhänger des Völkischen Blocks vor einem Wahllokal anläßlich der Kommunalwahlen vom Dezember 1924. 14. Thelottviertel: Einfamilienhäuser in Eigenbesitz und Beamtenwohnungen für Eisenbahner (erbaut seit 1907).

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Führer< die tiefsten Verächter dieser Feiglinge sein werden, sofern sie es nicht schon heute sind . . . Die einen, die aus Groll über das Versagen ihrer Gewerkschaft ihr Mitgliederbuch in Fetzen gerissen haben, sind voll Vertrauen wieder zurückgekehrt, die anderen, die trotz allem, trotz ihrer inneren Ablehnung zur neuen Führung ihrem Verband die Treue gehalten haben, lernen allmählich einsehen . . . «305.

Die imposanten Zahlen konnten aber nicht verbergen, daß die Eingliederung der Arbeiterschaft in die DAF nicht reibungslos verlief. Im Werkmeister-Verband, der aus dem freigewerkschaftlichen Verband (mit Zentrale in Düsseldorf) aufgebaut wurde, bereitete die Zusammenfassung der Mitglieder der unter sich verfehdeten Organisationen große Schwierigkeiten, so in der ZNFG, wo sich die nicht organisierungswilligen Werkmeister wohl des Rückhalts der BVP-nahen obersten Werksleitung bewußt waren306. Im graphischen Gewerbe hatte sich nach der Verhaftung einzelner ADGB-Funktionäre Ende März Opposition geäußert. Als am 17. Mai unter Leitung des NSBOBeauftragten Franz Xaver Streit die Gleichschaltung des Buchdruckerverbandes in einer eigens dafür einberufenen Versammlung durchgeführt wurde, suchte die Neue Nationalzeitung in ihrer Berichterstattung den Eindruck zu erwecken, daß der Machtwechsel sich überaus harmonisch vollzogen habe: der bisherige Vorsitzende habe freiwillig den Rücktritt der gesamten Ortsverwaltung erklärt und darauf hingewiesen, daß sich die Vorstandschaft von Parteipolitik immer ferngehalten habe. Anschließend sei den Abtretenden seitens des Beauftragten gedankt worden, und Streit habe dann eine neue Vorstandschaft ernannt. Auch die Nationalzeitung mußte aber einräumen, daß es bei der

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Statistisches Jahrbuch für Bayern, 1933, S. 191. Neue Nationalzeitung vom 1. 9. 1933. Ebenda, 7. 8. 1933.

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anschließenden Ansprache Hitzlers »Zwischenrufe« gegeben habe107. In einer nach 1945 herausgegebenen Festschrift der I G D r u c k und Papier liest sich der Vorgang so: »Die Versammlung hörte die beiden [Streit und Hitzler] mit eisiger Ruhe an. . . . Hitzler bemühte sich, die Buchdrucker davon zu überzeugen, daß bisher alles falsch gemacht wurde und von nun an alles anders, natürlich besser, sein wird . . .«. D e m habe der alte Vorsitzende unter großem Beifall erwidert. Die Amtswalter hätten dann die Versammlung geschlossen, den Verein f ü r aufgelöst erklärt und bei etwaigem Widerstand mit der Polizei gedroht 308 . In der Stadtbachspinnerei, w o die N S B O nur über eine schwache Zelle verfügte, verfielen die neuen Machthaber auf einen besonderen Trick. U m bei der Gleichschaltung ein Debakel zu vermeiden, w u r d e die Belegschaftsversammlung vom 10. Juni mit einer Zusammenkunft der stramm nationalsozialistisch ausgerichteten Malergehilfen zusammengelegt. Eine Blaskapelle begrüßte die »zahlreich Erschienenen«, die nach Hitzlers Bericht »wenig Gebrauch« von Diskussionsmöglichkeiten machten 309 . Mit Rücksicht auf die laufenden Konkordatsverhandlungen wurde die Eingliederung der christlichen Gewerkschaften in die D A F zunächst nicht forciert und nahm erst Anfang Juni konkretere Formen an. Eile war ohnehin nicht geboten, da bei der Absetzung der letztmals frei gewählten Betriebsräte auch die meisten Vertreter christlicher Verbände abgelöst worden waren; so schon Ende März der prominente M A N Betriebsrat Josef Jaser, zugleich Vorsitzender des katholischen Arbeitervereins »Zu unserer Lieben Frau«, BVP-Stadtrat und profilierter Gegner des »gelben« Arbeiterrings, den man »vorsorglich« f ü r drei Wochen in den berüchtigten »Katzenstadel« gebracht hatte310. Die ebenfalls beabsichtigte Festnahme eines christlichen Betriebsratsmitgliedes in der Stadtbachspinnerei wurde offenbar auf Ersuchen des christlichen Textilarbeitervorstands fallengelassen 3 ". Die meisten Sekretäre und Zahlstellenkassiere der christlichen Gewerkschaften konnten bis Juni 1933 unangefochten weiterarbeiten. Einige christliche Gewerkschaftssekretäre versuchten sogar, bei gleichzeitigen Bündnisangeboten an die N S B O , bisherige Mitglieder der Freien Gewerkschaften zu sich herüberzuziehen. So suchte H a n s Imler vom christlichen Metallarbeiterverband Anfang April in den Betrieben eine Flugblattaktion durchzuführen, mit der die freiorganisierten Arbeiter aufgefordert werden sollten, unter Anrechnung ihrer bisherigen Beitragsleistungen in die christliche Gewerkschaft einzutreten 312 . Aber weder Anbiederung noch Loyalitätsbekundungen, wie die Teilnahme am »Weiheabend der deutschen Arbeit« am 17. Juni 1933, konnten die Einschmelzung der christlichen Gewerkschaften in die DAF-Einheitsfront verhindern. A m 22. Juni erließen 307 301

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Ebenda, 18. 5. 1933. Rotter, Franz, Zur Geschichte der Industriegewerkschaft Druck und Papier in Augsburg und die Gründung des Bezirks Schwaben. Augsburg 1967, S. 2 8 . - D i e N e u e A u g s b u r g e r Z e i t u n g v o m l 8 . 5. 1933schrieb:»Beifallsbezeugungen von gewisser Seite verrieten, daß da und dort der alte Geist noch allzu verwurzelt ist«. Neue Nationalzeitung vom 17. 6. 1933. Siehe hierzu auch Volk, Ludwig (Hrsg. ): Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bd. I. (Schreiben Bischof Kumpfmiiller an Faulhaber vom 10. 4. 1933). Mainz 1975, S. 709. Siehe Bericht über Kontrollen in Büros der christlichen Gewerkschaft in der Neuen Nationalzeitung vom 5. 4. 1933. Ebenda.

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der NSBO-Kommissar für den Gesamtverband der Arbeitnehmer öffentlicher Betriebe und der Augsburger Zahlstellenleiter des christlichen Zentralverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe einen gemeinsamen Aufruf an die Mitglieder des Zentralverbandes, ihre Beitragsbücher in Ordnung zu bringen, da die Organisation ab sofort dem Gesamtverband unterstellt sei und am 1. Juli in die Deutsche Arbeitsfront eingegliedert werde315. Am Vormittag des 26. Juni wurden die Geschäftsstellen der christlichen Gewerkschaften von der NSBO besetzt. Verschont von der gewaltsamen Auflösung wurden nur die eingliederungswilligen Verbände: neben dem Zentralverband die Organisationen der christlichen Textil- und Transportarbeiter. Bereits zuvor waren die Gewerkschaftssekretäre Hans Adlhoch, Hans Rothörl und Hans Imler in Schutzhaft genommen worden314. Auch Josef Jaser wurde wieder verhaftet315. Die Mitgliedsbücher wurden eingezogen und geleistete Beiträge in der DAF zur Anrechnung gestellt. Der Prozeß der Eingliederung der christlichen Verbände in die Einheitsorganisation war im November 1933 abgeschlossen. Darüberhinaus begann die DAF auch diejenigen Standesvereine, die außerhalb der eigentlichen Gewerkschaften Selbsthilfeinstitutionen (Unterstützungs- und Sterbekassen) aufgebaut hatten, aufzusaugen. Besonders rabiat ging derDAF-Kreisfachschaftsleiter Nahrungs- und Genußmittel gegen den Kranken-Unterstützungsverein der Metzgergehilfen vor, der mit seinen rund 350 Mitgliedern innerhalb der Innung zahlreiche gesellige Veranstaltungen getragen hatte. Der Vereinsvorstand wurde von der Arbeitsstätte in das DAF-Büro geholt, wo ihm die Auflösung bekanntgegeben und jede Einwendung hiergegen untersagt wurde. Anschließend beschlagnahmte der Kreisfachschaftsleiter die Sparkassen- und Geschäftsbücher des Vereins316. Die anfangs bei der NSBO genährte Hoffnung, die Deutsche Arbeitsfront als neue Einheitsgewerkschaft werde das Recht zum Abschluß von Tarifverträgen erhalten, wurde schon im Mai 1933 durch die Einsetzung von Treuhandstellen zerstört. Den »Treuhändern der Arbeit« oblag nicht nur die Festsetzung der Manteltarife517, sondern in zwingender Festlegung einer bisher nur auf freiwilliger Basis in Anspruch genommenen staatlichen Mittlerfunktion die Schlichtung betriebsinterner Streitigkeiten zwischen Betriebsführern und Arbeitnehmervertretungen. Versöhnlich konnte die DAF allenfalls stimmen, daß mit Kurt Frey ein Funktionär der NSBO zum Treuhänder für den Bezirk Bayern ernannt wurde, so daß die NSBO wenigstens indirekt die Möglichkeit behielt, sich in die Tarifauseinandersetzungen einzuschalten, die sich im Sommer 1933 u. a. daraus ergaben, daß die Unternehmer einiger Gewerbezweige (Metallindustrie, Bauund Gaststättengewerbe) gegen den Regierungserlaß zur Vermeidung von Lohnkürzungen und Entlassungen verstießen oder die Zahlung von Urlaubsgeld und Krankenkassenbeiträgen zu unterlaufen suchten.

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Aufruf in der Neuen Nationalzeitung vom 22. 6. 1933. Siehe die Berichte in der Neuen Nationalzeitung vom 27. 6. 1933 und in der Neuen Augsburger Zeitung vom 27. 6. 1933. BayHStA, MA 106 562, Verzeichnis der BPP mit den Namen von 1917 bei der Aktion Verhafteten vom 1. 8. 1933. BayHStA, MA 106 682, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 5. 4. 1934. Schumann, a.a.O., S. 122f.

