Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur: Eine Diskursgeschichte künstlerischer Techniken in der Moderne [1. Aufl.] 9783839431245

The modern artist at work: a rare image which primarily fired the imagination of caricaturists. Anna Grosskopf investiga

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Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur: Eine Diskursgeschichte künstlerischer Techniken in der Moderne [1. Aufl.]
 9783839431245

Table of contents :
Inhalt
Dank
Einleitung
Akademiker und Antipoden: Malen für den Salon
Übertragungsprozesse: Neue Werkzeuge aus Handwerk und Industrie
Außerhalb des Ateliers: Pleinairmalerei und öffentliche Produktion
Pathologisch, infantil, animalisch – oder zufällig? Karikaturen zur Abstraktion
Monochrome Bilder: Karikaturen zur Verweigerung und Auslöschung künstlerischer Arbeit
Schluss
Literaturverzeichnis

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Anna Grosskopf Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur

Image | Band 80

Anna Grosskopf promovierte in Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Sie ist Kuratorin am Bröhan-Museum, Berlin und forscht zur Freien und Angewandten Kunst vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Anna Grosskopf

Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur Eine Diskursgeschichte künstlerischer Techniken in der Moderne

Wir danken allen Inhabern von Abbildungen und Bildrechten für die freundlich gewährte Abdruckgenehmigung. Dort, wo trotz sorgfältiger Recherchen kein Nachweis gefunden wurde, bitten wir um Benachrichtigung. Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Richard Doyle, Turner painting one of his pictures, in: The Almanack of the Month 1 (Juni 1846) Satz: Anna Grosskopf Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3124-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3124-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

DANK | 9 E INLEITUNG | 11 AKADEMIKER UND ANTIPODEN: MALEN FÜR DEN S ALON | 23 Der Kampf der Schulen | 23 Schnelles Malen: Karikaturen zum Arbeitstempo | 41

Termindruck und Zeitnot | 41 Horace Vernets „peinture au grand galop“ | 59

ÜBERTRAGUNGSPROZESSE: NEUE WERKZEUGE AUS HANDWERK UND I NDUSTRIE | 73 Bürste, Besen und Wischmopp: Der Pinsel des Malers | 73 Maler als Maurer | 92 Maler als Anstreicher | 114 Kunst aus der Maschine | 135 Kunstmaschinen und Maschinenkünstler | 137 Der Künstler als Ingenieur | 160 Pinot Gallizios Pittura industriale | 164 Roboter als Künstler | 169

AUSSERHALB DES ATELIERS: P LEINAIRMALEREI UND ÖFFENTLICHE P RODUKTION | 175 Les Artistes en Voyage: Karikaturen zur Pleinairmalerei | 177

Die Faulheit des Landschaftsmalers | 179 Der steile Weg zum Ruhm: Wanderschaft und Motivsuche | 196 Bei Wind und Wetter | 202 Malen in der Fremde: Nationale Künstlertopoi | 214 Öffentliches Malen: Von der Pleinairmalerei zum Action Painting | 230

P ATHOLOGISCH, INFANTIL, ANIMALISCH − ODER ZUFÄLLIG? KARIKATUREN ZUR ABSTRAKTION | 249 Primitivismen: Geisteskranke, Kinder und Primaten als Künstler | 250

Künstler als Geisteskranke | 251 „Das kann mein Kind auch!“ | 258 Der Affe als Künstler und der Künstler als Affe | 287 Abstraktion durch Zufall | 312 Kleckse und Konfetti: Der Impressionismus als école de taches | 312 Farbwürfe, Atelierunfälle, Automatismen | 338 Tiere als Werkzeuge | 362

MONOCHROME BILDER: KARIKATUREN ZUR VERWEIGERUNG UND AUSLÖSCHUNG KÜNSTLERISCHER ARBEIT | 379 Verweigerung der Arbeit: Weiße Monochrome | 380 Obsolete Bilder und „pictures of nothing“ | 382 Verweigerung der Referenz: Parodistische Titel | 388 Verweigerung der Narration: Das impressionistische Schneebild | 394 Die tabula rasa als Readymade | 400 Blank canvas: Die Angst des Künstlers vor der leeren Leinwand | 405 Auslöschung der Arbeit: Schwarze Monochrome | 411 Nachteffekte: Monochromie als Kritik eines populären Genres | 413

Schuhcreme, Ruß und Bratensauce: Hinweise auf die Materialität der Malerei | 420 Schwarze Bilder als Repräsentationen eines (temporär) nicht Sichtbaren | 425 Auslöschung des Impulses: Karikaturen zur monochromen Malerei | 430 Monochromie als Mimesis bei Yves Klein | 434

S CHLUSS | 449 LITERATURVERZEICHNIS | 463

Dank

Eine Doktorarbeit schreibt man alleine – und doch auch nicht. Viele Menschen und Institutionen haben zum Gelingen dieses Buches beigetragen, das als Dissertation am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg entstanden ist. Die Anregung zu dem hier behandelten Thema stammt von Prof. Monika Wagner, die das Projekt als Doktormutter engagiert betreut und mit steter Diskussionsbereitschaft und konstruktiven Ratschlägen begleitet hat. Das Zweitgutachten erstellte Prof. Wolfgang Kemp, in dessen Lehrveranstaltungen ich während meines Studiums wichtige Impulse erhalten habe. Eine große Hilfe war der regelmäßige Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Doktorandenkolloquiums von Prof. Monika Wagner, denen ich viele gute Hinweise verdanke. Meiner klugen Freundin Kathrin Rottmann bin ich für die jahrelange fachliche und moralische Unterstützung zu großem Dank verpflichtet. An unsere Exkursionen unter, auf und über dem Pariser Pflaster denke ich gerne zurück. Ein zweijähriges Promotionsstipendium der Gerda Henkel Stiftung hat es mir ermöglicht, ohne finanzielle Sorgen an meiner Dissertation zu arbeiten sowie im Inund Ausland zu forschen. Auch die Drucklegung dieses Buches hat die Gerda Henkel Stiftung großzügig unterstützt. Stets verlassen konnte ich mich auf den vertrauensvollen Zuspruch und die über finanzielle Hilfen weit hinausgehende Unterstützung meiner Eltern Marlen und Ralf Grosskopf. Die Entstehung dieses Buches wäre jedoch nicht möglich gewesen ohne den beständigen liebevollen Rückhalt meines Mannes Tobias Frietzsche, der mich in jeder nur denkbaren Weise unterstützt hat. Ihnen allen möchte ich herzlich danken.

Einleitung

„Das Kunstwerk, so kann man sagen, ist jederzeit ein vollkommen Weltfremdes, es ist wie vom Himmel gefallen.“1 Mit diesem Satz resümierte der deutsche Philosoph und Kunstpsychologe Theodor Lipps den Stand der philosophischen Ästhetik um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zwar räumte er ein, dass „Kunstwerke einem Künstler ihr Dasein [...] verdanken“ 2, aber die materiellen Umstände ihrer Entstehung waren für eine ästhetische Betrachtung ohne Belang. Die Arbeit des Künstlers wurde von der Kunstgeschichte lange Zeit marginalisiert und hat auch in der Kunst- und Künstlertheorie der Moderne nur wenig Aufmerksamkeit erfahren, obwohl das Thema für diesen Zeitraum geradezu einen neuralgischen Punkt darstellt. Die Produktion von Kunst ist ein geheimnisumwitterter Bereich: Auffallend wenige Selbstporträts dokumentieren die Atelierpraktiken bildender Künstler3, und auch in Texten und Manifesten finden ihre Werkzeuge, Techniken und Verfahrensweisen nur selten Erwähnung. Ausgehend von dieser Beobachtung untersucht die vorliegende Studie Repräsentationen künstlerischer Arbeit im Medium der Karikatur. Obwohl − oder gerade weil − Karikaturen ihre Wirkung am Rande des offiziellen Kunstdiskurses entfalten, erscheinen sie für eine Analyse der Rezeption und Bewertung dieser ‚anderen‘ Form des Arbeitens besonders aussagekräftig.

1

Lipps, Theodor: Ästhetik: Die ästhetische Betrachtung und die bildende Kunst, Hamburg u.a. 1906, S. 52.

2

Ebd., S. 101.

3

Diese wurden offenbar nicht als bildwürdig empfunden, vgl. Ausst.-Kat. Das Bild des Künstlers. Selbstdarstellungen, hg. von Siegmar Holsten, Hamburger Kunsthalle 1978. Demgegenüber stehen zahlreiche fotografische Arbeitsporträts, die ein lebhaftes Interesse an den materiellen Aspekten des Werkprozesses belegen. Vgl. Klant, Michael: Künstler bei der Arbeit – von Fotografen gesehen, Ostfildern-Ruit 1995, S. 143 ff.

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Auf der Grundlage von Sigmund Freuds Theorien zur Genese und psychologischen Funktion des Witzes4 wird angenommen, dass in Karikaturen etwas konserviert ist, das in der damals zeitgenössischen Kunsttheorie abgewehrt und in der wissenschaftlich-historisierenden Betrachtung der Kunstgeschichte zum Verschwinden gebracht wurde. Gegenüber anderen diskursiven Praktiken ist es das besondere Vermögen des Witzes, im entlastenden Lacheffekt etwas freizusetzen, das sonst der Verdrängung unterliegt. Wie der ihr eng verwandte Witz stellt sich auch die Karikatur „in den Dienst unterdrückter Tendenzen“ 5 und ist Freud zufolge „ein Mittel [...], das Verlorene wiederzugewinnen“.6 Komische und irritierende Potentiale künstlerischer Techniken, die in der wissenschaftlichen Theoriebildung verdrängt wurden, können im Medium der Karikatur wieder zutage gefördert werden. Im Gegensatz zur Kunsttheorie des 19. und 20. Jahrhunderts, die den Künstler primär als intellektuellen Geistesarbeiter charakterisiert, betonen Karikaturen die materiellen und manuellen Seiten der Produktion. Sie liegen damit quer zu dem modernen Programm einer Intellektualisierung der Kunst, in dem alles Handwerkliche konsequent desavouiert wird. Doch die Nobilitierung des Schaffensaktes generiert auch eine Fallhöhe, die den Beitrag der Karikatur erst ermöglicht. Die Darstellung des Künstlers als Handwerker ist umso komischer, je weiter sich künstlerische Arbeit augenscheinlich von ihren materiellen Grundlagen entfernt − eine Entwicklung, die in der Renaissance begann und mit der Figur des intellektuell hochgebildeten und gesellschaftlich gewandten Akademiekünstlers im 19. Jahrhundert einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Ob allerdings das Lachen über Kunst immer und ausschließlich mit einer Herabsetzung von Kunst und Künstlern einherging, ist zu hinterfragen.7 Die in diesem Buch behandelten Karikaturen stammen überwiegend aus europäischen Satirezeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Fokus liegt dabei auf den großen Kunstnationen der Moderne, in denen auch die Karikatur im untersuchten Zeitraum eine besonders starke Verbreitung aufweist: Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Für die Zeit nach 1945 wurden noch die USA hinzugenommen, weil dort parallel zur Etablierung von New York als neuem Weltkunstzentrum mit den Cartoons der Zeitschrift The New Yorker auch eine neue Tradition der Kunstkarikatur entstand. 4

Freud, Sigmund: „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“ (1905), in: Ders.: Psychologische Schriften (= Studienausgabe Band IV), Frankfurt am Main 2000, S. 13168.

5

Ebd., S. 127.

6

Ebd., S. 96.

7

„Das Belachen von Kunst ist ein Akt der intendierten Herabsetzung oder gar Vernichtung, das Belachen sagt: Der Meister hat nichts vermocht, er konnte nicht, was er wollte.“ Kanz, Roland (Hg.): Das Komische in der Kunst, Köln u.a. 2007, S. 1 (Vorwort).

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Die Frage nach dem allgemeinen ästhetischen Wert und der Legitimation von Karikaturen als Gegenstand kunstgeschichtlicher Forschung wird hier nicht gesondert behandelt. Dass Karikatur und Kunst in der Moderne auf das Engste miteinander verknüpft sind und die Ästhetik der Karikatur viele moderne Künstler beeinflusste, ist in der akademischen Kunstgeschichte mittlerweile Konsens. Eine karikaturenbasierte Untersuchung kann bei der Suche nach grundlegenden kunsthistorischen Vorarbeiten auf Klassiker wie den Aufsatz Caricature von Ernst H. Gombrich und Ernst Kris8 oder auf Werner Hofmanns 1956 erschienene und 2007 neu aufgelegte Studie Die Karikatur von Leonardo bis Picasso9 zurückgreifen. Auch der von Klaus Herding und Gunter Otto herausgegebene Aufsatzband über Karikaturen als „Nervöse Auffangorgane des inneren und äußeren Lebens“10 versammelt wesentliche Positionen zu einer allgemeinen kunsthistorischen Verortung der Karikatur. Für den hier ins Auge gefassten Zusammenhang einer Diskursanalyse künstlerischer Techniken ist jedoch weniger die Ästhetik der Karikatur von Bedeutung denn ihre Fähigkeit, als eine Art Speichermedium verschüttete Beiträge zu den historischen Debatten um die Arbeit des Künstlers aufzubewahren und einer heutigen Analyse zugänglich zu machen. Charles Baudelaire war vielleicht der Erste, der die kulturhistorische Bedeutung der Karikatur als „bouffonne archive“11 erkannt und explizit gewürdigt hat: Für ihn steht der Karikatur „ein Platz zu in den Nationalarchiven, in den biographischen Registern des menschlichen Geistes“.12 Daran anknüpfend werden die in dieser Studie behandelten Karikaturen als kulturhistorische Dokumente betrachtet, deren Analyse ein tiefes Eindringen in zentrale kunsttheoretische Diskurse des 19. und 20. Jahrhunderts ermöglicht. Die Materialerhebung konzentrierte sich auf langlebige, auflagenstarke Magazine, die ein großes bürgerliches Publikum ansprachen und so in ihrem Kunsturteil einen gewissen gesellschaftlichen Konsens repräsentierten. Systematisch ausgewertet wurden die jeweils wichtigsten Zeitschriften der behandelten Länder: Le Chari8

Gombrich, Ernst H./Kris, Ernst: Caricature, Harmondsworth 1940.

9

Hofmann, Werner: Die Karikatur von Leonardo bis Picasso (1956), Hamburg 2007.

10 Herding, Klaus/Otto, Gunter (Hg.): „Nervöse Auffangorgane des inneren und äußeren Lebens“. Karikaturen, Gießen 1980. Darin besonders: Oesterle, Günter/Oesterle, Ingrid: „‚Gegenfüßler des Ideals‘ – Prozeßgestalt der Kunst – ‚Mémoire processive‘ der Geschichte. Zur ästhetischen Fragwürdigkeit von Karikatur seit dem 18. Jahrhundert“, S. 87-130. 11 Baudelaire, Charles: „Quelques caricaturistes français. Carle Vernet − Pigal − Charlet − Daumier − Monnier − Granvile − Gavarni − Trimolet − Traviés –Jacque“, in: L’Artiste 5 (1858), S. 116-120, hier S. 118. 12 Baudelaire, Charles: „Vom Wesen des Lachens und allgemein von dem Komischen in der bildenden Kunst“, in: Ders.: Sämtliche Werke/Briefe, Bd. 1: Juvenilia-Kunstkritik 18321846, hg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichois, München 1977, S. 284-305, hier S. 284.

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vari (Paris 1832-1937), Journal Amusant (Paris 1848-1933, bis 1855 unter dem Titel Journal pour rire), Punch (London 1841-1992), Kladderadatsch (Berlin 18481944), Fliegende Blätter (München 1845-1944) und The New Yorker (New York seit 1925). Partiell konnte dabei auf Vorarbeiten anderer Autoren zurückgegriffen werden, zum größten Teil wurden die einzelnen Jahrgänge jedoch erneut durchgesehen. Das dabei zusammengetragene Material bildet den Grundstock der Studie. Hinzu kommen Karikaturen, die bei Stichproben in anderen Zeitschriften und Karikaturensammlungen sowie bei Internetrecherchen ermittelt wurden. Ziel der Erhebung war es, einen repräsentativen Materialkorpus zu erhalten. Eine lückenlose Erfassung aller Karikaturen zu dem gewählten Thema erscheint angesichts der Länge des behandelten Zeitraums und der Vielzahl potentieller Publikationsorte als nicht realistisch. Statt eine vollständige Datensammlung anzustreben wurde daher versucht, maßgebliche Themen aufzuzeigen, um so einen Zugang zu dem von der Kunstgeschichte noch kaum behandelten Problembereich karikaturistischer Perspektiven auf die Arbeit des Künstlers zu ermöglichen. Vor allem im Hinblick auf die äußerst umfangreiche Kunstkarikatur des 20. Jahrhunderts wird hier ein großes Feld erst eröffnet, das in vielen Aspekten noch der weiteren Bearbeitung bedarf. Hauptkriterium bei der Auswahl des Materials war eine erkennbare Auseinandersetzung der Karikatur mit den Techniken und Herstellungsverfahren der modernen Kunst. Durch die Besonderheit der Mischgattung Karikatur als Bild/Textmedium kann diese auf der Ebene der Zeichnung oder des Begleittextes erfolgen. Die meisten der hier behandelten Darstellungen zeigen den Künstler bei der Arbeit, berücksichtigt wurden aber auch Karikaturen auf Kunstwerke, Stile oder Ausstellungssituationen, in denen die Technik via Legende thematisiert wird. Personenkarikaturen auf einzelne Künstler sind für die Untersuchung dann von Interesse, wenn der Dargestellte durch den Gebrauch bestimmter Werkzeuge oder Verfahrensweisen charakterisiert wird. Ästhetische Gesichtspunkte wie die künstlerische Qualität der Karikaturen spielten bei der Auswahl nur eine untergeordnete Rolle, so dass in dem hier versammelten Materialkonvolut sehr unterschiedliche Höhenlagen aufeinandertreffen. Eine einfache anonyme Pressekarikatur kann für die diskursgeschichtliche Fragestellung dieser Arbeit ebenso interessant sein wie ein grafisches Meisterwerk von Honoré Daumier. Bei der Gliederung des Materials wurde zweierlei deutlich. Erstens existiert im behandelten Zeitraum keine kontinuierliche Spiegelung künstlerischer Techniken im Medium der Karikatur; vielmehr erhellt die Karikatur schlaglichtartig zentrale Aspekte des Themas. Zweitens erlaubt die Popularität bestimmter Themen in der Karikatur nicht immer einen Rückschluss auf ihre Gewichtung im zeitgenössischen Kunstdiskurs. So fällt auf, dass einflussreiche Strömungen wie die Neue Sachlichkeit oder die geometrische Abstraktion der 1910er und -20er Jahre in der Karikatur kaum thematisiert wurden, vielleicht weil die Übertragung ihrer Werkprozesse und

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gestalterischen Absichten ins Medium der Bildsatire keine ausreichend große komische Wirkung versprach. Auch Kunstrichtungen wie Dada und Surrealismus wurden meist ausgespart, wohl weil sie mit Mitteln arbeiteten, die die Karikatur bereits genutzt hatte und diese ihren Strategien zu affin war. In ihrer Auseinandersetzung mit künstlerischen Techniken und Arbeitsweisen setzte die Karikatur ihre eigenen Schwerpunkte, die in der Gliederung der Studie berücksichtigt wurden. In den behandelten Zeitraum fallen mehrere Peaks, in denen der Fokus der Karikatur auf künstlerische Arbeitsprozesse besonders stark war: Die Zeit um 1850 mit der Ablösung des klassizistischen Kunstideals durch Romantik und Realismus, die Jahre der impressionistischen Revolution nach 1872, die Durchsetzung des Expressionismus in den 1910er und -20er Jahren und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der mit Action Painting, Tachismus und monochromer Malerei neue künstlerische Ausdrucks- und Arbeitsformen etabliert wurden. Unabhängig von diesen Kulminationspunkten wurden langlebige künstlerische Tendenzen wie die Praxis der Freilichtmalerei auch über Jahrzehnte hinweg mehr oder weniger kontinuierlich von der Karikatur behandelt. Ausgehend von den zu Materialgruppen zusammengestellten Karikaturen wurden diskursive Felder erschlossen, die den thematischen Rahmen für die einzelnen Textabschnitte bilden. Dabei stellte sich heraus, dass bestimmte Topoi wie ,Schnelligkeit‘, ,Zufall‘ oder ,Monochromie‘ meist über einen langen Zeitraum hinweg virulent waren und vor dem Hintergrund der jeweils aktuellen Kunstrichtung eine unterschiedliche karikaturistische Ausprägung und Aktualisierung erfuhren. Durch die Fortschreibung solcher Traditionslinien entsteht häufig der Eindruck einer antizipierenden Vorwegnahme künstlerischer Verfahrensweisen im Medium der Karikatur, zum Beispiel wenn im 19. Jahrhundert bereits abstrakte oder monochrome Bilder auftauchen. Die Faszination für diese humoristische ‚Vorgeschichte‘ der Abstraktion hat in den letzten Jahren Anlass zu ersten kunsthistorischen Auseinandersetzungen mit dem Phänomen antizipierender Karikaturen gegeben.13 Über die Feststellung des dort beschriebenen Phänomens hinaus wird in der vorliegenden Arbeit der Versuch unternommen, das Auftreten der aus heutiger Perspektive visionär anmutenden Darstellungen diskursgeschichtlich zu entschlüsseln. In einer historisch-kritischen Untersuchung wird deutlich, dass Antizipationen künstlerischer Prozesse und Verfahrensweisen in der Karikatur meist aus dem situativen Kontext damals zeitgenössischer Kunstdebatten heraus erklärbar sind, sofern sie sich nicht aus dem Legendenschatz älterer Künstlertopoi speisen. Für die Aufdeckung dieser

13 Vgl. Riout, Denys: La peinture monochrome. Histoire et archéologie d’un genre (1996), Paris 2006, S. 313 ff. sowie Rosenberg, Raphael: „Abstrakte Bilder vor 1900 in Literatur, Karikatur und Esoterik“, in: Ausst.-Kat. Turner − Hugo − Moreau. Entdeckung der Abstraktion, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main 2007, S. 273-309.

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letzteren Zusammenhänge war die von Ernst Kris und Otto Kurz erarbeitete Darstellung und Kontextualisierung historischer Künstlermythen unverzichtbar. 14 Das Feld der Sekundärliteratur zum Themenkomplex ,Karikatur als Kunstkritik‘ ist relativ übersichtlich. Nur wenige Autoren haben sich in den letzten Jahren speziell mit Kunstkarikaturen beschäftigt und diese als Kommentarphänomene zu künstlerischen und kunsttheoretischen Diskursen betrachtet.15 Eine erste größere Materialsammlung lieferte 1976 Adelheid Stielau in ihrer vergleichenden Analyse deutscher und englischer Pressekarikaturen des 19. Jahrhunderts.16 Sie betrachtet die Karikatur darin vor allem als Symptom und Werkzeug einer tendenziell modernefeindlichen Kunstauffassung. Im Gegensatz zu dieser negativen Sichtweise gesteht Klaus Herding in einem 1978 publizierten Aufsatz zu den Karikaturen auf Gustave Courbet der Kunstkarikatur auch positive, zukunftsgerichtete Wirkungsweisen zu.17 Seiner Auffassung nach können Kunstkarikaturen über ihren vordergründigen Stigmatisierungseffekt hinaus auch neuen Tendenzen zur Durchsetzung verhelfen, da sich durch die Übertreibung der neuen Formmerkmale beim Publikum eine Art Lerneffekt einstelle. Diese Ansicht vertreten auch Thomas Schlesser und Betrand Tillier in ihrer 2007 erschienenen Publikation, die ebenfalls die Darstellung Courbets in der Kunstkarikatur behandelt.18 Die Autoren gehen außerdem davon aus, dass der Maler die Öffentlichkeitswirksamkeit der Pressekarikaturen bewusst ausnutzte, um seine eigene Popularität zu steigern. Speziell zur französischen Salonkarikatur, die für das 19. Jahrhundert das umfangreichste und in künstlerischer Hinsicht qualitätvollste Material liefert, existiert 14 Vgl. Kris, Ernst/Kurz, Otto: Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch (1934), Frankfurt am Main 1995. 15 In letzter Zeit werden Karikaturen zunehmend illustrierend herangezogen, um historische Kontroversen um die moderne Kunst zu veranschaulichen, eine analytische Auseinandersetzung mit dem Medium Karikatur, seinen spezifischen Strategien, Gestaltungs- und Wirkungsweisen, ist damit in der Regel jedoch nicht verbunden. Vgl. z.B. Hofmann, Karl-Ludwig: „ ‚Als ob es so etwas wie eine Kunst gäbe!‘ Anmerkungen zur Kontroverse um die abstrakte Kunst in den 50er Jahren“, in: Ausst.-Kat. Brennpunkt Informel. Quellen − Strömungen − Reaktionen, hg. von Christoph Zuschlag, Hans Gercke und Annette Frese. Kurpfälzisches Museum Heidelberg und Heidelberger Kunstverein 1998, S. 158165. 16 Stielau, Adelheid: Kunst und Künstler im Blickfeld der satirischen Zeitschriften ,Fliegende Blätter‘ und ,Punch‘. Untersuchungen zur Wirkungsgeschichte der bildenden Kunst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Dissertation, Aachen 1976. 17 Herding, Klaus: „Courbets Modernität im Spiegel der Karikatur“, in: Ausst.-Kat. Courbet und Deutschland, Hamburger Kunsthalle 1978, S. 502-521. 18 Schlesser, Thomas/Tillier, Bertrand: Courbet face à la caricature. Le chahut par l’image, Paris 2007.

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mit der erstmals 1987 erschienenen Dissertation von Marie Luise Buchinger-Früh eine erste deutschsprachige Untersuchung, die allerdings nur Karikaturen des Charivari im Zeitraum zwischen 1850 und 1870 behandelt.19 Die Kunstkarikaturen Honoré Daumiers sind durch die monografische Studie von Anette Wohlgemuth in ihrer zentralen Bedeutung erkannt und umfassend gewürdigt worden.20 Dass sich die Karikatur seit dem 19. Jahrhundert nicht nur mit der jeweils zeitgenössischen Kunst, sondern ebenso kontinuierlich mit künstlerischen Techniken und Arbeitsformen auseinander gesetzt hat, wurde bereits 1960 von Heinz Ladendorf herausgestellt, der in einem kurzen Tagungsbeitrag verschiedene Aspekte der Kunstkarikatur benannte und so den Blick der Fachöffentlichkeit erstmals auf das in dieser Studie behandelte Spezialthema lenkte.21 Demnach „nimmt [die Karikatur] auch die Verfahrensarten und Produktionsweisen der Kunst aufs Korn und behandelt die modernen Techniken vom Impressionismus bis zum Tachismus“.22 Der Autor bemüht sich um eine Rehabilitierung der Gattung Karikatur, wenn er die in Karikaturen geäußerte Kunstkritik als ein „absichtliches Missverstehen“ auslegt, das „keineswegs nur aus Zurückgebliebenheit, Reaktion und Ressentiment“ resultiere, sondern „auf positive ästhetische Werte ausgeht“.23 Daran anknüpfend untersuchte Bernd A. Gülker in seiner 2001 publizierten Dissertation die Funktionsweisen der Karikatur als „populäre Kunstkritik“ in Deutschland im Zeitraum von 1896 bis 1939.24 Gülker widmet ein Kapitel den „Entstehungswege[n] des modernen Kunstwerks“25 und ist so der einzige unter den genannten Autoren, der Karikaturen zur Arbeit des Künstlers als eigenständige Gruppe innerhalb der Gattung Kunstkarikatur behandelt. Seine Untersuchung bildet auch deshalb einen wichtigen Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit, weil es sich dabei um eine der wenigen Studien zur Kunstkarikatur des 20. Jahrhunderts handelt, welche bis heute nur ansatzweise erschlossen ist. Die bislang einzige museale Ausstellung zu Karikaturen dieses Zeit-

19 Buchinger-Früh, Marie Luise: Karikatur als Kunstkritik: Kunst und Künstler in der Salonkarikatur des ,Charivari‘ zwischen 1850 und 1870, Frankfurt am Main u.a. 1989. 20 Wohlgemuth, Anette: Honoré Daumier – Kunst im Spiegel der Karikatur von 1830 bis 1870, Frankfurt am Main u.a. 1996. 21 Ladendorf, Heinz: „Ästhetische Kritik in Karikaturen zur bildenden Kunst“, in: Actes du quatrième Congrès internationale d’Esthétique, Athen 1960, S. 806-808. 22 Ebd., S. 807. 23 Ebd. 24 Gülker, Bernd A.: Die verzerrte Moderne. Die Karikatur als populäre Kunstkritik in deutschen satirischen Zeitschriften, Münster 2001. 25 Ebd., S. 62-82.

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raums fand 1973 in der Londoner Tate Gallery statt, begleitet von einem Katalog, der eine hilfreiche Materialsammlung darstellt.26 Einige Autoren haben sich in den letzten Jahren mit der populären Rezeption von Avantgardekunst seit 1950 beschäftigt. Der Fokus wurde dabei meist auf die Figur des Action Painters gerichtet, die sich angesichts der ‚Kultfigur‘ Jackson Pollock für diese Fragestellung in besonderer Weise anbietet. In dem für diese Arbeit relevanten Kontext der Karikaturenforschung sei an dieser Stelle nur auf Gregor Stemmrichs 1994 erschienenen Aufsatz verwiesen, der die Problematik von High & Low im Abstrakten Expressionismus am Beispiel eines Cartoons von Peter Arno verhandelt.27 Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur baut auf den bisher geleisteten Beiträgen zu einer kunsthistorischen Karikaturenforschung auf, möchte aber auch einen Beitrag leisten zur Erforschung der Geschichte künstlerischer Techniken in der Moderne. Mit diesem Thema wird ein von der Kunstgeschichte traditionell vernachlässigtes Gebiet beschritten. Erst seit den 1980er Jahren lassen sich vermehrt Tendenzen beobachten, diesem Desiderat zu begegnen, so dass inzwischen einige Untersuchungen zu künstlerischen Techniken einzelner Künstler und Künstlergruppen vorliegen. Insbesondere die impressionistische Maltechnik ist durch die technikgeschichtlichen Studien von Anthea Callen28 wie auch durch große Ausstellungsprojekte zu diesem Thema29 mittlerweile gut erschlossen. Verwiesen sei außerdem auf Matthias Krügers Studie zum Farbauftrag in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts30, an die diese Arbeit auch im Hinblick auf den dort gewählten rezeptionsgeschichtlichen Ansatz anknüpfen kann. Nicht zuletzt bildet die Materialikonografie eine wichtige methodische Grundlage, da die Erforschung künstlerischer Materialien immer auch die Praktiken ihrer Verarbeitung berührt. In diesem Zusammenhang ist an erster Stelle Monika Wagners Buch über die Materialien der 26 Ausst.-Kat. A Child of Six Could Do It! Cartoons about Modern Art, Tate Gallery, London 1973. 27 Stemmrich, Gregor: „High & Low: Kunst und Künstler des abstrakten Expressionismus in Karikaturenperspektive“, in: Hamburger Kunsthalle (Hg.): Konstruktionen der Moderne (= Im Blickfeld. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle), Hamburg 1994, S. 171-186. 28 Vgl. Callen, Anthea: Techniques of the Impressionists, London 1982 sowie Dies.: The art of Impressionism. Painting technique and the making of modernity, New Haven u.a. 2000. 29 Vgl. Ausst.-Kat. Art in the Making. Impressionism, hg. von David Bomford, Jo Kirby, John Leighton und Ashok Roy, The National Gallery London 1990 sowie Ausst.-Kat.: Impressionismus – Wie das Licht auf die Leinwand kam, Wallraf-Richartz Museum & Fondation Corboud, Köln 2008. 30 Krüger, Matthias: Das Relief der Farbe. Pastose Malerei in der französischen Kunstkritik 1850-1890, München u.a. 2007.

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Kunst im 20. Jahrhundert31 zu nennen, das diese Studie in vielerlei Hinsicht inspiriert hat. Um den heterogenen und vielgestaltigen Themenhorizonten und Bedeutungsanlagerungen der hier versammelten Karikaturen gerecht zu werden, lag eine diskursgeschichtliche Untersuchung nahe. Das im Rahmen der Materialerhebung zusammengetragene Material wurde nach Themenkomplexen gruppiert und in insgesamt fünf Kapiteln untersucht. Das erste Kapitel behandelt Diskurse, die im Zusammenhang mit den Salonausstellungen des 19. Jahrhunderts virulent wurden. Neben Karikaturen zum „Kampf der Schulen“, der meist als Duell zwischen Zeichenstift (Linie) und Pinsel (Farbe) visualisiert wurde, ist in einem zweiten Abschnitt auch der Aspekt der Produktionsgeschwindigkeit angesprochen. Karikaturen auf den Schlachtenmaler als rasenden Bildreporter zeigen, dass schnelles Malen nicht erst mit dem Aufkommen des Impressionismus zum Problem wurde32, sondern in der Figur des reisenden und unterwegs arbeitenden Künstlers schon wesentlich früher Gegenstand kontroverser Debatten war. Im darauffolgenden Kapitel geht es um die Übertragung handwerklicher und industrieller Werkzeuge und Produktionsmethoden in den Bereich der Kunst. Eine Scharnierstellung zwischen Kunst und Handwerk kam beispielsweise dem Pinsel zu, der oft als Bürste, Besen oder Wischmopp karikiert wurde. Mit den karikaturistischen Topoi ‚Maler als Maurer‘ und ‚Maler als Anstreicher‘ werden ambivalente Konstellationen immer neu ausgelotet, sind doch die Arbeitsgeräte aller drei Berufsgruppen – Spachtel, Pinsel und Farbrolle – tendenziell die gleichen. Einen eigenen Materialkomplex bilden Karikaturen auf maschinelle Herstellungsverfahren, die das künstlerische und literarische Motiv der Kunstmaschine ebenso aufscheinen lassen wie die moderne Problematik einer industrialisierten Kunst. Als besonders karikaturanfällig erwies sich die Pleinairmalerei, die im dritten Kapitel thematisiert wird. Einerseits reaktivierte die Karikatur im Bild des ‚faulen‘ Freilichtmalers einen alten Topos der Künstlerbiografik, während sie andererseits auch die schwierigen Begleitumstände des Malens im Freien reflektierte. Darüber hinaus wird die Figur des italienreisenden Pleinairisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Kristallisationspunkt nationaler Künstlerstereotypen, in denen die Maltechnik als Differenzierungsmerkmal präsentiert wird. Ein weiterer Textabschnitt behandelt die Problematik des Sichtbarwerdens künstlerischer Arbeitsprozesse und schlägt dabei den Bogen vom Pleinairismus zur performativ ausgerichteten Aktionsmalerei der 1950er Jahre. 31 Wagner, Monika: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001. 32 Vgl. Ausst.-Kat. Impression: Painting quickly in France, 1860-1890, hg. von Richard R. Bretell, National Gallery London 2000.

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Das vierte Kapitel fragt nach dem Verhältnis der Karikatur zu künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Theorien der Abstraktion und stellt zwei typische Bewertungsschemata vor: Zum einen brachte die Karikatur abstrakte Kunst mit den gestalterischen Leistungen von Geisteskranken, Kindern und Primaten in Verbindung und begab sich so in das Spannungsfeld einer primitivistisch argumentierenden Moderne. Zum anderen charakterisierte sie abstrakte Bilder als ‚Zufallsprodukte‘ und bediente sich damit einer Argumentationsfigur, die schon als satirische Erklärung für die Entstehung der impressionistischen tache herangezogen wurde. Das Argument des Zufalls knüpfte an antike Künstlertopoi an, erfuhr aber auch eine wissenschaftliche Ausdeutung in der Kunsttheorie des 19. und 20. Jahrhunderts. Im letzten Kapitel wird das umfangreiche Problemfeld so genannter ‚monochromer Bildwitze‘33 behandelt, das den gesamten Untersuchungszeitraum der Studie durchzieht. Unterschieden wird zwischen weißen Monochromen, die mit dem Bild der leeren Leinwand meist eine Arbeitsverweigerung des Künstlers reklamieren, und schwarzen Bildflächen, in denen das ‚Totmalen‘, also die Auslöschung künstlerischer Arbeit thematisiert wird. Als ein Sonderfall werden zeitgenössische Karikaturen auf die monochrome Malerei Yves Kleins betrachtet, die den Künstler auch zu eigenen humoristischen Darstellungen inspiriert haben. Ein Ausblick zu Karikaturen auf eine ‚Kunst ohne Werk‘, welche die Emergenz der Konzeptkunst in den 1960er Jahren begleiteten und das Verschwinden materieller Werkprozesse in den Blick nahmen, bildet den Abschluss der Arbeit. Eine strikte zeitliche Begrenzung erschien für den Gegenstandsbereich der Studie nicht sinnvoll, ihr Schwerpunkt liegt jedoch auf dem Zeitraum zwischen 1830 und 1970. Das Jahr 1830 bietet sich insofern als Ausgangspunkt an, als hier mit der Gründung der Pariser Satirezeitschrift La Caricature eine Tradition der europäischen Kunstkarikatur begonnen wurde, deren Hervorbringungen die Materialbasis dieser Arbeit bilden. Im selben Jahr erschien mit Carl Jacob Lindströms Karikaturensammlung I Stranieri in Italia34, auch eine der ersten Auseinandersetzungen der Karikatur mit der Figur des arbeitenden Künstlers, seinen Techniken und Verfahrensweisen. Im Zuge der Materialerhebung stellte sich heraus, dass das Interesse der Karikatur an künstlerischen Techniken im Lauf der 1960er Jahre allmählich abebbte. Zwar 33 Der Terminus „monochromer Bildwitz“ wurde von Raphael Rosenberg übernommen und wird im Folgenden für Karikaturen verwendet, welche die Repräsentation einer monochromen Farbfläche mit einer satirischen Bildlegende zur Kunstparodie verbinden. Vgl. Rosenberg, Raphael: „Abstrakte Bilder vor 1900 in Literatur, Karikatur und Esoterik“, in: Ausst.-Kat. Turner − Hugo – Moreau (2007), S. 273-309, hier S. 295 ff. 34 Lindström, Carl Jacob: I Stranieri in Italia, Neapel 1830, Reprint in: Mancini, Franco (Hg.): Carl Jacob Lindström e l’illustrazione di costume a Napoli, Neapel 1980

E INLEITUNG

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blieben Kunst und Künstler beliebte Themen, jedoch verschob sich der Fokus vom materiellen Schaffensakt zunehmend auf andere Aspekte. Die Mechanismen des Kunstmarktes und die Emergenz eines globalisierten Kunstbetriebs, in dem der Künstler nur noch einer von vielen Protagonisten ist, rückten nun stärker ins Blickfeld der Karikatur. Der szenische Rahmen des Galerieraums löste das Künstleratelier mehr und mehr als Handlungsort ab. Die Frage, warum dies so war, lässt sich mit Blick auf die weitere Kunstentwicklung und die Problematisierung des Atelierbegriffs um und nach 1970 zunächst hypothetisch beantworten. Ein wichtiger Punkt dürfte sein, dass die in den 60er Jahren aufkommenden Kunstströmungen der Minimal Art und Konzeptkunst den Herstellungsvorgang zunehmend an Maschinen und professionelle Produzenten delegierten, ein Vorgang, der mit dem Begriff Deskilling beschrieben wird.35 Die Tätigkeit des Künstlers wurde weitgehend vom physischen Akt der Werkschöpfung abgekoppelt und war deshalb auch für die Karikatur nicht mehr in gewohnter Weise greif- und angreifbar. Vor dem Hintergrund einer allseits konstatierten Krise des Ateliers36 betonte der französische Konzeptkünstler Daniel Buren in einem Essay von 1970/71 dennoch dessen Bedeutung als Ursprungsort, Rahmen und Hülle des Kunstwerks und schlug vor, die Arbeit auch in diesem Rahmen, zwischen „allen möglichen Utensilien und anderen noch unvollendeten wie vollendeten Werken“ sichtbar zu machen.37 Obwohl Buren sich mit dieser Überlegung in erster Linie institutionskritisch gegen den „Friedhofseindruck“38 des Museums richtete, lieferte er zugleich die Grundlage für eine Musealisierung des Ateliers, die in den folgenden Jahren von Künstlern wie Bruce Nauman, Dieter Roth, Martin Kippenberger und Carolee Schneemann als Motiv und Strategie weiter verfolgt wurde. In dem Maße aber, in dem das Atelier seinen exklusiven Status als geheimnisvoller Ort einbüßte − ein Prozess, der schon mit den Fotos und Filmaufnahmen des arbeitenden Jackson Pollock begonnen hatte − verlor die Arbeit des Künstlers an Attraktivität für die Karikatur. Die zur Entste35 Vgl. Roberts, John: The Intangibilities of Form. Skill and Deskilling in Art After the Readymade, London u.a. 2007 sowie Petry, Michael: The Art of Not Making: The New Artist/Artisan Relationship, London 2011. 36 Ein Überblick über die mit diesem Befund zusammenhängenden Debatten findet sich in: Davidts, Wouter/Paice, Kim (Hg.): The Fall of the Studio. Artists at Work, Amsterdam 2009. 37 Buren bezieht sich dabei auf Constantin Brancusis Atelierfotografien der 1930er Jahre, die seiner Meinung nach einen bewussten Gegenentwurf zur Ästhetik des Museumsraumes darstellten. Vgl. Buren, Daniel: „Funktion des Ateliers“, in: Ders.: Achtung! Texte 1967-1991, hg. von Gerti Fietzek und Gudrun Inboden, Dresden u.a. 1995, S. 152-167, hier S. 166 f. 38 Ebd., S. 159.

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hung von Komik notwendige Fallhöhe zwischen einem idealisierten Bild künstlerischer Arbeit und der Banalität der tatsächlichen Atelierpraxis war angesichts dieser Entwicklungen offenbar nicht mehr in ausreichendem Maße gegeben. In der zeitgenössischen Kunst übernehmen heute vielfach Künstler die Rolle des Karikaturisten, indem sie die Ideologien und Mythen künstlerischer Produktion dekonstruieren und ironisch-kritisch befragen. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die 1995 entstandene Videoperformance Painter des US-amerikanischen Künstlers Paul McCarthy, die sämtliche Klischees des arbeitenden Malers mit provokantem Sarkasmus in Szene setzt und dabei die gesamte Klaviatur karikaturistischer Stereotypen bedient.39 Angesichts einer so offen selbstparodistisch agierenden künstlerischen Praxis stellt sich in der Tat die Frage, was Karikatur zu einem aktuellen Diskurs um die Arbeit des Künstlers noch beitragen kann. Wie sich die Karikatur zur Kunst der Gegenwart positioniert und wie das traditionell komplexe Verhältnis beider Gattungen zu Beginn 21. Jahrhundert zu denken ist, lässt sich aus heutiger Perspektive nur punktuell beantworten. Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob und wie die Karikatur ihren einzigartigen Charakter als „närrisches Archiv“ der Kunstgeschichte in Zukunft bewahren kann.

39 Paul McCarthy: Painter, 1995, Videoperformance, 50:04 Min., Colour, Sound.

Akademiker und Antipoden: Malen für den Salon

D ER K AMPF

DER

S CHULEN

Das 19. Jahrhundert war eine Zeit tiefgreifenden künstlerischen Wandels. Die über viele Generationen gewachsene Autorität der Akademien wurde durch neue Kunstströmungen herausgefordert, die die akademischen Traditionen, Regeln und Hierarchien in Frage stellten. Besonders in der Malerei entstanden neue Konzepte künstlerischer Arbeit, die den veränderten Gestaltungsabsichten in Romantik, Realismus und Impressionismus entsprachen. Gleichzeitig entwickelte sich mit der Massenpresse auch die Kunstkarikatur als neuer Modus des Nachdenkens und Debattierens über Kunst. Beide Entwicklungen kulminierten um die Jahrhundertmitte in Paris. Die Rede von einem „Kampf der Schulen“ gehört zu den Topoi der französischen Kunsttheorie. Bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatte sich der von dem Maler und Kunstkritiker Roger de Piles angestoßene Konflikt zwischen den Anhängern des „Koloristen“ Peter Paul Rubens und des die Zeichnung stärker gewichtenden Nicolas Poussin zu einer Debatte ausgewachsen, die heute unter der Bezeichnung „querelle du coloris“ bekannt ist.1 Vorgeprägt war der Disput um Farbe und Zeichnung ebenso wie die Figur eines combat des écoles indes schon in den Künstlerrivalitäten der Renaissance, beispielsweise zwischen Raffael (oder Tizian)

1

Vgl. Ausst.-Kat. Rubens contre Poussin: la querelle du coloris dans la peinture française à la fin du XVIIe siècle, Musée des Beaux-Art d’Arras, Gent 2004. Zu einer kunsttheoretischen Reflexion der Debatte vgl. Teyssèdre, Bernard: Roger de Piles et les débats sur le colouris au siècle de Louis XIV, Paris 1957 sowie Puttfarken, Thomas: Roger de Piles’ theory of art, New Haven 1985. Eine weitere Diskussion der Debatte findet sich bei Lichtenstein, Jacqueline: Eloquence of Color: Rhetoric and Painting in the French Classical Age, Berkeley 1993, hier besonders S. 138-168.

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und Michelangelo.2 Als sich in Paris in den 1820er Jahren ein Antagonismus zwischen dem Klassizismus, repräsentiert durch seinen Hauptvertreter Jean-AugusteDominique Ingres, und der Malerei der romantischen Schule, angeführt von Eugène Delacroix, herauszubilden begann, konnte die französische Kunstkritik also bereits auf etablierte Topoi und erprobte rhetorische Muster zurückgreifen. Die Rivalität zweier ebenbürtig erfolgreicher und dabei sehr unterschiedlicher Künstlerpersönlichkeiten wurde zum paradigmatischen Fall einer querelle des anciens et des modernes stilisiert, einer zentralen Entwicklungs- und Denkfigur im französischen Kunstdiskurs des 19. Jahrhunderts.3 Dem klassizistischen Maler Ingres, der seit 1843 eine Professur an der École des Beaux-Arts innehatte und ihr seit 1850 als Direktor vorstand, kam dabei die Rolle des konservativen Traditionalisten zu, während Delacroix, erst seit 1856 Mitglied der École, der Part des innovativen, romantischen Neuerers zugewiesen wurde. Die Argumente für eine solche Klassifizierung sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden.4 Entscheidend ist, dass die Neuauflage der Debatte im 19. Jahrhundert eine Differenzierung erfuhr, die die Bewertung künstlerischer Techniken und Verfahrensweisen betraf. Als Neuerung ist außerdem der Beitrag der Karikatur anzusehen, die in den 1840er Jahren erstmals kommentierend zu kunsttheoretischen Fragen Stellung bezog und der Auseinandersetzung eine bisher ungekannte bildsatirische Ebene hinzufügte.

2

Zur Bedeutung dieser Vorgeschichte für die französischen Debatten vgl. Puttfarken, Thomas: „Les origines de la controverse ‚disegno – colorito‘ dans l’Italie du Cinquecento“, in: Ausst.-Kat. Rubens contre Poussin (2004), S. 11-20.

3

Auch Charles Baudelaire charakterisiert die Rivalität der beiden Künstler mit der Metapher des Kampfes, wenn er schreibt: „Eugène Delacroix und Ingres teilen sich in die Gunst und den Haß des Publikums. Seit langem schon hat die öffentliche Meinung einen Kreis um sie gebildet wie um zwei Ringkämpfer.“ Baudelaire, Charles: „Die Weltausstellung 1855. Die schönen Künste“ (1855), in: Ders.: Der Künstler und das moderne Leben. Essays, „Salons“, intime Tagebücher, hg. von Henry Schumann, Leipzig 1990, S. 138164, hier S.155.

4

Für eine ausführliche zeitgenössische Betrachtung vgl. Chesneau, Ernest: La peinture française au XIXe siècle. Les chefs d’école, Paris 1862, S. 251-294 (Ingres) sowie S. 311-392 (Delacroix). Darüber hinaus wird der der Antagonismus der beiden Künstler in unzähligen zeitgenössischen Salonkritiken zementiert. Eine Analyse der Debatte aus Sicht des 20. Jahrhunderts liefert u.a. Gerlach, Gunnar F.: „Ingres und Delacroix. Historische und kunsttheoretische Hintergründe ihres Antagonismus“, in: Ausst.-Kat. Ingres und Delacroix. Aquarelle und Zeichnungen, hg. von Ernst Goldschmidt und Götz Adriani, Kunsthalle Tübingen 1986, S. 17-23. Vgl. außerdem Shelton, Andrew Carrington: „Ingres versus Delacroix“, in: Siegfried, Susan/Rifkin, Adrian (Hg.): Fingering Ingres, Oxford 2001, S. 76-92.

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Abbildung 1: Bertall: République des arts

Journal pour rire, 28.07.1849, o. S.

Am 28. Juli 1849 veröffentlichte das Pariser Journal pour rire eine mit Karikaturen illustrierte Revue Comique, in der Bertall (eigtl. Charles Albert d’Arnoux, 18201882), einer der bekanntesten Karikaturisten des Second Empire, seine Kritik der aktuellen Salonausstellung mit den politischen Umwälzungen nach dem Revolutionsjahr 18485 in Verbindung brachte. Eine der Karikaturen zeigt Ingres und Delacroix, die beiden rivalisierenden chefs d’écoles, als einander duellierende Ritter (Abb. 1). Der Kampf ereignet sich auf dem Vorplatz des Palais de l’Institut der Académie Française, dessen Giebelinschrift der Zeichner zu „Hôtel des Invalides de l’Art“ („Haus der Kunst-Invaliden“) umdichtete. Der unmittelbare Anlass der 5

Die Februarrevolution beendete am 24. Februar 1848 die Herrschaft des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe I. Einen Tag später wurde die Zweite Französische Republik ausgerufen, die jedoch nur bis 1852 Bestand hatte. Die Abschaffung der Monarchie hatte auch Konsequenzen für den kulturellen Sektor, mit denen sich Bertall in seiner Revue Comique auseinandersetzte. So war die Salonausstellung 1849 erstmals unjuriert, was vielen Künstlern die ersehnte Möglichkeit zur Teilnahme verschaffte, aber auch einen Qualitätsabfall bewirkte. In der Revue heisst es polemisch, man bedauere den Sturz der Monarchie vor allem aus diesem Grunde: „[N]ous avons nos regrèts pour la monarchie [...] bien à cause de certaines institutions parmi lequelles, en premier ligne, se trouve le jury. Où est il donc, bon Dieu, ce ravissant jury qui fonctionnait si bien sous la monarchie?“ Revue Comique, in: Journal pour rire, 28.07.1849, o. S.

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Karikatur könnte, wie auch Andrew Carrington Shelton vermutet6, die Ablehnung Delacroix’ gewesen sein, der sich 1849 zweimal erfolglos um einen Sitz in der Académie beworben hatte7, während Ingres der Institution bereits seit 1824 angehörte. In Bertalls Karikatur mit dem auf die politischen Verhältnisse anspielenden Titel République des Arts begegnen sich die Kontrahenten im Habitus mittelalterlicher Lanzenreiter, wobei ihre Bewaffnung sich aus den jeweils bevorzugten Arbeitswerkzeugen zusammensetzt. Während Ingres einen überdimensionierten Stifthalter mit gefährlich angespitztem Bleistift als Lanze benutzt, pariert Delacroix den Angriff mit einem riesigen, buschigen Pinsel, an dessen unterem Ende als „Munition“ noch ein Farbeimer baumelt. Im Gegensatz dazu trägt Ingres’ Pferd ein Stück Malkreide um den Hals, wie es bei der Vorzeichnung eines Motives auf der Leinwand verwendet wurde – ein Requisit des ‚Linienkünstlers‘, mit dem sich Ingres bereits in einem frühen Selbstporträt von 1804 dargestellt hatte.8 Delacroix verteidigt sich mit einem Schild, den er wie eine Farbpalette durch das Daumenloch hält, während sich sein Gegner mit einem gewöhnlichen ovalen Schild wappnet. In Bertalls Interpretation des combat des écoles um den Primat der Linie respektive der Farbe werden die mit den jeweiligen Schulen assoziierten Malinstrumente als Waffen eingesetzt und erscheinen gleichzeitig, wie schon in früheren Karikaturen, als Attribute der karikierten Künstler Ingres und Delacroix.9 In die Darstellung ist Text eingebettet, der weitere Deutungsansätze bereithält. So sind beide Figuren mit Schriftzügen versehen, die gleichsam als Slogans für ihre jeweiligen Positionen fungieren. Delacroix’ Farbeimer trägt die Aufschrift „La ligne n’est qu’une couleur“ („Die Linie ist nichts als eine Farbe“), auf der Schabracke seines Pferdes findet sich der Schriftzug „La nuit seulement tous le chats sont gris“ („Nur nachts sind alle Katzen grau“) sowie „Rafael est un rafale“ (etwa: „Raffael ist eine Gewehrsalve“). Letzteres Wortspiel mit dem akustischen Gleichklang von Rafael und rafale könnte in diesem Zusammenhang auch als Hinweis auf das harte Durchgreifen der französischen Armee während der Februarrevolution und des Juniaufstands von 1848 verstanden werden. Rafael, Vorbild der Akademiekünstler, wäre damit dem konservativen, politisch rechts stehenden Lager zugeordnet. Ana6

Vgl. A. C. Shelton: Ingres versus Delacroix, S. 86.

7

Vgl. Hautecœur, Louis: „Delacroix et l’Académie des beaux-arts“, in: Gazette des beauxarts, Bd. 62, Nr. 1139 (Dezember 1963), S. 351-352.

8

Jean-Auguste Dominique Ingres: Autoportrait à vingt-quatre ans, 1804, Öl auf Leinwand, 77 x 64 cm, Musée Condé, Chantilly.

9

Als Attribute der rivalisierenden Künstler Ingres und Delacroix erscheinen Pinsel und Zeichenstift bereits 1846 in einer anderen Karikatur von Bertall. Obwohl auch diese frühere Darstellung den Topos des combat des écoles behandelt, werden die Malwerkzeuge dort noch nicht als Waffen eingesetzt.Vgl. Bertall: La Musique. La Peinture. La Sculpture, in: Le Diable à Paris, Bd. 2, Paris 1846. Vgl. Shelton (2001), S. 84 f.

