Die Aushandlung von Raum: Die Gründung der Stadt Georgsmarienhütte und ihre Vorgeschichte [1 ed.] 9783737011020, 9783847111023

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Die Aushandlung von Raum: Die Gründung der Stadt Georgsmarienhütte und ihre Vorgeschichte [1 ed.]
 9783737011020, 9783847111023

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Inge Becher

Die Aushandlung von Raum Die Gründung der Stadt Georgsmarienhütte und ihre Vorgeschichte

Mit 15 Abbildungen

V& R unipress Osnabrücker Universitätsverlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Zugl. Dissertation an der UniversitÐt Osnabrþck, 2019  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Fa. Advercon, Georgsmarienhþtte, zur Verfþgung gestellt von der Stadt Georgsmarienhþtte Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1102-0

Inhalt

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Raumproduktionen für die kommunale Landschaft von 1860–1951 . . 2.1. Die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte 1860 . . . . . . 2.2. Die Zusammenlegungen der Gemeinden Georgsmarienhütte mit Malbergen und Oesede mit Dröper 1937 . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1. Die Gemeinde Oesede . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2. Gemeinde Georgsmarienhütte . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3. Das Stahlwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.4. NSDAP-Kreisleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.5. Landkreis Osnabrück . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Aushandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Das Scheitern der Zusammenlegung von Georgsmarienhütte und Oesede 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1. Die Gemeinde Oesede 1945–1955 . . . . . . . . . . 2.3.1.2. Die Gemeinde Georgsmarienhütte 1945–1955 . . . 2.3.1.3. Das Stahlwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.4. Die Oeseder Bauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.5. Der Landkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 1.1. Einführung und Leitfragen . . 1.2. Theoretische Grundlagen . . 1.3. Methode und Vorgehensweise 1.4. Forschungsstand . . . . . . . 1.5. Quellenlage . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.3.2. Der Aushandlungsverlauf: Der Zusammenlegungsversuch 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen der kommunalen Neuordnung von 1968 . . . . . . 3.1. Die Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Raumplanung bis 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Das Raumordnungsgesetz vom 8. April 1965 . . . . . . . 3.1.3. Raumplanung im Land Niedersachsen bis 1965 . . . . . . 3.1.4. Das Niedersächsische Raumordnungsgesetz vom 30. März 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5. Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.6. Die Weber-Kommission und ihre Leitgedanken . . . . . . 3.2. Ausgangslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Die beteiligten Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1. Die Gemeinde Oesede . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2. Die Gemeinde Georgsmarienhütte . . . . . . . . . 3.2.1.3. Die Gemeinde Harderberg . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.4. Die Gemeinde Kloster Oesede . . . . . . . . . . . 3.2.1.5. Die Gemeinde Holsten-Mündrup . . . . . . . . . 3.2.1.6. Die Gemeinde Holzhausen . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Interkommunale Zweckverbände . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1. Abwasserverband ›Obere Düte‹ . . . . . . . . . . 3.2.2.2. Der Nachbarschaftsverband . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3. Entwicklung des Mehrzweckverbandes aus dem Schulverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Kommunale Aufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.1. Der Landkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.2. Der Regierungspräsident . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4. Das Stahlwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Produktion einer Idee: Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Ebene I: Der Konflikt mit der Bezirksregierung – Die finanzielle Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Ebene II: Das interkommunale Vertragswerk – Die rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Erste Verhandlungsrunden: Kleine Lösungen ohne Erfolg 4.2.1.1. Verhandlungsrunde 1: Versuch zwischen Nahne und Harderberg 1966 . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.2.1.2. Verhandlungsrunde 2: Versuch zwischen Kloster Oesede und Holsten-Mündrup 1966 . . . . . . . . . 4.2.1.3. Verhandlungsrunde 3: Versuch zwischen Georgsmarienhütte und Oesede 1967 . . . . . . . . 4.2.1.4. Verhandlungsrunde 4: Versuch zwischen Oesede und Harderberg 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Neuansatz für eine große Lösung . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1. Verhandlungsrunde 5: Versuch mit den Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte . . . . 4.2.3. Das Vertragswerk: Erwartungen an die neue Gebietskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Die Arrondierungen: Der Neuzuschnitt der neuen Gebietskörperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.1. Verhandlungsrunde 6: Beitritt Kloster Oesedes und Holsten-Mündrups zur Großgemeinde 1969 . . . . 4.2.4.2. Verhandlungsrunde 7: Teilung der Gemeinde Holzhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.3 Verhandlungsrunde 8: Der Ortsteil Westrup . . . . 4.3. Ebene III: Der Namenskonflikt – Die identitätsstiftende Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Die Bedeutung von Eigennamen . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Konflikte vor dem Namensstreit . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.1. Benennung der Realschule . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.2. Benennung des Gymnasiums . . . . . . . . . . . . . 4.3.3. Die Entstehung und Lösung des Konfliktes auf interkommunaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4. Der Oeseder Bürgerprotest . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5. Positionierung der Namensgegner und -befürworter . . . . 4.3.6. Der Innenausschuss des Niedersächsischen Landtages vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Die Manifestation von Raumvorstellungen durch Feste . . . . . . 4.4.1. Die ausgefallene 1.100-Jahr-Feier in Oesede . . . . . . . . . 4.4.2. Die 800-Jahrfeier in Kloster Oesede . . . . . . . . . . . . . 4.4.3. Festwoche zur Stadtgründung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Raumvorstellungen der Akteure: Ideen für das ›Dütetal‹ 5.1. Die Rolle der Experten . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1. Raumvorstellungen von Raumplanern . . . . 5.1.2. Raumvorstellungen von Gutachtern und ihre Instrumentalisierung . . . . . . . . . . . . .

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6. Zusammenfassende Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzeichnis der Printmedien (Alphabetisch) . . . . . . . . . . 4. Verzeichnis der Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Personenregister, Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969 . . . . . . . . . . 7. Übersichtskarte der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Malbergen 1936/1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Einteilung des Regierungsbezirks Osnabrück in ›zentrale Orte‹ 1965, Ausschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Erster genehmigter Flächennutzungsplan der Stadt Georgsmarienhütte 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.2. Raumvorstellungen der regionalen Akteure . . . . . . . 5.2.1. Raumvorstellungen der regionalen Akteure des Gebietsänderungsvertrages . . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Raumvorstellungen der Akteure der Arrondierung 5.2.3. Raumvorstellungen im medialen Diskurs . . . . . 5.2.4. Raumvorstellungen der Akteure des Stahlwerkes . 5.2.5. Raumvorstellungen der Bürgerschaft . . . . . . . .

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Dank

Die Erstellung der vorliegenden Arbeit wäre ohne die Unterstützung vieler Menschen nicht möglich gewesen. Mein Dank geht an: Familie Becher, Mirjam Adam, Werner Beermann, Olaf Berg, Dr. Marcel Berlinghoff, Dr. Sebastian Bondzio, Jan-Hendrik Bredfeldt, Karl Bußmann, Achim Diekmann, Dr. Stephanie Haberer, Lukas Hennies, Claudia Jahnke, Anna Kaim, Dr. Birgit Kehne, Kirsten Köhler, Petra Lehmeyer, Hans Licher, Familie Meyer zu Oesede, Hans Middelberg, Niklas Otten, Prof. Dr. Jannis Panagiotidis, Ansgar Pohlmann, Prof. Dr. Christoph A. Rass, Dr. Stephan Rolfes, Anna Philine Schöpper, Fritz Schwarzenberger, Malte Schwickert, Dr. Wolfgang Seegrün, Dr. Jörn Sieglerschmidt, Familie Siepelmeyer, Priv.-Doz. Dr. Sebastian Steinbach, Petra Trendmann, Alex Warner, Marita Weidner, Lisa Weimar und Sascha Wenzel.

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Einleitung

1.1. Einführung und Leitfragen In den 1960er Jahren wurde die räumliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland durch die Länder neugestaltet. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war das Inkrafttreten des Bundesraumordnungsgesetztes (ROG) im Jahr 1965,1 das die Länder verpflichtete, das Bundesgesetz umzusetzen und ebenfalls Raumordnungsgesetze zu erlassen. 1966 trat das Niedersächsische Raumordnungsgesetz (NROG) in Kraft,2 auf dessen Grundlage eine räumliche Ordnung in Niedersachsen durch Raumplaner rechtsverbindlich hergestellt werden sollte. Aufgabe der Raumplaner war es, sämtliche Gemeinden in Niedersachsen in ein hierarchisch abgestuftes System von ›zentralen Orten‹ einzuordnen, und damit eine Grundlage für Förderzusagen für die öffentliche Hand zu schaffen. Zugleich wurde auf allen administrativen Ebenen deutlich, dass längst fällige Strukturanpassungen bisher vernachlässigt worden waren, was ein Bedürfnis nach einer Neuausrichtung auf fast allen politisch-administrativen Handlungsfeldern auslöste.3 Nach einem Vortrag des Göttinger Staatsrechtlers Werner Weber 1964 auf dem Juristentag in Karlsruhe,4 setzten die Länder Sachverständigen-Kommissionen ein, um eine großangelegte Gebiets- und Verwaltungsreform vorzubereiten und durchzuführen. Das Land Niedersachsen beauftragte 1965 Werner Weber mit dieser Aufgabe. Ziel der Reform war es, die Regierungsbezirke, Landkreise und Gemeinden den veränderten Verhältnissen 1 21. April 1965 (BGBl 1965, S. 306). 2 31. März 1966 (GVBl 1966, S. 69). 3 Axel Schildt: Materieller Wohlstand – pragmatische Politik – kulturelle Umbrüche. Die 60er Jahre in der Bundesrepublik, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2 2003, S. 21–53, hier S. 36ff. 4 Werner Weber : Entspricht die gegenwärtige kommunale Struktur den Anforderungen der Raumordnung? Empfehlen sich gesetzgebende Maßnahmen der Länder und des Bundes? Welchen Inhalt sollten sie haben? Gutachten für den 45. Deutschen Juristentag, München/ Berlin 1964.

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Einleitung

anzupassen und durch eine deutliche Vergrößerung der Einheiten, eine effizientere Arbeit der Verwaltung zu ermöglichen. Diese räumliche Neuordnung fiel in eine Zeit, als die sichtbaren Folgen der Nachkriegszeit vorderhand beseitigt, Flüchtlinge und Vertriebene in die westdeutsche Gesellschaft integriert waren, und wachsender Wohlstand nahezu alle Schichten erfasst hatte. Diese Entwicklung in der Bundesrepublik bereitete ein Klima für eine Neuorientierung.5 In den 1950er Jahren expandierte die Wirtschaft, das reale Bruttosozialprodukt stieg um 6,1 % jährlich,6 und Löhne und Gehälter nahmen von 1950–1960 um 69 % zu.7 Das wirtschaftliche Wachstum übertraf alle bis dahin gemachten Erfahrungen der Bevölkerung.8 Mit Beginn der 1960er Jahre erfolgte jedoch eine Verlangsamung dieser Entwicklung, und 1973 schließlich stagnierte das Wirtschaftswachstum, allerdings auf einem relativ hohen Niveau.9 Das Vertrauen in das bisher angewandte Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, das auf die stabilisierende Kraft des Wettbewerbs setzte, schwand zunehmend. An seine Stelle trat bald eine neue Wirtschaftspolitik, die unter dem Schlagwort Globalsteuerung in den zeitgenössischen Diskurs eingegangen ist.10 Die neue Wirtschaftspolitik erforderte ein Vorgehen, das bis Anfang der 1960er Jahre mit einem starken Tabu belegt war, nämlich Planung. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre wurde Planung immer mehr zur Leitidee auf verschiedenen Politikfeldern, bis die Rezession von 1966/1967 dem Planungsdenken endgültig zum Durchbruch verhalf.11 Diente Planung zunächst nur der Sicherung und Verteilung von wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand, so wurde sie nach dem Konjunktureinbruch in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre »zur Rettung der Illusion fortwährender Prosperität«12 eingesetzt. Konjunkturverlauf und das Entstehen der sog. Planungseuphorie standen in einem engen Zusammenhang.13 Raumordnung und Planung wiederum waren zwei deckungs5 Gerd Hardach: Krise und Reform der Sozialen Marktwirtschaft – Grundzüge der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre, in: Schildt/Siegfried/Lammers (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 197–217, hier S. 216. 6 Ebd., S. 197. 7 Ebd., S. 205. 8 Ebd., S. 203. 9 Ebd., S. 217. 10 Ebd., S. 214. 11 Michael Ruck: Ein kurzer Sommer der konkreten Utopie – Zur westdeutschen Planungsgeschichte der langen 60er Jahre, in: Schildt/Siegfried/Lammers (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 362–401, S. 362. 12 Ebd., S. 394. 13 Dieser Zusammenhang wird deutlich formuliert in: Sabine Mecking: Regionale Disparitäten, Raumordnung und das Ideal der Chancengerechtigkeit in Westdeutschland, in: Stefan Grüner/Sabine Mecking (Hg.): Wirtschaftsräume und Lebenschancen. Wahrnehmung und Steuerung von sozioökonomischem Wandel in Deutschland 1945–2000, Berlin/Boston 2017, S. 77–89.

Einführung und Leitfragen

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gleiche Bereiche. Dabei kollidierte das Planungsdenken der Raumplaner mit den Partizipationsansprüchen der Zivilgesellschaft, die u. a. als dezentrale Protestbewegung in Form von Bürgerinitiativen Ende der 1960er Jahre erstmals in Erscheinung trat.14 In dieses »schillernde […] Problemgeflecht«15 aus politischem, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Wandel war eine Vielzahl von raumbezogenen Aushandlungsprozessen eingebettet. Einer von diesen Prozessen führte am 1. Januar 1970 im Westen Niedersachsens zur Gründung der Stadt Georgsmarienhütte und steht im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Die Gründung der Stadt Georgsmarienhütte ist aus drei Gründen von besonderem Interesse: Zum einen war dieser Aushandlungsprozess einer von 51 Aushandlungsprozessen, die deutlich vor der 1971 einsetzenden Gebietsreform in Niedersachen stattfanden.16 Zum anderen befand sich im Untersuchungsgebiet ein konzernintegriertes, schwerindustrielles Unternehmen, das zum Zeitpunkt der Aushandlung zwar 6.500 Arbeitnehmer_innen17 beschäftigte, aber immer wieder mit schweren konjunkturellen Einbrüchen und mit mehr oder weniger gravierendem Arbeitsplatzabbau zu kämpfen hatte. Drittens schließlich liegt die zu untersuchende kommunale Landschaft mit diesem arbeitsplatzstarken Unternehmen in unmittelbarer Nähe zu Osnabrück, was es in zeitgenössischen Quellen der Raumplaner immer wieder als ›Sonderfall‹ erscheinen ließ. Diese Besonderheiten zogen während des Aushandlungsprozesses die Aufmerksamkeit einer Vielzahl von Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen auf sich. Eine Untersuchung dieser Aushandlung erlaubt somit einen tiefen Einblick in die Gesellschaft Ende der 1960er Jahre. Die Arbeit leistet daher auch einen Beitrag zur zeithistorischen Erforschung einer Transformationsphase in der Bundesrepublik Deutschland, die als Periode eines »beschleunigten Wandels«18

14 Ruck: Ein kurzer Sommer, S. 393. 15 Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers: Einleitung, in: dies. (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 11–20, hier S. 11. 16 Werner Thieme/Günther Prillwitz: Durchführung und Ergebnis der kommunalen Gebietsreform, Baden-Baden 1981, S. 287. Die Stadt Georgsmarienhütte war die 43. Gründung seit Einsetzen der Sachverständigen-Kommission 1965. 17 Die Arbeit bemüht sich um eine gendergerechte Sprache. Bei Paraphrasierungen ist auf die weibliche Form verzichtet worden, um den Duktus der Wiedergabe nicht zu verfälschen. Wo von Akteursgruppen nur in maskuliner Form die Rede ist, bestehen diese ausschließlich aus Männern. 18 Schildt/Siegfried/Lammers: Einleitung, S. 16; Sabine Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, Demokratieentwicklung von Staat und Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen 1965– 2000, München 2012, S. 1–11, hier S. 2.

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Einleitung

bezeichnet wird und deren Erforschung als noch nicht abgeschlossen bezeichnet werden muss.19 Dabei ist bewusst ein mikrogeschichtlicher Zugang gewählt worden, der die Vorteile, die dieser bietet, nicht nur zu ihrer Entfaltung kommen lässt, sondern darüber hinaus auch deutlich macht, dass »viele Facetten des Wandels zur postindustriellen Gesellschaft […] sich konkret gar nicht anders als lokal und regional erfassen«20 lassen. Mit der Fokussierung auf ein begrenztes Untersuchungsgebiet geht ein differenziertes Beobachten einher, welches einen pauschalisierenden Blick auf Akteure, Handlungen und Raumvorstellungen verhindert und den Aushandlungsprozess in seinen »komplexen Relationalitäten«,21 die auf übergeordnete Strukturen und Entwicklungen verweisen, offenlegt. Wenn auch an einigen Stellen der Blick auf andere Gemeinden in einer dem Untersuchungsgebiet vergleichbaren Situation gerichtet wird, so geht es in dieser Arbeit nicht darum, einer komparatistischen Fragestellung nachzugehen, sondern anhand einer Aushandlung von verschiedenen Raumvorstellungen die verschiedenen Zeitschichten und die zeithistorischen Verflechtungen zwischen verschiedenen Akteuren im Spannungsfeld von wirtschaftlicher Entwicklung, normativer Raumordnung und kommunaler Neuordnung sichtbar werden zu lassen. Wie die Raumvorstellungen der Beteiligten entstanden und kommuniziert wurden, wann und wie sie in Konkurrenz zueinander traten und wie schließlich ein bestimmtes Ergebnis ausgehandelt wurde, sind die Leitfragen dieser Arbeit. Dabei liegt auch ein Augenmerk darauf, ob und welche Foren den Akteuren zur Verfügung standen, um ›Raum‹ auszuhandeln.

1.2. Theoretische Grundlagen In dem hier betrachteten Aushandlungsprozess betrat eine Vielzahl von Akteuren aus den unterschiedlichen Gebietskörperschaften aus Rat und Verwaltung mit unterschiedlichen Interessen die imaginäre Bühne. Dazu gesellten sich Entscheider aus der Wirtschaft, Bürgerinitiativen brachten sich ein, und ein19 Michael Ruck: Einführung, in: Mathias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hrg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 2005, S. 495–547, hier S. 495. 20 Christoph Strupp: Bundesdeutsche Zeitgeschichte regional, in: Frank Bajohr/Anselm Doering-Manteuffel/Claudia Kemper/Detlef Siegfried (Hg.): Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik, Festschrift für Axel Schildt, Göttingen 2016, S. 189–2002, hier S. 191. 21 Anette Blaschke: Zwischen ›Dorfgemeinschaft‹ und ›Volksgemeinschaft‹. Landbevölkerung und ländliche Lebenswelten im Nationalsozialismus, Paderborn 2018, S. 20.

Theoretische Grundlagen

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zelne Bürger_innen meldeten sich über die Presse, die ebenfalls eine Rolle in dem Stück ›Gebietsreform‹ spielte, zu Wort. In den Verhandlungen ging es mitunter planlos zu: In öffentlichen Sitzungen wurde geredet, gefragt, geschimpft und behauptet, in informellen Gesprächen Dinge vorbesprochen und Bündnisse geschmiedet. Mühsam ausgehandelte Verhandlungsergebnisse wurden schnell wieder in Frage gestellt, von einem auf den anderen Moment entstanden neue Ausgangslagen, und die ganze Zeit drohte mal der eine, mal der andere Verhandlungspartner damit, den Einigungsprozess scheitern zu lassen, gehe man nicht auf seine Forderungen ein. Dieser dynamische Aushandlungsprozess soll angemessen und transparent beschrieben und analysiert werden. Die vorliegende Arbeit geht von einem konstruktivistischen Weltbild aus, bei dem angenommen wird, dass Wirklichkeit immer subjektiv konstruiert und wahrgenommen wird.22 Die Welt kann als solche nicht begriffen werden, wenn Akteure sie sich nicht mittels Sprache aneignen. Dann aber ist sie bereits »interpretiert, gedeutet und in geordnete Zusammenhänge gebracht«23 worden. Die Wirklichkeit wird produziert und zwar individuell durch ein selektives In-Beziehung-Setzen zur Welt.24 Das bedeutet, dass bereits in den für diese Arbeit ausgewerteten Schriftstücken, in der Hauptsache Protokolle von Sitzungen, eine Deutung der Vorgänge stattgefunden hat. Sie bilden bereits eine Interpretation der Wirklichkeit durch den Protokollanten. Dieser wählte aus, welcher Wortbeitrag in das Protokoll aufgenommen wurde und welcher nicht und wie der geleistete Beitrag dargestellt wird. Zwar bestand für die Ratsmitglieder die Möglichkeit, das Protokoll ändern zu lassen, wenn es nicht ihrem Wirklichkeitsempfinden entsprach, doch auch dann gibt das Geschriebene nur eine selektiv empfundene Wirklichkeit wieder. Ferner gab es für die Protokolle Gestaltungsvorgaben: Wortbeiträge wurden mit eigenen Worten knapp und sachlich wiedergegeben, Beschlüsse wurden ebenso wie das Abstimmungsergebnis festgehalten. Wie die Stimmung einer Sitzung war, an welcher Stelle applaudiert oder gelacht wurde, erfährt der/die Leser_in aus den Protokollen nicht.25 Bei der Analyse eines Aushandlungsprozesses anhand von Protokollen, muss der/die Forscher_in also durch mindesten »zwei Interpretationsbrillen«26 schauen, nämlich durch die des Protokollanten und

22 Vgl.: Paul Reuber : Raumbezogene politische Konflikte. Geografische Konfliktforschung am Beispiel der Gemeindegebietsreform, Stuttgart 1999, S. 6. 23 Martin Scharvogel: Erzählte Räume, Frankfurts Hochhäuser im diskursiven Netz der Produktion des Raumes, Berlin 2007, S. 12. 24 Ebd., S. 12. 25 Diskursanalytisch gesehen handelt es sich um Sprachspiele, vgl.: Reuber : Raumbezogene politische Konflikte, S. 43. 26 Ebd.

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durch die eigene. Denn auch Forscher_innen blicken subjektiv auf das Quellenmaterial und wählen aus, was sie für bedeutsam halten. In dieser Arbeit kann der Aushandlungsverlauf daher nur ohne einen Anspruch auf »Repräsentativität und intersubjektive Überprüfbarkeit«27 dargestellt werden. Die Ereignisse sollen dennoch chronologisch und nachvollziehbar deutlich gemacht werden. Dazu soll ein theoretischer Zugriff auf das Thema von zwei Seiten aus gesucht werden. Bei der Neugliederung der kommunalen Landschaft in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre handelte es sich um einen raumbezogenen Konflikt, denn bei seiner Austragung ging es in erster Linie um die Veränderung räumlicher Strukturen. Der Vorgang impliziert mehrere Begriffe, die zunächst geklärt und zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Es sind dies die Begriffe: Raum, Zeit, Handlung und Macht. Über den Begriff ›Raum‹ haben sich vor allem Sozialgeographen seit den 1940er Jahren Gedanken gemacht, die im Zuge der Globalisierung bei gleichzeitiger Bildung neuer Nationalstaaten mit Beginn der 1990er Jahren weiterentwickelt und intensiv diskutiert wurden. Unter dem Begriff ›Spatial Turn‹ begann ein Nachdenken über ›Raum‹ und ein Entwerfen neuer Raumkonzepte. Bis dahin gingen Geographen (und Historiker) von einem aus der Antike stammenden Raumbegriff aus, der physikalisch gemeint war. Hinter diesem verbarg sich die Vorstellung, dass der Raum als Schachtel die Dinge und Lebewesen der unbeweglichen Erde umschließe. Albert Einstein prägte für diese Vorstellung den Begriff ›Container‹, was als ›Behälterraum‹ übersetzt wird.28 Diese Vorstellung war lange Zeit der vorherrschende Raumbegriff von Geographen und Historikern. Sie wirkte vor allem bei der »Verdinglichung von Räumen zu Territorien«29 nach. Der ›Raum‹ als festgefügte, territorial begründete Größe legitimierte lange Zeit die Landschafts- und Länderkunde. Dies war eine Raumvorstellung, die während der NS-Zeit über die ›Blut-und Boden‹-Ideologie pervertiert und territorial, rassisch und machtpolitisch fundiert wurde. Das Konzept der ›zentralen Orte‹ von Walter Christaller diente dieser Raumvorstellung als herrschaftstechnisches Instrumentarium bei der imaginierten Besiedlung des eroberten Ostens und sollte zukünftig die »politische und soziale Kontrolle«30 erleichtern. 27 28 29 30

Ebd. Martina Löw : Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 82015, S. 24. Ebd., S. 35. Ariane Leendertz: Raumforschung, Raumplanung und NS-Vergangenheit, in: Heinrich Mäding/Wendelin Strubelt (Hg.): Vom Dritten Reich zur Bundesrepublik. Beiträge einer Tagung zur Geschichte von Raumforschung und Raumplanung, Hannover 2009, S. 21–38, hier S. 23.

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Auch in der Nachkriegszeit blieben Wissenschaftler diesem territorial begründeten Denkschema verhaftet,31 weil ein Nachdenken über den Begriff ›Raum‹ vor dem Hintergrund des Missbrauchs durch die NS-Ideologie blockiert war.32 Die ›Container‹-Vorstellung als einzig mögliche Raumvorstellung aber verhinderte weitergehende Gedanken über die Wechselwirkung von Mensch und ›Raum‹. Hans Bobek (1903–1990) war einer der ersten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der die sozialen oder gesellschaftlichen Kräfte als ›Urgrund‹ für die Entwicklung von Wirtschaft, Siedlung und Verkehr bezeichnete. Er gilt – zusammen mit Wolfgang Hartke33 – als Begründer der Sozialgeographie, die für ihn noch eine Sonderstellung im Fach Geographie einnahm.34 Mit dem Verweis auf die sozialen oder gesellschaftlichen Kräfte im Raum, berührte er eine für Geographen neue zentrale Fragestellung: die Beziehung zwischen Mensch und ›Raum‹. Obwohl Bobek sich weiter einer Landschaftsgeographie verpflichtet fühlte, beklagten die konservativen Geographen durch dieses neue Konzept dennoch den Verlust von »landschaftliche[r] Realität«.35 Die Gräben, die Wolfgang Hartke bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit inhaltlich zwischen sich und den traditionellen Geographen zog, waren tiefer. Hartke lehnte die Fokussierung auf natürliche Grenzen ab. Sozialgeographie frage nicht, wo Grenzen verlaufen, »sondern: Welche Raumbeziehungen des täglichen Lebens wünscht man sich am ehesten durch eine Grenze getrennt.«36 Er lenkte die Aufmerksamkeit auf Aktionskreise und ihre Reichweiten und definierte damit einen neuen Begriff von ›Region‹. ›Raum‹ ist aber nicht allein der Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen durch Geographen. Auch die Soziologen, aus dessen Wissensrepertoire sich Bobek und Hartke bedienten, beschäftigen sich damit. Einer der wichtigsten Soziologen des 20. Jahrhunderts ist Anthony Giddens, auf dessen Strukturationstheorie die moderne Sozialgeographie fußt. Giddens versuchte durch einen neuen Denkansatz, einen Dualismus zu überwinden. Zwei Denkschulen ließen sich bis dahin unter den Soziologen ausmachen: die eine 31 Peter Weichhart: Entwicklungslinien der Sozialgeographie. Von Hans Bobek bis Benno Werlen, Stuttgart 2008, S. 13. 32 Eine frühe Auseinandersetzung mit dem Begriff ›Raum‹ lieferten: Frank Göttmann/Horst Rabe/Jörn Sieglerschmidt: Regionale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Forschungen und Berichte zum wirtschaftlichen und sozialen Wandel am Bodensee vornehmlich in der Frühen Neuzeit, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 102 (1984), S. 115–130. 33 Werlen nennt Wolfgang Hartke als eigentlichen Begründer der Sozialgeographie, vgl.: Benno Werlen: Gesellschaftliche Räumlichkeit 1, Orte der Geographie, Stuttgart 2010, S. 102. 34 Weichhart: Entwicklungslinien der Sozialgeographie, S. 15. 35 Ebd. S. 17. 36 Wolfgang Hartke, 1948, S. 174, zit. n. Werlen: Gesellschaftliche Räumlichkeit 1, S. 35.

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verfolgte einen kollektivistisch-strukturellen Ansatz, die andere einen individualistisch-interpretativen Ansatz. Die eine Schule beschäftigte sich mit den Handelnden und die andere mit gesellschaftlicher Struktur. Giddens ging davon aus, dass Handeln und Struktur Momente von »ein und derselben soziokulturellen Wirklichkeit«37 seien. Er begründete seinen Ansatz wie folgt: »Soziale Strukturen werden nur über konkrete Handlungen existent und können nur im Handlungsvollzug produziert und reproduziert werden. Gesellschaftliche Strukturen werden also durch das menschliche Handeln konstituiert und sind gleichzeitig das Medium dieser Konstituierung.«38 Struktur, das sind die »Regeln und Ressourcen«,39 also die stabilen Gegebenheiten oder der Rahmen, in dem sich Individuen bewegen. In dem hier behandelten Zusammenhang bildeten beispielsweise die durch demokratische Spielregeln festgelegten Abläufe von Ratssitzungen die Struktur, in denen sich Akteure bewegen, die sie aber auch unterliefen, wenn außerhalb der Sitzungen informelle Gespräche geführt wurden. »Strukturen werden erst im Handeln real«,40 postuliert Giddens. Diese Aussage lässt sich am Thema – also bei der Herausarbeitung der »spezifischen Herstellungsleistung«41 eines ›Territoriums‹ in einem politischen System – gut nachvollziehen: Erst mit der Abhaltung einer Ratssitzung können Beschlüsse herbeigeführt werden, die dann umgesetzt werden. Ohne die Struktur, die die kommunale Selbstverwaltung innerhalb einer Demokratie regelt, können keine Beschlüsse gefasst werden. Innerhalb dieses Rahmens ist es möglich, dass Akteure an einem Ort zusammen kommen, ein Problem besprechen und dann handeln, indem sie ein Votum abgeben. So wurde in jeder Sitzung Struktur real. »Struktur ermöglicht Handeln.«42 Auch das zeigt das Beispiel. Ohne die Struktur demokratischer Abläufe kann keine Einladung zu einer Ratssitzung erfolgen. Handeln und soziale Struktur bedingen einander. Handeln wiederum ist eingebettet in Zeit und ›Raum‹. Wer handelt, vollzieht dies immer zeitlich und räumlich und Handlung schreibt sich in den ›Raum‹ ein.43 37 38 39 40 41

Weichhart: Entwicklungslinien der Sozialgeographie, S. 282. Ebd. Ebd., S. 284. Ebd. Andreas Pott: Orte des Tourismus. Eine raum- und gesellschaftstheoretische Untersuchung, Bielefeld 2007, S. 35. 42 Weichhart: Entwicklungslinien der Sozialgeographie, S. 284. 43 Anhand eines Fußballspiels lässt sich diese Aussage nachvollziehen. »Bei diesem geht es darum, mit dem Ball einen weitest möglichen Raum in der kürzest möglichen Zeit gegen den Widerstand des Gegners zu überwinden« und ins gegnerische Tor zu bringen, Detlef Briesen: Über den Nutzen historischer Raumanalysen für die Geschichts- und Raumwissenschaften. Ein kurzes Plädoyer, in: Informationen zur Raumentwicklung 10/11 (2007), S. 603–612, S. 605. An dieser Stelle sei bereits darauf verwiesen, wie wichtig der physisch-materielle

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Anthony Giddens Strukturationstheorie wurde von Benno Werlen aufgegriffen. Werlen stellt Handeln und Handelnde in den Mittelpunkt seiner Theorie. Der Sozialgeograph plädiert für eine vollständige Loslösung des physisch-materiellen Raums in theoretischer Hinsicht. »Erst so wird es möglich, jede Form von Geodeterminismus sowie die anverwandten Blut- und Bodenideologien ihrer scheinargumentativen Rechtfertigungsbestrebungen zu überführen – und argumentativ zu widerlegen«,44 rechnet er mit der traditionellen »auf den Bereich der materiellen Objekte des Erdraumes«45 bezogenen Geographie ab. Er legt der handlungszentrierten Sozialgeographie einen neuen Raumbegriff zugrunde. Genauso wie die Theoretiker vor ihm, die nicht mehr »undifferenziert von einer objektiven Wirklichkeit«46 ausgehen, so geht Werlen auch nicht mehr von einem objektiven ›Raum‹ aus. »Denn so lautet eine der Basisprämissen, die räumliche Umwelt wird nur in der Form verhaltensrelevant, wie sie von den Individuen wahrgenommen wird.«47 Der physisch-materielle ›Raum‹ wird also individuell wahrgenommen, tritt mit der Wahrnehmung erst in ein Stadium der Materialität und dient der Orientierung der Handelnden. ›Raum‹ wird gedacht, beplant und gestaltet. Erst dadurch konstituiert er sich, erst durch Konstitutionsprozesse wird ›Raum‹ – und zwar täglich und zwar durch Handlung – gemacht.48 Werlen spricht von der Produktion »alltäglicher Regionalisierungen.«49 Weiter nimmt Werlen die Frage in den Fokus, wie sich ›Raum‹ durch Handlung konstituiert und welche unterschiedlichen Formen von gesellschaftlicher Konstruktion von ›Raum‹ sich ausmachen lassen.50 Handlung ist immer intentional, wer handelt, will eine Veränderung herbeiführen oder sie abwehren. Handeln können immer nur einzelne Menschen. Sie handeln in sozial-kulturellen Kontexten unter bestimmten physisch-materiellen Bedingungen, also im Interesse einer Gemeinde, eines Betriebes, einer organisierten Bürgerschaft,

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Raum ist. Ohne den umgrenzten Ort, das Fußballfeld, wäre die Einhaltung von Struktur im Giddens’schen Sinne, also die Durchführung eines Fußballspiels, nicht möglich. Es gibt aber auch Beispiele, die näher am Thema sind: Menschen müssen beispielsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt eine räumliche Distanz überwinden, um zu einer Ratssitzung zu erscheinen. Angenommen, so ein weiteres Beispiel, in einer Sitzung wird festgestellt, dass die Brunnenkapazitäten nicht ausreichen um eine Gemeinde ausreichend mit Wasser zu versorgen und es wird ein Beschluss herbeigeführt, einen neuen Brunnen zu bohren, dann wird in absehbarer Zeit ein Handwerker an den gewünschten Ort kommen und die beauftragten Handlungen ausführen. Die Handlungen der Ratsleute haben Folgen für den Raum. Werlen: Gesellschaftliche Räumlichkeit 1, S. 16. Benno Werlen: Sozialgeographie. Eine Einführung, Bern/Stuttgart/Wien 2000, S. 309. Werlen: Gesellschaftliche Räumlichkeit 1, S. 40. Ebd. Ebd., S. 44. Benno Werlen: Globalisierung, Region und Regionalisierung, Stuttgart 22007, S. 191. Werlen: Sozialgeographie. Eine Einführung, S. 309f.

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einer Familie, usw. aber sie handeln als einzelne Subjekte. Dieses Handeln stellt Werlen in den Mittelpunkt der handlungszentrierten Sozialgeographie. Wie Akteure ›Raum‹ herstellen und unter welchen Bedingungen seine Herstellung ermöglicht oder verhindert wird, ist eine weitere Frage, die Werlen aufwirft. Für die Beantwortung muss noch einmal ausgeholt werden. Menschen produzieren alltäglich Räume, die auch allerkleinste Bereiche betreffen. Zwei für die Arbeit belangvolle Formen der Räumlichkeit, die auf Anthony Giddens zurückgehen, können unterschieden werden: A) »Regionen« sind »funktional beschreibbare Bereiche von Handlungsbühnen«51 und bilden die wichtigste Kategorie bei der Beschreibung von Phänomenen räumlicher Ausdehnung. Bei Regionen werden die vorderseitige Region, z. B. den repräsentativen Marktplatz und rückseitige Regionen, z. B. Parkplätze unterschieden. B) Giddens unterscheidet von ›Regionen‹ die ›Orte‹ (locale) an den Handlungen stattfinden, z. B. das Rathaus, die Gaststätte.52 Menschen stellen Räume her, indem sie beispielsweise Wohnungen einrichten und Zimmern Funktionen zuweisen, d. h. sie stellen eine vorderseitige (Wohnzimmer) und eine rückseitige Region (Schlafzimmer, Abstellräume) her. Oder sie gestalten einen Garten und ziehen einen Zaun, um die Grenze zwischen sich und dem Nachbarn sichtbar zu machen. Auf einer anderen Ebene produzieren Akteure Räume. Diese überlegen, welche Infrastruktur an welchem Ort entwickelt werden soll, wie die Nutzung von Ressourcen aussehen könnte und wo die Grenzen verlaufen.53 Nationalstaaten und die als sub-nationale Einheiten zu verstehenden Gemeinden sind politisch-normative Räume des Alltags und »als Ergebnisse sozialer Konstitutionsprozesse zu begreifen.«54 Das Wesen des Nationalstaates bzw. der subnationale Einheiten ist die Kontrolle über das ›Territorium‹ und die Menschen.55 »Damit ist darauf hingewiesen, daß alltägliche normativ-politische Regionalisierungen unmittelbar im Verhältnis von Körper, Raum und Macht begründet sind.«56 Werlen drückt es noch drastischer aus: »Macht über Raum, bedeutet Macht über die Subjekte zu haben.«57 Mit dem Titel »Mehr Raum – mehr Macht«, spitzt Hoebink diese Aussage Werlens in

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Weichhart: Entwicklungslinien, S. 286. Ebd. Werlen: Globalisierung, S. 35. Werlen: Sozialgeographie. Eine Einführung, S. 341. Dieses Machtverhältnis schlägt sich auch heute noch in der Einrichtung eines Einwohnermeldeamtes nieder. Die Verwaltung weiß, wo sich die Einwohner_innen in der Regel aufhalten. 56 Werlen: Globalisierung, S. 299. 57 Ebd., S. 302.

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seiner Arbeit über Expansionsbestrebungen der Kommunen im ›Ruhrgebiet‹ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu. Damit ist die Frage nach der Konstitutionsleistung bei der Produktion von Räumen immer noch nicht beantwortet. Im Gegenteil, weitere Fragen geraten ins Blickfeld: In welchem allgemeingültigen Bedeutungsraster handeln Menschen, welches sind die Werte, Normen und Postulate? Das allgemeingültige Bedeutungsraster, in dem Menschen sich bewegen, wird individuell wahrgenommen, ist jedoch intersubjektiv und sozial-kulturell bedingt.58 Die Verständigung darüber geschieht durch Interaktion und Handlung und ist grundsätzlich im Wandel begriffen. Damit Menschen ihre Vorstellungen von Räumen umsetzen können, also handeln können, brauchen sie Macht. Der Begriff ›Macht‹ ist einer der grundlegenden Begriffe der Sozialwissenschaften und »kaum zu definieren«59. Sie stellt »ein durch den Raum vermitteltes soziales Verhältnis zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen«60 dar. Damit wird ›Macht‹ als ein Begriff der Kommunikation des Ortes verstanden, an dem gehandelt wird. Einen anderen Ansatz verfolgt der Geograph und Naturwissenschaftler Paul Reuber. Dieser beschäftigt sich in seiner 1999 erschienenen Habilitationsschrift mit raumbezogenen politischen Konflikten und entwirft eine Handlungstheorie, die in Teilen der handlungsorientierten Sozialgeographie Werlens folgt, auf Thesen Anthony Giddens beruht und die er anhand der Gebietsreformen der 1960er und 1970er Jahre überprüft.61 Macht ruhe auf drei Säulen: 1. Persönliche Komponenten, d.s. Durchsetzungsvermögen, Gestaltungswille; 2. Institutionellautoritative Ressourcen, d.s. berufliche Stellung, formelle und informelle Kontakte zu anderen Akteuren; 3. Institutionell-allokative Ressourcen, z. B. die Wirtschaftskraft einer Gemeinde.62 Diese Kategorisierung wird zur Kenntnis genommen, jedoch soll es in der vorliegenden Arbeit weniger um die Machtfülle der beteiligten Akteure gehen, als um die Machtverhältnisse, die die Aushandlung um ›Raum‹ offenlegt. Bis hierher ist festzuhalten: Akteure treten in Beziehung zueinander, kommunizieren, bewerten ›Raum‹, produzieren Raumvorstellungen, führen »alltägliche Regionalisierungen« im Sinn Benno Werlens durch und handeln gemäß 58 Werlen: Sozialgeographie. Eine Einführung, S. 318. 59 Corell Wex: Logistik der Macht, Henri Lefebvres Sozialtheorie und die Räumlichkeit des Staates, Marburg 2000, S. 56. 60 Ebd., S. 60. Wex setzt sich in seiner Dissertation intensiv mit der Gesellschaftstheorie Henri Lefebvres auseinander. Er macht die Infrastruktur als Träger von Macht aus. Diese Annahme umfasst aber m. E. nicht den ganzen Bereich von ›Macht‹ in einem raumbezogenen Konflikt innerhalb einer komplexen, demokratisch aufgestellten Gesellschaft. Diese Arbeit folgt daher nicht weiter seinen Thesen. 61 Reuber : Raumbezogene politische Konflikte, S. 4. 62 Ebd., S. 29.

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ihren Zielen. Handeln Akteure, nehmen sie Einfluss auf den ›Raum‹. »Menschliches Handeln ereignet sich nicht im Raum, sondern es ist räumlich per se.«63 Eine Weiterentwicklung des Werlenschen Ansatzes nimmt Andreas Pott vor. Der Geograph geht unter Berufung u. a. auf Werlen64 ebenfalls von einer sozialen Konstitutionsleistung und einer sozialen Konstruktion des ›Raumes‹ aus und leitet diese aus der Systemtheorie von Niklas Luhmann ab. In seiner gesellschaftstheoretischen Untersuchung über Orte des Tourismus weist er nachdrücklich auf die Dualität des ›Raumes‹ hin. Es können Phänomene innerhalb von Räumen beschrieben werden oder deren soziale Konstruktion.65 Dies habe forschungspraktische Konsequenzen, denn zwei Analysemodi müssten unterschieden werden: Beim ersten Modus werde beobachtet und das ›Was‹ beschrieben, beim zweiten werde beobachtet und das ›Wie‹ der Konstruktion beschrieben.66 In einer wissenschaftlichen Analyse, die von einem konstruktivistischen Ansatz ausgehe, sollte immer der zweite Analysemodus, der das ›Wie‹ konstruiert, zur Anwendung kommen.67 Doch allzu leicht, darauf weisen Pott und andere Geograph_innen hin, bleibe man in der »territorialen Falle und in linearen Maßstabsmetaphern gefangen«.68 Damit macht Pott auf ein Problem aufmerksam, das unter dem Begriff ›Raumfalle‹69 in den wissenschaftlichen Diskurs eingegangen ist. Als ›Raumfalle‹ wird das Phänomen bezeichnet, »wenn Raumsemantiken ihrer eigenen Beobachtung und Beschreibung«70 nicht hinterfragt werden und räumlich assoziierte Begriffe verwendet werden, »die eine Tendenz der Verdinglichung sozial-kultureller Konstrukte mit sich führen«.71 In der Terminologie von Andreas Pott würde dies heißen, wenn der erste Analysemodus mit der Beschreibung des ›Was‹ mit den zweiten Analysemodus mit der Beschreibung des ›Wie‹ verwechselt wird. Das Thema der Arbeit wird unter besonderer Berücksichtigung für dieses theoretisch begründete Problem bearbeitet. So stehen prozessgenerierte Begriffe, hinter denen sich Raumbegriffe verbergen in halben Anführungszeichen, wie z. B. der in den Quellen für das Untersuchungsgebiet besonders häufig verwendete Begriff ›Dütetal‹, aber auch der Begriff ›Raum‹ wurde – wenn er nicht zitiert wurde – in Sonderzeichen Briesen: Über den Nutzen, S. 607. Pott: Orte des Tourismus, S. 38. Ebd., S. 11. Hier nur eine sehr reduzierte Wiedergabe, ebd., S. 42f. Ebd., S. 44. Ebd., S. 11. Vgl. u.a.: Roland Lippuner: Konstruktivismus in der Raumfalle, überarbeitete Version eines Vortrages an der Tagung am Institut für Geographie der WWU Münster, gehalten am 29. Januar 2005, unter: http://www.http.com//www.geographie.uni.de/geogrmedia/Roland+Lippun er/Konstruktivismus_Raumfalle.pdf. Aufruf am 28. April 2018, S. 1. 70 Ebd. 71 Ebd.

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gesetzt, um auch bei diesem Begriff anzudeuten, dass er nicht mit dem Analysebegriff ›Raum‹ verwechselt wird. Das gleiche gilt für die Sprache der Raumplaner, die mit Begriffen wie ›Ballungsräume‹, ›Verdichtungsräume‹ und ›zentrale Orte‹ usw. operieren. Mit der handlungsorientierten Sozialgeographie Werlens verschwand der physisch-materielle Raum aus der Forschung. »Wenn man aber anfängt über den Raum nachzudenken, stößt man schnell auf ein Paradoxon: Auf der einen Seite ist Raum sehr konkret, da er uns ständig zu umgeben scheint. […] Auf der anderen Seite ist der Raum äußerst abstrakt.«72 Raum wurde nur noch als Ergebnis sozialer und räumlicher Handlungen innerhalb eines Prozesses gesehen. Eine »Enträumlichung«73 und damit auch eine Entpolitisierung der Sozialwissenschaften fand statt,74 und eine kritische Auseinandersetzung mit den Theorien Werlens begann. »Die Wendung gegen einen Raumdeterminismus, der von den Wirkkräften des Raums selbst ausgehen soll, wird in diesen Arbeiten so entschieden verfolgt, dass die umgekehrte Gefahr eines Raumvoluntarismus womöglich unterschätzt wird«,75 kritisiert der Soziologe Markus Schroer, der dafür plädiert, die Vorstellung eines Behälterraums nicht grundsätzlich als antiquiert zu verdammen.76 Aus der britischen Forschung kommen neue Impulse, die diesem Defizit abhelfen. Ein wichtiger Beitrag zur Fortentwicklung der Debatte um den Begriff ›Raum‹ stammt von Doreen Massey, die sich auf den relationalen Raumbegriff von Martina Löw beruft. Diese versteht »Raum als eine relationale (An)Ordnung von Körpern, welche unaufhörlich in Bewegung sind, wodurch sich die (An)Ordnung selbst ständig verändert.«77 Löw kritisiert bei allen vorangegangenen theoretisch definierten Raumbegriffen, dass bisher keine Theorie eine

72 Markus Schroer : Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt a. M. 2006, S. 10. Vgl. auch: Judith Miggelbrink: Die (Un-) Ordnung des Raumes. Bemerkungen zum Wandel geographischer Raumkonzepte im ausgehenden 20. Jahrhundert, in: Alexander C.T. Geppert/Uffa Jensen/Jörn Wienhold (Hg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. Und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 79–105. 73 Briesen: Über den Nutzen, S. 605. 74 »Kontingente sozialer Wirklichkeit wird dabei der gesellschaftlichen Verfügbarkeit enthoben und ihres politischen Gehalts letztlich entledigt«, Roland Lippuner/Julia Lossau: In der Raumfalle. Eine Kritik des Spatial Turn in den Sozialwissenschaften, in: Georg Mein/Markus Rieger-Ladich (Hg.): Soziale Räume und kulturelle Praktiken. Über den strategischen Gebrauch von Medien, Bielefeld 2004, S. 47–63, S. 48. 75 Markus Schroer : Räume, Orte, Grenzen, S. 175. Vgl. auch: Antje Schlottmann: Rekonstruktion alltäglicher Raumkonstruktionen. Eine Schnittstelle von Sozialgeographie und Geschichtswissenschaft? in: Geppert/Jensen/Wienhold (Hg.): Ortsgespräche, S. 107–133, insbesondere S. 115. 76 Schroer : Räume, Orte, Grenzen, S. 176. 77 Löw : Raumsoziologie, S. 131.

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Antwort darauf geben konnte, wie ›Räume‹ hergestellt werden.78 ›Raum‹ konstituiere sich nicht nur durch Anordnung von Dingen, sondern auch oder besser vor allem durch die Anordnung von Menschen.79 Während Werlen das Handeln von Menschen in den Mittelpunkt und damit in der »Gegenüberstellung sozial versus materiell letztlich verhaftet«80 bleibt, stellt Löw den Menschen selbst, seinen Körper und soziale Güter in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Dies ist einleuchtend. Ein Ort, der sonst als Schankraum genutzt wird, wird erst zum Ratssaal, wenn die Ratsleute anwesend sind und dort eine Sitzung abhalten. »Räume entstehen […] dadurch, daß sie aktiv durch Menschen verknüpft werden.«81 Die theoretische Grundlage Martina Löws lässt sich auch auf größere Ereignisse übertragen, z. B. auf die Konstitution einer Gemeinde. Die vorliegende Arbeit wird sich allerdings dem körperzentrierten Ansatz Löws nicht anschließen, sondern stellt die Handlung von Akteuren in den Mittelpunkt der Analyse. Die oben bereits erwähnte Doreen Massey liefert dafür weitere Impulse. Doreen Massey verstand »einen konkreten Ort als das Ergebnis einer spezifischen Geometrie der Macht.«82 Diese vollziehe sich auf allen Ebenen. »Ein Ort besteht somit und ist das Ergebnis von vielfältigen aufeinander bezogenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Relationen, eine ganze Myriade von ›spatiality‹«.83 Obwohl die Begriffe ›Ort‹ und ›Raum‹ grundsätzlich nicht synonym benutzt werden können, trifft die Aussage Masseys auch auf den Raumbegriff Werlens zu. Die Einzigartigkeit eines ›Ortes‹, eines ›Raumes‹ ist also das Ergebnis von Einflussnehmenden und ihren Interaktionen, das Ergebnis kann ganz konkret eine Straße oder eine Region oder ein Kontinent sein. Handeln Akteure neue Grenzen aus, sie sind sie das Ergebnis sozialer Macht. »Whether or not such boundaries are drawn will be a result of, and an expression of, social power«.84 Grenzen sind für eine Gebietskörperschaft konstitutiv85 und ermöglichen einheitliches Verwaltungshandeln. Gleichwohl wird in dieser Arbeit eine Grenze 78 79 80 81 82 83 84

Ebd., S. 132. Ebd., S. 133. Ebd., S. 134. Ebd., S. 158. Briesen: Über den Nutzen, S. 606. Ebd. Doreen Massey : Imagine Globalization: power – geometries of Time – space, in: powerGeometrie and the politics of Space-Time, Hettner-Lecture 1998, Heidelberg 1999, S. 9–23, hier S. 22. 85 Eine funktionierende öffentliche Verwaltung bedürfe eines Territoriums, vgl.: Jochen Franzke: Kommunale Gebietsreform im Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Verwaltungseffizienz, in: Axel Priebs/Adelheid von Saldern/Rose Scholl (Hg.): Junge Städte in ihrer Region, Garbsen 2001, S. 129–145, hier S. 129.

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als eine sozial-konstruierte Linie und als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses verstanden und nicht als Außenlinie eines absolutistischen ›Raumes‹ in territorialisierter Form.86 Den gleichen Ansatz verfolgt auch Bernd Belina: »Es kann für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Verhältnisse höchst relevant sein zu fragen, wer Räume und Regionen wie und zu welchem Zweck produziert, oder auch Grenzen, Netzwerke, Zentren und Peripherien oder andere sich physischmateriell manifestierende soziale Produkte erzeugt, die als Voraussetzungen und Mittel sozialer Praxen und Prozesse fungieren.«87 Dieses Verständnis von Raum ist für die Analyse des Aushandlungsprozesses von wichtiger Bedeutung. Dennoch liegt der Arbeit am Ende doch eine Rückbindung an die Metapher des Container-Raums zugrunde. Bei dem Untersuchungsgegenstand handelt es sich um die Aushandlung eines politisch-normativen Raumes, der ohne einen territorialen Bezug nicht zu denken ist. »Im Rahmen einer Container-Theorie kann eine Raumstelle nur von einem Objekt, Ding oder Menschen eingenommen werden, sodass die Einnahme eben dieser Raumstelle durch ein zweites Individuum nicht vonstatten gehen kann, ohne den früheren Besitzer dieser Raumstelle zu vertreiben.«88

Das gleiche gilt auch für territorial gebundene Räume. Der Raum, den ein politisch-normativer Raum territorial umfasst, kann nicht gleichzeitig zu dem Territorium eines anderen politisch-normativen Raumes gehören.89 Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die finale Rückbindung an die Container-Vorstellung: »Nur darauf zu verweisen, dass Räume kommunikativ oder über Handlungen hergestellt werden, vernachlässigt […] den zweiten Schritt einer kompletten und umfassenden Raumanalyse. Man muss nämlich weiter fragen, was mit den so hergestellten Räumen geschieht, welche Wirkungen sie ausüben.«90 Die soziale Produktion von Raum durch Handlungen mündet gerade bei politisch-normativen Räumen in eine neue Anordnung sozialer Güter, in

86 Vgl.: Pott: Orte des Tourismus, S. 140; »Eine Grenze ist eine gedachte oder abstrakte Linie, anhand welcher Unterscheidungen getroffen und Dinge durch Differenz identifiziert werden,« Martin Heintel/Robert Musil/Markus Stupphann/Norbert Weixlbaumer : An der Grenze, in: Martin Heintel/Robert Musil/Norbert Weixlbaumer (Hg.): Grenzen. Theoretische, konzeptionelle und praxisbezogene Fragestellungen zu Grenzen und deren Überschreitungen, Wiesbaden 2018, S. 1–15, hier S. 1. 87 Bernd Belina: Die kapitalistische Produktion des Raums: Zwischen Mobilität und Fixierung, in: Wolfgang Krumbein/Hans-Dieter von Frieling/Uwe Kröcker/Detlef Sträter (Hg.): Kritische Regionalwissenschaft. Gesellschaft, Politik, Raum, Münster 2008, S. 70–86, hier S. 85. 88 Schroer : Räume, Orte, Grenzen, S. 175. 89 Ebd., S. 191. 90 Ebd., S. 177; Wegen der Dichotomie des sozialen und geographischen Raumes plädieren Lippuner und Lossau sogar für einen völlig neuen Raumbegriff, Lippuner/Lossau: In der Raumfalle, S. 51.

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neue räumliche »Arrangements«,91 die wiederum raumwirksam werden. Das soll mit bedacht werden.92 Die vorangegangenen Überlegungen liefern das Instrumentarium, um sich einem raumbezogenen Konflikt zu nähern. Es fehlt jedoch noch die Begrifflichkeit, wie ein komplexer Aushandlungsprozess mit unterschiedlichen Beteiligten beschrieben werden kann. Theorien aus der Politikwissenschaft zu Verhandlungssystemen sind in diesem Fall hilfreich. Von dieser Seite aus, soll der zweite theoretische Zugang zum Thema gesucht werden. Die Aushandlung fand im Rahmen demokratischer Abläufe innerhalb von Ratssitzungen statt und glich einer Modellsituation aus der Spieltheorie, wie sie das allgemein bekannte Gefangenendilemma schildert: Zwei Personen werden gefangen gesetzt und eines Verbrechens beschuldigt. Nun bestehen für beide jeweils zwei Entscheidungsmöglichkeiten: schweigen oder reden. Der Richter legt eine Auszahlung in Form von Gefängnisstrafen fest: Reden beide, verhängt er eine hohe Strafe für jeden, redet nur einer und beschuldigt damit den anderen, während dieser schweigt, bekommt der Schweigende die Höchststrafe und der andere geht straffrei aus. Schweigen beide, gibt es für beide aufgrund der Indizienlage eine niedrige Gefängnisstrafe. Jeder muss für sich entscheiden, ohne sich mit dem anderen abzusprechen. Das Dilemma besteht darin, dass jeder sich für eine Strategie entscheiden muss, das Ergebnis der Auszahlung aber von beiden Aussagen abhängt. Rational ist es für den Einzelnen am besten zu reden; gemeinsames Schweigen verspricht jedoch das beste Gesamtergebnis für beide, birgt jedoch die Gefahr, dass der eine den anderen doch belastet. »Individuelle Rationalität führt für beide zu einem schlechteren Ergebnis als nötig. Das ist das Grundproblem des Gefangenendilemmas.«93 Bei einer einmaligen Begegnung kann es demnach nicht zu einer Kooperation kommen. Jedoch können sich benachbarte Kommunen »nicht aus dem Weg gehen«94 und spielen das Spiel ›Gefangenendilemma‹ viele Male, weil sie mit91 Schroer : Räume, Orte, Grenzen, S. 175. 92 Gerade in den historischen Humanwissenschaften sei die konkrete Benennung von Räumen unerlässlich, schreibt Alexander Mejstrik. »Allein die Lokalisierung eines Phänomens (die Möglichkeit also, eine konkrete Gegend zu benennen, in der stattfindet oder stattfand) kann seine Realität garantieren. Dies ist ganz offensichtlich, wenn der Gebrauch konkreter Gebiete untersucht wird.« Alexander Mejstrik: Raumvorstellungen in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften, in: Geppert/Jensen/Wienhold: Ortsgespräche, S. 53–77, hier S. 66. Er tritt aber auch für eine strikte Trennung ein: »Der soziale Raum, in dem all diese Beziehungen und Bewegungen lokalisiert sind, darf aber mit dem konkreten Raum nicht verwechselt werden«, ebd., S. 71. 93 Robert Axelrodt: Die Evolution der Kooperation, München 21991, S. 8. 94 Fritz W. Scharpf: Koordination durch Verhandlungssysteme: Analytische Konzepte und institutionelle Lösungen, in: Artur Benz/Fritz W. Scharpf/Reinhard Zintl (Hg.): Horizontale Politikverflechtung. Zur Theorie von Verhandlungssystemen, Frankfurt a. M./New York 1992, S. 51–96, hier S. 84.

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einander kommunizieren müssen. Aus der Wiederholung können die Spieler_innen Strategien des Gegners ersehen und eigene Strategien entwickeln. Jede Kommune sucht für alle anstehenden Probleme zunächst Lösungen, die für sie am günstigsten sind. Die Handlungen sind unkooperativ. Ein besseres Ergebnis würde sie aber erzielen, wenn sie mit einer benachbarten Kommune kooperieren würde. Dazu bedarf es einer Kooperationsbereitschaft,95 wobei diejenige Kommune einen Verhandlungsnachteil hat, die die Kooperationsbereitschaft zuerst signalisiert. Die zur Kooperation aufgeforderte Kommune kann dies ausnutzen und kann Forderungen stellen und mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen, gehe man nicht auf die gestellten Forderungen ein.96 Sitzen beide am Verhandlungstisch, ist damit aber noch keine Kooperationsbereitschaft erzielt. Eine Kommune kann sich innerhalb der Verhandlungen weiterhin für eine unkooperative Strategie entscheiden und erzielt damit ein gutes Ergebnis, allerdings zum Nachteil des Partners. Nach der Modellsituation würde dann die Strategie verfolgt: einer redet und der andere schweigt und bekommt die Höchststrafe. Die unkooperative Orientierung der Akteure würde schnell in eine Verhandlungssackgasse führen, wenn nicht die Akteure zu einem bestimmten Zeitpunkt in einen kooperativen Interaktionsmodus wechseln würden, bei dem alle Akteure um ein Verhandlungsergebnis bemüht sind. Das Verhandlungsergebnis kann verschiedene Formen annehmen: Bei dem sog. »Kaldor-Optimum« ist der Gewinn des einen Verhandlungspartners so hoch, dass er dem anderen dafür einen Ausgleich bieten kann,97 oder es werden Tauschgeschäfte vereinbart, bei denen der eine Verhandlungspartner etwas einbringt, der andere etwas anderes, was als gleichwertig angesehen wird. Koppelgeschäfte sind etwas anders gelagert, haben aber den gleichen Effekt. Bei einem Koppelgeschäft erbringen beide Verhandlungspartner ein Opfer. »Man ist bereit, manche ›Kröte‹ zu schlucken, wenn nur sichergestellt ist, daß die andere Seite gleichwertige Opfer bringen muß.«98 Wie kann eine Kooperationsbereitschaft auch bei unkooperativen Verhandlungspartnern hergestellt werden? Dies geschieht durch Veränderungen der Auszahlung, bei der drei Möglichkeiten zu unterscheiden sind: Durch eine imaginierte schwarzgemalte Zukunft in weiter Ferne, durch eine hohe Auszah-

95 Arthur Benz: Verhandlungen, in: Arthur Benz/Susanne Lütz/Uwe Schimank/Georg Simonis (Hg): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden 2007, S. 106–118, hier S. 109. 96 Ebd., S. 110f. 97 Fritz W. Scharpf: Einführung: Zur Theorie von Verhandlungssystemen, in: Benz/Scharpf/ Zintl (Hg.): Horizontale Politikverflechtung, S. 11–27, hier S. 15. 98 Scharpf: Koordination durch Verhandlungssysteme, S. 71.

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lung in der Gegenwart oder durch eine Belehrung über Werte, die kooperationsfördernd sind.99 Bei der Beschreibung des Aushandlungsprozesses wird in den Blick genommen, in welcher Form kooperiert wurde und wie das Verhandlungsergebnis aussah. Dabei konnten Verhandlungen scheitern. Ist ein Verhandlungspartner – aus welchen Gründen auch immer – mit mehr Macht ausgestattet und zwingt dem anderen seinen Willen auf, ohne dass es zu einem Ausgleich kommt, dann hält die Regelung nicht lange. »Nichts ist dauerhaft geregelt, wenn es nicht fair geregelt ist.«100 Der Eindruck eines Verhandlungspartners, es gehe bei diesen Verhandlungen nicht gerecht zu, lassen Verhandlungen scheitern. Doch soweit muss es nicht kommen. Mit der Drohung, die Verhandlungen scheitern zu lassen, können Verhandlungspartner Verhandlungsmacht ausüben und Forderungen durchsetzen. Zusammenfassend soll es in der Arbeit um den Vorgang der Raumkonstitution im Untersuchungsgebiet gehen, wie es gedacht, geplant und in den ersten Jahren gestaltet wurde. Die Beschreibung des eigentlichen Vorgangs der Raumkonstitution orientiert sich an entscheidungstheoretischen Überlegungen, um die Perspektive auf das hierarchisch angelegte Aktenmaterial zu schärfen. Als zusätzliche Strebe in dem theoretischen Gerüst soll ein weiterer Analysebegriff der Arbeit zugrunde gelegt werden. Die folgenden Ausführungen versuchen mit Hilfe des Begriffs ›Governance‹ die Handlungen, die zur Gründung der Stadt Georgsmarienhütte geführt haben, insgesamt zu fassen und zu analysieren. Governance ist ein seit Mitte der 1990er Jahre kursierender Analysebegriff der Sozialwissenschaft, der keine konkrete Erfassung der Realität zu leisten verspricht, sondern »eine Perspektive auf die Realität«101 erlaubt. Er verweist darauf, dass »Politik nicht nur durch formale Institutionen und Verfahrensregeln bestimmt wird, sondern dadurch, wie Akteure zusammenwirken und mit den Regeln umgehen.«102 Der Begriff »steht für alle diese Formen und Mechanismen der Koordinierung zwischen mehr oder weniger autonomen Akteuren, deren Handlungen interdependent sind, sich also wechselseitig beeinträchtigen oder unterstützen können«103 und wird hier vor allem als »deskriptiver Begriff«104 verwendet, mit dem Ziel, die »nicht-hierarchischen For99 Axelrodt: Die Evolution, S. 113. 100 Scharpf: Koordination durch Verhandlungssysteme, S. 77. 101 Arthur Benz/Susanne Lütz/Uwe Schimank/Georg Simonis: Einleitung, in: dies. (Hg.): Handbuch Governance, Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden 2007, S. 9–25, hier S. 14. 102 Arthur Benz: Politik in Mehrebenensystemen, Wiesbaden 2009, S. 18. 103 Benz/Lütz/Schimank/Simonis: Einleitung, S. 9. 104 Deskriptiver Begriff wird im Handbuch ›Governance‹ abgesetzt von dem normativen und praktischen Begriff ›Governance‹, ebd., S. 14f.

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men«,105 die in den Aushandlungen in den 1960er Jahre zur Anwendung kamen, als komplexes Phänomen konturiert zu erfassen. Gemäß dem handlungszentrierten Ansatz dieser Arbeit, sollen die Interdependenzen von Akteuren genauer in den Blick genommen werden106 und die »kausalen Verbindungen zwischen Strukturen […] Interessen und Interaktion«107 aufgezeigt werden. Akteure waren »integriert und eingebettet in einer Governance-Struktur«108 und mussten zwischen verschiedenen Interdependenzen einen Ausgleich schaffen. Dieser Ausgleich wird mit dem Begriff ›Interdependenzbewältigung‹ bezeichnet, die durch Handlungsabstimmung erreicht wird.109 Es bleibt die Frage zu beantworten, wie das handlungszentrierte Raumkonzept Werlens mit den verhandlungstheoretischen Überlegungen verbunden werden kann. Die Auszahlungen bilden das Kernelement des Verhandlungsmodells. Deren Bewertung hängt maßgeblich von den Raumvorstellungen der Verhandlungspartner ab. Raumvorstellungen wiederum werden gebildet aus den Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten der Beteiligten. Diese Parameter bestimmen den Wert der Auszahlung, nach dem entschieden und gehandelt wird, sie bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen die Selbständigkeit der eigenen Kommune aufgegeben wird. Ein Augenmerk dieser Arbeit wird immer wieder darauf liegen, wie eine Kooperationsbereitschaft unter den Verhandlungspartnern herstellt wurde. Nun soll hier weder eine sozialwissenschaftliche noch eine verhandlungstheoretische Arbeit entstehen, sondern es soll eine geschichtswissenschaftliche Analyse eines Aushandlungsprozesses in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgenommen werden. In der Geschichtswissenschaft ist die Anwendung theoretischer Ansätze aus anderen Disziplinen nicht neu. Nachdem im Jahr 2003 die Monographie Karl Schlögels »Im Raume lesen wir die Zeit«110 erschienen war, stand der Begriff ›Raum‹ 2004 im Mittelpunkt des Deutschen Historikertages in Kiel und wird seitdem besonders intensiv unter dem schon vorher kursierenden Stichwort ›spatial turn‹ in den Geschichtswissenschaften diskutiert. Nachdem die Ge-

105 Ebd. 106 Der ›Governance‹-Ansatz lässt ansonsten das politische Handeln von Akteuren in den Hintergrund treten. Dennoch kann gerade die Betrachtung, wie einzelne Akteure in Strukturen integriert sind, zu erhellenden Ergebnissen führen, ebd., S. 19. 107 Ebd., S. 14. 108 Ebd., S. 19. 109 Uwe Schimank: Elementare Mechanismen, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hg): Handbuch Governance, S. 29–45, hier S. 30. 110 Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München/Wien 2003.

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schichte lange Zeit ›ortlos‹ gearbeitet hatte, beginnt in der Geschichtswissenschaft eine neue Zeit der »Bodenhaftung«.111 Als 2007 Detlef Briesen in einem kurzen Plädoyer über den Nutzen historischer Raumanalysen für die Geschichtswissenschaft feststellt: »Explizit und insbesondere mit theoretischen Grundlagen werden Raumkonzepte nur selten angewandt«,112 waren bis dahin erst wenige Arbeiten in der Geschichtswissenschaft auf der Grundlage neuer Raumkonzepte entstanden.113 Von grundlegender Bedeutung ist die 2009 erschienene umfangreiche Monographie Jürgen Osterhammels über »Die Verwandlung der Welt«, in der er sich mit ›Raum‹ explizit auseinandersetzt. Er unterscheidet fünf Raumbegriffe, die für die Geschichtswissenschaften fruchtbar genutzt werden können: a) ›Raum‹ kann als Verteilung von Orten gesehen werden, an denen bestimmte Phänomene ausgemacht oder etabliert werden können. b) ›Raum‹ kann als Umwelt, als Voraussetzung für gesellschaftliches Leben begriffen werden. Dazu gehören Klima, Bodenqualität, Wasserzugang und Bodenschätze. c) ›Raum‹ kann als Landschaft, als Geschichte der Naturanschauung aufgefasst werden. d) ›Raum‹ kann als Region, als Einheit begrenzter Identität erfasst werden. Bestimmte festzulegende Faktoren begründen die Einheit einer Region. e) ›Raum‹ kann als Kontaktarena zwischen Menschen bezeichnet werden.114 Drei weitere Aspekte sind bei Osterhammel für den Raumbegriff von Bedeutung. a) die wirkmächtigen Vorstellungen von Raum, b) die vorgefundenen und gestalteten Strukturen des Raumes und c) die Kommunikation in einem ›Raum‹ und zwischen verschiedenen Räumen.115 Renate Dürr fasst die komplexen Ausführungen Osterhammels zusammen in den Schlagworten: Raumkonstitution, Raumordnung und Raumnutzung.116 Werden alle fünf Raumbegriffe und die drei zusätzlichen Aspekte der Raumproduktion dem hier vorgenommenen Thema zu Grunde gelegt, würden mindestens fünf interessante und grundlegend verschiedene Arbeiten über den 111 Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 52010, S. 129. 112 Briesen: Über den Nutzen, S. 603. 113 Z. B. Renate Dürr/Gerd Schwerhoff (Hg.): Kirchen, Märkte und Tavernen. Erfahrungs- und Handlungsräume in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 2005. 114 Osterhammel: Verwandlung, S. 154–157. 115 Ebd., S. 143–173. 116 Renate Dürr : Pastöre im Raumgefüge ihres Dorfes. Zum Potential des ›spatial turn‹ in der Regionalforschung, in: Total Regional. Studien zur frühneuzeitlichen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift für Frank Göttmann, Regensburg 2011, S. 149–167, hier S. 155.

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Gründungsprozess einer Stadt entstehen. Es ist daher bei der Anwendung der Theorien zu überlegen, wie sie fokussiert auf das Thema dieser Arbeit angewandt werden können, gleichzeitig ergeben sich aus den theoretischen Vorüberlegungen folgende Leitfragen: Wie wurde Ende der 1960er Jahre ein politisch-normativer Raum, d. h. eine neue Gebietskörperschaft, hergestellt? Welche Raumvorstellungen von welchen Akteuren kursierten zu diesem Zeitpunkt? Auf welchen Erfahrungen beruhten sie, wie gerieten sie in Konflikt, wie wurden sie ausgehandelt, wer setzte sich am Ende durch, und welche Machtverhältnisse legt das Ergebnis offen? Die Beantwortung dieser Fragen soll zum einen Auskunft über den Zustand einer in demokratischen Verhältnissen sich verortenden Gesellschaft und zum anderen Einblick in die Handlungsmöglichkeiten von Akteuren innerhalb bestimmter, z. T. gesetzlich festgelegter, Rahmenbedingungen geben. Die Arbeit wird Themen wie die Gebiets- und Verwaltungsreform, Raumordnung und Wirtschaftsentwicklung in Niedersachsen berühren, dies ist jedoch weder eine Geschichte der niedersächsischen Gebiets- und Verwaltungsreform am Beispiel der Stadt Georgsmarienhütte noch der niedersächsischen Raumordnung am gleichen Exempel noch ein Stück niedersächsischer Wirtschaftsgeschichte. Vielmehr geht es darum, mittels einer Analyse eines Aushandlungsprozesses am Ende der 1960er Jahre Aufschluss über eine Zeit zu erlangen, in der gravierende Entscheidungen für Kommunen und damit auch für Menschen getroffen wurden, die sich heute noch auswirken.117

1.3. Methode und Vorgehensweise »Wie häufig ist der Transfer solcher Konzepte von der Theoriediskussion in die historiographische Praxis nicht leicht«118, räumt Renate Dürr ein und Detlef Briesen stellt fest, dass die Mehrheit der Historiker_innen sich zunächst auf den ›cultural‹ oder ›linguistic turn‹ bezogen und die ›Raumfrage‹ vernachlässigten. »Dabei haben sicher auch heuristische Grundentscheidungen eine Rolle gespielt, denn das konkrete Handeln von Menschen ist nun einmal schwieriger zu erforschen als die in Zeitungen abgedruckten Debatten von Eliten.«119 Diese Schwierigkeiten bekunden auch Historiker_innen, die eng an raumbezogenen Themen arbeiteten. Christoph Rass, der sich zusammen mit Florian Wöltering mit dem auf den Werlenschen Theorien beruhenden, aber bereits 117 Für die Gemeinden, die Ende der 1960er Jahre durch das Raster der Förderung fielen, wurde im Rückblick eine »subtile Art flächendeckender Passivsanierung« festgestellt, vgl.: Gerhard Henkel: Der ländliche Raum, Stuttgart4 2004, S. 284. 118 Dürr : Pastöre im Raumgefüge ihres Dorfes. S. 149. 119 Briesen: Über den Nutzen, S. 604.

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weitergehenden Begriff ›Sozialregion‹ auseinandersetzt, schreibt: »Die mit dem Begriff der Sozialregion verbundenen Erweiterungen verschärfen das Problem der räumlichen Erfassung. Denn ein akteurszentrierter Ansatz hat zur Folge, dass die Forschung bei den Subjekten und der aus ihren Handlungen hervorgehenden Regionalisierungen ansetzen muss. Dies ist wesentlich anspruchsvoller als das reine Erfassen von Angeboten an einem zentralen Ort.«120 Wie also vorgehen? Die Ausgangsfrage lautete: Welche Raumvorstellungen kursierten und welcher Akteur setzte sich mit seinen Raumvorstellungen Ende der 1960er Jahre durch? Oder in den Termini der Sozialgeographie ausgedrückt: Wer beherrschte den Prozess der Produktion des politisch-normativen Raumes für das in den Quellen als ›Dütetal‹ bezeichnete Gebiet Ende der 1960er Jahre? Um die Frage beantworten zu können, muss zunächst festgestellt werden, wie der kartierbare Ort, um den es geht, physisch-materiell beschaffen und wie seine Lage ist. Genau wie der ›Raum‹ entsteht der ›Ort‹121 durch Handlung. Die Tatsache, dass in den Gemeinden Oesede und Kloster Oesede Kohlevorkommen unter der Erde lagen, setzte mit Einsetzen der Industrialisierung weitreichende Handlungen in Gang, die wiederum ›Raum‹ produzierten. ›Orte‹ sind im Gegensatz zu ›Raum‹, der durch Raumkonstitution, Raumordnung und Raumnutzung entsteht, kartierbar. Die Lage des Ortes war für den Aushandlungsprozess von Bedeutung, denn er liegt in unmittelbarer Umgebung der Stadt Osnabrück, und das ist für die Raumbewertung einiger Akteure von Bedeutung. Der Begriff ›Dütetal‹ generiert sich aus den Quellen und ist als solcher bereits Teil einer semantischen Konstitutionsleistung. Um aber nicht einer Verwechslung der verschiedenen Analysemodi zu unterliegen, bei dem das ›Wie‹ wie das ›Was‹ beschrieben wird, ist im weiteren Verlauf der Arbeit von der ›Kommunallandschaft zwischen Osnabrück und Iburg‹ oder neutral von ›Untersuchungsgebiet‹ die Rede. Dies ist umso gebotener, da die Düte nicht alle Gemeinden, die sich zur Stadt Georgsmarienhütte zusammengeschlossen haben, durchfließt. Des Weiteren ist es für die Beantwortung der Ausgangsfrage sinnvoll zu fragen, welche Gebietsveränderungen, welche politisch-normativen Prozesse, es vor dem Aushandlungsprozess der 1960er Jahre gegeben hat, um die Ereignisse des zentralen Themas einordnen zu können. Ist ein ›Ort‹ oder ›Raum‹ das Er120 Christoph Rass/Florian Wöltering: Migration und Sozialregion: Wanderungsbeziehungen zwischen europäischen und außereuropäischen Bergrevieren, in: Angelika Westermann (Hg.): Montanregion als Sozialregion. Zur gesellschaftlichen Dimension von ›Region‹ in der Montanwirtschaft, Husum 2012, S. 51–81, S. 55. 121 Giddens unterscheidet ›Regionen‹ von ›Orten‹, den genau lokalisierbaren Schauplätzen von Handlungen. Als Beispiele werden Rathäuser oder Gerichtssäle genannt. Giddens zit. n. Weichhart: Entwicklungslinien, S. 285. Ein Ort mit festumrissenen Grenzen ist ebenfalls genau lokalisierbar.

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gebnis menschlichen Handelns, dann ist er das Resultat eines historischen Prozesses.122 Also ist es sinnvoll, eine Chronologie anzulegen. »Gewöhnlich folgt die Geschichtsschreibung der Zeit, ihr Grundmuster ist die Chronik, die zeitliche Sequenz der Ereignisse.«123 Dieser Basisprämisse Karl Schlögels wird auch diese Arbeit folgen. Im Untersuchungsgebiet entstanden Siedlungen, Kolonien, Bauerschaften und Gemeinden. In einem Prozess der »normativen Regionalisierungen«124 wurden im Laufe der Jahrhunderte Gemeinden konstituiert. Nahezu jede Bauerschaft bestand ursprünglich aus mehreren Kleinstsiedlungen, die schließlich – nachdem heute nicht mehr benennbare Akteure das veranlasst hatten – zu einer Gemeinde zusammengefasst wurden. Der Prozess der normativen Regionalisierung bekam mit der Vermessungstechnik eine neue Qualität: Grenzen konnten gezogen werden. Auf der Ebene der Nationalstaaten entstanden territorial begründete Herrschaftsbereiche und auf der sub-nationalen Ebene die Gemeinden, bzw. Dörfer. Henri Lefebvre stellte sich das Dorf in vorindustrieller Zeit so vor: »Jedes Dorf […] bildete ein Werk für sich, in dem sich alles vermischt und vereinigt: Ziele, Funktionen, Formen, Vergnügen, Tätigkeiten.«125 Ob die Gemeinden wirklich je ökonomisch gesellschaftlich und kulturell kongruente Einheiten waren, sei dahin gestellt.126 Fest steht, dass mit Beginn der Industrialisierung sich das Verhältnis der Menschen zum ›Raum‹ änderte. Dies hatte Auswirkungen auf die Gemeinden, deren Grenzverlauf den veränderten Verhältnissen seit Beginn der Industrialisierung angepasst werden mussten. »Politisch stellten die Gebietsreformen eine Antwort auf die Umwandlung einer Naturlandschaft in eine dicht besiedelte Industriezone dar,«127 stellt Hoebink fest. Beim Beginn der Umwandlung der hier einer Betrachtung unterzogenen Agrarlandschaft in eine Industriezone, will die Untersuchung einsetzen. Dieser Zeitpunkt ist benennbar. 1856 wurde auf Malberger Gemeindegrund ein Hüttenwerk errichtet, das mehr als 2.000 Arbeitskräfte in die Gegend zog. Damit veränderten sich die Raumbewertungen. Land, das in vorindustrieller Zeit der Nahrungsmittelproduktion diente, konnte nun gewinnbringend als Bauland verkauft oder verpachtet werden. Vor allem aber entstanden im Sinne 122 Dies ist eine These Henri Lefebvres, vgl.: Detlef Briesen/Jürgen Reulecke: Historische Determinanten der Raumanalyse, Informationen zur Raumentwicklung 10/11 (2007), S. I– III, hier S. II. 123 Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit, S. 9. 124 Werlen: Sozialgeographie. Eine Einführung, S. 341. 125 Henri Lefebvre, zit. n. Wex: Logistik der Macht, S. 114. 126 Henri Lefebvre: Die Produktion des Raums (1974) in: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2006, S. 330–342, hier S. 338. 127 Hein Hoebink: Mehr Raum – Mehr Macht. Preußische Kommunalpolitik und Raumplanung im rheinisch-westfälischen Industriegebiet 1900–1933, Essen 1989, S. 16.

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Werlens ›Regionen‹, die nicht kongruent waren mit den territorialen Einheiten, den Gemeinden. Eine asymmetrische Entwicklung setzte ein, die es gilt, anhand von versuchten oder durchgeführten normativen Regionalisierungen, also kommunalen Neuordnungen, vor 1970 aufzuzeigen. Zu den kommunalen Neuordnungen gehören die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte im Jahr 1860, die Zusammenlegungen von Georgsmarienhütte/Malbergen und Oesede/Dröper im Jahr 1937 und der gescheiterte Zusammenlegungsversuch zwischen Georgsmarienhütte und Oesede in den Jahren 1951/1952. (Siehe Kap. 2. Raumproduktionen für die kommunale Landschaft von 1860–1951, S. 43) Nach der inhaltlichen und zeitlichen Annäherung der Ausgangsfrage und mit der Erstellung der für das Hauptthema notwendigen Tiefenschärfe, gilt es nach der Theorie der handlungszentrierten Sozialgeographie, die Akteure des Aushandlungsprozesses von 1965–1970 zu benennen. Es sind dies in der Hauptsache Vertreter von Gebietskörperschaften, der Mittelinstanzen, der Industrie und ggf. der Landwirtschaft. Sie handeln im sozial-kulturellen Umfeld ihrer Gebietskörperschaft bzw. ihres Betriebes, also vor dem Hintergrund ihrer Einrichtungen, die ihre institutionell-autoritative oder institutionell-allokative Macht begründen. Daher wird in einem weiteren Schritt die Ausgangslage der beteiligten Gebietskörperschaften herausgearbeitet. (Siehe 3.2.1. Die beteiligten Kommunen, S. 158) In diesem Zusammenhang spielte insbesondere die finanzielle Lage der Gemeinden eine große Rolle. Eine finanziell starke Gemeinde verlieh ihrem Bürgermeister erwartungsgemäß mehr institutionell-allokative Macht als eine finanziell schwache Gemeinde. In der Darstellung der Ausgangslage soll aber auch deutlich werden, wie die Gemeinden ihrer Verpflichtung zur Daseinsvorsorge im Hinblick auf Wohnung, Arbeit, Bildung, Mobilität und Freizeit gerecht wurden. An welchen Stellen waren sie finanziell und personell überfordert, wo konnten sie ihre Aufgaben als Gemeinde nicht mehr allein bewältigen und mussten mit anderen Kommunen innerhalb von Zweckverbänden zusammenarbeiten? Ferner ist der Landkreis als kommunale Aufsichtsbehörde einer Betrachtung zu unterziehen, die klärt, in welcher Ausgangslage diese Behörde sich vor Beginn des Aushandlungsprozesses befand. (Siehe Kap. 3.2.3.1. Der Landkreis, S. 203) Dies ist besonders vor dem Hintergrund interessant, da die vom Land Niedersachsen initiierte Gebietsreform den Landkreisen nicht nur bei der Neuordnung der kommunalen Landschaft eine führende Rolle zuwies, sondern auch die Landkreise neu zugeschnitten werden sollten. Das hatte Auswirkungen auf das Handeln der beteiligten Akteure. Auch die Ausgangslage der Mittelinstanz, der Bezirksregierung, ist von Belang. In dieser Behörde waren die Bezirksplaner tätig, die eine entscheidende

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Rolle während der Aushandlung um die neue Gebietskörperschaft spielten. (Siehe Kap. 3.2.3.2. Der Regierungspräsident, S. 312) Von besonderem Interesse ist die Ausgangslage des Stahlwerkes, das punktuell in den Aushandlungsprozess eingriff. Es war Teil eines großen Konzerns mit Sitz in Duisburg und stellte mit 6.500 Arbeitsplätzen den größten Arbeitgeber im Untersuchungsgebiet dar. Ende der 1960er Jahre wurde bekannt, dass der Konzern Produktionsteile nach Bremen verlegen und im Georgsmarienhütter Betrieb Arbeitsplätze abbauen wollte. (Siehe Kap. 3.2.4. Das Stahlwerk, S. 215) Unter diesen Voraussetzungen kann nun der Verhandlungsverlauf erstellt werden, bei dem das politikwissenschaftliche Vokabular zum Einsatz kommt. Der Verhandlungsverlauf kann in einzelne, sich überlappende Abschnitte zerlegt werden. (Siehe Kap. 4 Die Produktion einer Idee: Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt, S. 223) Ist der Ablauf dargestellt, werden in einem weiteren Kapitel die Raumvorstellungen der Beteiligten noch einmal extrahiert. Es ist im theoretischen Teil aufgezeigt worden, wie wichtig für die Akteure die Bewertung des ›Raumes‹ ist, bevor sie handeln können. Die Raumbewertung, die Raumidee impliziert gleichzeitig das Ziel der Akteure.128 Wie wurde von den Angehörigen des Landkreises die Gemeinde Oesede bewertet, wie bewerteten die Vertreter der Gemeinde Oesede die Gemeinde Georgsmarienhütte und mit welchem Blick schauten sie zur Gemeinde Harderberg? Welche Verwertungsidee hatten die Leiter des Stahlwerkes für das Untersuchungsgebiet? Hatten sie überhaupt eine? Welche Ziele wurden aus der Raumidee abgeleitet? Aber vor allem soll in diesem Kapitel herausgestellt werden, welche Raumvorstellungen in Konkurrenz zueinander traten. (Kap 5. Raumvorstellungen der Akteure: Ideen für das ›Dütetal‹, S. 349) Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse zu einer zusammenfassenden Analyse zusammengeführt und in die für die 1960er Jahre relevanten Forschungsfragen eingeordnet. (Kap. 6. Zusammenfassende Analyse, S. 415)

1.4. Forschungsstand Die vorliegende Arbeit führt vorrangig Forschungsergebnisse aus zwei die 1960er Jahre betreffende Themenkomplexen zusammen: Einerseits aus dem Bereich der Gebiets- und Verwaltungsreform und andererseits aus dem Gebiet der Raumordnung. Beide Themen stehen im Hinblick auf den Untersuchungszeitraum erst seit wenigen Jahren im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. 128 Reuber : Raumbezogene politische Konflikte, S. 31.

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Die geschichtswissenschaftliche Literatur, die zur systematischen Analyse über die kommunalen Gebietsveränderungen im 20. Jahrhundert beitragen kann, ist nicht besonders umfangreich.129 Es existieren Einzeluntersuchungen zu verschiedenen Gemeinden, Kreisen und Bundesländern.130 Vergleichende Studien, die über den Einzelfall hinausgingen, lieferten die Autoren Lothar Albertin, Eris Keim und Raymund Werle,131 Hein Hoebink,132 Paul Reuber133 und Sabine Mecking134. Letztere beschäftigte sich vor allem mit der Frage nach der Partizipation von Bürger_innen in dem Neuordnungsprozess im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Ihre Habilitationsschrift entstand 2012 im Umfeld des Projektverbundes des westfälischen Institutes für Regionalgeschichte in Münster und der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft. In diesem Verbund wurde mit weiteren Unterstützern im Jahr 2008 in Kiel eine Konferenz zum Thema Gebietsreform abgehalten, dessen Ergebnisse in einem Sammelband 2009135 präsentiert wurden. Darin wurde erstmals das Thema in einen größeren juristischen bzw. verwaltungsgeschichtlichen und vor allem in einen geschichtswissenschaftlichen Zusammenhang eingeordnet. Die Zusammenstellung der Beiträge macht deutlich, dass es bei dem Thema Gebietsreform um weit mehr als um Eingemeindungen, Zusammenlegungen und neue Gemeindenamen ging.136 Im Beitrag von Habbo Knoch wurde z. B. ein Zusammenhang zwischen dem Bürger-

129 Vgl.: Hoebink: Mehr Raum – mehr Macht, S. 15; Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 36. 130 Exemplarisch: Joachim Schwanitz: Erfolg und Mißerfolg der kommunalen Gebietsreform. Dargestellt am Umlandbereich der Stadt Celle, Frankfurt/M./Bern/New York/Paris 1988; Jan Nikolas Dicke: Reform und Protest. Konflikte um die Neugliederung des Kreises Borken in den 1960er und 1970er Jahren Paderborn 2009; Marcus Ren8 Duensing: Die Gebiets-und Verwaltungsreform in Niedersachsen am Beispiel des Raumes Nienburg/Weser, Nienburg 2006; Jan Esterhues: Die Gemeindegebietsreform im Raum Münster von 1975, Münster 2005; Philipp Hamann: Gemeindegebietsreform in Bayern. Entwicklungsgeschichte, Bilanz und Perspektiven, München 2005. 131 Lothar Albertin/Eris Keim/Raymund Werle: Die Zukunft der Gemeinden in der Hand der Reformer. Geplante Erfolge und politische Kosten der kommunalen Neugliederung – Fallstudien in Ostwestfalen-Lippe, Opladen 1982. 132 Hoebink: Mehr Raum – Mehr Macht; Reimut Jochimsen/Peter Knobloch, Peter Treuner : Gebietsreform und regionale Strukturpolitik. Das Beispiel Schleswig-Holstein, Opladen 1971. 133 Reuber : Raumbezogene politische Konflikte. 134 Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform. 135 Sabine Mecking/Janbernd Oebbecke (Hg.): Zwischen Effizienz und Legitimität. Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen in der Bundesrepublik Deutschland in historischer und aktueller Perspektive, Paderborn 2009. 136 Die verschiedenen Betrachtungsmöglichkeiten der Gebiets- und Verwaltungsreform werden vorgestellt in dem Aufsatz: Maximilian Wallerath: Aufgaben – Raum – Struktur. Steuerung des Wandels durch kommunale Gebiets- und Funktionalreform, in: Mecking/ Oebbecke: Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 189–210.

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protest und der studentischen 1968er Bewegung hergestellt.137 Einen Überblick über Reformprojekte in den verschiedenen Bundesländern vor allem in jüngerer Zeit gab der Beitrag von Hans-Günter Henneke,138 der durch Beiträge über aktuelle Reformprojekte in verschiedenen Bundesländern ergänzt wurde.139 Die Gebietsreform in Niedersachsen findet in diesem Band nur am Rande Erwähnung. Stehen innerhalb des Projektes von Sabine Mecking die Fragen nach Bürgerbeteiligung im Zentrum der Untersuchungen, so finden die Konflikte, die von Akteuren mit den Zwischeninstanzen und der Ministerialbürokratie geführt wurden, wesentlich weniger Beachtung.140 Diese Aushandlungsprozesse berühren den zweiten großen Themenkomplex dieser Arbeit, das Thema Raumordnung. Neuere und in die Tiefe gehende Arbeiten liefern der Sammelband von Wendelin Strubelt und Detlef Briesen141 und die Monographien von Karl R. Kegler142 und Ariane Leendertz143. Alle Arbeiten verweisen auf Akteure und deren Wirken und zeigten Entwicklungslinien auf, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung waren. Dabei geht allerdings keine der genannten Arbeiten auf den Zusammenhang zwischen Raumordnung und Gebietsreform ein.144 Michael 137 Habbo Knoch: Demokratie machen. Bürgerschaftliches Engagement in den 1960er und den 1970er Jahren, in: Mecking/Oebbecke: Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 49–62. 138 Hans-Günter Henneke: Gebiets- und Verwaltungsreformen in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in: Mecking/Oebbecke: Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 213– 227. 139 Bernd Kregel: Was lange währt, wird endlich…gut? Struktur-und Funktionalreform in Sachsen-Anhalt, In: Mecking/Oebbecke: Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 229–258; Hubert Meyer : Gebiets- und Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern – Zum Scheitern verurteilt, in: Mecking/Oebbecke: Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 259– 286; Utz Schliesky : Strategie der Verwaltungsmodernisierung in Schleswig-Holstein, in: Mecking/Oebbecke: Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 287–304. 140 Auch der 2017 erschienene Sammelband von Sabine Mecking und Stefan Grüner geht auf diesen Aspekt nicht ein. Vgl.: Grüner/Mecking (Hg.): Wirtschaftsräume und Lebenschancen. 141 Wendelin Strubelt/Detlef Briesen (Hg.): Raumplanung nach 1945. Kontinuitäten und Neuanfänge in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M 2015. 142 Karl R. Kegler : Deutsche Raumplanung. Das Modell der ›zentralen Orte‹ zwischen NS-Staat und der Bundesrepublik, Paderborn 2015. 143 Ariane Leendertz: Ordnung schaffen. Deutsche Raumplanung im 20. Jahrhundert, Göttingen 2008. 144 So heißt es beispielsweise in der Niedersächsischen Landesgeschichte nur, dass die Gebietsund Verwaltungsreform sich an den raumplanerischen Überlegungen orientiert habe, vgl.: Karl Heinz Schneider: Wirtschaftsgeschichte Niedersachsens nach 1945, in: Gerd Steinwascher (Hg.): Geschichte Niedersachsens. Von der Republik bis zur Wiedervereinigung, Hannover 2010, S. 807–920, hier S. 918; auch der Rezensent, der sich mit der Monographie Karl R. Keglers auseinandersetzt, bedauert, dass Kegler mit seiner Untersuchung über das ›zentrale-Orte‹ Konzept nur einen Zeitrahmen bis 1969 gewählt habe: »Damit liegt die kommunale Gebietsreform der 1960er- und 1970er-Jahre, die sich stark auf Christallers Modell bezog – immerhin hing von der Frage, ob einer Gemeinde eine zentralörtliche Funktion zuerkannt wurde oder nicht, nicht selten deren weitere politische Existenz ab –

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Ruck weist darauf hin, dass die »Formierungsjahre«145 der Bundesrepublik Deutschland immer wieder unter dem Blickwinkel von politik- und sozialkulturellen Fragestellungen betrachtet worden seien. »Wechselwirkungszusammenhänge zwischen den institutionellen Arrangements und der politischen Kultur während der zweiten und dritten Dekade«146 seien noch längst nicht ausgelotet. So ist bis heute völlig ungeklärt, ob und wie die Akteure der beiden Reformprojekte zusammenarbeiteten, wodurch sie motiviert und mit welchem Ziel sie ihre Raumvorstellungen umsetzen wollten, und inwiefern es sich bei den oben genannten Reformprojekten um eine »nachholende Modernisierung«147 handelte. Die Untersuchung an dem Fallbeispiel wird diesen Fragen nachgehen. Dass es für das Bundesland Niedersachsen für die Zeit nach 1960 kaum gut geschichtswissenschaftlich aufgearbeitete Themen gibt, wurde in der Sekundärliteratur bemängelt,148 und gilt sowohl für das Thema Gebiets- und Verwaltungsreform als auch für das Thema Raumordnung. Hilfreiche Zusammenfassungen über die Gebiets- und Verwaltungsreform lieferten unter sehr unterschiedlichen Fragestellungen Werne Thieme und Günther Prillwitz,149 GeorgChristoph von Unruh,150 Wolfgang Thiede,151 Heiner Schüpp152 und Gerd Steinwascher.153 Eine umfassende Aufarbeitung dieses Themas für dieses Bundesland steht noch aus. Auch das Thema Raumordnung ist für das Land Niedersachsen nur bis in die 1950er Jahre aufgearbeitet,154 eine wissenschaftliche

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zum größten Teil nicht mehr im Fokus der Studie. Das ist schade, denn gerade hier lässt sich die praktische Relevanz von raumordnungspolitischen Theorien, auf denen weitreichende Entscheidungen basieren, mit Händen greifen.« Jarom&r Balcar : Rezension von: Karl R. Kegler : Deutsche Raumplanung. Das Modell der Zentralen Orte zwischen NS-Staat und Bundesrepublik, Paderborn 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 10 [15. 10. 2016], URL: http://www.sehepunkte.de/2016/10/25812.html, Aufruf am 2. August 2018. Ruck: Einführung, S. 495. Ebd. Ebd., S. 499. Daniela Münkel: Von Hellwege bis Kubel. Niedersachsens politische Geschichte von 1955– 1976, in: Steinwascher (Hg.): Geschichte Niedersachsens, S. 683–734, hier S. 686. Thieme/Prillwitz: Durchführung und Ergebnisse, Niedersachsen betreffend S. 243–315. Christoph von Unruh: Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen 1965–1978, Hannover 1978. Wolfgang Thiede: Auswirkungen der Gebietsreform im Bereich des kommunalen Finanzausgleiches. Empirische Untersuchungen am Beispiel des Landes Niedersachsen, BadenBaden 1981. Heiner Schüpp: Gebiets- und Verwaltungsreform, in: Werner Franke/Josef Grave/Heiner Schüpp/Gerd Steinwascher : Der Landkreis Emsland. Geographie, Geschichte, Gegenwart, Meppen 2002, S. 528–552. Gerd Steinwascher : Die Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen, in: ArchivNachrichten Niedersachsen. Mitteilungen aus niedersächsischen Archiven 13 (2009), S. 21– 29. Hans-Peter Waldhoff/Dietrich Fürst/Ralf Böcker: Anspruch und Wirkung der frühen Raumplanung. Zur Entwicklung der Niedersächsischen Landesplanung 1945–1960, Hannover

Forschungsstand

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Betrachtung der 1960er Jahre unter dem Aspekt der Raumordnung in Niedersachsen fehlt, es existieren aber einige Publikationen, die prozessgeneriert entstanden sind.155 Die Aufarbeitung der für die vorliegende Untersuchung notwendigen Ereignisse ist Teil dieser Arbeit. Eine Zusammenführung der aufgezeigten Themenkomplexe an einem Fallbeispiel wird in dieser Arbeit erstmals vorgenommen. Es geht in dieser Arbeit jedoch um mehr als um diese beiden Themenbereiche, primär geht es um Aushandlungsprozesse. So ist auch die Literatur von Bedeutung, die sich mit den Möglichkeiten und Grenzen von Aushandlungen in den 1960er Jahren im weitesten Sinne beschäftigt. Der Sammelband von Matthias Frese, Julia Paulus und Karl Teppe156 stellt die 1960er Jahre als Zeit des demokratischen Aufbruchs und Reformbestrebungen dar. So gehaltvoll die einzelnen Beiträge auch sind, der demokratische Aufbruch wird immer aus der Perspektive der Bürger_innen gesehen, Aushandlungen zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen werden nicht thematisiert.157 Nur vereinzelt und nur am Rande wird dieser Themenbereich gestreift.158 Die Monographie von Gabriele Metzler159 beschäftigt sich mit dem Phänomen der expandierenden Politikberatung und ihrer legitimierenden Rolle bei Grundsatzentscheidungen, ein Phänomen, das auch bei der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielt. Im Wesentlichen wird das Jahrzehnt in der Forschungsliteratur immer wieder unter den drei Leitmotiven von Planung, Prosperität und Partizipation160 betrachtet und als dynamisches Jahrzehnt des Aufbruchs bezeichnet. Wie sich

155

156 157 158 159 160

1994; Dietrich Fürst: Geschichte der Landesplanung Niedersachsens 1945–1958 aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht, in: Neues Archiv für Niedersachsen 2 (1995), S. 15–34. Aufsätze von Zeitzeugen: Werner Ernst: Raumordnungspolitik – Illusion oder Wirklichkeit? in: NAfN 29 (1980), S. 115–129; Joachim Masuhr: Die Entwicklung von Raumordnung, Landes- und Regionalplanung in Niedersachsen, in: Hans Heinrich Seedorf/HansHeinrich Meyer : Landeskunde Niedersachsen. Natur- und Kulturgeschichte eines Bundeslandes, Bd. II, Hannover 1996, S. 803–830; als ehemaliger Direktor des Instituts für Landesplanung und Raumforschung schreibt Dieter Fürst: Dezentralisierung der Raumordnungsordnungspolitik, NAfN 31 (1982) S. 314–334. Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Tepe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 2005. Nur am Rande streift Michael Ruck die Problematik, vgl.: Ruck: Einführung, S. 498. Vgl.: Bernd Faulenbach: Die Siebziger Jahre – ein sozialdemokratisches Jahrzehnt? in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 1–37. Gabriele Metzler : Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt. Politische Planung in der pluralistischen Gesellschaft, Paderborn 2005. Michael Ruck: Zwischen Steuerungsbedarf und ordnungspolitischem ›Sündenfall‹. Sektorale Strukturpolitik im bundesdeutschen Planungsdiskurs, in: Grüner/Mecking (Hg.): Wirtschaftsräume und Lebenschancen, S. 23–38; Sabine Mecking/Janbernd Oebbecke : Die kommunale Neugliederung als gesellschaftliche und rechtliche Herausforderung in Vergangenheit und Gegenwart, in: dies.(Hg.): Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 1–28, hier S. 15.

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Einleitung

diese Leitmotive in einem Fallbeispiel im Handeln einzelner Akteure niederschlagen, wird in dieser Arbeit gezeigt.

1.5. Quellenlage Ein Großteil der das Thema betreffenden Quellen machen Protokolle der verschiedenen Gemeindeorgane aus. Unter Dep 81 b hat die Stadt Georgsmarienhütte nicht immer sonderlich geordnet Rats- und Ausschussprotokolle an das Niedersächsische Landesarchiv – Standort Osnabrück abgegeben.161 Daraus lässt sich der Aushandlungsverlauf unter dem Aspekt der verschiedenen von Akteuren artikulierten Gemeindeinteressen konstruieren. Darüber hinaus liefern die Akten des Landkreises Osnabrück weitergehende Einblicke vor allem in die Einschätzung der Vorgänge im Untersuchungsgebiet auf der höheren Verwaltungsebene. Die Akten der Bezirksregierung hingegen sind, was die eigentliche Aushandlung betrifft, nicht besonders ergiebig. Auf dieser Ebene waren die Raumplaner mit der Einteilung ihrer Bezirke in ›zentrale Orte‹ beschäftigt, ein Verfahren, dass verwaltungstechnisch von der Gebietsreform abgekoppelt wurde und dennoch Auswirkungen auf die Aushandlung im Zusammenhang mit der Gebietsreform hatte. Der Bestand des Landtages beschränkt sich auf die öffentlich gehaltenen Reden von Landtagsabgeordneten sowie auf Protokolle der öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzungen. Von den zahlreichen Eingaben aus der Oeseder Bevölkerung sind nur vier archiviert worden. Im Niedersächsischen Landesarchiv – Standort Hannover, Außenstelle Pattensen, lagern die Akten der niedersächsischen Ministerien. Die Bestände geben Einblick in die Arbeit der Ministerialakteure, vor allem in Bezug auf den Landesplanungsbeirat beim Innenministerium, sind jedoch nicht so filigran angelegt, dass sie sich auf einzelne Gemeinden beziehen. Zwei Quellenfunde erwiesen sich für die tiefergehende Bearbeitung des Themas als Glücksfälle. Der erste – ein ungeordneter Aktenbestand von etwa einem Meter – befand sich noch bis vor kurzem in der Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. Neben vielen bereits archivierten Protokollen befinden sich darin Vorgänge, die die Arbeit der Verwaltung hinter den Kulissen der Aushandlung sichtbar werden lassen. Vor allem aber sind in diesem Bestand Korrespondenzen zum Konflikt 161 Besonders ungeordnet NLA OS Dep 81 b Nr. 72 oder NLA OS Dep 81 b Nr. 10. Die Protokolle der verschiedenen Ausschüsse sind z. T. nicht nach Altgemeinden geordnet, das ist in dem Bestand NLA OS Dep 81 b Akz 2011/104 Nr. 1 der Fall, der Kultur- und Sportausschussprotokoll sowohl aus Georgsmarienhütte als auch aus Oesede beeinhaltet.

Quellenlage

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der Namensgebung erhalten. Bis 1989 wurden diesem Bestand immer noch Zeitungsartikel und Meldungen über Namenskonflikte anderer Gebietskörperschaften abgeheftet. Das zeigt, dass das Thema Namensgebung für die Akteure der Verwaltung fast 20 Jahre nach Gründung der Stadt immer noch aktuell war.162 Der zweite Quellenfund ist ebenfalls von herausragender Bedeutung für das Thema. Er stammt von dem ehemaligen Ratsherrn Franz Meyer zu Oesede, der von 1961 bis 1990 Mitglied im Oeseder Gemeinderat bzw. Georgsmarienhütter Stadtrat war.163 Er hat die komplette Aushandlung mit allen Vorläuferkonflikten aus Oeseder Sicht miterlebt. Er verstarb im November 2014164 und die Familie übergab im Frühjahr 2017 einen 21bändigen Bestand an die Stadt Georgsmarienhütte. Akribisch hatte Meyer zu Oesede von 1960 bis 1970 Oeseder Rats- und Ausschussprotokolle abgeheftet, so dass eine Rekonstruierung der Vorgänge anhand dieses komprimierten Bestandes möglich war, die sonst nur anhand unter verschiedenen Signaturen im Staatsarchiv abgelegten Protokollen und mit erheblichem Mehraufwand leistbar gewesen wäre. Bedauerlich ist dabei lediglich, dass die späteren Protokolle – mutmaßlich in der Annahme, dass das Verwaltungsschriftgut von der Verwaltung ohnehin archiviert würde – vermutlich von ihm selbst vernichtet wurde. Auch wenn der Bestand erst in der letzten Phase der Arbeit an die Verfasserin gelangt ist, er hat die Arbeit an dem Thema erleichtert und in wesentlichen Punkten ergänzt. Bei der Durchsicht dieses zunächst als redundant eingeschätzten Materials, zeigte sich die Relevanz der Quelle: In dem Bestand befinden sich vereinzelt auch Protokolle über informelle Besprechungen, die im Depositum der Stadt Georgsmarienhütte fehlen. Ferner sind Protokolle und Einladungen an einigen Stellen mit handschriftlichen Notizen des Ratsmannes versehen, die Einblick in das Denken eines einzelnen Akteurs geben. Dies ist jedoch nur willkommenes Beiwerk, das zur Unterstützung von Thesen an verschiedenen Stellen herangezogenen werden kann. Von weitaus größerem Belang ist der Erhalt von 16 Briefen, die die Oeseder Bürgerinitiative an Kreis- und Landtagsabgeordnete geschrieben hat. Da diese im Landtagsarchiv nur zu einem kleinen Teil archiviert wurden, liegt hier eine Quelle von besonderem Wert vor. Der Erhalt dieser Briefe ist deshalb so wichtig, weil Oberkreisdirektor Backhaus und der Landtagsabgeordnete Müller darauf Bezug nahmen, ohne den Inhalt noch einmal explizit zu nennen. Mit dem Erhalt lassen sich die Bezüge eindeutig zuordnen. 162 Inzwischen befindet sich der Bestand im Niedersächsischen Landesarchiv – Standort Osnabrück unter NLA OS Dep 81 b 2018/35 Nr. 1–7. 163 Der Nachlass Franz Meyer zu Oesede befindet sich inzwischen im Bestand des Niedersächsischen Landesarchives – Standort Osnabrück unter NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 1–21. 164 Todesanzeige Franz Meyer zu Oesede, NOZ, 19. November 2014.

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Einleitung

Eine weitere Komponente macht diesen Bestand aus Privathand für die Aufarbeitung interessant: Der 1991 für ein Jahr bei der Stadt Georgsmarienhütte angestellte Verwaltungspraktikant Thomas Nobbe erstellte aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Archivalien eine Darstellung der Ereignisse der Zusammenlegung, um damit das 25jährige Bestehen der Stadt Georgsmarienhütte vorzubereiten. Diese 82seitige »Chronik«165 wurde nie veröffentlicht, kursiert aber als Kopie bei vielen Geschichtsinteressierten. Meyer zu Oesede hatte seine Kopie mit umfangreichen Notizen versehen und dabei der Nachwelt seine Version der Ereignisse hinterlassen. Seine Kommentare zielten dabei nicht nur auf das von Nobbe Produzierte, sondern auch auf das Fehlende. So erhalten wir Einblick in ein schriftlich fixiertes Narrativ, dessen wir sonst nirgendwo hätten habhaft werden können. Hierzu zählt auch das Oeseder Selbstbild in der NS-Zeit, das 1969 erinnert, 1991 erneut erinnert und erstmals von Meyer zu Oesede aufgeschrieben wurde. Die Aussagekraft dieser Quelle wird mit dieser Aufarbeitung noch nicht annähernd ausgelotet sein. Aufschlussreich ist das Archiv der Klöckner-Werke Georgsmarienhütte, das im Niedersächsischen Landesarchiv-Standort Osnabrück unter Dep 49 aufbewahrt wird. Die Einsicht in explizit benannte Akten in dem öffentlich nicht zugänglichen Depositum musste an verschiedenen Stellen beantragt werden. Eine Mühe, der sich nicht alle unterzogen, die sich mit der Werksgeschichte auseinandersetzten.166

165 Thomas Nobbe: Chronik der Stadt Georgsmarienhütte, unveröffentlichtes Manuskript, o.O. 1991. 166 Karl Lauschke: Unternehmerisches Handeln, Standortbedingungen und regionalpolitische Reaktionen. Hüttenwerke des Klöckner-Konzerns in Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, in: Grüner/Mecking (Hg.): Wirtschaftsräume und Lebenschancen, S. 117– 132; Auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet gänzlich: Oliver Driesen: Schwarz wie Schlacke, rot wie Glut. Die erstaunliche Geschichte der Georgsmarienhütte und ihrer Unternehmensgruppe, Hamburg 2006.

2.

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2.1. Die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte 1860 Der größte Eingriff in die Struktur der Gebietskörperschaften im Untersuchungsgebiet geschah, als im Jahr 1856 auf Malberger Gemeindegrund ein Hüttenwerk gebaut wurde. Zu dieser Zeit zählte die direkt an der Düte gelegene Bauerschaft Malbergen167 383 auf einzelnen Höfen verstreut lebende katholische Einwohner_innen. Im Ort befanden sich eine Schule, ein Armenhaus168 und unterhalb des Meyerhofes eine Mühle, die zu den bedeutendsten ihrer Art im Osnabrücker Land zählte.169 Die Bauerschaft »mittlerer Größe«170 gehörte zum

167 Die Informationen über die Bauerschaft Malbergen sind spärlich. Folgende Publikationen geben einen kurzen Überblick von den Anfängen bis zur Werksgründung: Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, bearbeitet im Auftrage der Gemeinde vom Verschönerungsverein 1870 Heimatverein Georgsmarienhütte, Osnabrück 1969; Festschrift 100 Jahre Lutherkirche in Georgsmarienhütte, hrg. v. Kirchenvorstand, o.O. 1978; Georgsmarienhütte Malbergen in Geschichte und Gegenwart. Eine Festschrift, hrg. v. Kolpinghaus Georgsmarienhütte-Malbergen e.V., Osnabrück 1951; Georg von der Haar : Georgsmarienhütte-Malbergen, in: Matthias Brinkmann (Hg.): Unsere Heimat. Heimatbuch für den Landkreis Osnabrück, Osnabrück 1951, S. 249–253; Johannes Haase: Chronik der evangelisch-lutherischen Gemeinde Georgsmarienhütte. Festschrift zum 25jährigen Kirchenjubiläum am 24. Mai 1908, Hannover 1908; Bernd Holtmann: Die Herz-Jesu-Pfarre Georgsmarienhütte, Osnabrück 1968; Hermann Jellinghaus: Nachrichten über Dörfer und Bauernhöfe um Osnabrück, Reprint der Originalausgabe von 1924, Osnabrück 2004, S. 43– 49; Günther Wrede: Geschichtliches Ortsverzeichnis des ehemaligen Fürstbistums Osnabrück, Bd. 3, Hildesheim 1977, S. 33–34. 168 Zur Situation Malbergens unmittelbar vor der Werksgründung vgl.: Susanne Meyer, Schwerindustrielle Insel in ländlicher Lebenswelt, Münster 1991, S. 31. 169 Die Malberger Mühle wurde erstmalig im Tafelregister des Bischofs Conrad von Osnabrück im Jahre 1239/1240 erwähnt vgl.: Stephan Lutz Tobatzsch: Die Wassermühle von Malbergen im Stadtgebiet Georgsmarienhütte, in: Geschichte zwischen den Feldern, Festschrift anläßlich 850 Jahre Stadtkirchspiel St. Johann zu Osnabrück mit den ehemaligen Bauerschaften Harderberg, Holzhausen, Malbergen und Wulften, hrg. v. der Stadt Georgsmarienhütte, Georgsmarienhütte 1997, S. 75–94, hier S. 75. 170 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 31.

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Amt Osnabrück und zum Kirchspiel St. Johann,171 dessen religiöser Mittelpunkt die gleichnamige Kirche in Osnabrück bildete.172 26 Jahre zuvor waren im Osnabrücker Land die Marken aufgelöst und die Fläche in Anteilen den Höfen zugeschlagen geworden. Bei der Markenteilung erhielten die Vollerbenhöfe einen vollen, die Halberbenhöfe einen halben Anteil, die Kotten ein Viertel an der Fläche der Mark. Dem Malberger Meyerhof, auf dem das Amt des Unterholzgrafen lag, wurden sogar zwei volle Anteile zugeschlagen.173 Durch die Teilung vergrößerten sich die Betriebsgrößen der Höfe »beträchtlich«,174 nur die Heuerlinge, zu denen im Jahr 1858 in Malbergen 25 Familien gezählt wurden und deren Situation ohnehin schon prekär war, gingen leer aus.175 Die Heuerlinge bildeten jene Bevölkerungsschicht, die seit dem 17. Jahrhundert am stärksten wuchs. Nach dem Dreißigjährigen Krieg brauchten die großen Bauernhöfe Arbeitskräfte und die nichterbenden Söhne eine Verdienstmöglichkeit. Land gegen Arbeitskraft hieß die Devise der Großbauern, die jede nur einigermaßen bewohnbare Behausung an Heuerlingsfamilien verpachteten. Diese waren meist auf Abruf zur Mithilfe auf dem Hof verpflichtet und konnten ihrem angepachteten Land nicht die Gewinne abringen, die es abgeworfen haben würde, wenn sie termingerechter hätten arbeiten können. Oft suchten sich die Familien einen Zuverdienst. Hollandgängerei und Leinengewerbe entschärften eine Zeit lang die Situation, beide Zuverdienstmöglichkeiten gingen jedoch in der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück.176 Die einzige Möglichkeit, sich Zukunftsperspektiven zu verschaffen, war die Auswanderung nach Amerika. In der Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte das Osnabrücker Land zu den von der Auswanderung am stärksten betroffenen 171 Die Kirchspiele haben nicht nur kirchlich-religiöse Bedeutung, sie stellten administrative Einheiten dar, die auch von politischer Bedeutung waren, vgl.: Wolfgang Bockhorst: Kirchspiel und Gericht in der örtlichen Verwaltung des Niederstiftes Münster in der Frühen Neuzeit, in: Michael Hirschfeld (Hg.): Die Gemeinde zwischen Territorialherrschaft und Selbstverwaltung. Beiträge zum 7. Studientag des Geschichtsausschusses im Heimatbund für das Oldenburger Münsterland, Cloppenburg 2005, S. 11–29, hier S. 13f. 172 So wurde beispielsweise die Vermessung des Fürstbistums Osnabrück 1784 durch den Vermesser Johann Wilhelm DuPlat über die Kirchspiele, genauer von der Kanzel, bekannt gegeben, vgl.: Christian Fieseler: Der vermessene Staat. Kartographie und die Kartierung nordwestdeutscher Territorien im 18. Jahrhundert, Hannover 2013, S. 21; Wolfgang Bockhorst: Kirchspiel, S. 16. 173 Malbergen in Geschichte und Gegenwart, S. 16. 174 Ebd., S. 17. 175 Die Verarmung der Heuerlinge sei die brisanteste Folge der Markenteilung, vgl.: Ren8 Ott: Kohle, Stahl und Klassenkampf. Montanindustrie, Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung im Osnabrücker Land 1857–1878, Frankfurt/M., New York 1982, S. 44. 176 Zum Thema Heuerlinge am Vorabend der Industrialisierung im Osnabrücker Land ebd., S. 41–62.

Die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte 1860

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Gebieten im Königreich Hannover.177 64 Männer und 28 Frauen verließen von 1834 bis 1869 Malbergen, um nach Amerika auszuwandern.178 Auf diese Bauerschaft wurde eine in Hannover zum Zweck einer Werksgründung gebildete und unter dem Protektorat des hannoverschen Königs Georg V. stehende Aktiengesellschaft aufmerksam. Die Bauerschaft lag in der Mitte von zwei wichtigen Ressourcen, die für die Produktion von Roheisen unentbehrlich waren: Eisenerz am Hüggel und Kohle in der Dütemulde Richtung Oesede, Kloster Oesede, Hilter und Hankenberge. Die Aktiengesellschaft mit dem Namen Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein, benannt nach dem König und seiner Frau Marie, kaufte 1856 Jahr von der Klosterkammer einen großen Teil des Hofes Schulte to Bühne, um auf dem einigermaßen ebenen Gelände der Düteniederung ein Hüttenwerk zu bauen.179 Das Gesamtareal des Hofes umfasste 103,5 ha, davon 64 % Forsten und Weiden, 26,5 % Garten- und Ackerland, 9 % Wiesen,180 und bedeckte etwa ein Neuntel der Fläche der Bauerschaft Malbergen.181 Das Land sei von »mittelmäßiger Bodenbeschaffenheit«182 und die Lage sei »ungünstig«,183 schrieb Jellinghaus in seiner 1924 erschienenen Zusammenstellung über Daten der einzelnen Dörfer der Region. Eine Steigerung der Erträge sei nicht zu erwarten gewesen, jedenfalls nicht unter dem »Schlendrian«184 des Pächters Johann Heinrich Potthoff. So war die Klosterkammer nur allzu bereit, von den 103 ha knapp 90 ha an die Aktiengesellschaft zu verkaufen. Mit dem Kauf des Geländes setzte in der Region ein tiefgreifender Wandel ein, der die Wirtschafts-, Sozial- und Bevölkerungsstruktur ebenso betraf wie die Verwaltungsstruktur der Bauerschaften im Untersuchungsgebiet, in erster Linie Malbergen und Oesede. Der Bau eines Hüttenwerkes war in jeder Hinsicht ein großes Unterfangen. Straßen, Eisenbahnverbindungen, Unterkünfte und vor allem Arbeitskräfte in großer Zahl waren notwendig. »Eigene Fuhrwerke mussten angeschafft, Handwerker, Bergleute, und Erdarbeiter in großer Menge aus weiter Ferne herangezogen werden«,185 vermerkte der Werkschronist und Zeitzeuge Hermann Müller.

177 Ebd., S. 58. 178 Hubert K. Rolf: Die Auswanderer aus Malbergen, Holzhausen und Sutthausen nach Amerika, in: Geschichte zwischen den Feldern, S. 69–74, hier S. 72. 179 Über den Erwerb des Schultenhofes ausführlich: Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 29–33. 180 Angaben ebd., S. 31. 181 Ebd., S. 32. 182 Jellinghaus: Nachrichten, S. 43. 183 Ebd. 184 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 32. 185 Hermann Müller : Der Georgs-Marien-Bergwerks-und Hüttenverein, Bd. I, Teil 1, Hannover 1896, S. 4.

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Noch im selben Jahr kamen 900 Menschen186 aus »der Gegend von Einbeck, Hildesheim, Ruhr, dem Harz und dem Calenbergischen«187 in die das Werk umgebenden Gemeinden. Die einheimische Bevölkerung hatte zunächst kein Interesse an industriell geprägter Arbeit im Schichtdienst, und als Quartiergeber eignete sich die Bevölkerung schlecht, da sie Zimmer für die Fremden nur zu überteuerten Preisen anbot.188 So war das Werk gezwungen, eigene Unterkünfte zu bauen. Die angeworbenen Arbeiter wurden in einer eilends hochgezogenen Wohnsiedlung auf einem fünf Hektar großen von der Klosterkammer zur Verfügung gestellten Gelände auf Oeseder Gemeindegrund, dem Osterberg189 und in der 1857 in Malbergen gebauten ›Alten Kolonie‹190 untergebracht. 1857 kamen weitere 900 Arbeiter, und im folgenden Jahr stieg die Zahl der Zugewanderten auf insgesamt 2.500.191 Dies rief die Ortsvorsteher192 auf den Plan, die nach der Osnabrücker Provinzial Ordnung vom 24. Oktober 1848 bei der Belegung von Nebenwohnungen ein Recht auf Mitsprache hatten.193 Die Bauerschaft war nicht nur ein Wirtschaftund Sozialverband, »sondern auch ein Friedensverband«,194 d. h. eine ausgewogene Sozialstruktur in der Bauerschaft herzustellen, die nicht mehr Risikofälle in den Gemeindeverband aufnahm, als finanziert werden konnten, war die Aufgabe aller. Die Angst vor Verarmung war stets präsent. Unfall, Krankheit oder der Tod eines Ernährers konnten bereits die Armenkasse, die von allen Ortsansässigen anteilsmäßig finanziert werden musste, außerordentlich belasten. Da im Landdrosteibezirk die Besteuerung eines Industrieunternehmens noch gar 186 Es wurden benötigt: Erdschieber, Bauhandwerker, Fuhrleute, Bergleute und Hüttenarbeiter, vgl.: Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 171. 187 Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 15. Herkunftsgebiete detailliert aufgeschlüsselt bei Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 171–227. 188 Ebd., S. 28. 189 Das fünf ha große Gelände am Osterberg wurde noch vor Erwerb des Hüttenplatzes von der Klosterkammer der Aktiengesellschaft zur Verfügung gestellt, vgl.: ebd., S. 33. 190 Ebd., S. 34. 191 Ebd., S. 36. 192 Wichtigstes Organ einer Gemeinde war der Ortsvorsteher, der alle Angelegenheiten nach außen und innen regelte. Er wurde im Königreich Hannover entweder durch freie Wahl, durch Erbschaft, durch »Reihedienst« oder durch die Obrigkeit bestellt. Gemeindevertretungen waren selten, die Gemeindeversammlung trat bei Regelung von wichtigen finanziellen Verhältnissen zusammen, wobei das Stimmrecht an den Besitz eines Hauses geknüpft war. Insgesamt sei die Verwaltung des Landes seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wenig geordnet, konstatierte der ehemalige Bürgermeister Osnabrücks Stüve, vgl.: Ernst von Meier : Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1680–1866, Bd. 2, Leipzig 1899, S. 584–587. 193 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 37. 194 Helmut Ottenjann: Der Identifikationsraum Kirchspielbauerschaften und dessen kulturelle Artikulation als Kult-, Kommunal- und Sozialverband, in: Hirschfeld: Die Gemeinde zwischen Territorialherrschaft und Selbstverwaltung, S. 31–58, hier S. 41.

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nicht vorgesehen war, wurde das Werk als Anbauernstelle gewertet, deren Flächenanteil an der Bauerschaft als Berechnungsgrundlage für die Steuerlast galt. Ein Neuntel der Gemeinde-, Schul- und Armenlasten betrugen in der Zeit vor der Gemeindegründung 14 Reichsthaler, drei Groschen und sieben Pfennige.195 Die Ortsvorsteher der Gemeinden von Malbergen und Oesede196 sahen die Ansiedlung von Arbeitskräften mehr als skeptisch. Mochte die Ansiedlung von landlosen Tagelöhnern, Handwerkern und Gewerbetreibenden Zustimmung finden, bei Fabrikarbeitern hielten sie eine besondere Vorsicht für geboten. Schon 1827 ging aus der Domizil- und Trauscheinverordnung hervor, dass Personen nur Aufnahme in »die Reihe der Commune-Mitglieder«197 gewährt werden sollte, wenn Arbeit und Wohnung nachgewiesen werden konnten. Dies galt jedoch nicht bei Fabrikarbeitern, die »den Tagelöhnern jedoch insofern nicht gleichzustellen, als sie in ihrem Verdienste ausschließlich auf die bezügliche Fabrik oder ähnliche Fabriken angewiesen, und nicht in der Lage sind, mit gleicher Leichtigkeit, wie Tagelöhner, andere Arbeitgeber zu finden.«198 Industriearbeiter konnten bei Verlust ihres Arbeitsplatzes also nicht ohne weiteres einen neuen finden. Ein weiteres Problem kam auf die Gemeinden zu. Um 1860 stieg in Oesede »die Zahl der ledigen Männer im heiratsfähigen Alter ganz gewaltig über die Zahl der gleichaltrigen Frauen«.199 Damit zeichnete sich für die Ortsvorsteher ein Schreckensszenario ab: Niemand wusste, ob und wie lange das Werk Bestand haben würde. Berechtigte Gerüchte über die finanzielle Instabilität des Werkes drangen schon kurz nach dem ersten Spatenstich bis in die Arbeiterwohnsitzgemeinden Oesede und Malbergen.200 Sollte das Werk schließen, dann würden all die ungelernten, landlosen Arbeitskräfte der Armenkasse zur Last fallen. Noch schlimmer könnte es kommen, wenn die Arbeitskräfte heiraten und eine Familie gründen sollten. Dann lastete im Falle einer Schließung des Werkes nicht nur die finanzielle Verantwortung für unverheiratete Arbeitskräfte, sondern für ganze Familien auf der Armenkasse. Die Ortsvorsteher wollten dieser Entwicklung schon im Vorfeld Einhalt gebieten und verweigerten den Arbeitsmigranten Wohnrecht- und 195 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 39. Im Vergleich: 1 Malter Kartoffeln kostete laut einer Haushaltsliste aus dem Jahr 1846 3 rt; Laut dieser Liste verzehrte eine Person 6 Malter pro Jahr für den Geldwert von 18 rt. Die Steuerlast des Werkes lag noch 4 rt darunter. Angaben vgl. ebd., S. 392. 196 Zur Problematik des Domizil- und Trauscheinwesens vgl. ebd., S. 36–39. 197 Carl Meyer : Die Domicil-Ordnung für das Königreich Hannover und der f.g. Gothaer Vertrag wegen der Übernahme Auszuweisener, Hannover 1855, § 3, II, Nr. 2. 198 Ebd. 199 August Suerbaum: Die Pfarre Oesede, Osnabrück o. J., S. 125. 200 Ren8 Ott: »….ohne Nachtheile Dritter ging es nicht ab«. Montanindustrie und bäuerliche Bevölkerung im Osnabrücker Land um 1860, in: Osnabrücker Mitteilungen 88 (1982), S. 188–215, hier S. 194.

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Trauscheine. Die Anzahl der unehelichen Kinder konnten sie jedoch nicht beeinflussen, deren Geburtenrate stieg um 1860 an.201 Der Gemeindevorstand Malbergens hatte aus diesem Grund schon früh »den dringenden Wunsch ausgesprochen […]dass […] der Schultenhof zu Malbergen aus dem jetzigen Gemeinde-Verbande ausscheiden, und daß daraus eine besondere Gemeinde gebildet werde.«202 Die Verselbständigung von Werk und Kolonie lag auch im Interesse der Landdrostei, die den Verwaltungsrat aufforderte, »geeignete Vorschläge wegen Regulirung der Verhältnisse«203 zu machen. Dem kam der Verwaltungsrat des Werkes mit einem Schreiben vom 10. Juli 1857 an die Landdrostei nach und beantragte die »Bildung einer eigenen Gemeinde«.204 Verfasst hatte es das Verwaltungsratsmitglied Ernst von Malortie, der zugleich der Verwalter des Ernst-August-Fidei-Kommißes, des Königs Privatschatulle, war.205 Der gelernte Jurist war bereits seit 1836 in königlichen Diensten, und ab 1851 hatte er das Amt des Oberhofmarschalls inne. Seit Amtsantritt Georg V. verwaltete er zusätzlich die königlichen Gärten und Bauten und nahm zahlreiche Ehrenämter, Komiteemitgliedschaften und Vereinsvorsitze wahr. Ohne politischen Ehrgeiz und unverheiratet sei er ganz in dem Dienst für das Königshaus aufgegangen, wird in seiner Biografie berichtet.206 Ernst von Malortie vertrat im Verwaltungsrat des Königs Interessen, die im Wesentlichen finanzieller Art waren. Folgerichtig verwies von Malortie auf »die Wichtigkeit der Anlagen, welche ein Capital von 1 12 Million Thaler repräsentieren«,207 und gab zu bedenken, dass der Staatskasse zukünftig Einnahmen von »mehr als 60.000 rt jährlich zufliessen […] werden«.208 Der Verweis auf die zukünftigen Steuereinnahmen »bedarf keiner weiteren Erörterung«.209 Von Malortie führte weiter aus, welchen Vorteil die Gemeinde Malbergen von einem Ausscheiden des Schultenhofes aus dem Gemeindeverband hätte. Die Gemeinde wäre die Sorge um die Verarmung der Landlosen los, auch wenn sich 201 Suerbaum: Die Pfarre Oesede, S. 125. 202 Gehorsamstes Gesuch von Seiten des Verwaltungsraths des Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein zu Osnabrück betreffs der Bildung einer eigenen Gemeinde, Schreiben an die hannoversche Landdrostei zu Osnabrück vom 10. Juli 1857, NLA OS Rep 350 OSN Nr. 935. 203 Ebd. 204 Ebd. 205 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 23. 206 Allgemeine Deutsche Biographie hrg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1986, Bd. 15, S. 739. 207 Gehorsamstes Gesuch, NLA OS Rep 350 OSN, Nr. 935. 208 Ebd. Das Futur war wohl gewählt. Zur Zeit der Abfassung des Briefes steckte das Werk in seiner ersten ernsten Krise. Die Kapitaldecke hatte sich als zu dünn herausgestellt, da viele Unwägbarkeiten wie z. B. der Bau von Transportwegen und Unterkünften nicht einkalkuliert worden waren, vgl.: Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 51. 209 Gehorsamstes Gesuch, NLA OS Rep 350 OSN, Nr. 935.

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das Werk an den Armenlasten beteiligt hätte. Der Gemeindevorsteher wäre von den Amtsgeschäften entlastet, deren »Ausdehnung und Kompliziertheit«210 er »schwerlich gewachsen sein dürfte.«211 Außerdem würde sich das Ausscheiden des Schultenhofes aus der Gemeindefläche für Malbergen kaum bemerkbar machen, da es sich lediglich um ein Neuntel der Gesamtfläche handele. Die neugebildete Gemeinde werde aber weiterwachsen und sich entwickeln. Die »Großartigkeit der darauf gegründeten Anlagen«212 und natürlich auch die Besonderheit ihrer Einwohner machten die Qualität dieser Gemeinde aus. In dieser Hinsicht hatte von Malortie genaue Vorstellungen, wie die neue Gemeinde aussehen sollte. Nur die »zuverlässigsten Arbeiter«213 sollten ein Wohnrecht erhalten, wenn sie sich als »tüchtig und unbescholten«214 erwiesen hatten. Mit der Mitgliedschaft im Gemeindeverband könnten Berechtigungen verbunden sein, »welche die wohnberechtigten Arbeiter als bevorzugte Classe erscheinen lassen«,215 schlug von Malortie der Landdrostei vor. Und diese sollen dann auch heiraten dürfen, denn es läge im Interesse des Werkes, »einen tüchtigen Stamm alter, d. h. also verheiratheter Arbeiter heranzuziehen und an das Werk zu fesseln«.216 Wenn auch die Verwaltungsstrukturen mit Domizil- und Trauscheinwesen der Entwicklung des Werkes abträglich waren, so schlug von Malortie keine Alternative vor. Er blieb der Vorstellung des 19. Jahrhunderts verhaftet, die Bevölkerungsbewegungen in jeder Hinsicht zu kontrollieren, nur wollte er andere, im Interesse des Werkes liegende Maßstäbe ansetzen. Die Landlosigkeit wäre für ihn kein Argument, jemandem Wohnrecht oder Trauschein zu verweigern, wohl aber sein Verhalten. Da geplant war, nicht jeden – oder sogar nur eine kleine Anzahl von Personen – in die neue Gemeinde aufzunehmen, blieb das Problem des Domizilund Trauscheinwesens bestehen. Denn wo sollten diejenigen hin, die durch das Raster der Gemeindeaufnahme fielen?217 Das Werk brauchte sie ja trotzdem. Also würden sie weiterhin der Willkür der Ortsvorsteher von Oesede, Kloster Oesede, Holsten-Mündrup, Harderberg und Malbergen ausgeliefert bleiben. Von Malortie musste gewusst haben, was die Verweigerung der Ortsvorsteher von Wohnrecht und Trauschein für das Werk bedeutete, denn wenige Zeilen zuvor führte er aus:

210 211 212 213 214 215 216 217

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. »daß die Zahl der Gemeindemitglieder in den ersten Jahren sehr gering sein wird«, hieß es in einem weiteren Schreiben des Verwaltungsrates an das Amt Osnabrück vom 18. November 1858, NLA OS Rep 335, Nr. 935, zit. nach Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 42.

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Die Verweigerung der notwendigen Papiere konnte bei den Arbeitskräften einen »Entschluß zum Abgange hervorrufen«.218 Auch blieb von Malortie, was die Einbindung in die gesamte Verwaltungsstruktur anging, ganz im Traditionellen. Eine Vertretung des Werkes in der Amtsversammlung, in dem alle Bauerschaften des Amts Osnabrück vertreten waren, war natürlich für das Werk »wünschenswerth«.219 Aber »ein von den Colonen gewählter Gemeindevorsteher [wird] selbst beim besten Willen eine sehr ungeeignete Person sein«.220 Ganz nebenbei intendierte von Malortie die Etablierung eines Gemeindevorstehers, der vom Werk bestimmt würde.221 Dazu passte der im Antrag formulierte Wunsch, Abgaben in der neuen Gemeinde erheben und die Niederlassung selbständiger Gewerbe kontrollieren zu können. Von Malortie holte noch weiter aus: Die Kolonie auf dem Osterberg, die auf Oeseder Gemeindegrund lag, sollte der neuen Gemeinde zugeschlagen werden. Zwar gehöre Oesede zum Amt Iburg, was »mit vielen Unannehmlichkeiten und Nachtheilen verbunden«222 sei, aber kein Hindernis darstelle, die Kolonie mit der neuen Gemeinde zu verbinden. »Viele Weitläufigkeiten werden gespart werden können, gehörten beide Colonien zu dem nämlichen Amte, die ganze Verwaltung würde sich einfacher und minder kostspielig gestalten und die so wünschenwerthe Gleichartigkeit des Verfahrens in gleichen Fällen würde alsdann gewährleistet sein.«223 Dass Verwaltungskosten gesenkt werden, damit mochte von Malortie der Landdrostei die Bildung einer eigenen Gemeinde schmackhaft machen, seine eigene Intention lag aber in der Verminderung der behördlichen Ansprechpartner für das Werk. Und da war ihm das Osnabrücker Amt, wo auch die leitendenden Angestellten des Werkes wohnten und die Vereinskasse untergebracht war, lieber als das in entgegengesetzter Richtung liegende Amt 218 Gehorsamstes Gesuch, NLA OS Rep 350 OSN, Nr. 935. 219 Ebd. 220 Ebd.; Der Ortsvorsteher war zuständig für die Nutzung von Wald und Weide, die Gemengelage der Ackerstücke, Dreifelder-System, Festsetzung der Saat- und Erntetage, Unterhaltung der Wege und Brücken, Räumung der Gräben, Anstellung von Hirten und Feldhütern, das Halten von gemeindeeigenen Bullen, Böcken und Ebern. »Das Dorf hatte gleichsam einen großen Haushalt zu regeln«, vgl.: Ernst von Meier : Hannoversche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S. 285. Das Dorf hat allerdings keine Polizeigewalt, diese stand allein der Stadt zu, ebd. S. 598. 221 In einem späteren Brief des Verwaltungsrates an das Amt Osnabrück wurde die Intention, den Gemeindemitgliedern so wenig wie möglich Mitspracherecht zu geben, noch deutlicher : »Wenn die Arbeiter jemals Stimmrecht bekämen, sollte es durch einen Knappschaftsvertreter ausgeübt werden.« Brief des Verwaltungsrats an das Amt Osnabrück vom 18. November 1858 NLA OS Rep 350 Osn, Nr. 935, zit. nach Meyer : Schwerindustrielle Insel, S. 42. 222 Gehorsamstes Gesuch von Seiten des Verwaltungsraths des Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenvereins zu Osnabrück betreffs der Bildung einer eigenen Gemeinde, Schreiben vom 10. Juli 1857, NLA OS Rep 350 OSN, Nr. 935. 223 Ebd.

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Iburg, das in Angelegenheiten des Werkes in den ersten Jahren wenig Entgegenkommen gezeigt hatte.224 Es dauerte eine Weile, bis die Gemeinde aus dem Malberger Gemeindebezirk herausgelöst und zu einer eigenständigen Gemeinde erklärt wurde. Das Unternehmen geriet gerade in den ersten Jahren immer wieder in finanzielle Bedrängnis, aus der König Georg V. mit Geldern aus seinem Privatvermögen aushelfen musste. Das mochte die Gemeindegründung verzögert haben. Als 1859 der Iburger Schlossprediger Schmerfeld dem Landdrost auf die Folgen der »Schwierigkeit, welche diesen Leuten entgegentreten, wenn sie eine Ehe eingehen wollen«,225 nämlich die »Versuchung zu unzüchtigem Verkehr«,226 aufmerksam machte, kam endgültig Bewegung in die Angelegenheit. Werksgelände und Kolonie auf der Südseite des Werkes wurden zur Gemeinde erklärt. Doch der Anschluss der Kolonie auf dem Oeseder Osterberg an die Gemeinde Georgsmarienhütte bereitete Schwierigkeiten.227 Bei der Ausgrenzung des Osterberges verweigerten die Behörden 1860 ihre Zustimmung. Es gebe keine Verbindung des Geländes mit der Industriegemeinde Georgsmarienhütte, der Osterberg blieb bei Oesede. 1864 betrieb die Gemeinde Oesede die Umgemeindung des etwa einen Kilometer vom Ortskern entfernt liegenden Geländes. Dort waren vor allem die Bergleute untergebracht. Als die konjunkturelle Entwicklung im Kohlebergbau ungünstig wurde, versuchten die Oeseder, den Osterberg nach Georgsmarienhütte umzugemeinden, ehe die Bergleute arbeitslos wurden. Dagegen legte der Verwaltungsrat des Werkes jedoch Einspruch ein. Erst als das Werk »wegen der Erweiterung der Bahnhofsanlage mit der Gemeinde Oesede«228 Grundstücksverhandlungen aufnahm, nutzten die Oeseder den Osterberg als Faustpfand und wurden die Kolonie des inzwischen geschlossenen Oeseder Glückauf-Schachtes 1872 los.229 Die Landdrostei und das Ministerium des Innern in Hannover waren keine Freunde des neuen Unternehmens. Der Finanzminister Eduard Graf von Kielmannsegge förderte das Werk, Innenminister Wilhelm von Borries und der Landdrost Eduard Christian von Lütcken hingegen warfen dem Unternehmen »jeden nur auffindbaren administrativen Knüppel zwischen die Beine«.230 Innerhalb kürzester Zeit liefen nach der Gründung des Werkes bei den Ämtern Osnabrück und Iburg und bei der Landdrostei Osnabrück Beschwerden ein über 224 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 36. 225 Bericht des Schlosspredigers Schmerfeld zu Iburg vom 20. September 1859, NLA OS Rep 335 Nr. 13193. 226 Ebd. 227 Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 21. 228 Ebd., S. 22. 229 Ebd. 230 Ott: Ohne Nachtheile, S. 193.

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trockengefallene Brunnen,231 Mühlen, die nicht mehr angetrieben wurden,232 Bergschäden in Oesede,233 Störung der Sonntagsruhe,234 außerordentliche Belastungen der Armenkassen235 und »Belästigungen«236 in den Trauschein- und Wohnrechtssachen. Die Behörden waren mit der neuen Situation überfordert. In einem Bericht des Oberamtmanns an die Landdrostei vom Januar 1860 fasste dieser die Haltung gegenüber der neuen Situation zusammen: »Das Amt und der Amtsbezirk Osnabrück hat zudem kein lebhaftes Interesse, die neu zu bildende Gemeinde Georgsmarienhütte mit einer örtlichen Verwaltung in ihren Geschäftskreis und -verband besonders noch hineinzuziehen.«237 Die Verwaltungsbehörden wollten mit den neuartigen Angelegenheiten nichts zu tun haben und setzten auf eine Ausstattung des Werkes mit weitgehenden Vollmachten, die es ihm erlaubte, mit allen Problemen selbst fertig zu werden. Wäre es nach Oberamtmann Gerdes gegangen, wäre auch eine Alternative in Betracht gekommen: »Man muss bedauern, daß die neue Gemeinde nicht als eine selbständige städtische, wie sie doch einmal entwickelt werden soll, der oberen Verwaltungsbehörde sofort zu unterstellen ist.«238 Das aber hätte bedeutet, dass die ›oberen Verwaltungsbehörden‹, Landdrostei und Innenministerium, die neue Gemeinde in ihren ›Geschäftskreis‹ aufnehmen und sich um ihre Angelegenheiten und die des Werkes hätten kümmern müssen. »Statt dessen trat aber überall und zum Theil in auffälligster und schroffster Weise die Ungeneigtheit des Ministers des Innern und der ihm unterstellten Behörden hervor«,239 klagte Hermann Müller als Mitbegründer der Aktiengesellschaft. Es war das Anliegen der umliegenden Landgemeinden, der Ämter Osnabrück und Iburg, der Landdrostei und der evangelischen Kirche, das Werk behördlich auszugrenzen, während das Werk, um eigene Interessen zu verfolgen, sich gerne ausgrenzen lassen wollte.240 So wundert es nicht, dass das Innenministerium allen Forderungen nachgab, wobei die Tatsache, dass hier ein Unternehmen unter dem Namen des Königs firmierte, keine Rolle spielte.

231 232 233 234 235 236 237 238

Ebd., S. 204. Tobatzsch: Die Wassermühle von Malbergen, S. 75. Ott: Ohne Nachtheile, S. 203. Ebd., S. 198. Ebd., S. 200. Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 18. Oberamtmann Gerdes an die Landdrostei im Januar 1860, Zit. nach: Ebd. Ebd.; Nicht alle Städte waren in die Verwaltungshierarchie eingebunden. Ein Teil der Städte ist »auf die wirtschaftliche Verwaltung beschränkt […] sie hießen schriftsässige, kanzleimäßige, später selbständige Städte.« von Meier : Hannoversche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S. 425. 239 Müller : Der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein, Teil I. S. 7. 240 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 45.

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Nach dem am 1. Mai 1860 in Kraft getretenen Gemeindestatut wurden dem Werk, vertreten durch den Verwaltungsrat, alle Rechte und Pflichten der Gemeinde übertragen. »Werk und Ort waren nicht nur untrennbar, sie waren ein und dasselbe«,241 fasste Susanne Meyer diese vermutlich im Königreich Hannover einmalige Konstruktion zusammen.242 Sie entsprach zwar der 1852 erlassenen Gemeindeordnung,243 nach der das Werk als einziger Grundbesitzer das alleinige Stimmrecht und die Lasten der Gemeinde zu tragen hatte, doch stellte das Gemeindestatut auch einen Anachronismus dar. »Zur selben Zeit, in der die Exemtion der Rittergüter von den Gemeinden aufgehoben wurde«,244 stattete das Innenministerium ein Privatunternehmen, dem es nicht gerade wohlgesonnen war, mit der »Macht einer staatlichen Institution«245 aus. Hier wird eine »Schwäche des hannoverschen Staatsapparates«246 sichtbar, die verdeutlicht, wie hilflos die Behörden den im Zusammenhang mit der Industrialisierung auftretenden Problemen gegenüberstanden, die man mit den »gegebenen politischen, juristischen und administrativen Mitteln«247 nicht würde lösen können. Die Zeit der Werks- und Gemeindegründung fiel in eine Zeit des Übergangs. »Die hannoversche Gesetzgebung hatte sich noch nicht die Aufgabe gestellt, die Entwicklung der Großindustrie im Königreiche die Wege zu bahnen«,248 beschrieb Werkschronist Müller die Verhältnisse in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Hilflosigkeit in dieser gesetzlichen Grauzone brachte die »besonders auffälligen staatsrechtlichen Formen der Lösung in GMHütte«249 hervor. Ohne Zweifel dachte und handelte die Werksleitung profitorientiert. Doch zog sie die kurzfristige Ausgabenminimierung einer langfristigen Strategie zur Personalentwicklung vor. Der Steuersatz war für das Werk äußerst günstig, vor allem in den Anfangsjahren, als die wirtschaftliche Situation des Werkes noch nicht stabil war. Doch auf diesen Vorteil verzichtete das Werk mit der Gemeindegründung 1860, mit der das Werk seine Beschäftigten handverlesen in den Gemeindeverband integrierte, den größeren Rest aber in die umliegenden Gemeinden schickte.250 Infolge dieser Strategie stiegen in Oesede im Jahr 1868 die 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250

Ebd., S. 352. Ebd., S. 47. Ott: Kohle, S. 217. Ebd. Ebd. Ebd., S. 219. Ebd., S. 200. Müller : Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein, Bd. I, T. I, S. 7. Ott: Ohne Nachtheile, S. 220. In der Tat wuchs die Gemeinde Georgsmarienhütte in Jahren 1871–1885 nur von 2.427 auf 2.575 Einwohner_innen um 6,09 %, während Oesede in der gleichen Zeit einen Zuwachs von 2.000 auf 2.871 Einwohner_innen um 43,55 % verzeichnete, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 26/73, Nr. 563.

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Ausgaben für die Armenkasse über die gesamte Summe der Gemeindelasten,251 während die neugebildete Gemeinde Georgsmarienhütte keine Armenkosten auswies.252 Die Werksgründung auf Malberger Gemeindegrund traf auf Rahmenbedingungen, die auf eine ackerbautreibende Gemeinde mittlerer Größe zugeschnitten war, nicht aber auf die Anlage eines Hüttenwerkes, das die Ansiedlung relativ vieler Menschen nach sich zog. Das Werk wurde »ohne jeden Bezug auf vorhandene Strukturen aus dem Boden gestampft«,253 und versuchte schon bald durch den Antrag auf Bildung einer eigenen Gemeinde, sich auf 90 ha die Rahmenbedingungen zu schaffen, die für den Aufbau des Werkes notwendig waren: Sitz in der Amtsversammlung, Verminderung der behördlichen Ansprechpartner, Einheitlichkeit der behördlichen Regelungen für die Bewohner_innen und komplette Kontrolle des gesamten kommunalen Geschehens, einschließlich der Vergabe von Wohnrecht und Trauscheinen zwecks Entwicklung eines »Arbeiterstammes«.254 Dass damit das grundsätzliche Problem der Armenlasten und der Ansiedlung von Arbeitskräften nicht nur nicht gelöst, sondern im Gegenteil noch verschärft wurde, nahm das Werk billigend in Kauf. Bereits vor der Industrialisierung bildete Malbergen weder in ökonomischer noch in gesellschaftlicher oder kultureller Hinsicht eine mit der territorialen Eingrenzung kongruente Einheit. Die starke Mobilität der Bevölkerung in vorindustrieller Zeit zeigt deutlich, wie der Raum bewertet wurde: der ausschließlich agrarisch genutzte Boden bot nicht mehr für alle Menschen ein Auskommen. Mit der Gründung des Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenvereins änderte sich das. Die Gründung der Aktiengesellschaft markierte eine Änderung von Raumvorstellungen und Raumbewertungen. Agrarland von mäßiger Qualität wurde zum begehrten Bauland für Industrieanlagen und Siedlungen. Außerdem setzte ein Verdichtungsprozess ein. Vom Werk konnten mehr Menschen leben als vorher von der gleichen landwirtschaftlich genutzten Fläche. Als Ausdruck dieses Prozesses wurden eine Kolonie gebaut und ein Ort geplant, dessen Erhebung zur selbständigen Gemeinde schon bald vom Werk betrieben und von den zuständigen Behörden begrüßt wurde. Zwei Aspekte sind auffallend und geben Einblick in die auch später noch bedeutsam werdenden Strukturen. Erstens: Das Werk konnte sich mit seinen spezifischen Raumvorstellungen durchsetzen. Der Hinweis des Iburger Schlosspredigers auf den »unzüchtigen 251 Auch in anderen Gemeinden überstiegen die Armenlasten die »Höhe der übrigen Gemeindelasten um 25–100 %«, Meyer : Schwerindustrielle Insel, S. 41. 252 Ebd. 253 Ott: Ohne Nachtheile, S. 195. 254 Gehorsamstes Gesuch, NLA OS Rep 335 Nr. 935.

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Verkehr der Geschlechter«,255 beförderte die Interessen des Werkes, und machte deutlich, dass die Kontrollmechanismen einer zeitlich und räumlich stabilen Gesellschaft mit festen Regeln und Ressourcen im Sinne Giddens nicht mehr griffen. Die Gemeindevorsteher konnten zwar Eheschließungen verhindern, aber nicht die Geburten kontrollieren. Der Akt der Gemeindegründung kann somit als Versuch aufgefasst werden, Menschen innerhalb eines festgelegten Territoriums wieder unter Kontrolle zu bringen. Und diese Kontrolle bezog sich nicht nur auf die Frage, wem Trauscheine zu erteilen seien, sondern auch auf alle anderen Angelegenheiten. Die Ansiedlung von Gewerbebetrieben sollte ebenso gesteuert werden wie das Privatleben der Arbeitnehmer durch die Etablierung von Vereinen. Das Werk trug alle Gemeindelasten, stellte den Gemeindevorsteher und bestimmte, wie der Ort gestaltet, also wie im Sinne Löws die Anordnung der sozialen Güter erfolgen sollte. Susanne Meyer weist darauf hin, dass der Bau der Lutherkirche am Abhang des Rehlbergs nicht zufällig in Sichtachse zum Hauptverwaltungsgebäude des Werkes errichtet wurde. Bei jedem Verlassen des Gotteshauses wurden Pastor und Gemeindemitglieder daran erinnert, wem sie das alles zu verdanken hatten.256 Der Umstand, dass die Gemeindemitglieder am Bau der Kirche und an der Bestallung des hauptamtlichen Pastors ebenfalls finanziell beteiligt waren, wurde mit dieser Anordnung komplett negiert. Mochte auch die Machtposition des Werkes bis dahin noch unsicher sein, mit der Gemeindegründung weitete es seine allokative und institutionell bedingte Machtposition aus. Zweitens: Das Werk legte mit der Realisierung seiner Vorstellung für die Werksgemeinde vordergründige und rückwärtige Regionen fest. Die guten Arbeiter durften Quartier nehmen in der Betriebsgemeinde Georgsmarienhütte, und der Rest sollte in den umliegenden Gemeinden wohnen. Susanne Meyer bemüht Aschenputtel, um die mit der Einrichtung der Gemeinde wirksam werdende Ordnung zu kennzeichnen: »Die ›Guten‹ nach GMH [Georgsmarienhütte IB] die ›Bösen‹ und die Armen nach außerhalb«.257 Vor allem die Gemeinde Oesede wurde damit aus der Perspektive des Werkes zur rückwertigen Region im Sinne Anthony Giddens. Mit dieser Regionalisierung legte von Malortie, der das Konzept der Werksgemeinde verfasste, eine wirkmächtige Struktur fest, die zu einer weiteren inkongruenten und konfliktträchtigen Entwicklung in der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg führte. Von Malortie verfolgte mit seinem Konzept nicht nur die nahezu lückenlose Kon255 Bericht des Schlosspredigers Schmerfeld vom 20. September 1858, NLA OS Rep 335, Nr. 13193. 256 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 368. 257 Ebd., S. 337.

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trolle über die Menschen innerhalb des Gemeindebezirks, er wollte auch die Gemeinde nach außen abschotten. Wie auf einer Insel sollten die Gemeindemitglieder innerhalb der Gemeinde leben und möglichst wenig Kontakt nach außen haben. Eine Raumidee, die in den nächsten Jahren umgesetzt wurde und dann über Jahrzehnte eine erstaunliche Persistenzwirkung zeigte. Doch der Macht des Werkes waren auch Grenzen gesetzt. Der Streit um den Osterberg widerlegt die Maxime: Mehr Raum – mehr Macht. Der Streit zeigt, dass das Werk nicht allmächtig war. Zunächst wurde dem Werk die Annexion des Osterberges verweigert, weil eine direkte Verbindung zum sonstigen Gemeindebezirk, der auf der anderen Seite des Werkes lag, fehlte. Der Osterberg, auf dem die Beschäftigten des erfolglos arbeitenden Glückauf-Schachtes wohnten, blieb bei der Gemeinde Oesede. Der gelang es, das »Armenhaus«258 wieder loszuwerden, als das Werk in der Nachbargemeinde weiteren Platzbedarf anmeldete. Dieses Beispiel zeigt, dass die umliegenden Gemeinden nicht ohnmächtig waren.

2.2. Die Zusammenlegungen der Gemeinden Georgsmarienhütte mit Malbergen und Oesede mit Dröper 1937 Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit einer Gebietsreform, die 1937 von Landrat Eberhard Westerkamp u. a. in der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg durchgeführt wurde und die im Ergebnis die Zusammenlegung der bisher selbstständigen Gemeinden Georgsmarienhütte mit Malbergen und Oesede mit Dröper hervorbrachte. Im Folgenden geht es darum, den Aushandlungsprozess um die Produktion von politisch-normativen Räumen259 unter den Bedingungen einer Diktatur zu analysieren, um den Blick für die Gebietsreform Ende der 1960er Jahren unter demokratischen Verhältnissen zu schärfen. Anders als beim Aushandlungsprozess in den 1960er Jahren fanden zwar Besprechungen statt, diese wurden jedoch nicht dokumentiert. Die Aushandlung wurde ausgetragen über ausführliche Korrespondenz zwischen allen Beteiligten, die vollständig überliefert ist und an denen sich die Entwicklung von Raumvorstellungen der einzelnen Akteure ablesen lässt. Im Weiteren geht es darum, den Aushandlungsprozess des Jahres 1937 darzustellen, um das im Jahr 1969 Erinnerte, das auf die NS-Zeit und auf die Ge258 Ebd., S. 47. 259 Werlen bezieht den Prozess der politisch-normativen Raumproduktion auf Nationen, das Konzept lässt sich aber auch auf Kommunen übertragen, vgl.: Werlen: Sozialgeographie. Eine Einführung, S. 341.

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bietsreform 1937 rekurriert, besser einordnen zu können. Die Gebietsreform 1937 fiel noch im vollen Umfang in die Zeitspanne des »kommunikative[n] Gedächtnis[ses]«260 der Akteure, die Ende der 1960er Jahre am Aushandlungsprozess innerhalb der Gebiets- und Verwaltungsreform beteiligt waren, und war für ihr Handeln mit bestimmend. Wie das Jahr 1937 die Raumvorstellungen nach dem Ende der NS-Zeit bestimmte, kann erst ermessen werden, wenn die tatsächlichen Vorgänge bekannt sind. Fragen zur Neugliederung von Kreisen und kommunalen Landschaften waren nach dem Ersten Weltkrieg virulent. In Preußen wurden in den Jahren 1925–1930 insgesamt 25 Gesetze erlassen, die kommunale Grenzänderungen vorsahen.261 1932 wurden in der Provinz Hannover die kleinen Kreise aufgehoben, um die Verwaltung zu verbessern.262 So ging der Landkreis Iburg in den Kreis Osnabrück auf. Die Haltung der Nationalsozialisten war in Hinsicht auf Veränderungen in der kommunalen Landschaft ambivalent. Die Gebietsreform im Jahr 1932 lehnte die NSDAP ab, aber unmittelbar nach 1933 führte die nationalsozialistisch gleichgeschaltete Verwaltung eine der größten Gebietsreformen außerhalb eines ›Ballungsgebietes‹ durch.263 Mit dem Oldenburgischen Gesetz vom 27. April 1933 schrumpfte durch Zusammenlegung die Zahl der oldenburgischen Gemeinden von 104 auf 46. Entstanden waren Großgemeinden mit einer durchschnittlichen Flächengröße von 93 km2 (vorher 46 km2) und mit einer durchschnittlichen Einwohner_innenzahl von 5.700 Menschen.264 Wurde die Oldenburger Reform wegen idealisierter, ideologisch verzerrter Vorstellungen über den agrarisch geprägten, ländlichen Raum unter Nationalsozialisten kritisch beurteilt, so änderte sich die Haltung der Parteifunktionäre im Laufe der nächsten Jahre grundlegend. Hitlers politische Ziele, die schon bald nach der ›Machtergreifung‹ auf Kriegsvorbereitungen hinausliefen, setzten optimale Bedingungen für Industriebetriebe voraus. Diese brauchten Platz für ihre Anlagen und Siedlungsgelände für ihre Beschäftigten. Diese Überlegung hatte die Zustimmung der NSDAP, insbesondere der Kreisleitungen, zu kommunalen Grenzveränderungen, erleichtert.265 Nach der ›Machtergreifung‹ hatten gesetzliche Grundlagen weder für die Partei noch für den Staat rechtsstaatliche Relevanz. Dennoch konnte der NS-

260 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 3 2000, S. 50, Reinhart Koselleck: Zeitschichten, Frankfurt a.M. 2000, S. 272–275. 261 Von Unruh: Entstehung, Entwicklungen und Veränderungen, S. 39. 262 Ebd. 263 Ebd., S. 40. 264 Ebd., S. 41f. 265 Ebd., S. 42.

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Staat insbesondere in der Anfangsphase nicht auf die »autoritäre Wirkung«266 eines Gesetzes verzichten, und die neuen Machthaber erarbeiteten nach 1933 ein kommunales Verwaltungsgesetz, bei dem vor allem das nationalsozialistische ›Führerprinzip‹ umgesetzt werden sollte. Bei den Vorarbeiten zu diesem Gesetz wurde allen an der Aushandlung beteiligten Stellen klar, wie sehr im NS-Staat Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften.267 Die sich schnell herauskristallisierende Doppelung von Partei und staatlichen Behörden sowie die einander widersprechenden Herrschaftsideen des ›Volksgemeinschafts‹- und des ›Führerprinzips‹ bargen vielfältigen Konfliktstoff. Reibungsverluste waren jedoch ganz im Interesse der »obersten Führung«.268 Je mehr auf den unteren Behördenebenen Machtkämpfe ausgetragen wurden, desto mehr blieb die Führungsriege in der »Sphäre des Unfehlbaren«.269 Die Deutsche Gemeindeordnung (DGO) wurde am 30. Januar 1935 erlassen. Sie löste 30 verschiedene Kommunalverfassungsgesetze im Deutschen Reich ab270 und war damit das erste einheitliche Regelwerk für Kommunen auf deutschem Reichsgebiet. Innerhalb von 123 Paragraphen wurde die »gemeindliche Selbstverwaltung«271 nationalsozialistisch durchgefärbt. Dies bedeutete im Einzelnen: Die Gemeinderäte wurden vom Beauftragten der NSDAP im Einvernehmen mit dem Bürgermeister ernannt;272 sie sollten den Bürgermeister beraten und »seinen Maßnahmen in der Bevölkerung Verständnis […] verschaffen.«273 Der Bürgermeister wurde vom Beauftragten der NSDAP vorgeschlagen und vom Gauleiter ernannt, er führte und vertrat die Gemeinde.274 In Gemeinden unter 10.000 Einwohner_innen soll er ehrenamtlich tätig sein, in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner_innen sollte die Stelle eines Bürgermeisters nach einer öffentlichen Ausschreibung hauptamtlich besetzt werden.275 Der Bürgermeister stand in der Gemeinde zwar an exponierter Stelle, bei allen wichtigen Entscheidungen wirkte jedoch der Beauftragte der NSDAP mit.276 Zusätzlich wurde die Gemeinde vom Staat beaufsichtigt,277 das heißt vom Landkreis als nächsthöherer Behörde. Dieser hatte vor allem durch die §§ 106– 266 Peter Löw : Kommunalgesetzgebung im NS-Staat am Beispiel der Deutschen Gemeindeordnung 1935, Baden-Baden 1992, S. 23. 267 Ebd., S. 31. 268 Ebd., S. 32. 269 Ebd. 270 Ebd., S. 34. 271 Präambel zur Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935, RGBl I, S. 49, zit. n. Löw, Kommunalgesetzgebung, S. 317. 272 § 51 Abs. 1 DGO. 273 § 48 Abs. 1 DGO. 274 § 32 Abs. 1 und 36 Abs. 1, DOG. 275 § 39 Abs. 1 und 2, DGO. 276 § 33 Abs. 1, DGO. 277 § 8 Abs 1 DGO und §§ 106–116, DGO.

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116 DGO weitreichende Befugnisse, sich an Bürgermeister und Gemeinderäten vorbei in Gemeindeangelegenheiten einzumischen. Die Frage, ob die kommunale Aufsichtsbehörde auch an der Partei, also am gemeindlichen Beauftragten der NSDAP und an der Kreisleitung vorbei agieren konnte, wird weiter unten am Beispiel der Zusammenlegungen innerhalb der kommunalen Landschaft im Jahr 1937 betrachtet. »Gemeindegrenzen können aus Gründen des öffentlichen Wohls geändert werden«,278 hieß es unter § 13 DGO. Das Procedere war in den §§ 12–16 DGO festgelegt.279 Eine wichtige Rolle spielte dabei die kommunale Aufsichtsbehörde, also der Landkreis. Der Landrat war die entscheidende Instanz, die bei Grenzstreitigkeiten das letzte Wort hatte, bei Änderungen von Gemeindegrenzen die Verhandlungen übernahm und nach einer Um- oder Eingemeindung die Auseinandersetzung der Rechte und Pflichten zwischen den Beteiligten regelte. Zwar gab der Reichsstatthalter »nach Anhörung der Gemeinden die Änderung des Gemeindegebietes«280 und den Tag der Rechtswirksamkeit bekannt, doch der direkte Einfluss auf den Aushandlungsprozess bei der Änderung von Gemeindegrenzen lag allein bei der kommunalen Aufsichtsbehörde. Diese entschied letztlich auch, worin für eine Gemeinde das ›öffentliche Wohl‹ bestand. Der Aushandlungsprozess begann 1935 und endete 1937 mit der Zusammenlegung der Gemeinden Oesede mit Dröper und Georgsmarienhütte mit Malbergen. Am Aushandlungsprozess waren beteiligt: die betreffenden Gemeinden, das Stahlwerk, die in Georgsmarienhütte ansässige Kreisleitung der NSDAP, der Landrat und die ihm übergeordneten Behörden wie Regierungspräsidium und der Oberpräsident der Provinz Hannover. Sie werden im Einzelnen vorgestellt.

2.2.1. Die Beteiligten 2.2.1.1. Die Gemeinde Oesede Der aus einer Kirchspielgemeinde erwachsene Ort wuchs am Beginn des 20. Jahrhunderts schnell. Die Anzahl seiner Bewohner_innen stieg von 2.097 im Jahr 1906 auf 3.300 im Jahr 1936 um 57 %. Die Nähe des Stahlwerkes in der Nachbargemeinde machte sich bemerkbar, und die Wohnungsnot war groß. Vor allem in der Inflationszeit war es schwierig, Agrarland in Bauland umzuwandeln. Als sich die Oeseder Bauern weigerten, Land für Geld herzugeben, das schon wenige Tage später nichts mehr wert sein würde, sprang die Pfarrei ein 278 § 13, DGO. 279 § 12–16, DGO. 280 § 8, Abs 1, und § 15, DGO.

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und verkaufte Grund und Boden zwischen Bahnhof und Düte als Bauland.281 Der damalige ehrenamtliche und parteilose Bürgermeister Christian Vocke setzte sich für den Bau weiterer Siedlungen ein. In seiner Amtszeit entstanden die Karolinenhöhe, die Straße Dörenberg und die Hochstraße, die bis 1937 zu Oesede gehörte. Ebenso intensiv kümmerte sich Vocke als Vorsteher des Gesamtschulverbandes von Oesede, Dröper und Kloster Oesede um den Bau einer Schule für acht Klassen, die 1911 eingeweiht wurde und erweiterungsfähig war.282 Nach 1933 wurde Vocke zunächst vom Gemeindeausschuss in seinem Amt bestätigt,283 der Gemeinderat kam noch einmal per Wahl zustande.284 Ab 1934 wurden die Gemeinderäte von den Nationalsozialisten ernannt: Es waren dies: der Ortsgruppenleiter der NSDAP Hörnschemeyer, Meyer zu Oesede, Wilken, König, Sellmeyer, Mittelberg, SA-Truppführer Pg Wessel, Heine und Pieper.285 Ein Jahr später – nach Einführung der neuen Gemeindeordnung – wurde deutlich mehr Wert auf Parteizugehörigkeit gelegt.286 Die Zusammensetzung des Gemeinderates war jedoch belanglos, denn gravierende Entscheidungen hatte dieses Gremium nicht zu treffen. Bedeutsamster Eintrag im Protokollbuch war die Anschaffung von 40 Exemplaren »Mein Kampf«.287 Anfang Juni 1936 schied Vocke aus »Gesundheitsrücksichten«288 aus dem Amt des Bürgermeisters aus. Bereits während dessen Amtszeit war vom 1. Mai 1936 bis zum 1. April 1937 Christian Gartmann als Bürgermeister tätig.289 Mit dem Tag der Zusammenlegung von Oesede und Dröper übernahm E. Kormeyer kurzzeitig hauptamtlich die Amtsgeschäfte in Oesede, die als Großgemeinde knapp 5.000 Einwohner_innen290 umfasste und damit weit unter der 10.000 Einwohner_innenmarke lag, die für einen hauptamtlichen Bürgermeister ge281 Suerbaum: Die Pfarre Oesede, S. 36. 282 »Ein treuer Diener seiner Gemeinde. Zum Ausscheiden des Bürgermeisters Vocke (Ösede)«, OT, 28. Mai 1936. 283 OT, 30. März 1933. 284 Er bestand aus den Herren König, Meyer zu Oesede, Wörmann, Heine, Varwig, Hakenesch, Wilken, Mittelberg, Pieper, Sellmeyer, Hempel und Grobe, OT, 17. März 1933. 285 NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355 Bd. 4. 286 Außer Hörnschemeyer und Wessel gehörten die Parteigenossen Heinicke (Gefolgschaftsführer), Leblanc (Betriebsführer), Krümpelmann, A. Vinke und Josef Casmann dem Gemeinderat an. Ohne NSDAP-Parteibuch waren die Herren Gartmann, Meyer zu Oesede, G. Pieper, W. Middelberg. »Ösede im Jahre 1935«, OT, 7. Januar 1936. 287 Rainer Korte: Kommunalpolitik im Dritten Reich in Georgsmarienhütte, in: Georgsmarienhütte während der NS-Zeit. Sechs Gemeinden im Spannungsfeld zwischen Partei, Werk und Kirche, hrg. von der Stadt Georgsmarienhütte 2003, S. 19–55, hier S. 46. 288 »Ein treuer Diener seiner Gemeinde. Zum Ausscheiden des Bürgermeisters Vocke (Ösede)«, OT, 28. Mai 1936. 289 Parteimitglied wurde er erst 1938. Entnazifizierungsakte Christian Gartmann, NLA OS Rep 980 Nr. 44 867. 290 Genau waren es 4.989 Einwohner_innen von Oesede und Dröper zusammen. »Oesede und Dröper im Jahre 1936«, OT, 31. Januar 1937.

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fordert worden waren. Passende Räume für die neue Gemeindeverwaltung in Oesede sollten angemietet werden.291 Am 10. Mai 1937 wurde Karl Goemann, Obertruppführer im Reichsarbeitsdienst und Mitglied von NSDAP und SA seit 1930, durch Landrat Eberhard Westerkamp zum hauptamtlichen Bürgermeister von Oesede ernannt.292 Als Goemann zum Kriegsdienst eingezogen wurde, übernahm Wallrath Eichberg bis zum Ende des Krieges seinen Posten.293 Nach der Zusammenlegung mit Dröper versuchte Westerkamp zusammen mit dem Kreisbaumeister Paul Gerhardus und dem Oeseder Bürgermeister Goemann gezielt, die Gemeinde zu entwickeln.294 Westerkamp habe das Kreisbauamt während seiner Dienstjahre ausgebaut, hieß es in einem Schreiben seines direkten Amtsnachfolgers,295 und den Bau eines Gemeindehauses forciert. »Demgegenüber bin ich der Ansicht, daß die Schaffung des Gemeindehauses benutzt werden muß, um der Entwicklung der Gemeinde Oesede eine ganz bestimmte Richtung zu geben«,296 schrieb Westerkamp an den Regierungspräsidenten Bernhard Eggers und leitete ein Enteignungsverfahren gegen den Landwirt Möller ein, um sich seines Landes für den Bau eines Gemeindehauses zu bemächtigen. Dort sollten in Zukunft die Partei und ihre angegliederten Verbände untergebracht werden.297 Doch dazu kam es nicht. »Der Bürgermeister in Oesede teilt mir mit, daß sich Bauer Wortmann in Oesede auf Drängen Zuspruch [durchgestrichen im Original I.B.] der Gemeinde bereit erklärt hat, den früheren Provinzialhof in Hasbergen zu übernehmen.«298 Die Hofanlage wurde frei und die Verwaltung zog in das umfunktionierte Wohnhaus des Gastwirts und Tischlers Wortmann ein.

291 Der Gemeinderat bestand aus den Herren Pg Hörnschemeyer, Bauer Brünemann gen. Gartmann, Bauunternehmer Dröge, Bauer Gartmann, Lehrer Gieseke, kaufmännischer Leiter Hempel, Heiland, Schlosser Kahle, Amtsangestellter Riemann, Rechtsanwalt Quirll, Maurermeister Warnke, Tischler Winter und Bauer Wortmann. »Aus dem Landkreis Osnabrück (Iburg) Oesede,« OT, 3. April 1937. 292 Entnazifizierungsakte Karl Goemann, NLA OS Rep 980 Nr. 34 764. 293 Wallrath Eichberg arbeitete eng mit der Gemeindeverwaltung zusammen. 1938 wurde ein Vertrag zwischen ihm und seinem Elektrobetrieb geschlossen, der nach dem Krieg modifiziert wurde, Protokoll der Hauptausschusssitzung am 3. Februar 1949, NLA OS Dep 81 b Nr. 182. Seit 1941 war er Mitglied in der NSDAP, NLA OS Rep 980 Nr. 110 21. 294 Orts- und Bebauungsplanung von Oesede, NLA OS Dep 104 II Akz 2000/040, Nr. 49. 295 Landrat Lemke an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 17. Juni 1942, NLA OS Dep 104 II Akz 32/99 Nr. 6. 296 Landrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 27. Juli 1938, NLA OS Rep 430 Dez 207 Akz 14/43 Nr. 28. 297 Landrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 25. April 1939, ebd. 298 Landrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 20. März 1939, NLA OS Dep 104 II Akz 2000/040, Nr. 49.

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2.2.1.2. Gemeinde Georgsmarienhütte Die Lage der inzwischen 133 ha und 2.195 Einwohner_innen299 umfassenden Gemeinde Georgsmarienhütte ist denkbar schlecht dokumentiert. Das Gemeindearchiv der hauptamtlich verwalteten Gemeinde existiert für den Zeitraum bis 1945 nicht mehr. Eine eigene Gemeindeverwaltung war ohnehin erst nach dem Ersten Weltkrieg auszumachen, als sich Werk und politische Gemeinde organisatorisch voneinander trennten. Seit seiner Gründung im Jahr 1860 hatte das Werk die Gemeinde nach seinen Interessen und Bedürfnissen ausgebaut. Je nach Finanzlage wurden eine Schule (1864 und 1912), eine evangelische Kirchengemeinde (1873) mit einer eigenen Kirche (1878), ein Krankenhaus (1872), ein Park als Naherholungsgebiet und ein Gesellschaftshaus (1872), eine Mittelschule (1914) und ein Haus für die Jugend (1926) eingerichtet. Zahlreiche gesellige Vereine flankierten den Ausbau einer Gemeinde, die komplett vom Hüttenwerk abhängig war. Für die Einrichtungen war in den Vorjahren das Werk aufgekommen. 1930 hatte es finanzielle Verpflichtungen in Höhe von insgesamt 342.349 Reichsmark gegenüber der Gemeinde und deren Einrichtungen.300 Das Werk betrieb auch nach der Trennung von der politischen Gemeinde Kommunalpolitik. Es sorgte zunächst für den Straßenbau und Wohnungsbau, der nach 1925 nur noch in Ausnahmefällen betrieben wurde, da er staatlich nicht mehr gefördert wurde. Genau zu diesem Zeitpunkt trat Karl Schröder das Amt des Bürgermeisters an und sah sich mit dem vom Werk ausgelösten Wohnungsbauproblemen konfrontiert. Die Gemeinde kaufte 1942 nach Aufnahme eines Darlehens von 300.000 RM301 den Schumpe’schen Hof und wies ein Baugebiet an der Hagener Straße aus. Viel mehr Möglichkeiten hatte der Bürgermeister in der von den Ausläufern des Teutoburger Waldes umgebenen Gemeinde nicht. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, betrieb der Kreisleiter Leonhard Baumgartner eine intensive Anwerbungspolitik, die dem Ort eine große Zahl NSDAP-Angehöriger in leitender Stellung bescherte. Auch Karl Schröder wurde – nach eigenen Angaben – vom Kreisleiter geworben.302 1933 stellte Schröder einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, welcher 1935 bewilligt wurde.303 Schröder stand am Vorabend der Zusammenlegung der Gemeinden

299 »Zusammenlegung von Gemeinden im Landkreis Osnabrück«, OT, 25. März 1937. 300 Der Betrag war so hoch, dass sich 1930 eine Stilllegung des Werkes nicht lohnte, da diese finanzielle Verpflichtung weiter Bestand gehabt hätte, vgl.: Meyer : Schwerindustrielle Insel, S. 152. 301 NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 191, Bd. 12. 302 Entnazifizierungsakte Karl Schröder, NLA OS Rep 980 Nr. 27085. 303 Ebd.