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In einigen Fällen suchten die NSBO-Kommissare die Kontrolle des »Arbeitsfriedens« in den Betrieben auf rabiate Weise dadurch zu sichern, daß sie widerspenstigen Arbeitgebern mit »Zuchthaus und Enteignung« durch künftige Standesgerichte drohten511. Angesichts der noch nicht klaren Kompetenzen von N S B O und D A F bestand auch bei den Firmenleitungen ein erhebliches Maß an Unsicherheit. Dies fiel mit Aktivitäten der N S B O zusammen, ihren politischen Einfluß in den Betrieben zu beständigen Uberwachungsfunktionen auch gegenüber den Unternehmern auszubauen. Die Drosselung des regellosen Zustromes in die Zellenorganisation lag zunächst durchaus im Sinne der NSBO-Stammitglieder, die sich in der D A F wie in den Betrieben elitäre Funktionen ausrechneten. Laut Aschka hatte die N S B O als »Vortrupp des deutschen Arbeitertums« zu gelten, der neben SA und SS als dritte Säule des Staates wirken sollte 3 ". Diese in der Vorgeschichte der N S B O begründete politische Aufgabenstellung ging zu Lasten der syndikalistischen Akzentuierung. Dennoch waren ihre Initiativen zur Kontrolle der Wirtschaft stets mit sozialpolitischen Komponenten verbunden. Ein erster Vorstoß galt den Behörden der Reichsbahn auf der Ebene der Berliner Hauptverwaltung wie der Gruppenverwaltung Bayern. Im März und Anfang April waren sowohl der Betriebsrat der Gruppenverwaltung wie der der Augsburger Reichsbahndirektion mit Mitgliedern der N S B O besetzt worden. Festnahmen hatten den Widerstand gegen die Einstellung von SA-Männern in das von Belegschaftsabbau betroffene und von Auflösung bedrohte Ausbesserungswerk Augsburg gebrochen520. Die N S B O wandte sich gegen die mit BVP-Anhängern besetzte Leitung der Münchener Gruppenverwaltung wie gegen die Berliner Zentralbehörden. Die Forderung nach einer Aufhebung der Verpfändung des wichtigsten deutschen Staatsbetriebes an die Garantiemächte des Dawes-Plans und nach rein deutscher Besetzung des Berliner Verwaltungsrates war mit der Forderung nach Beseitigung sozialer Mißstände gekoppelt. Während ein Teil der Reichsbahnarbeiter Feierschichten und Wochenverdienste von 20 und weniger Reichsmark in Kauf zu nehmen hatte, wurden anderen Arbeitszeiten von 60 bis 70 Wochenstunden abverlangt. Besonderes Mißfallen hatten das Doppelverdienertum bei höheren Beamten, die Gehälter in den Dienststellen der Hauptverwaltung sowie die Dienstreisen des als »Büttel der Entente« verachteten Generaldirektors Julius Dorpmüller erregt521. Mitte Mai gelang es, in unfreiwilligem Bündnis mit Dorpmüller, der die Sonderstellung Bayerns aufgehoben wissen wollte, den Leiter der bayerischen Gruppenverwaltung zu Fall zu bringen522. Der Verwaltungsrat der Reichsbahngesellschaft wurde Ende Juni in Absprache zwischen der bayerischen Staatsregierung und dem Verbindungsstab der

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519 520 521

322

So der Bezirksleiter des graphischen Gewerbes auf einer Versammlung in Augsburg am 18. 6. 1933; Neue Nationalzeitung vom 19. 6. 1933. Neue Nationalzeitung vom 2. 6. 1933 und 14. 6. 1933. Ebenda, 31. 3. 1933. SiehedenBerichtzurDemonstrationvom21. 6. 1933inNeueNationalzeitungvom22. 6. 1933 und den Aufruf der N S B O zur Demonstration, ebenda, 21. 6. 1933. Zu den personellen Veränderungen in der Gruppenverwaltung Bay ern und im Verwaltungsrat der Reichsbahngesellschaft siehe BayHStA, MA 106 962.

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NSDAP von Anhängern der BVP und der SPD gesäubert. Eine von der NSBOFachschaft Reichsbahn und der entsprechenden Fachgruppe der NS-Beamtenarbeitsgemeinschaft unter dem Motto »Weg mit Generaldirektor Dorpmüller — Reichsbahn zurück ans Reich« getragene Demonstration, zu der sich am 21. Juni vor dem Gebäude der Direktion Augsburg auch Amtswalter anderer Betriebe versammelt hatten, wurde unmittelbar vor Beginn abgesetzt, nachdem ein Telegramm, wohl des Verbindungsstabes, mit dem Text »Erfolg gesichert« eingetroffen war323. Tatsächlich aber blieb Dorpmüller auf seinem Posten und brachte es 1937 gar zum Reichsverkehrsminister. Immerhin erfolgten in Augsburg einige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Das Ausbesserungswerk Augsburg blieb erhalten. Der Groll der NSBO Reichsbahn zeigte sich freilich auch in Aufsässigkeit gegenüber der Kreisbetriebszellenleitung124. Als Dorpmüller Anfang Oktober 1933 Augsburg besuchte, machte er zwar der MAN-Direktion seine Aufwartung, mied aber aus gutem Grund die Reichsbahn. Auch andere Vorstöße der NSBO zeitigten nur magere Erfolge. Als im Rahmen der Polizeiaktion gegen BVP-Stadträte am 27. Juni 1933 auch Georg Haindl, Inhaber der Papierfabrik Haindl und Mitglied des Wirtschaftsbeirats der BVP, in Schutzhaft genommen wurde, drohte er angeblich, seinen Betrieb zu schließen und die Arbeiter auszustellen125. Er wurde am folgenden Tag wieder entlassen. Als Fehlschlag erwies sich auch die Festnahme eines BVP-Gemeinderats in Göggingen, eines Untermeisters der ZNFG, dem vorgeworfen wurde, die ihm unterstellten Arbeiter terrorisiert zu haben und als »Ausbeuter« über Göggingen hinaus bekannt zu sein326. Die als »schwarz« bekannte Betriebsleitung ließ die Mitglieder der Belegschaft, die die Festnahme angeregt hatten, anschließend spüren, wer »Herr im Hause« war327. Am 11. Juli ließ Aschka über den Beauftragten für die Orts- und Landkrankenkassen im Oberversicherungsamt Augsburg nicht nur Edelmann als Vorsitzenden der Allgemeinen Ortskrankenkasse Augsburg-Stadt, sondern auch alle Arbeitgebervertreter in Vorstand und Ausschuß absetzen und eliminierte damit die Vertreter der Großindustrie, darunter — wie die MAN-Direktion klagend vermerkte — »alte Deutschnationale, die immer für Ordnung in der . . . Kasse gekämpft haben!«32'. Während hauptamtliche Funktionäre von NSDAP und DAF die Vertretung der Versicherten übernahmen, konnte sich der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes die Sitze der Arbeitgebervertreter sichern329. Die Machtkämpfe in den Betrieben, die im folgenden vor allem am Beispiel der MAN verdeutlicht werden sollen, zeigen, daß die NSBO meist nicht aus eigener Kraft in der Lage war, sich gegenüber den Unternehmern durchzusetzen, sondern auf die Mithilfe 325 324

325 324 327 321

329

Neue Nationalzeitung vom 22. 6. 1933. So mußte die Fachschaft ausdrücklich zur Teilnahme an NSBO-Kundgebungen aufgefordert werden. Neue Nationalzeitung vom 11. 7. 1933. Freundlich erteilte Auskunft von Maria Schieber vom 15. 4. 1977. Neue Nationalzeitung vom 30. 6. 1933. Ebenda, 11. 7. 1933. MAN-Archiv, A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Vormerkung vom 4. 9. 1933 über Besuch Aschkas bei MAN-Direktion. Siehe die Mitglieder von Vorstand und Ausschuß in der Neuen Nationalzeitung vom 26. 7. 1933.

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der Politischen Polizei oder der Führungsstellen der Gesamtpartei angewiesen blieb, daß ihr solche Unterstützung aber zunehmend weniger vorbehaltlos gewährt wurde.

I V . S O Z I A L E L A G E UND V E R H A L T E N DER A R B E I T E R S C H A F T IN EINZELNEN B E T R I E B E N N A C H 1 9 3 3

1. Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg

(MAN)

Die zeitgeschichtliche Forschung hat bisher, wohl vor allem mangels einschlägiger Quellen, nur wenig genaue Anschauung davon vermittelt, wie die innerbetriebliche soziale Lage der Arbeiterschaft nach Ausschaltung der Gewerkschaften und Machtübernahme durch N S B O und D A F sich entwickelte. Für Augsburg geben erhalten gebliebene Akten von Firmen sowie des bayerischen Wirtschaftsministeriums, z. T. auch der N S D A P , Einblick in die Verhältnisse einzelner großer Betriebe und Branchen. Relativ gut bezeugt sind Betriebsinterna aus den ersten Jahren nach der Machtergreifung für die M A N , die mit ihren (Ende 1933) rund 5000 Beschäftigten (4000 Arbeiter und ca. 1000 Angestellte und Fabrikbeamte) schon wegen ihrer Größenordnung im Falle interner Konflikte auch Spitzen des Staates und der Partei in Bayern und im Reich beschäftigte.

Konflikte zwischen Firmenleitung und nationalsozialistischer Arbeitervertretung Der Gegensatz zwischen Interessen der Betriebsleitung und der Arbeitnehmer war bei M A N wie bei anderen Augsburger Industriebetrieben — allen Volksgemeinschaftsparolen zum Trotz — durch den politischen Machtwechsel keineswegs ausgelöscht. Schon Ende März 1933 war es zwischen der Firmenleitung und dem neuen von der N S B O beherrschten Betriebsrat zu Spannungen gekommen, nachdem erstere sich geweigert hatte, den durch die Feiern zum »Tag von Potsdam« am 21. März entstandenen halbtägigen Verdienstausfall zu bezahlen, und behauptet hatte, daß die Arbeiter freiwillig bereit gewesen seien, die verlorene Zeit nachzuarbeiten 330 . Aufschlußreich für die Art, wie die Direktion mit mißliebigen Anträgen der neuen Arbeitnehmervertreter umging, sind die Unterlagen über zwei getrennte Besprechungen zwischen Direktor Leonhard Schultz und den beiden Angestelltenräten Mattfeld und Schmid am 13. Juni. Die Angestelltenräte hatten bei der Unterredung u. a. beantragt, 330

Neue Augsburger Zeitung vom 23. 3. 1933.

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den technischen Leiter der Buchdruckmaschinenabteilung, einen Oberingenieur, wegen seines rüden Verhaltens gegenüber Untergebenen, mangelnder sachlicher Fähigkeiten und staatsfeindlicher Äußerungen zu entfernen. Schultz wies das Ansinnen wütend zurück: »Sie kommen nun mit denselben Geschichten, wie früher die anderen Herren auch . . . Wenn Sie kein Vertrauen zur Direktion haben . . ., müssen wir uns auf einen Kampf einstellen«. Und: »In der ganzen Zeit vom 7. November 1918 bis 31. Dezember 1932 haben die Leute [die ehemaligen Betriebsräte] trotz ihres radikalen . . . Vorgehens noch niemals verlangt, daß ein Vorgesetzter wegkommen soll«331. Einer anderen Forderung der nationalsozialistischen Betriebsräte, auf Verlegung des Arbeitsbeginns, begegnete Schultz mit der Bemerkung, die früheren Angestelltenräte hätten die Arbeitsregelung »Herrn Dr. Lauster [Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender der MAN] zuliebe« akzeptiert. Und den Antrag, Angehörigen des Betriebsrates bei offiziellen Anlässen in der Firma das Anlegen von Parteiuniform zu gestatten, wies der Direktor mit dem Argument zurück, daß Uniformen im Betrieb diejenigen reizen und zu »unvorsichtigen Bemerkungen« veranlassen könnten, »die sich noch nicht haben umstellen können«. »Haben Sie nicht auch die Meinung, daß einer, der die Sache sich gründlich überlegt u n d kein Konjunkturpolitiker ist, h ö h e r einzuschätzen ist als jener, der sich von heut auf morgen u m s t e l l t . . . Sogenannte Gesinnungskavaliere sind z u r Zeit schlimmer als 1918«.