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log zu diesem möglicherweise politisch motivierten Wortspiel trägt die Schabracke von Ingres’ Pferd die Aufschrift „Rubens est un rouge“ („Rubens ist ein Roter“, sprich: ein Linker). Darüber steht das abgewandelte Glaubensbekenntnis „Il n’y a de gris que le gris et M. Ingres est son prophète“ („Es gibt kein Grau außer dem Grau und M. Ingres ist sein Prophet“), während Ingres’ Schild mit den Slogans „Vive la ligne!“ („Es lebe die Linie!“) und „La couleur est une utopie“ („Die Farbe ist eine Utopie“, sprich: ein Hirngespinst) versehen ist. Indem Bertall Raffael und Rubens als Gewährsmänner der beiden verfeindeten Schulen aufrief, griff er weit zurück in die Vergangenheit, wo der Konflikt um couleur oder dessin in der Malerei seinen Ausgangspunkt hatte. Gleichzeitig untermauerte er mit den politischen Anspielungen die um die Jahrhundertmitte stark ausgeprägte Tendenz, den beiden großen Pariser Malerschulen eine politische Ausrichtung zu unterstellen. Spätestens seit den 1830er Jahren wurde der Klassizismus als auch politisch konservative oder sogar reaktionäre Kunstrichtung betrachtet, während die Malerei der Romantik mit revolutionären Tendenzen assoziiert und mit der politischen Linken in Zusammenhang gebracht wurde.10 Der Kampf der Schulen wird auf diese Weise mit den innenpolitischen Kämpfen Frankreichs in den unruhigen Jahren um 1850 analogisiert. Dieser Sichtweise entspricht auch die Anordnung der Figuren im Bild, in dem Delacroix die linke und Ingres die rechte Seite einnimmt. Im Begleittext wird dieser Aspekt weiter verfolgt: Ingres wird mit dem konservativen Politiker und ehemaligen Minister Adolphe Thiers (1797-1877) verglichen, während Delacroix als Parteigänger von Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865), dem prominenten Vertreter radikal linker, anarchistischer Anschauungen erscheint. Für den Zusammenhang dieser Arbeit weitaus zentraler als die politischen Dimensionen einer vermeintlich „rechten“ Linie und „linken“ Farbe sind jedoch die kunsttheoretischen und technikgeschichtlichen Anteile dieser Debatte, die im Begleittext der Karikatur auch den größeren Raum einnehmen. Dort heißt es: „Duel à outrance entre M. Ingres, le Thiers de la ligne et M. Delacroix, le Proudhon de la couleur. Il n’y a point de quartier à espérer; si M. Ingres triomphe, la couleur sera proscrite sur toute la ligne, et l’insurgé que l’on trouverait muni de la moindre vessie sera livré aux dernier supplices. Si Delacroix est vainqueur, on interdira la ligne avec tant de rigueur que le gens surpris à pêcher à la ligne sous le Pont-Neuf seront immédiatement passés par les armes.

10 Vgl. A. C. Shelton: Ingres versus Delacroix, S. 86 ff. Dem Klischee von Delacroix als Anführer der politischen Linken in der Kunst widerspricht die Tatsache, dass der Künstler bereits unter Louis Philippe als Historienmaler ein erfolgreicher Staatskünstler war, der zahlreiche Regierungsaufträge erhielt.

28 | DIE A RBEIT DES K ÜNSTLERS IN DER K ARIKATUR Queques personnes ont bien osé parler de fusion entre la ligne et la couleur; mais ce projet a paru si ridicule et si extravagant, que nous n’en parlon ici que pour mémoire.“11

Bertall schilderte die Auseinandersetzung über das Verhältnis von Farbe und Linie in der Malerei als eine erbitterte Kontroverse und reflektierte damit eine Entwicklung, die gegen Ende der 1840er Jahre tatsächlich ihren Höhepunkt erreicht hatte. Eine Synthese beider Tendenzen, wie sie noch in den 1830er Jahren von dem Kritiker Théophile Thoré, auf den die Wendung „quelques personnes“ vermutlich gemünzt ist, gefordert worden war12, und wie sie auch Delacroix seinerzeit noch angestrebt hatte, schien nach 1845 nicht mehr möglich. In einer Auswertung der Journale von Delacroix konnte Karl Schawelka nachweisen, dass der Künstler das Konzept eines Ausgleichs von dessinateurs und coloristes spätestens um die Jahrhundertmitte aufgab und als eklektizistisch verdammte.13 Ingres hatte der Linie von Anfang an den Vorrang gegenüber der Farbe eingeräumt, was sich anhand zahlreicher Äußerungen belegen lässt.14 Auch der Kunstkritiker Arsène Houssaye (1815-1896) schilderte das Verhältnis von romantischer und klassizistischer Schule 1846 als unauflösbaren Gegensatz und verwendete dabei, trotz des romantisch-schwärmerischen Grundtons, ebenfalls Metaphern aus dem militärischen Bereich:

11 „Duell auf Leben und Tod zwischen M. Ingres, dem Thiers der Linie, und M. Delacroix, dem Proudhon der Farbe. Es bleibt nichts zu hoffen: Wenn M. Ingres triumphiert, wird die Farbe ganz von der Linie verbannt und der Aufrührer, den man mit der kleinsten Farbblase antrifft, wird auf das Äußerste bestraft. Wenn Delacroix der Sieger ist, wird die Linie so streng untersagt, dass die Leute, die man beim Angeln unter dem Pont-Neuf ertappt, auf der Stelle erschossen werden. Einige Leute haben es tatsächlich gewagt, von einer Verbindung zwischen der Linie und der Farbe zu sprechen; aber dieses Vorhaben erscheint so lächerlich und extravagant, dass wir es hier nur der Erinnerung halber erwähnen. [Übers. d. Autorin]“ Bertall: „Revue Comique“, in: Journal pour rire, 28.07.1849, o. S. 12 Vgl. A. C. Shelton: Ingres versus Delacroix, S. 82. 13 Schawelka, Karl: Delacroix. Sieben Studien zu seiner Kunsttheorie, Mittenwald 1979, S. 113 ff. 14 Die folgende Äußerung belegt, dass Ingres die Linie in der Malerei der Farbe überordnete, was sich auch auf sein Konzept der Künstlerausbildung auswirkte: „Le dessin comprend les trois quarts et demi de ce qui constitue la peinture. Si j’avais à mettre une enseigne au-dessus de ma porte, j’écrirais: Ecole de dessin, et je suis sûr que je ferais des peintres.“ Zit. nach: Courthion, Pierre (Hg.): Ingres raconté par lui-même et par ses amis, ses contemporains, sa posterité, 2 Bde., Genf 1948, hier Bd. 1, S. 56.

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„Il y a aujourd’hui deux écoles distinctes, la raison et la fantaisie, le crayon et la palette, le contour et l’effet. Dans le premier camp se retrouvent Ingres, Scheffer, Delaborde, Gleyre, Aligny, Chenavard, Lehmann, Flandrin. De ce côté-là, le génie revêt un caractère d’austerité, une forme savante et traditionelle [...]. Dans l’autre camp, c’est Delacroix, Decamps, Diaz, Couture, Muller, Corot, Leleux – c’est la liberté qui va toute jeune et toute enivrée de poésie, sans traditions, emportant so génie dans son âme; elle va comme l’imprévu, sans savoir où, secouant du pied la rosée du matin.“15

Die Rede von der Spaltung der großen Malerschulen in zwei verfeindete „Lager“ ist also ein Topos, der auch in der textuellen Kunstkritik begegnet. In der Karikatur wurde die Metapher des Kampfes jedoch erstmals auf eine prägnante Bildformel gebracht. Dabei veränderte sich auch die Bedeutung, die den Malwerkzeugen und damit der künstlerischen Technik beigemessen wurde. Als „Waffen“ im karikierten Kampf der Schulen rückten Pinsel, Palette, Zeichenstift und Malkreide ins Zentrum der Aufmerksamkeit, während metaphysische Aspekte wie der Antagonismus von Verstand und Fantasie, von Tradition und Freiheit in den Hintergrund traten. Die Karikatur bewirkte so eine Akzentverschiebung zugunsten der physischen Seite künstlerischer Produktion. In Bertalls République des Arts sind die Werkzeuge Bedeutungsträger, sie symbolisieren komplexe kunsttheoretische Systeme. Ihre komische Wirkung ergibt sich indes aus der Fallhöhe von der metaphysischen Begründung romantischer bzw. idealistischer Malerei zu ihren ‚niederen‘, materiellen Voraussetzungen. Nicht umsonst ähnelt Delacroix’ buschiger Pinsel dem emporfliegenden Schweif seines Pferdes, während der Schweif von Ingres’ Pferd zu einer Art Knoten gebunden ist. Von diesem Pinsel ist es in der Tat nur noch ein kleiner Schritt zum ‚balai ivre‘, dessen Gebrauch Delacroix polemisch nachgesagt wurde.16 Sechs Jahre nach der Veröffentlichung von Bertalls République des arts griff Honoré Daumier das Thema in einer Karikatur für den Charivari auf und prägte mit der titelgebenden Metapher Combat des écoles eine im Folgenden häufig gebrauchte Wendung für den Richtungsstreit zweier gegensätzlicher Kunstauffassungen 15 „Es gibt heute zwei voneinander verschiedene Schulen, den Verstand und die Fantasie, den Zeichenstift und die Palette, den Kontur und den Effekt. Im ersten Lager befinden sich Ingres, Scheffer, Delaborde, Gleyre, Aligny, Chenavard, Lehmann, Flandrin. Auf dieser Seite nimmt das Künstlertum einen Charakter der Strenge an, eine gelehrte und traditionsgemäße Form [...]. Im anderen Lager sind Delacroix, Decamps, Diaz, Couture, Muller, Corot, Leleux - das ist die Freiheit, die ganz jugendlich und ganz berauscht von Poesie, ohne Traditionen, ihr Künstlertum in ihrer Seele mit sich trägt; sie kommt unerwartet, ohne zu wissen wohin, und schüttelt den Morgentau von ihrem Fuße.“ [Übers. d. Autorin], Arsène Houssaye, in: L’Artiste, 1846, zit. nach: K. Schawelka: Delacroix, S. 113. 16 Vgl. den Abschnitt „Bürste, Besen und Wischmopp“ in diesem Buch.

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(Abb. 2). Es handelt sich um eine der populärsten Karikaturen des Künstlers, die zur Illustration des Richtungsstreites in der französischen Malerei immer wieder herangezogen wird.17 Eine sorgfältige Analyse der Darstellung, ihrer verschiedenen Ebenen und Kontexte, bleibt jedoch meist aus. Abbildung 2: Honoré Daumier: Combat des écoles

Le Charivari, 24.04.1855, o. S.

In Daumiers Combat des écoles sind die Gegner nicht mehr Klassizismus und Romantik, sondern, so die Bildunterschrift, L’Idéalisme et le Réalisme. Während der Begriff Idealismus in Daumiers Verwendung faktisch mit dem Klassizismus gleichzusetzen ist, bezeichnet der Terminus Realismus eine neue Tendenz, die sich im Anschluss an die Malerei der Romantik seit der Jahrhundertmitte herausgebildet hatte. Als Begründer dieser neuen und höchst kontrovers diskutierten Richtung, der auch Daumier selbst angehörte, galt Gustave Courbet (1819-1877), der mit programmatischen Werken wie den Casseurs de pierre (1849) und dem Enterrement à Ornans (1850) im Salon für Aufsehen gesorgt hatte. 1855, im Publikationsjahr der Karikatur, präsentierte Courbet rund vierzig Werke in einem selbst errichteten Pa17 Vgl. zum Beispiel Müllerschön, Bernd/Maier, Thomas: „Zurück zur Natur. Die Maler von Barbizon und die neue ‚paysage intime‘“, in: Ausst.-Kat. Hinaus in die Natur! Barbizon, die Weimarer Malerschule und der Aufbruch zum Impressionismus, Klassik Stiftung Weimar 2010, S. 29-35, hier S. 32. Die Karikatur ist in zahlreichen DaumierMonografien publiziert, u.a. in: Fleischmann, Benno: Honoré Daumier. Gemälde – Graphik, Wien 1930, S. 164 sowie in Vincent, Howard P.: Daumier and his World, Evanston 1968, S. 162. Für eine ausführlichere Interpretation vgl. A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 206 ff.

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villon, dessen Eingangsportal mit „Le Réalisme“ überschrieben war. Diese selbstbewusste Gegenausstellung zur offiziellen Malereipräsentation auf der parallel stattfindenden Exposition universelle hatte dem Realismus einen großen Zuwachs an öffentlicher Aufmerksamkeit eingebracht, so dass Daumier mit seiner Darstellung an eine tages-aktuelle Debatte anknüpfen konnte. Die querelle des anciennes et des modernes, die schon zwischen Ingres und Delacroix bestanden hatte (und weiterhin bestand), erfuhr mit der Konfrontation von Ingres und dem beinahe vierzig Jahre jüngeren Courbet eine Verschärfung. Anders als Bertall wählte Daumier in seiner Darstellung jedoch nicht den Modus der Porträtkarikatur, sondern ließ die Kontrahenten als Personifikationen der von ihnen vertretenen Malstile auftreten: Der Idealismus erscheint in ‚idealer‘, antikischer Nacktheit, während der Realismus in bäuerlicher Kleidung mit Holzschuhen18 und untersetztem Körperbau dargestellt wird. Durch diese Entpersonalisierung wird die Aussage der Karikatur verallgemeinert: Sie thematisiert nun nicht mehr eine konkrete Künstlerrivalität, sondern versteht sich als allgemeiner Kommentar zur aktuellen Kunstentwicklung, oder, wie es Anette Wohlgemuth ausdrückt, als „Positionsbestimmung der Kunst“.19 Dass ein solcher Zustandsbericht am Vorabend der ersten Pariser Weltausstellung ein Anliegen der Kunstkritik gewesen sein musste, liegt auf der Hand. Im Gegensatz zu Bertall verzichtete Daumier auf Wortspiele und ergänzende Texte, stattdessen enthält seine Karikatur auf der Bildebene gleich mehrere Anspielungen auf die französische Kunst. Zunächst handelt es sich bei der Szene um die Parodie eines Hauptwerks der idealistischen Schule. Die Kontrahenten sind den Hauptfiguren aus Jacques-Louis Davids Sabinerinnen von 1799 nachempfunden, das bereits zur Zeit der Publikation von Daumiers Karikatur dauerhaft im Louvre ausgestellt war (Abb. 3). Der personifizierte Idealismus ist eine Parodie auf die Figur des Romulus, während die Körperhaltung des Realismus derjenigen des Sabinerkönigs Titus Tatius aus Davids Gemälde entspricht.20

18 Allein die Holzschuhe waren für einen zeitgenössischen Betrachter ausreichend, um in der Figur eine Anspielung auf Gustave Courbet zu erkennen. In den zahlreichen Karikaturen auf Courbet sind die Schuhe ein wiederkehrendes Attribut des Künstlers, das als Hinweis auf sein bäuerliches Bildpersonal sowie als Chiffre für seine eigene ländliche Herkunft eingesetzt wurde. Darüber hinaus verweisen die Holzschuhe auch auf die niederländische Genremalerei, die als vorbildhaft für den Realismus angesehen wurde. 19 A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 208. 20 Eine ähnliche Figur findet sich auch in Ingres’ berühmtem Debutbild Achill empfängt die Bittgesandtschaft des Agamemnon, für das der Künstler 1801 den Prix de Rome erhalten hatte. Bei der betreffenden Figur, mit der Ingres wohl das David-Bild zitierte, handelt es sich um den antiken Helden Phönix.

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Abbildung 3: Jacques-Louis David: Les Sabines, 1799, Öl auf Leinwand, 385 x 522 cm, Musée du Louvre, Paris

© bpk / Musée du Louvre, Dist. RMN – Grand Palais / Angèle Dequier

Kleidung und Physis der Daumier-Figur erinnern jedoch weniger an den antiken Heroen als an den älteren der beiden Steinklopfer aus Courbets gleichnamigem Gemälde, das bei seiner Präsentation im Salon von 1851 ein ebenso lebhaftes wie kontroverses Echo in der Kunstkritik ausgelöst hatte (Abb. 4). Sowohl Davids Sabinerinnen als auch Courbets Steinklopfer können als Programmbilder für die von ihren jeweiligen Schöpfern vertretene Kunstrichtung gelten und waren dem zeitgenössischen Kunstpublikum bekannt. Daumier konnte also mit einem Wiedererkennungseffekt rechnen und davon ausgehen, dass seine Leser die gewünschte Verknüpfung herstellten. Dreißig Jahre nach dem Tode Davids bezog sich Daumiers Idealismus-Karikatur auf die zahlreichen, den akademischen Kunstbetrieb noch immer dominierenden Epigonen des großen Klassizisten, deren Vorliebe für die helmgeschmückten Heldenfiguren der Antike ihnen den Spottnamen „pompiers“ (Feuerwehrmänner) eingebracht hatte.21 Um die Jahrhundertmitte wurden die pompiers von der nachwachsenden, progressiv eingestellten Künstlergeneration heftig attackiert, wobei Courbet als Anführer dieser Gegenbewegung galt. Zusätzliche Brisanz gewann der Konflikt durch die Tatsache, dass Courbet für seine Genrebilder, auch für die Steinklopfer, ein monumentales, traditionell der Historienmalerei

21 Vgl. King, Ross: Zum Frühstück ins Freie. Manet, Monet und die Ursprünge der modernen Malerei, München 2007, S. 297.

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vorbehaltenes Format gewählt hatte. Dieser Verstoß gegen die traditionelle Gattungshierarchie wurde als massive Provokation aufgefasst: Courbet ersetzte die Heroen aus Mythos und Geschichte durch gewöhnliche, ‚schmutzige‘ Arbeiter, deren Körper deutlich die Spuren der von ihnen verrichteten Arbeit zeigten.22 Die Konfrontation von antiken Helden und höchst gegenwärtigen Vertretern der unteren Gesellschaftsschichten fand zur Entstehungszeit der Karikatur also nicht nur auf den Seiten der Satiremagazine, sondern auch an den Wänden des Salons statt. Abbildung 4: Gustave Courbet: Les cassuers de pierre, 1849, Öl auf Leinwand, 159 x 259 cm, ehemals Dresden, Gemäldegalerie (zerstört)

The Yorck Project, DVD-ROM, 2002. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH

Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch hier die Malwerkzeuge der Kontrahenten, die in Daumiers Combat des écoles − wie schon bei Bertall − die Funktion von Waffen übernehmen. Sie erscheinen umso interessanter, als auch die zitierten Vorbildfiguren, Davids Romulus und Titus Tatius sowie Courbets Straßenarbeiter, Requisiten mit sich tragen, die Daumier in seiner Karikatur durch Gegenstände aus der Atelierpraxis ersetzte. So hält die Figur des Romulus in der rechten Hand einen langen Speer, der in der Karikatur zum Malstock umgedeutet wurde. Dieses Werkzeug, das zur Stabilisierung der malenden Hand verwendet wurde, verweist auf die Praxis der Feinmalerei. Der Malstock war in der klassizistischen Malerei ein gängi22 Vgl. Nungesser, Michael: „‚Und selbst die sociale Frage zieht ein in die weit geöffneten Pforten der Kunst‘. Die Steinklopfer im Spiegel der Kritik“, in: Herding, Klaus (Hg.): Realismus als Widerspruch. Die Wirklichkeit in Courbets Malerei, Frankfurt am Main 1978, S. 177-193.

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ges Hilfsmittel zur Disziplinierung der Hand. Er kam überall dort zur Anwendung, wo Präzision und illusionistische Detailgenauigkeit angestrebt wurden. Eine an der Bildoberfläche sichtbare Künstlerhandschrift, die touche, wurde durch den Einsatz eines Malstocks vermieden. In der realistischen Malerei, wie bereits zuvor in der Malerei der Romantik, galt die sichtbare touche dagegen als positive Qualität eines Gemäldes, der Malstock spielte daher in der Atelierpraxis der Realisten kaum eine Rolle.23 Dementsprechend hält Daumiers Personifikation des Realismus in ihrer rechten Hand anstelle des Malstocks einen dickborstigen Rundpinsel, der auf ihre Technik der sichtbaren Pinselzüge verweist. Auffällig ist dabei die Haltung der Hand, die den Pinsel nicht wie ein Malinstrument, sondern wie ein wesentlich gröberes Werkzeug umgreift. Im Gegensatz zum ‚Idealismus‘, der den Malstock etwas geziert zwischen Daumen und Mittelfinger hält, zeigt der ‚Realismus‘ eine fest um den Pinselstiel geschlossene Faust. In Daumiers Karikatur ersetzt der Pinsel den langstieligen Hammer des Steinklopfers, dem die Personifikation des Realismus nachgebildet ist. Die implizite Identifikation von Pinsel und Hammer sowie von Maler und Steinklopfer verweist neben ihren politischen Verflechtungen24 auch auf eine neue Bewertung der physischen Arbeit des Künstlers. Courbet, der von zeitgenössischen Kritikern selbst als „Steinklopfer seiner Kunst“25 bezeichnet wurde, erscheint als ein neuer, ‚proletarischer‘, die materielle Seite der Produktion stärker betonender Künstlertypus.26 Richard Muther erklärte ihn in seiner Geschichte der Malerei von 1893 gar zu einem „Zertrümmerer“ der Malereitradition. Diese Einschätzung wiederholt die karikierende Verknüpfung von Pinsel und Hammer und reaktiviert gleichzeitig die Metaphorik des Kampfes. Der Künstler wird eins mit seinen Figuren: „Ausgestattet mit der Kraft eines Simson, der den Tempel der Phi-

23 Entsprechend befindet sich unter den Werkzeugen in Courbets programmatischem Atelierbild auch kein Malstock. Vgl. Gustave Courbet: L’Atelier du peintre, 1855, Öl auf Leinwand, 361 x 598 cm, Musée d’Orsay, Paris. 24 Vgl. M. Nungesser: ‚Und selbst die sociale Frage zieht ein in die weit geöffneten Pforten der Kunst‘. 25 Camille Lemonnier zufolge besteht die hervorstechendste Qualität des Künstlers in der Wiedergabe der (groben) Materialität seiner Bildgegenstände. Die intellektuelle Seite der Kunst werde dabei jedoch vernachlässigt, wodurch der Autor seinen Vergleich mit der geistlosen Tätigkeit des Steineklopfens rechtfertigt: „Courbet fut le casseur de pierre de son art; comme ceux qu’il a peints, il a fait une grosse besogne au soleil, avec un abrutissement sublime.“ Lemonnier, Camille: G. Courbet et son œuvre. Gustave Courbet à la Tour de Peilz; lettre du Dr Paul Collin, Paris 1868, S. 25 f. 26 Vgl. den Abschnitt „Maler als Maurer“ in diesem Buch.

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lister zertrümmert, war er selbst der Steinklopfer seiner Kunst und hat wie die, die er gemalt hat, ein nützliches Tagewerk vollführt.“27 Mit dem Auftreten des Realismus verschob sich das Zentrum der Debatte. Die querelle des anciennes et des modernes war nun nicht mehr die seit Jahrhunderten geführte Auseinandersetzung zwischen Linie und Farbe, sondern betraf in erster Linie künstlerische Techniken sowie grundsätzliche Auffassungen von der Arbeit des Künstlers. Die idealistische Kunstideologie sah sich durch den neuen Typus des ouvrier-peintre herausgefordert, der seinen Pinsel buchstäblich wie einen Hammer schwang und der akademischen Feinmalerei einen expressiven Malgestus entgegensetzte. Auch die zu Schilden umfunktionierten Paletten der beiden Maler können als Hinweis auf gegensätzliche Auffassungen von der Arbeit des Künstlers verstanden werden. So gehört die kleine, rechteckige Palette zur Ausrüstung des Freilichtmalers, während die große, eher unhandliche runde Palette auf ein Arbeiten im Atelier hinweist. Das Malen im Freien, das bereits auf die Kunstpraxis der Impressionisten vorauszuweisen scheint, wurde um 1850 nur von den Vertretern einer progressiven Kunstauffassung praktiziert; im Regelwerk der idealistischen Malerei war ein solches Verfahren nicht vorgesehen. Nicht nur zwischen Alten und Jungen vollzog sich der combat des écoles, sondern auch zwischen diametral entgegengesetzten Kunstauffassungen innerhalb einer Generation. Dies zeigt eine 1868 entstandene Neuauflage des Kampfmotivs, die Bertall als Salonkarikatur im Journal Amusant publizierte (Abb. 5). Darin verwandelte der Karikaturist Courbets Pinsel in einen Straßenbesen, mit dem dieser den akademischen ‚Damenmalern‘ Chaplin, Toulmouche, Vidal, Dubufe und Landelle28 zu Leibe rückt. Die Angegriffenen, von Bertall abfällig als „Fantaisistes“, als Unterhaltungs- oder Varietékünstler bezeichnet, verteidigen sich mit Flaschen voller Rosenwasser − ein Hinweis auf ihre wie parfümiert erscheinende Malerei. Charles Chaplin, erfolgreicher Salonmaler des Second Empire, kann als stilistischer Antipode Courbets gelten. Während Courbet immer wieder die vermeintliche Hässlichkeit seiner Figuren zum Vorwurf gemacht wurde, entzückte Chaplin das Salonpublikum mit idealisierenden Frauenporträts und sentimentalen Kinderbildnissen. Die elegante ‚petit dame‘ der Karikatur, die sich schlichtend zwischen die beiden Streitparteien wirft, scheint zwar eher der Motivwelt Chaplins anzugehören, doch ist der 27 Muther, Richard: Geschichte der Malerei im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 2, München 1893, S. 434. 28 Bei den Dargestellten handelt es sich um Charles Chaplin (1825-1891), Auguste Toulmouche (1829-1890), Vincent Vidal (1811-1887), Édouard Dubufe (1820-1883) und Charles Landelle (1821-1908). Sie alle waren während des Second Empire erfolgreich als Porträtmaler der oberen Gesellschaftsschichten und dabei besonders auf Damenporträts spezialisiert.

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Kampf um die Gunst des weiblichen Publikums der Bildunterschrift zufolge noch nicht entschieden. Abbildung 5: Bertall: Promenade au Salon. Les Réalistes et les Fantaisistes – Suspension d’armes

Journal Amusant, 06.06.1868, o. S.

Die „armes favorites“ der Kontrahenten lassen sich in dieser Karikatur nicht mehr unmittelbar mit deren Atelierpraxis in Verbindung bringen. Dies gilt insbesondere für Chaplin, dessen Rosenwasser nicht auf seine Maltechnik, sondern auf die Süßlichkeit seiner Motive und Bildwelten anspielt. Das Duftwasser steht im Kontrast zu dem Straßenschmutz zu Courbets Füßen, der an den wiederholt geäußerten polemischen Vorwurf erinnert, Courbets Bilder − ebenso wie der Künstler selbst, seine Modelle und sein Farbmaterial − würden stinken.29 Auf die vermeintliche Schmutzigkeit Courbets verweist auch der „balai au macadam“, mit dem der Künstler die opponierenden Salonmaler bedroht. Darüber hinaus war bei der Darstellung eines Besens als Künstlerattribut spätestens seit dem auf Delacroix gemünzten Verdikt

29 Zu diesem Aspekt vgl. M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 74 f., sowie T. Schlesser/B. Tillier: Courbet face à la caricature, S. 30 ff.

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des ‚balai ivre‘ immer auch der Pinsel des Malers mitgedacht. Die Vorstellung, Courbet würde mit einem Straßenbesen malen, war so auch ein Reflex auf seinen Gebrauch ungewöhnlich großer Pinsel, der schon in Daumiers Karikatur eine Rolle spielte. Als Bertall 1870 erneut eine Konfrontation von Courbet und Chaplin imaginierte, kehrte auch er zu der Methode zurück, die Künstler durch ihre jeweiligen Arbeitsinstrumente auszuzeichnen (Abb. 6). Chaplin ist mit Palette und einem Sortiment feiner Haarpinsel dargestellt, während Courbet mit Farbeimer und einem einzigen groben Pinsel erscheint. Wie schon in der älteren Karikatur tragen auch hier die Kleidung und das Erscheinungsbild der karikierten Personen zu ihrer Kennzeichnung bei: Den feinen Gesellschaftsanzug des affektiert wirkenden Chaplin konterkariert die Figur Courbets durch bäuerliche Kleidung, ein Hemd mit weit aufgekrempelten Ärmeln und die obligatorischen Holzschuhe. Während Chaplin seinen Pinsel zwischen Daumen und Zeigefinger hält und den kleinen Finger geziert abspreizt, fasst Courbet sein Malwerkzeug, wie bereits in Daumiers Combat des écoles, mit der ganzen Faust. Abbildung 6: Bertall: Promenade au Salon de 1870

Journal Amusant, 28.05.1870, o. S.

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Die französischen Karikaturen zum Thema ‚Kampf der Schulen‘ zeigen ein hohes Bewusstsein für den Anteil künstlerischer Techniken an dieser Debatte. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass sowohl Daumier als auch Bertall eine Ausbildung als Maler absolviert hatten und mit den technischen Verfahrensweisen der Malerei daher bestens vertraut waren. Ob ein Künstler die Farbe betonte oder aus dem dessin heraus arbeitete, ob er einen Malstock verwendete oder eine sichtbare touche zuließ, ob er große oder kleine Pinsel bevorzugte, wurde aufmerksam beobachtet und in der Charakterisierung einer Künstlerpersönlichkeit sowie in der Kontrastierung zweier Malerschulen berücksichtigt. Die Infragestellung der akademischen Traditionen und Regelwerke durch jüngere Vertreter neuer Kunstströmungen vollzog sich in Deutschland etwas zeitverzögert. Erst seit den 1880er Jahren entwickelte sich eine den französischen Kunstdebatten vergleichbare querelle des anciennes et des modernes, die in den 1890er Jahren in der Gründung der Secessionen kulminierte. Der ‚Kampf der Schulen‘ wurde nun auch in der deutschen Karikatur behandelt, so etwa in einer Darstellung des Münchener Illustrators Emil Reinicke (1859-1942), die 1892 im Kladderadatsch erschien (Abb. 7). Der Generationenkonflikt in der Malerei ist hier erneut als Kampf zweier Maler dargestellt, die ihre jeweiligen Werkzeuge als Waffen gegeneinander einsetzen. Der Anlass der Karikatur, die im Rahmen einer Serie „Illustrirter Rückblicke“ der letzten drei Monate erschien, waren die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Gründung der Münchener Secession im Frühjahr 1892, die erst kurz zuvor ein neues Stadium der Eskalation erreicht hatten: Nach ihrer Abspaltung von der Münchener Künstlergenossenschaft und der Neugründung des Vereins bildender Künstler Münchens am 4. April 1892 hatten die Secessionisten einige Monate lang erfolglos mit dem Münchener Kultusministerium um die Möglichkeit eines eigenen Ausstellungsortes gerungen.30 Als auch der Konflikt um die Ausrichtung der jährlich stattfindenden Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast mit einem negativen Bescheid des Ministeriums endete, beschlossen die Vereinsmitglieder am 26. November einen vollständigen Boykott der Ausstellung, wodurch diese in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten drohte.

30 Zur Vorgeschichte, zu den näheren Umständen der Secessionsgründung sowie zum Fortgang dieser Debatte vgl. Makela, Maria: The Munich Secession. Art and artists in Turnof-the-Century Munich, Princeton, New Jersey 1990, hier besonders S. 3 ff. sowie S. 58 ff. Eine nützliche Zusammenfassung liefert Segieth, Clelia: „Georg Hirth und die Gründung der ‚Münchener Secession‘“, in: Ausst.-Kat.: Die Münchener Secession 1892-1914, Museum Villa Stuck München 2008, S. 11-17.

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Abbildung 7: Emil Reinicke: Der Kampf zwischen den Alten und den Jungen nimmt in der Münchener Malerschule rüstig Fortgang

Kladderadatsch, Bd. 45, Nr. 52 (25.12.1892), o. S.

Reinickes Karikatur setzt die Kenntnis dieser Entwicklungen voraus und zeigt den Konflikt generalisierend als „Kampf zwischen den Alten und den Jungen“. Die karikierten Künstler lassen sich nicht identifizieren, es handelt sich also sehr wahrscheinlich um eine typisierte Darstellung zweier Protagonisten der Münchener Kontroverse. Auch bei Reinicke charakterisieren die als Waffen verwendeten Malwerkzeuge die Kontrahenten, allerdings ist ihre Bedeutung gegenüber der um vier Jahrzehnte früheren Daumier-Karikatur (Abb. 2) verschoben. Den kurzen, dickborstigen Pinsel, der bei Daumier noch den Realismus symbolisierte, ordnete Reinicke dem betagten Künstler zu und kennzeichnete ihn so als Attribut des Traditionalisten. Der jüngere Maler pariert den Angriff mit einem Spachtel, der auf den Einsatz des Palettmessers in der impressionistischen Malerei verweist. Auch der Sonnenhut des jüngeren Künstlers weist ihn als impressionistischen Freilichtmaler und damit als Mitglied der zahlenmäßig größten Gruppe innerhalb der Münchener Secession aus.31 Sowohl die Praxis der Pleinairmalerei als auch der Auftrag der unvermischten Farbe mit dem Palettmesser wurden zur Entstehungszeit der Karikatur in der deutschen Kunstkritik kontrovers diskutiert und können daher als Chiffren für eine ebenso fortschrittliche wie umstrittene Arbeitsweise gelten. Ohne in diesem Punkt

31 Impressionistische Tendenzen zeigten sich bei vielen der bekannteren Secessionskünstler, so z.B. bei Max Liebermann, Hans Olde, Franz Skarbina, Max Slevogt und Lovis Corinth. Zu diesem Aspekt vgl. Ludwig, Horst G.: „Impressionistische Tendenzen“, in: Ausst.-Kat. Die Münchener Secession, S. 84-93.

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eindeutig Stellung zu beziehen, reflektierte die Karikatur so die maltechnische Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Die schriftlichen Äußerungen der Secessionskünstler zeigen, dass auch sie die Auseinandersetzungen in der Münchener Künstlerschaft als einen Kampf zwischen Alt und Jung, zwischen Reaktion und Fortschritt auffassten. In einem Memorandum des Vereins vom Juni 1892 wird mehrfach die Notwendigkeit einer fortschrittlichen Kunstpraxis betont: „Der Fortschritt allein ist lebendige Kunst.“32 Dies galt insbesondere für die künstlerischen Techniken und Arbeitsweisen, die sich nach Ansicht der Verfasser stärker an den „technischen Errungenschaften der Franzosen und Belgier“33 orientieren sollten: „Denn was von gegnerischer Seite so gern als ,Nachahmung der Franzosen‘ hingestellt wird, ist im Grunde doch nur eine freie und gesunde Manifestation des neuen Zeitgeistes. [...] Die technischen Fortschritte gehören wie alle neuentdeckten Wahrheiten der ganzen Welt an, und jedes Isolierungssystem könnte nur zu einer in alten Formen erstarrten Kunst führen.“34

Die maltechnischen Neuerungen des Impressionismus wurden als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Fortschrittsmodells gesehen und gegen die Polemik einer traditionalistischen Kunstauffassung verteidigt. Der Text wird dabei von einem Vokabular aus dem Bereich der Wirtschaft dominiert: Technische Innovationen seien unerlässlich, um mit den anderen Nationen auf dem Weltkunstmarkt Schritt zu halten, der Nachfrage zu entsprechen und die Münchener Kunst nicht veraltet erscheinen zu lassen. Reinickes Karikatur, die den jüngeren Künstler nicht als weltfernen Bohémien, sondern im Gesellschaftsanzug mit Gamaschen und Einstecktuch zeigt, trug dieser Einstellung Rechnung. Auch die Karikatur des Kladderadatsch zeigt, dass den Malwerkzeugen im Kampf der Schulen des 19. Jahrhunderts gegenüber den älteren Debatten des 16. und 17. Jahrhunderts eine gesteigerte Bedeutung zukam. Diese Tatsache wird nirgendwo so deutlich wie im Medium der Karikatur, das den Künstler durch die attribuierende Beigabe verschiedener Werkzeuge als Vertreter einer bestimmten Malerschule kennzeichnete. Im Unterschied zur geschriebenen Kunstkritik, die vergleichsweise selten auf maltechnische Aspekte Bezug nahm, trug die Karikatur dazu bei, künstlerische Techniken als Distinktionsmerkmale rivalisierender Kunstrichtungen zu etablieren. Zu Waffen in einem ‚Kampf der Schulen‘ umfunktioniert, wurden die Malwerkzeuge − und damit die malerischen Techniken − zum entschei32 Memorandum des Vereins Bildender Künstler Münchens, erstmals veröffentlicht in: Münchener Neueste Nachrichten, Nr. 278 (21.06.1892), zit. nach: Ausst.-Kat. Die Münchener Secession, S. 20-23, hier S. 21. 33 Ebd. 34 Ebd.

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denden Argument in der Auseinandersetzung zwischen Tradition und Innovation in der Kunst des 19. Jahrhunderts.

S CHNELLES M ALEN : K ARIKATUREN

ZUM

ARBEITSTEMPO

Im Gegensatz zur gängigen Forschungsmeinung wurde das Thema einer ‚schnellen Malerei‘ nicht erst mit dem Aufkommen des Impressionismus virulent.35 Französische Karikaturen der 1830er bis 1860er Jahre zeigen vielmehr, dass ein erhöhtes Arbeitstempo in der Malerei die Gemüter auch schon vor Beginn der impressionistischen Revolution bewegte und zu satirischen Spekulationen über die Produktionsmethoden der Künstler Anlass bot. Dabei kristallisieren sich zwei parallele Diskursstränge heraus, die das Symptom des schnellen Malens aus unterschiedlicher Perspektive beleuchteten. Der eine, in den 1830er Jahren einsetzende, betrachtete die Figur des reisenden Künstlers, der nicht mehr in der meditativen Abgeschiedenheit des Ateliers arbeitete, sondern permanent in Bewegung war und seine Werke gleichsam „im Galopp“ auf die Leinwand brachte. Der andere, der sich seit den 1840er Jahren entwickelte, zeigte den Maler als einen in Zeitnot geratenen ‚Ausstellungskünstler‘36, dessen Arbeitsrhythmen vom Termindruck der jährlichen Salonausstellung diktiert wurden. Termindruck und Zeitnot In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Jahresausstellung der Académie royale de peinture et de sculpture im Salon Carré des Louvre zum zentralen Dreh- und Angelpunkt des Pariser Kunstbetriebs. Mit eigenen Werken in der Ausstellung vertreten zu sein, war für die Künstler von buchstäblich existenzialer Bedeutung, wie es ein anonymer Zeitgenosse 1848 prägnant formulierte: „Y être admis ou être repoussé est un question de vie ou de mort pour les artistes.“37 Der stetige Bedeutungszuwachs des Salons führte dazu, dass die meisten Künstler, für die die Ausstellung auch eine unverzichtbare Verdienstmöglichkeit darstellte, ihre gesamte Jahresproduktion auf dieses Ereignis hin ausrichteten.38 Zahlreiche Karika35 Vgl. Ausst.-Kat. Impression. 36 Zur Figur des Ausstellungskünstlers vgl. Bätschmann, Oskar: Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997. 37 Anonym: De l’Exposition et du Jury, Paris 1848, S. 5. Zit. nach: Sfeir-Semler, Andrée: Die Maler am Pariser Salon 1791-1880, Frankfurt am Main 1992, S. 212. 38 Dies betont auch Sfeir-Semler in ihrer empirischen Studie zum Pariser Salon: „[D]ie Aufnahme in den Salon hielt die ganze Karriere der Maler zusammen; mehr noch, der Salon war ihr Dreh- und Angelpunkt, für den sie ihre besten und anspruchsvollsten Bilder

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turen, die zur Einstimmung des Publikums meist schon einige Wochen vor Beginn der Ausstellung in populären Zeitschriften wie dem Charivari erschienen, thematisieren die hektischen Umtriebe in den Pariser Ateliers. Die Figur des Künstlers, der mit seiner Arbeit in Verzug ist und fürchten muss, sein Bild nicht rechtzeitig beenden zu können, wurde in den 1840er Jahren zu einem beliebten satirischen Topos. Die Variationsbreite der Karikaturen zu diesem Thema ist schier unendlich.39 Durch ihre technische und künstlerische Qualität treten jedoch besonders die Darstellungen von Honoré Daumier hervor, der dem Motiv des unter Zeitdruck arbeitenden Künstlers zwischen 1846 und 1864 drei als Lithografien ausgeführte Karikaturen widmete. In allen drei Fällen wurde die jeweilige Bildidee von anderen Zeichnern aufgegriffen, teilweise zugespitzt und sowohl formal als auch motivisch variiert. Am 20. Februar 1846 veröffentlichte der Charivari unter der Überschrift „Actualités“ die erste der besagten Lithografien (Abb. 8). Die Bildunterschrift „Le dernier jour de la réception des tableaux“ informiert über den Anlass der dargestellten Szene: Es ist der letzte Tag der Einlieferung von Gemälden zur Begutachtung durch die Zulassungsjury, also die letzte Möglichkeit für die Maler, bei ihrer Auswahl noch berücksichtigt zu werden. Die Jurierung der Gemälde fand etwa sechs Wochen vor Beginn der Salonausstellung statt, und der mehrere Tage andauernde Transport einiger tausend Bilder durch die Straßen von Paris war bereits vor der eigentlichen Kunstschau ein Aufsehen erregendes öffentliches Ereignis, welches das Publikum in der Tagespresse kommentiert sehen wollte.40 Daumiers Karikatur vermittelt einen lebhaften Eindruck von diesem Geschehen. Dargestellt sind mehrere Gruppen von Trägern, mit großen Leinwänden beladen, die dem Eingang des Musée Royal, dem Tagungsort der Jury, zuströmen. Im Bildvordergrund ist ein einzelner Träger, ein so genannter Commissionaire zu sehen, der mittels einer auf den Rücken geschnallten Tragevorrichtung ein gerahmtes Bild transportiert, dicht gefolgt von einem Maler im weißen Arbeitskittel, der noch im Gehen die letzten Pinselstriche auf seinem Werk anbringt. Der verzweifelte Versuch, das Bild noch während des Transportes zu vollenden, scheitert jedoch, denn der Zielort ist schon vor der endgültigen Fertigstellung erreicht.41 Auch wenn Daumier die Begebenheit in karikatuanfertigten. Der Salon, der [...] dem Maler die Existenz sicherte, hielt sie ihr ganzes Leben in Atem und in besonders hektischer Weise offenbar unmittelbar vor Eröffnung der Ausstellung, wie zahlreiche Karikaturen von Honoré Daumier, Gustave Doré illustrieren.“ A. Sfeir-Semler: Die Maler am Pariser Salon, S. 212 f. 39 Für eine Auswertung der 1850 bis 1870 im Charivari veröffentlichten Karikaturen zu diesem Thema vgl. M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 194 ff. 40 Zu den überaus zahlreichen Karikaturen auf den Transport der Bilder zum Salon vgl. M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 206 ff. 41 Dies geht aus der Bildunterschrift hervor: „Saperlotte! - nous voici déjà arrivés, et mon tableau n’est pas fini... je suis fâché d’avoir pris mon commissionaire à la course, j’aurais

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ristischer Übertreibung schildert, so dokumentiert seine Darstellung doch den Modus fieberhafter Hektik, mit der viele Künstler im Vorfeld des Salons versuchten, ihre Arbeit noch möglichst rasch abzuschließen. Abbildung 8: Honoré Daumier: Le dernier jour de la réception des tableaux

Le Charivari, 20.02.1846, o. S.

Daumiers origineller Bildeinfall wurde noch im selben Jahr von Bertall aufgegriffen, der in seiner Holzstichversion nur wenige Details veränderte und auch Daumiers Bildunterschrift „Le dernier jour de la réception des tableaux“ als Titel wörtlich übernahm (Abb. 9). Der Eingang des Musée Royal wurde in der Adaption weggelassen, so dass die Szene sich irgendwo auf der Straße abspielen könnte. Stattdessen fügte Bertall einen zweiten Maler hinzu, der breitbeinig auf dem Rahmen seiner zum Transport in die Horizontale gekippten Leinwand balanciert und in dieser skurrilen Position letzte Hand an sein Werk zu legen versucht. Eine dritte Version der Darstellung stammt von Nadar (eigtl. Gaspard-Félix Tournachon, 1820-1910), der das Motiv 1859 erneut aufgriff (Abb. 10). Auch er fügte einen zweiten Maler ein, der jedoch in dieser Variante nur angeschnitten und als eine Art Doppelung hinter der Figur des ersten Malers auftaucht und offensicht-

mieux fait de la prendre à l’heure.“, Honoré Daumier: Le dernier jour de la réception des tableaux, in: Le Charivari, 20.02.1846, o. S.

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Abbildung 9: Bertall: Dernier jour de la réception des tableaux

Hetzel (Hg.): Le diable à Paris, Paris 1846, Bd. 2, S. 136

Abbildung 10: Nadar: Les peintres sont en retard pour le Salon

Journal Amusant, 16.04.1859, S. 2

lich dazu dient, die dargestellte Arbeitsweise als Massenphänomen zu kennzeichnen. Nadar versah seine Illustration mit einer Bildunterschrift, die nicht, wie bei Daumier, die Perspektive des Malers einnimmt, sondern das Geschehen aus der Sicht des Beobachters ironisch kommentiert: „Les peintres sont en retard pour le

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Salon. C’est tout naturel puis-qu’ils ont été prévenus il y a deux ans.“42 Nadar bezog sich mit dieser Polemik auf das Ausfallen des Salons im Jahr 1858, vor dessen Hintergrund das Verhalten der Maler noch unverständlicher erschien: Obwohl diese sogar zwei Jahre Zeit hatten, um sich auf die Ausstellung vorzubereiten, sind sie dennoch mit ihrer Arbeit im Verzug. Die Karikatur bediente so das populäre Vorurteil gegen den vermeintlich faulen, arbeitsscheuen Bohèmekünstler. Wie schon Anette Wohlgemuth in ihrer Studie zur Kunstkarikatur Daumiers feststellte, bleiben beide Adaptionen in technisch-formaler wie in künstlerischer Hinsicht hinter der Vorlage zurück.43 Während Daumiers Lithografie eine geradezu malerische Qualität aufweist, sind die Holzstiche von Bertall und Nadar wesentlich einfacher, aber auch karikaturhafter realisiert. Eine Parallele liegt in der Gestaltung der Malerfigur, die in allen drei Fällen dem Typus des Bohèmekünstlers44 mit langen Haaren und Bart sowie dem charakteristischen hohen Filzhut45 entspricht. Speziell dieser Teil der Pariser Künstlerschaft war es also, der in der Auslegung der Karikatur mit den Terminvorgaben des institutionalisierten Ausstellungsbetriebes nicht zurechtkam und dessen chaotische Arbeitsprozesse letztlich nicht zum gewünschten Erfolg führten. Buchinger-Früh weist zu Recht darauf hin, dass Karikaturen dieser Art „auf der Folie der bürgerlichen Kritik an der Arbeitsscheu der Bohème-Künstler“46 entwickelt wurden. Sie geht jedoch nicht darauf ein, inwiefern in einigen Karikaturen auch eine implizite Kritik an den Strukturen des modernen Kunst- und Ausstellungsbetriebs eine Rolle spielen könnte. Daumier, der selbst verschiedentlich als Maler im Salon ausstellte, kannte die Realität einer Künstlerexistenz und war sich darüber im Klaren, dass die meisten Künstler ihre Arbeit nicht aus Faulheit vernachlässigten, sondern weil die wirtschaftliche Notwendigkeit eines Nebenberufes

42 Nadar: „Revue du premier trimestre de 1859“, in: Journal Amusant, 16.04.1959, S. 2. 43 Vgl A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 126. 44 Zum Erscheinungsbild des Bohèmekünstlers vgl. Rheims, Maurice: La vie d’artiste, Paris 1970, S. 65 f. 45 Der Filzhut erscheint in vielen zeitgenössischen Künstlerkarikaturen als Attribut des Bohèmiens, er bildet den Gegensatz zum Zylinder des Bourgeois. Mit beiden Kopfbedeckungen war seinerzeit eine politische Aussage verbunden: Während der Zylinder eine konservative, systembejahende Haltung repräsentierte, stand der weiche Filzhut für eine demokratische oder revolutionäre Gesinnung. Vgl. von Boehn, Max: Die Mode. Menschen und Moden im 19. Jahrhundert: 1843-1878, München 1963, S. 123 f. Auch das Tragen von langen Haaren und Bart galt als Erkennungszeichen der politischen Linken, ebd., S. 126 f. 46 Vgl. M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 202.

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ihnen oft nicht genügend Zeit ließ, um gezielt an ihrer Karriere zu arbeiten.47 Von dieser Problematik waren die Angehörigen des sogenannten Künstlerproletariats natürlich besonders stark betroffen, während die erfolgreichen Staatskünstler und Gesellschaftsmaler sehr viel freier über ihre Arbeitszeit verfügen konnten. Die Strukturen des Pariser Kunstbetriebs blieben in den folgenden Jahrzehnten weitgehend gleich, was auch dem beschriebenen Karikaturmotiv eine longue durée bescherte. So zeigt eine 1880 entstandene und in La Caricature veröffentlichte Illustration von Valère Morland wiederum einen Maler, der noch während des Transportes zur Ausstellung gleichsam im Laufschritt die letzte Retusche an seinem Bild anbringt (Abb. 11). Diese neuerliche, hier besonders dynamisch umgesetzte Adaption, zeigt die anhaltende Popularität des Motivs, das gleichsam zur karikaturistischen Chiffre für den unter Termindruck arbeitenden Ausstellungskünstler avancierte. Abbildung 11: Valère Morland: La dernière retouche

La Caricature, 27.03.1880, S. 2

47 Sfeir-Semler bestätigt, dass nur wenige Salonmaler von der Kunst allein zu leben vermochten. Die meisten Künstler verdienten ihren Lebensunterhalt als Illustratoren oder Lithografen, durch Zeichenunterricht oder kunstgewerbliche Tätigkeiten. Vgl. Sfeir-Semler: Die Maler am Pariser Salon, S. 357 ff. George Cruikshank widmete der Problematik künstlerischer Nebenberufe sogar eine Karikatur. Darauf ist ein Maler im Atelier zu sehen, der seine Zeit mit Albumzeichnungen verbringt, während die Leinwand auf der Staffelei leer bleibt. Vgl. George Cruikshank: A Design for an Album, 1835, Abbildung in: Ausst.-Kat. Das Bild des Künstlers, S. 63 (Abb. 112).

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Dass die gezeigte Arbeitsweise auch Mängel in der Qualität und technischen Ausführung der betreffenden Werke nach sich ziehen musste, wird zwar in keiner der Karikaturen explizit thematisiert, muss aber in Anbetracht des allgemeinen Tenors der zeitgenössischen Salonkarikatur sicher mitgedacht werden. Deutlich wird dieser Zusammenhang auch in einer aus den 1850er Jahren stammenden Karikatur von Nadar, die ebenfalls einen unter Termindruck arbeitenden Maler zeigt (Abb. 12). Abbildung 12: Nadar: – Vois-tu, mon cher, on a tort de nous avertir un an d’avance pour l’ouverture du Salon; c’est ce qui nous mettra toujours en retard.

Petits Albums pour rire, Nr. 1 (1852), S. 2

Anders als in den bisher behandelten Karikaturen ist hier nicht die Straße, sondern das Atelier des Künstlers Schauplatz der Szene. Der Maler steht auf einer Leiter und arbeitet an einem monumentalen, noch recht fragmentarisch wirkenden Gemälde vermutlich religiösen Inhalts, dessen Figuren selbst karikaturhafte Züge aufweisen. Dass der Künstler in großer Eile ist, zeigt die gleichzeitige Verwendung zweier Pinsel, mit denen er die Leinwand beidhändig bearbeitet. Dabei lassen Größe und Form der Pinsel sowie die etwas ungelenke Handhaltung des Malers auf eine eher undifferenzierte Maltechnik schließen. Hinzu kommt, dass er seinen Blick nicht auf die Leinwand, sondern seitlich nach unten auf einen dort stehenden Atelierbesucher richtet. Nadar charakterisierte das Malen für den Salon also nicht nur als ein hekti-

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sches Arbeiten unter Zeitdruck, sondern auch als ein Arbeiten, bei dem zweifelhafte Werkzeuge und Techniken zum Einsatz kommen und das sich insgesamt durch Flüchtigkeit und einen Mangel an Sorgfalt auszeichnet. Die Karikatur lieferte ihrem Publikum so eine satirische Erklärung für das Erscheinungsbild vieler Salonbeiträge, deren mangelhafte Qualität sie auf ein zu schnelles Arbeitstempo zurückführte.48 In einer ebenfalls sehr populären Lithografie von 1857 illustrierte Daumier eine weitere Variante des ‚schnellen Malens‘ (Abb. 13). Eine Woche vor Ausstellungsbeginn haben sich drei Maler zusammengetan, um ein großformatiges Gemälde mit vereinten Kräften noch zu vollenden. Auf der Leinwand sind skizzenhaft die Umrisse einer weiblichen Aktfigur sowie weiterer Figuren in einer pyramidalen Anordnung zu erkennen, was auf ein mythologisches Sujet schließen lässt.49 Nach Ansicht von Marie Luise Buchinger-Früh legte Daumier bei dieser Darstellung den Schwerpunkt auf das „solidarische Verhalten der Maler“50, das auch durch die Bildunterschrift betont werde: „Choeur: Du courage à l’ouvrage, les amis sont tou-jours là!“51 Tatsächlich war im Zuge der Romantik ein verstärktes Bewusstsein für Freundschaft und Solidarität aufgekommen, das sich auch in der Pariser Künstlerschaft bemerkbar machte. Ein Symptom dieser Entwicklung war die Gründung des Cercle des arts im Jahr 1836, der sich als Kontaktbörse und Interessenverband für Pariser Kunstschaffende verstand, sowie die etwa seit der Jahrhundertmitte stattfindenden Benefizauktionen zugunsten notleidender Künstler. 52 Die Aussage von Daumiers Karikatur erschöpft sich jedoch keineswegs in der Betonung dieses Aspektes, sondern besitzt auch ein kritisches Potential, welches die gezeigte Arbeitsweise keineswegs gutheißt. So gibt die Szene keinen Aufschluss darüber, welcher der drei Freunde der eigentliche Urheber der gemeinsam vollendeten Malerei sein soll, und auch das fertige Werk wird keinen Rückschluss auf einen Autor zulassen. In einer Zeit, die der individuellen Künstlerhandschrift, der touche, höchsten Wert beimaß, konnte ein solches Verfahren kaum überzeugen. Die Karikatur zeigt entweder einen Rückfall in die kollektiven Produktionsmethoden des Mittelalters und somit einen Abstieg der Kunst in die Sphäre handwerklicher Ar-

48 Der Vorwurf, etwas sei zu schnell gemalt, findet sich auch regelmäßig in der geschriebenen Salonkritik. Gemeint ist eine flüchtige Ausführung, die die Qualität eines Gemäldes beeinträchtigt. 49 Diese Interpretation findet sich auch bei A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 121. 50 M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 198. 51 Honoré Daumier: Le dernière semaine avant l’ouverture du Salon de peinture, in: Le Charivari, 09.05.1857, o.S. 52 Zur Frage der Solidarität unter französischen Künstlern des 19. Jahrhunderts vgl. MartinFugier, Anne: La vie d’artiste au XIXe siècle, Paris 2007, S. 279 ff.