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Georgsmarienhütte und Malbergen einem Gemeinderat aus folgenden Mitgliedern vor : Kaufmann Wilhelm Wiegand als erstem Beigeordneten, Wilhelm Korfkamp als Ortsgruppenleiter, Kreisbetriebsgemeinschaftswalter Hermann Diekmann, Werkmeister H. Neumeyer, Obermeister August Lüdeking, Chefarzt Deutz, Schmied Richard Malade, als Vertreter des Stahlwerkes E. Killing und – wenn dieser verhindert war – Dipl.-Ing. Bernhard Esders.304 Die kleine Industriegemeinde spielte eine große Rolle für die NSDAP. Dort war seit 1932 die Kreisleitung der NSDAP untergebracht und viele überregionale Parteiveranstaltungen wurden in dem Ort durchgeführt. Parteivertreter aller Ebenen fanden sich 1935 und 1939 zu den großangelegten Kreisparteitagen ein. Vor der Gebietsreform trafen sich dort bei der »Weihe des Adolf-Hitler-Hauses in Georgsmarienhütte«305 im Jahr 1933 und beim Kreisparteitag 1935 außer dem ortsansässigen Kreisleiter Baumgartner Landrat Westerkamp, Regierungspräsident Eggers, Oberpräsident der Provinz Hannover Viktor Lutze und Gauleiter Carl Röver. Das Werk und der Ort, der sich bei diesen Gelegenheiten mit Tannengrün und Hakenkreuzbeflaggung herausputzte, waren den Nazigrößen in Partei und Staat bestens bekannt.306 2.2.1.3. Das Stahlwerk Ende der 1920er Jahre erfasste die Weltwirtschaftskrise auch das Werk in der Gemeinde Georgsmarienhütte, das seit 1921/1923307 Teil des Klöckner-Konzerns war und dem Werk als kapitalkräftiges Großunternehmen im harten Verdrängungswettbewerb das Überleben sicherte.308 Die Zahl der Beschäftigten sank von 3.150 im Jahr 1929 auf 1.113 im Jahr 1933. Nach der ›Machtergreifung‹ 1933 wurde die Wirtschaft durch Vergabe öffentlicher Aufträge angekurbelt. Die Produktpalette des Unternehmens war vor allem für die kriegsvorbereitenden Maßnahmen der Reichsbahn interessant, aber auch für die Automobilindustrie, die Werften und den Autobahnbau. Die Roheisenproduktion stieg von 48.190 t im Jahr 1931/1932 auf 301.330 t im Jahr 1935/1936.309 Im Februar 1937 wurde das Werk zum Wehrwirtschaftsbe304 Dies waren in der Tat Werksangehörige bis auf Bürgermeister Schröder, der 1925 aus dem Dienst ausgeschieden war, Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 31. Dezember 1936, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355, Bd. 1. 305 OT, 17. Dezember 1933. 306 Dieter Ostendorf/Sebastian Weitkamp: » …alle sollen und müssen kommen.« Schulungsund Propagandaveranstaltungen der NSDAP, in: Georgsmarienhütte während der NS-Zeit, S. 169–192, hier S. 175. 307 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 151. 308 Ebd., S. 70–82. 309 Tanja Bojara: Die Klöckner-Werke-AG-Abteilung Georgsmarienhütte während der NS-Zeit, in: Georgsmarienhütte während der NS-Zeit, S. 79–129, hier S. 116.

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trieb310 ernannt, und die Zahl der Beschäftigten stieg erneut auf 3.296 im Jahr 1937.311 Die Ausweisung von Siedlungsgebieten lag grundsätzlich im Interesse des Werkes. Von 1926 bis 1936 ließ das Werk sechs Siedlungen312 anlegen, zwei davon in Georgsmarienhütte. 1935 wohnten von 2.732 Beschäftigten nur 467 in der Werksgemeinde. Alle anderen verteilten sich auf 45 umliegende Gemeinden, wobei Oesede mit 357 mit Abstand die meisten Arbeitnehmer aufgenommen hatte.313 Dies war ein vom Unternehmen durchaus erwünschter Zustand. In der Weimarer Republik hatte sich die gesetzliche Grundlage für den Bau von Werkswohnungen grundlegend geändert: Sie wurden nicht länger subventioniert, und ihre Nutzer unterlagen seit dem Reichsmieterschutzgesetz einem besonderen Schutz.314 Geriet das Werk also in eine wirtschaftlich ungünstige Entwicklung – und daran hatte es in der Vergangenheit nicht gemangelt – konnte das Werk den Mietern nicht kündigen und musste gleichzeitig die Hauszinssteuer zahlen. Der Bau von Arbeiterwohnungen war »in unmittelbarer Nähe des Hüttenwerkes […] nicht zweckmäßig und durchführbar«,315 teilte Direktor Alan Haarmann bereits 1920 seinem Aufsichtsrat mit. 1925 stellte das Werk den Werkswohnungsbau bis auf einige wenige Ausnahmen ein.316 Der Bau von Eigenheimen in Kleinsiedlungen mit Gartenanteil und Stall lag hingegen ganz auf der ideologischen Linie der Nationalsozialisten. Das Reichssiedlungskommissariat und das Reichsheimstättenamt der Deutschen Arbeitsfront (DAF) traten für eine Siedlungspolitik für Werktätige ein, die sie an den Industriebetrieb ebenso band wie an den Grund und Boden, den sie im Rahmen einer Selbstversorgungsstrategie bearbeiteten.317 Als Landrat Westerkamp mit dem Ansinnen an die Werksleitung herantrat, sich finanziell an einer Kreissiedlungsgesellschaft zu beteiligen, die den Kauf und Verkauf von Grundstücken regeln sollte, verhielten sich die Direktoren reserviert. Da das Werk vor nicht allzu langer Zeit bereits Siedlungsgebiete

310 Georgsmarienhütte im Kriege 1939–1945, NLA OS Dep 81b, Nr. 362. 311 Bojara: Die Klöckner-Werke, S. 106. 312 Siedlung Dörenberg Oesede, Siedlung Halbmond und Siedlung Oberholt’sche Wiese beide in Holzhausen, Klöcknerstraße, Hindenburgstraße in Georgsmarienhütte und Hochstraße in Oesede bzw. in Georgsmarienhütte, vgl.: Rainer Hehmann: Wohnungsbau in Georgsmarienhütte in den 1930er Jahren, in: Georgsmarienhütte während der NS-Zeit, S. 131–139, hier S. 137. 313 Wohnorte der Werksbelegschaft 1935: Osnabrück 77; Voxtrup 6; Holsten-Mündrup 15; Kloster Oesede 173; Dröper 184; Oesede 357; Harderberg 54; Malbergen 233; Ohrbeck 67, NLA OS Rep 430 Dez 207 Akz 14/43, Nr. 21. 314 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 151. 315 Zit. nach ebd., S. 153. 316 Ebd. 317 Hehmann: Wohnungsbau in Georgsmarienhütte, S. 133.

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ausgewiesen hatte, sah es sich in der »Rolle des Doppelzahlers«318 und verweigerte die Mitarbeit. Zum Streitobjekt wurde mitten in den Verhandlungen über die Gebietsreform Anfang 1937 eine geplante Siedlung am Abhang des Rehlberges. Das Gelände gehörte den Klöckner-Werken, und DAF und Landrat wollten, dass dort eine Kleinsiedlung nach ihren Vorstellungen entstand. Das lag den Interessen des Werkes nicht unbedingt fern. Sowohl der Landrat als auch das Unternehmen wollten die Entstehung eines ›Ballungsgebietes‹ mit Mietskasernen verhindern. »Das hier vorhandene Bauernland muss nach Möglichkeit in seinem Bestande erhalten werden, dadurch wird auch verhindert, dass an dieser Stelle mit der Zeit eine Industriestadt entsteht«,319 schrieb Westerkamp an den Regierungspräsidenten. Auch das Werk wollte eine Siedlungskonzentration mit Mietshäusern verhindern und führte lange vor Kriegsbeginn als Grund die »Fliegerbedrohung«320 an. Zunächst stimmten die Klöckner-Werke einer Bebauung des Rehlbergs (damals noch Oeseder Gemeindegrund) zu,321 machten aber dann wenige Wochen später einen Rückzieher, da die Bauinteressierten gar nicht aus Georgsmarienhütte, sondern aus anderen Gemeinden kamen.322 Das Werk bot zum Ausgleich ein 9 ha großes Waldgebiet am Holzhauser Berg an. Darauf ging der Landrat jedoch nicht ein. Er bestand auf dem Rehlberg und stellte einen Antrag auf Enteignung. Schließlich lenkten die Klöckner-Werke ein und der Enteignungsantrag wurde zurückgezogen.323 Welchen Grund die Direktoren gehabt haben, das Gelände erst zu verweigern und dann doch noch für Siedlungszwecke herzugeben, darüber kann nur spekuliert werden. Vermutlich war es ein Machtspiel zwischen Landrat und Werksleitung. 2.2.1.4. NSDAP-Kreisleitung Seit Gründung der NSDAP versuchte die Partei, ein flächendeckendes Netz ihrer Parteigliederungen über das gesamte Reichsgebiet zu spannen. Relativ spät, erst 1932, wurden die Kreisleitungen eingerichtet. In der nationalsozialistischen Hierarchie waren über der Kreisleitung nur noch der Gauleiter und die Reichsleitung bzw. Reichskanzler Adolf Hitler angesiedelt, unterhalb der 318 Ebd., S. 134. 319 Landrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 15. Februar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 207 Akz 14/43, Nr. 21. 320 Hehmann: Wohnungsbau in Georgsmarienhütte, S. 135. 321 Protokoll einer Besprechung mit Landrat, Kreisbaumeister Gerhardus, Sperling, Bürgermeister Schröder und den Bauinteressenten vom 11. Mai 1935, NLA OS Dep 104 II Akz 2000/040, Nr. 49. 322 Landrat an die Klöckner-Werke, Schreiben vom 6. Juni 1935, ebd. 323 Landrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 15. Februar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 207 Akz 14/43, Nr. 21.

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Kreisleitung befanden sich hierarchisch gesehen die Ortgruppenleiter. Vor der ›Machtübernahme‹ 1933 oblagen der Kreisleitung parteiinterne administrative Aufgaben und die Organisation des Wahlkampfes auf Kreisebene. Der NSDAPKreis war in den meisten Fällen identisch mit dem Landkreis.324 Nach der ›Machtübernahme‹ regelte vor allem das ›Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat‹ vom 1. Dezember 1933 die Rolle der NSDAP und die Position der Kreisleiter. Die NSDAP wurde Staatspartei, und die Funktionäre der Partei wurden behördlichen Spitzenbeamten zugeordnet, z. B. der Kreisleiter dem Landrat.325 Das Verhältnis zwischen beiden war im Detail nicht geregelt, was einen »permanenten Spannungszustand«326 und einen »reibungsvollen Dualismus«327 erzeugte, der von der Parteispitze durchaus beabsichtigt war.328 Zwar konnte der Kreisleiter seit dem Erlass der DGO 1935 bei den Bürgermeisterversammlungen, die der Landrat einberief, zugegen sein, seine Anwesenheit war aber nur zwingend vorgeschrieben, wenn bei einzelnen Tagesordnungspunkten ein gesetzliches Mitspracherecht bestand. Dies war der Fall bei Berufungen der Bürgermeister und Beigeordneten, beim Erlass der gemeindlichen Hauptsatzung, der Bestellung der Gemeinderäte und bei der Verleihung von Ehrenbürgerrechten und Ehrenbezeichnungen,329 aber ein gesetzlich geregeltes Mitspracherecht in Verwaltungsangelegenheiten hatte der Kreisleiter nicht. Auch seine weiteren Befugnisse lagen weit unter denen des Landrates: Dem Kreisleiter unterstanden alle politischen Leiter seines Kreises, er hatte jedoch nicht das Recht, die Ortsgruppenleiter zu ernennen.330 Er hatte keinerlei Polizeibefugnis und er verfügte, wenn überhaupt, nur über ein kleines Budget für die Umsetzung seiner Aufgaben. Er war entweder ehrenamtlich tätig oder wurde schlecht bezahlt331 und war damit schon allein von der finanziellen Ausstattung her dem Landrat nicht gleichwertig. Macht verlieh dem Amt des Kreisleiters die Tatsache, dass er bei Ermittlungsverfahren um Stellungnahme gebeten wurde und er für eine Ablösung von Amtsträgern oder Verhaftung jedweder Person sorgen konnte, wenn er den Eindruck hatte, es mangele jemandem an nationalsozialistischer Gesinnung.332 Georgsmarienhütte war seit 1932 Sitz der Kreisleitung Osnabrück-Land. Erster Kreisleiter war der 1930 in die NSDAP eingetretene Leonhard Baum324 Michael Rademacher: Die Kreisleiter der NSDAP im Gau-Weser-Ems, Marburg 2005, S. 8. 325 Ebd., S. 9. 326 Peter Diehl-Thiele: Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis der NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933–1945, München 1969, S. 4. 327 Ebd. 328 Ebd., S. 15. 329 Rademacher : Die Kreisleiter, S. 253. 330 Ebd., S. 242. 331 Ebd., S. 14. 332 Ebd., S. 245.

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gartner. Er war seit 1929 im Lohnbüro des Werkes beschäftigt, und seine Tätigkeit führte innerhalb kürzester Zeit zu Konflikten mit seinen Vorgesetzten. Die Werksleitung teilte daraufhin Baumgartner nur den Aufgabenbereich Lohnberechnung und Löhnung zu.333 Der aus Bayern stammende Kreisleiter war bei der Rekrutierung von Parteimitgliedern sehr aktiv : Die Zahl der Parteimitglieder in seinem Wirkungsbereich stieg von 292 im Jahr 1932 auf 739 im März 1933. Nach 1933 wurde ihm ein Dienstwagen gestellt und er trug eine Waffe, mit der er Luftschüsse abgegeben haben soll, wenn er sich anders nicht durchsetzen konnte.334 Da er auch nach 1933 auf dem Werk beschäftigt war, gehörte er zu den Kreisleitern, die ehrenamtlich für die Partei tätig waren. Es wundert daher nicht, dass sich Baumgartner für den Posten des Landrates interessierte. Dieses Amt wurde ihm jedoch vorenthalten, er engagierte sich weiter für den Kreis, entwickelte sich aber zu einem entschiedenen Gegner des Landrates.335 Baumgartner erwirkte Ende 1933 von der Werksleitung die Überlassung der Hälfte des Doppelhauses, in der die Gemeindeverwaltung untergebracht war, für die NSDAP. Die Nähe zur Gemeindeverwaltung war somit gegeben. Der seit 1925 erst ehrenamtlich, ab 1927336 hauptamtlich tätige Bürgermeister Karl Schröder trat nach zweijähriger Anwartszeit 1935 in die NSDAP ein, blieb bis 1945 im Amt und versah von 1935 bis 1941 das Amt des Kreisamtsleiters für Kommunalpolitik.337 Zeitgleich wurde Ende 1933 das ›Braune Haus‹ an der Kaiserstraße eröffnet, das bis 1942 als Sitz der Kreisleitung diente.338 Die Verschränkungen mit dem Ort waren ebenso vorhanden wie mit dem Werk, wo Baumgartner beschäftigt war. Dort holte er gezielt Arbeitssuchende in den Betrieb, denen er vor der Arbeitsaufnahme zur Auflage machte, in die NSDAP einzutreten. Baumgartner gab nach der ›Machtergreifung‹ in Werk und Gemeinde den Ton an, bis er am 26. November 1935339 an einer Lungenentzündung starb. Sein Nachfolger wurde 1936 Ferdinand Esser, der nicht auf dem Werk beschäftigt war und damit erheblich schlechter vernetzt war als sein Vorgänger. Er stammte gebürtig aus Köln, wurde 1926 Partei- und SA-Mitglied und arbeitete 333 Bojara: Die Klöckner-Werke, S. 85. 334 Ebd. 335 Horst-Alfons Meißner : Staatsdiener im Dritten Reich. Die Landräte des heutigen Landkreises Osnabrück während der Hitler-Diktatur 1933–1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Osnabrücker Landes, Münster 2015, S. 117. 336 Entnazifizierungsakte Karl Schröder, NLA OS Rep 980 Nr. 27085. 337 Michael Rademacher : Wer war wer im Gau Weser-Ems. Die Amtsträger der NSDAP und ihrer Organisationen in Oldenburg, Bremen, Ostfriesland sowie der Region OsnabrückEmsland, o.O.u.o.J. S. 122. 338 Ostendorf/Weitkamp: Alle sollen und müssen kommen, S. 169. 339 Meißner : Staatsdiener im Dritten Reich, S. 109.

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seit 1931 hauptamtlich für die NSDAP. Er wurde am 1. März 1936 zum Kreisleiter in Georgsmarienhütte ernannt. Rund ein Viertel seiner Funktionäre legte ihr Amt in den Jahren 1935–1937 nieder,340 und Esser musste die Positionen neu besetzen. Dies gelang ihm bei manchen Ämtern gar nicht, bei einigen erst nach einer Vakanzzeit. So war das Amt des Kreisgeschäftsführers von 1934–1937 mit Josef Wisser besetzt, danach aber vakant bis zur Aufnahme dieser Tätigkeit durch Georg Burdorf am 13. Juli 1939. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Ämter bereits unbesetzt, darunter so wichtige Positionen wie die des Kreispressewarts (bis 1937), des Kreispropagandaleiters (bis 1937) und die Position des Kreisschulungsleiters (bis 1938). Kein Amt im Stab des Kreisleiters war länger als bis 1938 besetzt, bis auf die Ausnahme des Kreisgeschäftsführers Georg Burdorf, der bis 1941 auf seinem Posten blieb.341 Von 1941 bis Herbst 1942 saß Ferdinand Esser im ›Adolf-Hitler-Haus‹ allein. Schließlich wurde er abkommandiert zur Gauleitung nach Oldenburg, wo er 1943 verstarb.342 Die Kreisleitung wurde in das ehemalige Wohnhaus des verstorbenen Leonhard Baumgartner in die Wellenkampstraße verlegt.343 Ein eigener Kreisleiter Osnabrück-Land mit Sitz in Georgsmarienhütte wurde nicht mehr benannt. Helmut Seidel, Kreisleiter in Melle, übernahm die Kreisleitung in Georgsmarienhütte mit. Zur fraglichen Zeit der Gebietsreform war Ferdinand Esser ein knappes Jahr im Amt. Wie und woran er arbeitete, ist nicht mehr zu recherchieren. Die Akten sämtlicher Kreisleitungen waren auf Befehl Martin Bormanns 1945 vernichtet worden.344 Bei seiner Amtseinführung im März 1936 stellte die Presse Essers Arbeitsprogramm vor. Dessen Kernpunkt war die Herausbildung eines nationalsozialistischen Führungskorps mit den Eigenschaften »Sauberkeit, Disziplin und Kameradschaftsgeist«.345 Die Realisierung seines Vorhabens scheiterte jedoch: Die etwas umfangreicher konzipierten Kreisparteitage von 1936 und 1938 wurden angekündigt und fielen aus. Den Kreisparteitag am 11. Juni 1939 organisierten der Georgsmarienhütte Bürgermeister Karl Schröder und SAStandartenführer Thiele.346 Entnazifizierungszeugen im Prozess gegen den NS-Landrat Westerkamp sagten aus, zwischen Esser und Westerkamp sei es sehr häufig zu Konflikten gekommen. Dies behauptete auch der Georgsmarienhütter Bürgermeister Karl

340 Von 40 Amtsinhabern legten 18 in der Zeit von 1935–1937 ihr Amt nieder. Rademacher : Wer war wer im Gau Weser-Ems, S. 122. 341 Ebd. 342 Ostendorf/Weitkamp: Alle sollen und müssen kommen, S. 170. 343 Ebd. 344 Diehl-Thiede: Partei und Staat, S. VIII. 345 »Führer und Kamerad«, OT, 6. März 1936. 346 Ostendorf/Weitkamp: Alle sollen und müssen kommen, S. 180.

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Schröder nach dem Krieg.347 In den Kreisakten war nur ein Konfliktfall aktenkundig geworden, in dem Essers »für die staatlichen Stellen unangenehme Aktivitäten«348 vermerkt sind. In allen die Gebietsreform betreffenden Schriftstücken Westerkamps hieß es über die Mitwirkung Essers nur, sie sei in enger Fühlungnahme mit der Kreisleitung geschehen. Eine schriftliche Äußerung im Hinblick auf die Gebietsreform des Kreisleiters Esser existiert nicht. Wohl äußerte sich Esser zur geplanten Enteignung des Bauern Möller im Oeseder Ortskern. In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten schrieb er 1939: »Die Siedlungsfrage ist doch die erste Voraussetzung für die Erfüllung des VierJahresplanes, insbesondere in einer Gemeinde wie Oesede die nahe der Industriewerke liegt und durch Siedlungsmöglichkeit die Arbeitskraft der benachbarten Werke seßhaft macht und ihre Leistungsfähigkeit dadurch steigert.«349

2.2.1.5. Landkreis Osnabrück Am 3. September 1932 erschien die preußische Verordnung zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung. Infolge derer wurde mit einer weiteren Verordnung des preußischen Staatsministeriums noch im gleichen Jahr der Kreis Iburg aufgelöst und zusammen mit dem Kreis Osnabrück neugebildet. Eine Maßnahme, die ohne Anhörung der Kreisvertretungen geschehen ist und hauptsächlich von Iburger Seite mit Protesten begleitet wurde.350 Landrat des neu zugeschnittenen Landkreises wurde Kurt von Detten, der den bisherigen Landkreis Osnabrück schon geleitet hatte.351 Dieser wurde 1933 von dem in Georgsmarienhütte ansässigen Kreisleiter Leonhard Baumgartner unter fadenscheinigen Gründen aus dem Amt gedrängt, weil er nach der ›Machtergreifung‹ selbst Ambitionen auf den Posten hatte.352 Von der freigewordenen Position des Landrates erfuhr der gebürtige Osnabrücker Eberhard Westerkamp, der als junger Jurist in Berlin tätig war und über ausgezeichnete Verbindungen verfügte. Er wandte sich an den zuständigen Ministerialrat des Preußischen Innenministers und erhielt – nachdem er einige Monate zuvor als kommissarisch ernannter Landrat bereits im Amt war – am 22. September 1933 seine Ernennungsurkunde. Sein Gegenspieler Baumgartner 347 Meißner : Staatsdiener im Dritten Reich, S. 122. 348 Ebd.; Rademacher: Die Kreisleiter, S. 255. 349 Kreisleiter Esser an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 28. Januar 1939, NLA OS Rep 430 Dez 207 Akz 14/43, Nr. 28. 350 NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 37, Teil 1. 351 Meißner : Staatsdiener im Dritten Reich, S. 105. 352 Baumgartner war kein Einzelfall. Viele Funktionäre, die sich bis zur Machtübernahme 1933 unentgeltlich für die NSDAP eingesetzt hatten, erwarteten jetzt gut bezahlte Posten, vgl.: Diehl-Thiede: Partei und Staat, S. 1f.

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war gekränkt, dass man ihn als ›verdienstvollen‹ Kämpfer der Partei nicht berücksichtigt hatte und bekämpfte den neu ernannten Landrat, wo er nur konnte.353 Er verhinderte zum Beispiel seine Aufnahme in die NSDAP, woraufhin Westerkamp am 9. Juli 1933 in die SA eintrat, um seine nationalsozialistische Gesinnung zum Ausdruck zu bringen.354 Von Beginn seiner Amtszeit an bekannte er sich zum ›Führerprinzip‹: Die eigene Entscheidung sei – passend zum ›Führerprinzip‹ – maßgebend, für Zugeständnisse und Kompromisse sei er nicht zu haben,355 ließ er bei einem seiner öffentlichen Auftritte verlauten. Westerkamp übernahm einen Landkreis mit zahlreichen Problemen: Die Arbeitslosenzahlen waren hoch, die finanzielle Lage des Kreises war katastrophal und die Wohnungsnot groß.356 Er förderte das Siedlungswesen, um der Landflucht zu begegnen, und gründete eine Kreissiedlungsgemeinschaft mit kommunaler Beteiligung.357 Außerdem beabsichtigte er, einen verpflichtenden Arbeitsdienst einzurichten. Die Gemeindevorsteher mögen ihm melden, wenn sie Arbeitskräfte für Straßenbau, Flussregulierung oder für die Anlage von Löschteichen bräuchten. Er arbeitete »schwungvoll«358, und das neue »Führerprinzip«359 trug zur schnellen Umsetzung bei. Allerdings musste er sich mit dem Kreisleiter der NSDAP absprechen. Die Kompetenzen zwischen Kreisleitung und Landrat waren nicht eindeutig abgegrenzt, ein Umstand, der unweigerlich zu Konflikten führte. Nicht nur mit Baumgartner, der am 26. November 1935 verstarb, sondern auch mit seinem Nachfolger Ferdinand Esser, gab es Probleme. Die Konflikte wurden zunächst vom Regierungspräsidenten Bernhard Eggers ignoriert, nach seinem Tod 1937 wies sein Nachfolger Wilhelm Rodenberg im Ministerium auf die Schwierigkeiten hin. Am 13. Mai 1939 wurde Westerkamp in das Landratsamt Brünn in Mähren abgeordnet. Die »Hoheitsträger«360 hätten sich »ständig ohne Rücksicht auf Gesetz und Befehl in der Verwaltung«361 eingemischt, beklagte sich Westerkamp rückblickend beim Ministerium als Reaktion auf seine Abordnung. In seine Dienstzeit fiel im vollen Umfang die Zusammenlegung mehrerer Gemeinden, unter anderem Georgsmarienhütte mit Malbergen und die Umgemeindung einiger Parzellen von Holzhausen und Oesede nach Georgsmarienhütte und die Zusammenlegung von Oesede mit Dröper. 353 354 355 356 357 358 359 360 361

Das Gegeneinander war durchaus beabsichtigt, vgl.: ebd., S. 3. Meißner : Staatsdiener im Dritten Reich, S. 115. Ebd., S. 120. Ebd. Bojara: Die Klöckner-Werke, S. 105. Meißner : Staatsdiener im Dritten Reich, S. 120. Ebd. Ebd., S. 122–127. Ebd., S. 122.

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2.2.2. Die Aushandlung Die Reformbedürftigkeit der kommunalen Landschaft stand schon nach dem Ersten Weltkrieg fest. William Arnold Drews, Preußischer Staatsminister, Minister des Innern und nachmaliger Präsident des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes, forderte bereits Ende 1918 eine Reform, die tiefer greifen müsse als bisher. Sie müsse »zu einer Überführung des bisherigen Obrigkeitsstaats in den Selbstverwaltungsstaat führen.«362 Während der Weimarer Zeit wollten vor allem die großen Städte die Umlandgemeinden aufnehmen und dadurch an Fläche und Einwohner_innenzahl wachsen. Vor 1933 war eine regelrechte »Großstadtsucht«363 auszumachen, der die Landkreise kritisch gegenüberstanden. Die kleinen Gemeinden seien selbständige Zellen des Staates, die »wertvolle und unentbehrliche Kräfte«364 freisetzten, die das Eigenleben einer jeden Gemeinde prägten. Die Kreise empfahlen interkommunale Zusammenarbeit anstelle von Eingemeindungen und Zusammenlegungen. Ein erstes Zweckverbandsgesetz stammte aus dem Jahr 1911. Die einfachste Form der interkommunalen Zusammenarbeit war die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, in der Einrichtungen,365 die von mehreren Gemeinden unterhalten wurden, betrieben werden konnten.366 Doch dies erwies sich nicht immer als zweckmäßig. 1933 kam es zur Oldenburger Verwaltungsreform, bei der Großgemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner_innen und großen Gemeindebezirken gebildet wurden. Am 9. Januar 1935 hielt der Amtshauptmann Theilen einen Vortrag über die oldenburgische Gebietsreform. Die Landräte der verschiedenen Landkreise, die zum Regierungsbezirk Osnabrück gehörten, sollten dazu Stellung nehmen. Der Osnabrücker Landrat Westerkamp antwortete am 17. Januar 1935 und machte in seinem ersten Schreiben bereits erste Vorschläge für eine kommunale Neuordnung: Er habe 88 Gemeinden in seinem Landkreis, die alle sehr unterschiedlich strukturiert seien, Industrie sei vorhanden. Ein Lastenausgleich zwischen den Gemeinden sei das »Gebot der Vernunft«.367 So könne man Georgsmarienhütte, Malbergen und Holzhausen mit den sechs Gemeinden der Samtgemeinde Hagen 362 NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064, Nr. 37, Teil 1. B5, 1933–1945, S. 1. 363 Ebd., C1, Landkreis im Vorfeld der großen Stadt und Eingemeindung von Schinkel und Haste. 364 Ebd. C1, S. 1. 365 Z. B. Schulen, Fachschulen, Krankenhäuser, Nahrungsmittel- und Untersuchungsämter, uvm. 366 NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064, Nr. 37, Teil 1. C1, Landkreis im Vorfeld der großen Stadt und Eingemeindung von Schinkel und Haste. 367 Schreiben des Osnabrücker Landrates an den Regierungspräsidenten vom 17. Januar 1935, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65 Nr. 76, Bd. 5a.

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zusammenfassen. Den »schwer belasteten Arbeiterwohnsitzgemeinden kommt auf diese Weise der Überschuss des Hüttenwerkes zugute«,368 schrieb Landrat Westerkamp. Ähnliches gelte auch für die Landgemeinde Oesede, die »finanziell gut«369 dastehe und mit Dröper, Kloster Oesede und Holsten-Mündrup zusammengehen könne. Per Schnellbrief kündigte nun der Oberpräsident der Provinz Hannover, Viktor Lutze, eine »territoriale Neugliederung«370 an und forderte innerhalb kurzer Zeit Berichte über die Gemeindestruktur in den einzelnen Landkreisen an. Der Landkreis Osnabrück meldete wenige Tage später, dass nur eine Gemeinde unter 10.000 Einwohnern hauptamtlich verwaltet sei, nämlich Georgsmarienhütte. Es befinde sich keine Gemeinde in seinem Verwaltungsbezirk mit mehr als 10.000 Einwohnern.371 Ende 1936 zeichnete sich ab, dass eine Reform »größeren Stils«372 nach Oldenburger Muster, bei der die Zahl der Kommunen im Landkreis Osnabrück von 88 auf 32 hätte reduziert werden sollen, nicht durchgeführt werden würde.373 Im Dezember 1936 bat der Osnabrücker Landrat den Regierungspräsidenten um Zustimmung zu Vorarbeiten zur Veränderung von Gemeindegrenzen in seinem Landkreis. Dies sei aus »Gründen des öffentlichen Wohls«374 notwendig. Die Zwerggemeinden müssten durch Zusammenlegung aufgelöst werden und einige »Misshelligkeiten in der Gebietseinteilung«375 aufgehoben werden. Die winzigen Gemeindeverwaltungen würden den Aufgaben wie bei der kürzlich verkündeten »Fettscheinversorgung«376 nicht gerecht. Auch neigten die kleinsten Gemeinden zur »Eigenbrödelei«,377 eine Ausrichtung der kleinsten Verwaltungseinheiten »auf die grossen Linien der Staatsführung«378 funktioniere nicht. Die Zusammenlegungspläne stießen zwar nicht überall auf »Gegenliebe«,379 die NSDAP unterstütze das Vorhaben aber »hundertprozentig«.380 Der Landrat schlug die Zusammenlegung der folgenden Gemeinden vor: 368 Ebd. 369 Ebd. 370 Der Oberpräsident der Provinz Hannover an den Regierungspräsidenten vom 8. Februar 1935, ebd. 371 Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 11. Februar 1935, ebd. 372 Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 30. Januar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355, Bd. 2. 373 Ebd. 374 Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 10. Dezember 1936, ebd. 375 Ebd. 376 Ebd. 377 Ebd. 378 Ebd. 379 Ebd. 380 Ebd.

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Hellern und Hörne, Nahne und Harderberg, Gretesch und Darum, Haltern und Wellingen, Natbergen, Stockum – Gut und Uphausen – Eistrup ohne den Südteil, Bissendorf und die Bauerschaft Stockum, Cronsundern, Holsten-Mündrup und Uphöfen, Oesede und Dröper, Allendorf und Eppendorf, Hilter und Natrup-Hilter, Georgsmarienhütte und Malbergen, Glandorf und Schierloh, Iburg und Ostenfelde.

Die Anzahl der Gemeinden würde sich von 88 auf 73 Gemeinden reduzieren. Das besondere Augenmerk des Landrates lag auf der Fusion der Gemeinden Georgsmarienhütte und Malbergen. Das begründete er so: In Georgsmarienhütte lebten auf 90 ha 2.208 Einwohner, die Gemeinde werde hauptamtlich verwaltet und der Bürgermeister sei nicht ausgelastet. In der Hüttenwerksgemeinde sei kein einziger Bauplatz mehr vorhanden. »Infolgedessen entstehen Siedlungen in nächster Nähe in Oesede und Malbergen. Hier sollen ›Arbeiterwohnstätten‹ in Durchführung des Siedlungsprogramms des Führers errichtet werden.«381 Es habe keine Berechtigung, »dass die grossen Arbeiterwohnsitzgebiete zwar in engstem räumlichen Zusammenhang mit der Industriegemeinde, aber doch gemeindepolitisch getrennt weiterhin erschlossen werden, sodass die kapitalkräftige Gemeinde nach der früher beliebt gewesenen Methode an den Lasten der Arbeiterwohnstätten, die sie der Nachbarschaft überlässt, nicht teilhaben würde.«382 So lautete sein Hauptargument für die Zusammenlegung von Georgsmarienhütte und Malbergen, das 1937 1.311 Einwohner auf 827 ha zählte.383 Flankiert wurde dieses Hauptargument mit dem Hinweis, dass es wünschenswert sei, wenn die Bevölkerung des Ortes sich nicht nur aus Industriearbeitern zusammensetzte, sondern sich mit der Landbevölkerung mische. Noch vor Ablauf des Jahres erteilten der Regierungspräsident und der Oberpräsident der Provinz Hannover ihre Zustimmungen, die Grenzänderungen vorzubereiten,384 und der Landrat fing sofort an, Gespräche mit den Betei-

381 382 383 384

Ebd. Ebd. Ebd. Zustimmung wurde erteilt mit Schreiben vom 16. Dezember 1936, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355, Nr. 1.

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ligten in »enger Fühlungnahme mit der Partei«385 zu führen. Eines der ersten muss mit dem Georgsmarienhütter Bürgermeister Karl Schröder geführt worden sein. Schröder informierte seinen Gemeinderat, zu dem auch Vertreter des Werkes (Killing und wenn dieser verhindert war Dipl.-Ing. Esders) gehörten. Der Umgemeindungsplan sah auch die Umgemeindung des Holzhauser Berges nach Georgsmarienhütte vor. Das Vorhaben wurde nicht nur von Bürgermeister Schröder intensiv begutachtet, sondern auch von Dipl.-Ing. Bernhard Esders. Eine werksinterne Aktennotiz vom 20. Januar 1937 sagt aus, die »Eingemeindung nach der Seite von Oesede«386 sei besonders fraglich. Im Hinblick auf Oesede hatte das Werk ganz andere Vorstellungen. »U. E. müßten wir von Oesede ein größeres Stück in der Richtung zum Bahnhof haben, mindestens bis zur Wohnung des Arztes Dütemeyer.«387 Es folgte zumindest ein Gespräch der Werksleitung mit dem Landrat, der am 30. Januar 1937 in einem ausführlichen Schreiben388 dem Regierungspräsidenten Bericht erstattete. Darin stellte er nochmals die Dringlichkeit dar, Gemeindegrenzen zu ändern und die »offenbaren und groben Unzuträglichkeiten in der gegenwärtigen Grenzziehung«389 zu beseitigen. Es solle nur das »Notwendigste und leicht Mögliche schnellstens«390 durchgeführt werden. Noch einmal stellte er die Überlastung der Bürgermeister mit einem »Wust an Schreibkram«391 dar, die ebenfalls die Kreisbehörde belaste, da diese bei der Erstellung von »Statistiken, Erhebungen, Haushalts- und Rechnungsformalitäten, Sonderaktionen (Fettaktion) usw.«392 behilflich sein müsse. Erstmals führte er aber ein Argument an, das die Dringlichkeit der Gebietsreform vor Augen führte. Die Gemeinden bzw. die Bürgermeister müssten Aufgaben, die über Nacht dazu kämen, gewachsen sein, das seien Aufgaben im Rahmen des Vierjahresplanes oder Aufgaben im »MobFall«.393 Die Gebietsreform stand damit ganz im Zeichen der Kriegsvorbereitungen.394 Von einem Auseinanderreißen und einer Neuaufteilung bisheriger Gemeinwesen wollte der Landrat absehen, Umgemeindungen sollten nur kleine Teilstücke wie zum Beispiel von Holzhausen und Oesede zu Georgsmarienhütte 385 Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 28. Dezember 1935, ebd. 386 Werksinterne Aktennotiz vom 20. Januar 1937, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. 387 Ebd. 388 NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65 Nr. 355 Bd. 2. 389 Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 30. Januar 1937, ebd. 390 Ebd. 391 Ebd. 392 Ebd. 393 Gemeint war vermutlich der »Mobilmachungsfall«, Ebd. 394 Zur Rolle der Raumplaner bei der Remilitarisierung vgl.: Christoph Nonn: Die Bergbaukrise: Entindustrialisierung und Politik 1958–1969, Göttingen 2001, S. 215.

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berücksichtigen, die Kleingemeinden sollten geschont werden. Auch von Zusammenlegungen riet er ab, da es gegen diese »durchweg«395 zu größter Abneigung käme. Die vorgeschlagenen Zusammenlegungen entsprächen aber dem Wunsch der Bevölkerung, der Gemeindeverwaltungen und »zum Teil auch […] der Kreisleitung der NSDAP«.396 Er befürworte eher die Bildung von Samtgemeinden, bei der die Gemeinden ihre Selbständigkeit behalten und mit mehreren Gemeinden zusammen eine Hilfskraft für die Verwaltung einstellen könnten. Als Ansprechpartner habe der Landkreis dann nur noch den Samtgemeindebürgermeister, der dann mit den Bürgermeistern der Kleingemeinden alles Weitere bespreche. Nur diejenigen Gebiete sollten zusammen gefasst werden, die »bisher und künftig baulich, wirtschaftlich und verwaltungsmässig«397 zusammen gehörten. Bei der Erläuterung seiner Pläne stand das Thema Georgsmarienhütte/Malbergen ganz oben. Die »Grenzverhältnisse um Georgsmarienhütte, dieser bedeutungsvollsten, dabei auf das kleinste zusammengepferchte Industriegemeinde, sind seit Jahren ein offenes Problem. Die Siedlungsgestaltung im Raume Georgsmarienhütte ist wenig glücklich.«398 Die beiden Gemeinden seien ineinander verschachtelt, und das Werk dehne sich immer weiter Richtung Osten nach Oesede aus. »Da sich an diesen Komplex alsdann der Wohnkern der Gemeinde Oesede anschliesst, könnte man auf den Gedanken einer Zusammenlegung von Georgsmarienhütte und Oesede kommen.«399 Allen Beteiligten – außer vielleicht den leitenden Klöckner-Mitarbeitern – sei aber klar, dass dann »ein durchaus unerwünschtes und unorganisches Gemeindegebilde entstehen würde«,400 denn beide Gemeinden hätten ihren eigenen Mittelpunkt. Daher müsse man einen deutlichen Strich zwischen den Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede ziehen. Dies sei auch deshalb notwendig, da sonst dem Entstehen einer »Industriestadt«401 kaum noch entgegen gewirkt werden könne und die gewünschte »Auflockerung«402 in der Bevölkerung vielleicht nicht zu erreichen sein würde. Die Nutzung des Geländes zwischen den Gemeinden für Bauzwecke sei ein abwegiger Standpunkt. »Die Erhaltung dieses jetzt noch aus Wald- und Bauernland bestehenden Zwischengeländes in seinem Charakter ist sozial-, woh395 Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 30. Januar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65 Nr. 355 Bd. 2. 396 Ebd. 397 Ebd. 398 Ebd. 399 Ebd. 400 Ebd. 401 Ebd. 402 Ebd.

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nungs- und gemeindepolitisch entscheidend wichtig«,403 urteilte der Landrat und wiegelte damit schon im Vorfeld die Idee einer Zusammenlegung der beiden Gemeinden ab, die noch gar nicht zur Debatte stand. Was aber schon diskutiert wurde, war die großzügige »Anschliessung umfangreicher Gebietsteile Oesedes an Georgsmarienhütte«.404 Aber auch das war seitens des Landrates nicht erwünscht, den Argumenten des Klöcknerwerkes fehle jede Überzeugungskraft, bedeutsame Interessen seien nicht vorgebracht worden, nur »Schönheitsrücksichten auf der Landkarte«405 und Büroerleichterung bei der »Steuerausrechnung«.406 Die Verteilung der Steuerkraft der Industrie zwischen den Gemeinden sei durchaus vernünftig und »etwaige Mehrarbeit im Büro durchaus wert«.407 Die Steuereinnahmen der Gemeinde Oesede über die Firma Stahmer, die auf dem von den Klöckner-Werken beanspruchten Oeseder Gebiet lag, seien zwar seit zehn Jahren zurückgegangen, aber für Oesede immer noch »finanziell von grosser Bedeutung«.408 Während die Grenzfragen Richtung Oesede noch offen seien, sei die Zusammenlegung mit Malbergen geklärt. Malbergen wolle ungeteilt der Gemeinde Georgsmarienhütte zugeschlagen werden. Auch in der Namensfrage sei man sich einig. Obwohl Malbergen älter sei, sollte der Ort Georgsmarienhütte heißen. Auch die Umgemeindung des Holzhauser Berges von Holzhausen nach Georgsmarienhütte sei unproblematisch: der Holzhausener Gemeinderat sei einverstanden, wünsche jedoch eine Entschädigung. All dem stimme die Kreisleitung der NSDAP zu. Offen seien jetzt nur noch die Grenzfragen zwischen Georgsmarienhütte und Oesede, wobei es dabei lediglich um den Rehlberg und den halben Sportplatz gehe.409 Der Landrat hatte auch ganz bestimmte Vorstellungen, was die Zusammenlegung der beiden Gemeinden Oesede und Dröper anbelangte. Beide Gemeindeorgane seien gegen eine Zusammenlegung, das räumte auch Landrat Westerkamp ein. Eine Zusammenlegung werde trotzdem »reibungslos«410 vonstatten gehen, versicherte er dem Regierungspräsidenten. Für die Gemeinde Oesede hatte der Landrat eigene Vorstellungen. In dem Ort, der bisher durch einen ehrenamtlichen Bürgermeister verwaltet wurde, wollte er eine »tragfähige Verwaltung«411 einrichten. Der bisherige Bürgermeister scheide aus 403 404 405 406 407 408 409 410 411

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Altersgründen aus, sei aber auch für eine Zusammenlegung. Die Hauptwiderstände kämen von dem »zentrumskonservativen Bauerntum«412 und der negative Gemeindebeschluss sei der »eingefleischten Schwerfälligkeit« geschuldet. Man wolle aber statt einer Verwaltung mit überlieferten Bindungen eine moderne mit »frischen nationalsozialistischen Einflüssen«.413 Die Bevölkerung von Dröper sei ebenfalls für eine Zusammenlegung. Die Häuser von Dröper seien »planlos zerstreut«,414 es gebe keinen Mittelpunkt und die Bevölkerung gehe in Oesede einkaufen und zur Kirche. Es gelte auch, mit einer hauptamtlichen Verwaltung das Dröperaner Hinterland zu gestalten, führte Westerkamp weitere Gründe für eine Zusammenlegung an. Auf die Durchführung des Planes legten er und die Partei besonders großen Wert. Der Vollständigkeit halber sei noch die Zusammenlegung von Harderberg und Nahne erwähnt, die die Kreisleitung begrüße. Die Gemeinderäte lehnten diese jedoch ab, und er, der Landrat, habe Vorbehalte. Die Zusammenlegung dieser beiden Gemeinden war »nach den Grundsätzen der ländlichen Raumplanung nicht [Hervorhebung im Original. IB] erwünscht.«415 Welches diese Grundsätze der ländlichen Raumplanung waren, wurde nicht mitgeteilt. Auch Holsten-Mündrup, eine jener Zwerggemeinden mit 522 Einwohnern auf 573 ha,416 die eigentlich durch die Gebietsreform beseitigt und zu Bissendorf zugeschlagen werden sollte, fand Erwähnung. Diese Gemeinde verfüge über eine geringe Einwohnerzahl und große Ausdehnung. Sie sei eine Arbeiterwohnsitzgemeinde für Georgsmarienhütte und von »erkennbarer Entwicklungsfreudigkeit, so dass ihre unveränderte Erhaltung kein Nachteil zu sein braucht.«417 Es fehlt am Ende nicht der häufig wiederholte Hinweis, dass alles in »enger Fühlungnahme«418 mit der Partei erfolgt sei. Im Laufe des Februars 1937 erhielt der Landrat die erforderlichen Zustimmungen der anderen Behörden. Außer der Kreisleitung der NSDAP hielt die Handwerkskammer die Eingemeindung für »dringend wünschenswert«419, ebenso wie die Kreisbauernschaft, vertreten durch Meyer zu Holte, die keine Bedenken gegen die Pläne hatte.420 Die Kreisschulbehörde hatte ebenfalls keine 412 413 414 415 416 417 418 419 420

Ebd. Ebd. Ebd. Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 26. Februar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65 Nr. 355, Bd. 1. Adressbuch der Stadt und des Landkreises Osnabrück 1929–1930, S. 772. Osnabrücker Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 30. Januar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355, Bd. 2. Ebd. Landrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 18. Februar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65 Nr. 355, Bd. 1. Kreisbauerschaft an Landrat, Schreiben vom 16. Februar 1937, ebd.

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Einwände, da die betreffenden Gemeinden bereits jetzt schon einen Gesamtschulverband bildeten.421 Die Industrie- und Handelskammer hingegen begrüßte grundsätzlich das Vorhaben, machte aber den Einspruch des Klöckner-Werkes geltend, das sich ein größeres Gebiet vom Oeseder Gemeindegrund erhofft hatte.422 Der Brief stammte von 17. Februar 1937. Zwei Tage später wandte sich das Klöckner-Werk erneut an die Industrie- und Handelskammer und belegte mit neuen Argumenten das Interesse des Werkes an einer Ausdehnung der Gemeindefläche Richtung Oesede. Mit einer Verschiebung der Gemeindegrenzen erreiche Georgsmarienhütte eine zentrale Lage. Schule, Kirche, Postverhältnisse, Krankenhaus, Schwesternfürsorge, Gemeindeverwaltung, Parteistellen und DAF seien Einrichtungen, für die eine zentrale Lage von Vorteil sei. Georgsmarienhütte bilde Mittelpunkt und Rückgrat des ›Raumes‹ führten Direktor Allan Haarmann und Syndikus Erich Sperling an. Ganz im Gegensatz zu den Plänen des Landrates Westerkamp standen die Vorstellungen der Gemeinde Oesede. Der Oeseder Gemeinderat war gegen die Zusammenlegung mit Dröper. Die beiden Gemeinden hätten unterschiedliche Stromversorger, bei einer Zusammenlegung mit Dröper würde Oesede benachteiligt. Oesede hätte im Hinblick auf Gemeindezusammenlegungen einen anderen Wunsch: »Dagegen ist eine Zusammenlegung mit der Gemeinde Georgsmarienhütte für die Gemeinde Oesede wünschenswert.«423 Es gebe keine sichtbaren Begrenzungen zwischen den Gemeinden und beide verfügten über große Industrien. Nicht einverstanden war man auch mit der Umgemeindung einzelner Oeseder Parzellen nach Georgsmarienhütte, auf denen sich Werksanlagen befänden.424 Denn dafür bekomme die Gemeinde Steuern. Würden gerade diese Parzellen 421 422 423 424

Kreisschulrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 3. März 1937, ebd. Industrie- und Handelskammer (IHK) an Landrat, Schreiben vom 17. Februar 1937, ebd. Oeseder Gemeinderat an Landrat, Schreiben vom 16. Februar 1937, ebd. Die ohne Einverständnis durchgeführte Umgemeindung wurde 1961 noch einmal Thema, als die Gemeinde Georgsmarienhütte Anspruch erhob, das Grundstück, auf dem die Mittelschule gebaut werden sollte, nach Fertigstellung von Oesede nach Georgsmarienhütte umzugemeinden. Dagegen setzte sich der damalige Bürgermeister Wallrath Eichberg zur Wehr. Laut einem ausführlichen Protokoll aus dem Jahr 1961 schilderte er, wie die Umgemeindung von 1937 mit Bürgermeister Vocke (Oesede), Bürgermeister Schröder (Georgsmarienhütte) und Landrat Westerkamp so: Schröder habe behauptet, die Umgemeindung sei ein Anliegen der Anlieger der Hochstraße gewesen, Vocke habe eine Umgemeindung abgelehnt. Westerkamp habe behauptet, dass nichts geschähe, dem die beiden Gemeinden nicht zustimmen würden, dann sei die Besprechung abgebrochen worden. Nach dem Krieg seien die Seiten, die den Vorgang belegten, aber aus dem Protokollbuch entfernt worden, heute (1961) sei das Buch gar nicht mehr vorhanden, Protokoll einer Besprechung des Gemeinderates Oesede über das Mittelschulproblem am 13. November 1961, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 16, Ordner 45, Teil 1.

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nach Georgsmarienhütte umgemeindet, gingen der Gemeinde Steuereinnahmen verloren. Die beste Lösung sei aber diese: »Wenn nämlich die Gemeinden Georgsmarienhütte, Samtgemeinde Hagen, Samtgemeinde Oesede, Holzhausen und Harderberg mit dem Sitz in Georgsmarienhütte zu einem Zweckverband mit einheitlicher Kassenführung […] zusammengeschlossen würden«,425 dann könne auch die Bürgersteuer vereinheitlicht werden, die jetzt bei allen Gemeinden unterschiedlich sei. Die unterschiedlichen Positionen gab Landrat Westerkamp an den Regierungspräsidenten Eggers weiter, der wiederum berichtete dem Oberpräsidenten Lutze die Lage im Osnabrücker Landkreis. Am 5. März 1937 fasste Regierungspräsident Eggers die wesentlichen Punkte für die Zusammenlegungspläne noch einmal zusammen. Die Haltung des Klöckner-Werkes werde der Sache nicht gerecht, wurden die Wünsche noch einmal abgewiesen.426 Am 20. März 1937 stimmte der Oberpräsident427 der Zusammenlegung von Oesede und Dröper und in einem weiteren Schreiben vom gleichen Tag der Zusammenlegung von Georgsmarienhütte mit Malbergen und einigen Teilen von Oesede und Holzhausen zu.428 Die von Oesede nach Georgsmarienhütte umgemeindeten Parzellen hatten einen Umfang von 24,9 ha.429 Diese gegen den Willen der Gemeinde Oesede umgemeindete Fläche bestimmte 1969 den Aushandlungsprozess um den Namen der neuen Gebietskörperschaft mit. In allen Punkten hatte sich der Osnabrücker Landrat durchsetzen können. Dieser verfügte noch, dass der Georgsmarienhütter Gemeinderat nicht nur aus Werksangehörigen bestehen solle, sondern auch aus »freien Männern«.430 Diese Ergänzung431 werde eine nutzbringende Belebung der gemeindlichen Selbstverwaltung zur Folge haben. Abschließend sollte der derzeitige Bürgermeister 425 Oeseder Gemeinderat an den Landrat, Schreiben vom 16. Februar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355, Bd. 1. 426 Regierungspräsident an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover, Schreiben vom 5. März 1937, ebd. 427 Nicht der Reichsstatthalter wie in der DGO § 15 vorgesehen. 428 Oberpräsident der Provinz Hannover an den Regierungspräsidenten, zwei Schreiben jeweils vom 20. März 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355, Bd. 1. 429 Sie betrafen den halben Lammersbrink, den halben Forstweg (damals Heydeweg), den halben Rehlberger Sportplatz, den Schwarzen Weg, das Freudental, den 1937 benannten Heinrich-Stürmann-Weg bis zur L 95 und die halbe Hochstraße, Karten in der Akte NLA OS Dep 81b Nr. 150. 430 Landrat am 30. Januar 1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65, Nr. 355, Bd. 1. 431 Nach dem Krieg hieß es, der damalige Reichsinnenminister Frick habe angeordnet, dass »in den neuen Gemeinderat auch Persönlichkeiten berufen werden sollten, die nicht der NSDAP angehörten. So berief der damalige Bürgermeister Schröder unter anderen verdienstvollen Gemeindevertretern auch Herrn Bent in den Gemeinderat«, Gemeindedirektor Twiehaus an den Landrat, Schreiben vom 18. September 1962, NLA OS Dep 81b Nr. 5; Gustav Bent gehörte der SPD-Fraktion im Rat an, die 1933 aufgelöst wurde.

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von Malbergen als Angestellter in die Gemeindeverwaltung von Georgsmarienhütte aufgenommen werden. Am 1. April 1937 wurden die Gemeinen wie oben beschrieben zusammengelegt.

2.2.3. Auswertung

Überlegungen zur Landesplanung im Osnabrücker Land existierten bereits vor der ›Machtergreifung‹ 1933, die Ausarbeitung und die Umsetzung dieser Überlegungen fielen jedoch mitten in die NS-Zeit. Die Gebietsreform 1937 lässt sich daher nur beschreiben, wenn der Einfluss der Nationalsozialisten berücksichtigt wird. Diese waren in ihrer Haltung zum einen von Parteimitglied zu Parteimitglied unterschiedlich, und zum anderen hatten nationalsozialistische Entscheidungsträger selbst eine ambivalente Haltung zum Thema Gebietsreform, die im Wesentlichen aus der Zusammenlegung kleinerer Gemeinden zu größeren Gebietskörperschaften bestand. Die Ambivalenz bestand darin, dass einerseits die »gesunden, eigenständigen Gemeinwesen am Rande der Stadt«432 bei einer Reform nicht zerschlagen werden sollten und anderseits der Landrat Sorge hatte, dass die Zwerggemeinden seines Kreises ihre Aufgaben im Mobilmachungsfall organisatorisch nicht bewältigen könnten.433 Bei den Gemeinden im Untersuchungsgebiet kam noch eine Besonderheit hinzu: In der 1860 gegründeten ›Industriegemeinde‹ Georgsmarienhütte arbeitete ein Stahlwerk, das 1937 zum ›Wehrwirtschaftsbetrieb‹ ernannt wurde und Aufträge aus dem öffentlichen Bereich erhielt. Im Sog des Arbeitsplatzangebotes zogen Menschen in die Region, für die kein ausreichender Wohnraum vorhanden war. Die Umwandlung von Bauernland in Bauland brachte die Nationalsozialisten in einen neuen Zwiespalt. Einerseits war das Stahlwerk – wie die Industrie überhaupt – wichtiger Kooperationspartner bei allen Kriegsvorbereitungen,434 andererseits bevorzugten die Nationalsozialisten aus ideologischen Gründen »das Bauerntum als Lebensquell der deutschen Nation«.435 Mehr 432 Bericht des Landrates (unvollständig) vom 16. Februar 1937, NLA OS Dep 116 Akz 2001/059 Nr. 102. 433 Adelheid von Saldern: Symbolische Stadtpolitik-Stadtpolitik der Symbole, in: dies. (Hg.): Inszenierter Stolz, Stuttgart 2005, S. 29–80, hier S. 65. 434 Blaschke geht sogar von einem Primat der Rüstungsindustrie aus, dem die Landwirtschaft untergeordnet sei, vgl.: Blaschke: Zwischen ›Dorfgemeinschaft‹ und ›Volksgemeinschaft‹, S. 76. 435 Aus dem Pfannschmidt-Gutachten zur Begründung der Stadt Osnabrück für Eingemeindungen aus dem Jahr 1935, NLA OS Dep 116 Akz 2001/059 Nr. 102; Geprägt wurde das Bild einer nationalsozialistisch überhöhten ›Volksgemeinschaft‹ vom Reichsbauernführer Richard W. Darr8, vgl.: Blaschke: Zwischen ›Dorfgemeinschaft‹, S. 72.

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noch: wie eine Untersuchung zu niedersächsischen Industriestädten aus dem Jahr 1941 zeigt, missbilligten sie Mietskasernen im Umfeld der Industrie als »Brutstätte von Krankheit und Unmoral«,436 und sie befürchteten, dass »die Zusammenballung großer Menschenmassen und Wirtschaftseinrichtungen an einigen wenigen Punkten […] sich militärisch verhängnisvoll auswirken«437 könne. Die Landbevölkerung von den mutmaßlich schädigenden Einflüssen der Industrie fernzuhalten, war eines der aus der Blut- und Bodenideologie hervorgegangenen Postulate.438 Ein weiteres Konfliktfeld kennzeichnete das ›Dritte Reich‹: Es war gekennzeichnet von einer Doppelstruktur, die einerseits die Partei und andererseits staatliche Behörden umfasste. Behörden, die sich auf Verwaltungsfachleute stützten, waren innerhalb dieser Struktur eindeutig besser aufgestellt, als die Partei, deren Funktionäre aus den Reihen der Parteikämpfer rekrutiert wurden und ansonsten mit Verwaltung überfordert waren. Die Gebietsreform wurde staatlicherseits von oben angestoßen und gab dem Osnabrücker Landrat einen Wissensvorsprung. Von Anfang an dominierte Westerkamp das Geschehen. Dabei wurde seine nationalsozialistisch eingefärbte Haltung zur raumplanerischen Entscheidung mehr als deutlich. Die Zwerggemeinden sollten beseitigt werden, aber kleinere Gemeinden erhalten bleiben. ›Volksnähe‹ war erwünscht, und Großgemeinden sollte es im Landkreis Osnabrück nicht geben,439 so verkaufte der Landrat die Gebietsreform in der Öffentlichkeit. Tatsächlich ging es ihm darum, den Industriestandort Georgsmarienhütte zu schwächen und den politischen Einfluss des Werkes deutlich zurückzudrängen. Dabei ging es auch um ein Machtspiel zwischen Werksleitung und Landrat, wie bei der Besiedlung des Rehlbergs deutlich wurde. Dass bei dieser Einstellung der Wunsch der Gemeinde Oesede nach Zusammenlegung der beiden Werksgemeinden kein Gehör fand, ist nicht verwunderlich. Ohnehin waren Meinungsäußerungen und Gemeinderatsbeschlüsse ohne die geringste Bedeutung für die Entscheidung. Aus Machtkalkül und nationalsozialistischer Landverklärung wollte der Landrat die Gemeinde Oesede stärken.440 Genau wie Georgsmarienhütte sollte diese, obwohl weit unter der Sollmarke von 10.000

436 Rudolf Klöpper : Niedersächsische Industriekleinstädte siedlungsgeographisch betrachtet, Oldenburg 1941, S. 7. 437 Ebd. 438 Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 277. 439 »Zusammenlegung von Gemeinden im Landkreis Osnabrück«, OT 25. März 1937. 440 Diese landrätliche Einstellung blieb auch bei Westerkamps Nachfolger Gustav Lemke bestehen. Als das Hüttenwerk ein Fallwerk auf Oeseder Gemeindegrund errichtete, legte der Landrat sein Veto ein, weil er befürchtete, »dass dadurch ein Anstoss zur Verschmelzung der Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte gegeben würde, die auch in Zukunft selbständige Gemeinden bleiben müssten«, NLA OS Rep 430 Dez 502 Akz 24/96 Nr. 106.

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Einwohnern_innen, einen hauptamtlichen Bürgermeister und ein Rathaus bekommen. Nur die Kreisleitung der NSDAP hätte auf die Entscheidung des Landrates Einfluss nehmen können. Formal war die Kreisleitung dem Landrat zugeordnet und Westerkamp betonte, alle Entscheidungen seien »im Einvernehmen mit dem Kreisleiter vorgenommen«441 worden. Schriftstücke, die das belegen, befinden sich aber nicht im Aktenbestand. So bleibt abschließend festzustellen, dass weder das Werk als ›Wehrwirtschaftsbetrieb‹ mit Aufgaben im Vierjahresplan eine Chance hatte, den Verlauf der kommunalen Grenzen zu bestimmen, noch die Kreisleitung. Dass die Kommunen in diesem Aushandlungsprozess keinerlei Mitbestimmungsrecht hatten, ist vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Herrschaftsprinzipien erwartbar gewesen. Dass aber der Landrat über eine derartige Machtfülle verfügte, die ihn zum alleinigen Bestimmer in der Aushandlung machte, ist als durchaus bemerkenswertes Ergebnis dieses Prozesses festzuhalten. Rund 80 Jahre nachdem das Werk die Machtverhältnisse442 in der kommunalen Landschaft nachhaltig verändert hatte, hatte sich das Gefüge erneut verschoben. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 übernahmen Personen die Verwaltung, die das nationalsozialistische Gedankengut verinnerlicht hatten; sie setzten mittels nationalsozialistischer Herrschaftsprinzipien wie dem ›Führerprinzip‹ ihre Raumideen um. Dies wird besonders im Wirken des Landrates Westerkamp sichtbar. Dieser bündelte in seiner Person nicht nur die institutionelle Macht, hinter der ein wirkungsvoller Verwaltungsapparat stand, sondern er war auch eingebunden in ein persönliches Netzwerk. Regierungspräsident Eggers ließ ihn trotz Schwierigkeiten mit der Kreisleitung in Georgsmarienhütte gewähren. Als Eggers 1937 starb, brach Westerkamp eine wesentliche Schutz- und Machtkomponente weg. Doch vorher hatte er die Gebietsreform noch durchführen können. Ihm zur Seite stand der Kreisbaumeister Paul Gerhardus, der mit ihm zusammen die Gestaltung der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg entwickelt hatte. Westerkamps und Gerhardus’ Raumvorstellungen wurden entgegen den Vorstellungen der betroffenen Gemeinden wirksam. Diese wurden – genau wie andere Verbände auch – zwar gefragt, wirksam wurden sie aber nicht. Dabei hatten die gefragten Akteure durchaus dezidierte Vorstellungen von der Gestaltung des Gebietes. Die Gemeinde Oesede, die seit acht Jahrzehnten für die ›Industriegemeinde‹ die Wohnungsprobleme mit allen Folgekosten gelöst 441 OT, 25. März 1937. 442 Werlens These, dass die räumlichen Bedingungen des Handelns als Ausdruck von Machtverhältnissen begreifbar sind, findet hier ihre Bestätigung, vgl.: Werlen: Globalisierung, Region und Regionalisierung, S. 65.

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hatte, hätte gerne mit Georgsmarienhütte zusammengelegt werden wollen. Die Gemeinde Georgsmarienhütte äußerte sich nicht, wirkte aber über Killing und Dipl. Ing. Esders am Meinungsbildungsprozess mit. Diese vertraten Werksinteressen, für deren Vertretung die Industrie- und Handelskammer eingeschaltet wurde. Diese gab die Schreiben ihrer Schützlinge, deren Interessen sie vertreten sollten, in wortgleicher Abschrift an den Landrat weiter. Darin wird zumindest die Raumvorstellung des Werkes deutlich: Mit einer Erweiterung des Georgsmarienhütter Gemeindegebietes zu Lasten des Oeseder Ortskerns und weiteres Siedlungsgebiet aus dem Oeseder Gemeindebezirk verschöbe sich die Lage des Industriestandortes in der kommunalen Landschaft. Die Vorschläge stellten einen Versuch dar, noch einmal weit über die eigentlichen Produktionsbedürfnisse hinaus, raumwirksam zu werden. Doch der Landrat war der Industrie nicht gewogen. Zwar wurde die Industrie für Rüstungsaufgaben gebraucht, doch die Begleiterscheinungen eines großen Industriebetriebes bereiteten dem Landrat genau wie seinem Vorgänger und seinem Nachfolger im Amt Unbehagen. Eine Industriestadt mit Menschenmassen, deren Handeln nicht kontrolliert werden konnte, behagte dem Landrat nicht. Auch gäbe er mit einer zentralgelegenen, dominierenden Gemeinde innerhalb der kommunalen Landschaft dem Werk eine Machtbasis an die Hand, die dem Landrat gefährlich werden konnte. Schon im Vorfeld der Gebietsreform erwies sich das Werk als ein widerspenstiger Verhandlungspartner, wenn es um den Bau weiterer Siedlungen ging. Letztlich ging es um das Recht, den Raum so zu gestalten, soziale Güter so zu arrangieren, dass Machtverhältnisse sichtbar wurden. Mit dem Bau der Siedlung auf dem Rehlberg hatte der Landrat nicht nur dem Werk eine ihm untergeordnete Rolle zugewiesen, sondern auch dem mit Dröper wenig fusionswilligen Oesede gezeigt, wer in der kommunalen Landschaft das Sagen hat. Von Oesede aus konnte man die Siedlung auf dem ehemaligen Oeseder Gemarkungsgebiet weithin sehen und erkennen. Dieses Vorgehen des Landrats entfaltete erst viel später, nämlich im Zuge der Gebietsreform Ende der 1960er Jahre, sein ganzes Konfliktpotential. Die Konfliktlinie verlief nicht wie man vermuten könnte zwischen Landrat und Kreisleitung, auch nicht zwischen den einzelnen Kommunen, die im Falle von Oesede und Dröper wenig Neigung hatten zu fusionieren, die Konfliktlinie verlief zwischen den mächtigsten Akteuren der Region: dem Landrat und den Werksdirektoren. Dass der Landrat über das größere Machtpotential verfügte, erschließt sich erst auf den zweiten Blick und gründete in der Schwäche des Werkes. Dieses wandte sich zwecks Intervention an die Industrie- und Handelskammer, die nicht viel erreichen konnte. Offensichtlich fehlte der Werksleitung eine Vernetzung in die höheren Ebenen der nationalsozialistischen Verwaltung.

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Der Landrat zeigte aber nicht nur der Werksleitung, wer die Raumordnung für die kommunale Landschaft vornahm, sondern auch der Gemeinde Oesede. Ein hauptamtlicher Bürgermeister wurde in Oesede etabliert, obwohl die Einwohner_innenzahl eine hauptamtliche Leitung des Ortes noch lange nicht rechtfertigte. Mit dem Ausbau von Oesede als nationalsozialistischer Landgemeinde mit einem Rathaus, in dem auch die Parteigliederungen tagen könnten und einem Aufmarschplatz für die Partei, sollte ein Ausgleich zur ›Industriegemeinde‹ Georgsmarienhütte erfolgen, die bereits über diese sozialen Güter verfügte. Wie in einem Mobile drückte der Landrat Georgsmarienhütte ein Stück abwärts, während er die Gemeinde Oesede nach oben zog, so dass beide zumindest theoretisch gleichauf waren. Denn – auch das zeigt die Beschreibung der Machtverhältnisse – die Gemeinde Georgsmarienhütte war nicht in der Lage, jenseits des Werkes eigene Vorstellung, wie ihr Ort zukünftig aussehen sollte, zu entwickeln. Sie ließ sich widerstandlos von der Werksleitung einnehmen. Werk und Gemeinde waren zwar seit 1918 räumlich und politisch getrennt, bemerkbar machte es sich in der Arbeit der Gemeindeverwaltung aber nicht. Das Agieren des Landrates zeigt deutlich eine nationalsozialistische Vision: »Darin ging es nicht nur um politische Herrschaft oder Propaganda, sondern um kulturelle Leitbilder, um die Frage, wie das Leben eingerichtet werden soll.«443 Das Dorf in der »harmonische[n] Landschaft in der der Volksgenossen-Mensch mit der Natur wieder zur Einheit gefunden hat«,444 sollte die Grundlage für Entwicklung und Entfaltung einer »germanischen Rasse«445 bilden. Es sollte ein Gegengewicht darstellen »gegen […] das Chaos und die Anarchie der urbanen Wucherungen«,446 wie sie für Georgsmarienhütte befürchtet wurden, wenn das Werk sich weiter entwickelte.

2.3. Das Scheitern der Zusammenlegung von Georgsmarienhütte und Oesede 1951 Grundlage für die Änderung von Gemeindegrenzen nach dem Zweiten Weltkrieg war immer noch die Deutsche Gemeindeordnung aus dem Jahr 1935, die am 1. April 1946 mit der Verordnung Nr. 21 von der britischen Militärregierung an demokratische Verhältnisse angepasst wurde, und das am 10. Februar 1948 erlassene Gesetz über die Zuständigkeit zur Änderung der Grenzen von Ge443 Schlögel: Im Raume, S. 53. 444 Ebd. S. 54. Zum nationalsozialistischen Leitbild des Dorfes, vgl. auch Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 224. 445 Schlögel: Im Raume, S. 53. 446 Ebd.

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meinden und Kreisen.447 Gemeindegrenzen konnten nach wie vor »aus Gründen des öffentlichen Wohls«448 geändert werden, und »immer muss das öffentliche Wohl eine derartige Maßnahme erfordern.«449 Die Neubildung und Auflösung einer Gemeinde war an »schwerste Bedingungen«450 geknüpft. Beide Vorgänge geschahen in der Form eines Gesetzes und stellten somit einen Hoheitsakt dar.451 Der Wunsch zweier Gemeinden sich aufzulösen und eine neue zu bilden, wurde in der Regel an die kommunale Aufsichtsbehörde – das war der Landkreis – herangetragen, die eine Stellungnahme zu dem Begehren zu schreiben und an die nächsthöhere Behörde weiterzuleiten hatte, damit eine Regierungsvorlage im Landtag vorbereitet wird. Der Gesetzgeber sah ein aufwändiges Verfahren vor, in dem übergeordnete und »unabhängige Stellen«452 prüften, ob eine Zusammenlegung tatsächlich im Interesse des öffentlichen Wohles lag. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit einem frühen Versuch in den Jahren 1951/1952 die Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede aufzulösen und beide in eine neu zu gründende Gemeinde zu überführen. Es wird zunächst dargestellt, in welcher Situation sich die beiden Gemeinden befanden, bevor 1951 das erste Gespräch zur Zusammenlegung stattfand. Dabei wird auch Zahlenmaterial ausgewertet, das die Situation Mitte der 1950er Jahre schildert. Auf diese Weise werden Tendenzen sichtbar, die den Rahmen der Verhandlungen in den Jahren 1951/1952 noch einmal deutlicher zutage treten lassen. Das kommunale Geschehen in den ersten Jahren nach 1945 wurde geprägt von häufigen Umbesetzungen. Bürgermeister wurde vorgeschlagen, bestätigt und wieder abgesetzt, wenn sich herausstellte, dass sie politisch vorbelastet und Mitglieder der NSDAP gewesen waren oder wenn sie woanders gebraucht wurden.453

447 Der Georgsmarienhütter Gemeindedirektor Twiehaus erkundigte sich beim RichardBoorberg-Verlag, der juristische Schriften herausgab, über das Vorgehen bei einer Zusammenlegung in einem Schreiben vom 29. Mai 1951, die Antwort des Verlages ist undatiert, NLA OS Dep 81 b, Nr. 150. 448 Ebd. 449 Ebd. 450 Ebd. 451 §1 Abs. 1 Grenzänderungsgesetz von 10. Februar 1948, ebd. 452 Schreiben des Richard-Boorberg-Verlages an Gemeindedirektor Twiehaus, undatiert, ebd. 453 Im unmittelbaren Nachkriegsgeschehen setzte überall im ›Deutschen Reich‹ eine erste Phase der Entnazifizierung ein, die aus Amtsenthebungen, Verhaftungen und Internierungen exponierter Personen bestand. Auf die freigewordenen Posten wurden Personen gesetzt, die kein Mitglied der NSDAP gewesen und die durch die Nationalsozialisten 1933 im Zuge der Gleichschaltung aus dem Amt gedrängt worden waren, vgl.: Sabine Mecking: »Immer treu«, Kommunalbeamte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Essen 2003, S. 269 und S. 247.

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Als die Herausforderungen der ersten Nachkriegsjahre bewältigt und politische Kontinuitäten in Gang gesetzt waren, erfasste der Wirtschaftsboom nach der Währungsreform 1948 auch das Untersuchungsgebiet. In diesem Zeitraum tauchte 1951 im Georgsmarienhütter Gemeinderat der Gedanke auf,454 die beiden Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede zusammenzulegen. Mitgetragen wurde dieser Gedanke vom Stahlwerk, das hochrangige Vertreter in beiden Gemeinderäten hatte. Fünf Mal455 trafen sich die Gemeinderatsmitglieder beider Gemeinden, um eine Zusammenlegung zu besprechen. Die Einladungen wurden abwechselnd ausgesprochen, Tagungsort war mal in Georgsmarienhütte, mal in Oesede. Am 13. Mai 1952 tagte der Zusammenlegungsausschuss zum letzten Mal auf Einladung der Gemeinde Georgsmarienhütte in der Gaststätte Ludwig am Osterberg auf Georgsmarienhütter Gemeindegrund. Die Sitzung endete mit der Vereinbarung, dass die nächste Sitzung in 14 Tagen in Oesede stattfinden solle. Die Gemeinde Oesede sprach jedoch keine Einladung aus.456 Die Verhandlungen waren gescheitert. Im Folgenden werden die fünf an dem Aushandlungsprozess Beteiligten hinsichtlich ihrer Nachkriegsentwicklung vorgestellt. Es waren dies die Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede, der Landkreis Osnabrück und die Bezirksregierung Osnabrück, die Landwirte aus Oesede und das Stahlwerk mit ihren jeweiligen Vertretern innerhalb und außerhalb der Gemeinderäte. Bürger_innen waren und wurden an der Aushandlung nicht beteiligt. Sodann wird der Gang der Verhandlungen geschildert und abschließend eine Bewertung der Ereignisse vorgenommen.

454 Bürgermeister Ludwig Spellbrink in der Sitzung am 27. Juni 1951: Man habe keine Hintergedanken oder besondere Absichten gehabt. Der Gedanke zur Zusammenlegung sei aufgetaucht und erörtert worden, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 455 9. April 1951 in der Gastwirtschaft Ludwig in Georgsmarienhütte; 27. Juni 1951 in einer Gastwirtschaft in Oesede; 17. Juli 1951 in der Gastwirtschaft Anton Schmitz in Georgsmarienhütte; 8. November 1951 in der Gastwirtschaft Lückefahr in Oesede; 13. Mai 1952 in der Gastwirtschaft Ludwig in Georgsmarienhütte, ebd. 456 Es war tatsächlich von Oesede aus ein weiterer Sitzungstermin anberaumt worden, an dem Oberbaurat Meyer teilnehmen sollte. Da er aber verhindert war, wurde der neue Termin auf die Zeit nach Pfingsten 1952 verschoben. Schreiben Gemeindedirektor Börger (Oesede) an Gemeindedirektor Twiehaus (Georgsmarienhütte) vom 20. Mai 1952, ebd.

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2.3.1. Die Beteiligten 2.3.1.1. Die Gemeinde Oesede 1945–1955 In Oesede waren die personellen Verhältnisse in den ersten Nachkriegsjahren nicht stabil, das Personal wurde einige Male ausgewechselt. Gegen den unmittelbar nach dem Krieg eingesetzten Bürgermeister Gartmann wurde am 5. Januar 1946 beim Landkreis ein Antrag auf Absetzung wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt.457 Ihm folgte im Amt Fritz Heringhaus, der am 30. Oktober 1946 in sein Amt eingeführt wurde. Als Gemeindedirektor wurde Wilhlem Dabrock ernannt, doch auch er wurde der Mitgliedschaft in der NSDAP beschuldigt. Er verstarb am 5. April 1947, und Heinrich Kasselmann wurde neuer Gemeindedirektor in Oesede. Kasselmann wurde vom Landkreis nicht bestätigt, weil bei seiner Wahl Fehler gemacht worden seien.458 Mitte 1947 wurde Heinrich Börger,459 der nicht mit einer NSDAP-Vergangenheit belastet war, vom Gemeinderat für ein Jahr zur Probe ins Amt des Gemeindedirektors gewählt. Nach Ablauf des Probejahres wurde er für 10 Jahre als Wahlbeamter eingestellt. Heinrich Börger war von 1945–1946 Bürgermeister in Kloster Oesede und während der Nazi-Zeit kaufmännischer Angestellter bei der Firma Albert Diekmann, später bei den Vereinigten Eisenbahnsignalwerken. Fast zeitgleich ins Bürgermeisteramt kam der gebürtig aus Oesede stammende Wallrath Eichberg, der bis zu seinem Tod 1963 im Amt blieb.460 Seine frühere Mitglied457 Antrag von Bürger_innen an den Landkreis, Schreiben vom 5. Januar 1946, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 92. 458 Ebd. 459 Heinrich Börger wurde am 12. Oktober 1912 in Kloster Oesede geboren. Er besuchte von 1919–1927 die kath. Volksschule in Kloster Oesede und ging anschließend von 1927–1930 zur kaufmännischen Fortbildungsschule in Georgsmarienhütte, zeitgleich machte er eine Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten bei den Eisenbahnsignalwerken in Georgsmarienhütte. Er arbeitete zwei Jahre in dem Unternehmen, wechselte von 1936–1937 zur Firma Albert Diekmann in Osnabrück und kehrte 1939–1945 zu den Vereinigten Eisenbahnsignalwerken nach Georgsmarienhütte zurück. Er hatte einen Militärdienst absolviert. Nach Kriegsende wurde er bis September 1946 Bürgermeister in Kloster Oesede und bewarb sich dann erfolgreich als Gemeindedirektor in Oesede, wo er bis 1958 tätig war, ebd. 460 Wallrath Eichberg wurde am 7. Mai 1898 als Sohn des Försters Ludwig Eichberg im Forsthaus in Oesede geboren. Er lernte bei den Klöckner-Werken Elektriker und wurde nach seiner Gesellenprüfung Soldat im Ersten Weltkrieg. Nach seiner Rückkehr machte er 1926 seinen Meister und gründete ein Elektrofachgeschäft, das Anfang der 1960er Jahre 30 Beschäftigte zählte. Seit 1927 setzte er sich für die Belange der Freiwilligen Feuerwehr ein, im gleichen Jahr hob er die Oeseder Freiwillige Feuerwehr aus Taufe, ab 1933 versah er das Amt des Ortsbrandmeisters. 1955 wurde er zum Ehrengemeindebrandmeister ernannt. Bereits während der NS- Zeit war er kommunalpolitisch engagiert. Von Mai 1942 bis Mai 1945 bekleidete er als 1941 in die NSDAP eingetretenes Mitglied das Amt des hauptamtlichen Bürgermeisters. NLA OS Rep 980 Nr. 110 21. Nach dem Krieg trat er 1948 in die CDU

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schaft in der NSDAP spielte keine Rolle. Die Verwaltung bestand Mitte der 1950er Jahre aus drei Arbeitern, acht Angestellten und zwei Beamten.461 Die Gemeinde Oesede verzeichnete in der Nachkriegszeit einen Zustrom an 1.382 Flüchtlingen und Vertriebenen,462 was einem Anteil an der Bevölkerung von knapp 29 % entsprach. Im Jahr 1939 umfasste die Gemeinde 4.771 Einwohner, 1946 waren es 6.153 Einwohner. Im Laufe der nächsten Jahre zogen weitere Menschen in die Gemeinde, weil sie im Stahlwerk beschäftigt waren. 1951 waren 6.630 Einwohner_innen in Oesede gemeldet. Die Gemeinde musste möglichst schnell die Ausweisung von Baugebieten vornehmen. »Der soziale Wohnungsbau ist das Gebot der Stunde«,463 meldete eine regionale Tageszeitung 1949. Am Nordrand der 1926 gegründeten Dörenberg-Siedlung464 wurde 1949 ein Baugebiet, die Hermann-Löns-Siedlung, ausgewiesen, das 25 Bauplätze umfasste. Gebaut werden sollten 25 Zweifamilienhäuser mit Wohnungen in der Größe von jeweils 50 qm. Jede Wohnung bot einen Wohnraum mit Kochnische und jeweils ein Eltern- und Kinderschlafzimmer, Bad und Flur. Im Garten standen Stall und der Abort. Eine neue Bauweise aus Schüttbeton ermöglichte

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ein und engagierte sich erneut. 1949 wurde er wieder Bürgermeister der Gemeinde Oesede und vertrat die Belange der Gemeinde im Mittelschulzweckverband und im Samtgemeindeverband Oesede-Kloster Oesede und im Abwasserbeseitigungsverband ›Obere Düte‹. Ferner wirkte er im Feuerlöschverband und in der Verkehrswacht Oesede mit. Er verstarb am 7. Oktober 1963 während seines Urlaubs in Garmisch-Partenkirchen an den Folgen eines Verkehrsunfalls im Alter von 65 Jahren, Nachruf in der OT, vom 8. Oktober 1963. NLA OS Dep 81 b Nr. 150. Haverkamp fasst die Nachkriegszahlen etwas weiter und berücksichtigt den Bevölkerungsanstieg bis 1951. In diesen Zahlen können aber durchaus Zugezogene sein, die Arbeit auf dem Hüttenwerk suchten, das nach der Währungsreform vermehrt Personal einstellte. So kommt Haverkamp auf eine höhere Zahl, nämlich 1.821 Vertriebene und Evakuierte. Der Prozentsatz bleibt aber in etwa bestehen, rund ein Drittel der Bevölkerung in Oesede bestand aus Neubürger_innen, vgl.: Christof Haverkamp: Aspekte zur Bevölkerungs- und Industriegeschichte Oesede im 19. und 20. Jahrhundert, in: Junge Stadt – Alte Traditionen. Festschrift anläßlich 900 Jahre Kirche in Oesede, 825 Jahre Kloster Oesede, 135 Jahre Georgsmarienhütte, 25 Jahre Stadt Georgsmarienhütte, hrg.v. der Stadt Georgsmarienhütte, Osnabrück 1995, S. 205–213, hier S. 211. »Der soziale Wohnungsbau ist das Gebot der Stunde«, NT, 23. August 1949. Am 26. April 1926 wurde der Kleinsiedlungsverein Dörenberg gegründet. Das Gelände von 43.000 qm gehörte dem Hüttenwerk, das es für die Produktion nicht verwenden konnte. Viel mehr benötigte es für seine Belegschaft Bauplätze in der Nähe des Werkes. Viele Belegschaftsmitglieder hatten einen Fußweg von mehr als zwei Stunden zum Arbeitsplatz, um diese Wegstrecke zu verkürzen, war das Werk auf die Ausweisung von Baugebieten in der Gemeinde Oesede angewiesen. Das Gelände bot 41 Bauplätze zu je 1.000 qm, d. h. eine Gartenwirtschaft zur Deckung des Eigenbedarfs an Obst und Gemüse war eingeplant. Die Aufschließung des Geländes mussten die Siedler in Eigenleistung vollbringen. Nach der Schicht bauten die Männer an der Kanalisation und Frauen und Kinder kümmerten sich um den Wegebau. Der Verein betrieb eine Wassergenossenschaft und ein Klärwerk, das später von der politischen Gemeinde übernommen wurde, »Die Straßenbeleuchtung war damals eine Sensation«, NOZ, 26. April 1986.

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kostengünstiges Bauen. Die Schalungen wurden von einer Baustelle zur nächsten gebracht, das bedeutete, dass jedes Haus exakt wie das andere aussah. Dem Schüttbeton wurden Hüttenschlacke, einem Abfallprodukt des Stahlwerkes und Bimsstoffe beigemischt. Die ›Siedler‹ waren zu 60 % Beschäftigte des Stahlwerkes, ein kleiner Teil arbeitete bei den Vereinigten Eisenbahnsignalwerken und der Rest waren Handwerker. Es seien auch Ostflüchtlinge darunter, berichtete eine Tageszeitung.465 10.000 DM kostete ein Haus. Der günstige Preis kam zustande, da die ›Siedler‹ einen beträchtlichen Anteil Eigenleistungen erbrachten und das Stahlwerk Unterstützung in Form von zinslosen Darlehen und den Verkauf günstiger Baumaterialien gewährte. Das Stahlwerk selbst holte sich Unterstützung beim Land Niedersachsen. Arbeitsdirektor Hille vermittelte die Übernahme der Baukosten durch das Land zu 75 %.466 Weitere Baugebiete waren in Planung und wurden im Verlauf der 1950er Jahre realisiert. Die Siedlung Kiffenbrink wurde schon 1939 geplant und 16 Häuser waren auf dem ehemaligen Gelände des Bauern Garthmann gen. Brünemann realisiert worden.467 Für die Anfang der 1950er Jahre geplanten 200 weiteren Wohnungen – gebaut wurden tatsächlich 236 – opferte Oesede »wertvollen Gemeindebesitz«.468 Die Kosten für die Vorarbeiten beliefen sich auf 2,5 Mio. DM, Bauträger war die Soziale Wohnungsbaugenossenschaft, deren Leiter der Ortsplaner Lüers war.469 Die Bewohner waren hauptsächlich »tüchtige Facharbeiter«,470 die aus allen Teilen des Landes kamen, um im Werk zu arbeiten.471 Eine Erweiterung der Siedlung wurde geplant.472 Weitere 200 Wohnungen entstanden auf dem Stallbrink, die 1952 hauptsächlich von Menschen bezogen wurden, die bislang in Baracken und »Elendsquartieren«473 gewohnt hatten. Bauträger war ebenfalls die Soziale Wohnungsbaugenossenschaft. Das Gelände gehörte zuvor den Grundstücksbesitzern Vocke, der Kirchengemeinde, Schmidt, Heuer und Brink-Gehrmeyer,

465 »Oesede gab Beispiel«, NT, 2. August 1950. 466 »Neue Dörenberg – Siedlung mit 25 Bauten«, NT, 13. August 1949 und »Häuser aus Schüttbeton in der Dörenberg-Siedlung«, NT, 23. August 1949; »Oesede gab Beispiel«, NT, 2. August 1950; »So soll es sein: Arbeiter bauen eigenes Heim«, 20. Oktober 1949, ohne weitere Quellengabe, abgelegt in: Pressespiegel der Stadt Georgsmarienhütte. 467 »Die Siedlung Kiffenbrink«, BNV 19. Februar 1939. 468 »Richtkranz über dem Kiffenbrink«, NT, 16. Juni 1953. 469 Ebd. 470 Ebd. 471 Ebd. 472 »Oesede: Bald 8000 Einwohner 440 Wohnungen in zwei Siedlungen«, NT, 26. September 1953. 473 »Oesede erhält 400 Wohnungen«, NT, 11. Oktober 1952.

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mit denen Bürgermeister Eichberg zuvor schwierige und zeitraubende Gespräche geführt habe.474 Für den Bau von Eigenheimen setzte sich das Stephanswerk ein, das solche Projekte fördern wollte. Die katholische Kirchengemeinde stellte dem Stahlwerk Gelände zur Verfügung und bekam dafür Austauschgelände an anderer Stelle. Dieses Gelände – südlich der Karolinenhöhe und Am Kiffenbrink – sollte nach den Vorstellungen des Stephanswerkes nicht mit Reihenhäusern bebaut werden, da freistehende Eigenheime für kinderreiche Familien geeigneter seien. Man wolle aber auch deshalb Eigenheime schaffen, da »man auf diesem Wege einen Wall gegen das Kollektiv aus dem Osten«475 errichte. Das Land Niedersachsen und das Stahlwerk unterstützten den Ausbau der Siedlungen Stallbrink und Kiffenbrink.476 Die Siedlungstätigkeit der Gemeinde Oesede galt als beispielhaft. Als der Niedersächsische Sozialminister Heinrich Albertz im Jahr 1953 die beiden Siedlungen Am Kiffenbrink und Stallbrink besichtigte, brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, der Siedlungsbau der Oeseder werde in ganz Niedersachsen Schule machen.477 Doch die Entwicklung hatte auch eine Kehrseite, die Bürgermeister Eichberg keine Freude bereitete: »Der Zuwachs von über 1000 neuen Gemeindemitgliedern verlange die Errichtung neuer Schulen, einer evangelischen Kirche, einer Turnhalle und die Schaffung einer guten Verbindung zwischen den Randsiedlungen und dem Dorfkern«.478 Dies alles sei mit eigenen Mitteln aber nicht zu finanzieren, teilte er Minister Albertz öffentlich mit.479 Zur Kehrseite gehörten auch die neuen Anforderungen an die Wasser- und Abwasserentsorgung. Vor allem letzteres bereitete den Oesedern Sorgen. Bereits 1950 gab es in der Oeseder Freibadeanstalt »in hygienischer Hinsicht« Probleme.480 Im Juni 1952 musste das Bad auf Anweisung der Gesundheitsbehörde geschlossen werden, da Abwässer der neuen Siedlung Stallbrink in den Mühlenteich flossen.481 Die Abwässer der Gebäude Am Thie – also mitten im Oeseder Ortskern – rannen noch 1952 ungeklärt482 in die Gosse vor den Häusern.483 Die 474 »Oesede: Bald 8000 Einwohner. 440 Wohnungen in zwei Siedlungen«, NT, 26. September 1953. 475 »Stephanswerk Oesede leistet Beitrag zur Behebung der Wohnungsnot«, NT, 23. Juli 1952. 476 Gerhardus-Gutachten 1956, S. 10f., NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. 477 »Richtkranz über dem Kiffenbrink«, NT, 16. Juni 1953. 478 Ebd. 479 Ebd. 480 »Der Schandfleck ›Poggenteich‹ in Oesede«, OT, 24. Mai 1950. 481 »Jugend ohne Bademöglichkeit«, OT, 21. Juni 1952. 482 Oesede war kein Einzelfall. Noch 1968 erhielten im Altkreis Osnabrück erst 69 % der Bevölkerung Trinkwasser aus einer zentralen Versorung und lediglich 56 % leiteten ihre Abwässer einer Kläranlage zu, vgl.: Hedwig Schrulle: Die Nachkriegszeit: Militärische

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Abwässer einiger weiterer Siedlungen flossen Mitte der 1950er Jahre ebenfalls ungeklärt in die Düte oberhalb des Stahlwerkes. Zwar wurden Kläranlagen und Rohrnetze geplant und teilweise auch ausgeführt, aber das Problem der Abwasserbeseitigung konnte nur im Verbund mit mehreren Gemeinden gelöst werden, die gemeinsam eine Kläranlage bauen und betreiben. Dabei hoffte man in Oesede auf die Unterstützung eines Zweckverbandes und des Stahlwerkes, denn die Gemeinde Oesede intendierte, ihre Abwässer geklärt in das Kreislaufsystem des Stahlwerkes einzuspeisen.484 Aber auch die Versorgung mit frischem Wasser funktionierte nicht reibungslos. Es kam in den Siedlungsgebieten Dörenberg, Karolinenhöhe und Kiffenbrink 1950 zu Engpässen bei der Wasserversorgung. Auch war das Wasser nicht einwandfrei, es führte teilweise Keime.485 Die Gemeinde Oesede baute Wasserversorgungsanlagen, deren Versorgungsgebiet sich mit der Gemeindegrenze deckte. Bei der Finanzierung dieser Anlagen standen der »finanzschwachen Gemeinde«486 Beihilfen des Landes zu, die jedoch nicht eingefordert wurden. Aber auch die neue Anlage konnte nur kurzzeitig Abhilfe schaffen, der Oeseder Wasserverbrauch stieg infolge der Sanierungs- und Bautätigkeit kontinuierlich. In den Jahren 1952–1955 war der Wasserverbrauch in Oesede von 23.000 m3 auf 109.999 m3 gestiegen. Das Oeseder Wasserwerk arbeitete mit Verlust.487 Die Versorgung mit Strom bereitete Anfang der 1950er Jahre hingegen keine Probleme. Oesede bezog genau wie Georgsmarienhütte den Strom von der Nike, mit der die Gemeinde einen günstigen Vertrag abgeschlossen hatte. Sie bezog den Strom als Großabnehmer, verteilte ihn und rechnete dann mit den einzelnen Abnehmern ab. Das gemeindeeigene Elektrizitätswerk erzielte einen Gewinn von rund 2.000 DM jährlich.488 Die Neuorganisation des Schulwesens stellte Oesede vor neue Herausforderungen. Mitten im Ortskern, durch den noch bis weit in die 1960er Jahre hinein die B 51 mit Fernlastverkehr und PKWs führte, stand die Grund- und Volksschule I. Nicht nur der Verkehrslärm wirkte sich störend auf den Schulbetrieb aus, die vielbefahrene Straße barg auch Gefahren. Die Autos wendeten auf dem Schulhof zwischen den Kindern. Aber auch Sportunterricht war nicht möglich, weil der Sportplatz am Kiffenbrink eine halbe Stunde Fußweg erforderte. Die

483 484 485 486 487 488

Besatzung und Neuanfang nach 1945, in: Arnold Beuke: Zu Hause zwischen Hof und Stahl. 40 Jahre Landkreis Osnabrück, Osnabrück 2012, S. 27–65, hier S. 60. »Anschluß an Zweckverband Gmhütte/Oesede«, OT, 12. September 1952. Gerhardus-Gutachten, S. 23f., NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. »Ein Wassernetz für ganz Oesede geplant«, OT, 12. August 1950. Gerhardus-Gutachten, S. 20, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. Ebd., S. 15f. Ebd., S. 15.

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Gemeinde plante ohnehin eine dritte Schule, zusätzlich zu der Grundschule Dröper.489 In Oesede lebten Mitte der 1950er Jahre 850 Kinder, die beschult werden mussten. Mit der fortschreitenden Siedlungstätigkeit veränderte sich auch das Oeseder Zentrum. »Im Ortskern regte sich die Geschäftswelt«,490 hieß es in einer Tageszeitung. Bereits 1938 hatte die Gemeinde im Zentrum den Wortmann’schen Hof gekauft. Das ehemalige Hauptgebäude wurde zum Bürogebäude der Gemeindeverwaltung umgebaut und das restliche Gelände als Baugebiet ausgewiesen.491 Im November 1949 verabschiedete der Oeseder Rat einen Ortsplan, der sich mit der Planung des Oeseder Ortskerns befasste.492 Von Bedeutung waren die Planungen hinsichtlich der B 51.493 Die Straße von Osnabrück nach Iburg494 führte mitten durch den Oeseder Ortskern. Die ersten Planungen, über die im Laufe der Jahre noch heftig diskutiert wurde, sahen einen Verlauf über einen Damm über die Bahnlinie, westlich der Kirche St. Peter und Paul, vor.495 Der Verlauf wurde während der Zusammenlegungsverhandlungen intensiv diskutiert. Erst 1954 wurde die Strecke endgültig geklärt. Mit 10 gegen 4 Stimmen stimmte der Oeseder Gemeinderat dem heutigen Verlauf zu.496 Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Planungen für den Ortskern blockiert. Von Bedeutung war aber auch die Ausweitung des Werkes nach Osten. Bis zur geplanten B 51 wurde Industriegelände für die Erweiterung ausgewiesen und nördlich der L 95 Erweiterungsgelände für die Firma Wiemann. Ansonsten sahen die Planungen eine Bebauung des Ortskerns und der Gebiete links und rechts der oberen B 51 vor.497 489 »Oesede will neue Schule bauen«, OT, 12. 7. 1950. 490 »Oesede: Bald 8000 Einwohner. 440 Wohnungen in zwei Siedlungen«, NT, 26. September 1953. 491 »Oesede: Ausbau des Rathauses«, NT, 18. Mai 1962. 492 »Oesede verabschiedet Ortsplanung«, NT, 8. November 1949. 493 Die Planungen über den Verlauf der ›Reichsstraße 51‹ gingen zurück ins Jahr 1941. Kreisbaumeister Paul Gerhardus plante schon damals einen westlich am Ortskern vorbei führenden Verlauf der Straße im Hinblick auf Werkserweiterung und Wehrplanungen. Die ›Reichsstraße‹, die bislang mitten durch Oesede führte, sollte kreuzungsfrei die Reichsbahn zwischen Malbergen und Oesede queren, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 26/73, Nr. 435. 494 Die B 51 ist ein alter Handelsweg, der von Frankfurt über Köln und Osnabrück nach Bremen führt. Die Osnabrücker Bischöfe nutzten die Straße häufig, sofern sie in Iburg residierten. Um 1800 ließ Napoleon die Straße kurvenreich verlegen, um steile Passagen zu vermeiden. 1931 wurde sie wieder begradigt. Zu Mösers Zeiten fuhren etwa fünf Wagen täglich auf der Straße, Ende des 19. Jahrhunderts bereits 30 Fahrzeuge und 1950 zwischen 600–800 Fahrzeuge, darunter zahlreiche LKWs. »Drei Straßen am Dörenbergpaß«, NT, 9. September 1950. 495 »Oesede verabschiedet Ortsplanung«, NT, 8. November 1949. 496 »Oesede: Gemeinderat stimmt – schweren Herzens – der Umgehungsstraße zu«, NT, 26. Mai 1954. 497 »Oesede verabschiedet Ortsplanung«, NT, 8. November 1949.

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Nur wenige Industriebetriebe hatten in Oesede ihren Standort. Anfang der 1950er Jahre waren einige Betriebe ansässig, die sich aber schon bald andere Standorte suchten. Die Stahmer’sche Maschinenfabrik498 mit 83 Beschäftigten verlagerte 1954/ 1955 ihren Betrieb in die Gemeinde Harderberg und die Vereinigten Signal Werke,499 zum Siemenskonzern gehörend, gingen 1954/1955 nach Braunschweig. Der Betrieb nahm einige der 350 Beschäftigten mit, viele aber blieben am Ort und suchten auf dem Stahlwerk Beschäftigung.500 Es existierte noch ein Drahtseilwerk501 in Oesede mit 79 Beschäftigten und die »Oeseder Möbel-Industrie«,502 wie sich die Firma Wiemann in den 1950er Jahren nannte, mit 201 498 Die Stahmer’sche Maschinenfabrik war innerhalb der Stahmer’schen Unternehmungen immer separat geblieben. Die im Krieg dringend benötigten Lokomotiven bescherten dem Werk einen Boom, der sich in der Beschäftigtenzahl niederschlug. 200 Mitarbeiter_innen fertigten aber auch Gewindebuchsen an, von denen im Jahr 1942 anderthalb Mio. ausgeliefert wurden. In den letzten Kriegstagen weigerte sich – laut Werkschronik – die Eigentümerin des Betriebes, der Anordnung der Nationalsozialisten Folge zu leisten und die Produktionsmaschinen zu zerstören. So konnte der Betrieb unmittelbar nach dem Krieg mit der Produktion wieder beginnen. Allerdings war der größte Abnehmer, die Reichs- bzw. Bundesbahn, als größter Auftraggeber ausgefallen. Als die Bahn nach der Währungsreform wieder Aufträge vergab, wurden keine Dampflokomotiven mehr benötigt, die Bahn fuhr nun mit Diesel- und Elektroloks. Die Firma schrumpfte auf 50 Mitarbeiter_innen. Die genutzten Produktionshallen auf dem Stahmer’schen Gelände gehörten mittlerweile dem Siemenskonzern, die Gelände und Anlagen an die benachbarten Klöckner-Werke verkauften. Die Firmeneigentümerin Ortrud Jaff8-Stahmer zog mit dem Betrieb 1954 in die Gemeinde Harderberg um, vgl.: Otto Suerbaum: Die Stahmer’schen Unternehmungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag, Rittergut Osthoff 1974, o.S. 499 Seit 1906 baute Ernst Stahmer das vom 1905 verstorbenen Vater Carl Stahmer geerbte Unternehmen kontinuierlich aus: 1909 wurden die Eisenbahn-Signalbauanstalten von Zimmermann & Buchloh in Berlin – Borsigwalde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, in die 1917 die C. Stahmer AG und die Maschinenfabrik Bruchsal unter Leitung Ernst Stahmers Bruder Robert Stahmer integriert und unter dem Namen ›Deutsche Eisenbahn – Signalwerke AG‹ firmierten. In den folgenden Jahren kamen noch die Unternehmen Müller & May in Rauschwalde bei Görlitz und E. Willmann in Dortmund dazu. 1926 fusionierte die Aktiengesellschaft mit der Firma Max Jüdel & Co. in Braunschweig. 1927 wurde die Firma ihrerseits von der Siemens & Halske AG übernommen, was sich aber erst 1950 auswirkte, ebd. 500 Gerhardus-Gutachten, S. 11f., NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 501 Die ›Iburger Seilindustrie in Oesede‹ wurde 1910 von der C. Stahmer AG und der Firma Kassenbrock gegründet. Dort wurden Seile für die mechanischen Sicherungsanlagen im Eisenbahnbau hergestellt. Während des Ersten Weltkrieges beteiligte sich die Westfälische Union Hamm an dem Unternehmen, die es 1925 in seinen Besitz übernahm. 1973 wurde der Betrieb eingestellt, Suerbaum: Die Stahmer’schen Unternehmungen, o.S. 502 Die Oeseder-Möbel-Industrie wurde 1900 als Einmannbetrieb von Matthias Wiemann mit einer geliehenen Hobelbank gegründet. Der Betrieb entwickelte sich rasch und hatte 1914 bereits 28 Männer als Belegschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Anzahl der Beschäftigten geringfügig zurück, und stieg dann rasant auf 200 im Jahr 1930. Die Ansiedlung von Arbeitnehmern geschah durch Tausch und Bereitstellung von Baugrundstücken durch den Firmeneigentümer. Während des Zweiten Weltkriegs erstellte die Firma »kriegswich-

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(1949) Beschäftigten, mit stark steigender Tendenz auf 471 Beschäftigte im Jahr 1954.503 Oesede bildete mit Harderberg und Nahne einen Feuerlöschverband, in dem freiwillig und ehrenamtlich gearbeitet wurde. Zusammen unterhielten die drei Gemeinden ein Löschfahrzeug und eine Tragspritze. Die Gemeinde betrieb einen Sportplatz auf dem Kiffenbrink, weitab vom Ortskern der Gemeinde, ein weiterer Sportplatz war in Planung. Es gab keine Turnhalle, die Badeanstalt am Mühlenbach musste wegen der eingeleiteten, ungeklärten Abwässer 1953 geschlossen werden.504 Die Gemeinde Oesede nahm die Müllabfuhr in Eigenregie vor. Sie hatte dazu 1953 einen geschlossenen Wagen und einen Trecker gekauft. Die Kosten waren auf alle Haushaltungen umgelegt worden. Die Straßenreinigung besorgten die Anlieger selbst.505 Die Gemeinde Oesede verfügte über ein Wegenetz von 40,5 km, das sie unterhalten musste, davon hatten 20 km eine »Pack- und Decklage«.506 Die Straßen waren in einem schlechteren Zustand als in der Gemeinde Georgsmarienhütte.507 An ›Fürsorgekosten‹ zahlte die Gemeinde Oesede 10.000 DM im Jahr, weniger als in Georgsmarienhütte.508 Es existierte ein Friedhof in katholischer Trägerschaft.509 Oesede gehörte zu den finanziell schwächsten Gemeinden des Landkreises. Als »unliebsamen Kostgänger«510 aller kreisangehörigen Gemeinden bezeichnete der Oberkreisdirektor Backhaus die Gemeinde. Sie hatte Mitte der 1950er Jahre in jeder Hinsicht weniger Einnahmen als die Nachbargemeinde Georgsmarienhütte. Unter dem Titel Lohnsummensteuer befand sich im Haushalt kein Eintrag511 und bei Gewerbesteuer verbuchte Oesede 120.000 DM, das war ein

503 504 505 506 507 508 509 510 511

tige Fertigungen«, nämlich Baracken. Deren Herstellung wurde ziemlich bald nach Kriegsende für den britischen Truppenbedarf wieder aufgenommen. Die Firma beschäftigte in der unmittelbaren Nachkriegszeit 60 Männer, nach der Währungsreform begann die Produktion und Lieferung für den zivilen Bedarf. Die Beschäftigtenzahl stieg, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064, Nr. 12. Gerhardus-Gutachten, S. 12, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. Ebd., über Feuerlöschwesen, S. 31; Sportplätze S. 32f.; Turnhalle und Freibadeanstalten, S. 33f. Ebd., S. 34ff. Ebd., S. 36. Infolge der höheren Einnahmen und der kürzeren zu unterhaltenden Straßen seien die Georgsmarienhütter Straßen in einem besseren Zustand als in Oesede, ebd., S. 36. Ebd. Ebd., S. 32. Schreiben des Oberkreisdirektors an den Regierungspräsidenten vom 17. April 1956, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1 Bd. 1. Die Lohnsummensteuer konnte nicht ohne weiteres erhoben werden, sie musste beantragt und vom Landkreis bzw. vom Regierungspräsidenten genehmigt werden. Zuvor mussten die IHK und der Bund der Steuerzahler eine Stellungnahme abgeben. Die Gemeinde Oesede

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gutes Viertel von dem, was Georgsmarienhütte unter dieser Position einnahm. Zwar gab es einen Gewerbesteuerausgleich, der pro Arbeitnehmer, der nicht in Oesede beschäftigt war, mit 45 DM berechnet wurde und mit 58.680 DM in die Oeseder Bilanz einging. Die Summe der Einnahmeseite fiel dennoch mit 514.000 DM deutlich bescheidener aus, als die Georgsmarienhütter Einnahmeposition, die mehr als 1 Mio. DM auf der Habenseite verbuchte. Der Haushalt in Oesede war nicht ausgeglichen, er schloss mit einem Minus von 55.000 DM ab. Dies hatte jedoch Gründe: Als Betriebsgemeinde des Stahlwerkes galt ausschließlich die Gemeinde Georgsmarienhütte, die allein von der Lohnsummensteuer profitierte. Die Lohnsummensteuer konnte nicht einmal für die Berechnung der Kreisumlage herangezogen werden, weshalb Oesede mehr Kreisumlage bezahlte (173.920 DM) als Georgsmarienhütte (162.564 DM). Dies war aber nicht die einzige ungleiche Lastenverteilung: In Oesede wohnten 1951 rund 800 Arbeitnehmer (Tendenz stark steigend: 1.300 im Jahr 1955) des Stahlwerkes und ihre Familien, für die Oesede eine Infrastruktur vorhalten musste, die eigentlich Georgsmarienhütte finanziell hätte bewältigen müssen. Der Ausgleich, den die Gemeinde Georgsmarienhütte zahlte, 45 DM pro Arbeitnehmer, reichte bei Weitem nicht aus, um die Ausweisung und Erschließung von Baugebieten, Straßenunterhaltung, Kanalisation und Schullasten zu finanzieren. Hinzu kam, dass in Oesede nach dem Krieg eine rege Bautätigkeit eingesetzt hat, für die die Gemeinde in den ersten Jahren nach der Währungsreform keine Grundsteuer erheben konnte. Dadurch entgingen Oesede rund 40.000 DM jährlich.512 Beide Kommunen beschäftigten in der Nachkriegszeit den gleichen Ortsplaner, den Architekten und Stadtbaurat a.D. Lüers, der auch Geschäftsführer der Sozialen Wohnungsbaugenossenschaft war. Dieser fertigte für beide Gemeinden Flächennutzungspläne an, die ein Zusammenwachsen der beiden Orte nicht vorsahen, stattdessen berücksichtigten die Pläne die Wünsche des Stahlwerkes »in vollem Umfang«.513 2.3.1.2. Die Gemeinde Georgsmarienhütte 1945–1955 Am 3. April 1945 war der Krieg in Georgsmarienhütte zu Ende. Das Gehalt des seit Mitte der 1920er Jahre amtierenden Bürgermeisters Karl Schröder514 wurde beantragte 1957 die Lohnsummersteuer, 1959 wurde sie genehmigt, NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992, Nr. 59. 512 Zur Haushaltslage und eine Bewertung der Verhältnisse der beiden Gemeinden: GerhardusGutachten, S. 37–42, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. 513 Ebd., S. 43. 514 Karl Schröder wurde am 28. April 1891 in Blomberg geboren. Nach seiner Ausbildung als Wegemeisteranwärter und Verwaltungsangestellter in der Steuerkasse, wurde er von 1909

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gesperrt, weil mit seiner Entlassung zu rechnen war.515 Gustav Pah,516 der eigentlich schon im Ruhestand war, trat am 27. April 1945 sein Amt als Bürgermeister an, und am 7. Juli 1945 wurde er aus unbekannten Gründen wieder entlassen. Der Landrat ernannte stattdessen den ehemaligen Reichsbeamten Arndt, den die Nationalsozialisten wegen »politischer Unzuverlässigkeit«517 1933 aus dem Reichsdienst gedrängt hatten. Bevor er nach Georgsmarienhütte kam, bekleidete er das Amt des Bürgermeisters in Holzhausen, das nach ihm Friedrich Dreyer aus Sutthausen annahm. Arndt kam in Georgsmarienhütte nicht zu Recht. Er könne nicht in »innigen Kontakt mit der Bevölkerung treten«,518 hieß es, und am 1. Februar 1946 trat er zurück. Auf ihn folgte Hans Twiehaus, der am 26. März 1946 seinen Amtseid ablegte. Twiehaus war SPD-Mitglied und Betriebsratsvorsitzender beim Stahlwerk, bis die Nationalsozialisten ihn abgesetzt hatten, der NSDAP war er nicht beigetreten. Nach dem Krieg war er wieder Belegschaftsmitglied des Stahlwerkes als Ausbildungsleiter.519 Twiehaus war nicht lange Bürgermeister. Nach der Einführung der kommunalen Doppelspitze in der britischen Besatzungszone am 1. April 1946520 wurden auch in Georgsmarienhütte das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters und des hauptamtlichen Gemeindedirektors eingeführt. In der Gemeinderatssitzung am 27. November 1946 wurde Ludwig Spellbrink521 von der CDU einstimmig zum Bürgermeister gewählt. Hans Twiehaus wurde in der gleichen Sitzung zum Gemeindedirektor ernannt.522 Bürgermeister Ludwig Spellbrink stand einem Gemeinderat vor, der sich 1952 aus sieben SPD-, sechs CDU, und zwei BHE-Mitgliedern zusammensetzte.523 Das Gemeindegebiet umfasste 986 ha524 und zählte 6.306 (1951) Einwohner_innen.525 Die Bevölkerungszahl war von 1939 bis 1946 durch den Zuzug von

515 516 517 518 519 520 521

522 523 524

bis 1919 Soldat. Er kam mit einer 30 %-Beschädigung aus dem Ersten Weltkrieg zurück und wurde Angestellter in der Steuerkasse bei der Lippischen Regierung in Detmold. 1920–1927 arbeitete er in der Lohnsteuerabteilung bei den Klöckner-Werken, er bekleidete von 1925– 1927 das Amt des ehrenamtlichen, von 1927–1945 als hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Georgsmarienhütte, NLA OS Dep 104 II Akz 44 /1992, Nr. 64. Ebd. Gustav Pah war bereits seit 1932 Rentner und verbrachte seinen Ruhestand in Georgsmarienhütte. Er war bis 1943 Rentmeister des Kirchenkreisamtes Osnabrück/Diepholz, ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ludwig Spellbrink, geb. am 23. April 1892 in Kloster Oesede war von Beruf Tischlermeister. Er war verheiratet und bekannte sich zur katholischen Konfession. Er starb im Alter von 67 Jahren am 11. November 1959 nach längerer Krankheit, aber immer noch im Amt, NLA OS Dep 81 b, Nr. 5. Protokoll der Sitzung am 27. November 1946, NLA OS Dep 104 II 44/1992 Nr. 64. Liste der Gemeinderäte von Dezember 1952, ebd. Jahresbericht aus dem Jahr 1956, NLA OS Dep 81 b Nr. 5.

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Flüchtlingen und Vertriebenen von 4.239 auf 5.768 Einwohner_innen gestiegen. Das entsprach einer Zunahme von 1.529 Personen, also einer Steigerung von 36 %.526 Einziger Arbeitgeber in der Gemeinde war das Stahlwerk, dessen Belegschaft 1951 4.499 Personen umfasste, die Einwohner_innenzahl lag in diesem Jahr bei 6.306.527 Wichtigste Aufgabe der Bürgermeister war die Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge und Vertriebenen. Noch Mitte der 1950er Jahre lebten 20 Familien in »Elendsquartieren«528 und weitere zehn Familien in Baracken. Die Gemeinde hatte 1942 den Schumpe’schen Hof529 erstanden, der nun als Baugebiet ausgewiesen wurde, ebenso wie ein Baugebiet an der Hagener Straße.530 Die Baugebiete waren in der Vergangenheit je nach Bedarf entstanden, ohne auf eine Gesamtentwicklung zu achten. So war in den 1950er Jahren kein richtiger Ortskern auszumachen.531 In einem der 1857 gebauten Häuser, etwas außerhalb der eigentlichen Kolonie, war das Rathaus untergebracht. Die Verwaltung, inklusive Krankenhausverwaltung bestand aus 13 Personen. Diese nahm – als die unmittelbare Nachkriegsnot überwunden und die Währungsreform einen Wirtschaftsboom einleitete – die Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung nach gesetzlichen Vorgaben und nach Beschlüssen des Rates wahr.532 Mit steigenden Bevölkerungszahlen und umfangreicher Bautätigkeit stieg der Strom- und Wasserbedarf. Die Gemeinde Georgsmarienhütte bezog Strom von der Nike, mit der sie einen günstigen Vertrag geschlossen hatte, Werksangehörige erhielten verbilligten Strom vom Werk.533 Die Wasserversorgung wurde in der Vorkriegszeit vom Stahlwerk aus vorgenommen, das jedoch keinerlei Rücksicht auf andere »Bedarfsträger«534 genommen hatte. 1940 er525 526 527 528 529

530 531 532 533 534

Ebd. Gerhardus-Gutachten, S. 12, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. Gerhardus-Gutachten, S. 12, ebd. Jahresbericht des Gemeindedirektors aus dem Jahr 1956. 59 Personen in Elendsquartieren und 39 Personen in Baracken, NLA OS Dep 81 b, Nr. 5. Die Gemeinde Georgsmarienhütte beantragte beim Landkreis die Aufnahme eines Darlehens in Höhe von 450.000 RM, um den Hof Schumpe im Umfang von 62 ha kaufen zu können. Als vom Regierungspräsidenten Bedenken gegen dieses Darlehen geäußert wurden, reduzierte Bürgermeister Schröder die Summe auf 300.000 RM. Das Darlehen wurde gewährt. Schumpe wurde auf einen Hof in der Lüneburger Heide ausgesiedelt, Landrat an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 15. Dezember 1941, NLA OS Rep 430 Dez 106, Akz 15/65 Nr. 191, Bd. 12. Gerhardus-Gutachten, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. Ebd., S. 7. Stellenplan der Gemeinde Georgsmarienhütte aus dem Jahr 1950, NLA OS Dep 81b Nr. 18. Das behauptete Wallrath Eichberg in der Sitzung am 27. Juni 1951, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. Gerhardus-Gutachten S. 16, ebd.

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stellte der Landkreis ein Wasserkonzept, das für die Industrie der Gemeinden im Untersuchungsgebiet die Nutzung von Oberflächenwasser vorsah und für die Trinkwasserversorgung der Gemeinden zwischen Osnabrück und Iburg ein »Gruppenwasserwerk«535 vorschlug. Realisiert wurde das Konzept aber nicht. Stattdessen baute die Kommune lokale Versorgungsanlagen. Die Georgsmarienhütter Abwässer wurden von einer kleinen Kläranlage des Stahlwerks geklärt. Die geklärten Abwässer wurden zu einem Teil wieder der Düte zugeführt, zum anderen Teil ins Kreislaufsystem des Werkes gepumpt,536 um den enormen Wasserbedarf des Werkes während des Produktionsprozesses zu decken.537 In den 1950er Jahren waren die Wasserversorgungsanlagen ausreichend, allerdings machte die Gemeinde wegen des geringen Wasserpreises einen Verlust von knapp 10. 000 DM jährlich.538 Auch das Schulwesen gehörte zur kommunalen Selbstverwaltung. Seit dem Schulverwaltungsgesetz vom 19. Mai 1954 waren die Gemeinden Träger der allgemeinbildenden öffentlichen Schulen mit Ausnahme der Höheren Schulen. Die Gemeinde Georgsmarienhütte unterhielt zwei Grundschulen, eine Volksschule und eine Mittelschule. Innerhalb der Gemeindegrenzen befanden sich Mitte der 1950er Jahre 657 schulpflichtige Kinder.539 Die Mittelschule war im Jahr 1914 offiziell gegründet worden, sie verdankte ihre Entstehung dem finanziellen Engagement von Stahlwerk, den Stahmer’schen Unternehmungen und Einzelpersonen, die die Schule ins Leben gerufen haben, damit Kinder aus der Umgebung eine weiterführende Schule besuchen konnten. Dieses Engagement der Industrie erwies sich als durchaus nützlich. Eine Mittelschule in der Gemeinde war für anzuwerbende Facharbeiter durchaus ein Entscheidungsfaktor. Außerdem hatte das Werk ein Interesse daran, gut ausgebildete Mitarbeiterkinder wieder in die Belegschaft aufzunehmen. In den 1950er Jahren besuchten 105 Georgsmarienhütter Kinder die Mittelschule, 125 kamen aus den umliegenden Gemeinden.540 Das nächste Gymnasium befand sich in Osnabrück. Die Gemeinde Georgsmarienhütte unterhielt ein Krankenhaus mit 55 Betten, das auf 85 Betten erweitert werden sollte. Entstanden ist es als Knappschafts535 Ebd., S. 17. 536 Ebd., S. 23. 537 Ein Entnahmerecht an der Düte seitens des Werkes besteht seit 1894 und wurde seit 1912 kontinuierlich ausgeübt. Das Recht, geklärte Abwässer des Hüttenbetriebes und der Beamten- und Arbeiterwohnsiedlungen an einer bestimmten Stelle in die Düte einzuleiten, ließ sich das Werk mit einer Eintragung ins Wasserbuch am 21. November 1952 bestätigen, NLA OS Rep 430 Dez 502 Akz 24/96 Nr. 106. 538 Gerhardus-Gutachten, S. 19, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. 539 Ebd., S. 26. 540 Ebd., S. 27.

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krankenhaus im Zuge der Werksgründung, in den 1930er Jahren wurde es in kommunale Trägerschaft übernommen. In der Nachkriegszeit hatte es einen Zuschussbedarf von 60.000 DM pro Jahr und stellte damit für die Gemeinde eine finanzielle Belastung dar.541 In gemeindlicher Trägerschaft befand sich die Freiwillige Feuerwehr mit drei Löschfahrzeugen, außerdem zwei Sportplätze, zwei Sportstätten und eine Freibadeanstalt, einer aufgestauten Talsperre mit kaltem Quellwasser des Lammersbrink-Stollen, das im Bedarfsfall der Kühlung der Hochofenanlage bereit stehen musste.542 Die beiden Friedhöfe waren in kirchlicher Trägerschaft.543 Der Müll wurde Mitte der 1950er Jahre von einem beauftragten Unternehmer in einem offenen Pferdewagen abgeholt, die Kosten auf alle Haushaltungen umgelegt. Die Straßen- und Bürgersteigreinigung nahmen die Anlieger selbst vor. Gut 24 Kilometer Gemeindestraßen mussten in Georgsmarienhütte unterhalten werden, die wenigsten davon (4,83 km) waren mit einer Schwarzdecke, der Rest (19,23 km) war mit einer wassergebundenen Decke versehen. Das Georgsmarienhütter Straßennetz befand sich in gutem Zustand, es war allerdings auch nicht besonders umfangreich.544 Das »Fürsorgewesen«545 schlug mit jährlich 12.000 DM zu Buche, etwas mehr als in Oesede, das 10.000 DM dafür ausgeben musste. Die finanzielle Situation der Gemeinde Georgsmarienhütte war vergleichsweise gut. 460.000 DM Gewerbesteuer flossen in die Gemeindekasse, dazu kamen 575.000 DM Lohnsummersteuer, die zu 93 % vom Stahlwerk bestritten wurde. In den Oeseder Haushaltsbüchern befand sich an dieser Stelle ein Strich.546 Es gab noch weitere Einnahmepositionen wie die Vergnügungssteuer (14.000 DM), die Hundesteuer (800 DM) und die Schlüsselzuweisungen im Rahmen des Finanzausgleichs, diese betrugen für Georgsmarienhütte 80.820 DM.547 Die Ausgaben bestanden aus mehreren großen Positionen. Die Kreisumlage betrug 162.564 DM, eine Ausgleichszahlung für die Arbeitnehmer des Stahlwerkes, die in anderen Gemeinden wohnten, 172.395 DM, alle anderen Gemeindelasten wie Schulwesen, Straßenunterhaltung, Krankenhauskosten summierten sich auf 573.989 DM.548 541 542 543 544 545 546 547 548

Ebd., S. 29f. Ebd., S. 31–34. Ebd., S. 32. Ebd., S. 36. Ebd. Zur finanziellen Situation der Gemeinden: Ebd., S. 37–42. Ebd. Ebd.

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Die Gemeinde konnte in den 1950er Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.549 2.3.1.3. Das Stahlwerk Im März/April 1945 kam die Produktion des seit 1937 zum ›Wehrwirtschaftsbetrieb‹550 ernannten Stahlwerkes deutlich ins Stocken. Die Zufuhr an Arbeitsmaterial kam zum Erliegen, seit die britische Armee bis zum Rhein vorgedrungen war. Die drohende Besetzung durch die Alliierten veranlasste die Werksleitung, sich von Kriegsgefangenen und Fremd- und Zivilarbeitern zu trennen. »Die Zahl der in den Betrieben beschäftigten Ausländer [wurde] allmählich verkleinert«,551 hieß es vorsichtig in einem Kriegstagebuch über das Georgsmarienhütter Werk. Am 3. April 1945 zwischen 16 und 17 Uhr marschierten britische Soldaten in Georgsmarienhütte ein. Offiziere kamen wenig später aufs Werk und ordneten an, dass Messinstrumente, Messwerkzeuge, Zeichnungen, Zeichenutensilien zusammengetragen und verschlossen werden sollten, gleichzeitig wurden alle Fahrzeuge bis auf die Generator-Gaswagen beschlagnahmt. »Diese Anordnung blieb für einige Zeit die einzige, die für das Werk getroffen wurde.«552 Von der Demontagepolitik in den Jahren 1948–1951, von denen in Niedersachsen 116 Betrieben betroffen waren,553 blieb das Werk in Georgsmarienhütte verschont. Mehr als 500 Arbeiter_innen arbeiteten in den nächsten Wochen auf dem Werk, um es instand zu setzen. Den weiblichen Arbeitskräften, »die durch den totalen Kriegseinsatz zum Werk gekommen waren, […] wurde gekündigt.«554 Am 30. April 1945 waren 522 Arbeiter_innen, 41 Lehrlinge und 253 Angestellte auf dem Werk vor allem damit beschäftigt, die Stromversorgung aufrecht zu erhalten.555 Am 1. Oktober 1945 arbeiteten drei Georgsmarienhütter Kraftwerke, »mit einer nicht zu unterschätzenden Leistung«.556 Sie produzierten 650.000 KWh für Fremdabnehmer, das waren die umliegenden Gemeinden wie 549 550 551 552 553

Ebd., S. 39. Kriegstagebuch, S. 1 und 57, NLA OS Dep 81 b Nr. 362. Ebd., S. 58. Ebd., S. 59. Karl-Heinz Grotjahn: Demontage, Wiederaufbau, Strukturwandel. Aus der Geschichte Niedersachsens 1946–1996, Hameln 1996, S. 60. 554 Kriegstagebuch, S. 59, NLA OS Dep 81 b Nr. 362. 555 In den letzten Kriegstagen arbeitete nur eine von zwei Turbinen, die 20.000 kW AEGTurbine. Die zweite ist wegen nicht erschienener Monteure von AEG nicht repariert worden. Die Stromversorgung reichte aus für die Wasserhaltung, Licht und die Versorgung einzelner Häuser in den umliegenden Gemeinden, ebd., S. 58; siehe auch: Kurze Darstellung über wirtschaftliche und technische Vorgänge auf der Georgsmarienhütte vom Besatzungsbeginn bis heute. (unvoll.) Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. 556 Die Klöckner-Werke AG, Werk Osnabrück 1946, S. 22, NLA OS Dep 81 b Nr. 360.

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Hagen, Oesede, Kloster Oesede, Harderberg, Holzhausen und natürlich auch für die Gemeinde Georgsmarienhütte, aber auch für Industriebetriebe, die bereits die Nachkriegsproduktion aufgenommen haben: die Möbelfabrik Wiemann, Iburger Seilindustrie, Maschinenfabrik Zumstrull, die Malberger Mühle, sogar an die Stromgesellschaft Nike lieferten die Kraftwerke des Stahlwerkes. Zunächst wurde der Strom aus den noch vorhandenen Kohlevorräten gewonnen. Damit waren Ende 1945 rund 1.250 Menschen auf dem Werk beschäftigt.557 Doch um die Stromversorgung der Öffentlichkeit zu gewährleisten, mussten die im Stahlwerk installierten Großgasmaschinen zugeschaltet werden, die mit Abhitzeverwertung arbeiteten. »Die Möglichkeit der Unterstützung der öffentlichen Stromversorgung kann aber nur dann ausgenutzt werden, wenn Hochofengas für die Krafterzeugung zur Verfügung steht, d. h. also, nach Anlaufen des Hüttenbetriebes«,558 vermerkte die Werksleitung in einem Bericht von 1946. Ein wichtiges Argument, die Hochöfen so schnell wie möglich wieder anzublasen. Rund ein Jahr wurden Strom erzeugt, Instandsetzungsarbeiten durchgeführt und Pläne für den Neubeginn ausgearbeitet. Im Dezember 1946 wurde die Betriebsgenehmigung für das Walzwerk, die Steinfabrik und die Sauerstoffanlage erteilt, im April 1947 auch für den Behälter- und Brückenbau. Im gleichen Monat wurden das Herzstück des Werkes, die drei Siemens-Martin-Öfen wieder in Betrieb genommen sowie die Block- und Schienenstraße wieder angefahren.559 Organisatorisch gesehen wurde das Werk im Rahmen der Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie in der britisch besetzten Zone aus dem Klöcknerkonzern ausgegliedert und dem North German Iron and Steel Control unterstellt.560 Die ›Georgsmarienhütte Aktiengesellschaft‹ mit Sitz in Georgsmarienhütte wurde am 18. Juni 1947 gegründet, um das Unternehmen bis zur Klärung der Eigentümerverhältnisse treuhänderisch zu verwalten. Die Hütte umfasste folgende Anlagen: Kokerei mit Kohlenwerkstoffanlage, Hochofenwerk, Siemens-Martin-Stahlwerk, Elektrostahlwerk, Walzwerk sowie Vergüterei, umfangreiche Energiebetriebe, Zementfabrik, Steinfabrik, Stahl- und Behälterbau, Georgsmarienhütten-Eisenbahn, Lager- und Umschlagplatz Hafen Osnabrück, Eisenerzgrube Hüggel, Kalksteinbruch Holperdorp-Lienen, Dolomitsteinbruch Altenhagen, Werkshäuser, land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke

557 Kurze Darstellung über wirtschaftliche und technische Vorgänge, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. 558 Die Klöckner-Werke AG, Werk Osnabrück 1946, S. 22, NLA OS Dep 81 b Nr. 360. 559 Kurze Darstellung über wirtschaftliche und technische Vorgänge, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. 560 Geschäftsbericht der Georgsmarienhütte Aktiengesellschaft Georgsmarienhütte vom 1. Juli bis 30. September 1947, vorgelegt am 18. Juni 1948, WWA Dortmund (= Westfälisches Wirtschaftsarchiv) S 7–303/1.

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in Georgsmarienhütte und Umgebung.561 Im Monatsdurchschnitt betrug der Umsatz etwa 2,3 Mill. RM. Es wurden pro Monat im ersten Nachkriegsbetriebsjahr etwa 8.450 t Stahl erzeugt, Tendenz stark steigend. Jedoch waren die Anlagen bei Weitem nicht ausgelastet. Es fehlte an Roh- und Hilfsstoffen und vor allem an Arbeitskräften. Ein großer Teil der interessierten Arbeitskräfte erschien am Arbeitsplatz, ließ sich mit »Mangelware«562 ausrüsten und erschien dann nicht wieder. In diesen Tagen baute das Stahlwerk ganz auf die seit Gründung aufgebaute Stammbelegschaft, »die dem Werk von Generation zu Generation die Treue hält.«563 Im Jahr 1947 waren 3.227 Personen im Stahlwerk beschäftigt, im Jahr 1948 bereits 3.389.564 Obwohl die Entwicklung des Werkes befriedigend verlief, so wurde doch eine »sichtbare Zerrüttung unserer Währungsgrundlage«565 spürbar. »Als Folge traten im Wirtschaftsleben Erscheinungsformen auf, die einen normalen Ablauf der Geschäftsvorfälle weitest gehend erschwerten.«566 Kurz vor der Währungsreform beglichen Kunden ihre offenen Rechnungen beim Stahlwerk und das Stahlwerk wiederum löste mit den »überschüssigen Geldmittel[n]«567 Kredite ab. Nach der Währungsreform stornierten einige Kunden ihre Aufträge, trotzdem nahm die Stahlproduktion tendenziell zu. Im letzten Quartal des Jahres 1947 betrug die SM-Stahlproduktion 11.945 t, im zweiten Quartal 1948, in das der Währungsstichtag 20. Juni 1948 fiel, wurden 13.368 t SM-Stahl produziert.568 Die positive Entwicklung setzte sich im Jahr 1949 weiter fort. Die Roh- und Hilfsstoffversorgung normalisierte sich und die »Arbeitswilligkeit erhielt durch die mit der Währungsreform eintretende Gesundung und Stabilisierung der Geldverhältnisse wieder Auftrieb«.569 Die Ausfallstunden durch Krankheit sanken von 4,8 % auf 3,8 %.570 Die Roheisenproduktion verdreifachte sich, die Stahl- und Walzstahlproduktion stieg auf das 2,2fache, und die Erlöse hatten sich gegenüber dem ersten Jahr der Betriebsaufnahme 1947 vervierfacht. Die Belegschaft war zwar pro561 562 563 564 565 566 567 568 569 570

Ebd., S. 10. Ebd., S. 12 und 13, mit Mangelware war vermutlich Arbeitskleidung gemeint, S. 14. Ebd., S. 14. Ebd., S. 14. Geschäftsbericht der Georgsmarienhütte Aktiengesellschaft Georgsmarienhütte über das 2. Geschäftsjahr vom 1. Oktober 1947 bis 20. Juni 1948 vorgelegt am 14. Dezember 1950, o.S., ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Geschäftsbericht über das 3. Geschäftsjahr vom 21. Juni 1948 bis 30. September 1949, vorgelegt am 14. Dezember 1950. o.S., ebd. Ebd.

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zentual nicht so stark angewachsen wie die Produktion, aber sie umfasste 1949 immerhin 4.900 Personen.571 »Die Währungsreform brachte für unsere Gesellschaft den Anstoß zu einer lebhaften Produktionssteigerung«,572 hieß es im Geschäftsbericht 1948/1949. Die Aufträge kamen z. T. aus dem Ausland, während das Inlandsgeschäft »einer besonders intensiven Bearbeitung«573 bedurfte. Die Bundesbahn war als Auftraggeber fast völlig ausgefallen und das ›OstzonenGeschäft‹ völlig zum Erliegen gekommen. Dennoch gab »der jetzt vorliegende Auftragsbestand […] die Grundlage für eine gesicherte Beschäftigung auf längere Zeit.«574 Die Übergangszeit von Reichsmark auf die Deutsche Mark war schwierig. Es standen dem Unternehmen nur 60 DM pro Arbeitnehmer und eine 5 % Freigabe des Altgeldguthabens zur Verfügung. Das waren rd. 290.000 DM. Es mussten Kredite aufgenommen werden, um das Investitionsprogramm durchführen zu können. Im August 1948 wurde der zweite Hochofen angeblasen. Im Mai/Juni 1949 wurde die Blockstraße einer größeren Reparatur unterzogen. Sämtliche Anlagen sollten überholt oder durch moderne ersetzt werden.575 Das Jahr 1951 brachte in der Organisationsstruktur eine entscheidende Wende. Das Gesetz zur Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie vom 16. Mai 1950 war noch nicht zur Durchführung gekommen, jedoch bestand seit einem Memorandum der Bundesregierung vom 14. März 1951 Klarheit über die Kerngesellschaften, die in der Montanindustrie gebildet werden sollten. Das Werk in Georgsmarienhütte sollte mit dem Werk in Haspe und Osnabrück zusammengelegt werden.576 Dies gab Vorstand und Aufsichtsrat der Georgsmarienhütte Planungssicherheit. Noch im gleichen Jahr wurde ein umfangreiches Investitionsprogramm vorbereitet. Zwei SM-Kippöfen sollten in einer neu zu errichtenden 35 m hohen Halle installiert werden.577 Außerdem waren ein neuer Kühlturm und ein weiterer Gasometer am Osterberg in Planung.578 Inzwischen waren von sieben SM-Öfen sechs laufend im Betrieb, von vier Hochöfen waren zwei ständig unter Feuer. Immer noch war die Inlandsnachfrage an Stahlerzeugnissen schwach und das Stahlwerk produzierte hauptsächlich für den Export. Doch im Jahr 1951 griff erstmals die Auslandsnachfrage 571 572 573 574 575 576

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Bericht der Georgsmarienhütte Aktiengesellschaft Georgsmarienhütte über das 4. Geschäftsjahr 1949 bis 30. September 1950, vorgelegt am 11. September 1951, o.S., ebd. 577 Arbeitsdirektor Hille in einer gemeinsamen Sitzung der Hauptausschüsse der Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede am 9. April 1951, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 578 Ratsherr und Hüttendirektor Esders in der Sitzung des Ausschusses zur Zusammenlegung am 13. Mai 1952, ebd.

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auf das Inlandsgeschäft über, dem sich die Hütte in Zukunft stärker widmen wollte. Die große Anzahl der Belegschaftsmitglieder – vor allem die 18,8 % Flüchtlinge und Vertriebene – musste untergebracht werden. Jährlich vergab das Werk unverzinsliche Baudarlehen, 1951 allein 64. Sechs Werkswohnungshäuser mit je zwei Wohnungen und ein Vier-Familienhaus wurden 1949 gebaut. Im Barackenlager Ohrbeck wurden 11 Wohnungen eingerichtet. Die Anzahl der Werkswohnungen betrug Anfang der 1950er Jahre 849, so viele wie noch nie in der 100jährigen Entwicklung.579 Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwungs des Werkes war die raumplanerische Entwicklung der Umgebung für das Werk von höchstem Interesse. Um den Platzbedarf zu decken, war die Werksleitung im Gespräch mit Oeseder Bauern, der katholischen Kirchengemeinde in Oesede und dem Oeseder Bürgermeister.580 Wichtigster Ansprechpartner für die Ausdehnungsbelange war aber der Georgsmarienhütter Gemeinderat, den die Hütte am 28. Februar 1951 zu einer Werksbesichtigung einlud. Im Anschluss daran sollten Fragen der Werks- und Ortsplanung erörtert werden.581 Das Werk plante neue Anlagen in jeder Richtung. In Richtung Malbergen müsse ein Weg verlegt werden, weil eine große Halle gebaut werden sollte. Die Erzsinteranlage sollte noch hinter der Hagenerstraße, in die Nähe des Westerkamps, errichtet werden.582 Die Schule583 an der Ulmenstraße müsse außer Betrieb gesetzt werden, damit das Werk auch diesen Platz nutzen könne. Damit würden die Werksanlagen bis zur Herz-Jesu-Kirche reichen. Das Werk stellte in Aussicht, »dass vor der katholischen Kirche eine schöne Grünanlage geschaffen werden soll, damit das Ortsbild nicht verunstaltet wird.«584 Auch der Osterberger Weg sollte umgehend gesperrt werden. »Die Linienführung der Werksstraße macht die Aufhebung des jetzigen Weges erforderlich«,585 stellte die Werksleitung klar. Eine Zuwegung zur Osterberger Kolonie wäre dann nur noch über Oeseder Gemeindegrund möglich.

579 Im Jahr 1905 448 Wohnungen, 1925 673 Wohnungen, vgl.: Susanne Meyer: Die Arbeiterwohnsiedlung der Georgsmarienhütte, in: Junge Stadt – Alte Traditionen. Festschrift anläßlich 900 Jahre Kirche in Oesede, S. 189–203, hier S. 200. 580 Sitzung des Ausschusses zur Zusammenlegung am 13. Mai 1952, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. 581 Aktennotiz über eine Sitzung am 28. Februar 1951, ebd. 582 Jahrmann machte den Vorschlag, ebd. 583 Heute Standort eines großen Supermarktes in Alt-Georgsmarienhütte. 584 Esders in seiner Eigenschaft als Werksplaner in der im Anschluss an die Werksbesichtigung erfolgten Besprechung am 28. Februar 1951, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. 585 Außer Esders waren werksseitig vertreten: Direktor Heemeyer, Herr Stolzenberg, Herr Kuhlmann, Herr Lepper, Herr Pohlmann, ebd.

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Abb. 1: Das Stahlwerk befand sich Mitte der 1950er Jahre in einer Expansionsphase und brauchte Platz in allen Richtungen. Foto: zur Verfügung gestellt von Werner Beermann

Es wurden noch weitere Planungen vorgestellt und Wünsche geäußert, die z. T. auch die Gemeinde Oesede betrafen, z. B. die Zuwegung von Oesede aus zum Werk. Werks-Direktor Heemeyer erklärte, »daß die Umstellung und Erweiterung des Werkes unumgänglich sei, wenn die Zukunft des Werkes gesichert sein soll.«586 Grundsätzlich stimmte Bürgermeister Ludwig Spellbrink den Vorhaben zu: »Selbstverständlich müsse das Werk seinen Anforderungen auch gewachsen sein und nicht in seiner Planung gehemmt werden, wo immer es zu verantworten sei.«587 Mit eigenen Ideen brachte das Ratsmitglied Jahrmann die Diskussion voran. Z. B. könne man mit dem Bau eines Tunnels die beiden durch das Werk getrennten Siedlungsteile Georgsmarienhüttes wieder verbinden oder große Wohnblocks für Arbeiter bauen. Er war es auch, der die Zusammenlegung zuerst ins Gespräch brachte: »Ferner halte er es im Interesse der Werkserweiterung für ratsam, wenn die beiden aneinandergrenzenden Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte, die beide auch von der künftigen Erweiterung betroffen

586 Ebd. 587 Ebd.

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werden, sich zu einer Großgemeinde zusammenschließen.«588 Das Thema einer ersten Vorbesprechung sollte die Ortsplanung sein.

2.3.1.4. Die Oeseder Bauern Die Landwirtschaft erholte sich nach dem Krieg nur langsam. Sieben Jahre nach dem Krieg überstieg die Erntemenge der landwirtschaftlichen Erzeugnisse erstmals wieder das Vorkriegsniveau. Es mangelte an Arbeitskräften. Wer die Möglichkeit hatte, ging in die Industrie, wo die Arbeitsbedingungen besser waren als in der Landwirtschaft.589 Der Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft sank kontinuierlich. 1950 betrug er kreisweit 52,3 %, 1965 nur noch 30 %.590 Die Landwirtschaft war in der Nachkriegszeit einem starken Wandel unterworfen. Die Arbeit selbst veränderte sich. Bedingt durch den massiven Arbeitskräftemangel waren große Investitionen in landwirtschaftliche Maschinen nötig. Kleinere Betriebe schafften das kaum und wurden zu Nebenerwerbsbetrieben, deren Eigentümer erst nach der Schicht auf dem Stahlwerk landwirtschaftlich tätig wurden. Nur für die großen Bauern lohnte sich die Vollerwerbslandwirtschaft noch, aber genau die waren einer geplanten Ortskernentwicklung in Oesede, der Ausweisung von Baugebieten und der Ausweitung des Werkes im Wege. Allein im Zentrum waren dies die Höfe Meyer zu Oesede, Hof Averdiek, Hof Möller und der Hof Gerding.591 Bereits vor der Festlegung des endgültigen Verlaufs der B 51 war klar, dass diese vier Höfe umgesiedelt werden mussten. Auch für die Baugebiete mussten die Bauern Land abgeben. Entweder bekamen sie Austauschgelände oder sie wurden finanziell entschädigt. Über die Höhe der Entschädigungen gab es 1963 eine Auseinandersetzung. Das Land wollte für Agrarland nur 3,50 DM-8,00 DM pro qm zahlen, die Oeseder Bauern verlangten 15 DM pro qm.592 Wie viele Konflikte und Auseinandersetzungen es vorher schon gegeben hatte, darüber kann nur spekuliert werden. Für die Entschädigung beschafften sich die Bauern z. T. Ersatzland. Bauer Averdiek z. B. kaufte sich in den Niederlanden Kulturland. Die Bauern waren in Oesede im Gemeinderat vertreten, sie versuchten die Planungen der B 51 aufzuhalten und plädierten dafür, dass die Oeseder Straße verbreitert und der Schwerverkehr auf die nahen Autobahnen ausgelagert werde, dann sei die »Umgehungsstraße, wie man sie in Oesede plane wohl 588 589 590 591 592

Ebd. Schrulle: Die Nachkriegszeit, S. 48f. Ebd., S. 58. »Oesede: Abänderungsvorschlag zur Führung der Umgehungsstraße«, NT, 19. Januar 1960. »Harte Kritik am Straßenbauamt«, NT, 11. September 1963.

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überflüssig.«593 Dies war ein unrealistischer Vorschlag, denn der Schwerverkehr des Werkes musste notgedrungen erst zur Autobahn kommen, der Weg dorthin führte – solange es die Umgehungsstraße noch nicht gab – mitten durch den Ort. 2.3.1.5. Der Landkreis Der Landkreis Osnabrück bestand seit 1932 nur aus einem Bruchteil des Gebietes, das er heute umfasst. Er war jedoch von den vier Altkreisen Bersenbrück, Wittlage und Melle der größte und der bedeutendste des Regierungsbezirks.594 Er umschloss die Umlandgemeinden der Stadt Osnabrück, die selbst kreisfrei war. Der Landkreis Osnabrück war relativ dicht besiedelt und stärker als andere Kreise der Region durch die Erzvorkommen im Hüggel und deren Verhüttung durch das Stahlwerk in Georgsmarienhütte industriell erschlossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ernannte die britische Militärregierung den während des ›Dritten Reiches‹ inhaftierten Sozialdemokraten Walter Bubert zum Landrat. Im Februar 1946 wurde er hauptamtlicher Oberkreisdirektor und blieb dies bis zu seinem Tod im Jahr 1950. Das Amt des ehrenamtlichen Landrates bekam der parteilose Fabrikant Hugo Homann aus Dissen, der bei den Kreiswahlen im Oktober 1946 von Tischlermeister Wilhelm Erpenbeck abgelöst wurde. Er blieb bis 1948 im Amt. Seit 1949 wirkte Walter Giesker aus Jeggen für 15 Jahre als Landrat.595 1952 wurde Heinrich Backhaus596 neuer Oberkreisdirektor. Die Stadtumlandplanung wurde von ihm seit 1956/1957 »mit Nachdruck«597 betrieben. Die Lage des Kreises als Ring um die Stadt Osnabrück wirke sich positiv auf das Umland aus. »Handel und sonstige Dienstleistungen konzentrierten sich […] 593 »Oesede: Ein schwieriges Problem. Umgehungsstraße lebhaft diskutiert«, NT, 24. März 1954. 594 Arnold Beuke: Der Weg zum Großkreis: Verwaltungs- und Gebietsreform im Osnabrücker Land, in: ders. (Hg.): Zu Hause zwischen Hof und Stahl, S. 78–131, hier S. 83. 595 Schrulle: Die Nachkriegszeit, S. 34f. 596 Heinrich Backhaus wurde am 31. Mai 1912 in Hannover geboren und studierte in Marburg und Berlin Jura. Seine Dissertation, »Die Haftung des Staates bei der amtlichen Verwahrung«, reichte er 1937 in Marburg ein. Sein abschließendes Examen legte er beim Kammergericht in Berlin ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm er eine Tätigkeit im Kultusministerium und bei der Klosterkammer in Hannover auf. 1951 wurde er als Oberkreisdirektor des Landkreises Osnabrück gewählt, 1962 mit knapper Mehrheit im Amt bestätigt, NT, 28. April 1962; 1972 mit der Gründung des Großkreises musste er seinen Posten für Wolfgang Kreft vom aufgelösten Landkreis Bersenbrück räumen. »20 Jahre Oberkreisdirektor« NOZ, 20. März 1971; Zu diesem Zeitpunkt dauerte seine Amtszeit noch zwei Jahre und er wurde beauftragt, eine Geschichte des Landkreises anzufertigen. 1986 verstarb er. Heinz Köhne: Die Kreise des Osnabrücker Landes. Verfassung und Ämterbesetzung in den Kreisen Bersenbrück, Iburg, Melle, Osnabrück und Wittlage 1885–2000, Osnabrück 2001, S. 59. 597 Schrulle: Die Nachkriegszeit, S. 57.

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dagegen stärker auf die Stadt Osnabrück, so dass ein enges Geflecht wechselseitiger Beziehungen und Abhängigkeiten erwuchs.«598

2.3.2. Der Aushandlungsverlauf: Der Zusammenlegungsversuch 1951 Jahrmanns Anregung vom 28. Februar 1951 wurde umgesetzt.599 Am 9. April 1951 trafen sich die Gemeinderäte von Oesede, Georgsmarienhütte und der Werksvorstand. Die erste Sitzung sollte eigentlich nur eine »zwanglose Besprechung«600 sein, schnell formierten sich jedoch die einzelnen Positionen zur Zusammenlegung, die sich innerhalb des folgenden Jahres nicht wesentlich veränderten. Der wichtigste Verfechter der Zusammenlegung war der Georgsmarienhütter Hausarzt Jahrmann. Er gehörte zu den wenigen Menschen in Georgsmarienhütte, die »noch nach der Machtergreifung bei den Kommunalwahlen gegen die Partei [NSDAP IB.] gearbeitet haben.« Der damalige Kreisleiter Leo Baumgartner diffamierte ihn als einen Menschen, der nur mit »demokratisch gesinnten Personen«601 Umgang pflege. Vom 15. September 1946 bis zum 13. März 1961 war er Mitglied im Gemeinderat und von September 1946 bis November 1956 gehörte er dem Kreistag an, von November 1959 bis März 1961 stand er auf der Ersatzliste.602 Er war es, der die Idee der Zusammenlegung in die Diskussion brachte und weitere Planungen in den Gemeinderäten und die Gründung eines zehnköpfigen (+ zwei Verwaltungsangestellten) Zusammenlegungsausschusses per Antrag erwirkte, obwohl die Oeseder Ratsherren in der Frage der Zusammenlegung zurückhaltend waren und immer wieder fragten: »Was springt bei dem Zusammenschluß heraus? Welche Vorteile hat die Gemeinde Oesede?«603 Doch diese Frage wollte Jahrmann gar nicht beantworten, er hatte von einer Zusammenlegung der beiden Gemeinden zu einer Großgemeinde eigene Vorstellungen. In Georgsmarienhütte sei kein Baugelände mehr vorhanden und es bestehe die Schwierigkeit, für öffentliche Bauten wie Stadion, Sportplatz, Marktplatz, 598 Ebd. 599 Ludwig Spellbrink behauptete in der Sitzung am 27. Juni 1951, die Zusammenlegungsgespräche seien veranlasst durch das Werk, das sich auf jeden Fall erweitere. Die Zusammenlegungsgespräche fanden auf der Grundlage des Geogsmarienhütter Gemeinderatsbeschlusses vom 21. März 1951 statt, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 600 Bürgermeister Ludwig Spellbrink laut Protokoll der Sitzung am 9. April 1951, ebd. 601 Bojara: Die Klöckner Werke AG-Abteilung Georgsmarienhütte, S. 86. 602 NLA OS Dep 81 b, Nr. 5. 603 Ratsherr Richter laut Protokoll der Sitzung am 9. April 1951 und Ratsherr Jahrmann laut Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Gemeinderäte Oesede und Georgsmarienhütte am 27. Juni 1951, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1.

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Schulen, Krankenhaus, Festhalle, Feuerwache und ein »respektables Rathaus […], das auf Jahrzehnte allen Anforderungen genüge«,604 Bauplätze zu finden, sprach er im Rat die bestehenden Probleme an, um daraus seine Vision für die zukünftige Entwicklung abzuleiten. Die neue Großgemeinde solle Mittelpunkt des Kreises werden. Er sprach von einer Kreishauptstadt, in der 4.000 zusätzliche Menschen angesiedelt werden könnten.605 Das Zentrum solle auf der Karolinenhöhe in Oesede sein, wo weitere Siedlungen geplant werden könnten.606 Nur in Oesede könne noch Baugelände erschlossen werden, »notfalls müsse evtl. ein Bauernbetrieb durch Umsetzung verschwinden.«607 Jahrmann sprach ein Problem an, dass alle an den Verhandlungen Beteiligten betraf: Land war genug vorhanden, aber es wurde landwirtschaftlich genutzt und stand im Eigentum von Landwirten. »Wo die Bauern bleiben sollen, die durch die Orts- und Werksplanung ihre jetzigen Hofstellen aufgeben müssen«,608 fragte einer der Oeseder Ratsherren. Oeseder Ratsherr Vocke verwies darauf, dass die Bauern in dieser Angelegenheit die größten Opfer bringen müssten, diese Benachteiligung sehe er nicht ein. »Wir leben noch immer vom Essen und Trinken«.609 Auch Oesedes Bürgermeister Eichberg hatte ein Problem mit den Oeseder Bauern. Er wollte den Ortskern entwickeln, wobei ihm vier große Höfe im Weg waren.610 Ohne Umsiedlung sei nichts zu wollen,611 erteilt er eine Absage an seine Gemeinderäte, die mit der Landwirtschaft ihr Geld verdienten und möglichst wenig Land abgeben wollen. Einer Vision, wie Jahrmann sie vorschwebte, hing er aber nicht an. Bei einer Zusammenlegung gehe es nicht um die Errichtung von öffentlichen Bauten, sondern um den »sozialen Wohnungsbau«.612 Bürgermeister Wallrath Eichberg war ohnehin skeptisch und witterte Hintergedanken: »Welche Gründe dieser [der Georgsmarienhütter Gemeinderat IB.] gehabt habe, die Zusammenlegung der beiden Gemeinden in die Wege zu leiten?«613 wollte er von den Georgsmarienhütter Gemeinderat wissen. Er wolle zunächst nur Sorgen und Nöte besprechen und gemeinsame Planungen auf den Weg bringen. Bis zum Schluss der Verhandlungen blieb Eichberg in der Frage der Zusammenlegung unentschlossen. Als der Oeseder Gemeinderat in einem Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Zusammenlegung am 17. Juli 1951, ebd. Ebd. Jahrmann laut Protokoll der Sitzung am 11. November 1951, ebd. Jahrmann laut Protokoll der Sitzung am 9. April 1951, ebd. Ebd. Protokoll der Sitzung am 17. Juli 1951, ebd. Es waren dies die Höfe Meyer zu Oesede, Hof Averdiek, Hof Möller und der Hof Gerding. »Oesede: Abänderungsvorschlag zur Führung der Umgehungsstraße«, OT, 19. Januar 1960. 611 Protokoll der Sitzung am 17. Juli 1951, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. 612 Protokoll der Sitzung am 9. April 1951, ebd. 613 Protokoll der Sitzung am 27. Juni 1951, ebd.

604 605 606 607 608 609 610

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Ausschuss die Frage der Zusammenlegung unter sich erörterte, offenbarte er seinen Ratskollegen, dass er als Privatmann den Zusammenschluss ablehne und als Bürgermeister ihn nur dann befürworte, wenn es für Oesede Vorteile brächte.614 In den gemeinsamen Sitzungen aber räumte er ein: zwar sei man zu der Überzeugung gekommen, »daß die beiden Gemeinden eines Tages doch zusammenwachsen würden«,615 aber er setzte sich in den folgenden Sitzungen nicht aktiv für eine Zusammenlegung ein. Neben den Gemeinderäten war zumindest in der ersten Sitzung am 9. April 1951 der Werksvorstand anwesend. In den weiteren Sitzungen vertraten Ratsherren, die zugleich leitende Funktionen im Werk hatten, die Interessen des Werkes. Eine Zusammenlegung war ganz im Interesse des Werkes, das damit einen konkreten Zweck verfolgte. Das Werk wollte ein neues Siemens-MartinWerk errichten, die bisherigen Anlagen seien veraltet. Doch diese Pläne riefen einen enormen Platzbedarf in jeder Richtung hervor.616 Arbeitsdirektor Hille umriss das Problem: Die Gemeinde Oesede hätte schon »bei dem Umtausch von Grundbesitz großes Entgegenkommen gezeigt.«617 Im Gegenzug habe man den Oeseder sozialen Wohnungsbau mit 204.00 DM unterstützt. Doch dies auch nicht ganz selbstlos: Die Belegschaftsmitglieder sollten näher ans Werk ziehen, damit das Unternehmen den Zuschuss zu den Fahrtkosten, der sich im Monat auf 14.000 DM belaufe, einsparen konnte.618 Der Georgsmarienhütter Ratsherr Dipl.-Ing. Bernhard Esders, zugleich Werksplaner des Stahlwerkes und bereits an der Gebietsreform 1937 beteiligt, stellte im weiteren Verlauf der Verhandlungen unmissverständlich klar, »daß es dem Hüttenwerk an sich gleich sei, in welchen Gemeinden es liege, es sei nur für die Verhandlungen angenehmer, wenn alle Fragen mit einer Gemeinde verhandelt werden können.«619 Eine Großgemeinde sei auch für beide Gemeinden vorteilhafter. Auch der Oeseder Ratsherr Fritz Heringhaus, Blockverwieger, Betriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der Georgsmarienhütte Aktiengesellschaft,620 versuchte seinen Ratskollegen die Zusammenlegung schmackhaft zu machen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Großgemeinde »in einigen Jahren 614 Protokoll des Oeseder Hauptausschusses vom 25. Mai 1951, NLA OS Dep 81 b, Nr. 150. 615 Protokoll der Sitzung am 8. November 1951, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1. 616 Ratsherr Tegeler mutmaßte sogar, dass das Werk sich einst von Kloster Oesede bis Hasbergen erstrecken würde. Dies wurde aber von Werksdirektor Heemeyer verneint, Protokoll der Sitzung am 9. April 1951, ebd. 617 Ebd. 618 Ebd. 619 Protokoll der Sitzung am 27. Juni 1951, ebd. 620 Mitglied des Aufsichtsrates seit 29. Dezember 1949. Geschäftsbericht der Georgsmarienhütte Aktiengesellschaft vom 3. Geschäftsjahr vom 21. Juni 1948–30. September 1949, vorgelegt am 14. Dezember 1950, WWA Dortmund S 7–303/1.

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eine kreisfreie Stadt«621 werde. Mit Unterstützung der Industrie müsse die Zusammenlegung durchzuführen sein.622 Mit ›Unterstützung‹ war auch die Klärung der Abgabensituation gemeint, wenn die Hauptverwaltung des Werkes einmal nach Düsseldorf verlegt würde, wie Esders in einer der Sitzungen lancierte.623 Auf Eichbergs Fragen, welchen Vorteil Oesede denn von einer Zusammenlegung hätte, zeigte er ihm Einsparungsmöglichkeiten beim gemeinsamen Bau von Wasserleitung und Kanalisation auf.624 Nicht nur der Werksvorstand war zur ersten Sitzung am 9. April 1951 geladen, sondern auch die Presse. Es gab zwei regionale Tageszeitungen: die Neue Tagespost und das Osnabrücker Tageblatt. Nach der ersten Sitzung titelte das Osnabrücker Tageblatt: »Zwei Gemeinden mit natürlichen Verbindungen zueinander«.625 Ausführlich wurde in dem Artikel beschrieben, welche Möglichkeiten eine Zusammenlegung bot. Wege und Straßen könnten gemeinsam geplant werden, ebenso wie die Erschließung von Baugebieten. In der Frage der Schmutzwasserentsorgung könnte man zusammen arbeiten, Strom- und Gasversorgung könnten einheitlich geregelt werden. Jede Gemeinde habe ihr Eigenleben, jedoch habe jede Gemeinde ein Interesse daran, mit dem Stahlwerk zusammenzuarbeiten. »Sicher ist jedenfalls, daß beide Gemeinden in gemeinsamer Verwaltung mehr leisten können als jede für sich«,626 urteilte das Blatt. Der Landkreis werde die Zusammenlegung begrüßen, zumal die wachsende Industrie den Landkreis nur noch stärker mache, glaubte der Verfasser dieses Artikels und täuschte sich hierin gründlich. Einige Tage vor der zweiten Sitzung am 27. Juni 1951 erschien am 23. Juni 1951 im Konkurrenzblatt, der Neuen Tagespost, ein Artikel mit der Überschrift: »Oesede und Georgsmarienhütte. Die beiden benachbarten Gemeinden haben wenig natürliche Verbindungen zueinander.«627 Die Zusammenlegungen 1927/ 1928 im Ruhrgebiet628 sei eine Modekrankheit gewesen. Der westliche Verlauf der B 51 trenne mehr als sie verbinde, es gebe kein gemeinsames Zentrum und kein gemeinsames kulturelles Leben. Alle planerischen und baulichen Maß621 622 623 624 625 626 627

Protokoll des Oeseder Hauptausschusses vom 25. Mai 1951, NLA OS Dep 81 b, Nr. 150. Protokoll der Sitzung am 17. Juli 1951, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. Protokoll der Sitzung am 27. Juni 1951, ebd. Ebd. »Zwei Gemeinden mit natürlichen Verbindungen zueinander«, OT, 13. April 1951. Ebd. »Oesede und Georgsmarienhütte. Die beiden benachbarten Gemeinden haben wenig natürliche Verbindungen zueinander«, NT, 23. Juni 1951. 628 Mit dem Gesetz vom 3. Juli 1929 über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes brachte vor allem eine Auflösung zahlreicher Landkreise und eine deutliche Stärkung der Ruhrstädte mit sich, die sich durch Zusammenlegung deutlich vergrößerten, wie z. B. die Städte Duisburg-Hamborn und Barmen-Elberfeld, vgl.: Ulrich Scheuner : Voraussetzungen der kommunalen Gebietsreform, in: von Unruh/Thieme/ Scheuner : Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, S. 57–128, hier S. 71.

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nahmen sollte man noch mehr als bisher schon auf die Erhaltung der räumlichen Trennung der bebauten Gemeinden abstellen, hieß es darin.629 Es folgte die zweite Sitzung des Ausschusses am 27. Juni 1951, in der der Georgsmarienhütter Bürgermeister Spellbrink eine heute nicht mehr erhaltene Stellungnahme des Landkreises vorlas. »Etwas Positives wird darin aber nicht gesagt«,630 fasste Bürgermeister Spellbrink den Inhalt des Schreibens631 zusammen. Die Initiative werde aber den Gemeinden überlassen. Dagegen liegt ein Schreiben des Oberkreisdirektors an die Gemeinde Oesede vom 19. Juni 1951 vor.632 Die Werkserweiterung sei unabhängig von einer »verwaltungsmäßigen Vereinigung«633 der Gemeinden zu sehen. Und weiter : »Ob es zweckmäßig erscheint, eine Grossgemeinde zu schaffen, ist eine Frage, die ohne Leidenschaft und sachlich geprüft werden muss.«634 Er empfahl einen Sachverständigen des Ruhrsiedlungsverbandes hinzuziehen, der allerdings 2.000 DM kosten würde. Der Oberkreisdirektor war nicht begeistert von den Zusammenlegungsplänen. Das wusste auch Jahrmann, der gleich in der ersten Sitzung gegensteuerte. Eine zusammengelegte Gemeinde von 13.000 Einwohnern reiche nicht für eine kreisfreie Stadt,635 aber sie könne sich zu einer solchen entwickeln, in diesem Fall ginge dem Kreis die Kreisumlage verloren,636 was nicht im Sinne des Oberkreisdirektors sein könne. Für eine Zusammenlegung war die Position des Landkreises von Bedeutung. Eine Zusammenlegung musste vom Landtag beschlossen werden und dieser beschloss meist auf Empfehlung von Kreis und Regierungspräsidium. Nach dieser Stellungnahme wurde die Zusammenlegung nicht mehr ernsthaft diskutiert. Im weiteren Gang der Verhandlungen ging es um den Verlauf der B 51. Soll die Bundesstraße östlich oder westlich des Ortskerns von Oesede verlaufen? Trennt die Straße, wenn sie westlich637 verlaufen würde, die beiden Gemeinden und verhindert damit ein Zusammenwachsen? Oder schirmt die Straße 629 »Oesede und Georgsmarienhütte. Die beiden benachbarten Gemeinden haben wenig natürliche Verbindungen zueinander«, NT, 23. Juni 1951. 630 Protokoll der Sitzung am 27. Juni 1951, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 631 Ein Schreiben des Oberkreisdirektors Backhaus an die Gemeinde Georgsmarienhütte war in den Akten nicht zu finden. 632 Oberkreisdirektor Backhaus an die Gemeinde Oesede, Schreiben vom 19. Juni 1951, NLA OS Dep 81 b Nr. 150. 633 Ebd. 634 Ebd. 635 Protokoll der Sitzung am 9. April 1951, ebd. 636 Das berichtete Fritz Heringhaus nach einem Gespräch mit dem Oberkreisdirektor Backhaus, Protokoll der Sitzung am 27. Juni 1951, ebd. 637 Die ursprüngliche Planung sah einen westlichen Verlauf vor, gegen den sich vor allem Jahrmann zur Wehr setzte. Am Ende blieb es dabei, dass die B 51 westlich des Ortskerns Oesede verläuft.

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den Ort von dem sich immer mehr nach Oesede ausdehnenden Werk ab? Die Frage wurde im Zusammenlegungsausschuss so eingehend diskutiert, dass zeitweise der Zweck des Ausschusses, die Zusammenlegung, gar nicht mehr zur Sprache kam. Da die Ortsplanung für beide Gemeinden und dem Stahlwerk von zentraler Bedeutung war, lud die Regierung Osnabrück zu einem »Landesplanerischen Termin«638 am 25. März 1952 ein. Anwesend waren die beiden Bürgermeister Spellbrink und Eichberg, der Oeseder Gemeindedirektor Börger, Ratsherr und Werksdirektor Esders, Herr Lepper, ebenfalls Vertreter des Werkes, Paul Gerhardus, der zu diesem Zeitpunkt noch beim Kreis arbeitete und bereits 1941 die Westvariante der B51 favorisierte, Vertreter weiterer Ämter und J. Wasserthal von der Bezirksregierung Osnabrück. Bei diesem Treffen wurden Wünsche der Beteiligten ausführlich und sachlich besprochen. Sie betrafen die Verlegung der Düte in der Gegend des Oeseder Bahnhofs, Umgestaltungspläne des Bahnhofs Oesede wegen der Gleisanlagen der Hüttenbahn und die Festlegung des Verlaufs der B 51 auf die westliche Variante. »Für den Verkehr von der Hütte zur B 51 und umgekehrt liegt die westliche Umgehungsstrasse günstiger als die östliche«,639 vermerkte das Protokoll über die Sitzung. In diesem Punkt hatte sich das Werk durchgesetzt, aber bei der Ausweitung nach Süden stießen die Hüttendirektoren auf Georgsmarienhütter Widerstand der Gesprächsteilnehmer. Die Verlegung der Alten Post und der Marienschule gegenüber der Ulmenstraße sei ihnen noch nicht hinreichend untersucht. Überhaupt sei eine weitere südliche Ausdehnung des Werkes über die L 95 hinaus »noch nicht vollständig geklärt«,640 hingegen sei die nördliche Ausdehnung Richtung Osterberg »einwandfrei anerkannt«.641 Damit war zumindest im Frühjahr 1952 die Frage des Straßenverlaufs der B 51 vorläufig geklärt, die nun ganz im Sinne der Werksleitung verlief. Das versetzte vor allem Jahrmann, der sich vehement für die östliche Variante ausgesprochen hatte, in Aufregung. Er verstehe den Standpunkt der Straßenplaner nicht. »Wir müssen zu einer Willenskundgebung kommen«,642 forderte er in der vorläufig letzten Sitzung dieses Ausschusses, in der die Zusammenlegung nicht einmal mehr thematisiert wurde. Zum nächsten Termin in 14 Tagen sollte die Gemeinde Oesede den Oberbaurat Meyer einladen, um mit ihm den Verlauf der B 51 eingehend zu diskutieren. Dieser aber sagte den vereinbarten Termin ab, und Gemeindedirektor Börger teilte seinem Georgsmarienhütter Kollegen Twiehaus

638 NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 639 Vermerk über die Besprechung in Georgsmarienhütte am 25. März 1952 betr. Industrieflächenausweisung, ebd. 640 Ebd. 641 Ebd. 642 Protokoll der Sitzung am 13. Mai 1952, ebd.

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mit, dass ein Termin nach Pfingsten in Aussicht gestellt worden sei.643 Auf diesen in Aussicht gestellten Termin wartete der Georgsmarienhütter Gemeinderat vergeblich. Mit dem lautlosen Ende des Zusammenlegungsausschusses war für die Gemeinderäte das Thema beendet, nicht aber für den Landkreis und die Bezirksregierung. Backhaus musste fürchten, dass die Zusammenlegungspläne jederzeit wieder aus der Schublade geholt werden würden. Er gab ein Gutachten beim ehemaligen Kreisbaumeister Paul Gerhardus644 in Auftrag, das 1956 vorlag und auf das er nun bei Nachfragen verwies. So schrieb er 1956 an den Regierungspräsidenten: »Die Entscheidung ist nicht nur für die Einwohner beider Gemeinden von erheblicher Bedeutung. Sie beeinflusst darüber hinaus die Struktur des ganzen Landkreises erheblich.«645 Ausführlich führte er Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Gemeinden aus und schnitt Probleme an, die in den Ausschüssen noch gar nicht zur Sprache gekommen waren: Wo wird das Zentrum liegen? In Oesede, an der Karolinenhöhe, in Georgsmarienhütte? Die jetzigen Ortskerne, sofern sie überhaupt ausgemacht werden könnten, lägen sieben Kilometer auseinander, ein Zusammenwachsen sei nicht möglich. Ein wirtschaftlicher Mittelpunkt werde sich nicht herausbilden, weil in Osnabrück billiger und in größerer Auswahl gekauft werden könne. Auch kulturell bleibe die neue Gemeinde auf der Strecke. Kino und Gesellschaftsräume würden besucht, aber sonst entstehe kein kultureller Mittelpunkt. Einen Vorteil bei einer Zusammenlegung sah Backhaus allerdings sehr genau: Oesede hatte »eine grosse Zahl in Georgsmarienhütte Beschäftigter aufgenommen […], ohne dass ihr die vom Arbeitseinkommen abhängigen Steuern dieser Beschäftigen – abgesehen vom unzulänglichen Steuerausgleich – zufliessen.«646 Dieses Missverhältnis bescherte Oesede die niedrigsten Pro-Kopf-Steuereinnahmen im ganzen Landkreis.647 Bei einer Zusammenlegung würde eine finanzielle Ausgleichssituation hergestellt werden. Backhaus Urteil in dem umfangreichen Schreiben aber lautete: »Dieser mögliche Ausgleich zwischen beiden Nachbargemeinden darf jedoch nicht zu der Folgerung führen, dass allein die Tatsache des hinreichenden wirtschaftlichen Ausgleichs einen Zusammenschluss rechtfertige. Das würde heißen, einer steuerlich

643 Gemeindedirektor Börger an Gemeindedirektor Twiehaus, Schreiben vom 20. Mai 1952, ebd. 644 Gerhardus-Gutachten, ebd. 645 Backhaus an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 17. April 1956, ebd. 646 Ebd. 647 Pro Kopf Steuereinnahmen 188,18 DM in Georgsmarienhütte; in Oesede 31, 14 DM, eine mögliche Großgemeinde: 101,36 DM; Osnabrück 142,85 DM, Glandorf 168,15 DM, Hilter 111,89 DM, Iburg 93,50 DM. Ebd., S. 6.

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besser gestellten Gemeinde den Gewinn abschöpfen und damit das Defizit im Haushalt einer schwächeren Gemeinde auszugleichen.«648

Dies war ein ganz und gar unverständliches Argument, da die Verhandlungen ja von der finanzstarken Gemeinde Georgsmarienhütte ausgegangen waren, lag aber ganz im Sinne des Landkreises. Oesede zahlte mehr Kreisumlage als Georgsmarienhütte. Mag Oesede auch der ›Kostgänger‹ aller kreisangehörigen Gemeinden gewesen sein, auf die Kreisumlage mochte der Kreis nicht verzichten. Trotz zahlreicher Vorteile wollte der Landkreis in den 1950er Jahren keine Zusammenlegung und begründete dies mit dem abschließenden Argument: »Eine Zusammenlegung würde unter den gegebenen Umständen nur eine Addition der Gebietsflächen und der Einwohnerzahlen sein, nicht aber zu einem regen, geistig-kulturellen und kommunal-politischen Leben führen.«649 Werner Johannsen, der Architekt der Sozialen Wohnungsbaugesellschaft, die für Oesede schon mehrere Siedlungen gebaut hat, schickte 1956 »auf Bitten von Dr. Backhaus«650 eine private und persönliche Stellungnahme an Wallrath Eichberg. Darin zeichnete er ein eindrucksvolles Bild der Oeseder Entwicklung mit »Trabantensiedlungen«651 im Süden Oesedes und einem Ortskern mit Kirche im Mittelpunkt. Der westlich geführte, ortsnahe Verlauf der Umgehungsstraße B 51 sei eine »Wirtschaftsader«652 für Oesede, denn es sei »eine alte bekannte Tatsache, daß wirtschaftlich aufstrebende Gemeinden durch Anlegen von Umgehungsstraße – die zu weit von dem Ortskern entfernt – erdrosselt wurden.«653 Mit der Westvariante der B 51 sei aber ein städtebauliches Zusammenwachsen nicht möglich, vermerkte der Architekt. Auch ihm entging nicht, dass Oesede für mittlerweile 1.400 Pendler nach Georgsmarienhütte Wohnungen baute und Infrastruktur vorhielt, »ohne dabei einen grösseren wirtschaftlichen Vorteil zu haben«,654 doch verwies er auch auf die Oeseder Landwirtschaft, in der die Gemeinde ein starkes Rückgrat habe.655 Eine Zusammenlegung bedeute, dass eine Großgemeinde qualifizierte Kommunalbeamte beschäftigen könne, führte er noch an. »Gute Kommunalbeamte bieten die beste Voraussetzung dafür, daß der wirtschaftliche Aufschwung industrieller Betriebe zum Wohle der Gemeinde

648 Ebd., S. 7. 649 Ebd., S. 12. 650 Werner Johannsen an Bürgermeister Wallrath Eichberg, Schreiben vom 20. Februar 1956, NLA OS Dep 81 b, Nr. 150. 651 Ebd. 652 Ebd. 653 Ebd. 654 Ebd. 655 30 selbstständige Landwirte und 128 Nebenerwerbsbetriebe unter 5 ha, ebd.

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genutzt werden«656 könne, machte er sich eigentlich für eine Zusammenlegung stark. Aber er kam zu einem anderen Ergebnis: »Aus städtebaulichen, kulturellen und wirtschaftlichen Gründen kann ein Zusammenwachsen der beiden Gemeinden nicht befürwortet werden, dagegen muss eine enge Zusammenarbeit angestrebt werden.«657 Gleichgültig von welcher Seite aus die Fakten betrachtet werden: Oesede löste mit hohem Kostenaufwand für Georgsmarienhütte die Siedlungsprobleme, und das war allemal ein Argument für eine Zusammenlegung. Zu diesem Schluss kam auch die Bezirksregierung, die sich erst spät, nämlich 1954, in den bereits an Schwung verlierenden Aushandlungsprozess einschaltete.658 Empfindlich reagierte man dort auf die Einstellung Backhaus’. In einem internen Vermerk aus dem Jahr 1955 hieß es: »Der Bericht des Landkreises zeugt von »wenig Sachkenntnis oder mangelnder Verwaltungscourage.«659 Der Landkreis müsse sich über die zukünftige Entwicklung im ›Raum‹ Georgsmarienhütte/Oesede, angesichts der »Verfilzung der Teilräume«660 Gedanken machen, und mehr Initiative für die Zusammenlegung aufbringen. In einer kurzgefassten landesplanerischen Stellungnahme wertete die Regierung das Gerhardus-Gutachten anders aus als der Landkreis. Von 16 Bewertungspunkten sprächen 10 für eine Zusammenlegung.661 Die westliche Straßenführung der B 51 verhindere keineswegs ein Zusammenwachsen der Gemeinden. Die L 95 werde unter der B 51 hindurchgeführt und sorge somit für eine »flüssige und gefahrlose Verkehrsverbindung«662 zwischen den beiden Gemeinden. Außerdem schirme die Straße den Ortskern Oesede vom Stahlwerk ab. Auch die Frage des Ortsmittelpunktes sei lösbar. Wesentliches Argument war wieder die Finanzsituation der Arbeiterwohnsitzgemeinde. Oesede habe eine »überraschende Steigerung der Siedlungstätigkeit im Interesse der Georgsmarienwerke«663 vollzogen, »diese führte aber zu einer die eigene Steuerkraft übersteigenden Belastung.«664

656 Ebd. 657 Ebd. 658 Der Landkreis wurde am 8. Dezember 1954 gebeten, zu den Zusammenlegungsplänen Stellung zu beziehen. Backhaus antwortete erst ein Jahr (!) später auf die Aufforderung am 21. Dezember 1955, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 659 Vermerk vom 21. Dezember 1955 ohne Unterschrift, aber vermutlich vom Regierungspräsidenten Friemann, ebd. 660 Ebd. 661 Kurzgefasste landesplanerische Stellungnahme, 8. Juni 1956, ebd. 662 Ebd. 663 Ebd. 664 Ebd.

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Die Gemeinde »kann unter diesen Verhältnissen kommunalpolitisch nur gesund bleiben, wenn es sich in irgendeiner Form an den stärkeren Bruder GMHütte anlehnt.«665 Der ›Raum‹ Georgsmarienhütte/Oesede könne wie ein »selbständiger Trabant«666 entwickelt werden. »Gedacht ist an den Typ einer Kleinstadt von etwa 20.000 Einwohnern mit einem Eigenleben, das etwa dem von Bramsche oder Melle entspräche«,667 wurde in der Stellungnahme vorgeschlagen. Alle Argumente, die 1956 noch für eine Zusammenlegung sprachen, waren zwei Jahre später hinfällig. Dies zeigt ein Vermerk über ein Gespräch des Regierungspräsidenten Egon Friemann mit dem Regierungsvizepräsidenten Metzner aus dem Jahr 1958.668 Inzwischen war die Zerlegungssteuer669 eingeführt worden, die mehrgemeindliche Betriebsstätten wie das Stahlwerk, das sich immer mehr auf Oeseder Gemeindegrund ausgedehnt habe, zur Teilung des Gewerbesteueraufkommens verpflichtete. Da die Gemeinde von dieser Zerlegungssteuer profitiere, herrsche nun in Oesede »keine unbedingte Finanznot mehr«,670 und »eine Zusammenlegung soll nicht weiter verfolgt werden.«671 Backhaus’ Verhinderungstaktik zeigte Wirkung. 1963 kamen erneut Gespräche zur Zusammenlegung auf. Inzwischen hatte das politische Personal gewechselt. In Oesede war der spätere niedersächsische Finanzminister Burkhardt Ritz im Amt des Bürgermeisters, der von dem 1959 ins Amt berufenen Gemeindedirektor Rudolf Rolfes begleitet wurde. Konnte Wallrath Eichberg, aus welchen Gründen auch immer, Anfang der 1950er nicht erkennen, dass eine Zusammenlegung vor allem finanzielle Vorteile für Oesede bringen würde – Ritz und Rolfes war die Lage sofort klar. Mit der wenig konkreten Aussage, man wachse ja doch zusammen, traten diesmal die Oeseder an den Georgsmarien665 666 667 668 669

Ebd. Ebd. Ebd. Vermerk über ein Gespräch vom 13. Januar 1958, ebd. Das Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes vom 5. Oktober 1956 sah eine gerechtere Verteilung der Gewerbe- und Lohnsummensteuer bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten vor. Allerdings musste der Verteilungsschlüssel beim zuständigen Finanzamt beantragt werden. Das Berechnungsverfahren war sehr kompliziert und musste gegen den Widerstand der abgebenden Gemeinde durchgeführt werden. Oesede beauftragte einen erfahrenen Rechtsanwalt, der im Jahr 1957 von der Gemeinde Georgsmarienhütte eine Verteilung der Gewerbe- und Lohnsummensteuer von 68 % zu 32 % erstritt. Vor der Einführung der sog. Zerlegungssteuer war das Verhältnis 96,43 % zu 3,57 %. In den Folgejahren wurde um jedes Prozent gestritten. Oesede bekam jedes Mal Recht. 1966 betrug Oesedes Anteil 44,79 % der Gewerbesteuer des Werkes, sechsstellige Summen wurden von einem Gemeindekonto auf das andere überwiesen. NLA OS Dep 81b, Nr. 51. 670 Vermerk über die Besprechung mit Regierungspräsident Friemann und Regierungsvizepräsident Metzner am 13. Januar 1958, NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 1. 671 Ebd.