Im übrigen ließ der Direktor die Angestelltenräte wissen, wie klein ihre Sorgen doch seien im Vergleich zu den Problemen der Firmenleitung, die gerade jetzt der Tatsache gegenüberstehe, daß ein großer Auftrag an die MAN aus Rumänien von jüdischer Seite hintertrieben worden sei. Kleinlaut geworden, versprach Angestelltenrat Schmid darauf, »in Zukunft nach [Schultzens] Mitteilungen zu handeln«, was diesen noch zu dem Hinweis veranlaßte, Schmid solle sich von Scharfmachern nicht beirren lassen, deren Forderungen »nicht im Sinne der maßgebenden Herren« seien. »Diejenigen, die nichts verstehen, reißen jetzt wie früher auch am meisten den Mund auf«332. Auch die Aufzeichnungen über eine Besprechung mit der gesamten Betriebsvertretung am 26. Juni hinterlassen den Eindruck, daß der Direktor aufgrund der mangelhaften Kenntnisse der Mitglieder des Betriebsrats im Arbeitsrecht und ihrer widersprüchlichen Anordnungen leichtes Spiel hatte. Er gab den scheinbar gezähmten NSBO-Vertretern schließlich noch den Rat, sich nicht durch »Hetzer und Wühler« schieben zu lassen333. Die Ausmanöverierung der NSBO durch die Betriebsleitung funktionierte auf so einfache Weise aber nur innerhalb der Firma. Als es im Juli zur Entlassung von einigen Angestellten gekommen war und Schultz die Einsprüche des Angestelltenrates wieder einmal abgewimmelt hatte, griff der DAF-Kreiswalter Leitner ein, ein strammer Verfechter der Ansicht, daß die politische Überwachung der Betriebe Aufgabe der NSBO sei. Schon Ende Juni hatte Leitner Arbeitgebern, die »demonstrativ den Arbeitsfrieden mißachteten«, massiv gedroht: 331

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MAN, A 2, Vertrauensrat(allgem.) 1933-37, KurzprotokollzurBesprechungderVertreterdes Angestelltenrates mit Vertretern der Direktion vom 19. 6. 1933. Ebenda. Ebenda, Besprechung vom 26. 6. 1933.

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»Wir als Hüter der deutschen Arbeiterrechte werden bei jedem uns bekannten Fall gegen diese angeblichen >Auchvolksgenossen< . . . vorgehen und nicht zurückschrecken, auch einmal ein paar Unternehmer mit einer Freifahrtkarte zum Sommerurlaub zu zwingen« 334 .

Nachdem eine erste Anfrage Leitners zur Personalpolitik der M A N von der Direktion als unzulässig zurückgewiesen worden war, ließ Leitner über das bayerische Wirtschaftsministerium durch einen Gewerbeaufsichtsbeamten Angaben über die Beschäftigung und die Entlassungsgründe in einzelnen Abteilungen einholen 3 ". Auch Angehörige des Betriebsrates und andere Parteigenossen in der Belegschaft, darunter der Betriebszellenobmann, traten für eine härtere Linie gegenüber der Betriebsführung ein und ließen am 18. Juli 1933, nach vorheriger Absprache mit dem Chef der Augsburger Politischen Polizei, Otto Nowotny, den schon im Juni attackierten Oberingenieur in Schutzhaft nehmen. Im Zusammenspiel mit den Gegnern Nowotnys in der Polizeidirektion gelang es der Werksleitung jedoch, den Sistierten gegen den Protest der Augsburger N S B O wieder freizubekommen. Die beteiligten MAN-Angehörigen wurden von der Firmenleitung verwarnt oder fristlos entlassen. Der Vorfall trug schließlich dazu bei, daß Nowotny durch den neuen Polizeidirektor von Humann, zu dem die MAN-Direktion gute Beziehungen unterhielt, seines Postens enthoben wurde. Der entlassene Betriebsobmann erhob Klage vor dem Arbeitsgericht und rechtfertigte sich mit dem Hinweis, daß »die politische Überwachung der Betriebe« im Aufgabenbereich der N S B O liege336. Er wurde im Oktober 1933 in erster Instanz abgewiesen. Schützenhilfe erhielt er aber seitens der Kreisbetriebszellenleitung, die am 29. September eine Zellenversammlung zum Thema » N S B O und Gewerkschaften« einberief, auf der die MAN-Direktion besonders von Kreisredner Hitzler heftig angegriffen wurde. Auch DAF-Gauwalter Aschka war, nachdem er vergeblich die Rücknahme der Kündigungen gefordert hatte, nicht bereit, die Kraftprobe durchzuhalten. Er veranlaßte zwar die Absetzung von drei Betriebsräten, die »mit der Direktion unter einer Decke steckten«337, gab aber dem Drängen des neuernannten Betriebsobmannes Walter Funk, eines Ingenieurs aus dem Arbeiterring, der als Vertrauensmann der Werksleitung gelten konnte, nach, und verbot weitere NSBO-Kundgebungen gegen die Firmenleitung. Der Unruhe im Werk, bei der laut Firmenleitung »Kräfte am Werk« seien, »welche mit dem Nationalsozialismus innerlich nichts zu tun haben . . .«338 versuchte er, entgegenzusteuern. Der Betriebsobmann Funk drohte den Mitgliedern der NSBO-Zelle mit Ausschluß, da »die Kritik- und Nörgelsucht ein Ausmaß angenommen hat, das uns verpflichtet, hiergegen in aller Schärfe vorzugehen« und alles »falsche Anzeiger- und Angebertum« zu bekämpfen339. Die Wogen der Erregung über diese Vorgänge waren noch nicht abgeklungen, als der Führer der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, am 24. Oktober das Werk besuchte.

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Neue Nationalzeitung vom 1. 7. 1933. BayHStA, MWi 6879, MAN-Direktion an RMWi (19. 10. 1933). Ebenda. M A N , A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Vormerkung über Besuch Aschkas bei MAN-Direktion vom 4. 9. 1933. BayHStA, MWi 6879, MAN-Direktion an RMWi (19. 10. 1933). M A N , A 2.2.8., Mitgliederrundschreiben NSBO-Ortsgruppe M A N vom 7. 11. 1933.

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Als Generaldirektor Lauster sich Ley gegenüber »als der erste Arbeiter des Werkes« präsentierte und beteuerte, »wie sehr erleichtert jetzt die Werksführung unter der neuen Regierung arbeite . . .«, antwortete Ley lakonisch, »daß es nicht genüge, ein guter Ingenieur oder ein scharf rechnender Kaufmann zu sein, sondern daß die größte Kunst die Menschenkenntnis und Menschenbehandlung sei«340. Anschließend ging Ley durch den Betrieb: »In jeder Abteilung begrüßte er mehrere seiner Arbeitskameraden durch Handschlag und erkundigte sich eingehend nach den Arbeitsverhältnissen. Da und dort entspann sich eine kurze Debatte. Dr. Ley wich auch keiner Frage aus . . . Er ließ sich nicht mit billigen Worten abspeisen und gab sich erst zufrieden, wenn die Arbeiter wirklich frisch von der Leber weg redeten«541.

Inzwischen war die Firmenleitung wegen einer anderen schwerwiegenden Angelegenheit in Bedrängnis geraten. Nach einem Hinweis des Außenpolitischen Amtes der NSDAP auf die Vergabe von Lizenzen der MAN an das Ausland und den Verkauf wehrwichtiger Motoren an Frankreich, hatte das Wirtschaftspolitische Amt beim Verbindungsstab des Stellvertreters des Führers über Aschka, der wiederum von Mattfeld und Schmid unterrichtet worden war, Informationen darüber erhalten, daß Generaldirektor Lauster und einige Ingenieure der Firma bei Lizenzverkäufen Honorare bekommen und sich Nachlässigkeiten beim Geheimschutz technischer Neuerungen gegenüber ausländischen Abnahmebeamten und Firmenvertretern zuschulden kommen lassen hätten. In diesem Zusammenhang war ein Oberingenieur und Alt-Parteigenosse nach einer anonymen Anzeige bei SA-Kommissar Schöpf vorübergehend in Schutzhaft genommen worden, da er angeblich landesverräterische Kontakte angeknüpft hatte. Humann, vom Münchener Innenministerium mit der Untersuchung der Angelegenheit betraut, gewährte Vertretern der Firmenleitung dienstwidrigerweise Einblick in das Schreiben des Stellvertreters des Führers, worauf die bloßgestellten Informanten (Mattfeld und Schmid), da man eine fristlose Entlassung offenbar nicht mehr wagte, von der Firma wegen Bruchs des Angestelltenvertrages zunächst suspendiert und ihnen dann Verweise erteilt wurden. Mattfeld, dem Vorsitzenden des Angestelltenrates, legte man nahe, selbst zu kündigen342. Da er sich weigerte, auf diese Weise der Firma recht zu geben, wurde ihm zum 31. März 1934 gekündigt. Der MAN-Vorstand berief sich darauf, daß die Lizenzvergaben an Frankreich im Einvernehmen mit dem Reichswehrministerium erfolgt und technisch wie volkswirtschaftlich notwendig gewesen seien, und beschwerte sich am 19. Oktober 1933 beim Reichswirtschaftsministerium über die Eingriffe »nicht legitimierter Personen und Stellen«343. Mit diesem allzu forschen Vorgehen erreichte er jedoch das Gegenteil. Am 10. Februar 1934 verlangte der Wirtschaftsberater beim Verbindungsstab des Stellvertreter des Führers von der Direktion nach wiederholtem Ersuchen binnen einer Woche einen Bericht und die Rücknahme der Verweise und Kündigungen:

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Werkzeitung MAN (für MAN und Zahnräderfabrik Augsburg, vorm. Renk) vom 25. 11. 1933. Neue Nationalzeitung vom 25. 10. 1933. BayHStA, MWi 6879, Verbindungsstab NSDAP an MWi (22. 3. 1934). Ebenda, MAN-Direktion an RMWi (19. 10. 1933).

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»Bedauerlicherweise ist es heute n o c h nicht so, daß sich alle U n t e r n e h m e r . . . ihrer v o l k s w i r t schaftlichen und staatspolitischen A u f g a b e n . . . b e w u ß t sind und gleichzeitig den Willen haben, in erster Linie der Gesamtheit zu dienen. In vielen K ö p f e n spukt n o c h der Liberalismus, der die nationalsozialistische W e l t a n s c h a u u n g nicht begreift o d e r auch nicht verstehen will und die nationalsozialistischen G r u n d s ä t z e liberalistisch auszulegen versucht. U n t e r d e m

Deckmantel

>Eingriffe in die W i r t s c h a f t sind verboten< sehen die Liberalisten gegenwärtig wieder ihren W e i z e n blühen. D e r nationalsozialistische Staat . . . w i r d dafür sorgen, daß diese nicht z u m

Ernten

kommen«344.