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beit, oder aber, wie Klaus Herding nahelegt, eine Anpassung an die entindividualisierten Arbeitsabläufe der Industrie.53 Abbildung 13: La dernière semaine avant l’ouverture du Salon de peinture

Le Charivari, 09.05.1857, o. S.

In diesem Sinne setzte Daumier die Bildidee sieben Jahre später erneut um. Seine Vue d’un atelier la dernière semaine avant l’exposition betitelte Karikatur, die 1864 im Charivari erschien, zeigt ebenfalls drei Maler, die gemeinsam eine monumentale Leinwand bearbeiten (Abb. 14). Dass es sich bei diesem in höchster Eile angefertigten Salonbeitrag um eine mythologische Darstellung handelt, wird auch in der Legende thematisiert, die einen Dialog der Maler wiedergibt. Die Tatsache, dass man bei der Arbeit weder an Farbe noch an Pinseln gespart habe, rechtfertigt nach Ansicht der Künstler die Erwartung, dass das Bild die Gunst des Publikums finden werde. Sie befürchten einzig, dass die Farbe bis zum Ausstellungsbeginn womöglich nicht mehr trocknen könne. Diese Sorge wird jedoch von einem der Maler zurückgewiesen, der meint, es handele sich schließlich um eine den Wogen entstei-

53 Herding, Klaus: „Daumier critique des temps modernes. Recherches sur l’‚histoire ancienne‘“, in: Gazette des Beaux-Arts, Bd. 131 (1989), Nr. 1440, S. 29-44, hier S. 31.

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gende Venus; es schade also nichts, wenn diese nicht ganz trocken sei.54 Eine mögliche Erklärung für diese scherzhafte Unbekümmertheit liefert ein weiteres Bilddetail: Auf einem Tischchen am rechten Bildrand ist ein Tablett mit Gläsern und Wein zu erkennen, dem die Maler offenbar bereits zugesprochen haben. Abbildung 14: Honoré Daumier: Vue d’un atelier la dernière semaine avant l’ouverture du Salon

Le Charivari, 01.04.1864, o. S.

Wohlgemuth weist zu Recht darauf hin, dass die in der Karikatur nur skizzenhaft angedeutete Venusdarstellung dem ein Jahr zuvor im Salon ausgestellten Gemälde Naissance de Vénus55 von Alexandre Cabanel ähnelt.56 Cabanels akademisches Ve-

54 „– S’ils ne sont pas contens de cette Vénus là ils seront bien difficiles. Nous n’épargnons ni la couleurs ni les pinceaux... mais pourvu qu’elle soit sèche, mon Dieu! – Qu’est-ce que ça fait qu’elle soit sèche puisque c’est Vénus sortant de l’onde...“ Honoré Daumier: Vue d’un atelier la dernière semaine avant l’exposition, in: Le Charivari, 01.04.1864, o. S. 55 Alexandre Cabanel: Naissance de Vénus, 1863, Öl auf Leinwand, 130 x 225 cm, Musée d’Orsay, Paris. 56 Vgl. A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 122, Anm. 9.

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nusbild, mit dem der Künstler stilistisch an Ingres und die Malerei des 18. Jahrhunderts anknüpfte, gehörte zu den erfolgreichsten Bildern der Ausstellung und wurde von Napoleon III. angekauft. Der Erfolg von Cabanels Bild führte in der Pariser Künstlerschaft zu einer regelrechten ‚Venusmanie‘. Bereits 1863 war die Zahl der Venusdarstellungen im Salon so groß, dass der Kritiker Théophile Gautier die Ausstellung als „Salon der Venus“ bezeichnete, und 1864 verstärkte sich diese Mode noch weiter. 57 Daumier, der dieses Wissen bei seinem Publikum voraussetzte, charakterisierte seine Maler als einfallslose Epigonen, die versuchen, am Erfolg eines fremden Bildes zu partizipieren. Ihre künstlerische Eigenleistung ist nicht nur durch die kollektive Produktionsform beeinträchtigt, sondern auch durch das Sujet kompromittiert, das nicht das Ergebnis einer originären Bilderfindung ist, sondern genau genommen ein Plagiat darstellt. Diese kritische Bloßstellung künstlerischen Epigonentums konnte Daumier selbst indes nicht schützen, denn auch seine Bildidee fand zahlreiche Nachahmer. Zu den originelleren Beispielen gehört eine nur wenige Wochen später im Journal Amusant publizierte Adaption des Zeichners Émile Ulm, die in ihrer Bildunterschrift ebenfalls den Aspekt der Solidarität betonte (Abb. 15): „Quelques jours avant l’Exposition un peu d’aide fait grand bien.“ Abbildung 15: Émile Ulm: Quelques jour avant l’Exposition un peu d’aide fait grand bien

Journal Amusant, 07.05.1864, S. 4

Ulm spitzte die Szene zu, indem er die Anzahl der an einer Leinwand arbeitenden Maler verdoppelte. Sechs Künstler sind hier an der kollektiven Bildproduktion be57 Vgl. R. King: Zum Frühstück ins Freie, S. 101.

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teiligt, und einer der Maler arbeitet sogar kopfüber, indem er sich von hinten über den oberen Rand der Leinwand beugt. Auf der bildlichen Ebene unterscheidet sich Ulms Darstellung grundlegend von den themengleichen Vorlagen Daumiers. Der Blick fällt hier nicht schräg, sondern frontal auf die Leinwand, die fast den gesamten Bildraum ausfüllt und diesen durch ihren oberen und unteren Rand in drei horizontale Zonen unterteilt. Die vier nebeneinander stehenden Maler im Bildvordergrund sind nach ihrer Größe geordnet und bilden eine Diagonale, die den Bildraum von links oben nach rechts unten durchzieht. Zwei der Figuren benutzen einen Stuhl oder Hocker, um ihren Standpunkt zu erhöhen. Dadurch entsteht, besonders bei dem Maler links außen, dessen Rockschöße einen Teil seines Sitzes verdecken, der Eindruck eines bizarren dreibeinigen Mischwesens, das an die Marionetten in Grandvilles Un autre monde erinnert. Der dargestellte Arbeitsablauf wirkt erstaunlich geordnet; wie an einem Fließband scheint jeder der Mitwirkenden für einen bestimmten Teil der Arbeit verantwortlich zu sein und seinen Part genau zu kennen. Alkoholische Getränke oder andere Hinweise auf einen ausschweifenden Lebenswandel sind nicht zu entdecken. Die klare Strukturierung des Bildraums entspricht der beinahe mechanischen Präzision des gezeigten Arbeitsprozesses. Im Gegensatz zu den eingangs vorgestellten Karikaturen Daumiers macht Ulms Version des Motivs eine Verwerfung sichtbar, die die Bewertung des kollektiven Arbeitsprozesses betrifft. Obwohl dieser auch hier das Resultat mangelnder Zeitplanung und fehlender Disziplin des einzelnen Künstlers zu sein scheint, wirkt die kollektive Produktion alles andere als ungeplant und chaotisch, sondern im Gegenteil höchst routiniert. Die Arbeit für den Salon, Dreh- und Angelpunkt der Künstlerexistenz, wird hier als eine Art Industrie entlarvt, in der die Produzenten letztlich austauschbar sind. Daumiers Bildeinfälle zur Thematik des schnellen Malens erwiesen sich bis weit über seinen Tod hinaus als erfolgreich. Er selbst gestaltete das Motiv 1868 ein drittes Mal: In einer Lithografie für Le Monde Illustré ist „der letzte Pinselstrich“ vor dem Abtransport eines Gemäldes dargestellt (Abb. 16). Die Karikatur zeigt zwei Maler, die in fieberhafter Eile simultan an einer Leinwand arbeiten, während der Commissionaire mit seinem Tragegestell schon im Hintergrund wartet. In den 1880er Jahren gehörte das Motiv längst zum festen Repertoire eines eigenen Genres der Salonkarikatur, das sich mit den Vorbereitungen und hektischen Arbeitsprozessen im Vorfeld der Ausstellung beschäftigte. Ein interessantes Beispiel ist die 1880 entstandene Karikatur von Valère Morland, die zusammen mit anderen Illustrationen zu diesem Thema, darunter auch die bereits erwähnte zur „dernière retouche“ (Abb. 11), unter der Überschrift Avant le salon de peinture in La Caricature veröffentlicht wurde (Abb. 17). Sieben Personen sind hier mit der Produktion eines monumentalen Aktgemäldes beschäftigt, wobei ein rechts stehender Herr mit Zylinder − möglicherweise der Künstler selbst − die Arbeit nur zu beaufsichtigen scheint.

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Abbildung 16: Honoré Daumier: Exposition de peinture de 1868 – Le dernier coup de pinceau

Le Monde Illustré, 18.04.1868, o. S.

Nur noch drei Stunden bleiben der Bildunterschrift zufolge zur Fertigstellung des Gemäldes, und so werden in der Not auch auf den ersten Blick unqualifiziert erscheinende Helfer herangezogen. Zumindest bei der elegant gekleideten „Nana“ dürfte es sich weniger um eine Künstlerin als, in Anspielung auf Émile Zolas kurz zuvor erschienenen gleichnamigen Skandalroman, um eine Kokotte handeln.58 Ihre Beteiligung bei der Anfertigung eines Salonbildes erscheint zunächst unangemessen, wird aber durch das Motiv des Gemäldes plausibel, das einen liegenden weiblichen Akt in lasziver Pose zeigt. Hier wird gerade Nana zur Expertin, da sie den nackten weiblichen Körper von allen Anwesenden am besten kennt − wenn auch für gewöhnlich nicht aus der Perspektive des Künstlers, sondern als Modell. Ihre intime Kenntnis der dargestellten Situation berechtigt sie zur Teilhabe; sie wird zur Künstlerin, indem sie ihre eigene Kokottenrolle malt. In der Inszenierung dieses Rollentauschs entfaltet die Karikatur eine subtile Komik, die über die offensichtliche Ebene der kollektiven Produktion hinausgeht. Darüber hinaus trägt die Figur der Nana dazu bei, die dargestellte Szene dem Milieu der Pariser Halbwelt zuzuordnen. Das Künstleratelier wird klischeehaft als Ort moralischer Freizügigkeit charakterisiert, 58 Vgl. Zola, Émile: Nana (1880), dt. Übersetzung von Walter Widmer, München 1976. Die Erstausgabe des naturalistischen Dirnenromans erschien am 15. Februar 1880 in einer Auflage von 55.000 Exemplaren, die schon vor der Auslieferung vergriffen war. Die Romanfigur Nana wurde rasch zum Inbegriff der Pariser Kokotte.

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der für den bürgerlichen Rezipienten den Reiz des Verbotenen transportierte. Dazu passt auch der Affe, der im oberen Teil der Leinwand zu sehen ist und mit der Liegefigur Blickkontakt hält. Als traditionelles Symbol der Lüsternheit und Lasterhaftigkeit, aber auch als Kunstsymbol59 unterstützt er die von der Karikatur angesprochenen Aspekte. Die Korrespondenz von dargestellter Szene und Bild im Bild macht den besonderen Witz der Karikatur aus. Abbildung 17: Valère Morland: En retard

La Caricature, 27.03.1880, S. 2

Weniger anspielungsreich präsentiert sich die 1886 erschienene Variante von Draner (eigtl. Jules Jean Georges Renard, 1833-1926)60 (Abb. 18). Hier ist keine Kokotte an der Fertigstellung des Salonbeitrags beteiligt; schließlich handelt es sich dabei auch um ein religiöses Sujet. Insgesamt machen die vor der Leinwand versammelten Figuren einen eher bürgerlichen Eindruck, der jedoch durch ihre unorthodoxen Arbeitsmethoden konterkariert wird. Die Zeitnot zwingt den Maler, auch unqualifizierte Arbeitskräfte heranzuziehen: Neben zwei Freunden und der Ehefrau des Künstlers sind auch ein Dienstmädchen und ein kleiner Junge im Matrosenanzug Teil des improvisierten Malerkollektivs. 59 Vgl. den Abschnitt „Der Affe als Künstler und der Künstler als Affe“ in diesem Buch. 60 Das Pseudonym Draner ist ein Anagramm des Nachnamens Renard. Draner folgte Cham nach dessen Tod 1879 als Chefkarikaturist des Charivari.

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Abbildung 18: Draner: Plus que 2 heures 32 minutes. L’effort suprême auquel famille, amis, domestiques, concierges… tous participent.

Le Charivari, 16.03.1886, o. S.

Der ursprüngliche Bildeinfall von Daumier erfuhr durch Adaptionen wie diese eine erhebliche Verschärfung: Gezeigt wurde nicht nur ein solidarischer Zusammenschluss mehrerer Maler, sondern ein völlig aus dem Ruder gelaufener Produktionsprozess, bei dem auch Kunstlaien in letzter Minute noch an der Leinwand herumwerkeln durften. Dass mit dieser Art des schnellen Malens ein gewaltiger Qualitätsverlust verbunden sein musste, stand außer Frage. Der durch die Salonausstellung verursachte Termindruck wurde von der Karikatur im untersuchten Zeitraum an keiner Stelle im Sinne eines Ansporns dargestellt, der die Arbeitsleistung des Künstlers in positiver Weise zu beeinflussen vermochte. Die hier behandelten Karikaturen präsentieren eine spezielle Auslegung des schnellen Malens und machen so ein Reflexionsangebot zu einem Phänomen, das eng mit den Strukturen des Kunstbetriebs und dem modernen Typus des Ausstellungskünstlers verknüpft war. Die Praxis des schnellen Malens wurde als etwas problematisiert, das die Qualität eines Gemäldes mindern konnte. Dabei zeigt sich noch die Wirkmacht eines vormodernen, aus dem Handwerk stammenden Qualitätsbegriffs, der den Wert einer Arbeit auch an der dafür aufgewendeten Zeit be-

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maß. Schnelles Arbeiten trug zunächst den Makel fehlender Sorgfalt und unterlag daher dem Verdacht mangelnder handwerklicher Seriosität. Ein Umstand, der in der Forschung zu den hier behandelten Karikaturen Daumiers bisher kaum Beachtung gefunden hat, ist die Tatsache, dass Daumier damit unterschiedliche soziale Künstlertypen aufs Korn nahm: den im Kollektiv arbeitenden Maler und den Künstler, der noch während des Transportes zum Salon sein Bild vollendet. Diese Differenzierung wurde auch in den späteren Adaptionen beider Motive beibehalten. Zwar thematisieren beide den in Zeitnot geratenen Künstler, doch während sich die frühere Karikatur auf den Typus des Bohèmekünstlers bezieht, ist in den beiden späteren Darstellungen eine wesentlich privilegiertere Gruppe angesprochen. Neben den Unterschieden im äußeren Erscheinungsbild der karikierten Künstler zeigt sich dies vor allem in der Tatsache, dass die Karikaturen sich auf unterschiedliche Stichtage beziehen, nämlich einerseits den letzten Einlieferungstag für Gemälde, die der Juryauswahl unterlagen und andererseits den tatsächlichen Ausstellungsbeginn. Die meisten Künstler mussten ihre für den Salon bestimmten Werke bereits mehrere Wochen vor Beginn der Ausstellung bei der Auswahlkommission abliefern, so dass die Eröffnung der Ausstellung keine zusätzliche Belastung mehr darstellte. Der Tag, auf den sie in fieberhafter Eile hinarbeiteten, war demnach nicht der Eröffnungstag, sondern der „dernier jour de la reception des tableaux“, den Daumier jedoch nur in der Karikatur von 1846 behandelte. Die Karikaturen von 1857 und 1864 beziehen sich hingegen auf die letzten Tage vor der Eröffnung des Salons, sie zeigen also Künstler, die von der Juryselektion befreit waren und ihre Werke noch in letzter Minute zur Ausstellung einliefern durften. Dieses Privileg genossen, wie Andrée Sfeir-Semler in ihrer Studie zu den Malern am Pariser Salon feststellt, die wenigsten Künstler.61 Von der Zulassungsprüfung befreit waren einzig Akademiemitglieder und Laureaten des Prix de Rome sowie einige arrivierte Künstler, die in vorangegangen Salonausstellungen bereits Medaillenauszeichnungen erhalten hatten.62 Daumier karikierte in den beiden späteren Darstellungen genau diese sogenannten Exempts und damit die absolute Elite der Salonmalerschaft.63 Dass ausgerechnet sie sich einer vom künstlerischen Standpunkt her äußerst zweifelhaften Methode bedienten, war eine ungleich brisantere Behauptung als die Kritik an den Arbeitsprozessen der Bohèmekünstler, die beim Publikum ohnehin schon als chaotisch verschrien waren. Daumier attackierte hier bewusst nicht die Vertreter des Künstlerproletariats oder den breiten Mittelbau der Salonmalerschaft, sondern die Spitzengruppe der anerkannten Künstler, zu der er selbst als Maler niemals gehörte. Gerade den offiziellen, gleichsam institutionalisierten Malern unterstellte er einen Mangel an handwerklich-künstlerischer Seriosi61 A. Sfeir-Semler: Die Maler am Pariser Salon, S. 89. 62 Ebd., S. 87 ff. 63 Ebd., S. 228 ff.

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tät und entlarvte sie gleichzeitig als uninspirierte Epigonen, welche die immer gleichen Akt- und Venusbilder produzierten, um den Geschmack des Publikums zu befriedigen und die eigene Position zu sichern. Daumier kritisierte damit auch die regelrechte Massenproduktion von großformatigen Historiengemälden und mythologisch-allegorischen Darstellungen, die zur Entstehungszeit der Karikaturen immer noch einen breiten Raum im Pariser Salon einnahmen. Ein Blick auf seine eigene malerische Produktion der 1850er und 1860er Jahre zeigt, dass er selbst als Maler einen vollkommen anderen Weg einschlug.64 Insgesamt lässt sich sagen, dass die Figur des hastig produzierenden Ausstellungskünstlers seit den 1840er Jahren zunehmend ins Blickfeld der Salonkarikatur geriet. Durch den stetigen Bedeutungszuwachs der Salonausstellung entwickelten sich neue, an bestimmten Stichtagen orientierte Arbeitsrhythmen. Termindruck und Zeitmangel wurden von der Karikatur als neue Determinanten künstlerischer Arbeit erkannt und kritisch reflektiert: Vorgeführt wurde die Ablösung des kontemplativen Schaffensaktes durch arbeitsteilige Verfahren, die dem heraufziehenden Industriezeitalter zu entsprechen schienen. Neben den erwähnten negativen Aspekten enthielten Karikaturen zum schnellen Malen aber auch ein besonderes Potential. Sie trugen dazu bei, das überkommene Bild des in der Abgeschiedenheit des Ateliers in seine Arbeit versunkenen Künstlers zu verabschieden und verhalfen so indirekt einem neuen Künstlertypus zur Durchsetzung. In einer Karikatur auf den populären Militär- und Schlachtenmaler Horace Vernet (1789-1863) erhielt der Diskurs um kollektive Produktionsmethoden eine spezielle Note, die in den anderen Karikaturen nicht anklingt (Abb. 19). Bereits 1846 zeichnete Raymond Pelez (1815-1846) das Atelier des Künstlers als eine Art Manufakturbetrieb, in dem ganze Scharen von Hilfsarbeitern gewaltige Leinwände produzieren. Karikiert ist die Enstehung des über 20 Meter breiten Monumentalgemäldes Prise de la Smalah, das im Salon von 1845 ausgestellt war.65 Dass Vernet dieses gigantische Format nicht allein bewältigen konnte, lag auf der Hand. Die Karikatur stellt ihn jedoch gleich gänzlich untätig dar: Lässig thront der Künstler auf einem orientalisch anmutenden Kissenlager, während hinter ihm auf einem dreistufigen Gerüst zwei Dutzend Maler an der Vollendung seines Gemäldes arbeiten. Vernet ist hier keineswegs als ein von Termindruck und Zeitnot Getriebener dargstellt. Vielmehr scheint die Arbeit wohlorganisiert und gänzlich ohne sein manuelles Zutun, wiewohl auch ohne künstlerische Inspiration, abzulaufen. „Pour produire par an mille pieds de chefs-d’œuvre, que faut-il? De l’aplomb et cinquante manœuv-

64 Vgl. Ausst.-Kat. Daumier 1808-1879. Réunion des Musées Nationaux Paris u.a. 1999. 65 Horace Vernet: Prise de la smalah d’Abd-El-Kader à Taguin,16 mai 1843, 1844, Öl auf Leinwand, 489 x 2139 cm, Musée national du Château de Versailles

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re“66, heißt es in der Bildunterschrift, die den Fokus auf ein weiteres Charakteristikum des Ausstellungsbetriebes richtet: die Tendenz zum großen Bild. Nicht allein der Termindruck ist es, der den Künstler auf kollektive Produktionsmethoden zurückgreifen lässt, sondern auch das monumentale Format, das für den Einzelnen nicht zu realisieren ist. Die visuelle Kadrierung des Bildraums durch das Gerüst, das als eine Art gleichmäßiges Raster über die Leinwand gelegt ist, trägt zu dem Eindruck eines fabrikmäßigen, entindividualisierten Arbeitsprozesses bei. Abbildung 19: Raymond Pelez: Pièces de toile. (Prise de la Smala.)

Le Salon Caricatural. Critique en vers et contre tous, Charpentier, Paris 1846, S. 11

66 „Was braucht man, um pro Jahr 1000 Fuß Meisterwerke zu produzieren? Nur Dreistigkeit und 50 Hilfsarbeiter. [Übers. d. Autorin]“ Le Salon Caricatural. Critique en vers et contre tous. Première année, Paris 1846, S. 11. Die Texte der anonymen Publikation werden Charles Baudelaire zugeschrieben.

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Horace Vernets „peinture au grand galop“ Mit Horace Vernet nahm die Karikatur einen Künstler ins Visier, der nicht nur dem Typus des Ausstellungskünstlers entsprach, sondern zugleich eine andere, höchst zeittypische Variante des schnellen Malens repräsentierte. Seine erstaunliche Produktionsgeschwindigkeit wurde dementsprechend auch anders visualisiert und begründet. Abbildung 20: Benjamin Roubaud: Panthéon Charivarique: Horace Vernet

Le Charivari, 31.12.1838, o. S.

Die früheste Karikatur auf Vernet erschien am 31. Dezember 1838 in der von Benjamin Roubaud (1811-1847) gezeichneten Lithografienserie Panthéon Charivarique67 des Charivari (Abb. 20). Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Maler auf 67 Beim Panthéon Charivarique handelte es sich um eine Serie von Porträtkarikaturen der bekanntesten Pariser Zeitgenossen. Die Serie verstand sich als Antwort auf die von Louis-Philippe I. in Auftrag gegebene, von David d’Angers ausgeführte und 1837 eingeweihte Ausschmückung des Giebelfeldes am Pariser Pantheon, das im Zuge der Revolution 1791 von einer Kirche zur nationalen Ruhmeshalle umgewidmet und mit der Giebelinschrift „Aux grands hommes la patrie reconnaissante“ versehen worden war. Die symbolische Vereinnahmung dieser Stätte durch den „Bürgerkönig“ wurde von republikanischen Kräften, zu denen auch die Redaktion des Charivari gehörte, abgelehnt. Zu den verschiedenen Umwidmungen des Pantheon vgl. Nora, Pierre (Hg.): Erinnerungsorte

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dem Höhepunkt seiner Karriere: Nach einer Malereiausbildung bei seinem Vater Carle Vernet, zahlreichen Studienreisen und einer kurzen Militärlaufbahn war Vernet 1829 zum Direktor der Académie de France in Rom ernannt worden, der er sechs Jahre lang vorstand. 1835 war er nach Paris zurückgekehrt, hatte König Louis Philippe als Mäzen gewonnen und sich als peintre officiel im Frankreich der Julimonarchie etabliert. Vernet galt als Publikumsliebling, dessen Bilder als Druckwerke in allen Teilen der Gesellschaft massenhafte Verbreitung fanden − wie Baudelaire 1846 süffisant feststellte, schmückten sie „die strohgedeckte Hütte des armen Dorfbewohners wie die Mansarde des fröhlichen Studenten, den Salon der allerelendesten Freudenhäuser wie die Schlösser unserer Könige“.68 Besonders populär waren Vernets glorifizierende Darstellungen bedeutender napoleonischer Schlachten69 und seine aus eigener Anschauung gewonnenen Bilder aus dem algerischen Krieg. 1833 hatte Vernet die Armee Louis Philippes nach Nordafrika begleitet, wo er als eine Art malender Berichterstatter die aktuellen Kriegsereignisse und das tägliche Soldatenleben dokumentierte.70 Es war dies nur die erste von vielen Reisen im Gefolge der französischen Truppen, die Vernets ambivalenten Ruf als peintre militaire oder militaire peintre begründeten.71 Vor der Erfindung der Fotografie waren seine Bilder wichtige, wenn auch nicht unbedingt neutrale Reportagemedien. Als hochsubventionierte Ausstellungswerke kündeten sie der Zivilbevölkerung vom Ruhm der französischen Truppen. Frankreichs, München 2005, S. 526 f. Zur Bedeutung der Serie Panthéon Charivarique vgl. Tillier, Bertrand: À la charge! La caricature en France de 1789 à 2000, Paris 2005, S. 111 ff. 68 Baudelaire, Charles: Der Salon 1846 (1846), in: Ders.: Sämtliche Werke/Briefe, Bd. 1: Juvenilia-Kunstkritik 1832-1846, hg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichois, München 1977, S. 193-283, hier S. 253. 69 Eine Serie von Schlachtenbildern mit napoleonischen Themen entstand als Auftragsarbeit für die Galerie des Batailles im Musée National du Château de Versailles. Die Restaurierung und Modernisierung Versailles, das Louis Philippe ab 1833 als Museum „À toutes les gloires de la France“ herrichten ließ, war ein Projekt mit nationaler Bedeutung, in das sich Vernets Malereien nahtlos einfügten. Die neu eingerichtete Galerie des Batailles erlangte dabei eine besondere Bedeutung für die Konstruktion einer nationalen Identität. Vgl. dazu Delaplanche, Jérôme/Sanson, Axel: Peindre la guerre, Paris 2009, S. 158. 70 Auf diesen ersten Besuch folgten zahlreiche weitere Algerien- und Orientreisen, meist im Gefolge der französischen Armee. Vernet erwarb sich auf diese Weise auch einen Ruf als Orientmaler. Vgl. Leitzke, Angelika: Das Bild des Orients in der französischen Malerei von Napoleons Ägypten-Feldzug bis zum Deutsch-Französischen Krieg, Marburg 2001, S. 185 ff. 71 Auch während des Krimkrieges (1853-1856) begleitete Vernet die französischen Truppen.

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Die Karikatur des Charivari zeigt den Maler in militärischer Tracht mit napoleonischem Zweispitz und den Schnabelschhuhen des Orientalisten auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes. Anstelle eines Säbels, der seine Aufmachung vervollständigen würde, hält Vernet in der rechten Hand jedoch einen Pinsel, mit dem er eine seitlich des Weges auf einer Staffelei stehende Leinwand gleichsam im Vorbeireiten bearbeitet. Dass der Pinsel im Grunde wie eine Waffe gehalten wird, betont die Doppelidentität des Dargestellten als Militärmaler oder malender Militär, die Vernet zeitlebens begeistert affirmierte. Auf seinem um 1820 entstandenen programmatischen Atelierbild räumte er der Identität des Militärs sogar Vorrang vor dem Beruf des Künstlers ein, denn er stellte sich selbst nicht malend, sondern fechtend dar, mit dem Degen in der rechten und den Malwerkzeugen in der linken Hand.72 Möglicherweise rekurrierte Vernet damit auch auf den Begriff der bravura, der seit der frühen Neuzeit mit der Metapher des Fechtens in Verbindung gebracht wurde. Schon über Tintoretto hieß es, er sei „schnell wie ein guter Fechter, der kunstvoll allein mit zwei Pinselhieben das lebhaft zur Erscheinung bringt, wofür andere tausendmal ansetzen, um es nur annähernd zu umreißen“.73 Einige Kritiker, darunter Charles Baudelaire, ließ Vernets Insznierung der eigenen bravura kalt. Für Baudelaire war der Künstler schlicht und einfach „ein Militär, der malt.“ In seinem Salon von 1846 schrieb er, möglicherweise inspiriert von der Karikatur des Charivari, er hasse Vernets „bei Trommelschlägen improvisierte Kunst, diese im Galopp gepinselten Bilder, diese mit Pistolenschüssen fabrizierte Malerei“.74 Baudelaires heftige Abneigung mag zum Teil politisch motiviert gewesen sein, doch der Autor kritisiert auch explizit die Schnelligkeit, mit der Vernet seine Bilder produzierte. Der Vorwurf einer schnellen Malerei ist auch das zentrale Thema von Roubauds Karikatur. Das rasche Arbeitstempo des Malers findet seine Entsprechung in einer außerordentlich dynamischen Darstellung von Pferd und Reiter, die an Figuren aus Vernets eigenen Bildwelten erinnern, etwa an die Figur des Joachim Murat aus Vernets Bataille d’Iéna (Abb. 21). Verstärkt wird der Eindruck einer flüchtigen, mehr auf Quantität als auf Qualität angelegten Produktion durch die Staffeleien im Hintergrund, die weitere, bereits vollendete Gemälde tragen. Auch diese sind, so die Zuspitzung der Karikatur, auf dieselbe Weise, nämlich „au grand galop“ ent-

72 Horace Vernet: L’Atelier, Öl auf Leinwand, um 1820, Maße unbekannt, Privtsammlung. Für eine Analyse des Bildes und seiner politischen Implikationen vgl. AthanassoglouKallmeyer, Nina Maria: „Imago Belli: Horace Vernet’s L’Atelier as an Image of Radical Militarism under the Restoration“, in: The Art Bulletin, Bd. 68 (1986), Nr. 2, S. 268-280. 73 Guarini 1895, S. 51. Zit. nach Suthor, Nicola: Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München 2010, S. 74 f. 74 C. Baudelaire: Der Salon 1846, S. 253.

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standen. In einem gereimten Dreizeiler, der die Karikatur begleitet, wird ebenfalls auf die Praxis des schnellen Malens Bezug genommen. Dort heißt es: „Horace Vernet peint tout ses tableux d’histoire au grand galop... Eh bien, qu’importe à son talent, si le succes pour lui n’en souffre nullement?“75

Abbildung 21: Horace Vernet: Bataille d’Iéna, 14 octobre 1806, 1836, Öl auf Leinwand, 465 x 543 cm, Musée National du Château de Versailles

© bpk / RMN – Grand Palais

Roubauds Karikatur erlangte offenbar einige Popularität, denn sie tauchte in den folgenden Jahren in leicht variierter Form noch drei weitere Male im Charivari auf. Die ganzseitige Lithografie wird dabei zur kleinformatigen Holzstichvignette (Abb. 22), die Artikeln über Horace Vernet als Titelillustration vorangestellt ist.76 Die

75 „Horace Vernet malt alle seine Historienbilder in vollem Gallopp... Nun ja, was schadet’s seinem Talent wenn der Erfolg darunter nicht leidet? [Übers. d. Autorin]“ B. Roubaud: Panthéon Charivarique: Horace Vernet. 76 Anonym: „Le Protocole du pinceau“, in: Le Charivari, 12.06.1844, Anonym: „Le Pinceau de Feu“, in: Le Charivari, 21.05.1845 sowie Anonym: „Peintures de M. Vernet à la Chambre des Deputés“ in: Le Charivari, 06.11.1847, alle o. S. Die ersten beiden Artikel

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Zahl der bereits fertig gestellten Leinwände im Hintergrund erhöhte sich in diesen späteren Darstellungen auf fünf. Auch in der geschriebenen Satire des Charivari wurde Vernet immer wieder als ‚Schnellmaler‘ charakterisiert, so dass Text und Karikatur einander ergänzten. So betonte ein anlässlich der Abreise Vernets nach England verfasster Artikel von 1844 zunächst die Rastlosigkeit des Malers, den auch sein Publikum stets nur im Vorbeieilen zu Gesicht bekomme: „Il est parti! - Qui? Quoi! vous ne l’avez pas vu passer? Il allait au galop, ventre à terre, bride abattue. Il faisait dix lieues à l’heure, puis dix autres encore. Il n’a fait que passer, il n’était déjà plus. C’est un feu-follet, un éclair, un goëland, une ombre; c’est un pinceau.“77

Abbildung 22: Anonym: Titelvignette zum Artikel „Le Protocole du Pinceau“

Le Charivari, 12.06.1844, o. S.

Karikatur und schriftliche Satire brachten die Reisegeschwindigkeit Vernets mit seiner malerischen Praxis in Verbindung: Wenn seine Kutsche drei Relais in der Stunde passiere, so vollende sein Pinsel auf jeder Reise fünf Bilder78 − eine enorme Menge für einen Maler seiner Generation, die den Verdacht der fehlenden Sorgfalt

kommentieren die ausgeprägte Reisetätigkeit Vernets, beim letzten handelt es sich um eine Ausstellungskritik. 77 „Er ist auf und davon! – Wer? Was! Haben Sie ihn nicht vorbeireiten sehen? Er raste dahin wie der Blitz, im gestreckten Galopp. Er macht zehn Meilen pro Stunde und dann noch zehn weitere. Er ritt nur vorbei, ist schon über alle Berge. Das ist ein Irrlicht, ein Blitz, eine Möwe, ein Schatten; das ist ein Pinsel. [Übers. d. Autorin]“ Anonym: „Le Protocole du pinceau“, in: Le Charivari, 12.06.1844, o. S. 78 „Si sa chaise de poste fait trois relais à l’heure, son pinceau fait cinq toiles à la journée.“ Ebd.

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provozierte. Vernet, so fuhr der Autor fort, sei stets bereit, ob es nun gelte, tausend Meilen zu überwinden oder dreißig Galerien vollzuschmieren79 − ein Seitenhieb auf den Beitrag des Malers zur Galerie des Batailles in Versailles, dessen Qualität in der zeitgenössischen Kunstkritik kontrovers diskutiert wurde. Die Parallelisierung von Reise- und Arbeitsmodi des karikierten Künstlers führte den Autor schließlich zu einem Vergleich der Pinsel Vernets mit galoppierenden Pferdehufen: „Quand il voyage, on peut croire que son pinceau est entré dans les pattes de ses cheveaux; mais quand il peint, on peut imaginer que les jambes chevalines se sont introduites dans son pinceau.“80

Das Wortspiel von cheval (franz. Pferd) und chevalet (franz. Staffelei) komplettiert die Satire: Nur weil er das eine nicht hatte − gemeint ist hier wohl die militärische Karriere − habe er sich dem anderen zugewandt.81 Die Verbindung von Kunst und Reise war um 1840 noch ein relativ neues Konzept. Der Typus des reisenden Landschaftsmalers entwickelte sich mit dem Ausbau der Reiserouten und dem Aufkommen neuer Verkehrsmittel in den 1830er Jahren, konzentrierte sich allerdings zunächst auf die europäischen Länder, vor allem Frankreich, Italien und die Schweiz.82 Die Reise in exotische Länder wie Ägypten und den Orient war für Alleinreisende nach wie vor höchst aufwendig und riskant, so dass die mit den Heeren reisenden Schlachtenmaler trotz aller auch damit verbundener Risiken im Vorteil waren. Der die Armeen begleitende Schlachtenmaler, der sich als Künstlertypus bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts herauszubilden begann83, kann so in mancher Hinsicht als Vorläufer des privat und individuell reisenden Künstlers im 19. Jahrhundert gelten. Bis zur Jahrhundertmitte entwickelte sich der Typus des reisenden und unterwegs arbeitenden Malers zu einem Massenphänomen, das auch in Karikaturen behandelt wurde. Besonders der Zusammenhang zwischen Reisegeschwindigkeit und Arbeitstempo war dabei von Interesse. So zeigt eine 1845 erschienene Karikatur der Fliegenden Blätter den Künstler in höchster Bewegung (Abb. 114): Auf einem im 79 „S’il faut franchir mille lieues, il est prêt; mail s’il faut barbouiller trente galeries, le voilà.“ Ebd. 80 „Wenn er reist, ist es so, als sei sein Pinsel in die Hufe seiner Pferde gefahren; doch wenn er malt, könnte man meinen, dass die Pferdehufe in seinen Pinsel eingedrungen sind. [Übers. d. Autorin]“ Ebd. 81 „Ne pouvant pas avoir le cheval, il a pris le chevalet“, ebd. 82 Ein Pioniere auf diesem Gebiet war William Turner, der mit seinen Rivers of France 1837 eines der ersten Reisebilder-Alben veröffentlichte. 83 Schon Napoleon I ließ sich auf seinem Ägyptenfeldzug (1798-1801) von Künstlern begleiten, darunter die Maler Dominique Vivant Denon und Nicolas-Jacques Conté.

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Galopp dahinjagenden Einspänner skizziert er die rasch vorüberziehende Landschaft, von der er bei der dargestellten Reisegeschwindigkeit höchstens einen flüchtigen Eindruck gewinnen kann. Der Prozess der Reise veränderte das Sehen und das Malen. Mit zunehmender Geschwindigkeit reduzierte sich der vormals ‚studierende‘ Blick des Künstlers auf einen flüchtigen Eindruck, den dieser ebenso flüchtig zu fixieren lernte. Dem Prototyp des reisenden Malers Vernet haftete diese Flüchtigkeit sogar bei der Arbeit im Atelier an: Eine wiederum auf ihn gemünzte, 1848 im Charivari publizierte Karikatur von Cham (eigtl. Amedée de Noé, 1819-1879)84 konnte das Charakteristikum des flüchtigen Blicks daher unabhängig vom Modus der Reise behandeln (Abb. 23). Abbildung 23: Cham: Un M. été assez heureux pour gagner un bon de portrait à faire exécuter par Horace Vernet, se voit obliger de monter sur un cheval fougueux et indomptable

Le Charivari, 23.12.1848, o. S.

Vernet ist hier zwar vor der Staffelei sitzend dargestellt, dafür befindet sich ein Modell in heftiger Bewegung. Der Bildunterschrift zufolge handelt es sich dabei um einen bürgerlichen Auftraggeber, der, um sich von Vernet porträtieren zu lassen, genötigt wurde, auf dem Rücken eines wilden Pferdes Platz zu nehmen. Die Szene erscheint als eine absurde Simulation der sonst vom Maler präferierten galoppierenden Reiterfiguren. Sie suggeriert, dass dieser gar nicht mehr in der Lage sei, ei-

84 Cham gehörte 36 Jahre lang zu den Stammzeichnern des Charivari, dessen Erscheinungsbild und humoristisches Profil er maßgeblich prägte. Vgl. Ribeyre, Félix: Cham, sa vie et son œuvre, Paris 1884.

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nen unbewegten Gegenstand zu malen. Die auf Reisen und im Schlachtengetümmel angeeignete Flüchtigkeit des Blicks scheint zu einem dauerhaften Zustand geworden zu sein, der keinen anderen Wahrnehmungsmodus mehr zulässt. Monika Wagner zufolge begünstigte die Mobilisierung des Blicks im 19. Jahrhundert auch die Entstehung von bewegten Bildern − seien es die expandierenden Bilderfolgen der gedruckten Reisealben oder malerische Vorformen des Films wie das Moving Panorama, das dem Betrachter durch rasch wechselnde Landschaftsbilder die Illusion einer reiseähnlichen Bewegung vermittelte.85 Gerade beim Panorama, das sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Europazu einem populären Massenmedium entwickelte, führte der zunehmende Erfolg bald zu einer Beschleunigung der Produktion durch technisch rationalisierte Aufnahmeverfahren und eine arbeitsteilige Organisation des Malprozesses. Dem schnell konsumierbaren Bild entsprach eine schnelle Produktion: Um den wachsenden Bildhunger des Publikums zu befriedigen, stand der Panoramist unter großem Zeitdruck. Sein hastiger Arbeitsprozess ist Gegenstand einer englischen Karikatur, die ihn beim Farbauftrag im Laufschritt zeigt, wie er die Farbe großflächig mit einer Art Mopp auf den Bildträger bringt (Abb. 24) Abbildung 24: Anonym: The Traveling Panoramist (Detail)

Punch, 14.07.1849, zit. nach: S. Oeterman: The Panorama History, S. 109

Zahlreiche Karikaturen deutscher, englischer und französischer Provenienz thematisierten den verschwommenen Blick auf die Landschaft aus dem Fenster der fahrenden Eisenbahn, dem ‚Dampfross‘, das die Reisegeschwindigkeit und die damit ver85 Wagner, Monika: „Bewegte Bilder und mobile Blicke. Darstellungsstrategien in der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts“, in: Segeberg, Harro (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens. Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst, München 1996, S. 171-189. Zur Geschichte des Moving Panoramas vgl. Oeterman, Stephen: The Panorama History of Mass Media, New York 1997.

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bundene Mobilisierung des Blicks gegenüber dem dahingaloppierenden Pferd noch steigerte.86 Schnelles Malen und die damit verbundene Flüchtigkeit der Produktion wurden auf den Modus der Reise und die Beschleunigung der Wahrnehmung zurückgeführt. Eine positive Sichtweise der schnellen Malerei, die auf diese Entwicklung reagierte und sich der neuen Blickgeschwindigkeit anpasste, setzte sich erst im Zusammenhang mit dem Impressionismus allmählich durch. In den 1840er und 1850er Jahren fiel die Bewertung des flüchtigen Blicks dagegen meist noch negativ aus. Dies zeigen zeitgenössische Texte über Horace Vernet, dem der flüchtige Blick in besonderer Weise zu eignen schien. So schrieb der Kritiker Théophile Silvestre in dem Vernet gewidmeten Kapitel seines Überblickswerks Les artistes français, der Künstler habe die Welt im Grunde nur am Fenster eines Eisenbahnwagons vorüberziehen sehen.87 Diese Form des Sehens wurde als defizitär bezeichnet, führte sie doch nach Ansicht des Autors dazu, dass die Landschaft nur als eine unterschiedslose „bigarrure des objets“88 in Erinnerung bleibe. Diese Einschätzung passt zu Befürchtungen, die man um 1840 mit der Erhöhung der Reisegeschwindigkeit verband.89 Die permanente Überforderung des Gesichtssinnes durch rasch wechselnde optische Eindrücke galt Kritikern des neuen Verkehrsmittels als Gefahr für das Gehirn und den gesamten Wahrnehmungsapparat.90 Da dieser die schnell wechselnden Bilder nicht mehr angemessen verarbeiten könne, reduziere sich die Tätigkeit des Auges auf ein Reflektieren flüchtigster optischer Phänomene. Das Auge könne die vorbeirasenden Gegenstände nicht fixieren, so dass die ehemals konturierte Form sich beim Blick aus dem Eisenbahnfenster auflöse. Seit der Jahrhundertmitte behandelten zahlreiche Karikaturen dieses Phänomen mit der Darstellung grotesk verzerrter Landschaften, in denen der Kontur durch horizontale Schraffuren ersetzt wurde.91

86 Häufig wird die Landschaft dabei auf wenige horizontale Linien reduziert. Für Bildbeispiele vgl. Ausst.-Kat. Mit dem Auge des Touristen. Zur Geschichte des Reisebildes, Kunsthalle Tübingen 1981, z.B. S. 11 und S. 135. 87 „On dirait qu’il a vu seulement par la fenêtre d’un wagon le monde se dérouler, valser autour de lui disparaître dans une lumière poudroyante.“ Silvestre, Théophile: Les artistes français (1856), Paris 1878, S. 367. Silvestre erwähnt auch die Karikatur des Charivari, die er jedoch für „un faible Portrait“ hält. Ebd., S. 367. 88 Ebd. 89 Vgl. Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1989. 90 Ebd., S. 53 ff. 91 Vgl. Wagner, Monika: „Wirklichkeitserfahrung und Bilderfindung. William Turner“, in: Wagner, Monika (Hg.): Moderne Kunst. Das Funkkolleg zum Verständnis der Gegenwartskunst, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 115-134, hier S. 125.

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Die Konsequenzen dieser Entwicklung für das künstlerische Sehen schätzte Silvestre dramatisch ein: Das Abbild der Welt, das während der Reise auf der Netzhaut des Künstlers entstehe, gleiche, wie er mit Blick auf Vernet feststellt, „les reflets du feu passent sur un vitrage“92 − kaum mehr als ein nervöses Flackern, das im nächsten Moment wieder erlöschen kann. Ein sorgfältiges Studium des Bildgegenstandes, wie es in der akademischen Malereitradition gefordert und in der zeitgenössischen Künstlerausbildung nach wie vor praktiziert wurde, blieb dabei freilich auf der Strecke. Was sich hier anzukündigen scheint, ist die Praxis eines fotografischen Sehens, zu dem der ‚rasende Bildreporter‘ Vernet eine Schnittstelle bildet. Wie kurz darauf die Kamera schien bereits der Maler die Natur nicht mehr zu gestalten, sondern nur noch zu reflektieren. Obwohl sie noch ein vorindustrielles Reisen darstellt, betont Roubauds Karikatur dennoch bereits die Geschwindigkeit der Bildaufnahme und verarbeitung, welche die Malerei Vernets in die Nähe fotografischer Verfahren rückt. Die Analogie von malerischer und fotografischer, das heißt von manueller und maschineller Bildproduktion, die in der Karikatur allenfalls implizit enthalten ist, wurde auch von anderen Zeitgenossen des Malers bemerkt. So zeigte sich etwa Alfred Maury, ein prominenter Wissenschaftler und Professor am Collège de France, fasziniert von der Leichtigkeit, mit der Vernet die Gesichter und Haltungen seiner Figuren „fotografierte“93, womit das schnelle Skizzieren aus der Erinnerung gemeint war. Vernets ‚fotografisches‘ Gedächtnis fand in zeitgenössischen Texten wiederholt Erwähnung. Der Maler Frédéric Goupil-Fresquet, Vernets Neffe und Begleiter bei einer 1839 unternommenen Orientreise, schilderte in seinem1844 publizierten Reisebericht Vernets Gedächtnis als ein der Fotografie analoges Verfahren, das dem Künstler eine besonders rasche Arbeitsweise erlaube: „[Q]uand il compose un tableau, il invoque ses souvenirs, comme nos peintres ordinaires feuillètent un album pour y faire choix d’un sujet; puis, prenant une toile blanche, il fait naître sous son pinceau un épisode, une scène dramatique, aussi vite qu’on écrit une lettre; il voit son sujet comme un rêve qu’il fait durer à volonté; on serait tenté de croire qu’ily a du daguerréotype dans cette mystérieuse et extraordinaire faculté.“94

In einer biografischen Skizze über Vernet stellte auch Charles Blanc diesen Zusammenhang her: „L’œil d’Horace était comme le verre de l’objectif photogra92 T. Silvestre: Les artistes français, S. 367. 93 „[I]l fascinait Alfred Maury par la facilité avec laquelle il ‚photographiait‘ les visages et les attitudes: Vernet aimait à aller voir les cheveaux, les soldats, les bêtes feroces, et, en rentrant chez lui, croquait leurs attitudes sur le papier.“ Zit. nach: A. Martin-Fugier: La vie d’artiste au XIXe siècle, S. 290. 94 Goupil Fresquet, Frédéric: Voyage d’Horace Vernet en Orient, Bd. 2, Brüssel 1844, S. 6.

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phique, il en avait les propriétés étonnantes, mais aussi, comme l’instrument de Daguerre, il voyait tout, il reproduisait tout, et cela sans choix, sans préférence.“95 Vernets Arbeitsweise schien eine besondere Affinität zu dem neuen, schnellen Verfahren, der Fotografie, zu besitzen. Es kann daher kaum überraschen, dass er selbst zu den Pionieren dieses Bildmediums gehörte: Während der besagten Orientreise im Herbst 1839, unmittelbar nach der Veröffentlichung des Daguerrotypieverfahrens in Paris, und erneut ein Jahr später bei einer Reise in den mittleren Osten bediente er sich dieser neuen Technik.96 Vernets Aufnahme der Al Saraya-Moschee gilt als früheste fotografische Ansicht der Stadt Beirut, und einige der auf seiner Ägyptenreise entstandenen Daguerrotypien erschienen als Drucke in Lerebours’ Excursions Dagueriennes.97 Ob Vernet auch in der Malerei nach fotografischen Vorlagen arbeitete, ist nicht bekannt. Eine möglichst aktuelle und dabei ästhetisch ansprechende Bildreportage zu liefern, war jedoch das − gleichsam fotografische − Anliegen seiner monumentalen Gemäldeserie aus dem französisch-algerischen sowie dem Krimkrieg.98 Vernet war dabei vielleicht der prominenteste, aber längst nicht der einzige Maler, der im Auftrag der Regierung Louis Philippes den Eroberungsfeldzug dokumentierte. Die Produkte dieser staatlichen Auftragsvergabepolitik nahmen in den Salonausstellungen der 1830er und 1840er Jahre einen breiten Raum ein; sie waren, wie Angelika Leitzke feststellt, „Fließbandware innerhalb der französischen Historienmalerei“.99 Die Karikaturen des Charivari betonten diesen Aspekt der Massenproduktion durch die lange Reihe der im Hintergrund sichtbaren fertigen Gemälde, die sich fast bis zum Horizont zu erstrecken scheint. In der Literatur wird der improvisierte, flüchtige Charakter von Vernets Malerei meist auf die Vielzahl seiner Aufträge zurückgeführt, die ein rasches Arbeitstempo erforderlich machte. Dieses führte jedoch nach Ansicht vieler Kritiker zu einer Kunst, die, wie selbst im Eintrag des Künstlerlexikons Thieme/Becker zu lesen ist, „mehr in die Breite als in die Tiefe“ gehe.100 Positive Bewertungen seiner Technik, 95

Blanc, Charles: Une Famille d’Artistes: Les Trois Vernets, Paris 1898, S. 136.

96

Vgl. Stapp, Will: „Egypt and Palestine“, in: Hannavy, John (Hg.): Encyclopedia of Ni-

97

Lerebours, Noël-Marie Paymal: Excursions Dagueriennes, Paris 1842. Bei dieser Publi-

neteenth-Century Photography, Bd. 1, New York 2008, S. 475-478, hier S. 476. kation handelt es sich um eines der ersten Reisealben mit Kupferstichen, die auf fotografischen Aufnahmen basieren. 98

Auch Leitzke bezeichnet die malerische Dokumentation der Algerienkampagne als „Fotoreportage“. A. Leitzke: Das Bild des Orients, S. 180.

99

Ebd., S. 185.

100 Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker, hg. von Hans Vollmer, Bd. 34, Leipzig o. J., S. 284.

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wie Felix Mendelssohn Bartholdys Äußerung, er habe von Vernet die „Leichtigkeit und Unbefangenheit beim Schaffen“101 gelernt, waren eher die Ausnahme. Ein weiterer Angriffspunkt war durch die Tatsache gegeben, dass Vernet nicht allein arbeitete, sondern einen umfangreichen Werkstattbetrieb unterhielt, der die fortlaufende Produktion von monumentalen Auftragswerken ermöglichte. Dies erklärt den Vergleich seiner Arbeitsweise mit industriellen oder maschinellen Produktionsmethoden, in dem die unter Mitwirkung des Ateliers entstandenen Bilder als geist- und seelenlose Massenware abqualifiziert wurden.102 Die Bilder selbst waren offenbar wenig geeignet, dieses Urteil zu widerlegen: Spätestens um 1830 hatte Vernet einen wenig individuellen, akademischen Malstil ausgebildet, den er bis zu seinem Tode 1863 kaum weiterentwickelte. Dadurch entstand der Eindruck von Redundanz und mechanischer Wiederholung, der etwa Baudelaire zu der polemischen Aussage veranlasste, Vernets Malerei sei überhaupt keine Malerei, sondern bloß „eine häufige, behende Masturbation“.103 Die ungeheure Popularität, die Vernet bei großen Teilen des einfachen Publikums genoss, und die Wertschätzung, die ihm seitens des Königs zuteil wurde, stand damit im Widerspruch zur vorherrschenden Kritikermeinung. Théodore Silvestre urteilte über die gesamte Malerdynastie der Vernets104: „Ils ont tous trois abaissé l’art au niveau des rues, et la foule, qui se reconnait elle-même dans ces trivialités, applaudit.“105 Horace Vernet erklärte er abschließend sogar zum „Rafael der Kantinen“.106 Im selben Geist bezeichnete Baudelaire den Maler als Vaudevillisten107 und ordnet seine Kunst so der niederen Sphäre der Jahrmarktkultur zu. 101 Mendelssohn Bartholdy, der Vernet 1831 in Rom kennenlernte und von ihm porträtiert wurde, bewunderte die Schnelligkeit des Malers, die es ihm ermögliche, sich gegen Kritik zu immunisieren. Denn „während wir anderen noch überlegen, ob es auch wohl schön zu nennen ist, und zu loben oder zu tadeln, ist er schon längst mit etwas Neuem fertig.“ Brief an Lea Mendelssohn Bartholdy in Berlin, Rom, 15. März 1831, in: Mendelssohn-Bartholdy, Felix: Sämtliche Briefe, Bd. 2, hg. von Anja Morgenstern und Uta Wald, Kassel u.a. 2009, S. 231-235, hier S. 234. 102 Der Vergleich des Atelierbetriebes mit industriellen Produktionsmethoden findet sich auch bei A. Leitzke: Das Bild des Orients, S. 188. 103 C. Baudelaire: Der Salon 1846, S. 254. 104 Joseph (1714-1789) und Carle Vernet (1758-1836), Großvater und Vater von Horace Vernet waren beide als Maler erfolgreich gewesen, der ältere als Landschafts- und Marinemaler, der jüngere als Pferdemaler. 105 T. Silvestre: Les artistes français, S. 400. 106 „M. Horace Vernet est le Raphael des cantines.“ Ebd., S. 401. 107 „Ich weiß sehr wohl, daß dieser Mann ein Franzose ist, und daß ein Franzose in Frankreich heilig und bewundernswert ist […]; aber eben deshalb hasse ich ihn. Im gemeinhin gängigen Sinn heißt Franzose soviel wie Vaudevillist, und ein Vaudevillist ist ein

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Diesen Vergleich der Malerei Vernets mit dem Vaudeville-Theater griff Nadar in einer Karikatur von 1852 auf (Abb. 25). Auch er stellte den Maler als Reiter dar, der im gestreckten Galopp eine Leinwand bearbeitet. Allerdings gleicht Vernet hier weniger einem napoleonischen General als einem ordinären Zirkusreiter, der stehend auf dem Rücken seines winzigen Pferdes balanciert. Offenbar fühlte sich auch Nadar durch Vernets schnelle Malerei herausgefordert, die den Vergleich mit maschinellen Herstellungsverfahren provozierte. In satirischer Übertreibung behauptet die Legende, Vernet produziere seine Gemälde „au mètre, à la toise, à l’hectare“108 − eine Anspielung auf die wahrhaft monumentalen Formate, die der Maler in erstaunlich kurzer Zeit als Auftragsarbeiten für das neu eröffnete Historische Museum in Versailles realisierte. Eine Entsprechung findet der Gedanke einer gleichsam ‚industrialisierten‘ Malerei auf der bildlichen Ebene: Auf der Palette des Karikierten platzierte Nadar eine rauchende Miniatur-Dampfmaschine und parallelisierte die malerische Praxis Vernets so mit den beschleunigten Arbeitsrhythmen der industriellen Massenproduktion. Das Tempo der Reise, versinnbildlicht durch das galoppierende Pferd, entspricht einer hohen Produktionsgeschwindigkeit, die aufgrund ihrer Nähe zu maschinellen Herstellungsverfahren als problematisch wahrgenommen wurde. Vernet war zugleich Reisender und erfolgreicher Unternehmer-Künstler. Im Kontext der Industrialisierung waren Kritiker für beide Phänomene sensibilisiert: Schnelligkeit wurde als Implikation des heraufziehenden Industriezeitalters betrachtet und zunächst noch negativ bewertet. Der Status des Gemäldes als originäre Produktion, in die der Künstler sein ganzes Wissen und Können legte, geriet zunehmend ins Wanken. Im Falle Vernets tangierte dies auch die Beurteilung der handwerklichen Fertigkeiten. Der Vaudeville-Charakter, den Nadars Karikatur dem Arbeitsprozess des Künstlers verlieh und der diesem auch seitens der Kunstkritik zum Vorwurf gemacht wurde, trug dazu bei, die Maltechnik Vernets als handwerklich minderwertig und damit unseriös zu disqualifizieren. Eine positiv-wertschätzende Sichtweise des schnellen Malens sollte sich erst im Zuge der Moderne durchsetzen. Als Künstler, dessen malerisches Werk dem vormodernen Zeitalter angehört, bildet Vernet dennoch eine Schnittstelle zu modernen Diskursen um das schnelle Bild. Sichtbar wird dies in den Karikaturen, die eine andere, neue Perspektive auf den Salonmaler eröffnen.