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hütter Rat heran. Dort war Bürgermeister Intrup, ehemaliges Aufsichtsratsmitglied der Georgsmarienhütte AG zusammen mit Gemeindedirektor Trepper tätig. Im Verwaltungsausschuss wurde eine Zusammenlegung bzw. ein Zusammenwachsen noch einmal kurz diskutiert. Die Akte von 1951 mit dem ablehnenden Schreiben Heinrich Backhaus’ und das Gerhardus-Gutachten, das ebenfalls von einer Zusammenlegung abriet, wurden zur Kenntnis genommen, die Stellungnahme des Regierungspräsidenten, der aus steuerlichen Gründen eine Zusammenlegung befürwortet hatte, allerdings auch. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die Georgsmarienhütter keine Veranlassung, die vollen Kassen mit der Nachbargemeinde zu teilen. Dass die Gemeinde seit Einführung der sog. Zerlegungssteuer alljährlich große Summen der Gewerbe- und Lohnsummensteuer an Oesede überweisen musste, hatte die Kommunikation zwischen den beiden Gebietskörperschaften nicht erleichtert. Überdies hatte das Werk die anstehenden Probleme offensichtlich auch ohne Zusammenlegung in den Griff bekommen. »Ein Beschluß wurde nicht gefaßt« endete die kurze Diskussion zu diesem Punkt im Protokoll des Georgsmarienhütter Verwaltungsausschusses vom 29. April 1963.672

2.3.3. Auswertung Als die Georgsmarienhütter Ratsleute die Oeseder Ratsleute einluden, um über eine Zusammenlegung zu sprechen, hatte vor allem Jahrmann Großes mit seiner Gemeinde vor. Die Expansionspläne des Werkes, das sich nach allen Seiten ausdehnen wollte, veranlassten den Mediziner zu hochfliegenden Plänen. Ihm schwebte eine große Gemeinde, die sich städtisch entwickeln sollte, mit Häuserblocks, Stadion und Marktplatz, vor. Jahrmann kannte den Ort, er hatte die Nazi-Zeit und das Kriegsende miterlebt. Seit 1946 im Gemeinderat, wusste er, was Nachkriegs- und Flüchtlingselend bedeuteten und wie sich die Gemeinde seit der Währungsreform 1948 in rasantem Tempo verändert hatte. Er vertrat eine Gemeinde, in der die Steuereinnahmen reichlich flossen und der es augenscheinlich an nichts mangelte. Warum nicht einmal Visionen äußern? Jahrmann war der Wortführer der Zusammenlegung, doch die Interessen des Werkes waren für ihn sekundär. Das engagierte Gemeinderatsmitglied ging bei den Zusammenlegungsplänen keine Verbindung mit dem Stahlwerk ein. Die Besprechungen zielten nicht darauf ab, »daß Gelände für das Werk bereit gestellt werden soll«,673 wehrte er eine mögliche Phalanx zwischen Georgsmarienhütter Gemeinderat und dem Stahlwerk ab. Auch die Oeseder Bauern verprellte er. 672 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 29. April 1963, ebd. 673 Protokoll der Sitzung am 9. April 1951, ebd.

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Leichtfertig tat er kund, dass Höfe »verschwinden« müssten, während Bürgermeister Eichberg beschwichtigend von »Umsiedlung« sprach. In einer späteren Sitzung modifizierte er seine Aussage und sprach davon, dass die Bauern auch zu ihrem Recht kommen müssten.674 Als Mitstreiter im Georgsmarienhütter Gemeinderat hatte er Bürgermeister Spellbrink, der ihm mit Argumenten zur Seite stand. Besonderes Augenmerk richtete Jahrmann auf den Verlauf der B 51, der die Beteiligten – auch die, die sich eigentlich einig sein müssten – entzweite. Jahrmann plädierte für einen von Oesede östlichen Verlauf der Straße, weil damit wertvolles Gelände zum Aufbau von Gemeindeeinrichtungen erhalten bleiben würde. Das Stahlwerk aber wollte eine westliche Variante,675 weil der Schwerlastverkehr bei deren Realisierung nicht durch den Ort Oesede musste. Damit hatte er seine eigenen Ratskollegen, die die Werksinteressen vertraten, ebenso verprellt, wie auch die werksangehörigen Ratsleute in Oesede. Das gleiche galt für die Oeseder Bauern, die überhaupt keine Umgehungsstraße wollten, sondern den Ausbau der bisherigen B 51, die bis weit in die 1950er Jahre ungepflastert durch Oesede führte. Auch im Oeseder Bürgermeister fand Jahrmann keinen Verbündeten. Wallrath Eichberg musste für eine große Anzahl Wohnungssuchender Lösungen finden. Er sah seine Aufgabe darin, die Landwirte zu überzeugen, für Baugebiete Land abzugeben und diese kostengünstig zu erschließen. Darauf war er fokussiert, zumal die Entwicklung des Ortskerns solange brachliegen würde, bis der Verlauf der B 51 endgültig geklärt war. Der Verlauf der B 51 auf der Ostseite des Ortes erschien ihm zunächst günstiger, da aber der Landkreis und das Straßenbauamt von einer östlichen Variante nichts wissen wollten, war ihm auch die westliche Variante recht. So blieb Jahrmann mit seinen Plänen zur Entwicklung der Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede isoliert. Wallrath Eichberg hatte keine Gelegenheit, Visionen zu entwickeln. Die Gemeinde Oesede hatte einen starken Zustrom an Flüchtlingen und Vertriebenen ebenso zu verkraften wie den vermehrten Zuzug von Menschen, die beim Stahlwerk beschäftigt waren. Er sah seine Aufgabe darin, die Wohnungsnot in Oesede zu lindern. Dabei wurde er vom Stahlwerk mit Geld, vom Land Niedersachsen mit Fördergeldern, Sach- und Dienstleistungen unterstützt. Mit dem Werk mochte er auf keinen Fall einen Konflikt eingehen. Er unterstützte das Werksbegehren nach mehr Land auf Oeseder Gemeindegrund und führte vermittelnde Gespräche mit der landbesitzenden katholischen Kirchengemeinde und den Bauern. Er signalisierte den Landwirten im und außerhalb des Rates 674 Protokoll der Sitzung vom 17. Juli 1951, ebd. 675 Die Position des Werkes war nicht durchgängig gleich. Zwischendurch tendierte Esders auch zur östlichen Variante. Es ist natürlich möglich, dass Esders wegen des Streites über den Verlauf nicht den Gang der Gespräche gefährden wollte, Protokoll der Sitzung am 13. Mai 1952, ebd.

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unmissverständlich, dass ohne Umsiedlung keine Weiterentwicklung möglich sei. Wie mit dem Werk, so riskierte er keinen Konflikt mit dem Landkreis. Seine Gemeinde war eine der ärmsten des Landkreises, er war auf das Wohlwollen von Landrat und Oberkreisdirektor angewiesen. In der Frage des Verlaufs der B 51 westlich vom Ortskern habe er beim Landkreis und Straßenbauamt seine Bedenken geäußert, da »die jedoch wenig Aussicht auf Erfolg«676 versprächen, änderte er seine Meinung. Schon früh wurde Wallrath Eichberg, der der Zusammenlegung ohnehin skeptisch gegenüberstand, vom Oberkreisdirektor in seiner Haltung bestärkt. Mit der Empfehlung, einen Gutachter hinzuzuziehen, den die Gemeinde Oesede sich nicht leisten kann, verhinderte der Oberkreisdirektor eine andere Sicht auf die Pläne. Auch in den späteren Jahren – als das Thema längst nicht mehr zur Debatte stand – wurde er auf Veranlassung des Oberkreisdirektors, mit schwachen Argumenten zwar, aber wirkungsvoll, von einem weiteren Zusammenlegungsversuch abgehalten. Das Stahlwerk war in diesem Aushandlungsprozess der interessanteste Verhandlungspartner. Dort sollte in erster Linie Stahl produziert werden. Seine Nachkriegsentwicklung war vielversprechend, und es benötigte Produktionsflächen und Siedlungsgebiet für Arbeitnehmer. Die Werksleitung wäre froh, wenn sich die Zahl der kommunalen Ansprechpartner minimieren würde, ließ ein hochrangiger Mitarbeiter verlauten. Das Stahlwerk hatte sich günstig positioniert, hochrangige Vertreter des Werkes saßen sowohl im Oeseder als auch um Georgsmarienhütte Gemeinderat. Der Werksvorstand hatte die Zusammenlegung mittels einer Werksbesichtigung initiiert und war während der ersten Sitzung zugegen. Es unterstrich damit, welch ernsthaftes Interesse des Werkes an einer Zusammenlegung bestand. Es bot finanzielle Hilfe bei der Erschließung von Baugebieten an und würde weitergehende Kontakte zum Wohle der Gemeinde nutzen, machte aber auch deutlich, dass, wenn den Werkswünschen nicht entsprochen werde, die Unterstützung genauso gut ausbleiben könne. Es hatte gute Kontakte zu übergeordneten Behörden. Betriebsratsvorsitzender und Ratsherr Fritz Heringhaus sprach bereits während der Verhandlungen mit dem Landkreis, der durchaus Verständnis für die Bedürfnisse des Werkes hatte, aber auch eigene Interessen vertrat. Der Landkreis war gegen eine Zusammenlegung. Das wurde aus dem von Ludwig Spellbrink vorgelesenen Schreiben von Heinrich Backhaus, aber auch in dem Schreiben an Wallrath Eichberg deutlich. Der Oberkreisdirektor gab ein Gutachten in Auftrag, das Kreisbaumeister a.D. Paul Gerhardus anfertigte und das erst 1956 – lange nachdem die Georgsmarienhütte-Oeseder Gespräche ausgelaufen waren – vorlag. Der bereits unter Westerkamp während der NS-Zeit tätige Kreisbaumeister blieb in seinen Denkmustern den raumordnenden 676 Wallrath Eichberg laut Protokoll der Sitzung am 13. Mai 1952, ebd.

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Schemata der Nationalsozialisten verhaftet, die ein Zusammengehen einer Industrie- mit einer Agrargemeinde nicht vorsahen. Auch Backhaus brach nicht aus diesem Schema aus, er opponierte immer wieder gegen mögliche Zusammenlegungspläne und ging deswegen sogar einen Konflikt mit der Bezirksregierung ein. Jenseits von ideologischen Überlegungen, hegte er aber auch die Sorge, dass in seinem Landkreis eine Großgemeinde entstehen könnte, die eines Tages kreisfrei würde und damit den Kreis in ferner Zukunft schwächen könnte. Die Ausarbeitung von Raumvorstellungen lag in den 1950er Jahren, genau wie während der NS-Zeit, noch beim Landkreis. Jedoch hatten die Akteure keine Möglichkeit, ihren Vorstellungen normative Kraft zu verleihen. Backhaus musste einen Architekten bitten, der Gemeinde Oesede einen ausführlichen Brief zu schreiben, um die Idee einer Großgemeinde und die daraus folgende Raumvorstellung langfristig zu unterbinden. Die Bezirksregierung schaltete sich erst spät in den Aushandlungsprozess ein. Das Dezernat für Kommunalaufsicht unterlag keinerlei ideologischen Vorstellungen für die Gestaltung der kommunalen Landschaft. Dem Amt war daran gelegen, die Steuereinnahmen so zu verteilen, dass Geld am effektivsten eingesetzt werden konnte. Dass die Gemeinde Oesede als Wohnsitzgemeinde die Lasten des Stahlwerkes zu tragen hatte, war ersichtlich. Das Amt beanstandete am Vorgehen von Heinrich Backhaus, eine Zusammenlegung nicht hartnäckig genug vorangetrieben zu haben und befürwortete eine Großgemeinde aus den beiden Orten ausdrücklich. Nachdem der finanzielle Missstand allem Anschein nach durch die Zerlegungssteuer behoben worden war, traten das Amt für Kommunalaufsicht und der Regierungspräsident nicht mehr für eine Fusion der beiden Kommunen ein. Bürger_innen spielten in diesem Aushandlungsprozess keine Rolle. Zwar informierte die Presse ausführlich, jedoch in großen Zeitabständen. Einen Leserbrief zum Thema sucht man in den verschiedenen Pressespiegeln vergeblich. Die Verhandlungen 1951 scheiterten. Dies lag aber nicht nur an der Position des Landkreises. Alle Verhandlungspartner standen isoliert. Jeder brachte eigene Vorstellungen ein, aber Bündnisse entstanden nicht. Eine Verzahnung von Interessen wie 1860 kam nicht zustande, und der Druck von außen bzw. oben fehlte. Immerhin hatte sich die Gemeinde Georgsmarienhütte 33 Jahre nach ihrer Loslösung vom Werk emanzipiert und startete einen Versuch, raumordnend tätig zu werden. Wie im Jahr 1937 das Stahlwerk, versuchte Jahrmann die Lage des Ortes mehr in die Mitte der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg zu schieben. Zentralität wurde bei diesem Raumordnungsversuch ganz wörtlich genommen. Doch wie im Jahr 1937 konnten sich weder das Werk noch die Gemeinde mit ihren Raumvorstellungen durchsetzen. Der Landkreis als nächste übergeordnete

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Raumproduktionen für die kommunale Landschaft von 1860–1951

kommunale Aufsichtsbehörde hatte andere Vorstellungen über die kommunale Landschaft im Untersuchungsgebiet. Durch die personale Kontinuität von Paul Gerhardus über das Jahr 1945 hinaus, wurde eine ideologisch geprägte Haltung bis in die 1950er Jahre fortgesetzt. Es fehlten dem Landkreis jedoch die rechtlichen Mittel, um sie durchzusetzen. Oberkreisdirektor Backhaus blieb nur der Einsatz persuasiver Mittel, um seine Raumvorstellung wirksam werden zu lassen.

3.

Voraussetzungen der kommunalen Neuordnung von 1968

3.1. Die Rahmenbedingungen 3.1.1. Raumplanung bis 1965 Raumordnung entstand aus der Verwaltungspraxis von Kommunen, die sich nach Einsetzen der Industrialisierung zum Hauptträger einer umfassenden Daseinsvorsorge entwickelten. Um die Jahrhundertwende begann man mit der Analyse des Zustandes von Städten und erstellte Prognosen, um die weitere Entwicklung zu steuern. Ende der 1920er Jahre kursierte erstmals der Begriff Raumordnung.677 In den 1930er Jahren durchliefen Raumplaner eine akademische Ausbildung, und während des ›Dritten Reiches‹ wurde Raumordnung Staatsaufgabe, was sie bis heute geblieben ist.678 Das wichtigste Instrumentarium der Raumordnung lieferte das ›ZentraleOrte‹-Konzept von Walter Christaller. Dieser stellte in seiner Dissertation679 1933 anhand der Siedlungsstruktur in Süddeutschland fest: »Je geringer die Aufgaben und damit der Einzugsbereich waren, desto kleiner war die Einwohnerzahl des versorgenden Ortes, je umfangreicher die Aufgaben und damit der Einzugsbereich, desto größer die Einwohnerzahl.«680 Christaller meinte nachgewiesen zu haben, dass die Orte mit zentralörtlicher Bedeutung sich in bestimmten Abständen zueinander befanden, wobei die Anzahl der Einwohner_innen davon abhing, wie viele Menschen an einem Ort Arbeit finden und sich und ihre Familien ernähren konnten. Sein Modell entstand unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg 677 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 31ff. 678 Ebd., S. 10. 679 Walter Christaller : Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verteilung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischer Funktion, Jena 1933. 680 Gerhard Isbary : Zentrale Orte und Versorgungsnahbereich. Zur Quantifizierung der Zentralen Orte in der Bundesrepublik Deutschland, Bad Godesberg 1965, S. 11.

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und schien eine »raumwirtschaftliche Effizienz«681 zu garantieren, in der Menschen und Institutionen – richtig verteilt – sich selbst versorgen und Ressourcen optimal ausgenutzt werden können. Das Konzept entstand vor dem Hintergrund der Krisenanfälligkeit der Industrie in den 1920er Jahren. Während des ›Dritten Reiches‹ wurde dem Konzept Christallers eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Mit dem Modell sollten die okkupierten Gebiete nach der Deportation der vorhandenen Bevölkerung neu gestaltet werden.682 Christaller war daran interessiert, sein Konzept der ›zentralen Orte‹ umzusetzen. 1939 wurde er Assistent bei Konrad Meyer beim ›Reichskommissariat zur Festigung des deutschen Volkstums‹ (RKF), das für die Umgestaltung der besetzten Gebiete zuständig war. Meyer holte Christaller auch an das Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik, das an den Planungen der SS im RKF beteiligt war. 1940 trat Christaller in die NSDAP ein.683 Im ›Altreich‹ sollte das Konzept ab 1942 zur Anwendung kommen. Es versprach mit seiner hierarchischen Stufung von Orten eine leistungsfähige, dezentrale Verteilung von Menschen und Institutionen, die bei Luftangriffen nicht leicht zu treffen gewesen wären.684 Kennzeichnend für das von Christaller vertretene Konzept war eine grundsätzliche Industriefeindlichkeit, eine hierarchische Einstufung von Orten in »führende und folgende Siedlungseinheiten«685 nach dem ›Führerprinzip‹ und eine als »demokratiefeindlich«686 zu bewertende Durchsetzung der Einstufung von oben nach unten. Seine Arbeit gilt heute als durchsetzt von Widersprüchen und »unzureichende[n] Nachweise[n]«687 und ist wissenschaftlich nicht haltbar.688 681 Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 15. 682 Wolfgang Hofmann: Raumplaner zwischen NS-Staat und Bundesrepublik: zur Kontinuität und Diskontinuität von Raumplanung 1933 bis 1960, in: Mäding/Strubelt (Hg.): Vom Dritten Reich zur Bundesrepublik, S. 39–65, hier S. 43 und S. 53. 683 Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 174ff. 684 Ebd., S. 13; zu Christallers Rolle im ›Dritten Reich‹ vgl.: Karl R. Kegler : Walter Christaller, in: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hg.): Handbuch der Völkischen Wissenschaften. München 2008, S. 89–93, S. 86; Götz Aly/Susanne Heim: Die Vordenker der Vernichtung, Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991, S. 161f; Henkel: Der ländliche Raum, S. 283–286. 685 Walter Christaller : Grundgedanken zum Siedlungs- und Verwaltungsaufbau im Osten, in: Neues Bauerntum 32 (1943), S. 305–312, hier S. 312, zit. nach Henkel: Der Ländliche Raum, S. 284. 686 Henkel: Der ländliche Raum, S. 285. 687 Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 16. 688 Einen Nachweis über die falschen Schlussfolgerungen, die Christaller aus seinen Beobachtungen gezogen hat, führt Kegler : Deutsche Raumplanung, vor allem S. 53–89. Zentrale Aussage der Studie Keglers ist die mangelnde inhaltliche Rechtfertigung von Christallers Thesen, die seit Erscheinen seiner Dissertation 1933 noch nie im Zusammenhang aufgearbeitet worden seien. »Christallers Thesen halten schon in der Darstellung von 1933 einer kritischen Überprüfung nicht stand,« formuliert Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 11; eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept vgl.: Gerhard Stiens: Zur Notwendigkeit der Abkehr vom herkömmlichen Zentrale-Orte-Konzept in der Raum-und Infra-

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Nach 1945 stellten führende Raumplaner wie z. B. Konrad Meyer ihre Tätigkeit als eine rein planerische Tätigkeit dar, die von jeder Form der Umsetzung entkoppelt gewesen sein soll. Zwar kam es 1948 vor einem amerikanischen Militärgericht zu einem Prozess gegen Konrad Meyer als Leiter des Amtes für Boden und Planung, doch seine Mitarbeiter, u. a. Walter Christaller, sagten als Entlastungszeugen für ihn aus. Die Arbeit der Raumplaner wurde als hypothetisch-wissenschaftlich dargestellt und als solche verharmlost.689 Nicht nur Konrad Meyer, sondern der ganze Berufsstand der Raumplaner wurde aus der Verantwortung genommen. So gelang es der Berufsgruppe der Raumplaner, die bereits während der NS-Zeit tätig war, sich bruchlos in den Wiederaufbau der Bundesrepublik zu integrieren690 und ihre Ideen weiter zu propagieren. Das galt besonders für das Konzept der ›zentralen Orte‹. Es war leicht vermittelbar und trat für eine Stärkung der Landwirtschaft und Selbstversorgung ebenso ein wie für eine Vermeidung von Menschenmassen an Orten der Industrieansiedlung.691 Das waren Planungsziele, die systemübergreifend bis Anfang der 1960er Jahre für wünschenswert erachtet wurden.692 In den ersten fünfzehn Jahren nach Kriegsende war Planung – auch Raumplanung – von staatlicher Seite ein Merkmal sozialistischer Länder, mit denen sich kaum jemand gemein machen wollte. Raumplanung war bis Anfang der 1960er Jahre in der Bundesrepublik und in Niedersachsen tabuisiert.693 Dann jedoch änderten sich die Rahmenbedingungen: Menschen folgten dem Arbeitsplatzangebot der Industrie und zogen aus den agrarisch-strukturierten, ohnehin schon dünn besiedelten Gebieten in ›Verdichtungsräume‹, mit dem Ergebnis der »Entleerung ganzer Landstriche«.694 Nun ging es Raumplanern nicht mehr um die Eindämmung von Industrie, sondern um die Minimierung der als negativ empfundenen Begleiterscheinungen von Industrie, der nun eine neue Rolle innerhalb der Raumordnung zugeschrieben wurde. Die Industrie

689 690

691 692 693 694

strukturplanung, in: Gerhard Henkel: Schadet die Wissenschaft dem Dorf ? Vorträge und Ergebnisse des 7. Dorfsymposiums in Bleiwäsche vom 7.–8. Mai 1990, Paderborn 1990, S. 89–108. Hofmann: Raumplaner, S. 41. Detlef Briesen/Wendelin Strubelt: Zwischen Kontinuität und Neubeginn: Räumliche Planung und Forschung vor und nach 1945, in: ders. (Hg.): Raumplanung nach 1945. Kontinuitäten und Neuanfänge in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 2015, S. 15–54, hier S. 22, Vgl. auch: Stefan Grüner : Geplantes »Wirtschaftswunder«? Industrie- und Strukturpolitik in Bayern 1945 bis 1973, München 2009, S. 234ff. Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 139. Ebd., S. 16. Wolfgang Krumbein/Hans-Dieter von Frieling/Uwe Kröcker/Detlef Sträter : Zur Historie einer kritischen Regionalwissenschaft. Auch eine Einleitung, in: dies. (Hg.): Kritische Regionalwissenschaft, Gesellschaft, Politik, Raum, Münster 2008, S. 7–40, hier S. 16. Isbary : Zentrale Orte, S. 14; Vgl.: Krumbein/von Frieling/Kröcker/Sträter : Zur Historie einer kritischen Regionalwissenschaft, S. 18; Eine differenzierte Beschreibung des Phänomens vgl.: Grüner : Geplantes »Wirtschaftswunder«?, S. 301f.

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stellte Arbeitsplätze in großem Umfang zur Verfügung und galt als Garant für einen bescheidenen Wohlstand breiter Schichten, sogar für die Bildung von Eigentum.695 Damit änderte sich Anfang der 1960er Jahre die Haltung zu Raumordnung und Planung grundlegend. Der Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau und spätere Bundesinnenminister, Paul Lücke (CDU), setzte sich zu Beginn seiner Amtszeit für eine Aufwertung von Raumordnung und -planung ein und war ein Befürworter des ›zentrale-Orte‹-Konzeptes.696 Er sah in der Raumordnungspolitik ein Instrument der Gesellschaftspolitik und versuchte, der in den 1960er Jahren immer augenfälliger werdenden Entwicklung der Konzentration von Bevölkerung an bestimmten Orten bei gleichzeitiger »sozialer Erosion«697 ländlicher Gebiete etwas entgegenzusetzen. Die Entwicklung passte nicht zu seinen Bestrebungen, möglichst vielen Menschen als »materielle Bürgschaft der persönlichen Freiheit«698 Eigentum an Grund und Boden als Garant einer »humanen städtebaulichen Umwelt«699 zu verschaffen. Raumordnung sollte generell dazu dienen, »die gesellschaftliche Dynamik einzufangen«.700 Seine 1962 erlassenen Grundsätze sollten bei allen Maßnahmen des Bundes berücksichtigt werden. Die Kernaussagen zielten darauf ab, Agrargebiete und Landschaften nicht weiter zu ›zerstören‹, Umwelt im weitesten Sinne zu erhalten, ›Ballungsgebiete‹ zu entlasten und die Wirtschaftskraft in strukturschwachen Gebieten zu stärken.701 Lücke ging davon aus, »daß eine Gefährdung für die menschliche Freiheit […] von einer ungeordneten räumlichen Entwicklung des Bundesgebietes ausgehen könnte, vor allem in den überlasteten oder von Überlastung bedrohten Ballungsräumen und den rückständigen Teilen des Bundesgebietes.«702 Vehement trat er für die sog. ›Entballung‹ ein;703 dahinter verbarg sich das Konzept, einem Arbeitsplatzabbau in ›Ballungsgebieten‹ untätig zuzusehen. Sein Ministerium, in dessen Beirat für Städtebau und Raumordnung auch der spätere Leiter der niedersächsischen Sachverständigenkommission für die Ge695 Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 336. 696 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 354. 697 Werner Ernst: Die Bundesraumordnung von 1945 bis 1965, in: ARL (Hg.): Zur geschichtlichen Entwicklung der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung in der Bundesrepublik Deutschland, Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover 1991, S. 3–31, hier S. 13. Der Autor war Staatssekretär bei Bundesinnenminister Paul Lücke, vgl.: Leendertz, Ordnung schaffen, S. 307. 698 Ernst: Die Bundesraumordnung, ebd. 699 Ebd. 700 Schneider: Wirtschaftsgeschichte Niedersachsens nach 1945, hier S. 911. 701 Ernst: Die Bundesraumordnung, S. 15. 702 Ebd., S. 17. 703 Nonn: Die Bergbaukrise, S. 236.

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biets- und Verwaltungsreform, Werner Weber, mitarbeitete,704 leitete das Bundesraumordnungsgesetz (ROG) in die Wege, das 1965 verabschiedet wurde. Das Unbehagen an der Industriegesellschaft, das sich in diesem Gesetz niederschlug, war besonders in der CDU tief verwurzelt und brachte in NRW eine besonders fragwürdige Strategie hervor. Als in diesem Bundesland Ende der 1950er Jahre die Bergbaukrise ausbrach, lehnte die CDU-Landesregierung eine Neuansiedlung von Betrieben ab mit dem Ziel, durch fehlende Arbeitsplätze die ›Ballungsgebiete‹ wieder »gesund schrumpfen«705 zu lassen. Erst 1966 erfolgte unter der SPD ein strukturpolitischer Richtungswechsel.706

3.1.2. Das Raumordnungsgesetz vom 8. April 1965 1954 entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Rechtsgutachten: »Raumordnung kann nicht an den Grenzen der Länder haltmachen. Erkennt man Raumordnung als eine notwendige Aufgabe des modernen Staates an, dann ist der größte zu ordnende und zu gestaltende Raum das gesamte Staatsgebiet. Im Bundesstaat muß es also auch eine Raumplanung für den Gesamtstaat geben. Die Zuständigkeit zu ihrer gesetzlichen Regelung kommt nach der Natur der Sache dem Bund als eine ausschließliche und Vollkompetenz zu.«707 Die Bundesregierung setzte daraufhin 1955 einen Sachverständigenausschuss für Raumordnung (SARO)708 aus Experten ein, der 1961 einen Bericht mit ersten Maximen und Grundsätzen vorlegte.709 Inhaltlich trat der SARO für eine Einheit der Gesellschaft ein, die vor allem durch die Industrialisierung zerfalle, weswegen ein »staatlicher Ordnungsrahmen erforderlich«710 sei. Damit begann eine gewandelte Haltung zur Planung, die fortan wichtiger Teil des »modernen, wissenschaftsgestützten Regierens«711 wurde. Die Beschäftigungen mit Planung und Raumordnung mündeten im Bundesraumordnungsgesetz vom 8. April 704 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 316; Werner Weber an den Nieders. Kultusminister, Schreiben vom 3. Mai 1962, NLA HA 401 Akz 2003/128 Nr. 357. 705 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 350; vgl.: Nonn: Die Bergbaukrise, S. 218. 706 Nonn: Die Bergbaukrise, S. 226. 707 Rechtsgutachten vom 16. Juni 1954 (1 PBvB 2/52), Rdnr 86; abrufbar unter : http://opinioiu ris.de/entscheidung/816, abgerufen am 31. August 2018; vgl. auch: Heinz Hohberg: Das Recht der Landesplanung. Eine Synopse der Landesplanungsgesetze in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen 1966, S. 5. 708 Der 1956 durch Kabinettsbeschluss zusammengestellte SARO bestand zum großen Teil aus Raumplanern, die bereits im ›Dritten Reich‹ tätig waren. Außerdem gehörte der Staatsrechtler Werner Weber dazu. Leendertz: Ordnung schaffen, S. 284. 709 Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 422. 710 Ebd., S. 425. 711 Ebd., S. 416.

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1965. Es ging dem eigentlichen Reformvorhaben zur Neuordnung der kommunalen Landschaft voraus. Das Gesetz hatte eine Vorbereitungszeit von zehn Jahren und war durchaus umstritten. Grundsätzlich schränkt ein Bundesraumordnungsgesetz die Länder in ihrer Raumordnungspolitik ein. Nach einer intensiven parlamentarisch geführten Aushandlung fand das Gesetz jedoch große Zustimmung, auch wenn es inhaltlich in vielen Punkten im Ungefähren blieb und nur den Charakter eines Rahmengesetzes hatte. Im Wesentlichen verpflichtete es den Bund und die Bundesländer auf eine in den Grundzügen einheitliche Raumordnungspolitik, die im Zwei-Jahres-Rhythmus vor dem Bundestag durch einen Bericht dokumentiert werden musste.712 Die Grundsätze lauteten: – Es sollen Gebiete mit »gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen«713 gesichert und weiter entwickelt werden und Gebiete, in denen keine solche Struktur besteht, durch Maßnahmen verbessert werden. Das gilt sowohl für Verdichtungsräume als auch für zurückgebliebene Gebiete, wobei dem Zonenrandgebiet besondere Bedeutung zukommt.714 – Es sind Voraussetzungen zu schaffen, »daß eine land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung als wesentlicher Produktionszweig der Gesamtwirtschaft erhalten bleibt.«715 – Für den Schutz und die Pflege der Landschaft und des Waldes, die Reinhaltung des Wassers, der Luft ist ebenso zu sorgen, wie für den Schutz vor Lärmbelästigung.716 Das Gesetz regelte die Umsetzung dieser Grundsätze in den Ländern, die gehalten sind, Programme oder Pläne auf Landesebene aufzustellen.717 Die Umsetzung sollte durch einen Beirat begleitet werden, deren Mitglieder der zuständige Bundesminister im »Benehmen mit den zuständigen Spitzenverbänden« aus verschiedenen Bereichen berufen sollte.718 Mit diesem Gesetz war erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs Raumordnung zu einer Aufgabe auf höchster politischer Ebene erhoben worden. Es legte die Länder darauf fest, sich mit Raumordnung zu beschäftigen und dabei bestimmte Grundsätze zu beachten. Zwar hatten die Länder großen Spielraum 712 Friedrich Halstenberg: Das Bundesraumordnungsgesetz, in: Der Städtebund 5, 1965, S. 81– 84. 713 § 2 Abs. 1 Nr. 1 ROG. 714 § 2 Abs. 1 Nr. 4 ROG. 715 § 2 Abs. 1 Nr. 5 ROG. 716 § 2 Abs. 1 Nr. 7 ROG. 717 §§ 4–5 ROG. 718 § 9 Nr. 2 ROG.

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bei der Umsetzung,719 aber sie waren nun per Gesetz verpflichtet, ihr Bundesland einzuteilen, in Gebiete mit »gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen«720 und in Gebiete, die der »Gesundung«721 bedurften. An nur einer Stelle wurde im Gesetz von »Gemeinden mit zentralörtlicher Bedeutung«722 gesprochen, ohne dass der Begriff ›zentralörtlich‹ näher erläutert wurde. Eine Definition des Begriffs und des dahinter stehenden Modells der ›zentralen Orte‹ wurde ebenso offen gelassen, wie seine Bedeutung für die Umsetzung der genannten Raumordnungsgrundsätze. Diese Offenheit wurde geschlossen durch eine von Bundesinnenminister Paul Lücke beim Institut für Raumforschung (IfR)723 in Auftrag gegebene Studie, die 1965 von Gerhard Isbary vorgelegt wurde. Das Institut in Bad Godesberg war dem Innenministerium zugeordnet. Der 1909 geborene Gerhard Isbary war der erste, der von dem Konzept der Selbstversorgung als Gegenmittel gegen Industriekrisen, also vom Autarkiekonzept, abrückte und »Industrie- und Verdichtungszonen […] nicht mehr als verkapptes Notstandsrisiko«724 ansah. Isbarys Raumvorstellungen als Geograph und Geologe wurden im ›Dritten Reich‹ geformt. Bereits 1930 trat er der NSDAP bei, von 1934–1939 war er Mitglied in der SA, 1931–33 Mitglied der Schwarzen Front um Otto Strasser, und während der gesamten Nazi-Zeit war er als Kartograph und Redakteur in der Hauptredaktion des »Handwörterbuchs für Grenz-und Auslandsdeutschtum« tätig.725 Nach dem Krieg konnte er 1952 aus der DDR fliehen, seit 1953 war er Mitarbeiter des IfR, von 1959–1963 dessen Leiter.726 Von 1965 bis zu seinem Tod war er Mitglied im Beirat für Raumordnung im Bundesinnenministerium.727 Mit seinem Modell von Verkehrs- und Verdichtungsbändern rückte er jedoch von einer verdichtungs- und industriefeindlichen Vorstellung ab und entwickelte die Idee einer mobilen, arbeitsteiligen und verflochtenen Industrie- und Konsumgesellschaft.728 Seine Maxime 719 Es wurde sogar bemängelt, dass es keinen Gesetzesbefehl beinhaltet, Kegler: Deutsche Raumplanung, S. 418. 720 § 2 Abs. 1 Nr. 1 ROG. 721 § 2 Abs. 1 Nr. 6 ROG 722 § 2 Abs. 1 Nr. 3 Unterabs. 2 Satz 2 ROG. 723 Das IfR ist 1946 aus der Reichsarbeitsgemeinschaft (RAG), als Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) hervorgegangen und nach der Währungsreform 1949 an das Statistische Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes angegliedert und in Institut für Raumforschung umbenannt worden, Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 319. 724 Ebd., S. 435. 725 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 347. 726 Im Anschluss an seine Tätigkeit beim IfR wurde er Generalsekretär des Deutschen Verbundes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 417. 727 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 347. 728 Kegler : Krisenangst und Krisendiagnose. Deutsche Raumplanung nach 1945, S. 87.

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lautete: Industrie ja, aber nur an bestimmten ›zentralen Orten‹. »Innerhalb von zumutbaren Zeitentfernungen muß ein optimales Angebot an Arbeitsplätzen, an Dienstleistungen und Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden sein.«729 Der Arbeitsplatz müsse aber nicht unbedingt am eigenen Wohnort sein, genau wie eine Schwimmhalle, ein Einkaufszentrum oder eine höhere Schule,730 postulierte Isbary und trug damit in seinem Konzept einer erhöhten Mobilität nach dem Zweiten Weltkrieg Rechnung. Um ein Versorgungsgefälle zwischen Verdichtungsgebieten und entleerten Landstrichen zu vermeiden, sollte die Bundesrepublik mit einem Netz ›zentraler Orte‹ überzogen werden, die mit allem ausgestattet seien oder noch ausgestattet werden sollten, was die Bevölkerung im Einzugsbereich brauche. So sollte sich die Bevölkerung nicht wie bisher in einem ›laissez faire‹- Verfahren verteilen, was gesellschaftspolitisch unerwünscht sei, sondern wieder die Fläche besiedeln, so wie es »einst in der agrargesellschaftlichen Siedlungsstruktur der Fall war.«731 Räumliche Einheiten sollten gebildet werden, die Arbeitsplätze und Nahversorgung in zumutbarer Entfernung bereithielten. Dabei verlören die naturräumlichen und geschichtlich bedingten Differenzierungen immer mehr ihre Bedeutung,732 vermutete er. Isbary dachte mit seiner Einteilung nicht an eine Gemeindereform. Mit der Zuordnung der kleinen Gemeinden zu größeren ›zentralen Orten‹ seien keine politisch-administrative Gemeinden gemeint.733 Es gehe nicht um eine »kommunale Neugliederung des Bundesgebietes, sondern um eine sozialökonomische Gliederung nach Versorgungseinheiten.«734 Mit direktem Bezug zum ROG sollte zunächst ermittelt werden, wo diese ›zentralen Orte‹ liegen oder liegen könnten, denn die Wertigkeit der Orte sollte erst noch entwickelt werden. Die Einteilung geschah in erster Linie anhand von Einwohner_innenzahlen. Städte ab 500.000 und mehr Einwohner_innen galten als ›Oberzentren‹, Städte mit 100.000–500.000 Einwohner_innen als ›Mittelzentren‹ und Städte von 20.000 bis unter 10.000 Einwohner_innen als ›Unterzentrum‹. Probleme bereitete die Einteilung im Bereich der Kleingemeinden in der Größe von 4.000–10.000 Einwohner_innen, die vor der Gebietsreform noch sehr zahlreich vorhanden waren. Diese wurden in verstädterte Gemeinden oder in ländliche ›Mittelpunktgemeinden‹ sortiert. Alle anderen Gemeinden, die unter der Einwohner_innenzahl von 4.000 lagen, wurden den größeren Gemeinden als ›Nebenzentren‹ zugeordnet.735 729 730 731 732 733 734 735

Isbary : Zentrale Orte, S. 15. Ebd., S. 16 und 19. Ebd., S. 24. Ebd., S. 17. Ebd., S. 34. Ebd., S. 43. Ebd., S. 51.

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Vor allem diese ›Mittelpunktgemeinden‹ müssten gestärkt werden, erklärte Isbary, denn niemand sei heute mehr davon überzeugt, daß eine ein- oder zweiklassige Schule, das überkommene Verkehrsnetz, ein Stubenladen, das ferne Versandgeschäft, die Hofpumpe, die ehrenamtliche, von der Kreisverwaltung unterstützte Verwaltung, die insulare Ortsplanung ausreichten, um das Ausstattungs-, Bildungs-, Kultur-, und Arbeitsplatzgefälle abzubauen. Ihre Stärkung komme den Bürgern zu Gute, da »ihnen in zumutbaren Zeitentfernungen wertgleiche Lebensbedingungen und damit existentielle Sicherheit und Chancen«736 ermöglicht würden, so wie es das Grundgesetz und das ROG vorsehen. Die Entwicklung von ›Mittelpunktpunktgemeinden‹ und ›Unterzentren‹ geschehe jedoch nicht von alleine. Hier müsse die öffentliche Hand mit finanzieller Unterstützung den Gemeinden aufhelfen. Im öffentlichen Bereich gehöre zur Ausstattung einer ›Mittelpunktgemeinde‹ eine örtliche oder überörtliche Verwaltung, eine Mittelpunktschule, Einrichtungen der ›Volksbildung‹ (z. B. Büchereien), soziale Einrichtungen wie Schwesternstation, Kindergärten, Kinderhorte, Erholungs-, Spiel- und Sportanlagen, Anschluss an das überörtliche Verkehrsnetz und Filialen öffentlicher-rechtlicher Kreditinstitute. Im nichtöffentlichen Bereich sollte es ein vielseitiges Angebot an Arbeitsplätzen, guten Einkaufsmöglichkeiten, Tankstellen, Handwerksbetrieben z. B. aus dem KFZBereich, mehrere Gaststätten, darunter eine mit einem großen Saal für Festlichkeiten, ein Kino, Zweigstellen von Kreditinstituten, Ärzte, auch Fachärzte, und eine Apotheke geben.737 Eine solche Ausstattung könne nicht in Gemeinden unter 5.000 Einwohner_innen installiert werden, denn jedes Unternehmen brauche auch eine gewisse Anzahl an Konsumenten. Daher werden den ›Mittelpunktgemeinden‹ auch weitere Gemeindeeinheiten zugeordnet. Bei den vorliegenden Vorschlägen der Studie »handelt [es] sich […] nicht um eine Untersuchung über eine kommunale Neugliederung des Bundesgebietes, sondern um eine sozioökonomische Gliederung nach Versorgungseinheiten.«738 Auch für das Osnabrücker Land hatte Isbary konkrete Vorstellungen. Osnabrück sollte als ›Oberzentrum‹ in der Kategorie I fungieren. Die Kategorie II der ›Mittelzentren‹ sollte leer bleiben, die Kategorie III der ›Unterzentren‹ umfasste die Einheit »Georgs-Marienhütte«739/Holzhausen und die Einheit Dissen/Hilter/Bad Rothenfelde. In der Kategorie IV war Oesede eingeordnet, weitere Gemeinden waren der Kategorie nicht zugeordnet worden. In die Kategorie V waren neun Gemeinden eingeteilt: Bissendorf, Hagen, Hasbergen, 736 737 738 739

Ebd., S. 27. Ebd., S. 37. Ebd., S. 43. Bindestrich im Original, ebd., S. 67. Das ist eine Schreibweise aus den 1930er Jahren, vgl.: Friedrich Herzog: Das Osnabrücker Land im 18. und 19. Jahrhundert. Eine kulturgeographische Untersuchung, Oldenburg 1938, S. 105.

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Laer, Nasseheide, Schledehausen und als ›ländliche Mittepunktgemeinden‹: Glandorf, Iburg, Kloster Oesede/Borgloh, und Wissingen.740 Im ›Verdichtungsraum‹ Osnabrück sah Isbary kein ›Mittelzentrum‹, und nach seinen Vorstellungen sollte auch keines installiert werden. Eine Zuordnung oder eine Zusammenlegung der beiden größten Orte Oesede und Georgsmarienhütte im Osnabrücker Umland zu einer Großgemeinde sah Isbary nicht vor. Vielmehr stellte er die Zuordnung eher so zusammen, dass nur geringfügig größere Einzugsgebiete entstehen würden. Mit dem Hinweis, dies seien nur Vorschläge, die Festlegung der ›zentralen Orte‹ sei natürlich Sache der Länder, der Bund habe auf die Verwirklichung der angestrebten Raumordnung »relativ geringen Einfluß«,741 relativierte Isbary seine Vorschläge. Trotz des innovativen Ansatzes hielt Isbary an der Verteilung von ›zentralen Orten‹ als Relikt aus den 1930er Jahren fest. Christallers Kategorisierung war leicht zu vermitteln und konnte bei der Vergabe oder Verweigerung von Fördermitteln als Begründungsgrundlage herangezogen werden,742 denn »die Förderung der zentralen Orte in Versorgungsnahbereiche ist in erster Linie eine ökonomisch-finanziell reduzierbare Aufgabe der öffentlichen Hand.«743 Auch bei den Durchsetzungsformen seines Raumkonzeptes war er nicht durchgehend innovativ. Zwar sprach er davon, dass Raumordnungsprozesse »lenkend«744 durchgesetzt werden sollten und Akteuren die Möglichkeit gegeben werden sollte, in Raumordnungspläne einzugreifen, er postulierte sogar, dass die Entwicklung von Raumplänen »in erster Linie von der Initiative und Aktivität von Menschen«745 abhänge, dennoch forderte Isbary, Gemeinden müssten »ohne falsche Rücksichten«746 neu konzipiert werden. Die Grundgedanken aller Raumplaner hatten seit den 1920er Jahren eine latent industriefeindliche Haltung erkennen lassen. Sie versuchten, dem im wahrsten Sinne des Wortes raumgreifenden und sich rasch verselbständigen Phänomen ›Industrialisierung‹ etwas entgegenzusetzen,747 dann jedoch veränderte sich diese Haltung in den 1960er Jahren erstmals. Nach etwa einem Jahrzehnt des stetigen Wirtschaftswachstums, ging es nun nicht mehr um Krisenintervention und Verwaltung des Mangels,748 sondern um den Erhalt und die 740 741 742 743 744 745 746 747 748

Isbary : Zentrale Orte, S. 67. Ebd., S. 47. Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 21. Isbary : Zentrale Orte, S. 35. Ebd., S. 17. Ebd., S. 46. Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 434. Waldhoff/Fürst/Böcker : Anspruch und Wirklichkeit der frühen Raumplanung, S. 16. Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 416.

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Verteilung des Wohlstandes. Damit änderte sich die Haltung zur Industrie und den damit einhergehenden ›Verdichtungszonen‹ jedoch nicht grundlegend. Isbarys Vorschläge zur kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg zeigen, wie sehr er in Raumvorstellungen des ›Dritten Reiches‹ verharrte. Er sah für das Untersuchungsgebiet vor: a) Trennung der beiden Orte Georgsmarienhütte und Oesede b) keine Ausweisung eines ›Mittelzentrum‹ im Umkreis eines ›Oberzentrums‹ oder einer ›Kernstadt‹ und c) Ansiedlung von Industrie nur an bestimmten Orten. Damit entsprach er ganz der Tradition der Osnabrücker Bezirksregierung, die beiden Orte Georgsmarienhütte und Oesede grundsätzlich getrennt zu halten, wie es bereits Landrat Westerkamp während des ›Dritten Reiches‹ getan hatte und wie Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus es noch 1951 für notwendig hielt.749 Diese grundsätzliche Vorstellung des Raumplaners Isbary, »eine starke bodenständige Bevölkerung zu erhalten, besaß unabhängig von Konjunkturrückgang und Prosperität große Beharrungskraft, weil sie tief verankerten bevölkerungs-und gesellschaftspolitischen Idealen entspricht.«750 Das erklärt, warum der Raumplaner mit seiner Studie über ›zentrale Orte‹ in der Bundesrepublik einen großen Einfluss auf Akteure in den Bundesländern gewinnen konnte.

3.1.3. Raumplanung im Land Niedersachsen bis 1965 Das 1946 neugegründete Land Niedersachsen musste einen großen Zustrom an Flüchtlingen und Vertriebenen bewältigen, und es stand vor der Aufgabe, bis dahin selbständige Landesteile wie Oldenburg, Schaumburg-Lippe und Braunschweig in das Bundesland zu integrieren. Dennoch war die verwaltungsmäßige Verankerung der Raumplaner verhältnismäßig schwach organisiert. Ministerpräsident Kopf war an landesplanerischen Aufgaben nicht interessiert und delegierte die Landesplanung an das Aufbauministerium. Die Landesplanung selbst bekam die Rolle einer Sonderbehörde, die dem Innenministerium nachgeordnet war. Aus dieser Position heraus hatte deren Leiter Kurt Brüning weder Zugriff auf die planenden Stellen noch Zugang zum Kabinett.751 749 Eine Haltung, die nicht nur das ›Dütetal‹ betraf, sondern aus der Blut-und Bodenideologie der Nationalsozialisten erwachsen war und offensichtlich nach 1945 fortgesetzt wurde: »Eine aus der Blut-und Bodenideologie hervorgehende Bedingung dieser Industriepolitik ist allerdings, dass die Landbevölkerung als Basis des biologischen Bevölkerungswachstums von dem mutmaßlich schädlichen Einfluss der Industrie getrennt bleibe«, Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 277. 750 Ebd., S. 467. 751 Dietrich Fürst: Geschichte der Landesplanung Niedersachsens 1954–1958 aus verwaltungstechnischer Sicht, in: NAfN 2 (1995), S. 15–34, hier S. 17ff.

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Kurt Brüning, während der NS-Zeit Mitarbeiter der ›Reichsarbeitsgemeinschaft‹ (RAG), war seit 1948 Präsident des Amtes für Raum- und Landesplanung und gleichzeitig Leiter des niedersächsischen Landesplanungsamtes. Er entwarf kurz nach dem Zweiten Weltkrieg den ersten Landesraumplan für Niedersachsen. Brüning plädierte für eine hierarchische Gliederung ›zentraler Orte‹, die danach zu kategorisieren seien, ob sie sich für Auf- und Ausbau von Industrie eigneten. Bei »Sättigungserscheinungen«752 sollte keine weitere Industrieansiedlung erfolgen. Seine Überlegungen stammten aus dem Jahr 1937. Neue Mobilitäts- und Angebotsformen im Handel spielten in seinen Überlegungen keine Rolle.753 Insgesamt galt Brünings Interesse mehr der Forschungs- und Publikationstätigkeit als der Umsetzung von Landesplänen.754 Die ersten 15 Nachkriegsjahre konnten sich Raumplaner zwar institutionell halten, ihre Einflussmöglichkeiten waren jedoch begrenzt.755 Sie zogen sich, an aufwendigen Berechnungen arbeitend, auf eine »technische […] Neutralität«756 zurück und gaben die gleichen Antworten auf die anstehenden Probleme wie während der NS-Zeit. Die Bevölkerung sollte durch Einteilung in ›zentrale Orte‹ dezentral verteilt, Zentralisierung von Menschen durch Industrie vermieden und der ländliche Raum gestärkt werden. Grundsätzlich standen die während der NS-Zeit sozialisierten Raumplaner ländlichen Räumen näher als Verdichtungsräumen. »Verdichtungsräume wurden eher als Störfaktoren einer ausgewogenen räumlichen Entwicklung empfunden.«757 Die Arbeit der Landesplaner – auch derjenigen auf der Ebene der Bezirksregierung – hatte keinerlei rechtliche Bindung. Die Gemeinden ließen sich mitunter beraten, aber nicht vorschreiben, wie sie ihren Flächennutzungsplan zu gestalten haben. Im Gegenteil, die allzu intensive Anwendung persuasiver Mittel, rief bei den Akteuren auf der Gemeindeebene Widerstand hervor.758 Doch auch in Niedersachsen machten sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen bemerkbar und das neue Konzept Isbarys wurde auch in Niedersachsen rezipiert. So verkündete der niedersächsische Innenminister Otto Bennemann in einer von der Tagespresse wiedergegebenen Ansprache vor Kommunalpolitikern die Gedanken Isbarys auf das Land Niedersachsen bezogen: »Man brauche eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur, in der die Arbeitsplätze richtig verteilt und die Arbeitsplätze richtig zugeteilt seien. Er warnte vor der Vorstellung, dass die 752 753 754 755 756 757 758

Kegler : Deutsche Raumplanung, S. 337. Ebd., S. 345. Schneider: Wirtschaftsgeschichte Niedersachsens nach 1945, S. 910. Vgl.: Fürst: Geschichte der Landesplanung Niedersachsens 1945–1958, S. 17. Briesen/Strubelt: Zwischen Kontinuität und Neubeginn, S. 39. Fürst: Geschichte der Landesplanung Niedersachsens 1945–1958, S. 22. Ebd., S. 21; vgl. auch: Grüner : Geplantes »Wirtschaftswunder«?, S. 270.

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ganze Landschaft Niedersachsens mit Industrie überzogen werden soll. Das Land brauche die Landwirtschaft und eine Ausstattung mit zentralen Orten, die dem wirtschaftlichen und sozialen Leben dienen sollten.«759 Wenig später teilte er in einer Rede vor dem Landesplanungsbeirat auf Landesebene mit: »Der Raum, in dem wir leben, ist voller Bewegung. Es gilt nun, diese Bewegung, diese Entwicklung überschaubar zu machen und unter Kontrolle zu bekommen.«760

3.1.4. Das Niedersächsische Raumordnungsgesetz vom 30. März 1966 Ein Jahr nach der Verabschiedung des ROG regelte das NROG761 das weitere Vorgehen in Niedersachsen. Das Landesgesetz erhob in § 1 NROG zum Grundsatz, die Entwicklung des Landes und seiner Teile zu fördern und »die Entwicklung des Landes entsprechend dem Landes-Raumordnungsprogrammen zu beeinflussen«,762 also bewusst eine Entwicklung zu steuern. Bei all dem sei nach § 2 NROG »für eine sparsame Verwendung von Grund und Boden sowie für den Schutz der Landschaft Sorge zu tragen«.763 § 5 NROG regelte, dass die Gemeinden ihre »raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen den Zielen der Raumplanung anzupassen«764 haben, ferner regelte es in den §§ 8 und 9 das weitere organisatorische Vorgehen. Die oberste Landesplanungsbehörde war dem Innenminister zugeordnet. Auf dieser Verwaltungsebene wurde das Landes-Raumordnungsprogramm aufgestellt und angepasst. Die höhere Planungsbehörde auf der Ebene der Bezirksregierung erstellte das Raumordnungsprogramm für den Bezirk und die untere Planungsbehörde, der Landkreis, erarbeitete die Raumbestandsaufnahmen, erstellte das Raumkataster und stellte die Beachtung des Raumordnungsprogramms sicher.765 Der obersten und höheren Planungsbehörde war jeweils ein Landesplanungsbeirat mit berufenen Mitgliedern zugeordnet, der nach dem sog. Gegenstromprinzip766 arbeiten sollte.767

759 »Osnabrücks Raumordnung vorbildlich«, OT, 26. April 1965. 760 Innenminister Otto Bennemann in der ersten Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 2. Dezember 1966, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/ 78 Nr. 47. 761 GVBl 1966, S. 69; eine ausführliche Auslegung und Kommentierung des Gesetzes vgl.: Rolf Lienau: Zum Niedersächsischen Gesetz über Raumordnung und Landesplanung, in: NAfN 15 (1966), S. 280–291. 762 § 1 NROG. 763 § 2 NROG. 764 § 5 NROG. 765 § 8 Abs. 1–3 NROG. 766 Henkel: Der ländliche Raum, S. 279; Lienau: Zum Niedersächsischen Gesetz, S. 286f.

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Der Landesplanungsbeirat auf ministerialer Ebene legte die Grundsätze für die Ausgestaltung der Raumordnung und die ›Mittelzentren‹ fest.768 Ihn flankierten mehrere Unterausschüsse: einer von diesen war dem Thema ›zentrale Orte‹, einen anderer dem Thema ›Verdichtungsräume‹ gewidmet.769 Der Landesplanungsbeirat bestand aus ca. 30 berufenen Mitgliedern, die Ausschüsse jeweils aus sieben Personen. Der zweite Landesplanungsbeirat tagte auf der Ebene der Bezirksregierung. Dieser bestand aus sechs Vertretern von kreisangehörigen Gemeinden, je einem Vertreter der Landwirtschaftskammer, der IHK, der Handwerkskammer, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und einem Bezirksbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege. Beide Planungsbeiräte mussten von der Planungsbehörde unterrichtet werden,770 hatten beratende Funktion, »nicht aber entscheidende Aufgaben.«771 Die Mitglieder der Landesplanungsbeiräte sollten vor allem »Anregungen für die künftige Gestaltung bringen und die Interessen der durch sie vertretenen Bevölkerung vortragen«772 und gleichzeitig in der Bevölkerung »werbend für die Ziele der Raumordnung eintreten.«773 In der Praxis trafen die Ausschüsse bei der obersten Landesplanungsbehörde mehr oder wenige genaue Vorentscheidungen, was die Einstufung der einzelnen Orte anbelangte. Ein sinnvoller Zusammenhang mit der zeitgleich in den Medien kommunizierten Gebietsreform wurde nicht hergestellt. Die Schaffung einer neuen territorialen Gliederung sei keineswegs Voraussetzung für die Durchführung der Raumordnung,774 hieß es in einem Kommentar. Dass raumplanerische Arbeiten umgekehrt eine wichtige Voraussetzung für die Gebietsreform darstellen könnten, wurde in dem Kommentar nicht thematisiert. Ein »problematisch bleibende[r] Fragenkreis«775 weise auf das mögliche Gesicht einer künftigen Gebietsgliederung hin.

767 Zur Arbeit der Landesplanungsbeiräte vgl.: Inge Becher : Das Niedersächsische Raumordnungsgesetz 1966. Entstehung, Anwendung und Folgen am Beispiel der Stadt Georgsmarienhütte, in: NJfL 90 (2018), S. 265–301. 768 NLA HA Nds 500 Akz 2000/172 Nr. 145; Ergebnisniederschrift über die 5. Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der höheren Landesplanungsbehörde des Regierungsbezirkes Osnabrück am 9. Juli 1968. NLA OS Rep 430 Dez 101 Akz 37/76 Nr. 8. 769 NLA HA Nds 600 Akz 27/82 Nr. 28. 770 §9 NROG. 771 Hermann Janning: Räumliche und trägerschaftliche Alternativen zur Organisation der Regionalplanung. Die Kreise als Träger der Regionalplanung, Berlin 1982, S. 19; Vgl. auch: Heinz Hohberg: Das Recht der Landesplanung, S. 63. 772 Lienau: Zum Niedersächsischen Gesetz, S. 286. 773 Ebd. 774 Ebd., S. 289. 775 Ebd.

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Insgesamt gesehen schuf das NROG erstmals die Voraussetzung »für eine flächendeckende Raumordnungsplanung in Teilräumen des Landes.«776 Es ermöglichte vor allem der Bezirksregierung, auf die Planung in den Gemeinden Einfluss zu nehmen. Eine reelle Chance, den Kurs der Bezirksregierung mitzubestimmen, hatten Akteure von Landkreisen und Gemeinden kaum.777 Die Landesplanungsbeträte wurden unterrichtet und durften Einwände erheben, aber nicht entscheiden. Mit dem Inkrafttreten des NROG im Jahr 1966 zeichnete sich eine »staatliche Dominanz in der regionalen Planung«778 ab, die bis dahin dem Einfluss der Behörden oberhalb der Landkreise entzogen war.779 Auch das NROG machte keine Angaben, wie und nach welchen Kriterien das Konzept der ›zentralen Orte‹ anzuwenden war. Im Landesplanungsbeirat bei der obersten Landesplanungsbehörde wurden jedoch ministeriale Gedanken durch Vorträge von Mitarbeitern des Ministeriums artikuliert. Einen Austausch von Argumenten der Teilnehmenden bilden die Protokolle nur begrenzt ab.780 Der Landesplanungsbeirat wurde so zum Forum, um Raumordnungspostulate des Landes Niedersachsen zu artikulieren. Beispielsweise führte ein Mitarbeiter des Innenministeriums vor dem ca. dreißigköpfigen Landesplanungsbeirat aus, dass einheitliche Merkmale zur Einstufung der Gemeinden in ein vierstufiges System erwünscht seien, um nach einheitlichen Kriterien Fördergelder vergeben zu können. »Bestimmend hierfür war u. a. der Wunsch des Bundes, als Grundlage für die künftige Verteilung besonderer Förderungsmittel ein einheitliches System in allen Ländern zur Hand zu haben.«781 Ein weiteres Postulat wurde in der gleichen Sitzung durch einen anderen Mitarbeiter ver-

776 Janning: Räumliche und trägerschaftliche Alternativen, S. 19. 777 Das wurde auch bereits von den Zeitgenossen gesehen: Der Regierungspräsident als höhere Landesplanungsbehörde sei »die einzig zuständige Stelle für die Ziele der Raumordnung und Landesplanung.« Niederschrift über die vorbereitende Besprechung zur Bildung einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft Stadt und Land Osnabrück am 25. August 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26. 778 Janning: Räumliche und trägerschaftliche Alternativen, S. 19. 779 Ebd., S. 17. 780 Der Meinungsaustausch, für den die Landesplanungsbeiräte vorgesehen waren, fand entweder gar nicht statt oder wurde nicht protokolliert. Meinungsaustausch kann auch als eine Machttechnik verstanden werden, die »sobald man argumentative Gespräche nicht normativ als symmetrisches Verfahren zur Kompromissfindung und Vernunftproduktion fasst, sondern stärker soziologisch als eine in Macht- und Herrschaftsstruktur eingebettete Praxis«, Nina Verheyen: Diskussionslust. Eine Kulturgeschichte des ›besseren Arguments‹ in Westdeutschland, Göttingen 2010, S. 24. 781 Die Koppelung der Einstufung der Gemeinden an die Förderungswürdigkeit wurde in diesem Gremium deutlich formuliert. Auf allen anderen Ebenen hielten sich Beamte mit derartigen Äußerungen zurück, weil sie verständlicherweise in der kommunalen Landschaft Unruhe auslösten, Protokoll der Sitzung des Landesbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 27. November 1967, NLA HA Nds 100 Akz 36/86 Nr. 21.

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kündet: »Die Landesplanung ist der ›Entballungstheorie‹ nie gefolgt«,782 hieß es ganz im Isbaryschen Sinne, d. h. man stehe einer Konzentration von Bevölkerung an Orten mit Industrie und Gewerbe positiv gegenüber. Das bedeutete aber auch, dass es ›Schwerpunkte‹ geben würde, die gefördert würden und an denen die Bevölkerung anzahlmäßig wachsen sollte. Doch um begründete Förderungen ging es nicht. »Der Umfang der Mittel werde die Anzahl der auszuwählenden Orte bestimmen«,783 wurde gleich in der zweiten Sitzung des Landesplanungsbeirates durch Mitarbeiter des Innenministeriums verkündet. Dort, wo kein Wachstum vorgesehen sei, sollten die Gemeinden daran gehindert werden, übermäßig viele Bauflächen auszuweisen. Einer »Verzettelung der kommunalen Finanzen«784 sollte damit entgegengewirkt werden.785 Den ›Verdichtungsräumen‹ galt ein besonderes Augenmerk, für diese wurde eigens ein Unterausschuss eingerichtet, dem nur sieben Personen, u. a. Baurat Carl Cromme aus Osnabrück, angehörten. Ein erster Entwurf von Leitsätzen zur räumlichen Landesentwicklung vom Frühjahr 1968 sah für ›Verdichtungsräume‹ höchst Widersprüchliches vor. Unter Punkt 1 ›Landwirtschaft‹ hieß es: »In Verdichtungsräumen ist auf Böden, die für landwirtschaftliche Nutzung gut geeignet sind, in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen, dort ist eine vorausschauende Bodenpolitik, die alle erkennbaren Bedürfnisse einer mittleren Zukunft berücksichtigt, besonders wichtig.«786 Unter Punkt 4 ›Gewerbliche Wirtschaft‹ wurde dagegen ausformuliert: »In Verdichtungsräumen ist die kommunale Infrastruktur für die Aufnahme weiterer Gewerbe und Industrien fortzuentwickeln. In diesen Gebieten sind Gewerbe- und Industrieflächen auszuweisen, zu erschließen und vorzuhalten.«787 Dies war ein Widerspruch, den ein weiterer Referent ausformulierte. Es gebe einen Zielkonflikt, was die Bevölkerungsverteilung angehe. Einerseits wolle man Menschen an industrialisierten Orten konzentrieren, andererseits möchten re782 Protokoll der Sitzung des Landesbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 27. November 1967, ebd. 783 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 2. Februar 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 47. 784 Protokoll der Sitzung des Landesbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 27. November 1967, NLA HA Nds 100 Akz 36/86 Nr. 21. 785 Dies war eine Denkweise, die in den 1960er Jahren verbreitet war. In einer Zeitung für kommunale Wirtschaft hieß es 1963, man habe in den 1950er Jahren hauptsächlich die Wirtschaft in Gang gesetzt, alles andere überlasse man der Zukunft. Diese aber sei inzwischen Gegenwart geworden, und die aufgeschobenen Probleme kämen jetzt auf die Gemeinden zu. Wo vermehrt Bauplätze ausgewiesen würden, da müsse auch Investitionen im Bereich Wasserversorgung, Energie, Abwasser, Schulen, usw. getätigt werden, Eilnachrichten des Nieders. Städtebundes vom 29. August 1963 Nr. 8. 786 Leitsätze zur räumlichen Landesentwicklung, Entwurf vom 11. März 1968, NLA HA Nds 100 Akz 36/86 Nr. 21. 787 Ebd.

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gionale Akteure Menschen in ihren Regionen halten. Wachstumspolitik stehe im Gegensatz zur Regionalpolitik. Das sei ein Widerspruch, der aufgehoben werden könne. Es gehe darum, ein »Mischverhältnis«788 herzustellen. Im Hinblick auf die Verfasser des Prognos-Gutachtens urteilte der Referent: »Als Vertreter einer bewußt ökonometrischen Lehrmeinung übersehen sie, daß dieser Spielraum nichts anderes ist, als der erfreulich große Spielraum für echtes politisches Handeln.«789 Diesen Spielraum nutzten offensichtlich viele regionale Akteure, denn in einer der nächsten Sitzungen warnte der Vorsitzende des Landesplanungsbeirates, der Landtagsabgeordnete Ernst Klische, vor »unvorsichtigen Ausführungen«790 im Hinblick auf zu fördernde ›Schwerpunktorte‹. Die Fördermöglichkeiten seien begrenzt, das Land Niedersachsen habe nur eine knappe Finanzmasse zur Verfügung. Auch verursache die Einstufung der Gemeinden in das vierstufige System Unruhe und Kritik in der Bevölkerung, meldete ein Ministeriumsmitarbeiter im weiteren Verlauf des Jahres 1968, vor allem weil mit der Festlegung eine Verteilung der Haushaltsmittel einhergehe.791 Schließlich befand der Ausschuss ›Zentrale Orte‹, dieser Unruhe könne »nur durch eine konsequente Haltung und Entscheidung in den mit der Raumordnung befaßten Gremien entgegen gewirkt werden.«792 Die Festlegungen seien »objektiv«793 getroffen worden. »Dadurch sei die Durchkernung des ganzen Landes Niedersachsen mit zentralen Orten der oberen Stufen gut geglückt.«794 Der Ausschuss lehne es ab, sich mit den Eingaben einzelner Gemeinden, die mit ihrer Einstufung nicht einverstanden seien, zu befassen. Das war eine schwerwiegende Entscheidung, denn dieser siebenköpfige Ausschuss hatte die Aufgabe, Gemeinden als ›Mittelzentrum‹ vorzuschlagen und die Dringlichkeit, mit der sie gefördert werden sollten, festzulegen.795 Die Gemeinden der kommuna788 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 11. März 1968, NLA HA Nds 600 Akz 27/82 Nr. 28. 789 Ebd.; regionale Politik sei umjubelt und gleichzeitig umstritten gewesen, stellt auch fest: Marijn Molema: Regionale Stärke, Wirtschaftspolitik im Norden der Niederlande und in Nordwestdeutschland 1945–2000, aus dem Niederländischen, Sögel 2013, S. 15. 790 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 17. Juli 1968, NLA HA Nds 600 Akz 27/82 Nr. 28. 791 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 4. Oktober 1968, ebd. 792 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde, Ausschuss ›Zentrale Orte‹ am 10. Oktober 1968, ebd. 793 Ebd. 794 Ebd. 795 Im Sommer 1968 legte dieser ebenfalls siebenköpfige Ausschuss in ganz Niedersachsen 66 Mittelzentren fest, von denen 20 als Schwerpunktorte bevorzugt gefördert werden sollten, Protokoll der Sitzung des Ausschusses ›Zentrale Orte‹ bei der obersten Landesplanungsbehörde am 17. Juli 1968, ebd. Die Auswahl der Orte, die gefördert werden sollten, war

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len Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg waren kein Thema in diesem Ausschuss. Auch der Ausschuss, der sich mit ›Verdichtungsräumen‹ beschäftigte, traf weitreichende Entscheidungen. In einer Vorlage für eine Arbeitssitzung im Oktober 1968 wurden Georgsmarienhütte – damit ist die noch selbständige Gemeinde vor der Zusammenlegung gemeint – und Bramsche als ›Schwerpunkträume‹ vorgeschlagen. Eine Karte wies jedoch nicht die beiden Orte als zu fördernde ›Schwerpunkte‹ aus, sondern das ganze Gebiet zwischen Bramsche und Georgsmarienhütte. In diesem lag das von Land und Kreis geförderte Industriegebiet Wallenhorst/Hollage. Eine Erläuterung relativierte den für das Untersuchungsgebiet vorteilhaften Ansatz des Ausschusses. In ›Schwerpunkträumen‹ solle die Mobilität zwischen Arbeits- und Wohnstätte gefördert werden, sie seien gekennzeichnet »durch das räumliche Auseinanderrücken von Wohnund Arbeitsstätten.«796 Das bedeutete für die Erwerbstätigen der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg, dass sich ihr Arbeitsplatz demnächst in Wallenhorst/Hollage befinden würde.797 Ende des Jahres 1968 verkündete ein Mitarbeiter des Ministeriums: »Im Augenblick sei der Vorschlag der Ausschüsse ›zentrale Orte‹ und ›Verdichtungsräume‹ das äußerste an Dekonzentration, die sich das Land leisten könne. Die Festlegung diene nicht der Entwicklung von Gemeinden, sondern der Entwicklung des ganzen Landes.«798 Man müsse sich bei der Ausweisung von ›Schwerpunkträumen‹ beschränken, sonst mache es keinen Sinn. Mit dem Satz »Planen heiße entscheiden«799 fand der demokratische Aushandlungsprozess mit dem Innenministerium um Einstufung und Fördermöglichkeiten ein vorläufiges Ende. Im Landesplanungsbeirat des Innenministers wurden die Grundsätze formuliert, nach denen verfahren werden sollte, die Operationalisierung lag dann in den Händen der Raumplaner der Bezirksregierung. Das Dezernat 108 für Landesplanung und Statistik der Bezirksregierung Osnabrück wurde in den 1950er

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bundesweit ein Problem. »Paradoxerweise machte gerade der wachsende Wohlstand der bundesdeutschen Gesellschaft, der als kollektive Erfahrung und als Schlagwort der Politik in eben dieser Zeit in den Vordergrund trat, das Unterfangen der Angleichung regionaler Entwicklungschancen zu einer komplexeren und zugleich politisch sensibleren Aufgabe,« Grüner : Geplantes »Wirtschaftswunder«?, S. 346. Vorlage zur 3. Arbeitssitzung des Ausschusses ›Verdichtungsräume‹ am 25. Oktober 1968, NLA HA 100 Akz 36/86 Nr. 51. Darauf verweist auch ein Vermerk des nieders. Wirtschaftsministeriums vom 2. Juli 1969, NLA HA Nds 500 Akz 2001/084 Nr. 17/2. Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 3. November 1968, NLA HA Nds 600 Akz 27/82 Nr. 28. Ebd.

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und 1960er Jahren geleitet von Oberregierungsrat Hans-Erich Massalsky.800 Dieser erarbeitete im Auftrag des Innenministers bereits 1961 einen der ersten Bezirksrahmenpläne. In diesem sprach er sich dafür aus, die Landwirtschaft zu stärken, Erholungsgebiete angesichts des »fortschreitenden Industrialisierungsprozesses in Mitteleuropa«801 zu erhalten und Industrieansiedlung nur an bestimmten Orten zuzulassen. Die Steuerverfassung stehe dem jedoch entgegen, wegen dieser neigten die Gemeinden zu »Egoismus«,802 und siedelten Industriebetriebe an ungeeigneten Orten an. Betriebsansiedlungen kämen nur in Frage in Osnabrück, Bramsche-Achmer, Lingen, Meppen, Lathen, Dörpen und Papenburg. Bei einer Pressekonferenz 1965 über die Funktionen der Gemeinden in der Raumordnung legte er noch einmal die Grundsätze seiner raumplanerischen Arbeit dar : Von 512 Gemeinden im Bezirk bedürften 142 einer »stärkeren Förderung«,803 und man müsse sich fragen, »ob das sein muß«.804 Außerdem bekannte er sich trotz des Strukturwandels in der Landwirtschaft zu ihrer entscheidenden Bedeutung für den Regierungsbezirk.805 Ende des Jahres 1965 entwarf das Dezernat 108 in – wie es hieß – Übereinstimmung mit der Raumordnung der Bundesregierung, den Darlegungen der Obersten Landesplanungsbehörde, der Denkschrift ›zentrale Orte‹ der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und nach vorgenommenen Strukturuntersuchungen eine Karte mit eingezeichneten ›zentralen Orten‹ nach dem Kriterium von Einwohnerzahlen.806 Auf dieser Karte waren Georgsmarienhütte und Oesede als zwei separate, aber dennoch miteinander verbundene ›zentrale Orte‹ in der Größe 5.000–10.000 Einwohner_innen, mit einer Zuordnung der Gemeinde Harderberg eingezeichnet. Kloster Oesede und HolstenMündrup wurden dem Nahbereich des ›zentralen Ortes‹ Borgloh zugerechnet. Ein Teil von Holzhausen, nämlich Sutthausen, wurde Osnabrück zugeordnet und der Rest dieser Gemeinde zu Georgsmarienhütte zugehörig eingezeichnet. (Siehe Anhang 8). Die Karte war nicht sonderlich aussagekräftig. Weder wurden die Klassifizierungen begründet noch die damit verbundenen angestrebten oder bereits vorhandenen Ausstattungen noch die Zuordnungen der Gemeinden zu den 800 NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 48 und Waldhoff/Fürst/Böcker : Anspruch und Wirkung der frühen Raumplanung, S. 133 und S. 153. 801 Rahmenplan für den Raumordnungsplan für den Regierungsbezirk Osnabrück Dezember 1961, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 48. 802 Ebd. 803 Hans-Erich Massalsky auf der Pressekonferenz am 2. Februar 1965, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 21. 804 Ebd. 805 Ebd. 806 Regierungspräsident an Verteiler, Schreiben vom 7. Dezember 1965, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 48.

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verschiedenen hierarchisch eingestuften Orten dargestellt. Interessant ist aber der Verteiler, an den die Karte geschickt wurde: Außer den Landkreisen des Bezirks ging der Entwurf an die Stadt Osnabrück, die IHK, der Handwerkskammer Osnabrück, die verschiedenen Arbeitsämter, die Landbau Außenstellen, die Emsland GmbH, das Straßenbauamt, das Wasserwirtschaftsamt und an das Niedersächsische Kulturamt in Osnabrück, nicht aber an die betroffenen Gemeinden. Dabei waren sich die Akteure bei der Bezirksregierung durchaus bewusst, dass die Einteilung eine »Maßnahme von erheblicher Tragweite«807 war, die mit gezielter Stärkung und attraktiver Ausgestaltung ausgewählter Gemeinden einhergehe. Keinesfalls wollten die Raumplaner aber in einen Aushandlungsprozess mit den Gemeinden eintreten. Der Geschäftsführer des Niedersächsischen Gemeindetages sollte das Konzept der ›zentralen Orte‹ verbreiten,808 wobei hier sicherlich nicht an eine ergebnisoffene Diskussion gedacht worden war, sondern um Werbung für eine Akzeptanz bei den Gemeinden für die bezirksplanerischen Entscheidungen.809 Dieser oben genannte Raumordnungsplan fand keine nachhaltige Resonanz in den Gemeinden des Landkreises Osnabrück. Einzig die Gemeinde Kloster Oesede erfuhr durch ein Mitteilungsblatt der IHK, dass sie der Gemeinde Borgloh als ›Nebenzentrum‹ zugeordnet werden sollte und verwechselte die Einordnung mit Vorschlägen zur Gebietsreform – mit der die raumplanerischen Erwägungen angeblich nichts zu tun hatten – und wurde daraufhin aktiv.810 Die Pläne hatten jedoch noch keinerlei rechtlich bindende Wirkung. Nach dem Inkrafttreten des NROG wurden in dem Amt unter Massalskys Leitung zunächst Daten über die kommunale Landschaft ihrer Bezirke zusammengestellt, dann wurden die ersten relevanten Daten für den Bezirk erarbeitet: Der Regierungsbezirk umfasse 1966 747.779 Einwohner_innen. Jedoch stagnierten die Zahlen gebietsweise. In der Stadt Osnabrück gingen die Geburten zurück, bei gleichzeitiger Tendenz der Einwohner_innen, aus Osnabrück wegzuziehen. Von allen Landkreisen des Bezirks wachse nur der Landkreis Osnabrück. Dort steige die Geburtenrate und es bestehe kein Wanderungsverlust.811 Eine Zusammenstellung der übergeordneten ›zentralen Orte‹ Niedersachsens 807 Ebd. 808 Oberregierungsrat Hans-Erich Massalsky an Rechtsanwalt Ludwig Reißner, Schreiben vom 8. September 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 49. 809 In einer 1982 erschienenen Untersuchung über Ostwestfalen-Lippe, an der viele Zeitzeugen beteiligt waren, hieß es: »Es kam vielmehr darauf an, daß sie [die Kommunalpolitiker] Gelegenheit erhielten, die eigenen Vorstellungen mit den unabdingbaren Erfordernissen übergreifender Planung zu konfrontieren und möglichst aus eigener Einsicht kompatibel zu halten,« Albertin/Keim/Werle: Die Zukunft der Gemeinden, S. 11. 810 »Kloster Oesede will kein ›Anhängsel‹ von Borgloh-Wellendorf werden« NT, 15. Juni 1966. 811 Vermerk »Geburtenüberschuß und Wanderungsgewinn rückläufig – Einwohnerzahl der Stadt Osnabrück stagniert« vom 30. Juni 1966, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 49.

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lieferte weiteres Zahlenmaterial: Bei einem Flächeninhalt des Bezirkes von 6.206 km2 und einer Bevölkerungszahl von 753.381 (leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahr) ergebe sich eine Quadratkilometerzahl pro ›zentralem Ort‹ von 886,5 km2. Der schematisierte Einzugsradius würde dann 16,8 km betragen.812 Im Laufe des Jahres 1968 legten die Raumplaner bei der Bezirksregierung Osnabrück nicht nur ein wesentlich ausdifferenzierteres ›zentrale-Orte‹-Konzept vor, sondern nahmen auch die weitergehenden Vorstellungen Isbarys im Hinblick auf zu entwickelnde Industrieachsen auf und transformierten sie auf ihren Bezirk. In dem Entwurf des Raumordnungsplans von 1968 hieß es: Der Bezirk befinde sich zwischen Ruhrgebiet, Großhäfen an der niederländischen und deutschen Nordseeküste, grenze an den Raum Hannover-Braunschweig und sei daher lediglich Durchgangsraum mit vorwiegend landwirtschaftlicher Struktur. Die Entwicklung des Bezirks sei gegenüber anderen Regionen zurückgeblieben, und das könne sich die dichtbesiedelte Bundesrepublik eigentlich nicht leisten. Es solle eine Kettenreaktion eines sich selbst verstärkenden, expandierenden Wirtschaftsprozesses in Gang gesetzt werden, um das »Nachhinken dieses Raums«813 zu beheben. Gemäß dem raumordnerischen Leitbild sollten zurückgebliebene Gebiete gefördert und große ›Verdichtungsräume‹ aufgelockert werden. Durch Schwerpunktförderung solle eine Aufwärtsentwicklung zurückgebliebener Gebiete in die Wege geleitet werden, »das heißt, Dezentralisation der großen Verdichtungsräume, aber Konzentration auf Schwerpunkte in den dünn besiedelten Räumen.«814 Damit solle die Abwanderung aus ohnehin schon strukturschwachen Gebieten nicht nur verhindert, sondern sogar Zuwanderung möglich werden. Je besser erschlossen und infrastrukturell attraktiver der Raum, desto eher siedelten dort Menschen und desto eher würden sich auch Betriebe dort niederlassen, so die Vorstellung der Raumplaner der Bezirksregierung. Eine aktive Wirtschaftsförderung war ausdrücklich nicht vorgesehen. Die Ansiedlung von Betrieben sei nicht Angelegenheit staatlicher Lenkung, sondern Sache der freien Wirtschaft. Doch keinesfalls solle der ländliche Raum von Industrie zersiedelt werden, eine ›gesunde‹ Agrarstruktur werde dadurch zerstört. Landwirtschaftlich strukturierte Gemeinden sollten ihre Prägung behalten, nur Handwerker und Gewerbe, die der Ort brauche, sollten dort angesiedelt werden. Die Landwirtschaft sei trotz des Bestrebens, Industrie anzusiedeln, von Bedeutung und solle das strukturbestimmende 812 Zusammenstellung der übergeordneten ›zentralen Orte‹, ebd. 813 Raumordnungsplan für den Regierungsbezirk Osnabrück, Entwurf, Februar 1968 abgeschickt an den Minister des Innern am 2. August 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/ 1987 Nr. 95. 814 Ebd.

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Element bleiben. Im Entwurf heißt es wörtlich: »Denn aus dem großen landwirtschaftlichen Raum Nord-West-Deutschland wird und soll niemals eine Industrie- und Stadtlandschaft werden.«815 Industrie solle nicht überall angesiedelt werden, sondern nur an bestimmten zu entwickelnden Orten. Eine Zersplitterung der kommunalen Landschaft in rivalisierende Lokalzentren solle vermieden werden, denn das behindere den Aufbau der Regionalzentren. »Beispiele hiervon sind leider schon vorhanden«,816 schrieben die Raumplaner der Bezirksregierung. Die Förderung der »nichtlandwirtschaftlichen Entwicklung«817 von Gemeinden solle nach einem bestimmten Förderprinzip geschehen. Entlang eines Ost-West- und eines Nord-Süd-›Bandes‹ sollten Gemeinden schwerpunktmäßig gefördert und darüber hinaus die ›Kernstadt‹ Osnabrück entwickelt werden. Im Landkreis Osnabrück sollen die Gemeinden Melle, Dissen, Bohmte und Schüttorf in Genuss einer Förderung kommen. Die Gemeinden der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg lagen an keinem der aufgeführten ›Bänder‹ und fanden in diesem Konzept keinerlei Erwähnung.818 Kurze Zeit nach der Erarbeitung dieses Raumordnungsplanes wurde die konkrete Umsetzung für den Bezirk ausgearbeitet. Der Minister des Innern beauftragte die Bezirksregierungen durch Erlasse vom 3. April 1968 und vom 8. Mai 1968, ihm die Planvorstellungen für die jeweiligen Regierungsbezirke und Angaben über die Verteilung der ›zentralen Orte‹ mitzuteilen.819 Der Regierungspräsident antwortete im Juli 1968 dem Minister, dass er 39 ›zentrale Orte‹ in seinem Regierungsbezirk ausmachen könne, davon seien 11 als ›Unterzentren‹ und 20 als ›Kleinzentren‹ anzusehen. Welche Orte unter welche Rubrik fallen, wurde nicht angeführt, nur das Untersuchungsgebiet erfuhr in dem Schreiben besondere Erwähnung. »Von den 11 Unterzentren liegt der Siedlungskomplex Oesede/Georgsmarienhütte im Verdichtungsraum Osnabrück

815 816 817 818

Ebd. Ebd. Ebd. Im ursprünglichen Entwurf, den das Dezernat 108 dem Regierungspräsidenten vorgelegt hat, fand das Untersuchungsgebiet keine Erwähnung. Der Regierungspräsident Suermann monierte in einem Telefonat mit dem Amtsleiter Massalsky, dass im Verdichtungsraum Osnabrück keine ›zentralen Orte‹ ausgewiesen seien. Das betreffe besonders Georgsmarienhütte/Oesede. Massalsky antwortete daraufhin: »Wir haben aus taktischen Gründen darauf verzichtet, was die […] Richtlinien zulassen. Betroffen Gmhütte/Oesede, Einwohnerzahl 16.700 und nur Unterzentrum gegenüber Quakenbrück mit 8.000 Einw. u. in der Stufe Mittelzentrum.« Massalsky am 10. Juni 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 22. 819 Vermerk von Dezernat 108 der Bezirksregierung an den Regierungspräsidenten Osnabrücks 18. April 1968 und Regierungspräsident an den Minister des Innern im Juli 1968, ebd.

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und ist daher gesondert genannt.«820 Zwei im Schreiben nicht genannte ›Unterzentren‹ sollten zu ›Mittelzentren‹ ausgebaut werden, die beiden größten Gemeinden im Untersuchungsgebiet, Oesede und Georgsmarienhütte, waren damit nicht gemeint. Die Ausarbeitungen der Bezirksplaner waren geprägt von starken Widersprüchen. Einerseits wurde die Rückständigkeit des Bezirkes beklagt, andererseits die Entwicklung von Industriezonen nur halbherzig vorangetrieben. Als landwirtschaftlich geprägter, rückständiger Durchgangsraum wurde der Bezirk beschrieben, der durch Fördermaßnahmen des Landes entwickelt werden sollte. Die durch Landesmittel entwickelte Infrastruktur sollte die Menschen von Abwanderung abhalten und Zuwanderung begünstigen. Das Thema Arbeitsplätze und Industrieansiedlung wurde vermieden. Wirtschaftsförderung wurde nicht als eine staatliche Aufgabe angesehen, das sei Aufgabe der freien Wirtschaft. Wenn Lenkung der Industrie stattfinde, dann nur indirekt über den Ausbau von Orten entlang der Verkehrswege. Für die Akteure im Untersuchungsgebiet stellten diese raumplanerischen Grundsätze ein Problem dar. Das Gebiet fiel in zweifacher Hinsicht durch das Raster der Fördermöglichkeiten des Landes: Es lag innerhalb des ›Verdichtungsraumes‹ Osnabrück und wurde als störendes Element innerhalb eines sonst als stringent geltenden Konzeptes gesehen. Ihm wurde keine Unterstützung zum Ausbau seiner Infrastruktur zugebilligt, um das Nicht-ins-Konzeptpassen nicht auch noch zu vergrößern. Des Weiteren lag das Untersuchungsgebiet abseits der großen Verkehrswege, an denen der Ausbau der Orte vorgesehen war und wo sich Industrie ansiedeln sollte. Auch könnte sich das deutliche Eintreten für den Erhalt agrarischer Strukturen für die Gemeinden im Untersuchungsgebiet negativ auswirken. Auch wenn Oesede versuchte, sich als Industriegemeinde darzustellen, war die Landwirtschaft in dieser, aber auch in den anderen Gemeinden, immer noch von großer Präsenz,821 dieser Umstand bedurfte keiner Unterstützung. Die Raumvorstellungen vom Innenministerium und von Raumplanern waren nicht in allen Punkten kongruent. Während der 1960er Jahre war eine Entwicklung sichtbar geworden, die Handlungsdruck hervorrief und die Erstellung neuer Raumkonzepte notwendig machte. Während das Land auf der einen Seite Modernisierung anstrebte, war es auf der anderen Seite bestrebt, die Kosten für 820 Regierungspräsident an den Minister des Innern im Juli 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/87 Nr. 95. 821 Dieser Gegensatz innerhalb der Gemeinde Oesede wurde thematisiert in dem Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan von 1963: »Obwohl Oesede nach der Typenbezeichnung als Industrie- und Arbeiterwohngemeinde anzusprechen ist, spielt die Landwirtschaft doch noch eine wichtige Rolle im Strukturbild der Gemeinde«, NLA OS Dep 81 b Nr. 162a.

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die Umsetzung einer Reform gering zu halten. Bei der Umsetzung des Reformgedankens bediente sich das Ministerium der Raumplaner, die bei der Bezirksregierung vor Ort die Ausarbeitung der Pläne bewerkstelligen und die Operationalisierung der Pläne durchsetzen sollten. Dabei gingen weder das Ministerium noch die Raumplaner davon aus, dass sie in eine Aushandlung mit Bürgermeistern und Gemeindedirektoren treten würden. Die Raumplaner jedoch bedienten sich eines Konzeptes, das eigentlich auf Beobachtungen Christallers in Süddeutschland gründete, für die Neubesiedlung besetzter Gebiete modifiziert wurde und nun in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik zur Anwendung kommen sollte.

3.1.5. Gutachten War Planung in der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Bundesrepublik noch als wesentliches Instrument der NS-Zeit und sozialistischer Länder gesehen und gemieden worden, so änderte sich die Haltung zum Begriff, aber auch zu seinem Inhalt in den 1960er Jahren grundlegend. Während der ersten Nachkriegsrezession 1966/1967 war Ludwig Erhard (CDU), einer der wichtigsten Vertreter einer ordoliberalen Auffassung, die die Wirtschaft den Kräften des freien Marktes überließ, 1966 vom Amt des Bundeswirtschaftsministers zurückgetreten. Sein Nachfolger Karl Schiller (SPD) leitete ein Umdenken ein und erklärte nun Steuerung und Planung für die beste Krisenprävention. Ausdruck dieses Umdenkens war spätestens die Einrichtung eines Planungsstabes auf Bundesebene im Jahr 1967 mit sechs Stellen des höheren Dienstes und mit einem Etat für Gutachtertätigkeiten in Höhe von 1,2 Mio. DM. Planung wurde zum Inbegriff von »Modernität, Fortschrittsglauben und Veränderungswillen«.822 Vorausschauendes politisches Handeln statt gegenwartsbezogener Lösungen galt als rationaler Politikstil. Der Versuch, den in den 1960er Jahren einsetzenden technischen und sozialen Wandel durch vorausschauende Planung zu bewältigen, zeigt wie sehr Akteure an die Gestaltbarkeit der Gesellschaft durch Planung glaubten.823 An dem Einsetzen des Planungsstabes und dem hohen Etat für Gutachtertätigkeiten wird außerdem deutlich, dass Planung ohne Expertenwissen nicht auskam. Mit anderen Worten: Zukunftsorientiertes Handeln setzte Expertenwissen voraus. Gutachter steckten den Rahmen ab, in denen Raumvorstellungen entwickelt wurden. 822 Winfried Süß: »Wer aber denkt für das Ganze«. Aufstieg und Fall der ressortübergreifenden Planung im Bundeskanzleramt, in: Frese/Paulus/Teppe: Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch, S. 349–377, hier S. 349. 823 Ebd., S. 354ff.

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In den 1960er Jahren wurden zahlreiche Expertisen in Auftrag geben. Allein auf das Umland von Osnabrück und auf das Untersuchungsgebiet bezogen sich über einen Zeitraum von 1964 bis 1970 fünf Gutachten:824 – Schubert, Verkehrsuntersuchung Landkreis Osnabrück, Hannover 1964/ 1965. – Agrarstrukturelle Vorplanung Osnabrück und Umland, Landwirtschaftskammer Weser-Ems, Außenstelle Bramsche, 1970.825 – Wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten im Raum Osnabrück – Prognos AG Basel 1968. – Wortmann-Grohs, Regionale Planung Osnabrück, Hannover 1968. – Landschaftsplan für den Naturpark Nördlicher Teutoburger Wald-Wiehengebirge – Bundesanstalt für Vegetationskunde, Naturschutz und Landschaftspflege, Bad Godesberg 1970. Von diesen fünf Gutachten wurden nur zwei innerhalb des Aushandlungsprozesses immer wieder herangezogen: Das Prognos-Gutachten und das Wortmann-Grohs-Gutachten. Beide Expertisen sollen im Folgenden kurz zusammengefasst, ihr Inhalt verglichen und in ihrer Bedeutung für den Aushandlungsprozess erfasst werden. Das erste Gutachten war das sog. Prognos-Gutachten.826 Es sprach eine völlig andere Sprache als der Raumordnungsplan der Bezirksregierung. Angefertigt wurde es von der Prognos AG mit Sitz in Basel unter der Projektleitung von Rolf Wieting im Auftrag von Stadt und Landkreis Osnabrück unter dem Titel: »Wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten im Raum Osnabrück« und erschien im Dezember 1967.827 Zuvor hatte die Prognos AG 1966 ein Gutachten über die Gesamtsituation im Land Niedersachsen im Auftrag des Wirtschaftsministeriums angefertigt.828 Genau wie der Raumordnungsplan stellte das Prognos-Gutachten eine wirtschaftliche Gesamtleistung des Osnabrücker Raumes von 8 % unter dem Landesdurchschnitt und sogar 17 % unter dem Bundesdurchschnitt fest. Die Ur824 Aufgelistet in: Freie Planungsgruppe Berlin: Entwicklungsplanung Stadt Georgsmarienhütte. Erläuterungsbericht Flächennutzungsplan, Berlin 1971, S. 4. 825 Vorstellung des Gutachtens in der Presse vgl.: »1967 nur noch 9,1 Prozent in Landwirtschaft tätig«, NOZ, 3. Juli 1970; »620 Vollerwerbsbetriebe haben Existenzgrundlage« NOZ, 4. Juli 1970. 826 Prognos-Gutachten vom Dezember 1968, NLA OS Dep 123 Akz 2012/045 Nr. 44. 827 Prognos-Gutachten vom Dezember 1968. Es muss früher – wahrscheinlich im Dezember 1967 – erschienen sein, denn die IHK gab im Januar 1968 bereits eine Stellungnahme zu dem Gutachten ab. Vermutlich liegt hier ein Tippfehler vor, NLA OS Rep 430 Dez 301 Akz 59/87 Nr. 138, Bd. 3 oder auch unter NLA OS Dep 123 Akz 2012/045 Nr. 44. 828 Presseinformationen des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr am 17. April 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 47.

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sache liege in dem Vorhandensein von nur vier größeren Betrieben in stagnierenden Branchen wie der Stahlindustrie. Der größte Arbeitergeber im Wirtschaftsraum Osnabrück seien die Klöckner-Werke AG mit 10.500 Beschäftigten, von denen 60 % in Georgsmarienhütte und 40 % in Osnabrück tätig seien. Nicht ohne Verweis auf den vertraulichen Charakter des Zahlenmaterials fixierte das Gutachten eine Befürchtung, die die Akteure in den Kommunen selbst so nicht äußern konnten, weil es bislang noch keine offizielle Bestätigung gab:829 »Es muss indessen befürchtet werden, dass Teile des Produktionsprogramms (zumindest im Bereich der Massenstahlerzeugung) nach Bremen verlagert werden.«830 So deutlich hatten die Planer der Bezirksregierung gar nicht hingesehen oder nicht hinsehen wollen. Aber genau wie der Raumordnungsplan stellte auch das Prognos-Gutachten eine grundsätzliche Abwanderungstendenz aus dem Osnabrücker Raum fest, die durch Geburtenüberschüsse aufgefangen werde, aber dennoch bleibe die Bevölkerungszunahme unter dem üblichen Durchschnitt. Das Wachsen der Bevölkerung verteile sich allerdings sehr unterschiedlich. Während die Stadt Osnabrück durch Geburtenüberschüsse nur um 2,9 % wachse und damit erheblich unter dem Bundesdurchschnitt von 4,4 % liege, wachse der Landkreis Osnabrück mit 8,7 % überdurchschnittlich stark. Dort würden mehr Jugendliche heranwachsen, als in den 1970er Jahren vom Arbeitsmarkt aufgenommen werden könnten. Es müsse damit gerechnet werden, dass der heute vorhandene ›Kinderberg‹ in den 1970er Jahren abwandere. Die Schlüsse, die der Verfasser Wieting, der wenige Jahre später als Abteilungsleiter im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium arbeitete,831 aus der beschriebenen Situation zog, waren eindeutig: er empfahl – genau wie der Plan der Bezirksregierung – in die Infrastruktur zu investieren und Bildungsmöglichkeiten, z. B. Fachhochschulen, aber auch Freizeitmöglichkeiten zu schaffen. Darüber hinaus sprach sich das Gutachten eindeutig für eine aktive Wirtschaftsförderung und die Gründung einer regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft aus. Doch auch das Prognos-Gutachten befürwortete keine uneingeschränkte Industrieansiedlung, sondern schlug die Einrichtung von Industriezonen entlang der Industrieachsen Osnabrück-Hollage-Wallenhorst-Bramsche und Osnabrück-Bissendorf/Wissingen-Melle vor. Zwar war dem Gutachter klar, dass die Schaffung von ein oder zwei größeren Industriezonen »keine längerfristigen

829 Noch unmittelbar vor der Zusammenlegung behauptete Direktor Heymann, dass auch nach Rationalisierungsmaßnahmen das Werk noch mindestens 5.000 Menschen beschäftigen werde, Protokoll der Besprechung mit Ratsherren aus den drei Gemeinden und den Herren des Klöckner-Direktoriums am 16. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 830 Prognos-Gutachten vom Dezember 1967, NLA OS Dep 123 Akz 2012/045 Nr. 44. 831 »Hoffnung für Osnabrück und Georgsmarienhütte«, NOZ, 14. Juli 1972.

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Lösungen darstellen«832 könne, empfahl aber ein nur 100 ha großes Industriegebiet in Wallenhorst/Hollage einzurichten. Das zweite wichtige Gutachten stammte von Wilhelm Wortmann. Der ehemalige Hochschullehrer an der Technischen Universität Hannover833 wurde 1966834 von der Bezirksregierung beauftragt, den Stadt/Umlandplan zu überarbeiten, den 1960 der Kreisbaumeister Paul Gerhardus835 erstellt hatte.836 Es sollte »in seiner endgültigen Fassung […] Bestandteil des Raumordnungsprogrammes für den Regierungsbezirk Osnabrück werden, womit er für die räumliche Entwicklung und alle Einzelplanungen von Gemeinden, Behörden oder öffentlichrechtlichen Körperschaften verbindlich wird«,837 ein Umstand, der nicht öffentlich kommuniziert wurde838 und zu Unstimmigkeiten innerhalb der Behörden führte.839 Ein erster Zwischenbericht lag im August 1968 vor.840 832 833 834 835

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Ebd. Kreisausschussprotokoll vom 25. Mai 1972, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 147. Der Vertrag ist datiert vom 16. März 1966, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 45. Eben jener Gerhardus, der auch die Planungen für die Gebietsreform von 1937 erstellt und mit seinem Gutachten von 1956 verhindert hatte, dass es zu einer Zusammenlegung von Oesede und Georgsmarienhütte kam. Siehe Kap. 2.3. Das Scheitern der Zusammenlegung von Georgsmarienhütte und Oesede 1951, S. 84. »Professor Wortmann in Bad Iburg. Eingemeindung keine echte Lösung«, NOZ, 16. November 1967. Informationen für die Presse, undatiert, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 45. Es war kein Presseartikel auffindbar, in dem dieser Umstand kommuniziert wurde. Die undatierte Pressemitteilung weist darauf hin, dass sie gar nicht herausgegeben wurde, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 45; Immerhin teilte der Regierungspräsident des Regierungsbezirkes Osnabrück im Mai 1967 mit: »Der von Herrn Prof. Wortmann überarbeitete Plan wird als Entwurf für ein Entwicklungsprogramm nach dem Niedersächsischen Gesetz über Raumordnung und Landesplanung anzusehen sein«, Regierungspräsident an alle Dezernenten und Abteilungsleiter im Hause, Schreiben vom Mai 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 41. Vertreter des Landkreises versuchten beispielsweise, für einige kreisangehörige Gemeinden bei Wortmann eine Aufstufung zu erreichen mit der Begründung: »Bei dem Gutachten von Prof. Wortmann handelt es sich ja nicht um das Urteil eines unabhängigen Sachverständigen, und es ergibt sich aus der Sicht, daß er nicht alle vorhandenen Vorstellungen der Stadt oder des Kreises in seinem Gutachten trifft«, Vermerk des Osnabrücker Baurates Cromme über ein Gespräch mit Kreisbaurat Rhode am 10. März 1969, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26, schrieb ein Landkreismitarbeiter anlässlich der Änderungswünsche. Diese Wünsche wies Wortmann zurück: »Es handelt sich um ein unabhängiges Gutachten. Bei Aufstufungen – Ihren Wünschen entsprechend – würde das verfolgte Prinzip der Konzentration von vornherein durchlöchert,« Wortmann an Kreisbaurat Rhode, Schreiben vom 3. April 1969. Die Wünsche des Landkreises zur Aufstufung bezogen sich allerdings nicht auf das Untersuchungsgebiet, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26. Hier zeigt sich, wie schwierig diese Konstellation es für die Akteure machte, die Vorgaben des Gutachtens zurückzuweisen. Auszug aus den Erläuterungen zur regionalen Raumordnung im Einflußbereich Osnabrück, verfasst von Wilhelm Wortmann im August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2; das komplette Gutachten wurde 1972 veröffentlicht, nachdem die Raumplaner der Bezirksre-

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Auch der Gutachter Wortmann diagnostizierte ein Bevölkerungswachstum. In Stadt und Landkreis lebten 1966 276.000 Einwohner_innen, im Jahr 1980 würden es 293.000 Menschen sein. Die Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte wüchsen ebenfalls stark. Georgsmarienhütte verzeichne eine Bevölkerungszunahme von 6.472 im Jahr 1957 auf 7.236 Personen im Jahr 1966 um 9 %, und Oesede sei von 8.216 Menschen im Jahr 1957 auf 9.352 Menschen im Jahr 1966 um 14,4 % gewachsen. Das Gutachten empfahl daher die Schaffung von Wohnraum vornehmlich in Oesede und Dröper.841 Wortmann kam zu dem Schluss, dass Georgsmarienhütte/Oesede einen geschichtlich gewachsenen ›Sonderfall‹ darstelle und empfahl im Hinblick auf das »Problem Klöckner«,842 auf den nicht mehr genutzten Betriebsflächen neue Betriebe anzusiedeln. Diese sollten weder Luftverunreinigungen noch Lärm verursachen und auch keinen hohen Wasserbedarf haben. Die Gemeinde Harderberg solle nach »Möglichkeit keine gemeindeeigenen Gewerbeflächen ausweisen«.843 Er regte an, Georgsmarienhütte/Oesede zusammen als ›Mittelzentrum‹ einzustufen und mit weiterführenden Schulen, Turnhallen, Aula für Mehrzwecknutzung, einem Ärztehaus, Altenwohnungen, Hallenbad mit beheiztem Freibad und einem Nahverkehrssystem mit Anschlussmöglichkeit zum ›Oberzentrum‹ auszustatten.844 Wortmann befürwortete die Aufstellung eines gemeinsamen Flächennutzungsplanes und Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen für die Gemeinden der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg. Von einer Zusammenlegung war nicht die Rede. Das Gutachten bildete die Grundlage für den Raumordnungsplan der Bezirksregierung. Eine Bevölkerungszunahme wurde prognostiziert, dem Mangel an Wohnraum sollte abgeholfen und das Problem der Arbeitsstätten am besten durch Ansiedlung von Industrie bewältigt werden, die man weder riecht noch hört. Das Gutachten sprach sich zwar für die Ansiedlung von Industrie im Untersuchungsgebiet aus, doch das war nur eine Farce. Dass die Klöckner-Werke AG mit dem Abbau von Arbeitsplätzen auch Werksgelände hergeben würde, hätte sich erst erweisen müssen, und ob dann emissionslose Betriebe ohne Wasserbedarf für die Ansiedlung gefunden würden, stellte einen weiteren Hemmschuh für die Wirtschaftsförderung dar. Bei einer so

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gierung erhebliche Schwierigkeiten hatten, die verschiedenen Begriffe des Systems der ›zentralen Orte‹ auf den Bezirksraumplan zu übertragen. Aus ›Unterzentrum‹ wurde ›Grundzentrum‹; aus ›Kleinzentrum‹ ein ›Nebenzentrum‹ und für die vierte und unterste Stufe des hierarchischen Systems wurde der Begriff ›Eigenentwicklung‹ eingeführt, Vermerk des Dezernates 108 der Bezirksregierung Osnabrück vom 8. März 1972, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 45. Wortmann-Gutachten, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. Ebd. Ebd. Ebd.

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offensichtlichen Industrie- und Entwicklungsfeindlichkeit wundert es nicht, dass Wortmann von der Ausweisung von Gewerbegebieten in der Gemeinde Harderberg abriet. Beide Gutachten ähneln sich in ihren Grundaussagen: Sowohl das Prognosals auch das Wortmann-Gutachten gehen von einem starken Bevölkerungswachstum im Osnabrücker Land aus, wobei Wortmann auftragsgemäß auf die Zahlen im Untersuchungsgebiet einging. Beide Gutachten prognostizierten einen erheblichen Mangel an Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren. Ab 1973 würden im Landkreis Osnabrück 27.000 Arbeitsplätze mehr gebraucht als zum gegenwärtigen Zeitpunkt, errechnet das Prognos-Gutachten,845 und das Wortmann-Gutachten, das 1968 nur als Auszug vorlag, sprach nur vom »Problem«846 der Arbeitsstätten bei den Klöckner-Werken. Beide Gutachten sprachen sich für einen zu fördernden Schwerpunkt in Wallenhorst/Hollage847 und für eine aktive Industrieansiedlung aus. Jedes Gutachten empfahl jedoch eine etwas andere Wirtschaftsförderung. Das Prognos-Gutachten setzte sich für die Gründung einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft ein und das Wortmann-Gutachten empfahl Industrieansiedlung im Untersuchungsgebiet in nur sehr begrenztem Umfang und keinesfalls in der Gemeinde Harderberg. Keines der Gutachten zog eine Zusammenlegung der Gemeinden in der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg in Erwägung, aber beide Gutachten wurden während der verschiedenen Aushandlungsprozesses über die Gestaltung des Untersuchungsgebiets herangezogen.

3.1.6. Die Weber-Kommission und ihre Leitgedanken Parallel zur Raumordnung kamen Überlegungen zur Neuordnung der kommunalen Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland in Gang. Der Aufschwung der Wirtschaft führte zu einer gesteigerten Nachfrage nach einem höheren Standard der Infrastruktur auch in ländlichen Gegenden. Bürger_innen erwarteten auch in den kleinen Gemeinden, dass Wasserversorgung, Abwasserund Müllbeseitigung funktionieren, dass Schulen, Sportstätten und Straßen auf 845 Prognos-Gutachten, S. 56, NLA OS Dep 123 Akz 2012/045 Nr. 44. 846 Wortmann-Gutachten, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 847 Das Wortmann-Gutachten liegt nur im Auszug vor. Aus einem Protokoll des Aushandlungsprozesses geht hervor, dass das Wortmann-Gutachten als Industriegebiete den Ausbau des Osnabrücker Hafens und des Industriegebietes Fledder und als neue Industriegebiete Hollage/Wallenhorst und Bissendorf/Wissingen empfahl. Dem Raum Oesede/Georgsmarienhütte wurde – genau wie dem Raum Dissen und Raum Iburg-Ostenfelde – zumindest eine Entwicklungstendenz im Hinblick auf Industrieansiedlung zugesprochen, Protokoll einer Besprechung über die Entwicklung des Düteraums vom 16. Juli 1968, ebd.

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dem neuesten Stand sind und Einkaufsmöglichkeiten das Angebot auf dem Land abrunden. »Mit Wasserleitung und Stromzufuhr war es nicht mehr getan.«848 Der wachsenden Wirtschaft und der sich verändernden Gesellschaft standen jedoch die Verwaltungsstrukturen und Verwaltungsgrenzen des 19. Jahrhunderts gegenüber. Den Anstoß zu einer bundesweit angelegten Reform gab der Göttinger Professor für Staats- und Kommunalwissenschaften Werner Weber849 mit einem Vortrag auf dem 45. Juristentag 1964 in Karlsruhe. »Entspricht die gegenwärtige kommunale Struktur den Anforderungen der Raumordnung?«850 lautete sein Thema, das eine bundesweite Reform in Gang setzte. Weber führte in seinem Vortrag detailliert auf, dass eine sinnvolle, die Lebensbedürfnisse der Menschen in den 1960er Jahren berücksichtigende Raumplanung angesichts der »eingefrorenen Grenzen«851 von Gemeinden und Landkreisen nicht möglich sei. Das »rasche Fortschreiten des Industrialisierungsprozesses, der den Ausbau der Arbeitsstätten und die Siedlungstätigkeit«852 begünstige, mache nicht an Verwaltungsgrenzen halt. Eine Planung über die Verwaltungsgrenzen hinaus sei aber kaum möglich. Es fehle an einer rechtlich eindeutig geregelten Raumplanung auf Bundes-, Länder- und Regionalebene. Bei der Raumplanung sollten die Kommunen nicht nur Mitspracherecht, sondern auch Gestaltungsspielraum haben. Dieser könne aber von den kleinen Gemeinden nicht wahrgenommen werden, da sie aufgrund ihrer finanziellen und personellen Ausstattung gar keine Möglichkeit hätten, diesen zu nutzen. Das heiße, dass sie »den Erwartungen, die heute von der Bevölkerung

848 Steinwascher : Die Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen, S. 23. 849 Werner Weber wurde am 31. August 1904 geboren. Nach dem Jura-Studium promovierte er bei Carl Schmitt über ›Parlamentarische Unvereinbarkeiten‹. Nach einer Tätigkeit im preussischen Kultusministerium wurde er 1935 ordentlicher Professor an der Wirtschaftshochschule Berlin, 1941 Jurist an der juristischen Fakultät in Berlin, 1942 nahm er einen Lehrstuhl an der Universität Leipzig an. 1933 trat er der NSDAP bei, wenig später auch der SA, 1937 reichte er ein Austrittsgesuch ein. Während des ›Dritten Reiches‹ arbeitete er über rechtliche Probleme bei Eigentumsauseinandersetzungen und über die verfassungsund kirchenpolitische Praxis der Nationalsozialisten. Wegen seines kirchenpolitischen Engagements wurde er mehrfach von der Gestapo vernommen und verwarnt. Nach dem Krieg wurde er vom Entnazifizierungsausschuss der Stadt Göttingen in die Kategorie V eingestuft, Niedermeyer an den Kultusminister in Hannover, Schreiben vom 12. März 1947, NLA HA Nds 401 Akz 2003/128 Nr. 357; Nach dem Krieg setzte er sich mit der wichtigen Verfassungsfrage des Volksentscheides auseinander. Er bejahte die direkte Demokratie und »distanzierte sich vom den Schreckensbild einer ›elementaren Gefährlichkeit der Plebiszite‹«, Otmar Jung: Unmittelbare Demokratie für Niedersachsen? Vor dem Ende eines Sonderweges, in: NJfL 64 (1992), S. 421–443. 850 Weber : Entspricht die gegenwärtige kommunale Struktur. 851 Ebd., S. 5. 852 Ebd.

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dem kommunalzivilisatorischen Standard entgegen gebracht werden«853 nicht gerecht werden könnten. Besonders der ländliche ›Raum‹ verliere an Attraktivität. Der in Art. 72 GG verankerte Grundsatz der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik könne nicht eingehalten werden. Als Lösungsansatz schlug Weber vor, das kommunale Gefüge, das »die Basis des Verwaltungssystems der ganzen Bundesrepublik«854 bilde, auf keinen Fall anzutasten, den »status quo derzeitiger Gebietsabgrenzungen«855 aber durchaus in Frage zu stellen. Erforderlich sei die Verschmelzung kleiner und kleinster Gemeinden zu größeren Einheiten, und die Zusammenfassung der Gemeinden, die ohnehin einen zusammengehörenden »Siedlung- Wirtschafts- und Verkehrsraum«856 bildeten. Eine Eingemeindung von Umlandgemeinden in größere Städte auf »Vorrat«857 missbillige er. Auch bei den Landkreisen, denen bei der Regionalplanung eine erhebliche Rolle zukomme, sei ein größerer Zuschnitt notwendig.858 Nach diesem Vortrag setzten alle Bundesländer im Laufe des Jahres Kommissionen ein, um die Gebiets- und Verwaltungsreform vorzubereiten. In Niedersachsen beauftragte laut Beschluss vom 30. März 1965859 das niedersächsische Landesministerium den Minister des Innern mit der Bildung einer Sachverständigenkommission.860 Diese setzte sich zusammen aus »einem Vertreter der Staats- und Verwaltungswissenschaft, fünf Landtagsabgeordnetem, dem Ministerialdirigenten der Staatskanzlei, den Leitern der Abteilung I (Zentralabteilung, Organisation, Verfassung) und der Abteilung III (Kommunalabteilung Landesplanung) des Ministeriums des Innern, einem Regierungspräsidenten und vier Mitgliedern aus dem Bereich der kommunalen Selbstverwaltung.«861 Aus der Region um Osnabrück war bis zu seinem Tod am 18. November 853 854 855 856 857 858 859

Ebd., S. 4. Ebd., S. 42. Ebd. Ebd., S. 44. Ebd., S. 45. Ebd., S. 47. Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen. Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform, hrg.v. nieders. Minister des Innern, Hannover 1969, S. 1. 860 Sachverständigenkommissionen sind verfassungsrechtlich nicht vorgesehene Institutionen des vorparlamentarischen Bereichs. Sie setzen sich in der Regel aus Vertretern der Exekutive und aus Vertretern der entsprechenden Wissenschaften zusammen. Ihre Arbeit sollte frei und ergebnisoffen sein. Eingesetzt werden sie in der Regel von Landesregierungen, die an die Empfehlungen der Kommission nicht gebunden sind, vgl.: Gert Hillmann: Der Regierungspräsident und seine Behörde. Die allgemeine staatliche Mittelinstanz in der Verwaltungsreform, Göttingen 1969, S. 5f. 861 Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform 1969, S. 1.

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1967 nur Egon Friemann als Regierungspräsident vertreten. Ein Vertreter der Industrie bzw. der Wirtschaft fehlte gänzlich. Die Kommission trat am 29. November 1965 erstmalig unter dem Vorsitz von Werner Weber zusammen und veröffentlichte 1966862 und 1967863 Zwischenberichte. 1969 erfolgte das abschließende Gutachten.864 Nach der Landtagswahl 1967 bekannte sich der niedersächsische Ministerpräsident Georg Diederichs (SPD) dazu, die Verwaltungs- und Gebietsreform zum Abschluss bringen zu wollen.865 Die Gebiets-und Verwaltungsreform legte die Verwaltungsstruktur in Niedersachsen wie in der gesamten Bundesrepublik unterhalb der Länderebene komplett neu an. Sie war eine großangelegte Reform, bei der es nicht nur um den Neuzuschnitt von Gemeindegrenzen ging, sondern auch um das Umschichten verschiedener Verwaltungsaufgaben. Das Reformwerk umfasste daher eine Fülle an Aspekten. Grundsätzliches Ziel der Reform war die Anpassung der Verwaltungsstrukturen an die Nachkriegsverhältnisse des 20. Jahrhunderts. Im Folgenden werden vor allem die Ziele, die die Reform auf Gemeindeebene betrafen, dargelegt. Als Ziele der Gebiets- und Verwaltungsreform lassen aus dem Abschlussgutachten 1969 herausarbeiten: – Wandel von einer auf Ordnung und Sicherheit ausgerichteten Verwaltung zu einer daseinsvorsorgenden Leistungsverwaltung – Ausgleich zwischen den Leistungen der Verwaltung in den städtischen Zentren und dem ländlichen Raum – Ermöglichung einer übergreifenden Strukturplanung mit dem Ziel, strukturschwache Gebiete zu fördern – Schaffung von Gebietskörperschaften, bei denen der Verwaltungs-, Wirtschafts- und Lebensraum identisch ist – Modernisierung von Verwaltung, Vereinheitlichung des organisatorischen Aufbaus, Schaffung einer »einfachen und zielstrebigen Verwaltungsführung«866

862 Jahresbericht 1966 der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs-und Gebietsreform in Niedersachsen, Hannover 1966. 863 Jahresbericht 1967 der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen, Hannover 1967. 864 Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform 1969. 865 Münkel: Von Hellwege bis Kubel, S. 718. 866 Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform 1969, S. 4–6, hier S. 6.

Die Rahmenbedingungen

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Die Reform verfolgte das grundsätzliche Ziel, die Kommunen durch eine möglichst »effizient[e], wirtschaftlich[e] und bürgernah[e]«867 Verwaltung in die Lage zu versetzen, flächendeckend Daseinsvorsorge für die Bürger_innen zu betreiben. Bei der Reform in Niedersachsen sollte zuerst die kommunale Landschaft neu gegliedert werden. Die Kommunen bildeten die kleinste Einheit der Verwaltung und seien das »Fundament demokratischer Repräsentation«.868 »Vordringliches Ziel einer Gemeindereform muß es sein, die Substanz der gemeindlichen Selbstverwaltung dadurch zu stärken, daß sie als umfassend gedachte Wirkungsmöglichkeit der Gemeinden wiederhergestellt wird und die Gemeinden auf diese Weise wieder Beratungs- und Entscheidungsstoff von wirklichem kommunalpolitischem Gewicht erhalten.«869

Das Reformvorhaben wurde vor allem von denjenigen Gemeinden bejaht, die wegen äußerst knapper finanzieller Ressourcen nicht handlungsfähig waren. In der Zeit von 1956–1965 wurden 31 Gesetze erlassen, die einen Zusammenschluss mehrerer Gemeinden zu einer größeren Einheit zum Inhalt hatten. In der Zeitspanne vom Einsetzen der sog. Weber-Kommission im Jahre 1965 bis zum offiziellen Start der Gebiets- und Verwaltungsreform im Februar 1971 lag die Anzahl der Zusammenschlüsse bereits bei 51.870 Die kommunalen Spitzenverbände wie der Deutsche Gemeindetag, der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städtebund begrüßten grundsätzlich das Reformvorhaben und brachten ihre Vorstellungen in die Diskussion ein. Nur der Niedersächsische Landkreistag artikulierte »mit einer gewissen Skepsis«871 Bedenken gegen größere Landkreiszuschnitte, die mit einer Deckung von Planungs- und Verwaltungsräumen einhergehe. Die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Kreisverwaltung müsse erhalten bleiben. Die Landkreise hätten sich im Übrigen in den letzten 20 Jahren zu »leistungsfähigen Verwaltungseinheiten«872 entwickelt und seien ihren Aufgaben stets gerecht geworden. Landkreise von mehr als 200.000 Einwohner_innen – wie die Weberkommission sie vorsehe – seien nicht in der Lage »Überschaubarkeit,

867 Schüpp: Gebiets- und Verwaltungsreform, S. 529. 868 Ebd. 869 Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform 1969, S. 30. 870 Thieme/Prillwitz: Durchführung und Ergebnisse, S. 287. Die Gemeinden des Untersuchungsgebietes waren mit ihrem Zusammenschluss die 43. neugegründete Gemeinde, ebd., S. 282–288. 871 Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform 1969, S. 11. 872 Ebd.

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Ortsnähe und […] Beherbergungskraft des Gemeinwesens für den Bürger herzustellen.«873 Nach umfangreicher Sitzungstätigkeit, Bereisungen und intensiven Diskussionen, die auch die Einwände der kommunalen Spitzenverbände berücksichtigten, hatte die Kommission einen Rahmenplan entwickelt, »der in sich ein geschlossenes Ganzes darstellt.«874 Dieser Rahmenplan regelte das weitere Vorgehen der Reform. Eine Gemeinde solle eine Mindestgröße von 7.000–8.000 Einwohner_innen umfassen, in dünn besiedelten Gebieten mindestens 5.000 Einwohner_innen.875 Eine Überschreitung der Mindestgröße sei durchaus erwünscht. Gemeinden mit mehr als 30.000 Einwohner_innen eigneten sich als »Träger höherer Versorgungseinrichtungen«,876 das seien Gymnasien, Realschulen, Krankenhäuser und Hallenbäder. Als Organisationsform gab die Kommission der Einheitsgemeinde evtl. mit einer Ortsratsverfassung gegenüber anderen Gemeindeverbundlösungen den Verzug. Elf Städte sollten kreisfrei bleiben und aus 60 Landkreisen sollen 37 mit einer Mindestgröße von je 150.000 Einwohner_innen werden.877 Überdies war die Kommission ein Gegner des »unkontrollierte[n] Ausufern[s] der Städte«.878 Die Kommission wollte selber keine Vorschläge über den Zuschnitt der künftigen Gemeindegebiete erarbeiten,879 sie formuliere lediglich die Leitgedanken. Die Gemeinden und Landkreise waren aufgerufen, sich Gedanken über die Zusammenlegungen, Eingemeindungen und Samtgemeindelösungen zu machen. Insbesondere sollten die Gemeinden sich mit ihren Nachbargemeinden ins Benehmen setzen, um etwaige Zusammenschlüsse auszuloten.880 Die kommunalen Aufsichtsbehörden sollten Gespräche »einleiten und fördern«,881 gleichzeitig die Landkreise zusammen mit dem Regierungspräsidenten Pläne 873 874 875 876

877

878 879 880 881

Ebd. Ebd., S. 25. Ebd., S. 35. Die Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform legte 1967 ihren zweiten Jahresbericht vor. Presse-Information Nr. 87/67 vom 28. November 1967, S. 3f. Diese Presseinformation ist auch in den Oeseder Akten archiviert unter NLA OS Dep 81 b Nr. 155. Nach eingehender Beratung im fraktionsübergreifenden »Kronsberger-Kreis« wurden die ursprünglichen Vorstellungen der sog. Weber-Kommission modifiziert. Nach dieser sollten nur sieben Städte kreisfrei bleiben und die Zahl der Kreise von 60 auf 28 reduziert werden, vgl.: Herbert-Fritz Mattenklodt: Gebiets-und Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Lande NordrheinWestfalen, Münster 1972, S. 79–81. Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform 1969, S. 69. Ebd., S. 52. Ebd., S. 60. Ebd.

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aufstellen, die mit den betroffenen Gemeinden erörtert werden sollten.882 Dabei sollten die »Erkenntnisse über ›zentrale Orte‹ und ihre Nahbereiche und der gesetzliche Auftrag zu ihrer Festlegung (§17 Abs. 1 NROG)«883 bei den Zusammenlegungsplänen zugrunde gelegt werden. Das Ende des Prozesses bilde die Auflösung und Neubildung von Gemeinden und sei Sache des Landesgesetzgebers.884 Dann jedoch wurde das Reformvorhaben in Niedersachsen gebremst. Durch den Übertritt einiger Landtagsabgeordneter zur CDU funktionierte die Große Koalition zwischen SPD und CDU nicht mehr, und Landtagswahlen mussten im Juni 1970 ein Jahr vor Ablauf der regulären Legislaturperiode abgehalten werden. Die Reform, die auf Kreis- und Bezirksebene bereits in der Diskussion war, wurde auf die Jahre 1972–1974 verschoben.885 Zunächst sollte nur die kommunale Landschaft neu geordnet werden, um die Landkreise wollte man sich ab 1972 kümmern. Mit der acht Punkte umfassenden Absichtserklärung des niedersächsischen Landtags vom 9. Februar 1971 fiel der offizielle Startschuss zur Gebietsreform auf Gemeindeebene.886 Zu diesem Zeitpunkt bildeten die sechs Gemeinden der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg bereits die Stadt Georgsmarienhütte. An deren Gründung waren Akteure der Sachverständigen-Kommission nicht beteiligt und dennoch wurde durch sie die Gründung ermöglicht. Eine Arbeitsgruppe der Sachverständigen-Kommission besuchte am 1. und 2. Februar 1968 die Stadtrandgemeinden Osnabrücks und lud anschließend zu einem Gespräch.887 Offensichtlich wolle die Kommission »mutige Schritte in der Frage der Eingemeindung«888 unternehmen, hieß es beim Landkreis Osnabrück, der mit großer Sorge auf die Ansprüche der Stadt Osnabrück auf die Stadtrandgemeinden blickte. Der Termin zwang die Akteure in Osnabrück, ihre Ansprüche auf 15 Umlandgemeinden noch einmal zu überdenken und zu begründen. Als die Kommission im Beisein von Vertretern der Stadtrandgemeinden, des Landkreises Osnabrück, der Bezirksregierung und der Stadt Osnabrück tagte, zog die Stadt Osnabrück ihren Anspruch auf die halbe Gemeinde Holzhausen

882 883 884 885

Ebd. Ebd., S. 52. Ebd., S. 61. Duensing bezeichnet die Reform auf Bezirks- und Kreisebene 1967–1970 als gescheitert, weshalb man sich entschloss, die Reform auf die Zeit nach der vorgezogenen Landtagswahl zu verschieben und dann mit der Gebietsreform auf Gemeindeebene zu beginnen, vgl.: Duensing: Die Gebietsreform in Niedersachsen, S. 8. 886 Ebd., S. 20; Thieme/Prillwitz: Durchführung und Ergebnisse, S. 279. 887 Protokoll des Kreisausschusses Osnabrück vom 27. November 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 888 Ebd.

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und auf die Gemeinde Harderberg zurück.889 Die Möglichkeit, eine Großgemeinde im Süden von Osnabrück zu planen, war ab diesem Zeitpunkt gegeben.

3.2. Ausgangslagen 3.2.1. Die beteiligten Kommunen Für das Jahr 1968 liegen kommunenbezogene Daten nur zur Bevölkerung und zu Wohngebäuden vor. Industrie und Handwerk betreffende Daten sind 1968 nur landkreisweise erfasst und für die Landwirtschaft für die Jahre 1960 und 1970 erhoben worden, nicht aber für das Jahr 1968.890 So konnte bei der Beschreibung der Ausgangslagen der Kommunen nur auf Angaben zurückgegriffen werden, die die Gemeinden, der Landkreis oder die Bezirksplaner zu verschiedenen Zwecken eruiert haben. Dabei konnte verständlicherweise nur auf die Informationen zurückgegriffen werden, die erhoben und archiviert wurden. Der Umfang und die Qualität der Informationen sind von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich. Dennoch soll an dieser Stelle versucht werden, die Ausgangslage der Kommunen mit ihren jeweiligen Besonderheiten kurz darzustellen. Dabei folgt die Darstellung in etwa dem Schema: Bevölkerungsentwicklung, politische Entwicklung, Entwicklung der Baugebiete, der Landwirtschaft, Industriebesatz, Schulsituation, Finanzlage und Haltung zur Gebietsreform, sofern aus den Ratsprotokollen ersichtlich. 3.2.1.1. Die Gemeinde Oesede Die Bevölkerung wuchs in den Nachkriegsjahren in schnellem Tempo. Von 1939 bis 1950 stieg die Anzahl der Einwohner_innen von 4.771 auf 6.564, also um 37,5 %. Von 1950 bis zum Vorabend der Zusammenlegung 1968 stieg die Zahl der Einwohner_innen um 3.071, also um noch einmal 46,8 % auf 9.635 Menschen, die sich auf 1.470 ha verteilten.891 Mehr Einwohner_innen bedeuteten auch höhere Anforderungen an die Gemeindeverwaltung. Das Rathaus wurde 1962/1963 mit einem Kostenaufwand von 287.000 DM aufgestockt.892 Der Per889 Zusammenfassender Vermerk der Landkreis-Bauabteilung wegen Anhörungstermin am 1. und 2. Februar 1968, ebd. 890 Angaben des Landesamtes für Statistik Niedersachsen, Schreiben per Email vom 16. Februar 2018. 891 Gebietsgrößen und Einwohnerzahlen, NLA HA 100 Akz 51/84 Nr. 765. 892 »Oesede: Ausbau des Rathauses«, NT, 18. Mai 1962 und Protokoll der Finanzausschusssitzung am 20. September 1962, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 4 Ordner 25, Teil 2.

Ausgangslagen

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sonalbestand der Verwaltung umfasste zu diesem Zeitpunkt sieben Beamte und fünfzehn Angestellte,893 doppelt so viele wie 1955.894 Die Verwaltungsspitze wurde 1959 neu besetzt. Damals wurde der Vertrag von Gemeindedirektor Heinrich Börger nicht verlängert.895 Die Stelle wurde ausgeschrieben und die Wahl fiel auf Rudolf Rolfes896 aus Ankum. Sechs Jahre nach Rolfes’ Amtsantritt wurde auch der zweite Part der kommunalen Doppelspitze, das Amt des Bürgermeisters, neu besetzt. Der langjährige Bürgermeister Wallrath Eichberg verunglückte 1963 und Burkhardt Ritz wurde zunächst sein Nachfolger. Am 5. Oktober 1965 legte dieser sein Amt nieder, um sein Mandat als Bundestagsabgeordneter besser wahrnehmen zu können.897 Am 22. Oktober 1965 wurde Ludwig Siepelmeyer898 einstimmig zum neuen Bürgermeister gewählt.899

893 894 895 896

NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 240. NLA OS Dep 81 b Nr. 150. NLA OS Dez 104 II Akz 44/1992 Nr. 92. Rudolf Rolfes wurde am 23. November 1920 in Berlin-Weissensee geboren, seine Grundschulzeit verbrachte er in Ankum und von 1931 bis 1938 besuchte er die Mittelschule in Bersenbrück. 1938 bis 1940 absolvierte er eine Lehre bei der Kreisverwaltung ebenfalls in Bersenbrück. In dieser Zeit trat er der NSDAP bei. 1940 wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, anschließend zur Wehrmacht, Entnazifizierungsakte Rudolf Rolfes, NLA OS Rep 980 Nr. 53 442. Nach Kriegsende befand er sich in amerikanischer und britischer Kriegsgefangenschaft. Bereits im August 1945 war er wieder in Diensten des Landkreises Bersenbrück als stellvertretender Abteilungsleiter, 1948 wurde er in das Beamtenverhältnis berufen. Kurz bevor er den Landkreis Bersenbrück verließ, war er dort Leiter des Hauptund Personalamtes. Am 1. Mai 1959 nahm Rolfes seine Tätigkeit als Gemeindedirektor bei der Gemeinde Oesede auf. In der ersten Sitzung nach Gründung der Stadt Georgsmarienhütte wurde er mit großer Mehrheit von dem aus sämtlichen Ratsmitgliedern der AltGemeinden bestehenden Großrat zum Stadtdirektor gewählt und blieb es bis zum Erreichen der Altersgrenze. Mit Eintritt in den Ruhestand wurde er 1985 auf Vorschlag Ludwig Siepelmeyers für seine Verdienste um die Gründung und Ausgestaltung der Stadt Georgsmarienhütte mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, fünf Jahre später mit dem Ehrenring der Stadt Georgsmarienhütte. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, engagierte er sich in Sachsen-Anhalt. Am 8. November 1992 verstarb er im Alter von 71 Jahren, Trauerfall Rudolf Rolfes, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte, die Veröffentlichung des Lebenslaufes ab 1945 erfolgt mit Genehmigung der Familie Siepelmeyer vom 3. August 2020; »Ein Mann, der GMHütte Glück gebracht hat«, NOZ, 9. November 1992; »Stadtdirektor a.D. Rudolf Rolfes am 8. November 1992 verstorben« Blickpunkt, 19. November 1992. 897 Burkhard Ritz wurde am 4. August 1931 in Deutsch-Krone in Westpreußen geboren. 1946 kam er nach Castrop-Rauxel, dann nach Glandorf und später nach Oesede-Dröper. 1952 legte er an der Vorläuferschule des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums die Reifeprüfung ab. Nach dem Studium an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn promovierte 1959 er mit dem Thema: »Die ländlichen Heimvolkhochschulen in Niedersachsen«. 1957 wurde er Lehrer an der Landvolkhochschule Oesede. Als Mitglied der CDU zog er 1961 in den Oeseder Stadtrat ein, 1963 wurde er Nachfolger von Wallrath Eichberg, »Die größte Gemeinde (Oesede) hat mit Dr. Ritz den jüngsten Bürgermeister«, NT, 8. November 1963.

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Unmittelbar nach Amtsantritt machte Rolfes sich daran, die Gemeinde zu gestalten. Zentral war für ihn die Umwandlung von agrarisch genutzter Fläche in Bauland. Jenes musste den Landwirten abgehandelt werden, und Rolfes brachte mit Bürgernähe die Landwirte in Verhandlungsbereitschaft900. Auf diesem Weg konnte er bis zum Amtsantritt von Ludwig Siepelmeyer bereits einiges erreichen. In seiner Antrittsrede würdigte Siepelmeyer das bisherige Engagement Rudolf Rolfes mit den Worten: »Die Gemeinde Oesede habe in den letzten Jahren eine Entwicklung wie keine andere im Landkreis gehabt.«901 Nicht lange nach Siepelmeyers Amtsantritt stellte die Gemeinde Oesede 1966 beim niedersächsischen Ministerium des Innern den Antrag auf die Bezeichnung »Stadt«,902 um die »örtlichen Anliegen« mit größerem Nachdruck vertreten zu können.903 Die Gemeinde Oesede bot als urbane Merkmale annähernd 10.000 Einwohner_innen auf 1.488 ha,904 fünf Schulen, zwei katholische und eine evangelische Kirche und vier Geldinstitute905 auf. Tatsächlich fehlte es Oesede an fast allem, was eine Stadt ausmacht: die Gemeinde verfüge weder über Frei- und Hallenbad, Krankenhaus, 898 Ludwig Siepelmeyer wurde am 4. Juli 1930 in Oesede als Sohn des Oeseder Briefträgers und seiner Frau geboren. Nach der Schulzeit studierte er Rechtswissenschaften und schloss sein Examen mit bester Note ab. 1961 machte er sich als Rechtsanwalt und Notar mit einer Kanzlei selbständig. 1964 wurde er zum ersten Mal in den Oeseder Rat gewählt. Bereits ein Jahr später wurde er gefragt, ob er nach dem Ausscheiden von Bürgermeister Ritz das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters übernehmen wolle. Für zwei Jahre sagte er zu und blieb insgesamt 21 Jahre. Für sein Engagement für die Gemeinde Oesede und die Stadt Georgsmarienhütte wurden ihm das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland, das Verdienstkreuz 1. Klasse des Niedersächsischen Verdienstordens und der Ehrenring der Stadt Georgsmarienhütte verliehen. Bei seiner Verabschiedung als Bürgermeister 1986 wurde er zum Ehrenbürgermeister ernannt. Er war erst 56 Jahre alt, als er sich aus dem politischen Leben zurückzog, sein 60. Geburtstag wurde jedoch von der Stadt Georgsmarienhütte mit großem Aufwand gefeiert, am 13. Mai 1993 verstarb er nach längerer Krankheit im Alter von 62 Jahren. »Die Stadt im Dütetal trägt seinen Stempel. GMHüttes Ehrenbürgermeister Ludwig Siepelmeyer gestorben«, NOZ, 14. Mai 1993; Interview mit Ludwig Siepelmeyer vom November 1990, Neuabdruck aus Anlass seines Todes, Blickpunkt Georgsmarienhütte vom 27. Mai 1993; »Georgsmarienhütte Ehrenbürgermeister Ludwig Siepelmeyer am Dienstag vergangener Woche beigesetzt«, Blickpunkt Georgsmarienhütte 27. Mai 1993; »Bürgermeister von Format nahm Abschied vom Amt« NOZ, 24. November 1986; »Daß die Neinsagerei bald zu Ende geht. Warum Bürgermeister Ludwig Siepelmeyer nicht mehr kandidiert« NOZ, 3. Dezember 1985. 899 NLA OS Dep 81 b Nr. 156. 900 »Bei einem Glas Bier« fanden Besprechungen dieser Art mit Rolfes statt, NLA OS Dep 81 b Nr. 305. 901 Protokoll der Sitzung vom 22. Oktober 1965, NLA OS Dep 81 b Nr. 173, Teil 3. 902 Pressespiegel über Oesedes Bemühungen, die Stadtrechte zu erlangen, unter NLA OS Dep 81 b Nr. 10. 903 »Oesede: warum eigentlich Stadt? Nicht nur dekorativ von Bedeutung«, NT, 26. Februar 1966. 904 Angaben aus dem Klimagutachten 1967, NLA OS Dep 81 b, Nr. 162. 905 »Oesede hat städtisches Gepräge«, FP, 26. Februar 1966.

Ausgangslagen

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Bürgerpark noch Bürgersteig; der Ort sei wahllos und lückenhaft besiedelt, habe nur Bauland ausgewiesen, aber keinen »Quadratzentimeter für kulturelle Einrichtungen übrig«,906 schrieb ein anonymer Leserbriefschreiber. Die Gemeinde zog den Antrag wenig später wieder zurück.907 Auch wenn der Antrag zurückgezogen wurde, so macht der Versuch doch deutlich, dass mit Rolfes und Siepelmeyer ehrgeizige Akteure mit Gestaltungswillen an der Spitze von Politik und Verwaltung tätig waren. An dem Versuch wird aber auch sichtbar, dass die beiden ihre Gemeinde als etwas besser aufgestellt begriffen, als andere sie einschätzen. Zwanzig Baugebiete wies die Gemeinde von 1948 bis 1967 aus.908 Dabei kam Rolfes der Effekt des bundesweiten Strukturwandels entgegen, dass in der Landwirtschaft immer weniger Gewinne erwirtschaftet und die Beschäftigten wegen besserer Verdienstmöglichkeiten entweder in die Industrie oder in den Dienstleistungssektor abwanderten und immer mehr landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben oder im Nebenerwerb betrieben wurden. Von 1958 bis 1968 gaben in Oesede neun Bauern die Landwirtschaft auf, sieben weitere Höfe kamen bis 1970 noch hinzu. 1968 arbeiteten noch 46 landwirtschaftliche Betriebe in Oesede, die meisten davon im Nebenerwerb.909 Das früher existenzsichernde und statusbestimmende Gelände zur Produktion von Nahrungsmitteln wurde einer neuen Nutzung zugeführt und in Bauland umgewandelt. Die Stromversorgung durch das gemeindeeigene ELT-Werk stieß Mitte der 1960er Jahre endgültig an ihre Grenzen. Ein verändertes Konsumverhalten von Verbraucher_innen stellte die Gemeinde vor Probleme, die sie selbst nicht lösen konnte. Um die Spannung bei den zahlreichen Durchlauferhitzern zu halten, müsse die Gemeinde erhebliche Investitionen ins Stromnetz tätigen. Dies könne sie sich nicht leisten, »zumal die Gewinne schmal gewesen«910 seien. Zum 1. April 1967 wurde das Werk für 750.000 DM an die RWE verkauft. Ähnliches galt für die Wasserversorgung. Die Gemeinde musste dringend in den Ausbau des Versorgungsnetzes und in den Bau eines dritten Hochbehälters investieren. Die Anlage war nur für 6.000 Verbraucher_innen ausgelegt, Mitte der 1960er Jahren wurden schon 8.000 Menschen damit versorgt. Nach dem Ausbau des Wasserwerkes sollte es zukünftig für 12.000 Verbraucher_innen ausgelegt sein.911 Die Gemeinde wollte den Wasserpreis so lange wie möglich 906 Ein anonymer Leserbrief, OT, 7. März 1966. 907 Am 25. Februar 1966 wurde der Antrag zurückgezogen. Eine Begründung ist nicht ersichtlich, NLA OS Dep 81 b, Nr. 156. 908 »Oesede: 100 Bauplätze im Ortsteil Dröper«, NOZ, 15. November 1967. 909 »Oesede als Lehrfach«, 26. November 1968, ohne weitere Quellenangabe abgelegt im Pressespiegel der Stadt Georgsmarienhütte. 910 »Gemeinde Oesede hat ihr ELT-Werk verkauft«, NT, 1. April 1967. 911 »Ausbau des Wasserwerkes wird halbe Million kosten«, OT, 12. März 1965.

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halten, 1966 kam sie aber nicht umhin, den Preis pro cbm Wasser von 0,50 DM auf 0,70 DM zu erhöhen.912 Die Beschulung des Nachwuchses von der Grundschule bis zum Abitur war ein Dauerthema in Oesede. 1963 wurden gleich drei Grundschulen erweitert: Die 1912 erbaute Dröperschule und die 1953 eingeweihte Overbergschule913 sowie die seit 1957 existierende Freiherr-vom-Stein-Schule, die drei neue Klassenräume erhielt.914 Es gab Aufgaben, die Oesede nicht allein bewältigen konnte. Zur Realisierung der interkommunalen Aufgaben wie den Bau von Schmutzwasserkanälen und den Bau einer Mittelschule gründete die Gemeinde Oesede mit anderen Gemeinden kommunale Zweckverbände.915 Während der ganzen 1950er Jahre war die finanzielle Situation in Oesede angespannt. Die Ausweisung von Baugebieten verursachte hohe Kosten. Darlehen für den Bau von Wasserleitungen, Schulen, Strom- und Wasserwerk mussten aufgenommen werden. Nicht bei allen Projekten floss Geld in die Stadtkasse zurück, die aufgenommenen Gelder wurden als unrentierliche Schulden im Haushalt ausgewiesen. Die Höhe der unrentierlichen Schulden sollte 10 % der allgemeinen Deckungsmittel nicht überschreiten. Diese Grenze wurde jedoch im Jahr 1958 überschritten, als die unrentierlichen Schulden 1,4 Mio. DM betrugen.916 Eine neue gesetzliche Regelung, die Aufteilung der Gewerbesteuer betreffend, verbesserte die finanzielle Lage der Gemeinde grundlegend. Um in Genuss dieser Zuwendung zu kommen, musste jedoch mit der Nachbargemeinde Georgsmarienhütte in einen näheren Kontakt getreten werden. Dabei bildeten sich Verhandlungsmuster, die Auswirkungen auf den späteren Zusammenlegungsprozess hatten. Die Vorgänge um die sog. Zerlegungssteuer werden daher im Folgenden ausführlich geschildert. Am 5. Oktober 1956 erging ein Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes.917 Nach dem alten Gesetz, das noch bis zum 31. Dezember 1956 Gültigkeit hatte, war die Betriebsgemeinde Georgsmarienhütte zur Zerlegung der Gewer»Höchste Wasserpreise in Oesede«, NT, 26. Oktober 1966. »Zwei Schulen eingeweiht«, OT, 12. November 1963. »Richtkranz weht wieder über einer Oeseder Schule«, OT, 11. Dezember 1963. Z. B. den Mittelschulzweckverband, aus dem 1966 der sog. Nachbarschaftsverband hervorging. Seine Aufgaben waren die Unterhaltung der Realschule, Errichtung und Unterhaltung des Hallen-und Freibades und ab 1967 die Beschaffung eines Grundstückes zur Errichtung eines Kreisgymnasiums, Gemeinde Oesede an den Landkreis, Schreiben vom 14. Juli 1966 und Landkreis an die Gemeinde Oesede, Schreiben vom 4. August 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 164; siehe auch Kap. 3.2.2. Interkommunale Zweckverbände. S. 194. 916 Interner Vermerk des Landkreises Osnabrück vom 12. August 1958, NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 61. 917 NLA OS Dep 81 b, Nr. 51.

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besteuer im Verhältnis von 96,43 % (Georgsmarienhütte) zu 3,57 % (Oesede) verpflichtet.918 Mit dem neuen Gesetz wurde die gesetzliche Grundlage geschaffen, die Lasten einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte angemessener zu verteilen. Die Zerlegung sollte das zuständige Finanzamt, in diesem Fall das Finanzamt Duisburg-Süd, von wo aus der Klöckner-Konzern steuerlich veranlagt wurde, vornehmen.919 Als Grundlage der Zerlegung sollten die Werksausdehnung, die Zahl der Beschäftigtenfamilien und die Zahl der Kinder von Werksbeschäftigten, die in der an der Zerlegung interessierten Gemeinde zur Schule gehen, bewertet werden. Letztlich war die Zerlegung eine Frage der Aushandlung. Am 1. März 1957 beantragte der Oesede Gemeindedirektor Heinrich Börger die Zerlegung der Gewerbesteuer nach § 30 des neuen Gewerbesteuergesetztes.920 Das Finanzamt Duisburg-Süd erwartete, dass sich die Klöckner-Werke, die Gemeinde Georgsmarienhütte und die Gemeinde Oesede über den Zerlegungsmodus im Vorfeld einigten, um einen Rechtsstreit vor Gericht zu vermeiden. In der Folge wurde zwischen den Gemeinden um die Zerlegung intensiv gestritten. Bei einer Besprechung im August 1957 schlug Oesede eine Zerlegung von 65,52 % (Georgsmarienhütte) zu 34,38 % (Oesede) vor. Georgsmarienhüttes Antwort lautete 80 % (Georgsmarienhütte) zu 20 % (Oesede).921 Am 5. Dezember 1957 wurde im Kasinohotel eine Einigung erzielt, die die Zerlegung der Gewerbesteuer in einem Verhältnis von 68 % für Georgsmarienhütte und 32 % für Oesede vorsah. Die Einigung galt für die Jahre 1957–1959 und für das Jahr 1960, wenn nichts anderes beantragt werden würde.922 Die Vereinbarung wurde schriftlich fixiert, aber zufrieden darüber waren weder die Gemeinde Georgsmarienhütte, deren Einbußen sich auf jährlich 140.000 DM923 beliefen, noch die Klöckner-Werke. Die Gemeinde Georgsmarienhütte legte Rechtsmittel ein, die Beschwerde wurde jedoch am 11. April 1960 von der Oberfinanzdirektion Düsseldorf abgewiesen.924 Die Klöckner-Werke bezogen die Zerlegung auch auf die Lohnsummersteuer und zerteilten diese ebenfalls im Verhältnis 68 % (Georgsmarienhütte) zu 32 %. Da aber Oesede keine Lohnsummensteuer erhob – diese musste erst beim 918 Ebd. 919 NLA OS Dep 104 II, Akz 39/1992, Nr. 60. 920 Gemeinde Oesede an das Finanzamt Duisburg-Süd, Schreiben vom 1. März 1957, NLA OS Dep 104 II, Akz 39/1992, Nr. 60. 921 Protokoll einer Besprechung vom 24. August 1957, ebd. 922 Vereinbarung über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages bezüglich der Gemeinde Georgsmarienhütte und Oesede am 5. Dezember 1957, ebd. 923 Vermerk des Oberkreisdirektors vom 20. März 1958, ebd. 924 Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion Düsseldorf vom 11. April 1960, NLA OS Dep 81 b, Nr. 51.

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Landkreis beantragt werden – zahlten die Klöckner-Werke 68 % der Lohnsummensteuer an die Gemeinde Georgsmarienhütte aus und behielten die restlichen 32 % ein. Es ging um einen Betrag von etwa 10.000 DM monatlich.925 In Oesede hatten die politisch Verantwortlichen die Einführung der Lohnsummensteuer 1956 bereits überlegt. Da jedoch die Industrie- und Handelskammer in einer Stellungnahme abriet – die Erhebung der Steuer schwäche die ortsansässige Möbelindustrie – wurde der Antrag nicht gleich positiv entschieden. Erst 1959 stand der Einführung der Lohnsummensteuer in Oesede nichts mehr im Wege.926 In regelmäßigen Abständen kämpften nun die Gemeindevertreter um jeden Prozentpunkt. Jahr für Jahr schraubte die Gemeinde Oesede ihre Forderungen nach oben. 1963 stand eine Zerlegung von 60 % (Georgsmarienhütte) zu 40 % (Oesede) im Raum, und die Gemeinde Oesede ließ die Nachbargemeinde wissen, dass sie »noch mehr haben will.«927 Im Laufe des Jahres schlug Gemeindedirektor Rolfes eine Zerlegung von 58 % (Georgsmarienhütte) zu 42 % (Oesede) vor.928 Man einigte sich auf 59,8 % (Georgsmarienhütte) zu 40,2 % (Oesede). Zwei Prozentpunkte Zerlegungssteuer entsprachen etwa 50.000 DM, vermerkte die Akte. Von den 2.037.747 DM Gewerbesteuer des Klöckner-Werkes erhielt Oesede 1963 immerhin 819.174 DM. Die Aushandlungen gingen weiter.929 1965 betrug das Aushandlungsergebnis 57,94 % (Georgsmarienhütte) zu 42,054 % (Oesede); 1966 55,20 % (Georgsmarienhütte) zu 44,79 % (Oesede). Oesede schickte eine Rechnung nach der anderen ins Georgsmarienhütter Rathaus. Noch im April 1969, als die Zusammenlegungsverhandlungen zur Großgemeinde bereits kurz vor dem Abschluss standen, sandte die Gemeinde Oesede an die Gemeinde Georgsmarienhütte eine Forderung über einen Betrag von 160.905 DM,930 von dem die Gemeinde Georgsmarienhütte einen Abschlag von zunächst 70.000 DM zu zahlen bereit war . Mit dem Geld lösten die Oeseder Ratsleute in Zusammenarbeit mit der Verwaltung Anfang der 1960er Jahre die anstehenden Probleme: z. B. die Restfinanzierung der Dröperschule, Erweiterung der Freiherr-vom-Stein- und der Michaelisschule mit Turnhalle und der Ausbau des Rathauses.931 925 Vermerk der Gemeinde Oesede vom Januar 1958, NLA OS Dep 104 II, Akz 39/1992, Nr. 60. 926 Regierungspräsident an die Gemeinde Oesede, Schreiben vom 31. Oktober 1959, NLA OS Dep 104 II, Akz 39/1992, Nr. 59. 927 Verwaltungsausschussprotokoll der Gemeinde Georgsmarienhütte vom 29. Mai 1963, NLA OS Dep 81 b, Nr. 51. 928 Vermerk von Rudolf Rolfes vom 22. August 1963, ebd. 929 Gemeindeoberinspektor Borgmeyer bestätigte der Gemeinde Georgsmarienhütte »daß sie noch mehr haben wollten«, Protokoll der VA-Sitzung am 29. Mai 1963, ebd. 930 Gemeinde Oesede an die Gemeinde Georgsmarienhütte, Schreiben vom 31. März 1969, ebd. 931 Interner Vermerk des Landkreises Osnabrück vom 3. April 1962, NLA OS Dep 104 II Akz 39/ 1992 Nr. 61.

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Die Hauslage entspannte sich zusehends. Im Jahr 1959 hatte Oesede noch Schlüsselzuweisungen in Höhe von 193.476 DM erhalten, die die Schulden auf knapp 1 Mio. DM senkten. 1960 griffen schon die Bemühungen Oesedes um die Einführung der Lohnsummersteuer. Diese spülte einen Betrag von 180.000 DM in die Kasse, der jedoch noch nicht ausreichte, um die Haushaltslöcher zu stopfen. Erst 1961 hatte Oesede die Talsohle durchschritten. Der Haushalt wies einen Überschuss von 18.393 DM aus, die unrentierlichen Schulden sanken zunächst auf 86.474 DM, das waren 7,9 % der allgemeinen Deckungsmittel.932 Auch die Gewerbesteuer stieg kontinuierlich an: In der zweiten Hälfte der 1960er Jahren pendelte sich die Einnahme durch Industrie- und Gewerbeunternehmen auf eine Summe von jährlich 1,5 Mio. DM ein,933 wobei das Stahlwerk als mehrgemeindliche Betriebsstätte den Hauptanteil bestritt. Wegen der anstehenden Projekte ging der Schuldenstand im Laufe der 1960er Jahre wieder kontinuierlich nach oben. Die Umlage der Zweckverbände (Feuerlöschverband, Mittelschulverband) schlug erheblich zu Buche. 1966 wurden 300.000 DM an Schlüsselzuweisungen veranschlagt, überwiesen wurden aber nur 14.700 DM. Die Pro-Kopfverschuldung lag mit 408 DM über dem Landesdurchschnitt von 375 DM pro Kopf.934 Auch zwei Jahre später sah die Situation nicht viel besser aus: 1968 gingen die Schlüsselzuweisungen um 350.000 DM zurück, gleichzeitig erhöhte sich die Kreisumlage um 150.000 DM.935 Dennoch verkündete die NOZ unmittelbar vor der Zusammenlegung: »Verabschiedung des letzten Oeseder Etats war freudige Pflichtaufgabe. Über eine halbe Million Steuereinnahmen mehr als erwartet.«936 Ende der 1960er Jahre arbeiteten 1.119 Oeseder beim Stahlwerk.937 Zu dem großen Arbeitgeber gab es nur wenige Alternativen. Lediglich drei größere Firmen waren in Oesede ansässig: Seit 1900 die Firma Wiemann mit ca. 600 Beschäftigten,938 das Bekleidungswerk Solida und ein Drahtseilwerk mit jeweils 100 Beschäftigten.939 932 Ebd. 933 »Oesedes Entwicklung von Gewerbesteuern abzulesen«, NOZ, 31. Mai 1969. 934 Interner Vermerk des Landkreises Osnabrück vom 23. März 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 39/42 Nr. 61. 935 »1100 Jahr-Feier im Mai 1970 schon in neugebauter Festhalle«, NOZ, 19. Dezember 1968. 936 »Verabschiedung des letzten Oeseder Etats war freudige Pflichtaufgabe. Über eine halbe Million Steuereinnahmen mehr als erwartet«, NOZ, 18. Dezember 1969. 937 Eine Auskunft der Klöcknerwerke AG, Abteilung Georgsmarienhütte, Lohnbuchhaltung am 1. Januar 1969, zit. nach Wolfgang Rosenbach: Die Georgsmarienhütte bei Osnabrück und ihre Einflußnahme auf das Umland, Schriftliche Hausarbeit für die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an der Volksschule, eingereicht bei der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe, Abt. Münster, Lengerich 1969, S. 36. 938 Zahl von 1960, NLA OS Dep 81 b Nr. 305. 939 Stand 1966. Angaben aus Schreiben der Gemeinde Oesede an das Niedersächsische Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte vom 9. August 1966, ebd.

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Abb. 2: Das 2. Haus auf der linken Fahrbahnseite war das 1938 eingerichtete Oeseder Rathaus, das 1963 aufgestockt wurde. Das Foto wurde vom Kirchturm der St. Peter- und Paul-Kirche aufgenommen. Foto: Werner Beermann

Das Angebot an Arbeitsplätzen weiter zu vergrößern, war ein zentrales Anliegen des Oeseder Rates und des Gemeindedirektors Rolfes. 1966 erteilte der Oeseder Rat Rolfes offiziell den Auftrag, in der Gemeinde für Industrieansiedlung zu sorgen. Doch dies war kein einfaches Unterfangen. Die Rahmenbedingungen für Industrieansiedlung in der Gemeinde Oesede waren nicht günstig. 1967 setzte Rolfes den Verwaltungsausschuss darüber in Kenntnis, dass die Stadt Osnabrück ebenfalls große Sorgen auf diesem Gebiet habe und die Konkurrenz des benachbarten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen spüre. Dort seien die Rahmenbedingungen für Industrie deutlich besser als in Niedersachsen. Die Grundstückspreise seien niedrig, es gebe günstige Aufbaukredite und den Firmen werde »auf ungesetzlichem Wege«940 Gewerbesteuerfreiheit in Aussicht gestellt. Als Schwierigkeit sei auch die Beschaffung von Gelände für ansiedlungswillige Unternehmen zu nennen. Immer wieder musste Rolfes Überzeugungsarbeit

940 Protokoll der VA-Sitzung am 18. Januar 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 186.

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leisten, damit Landwirte sich von ihrem Land trennten und Grundstücke verkauften.941 Ein größeres Problem stellte die Ausweisung von Industrie- und Gewerbegebieten dar. Diese mussten in einem Flächennutzungsplan festgelegt werden, der der Genehmigung durch die Bezirksregierung bedurfte. Im Flächennutzungsplan von 1965 sollte erstmals das Gebiet südlich des Osterberger Wegs als Industriefläche ausgewiesen werden. An einer Besprechung über dieses Vorhaben nahmen ein Mitarbeiter der Bezirksregierung Osnabrück und Vertreter weiterer Behörden teil. Die Landbau-Außenstelle Bramsche meldete ihre Bedenken gegen die Ausweisung der Industriefläche an. Für die von einem Hof zur Verfügung gestellte Fläche südlich des Osterberger Weges müsse hofnahes Ersatzgelände beschafft werden, da der Hof in seiner Wirtschaftlichkeit erhalten bleiben sollte.942 Dies nahmen die Gemeindevertreter zur Kenntnis, konnten jedoch kein Ersatzgelände beschaffen. Die Genehmigung des Planes zog sich hin.943 Im Sommer 1966 konnte Rolfes dem Rat melden, dass der Flächennutzungsplan fast genehmigt sei.944 Anfang 1967 lag die Genehmigung immer noch nicht vor,945 und im März musste noch einmal nachgebessert werden.946 Im Juli 1967 siedelte Rolfes die erste Firma auf einer Fläche an, die noch nicht als Industriegebiet ausgewiesen und genehmigt worden war.947 Erst im August 1969 konnte Rolfes dem Verwaltungsausschuss melden, dass der Flächennutzungsplan genehmigt sei und die nächste Firma – ein Betrieb, der Brückenbauwerke anfertigte – angesiedelt werden könne.948 Der Flächennutzungsplan unterlag häufigen Änderungen, die immer wieder der Bezirksregierung zur Kenntnis gebracht werden mussten, bis diese darum 941 Rolfes berichtet darüber z. B. in der VA-Sitzung am 10. April 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 942 Niederschrift über die Besprechung der Bedenken und Anregungen verschiedener Behörden zum Flächennutzungsplan der Gemeinde Oesede am 21. Dezember 1965, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 8, Ordner 32, Teil 2. 943 Nachdem die Stadt Georgsmarienhütte 1974 einen neuen Flächennutzungsplan aufgestellt hatte, erfolgte die erste amtliche Ausweisung des Harderberger Industriegebietes durch eine Genehmigung des Flächennutzungsplanes durch die Bezirksregierung im Jahr 1976, 1. Flächennutzungsplan der Stadt Georgsmarienhütte, zur Verfügung gestellt durch das Bauamt der Stadt Georgsmarienhütte. Siehe Anhang 9. 944 Bericht des Gemeindedirektors Rolfes am 11. Juli 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 8, Ordner 32, Teil 3. 945 Die Genehmigung zog sich hin, da die Landbau-Außenstelle Bramsche weiterhin Ersatzland für die zur Verfügungstellung von Hofgelände forderte. Diese Forderung wurde vom Oeseder Rat zurückgewiesen, Protokoll der VA-Sitzung vom 1. März 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 946 Protokoll der VA-Sitzung am 29. März 1967, ebd. 947 Vermerk Rudolf Rolfes vom 3. Juli 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 304. 948 Protokoll einer gemeinsamen VA-Sitzung aus Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg am 12. August 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 187.

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bat, nicht jede einzelne Änderung zur Genehmigung vorzulegen, sondern eine generelle Überarbeitung des Planes vorzunehmen.949 Im Laufe der Monate kamen noch weitere Gebiete hinzu, die als Gewerbegebiete ausgewiesen werden sollten, u. a. das Gebiet Oesede-Nord.950 Parallel zum Genehmigungsverfahren begann Rolfes, Interessenten für die Gebiete Oesede-Nord und Osterheider Weg anzusprechen. 1967 forderte die Bezirksregierung den Gemeindedirektor auf, zunächst nur den Osterheider Weg mit Unternehmen zu besiedeln.951 Das machte die Arbeit von Rolfes nicht einfacher. Es war schwierig, überhaupt Firmen für eine Umsiedlung zu interessieren, wie aus den Oeseder Protokollen deutlich wird. In den Jahren 1966 bis 1969 berichtete Rolfes dem Oeseder Rat von fünf bis sechs ernsthaft interessierten Firmen, die einen Umzug in Erwägung zögen.952 Aber bei nur einer Firma führten die Verhandlungen zum Erfolg. Im März 1967 informierte er den Verwaltungsausschuss über eine Firma aus Osnabrück-Haste, die Betonfertigteile herstellte und Interesse an einem Umzug hatte.953 Die Verhandlungen mit der Firma, aber auch mit den Grundstückseigentümern des Geländes gingen zügig voran, sie sollte einen Standort südlich des Osterheider Wegs beziehen. Die Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung blieb schwierig, fast wäre daran die Ansiedlung des ersten Betriebes gescheitert. Die Behörde erteilte der Betonteilfirma keine Baugenehmigung, und die Firma verweigerte die Unterzeichnung der Verträge.954 Rolfes telefonierte mit dem Regierungspräsidenten Friemann, der ihm mitteilte, dass geprüft werde, ob die Bauvoranfrage der Firma nicht »in den Stadtumlandausschuß zur Begutachtung«955 gegeben werden sollte. Das lag nicht im Interesse von Gemeindedirektor Rolfes, der versuchte

949 Protokoll der Bauausschusssitzung am 31. August 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 2. 950 Protokoll der Bauausschusssitzung vom 10. Oktober 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 8, Ordner 32, Teil 2. Zwei weitere nicht näher benannte Gebiete wurden ausgewiesen, Protokoll der Bauausschusssitzung am 31. August 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 2. 951 Protokoll der Bauausschusssitzung am 27. Juni 1967, ebd. 952 1966 kam es noch zu keinen Verhandlungen; 1967 ist das Thema Industrieansiedlung von verschiedenen Firmen insgesamt fünf Mal Thema im VA: 1. Februar 1967; 1. März 1967; 15. März 1967; 27. September 1967; 25. Oktober 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1; 1968 nur noch einmal am 5. Juni 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1; 1969 ebenfalls nur einmal im Zusammenhang mit einer Firma, die bereits auf dem neuen Gelände in der Gemeinde Harderberg ansiedeln möchte, am 18. Dezember 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 1. 953 Protokoll der VA-Sitzung am 15. März 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 954 Protokoll der VA-Sitzung am 7. Juni 1967, ebd. 955 Protokoll der VA-Sitzung am 14. Juni 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1.

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»dahin gehend Einfluß zu nehmen«,956 um dies zu verhindern. Die Stadt Osnabrück – so stand zu erwarten – würde eine Firma nicht widerstandslos aus dem Stadtgebiet ins Umland ziehen lassen. Doch Rolfes’ Bemühungen führten zum Erfolg. Die Stadt Osnabrück beanstandete zwar, dass der Umzug des Unternehmens und die Ausweisung des Gewerbegebietes in Oesede von den Festlegungen des Umlandausschusses abwichen und dass sie nicht informiert worden sei, aber sie erteilte immerhin eine nachträgliche Zustimmung zu dem Vorhaben,957 und die Firma siedelte 1969/1970 von Osnabrück-Haste nach Oesede um. Noch während der Verhandlungen wurde ein weiteres Problem offenkundig. Im April 1967 setzte Rolfes den Rat in Kenntnis, dass die Gemeinde das Grundstück für die Firma erschlossen zur Verfügung stellen müsse, die Kosten betrügen 372.000 DM. »Hierdurch soll erreicht werden, daß evtl. Landeszuschüsse zu den Aufschließungskosten gegeben werden«,958 begründete Rolfes die hohen Kosten und wies auch auf die Arbeitsplätze hin, die damit Erwerbstätigen in der Gemeinde zukünftig zur Verfügung stünden. Zwei Monate später musste Rolfes dem Rat mitteilen, dass sich die Kosten noch einmal um den Betrag von 11.000 DM erhöhen würden. Eine Gasfernleitung gehe über das Gelände und müsse auf Kosten der Gemeinde tiefergelegt werden.959 Die Finanzierung der Ansiedlung war eines der größten Probleme, welches die Gemeinde Oesede zu bewältigen hatte. Obwohl Rolfes alles unternahm, um an Fördergelder zu kommen, blieb die Gemeinde auf den Kosten sitzen. Im Dezember 1967 führte er Gespräche mit dem Niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Der Wirtschaftsminister »wird versuchen«960 einen Zuschuss von 100.000 DM zu den nachgewiesenen Kosten von 149.000 DM zur Ansiedlung der Betonfertigteilefirma zu geben, gab Rolfes dem Verwaltungsausschuss bekannt. Weitere Gespräche mit dem Ministerium folgten. Eine Zusage ist in keinem der Protokolle bis zur Auflösung der Gemeinde am 31. Dezember 1969 vermerkt, erst 1973, als sich schon viele Firmen auf dem Harderberg niedergelassen haben, gewährte dieses Ministerium einen Zuschuss.961 Als Erfolg verbuchte Rolfes bereits die Gewährung eines Darlehens der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 200.000 DM für den Ausbau der Osnabrücker Straße und des Osterheider Weges.962 956 Ebd. 957 Stadt Osnabrück an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 26. Juni 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 43. 958 Protokoll der VA-Sitzung am 26. April 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 959 Protokoll der VA-Sitzung am 7. Juni 1967, ebd. 960 Protokoll der VA-Sitzung am 6. Dezember 1967, ebd. 961 »Eine Bereicherung für Gmhütte. Das neue Harderberg-Gebiet«, NOZ, 24. August 1974. 962 Protokoll der VA-Sitzung am 12. März 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 1.

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Des Weiteren versuchte Rolfes zu Beginn des Jahres 1968, die Gemeinde Oesede in das Förderprogramm der ›Bundesausbauorte‹ aufnehmen zu lassen, um Zuschüsse für Industrieansiedlung beantragen zu können. Voraussetzung für die Aufnahme in dieses Programm war neben einer besonders schwach entwickelten Infrastruktur die Einstufung als ›zentraler Ort‹ eines Gebietes mit einer hohen Anzahl an Erwerbsfähigen ohne Arbeit. Die Gemeinde Oesede erfüllte die Voraussetzungen nicht, am 20. Mai 1968 erhielt Rolfes eine Absage vom Regierungspräsidenten.963 Inzwischen erfuhren die Ratsleute auf informellem Wege, dass sich Lage bei den Klöckner-Werken verschlechtert hatte und ein Arbeitsplatzabbau im Georgsmarienhütter Werk immer wahrscheinlicher wurde.964 Rolfes startete daraufhin einen neuen Versuch, in das Programm der ›Bundesausbauorte‹ aufgenommen zu werden, indem er das Direktorium der Klöckner-Werke um ein Gespräch bat, die Situation des Unternehmens zu erläutern, damit offizielle Argumente in die Anträge hineingeschrieben werden können. Doch das Direktorium war nicht gesprächsbereit und vertagte eine Zusammenkunft auf einen späteren Zeitpunkt.965 So verlief auch diese Aktion ergebnislos. Rolfes blieb nichts anderes übrig, als seinen Rat immer wieder auf das Projekt Industrieansiedlung einzuschwören, für das kein finanzielles Opfer zu groß sein dürfe.966 Dagegen nahm sich das Problem der ausbauwilligen Firmen auf Oeseder Gemeindegrund relativ geringfügig aus. Als die Unterstützung der Gemeinde bei der Neuansiedlung von Firmen bekannt wurde, erhoben ortsansässige Firmen ebenfalls Anspruch auf Unterstützung bei ihren Erweiterungsplänen.967 Bis Anfang 1969 arbeitete die Verwaltungsspitze ohne politische Vorgaben. Dann beauftragte der Rat die Verwaltung »Richtlinien für die Durchführung der Wirtschaftsförderung in der Gemeinde Oesede«968 zu erarbeiten, um ein einheitliches Vorgehen bei der Ansiedlung von Neufirmen und Erweiterung von bereits ansässigen Firmen zu sicherzustellen. Trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten war das Projekt ›Industrieansiedlung‹ für Gemeindedirektor Rolfes das wichtigste Anliegen seiner Arbeit. Im 963 Protokoll der VA-Sitzung am 26. Juni 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 964 Ratsherr Pilger, der zugleich auch Betriebsrat bei den Klöckner-Werken war, berichtete davon in einer Ratssitzung, bekannt war die Gefahr allerdings schon länger, Protokoll der VA-Sitzung am 24. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 965 Protokoll der VA-Sitzung am 29. Januar 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 1. 966 Protokoll der VA-Sitzung am 18. Januar 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 967 Protokoll der VA-Sitzung am 21. November 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. Protokoll der Oeseder Ratssitzung am 16. Dezember 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 1. 968 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 25. Februar 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 178.

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dem 33 Punkte umfassenden Aufgabenkatalog für den neuen Rat nach der Kommunalwahl 1968 stand die Industrieansiedlung ganz oben noch vor dem Zusammenschluss der Gemeinden.969 Gemeindedirektor Rolfes erkannte früh, wie abhängig die Gemeinde Oesede von den Steuerzahlungen der Klöckner-Werke war. Die Auseinandersetzung um die Zerlegungssteuer kosteten Zeit und Kraft. Ein Gewerbesteueraufkommen, das nicht mit der Nachbargemeinde ausgehandelt werden musste, lag daher im Interesse des Gemeindedirektors und seiner Gemeinde. Es ging aber bei dem Projekt ›Industrieansiedlung‹ nicht nur um Steuereinnahmen, sondern auch um Arbeitsplätze. Aus der Zeitung mochte Rolfes immer wieder von Entlassungen gelesen haben und von Mitgliedern seines Rates wurde er innerhalb von nicht öffentlichen Sitzungen auf das Problem des Arbeitsplatzabbaues im hiesigen Stahlwerk aufmerksam gemacht.970 Überdies ließ die technische Entwicklung ahnen, dass Arbeitsplätze durch den vermehrten Einsatz von Maschinen wegrationalisiert werden würden. Industrie und Gewerbe anzusiedeln, war deshalb schon bald ein zentrales Ziel seiner Arbeit.971 Viele Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, waren ihm klar. Schwierige Grundstücksverhandlungen mit Landwirten kannte er schon aus anderen Zusammenhängen, wie z. B. bei der Ortskernentwicklung, beim Ausbau der Schulgebäude am Carl-Stahmer-Weg und beim Bau des Hallen- und Freibades. Auch die zu leistende Überzeugungsarbeit im Rat, um eine Geldfreigabe für die Erschließung von Industrie- und Gewerbegebieten zu erwirken, fiel unter die Schwierigkeiten, mit denen er gerechnet hatte und die er sicherlich für bewältigbar hielt. Dagegen waren die Auseinandersetzungen mit der Bezirksregierung neu. Die Genehmigung der Flächennutzungspläne zog sich hin, und die Bezirksregierung forderte die Gemeinde auf, zunächst nur ein Gebiet zu besiedeln. Die zunächst verweigerte Baugenehmigung für die Firma für Betonfertigteile musste Rolfes vollends klar gemacht haben, dass ihn zumindest Teile der Bezirksregierung bei der Ansiedlung von Industrie nicht unterstützten. Das scheint ein generelles Problem zwischen Bezirksregierung und all denjenigen Akteuren gewesen zu sein, die Industrieansiedlung betrieben. Der Oberkreisdirektor Backhaus monierte 1968 gegenüber dem Regierungspräsidenten: »Es müsse aufhören, daß von Regierungsstellen Schwierigkeiten gemacht werden, wenn die

969 Protokoll der VA-Sitzung vom 29. Oktober 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 970 Siehe Kap. 3.2.4. Das Stahlwerk, S. 215. 971 Die Krise 1966/1967 führte generell zu einer Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung. Vgl.: Wolfgang Krumbein/Hans-Dieter von Frieling/Uwe Kröcker, Detlef Sträter : Zur Historie einer kritischen Regionalwissenschaft. Auch eine Einleitung, in: dies. (Hg.): Kritische Regionalwissenschaft, S. 7–40, hier S. 18f.

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Stadt oder der Kreis entsprechende Gelände ausweisen wollen.«972 Regierungsbeamte würden sich auch nach entsprechender Vorerörterung »sperren«.973 Das sei allerdings nicht beim Regierungspräsidenten der Fall, der diese Anliegen durchaus unterstützen würde. Die ist eine Erfahrung, die auch Rolfes nach seinem Telefonat mit Friemann gemacht hat, der den Umzug des Osnabrücker Unternehmens nach Oesede doch noch möglich gemacht hat. Gemeindedirektor Rudolf Rolfes arbeitete mit hoher Intensität daran, die Gemeinde weiter zu entwickeln. Die Lage des Ortes in der Mitte des Untersuchungsgebietes an der Schnittstelle zwischen zwei Bundesstraßen war außerordentlich günstig, der Verlauf der B 51 stand fest bzw. die Straße war in Teilen bereits fertig, der Ortskernentwicklung stand nichts mehr im Wege. Der Haushalt war ausgeglichen und die Darlehen umfassten zum großen Teil rentierliche Schulden. Das Verwaltungspersonal war geschult, Gemeindedirektor Rolfes war engagiert, kommunikativ und saß in überörtlichen Gremien. Seit mindestens 1967 arbeitete er im Verfassungsausschuss des Niedersächsischen Städtetages mit, und seit 1968 war er ordentliches Mitglied im Landesplanungsbeirat beim Regierungspräsidenten in Osnabrück.974 Er ergänzte sich mit Ludwig Siepelmeyer, der 1965 sein Amt antrat und gemeinsam mit Rolfes die kommunalen Probleme benannte und Lösungen dafür suchte. Zwischen Rat und Verwaltung herrschte Einigkeit, auch fraktionsübergreifend. Als Ende der 1960er Jahre die Gebiets- und Verwaltungsreform über die Presse und in Gesprächen mit dem Landkreis kommuniziert wurde, war die Gemeinde Oesede in einer starken Ausgangsposition und ging mit soliden Grundlagen in den Aushandlungsprozess um den Neuzuschnitt der kommunalen Gemeinden zwischen Osnabrück und Iburg. Mit dieser Haltung, aber auch mit dem Vorsprungswissen aus übergeordneten Gremien, überzeugten Rolfes und Siepelmeyer den Oeseder Gemeinderat und 1967 standen grundsätzlich alle Oeseder Ratsleute der Gebietsreform positiv gegenüber.975 3.2.1.2. Die Gemeinde Georgsmarienhütte Die Bevölkerungszahl der Industriegemeinde Georgsmarienhütte schoss in der Nachkriegszeit in die Höhe. Die Zahl stieg von 1939 bis 1950 um 47,9 % von 4.239 auf 6.269 Einwohner_innen, von 1950 bis 1968 um 21 % auf 7.585.976 Die Gemeinde war mit 986,39 ha kleiner als Oesede.977 972 3. Arbeitssitzung der kommunalen Arbeitsgemeinschaft Osnabrück Stadt und Land am 24. April 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26. 973 Ebd. 974 Protokoll der VA-Sitzung am 28. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 975 Protokoll der VA-Sitzung am 1. Februar 1967, ebd. 976 Gebietsgrößen und Einwohnerzahlen, NLA HA 100 Akz 51/84 Nr. 765.