Gleichzeitig äußerte sich die Verbitterung innerhalb der N S B O auf eine Weise, die bereits Ähnlichkeiten mit Untergrundaktionen der alten Linksparteien aufwies. In der Nacht vom 15. auf 16. Februar 1934 wurden an den Eingängen einer Reihe von Fabriken maschinenschriftliche Zettel angeschlagen, auf denen Rachedrohungen gegen die »Wirtschaft der Bonzen und Barone« zu lesen waren. Gleichzeitig riefen die Schreiber dazu auf, die in den Flugblättern enthaltenen Enthüllungen von Mund zu Mund weiterzuverbreiten, hatte sich doch die Augsburger Presse über die Vorgänge bei M A N bisher ausgeschwiegen. Polizeichef Humann, der sich persönlich attackiert fühlte, vermutete die Urheber jedenfalls in aufsässigen Kreisen der N S B O , die den Befriedungskurs ablehnten und, wie er schrieb, der Gaubetriebszellenleitung zu entgleiten drohten345. Als der MAN-Vorstand weder den bis 19. Februar befristeten Bericht erstattete noch auf ein Gesprächsangebot des Wirtschaftsberaters im Stabe von Heß einging, sondern sich beim Reichswirtschaftsministerium, zusätzlich beim bayerischen Wirtschaftsminister Hermann Esser und, nach Absprache mit Humann, über einen Prokuristen wegen »dieses unerhörten Eingriffes in die Wirtschaft« 346 bei Ministerpräsident Siebert beschwerte, beantragte Heß am 22. Februar bei Innenminister Wagner die Festnahme sowohl von Direktor Schultz wie von dessen Stellvertreter (Barth) und zweier leitender Angesteller der M A N . Generaldirektor Lauster sah sich nun, nach Kontakten zu N S D A P Führungskräften in Augsburg (Wahl, Stoeckle und Schneider) zum Nachgeben veranlaßt und signalisierte dem Verbindungsstab die Annahme der Bedingungen. Eine vom bayerischen Wirtschaftsministerium vorgeschlagene Vermittlung durch den Treuhänder der Arbeit oder den Gauleiter konnte unterbleiben, da es Ende März 1934 zu einer Aussprache zwischen Schultz und einem Vertreter des Verbindungsstabes in Berlin kam347. Möglicherweise noch in Zusammenhang mit diesen Konflikten erbat Lauster Ende Juni 1934, als die Vergabe öffentlicher Aufträge, vorzüglich des Reichswehrministeriums, für die teilweise kurzarbeitende M A N zur Entscheidung anstand348, seine Ablösung und sein Ausscheiden aus dem Vorstand, was der Aufsichtsrat »mit sofortiger Wirkung« akzeptierte 34 '. Werksbeauftragter des Vorstandes für Augsburg wurde der vom Nürnberger Werk kommende Dr. Otto Meyer. Als »jüdisch Versippter«, der seine Frau schließlich in die Schweiz schickte, blieb er den radikalen Antisemiten in der

344 345 346 347 348 345

Ebenda, Verbindungsstab an MAN-Direktion (10. 2. 1934). BayHStA, MA 106 682, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 17. 2. 1934. BayHStA, M f i 6879, Dinglreiter an Siebert (27. 2. 1934). Hinweis in BayHStA, MWi 6879. Ebenda, Schreiben Sieberts an MWi vom 29. 6. 1934 (ebenfalls Korrespondenz mit Reichwehrministerium). Ebenda, MAN-Direktion an MWi (2. 7. 1934).

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Augsburger NSDAP zwar suspekt, behielt jedoch bis 1945 die Rückendeckung sowohl Gauleiter Wahls als auch des DAF-Gaufiihrers Aschka'50. Auch nachdem im Frühjahr 1934 aufgrund des Gesetzes zur »Ordnung der nationalen Arbeit« (AOG) vom 20. Januar 1934 die Betriebsräte durch den nationalsozialistischen Vertrauensrat abgelöst wurden, blieben Konflikte, wie sie sich 1933 bei MAN abgespielt hatten, nicht aus. Laut AOG sollte der Vertrauensrat als Organ des Einzelbetriebes agieren, d. h. unabhängig von den lokalen Ämtern der DAF, als ein — vom Vertrauen der Betriebs»Gefolgschaft« getragenes — Beratungsorgan der Betriebsführung. Das Führer-Gefolgschaftsprinzip, das auf diese Weise institutionalisiert werden sollte, stand aber nicht nur im Widerspruch zu dem Bewußtsein der Arbeiterschaft, sondern auch großer Teile der NSBO und DAF, die im Vertrauensrat weiterhin ein — wenn auch in seinen Kompetenzen stark reduziertes — Organ der Vertretung der Arbeitnehmer-Interessen erblickten. Das Führer-Gefolgschaftsprinzip kollidierte auch mit der Tatsache, daß die NSBO als »Partei im Betrieb« über die innerbetriebliche Sozialpolitik hinaus eine allgemeine politische Schulungs- und Überwachungsfunktion (letzten Endes auch in bezug auf die Betriebsleitung) beanspruchte und die Besetzung der Betriebszellenfunktionen den vorgesetzten außerbetrieblichen NSBO- bzw. DAF-Ämtern unterlag, die dadurch die Möglichkeit behielten, wenigstens mittelbar in die Betriebe hineinzuwirken und Einfluß auf die Zusammensetzung des Vertrauens rates zu nehmen. Die erste Vertrauensratswahl bei MAN im April 1934 brachte für die DAF ein enttäuschendes Ergebnis. Der Wahlvorschlag insgesamt wurde nur von einer knappen Mehrheit der Abstimmenden getragen351, einzelne Kandidaten fielen durch. Wegen dieser Blamage verhinderte Gaubetriebszellenleiter Aschka eine Veröffentlichung von Einzelwahlergebnissen352. Unter Leitung von Walter Funk gehörten dem Vertrauensrat neben alten Kämpfern der NSBO eine Reihe ehemaliger Mitglieder des »gelben« Arbeiterrings an, der sich im März 1933 der NSBO eingegliedert hatte. Unter den 20 Mitgliedern und Ersatzleuten des Vertrauensrates befanden sich 5 Ingenieure, 4 Gruppenführer oder Meister, ein Büroangestellter und 10 Arbeiter (5 Schweißer und Monteure, 4 Dreher, 1 Schlosser). Schon aufgrund dieser Zusammensetzung lag es nahe, daß der Vertrauensrat in der Regel bemüht war, seine Aufgabe der Interessenwahrung und Konfliktschlichtung — auch sofern es sich um Streitfälle mit politischem Einschlag handelte — entsprechend der »gelben« Tradition des alten Arbeiterrings im Einvernehmen mit den leitenden Angestellten, Fabrikbeamten und der Direktion auszuführen. Der Vertrauensrat entwickelte, auch in Zusammenarbeit mit den Vertrauensräten der MANWerke Nürnberg und Gustavsburg, zwar einige Initiativen zur Verbesserung der Lage einzelner Gruppen von Angestellten und Arbeitern, stieß aber schnell auf enge, ihm von der Betriebsleitung gesteckte Grenzen. Das zeigte sich bereits bei der betriebsinternen Auslegung der Funktion des Vertrauensrates. Während die Werksleitung den Standpunkt vertrat, daß Beschwerden von Arbeitnehmern erst den jeweiligen Betriebsinge-

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Siehe Peterson, a.a.O., S. 368. BayHStA, MA 106 682, Lagebericht des Regierungspräsidenten von Schwaben vom 4. 5. 1934. Siehe hierzu das Interview mit Aschka in der Neuen Nationalzeitung vom 17. 4. 1934.

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nieuren, dann dem Betriebsleiter und erst im Falle des Scheiterns einer Abhilfe durch diese Stellen dem Vertrauensrat unterbreitet werden sollten353, machte der Vertrauensrat in seiner Stellungnahme geltend, daß er die erste Anlaufstelle für Klagen der Arbeiter sein müsse. Man einigte sich schließlich darauf, abzuwarten, welchen Beschwerdeweg die Angehörigen der Belegschaft bei Konflikten einschlagen würden354. Tatsächlich zeigte sich rasch, daß der Vertrauensrat, von dem man wußte, daß er am kürzeren Hebel saß, von den Arbeitnehmern bei Beschwerden sehr viel seltener in Anspruch genommen wurde als die Werkshierarchie. Dazu trug auch bei, daß die Reichsorganisationsleitung der D A F mit der Erklärung, daß der Vertrauensrat keine Beschwerdestelle sei, dessen Stellung selbst untergrub355. Demgegenüber hatten die Augsburger DAF-Ämter für Klagen der MAN-Arbeiter stets ein offenes Ohr. Vor den für April 1935 anberaumten Vertrauensratswahlen drängte die Kreisbetriebszellenleitung gegen den Widerstand von Direktor Schultz auf eine Ablösung Funks, da sich der Vertrauensrat von der Betriebsführung habe schulmeistern und beiseite drängen lassen356. Während Schultz den Treuhänder einschaltete, entwickelten sich um die Aufstellung der Kandidaten der Liste weitere Streitigkeiten. Der neue Zellenobmann Dominikus Eigler, ein Schlosser, war offensichtlich von Leitner angewiesen worden, Funk von der Liste zu eliminieren. Eigler argumentierte, Funk würde »nach seinen Informationen . . . von einem großen Teil der Belegschaft abgelehnt werden«357. Das Bemühen, den Wahlvorschlag attraktiver zu gestalten, schlug sich in der sozialen Zusammensetzung der Kandidaten nieder: von zehn 1934 gewählten Vertrauensräten traten nur mehr drei an. Unter 18 nun Vorgeschlagenen befanden sich zwei Ingenieure, ein Meister, ein Gruppenführer, zwei technische Angestellte, sieben Schlosser, zwei Dreher sowie drei Schweißer und Monteure358. Nach Ablauf der Frist zum vorschriftsmäßigen Aushang der Liste — dies hätte an sich bereits das Eingreifen des Treuhänders bedingt — ließ die Betriebsleitung Funk fallen. »Dies — so Schultz zu Eigler — dürfe aber nicht als Schwächebeweis aufgefaßt werden, sondern nur als. . . Absicht der Firma, ihre Angelegenheiten im eigenen Umkreis zu erledigen«359. Die Wahl vom 12. April 1935 endete mit einer neuerlichen Enttäuschung: bei einer Wahlbeteiligung360 von 86,6% (4395 Stimmabgaben bei 5076 Wahlberechtigten) entfielen 61 Prozent auf die Einheitsliste. Erst eine nach Erlaß der DAF-Richtlinien über eine großzügige Zählung von Stimmzetteln (mit Streichungen einzelner Kandidaten, Strichen, Kreuzen etc.) manipulierte zweite Auszählung ergab durchschnittlich 70 Prozent pro Kandidat361. Der neue Vertrauensrat wurde zunächst von Nachwehen der Ablö-

353 354 355 356 357

M A N , A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Bekanntmachung Betriebsführung v o m 18. 10. 1934. M A N , A 2, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Protokoll Vertrauensratssitzung v o m 24. 10. 1934. N e u e Nationalzeitung v o m 29. 11. 1935 unter B e z u g auf einen Artikel des D A F - I n f o r m a t i o n s d i e n s t e s . M A N , A 2, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Protokoll Vertrauensratssitzung v o m 22. 3. 1935. M A N , A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Niederschrift Besprechung Roethlein (Direktion)/Eigler vom 28. 3. 1935.