Mensch, dem bei Michelangelo schwindlig wird und der vor einem Delacroix erstarrt wie ein vom Donnerschlag gerührtes Tier.“, C. Baudelaire: Der Salon 1846, S. 253. 108 Nadar: Lanterne magique des auteurs, journalistes, peintres, musiciens, etc., in: Journal Amusant, 23.04.1852, o. S.

Journal Amusant, 23.04.1852, o. S.

Abbildung 25: Nadar: Lanterne magique des auteurs, journalistes, peintres, musiciens, etc.

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Übertragungsprozesse: Neue Werkzeuge aus Handwerk und Industrie

Die Übertragung handwerklicher und industrieller Arbeitsweisen in den Bereich der Kunst war ein beliebtes Thema der Karikatur. Insbesondere der Gebrauch ‚falscher‘, das heißt im Sinne der akademischen Kunstauffassung nicht regelkonformer Werkzeuge, gab Anlass zu einer satirischen Verwechslung von künstlerischer und nicht-künstlerischer Arbeit. Im Unterschied zum Kampf der Schulen und zum Phänomen des schnellen Malens, die vor allem die Kunst des 19. Jahrhunderts betrafen, hatte dieses Thema in der Karikatur eine longue durée. Die Debatte um den ‚Künstler-Handwerker‘ wurzelt in maltechnischen Neuerungen des 19. Jahrhunderts, doch auch die fortschreitende Industrialisierung und Technisierung, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt, bot der Karikatur zahlreiche Anknüpfungspunkte. Die Emanzipation der Kunst vom Handwerk wurde von ihr auf vielfältige Weise in Frage gestellt.

B ÜRSTE , B ESEN M ALERS

UND

W ISCHMOPP : D ER P INSEL DES

Der Pinsel ist seit jeher das traditionelle Instrument des malerischen Farbauftrags. Dennoch wurde er im 19. Jahrhundert vielfach zum Gegenstand bildsatirischer Kommentare, erlaubte doch die Darstellung seiner − tatsächlichen oder angeblichen − Größe und Beschaffenheit einen Rückschluss auf malerische Arbeitsweisen und das Erscheinungsbild der damit angefertigten Malerei. Besonders die Verwendung ungewöhnlich großer, buschiger oder borstiger Pinsel, wie sie nacheinander den Malern der Romantik, des Realismus und des Impressionismus nachgesagt wurde, besaß ein komisches Potential, da es nahe lag, den Pinsel in karikaturtypischer Übertreibung als Besen oder Wischmopp zu visualisieren. Der englische Illustrator Richard Doyle (1824-1883) tat dies bereits in einer Karikatur auf Joseph Mallord William Turner (1775-1851), die 1846 im Almanack of

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the Month des Punch erschien (Abb. 26). Der Holzschnitt stellt den Maler bei der Arbeit an einem Gemälde dar, dem er statt mit Pinsel und Palette mit einem riesigen, mit gelber Farbe getränkten Wischmopp zu Leibe rückt. Die Farbe Gelb, die Turner mit der Erscheinung von Licht verband und oft großflächig einsetzte, galt als charakteristisch für seine späten Landschaftsgemälde. Abbildung 26: Richard Doyle: Turner painting one of his pictures

The Almanack of the Month – A Review of Everything and Everybody, Nr. 1 (Juni 1846), S. 350

Doyle spielte mit der Darstellung zum einen auf die vergleichsweise geringe Farbvielfalt von Turners Palette an, die ein zeitgenössischer Kritiker am Beispiel des Gemäldes Snow Storm − Steam-Boat off a Harbour’s Mouth (Abb. 27) mit Seifenlauge und Tünche verglich.1 Zum anderen karikierte er die ungewöhnliche Maltechnik des Künstlers, der seine Gemälde oft als abstrakte Farbkompositionen anlegte, bevor er mit sparsam gesetzten Pinselstrichen figürliche Details einfügte. Turner demonstrierte seine Arbeitsweise alljährlich während der Varnishing Days der Royal Academy, an denen die Künstler ihre Exponate mit einem Firnis versahen oder, wie in Turners Fall, erst vollendeten.2 Im Laufe der Jahre wurden seine exzentrischen Maldemonstrationen legendär, so dass sie andere Künstler zu parodistischen Darstellungen inspirierten: William Parrot schuf um 1846 ein kleinfor-

1

Dies berichtet zumindest John Ruskin: „This picture was described by some of the critics of the day as a mass of ,soapsud and whitewash‘.“ John Ruskin: Notes on the Turner Gallery at Marlborough House, London 1856-57, S. 476.

2

Vgl. Wagner, Monika: William Turner, München 2011, S. 20 ff.

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matiges Ölporträt des malenden Turner3 und John Everett Millais karikierte das Geschehen in einer humoristischen Tuschezeichnung von 1851, die Turner abseits der Malerkollegen als einsamen Arbeiter zeigt.4 Dass Turner bei der Farbanlage zu seinen späten, nahezu ungegenständlichen Bildern kaum mit Pinseln, sondern eher mit Lappen, Spachteln und sogar mit den bloßen Händen arbeitete5, könnte Doyles Aufmerksamkeit auf den Arbeitsprozess des Malers gelenkt haben. Hinzu kommt, dass dieser Prozess durch materielle Bearbeitungsspuren an den Oberflächen von Turners Gemälden sichtbar blieb, so dass diese, wie Monika Wagner feststellt, in bisher ungekannter Weise ihr manuelles Gemachtsein betonten.6 Wenn Turner Pinsel benutzte, so handelte es sich nach Aussage seines Künstlerkollegen John Gilbert stets um „ziemlich große Borstenpinsel“, mit denen er seine Farben auf die Leinwand „schmierte“.7 Der Wischmopp der Karikatur korrespondiert mit der von Turner tatsächlich angewandten Technik eines großflächigen, „gewischten“ Farbauftrags ebenso wie mit der Polemik der Kunstkritik, welche die Gemälde des Künstlers häufig als „verwischt“ oder „verwaschen“ beschrieb. Auch wenn Turner in der Karikatur offensichtlich noch mit Farbe hantiert − auf dem vor ihm stehenden Eimer ist deutlich die Aufschrift „Yellow“ zu erkennen − weckt der Wischmopp doch Assoziationen an ganz andere Materialien, deren Beschaffenheit in dem kunstkritischen Verdikt von „soapsud and whitewash“ bereits konkretisiert wurde.

3

William Parrott: Turner on Varnishing Day, um 1846, Öl auf Holz, 25 x 22,9 cm, Sheffield City Art Galleries.

4

Vgl. Wilton, Andrew: William Turner. Leben und Werk, dt. Ausgabe Leipzig 2006, Schmutztitelseite.

5

Der Maler Edward Villiers Rippingille war 1834 während der Firnistage Zeuge eines solchen Arbeitsprozesses, den er wie folgt schilderte: „Irgendwann während des mysteriösen Vorgangs wurde Turner, der fast ausschließlich mit seinem Spachtel arbeitete, dabei beobachtet, wie er einen fingergroßen Klumpen aus einer halb durchsichtigen Masse über sein Bild rollte und verstrich.“ Zit. nach: Ausst.-Kat. William Turner − Licht und Farbe, Museum Folkwang Essen u.a. 2002, S. 363. Weitere Augenzeugenberichte finden sich in A. Wilton: William Turner, S. 157 ff.

6

M. Wagner: Wirklichkeitserfahrung und Bilderfindung, S. 119. Im selben Aufsatz, S. 116 ff., findet sich auch die differenzierte Beschreibung einer Gemäldeoberfläche am Beispiel von Rain, Steam and Speed − The Great Western Railway.

7

„Er hatte eine große Palette und darauf nichts anderes als zwei riesige Klumpen Schieferweiß: Er hatte zwei oder drei ziemlich große Borstenpinsel zum Arbeiten und mit ihnen schmierte er das Weiß in alle Mulden und auf jeden Teil der Oberfläche.“ Zit. nach: A. Wilton: William Turner, S. 161, 164.

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Abbildung 27: Snow Storm – Steam Boat off a Harbour’s Mouth, 1842, Öl auf Leinwand, 91,5 x 122 cm, Tate Gallery, London

© Tate, London 2015

War es in England hauptsächlich das ‚verschwommene‘ Erscheinungsbild von Turners Malerei, das eine karikaturistische Polemik über die Werkzeuge des Farbauftrags provozierte, so sorgte ein anderes Stilmerkmal dafür, dass der Pinsel zeitgleich auch in Frankreich ins Blickfeld von Karikatur und schriftlicher Satire geriet: die sichtbare Faktur. Als einer der Ersten arbeitete Eugène Delacroix mit nebeneinander gesetzten Pinselstrichen, die nicht materiell verschmolzen wurden, sondern an der Bildoberfläche sichtbar blieben. Ähnlich wie Turners Bearbeitungsspuren lenkte auch Delacroix’ sichtbare Pinselarbeit die Aufmerksamkeit auf den Herstellungsprozess, dessen Spur nicht verschleiert, sondern bewusst offengelegt wurde. Gegenüber der akademischen Maltradition stellte dieses Verfahren einen klaren Regelverstoß dar, denn sichtbare Pinselstriche sollte ein Gemälde nur im frühen Stadium der Anlage (ébauche) aufweisen. Um das Bild zu vollenden verwendete der Maler sehr feine Pinsel, mit denen er die Übergänge zwischen den einzelnen Zonen verschmolz und die materiellen Arbeitsspuren von der Bildoberfläche tilgte.8 Mit dieser Tradition setzte sich Delacroix auseinander, als er schrieb:

8

Nach diesem Arbeitsschritt konnte die nunmehr geglättete Bildoberfläche wieder mit einzelnen sichtbaren Pinselstrichen versehen werden, um das Gemälde zu beleben und einen

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„Es giebt in allen Künsten feststehende und überlieferte Vortragsmittel und man ist nur ein unvollkommener Kunstkenner, wenn man in diesen Ausdrucksformen des Geistes nicht lesen kann. Beweis hierfür, dass der Gewohnheitsmensch die glattesten und zahmsten Bilder allen andern vorzieht und zwar eben aus diesem Grunde. Viele Meister haben es vermieden, den Pinselstrich fühlen zu lassen; sie glaubten dadurch der Natur näher zu kommen, welche ja in der Tat keine Pinselstriche zeigt. Der Pinselstrich ist ein Mittel wie jedes andre, das den malerischen Gedanken auszudrücken hilft.“9

Dass Delacroix seinen Pinselstrich auf beunruhigende Weise sichtbar werden ließ, blieb nicht unkommentiert. Die mitunter heftigen Polemiken zu seinem neuen Malstil kulminierten in der Aussage, der Künstler male mit einem ‚betrunkenen Besen‘. Mal einem unbekannten Journalisten, dann wieder dem Rivalen und stilistischen Antipoden Ingres zugeschrieben10, erlangte das Verdikt des balai ivre bald große Popularität. 1846 legte der Schriftsteller und Kunstkritiker Jules Champfleury es seinem Monsieur Prudhomme, der Verkörperung des eingebildeten philisterhaften Bourgeois, in den Mund, der sich bei einem Salonbesuch über Delacroix’ Werke wie folgt äußert: „Oh! l’horreur! Il est inconcevable que les jurés reçoivent de pareilles choses. Mais c’est peint avec un balai... un balai ivre même [...] On n’a pas d’idée de quelque chose aussi affreux.“11

Die Tatsache, dass Théophile Silvestre in dem Delacroix gewidmeten Kapitel seiner Artistes Françaises noch 1878 auf den balai ivre zu sprechen kam, zeigt, mit welcher Hartnäckigkeit der Vergleich dem Künstler anhing. Silvestre berichtet von einem Zusammentreffen mit dem älteren, bereits renommierten Delacroix, der sich am Ende seines Lbens über die Ungerechtigkeiten beklagt, die ihm vom Publikum und von der Kunstkritik zugefügt wurden:

Effekt der Unmittelbarkeit zu erzielen. Die hierbei sichtbaren Pinselspuren ergaben sich jedoch nicht, wie bei Delacroix, aus dem Arbeitsprozess, sondern wurden nachträglich eingefügt, um eine Illusion künstlerischer Inspiration entstehen zu lassen. Für eine differenzierte Beschreibung des akademischen Malprozesses vgl. Boime, Albert: The Academy and French Painting in the Nineteenth Century, London 1971, S. 36 ff. 9

Zit. nach: Signac, Paul: Von Eugen Delacroix zum Neo-Impressionismus (1899), dt. Ausgabe Berlin 1908, S. 20.

10 In der Literatur wird das Verdikt meist auf Ingres zurückgeführt. Vgl. z. B. R. King: Zum Frühstück ins Freie, S. 61. 11 Champfleury, Jules: „Monsieur Prudhomme au salon“, in: Pauvre Trompette. Fantaisies de printemps, Paris 1847, S. 25.

78 | DIE A RBEIT DES K ÜNSTLERS IN DER K ARIKATUR „‚Voilà, déjà plus de trente ans que je suis livré aux bêtes,‘ me dit-il, le visage pâle et la voix tremblante. M. Vitet, de l’Académie française comparait un jour Delacroix à M. de Arlincourt; Lamartine - poète aveugle - lui attribuait innocemment quelques pauvres peintures de M. Vinchon et l’accablait d’éloges; un journaliste balbutiait un jour dans son ivresse: ,M. Delacroix peint avec un balai ivre.‘‟12

Obwohl beide Autoren Delacroix verehrten und den Vorwurf des balai ivre nur als Beleg für das Banausentum des zeitgenössischen Kunstpublikums anführten, trugen sie doch dazu bei, die Polemik zu aktualisieren und das Verdikt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Trotz oder gerade wegen seiner Ungeheuerlichkeit schien der Vorwurf eine gewisse Anziehungskraft zu besitzen, die erklärt, dass er in so unterschiedlichen Textgattungen wie Champfleurys satirischem Dialog und Silvestres kunsthistorischer Monografie auftauchte. Auch in Bertalls 1849 entstandener Karikatur auf die Republik der Künste (Abb. 1) ist er latent vorhanden, wird Delacroix doch gleichsam mit dem balai ivre, einem übergroßen besenartigen Pinsel dargestellt, dessen buschiger Besatz dem emporfliegenden Schweif seines Pferdes ähnelt. In der Karikatur ist der balai ivre allerdings keine Beleidigung, die der Künstler passiv erleidet; vielmehr wird er zur Waffe, die er selbstbewusst gegen seinen Erzrivalen Ingres, den Klassizisten und angeblichen Urheber des Verdikts, einsetzt. Der Topos des balai ivre blieb indes nicht an die Person von Eugène Delacroix gebunden, sondern wurde bald auf die gesamte romantische Malerschule übertragen. Noch 1890 karikierte Luc (eigtl. Lucien Métivet, 1863- ca. 1930) den „letzten Romantiker“ mit einer übergroßen „brosse fougueuse“13, die dessen ‚wildem‘ Motiv, einer Darstellung des Fegefeuers, entspricht (Abb. 28). In einer Karikatur von Eugène Ladreyt (1832- nach 1878) wurde der Besen 1868 gar zum Attribut einer als Straßenfeger visualisierten satirischen Allegorie der Malerei (Abb. 29). Die Metapher des balai ivre wurde zu einem Schlagwort, das, wie Émile Zola in seinem Künstlerroman Das Werk von 1886 schrieb, „in den Ateliers die Runde machte“.14 Auch Claude Lantier, der ewig erfolglose Hauptprotagonist des Romans, erhält sein zum Salon eingereichtes Werk von einer Jury, „die entrüstet war über diese Malerei mit dem trunkenen Besen“15 zurückgesandt und zerstört es daraufhin.

12 Silvestre, Théophile: „Eugène Delacroix“, in: Ders.: Les artistes français, S. 1-32, hier S. 28. 13 Nos peintres – par Luc, in: Journal Amusant, 01.02.1890, S. 7. 14 Zola, Émile: Das Werk (1886), dt. Übersetzung von Hans Balzer, Berlin 2002, S. 281. 15 Ebd.

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Abbildung 28: Luc: Le dernier des Romantiques terminant d’une brosse fougueuse et truculente le ciel truculent et fougueux de son tableau représentant l’Enfer, Detail aus: Nos peintres – par Luc

Journal Amusant, 01.02.1890, S. 7

Abbildung 29: Eugène Ladreyt: La peinture, Detail aus: Les Beaux-Arts

Le Petit Figaro, 31.07.1868, o. S.

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Die Karikatur machte vom Topos des balai ivre seit den 1860er Jahren mehr oder weniger regelmäßig Gebrauch. Nach Delacroix war es zunächst Gustave Courbet, dem die Verwendung dieses alkoholisierten Werkzeugs zugeschrieben wurde. Ein überdimensional großer, besenartiger Pinsel trat damit als zweites, ebenfalls die Methoden des Farbauftrags kommentierendes Attribut an die Seite der Maurerkelle, mit der in den 1860er Jahren auf Courbets regelwidrigen Gebrauch des Palettmessers hingewiesen wurde. Eine 1862 publizierte Karikatur von Émile Bénassit mit dem Titel Maître Courbet inaugurant l’atelier des peintres modernes zeigt den Künstler „monté sur le bœuf qui sera son premier modèle“16 an der Spitze eines chaotischen Aufmarschs von Malern, die gegen die Akademie und ihre Traditionen zu Felde ziehen (Abb. 30). Ein Laureat der Akademie wirft sich und seine Medaillen dem Realisten vergeblich in den Weg, denn Courbet ist nicht aufzuhalten: „C’est le PROGRÈS qui passe!“17 In der rechten Hand hält der Maler seine „brosse merveilleuse“18, die die Funktion einer Standarte übernimmt. Sowohl durch seine überdimensionale Größe als auch durch den groben, struppig aussehenden Besatz wirkt das Instrument jedoch weniger wie ein Künstlerpinsel als wie ein ordinärer Besen, den zeitgenössische Betrachter mit der von Courbet vertretenen realistischen Stilrichtung in Verbindung brachten. Bereits 1851 hatte ein Kritiker vermutet, Courbet bearbeite seine Bildoberflächen mit einem rußigen Besen19, während ein anderer ihm 1857 gar den Gebrauch eines Kloakenbesens unterstellte.20 Mit dem balai au macadam, einem Straßenbesen, karikierte Bertall den Künstler 1868 (Abb. 5) und spielte damit einerseits auf die Motive der vermeintlichen ‚Gossenkunst‘ Courbets an, während er andererseits maltechnische Aspekte wie den Einsatz verhältnismäßig großer Pinsel in der Malerei des Realismus reflektierte. Courbets Malwerkzeuge schienen einen satirischen Vergleich mit gewöhnlichen Besen geradezu herauszufordern. Sie sind auch Thema einer Karikatur von Gilbert Randon, die 1867 im Journal Amusant publiziert wurde (Abb. 31): Wie in einer Aureole erscheint das Gesicht des Malers im Zentrum eines Pinselkreises, umgeben von einer Art Glaubensbekenntnis des Realismus: „La verité, toute la verité, rien que la verité“. Die pseudo-religiöse Symbolik der Darstellung, in der dem Künstler 16 Albertus: „Maître Courbet inaugurant l’atelier des peintres modernes“, Begleitartikel zur Karikatur von Émile Bénassit, in: Le Boulevard 1 (1862), Nr. 1, S. 7. 17 Ebd., S. 85. 18 Ebd., S. 84. 19 „[I]l semble que son tableau, une fois peint, il l’ait frotté avec un balai chargé de suie [...].“ Anatole de Montaiglon, in: Le Théâtre, 26.02.1851, zit. nach: Clark, T. J.: Image of the people. Gustave Courbet and the 1848 Revolution, Berkeley u.a. 1973, S. 179. 20 „[S]on Enterrement d’Ornus [sic!], ses Casseurs de pierres et ses demoiselles campagnardes, véritables cauchemars artistiques, peints avec un balai de gadouard [...].“, Joly, Victor: Les Beaux-Arts en Belgique de 1848 à 1857, Brüssel u.a. 1857, S. 305.

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ironisch die Rolle eines Propheten zugewiesen wird21, bildet einen Kontrast zu den höchst irdischen Malwerkzeugen, die auf die handwerkliche Orientierung Courbets hinweisen. Dass es sich bei den dargestellten Malwerkzeugen um relativ große, grobe Borstenpinsel handelt, ist ein weiterer Hinweis auf die Maltechnik Courbets. Seine kraftvollen Pinselzüge erschienen Betrachtern, die noch an die geglätteten Bildoberflächen der klassizistischen Feinmalerei gewöhnt waren, wie grobe Besenhiebe. Abbildung 30: Émile Bénassit: Maître Courbet inaugurant l’atelier des peintres modernes

Le Boulevard, Bd. 1 (1862), Nr. 1, S. 5

21 Vgl. T. Schlesser/B. Tillier: Courbet face à la caricature, S. 29.

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Abbildung 31: Gilbert Randon: Le Maître. Rien n’est beau que le vrai, le vrai seul est aimable

Journal Amusant, 15.06.1867, S. 7

Doch auch die Pinseltechnik akademischer Maler konnte ins Visier der Satire geraten. Dies zeigt eine Karikatur auf ein Bild des arrivierten Salonmalers Théodore Frère (Abb. 32). In einem Salon Caricatural von 1876 verspottete Stop (eigtl. Louis Morel-Retz, 1825-1899) das Gemälde als „gekämmt und abgestaubt“ und bekräftigte dies durch zwei in die Bildfläche hineinragende ‚Malwerkzeuge‘. Neben einem Kamm ist hier auch ein Staubwedel zu sehen, dessen Form an die Blaireau-Pinsel erinnert, die akademische Maler zur Tilgung der Pinselspur und zum Glätten der Bildoberfläche benutzten. In der Debatte um malerischen Farbauftrag ergriff die Karikatur also nicht nur für akademische Techniken Partei, sondern unterzog auch die von ihnen hervorgebrachte Ästhetik einer kritischen Betrachtung. Abbildung 32: Stop: L’Île de Philoe, en Nubie, peignée et époussetée par M. Théodore Frère

Journal Amusant, 17.06.1876, S. 2

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Die Popularität des balai ivre-Verdikts blieb davon freilich unberührt. Noch stärker als Romantik und Realismus war seit den 1870er Jahren die Malerei der Impressionisten von dem stereotyp wiederholten Vorwurf betroffen, der längst zum Gemeinplatz geworden war. Charles Flor O’Squarr, ein progressiver belgischer Kritiker, kommentierte dies 1877 folgendermaßen: „La conscience publique s’indigna. C’était affreux, c’était bête, c’était sale [...]. Les critiques se tinrent les côtes, et l’un d’eux ne laisa pas échapper cette occasion de rééditer la fine plaisanterie de la ,peinture faite à l’aide d’un balai ivre‘, don’t le peuple le plus spirituel de la terre s’était tant réjoui à l’époque des premières expositions particulières e notre ami Edouard Manet.“22

Dass Flor O’Squarr Edouard Manet zum ursprünglichen Auslöser eines Verdikts erklärte, das sich mindestens eine Generation weiter zurückverfolgen lässt, ist zwar nicht korrekt. Seine Ausführungen machen aber deutlich, dass der Topos des balai ivre auch auf den wichtigsten Vorläufer der impressionistischen Bewegung angewandt wurde. Bereits 1863, anlässlich der ersten Präsentation von Manets Frühstück im Freien23 im Salon des Refusés, hatte ein Kritiker die Vermutung geäußert, Manet trage seine Farben mit einem Wischmopp auf.24 18 Jahre später erklärte Alfred Le Petit den Künstler auf der Titelseite der Zeitschrift Les Contemporains zum „König der Impressionisten“25 (Abb. 33). Wie ein antiker Gallierhäuptling auf dem Schild thront der nur mit einer Art Lendenschurz bekleidete Manet auf einer übergroßen Palette, die von vier Männern atlantengleich in die Höhe gestemmt wird. Als Zepter hält er einen Besen in der Hand, in dem wiederum der übergroße impressionistische Pinsel mitgedacht ist. Die primitive Pose des Gallierhäuptlings ist nicht zufällig gewählt, charakterisiert sie doch die Impressionisten als eine Gruppe von ‚Wilden‘, die Manet zu ihrem Anführer erkoren haben. Der balai ivre verweist so auch auf eine vermeintlich ‚primitive‘ Malerei, die den Impressionisten seitens der Kunstkritik häufig nachgesagt wurde.26 22 Flor O’Squarr, Charles: „Les Impressionistes“, in: Le Courrier de France, 06.04.1877, S. 2, zit. nach: Berson, Ruth (Hg.): The new painting: Impressionism 1874-1886, Bd. 1: Reviews, Seattle u.a. 1996, S. 172. 23 Édouard Manet: Le Déjeuner sur l’herbe, 1863, Öl auf Leinwand, 208 x 264,5 cm, Musée d’Orsay, Paris. 24 La Patrie, 21.05.1863, zit. nach R. King: Zum Frühstück ins Freie, S. 114. 25 „Roi des Impressionistes“ lautet die Aufschrift auf der Palette, auf der Manet wie auf einem Häuptlingsschild thront. 26 Wiederholt begegnet zum Beispiel der Vergleich impressionistischer Malereien mit den bildnerischen Versuchen von Kindern. Ein Kritiker schrieb 1877 anlässlich der dritten Impressionistenausstellung: „Quand les enfants s’amusent avec du papier et des couleurs

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Abbildung 33: Alfred Le Petit: Edouard Manet

Les Contemporains, 16.06.1861, Titelseite ils font mieux.“ Ballu, Roger: „L’Exposition des peintres impressionistes“, in: La Chronique des arts et de la curiosité, 14.04.1877, S. 147-148, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 125. Zum Thema Kinderkunst vgl. den Abschnitt „Das kann mein Kind auch!“ in diesem Buch.

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Anlässlich der zweiten Ausstellung der Gruppe in der Galerie Durand-Ruel schrieb der Kritiker Charles Bigot, der feine Haarpinsel sei zur Herstellung der dort ausgestellten Bilder kein brauchbares Instrument, denn „le pinceau est lui-même un instrument trop doux, trop délicat, trop mou pour arriver à render la vérité brutale“. 27 Neben dem Palettmesser, das von Anfang an mit den Impressionisten assoziiert wurde, erschien vor allem die brosse, der Borstenpinsel, als geeignetes Werkzeug. Bei der Analyse dieser Polemik muss die Differenzierungsmöglichkeit der französischen Sprache beachtet werden, die für das Wort „Pinsel“ mindestens zwei Ausdrücke kennt: pinceau und brosse. Pinceau ist zwar der Überbegriff, bezeichnet aber im Sprachgebrauch vor allem die feineren Haarpinsel; der Ausdruck brosse wird immer dann verwendet, wenn von einem eher groben Borstenpinsel die Rede ist. Auch die Encyclopédie commerçant aus dem Jahr 1841 differenziert genau: „On distingue deux sortes de pinceaux. Les uns appartiennent à la brosserie commune; les autres à la brosserie fine. Les premiers consistent simplement en un paquet de poils grossiers, porc, sanglier ou chien, etc., attaché au bout d'un bâton servant de manche ou détrompe. Ce sont ceux qui portent aussi le nom de brosses. Les autres, les pinceaux proprement dits, consistent en petites mèches de poils renfermées dans des tuyaux de plume, cl montées dans des tubes de ferblanc, quand ils excèdent la grosseur des plumes ordinaires.“28

Nur der pinceau war eindeutig der Malerei zugeordnet, während die brosse auch bei wesentlich prosaischeren Verrichtungen wie der Kleiderpflege, dem Schuheputzen und dem Schrubben von Böden zum Einsatz kam. Auch der Pinsel des Anstreichers wurde in der Regel als brosse, manchmal sogar als balai bezeichnet.29 Ob ein Pinsel als brosse oder als pinceau klassifiziert wurde, war, wie aus dem oben zitierten Lexikoneintrag hervorgeht, nicht zuletzt eine Frage des Materials. Für feine Malpinsel wurde meist Marderhaar, das so genannte Kolinski, verwendet, während bei der Produktion von gröberen Pinseln Schweineborsten sowie Hunde- oder Pferdehaar zum Einsatz kamen.30 Wie Anthea Callen in ihrer Studie zur Maltechnik des Impressionismus nachweist, bevorzugten die Impressionisten relativ breite Borstenpinsel mit quadratischem Abschluss, die im 19. Jahrhundert unter die Kategorie der

27 Bigot, Charles: „Causerie artistique: L’Exposition des ‚intransigeants‘“, in: La Revue politique et littéraire, 08.04.1876, S. 349-352, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 60. 28 Garnies, Joseph: „Brosseries“, in: Encyclopédie du commerçant: Dictionnaire du commerce et des marchandises, Bd. 1, Paris 1841. 29 Der Eintrag nennt auch die „balais à l'usage des badigeonneurs, des peintres en bâtiment, etc.“ Ebd. 30 Diese Materialien sind auch heute noch üblich. Vgl. Doerner, Max: Malmaterial und seine Verwendung im Bilde (1965), Leipzig 2001, S. 298-307.

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brosse fielen.31 Damit setzten sie sich von den Vertretern der akademischen Maltradition ab, die feinere Pinsel, also „les pinceaux proprements dits“, mit rundem Abschluss verwendeten. Die handwerklichen Bedeutungen des Wortes brosse öffneten einen breiten Raum für Wortspiele und satirische Vergleiche des Künstlerpinsels mit allerlei anderen Bürsten. Mit diesem Doppelsinn des Begriffs spielt auch eine Karikatur von Cham, die zur Salonausstellung von 1878 im Charivari erschien (Abb. 34). Abbildung 34: Cham: – Oh! Baptiste! Malheureux! –Monsieur m’avait dit que son tableau avait encore besoin de quelques coups de brosse!

Le Charivari, 14.04.1878, o. S.

Sie zeigt einen Commissionaire32, der die Oberfläche des ihm anvertrauten Bildes mit einer groben Schrubberbürste bearbeitet und auf den Ausruf des entsetzt hinzueilenden Künstlers entgegnet, dieser habe doch selbst gesagt, das Bild benötige noch einige „coups de brosse“. Die Karikatur trifft dabei nicht nur eine Aussage über die Dummheit und Ignoranz des Commissionaire, die in Salonkarikaturen einen breiten Raum einnimmt33, sondern auch über das Erscheinungsbild des Gemäl31 A. Callen: Techniques of the Impressionists, S. 13. 32 Die Figur des Commissionaires, eine Art Salondiener, der von den Künstlern für den Transport ihrer Werke zur Ausstellung engagiert wurde, findet sich in vielen französischen Salonkarikaturen und besonders häufig bei Cham. Auf der Seite der hier behandelten Karikatur finden sich noch zwei weitere Darstellungen, die den unsachgemäßen Umgang der Commissionaires mit den ihnen anvertrauten Werken thematisieren. 33 Vgl. M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 208 f.

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des, das von seiner zerstörerischen Handlung betroffen ist: Würde dieses, so die implizite Aussage, nicht ohnehin aussehen wie mit einer Schrubberbürste gemalt, so wäre der Karikierte womöglich nicht auf die Idee gekommen, es seien zu seiner Vollendung noch weitere Bürstenstriche notwendig. Auch in der schriftlichen Kunstkritik begegnet der Vorwurf, die Impressionisten würden ihre Bilder nicht malen, sondern vielmehr „bürsten“ (brosser) oder „schrubben“34 (frotter) − alles Tätigkeiten, die im Gegensatz zum Malen keine feinmotorischen Fähigkeiten erfordern. Anlässlich der dritten Impressionistenausstellung äußerte ein Kritiker gar polemisch den Verdacht, die „Kakophonie“ der impressionistischen Bilder entstehe durch frenetisches Bürsten der Leinwand, ausgelöst durch den Biss einer giftigen Tarantel, der die Kontrolle der Motorik auf ein Minimum herabsetze.35 In einer mittlerweile recht bekannten Karikatur von Cham, die anlässlich der vierten Impressionistenausstellung 1879 im Charivari erschien, wird der impressionistische Pinsel zum Kehrbesen (Abb. 35). Dargestellt ist ein nachlässig gekleideter Maler mit zerzaustem Haar, bei dem es sich laut Bildunterschrift um einen Angehörigen der nouvelle école handelt. Chams expressiver, skizzenhafter Zeichenstil wirkt hier besonders passend, lässt er doch Maler, Malwerkzeug und Gemälde gleichermaßen struppig und ungepflegt erscheinen. Der Künstler bearbeitet sein Gemälde mit einem riesigen Besen, dessen Bürste etwa so breit ist wie die Leinwand selbst. Neben der obligatorischen Kritik an den angeblich mangelhaften technischen Fähigkeiten der Impressionisten36, enthält die Karikatur auch einen Hinweis 34 Dieses Verb verwendete beispielsweise Bertall in einer Polemik zur zweiten Impressionistenausstellung von 1876: „Il y a, nous a-t-on dit, rue Peletier, une maison de santé, sorte de succursale de la maison du docteur Blanche. On y reçoit principalement des peintres. Leur folie est douce; elle consiste à frotter sans cesse et au hasard, d’un pinceau fièvreux trempé dans les couleurs les plus aiguës et les plus incohérentes, une série de toiles blanches [...].“ Bertall: „Exposition des Impressionalistes, rue le Peletier“, in: Le Soir, 15.04.1876, zit. nach: Riout, Denys (Hg.): Les écrivains devant l’impressionisme, Paris 1989, S. 138. 35 „Quelle cacophonie alors de tons aigres, criards et discordants! Quelle débauche de crudités! Quelle orgie de bleu, de vert, de jaune et de rouge! Quel chaos aveuglant! C’est à croire que ces messieurs, piqués par quelque tarentule, ont brosse frénétiquement leurs toiles avec des contorsions de danse de Saint-Guy […].“ Véron, Pierre: „Les Impressionistes“, in: Le Moniteur universel, 08.04.1877, S. 2., zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 175 f. Der Biss der Tarantel galt seit dem Mittelalter als Auslöser für eine neurodegenerative Bewegungsstörung, den sogenannten Veitstanz. Zu Karikaturen auf „epileptische“ Künstler vgl. den Abschnitt „Künstler als Geisteskranke“ in diesem Buch. 36 Zu diesem Aspekt vgl. S. Weiß: Claude Monet, S. 175 ff. Die Autorin sieht in der Karikatur einen Versuch, „die jungen Künstler als Wahnsinnige und ihre Gemälde als Resultate unkonventioneller Malmethoden“ zu charakterisieren.

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auf die tatsächliche Atelierpraxis der Maler. Es ist wohl kein Zufall, dass der Besenbesatz hier, anders als in den Karikaturen auf Delacroix, Courbet und Manet, keine rund gebundene, sondern eine flache Form aufweist. Denn die flache Besenform, bei der die Borsten an einem horizontalen Querholz, dem so genannten Riegel, befestigt sind, entspricht der von den impressionistischen Malern bevorzugten flachen Pinselform. Bis ins 19. Jahrhundert besaßen Pinsel, bedingt durch die handwerklichen Möglichkeiten zur Einfassung des Besteckmaterials, stets eine runde Form. Erst mit der Einführung der maschinell gefertigten Metallzwinge wurde es möglich, auch flach gebundene Borsten und Pinselhaare zu fixieren. Zunächst nur für den handwerklichen Gebrauch hergestellt, setzte sich die neue Form zunehmend auch für Künstlerpinsel durch.37 Flache Pinsel eigneten sich besser zum breiten Ausstreichen der Farbe, sie betonten die Faktur und ließen den Pinselstrich auf eine neuartige Weise sichtbar werden. Abbildung 35: Cham: Nouvelle École – Peinture Indépendante. Indépenadante de leur volonté. Espérons le pour eux.

Le Charivari, 20.04.1879, o. S.

Der Einfluss dieses neuen Werkzeugs auf die Entwicklung der Malerei war so groß, dass Schaefer, Saint-George und Lewerentz zu dem Schluss kommen, die Malerei des Impressionismus sei „ohne den flach gebundenen Borstenpinsel nicht denkbar

37 Die sogenannte Gussowform mit quadratischem oder rechteckigem Borstenteil in einer flach gedrückten Zwinge ist in der Ölmalerei noch heute die gebräuchlichste Pinselform. Vgl. M. Doerner: Malmaterial, S. 303.

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gewesen“.38 Cham betonte in seiner Karikatur den spezifisch impressionistischen Pinselstrich, der sich nicht mehr nur durch die Wildheit des balai ivre, sondern auch durch die breite, rechteckige Form des flachen Borstenpinsels auszeichnete. Mit der Wahl einer bestimmten Pinselsorte war für Künstler des 19. Jahrhunderts das Bekenntnis zu einer konservativen oder fortschrittlichen Kunstauffassung verbunden. Eine Passage aus Zolas Das Werk, in der die Maltechnik Claude Lantiers beschrieben wird, vermittelt einen Eindruck davon, welch programmatische Bedeutung viele Künstler den Werkzeugen und Arten des Farbauftrags beimaßen: „Stets hatte die Frage der Pinsel ihn stark beschäftigt: er wollte sie mit einem Spezialgriff, verschmähte Marderhaar, verlangte im Ofen getrocknetes Roßhaar. Dann die Riesengeschichte mit den Palettenmessern, denn er benutzte sie für die Hintergründe wie Courbet; er besaß eine ganze Sammlung davon, lange und biegsame, breite und gedrungene, vor allem eines, das dreieckig war, wie die Glaser sie benutzten, und das er sich hatte eigens herstellen lassen, das echte Messer von Delacroix. Übrigens machte er niemals vom Schabmesser Gebrauch, vom Rasiermesser auch nicht, die er beide für schändlich hielt. Aber in der Anwendung der Tönung gestattete er sich alle möglichen geheimnisvollen Praktiken, er heckte Rezepte aus, wechselte sie alle Monate, glaubte jäh die gute Malkunst entdeckt zu haben, weil er, die Ölwoge, den alten Guß verschmähend, mit aufeinanderfolgenden Pinselstrichen arbeitete, die hingetupft wurden, bis er den genauen Farbwert erreicht hatte.“39

Wie die Impressionisten, von denen die Figur Claude Lantiers inspiriert ist, lehnt auch dieser den feinen Kolinski-Pinsel der akademischen Maltradition ab und wählt mit Roßhaar das gröbere und sprödere Material, das auch für die Herstellung von Stubenbesen verwendet wurde. Borstenpinsel und Palettmesser werden als die maßgeblichen Werkzeuge einer Malerei vorgestellt, welche die alles zudeckende, konservative „Ölwoge“ zugunsten einer sichtbaren, modernen Pinselfaktur aufgab. In einer Art gezeichneter Synopse des Romans, die 1886 in La Caricature erschien, setzte der Karikaturist Albert Robida (1848-1926) die Pinsel Claude Lantiers wiederum prominent ins Bild (Abb. 36). Frau und Kind des Malers, die im Roman seiner krankhaften Besessenheit von dem titelgebenden „Werk“ zum Opfer fallen, sind tödlich getroffen von großen Pinseln, die ihnen wie Dolche aus der Brust ragen. Lantier selbst erscheint im Zentrum der Darstellung als Gekreuzigter auf einer riesigen Palette, dem die mit einem Besen bewaffnete nackte Personifikation seines Werks soeben den Todesstoß versetzt. Der balai ivre, der in den Karikaturen auf Delacroix, Courbet und Manet von diesen noch als Waffe gegen die Reak-

38 Schaefer, Iris/von Saint-George, Caroline/Lewerentz, Katja: „Womit malten die Impressionisten?“, in: Ausst.-Kat. Impressionismus (2008), S. 43-67, hier S. 67. 39 E. Zola: Das Werk, S. 296 f.

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tion oder als selbstbewusst zur Schau gestelltes Hoheitszeichen eingesetzt wird, verwandelt sich hier in ein Leidenswerkzeug des verkannten Künstler-Märtyrers. Abbildung 36: Albert Robida: L’Œuvre d’Emile Zola

La Caricature, Bd. 7 (1886), Nr. 332, S. 149

Dass der Topos des balai ivre 1886 in die Literatur überführt und damit gleichsam fiktionalisiert wurde, bedeutet nicht, dass er nicht auch in der Kunstkritik weiterhin Verwendung fand. Noch anlässlich der letzten impressionistischen Gruppenausstel-

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lung im Erscheinungsjahr von Zolas Roman bemühte ein Kritiker den Vergleich erneut und konstatierte, ein Großteil der Exponate sei „à coup de balai“40 gemalt. Wie sich zeigte, wurde der Topos des betrunkenen Besens auch von der Karikatur über mehr als vierzig Jahre hinweg immer wieder aktualisiert und mit neuen Nuancierungen versehen. Die Karikatur war so Teil einer Debatte über richtige und falsche Malwerkzeuge, die sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein fortsetzte. Noch 1919 karikierte der Münchner Maler und Illustrator Friedrich Heubner (1886-1974) im Simplicissimus einen Vertreter der „Neuen Kunst“ mit einem ganzen Bündel verschiedenartiger Besen, um auf die wilden Pinselzüge und die vermeintlich formlose Maltechnik des Expressionismus aufmerksam zu machen (Abb. 37). Auch wenn die Kriterien für malerische Virtuosität sich mit den Jahren änderten, wurde der Besen weiterhin überall dort zur Karikatur des Künstlerpinsels, wo eine sichtbare, „grobe“, das materielle Gemachtsein der Malerei betonende Faktur kritisiert werden sollte. Brosse und balai stehen damit an der Seite anderer „falscher“, aus dem Bereich des Handwerks stammender Werkzeuge, deren künstlerischer Gebrauch heftige Polemiken provozierte. Abbildung 37: Friedrich Heubner: Neue Kunst „Ja, Mensch, wo willst du denn mit den vielen Besen hin?“ – „Besen? Erlaub’ mal, das sind Pinsel. Ich habe einen sehr lohnenden Porträtauftrag.“

Simplicissimus, Bd. 24 (1919), Nr. 27, S. 358

40 „En somme, si un bon tiers des tableaux exposés semble faits à coup de balai par quelque sorcière [...].“ Michel, J. M.: „Exposition des impressionists“, in: La Petite Gazette, 18.05.1886, S.2, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 465.

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M ALER

ALS

M AURER

Ein Maler holt weit aus, um sein Material auf die vor ihm aufgebaute Leinwand zu werfen (Abb. 38). Er bedient sich dabei einer Mörtelkelle, mit der er die zähflüssige Paste aus einer großen Wanne aufnimmt. Im Zuge dieses akkumulativen Verfahrens hat der Bildträger bereits ein deutlich sichtbares, ungegenständliches Relief ausgebildet. Die Karikatur von Mose (eigtl. Moise Depont, 1917- nach 1999)41 findet sich in dem 1958 erschienenen Büchlein Wie malt man abstrakt?, einer „leichtfasslichen Anleitung“ zur Herstellung abstrakter Malereien, das die Techniken der informellen Malerei auf dem Höhepunkt ihrer Popularität auf ihr komisches Potential hin befragte.42 Der mauernde Maler illustriert die Methode des „Konkretismus“, die, wie auch alle anderen in dem Büchlein vorgestellten Methoden, mit einer satirischen Anleitung daherkommt: „Man werfe bei dieser Methode aufs Geratewohl Mörtel mit der Kelle gegen weiße Leinwand. Man kann die Mörtelmischung mit feuchter Farbe, Sand, Bindfadenresten, zerzupftem Moos, Zigarettenstummeln, Haarknoten, Reißnägeln, Schlackenresten etc. bereichern.“43

Abbildung 38: Mose: Konkretismus

A. Sailer/M. Depont: Wie malt man abstrakt?, o.S. 41 Zu Moise Depont vgl. Ausst.-Kat. Karikaturen − Karikaturen?, Kunsthaus Zürich 1972, S. 67. 42 Sailer, Anton/Depont, Moise: Wie malt man abstrakt? Eine leichtfassliche Anleitung Methode Sailer/Mose, Feldafing 1958. 43 Ebd., o. S.

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Obwohl das Ergebnis dieser Technik an die materialmimetischen Verfahren der seinerzeit vielbeachteten Künstler Jean Fautrier und Jean Dubuffet44 erinnert, kann doch von Materialmimese bei Sailer/Mose keine Rede sein. Denn hier entsteht die Kunst nicht nur unter Zuhilfenahme einer Maurerkelle, auch das Farbmaterial wird durch gewöhnlichen Mörtel ersetzt. Mit der Darstellung des Malers als Maurer, der sein Farbmaterial mit Hilfe einer Mörtelkelle auf die Leinwand aufträgt, oder besser gesagt aufspachtelt, knüpften Sailer/Mose an eine langlebige und weit verbreitete satirische Tradition an. Denn bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begegnet der Vergleich von Maler und Maurer in Karikaturen und Kunstpolemiken verschiedenster Art. Der Topos steht in engem Zusammenhang mit der Technik der Messermalerei (peinture au couteau), die in der Malerei des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewann. Es handelt sich dabei um eine Art des Farbauftrags, bei dem die Farbe nicht mit dem Pinsel, sondern mit Spachtel oder Palettmesser auf die Leinwand gebracht wird. Beide Utensilien dienten ursprünglich zum Anmischen und Anteigen der Farben auf der Palette; ihre Verwendung als Malwerkzeuge stellte daher einen Verstoß gegen die im 19. Jahrhundert besonders in Frankreich noch machtvollen maltechnischen Konventionen der Académie dar.45 Allein durch ihre Werkzeuge weckte die Messermalerei Assoziationen an die Tätigkeit eines Maurers und wurde aufgrund dieser vermeintlichen Nähe zum Handwerk vielfach als Gefährdung wahrgenommen.46 In einer physiognomisch präzise gefassten Porträtkarikatur für die Serie Panthéon Charivarique stellte der Karikaturist und Salonmaler Benjamin Roubaud seinen Kollegen Alexandre-Gabriel Decamps (1803-1860) 1839 als Maurer dar (Abb. 39). Die ganzseitige Lithografie zeigt Decamps an der Staffelei, bekleidet mit

44 Zu den materialmimetischen Verfahren dieser Künstler vgl. M. Wagner: Das Material der Kunst, S. 38 ff. 45 Die Technik der Messermalerei trat nicht erst im 19. Jahrhundert auf. Schon von Rembrandt wird berichtet, er habe Messermalerei praktiziert, was vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Tendenzen in Frankreich um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit wiedererwachtem Interesse wahrgenommen wurde. 1852 wurden Rembrandts pastose Gemäldeoberflächen sogar zum Gegenstand einer Karikatur, ein eher ungewöhnliches Phänomen, da sich die Kunstkarikatur im Journal pour rire sonst fast ausschließlich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigte. Vgl. Marcelin: De l’empâtement, in: Journal pour rire, 16.10.1852, S. 2. 46 Zur kunstkritischen Rezeption der Messermalerei vgl. M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 206 f.

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einem Turban und den Schnabelschuhen des Orientalisten.47 In der linken Hand hält er einen großen Spachtel zum Auftragen der Farbe, während die rechte das pastose Farbmaterial auf der Leinwand verteilt. Die üblichen Atelierrequisiten wie Malstock, Pinsel und Palette fehlen, stattdessen ist der Boden mit Mörtelwannen voller Farbe bedeckt. Eine Bildunterschrift nimmt in Versform auf die Arbeitsweise des Künstlers Bezug: „Sur ce croquis Decamps si la main guide | la truelle aux empatemens. | C’est que la peinture est solide | et qu’on doit l’admirer longtemps.“48 Abbildung 39: Benjamin Roubaud: Panthéon Charivarique: Decamps

Le Charivari, 31.12.1839, o. S.

Decamps Farbauftrag mit der bloßen Hand und der truelle − ein Begriff, der im Französischen sowohl den Spachtel des Malers als auch die Maurerkelle bezeichnet − wird augenscheinlich positiv bewertet, führt er doch zu einer „peinture solide“,

47 Decamps unternahm 1827 eine ausgedehnte Studienreise nach Kleinasien und Konstantinopel. Die dort gewonnenen Anregungen setzte er nach seiner Rückkehr in orientalistischen Genrebildern um, die ihm in Paris viel Anerkennung einbrachten. 48 Roubaud, Benjamin: „Panthéon Charivarique: Decamps“, in: Le Charivari, 31.12.1839, o. S.

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die es zu bewundern gilt. Dem korrespondiert Roubauds Darstellung der schlanken Hände des Künstlers, die bei ihrer Tätigkeit weder grob noch unbeholfen wirken, sondern so, als wüssten sie genau, was sie tun. Die solidité einer Malerei war um 1840 ein wichtiges Bewertungskriterium der Kunstkritik. Viele Kritiker diagnostizierten in dieser Zeit einen Niedergang der Malerei, deren handwerkliche Grundlagen von jungen Künstlern immer weniger beherrscht würden. Diese Feststellung mündete oftmals in eine Kritik der künstlerischen Ausbildung, die sich auf den theoretischen Unterricht konzentriere und dabei die praktische Unterweisung vernachlässige.49 Mit dem Prädikat der solidité honorierte die Kunstkritik dagegen eine handwerklich gut ausgeführte Malerei. Auch der Malerei Decamps’ wurde die Qualität der solidité wiederholt zugesprochen. So heißt es beispielsweise in Charles Blancs 1866 erschienener Monografie des Künstlers: „Decamps fut donc conduit par son tendre amour pour la realité, [...] à donner un corps solide à ses images, à inventer une peinture plus consistante, plus réelle“.50 In Roubauds Karikatur wird dieser „solide Körper“ der Malerei mehr als anschaulich: Mit bloßer Hand greift der Künstler in die sichtbar dreidimensional wiedergegebene Material-fülle des empâtements, um sein Bild aus der pastosen Farbmaterie regelrecht zu formen. Seine Arbeitsweise erinnert dabei weniger an einen Maler, als vielmehr an die Tätigkeit eines Bildhauers oder Stuckateurs. Auch Blanc betont den Aspekt des Handwerklichen, wenn er seine Vorstellung vom Arbeitsprozess des Künstlers wie folgt beschreibt: „Je me figure l’atelier de Decamps comme un laboratoire où il s’enfermait pour travailler [...]. […] [I]l recommence [...] cette cuisine savante, ce prodigieux potpourri des couleurs, jusqu’à ce que, n’ayant plus devant lui qu’un vigoureux empâtement, il s’occupe à y chercher les formes, à y sculpter les contours, en profitant de tous les bonheurs que donne en pareil cas le hasard.“51

Im flächendeckenden Impasto des Farbmaterials müssen die Formen erst gesucht, die Konturen erst herausgemeißelt werden, wobei sich der Künstler auch glückliche Fügungen des Zufalls zunutze macht. Mit der Rolle des Zufalls52 ist ein sensibler Aspekt in der kunstkritischen Beurteilung der Messermalerei angesprochen. Denn anders als der Pinsel lässt sich das Palettmesser in seiner Handhabung nicht vollständig manipulieren: Konturen erscheinen weniger präzise, Spachtelzüge können 49 Vgl. M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 199 f. 50 Blanc, Charles: „Alexandre-Gabriel Decamps“, in: Ders.: Histoire des peintres des toutes les écoles. École française, Bd. 3, Paris 1866, S. 3 f. 51 Ebd., S. 15 f. 52 Vgl. den Abschnitt „Abstraktion durch Zufall“ in diesem Buch.

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beim Abziehen wieder aufreißen und darunter liegende Farbschichten freilegen. Diese fehlende Kontrollierbarkeit wurde als Gefährdung der akademischen Kunstpraxis wahrgenommen, in welcher der Zufall bisher keine Rolle gespielt hatte. Decamps Atelier erschien in der Vorstellung des Kritikers dagegen als Laboratorium, in dem jedes Werk eine neue Versuchsanordnung darstellte. Abbildung 40: Raymond Pelez: L’Atelier de Decamps

Le Salon Caricatural. Critique en vers et contre tous, Charpentier, Paris 1846, S. 11

Bereits zwanzig Jahre vor Charles Blanc hatte Raymond Pelez sich über Decamps Atelier Gedanken gemacht. Seine Karikatur, die 1846 im Salon Caricatural erschien, zeigt eine Ansammlung von Maurermaterialien, die in der Bildunterschrift auch benannt werden (Abb. 40): „Des briques, des cailloux, du plâtre, une truelle, Une hache. une demoiselle, Un marteau, des pavés, une pince, des clous, Pour peindre l’Orient tels furent les joujoux De ce peindre à l’âme cruelle!“53

Doch nicht nur aufgrund der von ihm praktizierten Messermalerei musste die karikierende Darstellung des Malers als Maurer für zeitgenössische Betrachter äußerst 53 „Ziegel, Steine, Gips, eine Kelle, eine Axt. Ein Pflasterhammer, ein Klöppel, Pflastersteine, eine Zange, Nägel. Um den Orient zu malen, waren dies die Spielzeuge für den Maler mit der grausamen Seele. [Übers. d. Autorin]“ Anonym: Le Salon Caricatural. Critique en vers et contre tous, Charpentier, Paris 1846, S. 14.