Ausgangslagen

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In Politik und Verwaltung hatte es mehrere Wechsel gegeben. Nach dem Tod Ludwig Spellbrinks 1959 wurde Theodor Intrup dritter Nachkriegsbürgermeister. Dieser trat 1964 nicht wieder zur Wahl an978 und machte seinem Nachfolger Karl Niemeyer Platz, der das Amt bis 1968 bekleidete. Ab Herbst 1968 übte Helmut Stahlmann979 das Amt bis zur Stadtgründung aus.980 Die SPD, deren Mitglied er war, hatte im Gemeinderat einen Sitz mehr als die CDU erzielt.981 Als Gemeindedirektor folgte am 1. April 1962 Hermann Trepper auf den seit 1946 amtierenden Hans Twiehaus.982 Der Kernbereich der gemeindlichen Verwaltung war innerhalb von zehn Jahren von 1956–1966 von 15 auf 20 Stellen gewachsen,983 dazu kamen die Beschäftigten des kommunalen Krankenhauses mit 39 Personen, sechs Gemeindearbeiter, neun Schulangestellte, zwei Putzhilfen und drei Beschäftige im Wasserwerk.984 Der Arbeit der Verwaltung wurden bei einer Prüfung durch den Landkreis Anfang der 1960er Jahren Mängel attestiert. Die Haushaltssatzungen seien verspätet aufgestellt worden, Haushalts- und Wirtschaftsführung entsprachen nicht immer den Vorgaben. Wörtlich heißt es im Prüfungsbericht des Landkreises u. a.: »Die Steuerverwaltung der Gemeinde Georgsmarienhütte ist im Berichtszeitraum [1961–1964] nicht den üblichen

977 NLA OS Dep 81 b Nr. 7. 978 »Ehrungen für Bürgermeister Intrup«, OT, 26. September 1964. 979 Helmut Stahlmann wurde am 11. August 1923 in Höcklenkamp im Kreis Bentheim geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er ab 1927 in Georgsmarienhütte, wo sein Vater Heinrich eine Stelle als Lehrer annahm bis die Familie von 1937 wegen Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten von Georgsmarienhütte nach Hankenberge umziehen musste. Nach seiner Ausbildung als Pädagoge war er zunächst an verschiedenen Schulen in Niedersachsen tätig, 1958 hatte er eine Stelle an der Pädagogischen Hochschule in Osnabrück inne. Als Leiter der Mittelschule kehrte er 1962 nach Georgsmarienhütte zurück, und 1964 wurde er das erste Mal in den Gemeinderat gewählt. »Der Mensch stand im Mittelpunkt. Helmut Stahlmann verabschiedet«, NOZ, 26. Juni 1987; »Er war der ›gute Geist‹ der VHS. GMHütte: Helmut Stahlmann ist im Alter von 74 Jahren gestorben.« NOZ, 23. Mai 1998. Nach Gründung der Stadt Georgsmarienhütte bekleidete er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Rat 1996 das Amt des 1. Beigeordneten bzw. des 1. oder 2. stellvertretenden Bürgermeisters. Während seiner Zeit als Ratsherr initiierte er die Gründung der VHS, als deren ehrenamtlicher Leiter er bis zur Übernahme durch einen hauptamtlichen Mitarbeiter tätig war. Er hatte sich für viele kulturelle Projekte eingesetzt. 1988 erhielt er für sein vielfältiges Engagement das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik. Am 19. Mai 1998 verstarb Helmut Stahlmann im Alter von 74 Jahren, der Ehrenring der Stadt Georgsmarienhütte wurde ihm ein halbes Jahr später posthum verliehen, Nachruf der Volkshochschule Georgsmarienhütte auf Helmut Stahlmann, NOZ, 23. Mai 1998; »Neuer Ehrenring für GMHütter« NOZ, 19. September 1998. 980 Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 47. 981 »Räte im Wahlbezirk West«, NOZ, 1. Oktober 1968. 982 Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 47. 983 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 65. 984 NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 22/73 Nr. 40.

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Verwaltungsgepflogenheiten entsprechend geführt worden.«985 Der nächste Prüfungsbericht über die zweite Hälfte der 1960er Jahre stellte zwar ausdrücklich eine Verbesserung der verwaltungsinternen Abläufe fest, dennoch gab es einzelne Fehltritte: 1966 wurde ein Beamter wegen seines Verhalten in und außer Diensten aus dem Dienst entlassen,986 und im gleichen Jahr wurde ein Zuschuss für die Mittelschule für die Jahre 1963–1965 nicht rechtzeitig beantragt.987 1969 stellte die Gemeinde fest, dass zwei Angestellte über ein Jahr lang zu hohe Gehälter bezogen hatten.988 Die starke Zunahme der Bevölkerung führte zu vermehrter Bautätigkeit. Zwischen 1948 und 1968 wurden 583 Neubauten mit 969 Wohnungen ausgeführt, davon 251 Häuser allein in den Jahren 1961–1968.989 Baugebiete wurden ausgewiesen oder wurden z. T. bereits bebaut. Dazu zählten die Siedlungsgebiete Tannenkamp, Birkhahnweg und Obere Findelstätte.990 Ab 1966 wurden die Baugebiete Wiesenbach, Frommeyersches Gelände, Kohlgarten, Lammersbrinker Bach und die Hindenburgstraße/Haseldehnen überplant.991 1968 existierten in der Gemeinde Georgsmarienhütte noch sieben Vollerwerbslandwirte mit Betriebsgrößen zwischen 20 und 50 ha. Rund 41 % der Gemeindefläche war bewaldet und 28,7 % wurde landwirtschaftlich genutzt.992 Der Ort war verkehrstechnisch ungünstig erschlossen. Der Siedlungsbereich hatte längst den Kernbereich der ›Alten Kolonie‹ verlassen und erstreckte sich weit in die Hügelgebiete des Hinterlandes. Die Siedlungsgebiete jenseits der ›Alten Kolonie‹, waren durch eine Talsohle vom ursprünglichen Kerngebiet des Ortes getrennt. Die L 95 führte als einzige Straße in die neuen Siedlungsgebiete und bildete insbesondere in Höhe des Kasinos einen Engpass, da das Werksgelände unmittelbar an die Straße grenzte. Um diesen Engpass zu entlasten, war der Bau einer Brücke über die Talsohle von der Schützenstraße zur Parkstraße unerlässlich. Der Bau, dessen Kosten mit 1.080.000 DM993 veranschlagt wurde, begann 1969.994

985 Prüfungsbericht des Landkreises Osnabrück vom 4. Juli 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 39/ 1992 Nr. 315. 986 Protokoll der VA-Sitzung am 31. März 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 79. 987 Protokoll der VA-Sitzung am 10. Februar 1966, ebd. 988 Protokoll der VA-Sitzung am 15. Januar 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 82. 989 Gerhard Sasse: Die funktionale Gliederung von Georgsmarienhütte, Hausarbeit zur Prüfung für das Lehramt, Osnabrück 1972, S. 75. 990 »Bewältigte und unbewältigte Probleme«, OT, 4. Januar 1964. 991 Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 40. 992 Zahlen zur Arbeitsplatzstruktur der Gemeinde unmittelbar vor der Zusammenlegung in: Sasse: Die funktionale Gliederung von Georgsmarienhütte, S. 38–46. 993 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 314. 994 Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 43.

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Im Jahr 1966 wurde der Sanierungsplan ›Alte Kolonie‹ beschlossen. Die im 19. Jahrhundert schnell und kostengünstig erbauten Arbeiterhäuser sollten abgerissen und durch mehrstöckige Häuser an gleicher Stelle ersetzt werden.995 Das Gebiet im Winkel Haseldehnen und Hindenburgstraße war der NATO vorbehalten. Dort sollten Angehörige der NATO-Streitkräfte wohnen. In diesem Bereich wurden das neue Rathaus und der neue Ortskern geplant.996 Wegen der starken Bevölkerungszunahme und der vermehrten Bautätigkeit, aber auch wegen des Modernisierungsschubs im Sanitärbereich stieg der Bedarf an Wasser enorm an. Die Wasserversorgung lag ursprünglich in den Händen des Stahlwerkes, das Wasser für den Werksbedarf unterhalb des Lammersbrinks förderte und einen Teil davon an die Gemeinde abgab. Die ›Alte Kolonie‹ an der Brunnenstraße und der Siedlungsbereich ›Italien‹ wurden damit versorgt. Später entstanden in den neuen Siedlungsgebieten kleine Wasserversorgungseinheiten, z. B. an der Falkenstraße oder an der Hagener Straße. 1954 wurde ein weiterer Brunnen gebohrt, 1958 kaufte die Gemeinde das Wasserversorgungsnetz vom Stahlwerk und übernahm zentral die Wasserversorgung für alle Häuser.997 Zu den Aufgaben der Daseinsvorsorge, die die Gemeinde nicht selber bewältigen konnten, gehörte die Abwasserbeseitigung. Nachdem lange Zeit Hausbesitzer durch »wilde Verrohrung«998 ihre Abwässer in die Düte abgeführt hatten, erwirkte die Gemeinde eine Mitbenutzung des 1955 errichteten werkseigenen Klärbeckens. Doch diese mechanisch arbeitende Anlage reichte nicht aus, um die Düte vor Verunreinigungen zu schützen. Da alle Gemeinden im ›Düteraum‹ das gleiche Problem hatten, wurde 1958 der Zweckverband ›Obere Düte‹ mit den Mitgliedsgemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg, Holzhausen, Kloster Oesede und Oesede beschlossen und Anfang 1961 gegründet. Der Zweckverband baute auf Georgsmarienhütter Gemeindegrund eine Kläranlage, die seit 1964 arbeitete und 1966 offiziell in Betrieb genommen wurde. Auch die Unterhaltung einer weiterführenden Schule, der Mittelschule, war seit jeher ein Gemeinschaftsprojekt der Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede. 1962 wurde der Mittelschulzweckverband Georgsmarienhütte/Oesede gebildet, mit dem Ziel, der Mittelschule, die bislang mit der Volksschule gemeinsam an der Kirchstraße untergebracht war, eine neue Unterkunft zu bauen. Diese wurde 1965 fertiggestellt. 1969 besuchten 693 Schülerinnen und Schülern aus der ganzen Umgebung die Realschule.999 Helmut Stahlmann, der zugleich

995 Ebd., S. 41. 996 Erläuterungen zum Flächennutzugsplan vom 30. September 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 11. 997 Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 44f. 998 Ebd. 999 Ebd., S. 53.

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ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Georgsmarienhütte war, versah das Amt des Schulleiters. Nach dem erprobten Verfahren des Realschulbaues wurde der Mittelschulzweckverband 1964 umgewandelt in einen Nachbarschaftsverband, dem weitere Aufgaben übertragen wurden. Dieser kaufte im gleichen Jahr ein Grundstück in unmittelbarer Nähe der Realschule, um dort ein Hallenbad zu errichten. Als sich beim Landkreis abzeichnete, dass ein Gymnasium im Untersuchungsgebiet eingerichtet werden sollte, wurde das Grundstück für das Kreisgymnasium umgewidmet. Es nahm 1968 seinen Betrieb auf. Der Nachbarschaftsverband musste für das geplante Hallenbad einen neuen Standort suchen und erwarb eine Fläche unterhalb des Rehlbergs. Der Bau wurde 1968 begonnen, und 1970 erfolgte die Eröffnung des Hallenbades.1000 In dem Grenzbereich sollte noch mehr entstehen. 1968 erwarb der Nachbarschaftsverband von den Klöcknerwerken die ehemalige Villa des Unternehmers Robert Stahmer und ein dazugehöriges Grundstück von 17.000 qm. Die mit Mietern belegte Villa und das Grundstück sollten später kulturellen Zwecken zugeführt werden.1001 (Siehe auch 3.2.2. Interkommunale Zweckverbände, S. 194) Die Beschulung der Grund- und Volksschüler war Aufgabe des Schulträgers und stellte die Gemeinde vor beträchtliche Herausforderungen. Drei Volksschulen befanden sich in kommunaler Trägerschaft: – die 1952 neu erbaute Schule in Malbergen, die 1969 nur noch von 79 Kindern in vier Grundschulklassen besucht wurde; – die Gemeinschaftsschule an der Kirchstraße, die das erste Mal 1954 erweitert wurde und für die eine weitere Erweiterung geplant war, diese Schule wurde 1969 von 392 Schüler_innen besucht; – und die katholische Volksschule, die 1955 an die Hindenburgstraße umzog und seitdem den Namen Marienschule trug. Diese Schule zog 1964 an den Drosselstieg, sie wurde 1969 von 550 Schüler_innen besucht.1002 Die Gemeinde unterhielt ein Krankenhaus. Es wurde 1951 einmal von 55 auf 70 Betten erweitert und 1956 erneut aufgestockt.1003 1965 wurde es noch einmal für 1,5 Mio. DM erweitert.1004 Die Haushaltslage der Gemeinde Georgsmarienhütte war starken Schwankungen unterworfen. 1960 bekam die als reich geltende Gemeinde 158.148 DM 1000 1001 1002 1003 1004

Ebd., S. 42. Ebd. Ebd., S. 51. Ebd., S. 38f. Protokoll der Sitzung des Krankenhausausschusses am 18. August 1965, NLA OS Dep 81 b Nr. 11.

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Schlüsselzuweisungen, ein Jahr später immerhin noch 25.704 DM. Die Jahre 1962–1964 bewältigte sie ihre Aufgaben aus eigener Steuerkraft, und 1965 bekam sie erneut einen Betrag von 83.968 DM.1005 Der Prüfungsbericht des Landkreises richtete bereits 1966 die Bitte an die Gemeinde: »künftig bei der inneren Verschuldung vorsichtiger zu sein,«1006 und erinnert daran, dass »bei allen weiteren Planungen […] besondere Vorsicht geboten [sei]. Rat und Verwaltung sollten immer bedenken, daß alle größeren Projekte Folgemaßnahmen erfordern (Persönliche und sächliche Kosten), die den ordentlichen Haushalt erheblich belasten.«1007

Der Prüfungsbericht wies damit früh auf ein Strukturproblem hin, dass sich Ende der 1960er Jahre noch verschärfte. Ab dem Jahr 1965 ging die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben erstmals auseinander. Dies hing auch mit der Einführung der Zerlegung der Gewerbesteuer zusammen, die ab 1959 mit der Nachbargemeinde Oesede geteilt werden musste. Der Georgsmarienhütter Gemeindedirektor Trepper versuchte, die Zerlegung abzuwenden und klagte dem Finanzamt, dass Georgsmarienhütte ebenfalls Belastungen durch das Werk habe. Die Gemeinde sei von Osten nach Westen durch das Werk zerschnitten, es komme zu Schmutz- und Lärmbelästigungen, Ascheregen und Kondenzniederschlägen. In Hinsicht auf Baugebiete sei man eingeschränkt, die Erschließung von Baugebieten in den »Bergzonen«1008 sei schwierig und der Osterberg sei nicht bebaubar. Doch davon wollte die Zerlegungsbehörde, das Finanzamt, nichts wissen. Auch der Landkreis sprang der Industriegemeinde nicht bei. Er urteilte über das Geschehen im Untersuchungsgebiet: »im Hinblick auf die gesetzliche Regelung des Gewerbesteuerausgleichs [kann] eine anderweitige Entscheidung nicht getroffen werden.«1009 Kostspielige Einrichtungen, in wirtschaftlich guten Jahren in Betrieb genommen, erwiesen sich nun als Belastung. Die Badeanstalt verursachte 1965 ein Defizit von 13.030 DM. Die Müllabfuhr erwirtschaftete ebenfalls ein Defizit, das in den folgenden Jahren nur durch Gebührenanhebung vermieden werden konnte. Ein besonders großes Loch riss das Krankenhaus in die Gemeindekasse. 1965 brauchte das Kleinstadtkrankenhaus einen Zuschuss von 231.831 DM, der auch in den folgenden Jahren nicht nennenswert nach unten ging. Der Landkreis 1005 Haushaltsplan der Gemeinde Georgsmarienhütte 1966, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 22/ 73 Nr. 40. 1006 Prüfungsbericht des Landkreises Osnabrück vom 4. Juli 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 39/ 1992 Nr. 315. 1007 Ebd. 1008 Vorlage für den Verwaltungsausschuss in Georgsmarienhütte am 10. August 1965, NLA OS Dep 81 b, Nr. 51. 1009 Landkreis an die Gemeinde Oesede, Schreiben vom 29. November 1967, ebd.

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gewährte einen Zuschuss von 64 %, wodurch das Defizit zwar auf 112.061 DM schrumpfte, aber immer noch einen wesentlichen Posten auf der Ausgabenseite darstellte. Die Haushaltsfehlbeträge in den Jahren 1965–1967 stiegen deutlich an. 1965 waren es noch 167.728 DM, im Jahr darauf bereits 281.539 DM und 1967 immerhin noch 231.375 DM. Noch hatte die Gemeinde Reserven, womit die Fehlbeträge ausgeglichen werden konnten. Dies sei jedoch nach Meinung des Landkreises »äußerst bedenklich.«1010 Die Schlüsselzuweisungen bedeuteten, »daß Georgsmarienhütte nicht mehr zu den reichen Gemeinden gehöre«1011 hielt das Gemeinderatsprotokoll eine unmissverständliche Aussage des Landrats Tegeler (CDU), der zugleich Mitglied im Georgsmarienhütter Rat war, fest. Auch Gemeindedirektor Trepper sprach eine deutliche Sprache, als er zwei Jahre später dem Verwaltungsausschuss mitteilte, dass »zur Aufrechterhaltung der Kassenflüssigkeit seit etwa 34 Jahren immer mehr Kassenkredite in Anspruch genommen wurden.«1012 In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre musste die Gemeinde weitere Schulden machen: für die Erweiterung der Gemeinschaftsschule an der Kirchstraße, für die Erweiterung der Marienschule, Erweiterung des Krankenhauses, Ausbau der Regenwasserkanalisation, Ausbau der Straßen, Planung und Neubau des Bauhofgebäudes. 1967 lag die Höhe der unrentierlichen Schulden bei 244.354 DM, das entsprach einem Prozentsatz von 10,4 % der allgemeinen Deckungsmittel, was der Landkreis mit »noch unbedenklich« bewertete.1013 Im nächsten Jahr stieg der Wert jedoch weiter auf einen Betrag von 407.804 DM, also 18 % der allgemeinen Deckungsmittel. Zuzüglich weiterer Geldaufnahmen für die Zweckverbände, wurde 1969 ein Schuldenstand im unrentierlichen Bereich von 20,5 % erreicht.1014 »Damit würde nach Ansicht des Rechnungsprüfungsamtes die Verschuldungsgrenze der Gemeinde Georgsmarienhütte erreicht«,1015 lautete das Urteil der kommunalen Aufsichtsbehörde. Als Ursache für die defizitäre Entwicklung des Haushaltes machte das Rechnungsprüfungsamt die »Pflichtleistungen«1016 im Schulbereich und beim Krankenhaus aus. An einer Stelle machte sich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die finanziellen Schwierigkeiten der Gemeinde besonders bemerkbar : 1969 konnte die Gemeinde die Umlage für den Bau des Hallenbades in Höhe von 200.000 DM

1010 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992, Nr. 315. 1011 Protokoll der Sitzung des Rates Georgsmarienhütte am 5. April 1965, NLA OS Dep 81 b Nr. 7. 1012 Protokoll der VA-Sitzung am 22. Juni 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 80. 1013 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 315. 1014 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 265. 1015 Ebd. 1016 Ebd.

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nicht begleichen, da das Grundstück, das verkauft werden sollte, um den Betrag aufzubringen, noch nicht veräußert worden war.1017 Konsolidierungsvorschläge wurden gemacht und umgesetzt. Im Stellenplan 1969 wurden fünf Stellen eingespart.1018 Manche Einsparungen nahmen sich allerdings angesichts der Fehlbeträge wie ein Tropfen auf den heißen Stein aus. Als Trepper dem Verwaltungsausschuss einen Fehlbetrag von 295.000 DM im Jahr 1967 mitteilte, schlugen die politisch Verantwortlichen vor, die Heizthermostate in der Marienschule herunterzuregeln, um Heizkosten zu sparen.1019 Gewerbesteuereinnahmen bezog die Gemeinde hauptsächlich durch das Stahlwerk mit 6.380 Beschäftigten1020, ferner von einem Gewürzwerk, das seit 1949 an der Malberger Straße mit 122 Arbeitnehmer_innen ansässig war, von einer Baufirma mit 80 Beschäftigten und einer Firma für Behälterbau mit 13 Beschäftigten an der Falkenstraße. 222 Personen hatten Arbeit in den 42 Handwerkswerksbetrieben gefunden, und einige arbeiteten im Einzelhandel, der 58 Geschäfte umfasste, davon 24 Lebensmittelläden. Der Einzelhandel konzentrierte sich auf zwei Schwerpunkte: zum einen entlang der Hindenburgstraße, zum anderen auf das Straßenviereck bestehend aus Brunnenstraße, Klöcknerstraße, Karlstraße und Breiter Weg.1021 Ende der 1960er Jahre hatte die Gemeinde weitreichende Pläne. Sie erklärte 1967 den 1955 durch Ortsplaner Rechenberg aus Hildesheim erstellten Wirtschaftsplan für überholt und beauftragte einen neuen Ortsplaner, den DiplomIngenieur Bennemann, mit einem neuen Flächennutzungsplan. Dieser lag im September 1967 vor. Georgsmarienhütte habe die Funktion einer Industriegemeinde im Ausstrahlungsgebiet Osnabrück und sei nach dem Raumordnungsprogramm des Landes ein wichtiger »zentraler Ort«,1022 schrieb er der Gemeinde eine bedeutendere Rolle zu, als das Raumordnungsprogramm tatsächlich für sie vorsah. Er war der Meinung, das müsse Grundlage für die weitere Planung sein. 1017 Protokoll der VA-Sitzung am 18. September 1969, NLA OS Dep 81 b, Akz 2014/84, Nr. 82. Das Geld sollte im 2. Nachtragshaushalt eingestellt werden. 1018 Protokoll der VA-Sitzung am 13. November 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 81. 1019 Protokoll der VA-Sitzung am 22. Juni 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 80. 1020 Die Zahlenangaben schwanken. Während der Landkreis Osnabrück von 6.380 Beschäftigten ausging, gibt eine universitäre Zulassungsarbeit nur 5.399 Beschäftigte im Jahr 1969 an. Als Quelle nennt Elke Kiehling die Lohnbuchhaltung des Klöckner-Werkes, vgl.: Elke Kiehling: Die Industrie der Stadt Georgsmarienhütte. Ihre Genese, Struktur und räumliche Verbreitung, Zulassungsarbeit zur Wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien, eingereicht am Geographischen Institut der Universität Hannover, Hannover 1979, S. 37; 6.380 Beschäftigte bei Klöckner, Landkreis Osnabrück an den Minister des Innern, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1021 Kiehling: Die Industrie der Stadt Georgsmarienhütte, S. 44; Sasse, Die funktionale Gliederung von Georgsmarienhütte, S. 38ff. 1022 Erläuterungen zum Flächennutzungsplan vom 30. September 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 11.

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Als Beleg für die Zentralität führte Bennemann die Lage an der L 95, die gestiegene Einwohnerzahl, die vermehrte Bautätigkeit und die Anzahl der Auspendler an. Die Anzahl von 506 Personen, die in Osnabrück arbeiteten, aber in Georgsmarienhütte wohnten, belege die Attraktivität des Ortes als Wohngemeinde. Innerörtlich sei der Bau der Brücke in Planung, an Stelle der ›alten Kolonie‹ solle ein durch »Grün aufgelockerter Ortsmittelpunkt mit einem modernen Ladenzentrum«1023 entstehen. Die Hindenburgstraße solle Hauptgeschäftsstraße werden, im oberen Bereich sollten ein neues Rathaus und ein neues Postamt entstehen. Da die Bebauung an den Abhängen des Tales unrentabel sei, solle das ebene Gelände in Malbergen für Wohnbebauung und für kleinere und mittlere Betriebe »zur Abwehr konjunktureller Krisen«1024 überplant werden. Deutlich wies Bennemann darauf hin, dass es nach offiziellen und inoffiziellen Verlautbarungen aus dem Konzern zu Rationalisierungsmaßnahmen und einer Verlegung von Betriebsteilen nach Bremen komme solle. Die Reduzierung von Arbeitsplätzen von 6.000 auf 4.500 sei geplant. Daher solle Industrie angesiedelt und ein »anwachsendes Gewerbesteueraufkommen«1025 angestrebt werden. Die Entwicklung des größten Arbeitgebers war ein offenes Geheimnis. Bereits im Mai 1966 berichtete Gemeindedirektor Hermann Trepper dem Verwaltungsausschuss von einer voraussichtlichen Umsatzeinbuße bei Klöckner von 9 %. Auch wusste er damals bereits über die Investitionen für das Bremer Hüttenwerk Bescheid, die ursprünglich für Georgsmarienhütte vorgesehen waren.1026 Anderthalb Jahre später folgerte der Gemeindedirektor daraus, dass man sich um die Ansiedlung von Gewerbebetrieben bemühen solle.1027 Im März 1968 war die Gemeinde Oesede an die Gemeinde Georgsmarienhütte herangetreten, und teilte mit, dass man Gelände für Industrieansiedlung zur Verfügung stelle und dass Georgsmarienhütte nun wie Oesede Anzeigen schalten solle, um darauf aufmerksam zu machen.1028 Im Mai 1968 empfahl Trepper dem Rat, den Hof Plate zu kaufen, um das Gelände für die Ansiedlung von Betrieben zu nutzen.1029 Bislang war aber noch kein Kontakt mit einem Betrieb aufgenommen worden. Mitte 1968 stellte der Verwaltungsausschuss fest, dass die Ansiedlung gewerbesteuerintensiver Betriebe sich gar nicht lohne. Erhöhte Gewerbesteuereinnahmen senkten die Schlüsselzuweisungen und erhöhten die Kreisumlage.

1023 1024 1025 1026 1027 1028 1029

Ebd. Ebd. Ebd. Protokoll der VA-Sitzung am22. Mai 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 79. Protokoll der VA-Sitzung am 2. November 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 80. Protokoll der VA-Sitzung am 16. März 1967, ebd. Protokoll der VA-Sitzung am 22. Mai 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 81.

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»Von der mehr erzielten Gewerbesteuer bleibt also nicht sehr viel«,1030 vermerkte das Protokoll vom 10. Juli 1968. Der noch amtierende Bürgermeister Niemeyer fragte in einer Sitzung 1968, ob denn die Wirtschaftsförderung nicht eigentlich eine überregionale Aufgabe sei. Das Land und der Kreis seien hier gefragt.1031 Eine gemeinsame Sitzung der Verwaltungsausschüsse der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede und Harderberg zum Thema Wirtschaftsförderung sollte noch im Laufe des Jahre 1968 anberaumt werden. Landrat Tegeler, Landtagsabgeordneter und Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Landtages, sollte die Wirtschaftsförderung von Stadt (Osnabrück) und Landkreis erläutern.1032 In der Zusammenlegungsfrage war die Gemeinde Georgsmarienhütte zurückhaltend. Als Oesede 1966 einen Vorstoß wagte, um Gespräche über eine Zusammenlegung in Gang zu bringen, hieß es in Georgsmarienhütte,1033 dass ein offizieller Antrag Oesedes bei der Regierung noch nicht vorliege. Damit war das Thema für Georgsmarienhütte erledigt. Auch als ein halbes Jahr später der Ausschuss zur Kenntnis nehmen musste, dass der Städtebund eine Veränderung der Kommunalstruktur für unabdingbar halte, erfolgte keinerlei Reaktion. Immerhin besuchte Helmut Stahlmann noch als einfaches Gemeinderatsmitglied am 11. November 1966 einen Vortrag über das sog. Weber-Gutachten im Kreishaus.1034 Nach einem weiteren Jahr schickte der Landkreis 1967 ein Rundschreiben in die Rathäuser, dass es höchste Zeit sei, ernsthafte Schritte in Richtung kommunale Neustrukturierung zu unternehmen. Der Georgsmarienhütter Verwaltungsausschuss nahm das Schreiben zur Kenntnis und ließ protokollieren: »Man wisse nicht, was die Gebietsreform bringe.«1035 In der zweiten Hälfte des Jahres 1968 wurden die einzelnen Orte im Landkreis durch die Bezirksregierung bewertet. ›Zentrale Orte‹ bekamen mehr Geld und zusätzliche Aufgaben. Trepper referierte dem Verwaltungsausschuss das Ergebnis: Georgsmarienhütte erreiche die Punktzahl 18, »was nicht einmal für einen kleinen Zentralitätsort reichen würde.«1036 Er sei der Meinung, dass Georgsmarienhütte und Oesede zusammen bewertet werden müssten, dann käme man auf mehr als 30 Punkte und »würde damit als mittlerer zentraler Ort eingestuft werden.«1037 Auf den Gedanken einer Zusammenlegung kam er allerdings nicht. Auch als Oesede und Harderberg gemeinsam eine Schule errichten wollten und ein Zusammenschluss zwischen den beiden Orten wahrscheinlicher wurde 1030 1031 1032 1033 1034 1035 1036 1037

Protokoll der VA-Sitzung am 10. Juli 1969, ebd. Ebd. Protokoll der VA-Sitzung am 2. Mai 1968, ebd. Protokoll der VA-Sitzung am 21. April 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 79. Protokoll der VA-Sitzung am 10. November 1966, ebd. Protokoll der VA-Sitzung am 13. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 80. Protokoll der VA-Sitzung am 10. Juli 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 81. Ebd.

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– was massive finanzielle Nachteile für Georgsmarienhütte mit sich gebracht hätte1038 – ergriff die Gemeinde keinerlei Initiative. Selbst als die drei Verwaltungsausschüsse Oesedes, Harderbergs und Georgsmarienhüttes im Laufe des Jahres 1968 dreimal gemeinsam tagten, wurde der Gedanke einer Zusammenlegung in Georgsmarienhütter Gremien nicht diskutiert.1039 Erst nach der Kommunalwahl im Oktober 1968, als Helmut Stahlmann neuer Bürgermeister in Georgsmarienhütte wurde, beriet der Rat die Möglichkeit einer Zusammenlegung. Nach einer der Sitzungen mit Landrat Tegeler, in der es um die Erarbeitung einer Resolution ging, mit der »gegen die bekannt gewordenen Bestrebungen der Landkreise Bersenbrück und Melle [zum Neuzuschnitt des Landkreises I.B.] Stellung genommen werden soll«,1040 wurde auch die Zusammenlegung in den Blick genommen. Melle bemühte sich zu diesem Zeitpunkt, Kreissitz des neu zuzuschneidenden Kreises zu werden. Dies war ein Vorhaben, welches die Politiker der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg auf den Plan rief. Jede einzelne Gemeinde hatte keine Chance, die Kreisverwaltung in die Gemeinde zu holen, aber eine Einheitsgemeinde von mehr als 20.000 Einwohner_innen hätte möglicherweise Aussicht auf den Kreissitz. Helmut Stahlmann griff den Gedanken zum ersten Mal im Verwaltungsausschuss auf. Der Zeitpunkt für eine Zusammenlegung sei natürlich ungünstig, im nächsten Jahr stünden Bundestagswahlen an, auch solle man nichts überstürzen, das sei nicht fair gegenüber der Bevölkerung, formulierte der Sozialdemokrat vorsichtig.1041 Noch in derselben Sitzung wurde ein Ausschuss zur weiteren überörtlichen Zusammenarbeit aus sieben Mitgliedern gebildet.1042 Ab diesem Zeitpunkt stand das Thema ›Zusammenlegung‹ regelmäßig auf der Tagesordnung. Auch wenn das Gemeinderatsmitglied Käding intervenierte, »daß s.E. zunächst eine Sitzung stattfinden müßte, in der festgestellt wird, ob der Rat der Gemeinde sich überhaupt für eine Zusammenlegung entscheidet«,1043 führte das nicht zu Verzögerungen. Hermann Trepper empfahl ihm die Lektüre

1038 Durch Änderung des Meßbetrages würde Oesede/Harderberg einen höheren Anteil der Klöckner’schen Gewerbesteuer erhalten. Die Einbuße für Georgsmarienhütte würde sich auf 40.000 DM jährlich belaufen. Protokoll der VA-Sitzung am 6. April 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84, Nr. 80. 1039 Protokoll einer Besprechung über die Wirtschaftsförderung im Raum Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede vom 3. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 106. 1040 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 13. November 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 81. 1041 Ebd. 1042 Ebd. 1043 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 29. Januar 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 82.

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des Prognos-Gutachtens, das äußerst schlechte Wirtschaftsaussichten für das Untersuchungsgebiet vorhersagte.1044 Die Gemeinde Georgsmarienhütte war schlecht auf die Reform vorbereitet. Die finanziellen Probleme befanden sich zwar auf einem hohen Niveau, aber Engpässe waren unübersehbar. Von Industrieansiedlung wurde zwar häufig geredet, gehandelt wurde aber nicht. Erst ab Oktober 1968 setzte sich der Rat unter der neuen Leitung von Helmut Stahlmann mit der Gebietsreform auseinander. 3.2.1.3. Die Gemeinde Harderberg Auch die Gemeinde Harderberg1045 verzeichnete einen starken Anstieg der Bevölkerungszahl. 1939 waren dort 883 Einwohner_innen gemeldet, 1950 bereits 1.460, das entsprach einer prozentualen Zunahme von 65,3 %. In den Jahren von 1950 bis 1968 wuchs die Einwohner_innenzahl nochmals um 63,9 % auf 2.393 Personen, die sich auf einer Fläche von 784 ha verteilten.1046 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der bisherige Bürgermeister Eberhard Sundermann aus dem Amt entlassen, er sei »ausgesprochener Parteimann«1047 und habe immer im Sinne »der Partei gehandelt«,1048 monierten Bürger in einem Brief an den Landkreis. Auf Wunsch der Harderberger Bevölkerung wurde Bäckermeister Heinrich Rolf Bürgermeister vom Landrat im Amt bestätigt.1049 Dieser hatte das Amt bereits 1933 bis 1937 inne.1050 Doch bereits im November 1945 bat Rolf den Landrat sein Rücktrittsgesuch anzunehmen. Die Gemeinde, die ihm sehr am Herzen liege, werde immer wieder Ziel von schweren »Raub1044 Ebd. 1045 Harderbergs vermutlich erste urkundliche Erwähnung fällt in das Jahr 1069, und sie bezieht sich auf die Einkünfte der Stiftsherren von St. Johann, die u. a. auch aus der Ortschaft Har kommen, aus dem später die Gemeinde Harderberg entstanden ist. Eine weitere Urkunde aus dem Jahr 1147 klärt, welche Ortschaften zu welchem Pfarrbezirk gehörten. Drei Ortschaften Haren, Rothorst und Broxten, die damals in dem heutigen Gemeindegebiet von Harderberg lagen, wurden dem Stiftskapitel St. Johann zugeschlagen. Im 16. Jahrhundert setzte sich die Bezeichnung Harderberg für alle drei Ortschaften durch, vgl.: Bernd Holtmann: Chronik der katholischen Pfarrgemeinde Harderberg, St.Maria-Frieden und der ehemaligen Bauerschaft, Osnabrück 1975, S. 7ff. Nach Angaben der Chronik des Pfarrers Bernd Holtmann, war mit dem Bau des Hüttenwerkes 1856 in der landwirtschaftlich geprägten Gemeinde keine Ansiedlung von Arbeiterfamilien verbunden, wohl aber fanden bereits ortsansässige Männer im Werk eine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt aufzubessern, ebd., S. 99. 1046 Gebietsgrößen und Einwohnerzahlen: NLA HA 100 Akz 51/84 Nr. 765. 1047 Einwohner_innen der Gemeinde Harderberg an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 22. April 1948, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 360. 1048 Ebd. 1049 Landrat Bubert an die Gemeinde Harderberg, Schreiben vom 26. September 1946, ebd. 1050 Holtmann, Chronik, S. 23.

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überfällen«,1051 so dass es ihm unmöglich sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen und eine Kleidersammlung durchzuführen.1052 Der Landrat kam seiner Bitte jedoch nicht nach, gerade wegen der Schwierigkeiten müsse er bleiben.1053 In seine Amtszeit fiel die Planung eines »Heldenfriedhof[s]«,1054 für den die Gemeinde ein Grundstück in der Größe von 3.476 qm veräußerte, um das Vorhaben zu finanzieren. 101 Personen wurden als gefallen oder vermisst gemeldet, gemessen an der Einwohnerzahl von 1939, die mit 8821055 angegeben wurde, eine große Zahl. Offiziell in Betrieb genommen wurde die Anlage erst 1957.1056 Rolf blieb bis 1952 Bürgermeister. Ihm zur Seite stand der Gemeindediener Franz Tiesmeyer.1057 Er wurde von 1957 von Adolf Aulf abgelöst, der ebenfalls eine Aufwandsentschädigung erhielt und zu diesem Zeitpunkt bereits Bürgermeister war.1058 1960 wurde der Kreisangestellte Heinrich Werkmeister für zwölf Jahre zum hauptamtlichen Gemeindedirektor gewählt.1059 In diesem Jahr hatte die Harderberger Verwaltung bereits drei weitere Kräfte, die eine geringe Pauschale bekamen. 1960 wurde eine zweite Verwaltungskraft eingestellt.1060 1966 weihte die Gemeinde ihr neues Rathaus am Gartenweg ein,1061 für das 1964 ein Darlehen in Höhe von 65.000 DM mit einer Laufzeit bis zum Jahr 2030 aufgenommen wurde.1062

1051 Bürgermeister Heinrich Rolf an den Landrat, Schreiben vom 7. November 1945, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 360. 1052 Ebd. 1053 Landrat Bubert an Bürgermeister Heinrich Rolf, Schreiben vom 13. November 1945, ebd. 1054 Protokoll der Kreisausschusssitzung am 22. Januar 1946, NLA OS Dep 104 Akz 47/1992 Nr. 201. 1055 Entwurf zum Gesetz über den Zusammenschluß der Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede, Niedersächsischer Landtag, Sechste Wahlperiode, Drucksache Nr. 892. Die Zahlen beruhen laut einer handschriftlichen Notiz auf einer Mitteilung des Statistischen Landesamtes vom 22. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1056 Holtmann, Chronik, S. 94. 1057 Bürgermeister Rolf an Landrat Bubert, Schreiben vom 9. Mai 1945, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 358. 1058 Protokoll der Sitzung des Harderberger Gemeinderates am 6. September 1957, ebd. 1059 Die Gemeinde Harderberg an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 28. Dezember 1960, ebd. 1060 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 1. Juni 196057, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 359. 1061 NLA OS Dep 81 b Nr. 99. 1062 Die Gemeinde Harderberg an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 6. Oktober 1964, NLA OS Dep 104 II Akz 39/92 Nr. 252.

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Adolf Aulf saß bereits 1946 im Gemeinderat. Er wurde 1909 geboren, war Landwirt und gehörte der CDU an. 1952 löste er Bürgermeister Heinrich Rolf in seinem Amt ab,1063 und behielt es bis zur Stadtgründung 1970. 1967 gab es noch 34 landwirtschaftliche Betriebe mit mehr als 0,5 ha, 66 % der Gemeindefläche wurde landwirtschaftlich genutzt und 95 Personen waren in der Landwirtschaft beschäftigt.1064 1968 waren 2.180 Einwohner_innen in der Gemeinde gemeldet. Davon waren 670 Personen im erwerbsfähigen Alter. 85 Personen pendelten zur Arbeit in den Ort, wahrscheinlich zum 1966 eingerichteten Franziskushospital, 478 Personen verließen ihn, um anderenorts zu arbeiten.1065 15 Handwerksbetriebe existierten vor Ort, ein Großhandel, ein Industriebetrieb, vier Einzelhändler und vier Dienstleistungsbetriebe mit insgesamt 164 Beschäftigten.1066 Um weitere Betriebe anzusiedeln, beschloss der Rat im Mai 1967, eine Fläche von 6.000 qm nördlich der Dorfstraße als Gewerbegebiet auszuweisen.1067 In der Gemeinde gab es eine Kirche, einen Friedhof, ein Kreiskrankenhaus, eine Schule, eine Müllabfuhr, eine Drogerie, sechs Gaststätten, eine Bücherei, eine Bankfiliale und durch das Gemeindegebiet führen zwei Bundesstraßen.1068 Der Ausbau der Gemeinde mit Straßen begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis dahin herrschte auf dem Harderberg nach Angabe des Chronisten »heilige Ruhe«,1069 ab 1946 entstanden die ersten Wohngebiete, die auf dem veräußertem Grundbesitz des Grafen von Galen errichtet wurden,1070 wie die Häuser am Fichtenkamp und am unteren Heideweg. In den 1950er Jahren kamen die Straßenzüge Harderheide, Lerchenweg, Immenweg, Zur Riede, Up de Hee und Heideeck dazu. 1963 wurde die Pfarrkirche errichtet und wenig später das Gebiet Buchgarten bebaut. In den 1960er Jahren wurden die Siedlungen Exterbrock, Kiefernhang, Pappelgraben, Ahornweg, Am Haselstrauch und viele weitere Straßenzüge errichtet. Durch den Ausbau der Straßen B 68 und der B 51

1063 Liste der Harderberger Gemeinderäte vom 4. Dezember 1952, NLA OS Dep 104 II Akz 44/ 92 Nr. 360. 1064 Erhebungsbogen für die Gemeinde Harderberg, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 17. 1065 Vergleich der drei Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte, Haderberg, Stand 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1 Bd. 2. 1066 Erhebungsbogen für die Gemeinde Harderberg, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 17. 1067 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 3. Mai 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 95. 1068 Vergleich der drei Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede, Stand 1968. Das Franziskushospital ist nicht angezeigt worden. Vermutlich ein Flüchtigkeitsfehler, NLA OS Dep 81 b Nr. 1 Bd. 2. 1069 Holtmann: Chronik, S. 100. 1070 NLA OS Dep 104 II Akz 2000/040 Nr. 25.

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wurde der Ort zerschnitten. Die Siedlungsteile westlich der B 51 sind seitdem nur durch eine Brücke mit dem restlichen Ort verbunden.1071 Die Wasserversorgung wurde bis 1958 durch die Gemeinden Oesede und Nahne sichergestellt. Dann wollte sich die Gemeinde von den Nachbargemeinden unabhängig machen. »Der jetzige Wasserbezug von der Gemeinde Nahne und Oesede ist nicht mehr tragbar«,1072 erklärten die Harderberger Ratsleute und ließen für 44.836 DM einen neuen Brunnen bohren. Zeitgleich wurde der Wasserpreis erhöht. Der Preisnachlass für die Stahmer’sche Maschinenbaufabrik und eine weitere Firma wurde gestrichen.1073 Ein Problem stellte die Beschulung von Harderberger Kindern ab der fünften Klasse dar. Dieses wurde bereits 1966 als drückend empfunden.1074 Vertreter der Gemeinde Oesede boten 1967 der Nachbargemeinde zunächst an, Harderberger Kinder gegen eine Ausgleichszahlung in Oesede zu beschulen, was von Harderberger Ratsleuten mit Empörung zurückgewiesen wurde. »Auch im Hinblick auf eine evtl. Gebietsreform habe die Gemeinde Harderberg ein volles Anrecht auf eine eigene Schule«,1075 wiesen die Ratsleute das Angebot zurück. Wenig später erstellte die Gemeinde Oesede ein zweites Angebot, eine Schule im Bereich Kiewitsheide zu errichten, was von den Harderbergern als wesentlich vorteilhafter anerkannt wurde,1076 gebaut wurde sie allerdings nie. Auch ein Kindergarten fehlte in der Gemeinde. Bereits 1960 gingen 10–12 Kinder in einen Kindergarten in Oesede, weitere 20–25 Kinder würden von ihren Eltern in einen Oeseder Kindergarten geschickt werden, wenn die Fahrtkosten nicht wären.1077 1958 war der Haushalt erstmals nicht ausgeglichen. 174.914 DM nahm die Gemeinde ein, 186.452 DM musste sie ausgeben.1078 Darlehen für Wasserversorgung, Kanalbau und Wegeausbau wurden im nächsten Jahr aufgenommen.1079 1966 lag der Fehlbedarf bei 23.906 DM, was der Landkreis aber nicht bemängelte. »Die Gemeindekasse sei gut geführt worden«,1080 attestierten die Rechnungsprüfer der kommunalen Aufsichtsbehörde der Gemeinde. 1071 Holtmann: Chronik, S. 99ff. 1072 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 13. Januar 1958, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 359. 1073 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 23. Juli 1958, ebd. 1074 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung Harderberg am 11. Oktober 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 95. 1075 Protokoll der nicht öffentlichen Ratssitzung Harderberg am 9. Juni 1967, ebd. 1076 Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung Harderberg am 17. März 1967, ebd. 1077 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 1. Juni 1960, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 359. 1078 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 11. Juli 1958, ebd. 1079 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 8. Oktober 1959, ebd. 1080 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 11. September 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 95.

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In den nächsten Jahren veränderte sich jedoch die Harderberger Haushaltslage. Die Gewerbesteuereinnahmen beliefen sich laut einem Erhebungsbogen des Landkreises Osnabrück im Jahr 1966 auf 54.055 DM,1081 laut einer Liste, die im Zuge der Verhandlungen zur Zusammenlegung erstellt wurde, betrugen die Gewerbesteuereinnahmen 1968 95.000 DM,1082 d. h. die Einnahmen haben sich innerhalb von zwei Jahren um 75 % erhöht. Bei den Schlüsselzuweisungen gab es sogar eine Vervierfachung: Harderberg erhielt 1966 33.663 DM, 1968 sollen es laut der Aushandlungsliste 134.688 DM gewesen sein. Die Kreisumlage betrug laut Landkreiserhebung 81.509 DM im Jahr 1966, und laut Aushandlungsliste stand 1968 ein Betrag von 101.476 DM zur Zahlung an den Kreis an. Fest stand, dass die Gemeinde Harderberg im Jahr 1968 in Bedrängnis geriet, weil das 1966 errichtete Franziskushospital den Wasserverbrauch in der Gemeinde um 100 % erhöhte. Ein zweiter Brunnen wurde notwendig, und die Gemeinde beantragte die Aufnahme eines Darlehns von 175.000 DM,1083 zusätzlich zu dem Darlehn über 120.000 DM, das für die Sanierung des ersten Brunnens aufgenommen werden musste.1084 Das Zahlenwerk für Harderberg ist unübersichtlich dokumentiert. Die turnusmäßige Überprüfung des Haushaltes durch die Kommunalaufsicht des Landkreises ergab keinerlei Hinweise auf die Situation der Gemeinde. Aus den verschiedenen Akten lässt sich jedoch folgendes belegen: Seit das Franziskushospital 1966 seinen Betrieb aufgenommen hatte, flossen in bescheidenem Umfang Gewerbesteuer in die Gemeindekasse, was eine Erhöhung der Kreisumlage nach sich zog. Gleichzeitig bekam Harderberg mehr Schlüsselzuweisungen zugeteilt, d. h. die finanziellen Anforderungen der Gemeinde waren auch mit erhöhten Gewerbesteuereinnahmen nicht zu decken. Die neuen Anforderungen wiederum hingen vor allem mit der Inbetriebnahme des Krankenhauses zusammen. Die bisherige Wasserversorgung reichte nicht mehr aus, um den verdoppelten Bedarf zu decken und weitere Straßen und Wege mussten ausgebaut werden. Bei der Lösung des Schulproblems war die Gemeinde auf eine interkommunale Zusammenarbeit angewiesen. Dabei war Bürgermeister Aulf selbstbewusst genug, auf eine eigene Schule zu pochen, und zwar im Hinblick auf eine mögliche Zusammenlegung, bei der die Gemeinde Harderberg die begehrten Flächen für die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe zur Verfügung stellen würde. Ein Einlassen auf die Zusammenlegungsgespräche war dadurch 1081 Erhebungsbogen für die Gemeinde Harderberg, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 17. 1082 Vergleich der drei Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede, Stand 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1083 Gemeinde Harderberg an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 27. Mai 1968. NLA OS Dep 104 II Akz 39/92 Nr. 252. 1084 Ebd.

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bedingt, dass die Gemeinde über keinerlei finanzielle Ressourcen verfügte, Industrie- und Gewerbegebiete auszuweisen und zu erschließen. Anfang 1968 heißt es in einer öffentlichen Ratssitzung unmissverständlich, dass kaum noch finanzielle Mittel zur freien Verfügung stünden.1085 Um ihren Aufgaben gerecht zu werden, suchte die Gemeinde Harderberg Lösungen in Zweckverbänden: Die Gemeinde Harderberg bildete seit 1957 mit den Gemeinden Oesede und Nahne einen Feuerlöschverband1086 und trat 1958 dem Abwasserverband ›Obere Düte‹ bei.1087 3.2.1.4. Die Gemeinde Kloster Oesede Wie in allen anderen Gemeinden des Untersuchungsgebietes stieg auch in Kloster Oesede die Bevölkerungszahl. Von 1939 bis 1950 nahm die Bevölkerung um 1.235 Einwohner_innen, von 2.403 Einwohner_innen auf 3.638 zu. Das entsprach einer Zunahme um 51,4 %. Danach wuchs die Bevölkerung langsamer, aber immerhin noch um 677 Personen bis zum Jahr 1968 auf insgesamt 4.315 Einwohner_innen, was einer erneuten Zunahme um 18,6 % entsprach. Die Gemeinde Kloster Oesede umfasste eine Fläche von 1.302 ha.1088 Nach Kriegsende entließ der Landrat den bisherigen Bürgermeister Peping.1089 Sein Nachfolger wurde Heinrich Börger,1090 der 1947 als Gemeindedirektor zur Gemeinde Oesede1091 wechselte. Im Oktober 1946 löste ihn Friedrich Röttger ab, der vom Gemeinderat gewählt wurde.1092 1948 trat Alfred Malaika sein Amt als Gemeindedirektor an.1093 Auf Röttger folgte 1964 Hans Stertenbrink,1094 und auf Malaika 1965 Hans Middelberg.1095 1085 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg vom 11. Januar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 96. 1086 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 8. Februar 1957, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 359. 1087 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 25. April 1958, ebd. 1088 Gebietsgrößen und Einwohnerzahlen, NLA HA 100 Akz 51/84 Nr. 765. 1089 Vermerk vom 18. September 1945, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 37. 1090 Vermerk vom 17. Oktober 1945, ebd. 1091 NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 92. 1092 Wahlergebnisse von Kloster Oesede aus dem Jahr 1946, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 37. 1093 NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 36. 1094 Hans Stertenbrink wurde am 20. Februar 1921 geboren. Er war von Beruf Drogist und führte ein Geschäft am Marktplatz in Kloster Oesede. 1964 wurde er erstmals in den Kloster Oeseder Gemeinderat gewählt und löste unmittelbar danach den langjährigen Bürgermeister Röttgen ab. Er war maßgeblich an den Vorbereitungen der 800-Jahr-Feier im Jahr 1970 in Kloster Oesede beteiligt. Nach Gründung der Stadt Georgsmarienhütte gehörte er dem neuen Rat noch bis zum Jahr 1981 an. Von 1972 bis 1976 bekleidete er das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters in der neuen Gebietskörperschaft. Hans Stertenbrink verstarb am 29. November 2004 im Alter von 83 Jahren, Nachruf der Stadt

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Das rasche Wachstum der Bevölkerungszahl erforderte auch in Kloster Oesede die Ausweisung von Baugebieten, u. a. wurde in der Nachkriegszeit die Gebiete Nordfeld, Schürfeld, Laubbrink, Brannenheide, Klostergarten/Königstraße, der Ortskern, Steinbrede, Hohe Linde, Franzhöhe und der Schwarze Weg1096 überplant und bebaut. Mit dem Anstieg der Bevölkerungszahl ging auch ein Ausbau der Infrastruktur einher. Die Gemeinde verfügte über eine zentrale Wasserversorgungsanlage, eine Entwässerungsanlage, einen Sportplatz, eine Freilichtbühne, eine Turnhalle mit Gymnastikhalle, ein Feuerwehrgerätehaus mit zwei Löschfahrzeugen, ein achtklassige Volksschule und einen Friedhof.1097 1963 wurde das Rathaus am Markt neu erbaut. Insgesamt waren mit 98 ha nur 7,5 % der Gemeindefläche bebaut.

Abb. 3: 1963 baute die Gemeinde Kloster Oeseder ein Rathaus am Marktplatz, Foto: Stadt Georgsmarienhütte, Georg Bosselmann

Der wesentlich größere Teil der Fläche wurde agrarisch genutzt. Mehr als ein Drittel der Gemeindefläche, 585 ha, diente der Landwirtschaft, ein knappes Georgsmarienhütte auf Hans Stertenbrink, NOZ, 2. Dezember 2004; »Ehemaliger Bürgermeister Hans Stertenbrink verstorben«, Blickpunkt Nr. 369, 16. Dezember 2004. 1095 NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 37. 1096 1170/1970–800 Jahre Kloster Oesede, Kloster Oesede 1970, S. 41. 1097 Ebd.

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weiteres Drittel, 455 ha, als Wald. Der größte Teil der landwirtschaftlichen Betriebe waren Kleinstbetriebe in der Größe von 0,5 bis 5 ha. Zwölf Betriebe verfügten über 5–12 ha; in der Betriebsklasse 40–50 ha arbeiteten fünf Landwirte und drei weitere in der Klasse von 60–100 ha.1098 Drei Industriebetriebe, 37 Handwerksbetriebe, 31 Einzelhandelsbetriebe, 16 Gaststätten und 16 sonstige Betriebe hatten ihren Sitz in Kloster Oesede. Trotz der beachtlichen Anzahl der Firmen, waren nur 271 von 1.184 Erwerbstätigen in Kloster Oesede beschäftigt. Der größte Teil, 462 Berufstätige, arbeitete in Georgsmarienhütte, und 387 in Osnabrück. Zumindest für die fast 500 Auspendler nach Georgsmarienhütte kann vermutet werden, dass sie in dem Stahlwerk arbeiteten. Nur 167 Personen kamen zum Arbeiten nach Kloster Oesede.1099 Die Notwendigkeit, in Kloster Oesede Unternehmen anzusiedeln, wurde auch von Stertenbrink erkannt: »Wir müssen mit Nachdruck gute Standorte für Industrie ausweisen«,1100 hieß es 1967 aus seinem Munde. Insoweit war er mit Gemeindedirektor Middelberg ganz einer Meinung. In der gleichen Sitzung berichtete dieser dem Rat, dass Kloster Oesede und Holsten-Mündrup nun einen gemeinsamen Flächennutzungsplan aufgestellt hätten. Die Gemeinde solle wachsen und Gewerbe ansiedeln. 1975 sollte Kloster Oesede 5.400 Einwohner_innen verzeichnen, im Jahr 2000 sollten es schon 6.500 sein. Ziel der Anstrengungen sollte die Verhinderung von Plänen der Bezirksregierung sein, die die Gemeinde als Nebenzentrum der Nachbargemeinde Borgloh zuordneten. Neue Planungen der Regierung besagten, so Middelberg: »Die Zuordnung der Gemeinde Kloster Oesede zu einer Kerngemeinde bzw. zu einem Nebenzentrum Borgloh-Wellendorf ist damit wohl endgültig überholt.«1101 Die Haushaltslage war in den 1960er Jahren angespannt. Im Jahr 1965 zeigte sich das erste Mal ein Fehlbedarf von 216.000 DM. Das Defizit hatte jedoch eine Vorgeschichte: Kloster Oesede war Mitglied im Abwasserbeseitigungsverband ›Obere Düte‹ und musste Mitte der 1960er Jahre neue Leitungen bauen lassen. Um Kosten zu sparen, wurden Regenwasser- und Abwasserkanäle gleichzeitig verlegt, doch die Arbeiten zogen sich in die Länge. Während der Bauphase war eine allgemeine Verteuerung eingetreten und gleichzeig waren Gewerbesteuereinnahmen ausgefallen. Eine Möbelfirma mit 150–180 Beschäftigten hatte 1964 ihre Pforten geschlossen. Dadurch fehlten im nächsten Haushalt 115.000 DM Gewerbesteuereinnahmen, mit denen die Gemeinde gerechnet hatte. Gleichzeitig waren in Kloster Oesede weitere Maßnahmen bzw. Investitionen erfor1098 Ebd. 1099 Ebd., S. 40. 1100 Aus dem Jahresbericht des Bürgermeisters Hans Stertenbrink, verlesen in der Ratssitzung am 14. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 1101 Verwaltungsbericht des Kloster Oeseder Gemeindedirektor Hans Middelberg verlesen in der Ratssitzung am 14. Dezember 1967, ebd.

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derlich. Die Schule sollte erweitert, eine Turn- und Gymnastikhalle sollte neu gebaut werden, eine schulnahe Toilettenanlage war dringend notwendig und die Pausenhofflächen mussten hergerichtet werden. Der zwei DIN A-4 Karobögen umfassende, handschriftlich verfasste Haushalt wies bis dahin schon ein Defizit von 121.632 DM für das Jahr 1965 aus, die fehlenden Steuereinnahmen der Möbelfirma ließen das Defizit noch größer ausfallen.1102 Die Gemeinde stellte beim Landkreis einen Antrag auf Darlehnsaufnahme, der bewilligt wurde. In einer Stellungnahme des Landrates an den Regierungspräsidenten hieß es: »Eine Sanierung der Finanzverhältnisse in Kloster Oesede wird aber ohne die Bereitstellung von Landesmitteln nicht erreicht werden können.«1103 Die Notwendigkeit, durch Zusammenlegung einen besseren Status und damit auch eine bessere Finanzausstattung zu erreichen, aber auch um Pläne der Bezirksregierung zu unterlaufen, mochte den Bürgermeister 1967 bewogen haben, den Rat auf die Veränderungen in der kommunalen Landschaft einzustimmen: »1968 ist das Jahr der Planungen. Vorbereitungen zur Gebiets- und Verwaltungsreform erfolgen.«1104 Der Jahresbericht der Weber-Kommission wurde jedem einzelnen Kloster Oeseder Ratsherrn Ende 1967 zugestellt.1105 3.2.1.5. Die Gemeinde Holsten-Mündrup Die Gemeinde hatte sich seit 1939 nicht nennenswert entwickelt. Die Einwohnerzahl stieg zwar im Zeitraum von 1939 bis 1950 von 530 auf 773 Einwohner_innen, das war eine Steigerung von 45,8 %, bis 1968 stieg sie lediglich um 23 Personen auf 796 Einwohner_innen, also um 3,0 %. Die Bevölkerung verteilte sich auf eine Fläche von 573 ha.1106 Holsten-Mündrup war eine reine Agrargemeinde mit zwei kleinen Wohngebieten, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Von 325 Erwerbstätigen arbeiteten 116 in der Landwirtschaft, ein Teil pendelte nach Osnabrück (67 Personen) Georgsmarienhütte (57 Personen) und Oesede (23 Personen), der Rest arbeitete vor Ort.1107 Nach 1945 wurde der bisherige Bürgermeister Temme abgesetzt und durch Heinrich Mentrup ersetzt. Dieser versah das Amt, bis er 1964 von Ferdinand Hügelmeyer abgelöst wurde. Der Sitz der Gemeindeverwaltung befand sich im 1102 Antrag der Gemeinde Kloster Oesede auf Bedarfszuweisungen für das Rechnungsjahr 1965, Schreiben vom 26. Oktober 1965, NLA OS Dep 104 II Akz 39/92, Nr. 200. 1103 Landkreis an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom November 1965, ebd. 1104 Aus dem Jahresbericht des Bürgermeisters Hans Stertenbrink, verlesen in der Ratssitzung am 14. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 1105 Verwaltungsbericht des Kloster Oeseder Gemeindedirektors Hans Middelberg verlesen in der Ratssitzung am 14. Dezember 1967, ebd. 1106 Gebietsgrößen und Einwohnerzahlen, NLA HA 100 Akz 51/84 Nr. 765. 1107 Landesraumordnungsprogramm vom 18. März 1969, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/ 1987 Nr. 35.

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Haus des früheren Bürgermeisters, und eine Verwaltungsmitarbeiterin erledigte gegen Entgelt die anfallenden Schreibarbeiten. Die Gemeinderatssitzungen fanden im Gasthaus Rose statt.1108 Im August 1968 übernahm Heinrich Sielschott1109 die Aufgaben des inzwischen erkrankten Bürgermeisters Hügelmeyer.1110 Sowohl Hügelmeyer1111 als auch Sielschott1112 standen der Gebietsreform positiv gegenüber. 3.2.1.6. Die Gemeinde Holzhausen Im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg die Bevölkerungszahl der Gemeinde Holzhausen1113 von 140 Einwohner_innen im Jahr 1821 auf 544 im Jahr 1885.1114 Grund war das Eisenerzvorkommen im Hüggel, einem kleinen Höhenzug von 5 km Länge und 2,5 km Breite, der zu einem kleinen Teil auf der Gemarkung Holzhausen lag. Mit der Gründung des Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenvereins im Jahr 1856 in der benachbarten Gemeinde Malbergen begann der Abbau des Erzes in größerem Umfang, bis der Betrieb 1966 eingestellt wurde.1115 1864 wurde mit dem Bau der Hüttenbahn begonnen, deren Verlauf mitten durch den Ort ging.1116 Das Werk errichtete in den Jahren 1921–1924 in Holzhausen die Siedlung Patkenhof mit acht Doppelhäusern und vier Einzelhäusern mit insgesamt zwanzig Wohnungen, zu denen jeweils 1.000 qm Gartenland gehörte. Danach förderte das Werk nur noch Eigenheime von Werksangehörigen. So 1108 NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 223. 1109 Heinrich Sielschott wurde am 13. Oktober 1922 geboren. Von Beruf war er Landwirt. 1964 wurde er erstmals in den Holsten-Mündruper Rat gewählt, bis 1968 war er stellvertretender Bürgermeister, dann löste er seinen Vorgänger Ferdinand Hüggelmeyer ab. Bis 1981 war er im Rat der Stadt Georgsmarienhütte vertreten. Er verstarb im Alter von 90 Jahren am 27. Juli 2013. Nachruf der Stadt Georgsmarienhütte auf Heinrich Sielschott, NOZ, 1. August 2013; »Heinrich Sielschott feiert 90. Geburtstag, Blickpunkt Nr. 546, 18. Oktober 2012. 1110 Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 6. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 107. 1111 Siehe Kap. 4.2.1.2. Verhandlungsrunde 2: Versuch zwischen Kloster Oesede und HolstenMündrup 1966, S. 237. 1112 Siehe Kap. 5.2.2. Raumvorstellungen der Akteure der Arrondierung, S. 392. 1113 Holzhausen wurde das erste Mal 1147 in einer Urkunde erwähnt, die die Zugehörigkeiten verschiedener Bauerschaften zur Pfarrei St. Johann in Osnabrück klärt, vgl.: Alexander Himmermann: 850 Jahre Stadtkirchspiel St. Johann zu Osnabrück, in: Geschichte zwischen den Feldern, S. 9–41, hier S. 30. Erst im 19. Jahrhundert setzte sich der Name Holzhausen für die Gemeinde durch, vgl.: Bernhard Grimsel: Das Osnabrücker Land mit den Bauerschaften Malbergen, Harderberg, Holzhausen und Wulften (Sutthausen) im Mittelalter (800–1500), in: Geschichte zwischen den Feldern, S. 43–66, hier S. 59. 1114 Himmermann: 850 Jahre Stadtkirchspiel St. Johann zu Osnabrück, S. 31. 1115 Rudolf Richter : Erz im Hüggel, in: Geschichte zwischen den Feldern, S. 125–138. 1116 Theodor Elixmann: Die Entwicklung Holzhausens seit 1900 unter besonderer Berücksichtigung der letzten 26 Jahre, in: Geschichte zwischen den Feldern, S. 109–111.

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entstanden 1928–1930 die Siedlung Halbmond mit 19 Häusern und 37 Wohnungen, und im gleichen Zeitraum wurde die Oberholthaus’sche Wiese mit zwei Häusern und vier Wohnungen bebaut.1117 1925 zählte die Gemeinde 1.019 Personen, 1939 bereits 2.777 Einwohner_innen. Nach dem Krieg stieg die Bevölkerungszahl nochmals auf 4.161 Menschen an. Am Vorabend der Zusammenlegung umfasste die Bevölkerung 6.226 Menschen.1118 In der Gemeinde gründeten drei Franziskanermönche 1918 eine neue Niederlassung ihres Ordens und errichteten in einer Holzbaracke eine Notkirche. 1924 wurde mit dem Bau des Exerzitienhauses begonnen, das 1926 eingeweiht wurde.1119 Die Gemeinde Holzhausen wurde während des ›Dritten Reiches‹ von dem Landwirt Ernst Schuster geleitet. Dieser bereits seit 1933 der NSDAP angehörende Bürgermeister wurde 1945 seines Amtes enthoben.1120 Das Amt bekleidete sodann Herr Dreier, der 1946 von Herrn Beek abgelöst wurde. Während Beeks Amtzeit stellte 1947 die Gemeinde einen Antrag auf Teilung der Gemeinde in Sutthausen und Holzhausen mit der Begründung, die beiden Ortsteile seien sehr verschieden. Holzhausen habe zwar Anlehnung an die Industrie in Georgsmarienhütte, sei aber im Gegensatz zu Sutthausen von ländlichem Charakter. Im Übrigen befinde sich zwischen den Ortsteilen eine feuchte Wiese, die nicht bebaut werden könne.1121 Die Teilung wurde 1949 abgelehnt.1122 Beek wurde 1948 zum Gemeindedirektor gewählt und 1952 durch Ferdinand Landwehr abgelöst, dessen Wiedereinstellung in den Verwaltungsdienst vom Gemeinderat wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP noch 1946 abgelehnt worden war.1123 1958 wurde Josef Hackmann neuer Gemeindedirektor, im Amt des Bürgermeisters war zu diesem Zeitpunkt Herr Brockmann. 1961 wurde Walter Riepenhoff während der Amtszeit des Bürgermeisters Friedrich Dimmerling Gemeindedirektor der Gemeinde.1124 Im Oktober 1968 löste Friedrich Hardekopf seinen Parteikollegen Dimmerling im Amt ab.1125

1117 Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 154. 1118 Landesplanerisches Rahmenprogramm für die Gemeinde Holzhausen vom Juli 1969, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/87 Nr. 37. 1119 »Zur Einweihung des Exerzitienhauses am Franziskanerkloster Ohrbeck«, OV, 19. September 1926. 1120 Entnazifizerungsakte Ernst Schuster, NLA OS Rep 980 Nr. 33690. 1121 Bürgermeister Beek an Landkreis, Schreiben vom 7. Oktober 1947, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 304. 1122 Vermerk des Landkreises vom 28. Oktober 1949, ebd. 1123 Bürgermeister Dreier an den Landrat, Schreiben vom 3. April 1946, ebd. 1124 Ebd.; »Walter Riepenhoff gestorben. Als Gemeindedirektor das Gesicht Hagens mitgeprägt«, NOZ, 9. Juli 2016. 1125 Protokoll der öffentlichen Ratssitzung am 9. Dezember 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 115.

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Durch den rasanten Bevölkerungszuwachs wuchs nach dem Krieg der Bedarf nach einer gesicherten Wasserversorgung. Erst 1966 gelang es, Wasservorräte der Bundesbahn für die Gemeinde zu nutzen. Doch dazu musste zunächst eine kostspielige Oberwasserleitung gebaut werden.1126 Anfang der 1960er Jahre befanden sich 167 Betriebe mit 832 Beschäftigten1127 in Holzhausen, die meisten davon im Ortsteil Sutthausen, das waren jeweils eine Fabrik für Damenwäsche, Elektromaschinen, Stilmöbel, Rolladen, Eiscreme und ein Möbelhandel, dazu die Beschützenden Werkstätten für Behinderte und ein Jugendhof der Arbeiterwohlfahrt.1128 Die Gemeinde kam infolge des rasanten Bevölkerungszuwachses mit den Investitionen kaum noch nach. Ende 1969 wurde ein Investitionsbedarf für Regenwasserkanalisation, Ausbau von Kreis- und Gemeindestraßen, Straßenbeleuchtung und die Einrichtung eines Kinderspielplatzes von 8.172.90 DM ermittelt.1129 Die Schulden, die bereits für die Wasserversorgung gemacht wurden, beliefen sich auf 350.000 DM. Der Haushalt 1969 wies einen Fehlbetrag von 1.265.830 DM aus. »Bei diesem Schuldendienst dürfte die vertretbare Verschuldungsgrenze erreicht sein«,1130 urteilten die Ratsherren selbst.

3.2.2. Interkommunale Zweckverbände 3.2.2.1. Abwasserverband ›Obere Düte‹ Der Zweckverband ›Obere Düte‹ wurde offiziell am 20. März 1961 gegründet. Die Körperschaft öffentlichen Rechts hatte die Aufgabe, eine Kläranlage zu bauen und für Ausbau und Unterhaltung der Wasserleitungsnetze in den Mitgliedsgemeinden zu sorgen. Etwa 13 Personen waren bei dem Zweckverband ›Obere Düte‹ beschäftigt.1131 Der Verband wurde aus den Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg, Holzhausen (gesamt), Kloster Oesede und Oesede,1132 also mit Ausnahme Holsten-Mündrups von den Gemeinden, die später auch die Stadt Georgsmarienhütte gründeten, gebildet. Der Sitz des Verbandes war in der Gemeinde Oesede. Die Kosten wurden auf die Gemeinden verteilt. Im Jahr 1967 sah die Verteilung wie folgt aus: 1126 1127 1128 1129

Elixmann: Die Entwicklung Holzhausens seit 1900, S. 110. Ergebnisse der Volkszählung 1961, NLA OS Dep 81 b Nr. 69. »Osnabrück hat einen neuen Stadtteil« NOZ, 7. März 1970. Protokoll der Sitzung des Finanzausschusses am 5. Dezember 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 115. 1130 Ebd. 1131 Genau: Ein Beamter, acht Angestellte in Vollzeit, zwei Teilzeitkräfte im Angestelltenverhältnis und drei Arbeiter, NLA OS Dep 81 b Nr. 311. 1132 NLA OS Dep 81 b Nr. 309.

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Mitgliedsbeiträge des Abwasserverbandes ›Obere Düte‹ 19671133 Gemeinde Oesede Georgsmarienhütte Holzhausen Kloster Oesede Harderberg

Betrag 70.228 DM 53.545 DM 48.190 DM 24.085 DM 9.885 DM

Prozentualer Anteil 34 % 26 % 23 % 12 % 5%

Die Sitzungen verliefen, soweit aus den Protokollen ersichtlich, konfliktfrei. Allerdings gab es ab 1963 zahlreiche Widersprüche gegen erteilte Gebührenbescheide. Immer wieder wurden dem Verband Klagen zugestellt. Der Georgsmarienhütter Gemeindedirektor Trepper klagte vor dem Verbandsausschuss, dass viele Grundstücksbesitzer »nicht daran dächten«1134 die Kanalbenutzungsgebühr zu bezahlen. Hervorzuheben ist der Vertrag, den der Verband am 23. Dezember 1965 nach einjähriger Vorbereitungszeit mit den Klöckner-Werken schloss. Dieser sah vor, dass das Werk sein Abwasser – keine Industrieabwässer – in das neugebaute Klärwerk leiten durfte und dafür ein Entgelt gemäß der Gebührenordnung zahlte. Darüber hinaus regelte der Vertrag aber auch weitere finanzielle Verpflichtungen gegenüber dem Verband. Die KlöcknerWerke zahlten die kompletten Stromkosten und einen Festkostenanteil von 2.500 DM für Wartungs- und Unterhaltungskosten.1135 3.2.2.2. Der Nachbarschaftsverband Auch in Schulangelegenheiten wurde Anfang der 1960er Jahre zwischen den Kommunen eine Kooperation unumgänglich. Die Mittelschule war nur unzureichend im Schulgebäude der Volksschule an der Kirchstraße in der Gemeinde Georgsmarienhütte untergebracht. Das Gesundheitsamt äußerte ernsthafte Bedenken über den weiteren Betrieb der Schule: die sonnenlosen Klassenräume seien überbelegt, das Dach der Schule undicht und der Untergrund des zu kleinen Schulhofes besonders unfallträchtig.1136 Ein Neubau der Schule scheiterte jedoch bisher daran, dass sich die geeigneten Grundstücke nicht in der Hand der Gemeinde befanden.1137 Doch Anfang der 1960 Jahre konnte die Gemeinde Georgsmarienhütte einen Neubau auf einem gemeindeeigenen Grund1133 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 15. März 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1134 Protokoll der Zweckverbandssitzung am 3. Dezember 1963, NLA OS Dep 81 b Nr. 309. 1135 Vertrag zwischen den Klöckner-Werken und dem Abwasserzweckverband ›Obere Düte‹, ebd. 1136 Staatliches Gesundheitsamt an die Gemeinde Georgsmarienhütte, Schreiben vom 8. Dezember 1958, NLA OS Dep 81 b Akz 2008/030 Nr. 32. 1137 Protokoll der Sitzung des Bauausschusses Georgsmarienhütte am 7. Januar 1960, ebd.

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stück planen, und schmiedete Pläne für ein großes Schulzentrum im Bereich Haseldehnen/Bachstraße, mit denen sie schon bald an die Öffentlichkeit ging.1138 Die Gemeinde Oesede hingegen wollte mit der Nachbarkommune gemeinsam eine größere Schule bauen, die am Carl-Stahmer-Weg in unmittelbarer Nähe zur Villa Stahmer gelegen sein sollte. Doch die Gemeinde Georgsmarienhütte lehnte ein gemeinsames Schulprojekt strikt ab. In einer Besprechung mit Vertretern der Regierung, des Landkreises Osnabrück und beiden Gemeinden wurde 1961 das Problem erörtert.1139 Erst als ein Regierungsvertreter den Georgsmarienhütter Ratsherren klarmachte, dass es für einen Schulstandort Haseldehnen keinerlei Zuschüsse geben würde, lenkten die Ratsleute aus Georgsmarienhütte ein. Allerdings stellten sie Bedingungen dafür, dass sie dem Zweckverband beitraten: Das Grundstück an der Villa Stahmer sollte von der Gemeinde Oesede kostenlos zur Verfügung1140 gestellt werden und die Gemeinde 50 % der Kosten tragen. Darüber hinaus bestand der Wunsch, dass das Grundstück nach Fertigstellung der Schule aus dem Oeseder Gemeindegebiet ausgegliedert würde. Dies war für den damaligen Oeseder Bürgermeister Wallrath Eichberg, der miterlebt hatte, wie 1937 Teile des Oeseder Gemeindegebietes nach Georgsmarienhütte umgemeindet wurden, eine konfliktträchtige Forderung.1141 Die Bildung eines Zweckverbandes sollte aber nicht an der Umgemeindung dieses Grundstücks scheitern, erklärten die Oeseder Ratsleute nach ausführlicher Debatte. Freilich erwartete Oesede einen Gebietsausgleich und zwar keinesfalls den Osterberg1142 sondern »interessantes Gebiet«.1143 Der erst seit zwei Jahren in Oesede amtierende Oeseder Gemeindedirektor Rolfes forderte von seinen Ratsleuten, dass man von dem »Diktat der Gemeinde Georgsmarienhütte wegkommen«1144 müsse zu einer Partnerschaft. Die Verhandlungen führten zu einem sichtbaren Ergebnis. Die Tatsache, dass die finanzschwache Gemeinde Oesede für eine Mittelschule Zuschüsse beantragen konnte, die anschließend auf Georgsmarienhütter Gemeindegebiet stehen würde, machte die Georgsmarienhütter Ratsleute kooperationsbereit, und

1138 »Ein Schulzentrum für Georgsmarienhütte« OT, 5. Januar 1961. 1139 Besprechung wegen des Mittelschulproblems am 13. Juni 1961, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 16, Ordner 45, Teil 1. 1140 Die Gemeinde Oesede tauschte das Grundstück, das den Klöckner-Werken gehörte, gegen ein anderes auf der Osterheide, das für sie nicht brauchbar war, Protokoll der VA-Sitzung am 12. März 1962, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 4, Ordner 25, Teil 1. 1141 Siehe Kapitel 2.2. Die Zusammenlegungen der Gemeinden Georgsmarienhütte mit Malbergen und Oesede mit Dröper, S. 56. 1142 Siehe Kapitel 2.1. Die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 43. 1143 Besprechung des Gemeinderates über das Mittelschulproblem am 13. November 1961, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 16, Ordner 45, Teil 1. 1144 Ebd.

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im September 1961 stimmten sie der Bildung eines Zweckverbandes zu,1145 dessen Satzung am 24. Oktober 1961 in Kraft trat.1146 Bis zur Fertigstellung der Schule 1965 kam es noch zu drei Konflikten, die das Spannungsfeld des späteren Aushandlungsprozesses um die Gründung der Stadt schon in etwa absteckten. Durch die Presse erfuhr der Oeseder Gemeinderat, dass die Georgsmarienhütter Ratsleute die Nachfolge von Mittelschulrektor Wallis allein entschieden hatten. Sie hatten sich im Frühjahr 1962 für den in Bentheim amtierenden und aus Georgsmarienhütte stammenden Helmut Stahlmann entschieden, ohne die Nachbargemeinde einzubeziehen. Die Vereinbarung, sich bei der Besetzung der Stelle vorher abzusprechen, sei von Georgsmarienhütte aus »vollständig ignoriert worden«,1147 das sei ein eklatanter Vertrauensbruch. Ein weiterer Konfliktpunkt stellte die vereinbarte Umgemeindung des Grundstückes dar. Im Februar 1963 forderte der Georgsmarienhütter Gemeindedirektor Trepper das Versprechen der Oeseder Ratsleute ein, das Grundstück, auf dem die Mittelschule sich nun im Bau befinde, nach Georgsmarienhütte umzugemeinden.1148 Dagegen sträubte sich die Oeseder Verwaltung. Der stellvertretende Oeseder Gemeindedirektor Borgmeyer hielt in einem Vermerk über eine Besprechung mit dem Georgsmarienhütter Bürgermeister Intrup fest, wie der damalige Oeseder Bürgermeister Eichberg auf die Ereignisse des Jahres 1937 zu sprechen kam, als Oesede an Georgsmarienhütte ein kleines Gebiet abtreten musste, wegen der sich die Gemeinde Oesede schwer tue, Georgsmarienhütte Oeseder Gebiet abzugeben. Als Oesede jedoch als Ausgleich ein Stück Werksgelände für sich beanspruchte, was sich bei der Berechnung der Steuerausgleichszahlungen auswirken könnte, habe Bürgermeister Intrup mit dem Ausstieg aus dem Zweckverband gedroht. Warum der Gemeinde Georgsmarienhütte die Umgemeindung so wichtig war, darüber konnte Borgmeyer nur spekulieren. »Aus der anschließenden Aussprache konnte aber entnommen werden, daß die Frage der Umgemeindung mit der Benennung der Mittelschule in Zusammenhang steht.«1149 Wenn die Schule die Bezeichnung ›Mittelschule Georgsmarienhütte‹ führen dürfe, dann würde auf die Umgemeindung möglicherweise verzichtet. »Direkt gesagt worden ist dieses allerdings nicht.«1150 1145 Protokoll der VA-Sitzung der Gemeinde Oesede vom27. September 1961, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 4, Ordner 25, Teil 1. 1146 Satzung für den Zweckverband zum Bau und zur Unterhaltung einer Mittelschule, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 16, Ordner 45. Teil 1. 1147 Protokoll der VA-Sitzung der Gemeinde Oesede vom 17. April 1962, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 4, Ordner 25, Teil 2. 1148 Gemeindedirektor Trepper an Gemeindedirektor Rolfes, Schreiben vom 19. Februar 1963, NLA OS Dep 81 b Nr. 236. 1149 Vermerk Borgmeyers vom 28. Februar 1963, ebd. 1150 Vermerk Borgmeyer vom 5. März 1963, ebd.

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Die Umgemeindungsfrage führte zum nächsten Konfliktpunkt: die Namensgebung der Realschule. Schon zwei Jahre vor der offiziellen Einweihung machte sich der Oeseder Gemeinderat Gedanken, die jedoch innerhalb des Zweckverbandes nicht weiter diskutiert wurden.1151 Nach der Übergabe des Schulgebäudes 1963 hatte der Zweckverband nur noch die Aufgabe, das Gebäude zu verwalten und Personalangelegenheiten zu klären. Der Verband hatte also Kapazitäten frei, um weitere Aufgaben zu übernehmen. Aber nicht nur das, die Zusammenarbeit im Zweckverband hatte zu einem sichtbaren Ergebnis geführt, diese Erfahrung konnte auch bei anderen Projekten von Nutzen sein. Um die Erfahrungen dieser Form der interkommunalen Zusammenarbeit auch bei anderen Vorhaben in Anwendung zu bringen, sollte der Zweckverband 1966 als ›Mehrzweckverband Georgsmarienhütte-Oesede‹ im Sprachgebrauch als Nachbarschaftsverband neu gegründet werden. Ziel war die zeitnahe Realisierung des geplanten Hallen- und Freibades.

3.2.2.3. Entwicklung des Mehrzweckverbandes aus dem Schulverband Erste Gedanken ein Hallenbad zu bauen, wurden in Oesede schon kurz nach der Währungsreform 1948 geäußert.1152 Wegen der aufwändigen Finanzierung war aber lange Zeit nicht an eine Umsetzung zu denken. Ähnlich wie beim Mittelschulproblem, hatten die Oeseder Ratsleute bereits seit Beginn der 1960er Jahre bei der Gemeinde Georgsmarienhütte nach einer Kooperation angefragt, aber die Nachbarkommune signalisierte zunächst kein Interesse. 1963 entnahm ein Oeseder Ratsherr der Tageszeitung, dass die Gemeinde Georgsmarienhütte sich ebenfalls mit dem Gedanken trage, ein Hallenbad zu bauen, der Standort sollte in der Nähe des Waldbades, also weit auf Georgsmarienhütter Gemeindegebiet, sein.1153 Ein Jahr später holte Georgsmarienhütte ein Gutachten über die Standortfrage des Bades ein, was Oesede zu einem Gegengutachten veranlasste.1154 Wenig später machten Mitarbeiter der Kreisverwaltung Druck, die Standortfrage zu klären, da die Landesmittel sonst in andere Landkreise des Regierungsbezirkes fließen würden. Auch Oberkreisdirektor Backhaus machte unmissverständlich klar, dass nur ein gemeinsames Bad bezuschusst würde.1155 1151 Protokoll der VA-Sitzung vom 15. Februar 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 1152 Protokoll der Gemeinderatssitzung Oesede vom 5. Juli 1962, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 4, Ordner 25. Teil 2. 1153 Protokoll der Sitzung des Kultur,-Jugend- und Sportausschusses Oesede vom 25. Juli 1963, NLA OS Dep 81 b Akz 2011/104 Nr. 1. 1154 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 13. Oktober 1964, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 3, Ordner 24, Teil 2. 1155 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 3. Dezember 1964, ebd.

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Ein weiteres Jahr später wurden die Georgsmarienhütter Pläne noch einmal geändert, die Gemeinde plante nun ein Hallenbad an der Ecke Sonnenpfad/ Heydeweg (heute Forstweg).1156 Wäre dieser Plan umgesetzt worden, hätte die Gemeinde Oesede den Heydeweg auf ihre Kosten ausbauen müssen. Daher bevorzugte die Gemeinde Oesede einen Standort neben der in Bau befindlichen Mittelschule/Realschule.1157 Im Juli 1965 stimmte die Gemeinde Georgsmarienhütte endlich der Bildung eines Zweckverbandes zu, unter der Voraussetzung, dass die Gemeinde Oesede sich zu 50 % an den Kosten beteilige.1158 Das weist darauf hin, dass die Gemeinde die Kosten für das Projekt deutlich senken wollte, um die eigene Gemeindekasse zu schonen. Das wiederum ist ein deutliches Anzeichen für eine sich verändernde Finanzlage in der als reich geltende Gemeinde. Als sich herausstellte, dass die hygienischen Verhältnisse des Waldbades nicht den Vorschriften entsprachen und das Staatliche Gesundheitsamt das mit Quellwasser gespeiste Bad als »behelfsmäßige Badeeinrichtung«1159 beurteilte, brachten die Georgsmarienhütter den Vorschlag, zusätzlich noch ein gemeinsame Freibad zu bauen.1160 Auch hier wird deutlich, dass Georgsmarienhütte den kommunalen Standard halten wollte, aber die Nachbargemeinde zur Hälfte an den Kosten beteiligen wollte. Im Mai 19661161 kaufte Rolfes für die Gemeinde Oesede vorsorglich das Grundstück neben der Realschule, das jedoch später fürs Gymnasium gebraucht wurde. Doch zunächst musste der Zweckverband neu gegründet werden. Als erste Gemeinde legte Georgsmarienhütte einen Satzungsentwurf vor, der ganz auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten war. Die Kassengeschäfte sollten in der Georgsmarienhütter Verwaltung geführt werden, wo auch der Verband seinen Sitz haben soll. Der Katalog der gemeinsamen kommunalen Aufgaben wurde über die ursprüngliche Absicht, ein Hallenbad zu bauen, um einige Punkte erweitert. Zu denen gehörten nicht nur Ausbau und Unterhaltung einiger Straßen wie der Osterberger Weg, der Heydeweg und der Feldweg, der vom Hallenbad auf den Heydeweg führen sollte, sondern auch das Georgsmarienhütter Krankenhaus, das saniert und um einen Anbau erweitert werden sollte.

1156 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 2. Februar 1965, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 9, Ordner 33, Teil 2. 1157 Ebd. 1158 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 5. Juli 1965, ebd.; und Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 10. November 1965, ebd. 1159 Protokoll des Kultur-Jugend-und Sportausschusses Georgsmarienhütte vom 8. März 1965, NLA OS Dep 81 b Akz 2011/104 Nr. 1. 1160 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 16. Februar 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 8, Ordner 32, Teil 1. 1161 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 25. Mai 1966, ebd.

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Die Finanzierung aller gemeinsamen Projekte sollte durch eine Umlage zu je 50 % geschehen.1162 Darauf ließen sich die Gemeindevertreter aus Oesede nicht ein, rigoros strichen die Herren die Paragraphen, die nichts mit der Unterhaltung der Realschule und dem Bau des Hallenbades zu tun hatten. Stattdessen wurden zwei Paragraphen aufgenommen, die nicht nur die Übertragung weiterer Aufgaben ermöglichten, sondern auch den Beitritt weiterer Gemeinden. Auch beim Sitz des Verbandes hatten die Vertreter Oesedes Vorschläge: die Gemeinde Georgsmarienhütte sollte Verbandssitz sein, sofern Angelegenheiten der Realschule behandelt wurden, während die Gemeinde Oesede Verbandssitz sein sollte, sofern Angelegenheiten des Hallenbades behandelt wurden. Die Umlage je zur Hälfte blieb.1163 Die Satzung in der Oeseder Version wurde von den Georgsmarienhütter Ratsleuten im Wesentlichen akzeptiert und von Gemeindevertretern beider Gemeinden am 13. Juli 1966 unterschrieben, im August gab der Landkreis Osnabrück sein Placet1164 und im November fand die konstituierende Sitzung statt. Bereits Anfang Juni berichtete die Tageszeitung NT über die Gründung des Verbandes, das »wie ein Rahmengesetz das kommunale Miteinander der beiden Großgemeinden gewährleisten«1165 soll und zitierte Oesedes Bürgermeister, Ludwig Siepelmeyer, der in der Zweckverbandssatzung einen »Verlobungsvertrag, der in Etappen schließlich mit der Vermählung (e i n e Großgemeinde) [Klammern und Hervorhebung im Original. I.B.] erfüllt werden dürfte.«1166 Von Großgemeinde und Zusammenschluss sprach aber nicht nur die NT, auch die FP griff den Gedanken auf. Letztere zitierte den Georgsmarienhütter Ratsherrn, Harry Brunsmann in Zusammenhang mit der konstituierenden Sitzung im November 1966: »Wir sollten eine Stadt werden.«1167 Über den Aushandlungsprozess, der der Besiegelung der Satzung durch Unterschrift vorausging, schwiegen sich die Quellen aus. Ein Hinweis über die informelle Form der Aushandlung lieferte jedoch die Presse. Im Juni 1966 stellte die Oeseder CDU-Fraktion in der NT den Nachbarschaftsverband als ihr Werk dar und ließ die Anteile der beiden SPD-Fraktionen im Oeseder und Georgsmarienhütter Gemeinderat unter den Tisch fallen. Dementis wurden geschrie1162 Satzungsentwurf der Gemeinde Georgsmarienhütte, undatiert, NLA OS Dep 81 b Nr. 320. 1163 Ebd. 1164 Genehmigung des Landkreises Osnabrück vom 4. August 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 44/ 1992 Nr. 164. 1165 »Oesede: Ja, zur ›Verlobung‹ mit Gmhütte. Gemeinderat einmütig für Nachbarschaftsverband – Jetzt muß Gmhütte sein ›Ja – Wort‹ geben – Chancen für Hallen- und Freibad stehen günstig – Erklärungen von Siepelmeyer und Pilger«, NT, 1. Juni 1966. 1166 Ebd. 1167 »Werden Oesede und Georgsmarienhütte bald eine Gemeinde?«, FP, am 15. November 1966.

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ben, und die NT, die nicht unerheblichen Anteil an der Aufregung hatte, kommentierte: »Wir dürfen anmerken, daß nach unserer Kenntnis gemeinsame ›Fraktionssitzungen‹ der SPD Ratsmitglieder von Gmhütte und Oesede oftmals nicht auf formelle Einladung hin und mit Tagesordnung stattfinden, sondern daß es eine Benehmensherstellung auch sozusagen auf dem Arbeitsplatz im Hüttenwerk im kollegialen Kreise gibt.«1168 Ein Hinweis, der im Hinblick auf den späteren Aushandlungsprozess nicht ohne Bedeutung ist, denn nicht für alle Aushandlungsergebnisse ist der Aushandlungsverlauf innerhalb der Ratsprotokolle nachvollziehbar. Diese kommunale Zusammenarbeit im sog. Nachbarschaftsverband verlief alles andere als harmonisch. Zunächst musste Rolfes ein weiteres Grundstück beschaffen. Die für das Hallenbad vorgesehene Fläche wurde für den Bau des Gymnasiums verwandt, aber Rolfes gelang der Ankauf eines ganz in der Nähe gelegenes Grundstück unterhalb des Sportplatzes.1169 Dort wurde das Bad nach langer Planungsphase endlich gebaut, doch vor der Fertigstellung gab es noch eine Überraschung. Als 1969 die erste Abschlagszahlung in Höhe von 50.000 DM fällig wurde, beglich Oesede den Betrag sofort, während die Gemeinde Georgsmarienhütte mitteilen musste, dass sie nicht zahlungsfähig sei. Die Gemeinde wollte die Umlage durch den Verkauf eines gemeindeeigenen Grundstücks begleichen, doch es hatte sich keinen Käufer gefunden. Oesede wies auf die Zahlungsflicht der Gemeinde hin.1170 Wie Georgsmarienhütte ihrer Zahlungspflicht nachgekommen, ist nicht bekannt. Am 19. September 1970 innerhalb der Festwoche zur Stadtgründung wurde das Bad eröffnet.1171 Die kommunalen Zweckverbände zeigen deutlich, wie schwer es für eine einzelne Kommune war, ein größeres Projekt wie eine weiterführende Schule oder ein Hallenbad zu realisieren oder elementare Grundlagen der Daseinsvorsorge wie die Abwasserbeseitigung zu schaffen. Die Notwendigkeit, mit der Nachbarkommune zusammenzuarbeiten, ließ Akteure auf der Suche nach geeigneten Kooperationspartnern über die Grenzen ihrer eigenen Gemeinde hinaus blicken. Dabei spielte etwaiges Konfliktpotential zwischen Akteuren keine Rolle, eine Nachbarkommune konnte sich schließlich keiner aussuchen. Die Gemeinde Georgsmarienhütte war zunächst nicht bereit, einem Zweckverband beizutreten. Erst nachdem übergeordnete Stellen den politisch Ver1168 »Kommentar«, NT, 1. Juni 1966. 1169 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 30. August 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 1170 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 10. September 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 1. 1171 »Das Festprogramm zur Stadtwerdung vom 18. bis 26. September 1970«, NOZ, 18. September 1970.

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antwortlichen in Georgsmarienhütte klarmachten, dass sie ansonsten einen finanziellen Nachteil zu erwarten hätten, bequemten sie sich zu einer Mitgliedschaft in einem Zweckverband. Dann aber diktierten sie die Bedingungen, unter denen sie sich beteiligen wollten. Der von außen kommende Rolfes durchschaute das Handlungsmuster und sprach unmissverständlich von einem Diktat der Gemeinde Georgsmarienhütte, von dem man wegkommen müsse. Bei allen Projekten war die Gemeinde Oesede mit ihrem Gemeindedirektor Rolfes die treibende Kraft. Er suchte die Zusammenarbeit mit der Gemeinde Georgsmarienhütte, führte die schwierigen Verhandlungen mit den Bauern um Grundstücke, wobei oft mehrere Eigentümer parzellenweise Anteil an der gewünschten Fläche hatten und wickelte die Ankäufe durch die Gemeinde Oesede und Verkäufe an den Nachbarschaftsverband ab. An den Verhandlungen wird folgendes deutlich: Oesede suchte aktiv Lösungen für ein einmal erkanntes Problem. Es fehlte eine Mittelschule, also wurde überlegt, ob man nicht gemeinsam mit der Nachbarkommune eine bauen könnte; es wurde ein Schwimmbad gewünscht, also fragte man, ob die Nachbargemeinde, Interesse an einem gemeinsamen Bau hat. Zuschussgebende Instanzen waren ebenfalls nicht abgeneigt, Synergieeffekte zu nutzen. Das Erreichen des Ziels ›Mittelschule‹ wurde von Oesede für so wichtig erachtet, dass Zugeständnisse an die Nachbargemeinde gemacht wurden, ohne deren Mitgliedschaft im Zweckverband Oesede dieses Ziel nicht erreichen konnte. Das betraf die Umgemeindung des Grundstückes und das Einlenken in der Namensfrage der Realschule. Die Tatsache, dass Georgsmarienhütte auf die Mitgliedschaft der Oeseder im Zweckverband genauso angewiesen war wie umgekehrt, wurde nicht gesehen. Auch Georgsmarienhütte hätte keine Mittelschule bezuschusst bekommen, wenn die Gemeinde das Vorhaben allein realisiert hätte. Hier trat ein Handlungsmuster unter den beteiligten Akteuren zu Tage, das während des Aushandlungsprozesses innerhalb der Gebietsreform noch einmal zur Anwendung kam. Auch wird an dem gescheiterten Versuch, der Realschule, wie die Mittelschule seit Bezug der neuen Gebäude bezeichnet wurde, einen Namen zu geben, deutlich, dass der Konflikt um den Namen der neuen Gebietskörperschaft ein Jahr später mindestens einen Vorläufer hatte.

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3.2.3. Kommunale Aufsichtsbehörden 3.2.3.1. Der Landkreis »Der Landkreis ist eine Verwaltungsstruktur«,1172 er stellt einerseits einen Verband aus selbständigen Gemeinden und andererseits eine kommunale Gebietskörperschaft mit dem Recht der Selbstverwaltung dar. Er übernimmt als Verwaltungseinheit Aufgaben von überörtlicher Bedeutung oder Aufgaben, die die Möglichkeiten der kreisangehörigen Gemeinden übersteigen. Der Landkreis unterstützt und fördert die kreisangehörigen Gemeinden, aber er wirkt auch als kommunale Aufsichtsbehörde, während er selbst bis zu deren Auflösung im Jahr 2004 von der Bezirksregierung beaufsichtigt wird. Er kann von Bund, Land und Bezirksregierung mit bestimmten Aufgaben beauftragt werden.1173 Seine Organe sind der Kreistag, der in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen durch die wahlberechtigten Bürger_innen des Kreises gewählt wird, der Kreisausschuss und der/die Landrat/Landrätin. Der Kreistag kann keine Gesetze erlassen, er bildet vielmehr das Kontrollorgan des/ der Landrates/Landrätin und der Kreisverwaltung, die bis zur Abschaffung der Doppelspitze 2002 vom Oberkreisdirektor geleitet wurde. Dieser wurde als Beamter auf Zeit gewählt, während der Landrat ehrenamtlich tätig war.1174 Der Landkreis Osnabrück wurde im Jahr 1967 immer noch geleitet von Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus, der seit 1964 von Josef Tegeler1175 als ehrenamtlichem Landrat unterstützt wurde. Mitte der 1960er Jahre gehörten zum Landkreis Osnabrück 77 Gemeinden, die sich auf 61.113 ha verteilten. 29 Gemeinden gehörten zum unmittelbaren ›Verdichtungsraum‹ Osnabrück, und 45 Gemeinden wurden zum Umlandbereich gezählt. Der Landkreis Osnabrück 1172 Stephanie Haberer: Verfassungsrechtliche Grundlagen des Landkreises, in: Beuke: Zu Hause zwischen Hof und Stahl, S. 135–145, hier S. 135. 1173 Ebd. 1174 Ebd., S. 136. 1175 Josef Tegeler wurde am 8. Dezember 1926 geboren, versah ab 1943 den Wehrdienst bei der Luftwaffe und kehrte schwer verwundet aus dem Krieg zurück. 1959 gründete er einen VW-KFZ Betrieb in der Gemeinde Georgsmarienhütte, fünf Jahre später richtete er einen weiteren Betrieb in der Gemeinde Oesede ein. Seit 1953 Mitglied in der CDU, bekleidete er in dieser verschiedene Ämter. Von 1961 bis 1969 war Tegeler Mitglied im Georgsmarienhütter Gemeinderat, zusätzlich saß er von 1961 bis 1996 im Kreistag und von 1963 bis 1974 im niedersächsischen Landtag. Das Amt des Landrates hatte er von 1964 bis 1993 inne. Seit er durch Manfred Hugo abgelöst wurde, trug er den Titel des Ehrenlandrates. Mit zahlreichen Auszeichnungen für seine politische Tätigkeit versehen, verstarb er am 19. August 2013, vgl.: Todesanzeige für Josef Tegeler NOZ, 21. August 2013; »Ehrenlandrat Josef Tegeler verstorben«, NOZ, 20. August 2013; Der Landkreis Osnabrück im Überblick, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 46; Abgeordnete in Niedersachsen 1946–1994. Biographisches Handbuch, hrg. v. Präsidenten des niedersächsischen Landtages, bearb. von Barbara Simon, Hannover 1996.

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umschloss die kreisfreie Stadt Osnabrück fast vollständig und war der bedeutendste Landkreis im Regierungsbezirk Osnabrück. Kreissitz war seit 1953 die Stadt Osnabrück. 1968 lebten im Kreis 134.000 Einwohner_innen, davon waren 52,3 % weiblich und 47,7 % männlich. Knapp die Hälfte der Einwohner_innen war im erwerbsfähigen Alter, das waren 62.300 Personen. 17,7 % waren in der Landwirtschaft beschäftigt und 53,3 % im produzierenden Gewerbe, in Handel und Verkehr verdienten 15,3 % ihr Geld, und 13,7 % gingen einer sonstigen Dienstleistung nach. 36.620 Arbeitsplätze befanden sich innerhalb des Landkreises, der zu 57 %, das waren 35.000 ha, landwirtschaftlich genutzt wurde. 67,2 % der Arbeitnehmer_innen pendelten aus, und 25,8 % der Arbeitnehmer_innen pendelten zum Arbeiten in den Landkreis. Die Bevölkerungsentwicklung ließ eine weitere Bevölkerungszunahme vermuten. In den Jahren 1963–1966 waren 8.215 Personen zugezogen, was in etwa der damaligen Größe der Gemeinde Oesede entsprach. Es wurde mit einer Bevölkerungszunahme auf 195.000 Menschen bis zum Jahr 2000 gerechnet.1176 Der Personalbestand des Landkreises umfasste 1966 laut Stellenplan 29 Beamte, 235 Angestellte, 66 Lehrlinge, 7 Aushilfen und 43 Putzfrauen, insgesamt 380 Personen. Ein Gutachten prognostizierte weiteren Personalbedarf, der 1967 um 15 Personen auf 395 Personen erfüllt wurde. Zwar gingen die Aufgaben, die infolge des Krieges angefallen waren, zurück, es standen aber die Aufgaben an, »die aus dem steigenden Wohlstand«1177 resultierten. In der Tat waren vermehrte Aufgaben im Bereich Planung und Wirtschaftsförderung, aber auch in der Wasser- und Abwasserwirtschaft, Straßenbau, Verkehr, Beseitigung von Abfallstoffen, Schulwesen, Gesundheitswesen, Errichtung und Unterhaltung von sozialen Einrichtungen, Jugendpflege, Bildungswesen, Freizeitgestaltung sowie Aufgaben der Landesverteidigung und des zivilen Bevölkerungsschutzes auszumachen.1178 Zwei Bereiche wurden als besonders dringlich angesehen: Die flächendeckende Versorgung des Kreises mit Krankenhäusern und die Schulversorgung. Sieben Krankenhäuser mit jeweils ca. 300 Betten hatte der Kreis eingerichtet, bei denen er 40 % der Baukosten übernommen hatte, die jedoch in freier Trägerschaft ohne laufenden Zuschuss durch den Kreis auskommen sollten. Anfang 1958 zeichnete sich ab, dass der Katharinenorden, der bislang die Trägerschaft für das Waldkrankenhaus in Bad Rothenfelde inne hatte, sich aus der Trägerschaft zurückziehen und das Krankenhaus aufgeben würde. Für den Landkreis 1176 Der Landkreis im Überblick 1967, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 46. 1177 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 24. Januar 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 1178 Ebd.

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Osnabrück bedeutete dies, dass 300–350 Betten in naher Zukunft fehlen würden. Der Exekutivausschuss des Landkreises begab sich sofort auf die Suche nach einem neuen Standort und einem neuen Träger. Im Gespräch waren der bisherige Standort Strang in Bad Rothenfelde, der Herrenrest in Oesede, ein Grundstück in Borgloh, Bad Iburg oder der Nordhang der Gemeinde Harderberg. Zwei Gutachten sprachen sich für den Standort in der Gemeinde Harderberg aus und so entschied der Kreistag in seiner Sitzung am 28. Juli 1958, das neue Schwerpunktkrankenhaus dort zu bauen. Landtagsabgeordnete rieten davon ab, das Krankenhaus in Trägerschaft des Landkreises zu führen. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass ein freier Träger ein Krankenhaus kostengünstiger betreiben könne als die öffentliche Hand. Die Suche nach einem Träger gestaltete sich schwieriger als die Suche nach dem Standort. Sowohl von evangelischer als auch katholischer Seite wurde starkes Interesse bekundet. Die Wahl fiel schließlich auf die Pflegeanstalt Georgsstift in Thuine.1179 Das Georgsstift begann mit dem Bau auf eigene Rechnung im Jahr 1960, der Landkreis sagte einen Zuschuss von 30 % zu.1180 1966 nahm das Krankenhaus unter dem Namen Franziskushospital, dessen Gesamtkosten mit 19,5 Mio. DM beziffert wurden, seinen Betrieb auf.1181 Der zweite große Themenkomplex war die Schulversorgung. Alle Gemeinden klagten über einen »Schulnotstand«.1182 Jedes Jahr wurden im Kreis ca. 3.000 Kinder geboren,1183 die Klassenfrequenz betrug zwischen 32,6 und 36,3 Kinder pro Klasse. Der Landrat Josef Tegeler erwirkte beim Kultusministerium den Bau von acht Gymnasien im Landkreis. »Der Kultusminister wies hierbei auf den Raum Dütetal hin, wo er ein weiteres Gymnasium für erforderlich hält.«1184 Außerdem sollte in Oesede eine neue Volksschule für etwa 1 Mio. DM gebaut werden.1185 Mit dem Bau des Gymnasiums hatte es eine Besonderheit auf sich: Ein starkes Engagement für die Schule ging von dem Oeseder Johannes Voetlause aus, der Vorsitzender des Kreisschulausschusses war und in Oesede die Katholische Landvolkhochschule leitete. 27 Klassen müsse das neue Gymnasium umfassen. Auf Turnhalle und Schwimmhalle könne zunächst verzichtet werden, da ja die Realschulturnhalle und das kommunale Schwimmbad bereits in Planung 1179 Abschrift einer Aufzeichnung von Landrat Walter Giesker, NLA OS Erw A 37 Akz 73/1999 Nr. 3. 1180 Protokoll der Kreistagssitzung am 30. Januar 1960, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 50. 1181 Protokoll der Finanzausschusssitzung am 14. November 1966, ebd. 1182 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 24. Januar 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 1183 Bericht des Vorsitzenden des Schulausschusses, Johannes Voetlause, Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 22. Juni 1966, ebd. 1184 Protokoll der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 21. März 1966, ebd. 1185 Protokoll der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 16. März 1966, ebd.

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seien.1186 Während der Nachbarschaftsverband in enger Abstimmung mit dem Kreis erschlossenes Gelände zur Verfügung stellen sollte, liefen die Planungen im Jahr 1967 gemächlich an.1187 Im August desselben Jahres herrschte jedoch Panikstimmung. Die Stadt Osnabrück plante ein Mädchengymnasium, und das Kultusministerium hatte das Gymnasium für die Kommunen zwischen Osnabrück und Iburg aus dem Investitionsplan gestrichen. Landrat Tegeler intervenierte und erwirkte, dass der Schulbau wieder aufgenommen wurde. Allerdings machte das Ministerium zur Auflage, dass die Bauaufträge bis spätestens zum 15. Oktober 1967 vergeben worden sein müssen. Das Schulbauprogramm war Teil eines Planes der Bundesregierung zur Konjunkturbelebung im Kontext der Wirtschaftskrise 1966/1967. Die Bundesregierung wollte mit der Terminierung sicherstellen, dass die bereitgestellten Mittel auch zeitnah in die Wirtschaft zurückflossen. 312.000 DM Bundesmittel und 250.000 DM Landesmittel standen für das Gymnasium im Untersuchungsgebiet bereit.1188 Innerhalb von knapp zwei Monaten mussten die Grundstücksfrage geklärt sein, ein Architekt gefunden und Genehmigungen eingeholt werden. Im nächsten Jahr, 1968, werde es keine Schulbauzusagen mehr geben, erklärte Oberkreisdirektor Backhaus.1189 Das für das Hallenbad geplante Grundstück stand bereits zur Verfügung und konnte für das Gymnasium verwendet werden. Gemeindedirektoren und Bürgermeister der beteiligten Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede wurden rasch informiert. Das Einverständnis des Nachbarschaftsverbandes, das schon einige Zeit an der Grundstücksfrage für das neue Kreisgymnasium arbeitete, wurde vorausgesetzt. Tatsächlich ging die Grundstücksfrage nicht so reibungslos über die Bühne. Im Oeseder Gemeinderat hieß es: »Die Beschaffung des Grundstückes für das Gymnasium hat sehr viel Schwierigkeiten und sehr viel Ärger bereitet.«1190 Architekt Helbrecht reichte einen Entwurf im Kostenumfang von 3 Mio. DM ein. Dem Entwurf wurde rasch zugestimmt, obwohl das Fehlen einer Aula von einigen Beteiligten bemängelt wurde. Das große Treppenhaus der Schule wurde als Pädagogisches Zentrum deklariert und sollte den gleichen Zweck wie eine Aula erfüllen.1191 Fristgerecht wurden die Aufträge für das »Gymnasium 1186 Voetlause in der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 29. November 1966, ebd. 1187 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 23. Januar 1967, ebd. 1188 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 23. August 1967, ebd. 1189 Ebd. 1190 Hintergrund sind die Verhandlungen mit einem der Eigentümer, Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 13. März 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1191 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 12. September 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230.

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Gmhütte/Oesede«1192 vergeben. Schon im März 1968 erfolgte die Grundsteinlegung. Noch vor Fertigstellung des Schulbaus nahm das Gymnasium am 24. Juli 1968 seinen Betrieb in der Michaelisschule in der Gemeinde Oesede auf.1193 Am 27. August 1969 wurde der Schulbau eingeweiht.1194 Der erste Jahrgang umfasste 104 Kinder aus Oesede, 43 aus Georgsmarienhütte und 142 Kinder aus sonstigen Gemeinden.1195 Das Thema Gebiets- und Verwaltungsreform kam im Juni 1966 zum ersten Mal in das wichtigste Gremium des Landkreises, in den Kreisausschuss. Landrat Tegeler wies darauf hin, dass dieses Thema das zentrale Problem des Landes Niedersachsen in den nächsten Jahren sein werde. Alle hielten die Reform für notwendig, »offenbar wünschten aber alle Beteiligten, daß man nicht bei ihnen, sondern bei den Nachbarn anfange.«1196 Größere Gemeinden mit 7.000–8.000 Einwohnern seien machbar, aber bei den Landkreisen sehe die Sache anders aus. Da »seien die Dinge aus mancherlei Gründen aber schon sehr viel schwieriger.«1197 Zum einen hatten die Landkreisakteure Sorge, dass über ihren Kopf entschieden und sie mit ihren Argumenten »eigentlich gar nicht gehört würden«.1198 Ende 1967 machte sich geradezu Panik bei den Kreistagsabgeordneten, beim Landrat und beim Oberkreisdirektor breit, ohnmächtig zuschauen zu müssen, wie die Gemeinden und die Landkreise neu zugeschnitten würden. Den Landtagsabgeordneten sei immer wieder gesagt worden, »man möge zunächst das neutrale Gutachten der Weberkommission abwarten«,1199 ereiferte sich Landrat Tegeler und fürchtete, die Weberkommission werde gar nicht neutral urteilen, sondern die Pläne des Innenministeriums umsetzen. Es gebe Absprachen und gegenseitige Einflussnahmen zwischen Ministerium und Weberkommission,1200 führte er seinen Abgeordnetenkollegen vor Augen. Es lägen sogar schon Karten vor, was die Neugliederung der Kreise betreffe. Dabei war gar nicht von Belang, wie die Pläne des Innenministeriums aussahen, allein die Vorstellung vor voll1192 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses des Landkreises Osnabrück am 27. November 1967, ebd. 1193 Protokoll der Sitzung des Oeseder Verwaltungsausschusses am 24. Juli 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. Näheres zur Benennung der Schule siehe 4.3.2.2. Benennung des Gymnasiums, S. 305. 1194 »Fröhlicher Startschuß für das Kreisgymnasium«, NOZ, 13. August 1969. 1195 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 28. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 187. 1196 Protokoll der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 22. Juni 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 1197 Protokoll der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 22. Juni 1966, ebd. 1198 OKD Heinrich Backhaus in der Kreisausschusssitzung am 14. November 1967, ebd. 1199 Protokoll der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 14. November 1967, ebd. 1200 Ebd.

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endete Tatsachen gestellt zu werden und keinerlei »Einwirkungsmöglichkeiten«1201 zu haben, war für die Abgeordneten »erschreckend«.1202 Der Landkreis Osnabrück hatte zum anderen ein konkretes Problem mit der kreisfreien Stadt Osnabrück. Diese meldete schon frühzeitig Interesse an 15 Stadtrandgemeinden1203 aus dem Landkreis Osnabrück an, um damit die Fläche ihres Stadtgebietes zu verdoppeln.1204 Bei der Umsetzung der Eingemeindungswünsche würde der Landkreis 96.883 Einwohner_innen, das waren 28 % aller Einwohner_innen, und zwischen 2,6 und 2,9 Mio. DM, das entsprach 33 % der Kreisumlage, verlieren.1205 In den beanspruchten Gemeinden befanden sich zu diesem Zeitpunkt 446 Betriebe mit 4.308 Beschäftigen, davon 23 Industriebetriebe mit 2.545 Beschäftigten. Vor allem hatte der Oberkreisdirektor Sorge, dass die als finanziell für wichtig erachteten Gemeinden Gretesch, Lüstringen, Belm und Powe der Stadt Osnabrück zugeschlagen werden. Backhaus betonte, »daß der entscheidende Punkt nicht die Wasserversorgung oder Abwasserbeseitigung, sondern die Regionalplanung sei. Dort fielen die Entscheidungen darüber, wo zum Beispiel Gewerbebetriebe angesiedelt werden.«1206 Doch Landrat Tegeler wusste Beruhigendes zu berichten: Er habe am Rande einer Konferenz mit einigen Herren der WeberKommission gesprochen. Bei Eingemeindungen sei der bauliche Zusammenhang Voraussetzung, es müssten Verhältnisse vorliegen, die das Aufstellen eines gemeinsamen Flächennutzungsplanes notwendig machten, und die Gemeinden, deren Eingemeindung von Osnabrück gewünscht werde, würden unmittelbar gehört werden.1207 Doch das Gefühl, bei der Aushandlung um den Neuzuschnitt des Landkreises nicht mitentscheiden zu können, war groß. Um der fehlenden Planungshoheit zu entgehen, wurde am 16. November 1967 die Gründung einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft in Angriff genommen, mit der die Stadt Osnabrück und der 1201 Kreistagsabgeordneter Fischer in der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 14. November 1967, ebd. 1202 Ebd. 1203 Es sind dies die Gemeinden: Pye, Lechtingen, Rulle, Belm, Powe (werden bereits als eine Gemeinde gezählt, da ihre Zusammenlegung unmittelbar bevorstand), Gretesch, Lüstringen, Voxtrup, Nahne, Holzhausen, Hellern, Gaste, Atter, Harderberg, Natbergen und Darum. Zusammenfassender Vermerk der Bauabteilung des Landkreises Osnabrück am 9. Februar 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231. 1204 Landrat Tegeler in der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 14. November 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 1205 Landkreis Osnabrück an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 18. Januar 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 17 Bd. 2. 1206 Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus in der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 8. Januar 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231. 1207 Protokoll der Kreisausschusssitzung am 14. November 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/ 1992 Nr. 230.

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Landkreis gemeinsam eine Regionalplanung auf den Weg bringen wollten.1208 Aus dem informellen Gremium sollte alsbald eine Planungsgemeinschaft im Sinne des § 12 NROG werden, die auch Planungshoheit habe, denn es sei nicht möglich, »die Planungsarbeit den Verwaltungsbeamten vorzubehalten«,1209 ohne die beteiligten Gebietskörperschaften zu beteiligen. Zwar gab es schon den Stadtumlandausschuss,1210 aber der konnte nur Empfehlungen aussprechen. Überdies nahm die Bezirksregierung an den Gesprächen teil. Genau diese Teilnahme wollten die Akteure aus Stadt und Landkreis Osnabrück verhindern. Der Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück Wilhelm Kelch forderte: »Es geht nicht, dass der Regierungspräsident beteiligt bleibt.«1211 Gegenüber der Presse wurden sogar noch deutlichere Worte gesprochen: Man befürchte, »Verwaltungsbeamte, ›Gebietsprofessoren‹ könnten am grünen Tisch quasi mit Bleistift und Radiergummi alte Grenzen löschen und neue setzen.«1212 Mit einer Planungsgemeinschaft ohne Bezirksregierung hoffte Landrat Tegeler, dass man mit der Stadt Osnabrück »zu einer Lösung komme. Wenn das gelinge, könne man die Herren der Weberkommission mit einiger Verlegenheit nach Hause schicken.«1213 Doch das Gremium kam über einen informellen Status trotz intensiver Bemühungen nicht hinaus. Die Planungshoheit – und damit auch die Entscheidung, wo Industrie- und Gewerbegebiete ausgewiesen werden sollten – blieb bei der Bezirksregierung, also bei einer Behörde, die nur mittelbar kontrolliert werden konnte.1214 Auch das Ziel, die Stadt Osnabrück von seinen Eingemeindungswünschen abzuhalten, wurde nicht erreicht: Die Stadt Osnabrück bestand bei den Eingemeindungswünschen weiterhin auf Erfüllung. Immerhin boten die Akteure der Stadt Osnabrück den Landkreiskollegen an, sich für eine Großkreislösung einzusetzen, wenn man ihnen bei den Eingemeindungen entgegen komme.1215 Die Zeit für eigene Konzepte drängte, denn schon am 1. Februar 1968 wollten die Sachverständigen der Weber-Kommission die Gemeinden auf der Einge1208 Backhaus an das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr, Schreiben vom 22. August 1968, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 46. 1209 Antrag an das Innenministerium auf Bildung einer Planungsgemeinschaft vom 24. Mai 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26. 1210 Die Protokolle sind zu finden unter dem Titel »Stadt und Umland Osnabrück (Arbeitsbesprechungen)«, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 43. 1211 Protokoll der vorbereitenden Besprechung zur Bildung einer Planungsgemeinschaft am 25. August 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26. 1212 »Jetzt wichtigstes Gebot: Mißtrauen abbauen!« NOZ, 18. November 1967, in: ebd. 1213 Landrat Tegeler in der Kreisausschusssitzung am 14. November 1967, NLA OS Dep 104 II 47/1992 Nr. 230. 1214 Hillmann: Der Regierungspräsident und seine Behörde, S. 30. 1215 Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Verwaltungsausschuss der Stadt Osnabrück und dem Kreisausschuss des Landkreises Osnabrück am 20. November 1969, NLA OS Dep 104 II Akz 47/92 Nr. 148.

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meindungsliste, auf der auch Harderberg und Holzhausen standen, bereisen und mit Vertretern der Gemeinden sprechen.1216 Zwei Grundsatzpapiere mit den gleichen Kerngedanken wurden zu Beginn des Jahres 1968 erarbeitet und dem Kreisausschuss vortragen. Das erste Papier : »Grundsätze für die Neuordnung des Gesamtraumes Osnabrück« wurde von Johannes Voetlause referiert, das zweite: »Gedanken zur Neuordnung des Stadtumlandbereiches« von Heinrich Backhaus. Beide Konzepte gingen von einer Gesamtplanung für den Osnabrücker Raum aus. »Keine Einkreisung der Stadt vom Land und umgekehrt. Ein neues Gebilde entsteht, das stärker ist als zwei voneinander unabhängige Teile nebeneinander.«1217 Von konkreten Lösungen, die die Weber-Kommission vor vollendete Tatsachen stellen sollte, war man zu Beginn des Jahres 1968 weit entfernt. Die Weber-Kommission kam planmäßig am 1. und 2. Februar 1968 nach Osnabrück und ins Osnabrücker Land. Nach der Bereisung der Umlandgemeinden trafen sich die Teilnehmer des Arbeitskreises Stadt-Umland der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform, der Regierungspräsident, Vertreter der Stadt Osnabrück und des Landkreises sowie die Vertreter der 15 bereisten Gemeinden im Gebäude der Industrie- und Handelskammer. Alle Teilnehmer hatten Gelegenheit, sich zu den Eingemeindungswünschen Osnabrücks zu äußern. Der Oberkreisdirektor wehrte sich vehement gegen diese Wünsche. Bei Realisierung aller Eingemeindungen ginge dem Kreis ein Drittel der Kreisumlage verloren und der Landkreis hätte keinerlei Chance, sich zu entwickeln. Vor dem Ausschuss breitete der Oberkreisdirektor seine Vorstellungen einer Neugliederung der kommunalen Landschaft in unmittelbarer Nähe zu Osnabrück aus: Gaste, Hellern, Hasbergen, Ohrbeck sollten sich mit Schwerpunkt Hasbergen zusammenschließen, Holsten-Mündrup, Voxtrup und Harderberg sollten eine Einheit bilden, genau wie Belm und Powe; Gretesch, Lüstringen und Darum gehörten zusammen, ebenso Rulle und Icker und schließlich Wallenhorst, Pye und Lechtingen. Zu Atter und Nahne machte Backhaus keinen Vorschlag.1218 Eine Großgemeinde aus den Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Harderberg, Kloster Oesede, Holsten-Mündrup und Holzhausen gehörte im Februar 1968 noch nicht zu den Raumvorstellungen des Oberkreisdirektors. Auch die einzelnen Gemeinden waren nicht begeistert von einer Eingemeindung nach Osnabrück. Gemeindedirektor Avermann aus Nahne schätzte zwar die Nähe zu Osnabrück, mit der die Gemeinde viele Berührungspunkte 1216 Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus in der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 14. November 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 1217 Ebd. 1218 Zusammenfassender Vermerk der Bauabteilung des Landkreises Osnabrück am 9. Februar 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231.

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habe, etwa wie Stromversorgung und Nahverkehrsversorgung. »Nahne betrachte sich jedoch als Kerngemeinde«,1219 und wolle als Wohnstandort mit ortsnaher Verwaltung selbständig bleiben. Gemeindedirektor Walter Riepenhoff, der die Gemeinde Holzhausen vertrat, wollte eine Teilung der Gemeinde verhindern. Zwei Drittel der Wirtschaftskraft liege in Sutthausen, ohne diesen Ortsteil sei Altholzhausen nicht lebensfähig.1220 In dieser Sitzung aber musste die Stadt Osnabrück aber auch ihre Ansprüche gegenüber der Weber-Kommission erklären und begründen. Das gelang ihr nicht, in dieser Sitzung ließ sie den Anspruch auf Harderberg fallen und verzichtete auf die halbe Gemeinde Holzhausen.1221 Die Eingemeindungswünsche der Stadt Osnabrück waren für den Landkreis das eine Problem, das andere war der Neuzuschnitt der Landkreise. Die Landkreise Bersenbrück, Wittlage und Melle trieb die gleiche Sorge um, von der Landkarte genommen zu werden, wie den Landkreis Osnabrück. Im Spätherbst 1968 wagten die Akteure der drei Osnabrück fernen Kreise einen Vorstoß: die Umlandgemeinden sollten komplett nach Osnabrück eingemeindet werden, der Rest würde aufgeteilt in einen Nordkreis und einen Südkreis, der seinen Sitz in Melle hätte. Die Akteure des Landkreises Osnabrück nutzten den Vorstoß, um mit den Gemeinden des Untersuchungsgebietes ins Gespräch über weitere Pläne der der Gebiets- und Verwaltungsreform zu kommen. Die finanzielle Lage des Landkreises zum Zeitpunkt der Reform war angespannt. Galt sie 1966 als noch gut, so wurde zu diesem Zeitpunkt bereits darauf hingewiesen, dass die Situation nicht von Dauer sei, da der Kreis viele Verpflichtungen im Gesundheits- und Schulwesen eingegangen sei.1222 Ein Jahr später zeigte Josef Tegeler auf: »Das Finanzvolumen des Kreises reiche einfach nicht aus, um die anstehenden Aufgaben […] zu erfüllen.«1223 Von 1968 bis 1969 stieg die Pro-Kopf-Verschuldung um 100 % und lag 1969 erstmals über dem Landesdurchschnitt. (1967: 48,80 DM; 1968: 88,60 DM; 1969: 167,50 DM; Landesdurchschnitt 86,96 DM).1224 Um die Finanzen des Kreises aufzubessern, gab es mehrere Möglichkeiten. Die eine bestand darin, die Einnahmemöglichkeiten der Gemeinden zu verbessern, um damit die Kreisumlage zu erhöhen; die andere, die Zusammen-

1219 1220 1221 1222

Ebd. Ebd. Ebd. Prüfungsbericht des Rechnungsprüfungsamtes vom 4. April 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 1223 Protokoll der Kreisausschusssitzung am 22. Mai 1967, ebd. 1224 Vermerk der Finanzabteilung vom 3. Juni 1971, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 147.

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schlüsse auf freiwilliger Basis zu fördern, da diese mit erhöhten Schlüsselzuweisungen gefördert werden sollten,1225 wovon auch der Kreis profitieren würde. Eine weitere Möglichkeit, finanzielle Ressourcen zu erschließen, war die Einwerbung von Fördergeldern. In diesem Zusammenhang war auch die Reform der Regierungsbezirke für den Landkreis Osnabrück von Belang. Die Bezirksregierung hatte bislang ihren Sitz in Osnabrück, sollte sie aber verlegt werden, etwa nach Oldenburg, dann habe man in Zukunft bei der Mittelvergabe schlechte Karten.1226 Insgesamt befanden sich die Vertreter des Landkreises in einer schwierigen Situation. Die Stadt Osnabrück drohte dem Kreis geldbringende Gemeinden zu entziehen, die Weber-Kommission plante den Neuzuschnitt des Kreises, die Landkreise in der nächsten Umgebung waren bestrebt, den Landkreis Osnabrück unter sich aufzuteilen und die Weber-Kommission machte Vorschläge, die Regierungsbezirke Osnabrück und Oldenburg zusammenzulegen und den Sitz des Regierungsbezirkes nach Oldenburg zu verlegen.

3.2.3.2. Der Regierungspräsident »Die Bezirksregierung ist ein nichtrechtsfähiges […] gesetzlich verankertes Dauerorgan, zugleich auch ein abhängiges, regionales und monokratisches Verwaltungsorgan, dessen Trägerschaft beim Land liegt.«1227 Der Regierungspräsident war »Organwalter«1228 und die Behörde firmierte in der Öffentlichkeit in seinem Namen. Als Mittelinstanz zwischen Ministerium und Landkreisen war sie für sämtliche Aufgaben der Landesverwaltung zuständig, die nicht ausdrücklich anderen Behörden zugeordnet waren.1229 Zu ihren klassischen Aufgaben gehörten die Kommunal- und Körperschaftsaufsicht, Staatshoheitsangelegenheiten, Vermessungs- und Katasterangelegenheiten, Bauaufsicht, Gesundheitswesen sowie die Schul-, Landwirtschafts- und Forstverwaltung. Zu den neuen Arbeiten zählten die Aufgaben im Bereich der gewerblichen Wirtschaft und Preisangelegenheiten; verhältnismäßig neu war auch die Bezirksplanungsbehörde und die vielen Dezernate, die infolge des Krieges ins Leben gerufen wurden wie Entschädigungsbehörde, Außenstelle des Landesausgleichsamtes und viele mehr. »Die allgemeine staatliche Mittelbehörde fungiert als erste Instanz für Entscheidungen, die ihrer Natur nach einer weiträumigen Beurtei1225 Protokoll der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 21. Juli 1969, NLA OS Dep 104 II Akz 47/92 Nr. 148. 1226 Protokoll der Kreisausschusssitzung vom 6. Mai 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231. 1227 Hillmann: Der Regierungspräsident und seine Behörde, S. 169. 1228 Ebd. 1229 Ebd., S. 170.

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lung bedürfen oder wegen Schwierigkeit nicht in die Hände der unteren Verwaltungsstufe gelegt werden können.«1230 Sie war die einzige Verwaltungsebene, die keine öffentliche Meinung präsentierte und deren Beamt_innen in keinerlei Kontakt mit Bürger_innen, sondern lediglich mit anderen Verwaltungsangehörigen standen.1231 Bei der Einrichtung dieser Behörde nach Gründung des Landes Niedersachsen fürchteten britische Verwaltungsexperten, dass die Beamt_innen dieser Behörde zu einer autoritären Haltung tendieren würden und stellten die Mittelinstanz immer wieder, auch nach der Gründung des Landes Niedersachsen, in Frage.1232 Die Regierungspräsidenten wiesen jedoch darauf hin, dass sie sich um eine Vielzahl von Aufgaben kümmerten, die für die Ministerien zu nebensächlich seien.1233 Immer wieder suchten die Vertreter dieser Behörde Kontakte zu Landtagsabgeordneten, um ihre Position zu festigen.1234 Mit der Gründung der sog. Weber-Kommission 1965 zeichnete sich ein vorläufiges Ende der Diskussion über den Fortbestand dieser Behörde ab. Der einflussreiche Jurist Werner Weber verschaffte insbesondere den Bezirksplanern eine bedeutendere Rolle als bisher. In den 1960er Jahren galt Planung als das wichtigste Instrument, »um die existenziellen Voraussetzungen für die wohlfahrtstaatliche Massendemokratie zu sichern.«1235 Nach Webers Meinung war die Mittelinstanz, in der die Bezirksplaner arbeiteten, dabei von wesentlicher Bedeutung.1236 Die Existenz der Mittelbehörde wurde von Weber nicht in Frage gestellt, wohl aber war der Zuschnitt der Bezirke durchaus Gegenstand der Diskussion innerhalb der Sachverständigen-Kommission. Niedersachsen hatte mit acht Regierungsbezirken im Verhältnis zu anderen Bundesländern die meisten Mittelinstanzen. Die sog. Weber-Kommission sah eine weitgehende Reorganisation der Mittelbehörde mit einem Neuzuschnitt der Bezirke und eine Reduktion von acht auf vier Bezirke vor.1237

1230 Ebd., S. 171. 1231 Holger Bentz: Die Abschaffung der Bezirksregierungen in Niedersachsen – ein Reformprojekt unter Idealbedingungen? Eine politikwissenschaftliche Analyse am Beispiel eines zentralen Reformvorhabens der CDU/FDP-Regierungskoalition in Niedersachsen (2003– 2008), Frankfurt/Main 2009, S. 46. 1232 Ebd., S. 33ff. 1233 Ebd., S. 37. 1234 Ebd., S. 39. 1235 Hillmann: Der Regierungspräsident und seine Behörde, S. 276. 1236 Jahresbericht 1966 der nieders. Sachverständigenkommission, S. 33; Hillmann: Der Regierungspräsident und seine Behörde, S. 280. 1237 Bentz: Die Abschaffung der Bezirksregierungen, S. 41.

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Im März 1968 brachte die Weber-Kommission einen Sonderbericht heraus, der sich nur mit den Bezirksregierungen befasste.1238 In diesem wurden die Vorschläge bereits konkret: Der Regierungsbezirk Osnabrück sollte mit den Bezirken Aurich und Oldenburg zusammengelegt werden und Oldenburg Amtssitz des neuen, deutlich vergrößerten Bezirks werden.1239 Die Mittelinstanz sollte Aufgaben an den Landkreis abgeben, dafür mehr Aufgaben mit Bündelungs- und Koordinationsfunktion übernehmen. Zu den abzugebenden Aufgaben zählte die Sachverständigenkommission u. a. die bisher stets als Aufgabe der Bezirksregierung angesehene Aufstellung der Raumordnungsprogramme, die in Zukunft »von den Landkreisen als eigene Angelegenheiten«1240 wahrgenommen werden sollten. Die Bezirksregierung war neben ihren Aufgaben im Aufsichts- und Beschwerdebereich auch Lenkungs- und Planungsbehörde.1241 »Planung gehört […] zu den Uraufgaben der Verwaltung«,1242 war jedoch in den ersten Nachkriegsjahren institutionell nur schwach in der Verwaltung verankert. 1949 wurde Planungspersonal in die Bezirksregierungen integriert und verbeamtet1243 und die Landesplanung dem Innenminister, bei dem auch die Kommunalaufsicht lag, in einer nachgeordneten Behörde zugeordnet. 1958 wurde diese Behörde aufgelöst und die Landesplanung direkt beim Innenminister angesiedelt.1244 Insgesamt waren die Raumplaner in einer institutionell schwachen Position, denn sie hatten keine Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung ihrer Vorgaben. Zwar war der Flächennutzungsplan jeder Gemeinde durch die Bezirksregierung genehmigungspflichtig, Meldevereinbarungen über raumwirksame Vorhaben wurden jedoch von den Gemeinden und Landkreisen nicht immer eingehalten.1245 Mit der Verabschiedung des NROG 1966 wurde die Position der Landes- und Bezirksplaner insgesamt gestärkt. Verfahrenstechnisch sollten die Landesplaner die Richtlinien vorgeben und die Bezirksplaner für ihren Bezirk den Bezirksplan konkret werden lassen. Die Pläne der Bezirksregierung wurden somit »Mittel der Landesplanung«.1246 Insgesamt galt der Grundsatz, dass sich kleinere Raumeinheiten größeren anpassen müssten.1247 Durch das Bundesbaugesetz waren die 1238 Bezirksreform in Niedersachsen. Vorschläge und Überlegungen der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform, Hannover 1968. 1239 Ebd., S. 15. 1240 Ebd., S. 3. 1241 Hillmann: Der Regierungspräsident und seine Behörde, S. 183. 1242 Ebd., S. 276. 1243 Waldhoff/Fürst/Böcker : Anspruch und Wirkung der frühen Raumplanung, S. 44. 1244 Ebd., S. 61. 1245 Ebd., S. 69. 1246 Hohberg: Das Recht der Landesplanung, S. 103. 1247 Hillmann: Der Regierungspräsident und seine Behörde, S. 270.

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Gemeinden verpflichtet, sich der Landes- und Regionalplanung zu fügen, das wurde innerhalb der Genehmigungsverfahren durch die Bezirksregierung auch geprüft.1248 Dies führte leicht zu Konflikten zwischen Gemeinden und Bezirksregierung. »Die Landesplanung neigt dazu, in den örtlichen Bereichen überzugreifen, die Kommunalkörperschaften hingegen zeigten Tendenz, durch gegenseitige Abstimmung ihrer planerischen Disposition die Landesplanung zu unterlaufen. In der Mittelinstanz prallen die ›Gegenströme‹ dann meist aufeinander.«1249

Solange die Pläne sich noch im Prozess der Aushandlung befanden, hatten sie keine Rechtskraft. Nach dem Aufstellen und Bekanntmachen waren sie jedoch verbindlich, dann waren auch die Gemeinden der Landesplanung unterworfen.1250 Das Raumordnungsprogramm für den Regierungsbezirk Osnabrück wurde nach Abstimmung mit dem Innenminister am 5. April 1972 veröffentlicht.1251

3.2.4. Das Stahlwerk Die Stahlbranche war bis zum Einbruch in den 1970er Jahren ein Industriezweig »mit der einstmals größten gesamtwirtschaftlichen Bedeutung«.1252 Charakteristisch für die Branche waren eine hohe Konzentration an Beschäftigten und eine geringe Flexibilität bei veränderten Auftragslagen. Ein Hochofen konnte nicht so ohne weiteres ab- oder aufgebaut werden. Einmal angefahren, musste er kontinuierlich beschickt werden, da er sonst nicht wirtschaftlich arbeitete, und überdies technischen Schaden nehmen konnte, wenn der Produktionsfluss unterbrochen werden musste. Die Kosten, einen Hochofen neu anzublasen, waren generell hoch.1253 Ein Stahlwerk war daher auf ein Umfeld von handlungsfähigen Akteuren im kommunalen Bereich dringend angewiesen. Das belegt auch ein als Anekdote einzustufendes Ereignis, von dem Thomas Nobbe in seinen unveröffentlichten Recherchen berichtet: Direktor Hermann Rodrian, Bürgermeister Ludwig Siepelmeyer, Betriebsratsmitglied Oskar Hummel und Arbeitsdirektor August Buchholz seien gemeinsam bei einer Feier 1248 1249 1250 1251

Ebd. Ebd., S. 272. Hohberg: Das Recht der Landesplanung, S. 99. Raumordnungsprogramm für den Regierungsbezirk Osnabrück, hrg.v. Nieders. Minister des Inneren, Hannover 1972. 1252 Alexander Dieter: Die Krise der deutschen Stahlindustrie: Darstellung, Ursachenanalyse und theoretisch-empirische Überprüfung strategischer Konzepte der Krisenbewältigung, Würzburg 1992, S. 25/26. 1253 Ebd., S. 35.

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in einem Georgsmarienhütter Restaurant eingeladen gewesen. Man habe sich im Verlaufe der Feier kennengelernt und »im Morgengrauen«1254 geschworen »fortan gemeinsam für die Zusammenlegung der Dütegemeinden zu kämpfen«.1255 Abgesehen davon, dass der Zeitpunkt dieses Schwures nicht mehr festzumachen war, war dies nur ein punktuelles Ereignis, das auf das Interesse der Klöckner-Werke an einer Zusammenlegung hinweist. Dass Akteure des Werkes die Zusammenlegung vorangetrieben hätten, ließ sich anhand der Akten nicht ausmachen. Im Konzern waren die Akteure mit anderen Problemen befasst. Die Direktoren des konzernintegrierten Stahlwerkes auf Georgsmarienhütter Gemeindegrund schenkten in ihren regelmäßig – fast wöchentlich – stattfindenden Direktoriumssitzungen der Unruhe in der kommunalen Landschaft um sie herum keine Aufmerksamkeit.1256 Die Gedanken der leitenden Direktoren Werner Heymann, Hermann Rodrian und Fritsch kreisten in den 1960er Jahren um Auftragslage, Investitionen und Einsparpotentiale, zu denen auch Entlassungen und die Einführung von Kurzarbeit gehörten. Das Verhältnis zu den steuerempfangenden Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede war distanziert, in den Protokollen schlugen sich nur wenige Berührungspunkte nieder : 1959 wurde das Ansinnen der Gemeinde Oesede, dem neugegründeten Heimatverein beizutreten, abgelehnt,1257 1964 lud das Direktorium die alten und neuen Gemeinderatsmitglieder der Gemeinde Georgsmarienhütte zur Besichtigung der Mitteleisenstrasse ein,1258 1967 wurde der der Verkauf der Villa Stahmer und das dazugehörige Gelände von 1,7 ha an den Nachbarschaftsverband genehmigt,1259 und im März 1968 wollte sich das Direktorium mit dem Georgsmarienhütter Gemeinderat treffen. Termine wurden vorgeschlagen, Themen jedoch nicht benannt.1260 Ein Antrag der Gemeinde Oesede für eine Spende für das Ehrenmal für Gefallene und Vermisste, wurde abgelehnt.1261 Anfang 1969, als die Aushandlung über den Zusammenschluss weit vorangeschritten war, wurde ein von der Gemeinde Oesede erbetenes Gespräch nicht

1254 Nobbe: Chronik der Stadt Georgsmarienhütte, S. 14. 1255 Ebd.; Nobbes Rechercheergebnisse beruhten auf einem Bericht Siepelmeyers: »Der Zusammenschluß 1970 – aus der Sicht des Bürgermeisters«, der sich 2016 aber nicht mehr in der Altregistratur befand. 1256 NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 70. Einsicht erfolgte mit freundlicher Genehmigung durch die Salzgitter AG und die Georgsmarienhütte GmbH. 1257 Protokoll der Direktoriumssitzung vom 2. Dezember 1959, ebd. 1258 Protokoll der Direktoriumssitzung am 28. September 1964, ebd. 1259 Protokoll der Direktoriumssitzung am 31. Juli 1967, ebd. 1260 Protokoll der Direktoriumssitzung am 27. Februar 1968, ebd. 1261 Protokoll der Direktoriumssitzung am 26. August 1968, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 334.

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gewährt. Es wurde zu diesem Zeitpunkt »nicht für zweckmäßig«1262 erachtet und sollte zu einem späteren Termin in Aussicht gestellt werden. Die Direktoren lehnten den Kontakt mit den kommunalen Vertretern bis zum Auftauchen der Namensfrage im Frühjahr 1969 komplett ab. Andere Probleme standen im Vordergrund. Bereits ab 1958 tauchten die ersten Anzeichen eines wirtschaftlichen Tiefs auf, wobei es sich bei dieser Entwicklung zunächst lediglich um ein Ausbleiben der hohen Wachstumserwartungen handelte.1263 Direktor Heymann sprach zu Beginn des Jahres von einem »erheblichen Erzeugungsrückgang«1264 da die Bundesrepublik um 30 % weniger Aufträge erteilt habe. 1961 waren die Aufträge für Walzstahl auf einem Tiefstand. Die Anfragen aus dem Ausland waren ebenso rückläufig wie die Aufträge der Deutschen Bundesbahn. Die Entlassung von 49 Mitarbeitern wurde vorbereitet.1265 1962 war die Auftragslage »nach wie vor schwach«,1266 weitere 109 Entlassungen wurden aber durch Umschichtungen innerhalb des Betriebes vermieden. 1965 kamen beunruhigende Nachrichten von der Konzernleitung in Duisburg. Anlässlich der schlechten Auftragslage wurde erwogen, das Stahlwerk I »nicht erst nach Errichtung des neuen LDWerkes in etwa 3 Jahren«1267 stillzulegen, sondern sofort. Die Belegschaft sollte der neuen Situation angepasst werden, das bedeutete weitere 198 »Abgänge«.1268 1966 befand sich die Wirtschaftsflaute auf dem Höhepunkt. Georgsmarienhütte sei »in einer besonders gräßlichen Lage«,1269 weil der Einbruch an Nachfrage bei Qualitätsstabstahl noch größer sei, als bei anderen Produkten. Auch bei Edelstahl sei die Nachfrage infolge der Krise in der Automobilindustrie um 10 % zurückgegangen. »Insgesamt betrachtet habe man wohl seit 1953 nicht mehr annähernd so harte Zeiten erlebt.«1270 1967 sollte sogar das Kasino verkauft werden,1271 vor dem Hintergrund kam der Verkauf der Villa Stahmer und des dazugehörenden Geländes für 500.000 DM an den Nachbarschaftsverband gerade recht.1272

1262 Protokoll der Direktoriumssitzung am 13. Januar 1969, ebd. 1263 Georgsmarienhütte GmbH: 150 Jahre Stahl aus Georgsmarienhütte, Osnabrück 2006, S. 74. 1264 Protokoll der Direktoriumssitzung am 6. Februar 1958, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 70. 1265 Protokoll der Direktoriumssitzung am 11. Dezember 1961, ebd. 1266 Protokoll der Direktoriumssitzung am 28. September 1962, ebd. 1267 Protokoll der Direktoriumssitzung am 17. Juli 1965, ebd. 1268 Protokoll der Direktoriumssitzung am 18. Oktober 1965, ebd. 1269 Protokoll der Direktoriumssitzung am 24. Oktober 1966, ebd. 1270 Ebd. 1271 Protokoll der Direktoriumssitzung am 9. Januar 1967, ebd. 1272 Protokoll der Direktoriumssitzung am 23. Oktober 1967, ebd.

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Während des wirtschaftlichen Einbruchs 1966/1967 stellte das dreiköpfige Direktorium die Öffentlichkeitsarbeit ein. »Bei den Georgsmarienwerken hapert es, hinkt es. Dort ist Schweigen ›Stahl‹«,1273 monierte das Osnabrücker Tageblatt. Den im Laufe des Jahres kursierenden Gerüchten über einen großangelegten Arbeitsplatzabbau traten die Werksakteure entgegen. Ende 1967 ließ der Gewerkschaftssekretär der IGM, Ernst Weber, durch die Presse verlauten, dass nichts bekannt sei, was das Gerücht, dass 1.500 Mitarbeiter entlassen würden, bestätigen würde. Auch der Pressechef des Stahlwerks wies diese Gerüchte zurück.1274 Anfang 1968 behauptete das Werksdirektorium bei einer Besprechung mit Akteuren der Gemeinde Georgsmarienhütte, im Zusammenhang mit 1.500 geplanten Entlassungen: »Das trifft nicht zu.«1275 Immerhin empfahl einer der Direktoren, Karl Sporbeck, trotz der Behauptung, es ginge spürbar aufwärts, Industrie anzusiedeln, da er keine Garantie für die bestehenden Arbeitsplätze geben könne.1276 Gegenüber der Gemeinde Oesede indes wies das Direktorium jedes Gesprächsangebot zurück.1277 Mitarbeiter des Werkes, die gleichzeitig auch Ratsmitglieder im Georgsmarienhütter und Oeseder Gemeinderat waren, ließen sich über die wirtschaftliche Situation des Betriebes in den Ratssitzungen aus. So äußerte beispielsweise der Oeseder Ratsherr Pilger in der Sitzung, in der der Aushandlungsprozess Mitte 1968 in Gang gesetzt wurde, dass ›Klöckner‹ in der nächsten Zeit weniger investieren könne und dass der Betrieb schrumpfe.1278 Es wurden sogar konkrete Termine genannt: 19711279 werde sich die Arbeitsplatzsituation bei Klöckner dramatisch verschlechtern.1280 Auf Georgsmarienhütter Seite stellte Oskar Hummel vor dem Gemeinderat dar, dass die Vollbeschäfti-

1273 »Wir werden es sehen. Wundern, staunen und dann das große Rätselraten. Ein Wort zur Pressearbeit der Klöckner-Georgsmarienwerke« OT, 14. Januar 1967. 1274 »An Gerüchten stimmt nichts. Keine Einstellung der Warmbetriebe in der Georgsmarienhütte.« OP, 9. November 1967. 1275 Leider sind die Teilnehmenden nicht vermerkt. Gemeindedirektor Trepper war aber auf jeden Fall dabei. Protokoll über eine Besprechung mit dem Direktorium der KlöcknerWerke am 6. März 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 73. 1276 Ebd. 1277 Protokoll der Direktoriumssitzung am 13. Januar 1969, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 334. 1278 Ratsherr Ludwig Pilger in einer Besprechung über den Düteraum am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1279 Tatsächlich trat im Jahr 1971 eine größere Krise ein, und 450 Entlassungen waren geplant. Auch in dieser Situation legten weder Werks- noch Konzernleitung die Situation offen dar. Als Oberkreisdirektor Backhaus diese Konzernstrategie öffentlich kritisierte, räumte die Konzernleitung immerhin ein, dass die Kritik berechtig sei, »Kritik ist berechtigt«, NOZ, 23. Oktober 1971. 1280 Oeseder Ratsherren laut Protokoll des Zusammenlegungsausschusses am 3. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2.

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gung kein Dauerzustand bleiben werde.1281 Die NOZ schrieb: von dem »so oft zitierten Blutspender, der Perle des Landkreises, [ist] nicht viel übrig geblieben.«1282 1968 war der Höhepunkt der Stagnation überwunden, doch die Direktoren der Werke in Osnabrück und Georgsmarienhütte und der Konzernvorstand in Duisburg waren noch mit den Folgen beschäftigt und versuchten, dem nächsten Konjunkturabschwung vorzubeugen. Dazu stellte sich das Werk neu auf, dies geschah allerdings mit Hindernissen. Dringend notwendig gewordene Neueinstellungen wurden von Duisburg aus blockiert. 1968 fehlten in Georgsmarienhütte 74 Mitarbeiter, und in Osnabrück waren 52 Stellen unbesetzt.1283 Vermutlich war die Konzernleitung mit der Einstellung neuer Arbeitskräfte vorsichtig geworden, denn ihre Entlassung war mit inner- und außerbetrieblichen Konflikten verbunden. Viel lieber dachte man über eine neue Konzernstrategie nach: Um die Abhängigkeit von Stahlkunden aufzubrechen, versuchte der Konzern seine Produktpalette auszuweiten. Die Konzernleitung investierte in Produkte wie Hart-PVC, Kunststofffolien, Glas und Glasfasern und Betonfertigteile. »Wenn schon Stahl ersetzt wird, dann wollen wir dabei sein«,1284 erläuterte Hans-Jörg Sendler, Sprecher des Duisburger Vorstandes, vor den Betriebsräten die neue Unternehmensstrategie. Die Stahlproduktion sollte im Werk in Bremen konzentriert werden. Weiter führte die Notwendigkeit, konkurrenzfähig zu bleiben, zur Prüfung von Verbesserungsvorschlägen, bei denen kaum ein Bereich ausgespart blieb. Unmittelbar nachdem sich die Konjunktur wieder erholt hatte, ließ der Vorstand in Duisburg 1966/1967 prüfen, ob eine Zusammenlegung der Stahlwerke des Klöcknerkonzerns, der Salzgitter AG und die Ilseder Hütte in Peine zu einer Gesellschaft sinnvoll wäre. Im Dezember 1968 lag ein nichtöffentliches Gutachten der Kreditanstalt für Wiederaufbau vor. Die Werke wurden durch das Institut bewertet und das Aufbringen der Kapitaldecke für einen Zusammenschluss sollte in folgendem Verhältnis geschehen: Der Klöcknerkonzern sollte den größten Anteil von 43,6 %, das Hüttenwerk Salzgitter 31,3 % und das Peiner Werk 25,1 % einzahlen. Obwohl keine konkreten Summen genannt wurden, lehnte die Konzernleitung in Duisburg diese Verteilung ab, und ließ die Fusion im Februar 1969 scheitern.1285 »Die Nordstahl AG ist geplatzt«,1286 titelte wenig 1281 Oskar Hummel laut Protokoll der öffentlichen Ratssitzung Georgsmarienhütte am 17. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1282 »Zukunftssicherung durch Großgemeinde im Dütetal«, NOZ, 18. Juli 1968. 1283 Protokoll der Direktoriumssitzung am 13. Mai 1968, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 70. 1284 Rede Hans-Jörg Sendlers vor der Betriebsrätekonferenz am 24. November 1967, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 58. 1285 Vermerk Hans-Jörg Sendlers, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 150. 1286 »Die Nordstahl AG ist geplatzt«, FAZ, am 22. März 1969.

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später die FAZ. Mit der Fusion waren große Hoffnungen auf eine bessere Ausnutzung der technischen und finanziellen Ressourcen verbunden, und man hatte sich eine bessere Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Stahlproduzenten erhofft.1287 Dass die Fusion für das Werk in Georgsmarienhütte üble Folgen gehabt hätte, wurde erst später bekannt. Das Stahlwerk I wäre sofort stillgelegt und Hochofen und Sinteranlage wären 1971 außer Betrieb gesetzt worden, nachdem in Bremen notwendige Maßnahmen zur Optimierung umgesetzt worden wären. Das Stahlwerk II hätte mit flüssigem Roheisen aus Peine und Salzgitter weiter arbeiten dürfen.1288 Nach dem Scheitern der Verhandlungen zur Nordstahl AG ließ Vorstandssprecher Sendler per Rundschreiben wissen, dass nun – um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten – 500 Mio. DM in den nächsten zwei bis drei Jahren investiert werden sollten.1289 Nun setzte ein Wettlauf der Werke um Investitionen ein. Für die Standorte in Georgsmarienhütte und Osnabrück stand jeweils die Existenz auf dem Spiel. Das Werk in Osnabrück sollte eine Großteile- und eine Reaktorfertigung bekommen. In Georgsmarienhütte sollte u. a. die Straße VI, die Feineisenstraße, erneuert werden. Dies sei für Georgsmarienhütte unverzichtbar wegen der Kundenwünsche, aber auch um konkurrenzfähig zu bleiben,1290 urteilte das Direktorium. Dies waren Investitionen in Höhe von 112 Mio. DM, wovon allein der Ausbau der Straße VI zur Feineisenstraße Kosten in Höhe von 67 Mio. DM verursachen würde. Im Laufe des Jahres 1969 kristallisierte sich die Haltung des Duisburger Vorstandes heraus, nur eine Investition vorzunehmen.1291 Die Sorge, in eines der Werke werde nicht investiert, und damit der Schließung preisgegeben, war in den Sitzungen des Jahres 1969 genauso präsent, wie die Sorge, der Vorstand in Duisburg werde beide Anträge aus formalen Gründen fallen lassen.1292 Offensichtlich war die Neigung der Konzernleitung, die Werke in Osnabrück und Georgsmarienhütte zu fördern, nicht sonderlich ausgeprägt.1293 Inmitten dieses Aushandlungsprozesses um die Neuorganisation mit anderen Hüttenwerken, die Neubewertung der Stahlproduktion innerhalb des Konzerns, 1287 Handelsblatt am 22. Januar 1969. 1288 Aktennotiz von Direktor Heymann über ein Gespräch mit Hans-Jörg Sendler am 22. Februar 1969, ebd. 1289 Vermerk Hans-Jörg Sendlers, ebd. 1290 Protokoll der Direktoriumssitzung am 21. Oktober 1969, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 70. 1291 Im November 1969 wurde das Direktorium um eine Stellungnahme gebeten, welche der beiden Investitionen getätigt werden sollen. Direktor Heymann brachte es in seinem Redebeitrag auf den Punkt. Man könne sich nicht für eine Investition entscheiden, es gehe um den Bestand der Werke schlechthin, Protokoll der Direktoriumssitzung am 10. November 1969, ebd. 1292 Ebd. 1293 Darauf verweist der Bescheid des Vorstandes vom 28. Mai 1969, Investitionen in Höhe von nur 25 Mio. DM zu genehmigen, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 334.

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die Investitionen und letzten Endes auch um den Fortbestand beider Werke, erfuhren die Direktoren am 29. März 1969 aus der Zeitung: »19. April: Großer Tag für ›Dütenau‹. Zusammenlegung feierlich besiegelt.«1294 Die Empörung unter den Belegschaftsmitgliedern muss groß gewesen sein. Eine Akte wurde angelegt, Vermerke geschrieben, Zeitungsartikel und Leserbriefe ausgeschnitten und der Vorstand in Duisburg1295 informiert. Besonders der Abteilungsleiter für die Bereiche Sicherheitswesen, Forstbetrieb, Wohnungsverwaltung und Dienstleistungsbetriebe1296 äußerte sich zu dem Vorgang Namensgebung. »Eine Abstimmung [damit ist eine parlamentarische Abstimmung gemeint. I.B.] über die Namensgebung ist meines Wissens nicht erfolgt«,1297 hielt er in einem Vermerk fest und vermutete, dass der »nichtssagende Name dem Ministerium ein Anlaß sein soll, den Namen der Kerngemeinde Oesede beizubehalten, zumal diese Gemeinde jetzt ihr 1100jähriges Bestehen feiert. Es ist anzunehmen, daß bei diesem Anlaß Regierung und Ministerium auf die Geschichte der Gemeinde Oesede nachdrücklich hingewiesen werden.«1298

Der Abteilungsleiter stellte eine Liste aller Ratsmitglieder mit Anschriften aus den Gemeinderäten von Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg zusammen.1299 Er ermittelte die Zahlen, wie viele Werksangehörige in den einzelnen Gemeinden wohnten1300 und recherchierte, wieviel Steuern an die Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte in den letzten Jahren gezahlt worden waren.1301 Offensichtlich wurde er von dem Gedanken geleitet, die Zahlungen begründeten ein Mitspracherecht bei der Namensgebung. Der Abteilungsleiter selbst hielt den Namen ›Georgsmarienhütte‹ für nicht durchsetzbar. Er schlug »Klöcknerstadt«1302 vor, um auf die wirtschaftliche Bedeutung hinzuweisen. Am 10. April 1969 traf sich das Direktorium mit den Oeseder Vertretern Ludwig Siepelmeyer und Rudolf Rolfes, um einen Brief aufzusetzen, der sich für 1294 »19. April: Großer Tag für ›Dütenau‹. Zusammenlegung feierlich besiegelt«, NOZ, 29. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1295 Klöckner-Werke AG Georgsmarienwerke an den Vorstand der Klöckner-Werke AG Duisburg, Schreiben vom 10. April 1969, NLA OS Dep 49 Akz 21/1991 Nr. 312. 1296 Angaben aus: NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 150. 1297 Vermerk Borrecks am 2. April 1969, NLA OS Dep 49 Akz 21 /1991 Nr. 312. 1298 Ebd. 1299 Im Gemeinderat von Georgsmarienhütte waren von 17 acht beim Werk beschäftigt, in Oesede fünf von 17 und in der Gemeinde Harderberg drei von 13, Vermerk Borrecks vom 2. April 1969, ebd. 1300 In Georgsmarienhütte wohnen 1.290 Mitarbeiter, in Oesede 1.400 und in Harderberg 200, Vermerk Borrecks vom 2. April 1969, ebd. 1301 Von 1963–1968 hat die Gemeinde Oesede zwischen 576.07 1 DM (1967) und 1.107 935 DM (1965) erhalten und die Gemeinde Georgsmarienhütte zwischen 991.251 DM (1966) und 1.152923 DM (1965). An beide Gemeinden ist eine Gesamtlohnsummensteuer von 678. 000 DM (1967) und 774. 000 DM (1968) gezahlt worden, Vermerk vom 14. April 1969, ebd. 1302 Vermerk Borrecks vom 2. April 1969, ebd.

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Voraussetzungen der kommunalen Neuordnung von 1968

den Namen ›Georgsmarienhütte‹ aussprach. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Situation wurde deutlich, dass das Direktorium in einem Dilemma steckte. Beschrieben sie öffentlich ihre missliche Lage, konnte dies unbeabsichtigte und nicht absehbare Folgen wie Unruhe in der Belegschaft, Konflikte mit der Gewerkschaft, Misstrauen bei den Kunden, aber auch ein Zerwürfnis mit den Oeseder Gemeindevertretern Siepelmeyer und Rolfes haben. Legten sie die Hände in den Schoß und riskierten, dass die neue Großgemeinde unter einem neuen Namen firmiert, standen sie innerhalb des Konzerns, vor dem Vorstand und der eigenen Belegschaft als schwach und nicht durchsetzungsfähig gegenüber den kommunalen Entscheidungsträgern da. Das Direktorium entschied sich zu handeln, wollte aber die Konfliktlinie zu den Oeseder Vertretern möglichst schmal halten. Ein Brief an alle beteiligten Akteure wurde aufgesetzt, in dem die Argumente für den Erhalt des Namens aufgezählt wurden. Siepelmeyer und Rolfes wurden an der Abfassung des Briefes beteiligt, konnten aber nicht mehr erreichen, als die Einfügung des Wortes »irgendwie«1303 im Zusammenhang mit dem Erhalt des Namens.1304 Damit hatten sie den Werksdirektoren das Zugeständnis abgerungen, nicht mehr auf den vollständigen Namen ›Georgsmarienhütte‹ zu bestehen, sondern auch dem Erhalt einzelner Namensbestandteile wie ›Georg‹ und ›Marie‹ zuzustimmen.

1303 Klöckner an die Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte, Schreiben vom 10. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1304 Dass sich Siepelmeyer mit dem Direktorium getroffen hatte, um den Brief gemeinsam aufzusetzen, offenbarte Siepelmeyer erst vor dem Innenausschuss des Landtages am 24. Oktober 1969, Niederschrift über die 57. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 28. Oktober 1969, Archiv des Nieders. Landtages PA- U 2013/06/IV/057 und NLA OS Erw 52 Akz 2010/077 Nr. 45.

4.

Die Produktion einer Idee: Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

Die Idee einer Stadt wird nach raumtheoretischen Überlegungen Benno Werlens sozial produziert und ausgehandelt. Dies geschah im Untersuchungsgebiet in einem Aushandlungsprozess auf drei Ebenen, die sich z. T. in verschiedenen Verhandlungsrunden zerlegen lassen. Im folgenden Kapitel werden die Konflikte auf den verschiedenen Ebenen und Phasen herausgearbeitet und analysiert.

4.1. Ebene I: Der Konflikt mit der Bezirksregierung – Die finanzielle Grundlage Dieser Konflikt auf Ebene I unterscheidet sich von den beiden in den weiteren Kapiteln geschilderten Konflikten in wesentlichen Punkten. Während die interkommunale Verhandlung und der Namenskonflikt öffentlich und mit vielen Beteiligten ausgetragen wurden, wurde der im folgenden Kapitel dargelegte Aushandlungsprozess im Verborgenen mit nur wenigen Akteuren entschieden. Die Bezirksregierung als verlängerter Arm des Innenministeriums hatte grundsätzlich andere Vorstellungen für das Untersuchungsgebiet als der Oeseder Gemeindedirektor Rudolf Rolfes. 1966/1967 hatte sich die erste Nachkriegsrezession in der Stahlbranche niedergeschlagen und erforderte eigentlich ein neues und anderes raumplanerisches Denken. Dies wurde von den Kommunalakteuren auch eingefordert. Noch vor Erstellen des Raumordnungsplanes teilten sowohl die Gemeinde Georgsmarienhütte als auch die Gemeinde Oesede der Bezirksregierung mit, was eine Rezession in der Stahlbranche für sie bedeutete: Ende des Jahres 1967 schrieb die Gemeinde Georgsmarienhütte an den Landkreis: »Es hat sich aber gerade in dem letzten Jahr, nachdem sich im Herbst vergangenen Jahres eine fühlbare rückläufige Entwicklung bei dem einzigen großen Gewerbetrieb den die Gemeinde hat, den Klöckner-Werken AG, abzeichnete, die Notwendigkeit ergeben, über die vorgesehene Entwicklungsfläche hinaus und auch über die Ziele des uns

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

nun bekannt gewordenen, verhältnismäßig veralteten Stadt/Umlandplanes, zu dem die Gemeinde auch nie gehört worden ist, hinaus zu gehen.«1305 Ebenso machte die Gemeinde Oesede bereits 1967 auf die Situation im Untersuchungsgebiet aufmerksam. Gemeindedirektor Rolfes wandte sich direkt an die Bezirksregierung: »Wie schnell eine wirtschaftliche Rezession eintreten kann, haben wir in den letzten zwei Jahren erlebt«,1306 legte er dar und beantragte die Ausweisung der Osterheide im Oeseder Norden als Industriegebiet. Eine Reaktion hierauf ist in den verfügbaren Aktenbeständen nicht zu entnehmen. Zum annähernd gleichen Zeitpunkt, als die Sachverständigenkommission von Werner Weber sich mit der Bezirksreform und mit der Aufgabe der Raumplanung befasste und ihre Vorschläge veröffentlichte,1307 erarbeiteten die Bezirksplaner einen an das Innenministerium weitergeleiteten ausführlichen Plan. In einem nicht genau datierten Rahmenentwurf zur Landesplanung aus dem Jahr 1968 wurden die beiden Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte erneut als »Siedlungskomplex«1308 gesehen, das nicht mehr als ›Unterzentrum‹, sondern als ›Nebenzentrum‹ bewertet wurde. Rolfes glaubte, diese Neubewertung sei das Resultat seiner Bemühungen im Landesplanungsbeirat bei der Bezirksregierung, tatsächlich erfolgte die Umbenennung mit Gestattung des Innenministeriums.1309 Das Problem der konjunkturellen Krisen in der Stahlbranche sollte laut diesem Entwurf durch ein Aufbrechen der Monostruktur mittels Ansiedlung kleinerer und mittlerer Gewerbebetriebe im Georgsmarienhütter Ortsteil Malbergen bewältigt werden, wo noch zehn Vollerwerbslandwirte tätig seien.1310 Eine Zusammenlegung der beiden Orte war für die Raumplaner offensichtlich keine Option.

1305 Gemeinde Georgsmarienhütte an den Landkreis, Schreiben vom 8. November 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 11. Der hier angesprochene Stadt/Umlandplan sah Osnabrück als Kernstadt vor, in deren Umfeld keine Ansiedlung von Industrie erwünscht war. »Gemeinden, die nicht zu Siedlungsschwerpunkten gehören, sind vor Überfremdung zu schützen.« Der Industriekomplex in Georgsmarienhütte-Oesede sei ein geschichtlicher ›Sonderfall‹. Grundsätze für die Entwicklung des Planungsraumes Osnabrück und Umland vom 9. Juni 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 155. 1306 Gemeinde Oesede an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 7. Juni 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35. 1307 Im Frühjahr 1968 erschienen die Vorschläge der Sachverständigenkommission zur Bezirksreform in Niedersachsen, vgl.: Bezirksreform in Niedersachsen, Vorschläge und Überlegungen der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs-und Gebietsreform, Hannover 1968. 1308 2. Rahmenentwurf, undatiert, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35. 1309 Der Leiter des Planungsamtes der Bezirksregierung Hans-Erich Massalsky gab Rolfes nach, jedoch nur nach Rücksprache mit dem Innenministerium, handschriftliche Notiz von Hans-Erich Massalsky vom 15. Juli 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 21. 1310 Protokoll eines Erörterungstermins für die Durchführung des Raumordnungsverfahrens am 9. Oktober 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35.

Ebene I: Der Konflikt mit der Bezirksregierung – Die finanzielle Grundlage

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Gemeindedirektoren und Ratsmitglieder mussten im Frühjahr 1968 zur Kenntnis nehmen, wie die Landesplanung sie von jeder weiteren Entwicklung abhängte: Georgsmarienhütte kam bei der Einstufung in die Hierarchie der ›zentralen Orte‹ auf 18 Punkte, »was nicht mal für einen kleinen Zentralitätsort reichen würde,«1311 und beide Orte Georgsmarienhütte und Oesede zusammen erreichten bei einer gemeinsamen Veranlagung eine Zentralitätsziffer von 28 und verfehlten damit die Einstufung als ›Mittelzentrum‹ nur knapp um zwei Punkte.1312 Die erforderliche Zentralitätsziffer von 30 Punkten für die Einstufung als ›Mittelzentrum‹ wurden von den Gemeinden Quakenbrück, Bramsche, Melle, Raum Dissen/Bad Rothenfelde und der Stadt Bad Iburg durchaus erreicht. Die Einstufung der beiden größten Gemeinden des Untersuchungsgebietes, die im Juli 1968 bereits dem Innenminister mitgeteilt wurde, wurde selbst von den Bezirksplanern als problematisch eingeschätzt.1313 Diese hätten aus »taktischen Gründen«1314 lieber auf eine Einstufung des ›Siedlungskomplexes‹ im ›Verdichtungsraum‹ Osnabrück verzichtet, als die beiden Orte mit insgesamt 16.700 Einwohner_innen als ›Unterzentrum‹ zu bezeichnen, was im Vergleich zu Quakenbrück, das mit 8.000 Einwohner_innen als ›Mittelzentrum‹ eingestuft worden war, unpassend sei.1315 Doch auf Intervention des Regierungspräsidenten Suermann wurde der ›Siedlungskomplex‹ in die Hierarchie der ›zentralen Orte‹ aufgenommen, es blieb aber bei der Einstufung als ›Unterzentrum‹.1316 Eine Möglichkeit, gegen die Einstufung zu intervenieren, bestand über den im NROG vorgesehenen Landesplanungsbeirat. Dieser bestand aus den durch den Regierungspräsidenten berufenen Mitgliedern und sollte die Bezirksregierung bei der Aufstellung eines Bezirksraumordnungsplanes beraten. Seit 1966 war der Oeseder Gemeindedirektor Rolfes stellvertretendes Mitglied dieses Organs, im August 1968 wurde seine reguläre Mitgliedschaft dem Oeseder Rat mitgeteilt,1317 das genaue Datum, wann er als Mitglied berufen wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen.

1311 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte vom 10. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/084 Nr. 81. 1312 Protokoll über eine Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1 Bd. 2. 1313 Regierungspräsident an den Minister des Innern im Juli 1969, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/87 Nr. 95. 1314 Handschriftliche Notiz des Amtsleiters Hans-Erich Massalskys vom 10. Juni 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 22. 1315 Ebd. 1316 Nach einem Telefonat mit dem Regierungspräsidenten Suermann, ebd. 1317 VA-Protokoll der Gemeinde Oesede vom 28. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 186.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

Seit Inkrafttreten des Gesetzes im März 1966 hat das Gremium in den Jahren 1967–1969 sieben Mal getagt,1318 in der vierten Sitzung am 21. Mai 1968 nahm der Oeseder Gemeindedirektor zum ersten Mal an einer Sitzung dieses Gremiums teil, möglicherweise noch als Stellvertreter von Landrat Tegeler, der an diesem Tag nicht in der Anwesenheitsliste verzeichnet wurde. In dieser Sitzung wurde die Einordnung der Gemeinden in das vierstufige hierarchische System der ›zentralen Orte‹ vorgestellt. Die Einordnung jeder Gemeinde war Bestandteil des landesplanerischen Rahmenprogrammes, ein Vorgang, ohne den keine Gemeinde einen Bauleitplan aufstellen konnte.1319 Für 119 von 405 Gemeinden sei diese Einordnung bereits vorgenommen worden, weitere 18 Programme seien in Arbeit. In dieser Sitzung wurde unter Punkt 4 das Thema der ›zentralen Orte‹ erörtert. Auf der von der Bezirksregierung vorgelegten Liste fehlten Oesede und Georgsmarienhütte.1320 Im ›Verdichtungsraum‹ um Osnabrück seien nur wenige ›zentrale Orte‹ zu finden, fiel Teilnehmern auf, und offensichtlich war das Fehlen von Oesede und Georgsmarienhütte moniert worden. Ein Mitarbeiter der Bezirksregierung sagte dazu: »Die Richtlinien besagen, daß vorgemerkte Orte, obwohl gut ausgestattet, in einem Verdichtungsraum nicht als zentrale Orte bestimmt zu werden brauchen. Nach der Zentralitätsziffer wäre jedoch der ebengenannte Ort [Oesede/Georgsmarienhütte. I.B.] mit einer Punktzahl von 27 [eigentlich waren es 28 Punkte, I.B.] als Unterzentrum zu kennzeichnen.«1321

Die Ausstrahlungskraft der Stadt Osnabrück mache sich hier bemerkbar. Sie bewirke, dass größere Orte im Umlandbereich einen hohen negativen Handelsüberschuss aufwiesen. »Der Handelsüberschuß der Gemeinden Oesede/Georgsmarienhütte beträgt z. B. minus 284.«1322 In der nächsten Sitzung, die knapp zwei Monate später stattfand, waren Gemeindedirektor Rolfes und Landrat Tegeler beide dabei. Erneut waren die beiden Gemeinden Thema der Sitzung: »Der Landkreis Osnabrück warf die Frage auf, ob der Ort Oesede/Georgsmarienhütte nicht als ein zu entwickelndes Mittelzentrum anzusehen sei, da heute bereits eine 1318 Die ersten beiden Protokolle sind nicht überliefert, NLA OS Rep 430 Dez 101 Akz 37/76 Nr. 8. 1319 Ein Mitarbeiter der Bezirksregierung gab dem Gremium bekannt: »Die Landesplanerischen Programme sind Vorbedingung für die Aufstellung von Bauleitplänen in den Gemeinden und setzen hierfür den Rahmen.« Ergebnisniederschrift der 4. Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der Höheren Landesplanungsbehörde am 21. Mai 1968, ebd. 1320 Im überlieferten Protokoll werden sie handschriftlich bei den ›Unterzentren‹ hinzugefügt, ebd. 1321 Ebd. Die Vertreter der Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte gingen von 28 Punkten aus. 1322 Ebd.