» Kandidatenlisten in M A N , A 2 . 2 . 8 . M A N , A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Niederschrift Besprechung Schultz, Roethlein, Barth (Direktion), Eigler v o m 29. 3. 1935. 3 6 0 D i e in der N e u e n Nationalzeitung v o m 16. 4. 1935 gemeldete Wahlbeteiligung von 9 0 , 3 % ist unrichtig. 361 M A N , A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Werksleitung an Abwehrstelle, Wehrkreis V I I (29. 5. 1935). 35

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sung Funks in Anspruch genommen. Die Räte erkundigten sich bei der DAFRechtsberatungsstelle über Möglichkeiten eines Vorgehens wegen arbeitsrechtlicher Unregelmäßigkeiten in der Firma und verständigten die Kreiswaltung der Reichsbetriebsgemeinschaft 6-Eisen und Metall der DAF von der Privilegierung der im April abgelösten Vertrauensräte durch die Unternehmensleitung. Der Vertreter von Schultz, Direktoriumsmitglied Barth, heuerte daraufhin, um die Informanten der DAF ausfindig zu machen, einen ehemaligen Vertrauensrat als Spitzel innerhalb der NSBO-Betriebszelle an. Um dem neuen Vertrauensrat Paroli zu bieten, ordnete die Werksleitung außerdem an, daß alle Aushänge der DAF-Blockwalter innerhalb der Firma ihr zunächst vorzulegen seien, da auch DAF-Plakate »aus Betriebsrücksichten nicht erwünscht« sein könnten362. Bei diesem Konflikt setzte sich die NSBO aber schließlich durch. Gegen den Spitzel wurde ein Parteiordnungsverfahren in Gang gesetzt3". Einer der aktivsten und profiliertesten Vertrauensräte, der Eisendreher Wilhelm Kölz, zwang Barth durch Androhung einer Meldung beim Treuhänder der Arbeit und einer Anzeige beim Sozialen Ehrengericht zu einer förmlichen Entschuldigung für seine ehrenrührigen Äußerungen 3 ". Dennoch verfolgte der neue Vertrauensrat keineswegs einen Kollisionskurs, obgleich er Vorstöße zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und sozialen Lage der Arbeiter selbstbewußter und erfolgreicher als sein Vorgänger vertrat. Ein Großteil der Arbeit des Vertrauensrats bestand freilich in der Organisation von Veranstaltungen der DAF, vorzugsweise der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude«, von Betriebsversammlungen und Festen, dem Aufbau der Werkschar, Sammelaktionen und Zeitschriftenverkauf. Der Kompromißkurs gegenüber der Werksleitung verstärkte sich noch, nachdem Direktor Schultz am 1. Mai 1936 durch Walther Winterle abgelöst wurde, der ein partnerschaftlicheres Verhältnis zu Eigler und den gemäßigteren Mitgliedern des Vertrauensrates pflegte. Die neue Harmonie, die von einigen sozialpolitisch radikaler eingestellten Vertrauensräten mißtrauisch beobachtet wurde, provozierte erneut das Eingreifen sowohl des DAF-Kreiswalters Leitner wie auch des für den MAN-Bezirk zuständigen NSDAPOrtsgruppenleiters Josef Linkel, die auf die Ablösung Eiglers drängten. Dieser konnte jedoch noch im September 1936 die Mehrheit des Vertrauensrates für eine weitere Unterstützung seines kooperativen Kurses gegenüber der Betriebsleitung gewinnen. Die Mehrheit erklärte: »Wir wissen aus unserer beinahe zweijährigen Erfahrung heraus zur Genüge, daß immer wieder Elemente auftauchen werden, die diese Zusammenarbeit zu stören versuchen«. Diese Versuche würden »rücksichtslos erstickt . . . selbst auf die Gefahr hin, uns einer gewissen Schicht entfremden zu müssen«3'5. Als im März 1937 die Verlängerung der Amtszeit der Vertrauensräte angeordnet wurde, machte Eigler sein weiteres Amtieren von einer Vertrauenserklärung der DAF-

362 363

3M M

Ebenda, Vertrauensrat 1935-38, Protokoll Vertrauensratssitzung vom 15. 3. 1937. Ebenda, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Eröffnungsbeschluß NSDAP-Kreisgericht Augsburg-Stadt vom 10. 7. 1935. Ebenda, Schreiben Kölz an Betriebsleitung vom 6. 6. 1935. Ebenda, Vertrauensrat an Winterle (25. 9. 1936).

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Kreiswaltung abhängig 3 ". Nach Rücktritt eines Mitglieds des Vertrauensrates und der Abberufung des stellvertretenden Betriebsobmannes durch Leitner 3 ' 7 , suchte die Kreiswaltung einen Rücktritt des gesamten Vertrauensrates zu bewirken, während Direktor Winterle und die amtierenden Räte nur eine Aufstockung des Gremiums wünschten, um die größeren Werkstätten, die bisher nicht vertreten waren, repräsentieren zu können. Auf einer Sondersitzung des Vertrauensrates warfen Leitner und der DAF-Gaufachschaftsleiter der MAN-Betriebsleitung schlechte Entlohnung von Ungelernten, mangelnden Unfallschutz sowie Fehlgriffe in der Behandlung von Arbeitern vor. Letzteres sei ihnen durch die Politische Polizei und Belegschaftsangehörige bekannt geworden. Es war klar, daß die Kritik auch Eigler galt, dem mangelnder Kontakt zur Kreiswaltung, Unfähigkeit bei der Leitung des MAN-Apparates von 300 DAF-Zellen- und Blockwaltern und fehlendes Durchsetzungsvermögen bei der Werksleitung angelastet wurden. Auf Anweisung des Treuhänderamtes unterblieb jedoch der Rücktritt des Vertrauensrates. Es erfolgte die reguläre Ergänzung. Leitner mußte zunächst nachgeben 3 ' 8 . Erst ein Jahr später, im Juli 1938, gelang es Kreiswalter Leitner, zwei Vertrauensräte, die sich von Eigler übergangen fühlten, auf seine Seite zu ziehen und den Obmann zu Fall zu bringen 3 ". Ohne die Firmenleitung anzuhören, berief Leitner Eigler als Betriebsobmann ab. Als Winterle versuchte, bei Kreisleiter Schneider zu intervenieren, konterte Ortsgruppenleiter Linkel, Eigler würde »nur katzbuckeln und niemals seine Ansicht vertreten«. Gleichzeitig ernannte Leitner den Schlosser Albin Bachmann, einen alten Feind Eiglers, der mit der DAF-Kreiswaltung laufend Kontakt gehalten und sie über die Beschwerden aus dem Betrieb unterrichtet hatte, zum kommissarischen Obmann bei MAN. Auf Ersuchen der Betriebsleitung wurde eine Sondersitzung mit allen Beteiligten durch den Treuhänder der Arbeit einberufen, der nur Kreisleiter Schneider trotz Ladung fernblieb370. Bei der Besprechung kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Während 7 Vertrauensmänner sich hinter Eigler stellten und für den Fall seines erzwungenen Ausscheidens mit dem eigenen Rücktritt drohten, protestierten Kreiswalter Leitner und der Gaufachschaftsleiter der D A F gegen die Verhandlungsführung des Vertreters des Münchener Treuhänderamtes und verließen die Zusammenkunft. Da auch unter den D AF-Blockwaltern bei M A N eine starke Solidarisierung mit Eigler zum Ausdruck kam, entschied der Treuhänder schließlich in Absprache mit dem Gauleiter, Eigler als Geschäftsführer des Vertrauensrates zu belassen und Bachmann als NSBO-Obmann zu bestätigen. Die beiden rauften sich unter Kompetenzstreitigkeiten schließlich zusammen371. Das Mißtrauen der Augsburger Parteileitung gegenüber der MAN-Direktion blieb bestehen. Kreisleiter Schneider sah sich während der Kriegsjahre laufend veranlaßt, Ebenda, Ebenda, 3 6 8 Ebenda, 3 " Ebenda, 3 7 0 Ebenda, 3 7 1 Ebenda, M

367

Protokoll Vertrauensratssitzung vom 16. 3. 1937. Schreiben Leitner an Betriebsleitung vom 31. 8. 1937. Vertrauensrat 1935-38, Protokoll Vertrauensratssitzung vom 11. 11. 1937. Vermerk zur Vertrauensratssitzung vom 11. 7. 1938. Sitzungen Vertrauensrat 1935—38, Protokoll Vertrauensratssitzung vom 22. 7. 1938. Vermerk zur Vertrauensratssitzung vom 23. 8. 1938.

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unter Hinweis auf das schlechte Betriebsklima in Unternehmen, die »nationalsozialistisch nicht in O r d n u n g seien« — wobei er die M A N ausdrücklich ansprach —, bei der Gauleitung die Einsetzung zuverlässiger Nationalsozialisten als Betriebsführer zu fordern. Er hielt eine stärkere Kontrolle der N S D A P über die Industrie nach Beendigung des Krieges f ü r erforderlich 372 .

Innerbetriebliche Situation, Unzufriedenheit und Opposition Die seit 1934/35 einkommenden Rüstungsaufträge sicherten und vermehrten zwar die Arbeitsplätze, führten aber unter D r ü c k u n g der Stücklohnsätze auch zu einer Ausweitung des Akkords. Beschwerden über zu niedrige Lohnsätze und Akkordtreiberei rissen bei M A N (ähnlich wie bei der Firma Renk) erst ab, als der Mangel an Metallfacharbeitern die Firmenleitung seit 1936 zwang, über die eingefrorenen Nominallöhne hinaus außertarifliche Zuschläge und Vergünstigungen zu gewähren 375 . Diese nach 1933 zunächst fortbestehende schlechte Arbeitssituation ermöglichte es den D A F - A m t s w a l tern kaum, das Vertrauen der Arbeiterschaft zu gewinnen. Die Machtlosigkeit der Arbeitsfront im Vergleich zu den alten Gewerkschaften bei der Regelung von Tariffragen tat ein übriges, um das Ansehen der neuen Arbeitervertreter herabzusetzen. Kleine Erfolge auf Nebenschauplätzen, wie im April 1936 die Auflösung des Betriebsbeamtenvereins, der sich bis dahin den Gleichschaltungsbestrebungen durch die D A F entzogen hatte 374 , konnten die Arbeiter kaum f ü r die D A F interessieren. Das Ansehen der D A F war so schlecht, daß Amtswalter und Vertrauensräte gezwungen waren, bei der Disziplinierung von »Nörglern« oder Verweigerern des deutschen Grußes die Autorität der Betriebshierarchie in Anspruch zu nehmen 375 . Zum Besuch von DAF-Veranstaltungen mußte die Belegschaft durch Verwarnungen seitens der Betriebsleitung angehalten werden 376 . Eine Reihe von Forderungen der Arbeitsfront stieß sowohl bei der Firmenleitung als auch bei der Belegschaft gleichermaßen auf Widerstand. Versuche, nach dem Vorbild von Messerschmitt, die Mitgliedschaft in der D A F zur Voraussetzung bei Neueinstellungen zu machen und dies in der Betriebsordnung zu verankern, scheiterten 1936 am Einspruch Winterles: »Auf diejenigen, die grundsätzlich ablehnen, soll ein weiterer Einfluß nicht ausgeübt werden« 377 . Große Teile der Belegschaft waren kaum dazu zu bewegen, über die vom Lohn abgezogenen DAF-Beiträge hinaus freiwillige Leistungen f ü r nationalsozialistische Organisationen und Einrichtungen zu erbringen. Eine Spendenaktion vom Sommer

372 373

374 375 376

377

StAN, NS-Akten. Monatsbericht Kreisleiter Augsburg-Stadt für August 1941 und November 1942. Siehe die zahlreichen Hinweise in den Berichtsreihen des Regierungspräsidenten von Schwaben und der Polizeidirektion Augsburg 1934-1936, in: BayHStA, MA 106 682 und 106 686. M A N , A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 7. 6. 1935. Ebenda, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 25. 4. 1935. Ebenda, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 11. 2. 1 9 3 5 . - Z u m Desinteresse der Arbeiterschaft, zumalin Großbetrieben, an Kundgebungen der D A F siehe die Erwähnung einzelner Fälle in den Lageberichten der Polizeidirektion Augsburg (PDA) vom 1. 11. 1934 und vom 3. 4. 1936, beide in BayHStA, M A 106 697. M A N , A 2, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Vormerkung zur Vertrauensratssitzung vom 17. 6. 1936 und ebenda, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 16. 12. 1936.