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schlüssig erscheinen. Der kunstinteressierte Leser des Charivari wusste zudem, dass Decamps für die besonders realistische Darstellung von gekalkten, das Tageslicht reflektierenden Mauern berühmt war. Die Mauerdarstellungen in Decamps Genrebildern finden in beinahe allen zeitgenössischen Texten über den Künstler Erwähnung, besonders ausführlich jedoch in einem Bericht der Brüder Edmond und Jules de Goncourt über die Malerei auf der Weltausstellung von 1855. Dort heißt es über eine Mauer in Decamps Gemälde Le Boucher turc54: „Et soudain le mur, le mur lui-même, est tout entier sur la toile, calciné, lézardé, grenu, poreux [...]; un mur en personne naturelle, confessé tout entier contant toute son histoire, tout sa vie de pluie et de soleil!“55 Das überaus realistische Erscheinungsbild der beschriebenen Mauer führten die Goncourts auf den Herstellungsprozess des Gemäldes zurück: „Ce mur, ce mur blanchi et reblanchi de chaux vive, mangeant les yeux, usant le soleil, - les pinceaux de Decamps le truellent; ils le maçonnent, ils le crépissent; le chiffon, le grattoir, le bouchon et le couteau à palette, ils appelent tous les aides de la pratique.“56 Die Beobachtung der Autoren lässt sich auch auf andere Werke des Malers, wie das heute im Louvre aufbewahrte Sortie de l’école turque, übertragen.57 Betrachtet man ein Detail wie die Mauerpartie auf der linken Seite des Schultores von Nahem, so fällt auf, dass dargestellte und tatsächliche Oberfläche in dem Gemälde auf frappierende Weise zusammenfallen. Die Spur des Palettmessers ist deutlich sichtbar und die Farbschicht zeigt eine Rauheit, die an die materielle Qualität einer grob verputzten Mauer erinnert. Aus heutiger Sicht könnte man die von den Brüdern Goncourt beschriebene Technik als ein materialmimetisches Verfahren bezeichnen58: Decamps Pinsel spachtelten (truellent), mauerten (maçonnent) und verputzten (crépissent) das Bild der Mauer mehr, als dass sie es malten. Seine Hilfsmittel waren dementsprechend Lappen (chiffon), Schaber (grattoir) und Palettmesser (couteau à palette). Im Kontext der naturalistischen Kunsttheorie, der sich die Goncourts verbunden fühlten, wurde Decamps’ dezidiert handwerkliche Arbeitsweise ausgesprochen positiv bewertet. Dass dies nicht unbedingt die Norm war, zeigen die Äußerungen anderer Autoren, die dem Maler seine materialistische Kunstauffassung zum Vorwurf 54 Decamps malte mehrere Versionen dieses Motivs. Eine davon, Le boucher turc, um 1850, Öl auf Leinwand, 93,5 x 75,5 cm, befindet sich heute in den Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel. 55 Goncourt, Edmond/Goncourt, Jules: La peinture à l’exposition de 1855, Paris 1855, S. 48f. 56 Ebd., S. 48. 57 Alexandre-Gabriel Decamps: Sortie de l’école turque, um 1841 (?), Öl auf Leinwand, 66 x 89 cm, Musée du Louvre, Paris. 58 Vgl. M. Wagner: Das Material der Kunst, S. 38 ff.

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machten. So schrieb etwa Baudelaire in in einer Salonkritik von 1846: „Der einzige Vorwurf, den man ihm in der Tat machen konnte, war der, daß er sich die materielle Ausführung der Gegenstände allzu angelegen sein ließ; seine Häuser waren aus wirklichem Putz, aus wirklichem Holz, seine Mauern aus wirklichem Mörtel [...].“59 Interessanterweise kritisierte Baudelaire dabei genau das, was die Brüder Goncourt lobten, nämlich die Fähigkeit zur Materialmimese.60 Seine Äußerung steht exemplarisch für das Unbehagen, mit dem ein Großteil der zeitgenössischen Kunstkritik den Werken Decamps’ begegnete. Denn das Lob des sein Handwerk virtuos beherrschenden „bon ouvrier“ 61 ging fast immer mit dem Vorwurf des Materialismus einher; letzterer ein Ausdruck der idealistischen Kunsttheorie, die alles Handwerkliche in der Kunst als Bedrohung empfand. Diese Ambivalenz ist typisch für die kunstkritische Beurteilung der Messermalerei: Sie gilt zwar, wenn sie gut ausgeführt ist, als Zeichen der solidité, doch sie wird auch als Bedrohung wahrgenommen, da sie die handwerklich-materielle Seite des Schaffensaktes offenlegt und betont. Die gefährliche Nähe der Messermalerei zur „niederen“ Sphäre des Handwerks wird im Bild des mit der Maurerkelle hantierenden und von Mörtelwannen umgebenen Künstlers prägnant − und einige Jahre früher als in der schriftlichen Kunstkritik − auf den Punkt gebracht. Dabei eignet der Karikatur schon dieselbe Ambivalenz, die später auch in kunstkritischen Texten begegnet: Die Stichelei der Zeichnung, die ihren Witz aus der Überblendung von Maler und Maurer bezieht, wird in der Bildunterschrift wieder relativiert, denn hier erscheint Decamps immerhin als Produzent einer bewundernswerten „peinture solide“. Die Karikaturen auf Decamps stehen dabei erst am Anfang einer höchst kontroversen kunstkritischen Debatte über die Technik der peinture au couteau, die mit den Kritiken zu Gustave Courbet ihren Höhepunkt erreichte.62 Seit den 1850er Jah59 C. Baudelaire: Der Salon 1846, S. 232. 60 Zum Vorwurf des Materialismus vgl. auch Clément, Charles: „Decamps“, in Ders.: Études sur les beaux-arts en France, Paris 1865, S. 127 f. Dort heißt es: „L’ouvrier l’emporte sur le poëte, la puissance créatrice du peintre ne s’emploie qu’à rendre avec perfection les parties matérielles et extérieures de son art. [...] Devant ces tableaux, on est ébloui, mais inquiet: on sent que le matérialisme gagne.“ 61 Diese Charakterisierung begegnet zum Beispiel in einer zwei Jahre nach Decamps’ Tod erschienenen Einschätzung des Kritikers Paul Mantz: „Decamps, l’un de premiers, ramassa le pinceau des bons ouvriers des temps glorieux; dédaigneux des spéculations abstraites d’une spiritualisme qui n’est souvent que la masque de l’impuissance, il comprit que bien peindre est un devoir“. In: Gazette des Beaux Arts, Bd. 1 (1862), S. 112, zit. nach M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 42. 62 Zum Einfluss von Decamps Messermalerei auf die Technik des Farbauftrags bei Courbet vgl. Meier-Graefe, Julius: Corot und Courbet. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der modernen Malerei, Leipzig 1905, S. 207.

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ren benutzte Courbet Spachtel und Palettmesser nicht nur als Schabinstrumente, sondern auch zum großflächigen, pastosen Farbauftrag, wodurch die Farbe in seinen Gemälden erstmals eine materielle Eigenqualität erreichte.63 Courbet selbst trug dazu bei, das Palettmesser als Markenzeichen seiner Kunst zu etablieren, indem er sich in seinem 1855 entstandenen Programmbild L’Atelier du peintre selbstbewusst mit diesem Werkzeug in der Hand darstellte.64 Die auch eine Generation nach Decamps immer noch unkonventionelle Technik der Messermalerei wurde in der Courbet-Kritik seit den 1850er Jahren wiederholt thematisiert. Der Vorwurf, Courbet male „wie ein Maurer“ wurde zu einem der gängigsten Verdikte über den Künstler und fand auch Eingang in zeitgenössische Karikaturen, in denen die Maurerkelle als maßgebliches Attribut des Malers erscheint.65 Der seinerzeit populäre Karikaturist André Gill (eigtl. Louis-Alexandre Gosset de Guînes, 1840-1885) zeichnete Courbet gleich zweimal in der Rolle des Maurers: Zum ersten Mal 1867 in einer ganzseitigen Porträtkarikatur für den Charivari (Abb. 41)66, und erneut 1868 für die Zeitschrift Le Petit Figaro (Abb. 42). Beide Karikaturen zeigen Cour-

63 Die Literatur zu Courbets Maltechnik ist mittlerweile recht umfangreich. Grundlegend ist Herding, Klaus: „Farbe und Weltbild. Thesen zu Courbets Malerei“, in: Ausst.-Kat. Courbet und Deutschland (1978), S. 478-492; Fried, Michael: Courbet’s Realism, Chicago 1990 und Galvez, Paul: „Courbet’s touch“, in: Fowle, Frances/Thomson, Richard (Hg.): Soil and Stone. Impressionism, urbanism, environment, Edinburgh 2003, S. 17-31. Zur kunstkritischen Rezeption von Courbets Maltechnik vgl. auch M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 197 ff. 64 Gustave Courbet: L’Atelier du peintre. Allégorie réelle déterminant une phase de sept années de ma vie artistique et morale, 1854/55, Öl auf Leinwand, 361 x 598 cm, Musée d’Orsay, Paris. 65 Courbet gilt als meistkarikierter Künstler des 19. Jahrhunderts, was sich in der umfangreichen Literatur zu diesem Thema niederschlägt. Wichtige Referenzen sind Léger, Charles: Courbet selon les caricatures et les images, Paris 1920; Schapiro, Meyer: „Courbet and Popular Imagery. An Essay on Realism and Naïveté“, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 4 (1940-41), S. 164-191; K. Herding: Courbets Modernität, M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, T. Schlesser/E. Tillier: Courbet face à la caricature sowie Borchardt, Stefan: Heldendarsteller. Gustave Courbet, Edouard Manet und die Legende vom modernen Künstler, Berlin 2007, hier v.a. S. 182 ff.. Besonders verbreitet sind Karikaturen auf Courbets Bildthemen, auf die unterstellte anatomische Unrichtigkeit seiner Figuren sowie auf das allgemeine Erscheinungsbild des Künstlers als ‚Bürgerschreck‘. Vergleichsweise selten und daher auch von der Literatur kaum beachtet sind dagegen Karikaturen auf Courbets Maltechnik. 66 Die Karikatur erschien in der Reihe Nouveau Panthéon Charivarique, die an Roubauds Panthéon Charivarique der 1830er Jahre anknüpfte.

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bet mit einer Palette, auf der sich das pastose Farbmaterial deutlich dreidimensional abzeichnet, und einer Maurerkelle, die er anstelle eines Pinsels in der Hand hält. Abbildung 41: André Gill: Nouveau Panthéon Charivarique: G. Courbet, in: Le Charivari, 06.02.1867

© bpk / BnF, Dist. RMN-GP

Während Gill den Künstler in der früheren Karikatur so darstellte, als würde er für den Zeichner posieren, lassen die Körperhaltung und die aufgekrempelten Hemdsärmel in der späteren Karikatur darauf schließen, dass sich der Dargestellte inmitten eines Arbeitsprozesses befindet. In der Karikatur des Charivari trägt Courbet zudem die Holzschuhe des paysan, die häufig als Chiffre für die bäuerliche Herkunft des Malers eingesetzt wurden. Auch durch seine übrige Kleidung ist er als Angehöriger eines niederen, körperliche Arbeit verrichtenden Standes gekennzeichnet. Das weiße Hemd mit Stehkragen war und ist bis heute Teil der traditionellen Zunftkleidung des Maurers.

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Abbildung 42: André Gill: G. Courbet

Le Petit Figaro, 14.06.1868, o. S.

Durch seinen exzessiven Gebrauch des Palettmessers erschien Courbet in der zeitgenössischen Kunstkritik als Prototyp des ‚ouvrier peintre‘, der sich um die Jahrhundertmitte gegenüber dem ‚artiste‘ als neuer, stärker handwerklich orientierter Künstlertypus herauszubilden begann. Die Beurteilung dieses neuen Typus fiel zunächst meist negativ aus: Zwar wurde dem ouvrier peintre die meisterhafte Beherrschung seines Handwerks zugestanden, man beklagte jedoch das Fehlen intellektueller und emotionaler Qualitäten. So schrieb der Kunstkritiker Charles Perrier anlässlich der spektakulären ersten Einzelausstellung Courbets in dessen 1855 errichteten Pavillon du Réalisme67, er halte Courbet für einen „kraftvollen und geschickten Arbeiter“68, vermöge in ihm jedoch keinen Künstler zu sehen. Ebenso ablehnend äußerte sich 1867 der Kritiker Maxime Du Camp:

67 Als Reaktion auf die Ablehnung seiner zur Weltausstellung von 1855 eingereichten Werke organisierte Courbet seine eigene Ausstellung in einem mit der finanziellen Unterstützung seines Mäzens Alfred Bruyas erbauten Pavillon an der Avenue Montaigne, vis à vis der offiziellen Ausstellungshallen. In dieser ‚Gegenausstellung‘, die am 28.06.1855 eröffnet wurde, zeigte Courbet 40 Werke, darunter das Atelier du peintre. Die Ausstellung mit dem programmatischen Titel Pavillon du Réalisme verschaffte Courbet ein gewaltiges Presseecho. 68 Perrier, Charles: Über den Realismus (1855). Offener Brief an den Herausgeber der Zeitschrift L’Artiste (als Erwiderung auf Champfleurys Brief an George Sand), erschienen in

102 | DIE A RBEIT DES K ÜNSTLERS IN DER K ARIKATUR „Wenn es genügen würde, malen zu können, um ein Künstler zu sein, so wäre Herr Courbet ein ungemein bemerkenswerter Künstler; aber so ist er nichts weiter als ein Maler, ein sehr geschickter Handwerker. [...] Wäre Courbet nicht jeglicher Erfindungsgabe beraubt, dann würde er ein ganz anderes Prinzip vertreten und hätte seine Kunst niemals zu einem Handwerk herabgewürdigt.“69

Im Kontext dieser Kritik am ouvrier peintre ist auch Camille Lemonniers negative Beurteilung des Palettmessers in dem 1868 erschienenen Aufsatz über Gustave Courbet et son œuvre zu sehen. Im Gegensatz zum Pinsel, der unmittelbar mit dem Intellekt in Verbindung stehe70, sei das Palettmesser das geistlose Instrument des Handwerkers, das die Eigenschaft habe, alles, was es berühre, zu materialisieren.71 Fast scheint es so, als habe Lemonnier die kurz zuvor publizierten Karikaturen von André Gill vor Augen gehabt, als er schrieb: „Les maçons de l’art ont trouvé commode de faire leur besogne à coups de truelle; cela simplifiait les recherches, et l’on pouvait se passer de peindre et de dessiner.“72 Commodité, Bequemlichkeit, war für den Kritiker demnach das Hauptmotiv für den Einsatz des Palettmessers. Der ohnehin schon negativ beurteilte Typus des ouvrier peintre erfuhr im karikaturistisch vorgeprägten Bild des maçon de l’art eine weitere, schärfere Herabsetzung. Deutlich positivere Beurteilungen des ‚Arbeiter-Künstlers‘ Courbet finden sich in den Texten liberaler Kunstkritiker.73 So bezeichnete Baudelaire den Maler in einem Text von 1855 als „gewaltige[n] Arbeiter“, ohne dieses Lob durch die Reklamation einer intellektuellen Ebene wieder zu schmälern.74 Auch Émile Zola gehörder Ausgabe vom 14.10.1855. Deutsche Übersetzung zit. nach: K. Herding: Realismus als Widerspruch, S. 109. 69 Du Camp, Maxime: Les Beaux-Arts à l’Exposition Universelle et aux Salons de 1863, 1864, 1865, 1866, 1867, Paris 1867, S. 219-220. Dt. Übersetzung zitiert nach:K. Herding Realismus als Widerspruch, S. 118. Du Camp äußerte sich während der 1860er Jahre mehrfach in diesem Sinne, auch mit Bezug auf andere Künstler sowie auf die zeitgenössische Malerei im Ganzen. Vgl. dazu M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 200 f. 70 „Un pinceau, c’est de la cervelle.“ C. Lemonnier: G. Courbet et son œuvre, S. 62. 71 „Au contraire, le couteau est l’instrument bête du manouvrier; il est inconscient, irresponsable, mécanique. Il dirige la main, il collabore avec le hasard; même manié par un virtuose, il garde sa soillure hérédi-taire, qui est de matérialiser tout ce qu’il touche.“ Ebd. 72 Ebd. 73 Vgl. Matthias Krügers Ausführungen zum positiven Image des ouvrier in: M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 202 ff. 74 Tatsächlich glaubte Baudelaire in diesem Merkmal eine Parallele zu Ingres zu erkennen: „Auch Courbet ist ein gewaltiger Arbeiter, ein unbändiger und beharrlicher Wille [...]. Der Unterschied liegt nur darin, daß das heroische Opfer, welches Ingres der Tradition und dem Schönheitsideal eines Raffael darbringt, bei Courbet der äußeren, handfesten,

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te zu den Kritikern, die Courbets handwerkliche Orientierung affirmierten: Als „travailleur de talent“75 sei es ihm gelungen, die naturalistische Malerei auf eine solide Basis zu stellen. Am entschiedensten verteidigte Champfleury seinen Freund Courbet gegen die Anfeindungen der konservativen Presse, wenn er 1855 in seinem Brief an Georges Sand schrieb: „Avant tout, il est né peintre, c’est à dire que nul ne peut contester son talent robuste et puissant d’ouvrier“.76 Das robuste und kraftvolle Talent des Arbeiters war es demnach, das den „geborenen Maler“ Courbet vor anderen Künstlern auszeichnete. Bei der Lektüre der Quellen fällt auf, dass konservative und liberale Kritiker sich oft desselben Vokabulars bedienten. Während die Prädikate „ouvrier“ und „travailleur“ von Courbets Gegnern zur Diffamierung des Künstlers eingesetzt wurden, gelang es Courbets Befürwortern, diese Begriffe mit positivem Inhalt zu füllen und als Alleinstellungsmerkmal des Künstlers stark zu machen. Courbet selbst trug nicht unwesentlich zur Festigung seines Rufes als ‚ArbeiterKünstler‘ bei. Nicht nur finden sich in seinem Werk zahlreiche Darstellungen körperlicher und handwerklicher Arbeit77, in einigen seiner frühen Selbstporträts betonte der Künstler auch die physische Seite seiner eigenen Arbeitsprozesse. Plausibel erscheint die Interpretation Michael Frieds, der den bis aufs Äußerste gespannten Griff der die Gürtelschnalle umfassenden linken Hand des Künstlers in Cour-

unmittelbaren Natur zugute kommt.“ Charles Baudelaire: „Die Weltausstellung 1855. Die schönen Künste“, in: Ders.: Sämtliche Werke/Briefe, Bd. 2: Vom Sozialismus zum Supranaturalismus. Edgar Allan Poe 1847-1857, hg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichois, München 1983, S. 227-253, hier S. 239. 75 Dieses Prädikat rechtfertigte für Zola auch den Vergleich Courbets mit den Künstlern der Renaissance, speziell mit Veronese: „Il a fait sienne la large brosse des artistes de la Renaissance, et s’en est servi uniquement pour dépeindre notre société contemporaine. Remarquez qu’il est dans la ligne de la tradition authentique; tout comme le travailleur de talent qu’était Véronèse ne peignait que les grands de son époque [...] de même le travailleur de talent qu’était Courbet prenait ses modèles dans la vie quotidienne qui l’entourait.“ In: Zola, Émile: „L’École française. De peinture à l’exposition universelle de 1878“ (1878), in: Ders.: Le bon combat. De Courbet aux Impressionistes, hg. von Gaëtan Picon, Paris 1974, S. 190-203, hier S. 191. Zu Zolas Urteil über Courbet vgl. auch: M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 57, 102, 204. 76 Champfleury, Jules: „Sur M. Courbet. Lettre à Madame Sand“, in: Le Réalisme, Paris 1857, S. 270-285, hier S. 276. 77 Vgl. z. B. La Fileuse Endormie, 1853, Öl auf Leinwand, 91 x 115 cm, Musée Fabre, Montpellier und Les Cribleuses de blé, 1854, Öl auf Leinwand, 131 x 167 cm, Musée des Beaux-Arts, Nantes; außerdem natürlich das bereits erwähnte Skandalbild Les casseurs de pierre (Abb. 4).

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bets Mann mit Ledergürtel78 als „an expression of the physical effort involved in the act of painting, of wielding a brush or knife to apply paint to canvas“ gewertet hat.79 Das Bild war Teil einer Strategie der Selbstinszenierung, an der auch die Karikaturen von André Gill einen Anteil hatten. Das Bodenständige, Zupackende und Direkte der Malerei Courbets sollte hervorgehoben und diese so implizit mit der akademischen Tradition kontrastiert werden. Den negativ konnotierten Begriff des ouvrier peintre ersetzte Courbet in seiner Selbstdarstellung durch die Bezeichnung „maître peintre“, die im Rückgriff auf die Tradition der Renaissancemalerei die handwerkliche Orientierung seiner Kunst betonen und nobilitieren sollte. Die Ausbildung einer Ikonografie dieses maître peintre wurde von Courbet viele Jahre lang systematisch verfolgt, wobei er sich die meinungsbildende Kraft der modernen Massenmedien geschickt zunutze machte.80 Im Rahmen dieser künstlerischen Selbstvermarktungsstrategie hatte auch die Karikatur als populäres Massenmedium eine bestimmte Funktion.81 Courbet begriff schnell, dass es sich dabei um kostenlose Publicity handelte. Anders als viele seiner Zeitgenossen, die mitunter von dem Recht Gebrauch machten, Darstellungen ihrer Person in satirischen Zeichnungen zu unterbinden, autorisierte Courbet die Publikation sämtlicher Karikaturen und wurde wohl auch deshalb zum meistkarikierten Künstler des 19. Jahrhunderts.82 Mit vielen Karikaturisten, darunter Nadar, Etienne Carjat und auch André Gill, war Courbet außerdem befreundet, so dass sich die Vorstellung von der Karikatur als einem ausschließlich kunstfeindlichen, den Ruf des Malers schädigenden Zerrbild in seinem Fall nicht aufrechterhalten lässt. Gills Darstellungen des Malers als Maurer legten insofern den Finger in die Wunde, als sie das bedrohliche Potential von Courbets Maltechnik prägnant ins Bild setzten. Der selbstbewusst seine Maurerkelle schwingende Courbet erschien als personifizierter Angriff auf den hehren Status einer in der akademischen Kunstlehre weitgehend intellektualisierten Malerei. Die Karikatur leistete einen Beitrag zur medialen Vermarktung des Künstlers, indem sie mit der Maurerkelle eine Art Markenzeichen kreierte und Courbets Maltechnik einem breiten Publikum bekannt machte. Dies galt auch für andere Formen der Bildparodie wie das seinerzeit populäre Brüsseler Musée Ghémar, in dem Courbet mit seiner Grotte de la Loue (Abb. 43) 78 Gustave Courbet: L’homme à la ceinture de cuir, 1845-46, Öl auf Leinwand, 100 x 82 cm, Musée d’Orsay, Paris. 79 M. Fried: Courbet’s Realism, S. 81. 80 Zu den Selbstvermarktungsstrategien Courbets vgl. O. Bätschmann: Ausstellungskünstler, S. 124 ff. sowie Ten-Doesschate Chu, Petra: The most arrogant man in France. Gustave Courbet and the nineteenth-century media culture, Princeton 2007. 81 Vgl. S. Borchardt: Heldendarsteller, S. 183 ff. 82 Vgl. das Kapitel „La caricature comme stratégie“, in: T. Schlesser/E. Tillier: Courbet face à la caricature, S. 12-16.

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vertreten war. Der belgische Maler und Fotograf Louis Ghémar (1820-1873) veranstaltete seit 1870 Burleskausstellungen mit von ihm selbst gemalten Parodien bekannter zeitgenössischer Gemälde, in denen er meist das Sujet, manchmal aber auch die Maltechnik seiner Vorlagen aufs Korn nahm. Bei seiner Eröffnung umfasste das so genannte Musée Ghémar 118 solcher Werkparodien, darunter auch zwei Gemälde von Courbet. Der größte Teil dieses einzigartigen Konvoluts, auch die Parodie auf Courbets pastos gemalte Grotte, wurde 1879 in Paris versteigert und muss seither als verschollen gelten. Aus einem im Institut National d’Histoire de l’Art (INHA) in Paris verwahrten Ausstellungskatalog von 1870 geht jedoch hervor, dass das Bild in wortwörtlicher Befolgung des satirischen Topos mit der Maurerkelle ausgeführt worden war.83 Dies bestätigt auch eine Notiz Nadars, der das Musée Ghémar im selben Jahr besuchte.84 Abbildung 43: Gustave Courbet: La Grotte de la Loue, 1864, Öl auf Leinwand, 98 x 130 cm, National Gallery of Art, Washington

Courtesy National Gallery of Art, Washington

Auch nach Courbets Tod im Jahr 1877 blieb der Vergleich von Maler und Maurer ein beliebter Topos der Kunstkritik, der nun mit unvermindertem Nachdruck auf die Generation der Impressionisten übertragen wurde. Obwohl die traditionelle akade83 Der Katalogeintrag lautet: „No. 84 – Courbet. – La grotte de Coux. Peinture executée à la truelle.“ In: Gehmar, Louis: Musée Ghémar – Catalogue illustré du Salon de 1870. Exposition fantaisiste des œuvre principales de l’art contemporain, Brüssel 1870, S. 23. 84 Vgl. Nadar: Quand j’étais photographe (1900), Paris 1989, S. 192 f.

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mische Maltechnik mit ihren geglätteten Bildoberflächen im ausgehenden 19. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung verlor, wurde der pastose Farbauftrag mit dem Palettmesser nach wie vor als grobes ‚Mauerwerk‘ bezeichnet und in Karikaturen ironisiert. So zeigte sich in den Jahren nach 1880 keinerlei Abflauen dieser Polemik, sondern im Gegenteil ihre Ausbreitung in die europäischen Nachbarländer. In diesem Zusammenhang sind auch die 1863 in den Fliegenden Blättern publizierten Modernen Malerschnaderhüpfeln von Carl Spitzweg zu sehen, die Wilhelm Busch kongenial illustrierte (Abb. 44). Spitzweg bediente sich der volkstümlichen Textform des Schnaderhüpfels85 für einen Kommentar zur modernen Malerei, deren Entwicklung der in der Kunstauffassung des Biedermeier verhaftete Künstler spöttisch betrachtete. Der pastose Farbauftrag der Impressionisten musste dem spätromantischen Feinmaler als eine Art Materialschlacht erscheinen: „Nur Farb drauf, in Häufn, Als wenn g’mauert werdn müßt“86, heißt es in seinem Gedicht, und Wilhelm Busch zeichnet den Maler dazu passend als Maurer. Mit einer überdimensionierten Kelle klatscht dieser sein Material auf die Leinwand, die bereits starke Bearbeitungsspuren aufweist. Ein Malstock ist funktionslos und mit dem Knauf nach unten, also verkehrt herum, an die Leinwand gelehnt und macht deutlich, dass eine ruhige Hand bei der Ausführung dieser Malerei sicher nicht benötigt wird. Abbildung 44: Wilhelm Busch: Moderne Malerschnaderhüpfeln

Fliegende Blätter, Bd. 38 (1863), Nr. 938, S. 206 85 Ein Schnaderhüpfel (bayr. Schnittertanz) ist ein volkstümliches, stets im Dialekt verfasstes Scherz- und Spottlied, meist mit einem Jodler am Ende. Verbreitet ist diese Textform vor allem im bayrischen und österreichischen Alpengebiet. 86 Spitzweg, Carl: „Moderne Malerschnaderhüpfeln“, in: Fliegende Blätter, Bd. 38 (1863), Nr. 938, S. 206-207. Der Text wurde unter dem Pseudonym „Dr. B.“ veröffentlicht.

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Auch in einer Bildergeschichte des deutschen Zeichners Franz Jüttner (1865- nach 1917), erschienen 1892 im Kladderadatsch, wird die Malerei der Impressionisten mit Maurerarbeiten verglichen (Abb. 45). Der Kartoffeldiebstahl zeigt den Arbeitsprozess eines impressionistischen Malers von der Bestellung eines Bildes bis zu seiner Auslieferung. Abbildung 45: Franz Jüttner: Der Kartoffeldiebstahl. Ein Gemälde auf Bestellung ausgeführt von einem Impressionisten, oder Geschwindigkeit ist keine Hexerei

Kladderadatsch, Bd. 45, Nr. 33 (14.08.1892), Titelseite

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Die Folge beginnt im großbürgerlichen Salon des Auftraggebers, der dem Maler die Vorlage für das von ihm anzufertigende Bild präsentiert. Bestellt wird also keine eigenständige Arbeit, sondern die vergrößerte Kopie eines Bildes, vielleicht einer Grafik, die bereits die Salonwand des Kunstsammlers ziert. Dementsprechend wird der Künstler schon im ersten Bild durch seine Haltung und Gestik − breitbeinig stehend und im Begriff, sich die Ärmel hochzukrempeln − als Arbeiter gekennzeichnet. In der Unterscheidung der französischen Kunsttheorie zwischen artiste und ouvrier, erschiene dieser Maler als eine Verkörperung des ouvrier, zumal die Komposition des beauftragten Gemäldes keine intellektuelle Eigenleistung erfordert. Das zweite Bild zeigt den Künstler beim Anrühren der Farben in einem einzigen großen Bottich. Die schiere Menge des Farbmaterials deutet bereits auf einen überaus pastosen Farbauftrag hin, und vom unteren Rand der schwarz grundierten Leinwand87 tropft die teerartig aussehende Farbe in dicken Schlieren herunter. Zum Umrühren wird eine Maurerkelle benutzt, die im nächsten Bild auch als Malwerkzeug zum Einsatz kommt. Mit ihrer Hilfe befördert der Maler Farbe auf die Leinwand, die er mit einer Putzkelle in großen Bahnen verteilt. War die Kelle in den Karikaturen auf Courbet nur ein anspielungsreiches Attribut, so wird sie hier in Aktion gezeigt und macht dabei umso deutlicher, wie sich die Arbeitsprozesse von (impressionistischem) Maler und Maurer gleichen. Im vierten Bild wird die Kelle sogar zum Wurfinstrument: Ein auf die Leinwand geschleuderter, unverstrichener Klecks ergibt die Sonne, die als Splashing avant la lettre den Gipfel der hier inszenierten Kunstlosigkeit darstellt. Im fünften und sechsten Bild ist der Maler beim Auftragen und Verteilen der Farbe mit bloßen Händen zu sehen. Bemerkenswert ist dabei vor allem die Gestaltung der Ackerfurchen, deren lineare Struktur er mit den Fingern in die Farbmaterie einritzt. Dieses Verfahren weckt Assoziationen an die Ausführung der titelgebenden Furchen in Vincent van Goghs Gemälde von 188888, die partienweise mit dem Pinselknauf gezogen wurden.89 Im vorletzten Bild scheint der Maler mit

87 Die schwarze Grundierung der Leinwand könnte wiederum als Hinweis auf die Maltechnik Courbets gemeint sein, der zum Erstaunen seiner Zeitgenossen grundsätzlich ‚aus dem Schwarz‘ arbeitete. Er selbst erklärte dies wie folgt: „Sie wundern sich darüber, daß meine Leinwand schwarz ist. Aber auch die Natur ohne Sonne ist finster und schwarz; ich mache es wie das Licht, ich helle nur die vorspringenden Punkte auf und das Bild steht.“ Originaltext in: P. Courthion: Ingres raconté par lui-même, Bd. 1, S. 199. Deutsche Übersetzung zit. nach: K. Herding: Farbe und Weltbild, S. 480. 88 Vincent van Gogh: Champs labourés, les sillons, 1888, Öl auf Leinwand, 72 x 92 cm, Rijksmuseum Amsterdam. 89 Vgl. M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 208 ff. Motivisch erinnern die Furchen auch an Gustave Caillebottes Les raboteurs de parquet, 1875, Öl auf Leinwand, 102 x 146,5 cm, Musée d’Orsay, Paris, die in der Literatur als Bekenntnis des Malers zu einer handwerkli-

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dem ‚Feinschliff‘ des Gemäldes beschäftigt zu sein. Zu seinen Arbeitsutensilien, die er hinter dem Rücken in der linken Hand hält, gehören dabei zwei unterschiedlich geformte Palettmesser und eine grobe Bürste, die nur wenig mit dem klassischen Malerpinsel gemein hat. Das letzte Bild zeigt schließlich die Übergabe des Gemäldes an den zufriedenen Auftraggeber, der dem Künstler ein prall gefülltes Geldsäckchen übergibt. Bei dieser Figur spielten womöglich auch antisemitische Ressentiments eine Rolle, denn ihre Physiognomie erinnert an den von der Karikatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts kreierten ‚jüdischen Typus‘.90 Jüttners Bildergeschichte bedient ein gängiges Vorurteil, indem sie den jüdischen Kunstsammler als Förderer der modernen impressionistischen Kunst auftreten lässt. Der Untertitel der Bildergeschichte, „ein Gemälde auf Bestellung ausgeführt von einem Impressionisten, oder Geschwindigkeit ist keine Hexerei“, lenkt die Aufmerksamkeit auf weitere Aspekte. So war das Modell der Auftragsarbeit ungewöhnlich für die Arbeitsweise der Impressionisten, die in der Regel für den freien Markt produzierten: „[A]uf Bestellung“ lieferte der (Kunst-)handwerker, nicht aber der freie Künstler. Auch der karikierte Produktionsprozess widerspricht der impressionistischen Kunstauffassung, denn er beginnt keineswegs mit einer Naturimpression. Statt die Begegnung mit der freien Natur zu suchen, kopiert Jüttners Impressionist bloß eine Vorlage; die Impression wird durch den flüchtigen Blick auf das bereits vorhandene Bild ersetzt. Entgegen der impressionistischen Praxis, zumindest einen Teil des Malaktes ins Freie zu verlegen, findet die Arbeit hier ausschließlich im Atelier statt. Dies wiegt umso schwerer, als die Bildergeschichte im August, also auf dem Höhepunkt der Freilichtmalerei-Saison, publiziert wurde. Der Impressionismus sollte so als Schwindel entlarvt werden, bei dem es nicht um künstlerische Innovationen, sondern letztlich nur um wirtschaftlichen Profit ging. Mit der „Geschwindigkeit“ war ein weiteres Verdachtsmoment gegen den Impressionismus angesprochen.91 Die vergleichsweise hohe Produktionsgeschwindigkeit impressionistischer Bilder gab Anlass zu der Vermutung, sie seien nicht das Ergebnis einer sorgfältigen Arbeitsweise. Auch wirtschaftliche Ressentiments gegen Künstler und Kunsthändler spielten dabei eine Rolle: Denn wenn ein Ölgemälde ebenso schnell ausgeführt werden konnte wie eine profane Maurerarbeit, wie

chen Fundierung seiner Arbeit gedeutet wurden. Vgl. hierzu A. Callen: The art of Impressionism, S. 109 f. 90 Auch das Geldsäckchen wurde in der Karikatur vielfach als Attribut des Juden eingesetzt. Zu antisemitischen Karikaturen vgl. Schleicher, Regina: Antisemitismus in der Karikatur. Zur Bildpublizistik in der französischen Dritten Republik und im Deutschen Kaiserreich (1871-1914), Diss. Frankfurt am Main 2007. 91 Zur Vorgeschichte dieser Polemik vgl. den Abschnitt „Schnelles Malen: Karikaturen zum Arbeitstempo“ in diesem Buch..

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sollte dann der hohe Preis, der für ein solches Gemälde auf dem Kunstmarkt verlangt wurde, gerechtfertigt sein? Die Produktionsgeschwindigkeit impressionistischer Bilder stand im Zusammenhang mit der Technik der Messermalerei, deren großflächiger Farbauftrag eine schnelle Arbeitsweise ermöglichte. Die Analogie von Maler und Maurer, auf die auch die französischen Karikaturen anspielten, wird in Jüttners Bildergeschichte explizit. Sie zeigt den Transfer von Werkzeugen und Techniken des Maurerhandwerks in die Kunst, wobei naturgemäß auch Übertreibungen zum Einsatz kommen. Denn während die Maurerkelle bei Roubaud und Gill immerhin noch als Karikatur des Palettmesser, also eines echten Malwerkzeugs erscheint, handelt es sich bei der Putzkelle, mit der Jüttners Impressionist seine Leinwand bearbeitet, um reine Satire. De facto spielte die Messermalerei im Impressionismus eine eher untergeordnete Rolle. Anthea Callen legt in ihrer Studie zur impressionistischen Maltechnik dar, dass sich der Einsatz des Palettmessers nur bei einigen wenigen Werken aus der Frühzeit der Bewegung nachweisen lässt.92 Vor allem Paul Cézanne, der seine pastosen Bildoberflächen häufig mit dem Palettmesser bearbeitete, wurde als ‚Maurer‘ kritisiert. So soll Manet über den Künstlerkollegen gesagt haben, „daß er ein Maurer sei, der mit seiner Kelle male“.93 Cézanne selbst dürfte dieses Urteil allerdings kaum als Beleidigung aufgefasst haben, denn er betrachtete sich als legitimen Nachfolger des ouvrier peintre Courbet.94 Wie zuvor für Lemonnier war Courbet auch für ihn „[e]in Maurermeister. Ein wüster Gipskneter. Ein Farbenstampfer.“95 Allerdings wandte Cézanne diesen Befund ins Positive, denn in seinen Augen war Courbet vor allem „ein echter Maler. Es gibt keinen anderen, der ihn in diesem Jahrhun92 Dazu gehören Bilder Monets aus der Mitte der 1860er Jahre sowie einzelne Gemälde von Pissaro und Cézanne. Vgl. A. Callen: The art of Impressionism, S. 138 sowie Ausst.-Kat. Impressionismus (2008), S. 124. 93 Dies berichtet der Kunsthändler Ambroise Vollard in seiner Autobiografie, vgl. Vollard, Ambroise: Erinnerungen eines Kunsthändlers (1937), dt. Ausgabe Frankfurt am Main 1957, S. 59. 94 Courbets Einfluss auf die Malerei Cézannes wurde schon in Kritiken des 19. Jahrhunderts konstatiert. In den letzten Jahren haben sich einige Forscher diesem Thema gewidmet. Vgl. z.B. Eyerman, Charlotte: „Courbet’s legacy in the twentieth century“, in: Ausst.-Kat. Courbet and the modern landscape, hg. von Mary Morton und Charlotte Eyerman, Los Angeles 2006, S. 21-37, hier S. 31 f. 95 Diese Äußerung Cézannes wurde von dem Schriftsteller Joachim Gasquet kolportiert, der zwischen 1896 und 1901 eng mit dem Maler befreundet war. Die von Gasquet erstmals 1921 veröffentlichten Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Cézanne sind in ihrer Authentizität umstritten. Man geht davon aus, dass sich in ihnen Authentisches und Spekulatives vermischen. Vgl. Doran, Michael (Hg.): Gespräche mit Cézanne (1978), dt. Ausgabe Zürich 1982, S. 176.

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dert ausstechen könnte.“96 Dementsprechend forderte er: „Man muß Handwerker sein in seiner Kunst, frühzeitig seine Realisationsmethode kennen. Maler sein durch die ureigensten Eigenschaften der Malerei. Sich grober Materialien bedienen.“97 Wie vor ihm Courbet begegnete auch Cézanne seinen Kritikern, indem er ihre Polemik ins Positive wandte. Das Handwerkliche, das in der Kunstkritik des 19. Jahrhunderts traditionell ein Verdachtsmoment gegen die moderne Kunst darstellte, wurde bei Cézanne zum Qualitätsmerkmal und zur emphatisch eingeforderten Bedingung jeder ernsthaften Kunstpraxis. In Jüttners Bildergeschichte erhält der Vergleich von Maler und Maurer dagegen einen deutlich negativen Akzent. Spiegeln die Karikaturen auf Courbet noch die Ambivalenzen der kunstkritischen Beurteilung des ouvrier und die Eigendarstellung des Künstlers als maître peintre wider, so argumentiert der Kartoffeldiebstahl unverhohlen modernefeindlich. Die Karikatur bestätigt, was das konservative Publikum schon immer argwöhnte: Hinter den verschlossenen Ateliertüren geht ein Schwindel vor sich, denn was sich der Künstler im letzten Bild teuer bezahlen lässt, ist in Wirklichkeit nicht viel mehr als die Putzarbeit eines Maurers. Abbildung 46: Jean Oberlé: Segonzac, ou le maçon de sous-bois

L’Art Vivant, 15.01.1925, o. S.

Obwohl das Palettmesser in der impressionistischen Maltechnik seit etwa 1880 so gut wie keine Rolle mehr spielte, wurde das ‚Mauern‘ noch bis in die 1920er Jahre hinein mit dem Impressionismus in Verbindung gebracht. So zum Beispiel in einer 96 Ebd. 97 Zit. nach: M. Doran: Gespräche mit Cézanne, S. 55.

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1925 erschienenen Karikatur auf den spätimpressionistischen Maler André Dunoyer de Segonzac (1884-1974), den Jean Oberlé (1900-1961) in der Pariser Kunstzeitschrift L’Art Vivant als hemdsärmeligen „maçon des sous-bois“ mit Maurerkelle und Mörtelwanne karikierte (Abb. 46). Bemerkenswert sind die Holzpantinen (sabots) des Malers, die unmittelbar an die Karikaturen auf Courbet erinnern und die Darstellung so in eine ikonografische Tradition des ouvrier peintre einschreiben. Abbildung 47: Maurice Bartlett: o. T.

Punch, 13.08.1958, S. 207

Der Topos des mauernden Künstlers behielt seine Virulenz auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der das Verhältnis von Kunst und Handwerk vielfach neu diskutiert wurde. Das Missverhältnis zwischen banalem Herstellungsprozess und anschließender Würdigung des Produktes als Kunstwerk ist Thema eines Cartoons von Maurice Bartlett, der 1958 im Punch erschien (Abb. 47). Hier liegt der Witz im Auseinanderklaffen von Produktion und Rezeption: Die im Atelier verwandten Techniken und Werkzeuge, darunter auch eine Maurerkelle, lassen die spätere museale Präsentation und den Hinweis „Do not touch Exhibits“ grotesk er-

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scheinen. Obwohl die Bilderfolge einer späteren Zeit und einem anderen Kunstverständnis entstammt als die Karikaturen auf Courbet, Decamps und die impressionistischen ‚Maurer‘ thematisiert sie doch denselben Übertragungsprozess. Alle Karikaturen zu diesem Thema beziehen ihre Komik aus Vermischung zweier Sphären: Die ‚hohe‘ Kunst entpuppt sich als ‚niederes‘ Handwerk, sobald der Arbeitsprozess des Künstlers sichtbar gemacht wird. Abbildung 48: Jason Rhoades: Jason the Mason and the Mason Dickson Linea, 1991, Installationsansicht University of California, Los Angeles

© The Estate of Jason Rhoades, Courtesy of the Estate of Jason Rhoades and Hauser & Wirth

Im Rahmen seiner Beschäftigung mit verschiedenen Mythen und Modellen künstlerischer Arbeit nahm der US-amerikanische Künstler Jason Rhoades (1965-2006) den Maurer-Topos 1991 ins Visier. Inspiriert von dem bekannten Kinderbuch What Do People Do All Day?98 ging er der Frage nach, was Künstler eigentlich „den ganzen Tag tun“. Eine Figur aus dem Buch, das Schweinchen Jason the Mason, wurde zum Alter Ego des Künstlers in einer gleichnamigen Installationsperformance, in der Rhoades in der Berufsbekleidung eines Maurers mit Mörtelkelle, Abziehbrett und Presslufthammer agierte (Abb. 48).99 Auf dem Kopf getragen wurde das quad-

98 Scarry, Richard: What Do People Do All Day?, New York 1968. 99 Jason Rhoades: Jason the Mason and the Mason Dickson Linea, 1991, Installationsperformance, University of California, Los Angeles. Vgl. Meyer-Hermann, Eva: Jason Rho-

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ratische Abziehbrett des Maurers zum lächerlichen Provisorium eines Magisterhutes, mit dem Rhoades „den Typus des gelehrten Künstlers und des Handwerkers“100 gleichermaßen ironisierte. Die Figur des Maurers verkörpert zudem, wie Julia Gelshorn ausführt, ein eindeutig männliches Künstlermodell, das sich Rhoades ironisch aneignete.101 Für das hier behandelte Thema ist der „maçon de l’art“102 jedoch vor allem als eine Figur interessant, deren Ikonografie in der Kunstkarikatur des 19. Jahrhunderts wurzelt. Indem Rhoades in die Rolle von Jason the Mason schlüpfte, eignete er sich also nicht nur verschiedene Künstlermodelle an, sondern zitierte − bewusst oder unbewusst − auch eine satirische Tradition, welche die Arbeit des Künstlers bereits lange zuvor als Maurertätigkeit karikiert hatte.

M ALER

ALS

ANSTREICHER

Anders als der Topos vom Maler als Maurer lässt sich die satirische Rede vom Maler als Anstreicher zunächst nicht auf eine bestimmte künstlerische Technik oder Atelierpraxis zurückführen. Der für den Maler wenig schmeichelhafte Vergleich ist so naheliegend, dass er kaum einer Erklärung bedarf: Beide Berufsgruppen arbeiten mit Pinsel und Farbe. Die Grenze zwischen einer künstlerischen Verwendung dieser Materialien und ihrem alltäglichen Gebrauch war fließend und musste so immer wieder aufs Neue definiert und verhandelt werden. Dies galt besonders für die Malerei der Moderne, die nach dem Wegfall illusionistischer Darstellungstraditionen stets vom Verdacht des Handwerklichen bedroht war. Karikaturen, die die gefährliche Nähe von Maler und Anstreicher thematisierten, reflektierten einerseits das zunehmend komplexe Verhältnis von Kunst und Handwerk in der Moderne, andererseits aber auch die soziale und ökonomische Situation des modernen Künstlers. Der englische Cartoonist Mervyn Wilson (1905-1959) zeichnete 1935 gleich eine ganze Truppe von Künstlern, die, höchst unzweckmäßig mit Pinseln und Paletten ausgerüstet, die Fassade eines großbürgerlichen Wohnhauses renovieren (Abb. 49). Witzig ist dabei der Kontrast zwischen dem durch Kleidung und Accessoires wie Brillen, Hüte und Zigaretten suggerierten intellektuellen Habitus der Künstler auf der einen und ihrer geistlosen, handwerklichen Tätigkeit auf der anderen Seite. ades (= Collector’s Choice Künstlermonografien Bd. 9), hg. von der Friedrich Christian Flick Collection, Köln 2009, S. 11 ff. 100 Gelshorn, Julia: „The Making of the Artist. Das Atelier als Ort männlicher Selbsterschaffung“, in: Diers, Michael/Wagner, Monika (Hg.): Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform (=Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte Bd. VII), Berlin 2010, S. 93-110, hier S. 101. 101 Ebd., S. 100 ff. 102 C. Lemonnier: G. Courbet et son œuvre, S. 62.

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„I’m employing artists this year. Can’t possibly afford decorators“, erklärt der Hausbesitzer einem vorbeikommenden Bekannten und macht damit deutlich, dass die Maler für ihre unstandesgemäße Arbeit auch noch einen geringeren Lohn erhalten, als er ihren handwerklich ausgebildeten Kollegen zustünde. In den Münchener Fliegenden Blättern erschien bereits 1920 eine Karikatur, die die Billige Arbeit bildender Künstler in ähnlicher Weise thematisierte (Abb. 50). Auch hier beschäftigt der Hausherr aus Sparsamkeit anstelle eines ‚richtigen‘ Handwerkers einen „Kunstmaler“, der den benötigten Deckenanstrich offenbar preisgünstiger erledigt. Abbildung 49: Mervyn Wilson: I’m employing artists this year. Can’t possibly afford decorators

Punch, Bd. 189 (1935), S. 51

Beide Karikaturen verweisen auf die prekäre wirtschaftliche Situation vieler Künstler, die besonders in den Metropolen Paris, London und Berlin die Wahrnehmung

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ihres Berufsstandes in der Öffentlichkeit bestimmte. Dabei kritisieren die Karikaturen auch die Ignoranz der wohlhabenden Schichten, hier repräsentiert durch die beiden Hausbesitzer, die sich die Notlage der Künstler zunutze machen. Ihre jeweilige Behauptung, selbst aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus zu handeln, erscheint zumindest bei der Karikatur von 1920 vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise zunächst plausibel, wird jedoch durch die Korpulenz des Hausherrn und das bürgerlich-repräsentative Erscheinungsbild seiner Wohnräume Lügen gestraft. Abbildung 50: Anonym (sign. Wolfg. W.): Billige Arbeit „Ja, was seh’ ich, Herr, Sie haben ja die Maler!“ – „Na, na, meinen Sie, ich könnt’ mir das leisten bei dene Zeiten – ich laß alles bloß von an’ Kunstmaler machen!“

Fliegende Blätter, Bd. 153, Nr. 3916 (13.08.1920), S. 6

Das Klischeebild des ‚armen Künstlers‘, das in zunehmendem Maße auch die Darstellung des Künstlers in Karikaturen bestimmte, hat seinen Ausgangspunkt im 19. Jahrhundert. In Paris kam es nach 1850 durch den Rückgang staatlicher Patronage bei einer gleichzeitig kontinuierlich steigenden Anzahl von Künstlern erstmals zur Ausbildung eines regelrechten Künstlerproletariats, dessen Angehörige vielfach am

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Rande des Existenzminimums lebten.103 Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, waren viele Künstler zeitweilig gezwungen, in parakünstlerische Nebenberufe wie den des Anstreichers oder Dekorationsmalers auszuweichen. Dieses Phänomen thematisiert eine Karikatur von Maurice Marais, die 1896 in der Serie Parisienneries des Charivari erschien (Abb. 51). Abbildung 51: Maurice Marais: Parisienneries – Qué désastre, mon cher confrère, si, comme on le craint, le Salon des Champs-Elysés n’avait pas lieu c’t année! – J’ferai comme vous, mon ami!

Le Charivari, 11.11.1896, o. S.

Dargestellt ist die Begegnung eines Künstlers mit einem Fassadenmaler am offenen Atelierfenster. Gegenstand der Unterhaltung ist ein Gerücht, nach dem der Salon des Champs-Elysées in diesem Jahr ausfallen solle, wozu der Anstreicher dem Maler sein Bedauern ausdrückt. Die jährlich stattfindende Kunstausstellung im Palais 103 Zur wirtschaftlichen Lage der so genannten Bohème-Künstler vgl. Hauser, Arnold: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München 1972, S. 953 ff sowie von Beyme, Klaus: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905-1955, München 2005, S. 168 ff.

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de l’Industrie war für viele Künstler die einzige Gelegenheit, ihre Arbeiten im großen Rahmen auszustellen und möglicherweise zu verkaufen. Der Ausfall dieser Ausstellung, der 1896 aufgrund des geplanten Abrisses des Palais de l’Industrie tatsächlich erwogen wurde, stellte für die meisten Künstler eine wirtschaftliche Katastrophe dar, die sich in vielen Fällen unmittelbar existenzbedrohend auswirkte. Der Maler in Marais’ Karikatur hat daher schon den Plan gefasst, seinen Lebensunterhalt künftig als Anstreicher zu verdienen. Die Grenze zwischen beiden Berufen ist durchlässig und die Existenz des freien Künstlers jederzeit vom Abrutschen in den Handwerkerstand bedroht. Die Karikatur unterstreicht dies durch die symbolische Verortung der Szene am offenen Fenster sowie durch den betont vertraulichen Umgangston der beiden Protagonisten, die sich mit „mon cher confrère“ und „mon ami“ ansprechen. Dass diese Durchlässigkeit auch in die andere Richtung gewährleistet war, zeigen die Beispiele moderner Maler wie Georges Braque, Robert Delaunay, Giacoma Balla, Otto Dix, Max Pechstein und Josef Scharl, die ihre Karriere mit einer Ausbildung zum Anstreicher oder Dekorationsmaler begannen.104 Jenseits dieser sozialgeschichtlichen Aspekte wurde das Prädikat ‚Anstreicher‘ in der Karikatur meist pejorativ eingesetzt, um dem Maler seinen Künstlerstatus abzusprechen. Außerordentlich verbreitet waren Karikaturen, deren Pointe auf einer unabsichtlichen Verwechslung von Maler und Anstreicher basiert. Dem Maler werden darin verschiedene kunstfremde Tätigkeiten angetragen, wie das Anstreichen einer Kutsche oder das Einfärben von Ostereiern.105 Zwar liegt die Komik auch hier in der Konfrontation von Kunst und Alltag, doch sind die unwissenden Kunstbanausen, die einen Maler als Anstreicher engagieren wollen, ebenso Zielscheibe des Spottes wie die Künstler, denen dieses Missgeschick widerfährt. Bisweilen handelt es sich bei der „Verwechslung“ von Künstler und Handwerker jedoch auch um ein absichtliches Missverstehen, in dem eine Figur ihre Kritik an der modernen Kunst artikuliert.106 Besonders die Impressionisten wurden in der Frühzeit der Bewegung häufig mit Anstreichern verglichen. Der Kritiker Charles Garnier bezeichnete bereits Manet in

104 Vgl. K. von Beyme: Das Zeitalter der Avantgarden, S. 54. Der Autor bezeichnet den Beruf des Anstreichers als typischen „Umwegberuf“ für die eigentlich angestrebte Malerkarriere. Dass dieses Modell auch schon in früheren Generationen praktiziert wurde, zeigt das Beispiel des Düsseldorfer Landschaftsmalers Andreas Achenbach (18151910). Dieser berichtet in seinen Jugenderinnerungen, er habe sich zunächst zum Anstreicher ausbilden lassen, um auf diese Weise seinen Lebensunterhalt zu sichern. 105 Vgl. Alfred Darjou: En Vacances, in: Le Charivari, 03.10.1861, o. S. sowie Cham: Vignettes tirées de l’Almanach pour rire pour 1867, in: Le Charivari, 05.11.1866, o. S. 106 Vgl. z.B. Charles Keene: Art Intelligence, in: Punch, Bd. 84 (1883), S. 33.