Ebene I: Der Konflikt mit der Bezirksregierung – Die finanzielle Grundlage

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Zentralitätsziffer von 28 erreicht sei, die sich bald auf 29 erhöhen werde, wenn im August diesen Jahres das im Bau befindliche Gymnasium eröffnet wird.«1323

Doch ein Mitarbeiter der Bezirksregierung entgegnete: »daß dieser Ort ein Selbstversorgerort im Verdichtungsraum ohne größere Ausstrahlungskraft auf benachbarte Gemeinden sei.« Es müsse überlegt werden, eine andere Bezeichnung für solche »besonders zu fördernden Orte«,1324 die im ›Verdichtungsraum‹ liegen, zu finden. Als Ergebnis wurde jedoch festgehalten: »Im Verdichtungsraum Osnabrück liegt der Ort Oesede/Georgsmarienhütte, der nach der Zentralitätsziffer die Funktion eines Unterzentrums ausübt und weiter entwickelt werden soll.«1325 In den weiteren Sitzungen im Juli und im November 1969 wurde das Problem der beiden Gemeinden nicht erwähnt. Die komprimierten Aussagen des dargestellten Sachverhaltes sind folgende: Der Planungsbeirat beriet die Bezirksregierung beim Aufstellen des Raumordnungsprogramms für den Bezirk. In der fünften Sitzung wurden die Raumordnungspläne konkret. In den Protokollen der vierten und der fünften Sitzung waren die Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte mehrfach Thema. Aus den Ergebnisniederschriften geht der Beitrag des Gemeindedirektor Rolfes zum Geschehen nicht eindeutig hervor, aber aus den Antworten des Mitarbeiters der Bezirksregierung wird deutlich, dass hier zwei unterschiedliche Positionen aufeinanderprallten. Auf der einen Seite stand der Oeseder Gemeindedirektor, der seine eigene und die Nachbargemeinde gerne als ›Mittelzentrum‹ eingestuft und damit auch Aussicht auf Fördergelder haben wollte, auf der anderen Seite stand die Bezirksregierung, die einen ›Siedlungskomplex‹ im ›Verdichtungsraum‹ Osnabrücks gerne unbeachtet lassen wollte. Die protokollierten Antworten des Mitarbeiters der Bezirksregierung in der vierten und der fünften Sitzung zeigen, wie schwer sich die Behörde tat, die beiden Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte überhaupt zu klassifizieren und in den Rang eines ›Mittelzentrums‹ zu erheben oder sie wenigstens als einen zu entwickelnden ›Siedlungskomplex‹ zu sehen. Der Ort sei ohne Ausstrahlungskraft auf benachbarte Gemeinden, habe einen Handelsüberschuss von minus 284, eine Zentralitätsziffer von 27 und könne als ›Unterzentrum‹ bewertet, wurden die beiden Gemeinden klein geredet. Im Ergebnis wurden den Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte auch nach der Sitzung die Aufnahme in die Liste der ›zentralen Orte‹ verweigert. Die nachträgliche, handschriftliche Ergänzung der

1323 Ergebnisniederschrift der 5. Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der Höheren Landesplanungsbehörde am 9. Juli 1968, ebd. 1324 Ebd. 1325 Ebd.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

beiden Gebietskörperschaften in ein bereits getipptes und vervielfältigtes Protokoll spricht für sich.1326 Was die Einstufung ins hierarchische System bedeutete, wurde aus gutem Grund im Ungefähren gelassen. 1967 behaupte ein Mitarbeiter der Bezirksregierung gar, mit der Einstufung der Orte in das hierarchische System seien keine Fördermaßnahmen des Landes verbunden.1327 Doch aus einem Vermerk des Baudezernates der Stadt Osnabrück über eine Besprechung mit dem Landkreis Osnabrück über das später noch rechtliche Bindung erlangende WortmannGutachten wurde festgehalten: »Prof. Wortmann möchte diese allgemeine und spezielle Förderung unterbinden in allen Bereichen, die unter dem Zentrum (Unterzentrum) liegen.«1328 Auch im Landesplanungsbeirat auf höchster Ebene, wo ministeriale Mitarbeiter die Wünsche und Vorstellungen des Innenministers deutlich artikulierten, hieß es, dass das System der ›zentralen Orte‹ die Grundlage für die künftige Verteilung der Fördergelder bilde.1329 Innenminister Lehners betonte, dass die Mittel des Staates auf Schwerpunkte konzentriert würden.1330 Und die NOZ zitierte den Geschäftsführer des Niedersächsischen Gemeindetages Ludwig Reißner mit den Worten: »dass die mageren Investitionsmittel ausschließlich in die ›zentralen Orte‹ kämen.«1331 Zeitgleich mit Rolfes Anstrengungen, die beiden größten noch getrennten Gemeinden im damaligen Landkreis Osnabrück höher einstufen zu lassen, begann im Untersuchungsgebiet die Aushandlung zur Zusammenlegung. Motiviert waren die Ratsmitglieder vor allem durch die äußerst ungünstige Einstufung ins hierarchische System der ›zentralen Orte‹, welche die Gemeinden von jedweder Entwicklungsmöglichkeit abkoppelte. Mittels einer Zusammenlegung erhofften sich die Akteure eine höhere Zentralitätsziffer und die Aufstufung zum ›Mittelzentrum‹, und damit die Möglichkeit, ein Industriegebiet auszuweisen. Doch dies geschah unabhängig von der Arbeit der Raumplaner. Deren Selbstverständnis nach hatten ihre Raumpläne nichts mit der Gebietsreform zu tun.1332 1326 Ergebnisniederschrift der 4. Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der Höheren Landesplanungsbehörde am 21. Mai 1968, ebd. 1327 Massalsky über die Einstufung der Orte am 4. September 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26. 1328 Vermerk des Dezernates 6 der Stadt Osnabrück über eine Rücksprache mit Kreisoberrat Rhode betr. Fortschreibung des Stadtumlandplanes durch Wilhelm Wortmann am 10. März 1969, ebd. 1329 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates beim Minister des Innern am 27. November 1967, NLA HA Nds 100 Az 36/86 Nr. 21. 1330 Presseinformation des Nieders. Innenminster Richard Lehners vom 14. September 1969, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 47. 1331 »Nicht nur im Nahbereich der Stadt wird es ernst für die Gemeinden«, NOZ, 5. Februar 1969. 1332 Der Oberkreisdirektor Backhaus verweist in einem Schreiben an die kreisangehörigen Gemeinden über die Einteilung und Zuordnung der Gemeinden zu Nahbereichen des

Ebene I: Der Konflikt mit der Bezirksregierung – Die finanzielle Grundlage

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Die Bezirksregierung bzw. die Landesplanung leugnete jedes Interesse an der Zusammenlegung im Zuge der Gebietsreform: Diese habe keinen Einfluss auf das Verfahren der Raumordnung, antworteten die Raumplaner auf Anfrage. Wenn es zur Zusammenlegung komme, müsse ein neues Rahmenprogramm erstellt werden.1333 Trotz des bekundeten Desinteresses der Bezirksplaner wünschte der Regierungspräsident vom Landkreis einen Bericht über den Stand der Zusammenlegung, von der er aus der Zeitung erfahren habe.1334 Von einer Fusion war seitens der Raumplaner in keinem ihrer Entwürfe, Briefe oder handschriftlichen Notizen die Rede. Als der Zusammenschluss der drei Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede und Harderberg Anfang 1969 nur noch eine Frage der Zeit war, erteilte die Bezirksregierung aus landesplanerischer Sicht ihre Zustimmung.1335 Doch diese schränkte sie wenig später deutlich ein: Der noch selbständigen Gemeinde Georgsmarienhütte teilte sie mit, dass der Gemeinde Harderberg keine landesplanerische Funktion zukomme, und riet »von der Ausweisung weiterer Gewerbeflächen in der Gemeinde Harderberg«1336 ab, und das zu einem Zeitpunkt, als der Gebietsänderungsvertrag, in dem die Ausweisung von Flächen auf der Harderberger Gemarkung bereits vertraglich festgeschrieben und unterzeichnet war. Da der Vertrag noch nicht in Kraft getreten war, kann dieses Schreiben auch als Versuch verstanden werden, die Zusammenlegungspläne der Gemeinden im Untersuchungsgebiet zu hintertreiben. In diesen Zusammenhang, die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe zu hemmen, gehörten auch die Schwierigkeiten, die Rolfes mit der Bezirksregierung wegen der Ausweisung von Industrie- und Gewerbegebieten hatte. Als die Großgemeinde längst gegründet und mit Stadtrechten ausgestattet war und mit Firmen über einen Umzug nach Georgsmarienhütte verhandelte, schrieb die Bezirksregierung an das Innenministerium: Der ›Siedlungskomplex‹ Oesede/Georgsmarienhütte könne als ›zentraler Ort‹ gesehen werden, aber nicht das ganze Stadtgebiet. Die eingegliederten Stadtteile, also mit dem Franziskushospital auf dem Harderberg, könnten nicht – wie die Gemeindeakteure vor der Zusammenlegung gehofft

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Landesplanungsbeirates ausdrücklich darauf, dass die Einteilung keineswegs einen Vorgriff auf die Gebietsreform bedeute und sich jeder Vorgriff hierauf sich verbiete, Landkreis Osnabrück an die kreisangehörigen Gemeinden, Schreiben vom 19. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. Protokoll eines Erörterungstermins für die Durchführung des Raumordnungsverfahrens am 9. Oktober 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35. Regierungspräsident an Landkreis, Schreiben vom 21. August 1968 und Antwort des Landkreises an den Regierungspräsidenten vom 6. September 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. Oberkreisdirektor Backhaus an den Minister des Innern, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. Interner Vermerk der Bezirksregierung mit Durchschrift an die Gemeinde Georgsmarienhütte vom 30. Mai 1969, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 11.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

hatten – zur Zentralitätsziffer dazugerechnet werden.1337 Die Nähe zu Osnabrück schwäche den Ort, und eine Einstufung als ›Mittelzentrum‹ sei nicht gerechtfertigt.1338 Wenn die Stadt allerdings in das Raumordnungsprogramm des Bezirks aufgenommen werde, dann könne sie als regionales Zentrum »wie ein Mittelzentrum ausgestattet«1339 werden. Das bedeutete, dass Georgsmarienhütte weiterhin der Status eines ›Unterzentrums‹ – oder euphemistisch ausgedrückt eines ›Nebenzentrums‹ – durch die Raumplaner zugewiesen wurde und von einer finanziellen Förderung ausgeschlossen werden würde, wenn es der Stadt nicht gelänge, als regionales Zentrum eingestuft zu werden. Eine Aufstufung zog die Bezirksregierung aber auf keinen Fall in Betracht. Zwar sah ein weiterer Entwurf des landesplanerischen Rahmenprogramms für die Stadt Georgsmarienhütte 1971 die Ansiedlung von Gewerbe in den Stadtteilen Georgsmarienhütte und Harderberg vor, aber es hieß auch unmissverständlich: »Planung und Durchführung von Maßnahmen der Stadt Georgsmarienhütte vollziehen sich grundsätzlich im Rahmen der Eigenentwicklung,«1340 das heißt ohne Zuschüsse der öffentlichen Hand. Dieser Status beziehe sich auch auf die »die Erfordernisse der örtlichen gewerblichen Wirtschaft«.1341 Genehmigt wurde das Rahmenprogramm erst am 31. Januar 1972, nachdem eine aufwändige Prüfung ergeben hatte, dass gegen die Ausweisung neuer Wohn- und Gewerbeflächen in erheblichem Umfang keine grundsätzlichen Bedenken bestünden. Ferner hieß es in dem offiziellen Schreiben: »Es bedarf des Hinweises, daß die Darstellung der von der Stadt [Georgsmarienhütte, IB.] gewünschten Bauflächen im Entwurf der Raumordnungsskizze nur zur Beratung im Raumordnungsverfahren dargestellt waren und keinen Vorgriff auf die endgültige Bauleitplanung bedeuteten.«1342 Demnach behielt sich die Bezirksregierung vor, die Bauleitpläne auch nach der offiziellen Genehmigung des Rahmenprogramms nicht unbedingt automatisch genehmigen zu wollen.1343 1337 Die Ratsherren der Dütetalgemeinden hatten sich vor allem durch das Franziskushospital eine Höherbewertung versprochen. Arbeitspapier der Oeseder Gemeindeverwaltung am 14. November 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. In dem Schreiben an den Minister blieb die Bezirksregierung eine Begründung, warum das Franziskushospital nicht in die Wertung eingehen sollte, schuldig. Regierungspräsident an den Minister des Innern, Schreiben vom 30. November 1970, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 11. 1338 Regierungspräsident an den Minister des Innern, Schreiben vom 30. November 1970, ebd. 1339 Ebd. 1340 Entwurf des Landesplanerischen Rahmenprogrammes für die Stadt Georgsmarienhütte gemäß § 17 NROG vom 14. Juli 1971, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35. 1341 Ebd. 1342 Regierungspräsident an die Stadt Georgsmarienhütte, Schreiben vom 31. Januar 1972, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 2000/007 Nr. 19. 1343 Der Dienstweg nach dem Bundesbaugesetz vom 23. Juni 1960 erläuterte in einem Vortrag ein Mitarbeiter der Bezirksregierung so: Seit 1933 herrsche keine Baufreiheit mehr, weil dies zu einer Zersiedlung geführt habe. Die vorbereitende Bauleitplanung bestehe im

Ebene I: Der Konflikt mit der Bezirksregierung – Die finanzielle Grundlage

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Im Folgenden geriet die gemeindliche Bauleitplanung vom gültigen Raumordungsprogramm über einen Flächennutzugsplan zum Bebauungsplan durcheinander. »Das Entwickeln eines Bebauungsplanes setzt nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BBauG das Bestehen eines wirksamen, d. h. eines genehmigten und bekanntgemachten Flächennutzungsplanes voraus.«1344 Die Stadt Georgsmarienhütte konnte erst 1972 einen Flächennutzungsplan erarbeiten und nach dessen Genehmigung Bauleitpläne zur Genehmigung vorlegen. Der erste Flächennutzungsplan wurde bereits Mitte des Jahres 1972 nach gesetzlich vorgeschriebener Bekanntmachung beschlossen1345 und der Bezirksregierung vorgelegt, die ihn alsbald mit zahlreichen Änderungswünschen zurückgab.1346 Bis die Änderungen eingearbeitet waren, vergingen weitere zwei Jahre. Der erste gültige Flächennutzungsplan stammt aus dem Jahr 1974, er wurde am 5. November 1976 genehmigt.1347 (Siehe Anhang 9) Viel wichtiger als die Flächennutzungspläne war die Genehmigung der Bebauungspläne. Der Bebauungsplan 27, das Gebiet Oesede-Nord betreffend, wurde am 27. Februar 1968 genehmigt, aber nur als Wohngebiet, die Genehmigung des Bebauungsplanes Westlich Weghaus wurde zunächst am 5. Februar 1969 genehmigt, dann aber wieder gestrichen. Die erste Genehmigung für ein Gewerbegebiet, Bebauungsplan Nr. 80, südlich der B 68, erfolgte am 15. November 1972, und das Industriegebiet Harderberg, für dessen Ausweisung und Besiedlung mit Firmen die Kommunen im Untersuchungsgebiet ihre Selbstständigkeit aufgegeben hatten, wurde am 21. August 1973 offiziell genehmigt,1348 nachdem die Bezirksregierung darauf bestanden hatte, dass zuerst ein gültiger Flächennutzungsplan vorgelegt wird, den sie gerade zuvor abgelehnt hatte.1349 Als die Bezirksregierung das Industriegebiet Harderberg 1973 genehmigte, hatte die Stadt Georgsmarienhütte bereits mehrere Firmen dort angesiedelt.1350 Rolfes hatte also keineswegs den Weg durch die Instanzen eingehalten, weder

1344 1345 1346 1347 1348 1349 1350

Aufstellen eines Flächennutzungsplanes, dann im Aufstellen eines verbindlichen Bebauungsplanes. Oberbaurat Brzeska am 2. Februar 1965, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 21; vgl. auch: Otto Benne: Die Verwaltungsstruktur des ländlichen Raumes des Landes Niedersachsen nach der Gebiets- und Verwaltungsreform, Köln 1980, S. 174–180. Benne: Die Verwaltungsstruktur, S. 177. Ratsprotokoll der Stadt Georgsmarienhütte vom 19. Juni 1972, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/ 084 Nr. 47. Unter anderem wurde beanstandet, dass der Schallschutz im Bereich des Milchhofes nicht eingehalten worden sei. Die Stadt wurde aufgefordert, ein Gutachten zum Immissionsschutz einzuholen, Ratsprotokoll der Stadt Georgsmarienhütte vom 28. Juni 1972, ebd. Formblatt der Bezirksregierung Flächennutzungsplan vom 9. Dezember 1974, genehmigt am 5. November 1976, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 2000/007 Nr. 19. Siehe auch Anhang 9. Liste der genehmigten Bebauungspläne, ebd. Ratsprotokoll der Stadt Georgsmarienhütte vom 28. Juni 1972, NLA OS Dep 81 b Nr. 47. U. a. eine Schokoladenfabrik, Ratsprotokoll der Stadt Georgsmarienhütte vom 29. Mai 1972, ebd.; »Ansiedlung des Milchhofes perfekt«, NOZ, 27. Oktober 1970.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

hatte er einen genehmigten Flächennutzungsplan noch genehmigte Bauleitpläne zur Hand. Er ignorierte den Hinweis, der mit der Bekanntgabe des landesplanerischen Rahmenprogrammes verbunden war, dies nicht als Vorgriff auf die Genehmigung der Bauleitpläne zu verstehen, komplett.1351 Er siedelte auch auf ungenehmigten Flächen Betriebe an und zwar keineswegs heimlich. Damit stellte er die kommunale Aufsichtsbehörde immer wieder vor vollendete Tatsachen, die im Nachgang nur genehmigen konnte, was Rolfes bereits entschieden und realisiert hatte.1352 Die Bezirksregierung bremste die Ansiedlungsvorhaben der Stadt Georgsmarienhütte, wo immer es ging, und Rolfes stellte die Mitarbeiter dieser Behörde immer wieder vor vollendete Tatsachen. Nur die Finanzierung stellte für Rolfes eine Herausforderung dar. Er stellte unmittelbar nach Gründung der Stadt Georgsmarienhütte vergeblich Anträge zur Aufnahme von Darlehen.1353 Im Jahr 1971 wurde ein Finanzbedarf von 4,5 Mio. DM1354 ermittelt, wovon allein 1,6 Mio. DM1355 für die Ansiedlung von Industrie notwendig waren. Auch der erhoffte Geldsegen aus Fördertöpfen blieb aus. Im ersten Jahr nach Stadtgründung beklagte Rolfes, dass er für die Industrieansiedlung keine oder nur sehr spärliche Zuschüsse erhalte.1356 Als 1971 die negative Entwicklung der Metallbranche bei den Klöckner-Werken anhand von Entlassungen und Kurzarbeit1357 unübersehbar wurde, stellten die Mitglieder des Landtages Hermann Sandkämper und Josef Tegeler eine Kleine Anfrage im Landtag1358 und legten Wirtschaftsminister Helmut Greulich das Problem der neuen Stadt Georgsmarienhütte dar, die »sich seit Gründung insbesondere der Wirtschaftsförderung angenommen habe«1359 und nun allein nicht mehr zurechtkomme. Ob man die 1351 Das »Wartegebot«, das Genehmigungsverfahren abzuwarten, durfte nur in »Notfällen« aufgehoben werden. Erst 1979 wurde das Verfahren gelockert und es durfte in »dringenden« Fällen ein Bebauungsplan erstellt werden, ohne dass vorher ein Flächennutzungsplan vorlag, vgl.: Benne, Die Verwaltungsstruktur, S. 177. 1352 Laut einem Vermerk erteilte der Regierungspräsident 1971 für den Bauhof der Stadt Georgsmarienhütte und eine weitere Firma eine Vorabbaugenehmigung, Vermerk vom 13. Mai 1971, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 41. 1353 Gemeinde Georgsmarienhütte an die Bundesanstalt für Arbeit, Antrag zur Aufnahme eines Darlehens in Höhe von 1 Mio. DM, Schreiben vom 7. Juli 1970, Gemeinde Georgsmarienhütte an den Landkreis Osnabrück, Antrag auf Aufnahme eines Darlehens in Höhe von 4,8 Mio. DM, Schreiben vom 29. Mai 1970, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 46. 1354 Ratsprotokoll der Stadt Georgsmarienhütte vom 27. Juli 1971, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/ 84 Nr. 46. 1355 Ratsprotokoll der Stadt Georgsmarienhütte vom 26. Januar 1971, ebd. 1356 Handreichung aus Anlaß des Besuchs des Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit, Böhme am 20. Oktober 1970, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 46. 1357 »Antrag gestellt auf Entlassung von 450 Mitarbeitern«, NOZ, 23. Oktober 1971. 1358 Kleine Anfrage Nr. 820 im Nieders. Landtag vom 16. November 1971, NLA OS Dep 104 II Akz 47/92 Nr. 147. 1359 »Zur Hilfe grundsätzlich bereit«, NOZ, 3. Dezember 1971.

Ebene I: Der Konflikt mit der Bezirksregierung – Die finanzielle Grundlage

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Bemühungen der Stadt Georgsmarienhütte bei der Neuansiedlung von Betrieben unterstützen und Georgsmarienhütte in das Aktionsprogramm ›Nordwest‹ aufnehmen wolle, damit ein Anspruch auf Fördermittel geltend gemacht werden könne, fragten die beiden und bekamen die Antwort: Man wolle wohl die Bemühungen unterstützen, eine verpflichtende Erklärung könne man jedoch nicht machen.1360 Immerhin bekam die Stadt Georgsmarienhütte 1973 vom Wirtschaftsministerium einen Zuschuss für das Gewerbegebiet auf dem Harderberg.1361 In ein reguläres Förderprogramm kam die Stadt aber erst 1976. Der neugewählte Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) praktizierte eine andere Wirtschaftspolitik,1362 und Georgsmarienhütte kam neben Quakenbrück und Bramsche in das Förderprogramm »Ems-Mittelweser«.1363 Der Aushandlungsprozess mit der Bezirksregierung und dem Land Niedersachsen überwölbte den Aushandlungsprozess zur Zusammenlegung und den Namensstreit. Für Rolfes war es der übergeordnete und alles entscheidende Aushandlungsprozess: Ohne die Möglichkeit auf dem Harderberg Gewerbe und Industrie anzusiedeln, würden die Kommunen einer düsteren Zukunft entgegen sehen, und so setzte er alles daran, diese von oben vorgenommene Weichenstellung zu verhindern. Der zeitliche Druck war groß. Das Land Niedersachsen und der Landkreis Osnabrück waren bereits dabei, das Industriegebiet Wallenhorst/Hollage auszuweisen. Daher verfolgte er eine Doppelstrategie. Zeitgleich verhandelte er einerseits im Landesplanungsbeirat um eine Höherstufung und bemühte sich andererseits (in Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren) um die Zusammenlegung der Kommunen zwischen Osnabrück und Iburg, was – so seine Hoffnung – eine automatische Höherstufung1364 nach sich ziehen würde.1365 1360 In der Liste der zu fördernden Schwerpunktorte stand unter dem Stichwort Osnabrück/ Georgsmarienhütte noch 1974 ein Strich, NLA HA Nds 500 Akz 2002/135 Nr. 5. 1361 »Eine Bereicherung für Gmhütte. Das neue Harderberg-Gebiet«, NOZ, 24. August 1974. 1362 »Auch außerhalb der industriellen Ballungszentren sollten Arbeitsplätze geschaffen werden, um eine weitere Landflucht zu vermeiden«, Manfred von Boetticher: Die Ära Albrecht (1976–1990), in: Gerd Steinwascher (Hg.): Geschichte Niedersachsens. Von der Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung, Hannover 2010, S. 735–806, hier S. 775. 1363 »Wirtschaftsförderung und Fremdenverkehr im Großkreis Osnabrück«, NOZ, 14. Februar 1976; »›Millionenbrocken‹ aus Hannover für GMHütte«, NOZ, 23. Mai 1979; vgl. auch Kiehling: Die Industrie der Stadt Georgsmarienhütte, S. 33. 1364 Bei einer Zusammenlegung – so rechneten sich die Akteure aus – werde man auf 30,6 Punkte kommen, da ja das Krankenhaus in der Gemeinde Harderberg und das im Bau befindliche Kreisgymnasium noch dazu gerechnet werden müssten, Arbeitspapier der Oeseder Verwaltung vom 14. November 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1365 Umgekehrte Verhältnisse im nordrhein-westfälischen Bad Meinberg. Der Kurort wollte selbstständig bleiben und lehnte eine Zusammenlegung mit der industrialisierten Gemeinde Horn ab. Horn hatte aber somit keine Möglichkeit, zentralörtliche Bedeutung zu gewinnen. Die Landesregierung, insbesondere der Innenminister, setzte 1968 entgegen den Protesten aus Bad Meinberg die Zusammenlegung durch, vgl.: Albertin/Keim/Werle: Die Gemeinden in der Hand der Reformer, S. 88–92.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

Abb. 4: Streik am 23. Oktober 1971 für den Erhalt des Hochofens vor dem Gasometer, auf dem eine schwarze Fahne gehisst wurde. Foto: Werner Beermann

Dabei konnte er die Auseinandersetzung mit der Bezirksregierung nur bedingt vor den Kommunalakteuren artikulieren. Hätte er seinen eigenen Ratsleuten und den Ratsleuten der an der Zusammenlegung beteiligten Kommunen mitgeteilt, dass die Ausweisung des Gewerbe- und Industriegebietes unsicher war, hätten sich weder die Gemeinde Harderberg noch die Gemeinde Georgsmarienhütte auf die Zusammenlegungsverhandlungen eingelassen. Auch der Namenskonflikt1366 wird durch den Aushandlungsprozess mit der Bezirksregierung zusätzlich erhellt. Für die Oeseder Kommunalakteure war der Zusammenschluss für die Höherstufung und die Möglichkeit, ein Industriegebiet auszuweisen, von so entscheidender Bedeutung, dass sie dafür Op1366 Siehe Kap. 4.3. Ebene III: Der Namenskonflikt – Die identitätsstiftende Grundlage, S. 296.

Ebene II: Das interkommunale Vertragswerk – Die rechtliche Grundlage

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fer brachten. Das frühe Aufgeben des eigenen Namens in den Verhandlungen und der Vorschlag, einen neuen Namen zu kreieren, stehen in diesem Zusammenhang. Wäre eine Einstufung zum ›Mittelzentrum‹, die Förderwürdigkeit und die Ausweisung des Industrie- und Gewerbegebietes unstrittig gewesen, hätten Rolfes und Siepelmeyer ihre Ratsleute sicher nicht zur Aufgabe des Namens und zur Annahme des Namens ›Georgsmarienhütte‹ gedrängt. Diese Zusammenhänge aber konnten den Bürger_innen weder im Vorfeld noch im Nachhinein öffentlich erklärt werden, denn wie sollte Rolfes mit Firmen verhandeln, wenn hätte ruchbar werden können, dass die Bezirksregierung nach wie vor alles unternahm, um Industrie- und Gewerbeansiedlung auf dem Harderberg zu hintertreiben.

4.2. Ebene II: Das interkommunale Vertragswerk – Die rechtliche Grundlage Erstes Anzeichen, dass die kommunale Landschaft in Bewegung geraten war, war die Einladung des Oberkreisdirektors Heinrich Backhaus an die kreisangehörigen Gemeinden vom 17. Februar 1965 zu einem Vortrag mit dem Thema: »Raumordnung und Landesplanung und Selbstverwaltung der Gemeinden«, der von Ludwig Reißner, dem Geschäftsführer des Niedersächsischen Gemeindetages, gehalten wurde.1367 Die Bezirksplaner hatten bereits am 9. Juni 1966 »Grundsätze für die Entwicklung des Planungsraumes Osnabrück und Umland« herausgegeben, die den »Industriekomplex im Raum Georgsmarienhütte-Oesede […] als ein[en] geschichtlich gewachsenen Sonderfall«1368 ansahen. Was das aber im Einzelnen hieß, führte das Papier nicht aus. Ein Jahr später wurden die Stadt Osnabrück und der Landkreis aktiv. Vertreter dieser Gebietskörperschaften setzten sich im September 1967 zusammen und bildeten eine zunächst informelle Planungsgemeinschaft. In einer »Niederschrift über die Ziele und Aufgaben dieser Planungsgemeinschaft«1369 wurden die Kommunen, die zu einer Zusammenkunft am 19. September 1967 eingeladen worden waren, informiert. In dem Papier standen keine konkreten Vorschläge, wie die Gebietsreform umgesetzt werden könnte, nur dass die »Ziele

1367 Landkreis an landkreisangehörige Gemeinden, Schreiben vom 17. Februar 1965, NLA OS Dep 81 b, Nr. 11. 1368 Grundsätze für die Entwicklung des Planungsraumes Osnabrück und Umland vom 9. Juni 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 155. 1369 Landkreis an die kreisangehörigen Gemeinden, Schreiben vom 11. September 1967, ebd.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

der Raumordnung und Landesplanung« Beachtung finden sollten und dass »ausschließlich das Interesse der Bevölkerung«1370 entscheidend sei. Der Aushandlungsprozess ist unterteilbar in acht Verhandlungsrunden, von denen die ersten vier nicht zum Erfolg führten. Erst die fünfte Runde, in der Landrat Josef Tegeler das Geschehen in die Hand nahm, brachte die Aushandlung voran und zu einem Ende. Die letzten drei Runden dienten der Arrondierung der neuen Gebietskörperschaft.

4.2.1. Erste Verhandlungsrunden: Kleine Lösungen ohne Erfolg 4.2.1.1. Verhandlungsrunde 1: Versuch zwischen Nahne und Harderberg 1966 Der Landkreis Osnabrück hatte ein starkes Interesse daran, eine Eingemeindung von bisher dem Landkreis zugehörigen Gemeinden – die teilweise, wie etwa die Gemeinde Nahne, bereits mit Industrie besiedelt waren – in die Stadt Osnabrück zu verhindern. Kleine aber finanziell leistungsstarke Umlandgemeinden im Landkreis zu halten, erforderte letztlich die Zusammenlegungen der Gemeinden. Backhaus nahm zu diesem Zweck Verbindung mit dem Harderberger Bürgermeister Adolf Aulf auf. In einem internen Schreiben an Kreisamtmann Petersmann, der die Gespräche mit Harderberg weiter begleiten sollte, berichtete der Oberkreisdirektor, dass der Harderberger Bürgermeister Adolf Aulf sich bereit erklärt habe, »sofort und uneingeschränkt«1371 mit Nahne eine Gemeinde zu bilden. Wenige Tage später meldete der Kreisamtmann Petersmann an seinen obersten Dienstherrn, dass die Fusion zwischen Nahne und Harderberg nicht ohne weiteres möglich sei. »Am liebsten bleibt die Gemeinde Nahne als selbständige Gemeinde bestehen«,1372 berichtete er Backhaus. Den beiden Kommunen vor den Toren Osnabrücks fehle es an gemeinsamen Interessen. Die beiden Bürgermeister Strick und Aulf würden höchstens eine Samtgemeinde bilden, bei der die Kommunen weitgehend getrennt blieben.1373 Für Nahne sei eine Eingemeindung nach Osnabrück das »größte Übel«1374 und Harderberg lehne »eine Eingemeindung nach Oesede«1375 ab. Die Zeit drängte. Schon am 25. Oktober 1966 wollte das Land Niedersachsen Vorschläge zur Reform haben. 1370 Kommunale Arbeitsgemeinschaft Stadt und Land Osnabrück, ebd. 1371 Interner Vermerk Backhaus an Kreisamtmann Petersmann vom 22. Juli 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 69. 1372 Vermerk von Kreisamtmann Petersmann vom 26. Juli 1966, ebd. 1373 Ebd. 1374 Ebd. 1375 Ebd.

Ebene II: Das interkommunale Vertragswerk – Die rechtliche Grundlage

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Der Oberkreisdirektor holte deshalb sowohl Bürgermeister Strick als auch Bürgermeister Aulf und die jeweiligen Gemeindedirektoren am 22. September 1966 zu einer Besprechung ins Kreishaus und machte ihnen unmissverständlich klar, dass Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern keine »Daseinsberechtigung«1376 hätten. Aber weder in dieser Besprechung noch in der Ratssitzung in Harderberg am 11. Oktober 1966, an der Backhaus persönlich teilnahm, konnte er die Harderberger überzeugen. Geographisch passten Nahne und Harderberg nicht zusammen, und eine Zusammenlegung würde die Verwaltung ganz sicher nicht verbilligen, wandten die Ratsleute ein. Eine Eingemeindung nach Oesede wurde ebenfalls diskutiert, aber aus Sorge, am Ende in Oesede mit nur ein bis zwei Ratsleuten vertreten zu sein, wurde auch dieser Vorschlag abgelehnt. Stattdessen waren die Ratsherren dafür, »unter allen Umständen die Selbstständigkeit der Gemeinde Harderberg zu erhalten.«1377 Der erste Versuch, die Vorgaben der Gebietsreform umzusetzen, war gescheitert. Gemäß den verhandlungstheoretischen Überlegungen hatten beide Gemeinden die Entscheidung zwischen Selbständigkeit und Zusammenschluss zu treffen. Die ›Auszahlung‹ für einen Zusammenschluss konnte Backhaus nicht verbalisieren, die Vorteile einer Zusammenlegung der beiden Gemeinden nicht benennen. Die ›Auszahlung‹ für die Entscheidung für die weitere Selbständigkeit jedoch bestand darin, in ferner Zukunft von der Landkarte genommen zu werden, da die Gemeinden keine ›Daseinsberechtigung‹ hätten. Diese Drohgebärde reichte für die Herstellung einer kooperativen Haltung der beiden Bürgermeister nicht aus.

4.2.1.2. Verhandlungsrunde 2: Versuch zwischen Kloster Oesede und Holsten-Mündrup 1966 Durch Zufall entdeckte der Bürgermeister von Kloster Oesede, Hans Stertenbrink, im Januar 1966 in einem Mitteilungsblatt der Industrie- und Handelskammer eine Karte, die die ersten Planungen des Landes für den Regierungsbezirk Osnabrück abbildete. Nach dieser sollte Kloster Oesede der Gemeinde Borgloh-Wellendorf zugeordnet werden und Borgloh selbst sollte ›Kerngemeinde‹ (›ländliche Mittelpunktgemeinde‹) werden. Empört reagierte Hans Stertenbrink vor dem Gemeinderat Kloster Oesede auf die Abwertung ihres Dorfes als »Anhängsel« von Borgloh.1378 Da kam das Schreiben des Bürgermeisters Hügelmeyer aus HolstenMündrup, mit der er anregte, über die Angliederung der Nachbargemeinde an 1376 Protokoll der Ratssitzung des Harderberger Gemeinderates am 11. Oktober 1966, ebd. 1377 Ebd. 1378 »Kloster Oesede will kein ›Anhängsel‹ von Borgloh-Wellendorf werden«, NT, 15. Juni 1966.

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das Dorf Kloster Oesede eine Aussprache zu führen.1379 Holsten-Mündrup – die Gemeinde umfasste 573 ha und zählte 828 Einwohner_innen – würde die Gemeinde Kloster Oesede mit 4.276 Einwohner_innen auf 1.302 ha über die 5.000Einwohner_innen-Marke heben. Dieser Umstand würde die Stellung der Gemeinde im kommunalen Gefüge enorm stärken, und ihre Chancen verbessern, selbst anstelle von Borgloh als ›Kerngemeinde‹ eingestuft zu werden. Nachdem sich der Gemeindedirektor Hans Middelberg beim Landkreis rückversichert hatte, dass eine Fusion seitens des Landkreises durchaus begrüßt werde,1380 wurde das Ansinnen im Kloster Oeseder Rat diskutiert. Natürlich gebe es Nachteile: Eine Gemeinde über 5.000 Einwohner verursache mehr Arbeit, das Gebiet von Holsten-Mündrup sei ja nicht gerade klein, außerdem müsse dann ein großer Teil der »Ordnungsangelegenheiten«1381 in eigener Verantwortung erledigt werden. Es seien auch Vorteile vorhanden: die Gemeinde sei dann die flächenmäßig größte des Landkreises und nach Einwohnerzahlen die viertgrößte, was im Hinblick auf die Landes- und Regionalplanung sehr nützlich sei. Doch die Ratsleute mahnten auch zur Zurückhaltung. Auf keinen Fall dürfe der Eindruck entstehen, Kloster Oesede sei die treibende Kraft in diesem Geschehen. »Eine allzugroße Bereitschaft von Kloster Oesede könne zu erhöhten Forderungen der Gemeinde Holsten-Mündrup führen.«1382 Unter dieser Prämisse gingen die Ratsleute von Kloster Oesede in die gemeinsame Sitzung mit den Ratsleuten von Holsten-Mündrup am 21. Juli 1966. In dieser ging es vor allem darum, ob eine Samtgemeinde oder eine Einheitsgemeinde gebildet werden soll. Bei der Bildung einer Samtgemeinde geben die Gemeinden Teilaufgaben ab, bleiben aber ansonsten als Gemeinde bestehen. In diesem Zustand der Zusammengehörigkeit befand sich 1966 HolstenMündrup mit der Gemeinde Bissendorf, mit der sie ansonsten wenig gemeinsam hatte. Bei der Bildung einer Einheitsgemeinde, wie sie im Übrigen auch ganz generell das sog. Weber-Gutachten empfahl, gehen die Mitgliedsgemeinden komplett in einer Großgemeinde auf und führen einen gemeinsamen Namen. Die Eingliederung einer Gemeinde setzte aber zuvor ihre Auflösung voraus, weshalb die Holsten-Mündruper, bevor sie diese weitgehende Entscheidung trafen, lieber eine Bürgerversammlung durchführen wollten. Diese wurde auf den 15. September 1966 in der Gaststätte Niemann in Holsten-Mündrup anberaumt. Ein Vertreter des Kreises, Herr Petersmann, war 1379 Bürgermeister Ferdinand Hügelmeyer an die Gemeindeverwaltung Kloster Oesede, Schreiben vom 20. Juni 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. 1380 Vermerk über die Besprechung mit Kreisamtmann Petersmann und Gemeindedirektor Hans Middelberg am 8. Juli 1966, ebd. 1381 Protokoll der Ratssitzung des Kloster Oeseder Gemeinderates am 11. Juli 1966, NLA OS Dep 81 b 132. 1382 Ebd.

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anwesend. Er stand zur Verfügung, um Rechts- und Verfahrensfragen zu beantworten. Die Bürger_innen stellten vor allem Fragen nach der Entwicklung der Schullandschaft und nach der steuerlichen Belastung Holsten-Mündrups. Groß war die Sorge, dass die »hochverschuldete«1383 Gemeinde Kloster Oesede das Steueraufkommen Holsten-Mündrups in Höhe von 80.000 DM »aufsaugen« könnte.1384 Nach zweistündiger Diskussion kam es am Ende weder zu einer Abstimmung noch zu einem klaren Meinungsbild. Am 4. Oktober 1966 baten dennoch 32 Bürger_innen den Rat der Gemeinde, Holsten-Mündrup nach Kloster Oesede einzugemeinden. »Die Fragen der kommunalen Gebietsreform werden überall diskutiert. Wir wissen, dass sich diese Entwicklung nicht aufhalten lässt. Aus diesem Grunde halten wir den freiwilligen Anschluß Holsten-Mündrups an Kloster Oesede für vernünftig und auch für erforderlich.«1385

Die Intervention nutzte nichts, in der Sitzung am 25. November 1966, in der über die Eingemeindung entschieden wurde, wurde der Antrag der Ratsleute Schocke und Brörmann mit vier zu fünf Stimmen abgelehnt.1386 Immerhin wurde mit der Gemeinde Kloster Oesede in den Folgejahren ein gemeinsamer Flächennutzungsplan aufgestellt, der am 12. September 1969 verabschiedet wurde.1387 Mit einem gemeinsamen Flächennutzungsplan war das Problem der Eigenständigkeit Holsten-Mündrups aber noch nicht behoben. Die nach Einwohnerzahl kleinste Gemeinde im Untersuchungsgebiet musste sich einen kommunalen Partner suchen. Rund ein Jahr, nachdem der Antrag auf Eingliederung in die Gemeinde Kloster Oesede abgelehnt wurde, versuchte Bürgermeister Hügelmeyer erneut, den Gemeinderat von einer Fusion mit der Nachbargemeinde zu überzeugen. Im Ratsprotokoll vom 29. Dezember 1967 hieß es unter Tagesordnungspunkt 5: »Der Herr Bürgermeister weist auf die Dringlichkeit der Beratung hin. Für den Fall, daß die Eigenständigkeit der Gemeinde Holsten-Mündrup durch die bevorstehende Gebiets- und Verwaltungsreform aufgehoben werden soll, hat sich der Rat der Gemeinde Holsten-Mündrup einstimmig für den Anschluß an die Gemeinde Kloster Oesede ausgesprochen.«1388 1383 Protokoll der Bürgerversammlung der Holsten-Mündruper am 15. September 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. 1384 Ebd. 1385 Bürger_innen an den Rat der Gemeinde Holsten-Mündrup, Schreiben vom 4. Oktober 1966, ebd. 1386 Protokoll der Ratssitzung des Holsten-Mündruper Gemeinderates am 25. November 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 107. 1387 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Gemeinderäte Kloster Oesede und HolstenMündrup am 12. September 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 1388 Hügelmeyer an Backhaus, Schreiben vom 7. Januar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 123.

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Auch die Verhandlungen in der zweiten Verhandlungsrunde scheiterten. Die ersten Informationen über eine bevorstehende Gebietsreform trafen beim Landrat und in den Gemeinden ein. Sie veranlassten zunächst diejenigen, die viel zu verlieren hatten, zu handeln: den Landrat Heinrich Backhaus und den Bürgermeister der Kleinstgemeinde Holsten-Mündrup. Backhaus hatte vor allem Sorge, dass die Stadt Osnabrück die Umlandgemeinden eingemeinden und nicht nur Nahne, sondern auch Harderberg eingliedern würde. Der Bürgermeister von Holsten-Mündrup Ferdinand Hügelmeyer wiederum hatte Sorge, dass die Gemeinde Bissendorf zugeschlagen werde, mit der Holsten-Mündrup zwar eine Samtgemeinde bildete, aber ansonsten nicht viel zu tun hatte. Obwohl diese beiden Akteure von sehr unterschiedlichen Positionen aus handelten, trafen sie doch auf weitere Akteure, die die gleiche Sorge einte: die Angst vor Kontroll-, Macht- und Bedeutungsverlust. Alle Akteure handelten im sozialkulturellen Kontext ihrer Gebietskörperschaften, alle Akteure äußerten den Wunsch, mit ihren Kommunen selbstständig zu bleiben, oder wenn dies nicht möglich ist, diese gestärkt und selbstbestimmt durch die Reform zu bringen. Zu Beginn der Reform konnte sich keine Gemeinde zu einer Kooperation mit einer anderen durchringen. Vollkommen zum Scheitern verurteilt war die Methode des Oberkreisdirektors Backhaus, der mittels seiner Amtsautorität die Gemeinden in Richtung Gebietsreform schieben wollte. Die Bürgermeister erkannten die Autorität des Oberkreisdirektors im Hinblick auf ihre Selbstbestimmtheit nicht an. Die Verhandlungsbereitschaft fiel auf Null. Bei dem Kooperationsversuch zwischen Holsten-Mündrup und Kloster Oesede lag der Fall anders. Die Holsten-Mündruper Akteure waren aus freien Stücken auf die Ratskollegen in Kloster Oesede zugegangen. Eine Kooperation hatte für beide Gemeinden Vorteile. Diese wurden gesehen und auch benannt. Doch an diesem Versuch zeigt sich, wie schwierig es unter demokratischen Verhältnissen war, Mehrheiten für einen Nutzen zu bekommen, der erst in weiter Ferne lag. Der Holsten- Mündruper Gemeinderat, der ja den Kloster Oesedern ein Verhandlungsangebot unterbreitet hatte, war sich nicht einig und lehnte eine Fusion mit Kloster Oesede ab. Dabei spiegelte die Spaltung des Gemeinderates durchaus die Spaltung der Bevölkerung wider. Die einen wollten die Fusion unbedingt und schickten eine Petition auf den Weg, die anderen lehnten eine Fusion aus nicht mehr aus den Akten rekonstruierbaren Gründen ab. Zu groß war offensichtlich die Sorge, von der Nachbarkommune in einen Nachteil gesetzt zu werden. Das finanzschwache Kloster Oesede könne die Finanzen des 828-Seelen-Dorfes ›aufsaugen‹, diese Bemerkung zeigt, wie groß die Angst war, bei einer möglichen Zusammenlegung zu kurz zu kommen. Der Nutzen, der bei einer Kooperation entstehen würde – nämlich der Bau einer weiterführenden Schule in Kloster Oesede – hatte auch für Holsten-Mündrup großen Wert, wurde aber in der Gemeinde nicht von allen gesehen. Verhand-

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lungstheoretisch gesehen blieben beide Gemeinden mit ihrer Entscheidung bei einer unkooperativen Strategie, von der jede sich am meisten versprach, nämlich selbständig zu bleiben. Damit konnte jedoch keine der beiden Gemeinden auch nur eines ihrer Probleme lösen.

4.2.1.3. Verhandlungsrunde 3: Versuch zwischen Georgsmarienhütte und Oesede 1967 Der erste Hinweis auf die Umsetzung des Reformvorhabens in den übrigen Gemeinden im Untersuchungsgebiet findet sich in den Akten der Gemeinde Georgsmarienhütte. Dort befindet sich eine Liste, die den Stand der Überlegungen vom 31. Dezember 1966 widerspiegelt.1389 Da ja die Weber-Kommission zunächst nur Einwohner_innenzahlen als Kriterium für einen Zusammenschluss genannt hat, wurden zunächst die Gemeinden nach Größenordnung aufgelistet. Die Kommission sah entsprechend ihren Grundsätzen die Zusammenlegung von Kommunen vor, bis eine Mindestgröße von 5.000 Einwohner_innen erreicht war. Im Untersuchungsgebiet betraf das nur die Gemeinden Harderberg (2.180 Einwohner_innen), Kloster Oesede (4.276 Einwohner_innen) und Holsten-Mündrup (803 Einwohner_innen). Georgsmarienhütte (7.236 Einwohner_innen) und Holzhausen inkl. Sutthausen (6.056 Einwohner_innen) lagen über der Zielmarke. Die drei kleineren Gemeinden Harderberg, Kloster Oesede und Holsten-Mündrup sollten mit einer größeren Gemeinde fusioniert werden bis zum Erreichen der Mindestgröße. Kloster Oesede sollte mit HolstenMündrup und Harderberg mit Oesede zusammengehen, die beiden zuletzt genannten würden auf eine Einwohner_innenzahl von 11.532 kommen.1390 Danach konnte Georgsmarienhütte mit 7.236 Einwohner_innen selbständig bleiben, eine Zusammenlegung der beiden Orte Georgsmarienhütte und Oesede sah die Liste nicht vor. Die Gemeinde Oesede positionierte sich 1966 in einem vermutlich von Gemeindedirektor Rolfes stammenden Vermerk mit einer ablehnenden Haltung zur Zusammenlegung mit der Gemeinde Georgsmarienhütte. In 15 bis 20 Jahren, nachdem die Gemeinde Oesede ausgebaut sei, könne man vielleicht darüber nachdenken.1391 Im Mai 1966 erschien in der NT ein Zeitungsartikel mit der Überschrift: »Landrat Tegeler : Die Chance liegt im Zusammenschluß…«1392 1389 In der Akte befinden sich verschiedene Schriftstücke, die inhaltlich nicht zusammen gehören. Daher ist der Verwaltungszusammenhang, in dem die Liste abgelegt wurde, nicht erhalten, NLA OS Dep 81 b Nr. 10. 1390 Ebd. 1391 Interner Vermerk der Gemeinde Oesede vom 25. April 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1392 »Landrat Tegeler : Die Chance liegt im Zusammenschluß…«, NT, 13. Mai 1966.

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Dieser bezieht sich auf einen Vortrag des Landrates vor der Lechtinger CDU und beinhaltete bereits die Stichworte wie ›Gebiets- und Verwaltungsreform‹ und ›Kerngemeindebildung‹. Der Artikel wurde in Oesede abgeheftet und mehrfach im Laufe des Jahres auf Vorlage gelegt, zuletzt am 10. Februar 1967.1393 Der Oeseder Verwaltungsausschuss stehe der Gebietsreform positiv gegenüber, hieß es im Februar 1967 in einem Verwaltungsausschussprotokoll.1394 Bereits am 21. März 1967 wagte Bürgermeister Siepelmeyer einen öffentlichen Vorstoß: »Laßt uns heiraten«,1395 wandte er sich anlässlich einer Bereisung des Landkreises Osnabrück durch die SPD-Landtagsfraktion nicht etwa an die Nachbargemeinde, sondern an die Abgeordneten im Landtag. »Schauen Sie sich auf der Karte die beiden Georgsmarienhütte und Oesede an. Wie würden sie zusammenpassen.«1396 Bei dem Gespräch, bei dem auch Vertreter der Gemeinde Georgsmarienhütte anwesend waren, führte er aus, wie wieviele kommunale Aufgaben bereits in Zweckverbänden erledigt worden seien. Das seien aber nur Verlobungen, »heiraten wir doch«,1397 schlug er in der Besprechung im Kasinohotel vor. Bei einer Zusammenlegung würde ein Ort von 17.000 Einwohner_innen geschaffen. Die Abgeordneten reagierten laut Zeitungsartikel positiv auf den Vorschlag. »Wenn die Gemeindevertreter das Aufgebot bestellen, sofort«,1398 wurde ein nicht genannter Abgeordneter zitiert. Was die Vertreter der Gemeinde Georgsmarienhütte zu dem Vorschlag meinten, wurde nicht berichtet. Diese hatten eine Liste ihrer gemeindlichen Probleme wie Schwierigkeiten des innerörtlichen Verkehrs, Brückenbau, der schlechte Zustand der L 95, das Schulproblem, Sanierung der ›Alten Kolonie‹, Wohnungsbau für Kinderreiche, Krankenhaus und Sicherung der Arbeitsplätze1399 vor der Landtagsfraktion zur Sprache gebracht. Eine Zusammenlegung stand nicht auf der Agenda. Immerhin war der Gedanke zur Zusammenlegung öffentlich und vor wichtigen Entscheidern kundgetan. Ein geschickter Schachzug Siepelmeyers, der den Verhandlungsnachteil des ›First mover‹ dadurch ausglich, in dem er sich nicht an die Nachbargemeinde wandte, sondern an die Abgeordneten des Landtages, die in Sachen Gebietsreform das letzte Wort hatten. Die Ratsleute der Gemeinde Georgsmarienhütte blieben 1966 im Hinblick auf die Gebiets- und Verwaltungsreform gelassen, zu oft schon hatten sie die Idee einer Zusammenlegung seitens der Gemeinde Oesede abwehren können. Doch im Jahr 1967 war die Lage anders, die Gebietsreform war von oben erwünscht, 1393 1394 1395 1396 1397 1398 1399

NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. Protokoll der VA-Sitzung am 1. Februar 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. »Laßt uns heiraten«, OT, 21. März 1967. Ebd. Ebd. Ebd. Protokoll der VA-Sitzung am 16. März 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 80.

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und der Oberkreisdirektor, der in den Vorjahren ein Zusammengehen der beiden Gemeinden nicht befürwortet hatte, könnte nun anders darüber denken. Unter diesen Umständen war die Selbständigkeit Georgsmarienhüttes durchaus in Gefahr. Noch eine andere als bedrohlich eingeschätzte Entwicklung musste Gemeindedirektor Trepper zur Kenntnis nehmen: Oesede könnte sich, wie in der Landkreisliste von 1966 vorgesehen, mit Harderberg zusammenschließen. Am 6. April 1967 vermerkte das Verwaltungsausschussprotokoll, dass Oesede und Harderberg eine gemeinsame Schule errichten wollen, ein Zusammenschluss der beiden Gemeinden sei nicht auszuschließen. Die Verwaltung reagierte sofort und rechnete aus, dass sich im Falle eines Zusammenschlusses zwischen diesen beiden Gemeinden die Gewerbesteuer für die vergrößerte Gemeinde erhöhe, während sie für Georgsmarienhütte niedriger ausfalle, da sich der Messbetrag ändere. Die Einbuße belaufe sich auf jährlich 40.000 DM.1400 Auch mit dieser Information kamen die Georgsmarienhütter Ratsleute nicht ins Nachdenken über die Gebietsreform. Stattdessen machte Gemeindedirektor Trepper am 31. August 1967 dem Landkreis einen schwer zu realisierenden Vorschlag: Die Vernetzungen zwischen Landkreis und Stadt Osnabrück seien so stark, dass es sinnvoll sei, wie im Falle Göttingen, die Stadt Osnabrück in den Landkreis aufzunehmen.1401 Der Oberkreisdirektor lehnte das Ansinnen Treppers mit dem Hinweis ab, es solle zunächst einmal eine Arbeitsgemeinschaft gebildet werden, in der die StadtUmlandprobleme besprochen werden.1402 Die Einladung zu dieser Arbeitsgemeinschaft erfolgte wenige Tage später,1403 und am 19. September 1967 tagte sie in einer »knisternden Atmosphäre im Hinblick auf die Gebietsreform«1404 in Bad Iburg. Die Tagung thematisierte die Zusammenstellung der Gemeinden und die Möglichkeiten »der Gemeindeentwicklung durch die Gebietsreform«.1405 Während Georgsmarienhütte untätig verharrte und noch im Dezember 1967 auf ein Schreiben des Landkreises, dass es höchste Zeit sei, dass die Gemeinden ernsthafte Schritte in Richtung Neustrukturierung unternähmen, mit dem Kommentar : »Man wisse nicht, was die Gebietsreform bringe«,1406 reagierte, machte Oesede sich bereits Gedanken über die Zusammenlegung mit Harder1400 Protokoll der VA-Sitzung am 6. April 1967, ebd. 1401 Gemeinde Georgsmarienhütte an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 31. August 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 10. 1402 Landkreis Osnabrück an die Gemeinde Georgsmarienhütte, Schreiben vom 31. August 1967, ebd. 1403 Landkreis an die Gemeinden des Landkreises Osnabrück vom 11. September 1967, ebd. 1404 Protokoll des 1. Treffens der kommunalen Arbeitsgemeinschaft, ebd. 1405 Protokoll der VA-Sitzung am 6. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1406 Protokoll der VA-Sitzung am 13. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 80.

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berg. Es wurden sogar schon erste Überlegungen in Richtung Großgemeinde geäußert.1407 Zu einem Verhandlungsergebnis kam es in dieser Verhandlungsrunde nicht.

4.2.1.4. Verhandlungsrunde 4: Versuch zwischen Oesede und Harderberg 1967 Zu Beginn des Jahres 1967 schlug Ludwig Siepelmeyer dem Oeseder Verwaltungsausschuss vor, den Zusammenschluss mit Harderberg zu forcieren. Es seien eine Reihe von Berührungspunkten zwischen den Gemeinden vorhanden, referierte Ludwig Siepelmeyer am 15. Februar 1967 vor dem Verwaltungsausschuss.1408 Eine gemeinsame Planung, was die Straßen und eine Schule angehe, sei ohnehin notwendig. Ein einflussreiches Gemeinderatsmitglied von Harderberg sei auch für ein »Zusammengehen in stärkster Form mit der Gemeinde Oesede, deutlich ausgedrückt: [er hatI.B.] eine Verbindung beider Gemeinden befürwortet.«1409 Das Gesetz würde früher oder später Zusammenlegungen vorschreiben, und es würde von kommunalpolitischem Weitblick zeugen, es vorher zu tun. Außerdem habe ein Zusammenschluss Vorteile für Oesede. »Wir suchen seit langem Industriegelände. Da die Gemeinde Oesede zum Teil sehr hügelig angelegt ist und interessierte Industriebetriebe gern an Hauptstraßen liegen möchte[n], wäre die Gemeinde Harderberg in der Nähe der beiden Bundesstraßen ein idealer Standort für Industriebetriebe.«1410

Von Vorteil sei auch, dass die Gemeinde Harderberg Standort eines Krankenhauses sei, damit könne man eine finanzielle Beteiligung der Gemeinde Oesede am Krankenhaus in der Gemeinde Georgsmarienhütte abwehren. Aber man müsse vorsichtig vorgehen und die Gemeinde Harderberg weder »verärgern« noch »kopfscheu«1411 machen. Siepelmeyer schlug vor, dass man zwecks Abstimmungen gemeinsamer Pläne mit dem Verwaltungsausschuss der Gemeinde Harderberg tagen solle. »Die Einladung dürfte ruhig von Oesede aus erfolgen«.1412 Alles Weitere werde sich dann ergeben. Der Verwaltungsausschuss war mit der Kontaktaufnahme einverstanden, und die Verwaltung leitete das weitere Vorgehen in die Wege. Der stellvertretende Gemeindedirektor Borgmeyer schrieb kurze Zeit später an die Gemeinde Harderberg, dass der Landkreis vorgeschlagen habe, sich zu1407 Protokoll der VA-Sitzung am 6. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1408 Zusatzpunkt für die VA-Sitzung am 15. Februar 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 3. 1409 Ebd. 1410 Ebd. 1411 Ebd. 1412 Ebd.

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sammen zu setzen, um die Schulprobleme gemeinsam zu lösen. Am 8. März 1967 tagten die beiden Verwaltungsausschüsse gemeinsam im Rathaus in Oesede. Siepelmeyer leitete die Sitzung, und gemeinsam wurden die Berührungspunkte wie Schulverhältnisse, Bebauungsplanung, überörtliche Verkehrsverbindung und zum Schluss Industrieansiedlungen erörtert. Bei diesem Punkt redeten die Oeseder Ratsleute bereits Klartext. Es sei ja bekannt, dass die Arbeiternehmerzahl bei den Klöckner-Werken rückläufig sei und es daher ein Anliegen »beider Gemeinden«1413 sein müsse, Ausgleichsindustrie anzusiedeln. Flächen in der Gemeinde Harderberg seien dazu »ideal geeignet«.1414 »Die höherenorts vertretene Meinung, Harderberg müsse ein ›Dorf im Grünen‹ bleiben, kann hier nicht durchdringen«,1415 schrieb der Oeseder Protokollant. Der Gemeinde Harderberg »wird anheimgegeben, zunächst wenigstens Industriegelände auszuweisen«,1416 was natürlich mit finanziellen Opfern verbunden sei. Von einer Zusammenlegung war in dieser Besprechung noch nicht die Rede, aber die Faktoren, die dafür bedeutsam waren, wurden schon dargelegt: Abbau der Arbeitsplätze bei den Klöckner-Werken und der kostspielige Aufbau von Ausgleichsindustrie auf Harderberger Gemeindegrund. Dass die finanzschwache Gemeinde Harderberg dies alleine nicht schaffen konnte, stand unausgesprochen zwischen den Zeilen und damit auch das Thema ›Zusammenlegung‹. Im Harderberger Gemeinderat hieß es folgerichtig in der Rückschau auf die Besprechung im März: »Jetzt ziehe auch die Frage der Gebietsreform immer schon wie ein roter Faden durch die Besprechungen.«1417 Die nächste Besprechung fand auf Einladung der Gemeinde Harderberg am 9. November 1967 in deren Rathaus statt. Die Oeseder Verwaltung bereitete sich gut vor. Ein Mitarbeiter errechnete, um wieviel höher die Gewerbesteuer der Klöckner-Werke durch eine Zusammenlegung für den vergrößerten Ort Oesede ausfallen würden. Obwohl nur 195 Beschäftigte der Klöckner-Werke in Harderberg wohnten, veränderte sich die Zerlegung der Gewerbesteuer und damit der Anteil, der der vergrößerten Gemeinde von der Gewerbesteuer der Klöckner-Werke zustehen würde. Die Differenz betrug 67.000 DM pro Jahr. Gleichzeitig wurde die Verwaltung im Hinblick auf Industrieansiedlung aktiv und legte eine Liste mit zwölf an einem Umzug interessierten Firmen an. So vorbereitet waren die Vertreter der Gemeinde Oesede hochmotiviert, die Gemeinde Harderberg zum Zusammenschluss zu bewegen. Für gemeinsame Maßnahmen fehle es an einer Rechtsgrundlage, zeigte Siepelmeyer den Harderberger Ratsvertretern auf, dass 1413 Protokoll der Besprechung von Vertretern der Gemeinden Harderberg und Oesede am 8. März 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 3. 1414 Ebd. 1415 Ebd. 1416 Ebd. 1417 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 17. März 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 95.

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Zweckverbände keine Alternative zur Zusammenlegung seien. Der Oeseder Ratsherr Warnke sprach als erster aus, was in der letzten Sitzung noch sorgfältig vermieden worden ist: Er wollte wissen, »wie die Gemeinde Harderberg überhaupt über die Zusammenlegung ein Zusammengehen beider Gemeinden [Streichung und Hervorhebung im Original, I.B.] denkt«.1418 Die Streichung im Protokoll ist verräterisch. Das Wort ›Zusammenlegung‹ sollte noch gar nicht fallen, doch mit einem Euphemismus war das Thema nicht aus der Welt. Aulf erbat sich Bedenkzeit, er wollte die Angelegenheit reifen lassen. Das wiederum missfiel Siepelmeyer. Oesede habe den guten Willen, sich mit Harderberg zusammenzuschließen. Nun wolle er die Meinung der Harderberger kennenlernen. Siepelmeyer, der noch vor einem halben Jahr die Gemeinde Harderberg auf keinen Fall kopfscheu machen wollte, setzte nun eine Drohung ein. Bei einem freiwilligen Zusammenschluss mit Oesede würde Oesede »besondere Leistungen«1419 für Harderberg erbringen. Wenn der Zusammenschluss hingegen von oben verfügt werde, dann wäre die Situation eine andere. Die Sitzung war damit beendet. Die Vertreter verabredeten höflich, sich gelegentlich »zu einem gemütlichen Zusammensein [zu] treffen, um sich persönlich kennenzulernen und Kontakt zu halten«,1420 tatsächlich hatten die Harderberger daran aber kein Interesse. Die Harderberger Ratsleute spürten den Druck, der auf sie ausgeübt worden war. In der nächsten Ratssitzung in Harderberg wurde die Frage der kommunalen Zusammenarbeit diskutiert. »Der Rat war einstimmig der Ausfassung, daß das Auftreten des Herrn Bürgermeisters von Oesede der Sache nicht dienlich gewesen sei. Die bei der gemeinsamen Besprechung abgegebene Erklärung des Herrn Spiepelmeyer, daß die Gemeinde Harderberg sich doch freiwillig eingemeinden lassen möge, um somit noch mehr Vorteile zu erhalten, als wenn eine gesetzliche Regelung eine Eingemeindung diktiere, nahm der gesamte Rat mit großem Befremden zur Kenntnis.«1421

Die Verhandlungsmethoden wurden an anderer Stelle sogar als »unkorrekt«1422 bezeichnet. Die Gemeinde Harderberg brach an diesem Punkt die Verhandlungen ab. In der zweiten Sitzung im Januar 1968 hieß es im Harderberger Gemeinderat, dass die Gebiets- und Verwaltungsreform für die Gemeinde nicht mehr aktuell 1418 Protokoll der Besprechung von Vertretern der Gemeinden Harderberg und Oesede am 9. November 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 3. 1419 Ebd. 1420 Ebd. 1421 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Harderberger Gemeinderates am 29. November 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 95. 1422 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Harderberger Gemeinderates am 9. Juni 1967, ebd.

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sei. Osnabrück habe auf eine Eingemeindung verzichtet. »Z. Zt. könne […] niemand die Notwendigkeit einer Reform begründen. Außerdem sei Harderberg allein lebensfähig und könne sich selbst verwalten.«1423 Hier kam eine selbstbewusste Haltung zum Ausdruck, die sicher aus der Tatsache resultierte, dass man gerade die Eingemeindung nach Osnabrück hatte abwenden können, genauso wie den Zusammenschluss mit der Gemeinde Nahne, deren Eingemeindung nach Osnabrück der Landkreis nicht verhindern konnte.1424 So verwundert es nicht, dass die Harderberger nach zwei abgewehrten Eingemeindungsversuchen glaubten, selbständig bleiben zu können. Ein halbes Jahr später stand das Thema Gebietsreform zwar erneut auf der Tagesordnung, aber diese Verhandlungsrunde war erstmal gescheitert. Auch in der Verhandlungsrunde drei und vier herrschte die kompetitive Orientierung der Gemeinden vor. Die Idee einer größeren Gemeinde, gar einer Stadt, wagte noch niemand zu denken. Die Akteure waren damit beschäftigt, für das Wohl ihrer eigenen Gemeinde zu sorgen. Ein möglicher Zusammenschluss, der ja von Oeseder Akteuren immer wieder reflektiert wurde, wurde aber von dieser Verwaltung erst in 15 bis 20 Jahren für realisierbar gehalten, wenn die eigene Gemeinde gut aufgestellt sei. Einzig Bürgermeister Siepelmeyer äußerte visionäre Ideen. Sein Vorschlag einer Fusion zwischen Georgsmarienhütte und Oesede, vor Mitgliedern des Landtages geäußert, war jedoch wenig planvoll. Hingegen wurden die Fusionspläne mit Harderberg behutsam angegangen, hier war der Landkreis involviert, die Mitarbeiter traten jedoch nicht in Erscheinung. Dass Harderberg auf die Zusammenlegungspläne trotzdem so heftig ablehnend reagierte, war weniger der ungeduldigen Art des Bürgermeisters Ludwig Siepelmeyer, als vielmehr dem Fehlen eines Moderatorierenden, der die Sitzungen hätte leiten und in die gewünschte Richtung lenken können, geschuldet.

4.2.2. Neuansatz für eine große Lösung 4.2.2.1. Verhandlungsrunde 5: Versuch mit den Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte In der Zwischenzeit hatte Landrat Tegeler sich der Problematik im Untersuchungsgebiet angenommen. Auf seine Veranlassung tagten am 15. Mai 1968 die Verwaltungsausschüsse der Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte ge1423 Protokoll der Sitzung des Harderberger Gemeinderates am 31. Januar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 96. 1424 Protokoll eines Telefonates zwischen Petersmann (LK) und dem Oeseder Gemeindedirektor Rolfes am 28. März 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 69.

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meinsam im Oeseder Rathaus. Tegeler setzte die Vertreter der Gemeinden über die Rahmenbedingungen der voraussichtlichen Entwicklung der Gemeinden im südlichen Landkreis Osnabrück ins Bild: die unmittelbare Nachbarschaft von Nordrhein-Westfalen verschlechtere die Chancen, Betriebe vor Ort anzusiedeln, die Bedingungen seien dort erheblich besser, außerdem steige laut PrognosGutachten die Bevölkerungszahl, und Arbeitsplätze fielen durch Automatisierung weg. Das Land werde vier Gebiete in Niedersachsen besonders fördern. Der Raum Osnabrück sei einer davon, und deshalb werde in Wallenhorst/Hollage ein Förderschwerpunkt sein. Ein akuter Arbeitsplatzmangel werde für 1971/1972 prognostiziert. Eine Großgemeinde würde ideale Voraussetzungen schaffen, um in Harderberg Industriegebiete auszuweisen. Die hiesigen Arbeitskräfte wolle man nicht dem »Pendlerunwesen«1425 aussetzen. Das Protokoll vermerkte, dass beide Gemeinden für eine Zusammenlegung seien. Bei der nächsten Sitzung am 10. Juni 1968 war bereits der Verwaltungsausschuss der Gemeinde Harderberg dabei. Die erste gemeinsame Sitzung der drei Gremien fand in der Gemeinde Harderberg statt. Nach kurzer Begrüßung durch Bürgermeister Aulf schilderte Landrat Tegeler das in der Sitzung am 15. Mai bereits Dargelegte noch einmal.1426 Geschickt schlug er aber nun den Bogen von der Ausweisung des Industriegebietes in Wallenhorst/Hollage zur Gemeinde Harderberg. Das Gelände zwischen Osterberg und Harderberg, das sich ebenfalls für Industrieansiedlung eigne, sei verkehrsgünstig gelegen. Der Ausweisung des neuen Industriegebietes müsse jedoch »ein Zusammenfinden«1427 der drei Gemeinden vorausgehen. Die Politiker reagierten eindeutig. Siepelmeyer sprach sich klar für eine Zusammenlegung der drei Gemeinden aus. Ratsleute sowohl aus Oesede als auch aus Georgsmarienhütte pflichteten ihm bei. Der Harderberger Bürgermeister Aulf und Ratsherr Krebs räumten ein, dass es bereits Gespräche gegeben habe, die aber »zum Stillstand gekommen«1428 seien. Ein neues Überdenken einer Zusammenlegung erachteten beide für notwendig. Die einzige Gegenrede kam aus Georgsmarienhütte. Bürgermeister Niemeyer war der Ansicht, dass der Landkreis sich um die Wirtschaftsförderung kümmern müsse. Seinem Amtskollegen Siepelmeyer warf er »Machtsucht«1429 vor. Seine Einwände verhinderten nicht,

1425 Protokoll über eine Besprechung über die wirtschaftliche Entwicklung am 15. Mai 1968, NLA OS Erw A52 Akz 2010/077 Nr. 46. 1426 Protokoll über eine Besprechung über die wirtschaftliche Entwicklung im Raum Georgsmarienhütte/Harderberg/Oesede am 10. Juni 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1427 Ebd. 1428 Ebd. 1429 Ebd.

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dass das nächste Gespräch unter dem Gesichtspunkt, »wie die gesamte Problematik im weiteren behandelt werden soll«,1430 vorbereitet werden sollte. Am 27. Juni 1968 trafen sich nur die drei Gemeindedirektoren Rolfes, Trepper und Werkmeister zu einer Besprechung im Harderberger Rathaus und klärten, wie die Wirtschaftsförderung im ›Düteraum‹ institutionell verankert werden könnte. Die Gemeindedirektoren prüften verschiedene Varianten. Diese lauteten zusammengefasst: Erweiterung der Aufgaben eines bereits bestehenden Zweckverbandes, also des Nachbarschaftsverbandes oder des Verbandes ›Obere Düte‹, Gründung eines Planungsverbandes, Gründung eines neuen Zweckverbandes, Bildung einer Samtgemeinde, Bildung einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft und als letzten Punkt: der Zusammenschluss, den vor allem Werkmeister eindeutig favorisierte. Die Planungshoheit läge in einer Hand, es müssten keine komplizierten Verteilungsschlüssel für die Kosten und Einnahmen errechnet werden, eine Einheitsgemeinde mit 20.000 Einwohner_innen hätte größere Chancen bei Antragstellungen, und der Nachbarschaftsverband könnte aufgelöst werden, wurden die Vorteile eines Zusammenschlusses aufgezählt. »Die Zusammenlegung würde alle wesentlichen Probleme lösen«,1431 waren sich die Verwaltungsleute einig. So vorbereitet ging es in die entscheidende Sitzung, die für den 16. Juli 1968 anberaumt wurde. Diesmal waren alle Ratsleute aus den drei wichtigsten Gemeinden des Untersuchungsgebietes eingeladen. Die Sitzung wurde als »Tagung«1432 deklariert und fand im Restaurant Herrenrest in Oesede statt. 57 Personen listete das Protokoll auf, unter diesen Landrat Tegeler, Kreisrechtsdirektor Grimsel und der Bürgermeister und der Gemeindedirektor von Holzhausen, die Herren Friedel Dimmerling und Walter Riepenhoff, der Bürgermeister von Kloster Oesede Hans Stertenbrink und der Gemeindedirektor Hans Middelberg sowie ein Vertreter der Presse.1433 Bürgermeister Siepelmeyer begrüßte die Anwesenden »im Hoheitsgebiet der Gemeinde Oesede«,1434 Gemeindedirektor Werkmeister eröffnete die Tagung und schwor die Anwesenden bereits auf den Zweck der Besprechung ein: »Die Gemeindegrenzen können bei der Bedeutung dieser wichtigen Fragen keine größere Rolle mehr spielen, selbst wenn die eine oder andere Gemeinde etwas aufgeben müßte, das bisher undenkbar erschien.«1435 Anschließend übergab er

1430 Ebd. 1431 Protokoll über eine Besprechung am 27. Juni 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 106. 1432 Protokoll über eine Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1433 Ebd. 1434 Ebd. 1435 Ebd.

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Landrat Tegeler das Wort, der für den weiteren Verlauf der Zusammenkunft den Vorsitz übernahm. Tegeler kam gleich zur Sache. Die Wirtschaftsförderung sei von großer Wichtigkeit. Er zitierte aus einem Gutachten von Wilhelm Wortmann, dass für den ›Osnabrücker Raum‹ ein Bevölkerungswachstum von jährlich 3.000 Menschen im Landkreis Osnabrück prognostiziere. 1980 würden im Stadtumlandbereich 20.000–30.000 Personen mehr wohnen, in 50 Jahren 60.000–90.000 Menschen mehr. Bis 1980 seien 7.000 Wohnungen zu bauen und zahlreiche neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das gehe nur über Industrieerweiterung oder Industrieansiedlung. Auf einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Stadt Osnabrück und des Landkreises Osnabrück habe der Gutachter Wortmann Industriegebiete vorgeschlagen: den Osnabrücker Hafen, Fledder, das bereits geplante Industriegebiet Hollage/Wallenhorst und Bissendorf/Wissingen. »Wirtschaftliche Entwicklungstendenzen«1436 wiesen daneben der ›Raum‹ Georgsmarienhütte/Oesede, ›Raum‹ Dissen und der ›Raum‹ Bad Iburg-Ostenfelde auf. Der Landesentwicklungsplan sehe Stadt und Landkreis Osnabrück als Einheit und die Zusammenarbeit solle vertieft werden. Alle Mittel flössen aber dann in die Industriegebiete Hafen und Hollage/Wallenhorst. Dass das Gutachten ausdrücklich keine Aufsplitterung von Siedlungs- und Industriegebieten empfahl und keine gleichmäßige Verteilung von Siedlungs- und Industriegebieten für wünschenswert hielt, verschwieg Landrat Tegeler ebenso wie die eindeutige Empfehlung des Professors für die Gemeinde Harderberg, »möglichst keine gemeindeeigenen Gewerbeflächen aus[zu]weisen«.1437 Tegeler sprach weiter : Ferner habe der Landesplanungsbeirat festgelegt, dass die Gemeinden eingestuft werden in ›Ober‹,– ›Mittel‹-, ›Unter‹- und ›Kleinzentrum‹. Der Raum Georgsmarienhütte/Oesede werde als ›Unterzentrum‹ eingestuft, dabei spielten die »a) Zentralitätsziffer b) Handelszentralität c) Arbeitsplatzzentralität«1438 eine Rolle. Um als ›Mittelzentrum‹ eingestuft zu werden, sei eine Zentralitätsziffer von 30 Punkten erforderlich, Georgsmarienhütte/Oesede erreichten zusammen 28. Aus dem Osnabrücker Umland erreichten Quakenbrück, Bramsche, Melle, Raum Dissen/Bad Rothenfelde und Bad Iburg die erforderliche Punktzahl. »Die Auswirkungen dieser Einstufung [seien] gewaltig«,1439 so Tegeler, aber das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen, da könne sich durchaus noch etwas ändern. Der Landrat forderte »alle Kräfte des Düte-

1436 Ebd. 1437 Auszug aus den Erläuterungen zur regionalen Raumordnung im Einflußbereich Osnabrücks. Verfasser Prof. Wilhelm Wortmann, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1438 Protokoll über eine Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, ebd. 1439 Ebd.

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raums auf, ihr Eigengewicht durch eine Selbsthilfe einzusetzen«,1440 und schlug vor, sich bereits im September wieder zusammenzusetzen. Der Landrat Tegeler brauchte vier Sitzungen, um das Projekt ›Zusammenlegung‹ voran zu bringen. Er hatte zwei Gutachten in der Hinterhand: das Prognos-Gutachten und das Gutachten Wilhelm Wortmanns. Beide hatten die gleiche Botschaft: Die Bevölkerung werde dramatisch zunehmen, die Anzahl der Arbeitsplätze bedingt durch Automatisierung abnehmen. Jeder konnte sich ausmalen, was das bedeutete: Hohe Abwanderungsquoten und für diejenigen, die dableiben würden, eine große Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden. Die Region würde ›veröden‹, es gebe keine Perspektiven für den Nachwuchs. Diese Entwicklung könne nur durch Industrieansiedlung aufgehalten werden. Diese aber sei nur bei einer Zusammenlegung der drei Gemeinden möglich. Landrat Tegeler hatte weitere Argumente. Die Landesplaner stuften den Georgsmarienhütte/Oeseder Raum als ›Unterzentrum‹ ein, was bei allen Ratsleuten Empörung hervorrief, vor allem da man so knapp an der erforderlichen Punktzahl von 30 gescheitert war. Mit der Nennung, welche Orte im Osnabrücker Raum als ›Mittelzentren‹ gewertet wurden, rief er bei allen Zuhörern eine kooperative Orientierung hervor, die sich auf die kommunale Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg insgesamt und nicht auf jede einzelne Gemeinde bezog. Mit dem Hinweis, das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen, forderte der Landrat die Beteiligten direkt zum Handeln auf. In den vorherigen Sitzungen hatte Tegeler ein Netzwerk von Verbündeten geknüpft. Die Gemeindedirektoren waren auf seiner Seite, ebenso etliche Ratsleute quer durch alle Gemeinden und Fraktionen und natürlich Bürgermeister Siepelmeyer. Dieser schwärmte in der anschließenden Diskussion bereits von einem Zusammenschluss von fünf Gemeinden und meinte damit die beobachtenden Gemeindevertreter aus Holzhausen und Kloster Oesede. »Vom Mittelpunkt dieses Raumes seien alle Gemeinden in einem 5 km-Umkreis gelegen«,1441 vermerkt das Protokoll seine Worte, mit denen schon angedeutet wurde, wo Siepelmeyer den Mittelpunkt dieses ›Raumes‹ sah, nämlich in Oesede. Die anderen Bürgermeister waren noch nicht überzeugt. Aulf war zwar damit einverstanden, dass das neue Industriegebiet in seiner Gemeinde entstehen würde. »Die spätere Aufteilung der einfließenden Gewerbesteuer wäre nach einem von allen Gemeinden anzuerkennenden Schlüssel zu verteilen«,1442 überlegte er laut und verriet damit, dass er sich mit dem Gedanken der Zusammenlegung noch nicht wirklich vertraut gemacht hatte, denn die spätere

1440 Ebd. 1441 Ebd. 1442 Ebd.

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Gewerbesteuer würde in eine gemeinsame Kasse fließen. Weiter ließ er wissen, dass das Tempo ihn und die Bürger stören würde. Georgsmarienhüttes Bürgermeister Niemeyer war nach wie vor gegen Wirtschaftsförderung und einen Zusammenschluss. Der Landkreis gebe Geld in den Nordkreis, dann soll er auch dem ›Düteraum‹ helfen. Er zog die Ausführungen über die wirtschaftliche Lage in Zweifel, 50 % der Arbeitnehmer arbeiteten in den Klöckner-Werken und 50 % in Handwerk, Handel und bei Behörden. »Es seien noch keine Gründe da, die die Schaffung eines größeren kommunalen Gebildes rechtfertigen.«1443 Helmut Stahlmann, noch einfaches Ratsmitglied, dachte da anders. Wie Siepelmeyer dachte auch er in größeren Dimensionen. Nicht nur eine Großgemeinde aus Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede sei denkbar, das neue kommunale Gebilde solle auch offen gehalten werden für Neuzugänge. Bürgermeister Dimmerling aus Holzhausen stand der Problematik positiv gegenüber ebenso wie Bürgermeister Stertenbrink aus Kloster Oesede, der eine wohlwollende Prüfung des Themas versprach. Die Sitzung verfehlte ihre beabsichtigte Wirkung nicht. Der Harderberger Bürgermeister Aulf war beeindruckt von Tegelers Rede. Vor allem die Aussicht, dass Erwerbstätige etwa 30 km zu ihrem Arbeitsplatz fahren müssten, bewirkte in der Gemeinde Harderberg ein Umdenken. Bereits in der ersten Sitzung nach dem 16. Juli 1968 hieß es im Harderberger Gemeinderat, dass die Menschen hier vor Ort nicht zu Pendlern nach Hollage gemacht werden sollten und deshalb der Zusammenschluss im Interesse der Bürger sei.1444 Zehn Tage später, am 10. August 1968, stand das Thema als einziger Punkt auf der Tagesordnung. Natürlich sei das eine schwerwiegende Entscheidung, auch größere Gemeinden täten sich schwer. Die Tatsache aber, dass die Landesregierung und der Kreis ein Industriegebiet in Hollage einrichten und damit die Leute vor Ort zu Pendlern gemacht werden sollten, müsse mit Industrieansiedlung verhindert werden.1445 Es sei nicht zu verantworten, dass Harderberger zur Arbeit nach Hollage fahren, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, hier Arbeitsplätze zu schaffen,1446 machte Aulf seinem Gemeinderat klar. Am Ende der Sitzung hatte er dessen Zustimmung und schrieb an die Verhandlungspartner Georgsmarienhütte und Oesede, dass sich der Rat für einen Zusammenschluss »im Interesse der Wirtschaftsförderung« ausgesprochen habe, dass

1443 1444 1445 1446

Ebd. Protokoll der Harderberger Ratssitzung vom 10. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 96. Ebd. Protokoll des Harderberger Gemeinderates am 28. Februar 1969, ebd.

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man aber noch keinen Beschluss gefasst habe, da die Stellungnahme der Gemeinde Georgsmarienhütte abgewartet werden solle.1447 »Hohes Lob für Harderbergs Rat«,1448 titelte kurz darauf die Presse. Es sei sehr ehrenwert, so schnell Nägel mit Köpfen zu machen, denn niemand dürfe außer Acht lassen, dass es bei einer Zusammenlegung »Mandatsverluste en gros«1449 gebe. »Köpfe von Bürgermeistern und Gemeindedirektoren [werden] rollen«,1450 zeigte der Redakteur Jürgen Hofmeyer auf, was der Beschluss für die Harderberger Politiker bedeutete. Der Artikel rief die Bezirksregierung auf den Plan. Man habe aus der Zeitung von dem Vorhaben des Zusammenschlusses erfahren und wünsche vom Landkreis Bericht über den Stand der Dinge.1451 Dieser konnte noch nichts zur Sache berichten, es seien noch keine Beschlüsse gefasst worden, wurde an die Bezirksregierung gemeldet.1452 Noch mehr Menschen waren auf die bevorstehenden Veränderungen durch den Zeitungsartikel aufmerksam geworden: Der Vorsitzende des Verschönerungsverein von 1870 in Georgsmarienhütte Süßenbach bemerkte: Eine Aufklärung von Bürgern habe noch nicht stattgefunden. »Wir halten es […]für unbedingt erforderlich die Bevölkerung aufzuklären.«1453 Der Vorstand des Vereins konnte den Vorteil einer »derartigen Zusammenfassung«1454 nicht erkennen. Das war auch eine Haltung, die im Georgsmarienhütter Gemeinderat vorherrschte, der sich zu keinem Beschluss durchringen konnte.1455 Mehrere Wochen nach dem Treffen im Juli 1968 bemerkte die Presse kritisch: » Fast zwei Monate hat die Bevölkerung darauf gewartet, dass der Gemeinderat sich mit der Zusammenlegung befaßt. Das Ergebnis ist nicht gerade berauschend.«1456

1447 Gemeinde Harderberg an die Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede, Schreiben vom 12. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1448 »Hohes Lob für Harderbergs Rat«, NOZ, 27. August 1968. 1449 Ebd. 1450 Ebd. 1451 Bezirksregierung an Landkreis, Schreiben vom 21. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1452 Landkreis an Bezirksregierung, Schreiben vom 6. September 1968, ebd. 1453 Verschönerungsverein von 1870 an die Gemeinde Georgsmarienhütte und an die NOZ, Schreiben vom 13./bzw. 16. September 1968, ebd. 1454 Ebd. 1455 Protokoll der Georgsmarienhütter Gemeinderatssitzung am 13. September 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1456 »Drei Gemeinden….«, NOZ, 16. September 1968.

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Dagegen hieß von der Nachbargemeinde: »Oesede ist vorbehaltlos bereit, die Selbstständigkeit aufzugeben«.1457 Die in der NOZ veröffentlichte Entschließung des Oeseder Rates vom September 1968 lautete: »Der Rat der Gemeinde Oesede ist sich dabei bewußt, daß Oesede im Falle der Zusammenlegung mit anderen Gemeinden, unter Verlust seiner jetzigen Bedeutung, viele Opfer bringen muß, die aber auf sich genommen werden müssen, da diese Opfer den Interessen der Gesamtheit, der Abwendung von Zukunftskrisen und wirtschaftlichem Gesamtaufschwung des Düteraumes dienen.«1458

Die nächsten Schritte sollten nach der Kommunalwahl in die Wege geleitet werden. Dieses Ereignis band für einige Wochen alle Kräfte. In Oesede und Harderberg blieben die CDU-Mehrheiten stabil, sowohl Aulf als auch Siepelmeyer wurden als Bürgermeister im Amt bestätigt, in Georgsmarienhütte wechselte die Mehrheit. Die SPD hielt mit einem Sitz mehr im Gemeinderat die Mehrheit und stellte fortan den Bürgermeister.1459 Dies war Helmut Stahlmann, der schon in den vorherigen Sitzungen großes Interesse an der Zusammenlegung gezeigt hatte. Als nächstes erreichte ein Aufruf des Oberkreisdirektors Heinrich Backhaus am 7. November 1968 die Rathäuser. Backhaus war seit der geplatzten Fusion zwischen Harderberg und Nahne bei den Zusammenlegungsverhandlungen nicht mehr nennenswert in Erscheinung getreten. Sämtliche die Fusion betreffende Besprechungen absolvierte Landrat Tegeler. Doch jetzt bat der Oberkreisdirektor alle Bürgermeister und Gemeindedirektoren aus dem Landkreis Osnabrück binnen einer Stunde ins Kreishaus nach Osnabrück. Die Sache war die: Die Landkreise Bersenbrück, Melle und Wittlage wollten ihre Selbstständigkeit erhalten und machten der Bezirksregierung nun konkrete Vorschläge. Die Stadtrandgemeinden, also fast der ganze Landkreis Osnabrück, sollten der Stadt Osnabrück zugeschlagen werden, die Nordgemeinden sollten in den Einflussbereich des Landkreises Bersenbrück, der Rest, also die Gemeinden des sog. Mittelkreises Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede, sollten dem Landkreis Melle zugeordnet werden, Kreissitz würde die Stadt Melle. Die Anwesenden waren empört, dass den Bürger_innen zugemutet werden würde, ihre Kreisangelegenheiten im dem als weit entfernt eingeschätzten Melle zu erledigen. Mit der Bemerkung, Melle sei bei der Gebietsreform schon viel weiter als der Landkreis Osnabrück, demnächst würden aus 52 Gemeinden sieben, trieb Backhaus die Zusammenlegungsverhandlungen bei den Gemeinden weiter an. Die Vorschläge zur Kreisreform wirkten sich tatsächlich beschleunigend auf die 1457 »Oesede ist vorbehaltlos bereit, die Selbstständigkeit aufzugeben«, NOZ, 19. September 1968. 1458 Ebd. 1459 »Räte im Wahlbezirk Ost«; »Räte im Wahlbezirk West«, NOZ, 1. Oktober 1968.

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Verhandlungen aus. Eine Resolution mit einem Gegenvorschlag, der vorsah, dass alle anderen Landkreise aufgelöst werden und im Großkreis Osnabrück aufgehen sollten, wurde verabschiedet und die Gemeinden beschäftigten sich – auch wegen der drohenden Verlagerung des Kreissitzes nach Melle – mit der Zusammenlegung. »Das Signal zum Zusammenschluss sei gegeben«,1460 hieß es, nachdem die Resolution verabschiedet war, und die im Entstehen begriffene Großgemeinde sich selbst als Kreissitz ins Spiel gebracht hatte. Im Auftrag von Landrat Tegeler erstellte die Verwaltung in Oesede noch am gleichen Tag, an dem die Resolution verabschiedet wurde, ein Papier mit der Überschrift: »Was ist im Falle des Zusammenschlusses der Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede zu tun?«1461 Darin wurden noch einmal die Gründe aufgelistet, die für eine Zusammenlegung sprachen: Das Ziel, der Erschließung von Industrie- und Gewerbegebieten, der Ansiedlung von Industrie und der Schaffung von Arbeitsplätzen sei nur über diesen Weg realisierbar ; außerdem bilde das Klöckner-Werk wegen der hohen Beschäftigtenzahlen »einen Zusammenhalt zwischen den drei Gemeinden, der nicht übersehen werden kann«;1462 ferner seien die bereits bestehenden Zweckverbände als Vorläufer des Zusammenschlusses anzusehen; schließlich komme die Landkreisproblematik noch hinzu, die gelöst werden könne, wenn eine Großgemeinde mit dem Namen ›Dütetal‹ Kreissitz würde; nur mit einer Großgemeinde könne man die Zentralitätsziffer 30 erreichen, denn Harderberg bringe als zentrale Einrichtung das Franziskushospital mit ein; die Verwaltungskraft werde gestärkt und »die Steuerkraft wird in einem Haushalt geballt«;1463 dazu kämen Schlüsselzuweisungen, die sich durch Addition der Einwohner deutlich erhöhten, und Planungen von Investitionen kämen aus einer Hand. Nach der langen Liste von Zusammenlegungsgründen, in der übrigens zum ersten Mal erwähnt wurde, dass die Klöckner-Werke Beschäftigte in allen Gemeinden des Untersuchungsgebietes hatten, folgte eine Liste, wie ein zwischengemeindlicher Ausschuss den Gebietsänderungsvertrag vorzubereiten habe. Folgendes sollte der Vertrag, der der kommunalen Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorgelegt werden musste, festlegen: Die Grenzen und das Gebiet der neuen Gemeinde mussten ebenso wie der Sitz der Verwaltung festgelegt werden, eine Regelung hinsichtlich der Zweckverbände sollte getroffen werden und das Ortsrecht überdacht werden, die Übernahme der Bediensteten war zu klären, die Namen der Ortsteile mussten bestimmt werden und es musste darüber befunden werden, ob Ortsräte gebildet 1460 Protokoll der VA-Sitzung vom 14. November 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1461 Arbeitspapier »Was ist im Falle des Zusammenschlusses der Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede zu tun?« vom 14. November 1968, ebd. 1462 Ebd. 1463 Ebd.

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werden sollen, die Sicherung des Abschlusses einzelner Maßnahmen sollte vertraglich zugesichert werden, die Zweckbindung von Rücklagen und Haushaltsmittel und eine Festlegung der Steuerhebe- und Gebührensätze sollte erfolgen. Die Oeseder Verwaltung war – im Auftrag des Landrates – aktiv, bereitete Sitzungen vor und nach und plante die nächsten Schritte in Richtung Zusammenlegung. Die Georgsmarienhütter Verwaltung hingegen blieb passiv. Auf Anfrage des Landkreises vom 11. Dezember 19681464 antwortete der Gemeindedirektor Trepper : »Die Beratungen durch Organe der Gemeinde Georgsmarienhütte sind noch nicht aufgenommen worden.«1465 In Georgsmarienhütte habe man keine Eile, im Jahr 1969 werde das sicher noch nichts, das habe Helmut Stahlmann mit Ludwig Siepelmeyer bereits besprochen. Stahlmann hatte Sorge, dass die Zusammenlegungsproblematik sich auf die Bundestagswahl im September 1969 auswirken könnte. Zunächst sollte erstmals der Ausschuss zur weiteren überörtlichen Zusammenarbeit am 8. Januar 1969 tagen. Trepper bestellte die Georgsmarienhütter Ausschussmitglieder am 30. Dezember 1968 in sein Dienstzimmer. In dieser Besprechung zweifelte er an, was Tegeler im Sommer verkündet hatte. Ob Harderberg denn auch tatsächlich Flächen zur Gewerbe- und Industrieansiedlung freigegeben bekäme, oder ob die Gemeinde wegen des Krankenhauses frei von weiterer Gewerbeansiedlung bleiben soll, hinterfragte er kritisch Tegelers Ausführungen. Auch die Entwicklung der Bevölkerungszahl zog er in Zweifel. Es gebe auch andere Gutachten: »Danach ist also festzustellen, daß von der erwarteten Bevölkerungsexplosion keine Rede sein kann.«1466 Der ehemalige Bürgermeister Niemeyer riet zu einem langsamen Vorgehen und warnte: »S.E. würde die Gemeinde zukünftig mehr belastet [Hervorhebung im Original. I.B.] als entlastet.«1467 Auch Bürgermeister Stahlmann äußerte noch einmal die Bedenken wegen der Bundestagswahl. Ratsherr Schmigelski empfahl jedoch, den Schuldenstand und den Investitionsbedarf für die kommenden Jahre einmal aufzulisten. Die Liste sei lang: Krankenhausproblem, Brückenbau, Sanierung der ›Alten Kolonie‹, Schulprobleme, Wasserversorgung Malbergen und der Straßenbau Harderberger Weg. Anschließend räumte Trepper ein, dass ja auch Ortsräte eingerichtet werden könnten, die mitbestimmen könnten, was in Georgsmarienhütte geschähe. Die Bedenken waren keineswegs zerstreut, doch am

1464 Landkreis an die Gemeinde Georgsmarienhütte, Schreiben vom 11. Dezember 1968, ebd. 1465 Georgsmarienhütte an den Landkreis, Schreiben vom 23. Dezember 1968, ebd. 1466 Protokoll der Besprechung der Ausschussmitglieder zur weiteren überörtlichen Zusammenarbeit aus Georgsmarienhütte am 30. Dezember 1968, ebd. 1467 Ebd.

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Ende der Sitzung ließ das Protokoll eine nicht gänzlich ablehnende Stimmung im Hinblick auf einen Zusammenschluss ahnen. Mit dieser kritischen Haltung gingen die Georgsmarienhütter Ratsleute in die Sitzung am 8. Januar 1969. Sie fand im Kasinohotel statt, und der Georgsmarienhütter Bürgermeister Helmut Stahlmann führte in dieser Sitzung den Vorsitz, während ein Mitglied der Oeseder Verwaltung Protokoll führte. Die Georgsmarienhütter brachten ihre Bedenken in Bezug auf die Ausweisung von Industrie- und Gewerbeflächen vor. Die Harderberger konnten die Bedenken zerstreuen: Zwischen Dorfstraße und B68 stünden vier Hektar zur Verfügung, Gelände vom Maschinenbau-Fabrikanten Robert Jaffe8 umfasse ebenfalls vier ha, und ein Bauer habe 10 bis 15 ha in Aussicht gestellt.1468 Jede Gemeinde hatte im Vorfeld einen umfangreichen Fragebogen mit Ausgaben und Einnahmen auf verschiedenen Haushaltspositionen ausfüllen müssen. Das Material sei rasch zusammengetragen worden, und wurde mit »Hinweis auf einige Unzulänglichkeiten – auf Mißverständnissen und Eile der Zeit beruhend – ausgehändigt.«1469 Das Zahlenwerk war tatsächlich unübersichtlich und gab über den Zustand der Gemeinden nicht wirklich Auskunft. Den Anwesenden waren die Papiere keine Diskussion wert. Vielmehr wurde nun der Zeitpunkt der Zusammenlegung diskutiert. Georgsmarienhütter Ratsleute verkündeten, dass alles in Ruhe geprüft werden müsse. Ob man nicht zunächst einen gemeinsamen Flächennutzungsplan aufstellen könne, wurde gefragt. Die Harderberger Ratsleute hingegen drückten aufs Tempo. Der Zusammenschluss müsse so schnell wie möglich realisiert werden, damit das Industriegelände ausgewiesen werden könne. Auch Oesede wollte schnell ans Ziel Zusammenlegung kommen. Erst die Zusammenlegung, dann die Umsetzung der wirtschaftsfördernden Maßnahmen, so wollte Siepelmeyer vorgehen. Die Entwicklung im Osnabrücker Nordraum mache den Zusammenschluss und die Wirtschaftsförderung besonders dringlich.1470 Weitere Präliminarien wurden festgelegt: Vorsitzender des Zusammenlegungsausschusses wurde Helmut Stahlmann, stellvertretender Vorsitzender Adolf Aulf; die Geschäftsführung lag beim Gemeindedirektor von Oesede, Rudolf Rolfes. Die nächsten Sitzungstermine wurden festgelegt. Als die Sitzung eigentlich schon geschlossen war, teilten die Oeseder Ratsleute mit, dass man mit Kloster Oesede Kontakt aufgenommen habe, um die Großgemeinde zu erweitern. Die Georgsmarienhütter ihrerseits informierten, dass man mit der Gemeinde Holzhausen gesprochen habe.1471 1468 Protokoll der Sitzung der Zusammenlegungsausschüsse Georgsmarienhütte, Harderberg, Oesede am 8. Januar 1969, ebd. 1469 Ebd. 1470 Ebd. 1471 Ebd.

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Die nächste Sitzung fand am 22. Januar 1969 in der Gaststätte Rolf in der Gemeinde Harderberg statt. Protokoll führte wieder ein Mitglied der Oeseder Verwaltung.1472 Genau einen Tag zuvor titelte die NOZ »Kein Dampf für den Zug zum Bahnhof Dütestadt«,1473 und machte der Gemeinde Georgsmarienhütte Druck. Der SPD-Fraktion, die seit September Regierungsverantwortung trage, lasse es bei der Verwirklichung des Projektes Zusammenschluss an Dynamik fehlen. Im Übrigen seien weder die Bürger informiert noch die Presse hinzugezogen worden, warf der Redakteur Jürgen Hofmeyer den Ratsherren vor. Die Presse selbst bezog in diesem Aushandlungsprozess eindeutig Stellung: »Daß durch den Zusammenschluß eine resonanzstarke und lebensfähige Goßgemeinde entsteht, ist ohne Zweifel«,1474 schloss Hofmeyer seinen Kommentar. Ob der Artikel nun Auslöser für ein ernsthaftes Abarbeiten der bereits im November von Oesede erarbeiteten Punkte war, sei dahin gestellt. Jedenfalls stand die Sitzung am 22. Januar 1968 ganz im Zeichen einer gewissen Ernsthaftigkeit. Die wichtigste Angelegenheit, die es zu klären galt, war die Ausweisung der Industriegebiete. Die Kosten, die vor der Fusion entstehen, würden auf Georgsmarienhütte, Oesede und Harderberg umgelegt. Die Vertreter der Bauausschüsse sollten sich gegenseitig in die Sitzungen einladen. Siepelmeyer schlug vor, erst Flächen auszuweisen, dann zu kaufen und dann Betriebe zu suchen und zu finden. Der nächste Punkt, die Grenzen der neuen Gemeinde betreffend, war unstrittig. Für Holzhausen und Kloster Oesede sollte »das Tor weit offengehalten werden«.1475 Der Nachbarschaftsverband, der ohnehin die wesentlichen Aufgaben wie Schul- und Schwimmbadbau erledigt hatte, sollte aufgelöst werden. Der Abwasserverband ›Obere Düte‹ sollte aber bestehen bleiben. Bei der Übernahme der Bediensteten ergab sich nur Konfliktpotential bei der Besetzung der Stelle des Gemeindedirektors. Ein Gemeindedirektor aus den Vorgängergemeinden könnte parteiisch sein, da gebe es noch Klärungsbedarf, befanden die Ratsleute. Immerhin wurde festgelegt, dass der neue Gemeindedirektor kein Jurist sein, sondern nur die zweite Laufbahnprüfung für Verwaltungsangestellte abgelegt haben müsse.1476 Bei dem Punkt »Geplante Investitionen«1477 hatten alle drei Gemeinden viel vor: Stahlmann und Trepper machten klar, dass die Sanierung des Krankenhauses anstehe, dass aber noch nicht feststehe, wie hoch der Zuschuss des 1472 Protokoll der Sitzung der Zusammenlegungsausschüsse Georgsmarienhütte, Harderberg, Oesede am 22. Januar 1969, ebd. 1473 »Kein Dampf für den Zug zum Bahnhof Dütestadt«, NOZ, 21. Januar 1969. 1474 Ebd. 1475 Protokoll der Sitzung der Zusammenlegungsausschüsse Georgsmarienhütte, Harderberg, Oesede am 22. Januar 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1476 Ebd. 1477 Ebd.

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Landkreises ausfalle, das hänge von der Landesplanung ab, die zusätzlich zu den Schwerpunktkrankenhäusern mehrere funktionstüchtige kleinere Häuser vorsehe. Ferner sei der Bau der Kasinotalbrücke mit Investitionen von 900.000 DM notwendig und die Sanierung der ›Alten Kolonie‹, die noch nicht kalkuliert sei.1478 Die Harderberger Vertreter waren dagegen bescheiden. Sie wollten von vornherein nicht, dass die Zusammenlegung von der Durchführung bestimmter Maßnahmen abhängig gemacht würde. Die Gemeinde vertraue darauf, dass folgende Investitionen getätigt würden: Straßenbau im Wert von 300.000 DM, Bau einer Turnhalle für 500.000 DM und Bau eines Kindergartens für 320.000 DM.1479 Oesede legte einen Investitionsplan mit zahlreichen Positionen für die Jahre 1969–1971 vor, der aber nicht weiter diskutiert wurde.1480 Um Oesedes Vorhaben musste sich ohnehin niemand Sorgen machen, da Oesede als bevölkerungsreichste Gemeinde auch am stärksten im Gemeinderat vertreten sein würde. Bei der Bezeichnung der Ortsteile ergab sich eine lebhafte Diskussion, nach der die Ratsleute zu dem Schluss kamen, dass es nur eine »offizielle Ortsbezeichnung«1481 geben solle. Ob Ortsräte gebildet werden sollten, die die einzelnen Ortsteilinteressen wahrnehmen könnten, wurde an diesem Tag noch nicht entschieden.1482 Beim dem Punkt »Sitz der Verwaltung«1483 gingen die Meinungen auseinander. Man war sich einig, dass die Verwaltung einen Sitz an zentraler Stelle haben sollte und dass Nebenstellen eingerichtet werden könnten. Ratsherr Pilger schlug vor, ein neues Rathaus zu bauen. Dieses solle aber auf keinen Fall in Georgsmarienhütte gebaut werden, warf Ratsherr Beermann von der Gemeinde Harderberg ein. Stahlmann brachte die Villa Stahmer ins Gespräch, was Siepelmeyer nicht gefiel. Aber ein Neubau am Carl-Stahmer-Weg sei denkbar, denn er musste einräumen, dass das Rathaus in Oesede für alle Bediensteten zu klein sei. Man könne auch die alte Michaelisschule nutzen, fiel ihm noch ein. Das sei als Zwischenlösung »wie auch als Endlösung [sic! I.B.] zu denken«.1484 Schließlich ließ Stahlmann abstimmen. Oesede sollte vorläufiger Verwaltungssitz und die anderen Verwaltungssitze dezentral beibehalten werden. Des Weiteren sollte ein neues Rathaus in der Nähe der Villa Stahmer gebaut werden. Rein sprachlich hatte der Protokollant der Gemeinde Oesede den Verwaltungssitz 1478 1479 1480 1481 1482 1483 1484

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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zugesprochen. Der Satz wurde später auf Wunsch der Georgsmarienhütter Sitzungsteilnehmer ersatzlos aus dem Protokoll gestrichen.1485 In dieser Sitzung trat zum ersten Mal das Namensproblem zutage. Stahlmann bat darum, einen neutralen Namen zu suchen. Ein Ratsherr aus Oesede und einer aus Georgsmarienhütte plädierten für den Bestandteil ›Hütte‹ oder für den Namen ›Klöckner‹. Es wurde erwogen, ein Preisausschreiben durchzuführen oder die Bevölkerung diskutieren zu lassen. Ratsherr Karrenbrock aus Georgsmarienhütte machte als erster den Vorschlag, in Anbetracht »des gemeinsamen Brotgebers ›Klöckner‹ […] auch über den Namen Georgsmarienhütte«1486 zu sprechen. Bürgermeister Aulf war dagegen. Der Name werde komplett weder ausgeschrieben noch ausgesprochen. Werner Schmigelski war für den Namen ›Malbergen‹, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Mehrere Oeseder Ratsherren erklärten, »daß auf die Beibehaltung des Namens ›Oesede‹ verzichtet«1487 werde. Die Schulen sollten aufgefordert werden, einen Namen zu finden. Auf den Zeitpunkt der Zusammenlegung konnten sich die Ratsleute nicht einigen. Oeseder und Harderberger Ratsleute wollten zum 1. Januar 1970 fusionieren, Georgsmarienhütte im Laufe des Jahres 1970. Bevor die Mandatsträger am 3. März 1969 wieder zusammenkamen, änderte ein Vortrag von Rechtsanwalt Ludwig Reißner, Geschäftsführer des niedersächsischen Gemeindetages, die Ausgangslage: Reißner ließ die in Voxtrup versammelten Bürgermeister wissen, dass Zusammenschlüsse von Gemeinden durch das Land Niedersachsen finanziell gefördert würden.1488 Dies war ein nicht unwichtiger Aspekt in den Zusammenlegungsverhandlungen. Das motivierte vor allem die Oeseder Ratsleute, sich weiter aktiv an den Verhandlungen zu beteiligen und die Öffentlichkeit miteinzubeziehen. So schlugen sie im Vorfeld vor, die Presse zu dieser Sitzung einzuladen,1489 was die Gemeinde Georgsmarienhütte jedoch ablehnte. Das Thema kam am 3. März 1969 noch einmal zur Sprache. Wenn Georgsmarienhütte dagegen sei, dann wollten Oesede und Harderberg auch auf die Hinzuziehung der Presse verzichten. Die Georgsmarienhütter Ratsleute zogen sich darauf zurück, dass sie 1485 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 12. Februar 1969, ebd. 1486 Protokoll der Sitzung der Zusammenlegungsausschüsse Georgsmarienhütte, Harderberg, Oesede am 22. Januar 1969, ebd. 1487 Ebd. 1488 »Nicht nur im Nahbereich der Stadt wird es ernst für die Gemeinden«, NOZ, 5. Februar 1969. In diesem Vortrag verkündete Reißner gemäß seinem Auftrag der Bezirksplaner übrigens auch die vorläufige Anzahl und die Verteilung der ›Grundzentren‹ im Osnabrücker Land. Die Gemeinden Oesede mit Harderberg und Georgsmarienhütte wurden bereits als Einheit mit 26.000 Einwohnern gesehen. 1489 Gemeinde Oesede an Gemeinde Georgsmarienhütte, Schreiben vom 26. Februar 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2.

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kein Mandat hätten, so etwas zu entscheiden, wollten dies aber mit dem Rat besprechen und schlugen vor, die Presse für die nächste Sitzung einzuladen.1490 Da Rolfes in dieser Sitzung wegen Krankheit fehlte, kamen die Arbeiten nicht voran. Von der Wirtschaftsförderung konnte nichts berichtet und die finanziellen Auswirkungen der Zusammenlegung konnten nicht klar benannt werden. Auch zur Namensfrage gab es nichts Neues, die Schulen seien mit der Namensfindung beauftragt worden. Der Standort des neuen Rathauses wurde endgültig auf das Gebiet der Villa Stahmer festgelegt, die Lage des neuen Ortskerns wurde aber nicht bestimmt. Als man auf den Zeitpunkt der Zusammenlegung zu sprechen kam, drückten Oesede und Harderberg wieder aufs Tempo. Man könne auch erstmal alleine eine Gemeinde bilden, Georgsmarienhütte könne dann später dazu stoßen, schlugen Oeseder Ratsvertreter vor, die außerdem bemängelten, dass die Ratsarbeit sich in einem unschönen »Schwebezustand«1491 befände. In der nächsten Sitzung sollte ein Entwurf für einen Gebietsänderungsvertrag vorgelegt werden. Die Georgsmarienhütter Ratsleute steckten nun in einer Zwangslage: Einerseits herrschte innerhalb der Bevölkerung Unruhe, die über den Verschönerungsverein von 1870 artikuliert wurde, andererseits fürchtete die Gemeinde den vorzeitigen Zusammenschluss von Oesede mit Harderberg. Eine handschriftliche Notiz in den Akten der Gemeinde Georgsmarienhütte gab Auskunft, was der vorzeitige Zusammenschluss der Gemeinde für Mindereinnahmen beschere: 55.700 DM.1492 In der nächsten Sitzung am 10. März 1969 ließ Helmut Stahlmann abstimmen, ob der Rat grundsätzlich zur Zusammenlegung bereit sei. Das Ergebnis war knapp: 9 Ja-Stimmen für den Zusammenschluss, 6 Gegenstimmen und eine Enthaltung. Ein weiterer Beschluss lehnte eine Zusammenlegung zum 1. Januar 1970 eindeutig ab.1493 Die nächste Georgsmarienhütter Ratssitzung fand am 17. März 1969 öffentlich im Kasino statt. Die Argumente von Gegnern und Befürwortern wurden öffentlich noch einmal ausgetauscht. Ratsherr und Landrat Tegeler beschwor noch einmal die düstere Zukunft für den ›Düteraum‹, wenn man untätig bleibe. Bei einem Zusammenschluss jedoch winkten – und die Zahl war neu – Schlüsselzuweisungen in Höhe 415.000 DM, zuzüglich weitere 83.000 DM für Auftragsangelegenheiten. Auch bei der öffentlichen Abstimmung blieb es bei 9 Ja-Stimmen für den Zusammenschluss, 6 Nein-Stimmen und einer Enthaltung.

1490 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der VA der Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg am 3. März 1969, ebd. 1491 Ebd. 1492 Handschriftliche Notiz, ebd. 1493 Protokoll der nicht öffentlichen Gemeinderatssitzung am 10. März 1969, ebd.

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Im Anschluss an die Sitzung stellten die Bürger_innen Fragen, die leider nicht protokolliert wurden.1494 Die Gemeinde Georgsmarienhütte konnte am 18. März 1969 immerhin dem Landkreis melden, dass der Grundsatzbeschluss für die Zusammenlegung vorliege, nur solle dieser erst nach dem 1. Januar 1970 vollzogen werden.1495 Inzwischen verdichtete sich das Geschehen. Ratsleute aus Oesede trafen sich am 19. März 1969 mit Ratsleuten aus Kloster Oesede und Holsten-Mündrup in der Gasstätte Herrenrest in Oesede, und der Landkreis schrieb seine Gemeinden an, dass die Nahbereiche der ›zentralen Orte‹ auf der Grundlage der Gespräche 1964/1965 und der Arbeit des Landesplanungsbeirates vom 9. Juli 1968 festgelegt seien. Eine Karte, die bereits die Umrisse der zukünftigen Großgemeinde einschließlich Kloster Oesede, Holsten-Mündrup und Holzhausen zeigte, lag dem Schreiben bei. »Sie bedeutet keine Vorbereitung der Gebietsreform auf Gemeindeebene, zumal hierüber erst in der nächsten Legislaturperiode des Niedersächsischen Landtages beraten werden soll und jeder Vorgriff hierauf sich verbietet.«1496

Trotz dieses Hinweises wurde der Spielraum für die Gemeinde Georgsmarienhütte enger. In der nächsten Sitzung der Georgsmarienhütter Ratsleute am 24. März 1969 besprachen die Gemeinderatsmitglieder zum ersten Mal den von Oeseder Verwaltungsmitgliedern erarbeiteten Entwurf eines Gebietsänderungsvertrages, in dem im ersten Paragraphen der Name der neuen Gebietskörperschaft festgelegt werden musste. Die lange Liste der von Schulen erarbeiteten Namensvorschläge lag inzwischen vor. Doch die Ratsherren vereinbarten einstimmig: »Die neue Gemeinde soll nach übereinstimmender Auffassung des Ausschusses mit Rücksicht auf die Klöckner-Werke, die weltbekannt sind, Georgsmarienhütte heißen.«1497 Als Interimsbürgermeister sollte Helmut Stahlmann fungieren, der Gemeindedirektor könne aus einer anderen Gemeinde kommen, könne aber auch vom Landkreis gestellt werden. Die Stelle sei nach der Neuwahl auszuschreiben, er müsse die zweite Laufbahnprüfung abgelegt haben. Der Sitz der Verwaltung sollte erst zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Die Maßnahmen, die Georgsmarienhütte für ihre Gemeinde noch durchgeführt wissen mochte, wurden um einen Punkt erweitert: das Waldbad müsse erhalten bleiben. Finanzielle Rücklagen der Gemeinden müssten auch in den Gemeinden 1494 Protokoll der öffentlichen Gemeinderatssitzung am 17. März 1969, ebd. 1495 Georgsmarienhütte an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 18. März 1969, ebd. 1496 Landkreis Osnabrück an alle kreisangehörigen Gemeinden und Städte, Schreiben vom 19. März 1969, ebd. 1497 Protokoll einer Vorbesprechung der Georgsmarienhütter Ausschussmitglieder am 24. März 1969, ebd.

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ausgegeben werden. Die §§ 9 (Sitz der Verwaltung) und 10 (Förderung der Ortsteile und Abschluß einzelner Maßnahmen) des Vertragsentwurfes dürften nach Annahme nicht mehr geändert werden, die §§ 4 (Ortsrecht) und 5 (Realsteuerhebesätze und Gebühren) nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Bei dem Zeitpunkt der Zusammenlegung gingen die Meinungen wieder auseinander. Werner Schmigelski war aber nun auch der Meinung, dass ein Zusammenschluss so schnell wie möglich geschehen solle. Inzwischen hatte sich herumgesprochen, wie hoch die Schlüsselzuweisungen bei einem Zusammenschluss sein würden: Die Summe von ca. 400.000 DM wurde in den Verhandlungen genannt, allerdings gingen davon 170.000 DM an den Kreis zurück, für Auftragsarbeiten gebe es 80.000 DM, die aber für Personalkosten aufgewendet werden müssten.1498 Die nächste gemeinsame Sitzung am 27. März 1969 wurde nichtöffentlich abgehalten.1499 Sie fand im Kasinohotel statt, und diesmal ging es um die Namensgebung. Obwohl dieses Problem bereits in der Erörterung zu § 1 des Vertragsentwurfs Gegenstand der Diskussion gewesen wäre, wurde dieser Punkt zurück gestellt und sollte erst ganz zum Schluss der Sitzung diskutiert werden. Doch der Vorsatz hielt nicht lange, schließlich wurde in fast jedem Paragraphen die Namensnennung der neuen Stadt verlangt. Bei der Erörterung des § 3 (Auflösung des Nachbarschaftsverbandes Georgsmarienhütte/Oesede) ließ sich die Diskussion nicht mehr aufhalten. Die Georgsmarienhütter Ratsherren brachten offen ihren Wunsch in die Diskussion, die neue Gemeinde mit Rücksicht auf das Werk und seine internationale Bedeutung ›Georgsmarienhütte‹ zu nennen. Die Oeseder Ratsherren plädierten für einen neutralen Namen, deshalb würden sie es gern sehen, wenn Georgsmarienhütte ebenfalls auf seinen Namen verzichten würde. Die Ratsleute aus Harderberg verzichteten auf ihren Namen, wollten aber den Namen ›Georgsmarienhütte‹ nicht akzeptieren. Harderberg und Oesede schlugen gemeinsam ›Dütenau‹ vor. Georgsmarienhütter Mandatsträger wollte dies erst mit ihrem Rat besprechen.1500 Der Vertrag wurde weiter ausgehandelt: Interimsbürgermeister sollte Helmut Stahlmann werden, stellvertretende Bürgermeister die Ratsvorsitzenden von Harderberg und Oesede. Als Interimsgemeindedirektor war der Oeseder Gemeindedirektor Rolfes vorgesehen, dessen Stelle aber nach der Zusammenlegung neu ausgeschrieben werden sollte. Landrat Tegeler schlug vor, diese Entscheidung dem Interimsrat zu übertragen. Viele Paragraphen wurden auf Vorschlag der Gemeinde Georgsmarienhütte geändert und von den anderen Verhandlungspartnern gebilligt. Die Gemeinden sollten Kataloge mit Maßnah1498 Ebd. 1499 Protokoll der gemeinsamen Sitzung am 27. März 1969, ebd. 1500 Ebd.

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men aufstellen, die noch zu verwirklichen seien und die Gemeinde Georgsmarienhütte erwirkte einen Revisionsschutz: Vertragsänderungen sollten nur bei §§ 4 und 5 möglich sein. Über den Zeitpunkt der Zusammenlegung war man ebenfalls nicht einig. Bis zum 30. April 1969 musste der Antrag auf Zusammenlegung in Hannover vorliegen, dann könne der Zusammenschluss noch bis zum 1. Januar 1970 durchgeführt werden. Über diese Terminierung waren die Georgsmarienhütter Ratsleute überrascht. Sie hatten nicht gewusst, dass eine Zusammenlegung so kurzfristig möglich sei. Sie schlugen den 1. März 1970 vorbehaltlich der Zustimmung des Rates vor, aber falls der Landtag einen anderen Termin vorschlagen werde, wolle man ihn akzeptieren.1501 Das brachte Oesede und Harderberg zu einer Drohgebärde. Wenn Georgsmarienhütte zu lange warte, dann sehe man sich »gezwungen, vorweg einen Zusammenschluß zu vollziehen.«1502 Die neue Gemeinde würde dann gerne zu einem späteren Zeitpunkt noch weitere Mitglieder aufnehmen. In dieser Sitzung wurde der Termin festgelegt, an dem die Räte über den Gebietsänderungsvertrag öffentlich abstimmen und die Auflösung ihrer Gemeinden beschließen wollten.1503 Bis zum entscheidenden Termin am 19. April 1969 waren es noch gut drei Wochen. In diesen drei Wochen entwickelte die Namensfrage ihr ganzes Konfliktpotential. Das Protokoll der Sitzung des Zusammenlegungsausschusses vom 27. März 1969 enthielt keine Anzeichen dafür, dass die Räte zur Lösung ›Dütenau‹ tendierten, trotzdem verkündete die NOZ am 29. März 1969, die zu oben genannter Sitzung nicht eingeladen war : »19. April: Großer Tag für Dütenau. Zusammenlegung feierlich besiegelt«,1504 und berichtete: »Die Einigung über den neuen Stadtnamen war relativ zügig herbei geführt.«1505 Diese Nachricht rief zum einen Bürger auf den Plan, die sich per Leserbrief zu Wort meldeten und sich gegen die Bezeichnung ›Dütenau‹ wandten, zum anderen trat nun erstmals seit Aufnahme der Verhandlungen das Direktorium der Klöckner-Werke in Erscheinung. Das dreiköpfige Gremium wandte sich mit einem Brief am 10. April 1969 an die Ratsleute der an den Verhandlungen beteiligten Gemeinden.1506

1501 1502 1503 1504

Ebd. Ebd. Ebd. »19. April: Großer Tag für ›Dütenau‹. Zusammenlegung feierlich besiegelt«, NOZ, 29. März 1969. 1505 Ebd. 1506 Das Direktorium der Klöckner-Werke an die Räte der Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte, Schreiben vom 10. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2.

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Das mehrseitige Schreiben, in dem das Direktorium sein Interesse an der Beibehaltung des Namens ›Georgsmarienhütte‹ darlegte, erreichte die Ratsleute der drei Verhandlungsgemeinden einen Tag später. Es gebe kein »kennzeichnenderes Symbol […], das in der Bezeichnung dieses Gemeindeverbandes wiederkehren sollte, als das Werk«,1507 schrieben die drei Werksdirektoren. In den drei Gemeinden lebten etwa 3.000 Beschäftigte und in der Umgebung etwa 10.000 Menschen unmittelbar vom Werk. Der Name sei von wirtschaftlicher Bedeutung. »Wird der politischen Gemeinde der Name ›Georgsmarienhütte‹ entzogen, dann greift ein solcher Abbau zwangsweise in das Image unseres Werkes ein.«1508 Die Stellung des Werkes innerhalb des Konzerns könne dadurch beeinträchtigt werden. Die drei Direktoren Werner Heymann, Hermann Rodrian und Karl Sporbeck bekannten sich zur Großgemeinde, sie appellierten aber an die Akteure dieses Aushandlungsprozesses: »Erhalten Sie irgendwie den Namen ›Georgsmarienhütte‹.«1509 Der Brief gelangte an die NOZ, die am 15. April 1969 titelte: »Bedenken der Klöckner-Direktoren zu ›Dütenau‹ reichlich verspätet«,1510 und Interna aus der Oeseder Ratsarbeit ausbreitete. Rund ein Jahr habe man sich um ein Gespräch mit den Klöckner-Werken bemüht, und als endlich ein Gespräch zustande kam, sei der 2. Stellvertreter Siepelmeyers, Josef Dälken ausgeladen worden. Am 11. April 1969 tagte der Oeseder Rat allein. Dem eigentlichen Sitzungsprotokoll ging einmal mehr eine ausführliche Begründung des Zusammenschlusses voraus. Zu den bereits bekannten Aspekten, kam ein neuer hinzu. Der Zusammenschluss begünstige die weniger begüterten Gemeinden, er sei »von ausgleichender kommunalpolitischer Gerechtigkeit«.1511 Der indirekte Hinweis auf Georgsmarienhüttes angeblichen Reichtum sollte hier noch einmal diejenigen Oeseder Ratsleute überzeugen, die wegen der Namensdiskussion möglicherweise den Zusammenschluss nun doch nicht mehr wollten. Denn in der anschließenden Diskussion um die Namensgebung der Großgemeinde hieß es: »Wenn man sich dazu durchringen würde, den Namen Georgsmarienhütte in irgendeiner Form beizubehalten, könnten die übrigen beteiligten Gemeinden, insbesondere Georgsmarienhütte daraus entnehmen, daß die Oeseder um der gemeinsamen Sache willen, bereit seien, selbst ein für sie so großes Opfer zu bringen.«1512

1507 1508 1509 1510

Ebd. Ebd. Ebd. »Bedenken der Klöckner-Direktoren zu ›Dütenau‹ reichlich verspätet«, NOZ, 15. April 1969. 1511 Protokoll der öffentlichen Ratssitzung des Oeseder Gemeinderates am 11. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 2. 1512 Ebd.

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Ohne Zweifel waren einige Oeseder Ratsherren nicht bereit, den Namen ›Georgsmarienhütte‹ um des Zusammenschlusses willen anzunehmen. Die Berichterstattung in der Presse trug dazu bei, den Druck zu erhöhen. Die NOZ titelte am 14. April 1969: »Brief des Klöckner-Direktoriums entfachte Debatten und Kritik. Scheitert Zusammenschluß an der Namensgebung Dütenau?«1513 Wieder vertrat die Presse eine Oeseder Sicht, denn der Zusammenschluss konnte zu diesem Zeitpunkt auch aufgrund der Namensgebung ›Georgsmarienhütte‹ an den Oeseder Ratsherren scheitern. Diese trafen sich am gleichen Tag mit den Ratskollegen aus Harderberg, ohne die Georgsmarienhütter. Gegenstand war auch hier die Intervention des Klöckner-Direktoriums. Die Empörung war bei allen Beteiligten groß. »In jedem Fall sei durch die Intervention des Klöckner-Direktoriums der Namensvorschlag der Georgsmarienhütter Ratsherren wieder in den Vordergrund gebracht worden«,1514 hieß es im Protokoll, als sei das Problem der Namensgebung bereits gelöst gewesen. Die Harderberger Ratsherren erklärten einmütig, dass man der Gemeinde Georgsmarienhütte schon in so vielen Dingen entgegen gekommen sei. »In dieser Angelegenheit könne man nun nicht mehr mitmachen.«1515 Außerdem seien vielleicht auch Holzhausen, Holsten-Mündrup und Kloster Oesede eventuell nicht mehr bereit, der Großgemeinde beizutreten, erteilten sie eine klare Absage an den Namen ›Georgsmarienhütte‹. Im Übrigen könne man auch ohne Georgsmarienhütte fusionieren. Die Oeseder waren hin und her gerissen. Sie diskutierten, Namensbestandteile wie ›Georg‹ und ›Marie‹ zu erhalten, doch am Ende der Sitzung war man sich einig: Die neue Großgemeinde solle ›Dütenau‹ heißen, und Georgsmarienhütte solle an ›Dütenau‹ einfach einen Zusatz dranhängen. Die Aussagen waren in der Zusammenfassung des Protokolls eindeutig. Oesede war fest entschlossen, den Namen ›Dütenau‹ durchzusetzen. In Georgsmarienhütte tagte am 14. April 1969 der Verwaltungsausschuss. An dem Namen ›Georgsmarienhütte‹ sollte »nach Möglichkeit festgehalten«1516 werden, befanden die Mitglieder dieses Ausschusses. Nun wurde auch hier eine Kompromisslösung wie ›Georgsmariental‹ oder ›Georgsmarienstadt‹ diskutiert, die auch das Direktorium der Klöckner-Werke akzeptieren würde. Aber das Gremium arbeitete auch weiter am Gebietsänderungsvertrag. Die Forderungen wurden noch einmal nach oben geschraubt, womöglich in der Hoffnung der Georgsmarienhütter Zusammenlegungsgegner, die Oeseder zur Aufgabe ihrer Einigungsbestrebungen zu bewegen. Die Stelle des Hauptverwaltungsbeamten solle ausgeschrieben werden und dem Maßnahmenkatalog wurden noch zwei 1513 »Brief des Klöckner-Direktoriums entfachte Debatten und Kritik. Scheitert Zusammenschluß an der Namensgebung Dütenau?«, NOZ, 14. April 1969. 1514 Protokoll der Arbeitsbesprechung am 14. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 2. 1515 Ebd. 1516 Protokoll der VA-Sitzung vom 14. April 1969. NLA OS Dep 81 b, Nr. 1, Bd. 2.

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Punkte hinzugefügt: Ausbau eines weiteren Sportplatzes und Bau einer Turnhalle an der Realschule. Zum Zeitpunkt der Zusammenlegung mochte sich der Ausschuss nicht äußern.1517 Einen Tag später, am 15. April 1969, fand eine nichtöffentliche Ratssitzung in Georgsmarienhütte statt. Erneut stand der Termin der Zusammenlegung auf der Tagesordnung. Die einen wollten die Zusammenlegung so schnell wie möglich durchführen, die anderen erst nach der Gebiets- und Verwaltungsreform, was auf ein Verschieben auf unbestimmte Zeit hinausgelaufen wäre. Obwohl der Rat noch nicht vollzählig war, ließ Stahlmann abstimmen. Werner Schmigelski, ein wichtiger Befürworter der schnellen Zusammenlegung, war noch nicht eingetroffen. Das Ergebnis war dementsprechend: der Termin der Zusammenlegung zum 1. März 1970 wurde mit 8 Nein- zu 7 Ja-Stimmen abgelehnt. Stahlmann unternahm einen neuen Anlauf. Im letzten Augenblick sei Werner Schmigelski zur Sitzung erschienen und verschaffte der neuen Abstimmung über den neuen Termin zur Zusammenlegung zum 1. April 1970 die erforderliche Mehrheit mit 9 Ja- und 7 Nein-Stimmen. Zusätzlich war einer der Ablehnenden umgeschwenkt. Die Ratsherren Karrenbrock, Käding, Baller und Wendt verliessen daraufhin den Sitzungssaal.1518 Die verbleibenden Ratsleute arbeiteten weiter am Gebietsänderungsvertrag. Sie wollten am Namen ›Georgsmarienhütte‹ ohne Wenn und Aber festhalten, die Verhandlungspartner hatten ja mehrfach versichert, dass sie auf ihren »Ortsnamen keinen großen Wert«1519 legten. Man sei aber bereit, auf eine Ausschreibung der Stelle des Gemeindedirektors zu verzichten, denn es werde erwartet, »daß die Gemeinde Oesede bei der Namensgebung der Gemeinde Georgsmarienhütte«1520 entgegen komme. Stahlmann ließ noch einmal abstimmen und der Restrat stimmte mit 9 Stimmen für die Änderungen des Gebietsänderungsvertrages.1521 Es waren noch vier Tage bis zum öffentlichen und offiziellen Termin über die Annahme des Gebietsänderungsvertrages und die Auflösung der beteiligten Gemeinden. Es sah am Abend des 15. April 1969 nicht danach aus, als ob der Gebietsänderungsvertrag am 19. April tatsächlich unterschrieben werden konnte. Der nächste Tag brachte die Verhandlungen jedoch weiter. Am 16. April 1969 trafen sich die Ratsleute aus allen drei Gemeinden mit dem dreiköpfigen Klöckner-Direktorium sowie dem Justitiar des Werkes Eichholz und dem 1517 Ebd. 1518 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 15. April 1969, ebd. Geschichte des gerade noch rechtzeitig eintreffenden Werner Schmigelskis vgl.: Nobbe: Chronik der Stadt Georgsmarienhütte, o.S. 1519 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 15. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1520 Ebd. 1521 Ebd.

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Forstmeister Borrek im Oeseder Rathaus.1522 Siepelmeyer begrüßte die Anwesenden und versuchte die missglückte Pressenotiz über die Namensgebung der Großgemeinde zu erklären. Es seien Verdrehungen vorgekommen, der Bericht entspreche nicht dem Sitzungsergebnis. Georgsmarienhütte und Oesede seien gleichbedeutend und deshalb habe man einen neutralen Namen wählen wollen, versuchte er die verärgerten Akteure des Werkes wieder gewogen zu machen. Für das Wohlwollen der Schwerindustriellen behauptete er sogar : Ihm persönlich und »um der Sache willen« sei »der Name Georgsmarienhütte recht«,1523 aber der Rat der Gemeinde Oesede habe nach der Intervention des Werkes erneut über die Namensgebung diskutiert und den Namen ›Georgsmarienhütte‹ abgelehnt. Werksdirektor Rodrian legte seine Gründe dar, für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ zu kämpfen. In den nächsten vier Wochen solle in Duisburg entschieden werden, ob weiter in die Hütte investiert werde. Der Konzern habe erkannt, »welch wertvolles Werk man in Georgsmarienhütte wirklich vor sich habe«,1524 machte er in der Besprechung mit den Ratsleuten deutlich. Die Marktanteile der Stahldirektlieferanten beliefen sich auf 33,5 %, davon werden allein in Georgsmarienhütte 50 % hergestellt, unterbreitete Direktor Heymann den Ratsleuten. Deshalb sollte alles unterbleiben, was dem Werk abträglich sein könnte. »Der Name Dütenau sei der Beginn der Demontage des Werkes«,1525 mahnten die Direktoren und unterstrichen ihre Forderung nach Erhalt des Namens, mit der Versicherung, dass die Klöcknerwerke auch nach der Durchführung der Rationalisierungsmaßnahmen noch 5.000 Menschen beschäftigen würden. Schwankungen in der Konjunktur könnten natürlich vorkommen.1526 Nachdem die fünfköpfige Delegation der Klöckner-Werke den Raum im Rathaus Oesede verlassen hatte, prallten die Positionen der Ratsleute aufeinander : Georgsmarienhütte war für den Erhalt des Namens und drohte damit, die Zusammenlegung am 19. April 1969 platzen zu lassen, wenn der Name ›Georgsmarienhütte‹ nicht beibehalten würde. Harderberg war für einen neutralen Namen, wollte aber noch mal mit dem Rat Rücksprache halten, und unter den Oeseder Ratsleuten gingen die Meinungen weit auseinander. Die einen hatten Verständnis für die Klöckner-Werke, andere lehnten das Ansinnen der Werksakteure ab. Mit einem Satz im Protokoll wurde Oesedes Lage beschrieben: »Allgemein sehen die Oeseder Ratsherren in einer möglichen Annahme des 1522 Protokoll der Besprechung mit Ratsleuten aus den Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte und dem Klöckner-Direktorium am 16. April 1969, ebd. 1523 Ebd. 1524 Ebd. 1525 Ebd. 1526 Tatsächlich sank die Zahl der Beschäftigten in den nächsten Jahren rapide, »Jetzt 4630 Mitarbeiter«, NOZ, 8. Juni 1973.

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Namens Georgsmarienhütte eine Verlagerung der Schwierigkeiten, die bislang in Georgsmarienhütte im Hinblick auf die Zusammenlegung eingetreten sind, nach Oesede.«1527 Das war umständlich ausgedrückt und hieß im Klartext: Wochenlang hatten Oesede und Harderberg gedroht, sich auch ohne Georgsmarienhütte zusammenzuschließen, was einem Abbruch der Verhandlungen gleichgekommen wäre, jetzt drehte Georgsmarienhütte den Spieß um: wenn der Name ›Georgsmarienhütte‹ nicht beibehalten werde, käme eine Zusammenlegung, die für den 19. April – also in drei Tagen – mit zahlreichen Gästen aus Politik und Verwaltung angesetzt war, nicht zustande. Eine weitere Arbeitssitzung wurde anberaumt. Einen Tag vor der entscheidenden Sitzung am 19. April 1969 wollte man sich am 18. April 1969 noch einmal zu einer gemeinsamen Sitzung treffen. Bevor alle am 16. April 1969 auseinandergingen, zeigten Georgsmarienhütter Ratsleute noch einen Ausweg aus der verfahrenen Situation auf: Man sage zu, sich bei einer Diskussion im Rat für die Beibehaltung der Oeseder Version des § 8 (Übernahme der Bediensteten) einzusetzen. Das war ein Friedensangebot, denn der entsprechende Passus des § 8 bezog sich auf den Oeseder Hauptverwaltungsbeamten, der nach der Zusammenlegung Übergangsgemeindedirektor werden sollte, wenn Oesede sich für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ entscheide.1528 Das Angebot der Gemeinde Georgsmarienhütte lautete also: wenn der Name erhalten bleibe, könne Rolfes während der Übergangszeit Gemeindedirektor bleiben. Die Besprechungen gingen in die letzte Runde vor Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrags. Am 18. April 1969 fanden mehrere Sitzungen gleichzeitig statt. Während die Georgsmarienhütter Ratsleute in ihrem Rathaus zusammen kamen, trafen sich die Oeseder und Harderberger Ratsleute im Hotel Waldesruh.1529 Später fanden sich alle Gemeinderäte im Hotel Waldesruh zu einer gemeinsamen Sitzung ein. Die Geogsmarienhütter Sitzung wurde nach kurzer Zeit unterbrochen, da Helmut Stahlmann zum Hotel Waldesruh fuhr, um von dort die neuesten Verhandlungsergebnisse für die Georgsmarienhütter Sitzung abzuholen. Als er wiederkam, brachte er den neuen Entwurf für den Gebietsänderungsvertrag mit, in dem es unter § 1 hieß, dass der Name der neuen Großgemeinde ›Georgsmarienhütte‹ laute. Im Gegenzug wollten die Oeseder den Stadtdirektor und den Bürgermeister in der Interimszeit stellen. Oskar Hummel mahnte nun zu einem einheitlichen Auftreten, und Trepper führte allen Ratsleuten vor Augen, dass nicht mehr als das ausgehandelt werden könne, was jetzt im Entwurf enthalten 1527 Protokoll der Besprechung mit Ratsleuten aus den Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte und dem Klöckner-Direktorium am 16. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1528 Ebd. 1529 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung Georgsmarienhütte am 18. April 1969, ebd.

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sei. Es sei eine »einmalige Chance, den Namen ›Georgsmarienhütte‹ zu erhalten«.1530 Bevor die Georgsmarienhütter Ratsmitglieder zu einer weiteren Sitzung im Hotel Waldesruh in Harderberg aufbrachen, schwenkten auch die bisherigen Gegner ein.1531 Im Hotel Waldesruh begann die Sitzung aller Gemeinderäte um 19 Uhr.1532 Der Harderberger Bürgermeister Aulf begrüßte die Anwesenden und führte den Vorsitz. Einige Punkte wurden abschließend besprochen. Siepelmeyer sollte Interimsbürgermeister werden. Die Diskussion, ob die Stelle des neuen Gemeindedirektors ausgeschrieben werden würde, kürzte Rudolf Rolfes ab, in dem er bat, die bisherige Formulierung zu belassen. Der neue Hauptverwaltungsbeamte sollte nach der alten Fassung in der Übergangszeit neu gewählt werden. So vermied Rolfes, dass die Namensfrage für immer mit seiner Person verknüpft sein würde.1533 Dann wurde über das Vertragswerk abgestimmt. Georgsmarienhütte war einstimmig für die Annahme des Vertrages. Harderberg war mit zehn Stimmen dafür, bei drei Enthaltungen und Oesede stimmte mit elf Stimmen dafür und mit fünf dagegen. Damit hatten alle drei Gemeinderäte für die Annahme des Gebietsvertrages gestimmt, entscheidend war jedoch die Abstimmung bei der offiziellen Sitzung der Räte. Diese war für den nächsten Tag im Kasinohotel im Beisein von Gästen anberaumt. Am Morgen des 19. April 1969 konnte Helmut Stahlmann im Kasino zahlreiche Mitglieder des Bundestages und des Landtages begrüßen, dazu gesellten sich der Vertreter des Landkreises, das Direktorium der Klöcknerwerke und Vertreter aus den verschiedenen Verwaltungen. Stahlmann bat nach der Begrüßung: »Lassen Sie bei diesem Beschluß alle kleineren Bedenken fallen, stören Sie sich nicht mehr an Formulierungen und Namen und lassen Sie Ihren Entschluß tragen von den großen Gedanken, daß heute und hier die Weichen für die Fahrt in eine gemeinsam gesicherte Zukunft gestellt werden.«1534 Über zwei Punkte mussten die Räte an diesem Tag abstimmen. Zunächst über die Annahme des Gebietsänderungsvertrages und dann über die Auflösung der Gemeinden zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages. Die Räte stimmten nacheinander ab. Georgsmarienhütte votierte einstimmig für die Annahme des Vertrages und für die Auflösung der Gemeinde; der Harderberger Rat stimmte bei drei Enthaltungen mit zehn Stimmen für die Annahme des Vertrages und einstimmig für die Auflösung der Gemeinde; die Oeseder Ratsleute stimmten mit elf Ja-Stimmen und sechs Nein-Stimmen für die 1530 1531 1532 1533 1534

Ebd. Ebd. Protokoll der Arbeitsbesprechung der drei Räte am 18. April 1969, ebd. Ebd. Gemeinsame Sitzung der drei Räte am 19. April 1969, ebd.

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Abb. 5: Unmittelbar vor der entscheidenden Abstimmung über den Gebietsänderungsvertrag im Kasinosaal am 19. April 1969 herrschte große Anspannung. Im Bild sind die Harderberger Ratsherren zu sehen. Foto: Stadt Georgsmarienhütte

Annahme des Gebietsänderungsvertrages und mit 14-Ja und drei Nein-Stimmen für die Auflösung der Gemeinde.1535 Damit war der Gebietsänderungsvertrag eine rechtsgültig beschlossene Sache. Die Zusammenlegung wurde auf den 1. April 1970 terminiert. Wenige Wochen später wurde dieser Termin auf dem 1. Januar 1970 vorverlegt. Die historische Stunde war auf Anregung der Gemeinde Oesede auch im Hinblick auf die zurückliegenden anstrengenden Wochen und Monate eine Beköstigung wert. Es wurde ein Büfett aufgefahren und reichlich Getränke gereicht.1536 Die Rechnung belief sich auf 2.302,96 DM, die wenig später von den Klöckner-Werken beglichen wurde.1537 Die Sitzung am 19. April 1969 stellte nur einen Zwischenschritt, wenn auch einen wichtigen, auf dem Weg zur Großgemeinde dar. Zwar war mit der Unterzeichnung des Vertrages ein wichtiger Teil des Aushandlungsprozesses rechtsverbindlich abgeschlossen, aber die Konflikte, die in den letzten Wochen zu Tage getreten waren, waren keineswegs beigelegt. Die Oeseder Ratsleute 1535 »Stadt mit 20 000 Einwohnern«, NOZ, 21. April 1969. 1536 Außer 199 Pils wurden u. a. 71 Flaschen Henkell trocken, 4 Bommerlunder, 4 Glas Wein, 4 Malteser, 4 Cognac und 18 Lokstedter konsumiert, Gemeinde Oesede an die KlöcknerWerke, Schreiben vom 23. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1537 Ebd.

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Abb. 6: Der Gebietsänderungsvertrag wurde im unmittelbaren Anschluss an die Abstimmung am 19. April 1969 von den drei Gemeindedirektoren und Bürgermeistern unterzeichnet. Am Tisch sitzen der Oeseder Gemeindedirektor Rudolf Rolfes und der Oeseder Bürgermeister Ludwig Siepelmeyer. Im Hintergrund schauen der Georgsmarienhütter Bürgermeister Helmut Stahlmann und Georgsmarienhütter Gemeindedirektor Hermann Trepper den beiden zu. Foto: Stadt Georgsmarienhütte

hatten sich nur dem Druck gebeugt, den Zusammenschluss so früh wie möglich durchzuführen, um infolge des neuen Finanzausgleichsgesetzes so viel Geld wie möglich für so viele Einwohner_innen wie möglich abrufen zu können. Der Druck war enorm und verhinderte einen auf Ausgleich ausgerichteten Aushandlungsprozess, der mehr Zeit gebraucht hätte. Vor allem wäre es nur dann möglich gewesen, die Oeseder Bürger_innen umfassend in den Aushandlungsprozess einzubeziehen, wenn ohne Zeitdruck hätte verhandelt werden können. Doch die Ausgangslage erlaubte keine zeitraubenden Gespräche: Das Industrieund Gewerbegebiet in Wallenhorst/Hollage wurde bereits eingerichtet und würde Firmen anziehen,1538 die Raumplaner würden weiter beim Innenministerium gegen die Ausweisung des Harderberger Gewerbegebiet intervenieren und die Sorge der Kommunalpolitiker, dass die Stadt Osnabrück doch noch Anspruch auf die Gemeinde Harderberg erheben würde, war noch nicht beseitigt. Außerdem würde bei einer späteren Zusammenlegung eventuell auch die 1538 »Greifen wir nicht ganz schnell zu und handeln wir nicht ganz schnell, so kommt eine andere Gemeinde, die dann alle Wünsche erfüllt«, Rolfes an Pfarrer Dr. Beckmann, Schreiben vom 8. März 1968, NLA OS Dep 81 b Nr 303.

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erhöhten Schlüsselzuweisungen nicht mehr ausgezahlt werden. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Bürger_innen erlaubte die Situation nach Ansicht der Kommunalpolitiker nicht. Dementsprechend heftig fiel die Reaktion der Bevölkerung auf den kurz vor Unterzeichnung des Vertrages ausgehandelten Namen aus. Abschließend entschieden wurde die Frage des Namens tatsächlich erst in der Sitzung des Innenausschusses des Landtages am 28. Oktober 1969. Der 19. April 1969 stellte auch deshalb nur einen Zwischenschritt dar, da noch die Gemeinden Holzhausen, Kloster Oesede und Holsten-Mündrup fehlten. Ihr Beitritt zur vorformierten Großgemeinde fiel in die Verhandlungsrunden 6 und 7. Im Jahr 1968 entstand die Idee eines Zusammenschlusses zwischen den drei Gemeinden. Alle bisherigen Versuche, die Reform umzusetzen, scheiterten. Die Selbstständigkeit wurde als schützenswert angesehen. Die unkooperative Haltung war bei allen Gemeinden unübersehbar. Erst als Landrat Tegeler sich des Problems aktiv annahm, wurden die Gemeinderäte aktiv.1539 Vier Sitzungen (15. Mai 1968; 10. Juni 1968; 27. Juni 1968; 16. Juli 1968) brauchte Tegeler im Sommer 1968, um die Gemeinderäte zu einem Umdenken zu bewegen. Wie geschah dies im Einzelnen? 1) Tegler hatte zwei Gutachten für eine persuasive Anwendung zur Verfügung: das Prognos- und das Wortmann-Gutachten. Beide prognostizieren eine starke Zunahme der Bevölkerung bei einem gleichzeitigen Rückgang der Anzahl der Arbeitsplätze durch Rationalisierungsmaßnahmen. Die Zahlen, die Tegeler nannte, klangen gigantisch. Damit malte Tegeler für das Untersuchungsgebiet eine düstere Zukunft. Der Landkreis werde der Region nicht helfen können, denn er weise ein Industriegebiet in Hollage aus, damit seien die Möglichkeiten des Landkreises erschöpft. Die Gemeinden müssten sich schon selbst helfen, wenn sie ein Ausbluten der Region und eine Abwanderung junger Menschen in andere Regionen verhindern wollten. Wirtschaftsförderung sei das Gebot der Stunde, und die sei nur in einer zusammengelegten Großgemeinde möglich. 2) Landrat Tegeler hatte mit Zahlen aus Gutachten – großes Bevölkerungswachstum bei gleichzeitiger Abnahme der Arbeitsplätze – bei den Akteuren im Untersuchungsgebiet einen wunden Punkt getroffen: Die Bereitschaft zum Zusammenschluss erwuchs aus der Sorge, dass Erwerbstätige in nicht allzu ferner Zukunft zur Arbeit nach Wallenhorst/Hollage fahren müssten und dass die nächste Generation bei Fortschreiten der Entwicklung ganz bestimmt in unmittelbarer Nähe keine Arbeit mehr finden würde. Außer einigen Ge1539 Über die Rolle von Führungspersönlichkeiten in schwierigen Entscheidungssituationen vgl.: Ivan Ernakoff: Strukturelle Zwänge und zufällige Geschichte. Die Selbstauflösung der französischen Republik in Vichy am 10. Juli 1940, in: Suter/Hettlich (Hg.): Struktur und Ereignis, S. 224–256.

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orgsmarienhütter Gemeinderäten wurden alle politisch Verantwortlichen von dieser Sorge erfasst, in der Gemeinde Harderberg aber wurden sie am deutlichsten geäußert. In dieser Gemeinde wurde die Wirkung der von Tegeler kommunizierten Gutachten besonders deutlich. Nach drei abgewehrten Zusammenlegungsversuchen mit den jeweiligen Kommunen Nahne, Osnabrück und Oesede waren die Harderberger Ratsleute zunächst fest entschlossen, selbständig zu bleiben. Erst die Rede des Landrates Josef Tegeler erwirkte ein – dann aber ein umso nachhaltigeres – Umdenken. Die Bereitstellung von Arbeitsplätzen in unmittelbarer Nähe für die jetzige und nächste Generation war den Ratsleuten wichtiger geworden als die Selbständigkeit der Gemeinde. Dafür gaben sie alles auf: Bürgermeisterposten, Ratsmandate, Planungshoheit und den Namen ihrer Gemeinde Harderberg. Die Ansiedlung von Betrieben und die Erhöhung des Arbeitsplatzangebotes waren ihnen so wichtig, dass dieses Vorhaben sogar als Forderung bzw. Erwartung der Gemeinde in den am 19. April 1969 unterzeichneten Gebietsänderungsvertrag einbrachten.1540 3) Der Landrat arbeitete eng mit der Verwaltung zusammen. Er ließ die Gemeindedirektoren Werkmeister, Trepper und Rolfes erarbeiten, wie Wirtschaftsförderung in der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg funktionieren könnte. Er ließ die drei Herren selbst drauf kommen, was er selbst auch für richtig hielt: Eine effiziente Wirtschaftsförderung sei nur möglich, wenn eine Zusammenlegung erfolge. In das gleiche Konzept passt auch die Beauftragung der Oeseder Verwaltung mit der Erarbeitung einer Todo-Liste. 4) Tegeler weckte die egozentrische Orientierung der Gemeinden, die sich auf die gesamte kommunale Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg bezog. Dass der Bereich Oesede/Georgsmarienhütte nur als ›Unterzentrum‹ eingestuft wurde, brachte die Zusammenlegungsbestrebungen ebenso voran wie die Konkurrenz Melles um den Kreissitz. 5) Bei den Zusammenlegungsgegnern im Georgsmarienhütter Gemeinderat bewirkten Tegelers Bemühungen nichts. Als Tegeler einmal mit erhöhten Schlüsselzuweisungen winkte, fand sich nur zögernd eine Mehrheit für die Zusammenlegungspläne, die aber auf unbestimmte Zeit verschoben werden sollten. Die Zusammenlegungsgegner waren allein durch den Erhalt des Namens umzustimmen. Die Zurückhaltung des Georgsmarienhütter Gemeinderates geschah allerdings nicht aus taktischen Gründen. Die Gemeinde Georgsmarienhütte hatte gute Zeiten erlebt und galt immer noch als reiche Gemeinde mit hohen Steuereinnahmen. Dass diese guten Zeiten vorbei

1540 Siehe Anhang 5.

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Abb. 7: Sie stellten die Weichen für die Zukunft: v.l.n.r.: Rudolf Rolfes, Hermann Trepper, Ludwig Siepelmeyer, Helmut Stahlmann, Adolf Aulf, Dr. Heinrich Backhaus und Heinrich Werkmeister. Foto: Stadt Georgsmarienhütte

waren, wollten einige Ratsleute nicht wahrhaben.1541 Die Zögerlichkeit gereichte der Gemeinde aber nicht zum Nachteil. Als die Georgsmarienhütter nicht zuletzt auf Druck der Presse am 22. Januar 1969 endlich ernsthaft an der Umsetzung der Zusammenlegungspläne und am Gebietsänderungsvertrag mitarbeiteten, ließen sie sich für ihre Verhandlungsbereitschaft belohnen. In dieser Sitzung deuteten sich die fünf Konfliktpunkte an, um die es in den nächsten Wochen ging: Sitz der Verwaltung, Name der neuen Großgemeinde, Zeitpunkt der Zusammenlegung, Besetzung der Stelle eines Gemeindedirektors und Besetzung des Postens des Übergangsbürgermeisters. Die Ge1541 Das Phänomen des Ausblendens unangenehmer Informationen wird derzeit an der Universität von Pittsburgh von den Sozialwissenschaftlern Russel Coleman, David Hagmann und George Löwenstein untersucht. Demnach schauten Menschen öfter und demnach lieber auf ein Konto, das im Plus steht, als auf eines mit roten Zahlen. Dies diene der Psychohygiene und werde besonders von intelligenten Menschen praktiziert. Menschen hingen an ihren Einstellungen darüber, was ihre Welt zusammenhält. »Solche Meinungen aufgeben zu müssen, schmerzt genauso wie materiellen Besitz aufzugeben,« schreibt Sebastian Herrmann, der die Forschungsergebnisse zusammengefasst. Sebastian Herrmann: »Kopf in den Sand, Menschen sind Meister darin, unangenehme Informationen auszublenden. Besonders, wenn viel auf dem Spiel steht, verschließen Patienten, Manager und Investoren die Augen«, in: SZ, 20. März 2017.

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meinde Georgsmarienhütte erhob nun Forderungen in allen Punkten. Die Oeseder Ratsleute, die froh waren, dass die Georgsmarienhütter Ratsleute endlich konstruktiv mitarbeiteten, machten zunächst Zugeständnisse. Damit erarbeitete sich der Georgsmarienhütter Rat Verhandlungsmasse, die ihm später beim Namenskonflikt zu Gute kam. Verhandlungstheoretisch gesehen bestand das Grundproblem der Verhandlungen darin, dass die Verhandlungspartner Oesede/Harderberg und Georgsmarienhütte die ›Auszahlung‹ unterschiedlich bewerteten. Die ›Auszahlung‹ für eine kooperative Strategie war das Industriegebiet in Harderberg. Oesede und Harderberg schätzten den Wert dieser ›Auszahlung‹ sehr hoch ein. Die Gemeinde Georgsmarienhütte hingegen wähnte sich noch in Zeiten der Prosperität und glaubte, ein Industriegebiet nicht zu brauchen. Sie schätzte die ›Auszahlung‹ Industriegebiet gering ein. Als sich abzeichnete, dass für sie eine andere ›Auszahlung‹ in Aussicht stand, nämlich der Erhalt ihres Gemeindenamens, konnte sie zustimmen.

4.2.3. Das Vertragswerk: Erwartungen an die neue Gebietskörperschaft Die ablehnende Haltung im Vorfeld der Verhandlungen gegenüber einem Zusammenschluss zu einer Großgemeinde wurde von fast allen den Ratsleuten u. a. damit begründet, dass sie in einer größeren Gebietskörperschaft nur ›Anhängsel‹ seien und ihre Interessen in dem neuen Gemeindeparlament nicht mehr ausreichend vertreten seien. Die Befürchtung war nicht unbegründet. Nach der Zusammenlegung würden die gewählten Ratsleute noch einige Monate in einem Großrat von 89 Personen tagen, nach den Neuwahlen, die kurze Zeit nach der Zusammenlegung erfolgen mussten, würde der Rat nur noch insgesamt 25 Personen umfassen.1542 Die Frage der Einrichtung von Ortsräten wurde zu Beginn der Aushandlung überlegt, als zu aufwändig verworfen und sollte – laut § 11 des Gebietsänderungsvertrages – erst nach der Erstellung einer Hauptsatzung in der Phase nach der Gründung erneut aufgegriffen werden. Doch dazu kam es nicht. Ortsräte, die langfristig die Belange der Altgemeinden berücksichtigt hätten, wurden im Gebiet der neuen Großgemeinde nicht eingerichtet. Ihre Wünsche für ihre Altgemeinde schrieben die Ratsleute direkt in den Gebietsänderungsvertrag. Während des Aushandlungsprozesses wurden diese Punkte nicht explizit verhandelt, am Vorabend des offiziellen Abstimmungstermins, nachdem die Namensfrage geklärt war, wurden von allen Ratsleuten 1542 Vermerk vom 2. September 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 4.

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versöhnliche Töne angeschlagen. »Wegen der Optik«1543 wurde im Gebietsänderungsvertrag nicht mehr von »durchzuführen[den]«1544 Maßnahmen, sondern nur noch von »Erwartungen«1545 gesprochen. Das milderte die Verpflichtung der neuen Stadt gegenüber den Altgemeinden deutlich ab. Dennoch wurde der § 10 im Gebietsänderungsvertrag, der die Maßnahmen konkret benennt, mit den Worten eingeleitet: »Die Stadt Georgsmarienhütte ist verpflichtet, die den bisherigen entsprechenden Gemeinden Ortsteile so zu fördern, daß diese Gebiete in ihrer Weiterentwicklung nicht beeinträchtigt werden.«1546 Des Weiteren sollten alle begonnenen Maßnahmen zu Ende geführt werden. Die weiteren Punkte dieses Paragraphen listeten die Erwartungen der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede und Harderberg auf. (Siehe Anhang 6). Es geht im folgenden Kapitel nicht darum, die Forderungen zu vergleichen und herauszuarbeiten, welche Gemeinde den größten Teil des Finanzvolumens der neuen Großgemeinde für sich beanspruchte, sondern es geht darum, deutlich zu machen, welche Raumvorstellungen anhand der Forderungen oder Erwartungen sichtbar werden. Die Gemeinde Georgsmarienhütte hatte mit Abstand die meisten Punkte auf der Agenda. Die Weiterführung der Sanierung der ›Alten Kolonie‹ ließ sich diese Gemeinde »im Rahmen der von Bund und Land zur Verfügung gestellten Mittel nach dem rechtsgültigen Sanierungsplan«1547 ebenso zusichern wie den Bau der ›Kasinoparkbrücke‹,1548 die Modernisierung des Krankenhauses im Einvernehmen mit dem Landkreis und dem Land Niedersachsen, die Anlage eines neuen Sportplatzes und die Erhaltung des Waldbades. Es waren Punkte, die in der Gemeinde schon länger vorbereitet wurden. Dass diese Punkte im Gebietsänderungsvertrag verzeichnet wurden, war also nicht verwunderlich. Anders als die Gemeinde Georgsmarienhütte brachten die Akteure der Gemeinde Oesede keine einzelnen Posten in das Vertragswerk ein. Sie verwiesen pauschal auf einen bereits im Herbst 1968 – als die Zusammenlegung zwar schon geplant, aber noch lange nicht konkret war – verabschiedeten Mehrjahresinvestitionsplan; dieser sollte ursprünglich die Handlungsgrundlage für die Jahre 1969– 1971 darstellen.1549 Auf der 19 Punkte umfassenden Liste wurde ein Investitions1543 Niederschrift über die Arbeitsbesprechung der Räte von Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede am 18. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 1. 1544 Ebd. 1545 Ebd. 1546 Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 4, Ordner 1. 1547 Ebd. 1548 Mit dem Bau der Brücke wurde noch im gleichen Jahr begonnen. »Erstes Widerlagerfundament für Kasinopark-Brücke ist gesetzt«, NOZ, 22. August 1969. 1549 Investitionsplan für die Jahre 1969–1971, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 2.

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volumen von 5,1 Mio. DM vorgeschlagen, das sich wie folgt auf die nächsten Jahre verteilen sollte: 2.085.000 DM sollten im Jahr 1969 und 1,5 Mio. DM jeweils in den Jahren 1970 und 1971 investiert werden.1550 Noch völlig losgelöst von dem Gedanken der Zusammenlegung sollte eine große Summe Geldes für die Entwicklung des Ortskerns eingeplant werden. Nach Ansicht der Oeseder Ratsleute und der Verwaltung wurden ein Betrag in Höhe von 625.000 DM für den Ankauf von Flächen und für das Einrichten von Parkflächen 70.000 DM für die Jahre 1969/1970 veranschlagt, ohne die Frage aufzuwerfen, wo sich der Ortskern der zukünftigen Großgemeinde befinden würde. Auch der Bau eines Bauhofes in den Jahren 1970/1971 für insgesamt 250.000 DM wurde unabhängig davon projektiert, dass mit der Zusammenlegung Größe und Lage eines Bauhofes neu bedacht werden mussten. Dass aber nicht alles, was in dem Plan stand, auch realisiert werden würde, zeigte die gewünschte und bis heute nicht gebaute Mehrzweckhalle, für die für 1969 immerhin 455.000 DM und im Folgejahr der gleiche Betrag noch einmal angesetzt wurde. In dem Investitionsplan standen aber auch schon fest eingeplante Investitionen, die durch die Zweckverbände bereits beschlossene Sache waren. Dazu gehörten der Anteil für das Hallenfreibad mit 200.000 DM, die Umlage für den Abwasserverband ›Obere Düte‹ in Höhe von 60.000 DM und das Geld für das Villengrundstück, das der Nachbarschaftsverband zu einem Preis von 520.000 DM von den Klöckner-Werken kaufen wollte, wovon die Gemeinde Oesede die Hälfte, also 260.000 DM, zu tragen hätte. Ein großer Teil des Investitionsvolumens sollte im Oeseder Schulbereich investiert werden. Die Michaelisschule sollte neu gebaut und mit einer Sporthalle versehen werden, was ab 1970 mit knapp 1,4 Mio. DM zu Buche schlug. Dazu kamen die Sporthalle der Realschule, die die Gemeinde Georgsmarienhütte ebenfalls befürwortete, und ein Gerätehaus am Kruseweg, das 10.000 DM kosten würde. Vergleichsweise kleine Posten stellten der Neu- und Ausbau von Straßen mit jeweils 200.000 DM im Jahr und der Ausbau der Straßenbeleuchtung mit jeweils 30.000 DM dar. Für Grün- und Erholungsflächen wurden 1969 und 1970 insgesamt 122.000 DM bereitgestellt und das Wasserwerk bekam eine Investitionssumme von 50.000 DM pro Jahr zur Verfügung gestellt. Die Oeseder Akteure hatten exakte Vorstellungen wie ihre Gemeinde in den nächsten Jahren aussehen sollte. Zunächst genossen die Investitionen in den Schulbereich eine hohe Priorität. Dabei sollte der Schulsport auf keinen Fall zu kurz kommen, das bezog sich auch auf die sich in Trägerschaft beider Gemeinden befindende Realschule. Von zentraler Bedeutung war aber auch die 1550 Protokoll des Finanzausschusses Oesede vom 5. Juni 1968, ebd.

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Ausgestaltung des Ortskerns, wofür in den nächsten drei Jahren große Summen bereitgestellt werden sollten. Weitere Flächen sollten von Oeseder Bauern angekauft und Parkplatzflächen ausgewiesen werden. Damit trugen die Oeseder einer neuartigen Entwicklung Rechnung: die Mobilitätsformen hatten sich verändert. Statt zu Fuß oder mit dem Fahrrad im Dorf das Nötigste einzukaufen, fuhren die Menschen mit dem Auto, um Besorgungen zu machen. Für den ruhenden Verkehr musste entsprechender Platz geschaffen werden. Damit war klar, dass die Oeseder Akteure die Reichweite des Einzelhandels im Ortskern nicht nur für die eigene Gemeinde planten, sondern ihre Gemeinde ausrüsteten, um unabhängig von einer Zusammenlegung Mittelpunkt der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg zu werden. Interessant an dem Plan war aber nicht nur, was darin Erwähnung fand, sondern auch das, was fehlte. Das ganze Jahr über schwor Gemeindedirektor Rolfes die Ratsleute auf Industrieansiedlung und die dafür anfallenden Kosten ein. Schon im April 1968 brachte er das Vorhaben Industrieansiedlung mit dem Ziel zur Sprache, Arbeitsplätze für die Jugend zu schaffen, und verschwieg auch nicht, dass dafür der Gemeinde kein Opfer zu groß sein dürfe.1551 In der gleichen Sitzung im Herbst des Jahres 1968, in der der Mehrjahresplan im Bericht des Gemeindedirektors hervorgehoben wurde, erwähnte er ebenfalls, dass die Ansiedlung von Industrie Geld kosten werde.1552 Das Projekt Industrieansiedlung war dabei ganz konkret: In der Nähe des Bahnhofs sollte Gelände erschlossen und eine Firma für Luft-und Heizungstechnik angesiedelt werden.1553 Dafür wollte Rolfes einen Zuschuss von 60 % beim Land Niedersachsen beantragen.1554 Kosten verursachte auch die Ansiedlung einer Firma für Betonfertigteile, für die ebenfalls ein Zuschuss beantragt werden sollte.1555 Diese Firma war bereits auf Oeseder Gemeindegrund ansässig, mit der Firma für Heiz- und Lüftungstechnik wurde noch verhandelt, sie sprang wenig später ab.1556 Kontinuierlich berichtete Rolfes dem Rat über die Fort- und Rückschritte beim Thema Industrieansiedlung. Unabhängig davon, ob es Rolfes gelang, Zuschüsse einzuwerben – Eigenmittel aus der Oeseder Gemeindekasse waren immer fällig – doch darüber schwieg sich der Investitionsplan aus. Die Gründe für diese Auslassung lassen sich aus den vorliegenden Akten nur indirekt erschließen. Zeitgleich mit dem Erarbeiten des Mehrjahresplanes der Oeseder Akteure erarbeiteten die Raumplaner bei der Bezirksregierung ihre Pläne für die Ein1551 Bericht des Gemeindedirektor Rolfes am 22. April 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 1552 Bericht des Gemeindedirektors Rolfes am 17. September 1968, ebd. 1553 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 8. Mai 1968, ebd. 1554 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 5. Juni 1968, ebd. 1555 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 24. Juli 1968, ebd. 1556 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 26. Juni 1968, ebd.

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richtung ›zentraler Orte‹ und die Ansiedlung von Industrie für den ganzen Bezirk. Dieser Plan sah den ›Siedlungskomplex‹ Oesede und Georgsmarienhütte im ›Verdichtungsraum‹ Osnabrücks als ›Sonderfall‹ und stufte ihn als ›Unterzentrum‹ ein, in dem keine Industrie angesiedelt werden sollte.1557 Vermutlich hielten die Akteure in Oesede sich daher im Hinblick auf Industrieansiedlung in offiziellen Dokumenten zurück. Ein Mehrjahresplan war keine kommunalinterne Sache, sondern wurde vom Landkreis genehmigt und ging von dort aus an die Bezirksregierung. Da war es von Vorteil, einen solchen Posten gar nicht erst zu erwähnen, um die Raumplaner bei der Bezirksregierung nicht auf den Plan zu rufen und damit eine frühzeitige Unterbindung der ehrgeizigen Ziele der Oeseder zu provozieren. Dass eine Förderung ihres Vorhabens auf höheren Ebenen besonders kritisch gesehen wurde, hatten die Oeseder Ratsleute im gleichen Jahr bereits zur Kenntnis genommen. Die Oeseder Verwaltung hatte eine Aufnahme in das Programm der Bundesausbauorte beantragt, das vorsah, Hilfen für die Ansiedlung von Industrie in strukturschwachen Gebieten zu geben. Die Bezirksregierung Osnabrück teilte den Oesedern die Ablehnung im Sommer 1968 mit.1558 Die Oeseder Vorstellungen für das Untersuchungsgebiet deckten sich nicht mit den Vorstellungen der Bezirksregierung. Ein weiterer Punkt war an dem im Gebietsänderungsvertrag eingebrachten Investitionsplan interessant. Der Plan wurde im Jahr 1968 erarbeitet, als die Zusammenlegungsgespräche gerade erst begonnen hatten, ein Jahr später waren sie aber ganz konkret. An einer Zusammenlegung der drei Gemeinden Harderberg, Oesede und Georgsmarienhütte war 1969 nicht mehr zu zweifeln, trotzdem brachten die Oeseder Ratsherren einen ein Jahr alten Investitionsplan in das Vertragswerk ein, der große Investitionen in den Oeseder Ortskern für die kommenden Jahre vorsah. Der Diskussion innerhalb des Aushandlungsprozesses, wo das zukünftige Rathaus und damit der Ortskern installiert werden sollte, trug dieser Plan nicht im Mindesten Rechnung. Bemerkenswert ist, dass der Plan während der Aushandlung von niemandem kritisch gesehen und diskutiert wurde. Dass das Zentrum nach Oesede kommen sollte, war offensichtlich Konsens. Die Gemeinde Harderberg blieb bei ihren Erwartungen vergleichsweise bescheiden. Im Vertragswerk ließen sich die Harderberger Ratsleute den Bau einer Turnhalle, Förderung eines Kindergartens, den Ausbau der Straßen, der Ortsbeleuchtung und die Durchführung der Industrieansiedlung zusichern.

1557 Raumordnungsplan für den Regierungsbezirk Osnabrück, Entwurf Februar 1968, abgeschickt an den Minister des Innern am 2. August 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/ 1987 Nr. 95. 1558 Protokoll der VA-Sitzung Oesede vom 26. Juni 1968, NLA OS NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1.

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Die drei Vertragspartner dachten zunächst nur an den Ausbau der jeweils eigenen Gemeinde. Die Aufgabe der Selbstständigkeit sollte nicht ohne handfesten Vorteil für die bis dahin selbständigen Gemeinden sein. Vor allem in der Gemeinde Harderberg wurde deutlich, dass alles, was bis jetzt aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden konnte, nun auf die Agenda für die neue Gebietskörperschaft kam. Letztlich spiegelten auch die Georgsmarienhütter Erwartungen dies wider. Oesede jedoch zeigte mit seinem nicht aktualisierten Investitionsplan, dass es wie bisher weiterzumachen gedachte. Den Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969 schlossen nur die Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg ab. Im § 13 legten sie jedoch fest, dass weitere Gemeinden dem Vertragswerk beitreten konnten, Forderungen konnten die drei später über diesen Paragraphen beitretenden Gemeinden Holzhausen, Holsten-Mündrup und Kloster Oesede rein rechtlich gesehen aber nicht geltend machen. Vor allem die Gemeinde Georgsmarienhütte lehnte es ab, das Vertragswerk nach der Abstimmung vom 19. April 1969 nachzuverhandeln, aus Sorge, dass auch der Name der Gebietskörperschaft erneut zur Diskussion gestellt werden könnte. So konnten die drei letztgenannten Gemeinden zwar ihre Erwartungen formulieren, eine rechtliche Bindung für die Rechtsnachfolgerin der Gemeinde ergab sich dadurch jedoch nicht.

4.2.4. Die Arrondierungen: Der Neuzuschnitt der neuen Gebietskörperschaft 4.2.4.1. Verhandlungsrunde 6: Beitritt Kloster Oesedes und Holsten-Mündrups zur Großgemeinde 1969 In Kloster Oesede stand das Thema Gebietsreform Anfang 1969 wieder auf der Tagesordnung des Gemeinderates. Aus Anlass einer Versammlung der Kreisabteilung Osnabrück des Niedersächsischen Gemeindetages am 3. Februar 1969 in Voxtrup, auf der die Bürgermeister über den Stand der Gebiets- und Verwaltungsreform informiert wurden, berief Hans Stertenbrink am 10. Februar 1969 eine nichtöffentliche Sitzung ein. Inzwischen sei laut dem Landesplanungsprogramm Oesede als ›zentraler Ort‹ festgelegt und Kloster Oesede und Holsten-Mündrup dem Nahbereich dieses ›zentralen Ortes‹ zugeordnet worden.1559 Der Holsten-Mündruper Bürgermeister Heinrich Sielschott habe daraufhin den Kloster Oeseder Gemeindedirektor Hans Middelberg angerufen und ihn gebeten, die Verwaltungsausschüsse der beiden Gemeinden einmal gemeinsam tagen zu lassen, um erneut einen Zusammenschluss der beiden 1559 Protokoll der nicht öffentlichen Sitzung des Gemeinderates von Kloster Oesede am 10. Februar 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 123.

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Kommunen zu besprechen.1560 In dieser Sitzung überlegten die Kloster Oeseder Ratsleute ihre Situation. Einstimmig erklärten sie sich bereit, Holsten-Mündrup in ihren Gemeindebezirk aufzunehmen. Gleichzeitig hieß es im Protokoll: »Man soll mit allen Mitteln versuchen, selbständig zu bleiben.«1561 Noch am gleichen Tag trafen sich die Kloster Oeseder Ratsleute mit den Holsten-Mündrupern, um diesen das Ergebnis ihrer Besprechung mitzuteilen. In der Sitzung hoben sie hervor, dass sie einer Zusammenlegung mit Holsten-Mündrup positiv gegenüber stünden, und dass »mit der Gemeinde Oesede keine Eingemeindungsabsichten«1562 bestünden. Dies war für die Holsten-Mündruper eine wichtige Aussage, denn – das hatten sie die Kloster Oeseder Ratskollegen wissen lassen – sie seien »unter keinen Umständen gewillt, sich Oesede anzuschließen.«1563 Nach wie vor hatte Kloster Oesede großes Interesse an der Eingemeindung Holsten-Mündrups, vor allem um die eigene Einwohnerzahl in die Höhe zu treiben, und erhoffte sich davon, dass »dann […] eine Eingemeindung mit Oesede kaum möglich sein«1564 würde. Die Gemeinde Kloster Oesede hatte aber noch einen zweiten Vorteil im Auge: Abgesehen von der Erhöhung der Bevölkerungszahl, würde sich auch die Höhe der unrentierlichen Schulden verringern. Die Höhe der unrentierlichen Schulden lag wegen der hohen Investitionen in Straßenbau, Regenwasserkanalisation und Wasserversorgung bei 14 %. Bei einer Angliederung Holsten-Mündrups, das zwar nur geringe Einnahmen hatte, aber keinerlei unrentierliche Schulden, würde sich diese wichtige Messzahl auf 11,3 % verringern. Man könne wieder Darlehensaufnahmen beantragen und der dringend notwendige Schulneubau geplant und ausgeführt werden, so Gemeindedirektor Middelberg in einer der gemeinsamen Sitzungen mit den Holsten-Mündrupern.1565 Gleichzeitig versuchte Sielschott in Holsten-Mündrup seine Ratsleute auf Veränderungen in der kommunalen Landschaft einzustimmen. In der Ratssitzung am 28. Februar 1969 erklärte er, dass die Gebiets- und Verwaltungsreform auf die Gemeinde zukomme. Holsten-Mündrup müsse sich nun für oder gegen Bissendorf entscheiden. Die Gemeinde Bissendorf hatte beschlossen, sich mit den Mitgliedsgemeinden seiner Samtgemeinde zusammenzuschließen. HolstenMündrup beriet ausführlich die Alternative zur Großgemeinde. In Bissendorf 1560 Ebd. 1561 Ebd. 1562 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Holsten-Mündruper und Kloster Oeseder Räte am 10. Februar 1969, ebd. 1563 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Kloster Oeseder Rates am 10. Februar 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. 1564 Ebd. 1565 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung der Gemeinderäte von Kloster Oesede und Holsten-Mündrup am 17. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a.

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könnten die Kinder nicht optimal beschult werden. Die Verbindung zwischen den Orten sei schlecht und der Laubbrink, der jenseits der B 68 liege und eng mit Kloster Oesede verbunden sei, müsse abgetrennt werden. Dagegen bot der Zusammenschluss mit Kloster Oesede den Vorteil, dass dann Kloster Oesede kreditfähiger sei und dann auch endlich die erforderliche Schule bauen könne. Dass Kloster Oesede auch nach dem Zusammenschluss »keine Überlebenschance«1566 haben würde, wurde aber auch gesehen. In der Sitzung fiel die Entscheidung mit 7 zu 2 Stimmen gegen Bissendorf und in der gleichen Sitzung wurde ein Koodinierungsausschuss gebildet, der Verhandlungen mit Kloster Oesede aufnehmen sollte.1567 Obwohl Kloster Oesede für seine Selbständigkeit kämpfte, nahm die Gemeinde am 19. März 1969 an einem Treffen in der Gaststätte Duram teil, bei der die Gemeinderäte von Oesede, Holsten-Mündrup und Harderberg die Bildung einer Großgemeinde im Düteraum besprachen.1568 Weil der Georgsmarienhütter Rat mit einem Grundsatzbeschluss über die Zusammenlegung zögerte, wurden die Mitglieder des Georgsmarienhütter Zusammenlegungsausschuss nur als Beobachter geladen.1569 Der Oeseder Bürgermeister Siepelmeyer und Gemeindedirektor Rolfes engagierten sich für eine »größtmögliche Lösung«,1570 weil ein Zusammenschluss erhöhte Schlüsselzuweisungen erwarten ließ. Vier Wochen später, am 17. April 1969, trafen sich die Vertreter der beiden Gemeinden erneut. Die Ausgangslage hatte sich geändert. Ein Zusammenschluss zur Großgemeinde scheitere »an der Einstellung der Gemeinde Georgsmarienhütte«.1571 Georgsmarienhütte hatte gedroht, die Einigung scheitern zu lassen, wenn der Name ›Georgsmarienhütte‹ für die neue Großgemeinde nicht akzeptiert werde. Es werde nur noch ein Zusammenschluss zwischen Oesede und Harderberg stattfinden. Jetzt wurde wieder in alle Richtungen diskutiert. Längst ausdiskutierte Themen wie die Samtgemeinde wurden wieder zur Sprache gebracht. Die einen schlossen einen Anschluss an Oesede nicht aus, die anderen wollten einen Zusammenschluss mit Holsten-Mündrup unbedingt durchführen, um Kloster Oesede doch noch als selbständige Gemeinde zu erhalten. Am Ende bildete Kloster Oesede einen Koordinierungsausschuss – Holsten-Mündrup 1566 Protokoll der Ratssitzung des Holsten-Mündruper Gemeinderates am 28. Februar 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 107. 1567 Ebd. 1568 Kloster Oeseder Vermerk über die gemeinsame Sitzung verschiedener Räte am 19. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 1569 Gemeinde Oesede an die Gemeinde Georgsmarienhütte, Schreiben vom 10. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1570 Kloster Oeseder Vermerk über die gemeinsame Sitzung verschiedener Räte am 19. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 1571 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung der Gemeinderäte von Kloster Oesede und Holsten-Mündrup am 17. April 1969, ebd.

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hatte dies bereits getan – und gemeinsam wurde der Zusammenschluss zwischen den beiden Gemeinden vorbereitet.1572 Eine Hinwendung nach Oesede zeichnete sich in den Wortbeiträgen der gleichen Sitzung jedoch ab. In der ersten Sitzung des Koordinierungsausschusses am 28. Mai 1969 war wieder eine neue Ausgangslage eingetreten. Jetzt hatte sich das »Großgebilde Georgsmarienhütte«1573 formiert, und der Kloster Oeseder Ratsherr August Fellhölter schlug unmittelbar nach der Begrüßung vor, diesem beizutreten. Er konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Die Mitglieder erarbeiteten einen Gebietsänderungsvertrag für einen Zusammenschluss mit Holsten-Mündrup, der im Wesentlichen den Schulneubau für Schüler aller Bekenntnisse in Kloster Oesede, den Erhalt der Grundschule in Holsten-Mündrup, die Einrichtung eines Ortsrates mit einem Budget von 30.000 DM, das Einfrieren der Hebesteuersätze für die Dauer von drei Jahren, die gesonderte Abrechnung von Gebühren für die Wasserversorgung für Holsten-Mündrup, die Loslösung Holsten-Mündrups aus der Bissendorfer Samtgemeinde und die Beibehaltung des Namens ›Kloster Oesede‹ für die neue Gemeinde vorsah.1574 Am 3. Juli 1969 stellte die CDU-Fraktion einen Antrag auf Bildung eines Zusammenlegungsausschusses, um die Eingliederung der Gemeinde Kloster Oesede in die ›Dütestadt‹ vorzubereiten. Gleichzeitig sollten die Verhandlungen mit Holsten-Mündrup weiterverfolgt werden, außerdem plane man nach den Sommerferien eine Bürgerversammlung einzuberufen.1575 In der folgenden öffentlichen Sitzung berichtete Gemeindedirektor Middelberg über eine Sitzung in Holsten-Mündrup, zu der er geladen war : »Die anwesenden Mitglieder des Bauausschusses der Gemeinde Holsten-Mündrup standen auf dem Standpunkt, daß der Weg zur Dütestadt doch einzig und allein über Kloster Oesede möglich sei, weil Holsten-Mündrup keine Nachbargrenzen zu dem Großgebilde habe.«1576 In der gleichen Sitzung wurde dem Antrag der CDU-Fraktion stattgegeben und ein Zusammenlegungsausschuss gebildet, der Verhandlungen mit den Gemeinden der sich formierenden »Dütestadt«1577 aufnehmen sollte. Das Protokoll hielt fest: »Der Rat der Gemeinde Kloster Oesede ist sich darin einig, daß mit der Bildung dieses Zusammenlegungsausschusses die Gemeinde einen bedeutsamen Schritt auf dem Weg zur Dütestadt vollzieht.«1578 1572 Ebd. 1573 Protokoll über die gemeinsame Sitzung der Koordinierungsausschüsse der Gemeinden Holsten-Mündrup und Kloster Oesede am 28. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. 1574 Ebd. 1575 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 3. Juli 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 1576 Ebd. 1577 Ebd. 1578 Protokoll der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Kloster Oesede am 3. Juli 1969, ebd.

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Bei der nächsten Sitzung am 22. Juli 1969 waren dann schon Heinrich Backhaus und Assessor Vosskühler dabei. Der Oberkreisdirektor bat als erstes darum, nicht über den Namen »des neuen Gebildes«1579 zu sprechen. Bei einem Zusammenschluss gebe es Vergünstigungen, die Schlüsselzuweisungen würden um 628.000 DM höher als bisher errechnet ausfallen, referierte Assessor Vosskühler. Bis zum 20. August 1969 müsse der Beschluss über den Zusammenschluss vorliegen, drängte Backhaus die Gemeinderatsmitglieder zur Entscheidung.1580 Am gleichen Tag tagte der Holsten-Mündruper Rat. Assessor Vosskühler war als Landkreisvertreter dabei und Bürgermeister Sielschott war fest entschlossen, den Antrag, Holsten-Mündrup an die neue Großgemeinde Georgsmarienhütte anzuschließen, durchzubringen. Schon vor der Abstimmung war klar, dass der Rat einverstanden sein würde. Die Forderungen (Erhalt der Grundschule in Holsten-Mündrup, Erweiterung der Schule in Kloster Oesede, eine Aussenstelle der Verwaltung für Holsten-Mündrup, Erhalt der Jagdbezirke) wurden formuliert, das Abstimmungsergebnis war einstimmig. Assessor Voßkühler gratulierte, riet jedoch davon ab, schon jetzt mit der neuen Gemeinde Verhandlungen aufzunehmen, man werde dort die Forderungen schon anerkennen,1581 versuchte er die Aufbruchstimmung der Holsten-Mündruper ein wenig zu bremsen, denn in Kloster Oesede war die Sache mit dem Anschluss an die Großgemeinde Georgsmarienhütte noch nicht entschieden. Das Erscheinen des Oberkreisdirektors bei der letzten Sitzung am 22. Juli 1969 in Kloster Oesede hatte Wirkung. Am 24. Juli 1969 kamen die Ratsleute ohne Landkreisvertreter zusammen, und eine Diskussion über den Namen war nun nicht mehr aufzuhalten. Den Namen ›Georgsmarienhütte‹ wollte kaum ein Kloster Oeseder Ratsherr, allenfalls wurde behauptet, dass der Name doch keine große Rolle spiele.1582 Die Bürgerversammlung am 6. August 1969 brachte jedoch ein erstaunliches Ergebnis. Im Saal Steinfeld waren etwa 80–100 Menschen erschienen, die »sachlich und objektiv«1583 diskutierten und schließlich zu einer positiven Bewertung des Zusammenschlusses kamen. Auch der Name bereiteten den Kloster Oesedern keine Schwierigkeiten.1584 1579 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeindesrates der Gemeinde Kloster Oesede am 22. Juli 1969, ebd. 1580 Ebd. 1581 Protokoll der Ratssitzung des Holsten-Mündruper Gemeinderates am 22. Juli 1969. NLA OS Dep 81 b Nr. 107. 1582 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Kloster Oeseder Gemeinderates am 24. Juli 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 1583 Vermerk der Gemeinde Kloster Oesede über die Bürgerversammlung am 6. August 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131. 1584 »Bürger in Kloster Oesede sind für Zusammenschluß«, NOZ 8. August 1969.