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1933 zur Förderung der Arbeitsbeschaffung brachte bei rund 4200 Beschäftigten 2350,RM ein378, was gegenüber städtischen Betrieben des öffentlichen Dienstes weit zurücklag. Anläßlich der DAF-Sammlung zum WHW im Herbst 1935 brachte die 5400 Personen umfassende Belegschaft ganze 900,- RM auf57'. Als die NSBO-Zelle anläßlich des Reichsparteitages von 1936 400 Exemplare einer Sondernummer des Stürmer abzusetzen hatte, äußerte Eigler, daß dies »bei unserer Belegschaft sehr schwer« sei"0. Um die Spenden zum WHW zu erhöhen, faßte der Vertrauensrat den Beschluß, im Herbst 1936 den Erlös einer halben Stunde Mehrarbeit für das WHW abzuführen. Es kam daraufhin zu massiven Unmutsäußerungen und sogar zu Streikansätzen31". Wenige Wochen später kündigte die DAF an, mit Jahresbeginn 1937 werde die Berechnung ihrer Beitragssätze statt wie bisher auf der Basis einer 48-Stundenwoche dem tatsächlichen Verdienst der inzwischen erreichten 56- bis 60stündigen Wochenarbeitszeit angepaßt. Nach den vorausgegangenen Erfahrungen hielt der MAN-Vertrauensrat der DAFKreiswaltung vor Augen, dies werde »Unruhe und Verbitterung«, eventuell auch Überstundenverweigerung auslösen382. Als die Reichsorganisationsleitung der Arbeitsfront im März 1937 in Rundschreiben empfahl, Sammlungen weiterhin durch Ableistung von Mehrarbeit durchzuführen, beschloß der Vertrauensrat, »nachdem die Durchführung . . . bei uns wegen Schichten, Uberstunden und aus Abneigungsgründen auf Schwierigkeiten stößt«, 20 Pfg. vom Lohn jedes »Gefolgschafters« mit Ausnahme der Lehrlinge einzubehalten383. So wurde auch künftig verfahren. Im Herbst 1937 wurde der Erlös einer vollen Überstunde zugunsten des WHW abgezogen384. Diese mangelnde Gebefreudigkeit lag aber nicht nur im geringen Ansehen der DAF begründet, sondern auch in Skandalgerüchten über Unterschlagungen bei NSV und WHW. Verbreitet war die Meinung, die Sammelgelder würden in die Kassen der Rüstungsindustrie fließen. Der Vertrauensrat der MAN bemühte sich durchaus, Lohnverbesserungen für einzelne Abteilungen und Berufsgruppen, deren Akkordsätze während der Krise herabgesetzt worden waren, zu erreichen385. Selbst der mit ehemaligen »Gelben« stark durchsetzte Vertrauensrat von 1934/35 leistete Widerstand, als die Betriebsleitung versuchte, Konzessionen an die Angestelltenschaft, die ähnlich den Fabrikbeamten zu unbezahlten Überstunden herangezogen wurde, wieder rückgängig zu machen3'6. Dennoch vermochten die Vertrauensräte nicht die Achtung der Arbeiter zu erringen. Nach der Wiedereingliederung der meisten Beschäftigungslosen in den Arbeitsprozeß wurde es immer schwieriger, die restriktive Lohnpolitik zu rechtfertigen. Bei den Vertrauensratswahlen am 12. April 1935 wurde ein Zettel mit folgendem Text abgegeben: 378 379 380 3,1 387 383 384 385 384

Neue Nationalzeitung vom 11. 8. 1933. M A N , A 2, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 14. 10. 1936. Ebenda, Vormerkung zur Vorsprache vom 21. 9. 1936. Ebenda, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 17. 10. 1936. Ebenda, Vormerkung zur Vertrauensratssitzung vom 16. 12. 1936. Ebenda, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 16. 3. 1937. Ebenda, Vormerkung zur Vertrauensratssitzung vom 12. 10. 1937. Ebenda, siehe etwa Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 4. 9. 1936. Ebenda, Vertrauensrat (allgem.) 1933-37, Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Vertrauensräte der M A N Werke vom 13. 10. 1934.

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»Was wollt Ihr denn Ihr Arbeiterverräter? H a b t doch nichts mehr zu sagen: tretet ab! W o bleibt die Volksgemeinschaft Ihr Knechte des Kapitals, mit dem Händedruck der Kapitalisten könnt Ihr Euch nichts kaufen : wahrer Sozialismus ist nur das, wenn Ihr dem der viel hat etwas nehmt und dem der wenig hat, gibt. Macht Euch frei von dem nationalen Rausch! An 1914 hatten wir auch Volksgemeinschaft unten, aber oben merkt Ihr nichts, V o l k erwache! Heil? W o ist Heil - heißt Befreiung von N o t , Elend, Knechtschaft, Kummer, Sorgen, Sünde — wo? w o ? w o ? ist Heil. N u r die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber. F o r t mit dem Hitlerspuk« 3 ' 7 .

Trotz höherer Löhne und Vollbeschäftigung war die Unzufriedenheit geradezu endemisch geworden388. Als Reichswirtschaftsminister Schacht im Juli 1936 bei einem Besuch der MAN zu einer Belegschaftsversammlung sprach, wurde seine Rede »mißmutig aufgenommen und deshalb sehr spärlich mit Beifall bedacht, weil der Redner die Arbeiter nur zu größerer Kraftanstrengung und Ausdauer ermahnte, für ihre sozialen Fragen aber kein Wort übrig hatte«38'. Den Alltag in der Rüstungsfertigung hat der MAN-Arbeiter Josef Wäger in einem Bericht für die Sopade im Spätsommer 1937 eindringlich beschrieben: »Die Zustände. . . ähneln in Arbeitsmethoden, Aufsicht und Kontrolle dem Leben und Treiben in einer Kaserne. U n d so wie man sich beim Militär der ganzen militärischen Maschinerie nicht als Einzelner entgegenstellen kann, so muß man sich auch hier ducken. Während der militärischen Dienstzeit sagt man sich »Hier hilft weiter nichts als wie schlucken und aushalten, bis D u wieder den R o c k ablegen und frei atmen kannst«. Diese Stimmung beherrscht auch die Arbeiterschaft in solchen Betrieben . . . In den ersten Jahren der Rüstungskonjunktur war die Überwachung jeder menschlichen Regung noch nicht so ausgebaut. Die Arbeiter waren deshalb eher Witzen zugänglich . . . D a s ist alles vorbei. Jetzt ist man auch gegen Witze völlig abgestumpft. Es gibt weder Begeisterungstaumel für das System noch Anhaltspunkte für freiheitliche Regungen. Ein Zustand der Apathie ist eingetreten. Mit dieser Arbeiterschaft können noch viele Experimente gemacht werden . . . Soweit noch ehemalige freigewerkschaftliche Funktionäre im Betrieb Arbeit gefunden haben, werden sie von der alten Belegschaft hoch geachtet. E s k o m m t auch vor, daß sie vom jetzigen Vertrauensrat zu Rate gezogen werden, was in dem einen oder anderen Falle zu machen ist . . . D i e Ingenieure und Direktoren wissen sehr gut zu unterscheiden zwischen der Kapitalbekämpfung von einst und jetzt. Sie kennen die alten Draufgänger und haben bisher noch nicht erkennen lassen, daß sie ihre Wiederkehr wünschen« 3 9 0 .

Politische Opposition äußerte sich in staatsfeindlichen Bemerkungen, Schmierereien auf dem Werksgelände und Gruppenbildungen in der Belegschaft. Als 1934 nach Aufstockung des Personals die erwarteten Aufträge von Reichswehr und Reichsmarine auf sich warten ließen, was vielleicht auf die Einwirkung des Verbindungsstabes der NSDAP zurückzuführen war, mußte Ende Mai für Gießerei und Hammerschmiede Kurzarbeit eingeführt werden. Umgruppierungen in der Belegschaft ließen zunächst Entlassungen vermeiden. Betriebsobmann Funk, von der Werksleitung nach den Vorfällen vom Februar 1934 wohl vorgeschickt, appellierte an Siebert und Stoeckle, Aufträge zu vermitteln, da in diesen Abteilungen Unruhe ausgebrochen sei. Anfang Juni habe man in der Gießerei ein Hitlerbild gefunden, das mit »Ernst Thälmann« gezeichnet gewesen sei. In einer anderen Abteilung sei auf dem Abort ein Aufruf zum »Generalap-

3,7 381 m 3,0

BayHStA, MA 106 686, Monatsbericht PDA für April 1935. Ebenda, Monatsberichte PDA für April und Juni 1936. Ebenda, Monatsbericht PDA für Juli 1936. Deutschland-Bericht der Sopade 9/37.

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pell der KPD« am 15. Juni angeschrieben worden. Zudem sei »starke klerikale Arbeit« zu verzeichnen. »Ich möchte . . . darauf hinweisen, daß zu einem Zeitpunkt, w o die Arbeiterschaft anfängt, Vertrauen zur Regierung und zur N S D A P zu fassen, bei eintretender Kurzarbeit oder gar Entlassungen solche Schmutzfinken und Verräter wesentlich leichter . . . Gehör finden«" 1 .

Wenn derartige Kassandra-Rufe auch nicht voll ernst zu nehmen waren, da sie der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile dienten, so sind sie doch bezeichnend dafür, wie auf die Furcht übergeordneter Stellen vor einer Rebellion in den Betrieben spekuliert wurde. Im Gegensatz zu den Beamten der Politischen Polizei neigten viele der mit Überwachungsaufgaben betrauten Funktionäre der Partei und der NS-Gliederungen zu Uberbewertung oppositioneller Erscheinungen, um die Bedeutung ihrer Tätigkeit herauszustellen. Die BPP unterhielt unabhängig von D A F und N S B O in wichtigen Betrieben, zumal wenn sie mit Rüstungsaufträgen befaßt waren, ein Informantensystem, das im Laufe der Jahre soweit ausgebaut wurde, daß selbst Kreisleiter Schneider im Sommer 1940 der Gauleitung berichtete, in diesen Fabriken herrsche ein Überwachungsklima, das von Beschäftigten als »kommunistische Diktatur« klassifiziert werde. »Die Tätigkeit der Gestapo und des S D [wird] als Spitzeldienste übelster Sorte gebrandmarkt, . . . und es ist nicht abzustreiten, daß gerade von der Gestapo manchmal Manieren an den Tag gelegt werden, die als direkt volksschädigend bezeichnet werden m ü s s e n « 1 " .