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einer Kritik seines 1869 entstandenen Werkes Le Repos107 als „chef d’école“ einer Schule von Anstreichern108 und bezog sich dabei auf den freien, skizzenhaften Pinselduktus, der als Ausdruck eines technischen Unvermögens angesehen wurde. Auch die seit 1874 gebräuchliche, von dem Kunstkritiker Louis Leroy zunächst in beleidigender Absicht geprägte Stilbezeichnung Impressionisme scheint zumindest teilweise auf den satirischen Vergleich von Maler und Anstreicher zurückzugehen. Abbildung 52: Claude Monet: Impression, soleil levant, 1872, Öl auf Leinwand, 48 x 63 cm, Musée Marmottan Monet, Paris

© Musée Marmottan Monet, Paris / The Bridgeman Art Library

Zwar bezog sich Leroy in seiner Rezension der ersten Ausstellung der Société anonyme coopérative des artistes peintres, sculpteurs, graveurs et lithographes, wie die anfängliche Selbstbezeichnung der Gruppe lautete, auf das dort ausgestellte Gemälde Impression, soleil levant von Claude Monet (Abb. 52); dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass er bei der Titulierung der Ausstellung als „Exposition des im107 Édouard Manet: Le Repos, 1869, Öl auf Leinwand, 148 x 113 cm, Rhode Island School of Design Museum, Providence. 108 „C’est un chef d’école, si l’on peut appeller école ce genre de badigeonnage.“ Zit. nach: Lévêque, Jean-Jacques: Les anées impressionistes 1870-1889, Paris 1990, S. 180 (ohne Quellenangabe).

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pressionistes“109 auch ein Wortspiel im Sinn hatte. Bis heute bezeichnet der Begriff peinture d’impression den Wandanstrich im Gegensatz zur peinture artistique, der künstlerischen Malerei.110 Darüber hinaus hatte der Begriff impression im 19. Jahrhundert neben der bekannten wahrnehmungsphysiologischen auch eine maltechnische Bedeutung, die der Larousse von 1873 als Grundierung einer Leinwand oder eines Malkartons beschreibt.111 Dieser Wortsinn entsprach der Meinung vieler Ausstellungsbesucher, die die impressionistischen Bilder aufgrund ihrer skizzenhaft wirkenden Ausführung als ‚unfertig‘ empfanden. Dass Leroy den Begriff impression nicht nur, wie meist angenommen wird, als wahrnehmungsphysiologischen Terminus verwendete, sondern ihn auch mit der beschriebenen handwerklichtechnischen Konnotation auflud, zeigt sich spätestens in seinem Vergleich von Monets Boulevard des Capucines112 mit einer „badigeonnage des granits de fontaine“, der Tünche von Brunnengranit.113 Die maltechnische Bedeutung des Begriffs impression, die in der schriftlichen Kunstkritik als Subtext mitschwang, wurde durch das Auftauchen von Anstreicherfiguren in der französischen Kunstkarikatur der 1870er Jahre explizit. 1877 griff Cham diesen Aspekt im Charivari auf und machte einen Fassadenmaler zum ‚Impressionisten‘ wider Willen (Abb. 53). Die kleine, skizzenhaft ausgeführte Karikatur zeigt eine witzige Momentaufnahme: Beim Anstreichen eines mehrstöckigen Gebäudes reißt das Halteseil des Anstreichers, so dass sich dieser nebst Pinsel und Farbeimer im Stürzen befindet. Die Bildunterschrift kommentiert dieses Missgeschick als „L’art de faire de la peinture vraiment impressioniste pour les personnes qui passent au-dessous“. Gemeint ist der Farbeimer, der sich, wie in der Karikatur schon angedeutet, beim Herunterfallen entleeren und dabei alles Darunterliegende mit Flecken und Farbspritzern überziehen wird. Im Hintergrund sind zwei Passanten zu sehen, die vor dieser „wahrhaft impressionistischen Malerei“ eilends die Flucht ergreifen. Die Karikatur illustriert einen der stereotypen Vorwürfe gegen impressionistische Kunst, demzufolge die Bilder einer zufälligen Ansammlung von

109 Leroy, Louis: „L’Exposition des impressionistes“, in: Le Charivari, 25.04.1874, o. S. 110 Vgl. Schapiro, Meyer: Impressionism. Reflections and Perceptions, New York 1997, S. 21 sowie Ausst.-Kat. Impressionismus (2008), S. 21. 111 „Préparation qu’on fait subir à une toile ou à un panneau, avant de les peindre“, in: Larousse, Pierre: Grand dictionnaire universel du XIXe siècle, Paris 1873, s. v. impression. 112 Claude Monet: Boulevard des Capucines, 1873, Öl auf Leinwand, 79,4 x 59 cm, Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Missouri, USA. 113 „Mais ces taches ont été obtenues par le procédé qu’on emploie pour le badigeonnage des granits de fontaine“, in: L. Leroy: L’Exposition des impressionistes, o. S.

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Flecken, Klecksen und Farbspritzern ähnelten114, und überträgt ihn auf die Sphäre des Handwerklichen. Der skizzenhafte Eindruck impressionistischer Gemälde, welcher der Verspottung der Impressionisten als ‚Fleckenmaler‘ zugrunde lag, resultierte in erster Linie aus ihrem Verzicht auf die exakte Wiedergabe von Details. Dies sei auch der Grund für den Vergleich von impressionistischem Maler und Anstreicher, wie Émile Zola 1877 feststellte: „De là une peinture d’impression, et non une peinture de détails.“115 Abbildung 53: Cham: L’art de faire de la peinture vraiment impressioniste pour les personnes qui passent au-dessous

Le Charivari, 15.04.1877, o. S.

Chams Karikatur treibt den Vergleich auf die Spitze: Das impressionistische ‚Bild‘ ist hier weder das Ergebnis eines so genannten Atelierunfalls, der in Karikaturen oft für die Entstehung von Flecken und Klecksen verantwortlich gemacht wurde116, 114 Vgl. A. Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, S. 934. 115 Zola, Émile: „Une exposition: Les peintres impressionistes“, in: Sémaphore du Marseille, 19.04.1877, zit. nach: D. Riout: Les écrivains devant l’impressionisme, S.166169, hier S. 169. Zola gehörte zu den entschiedensten Verteidigern impressionistischer Malerei. 116 Vgl. den Abschnitt „Farbwürfe, Atelierunfälle, Automatismen“ in diesem Buch.

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noch das Resultat einer sorgfältig ausgeführten Handwerkerarbeit, wie Kritiker wenige Jahre zuvor die peinture solide eines Decamps oder Courbet beschrieben hatten. Vielmehr kann etwas, das mit impressionistischer Malerei vergleichbar wäre, Cham zufolge nur da entstehen, wo selbst die Arbeit des Handwerkers auf spektakuläre Art scheitert. Die anfängliche Ablehnung der Bezeichnung „Impressionisten“ seitens der Künstler war sicher auch durch die maltechnische Konnotation des Begriffs motiviert.117 Schließlich wurde der Vergleich von impressionistischem Maler und Anstreicher zunächst nur als Polemik geäußert. Dass einzelne Künstler die riskante Analogie dennoch affirmierten, zeigt das Beispiel Gustave Caillebottes (18481894). Als Mitglied der Intransigeants, einer politisch linksradikalen, anarchistischen Gruppierung, identifizierte sich der Künstler, der selbst aus dem gehobenen Bürgertum stammte, mit der arbeitenden Klasse und brachte dies in einer Reihe von Arbeitsdarstellungen zum Ausdruck.118 Seine 1877 entstandenen Peintres en bâtiment119 wurden schon in zeitgenössischen Rezensionen als bildliche Metapher für Caillebottes eigene künstlerische Arbeit verstanden.120 So bezeichnete der mit den Impressionisten sympathisierende Kritiker Georges Rivière Caillebotte in seiner Besprechung des Bildes als „un travailleur, un chercheur hardi, sur lequel [...] on peut fonder de solides ésperances“.121 Das Wort travailleur wird hier als Beleg für die Solidität von Caillebottes Malerei angeführt und beschreibt eine positive Eigenschaft des Künstlers − eine Argumentationsfigur, die schon zur Charakterisierung der ouvrier peintres Decamps (um 1830) und Courbet (um 1850) verwendet wurde. Diese positive Begriffsverwendung ist indes kein Bestandteil von Chams Karikatur, wie eine zwei Jahre später entstandene Variante mit aller Deutlichkeit zeigt (Abb. 54). Auch in der Version von 1879 ist ein Anstreicher zu sehen, der in die Tiefe stürzt. Die Komik ergibt sich dabei aus dem Wortspiel von peinture indépendante, einem seinerzeit geläufigen Ausdruck für die Malerei der Impressionisten, und peinture pendante, womit das „hängende“ Gewerbe des Fassadenmalers gemeint ist. Das Bild des stürzenden Anstreichers war wohl auch deshalb attraktiv, weil es das bedrohliche Potential illustrierte, das der alle maltechnischen Konventionen über Bord werfende Impressionismus in den Augen konservativer Kritiker 117 Vgl. Ausst.-Kat. Impressionismus (2008), S. 21. 118 Berühmt geworden ist besonders sein Gemälde Les Raboteurs de Parquet, 1875, Öl auf Leinwand, 102 x 146,5 cm, Musée d’Orsay, Paris. 119 Gustave Caillebotte: Les peintres en bâtiment, 1877, Öl auf Leinwand, 89,2 x 116,2 cm, Privatsammlung. 120 Vgl. A. Callen: The art of Impressionism, S. 109 f. 121 Rivière, Georges: „Les Intransigeants et les Impressionistes. Souvenirs du Salon libre de 1877“, in: L’Artiste, 01.11.1877, S. 298-302. Zit. nach: D. Riout: Les écrivains devant l’impressionisme, S. 195-201, hier S. 200.

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besaß. Die stürzenden Fassadenmaler in Chams Karikaturen standen als Bildmetaphern für eine Malerei, die jede Verbindung zur akademischen Tradition abgebrochen hatte und sich nun buchstäblich ‚im freien Fall‘ befand. Abbildung 54: Cham: Comme quoi la peinture indépendante vaut encore mieux que la peinture pendante

Le Charivari, 21.04.1879, o. S.

Auch in der Kunstkarikatur des 20. Jahrhunderts spielte der Topos „Maler als Anstreicher“ eine Rolle. Vor allem die Farbfeldmalerei der 1940er und -50er Jahre schien Assoziationen an handwerkliche Arbeitsweisen zu wecken. Dies zeigt ein Cartoon von Anatol Kovarsky122, der 1955 im New Yorker erschien − in einer Zeit und an einem Ort also, an dem die Popularität des color field paintings mit den Werken von Mark Rothko und Barnett Newman ihren Höhepunkt erreicht hatte (Abb. 55). Dargestellt ist der Transfer einer Anstreichertechnik ins Maleratelier.

122 Der russisch-amerikanische Zeichner Anatol Kovarsky war zwischen 1947 und 1967 für den New Yorker tätig und schuf eine Reihe von Cartoons zur zeitgenössischen Kunst. Seine Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden.

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Anstelle eines Pinsels verwendet der Farbfeldmaler eine Rolle, mit der er gleichmäßige Bahnen über die Leinwand zieht. Eine Bildunterschrift fehlt. War der dargestellte Übertragungsprozess etwa so witzig, dass er keiner zusätzlichen Pointe bedurfte? Dies überrascht in sofern, als der Farbauftrag mit der Rolle nicht etwa eine satirische Übertreibung darstellte, sondern um 1955 längst einer weit verbreiteten Atelierpraxis entsprach. Dass Künstler wie Rothko und Newman Farbrollen einsetzten, um eine flache Bildoberfläche ohne sichtbare Faktur oder individuelle Künstlerhandschrift zu erzeugen, war bekannt und konnte die überwiegend intellektuelle und kunstinteressierte Leserschaft des New Yorker kaum irritieren. Das Funktionieren der Karikatur verdankte sich einem anderen Umstand, der mit der kunsttheoretischen Fundierung des color field paintings und der öffentlichen Selbstdarstellung der Künstler zusammenhing. In seinem programmatischen Essay The Sublime Is Now fragte Barnett Newman: „Wie können wir eine sublime Kunst realisieren? Wir bekräftigen unser natürliches menschliches Verlangen nach dem Erhabenen, nach absoluten Emotionen. [...] Anstatt Kathedralen aus Christus, dem Menschen oder dem ,Leben‘ zu machen, schaffen wir Bilder aus uns selbst und aus unseren eigenen Gefühlen. Das Bild, das wir hervorbringen, ist so einleuchtend, wirklich und konkret wie eine Offenbarung [...].“123

Gefordert wurde also eine geistige und emotionale Kunst, die auch den Charakter einer religiösen Offenbarung annehmen konnte. Die materiellen Grundlagen und technischen Verfahrensweisen der Malerei spielten scheinbar keine Rolle und mussten in einem solchen, das Immaterielle betonenden Kunstbegriff sogar als störend empfunden werden. Der Schaffensakt sollte sich „aus uns selbst und aus unseren eigenen Gefühlen“ heraus vollziehen − und nicht (primär) unter Zuhilfenahme einer Farbrolle. Während Vertreter des Action Painting und der europäischen Nachkriegsmoderne124 die physische Seite der Produktion betonten, negierten die amerikanischen color field painters alles Materielle und boten gerade dadurch eine Angriffsfläche für verschiedene Arten der Satire. Als der Farbfeldmaler, Theoretiker und Cartoonist Ad Reinhardt (1913-1967) seinen Kollegen Newman in einem Artikel für das College Art Journal als „avantgarde huckster-handicraftsman“ und

123 Newman, Barnett: „The Sublime Is Now“, in: Tiger’s Eye, New York, Dezember 1948, S. S. 51-53. Dt. Übersetzung zit. nach: Harrison, Charles/Wood, Paul (Hg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd 2 :1940-1991, Stuttgart 1998, S. 699-701, hier S. 701. 124 Exemplarisch sei auf Yves Klein verwiesen, der eine Assemblage aus benutzten Farbrollen 1956 zum Kunstwerk erklärte und sich auch bei der Arbeit mit diesem Anstreicherwerkzeug ablichten ließ. Vgl. Ausst.-Kat. Yves Klein, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Wien und New York 2007, S. 134 und 262.

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„holy-roller“125 bezeichnete, war dieser nicht amüsiert.126 Dabei handelt es sich gerade bei dem Ausdruck holy-roller um ein witziges Wortspiel: Die umgangssprachliche Bezeichnung für einen religiösen Fanatiker ist hier auf Newmans Einsatz der Farbrolle (engl. roll ) gemünzt und erhält so eine doppelte Bedeutung. Die der Farbfeldmalerei innewohnende Divergenz von quasi-religiöser Rhetorik auf der einen und banalster Technik auf der anderen Seite ist damit prägnant auf den Punkt gebracht. Abbildung 55: Anatol Kovarsky: o. T., in: The New Yorker, 04.06. 1955, S. 34

© Anatol Kovarsky / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Ad Reinhardt selbst tilgte bei seinen Bildern grundsätzlich alle sichtbaren Spuren der Produktion, eine Tätigkeit, die er als „brushwork brushed out to remove brushwork“127 bezeichnete. 1957 formulierte er in der Zeitschrift Art News die Dogmen seiner Produktionslogik in Form von Twelve Technical Rules, die er je-

125 Reinhardt, Ad: „The artist in search of an academy, part II: Who are the artists?“ (1954), in: College Art Journal, Sommer 1954, zit. nach: Rose, Barbara (Hg.): Art as art. The selected writings of Ad Reinhardt, Berkeley u.a. 1991, S. 199-202, hier S. 202. 126 Tatsächlich verklagte er Reinhardt wegen Verlaumdung. Die Klage wurde im Februar 1956 nach einer zweitägigen Anhörung abgewiesen. 127 Vgl. B. Rose: Art as art, S. 82.

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doch negativ formulierte, so dass jede mit dem Wort „No“ beginnt.128 Dort heißt es unter anderem: „No texture. Texture is naturalistic or mechanical and is a vulgar quality, especially pigment texture or impasto. Palette knifing, canvas stabbing, paint scumbling and other action techniques are unintelligent and to be avoided. [...] Brushwork should be invisible.“129 Obwohl die Ablehnung materieller Aspekte ein generelles Charakteristikum in der Theorie des color field paintings darstellte, war Reinhardt in seiner radikalen Position ein Einzelfall. Tatsächlich besitzen die meisten Farbfeldmalereien sehr wohl Eigenschaften und Merkmale, welche die materielle Faktizität des Werkes betonen und als Spuren Rückschlüsse auf den Produktionsprozess zulassen.130 In Newmans Bildern sind dies vor allem die mitunter stark unregelmäßigen oder, wie Sebastian Egenhofer schreibt, „dramatisch inszenierten“131 Spuren des masking tapes, das zum Abkleben der späteren zips benutzt wurde und in einigen Fällen sogar auf der Leinwand verblieb.132 Nicht zuletzt der offensichtliche Einsatz dieses Materials, das wie die Farbrolle zur Grundausrüstung des Anstreichers gehört, dürfte Reinhardt zu seiner Polemik über den „handicraftsman“ Barnett Newman veranlasst haben. Doch Reinhardt, der nach außen jeden Hinweis auf seine Atelierpraxis vermied, wurde auch selbst zum Gegenstand der Satire. Im Juni 1957 veröffentlichte die Malerin und Kunstkritikerin Elaine de Kooning (1918-1981) in der Zeitschrift Art News eine Erwiderung auf Reinhardts Twelve Rules, die eine Parodie seines dogmatischen Kunstbegriffs darstellt.133 Ihr Artikel erschien in der bekannten Serie

128 Zu den „Negationen“ des Schaffensprozesses im Abstrakten Expressionismus vgl. Schneemann, Peter J.: Von der Apologie zur Theoriebildung. Die Geschichtsschreibung des Abstrakten Expressionismus, Berlin 2003, S. 105 ff. 129 Reinhardt, Ad: „Twelve rules for a new academy. How a well-known abstract painter would ‚give certain rules to our art‘ in order to ‚render it pure‘“, in: Art News, Bd. 56 (1957), Nr. 3, S. 37-38, 56. Es ist bemerkenswert, dass Reinhardt mit seiner Ablehnung der Palettmessermalerei als „unintelligent“ ein kunstkritisches Argumentationsmuster des 19. Jahrhunderts wiederholte. 130 Vgl. Egenhofer, Sebastian: „Zur Produktionslogik der Farbfeldmalerei“, in: Ausst.-Kat. Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue? Positionen der Farbfeldmalerei, Baden-Baden 2007, S. 31-48, hier S. 43. 131 Ebd. 132 Vgl. z. B. Onement I, 1948, Öl auf Leinwand und Abdeckband , 69,2 x 41,2 cm, Museum of Modern Art, New York. 133 de Kooning, Elaine: „Pure paints a picture“, in: Art News, Bd. 56 (1957), Nr. 4, S. 57, 86-87. Reinhardt hatte eine Kunst gefordert, die von allen außerkünstlerischen Bedeutungen gereinigt sei: „The first rule and absolute standard of fine art, and painting,

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...paints a picture, in der Künstler Einblick in ihre Arbeitsweisen und Atelierpraktiken gewährten. Pure paints a picture, eine Dokumentation über den fiktiven Maler Adolf M. Pure134, ironisierte Reinhardts Negationen schon mit dem Eingangszitat: „If any paint remains on the picture surface at the end of a day’s work, I have failed“.135 Ganz in der Tradition klassischer Künstlerviten führt de Kooning Pures Bekenntnis zur Reinheit auf ein prägendes Kindheitserlebnis zurück: Der Künstler habe als Kind beim Sterilisieren von Milchkannen geholfen und dabei eine Vorliebe für das Entfernen von Unreinheiten entwickelt. Seine Arbeitsweise wird folgerichtig in einer Reihung von Negationen beschrieben: „This necessitates having a great many materials in his studio which he must not use. [...] [H]is shelves are lined with tubes of color that he never touches.“136 Üblicherweise waren die Atelierreportagen in Art News mit Fotografien des Künstlers bei der Arbeit illustriert, doch de Koonings Persiflage verzichtet auf jegliche Illustration. Was sollte sie auch zeigen? Einige Jahre später nutzte Reinhardt selbst die Serie als Medium der Selbstdarstellung. In Reinhardt paints a picture137 legte der Künstler in Form eines Selbstinterviews seine Kunstauffassung dar. Illustriert ist der Artikel mit insgesamt 13 Abbildungen fertiger Bilder und einer von Marvin Lazarus (1918-1982) aufgenommenen Porträtfotografie, die den Künstler im Gegenlicht vor dem Fenster seines Ateliers zeigt (Abb. 56). Natürlich lässt die Aufnahme keinerlei Rückschlüsse auf den physischen Malakt zu; ganzfigurig und im Profil aufgenommen erinnert Reinhardts Sitzhaltung vielmehr an die Pose von Rodins Denker.138 Sie wirkt nicht nur wie ein Gegenbild zu den legendär gewordenen Fotografien des malenden Pollock139, sondern kontrastiert auch alle anderen in dieser Serie erschienenen Künstlerporträts, die die dargestellten Maler und Bildhauer stets inmitten eines Arbeitsprozesses zeigen. Während die Serie sonst explizit künstlerische Techniken in Text und Bild bewhich is the highest and freest art, is the purity of it.“. A. Reinhardt: Twelve rules for a new academy, S. 38. 134 Der vollständige Vorname des von deutsch-jüdischen Immigranten abstammenden Ad Reinhardt lautete Adolph Dietrich Friedrich, die deutsche Schreibweise „Adolf“ könnte ein Hinweis auf Adolf Hitler sein. In den USA wird der Begriff „Nazi“ umgangssprachlich verharmlosend verwendet, um auf extreme Standpunkte einer Person aufmerksam zu machen. Der Nachname Pure spielt auf Reinhardts Ideologie der künstlerischen Reinheit an, das „M.“ ermöglicht ein Wortspiel mit den Begriffen „pure“ und „impure“. 135 E. de Kooning: Pure paints a picture, S. 57. 136 Ebd. 137 Reinhardt, Ad: „Reinhardt paints a picture“, in: Art News, Bd. 64 (1965), Nr.1, S. 3941, 66. 138 Auguste Rodin: Le Penseur, 1880-82, Bronze, H. 72 cm, Musée Rodin, Paris. 139 Die Fotografien von Hans Namuth erschienen als Illustrationen zu Goodnough, Robert: „Pollock paints a picture“, in: Art News, Bd. 50 (1951), Nr. 3, S. 38-41, 60-61.

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handelte, verweigerte sich Reinhardt dieser Praxis und inszenierte die Arbeit des Künstlers als intellektuellen Akt, gemäß seiner eigenen Doktrin: „Not working in art is working.“140 Abbildung 56: Marvin P. Lazarus: Ad Reinhardt, in: Art News, Bd. 64 (1965), Nr. 1, S. 40

© Lazarus Family

Es ist durchaus denkbar, dass Kovarsky bei seiner Karikatur die erst wenige Monate zurückliegende Kontroverse zwischen Reinhardt und Newman im Sinn hatte. Strategien der Negation, wie sie von beiden Künstlern verfolgt wurden, sind in jedem Fall ausschlaggebend für die komische Wirkung der Karikatur. Die Offenlegung des Produktionsprozesses ist komisch, weil die technische Banalität des Malaktes die metaphysische Begründung des color field paintings kontrastiert: Die Theorie des Erhabenen kollidiert mit der Praxis des Anstreichens. Während in der Fotogra-

140 A. Reinhardt: Reinhardt paints a picture, S. 40. Wie wenig die Bezugnahme auf alles Materielle auch von Reinhardts Konkurrenten Barnett Newman gewünscht war, beweist eine Porträtaufnahme von Hans Namuth. Sie zeigt den Künstler 1952 in einem Atelier, das keinerlei Spuren physischer Arbeit aufweist. Umgeben von fertigen Bildern sitzt Newman bewegungslos auf einem Stuhl, während lediglich Rauch von seiner Zigarette aufsteigt. Die Fotografie ist abgebildet in: Jones, Caroline A.: Machine in the studio. Constructing the Postwar American Artist, Chicago u.a. 1996, S. 33.

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fie von Lazarus Materialien und Werkzeuge vollständig fehlen, zeigte Kovarsky den Maler umgeben von Farbtöpfen und Malutensilien und lieferte so ein Gegenbild zur Selbstdarstellung der color field painters. Durch das Aufkommen des Hyperrealismus in den 1970er Jahren erhielt der kritische Diskurs um die Entwicklung der Malerei zur „Anstreicher-Kunst“ neue Impulse. In diesem Zusammenhang ist vor allem Mark Tansey (geb. 1949) zu nennen, dessen Gemälde verschiedentlich mit Karikaturen verglichen wurden. In einem Bild mit dem ironischen Titel Triumph over Mastery II (Abb. 57) gelang ihm 1987 eine satirische Auseinandersetzung mit der monochromen Malerei und ihren Produktionsmethoden.141 Zu sehen ist ein Mann auf einer Leiter, die den Bildraum am rechten Rand vertikal durchschneidet. Mit einer Farbrolle trägt er weiße Farbe auf eine Wand auf, die den gesamten Bildhintergrund ausfüllt und überdeckt damit ein Wandgemälde, das sich leicht als Michelangelos Jüngstes Gericht142 identifizieren lässt. Doch nicht nur die Figuren des berühmten Freskos verschwinden unter einer gleichmäßigen Schicht weißer Farbe, sondern auch der Schatten, den die Leiter und der Körper des Anstreichers auf die Wand werfen − eine physikalische Unmöglichkeit, die dem realistisch gemalten Bild eine surreale Note verleiht. In Tanseys konzeptueller Befragung der Malereigeschichte ist diese Abweichung nur konsequent: Der Anstreicher tilgt die illusionistische Tiefe des Bildraums nicht nur in Michelangelos Werk, das als Bild im Bild präsent ist, sondern auch in Tanseys Bild, von dem er selbst ein Teil ist. Das ikonoklastische Auslöschen des Freskos entspricht auch einer Wiederherstellung der weißen Leinwand. In Triumph over Mastery II wird so die Entwicklung der Malerei vom Dreidimensionalität vorspiegelnden illusionistischen Bildraum der Renaissance zur flatness monochromer Farbfelder reflektiert. Der Anstreicher, dessen ideale Nacktheit wiederum die Darstellungstraditionen der alten Malerei zitiert, wird zur Schlüsselfigur und zum Helden dieser Entwicklung. Das Werk des realistischen Malers Tansey liegt dagegen quer zu der darin skizzierten kunstgeschichtlichen Evolution: Triumph over Mastery. Auch im Werk des hyperrealistischen Bildhauers Duane Hanson (1925-1996) der 1970er und -80er Jahre gibt es Anstreicherfiguren, die sich als Beitrag zum Diskurs um die Entwicklung der Kunst lesen lassen. Hanson schuf insgesamt drei Anstreicherplastiken: Painter (1977) (Abb. 58) sowie Housepainter I und Housepainter II (beide 1984).143 Allen sind als Accessoires Farbeimer und eine Farbrolle bei141 Vgl. Danto, Arthur C.: Mark Tansey: Visions and Revisions, New York 1992, S. 22 f. 142 Michelangelo Buonarotti: Jüngstes Gericht, 1535-41, Fresko, Sixtinische Kapelle, Vatikan. 143 Duane Hanson: Housepainter I, 1984, Epoxid-Harz, bemalt, Accessoires, Lebensgröße sowie Housepainter II, 1984, Bronze, bemalt, Accessoires, Auflage: 3, Lebensgröße, beide Collection Hanson, Davie, Florida.

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gegeben. In Ausstellungen werden die Figuren meist suggestiv inszeniert, als seien sie damit beschäftigt, die Wände des Ausstellungsraumes zu streichen. Dies fällt besonders bei Housepainter I auf, der nicht mit weißer, sondern mit leuchtend pinker Farbe arbeitet. Abbildung 57: Mark Tansey: Triumph over Mastery II, Öl auf Leinwand, 249 x 173 cm, Collection Emily Fisher Landau, New York

© Fisher Landau Center for Art / The Whitney Museum of American Art, New York

Hansons Anstreicher stehen im Zusammenhang mit zahlreichen anderen Handwerkerfiguren − Maurern, Hausmeistern, Fensterputzern, Bauarbeitern usw. −, die den Skulpturenkosmos des Künstlers bevölkern. Hanson selbst gab an, dass ihn Handwerker vor allem als soziale Typen interessierten.144 Eine zusätzliche diskursive Ebene, die in der Figur des Anstreichers die Entwicklungsgeschichte der modernen Malerei reflektiert, lässt sich als Künstlerintention nicht nachweisen. Doch rückblickend kommen wir nicht umhin, die Skulpturen als Beiträge zu einer kunstinternen 144 Vgl. Buchsteiner, Thomas: „Kunst ist Leben und Leben ist realistisch“, in: Ausst.-Kat. Duane Hanson – Sculptures of the American Dream, ARKEN Museum for Moderne Kunst Kopenhagen u.a. 2007, dt. Ausgabe Tübingen 2007, S. 69-79, hier S. 78.

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Debatte zu sehen, die in den 1970er Jahren mit dem Aufkommen des Hyperrealismus als Gegenbewegung zur flatness abstrakter Farbfelder gerade höchst virulent war. Auch in aktuellen Inszenierungen der Arbeiten scheint diese Deutungsweise angelegt zu sein. So zeigte die New Yorker Galerie Van de Weghe den Housepainter I im Jahr 2009 im hinteren von zwei ansonsten leeren Galerieräumen mit pinkem Wandanstrich, was den Eindruck einer noch nicht vollendeten Anstreicherarbeit entstehen ließ (Abb. 59). Durch diese Präsentation erschien die Skulptur als Kommentar zur „Praxis des Anstreichens“ in der Kunst und die ganze Installation als ironische Selbstbefragung des White Cube, der hier kurzfristig zum Pink Cube mutierte.145 Abbildung 58: Duane Hanson: Painter, 1977, Epoxid-Harz, bemalt, Accessoires, Lebensgröße, John & Maxine Belger Family Foundation, Kansas City

© The Estate of Duane Hanson / VG Bild-Kunst, Bonn 2015

145 Dass es sich bei Hansons Anstreicher um einen Farbigen handelt, ließe sich in dieser Lesart ebenfalls als entlarvender Kommentar zum Abstrakten Expressionismus lesen, dessen äußeres Erscheinungsbild Ann Eden Gibson zufolge ausschließlich von „white heterosexual males“ bestimmt wurde. Während die Vertreter dieser Gruppe die Macht über den Diskurs besaßen, wurden andere Akteure marginalisiert. Vgl. zu diesem Aspekt Gibson, Ann Eden: Abstract Expressionism: Other Politics, New Haven u.a. 1997, S. xix.

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Abbildung 59: Ausstellungsansicht Van de Weghe Fine Art, mit Duane Hansons Housepainter I, New York 2009

© The Estate of Duane Hanson / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Courtesy Van de Weghe Fine Art, New York

Der White Cube, der als „soziologischer, ökonomischer und ästhetischer Kontext“146 untrennbar mit dem amerikanischen color field painting verbunden war, ist auch Thema eines Cartoons von James Stevenson (Abb. 60), der 1967 im New Yorker erschien. Dargestellt ist die Begegnung einer Besucherin und eines Galeristen in einem völlig leeren Ausstellungsraum, den Letzterer mit den Worten „This is the show, Madam!“ selbst zur Ausstellung erklärt. Die ästhetische Potenz der weißen Wand, die in den 1960er Jahren zum Austragungsort zentraler Diskurse um Bild-

146 Rose, Barbara: Klappentext zu O’Doherty, Brian: Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space (1976), dt. Ausgabe: In der weißen Zelle. Inside the White Cube, hg. von Wolfgang Kemp, Berlin 1996.

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oberflächen und -begrenzungen in der Malerei wurde147, ist hier ins Absolute gesteigert: Die Wand hat sich vom Bild emanzipiert und ist selbst zum Kunstwerk geworden. Der Anlass für Stevensons Cartoon könnte eine im Frühjahr 1967 eröffnete Ausstellung des Konzeptkünstlers William Anastasi in der New Yorker Dwan Gallery gewesen sein, die sich mit diesem Phänomen auseinandersetzte. Für seine Installation fotografierte Anastasi die leeren Wände des Galerieraums mit den darauf angebrachten Steckdosen, Lüftungsgittern und anderen Details und übertrug die Fotografien mittels Siebdruck auf Leinwände, die nur wenig kleiner waren als die originalen Wände. Die auf diese Weise entstandenen Bilder wurden auf die Wände gehängt, die sie jeweils vorstellten. Brian O’Doherty beschreibt einen frappierenden Effekt der Installation, die für ihn die Wahrnehmung aller folgenden Ausstellungen in der Dwan Gallery beeinflusst habe: Nach der Entfernung der Bilder wurde die Wand zum „Ready Made-Wandgemälde“.148 Auch in Stevensons Cartoon präsentiert sich die Wand als Readymade, das keiner weiteren künstlerischen Bearbeitung mehr bedarf. Dort aber, wo die Wand zum Readymade wird, ist implizit auch die Arbeit des Anstreichers angesprochen, der als ihr Produzent der eigentliche Urheber des White Cube ist. Seiner Arbeit − so könnte die Botschaft lauten, die Stevensons Karikatur und Anastasis räumliche Intervention auf je unterschiedliche Weise formulieren − ist von künstlerischer Seite nichts mehr hinzuzufügen. Dieser Gedanke findet sich auch in einem Cartoon von Mick Steve aus dem Jahr 2006, der einen Anstreicher bei der Eröffnung des von ihm frisch gestrichenen Galerieraums zeigt (Abb. 61). Die Karikatur liefert das Gegenbild zu den Darstellungen des Künstlers als billige Arbeitskraft, die den sozialgeschichtlichen Diskurs um künstlerische und handwerkliche Arbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmten. Die weiße Wand ist hier nicht mehr nur als Ready Made angesprochen, sondern erscheint als vollwertiges Kunstwerk, das mit dem zum Künstler avancierten Anstreicher auch einen Autor besitzt. Die Grenzen zwischen Künstler und Handwerker scheinen in der Praxis des Anstreichens, die beiden gemeinsam ist, zu verschwimmen.

147 Vgl. B. O’Doherty: In der weißen Zelle, S. 27 ff. 148 Ebd. S. 33.

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Abbildung 60: Richard Stevenson: „This is the show, Madam.“ In: The New Yorker, 15.04.1967, S. 58

© James Stevenson / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Abbildung 61: Mick Stevens: o. T. , in: The New Yorker, 20.11.2006, S.50

© Mick Stevens / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

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K UNST

AUS DER

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M ASCHINE

Eine Karikatur von 1927 beschreibt das Verhältnis von Kunst und Maschine im Bild einer Verwechslung (Abb. 62). Sie zeigt einen Besucher des Salon d’Automne, der sich in die benachbarte Radio-Ausstellung verirrt hat und die dort präsentierten Übertragungs- und Empfangsgeräte für Skulpturen hält. Dabei ist sein Irrtum nicht nur ein Ausdruck ästhetischer Unerfahrenheit. Der Zeichner Ralph Soupault (19041962) karikierte damit einen Prozess der Annäherung von Kunstwerk und Maschine, der gegen Ende der 1920er Jahre bereits einen Höhepunkt erreicht hatte. Die kühle Ästhetik der Maschinen faszinierte Künstler und Designer gleichermaßen und fand so bereits seit mehreren Jahren Eingang in die Entwurfspraxis der Moderne, zum Besipiel in den Stahlrohrmöbeln der Bauhaus-Künstler Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe. Womöglich hatte Soupault auch Charlotte Perriands Bar Sous Le Toit im Sinn, die zeitgleich im Salon d’Automne ausgestellt wurde und deren überwiegend aus Stahlrohr gefertigte Einrichtung als eines der frühesten Beispiele für Maschinenästhetik im modernen Design gilt.149 Darüber hinaus scheint die Karikaturdie legendäre Machine Art-Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art vorwegzunehmen, die Maschinen und Maschinenteile 1934 erstmals in einer musealen Anordnung präsentierte.150 Die Maschine ist ein zentraler Topos der Moderne. Das Manifest des Futurismus151 enthält eine Vielzahl von Maschinenmetaphern, und seit den 1910er Jahren war die Maschine im Werk von Künstlern wie Marcel Duchamp und Francis Picabia auch motivisch präsent.152 Die Berliner Dadaisten feierten „die neue Maschinenkunst Tatlins“153, und Fernand Léger schwärmte, die Maschine habe ihm „mehr 149 Vgl. Aujame, Roger: Charlotte Perriand et la volumétrie de l’espace, in: Ausst.-Kat. Charlotte Perriand, Centre Pompidou, Paris 2005, S. 118-127, hier S. 119. 150 Vgl. Marshall, Jennifer Jane: Machine Art, 1934, Chicago 2012. 151 Marinetti, Filippo Tommaso: Manifest des Futurismus, in: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert , Bd. 1 (1998), S. 183-187. Der französische Originaltext erschien am 20.02.1909 in Le Figaro, Paris. 152 Selbst Duchamps Readymades sind als Beispiele für die Entwicklung einer Maschinenkunst interpretiert worden. So schreibt Harald Szeemann: „Und was ist Duchamps Geste, Alltagsobjekte durch die Isolierung im kulturellen Kontext von Kunstwerken zu erklären, anderes, als die Arbeit der Kunstmaschine, die Ready Mades und nicht etwa Ready Createds herstellt.“ Szeemann, Harald: „Die Junggesellenmaschine oder wie heute eine Zusammenarbeit zwischen Ausstellungsorganisatoren und Wissenschaftlern aussehen könnte“, in: Reck, Hans Ulrich/Szeemann, Harald (Hg.): Junggesellenmaschinen, Wien u.a. 1999, S. 3-11, hier S. 7. 153 George Grosz und John Heartfield präsentierten auf der ersten Berliner Dada-Messe 1920 ein Plakat mit der Aufschrift „Die Kunst ist tot! Es lebe die neue Maschinenkunst

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beigebracht als alle Museen der Welt“.154 Soupault konnte also 1927 an einen ausgeprägten und bereits gut etablierten ästhetischen Trend anknüpfen. Abbildung 62: Ralph Soupault: Essai de sculpture Comparée (Au Grand Palais ont lieu côte à côte le Salon de la T. S. F. et le Salon d’automne)

Le Charivari, 05.11.1927, S. 23

Die Karikatur überzeugt weniger durch die Originalität ihrer Pointe als durch ihre bildliche Ebene, die diesen Trend reflektiert und die dargestellte Maschinenhalle in eine ästhetische Struktur überführt. Klare geometrische Formen, gebrochene Linien

Tatlins“. Die Aktion ist fotografisch dokumentiert in: Huelsenbeck, Richard: Dada Almanach, Berlin 1920, o. S (zwischen den S. 40 und 41). 154 Zit. nach Asendorf, Christoph: „Der Propeller und die Avantgarde. Léger − Duchamp – Brancusi“, in: Ausst. Kat. Fernand Léger 1911-1924. Der Rhythmus des modernen Lebens, hg. von Dorothy Kosinski, Kunstmuseum Wolfsburg u.a. 1994, S. 203-209, hier S. 206.

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und Schwarz-Weiß-Konstraste verweisen sowohl auf die Bildsprache kubofuturistischer Malerei als auch auf Gestaltungselemente des von Maschinenästhetik inspirierten Art déco-Stils. Eine Ambivalenz von Raum und Fläche bestimmt die Darstellung: Die im Hintergrund sichtbare Anordnung von Maschinen droht immer wieder in die Flächigkeit eines Musters zu kippen. Auch die Ausstellungsbesucher, die zwischen den Maschinen umhergehen und die Halle bevölkern, sind dieser linearen Ästhetik anverwandelt. Zusätzlichen Witz erhält die Karikatur durch das anthropomorphe Erscheinungsbild der vordersten, mit „Supertruc“ bezeichneten Maschine, die den Blick des verirrten Ausstellungsbesuchers mit Stielaugen zu erwidern scheint. Kunstmaschinen und Maschinenkünstler Die Maschinisierung der modernen Lebenswelt blieb nicht ohne Auswirkung auf die Kunst, die sich die Produktionslogik der Maschine zu igen machte − oder gegen sie aufbegehrte. Die Maschine ermüdet nicht, und was sie produziert, ist glatt, ebenmäßig und ohne Bearbeitungsspuren. Was war da naheliegender, als auch den Schaffensakt des Künstlers an die Maschine zu delegieren? Die Vorstellung einer Kunst produzierenden Maschine lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Der Schweizer Uhrmacher Henri-Louis Jaquet-Droz entwickelte um 1770 seinen Dessinateur, einen puppenartigen Androiden, der in der Lage war, vier verschiedene Bleistiftzeichnungen auszuführen.155 Der Zeichner war Teil eines Ensembles menschenähnlicher Automaten, das heute im Musée d’Art et d’Histoire in Neuchâtel aufbewahrt wird und zu dem außerdem ein Schreiber und eine Musikerin gehörten.156 Die erste „Kunstmaschine“157 entstand damit im vorindustriellen Kontext mechanischer Spielfiguren und -automaten, die im 18. Jahrhun-

155 Die Mechanik der Figur, ein im Inneren verborgenes System aus Nockenscheiben, ist noch heute voll funktionstüchtig. Die verschiedenen Zeichenmotive, ein Porträt Ludwigs XI., ein Hund, ein englisches Paar und ein von Schmetterlingen gezogener Wagen, liegen wie Programme auf verschiedenen auswechselbaren Nockenscheibensätzen. Vgl. Carrera, Roland/Loiseau, Dominique/Roux, Olivier: Androiden. Die Automaten von Jaquet-Droz, Lausanne 1979, o. S. 156 Die drei Automaten wurden zwischen 1768 und 1774 von Pierre Jaquet-Droz, seinem Sohn Henri-Louis Jaquet-Droz und ihrem Mitarbeiter Jean-Frédéric Leschot entwickelt. Der Dessinateur und die Musicienne gelten als Werke von Henri-Louis Jaquet-Droz, während Pierre Jaquet-Droz der Urheber des komplizierteren Ecrivain sein soll. Vgl. R. Carrera/D. Loiseau/O. Roux: Androiden, o. S. 157 Als solche betrachten sie auch U. Reck/H. Szeemann: Junggesellenmaschinen, S. 274.

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dert eine Blütezeit erlebten.158 Sie diente in erster Linie der Unterhaltung des Publikums und nicht der massenhaften Produktion von Zeichnungen; tatsächlich scheinen die Produkte dieses erstaunlichen Automaten von eher sekundärem Interesse gewesen zu sein. Andernorts wurde die maschinelle Herstellung von Gemälden allerdings sehr wohl bereits erwogen und nur wenige Jahre später auch praktiziert. Der englische Ingenieur und Unternehmer Matthew Boulton, ein Pionier der frühen Industriellen Revolution, begann 1776 in seiner Soho Manufactory bei Birmingham mit der Produktion so genannter „mechanical paintings“.159 Dabei handelte es sich um Reproduktionen von Gemälden erfolgreicher zeitgenössischer Künstler wie Angelica Kauffmann und Philippe Jacques de Loutherbourg, die diese als Vorlagen zur Verfügung stellten oder sogar eigens zu diesem Zweck anfertigten.160 1784 etablierte sich mit der von dem Maler Joseph Booth gegründeten Londoner Polygraphic Society sogar ein zweites Unternehmen, das Ölgemälde maschinell produzierte, ausstellte und vertrieb.161 Im Unterschied zu Boulton wandte sich Booth an eine breitere Öffentlichkeit und versäumte auch nicht, die so genannte „Polygraphic Art“ in eigens verfassten Pamphleten zu propagieren.162 Dennoch wurde das Verfahren wohl bereits gegen Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr praktiziert und geriet rasch in Vergessenheit. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Idee und Praxis einer maschinenproduzierten Kunst bereits im manuellen Zeitalter eine Rolle spielten. Auch in der Karikatur hatte das Thema eine longue durée. Parallel zu den Maurer- und Anstreicherfiguren der frühen französischen Karikatur, deren handwerkliche Arbeitsweise als anstößig empfunden wurde, entwickelte sich auch eine Darstellungstradition des Maschinenkünstlers, die einen anderen Problemhorizont aufwarf. So lassen sich die kunstvollen Illustrationen von Grandville (eigtl. Jean Ignace Isidore Gérard, 1803-1847) bereits als Reaktionen auf die moderne Maschinenwelt und das Problem einer maschinisierten Kunstproduktion betrachten. In 158 Einen Überblick bietet Soriano, André: Mechanische Spielfiguren aus vergangenen Zeiten, Monaco 1985. 159 Das technische Verfahren dieser täuschend echt wirkenden Bilder, die man häufig zur Ausstattung von Wohnräumen und luxuriösen Möbeln verwendete, ist bis heute nicht restlos entschlüsselt. Vgl. Robinson, Eric/Thompson, Keith R.: „Matthew Boulton’s Mechanical Paintings“, in: The Burlington Magazine, Bd. 112 (1970), Nr. 809, S. 497507. 160 Ein entsprechender Hinweis findet sich in Joppien, Rüdiger: Die Szenenbilder Philippe Jacques de Loutherbourgs. Eine Untersuchung zu ihrer Stellung zwischen Malerei und Theater, Diss. Köln 1972. 161 Vgl. E. Robinson/K. R. Thompson: Matthew Boulton’s Mechanical Paintings, S. 502 f. 162 Booth, Joseph: An Address to the Public on the Polygraphic Art. Invented by Mr. Joseph Booth,... (1784), Reprint Hampshire 2010.

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Grandvilles Hauptwerk Un autre monde von 1844 erhält ein Bildhauer die Gestalt eines mechanischen Apparates, dessen Beine als Messzirkel gebildet sind (Abb. 63). Dieses Werkzeug wird von traditionellen Steinbildhauern zum Übertragen einer Vorlage auf den zu bearbeitenden Stein benutzt und repräsentiert somit nicht den kreativen Entwurfsprozess, sondern die technisch-handwerkliche Seite der Produktion. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass der mechanische Bildhauer überdies kopflos ist, denn was auf den ersten Blick wie Hals und Kopf einer anthropomorphen Maschine aussieht, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als Hammer, den die Figur in der linken Hand hält − ein Hinweis auf die Ablösung der künstlerischen Idee durch die (geistlose) technische Perfektion der Maschine.163 Abbildung 63: Grandville: Un autre monde (1844), Bildhauer aus dem Kapitel „Le Louvre des Marionettes“

Zit. nach: Grandville: Eine andere Welt, Zürich 1979, S. 104

Knapp 20 Jahre nach Grandvilles fantastischer Illustration griff Cham das Thema der Kunst produzierenden Maschine im Charivari auf. Seine in Stil und Kontext vollkommen gegensätzliche Darstellung zeigt eine rauchende Dampfmaschine in der Rolle des Malers (Abb. 64). Aufgebaut vor einer Staffelei und ausgerüstet mit Pinsel und Palette bringt die Maschine das Bild eines Reiters auf die Leinwand, wobei ihre klobige Gestalt dieser feinmotorischen Tätigkeit zu widersprechen scheint. Anders als Grandville kam es Cham bei seiner Darstellung nicht auf Details an, vielmehr suchte er einen schnellen Witz mit aktuellem Bezug. Die Karikatur 163 Vgl. Hoffmann, Justin: Künstler wird Maschine wird Künstler, in: Ausst.-Kat. Kunstmaschinen – Maschinenkunst, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main 2007, S. 26-35.

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kann als Beitrag zu einer kontrovers geführten Debatte um die Anwendung der Kunst auf die industrielle Produktion (application de l’art à l’industrie) aufgefasst werden. Seit der Revolutionszeit wurde die Vereinigung von Kunst und Industrie zum Wohle Frankreichs und zur Verbesserung der nationalen Produkte von staatlicher Seite emphatisch gefordert.164 1851 beauftragte die französische Regierungskommission für die Londoner Weltausstellung den Archäologen und Kunstwissenschaftler Léon de Laborde mit einem ausführlichen Ausstellungsbericht, der 1856 als zweibändiges Werk unter dem programmatischen Titel De l’union des arts et de l’industrie 165 erschien. In diesem „premier grand ouvrage idéologique“166 für die Entwicklung der französischen Kunstindustrie-Bewegung kritisierte Laborde „die unsinnige Theorie des l’art pour l’art“167 und forderte stattdessen die Anwendung (application) der „reinen Kunst“ (art pur) auf die Industrie.168 Die nachfolgende, von der Regierung geförderte Institutionalisierung der arts industriels in den 1860er Jahren169 wurde von vielen Künstlern und Intellektuellen entschieden abgelehnt.170 So schloss Ingres, zu dieser Zeit Direktor der École des Beaux-Arts, die Möglichkeit einer Annäherung von Kunst und Industrie kategorisch aus171, und auch Baudelaire schätzte die Konsequenzen dieser Entwicklung ausgesprochen negativ ein: „L’industrie, faisant irruption dans l’art, en devient la plus mortelle ennemie.“172 In seiner Karikatur verdrehte Cham die Rede von der Anwendung der bildenden Kunst auf die Industrie in ihr Gegenteil und visualisierte das groteske Szenario einer Anwendung der Industrie auf die Kunst. Im Bild der malenden Dampfmaschine erhielten die oftmals diffusen Befürchtungen der Industrialisierungskritiker eine 164 Vgl. Kohle, Hubertus: „La Tour Eiffel, monument commémoratif de la Révolution française“, in: Ders.: Arts et société. Essais sur l’art français (1734-1889), Norderstedt 2009, S. 217-236, hier S. 227. 165 de Laborde, Léon: De l’union des arts et de l’industrie, 2 Bde., Paris 1856. 166 Francastel, Pierre: Art et Technique au XIXe et XXe siècle, Paris 1956, S. 28. 167 „La théorie insensée de l’art pour l’art“, L. de Laborde: De l’union des arts et de l’industrie, Bd. 2, S. 331, zit. nach: Barck, Karlheinz: „Kunst und Industrie bei Léon de Laborde und Gottfried Semper. Differente Aspekte der Reflexion eines epochengeschichtlichen Funktionswandels der Kunst“, in: Pfeiffer, Helmut/Jauß, Hans Robert/Gaillard, Françoise (Hg.): Art social und art industriel. Funktionen der Kunst im Zeitalter des Industrialismus. München 1987, S. 241-268, hier S. 246. 168 Ebd., S. 246 ff. 169 Eine Chronologie der wesentlichen Etappen findet sich bei K. Barck: Kunst und Industrie, Anm. 25, S. 251 f. 170 Vgl. K. Barck: Kunst und Industrie, ebd. 171 „D’industrie, nou n’en voulons pas. Qu’elle reste à sa place et ne vienne pas s’établir sur les marches de notre école.“ Zit. nach: H. Kohle: La Tour Eiffel, S. 226. 172 Baudelaire, Charles: Salon de 1859, zit. nach: H. Kohle: La Tour Eiffel, S. 227.

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prägnante Gestalt: Die von Laborde geforderte Anwendung künstlerischer Prinzipien auf die industrielle Produktion barg im Gegenzug immer schon die Gefahr des Eindringens der arts industriels in das eifersüchtig verteidigte Terrain der Hochkünste. Besonders die Malerei, die wie keine andere Kunst den individuellen Ausdruck des Künstlergenies betonte, musste die allgemeine Entwicklung hin zu einer Industrialisierung der Kunst als überaus bedrohlich empfinden. Dass die Maschine der Karikatur ausgerechnet eine Reiterfigur malt, lässt einen weiteren Aspekt der industriellen Revolution aufscheinen: Die Verdrängung des Pferdes als Fortbewegungsmittel durch das „iron horse“, wie die ersten Eisenbahnen im englischen Sprachraum genannt wurden. Das angsterregende Potential dieser Entwicklung ist Thema einer Illustration von Gustave Doré, der die Eisenbahn 1861 in der Pose von Füsslis Nachtmahr173 darstellte (Abb. 65). Auch Chams Malmaschine scheint einem solchen ‚modernen Albtraum‘ entsprungen zu sein, der von der Ersetzung des Künstlers durch die Maschine handelt. Abbildung 64: Cham: Prochainement l’Exposition de l’Industrie appliquée aux Arts

Le Charivari, 25.10.1863, o. S.

173 Johann Heinrich Füssli: Der Nachtmahr, 1781, Öl auf Leinwand, 101,6 x 127 cm, Detroit Institute of Arts, Michigan, USA.

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Abbildung 65: Gustave Doré: Illustration zu X. B. Saintines Le chemin des écoliers

Xavier B. Saintine: Le chemin des écoliers, Paris 1861, S. 53

Diese Problematik betrachtete 1888 auch der spätere Malerfürst Franz von Stuck (1863-1928). In einer ganzseitigen Karikatur für die Fliegenden Blätter zeichnete er das dystopische Szenario einer Ersetzung des Malers durch die Maschine (Abb. 66). Anders als bei Cham ist die Szene nicht im Atelier, sondern in einer Art Fabrikhalle angesiedelt, die von der titelgebenden Malmaschine gänzlich ausgefüllt wird. Zwei Arbeiter kippen Pinsel, Farbtuben und Trocknungsbeschleuniger in den mit „Einwurf“ bezeichneten Maschinenschlund, während ein schnell rotierendes Rad die Aktivität der Maschine anzeigt. Durch einen Schlitz an der Vorderseite wird das fertige Produkt ausgegeben, das ein Kunsthändler entgegennimmt und sogleich − die Farbe ist noch nicht trocken − einem solventen Käufer übergibt. Bedient wird die Maschine von einem Kunstkritiker, der, so der ebenfalls von Stuck verfasste Begleittext, doch schließlich „am besten wissen muß, was Alles zu einem guten Bilde gehört.“174 Dick bebrillt allerdings, und mit kurzsichtig verkniffener Miene, kann dieser selbsternannte Experte das von ihm gutgeheißene Produkt wohl noch nicht einmal richtig sehen. Um einen Etikettenschwindel handelt es sich dabei allemal, denn das von der Maschine fabrizierte Bild ist keineswegs „en plein air“ gemalt, wie ein Auftragszettel in der Hand des Maschinenmeisters behauptet. Laut Adelheid Stielau ist die Karikatur auf Stucks Kontrahenten und künstlerischen Antipoden, den Impressionisten Max Liebermann gemünzt, den die Fliegenden Blätter auch in anderen Beiträgen attackierten.175 Dazu passt die Erwähnung des plein air, mit der die Karikatur auf die Arbeitsweise des Impressionisten an-

174 von Stuck, Franz: Die Malmaschine, in: Fliegende Blätter, Bd. 89 (1888), Nr. 2240, S. 10. 175 A. Stielau: Kunst und Künstler im Blickfeld der satirischen Zeitschriften ,Fliegende Blätter‘ und ,Punch‘, S. 92 ff.

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spielt. Angesichts seiner beachtlichen Verkaufserfolge war es für Liebermanns Gegner einigermaßen naheliegend, seine Kunst als seelenlose Geschäftemacherei zu diffamieren. Dazu passt der Begleittext der Karikatur, der die angebliche Patentierung der Malmaschine ironisch kommentiert: „Die Maschine ist im Stande, Bilder jeder Malweise innerhalb kürzester Zeit herzustellen. In besonders pressanten Fällen kann darauf gewartet werden. Bei Bestellungen ist nur Angabe des Meisters und des Motives nöthig. [...] Die Maschine liefert ganze Gallerien mit alten und neuen Meistern, wobei Dutzendpreise in Anrechnung kommen.“176

Abbildung 66: Franz von Stuck: Die Malmaschine

Fliegende Blätter, Bd. 89 (1888), Nr. 2240, S. 10 176 F. von Stuck: Die Malmaschine, S. 10 f.