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Am 12. August 1969 empfahl der Verwaltungsausschuss dem Rat der Gemeinde Kloster Oesede den Zusammenschluss mit den Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg, Holsten-Mündrup und Oesede zu einer Einheitsgemeinde. Der Gebietsänderungsvertrag, den Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede am 19. April 1969 bereits geschlossen haben, wurde um die Forderungen Kloster Oesedes ergänzt.1585 Der Rat folgte der Empfehlung des Ausschusses und beschloss am 19. August 1969 einstimmig den Beitritt zur Großgemeinde.1586 Zu diesem Beschluss über den Beitritt zur Großgemeinde konnten sich die Ratsleute der Gemeinde Kloster Oesede freilich erst entschließen, nachdem sich Holsten-Mündrup für einen Beitritt ausgesprochen hatte. Die Kloster Oeseder hielten in ihrem Ratsprotokoll ihre Erwartungen an die Großgemeinde fest. Diese lauteten wie folgt: Neubau der Schule auf der Steinbrede, Ausbau der Ortsstraßen, Gestaltung des Marktplatzes, Förderung des Kindergartens, Neubau eines Freibades in Kloster Oesede, Förderung von Gewerbe- und Industrieansiedlung, das Einfrieren der Steuersätze, die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel für die 800-Jahr-Feier, Bestandschutz für die Jagdbezirke in Kloster Oesede und die Übernahme des gemeindlichen Personals.1587 Auch die kleinste Gemeinde am östlichen Rand der Gebietskörperschaft, Holsten-Mündrup, hatte genaue Vorstellungen, was ihr der Beitritt zur Großgemeinde bringen sollte: Die Grundschule sollte erhalten bleiben, solange es schulisch vertretbar sei, und die Schule in Kloster Oesede sollte so schnell wie möglich erweitert werden, damit die Schüler_innen aus Holsten-Mündrup diese besuchen können. In Holsten-Mündrup sollte eine Annahmestelle der Gemeindeverwaltung eingerichtet werden, und die neue Stadt sollte ihren Einfluss geltend machen, damit der Jagdbezirk Holsten-Mündrup erhalten bleibe.1588 Die Ratsleute in Holsten-Mündrup listeten innerhalb eines Ratsprotokolls ihre Wünsche auf, in eine Verhandlung mit den Akteuren der neuen Gebietskörperschaft traten sie allerdings nicht. Die Erwartungen wurden mitgeteilt, und dabei verblieb es. Die Akteure der beiden beigetretenen Gemeinden hatten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gebietsänderungsvertrages ausschließlich die Interessen ihrer eigenen Gemeinde im Auge. Eine Vorstellung, wie aus sechs Einzelgemeinden eine Großgemeinde werden könnte, hatte zu diesem Zeitpunkt niemand.

1585 Protokoll der VA-Sitzung am 12. August 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 132. 1586 Protokoll der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Kloster Oesede am 19. August 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. 1587 Protokoll der VA-Sitzung am 12. August 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 132. 1588 Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 22. Juli 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 4.

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Holsten-Mündrup war schon lange bereit, mit anderen Gemeinden zu kooperieren. Der von der Gemeinde gewünschte Zusammenschluss scheiterte 1966 im ersten Anlauf an den Gegenstimmen im eigenen Gemeinderat. Drei Jahre später war die Kooperationsbereitschaft hergestellt. Die Motivation dazu bestand im Wesentlichen darin, die Schulsituation für die Holsten-Mündruper Kinder zu verbessern. Einen Anschluss an die neue Gebietskörperschaft hatte sie bei Beginn der Verhandlungen mit Kloster Oesede noch vehement abgelehnt. Zwischen zwei Sitzungen schalteten sich offensichtlich Landkreismitarbeiter in die Verhandlungen ein. Wie in Kloster Oesede wurden vermutlich auch in HolstenMündrup die stark erhöhten Schlüsselzuweisungen für die neue Kommune angesprochen, damit wurde auch für die Holsten-Mündruper eine Kooperationsbereitschaft mit der neuen Gebietskörperschaft hergestellt. Auch in Kloster Oesede spielten bei der Entscheidung, sich der neuen Kommune anzuschließen, die erhöhten Schlüsselzuweisungen eine Rolle. Mit dem Anschluss an die ›Dütestadt‹ wurde die ›Auszahlung‹ im Sinne der Verhandlungstheorie aber nicht nur erhöht, sondern auch grundsätzlich verändert. Die Gemeinde Kloster Oesede hätte als selbständige Gemeinde Industrie ansiedeln müssen, um sich Gewerbesteuereinnahmen zu verschaffen. Mit einem Anschluss an die Großgemeinde konnte diese Aufgabe an die Akteure in Oesede delegiert werden. Darüber hinaus konnten weitergehende Forderungen gestellt werden, deren Erfüllung eine nur 5.000 Einwohner_innen starke Gemeinde nicht hätte leisten können. Teil der veränderten ›Auszahlung‹ mag auch das Votum der Bürgerversammlung am 6. August 1969 gewesen. Bei einer weitreichenden gemeinderätlichen Entscheidung die Bevölkerung hinter sich zu wissen, hatte die Kooperationsbereitschaft sicher erhöht.

4.2.4.2. Verhandlungsrunde 7: Teilung der Gemeinde Holzhausen In Holzhausen lebten Ende der 1960er Jahre ca. 6.200 Einwohner_innen, davon 2.800 im Ortsteil Altholzhausen und 3.400 im Ortsteil Sutthausen. Es hatte mit Georgsmarienhütte eine gemeinsame Grenze. Die Pro-Kopf-Verschuldung lag bei 105,50 DM, später wurde sie mit 200 DM pro Kopf angegeben.1589 Die Ratsleute der Gemeinde Holzhausen warteten zunächst mal ab. Sie wurden bereits 1968 darüber in Kenntnis gesetzt, dass Osnabrück offiziell einen Antrag beim Regierungspräsidenten gestellt hatte, den Ortsteil Sutthausen nach 1589 105,05 DM wurden im Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung des Holzhausener Gemeinderats am 5. März 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 112, angegeben. 200 DM wurden auf eine öffentliche Anfrage im Anschluss an die öffentliche Ratssitzung am 15. Dezember 1969 verlautbart, NLA OS Dep 81 b Nr. 115.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

Osnabrück einzugemeinden.1590 Im Februar 1968 traf sich der Bauausschuss Holzhausens mit dem Bauausschuss Georgsmarienhüttes. Es wurden die Trassenführung der L 95 und der K 2 besprochen, der Flächennutzungsplan abgestimmt und die überörtliche Verkehrsanbindung erörtert.1591 Eigentlich wollte sich der Holzhausener Gemeinderat vor der Kommunalwahl im Herbst 1968 nicht zur Gebietsreform äußern und wollte sowohl den Prozess der Meinungsbildung als auch die weiteren Entscheidungen lieber dem neuen Gemeinderat überlassen.1592 Diese Strategie war aber nicht durchzuhalten, denn die Diskussionen in den anderen Gemeinden über dieses Thema betrafen Holzhausen direkt. Die Wasserversorgung war in Holzhausen ein großes Problem und musste bereits vor der Kommunalwahl gelöst werden. Verschiedene Lösungen wurden überlegt: Harderberg könnte Wasser liefern, aber würde die Gemeinde dies auch tun, wenn sie in der neuen Großgemeinde aufginge? Sollte man sich von Osnabrück aus versorgen lassen? Das Raumordnungsprogramm sah ja ohnehin eine Zuordnung nach Osnabrück vor. Oder sollte eine eigene Wasserversorgung geplant werden, die kostspielig gewesen wäre, da Tiefsammelbehälter und Zuleitungen hätten gebaut werden müssen? Der Holzhausener Gemeinderat wollte 1968 eine Versorgung durch die Osnabrücker Stadtwerke erwirken.1593 Noch im gleichen Jahr wurde mit Osnabrück ein Vertrag über Wasserlieferungen abgeschlossen. Die Gemeinde musste allerdings eine Zuleitung ab der Kesselschmiede bis zur Gemeindegrenze bauen. Die Kosten betrugen 230.000 DM,1594 das stellte einen großen Posten für den Holzhausener Haushalt dar. Die passive Haltung blieb auch im Jahr 1969 bestehen. Bürgermeister Hardekopf schlug vor, das Weber-Gutachten abzuwarten,1595 und der Landkreis empfahl, die Bekanntgabe des landesplanerischen Rahmenprogramms gemäß des NROG bei der Bezirksregierung zu beantragen.1596 Sowohl der ›Weber-Plan‹ als auch die Bekanntgabe des Rahmenprogrammes ließen auf sich warten. Mitte des Jahres wurde immerhin ein Arbeitskreis Gebietsreform gebildet.1597 Inzwischen kristallisierte sich im Rat ein Meinungsbild 1590 Protokoll der VA-Sitzung des Holzhausener Gemeinderates am 11. Januar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 112. 1591 Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Georgsmarienhütter und Holzhausener Bauausschusses am 19. Februar 1968, ebd. 1592 Protokoll der VA-Sitzung des Holzhausener Gemeinderats am 17. Juli 1968, ebd. 1593 Protokoll der VA-Sitzung des Holzhausener Gemeinderats am 5. September 1968, ebd. 1594 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 3. Dezember 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 113. 1595 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 17. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 114. 1596 Protokoll der Ratssitzung am 24. Februar 1969, ebd. 1597 Protokoll der Ratssitzung am 6. Juni 1969, ebd.

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heraus. Eine Teilung der Gemeinde wurde als »unglücklich«1598 empfunden und Holzhausen würde gern komplett nach Osnabrück eingemeindet werden. »Es ist aber die Frage, ob Osnabrück die ganze Gemeinde Holzhausen überhaupt ›annehmen‹ würde.«1599 Im August 1969 war die Sache endlich klar, »Weber-Plan«,1600 Raumordnungsplan und Landesschulplan sahen eine Teilung Holzhausens und die Zuordnung des Ohrbecker Ortsteiles Westrup zu Altholzhausen vor.1601 Einige Ratsherren schlugen vor, sofort Gespräche mit Osnabrück und mit der neuen Großgemeinde Georgsmarienhütte aufzunehmen. Doch die meisten Ratsherren neigten »allgemein zu einem vorläufigen Abwarten.«1602 Im September 1969 kam Bewegung in die Sache. Der Zweckverband ›Obere Düte‹, in dem Holzhausen Mitglied war, löste sich mit Inkrafttreten des Gebietsänderungsvertrages auf. Jetzt hatte Holzhausen nicht nur ein Wassersondern auch ein Abwasserproblem.1603 »Bei einem Stillhalten werde es der Gemeinde nicht möglich sein, evtl. Vorteile zu erreichen«,1604 vermerkte das Protokoll. Bürgermeister Hardekopf wollte zunächst mit der Gemeinde Ohrbeck wegen des Ortsteiles Westrup verhandeln. Als sich herausstellte, dass die Großgemeinde Georgsmarienhütte im Frühjahr 1970 Kommunalwahlen abhalten und der neue Rat ohne Holzhausener Vertreter die Schwerpunkte für die nächsten vier Jahre festlegen würde, war der Druck auf die Gemeinde plötzlich groß.1605 Ein weiteres Problem kam auf die Holzhausener zu: 1969 wurden 26 Schulklassen in 21 Räumen unterrichtet, 1971 würden es 32 Klassen in 23 Räumen sein. Überdies stand die Auflösung des Schulzweckverbandes Ohrbeck bevor, da die Gemeinde Ohrbeck sich am 1. Januar 1971 der Gemeinde Hasbergen anschließen würde. Im November 1969 wurde der Rat umfassend über eine Besprechung am 5. Oktober 1969 informiert. »Danach ist davon auszugehen, daß die südlichen Gemeinden um Osnabrück wohl keine Aussicht haben, selbstständig zu bleiben.«1606

1598 Protokoll der öffentlichen Ratssitzung am 4. Juni 1969, ebd. 1599 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 4. Juni 1969, ebd. 1600 Protokoll der Sitzung des Feuerlöschverbandes Holzhausen-Ohrbeck am 18. August 1969, ebd. 1601 Protokoll der Sitzung des Feuerlöschverbandes Holzhausen-Ohrbeck am 18. August 1969, ebd. und Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 6. November 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 115. 1602 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 27. August 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 114. 1603 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 18. September 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 115. 1604 Ebd. 1605 Protokoll der VA-Sitzung am 3. November 1969, ebd. 1606 Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 6. November 1969, ebd.

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Endlich wurden Gespräche aufgenommen. Am 20. November 1969 trafen sich sämtliche Bürgermeister und Gemeindedirektoren der noch nicht zusammengeschlossenen Großgemeinde. Bürgermeister Hardekopf sprach die Probleme mit der Wasserversorgung und der Schulversorgung an. Die Auflösung des Zweckverbandes ›Obere Düte‹ und die Abwasserbeseitigung war bei einer Angliederung Altholzhausens in den Gemeindeverband Georgsmarienhüttes kein Problem mehr. Rolfes und Siepelmeyer führten in dieser Sitzung das Wort. Beide waren sehr darum bemüht, die Bedenken der Holzhausener, als ›Anhängsel‹ behandelt zu werden, zu zerstreuen. Eine Trennung von Sutthausen in Hinblick auf die Wasserversorgung sei technisch möglich, bekundete Rolfes, und Siepelmeyer versprach den Holzhausenern eine Förderschule und eine Hauptschule. Siepelmeyer versprach auch, dass die Mehreinnahmen, die die Gemeinde durch den Beitritt Holzhausens würde verbuchen können, auch in Holzhausen investiert würden. Er sprach von 230.000 DM nach Abzug der Kreisumlage allein im Jahr 1970 und in den Jahren 1971 und 1972 würden es noch einmal jeweils 100.000 DM sein.1607 Zwei Bürgerversammlungen wurden abgehalten, eine in Altholzhausen am 11. Dezember 1969 und eine in Sutthausen einen Tag später ; über beide Versammlungen liegen keine Protokolle vor.1608 Das Protokoll der Sitzung vom 20. November 1969 wurde zur Grundlage für die Abstimmung im Rat am 15. Dezember 1969. Assessor Vosskühler vom Landkreis wohnte der Sitzung bei, bei der einstimmig die Umgemeindung der Sutthauser Parzellen nach Osnabrück beschlossen wurde. Damit war die Teilung Holzhausens vollzogen. Die Belange Sutthausens sollten vom Landkreis gegenüber der Stadt Osnabrück vertreten werden, und der Holzhausener Gemeinderat sollte einen Gebietsänderungsvertrag mit der Großgemeinde Georgsmarienhütte abschließen.1609 Rudolf Rolfes nahm auf Bitten des Landrats Josef Tegeler die Arbeit am Gebietsänderungsvertrag in die Hand.1610 Ein Entwurf lag binnen weniger Tage vor. Die §§ 1–5 waren gleichlautend mit dem Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969. § 6 bezog sich direkt auf Holzhausen. »Es wird erwartet«,1611 dass die neue Gemeinde die Wasserversorgung sicherstellt, d. h. die Kosten für den Bau der Wasserleitung übernimmt. In § 8 wurde die Übernahme der Bediensteten geregelt. Allerdings wollten nur vier Beamte bzw. An1607 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Bürgermeister und Gemeindedirektoren der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Harderberg, Kloster Oesede, Holsten-Mündrup und Holzhausen am 20. November 1969, ebd. 1608 Protokoll der öffentlichen Gemeinderatssitzung Holzhausen am 15. Dezember 1969, ebd. 1609 Protokoll der Ratssitzung am 15. Dezember 1969, ebd. 1610 Gemeindedirektor Rolfes an Landrat Tegeler, Schreiben vom 22. Dezember 1969, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 12. 1611 Entwurf eines Gebietsänderungsvertrages der Gemeinde Holzhausen, ebd.

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gestellte in den Dienst der neuen Großgemeinde treten. In § 10 hieß es: »Die neue Gemeinde ist verpflichtet, den Ortsteil Holzhausen so zu fördern, daß dieses Gebiet in seiner Weiterentwicklung nicht beeinträchtigt wird.«1612 Die Mehreinnahmen aus dem Finanzausgleich sollten nach Holzhausen zurückfließen und für die Wasserversorgung, den Straßenbau und die Ortsbeleuchtung ausgegeben werden. Darüber hinaus erwartete Holzhausen, dass Holzhausener Kindern der Besuch einer Förderstufe mit angeschlossener Hauptschule in Georgsmarienhütte ermöglicht werde. Die Mühe war jedoch vergebens. Kurz vor der inzwischen vorverlegten Zusammenlegung am 1. Januar 1970 tagte der Interimsausschuss der projektierten Großgemeinde ein letztes Mal am 27. Dezember 1969. Assessor Vosskühler war – da es um den Beitritt Holzhausens ging – ebenso anwesend wie Vertreter der Gemeinde Holzhausen. Siepelmeyer, der noch am 20. November 1969 weitgehende Versprechungen gemacht hat, reagierte zurückhaltend auf die Forderungen Holzhausens. »Es müßte tunlichst darauf geachtet werden, daß der Gemeinde Holzhausen für ihren Ortsteil Holzhausen nicht mehr Sonderrechte und Sonderregelungen eingeräumt werden, als den Gemeinden Harderberg, Kloster Oesede und Holsten-Mündrup eingeräumt worden sind.«1613 HolstenMündrup und Kloster Oesede hätten nämlich keinen Gebietsänderungsvertrag mit der neuen Großgemeinde abgeschlossen, sondern seien über den § 13 des am 19. April 1969 unterzeichneten Vertrages der geplanten Großgemeinde beigetreten. Dieser Beitritt müsse nun vom Interimsausschuss der im Entstehen begriffenen Gemeinde beschlossen werden. Im Übrigen könne die neue Großgemeinde nach Bekunden der Ratsleute nicht garantieren, dass sämtliche Mehreinnahmen in den Ortsteil zurückfließen würden. Man wolle ja Wirtschaftsförderung betreiben, und das koste Geld. Gemeindedirektor Riepenhoff, der nicht zu den Bediensteten gehörte, die von der Großgemeinde übernommen werden wollten, ruderte sofort zurück. Mit der Stadt Osnabrück sei bereits ein Vertrag über den Bau einer Zuleitung für das von den Stadtwerken anzuliefernde Wasser geschlossen worden. Die Kosten beliefen sich auf 200.000 DM, wovon die neue Großgemeinde die Hälfte zu tragen habe, und was die Ausgaben für die Wirtschaftsförderung anbelange, so erklärten »auch die Vertreter der Gemeinde Holzhausen, daß ein solcher Verzicht im Rahmen unseres Raumes eine Selbstverständlichkeit sei.«1614 Abschließend fasste der Interimsausschuss den Beschluss, dem Rat der Großgemeinde zu empfehlen, dass der Beitritt Holzhausens im Sinne des § 13 des Gebietsänderungsvertrages zum 1. März 1970 ausdrücklich erwünscht sei. 1612 Ebd. 1613 Protokoll des Interimsausschusses am 27. Dezember 1969, ebd. 1614 Ebd.

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So konnte auch Holzhausen nur Erwartungen äußern.1615 In einem Vertragsentwurf wurde festgehalten, dass die neue Gemeinde die Wasserversorgung sicherstellen sollte, d. h. die Kosten für den Bau der Wasserleitung zu übernehmen hatte. In § 8 wurde die Übernahme der Bediensteten geregelt. In § 10 hieß es: »Die neue Gemeinde ist verpflichtet, den Ortsteil Holzhausen so zu fördern, daß dieses Gebiet in seiner Weiterentwicklung nicht beeinträchtigt wird.«1616 Die Mehreinnahmen aus dem Finanzausgleich sollten nach Holzhausen zurückfließen und für die Wasserversorgung, den Straßenbau und die Ortsbeleuchtung ausgegeben werden. Darüber hinaus erwarteten Holzhausener Ratsleute, dass Holzhausener Kindern der Besuch einer Förderstufe mit angeschlossener Hauptschule in Georgsmarienhütte ermöglicht werde.

4.2.4.3 Verhandlungsrunde 8: Der Ortsteil Westrup Am 24. August 1969 beschloss der Gemeinderat der Gemeinde Ohrbeck den Anschluss an die Gemeinde Hasbergen. Da sich die Ortsteile Westrup und Boberg kirchlich und schulisch nach Holzhausen orientierten, votierten die wahlberechtigten Einwohner_innen der beiden Stadtteile zu 87 % (d.s. 180 von 206 Einwohner_innen) für einen Anschluss an Holzhausen bzw. an Georgsmarienhütte.1617 In einer Besprechung mit einem Vertreter des Landkreises, Vertretern der Gemeinden Hasbergen, Ohrbeck und der Großgemeinde Georgsmarienhütte und der Interessenvertretung Westrup/Boberg im Juni 1970 wurde der Grenzverlauf besprochen. Dabei kristallisierten sich zwei Möglichkeiten des Grenzverlaufes heraus.1618 Die Großgemeinde Georgsmarienhütte bevorzugte die große Lösung mit einem Sportplatz und einem großen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Gemeinde Ohrbeck wollte nur der kleineren Lösung ohne den Sportplatz und besagten Betrieb zustimmen, und machte nur einige Zugeständnisse im Bereich der Hagener Straße, hinter der Siedlung ›Halbmond‹.1619 In jedem Fall gehörte aber die katholische Bildungsstätte ›Haus Ohrbeck‹ zu dem zur Umgemeindung anstehenden Gebiet. Da es sich rechtlich gesehen um eine Umgemeindung nach dem § 18 Abs. 2 der NGO handelte, musste auch der Gemeinderat der Großgemeinde Georgsmarienhütte zustimmen. Die Fraktionen waren aber mit der kleinen Lösung nicht einverstanden und wünschten eine 1615 Entwurf eines Gebietsänderungsvertrages der Gemeinde Holzhausen, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 12. 1616 Ebd. 1617 Interessengemeinschaft Westrup-Boberg an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 14. Dezember 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 6, Ordner 1. 1618 Vermerk Rolfes vom 2. Juli 1970, ebd. 1619 Vorlage zur Sitzung des VA der Stadt Georgsmarienhütte am 9. September 1970, ebd.

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größere Fläche umzugemeinden. Die zentralen Einrichtungen der Gemeinde Holzhausens strahlten weit über die derzeit geplante Grenze hinaus.1620 Stadtdirektor Rolfes nahm Kontakt mit der Bezirksregierung auf, von wo aus die raumplanerischen Vorhaben umgesetzt wurden. Er klagte den Herren vom Kommunaldezernat und vom Landesplanungsdezernat sein Leid mit der Gemeinde Ohrbeck. Diese habe zwar einer neuen Grenzziehung zugestimmt, jedoch mit »Schönheitsfehlern«.1621 Das Problem seien die »Nasen«,1622 die entweder in das Georgsmarienhütter Gebiet hinein- oder aber aus ihm herausragten. Die Bezirksregierung tendierte ebenfalls zur Umgemeindung einer kleineren Fläche, der große landwirtschaftliche Betrieb sollte bei Hasbergen verbleiben. Sie rieten Rolfes, zunächst die Bildung der Großgemeinde Hasbergen abzuwarten und dann erneut zu verhandeln. Im Hinblick auf weitere »Grenzbereinigungen«1623 empfahlen die Herren aber auch, »diese Diskussion zur Zeit nicht hochzuspielen«1624 und keine »Emotionen«1625 auszulösen, »die dahin gehen könnten, daß die Stadt Georgsmarienhütte Annektionsgelüste hat«.1626 Inzwischen hatte der Landtag am 18. Juni 1970 der Bildung der Großgemeinde Hasbergen zugestimmt und den Ortsteil Westrup-Boberg der neuen Gebietskörperschaft Georgsmarienhütte zugeschlagen.1627 Am 3. November 1970 schließlich stimmte der Georgsmarienhütter Stadtrat dem Anschluss des Ortsteiles Westrup-Boberg zum 1. Januar 1971 zu,1628 ohne den Grenzverlauf abschließend verhandelt zu haben. Ein Erlass des Innenministeriums vom 2. Dezember 1970 zur Neugliederung des Osnabrücker Raumes kam dazwischen.1629 Obwohl die Stadt Georgsmarienhütte sich im November bereits entschieden hatte, waren umfangreiche Erhebungsbögen auszufüllen. Außerdem hatte die Stadt noch zwei weitere Grenzkorrekturen mit Hagen und Voxtrup zu verhandeln, die sich vor allem wegen der Terminfindung und wegen Verfahrensfragen schwierig gestalteten. Die Kommission des Innenministeriums hatte ihr Kommen für Mitte März angekündigt und Rolfes wollte bis dahin gerne mit den »Nachbargemeinden hinsichtlich dieser kosmetischen Operationen«1630 ein Einvernehmen hergestellt haben.

1620 1621 1622 1623 1624 1625 1626 1627 1628 1629 1630

Protokoll der VA-Sitzung der Stadt Georgsmarienhütte vom 7. Oktober 1970, ebd. Vermerk Rolfes über ein Gespräch mit der Bezirksregierung am 19. Oktober 1970, ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Protokoll der VA-Sitzung der Stadt Georgsmarienhütte am 21. Oktober 1970, ebd. Protokoll der Sitzung des Georgsmarienhütter Stadtrates vom 3. November 1970, ebd. Erlass des Innenministeriums des Landes Niedersachsen vom 2. Dezember 1970, ebd. Vermerk Rolfes vom 19. Januar 1971, ebd.

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Endlich kam ein Treffen mit der Gemeinde Hasbergen am 23. Februar 1971 zustande. Bürgermeister Siepelmeyer erläuterte die Wünsche der Stadt Georgsmarienhütte und betonte gleichzeitig, »daß die Stadt Georgsmarienhütte sich hierbei nicht stark engagieren werde. Vielmehr würde jede vernünftige und sachgerechte Entscheidung des Rates der Gemeinde Hasbergen angenommen.«1631 Tatsächlich gab die Gemeinde Hasbergen nicht nach und behielt sowohl den großen landwirtschaftlichen Betrieb als auch die Wiese mit dem Sportplatz. Die erste Version des Grenzverlaufs, die sog. kleine Lösung, die bereits der Ohrbecker Gemeinderat mit Georgsmarienhütte ausgehandelt hatte, blieb bestehen.1632 Zum 1. Juli 1971 sollte die Umgemeindung durchgeführt werden.1633 Doch so einfach ging das nicht. Der inzwischen neu gewählte Gemeinderat von Hasbergen musste die Umgemeindung noch einmal neu beschließen. Dann aber, so teilte Rolfes seinem Amtskollegen in Hasbergen mit, komme der § 18 der NGO zur Anwendung, so dass die Umgemeindung vom Landesministerium beschlossen werden könne und ein Gesetz dann nicht notwendig sei.1634 Dieser Beschluss des Ministeriums lag seit dem 12. März 1971 nach »umfangreicher Debatte«1635 vor. Doch dann wollte der Regierungspräsident, wie er »gelegentlich eines Gesprächs mitgeteilt hat«,1636 plötzlich doch im Rahmen der Gebietsreform »von Amts wegen«1637 die Umgemeindung durchführen. Der geplante Termin 1. Juli 1971 war zu diesem Zeitpunkt schon überschritten. Jetzt hing die Angelegenheit in den Mühlen der Bürokratie. Obwohl die Stadt Georgsmarienhütte sich bemühte, die Umgemeindung doch noch schnell und unkompliziert durchzuführen, geschah nichts. Jugendliche nahmen derweil die Handlungsunfähigkeit der Regierung zum Anlass, den »Freistaat Westrup«1638 auszurufen. Den Bundeskanzler oder den Aussenminister wolle man einladen, man mache sich durch diplomatische Anerkennung der Bundesregierung berechtigte Hoffnungen, sich »gegen alle ›nichthandelnden Regierungsstellen‹ besser durchsetzen zu können.«1639 Was als Scherz in der Karnevalszeit gedacht war, nutzte Rolfes, um erneut beim In-

1631 1632 1633 1634 1635 1636

Protokoll einer Besprechung mit der Gemeinde Hasbergen am 23. Februar 1971, ebd. Ebd. Ebd. Rolfes an die Gemeinde Hasbergen, Schreiben vom 8. April 1971, ebd. Protokoll der Ratssitzung der Gemeinde Hasbergen am 12. März 1971, ebd. Landkreis Osnabrück an die Stadt Georgsmarienhütte, Schreiben vom 13. August 1971, ebd. 1637 Landkreis Osnabrück an die Stadt Georgsmarienhütte, Schreiben vom 13. August 1971, ebd. 1638 »Der ›Freistaat Westrup‹ will klare Verhältnisse schaffen«, NOZ, 12. Februar 1972. 1639 Ebd.

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nenminister, bei der Bezirksregierung und beim Landkreis1640 Druck zu machen.1641 Er habe sich köstlich amüsiert, teilte er den Herren mit. Der Ministerialdirigent ging mit keinem Wort auf den Scherz ein. »Da die Stadt Georgsmarienhütte und die Gemeinde Hasbergen durch das Neugliederungsgesetz Osnabrück in ihrem Gebietsstand nicht verändert werden, kann das Verfahren zur Umgliederung des Ortsteils Westrup schon [! I.B.] jetzt eingeleitet werden«1642 Endlich konnten die Parzellen, die zur Umgemeindung von Hasbergen nach Georgsmarienhütte anstanden, vermessen werden, und am 15. Juni 1972 lag die vom Regierungspräsidenten unterzeichnete Verordnung vor; am 1. Juli 1972 – etwa zwei Jahre nach dem der Ohrbecker Gemeinderat den Anschluss Westrups an die Stadt Georgsmarienhütte beschlossen hatte – trat sie in Kraft. Anlässlich der Umgemeindung fand in der katholischen Bildungsstätte eine Feierstunde statt, bei der Siepelmeyer der Bildungseinrichtung einen Scheck von 25.000 DM überreichte. Auch der Landkreis war über die Korrekturen im Grenzverlauf erleichtert, und überreichte einen handgewebten Gobelin mit dem Wappen der Stadt Georgsmarienhütte.1643 Der Fall Westrup zeigt deutlich, dass es mit dem guten Willen der beteiligten Gemeinden allein nicht getan war. Vor allem auf der Ebene der Bezirksregierung hakte die Angelegenheit. Die Zögerlichkeit hing mit dem Neuzuschnitt der Stadt Osnabrück zusammen.1644 Durch Eingemeindungen hätten Grenzkorrekturen auch im weiteren Umland nötig gewesen sein können. Also mussten zunächst Osnabrücker Bedürfnisse gestillt werden, erst dann wurde alles andere entschieden.

1640 Rolfes an Regierungsdirektor Hackbarth, Schreiben vom 16. Februar 1972, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 6, Ordner 1. 1641 Rolfes an Ministerialdirigent Klein, Schreiben vom 16. Februar 1972, ebd. 1642 Ministerialdirigent Klein an Rolfes, Schreiben vom 3. März 1972, ebd. 1643 »Nehmen heute Besitz vom Ortsteil Westrup«, NOZ, 22. Juli 1972. 1644 Auf der Grundlage des Osnabrück-Gesetzes wurden 1972 acht Umlandgemeinden in die Stadt Osnabrück eingemeindet. Es waren dies die Gemeinden: Atter (2.737 Einwohner), Darum (618 Einwohner), Gretesch (1.826 Einwohner), Hellern (4.436 Einwohner), Lüstringen (3.095 Einwohner), Nahne (2.675 Einwohner), Pye (1.813 Einwohner) und Voxtrup (4.794 Einwohner), vgl.: Frank Henrichvark: Osnabrück in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Gerd Steinwascher (Hg.): Geschichte der Stadt Osnabrück, Belm 2006, S. 767–890, hier S. 832.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

4.3. Ebene III: Der Namenskonflikt – Die identitätsstiftende Grundlage 4.3.1. Die Bedeutung von Eigennamen Ausgehend von der Leitfrage der Arbeit, wie politisch-normative Räume, hier eine neue Gebietskörperschaft, produziert werden, ist in der Einleitung die zentrale Bedeutung der handelnden Akteure für ebendiese Produktion dargelegt worden. Das Handeln der Akteure wiederum – so die theoretische Annahme – wird von Erfahrungen in der Vergangenheit und Erwartungen an die Zukunft bestimmt. Bei keinem anderen Konflikt innerhalb der Aushandlung um den Neuzuschnitt einer Gebietskörperschaft wird letzteres so deutlich wie bei der Aushandlung des Namens der neuen Kommune. Innerhalb einer Gebietsreform sind Auseinandersetzungen um den Namen nicht selten. An diesem Konflikt konnten Zusammenschlüsse durchaus scheitern oder im Nachhinein auf dem Rechtsweg wieder rückgängig gemacht werden.1645 Die Frage des Namens einer Gebietskörperschaft berührt demgemäß keine Marginalie, sondern grundsätzliche Belange einer Gemeinde. Daher sind auch die Auseinandersetzungen darum aufschlussreich, weil dabei tiefere Einblicke nicht nur in Befindlichkeiten der Gemeindevertreter und Konfliktlinien bzw. Partnerschaften möglich sind, sondern auch die individuell sehr unterschiedlichen und teilweise weit in die Vergangenheit zurückreichenden Erfahrungsräume der einzelnen Akteure in den Fokus genommen werden können. Bei keinem anderen Konflikt werden neben den horizontalen Verflechtungen der Gegenwart auch die vertikalen Implikationen der Vergangenheit so deutlich artikuliert und damit sichtbar. Ein Eigenname ist zur Identifikation notwendig,1646 womit eine Individualisierungsleistung verbunden ist, in deren »Gefolge [sich] eine Spezifizierung, Differenzierung, Distinguierung, Selektion, also eine breite Palette sozio-psychologischer Konsequenzen«1647 bemerkbar machen. Ein Eigenname ist der »Inbegriff […] einer […] Identität«,1648 der die Mitglieder einer Gemeinschaft

1645 Z. B. der Zusammenschluss zwischen Nideggen und Heimbach, zwei touristisch erschlossene Orte in der Eifel. Die Gemeinde Heimbach erhob nach der Fusion und Annahme des Ortsnamens Nideggen Klage vor dem Verfassungsgerichtshof und erhielt 1974 seine Selbständigkeit zurück; oder Porta Westfalica, dessen Bewohner_innen sich gegenüber der Landesregierung aus des Gründen des Fremdenverkehrs gegen den Namen Hausberge a. d. Porta wehrten. Vgl.: Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform. S. 294f. 1646 Hartwig Kalverkämper : Textlinguistik der Eigennamen, Stuttgart 1978, S. 41. 1647 Ebd. S. 49. 1648 Die Namensproblematik wird dort nur kurz angerissen, vgl.: Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 147.

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integriert. Mit der Nennung eines Namens wird aber auch Vergangenheit immer wieder vergegenwärtigt,1649 und zwar nicht nur ein punktuelles Ereignis,1650 sondern auch »die Summe der gesamten Gebrauchsgeschichte des Namens, die […] seine assoziative Fülle und Dynamik permanent anreichert«.1651 Nichts liegt der Problematik um den Eigennamen einer Gemeinde ferner als der in der Diskussion um den Namen der neuen Gebietskörperschaft angeblich so oft bemühte Vergleich, der Name sei nur »Schall und Rauch«.1652 Bevor im folgenden Kapitel die Fragen geklärt werden sollen, wie der Konflikt um den Namen im Untersuchungsgebiet verlief und worum es in diesem Konflikt im Kern eigentlich ging, ist daher die Frage nach dem Verhältnis der zwei wichtigsten verhandlungsführenden Gemeinden zu ihrer Geschichte von Belang. Dieses Verhältnis erhellt die Position der Akteure in der Namensfrage,1653 und damit auch die Frage, wie die Akteure sich die Zukunft der neuen Gemeinde vorstellen.

1649 Dieter Bering/Klaus Großsteinbeck: Die ideologische Dimension der Kölner Straßennamen von 1870 bis 1945, in: Rudolf Jaworski/Peter Stachel (Hg.): Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Bereich, Berlin 2007, S. 311–336, hier S. 312. 1650 Ereignis wird hier verstanden als eine Erwartung durchbrechende Handlungssequenz, die strukturierende Folgen zeitigt, vgl.: Andreas Suter/Manfred Hettling: Struktur und Ereignis. Wege zu einer Sozialgeschichte des Ereignisses, in: ders. (Hg.): Struktur und Ereignis, Göttingen 2001, S. 7–32, hier S. 23ff. 1651 Bering/Großsteinbeck: Die ideologische Dimension, in: Jaworski/Stachel (Hg.): Die Besetzung des öffentlichen Raumes, S. 313. 1652 In keinem der Protokolle kam die Redewendung vor, aber Ludwig Siepelmeyer behauptete den häufigen Gebrauch in seiner Stellungnahme vor den Innenausschuss am 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 1653 Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Theorie des kulturellen Gedächtnisses, mit dem sich Jan Assmann Ende der 1980er Jahre beschäftigte, vgl.: Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Kultur und Gedächtnis, Frankfurt 1988, S. 9–19; Das kulturelle Gedächtnis wird definiert »als Sammelbegriff für alles Wissen, das im spezifischen Interaktionsrahmen einer Gesellschaft Handeln und Erleben steuert und von Generation zu Generation zur wiederholten Einübung und Einweisung ansteht.« Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 9; Durch Alltagskommunikation, dem täglichen miteinander sprechen, bauen Individuen ein Gedächtnis auf, das sozial vermittelt und gruppenbezogen sei. So entstehe ein kollektives Gedächtnis einer Gruppe, einer Familie, einer Gemeinde oder einer Nation. Menschen seien eingebunden in eine Vielzahl kollektiver Selbstbilder, die auf das Wissen einer gemeinsamen Vergangenheit von etwa 80–100 Jahren zurückgehen. Danach gehe das Wissen um die Vergangenheit verloren, wenn es nicht durch Erinnerungsfiguren in das kulturelle Gedächtnis transformiert und damit gespeichert und wiederholbar würde. Erinnerungsfiguren können Texte, bzw. Chroniken, Riten, Brauchtum, Tracht, Denkmäler und vieles mehr sein. Das durch Erinnerungsfiguren geformte kulturelle Gedächtnis sei jedoch nicht statisch, sondern werde durch Menschen in der Gegenwart konstruiert und zu dieser in Beziehung gesetzt, vgl.: Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 13.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

Dazu ist es notwendig, sich noch einmal kurz die Umstände, die zur Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte im 19. Jahrhundert führten, zu vergegenwärtigen, und sich vor Augen zu führen, wie die Gründungsgeschichte bis Ende der 1960er Jahre erinnert wurde.1654 Wegen der zahlreichen Auseinandersetzungen, die die Anlage eines Hüttenwerkes nebst Kohlenschächten und der starke Zustrom von ca. 2.500 Menschen in das dünnbesiedelte Untersuchungsgebiet mit sich brachte, beantragte das Verwaltungsratsmitglied Ernst von Malortie 1857 nach Aufforderung der Landdrostei die Bildung einer eigenen Gemeinde. In seinem Antrag1655 entwarf von Malortie ein Gemeindekonzept, bei dem es im Kern um die Übernahme aller für die Gemeinde anfallenden Kosten und im Gegenzug um die Kontrolle über das gesamte Gemeinwesen, in dem nur bestimmte Personen Aufnahme finden sollten, ging. Seinen Niederschlag fand das Konzept in der Namensgleichheit des Ortes mit dem Werk Georgsmarienhütte.1656 Mit dem Namen1657 Georgsmarienhütte wurde also nicht nur an das geldgebende Herrscherpaar1658 und die Hüttengründung erinnert, sondern auch an ein umfassendes Konzept. Mittels Chroniken wurde die Erinnerung an das mit der Gemeindegründung gekoppelte Konzept dauerhaft im kulturellen Gedächtnis der Menschen in der Gemeinde verankert. Die wichtigste Chronik wurde von Gründungs- und Verwaltungsratsmitglied Hermann Müller in zwei Teilen in den Jahren 1896 und 1906 verfasst und stellte schwerpunktmäßig die Werksgeschichte und – da Werk und Gemeinde eins waren – auch die Gemeindegeschichte dar.1659 In seiner umfangreichen Arbeit wird im 2. Band das Werk als »vielgestaltiger Organismus« beschrieben, »welcher neben seinen gewerblichen Zwecken auch alle diejenigen Zwecke selbständig verfolgt, welche in Gemeinde, Kirche, Schule, Arbeitercolonien, Knappschaftsverein und vielen anderen, die Hebung des Arbeiterstandes bezweckenden Einrichtungen ihren Ausdruck finden.«1660

Vgl. auch Kap. 2.1. Die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 43. NLA OS Rep 350 Osn Nr. 935. Meyer: Schwerindustrielle Insel, S. 41–50. Schnittpunkt des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses ist der Eigenname, der als immer wieder in der Alltagskommunikation gebrauchte Benennung sowohl Teil des kommunikativen Gedächtnisses, als auch als Erinnerungsfigur, Teil des kulturellen Gedächtnisses ist. Mit der Benennung einer Gemeinde wird die Erinnerung an die Vergangenheit der Menschen, die in einer Gemeinde leben oder lebten, mit der Gegenwart verbunden, vgl.: Bering/Großsteinbeck, Die ideologische Dimension, S. 312. 1658 »Ein Mensch lebt, wenn sein Name genannt wird.« zitiert Aleida Assmann ein altägyptisches Sprichwort, das weltweit Gültigkeit habe, Aleida Assmann: Formen des Vergessens, Göttingen 2 2016, S. 49. 1659 Müller : Der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein, 2. Theil. 1660 Ebd., S. 68.

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Müller beschrieb darüber hinaus die Gemeinde als einen elitären Ort für Ausgewählte, wie ihn sich von Malortie knapp 50 Jahre zuvor vorgestellt hatte. »Nur tüchtige und achtbare Arbeiter erhalten dort Wohnung; schlechtere Elemente werden entfernt.«1661 Müller schilderte die Gemeinde als Idyll, in denen die Arbeiter ansprechende Häuser mit Gärten bewohnten, Vereine für eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung sorgten und in der das Schul- und Kirchenwesen ausgebaut war. »Ein Gang durch den Ort macht den wohltuendsten Eindruck. Ueberall herrscht Ordnung und Reinlichkeit; die vielen Blumen in den wohlgepflegten Gärten und vor den Fenstern der Häuser erfreuen das Auge«1662

und zeugten von Wohlstand. Die Bevölkerung sei auf einer höheren Bildungsstufe als »man gewöhnlich in Fabrikorten anzutreffen pflegt.«1663 Auch die sozialen Unterschiede nivellierten sich, insofern die »intelligenteren«1664 Arbeiter Gelegenheit hätten, »sich im Verkehre mit ihres Gleichen und mit den Beamten über sociale und politische Fragen auszusprechen und ihr Urteil zu klären.«1665 Als Beweis für die erfolgreiche Arbeit des Werkes führte Müller an, »daß auf der Hütte bei den Reichstagswahlen noch niemals eine socialdemokratische Stimme abgegeben worden«1666 sei und dass die Arbeiter die Wirtshäuser so gut wie gar nicht aufsuchten, was allerdings im Gegensatz zu der beachtlichen Zahl von sieben Gastwirten im Ort stand.1667 Was Müller in seiner Chronik als Selbstbild1668 der Gemeinde etablierte, wurde mit Begriffen wie: Ordnung, Reinheit, Auserwähltheit, Bildung und vor allem mit einer umfassende Fürsorge des Werkes für die Gemeinde und seine Einwohner_innen umschrieben. Die Müller’sche Chronik kursierte als Sammelobjekt über viele Jahrzehnte in der Gemeinde1669 und wurde damit zum wichtigsten Grundstein für eine »gemeinsam bewohnte Vergangenheit«1670 aller Gemeindemitglieder. 1661 1662 1663 1664 1665 1666 1667 1668

Ebd., S. 69. Ebd., S. 70. Ebd. Ebd., S. 68. Ebd., S. 69. Ebd., S. 70. Ebd., und S. 75. Zur Definition von Selbstbildern vgl. Jochen Guckes: Konstruktionen bürgerlicher Identität. Städtische Selbstbilder in Freiburg, Dresden und Dortmund 1900–1960, Paderborn 2011, S. 12. 1669 Zum 150jährigen Bestehen im Jahr 2006 ließ die Rechtsnachfolgerin, die Georgsmarienhütte GmbH, die Chronik als Faksimile nachdrucken und erneuerte so die Erinnerung an das Selbstbild von Werk und Ort. 1670 Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 17.

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Eine neue Gemeinde-Chronik erschien 73 Jahre nach Müllers zweibändigem Werk im Dezember 1969, unmittelbar vor dem Zusammenschluss.1671 Sie bestand anders als die umfangreiche Chronik von Hermann Müller lediglich aus einem schmalen Bändchen. Sie wurde von der Gemeinde beim Heimat- und Verschönerungsverein in Auftrag gegeben, vor Veröffentlichung von Mitarbeitern des Werkes überarbeitet1672 und basierte auf dem von Müller installierten Selbstbild des fürsorgenden Werkes für die Gemeinde. Ein Mitglied des Verschönerungsvereins schrieb darin: »Was den Namen anbelangt, so sei darauf hingewiesen, daß die alten Gemeinden häufig durch ein Kloster, einen Adelshof oder durch Einrichtung eines Marktes ins Leben gerufen wurden. Hier dagegen ist entsprechend den Verhältnissen der Neuzeit die Gründung eines Industriewerkes Anlaß zur Namensgebung gewesen, und es ist zu erwarten, daß dies Werk auch weiterhin die Grundlage für das Leben der Gemeinde bilden wird.«1673

In völliger Ausblendung, dass das Werk in den Vorjahren bereits Entlassungen vorgenommen hatte, wurde es weiterhin als Grundlage für das Leben der Gemeinde stilisiert. Hier wurde mehr ein Wunschbild etabliert denn ein realitätsbezogenes Selbstbild. Das Wunschbild der Gemeinde wurde mit dem Abdruck der Gründungsstatuten von 1860, in denen die Übernahme der Gemeindelasten durch das Werk garantiert wird, untermauert. Die Broschüre verwies auch darauf, dass die enge Verbindung zwischen Gemeinde und Werk auf finanzieller Ebene auch dann bestehen blieb, als die Zeitläufte 1918 eine Trennung zwischen Gemeinde und Werk erforderten. Dies gute Verhältnis der Gemeinde zum Werk »zeigte sich besonders dadurch, daß mit ministerieller Genehmigung zwischen Werk und Gemeinde ein ›Steuer-Vertrag‹ abgeschlossen wurde. Danach mußte die Gemeinde zwar die gesetzlich vorgesehenen Steuern erheben, ein etwaiger Fehlbetrag wurde jedoch stets vom Werk übernommen.«1674

Das Werk war somit nicht nur Namens- sondern auch Geldgeber. Abgesehen davon, dass sich weder in den Werksakten noch im ministeriellen Schriftgut ein Hinweis auf diesen Steuer-Vertrag finden lässt, kommt in dem Zitat noch etwas zum Ausdruck: Es klingt geradezu nach Bedauern, als zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Gemeinde gesetzlich gezwungen sei, Steuern vom Werk zu erheben, so als seien die Zeiten, in denen das Werk aus scheinbarer Wohltätigkeit die Lasten der Gemeinde übernommen habe, die besseren gewesen. 1671 1672 1673 1674

Gemeinde Georgsmarienhütte (Hg.): Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte. Protokoll der VA-Sitzung am 18. November 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 82. Gemeinde Georgsmarienhütte (Hg.): Chronik der Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 21. Ebd., S. 35.

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Ohne Zweifel wurde mit der Chronik von 1969 der wichtigste Teil des Selbstbildes der Vergangenheit erneut aktualisiert: die Fürsorge des Werkes für seine Gemeinde. Das Selbstbild war allerdings zum Trugbild mutiert, denn die Gemeinde Georgsmarienhütte befand sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in einer durchaus als problematisch zu nennenden Gesamtsituation.1675 Deutlich wird dieses Festhalten am Wunschselbstbild am hartnäckigen Leugnen der Problemlage und jeglichen Handlungsbedarfs durch die Georgsmarienhütter Ratsleute. Die Zusammenlegung mit anderen Gemeinden wurde keinesfalls als Lösung der anstehenden Strukturprobleme gesehen: Die Ratsleute der Gemeinde Georgsmarienhütte nahmen uneinig, nur auf Druck von außen und mit entsprechend großer Zurückhaltung an den Zusammenlegungssitzungen teil. Die ablehnende Haltung änderte sich erst, als sich eine reelle Chance abzeichnete, den Gemeindenamen ›Georgsmarienhütte‹ zu erhalten. Für den Erhalt des Namens gab der Georgsmarienhütter Gemeinderat sogar bereits gesicherte und für die zukünftige Ausrichtung der Gemeinde wichtige Verhandlungsmasse auf. Für dieses wenig rationale Verhalten gibt es zwei Erklärungen: »In dem Augenblick, in dem eine Gruppe sich eines entscheidenden Wandels bewusst würde, hörte sie auf, als Gruppe zu bestehen«,1676 beschreibt der Theoretiker des kulturellen Gedächtnisses, Jan Assmann, jenes Phänomen, das Gruppen mit einem starken identitären Bewusstsein widerfahren kann: nämlich dass ein Verhalten jenseits von Realität und Rationalität an den Tag gelegt wird.1677 Eine nicht ganz so weit in die Vergangenheit reichende Erklärung für das Ausblenden unangenehmer Fakten bietet Aleida Assmann an, die sich auf Friedrich Nietzsche bezog: »Wenn es gilt, das Gesicht zu wahren, kommt das Vergessen dem Stolz zu Hilfe, der unbedingt das positive Selbstbild erhalten möchte.«1678 Nach Jahren des Aufschwungs und der guten Steuereinnahmen, ließ der Stolz der Ratsleute es nicht zu, eine veränderte Realität zur Kenntnis zu nehmen. Welche Erklärung auch für das Verhalten der Georgsmarienhütter Ratsherren herangezogen wird, es hatte Folgen für die Aushandlung um den Gebietsänderungsvertrag. Die Gemeinde Oesede pflegte einen anderen Umgang mit ihrer Geschichte. Oesede berief sich auf eine jahrhundertealte Tradition, aber über die Geschichte 1675 Siehe Kap. 3.2.1.2. Die Gemeinde Georgsmarienhütte, S. 172: Sie hatte eine kostspielige Infrastruktur zu unterhalten; ihr Finanzstatus ließ mit 20 % unrentierlichen Schulden zu wünschen übrig; ihre Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausweisung von Industrie- und Gewerbegebieten waren in personeller, finanzieller und räumlicher Hinsicht begrenzt; sie stand unmittelbar vor einem seit Jahren aufgebauten Investitionsstau und war in hohem Maße abhängig von den Gewerbesteuern des größten, einzigen und überdies krisengeschüttelten Arbeitgebers, dem Stahlwerk mit 6.500 Beschäftigten. 1676 Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 40. 1677 Vgl.: Sebastian Herrmann: Kopf in den Sand, SZ, 20. März 2017. 1678 Assmann: Formen des Vergessens, S. 45.

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des Ortes1679 und den Ursprung des Namens konnten die Bürger_innen keine Auskunft geben.1680 Selbst über die Ersterwähnung kursierten keine gesicherten Erkenntnisse. Ende 1967 wurde eine vom Staatsarchiv Osnabrück angefertigte Reproduktion einer Urkunde aus dem Jahr 1170 für einen Preis von 485 DM angeschafft,1681 vermutlich in der Annahme, dies sei das Jahr der Ersterwähnung. Später stellte sich heraus, dass es noch eine frühere Erwähnung des Ortes Oesede gab, die aber nicht genauer als auf die Jahre zwischen 836 und 891 datiert werden konnte.1682 Oesede hat bis heute keine Chronik. Lediglich in über die Presse verbreiteten zeitgenössischen Eigenberichten wurde ein Selbstbild konstruiert, das sich hauptsächlich über den Wandel von der Agrar- zur Industriegemeinde definiert. Dabei wurde hervorgehoben, dass Oesedes Industrie sich nicht nur auf die Stahlbranche verlasse, sondern auch aus der Möbel-, Metall-, Textil-, Stein- und Kraftfahrzeugindustrie1683 Arbeitsplätze generiert.1684 1963 verfasste August Suerbaum eine Chronik der Pfarrei Oesede,1685 die er zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlichen konnte. Sein Sohn Ulrich Suerbaum veranlasste die Veröffentlichung des abgeschlossenen Manuskriptes in den 1960er Jahren, das genaue Erscheinungsdatum ist nicht bekannt, lag aber noch vor der Zusammenlegung der Gemeinden. Auf die Ereignisse der politischen Gemeinde Oesede ging die Chronik nur am Rande, und nur wenn sie für die Pfarrei bedeutsam waren, ein. Suerbaum datierte die Entstehung der Kirche in Oesede auf das 9. oder 10. Jahrhundert und nannte als Indizien für die Datierung 1. die 1679 1965 wird im Kultur- und Sportausschuss vorgeschlagen, eine Straße nach Graf Ludolf zu benennen, mit der Begründung »dieser war der erste Bürgermeister von Oesede.« Protokoll des Kultur- und Sportausschusses vom 8. Juni 1965, NLA OS Dep 81 b Akz 2011/104 Nr. 1. 1680 Als Gemeindedirektor Rolfes seinen Stellvertreter Borgmeyer anwies, für die Anhörung des Innenausschusses in der Aula der Realschule, neben den aktuellen statistischen Angaben auch die Oeseder Chronik auszulegen, wurde das Fehlen offenbar. Borgmeyer strich den Auftragspunkt einfach. Anweisung von Rolfes an Borgmeyer vom 16. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 1681 Protokoll über die VA-Sitzung am 20. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 1682 Protokoll über die VA-Sitzung am 28. Februar 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 1683 Mit Kraftfahrzeugindustrie war offensichtlich die Autowerkstatt von Josef Tegeler gemeint. 1684 Z. B. »Die Industrie verändert ein Dorf. Weitschauende Planung schafft in der Gemeinde Oesede attraktive Arbeitsplätze«, Westfälische Nachrichten, 17. Juli 1969. »Für die Zukunft ist noch keiner gestorben. Beispielhafte strukturelle Entwicklung in Oesede«, Land und Garten 30, 26. Juli 1969, S. 6–7. Im letztgenannten Artikel ist von 7.650 Industriearbeitsplätzen die Rede. Außer den Klöckner-Werken waren in Oesede als Arbeitgeber die Firma Wiemann-Möbel, ein Drahtseil-Werk, ein Betonfertigteil-Werk, die Solida-Bekleidungswerke, ein Transportbetonwerk, eine VW-Werkstatt und ein Kaufhaus vertreten. 1685 Suerbaum: Die Pfarre von Oesede.

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Weihung der Oeseder Kirche auf dem in fränkischer Zeit sehr verbreiteten Heiligen Remigius und 2. die Tatsache, dass eine Urkunde aus dem Jahr 1095 eine Kirche in Oesede erwähnt und daher schon einige Zeit vorher eine Kirche in dem Ort gestanden haben müsse.1686 Wann Oesede entstanden war, welche Umstände mit der Gründung einhergegangen waren und welche Bedeutung der Name Oesede hat, darüber hatten die Oeseder Ende der 1960er Jahre keinerlei Informationen. Als die kommunale Landschaft nach dem Ausrufen der Gebietsreform in Bewegung geriet, muteten die Planungen1687 zur 1.100-Jahr-Feier Oesedes wie eine Kompensation dieses Defizits an.1688 Das Alter der Gemeinde von mehr als 1.000 Jahren war unbestritten, aber die Datierung der Entstehung oder Ersterwähnung auf das Jahr 870 war rein willkürlich und diente allein dazu, der Gemeinde Oesede in dem Aushandlungsprozess vor allem im Hinblick auf die Namensfrage, mehr Gewicht zu verleihen.1689 Beide Gemeinden setzten sich mit den Ereignissen in der Zeit von 1933–1945 nicht auseinander. Wie wirkten sich nun die unterschiedlichen Positionen zur Geschichte der verschiedenen Gemeinden auf die Aushandlung, insbesondere auf den Namenskonflikt aus? Die Namensfrage wurde in den Verhandlungen zunächst ausgeklammert. Sie stand erst in der Endphase der Verhandlungen, etwa eine Woche vor Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages zur Debatte, und ging weit über diese Zäsur am 19. April 1969 bis zur endgültigen Entscheidung durch den Innenausschuss am 28. Oktober 1969 hinaus. Der Konfliktverlauf lässt sich in fünf Phasen gliedern, von denen die erste den Charakter eines Vorläufers hatte.

1686 Ebd. , S. 7. Erst 1995 stellte Wolfgang Seegrün in einem Aufsatz dar, dass die erste Erwähnung Oesedes in einer 1479 abgeschriebenen Heberolle nicht genauer als auf die Jahre zwischen 826 und 876 datiert werden kann, vgl.: Wolfgang Seegrün: Kirche in Oesede – 900 Jahre und mehr. Ein Überblick, in: Georgsmarienhütte. Junge Stadt – Alte Traditionen, S. 17–38. 1687 Beginn der Vorbereitungen Mai 1968, Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 22. Mai 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1688 Die 1.100-Jahrfeier wurde nach Ausbruch des Konfliktes zur Namensgebung im Juni 1969 abgesagt, Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 25. Juni 1969, ebd. 1689 Näheres siehe Kap. 4.4.1. Die ausgefallene 1.100-Jahr-Feier in Oesede, S. 334.

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4.3.2. Konflikte vor dem Namensstreit 4.3.2.1. Benennung der Realschule Der Bau der Mittelschule, die seit dem Neubau am Carl-Stahmer-Weg unter der Bezeichnung Realschule firmiert, war ein Projekt des Mittelschulzweckverbandes, der von Georgsmarienhütte und Oesede gemeinsam gegründet worden war.1690 Der Verband war Träger der Schule und für die Benennung zuständig. Sobald die Schule bezugsfertig war, machte sich der Oeseder Gemeinderat Gedanken um die Benennung. Der Name ›Oesede‹ solle auf jeden Fall im Schulnamen vorkommen, befanden die Oeseder Ratsleute.1691 Der Georgsmarienhütter Gemeinderat reagierte umgehend: Der frühere und inzwischen verstorbene Oeseder Bürgermeister Wallrath Eichberg habe laut einem Vermerk zugesagt, dass die Schule ›Mittelschule Georgsmarienhütte‹ heißen solle.1692 Die Oeseder Ratsleute lenkten ein, bestanden nicht auf ihren Gemeindenamen als Schulnamen und waren auch bereit, einen neutralen Namen zu akzeptieren.1693 Rektor Stahlmann sagte zu, in der Schule Namensvorschläge zu sammeln, die dem Zweckverband vorgelegt werden sollten, da dieser als Schulträger auch das Recht habe, den Namen auszusuchen.1694 Anfang des Jahres präsentierte er folgende Namen: Realschule Osning, Realschule Dütetal und Realschule Georgsmarienhütte/Oesede. Die Oeseder Ratsleute ergänzten noch die Namen VonHolt-Realschule und St. Georg-Realschule.1695 Doch der Zweckverband verfolgte die Sache nicht weiter1696 und die Realschule wurde am 18. Mai 19671697 feierlich ihrer Bestimmung übergeben, ohne dass sie offiziell mit einem Namen ausge-

1690 Der Beschluss des Gemeinderates Oesede, einen Zweckverband zu bilden, ist datiert vom 13. November 1961, der Beschluss des Gemeinderates Georgsmarienhütte vom 4. Dezember 1961, NLA OS Dep 81 b Nr. 325. 1691 Protokoll der VA-Sitzung vom 2. März 1965, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 9, Ordner 33, Teil 2. 1692 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 30. März 1965, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 9, Ordner 33, Teil 2 und Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 13. Januar 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 79. 1693 Protokoll der VA-Sitzung am 30. März 1965, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 9, Ordner 33, Teil 2. 1694 Protokoll der VA-Sitzung vom 5. Januar 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 8, Ordner 32, Teil 1. 1695 Ebd. 1696 Protokoll der VA-Sitzung vom 15. Februar 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 1697 Helmut Stahlmann: Nach 1962. Zahlen, Fakten, Ansichten, Einsichten. Ein mehr persönlich gehaltener Bericht, in: Realschule Georgsmarienhütte (Hg.): 75 Jahre Realschule Georgsmarienhütte 1914–1989, S. 42–46, hier S. 42.

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stattet worden wäre.1698 Auf einem Festprogramm zur Schulentlassung erschien 1968 die Bezeichnung ›Realschule Georgsmarienhütte-Oesede‹.1699

4.3.2.2. Benennung des Gymnasiums Auch bei der Benennung des Kreisgymnasiums kam es zu einem Konflikt. Der Name der Schule wechselte in den Akten: Dütegymnasium,1700 Gymnasium Gmhütte-Oesede,1701 Gymnasium Georgsmarienhütte,1702 aber auch Gymnasium in Oesede1703 und Gymnasium i.E. (im Entstehen) Oesede.1704 Bei all diesen Namen handelte es sich um Arbeitstitel. Im Gemeinderat in Georgsmarienhütte wunderte sich Bürgermeister Stahlmann im September 1967 über die Bezeichnung »Düte-Gymnasium Oesede«.1705 Im Mai 1968 wurde im Oeseder Verwaltungsausschuss im Hinblick darauf, dass die Schule am 1. August 1968 seinen Betrieb in der alten Michaelisschule aufnehmen würde, noch die Bezeichnung »Düte-Gymnasium«1706 verwendet. In der Sitzung des Verwaltungsausschusses am 24. Juli 1968 hieß es unter Punkt 12: »Gemeindedirektor Rolfes gibt bekannt, daß in der Verhandlung von Oberschulrat Doss erklärt worden sei, daß der offizielle Titel für das Gymnasium wie folgt bestimmt worden ist: Gymnasium i.E. Oesede.«1707 Allerdings war der Oberschulrat nicht zuständig für die Benennung von Schulen, dies oblag dem Träger, in diesem Fall dem Landkreis Osnabrück. Der Landrat wusste tatsächlich nichts von einer offiziellen Benennung. Im Oktober 1970 forderte Landrat Tegeler laut Verwaltungsbericht unter dem Punkt ›Gymnasium Oesede‹ die Verwaltung auf, die Schule offiziell einzuweihen und einen Namen zu vergeben. »Mit der Namensgebung soll sich auch der Schulausschuss befassen.«1708 Wie das Kreisgymnasium zu seiner offiziellen 1698 Protokoll der VA-Sitzung am 26. April 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 1699 Festprogramm zur Entlassung der Schulklassen 10 a-c, NLA Dep 81 b Nr. 326. 1700 Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Kreisausschusses am 23. August 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 1701 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses am 7. September 1967, ebd. 1702 Vermerk der Finanzabteilung des Landkreises Osnabrück vom 15. Juni 1972, NLA OS Dep 104 II Akz 47/92 Nr. 147. 1703 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses am 25. November 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231. 1704 Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses am 25. Mai 1972, NLA OS Dep 104 II Akz/92 Nr. 147. 1705 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 13. September 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 80. 1706 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 8. Mai 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1707 Ebd. 1708 Verwaltungsbericht des Landkreises Osnabrück vom 26. Oktober 1970, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 148.

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Bezeichnung kam, ließ sich nicht recherchieren, die Schule wird heute ›Gymnasium Oesede‹ genannt.

4.3.3. Die Entstehung und Lösung des Konfliktes auf interkommunaler Ebene Die Namensfrage stand nicht von Anfang an im Mittelpunkt der Verhandlungen. In dem vom Landrat Tegeler bei der Gemeindeverwaltung in Oesede in Auftrag gegebenen Papier : »Was ist im Falle des Zusammenschlusses der Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede zu tun?«1709 war noch von einer Stadt »mit dem Namen Dütetal«1710 die Rede. Unter den Punkten, die der zu erarbeitende Gebietsänderungsvertrag klären musste, kam die Frage des Namens der neuen Großgemeinde nicht vor, so als wäre sie schon geklärt oder nicht bedeutsam. Ab Januar 1969 wurden die strittigen Punkte in gemeinsamen Sitzungen der Gemeinderäte nach und nach abgearbeitet. In der zweiten Sitzung des sog. Zusammenlegungsausschusses am 22. Januar 1969 kam erst unter Punkt 14 das Thema von Namen, Farben und Wappen der neuen Gemeinde zur Sprache und wurde kontrovers diskutiert.1711 Die Namensfrage war ein Punkt unter vielen, die noch nicht abschließend geklärt waren, auch die Positionen der einzelnen Ratsmitglieder zu dem Thema waren noch sehr vage. Einhellig waren die Ratsleute der Meinung, die hiesigen Schulen aufzufordern, Namensvorschläge einzureichen. Auf den Namen ›Georgsmarienhütte‹ bestand zu diesem Zeitpunkt niemand. Das ist auch nicht verwunderlich, denn der Georgsmarienhütter Gemeinderat beschloss erst am 10. März 1969 eine grundsätzliche Bereitschaft zum Zusammenschluss.1712 Eine öffentliche Ratssitzung, in der die Georgsmarienhütter Bürger_innen über den bevorstehenden Zusammenschluss informiert wurden, fand statt, ohne dass die Frage der Namensgebung thematisiert wurde.1713 In der nächsten gemeinsamen Sitzung am 27. März 1969 trat der Konflikt um den Namen der Gemeinde deutlich hervor. Die Oeseder und Harderberger Ratsherren hatten sich aus der langen Liste der von den Schulen vorgeschlagenen Namen ›Dütenau‹ ausgesucht, während die Georgsmarienhütter auf der Kontinuierung ihres Namens bestanden. Erster offener Widerspruch wurde geäußert. Man sei bereit, auf den Namen ›Oesede‹ zu verzichten, bekundeten die Oeseder und Harderberger Ratsleute, und man erwarte von den Georgsmarienhütter Ratsleuten eine ebensolche Bereitschaft den vormaligen 1709 Papier von 14. November 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1710 Ebd. 1711 Protokoll der Sitzung des Zusammenlegungsausschusses der Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede am 22. Januar 1969, ebd. 1712 Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung am 10. März 1969, ebd. 1713 Protokoll der öffentlichen Ratssitzung am 17. März 1969, ebd.

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Ortsnamen aufzugeben. Die jedoch hielten sich während der Sitzung bedeckt. Als die nicht eingeladene Presse die offene Namensfrage mit dem Namen ›Dütenau‹ als bereits entschieden darstellte, reagierte der Vorstand der KlöcknerWerke mit einem Brief an alle politisch Verantwortlichen, der wenig später von der NOZ veröffentlicht wurde, und bat eindringlich, den Namen ›Georgsmarienhütte‹ »irgendwie«1714 zu erhalten. Das dreiköpfige Direktorium aus den Herren Werner Heymann, Hermann Rodrian und Karl Sporbeck begründete dieses Anliegen mit der starken wechselseitigen Beziehung zwischen Werk und politischer Gemeinde, und stand damit ganz in der Tradition der Müller’schen Chronik. »Der Name steht seitdem [seit der Gründung I.B.] für beides: sowohl für das Werk als auch für die politische Gemeinde.«1715 Es gebe kein kennzeichnenderes Symbol, »das in der Bezeichnung dieses Gemeindeverbandes wiederkehren sollte, als das Werk.«1716 Es fehlte in dem Brief natürlich nicht der Verweis auf die Rolle als größter Arbeitgeber, bei dem mehr als 3.000 Menschen aus den drei Gemeinden beschäftigt waren und von dem mehr als 10.0000 Menschen in der Region unmittelbar lebten. Die wirtschaftliche Bedeutung des Namens erfolgte erst im zweiten Argumentationsstrang des Briefes, der auf dem ersten direkt aufbaut: Gemeinde und Werk bildeten eine Einheit, »wird der politischen Gemeinde der Name ›Georgsmarienhütte‹ entzogen, greift ein solcher Abbau zwangsläufig in das Image unseres Werkes ein.«1717 Das wiederum könne »sehr schwerwiegende«1718 Nachteile für das Werk und für die Menschen nach sich ziehen. Die Zerstörung einer seit 1860 bestehenden Einheit wurde hier geltend gemacht, wenn der Name ›Georgsmarienhütte‹ nicht erhalten bliebe, und damit war auch die Zerstörung einer Erinnerungsfigur, mehr noch: eines Konzeptes, gemeint. Dieses lautete für das Werk: eine starke Bindung der Menschen in der Region ans Werk und das Mittragen werkseigener Belange durch die Menschen vor Ort. Dieses Anliegen war konkret: »Bitte bedenken Sie […] daß […] ein Werk die besseren Chancen hat, mit dessen Name sich ein bedeutender Bevölkerungsverband identifiziert.«1719 Durch den Brief erhielten die Georgsmarienhütter Ratsleute starken Rückenwind der Klöckner-Werke und boten in den nächsten drei Wochen sämtliche bereits gesicherte Verhandlungsmasse auf, um die Oeseder zur Annahme des Namens zu drängen. Gleichzeitig drohten sie mit dem Abbruch der Verhandlungen. Die Oeseder reagierten erwartungsgemäß. Sie wollten die Ver1714 »Bedenken der Klöckner-Direktoren zu ›Dütenau‹ reichlich verspätet«, NOZ, 15. April 1969. 1715 Ebd. 1716 Ebd. 1717 Ebd. 1718 Ebd. 1719 Ebd.

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handlungen auf keinen Fall scheitern lassen und nutzten die Namensfrage, um Stück für Stück entscheidende Positionen zurückzuerobern, mit denen sie nach der Stadtgründung wichtige Weichen würden stellen können. Dennoch forderte all dies von den Beteiligten am Ende einen hohen Tribut, dessen Tragweite einigen Oeseder Ratsleuten erst später klar wurde: die Aufgabe des selbstgewählten, neutralen, als Kompromiss gedachten Gemeindenamens. In der Sitzung am 18. April 1969 wurden alle Ratsleute noch einmal darauf eingeschworen, die Zusammenlegung nicht am Namen scheitern zu lassen. Unter diesem Druck stimmte der Oeseder Rat am 19. April 1969 für die Annahme des Gebietsänderungsvertrages, der den Namen ›Georgsmarienhütte‹ für die neue Großgemeinde vorsah.1720 Als die NOZ am darauffolgenden Montag »Stadt mit 20.000 Einwohnern: Georgsmarienhütte«1721 titelte, wurde der Bevölkerung in Oesede klar, dass die neue Gemeinde nicht ›Dütenau‹, sondern ›Georgsmarienhütte‹ heißen würde. Am 5. Mai 1969 erschien der erste Leserbrief von Franz Trentmann, der den Gemeinderäten von Oesede und Harderberg vorwarf, in der Namensfrage »total überfahren«1722 worden zu sein und sich vor allem dem Einfluss der KlöcknerWerke gebeugt zu haben. Es sei naiv zu glauben, dass Entlassungen und Produktionsverlagerungen aufzuhalten wären, nur weil die Ratsleute »umgefallen«1723 seien. Der Leserbrief stellte nur die Spitze des Eisbergs dar. Die Öffentlichkeit, die während der Aushandlung ohnehin nur im geringen Maße eingebunden worden war,1724 führte nun die Debatte um den Namen im außerparlamentarischen Bereich. Innerhalb weniger Tage formierte sich in Oesede eine Bürgerinitiative,1725 um die es im folgenden Kapitel geht.

4.3.4. Der Oeseder Bürgerprotest In den nächsten Wochen erstellten Bürger_innen im Namen ihrer jeweiligen Vereine mehrere gelbe Handzettel, die als »gelbe Gefahr«1726 in die Stadtgeschichte 1720 Siehe Kap 4.2.2. Neuansatz für eine große Lösung, S. 247. Der Aushandlungsprozess wird dort ausführlich beschrieben. Hier wird er nur noch einmal kurz skizziert, sofern für das Verständnis des Kapitels notwendig. 1721 »Stadt mit 20.000 Einwohnern: Georgsmarienhütte« NOZ, 21. April 1969. 1722 Leserbrief: »Schuldig geblieben« von Franz Trentmann, NOZ, 5. Mai 1969. 1723 Ebd. 1724 Erst nach der Abstimmung kommt im Oeseder Gemeinderat der Gedanke auf, dass »die breite Öffentlichkeit […] einen Anspruch darauf [habe], eingehend informiert zu werden.« Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 23. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1725 Bürgerinitiativen sind informelle Bündnisse von begrenzter Lebensdauer zu einem bestimmten Thema. Definition nach Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 12. 1726 »Flugblatt ›Gelbe Gefahr‹ und die recht merkwürdigen Hintergründe«, NOZ, 10. Mai 1969.

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eingegangen sind. Das erste Flugblatt, eigentlich eine Postwurfsendung an alle Haushalte, war unterzeichnet von der Kolpingsfamilie Oesede, dem Gesangverein Harmonia Oesede, dem Ortslandvolkverband, dem Wirteverein, den Katholischen Arbeiterbewegungen von Hl. Geist und St. Peter und Paul und der Schützengesellschaft Oesede-Dörenberg.1727 Auf dem zweiten Blatt haben weitere Vereine und Verbände unterzeichnet. Hinzu kamen der Bund der Vertriebenen, das Oeseder Landvolk, die Heimatgemeinde Oberschwedeldorf und der Förderkreis der Deutschen Jugend des Ostens. Der Ortslandvolkverband Oesede tauchte ab dem zweiten Blatt nicht mehr auf. Der größte Verein Oesedes, der Sportverein, fehlte bei der ganzen Aktion. Ziemlich genau wurde der Unmut der Bürger_innen im ersten Flugblatt umrissen: Der jahrelang kommunizierte Kompromiss, den eigenen Gemeindenamen aufzugeben und einen neutralen Namen für die neue Großgemeinde zu wählen, sei innerhalb weniger Stunden »über Bord geworfen«1728 worden; der Brief des Klöckner-Direktoriums habe eine freie Entscheidung der Ratsleute verhindert; »das persönliche Geltungsbedürfnis [habe] eine gewachsene Meinung [ge]ändert«,1729 und die 1.100jährige Tradition sei einem Namen geopfert worden, den die Bevölkerung nicht wolle. Zusätzlich war eine Unterschriftenaktion gegen den Namen ›Georgsmarienhütte‹ gestartet worden, die 3.500 Unterschriften sammeln konnte und als Eingabe von Wilhelm Suerbaum, Mathias Westerheide und Gerhard Mandel beim Oeseder Rat eingereicht wurde.1730 Die Vereine stellten einen breiten Querschnitt durch die Bevölkerung dar und die Unterschriftenliste mit den 3.500 Unterschriften repräsentierte einen Großteil der wahlberechtigten Personen in Oesede. Die Beschwerdeführer_innen sind zwei Lagern zuzuordnen, die sich vermutlich auch überlappen: dem katholisch-kirchlichen Bereich und dem Umfeld der Flüchtlinge und Vertriebenen.1731 Ratsherr Josef Dälken, der am konsequentesten Opposition gegen den

1727 Postwurfsendung an alle Haushalte vom 6. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2. 1728 Ebd. 1729 Ob hier Siepelmeyer gemeint war, der die Zusammenlegung nicht an der Namensfrage scheitern lassen wollte, muss offen bleiben, ebd. 1730 Suerbaum, Westerheide und Mandel an den Rat der Gemeinde Oesede, Schreiben vom 24. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35/35 Nr. 3; Protokoll einer Besprechung mit Oeseder Vereinen und Verbänden und Oeseder Ratsleuten am 11. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1731 Joachim Kuropka: Effizienz oder Identität. Verwaltungsreform – Neugliederung – Gebietsreform, in: Die Gemeinde zwischen Territorialherrschaft und Selbstverwaltung. Beiträge zum 7. Studientag des Geschichtsausschusses im Heimatbund für das Oldenburger Münsterland, Cloppenburg 2005, S. 73–110, hier S. 105.

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Namen ›Georgsmarienhütte‹ gemacht hatte, und sein Ratsmandat im April 19691732 niederlegte, gehörte zum kirchlichen Lager. Rasch holten Oeseder Rat und Verwaltung nach, was bisher unterblieben war : die Einbeziehung der Bevölkerung in den Aushandlungsprozess. Eine Bürgerversammlung1733 wurde schnell auf den Weg gebracht, ein Gespräch mit Vereinen und Verbänden, die sich an der 1.100-Jahr-Feier beteiligen wollten1734 und zwei Gespräche mit »den Beauftragten der Oeseder Vereine und Verbände«,1735 also mit den Beschwerdeführer_innen, fanden im Mai/Juni 19691736 und am 24. Oktober 1969 statt.1737 Aus den protokollierten Gesprächen und dem ersten Flugblatt geht hervor, was die Bürger und möglicherweise auch Bürgerinnen so in Harnisch brachte, dass sie zu Instrumenten der außerparlamentarischen Opposition griffen. Der Protest richtete sich nicht gegen den Zusammenschluss an sich, sondern gegen den Umgang der politisch Verantwortlichen mit der Bevölkerung. Ob der Rat sich gescheut habe, die Öffentlichkeit über die beschlossenen Maßnahmen zu unterrichten, fragte einer der 300 Bürger_innen, der zu der Bürgerversammlung ins Capitol gekommen war.1738 Ob der Rat der Meinung sei, dem Willen der Bevölkerung mit dem Gebietsänderungsvertrag zu entsprechen, hieß es an anderer Stelle.1739 Die mangelnde Transparenz des Aushandlungsprozesses wurde ebenfalls moniert: »Hier wurden nicht mehr unsere Interessen gewahrt, sondern Kompromisse ausgehandelt, deren Hintergründe wir wohl nie erfahren werden«,1740 wurde im ersten Flugblatt geäußert. Der aus dem Rat ausgetretene Ratsherr Dälken erzählte in der Bürgerversammlung, dass er am Vorabend der öffentlichen Abstimmung über den Ge1732 »Rat von Oesede stellt sich der Bevölkerung«, NOZ, 12. Mai 1969. Dälken kündigte seinen Rücktritt mit einem Schreiben vom 28. April 1969 an den Ratsvorsitzenden an. Erwähnt in einem undatierten Leserbrief an die NOZ, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12, Ordner 40 Teil 3. 1733 Protokoll einer Bürgerversammlung am 14. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1734 Protokoll eines Gesprächs mit Vertretern Oeseder Vereine und Verbände und mehreren Ratsherren zur Vorbereitung der 1.100 Jahrfeier am 12. Mai 1969, ebd. 1735 Protokoll einer Besprechung mit Oeseder Vereinen und Verbänden und Oeseder Ratsleuten am 11. Juni 1969, ebd. 1736 Ein weiteres Gespräch mit den Vertretern der Oeseder Vereine, die das Flugblatt unterzeichnet haben, findet statt am 24. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 3. 1737 Einladung erfolgte mittels einer Postwurfsendung, ebd. 1738 Protokoll der Bürgerversammlung am 14. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1739 Protokoll einer Besprechung mit Oeseder Vereinen und Verbänden und Oeseder Ratsleuten am 11. Juni 1969, ebd. 1740 Postwurfsendung an alle Haushalte vom 6. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2.

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bietsänderungsvertrag um Vertagung gebeten hätte. Er habe aber mit seinem Wunsch kein Gehör gefunden. Ein Satz aus dem ersten Flugblatt zeugte von Insiderwissen der letzten Ratssitzung am 18. April 1969: »Man scheute im Oeseder Rat nicht davor zurück, einzelne Ratsherren durch stundenlange Überredungskünste zur Aufgabe ihrer eigenen Meinung zu bewegen.«1741 Ein Bürger warf den Ratsherren vor, dass der Name ›Georgsmarienhütte‹ nicht hätte angenommen werden dürfen, »ohne daß zuvor die Bevölkerung in geeigneter Weise aufgeklärt wurde.«1742 Die Abstimmung hätte vertagt werden müssen, war auch seine Meinung. Die Ratsleute rechtfertigten sich zunächst. In einer vierseitigen Stellungnahme versuchten sie zu erklären, was hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde. Die Gemeinde Georgsmarienhütte habe aufgrund ihres »erheblich umfangreicheren Haushaltetat[s]«1743 bei einer Zusammenlegung nicht viel für sich gewinnen können. Die Gemeinde Georgsmarienhütte hätte Sorge sowohl vor zu viel Einfluss des Verhandlungspartners Oesede gehabt als auch vor der Möglichkeit, dass »noch 24 Stunden vor der entscheidenden Abstimmung eine Ablehnung«1744 der Zusammenlegung »so gut wie sicher war«,1745 wenn der Name nicht erhalten geblieben wäre. Da aber ein Zusammenschluss aus Sorge um die Arbeitsplätze insbesondere bei den Klöckner-Werken wünschenswert gewesen sei, hätten die Ratsleute für die Annahme des Namens gestimmt. Die Ratsleute warfen die Frage auf, wer die Verantwortung übernehmen wolle, wenn ihre Kinder ihnen später vorwerfen würden, man habe aus »lokalpolitischem Egoismus«1746 nicht alles getan, um die Zukunft des ›Raumes‹ zu sichern? Zwar wäre es für alle einfacher gewesen, den Namen ›Georgsmarienhütte‹ vor der Abstimmung demokratisch zu diskutieren, »das hätte jedoch bedeutet, daß der Zusammenschluß für lange Zeit verhindert worden wäre.«1747 Nachträglich versuchte der Gemeinderat jene Transparenz herzustellen, die nach Abschluss der Verhandlungen zum Gebietsänderungsvertrag von den Bürger_innen vermisst wurde. Die Stellungnahme wurde von Rolfes mit der Bitte um Veröffentlichung an die Presse weitergegeben, die sie leicht überarbeitet am 7. Mai 19691748 abdruckte. 1741 Ebd. 1742 Protokoll der Bürgerversammlung am 14. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1743 Pressemitteilung der Fraktionen des Oeseder Gemeinderates vom 5. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2. 1744 Ebd. 1745 Ebd. 1746 Ebd. 1747 Ebd. 1748 »Sollte Zusammenschluß am Namen scheitern? Ratsfraktionen von Oesede nehmen Stellung«, NOZ, 7. Mai 1969.

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Ludwig Siepelmeyer verfolgte eine andere Strategie als der übrige Rat. Sein Einwand in einem der Gespräche mit Vereinen und Verbänden, dass im Grundgesetz eine Form der »Repräsentativ-Demokratie«1749 festgelegt worden sei, wurde nicht zur Kenntnis genommen. Als er erkannte, dass die Beschwerdeführer das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen wollten und sogar darum baten, »den Schritten, die die Oeseder Vereine und Verbände im Hinblick auf die Namensgebung unternehmen würden, von Seiten des Rates nichts in den Weg zu legen«,1750 änderte er seine Strategie. Vor dem Hintergrund, da Rat und Verwaltung vor den Bürger_innen offen zugeben mussten, an dem einmal geschlossenen Vertrag »im Augenblick leider nichts«1751 ändern zu können, stimmte er dem Vorgehen der Beschwerdeführer zu, auf welche Weise auch immer aktiv zu werden. In den nächsten 30 Jahren werde es kein Ortsgefühl mehr geben wie es jetzt existiere. »Man dürfe sogar annehmen, daß der für die Großgemeinde gefundene Name diesen Umstand noch verstärken werde«,1752 schürte er die negativen Emotionen für den Namen ›Georgsmarienhütte‹1753 und forderte damit zum Handeln auf, da ihm selbst als offizieller Befürworter des Namens ›Georgsmarienhütte‹ die Hände in dieser Sache gebunden seien.1754 Was die Beschwerdeführer genau unternehmen wollten, um gegen die Namensgebung vorzugehen, wurde in den Protokollen nicht mitgeteilt, in einem späteren Flugblatt erwähnten die Akteure allerdings Eingaben und Anfragen. Was auch unternommen werden sollte, Bürgermeister Siepelmeyer hatte nichts dagegen. Als Einwohner_innen übergangen worden zu sein, war der eine Kritikpunkt, der andere betraf das Verhandlungsergebnis im Hinblick auf den Namen. Was brachte die Oeseder Bürgerinitiative gegen den Namen ›Georgsmarienhütte‹ vor? Bei einer Eingemeindung ist die Kontinuierung des Namens der größeren Gebietskörperschaft unstrittig. Keine der Umlandgemeinden stritt sich mit Osnabrück über den Namen. »Wenn Städte fusionieren, gilt […] das Recht des Stärkeren«,1755 stellt Huismann in einer Untersuchung über Wahl der Gemein1749 Protokoll einer Besprechung am 11. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1750 Ebd. 1751 Protokoll einer Besprechung mit Oeseder Vereinen und Verbänden am 12. Mai 1969, ebd. 1752 Protokoll einer Besprechung am 11. Juni 1969, ebd. 1753 Die Quelle des Gemeinsinns werde zum Vertrocknen gebracht, dieser Ansicht war auch der Ökonom Hans Hirsch in Bezug auf die Ortsnamen, vgl.: Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 299. 1754 Franz Meyer zu Oesede sah sogar in Ludwig Siepelmeyer den Initiator der Flugblattaktion, Franz Meyer zu Oesede an Josef Tegeler, Schreiben vom 18. Mai. 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12, Ordner 40, Teil 4. 1755 Jan A. Huismann: Gemeindenamengebung, in: Rudolf Schützeichel (Hg.): Ortsnamenwechsel, Heidelberg 1986, S. 54–70, hier S. 56.

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denamen bei der Gebietsreform fest. Mit der Festlegung des Namens wird auch die stärkere Gemeinde festgelegt. Als diese sahen die Oeseder ihre Gemeinde: »Wir sind nach wie vor der Meinung, daß es Oesede als größter Gemeinde mit 1.100jähriger Tradition zugestanden hätte, der neuen Gemeinde den Namen zu geben«,1756 äußerte sich einer der Vertreter, der die Flugblattaktion mit unterschrieben hatte. Mit Einwohner_innenzahl, Fläche und dem Alter der Gemeinde von 1.100 Jahren wurde die »Vorrangstellung«1757 Oesedes begründet. Die Oeseder Bürger_innen fühlten sich in dem Machtkampf mit den Georgsmarienhüttern ungerechtfertigterweise unterlegen. »Psychisch komme die Namensgebung einer Eingemeindung gleich«,1758 beschrieb Josef Dälken den emotionalen Zustand der protestierenden Oeseder_innen. Kritik an dem Namen selber wurde kaum geäußert. Lediglich ein Bürger führte bei einer Kundgebung aus, dass der Name sich nicht der Landschaft anpasse.1759 Ludwig Siepelmeyer äußerte sich natürlich auch zum Namen selber. Ihn störe die »Praktibilität und die daraus resultierende Sprech- und Schreibweise«1760 des Namens und meinte damit die Länge von 17 Buchstaben und die Abkürzung ›Gmhütte‹. Ausführlich äußerte er sich zum Namen erst in seiner Stellungnahme vor dem Innenausschuss am 28. Oktober 1969. Die Kluft zwischen Rat und Teilen der Bevölkerung war inhaltlich gesehen nicht besonders groß. Das Unbehagen über die Art, wie der Name verhandelt wurde, wurde durchaus geteilt. Durch Berichterstattung der Presse wurde die Kluft jedoch deutlich vergrößert. Doch zunächst sollte das gestörte Verhältnis zwischen Ratsleuten und Bevölkerung wieder ins Gleichgewicht kommen. Rolfes schrieb an den Redakteur Hofmeyer : »Sie wissen von den Schwierigkeiten in Oesede. Am Rande der Feier bei der Firma Hülsmann und Tegeler haben wir bereits darüber gesprochen.«1761 Dem Brief lagen ein »Waschzettel«1762 und das »Flugblatt«,1763 das ihn soeben erreicht habe, bei, mit der Bitte um Veröffentlichung »möglichst am 7. Mai«.1764 Er bat darum, den übersandten »Waschzettel« »journalistisch nicht so aufzubauen, daß er als Antwort auf dieses Flugblatt 1756 Protokoll einer Besprechung am 11. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1757 Ebd. 1758 Vermerk über die Kundgebung der Vereine und Verbände am 24. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 4. 1759 Ebd. 1760 Protokoll einer Bürgerversammlung am 14. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1761 Rolfes an Hofmeyer, Schreiben vom 5. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2. 1762 Ebd. 1763 Ebd. 1764 Ebd.

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gilt«,1765 das beim Verfassen der Mitteilung noch gar nicht vorgelegen habe. Der »Waschzettel«1766 war die vierseitige Stellungnahme der Oeseder Ratsleute zu ihrer Entscheidung für den Namen ›Georgsmarienhütte‹, der wunschgemäß am 7. Mai 19691767 gedruckt wurde. Der Redakteur Hofmeyer schien sich aber auch selber umgehört zu haben. In einem Kommentar zum Bericht über die Postwurfsendung fasste er das Gehörte zusammen. Gerüchte, die bisher nicht öffentlich geäußert worden waren, gelangten so in die Zeitung: Die Bürgerinitiative behaupte, die Klöckner-Werke hätten die Oeseder Ratsleute bestochen, andere behaupteten die Unterschriftensammler würden für ihre Tätigkeit bezahlt,1768 und somit gar nicht aus Interesse an der Sache unterwegs sein. Überdies machte sich die Bürgerinitiative mit einem Mitglied der NPD, das gleichzeitig in einem der Flugblatt unterzeichnenden Vereine Mitglied sei, gemein. Zusätzlich schüttete die NOZ Öl ins Feuer, als sie von einer Belegschaftsversammlung berichtete, auf der der Arbeitsdirektor Karl Sporbeck die aufgebrachten Oeseder als »wildgewordene Handfeger«1769 bezeichnet haben soll, und sie berichtete, dass Landrat Tegeler bei einer Debatte über den neuen Zuschnitt des Landkreises die Bürger, »die zur Zeit in Oesede den ›Aufstand proben«,1770 scharf kritisiert habe. Beide Artikel und der Kommentar vertieften entgegen der Absicht Rolfes die Kluft zwischen Rat und Bürger_innen und brachten die Beschwerdeführer_innen erst Recht in Rage. Ein zweites Flugblatt erschien und nahm dazu ausführlich Stellung. »Mitglieder des Rates wollen uns zum Schweigen bringen. Wir glauben nicht, daß es die Mehrheit ist. Bei diesem Versuch bekommen sie tatkräftige Hilfe von außen. Das können Sie in der Zeitung lesen«,1771 begann es. Das NPD-Mitglied sei auch bei den Vorbereitungen zur 1.100-Jahr-Feier von der Gemeinde geladen gewesen, niemals habe man behauptet, dass Oeseder Ratsleute in der Namensfrage bestochen worden seien, und im Übrigen arbeiteten die Unterschriftensammler der Bürgerinitiative ehrenamtlich.

1765 Ebd. 1766 Ebd. 1767 »Sollte der Zusammenschluß am Namen scheitern? Ratsfraktionen von Oesede nehmen Stellung«, NOZ, 7. Mai 1969. 1768 »Flugblatt ›Gelbe Gefahr‹ und die recht merkwürdigen Hintergründe«, NOZ, 10. Mai 1969. 1769 »Wiedergeburt des Werkes Georgsmarienhütte«, NOZ, 10. Mai 1969. 1770 »Wird der Landkreis geteilt, fordern wir ein Volksbegehren«, NOZ, 8. Mai 1969. Landrat Tegeler bestritt, diese Aussage gemacht zu haben, Josef Tegeler an Franz Meyer zu Oesede, Schreiben vom 13. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12, Ordner 40, Teil 4. 1771 Postwurfsendung vom 13. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2.

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Die Akteure betonten noch einmal, dass sie mit demokratischen Mitteln versuchen wollten, die Gemeinde Oesede zu retten.1772 Die Aussage dieses Blattes war die gleiche wie in allen protokollierten Gesprächen zwischen Bürger_innen und Ratsleuten: »Trotzdem erklären wir noch mal, daß sich unsere Aktion nicht gegen den Zusammenschluß der Gemeinden richtet, sondern einzig gegen den Namen und die Art der Namensgebung.«1773 Der nächste Artikel in der NOZ bezog sich auf die Bürgerversammlung am 14. Mai 1969. Auf dieser Versammlung sei auch der Landkreisredakteur beschimpft worden, berichtete die Tageszeitung. Die NOZ sei »bis zur letzten Sekunde für einen neutralen Namen«1774 eingetreten und habe die »Einmischung des Klöckner-Direktoriums«1775 kritisiert. Wegen des Kommentars Jürgen Hofmeyers am 10. Mai 1969 über die »merkwürdigen Hintergründe des Flugblattes« rechtfertigte sich Hofmeyer in dem Bericht über die Bürgerversammlung, seine Worte seien nur gegen den Stil, nicht aber gegen die berechtigte Kritik der Oeseder gerichtet gewesen. Von einem schlechten Stil, der von allerhand Gerüchten wie bestochenen Ratsleuten oder bezahlten Unterschriftensammlern getragen wurde, zeugte aber keines der Flugblätter. Hier wurde lediglich Transparenz und Mitbestimmung in einer wichtigen Entscheidung gefordert. Eine Tatsache, die auch der Redakteur schließlich einsehen musste. Er leistete indirekt Abbitte, indem er den engagierten Oesedern Interesse für Kommunalpolitik bescheinigte. Mehr Zeit, mehr Transparenz, mehr öffentliche Diskussion, mehr Unabhängigkeit, mehr Achtung vor der 1.100jährigen Tradition, vor dem Bürgerwillen und vor der Unabhängigkeit der einzelnen Ratsmitglieder – all dies forderten die Bürger_innen mit ihrer Flugblattaktion und in den nachfolgenden Gesprächen ein.1776 Im Mittelpunkt des Konfliktes stand jedoch das Gefühl der Oeseder_innen, von ihren Ratsleuten und ihrem Bürgermeister in der Frage der Namensgebung nicht entsprechend vertreten worden zu sein und ohnmächtig den Namen der Nachbargemeinde annehmen zu müssen, der in enger Verbindung zur Stahlindustrie stand und ihnen zudem unpraktisch und zu lang schien. 1772 Ebd. »Wir handeln nur, weil wir auf so eine traurige Weise unser Oesede nicht verlieren wollen.« 1773 Ebd. 1774 »Kritik der Oeseder Bürger richtet sich gegen den Namen Georgsmarienhütte und die unterlassenen Informationen«, NOZ, 17. Mai 1969. 1775 Ebd. 1776 Politisches Engagement erschöpfte sich lange Zeit in der Wahlbeteiligung. Erst Ende der 1960er Jahre und im Zuge der 1970er Jahre wurden Unterschriften-Sammlungen, Demonstrationen und Streiks gang und gäbe, um Mitbestimmung einzufordern. Vgl.: Dieter Gunow/Hildegard Pamme: Kommunale Verwaltung: Gestaltungsspielräume und Ausbau von Partizipationschancen? in: Frese/Paulus/Teppe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbau, S. 505–547.

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Der Oberkreisdirektor Backhaus, der bei der Bürgerversammlung am 14. Mai 1969 dabei war, fasste den Widerstand gegen den Namen in einem Brief an den Innenminister so zusammen: »Zu der dort deutlich erkennbaren Erregung der Oeseder Bürger mag die Art des Bürgermeisters Siepelmeyer aus Oesede beigetragen haben, der sich mit einer Leidenschaft, die häufig kraftvollen sprachlichen Ausdruck erhielt, für den Zusammenschluß auch unter dem Namen ›Georgsmarienhütte‹ eingesetzt hat.«1777

Der Widerstand, so schrieb er weiter, sei »vorwiegend von Emotionen gesteuert, die zum Teil weltanschaulichen Ursprungs sind. Auch spielen persönliche Empfindsamkeiten eine Rolle.«1778

Welchen weltanschaulichen Ursprungs die Gefühle und die persönlichen Empfindsamkeiten der Oeseder sein mochten, wurde nicht mitgeteilt. Es liegt jedoch nahe, dass Backhaus sich auf den Inhalt der Briefe bezog, die Oeseder an Mandatsträger im Landtag und Bundestag verschickten. Von den überlieferten Briefen bezogen sich zwei auf die ungewollte Umgemeindung von Oeseder Parzellen nach Georgsmarienhütte während des ›Dritten Reiches‹.1779 Backhaus sprach aber nicht von dem Ereignis selbst, sondern versteckte sich hinter dem Begriff ›weltanschauliche Emotionen‹. Auch Backhaus griff die Bedenken der Oeseder Bürger_innen gegen die Endung ›-hütte‹ im Ortsnamen auf. Ohne das Problem mit der Endung weiter auszuführen, plädierte er für den Erhalt wenigstens eines bisherigen Namens. Während der Name ›Oesede‹ nur zu einem geringen Teil Bezug zur Bevölkerung habe, hätten die Oeseder zu einem überwiegenden Teil Arbeit »in den Georgsmarienwerken«1780 und damit auch Bezug zum Namen ›Georgsmarienhütte‹. »Es ist daher gerechtfertigt, wenn die neue Gemeinde den Namen des Hüttenwerkes erhält, das die Landschaft und die Wirtschaftsstruktur dieses Raumes in den vergangenen hundert Jahren entscheidend geprägt hat«,1781 bezog er eindeutig Stellung.1782 1777 OKD Backhaus an den Nds. Minister des Innern über den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1778 Ebd. 1779 Eine Sammlung von Briefen, die gegen den Namen ›Georgsmarienhütte‹ Stellung beziehen, befindet sich unter NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12, Ordner 40, Teil 3. 1780 OKD Backhaus an den Nds. Minister des Innern über den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 1781 Ebd. 1782 Ähnlich auch im Fall Leverkusen. Die Stadt Leverkusen entstand aus einer Werksiedlung, die benannt wurde nach dem Firmengründer eines Chemiewerkes mit dem Namen Leverkus. Die Siedlung in der Gemeinde Wiesdorf wuchs beständig und mündete 1930 in einer Stadtgründung durch Zusammenschluss mit anderen Gemeinden. Bereits damals stand außer Frage, dass Leverkusen namengebend für die neue Stadt sein würde. Inner-

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Insgesamt zeigen die Reaktionen von Landrat, Verwaltung, Ratsleuten, des größten Arbeitgebers und der Presse, wie neu die Form des Bürgerprotestes war. Man war empört, und einige scheuten sich nicht, ihren Unmut öffentlich auszusprechen. Immerhin bemühten sich alle Beteiligten nach dem Ausbrechen des Konfliktes darum, miteinander zu reden. Nachdem der Innenausschuss sein Kommen für Ende Oktober 1969 angekündigt hatte, beruhigte sich die Debatte im öffentlichen Raum. Die Namensgegner waren in dieser Zeit aber nicht untätig. Briefe und Eingaben an die Adresse des Landtags wurden geschrieben und abgeschickt.1783 Da im vorauseilenden Gehorsam das Einverständnis von Rat und Bürgermeister über dieses Vorgehen der Beschwerdeführer_innen eingeholt wurde, deutete sich an, dass hier nicht der grundsätzliche Bruch herbeigeführt werden sollte, sondern ein neuer Konsens. Der Gebietsänderungsvertrag wurde erst per Gesetz durch den Landtag ratifiziert, also bestand grundsätzlich die Möglichkeit, dass der Landtag einen anderen Namen für die Großgemeinde bestimmen könnte. Der Landtag folgte in der Regel den Empfehlungen des Innenausschusses, der die Gebietsreform im Land Niedersachsen mittels Bereisung und Anhörung in ausgewählten Gemeinden begleitete. Sowohl der Landtagsabgeordnete Josef Tegeler als auch Oberkreisdirektor Backhaus bemühten sich um einen Besuch des Innenausschusses bei den Kommunen des Untersuchungsgebietes. Dieser sagte sein Kommen für den 28. Oktober 1969 zu. Bis dahin positionierten sich die Akteure neu.

4.3.5. Positionierung der Namensgegner und -befürworter Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrags wurde ein Interimsausschuss gebildet, der sich aus den jeweiligen Verwaltungsausschüssen der drei Gemeinden zusammensetzte. Dieser tagte das erste Mal am 24. Juni 1969. Die Oeseder Bürgerinitiative, vertreten durch die drei Beschwerdeführer, die auch schon die Unterschriftenliste an den Oeseder Rat übergeben hatten, Mathias Westerheide, Gerhard Mandel und Wilhelm Suerbaum, wollten im halb der Gebietsreform 1974 Jahr fungierte Leverkusen ebenfalls als Namensgeberin gegenüber den sehr viel älteren Städten Opladen und Bergisch Neukirchen. Die Stadt Leverkusen sei kreisfrei und stelle den größten Flächenanteil sowie den größten Bevölkerungsanteil an der neuen Gebietskörperschaft, vgl.: Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 296. 1783 Die Schreiben ergingen außer an den Rat der Gemeinde, an den Oberkreisdirektor, an den Regierungspräsidenten, an die Fraktionen und an den Innenausschuss des Landtages. Postwurfsendung III, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 3. Weitere Briefe befinden sich unter NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12 Ordner 40, Teil 3.

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Anschluss an die Sitzung ein Gespräch mit dem Ausschuss führen. Dies lehnten die Ratsleute aus Georgsmarienhütte mit der Begründung ab, sie sprächen nur mit politischen Parteien oder deren Abordnungen, nicht aber mit Vertretern von Vereinen und Verbänden. Im Übrigen seien sie nicht bereit, »noch einmal über den Namen zu diskutieren«.1784 Die Beschwerdeführer erlebten dies als eine Demütigung, die sie veranlasste, ein drittes Flugblatt zu verfassen. Auch der Oeseder Rat fühlte sich verpflichtet, wenigstens einen Versuch zu starten, die Namensfrage neu zu verhandeln. Dazu ergab sich schon bald eine Gelegenheit: Das ehemalige Knappschaftskrankenhaus in der Gemeinde Georgsmarienhütte war ein wesentlicher Kostenfaktor. Jahr für Jahr schoss der Landkreis zum Ausgleich des Defizits eine nicht unerhebliche Summe zu. Die Georgsmarienhütter jedoch mochten das Krankenhaus nicht schließen und schöpften alle Möglichkeiten der Finanzierung aus. Die Ratsleute fragten Mitte der 1960er Jahre sogar die Gemeinde Oesede, ob sie sich an den Kosten beteilige.1785 Zu diesem Zeitpunkt lagen schon Pläne vor, das Haus zu sanieren. Im Gebietsänderungsvertrag stand die Sanierung des Krankenhauses mit an oberster Stelle. Unter § 10 des Gebietsänderungsvertrages hieß es, dass die Gemeinde Georgsmarienhütte »die Modernisierung des Krankenhauses«1786 erwarte. Doch bei einem nach Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages stattfindenden Gespräch der Georgsmarienhütter Ratsherren mit dem Sozialministerium hatte Bürgermeister Stahlmann die Möglichkeit, eine Langzeitliegerabteilung einrichten zu lassen und einen Anbau zu errichten. Nur mit 40 zusätzlichen Betten und einem neu angestellten Internisten könne die Gemeinde das Krankenhaus wirtschaftlich führen.1787 Das wiederum begeisterte die Oeseder nicht, die sich nach Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages und vor der offiziellen Zusammenlegung regelmäßig trafen, um sich für die Zeit nach der Zusammenlegung bei allen Vorhaben abzustimmen. Bürgermeister Siepelmeyer könne die Krankenhausangelegenheit »von der wirtschaftlichen Seite und von der Standortfrage nicht bejahen.«1788 Ratsherr Meyer zu Oesede sah gar das ganze Projekt »Wirtschaftsförderung«1789 gefährdet, das »unnötig unter den

1784 Protokoll der Interimssitzung am 24. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 4, Ordner 2. 1785 Vermerk vom 21. Januar 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 6. 1786 Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 4, Ordner 1. 1787 Protokoll über eine Besprechung der Verwaltungsausschüsse am 20. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b 186. 1788 Ebd. 1789 Ebd. »Was ist, wenn die Gebietsreform fertig ist und wir müssen etwa 400.000,– aufbringen,« notierte sich Ratsherr Meyer zu Oesede auf einer Vorlage über die Krankenhauskosten, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12, Ordner 40, Teil 3.

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Krankenhausfolgelasten zu leiden«1790 habe. Ein größerer Konflikt deutete sich an. Unmittelbar bevor der Innenausschuss den Kommunen im Untersuchungsgebiet einen Besuch abstattete, bot Bürgermeister Siepelmeyer dem Georgsmarienhütter Rat an, die Kosten für das Krankenhaus ohne Diskussion zu übernehmen, »wenn auf der anderen Seite Georgsmarienhütte einer Namensänderung zustimmen würde.«1791 Das Ansinnen wurde von Georgsmarienhütter Ratsleuten als völlig indiskutabel zurückgewiesen. Mit dem Beitritt weiterer Gemeinden wurde versucht, das Vertragswerk noch einmal grundsätzlich neu zu verhandeln. Als im Spätsommer die Gemeinde Kloster Oesede dem Georgsmarienhütter Gemeinderat mitteilte, dass der Rat einen Zusammenlegungsausschuss gebildet habe, um der »Dütestadt«1792 [Hervorhebung im Original I.B.] beizutreten, reagierten die Georgsmarienhütter Ratsleute sofort mit ablehnender Haltung. Der Gebietsänderungsvertrag werde nicht neu verhandelt, eine Änderung des Namens in »Dütestadt«1793 werde es mit ihnen nicht geben. Das Verhalten der Georgsmarienhütter wurde in einem Leserbrief mit dem Begriff »Bockbeinigkeit«1794 umschrieben. Als der Innenausschuss Anfang September 1969 sein Kommen ankündigte, wurde das Klöckner-Direktorium, das seit Ausbrechen des Konfliktes das Geschehen aufmerksam verfolgte, wieder aktiv. Die Entwicklung wurde vom Werksdirektorium mit Missfallen aufgenommen. Der Ausschuss könnte den Vertrag und damit die Namensgebung ins Wanken bringen. Tegeler musste sich vor den Herren rechtfertigen: Er sei in die Enge getrieben worden, aber der Innenausschuss komme nicht wegen des Namens, sondern wegen der Beispielhaftigkeit des Vertrages,1795 versuchte er die Herren zu beruhigen. Auch mit Heinz Müller, dem Vorsitzenden des Innenausschusses, wurde Kontakt aufgenommen. Dieser bestätigte in einer inoffiziellen Mitteilung an das Werk, dass man nicht beabsichtige, die Namensfrage zu erörtern, »sondern als gegeben hinzunehmen und dem Besuch in Oesede nur einen Informationscharakter zu geben.«1796 Während der ganzen Phase wurden Briefe an verschiedene Mandatsträger geschrieben, von denen eine Resolution Oeseder Bürger_innen und drei Briefe im Archiv des Landtages aufbewahrt werden.1797 16 weitere Briefe befanden sich 1790 Protokoll über eine Besprechung der Verwaltungsausschüsse am 20. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 4. 1791 Protokoll der VA-Sitzung am 24. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 82. 1792 Protokoll der VA-Sitzung am 6. August 1969, ebd. 1793 Ebd. 1794 Leserbrief von Eberhard Schröder, NOZ, 28. Juni 1969. 1795 Aktennotiz vom 10. September 1969, ebd. 1796 Ebd. 1797 Archiv des Nieders. Landtages PA 2001/06/IV- 057.

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bis 2017 in privater Hand. Selbst wenn nicht alle Briefe überliefert worden sind, geben sie einen guten Einblick in die Befindlichkeiten der Oeseder Bevölkerung. Sie decken sich in ihren Argumenten weitgehend mit den Argumenten auf den Flugblättern. Zwei Briefe fallen jedoch aus dem Rahmen. Einer war gerichtet an den Präsidenten des Niedersächsischen Landtages, Wilhelm Baumgarten, und wurde von siebzehn Oeseder_innen unterschrieben. In diesem Brief hieß es: »Im sogenannten ›Dritten Reich‹ wurde ein kleinerer Teil Oeseder Gebietes der Gemeinde Gmhütte zugeschlagen. Die Oeseder Bürger empfinden diese ›Eingemeindung‹ so, als wäre Gmhütte mit Teilen von Oesede noch nicht zufrieden und schlucke jetzt die gesamte Gemeinde auf einmal.«1798

Der Verweis auf die Umgemeindung einiger Parzellen im Jahr 1937 war nur in einem weiteren Brief enthalten. In einem anonymen Schreiben an den Vorsitzenden des Innenausschusses Heinz Müller stand: »Der Oeseder Bürger hat aus dem Dritten Reich nichts Gutes zu berichten. Oesede war gegen den Nationalsozialismus eingestellt, während man in GM-Hütte mehr daran Gefallen fand. Damals wurde auch ein Teil von Oesede nach GM- Hütte eingemeindet. Und jetzt soll es sogar ganz geschehen. Dagegen wehrt sich jeder Oeseder.«1799

Dieser Brief war deutlicher als der Unterschriebene, sprach klar aus, was im ›Dritten Reich‹ als Unrecht erfahren worden war und verwies auf die Nachbargemeinde, die Gefallen am Nationalsozialismus gefunden habe und in die man sich nun eingemeindet fühle. Doch warum wurde der Brief anonym versandt? Andernorts wurde das Argument der unrechtmäßigen Um- oder Eingemeindung ja auch öffentlich vorgetragen.1800 Die Tatsache der Umgemeindung im Jahr 1937 war offensichtlich, und dass in Georgsmarienhütte die nationalsozialistische Kreisleitung ihren Sitz hatte, war auch kein Geheimnis. Aber offensichtlich fiel es schwer, über diese Dinge zu sprechen.1801 Hier wird deutlich, dass das Schweigen über die Vorkommnisse im ›Dritten Reich‹ aufgebrochen wurde, aber 1798 Dieser Brief befindet sich nicht im Archiv des Landtages. Siebzehn Oeseder an den Präsidenten des Niedersächsischen Landtages Wilhelm Baumgarten, Schreiben vom 30. August 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12, Ordner 40, Teil 3. 1799 Anonymer Brief an den Vorsitzenden des Innenausschusses des Nieders. Landtages Heinz Müller, Schreiben Oktober 1969, ebd. 1800 Kuropka: Effizienz oder Identität, S. 81f. 1801 Etwa 15 Jahre nach Kriegsende kam es zu den ersten kritischen Nachfragen über die NSVergangenheit führender Politiker. Von einer Aufarbeitung in Kleinstädten war man allerdings noch weit entfernt. Bis weit in die 1980er Jahre sind vor allem dort blinde Flecken auszumachen, wo Biographien oder Gruppeninteressen durch Offenlegung von Verstrickungen in die Machenschaften des ›Dritten Reiches‹ Schaden nehmen könnten, vgl.: Norbert Frei, 1945 und Wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen. München 2005, S. 35 und 49.

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zunächst nur die Verfehlungen der anderen gesehen wurden.1802 Diese Perspektive war durchaus anfechtbar, denn der kühne Satz, Oesede sei gegen den Nationalsozialismus eingestellt gewesen, würde keiner Überprüfung standhalten. Dass die Oeseder Bevölkerung Wallrath Eichberg, der von 1941–1945 als Mitglied der NSDAP1803 von der Kreisleitung als Bürgermeister eingesetzt wurde, nach dem Krieg nach demokratischen Regeln ins gleiche Amt gewählt wurde, ist sicher kein Beleg für eine allzu große Distanz der Gemeinde zum Nationalsozialismus. Auch hat das Oeseder Narrativ der antinationalsozialistischen Haltung auch 1969 noch einen Schönheitsfehler : Eichberg holte 19481804 einen mit einer SA- und NSDAP-Vergangenheit belasteten ehemaligen Angestellten in die Verwaltung.1805 Sein Mitwirken bei der Beschlagnahme von Geldern einer kirchlichen Jugendgruppe in Oesede dürfte vielen in Erinnerung geblieben sein.1806 Überdies hatte die Gebietsreform von 1937 für Oesede nur Vorteile gebracht: Durch eine Entscheidung des Landrates Westerkamp bekam Oesede einen hauptamtlichen Bürgermeister und ein Rathaus, dessen voriger Besitzer durch »Drängen Zuspruch [durchgestrichen im Original I.B.]«1807 zum Verlassen seines Hofes veranlasst wurde. Argumente aus dem ›Dritten Reich‹ konnten sich leicht gegen den Verfasser des Briefes wenden, das wusste der Verfasser und blieb lieber anonym.

1802 Bis in die 1960er Jahre sahen sich die Deutschen als Opfer des Nazi-Terrors, vgl.: Christoph Cornelißen, Vergangenheitsbewältigung – ein deutscher Sonderweg? in: Katrin Hammerstein/Ulrich Mählert/Julie Trappe/Edgar Wolfrum (Hg.): Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit, Göttingen 2009, S. 21–36, hier S. 25. 1803 Entnazifizierungsakte Wallrath Eichberg, NLA OS Rep 980 Nr. 110 21. 1804 Die frühe Entkriminalisierung von NS-Tätergruppen ermöglichte schon bald nach dem Krieg, die Wiedereinstellung ehemaliger NSDAP-Mitglieder, vgl.: Cornelißen: Vergangenheitsbewältigung, S. 25. 1805 Die Entnazifizierungs- und Entlassungspraxis der Alliierten wurde in der Bevölkerung als ungerecht empfunden, dies provozierte harsche Kritik und führte zu einer weitergehenden Solidarisierung der Deutschen mit den Tätern, einhergehend mit einer Verharmlosung der Ereignisse des ›Dritten Reiches‹. Anfang der 1950er Jahre standen die Zeichen bereits auf Integration und Amnestie. Von den Gründungseltern der Bundesrepublik wurde erwartet, dass sie unter die politischen Säuberungen einen Schlussstrich zogen, vgl.: Norbert Frei, 1945 und wir, S. 30. In Oesede wurde somit der Schlussstrich mit Wahl des NS-Bürgermeisters Eichberg zum Nachkriegsbürgermeister und der Wiedereinstellung eines SA-Mannes ganz besonders früh gezogen worden. 1806 Mitgliedschaft in der SA und NSDAP, NLA OS Rep 980 Nr. 6322; Wiedereinstellung und Vorgang der Beschlagnahmung kirchlicher Gelder während der NS- Zeit, NLA OS Dep 81 b Nr. 182. 1807 Landrat an Regierungspräsidenten, Schreiben vom 20. März 1939, NLA OS Dep 104 II Akz 2000/040, Nr. 49.

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4.3.6. Der Innenausschuss des Niedersächsischen Landtages vor Ort Mit der Ankündigung des Besuchs des Innenausschusses Anfang September 19691808 keimte bei den Oeseder Akteuren noch einmal die Hoffnung auf, den Namen Georgsmarienhütte zu verhindern. Die Oeseder Gemeindeverwaltung organisierte den Besuch.1809 Die Aula der Realschule wurde für die Anhörung der fünf Verwaltungsausschüsse reserviert und sollte mit Gemeindefahnen, Oeseder Wappen und Kartenmaterial geschmückt werden.1810 Am Vorabend des 18. Oktober 1969 lud Siepelmeyer seinen CDU-Kollegen Heinz Müller, den Landtagsabgeordneten Hermann Sandkämper und Landrat Josef Tegeler zu sich nach Hause ein.1811 Während der Vorbereitungen für den Empfang des Innenausschusses formierte sich die Bürgeropposition. Die drei Beauftragten der Vereine und Verbände Wilhelm Suerbaum, Mathias Westerheide und Gerhard Mandel luden die Bevölkerung »zum Problem der Namensfrage«1812 für den 24. Oktober 19691813 ins Capitol-Theater nach Oesede ein. Die drei Akteure erwirkten zunächst eine Anhörung vor dem Vorsitzenden des Innenausschusses Heinz Müller am Vormittag des 28. Oktobers,1814 doch dann wurde dieses Gespräch abgesagt. Der Innenausschuss lehnte eine Anhörung von Sprechern der Vereine und Verbände ab, dies stelle eine Abwertung der gewählten Vertreter dar.1815 Einige Tage vor dem Besuch erstellte Siepelmeyer eine 17seitige Stellungnahme, sprach sie mit dem Oeseder Rat ab und versandte sie nebst Kopien für die Ratsleute an die Bürgermeister der Gemeinden Harderberg, HolstenMündrup und Kloster Oesede,1816 nicht aber an den Bürgermeister der Gemeinde Georgsmarienhütte.

1808 »Der Innenauschuß kommt nach Oesede« NOZ, 4. September 1969. 1809 Gemeindedirektor Rolfes an den Vorsitzenden des Innenausschusses Müller, Schreiben vom 14. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1; Die Kosten des Besuches übernahm der Landkreis Osnabrück, Rolfes an den Landkreis Osnabrück am 11. November 1969, ebd. 1810 Anweisung von Rolfes an Borgmeyer vom 16. Oktober 1969, ebd. 1811 Rolfes an Tegeler und Sandkämper, Schreiben vom 24. Oktober 1969, ebd. 1812 Suerbaum, Westerheide und Mandel an den Rat der Gemeinde Oesede, Schreiben vom 17. Oktober 1969, ebd. 1813 Sie tun dies mit einer neuen Postwurfsendung, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 3. 1814 Rolfes an Suerbaum, Westerheide und Mandel, Schreiben vom 24. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 1815 Protokoll der 53. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 17. September 1969, Archiv des Nieders. Landtages PA- U 2013/06/IV/053. 1816 Siepelmeyer an Aulf, Sielschott und Stertenbrink am 26. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1.

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Mit diesem sprach er nur telefonisch und teilte Bürgermeister Stahlmann mit, »daß der Innenausschuß des Landtages für die neue Großgemeinde einen neutralen Namen wünschte«,1817 und ließ die Georgsmarienhütter Ratskollegen wissen, dass er für den Namen ›Georgsmariental‹ eintreten werde. Der Innenausschuss unter dem Vorsitz von Heinz Müller, einem CDU-Abgeordneten aus dem Landkreis Osterode, tagte in der Aula der Realschule und hörte sich die drei Verwaltungsausschüsse der drei Gemeinden an. Alle Bürgermeister und Vertreter des Rates hatten noch einmal Gelegenheit, ihre Position zur Namensfrage vorzutragen. Siepelmeyer trug seine 17seitige Stellungnahme1818 zusammenfassend vor, aus der hervorging, was er von dem Namen ›Georgsmarienhütte‹ hielt: »Nicht viel«.1819 In seiner Rede stellte er von Anfang an klar, dass das Thema der Anhörung nicht der beispielhafte Schritt der Zusammenlegung sei, sondern dass es darum gehe, dem Innenausschuss Informationen über die Namensgebung und die damit zusammenhängenden Probleme zu geben. Er zeichnete den Weg der Zusammenlegung nach und machte den Zuhörern klar, dass Georgsmarienhütte nur mit der Beibehaltung des Namens für eine Zusammenlegung zu gewinnen war. Hätte Oesede das Opfer in der Namensfrage nicht erbracht, wäre der als beispielhaft angesehene Zusammenschluss gescheitert. Siepelmeyer zog nicht in Zweifel, dass der Vertrag »in nicht anfechtbarer und sachlich gerechtfertigter Weise«1820 zustande gekommen sei. Auch musste er zugeben, dass das Werk das einigende Band der Gemeinden sei. Dennoch bat er den Ausschuss zu überlegen, ob nicht doch ein anderer Name in Frage käme. Mit dem Beitritt Kloster Oesedes nach dem 19. April 1969 habe sich die Situation geändert und zwei Gemeinden seien nun mit dem Namen ›Oesede‹ verbunden. Alsdann führte er die Argumente gegen den Namen ›Georgsmarienhütte‹ an: Abgesehen davon, dass die Übernahme der jüngsten Gemeinde wie eine Eingemeindung der ältesten Gemeinde aussehe, sei der Name ein »künstliches Gebilde«,1821 dessen Länge immer wieder zu Verballhornungen führe. Im Alltag werde nur von ›Hütte‹ gesprochen, in der Schriftsprache werde aus Georgsmarienhütte ›Gmhütte‹.

1817 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 24. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 82. 1818 Stellungnahme Siepelmeyers vor dem Innenausschuss des niedersächsischen Landtages am 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. Die Stellungnahme befindet sich in vielen die Zusammenlegung betreffenden Akten, oft in mehrfacher Anzahl. 1819 Niederschrift über die 57. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 28. Oktober 1969, Archiv des Nieders. Landtages PA- U 2013/06/IV/057. 1820 Stellungnahme Siepelmeyers vor dem Innenausschuss des niedersächsischen Landtages am 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 1821 Ebd.

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Die heutige Bevölkerung habe außerdem kein »historisches Verhältnis«1822 mehr zu den Teilen des Namens. Der »häßliche«1823 Bestandteil – ›Hütte‹ – sei nur verbunden mit »Dreck und Staub«1824 und sei der Einrichtung von Fremdenverkehrsgebieten hinderlich. Auch würde man hinter dem Namen sofort den »beherrschenden Einfluß eines industriellen Großunternehmens«1825 vermuten, was vielleicht ansiedlungswillige Unternehmen abschrecke. Um die bisher erzielte Einigkeit nicht zu gefährden, schlage er drei neutrale Namen vor: ›Georgstal‹, ›Mariental‹ oder ›Georgsmariental‹.1826 ›Mariental‹ komme wegen einer gleichnamigen »Irrenanstalt«1827 in Münster nicht in Frage, aber ›Georgsmariental‹ sei »der beste Kompromiß«.1828 Man werde den Namen sicherlich nicht mit ›GM.Tal‹ abkürzen und würde auch nicht sagen: »Ich gehe nach Tal.«1829 Das Interesse des Klöckner-Werkes werde ebenso berücksichtigt, wie dem Eindruck der einseitigen Ausrichtung auf die Stahlindustrie im ›Dütetal‹ entgegengewirkt werde. Er, Ludwig Siepelmeyer, bitte darum, die Interessen aller Menschen im ›Düteraum‹ zu sehen und ihnen in optimaler Weise zu entsprechen. Dann hatten alle Bürgermeister noch einmal Gelegenheit, ihre Position zum Namensproblem der Gebietskörperschaft darzulegen. Bürgermeister Stertenbrink aus Kloster Oesede fand den Namen zu lang und die Endung »Hütte«1830 unglücklich. Wenn man einen anderen Namen gefunden hätte, hätte man mit noch mehr Freude dem Zusammenschluss zugestimmt. Für Harderberg war der Name nicht wichtig. Man werde einer Änderung des Namens zustimmen, Hauptsache der Gebietsänderungsvertrag sei nicht gefährdet.1831

1822 1823 1824 1825 1826

1827 1828 1829 1830 1831

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Diese Art der Benennung einer durch Zusammenlegung neuen Gebietskörperschaft war nicht unüblich: Aus Kirchweye und Südweye wird Weye, aus Kirchbrombach und Langenbrombach wird Brombach; aus Waldkatzenbrunn und Schollbrunn wird Waldbrunn; aus Schemmerberg und Aufhofen wird Schemmerhofen, Beispiele aus Huismann: Gemeindenamengebung, S. 57. Stellungnahme Siepelmeyers vor dem Innenausschuss des niedersächsischen Landtages am 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. Ebd. Ebd. Niederschrift über die 57. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 28. Oktober 1969, Archiv des Nieders. Landtages PA- U 2013/06/IV/057 und Erw 52 Akz 2010/077 Nr. 45. Ebd.

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Bürgermeister Sielschott aus Holsten-Mündrup sagte ebenfalls aus, dass ihm ein kürzerer Name1832 lieber gewesen wäre. Wenn es eine Möglichkeit gebe, den Namen noch zu ändern, ohne den Zusammenschluss zu gefährden, dann begrüße er das sehr.1833 Dann sprach Bürgermeister Stahlmann. Er berichtete dem Ausschuss, wie schwierig es war, eine Mehrheit für den Zusammenschluss im Georgsmarienhütter Gemeinderat zu bekommen, wie hoch der Druck war, den Oesede mit der Androhung eines vorzeitigen Zusammenschlusses von Harderberg und Oesede ausgeübt habe, dass man am 19. April 1969 die erforderlichen Stimmen nur bekommen habe, weil der Name erhalten geblieben sei.1834 Die Mitglieder des Ausschusses wollten sich ein genaues Bild von dem Namenskonflikt machen, fragten nach dem Brief des Klöckner-Direktoriums und trafen damit eine empfindliche Stelle des Streites. Harry Brunsmann aus dem Georgsmarienhütter Gemeinderat und gleichzeitig Betriebsrat beim Stahlwerk verteidigte die Position des Werkes. Die Entscheidungen würden in Duisburg getroffen, und da sei es natürlich ein schlechtes Zeichen, wenn der Name nicht erhalten bleibe. Der Oeseder Ratsherr Fröse entgegnete, in dem Brief stehe ja nur, dass der Name »irgendwie«1835 erhalten bleiben solle, also eventuell auch nur ein Namensbestandteil oder ein Doppelname. An dieser Stelle offenbarte Siepelmeyer, dass er über den Brief im Vorfeld informiert gewesen sei und dass auf seine Veranlassung das Wort »irgendwie«1836 in den Brief aufgenommen worden sei, um einen Kompromiss zu ermöglichen. Diese Offenbarung war ein Fehler, denn sofort vermuteten Ausschussmitglieder, dass der Brief bestellt worden sei. Er, Helmut Stahlmann, habe von dem Brief nichts gewusst, stellte der Georgsmarienhütter Bürgermeister glaubhaft dar. Siepelmeyer ergriff erneut das Wort. Die Sache sei ein wenig peinlich, sagte er. »Seine erste Frage an die Vertreter der Georgsmarienwerke sei gewesen, ob sie vielleicht von Georgsmarienhütte ›geschickt‹ worden seien, die Herren hätten das verneint und erklärt, sie wendeten sich an den, bei dem sie das meiste politische Gewicht fühlten.«1837

1832 Dass die Länge des Namens problematisch sein könnte, war nicht von der Hand zu weisen. Die Verteilanlagen und automatischen Lesegeräte der Bundespost konnten nur Gemeindenamen bis zu 16 Buchstaben lesen, vgl.: Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 291. 1833 Niederschrift über die 57. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 28. Oktober 1969, Archiv des Nieders. Landtages PA- U 2013/06/IV/057 und NLA OS Erw 52 Akz 2010/ 077 Nr. 45. 1834 Ebd. 1835 Ebd. 1836 Ebd. 1837 Ebd.

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Diese Selbstinszenierung schien bei den Ausschussmitgliedern nicht gut anzukommen, denn Helmut Stahlmann hatte jetzt leichtes Spiel. Er unterstrich noch einmal die Rolle des großherzigen Verzichters und Opferbringers beim Zusammenschluss. In völliger Verkennung des immer größer werdenden Haushaltsloches beschwor er den Mythos1838 der reichen Gemeinde Georgsmarienhütte mit den gesündesten Finanzen, die die Investitionen in den anderen Kommunen zu tragen und die vom ganzen Zusammenschluss auf absehbare Zeit keinerlei Vorteile zu erwarten habe. In einer nichtöffentlichen Sitzung diskutierte der Ausschuss unter sich. Der Vorsitzende Heinz Müller ereiferte sich über die vielen Briefe aus Oesede, die so »unerhört, so unverschämt gewesen seien, daß er den Verbänden aus dem Bereich Oesede nicht nachgeben möchte.«1839 Ohne Anrede und ohne Grußformel habe er sich in die Zeit des ›Dritten Reiches‹ zurückgesetzt gefühlt. Tatsächlich war keiner der erhalten gebliebenen Briefe unerhört oder unverschämt. Ohne Anrede und ohne Grußformel war nur ein Brief, der anonym versandt wurde. Sachlich wurde aber auch argumentiert, dass die Ratsleute den Gebietsänderungsvertrag beschlossen hätten und erst »wankelmütig«1840 geworden seien, als die Vereine und Verbände »dazwischen gefunkt hätten«.1841 Die Sache habe mit dem Hinzutreten der anderen Gemeinden noch einmal überdacht werden müssen, das sei richtig, aber denen sei der Name ziemlich gleichgültig gewesen. Die Abstimmung war eindeutig. 13 Ja- Stimmen und eine Gegenstimme machten dem Namensstreit ein Ende. Die neue Großgemeinde solle ›Georgsmarienhütte‹ heißen und so schnell wie möglich die Bezeichnung ›Stadt‹ verliehen bekommen. Das Gesetz wurde am 25. November 1969 im Landtag verabschiedet, am 1. Januar 1970 trat es in Kraft. Dieser Zeitpunkt ging auf einen Vorschlag von Bürgermeister Helmut Stahlmann zurück, der das Ziel verfolgte, mit dieser

1838 Mythos wird hier im Sinne von Jakob Tanner gebraucht, nach dessen Aussage Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Mythos zusammen fallen und dessen Erzählung im Modernisierungsprozess instrumentalisiert werden kann, vgl.: Jakob Tanner: ›Die Ereignisse marschieren schnell‹. Die Schweiz im Sommer 1940, in: Andreas Suter/Manfred Hettling (Hg.): Struktur und Ereignis, Göttingen 2001, S. 257–282, hier S. 266. Innerhalb der Theorie des kulturellen Gedächtnisses bedeutet Mythos aber auch eine Überlieferung, auf die eine Gemeinschaft »ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart« gründet. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 142. 1839 Niederschrift über die 57. Sitzung des Ausschusses für innere Verwaltung am 28. Oktober 1969, Archiv des Nieders. Landtages PA- U 2013/06/IV/057 und NLA OS Erw 52 Akz 2010/ 077 Nr. 45. 1840 Ebd. 1841 Ebd.

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Termininierung die Schlüsselzuweisungen für das ganz Jahr erhalten zu können.1842 Die neue, bislang nur auf dem Papier konzipierte Gebietskörperschaft sollte mit einem Namen ausgestattet werden, an denen zwei unterschiedliche Erinnerungsfiguren hafteten. Beide Erinnerungsfiguren fußten auf je einem Narrativ, die beide mit der Realität wenig zu tun hatten. Für die Georgsmarienhütter bedeutete der Name umfassende Fürsorge des Werkes für einen inselartig konzipierten Ort, für Oeseder war der Name Georgsmarienhütte mit einem im ›Dritten Reich‹ erlittenen Unrecht verbunden. Beide Gemeinden setzten sich nicht aktiv mit der Vergangenheit auseinander, was Konfliktpotential produzierte, das in der Namensfrage zur Entfaltung kam. Beide Gemeinden verharrten in ihrer jeweiligen kulturellen Eigenart und griffen auf einen gewachsenen Kanon von Handlungsmustern zurück.1843 Diese waren historisch begründet und ließen die unterschiedlichen Zeitschichten, auf denen sie fußten, durchscheinen.1844 Beim Namenskonflikt kamen die Handlungsmuster noch einmal zur Anwendung, setzten aber gleichzeitig die Möglichkeit frei, neue Handlungsmuster zu begründen. Die Bürgerinitiative richtete sich in erster Linie gegen den Umgang der Ratsleute mit ihrem Mandat. Das Gefühl, berechtigte Bürgerinteressen seien nicht berücksichtigt worden und man sei in einer so wichtigen Angelegenheit wie der Namensgebung den Entscheidungen des Rates ohnmächtig ausgeliefert gewesen, war eine Ursache für den Konflikt. Ferner stilisierte die Bürgerinitiative den Konflikt zu einer Machtfrage zwischen den Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte. Das Gefühl, bei einer Kontinuierung des Namens ›Georgsmarienhütte‹ in die Nachbargemeinde eingemeindet zu werden, bestimmte das Vorgehen der protestierenden Bürger_innen.1845 Dieses Gefühl der Eingemeindung basierte auf der Umgemeindung von Oeseder Parzellen nach Georgsmarienhütte während des ›Dritten

1842 Protokoll der Sitzung des Oeseder Rates am 26. Juni 1969,NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 2. 1843 Unabhängig davon, dass Martina Löw diese kulturelle Eigenart und tradierten Handlungsmuster zu einer kritisierbaren Eigenlogik von Städten und Dörfern zusammenfasst, scheinen mir die Begriffe brauchbar, um die in den Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte wahrgenommenen Phänomene zu benennen. Auseinandersetzung mit der Eigenlogik der Städte vgl.: Jan Kemper/Anne Vogelpohl, Eigenlogik der Städte. Kritische Anmerkungen zu einer Forschungsperspektive, in: ders.: Lokalistische Stadtforschung, kulturalisierte Städte. Zur Kritik einer ›Eigenlogik der Städte‹, Münster 2011, S. 15–39, S. 20. 1844 Koselleck: Zeitschichten, Frankfurt /M. 2000, S. 13. 1845 Über den engen Zusammenhang zwischen Räumen und Gefühlen vgl.: Gertrud Lehnert: Raum und Gefühl, in: dies. (Hg.): Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotions-Forschung, Bielefeld 2011, S. 9–25, hier S. 9.

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Reiches‹. Als Gegenargument gegen die Übernahme des Namens der relativ jungen Industriegemeinde boten sie ihre 1.100 Jahre alte Tradition auf. Des Weiteren wandte sich die Bürgerinitiative gegen die Bevormundung durch die Klöckner-Werke in der Namensfrage. Der Brief des dreiköpfigen Direktoriums vom 10. April 1969 wurde als ungehörige Einmischung in kommunale Angelegenheiten empfunden. Erstaunlicherweise formulierte die Bürgerinitiative auf keinem der Flugblätter auch nur ein Gegenargument gegen den Namen ›Georgsmarienhütte‹. Die einzige Kritik am Namen ›Georgsmarienhütte‹ bezog sich auf dessen Endung. Diese Kritik erwähnten sowohl Oberkreisdirektor Backhaus in seiner Stellungnahme an den Innenminister als auch Bürgermeister Siepelmeyer in seiner Stellungnahme vor dem Innenausschuss. Mit der Endung ›-hütte‹ werde Dreck und Staub assoziiert und daher passe der Name nicht in die Landschaft des ›Dütetals‹, das vielleicht touristisch vermarktet werden sollte.1846 Das einzige Gegenargument gegen den Namen stand jedoch nicht im Mittelpunkt des Konfliktes und wurde nur mündlich geäußert. Das sagt viel über das Verhältnis der Beschwerdeführer zum Werk aus. Die Repräsentation von ›Werksarbeit‹ im Gemeindenamen erschien zwar nicht passend, aber ohne ›Arbeit‹, ohne ›Hütte‹ war Gemeindeleben nicht denkbar. Der Zusammenschluss wurde zwar von dem Gedanken getragen, die Abhängigkeit vom Werk als größtem Arbeitgeber aufzubrechen, gleichzeitig jedoch war das Vertrauen auf Steuereinnahmen und den Erhalt von Arbeitsplätzen, die ja auch Oesede zugutekommen sollten, groß. Als »Arbeitsplatzspender«1847 oder »Blutspender«1848 bezeichneten Oeseder Ratsleute das Werk, mit dessen Namen sie sich so schwer taten. Die Zaghaftigkeit, mit der das Argument der unschönen Industrieassoziation in die Diskussion eingebracht wurde, macht deutlich, in welchem Zweispalt nicht nur die politisch Verantwortlichen steckten, sondern auch die Bürgerinitiative. Mit der Endung ›-Hütte‹ wurde genau jene Erinnerungsfigur aktiviert, die seit 1860 immer wieder erneuert worden ist: Das Werk solle als Fürsorger und Arbeitsplatzspender fungieren. Dieser Sichtweise konnte sich auch Oberkreisdirektor Backhaus nicht entziehen. Er empfahl dem Innenminister, die Übernahme des Namens von den ›Georgsmarienwerken‹ und wies damit dem 1846 Als eine Bestimmungsgröße lokaler Identität kann eine landschaftliche schöne und ökologisch intakte Umwelt gelten, die während der Gebietsreform von Bürger_innen als besonders positiv eingestuft wurde. Everhard Holtmann/Winfried Killisch: Lokale Identität und Gemeindegebietsreform. Der Streitfall Ermershausen, Erlangen 1991, S. 57. Sie kam im ›Dütetal‹ besonders zum Tragen, da sich hier die Industrielandschaft des Stahlwerkes für alle sichtbar und lokalisierbar hauptsächlich in Georgsmarienhütte befand. 1847 Stellungnahme Ludwig Siepelmeyers vor dem Innenausschuss des niedersächsischen Landtages vom 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 1848 Protokoll der Besprechung mit Ratsherren der Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte am 16. April 1969. NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2.

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größten Arbeitgeber die Rolle des Namensgebers zu. Die Parallelen zum Gründungsakt von 1860 sind offensichtlich. Werk und Ort sollten wie bisher einander bedingen. Hinter der Zaghaftigkeit verbarg sich aber auch ein Widerstand gegen Industrialisierung an sich. Während Siepelmeyer und Rolfes immer wieder von Oesede als einer Gemeinde sprachen, die den Übergang von einer Agrargemeinde zur Industriegemeinde geschafft habe, zeigte doch der argumentlose Widerstand gegen den Namen an, dass die Bevölkerung zwar die Notwendigkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen anerkannte, sich aber gleichzeitig eine Rückkehr zur agrarisch strukturierten Gemeinde wünschte. Dafür sprach auch die thematische Ausrichtung des Ende der 1960er Jahre im Oeseder Zentrum eingerichteten ›Heimatmusems‹, in dessen Inventarliste kein einziges Objekt industriellen Ursprungs verzeichnet war.1849 Die Bürgerinitiative stieß auf Unverständnis. Vor allem die NOZ trug viel dazu bei, die Bewegung zu diskreditieren, indem sie Gerüchte als ›Hintergründe‹ deklarierte.1850 Beim Innenausschussvorsitzenden Heinz Müller kam die Bürgerinitiative ebenfalls nicht gut an. Er bemühte sogar selbst einen Vergleich mit dem ›Dritten Reich‹, als er darauf verwies, die Absender von Eingaben hätten Anrede und Grußformel in ihren Briefen weggelassen. Abgesehen davon, dass das Verbrechen der Nationalsozialisten nicht darin bestanden hat, unhöfliche Briefe zu schreiben,1851 übertrug Müller seine ablehnende Haltung gegenüber der Bürgerinitiative auf alle Briefeschreiber, obwohl nur bei einem Brief Anrede und Grußformel fehlten. Genau dieser Brief war es jedoch, der Bezug auf eine als Unrecht wahrgenommene Umgemeindung während des ›Dritten Reiches‹ nahm. Der Inhalt wurde ins Gegenteil verkehrt, indem der Empfänger des Briefes seinen Absender als nationalsozialistisch brandmarkte. So schien das anonyme Aufbrechen des Schweigens über Ereignisse der NS-Zeit nur aushaltbar, indem es ins Gegenteil gewendet wurde. Der Verweis auf die Umgemeindung kleinerer Parzellen im Jahr 1937 in einem weiteren Schreiben macht deutlich, wie sehr diese vom damaligen Landrat mehr als 30 Jahr zuvor angeordnete Aktion 1969 immer noch präsent war und bei Konflikten mit der Nachbargemeinde wirkmächtig wurde. Hier lag die tiefere Ursache für den Namenskonflikt. Noch 1960 formulierte Rolfes in Bezug auf die geplante Umgemeindung des Realschulgrundstückes, dass »dies […] der Anfang weiterer Ausdehnungsbestrebungen von GM-Hütte zu Lasten seiner eige1849 Inventarverzeichnis des ›Heimatmuseums‹ auf dem Thie von 1968. Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. 1850 »Flugblatt ›Gelbe Gefahr‹ und die recht merkwürdigen Hintergründe«, NOZ, 10. Mai 1969. 1851 Vergleiche mit dem ›Dritten Reich‹ sind im Zusammenhang mit der Gebietsreform nicht selten und zwar auf beiden Seiten der Kontrahenten, bei den Reformgegnern wie bei den Befürwortern, vgl.: Holtmann/Killisch: Ermershausen, S. 34.

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nen Gemeinde werden«1852 könne. Dies war eine Sichtweise, die der ehedem nationalsozialistische Bürgermeister Eichberg nach dem Krieg verbreitete1853 und die das Narrativ stärkte, die Gemeinde Oesede habe unter der nationalsozialistischen Nachbargemeinde Georgsmarienhütte gelitten, während die eigene Gemeinde mit den Nazis nichts habe anfangen können. Auf der Erwähnung von Ereignissen aus der NS-Zeit lag ein Tabu, genau wie auf der damit einhergehenden Emotionalität,1854 auf die mit Ablehnung reagiert wurde. Rationalität sollte den Reformprozess bestimmen, der an wissenschaftlichen Gutachten orientiert und über den Moment hinaus auf die Zukunft ausgerichtet sein sollte.1855 Dass im Rahmen des Namenskonfliktes auf starke Emotionen seitens der Bürger_innen ebenfalls mit starken Emotionen von Entscheidern reagiert wurde, spottet dem Leitgedanken der Reform, rational vorzugehen, in jeder Hinsicht. Auch ist kaum anzunehmen, dass die Entscheidung für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ rationaler war, als eine Entscheidung für einen anderen Namen. Hier offenbart sich das Fehlen jeden Verständnisses innerhalb des Reformprozesses für identitätsbezogene Belange von Bürger_innen.1856 Das Werksdirektorium hatte großes Interesse an einem Zusammenschluss und sah in Bürgermeister Siepelmeyer einen wichtigen Verhandlungspartner in werkseigenen Belangen. Das Direktorium wollte Siepelmeyer mit der Namensfrage auf keinen Fall verärgern, und so informierte es Siepelmeyer über den Brief, fügte auf seine Intervention hin das Wort ›irgendwie‹ ein und erklärte sich damit einverstanden, auch einen Kompromiss zu akzeptieren. Gleichzeitig aktivierte es aber auch sämtliche Verbindungen auf der Ebene der politisch Verantwortlichen. Es wurde mit Landrat Tegeler genauso gesprochen wie mit dem Vorsitzenden des Innenausschusses Heinz Müller. Keiner von beiden versprach dem Direktorium, dass der Name erhalten bleibe oder dass man sich dafür einsetzen werde, sondern lediglich, dass der Innenausschuss wegen der Modellhaftigkeit des Zusammenschlusses zu den Kommunen komme und nicht wegen der Namensfrage, die man gar nicht zu erörtern gedenke. Die Einflussmöglichkeiten des Direktoriums waren gering, doch die Rolle des Werkes als 1852 Aktenvermerk des Landkreises Osnabrück über ein Gespräch mit OKD Backhaus vom 3. Februar 1960, NLA OS Rep 430 Dez 400 Akz 2001/002 Nr. 166. 1853 Besprechung des Gemeinderates Oesede über das Mittelschulproblem am 13. November 1961, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 16, Ordner 45, Teil 1. 1854 Gerd Steinwascher sieht sogar – allerdings mit Einschränkungen – in der Emotionslosigkeit eine Notwendigkeit, »politische Fortschritte zu erzielen«, vgl.: Steinwascher : Die Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen, S. 29. 1855 Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 4. 1856 Holtmann sieht in diesem »mangelnden Bestandsschutz für funktionsfähige lokale Identität« eine strukturelle Schwäche des gesamten Reformwerkes, Vgl.: Holtmann/Killisch: Ermershausen, S. 7.

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Steuerzahler und Arbeitgeber hatte auch ohne das Zutun der Direktoren Gewicht. Dass das Direktorium den Erhalt des Namens wünschte, um sich vor der Konzernspitze nicht die Blöße geben zu müssen, den Kunstnamen ›Dütenau‹ nicht verhindert zu haben, ist offensichtlich. Doch wie 1860 – und auch hier offenbart sich die zeitlich-vertikale Komponente des Namensstreites – steckte hinter dem Wunsch, die neue Gebietskörperschaft möge den Werksnamen übernehmen, auch das Bedürfnis, mit der neuen Stadt eine Einheit zu bilden, die beide – Stadt und Werk – vor der Unbeständigkeit der Zeitläufte schützten möge. Die Menschen in der Gemeinde Georgsmarienhütte, als Teil dieser bisher bestehenden Einheit, agierten ganz in ihrer Tradition, mehr noch im Rahmen ihres kulturellen Gedächtnisses.1857 Solange sie eine relativ kleine, aber reiche Werksgemeinde bildeten, hatte sich das Ignorieren sämtlicher Fusionsangebote der Nachbargemeinde Oesede bewährt. Georgsmarienhütte war als Einheit von Werk und Gemeinde konzipiert und stellte eine schwerindustrielle Insel in einer agrarisch geprägten Umgebung dar. Diese mit dem Namen vergegenwärtigte Erinnerung an die Gründung und an das Gemeindekonzept war von solch starker Konsistenz, dass eine Fusion mit anderen Gemeinden auch unter veränderten Rahmenbedingungen zunächst nicht vorstellbar war.1858 Ein Zusammenschluss unter den immer wieder kolportierten Gerüchten, das Werk baue Arbeitsplätze ab und es müssten neue Industrien angesiedelt werden, konnte erst recht von Georgsmarienhütter Ratsleuten nicht als Wirklichkeit angenommen werden. Trotz des Druckes von verschiedenen Seiten waren die Georgsmarienhütter nur zur Aufgabe ihrer Gebietskörperschaft zu bewegen, da sie die »Gedächtnisinhalte«1859 ihrer Gemeinde auf die neue Gebietskörperschaft verschieben konnten. Die Aushandlung um den Namen der neuen Gebietskörperschaft war komplex. Auf der horizontalen Ebene der Gegenwart des Jahres 1969 wurde erst in verschiedenen Sitzungen innerhalb eines demokratischen Ablaufs um den Namen gerungen, dann wurde innerhalb einer nicht formal organisierten Bürgerinitiative mittels Flugblättern und Briefen an Landkreis und Landtag weiter gekämpft. Die Konfliktlinien wechselten dabei: Sie verliefen innerhalb Oesedes zunächst zwischen Rat und Teilen der Bevölkerung, später zwischen Teilen der Bevölkerung und der Gemeinde Georgsmarienhütte und den Klöckner-Werken. Dabei wird erkennbar, dass der Konflikt sich nicht nur auf der horizontalen Zeitebene von 1969 abspielt, sondern auf einer weiteren, zeitlich vertikal zu 1857 Assmann: Kulturelles Gedächtnis, S. 19. 1858 Die Erinnerungsfigur kann von solch starker Konsistenz sein, dass sie im Widerspruch zur sozialen und politischen Realität steht. Vgl.: ebd., S. 24. 1859 Bering/Großsteinbeck: Die ideologische Dimension, S. 311.

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denkenden Ebene, die das Handeln der Akteure ebenso bestimmte wie die Dynamik der Aushandlung in der Gegenwart. Doch auch die Erwartungen an die Zukunft spielten im Handeln der Akteure eine Rolle. Sie lassen sich nur indirekt aus der Artikulation der Akteure herausarbeiten, sind aber dennoch unverkennbar. Für Ludwig Siepelmeyer war das Ziel klar : Er wollte seine Gemeinde stärken und ausbauen, dafür brachte er ein großes Opfer. Der Zusammenschluss, der den Ausbau des Ortes Oesede erst ermöglichte, durfte nicht scheitern, selbst wenn der eigene Gemeindename dafür aufgegeben werden musste. Das sah die Bevölkerung anders: Weite Teile der Bevölkerung wollten den Zusammenschluss, aber nicht um jeden Preis. Im Gegenteil, die Annahme des Namens ›Georgsmarienhütte‹ sah nach Eingemeindung in die Nachbargemeinde aus und weckte unliebsame Erinnerungen an das ›Dritte Reich‹. Auch die Oeseder Bevölkerung wünschte sich einen Ausbau des Ortes, sprach sogar von einer Vorrangstellung Oesedes gegenüber den anderen Gemeinden. Hingegen hatten Georgsmarienhütter Ratsleute keine Vorstellungen von einer dominanten Gemeinde. Sie hatten weder Gestaltungswillen noch Hegemonialwünsche. An keiner Stelle traten Ratsherren oder Bürgermeister Helmut Stahlmann für ein Rathaus auf Georgsmarienhütter Gemeindegrund ein. Am Ende der parlamentarischen Verhandlungsphase überließen sie den Oesedern die Stelle des Übergangsbürgermeisters und wussten sehr genau, dass damit die Weichen gestellt wurden, wo das Zentrum in Zukunft gestaltet werden würde. Helmut Stahlmann erwähnte dies sogar vor dem Innenausschuss. Mit der Übertragung des Namens auf die neue Gebietskörperschaft schafften sie nicht nur eine künstliche Kontinuität ihrer Geschichte von der angeblich mustergültigen Industriegemeinde zur modernen Großgemeinde und späteren Stadt, sondern es gelang ihnen auch das Konzept der auf Dauer angelegten Beständigkeit einer Einheit von Werk und Gebietskörperschaft für die Zukunft zu erhalten. Ob die neuen Akteure aus Oesede nach der Zusammenlegung tatsächlich die Gedächtnisinhalte ihrer Nachbargemeinde übernahmen, ist eine neue, hier noch nicht zu beantwortende Frage. Mit dem Erhalt des Namens aber sicherten sie sich etwas, was ihnen mit Geld und Macht nicht aufzuwiegen war : eine Geschichte, die ihnen Identität gab. Die Initiative der Oeseder Bürger_innen war gescheitert, doch nutzlos war ihre Aktion nicht. Die Akteure hatten mit ihren Postwurfsendungen gezeigt, dass sie nicht alles hinnahmen, was ihre gewählten Vertreter in ihrem Namen alles beschlossen. Das setzte Maßstäbe für den zukünftigen Umgang mit den Wähler_innen. Diese Botschaft hatte Siepelmeyer unmittelbar nach dem Erscheinen des ersten Flugblattes sehr wohl verstanden und beherzigt. Damit war eine Ursache für den Protest der Bürgerinitiative behoben. Es lag daher ganz in der Logik der Sache, dass – obwohl der Innenausschuss sich gegen das Anliegen der

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Bürgerinitiative entschied – sich der Unmut der Bürger_innen nach dem 28. Oktober 1969 zumindest an der Oberfläche wieder legte.

4.4. Die Manifestation von Raumvorstellungen durch Feste Im Sinne des theoretischen Ansatzes dieser Arbeit sind Feste räumlich. Akteure, die durch Handeln ein Fest gestalten, versehen Raum mit Informationen, Bedeutung und Sinn.1860 Feste sind die »Urform des kulturellen Gedächtnisses«1861 und damit »ein unerlässliches Mittel zur Konstruktion einer gemeinsamen Identität.«1862 Sie ermöglichen die Erinnerung an die Vergangenheit und die Entwicklung von Zukunftsperspektiven, dienen dem Aufbau und der Vergewisserung eines gemeinsamen Selbstbildes1863 und der Abgrenzung von anderen.1864 Sie werden in der Gegenwart gefeiert, aber von der Vergangenheit beeinflusst, genau wie umgekehrt die Gegenwart die Wahrnehmung der Vergangenheit bestimmt.1865 Sie sind angereichert mit Symbolen und symbolischen Handlungen, die über sich selbst hinaus verweisen und Aufschluss über Erwartungen, kulturelle Identität und kollektive Ängste1866 geben können. Sie bilden Strukturen ab und legen die Grundlage für neue.1867 Städtische oder dörfliche Jubiläumsfeiern werden erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts begangen. Sie dienen der Selbstinszenierung und gehen häufig mit einem Festumzug und einer Leistungsschau einher. Darüber hinaus werden idealerweise Inhalte des kulturellen Gedächtnisses vermittelt.1868 Das Bedürfnis, örtliche Feste aus historischem Anlass zu begehen, fiel nicht zufällig in die Zeit 1860 Werlen: Sozialgeographie. Eine Einführung, S. 346f. 1861 Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 59 und Heike Bungert: Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 1848–1914, Paderborn 2016, S. 18. 1862 Bungert: Festkultur und Gedächtnis, S. 13. 1863 Das Selbstbild eines Gemeinwesens wird hier als Idee von dem Dorf oder Stadt verstanden, das als »wirkmächtige Idee« konkrete Folgen hat. Ausführlich dazu: Guckes: Konstruktion bürgerlicher Identität, S. 11f. 1864 Das gemeinsame Selbstbild ermöglicht dem Einzelnen ›wir‹ zu sagen und damit eine Abgrenzung zu anderen (›ihr‹) vorzunehmen, vgl.: Assmann: Das kulturelles Gedächtnis, S. 17. 1865 Bungert: Festkultur und Gedächtnis, S. 15. 1866 Ebd., S. 19. 1867 Ulrich Rosseaux: Städtische Jubiläumskultur, in: Winfried Müller (Hg.): Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierung eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004, S. 349–367, hier S. 367. 1868 Winfried Müller : Das historische Jubiläum, in: ders. (Hg.): Das historische Jubiläum, S. 1– 75, hier S. 35.

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der Industrialisierung, einer Zeit des Umbruchs und des beschleunigten Wandels.1869 In einer Zeit, in der die Gegenwart als unsicher empfunden wurde und die Zukunft offen war, spielte die lange Kontinuität einer Gebietskörperschaft eine große Rolle. Als Zeit des Umbruchs wurde in den Kommunen auch die Zeit der Gebietsund Verwaltungsreform empfunden. Ratsleute traten mit ihrer Zustimmung zu einem Gebietsänderungsvertrag nicht nur Entscheidungskompetenzen ab, sondern sie lösten auch formal ihre Altgemeinde auf. So verwundert es nicht, dass gerade Ende der 1960er Jahre, als sich im Untersuchungsgebiet große Veränderungen in der kommunalen Landschaft abzeichneten, die Kommunen versuchten, sich ihrer Vergangenheit zu erinnern. Nicht alle wählten die Form eines Festes, Georgsmarienhütte etwa beschränkte sich auf die Herausgabe einer Chronik. Das Fest mit Festumzug, wirtschaftlicher Leistungsschau, Vorträgen und einer publizierten Chronik war sicher die aufwändigste Art, sich zu erinnern, aber auch die effektivste Art zur »Stiftung bzw. Stabilisierung kollektiver Identität«1870 beizutragen. Im folgenden Kapitel stehen drei Feste und die Aktivitäten, die mit der Konstruktion einer gemeinsamen Identität bzw. eines gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses in Zusammenhang stehen, im Mittelpunkt.

4.4.1. Die ausgefallene 1.100-Jahr-Feier in Oesede Ratsherren und Verwaltung von Oesede hatten keinen Bezug zur Geschichte ihres Ortes. Ende des Jahres 1967 wurde dem Kauf einer Reproduktion einer Urkunde aus dem 1170 für einen Preis von 485 DM zugestimmt, ohne dass den Ratsleuten bekannt war, was es mit dieser Urkunde auf sich hatte.1871 Drei Monate später – als man sich schon auf ein Jubiläum zum 800jährigen Bestehen der Gemeinde Oesede eingestellt hatte – stellte sich heraus, dass es noch eine ältere Urkunde gab, die nicht genauer als auf die Jahre zwischen 836 und 891 datiert werden konnte. »Eine Jahrhundertfeier kann aber nur im Einvernehmen mit dem Nieders. Staatsarchiv festgelegt werden«,1872 vermerkte das Ratsprotokoll, und wenig später stimmte der Direktor des Osnabrücker Staatsarchives, Theodor Penners, dem Oeseder Vorhaben zu, im Jahr 1970 eine 1.100-Jahr-Feier zu 1869 Ebd., S. 51. 1870 Wolfgang Flügel: Zeitkonstrukte im Reformationsjubiläum, in: Müller (Hg.): Das historische Jubiläum, S. 77–99, hier S. 77. 1871 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 20. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 1872 Protokoll der VA-Sitzung Oeseder am 28. Februar 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1.

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begehen. Das fand die Zustimmung des Gemeindedirektors Rolfes, der schon 1967 vorgeschlagen hatte, die vier Oeseder Schützenvereine1873 sollten sich zusammenschließen und dann ein großes ›Volksfest‹ feiern. »Ein echtes Volksfest – im ureigenen Sinne – ist auch heute noch in der Lage, gute menschliche Beziehungen zu knüpfen und den Zusammenhalt einer Gemeinde in dieser Hinsicht zu fördern«,1874 fasste er die sinnstiftende Wirkung eines Ortsfestes zusammen.1875 Ein Fest mit historischem Bezug, das im gleichen Jahr gefeiert werden sollte, wie in der Nachbargemeinde Kloster Oesede und dazu noch 300 Jahre mehr aufbieten konnte, lag in Rolfes’ politischer Absicht. Die anstehenden Veränderungen in der kommunalen Landschaft hinderten ihn und den Rat nicht an der Planung einer großangelegten Feier. Im Gegenteil: »Es wurde die Ansicht vertreten, daß auf jeden Fall in der Urzelle der neuen ›Dütestadt‹ die 1.100 Jahrfeier begangen werden sollte und mit diesen Feierlichkeit gleichzeitig die Gründung der neuen ›Dütestadt‹ verbunden werden könnte.«1876 Die Absicht war klar : Der Gedächtnisinhalt, der soeben erst für Oesede formuliert worden war, sollte bei einer Zusammenlegung auch auf die neue Gebietskörperschaft übertragen werden. Wenn in Zukunft die Geschichte der ›Dütestadt‹ erzählt werden würde, dann würde sie mit der Ersterwähnung im 9. Jahrhundert beginnen und nicht erst mit der Gründung des Hüttenwerkes 1856. Dass die Gründung der ›Dütetstadt‹ mit dem Jubiläum – das ja theoretisch noch bis 1991 in jedem anderen Jahr hätte gefeiert werden können – zusammen fallen sollte, war daher die volle Absicht der Stadtväter.1877 Nach den Kommunalwahlen im Oktober 1968 wurde ein Ratsherr mit der Vorbereitung beauftragt, und ein Festausschuss wurde gebildet.1878 Dieser stellte im Dezember 1968 sein Konzept vor dem Verwaltungsausschuss vor. Neben einem offiziellen Festakt im Mai, waren bis September jeden Monat Veranstal1873 Es waren dies die Schützenvereine Papiermühle, Dörenberg, Osterberg und Harderberg/ Oesede, Protokoll der VA-Sitzung am 30. August 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 1874 Ebd. 1875 Kulturtheoretisch ausgedrückt im Hinblick auf Stadtrepräsentationen: »Im Kern handelt es sich um eine Geschichte der Beziehungen und der Bezüge, weswegen dem Begriff Partizipation, verstanden als teilhaben und (aktives) teilnehmen, zentrale Bedeutung zukommt.« Adelheid von Saldern, Einleitung, in: dies. (Hg.): Inszenierter Stolz. Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften. (1935–1975) Stuttgart 2005, S. 11–27, hier S. 13. 1876 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 4. Dezember 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 1877 Die gleiche Absicht verfolgten die Stadtväter in Lüdenscheid, vgl.: Uta C. Schmidt: Die 700-Jahr-Feier der Stadt Lüdenscheid 1968, in: Adelheid von Saldern: Inszenierter Stolz, S. 299–343, hier S. 311ff. 1878 Protokoll der VA-Sitzung Oesedes am 22. Mai 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1.

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tungen vorgesehen.1879 Zur weiteren Planung wurden sechs weitere Unterausschüsse gebildet, die sich um Werbung, den Festzug, Sportveranstaltungen und weitere Veranstaltungen kümmern sollten.1880 Parallel zu den Verhandlungen zur Zusammenlegung liefen die Planungen auf Hochtouren. In Goldlettern sollte der Schriftzug der 1.100-Jahr-Feier überall zu sehen sein, Plakate und Werbeprospekte verteilt, Schilder an den Ortseingängen und drehbare Litfaßsäulen im ganzen Gemeindegebiet aufgestellt werden. Ein Briefkopf sollte ebenso wie eine Briefverschlussmarke, Festabzeichen und Postsonderzeichen entworfen werden. Die Geschäfte sollten ihre Schaufenster ansprechend gestalten und Fahnen zur »Ausschmückung der Gemeinde«1881 angeschafft werden, während die Geschäfte für die Bevölkerung kleine Fähnchen im Angebot vorhalten sollten.1882 Auch die Vereine brachten ihre Ideen ein: Drei Tage vor Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages trafen sich unter der Leitung von Kulturamtsleiter Helmut Vorkefeld ein Großteil der Oeseder Vereine: Von 24 angeschriebenen Vereinen waren lediglich sieben nicht erschienen. Ein Festumzug wurde geplant mit Brauchtumsgruppen des Heimatvereins, Wagen mit Objekten aus dem ›Heimatmuseum‹, Schützenbrüdern in Uniform und einem Festwagen der KAB, der das Arbeitsleben bei den Klöckner-Werken thematisieren sollte.1883 Ein weiterer Ausschuss plante eine etwa 100seitige Festschrift mit einem geschichtlichen Abriss, Festprogramm, Selbstdarstellung der Gemeinde, Preisausschreiben und Anzeigen.1884 Den geschichtlichen Abriss sollte ein Hobbyhistoriker aus Bissendorf schreiben.1885 Doch zur Umsetzung all dieser Pläne kam es nicht. Drei Tage nach der Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages, tagte der Kultur- und Sportausschuss. Als der Punkt 7 »1.100-Jahrfeier : Festlegung verschiedener bunter Programmpunkte«1886 aufgerufen wurde, verlief die Sitzung anders als geplant. Der für die Feier zuständige Gemeindehauptsekretär Helmut Vorkefeld trug vor, wieviel schon für das Jubiläum in Sitzungen vorbereitet wurde, und wollte dann wissen, ob und wie überhaupt noch gefeiert werden solle. Es war ersichtlich, dass der 19. April 1969 die Oeseder Planungen für ihr Jubiläum in Frage gestellt hatte. 1879 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 4. Dezember 1968, ebd. 1880 Protokoll der Sitzung des Oeseder Festausschusses am 28. Januar 1969, ebd. 1881 Protokoll des Unterausschusses Werbung am 13. März 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 1. 1882 Ebd. 1883 Protokoll einer Besprechung zur Vorbereitung des Festumzugs anlässlich der 1.100 Jahrfeier am 16. April 1969 ebd. 1884 Protokoll des Unterausschusses Werbung am 9. April 1969, ebd. 1885 Protokoll der VA-Sitzung am 22. Mai 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 1886 Protokoll des Kultur- und Sportausschusses am 22. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/ 44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 2.

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Das bedeutete, dass der Grund, weshalb das Jubiläum groß und aufwändig gefeiert werden sollte und über den es anscheinend einen stillschweigenden Konsens gab, nach Unterzeichnung des Vertrages weggefallen war. Das Jubiläum war eine von oben gewollte und zu einem willkürlich festgelegten Zeitpunkt angeregte Angelegenheit. Die Funktion des Jubiläums ging weit über eine Zelebration einer Oeseder Gemeinschaft hinaus. Es sollte jedem/jeder Oeseder_in und den Einwohner_innen der umliegenden Gemeinden die Vorrangstellung Oesedes gegenüber allen anderen Gemeinden deutlich machen. Damit diente es auch der Legitimation der Stadtväter, die eben dieses Ziel verfolgten.1887 Mit der Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages und der Annahme des Namens ›Georgsmarienhütte‹ für die neue Gebietskörperschaft war aber das Ziel, wichtigste Gemeinde im Untersuchungsgebiet zu werden, von den Akteuren, die dieses Jubiläum gewollt hatten, verfehlt worden. Das spürten die Oeseder_innen sehr genau und zogen sich aus ihrem Engagement für das Jubiläum zurück. Daher gingen auch die beiden Rettungsversuche ins Leere. Die Verwaltung befürwortete die Reduzierung des Programms auf eine Festwoche und Rolfes schlug vor, »daß man diese Feierlichkeiten zur 1.100-Jahrfeier unter Umständen auch als die 1.100-Jahrfeier der neuen Stadt Georgsmarienhütte betrachten könne und dadurch die Bevölkerung aus den beiden [sic! I.B.] Ortsteilen zusammengeführt werden könnte.«1888 Eine 1.100-Jahr-Feier der Stadt Georgsmarienhütte stellte einen offenkundigen Widerspruch dar, den auch geschichtlich Uninteressierte nicht aufzulösen im Stande gewesen wären. Am 25. Juni 1969 wurde das Jubiläum abgesagt,1889 von dem mit dem Jubiläum beauftragten Ratsherrn hatte »man seit geraumer Zeit […] nichts mehr gehört«.1890

4.4.2. Die 800-Jahrfeier in Kloster Oesede Soweit bekannt feierte Kloster Oesede im Jahr 1970 zum ersten Mal ein Dorfjubiläum. Die Gemeinde plante die 800-Jahr-Feier lange im Voraus. Im Gebietsänderungsvertrag ließ sie sich die finanziellen Mittel für das Jubiläum zusichern.1891 Im Dezember 1969 wurde eine kleine Festschrift veröffentlicht, die 1887 Derartige Präsentationen haben mehrere Funktionen, u. a. der Absicherung und Legitimierung der Herrschaftsträger, vgl.: von Saldern: Einleitung, S. 12. 1888 Protokoll des Kultur- und Sportausschusses am 22. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/ 44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 2. 1889 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 25. Juni 1969. NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 1890 »Nicht vergessen«, Leserbrief von Karl-Heinz Riemann, NOZ, 2. Dezember 1969. 1891 Etwa 15.000–20.000 DM waren veranschlagt worden, Protokoll der gemeinsamen Sitzung der VAs der Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg, Holsten-Mündrup, Kloster Oesede am 2. September 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 132.

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Die Aushandlung der Gründung von Georgsmarienhütte als Stadt

über das Gründungsjahr 1170, die geschichtliche Entwicklung von Kloster Oesede, über den Herkunftsort der Vertriebenen, Niederschwedeldorf, und über das geplante Festprogramm informierte.1892 Sie hatte keinen benannten Herausgeber, und die Beiträge waren namentlich nicht gekennzeichnet. Drei Geleitworte leiteten die Festschrift ein: eines von Landrat Josef Tegeler und Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus, eines von (Noch-) Bürgermeister Hans Stertenbrink und (Noch-) Gemeindedirektor Hans Middelberg und eines vom Bürgermeister der 1970 gegründeten Großgemeinde Georgsmarienhütte Ludwig Siepelmeyer und Gemeindedirektor Rudolf Rolfes. Letzteres wurde als Einlegeblatt zwischen die ersten beiden Geleitworte geschoben. Es bezeugt den Umbruch der kommunalen Landschaft deutlich: Als die Festschrift erstellt wurde, war ein Zusammenschluss bereits beschlossene Sache, aber der Gebietsänderungsvertrag noch nicht in Kraft getreten, und Bürgermeister und Gemeindedirektor von Kloster Oesede zeichneten noch verantwortlich. Als die Festschrift in Umlauf kam, hatte der Gebietsänderungsvertrag bereits Gültigkeit, und die Gemeinde Kloster Oesede existierte nicht mehr. Das Einlegeblatt mit dem Grußwort der neuen Akteure belegt, wie schwer es den Festplanern fiel, die neue Konstellation zu vergegenwärtigen. Die Darstellung der Geschichte Kloster Oesedes gab auf sechs Seiten Auskunft über die Gründung des Benediktinerinnenklosters durch das »Grafengeschlecht von Oesede«,1893 die 1170 per Urkunde von Bischof Philipp von Osnabrück bestätigt wurde. Chronologisch hangelte sich der/die nicht genannte Autor_in an den Eckdaten der Kirchengemeinde bzw. des Kirchspiels und der Klostergeschichte entlang. Die Anfänge des durch das Kloster begonnenen Kohlebergbaus bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fanden ebenso Erwähnung wie die einzelnen Höfe, aus denen die Bauerschaft entstanden war. Die Ausführungen kamen jedoch immer wieder zurück auf die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Kloster. Die Aufhebung im Jahr 1803 wurde mit zurückhaltender, aber dennoch deutlicher Empörung geschildert. Man habe es sehr eilig gehabt, das Recht zur Aufhebung des Klosters nach »633jährigem Bestehen«1894 zur Anwendung zu bringen und sämtliches Mobiliar sei »unter den Hammer«1895 gekommen, beschrieb der Autor die Aufhebung zwar sachlich, aber als unschönes Ereignis. Hingegen wurde die Trennung der Pfarrei Kloster Oesede von der Pfarre Oesede im Jahr 1904 mit einem gewissen Stolz beschrieben. Für die Verselbständigung habe die Tochtergemeinde 40.000 Taler an die Mutterge-

1892 1170–1970, 800 Jahre Kloster Oesede, 1269–1969, 700 Jahre Niederschwedeldorf, Kloster Oesede 1969. 1893 Ebd., S. 5. 1894 Ebd., S. 11. 1895 Ebd.

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meinde gezahlt, da mit Kloster Oesede der »steuerkräftigste Ortsteil«1896 ausschied. Die Geschichte der Patengemeinde Niederschwedeldorf in der Grafschaft Glatz in Schlesien war analog, jedoch insgesamt kürzer, aufgebaut. 1946 kamen 231 Niederschwedeldorfer_innen als Vertriebene und Geflohene in Kloster Oesede an und wurden von der Gemeinde Kloster Oesede aufgenommen. 1962 übernahm die Gemeinde Kloster Oesede die Patenschaft für das Dorf Niederschwedeldorf. Auch in diesem Beitrag standen die kirchlichen Ereignisse im Mittelpunkt. Der Abdruck einer Urkunde aus dem Jahr 1269 verwies auf das 700jährige Bestehen, das im Jubiläumsjahr der Kloster Oeseder mitgefeiert werden sollte. Auf dem Titelblatt fehlte der Hinweis auf dieses Paralleljubiläum allerdings. Im hinteren Teil der Broschüre ging es um Kloster Oesede »in der Neuzeit«,1897 um die »die politische Zukunft«1898 und um das Vereinsleben im Ort. In diesen kurzen Kapiteln wurde ausschließlich die kommunale Entwicklung von Kloster Oesede vor allem nach Zweiten Weltkrieg thematisiert. Das Anwachsen der Bevölkerungszahl, die konfessionelle Zusammensetzung, die Anzahl der Industrie-und Gewerbebetriebe am Ort und die Verdienste der kommunalen Verwaltung wurden dargestellt. Besonderes Augenmerk galt den Auspendlern, von denen 462 nach Georgsmarienhütte zur Arbeit fuhren. Dies waren 31 % aller Erwerbstätigen und rund 39 % aller Auspendler.1899 Es fehlte nicht der Hinweis auf die »bedeutungsvollste Entscheidung«1900 des Rates am 19. August 1969. An diesem Tag habe der Rat beschlossen, seine Selbständigkeit aufzugeben und sich freiwillig der Großgemeinde Georgsmarienhütte anzuschließen. Die Begründung für diesen Schritt ist interessant: Die Klöckner-Werke in Georgsmarienhütte seien der bestimmende Wirtschaftszweig in der Region und die meisten Erwerbstätigen der Region arbeiteten dort. Doch nur zwei Gemeinden zögen »beachtliche steuerliche Vorteile daraus«,1901 während sich die anderen Gemeinden »selbst beim Notwendigsten wie Schulangelegenheiten und Straßenbau«1902 einschränken müssten. Die Bevölkerung von Kloster Oesede habe aber einen Anspruch darauf, an dem teilzuhaben, »was Kloster Oeseder Männer und Frauen auf dem Hüttenwerk erarbeiten«.1903 Ein 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903

Ebd. Ebd., S. 39. Ebd. Erwerbstätige 1969: 1454, davon Auspendler 1184, davon nach Georgsmarienhütte 462, ebd., S. 40. Ebd., S. 41. Ebd., S. 42. Ebd. Ebd.

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Anspruch auf Teilhabe am Geldsegen wurde hier formuliert, ohne jeglichen Hinweis, dass dieser Geldsegen eines Tage einmal versiegen könnte. Diese Möglichkeit war ja sogar als wichtiges Argument für den Zusammenschluss ins Feld geführt worden, aber es wurde von den Autor_innen der Chronik komplett ausgeblendet. Auf zusätzliche Einnahmen aber hofften die Festschriftverfasser durch weitere Industrieansiedlung, die nur in Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden möglich sei.1904 Industrie wurde dabei als notwendiges Übel angesehen. Vom »Zeitalter der Industriebesessenheit«1905 war die Rede, die so gar nicht zu den Eigenheimen von Kloster Oesede passe. Die Verfasser_innen wiesen dem Ort deshalb vorsorglich eine Rolle innerhalb der neuen Großgemeinde zu, die zu ihm passte. Kloster Oesede soll Erholungs- und Ausflugsort für das ›Dütetal‹ werden, immerhin habe man jahrhundertealte Zeugen und die in den 1950er Jahren eingerichtete Eichendorff-Waldbühne und »mehr Geschichte als das ganze Dütetal«1906 zusammen zu bieten. Durch den Zusammenschluss ändere sich wenig, wurde in der Festschrift weiter verkündet. Wer nicht politisch tätig sei, werde höchstens beim Zahlen von Steuern und Gebühren merken, dass man zur Stadt Georgsmarienhütte gehöre. Der Name Kloster Oesede aber bleibe lebendig, wenn auch nur als Untertitel. Vor allem bleibe die Kirchengemeinde mit »Klosterkirche, -gebäude und -tradition«1907 von allen Veränderungen im politischen Bereich unangetastet. Auf anderthalb Seiten machten die ungenannten Verfasser_innen deutlich, dass vieles beim Alten bleiben würde, aber Veränderungen unabdingbar und vielleicht auch gar nicht so schlecht seien. Das Jubiläum diente der Selbstvergewisserung1908 über die Vergangenheit, in der das Kloster und die kirchliche Ausformung der Gemeinde eine große Rolle spielten und die das damals aktuelle kirchliche Leben mit seinen weit ins Vereinsleben hineinragenden Aktivitäten bestimmte. Schließlich wurden mit dem Jubiläum das 800jährige Bestehen des Klosters und die Existenz des kirchlichen, nicht des kommunalen, Lebens gefeiert. Das Jubiläum verwies aber auch auf die Zukunft. Kloster Oesede mit den ehemaligen Kirchengebäuden und der Waldbühne sollte das »Kulturzentrum«1909 in der neuen Großgemeinde werden. Das Festprogramm begann am 8. Februar 1970 mit einem jeweils evangelischen und einem katholischen Gottesdienst, die zeitgleich unter Beisein von hochrangigen Geistlichen aus Osnabrück stattfanden. Anschließend kamen die 1904 1905 1906 1907 1908 1909

Ebd., S. 43. Ebd. Ebd. Ebd. Adelheid von Saldern: Symbolische Stadtpolitik – Stadtpolitik der Symbole, S. 50. 1170–1970, 800 Jahre Kloster Oesede, S. 43.