Von Sommer 1935 bis Februar 1939 wurden Arbeitskräfte, die für die Rüstungsindustrie als ungeeignet befunden wurden, von den Abwehrstellen der Wehrbezirkskommandos gezielt erfaßt, um in Zusammenarbeit mit den Landesarbeitsämtern deren Weitervermittlung in andere Rüstungsbetriebe oder geschützte Abteilungen zu verhindern. Zwischen Juli 1936 und Mai 1937 wurde für insgesamt neun bei M A N entlassene Arbeiter diese sogenannte »gelbe Karte« ausgestellt. Sechs davon waren wegen politischer Delikte aus dem Betrieb gewiesen worden393. Zwar bestätigen Zeugenberichte, daß aufgrund der Kenntnis der politischen Einstellung von Arbeitskollegen, zahlreiche Nationalsozialisten eingeschlossen, kritische Gespräche am Arbeitsplatz immer möglich waren und gerne geführt wurden3'4, doch mehrten sich seit 1936 die Denunziationen in der M A N , die sich eben auf derartige Diskussionen bezogen3'5. Das Hauptaugenmerk der Uberwacher galt etwaigen Sabotageakten und Streikversuchen. Sabotageakte sind rückblickend noch schwieriger nachzuweisen als damals, zumal die Grenze zwischen fahrlässigen und böswilligen Beschädigungen schwer zu bestimmen war und ist. Ausfälle und Verschleißerscheinungen an Maschinen und Werkzeugen als Folge von Überbeanspruchung, in den späteren Kriegsjahren auch wegen fehlenden

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S t d A , 36/680, F u n k an Stoeckle (8. 6. 1934). Siehe auch Deutschland-Berichte S o p a d e 7/34. S t A N , N S - A k t e n , Lagebericht N S D A P - K r e i s l e i t u n g Augsburg-Stadt v o m 10. 8. 1940. M A N , A 2, Entlassungen 1936-40. Freundlich erteilte A u s k u n f t von O t t o Freihalter vom 19. 3. 1977 und von J o s e f Reichenzeller vom 21. 3. 1977. StA München, Staatsanwaltschaft 8421, 3789, 4164, 9365, 5825, 9707 und 9950.

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Wartungspersonals und der vielen kurzfristig angelernten Kräfte, waren so häufig, daß nur mehr einzelne, gravierende Fälle registriert wurden596. Unter den eruierten Beschädigungen von Produktionsmitteln und Fabrikaten vor 1939 sind folgende Fälle als sabotageverdächtig zu klassifizieren: Am 7. März 1936, dem Tag des Einmarsches in das entmilitarisierte Rheinland, explodierte im Härteraum der Zahnradfabrik Renk ein Ölkessel. Der entstandene Brand verursachte hohen Sachschaden3'7. Im August oder September 1936 wurden Beschwerden von Kunden der MAN bekannt, wonach sich bei gelieferten Dieselmotoren Mängel gezeigt hätten. Fehlerhafte U-Boot-Motoren hätten beinahe ein Unglück verursacht. Hierbei habe es sich »teils um Schlamperei und unsaubere Arbeit, teils um Nichtbeachtung von in der Zeichnung gegebenen Anweisungen« gehandelt3'8. Mitte September 1936 wurde ein 25jähriger Fräser der MAN-Gerätefertigung entlassen, nachdem er »wiederholt Ausschuß von Werksstücken und Schaden an Arbeitsmaschinen und Werkzeugen verursacht« hatte. »Aufgrund seines Könnens müssen diese Handlungen als mindestens grob fahrlässig bezeichnet werden«3". Die Firma nahm mit der Politischen Polizei Kontakt auf, um Anzeige wegen Wehrmittelbeschädigung zu stellen. Diese unterblieb, da die Abwehrabteilung Berlin eine Bestrafung nicht für möglich erachtete400. Noch gefährlicher als diese Versuche einzelner, Sand in das Getriebe der Rüstungsindustrie zu streuen, erschien Werksleitung, DAF-Amtswaltern und Politischer Polizei das Fortbestehen geschlossener Gruppen ehemals freigewerkschaftlich organisierter Arbeiter, die in über viele Jahre gewachsener Kameraderie ganze Werkshallen beherrschten. So vermochten sich beispielsweise die 120 Mann der Fabrikfeuerwehr, ein von ehemaligen Offizieren und Unteroffizieren des alten Heeres geleiteter Verband halbmilitärischen Charakters, dem durchwegs langjährige MAN-Arbeiter und Inhaber von Werkswohnungen401 angehörten, einer nationalsozialistischen Unterwanderung zu entziehen. »In den Abteilungen X. und Y. hatten die Nazi nie etwas zu melden. Es kam nicht selten vor, daß sich die beiden Abteilungen geschlossen von irgendeiner Naziveranstaltung abmeldeten oder den Kauf von Winterhilfe-Abzeichen ablehnten. Um diesen für die Betriebsgemeinschaft gefährlichen Widerstand zu brechen, hat man einzelne Nazis unter die Stammbelegschaft gemischt. Es sind alles Werkscharmänner, die beruflich nicht dasselbe leisten können wie die alten. . . Fachleute. Die alten Arbeiter haben den Neulingen schon in den ersten Tagen zu verstehen gegeben, daß sie keinen Spaß verstehen. Ein Werkscharmann erzählte, daß ihm aufgetragen wurde, die Gespräche der Kollegen abzuhorchen. Er habe von sich aus gesehen, daß dies ein unkameradschaftliches Verhalten wäre,

3%

3.7 3.8 3W 405 401

Am 19. 3. 1941 Brand von Ölresten in der Abteilung Β 10 mit Einsatz der Werksfeuerwehr. Mit der Untersuchung wurde die Gestapo beauftragt (Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg [BAF], R W 21-1/7, Rüstungskommando Augsburg, Kriegstagebuch N r . 6); am 19. 1. 1942 Vernichtung eines Lagers des Luftfahrtministeriums im Werksbereich der M A N durch fahrlässige Brandstiftung (Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg [BAF], R W 21-1/10, Rüstungskommando Augsburg, Kriegstagebuch N r . 10). BayHStA, M A 106 697, Lagebericht P D A vom 3. 4. 1936. M A N , A 2, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 4. 9. 1936. M A N , A 2, Entlassungen 1936-40. Ebenda, MAN-Direktion an BPP Augsburg (17. 9. 1936). Die Werkswohnungen der M A N lagen vor allem in der Sebastian-, Lützow- und Leipzigerstraße.

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w o z u er sich nicht hergeben werde. D i e K o l l e g e n sagten ihm, es sei gut, daß er das noch rechtzeitig erkannt habe, bevor ihm ein U n f a l l zustoße . . . E s ist f ü r die Meister u n d Werkstatt-Ingenieure schwer, sich gegen die einheitliche M e i n u n g dieser Q u a l i t ä t s a r b e i t e r d u r c h z u s e t z e n ; g a n z u n m ö g lich ist es für einen N a z i , der mit ihnen z u s a m m e n a r b e i t e n muß, sich ständig im G e g e n s a t z mit seinen Kollegen z u behaupten. D a s hat jeder eingesehen« 4 0 2 .

Das Milieu dieser Reservate beeinflußte die dort beschäftigten Nationalsozialisten insoweit, als sie sich gegenüber der Stammbelegschaft zu profilieren suchten und Forderungen sehr forsch an die Betriebshierarchie herantrugen. Zusammen mit anderen jüngeren Arbeitern bildeten sie einen ständigen Unruheherd, zumal wenn es galt, die Betriebsleitung selbst zu treffen. Andererseits zeigte eine Reihe von Zwischenfällen, daß Konflikte, die sich aus Lohndruck und Reglementierung des Arbeitsablaufes entwickelten, rasch politisch oppositionelle Aspekte annehmen konnten. Als im Mai 1937 Dreher in dem ausschließlich für die Rüstung arbeitenden Zweigwerk Riedinger einen Stücklohnrechner, der ihnen seit Jahren als böswilliger Drücker bekannt war, an der Arbeitsaufnahme zu hindern suchten, forderte Direktor Riehm den zuständigen Vertrauensrat auf, »sich mit aller Energie gegen derartige Disziplinlosigkeiten bestimmter Kreise in der Gefolgschaft zu wenden«403. Als besonderer Unruheherd galt die Werkhalle A 13 (Revolverdreherei). Dort hatten im Mai 1936 Arbeiter vom Abteilungsleiter in drohendem Tone höhere Stücklohnsätze für Lieferungen an das Werk Nürnberg verlangt, nachdem sie von einem Akkordrechner, der demonstrativ mit »Guten Morgen« zu grüßen pflegte, wenn ihm der Deutsche Gruß geboten wurde, aufgewiegelt worden waren404. Im Spätsommer 1937 kam es in derselben Abteilung nach der Einführung von Kontrolluhren (1933/34 war dies von der D A F strikt abgelehnt worden) zur Messung des Zeitbedarfs beim Akkord zu streikähnlichen Vorgängen, mit denen sich die Politische Polizei befaßte. Der zuständige Betriebsingenieur hatte die Aufstellung der Stempeluhren veranlaßt, um Dreher, die bei den schwierigen Abrechnungsverhältnissen in dieser Halle Arbeitszeitverluste hinzunehmen hatten, zu unterstützen405. Ein Großteil der Belegschaft (rund 130 Arbeiter), die als eingearbeitete Fachkräfte hohe Akkordsätze zu verzeichnen hatte, protestierte gegen die Einrichtung und weigerte sich eines Morgens, die Maschinen anzulassen. Vermittlungsversuche des Vertrauensrates scheiterten. Der Abteilungsleiter nahm daraufhin die Uhren zurück. Laut Wager habe »dieser Erfolg . . . das Selbstbewußtsein der Arbeiterschaft sehr gehoben . . . In dieser Abteilung ist seit der Aktion unter der Belegschaft ein kameradschaftliches Verhältnis festzustellen, wie in keiner anderen des Betriebes«406. Wager berichtet von einer weiteren Absprache gegen Reglementierung und Disziplinierung am Arbeitsplatz: Im Herbst 1938 sei durch Verlegung der Stechuhren am Werkseingang für abstempelnde Arbeiter ein Umweg von rund hundert Metern entstanden. Daraufhin seien die Uhren einige Tage lang boykottiert worden. Erst

402 403 404 405 404

Deutschland-Bericht der Sopade 12/37. M A N , A 2, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Vormerkung zur Vertrauensratssitzung vom 25. 5. 1937. Ebenda, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 20. 5. 1936. Ebenda, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 11. 11. 1937. Deutschland-Bericht der Sopade 9/37.