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Durch die Betonung der hohen Produktionsgeschwindigkeit und den Hinweis auf mögliche Preisnachlässe wird die Kunst als Teil einer profanen Warenwelt charakterisiert. Die komische Wirkung ergibt sich aus der Fallhöhe der Malerei von der genialen Schöpfung eines Künstlerindividuums zum Erzeugnis automatisierter Massenproduktion, die gänzlich ohne Zutun eines menschlichen Künstlers abläuft. Die Maschine, Produktionsmittel im Marx’schen Sinne, befindet sich im Besitz des − hier zeittypisch als jüdisch aufgefassten und antisemitisch karikierten − Kapitals. Kunstkritik und -handel haben den Kunstbetrieb de facto übernommen und den Künstler aus dem Prozess der Produktion, Distribution und Beurteilung von Kunst verdrängt. Stuck wandte sich mit dieser Polemik auch gegen die von Frankreich ausgehende Neuorganisation des modernen Kunstmarktes, die Harrison und Cynthia White als die Etablierung des dealer-critic-Systems beschrieben haben. In diesem der kapitalistischen Wirtschaftsordnung korrespondierenden System wird der Künstler zum bloßen Produzenten der ‚Ware Kunst‘, so dass seine Tätigkeit ebensogut an eine Malmaschine delegiert werden könnte. Die Karikatur kommentiert das heraufziehende Ende des manuellen Zeitalters, das für die Malerei als Kunst der Hand eine existenzielle Bedrohung darstellte. Die Vorstellung einer Malmaschine musste die Kunst zutiefst kompromittieren, stellte sie doch einige ihrer genuinen Qualitäten in Frage: Der Akt der künstlerischen creatio muss bei einem maschinengenerierten Kunstwerks entfallen, denn die Maschine erfüllt die ihr gestellten Aufgaben mechanisch. In Stucks Polemik reduziert sich das Konzept künstlerischer Autorschaft auf die (wertsteigernde) Signatur. Neben einer Kritik an den herrschenden Strukturen des Kunstbetriebs spricht daraus auch die Frustration des jungen Malers und späteren Mitbegründers der Münchener Secession über die ablehnende Haltung gegenüber neuen Tendenzen in der Kunst, die von Händlern und Kritikern oftmals nur als Störfaktoren im reibungslosen Ablauf des ‚Systems Kunst‘ wahrgenommen wurden. Die Erwartungen an den Künstler erschöpften sich in der Produktion der immer gleichen konventionellen Landschaften, Porträts und Genremalereien 177 − eine Tätigkeit, die Stuck zufolge auch eine Malmaschine übernehmen konnte. Den Zusammenhang zwischen fehlender Offenheit gegenüber künstlerischen Innovationen und automatisierter Kunstproduktion stellte 1896 auch Arpad Schmidhammer (1857-1921) her. Seine Karikatur für die progressive Kunst- und Literaturzeitschrift Jugend illustriert einen „Bericht“ des fiktiven Korrespondenten Nikodemus Dreibein über Kunstbetrieb und Künstlerausbildung auf dem Mars (Abb. 67). Die großformatige Darstellung zeigt den Blick in einen Saal der dortigen Kunstakademie. Dazu heißt es: 177 Einen Eindruck erhält man beim Durchblättern des Kataloges der Internationalen Kunstausstellung. Vgl. Illustrierter Katalog der III. Internationalen Kunstausstellung im Königlichen Glaspalast, München 1888.

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„Der Meister sitzt in der Mitte und ,malt vor‘ und mit seiner Hand sind durch elektrische Drähte die Hände der Schüler verbunden, so dass Letztere gezwungen sind, jede Bewegung der Meisterhand mathematisch genau nachzumachen. [...] Schon nach wenigen Wochen sind sie dem Meister ebenbürtig − auch die Talentlosesten − und andererseits kommt auch der widerwärtige und die Disziplin so schwer schädigende Fall, dass ein Schüler besser malt, wie sein Lehrer, bei uns nie vor.“178

Abbildung 67: Arpad Schmidhammer: Ein Saal der Kunstakademie – die Kunstkommission – eine Kunstausstellung auf dem Mars

Jugend, Bd. 1 (1896), Nr. 24, S. 383 178 Anonym: Ein Brief aus dem Mars, in: Jugend, Bd. 1 (1896), Nr. 24, S. 382-384, hier S. 382.

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Wie um diese restriktive Lehrmethode auf die Spitze zu treiben, ist das vom Meister vorgegebene Sujet das Porträt eines Marsianers − womöglich des Meisters selbst − mit grotesk verlängertem mahnend erhobenem Zeigefinger. Text und Illustration stehen im Kontext einer ganzen Serie der Jugend, die den Vorwurf einer „Correspondenz mit den Marsbewohnern“179 benutzte, um die auf der Erde herrschenden politischen und kulturellen Verhältnisse zu karikieren. In diesem Falle richtete sich die Kritik gegen ein autoritäres, neue Tendenzen systematisch unterdrückendes Akademiesystem, dessen Unbeweglichkeit erst vier Jahre zuvor zur Gründung der Münchener Secession geführt hatte.180 Die konservative Forderung des Nachmalens wird hier durch den Einsatz einer technischen Apparatur, nämlich „durch elektrische Drähte“, gewährleistet. Die Akademie erscheint so als automatisierter Betrieb, der jede Äußerung von Talent bei seinen Zöglingen systematisch unterdrückt und vernichtet.181 Während der Schaffensakt in Stucks Karikatur gleich ganz an eine Malmaschine delegiert wird, ist die Maschine bei Schmidhammer ein Instrument zur Disziplinierung des Künstlers. Dem Verschwinden des Autors steht sein ‚Maschinewerden‘ gegenüber. Bemerkenswert ist, dass die Maschine in beiden Fällen nicht als Fortschrittssymbol eingesetzt wird, sondern als Mittel zur Konservierung des Etablierten erscheint: Stucks Malmaschine dient der Befriedigung eines konventionellen Kunstgeschmacks, während Schmidhammers Apparatur die Unterdrückung künstlerischer Neuerungen garantiert. Beide spiegeln eine negative Sicht auf die Maschine wider, wie sie für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht unüblich war.182 Die riskante Annäherung von Kunst und maschinell erzeugter Massenware machte Olaf Gulbransson (1873-1958) zum Gegenstand einer Karikatur, die 1903 im Simplicissimus erschien (Abb. 68). Sie kontrastiert zwei Bildhauerateliers in München und Berlin, um die zu dieser Zeit sehr unterschiedliche Auftragslage in beiden Städten sichtbar zu machen. Während das Münchener Atelier von Armut und Beschäftigungslosigkeit gezeichnet ist, ähnelt das Atelier des Berliner Bildhauers einer Kunstfabrik: „Kunst-Bildhauerei mit Dampfbetrieb“ verkündet ein durch das Atelierfenster sichtbares Banner, neben dem ein gemauerter Fabrikschlot auf179 Ebd. 180 Vgl. Harzenetter, Markus: Zur Münchener Secession: Genese, Ursachen und Zielsetzungen dieser intentionell neuartigen Münchner Künstlervereinigung, Diss. Bamberg 1992. 181 Im Text heißt es dazu: „Wer Talent hat, der hütet sich wohl Künstler zu werden, denn die Disziplinarstrafen für Zuwiderhandeln gegen den oben ,herrschenden‘ Kunstgeschmack sind sehr streng.“ Anonym: Ein Brief aus dem Mars, S. 382. 182 Vgl. Hultén, Pontus: „Introduction“, in: Ausst.-Kat. The machine as seen at the end of the mechanical age, Museum of Modern Art New York 1968, S. 6-13, hier S. 9 ff.

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ragt. Im Inneren nimmt der erschöpft wirkende Bildhauer soeben telefonisch einen weiteren Auftrag entgegen: „Zu Befehl! Also noch fünf Friedrich der Große, zwei Kurfürsten und fünfzig Zentner Reichsadler.“183 Im Hintergrund sind die bereits fertiggestellte Figur eines Reichsadlers, eine Darstellung Friedrichs II. sowie jeweils vier identische Denkmalfiguren von Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Wilhelm II. zu erkennen. Bei dem karikierten Künstler handelt es sich offensichtlich um den Berliner Bildhauer Reinhold Begas (1831-1911), der 1895 von Wilhelm II. mit der Realisierung eines Figurenprogramms für die Siegesallee beauftragt worden war. Bei seiner Fertigstellung im Jahr 1901 wurde der Prachtboulevard von 32 Marmordenkmälern gesäumt, die sämtliche Markgrafen und Kurfürsten Brandenburgs, Könige von Preußen und Kaiser Deutschlands von 1165 bis 1888 darstellten; hinzu kamen 64 Nebenfiguren. Wegen dieser Überfrachtung mit Skulpturen wurde die Siegesallee im Berliner Volksmund spöttisch als „Puppenallee“ bezeichnet und in Karikaturen verhöhnt.184 Auch das Urteil der Fachkritik fiel denkbar schlecht aus. Dem Kritiker Max Osborn galt die Siegesallee gar als „Spiegelbild der ganzen Epoche, [...] der es mehr auf Quantität als auf Qualität ankam“.185 Von dieser Sichtweise zeugt auch Gulbranssons Karikatur, die die Skulpturen von Begas als geist- und ideenlose Massenware kritisiert.186 Darüber hinaus lässt sich die Karikatur als Kommentar zu der als „Rinnsteinrede“ bekannt gewordenen Ansprache Wilhelms II. zur Eröffnung der Siegesallee am 18. Dezember 1901 deuten, in der der Kaiser erstmals ausdrücklich gegen die moderne Kunst Stellung bezogen hatte.187 Die Rede sorgte unter den fortschrittlich eingestellten Künstlern und Intellektuellen für ein lebhafteres Echo, als es die Skulpturen der Siegesallee jemals vermocht hätten. Viele sahen sie als endgültigen

183 Olaf Gulbransson: Zwei Bildhauerateliers, in: Simplicissimus, Bd. 8 (1903), Nr. 10, o. S. 184 Für eine Auswahl zeitgenössischer Pressekarikaturen vgl. Lehnert, Uta: Der Kaiser und die Siegesallee. Réclame Royale, Berlin 1998, S. 297 ff. 185 Osborn, Max: Berlin, Leipzig 1909, S. 258. 186 Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 243. 187 Der Begriff „Rinnsteinkunst“ wurde von Wilhelm II. nicht wortwörtlich geprägt, verbreitete sich jedoch schnell und wurde von Vertretern der Secession auch für ihre Gegenpropaganda genutzt. Wörtlich heißt es in der Rede: „Die Pflege der Ideale ist zugleich die größte Kulturarbeit, und wenn wir hierin den anderen Völkern ein Muster sein und bleiben wollen, so muß das ganze Volk daran mitarbeiten, und soll die Kultur ihre Aufgabe voll erfüllen, dann muß sie bis in die untersten Schichten des Volkes hindurchgedrungen sein. Das kann sie nur, wenn die Kunst die Hand dazu bietet, wenn sie erhebt, statt daß sie in den Rinnstein niedersteigt! [Hervorhebung im Original, d. A.]“ Zit. nach: U. Lehnert: Der Kaiser und die Siegesallee, S. 249.

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Bruch des Kaisers mit der zeitgenössischen Kunst an.188 In der auf Anordnung des Kaisers im Wortlaut veröffentlichten Rede heißt es unter anderem: „Eine Kunst, die sich über die von mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr, ist Fabrikat, ist Gewerbe, und das darf die Kunst nie werden.“189 Abbildung 68: Olaf Gulbransson: Zwei Bildhauerateliers

Simplicissimus, Bd. 8 (1903), Nr. 10, o. S. 188 Der Kritiker Adolf Behne notierte rückblickend: „Und damit war das Band zwischen ihm und der lebenden Kunst, soweit sie wirklich ,Kunst‘ ist, vollends zerrissen! Hatte man bis dahin auf Seiten der Künstler den Kaiser auf seine Weise selig werden lassen, ohne den Bekundungen seines persönlichen Geschmackes besondere Aufmerksamkeit zu schenken, so fühlte man sich jetzt beleidigt, absichtlich gekränkt [...], auf das ungerechteste verspottet.“ In: Die Tat, Bd. 6 (1913), S. 584, zit. nach U. Lehnert: Der Kaiser und die Siegesallee, S. 251. 189 Zit. nach U. Lehnert: Der Kaiser und die Siegesallee, S. 249.

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Die Verurteilung der modernen Kunst als gewerbliches „Fabrikat“ musste angesichts der massenhaften Produktion von Skulpturen zur Ausschmückung der Siegesallee auf zeitgenössische Leser einigermaßen grotesk wirken. Sie könnte auch der Anlass für Gulbranssons Karikatur gewesen sein, die die Aussage des Kaisers mit der Realität konfrontierte: Während der Münchner Bildhauer, wohl ein Vertreter der Moderne, gänzlich beschäftigungslos ist, verfügt das Atelier des kaiserlichen Protegés über „Dampfbetrieb“ und besitzt auch sonst alle Kennzeichen einer industriellen Fertigungsstätte. „Gewerbe“ ist demnach, so gibt die Karikatur zu bedenken, gerade nicht die Kunst der Avantgarde, sondern die von Wilhelm II. bevorzugte neobarocke Denkmalkunst. Möglicherweise ist die Karikatur auch als Seitenhieb Gulbranssons auf die prosperierende Berliner Kunstindustrie zu verstehen, die um 1900 massenhaft Skulpturen, darunter auch Kaiserbüsten und -standbilder für den privaten Wohngebrauch hervorbrachte.190 Führend waren die Gipsgießereien Gebrüder Micheli und Georg Eichler, die mit künstlichen Steingussmassen experimentierten und zur Vervielfältigung und maßstabsgerechten Verkleinerung von Skulpturen auch maschinelle Verfahren einsetzten. Mit Hilfe sogenannter Skulpturen-Reduktionsmaschinen konnten Figuren und Büsten aus Alabaster zwar nicht „mit Dampfbetrieb“, aber dennoch in großen Mengen hergestellt werden. Obwohl man sich mit einigem Erfolg darum bemühte, die Produkte dieser maschinellen Fertigung wie handgemachte Kunstwerke wirken zu lassen, geriet der traditionelle Unikatcharakter der Steinskulptur durch diese Praxis ins Wanken. Auch Reinhold Begas lieferte Modelle für die Berliner Skulpturenindustrie. So bezeichnete sich die Firma Micheli in einer Anzeige von 1892 als „Kunst-Verlag der berühmten Kaiser-Büsten von Professor R. Begas“.191 Der industrialisierungskritische Diskurs über das Herabsinken der Kunst zum Fabrikprodukt setzte sich bis weit ins 20. Jahrhundert fort. Noch 1922 führte Henry Mayo Bateman (1887-1970) im Punch vor, wie sich ein Maler mit zunehmendem kommerziellen Erfolg zum Produzenten dekorativer Dutzendware entwickelte (Abb. 69). Ausgerechnet die wenig originelle Darstellung einer Kuh auf der Weide versetzt das Publikum in so großes Entzücken, dass der Maler mit der Herstellung von Variationen dieses Motivs kaum noch nachkommt. Im letzten Bild wird der Malakt schließlich an eine Maschine delegiert. Die Erhöhung der Produktionsgeschwindigkeit durch ein maschinelles Verfahren führt jedoch als Kehrseite die Ent-

190 Vgl. Rupp, Gerhard: Gips, Zink und Bronze – Berliner Vervielfältigungsfirmen im 19. Jahrhundert, in: Bloch, Peter/Einholz, Sibylle/von Simson, Jutta (Hg.): Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786-1914, Berlin 1990, S. 337-351. 191 Die Anzeigen sind abgebildet in G. Rupp: Gips, Zink und Bronze, S. 341.

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fremdung des Künstlers von seinem Werk mit sich.192 Stumpfsinnig wie ein Hamster in seinem Rad treibt Batemans Maler die Maschine an, welche die eigentliche, künstlerische Arbeit übernimmt. Die Karikatur zielt dabei ebenso auf den zum Fabrikarbeiter degenerierten Künstler wie auf das Publikum, dessen konventioneller Geschmack sich am besten durch industrielle Massenware befriedigen lässt. Abbildung 69: Henry Mayo Bateman: The road to fame; or variations on the same theme

Punch, Bd. 123 (Jg. 1922), S. 117 192 Marx nutzt den Begriff ‚Entfremdung‘, um das Verhältnis zwischen dem Arbeiter und der von ihm hergestellten Ware in der kapitalistischen Produktionsordnung zu charakterisieren. Zur Entfremdung kommt es, wenn sich der Produzent in seinem Produkt nicht mehr wiedererkennen kann: „Die verselbständigte und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise überhaupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter gibt, entwickelt sich also mit der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz.“ Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1: Der Produktionsprozess des Kapitals (1867), MEW 23, Berlin 1962, S. 455.

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Auch in der Karikatur war der Diskurs um die Folgen der Industrialisierung von Ambivalenzen geprägt. Zeitlich parallel zu den industrialisierungskritischen Karikaturen entstanden auch Varianten, in denen die Kunst produzierende Maschine als Metapher eines allgemeinen Fortschritts erschien. Was dies in weiterer Perspektive für einen möglichen Fortschritt der Kunst bedeutete, blieb jedoch meist fraglich.193 Im 19. Jahrhundert boten die Weltausstellungen den teilnehmenden Nationen eine wichtige Plattform zur Präsentation ihrer künstlerischen und technischen Neuerungen. Der Zeichner Albert Robida (1848-1926) verknüpfte beide Bereich in einer der Pariser Weltausstellung von 1867 gewidmeten Titelillustration für das Journal Amusant, die eine als „machine à peindre“ ausgewiesene Apparatur prominent ins Bild setzt (Abb. 70): Vor einer Kulisse aus rauchenden Fabrikschornsteinen dreht sich im Takt der Maschine ein tanzender Reigen, und über allem thront die Personifikation der Industrie. Die Malmaschine erscheint als Metapher ihres Triumphes, führt sie doch vor, dass der Fortschritt auch vor dem Terrain der Hochkünste nicht Halt macht. Bei der dargestellten Maschine handelt es sich offensichtlich um eine Erfindung Robidas, der sich intensiv mit dem Thema technischer Utopien auseinandersetzte und heute vor allem als Autor früher Science-Fiction-Romane bekannt ist.194 Die maschinelle Herstellung von Ölbildern war zur Entstehungszeit der Karikatur allerdings schon bekannt: Im Anschluss an Matthew Boultons mechanical paintings des 18. Jahrhunderts hatte der Engländer George Baxter 1834 ein chromolithografisches Verfahren entwickelt, das es ermöglichte, die pastose Oberfläche eines Ölgemäldes täuschend echt zu imitieren.195 Neben anderen Edeldrucktechniken war der Ölfarbendruck auch auf der Weltausstellung von 1867 präsent. Für die Malerei musste diese neue Reproduktionstechnik eine Gefährdung darstellen, demonstrierte sie doch die Möglichkeit einer Industrialisierung der Kunst, die dadurch Gefahr lief, ihren exklusiven Unikatcharakter zu verlieren. Die Karikatur legt hier ein fundamentales Problem offen: Die Ablösung der Handarbeit durch Maschinenarbeit im Kontext der Industriellen Revolution ließ die ‚herkömmliche‘ Malerei, die auf den 193 Die Frage, ob Kunst fortschreiten könne (und müsse) wurde im Kontext der Industrialisierungs- und Fortschrittsdiskurse des ausgehenden 19. Jahrhunderts kontrovers diskutiert. Zu diesem Aspekt vgl. Maag, Georg: Kunst und Industrie im Zeitalter der ersten Weltausstellungen. Synchronische Analyse einer Epochenschwelle, München 1986, S. 28 ff. 194 Vgl. Robida, Albert: Le Vingtième Siècle, Paris 1883; La Guerre au Vingtième Siècle, Paris 1887 sowie La Vingtième Siècle. La vie électrique, Paris 1890. 195 Vgl. Lewis, Charles Thomas Courtney: The picture printer of the nineteenth century, George Baxter 1804-1867, London 1911. Zur Imitation von Ölgemälden mittels chromolithografischer Verfahren, der so genannten Oleografie vgl. auch van der Linden, Fons: DuMont’s Handbuch der grafischen Techniken, Köln 1983, S. 193.

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Weltausstellungen nach wie vor einen breiten Raum einnahm, als anachronistisches Verfahren erscheinen. Robidas Malmaschine repräsentiert einen Sieg der Technik, von dem die bildende Kunst nicht unberührt bleiben konnte. Die Karikatur zeigt diese Entwicklung auf, ohne eine eindeutige Bewertung vorzunehmen. Abbildung 70: Albert Robida: L’Exposition!!! Le Triomphe de l’Industrie

Journal Amusant, 15.05.1867, Titelseite

Eine 1896 im Charivari erschienene Karikatur von Eugène Tézier bezog dagegen deutlich Stellung gegen die Übertragung maschineller Fertigungsmethoden in den Bereich der Kunst (Abb. 71). Die in Aktion gezeigte Malmaschine, ein an der Staffelei befestigter Kasten mit ausfahrbarem Pinselarm, wird in der Bildunterschrift ironisch als dernier cri vorgestellt. Zusammen mit einem Atelierbesucher betrachtet

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der Künstler zufrieden ihre Tätigkeit. In bequem zurückgelehnter Sitzhaltung, mit vor der Brust verschränkten Armen behaglich Pfeife rauchend, steht seine Figur im Kontext einer karikaturistischen Ikonografie des ‚faulen Künstlers‘, die vor allem in Karikaturen auf die Pleinairmalerei zahlreiche Ausprägungen gefunden hat.196 „Man braucht nichts als einen Federantrieb, um Zeit zu sparen“197, verkündet die Bildunterschrift und entlarvt so das Motiv des karikierten Künstlers, der keine Rücksicht darauf nimmt, ob die Maschine auch qualitativ zufriedenstellende Ergebnisse liefert. Dabei weist das Argument der Zeitersparnis bereits auf die qualitative Seite, indem es das eigentliche Charakteristikum der Kunst negiert: Zur zeitvergessenen Hingabe an sein Werk ist der von Tézier karikierte Künstler jedenfalls nicht bereit. Ihm erscheint die Maschine folglich nicht als Gefährdung seiner originären Produktion, sondern als willkommenes Hilfsmittel. Die von der Maschine produzierte Malerei ist dabei bewusst als abstraktes Gekritzel dargestellt, das dem Künstler zur Zufriedenheit eigentlich keinen Anlass geben sollte. Abbildung 71: Eugène Tézier: Le dernier cri – Peinture automobile

Le Charivari, 05.03.1896, o. S.

Tézier griff die Maschinisierung als einen Aspekt des modernen Lebens auf und übertrug ihre Konsequenzen satirisch auf die Welt der Kunst. Anders als bei dem hauptberuflichen Science Fiction-Autor Robida war sein Standpunkt jedoch nicht von Technikfaszination, sondern eher von Skepsis geprägt: Der titelgebende dernier 196 Vgl. das Kapitel „Außerhalb des Ateliers: Pleinairmalerei und öffentliche Produktion“ in diesem Buch. 197 „Rien qu’un ressort à presser de temps.“ Eugène Tézier: Le dernier cri – Peinture automobile, Detail aus: Comment ils préparent leur salon, in: Le Charivari, 05.03.1896, o. S.

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cri entpuppt sich in seiner Karikatur als gefährliche Mode, die den eigentlichen Charakter der Kunst vernichtet. Abbildung 72: Rudolf Grieß: Das Automobil in seiner Verwendung für das Kunstgewerbe. Bemalung des Plafonds eines großen modernen Saals

Fliegende Blätter, Bd. 118 (1903), Nr. 3021, S. 300

Dass auch das Automobil zur Malmaschine werden konnte, zeigt eine 1903 erschienene Karikatur auf die ornamentalen Lineaturen des Jugendstils (Abb. 72). Hier wird ein mit einer Leiter versehenes Fahrzeug dazu benutzt, die geschwungenen Linien eines Deckenornaments vom Entwurfsblatt auf die Decke eines großen Saales zu übertragen. Der ausführende Maler muss den Pinsel bei dieser Technik nur gerade nach oben halten, während sein Kollege die Linienführung des Entwurfes mit dem Auto buchstäblich nachfährt. Die für das Jugendstilornament charakteristische Dynamisierung der Linie, die um 1900 aus den dynamischen Formen der Natur abgeleitet wurde, findet hier ihre Entsprechung in der Technik: Ausgerechnet das Automobil erweist sich als kongeniales Werkzeug zur Verwirklichung des modernen Stils. Die Trennung zwischen kreativem Entwurfsprozess und maschineller Ausführung bleibt jedoch erhalten, denn anders als bei Tézier setzt die Maschine erst dort ein, wo die Arbeit des Künstlers beendet ist. Die Karikatur zeigt so nicht die Ablösung des Künstlers durch die Maschine, sondern ein kongeniales Ineinandergreifen von künstlerischem Entwurf und maschineller Produktion. Möglicherweise fühlte sich der Zeichner Rudolf Grieß (1863-1949) von Münchner JugendstilInterieurs wie dem Fotoatelier Elvira von August Endell herausgefordert, deren

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großflächige, abstrakt-lineare Ornamente ungewohnte Verbindungen zwischen den verschiedenen Raumzonen schufen.198 Ein Ineinandergreifen von Mensch und Maschine beschrieb auch der Maler und Illustrator Max Schaberschul (1875-1940). Seine Karikatur einer „Malmaschine mit rotierender Palette“ (Abb. 73), die am 10. Oktober 1918 unkommentiert in der an moderner Kunst ansonsten wenig interessierten Leipziger Illustrirten Zeitung erschien199, wirkt wie ein hochspezialisiertes Werkzeug, dessen Bedienung die Kenntnisse und das Geschick eines Experten erfordert. Im Gegensatz zu den Künstlern bei Stuck (Abb. 66) und Tézier (Abb.71), die sich aus dem Herstellungsprozess weitgehend verabschiedet hatten, zeigt der Maler bei Schaberschul vollen Körpereinsatz: Über eine Tastatur betätigt er ein System von zwölf verschieden starken Pinseln, die das Farbmaterial von der sich drehenden Palette aufnehmen und auf eine vor der Apparatur aufgestellte Leinwand auftragen. Technisch gesehen erinnert dieses System an die Funktionsweise einer Schreibmaschine, während die expressive Gestik des Malers beim Bedienen der Tastatur eher an einen temperamentvollen Klaviervirtuosen denken lässt. Auch handelt es sich bei dieser Malmaschine ganz offensichtlich nicht um einen elektrischen oder dampfbetriebenen Automaten. Stattdessen sind am Fuß der Apparatur zwei Kurbelräder zu erkennen, mit denen die Höhe der Pinsel und die Bewegung der Palette mechanisch geregelt werden können. Auch der Antrieb der Maschine kann folglich nur durch körperliche Arbeit erfolgen. Das Moment der Dynamik, die der dargestellte Produktionsprozess im Überfluss zu besitzen scheint, bildet hier ein Scharnier zwischen Kunst und Technik. Denn die Dynamik, die die Futuristen an der Maschine bewunderten, nahmen die Vertreter des Expressionismus gerade als genuine Qualität des menschlichen Künstlers in Anspruch. Die in der expressionistischen Kunsttheorie geforderte Unmittelbarkeit des dynamischen Ausdrucks ist in dem karikierten Malakt freilich nicht gegeben, denn zwischen den Künstler und sein Werk ist die Maschine geschaltet. Die Karikatur bezieht ihren Witz so aus dem Auseinanderklaffen von vorgeblich „expressionistischer“ Dynamik und deren maschinellem Antrieb. Im Bild der Schreibmaschine ist zudem ein industrielles Prinzip angesprochen, das sich nicht ohne weiteres auf die Malerei übertragen lässt. Im Gegensatz zu Bildern erlauben Texte die (schriftliche) Kodierung und Zergliederung in kleinste Sinneinheiten, die Buchstaben, was den Einsatz einer Schreibmaschine erst ermöglicht. Der Malerei steht dieser Weg in Wirklichkeit nicht offen. In der Differenz von Text und Bild zeigt sich so auch das Zurückbleiben der Malerei als manuelles Verfahren.

198 Vgl. Ausst.-Kat. Hof-Atelier Elvira 1187-1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten, hg. von Rudolf Herz und Brigitte Bruns, Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum 1985. 199 Für den Hinweis danke ich Kathrin Rottmann.

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Abbildung 73: Max Schaberschul: Expressionistische Kunst: Die Malmaschine mit rotierender Palette

Illustrirte Zeitung, Bd. 151 (1918), Nr. 3928, S. 399

Einige Elemente des von Schaberschul entworfenen Apparates erinnern an eine Malmaschine, die der französische Schriftsteller Raymond Roussel in seinem 1910 erschienenen fantastischen Roman Impressions d’Afrique beschrieb.200 Schaberschuls rotierende Palette ähnelt dem „Pinselrad“ der literarischen Vorlage und auch die Ausführung des Gemäldes in horizontalen Streifen, durch die sich das Motiv vom oberen zum unteren Bildrand gleichsam Zeile für Zeile aufzubauen scheint, entspricht der Funktionsweise von Roussels Malmaschine, mit dem Unterschied, dass die Malerei hier in vertikalen Streifen von links nach rechts fortschreitet. Während das von Roussel beschriebene Gemälde jedoch mit Hilfe eines fotomechanischen Verfahrens und ohne direkte Einwirkung eines menschlichen Produzenten erzeugt wird, bestimmt bei Schaberschul der Künstler den Produktionsprozess. Auch wenn sich die Vermutung, dass Schaberschul von Roussels Text Kenntnis hatte, kaum belegen lässt, so legt doch zumindest das schreibmaschinenartige Aussehen seiner Malmaschine eine gewisse Verbindung zur Literatur nahe. Das „expressionistische“ Gemälde, das auf der Leinwand von Schaberschuls Künstler Gestalt annimmt, entspricht keiner Vorlage in der Realität, die von einer 200 Roussel, Raymond: Eindrücke aus Afrika (1963), dt. Ausgabe München 1980.

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fotomechanisch arbeitenden Malmaschine reproduzierbar wäre. Dabei ist es keineswegs abstrakt, sondern zeigt einen komplex verschachtelten Bildaufbau aus figürlichen Elementen und geometrischen Formen, der jedoch eher grafisch wirkt und keine gestischen Komponenten aufweist. Die Klassifizierung des Gemäldes als „Expressionistische Kunst“ erscheint unpassend, wird doch der „unmittelbare und unverfälschte“201 Ausdruck, den die Mitglieder der Brücke 1906 forderten, hier durch die Zwischenschaltung einer Maschine gestört, welche die subjektive Expression des Künstlers gleichsam objektiviert. Im Gegensatz zum Futurismus war die Maschine in der Theorie des Expressionismus kein positiver Bezugspunkt, vielmehr wurde die maschinisierte Lebenswelt der Großstadt kritisch betrachtet. Die Rückkehr zur Natur und zum eigenen Selbst erschien als einzige Möglichkeit zur Wiedergewinnung künstlerischer Authentizität. Der Kritiker Hermann Bahr bezeichnete den Expressionismus 1916 gar als Kampf der Seele gegen die Maschine: „Sie [unsere Zeit, Anm. d. A.] macht ihn [den Menschen, Anm. d. A.] zum bloßen Instrument, er ist ein Werkzeug seines Werkes geworden, er hat keinen Sinn mehr, seit er nur noch der Maschine dient. Sie hat ihm die Seele weggenommen. Und jetzt will ihn die Seele wieder haben.“202 Dass sich ausgerechnet ein expressionistischer Maler einer Malmaschine bedient hätte, erscheint vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich. Die Karikatur steht somit im Kontrast zur zeitgenössischen Theorie des Expressionismus mit ihrer Ablehnung maschineller Produktionsmethoden. Hierin eine gezielte Subversion des Zeichners zu vermuten, könnte dennoch zu weit greifen, denn in der Kunstkarikatur der 1910er und -20er Jahre wurden Stilbegriffe oft einigermaßen wahllos eingesetzt, um moderne Tendenzen in der Kunst zu bezeichnen. Noch dazu ist bei Schaberschuls Karikatur zu bedenken, dass die Bildunterschrift nicht zwingend vom Zeichner selbst stammen muss, sondern ebenso gut eine Beigabe des Herausgebers sein könnte. Das Etikett „expressionistische Kunst“ stand möglicherweise einfach als Chiffre für eine aktuelle Erscheinungsweise der Moderne. Als Parodie auf den Expressionismus funktioniert die Karikatur dennoch bestens, liegt ihr Witz doch gerade in dem Paradoxon einer ‚expressiven Maschine‘. In einer Karikatur der Lustigen Blätter wurde die Vorstellung einer Malmaschine 1931 erneut aufgegriffen (Abb. 74). Die von Seher203 entworfene Apparatur ähnelt Schaberschuls Malmaschine insofern, als auch sie vom Künstler über eine 201 Vgl. Kirchner, Ernst Ludwig: Programm der Künstlergruppe Brücke. Der Text wurde erstmals 1906 als Holzschnitt zur Ausstellung der Brücke in der Dresdener Lampenfabrik Seifert veröffentlicht. Zit. nach: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 91. 202 Bahr, Hermann: Expressionismus, München 1916. Zit. nach: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 152-156, hier S. 153. 203 Zum Zeichner konnten keine Informationen ermittelt werden.

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Schreibmaschinentastatur bedient wird. Anstelle einer rotierenden Palette besitzt die Maschine jedoch ein System von Schläuchen, durch die verschiedene Farben sowie Wasser und Terpentin einem beweglichen Pinselarm zugeleitet werden. Mit der rechten Hand bedient der Künstler die Tastatur, während er mit der linken das Malmaterial − Tempera, Aquarell oder Gouache − einstellt. Der rechte Fuß steht auf einem Pedal, mit dessen Hilfe die Produktionsgeschwindigkeit reguliert werden kann. Anstelle des ebenfalls zur Auswahl stehenden langsamen Tempos wählt der „elektrische Hochspannungsmaler“ natürlich die Option „flott“ − ein Detail, durch das die Karikatur in den Diskurs um Maschinisierung und künstlerisches Arbeitstempo eingebunden wird. Abbildung 74: Seher: Der elektrische Hochspannungsmaler, ein Bild aus unserer Zeit

Lustige Blätter, Bd. 46, Nr. 41 (11.10.1931), Heftrückseite

Im Unterschied zu Schaberschuls „expressionistischer“ Maschinenmalerei, produziert die Maschine bei Seher ein traditionelles Früchtestillleben, mit dem der Künstler wohl eher auf kommerziellen Erfolg als auf künstlerische Innovation zielt. Die Karikatur steht so in der Tradition der von Stuck, Schmidhammer und Bateman skizzierten maschinellen Verfahren zur Aufrechterhaltung eines konservativen und

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kommerziell verwertbaren Status quo in der Kunst, mit dem Unterschied, dass der Künstler hier nicht mehr hinter der Maschine verschwindet und auch nicht als ein seiner Arbeit Entfremdeter charakterisiert ist. Statt den Künstler zum „unproduktiven Gehilfen“204 zu degradieren, zeigen die Karikaturen von Seher und Schaberschul den Maler als selbstbewussten und hochspezialisierten Maschinenmeister, der die ehemals feindliche Technik beherrscht und produktiv zu nutzen versteht. Kunstmaschinen spielen in der Vorstellungswelt zeitgenössischer Künstler bis in die Gegenwart eine Rolle. Im Jahr 2007 versammelte eine Ausstellung der Frankfurter Schirn Kunsthalle, ausgehend von Jean Tinguelys Zeichenmaschinen der 1950er Jahre, einen ganzen Kosmos Kunst produzierender Maschinen und schlug dabei den Bogen bis ins 21. Jahrhundert.205 Die Kunstmaschine offenbart dabei immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Charakter künstlerischer Arbeit, indem sie Fragen nach Authentizität und der Bedeutung von Künstlerschaft aufwirft. Diese können im Bild der Kunstmaschine bisweilen selbst eine satirische Gestalt annehmen, wie beispielsweise in Richard Jacksons raumgreifender Installation Deer Beer von 1998 (Abb. 75). Hier ist die Malmaschine ein sich drehendes Karussell mit lebensgroßen Hirschfiguren aus Kunststoff, die bei Inbetriebnahme der Apparatur Farbe aus ihrem Anus auf die umgebenden Wände verspritzen. Die Installation zitiert dabei nicht nur zahlreiche kunsthistorische Vorlagen, sondern verweist mit dem Verspritzen von Farbe auch auf die Praxis des Action Painting, die motivisch mit den Symbolen eines ritualisierten amerikanischen Freizeitchauvinismus (Jagen, Schießen, Paintball und Biertrinken) verbunden wird. Gleichzeitig schlägt Jacksons Malmaschine einen Bogen zu den utopischen − oder dystopischen? − Apparaturen des 19. Jahrhunderts, erinnert ihre Funktionsweise doch an eine Maschine, die Alfred Jarry 1911 in seinen Heldentaten und Lehren des Dr. Faustroll beschrieb: „...Indessen, als es niemanden mehr gab auf der Welt, drehte sich, im Inneren von einem Triebfedersystem ohne Masse bewegt, die Malmaschine im Azimut [...] und sprühte nach Belieben auf die Leinwand der Wände die Abfolge der Grundfarben, abgestuft nach der Anordnung der Röhren in ihrem Bauch [...].“206 204 Dieses pauschal negative Urteil fällt Bernd A. Gülker. Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 73. 205 Zu sehen waren dort u.a. Kunstmaschinen von Rebecca Horn, Damien Hirst, Angela Bulloch und Olafur Eliasson Vgl. Ausst.-Kat. Kunstmaschinen – Maschinenkunst (2007). 206 Jarry, Alfred: Gestes et opinions du Docteur Faustroll pataphysicien. Roman néoscientifique (1911), zit. nach der dt. Ausgabe: Heldentaten und Lehren des Dr. Faustroll (Pataphysiker). Neowissenschaftlicher Roman, Berlin 1968, S. 80.

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Jarry siedelte die Tätigkeit seiner Malmaschine in einem von allen Menschen verlassenen Paris in der ansonsten leeren Eisenhalle des Palais des Machines an, an einem der Orte also, von dem ausgehend die Maschinen im 19. Jahrhundert die Welt eroberten. Wie bei Jacksons Maschine, die zum Zeitpunkt der Ausstellung ihr Werk bereits vollendet hat, gibt es auch für die von Jarry beschriebene Aktion keine Zeugen. Abbildung 75: Richard Jackson: Deer Beer, 1998, Installation, Friedrich Christian Flick Collection

Courtesy Friedrich Christian Flick Collection, the artist and Hauser & Wirth

Der Künstler als Ingenieur Sowohl die Pop Art als auch die Kinetische Kunst rekurrierten in mannigfaltiger Weise auf die Welt der Maschine und deren Produktionslogik, sei es durch die Affirmation und Aneignung ihrer Prinzipien oder indem sie diese durch gegenläufige Strategien ad absurdum führten. Dabei setzten die kinetischen Objekte von Jean Tinguely, der sich im blauen Monteuranzug auch selbst als ‚Künstler-Ingenieur‘ inszenierte, der makellosen Maschinenästhetik früherer Avantgarden ein eher chaotisches Erscheinungsbild entgegen: Zusammengesetzt aus Blech, Abfall und Trödel vollführten die Méta-Matics offenkundig Sinnloses oder zerstörten sich sogar selbst. Anlass für satirische Reflexionen über die Entwicklung der Kunst boten seit 1955 vor allem Tinguelys Mal- und Zeichenmaschinen, die auf Knopfdruck abstrakte Kunst produzierten und dabei in ironischer Weise auf die tachistische Malerei und deren Betonung des künstlerischen Selbstausdrucks Bezug nahmen (Abb. 76).

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Abbildung 76: Jean Tinguely: Méta-Matic Nr. 6, 1959, Eisen, Holz, Gummiband, Metallplatte und –stäbe, Elektromotor, 50 x 70 x 30 cm, Museum Tinguely, Basel

© VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Foto: Christian Baur

1961 reflektierte der New Yorker Cartoonist Saul Steinberg (1914-1999) zwei wichtige Trends des aktuellen Kunstgeschehens im gezeichneten Dialog zwischen einer Waschmaschine und einem Toaster, die als Haushaltsgeräte die alltägliche, banale Seite des Maschinenthemas repräsentieren (Abb. 77): In der Sprechblase der Waschmaschine ist ein kinetisches Maschinenobjekt zu sehen, das an Tinguelys Méta-Matics erinnert. Der Toaster antwortet mit einem „Wow“, dessen Comicstil der zeitgenössischen Pop Art-Ästhetik entlehnt ist. Steinbergs Haushaltsgeräte, die der Motivwelt der Pop Art entstammen, erinnern an die materielle Herkunft der Kinetischen Kunst aus dem Bereich der Alltagselektronik. Ihre merkwürdige Unterhaltung wirft zudem die Frage nach dem Urheber und Adressaten der zeitgenössischen Maschinenkunst auf. In Steinbergs Karikatur ist der Mensch jedenfalls weder als Produzent noch als Rezipient zugegen: Die Maschinen sind unter sich.

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Abbildung 77: Saul Steinberg: o. T., in: The New Yorker, 12.08.1961, S. 30

© The Saul Steinberg Foundation / Artists Right Society (ARS), New York

Die Interaktion von Mensch und Maschine ist dagegen Thema einiger Karikaturen aus den 1960er-Jahrgängen des New Yorker, die sich ebenfalls als Kommentare zur Kinetischen Kunst zu erkennen geben. Hier liegt der Witz meist in der Annäherung der künstlerischen Arbeit an die Tätigkeit eines Ingenieurs: Eine Ausstellungsbesucherin bezeichnet die Arbeit eines Bildhauers als „electrical engineering“207 und ein Käufer verlangt vorsorglich nach Ersatzteilen für die soeben erworbene kinetische Skulptur208, so dass der Erwerb eines Kunstwerks Parallelen zum Kauf eines elektrischen Haushaltsgegenstandes oder eines Gebrauchtwagens aufweist. Neben dieser Banalisierungsstrategie gibt häufig das technische Unvermögen des in der Rolle des Ingenieurs dilettierenden Künstlers den Anlass zur Karikatur. So wird ein Künstler mit seinem elektrisch betriebenen Maschinenobjekt vom Patentanwalt abgewiesen209 und ein anderer gerät sogar selbst in Gefahr, als er von seiner kinetischen Skulptur erfasst und im Kreis herumgewirbelt wird (Abb. 78).

207 Vgl. Mischa Richter: „I don’t know anything about electrical engineering, but I know what I like“, in: The New Yorker, 16.03.1968, S. 41. 208 Vgl. Mischa Richter: „But what about spare parts?“, in: The New Yorker, 24.04.1965, S. 45. 209 Vgl. James Mulligan: „And stay out!“, in: The New Yorker, 15.05.1965, S. 52.

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Abbildung 78: Lee Lorenz: „So much for kinetic art, eh, Leo?“ In: The New Yorker, 30.10.1965, S. 52

© Lee Lorenz / The New Yorker Collection/ The Cartoon Bank

Die kinetischen Maschinenobjekte der 1960er Jahre fanden insgesamt ein lebhaftes Echo in der Karikatur. Weitgehend ausgespart wurde jedoch die Problematik der maschinellen und industriellen Verfahren zur Herstellung von Kunst, die im selben Zeitraum in Minimal Art, Pop Art und Konzeptkunst höchst virulent war und von Künstlern und Kritikern kontrovers diskutiert wurde. Viele Künstler begannen damit, die Produktion ihrer Werke an andere zu delegieren, etwa an Assistenten, wie Andy Warhol in seiner Factory und Sol LeWitt bei seinen Wandarbeiten, oder an Industriebetriebe wie die Künstler der Minimal Art.210 Diese programmatisch vollzogene Trennung der künstlerischen Entscheidung von ihrer handwerklichen Aus210 Im Zuge dieser Entwicklung entstanden Ingenieurbetriebe, die sich auf die Ausführung von Kunstobjekten spezialisierten, darunter die noch heute erfolgreiche Firma Carlson & Co. in San Fernando, Kalifornien oder Treitel-Gratz & Co. in New York. Einen Überblick bietet Kuo, Michelle: Industrial Revolution, in: Artforum International, Bd. 46 (2007), Nr. 2, S. 306-315, 396.

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führung setzte einen Prozess in Gang, für den der ehemalige Konzeptkünstler Ian Burn 1981 den Begriff Deskilling prägte.211 Die Verachtung der traditionellen künstlerischen Techniken durch die Künstler führte in wenigen Jahren zu einer „Atrophie der Kunstfertigkeit“212, wie Rosalind Krauss feststellte, und damit in weiterer Perspektive auch zu einer Enthistorisierung der künstlerischen Praxis, die seit Jahrhunderten an das Wissen um bestimmte Techniken und Fähigkeiten gebunden war.213 Obgleich diese Entwicklung der 1960er Jahre in Karikaturen nicht expliziert thematisiert wurde, erzählen doch alle untersuchten Karikaturen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch von einer Praxis des Delegierens künstlerischer Arbeit an die Maschine. Sie speichern einen Diskurs, der als Vorgeschichte zu den Debatten um die Praxis industrialisierter Kunstproduktion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelten kann. Pinot Gallizios Pittura industriale 1962 veröffentlichte der Maler Erik Ortvad (1917-2008) unter dem Pseudonym Enrico eine Karikatur in der deutschen Zeitschrift Magnum (Abb. 79).214 Dargestellt ist das Innere eines Ateliers oder Kunstlagers mit einer Vielzahl nahezu identischer abstrakter Gemälde, die durch ihr flächendeckendes All over als Werke des Abstrakten Expressionismus gekennzeichnet sind. Der Urheber dieser künstlerischen Massenproduktion ist soeben im Begriff, für einen Kaufinteressenten ein weiteres Stück von einer im gleichen Duktus gestalteten, mehrere Meter langen Bahn abzuschneiden. Die satirisch vorgeführte Behandlung dieser Malerei legitimiert sich gleichsam durch ihren Stil: Das Fehlen einer an den Bildrändern orientierten Komposition ermöglicht es dem Produzenten, beliebig große Stücke von der vorfabri211 Burn, Ian: „The Sixties: Crisis and Aftermath (Or the Memoirs of an Ex-Conceptual Artist)“ (1981), in: Alberro, Alexander/Stimson, Blake (Hg.): Conceptual Art: A Critical Anthology, Cambridge u.a. 1999, S. 393-408. Für eine historische Betrachtung des Deskilling-Phänomens in der Kunst des 20. Jahrhunderts vgl. auch J. Roberts: The Intangibilities of Form. 212 Vgl. Krauss, Rosalind: „Der Tod der Fachkenntnisse und Kunstfertigkeiten“, in: Texte zur Kunst, Bd. 5 (1995), Nr. 20, S. 61-67, hier S. 66. 213 Richard Sennett untersucht in seiner soziologischen Studie zum Handwerk die sozialen Konsequenzen dieses Phänomens und fragt danach, „was geschieht, wenn Hand und Kopf, Technik und Wissenschaft, Kunst und Handwerk voneinander getrennt werden.“ Sennett zufolge „leidet darunter der Kopf“.Sennett, Richard: Handwerk, Berlin 2008, S. 32 f. 214 Die Zeitschrift enthielt üblicherweise keine Karikaturen, in der Ausgabe vom Juni 1962 finden sich jedoch insgesamt neun Karikaturen von Enrico (eigtl. Erik Ortvad), die unterschiedliche Aspekte des Heftthemas „Sittenbilder“ illustrieren.

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zierten Rolle abzuschneiden und diese als ‚Meterware‘ zu verkaufen, was einen Vergleich mit Tapetenbahnen provoziert. Abbildung 79: Enrico: Unendliche Kunst, in: Magnum, Nr. 42 (Juni 1962), S. 48

© VG Bild-Kunst, Bonn 2015

In der Theorie des Abstrakten Expressionismus, speziell in den Schriften Clement Greenbergs, taucht das Motiv der Tapete wiederholt auf.215 Es diente dem Kritiker als Beispiel für ein ‚niederes‘, im Feld der Dekoration angesiedeltes Genre, in das die abstrakte Malerei niemals verfallen dürfe. Dass gerade das über den Rand hinausgehende und der Wand zustrebende All over-Bild von dieser Gefahr bedroht war, sah Greenberg sehr deutlich. Denn obwohl das All over „noch immer irgendwie Staffeleibild ist [...] und noch immer theatralisch an einer Wand hängt, so kommt diese Art der Malerei der Dekoration − Tapetenmuster, die sich unendlich fortsetzen lassen − von allen doch am nächsten und da es noch immer Staffeleibild ist, infiziert es die ganze Vorstellung dieser Form mit Ambiguität.“216 Die Größe Jackson Pollocks bestand für Greenberg gerade in seinem Vermögen, „[m]ittels

215 Vgl. Auther, Elissa: „Das Dekorative, Abstraktion und die Hierarchie von Kunst und Kunsthandwerk in der Kunstkritik von Clement Greenberg“, in: John, Jennifer/Schade, Sigrid (Hg.): Grenzgänge zwischen den Künsten. Interventionen in Gattungshierarchien und Geschlechterkonstruktionen, Bielefeld 2008, S. 97-118. 216 Greenberg, Clement: „The Crisis of the Easel Picture“ (1948), in: Ders.: The Collected Essays and Criticism, Bd. 2: Arrogant Purpose, 1945-1949, hg. von John O’Brian, Chicago 1988, S. 221 f. Dt. Übersetzung zit. nach E. Auther: Das Dekorative, S. 101.

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subtiler Abweichungen innerhalb der minimalen Tiefenwirkung“217 der Gefahr des Dekorativen zu entgehen. Über ein Jahrzehnt nach diesen Überlegungen zur abstrakten Tapete zeichnete Enrico mit seiner Karikatur keineswegs eine humoristische Fiktion. Seine Darstellung bezieht sich auf die Praxis der Pittura Industriale, die 1958 von dem italienischen Maler Pinot Gallizio (1902-1964) entwickelt und 1959 in einem Manifest der industriellen Malerei218 theoretisch begründet wurde. Dem deutschen Publikum war der mit der Situationistischen Internationale assoziierte Künstler im Erscheinungsjahr der Karikatur bereits durch eine vielbeachtete Versteigerungsaktion in der Münchner Galerie Van de Loo bekannt, wo am 15. April 1959 seine erste Ausstellung außerhalb Italiens eröffnet wurde. Das Konzept der industriellen Malerei aufgreifend, warb die Galerie auf ihrer Einladungskarte für „[ü]ber 200 Meter Malerei in Öl und Kunstharz“ und versprach: „Unser Großeinkauf bietet ihnen viele Vorteile. [...] Enorme Auswahl zu günstigen Preisen.“219 Tatsächlich inszenierte Pinot Gallizio während der Eröffnung eine Versteigerung seiner Malerei als Meterware, wobei Preise zwischen 40 und 70 Mark für einen Meter erzielt wurden. Während sein Sohn als Auktionator auftrat, schnitt der Künstler selbst mit einer Schneiderschere die versteigerten Stücke von einer etwa zwölf Meter langen Leinwandrolle ab und händigte sie den Käufern aus.220 Obwohl die Aktion auf anwesende Galeriebesucher zunächst amüsant wirkte221, war damit ein radikaler Angriff auf traditio217 Greenberg, Clement: „The Jackson Pollock Market Soars“ (1961), in: Ders.: The Collected Essays and Criticism, Bd. 4: Modernism with a Vengeance, 1957-1969, hg. von John O’Brian, Chicago 1995, S. 110. Dt. Übersetzung zit. nach E. Auther: Das Dekorative, S. 102. 218 Vgl. Gallizio, Pinot: „Manifesto della Pittura Industriale. Per un’arte unitaria applicabile“, in: Notizie Arti Figurative, Bd. 2, Nr. 9 (Oktober 1959). Für die hier benutzte deutsche Übersetzung vgl. „Manifest der industriellen Malerei. Für eine verwendbare Einheitskunst“, in: Galerie Van de Loo (Hg.): Texte zur Kunst 1957-1982, München 1982, S. 233-240. 219 Text auf der Einladungskarte der Galerie Van de Loo zur ersten Einzelausstellung Pinot Gallizios. Abgebildet in: Niggl, Selima: Pinot Gallizio. Malerei am laufenden Meter, Hamburg 2007, S. 53. 220 Die Aktion ist in zahlreichen Fotografien dokumentiert. Eine Auswahl findet sich in S. Niggl: Pinot Gallizio, S. 53. Für eine zeitgenössische Beschreibung der Aktion vgl. Anonym (W.G.): Streifzüge durch Münchener Galerien, in: Süddeutsche Zeitung, 17.4. 1959, S. 13, zit. nach: S. Niggl: Pinot Gallizio, S. 51. In dem Artikel ist nur von einem einzigen verkauften Leinwandstück die Rede, Niggl vermutet jedoch, dass bei der Auktion noch weitere Stücke verkauft wurden. 221 Der Kritiker der Süddeutschen Zeitung beschrieb die Aktion als „eine scherzhafte Versteigerung“, zit. nach S. Niggl: Pinot Gallizio, S. 51.

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nelle Authentizitätsdiskurse verbunden, die der Künstler durch eine demonstrative Degradierung der Malerei zum industriellen Massenprodukt für obsolet erklärte. Auch die Funktion des Künstler-Autors blieb von dieser ikonoklastischen Geste nicht unberührt. Dementsprechend schrieb Gallizio in seinem Manifest der industriellen Malerei: „[D]ie Konzepte von Ewigkeit und Unsterblich-keit werden zerbröckeln [...]; die neue industrielle Kultur wird ausschließlich ,Made in Popolo‘ sein, oder sie wird gar nicht sein!“222 Gallizio kritisierte die kapitalistische „Warenzeichen-Gesellschaft“, in der die Künstler „wie die Läuse von den Ameisen in Sklaverei gehalten“223 würden. Einen Ausweg sah er in der Entwicklung einer egalitären industriellen Kultur, deren Katalysator die Maschine sein sollte: „Möglicherweise ist die Maschine das geeignete Instrument zur Schaffung einer inflationistischen, und das heißt auf dem Anti-Warenzeichen beruhenden, industriellen Kunst [...]. Es ist nötig, daß wir die Maschinen beherrschen, um sie zu einmaligen, unnützen, antiökonomischen und künstlerischen Gesetzen zu zwingen, wenn wir eine neue Gesellschaft schaffen wollen, die antiökonomisch, poetisch, magisch und künstlerisch ist.“224

Anders als in den Diskursen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts erscheint die Maschine in dieser Perspektive gerade nicht als Instrument einer die künstlerische Autonomie bedrohenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung, sondern soll umgekehrt der Kunst dabei helfen, diese Ordnung zu torpedieren. Dieter HoffmannAxthelm konstatierte in seiner kapitalismuskritischen Analyse künstlerischer Arbeit von 1974, dass sich die Kunst angesichts der industriellen Produktion „ins Machen“ zurückziehe und vermochte in Kollaborationen von Künstler und Maschine keine Kunst, sondern nur ein „Eingeständnis des Zusammenbruchs“ zu sehen.225 Bei Pinot Gallizio erhielt die Vorstellung einer Kunst produzierenden Maschine dagegen eine eminent politische Dimension: Indem die Maschine ‚Unnützes‘ herstellte, konnte sie die Gesetze der Ökonomie angreifen. Dass seine eigene industrielle Malerei, wie die Aktion in der Galerie Van de Loo zeigte, natürlich sehr wohl im Rahmen eines traditionellen Kunst-Distributionssystems ökonomisch verwertbar war, wurde von Gallizio nicht reflektiert. Er schrieb: „Die industrielle Malerei war der erste gelungene Versuch, mit Maschinen zu spielen und das Resultat war die Entwertung des Kunstwerks. Wenn erst einmal Tausende von Malern [...] 222 P. Gallizio: Manifest der industriellen Malerei, S. 233 f. 223 Ebd., S. 233. 224 Ebd., S. 233 f., 236. 225 Hoffmann-Axthelm, Dieter: Theorie der künstlerischen Arbeit. Eine Untersuchung anhand der Lage der bildenden Kunst in den kapitalistischen Ländern, Frankfurt am Main 1974, S. 14 und S. 20.