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Einwohner_innen zu einem Festakt in der Turnhalle zusammen, bei dem Hans Riepenhausen als geschäftsführender Vorsitzender des Westfälischen Heimatbundes die Festansprache hielt. 44 Veranstaltungen umfasste der Reigen der Jubiläumsaktivitäten, die am 13. September, eine knappe Woche vor der Festwoche der Stadt Georgsmarienhütte, mit einem krönenden Abschluss endeten. Ein Großteil der Veranstaltungen gehörte zu den Festivitäten, die auch ohne Jubiläum begangen worden wären, wie etwa Maisingen, Tanz in den Mai, die Kirmes Kloster Klipp, das Schützenfest, möglicherweise auch die Sportwerbewoche mit allein neun Veranstaltungen. Auch zwei Veranstaltungen, die die Grafschaft Glatz betrafen, und eine Aufführung eines plattdeutschen Lustspiels des Heimatvereins Kloster Oesede hatten keinen Bezug zum eigentlichen Jubiläum. Das Jubiläumsjahr wurde flankiert von einer historischen Ausstellung im Saal Steinfeld mit Dokumenten und Erinnerungen aus vergangenen Jahrhunderten, die aus zusammengetragenen Objekten der bäuerlichen Lebenswelt und dem Vereinsleben bestand.1910 Weiter wurden fünf Vorträge zur Geschichte des Klosters gehalten und damit ein direkter Bezug zum Anlass der Feier hergestellt. Sie wurden zu Beginn des Festjahres platziert und stellten sicher, dass jeder Feiernde theoretisch über die Grundlage des Festes informiert war. Es folgten die Höhepunkte mit Festcharakter, an denen das ganze Dorf teilnahm. Zu diesen gehörten die Beat-Veranstaltung für die Jugend mit den Bands ›The Lords‹ und den ›Pepitas‹1911 auf der Waldbühne, außerdem die Gewerbeveranstaltung ›Schaufenster Kloster Oesede‹ mit Bier- und Weinbrunnen und abendlichem Tanzabend mit dem ›Medium Terzett‹,1912 ferner die zweitägige Abschlussveranstaltung am 12. und 13. September 1970 mit Fackelumzug, Feuerwerk und Tanz am Samstagabend und dem Festumzug1913 und anschließendem Tanz am Sonntagnachmittag.1914 Das umfangreiche Festprogramm zeigt zum einen, dass Bürger_innen die Gemeinde mit »pulsierendem Leben«1915 zu füllen vermögen. Vereine beteiligten sich am Festgeschehen, führten Veranstaltungen einmalig oder jährlich durch und zeigten, dass sie das Festjahr vielfältig mit einer Mischung aus Bildung, 1910 1911 1912 1913

»Historische Ausstellung«, NOZ, 16. Februar 1970. 1170–1970, 800 Jahre Kloster Oesede, S. 27. Ebd., S. 31. Im Programmheft nicht explizit angekündigt, fand der Festumzug in historischen Kostümen statt. Festumzüge bieten allen Bevölkerungsschichten die Möglichkeit zur Teilnahme, vgl.: Müller : Das historische Jubiläum, S. 55. Zur tieferen Bedeutung des ›Doing History‹ jenseits von Museen und Gedenkstätten, vgl.: Sarah Willner/Georg Koch/Stefanie Samida: Doing History – Geschichte als Praxis. Programmatische Annäherungen, in: dies.: (Hg.): Doing History. Performative Praktiken in der Geschichtskultur, Münster/New York 2016, S. 1–25. 1914 1170–1970, 800 Jahre Kloster Oesede, S. 37. 1915 Ebd., S. 43.

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Sport und Vergnügen gestalten konnten. Zum anderen zeigt es einen unübersehbaren Stolz der Einwohner_innen auf die Geschichte des Ortes. Dieses Jubiläum habe eine besondere Bedeutung, teilte der Kloster Oeseder und Vertreter der Gemeinde Niederschwedeldorf in der Grafschaft Glatz Helmut Goebel der Presse mit, »da die Gemeinde Oesede kurzfristig alle Veranstaltungen zu ihrem Jubiläum abgesagt habe.«1916 Mit der Ausgestaltung des Festjahres wurde auch ein Distinktionsmerkmal gegenüber der Nachbargemeinde etabliert. Was nutzte der Nachbargemeinde das Alter von 1.100 Jahren, wenn sie nicht in der Lage war, ihre Geschichte zu erinnern und das Fest zu begehen, sagte diese Bemerkung aus. Kloster Oesede sei geschichtlich gesehen kein unbeschriebenes Blatt, auch wenn es in der Großgemeinde aufgehe, sagte der Festredner Hans Riepenhausen vom Westfälischen Heimatbund in seiner Festansprache. Geschichte habe die Bevölkerung zusammengeschweißt, und diese werde nun ihre Leistungen innerhalb eines größeren Rahmens fortsetzen, verwies dieser Redner auf die Zukunftsorientierung dieses Festes.1917 Archivdirektor Theodor Penners brachte eine Reproduktion der Urkunde von 1170 mit und interpretierte die Einladungskarte der Kloster Oeseder ebenfalls in Richtung Zukunft. »Das vierte Feld sei offengelassen. Er hoffe […] das bleibe so für weitere Zukunftspläne.«1918 Nicht so sehr die Geschichte des Ortes dient der Orientierung, sondern vielmehr wird aus dem »Zins der Dignität ihres Alters«1919 eine Legitimation für die Zukunftsgestaltung abgeleitet. Dieses Fest wurde unter dem Eindruck der baldigen Gemeindeauflösung und dem Beitritt zur Großgemeinde geplant, und sollte der restlichen Kommune zeigen, wie einsatzfähig Akteure aus Kloster Oesede in der neuen Gebietskörperschaft sein würden.

4.4.3. Festwoche zur Stadtgründung Der Gebietsänderungsvertrag trat am 1. Januar 1970 in Kraft, und aus diesem Anlass gab es in der Aula der Realschule einen verhältnismäßig bescheidenen Sektempfang.1920 Richtig gefeiert wurde erst, als die neue Kommune die Stadtrechte verliehen bekam. Vom 18. bis 26. September 1970 wurden jeden Tag 1916 1917 1918 1919 1920

»Fackelzug und Feuerwerk«, NOZ, 22. November 1969. »Die Leistungen nun im Großraum fortsetzen«, NOZ, 9. Februar 1970. Ebd. Müller : Das historische Jubiläum, S. 3. »Der Geburtstag der Großgemeinde. Gestern: Viele Glückwünsche für Georgsmarienhütte«, NOZ, 2. Januar 1970; Knapp 70 Personen aus Rat und Verwaltung folgten der Einladung, vgl.: Teilnehmerliste des Empfangs, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 4.

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Programmpunkte in den verschiedenen Stadtteilen angeboten. Das Programm wurde in der NOZ veröffentlicht und die aktuellen Programmpunkte jeden Tag erneut angekündigt.1921 Das Programm war von dem Leiter des Kulturamtes Helmut Vorkefeld1922 organsiert worden und bezog, anders als dies bei der ausgefallenen 1.100 Jahr-Feier der Fall gewesen wäre, nur wenige Vereinsaktivitäten ein, die allesamt ohnehin stattgefunden hätten. Den Auftakt der Veranstaltungen bildete anders als in Kloster Oesede ein erstmals gemeinsam gefeierter ökumenischer Gottesdienst in der St. Peter und Paul Kirche in Oesede, der größten Kirche im Stadtgebiet.1923 Das Programm begann am Freitag, dem 18. September und umfasste 79 Punkte.1924 Davon waren zwanzig Veranstaltungen im sportlichen Bereich angesiedelt, 18 bestanden aus öffentlichen Feiern am ›Bierbrunnen‹ in den Stadtteilen Kloster Oesede, Oesede und Georgsmarienhütte, zehn Musikdarbietungen gehörten dazu, und neun Mal lud das ehrenamtliche Team des ›Heimatmuseums‹ am Thie zur Besichtigung ein. Sechs Kulturveranstaltungen und sechs Kirmesveranstaltungen fanden statt, und vier Veranstaltungen von übergeordnetem Tagungscharakter, wie die Bezirkliche Arbeitstagung der Verkehrswachten und die Tagung des Kreissportbundes, fielen in die Festwoche. Die eigentliche Verleihung der Urkunde durch den Staatssekretär Helmut Tellermann bestand aus einem Festakt und drei weiteren Veranstaltungen mit Symbolcharakter. Am Tag des Festaktes wurde ein nichtöffentlicher Tanzabend durchgeführt. Der räumliche Schwerpunkt der Festwoche lag in Oesede, wo 37 Veranstaltungen stattfanden, gefolgt von Georgsmarienhütte, wo 23 Mal gefeiert wurde. Der Ortsteil Harderberg war nur zweimal Veranstaltungsort, hingegen war Kloster Oesede sieben Mal im Mittelpunkt des Festgeschehens, allerdings kam die Zahl nur zustande, weil die Öffnung des ›Bierbrunnens‹ jeweils einen Veranstaltungspunkt rechtfertigte. Ebenso war die Holzhausener Kirmes Teil der Festwoche, wo insgesamt sechs Veranstaltungen stattfanden. Holsten-Mündrup blieb vom Festgeschehen unberührt. Einige Veranstaltungen wurden außerhalb der Stadt begangen. Die meisten Veranstaltungen waren öffentlich für jedermann zugänglich, lediglich sieben Veranstaltungen waren nichtöffentlich, darunter auch der einzige Tanzabend der Festwoche. 1921 »Das Festprogramm zur Stadtwerdung vom 18. bis zum 26. September 1970«, NOZ, 18. September 1970. 1922 »Kasinopark ein Lichtermeer«, NOZ, 24. September 1970. 1923 Von Pastors Schreibtisch, Gemeindebrief der katholischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul, September 1970. Dort musste erstmal erklärt werden, was ein ökumenischer Gottesdienst überhaupt ist. 1924 »Das Festprogramm zur Stadtwerdung vom 18. bis zum 26. September 1970«, NOZ, 18. September 1970.

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19 Veranstaltungen hätten sowieso in dieser Woche stattgefunden, wie die Oeseder und die Holzhausener Kirmes, aber auch das Schützenfest in Oesede/ Papiermühle. Die Eröffnung des Hallenbades und die Übergabe der Sporthalle Michaelisschule wären auch ohne Verleihung der Stadtrechte 1970 eingeweiht worden. Inhaltliche Veranstaltungen wurden angeboten, standen jedoch in keiner Weise im Zusammenhang mit der Stadtwerdung, wie z. B. ein Vortrag und ein Film über Bienen in der Realschule Georgsmarienhütte oder die Eröffnung einer Kunstausstellung in der Michaelisschule. Eine historisch-inhaltliche Ausrichtung des Festgeschehens, die über die Geschichte der einzelnen Stadtteile informiert, fehlte gänzlich, sie wurde allenfalls kompensiert mit der täglichen Öffnung des ›Heimatmuseums‹, das aber insgesamt lediglich auf die bäuerliche Vergangenheit Oesedes verwies. Dem Anlass Rechnung trugen das Auftreten einiger Kapellen, Bands und Musikvereinigungen und das Aufstellen der ›Bierbrunnen‹ in Kloster Oesede, Georgsmarienhütte und Oesede. Das Osnabrücker Symphonieorchester spielte ein Konzert in der Aula der Realschule, das jedoch nur mäßig besucht war, im Gegensatz zu den ›Bierbrunnen‹.1925 Große Resonanz fand das Lichterfest im Kasinopark, das in Zusammenarbeit mit der Freiwilligen Feuerwehr unter Stadtbrandmeister Hans Licher, zugleich auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung, in Kooperation mit der Kulturabteilung der neuen Stadt erarbeitet und aufwändig durchgeführt wurde.1926 Im Mittelpunkt des Festgeschehens stand jedoch der Festakt am 19. September 1970. Er begann am Nachmittag des 19. September kurz nach 15 Uhr in der Aula der Realschule. Zu den geladenen und erschienenen Gästen zählten Regierungspräsident Zürlik, die Bundestagsabgeordneten Erpenbeck und Franke, die Landtagsabgeordneten Tegeler, Flick, Haas, Kaiser, Sandkämper, der Oberbürgermeister von Osnabrück, Wilhelm Kelch, Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus, ein Vertreter des Niedersächsischen Städtebundes, Vertreter der Vertriebenengemeinden, ein Vertreter der Partnerstadt der Gemeinde Oesede, der Bürgermeister der Gemeinde Schoonebeek in den Niederlanden, geistliche Würdenträger beider Konfessionen, Vertreter des britischen Militärs und Sparkassendirektor Aach.1927 Die Übergabe der Urkunde nahm Staatssekretär Helmut Tellermann als Vertreter von Innenminister Richard Lehners vor, der seine bereits zugesagte Teilnahme wegen »dringender politischer Geschäfte kurzfristig«1928 abgesagt hatte. Tellermann referierte vor der versammelten Festgemeinde die Gründe für die Verleihung der Stadtrechte. Die Vorausset1925 1926 1927 1928

»Stadt Georgsmarienhütte«, NOZ, 22. September 1970. »Kasinopark ein Lichtermeer«, NOZ, 24. September 1970. »Ehrengäste«, NOZ, 21. September 1970. »Krönung des Zusammenschlusses aus sechs Gemeinden vollzogen«, NOZ, 21. September 1970.

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zungen für die Verleihung der Stadtrechte seien Einwohnerzahl, Siedlungsform und Wirtschaftsverhältnisse, die der Gemeinde »städtisches Gepräge«1929 verliehen. Bei dieser Gemeinde habe man die Entwicklungstendenzen eingehend untersucht. Erst im Laufe der Zeit würden die verschiedenen Ortsteile zusammenwachsen und eine Einheit bilden, die man nach allgemeiner Vorstellung mit dem Begriff ›Stadt‹ verbinde. Diese Entwicklungstendenz sei in Georgsmarienhütte jetzt schon deutlich zu erkennen: Die Siedlungskerne wüchsen aufeinander zu, und die Bebauung verdichte sich Richtung Zentrum mit einer »typischen«1930 mehrgeschossigen Bauweise. Mit der Verleihung sei aber »keine Ausstattung mit besonderen Rechten verbunden«,1931 betonte er. Mit der Verleihung werde vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass dieses Gemeinwesen nunmehr einen Stand der kommunalen Entwicklung erreicht habe, der sich durch städtisches Gepräge auszeichne. Tellermann wies auch auf die besonderen Schwierigkeiten im Stadt-Umland-Bereich hin, hob aber hervor, dass die Industrie- und Universitätsstadt Osnabrück eben auch ein starkes Umfeld brauche, nur so könne ein Gefälle zwischen der Kernstadt und dem Umland vermieden werden.1932 Es folgten weitere Redebeiträge, der Austausch von Geschenken und die Erneuerung der Patenschaften der Stadt Georgsmarienhütte zu den Vertriebenengemeinden Nieder- und Oberschwedeldorf und zu der Partnergemeinde Schoonebeek. Nach dem Festakt zog die Festgesellschaft auf den nahegelegenen Sportplatz, um mehrere tausend Tauben fliegen zu lassen. Am Abend wurde nur für »Ehrengäste und Sportler«,1933 die am selben Tag Sportveranstaltungen durchgeführt hatten, ein Tanzabend im Kasino veranstaltet. Noch am selben Abend meldeten 60 geladene Vertreter der Jusos und der JU mittels einer Flugblattaktion1934 Protest an, weil an diesem Abend nur das »Establishment«1935 feiern dürfe und nicht die gesamte Bürgerschaft. Am nächsten Tag übergab Ludwig Siepelmeyer dem Osnabrücker Waldzoo zwei junge Löwen mit dem Namen ›Georg‹ und ›Marie‹. Was sagt die Festwoche über die Konstruktion der gemeinsamen Identität? Die Feierlichkeiten waren wegen des hohen Zeitdrucks recht provisorisch, das musste im Rückblick auch Bürgermeister Siepelmeyer zugeben,1936 doch darum 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936

Wörtliche Wiedergabe der Rede Tellermanns, ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Kommentar : »Einladung an alle Bewohner«, NOZ, 22. September 1970. »Kasinosaal platzte aus allen Nähten«, NOZ, 21. September 1970. »Festlichkeiten zur Stadtwerdung in der Rückblende des Bürgermeisters«, NOZ, 29. September 1970.

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ging es nicht. Das Fest schaffte in erster Linie Begegnungsarenen für Bürger_innen. Vor allen Dingen die gut besuchten ›Bierbrunnen‹ erfüllten diesen Zweck, aber auch das Lichterfest und der ökumenische Gottesdienst, der die konfessionellen Gegensätze zwischen der evangelisch geprägten Altgemeinde Georgsmarienhütte und den übrigen Gemeinden aufheben sollte. Die Erneuerung der Oeseder und Kloster Oeseder Patenschaften mit den Heimatgemeinden Nieder- und Oberschwedeldorf in Oberschlesien verband die erst nach dem Zweiten Weltkrieg Zugezogenen mit den schon länger in den hiesigen Gemeinden lebenden Menschen. Die Gäste aus den Niederlanden und Vertreter der britischen Streitkräfte verliehen dem Fest einen Hauch von Internationalität, Weltoffenheit und Friedenswillen, was auch das Auflassen der weißen Tauben auf dem Sportplatz symbolisierte. In der Übergabe des Löwenpaares an den Osnabrücker Zoo kam auch die Verbundenheit der Stadt Georgsmarienhütte mit der Stadt Osnabrück zum Ausdruck. Mit dem Fest wurden aber auch weitere Arenen geschaffen: Mit der Einweihung des Schwimmbades und der Sporthalle der Michaelisschule wurden Sportstätten der Öffentlichkeit übergeben, in denen in Zukunft weitere Begegnung stattfinden konnten. Dass der Tanzabend mit den aktiven Sportlern und den Ehrengästen der Stadt gefeiert wurde, zeigt auch noch auf, welche Rolle der Sport in der neuen Gebietskörperschaft spielen würde. Über den Sport sollte Begegnung stadtteilübergreifend stattfinden. Was der Festwoche fehlte, war die Aktualisierung der Vergangenheit. Auf eine inhaltlich-historische Ausrichtung auf Vergangenes in Vorträgen, wie es in Kloster Oesede praktiziert wurde, wurde komplett verzichtet. Stattdessen wurde Vergangenheit nur als bäuerliche Vergangenheit – und diese begrenzt auf die Räumlichkeiten des ›Heimatmuseums‹ – thematisiert. Mit der Gründung der Stadt – so mutet es an – wurde die Stunde Null eingeläutet, vor der es kein Ereignis gab, das der Erwähnung innerhalb des Festgeschehens wert gewesen wäre. Noch ein Manko zeichnete die Festwoche aus: Unter den geladenen Gästen war kein offizieller Vertreter der Wirtschaft. Nachdem die Akteure monatelang die kommende Entwicklung bei den Klöckner-Werken diskutiert hatten und den Zusammenschluss vor allem aus Gründen der Wirtschaftsförderung forciert hatten, spielte dieser Aspekt während der Festwoche keine Rolle. Auch Tellermann griff in seiner Rede diesen Aspekt nicht auf. Er sprach von städtischem Gepräge und füllte den Begriff mit einer Vorstellung von mehrgeschossigen Bauten im Zentrum. Abgesehen davon, dass das Zentrum zu diesem Zeitpunkt offiziell noch nicht festgelegt worden war, erwähnte Tellermann mit keinem Wort die anstehenden Strukturprobleme, die auf die Stadt zukommen würden. Stattdessen wies er daraufhin, dass die Verleihung der Stadtrechte nicht mit der Ausstattung von besonderen Rechten verbunden sei; offenkundig spielte er mit

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dieser Äußerung darauf an, dass aus der Verleihung der Stadtrechte keine Ansprüche auf finanzielle Forderungen begründet sollten hergeleitet werden können. So sprach Tellermann aus, was im Innenministerium als Raumvorstellung für die Stadt Georgsmarienhütte kursiert haben mochte: Georgsmarienhütte war als grüne Lunge von Osnabrück konzipiert. Aber auch die Kommunalakteure gingen an diesem Tag nicht auf Konfrontation. In keiner offiziellen Rede wurden die Aufstufung zum ›Mittelzentrum‹, die Ausweisung von Industrie- und Gewerbegebieten und die hierfür anfallenden Erschließungskosten erwähnt. Das wäre auch bei einem Staatssekretär wenig zweckmäßig gewesen, der sich leicht auf seine untergeordnete Position hätte zurückziehen können. Innenminister Lehners aber ließ sich mit dringenden Amtsgeschäften entschuldigen, kurz nachdem Rolfes ihm mitgeteilt hatte, dass man ihn feierlich mit Blumenstrauß und Presse an der Stadtgrenze abzuholen gedenke.1937 Während der Aushandlungsprozesse auf der Ebene I und II stand der Zusammenschluss als Zweckbündnis für die Wirtschaftsförderung im Vordergrund. Auch der in Aussicht gestellte wirtschaftliche Vorteil durch erhöhte Schlüsselzuweisungen hatte Ratsleute, Bürgermeister und Gemeindedirektoren bewogen, die Selbstständigkeit ihrer Kommune aufzugeben. Nun stand neun Monate später eine neue Leitidee im Vordergrund: das Zusammenwachsen der sechs Gemeinden zu einer Stadt und zwar nicht nur baulich, wie Staatssekretär Tellermann dies einforderte, sondern vor allem auf einer sozialen Ebene.

1937 Rolfes an das Ministerium des Innern, Schreiben vom 7. September 1970 NLA OS Dep 81 b Nr. 329.

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Abb. 8: Die Stiftung eines Löwenpaares mit den Namen Georg und Marie an den Zoo Osnabrück war ein Akt von symbolischer Bedeutung auf mehreren Ebenen. Foto: Stadt Georgsmarienhütte, Jänicke

5.

Raumvorstellungen der Akteure: Ideen für das ›Dütetal‹

Wie die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, waren Raumvorstellungen von zwei unterschiedlichen Akteurstypen für den Aushandlungsprozess im Untersuchungsgebiet bestimmend: Das waren zum einen Akteure auf Bundes-, Landes- und Bezirksregierungsebene, die oft nicht persönlich in Erscheinung traten und schon gar nicht mit den Akteuren auf kommunaler Ebene in Kontakt kamen, die aber auf ihren jeweiligen Ebenen Raumvorstellungen formulierten und in Umlauf setzten, die sich auf die Aushandlung im Untersuchungsgebiet auswirkten. Dabei spielte Expertenwissen in Form von Gutachten eine wesentliche Rolle. Die aus Expertenwissen und Planungsarbeit erwachsenen Vorstellungen von Raumordnung bildeten gewissermaßen den größeren Rahmen, an dem sich die Aushandlung im Untersuchungsgebiet orientierte. Wie dieser Rahmen hergestellt wurde und wie er das Handeln der Akteure bestimmte, ist Gegenstand des ersten Teilkapitels. Zum anderen brachten die Akteure auf regionaler Ebene ihre Raumvorstellungen in das Geschehen ein und beeinflussten es durch Handlungen. Neben den Bürgermeistern und den Gemeindedirektoren der Gemeinden im Untersuchungsgebiet, sind hierzu der Landrat des Landkreises Osnabrück und der Oberkreisdirektor zu zählen. Ferner hatten Redakteure der Tageszeitung und leitende Mitarbeiter der Wirtschaft genauso wie Bürger_innen der betroffenen Gemeinden eigene Vorstellungen, wie die kommunale Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg gestaltet werden sollte. Der zweite Teil des Kapitels handelt von den Raumvorstellungen dieser regionalen Akteure.

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5.1. Die Rolle der Experten 5.1.1. Raumvorstellungen von Raumplanern Die Raumvorstellungen von Raumplanern auf Bundesebene werden anhand eines größeren Zusammenhangs sichtbar.1938 Der Verwaltungsaufbau und die Gemeindezuschnitte entsprachen weitgehend dem Zustand des 19. Jahrhunderts. Kleinere Gemeinden waren finanziell und personell nicht in der Lage, ihren immer größer werdenden Aufgaben der Daseinsvorsorge für ihre Einwohner_innen gerecht zu werden. Mit dem wirtschaftlichen Fortschritt blieben die kleinen Gemeinden, aus denen die Menschen wegzogen, in ihrer Entwicklung zurück. Das stand dem Grundgedanken des Art. 72 GG entgegen, der die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik einfordert.1939 In diesem Zusammenhang stand das Bestreben des Bundesinnenministers Paul Lücke, mittels Raumordnung Gesellschaftspolitik zu betreiben.1940 Mit dem Inkrafttreten des ROG, das in seinem Ministerium erarbeitet wurde, kam er diesem Ziel näher. Sein Ministerium gab 1965 die Studie in Auftrag, in der der Raumplaner Gerhard Isbary sein neues Raumkonzept zur Anwendung brachte und die ganze Bundesrepublik in ein hierarchisches System ›zentraler Orte‹ einteilte.1941 Der Zuordnung lag eine Raumidee zugrunde, die Industrie mit allen Begleiterscheinungen grundsätzlich bejahte, aber nicht an allen Orten zuließ. In seiner das gesamte Bundesgebiet betreffenden Studie erschien die Gemeinde Georgsmarienhütte als ›Unterzentrum‹, dem Holzhausen zugeordnet war, und die Gemeinde Oesede als ›verstädterter Bereich‹ ohne jede Zuordnung. Die Gemeinde Kloster Oesede wurde dem Nahbereich der Gemeinde Borgloh zugerechnet, Holsten-Mündrup blieb ohne Zuordnung. Im Umkreis der ›Kernstadt‹ Osnabrück wies Isbary keine ›Mittelzentren‹ aus. Isbarys Vorschlag war für die weitere Entwicklung von Raumvorstellungen bei den Raumplanern auf niedersächsischer Landes- und Bezirksebene wirkmächtig. Die Einteilung der Gemeinden in das System der ›zentralen Orte‹ und ihre Zuordnung zu ›Nahbereichen‹ stellte nach Vorstellung von Isbary keine Vorbereitung auf die Verwaltungs- und Gebietsreform dar.1942 Die Raumplaner bei der Bezirksregierung Osnabrück nahmen Isbarys Vorschläge in leicht veränderte Weise auf.

1938 Münkel: Von Hellwege bis Kubel, S. 732. 1939 Mattenklodt: Gebiets-und Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, S. 1– 12. 1940 Familie und Grundeigentum sollten zu geschützten Werten in einer Massengesellschaft werden, Leendertz: Ordnung schaffen, S. 324 und 338f. 1941 Isbary : Zentrale Orte und Versorgungsnahbereiche. 1942 Ebd., S. 34 und 43.

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Das Land Niedersachsen war gekennzeichnet durch seine agrarische Strukturierung, einen hohen Flüchtlingsanteil und die gemeinsame Grenze zur DDR, insgesamt galt das Land Niedersachsen als rückständig.1943 Georg Diederichs (SPD), von 1961–1970 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, benannte in seiner Regierungserklärung 1963 große Reformvorhaben, z. B. Forcierung des Wohnungsbaus, Ausbau des Schul- und Hochschulwesens, Verbesserung des Gesundheitswesens, Verbesserung der Agrarstruktur, der Wasserwirtschaft und des Verkehrswesens. Außerdem sollten Maßnahmen zur Landesplanung und Raumordnung getroffen werden.1944 1967 kam zu den bestehenden Vorhaben ausdrücklich noch die bereits in die Wege geleitete Gebiets- und Verwaltungsreform dazu.1945 Viele Reformen wurden unter Diederichs in Angriff genommen, aber auch durch die zur Verfügung stehenden knappen Landesmittel gebremst.1946 Den Raumplanern kam in diesem Erneuerungsprozess eine bedeutende Rolle zu. Mit der Verabschiedung des NROG im Jahr 1966 erhielten die Raumplaner eine neue, starke Stellung. Zwar waren die Planer schon vor der Verabschiedung des NROG damit befasst, Raumordnungspläne aufzustellen, aber ihre Arbeiten hatten keinerlei Rechtsbindung. Nach 1966 änderte sich das, und mit dem erneuten Aufstellen von Landes- und Bezirksplänen und Raumordnungsplänen konnten Raumplaner erstmals ihre schon in der NS-Zeit formulierten Raumvorstellungen zur Anwendung bringen, die zuvor kriegsbedingt nicht hatten umgesetzt werden können. Leitidee von Landes- und Raumplanern wurde in dieser Zeit das Konzept Walter Christallers, das ohne jede Infragestellung zur Anwendung kam. Damit hatten Planer »ein mächtiges Instrument zur zentralistischen Steuerung von Bevölkerung, Kapital und Infrastruktur«1947 in der Hand. Das auf Christaller zurückgehende, aber an die Nachkriegsentwicklung angepasste Konzept Isbarys kam 1965 zunächst in einem Raumordnungsplan zur Anwendung,1948 in dem die Bezirksregierung Osnabrück auf der Grundlage von Isbarys Vorschlägen eine Karte erarbeitete.1949 Auf dieser erschienen Georgsmarienhütte und Oesede als verbundene Orte, denen die Gemeinden Harderberg und die halbe Gemeinde Holzhausen zugeordnet wurden. Die Ge1943 Münkel: Von Hellwege bis Kubel, S. 686f. 1944 Ebd., S. 711f. 1945 Ebd., S. 718; Richard Lehners: 20 Jahre Niedersächsischer Landtag, in: ders. (Hg.): Porträt eines Parlaments. Der Niedersächsische Landtag 1947–1967, Hannover 1967, S. 17–32, hier S. 30. 1946 Münkel: Von Hellwege bis Kubel, S. 727. 1947 Gerhard Henkel: Einführung: Schadet die Wissenschaft dem Dorf ? in: ders. (Hg.): Schadet die Wissenschaft dem Dorf ? S. 1–10, hier S. 7. 1948 Regierungspräsident an verschiedene Empfänger, Schreiben vom 7. Dezember 1965, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 48. 1949 Ebd.; siehe Anhang 8.

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meinden Kloster Oesede und Holsten-Mündrup wurden als dem Nahbereich Borgloh zugehörig eingezeichnet. Karten geben jedoch nur bedingt die Raumvorstellung von Akteuren wider. Verlautbarungen von Raumplanern legen offen, wie sich die Fachleute den Regierungsbezirk vorstellten. So referierte der Leiter des Amtes für Raumplanung bei der Bezirksregierung Osnabrück Hans-Erich Massalsky in einem Vortrag ausführlich über den in der Landwirtschaft stattfindenden Strukturwandel, bei dem viele Arbeitskräfte freigesetzt würden. Im gleichen Vortrag verkündete er jedoch: »Die Landwirtschaft wird in unserem Bezirk immer eine entscheidende Bedeutung haben.«1950 Die Entwicklungen, die mit einer Ausweitung eines industriellen oder gewerblichen Arbeitsplatzangebotes einhergingen, wollte er verhindern. So hieß es ein Jahr später 1966 in den Grundsätzen für die Entwicklung des Planungsraumes: »Gemeinden, die nicht zu Siedlungsschwerpunkten gehören, sind vor Überfremdung zu schützen.«1951 Als die Bezirksplaner 1968 einen ersten Entwurf für das Raumordnungsprogramm vorlegten, sprachen sie sich ausdrücklich dafür aus, in landwirtschaftlich geprägten Gemeinden lediglich Handwerks- und Gewerbebetriebe anzusiedeln. Es sei nicht erwünscht, neue Industriebetriebe in ländlichen Gemeinden anzusiedeln.1952 Dennoch waren sie der Ansicht, dass ein »Nachhinken dieses Raumes«1953 beseitigt werden müsse. Dies sollte durch Förderung einzelner Orte geschehen. »Das heißt, Dezentralisation der großen Verdichtungsräume, aber Konzentration auf Schwerpunkte in den dünnbesiedelten Räumen.«1954 Die Schwerpunktförderung entsprach durchaus einem Konzept. Ohne »Diskriminierungsregeln«1955 würde es keine »Struktureffekte«1956 geben, so die damalige Auffassung von Raumplanern. Es dürfe nicht übersehen werden, dass mit der Erhöhung der Anzahl der ›Schwerpunkte‹ wesentlich mehr Orte in Konkurrenz um Arbeitsplätze und Kapital träten, als wenn nur wenige ›Schwerpunkte‹ ausgewiesen würden, erklärte 1974 ein Mitarbeiter des Innenministeriums.1957 Dabei war bei den Be1950 Vortrag von Hans-Erich Massalsky am 2. Februar 1965, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/ 78 Nr. 21. 1951 Grundsätze für die Entwicklung des Planungsraumes Osnabrück und Umland vom 9. Juni 1966, NLA OS Dep 81 b Nr. 155. 1952 Raumordnungsprogramm für den Regierungsbezirk Osnabrück, Februar 1968, Entwurf, NLA OS Rep 430 Akz 57/1987 Nr. 95. 1953 Ebd. 1954 Ebd. 1955 vgl.: Carl Böhret/Werner Jann/Eva Kronenwett: Handlungsspielräume und Steuerungspotential der regionalen Wirtschaftsförderung, in: Wolfgang Bruder/Thomas Ellwein (Hg.): Raumordnung und staatliche Steuerungsfähigkeit, Opladen 1980, S. 76–110, hier S. 76f. 1956 Ebd. 1957 Vgl.: Günther Reichardt: Raumordnung in Niedersachsen, in: NAfN 24 (1975), S. 93–102.

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zirksplanern auch in den ›Schwerpunkten‹ keine aktive Wirtschaftsförderung vorgesehen. »Die notwendige Schaffung nichtlandwirtschaftlicher Arbeitsstätten ist Sache der freien Wirtschaft und der Unternehmerinitiative«,1958 war ihr Arbeitsgrundsatz. Insgesamt waren die Raumplaner bei der Bezirksregierung Osnabrück darauf bedacht, die Anzahl der zu fördernden Gemeinden gering zu halten, um rivalisierende Lokalzentren zu vermeiden. »Beispiele hiervon sind leider schon vorhanden«,1959 bemerkten sie, und es ist gut möglich, dass die Gemeinden im Untersuchungsgebiet damit gemeint waren. Diese liegen im ›Verdichtungsraum‹ Osnabrücks und machten aus der Sicht der Raumplaner der ›Kernstadt‹ Konkurrenz. Die beiden Orte Georgsmarienhütte und Oesede wurden als ›Siedlungskomplex‹ bezeichnet und »gesondert genannt«.1960 Wie mit diesem als ›Sonderfall‹ deklarierten Gebiet verfahren werde sollte, legten die Raumplaner im Frühjahr 1968 dar : Kein ›Mittelzentrum‹ im ›Verdichtungsraum‹ Osnabrück, nur geringfügige Ansiedlung von Industrie und Gewerbe in Oesede und Georgsmarienhütte, keine aktive Wirtschaftsförderung und keine Zuschüsse für die Weiterentwicklung der Gemeinden im südlichen Umkreis Osnabrücks. Damit knüpften die Raumvorstellungen der Bezirksregierung an Vorstellungen an, die während der NS-Zeit entwickelt worden waren. Rund 20 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft und ihrer Ideologie herrschte bei allen Planern nach wie vor eine latent industriefeindliche Haltung vor, die dem Erhalt von agrarischen Strukturen den Vorzug gab.1961 Die Arbeit der Raumplaner blieb aus ihrer Perspektive unabhängig von der sog. Weber-Kommission. Die von ihnen vorgenommenen Zuordnungen der Gemeinden zu ›zentralen Orten‹ standen nach ihrem Selbstverständnis und nach dem Verständnis des Innenministeriums in keinem Zusammenhang mit der parallel verlaufenden Gebietsreform.1962 Grundsätzlich gesehen entwarfen die Bezirksplaner Pläne für die 1958 Raumordnungsprogramm für den Regierungsbezirk Osnabrück, Februar 1968, Entwurf, NLA OS Rep 430 Akz 57/1987 Nr. 95. 1959 Ebd. 1960 Ebd. 1961 Raumordnungsplan für den Regierungsbezirk Osnabrück, Entwurf, Februar 1968 abgeschickt an den Minister des Innern am 2. August 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/ 1987 Nr. 95. 1962 Pressemitteilung des Ministers des Innern vom 18. August 1966, NLA OS Rep 430 Akz 51/ 78 Nr. 49; Landkreis Osnabrück an die kreisangehörigen Gemeinden, Schreiben vom 19. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2; Verständnislos stellte auch der Geschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages fest: »Man habe vielfach nicht oder nicht recht erkennen wollen, daß Landesplanung und Gemeindereform sehr viel miteinander zu tun hätten«, in: »Nicht nur im Nahbereich der Stadt wird es ernst«, NOZ, 5. Februar 1969; Siehe auch: Protokoll eines Erörterungstermins für die Durchführung des Raumordnungsverfahrens am 9. Oktober 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35; vgl.: Lienau: Zum Niedersächsischen Gesetz, S. 289.

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bis zur Gebietsreform noch recht kleinteilige Kommunallandschaft, die für jede einzelne Gemeinde eine Funktion und eine Einstufung ins hierarchische System der ›zentralen Orte‹ vorsahen. Das hatte Folgen: »Im Endeffekt führte dies in Niedersachsen zur Versagung von Angaben über gemeindliche Bauflächenausdehnungen oder -entwicklungsrichtungen in regionalen Raumordnungsprogrammen, was in etlichen anderen Bundesländern so nicht verwehrt wurde,«1963

erkannte rückblickend der Raumplaner Joachim Masuhr. Im Zuge der Gebietsreform sollten neue und größere Gemeindeeinheiten entstehen, für die eine andere Planung notwendig gewesen wäre, die die Bezirksplaner aber nicht leisten wollten.1964 Noch im 1972 veröffentlichten Raumordnungsprogramm wurden die Gemeinden Oesede und Georgsmarienhütte getrennt aufgeführt, als ob es weder einen Gebietsänderungsvertrag noch einen Gründungakt noch die Verleihung der Stadtrechte noch die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe auf dem Harderberg je gegeben hätte.1965 Offensichtlich waren die Raumplaner der Meinung, dass eine Zuordnung von Gemeinden zu ›Nahbereichen‹ nicht unbedingt auch mit einem politischen Zusammenschluss einhergehen müsse. Zusammengeschlossene größere Gemeinden, wie sie die SachverständigenKommission von Werner Weber vorsah, würden auch stärkere Akteure hervorbringen, die raumplanerische Entscheidungen der Experten noch weniger akzeptieren würden als Bürgermeister und Gemeindedirektoren der kleineren Gemeinden.1966 Dies lag nicht im Interesse der Raumplaner, die an ihren 1963 Masuhr : Die Entwicklung von Raumordnung, S. 816. 1964 Protokoll eines Erörterungstermins für die Durchführung des Raumordnungsverfahrens am 9. Oktober 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35. 1965 Oesede/Georgsmarienhütte wurden als Schwerpunkte genannt, in denen Arbeits-und Wohnstätten gesichert werden sollten. Wenn schon in den Grenzen von 1969 gedacht wurde, hätte auch die Gemeinde Harderberg als Schwerpunkt aufgeführt werden müssen, sie fehlt aber. Raumordnungsprogramm für den Regierungsbezirk Osnabrück, hrg. v. Minister des Innern, Hannover 1972, S. V/VI 5 und XII/3. Die Praxis der Raumplaner, die Gemeindeteile einzeln zu betrachten, wurde noch bis zum weitgehenden Abschluss der Gebietsreform beibehalten. Dann wurde dieses Vorgehen als »Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung und somit als unzulässig angesehen«, Masuhr: Die Entwicklung der Raumordnung, S. 816. 1966 Dass die Zusammenlegung von kleinen Einzelgemeinden zu leistungsfähigeren Großgemeinden auch Akteure hervorbringen würde, die für ihre Gemeinde einen größeren Gestaltungsspielraum beanspruchen würden, wurde erst im Nachhinein erkannt, vgl.: Holger Gnest: Entwicklung der überörtlichen Raumplanung in der Bundesrepublik von 1975 bis heute, Hannover 2008, S. 13; Als die Entstehung einer »kommunale [n] Gegenmacht«, die sich »in den vertikalen Entscheidungsprozessen entsprechend einsetzen können« wird diese Folge der Gebietsreform auch in der Fachliteratur der Geographen beschrieben, vgl.: Dieter Schimanke: Prozess und Auswirkungen der kommunalen Gebietsreform und Funktionalreform für die Kommunen im ländlichen Raum, in: Gerhard Henkel (Hg.): Kommunale Gebietsreform und Autonomie im ländlichen Raum. Vorträge und Ergebnisse

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Raumvorstellungen auch nach der Gebietsreform festhielten. Rückblickend urteilte Joachim Masuhr : »In kaum einem anderen Bundesland wurden die planerischen Zielaussagen gegenüber den Gemeinden Ende der 1970er und Anfang der 80er Jahre so restriktiv gehandhabt wie in Niedersachsen.«1967

Größere Kommunen und stärkere Akteure lagen somit jenseits ihrer Raumvorstellungen, aber ablehnen oder verhindern konnten die Beamten die Reform nicht. Sie war von der Landesregierung angestoßen worden und wurde von einer Sachverständigenkommission durchdacht und kommuniziert. Die Kommission arbeitete parallel zur Arbeit der Raumplaner und erarbeitete Richtlinien für die Neugliederung der kompletten Gebiets- und Verwaltungsstruktur. Für die Neugliederung der kommunalen Landschaft gab sie zunächst nur eine Einwohner_innenmindestzahl von 7.000 Einwohner_innen je Gemeinde, in dünn besiedelten Gebieten 5.000 Einwohner_innen vor, und ließ die weitere Entwicklung von Raumvorstellungen insbesondere in der Umgebung von größeren Städten offen.1968 Für den Neuzuschnitt der Bezirke und Landkreise hatte sie bereits konkretere Vorstellungen.1969 Landkreise und Bezirke sollten deutlich größer als bisher konzipiert werden, das bedeutete einen weitreichenden Eingriff in bisherige Personalstruktur. Landräte, Oberkreisdirektoren und Regierungspräsidenten sahen sich in ihrer Existenz bedroht, aber auch nachgeordnetes Personal, wie etwa die Raumplaner, musste mit Veränderungen rechnen.1970 Vor dem Hintergrund, dass sie selbst Gegenstand der Reform waren, legten die Raumplaner innerhalb kurzer Zeit Pläne für die Gestaltung der Gemeinden vor, und versuchten schon allein aus Gründen der Legitimation, ihre Pläne umgesetzt zu sehen.1971 Die Sachverständigenkommission sah ihre Arbeit sehr wohl in einem engen Zusammenhang mit der Arbeit der Raumplaner. Die Weber-Kommission be-

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des Dorfsymposiums in Bleiwäsche vom 12.–13. Mai 1986, Paderborn 1986, S. 41–58, hier S. 54. Masuhr : Die Entwicklung von Raumordnung, S. 816. Jahresbericht der Sachverständigenkommission 1967, S. 26 und S. 37. Bezirksreform in Niedersachsen, S. 15; Mattenklodt: Gebiets- und Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, S. 79–81. Tatsächlich wurden ihre Aufgaben 1977 gemäß dem Vorschlag der sog. Weber-Kommission den Landkreisen übertragen. Diese Übertragung wurde von vielen Kommunen als Sieg gegenüber der »autoritär-paternalistisch eingestuften Bezirksplanung« gefeiert, vgl.: Heinz Weyl: Zur Geschichte der Landes- und Regionalplanung in Niedersachsen, in: ARL (Hg.): Zur geschichtlichen Entwicklung der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung in der Bundesrepublik Deutschland, Hannover 1991, S. 197–251, hier S. 237. Mit den Worten, dies sei keine sterbende Behörde, trat der Regierungspräsident Suermann 1968 vor die Presse. »Die Wirtschaftsstruktur des Bezirkes stärken. Regierungspräsident Suermann vor der Presse«, NOZ, 18. Juli 1968.

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trachtete die Arbeit dieser Berufsgruppe als Grundlage für ihre Arbeit. Bei Zusammenlegungen sollten die Ausarbeitungen der Raumplaner und die Erkenntnisse über die ›zentralen Orte‹ und ihre ›Nahbereiche‹ zugrunde gelegt werden,1972 verkündete sie in ihrem Jahresbericht 1969. Dabei ging es Weber bei der Reform darum, Kommunen in die Lage zu versetzen, »die an sie im Sinne eigener Aufgaben herantretenden Anforderungen der Raumordnung sachgerecht zu erfüllen.«1973 Zeitlich gesehen wurden die konkreten Raumvorstellungen der Raumplaner früher artikuliert als die Weber-Kommission die Leitgedanken ihrer Raumvorstellungen in Umlauf bringen konnte.1974 Für die Akteure auf Gemeindeebene bot sich in diesem Zeitfenster die Chance, die Pläne der Raumplaner zu unterlaufen, indem sie sich ›freiwillig‹ zu einer Einheitsgemeinde zusammenschlossen, um damit eine ungünstige Einstufung ins System der ›zentralen Orte‹ zu umgehen. Als Innenminister Richard Lehners anlässlich des Beschlusses des Landtages zur Zusammenlegung zur Großgemeinde Georgsmarienhütte eine Ansprache hielt, gab er seiner Freude darüber glaubhaft Ausdruck. Dieser Zusammenschluss sei auch eine »schöne Frucht«1975 der positiv geführten Reformdiskussion, führte er aus. Er war durchaus der Meinung, dass die hier geleistete kommunalpolitische Arbeit eine ganz besondere Förderung und Anerkennung verdiene, allerdings sprach er im Hinblick auf das Industrie-und Gewerbegebiet auf dem Harderberg nur von einer baulichen Entwicklung, die auf die verhältnismäßig finanzschwache Gemeinde Harderberg ausgedehnt werden müsse, und nicht explizit von Industrie- und Gewerbeansiedlung, wegen derer der Zusammenschluss überhaupt nur zustande gekommen war. Der Minister des Innern, Richard Lehners, hatte zu den Ereignissen im Untersuchungsgebiet eine ambivalente Haltung. Einerseits begrüßte er den Zusammenschluss als ein Ergebnis der im Land geführten Reformdiskussion, das auch andere Gemeinden animieren könnte, sich zu größeren Einheiten zu1972 Gutachten 1969., S. 52. 1973 Weber : Entspricht die gegenwärtige kommunale Struktur, S. 2. 1974 Der Ausschuss ›Verdichtungsräume‹ bei der obersten Landesplanungsbehörde fragte ausdrücklich danach, wie die Weber-Kommission das Problem der Verdichtungsräume sehe, das dort unter dem Stichwort ›Stadt-Umland-Problem‹ firmierte. Protokoll der Sitzung des Ausschusses ›Verdichtungsräume‹ des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 4. März 1968, NLA HA Nds 600 Akz 27/82 Nr. 28. Die jedoch konnte 1967 noch keine klaren Antworten geben. In ihrem im November 1967 erschienenen Jahresbericht kündigten die Teilnehmer einer Arbeitsgruppe an, sich mit dem Thema »auf der Grundlage von unmittelbaren Anschauungen« u. a. von Osnabrück zu beschäftigen; Jahresbericht 1967 der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen, Hannover 1967, S. 38. 1975 Rede Richard Lehners am 3. September 1969 im Niedersächsischen Landtag, NLA HA Nds 100 Akz 51/84 Nr. 784.

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sammenzuschließen, andererseits muss ihm eine starke Kommune mit starken Akteuren im Landkreis Osnabrück suspekt gewesen sein.1976 Die Ansiedlung von Industrie- und Gewerbe in dem Ortsteil Harderberg mochten er und die Bezirksregierung im Verfahren des nachträglichen Genehmigens noch dulden, aber Fördergelder in die Großgemeinde fließen zu lassen, war für ihn nicht denkbar. Lehners trat für eine Begrenzung der Anzahl der zu fördernden Orte und damit auch für eine äußerst sparsame Verwendung von Geldern aus der Landeskasse ein. »Den Ergebnissen des Landes-Raumordnungsprogrammes in dem die Landesregierung nach dem NROG die Grundzüge der anzustrebenden Entwicklung festzulegen hat, soll nicht vorgegriffen werden. Doch muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß eine ausgesprochene Schwerpunktpolitik unerläßlich ist, um die Struktur des Landes zu verbessern und die Wirtschafts-und Steuerkraft zu heben, damit auch den sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung getragen werden kann. Die Mittel des Staates werden deshalb im Sinne einer ausgewogenen Entwicklung auf bestimmte Schwerpunktaufgaben und ausgewählte Schwerpunkträume konzentriert werden müssen, auch wenn dies zunächst manche Härten mit sich bringen kann«,1977

verkündete Lehners 1968. Dass das Land Niedersachsen finanziell schlecht ausgestattet war, lässt sich auch daran erkennen, dass nicht einmal die Kosten der Gebietsreform aus der Landeskasse kommen sollten. Dies besagte eine »inoffizielle Hochrechnung des Innenministeriums. Gemeinden, die sich zusammenschließen, sollen eine Starthilfe von 120 Mio. DM erhalten, die von der Gemeinschaft der Kreise, Städte und Gemeinden selbst aufgebracht werden müssen«.1978 Detaillierte Untersuchungen aus den 1980er Jahren belegen: »Starthilfen wurden zwar gewährt. Gleichzeitig wurde durch den zugrundliegenden Verteilungsmechanismus der Grundbetrag gesenkt. Für keine Gemeinde sind zusätzliche Zuweisungen gewährt worden, die ihr nicht – zeitlich versetzt – wieder genommen wurden.«1979

Dass das mit einem vermeintlich großzügigen finanziellen Anreiz versehene Reformvorhaben mit dem Zusammenschluss von sechs Kleingemeinden zu 1976 Dass der Zusammenschluss der Dütetalgemeinden das ungeplante Ergebnis von bereits öffentlich diskutierten Reformplänen war, wird daran deutlich, dass das Innenministerium nach 1970 eine andere Strategie wählte: Der Staatssekretär Helmut Tellermann forderte 1971: »Keine Belastung der Gemeindereform mit einem ›Schattenkampf‹ um künftige Kreise und Kreisgrenzen.« Helmut Tellermann: Die Verwaltungs- und Gebietsreform im Lande Niedersachsen, Hannover 1972, S. 14. 1977 Lehners: Die Landesplanung, S. 18. 1978 Mattenklodt: Gebiets- und Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, S. 207. 1979 Wolfgang Thiede: Auswirkungen der Gebietsreform im Bereich des kommunalen Finanzausgleichs. Empirische Untersuchungen am Beispiel des Landes Niedersachsen, Baden-Baden 1981, S. 74.

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einer Stadt umgesetzt worden war, die nun intensiv einen Strukturwandel einleitete und vehement Zuschüsse dafür einforderte, muss Lehners Freude gedämpft haben. Es passt ins Bild, dass der Innenminister seine Teilnahme an der Verleihung der Stadtrechte am 19. September 1970 kurzfristig absagte und sich durch den Staatssekretär Helmut Tellermann vertreten ließ.1980 Die Raumvorstellungen der am untersuchten Aushandlungsprozess beteiligten Raumplaner orientierten sich mit ihrer Industriefeindlichkeit und einer autoritären Haltung, die Partizipation selbst von Mandats- und Entscheidungsträgern ausschloss, an der vorindustriellen Zeit des 19. Jahrhunderts. Mit ihrem stetigen Bekunden, ihre Arbeit habe nichts mit der Gebiets- und Verwaltungsreform zu tun, traten sie für eine kommunale Landschaft ein, die Ende der 1960er Jahre kleinteilig war und bleiben sollte. Die Akteure einer solchen Landschaft ließen sich leichter führen und kontrollieren als die Akteure einer »kommunale[n] Gegenmacht«.1981 Ihr oberster Dienstherr, Richard Lehners, jedoch hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sich mit größeren Gemeinden auch Machtverhältnisse änderten. Als 1974 die Landesplanungsbeiräte im Zuge einer Gesetzesnovelle abgeschafft wurden, um an ihrer Stelle demokratisch besser legitimierte Mitsprachemöglichkeiten für Kommunalpolitiker zu schaffen, wäre Lehners gerne beim alten Modell geblieben: »Wir [Hervorhebung im Original. I.B.] glaubten nicht auf die Mitarbeit der Landesplanungsbeiräte verzichten zu könne.«1982 Er dachte vermutlich daran, mit einer Gebietsreform die Verwaltung von Gemeinden zu vereinfachen und effizienter zu gestalten. Eine Untersuchung aus dem 1980er Jahren kam jedoch zu dem Ergebnis: »Die Gebietsreform war für beide Bewegungen [Raumordnung und Verwaltungsvereinfachung I.B.] ein Mittel, aber sie stand nicht im Mittelpunkt. Sie wurde gefordert um größerer Ziele willen. Aber sie hat – und das ist vielleicht das interessanteste an der Entwicklung – ihre Eigendynamik entfaltet.«1983

1980 Rolfes hatte das Ministerium gebeten, die Fahrtroute des Innenministers mitzuteilen, man wolle ihn an der Stadtgrenze mit einem Blumenstrauß und einem Vertreter der Presse abholen, Rolfes an das Ministerium des Innern, Schreiben vom 7. September 1970, NLA OS Dep 81 b Nr. 329. Zwei Tage vor den Festlichkeiten musste Rolfes bekannt geben, dass die Urkunde durch Staatssekretär Tellermann übergeben werde, Rolfes an Stahlmann, Schreiben vom 17. September 1970, ebd. 1981 Schimanke: Prozess und Auswirkungen der kommunalen Gebietsreform, S. 54. 1982 Ansprache des Nieders. Minister des Innern Richard Lehners vor dem Landesplanungsbeirat bei der obersten Landesplanungsbehörde am 18. Dezember 1973, NLA HA Nds. 100 Akz. 36/86 Nr. 130. 1983 Thieme/Prillwitz: Durchführung und Ergebnisse, S. 67.

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5.1.2. Raumvorstellungen von Gutachtern und ihre Instrumentalisierung Zwei Gutachten kursierten im Aushandlungsprozess um die Gründung der Stadt Georgsmarienhütte: Das sog. Wortmann-Gutachten1984 und das Prognos-Gutachten.1985 Beide prognostizierten eine besorgniserregende Entwicklung: einen starken Anstieg der Bevölkerungszahl bei gleichzeitigem Rückgang der Anzahl der Arbeitsplätze, eine Entwicklung, die insbesondere für das Osnabrücker Land vorhergesagt wurde. Beide Gutachten empfahlen die Einrichtung eines Industriegebietes in Wallenhorst/Hollage. Im Gegensatz zu Wortmann setzte sich das Prognos-Gutachten für eine aktive Wirtschaftsförderung im Untersuchungsgebiet ein und verwies darauf, dass auch im Untersuchungsgebiet eine langfristige Lösung für die in Zukunft abgebauten Arbeitsplätze gefunden werden müsse. Hingegen hatte Wortmann andere Pläne für das Untersuchungsgebiet. Zwar sollte die kommunale Landschaft zwischen Osnabrück und Bad Iburg zu einem ›Mittelzentrum‹ ausgebaut werden, jedoch nach dem Abbau von Arbeitsplätzen des Stahlwerks nicht neu industrialisiert werden. Eine Raumvorstellung, die 1977 auch von der Bundeskommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel formuliert wurde. Nach dieser sind »ländliche Gebiete von weiteren Verdichtungs- und Industrialisierungsbemühungen auszunehmen und diese Räume stattdessen für Erholungs- oder ökologische Ausgleichszwecke zu reservieren.«1986 Worauf Wortmanns Raumvorstellung rekurrierte, lässt sich nur aus seinem bisherigen Wirken schließen: Während der NS-Zeit gehörte Wilhelm Wortmann zur Planungsgruppe um Albert Speer,1987 er setzte sich für das Konzept der ›Stadtlandschaft‹ ein, das um die Jahrhundertwende entstand und während der NS-Zeit agrarromanitsch verklärt und verzerrt wurde. 1941 schrieb Wortmann: »Die Stadtlandschaft will einen neuen zellenförmigen Aufbau der Stadt in bewußter Anlehnung an die politische Gliederung unseres Volkes, im Gedanken der Volksgemeinschaft und in lebendiger Beziehung zur Landschaft.«1988 Nach dem Krieg betätigte er sich als Stadt- und Landesplaner von Bremen und war Inhaber des hannoverschen Lehrstuhls für Städtebau. Ende der 1950er Jahre machte er sich – nachdem er das Konzept der ›Stadtlandschaft‹ für die zerstörten 1984 Auszug aus den Erläuterungen zur regionalen Raumordnung im Einflußbereich Osnabrücks, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1985 NLA OS Dep 123 Akz 2012/045 Nr. 44. 1986 Grüner : Geplantes »Wirtschaftswunder«? S. 377. 1987 Waldhoff/Fürst/Böcker : Anspruch und Wirkung der frühen Raumplanung, S. 67. 1988 Wilhelm Wortmann: Der Gedanke der Stadtlandschaft, in: Raumforschung und Raumordnung, Heft 1 (1941), S. 15, zit. n. Werner Durth: Die Stadtlandschaft als Konzept im Wiederaufbau niedersächsischer Städte, in: NJfL 65 (1993), S. 1–16, hier S. 2.

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Städte für nicht mehr realisierbar hielt – für den Bau von ›Trabantenstädten‹ stark. Eine ›Trabantenstadt‹ namens Heitlingen in der Nähe von Hannover, wo Beschäftigte der Industrie und ihre Familien angesiedelt werden sollten,1989 wurde von ihm in der Nachkriegszeit favorisiert. Die Idee dahinter war, den Strom der Menschen in mit Stadtautobahnen angebundene Klein- und ›Trabantenstädte‹ zu lenken.1990 Der Bau von Heitlingen scheiterte am Widerstand der Stadt Hannover, doch die Idee solcher Städte war weder singulär noch innovativ. Die Einrichtung von ›Trabantenstädten‹ waren in ganz Niedersachsen geplant, die Pläne stammen noch aus der NS-Zeit.1991 Ob Wortmann eine ›Stadtlandschaft‹, eine ›Trabantenstadt‹ oder ein Naherholungsgebiet für Osnabrück geplant hatte, lässt sich im Nachhinein nicht mehr klären. Die Gutachten dienten natürlich einerseits dazu, Entwicklungstendenzen aufzuzeigen und Akteuren Handlungsoptionen nahezulegen, sie wurden aber von Akteuren in der Aushandlung auch benutzt, um ihre Vorhaben zu legitimieren. Dabei bedienten sich alle Akteure der gutachterlichen Schriftstücke wie aus einem Setzkasten, indem nur die Informationen aus den Expertengutachten herausgegriffen wurden, die in der jeweiligen Aushandlung für den jeweiligen Akteur gerade von Nutzen waren. So nutzte der Oesede Gemeindedirektor Rolfes das Prognos-Gutachtens Ende 1967, um das Projekt Wirtschaftsförderung vor dem Gemeinderat zu rechtfertigen. »Dieser Bericht ist alles andere als rosig«,1992 fasste er das umfangreiche Gutachten zusammen. Die Ausgaben des Landes Niedersachsen für Industrieansiedlung seien geringer als die anderer Bundesländer. Doch von Industrieansiedlung in Wallenhorst/Hollage wollte Rolfes nichts wissen. »Was ist sinnvoller, die Industrie zum Menschen oder den Menschen zur Industrie zu bringen?«1993 fragte er seine Ratsleute und beantwortete die Frage ungeachtet der Empfehlungen des Prognos-Gutachtens, das sich für Industrieansiedlung an den Verkehrsachsen – vor allem in Wallenhorst/Hollage selbst – aussprach. Rolfes erklärtes Ziel war zu diesem Zeitpunkt bereits, die Wirtschaftsförderung vor Ort zu betreiben und vor allem für die heranwachsende Generation in ihrer »Heimat Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten«1994 zu erhalten. Dabei bezog er das Gutachten auf die Situation in seiner eigenen Gemeinde und warb für sein Vorhaben der aktiven Wirtschaftsförderung. Waldhoff/Fürst/Böcker : Anspruch und Wirkung der frühen Raumplanung, S. 163. Ebd., S 219; vgl. auch Leendertz: Ordnung schaffen, S. 318. NLA HA Nds 100 Akz 2001/019 Nr. 157. Bericht des Oeseder Gemeindedirektors am 14. Dezember 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7 Ordner 31, Teil 1. 1993 Ebd. 1994 Ebd.

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Landrat Tegeler zog Anfang 1968 die Gutachten vor allem heran, um die Gespräche über eine Zusammenlegung der sechs Gemeinden in Gang zu bringen. Vor allem die Zahlen über den starken Anstieg der Einwohner_innenzahlen im Osnabrücker Land machten Eindruck. Der Landkreis Osnabrück werde jährlich um 3.000 Personen wachsen, im Jahr 1980 würden 20.00–30.000 Menschen mehr im Osnabrücker Land leben, in 50 Jahren 60.000 bis 90.000 mehr,1995 postulierte Tegeler, obwohl das Wortmann-Gutachten eine weitaus geringere Wachstumsrate errechnete.1996 Das Wortmann-Gutachten empfehle Industrieansiedlung, um die Menschen mit Arbeitsplätzen versehen zu können, redete auch Tegeler der zukünftigen Wirtschaftsförderung das Wort, ohne auch nur ansatzweise zu erwähnen, dass das Gutachten einen industriefeindlichen Charakter – jedenfalls was die Ansiedlung von Industrie betrifft – aufweist. Die Empfehlung, in Harderberg keine Gewerbegebiete auszuweisen, verschwieg er vollends. Immerhin erwähnte er, dass das Land Industrieansiedlung fördern wolle, allerdings in Wallenhorst/Hollage. Diesen Umstand nutzte Landrat Tegeler aus, um die Akteure zur Zusammenlegung aufzufordern: Sie sollten ihre Kräfte bündeln und »ihr Eigengewicht durch Selbsthilfe«1997 einsetzen. Mit den Worten: »Wo die Eigeninitiative fehle, könne der Landkreis und das Land nicht die Mittel zur Verfügung stellen«,1998 empfahl er vor allem den zögernden Georgsmarienhüttern, mehr Eigeninitiative zu ergreifen. Im Hinblick auf Zuschüsse für Industrieansiedlung nutzte er ebenfalls gutachterliche Zahlen: Auf die Frage eines Ratsherrn, ob man denn nach dem Zusammenschluss Bundesausbauort werden könne, antwortete er, dass das Prognos-Gutachten so ungünstig für den Osnabrücker Raum sei, dass es durchaus möglich sei, nach dem Zusammenschluss Bundesausbauort zu werden und damit auch Zuschüsse für Industrie- und Gewerbeansiedlung zu bekommen.1999 Kurz zuvor war die Aufnahme Oesedes in dieses Programm abgelehnt worden,2000 und auch nach dem Zusammenschluss kam es zu keiner Aufnahme in das Programm.

1995 Protokoll einer Besprechung über die Entwicklung des Düteraums am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 1996 Wortmann errechnete eine Bevölkerungszunahme für Stadt und Landkreis Osnabrück von 276.000 im Jahr 1966 auf 293.000 im Jahr 1980. Das entsprach einer Zunahme von rund 1.214 Menschen jährlich. Auszug aus den Erläuterungen zur regionalen Raumordnung im Einflußbereich Osnabrücks. NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. Es ist unklar, woher Tegeler seine Zahlen hatte. 1997 Protokoll einer Besprechung über die Entwicklung des Düteraums am 16. Juli 1968, ebd. 1998 Protokoll der öffentlichen Sitzung des Georgsmarienhütter Gemeinderates am 17. März 1969, ebd. 1999 Tegeler am 16. Juli 1968, ebd. 2000 Der erste Antrag auf Aufnahme in das Programm der Bundesausbauorte wurde im Juni 1968 abgelehnt. Protokoll des Oeseder Verwaltungsausschusses am 26. Juni 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1.

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Doch nicht nur der Landrat und der Oeseder Gemeindedirektor bedienten sich aus den Gutachten. Die Zusammenlegungsgegner im Georgsmarienhütter Gemeinderat schauten sich die beiden Schriftstücke ebenfalls genau an. In einer Besprechung Ende 1968 versuchten sie die Zusammenlegungsbestrebungen im eigenen Gemeinderat zu unterbinden. Nach eingehender Betrachtung des Zahlenwerkes des Wortmann-Gutachtens zogen sie ganz andere Schlüsse: »Danach ist also festzustellen, daß von der erwarteten Bevölkerungsexplosion keine Rede sein kann.«2001 Auch war den Gegnern der Zusammenlegung durchaus bewusst, dass das Wortmann-Gutachten die Ausweisung von Gewerbegebieten in der Gemeinde Harderberg nicht empfahl. Zwar verwies die angeführte und aus der Luft gegriffene Begründung, die Gemeinde müsse wegen des Krankenhauses2002 frei von Gewerbebetrieben bleiben, auf Unkenntnis des genauen Wortlautes des Gutachtens, dennoch verhalfen beide Gutachten hier beiden Seiten zu Argumenten. Dass die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe in der Gemeinde Harderberg in beiden Gutachten nicht empfohlen wurde, verschwieg Tegeler in der entscheidenden Sitzung im Juli 1968, genau wie der Oeseder Gemeindedirektor Rolfes die Probleme nicht erwähnte, die sich ein Jahr zuvor bei der Ansiedlung der Firma für Betonfertigteile im Oeseder Norden, direkt an der Grenze zur Gemeinde Harderberg, ergaben. Entschlossen standen vor allem Tegeler und Rolfes den Ratsleuten gegenüber und warben für das Projekt Industrie-und Gewerbeansiedlung, ohne je zu erkennen zu geben, dass genau dies höheren Ortes nicht erwünscht war. Im Gegenteil: Tegeler benutzte das Prognos-Gutachten, um den Ratsleuten zu suggerieren, das Zahlenmaterial genüge, um die zusammengeschlossene Gemeinde in das Programm der Bundesausbauorte aufnehmen zu lassen und damit Zuschüsse für die Erschließung des Industrieund Gewerbegebietes zu bekommen. Dies war ein Trugschluss, wie sich später herausstellte, doch da hatten die Harderberger Ratsleute bereits ihre Zustimmung zum Zusammenschluss gegeben. Auch muss Tegeler gewusst haben, dass das sog. Wortmann-Gutachten die Grundlage für die Regionalplanung sein würde und damit normativen Charakter entfalten würde. Diese Tatsache wurde nirgendwo kommuniziert. Doch intern muss die Bedeutung des Gutachtens bekannt gewesen sein. Als Backhaus im Jahr 1966 im Kreisausschuss die Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung verteilte, bemerkte er dazu, dass die Planungen, die die Region betreffen, »von 2001 Protokoll einer Vorbesprechung der Georgsmarienhütter Mitglieder des Ausschusses zur weiteren überörtlichen Zusammenarbeit am 30. Dezember 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2002 Gemeint war das 1966 erbaute Franziskus-Hospital, Protokoll einer Vorbesprechung der Georgsmarienhütter Mitglieder des Ausschusses zur weiteren überörtlichen Zusammenarbeit am 30. Dezember 1968, ebd.

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Professor Wortmann redigiert und vom Regierungspräsidenten als Richtschnur aufgestellt worden«2003 seien. Außer Tegeler und möglicherweise auch Rolfes mussten alle Ratsleute davon ausgehen, dass es sich um ein unabhängiges Gutachten handelte, an dessen Aussagen niemand gebunden sein würde. Dass dies nicht der Fall war, zeigte sich im Frühjahr 1968, als die Vorstellungen Wortmanns, dessen Teilgutachten erst im August 1968 veröffentlicht wurden, bereits in den Regionalplan der Bezirksregierung übergegangen waren. Doch dieses Konfliktfeld war den Ratsleuten im Untersuchungsgebiet nicht bewusst. Dass Tegeler und Rolfes noch einen weiteren Aushandlungsprozess bestritten, der den ersten leicht zum Scheitern hätte bringen können, ahnten wohl nur die wenigsten Ratsleute. Ob die Gemeinde Harderberg bei so unsicherer Situation, was die Ansiedlung von Industrie- und Gewerbebetrieben anging, einem Zusammenschluss zugestimmt hätte, ist fraglich. Diejenigen Georgsmarienhütter Ratsleute, die den Zusammenschluss mit größter Skepsis sahen und ihn gerne verhindert hätten, wären unter diesen Umständen sicherlich nicht mal an den Verhandlungstisch gekommen. Nicht nur Landrat Tegeler pflegte einen selektiven Umgang mit dem Wortmann-Gutachten, sondern auch die Bezirksplaner. Wortmann empfahl zwar nur eine eingeschränkte Ausweisung von Industrie- und Gewerbegebieten, was auch im Sinne der Bezirksplaner war, gleichzeitig befürwortete er aber auch die Einstufung des ›Siedlungskomplexes‹ Oesede/Georgsmarienhütte als ›Mittelzentrum‹. Diese Empfehlung wurde von den Bezirksplanern nicht übernommen. Keiner der Kommunalakteure verwies bei der Aushandlung um den Status der beiden Orte Oesede/Georgsmarienhütte auf das Wortmann-Gutachten. Dafür kann es nur einen Grund geben: Mit der Initiierung des Zusammenlegungsvorgangs im Untersuchungsgebiet hatten die Gutachten aus Sicht der Kommunalpolitiker, aber auch der Raumplaner ihren Zweck2004 erfüllt und wurden im weiteren Verlauf der Aushandlung nicht weiter herangezogen, da eine genaue Lektüre von weiteren Akteuren im weiteren Aushandlungsprozess für einige Beteiligte durchaus von Nachteil hätte sein können. Die spezielle Stellung des Wortmann-Gutachtens, das 1972 in den Raumplan der Bezirksregierung integriert wurde, bedarf an dieser Stelle besonderer Aufmerksamkeit. Sie zeigt, wie einige Akteure in mehreren Interdependenzen involviert waren, ohne dass ihre Rolle klar beschrieben wurde.2005 Hier war von Anfang an geplant, Expertenwissen zu einer entscheidungswirksamen Grund-

2003 Protokoll der Kreisausschusssitzung des Landkreises Osnabrück am 22. Juni 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 2004 Über die legitimierende Kraft der Wissenschaft vgl.: Schanetzky : Die große Ernüchterung, S. 34; Metzler : Konzeptionen politischen Handelns, S. 383–403. 2005 Vgl.: Leendertz: Ordnung schaffen, S. 334.

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lage zu erheben, deren Bedeutung nicht allen bekannt war und die vor allem jeglicher Aushandlung entzogen war. Noch schwieriger wurde die Aushandlung, wenn eine Entscheidung, die eigentlich von der Bezirksregierung getroffen werden musste, an einen Gutachter delegiert wurde. Als der Oeseder Gemeindedirektor Rudolf Rolfes im Februar 1969 der Bezirksregierung von den aussichtsreichen Verhandlungen zum Zusammenschluss zwischen den drei Gemeinden »im Hinblick auf die Wirtschaftsförderung« berichtete, schrieb er auch: »Ein größeres Gelände möchte ausgewiesen werden«,2006 und verwies darauf, dass er bereits in konkreten Verhandlungen mit zwei Gewerbebetrieben stehe. Eine handschriftliche Notiz des Dezernates für Raumplanung auf dem Brief vermerkte, dass die Ausweisung einer größeren Industriefläche nur nach Abstimmung mit dem Stadt-UmlandPlan – dahinter verbarg sich das Wortmann-Gutachten – möglich sei, da der Plan eine solche Ausweisung nicht vorsehe. Vorab sei keine Entscheidung möglich. Die Entscheidung, ob der Zusammenschluss, für den die Gemeinden im Begriff waren, ihre Selbständigkeit aufzugeben, zielführend und zu einer Ansiedlung von Gewerbebetrieben führen würde, lag zu diesem Zeitpunkt allein in der Hand des im Ruhestand befindlichen Hochschullehrers Wilhelm Wortmann, dessen Raumvorstellungen aus der NS-Zeit stammten. Das in Gutachten verbreitete Expertenwissen hatte nicht die Rolle, welche ihm ursprünglich zugewiesen wurde, nämlich unabhängig von der Tagespolitik auf der Grundlage von Zahlenmaterial nach wissenschaftlichen Kriterien Entwicklungstendenzen und Handlungsmöglichkeiten richtungsweisend aufzuzeigen,2007 sondern es wurde eingesetzt, um strategische Ziele2008 zu verfolgen und zwar immer nur in Teilaussagen.2009 Trotz des selektiven Umgangs mit den Gutachten ist dennoch festzuhalten, dass ohne das prognostizierte Wachsen der Bevölkerung, das in einigen Jahren die nächste Generation in eine schwierige Arbeitsplatzsituation gebracht hätte, die Zusammenlegungsverhandlungen nicht in Gang gekommen wären.

2006 Rolfes an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 5. Februar 1969, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 18 Bd. 2. Dass von Wortmann eine Stellungnahme zur Ansiedlung von Gewerbebetrieben eingeholt werden sollte, betraf auch Nahne. Vermerk der Stadtbauverwaltung Osnabrück vom 20. März 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26. 2007 Vgl.: Stephan Bröchler : Kalliope im Wunderland. Orientierungen, Bedarfe und Institutionalisierung von wissenschaftlicher Politikberatung im bundesdeutschen Regierungssystem, in: Rainer Schützeichel/Thomas Brüsemeister (Hg.): Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Beratung, Wiesbaden, 2004, S. 19–38. 2008 Zum gleichen Ergebnis kommt auch Molema: Regionale Stärke, S. 18. 2009 Vgl: Albertin/Keim/Werle: Die Gemeinden in der Hand der Reformer, S. 41.

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5.2. Raumvorstellungen der regionalen Akteure Viele Akteure waren am Zusammenschluss beteiligt. Ratsherren in allen Gemeinderäten sprachen sich für einen Zusammenschluss aus und leisteten in öffentlichen und in nichtöffentlichen Sitzungen, in Arbeitsbesprechungen und in informellen Gesprächen Überzeugungsarbeit. Verwaltungsangestellte erhoben komplexe Informationen, bereiteten Sitzungen vor und nach, prüften Alternativen, kommunizierten mit übergeordneten Politik- und Verwaltungsebenen und waren überdies direkt Betroffene der Reform.2010 Im Folgenden werden nur die wichtigsten Akteure, ihre Haltungen und ihre Handlungen vorgestellt, um einmal mehr herauszustellen, welchen Anteil Handlungen Einzelner für das Geschehen im Untersuchungsgebiet hatten.

5.2.1. Raumvorstellungen der regionalen Akteure des Gebietsänderungsvertrages Landrat Josef Tegeler war einer der wichtigsten Akteure des Zusammenschlusses. Er vereinte zur Zeit der Zusammenlegung mehrere Rollen in seiner Person: er war Gemeinderatsmitglied in Georgsmarienhütte, Kreistagsabgeordneter des Osnabrücker Kreistages, Landrat und Mitglied des Niedersächsischen Landtages, gleichzeitig war er Unternehmer mit jeweils einer KFZ-Werkstatt in Oesede und Georgsmarienhütte. So konnte er Einsicht in viele Zusammenhänge nehmen, frühzeitig Entwicklungen erkennen und gegebenenfalls Schritte in die Wege leiten, um sie abzuwenden oder zu fördern. Ende 1967 trat eine Situation ein, die er verhindern wollte. Osnabrück stellte weitreichende Ansprüche an die Umlandgemeinden. Wenn die Stadt Osnabrück sich durch Eingemeindung des ›Raumes‹ bemächtige und dort Industrie ansiedele, dann führe das dazu, »daß sich im übrigen Landkreis nichts mehr abspiele«,2011 artikulierte Tegeler seine Ängste vor dem Kreisausschuss. Man müsse befürchten »daß der Landkreis ein Agrarkreis werde«,2012 30 Jahre zurückgeworfen werde und wieder von vorne anfangen müsse. Diese Befürchtung trug er 1968 auch dem Georgsmarienhütter Gemeinderat vor. »Wir sehen mit einiger Sorge, wie der Zugriff der Stadt Osnabrück auf die Stadtrandgemeinden sich hinter den Kulissen immer stärker formiert. Für mich ist eindeutig klar, daß wir hier mit Abgang etlicher Gemeinden an die Stadt Osnabrück zu rechnen 2010 Ebd., S. 55. 2011 Protokoll der Kreisausschusssitzung vom 14. November 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/ 1992 Nr. 230. 2012 Ebd.

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haben.«2013 Die Schlüsse, die er 1968 daraus zog, waren allerdings neu. Ein Zusammenschluss der ›Dütetal‹-Gemeinden müsse kommen, damit man ein stärkeres Gegengewicht zur Stadt Osnabrück bilden könne. Alle anderen Landkreise hätten bereits ›Mittelzentren‹ in ihren Kreisen, nur der Landkreis Osnabrück nicht, leistete er Überzeugungsarbeit im Georgsmarienhütter Gemeinderat.2014 Auf seine Initiative hin trafen sich nach mehreren Vorgesprächen Vertreter der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Harderberg, Kloster Oesede und Holzhausen mit Vertretern des Landkreises im Juli 1968 in einem Restaurant in Oesede. Auch vor diesen Akteuren legte Tegeler die Landkreissituation dar. Alle Kreise verfügten mit Quakenbrück, Bramsche und Melle über ›Mittelzentren‹, der Landkreis Osnabrück habe nur Dissen/Bad Rothenfelde und Iburg aufzuweisen.2015 Inzwischen hatte Tegeler noch weitere Argumente für einen Zusammenschluss vorzubringen: der in verschiedenen Gutachten prognostizierte Anstieg der Bevölkerungszahl, die Einstufung der beiden Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede als ›Unterzentrum‹ und die bald fehlenden Arbeitsplätze, die eine gezielte Wirtschaftsförderung notwendig machten.2016 Ein neuer und wesentlicher Aspekt war allerdings die Erwähnung des neuen Industriegebietes in Wallenhorst/Hollage. Nach eigenem Bekunden hatte Landrat Tegeler dieses Gelände selbst auf einer Sonntagsspazierfahrt entdeckt und es als Industriegebiet vorgeschlagen,2017 wohlwissend, dass die Kommunen zwischen Osnabrück und Iburg ein solches Industriegebiet ebenfalls gebraucht hätten, um die Situation bei den Klöckner-Werken zu kompensieren. Hier erwies sich Tegeler mehr als Landrat denn als Gemeinderatsmitglied in Georgsmarienhütte. Wallenhorst/Hollage, das mag auch Tegeler klar gewesen sein, liegt an den von allen Gutachtern und Planern für Industrieansiedlung für wichtig erachteten Verkehrsbändern. Einer Förderung dieses Gebietes konnte er sicher sein,2018 während der ›Düteraum‹ eben nicht an einem der gedachten Verkehrsbänder lag und sicherlich nicht ohne weiteres eine Förderung bekommen würde. Im Gegenteil, der Landkreis begründete den Antrag auf Förderung des Gewerbegebietes Hollage/Wallenhorst beim Land Niedersachsen mit dem Arbeitsplatzabbau u. a. in Georgsmarienhütte.2019 Um den Landkreis Osnabrück aber ein wei2013 Undatierte Rede vor dem Georgsmarienhütter Gemeinderat, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/ 077 Nr. 12. 2014 Ebd. 2015 Protokoll einer Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2016 Ebd. 2017 NLA OS Erw 52 Akz 2010/077 Nr. 42. 2018 Vermerk des Wirtschaftsministeriums betreffs Gemeinsamer Antrag der Stadt Osnabrück und des Landkreises Osnabrück wegen Förderung der sog. Industrieschiene und wegen der Behandlung beider Gebiete im Regionalen Aktionsprogramm vom 2. Juli 1969, NLA HA Nds 500 Akz 2001/084 Nr. 17/2. 2019 Ebd.

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teres Stück Stärke zu verleihen, entschied sich Tegeler für dieses Gelände im Norden des Landkreises. Er setzte darauf, dass die Akteure im ›Düteraum‹ sowohl den Zusammenschluss als auch die Ansiedlung von Industrie bewerkstelligen können. Sein Vertrauen in die Akteure der kommunalen Landschaft zwischen Osnabrück und Iburg war gerechtfertigt. Vor allem im Oeseder Gemeindedirektor Rudolf Rolfes fand Tegeler einen Mitwirkenden in Sachen Zusammenlegung, Wirtschaftsförderung und Erhalt des Landkreises Osnabrück.2020 Mit ihm besprach er das weitere Vorgehen zum Zusammenschluss,2021 und als sich die Diskussion um den Fortbestand des Landkreises Osnabrück im Spätherbst 1968 zuspitzte, schrieb Rolfes an die Weber-Kommission und sagte die Zusammenlegung zu, um zu verhindern, dass der Kreissitz nach Melle kommen würde.2022 Wann immer im weiteren Verlauf der Aushandlungsprozess ins Stocken geriet, wandte sich Tegeler an den Oeseder Gemeindedirektor. So beauftragte er ihn beispielsweise, sich um den Beitritt Holzhausens zu kümmern.2023 Für diese Zusammenarbeit gab es keinerlei institutionelle Grundlage. Allenfalls hätte er als Landrat an den Oberkreisdirektor Backhaus einen politischen Auftrag geben können, der ihn dann an Rolfes hätte weitergeben können. Doch dieser Zwischenschritt unterblieb. Wie sehr Josef Tegeler den Zusammenschluss als Landrat steuerte, verrät eine Bemerkung, die er am 1. Januar 1970 beim Sektempfang anlässlich des Inkrafttretens des Gebietsänderungsvertrages in der Aula der Realschule machte: »Es war einmalig – auch für Niedersachsen – daß man eine Gemeinde im Dreistufenplan aus der Taufe hob.«2024 Damit meinte er das Vorgehen, erst eine Einigung zwischen Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede zu erzielen, dann Kloster Oesede und Holsten-Mündrup und sodann einen Teil von Holzhausen zur neuen Gebietskörperschaft beitreten zu lassen. Somit wurde bei der Gründung der Stadt Georgsmarienhütte nichts dem Zufall überlassen. Die Teilnahme von Gemeindevertretern aus Holzhausen und Kloster Oesede an der entscheidenden Sitzung am 16. Juli 1968 weist darauf hin, dass seitens des Landkreises von Anfang an eine Großgemeinde gewollt war und ihre Entstehung

2020 Vermerk Rolfes Vom 11. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 2. 2021 »Was ist im Falle des Zusammenschlusses der Gemeinden Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede zu tun.« Papier vom 14. November 1968 erarbeitet von der Oeseder Gemeindeverwaltung im Auftrag von Landrat Tegeler, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2022 Oeseder Gemeindedirektor Rolfes an die Weber-Kommission, Schreiben vom 15. November 1968. NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2023 Rolfes an Tegeler, Schreiben vom 22. Dezember 1969, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 12. 2024 »Der Geburtstag der Großgemeinde. Gestern: Viele Glückwünsche für Georgsmarienhütte«, NOZ, 2. Januar 1970.

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gesteuert wurde, während die Kommunalakteure noch das Gefühl hatten, eine freie Entscheidung zu treffen. Auch der Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus war ein wichtiger Akteur auf Landkreisebene.2025 Backhaus verstand am Ende seiner Amtszeit Gemeinden als einen dynamischen Organismus. »Nun ist aber das Gemeinwesen […] dauernd in Wandlung begriffen, ist zu keiner Zeit in der Vergangenheit fertig gewesen und wird in aller Zukunft niemals fertig werden, solange es lebt.«2026 Wichtig sei ihm aber die klärende Aussprache mit der Bevölkerung, damit diese das Vorgehen von Planung verstehe. Nach dem ersten Erscheinen des Jahresberichtes der Weber-Kommission sei er sofort aktiv geworden. »Es war deutlich zu erkennen, daß man lieber rechtzeitig eigene Vorschläge machen und eigene Vorstellungen entwickeln wollte«,2027 sagte er im Rückblick und führte weiter aus: »das könne zum guten Ende führen, weil die Osnabrücker Probleme dann in eigener Regie gelöst werden würden und nicht Landtagsabgeordnete von Harz und Heide etwas beschließen, was aus der unmittelbaren Nähe heraus entschieden anders gelöst werden würde.«2028 Die ›Osnabrücker Probleme‹, das waren nach Ansicht Backhaus vor allem die Stadtumlandplanung, die nach 1945 begonnen wurde. Die Folgen der Industrialisierung hätten sich im Rückblick erst zu diesem Zeitpunkt so richtig bemerkbar gemacht, schrieb er. Dabei habe die Gewerbesteuer eine zentrale Rolle gespielt, die damals noch komplett den Gemeinden zugestanden habe. Die kleineren Gemeinden hätten dann voller Neid auf die größeren geschaut, »in denen Industrie- und Gewerbe sich langsam anhäuften.«2029 Eine sachliche Diskussion habe erst stattfinden können, als die Hungerzeit nach dem Krieg vorüber war. Und auch dann noch standen sich Landwirte und Städter keineswegs unbefangen gegenüber. Man habe Stadtumlandpläne entwickelt, die aber nur für eine begrenzte Zeit Wegweiser hätten sein können. Bei der Entstehung dieser Pläne habe es zu geringe Mitwirkungsmöglichkeiten für gewählte Vertreter gegeben, und er stelle infrage, ob das Instrumentarium des öffentlichen und privaten Rechts ausreichend sei, um Planung in die Wirklichkeit umzusetzen, urteilte er kritisch über die Raumordnung in den 2025 Backhaus musste mit Gründung des Großkreises Osnabrück 1972 seine Stelle als Landrat für den Bersenbrücker Landrat Wolfgang Kreft räumen, es lagen jedoch noch zwei Jahre Amtszeit vor ihm. Daher bekam er den Auftrag, eine Landkreisgeschichte zu erarbeiten. Sie wurde nie veröffentlicht, das nicht vollendete Manuskript liegt vor, Nachlass Heinrich Backhaus, NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 37, Teil 1 und 2. Zur Entstehung des Landkreises Osnabrück 1972 vgl.: Wolfgang Kreft: Die Gebiets-und VerwaltungsreformDenkschrift zum Inkrafttreten des Osnabrückgesetzes 1972, Teil I: Einführung und Kreisgebietsreform, in: Heimat Jahrbuch Osnabrücker Land 1997, S. 341–350. 2026 NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 37, Teil 1. 2027 Ebd. 2028 Ebd. 2029 Ebd.

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1950er und 1960er Jahren. In dieser Zeit sei vor allem die Landesplanung eine reine Behördensache gewesen und der Dezernent für Landesplanung habe eine solche herausragende Bedeutung gehabt, dass es notwendig gewesen sei, ihn von Anfang an zu beteiligen, damit er die Verhältnisse im Ursprung kannte. Insgesamt sei die Rolle der Landwirtschaft überschätzt und der Landschaftsschutz überbewertet worden. »Es war die Zeit noch nicht gekommen, zu erkennen, wie sehr Wohngebiete draußen vor der Stadt ebenfalls Oasen der Ruhe werden und zu landschaftlichen Schönheiten gestaltet werden konnten«,2030 schätzte er sein Wirken rückwirkend ein. Der Landkreis habe die Haltung gehabt, die Eigenart und Selbstständigkeit der Stadtrandgemeinden zu erhalten, er habe es aber auch erlebt, »wie sehr handfeste wirtschaftliche Interessen die Aufrechterhaltung einer absolut objektiven Einstellung erschwerten«,2031 beklagte er sich in seinen Erinnerungen. In der Zeit von der Mitte der 1950er Jahre bis zur Mitte der 1960er Jahren hatte Backhaus seine Haltung zur Zusammenlegung der Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede grundlegend geändert. War er in den 1950er Jahren noch entschiedener Gegner einer Zusammenlegung von Oesede und Georgsmarienhütte, so befürwortete er eine Zusammenlegung Ende der 1960er Jahre deutlich.2032 Wohngebiete in landwirtschaftlichen Gebieten zu schaffen, empfand er Ende der 1960er Jahre nicht mehr als Widerspruch zum Landschaftsschutz, und die Bedeutung der Landwirtschaft war nicht mehr so groß wie zu Zeiten der Unterversorgung mit Lebensmitteln nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem aber erkannte er, dass Landesplanung reine Behördensache ohne Mitspracherechte durch die betroffenen Gemeinden gewesen war. Von vielen Einstellungen musste er sich Ende der 1960er Jahre trennen, weil sich die Rahmenbedingungen geändert hatten. Zum einen waren die Verhältnisse in den Kommunen mittlerweile untragbar geworden, zum anderen kam nun Veränderungsdruck von allen Seiten: Osnabrück meldete Ansprüche auf die Umlandgemeinden an, die Weber-Kommission schickte sich an, die Landkreise neu zuzuschneiden, die Bezirksregierung sollte von Osnabrück nach Oldenburg verlegt werden und Aushandlungsprozesse zwischen den Gemeinden mussten vom Landkreis in Gang gesetzt und moderiert werden. 1966 wurde er in den Landesplanungsbeirat bei der höheren Landesplanungsbehörde berufen.2033 Er nahm jedoch an keiner der protokollierten Sitzungen teil, sondern schickte seinen Stellvertreter Josef Tegeler. Politisches Agieren war nicht seine Stärke. Bei dem Versuch, 1966 Nahne und Harderberg zu 2030 Ebd. 2031 Ebd. 2032 Landkreis an Innenminister, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 2003/021 Nr. 33. 2033 Kreisausschussprotokoll vom 9. Mai 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230.

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einer Gemeinde zusammenzulegen, war er nicht erfolgreich.2034 Während des gesamten Aushandlungsprozesses nahm er nur an wenigen Sitzungen teil und hielt sich im Hintergrund. Aus den Kreisausschusssitzungen geht aber deutlich hervor, was sein Thema war : die Stadt-Umland-Thematik. Die kreisangehörigen Gemeinden vor der Eingemeindung nach Osnabrück zu schützen und damit den Landkreis vor einer Schwächung zu bewahren, war ihm das wichtigste Anliegen während der Gebietsreform. Ende 1967 teilte er dem Kreisausschuss mit, dass bereits Planungen zu den Stadtumlandgemeinden liefen und wie deprimierend es sei, dass die Argumente der Landkreise in Hannover nicht gehört würden. Der Landkreis Osnabrück sei groß genug und lebensfähig, die anderen Landkreise sollten in den Landkreis Osnabrück eingegliedert werden, verfocht er schon zu diesem Zeitpunkt die Bildung eines Großkreises. Er sah aber auch ein Problem bei der Sache: »Von [den] Herren der Weberkommission werde offenbar mit dieser Vergrößerung des Kreisgebietes versucht, es dem Kreis leichter zu machen, dann auf die Stadtrandgemeinden zu verzichten und diese der Stadt [Osnabrück] anzugliedern.«2035 Doch es ging bei den Eingemeindungen nicht nur um Fläche, sondern auch um den Industriebesatz in Gemeinden wie Gretesch-Lüstringen und Belm-Powe, die an die Stadt Osnabrück angegliedert werden sollten. In diesem Fall sei einer Großraumlösung die finanzielle Grundlage entzogen, ereiferte er sich Anfang 1968.2036 Hier stand er im Gegensatz zum Landrat.2037 Auch wenn die Person Backhaus in den Quellen nicht als handelnder Akteur im Vordergrund erscheint, war seine Rolle im Aushandlungsprozess nicht unbedeutend. Zwar lag die persuasive Arbeit für eine Zusammenlegung Gemeinden allein in der Hand von Josef Tegelers, Backhaus schickte jedoch hochrangige Mitarbeiter in wichtige Sitzungen des Aushandlungsprozesses. Er begleitete den Prozess wohlwollend und stellte für das Ergebnis des Aushandlungsprozesses wichtige Weichen. Als der Gebietsänderungsvertrag geschlossen war, schrieb er einen wichtigen Brief an den Innenminister und befürwortete die Zusammenlegung.2038 In diesem Schreiben legte er dar, was zur Zusammenlegung geführt hatte: Er schilderte die große Abhängigkeit vom Hüttenwerk und die Notwen2034 Protokoll der Ratssitzung des Harderberger Gemeinderates am 11. Oktober 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 69. 2035 Kreisausschussprotokoll vom 14. November 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230. 2036 Kreisausschussprotokoll vom 8. Januar 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231. 2037 Josef Tegeler wünschte nicht, »daß es wegen etwaiger Eingemeindungen zu einem 30jährigen kalten Krieg komme« Ebd.; Die Entwicklung von Osnabrück sei notwendig, und man dürfe der Stadt nicht im Wege stehen, der Kreis sei aber auch für die Stadt Osnabrück wichtig, plädierte für einen Ausgleich zwischen den Interessen des Landkreises und der Stadt Osnabrück, Kreisausschussprotokoll vom 26. Februar 1968, ebd. 2038 Landkreis an Innenminister, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 2003/021 Nr. 33.

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digkeit, Gewerbe in der Gemeinde Harderberg anzusiedeln, wo noch Flächen zur Verfügung stünden. Die Gewerbeansiedlung, so betonte Backhaus, sei für alle drei Gemeinden lebenswichtig.2039 Damit bezog auch Backhaus eindeutig Stellung in der Auseinandersetzung mit der Bezirksregierung um die Ausweisung von Gewerbegebieten, worauf eine sofortige Reaktion der Bezirksregierung erfolgte.2040 Auch im Namensstreit bezog Backhaus eine eindeutige Position. Während der Brief im Mai 1969 erstellt wurde, hatte sich in der Oeseder Bevölkerung bereits die Empörung über die Entscheidung ausgebreitet. Dennoch hielte er es für richtig, die neue Großgemeinde ›Georgsmarienhütte‹ zu nennen. Der größte Teil der Oeseder Bevölkerung finde seine Lebensgrundlage bei den Georgsmarienwerken, begründete er seine Haltung. »Es ist daher gerechtfertigt, dass die neue Gemeinde den Namen des Hüttenwerkes erhält, das die Landschaft und die Wirtschaftsstruktur dieses Raumes in den vergangenen hundert Jahren entscheidend geprägt hat.«2041

Mit seinem Eintreten für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ vor dem Innenminister wurde eine Vorentscheidung getroffen, die die Mitglieder des Innenausschusses, die im Oktober des Jahres 1969 in die Kommunen zwischen Osnabrück und Iburg kamen, um sich ein Bild von der Zusammenlegung zu machen, nicht so ohne weiteres hätten aushebeln können, auch wenn sie gewollt hätten. Eine Entscheidung gegen den Namen ›Georgsmarienhütte‹ hätte nicht nur bedeutet, dass eine rechtskräftigte Entscheidung von Mandatsträgern kassiert würde, sondern auch, sich gegen einen Oberkreisdirektor zu stellen. Backhaus’ Eintreten für den Namen war also durchaus für den Ausgang des Aushandlungsprozesses maßgebend. Er trat aber nicht nur in einem verwaltungsinternen Schreiben aktiv für den Namen ein, sondern auch öffentlich. In seiner Festansprache nach Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages am 19. April 1969 beglückwünschte er als »Vater der Gemeinden«2042 sein »erwachsenes Kind«2043 zu seinem Namen, damit werde gezeigt: »daß an zuständiger Stelle die Bedeutung der Wirtschaft im hiesigen Raum erkannt worden sei.«2044 Abgesehen 2039 Ebd. 2040 Gegen einen Zusammenschluss sei aus landesplanerischer Sicht nichts einzuwenden, aber die Ausweisung von Gewerbegebieten stehe im Gegensatz zum Stadtumlandplan, vermerkten Mitarbeiter des Regierungspräsidenten, Vermerk der Bezirksregierung vom 30. Mai 1969, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 2003/021 Nr. 33. 2041 OKD Backhaus an den Minister des Innern, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 2042 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Räte am 19. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2043 Ebd. 2044 Ebd.

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davon, dass Backhaus mit dieser Bemerkung das Verhandlungsergebnis ›Georgsmarienhütte‹ als ein Produkt übergeordneter Instanzen darstellte und nicht als eine eigenständige Leistung der verhandelnden Akteure, positionierte er sich in seiner Ansprache aber deutlich zur Zusammenlegung, Namen und dem Projekt Industrieansiedlung. In Backhaus’ Bemerkung klingt indes auch an, was im ganzen Namensstreit von Bürger_innen nicht in Betracht gezogen wurde: der Name stand für einen Industriestandort, den es in den nächsten Jahren zu erhalten und mit weiteren Firmen auszubauen galt. So arbeiteten die beiden Landkreisakteure Backhaus und Tegeler jeder auf seine Weise auf das gleiche Ziel hin: gegen den Widerstand übergeordneter Behörden Arbeitsplätze in einer großen, leistungsfähigen Gebietskörperschaft zu schaffen. Sie brachten diese Raumvorstellung durchaus in eigenem Interesse voran, nämlich um dem Landkreis innerhalb der Aushandlung um den eigenen Neuzuschnitt Stärke zu verleihen. Die Interessen des Landkreises deckten sich weitgehend mit den Interessen der Akteure der Gemeinde Oesede. Zu diesen zählte vor allem der Oeseder Gemeindedirektor Rudolf Rolfes. Als dieser bereits beim Landkreis Bersenbrück in leitender Stellung tätige Beamte 1959 als Gemeindedirektor nach Oesede kam, machte er sich sofort daran, die Gemeinde von einer Agrar- zu einer Industriegemeinde mit einem attraktiven Zentrum zu gestalten und gleichzeitig die Landschaft, in der die Gemeinde liegt, zu erhalten. Dazu nahm er unmittelbar nach Amtsantritt Kontakt mit Landwirten über den Verkauf von Grundstücken zur Ansiedlung von Industrie und Gewerbe, für die Gestaltung des Ortskerns und für die Ausweisung von Bauland vor. »Vielleicht bei einem Glas Bier«2045 wollte er diese Besprechungen abhalten und gab sich damit bürgernah. Mit dieser Art konnte er an seinem neuen Arbeitsplatz viel erreichen. Wie ein roter Faden zogen sich die Gespräche mit Landwirten durch seine Amtszeit. Bis zu seinem Ruhestand hatte er eine Umsiedlung von neun landwirtschaftlichen Betrieben aus dem Ortskern erreicht.2046 Rolfes holte verschiedene Einrichtungen2047 in die Kommune, der Ausbau des Schulwesens hatte für ihn jedoch oberste Priorität. 1966 machte sich Rolfes dafür 2045 Verhandlungen am 24. September 1959 mit Landwirten der Gemeinde Oesede, NLA OS Dep 81 b Nr. 305. 2046 Es waren dies: die Höfe Averdiek, Vocke, Hakenesch, Meyer zu Oesede, Meyer zu Farwig, Lührmann, Menkhaus, Gerding und der Möllerhof. »Mir wichtige und herausragende Arbeiten für a) die Gemeinde Oesede und b) die Stadt Georgsmarienhütte, Rudolf Rolfes an das Hauptamt der Stadt Georgsmarienhütte«, Schreiben vom 16. Juni 1984, Trauerfall Rudolf Rolfes, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. 2047 Z. B. konnte er 1968 die Oberpostdirektion Bremen überzeugen, das geplante, große zentrale Postamt nicht in Georgsmarienhütte, sondern in Oesede zu bauen, Protokoll der VA-Sitzung am 20. Oktober 1968, NLA OS Dep 81 b, Nr. 186.

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stark, ein Gymnasium in Oesede bauen zu lassen.2048 Alsdann bemühte er sich um die Comenius-Schule.2049 Wo es ihm sinnvoll erschien, nahm er Kontakt mit der Nachbargemeinde Georgsmarienhütte auf, um mithilfe der Zweckverbände größere Projekte zu realisieren, wie beim Bau der Realschule und beim Bau des Hallenbades. Dabei hatte er die Nachbargemeinde als schwierigen Verhandlungspartner kennengelernt. Die Akteure der Nachbargemeinde ließen sich bitten, mit den Oeseder Akteuren zu kooperieren und stellten für ihre Kooperationsbereitschaft weitgehende Forderungen.2050 Rolfes Umgang mit diesem Verhalten war dabei äußerst pragmatisch. Er wollte lieber mit der schwierigen Nachbargemeinde eine Realschule oder ein Schwimmbad bauen, als auf eine Möglichkeit verzichten, der nachwachsenden Generation eine optimale Gelegenheit zum Schulbesuch oder zu einem Freizeitvergnügen bieten zu können. Im Umgang mit der Nachbargemeinde konnte er auch lernen, wie Verhandlungspartner vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. So unterlag die Benennung der Realschule als ›Realschule Georgsmarienhütte‹ keiner transparenten Aushandlung, genau wie die Benennung des Kreisgymnasiums als ›Gymnasium Oesede‹ nicht nachvollziehbar war. Ein wichtiger Schwerpunkt seiner Arbeit war die Formung der Gemeinde zu einer Gemeinschaft. Mit Bürger_innen zu sprechen, hielt er für sinnvoll, und er führte das Format der Bürgerversammlungen unmittelbar nach Amtsantritt in der Gemeinde ein.2051 1966 kamen die Gespräche jedoch zum Erliegen und wurden erst wieder aufgenommen, als die Situation um den Namenskonflikt eine Einbeziehung von Bürger_innen erforderte.2052 Auch die Gründung des Heimatvereins Oesede 1959 diente diesem Gedanken, ebenso wie sein Bemühen um eine Festhalle und sein Engagement für die Einrichtung eines ›Heimatmuseums‹. Während eine Festhalle während seiner Amtszeit nicht mehr gebaut wurde, führten seine Anstrengungen um ein ›Heimatmuseum‹ zum Erfolg. »Die alte, rein bäuerliche Gemeinde Oesede hat sich immer mehr zu einer Industriegemeinde entwickelt. Es kann nicht verantwortet werden, Erinne-

2048 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 2. Februar 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 8. Ordner 32, Teil 1. 2049 Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 8. Mai 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 186. 2050 Siehe Kap. 3.2.2. Interkommunale Zweckverbände, S. 194. 2051 Rolfes an den Bersenbrücker Stadtdirektor Adam, Schreiben vom 9. November 1959, NLA OS Dep 81 b Nr. 165. 2052 Anfrage des Franz Meyer zu Oesede, warum es keine Bürgerversammlungen mehr gebe, Protokoll der Ratssitzung am 12. Dezember 1966; Rolfes an die Ratsherren, Einladung zu einer Bürgerversammlung im Capitol-Theater, Schreiben vom 12. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 165.

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rungsstücke alter bäuerlicher Kulturen verkommen zu lassen«,2053 versuchte er bereits 1963 Ratsleute für das Projekt ›Heimatmuseum‹ zu begeistern. Allerdings stellte er von Anfang an klar, dass es die Gemeinde Oesede nichts kosten dürfe, sondern der Landkreis sich finanziell einbringen solle. 1968 führten seine Bemühungen zum Ziel. Im Haus Bolwin am Thie, »einem schöne[n] alten Fachwerkhaus«2054 wurde in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Oesede das ›Heimatmuseum‹ eingerichtet. Hier wird deutlich, dass Rolfes’ Bemühungen um Industrieansiedlung nicht ohne die Bemühungen um eine Gemeinschaft mit starker Rückbindung an die vergangene bäuerliche Kultur zu sehen ist. Dazu gehörte für ihn auch ›Heimatliebe‹ und Naturverbundenheit. In Ratssitzungen sprach er von der »Liebe zur Heimat«2055 und von »unser[em] schöne[n] Oesede«.2056 »Wir leben im schönen Teutoburger Wald«,2057 schwärmte er und sorgte für die Einrichtung eines Naturlehrpfades.2058 Im Frühjahr 1969 ließ er an der B 51 Warnschilder aufstellen, um gefährdeten Buchfinken das Leben zu retten.2059 Rolfes hatte großes Interesse an Fragen der Raumordnung. »Bei der Frage der Stadt- und Dorferneuerung und der Verwirklichung der Raumordnung und Regionalplanung kann man keine Gruppen und schon gar keine Einzelinteressen vertreten und fördern. Man muss hier tatsächlich den Mut aufbringen, auch einmal über den eigenen Schatten zu springen, also man muß an die Gesamtheit denken, an die Region, an das Land, an den Bund«,2060

referierte er 1965 vor dem Verwaltungsausschuss. Rolfes ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welches Opfer die Regionalplanung ihm abverlangen und welchen Mut er aufzubringen gezwungen sein würde, um für das Gegenteil einzutreten und raumplanerische Entscheidungen anzufechten. Bereits Mitte der 1960er Jahre war Rolfes ein erklärter Befürworter der Wirtschaftsförderung. Jede Gemeinde wolle möglichst viel Industrie ansiedeln, das stärke die Finanzkraft,2061 deutete er schon 1965 vor dem Verwaltungsaus2053 Protokoll der VA-Sitzung am 8. Januar 1963, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 4, Ordner 24, Teil 1. 2054 Protokoll der Oeseder Ratssitzung am 22. April 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1. 2055 Protokoll der Oeseder Ratssitzung am 17. September 1968, ebd. 2056 Ebd. 2057 Ebd. 2058 Ebd. 2059 Protokoll der Oeseder Ratssitzung am 24. März 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29 Teil 1. Wie die Aktion genau ablief, wurde im Protokoll nicht festgehalten, aber sie zeigt, wie sehr Rolfes sich in der Rolle eines naturverbundenen Fürsorgepflichtigen gegenüber kleineren Lebewesen sah. 2060 Rolfes Bericht vor dem Verwaltungsausschuss 1965, NLA OS Dep 81 b Nr. 156. 2061 Bericht vor dem Verwaltungsausschuss 1965, ebd.

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Abb. 9: Der Oeseder Gemeindedirektor und spätere Stadtdirektor Rudolf Rolfes legte am Kartentisch fest, wie die zukünftige Stadt gestaltet werden soll. Besonders wichtig war ihm das Industriegebiet. Foto: Stadt Georgsmarienhütte

schuss seine Ziele an. Dass Mitglieder der Verwaltung Unternehmer gezielt ansprachen und zu einem Umzug in die Gemeinde bewegen sollten, war keineswegs selbstverständlich. Zum gleichen Zeitpunkt, als Rolfes sich für eine aktive Wirtschaftsförderung einsetzte, empfahlen die Raumplaner bei der Bezirksregierung, gegenüber der Wirtschaft eine passive Rolle zu spielen.2062 Wie neu die kommunale Aufgabe ›Wirtschaftsförderung‹ war, lässt sich auch daran ermessen, dass die Firma Wiemann Rolfes einen Leitfaden zum Thema ›Industrieansiedlung‹ zukommen ließ. Das sei ein erstmaliger Versuch »der Vermittlung

2062 Die Schaffung von Arbeitsplätzen unterliege »keiner direkten staatlichen Lenkung« hieß es noch 1968 im Entwurf eines Raumordnungsprogrammes für den Regierungsbezirk Osnabrück, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 95.

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zwischen den kommunalen Stellen und mittleren und kleinen Unternehmen«,2063 schrieb der Oeseder Möbelfabrikant dem Gemeindedirektor. Aus all dem wird ersichtlich, wie sehr Rolfes daran gelegen war, wenn schon nicht Landwirtschaft so doch Landschaft und Natur zu erhalten und so einen Ausgleich zu schaffen zwischen einem industrialisierten Gebiet und einer scheinbar unberührten Natur. Er hatte begriffen, dass das eine ohne das andere nicht funktioniert. Was nutzt den Menschen eine intakte Natur, wenn er keine Arbeit hat, und was nutzt ein Arbeitsplatz, wenn der Mensch keine Möglichkeit hat, sich in der Natur von der Arbeit zu erholen? Auch der Zusammenhang zwischen Betrieben und Steuereinnahmen war ihm bewusst. Gewerbesteuereinnahmen bildeten die Grundlage für eine effektive kommunale Daseinsvorsorge. Darüber hinaus hatte Rolfes keinerlei Probleme, Spenden aus der Wirtschaft für kommunale Zwecke anzunehmen. Ohne jeden Vorbehalt ließ er das Werk die Rechnung für die Feier anlässlich der Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages am 19. April 1969 in Höhe von 2.302,96 DM2064 bezahlen, von der Firma Möller nahm er die Bürgermeisterkette im Gegenwert von 3.000 DM entgegen, und anlässlich des Festaktes zur Verleihung der Stadtrechte schickte das Werk einen Scheck über 20.000 DM.2065 Es war durchaus üblich, dass die Betriebe die Kosten für kommunale Aufgaben übernahmen oder sich zumindest finanziell daran beteiligten, wenn sie im Interesse eines Betriebes lagen. So ging der Autor eines von Rolfes abgehefteten und mit Kommentaren versehenen Artikels durchaus davon aus, dass die Betriebe die Schulen vor Ort finanzierten.2066 Rolfes hatte allerdings dazu eine andere Meinung. Eine Schule müsse bereits vor Ort sein, sonst kämen Betriebe gar nicht erst auf die Idee, sich an einem Ort ohne entsprechende Infrastruktur niederzulassen.2067 Das Konzept Rolfes‹, auf der einen Seite Industrie zu platzieren und auf der anderen Seite eine intakte Natur zu erhalten, ging in den 1960er Jahren solange gut, bis von den Bezirksraumplanern verlangt wurde, im Sinne einer regionalen Gesamtplanung zu akzeptieren, dass Oesede weder als ›Mittelzentrum‹ eingestuft werden noch für die Einrichtung von Industrie- und Gewerbegebieten 2063 Wiemann an Rolfes, Schreiben vom 8. Januar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 301; Vgl. auch: »Wirtschaftsförderung ist eine Sache des Kontaktes. Diskussion mit dem Manager Oswald Hüller«, NOZ, 10. Mai 1968. 2064 Gemeinde Oesede an die Klöckner-Werke, Schreiben vom 23. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2065 Klöckner-Werke an Stadtdirektor Rolfes, Schreiben vom 22. September 1970, NLA OS Dep 81 b Nr. 329. 2066 Tamos Kürthy : Industrieansiedlung und Bildungsangebot, in: Monatszeitschrift ›Rationalisierung‹ 18 (1967), S. 286–288. 2067 Der Artikel mit Rolfes handschriftlichen Kommentierungen abgelegt in: NLA OS Dep 81 b Nr. 301.

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Förderung bekommen würde. Eine reine Wohnsitzgemeinde mit einigen kleinen Betrieben für den Ortseigenbedarf, wie sie dem Gutachter Wilhelm Wortmann vorgeschwebt haben mochte, würde ohne eigene oder nur geringe Gewerbesteuereinnahmen immer abhängig bleiben von Landeszuweisungen und auch als ›Mittelzentrum‹ niemals eigenständig lebensfähig sein. Das Konzept der Raumplaner für das Untersuchungsgebiet im Frühjahr 1968 sah noch weniger Ausbaumöglichkeiten vor: Keine der Kommunen des Untersuchungsgebietes sollte überhaupt einen Status als ›zentraler Ort‹ zugewiesen bekommen und sollte somit von jeglicher Entwicklungsmöglichkeit ausgeschlossen werden. Dieses Konzept stand im krassen Gegensatz zu Rolfes‹ eigenen Vorstellungen. So war er nicht gewillt, seine Gemeinde, die er bereits zehn Jahre lang gestaltet hatte, , für eine raumplanerische Idee zu opfern. Seine Möglichkeiten, sich zu wehren, waren begrenzt. Erfolgversprechend schien es ihm, im Landesplanungsbeirat die Situation der Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede zu artikulieren. Aussichtsreich schien ihm auch, den Aushandlungsprozess zum Zusammenschluss zu forcieren. Eine dritte Option, seine Raumvorstellungen durchzusetzen, basierte schließlich auf faktenschaffendem Handeln und bestand darin, Betriebe anzuwerben und anzusiedeln, obwohl weder Förderzusagen noch genehmigte Flächennutzungspläne oder Bebauungspläne vorlagen. Rudolf Rolfes sei ein Mann »von unkonventioneller und unbürokratische Natur und Eigenart«2068 gewesen, urteilte Landrat Tegeler rückblickend über ihn. Er selbst formulierte es 1969 so: »Die Verwaltung dürfe nicht ›kleinkariert‹ über solche Zukunftsprojekte nachdenken.«2069 Seine Beharrlichkeit zahlte sich Jahre später aus: Im Bundesraumordnungsprogramm Niedersachsen von 16. Juni 1982 wurde die Stadt Georgsmarienhütte als ›Mittelzentrum‹ anerkannt. In dem Programm hieß es: »Weiter bestimmt das Landesraumordnungsprogramm die Stadt Georgsmarienhütte zum Schwerpunkt für die Sicherung und Entwicklung von Wohnstätten und die Sicherung und Entwicklung von Arbeitsstätten.«2070

Als Rudolf Rolfes 1984 in den Ruhestand ging, hatte er nach eigenen Angaben in der Stadt Georgsmarienhütte 130 ha Gewerbe- und Industriegebiete ausgewiesen, erschlossen und mit 55 Betrieben besiedelt, die insgesamt ein Angebot von 2.500 Arbeitsplätzen bereithielten.2071 2068 Ansprache Landrat Tegelers zur Trauerfeier von Rudolf Rolfes im November 1992, Trauerfall Rudolf Rolfes, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. 2069 »Agrarstrategen fanden ein Rezept gegen den Tod der Gemeinden. Oesede kein Modell, aber Planungshilfe« Hannoversche Presse vom 6. August 1969. 2070 Aus der Untersuchung ›Stadtzentrum‹ aus dem Jahr 1986, S. 7, Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 15, Ordner 44. 2071 »Mir wichtige und herausragende Arbeiten für a) die Gemeinde Oesede und b) die Stadt Georgsmarienhütte«, Rudolf Rolfes an das Hauptamt der Stadt Georgsmarienhütte,

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Rolfes’ Amtszeit fiel in eine Zeit der kommunalen Neuausrichtung. Als er sein Amt antrat, war Wallrath Eichberg noch Bürgermeister. Dieser verhinderte 1951/1952 einen Zusammenschluss, den die Gemeinde Georgsmarienhütte vorgeschlagen hatte. Die im ›Dritten Reich‹ gemachten Erfahrungen, 20 ha an die Gemeinde Georgsmarienhütte abtreten zu müssen, machten ihn in den 1950er Jahren nicht verhandlungsgeneigt und kooperationsfähig. Auch das Verhalten der Akteure der Gemeinde Georgsmarienhütte in den 1960er Jahren im Rahmen der Aushandlung um den Bau der Realschule machte Eichberg nicht geneigter. Als nach Eichbergs Unfalltod und einem kurzen Intermezzo von Burkhardt Ritz Bürgermeister Ludwig Siepelmeyer das Amt übernahm, begann im Zusammenspiel mit Rudolf Rolfes eine neue Ära in der interkommunalen Kommunikation. Seit Amtsantritt trat Siepelmeyer für eine Zusammenlegung ein, als die Themen Raumordnung und Gebietsreform die politischen Akteure auf kommunaler Ebene noch gar nicht erreicht hatten. Ungeachtet der Empfehlung Rolfes von 1966, mit der Zusammenlegung noch zu warten, bis Oesede weiter ausgebaut sei, preschte Siepelmeyer im Frühjahr 1967 vor und trug die Idee einer Zusammenlegung mit Georgsmarienhütte bei einem Besuch von Landtagsabgeordneten in Georgsmarienhütte öffentlich vor. Als Begründung führte er an, dass die beiden Orte nahe beieinander lägen und von daher gut zusammenpassen würden, und dass bereits viele Aufgaben in Zweckverbänden erledigt würden. Ein Ort von 17.000 Einwohnern würde entstehen.2072 »Laßt uns heiraten«,2073 kleidete Siepelmeyer 1967 seinen Vorschlag in die Metapher der Ehe. Die Zweckverbände seien nur Verlobungen, man solle doch endlich heiraten,2074 schlug er vor. Nach etlichen Verhandlungsrunden und nach Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages sprach er nur noch von einer Vernunftehe und nicht mehr von einer Liebesheirat.2075 Das verweist darauf, dass es für sein Engagement keine emotionalen, sondern handfeste wirtschaftliche Gründe gab. Bis 1956 profitierte allein Georgsmarienhütte von der vom Stahlwerk gezahlten Gewerbesteuer, die Nachbargemeinde Oesede hingegen trug die Last einer bloßen Wohnsitzgemeinde fast allein. Als Siepelmeyer 1963 in den Rat kam, konnte die Gemeinde Georgsmarienhütte bedingt durch die Zerlegung der Gewerbesteuer immerhin noch 60 % der Steuern für sich behalten und musste nur

2072 2073 2074 2075

Schreiben vom 16. Juni 1984, Trauerfall Rudolf Rolfes, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. »Laßt uns heiraten«, OT, 21. März 1967. Ebd. Ebd. Ansprache Ludwig Siepelmeyers nach Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages, Niederschrift über die gemeinsame Sitzung der Räte von Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede am 19. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2.

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40 % an Oesede abgeben.2076 Dieser Betrag war letztendlich nicht ausreichend, da Oesede mehr Arbeitnehmer des Werkes beherbergte als die Hauptbetriebsgemeinde Georgsmarienhütte. Eine Zusammenlegung war aus Oeseder Sicht schon aus diesem Grunde geboten. Siepelmeyers Verweis auf die Zweckverbände zeigt aber auch, dass viele Einrichtungen nur gemeinsam geplant und realisiert werden konnten. Das Aushandeln von Beteiligungsverhältnissen in den Zweckverbänden und in der Angelegenheit der Zerlegung der Gewerbesteuer betrachtete Siepelmeyer als Verschwendung von Kraft, die besser zum Wohl der Bürger_innen verwendet werden sollte.2077 Ein Zusammengehen mit Georgsmarienhütte war die eine Idee, eine andere ein Zusammengehen mit der Nachbargemeinde Harderberg, die ebenfalls nicht uneigennützig erfolgen würde. Siepelmeyer bat Rolfes bereits 1967, die Thematik einer »Verbindung«2078 auf die Tagesordnung des Verwaltungsausschusses zu nehmen. Die Gemeinde Harderberg galt ihm als »idealer Standort für Industriebetriebe.«2079 Seine Bemerkung in einer der ersten Verhandlungsrunden, dass »die höherenorts vertretene Meinung, Harderberg müsse ein ›Dorf im Grünen‹ bleiben«,2080 hier nicht durchdringen könne, zeugt davon, dass auch er in die Probleme mit der Bezirksregierung eingeweiht war. Die Harderberger Ratsleute spürten allerdings die Eigennützigkeit aus den Gesprächen heraus und waren vor allem von Siepelmeyers Auftreten befremdet.2081 Der erste Versuch einer Zusammenlegung scheiterte. Doch die Oeseder Akteure wagten einen zweiten Anlauf. Der Zeitdruck muss enorm gewesen sein: Den Zusammenschluss so schnell wie möglich zu Stande zu bringen und dann das Industriegebiet auszuweisen und Betriebe anzusiedeln, ehe sie nach Wallenhorst/Hollage abwanderten, das war Siepelmeyers – genau wie Rolfes’ – Ziel, dafür war ihm kein »Opfer«2082 zu groß. Doch zunächst konnte von ›Opfern‹ keine Rede sein, die Vorteile eines Zusammenschlusses schienen zu überwiegen. Zu Beginn des Jahres 1968 reiften die Überlegungen zur Gebietsreform bei vielen Akteuren heran. Wohl aus diesem Jahr stammt eine Liste, die in der Oeseder Verwaltung erstellt wurde. Diese weist

2076 Siehe Kap. 3.2.1.1. Die Gemeinde Oesede, S. 158. 2077 Ebd. 2078 Zusatzpunkt für die Verwaltungsausschusssitzung am 15. Februar 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 3. 2079 Ebd. 2080 Protokoll der Besprechung von Vertretern der Gemeinden Harderberg und Oesede am 8. März 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 3. 2081 Siehe Kap. 4.2.1.4. Verhandlungsrunde 4: Versuch zwischen Oesede und Harderberg 1967, S. 244. 2082 »Oesede ist vorbehaltlos bereit, die Selbstständigkeit aufzugeben«, NOZ, 19. September 1968.

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die erhöhten Schlüsselzuweisungen nach dem Finanzausgleichsgesetz aus,2083 nach der sich mit jeder Steigerung der Einwohner_innenzahl durch Zusammenschluss der Zuweisungsbetrag erheblich erhöhen würde. Dieser Zugewinn machte sich besonders bei der Arrondierung der neuen Gebietskörperschaft durch den Beitritt von Kloster Oesede und Holsten-Mündrup bemerkbar. Den fünf Gemeinden – der Beitritt Alt-Holzhausens war noch nicht im Fokus der Oeseder Verwaltung – stünde bei einem Zusammenschluss zu einer neuen Gebietskörperschaft per Gesetz ein Mehrbetrag von 1,8 Mio. DM zu.2084 Seit diese Berechnungen bekannt waren, strebte Siepelmeyer eine möglichst umfassende Lösung an. In einer gemeinsamen Sitzung mit den Räten der Gemeinden Kloster Oesede, Oesede, Holsten-Mündrup und Georgsmarienhütte im Frühjahr 1969 konnte er die Bedenken der Holsten-Mündruper Ratsleute, in der neuen Gebietskörperschaft nur Randgemeinde zu sein, zerstreuen, indem er von vertraglichen Zusicherungen der Gemeinderechte und von den erhöhten Schlüsselzuweisungen sprach.2085 Holsten-Mündruper Ratsleute setzten daraufhin alles daran, der neuen Gebietskörperschaft beizutreten, und versuchten, auch Kloster Oesede von einem Beitritt zu überzeugen, denn Holsten-Mündrup hatte mit der neuen Kommune keine gemeinsame Grenze. Im Juli 1969 wohnten der Oberkreisdirektor Backhaus und Assessor Vosskühler der Kloster Oeseder Sitzung bei und bestätigten Siepelmeyers Aussage. Die Schlüsselzuweisungen würden im Falle eines Zusammenschlusses um 628.000 DM höher ausfallen als wenn Kloster Oesede selbstständig bliebe.2086 Wenig später stimmte auch Kloster Oesede dem Beitritt zu und ermöglichte Holsten-Mündrup die Zugehörigkeit zur sich konstituierenden Großgemeinde.2087 Die gleiche Strategie verfolgte Siepelmeyer auch bei den Beitrittsgesprächen mit Alt-Holzhausen. Er versuchte die Bedenken der Holzhausener Ratsleute, in der neuen Großgemeinde unterzugehen, zu zerstreuen und nannte konkrete Beträge, die durch den Beitritt Holzhausens in die neue Gebietskörperschaft fließen würden: 230.000 DM im Jahr 1970 und in den Folgejahren jeweils 100.000 DM2088 versprach er in den neuen Ortsteil zu investieren. Dies war allerdings ein 2083 Erstellt wurde die Liste von Hans Licher undatiert, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 2084 Ebd. 2085 Vermerk über die Sitzung verschiedener Räte am 19. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. 2086 Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeindesrates der Gemeinde Kloster Oesede am 22. Juli 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. 2087 Siehe Kap. 4.2.4.1. Verhandlungsrunde 6: Beitritt Koster Oesedes und Holsten-Mündrups zur Großgemeinde, S. 281. 2088 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Bürgermeister und Gemeindedirektoren der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Harderberg, Kloster Oesede, Holsten-Mündrup und Holzhausen am 20. November 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 115.

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Versprechen, das kurze Zeit später zurück genommen werden musste.2089 Die neue Großgemeinde brauche die Mehreinnahmen für die Wirtschaftsförderung, aber da hatten sich die Holzhausener Ratsleute bereits für einen Beitritt ausgesprochen.2090 Ludwig Siepelmeyer versuchte, so viele Kommunen wie möglich für die neue Gebietskörperschaft zu gewinnen, um die Einnahmen der in Gründung begriffenen Stadt zu vergrößern und damit seinen eigenen politischen Spielraum zu erweitern. Akteure aus anderen Gemeinden warfen ihm in einer der früheren Verhandlungsrunde ›Machtsucht‹ vor.2091 Etwas positiver drückte es die NOZ aus, als sie ihn als »örtliche[n] Häuptling« bezeichnete.2092 Der Oberkreisdirektor Backhaus beschrieb Siepelmeyer als einen Mann »mit einer Leidenschaft, die häufig kraftvollen sprachlichen Ausdruck erhielt«.2093 Er selbst kennzeichnete seine Situation nach Inkrafttreten des Gebietsänderungsvertrages so: »Als Interimsbürgermeister komme ich mir vor, wie ein Oberfeldwebel, der bisher einen Zug führt und jetzt einer Division vorstehen muß.«2094 Ohne Zweifel war Siepelmeyer ein Akteur mit Führungsanspruch, doch er hatte bei dem ganzen Projekt ›Zusammenlegung‹ wie alle anderen auch viel zu verlieren. Zunächst sollte der Posten des Interimsbürgermeisters bis zu den Neuwahlen im Frühjahr 1970 an den Georgsmarienhütter Bürgermeister Helmut Stahlmann gehen.2095 Dass sich im Zuge der Namensverhandlungen die Gelegenheit ergeben würde, diesen Posten für Oesede verfügbar zu machen, konnte Siepelmeyer nicht ahnen. Der Oeseder Bürgermeister war noch zu weiteren Opfern bereit: Er trat schon bald nach Beginn der Verhandlungen für einen neutralen Namen ein und gab damit schon früh den Namen ›Oesede‹ für die neue Gebietskörperschaft auf. Er ging sogar noch weiter : er setzte sich sogar für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ ein,2096 um den Zusammenschluss nicht scheitern zu lassen, und riskierte damit, Wählerstimmen zu verlieren. Mit dem Protest innerhalb der Oeseder Bevölkerung mochte er gerechnet haben, aber dass er sich so heftig gegen ihn persönlich richten würde, überraschte ihn vermutlich. Bis zu 2089 Protokoll des Interimsausschusses am 27. Dezember 1969, NLA OS Erw A 52 Akz 2010/077 Nr. 12. 2090 Siehe Kap. 4.2.3.2. Verhandlungsrunde 7: Teilung der Gemeinde Holthausen, S. 287. 2091 Protokoll einer Besprechung über die wirtschaftliche Entwicklung im Raum Georgsmarienhütte/Harderberg/Oesede am 10. Juni 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2092 NOZ, 18. Juli 1968. 2093 Landkreis an Innenminister, Schreiben vom 22. Mai 1969, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 2003/021 Nr. 33. 2094 »Der Geburtstag der Großgemeinde gestern: Viele Glückwünsche für Georgsmarienhütte« NOZ, 2. Januar 1970. 2095 Protokoll der gemeinsamen Sitzung am 27. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2096 Protokoll der Besprechung mit Ratsleuten aus den Gemeinden Oesede, Harderberg und Georgsmarienhütte und dem Klöckner-Direktorium am 16. April 1969, ebd.

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diesem Zeitpunkt waren nur wenige Leserbriefe erschienen. Als er merkte, dass ein Berufen auf die Repräsentativdemokratie, in der allein Mandatsträger befugt sind, Entscheidungen zu treffen, keine Zustimmung bei den aufgebrachten Bürger_innen fand, entschied er sich für eine andere Strategie. Fortan hielt er Reden auf Bürgerversammlungen, sprach mit Beschwerdeführern und vor dem Innenausschuss, um seine Entscheidung für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ zu erklären, gleichzeitig forderte er aber die Bürger_innen auf, die Initiative zu ergreifen und sich für eine nachträgliche Vertragsänderung stark zu machen.2097 Hier wird deutlich, in welchem Zwiespalt Siepelmeyer war : Der Zusammenschluss war von großer Bedeutung: Nur gemeinsam würde das Projekt ›Industrieansiedlung‹ gelingen, aber gleichzeitig würde er mit der Annahme des Namens ’Georgsmarienhütte’ für die neue Gebietskörperschaft den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Dass die Einwohner_innen seiner Gemeinde sowohl mit dem Kunstnamen ›Dütenau‹ als auch mit den Namen der Nachbargemeinde eine wichtige Grundlage ihrer Identität verlieren würden, spielte für ihn während des gesamten Aushandlungsprozesses keine Rolle. Dabei verlor er genuine Oeseder Interessen nicht aus den Augen, denn er sah seine Gemeinde im Mittelpunkt der neuen Gebietskörperschaft. »Aber wenn diese neue Stadt auch Georgsmarienhütte heißen wird, so wird ihr Herz in Oesede schlagen«,2098 behauptete er in einem Interview mit einer Hannoverschen Zeitung, und seinen eigenen Ratsleuten versprach er, dass Oesede »unabhängig von der Namensgebung Zentrale der neuen Großgemeinde bleiben [werde]. Oesede dürfe sich für die Zukunft von seinen Vorteilen, bedingt durch seine zentrale Lage, die Flächengröße, die Einwohnerzahl, u. a. einiges Gewicht versprechen, das in der neuen Großgemeinde nur schwerlich wirkungslos bleiben könne.«2099 Es ging ihm aber nicht nur um die Gemeinde Oesede, sondern um alle Gemeinden des ›Dütetals‹. Er wolle einen intergemeindlichen Ausgleich schaffen zwischen den Betriebsgemeinden Georgsmarienhütte/Oesede und den übrigen Wohnsitzgemeinden, die auch ein Anrecht hätten auf eine umfassende Daseinsvorsorge,2100 z. B. im Schulbereich. Dies war ein Anliegen, das er in seiner Lebensbilanz, als es nicht mehr um seine Wiederwahl ging, noch einmal wiederholte.2101 2097 Siehe Kap. 4.3.4. Der Oeseder Bürgerprotest, S. 308. 2098 »Eine sterbende Gemeinde mit voller Lebenskraft. Oesede als Vorbild für Industrieansiedlungen im Agrargebiet.« Hannoversche Allgemeine vom 25. Juni 1969. 2099 Protokoll der Oeseder Ratssitzung am 26. Juni 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 178. 2100 Stellungnahme des Oeseder Bürgermeisters Ludwig Siepelmeyer vor dem Innenausschuss des niedersächsischen Landtages am 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 2101 »Der blick-punkt im Gespräch mit Ludwig Siepelmeyer«, Blickpunkt, 8. November 1990.

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Abb. 10: Blick auf den Oeseder Ortskern, von dessen Gestaltung man 1965 noch weit entfernt war. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch bereits Ansätze, Platz für den ruhenden Verkehr zu schaffen. Foto: Zur Verfügung gestellt von Werner Beermann

Mit dem Ergebnis des Gebietsänderungsvertrages konnten die beiden Oeseder Akteure zufrieden sein. Der Zusammenschluss war mit den Arrondierungen in beide Richtungen gelungen. Die Gelder, die ihnen durch den Zusammenschluss gesetzlich zustanden, beliefen sich 1970 auf 3.083.585 DM.2102 So konnten Rolfes und Siepelmeyer im ersten Jahr nach der Gründung der Stadt gut verkraften, dass das Land Niedersachsen ihnen keine Zuschüsse für das Industriegebiet gewährte. Rolfes sprach angesichts der mangelnden Unterstützung durch das Land zwar von schweren psychologischen Folgen,2103 aber zu stoppen war das kommunale Projekt der Wirtschaftsförderung nicht. Die neue Stadt brauchte nach der Gründung aber nicht nur eine finanzielle Ausstattung, sondern auch eine gemeinsame Identität. Diese sollte mittels einer 2102 Aus dem Erhebungsbogen zur Vorbereitung der kommunalen Neugliederung im Raum Osnabrück vom 21. Dezember 1970, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 6, Ordner 1. 2103 Vermerk Rolfes vom 25. Mai 1970, NLA OS Dep 81 b Nr. 304.

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Festwoche vermittelt werden.2104 Neben den Möglichkeiten des öffentlichen und verbilligten Bierkonsums in drei Stadtteilen, kam einem symbolischen Akt innerhalb der Festwoche eine besondere Bedeutung zu: Von besonders starker Wirkung war die Stiftung zweier Löwenjungen für den Osnabrücker Zoo, die den Namen ›Georg‹ und ›Marie‹ erhielten. Hatte Siepelmeyer vor dem Innenausschuss im Oktober 1969 noch behauptet, niemand in den betroffenen Kommunen habe noch irgendeinen Bezug zu den historischen Namensgebern,2105 so war es nun seine Idee, die beiden noch jungen Raubkatzen nach dem Herrscherpaar zu benennen. Das war ein Akt von starker symbolischer Bedeutung. Mit der Schenkung stellte er zum einen eine Verbindung zum Wappentier der Gemeinde Oesede her, denn das Wappentier gilt zwar heraldisch gesehen als Leopard, sieht aber aus wie ein Löwe,2106 zum anderen stellte er eine Verbindung zum königlichen Stifterpaar ›Georg‹ und ›Marie‹ her, das 1856 die Gründung der Hütte mit privaten finanziellen Mitteln initiiert und ermöglicht hatte. Überdies war in diesem symbolischen Akt der Schenkung auch eine Botschaft enthalten. Löwen gelten als kühn, stark und wild. »Das Gebrüll des Löwen fürchten alle Tiere, selbst wenn es nur aus der Ferne ertönt.«2107 Das sind Zuschreibungen, die auch im 20. Jahrhundert noch Geltung hatten und die sich die neue Stadt mit diesem symbolischen Akt gerne anzueignen gedachte. Damit offerierte Siepelmeyer allen Einwohner_innen, die nicht aus Alt-Georgsmarienhütte kamen, ein Eintreten in die »Zeitschichten«2108 der namensgebenden Gemeinde. Siepelmeyers Löwentaufe war der vorsichtige Versuch, der Stadt eine neue bzw. neu erinnerte identitätsstiftende Grundlage zu verleihen. »Vergangenheit entsteht nicht von selbst, sondern ist das Ergebnis einer kulturellen Konstruktion und Repräsentation; sie wird immer von spezifischen Motiven, Erwartungen, Hoffnungen, Zielen geleitet und von den Bezugsrahmen einer Gegenwart geformt«,2109 stellt Assmann fest. Ludwig Siepelmeyer, der während des interkommunalen Aushandlungsprozesses mit handfesten finanziellen Vorteilen für den Zusammenschluss warb, hatte begriffen, dass nicht allein der wirtschaftliche Vorteil aus sechs Gemeinden eine Stadt machen konnte, sondern dass ohne Geschichte, ohne eine gemeinsam bewohnte Vergangenheit, keine Zukunft gestaltet werden kann. 2104 Siehe Kap. 4.4.3. Festwoche zur Stadtgründung, S. 342. 2105 Stellungnahme Ludwig Siepelmeyer vor dem Innenausschuss am 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 2106 Der hersehende Löwe, wird als Wappenleopard bezeichnet, obwohl ihm die charakteristischen schwarzen Flecken fehlen, vgl.: Georg Scheibelreiter: Wappen im Mittelalter, Darmstadt 2014, S. 76. 2107 Scheibelreiter: Wappen, S. 72. 2108 Koselleck: Zeitschichten, S. 15. 2109 Assmann: Gedächtnis, S. 88.

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Im Rückblick wurden Siepelmeyers Erwartungen nach eigenen Angaben allerdings enttäuscht. Er sei mit großen Illusionen an die Gründung der Stadt herangegangen. »Aus der Stadt Georgsmarienhütte kann aufgrund ihrer Lage und Struktur – nahe vor Osnabrück und mit Industrie gesegnet oder belastet – nicht viel mehr gemacht werden, als das bis heute geschehen ist. Wir können kein Zentrum von der Bedeutung sein wie andere Städte mit 30.000 Einwohnern, die weit entfernt vom nächsten Ortszentrum liegen«,2110 sagte er in einem Interview, als er schon längst im Ruhestand war, und gab damit der Bezirksregierung nachträglich recht, die 1968 keine ›zentralen Orte‹ im ›Verdichtungsgebiet‹ Osnabrück ausweisen wollte. Auch dass die Ansiedlung von Industrie nicht nur Positives mit sich bringt, sondern auch eine Belastung sein konnte, klang in seiner Lebensbilanz an. In der Nachbargemeinde Georgsmarienhütte hing die Entwicklung entscheidend von einem Personalwechsel ab. Als die erste bedeutende Sitzung zur Zusammenlegung im Juli 1968 in Oesede im Beisein von Landrat Tegeler stattfand, war Karl Niemeyer noch im Amt des Bürgermeisters. Er stand einer Zusammenlegung zum Zwecke der Wirtschaftsförderung skeptisch gegenüber. Wenn der Landkreis Geld nach Wallenhorst/Hollage gebe, dann solle er auch dem ›Düteraum‹ helfen. »Es seien noch keine Gründe da, die die Schaffung eines größeren kommunalen Gebildes rechtfertigen.«2111 Er zweifelte auch an dem durch Gutachten prognostizierten Krisenszenario. 50 % der Arbeitnehmer arbeiteten bei den Klöckner-Werken, die anderen im Handwerk, im Handel und bei Behörden.2112 In der gleichen Sitzung, in der Niemeyer die Zusammenlegung abzuwehren versuchte, erwies sich Helmut Stahlmann als einfaches Ratsmitglied weitblickender. Er plädierte bereits in dieser Sitzung nicht nur für eine Zusammenlegung der drei Gemeinden zu einer Großgemeinde, sondern trat auch für die Möglichkeit ein, weitere Gemeinden in den Verbund aufzunehmen.2113 Er hatte sich bereits Ende 1966 über die Gebietsreform informiert.2114 Bei der Kommunalwahl im Herbst 1968 errang die SPD einen Sitz mehr als die CDU und stellte ab Oktober mit Helmut Stahlmann den Bürgermeister. Der vom Gemeinderat einstimmig gewählte Sozialdemokrat bekannte sich gleich in seiner ersten Rede zu einem politischen Kurswechsel.

2110 »Der blick-punkt im Gespräch mit Ludwig Siepelmeyer«, Blickpunkt, 8. November 1990. 2111 Bürgermeister von Georgsmarienhütte Karl Niemeyer laut Protokoll der Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2112 Bürgermeister von Georgsmarienhütte Karl Niemeyer laut Protokoll der Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, ebd. 2113 Helmut Stahlmann laut Protokoll der Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, ebd. 2114 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 10. November 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 79.

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»Der neue Rat werde sich daran gewöhnen müssen, daß man von Liebgewohntem Abschied nehmen müsse. Er werde Entscheidungen zu treffen haben, die über die Grenzen der Gemeinde hinausgehen, bei den Fragen der Gebietsreform, der Sicherung der Existenz der Menschen im Düteraum.«2115

Er kündigte an, der Nachbargemeinde die Hand für offene und ehrliche Gespräche zu reichen. Angesichts der knappen SPD-Mehrheit im Gemeinderat und einer soliden CDU-Mehrheit in den anderen Gemeinderäten lag eine Zusammenlegung nicht im Interesse der Sozialdemokraten in Georgsmarienhütte. Stahlmanns Parteikollege Oskar Hummel brachte es auf den Punkt: Die SPD würde »nicht die Mehrheit im Gesamtgemeinderat erhalten«.2116 Vor diesem Hintergrund war Helmut Stahlmann von der Zusammenlegung nicht vorbehaltlos begeistert: der Zeitpunkt sei ungünstig, 1969 seien Bundestagswahlen, man dürfe nichts überstürzen, das sei unfair gegenüber der Bevölkerung, mahnte er ein behutsames Vorgehen in dieser Angelegenheit an.2117 Selbst als die Gemeinde Melle versuchte, den Sitz des Landkreises nach Melle zu holen und eine Zusammenlegung deshalb geboten schien, forderte er, nichts zu überstürzen, es sei noch viel Kleinarbeit zu machen.2118 Stahlmann ließ sich auch nicht hetzen, als der Landkreis Ende 1968 nachfragte, wie die Angelegenheit stünde. Er antwortete, man habe noch gar nicht angefangen, in den Gremien zu diskutieren.2119 Als es um das Inkrafttreten des Gebietsänderungsvertrages ging, plädierte er für einen Zeitpunkt im Laufe des Jahres 1970.2120 Helmut Stahlmann hatte wenig Neigung, den gerade errungenen Bürgermeisterposten gleich wieder zu verlieren, denn in den anderen Gemeinden des Untersuchungsgebietes bestand überall eine CDU-Mehrheit. Auch erlaubte es die knappe Mehrheit im Georgsmarienhütter Rat nicht, das Thema Zusammenlegung offensiv anzugehen. Sein Amtsvorgänger Karl Niemeyer, der die Zusammenlegungspläne skeptisch betrachtete, saß im Rat und brachte Argumente gegen eine Zusammenlegung vor.2121 Weitere entschiedene Gegner verließen sogar einmal den Saal, als es um die Zusammenlegung ging.2122 Immer 2115 »Ratssitzung ohne Mißklang. Rektor Stahlmann neuer Bürgermeister« NOZ, 26. Oktober 1968. 2116 Oskar Hummel laut Protokoll der Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968. NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2117 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 13. November 1968, ebd. 2118 Ebd. 2119 Helmut Stahlmann an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 23. Dezember 1968, ebd. 2120 Protokoll des Zusammenlegungsausschusses am 22. Januar 1968, ebd. 2121 Nur wegen 4 ha Industriegebiet in der Gemeinde Harderberg brauche man keinen Zusammenschluss; die geographische Lage verbiete das; Bürgersinn werde dadurch nicht gefördert, kommentierte Niemeyer die Vorschläge zum Zusammenschluss, Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung Georgsmarienhütte am 10. März 1969, ebd. 2122 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 14. April 1969, ebd.

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wieder versuchte er, Ruhe in die Diskussion zu bringen. Im Rat versicherte er einmal, dass alles harmonisch ablaufe und dass die Ansiedlung von Industriebetrieben gesichert sei,2123 was beides mehr seinem Wunschdenken als den Tatsachen entsprach. Er ließ die Gegner ausreden und widersprach ihnen nicht einmal. Oft ließ er andere seine Positionen vertreten. Als Stahlmann einmal die Tagesordnung für den Zusammenlegungsausschuss erarbeiten lassen wollte, forderten Ratsmitglieder eine Sitzung, in der zunächst einmal entschieden werden müsste, ob die Ratsleute überhaupt eine Zusammenlegung wollten. Statt Stahlmann antwortete Trepper und empfahl die Lektüre des Prognos-Gutachtens.2124 Auch in der Namensfrage war Stahlmann nicht von Anfang an für den Namen ›Georgsmarienhütte‹. In der Sitzung am 22. Januar 1969 schlug er vor, einen neutralen Namen zu wählen.2125 Er war von ausgleichender Art und moderierte den Zusammenlegungsprozess mehr als dass er ihn lenkte. Dabei konnte er sich auf starke Befürworter der Zusammenlegung stützen, z. B. Oskar Hummel (SPD), Harry Brunsmann (SPD), Werner Schmigelski (CDU) und Josef Tegeler (CDU). Diese vier führten in den Sitzungen das Wort und traten mit dem Argument ›Wirtschaftsförderung‹ für die Zusammenlegung ein. Wie wichtig ihnen der Zusammenschluss war, lässt sich auch daran ermessen, dass auch diese Befürworter bereit waren, ihren Gemeindenamen zu opfern. »Es wurde jedoch auch die Auffassung vertreten, daß an der Namensgebung die Zusammenlegung nicht scheitern dürfe«,2126 hieß es noch vier Tage vor der Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages. So auf Ausgleich bedacht Helmut Stahlmann auch war – als sich abzeichnete, dass der Erhalt des Namens auch die letzten Zweifler im Georgsmarienhütter Gemeinderat überzeugen würde, entpuppte er sich als durchsetzungsfähiger Politiker. Als er einen Tag vor der entscheidenden Sitzung am 19. April 1969 vom Tagungsort des Oeseder Gemeinderates zurückkam, konnte er die Kompromissbereitschaft der Verhandlungspartner in der Namensfrage gegenüber seinen eigenen Ratsleuten kommunizieren. Siepelmeyer würde Interimsbürgermeister werden, und dafür erklärte sich die Mehrheit der Oeseder Ratsleute mit dem Namen ›Georgsmarienhütte‹ einverstanden.2127 Diesem Verhandlungsergebnis konnten alle Gemeinderatsmitglieder zustimmen. Mit diesem Rückhalt 2123 Protokoll der Georgsmarienhütter Ratssitzung am 24. Februar 1969, ebd. 2124 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 29. Januar 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 82. 2125 Protokoll der Sitzung der Zusammenlegungsausschüsse Georgsmarienhütte, Harderberg, Oesede am 22. Januar 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1 Bd. 2. 2126 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 14. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 82. 2127 Siehe Kap. 4.3.3. Die Entstehung und Lösung des Konfliktes auf interkommunaler Ebene, S. 306.

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konnte er öffentlichen Angriffen aus der Nachbargemeinde standhalten.2128 Von Seiten der anderen Kommunen hat es überdies nicht an Versuchen gemangelt, den Vertrag noch einmal neu zu verhandeln und den Namen neu zur Diskussion zu stellen.2129 Ihm zur Seite stand der Gemeindedirektor Hermann Trepper. Dem 19622130 ins Amt gekommenen Georgsmarienhütter Verwaltungschef kam eine besondere Bedeutung zu. Als solcher lenkte er die Ratsarbeit und konnte Entscheidungen des Rates beeinflussen. Wann immer in den 1960er Jahren die Sprache auf eine mögliche Zusammenlegung kam, wehrte Trepper ein solches Ansinnen ab.2131 Trepper war aber derjenige, der die Strukturprobleme der Gemeinde erkannte und sie – auch vor dem Landkreis – artikulierte.2132 Bereits 1966 machte er auf ein Haushaltsloch von 170.000 DM aufmerksam und riet, größere Aufträge zurückzustellen, bis man eine Übersicht über die Finanzlage habe.2133 Genau wie Rolfes machte er sich Gedanken über die weitere Entwicklung der Gemeinde und wies seinen Gemeinderat auf die Möglichkeit hin, Firmen auf Georgsmarienhütter Gemeindegrund anzusiedeln.2134 Aus diesem Grund empfahl er dem Gemeinderat, den Hof Plate zu kaufen und Industrie für dieses Gebiet zu interessieren.2135 Doch anders als in Oesede war der bis Oktober 1968 amtierende Bürgermeister Karl Niemeyer nicht der Meinung, dass Wirtschaftsförderung eine Aufgabe der Gemeinde sei.2136 Auch das Werk unterstützte Trepper nicht bei diesem Vorhaben. Er sei seitens des Werkes gebeten worden, keine Betriebe anzusiedeln. »Dieses würde sich nachteilig auf die Ertragslage des Werkes aus2128 »Bockbeinigkeit« wurde dem Georgsmarienhütter Rat vorgeworfen, Leserbrief von Eberhard Schröder NOZ, 28. Juni 1969. 2129 Eine Öffnung des Vertragswerkes und eine Umbenennung in ›Dütestadt‹ wie die Gemeinde Kloster Oesede es mit ihrem Beitritt zur Gebietskörperschaft intendiert hatte, würde es mit dem Gemeinderat von Georgsmarienhütte nicht geben, Protokoll der VASitzung Georgsmarienhütte am 6. August 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 82. 2130 Angabe aus einem Vortrag Hermann Treppers, gehalten am 3. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 73. 2131 1966 schlug die Gemeinde Oesede eine Fusion zwischen den Gemeinden vor, und Trepper führte vor dem VA aus, dass zunächst ein Vertreter der Bezirksregierung nach Georgsmarienhütte kommen solle, Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte 21. April 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 79. 2132 Gemeinde Georgsmarienhütte an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 20. September 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 73. 2133 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 13. Oktober 1966, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 79. 2134 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 11. August 1966, ebd., und erneut Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 2. November 1967, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 80. 2135 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 22. Mai 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 81. 2136 Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 10. Juli 1968, ebd.

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wirken und einen Lohnkampf heraufbeschwören«,2137 referierte Trepper seine Situation Anfang der 1960er Jahre als Gemeindedirektor. Die »massierte Landwirtschaft«2138 in Malbergen sei ebenfalls bei der Ausweisung von Gewerbeflächen nicht hilfreich gewesen, erklärte er. Trepper befand sich also in einer schwierigen Ausgangslage, als er sich am 27. Juni 1968 mit den anderen beiden Gemeindedirektoren Rolfes und Werkmeister zu einer Besprechung im Harderberger Rathaus traf und gemeinsam mit ihnen überlegte, wie eine Industrieansiedlung im ›Düteraum‹ in Angriff genommen werden könnte. Am Ende waren sich die drei einig, dass eine »Zusammenlegung […] alle wesentlichen Probleme lösen«2139 würde. Zu den zu lösenden Problemen zählte er auch die Einstufung in das hierarchische System der ›zentralen Orte‹, für die es mehr Geld für zusätzliche Aufgaben geben würde. Er befürwortete eine gemeinsame Bewertung der Orte Georgsmarienhütte und Oesede, um eine Aufstufung zu erreichen,2140 und stand somit auch vor seinem Gemeinderat einer Zusammenlegung nicht ablehnend gegenüber. Als Helmut Stahlmann ab Oktober 1968 Bürgermeister wurde, hatte er auf jeden Fall einen für die Probleme der Gemeinde offenen Gesprächspartner. Mit dem Amtsantritt Stahlmanns trat Hermann Trepper aber auch in den Hintergrund, sein Name tauchte kaum noch in den Protokollen auf. Seine Zurückhaltung kann ein Hinweis darauf sein, dass er als Georgsmarienhütter Gemeindedirektor einer Zusammenlegung mit gemischten Gefühlen entgegen sah. In einer neuen Gebietskörperschaft mit zwei weiteren Gemeindedirektoren stünde er im Konkurrenzkampf mit anderen Hauptverwaltungsbeamten. Zwar war von Anfang an die Übernahme der Bediensteten in die Verwaltung der neuen Gebietskörperschaft unstrittig, einen Gesichtsverlust durch ein Abschieben auf einen unbedeutenden Posten wollte aber jedes Mitglied aus der Verwaltung vermeiden. So blieb Treppers Haltung zur Zusammenlegung ambivalent. Stahlmann brachte es in seiner Rede unmittelbar nach der Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages im Hinblick auf die bis zuletzt zögernden Georgsmarienhütter Ratsherren zum Ausdruck: »Wenn Sie heute diesem Vertrag Ihre Zustimmung gegeben haben, und auch Herr Trepper, der es ja nicht öffentlich dokumentieren kann, stimmt ihm zu, dann sind Sie über sich selbst hinaus gewachsen.«2141 Den Akteuren aus Georgsmarienhütte und Oesede standen die Akteure der mit ca. 2.300 Einwohner_innen verhältnismäßig kleinen Gemeinde Harderberg gegenüber. Bürgermeister Adolf Aulf kommunizierte unmittelbar nach der Vortrag Hermann Treppers, gehalten am 3. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 73. Ebd. Protokoll über eine Besprechung am 27. Juni 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 106. Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 10. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2014/ 84 Nr. 81. 2141 Rede Helmut Stahlmanns am 19. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 2.

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Sitzung am 16. Juli 1968 die Situation in seinem Gemeinderat.2142 Offensichtlich war er sehr erleichtert, dass nicht nur die Gemeinde Harderberg Probleme habe, sondern auch größere Gemeinden wie Oesede und Georgsmarienhütte.2143 Oesede sei schon zum Zusammenschluss entschlossen, die Gemeinde Georgsmarienhütte leider nicht, aber die werde einem Zusammenschluss zustimmen müssen, »da sie eben größere Probleme als die Gemeinde Harderberg habe«,2144 erkannte er. Da Harderberg die für die Schaffung von Arbeitsplätzen notwendigen Flächen habe, bestand er darauf, dass zunächst Lösungen für Harderberger Probleme gefunden werden, dann stünde einer Zusammenlegung nichts mehr im Wege. Als Probleme führte er an: Straßenbau, Turnhallenbau und Klärung der Schulfrage.2145 Aber die Schaffung von Arbeitsplätzen war für Aulf von größter Bedeutung, um die hiesige Bevölkerung nicht zu Pendlern zu machen.2146 Die Gemeinde Harderberg erhielt zwei Fusionsangebote: eines von der Stadt Osnabrück und einen frühen Vorschlag von der Gemeinde Oesede. Beide Angebote schlugen die Ratsleute unter Vorsitz von Aulf aus, obwohl die Probleme bei der Bewältigung der Daseinsvorsorge da schon sichtbar waren und auch das Verhandlungsobjekt ›Gelände für Industrie- und Gewerbegebiet‹ damals schon im Gespräch war. Was veranlasste Aulf nach dem 16. Juli 1968, sich aktiv für eine Zusammenlegung einzusetzen? Die Bevölkerung war von 883 Einwohner_innen im Jahr 1939 auf 2.393 Personen im Jahr 1968, also um 271 % und mithin weitaus stärker als in anderen Gemeinden, gewachsen. Bereits 1960 schilderte Aulf dem Landkreis, dass seine Gemeinde infolge der regen Siedlungstätigkeit vor neuen Aufgaben wie die Erstellung von Bauplänen, Sicherstellung der Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Straßenbau und vielem mehr stehe.2147 Vor diesem Hintergrund musste die Aussicht auf eine weitere Zunahme der Bevölkerung, die Josef Tegeler in seiner Sitzung am 16. Juli 1968 vortrug, Aulf stark beeindruckt haben. Die Vorstellung, für eine noch weiter expandierende Bevölkerung die Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnehmen zu müssen, mag ihn angetrieben haben, einer Fusion schnell zuzustimmen. Doch aus seinen Worten sprach noch eine andere Sorge. Man wolle die Bevölkerung nicht dem Pendlerwesen aussetzen, wurde immer wieder als Argument für die Zusammenlegung in die

2142 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 1. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 96. 2143 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 10. August 1968, ebd. 2144 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 28. Februar 1969, ebd. 2145 Ebd. 2146 Ebd. 2147 Adolf Aulf an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 11. Oktober 1960, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 358.

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Abb. 11: Innerhalb kurzer Zeit wurden auf dem Harderberg zahlreiche Betriebe angesiedelt und Arbeitsplätze in die Stadt geholt. Im Bild der Industriepark Harderberg ca. 1975. Foto: Werner Beermann

Diskussion gebracht.2148 Dahinter mochte sich der Wunsch verbergen, Familien vor Ort zusammenzuhalten. Hier machten sich die traumatischen Auswirkungen des Krieges bemerkbar. Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlten mehr als 10 % der Bevölkerung, ein offensichtlich schmerzhafter Verlust, den die Ratsleute – Aulf war damals schon Mitglied im Gemeinderat – mit der frühen Planung einer Gedenkanlage im Jahr 1946 emotional zum Ausdruck brachten.2149 Als der Bürgermeister mit der Fusion verhindern wollte, dass die nachwachsende Generation wegzieht oder Erwerbstätige 20 bis 30 km zum Arbeitsplatz fahren müssen, traf er offensichtlich auch den Nerv der Harderberger Bevölkerung. Seinen Vorstoß im August 1968 warf ihm nach zwei abgewendeten Fusionsversuchen niemand vor, denn im Oktober 1968 wurde er als Ratsvorsitzender von seinem Gemeinderat wiedergewählt2150 und hatte damit Gelegenheit, den Gebietsänderungsvertrag mit auszuhandeln. Der Harderbergers Gemeindedirektor Heinrich Werkmeister hielt sich im Hintergrund. Der beim Landkreis ausgebildete Verwaltungsfachmann war seit 2148 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 10. August 1968; Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 28. Februar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 96. 2149 Im Vergleich: Oesede gedachte erst in den 1960er Jahren mit dem Bau der Friedhofskapelle der gefallenen Soldaten, »Ehrenbuch in der Friedhofskapelle«, NT, 12. April 1967. 2150 Protokoll der Gemeinderatssitzung Harderberg am 29. Oktober 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 96.

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1961 Gemeindedirektor und Wahlbeamter in Harderberg. Seine Dienstzeit endete 1973.2151 Die anstehenden Veränderungen wird er mit Skepsis, vielleicht auch mit Sorge um seine Zukunft beobachtet haben. Er versuchte aber auch nicht, die Zusammenlegung zu verhindern, die Aushandlung lag somit allein in den Händen des Bürgermeisters und der Ratsleute.

5.2.2. Raumvorstellungen der Akteure der Arrondierung Nachdem die Aushandlung der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede und Harderberg mit der Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages beendet war, konnten weitere Gemeinden der Einheitsgemeinde über § 13 des Vertrages beitreten. Dies war bereits in der ersten Zusammenkunft der beteiligten Gemeinden am 16. Juli 1968 geplant worden. Die Aushandlung mit den Akteuren dieser Gemeinden wurde landkreisseitig begleitet und war weit weniger dramatisch als die Aushandlung unter den drei Kerngemeinden. Die Gemeinde Holsten-Mündrup entschloss sich als erste, sich der Großgemeinde anzuschließen. Treibende Kraft war Heinrich Sielschott, der im August 1968 vorläufig die Aufgaben des erkrankten Bürgermeisters Hügelmeyer wahrnahm.2152 Nach der Kommunalwahl gelangte er regulär ins Amt.2153 Bereits 1967 hatte die Gemeinde große Probleme mit der Wasserversorgung. Ein Haus für die Druckerhöhungsstation würde mit 130.000 DM zu Buche schlagen und für einen dringend benötigten Regenwasserkanal waren 62.000 DM erforderlich.2154 Unmittelbar nach Amtsantritt verkündete Sielschott seinen Ratsleuten, dass durch diese beiden Investitionen und die Aufnahme eines Darlehens über 50.000 DM der finanzielle Spielraum erheblich vermindert sei.2155 Er war es auch, der das Thema Gebietsreform während des Jahres 1969 kontinuierlich auf die Tagesordnung setzte und keinen Zweifel aufkommen ließ, dass die Gebietsreform nun auf sie zukomme und dass Holsten-Mündrup zum ›Dütetraum‹ gehöre.2156 Schritt für Schritt bereitete er die Entscheidung vor. Da HolstenMündrup Mitglied in der Samtgemeinde Bissendorf war, sollte darüber abgestimmt werden, ob die Gemeinde Holsten-Mündrup Bissendorf zugeordnet 2151 Vermerk der Gemeinde Oesede vom 26. August 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 4. 2152 Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 6. August 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 107. 2153 Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 13. November 1968, ebd. 2154 Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 29. Dezember 1967, ebd. 2155 Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 13. Dezember 1968, ebd. 2156 Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 28. Februar 1969, ebd.

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werden sollte. Das lehnten die Ratsleute mit 7 zu 2 Stimmen ab.2157 Damit war der Weg zur neuen Großgemeinde zumindest ein Stück weit geebnet. In der nächsten Sitzung ließ Sielschott einen Katalog von Erwartungen erarbeiten.2158 Und schließlich wurde im Beisein eines Landkreisvertreters der Beitritt zur neuen Gebietskörperschaft am 22. Juli 1969 beschlossen.2159 Bislang hatten keinerlei Gespräche mit Vertretern der neuen Gebietskörperschaft stattgefunden, denn die Gemeinde hatte mit der neuen Großgemeinde keine gemeinsame Grenze. Deshalb bremste der Landkreismitarbeiter die Ratsleute, die sich mit den Akteuren in Oesede sogleich in Verbindung setzten wollten, und mahnten zur Geduld. Hingegen gab es eine enge Verbindung zur Nachbargemeinde Kloster Oesede. Sielschott hatte gute Kontakte zu Gemeindedirektor Hans Middelberg aus Kloster Oesede.2160 Dieser war 1965 zum Gemeindedirektor ernannt worden,2161 nachdem der erkrankte Vorgänger Alfred Malaika in den Ruhestand getreten war.2162 Middelberg wurde Anfang Juli zu einer Sitzung in Holsten-Mündrup eingeladen und berichtete davon im eigenen Gemeinderat.2163 Im Gegensatz zu allen anderen Gemeindedirektoren war Middelberg aktiv am Geschehen beteiligt, bereits 1966 sprach er sich für eine Zusammenlegung mit Holsten-Mündrup aus.2164 Aber auch der Bürgermeister Hans Stertenbrink brachte das Geschehen voran. Stertenbrink wurde 1964 im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zum Bürgermeister der Gemeinde Kloster Oesede gewählt.2165 Ende des Jahres 1967 stimmte er seine Ratskollegen auf die bevorstehende Gebiets- und Verwaltungsreform ein2166 und erneuerte das Vorhaben nach seiner Wiederwahl ein Jahr später.2167 Gab es bis 1968 noch Vorbehalte gegenüber einem Anschluss an die Großgemeinde, zeichneten sich nach einer Besprechung mit politischen Vertretern der verschiedenen Gemeinden im Früh-

2157 2158 2159 2160 2161 2162 2163 2164 2165 2166 2167

Ebd. Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 29. April 1969, ebd. Protokoll der Gemeinderatssitzung Holsten-Mündrup am 22. Juli 1969, ebd. Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung Kloster Oesede am 10. Februar 1969. NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. Protokoll der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung Kloster Oesede am 5. November 1965, ebd. Protokoll der Gemeinderatssitzung Kloster Oesede am 9. Juni 1965, ebd. Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderats von Kloster Oesede am 3. Juli 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Räte Kloster Oesede und Holsten-Mündrup am 21. Juli 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 190. Protokoll der Gemeinderatssitzung Kloster Oesede am 22. Oktober 1964, NLA OS Dep 81 b Nr. 131a. Protokoll der Gemeinderatssitzung Kloster Oesede am 14. Dezember 1967, Jahresbericht Stertenbrinks, ebd. Protokoll der Gemeinderatssitzung Kloster Oesede am 23. Oktober 1968, ebd.

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jahr 1969 die Vorteile für die Gemeinde in der Peripherie ab:2168 Die hohen Schlüsselzuweisungen und die Ausweisung eines Industriegebietes, das den Gemeinden wie Holsten-Mündrup und Kloster Oesede die Möglichkeit eröffnete, in ihrer jeweiligen Gemeinde nicht selbst Industrie anzusiedeln zu müssen und dennoch indirekt von Gewerbesteuer und Arbeitsplätzen zu profitieren. Nach dem Beschluss des Kloster Oeseder Rates im August 1969,2169 der neuen Großgemeinde beizutreten, nahm Hans Middelberg das weitere Geschehen in die Hand. Er schrieb an Rolfes, dass man nun Kontakt mit den Nachbargemeinden aufnehmen wolle,2170 und schlug eine gemeinsame Verwaltungsausschusssitzung vor. Dann erst artikulierte der Rat in einer Sitzung im September 1969 seine Erwartungen an die neue Gebietskörperschaft.2171 Zu den wichtigsten Punkten bei den Erwartungen der Gemeinde Kloster Oesede an die neue Großgemeinde gehörte die Bereitstellung der finanziellen Mittel für die 800-Jahrfeier. Diese wurde erst nach Inkrafttreten des Gebietsänderungsvertrages gefeiert, also nachdem Kloster Oesede seine Selbstständigkeit bereits aufgegeben haben und als Gemeinde bereits aufgelöst sein würde. Das Fest sollte sowohl als kirchliches Fest der Klostergründung 1170 als auch als weltlich-dörfliches Fest gefeiert werden. Das erlaubte Akteuren, verschiedene Raumvorstellungen zu artikulieren. Hans Stertenbrink als Vorsitzender des Festausschusses forderte die Bürger_innen seiner ehemaligen Gemeinde auf, das Fest mit pulsierendem Leben zu füllen.2172 Die 800-Jahr-Feier diene dazu, »jetzt, wo nach 800 Jahren der Weg vom Dorf zur Stadt beschritten sei, das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Bewohner des Düteraums zu stärken«,2173 sagte er bei der Auftaktveranstaltung zum Festjahr und sah damit das Dorf Kloster Oesede durchaus als integrierende Kraft, die alle, die zur neuen Gebietskörperschaft gehören, mitnehmen könne. Dies entsprach nicht ganz den Vorstellungen der Oeseder Akteure, die sich selbst in dieser Rolle sahen. Die Teilung der Gemeinde Holzhausen, die dem Gemeinderat in Holzhausen seit September 19682174 bekannt war, konnte weder von Bürgermeister Hardekopf noch von Gemeindedirektor Riepenhoff verhindert werden. Beide tendierten dazu, erst einmal abzuwarten. Zu Beginn des Jahres 1968 erhielten Politik und Verwaltung Kenntnis davon, dass die Stadt Osnabrück dem Regie2168 Vermerk über die Sitzung verschiedener Räte am 19. März 1969, ebd. 2169 Protokoll der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Kloster Oesede am 19. August 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 123. 2170 Middelberg an Rolfes, Schreiben vom 21. August 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 4. 2171 Protokoll der Verwaltungsausschusssitzung am 2. September 1969, ebd. 2172 »Aufruf an die Bürger« NOZ, 7. Februar 1970. 2173 »Die Leistungen nun im Großraum fortsetzen. Auftakt der Veranstaltungen ›800 Jahre Kloster Oesede‹« NOZ, 9. Februar 1970. 2174 Protokoll der VA-Sitzung Holzhausen am 5. September 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 112.

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rungspräsidenten vorgeschlagen hatte, den Ortsteil Sutthausen Osnabrück anzugliedern.2175 Wenig später, nachdem sich die sog. Weber-Kommission bei einer Bereisung mit dem Stadt-Umland-Problem eingehend befasst hatte, informierte Riepenhoff den Gemeinderat darüber, dass im Laufe des Jahres die Ergebnisse dieser Bereisung vorliegen würden, und dann müsse sich »der Rat unserer Gemeinde über einige grundsätzliche Fragen Klarheit verschaffen.«2176 Doch auch der nach der Kommunalwahl 1968 neu ins Amt gekommene Bürgermeister Hardekopf zögerte. Im März 1969 empfahl er seinen Ratskollegen, erst nach Bekanntgabe des ›Weber-Gutachtens‹ tätig zu werden.2177 Im April 1969 lagen die Zuordnungen der Bezirksplaner zu ›zentralen Orten‹ für die Gemeinde Holzhausen vor,2178 wenn die Gemeinde Holzhausen anderer Ansicht sei, müsse eine Alternative vorgeschlagen werden. Doch niemand ergriff die Initiative. »Eine Teilung der Gemeinde ist recht unglücklich«,2179 beklagte der Rat Mitte 1969, und Hardekopf wiederholte diese Aussage im August desselben Jahres.2180 Bürgerbefragungen hatten jedoch ergeben, dass eine Teilung erwünscht war.2181 Riepenhoffs Haltung zur Teilung und zur Gebietsreform geht aus den Akten nicht hervor. Hardekopf hingegen missfiel die Entwicklung, jedoch sah er sich zu keiner Zeit veranlasst, aktiv zu werden.2182

5.2.3. Raumvorstellungen im medialen Diskurs Redakteure und Journalisten haben innerhalb einer Demokratie eine wichtige Funktion. »Das freiheitlich-demokratische Prinzip in einem modernen Staat kann nur über eine informierte, kritische Öffentlichkeit verwirklicht werden, die eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte Presse voraussetzt.«2183

2175 2176 2177 2178 2179 2180

Protokoll der VA-Sitzung Holzhausen am 11. Januar 1968, ebd. Protokoll der VA-Sitzung Holzhausen am 7. Februar 1968, ebd. Protokoll der Ratssitzung Holzhausen am 17. März 1969. NLA OS Dep 81 b Nr. 114. Protokoll der Ratssitzung Holzhausen am 24. April 1969, ebd. Protokoll der nichtöffentlichen Ratssitzung am 4. Juni 1969, ebd. Protokoll der Sitzung des Feuerlöschverbandes Holzhausen-Ohrbeck am 18. August 1969, ebd. 2181 »In zwei Versammlungen stimmten die Bürger für eine Teilung Holzhausens«, NOZ, 15. Dezember 1969. 2182 Protokoll der öffentlichen Ratssitzung am 24. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 114. 2183 Norbert Jonscher : Inhalte und Defizite des lokalen Teils in der deutschen Tagespresse. Inhaltsanalytische Erkenntnisse und Überlegungen zur Verbesserung der örtlichen Berichterstattung von Tageszeitungen in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1989, S. 1.

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Nicht nur im gesamtpolitischen Bereich wirken sie an der Meinungsbildung mit, sondern ganz besonders im lokalen Bereich nimmt die Berichterstattung durch die Tageszeitung eine wichtige Rolle ein. Dabei geht es nicht nur darum, Bürger_innen zu informieren, sondern auch um die Chance, »politisches Handeln zu hinterfragen und zu kontrollieren.«2184 Diese Möglichkeit ist wichtiger Bestandteil demokratischer Prozesse und steht daher durch Art. 5 GG unter einem besonderen Schutz. Die Bundesrepublik Deutschland war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eines der lesefreudigsten Länder Europas. Damals lasen 83,5 % der Bevölkerung ab 14 Jahren täglich eine Tageszeitung. Dabei zog der Lokalteil die größte Aufmerksamkeit auf sich.2185 Die Berichterstattung formte das Meinungsbild über lokale Ereignisse maßgeblich mit. Durch Berichte »gewinnt dieser Lebensraum eine kulturelle Integration«,2186 die möglicherweise vorher gar nicht vorhanden war. In jedem Fall aber wurden Raumideen von Akteuren kommuniziert und bewertet. 1952 waren die auflagenstärksten Zeitungen in der Stadt und im Landkreis Osnabrück die Neue Tagespost (NT) und das Osnabrücker Tageblatt (OT). Die Freie Presse (FP) hatte nur einen kleinen Marktanteil. 1967 vergrößerte die NT durch Zukäufe ihre Verbreitung und Auflagenstärke. Am 1. Oktober 1967 legten sein Herausgeber A. Fromm und das Verlagshaus Meinders & Elstermann als Herausgeber des OT ihre Blätter unter dem Namen Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) zusammen und machten damit das Blatt in Niedersachsen zu einer der auflagenstärksten Tageszeitungen. In Osnabrück und im Osnabrücker Land sowie in den weiteren Landkreisen um Osnabrück hatte die Zeitung – nachdem die FP ihr Erscheinen eingestellt hatte – eine Monopolstellung inne.2187 Die Gebiets- und Verwaltungsreform fiel in die Zeit der Konzentration der Zeitungslandschaft in und um Osnabrück. Wenn in dieser Arbeit von ›der Presse‹ die Rede ist, so ist ab 1967 die einzige Tageszeitung, die NOZ, gemeint, die ab 1968 einen einzigen Redakteur, Jürgen Hofmeyer, mit der Berichterstattung über die Verhandlungen der Gemeinden beauftragte. Seine Haltung war im Aushandlungsprozess um die Neubildung der kommunalen Landschaft im Untersuchungsgebiet von Bedeutung.

2184 Maria M. Müller-Sorge: Journalismus – Offenheit und Konformität. Die politische Tagespresse, Frankfurt/M. 1975, S. 24. 2185 Zahlenangaben beziehen sich auf das Jahr 1980, vgl.: Josef-Paul Benzinger : Lokalpresse und Macht in der Gemeinde. Publizistische Alleinstellung von Tageszeitungen in lokalen Räumen, Münsterschwarzach 1980, S. 9. 2186 Ebd. S. 51. 2187 Carles Ossorio-Capella: Der Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1972, S. 197.

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Die Presse begleitete die Reform von Anfang an positiv, aber kritisch. Redakteure berichteten von Zusammenkünften und referierten Politikeraussagen. Zunächst stand 1967/1968 ausschließlich der Neuzuschnitt der Regierungsbezirke und der Landkreise im Fokus des Interesses. »Osnabrück oder Oldenburg«2188 titelte die NOZ Ende 1967, und stellte heraus, dass mit dem Abzug der Regierung aus Osnabrück schwerwiegende Folgen in der Region einhergehen würden. Der Redakteur Jürgen Hofmeyer wurde sodann mit dem Thema ›Gebietsreform‹ betraut und entwickelte sich zu einem Experten in dieser Sache. »Fort mit der Vogel-Strauß-Politik. Beteiligte gehören an einen Tisch«,2189 forderte er im Frühjahr 1968, als es um die Eingemeindungen nach Osnabrück und den Zuschnitt der Landkreise ging. Dass von vier Kreisen drei ihre Eigenständigkeit verlieren würden, sprach der Redakteur in seinem Kommentar ebenso an, wie er sich für eine aktive Arbeitsplatzsicherung und Wirtschaftsförderung einsetzte. Weitere Artikel unter den Aspekten der Eingemeindung nach Osnabrück, des Zuschnittes der Landkreise, der Wirtschaftsförderung und der Arbeitsplatzsicherung2190 wurden unter Hofmeyers Namen veröffentlicht. Die Gebietsreform auf Gemeindeebene war noch kein Thema. Als Anfang 1968 die ersten Gedanken über eine gezielte Wirtschaftsförderung und Zusammenlegung geäußert wurden, wollte Rolfes die Presse und damit die Öffentlichkeit von Anfang an in den Aushandlungsprozess einbeziehen. Der Verwaltungsausschuss lehnte dies jedoch ab. Die Ziele der Gemeinde Oesede sollten im Stillen weiter verfolgt werden.2191 Erst als die ersten Besprechungen2192 mit dem konkreten Ziel einer Zusammenlegung zwischen den Akteuren aus Rat und Verwaltung von Georgsmarienhütte, Oesede und Harderberg bereits stattgefunden hatten und das Verhandlungsziel, nämlich die Zusammenlegung, bereits geklärt war, wurde auch die Presse zu einer Besprechung am 16. Juli 1968 eingeladen, bei der alle Ratsmitglieder, führende Mitglieder der Verwaltung der drei Gemeinden und zusätzlich noch Akteure aus Kloster Oesede und Holzhausen zugegen waren. Jürgen Hofmeyer berichtete ausnehmend positiv und ausführlich über die Zusammenkunft. »Der Landkreis Osnabrück hat seit Dienstag eine Sensation«,2193 2188 »Osnabrück oder Oldenburg« NOZ, 2. Dezember 1967. 2189 NOZ, 30. Mai 1968, Kommentar von Jürgen Hofmeyer. 2190 Z. B. »Weber-Kommission. Verwirrung um 3 Fragen« von Jürgen Hofmeyer, NOZ, 11. November 1967; »Professor Wortmann in Bad Iburg: Eingemeindung keine echte Lösung«, von Jürgen Hofmeyer, NOZ, 16. November 1967; »Ist das wirklich alles« von Jürgen Hofmeyer, NOZ, 2. Dezember 1967. 2191 Vermerk Rolfes vom 9. Februar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 155. 2192 Nur zum Teil protokolliert: Gespräche am 15. Mai 1968; 10. Juni 1968; 27. Juni 1968; 3. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2. 2193 »Zukunftssicherung durch Großgemeinde im Dütetal. Die Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg tagten gemeinsam«, NOZ, 18. Juli 1968.

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lautete der erste Satz seines Artikels, womit aber auch die Perspektive Hofmeyers klar wird. In die Annalen der Landkreisgeschichte würde dieser 16. Juli 1968 eingehen, behauptete er in seinem Kommentar,2194 und zeigte damit, dass er das Geschehen im Untersuchungsgebiet aus der Perspektive des Landkreises betrachtete. Hofmeyer war durchaus bewusst, dass es um einen Zusammenschluss der Gemeinden zum Zwecke der Industrie- und Gewerbeansiedlung ging. Klar und deutlich sprach er aus, worum es in dieser Besprechung ging: »Da der Nordraum prädestiniert ist für Gewerbeansiedlung und das Land nicht mehrere Maßnahmen fördert, wird der Düteraum bei Großmaßnahmen nicht berücksichtigt.«2195 Es müsse ein Weg der Selbsthilfe beschritten werden, fasste er die Aussagen der Ratsleute zusammen, bekräftigte aber auch in seinem Kommentar, für wie wichtig er den Zusammenschluss hielt. In diesem Text sprach er von einem Zug, der in Bewegung gesetzt worden sei und den niemand mehr aufhalten könne. Mit dem Schlusssatz, ob der Zug in den Bahnhof »Dütetal oder Georgsmarienstadt«2196 einfahre, sei von untergeordneter Bedeutung, deutete er schon früh das für diesen Zusammenschluss bedeutsame Konfliktfeld der Namensgebung an. Bereits im August entschlossen sich die Harderberger Ratsleute, einem Zusammenschluss zuzustimmen, und teilten ihren Entschluss der Presse mit. Hofmeyer war voll des Lobes. Die Ratsleute wurden als kühne Optimisten bezeichnet, es sei ehrenwert, so schnell Nägel mit Köpfen zu machen. Hofmeyer zeigte aber auch die Kehrseite der Gebietsreform auf. Es werde »Mandatsverlust ›en gros‹ geben« und »Köpfe von Bürgermeistern und Gemeindedirektoren werden rollen.«2197 Auch die Oeseder Resolution, die den Willen zum Zusammenschluss belegt, wurde abgedruckt und von Hofmeyer positiv bewertet.2198 Der Georgsmarienhütter Verschönerungsverein hingegen meldete sich zu Wort und forderte gegenüber der NOZ eine bessere Informationspolitik ein.2199 Aus guten Grund: Die Gemeinde Georgsmarienhütte war nicht geneigt, die Presse zu ihren Sitzungen einzuladen. Im September 1968 forderte Hofmeyer den Georgsmarienhütter Gemeinderat auf, sich endlich intensiv mit der Zusammenlegung zu befassen und die Bevölkerung in die Beratungen mit einzubeziehen. »Das Ergebnis war 2194 »Umsicht und Sorge brachten ein sensationelles Ergebnis zustande.« NOZ, 18. Juli 1968. 2195 »Zukunftssicherung durch Großgemeinde im Dütetal. Die Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg tagten gemeinsam« NOZ, 18. Juli 1968. 2196 »Umsicht und Sorge brachten ein sensationelles Ergebnis zustande«, NOZ, 18. Juli 1968. 2197 »Hohes Lob für Harderbergs Rat«, NOZ, 27. August 1968. 2198 »Oesede ist vorbehaltlos bereit, die Selbstständigkeit aufzugeben«, NOZ, 19. September 1968. 2199 Verschönerungsverein von 1870 an die NOZ, Schreiben vom 16. September 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2.