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Drohungen eines Oberingenieurs auf einem Betriebsappell hätten die Belegschaft zum Einlenken bewegt407. Schmieraktionen mit politischem Hintergrund sind besonders in jenen Abteilungen registriert worden, in denen Arbeiter aufgrund ihrer niederen Löhne auf laufende Uberstunden angewiesen waren, so in der Kupferschmiede und in der Schweißerei, Halle C 19, die als Hochburg oppositioneller Kräfte anzusehen ist™. Dort wie in der Revolverdreherei wurden zwischen Februar und April 1938 eine Reihe von Parolen wie »Hitler am Galgen — Göring an die Wand — Goebbels gesteinigt — die Parole ins Land«, »Moskau geling«, »Heil Moskau« und kommunistische Embleme festgestellt409. Wäger berichtet von einer Schmieraktion in der Gießerei während des Sommers 1938, als Unbekannte mit Menninge den Kommunismus und die Rote Armee hochleben ließen. Nach Verhören seien zwei ehemalige KPD-Mitglieder in andere Abteilungen versetzt worden410. In den Hallen A 2 und A 14 war die Unzufriedenheit mit den Stücklohnverdiensten so groß, daß ein Teil der Belegschaft nur durch den Arbeitsvertragszwang an der Kündigung gehindert werden konnte 4 ". In A 14 existierte über Jahre hinweg ein »Jagdclub«, in dem sich Sozialisten aller Schattierungen unter dem Tarnmantel gemeinsamer Freizeitgestaltung zusammengetan hatten412. Ebenso bestanden Zirkel ehemaliger christlicher Gewerkschaftler fort415. Um die Stimmung in den Betrieben zu verbessern, griff sogar die Gestapo ein und entfernte Vorarbeiter oder Aufsichtspersonen, die den Zorn der Arbeiter erregt hatten. Nach Mitteilung eines ihrer Informanten herrschte bei einem Teil der auf 1200 Mann angewachsenen Belegschaft der Firma Renk »größte Unzufriedenheit und Mißstimmung«. Erhebungen ergaben, daß in der Abteilung Großgetriebebau, die für die Panzerwaffe arbeitete, Beschäftigte einen Zeitnehmer mehrmals mit dem Hammer bedroht hatten und mit dem Gedanken einer Demonstration spielten. Der 31jährige Akkordstopper, seit 17 Jahren bei Renk und im Mai 193 7 als Zeitnehmer eingesetzt, hatte alte Akkordsätze der Arbeiter um 50 und mehr Prozent unterboten. Die Betriebsleitung selbst hatte, um die Belegschaft zu einem vertretbaren Verdienst kommen zu lassen, deren Sätze wieder aufgebessert. 1932/33 Mitglied der Gögginger SPD, hatte der Zeitnehmer einst als Schlosser gegen das Akkordsystem agitiert. Er wurde Anfang Juli 1938 für vier Wochen in Schutzhaft genommen, da laut Gestapo der Verdacht bestand, »daß [er] durch sein Verhalten absichtlich und aus politischen Beweggründen Unruhe und Mißstimmung unter die Arbeiterschaft trug, um sie . . . dem Marxismus warm und empfänglich zu halten« (!)414. O b der kaum glaubhafte Verdacht begründet war, ließ sich nicht ermitteln. 407 4011 409

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Ebenda, 10/38. Ebenda. BayHStA, M A 106 686, Monatsberichte P D A für März und April 1938; siehe auch Gestapo-Vernehmungsprotokoll Georg Markmiller vom 9. 4. 1938 (StAM, Staatsanwaltschaft 3789). Deutschland-Bericht der Sopade 9/38. M A N , A 2, Sitzungen Vertrauensrat 1935-38, Protokoll der Vertrauensratssitzung vom 19. 4. 1937. Freundlich erteilte Auskunft von Josef Reichenzeller vom 21. 3. 1977. Freundlich erteilte Auskunft von Otto Freihalter vom 19. 3. 1977. BA, R 58/449, Gestapo Augsburg an Gestapa (28. 3. 1938).

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Gleiche Funktion hatte das polizeiliche Einschreiten gegen die drei Söhne des Inhabers der Schuhfabrik Wessels, die als »üble Verschwender«415 und »Rentenempfänger«416 den Zorn der Betriebsleitung wie der kurzarbeitenden Belegschaft auf sich gezogen hatten. Bis 1936 wurden zwei von ihnen vorübergehend in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen, im April 1936 einer wegen »staatsabträglichen Verhaltens« bereits ein zweites Mal dorthin verbracht4'7. Die bei der Rohstoffzuteilung benachteiligten Unternehmen standen unter dem Zwang zu verstärkter Rationalisierung und versuchten bei steigenden Materialkosten die Profite durch Lohneinsparungen zu sichern: Hilfskräfte und neu eintretende Facharbeiter wurden untertariflich bezahlt. Im Juni 1936 sollten im Zuge der branchenüblichen Sommerflaute die Löhne der Wessels-Jungarbeiterinnen gleich um 30 Prozent gekürzt werden418. Das Eingreifen der DAF verhinderte offenbar den Lohnabbau. Dafür nahm die Firma im folgenden Monat, wohl auf Vorschlag des Vertrauensrates, der hier in die Fußstapfen des alten Wessels-Betriebsrates getreten sein dürfte41', unter den verheirateten Fabrikarbeiterinnen Entlassungen vor.

2. Messerschmitt — Ein nationalsozialistischer

Musterbetrieb

Im Gegensatz zu den alteingesessenen Augsburger Betrieben, die über einen oft seit Jahrzehnten, ja Generationen gewachsenen Stamm von Arbeitern verfügten, boten die Bayerischen Flugzeugwerke die Möglichkeit, eine Firma von Grund auf im nationalsozialistischen Sinne zu gestalten. Das Werk, das seit 1938 den Namen seines Chefkonstrukteurs Willy Messerschmitt tragen sollte, war 1931 in Konkurs gegangen und wurde 1933 nach einem Zwangsvergleich mit öffentlichen Mitteln saniert. Neben Vertretern der Gläubiger, des Reichsluftfahrtministeriums und der Stadt420, saß mit dem SA-Oberführer Theo Croneiß ein Sonderbeauftragter der Obersten SA-Führung im Aufsichtsrat. Ende 1942 wurde Messerschmitt, seit 1941 »Pionier der Arbeit«, als Betriebsführer und Vorstandsvorsitzender abgelöst. Nachfolger wurde sein bisheriger Stellvertreter Rakan Kokothaki. Durch gute Bezahlung und Sonderleistungen der KdF wurde der Stolz der Belegschaft auf ihren Betrieb, der maßgeblich zum Wiederaufbau der Luftwaffe beitrug, auch materiell bestärkt. Das Bewußtsein der Messerschmitt-Arbeiter, zu einer Elite zu

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BayHStA, M A 106 686, Monatsbericht P D A für Juni 1936. B A F , R M f R u K 764, Bericht Rüstungskommando Augsburg von Betriebsüberprüfung bei Wessels vom 18. 11. 1941. BayHStA, M A 106 686, Monatsbericht P D A für April 1936. Ebenda, Monatsbericht P D A für Juni 1936. Zum Wessels-Betriebsrat siehe StdA, 23/982. Stoeckle wurde im Mai 1934 von den Aktionären einstimmig in den Aufsichtsrat gewählt; Mayr folgte ihm in diesem Amt.

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gehören, ließ sie Improvisationen und Mängel der Aufbaujahre des Werkes, etwa den Mangel an Wohnungen im näheren Umkreis der Fabrik, willig auf sich nehmen. Noch bis 1934/35 wurden bevorzugt Parteigenossen und Angehörige von NS-Gliederungen eingestellt. Politisch unzuverlässige Bewerber hingegen wurden abgewiesen. In den folgenden Jahren der Kriegsproduktion mußte verstärkt auf das traditionelle Arbeiterreservoir Augsburgs zurückgegriffen werden, gleichzeitig traten jüngere, von auswärts kommende Fachkräfte und Angestellte ein. Die DAF nahm verständlicherweise bei Messerschmitt, der Firma, der im Juni 1939 die goldene Fahne der Arbeitsfront verliehen wurde, eine starke Stellung ein, indem alle neu eintretenden Gefolgschafter ihr zugewiesen wurden, ihre Appelle und Sammlungen mit Hilfe der Autorität der Firmenleitung durchgeführt werden konnten und sie auch den Bau und die Vergabe der Werkswohnungen kontrollierte. Die Betriebsobmänner nahmen wesentlichen Einfluß auf Personalentscheidungen — wenn auch erst nach 1938, als Betriebsobmann Ludwig Mangold, einem Alt-Pg und SA-Sturmführer, die Funktion eines inoffiziellen Personalstellenleiters zuwuchs, die freilich von einzelnen Abteilungsleitern fallweise eingeengt werden konnte. Nichtsdestoweniger bestand auch hier in der Direktion die Tendenz, die DAF gleichsam zu vereinnahmen und das Nebeneinander zweier Kraftpole im Betrieb durch Integration zu beseitigen. Nach langem Widerstand der Arbeitsfront gelang es der Firma 1938, nach Aufdeckung von Fehlbeträgen in der DAF-Kasse, die Kontrolle über deren Geldverkehr zu erlangen421. Das angestiebte gute Betriebsklima im nationalsozialistischen Sinne vermochte sich nicht zu entwickeln, da die hysterische Furcht vor oppositionellen Regungen und die hektische Suche nach Spionen und Saboteuren — unbestritten waren die Bayerischen Flugzeugwerke ein bevorzugtes Ziel ausländischer Nachrichtendienste — Unsicherheit erzeugten und Mißtrauen säten. Mit Meldung bei der Gestapo und fristloser Entlassung ging die Betriebsleitung gegen diejenigen Gefolgschafter vor, denen man staatsfeindliche Gesinnung nachweisen zu können glaubte. 1939 wurden beim Sondergericht München nicht weniger als sieben Verfahren wegen Heimtückevergehen bei Messerschmitt eingeleitet, die durchweg eingestellt wurden. Die Gerichtsakten422 geben ein bezeichnendes Bild der Atmosphäre gegenseitiger Bespitzelung, die in zahlreichen Abteilungen herrschte. Auch der Sicherheitsdienst der SS (SD) unterhielt bei Messerschmitt einen eigenen Spitzeldienst. Bereits für die Jahre 1935/36 sind Gruppenbildungen meist ehemaliger Freigewerkschaftler belegt, die sich, gegen fremde Elemente abgeschirmt, zum Politisieren zusammenfanden. Diese Zirkel bestanden bis in die Kriegszeit hinein, als Nachrichten ausländischer Sender ausgetauscht oder anhand von Landkarten die Kriegslage debattiert wurde423. Die verstärkten Rüstungsanstrengungen führten im November/Dezember 1936 zu Betriebsausweitungen und zur Neueinstellung von rund 800 Arbeitern aus Oberschle-

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StdA, 34/329, Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 20. 6. 1938. StAM, Staatsanwaltschaft 3229,4913, 8753,4943, 4663,4823, 4733,4798,9384,5847,10 485, 10 517,10 565. Siehe die Verfahren gegen Karl Bochmann und Meinrad Ringmayr in StAM, Staatsanwaltschaft 10 517 bzw. 10 565.

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sien, dem Saarland und dem Rhein-Main-Gebiet. Besonders unter den westdeutschen Arbeitern fanden sich zahlreiche Widerspenstige, angeblich »frühere Marxisten« : »Sie murren über alles, trotzdem ihnen finanzielle Vergünstigungen über das übliche Maß hinaus gewährt worden sind . . . Die Hauptstänkerer mußten bereits entlassen werden; der Rest wurde durch gütliche Zurechtweisungen [!] zufriedener gestimmt« 424 . Hier zeigten sich ähnliche Erscheinungen wie bei den Arbeitern des Reichsautobahnbaus 4 " oder später am Westwall. Zusammenballungen von Beschäftigten verschiedener landsmannschaftlicher und sozialer H e r k u n f t fern ihrer Familien führten zur H ä u f u n g von Disziplinlosigkeiten und Vergehen, aber auch zu Zwischenfällen mit politischem Hintergrund. Die seit 1937/38 bei Messerschmitt beschäftigten österreichischen Arbeiter waren teilweise aufgrund alter sozialistischer Tradition kritisch eingestellt, teilweise aber nationalsozialistisch fanatisiert. Die Enttäuschung über ihr wirtschaftliches F o r t k o m men angesichts der hohen Abzüge u n d Lebenshaltungskosten äußerte sich in politischen Schimpfereien und Schmieraktionen im Betrieb. Unmittelbar vor der Volksabstimmung vom 10. April 1938 wurden in Werksaborten folgende Parolen angebracht: »Es lebe Osterreich, es lebe eine Diktatur, es lebe Moskau, stimmt mit einem freudigen >Nein