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nicht gerade berauschend«,2200 beurteilte er die bisherigen Bemühungen in Georgsmarienhütte. Im Januar 1969 wurde er noch deutlicher. Vertreter des ›Raums‹ hätten am 16. Juli 1968 bekundet, »durch einen Zusammenschluß zu einer Stadt die Zukunft zu sichern.«2201 Die Bürger seien aber bislang nicht informiert worden. Bei der letzten Sitzung am 8. Januar 1969 habe die Presse außen vor bleiben müssen, beklagte er sich. Die Berichterstattung über die Zusammenlegungsverhandlungen fand an einer sensiblen Schnittstelle zwischen Mandatsträgern und Bürger_innen statt. Jürgen Hofmeyer nahm in den ersten Artikeln und Kommentaren die Position Oeseder Akteure ein. Leser_innen äußerten sich kaum zum Thema, aber erste Unmutsäußerungen über die mangelnde Einbeziehung der Bürger_innen wurden laut. Diese Ausgangslage lag bis Ende März 1969 vor, als die Verhandlungen in das Stadium um die Aushandlung des Namens eintraten. Wieder war die Presse nicht eingeladen, dennoch berichtete Jürgen Hofmeyer von einer »Mammutsitzung«2202 hinter verschlossenen Türen und titelte: »19. April: Großer Tag für ›Dütenau‹. Zusammenlegung feierlich besiegelt«.2203 Dieser Artikel setzte einen weiteren Aushandlungsprozess in Gang: Das Direktorium der Klöckner-Werke schrieb einen keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmten Brief an alle Ratsleute und an die Verwaltungen der drei Gemeinden, der der Zeitung zugespielt und von ihr im Wortlaut veröffentlicht wurde; Hofmeyer kritisierte den Brief in einem Kommentar scharf.2204 Die Argumente des Werksdirektoriums seien »fadenscheinig«2205 und schienen eine »wenig reale Grundlagen zu haben«.2206 »Glaubt man bei Klöckner etwa, daß die Verkaufserfolge schwächer werden, nur weil im Briefkopf der Firma später an Stelle ›Klöckner-Georgsmarienwerke, Georgsmarienhütte‹ die Bezeichnung ›Klöckner-Georgsmarienwerke, Dütenau‹ oder ähnliches steht«,2207 griff er die Verfasser des Briefes scharf an. Noch am Tag der Vertragsunterzeichnung am 19. April 1969 forderte Hofmeyer in der Samstagszeitung die Georgsmarienhütter Ratsherren auf, einem Kompromiss zuzustimmen und wenigstens auf die Endsilbe ›-hütte‹ zu verzichten. »Der Kompromiß würde ihnen gut zu Gesichte

2200 »Drei Gemeinden…« NOZ, 16. September 1968. 2201 »Kein Dampf für den Zug zum Bahnhof ›Dütestadt‹« NOZ, 21. Januar 1969, Kommentar von Jürgen Hofmeyer. 2202 19. April: Großer Tag für ›Dütenau‹. Zusammenlegung feierlich besiegelt«, NOZ, 29. März 196. 2203 Ebd. 2204 »Bedenken der Klöckner-Direktoren zu ›Dütenau‹ reichlich verspätet«, NOZ, 15. April 1969. 2205 Ebd. 2206 Ebd. 2207 Ebd.

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stehen. Wer weiß schließlich, ob es in einigen Jahren noch eine ›Hütte‹ im Klöckner-Werk geben«2208 werde. Zwei Tage später, nachdem der Name ›Georgsmarienhütte‹ beschlossene Sache war, schrieb Hofmeyer in einem Kommentar : »Die Vernunft der Politiker, den Zusammenschluß und nicht den Namen zu sehen, sollte jetzt auch bei den Bürgern einkehren«,2209 und mahnte damit die Oeseder Bürger_innen, die Entscheidung zu akzeptieren, die er vor zwei Tagen noch mit seinem Kommentar zu verhindern gesucht hatte. Auch seine Haltung gegenüber dem Werk änderte sich nach Vertragsunterzeichnung. In einem Protokoll einer Direktoriumssitzung am 21. April 1969 wurde festgehalten, dass es ein Gespräch mit Hofmeyer gegeben habe. Über den Inhalt teilte das Protokoll nichts mit. Wenige Zeilen später jedoch wurde geschrieben, dass das Werk aus Anlass der Gründung der Stadt Georgsmarienhütte in der Sonderbeilage der NOZ eine Anzeige schalten wolle.2210 Nach diesem Gespräch hielt sich Jürgen Hofmeyer mit Kritik am Vorgehen des Werkes und am Namen zurück. In der nach der Unterzeichnung des Vertrages in Gang gesetzten Debatte mit Leserbriefen, Bürgerversammlungen und -initiativen, Flugblättern und vielem mehr äußerte Hofmeyer Verständnis für die Position der Werksakteure. »Sollte die Zusammenlegung am Namen scheitern? Freilich haben die Klöckner-Werke für ›ihre Firmierung‹ gekämpft. Aber die zur Zeit kursierende Ansicht, die Ratsherren seien bestochen, ist nichts mehr als eine Parole weit unter der Gürtellinie geistigen Limits«,2211

nahm er die Werksakteure in Schutz und diskreditierte stattdessen die Bürgerinitiative, die mit Flugblättern und Eingaben gegen den Namen Georgsmarienhütte vorgingen. Dabei übersah er, dass in keinem der Druckerzeugnisse der Vorwurf, die Ratsherren seien vom Werk bestochen worden, geäußert wurde. Hofmeyer hatte die Seiten gewechselt. Von einer werkskritischen Position rückte er ab und wurde zum scharfen Kritiker der Bürgerinitiative, deren Vorgehen er in seinen Artikeln und Kommentaren diskreditierte.2212 Als Hofmeyer bei einer Bürgerversammlung für sein Umschwenken kritisiert wurde, setzte er sich zur Wehr. »Das Recht der Kritik, das allen Bürgern zusteht, möchten auch wir für uns in Anspruch nehmen«,2213 verteidigte Hofmeyer seine 2208 »Kompromiss möglich?« Kommentar von Jürgen Hofmeyer, NOZ, 19. April 1969. 2209 »Ziel erreicht« Kommentar von Jürgen Hofmeyer, NOZ, 21. April 1969. 2210 Protokoll der Direktoriumssitzung am 21. April 1969, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 334. 2211 »Flugblatt ›Gelbe Gefahr‹ und die recht merkwürdigen Hintergründe«, NOZ, 10. Mai 1969. 2212 Siehe 4.3.4. Der Oeseder Bürgerprotest, S. 308. 2213 »Kritik der Oeseder Bürger richtet sich gegen den Namen Georgsmarienhütte und die unterlassenen Informationen«, NOZ, 17. Mai 1969.

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kritische Haltung gegenüber den Flugblattverfassern. Diese Grundhaltung gegenüber jeder Form des Protestes trat in der Festwoche noch einmal zu Tage. Als Mitglieder der Jungen Union und der Jungsozialisten an dem nichtöffentlichen Tanzabend Flugblätter verteilten und ein offenes Fest für alle Bürger_innen forderten, erkannte er zwar die Berechtigung des Anliegens an, stellte jedoch in seinem Kommentar die Art des Protestes offen in Frage. »Nicht gerade von Überlegung zeugt die Art und Weise, wie ein berechtigtes Anliegen dargeboten wurde, nämlich durch Flugblätter bei einer Veranstaltung, bei der auch zahlreiche Ausländer Gäste der neuen Stadt waren.«2214 Hofmeyers Positionen entsprachen ganz offensichtlich zunächst denen des Landkreises, und nach Beginn der Aushandlung auf kommunaler Ebene aber denen der Oeseder Akteure. Dies zeigt sich vor allem in den Artikeln, mit denen Druck auf die Gemeinde Georgsmarienhütte aufgebaut wurde oder in denen Sitzungsinhalte öffentlich gemacht wurden, zu denen die Presse gar nicht eingeladen war. Eine besonders enge Beziehung zwischen den Oeseder Akteuren und Jürgen Hofmeyer ist offensichtlich. Korrespondenz zwischen Rolfes und Hofmeyer belegt diese Verbindung.2215 Anfang Mai 1969 fühlte sich Bürgermeister Siepelmeyer bemüßigt, dem Chefredakteur der NOZ einen Brief zu schreiben. Darin hieß es: »Nun liegt es in der Natur der Sache, daß die Ratsherren der beteiligten Gemeinden normalerweise nicht mit allen Dingen einverstanden sind, die die Lokalpresse über einzelne Sitzungen wiedergibt. Das gilt in besonderem Maße, wenn der verantwortliche Redakteur ein solch ›unbekümmerter‹ Mann wie Herr Hofmeyer ist.«2216

Dieser habe kommunalpolitisches Gespür und die Verhandlungen in ausweglosen Situationen entscheidend weitergebracht. Er, Ludwig Siepelmeyer, habe aber »weder in positiver noch in negativer Hinsicht je zur Feder gegriffen.«2217 Herrn Hofmeyer solle für seine weitsichtige Berichterstattung der Dank der Gemeinde Oesede ausgesprochen werden. Offensichtlich war der Redakteur seitens seiner Vorgesetzten wegen der Nähe zu Oeseder Positionen unter Druck geraten und hatte bei Siepelmeyer dieses Schreiben veranlasst. Auf dem Durchschlag an Jürgen Hofmeyer hatte Siepelmeyer nämlich notiert: »zur gefl. 2214 »Einladung an alle Bewohner« Kommentar an Jürgen Hofmeyer, NOZ, 22. September 1970; Siehe 4.4.3. Festwoche zur Stadtgründung, S. 342. 2215 Z. B. als eine Nachricht über die Zusammenlegung in dem Presseorgan des Niedersächsischen Städtebundes Hannover erschien: Rolfes bat Hofmeyer, die Nachricht in der Zeitung zu verwerten mit der Begründung, die Oeseder Ratsherrn müssten wegen des Namens »sehr harte Diskussionen« bestehen. Rolfes an Hofmeyer, Schreiben vom 29. April 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2. 2216 Ludwig Siepelmeyers an die Chefredaktion der NOZ, Schreiben vom 5. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2. 2217 Ebd.

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Kenntnisnahme übersandt. Auf unsere Besprechung darf ich mich hierbei beziehen. Mit den besten Grüßen bin ich Ihr L.S.«2218 Zur Feder hatte Siepelmeyer nicht gegriffen, aber ganz sicher hat es Gespräche gegeben, wie das oben zitierte Schreiben belegt. Hofmeyers Artikel und Kommentare setzten für die Aushandlung einen Rahmen: Er trat positiv für die Gebiets- und Verwaltungsreform ein und stellte dabei auch heraus, dass dafür Opfer gebracht werden müssten. Machtverlust für Ratsmitglieder und Bürgermeister verschwieg er nicht. Er trat für eine aktive Wirtschaftsförderung und Arbeitsplatzsicherung ein. Dem Werk stand er kritisch gegenüber, war doch die Informationspolitik in den 1960er Jahren bis zum Beginn der Aushandlung um den Namen äußerst restriktiv. Auch das Vorgehen des Werkes in der Namensfrage bewertete er negativ. Nachdem jedoch ein Gespräch mit den Werksdirektoren stattgefunden hatte, änderte er seine Meinung. Bis zum Schluss der Aushandlungen blieb er aber bei einer ablehnenden Haltung gegenüber Protestierenden. Als unpassend wurde das Verteilen von Flugblättern eingeordnet und bewertet. Mit kritischen Artikeln und Kommentaren brachte Hofmeyer die Verhandlungen im Untersuchungsgebiet voran.2219 Dass er dabei in engem Kontakt zu Oeseder Akteuren stand, ist unbestritten. Dennoch war Hofmeyer kein Mann der grenzenlosen Loyalität. Siepelmeyers Vorpreschen vor dem Innenausschuss, im letzten Augenblick an der Namensfrage noch einen Kompromiss zu erzielen, ohne sich vorher mit den Georgsmarienhütter Ratsleuten abzusprechen, fand nicht seinen Beifall.2220 Damit hat die Presse wenigstens am Ende der Aushandlungsprozesse eine wesentliche Aufgabe, nämlich politisches Handeln kritisch zu hinterfragen, erfüllt. Insgesamt war die NOZ weit davon entfernt, sich ausschließlich mit »Verlautbarungsjournalismus«2221 zu bescheiden. Zur Berichterstattung von Sitzungen und Besprechungen kamen auch Eigenleistungen der Zeitung wie Recherchen und Kommentare. Dabei haben auch die Akteure der Presse, insbesondere Jürgen Hofmeyer, eine genaue Vorstellung vom Untersuchungsgebiet: eine prosperierende Stadt mit vielen Anzeigenkunden und Leser_innen.

2218 Ebd. 2219 Wie die Medien selbst zu Akteuren werden vgl.: Ingrid Gilcher-Holtey : ›Kritische Ereignisse‹ und ›Kritischer Moment‹, in: Suter/Hettlich (Hg.): Struktur und Ereignis, S. 120– 137. 2220 »Keine Verlierer unter Demokraten. Das Vertrauen darf nicht schwinden«, Kommentar von Jürgen Hofmeyer, NOZ, 29. Oktober 1969. 2221 Manfred Schulz: Hofbericht oder Information? Lokaljournalismus im Zeitungsmonopol: Beispiel Allgäuer Zeitung, München 1978, S. 10.

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5.2.4. Raumvorstellungen der Akteure des Stahlwerkes Seit Gründung des Werkes im Jahr 1856 auf Malberger Gemeindegrund war die Umgebung des Betriebes vielfachen Veränderungen unterworfen.2222 Aufgrund des Arbeitsplatzangebotes zog eine große Anzahl Menschen in die Gemeinden um das Werk. Die kommunalen Strukturen mussten immer wieder den veränderten Verhältnissen einer industrialisierten, urban organisierten Gesellschaft angepasst werden. 1860 kam es zur Gründung der mit dem Werk namensgleichen Gemeinde Georgsmarienhütte, deren Kosten für die ersten Jahrzehnte das Werk komplett übernahm. Bei einer Gebietsreform während der NS-Zeit meldete das Werk über die IHK weitreichende Ansprüche auf Gebietserweiterung der nur 90 ha umfassenden kleinen Gemeinde Georgsmarienhütte an.2223 Diese Ansprüche – der größte Teil auf Kosten der Nachbargemeinde Oesede – wurden von Landrat Westerkamp zurückgewiesen, und nur ein kleiner Teil einer Fläche wurde der Gemeinde zugeschlagen, die die Gemeinde Georgsmarienhütte gar nicht beansprucht hatte. Immerhin wurde Malbergen der Betriebsgemeinde des Werkes zugeordnet, was als »Wiedervereinigung der beiden Gemeinden unter dem neuen Namen«2224 gesehen wurde und die Fläche der Gemeinde damit erheblich vergrößerte. 1951 expandierte das Werk und meldete großen Platzbedarf an. Es sei einfacher, wenn nur mit einer Gemeinde verhandelt werden müsse, ließ das Werk wissen. Es unterstützte die Zusammenlegungsbestrebungen, die aber allein aus dem Georgsmarienhütter Gemeinderat kamen. Doch auch diese Aushandlung konnte das Werk nicht in seinem Sinne beeinflussen.2225 Die Krise 1966/1967 führte im Stahlwerk zu Umsatzeinbußen, Kurzarbeit und Entlassungen.2226 Nach der Überwindung des Tiefs deuteten sich innerhalb des Konzerns Veränderungen an, die die leitenden Akteure des Werkes vor neue Herausforderungen stellten. Der Konzern wollte Produktionsteile nach Bremen verlegen und die Personalstärke im Georgsmarienhütter Werk deutlich verringern.2227 Mit diesen Problemen beschäftigt, wurden in den Direktoriumssit2222 Siehe Kap. 2.1. Die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte 1860, S. 43. 2223 Siehe Kap. 2.2. Die Zusammenlegungen der Gemeinden Georgsmarienhütte mit Malbergen und Oesede mit Dröper, S. 56. 2224 Beschreibung der Gemeinde Georgsmarienhütte vom 20. März 1967, NLA OS Dep 49 Akz 21/1996 Nr. 274. 2225 Aushandlungsverlauf NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 1; Siehe auch Kap. 2.3.2. Der Aushandlungsverlauf: Der Zusammenlegungsversuch 1951, S. 108. 2226 »Greift die Krise jetzt auf Landkreis über?«, FP, 20. Oktober 1966; »Rund 200 Arbeitnehmer werden wegen Auftragsmangels vom Klöckner-Werk Georgsmarienhütte bald entlassen«, OT, 9. Januar 1967; Protokoll der Direktoriumssitzung am 24. Oktober 1966, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 70. 2227 In den Direktoriumssitzungen kam das Vorhaben des Klöckner-Konzerns nicht zur Sprache, es wurde aber außerhalb des Werkes kommuniziert, vgl.: Gemeinde Georgs-

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zungen die Veränderungen in der kommunalen Landschaft nicht thematisiert, aber auch mit den Akteuren der Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede, in denen die meisten ihrer Arbeitnehmer wohnten, wurde nicht offen über die anstehenden Probleme gesprochen.2228 Auch die Presse beklagte sich über die mangelnde Informationspolitik des Unternehmens.2229 Dennoch wussten Mitarbeiter des Werkes, die gleichzeitig auch in den Gemeinderäten von Oesede und Georgsmarienhütte saßen, Bescheid und kommunizierten die schwierige Lage des Werkes, auf die es in den nächsten Jahren zu reagieren galt.2230 Der Konjunkturrückgang und Arbeitsplatzabbau wurden sowohl seitens des Werkes als auch von den Ratsmitgliedern als drohende Katastrophe und die Lage des Werkes als äußerst prekär beschrieben.2231 Zu einem kommunikativen Austausch zwischen allen Beteiligten, um Lösungswege zu erarbeiten oder Kräfte zu bündeln, kam es jedoch nicht. Da die tatsächliche Lage für Akteure außerhalb des Werkes im Ungefähren blieb, hatten sie Spielraum, die wirtschaftliche Lage mal positiv oder mal negativ zu sehen und zu kommunizieren. Als die Aushandlung um den Namen einsetzte, änderte sich bei den Ratsleuten die negative Sicht auf die wirtschaftliche Lage des Werkes: In diesem Zusammenhang sagte der Georgsmarienhütter Ratsherr Werner Schmigelski: Die Klöckner-Werke »würden dem hiesigen Raum augenblicklich noch einen maßgeblichen Stempel aufdrücken«,2232 und das Werk sei von Bedeutung in ganz

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marienhütte an den Landkreis Osnabrück, Schreiben vom 20. September 1967, NLA OS Dep 81 b Nr. 73; »Neues Stahlwerk Klöckner: Mehr Produktion nach Bremen verlegen«, NOZ, 21. Oktober 1967; in einer Pressemitteilung wurde das Vorhaben dementiert, »An Gerüchten stimmt nichts. Keine Einstellung der Warmbetriebe in Georgsmarienhütte«, OP, 9. November 1967. Protokoll der Direktoriumssitzung am 13. Januar 1969, NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 334. »Wir werden es sehen. Wundern, staunen und dann das große Rätselraten. Ein Wort zur Pressearbeit der Klöckner-Georgsmarienwerke«, OT, 14. Januar 1967; Auch die Unternehmensstrategie des Salzgitter-Konzerns in den 1970er Jahren war ähnlich, vgl.: Elisabeth Fricke: Die Feuer verlöschen doch! Wirksamkeit und Grenzen der Montan-Mitbestimmung bei Betriebsstilllegungen am Beispiel der Ilseder Hütte, in: Rudolf Judith (Hg.): 40 Jahre Mitbestimmung. Erfahrung. Probleme. Perspektiven, Köln 1986, S. 111–130, hier S. 118. Im Oeseder Gemeinderat wurde das Problem im Frühjahr 1969 angesprochen, Protokoll der Oeseder Gemeinderatssitzung am 3. März 1969; im Georgsmarienhütter Gemeinderat Werner Schmigelski laut Protokoll der Sitzung am 17. März 1969; Des Weiteren: Ratsherr Ludwig Pilger in einer Besprechung über den Düteraum am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. Siehe Kap. 3.2.4. Das Stahlwerk, S. 215. Ratsherr Werner Schmigelski laut Protokoll des Zusammenlegungsausschusses am 22. Januar 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2.

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Europa »und darüber hinaus«.2233 Ein weiterer Ratsherr aus Georgsmarienhütte stellte den »gemeinsamen Brotgeber […]«2234 heraus. Als dem Direktorium bewußt wurde, dass die neue Gebietskörperschaft nicht ›Georgsmarienhütte‹ heißen würde, musste es seine Zurückhaltung aufgeben. Die eingeschlagene Strategie des intensiven Leugnens aller Probleme verfolgte es aber weiter. In ihrem Brief hob das dreiköpfige Management des Werkes die wirtschaftliche Bedeutung des Werkes mit 3.000 Beschäftigten allein in den drei zum Zusammenschluss bereiten Gemeinden und 10.000 Menschen, die unmittelbar von der Hütte lebten, hervor.2235 In einer Besprechung mit den drei Gemeinderäten, auf die die Kommunalakteure so lange gewartet hatten, hob Werksdirektor Werner Heymann hervor, dass auch nach der Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen noch mindestens 5.000 Menschen in dem Werk beschäftigt sein würden.2236 Die Zurückhaltung des Werksdirektoriums beförderte den Aushandlungsprozess zur Gründung der Stadt Georgsmarienhütte auf keiner der drei Ebenen. Da das Werk zu den erwähnten Problemen keine Stellung bezog, war es für die Raumplaner bei der Bezirksregierung einfach, einen Handlungsbedarf zu ignorieren. Die dringenden Apelle der Gemeindedirektoren Trepper und Rolfes an die Bezirksregierung bzw. an den Landkreis im Jahr 1967, Industriegebiete auszuweisen und bei der Ansiedlung behilflich zu sein, liefen damit ins Leere.2237 Auch der Aushandlungsprozess auf der zweiten Ebene wurde dadurch erschwert. Bei der ersten ernsthaften Besprechung am 16. Juli 1968 auf interkommunaler Ebene, schilderte Landrat Tegeler die Zukunft in schwarzen Farben, aber der damals noch amtierende Georgsmarienhütter Bürgermeister Karl Niemeyer sah keinen Handlungsbedarf.2238 Gemeindedirektor Trepper zweifelte sogar an der so geschilderten Zukunft. Es gebe 4.000 offenen Stellen und 1.900 Arbeitssuchende, und 2.317 »Gastarbeiter«2239 seien beschäftigt und weitere würden angeworben. Einige Georgsmarienhütter Gemeinderatsmitglieder sahen noch bis kurz vor der Unterzeichnung des Gebietsänderungsver2233 Georgsmarienhütter Ratsherren laut Protokoll der gemeinsamen Sitzung am 27. März 1969, ebd. 2234 Protokoll des Zusammenlegungsausschusses am 22. Januar 1969, ebd. 2235 Klöckner-Direktorium an die Räte der Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg, Schreiben vom 10. April 1969, ebd. 2236 Direktor Heymann laut Protokoll einer Besprechung mit den Ratsherren aus den Gemeinden Oesede Harderberg und Georgsmarienhütte am 16. April 1969, ebd. 2237 Gemeinde Oesede an den Regierungspräsidenten, Schreiben vom 7. Juni 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 35; Gemeinde Georgsmarienhütte an den Landkreis, Schreiben vom 8. November 1967, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 11. 2238 Protokoll über eine Besprechung im Düteraum am 16. Juli 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2239 Trepper laut Protokoll der VA-Sitzung Georgsmarienhütte am 12. Februar 1969, ebd.

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trages keinen Anlass, einer Zusammenlegung zuzustimmen, weil sie die schwierige wirtschaftliche Situation des größten regionalen Arbeitgebers nicht zur Kenntnis nahmen. In dieser Illusion wurden sie noch bestätigt, als das Werksdirektorium einen Brief an alle beteiligten Akteure versandte, in dem es für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ eintrat und dies mit der »weite[n] und überregionale[n] Bedeutung des Hüttenwerkes im In- und Ausland«2240 begründete. Ein Umdenken der Skeptiker erfolgte erst, als sicher war, dass der Name der Betriebsgemeinde auch der Name der neuen Gebietskörperschaft werden würde, und nicht etwa weil erkannt worden war, dass die Zusammenlegung für die daran beteiligten Gemeinden von existenzieller Bedeutung war. Der Brief des Direktoriums, nach wenigen Tagen bereits in der NOZ abgedruckt,2241 brachte in die Aushandlung zum Gebietsänderungsvertrag im April 1969 eine Dynamik, die nicht nur die Mandatsträger erfasste, sondern auch die Bürger_innen der beteiligten Gemeinden. Die Intervention des Werkes wurde insbesondere von Oeseder_innen als ungehörige Einmischung in kommunale Belange empfunden und zurückgewiesen. Der Leserbriefschreiber Franz Trentmann schrieb 1969: »Welchen Einfluß werden die Klöckner-Werke erst geltend machen, und welchen Druck ausüben, wenn es tatsächlich zu Verhandlungen über Industrieansiedlungen in Harderberg kommt.«2242 Die Entscheidung liege dann nicht mehr beim Rat, sondern bei einem Wirtschaftsunternehmen, gab er seiner Befürchtung Ausdruck. Diese Sorge war jedoch unberechtigt. Alle Versuche des Werksdirektoriums, wichtige Akteure für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ zu gewinnen, wurden von den Angesprochenen zurückgewiesen. Sowohl Landrat Tegeler als auch der Landtagsabgeordnete Heinz Müller als Vorsitzender des Innenausschusses mochten dem Werksdirektorium keine Zusagen in puncto Namensfrage machen.2243 Es schien anrüchig zu sein, den Anschein zu erwecken, sich zum Erfüllungsgehilfen des Werkes machen zu lassen. Diese Annahme bestätigt auch ein unveröffentlichter Aufsatz für die Betriebszeitung ›Pütt und Hütte‹ vom Mai 1969. Der Name ›Georgsmarienhütte› sei deshalb für das Werk von Bedeutung, »weil die Georgsmarienhütte das Wahrzeichen ist und bleiben wird, das die neue

2240 Klöckner an die Räte der Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg, Schreiben vom 10. April 1969, ebd. 2241 »Brief des Klöckner-Direktorium entfachte Debatten und Kritik. Scheitert Zusammenschluß an der Namensgebung Dütenau?« NOZ, 14. April 1969. 2242 »Schuldig geblieben« Leserbrief von Franz Trentmann, NOZ, 5. Mai 1969. 2243 Aktennotiz vom 10. September 1969, NLA OS Dep 49 Akt 21/1996 Nr. 312.

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Region bestimmt und seine Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur prägt.«2244 Die Stellung des Werkes innerhalb der neuen Gebietskörperschaft beschreibt der Aufsatz so: »Für die neue Großgemeinde – die neue Stadt Georgsmarienhütte – hat mit dem mutigen Entschluß der Gemeindevertreter die Zukunft begonnen. Wir sind überzeugt, daß es eine Zukunft sein wird, in der das Werk Georgsmarienhütte seine dominierende traditionelle Stellung halten und weiter festigen wird.«2245

Hier wurde ein Selbstbild aktualisiert, das bereits 1860 installiert und über die Chronik von Hermann Müller von 1896/1899 ausgebaut wurde. Das Werk wurde als ein die Region prägendes und dominierendes Wahrzeichen geschildert. Doch genau dieses Selbstbild des prägenden und dominierenden, des alles bestimmenden Werkes, wurde vom Oeseder Gemeindedirektor als völlig unpassend empfunden. Auf Bitten von Rolfes, den der Verfasser des Aufsatzes vor Veröffentlichung »bewusst gefragt«2246 hatte, wurde der Aufsatz nicht veröffentlicht, »da den Befürwortern dieses Namens in den Räten zur Zeit massiv der Vorwurf gemacht wird, daß nicht Kommunalpolitik in den Gemeinden den Ausschlag gebe, sondern das Direktorium der Klöckner-Werke AG Georgsmarienhütte.«2247

Der Einfluss des Werkes blieb beschränkt, und alles, was den Eindruck erwecken konnte, die Akteure des Werkes hätten Einfluss genommen, wurde von Politik und Verwaltung auf allen Ebenen unterbunden. Spielten die Werksakteure beim Aushandlungsprozess bis zum Gebietsänderungsvertrag eine passive Rolle, blieb ihr Einfluss in der Namensfrage – abgesehen von dem veröffentlichten Brief – begrenzt. Das Werk hatte jedoch als Arbeitgeber und Steuerzahler große Bedeutung. Als es um die Darlegung der Gründe für den Zusammenschluss in der Öffentlichkeit ging, führte Siepelmeyer aus, wie ungerecht es sei, dass nur Georgsmarienhütte und Oesede als Betriebsgemeinden von dem hohen Steueraufkommen profitierten, die anderen Gemeinden im ›Dütetal‹ aber das Nachsehen hätten.2248 Und vor dem CDUOrtsverband Oesede legte er dar, dass die Zusammenlegung wichtig sei, da »die Gemeinde Oesede wirtschaftlichen Nutzen aus der Zusammenlegung ziehen kann.«2249 Ob Siepelmeyer bei dem wirtschaftlichen Nutzen an das immer noch 2244 »Mit altem Namen einer neuen Zukunft entgegen. Die neue Großgemeinde heißt: Stadt Georgsmarienhütte«. Unveröffentlichter Aufsatz für die Betriebszeitung Pütt und Hütte vom 6. Mai 1969, abgelegt in: NLA OS Dep 49 21/1996 Nr. 312. 2245 Ebd. 2246 Interne Aktennotiz des Werkes vom 7. Mai 1969, ebd. 2247 Ebd. 2248 Stellungnahme Ludwig Siepelmeyers vor dem Innenausschuss am 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 104 II Akz 44/92 Nr. 353. 2249 »Neuer Name ›Teutoberg‹ CDU-Ortsverband diskutierte Gemeindezusammenschluß«, NOZ, 21. Juni 1969.

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starke Stahlwerk dachte, das er selbst als »Blutspender«2250 bezeichnete, oder an die Betriebe in dem zukünftigen Gewerbegebiet auf dem Harderberg, geht aus seinen Worten nicht hervor. Die Georgsmarienhütter SPD konterte jedoch: Die CDU in Oesede sei »unfair und egoistisch, wenn sie den Namen des Nachbarn zwar ablehnt, seine Finanz-und Wirtschaftskraft aber unbedingt für die eigene Entwicklung haben möchte.«2251 Auch die Gemeinde Kloster Oesede, die sich im August 1969 entschloss, der neuen Gebietskörperschaft beizutreten, sah durchaus die »daraus entstehenden finanziellen Möglichkeiten«,2252 wobei damit auch die erhöhten Schlüsselzuweisungen gemeint sein könnten, mit denen Landrat Tegeler und Bürgermeister Siepelmeyer für den Beitritt der Gemeinden Kloster Oesede, Holsten-Mündrup und Alt-Holzhausen warben. Die Verfasser der Festschrift zur 800-Jahr-Feier forderten einen Zusammenschluss aus wirtschaftlichen Überlegungen, »denn auch die Bevölkerung von Kloster Oesede hat einen Anspruch darauf, an dem teilzuhaben, was Kloster Oeseder Männer und Frauen auf dem Hüttenwerk erarbeiteten.«2253 Dem Werk wurden je nach Ausgangslage verschiedene Rollen zugeschrieben. Um die Aushandlung in Gang zu setzten, wurde eine düstere Zukunft mit Arbeitsplatzabbau und geringen Steuerzahlungen von den Kommunalakteuren entworfen. Als es um die Rechtfertigung für den Namen und die Rechtfertigung der Zusammenlegung vor der Bevölkerung ging, wurde es als Geldquelle und größter gemeinsamer Arbeitgeber gesehen. Zu einer offiziellen und öffentlichen Kommunikation zwischen den Akteuren des Werkes und Akteuren aus Politik und Verwaltung zur Handlungsabstimmung im Hinblick auf eine Zusammenlegung kam es nur bedingt. Entweder wurde die Kommunikation verweigert, oder aber es wurden nicht alle Fakten über die Lage des Werkes auf den Tisch gelegt. Als jedoch in der Frage des Stadtnamens ein Abstimmungsbedarf seitens des Werkes deutlich wurde, verweigerten die Kommunalakteure ihrerseits die Kommunikation oder versuchten alles, um eine Handlungsabstimmung nicht öffentlich werden zu lassen. Es wurde alles vermieden, was den Anschein erwecken mochte, die Akteure des Werkes hätten auf eine politische Entscheidung in irgendeiner Form Einfluss genommen. Das hinderte Rudolf Rolfes nicht daran, sich Kosten, die aus einer politischen Entscheidung entstanden waren und die eigentlich aus kommunalen Mitteln hätten bezahlt werden müssen, von dem Unternehmen begleichen zu lassen. Die Kosten der Feierlichkeiten am 2250 Protokoll der Besprechung mit Ratsherren aus den Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg und den Herren des Klöckner-Direktoriums am 16. April 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2251 »Protest vor Abschluß, Antworten der SPD-Fraktion Georgsmarienhütte«, NOZ, 10. Juli 1969. 2252 »Bürger in Kloster Oesede sind für den Zusammenschluß«, NOZ, 8. August 1969. 2253 1170–1970, 800 Jahre Kloster Oesede, S. 42.

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19. April 19692254 und am 19. September 1970 wurden vom Werk übernommen.2255 Das leitende Direktorium des Werkes verfügte Ende der 1960er Jahre über keinerlei Visionen, was die räumliche Ausgestaltung ihres Umfeldes anging. Anders als 1860, 1937 und 1951/1952 endeten die Raumvorstellungen seiner Mitglieder am Werkstor. Das Werksdirektorium mochte eine Zusammenlegung der sechs Gemeinden befürwortet haben, sein Handeln war in dieser Sache aber kontraproduktiv. Das Leugnen aller wirtschaftlichen Probleme erschwerte den Aushandlungsverlauf auf jeder Ebene erheblich. Als das Werksmanagement seine Zurückhaltung aufgab und sich in den Aushandlungsprozess mittels eines Briefes einbrachte, erhöhte sich der Druck auf die verhandelnden Gemeinden derart, dass der Aushandlungsprozess an dieser Stelle leicht hätte scheitern können. Einen Beitrag zur Aushandlung leistete das Werk damit nicht. Dass die Gründung der Stadt mit dem Namen ›Georgsmarienhütte‹ dennoch zustande kam, war ausschließlich das Verdienst der kommunalen Verhandlungspartner.

5.2.5. Raumvorstellungen der Bürgerschaft Die Bürger_innen wurden zunächst nicht beteiligt. Die ersten Gespräche fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Als die Presse von der Sitzung am 16. Juli 1968 berichtete und eine Zusammenlegung der Gemeinden bereits als konkrete und umsetzbare Idee formulierte, erfolgte keinerlei erkennbare Reaktion der Bevölkerung. Auch als der Harderberger Rat im August 1968 beschlossen hatte, sich mit den Nachbargemeinden zusammenzuschließen, gab es weder Leserbriefe noch Eingaben in den Gemeinden. Als jedoch auch der Oeseder Gemeinderat einen Beschluss fasste, die Selbstständigkeit zugunsten eines Zusammenschlusses aufzugeben und diesen wenig später auch durch die Presse bekannt gab,2256 kam im September 1968 eine erste Reaktion aus der Gemeinde Georgsmarienhütte. Der Vorsitzende des ›Verschönerungsvereins 1870, Heimatverein Georgsmarienhütte‹ wandte sich an die Gemeindeverwaltung Georgsmarienhüttes und an die NOZ. Gegenüber der Gemeindeverwaltung forderte der Verein, die Bürger_innen zu informieren: »Wir halten es […] für unbedingt erforderlich, die

2254 Die Kosten betrugen 2.302,96 DM, NLA OS Dep 81 b 2018/35 Nr. 1, Ordner 2. 2255 Liste der Spenden aus Anlass der Stadtwerdung, Anlage zum VA-Protokoll der Sitzung vom 7. Oktober 1970, NLA OS Dep 81 b Nr. 9. 2256 »Oesede ist vorbehaltlos bereit, die Selbständigkeit aufzugeben«, NOZ, 19. September 1968.

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Bevölkerung aufzuklären.«2257 Der NOZ schickte der Vorsitzende Süßenbach gleich einen ganzen Katalog an Fragen, verbunden mit der Bemerkung, er könne keinen Vorteil einer Zusammenlegung erkennen. Er forderte Informationen darüber, wie viele Ratsherren im neuen Rat sitzen würden, wie sie sich auf die einzelnen Gemeinden verteilen würden, ob es ein Übergewicht einer Gemeinde geben werde, wo die Verwaltung ihren Sitz haben solle und wie hoch der Schuldenstand der anderen Gemeinden sei. Und schließlich warf er auch die Frage auf, ob der Rat eine Vollmacht habe, einer Zusammenlegung zuzustimmen oder ob »ein ›Volksbegehren‹ notwendig«2258 sei? Diese Reaktion blieb für die nächste Zeit die einzige Resonanz auf die Zusammenlegungsgespräche. Der nächste Leserbrief erschien erst im April 1969, als die Aushandlung um den Namen durch Presseberichte öffentlich wurde. Dessen Verfasser August Berkemeyer wunderte sich, dass leider »bis heute keine Leserbriefe erschienen«2259 seien. In seinem Brief bestritt er die Notwendigkeit, Industrie anzusiedeln und einen Zusammenschluss durchzuführen. Der gleichen Meinung war auch Karl-Heinz Hardetert. 80 % der Bevölkerung wolle diesen Zusammenschluss nicht.2260 Und E. Denecke gab zu bedenken: »Kann man denn je vergessen, welchen segensreichen Einfluß die Hütte auf die Entwicklung aller Orte ausübte, die man heute unter ›Dütenau‹ zusammenzufassen gedenkt.«2261 Nach einer öffentlichen Ratssitzung schrieb Wilhelm Bellstedt: »Wir Bürger erhielten in dieser Sitzung einen Faustschlag ins Gesicht, als der Rat mit knapper Mehrheit sich für einen Zusammenschluß entschied und im Anschluß daran die Meinung der Bürger hören wollte.«2262 Alle vier Leserbriefschreiber kamen aus Georgsmarienhütte. Die Verfasser wandten sich gegen den Zusammenschluss und gegen den Namen ›Dütenau‹, und bemängelten die unzureichende Aufklärung und hoben das Gefühl hervor, übergangen zu werden. Gut zwei Wochen nach Veröffentlichung des Vertragsergebnisses mit dem Namen ›Georgsmarienhütte‹ erschien der erste Oeseder Leserbrief. Die größte Gemeinde habe sich bei der Zusammenlegung überfahren lassen, »ohne daß die Bürger dieser Gemeinde auch nur die geringste Reaktion zeigen«,2263 war der Oeseder Franz Trentmann erstaunt. Auch er fühlte sich als Bürger übergangen. 2257 Verschönerungsverein 1870 Heimatverein Georgsmarienhütte, Herr Süßenbach an die Gemeinde Georgsmarienhütte, Schreiben vom 13. September 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2258 Verschönerungsverein von 1870 Heimatverein Georgsmarienhütte an die NOZ, Schreiben vom 16. September 1968, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2259 »Gegenwart vergessen« Leserbrief von August Berkemeyer, NOZ, 12. April 1969. 2260 »Thema Dütenau« Leserbriefe von Karl- Heinz Hardetert und E. Denecke, NOZ, 12. April 1969. 2261 Ebd. 2262 »Nicht überzeugt« Leserbrief von Wilhelm Bellstedt, NOZ, 17. April 1969. 2263 »Schuldig geblieben« Leserbrief von Franz Trentmann, NOZ, 5. Mai 1969.

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»Kann man denn diesem neuen Gebilde einen Namen geben, der in der Öffentlichkeit nie zur Diskussion stand?«2264 fragte er. Insgesamt erschienen von September 1968 bis Juni 1969 nur elf Leserbriefe.2265 Bürgerversammlungen fanden in dieser Zeit nicht statt, abgesehen von einer öffentlichen Ratssitzung in Georgsmarienhütte, in deren Anschluss die Bürger_innen Fragen stellen konnten.2266 Ratsleute, Bürgermeister und Verwaltungsmitarbeiter_innen müssen geglaubt haben, dass sich der Zusammenschluss ohne große öffentliche Aufregung durchführen lässt. Nur so ist zu erklären, dass die Oeseder Befürworter des Zusammenschlusses in der Sitzung am 18. April 1969 die Gegner im Oeseder Rat auf eine Weise zur Zustimmung drängten, die so weit außerhalb der parlamentarischen Gepflogenheiten lag, dass sie im Protokoll nicht festgehalten wurde.2267 Von stundenlangen Überredungskünsten, vor denen man im Oeseder Rat nicht zurückgeschreckt sei, war in einem Flugblatt die Rede;2268 in den Oeseder Protokollen wurden solche nicht einmal ansatzweise erwähnt. Auch wenn den Akteuren bewusst war, dass bei vielen Begegnungen der Zusammenschluss und der Name der Gebietskörperschaft Thema waren, konnten die Akteure Rolfes und Siepelmeyer nicht von einem öffentlichen Protest ausgehen. Bisher war es ruhig geblieben. Mit dem Einsatz persuasiver Mittel in der letzten Sitzung vor Unterzeichnung des Vertrages, wie auch immer diese ausgesehen haben mögen, war jedoch die Schraube überdreht worden. Ein dritter, außerparlamentarischer Aushandlungsprozess nahm seinen Lauf, der von Rat und Verwaltung nur noch schwer wieder unter Kontrolle gebracht werden konnte. Im Verlauf dieser Aushandlung kamen Konflikte zur Sprache, die in den bisherigen Aushandlungsprozessen nicht die geringste Rolle gespielt hatten. Sie berührten Belange der gemeindlichen Identität, die bereits im ›Dritten Reich‹ mit der Umgemeindung eines relativ kleinen Gemeindeteils von Oesede nach Georgsmarienhütte berührt wurden. Zu einer Klärung dieses Vorganges kam es in der Nachkriegszeit nicht. So konnte sich in Oesede ein Narrativ verselbstständigen, das vor allem die 2264 Ebd. 2265 Zu den bereits zitierten: »Mein Mandatsverzicht ist unwiderruflich«-Erklärung von Josef Dälken, NOZ, 13. Mai 1969; »Sonst keine Mehrheit« Leserbrief von Harry Brunsmann, NOZ, 19. Mai 1969; »Die Taktik von Georgsmarienhütte« Leserbrief von Josef Dälken, NOZ, 21. Mai 1969; »Schall und Rauch«, Leserbrief von Dieter König, NOZ, 22. Mai 1969; »Die beste Taktik«, Leserbrief von Eckhard Kleyer, NOZ, 20. Juni 1969. 2266 Protokoll der öffentlichen Ratssitzung am 17. März 1969, NLA OS Dep 81 b Nr. 1, Bd. 2. 2267 In den Protokollen weist nichts auf die Dramatik der Sitzung hin, die einen Ratsherrn zu der Flugblattaktion und zu seinem Rücktritt veranlasste, Protokoll über die Vorbesprechung am 18. April 1969, 17 Uhr ; Protokoll des Verwaltungsausschusses Oesede am 18. April 1969, 18.45 Uhr ; Protokoll der Arbeitssitzung der Räte von Georgsmarienhütte, Harderberg und Oesede am 18. April 1969, 19 Uhr, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 2. 2268 Postwurfsendung an alle Haushalte vom 6. Mai 1969. Zusammenlegungsakte der Stadt Georgsmarienhütte, Dep 81 b 2018/35 Nr. 1, Ordner 2.

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Raumvorstellungen der Akteure: Ideen für das ›Dütetal‹

Gemeinde Georgsmarienhütte als übergriffige, nationalsozialistisch-dominante Gemeinde darstellt. Entscheidender als der Verlust von 20 ha Gemeindefläche war die Ohnmacht, mit der diese Vorgänge erlebt wurden und mit der auch die Veränderungen in der kommunalen Landschaft Ende der 1960er Jahre erfahren wurden. So beklagte sich ein Schneidermeister aus Ohrbeck beim Innenminister, dass er gegen seinen Willen zur Großgemeinde Georgsmarienhütte gehöre. »Wir haben doch keine Nazi Methoden mehr, wir haben doch eine Freie Demokratie [Großschreibung im Original, I.B.], oder können Sie auch noch heute mit den Bürgern machen, was Sie wollen?«2269 Die Sorge, nicht selbstbestimmt über ihr Schicksal entscheiden zu können, einte die Akteure Ende der 1960er Jahre.2270 Es gab jedoch auch andere Meinungen. Die Art, wie gegen den Ratsbeschluss zur Namensgebung gekämpft werde, sei »verwerflich und verabscheuend«.2271 Die Urheber säten Hass und Unfrieden und seien keine Demokraten, schreibt beispielsweise ein Bürger an die Gemeinde Oesede.2272 Das Gefühl, in einer Angelegenheit nicht gefragt worden zu sein und nicht bestimmen zu können, überwog jedoch bei den Bürger_innen. Es schlug sich auch in dem Anliegen der Bürgerinitiative nieder, die nicht grundsätzlich gegen den Zusammenschluss und auch nicht grundsätzlich gegen den Namen ›Georgsmarienhütte‹ war, die aber die Bürger_innen übergangen und nicht respektiert sah. An dieser Stelle des Aushandlungsprozesses wird deutlich, mit welch unterschiedlichen Werten die Akteure operierten. Während es den Befürwortern des Zusammenschlusses um den kurzfristigen finanziellen Vorteil durch erhöhte Schlüsselzuweisungen und den langfristigen finanziellen Vorteil durch Indu2269 Fritz S. an den Innenminister Lehners, Schreiben vom 31. Oktober 1970, NLA OS Dep 104 II 44/92 Nr. 357. 2270 Sie schlug sich auch in der Ratsarbeit nieder. Wenn man sich nicht entscheide, dann käme eine Entscheidung »von oben«, Gemeinsame Sitzung der Räte Holsten-Mündrup und Kloster Oesede am 21. Juli 1966, NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 190; ferner würden die Grundsätze der Raumordnung »durchgesetzt«, ebd.; auch beim Landkreis ging diese Angst um: »Die kommunale Selbstverwaltung gerate in Gefahr, ein Marionettentheater zu werden, das an zwei Zügeln, dem der staatlichen Auftragsangelegenheiten und dem goldenen Zügel der zweckgebundenen Zuschüsse, gelenkt werde.«, OKD Heinrich Backhaus laut Protokoll der Kreisausschusssitzung am 14. November 1967, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230; Nicht nur obrigkeitliche Entscheidungen wurden gefürchtet, sondern auch die Einflussnahme der Wirtschaft auf kommunale Entscheidungen. »Ist die Mehrheit des Oeseder Rates so an die Klöckner-Werke gebunden, daß eine freie politische Entscheidung nicht mehr möglich ist?«, »Schuldig geblieben« Leserbrief von Franz Trentmann, NOZ, 5. Mai 1969. 2271 Wilhelm S. an die Gemeinde Oesede, Schreiben vom 16. Mai 1969, Dep 81 b 2018/35 Nr. 1, Ordner 2. 2272 Ebd.

Raumvorstellungen der regionalen Akteure

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strie- und Gewerbeansiedlungen auf dem Harderberg ging und sie um dieser Vorteile willen bereit waren, vieles zu opfern, legten die Bürger_innen und die Zusammenschlussgegner aus dem Rat Maßstäbe an, die nichtmaterieller Art waren.2273 »Mitspracherecht, Achtung und Selbstverwirklichung«2274 standen sozialer Sicherheit und wirtschaftlichem Wachstum gegenüber. Hier wird ein Wertewandel fassbar, der für die Jahre von 1965 bis 1975 kennzeichnend war und der demokratischen Aushandlungsprozessen einen neuen Rahmen verlieh.

2273 Wie Zusammenlegungen an Gefühlen scheitern können und wie dieses Problem durch ein strategisches Kommunikationsmanagement gelöst werden kann, zeigt Peter Tschierse: Länderneugliederung und Bürger. Eine Untersuchung der Emotionen der Brandenburger Bürger zur möglichen Länderfusion von Berlin und Brandenburg, Bayreuth 2007. 2274 Andreas Rödder : Wertewandel in historischer Perspektive. Ein Forschungskonzept. In: Bernhard Dietz/Christopher Neumaier/Andreas Rödder (Hg.): Gab es den Strukturwandel? Neue Forschungen zum gesellschaftlich-kulturellen Wandel seit den 1960er Jahren, S. 17–39.

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Zusammenfassende Analyse

Das abschließende Kapitel greift noch einmal kurz die theoretische Rahmung auf, zieht dann anhand von kommunalen Neuzuschnitten im Untersuchungsgebiet einen größeren zeitlichen Bogen von der Industrialisierung bis Ende der 1960er Jahre, fasst anschließend die Einzelergebnisse zusammen und stellt sie schließlich in einen größeren Zusammenhang. Die Arbeit ging von der Frage aus, wie Ende der 1960er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland, im Land Niedersachen, die Gründung einer neuen Kommune unter Berücksichtigung vorangegangener kommunaler Neuzuschnitte im Untersuchungsgebiet vom Beginn der Industrialisierung bis zum eigentlichen Untersuchungszeitraum ausgehandelt wurde. Zerlegt in Einzelaspekte sollte die Analyse die Fragen beantworten, welche Raumvorstellungen welcher Akteure Ende der 1960er Jahre kursierten, auf welchen Erfahrungen sie beruhten, wie sie in Konflikt gerieten, wie sie ausgehandelt wurden und wer sich schließlich durchsetzte. Ausgehend von einem Raumbegriff Benno Werlens, bei dem ›Raum‹ als sozial produziert gilt, indem er von Akteuren wahrgenommen, beplant und gestaltet wird,2275 lag der Fokus dieser Arbeit auf den an den Aushandlungsprozessen beteiligten Akteuren und ihren Handlungen. Dabei wurde vermieden, prozessgenerierte Raumproduktionen wie sie sich z. B. in der Bezeichnung ›Dütetal‹ niederschlagen, unkritisch und unhinterfragt in die Analyse zu übernehmen. Ferner wurde der Untersuchung des Aushandlungsprozesses auf interkommunaler Ebene, die hauptsächlich anhand protokollierter Ratssitzungen und Besprechungen erfolgte, eine Modellsituation aus der Spieltheorie, wie sie das allgemein bekannte Gefangenen-Dilemma schildert, zu Grunde gelegt. Ein Ansatz, bei dem der sozialwissenschaftliche Analysebegriff ›Governance‹2276 2275 Werlen: Gesellschaftliche Räumlichkeit 1, S. 44. 2276 Der Begriff ›Governance‹ verweist darauf, dass Akteure auch außerhalb von festgelegten Verfahrensregeln zusammenwirken und zu Einigungen gelangen, vgl.: Benz: Politik in Mehrebenensystemen, S. 18; Benz/Lütz/Schimank/Simonis, Einleitung, in: Handbuch Governance, S. 9–25.

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mitgedacht wurde, da auch die Mechanismen zweier weiterer Konflikte, die in einer nicht-hierarchischen Form durchgeführt wurden, beschrieben worden sind. Hier war vor allem von Interesse, wie Akteure zwischen verschiedenen Interdependenzen einen Ausgleich durch Handlungsabstimmung erreichten.2277 Die Frage, auf welchen Erfahrungen die von Akteuren artikulierten Raumvorstellungen beruhten, machte es notwendig, auch die vorangegangen Raumaushandlungen einer Betrachtung zu unterziehen. Es waren dies die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte 1860, die Zusammenlegungen von Georgsmarienhütte mit Malbergen und von Oesede mit Dröper 1937 sowie der gescheiterte Versuch einer Zusammenlegung zwischen Georgsmarienhütte und Oesede 1951/1952. An der Art und Weise, wie im Untersuchungsgebiet ›Raum‹ ausgehandelt wurde, lässt sich feststellen, dass kommunale Neuzuschnitte im Untersuchungsgebiet mit der Industrialisierung bzw. Deindustrialisierung eng verknüpft waren. Mit dem Herausschneiden des Werks- und Koloniegebietes aus der Bauerschaft Malbergen im Jahr 1860 war auch eine Negierung des Industrialisierungsprozesses von Akteuren auf allen Verwaltungsebenen verbunden. Die durch die Industrialisierung ausgelöste Zuwanderung von etwa 2.000 Menschen in die dünn besiedelte Gemeinde Malbergen und deren Nachbargemeinden warf Konflikte auf, die bis dahin unbekannt waren und für die es keine vorgedachten Lösungen gab. Von Seiten der Verwaltung wurde die Gemeinde Georgsmarienhütte mit weitreichenden Rechten und Pflichten für das Werk gegründet, um damit das Phänomen ›Industrialisierung‹ auf 90 ha einzukapseln. Die Akteure des Werkes wiederum hatten ein Interesse daran, eine Gemeinde zu gestalten, die ganz auf die Bedürfnisse der Industrie zugeschnitten war. Hier stand die Kontrolle über Zuwanderung an erster Stelle. Die Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte war somit Ausdruck einer Gegenreaktion auf eine Gesellschaft, die zunehmend und in mehrfacher Hinsicht in Bewegung geriet. Als 1918 eine Trennung zwischen Werk und Gemeinde erfolgte, blieb eine enge Beziehung zwischen Kommune und Arbeitgeber bestehen. Hochrangige Werksvertreter saßen im Gemeinderat und bestimmten die Geschicke der Gemeinde mit. 1937 wurde unter nationalsozialistischen Vorzeichen erneut ›Raum‹ ausgehandelt, und es waren ausschließlich Werksinteressen, die u. a. über den Gemeinderat artikuliert wurden. Doch die Machtverhältnisse, die bei dieser Aushandlung deutlich wurden, waren andere als knapp 80 Jahre zuvor: der Landrat gab den Forderungen von Werksakteuren, das Gemeindegebiet weit 2277 Interdependenzbewältigung durch Handlungsabstimmungen geschieht nicht nur in Verhandlungen, sondern eine Abstimmung liegt auch dann vor, wenn ein Akteur bei seinem Handeln das schon erfolgte oder noch erfolgende Handeln anderer Akteure in Rechnung stellt, vgl.: Schimank: Elementare Mechanismen, S. 30.

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auf Oeseder Gebiet auszuweiten, nicht nach, verfügte aber an anderer Stelle die Umgemeindung von Siedlungsgelände von Oesede nach Georgsmarienhütte. Der Machtanspruch wurde in diesem Handeln mehr als deutlich: der Landrat entschied, welche Raumvorstellung umgesetzt wurde, und dies geschah nicht mehr im Einvernehmen mit den Entscheidern des Werkes. Kontinuum seit Werksgründung war jedoch das Unbehagen, den raumgreifenden Vorstellungen der Industrie nachzugeben. Das Phänomen ›Industrialisierung‹ ließ sich eben nicht, wie in den letzten Jahrzehnten deutlich geworden war, auf einige wenige Hektar eingrenzen: Urbanisierung und Migrationsgeschehen prägten nicht nur die Industriegemeinde, sondern auch die umliegenden Gemeinden. Der Landrat konnte zeigen, wer die Macht zur Raumgestaltung und damit auch zur Gestaltung von Gesellschaft hatte. Urbanisierung und Wanderungsbewegungen sollten auf die vergrößerte Werksgemeinde beschränkt bleiben. Die Gemeinde Oesede sollte als agrarisch geprägte Gemeinde als Gegengewicht zur Industriegemeinde ausgebaut und keinesfalls mit ihr eins werden, obwohl Wunsch und Notwendigkeit einer Zusammenlegung in den Gesprächen bereits virulent waren. In der Nachkriegszeit wirkten diese industrie- und urbanisierungsfeindlichen Postulate fort. Die kriegstraumatisierte, instabile Gesellschaft der als Provisorium gegründeten Bundesrepublik Deutschland orientierte sich an einer Raumvorstellung, die sich an der Gesellschaft weit vor den Weltkriegen orientierte. Zu dieser gehörte eine starre Rückbindung an Familie und Religion2278 und das Festhalten an patriachalischen, autoritären und vermeintlich geordneten Strukturen, wie sie die vorindustrielle Welt zu repräsentieren schien.2279 Der gescheiterte Versuch einer Zusammenlegung der ›Agrargemeinde‹ Oesede mit der ›Industriegemeinde‹ Georgsmarienhütte 1951/1952 spiegelt genau dies wider. Der Georgsmarienhütter Ratsmann Jahrmann äußerte die Vision einer modernen, urbanen Kleinstadt mit einem expandierenden Werk, vielen öffentlichen Einrichtungen und großem Rathaus, in der die vorindustrielle, agrarisch geprägte Welt keinen Platz mehr haben würde. Eine solche Raumvorstellung musste zwangsläufig mit den Vorstellungen von Akteuren übergeordneter Stellen kollidieren, die in den 1950er Jahren intensiv bestrebt waren, die Transformation der Gesellschaft zu einer »pluralistischen und säkularen Gesellschaft freier und selbständiger Individuen«2280 zu bremsen. Dies war eine Bestrebung, die jedoch immer schwieriger in die Tat umzusetzen war. Der zuständige Oberkreisdirektor Heinrich Backhaus hatte große Mühe, die Gespräche über eine Zusammenlegung zu unterbinden. Noch konnte er sich auf genügend Mitstreiter stützen, die wie er an einer rückwärtsgewandten Raum- und Ge2278 Vgl.: Herbert: Liberalisierung als Lernprozess, S. 39. 2279 Ebd. S. 44. 2280 Ebd., S. 13.

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sellschaftsvorstellung festhielten, doch erschien der Initiator dieses Zusammenlegungsplans, der Ratsherr Jahrmann, wie ein Vorbote für eine neue Zeit. Beschleunigt durch »Wirtschaftswunder und Wohlstandsexplosion«2281 war dieser Trend zu einer modernen, sich nicht mehr den Amtsautoritäten beugenden Gesellschaft nicht aufzuhalten, obwohl es Versuche dazu gegeben hat, wie die Etablierung von Raumordnung zeigt. »Durch die politische Stabilität, die wirtschaftliche Prosperität und die sozialen Aufstiegschancen war die Zustimmung nicht nur zum politischen System der Bundesrepublik, sondern zur modernen Zivilisation und Lebensform insgesamt stark gestiegen.«2282

Des kompletten Rückzuges auf tradierte Werte wie Autoritätshörigkeit und Konfliktvermeidung2283 bedurfte es in diesem als »Ende der Nachkriegszeit«2284 empfundenen Zeitraum nicht mehr. Die wirtschaftliche Entwicklung schaffte die Möglichkeit, sich in die Zivilgesellschaft einzubringen und Handlungen von Akteuren kritisch zu bewerten. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre wurden z. B. Kritik am planlosen Wiederaufbau laut, mehr Mitbestimmung bei politischen Entscheidungen gefordert, die Defizite im Bildungssystem verbalisiert und damit auch Ansprüche an den Staat zum Ausdruck gebracht – Ansprüche, die der Staat mit seiner veralteten Verwaltungsstruktur, in der vertikale Aushandlungen nicht vorgesehen waren, und seinen nicht handlungsfähigen Kommunen nicht mehr erfüllen konnte. Im zweiten Nachkriegsjahrzehnt verschärfte ein weiteres Phänomen den kommunalen Missstand noch. Menschen folgten dem Arbeitsplatzangebot und verließen ländliche Gegenden, in denen sie kein Auskommen fanden und/oder keinerlei Infrastruktur für die nachfolgende Generation vorhanden war. Eine ungünstige Entwicklung zeichnete sich ab, die dem aus Art. 72 GG abzuleitenden Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse widersprach und – das war vor allem von Bedeutung – die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik hemmte. Der Bedarf nach Reformen und einer Neustrukturierung der kommunalen Landschaft war Mitte der 1960er Jahre bundesweit vorhanden2285 und führte zu der sog. Planungs- und Modernisierungseuphorie.2286 Dabei machten sich vor allem die Sozialdemokraten, die auf Bundesebene seit 1966 und in Niedersachsen seit 1965 in Regierungskoalitionen vertreten waren, 2281 Ebd., S. 39. 2282 Ebd., S. 40. 2283 Moritz Scheibe: Auf der Suche nach der demokratischen Gesellschaft, in: Herbert (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland, S. 245–277, hier S. 262. 2284 Schildt: Materieller Wohlstand – pragmatische Politik – kulturelle Umbrüche, S. 36. 2285 Steinwascher : Die Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen, S. 21ff. 2286 Herbert: Liberalisierung als Lernprozess, S. 42.

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zum Träger einer Reformbewegung, die die Grundlagen für eine partizipative und konfliktfähige Gesellschaft schaffen wollte, aber gleichzeitig die Durchplanung eben dieser Gesellschaft intendierte.2287 »Unsere Staatsordnung garantiert das Prinzip der Freiheit des Menschen. Wir müssen aber erkennen, daß es notwendig ist, voraus zu schauen und zu planen, um die Freiheit zu erhalten«,2288 begründete der niedersächsische Innenminister Richard Lehners 1968 das Vorgehen der Raumplaner. Dass dies nicht als Widerspruch verstanden wurde, »sondern vielmehr als Einheit in dem Versuch, die demokratische und mündige Gesellschaft durch rationale Planung selbst zu verwirklichen«,2289 kann bezweifelt werden. Die Etablierung von Raumordnung auf Bundesebene im Jahr 1965 durch den CDUPolitiker Paul Lücke war ein Versuch, die Verteilung von Menschen im Bundesgebiet und damit auch gesellschaftliche Prozesse zu steuern.2290 Durch Einteilung des westdeutschen Staates in ›zentrale Orte‹ sollten wirtschaftliche Zentren geschaffen werden, an denen Menschen, Arbeitsplätze und Infrastruktur im vermeintlich ausgewogenen Verhältnis zueinander standen, während – so der oft verschwiegene Umkehrschluss2291 – die Gemeinden, die durch dieses Raster fielen, einer passiven Sanierung2292 ausgesetzt werden sollten. Es sollte eine Strukturpolitik von oben in Gang gesetzt werden, die die Lebenschancen von Menschen »nicht zuletzt durch den Zugang zu Arbeit und Wohlstand, Mobilität und Bildung«2293 stark beeinflusste, und »welche den betroffenen Bürgern kaum Mitsprache, geschweige denn Entscheidungsmöglichkeiten offerierte.«2294 Ziel des Bundesinnenministers war es, eine Gesellschaft zu formen, die durch überschaubare nicht-urbane Siedlungsstrukturen in ihrer dynamischen Entwicklung gehemmt würde.2295 Dieses Vorhaben schlug sich in 2287 2288 2289 2290

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Scheibe: Auf der Suche, S. 265. Lehners: Die Landesplanung, S. 18. Scheibe: Auf der Suche, S. 266. Vor allem in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre griff der Staat stärker in die Gestaltung des Wirtschaftsgeschehens ein. Diese Machtkonzentration in Händen staatlicher Stellen löste bei der Bevölkerung Unbehagen aus, vgl.: Grunow/Pamme: Kommunale Verwaltung, in: Frese/Paulus/Tepe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch, S. 506f. Henkel spricht von einer »subtilen Art flächendeckender Passivsanierung«, die mit einer ungünstigen Einstufung programmiert war, vgl.: Henkel: Der ländliche Raum, S. 284. Der Begriff ›passive Sanierung‹ bedeutete im Sprachgebrauch der Raumplaner, die Abwanderung der erwerbsfähigen Bevölkerung zu begünstigen. Er stand im Gegensatz zur ›aktiven Sanierung‹, bei der das Arbeitsplatzangebot erheblich ausgeweitet werden würde, vgl.: Wolfgang Rauchbach: Zum Raumordnungsbericht 1968 des Landes Niedersachsen, in: NAfN 17 (1968), S. 108–112, S. 109. Mecking: Regionale Disparitäten, S. 77. Karl Heinz Schneider : Die politisch-wirtschaftliche und wissenschaftliche Fremdsteuerung des ländlichen Raumes durch die zentralen Bürokratien, in: Henkel (Hg.): Schadet die Wissenschaft dem Dorf ? S. 11–37, hier S. 25. Schneider: Wirtschaftsgeschichte Niedersachsens nach 1945, S. 911.

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dem 1965 erlassenen Bundesraumordnungsgesetz nieder, dem die verschiedenen Ländervarianten folgten. Zeitgleich entstand die Idee der Neuordnung der kompletten Verwaltungsorganisation von den Bezirken über die Landkreise bis zur Neuordnung der kommunalen Landschaft durch Zusammenschlüsse zu Großgemeinden, die durch Werner Weber – einem Berater des Bundesinnenministers Lücke – auf dem Juristentag 1964 in Karlsruhe angeregt worden war. Die niedersächsische Landesregierung brachte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre diese beiden Vorhaben auf den Weg: Sie legte einen verbindlichen Prozess der Raumordnung in die Hände von Raum- und Landesplanern und forcierte gleichzeitig die Gebiets- und Verwaltungsreform. Der Prozess der Raumordnung wurde durch eine gesetzliche Grundlage, dem Niedersächsischen Raumordnungsgesetz, in Gang gesetzt, die Gebietsreform durch das Einsetzen einer Sachverständigenkommission unter Werner Weber. Während die Sachverständigen-Kommission in Abständen Jahresberichte herausgab, die Neuzuschnitte auf Bezirksebene, Landkreis- und Gemeindeebene vorschlug, die aber zum großen Teil im Ungefähren blieben, arbeiteten die Raumplaner bereits an sehr konkreten Raumordnungsplänen für einzelne Gemeinden. Bei den Bezirksplanern – und den eigentlich zu ihrer Unterstützung beauftragten externen Gutachtern – herrschten Raumvorstellungen vor, die auf Walter Christaller zurückgingen und durch Gerhard Isbary nur leicht modifiziert aus dem ideologischen Repertoire des ›Dritten Reiches‹ stammten. Industrie sollte nur in so vielen Gemeinden angesiedelt werden, wie unbedingt notwendig erschien.2296 Dieser Gestaltungsidee lag ein »Unbehagen an der Massengesellschaft«2297 zugrunde. Insgesamt entwarfen die Raumplaner Pläne für eine sehr kleinteilige kommunale Landschaft. Noch lange nach der Gebietsreform legten sie Funktionen und Aufgaben für einzelne Ortsteile fest, als ob sich die kommunale Landschaft von 1965 bis 1974 nicht grundlegend geändert hätte. Ob eine Gebietsreform, an deren Ende größere Gebietskörperschaften standen, seitens der Raumplaner erwünscht war, darf nach der Untersuchung an diesem Fallbeispiel in Zweifel gezogen werden. Es gehört weiter zu den Ergebnissen dieser Arbeit, dass die Überlegungen der Raumplaner in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Rahmen der Gebiets- und Verwaltungsreform angestellten Überlegungen standen, mithin die 2296 Es sei nicht die Intention der niedersächsischen Wirtschaftspolitik gewesen, jedem Dorf eine Fabrik zu geben, auch in anderen Bezirken sollte der landwirtschaftliche Charakter von Gemeinden erhalten bleiben, vgl.: Rolf Lienau: Auswirkungen von Industrieansiedlungen in ländlich schwach strukturierten Gebieten, dargestellt am Beispiel Zeven, in: NAfN 16 (1967), S. 154–170, S. 155. 2297 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 338.

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Akteure der Raumplanung und die Akteure der Gebiets- und Verwaltungsreform letztlich unabhängig voneinander bzw. unkoordiniert nebeneinander tätig wurden. Nach Bekunden des Innenministeriums habe die Zuordnung der Gemeinden zu ›zentralen Orten‹ nichts mit der Gebiets- und Verwaltungsreform zu tun.2298 Dieser Arbeitsgrundsatz wurde von Raumplanern während ihrer Arbeit hervorgehoben. Die Fachleute für Raumordnung verstanden sich als Experten, die für sich in Anspruch nahmen, auf einer vermeintlich wissenschaftlichen Grundlage begründen zu können, wie ›Raum‹ gestaltet werden muss.2299 Raumplaner entschieden nach Karten und Zahlenmaterial und waren außerstande, in eine Kommunikation mit anderen Akteuren einzutreten. Wollte eine Gemeinde wissen, welche Vorstellungen Raumplaner für sie vorgesehen hatten, so musste sie Einsicht in die Raumordnungspläne bei der Bezirksregierung beantragen. Dass es dabei zu Zielkonflikten kam, ist nicht verwunderlich. »Einem Gemeinde- oder Kreisvertreter kann man nicht zumuten und folglich auch nicht abverlangen, daß er im Sinne einer bestmöglichen Verteilung der Ressourcen auf das Gebiet der Bundesrepublik Arbeitsplätze in seiner Region aufgeben oder neue nicht ansiedeln soll.«2300 Die vom NROG vorgesehenen zwei Landesplanungsbeiräte, die einen Austausch mit den unteren Verwaltungsebenen sicherstellen sollten, dienten nur dem Anschein nach dazu, Partizipation zu gewährleisten.2301 Zehn Jahre später wurde erkannt, dass »die Tendenz zur Abstraktion, zur Ausklammerung von Zielkonflikten«2302 die normative Bindungswirkung der Raumplanung gegenüber den unteren Gebietskörperschaften verminderte. Insgesamt war die Haltung der Raumplaner nicht zeitgemäß und unterlag keinem Modernisierungsgedanken. Ihre Arbeit war eher von einer starken Rückwärtsgewandtheit und einer Orientierung an eine Zeit ohne demokratische Entscheidungsfindungen geprägt.2303 2298 Pressemitteilung des Ministers des Innern vom 18. August 1966, NLA OS Rep 430 Akz. 51/ 78 Nr. 49. 2299 Zum Problem der Durchsetzung von Raumordnung mit einem »Anspruch auf Repräsentation eines Gesamtinteresses« vgl.: Fritz W. Scharpf/Fritz Schnabel: Ausgewählte Probleme der Raumordnungs- und Regionalpolitik. Steuerungsprobleme der Raumplanung, in: Wolfgang Bruder/Thomas Ellwein (Hg.): Raumordnung und staatliche Steuerungsfähigkeit, Opladen 1980, S. 12–57, hier 35f. 2300 Heik Afheldt: Entwicklungsperspektiven der Wirtschaft, in: Bruder/Ellwein (Hg.): Raumordnung und staatliche Steuerungsfähigkeit, S. 111–129, hier S. 123. 2301 Die Einrichtung von Beiräten ist als Versuch anzusehen, Entscheidungsprozesse zu demokratisieren, vgl.: Heinrich Korte/Bernd Rebe (Hg.): Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen, Götting 21986, S. 359. 2302 Scharpf/Schnabel: Steuerungsprobleme der Raumplanung, S. 43. 2303 Inwiefern es sich bei den Reformprojekten der Verwaltung der 1960er Jahre um eine »nachholende Modernisierung« handelte, sei eine offene Forschungsfrage, vgl.: Ruck, Einführung, S. 499. Mit dieser Fallanalyse wird sie ein Stück weit geschlossen.

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Die Arbeit der sog. Weber-Kommission war hingegen anders motiviert. Die Akteure der Sachverständigen-Kommission für die Gebiets- und Verwaltungsreform traten während des Untersuchungszeitraums an nur einer Stelle in Erscheinung. Am 1./2. Februar 1968 bereisten sie den Landkreis Osnabrück, um sich ein Bild über die Lage der Stadtrandgemeinden zu machen, die die Stadt Osnabrück einzugemeinden wünschte. Anschließend bat sie alle Beteiligten zu einer Besprechung, bei der die Raumvorstellungen der ›Kernstadt‹ Osnabrück ebenso zur Kenntnis genommen wurden, wie die Raumvorstellungen der sie umgebenden kleinen Gemeinden. Das zwang die Akteure, sich zu artikulieren und ihre Wünsche zu begründen. Schon im Vorfeld gab die Stadt Osnabrück ihren schwer begründbaren Anspruch auf die Gemeinde Harderberg, mit der sie keinerlei bauliche Verbindung hatte, und auf die halbe Gemeinde Holzhausen2304 auf, und machte mit dieser eindeutigen Aussage den Weg zu einer Großgemeinde frei. Die Sachverständigen-Kommission setzte damit mehr auf Kommunikation und Aushandlung als auf Entscheidungen am Reißbrett hinter verschlossenen Türen. Sie war damit einem Modernisierungsgedanken weitaus näher als die Raumplaner, auf deren Arbeit sie sich eigentlich stützen sollte. Raumordnung und Gebiets- und Verwaltungsreform waren somit zwei entgegengesetzt motivierte Projekte räumlicher Neuordnung, die beide beim Niedersächsischen Innenminister Richard Lehners angesiedelt waren. So wurden unterschiedliche, z. T. widersprüchliche Raumvorstellungen seitens des Innenministeriums in Umlauf gesetzt, die Mitte der 1960er Jahre Akteure auf fast jeder Verwaltungsebene betrafen und sie dazu zwangen, eigene Raumvorstellungen zu entwickeln und zu artikulieren. 1968 prallten diese Raumvorstellungen aufeinander. Seitens des niedersächsischen Innenministeriums bzw. der Bezirksregierung Osnabrück waren 1968 folgende Raumvorstellungen in Umlauf: Die sog. Weber-Kommission veröffentlichte im Dezember 1967 ihren zweiten Jahresbericht, deren Inhalte durch eine Pressemitteilung des Innenministeriums bereits im November 1967 alle Landkreise und Gemeinden in Niedersachsen erreichten. Darin war u. a. die Ankündigung enthalten, die Anzahl der Landkreise erheblich zu verringern und ihre Zuschnitte zu vergrößern.2305 Konkrete Vorschläge wurden noch nicht unterbreitet. Die Landkreise waren mit diesem Bericht aber über anstehende Veränderungen informiert, und Akteure, deren Machtbasis oder Posten bedroht waren, konnten überlegen, wie sie dieser Entwicklung entgegensteuern konnten. Der Oberkreisdirektor des Landkreises 2304 Zusammenfassender Vermerk der Bauabteilung des Landkreises Osnabrück wegen Anhörung am 1./2. Februar 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231. 2305 Presse-Information des Nieders. Innenministers Nr. 87/67 vom 28. November 1967, S. 6, abgelegt in: NLA OS Dep 81 b Nr. 155; Thieme/Prillwitz: Durchführung und Ergebnisse, S. 251.

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Osnabrück, Heinrich Backhaus, und Landrat Josef Tegeler begannen schon bald, Raumvorstellungen zu entwerfen, die ihren Interessen entsprachen. Die sog. Weber-Kommission gab im März 1968 konkrete Pläne für den Neuzuschnitt der Bezirke heraus.2306 Diese sahen eine Zusammenlegung der Bezirke Osnabrück und Oldenburg vor, als Amtssitz war Oldenburg vorgesehen. Mit der Realisierung dieser Pläne sollte gleichzeitig eine Neuverteilung der Aufgaben einhergehen; die Aufstellung der Raumordnungspläne sollte zukünftig von den Landkreisen erledigt werden. Bei der Bezirksregierung Osnabrück arbeiteten die Planer konkrete Raumordnungspläne für den Bezirk aus.2307 In diesen wurden Leitideen für die Gestaltung des zu beplanenden Raumes deutlich artikuliert: Industrie sollte sich nur an bestimmten infrastrukturell ausgebauten Orten ansiedeln, aber eine aktive Wirtschaftsförderung war nicht vorgesehen. Auch für einzelne Gemeinden gab es eindeutige Raumvorstellungen: Die Bezirksplaner ordneten die Gemeinden in ein hierarchisch abgestuftes System von ›zentralen Orten‹ ein. Der ›Siedlungskomplex‹ Oesede/Georgsmarienhütte mit zusammen 16.000 Einwohnern in unmittelbarer Nähe zu Osnabrück sollte durch eine ungünstige Einstufung von jedweder finanzieller Förderung ausgeschlossen werden.2308 Zum gleichen Zeitpunkt kursierten zwei Gutachten, die beide einen steilen Anstieg der Bevölkerungszahl und das Fehlen von Arbeitsplätzen prognostizierten. Das Gutachten von Wilhelm Wortmann sollte über die rein gutachterliche Funktion hinaus als Fortschreibung des Stadt-Umland-Planes dienen. Damit hatten die Aussagen dieses Gutachtens für die Bezirksplaner starke wirkmächtige Bedeutung. Dies machte sich vor allem an der Stelle bemerkbar, an der Wortmann empfahl, in der Gemeinde Harderberg kein Industrie- und Gewerbegebiet einzurichten. Wie bei einem Mobile geriet 1968 die gesamte Verwaltungsstruktur unterhalb des Ministeriums von zwei Seiten aus in Bewegung: Zum einen brachte die sog. Weber-Kommission Vorschläge für Neuzuschnitte von Bezirken und Landkreisen in die Gremien von Politik und Verwaltung, zum anderen formulierten Bezirksplaner konkrete Leitideen für den Bezirk und ebenso konkrete Raumvorstellungen für Gemeinden. Entscheidungen von weitreichender Bedeutung wurden vorbereitet und kursierten bereits schriftlich. Der Handlungsdruck auf die Akteure beim Landkreis Osnabrück war besonders groß, als die Stadt Os-

2306 Bezirksreform in Niedersachsen. Vorschläge und Überlegungen der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform, Hannover 1968. 2307 Raumordnungsplan für den Regierungsbezirk Osnabrück, Entwurf, Februar 1968. Rep 430 Dez 108 Akz 57/1987 Nr. 95. 2308 Regierungspräsident an den Minister des Innern im Juli 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 57/87 Nr. 95.

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nabrück die noch nicht geklärte Stadt-Umland-Problematik2309 nutzte und Anfang 1968 Anspruch auf 15 Umlandgemeinden erhob,2310 die sie einzugemeinden wünschte. Nachdem die Ansprüche auf die anderthalb Gemeinden (Harderberg und Holzhausen) seitens der Stadt Osnabrück vor der Sachverständigen-Kommission im Februar 1968 nicht begründet werden konnten, ergriffen die Akteure des Landkreises im Frühjahr 1968 die Initiative: Sie holten nach einigen wenigen Vorgesprächen die Akteure aus dem gesamten Untersuchungsgebiet an einen Tisch und setzten damit einen Aushandlungsprozess in Gang. Dabei verfolgten sie, wie aus den Quellen herausgearbeitet wurde, mehrere Eigeninteressen: Die Bildung einer Großgemeinde würde die Position des Landkreises Osnabrück beim Aushandlungsprozess um den Neuzuschnitt stärken. Eine Großgemeinde im Landkreis Osnabrück würde dauerhaft die anderthalb Gemeinden dem Zugriff der Stadt Osnabrück entziehen. Von den erhöhten Schlüsselzuweisungen, mit denen das Land Niedersachsen die freiwilligen Zusammenschlüsse honorieren wollte, würde auch der Kreis profitieren, und von der Ausweisung eines Industriegebietes in der Gemeinde bzw. im Ortsteil Harderberg, würde indirekt der Landkreis über die Kreisumlage mitverdienen. Die Interessen der Landkreisakteure deckten sich mit den Interessen der Kommunalakteure im Untersuchungsgebiet. Alle sechs Gemeinden konnten ihrer Aufgabe der Daseinsvorsorge nur knapp gerecht werden: Aus den als Erwartungen formulierten Wünschen im Gebietsänderungsvertrag geht hervor, was in den letzten Jahren aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden konnte, darunter so wichtige Aufgaben wie beispielsweise im Schulbereich (alle Alt-Gemeinden), im Bereich der Wasserversorgung (Holzhausen) und beim Bau von Verkehrswegen (Georgsmarienhütte). Erst recht fehlte den Alt-Gemeinden das Geld, um die eigene Gemeinde auszubauen. Oesede plante die Gestaltung des Ortskerns, Kloster Oesede erwartete den Ausbau des Kloster Oeseder Marktplatzes, und den bescheidenen Luxus einer Ortsbeleuchtung wünschten sich Holzhausen und Harderberg. Ein Zusammenschluss würde den finanziellen Spielraum erweitern, bessere Planung bei den Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge ermöglichen und den Einsatz von Gewerbesteuereinnahmen effizienter gestalten. Doch für die Aufgabe der Selbständigkeit reichten den Kommunalpolitikern diese Vorteile nicht. Eine Zusammenlegung der Gemeinden Georgsmarienhütte und Oesede war seit den 1950er Jahren mehrfach überlegt worden, seit der Kommunikation

2309 Jahresbericht 1967 der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen, Hannover 1967, S. 38. 2310 Zusammenfassender Vermerk der Bauabteilung des Landkreises Osnabrück am 9. Februar 1968, NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231.

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der Gebiets- und Verwaltungsreform hatte es mehre Versuche einer Zusammenlegung von kleineren Gemeinden gegeben. Alle Versuche scheiterten. Im Sommer 1968 kam ein entscheidender Faktor hinzu, der sich auf die Kooperationsbereitschaft auswirkte:2311 Die Wirtschaftskrise von 1966/1967 zeigte den politisch Verantwortlichen im Untersuchungsgebiet auf, wie abhängig sie von einem einzigen großen Unternehmen waren und wie sich Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt für sie auswirken können. Das machte die Ratsleute und Verwaltungsangehörige empfänglich für ein Krisenszenario mit steigender Bevölkerungszahl und fehlenden Arbeitsplätzen für die gegenwärtig erwerbsfähige und nachfolgende Generationen, für das die Gutachten die Daten lieferten, die von denjenigen, die die Zusammenlegung wünschten, nur noch in den entsprechenden Gremien referiert werden mussten. Die schwarz gemalte Zukunft ließ die Akteure nach einer gemeinsamen Lösung suchen, die darin bestand, in der Gemeinde Harderberg ein großes Industrie- und Gewerbegebiet auszuweisen. Dies wiederum war nur möglich, wenn sich die gewählten Vertreter ihrer Gemeinden zur Aufgabe der Selbständigkeit und zum Zusammenschluss bereitfanden. Dann, so der Plan der Kommunalpolitiker, würde man im hierarchischen System der ›zentralen Orte‹ besser eingestuft und Zuschüsse für das Projekt Wirtschaftsförderung bekommen. Die Gemengelage aus prognostizierten wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen, unter dem psychischen Druck, ohnmächtig einer obrigkeitlichen, sich negativ auf die Gemeinden des Untersuchungsgebietes auswirkenden Entscheidung ausgesetzt zu sein, erzeugte bei den politisch Verantwortlichen des Landkreises und der Kommunen einen starken Handlungsbedarf und ließ sie in einen Aushandlungsprozess auf drei Ebenen eintreten. Auf Ebene I wurden die Verhandlungen wie folgt geführt: Wie oben deutlich wird, hatte sich in den 1960er Jahren bei Akteuren auf Bundes- und Landesebene ein »technokratischer Gestaltungsoptimismus«2312 entfaltet. Dabei herrschte die Vorstellung vor, dass sich Gesellschaft durch eine von Experten beratene Ministerialbürokratie hierarchisch von oben nach unten gestalten ließe. Doch Ende der 1960er Jahre funktionierte diese Praxis nicht mehr, »weil das jeweilige Gestaltungsobjekt eben nicht bloß ein passiver, seine Formung durch die staatliche Politik willig über sich ergehen lassender Gegenstand ist, sondern aktiv und eigendynamisch Steuerungsimpulse verarbeitet.«2313 Die Steuerung von oben traf auf Gestaltungswillige mit eigenen Inter2311 Kooperationsfördernd wirken neben einer schwarzgemalten Zukunft auch zeitnahe Vorteile, vgl.: Axelrodt: Die Evolution, S. 113. Doch von erhöhten Schlüsselzuweisungen war in den ersten Sitzungen im Sommer 1968 noch nicht die Rede. Das Krisenszenario allein wurde hier wirksam. 2312 Benz/Lütz/Schimank/Simonis: Einleitung, in: Handbuch ›Governance‹, S. 12. 2313 Ebd.

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essen und eigenen Raumvorstellungen. Der Oeseder Gemeindedirektor Rudolf Rolfes und Landrat Josef Tegeler reagierten darauf, indem sie der obrigkeitlichen Raumplanung entgegengesetzte Positionen besetzten, bei denen es um die Einstufung als ›Mittelzentrum‹, um die Ausweisung eines Industrie- und Gewerbegebietes und um Fördergelder ging. Die Aushandlung war zunächst angesiedelt im Landesplanungsbeirat auf der Ebene der Bezirksregierung, der nach dem sog. ›Gegenstromprinzip‹ organsiert war. Das Prinzip sollte Akteuren auf den unterschiedlichen Entscheidungsebenen ermöglichen, sich gegenseitig über die Situation sowohl auf kommunaler Ebene als auch auf ministerialer Ebene zu informieren.2314 Entscheidungen wurden im Landesplanungsbeirat auf der Bezirksebene nicht getroffen.2315 Der Versuch der beiden Gebietskörperschaftsvertreter Rolfes und Tegeler, durch Verhandeln in diesem Gremium eine Aufstufung ihrer Gemeinden zu erreichen, gelang nur auf einer semantischen Ebene. Mit der Umbenennung von ›Unterzentrum‹ in ›Nebenzentrum‹ konnten sie den Gemeinden signalisieren, einen Verhandlungssieg errungen zu haben, tatsächlich aber hatte das Vorgehen keinerlei Auswirkungen auf die Förderpraxis. Die Verhandlungen wurden auch außerhalb dieses Gremiums mit den Planern der Bezirksregierung direkt geführt. Diese entzogen sich jedoch der direkten Kommunikation mit den beiden Gestaltungswilligen Rolfes und Tegeler aus den betroffenen Gemeinden, schrieben in diffamierender Art und Weise ans Innenministerium, erklärten sich für nicht zuständig, delegierten Entscheidungen an Gutachter und gaben Informationen an einen der wichtigsten Verhandlungspartner weiter, mit dem offensichtlichen Ziel, die Zusammenlegung am Ende doch noch zu hintertreiben.2316 Kennzeichnend für die Raumplaner war ihre mangelnde Bereitschaft zur Kommunikation mit den Politikern auf Kommunalebene, aber auch mit Mitgliedern der sog. Weber-Kommission.2317 Die Durchsetzungsmöglichkeiten der Bezirksplaner beim Innenministerium wären rein rechtlich optimal gewesen, aber unter Ministerpräsident Georg Diederichs (SPD) herrschten weniger ideologisch geprägte Raumvorstellungen vor. Unter diesem waren umfassende Maßnahmen zur Landesplanung und Raumordnung vorgesehen sowie ab 1967 der Abschluss der Gebiets- und Ver2314 Vgl.: Henkel: Der ländliche Raum, S. 279. 2315 Janning: Räumliche und trägerschaftliche Alternativen, S. 19; Der Planungsbeirat solle von Zeit zu Zeit gehört werden, aber nicht am Rahmenprogramm mitarbeiten, Regierungspräsident an Baurat Carl Cromme, Schreiben vom Februar 1968, NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 41. 2316 NLA OS Rep 430 Dez 108 Akz 51/78 Nr. 11. 2317 Ruck spricht sogar von unüberbrückbaren Problemen sprachlicher Kommunikation, vgl.: Ruck: Ein kurzer Sommer, in: Schildt/Siegfried/Lammers (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 394.

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waltungsreform avisiert. Es ging in den 1960er Jahren in Niedersachsen grundsätzlich darum, in jeder – nicht nur wirtschaftlicher Hinsicht – aufzuholen und den Anschluss an andere Bundesländer nicht zu verlieren.2318 Niedersachsen sollte wirtschaftlich stark und modern verwaltet, jedoch so kostengünstig wie möglich reformiert werden. Im Hinblick auf die Landesplanung und Raumordnung bediente sich das Innenministerium jedoch eines Fachpersonals, das nicht im Stande war, in größeren Zusammenhängen, wie die Weber-Kommission dies vorsah, zu planen. Während die Raumplaner aus ideologischen Gründen die Anzahl der ›Mittelzentren‹ und der Industrie- und Gewerbegebiete so gering wie möglich halten wollte, strebte das Innenministerium aufgrund knapper finanzieller Ressourcen das gleiche Ziel an. So kam es zwischen Bezirksregierung und der Landesregierung zu einer Interessenverzahnung, aber nicht zu einer inhaltlichen Kongruenz. Dass das Kabinett in Hannover den Widerspruch zwischen Modernisierungsanspruch im Sinne einer partizipierenden Gesellschaft und einem Durchsetzungsanspruch von Planern nicht gesehen hat, ist äußerst unwahrscheinlich. Schon bald mehrten sich die Einsprüche gegen die Planungsdiktate aus den Bezirksregierungen. Sie gelangten in den Landesplanungsbeirat auf der ministerialen Ebene. Dort wurden diese Widerstände gegen die raumplanerischen Entscheidungen mit dem Satz, planen heiße entscheiden, im Oktober 1968 unterbunden.2319 Die Akteure aus dem Untersuchungsgebiet bildeten mit ihrer Auflehnung keine Ausnahme. Gegen diese Phalanx aus (Innen-) Ministerialbürokratie und Raumplanern (inkludiert auch die Gutachter) führten Rolfes und Tegeler einen vertikal ausgerichteten Aushandlungsprozess, den sie erst nach der Gründung der Stadt Georgsmarienhütte zu ihren Gunsten entschieden. Doch bis dahin war es ein weiter Weg: Nachdem ihnen mitgeteilt worden war, dass ihre Einstufung ins hierarchische System de facto bedeutete, von jeder Weiterentwicklungsmöglichkeit ausgeschlossen zu werden, wurden sie aktiv. Nachdem der Austausch von Argumenten im Landesplanungsbeirat auf Bezirksebene für die Aufstufung ebenso wirkungslos war, wie die Zusammenlegung der sechs Gemeinden, blieb vor allem Rolfes nichts anderes übrig, als eine Handlungsabstimmung durch Vorgriffe auf Entscheidungen der Mittelinstanz hervorzurufen und Handlungsergebnisse zu präsentieren. Ohne genehmigten Flächennutzungsplan, Bauleitpläne und Förderzusagen fing Rolfes an, auf dem Harderberg Industrieund Gewerbeunternehmen anzusiedeln. Dies war nur möglich, weil sich innerhalb des Kabinettes in Hannover die Machtverhältnisse verschoben hatten. Die konjunkturelle Lage hatte sich zwi2318 Münkel: Von Hellwege bis Kubel, S. 686. 2319 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Planungsbehörde am 8. November 1968, NLA HA Nds 600 Akz 27/82 Nr. 28.

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schenzeitlich verschlechtert. Ein Vermerk aus dem Wirtschaftsministerium hielt fest, dass die Abwanderungen von expandierenden Firmen aus dem Osnabrücker Raum mit ihren Beschäftigten nach Nordrhein-Westfalen beständig zunähmen, während die wachstumsschwachen Betriebe vor allem der immobilen Stahlbranche im Bundesland blieben. Der Abwanderungsverlust betrage 1968 101, 1970 bereits 724 Arbeitnehmer.2320 Raumordnerische Zielsetzungen, wie sie die Landes- und Raumplaner mit einem hohen Durchsetzungsanspruch formulierten, hatten vor diesem Hintergrund auch auf der Grundlage des NROG nur noch wenig Bedeutung. Mittlerweile »hatte die industrielle Entwicklungsperspektive zu dominieren begonnen.«2321 Bereits 1968 befanden sich Innenministerium und Wirtschaftsministerium in einem Konflikt. Wirtschaftsminister Möller artikulierte in einem Gastvortrag vor dem Landesplanungsbeirat der obersten Landesplanungsbehörde deutlich, dass er die Politik des Innenministers, die Landesmittel auf nur wenige ausgewählte Orte zu konzentrieren, für unangemessen hielt, um das rückständige Niedersachsen zu modernisieren und mit Industriearbeitsplätzen zu versehen. Man könne das eine tun und brauche das andere nicht zu lassen,2322 machte er Werbung für den Ausbau der Städte und Gemeinden in größerem Maßstab. Im Gegensatz zu Lehners wollte Möller mehr Orte in die Förderprogramme aufnehmen. Vor allem aber war Möller der Meinung, dass die Festlegung der Anzahl und die Auswahl der Orte »in starkem Masse meinen Aufgabenbereich betreffen«.2323 Das Ministerium für Wirtschaft und Verkehr zog nach und nach die Festlegung der ›Schwerpunktorte‹ in sein Ressort.2324 1974 beklagte sich einer der Landesplaner beim Wirtschaftsminister, inzwischen Helmut Greulich, dass sich die niedersächsischen Landesplanungsbehörden bemüht hätten, Divergenzen zwischen regionaler Strukturpolitik und raumordnerischer Zielsetzung abzubauen. Das habe seinen Niederschlag im Landesraumordnungsprogramm gefunden, wo die Zahl der

2320 NLA HA Nds. 500 Akz. 32/92 Nr. 37. 2321 Molema: Regionale Stärke, S. 129; Inzwischen flossen auch Bundesmittel zur Stärkung der Wirtschaftskraft in die Länderhaushalte. 1970 wurden die Mittel des Wirtschaftsressorts um 50 % von 261 Mio. DM auf 385 Mio. DM aufgestockt. Inzwischen wurde deutlich, dass die Arbeit Lehners nicht die erwarteten Fortschritte zeigte, vgl.: Wolfgang Renzsch: Alfred Kubel, 30 Jahre Politik für Niedersachsen. Eine politische Biographie, Bonn 1985, S. 133f. 2322 Protokoll der Sitzung des Landesplanungsbeirates bei der obersten Landesplanungsbehörde am 21. Februar 1968, NLA OS Rep 430 Dez. 101 Akz. 37/76 Nr. 8. 2323 Antwort auf einen Vermerk des Nieders. Minister des Innern vom 24. Oktober 1967, NLA HA Nds. 50 Akz. 204/97 Nr. 51. 2324 Wenig später war im Wirtschaftsministerium bereits die Rede von 300 ›Schwerpunktorten‹, die gebildet werden sollten, Regionale Wirtschaftsförderung. Auswahl und Präferenz von ›Schwerpunktorten‹ 1972–1974, NLA HA Nds. 500 Akz. 2002/135 Nr. 5.

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Orte erhöht worden sei. Die Kongruenz werde aber unterlaufen, wenn neue ›Schwerpunkte‹ aufgenommen würden.2325 Darüber hinaus war von Bund und Ländern ein Förderprojekt mit dem Titel ›Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur‹ ins Leben gerufen worden, das ab 1972 Fördergelder in erheblichem Umfang zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen in Niedersachsen ausschüttete.2326 Es war eine grundlegende Erfahrung der Nachkriegszeit, dass der Wohlstand in einer Region maßgeblich von der regionalen industriellen Entwicklung abhing.2327 Die Entscheidung aber, wo Industrie angesiedelt werden sollte und wo nicht, durfte aber nicht mehr allein den Raumplanern, die in den Landesplanungsbeiräten keinen demokratisch legitimierten Aushandlungsprozess durchführten, vorbehalten bleiben.2328 Welcher Kommunikationswege sich Rolfes bediente, um das Industriegebiet auszuweisen und zu besiedeln, konnte anhand des zugänglichen Materials nicht eruiert werden. Sicher hatte er sich aller Möglichkeiten bedient,2329 die seinem Anliegen nutzen konnten. Es mochten seine Kontakte zu dem niedersächsischen Wirtschaftsminister, dem gebürtigen Quakenbrücker Karl Möller, gewesen sein, die Rolfes halfen, sein Projekt der ›Wirtschaftsförderung‹ doch noch umzusetzen.2330 Eine transparente Aushandlung wurde jedoch nicht geführt.2331 2325 Masuhr an den Minister für Wirtschaft und Verkehr, Schreiben vom 14. August 1974, NLA HA 500 Akz. 2002/134 Nr. 21. 2326 Von den Geldern flossen von 1972 bis 1983 1,5 Mrd. DM nach Niedersachsen, wovon 23,4 % allein für die Erschließung neuer Industriegebiete verwandt wurden, vgl.: Gerhard Becher : Regionale Strukturpolitik in Niedersachsen, gemessen am Beispiel der Gemeinschaftsaufgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur«, in: NAfN 34 (1985), S. 219–245, hier S. 224f. 2327 Bereits 1973 erkannt und beschrieben vgl. Thomas Ellwein: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1973, S. 54f.; als Ergebnis einer neueren Untersuchung vgl.: Molema: Regionale Stärke, S. 143. 2328 Das NROG wurde 1974, 1977, 1982 und 1994 geändert, um das Verfahren immer weiter zu demokratisieren, vgl.: Joachim Masuhr : Die Entwicklung von Raumordnung, Landesund Regionalplanung in Niedersachsen, in: Hans Heinrich Seedorf/Hans-Heinrich Meyer (Hg.): Landeskunde Niedersachsen. Natur- und Kulturgeschichte eines Bundeslandes, Bd. II, Hannover 1996, S. 803–830, hier S. 811. 2329 Das entspricht auch der theoretischen Annahme von Uwe Schimank. Ein Akteur könne seine Handlungsziele nur erreichen, wenn er dabei unterstützt und/oder nicht behindert wird, vgl.: Schimank: Elementare Mechanismen, S. 30. 2330 Bei der Ansiedlung der Firma für Betonfertigteile hatte Rolfes Kontakt mit dem damaligen Wirtschaftsminister, Protokoll der VA-Sitzung Oesede am 6. Dezember 1967,NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1. 2331 Hier lässt sich von Agency sprechen. Agency sei der ›Dritte Mann‹ zwischen Struktur und Ereignis, der die Aktion mache. Strukturen und Ereignisse nötigten Rolfes zu einer Handlungsentscheidung, diese erzeugt wiederum eine Struktur und weitere Ereignisse, vgl.: Rod Aya: Der Dritte Mann oder Agency in der Geschichte oder Rationalität in der Revolution, in: Suter/Hettling (Hg.): Struktur und Ereignis, S. 33–45, hier S. 35–39.

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Für die spätere Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium unter Helmut Greulich gibt es indes einen Beleg, der zeigt, dass es auch dort angesichts Rolfes’ Wirken zu einer Interessenverzahnung gekommen ist: Mit der Einrichtung des Industrie- und Gewerbegebietes Harderberg sollte nach dem Willen des niedersächsischen Wirtschaftsministers ein Abwandern von Unternehmen in das benachbarte Nordrhein-Westfalen verhindert werden.2332 Unter diesem Schutz konnte Rolfes Dienstwege umgehen und die Bezirksregierung zwingen, seine Entscheidungen nachträglich zu genehmigen. Darauf verweist auch die vom Wirtschaftsministerium gewährte erste finanzielle Hilfe im Jahr 1973 für das Industrie- und Gewerbegebiet der Stadt Georgsmarienhütte. Bis dahin war die Stadt der ministeriellen Verweigerung von Zuschüssen seitens des Landes Niedersachsen, bei einem sich immer schwieriger gestaltenden Konjunkturverlauf, machtlos ausgesetzt. Dass aber seitens des Landes kein offizieller Einspruch gegen das Vorgehen von Rolfes erhoben wurde, mag auch daran liegen, dass der Erfolg ihm Recht gab. 1972 konnte er zusammen mit Osnabrück im Regierungsbezirk die niedrigsten Arbeitslosenzahlen vorweisen,2333 obwohl die Beschäftigtenzahlen des Stahlwerkes stetig sanken und 1973 bereits einen Stand von nur noch 4.630 erreicht hatten.2334 Hier stellt sich die Frage nach der ›Sonderrolle‹, die die Raumplaner dem Untersuchungsgebiet zuwiesen. Sie wurde festgemacht an der Existenz eines arbeitsplatzstarken Stahlwerkes in der Nähe einer Kernstadt. Sicherlich ist das Vorhandensein eines Stahlwerkes, das eingebettet war in eine kleinteilige kommunale Landschaft, als Besonderheit im Regierungsbezirk Osnabrück zu bezeichnen, jedoch zeigt die Ausweitung des Blickes auf ganz Niedersachsen, dass es in diesem Bundesland zumindest eine vergleichbare Kommune gab. In unmittelbarer Nähe zur Kreisstadt Peine hatte die Ilseder Hütte mit ähnlichen konjunkturell bedingten Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch in Ilsede kündigte sich mit einer Fusion verschiedener Werke der Schwerindustrie ein größerer Abbau von Arbeitsplätzen an. 1976 kam es endgültig zur Stilllegung der Eisenerzgruben, 1978 zur Stilllegung des Hochofenwerkes. Den Gekündigten konnten 2332 Bei der Ansiedlung eines Unternehmens referierte Rolfes vor dem Rat, dass dies die »Marschrichtung« sei, die konsequent weiterverfolgt werden sollte, dies sei der Ratschlag des Wirtschaftsministeriums, da sonst Firmen nach NRW abwanderten, Protokoll der Ratssitzung Stadt Georgsmarienhütte am 19. Mai 1972, NLA OS, Dep 81 b Akz 2014/84 Nr. 47; Die Sorge vor Abwanderung von Osnabrück und Umland nach NRW von Arbeitnehmern und Unternehmen wurde im Wirtschaftsministerium deutlich artikuliert. Die starken Betriebe würden wegziehen und Betriebe der wachstumsschwachen Stahlbranche blieben in Osnabrück und Umland, vgl.: Vermerk des nieders. Wirtschaftsministeriums vom 18. Januar 1971, NLA HA Nds 500 Akz 32/92 Nr. 37. 2333 Bericht über die räumliche Entwicklung des Regierungsbezirkes Osnabrück vom 29. Dezember 1972, NLA HA Nds 120 Hannover Akz 67/79 Nr. 255. 2334 »Jetzt 4630 Mitarbeiter«, NOZ, 8. Juni 1973.

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nur zum Teil neue Arbeitsplätze angeboten werden. Obwohl der Abbau lange – auch für Parteipolitiker – vorhersehbar war, geschah nichts. Erst dann wurde »das Fehlen einer regionalen Struktur- bzw. strukturpolitischen Regional- und Beschäftigungspolitik«2335 offenbar. Mehr noch: »Es fehlte […] ein regionales Gremium, das für die Beschäftigungspolitik in der Region in ihrer Gesamtheit zuständig gewesen wäre«,2336 konstatiert Elisabeth Fricke, der es um die Rolle der Gewerkschaften geht. Auch wenn die Position des Landes Niedersachsen bei ihr nicht thematisiert wird, so ist doch deutlich, dass die Akteure der Landesregierung der Entwicklung tatenlos zusahen und erst tätig wurden, als Handlungsdruck durch lokale Akteure aufgebaut wurde. Der Zusammenschluss von sechs kleinen Gemeinden zur Einheitsgemeinde Ilsede mit ca. 10.000 Einwohner_innen am 1. Februar 1972 war bei der Artikulierung des Bedarfs an Arbeitsplätzen sicher hilfreich, eine bessere Verhandlungsbasis wäre aber vorhanden gewesen, wenn auch die Nachbargemeinde Lastedt mit noch einmal 10.000 Einwohner_innen damals bereits Teil der Einheitsgemeinde gewesen wäre. Dieser Zusammenschluss wurde erst 2015 realisiert, um u. a. die Arbeit des Planungsverbandes ›Gewerbepark Ilseder Hütte‹ zu optimieren, der »von 1997 bis 2011 die Sanierung und Revitalisierung des ehemaligen Werksgeländes der »Ilsede Hütte«, eine gemeindeübergreifende Industriebrache in der Größe von ca. 45 ha, erfolgreich gestaltete.«2337 In Nordrhein-Westfalen reagierten Landesakteure anders auf die sich früh ankündigende Krise. In der abseits vom Ruhrgebiet gelegenen Industrieregion Siegen herrschte eine kleinteilige Betriebsstruktur mit Dominanz des Erzbergbaus und der eisenproduzierenden und -verarbeitenden Industrie vor. Ein größeres Unternehmen stellte die Charlottenhütte in Niederschelden unweit von Siegen, an der Grenze zum Bundesland Rheinland-Pfalz dar, das 1960 etwa 2.000 Beschäftigte umfasste. »Die Krise des Erzbergbaus wurde 1963 zum Anstoß für das Programm ›Strukturverbesserung des Siegerlandes‹, das zumindest von der Zielsetzung her den Auftakt für eine neue staatliche Strukturpolitik bildete.«2338 Bei diesem und anderen Programmen ging es seit 1960 erstmals nicht mehr um die Neuansiedlung von Industrie in ländlichen Gebieten, sondern um die Probleme in den altindustriellen Regionen.2339 Wegen des sog. Gießkannenprinzips wurde die Art der Förderung kritisiert, doch kam sie denjenigen zu Hilfe, die in den 1960er Jahren ihren Arbeitsplatz verloren. Die Charlottenhütte in NieFricke: Die Feuer verlöschen doch! S. 124. Ebd. Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/2254. Dietmar Petzina: Eine Industrieregion im Wandel. Siegerland, Wittgenstein und Südsauerland. Wirtschaftsgeschichte des Kammerbezirkes Siegen seit dem Zweiten Weltkrieg, Siegen 1995, S. 67. 2339 Ebd., S. 118. 2335 2336 2337 2338

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derschelden setzte von 1960–1968 ca. 1.000 Mitarbeiter frei,2340 die in der Region Siegen beschäftigt werden mussten. Die Gemeinde Niederschelden strebte einen Zusammenschluss mit einer Nachbargemeinde im angrenzenden RheinlandPfalz an. Doch dieser Zusammenschluss scheiterte am Widerstand der Landesregierungen.2341 Stattdessen gründeten mehrere Gemeinden zusammen mit Niederschelden die Stadt Eiserfeld mit insgesamt 23.000 Einwohner_innen. Von der Ausweisung eines Industriegebietes und der Ansiedlung neuer Betriebe berichtet die ansonsten detailreiche Chronik nichts. 1970 wurden einige neugebildete Großgemeinden als Förderschwerpunkte angenommen, aber Eiserfeld war nicht dabei. So hatte die Kommune 1975 keine Chance, als die Stadt Siegen die Nachbarkommune mit der immer noch 1.000 arbeitsplatzstarken Charlottenhütte gegen den ausdrücklichen Willen der Eiserfelder eingemeindete.2342 Das Beispiel aus Nordrhein-Westfalen zeigt, wie sehr es auf die Eigeninitiative der Kommunalakteure ankam, es zeigt aber auch die Grenzen kommunalen Handelns auf. Ein Zusammengehen zweier Kommunen über die Landesgrenzen hinweg mag aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein, über den Widerstand der Landesregierungen konnten sich die Kommunalpolitiker nicht hinwegsetzen. Im Bundesland Bayern wurde ebenfalls eine andere Politik als in Niedersachsen betrieben. Dort wurde bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit an der »konsequenten Ausweitung der gewerblichen Erwerbsmöglichkeiten«2343 gearbeitet. Bereits Ende der 1950er Jahre rückte »die Idee einer dezentral orientierten, auf Klein- und Mittelstädte konzentrierten Industrieansiedlungspolitik zur internen Leitlinie«2344 auf. Dadurch konnte sich das Land Bayern bei der Bundesregierung in Bonn Ende der 1950er Jahren Zuschüsse sichern. Zum Prüfstein für die bayerische Strukturpolitik erwies sich jedoch die erste Krise im Kohlebergbau. Öl löste als Energieträger unaufhaltsam die Kohle ab und der Kohlebergbau erlebte die erste Absatzkrise der Nachkriegszeit. In der Stadt Penzberg, etwa 50 km von München entfernt, wurde seit 1796 Kohle abgebaut. Die schnellwachsende Gemeinde wurde bereits 1919 zur Stadt erhoben und 1937 durch Eingemeindung einer weiteren Kommune vergrößert. Bei den ersten Anzeichen einer Krise Anfang der 1960er Jahre bemühte sich der Penzberger Bürgermeister um die Ansiedlung von Ersatzindustrie. Er wurde von den Bezirksplanern unterstützt, jedoch vom Wirtschaftsministerium und vom dominierenden Arbeitgeber in Penzberg an diesem Vorhaben gehindert. Die Bezirksplaner waren es, die in den Folgejahren immer wieder darauf drängten, in 2340 Ebd., S. 96. 2341 Wilfried Jarchow, http://www.niederschelden-geschichte.de/2000.htm, Aufruf am 3. September 2019. 2342 Ebd. 2343 Grüner : Geplantes »Wirtschaftswunder«? S. 339. 2344 Ebd., S. 351.

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Penzberg neue Industrien anzusiedeln. Als 1965 die Krise im Kohlebergbau einen Höhepunkt erreichte und das Land Bayern eine Finanzhilfe verweigerte, war die Schließung, von der ca. 2.000 Arbeitnehmer betroffen waren, unausweichlich. Das Wirtschaftsministerium musste umgehend tätig werden und siedelte unter einer finanziellen Aufwendung von 28 Mio. DM zwei neue arbeitsplatzstarke Betriebe in Penzberg an.2345 Gleichzeitig verweigerte das Land Bayern mit Unterstützung des Landkreises bis 1994 der Stadt den Status als Mittelzentrum. Penzberg sollte nicht zum »ebenbürtigen Konkurrenten um staatliche Mittel«2346 werden, sondern punktueller Zuwendungsempfänger bleiben. Die Ansiedlung wird heute als Beispiel einer »vorausschauenden und geglückten Aufnahme neuer Entwicklungen innerhalb der bayerischen Strukturpolitik der 1960er Jahre«2347 interpretiert. Dass Bayern eine andere Planungspolitik als in Niedersachsen verfolgte, wird am Beispiel Penzbergs erkennbar. »Es gehörte […] zum Repertoire bayerischer Strukturdiskurse, sich dezidiert gegen eine Politik der ›passiven‹ Sanierung ländlicher Gebiete zu wenden.«2348 Dennoch: »Ohne das geschickte und nimmermüde Engagement der Stadträte und der Verwaltung […] wäre Penzberg sicher nicht zu dem geworden, was es heute ist: ein Beispiel für die gelungene Umstrukturierung einer ehemaligen Bergwerksstadt,«2349 so das Ergebnis einer Untersuchung aus dem Jahr 2001. Die genannten Beispiele gewähren nur ungenügenden Einblick in Aushandlungsprozesse um eine räumliche Neuordnung. Sie zeigen aber immerhin, wie wichtig die Handlungsfähigkeit der lokalen Akteure in Krisensituationen war. Die drei Beispiele zeigen aber auch, dass Akteure auf Landesebene die Krise kommen sahen und trotzdem von der Entwicklung überrollt wurden. Am Untersuchungsgegenstand Georgsmarienhütte wird einmal mehr deutlich, wie wichtig es war, den Strukturwandel einzuleiten, bevor die Krise einsetzte. Auf der Ebene II des untersuchten Aushandlungsprozesses wurde interkommunal und horizontal eine Einigung in Gesprächen und Sitzungen von 1968 bis zur Zusammenlegung 1970 erzielt. Sie bestand aus drei Teilen: Erst wurde ein Kernvertrag zwischen den Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede und Harderberg ausgehandelt, dann traten über den § 13 des Vertrages die Gemeinden Holsten-Mündrup und Kloster Oesede und wenig später der kleinere Teil von 2345 Ebd., S. 391ff. 2346 Margarete Drexel: Alles was getan wird, geschieht für den Menschen. Ende der Bergbaukultur und erfolgreicher Strukturwandel in Penzberg/Oberbayern 1960–1972, Penzberg 2001, S. 343. 2347 Grüner : Geplantes »Wirtschaftswunder«? S. S. 395. 2348 Ebd., S. 406. 2349 Drexel: Alles was getan wird, S. 343.

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Holzhausen der neuen Gebietskörperschaft bei. Als Katalysator wirkte der Konflikt mit der Bezirksregierung auf der Ebene I. Der Druck, schnell eine Zusammenlegung der Gemeinden herbeiführen zu müssen, trieb die Gemeinde Oesede und einen ihrer wichtigsten Vertreter auf Oeseder Seite, Rudolf Rolfes, an. Während des knapp zweijährigen Verhandlungszeitraumes wurden unterschiedliche Raumvorstellungen zur Deckung gebracht. Die Raumvorstellungen der Oeseder Ratsleute waren einigermaßen homogen. Alle Ratsleute führte der Konsens zusammen, für sich und für die nachfolgende Generationen Arbeitsplätze in unmittelbarer Nähe ihres Wohnortes zur Verfügung zu haben. Diese Haltung wurde von den Mitgliedern des Rates der Gemeinde Harderberg geteilt. Um sie durchzusetzen, wurde schon früh auf einen Kompromiss in der Namensfrage hingearbeitet und ein sog. Koppelgeschäft vorgeschlagen,2350 bei der die Gemeinde Oesede dem Verhandlungspartner Georgsmarienhütte die Annahme eines neu kreierten Namens anbot. Bei Georgsmarienhütter Ratsleuten hingegen herrschte keine einheitliche Vorstellung. Ein Teil der Mandatsträger hing der Idee an, das namensgleiche Stahlwerk werde wie seit Gründung 1856 genügend Arbeitsplätze vorhalten, die die Gemeinde mit ausreichend Einnahmen versehen und eine Zusammenlegung sei nicht notwendig. Ein Gedanke, der auf einer Fürsorgeverpflichtung aus der Gründungszeit im 19. Jahrhundert fußte und nichts mit der Realität der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu tun hatte. Ein anderer, zunächst kleinerer Teil, nahm die Tatsachen sehr wohl zur Kenntnis: Seit Mitte der 1960er Jahre sanken durch konjunkturelle Schwankungen und neue Steuergesetze die Einnahmen, während die Ausgaben unvermindert hoch blieben. Die finanzielle Schieflage bescherte der Gemeinde ein Strukturproblem: Ende der 1960er Jahre hatte diese Gemeinde einen Investitionsstau von mehreren Mio. DM. Diese Fakten wurden jedoch öffentlich niemals eingeräumt, im Gegenteil, bis zum Ende der Verhandlungen und darüber hinaus verkündeten die Georgsmarienhütter Gemeindevertreter, dass sie als reiche Gemeinde bei der Zusammenlegung das größte Opfer brächten, weil sie ihren Wohlstand – der tatsächlich allerdings nicht mehr realer, sondern nur noch diskursiver Natur war – mit den anderen Gemeinden zukünftig teilen müssten. Doch ohne Zweifel wussten Bürgermeister Helmut Stahlmann und einzelne Ratsmitglieder um den Zustand der Gemeinde und sahen sehr wohl, dass eine Zusammenlegung und die Ansiedlung von weiteren Gewerbesteuerzahlern dringend geboten waren. Bei dieser Disposition von wichtigen Verhandlungspartnern2351 war es schwierig, eine Raumvorstellung auszuhandeln, bei der am Ende die Gründung 2350 Die Gemeinde erwartete natürlich, dass die Gegenseite ein gleichwertiges Opfer zu bringen bereit wäre, vgl.: Scharpf: Koordination durch Verhandlungssysteme, S. 71. 2351 Scharpf spricht von inkommensurablen Bezugssystemen, vgl.: Ebd., S. 77.

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einer neuen Gebietskörperschaft entstehen würde. So wundert es nicht, dass bei der Aushandlung des Kernvertrages zwischen diesen drei Gemeinden Verhandlungsmacht, also die Möglichkeit, Verhandlungen durch Abbruch scheitern zu lassen,2352 eine große Rolle spielte. Es wäre nicht unwahrscheinlich gewesen, dass sie seitens der Georgsmarienhütter Ratsleute auch ausgeübt worden wäre und die Verhandlungen abgebrochen worden wären. Diese erweckten lange Zeit den Eindruck, nicht an einer Verhandlungslösung, einer Zusammenlegung, interessiert zu sein, und verschafften sich damit einen Verhandlungsvorteil. Um die Verhandlungspartner überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen, machten die Oeseder an die Georgsmarienhütter weitgehende Zugeständnisse und verschafften den Georgsmarienhüttern damit Verhandlungsmasse, die später an entscheidender Stelle wieder eingelöst werden konnte. Dieses Verhalten der Georgsmarienhütter Akteure geschah weniger aus strategischem Verhandlungsgeschick als aus einer Handlungsgewohnheit heraus. Schon bei vorherigen gemeinsamen Projekten zeigten sie sich solange passiv, bis die Gegenseite zu Kompromissen bereit war. Als es innerhalb der interkommunalen Aushandlung um den Namen der neuen Gebietskörperschaft ging, veränderte sich die Kooperationsbereitschaft der Georgsmarienhütter Akteure. Hier eröffnete sich die Möglichkeit, alle Raumvorstellungen innerhalb des Georgsmarienhütter Rates unter einen Hut zu bringen: Die Zusammenlegungsgegner konnten an ihrer realitätsfernen Meinung festhalten, die auf Namensgleichheit mit dem Werk gründete und steten Reichtum und ausreichend Arbeitsplätze verhieß. Die Befürworter eines Zusammenschlusses hingegen konnten die Lösung sämtlicher Strukturprobleme auf die neuen Akteure in Oesede übertragen. Am Ende der Verhandlungen waren Vertreter der beiden Hauptgemeinden bereit, die Zusammenlegung nicht an der Namensgebung scheitern zu lassen. Dies zeigt, dass die Räte beider Gemeinden die Zukunftsaussichten als existentielle Bedrohung wahrnahmen und für wie notwendig sie einen Zusammenschluss hielten, um dieser Bedrohung zu begegnen. Am Vorabend der offiziellen Abstimmung, am 18. April 1969, wurde jedoch deutlich, dass die Oeseder unter größerem Druck standen. Von dieser Seite aus wurde der Konflikt mit der Bezirksregierung um die Industrieansiedlung bestritten, den zu gewinnen völlig aussichtslos gewesen wäre, wenn der Zusammenschluss nicht oder erst sehr viel später zustande gekommen wäre. Unter diesem Druck wurde eine Zustimmung der Oeseder Namensgegner zwar erreicht, doch dies konnte nur durch »Überredungskünste«2353 erreicht werden. 2352 Vgl.: Benz: Verhandlungen, in: Handbuch ›Governance‹, S. 108 und 110. 2353 Postwurfsendung an alle Haushalte vom 6. Mai 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2.

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Die Erweiterung des Akteurskreises durch Werksdirektoren und die Presse, die durch die Lancierung des Namens ›Dütenau‹ die bisher ausschließlich von den Ratsleuten geführte Diskussion um den Namen öffentlich gemacht hatte, spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Zwar führte der Beitritt der Werksdirektoren zur Namensdiskussion zu einer Vergrößerung der Zahl der am Konflikt Beteiligten, und sie traten im Rahmen dieser Diskussion auch offensiv für das alte Konzept der Interessengleichheit von Werk und Gemeinde ein, an der Verhandlungskonstellation änderte dies aber nichts. Dabei kam hauptsächlich zum Tragen, dass die Dominanz des Werkes oder auch nur der Anspruch auf Einflussnahme bei kommunalen Entscheidungen auf breite Ablehnung stieß. Dies galt sowohl für die Abgeordneten des Landtags als auch für die Ratsleute der Gemeinden im Untersuchungsgebiet. Doch diese Ablehnung war nicht ganz konsequent durchzuhalten: die Rolle des Werkes als Steuerzahler und »Arbeitsplatzspender«2354 wurde bei der Entscheidung um den Namen durchaus mitbedacht. Der Verlauf der Aushandlung bis zum 19. April 1969 lief von Anfang an auf einen Verhandlungsnachteil der Gemeinde Oesede heraus. Bei den Verhandlungspartnern dieser Gemeinde war der Wunsch nach einer Zusammenlegung aus gutem Grund größer als bei den Unterhändlern der Gemeinde Georgsmarienhütte, was diese in die komfortable Lage versetzte, Forderungen stellen zu können. Die Entscheidung für den Namen ›Georgsmarienhütte‹ war allein diesem Umstand geschuldet.2355 Die nach Unterzeichnung des Kernvertrages über den § 13 beitretenden Gemeinden waren, wie ihre Vertreter selbst bekundeten, nicht glücklich über diese Entscheidung, was sie jedoch nicht hinderte, der neuen Gebietskörperschaft beizutreten. Dies geschah hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen. Zumindest ein Teil der erhöhten Schlüsselzuweisungen für freiwillige Zusammenschlüsse sollte in die Altgemeinden zurückfließen. Von einer Teilung der Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinde Georgsmarienhütte ging allein die Gemeinde Kloster Oesede aus, alle anderen Gemeinden waren über die wirtschaftliche Situation des Werkes im Bilde. Eine Vorstellung, wie die neue Gebietskörperschaft, in der die Alt-Gemeinden komplett aufgehen würden, aussehen könnte, hatte zum Zeitpunkt der Aushandlung des Gebietsänderungsvertrages keiner der Akteure. Nicht einmal die Lage des Zentrums wurde festgelegt. Nur in einem Punkt lassen die Politiker die 2354 Stellungnahme Ludwig Siepelmeyers vor dem Innenausschuss des niedersächsischen Landtages vom 28. Oktober 1969, NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1. 2355 Die aktive Satzkonstruktion, mit der das Werk sich 2016 als Namensgeberin für die Stadt Georgsmarienhütte lanciert, ist daher nicht ganz angebracht: Christoph Rass/HansWerner Niemann (Hg.): Wir. Unternehmen. Gemeinsam. Die IHK Osnabrück-EmslandGrafschaft Bentheim 1866–2016, Osnabrück 2016, S. 46.

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Raumvorstellung einer neuen, funktional gegliederten Gebietskörperschaft zu: ein Teil der Gemeinde Harderberg wurde von den Kommunalakteuren im Konsens zum Industrie- und Gewerbegebiet und damit zur rückwärtigen Region im Sinne Anthony Giddens2356 erklärt. Dieser Konsens kam vor allem deshalb zustande, weil die politisch Verantwortlichen entweder keine geeigneten Flächen für diesen Zweck zur Verfügung stellen konnten oder über keinerlei finanzielle Möglichkeiten verfügten oder aber – bis auf Rudolf Rolfes – mit dem Projekt einer Wirtschaftsförderung überfordert waren. Der intensive Wunsch nach langfristig gesicherten Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitsplätzen brachte eine Raumvorstellung hervor, die die bisherige Raumvorstellung in Grenzen der eigenen Gemeinde nicht sofort und nicht bis in die letzte Konsequenz, aber doch behutsam ablöste. Dieser neuen Gestaltungsidee lag ein materieller Wert zugrunde: langfristige finanzielle Sicherheit für die Einwohner_innen des Untersuchungsgebietes. Unter diesem materiellen Aspekt, verbunden mit einem großen Zeitdruck, kam unter den aushandelnden Personen eine Einigung zustande, die die identitätsstiftende Grundlage aller Bürger_innen betraf, den bisherigen Konsens auflöste und eine weiteren Ebene des Aushandlungsprozesses sichtbar werden ließ. Der Aushandlungsprozess auf Ebene III spielte sich nach Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrages am 19. April 1969 und vor dem Erscheinen des Innenausschusses des Landtages am 28. Oktober 1969 ab, von dem sich die Bürger_innen eine Revision des Vertrages und eine Änderung des Namens für die neue Gebietskörperschaft erhofften. Er wurde von einer Vielzahl von Akteur_innen aus der Gemeinde Oesede geführt, die sich erstmals seit Beginn der Aushandlungen dazu äußerten. In Flugblättern, Bürgerversammlungen, Leserbriefen und in Briefen an Ratsleute, Verwaltungsmitglieder, Kreistags- und Landtagsabgeordnete taten sie ihren Unmut kund. So ist auch diese Auseinandersetzung vertikal, denn die Verlautbarungen von Bürger_innen waren adressiert an Akteure auf jeder Verwaltungs- und Politikebene. Drei Grundhaltungen kennzeichneten die Bürgerinitiative, die über die Raumvorstellung der Bevölkerung im Untersuchungsgebiet Auskunft geben: Sie befürwortete erstens den Zusammenschluss, aber sie wandte sich zweitens gegen das Vorgehen einiger Akteure bei der Aushandlung der Namensfrage im Gebietsänderungsvertrag und gegen die mangelnde Information und Einbeziehung der Bürger_innen in dieser als belangvoll eingeschätzten Frage, und sie wandte sich drittens nicht gegen den Namen selbst, gegen den kaum ein Argument vorgebracht wurde, sondern gegen die damit einhergehenden Raumvorstellungen. Dahinter verbarg sich das Gefühl der Oeseder Bürger_innen, in die Gemeinde Georgsmarienhütte eingemeindet zu werden. Diese Ein2356 Zu Giddens Strukturationstheorie vgl.: Weichhart: Entwicklungslinien, S. 280ff.

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gemeindung wurde vor allem deswegen abgelehnt, weil die Gemeinde Oesede 1938 ein etwa 20 ha großes Grundstück aufgrund einer landrätlichen Entscheidung an die Gemeinde Georgsmarienhütte hatte abgeben müssen. Diese als Kränkung empfundene Umgemeindung blieb vor allem durch die personelle Kontinuität eines vormals nationalsozialistischen Bürgermeisters in der Nachkriegszeit im kommunikativen Gedächtnis der Gemeinde Oesede und kam bei verschiedenen kommunalen Angelegenheiten zum Tragen, wie z. B. bei dem Zusammenlegungsversuch 1951, der von der Gemeinde Georgsmarienhütte angeregt und (nicht nur, aber auch) von eben jenem Bürgermeister abgelehnt wurde. Die Bürgerinitiative scheiterte in ihrem Anliegen, den Namen zu verhindern. Für den Innenausschuss war die durch Mandatsträger getroffene Entscheidung am 19. April 1969 maßgeblich. Der Ausschuss lehnte ein Gespräch mit den Beschwerdeführern aus diesem Grund ab. Die Initiative scheiterte damit auch in ihrem Anliegen nach Anhörung, Transparenz und Mitbestimmung. Dennoch hatten die Bürger_innen auf etwas aufmerksam gemacht, was von den Akteuren auf den Ebenen I und II ausgeblendet wurde, nämlich dass die wirtschaftliche Grundlage allein nicht ausreicht, um aus sechs Einzelgemeinden eine Stadt zu machen. Damit forderten sie ein Umdenken ein, das mit Inkrafttreten des Gebietsänderungsvertrages am 1. Januar 1970 in eine neue handlungsleitende Idee mündete: das Zusammenwachsen der Bürgerschaft aus sechs verschiedenen Stadtteilen auf einer sozialen Ebene. Dass es dafür eine wirtschaftlich solide Grundlage geben muss, wurde von den Bürger_innen auch in der Namensfrage nicht in Zweifel gezogen. Auch wenn die Namensgebung eine nicht-materielle Angelegenheit war, so war der Name durchaus materiell gemeint. Mit dem Namen ›Georgsmarienhütte‹ verbanden und verbinden Einwohner_innen damals wie heute Arbeitsplätze in der Stahlbranche und damit auch Prosperität. Auf der Homepage der Stadt Georgsmarienhütte heißt es: »Wer die Stadt Georgsmarienhütte mitsamt der Geschichte kennen lernen möchte, dem genügt eine genaue Betrachtung des städtischen Logos. Dieses beinhaltet drei farbige Balken, die jeweils ein Merkmal von Georgsmarienhütte darstellen: Blau – Saubere Luft Grün – Abwechslungsreiche Landschaft Rot – Arbeitsplätze und historische Prägung durch Stahl«2357

2357 https://www.georgsmarienhuette.de/stadt/logo-maskottchen/, Aufruf am 6. August 2019.

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Auch die Wirtschaftsförderung bezieht sich in ihren Texten stark auf die Prägung des Georgsmarienhütter Arbeitsmarktes durch die Stahlbranche.2358 Unter der Rubrik »Wirtschaft« ist die Überschrift zu finden: »Ein Standort erfindet sich ständig neu.« Weiter heißt es: »Vor mehr als 150 Jahren entstanden das Stahlwerk und bald darauf die Gemeinde Georgsmarienhütte. Geprägt von der Stahlhistorie entwickelte sich die Stadt bis heute zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort und Einkaufszentrum.«2359 Das 1860 von Ernst von Malortie entwickelte Konzept, der gegenseitigen Bedingtheit von Werk und Gebietskörperschaft, das in der Namensgleichheit von Werk und Gemeinde zum Ausdruck kam, ist bis heute von erstaunlicher Persistenz. So unterschiedlich die einzelnen Teilaushandlungen auch waren, auf der Ebene I und auf Ebene III gibt es einige Gemeinsamkeiten. Beide Prozesse wurden vertikal, von unten nach oben, und aufgrund mangelnder Aushandlungsforen in einem intransparenten Verfahren ausgetragen.2360 Hingegen wurde die interkommunale Aushandlung innerhalb demokratisch legitimierter Gremien weitgehend transparent bestritten. Zwar hat es auch hier informelle Gespräche gegeben, entschieden wurde jedoch in Sitzungen, die entweder öffentlich stattfanden oder aber als nichtöffentliche Sitzungen protokolliert und damit für spätere Aufarbeitungen nachvollziehbar gemacht wurden. Der Aushandlungsprozess zur Gründung der Stadt Georgsmarienhütte lief zwar auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Akteuren ab, doch die Kontroversen auf den verschiedenen Ebenen fanden nicht unabhängig voneinander statt. Im Gegenteil, sie wirkten aufeinander und beeinflussten sich. Die Auflehnung Rolfes gegen die Pläne der Bezirksregierung, aus dem Untersuchungsgebiet eine grüne Lunge für Osnabrück zu machen, setzte die interkommunalen Gespräche über einen Gebietsänderungsvertrag in Gang, und umgekehrt beeinflussten die Zusammenlegungsgespräche den Konflikt mit den Bezirksplanern um die Ausweisung eines Industrie- und Gewerbegebietes. Der Gebietsänderungsvertrag berührte in unabwendbarer Weise auch identitätsstiftende Belange, denn die Festlegung des Gemeindenamens musste im Gebietsänderungsvertrag zwingend erfolgen. Diese Festlegung aber betraf alle Bewohner_innen des Untersuchungsgebietes, die sich in dieser Frage über2358 Inge Becher/Claudia Jahnke/Andreas Wolf: Stadtgeschichte ist Wirtschaftsgeschichte, Georgsmarienhütte 2005; https://www.georgsmarienhuette.de/seiten/epaper/Stadtgeschichte_ Wirtschaftsgeschichte/index.html, Aufruf am 6. August 2019. 2359 https://www.georgsmarienhuette.de/wirtschaft/, Aufruf am 6. August 2019. 2360 Die Austragung von Konflikten außerhalb von konventionellen Institutionen demokratischer Repräsentationen stellt für Bürgerinitiativen fest Michael Ruck: Gesellschaft gestalten. Politische Planung in den 1960er und 1970er Jahren, in: Mecking/Oebbecke, Zwischen Effizienz und Legitimität, S. 35–47, hier S. 43.

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gangen fühlten, und damit nahm der Aushandlungsprozess auf der Ebene III seinen Lauf. Unter Handlungsdruck gerieten die Akteure von der Ministerialbürokratie über die Zwischeninstanzen bis hin zu den Bürger_innen aber allein durch die in den 1960er Jahren auf Bundes- und Landesebene vorbereiteten Maßnahmen zur Steuerung von Gesellschaft, die 1968 mit dem zur Anwendung gebrachten Konzept der ›zentralen Orte‹ konkret und rechtsverbindlich wurden. Das Vorhaben des Bundesinnenministers Paul Lücke, in der Bundesrepublik mittels Raumordnung »die Vorstellung darüber umzusetzen, wie die Gesellschaft leben sollte«,2361 wurde dem gesellschaftlichen Selbstverständnis von Bürger_innen nach Selbstbestimmung und/oder Mitsprache bei Entscheidungen nicht mehr gerecht und rief Widerstand hervor. Eine akteurszentrierte Analyse, wie Raumvorstellungen Ende der 1960er Jahre ausgehandelt wurden, erlaubt daher tiefen Einblick in eine Gesellschaft im Umbruch, der in den Studentenunruhen seinen viel beachteten Ausdruck fand. Die 1960er Jahre werden auch als »Scharnierjahrzehnt«2362 bezeichnet, in dem sich die Gesellschaft der Bundesrepublik von Grund auf veränderte. Kennzeichnend für das Jahrzehnt war der konjunkturelle Aufschwung in der ersten Hälfte, der mittels steigender Löhne fast alle Schichten erfasste, aber auch in der zweiten Hälfte der konjunkturelle Abschwung und die ersten Anzeichen einer wirtschaftlich krisenhaften Entwicklung. Beide Phänomene veränderten den Politikstil jener Jahre.2363 War staatliches Handeln in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem gegenüber der Wirtschaft zurückhaltend und wurden viele Entwicklungen vielfach sich selbst überlassen, so setzte im Laufe der 1960er Jahre ein als »Planungseuphorie«2364 bezeichneter neuer Politikstil ein. Mit diesem Stil ging die Vorstellung einher, gesellschaftliche Entwicklungen steuern zu können bei gleichzeitiger Partizipation von Akteuren an politischen Entscheidungen.2365 Ohne Zweifel diente die im NROG

2361 Leendertz: Ordnung schaffen, S. 339. 2362 Schildt/Siegfried/Lammers: Einleitung, in: dies.(Hg.): Dynamische Zeiten, S. 13; Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform, S. 2; Schanetzky : Die große Ernüchterung, S. 12; Patrick Wagner : Das Scharnierjahrzehnt, 1968 und die langen Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik, 19. September 2004, in: H-Soz-Kult, 15. Oktober 2004, www.hsozkult.de/ conferencereport/id/tagungsberichte-485, Aufruf am 23. April 2018. 2363 Vgl.: Ruck: Gesellschaft gestalten, S. 38ff. 2364 Der Begriff wird auch kritisch gesehen, vgl.: Max Welch Guerra: Räumliche Planung und Gesellschaftspolitik um 1970 – ein folgenreicher Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik, in: Strubelt/Briesen (Hg.): Raumplanung nach 1945, S. 287–316, hier S. 287. 2365 Vorausschauend staatliches Handeln und die Ansprüche von Bürger_innen auf demokratische Prozesse und Partizipation miteinander zu verbinden, war das zentrale Thema der 1960er Jahre, vgl.: Metzler: Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt, S. 13; Zu dieser Thematik grundlegend: Mecking: Bürgerwille und Gebietsreform,

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gesetzlich vorgesehene Einrichtung von zwei Landesplanungsbeiräten für die Festlegung der ›zentralen Orte‹ diesem Partizipationsgedanken, und der Wille einzelner Akteure, die Bevölkerung in die Aushandlungsprozesse einzubeziehen, war durchaus vorhanden.2366 Viele Akteure, die während des Nationalsozialismus ihre ersten oder auch wichtigsten Berufsjahre erlebten, bekannten sich zu Demokratie und zu Mitbestimmung von Bürger_innen. In der Praxis waren sie damit aber überfordert. Aushandlungen stießen immer dort an ihre Grenzen und durchbrachen sie mitunter auch, wo es sich um einen vertikal von unten nach oben durchgeführten Aushandlungsprozess handelte. So zeigt die Untersuchung, was für dieses Jahrzehnt so schwierig zu fassen ist: Das sich verändernde Verhältnis zwischen Regierten und Regierenden. Dieses brachte neue Konfliktfelder und neue Aushandlungsformen hervor,2367 von denen einige anhand des Fallbeispiels aufgezeigt werden konnten. Die Untersuchung hat jedoch auch neue Fragen aufgeworfen. Nicht alle »Wechselwirkungszusammenhänge«2368 zwischen den Akteuren und den sie vertretenden Institutionen konnten anhand des Themas dargestellt werden. So muss z. B. offen bleiben, welchen Einfluss der Innenausschuss des Landtages unter dem Vorsitz von Heinz Müller hatte, der genau wie die sog. Weber-Kommission das Land Niedersachsen bereiste und zu den Themen Raumordnung, Landesplanung und Gebiets- und Verwaltungsreform Stellung bezog.2369 Auch eine Analyse über das Wirken der Weber-Kommission bleibt einem zukünftigen Forschungsvorhaben vorbehalten. Löste ihr Erscheinen 1968 beim Landkreis noch Angst und Schrecken aus, so äußerte sich Heinrich Backhaus über das Gutachten der Kommission ein Jahr später außerordentlich lobend. »Der Verwaltungschef nannte das Weber-Gutachten eine geistige Leistung von hohem Rang.«2370 Wie es zu dieser neuen Bewertung kam, ist unklar. Auch das Verhalten des Innenminister Richard Lehners bedarf einer Aufarbeitung. Er förderte freiwillige Zusammenschlüsse mit stark erhöhten Schlüsselzuweisungen,2371 und hatte dann große Mühe, die erstarkten Kommunen von der Ausweisung eines Industrie- und Gewerbege-

2366 2367 2368 2369 2370 2371

S. 1–49; Albertin/Keim/Werle: Die Zukunft der Gemeinden in der Hand der Reformer, S. 154. Insbesondere die sozial-liberale Reformpolitik wurde getragen von einem Partizipationsgedanken und überhöhte dadurch die Reformideen noch, vgl.: Faulenbach: Die Siebziger, S. 2; 16f. Hermann Korte: Eine Gesellschaft im Aufbruch, die Bundesrepublik in den 1960er Jahren, Münster 2009, S. 15. Ruck, Einführung, S. 495. »Gegen Eingemeindung – für Arrondierung der Stadt. Landtags-Innenausschuß-Vorsitzender Müller in Voxtrup«, NOZ, 30. April 1969. »Wird der Landkreis geteilt, fordern wir ein Volksbegehren«, NOZ, 8. Mai 1969. Rede des Innenministers Richard Lehners auf der Mitgliederversammlung des Niedersächsischen Städtebundes 1970, zit.n. Duensing: Die Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen, S. 13.

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bietes abzuhalten. Die vorliegende Arbeit konnte nur schlaglichtartig beleuchten, was in den nächsten Jahren noch genauer zu untersuchen, einzuordnen und zu bewerten ist.

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1.

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NLA OS Dep 49 Werksarchiv der Klöckner-Werke, Abteilung Georgsmarienhütte NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 58. NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 70 NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 150 NLA OS Dep 49 Akz 21/1996 Nr. 274. NLA OS Dep 49 Akz 21/1991 Nr. 312 NLA OS Dep 49 Akz 10/1991 Nr. 334. NLA OS Dep 81 b, Depositum der Stadt Georgsmarienhütte NLA OS Dep 81b Nr. 1, Bd. 1 und 2 NLA OS Dep 81b Nr. 5. NLA OS Dep 81b Nr. 7. NLA OS Dep 81b Nr. 10 NLA OS Dep 81b Nr. 11 NLA OS Dep 81b Nr. 18. NLA OS Dep 81b Nr. 47. NLA OS Dep 81b Nr. 51. NLA OS Dep 81b Nr. 69 NLA OS Dep 81b Nr. 72. NLA OS Dep 81b Nr. 73. NLA OS Dep 81b Nr. 80. NLA OS Dep 81b Nr. 95. NLA OS Dep 81 b Nr. 96 NLA OS Dep 81b Nr. 99 NLA OS Dep 81b Nr. 115 NLA OS Dep 81b Nr. 106 NLA OS Dep 81b Nr. 107. NLA OS Dep 81b Nr. 112 NLA OS Dep 81b Nr. 114 NLA OS Dep 81b Nr. 115 NLA OS Dep 81b Nr. 123 NLA OS Dep 81b Nr. 131a. NLA OS Dep 81b 132. NLA OS Dep 81b Nr. 150. NLA OS Dep 81 b Nr. 155 NLA OS Dep 81 b Nr. 156 NLA OS Dep 81 b, Nr. 162 NLA OS Dep 81 n Nr. 162a NLA OS Dep 81 b Nr. 165. NLA OS Dep 81 b Nr. 173, Teil 3 NLA OS Dep 81 b Nr. 178. NLA OS Dep 81 b Nr. 182 NLA OS Dep 81b Nr. 186. NLA OS Dep 81 b Nr. 187 NLA OS Dep 81 b Nr. 236. NLA OS Dep 81 b Nr. 301

Quellen

NLA OS Dep 81 b Nr. 303 NLA OS Dep 81 b Nr. 304 NLA OS Dep 81 b Nr. 305 NLA OS Dep 81 b Nr. 309 NLA OS Dep 81 b Nr. 311 NLA OS Dep 81b Nr. 320 NLA OS Dep 81b Nr. 325 NLA OS Dep 81b Nr. 329 NLA OS Dep 81b Nr. 330 NLA OS Dep 81b Nr. 360 NLA OS Dep 81b Nr. 362 NLA OS Dep 81b Akz 2008/030 Nr. 32 NLA OS Dep 81b Akz 2011/104 Nr. 1 NLAOS Dep 81b Akz 2014/84 Nr. 46 NLAOS Dep 81b Akz 2014/84 Nr. 47 NLA OS Dep 81b Akz 2014/84 Nr. 79 NLA OS Dep 81b Akz 2014/84, Nr. 80 NLA OS Dep 81b Akz 2014/84, Nr. 81 NLA OS Dep 81b Akz 2014/84, Nr. 82 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 1 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 3 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 4 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 1, Ordner 6 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 1 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 3 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 3, Ordner 4 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 4, Ordner 1 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 4, Ordner 2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/35 Nr. 6, Ordner 1 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 3, Ordner 24, Teil 1–2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 4, Ordner 25, Teil 1–2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 5, Ordner 29, Teil 1–2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 6, Ordner 30, Teil 1–2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 7, Ordner 31, Teil 1–2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 8 Ordner 32, Teil 1–3 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 9, Ordner 33. Teil 2 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 12, Ordner 40 Teil 3–4 NLA OS Dep 81 b Akz 2018/44 Nr. 16, Ordner 45, Teil 1 NLA OS Dep 104, Depositum des Landkreises Osnabrück vor 1972 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 59 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 60 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 61

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464

Anhang

NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 200 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 252 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 265 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 314 NLA OS Dep 104 II Akz 39/1992 Nr. 315 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 36 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 37 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 64 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 65 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 69 NLA OS Dez 104 II Akz 44/1992 Nr. 92 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 164 NLA OS Dep 104 II Akz 444/1992 Nr. 190 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 223 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 240 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 304 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 352 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 353 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 357 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 358 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 359 NLA OS Dep 104 II Akz 44/1992 Nr. 360 NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 147 NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 148 NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 201 NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 230 NLA OS Dep 104 II Akz 47/1992 Nr. 231 NLA OS Dep 104 II Akz 2000/040 Nr. 25 NLA OS Dep 104 II Akz 2000/040 Nr. 49 NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 12 NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 26 NLA OS Dep 104 II Akz 2012/064 Nr. 37, Teil 1 und 2 NLA OS Dep 116, Nachlass des Landesplaners Richard Hugle NLA OS Dep 116 Akz 2001/059 Nr. 102 NLA OS Dep 123 Hochschule Osnabrück NLA OS Dep 123 Akz 2012/045 Nr. 44 Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte Kurze Darstellung über wirtschaftliche und technische Vorgänge, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. Trauerfall Rudolf Rolfes, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. Inventarverzeichnis des ’Heimatmuseums‹ auf dem Thie von 1968. Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte.

Verzeichnis der Printmedien (Alphabetisch)

465

Werksinterne Aktennotiz vom 20. Januar 1937, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. Pressespiegel der Stadt Georgsmarienhütte, Altregistratur der Stadt Georgsmarienhütte. Flächennutzungsplan der Stadt Georgsmarienhütte, zur Verfügung gestellt durch das Bauamt der Stadt Georgsmarienhütte. Gebietsänderungsvertrag der Stadt Georgsmarienhütte vom 19. April 1969. Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund WWA Dortmund S 7–303/1 Niedersächsisches Landesarchiv Hannover NLA HA Nds Akten des Innenministeriums NLA HA Nds 100 Akz 36/86 Nr. 21 NLA HA Nds 100 Akz 36/86 Nr. 51 NLA HA Nds 100 Akz 36/86 Nr. 130 NLA HA Nds 100 Akz 51/84 Nr. 765 NLA HA Nds 100 Akz 51/84 Nr. 784 NLA HA Nds 100 Akz 2001/019 Nr. 157 NLA HA Nds 120, Akten der Bezirskregierung Hannover NLA HA Nds 120 Hannover Akz 67/79 Nr. 255 NLA HA Nds 401, Akten des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur NLA HA Nds 401 Akz 2003/128 Nr. 357 NLA HA Nds 500, Akten des Ministerium für Wirtschaft und Verkehr NLA HA Nds 500 Akz 2001/084 Nr. 17/2 NLA HA Nds 500 Akz 2002/134 Nr. 21 NLA HA Nds 500 Akz 2002/135 Nr. 5 NLA HA Nds 500 Akz 2000/172 Nr. 145 NLA HA Nds 500 Akz 32/92 Nr. 37 NLA HA Nds 600, Akten des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten NLA HA Nds 600 Akz 27/82 Nr. 28 Archiv des Nieders. Landtages PA 2001/06/IV- 057 PA U 2013/06/IV/053

3.

Verzeichnis der Printmedien (Alphabetisch)

Bp (Blickpunkt) Bp, 8. November 1990: Der blick-punkt im Gespräch mit Ludwig Siepelmeyer. Bp, 19. November 1992: Stadtdirektor a.D. Rudolf Rolfes am 8. November 1992 verstorben. Bp, 27. Mai 1993: Interview mit Ludwig Siepelmeyer vom November 1990, Neuabdruck aus Anlass seines Todes.

466

Anhang

Bp, 27. Mai 1993: Georgsmarienhütte Ehrenbürgermeister Ludwig Siepelmeyer am Dienstag vergangener Woche beigesetzt. Bp, Nr. 369: 16. Dezember 2004: Ehemaliger Bürgermeister Hans Stertenbrink verstorben. Bp, Nr. 546, 18. Oktober 2012: Heinrich Sielschott feiert 90. Geburtstag. FP (Freie Presse) FP, 26. Februar 1966: Oesede hat städtisches Gepräge. FP, 20. Oktober 1966: Greift die Krise jetzt auf Landkreis über? FP, 15. November 1966: Werden Oesede und Georgsmarienhütte bald eine Gemeinde? NOZ (Neue Osnabrücker Zeitung) NOZ, 21. Oktober 1967: Neues Stahlwerk Klöckner : Mehr Produktion nach Bremen verlegen. NOZ, 11. November 1967: Weber-Kommission. Verwirrung um 3 Fragen von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 15. November 1967: Oesede: 100 Bauplätze im Ortsteil Dröper. NOZ, 16. November 1967: Professor Wortmann in Bad Iburg: Eingemeindung keine echte Lösung von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 18. November 1967: Jetzt wichtigstes Gebot: Mißtrauen abbauen! NOZ, 2. Dezember 1967: Osnabrück oder Oldenburg. NOZ, 2. Dezember 1967: Ist das wirklich alles, Kommentar von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 30. Mai 1968: Kommentar von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 18. Juli 1968: Die Wirtschaftsstruktur des Bezirkes stärken. Regierungspräsident Dr. Suermann vor der Presse. NOZ, 18. Juli 1968: Zukunftssicherung durch Großgemeinde im ›Dütetal‹. Die Gemeinden Oesede, Georgsmarienhütte und Harderberg tagten gemeinsam. NOZ, 18. Juli 1968: Umsicht und Sorge brachten ein sensationelles Ergebnis zustande. NOZ, 27. August 1968: Hohes Lob für Harderbergs Rat. NOZ, 16. September 1968: Drei Gemeinden…. NOZ, 19. September 1968: Oesede ist vorbehaltlos bereit, die Selbstständigkeit aufzugeben. NOZ, 1. Oktober 1968: Räte im Wahlbezirk West. NOZ, 26. Oktober 1968: Ratssitzung ohne Mißklang. Rektor Stahlmann neuer Bürgermeister. NOZ, 19. Dezember 1968: 1100 Jahr- Feier im Mai 1970 schon in neugebauter Festhalle. NOZ, 21. Januar 1969: Kein Dampf für den Zug zum Bahnhof Dütestadt. NOZ, 5. Februar 1969: Nicht nur im Nahbereich der Stadt wird es ernst für die Gemeinden. NOZ, 13. Februar 1969: Neuer Zirkelschlag im Landkreis. NOZ, 29. März 1969: 19. April: Großer Tag für ›Dütenau‹. Zusammenlegung feierlich besiegelt. NOZ, 12. April 1969: Gegenwart vergessen, Leserbrief von August Berkemeyer. NOZ, 12. April 1969: Thema Dütenau, Leserbriefe von Karl- Heinz Hardetert und E. Denecke. NOZ, 14. April 1969: Brief des Klöckner-Direktorium entfachte Debatten und Kritik. Scheitert Zusammenschluß an der Namensgebung Dütenau?

Verzeichnis der Printmedien (Alphabetisch)

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NOZ, 15. April 1969: Bedenken der Klöckner-Direktoren zu ›Dütenau‹ reichlich verspätet. NOZ, 17. April 1969: Nicht überzeugt, Leserbrief von Wilhelm Bellstedt. NOZ, 19. April 1969: Kompromiss möglich? Kommentar von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 21. April 1969: Stadt mit 20 000 Einwohnern. NOZ, 21. April 1969: Ziel erreicht, Kommentar von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 30. April 1969: Gegen Eingemeindung – für Arrondierung der Stadt. LandtagsInnenausschuß-Vorsitzender Müller in Voxtrup. NOZ, 5. Mai 1969: Schuldig geblieben, Leserbrief von Franz Trentmann. NOZ, 7. Mai 1969: Sollte Zusammenschluß am Namen scheitern? Ratsfraktionen von Oesede nehmen Stellung. NOZ, 8. Mai 1969: Wird der Landkreis geteilt, fordern wir ein Volksbegehren. NOZ, 10. Mai 1969: Wiedergeburt des Werkes Georgsmarienhütte. NOZ, 10. Mai 1969: Flugblatt ›Gelbe Gefahr‹ und die recht merkwürdigen Hintergründe. NOZ, 12. Mai 1969: Rat von Oesede stellt sich der Bevölkerung. NOZ, 13. Mai 1969: Mein Mandatsverzicht ist unwiderruflich, Erklärung von Josef Dälken. NOZ, 17. Mai 1969: Kritik der Oeseder Bürger richtet sich gegen den Namen Georgsmarienhütte und die unterlassenen Informationen. NOZ, 19. Mai 1969: Sonst keine Mehrheit. Leserbrief von Harry Brunsmann. NOZ, 21. Mai 1969: Die Taktik von Georgsmarienhütte. Leserbrief von Josef Dälken, NOZ, 21. Mai 1969. NOZ, 22. Mai 1969: Schall und Rauch. Leserbrief von Dieter König. NOZ, 20. Juni 1969: Die beste Taktik. Leserbrief von Eckhard Kleyer. NOZ, 31. Mai 1969: Oesedes Entwicklung von Gewerbesteuern abzulesen. NOZ, 21. Juni 1969: Neuer Name ›Teutoberg‹ CDU-Ortsverband diskutierte Gemeindezusammenschluß. NOZ, 28. Juni 1969: Leserbrief von Eberhard Schröder. NOZ, 10. Juli 1969: Protest vor Abschluß, Antworten der SPD-Fraktion Georgsmarienhütte. NOZ, 8. August 1969: Bürger in Kloster Oesede sind für den Zusammenschluß. NOZ, 13. August 1969: Fröhlicher Startschuß für das Kreisgymnasium. NOZ, 22. August 1969: Erstes Widerlagerfundament für Kasinopark-Brücke ist gesetzt. NOZ, 4. September 1969: Der Innenauschuß kommt nach Oesede. NOZ, 15. September 1969: Harderberg: Grundsteinlegung für Kindergarten war Höhepunkt. NOZ, 29. Oktober 1969: Keine Verlierer unter Demokraten. Das Vertrauen darf nicht schwinden, Kommentar von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 22. November 1969: Fackelzug und Feuerwerk. NOZ, 2. Dezember 1969: Nicht vergessen, Leserbrief von Karl-Heinz Riemann. NOZ, 15. Dezember 1969: In zwei Versammlungen stimmten die Bürger für eine Teilung Holzhausens. NOZ, 18. Dezember 1969: Verabschiedung des letzten Oeseder Etats war freudige Pflichtaufgabe. Über eine halbe Million Steuereinnahmen mehr als erwartet. NOZ, 2. Januar 1970: Der Geburtstag der Großgemeinde. Gestern: Viele Glückwünsche für Georgsmarienhütte. NOZ, 7. Februar 1970: Aufruf an die Bürger. NOZ, 9. Februar 1970: Die Leistungen nun im Großraum fortsetzen.

468

Anhang

NOZ, 16. Februar 1970: Historische Ausstellung. NOZ, 7. März 1970: Osnabrück hat einen neuen Stadtteil. NOZ, 3. Juli 1970: 1967 nur noch 9,1 Prozent in Landwirtschaft tätig. NOZ, 4. Juli 1970: 620 Vollerwerbsbetriebe haben Existenzgrundlage. NOZ, 18. September 1970: Das Festprogramm zur Stadtwerdung vom 18. bis 26. September 1970. NOZ, 21. September 1970: Ehrengäste. NOZ, 21. September 1970: Krönung des Zusammenschlusses aus sechs Gemeinden vollzogen. NOZ, 21. September 1970: Kasinosaal platzte aus allen Nähten. NOZ, 22. September 1970: Einladung an alle Bewohner, Kommentar von Jürgen Hofmeyer. NOZ, 29. September 1970: Festlichkeiten zur Stadtwerdung in der Rückblende des Bürgermeisters. NOZ, 22. September 1970: Stadt Georgsmarienhütte. NOZ, 24. September 1970: Kasinopark ein Lichtermeer. NOZ, 27. Oktober 1970: Ansiedlung des Milchhofes perfekt. NOZ, 23. Oktober 1971: Kritik ist berechtigt. NOZ, 23. Oktober 1971: Antrag gestellt auf Entlassung von 450 Mitarbeitern. NOZ, 3. Dezember 1971: Zur Hilfe grundsätzlich bereit. NOZ, 12. Februar 1972: Der ›Freistaat Westrup‹ will klare Verhältnisse schaffen. NOZ, 22. Juli 1972: Nehmen heute Besitz vom Ortsteil Westrup. NOZ, 8. Juni 1973: Jetzt 4630 Mitarbeiter. NOZ, 24. August 1974: Eine Bereicherung für Gmhütte. Das neue Harderberg-Gebiet. NOZ, 20. März 1971: 20 Jahre Oberkreisdirektor. NOZ, 14. Juli 1972: Hoffnung für Osnabrück und Georgsmarienhütte. NOZ, 14. Februar 1976: Wirtschaftsförderung und Fremdenverkehr im Großkreis Osnabrück. NOZ, 23. Mai 1979: ›Millionenbrocken‹ aus Hannover für GMHütte. NOZ, 3. Dezember 1985: Daß die Neinsagerei bald zu Ende geht. Warum Bürgermeister Ludwig Siepelmeyer nicht mehr kandidiert. NOZ, 26. April 1986: Die Straßenbeleuchtung war damals eine Sensation. NOZ, 24. November 1986: Bürgermeister von Format nahm Abschied vom Amt. NOZ, 26. Juni 1987: Der Mensch stand im Mittelpunkt. Helmut Stahlmann verabschiedet. NOZ, 9. November 1992: Ein Mann, der GMHütte Glück gebracht hat. NOZ, 14. Mai 1993: Die Stadt im Dütetal trägt seinen Stempel. GMHüttes Ehrenbürgermeister Ludwig Siepelmeyer gestorben. NOZ, 23. Mai 1998: Er war der ›gute Geist‹ der VHS. GMHütte: Helmut Stahlmann ist im Alter von 74 Jahren gestorben. NOZ, 23. Mai 1998: Nachruf der Volkshochschule Georgsmarienhütte auf Helmut Stahlmann. NOZ, 19. September 1998: Neuer Ehrenring für GMHütter. NOZ, 2. Dezember 2004: Nachruf der Stadt Georgsmarienhütte auf Hans Stertenbrink. NOZ, 1. August 2013: Nachruf der Stadt Georgsmarienhütte auf Heinrich Sielschott. NOZ, 20. August 2013: Ehrenlandrat Josef Tegeler verstorben. NOZ, 21. August 2013: Todesanzeige Josef Tegeler. NOZ, 19. November 2014: Todesanzeige Franz Meyer zu Oesede

Verzeichnis der Printmedien (Alphabetisch)

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NOZ, 9. Juli 2016: Walter Riepenhoff gestorben. Als Gemeindedirektor das Gesicht Hagens mitgeprägt. NT (Neue Tagespost) NT, 13. August 1949: Neue Dörenberg – Siedlung mit 25 Bauten. NT, 23. August 1949, Kurzmeldung ohne Titel. NT, 8. November 1949: Oesede verabschiedet Ortsplanung. NT, 23. August 1949: Häuser aus Schüttbeton in der Dörenberg-Siedlung. NT, 2. August 1950: Oesede gab Beispiel. NT, 23. Juni 1951: Oesede und Georgsmarienhütte. Die beiden benachbarten Gemeinden haben wenig natürliche Verbindungen zueinander. NT, 23. Juli 1952: Stephanswerk Oesede leistet Beitrag zur Behebung der Wohnungsnot. NT, 11. Oktober 1952: Oesede erhält 400 Wohnungen. NT, 16. Juni 1953: Richtkranz über dem Kiffenbrink. NT, 26. September 1953: Oesede: Bald 8000 Einwohner 440 Wohnungen in zwei Siedlungen. NT, 24. März 1954: Oesede: Ein schwieriges Problem. Umgehungsstraße lebhaft diskutiert. NT, 26. Mai 1954: Oesede: Gemeinderat stimmt – schweren Herzens – der Umgehungsstraße zu. NT, 19. Januar 1960: Oesede: Abänderungsvorschlag zur Führung der Umgehungsstraße. NT, 18. Mai 1962: Oesede: Ausbau des Rathauses. NT, 11. September 1963: Harte Kritik am Straßenbauamt. NT, 8. November 1963: Die größte Gemeinde (Oesede) hat mit Dr. Ritz den jüngsten Bürgermeister. NT, 26. Februar 1966: Oesede: warum eigentlich Stadt? Nicht nur dekorativ von Bedeutung. NT, 13. Mai 1966: Landrat Tegeler : Die Chance liegt im Zusammenschluß… NT, 1. Juni 1966: Oesede: Ja, zur ›Verlobung‹ mit Gmhütte. Gemeinderat einmütig für Nachbarschaftsverband – Jetzt muß Gmhütte sein ›Ja-Wort‹ geben – Chancen für Hallen- und Freibad stehen günstig – Erklärungen von Siepelmeyer und Pilger. NT, 1. Juni 1966: Kommentar. NT, 15. Juni 1966: Kloster Oesede will kein ›Anhängsel‹ von Borgloh-Wellendorf werden. NT, 26. Oktober 1966: Höchste Wasserpreise in Oesede. NT, 1. April 1967: Gemeinde Oesede hat ihr ELT-Werk verkauft. NT, 12. April 1967: Ehrenbuch in der Friedhofskapelle. OT (Osnabrücker Tageblatt) OT, 17. März 1933: unbetitelte Kurzmeldung. OT, 30. März 1933: unbetitelte Kurzmeldung. OT, 17. Dezember 1933: unbetitelte Kurzmeldung. OT, 7. Januar 1936: Ösede im Jahre 1935. OT, 28. Mai 1936: Ein treuer Diener seiner Gemeinde. Zum Ausscheiden des Bürgermeisters Vocke (Ösede). OT, 31. Januar 1937: Oesede und Dröper im Jahre 1936. OT, 3. April 1937: Aus dem Landkreis Osnabrück (Iburg) Oesede.

470

Anhang

OT, 6. März 1936: Führer und Kamerad. OT, 25. März 1937: Zusammenlegung von Gemeinden im Landkreis Osnabrück. OT, 24. Mai 1950: Der Schandfleck ›Poggenteich‹ in Oesede. OT, 13. April 1951: Zwei Gemeinden mit natürlichen Verbindungen zueinander. OT, 21. Juni 1952: Jugend ohne Bademöglichkeit. OT, 12. September 1952: Anschluß an Zweckverband Gmhütte/Oesede. OT, 12. August 1950: Ein Wassernetz für ganz Oesede geplant. OT, 12. Juli 1950: Oesede will neue Schule bauen. OT, 19. Januar 1960: Oesede: Abänderungsvorschlag zur Führung der Umgehungsstraße. OT, 5. Januar 1961: Ein Schulzentrum für Georgsmarienhütte. OT, 8. Oktober 1963: Nachruf auf Wallrath Eichberg. OT, 12. November 1963: Zwei Schulen eingeweiht. OT, 11. Dezember 1963: Richtkranz weht wieder über einer Oeseder Schule. OT, 4. Januar 1964: Bewältigte und unbewältigte Probleme. OT, 26. September 1964: Ehrungen für Bürgermeister Intrup. OT 12. März 1965: Ausbau des Wasserwerkes wird halbe Million kosten. OT, 26. April 1965: Osnabrücks Raumordnung vorbildlich. OT, 7. März 1966: Ein anonymer Leserbrief. OT, 9. Januar 1967: Rund 200 Arbeitnehmer werden wegen Auftragsmangels vom Klöckner-Werk Georgsmarienhütte bald entlassen. OT, 14. Januar 1967: Wir werden es sehen. Wundern, staunen und dann das große Rätselraten. Ein Wort zur Pressearbeit der Klöckner-Georgsmarienwerke. OT, 21. März 1967: Laßt uns heiraten. Sonstige BNV 19. Februar 1939: Die Siedlung Kiffenbrink. FAZ, 22. März 1969: Die Nordstahl AG ist geplatzt. HA, 25. Juni 1969: Eine sterbende Gemeinde mit voller Lebenskraft. Oesede als Vorbild für Industrieansiedlungen im Agrargebiet. HP, 6. August 1969: Agrarstrategen fanden ein Rezept gegen den Tod der Gemeinden. Oesede kein Modell, aber Planungshilfe. Land und Garten 30, 26. Juli 1969: Für die Zukunft ist noch keiner gestorben. Beispielhafte strukturelle Entwicklung in Oesede. OV, 19. September 1926: Zur Einweihung des Exzerzitienhauses am Franziskanerkloster Ohrbeck OP, 9. November 1967: An Gerüchten stimmt nichts. Keine Einstellung der Warmbetriebe in der Georgsmarienhütte. SZ, 20. März 2017: Sebastian Herrmann: Kopf in den Sand. Menschen sind Meister darin, unangenehme Informationen auszublenden. Besonders wenn viel auf dem Spiel steht, verschließen Patienten, Manager und Investoren die Augen. WN, 17. Juli 1969: Die Industrie verändert ein Dorf. Weitschauende Planung schafft in der Gemeinde Oesede attraktive Arbeitsplätze. Ohne Quellenangabe abgelegt im Pressespiegel der Stadt Georgsmarienhütte, 20. Oktober 1949: So soll es sein: Arbeiter bauen eigenes Heim. Ohne Quellenangabe abgelegt im Pressespiegel der Stadt Georgsmarienhütte, 9. September 1950: Drei Straßen am Dörenbergpaß.

Verzeichnis der Abkürzungen

4.

Verzeichnis der Abkürzungen

ARL IfR BbauG BGBl BHE BNV Bp CDU DGO DM FAZ FDP FP GG Gmhütte GVBl Ha HA HP IGM IHK Kap. NAfN NATO NJfL NLA HA NLA OS NROG NSDAP NOZ NS NT OKD OP OT OV Pg RAG Rdnr RGBl RM ROG Rt

Akademie für Raumforschung und Landesplanung Institut für Raumforschung Bundesbaugesetz Bundesgesetzblatt Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Blatt der Neuen Volksblätter Blickpunkt Christlich demokratische Union Deutsche Gemeindeordnung Deutsche Mark Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Freie Presse Grundgesetz Georgsmarienhütte Gesetz- und Verordnungsblatt Hektar Hannoversche Allgemeine Hannoversche Presse Industriegewerkschaft Metall Industrie- und Handelskammer Kapitel Neues Archiv für Niedersachsen North Atlantic Treaty Organisation Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte Niedersächsisches Landessarchiv Hannover Niedersächsisches Landesarchiv Osnabrück Niedersächsisches Raumordnungsgesetz Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Osnabrücker Zeitung Nationalsozialismus Neue Tagespost Oberkreisdirektor Osnabrücker Presse Osnabrücker Tageblatt Osnabrücker Volkszeitung Parteigenosse Reichsarbeitsgemeinschaft Randnummer Reichsgesetzblatt Reichsmark Raumordnungsgesetz Reichstaler

471

472

Anhang

SA SARO SM SPD SZ VA Vgl WN WWA WWU

5.

Sturmabteilung Sachverständigenausschuss für Raumordnung Siemens-Martin Sozialdemokratische Partei Deutschlands Süddeutsche Zeitung Verwaltungsausschuss Vergleiche Westfälische Nachrichten Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund Westfälische Wilhelms-Universität

Personenregister, Auswahl

Aulf, Adolf

Backhaus, Heinrich Bennemann, Otto Börger, Heinrich Borgmeyer, Karl

Cromme, Carl

Dälken, Josef

Dimmerling, Friedrich Eichberg, Wallrath Esders, Bernhard Friemann, Egon Fritsch, Vorname unbekannt Gerhardus, Paul

Gemeinde Harderberg: Ratsherr 1946–1952 Bürgermeister 1952–1970 Landkreis Osnabrück: Oberkreisdirektor 1951–1972 Regierung des Landes Niedersachsen: Innenminister 1959–1967 Gemeinde Oesede: Gemeindedirektor 1948–1958 Gemeinde Oesede: Stellv. Gemeindedirektor in den 1960er Jahren Wiedereinstellung in die Oeseder Verwaltung: 1949 Stadt Osnabrück: Baurat, z. Zt. der Gebietsreform 1960er und 1970er Jahre; Mitglied im Landesplanungsbeirat beim Innenminister Gemeinde Oesede: Ratsherr z. Zt. der Aushandlung in den 1960er Jahren; Austritt aus dem Rat nach dem 19. April 1969 Gemeinde Holzhausen: Bürgermeister bis 1968 Gemeinde Oesede: Bürgermeister 1942–1945 und 1948–1963 Gemeinde Georgsmarienhütte: Ratsherr in den 1930er und in den 1950er Jahren Bezirksregierung Osnabrück: Regierungspräsident bis 1967 Klöckner-Konzern: Direktor der Abteilung Georgsmarienhütte in den 1960er Jahren Landkreis Osnabrück: Kreisbaumeister von den 1930er bis in die 1950er Jahre

Personenregister, Auswahl

Greulich, Helmut Hardekopf, Friedrich Heymann, Werner

Hofmeyer, Jürgen Hügelmeyer, Ferdinand Hummel, Oskar

Jahrmann, Friedrich Kreft, Wolfgang

Lehners, Richard Mandel, Gerhard von Malortie, Ernst

Massalsky, Hans-Erich

Middelberg, Hans Möller, Karl Müller, Hermann Müller, Heinz

Niemeyer, Karl

473 Regierung des Landes Niedersachsen: Wirtschaftsminister 1970–1974 Gemeinde Holzhausen: Bürgermeister bis 1968 Klöckner-Konzern: Direktor der Abteilung Georgsmarienhütte in den 1960er Jahren Neue Osnabrücker Zeitung: Redakteur in den 1960er und 1970er Jahren Gemeinde Holsten-Mündrup: Bürgermeister bis 1968 Gemeinde Georgsmarienhütte: Ratsherr 1961–1969 Stellv. Bürgermeister der Stadt Georgsmarienhütte 1970–1981 Landkreis Osnabrück: Mitglied des Kreistages 1964–1990; stellv. Landrat 1972–1990 Klöckner-Werk, Abt. Georgsmarienhütte: Betriebsratsmitglied in den 1960er Jahren Gemeinde Georgsmarienhütte: Ratsherr in den Jahren 1951/1952 Landkreis Bersenbrück: Oberkreisdirektor bis 1972 Landkreis Osnabrück: Oberkreisdirektor ab 1972 Mitglied im Landesplanungsbeirat beim Innenminister Regierung des Landes Niedersachsen: Innenminister 1967–1974 Bürgerinitiative in Oesede Georgsmarien-Bergwerks- und Hüttenverein: Verwaltungsratsmitglied Initiator der Gründung der Gemeinde Georgsmarienhütte 1860 Bezirksregierung Osnabrück: Leiter des Amts für Raum- und Landesplanung in den 1960er Jahren Gemeinde Kloster Oesede: Gemeindedirektor 1965–1970 Regierung des Landes Niedersachsen: Wirtschaftsminister 1965–1970 Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein: Verfasser einer umfangreichen Chronik Niedersächsischer Landtag: Abgeordneter 1951–1982 Vorsitzender des Innenausschusses des nieders. Landtages Gemeinde Georgsmarienhütte: Bürgermeister bis 1968

474 Reißner, Ludwig Riepenhoff, Walter Rodrian, Hermann

Rolfes, Rudolf

Schmigelski, Werner Schröder, Karl Sendler, Hans-Jörg

Sielschott, Heinrich Siepelmeyer, Ludwig

Sporbeck, Karl

Stahlmann, Helmut

Stertenbrink, Hans

Suerbaum, Wilhelm Suermann, Hans-Georg Tegeler, Josef

Anhang

Niedersächsischer Gemeindetag: Geschäftsführer in den 1960er Jahren Gemeinde Holzhausen: Gemeindedirektor 1961–1970 Klöckner-Konzern: Direktor der Abteilung Georgsmarienhütte in den 1960er und 1970er Jahren Gemeinde Oesede: Gemeindedirektor 1959–1969 Stadt Georgsmarienhütte: Stadtdirektor 1970–1985 Mitglied im Landesplanungsbeirat bei der Bezirksregierung Gemeinde Georgsmarienhütte: Ratsherr in den 1960er und 1970er Jahren Gemeinde Georgsmarienhütte: Bürgermeister 1925–1945, Ratsherr 1951 Klöckner-Konzern: Sprecher des Duisburger Vorstandes in den 1960er und 1970er Jahren Gemeinde Holsten-Mündrup: Bürgermeister ab 1968 Gemeinde Oesede: Ratsherr 1964–1969 Bürgermeister 1965–1969 Stadt Georgsmarienhütte: Bürgermeister 1970–1986 Klöckner-Konzern: Direktor der Abteilung Georgsmarienhütte in den 1960er und 1970er Jahren Gemeinde Georgsmarienhütte: Ratsherr 1964–1969 Bürgermeister 1968–1969 Stadt Georgsmarienhütte: verschiedene Ämter als Ratsmitglied bis 1998 Gemeinde Kloster Oesede: Bürgermeister 1964–1969 Stadt Georgsmarienhütte: Ratsherr 1970–1981 Stellv. Bürgermeister 1972–1976 Bürgerinitiative in Oesede Bezirksregierung Osnabrück: Regierungspräsident bis 1969 Niedersächsischer Landtag: Abgeordneter 1963–1974 Landkreis Osnabrück: Landrat 1964–1993

Personenregister, Auswahl

Trepper, Hermann Werkmeister, Heinrich Westerheider, Matthias Westerkamp, Eberhard Wieting, Rolf Wortmann, Wilhelm

Zürlik, Josef

475 Gemeinde Georgsmarienhütte: Ratsherr 1961–1969 Mitglied im Landesplanungsbeirates bei der Bezirksregierung Gemeinde Georgsmarienhütte: Gemeindedirektor 1962–1969 Gemeinde Harderberg: Gemeindedirektor 1962–1969 Bürgerinitiative in Oesede Landkreis Osnabrück: Landrat 1933–1939 Prognos-Ag: Gutachter, Verfasser des Prognos-Gutachtens Technische Hochschule Hannover: Lehrstuhl für Städtebau, Wohnungswesen und Landesplanung: 1956–1965 Im Ruhestand: Freiberuflicher Gutachter Bezirksregierung Osnabrück: Regierungspräsident: 1970–1975

476

6.

Anhang

Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969

Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969

477

478

Anhang

Gebietsänderungsvertrag vom 19. April 1969

479

480

Anhang

Abb. 12: Der Gebietsänderungsvertrag. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Stadt Georgsmarienhütte vom 28. September 2018

Übersichtskarte der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Malbergen 1936/1937 481

7.

Übersichtskarte der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Malbergen 1936/1937

Abb. 13: Übersichtskarte der Gemeinden Georgsmarienhütte, Oesede, Malbergen 1936/1937, NLA OS Rep 430 Dez 106 Akz 15/65 Nr. 355, Bd. 4; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Niedersächsischen Landesarchivs Osnabrück vom 4. September 2018

482

8.

Anhang

Einteilung des Regierungsbezirks Osnabrück in ›zentrale Orte‹ 1965, Ausschnitt

Abb. 14: Einteilung des Regierungsbezirks Osnabrück in ›zentrale Orte‹ 1965, Ausschnitt, NLA OS Rep 430 Akz 51/78 Nr. 48; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Niedersächsischen Landesarchivs Osnabrück vom 4. September 2018

Erster genehmigter Flächennutzungsplan der Stadt Georgsmarienhütte 1976

9.

Erster genehmigter Flächennutzungsplan der Stadt Georgsmarienhütte 1976

483

484

Anhang

Abb. 15: Erster genehmigter Flächennutzungsplan der Stadt Georgsmarienhütte 1976, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Stadt Georgsmarienhütte vom 28. September 2018

Abbildungsverzeichnis

10.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5, 6, 7, 9 Abb. 8 Abb. 10 und 11 Abb. 12 Abb. 13 und 14 Abb. 15

Sammlung Werner Beermann Werner Beermann Bildarchiv Stadt Georgsmarienhütte, Georg Bosselmann Werner Beermann Bildarchiv Stadt Georgsmarienhütte Bildarchiv der Stadt Georgsmarienhütte, Foto: Jänicke Sammlung Werner Beermann Stadt Georgsmarienhütte. Niedersächsisches Landesarchiv Osnabrück Stadt Georgsmarienhütte

485