168 | DIE A RBEIT DES K ÜNSTLERS IN DER K ARIKATUR über die von Maschinen gebotenen Möglichkeiten verfügen, wird es nicht mehr um die das Bedürfnis nach Mehrwert befriedigenden gigantischen Briefmarken gehen, die man ,Bilder‘ nennt; sondern dann werden Millionen von Menschen sich an den viele Kilometer langen Leinwänden, die auf den Straßen und Märkten zum Kauf angeboten werden, erfreuen und zu immer neuen Erfahrungen in deren Anwendung und Gebrauch angeregt.“226

Gallizio verband mit der Maschine einen utopischen Anspruch, den er selbst jedoch streng genommen nicht einlöste. Der Text suggeriert zwar, die Pittura Industriale sei das Ergebnis eines maschinellen Herstellungsverfahrens, doch dies entsprach de facto nicht den technischen Voraussetzungen in Gallizios Albenser Atelier, denn die Arbeit dort war weder in ihrer Organisation noch in ihrem tatsächlichen Ablauf industriell geprägt (Abb. 80).227 Eine Kunstmaschine kam dabei niemals zum Einsatz, auch wenn Pinot Gallizio diese Vorstellung gegenüber der Presse nur zu gerne provozierte.228 Abbildung 80: Pinot Gallizio und sein Sohn Giorgio bei der Arbeit in Alba, um 1958

Archiv Galerie van de Loo, München

226 P. Gallizio: Manifest der industriellen Malerei, S. 239. 227 In einem Text von 1958 liefert Giorgio Gallizio, der Sohn des Künstlers, der von Anfang an am Produktionsprozess beteiligt war, eine realistische Beschreibung der Arbeit. Vgl. Melanotte, Giors: „Relazione“ (1958), dreiseitiges Schreibmaschinenmanuskript, in: Bertolino, Giorgia/Comisso, Francesca/Roberto, Maria Teresa (Hg.): Pinot Gallizio. Laboratorio della Scrittura, Mailand 2005, S. 158-159. 228 Vgl. S. Niggl: Pinot Gallizio, S. 66.

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In Enricos Karikatur wird der Malakt nicht thematisiert. Die industrielle Anmutung der karikierten Malerei ergibt sich einzig aus ihrem eigenen Erscheinungsbild und aus der Art, wie mit ihr verfahren wird. Im Unterschied zu Gallizios Pittura Industriale, bei der jeder Meter einzigartig ist und für eine „nicht wiederholbare Erfahrung“229 steht, zeigt die Produktion des Künstlers in der Karikatur jedoch ein äußerst homogenes All over, sowohl im Duktus als auch in der Farbigkeit. Im Kontext eines Themenheftes „Sittenbilder“ zeigte die Karikatur die Degradierung der Kunst zur Massenware, ging dabei aber nicht über die Darstellung der von Gallizio tatsächlich realisierten Kunstpraxis hinaus. So erweist sich die Karikatur in diesem Fall als Illustration eines drei Jahre zuvor bereits praktizierten Verfahrens, das dem Zeichner bestens bekannt gewesen sein dürfte: Als Maler gehörte Ortvad der Künstlergruppe Cobra an, mit der auch Pinot Gallizio assoziiert war. Vom genuin karikaturistischen Mittel der Übertreibung machte er in dieser eher dokumentarischen Künstlersatire im Grunde keinen Gebrauch. Einzig die Einordnung in den Zusammenhang der Sittenbilder lässt aufhorchen, wird hier doch ein nur scheinbar überholter moralischer Maßstab an die Kunst herangetragen. Auch in den 1960er Jahren berührte die Verbindung von Kunst und industrieller Produktion offenbar noch einen neuralgischen Punkt; sie trug den Makel des Unlauteren, der in Enricos Karikatur in der zweifelnden Miene des Atelierbesuchers gespiegelt ist. Roboter als Künstler Einen Sonderfall in dem untersuchten Themenfeld stellen Karikaturen auf Kunst produzierende Androiden230 dar. Durch ihr anthropomorphes Erscheinungsbild erlauben sie es, das geläufige Bildschema des Künstlers vor der Staffelei aufrecht zu erhalten; gleichzeitig ist mit der Vorstellung eines ‚Kunstroboters‘ ein Endpunkt im Diskurs um die Suspendierung des Autors erreicht. Obgleich selbst ein Produkt menschlicher Kreativität, besitzt der Roboter stärker als nicht humanoide Maschinen das bedrohliche Potential, sich von seinem Schöpfer zu emanzipieren.231 Wo

229 „[...] ogni metro di pittura ,industriale‘ rappresenta una esperienza ed un risultato irripetibile.“ G. Melanotte: Relazione, o.S., zit. nach: S. Niggl: Pinot Gallizio, S. 67. 230 Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden anthropomorphe Maschinen oder Automaten meist als Androiden bezeichnet, eine Zusammensetzung aus den griechischen Wortstämmen andr- (Mensch, Mann) und eid- (Bild, Muster). Der Begriff Roboter, der sich inzwischen durchgsetzt hat, wurde erst 1920 von dem tschechischen Schriftsteller Karel Čapek erfunden. 231 Generelle Überlegungen zu den wissenschaftlichen (mathematischen, genetischen, neurobiologischen usw.), philosophischen und ethischen Implikationen der Künstlichen Intelligenz finden sich in der Anthologie von Dietz, Peter (Hg.): Menschengleiche Ma-

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die Arbeit des Malers von einem Roboter übernommen wird, ist jener als Künstlerautor endgültig obsolet geworden. Dennoch − oder gerade deshalb − beschäftigte die Frage nach der Möglichkeit einer maschinellen Simulation menschlicher Kreativität Künstler und Wissenschaftler in der Moderne gleichermaßen.232 Das Misstrauen gegenüber dem Technisierten in der Kunst schien sich in der Figur des Roboters zu kristallisieren und wurde in dieser Gestalt auch zum Gegenstand der Karikatur. Abbildung 81: Anonym: Die Mechanisierung der Kunst

Lustige Blätter, Bd. 35 (1920), Nr. 23, S.12

In ihrer Rubrik „Humor des Auslandes“ veröffentlichten die Lustigen Blätter 1920 die ursprünglich in der schwedischen Witzzeitung Strix erschienene Karikatur einer humanoiden Malmaschine (Abb. 81).233 Am Rumpf des Roboters befinden sich vier schinen. Wahn und Wirklichkeit der künstlichen Intelligenz, Berlin 2003. Die spezielle Problematik von Kunst produzierenden Robotern wird darin jedoch nicht behandelt. 232 Vgl. Basting, Barbara: „Der Angriff der Maschinen auf den Geniebegriff. Eine kurze, lückenreiche Geschichte“, in: Landwehr, Dominik (Hg.): Playground Robotics, Basel 2004, S. 109-113. 233 Entgegen der Vermutung von B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 217, ist „Strix“ nicht der Name des Zeichners, sondern der ursprüngliche Publikationsort der Karikatur. Gemeint ist die 1897 von dem schwedischen Humoristen Albert Engström gegründete Witzzeitung Strix, die bis 1955 (und erneut von 1998 bis 2006) unter dem Namen Sön-

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Knöpfe zur Einstellung der gewünschten Stilrichtung, wobei die Auswahl neben Futurismus und Kubismus auch die fiktiven Kunststile „Naivism“ und „Satanism“ umfasst. Der kurze Begleittext, in dem die Funktionsweise des Automaten erläutert wird, bietet einige Hinweise zur Einordnung der Karikatur in zeitgenössische Debatten: „Drückt man auf einen der Knöpfe, so erhält man ein Bild in der gewünschten Moderichtung. Die Kurbel hinten reguliert die Geschwindigkeit. Dreht man die Vorrichtung rechts am Kopf, so erhöht man die Inspiration.“234 Neben einer Verspottung der rasch wechselnden Kunstmoden und ideologisch gefärbten ‚Ismen‘ zu Beginn des 20. Jahrhunderts fällt erneut die Bezugnahme auf die künstlerische Produktionsgeschwindigkeit auf, die mit den Arbeitsrhythmen der Maschine in der Moder-ne nicht mehr mithalten konnte. Die Möglichkeit zur Regelung, und damit zur Erhöhung der Geschwindigkeit schien den Roboter vor dem menschlichen Künstler auszuzeichnen. Die Karikatur ironisiert die Innovationsgier des modernen Kunstbetriebs, dessen Verlangen nach immer neuen künstlerischen Moden und Trends nur noch von einem niemals ermüdenden Roboter befriedigt werden kann. Besonderer Witz liegt in dem Hinweis auf eine Vorrichtung zur Steigerung der Inspiration, denn damit wird eine genuin menschliche Fähigkeit angesprochen, die bislang nicht von der Ablösung durch maschinelle Verfahren bedroht war. De facto können Roboter nur Tätigkeiten übernehmen, die streng formalisiert sind; spontane Impulse wie Kreativität oder Inspiration sind dabei ausgeschlossen. Die Vorstellung einer „inspirierten Maschine“ ist paradox und daher komisch, doch im karikaturistischen Spiel mit dieser Möglichkeit wird auch eine Bedrohung sichtbar: Denn wenn es der Maschine gelingt, mit der Aneignung von Inspiration und Kreativität gleichsam in das Allerheiligste der Kunst einzudringen, hat diese ihr letztes und wichtigstes Alleinstellungsmerkmal verloren. Das Interesse für Roboter als Kunstproduzenten setzte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in der Science Fiction-Literatur fort. Bekannt wurde Isaac Asimovs 1973 entstandene Kurzgeschichte Lichtverse, in der ein defekter Roboter spektakuläre Lichtskulpturen hervorbringt.235 Asimov lieferte eine Erklärung für die vermeintliche Kreativität der Maschine, indem er deren Kunstwerke als Resultate einer Fehlfunktion beschrieb. Unmittelbar nach der ordnungsgemäßen Wartung des Roboters verliert dieser die Fähigkeit zur Kunstproduktion. Bereits 1957 hatte das US-amerikanischen Science-Fiction-Magazin Fantastic Universe das Bild eines malenden Roboters auf dem Cover gezeigt (Abb. 82). Die dagsnisse-Strix weitergeführt wurde. Welcher Zeichner sich hinter der Signatur „K“ verbirgt, konnte nicht ermittelt werden. 234 Anonym: Die Mechanisierung der Kunst, in: Lustige Blätter, Bd. 35 (1920), Nr. 23, S. 12. 235 Asimov, Isaac: „Lichtverse“ (1973), in: Ders.: Alle Roboter-Geschichten, Bergisch Gladbach 2007, S. 165-171.

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Darstellung des bekannten Science-Fiction-Illustrators Virgil Finlay (1914-1971) spielt mit dem Paradoxon einer Handarbeit verrichtenden Maschine. Statt zu fotografieren begibt sich der Androide auf einem scheinbar verlassenen Planeten mit Pinsel und Palette in die anachronistisch − oder nostalgisch − anmutende Pose des Freilichtmalers. Abbildung 82: Virgil Finlay: Titelillustration für Fantastic Universe

Fantastic Universe, Nr. 12/ 1957, Titelseite

Einen ähnlichen Blickwinkel nahm John O’Brien in einem 1991 publizierten Cartoon für den New Yorker ein (Abb. 83). Sein NASA-Weltraumroboter, der mit Pinsel und Palette die Impression einer Mondlandschaft und den dahinter sich auftuenden Blick in den Kosmos festhält, könnte als Reflex auf ein seinerzeit aktuelles Großprojekt der amerikanischen Raumfahrtbehörde verstanden werden: Das Weltraumteleskop Hubble, das seit 1990 Bilder von frappierender ästhetischer Strahlkraft übermittelt.236 Verglichen mit den ersten unscharfen Schwarzweiß-Fotografien von der Oberfläche des Mondes, die ab 1966 von Raumsonden des Surveyor236 Vgl. http://hubblesite.org/gallery/album (abgerufen am 08.07.2015)

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Programms der NASA geliefert wurden und deren geringen Informations- und Unterhaltungswert Sigmar Polke in Arbeiten wie Pasadena ironisierte237, entfalten die aktuellen Hubble-Bilder eine nahezu malerische Qualität. Kann, so ließe sich fragen, die althergebrachte Technik der Malerei dieser Konkurrenz noch standhalten? Das Bild des malenden Weltraumroboters zeigt jedenfalls, wie Polkes Darstellung der Mondoberfläche, nur einige abstrakte Flecken. Abbildung 83: John O’Brien: o. T., in: The New Yorker, 09.09. 1991, S. 33

© John O’Brien / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Das deutsche Künstlertrio Robotlab238 erprobt seit einigen Jahren die Möglichkeit einer robotergenerierten Kunst. Einen umgebauten Industrieroboter, der in der Lage ist, Porträt- und Umrisszeichnungen von Museumsbesuchern anzufertigen, bezeichnen Robotlab auf ihrer Webseite als „Maschinenkünstler“.239 Ein anderer Roboter, der mithilfe eines „festen Fundus von Begriffen aus den Bereichen Kunst, Philoso237 Sigmar Polke: Pasadena, 1968, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 190 x 150 cm, Centre Georges Pompidou, Paris. Zu diesem Aspekt vgl. Wagner, Monika: „Besuch aus dem All. Der Stein vom Mond und die Magie der Berührung“, in: Helas, Philine/Polte, Maren/ Rückert, Claudia/Uppenkamp, Bettina (Hg.): Bild/Geschichte. Festschrift für Horst Bredekamp, Berlin 2007, S. 87-100, hier S. 91 f. 238 Robotlab wurde 2000 von den Künstlern Matthias Gommel, Martina Haitz und Jan Zappe gegründet. Das Projekt ist assoziiert mit dem Institut für Bildmedien im ZKM – Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe. 239 Vgl. http://www.robotlab.de/auto/portrait.htm (abgerufen am 08.07.2015)

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phie und Technik“240 künstlerische Manifeste verfassen kann, ironisiert die diskursive Praxis früherer Avantgarden.241 Mit Projekten wie diesen zitieren Robotlab einen Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts, der mit dem „Dada Cyborg“242 seinen Anfang nahm und mit Nam June Paiks Robot K 456243 noch längst nicht beendet war. Seit 2009 experimentieren auch Informatiker der Universität Konstanz mit einem malenden Roboter, um herauszufinden, „bis zu welchem Grad einer Maschine beigebracht werden kann, alle Aspekte einer künstlerischen Gestaltung zu produzieren“. Neben einer Imitation bekannter Stile sollen dabei auch „neue, durch die Möglichkeiten der Maschine sich ergebende Techniken entwickelt werden“.244 Die Übertragung maschineller Verfahren in den Bereich der Kunst hätte damit eine neue Qualität erreicht. Ob dieser letzte Schritt, die Simulation von Kreativität durch die Maschine gelingt, bleibt abzuwarten.

240 Vgl. http://www.robotlab.de/mani/fest.htm (abgerufen am 08.07.2015) 241 Auch andere Künstlerkollektive wie zum Beispiel das Hamburger Institut f18 loten seit einigen Jahren die künstlerischen Potentiale von Robotern aus. Einen Überblick bietet D. Landwehr: Playground Robotics. 242 Vgl. Biro, Matthew: The Dada Cyborg. Visions of the New Human in Weimar Berlin, Minneapolis u.a. 2009. 243 Der Robot K 456 wurde von Nam June Paik 1964 in Zusammenarbeit mit dem japanischen Ingenieur Shuya Abe konstruiert. Der Roboter diente als Straßeninstrument, mit dem der Künstler Passanten konfrontierte. In Paiks Verständnis war der Robot K 456 der erste nicht-menschliche Aktionskünstler. 244 Die Zitate sind der Projektbeschreibung des e-David Painting Robot der Universität Konstanz entnommen. Vgl. http://www.informatik.uni-konstanz.de/edavid (abgerufen am 08.07.2015).

Außerhalb des Ateliers: Pleinairmalerei und öffentliche Produktion

1849 veröffentlichte der Karikaturist Henry Émy eine siebenteilige Bilderfolge zur Pleinairmalerei, die einige Aspekte dieser seinerzeit recht neuen Kunstpraxis satirisch zusammenfasste (Abb. 84): Sie zeigt die Wanderschaft des Malers und seinen im wahrsten Sinne des Wortes steilen „chemin de la gloire“, die Beeinträchtigung durch extreme Wetterbedingungen und die oftmals skurrilen Begegnungen mit Bauern und anderen Landbewohnern. Diesem letzten Punkt, der wohl das größte komische Potential besaß, widmete Émy ganze fünf Bilder, während die beiden ersten Aspekte nur mit jeweils einem Bild repräsentiert sind − eine Gewichtung, die in etwa die Quellenlage widerspiegelt. Schließlich war mit der Verlagerung des Produktionsprozesses in den öffentlichen Raum eine Situation geschaffen, die den Blick auf die Arbeit des Künstlers nachhaltig veränderte. Wie weitreichend die Konsequenzen dieser Entwicklung waren, sollte sich allerdings erst im 20. Jahrhundert herausstellen. Das folgende Kapitel behandelt Karikaturen auf Pleinairmalerei und öffentliche Produktion. Ein Abschnitt ist nationalen Künstlertopoi gewidmet, die am Beispiel des reisenden Landschaftsmalers und seiner Arbeitsweisen entwickelt wurden.

Journal Amusant, 29.09.1849, o. S.

Abbildung 84: Henry Émy: Les Artistes en Excursion

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A USSERHALB DES A TELIERS

L ES A RTISTES EN V OYAGE : K ARIKATUREN P LEINAIRMALEREI

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ZUR

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gewann die Landschaftsmalerei in ganz Europa zunehmend an Bedeutung. Zu Beginn der 1850er Jahre betrug der Anteil von Landschaftsgemälden in der offiziellen Salonausstellung im Schnitt bereits etwa ein Viertel.1 Besonders die ‚unberührte‘, vom Menschen nicht oder nur wenig veränderte Landschaft wurde von der Malerei als kunstwürdiger Gegenstand entdeckt und löste allmählich die nach strengen Formvorgaben im Atelier komponierte Ideallandschaft ab. Im Zuge dieses Prozesses verlagerte sich auch die Arbeit des Künstlers mehr und mehr ins Freie. Unter den Malern setzte sich die Ansicht durch, dass ein Landschaftsgemälde, ja Kunst überhaupt, nur in direkter Begegnung mit der Natur entstehen könne. Dem Anfertigen von Skizzen, Aquarellen und Ölstudien en plein air wurde dementsprechend eine wachsende Bedeutung beigemessen. Obwohl die Ausarbeitung großformatiger, repräsentativer Ausstellungsbilder weiterhin meist im Atelier stattfand, gewann, wie John Leighton feststellt, „[i]n den 1830er und 1840er Jahren [...] die Idee, nicht nur Studien, sondern auch Bilder in der freien Natur zu malen, zunehmend an Attraktivität“.2 Der im Freien arbeitende Maler wurde sehr rasch von der Karikatur entdeckt und zur komischen Figur erklärt; seine Schwächen und Missgeschicke amüsierten die Leserschaft der populären Satiremagazine über mehrere Generationen hinweg. Karikaturen auf den Freilichtmaler begegneten vor allem in der satirischen Presse jener Länder, in denen das Malen im Freien intensiv praktiziert wurde: In England, wo John Constable und seine zahlreichen Gefolgsleute die Freilichtmalerei als künstlerische Praxis etablierten und in Frankreich, wo sich mit der École de Barbizon in den 1830er Jahren eine machtvolle Bewegung formierte und den Boden für die ihr nachfolgenden impressionistischen Maler bereitete. Spätestens ab der zweiten Jahrhunderthälfte gehörte der Freilichtmaler in bestimmten Gegenden gleichsam selbst zum Landschaftsbild, was zu Karikaturen auf die massenhafte Verbreitung der neuen Mode Anlass gab. 1854 karikierte Nadar die auf engstem Raum zusammengedrängten Freilichtmaler im Wald von Compiègne (Abb. 85) und 1865 zeichnete ein englischer Karikaturist die Maler von Bettws-y-Coed in Nordwales in derselben misslichen Lage (Abb. 86). In den beiden stilistisch sehr unterschiedlichen Karikaturen sind die Freilichtmaler vor allem als eine Anhäufung der von ihnen mitgebrachten Sonnenschirme präsent, die zur Standardausrüstung des Pleinairisten gehörten − nicht nur als Schutz vor der Hitze, sondern vor allem, um Reflexionen 1 2

M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 169. Leighton, John: „‚Bienheureux les paysagistes!‘ Landschaftsmalerei unter freiem Himmel“, in: Ausst.-Kat. Corot, Courbet und die Maler von Barbizon, Haus der Kunst München 1996, S. 23-31, hier S. 27.

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des nassen Farbmaterials zu vermeiden und die Farbwerte korrekt zu beurteilen.3 Die räumliche Enge wird dadurch erkennbar, dass die Schirme der Maler an den Rändern bereits aneinander stoßen. Abbildung 85: Nadar: A quoi sont réduits les paysagistes par le système des éclaircies

Petits Albums pour rire, Nr. 8, Paris 1854, S. 2

Abbildung 86: Anonym: The Season over

Punch, 19.08.1865, S. 72

In späteren Jahren begegnet diese Beobachtung auch in geschriebener Form, so zum Beispiel bei dem Maler Jules Breton, den die von Freilichtmalern unter ihren Son3

Vgl. Ausst.-Kat. Impressionismus (2008), S. 76. Die Autorinnen bezeichnen den Sonnenschirm sogar als „Symbol der Pleinair-Malerei“.

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nenschirmen bevölkerte Landschaft 1890 an das Aufblühen monströser Champignons erinnerte.4 In dem ironischen Begleittext der englischen Karikatur wird deutlich, dass die Freilichtmaler durch ihr Verhalten genau das zunichte machen, was sie eigentlich in der Natur suchen: „Our artists go to nature, and this is the cheerful state of things at that secluded and delightful place, Bettws-y-Coed, North Wales“.5 Die bildsatirischen Kommentare zum Phänomen der Freilichtmalerei lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: Karikaturen auf die vermeintliche Faulheit des Freilichtmalers und, dem entgegengesetzt, Karikaturen auf die die zahlreichen Störungen und Widrigkeiten, die das Malen in freier Natur mit sich bringt. Die Faulheit des Landschaftsmalers Während die englische Bildsatire sich auf die Nöte und Beschwerlichkeiten des in der Natur arbeitenden Künstlers konzentrierte, stürzte man sich in Frankreich auf die Figur des faulenzenden, seine Arbeit vernachlässigenden Freilichtmalers. Über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren griff die französische Karikatur den alten Topos von der ‚Faulheit des Künstlers‘ immer wieder auf und rekurrierte dabei meist auf den paysagiste. Ein frühes Beispiel hierfür ist die Lithografie des Salonmalers Paul-Émile Destouches (eigtl. Detouches, 1794-1874), die 1851 als ganzseitige Illustration im Charivari erschien (Abb. 87). Unter der Überschrift Fariboles, Belanglosigkeiten, zeigt sie einen Maler und eine junge Frau, die sich im Schatten eines kleinen Baumes niedergelassen haben. Beide scheinen zu dösen oder in Tagträume versunken zu sein, während der zur Staffelei umfunktionierte Malkoffer − eine so genannte Boîte de Campagne6, wie sie zur Grundausstattung des Freilichtmalers gehörte − unberührt bleibt. Der auf den ersten Blick idyllische Eindruck wird durch die wenig anmutige Körperhaltung der beiden Untätigen gestört, insbesondere durch die Figur des Mädchens, die mit ausgestreckten und unvorteilhaft gespreizten Beinen den Bildvordergrund dominiert. In der Legende wird die dargestellte Szene ironisch kommentiert: „Ayant quitté Paris dans l’intention d’aller travailler dans la forêt de Fontainbleau.“ Der Witz liegt hier im Kontrast zwischen dem auf der Textebene formulierten Vorhaben, nämlich zu arbeiten, und dem Bild vollkommener Lethargie. Die Bildunterschrift macht zudem deutlich, dass es sich bei dem dargestellten 4

„[C]omme une éclosion de champignons monstres.“ Breton, Jules: La Vie d’un Artiste: Art et Nature, Paris 1890, S. 239.

5 6

Anonym: „The Season over“, in: Punch, Bd. 49 (19.08.1865), S. 72. Eine zeitgenössische Abbildung findet sich in: Ausst.-Kat. Art in the Making (1990), S. 21. Vgl. auch die Freilichtmalerei-Ausrüstung des Malers Jules-Ernest Renoux im Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris, abgebildet in: Ausst.-Kat.: Impressionismus (2008), S. 81.

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Künstlerpärchen um Besucher aus der Großstadt handelt, die das heimische Atelier nur zeitweilig gegen einen Arbeitsplatz im Freien eintauschen. Die Versuchung, in der ungewohnten Stille der ländlichen Umgebung nicht Arbeit, sondern viel eher Erholung zu suchen, schien in diesem Fall besonders groß zu sein. Abbildung 87: Paul-Émile Destouches: Fariboles

Le Charivari, 05.09.1851, o. S.

1849, zwei Jahre vor dem Erscheinen der Karikatur, wurde der etwa fünfzig Kilometer südlich von Paris gelegene Wald von Fontainebleau durch die Einrichtung einer regelmäßigen Eisenbahnverbindung als Naherholungsgebiet für das Pariser Bürgertum erschlossen. Erholungsbedürftige Großstädter hatten nun erstmals die Möglichkeit, sich für die Dauer eines Tagesausflugs in die unberührte Natur zu begeben und Abstand von der Hektik der Großstadt zu gewinnen. Auch den Künstlern eröffnete die neue, schnelle Verkehrsverbindung bisher ungeahnte Möglichkeiten: Während die älteren Vertreter der seit etwa 1830 im Wald von Fontainbleau praktizierten Freilichtmalerei wie Théodore Rousseau, Camille Corot und Jean-François Daubigny noch gezwungen waren, der Großstadt den Rücken zu kehren und ihren Wohnsitz auf dem Lande zu nehmen, ermöglichte die Eisenbahn nun ein Pendeln zwischen Paris und seiner ländlichen Umgebung. Das neue Verkehrsmittel wirkte wie ein Katalysator für die Entwicklung der Pleinairmalerei, die sich um die Jahrhundertmitte zu einer regelrechten Mode unter den jungen Künstlern entwickelte.

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Die Karikatur richtete ihren Spott vor allem auf diese stetig wachsende Gruppe von ‚Sonntagsmalern‘, die in der Natur eben nicht in erster Linie einen Anlass zur Arbeit sahen, sondern im Grunde, wie gewöhnliche Ausflügler, Erholung und Ablenkung suchten.7 Die erste Generation der Barbizon-Maler blieb vom Spott des Karikaturisten relativ unbehelligt, obwohl Destouches, als Schüler Davids und Vertreter einer akademischen Kunstauffassung, der Freilichtmalerei im Ganzen wohl eher skeptisch gegenüberstand. Abbildung 88: Félicien Rops: En Ardenne

Uylenspiegel, Nr. 13 (26.04.1857), o. S.

Ein weiteres Beispiel für die frühe humoristische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des ‚faulen Freilichtmalers‘ findet sich bei dem belgischen Zeichner Félicien Rops (1833-1898). Seine in künstlerischer Hinsicht äußerst qualitätvolle Lithografie (Abb. 88), die 1857 als ganzseitige Abbildung in dem Brüsseler Satiremagazin Uylenspiegel erschien, verlegt die Szenerie in die Bergwelt der Ardennen, die für die belgischen Paysagisten das Pendant zum Wald von Fontainbleau darstellte. Anlass der Karikatur war offenbar der Beginn der warmen Jahreszeit, der

7

Vgl. Ausst.-Kat. Zurück zur Natur. Die Künstlerkolonie von Barbizon, Kunsthalle Bremen 1977.

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die wichtigste Arbeitsperiode der Freilichtmaler einläutete. „La saison des travaux sérieux recommence pour les jeunes peintres“8 lautet so auch die ironische Bildunterschriftzu der Darstellung eines mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken liegenden Malers, der im Schatten seines Sonnenschirms zu dösen scheint. Obwohl das von schräg rechts einfallende Sonnenlicht bereits auf eine nachmittägliche Stunde hinweist, hat der Künstler seine Leinwand offensichtlich noch nicht berührt; einzig seine V-förmig gespreizten Oberschenkel, die in die jungfräulich leuchtende weiße Fläche der Leinwand hineinragen, bilden ein bizarres Felsmotiv. Der Kontrast zwischen der Darstellung untätiger, vor sich hin dösender Künstler und dem in der Legende erwähnten Vorhaben der Arbeit ist ein immer wiederkehrendes Muster der Karikatur. Oft tragen auch die fantasievollen Ausflüchte und Rechtfertigungsversuche der Maler zur komischen Wirkung bei. So behaupten die von Stop (eigtl Louis Morel-Retz, 1825-1899) im Oktober 1852 karikierten Paysagisten, sie warteten auf das Einsetzen des Schneefalls, um ihren Effet de neige in Angriff zu nehmen (Abb. 89). Der von einem anonymen Zeichner 1862 im Charivari dargestellte Künstler, der von einem Kollegen auf dem Bauch ausgestreckt und offenbar schlafend angetroffen wird, rechtfertigt sich, er habe in dieser Haltung nur die Beschaffenheit des Bodens studieren wollen (Abb. 90), und der mit hinter dem Kopf verschränkten Händen im Gras liegende und genüsslich rauchende Maler von Gabriel Lion9 stellt im Mai 1895 fest, dass ihn nun die Hitze lähme, während es im Winter die Kälte war, die ihn von der Arbeit abgehalten habe (Abb. 91). Noch häufiger allerdings erscheint die künstlerische Nachlässigkeit gänzlich unbegründet, wodurch suggeriert wird, die Faulheit läge gleichsam im Wesen des Künstlers. Bequem auf dem Rücken liegend, mit einer rauchenden Pfeife im Mund, lässt ein 1880 wiederum von Stop karikierter Maler die Derniers jours de travail dans la campagne ungenutzt verstreichen, derweil die neben ihm aufgebaute Leinwand leer bleibt (Abb. 92). Gleiches gilt für die kollektiv dösenden Maler in Lucs Campement de Paysagistes dans la forêt de Fontainebleau, die in ihrer Arbeit ebenfalls noch nicht über das Aufstellen der Staffeleien hinaus gelangt sind (Abb. 93). Die Darstellung erschien im Rahmen einer Variations sur les sept péchés capitaux betitelten Serie, in der sich Luc auf humorvolle Weise mit den sieben Todsünden auseinandersetzte. Sie bildete die zentrale Vignette auf einem der Faulheit gewidmeten Blatt, so dass die Freilichtmaler von Fontainbleau gleichsam als Inkarnation dieser Todsünde erschienen. Im Jahr 1890 waren mit diesem Prädikat wohl die Impressionisten gemeint, denen überhaupt ein äußerst zweifelhafter Lebenswandel unterstellt wurde.

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Félicien Rops: „En Ardenne“, in: Uylenspiegel, Nr. 13 (26.04.1857), o. S.

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Zu diesem Zeichner konnten keine Informationen ermittelt werden.

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Abbildung 89: Stop: Nos Artistes – Tiens, voilà comment vous travaillez, mes gaillards! – Nous voulons peindre un effet de neige, et il n’a pas voulu en tomber depuis le 1er août.

Journal pour rire, 21.10.1852, o. S.

Abbildung 90: Anonym: – Paresseux! c’est come cela que tu peins le paysage? – Mon cher, j’ai la vue basse: j’étudie mes terrains.

Le Charivari, 25.10.1862, o. S.

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Abbildung 91: Gabriel Lion: Variations sur le renouveau (Detail) Bizarre! L’hiver, c’est le froid qui m’empêche de travailler. Maintenant, c’est la chaleur qui me paralyse.

Le Charivari, 16.05.1895, o. S.

Abbildung 92: Stop: Nos Artistes Dernier jours de travail dans la campagne

Journal Amusant, 25.09.1880, S. 2

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Abbildung 93: Luc: Un Campement de Paysagistes dans la forêt de Fon tainebleau (Detail aus: Variations de la sept péchés capitaux: V. Lento – La Paresse)

Journal Amusant, 06.09.1890, o. S.

Abbildung 94: Klem: Premiers Rayons (Detail) – Décidément, je ne peux travailler qu’en plein air

Le Charivari, 19.04.1894, o. S.

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Zur Gruppe moralisierender Karikaturen gehört auch der 1894 im Charivari erschienene Holzschnitt von Klem10, der den Maler, wie zuvor Destouches, in weiblicher Begleitung zeigt (Abb. 94). Selbstbewusst erklärt der in entspannter Haltung auf dem Rücken liegende und dabei etwas geckenhaft erscheinende Künstler der elegant gekleideten jungen Frau, er könne überhaupt nur im Freien arbeiten − eine Aussage, die durch die im Hintergrund sichtbare unbearbeitete Leinwand als leeres Gerede entlarvt wird. Tatsächlich, so die Aussage der Karikatur, kann von Arbeit keine die Rede sein; vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass dieser Künstler die Malerei nur pflegt, um die Damenwelt zu beeindrucken. Honoré Daumier gestaltete das Thema des ‚faulen Landschaftsmalers‘ 1862 in einer Lithografie, die, ebenso wie die Darstellungen von Destouches und Rops, auch selbst genuin kompositorische Qualitäten aufweist (Abb. 95). Wie schon bei diesen früheren Karikaturen gab das humoristische Thema auch bei Daumier den Anlass für eine Landschaftsdarstellung, die selbst höchst malerisch ausfiel. Die klassische Unterteilung des Bildraums in Vorder-, Mittel- und Hintergrund, die ausgewogene Komposition und das delikate Spiel mit Licht und Schatten rufen in Erinnerung, dass Daumier nicht nur im Medium der Karikatur arbeitete, sondern auch als Maler tätig war. Im Unterschied zu Destouches und Rops nahm Daumier Impulse aus der zeitgenössischen Freilichtmalerei auf und war mit einigen Malern der Schule von Barbizon, darunter Diaz und Millet, befreundet. Darüber hinaus geben bestimmte Aspekte seines Werkes Anlass zu der Vermutung, dass auch er selbst zumindest gelegentlich en plein air arbeitete.11 Die Karikatur zeigt eine sonnenbeschienene hügelige Landschaft. Im Bildmittelgrund sind unter aufgespannten Sonnenschirmen zwei verlassene Staffeleien mit großformatigen Leinwänden zu sehen, von denen die rechte bereits mit einer Skizze der im Hintergrund verlaufenden Hügelkette versehen wurde. Die Schattenzone im Bildvordergrund ist der Ruheplatz der Maler, die zwar nicht schlafend, jedoch in einem Zustand tiefer Entspannung gezeigt werden: Der rechte, dessen Körperhaltung an den Maler der fünf Jahre früheren Rops-Karikatur erinnert, liegt mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken und hat die Hände über dem Bauch gefaltet. Der linke liegt auf der Seite, den Kopf auf den rechten Arm gestützt. Sein Blick auf den ruhenden Kollegen deutet eine Unterhaltung an. Komisches Potential entfaltet die Szene erst durch die Bildunterschrift „Paysagistes au travail“, welche die Arbeit der Maler als Müßiggang aufdeckt.

10 Zu diesem Zeichner konnten keine Informationen ermittelt werden. 11 Vgl. Parinaud, André: Les Peintres et leur école. Barbizon. Les origines de l’Impressionisme, Paris 1994, S. 82 ff. Als Beispiel für ein Werk Daumiers, das „l’atmosphère de plein air“ evoziere, nennt der Autor Les Enfants au bain, 1855-1857, Sammlung Oskar Reinhart, Winterthur.

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Abbildung 95: Honoré Daumier: Paysagistes au travail

Le Boulevard, 17.08.1862, o. S.

Während Howard Vincent Daumiers Karikatur als „a pleasant laugh at his Barbizon friends, Corot, Rousseau or Millet“12 deutet, bezieht Anette Wohlgemuth die Darstellung auf die zweite Generation von Freilichtmalern, die späteren Impressionisten wie Monet, Bazille und Pissarro, die seit etwa 1860 Pleinairmalerei praktizierten. Ihrer Interpretation zufolge verspottete Daumier nur diese künstlerischen Nachfolger der Barbizon-Maler, „die die Erfolge der neuen Landschaftsmalerei für sich zu nutzen suchten, aber ihre Arbeiten in erster Linie von der Lage des Kunstmarktes abhängig machten und dabei künstlerische Inhalte auf den zweiten Rang verwiesen“.13 Gegen diese Sichtweise spricht der eher harmlose Charakter der Karikatur, die das Verhalten der dargestellten Maler zwar ironisiert, diese jedoch nicht, wie Wohlgemuth schreibt, „verunglimpft“.14 Wie meist bei Daumier fällt der gegen die Künstlerkollegen gerichtete Spott vergleichsweise mild aus, auf Stilmittel des caricare, wie verzerrte Physiognomien, wird weitgehend verzichtet. Eine verunglimpfende Haltung wäre angesichts des Publikationsortes auch unangebracht gewesen, denn die Lithografie erschien nicht, wie die meisten Karikaturen Daumiers, im bürgerlich-konservativen Charivari, sondern in der von Etienne Carjat herausgegebenen Kunst- und Literaturzeitschrift Le Boulevard, die der modernen Kunst gegen-

12 H. Vincent: Daumier and his world, S. 174. 13 A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 108. 14 Ebd.

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über deutlich positiver eingestellt war. Außerdem wurden Karikaturen in der Kunstwelt des Second Empire nicht notwendigerweise als diffamierend betrachtet und es existieren zahlreiche Beispiele von Zeichnern, die befreundete Künstler zum Gegenstand ihrer Karikaturen machten, ohne dass es dadurch zu persönlichen Verstimmungen gekommen wäre.15 Es erscheint also durchaus plausibel, dass Daumier mit seinen Paysagistes au travail, wie von Vincent angenommen, die erste Generation der Freilichtmaler karikierte. Dafür spricht auch das Alter der beiden Künstler, das eher zu den Malern von Barbizon zu passen scheint als zu der Generation der größtenteils um 1840 geborenen Impressionisten. Möglicherweise brachte Daumier mit der Karikatur auch nicht seine persönliche Ansicht zum Ausdruck, sondern spielte allgemein auf das Image der Freilichtmaler an. Mit der Darstellung ‚fauler Künstler‘16 reaktivierte die Karikatur einen Topos der älteren Künstlerbiografik. In den Viten Vasaris wurde der Trecento-Maler Buonamico Buffalmacco als Urtypus des faulen Künstlers etabliert, der ausgeklügelte Listen erfunden habe, um den frühmorgendlichen Arbeitsbeginn in seiner Lehrwerkstatt um einige Stunden nach hinten zu verschieben.17 Neue Impulse flossen dem Topos des faulen Künstlers im 19. Jahrhundert durch die Entwicklung der Bohème zu, deren Lebens- und Arbeitsprozesse sich nicht mehr mit der bürgerlichen Welt in Einklang bringen ließen. Der Künstler führte eine „im bürgerlichen Sinne ambitionslose Sonderexistenz“18; im Gegensatz zum bürgerlichen Arbeitnehmer, der sich mit der Entwicklung des kapitalistischen Wirt15 Das Beispiel Courbets zeigt, dass Karikaturen auch als positive Werbung betrachtet wurden, da sie mit ihrer massenhaften Verbreitung dazu beitrugen, den Künstler oder die von ihm vertretene Stilrichtung bekannt zu machen. Zu diesem Aspekt vgl. den Abschnitt „Maler als Maurer“ in diesem Buch. 16 Der Topos des faulen Künstlers begegnet auch in Karikaturen zur Arbeit für den Salon sowie zu maschinellen Herstellungsverfahren, vgl. die Abschnitte „Termindruck und Zeitnot“ sowie „Kunstmaschinen und Maschinenkünstler“ in diesem Buch. 17 Vasari berichtet, Buffalmacco habe während seiner Lehrzeit bei Andrea Tafo diesen mit selbst gebastelten „Dämonen“ in Angst und Schrecken versetzt, um nicht vor Tagesanbruch von ihm geweckt zu werden: „Da fand er einst in einem schlecht gekehrten Gewölbe dreißig große Skarabäen oder Mehlkäfer. Jedem dieser Tierchen befestigte er mit einer ganz feinen Nadel ein Lichtlein auf dem Rücken, zündete es an und schob zu der Stunde, in welcher Andrea ihn zu wecken pflegte, durch einen Türspalt langsam einen Käfer nach dem anderen in das Zimmer seines Lehrers, der eben erwacht war und Buffalmacco rufen wollte. Als dieser die wandelnden Lichter sah, geriet er in grosse Furcht fing an zu beten und sich Gott zu empfehlen, und anstatt Buonamico zu wecken, versteckte er sich tief unter der Decke und blieb so bis zum Tagesanbruch liegen.“ Vasari, Giorgio: Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten (1550/86), Zürich 2000, S. 75 f. 18 A. Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, S. 951.

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schaftssystems herauszubilden begann, war er Herr über seine Zeit und dadurch schon per se des Müßiggangs verdächtig. In der französischen Gesellschaft und ebenso in der Kunsttheorie des Second Empire entwickelte sich die Auffassung, dass, wie Arnold Hauser schreibt, „die künstlerische Lebensweise zur Anarchie und zum Chaos neigt und daß das künstlerische Schaffen sich, schon infolge seiner irrationalen Momente, jeder Disziplin und Ordnung, jeder Beharrlichkeit und Stetigkeit zu entziehen sucht“.19 Es liegt nahe, dass die Karikatur ihr Bild des faulen Landschaftsmalers zu einem gewissen Anteil auf der populären Folie des ‚arbeitsscheuen Bohèmekünstlers‘ aufbaute. Der Paysagist war hierfür besonders geeignet, da seine Arbeit nicht im Atelier stattfand, sondern in einem Umfeld, das für die bürgerliche Leserschaft der Satiremagazine ein Freizeitraum war. Er arbeitete buchstäblich dort, wo andere Urlaub machten. Was für den gewöhnlichen Städter nur in seiner knapp bemessenen Freizeit erreichbar war, konnte der Künstler auch werktags genießen: Die idyllische Ruhe der Natur, die zur Entspannung und Erholung einlud. Über diesen offensichtlichen Zusammenhang hinaus existieren auch zeitgenössische kunsttheoretische Positionen, die der vermeintlichen Faulheit des Künstlers nachgingen und sie auf ihre positiven und negativen Implikationen für den künstlerischen Schaffensprozess hin untersuchten. So war die paresse ein zentrales Element im Künstlerbild von Jules und Edmond de Goncourt und wurde von diesen auch nicht ausschließlich negativ bewertet. Die Goncourts führten die auch als „nonchalance foncière“20 interpretierte Faulheit auf das besondere Temperament des Künstlers zurück, das stets zwischen lymphatischen und nervösen Zuständen hin und her schwanke. Die lymphatischen (oder phlegmatischen) Gemütsanteile machten den Künstler zum „individu enclin à la passivité“.21 Diese Charakterisierung bewahrte auch für das künstlerische Selbstverständnis der Autoren ihre Gültigkeit: Im Journal von 1895 bezeichnete Edmond de Goncourt die „faule“, also nicht wissenschaftlich-systematische Beschäftigung mit Kunst und Literatur rückblickend sogar als sein einziges Lebensziel.22 Einige Jahre zuvor, im Mai 1881, hatte der Schriftsteller seinen eigenen Schaffensprozess als ein Wechselspiel aus faulen und aktiven Phasen beschrieben, die er als ebenbürtig bedeutsam darstellte:

19 Ebd., S. 833. 20 Zit. nach: Champeau, Stéphanie: La notion d’artiste chez les Goncourt (1852-1870), Paris 2000, S. 142. 21 Ebd. 22 „Je n’avais que l’ambition d’une vie indépendante, où je m’occuperais paresseusement d’art et de littérature, mais en amateur et non, ainsi que cela a été, en forçat de la gloire.“ Journal des Goncourts, Bd. 3, Eintrag vom 29.11.1895, zit. nach S. Champeau: La notion d’artiste, S. 141.

190 | DIE A RBEIT DES K ÜNSTLERS IN DER K ARIKATUR „Oh! la difficulté de la composition maintenant! Il me faut douze heures de travail, pour en avoir trois de bonnes. D'abord une matinée paresseuse occupée par des cigarettes, la rédaction de lettres pressées, la correction d'épreuves, et au bout de cela le retournement de mon plan, que je fais danser sur la table. Après le second déjeuner et une longue fumerie; du papier couvert d'écriture imbécile, du travail qui n'aboutit pas, des enragements contre soi-même, de lâches envies d'abandonner la chose. Enfin, vers quatre heures, l'entraînement obtenu, et des idées, et des images, et la vision des personnages,— et de la copie presque coulante jusqu'au dîner, jusqu'à sept heures. Mais cela à la condition que je ne sortirai pas, que je n'aurai pas la pensée dérangée, par la préoccupation de la toilette et de l'habillement. Puis alors jusqu'à onze heures, ce morceau repris, raturé, rapetassé, amendé, corrigé, et enfumé d'un nombre infini de cigarettes.“23

Der wiederholte Hinweis auf das Rauchen, das bei Goncourt die Phasen der Untätigkeit ebenso wie die Arbeit des Künstlers begleitete, erinnert an Karikaturen auf faule Landschaftsmaler. Auch diese wurden fast immer rauchend dargestellt, um ihren bohèmehaften, müßiggängerischen Lebenswandel zu unterstreichen. Goncourts Schilderung lässt sich mit einem Verständnis künstlerischer Arbeit in Einklang bringen, das durch Honoré de Balzac bereits vorgebildet war. Balzac unterteilte den künstlerischen Arbeitsprozess in zwei Phasen, die durch Passivität und Aktivität gekennzeichnet sind. Die erste, passive Phase steht ihm zufolge im Zeichen der sensiblen Selbst- und Weltbeobachtung, der Imagination und des Traums, sie werde vom Künstler meist euphorisch erlebt. Die zweite, sehr viel anspruchsvollere Phase erfordere dagegen ein Übergehen zur Aktivität, zum Schaffensakt im eigentlichen Sinne.24 Die Qualität des Künstlers erweise sich in seiner Fähigkeit, die anfängliche Untätigkeit zu überwinden und von der ersten in die zweite Phase überzugehen. Wer dazu nicht in der Lage sei, müsse langfristig an der Kunst und am Leben scheitern. Den Prototyp eines solchen Menschen gestaltete Balzac in der Figur des Bildhauers Stanislaus Graf Steinbock in seinem 1846 erschienenen Roman La Cousine Bette (dt. Tante Lisbeth). Steinbock wird als „männliche[r] Schwächling“25 charakterisiert, dessen Freundschaft mit der energischen Tante Lisbeth darauf beruht, „daß hier ein kräftiger Wille unaufhörlich auf einen schwachen einwirkte“.26 Obwohl in künstlerischer Hinsicht „Götterkraft in ihm steckt“27, gelingt es Steinbock nicht, 23 Journal des Goncourts, Bd. 3, Eintrag vom 13.05.1881, zit. nach S. Champeau: La notion d’artiste, S. 142. 24 S. Champeau: La notion d’artiste, S. 142. 25 de Balzac, Honoré: „Tante Lisbeth“ (1846), in: Die menschliche Komödie, Bd. 10, dt. Ausgabe Leipzig 1925, S. 75. 26 Ebd., S. 73. 27 Ebd., S. 81.

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dieses Potential in greifbare Erfolge umzuwandeln. Zur Charakterisierung seiner Figur als faul und willensschwach trägt wiederum die Feststellung bei, dass er Raucher sei, „wie alle Leute, die ihre Sorgen oder ihre Tatenlust einschläfern wollen“.28 Da Steinbock sich in Träumereien verliert, statt zu arbeiten, leben er und seine altjüngferliche Gefährtin in Armut. Chanor, ein Hersteller kunstgewerblicher Objekte und ehemaliger Arbeitgeber Steinbocks, fasst das Problem wie folgt zusammen: „[A]lle diese Menschen [die Künstler, Anm. d. Autorin] haben ebenso viele Launen wie Begabung. Entsetzliche Verschwender! Sie halten sich Weiber, werfen das Geld zum Fenster hinaus und haben dann keine Zeit zum Arbeiten. Sie vernachlässigen ihre Aufträge, und wir müssen uns an Handwerker wenden, die zwar nicht so viel können, aber doch dabei reich werden. Hinterher kommen jene und jammern über die schlechten Zeiten. Wenn sie fleißig wären, besäßen sie Berge von Gold.“29

Eine Spielart der häufig karikierten Faulheit des Künstlers ist seine angebliche Neigung zum Kopieren; statt selbst kreative Energie aufzuwenden, reproduziere der faule Künstler die Entwürfe von fleißigeren Kollegen. Auch dieses Vorurteil wurde von der Karikatur meist auf die Landschaftsmalerei, insbesondere die Pleinairmalerei bezogen. Angesichts der zahlreichen, einander in Format und Sujet oft sehr ähnlichen Landschaftsgemälde, die alljährlich im Salon zu sehen waren, lag der Vorwurf wohl nahe: Die motivische und stilistische Ähnlichkeit der Bilder ließ beim Publikum den Verdacht aufkommen, ein Landschaftsmaler würde vom anderen abmalen. Bereits 1838 behandelte Paul Gavarni (eigtl. Sulpice Guillaume Chevalier, 1804-1866) diese Problematik in einer Karikatur für den Charivari (Abb. 96). Seine Lithografie zeigt zwei Landschaftsmaler, von denen der rechte dem Typus des ‚faulen Paysagisten‘ entspricht: Er liegt rauchend mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken und benutzt seine Zeichenmappe als Unterlage. Der linke Maler dagegen sitzt über seinen Malkasten gebeugt auf dem typischen dreibeinigen Schemel der Paysagisten und ist sichtlich in seine Arbeit, das Anfertigen einer Studie, vertieft. Ein fiktiver Dialog der beiden Künstler bildet den Begleittext zur Karikatur. Daraus erfahren wir, dass der faule Künstler vorhat, bei der Ausarbeitung seines eigenen Bildes später im Atelier auf die Studie seines Kollegen zurückzugreifen − eine Vorgehensweise, die wohl keinen Ausnahmefall darstellte, sondern bereits häufiger, dem linken Maler zufolge sogar „toujours“, praktiziert wurde. Im Unterschied zu den bisher behandelten Karikaturen, die nur den Müßiggang des Landschaftsmalers ins Bild setzen, weist die Darstellung Gavarnis auch auf die Folgen dieser vermeintlichen Faulheit: Einfallslosigkeit und Kopistentum, mit denen der Maler die Kunst 28 Ebd., S. 80. 29 Ebd., S. 82.

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zum Plagiat herabwürdigt. Ihren Witz entfaltet die Karikatur vor allem durch die Gegenüberstellung eines Gegensatzpaares, hier die Kontrastierung des Faulen und des Fleißigen, sowie durch das Wortspiel im Dialog der beiden Künstler.30 Abbildung 96: Paul Gavarni: Les Artistes – (Étienne): Tu ne fais donc pas d’études? – (Prosper): Je me servirai des tiennes. – (Étienne): C’est ça, tu te sers toujours d’Étienne... – (Prosper): Joli!

Le Charivari, 13.06.1838, o. S.

Daumier fand für die Problematik des Kopierens 1865 eine drastischere Formulierung. Er karikierte erneut zwei Landschaftsmaler, die er jedoch nicht pausierend, sondern im Gegenteil fieberhaft arbeitend darstellte (Abb. 97). Die Staffeleien der beiden Maler sind hier nicht neben-, sondern hintereinander aufgebaut, wodurch der hinten sitzende Paysagist ungehindert von seinem Vordermann abmalen kann: „Le premier copie la nature, le second copie le premier“ lautet die Bildunterschrift, welche die hier vorgeführte Problematik als eine doppelte benennt. Denn die ‚faulen‘ Landschaftsmaler schienen nicht nur besonders anfällig für Einfallslosigkeit und Epigonentum zu sein; bereits das von Corot geforderte „Streben nach gewissenhafter Nachahmung“31 war in der zeitgenössischen Kunstlehre keineswegs unumstrit-

30 Vgl. A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 110 f. 31 Zit. nach: Ausst.-Kat. Zurück zur Natur (1977), o. S.

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ten, da es, wie die Gegner des Realismus meinten, zur Verkümmerung der künstlerischen Einbildungskraft führen könne.32 Abbildung 97: Honoré Daumier: Les Paysagistes. Le premier copie la nature, le second copie le premier

Le Charivari, 12.05.1865, S. 1

Verglichen mit den Historienmalern, die ihre komplexen, figurenreichen Bilder vollständig imaginierten, waren die modernen Landschaftsmaler in den Augen vieler Zeitgenossen tatsächlich nichts weiter als Kopisten, die das, was sie in der Natur vorfanden, einfach auf die Leinwand brachten. Das künstlerische Streben nach absoluter Naturtreue, zusammengefasst in der gemeinsamen Losung „Veri diligentia“33, wurde den Künstlern als Einfallslosigkeit ausgelegt. Auch Daumier kritisierte mit seiner Karikatur die Naturauffassung bestimmter Landschaftsmaler, deren künstlerische Eigenleistung sich auf das Abmalen des Naturvorbildes beschränkte.

32 Dieser Ansicht war zum Beispiel Baudelaire. Vgl. A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 108 ff. 33 Zu diesem Motto vgl. Henriet, Frédéric: Les Campagnes d’un Paysagiste, Paris 1891, S. 126 f.

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Die Steigerung dieser Problematik führte er mit der Figur des zweiten Malers vor Augen, der die ihn umgebende Natur gar nicht mehr wahrnimmt und nur mehr in der Lage ist, die Naturnachahmung seines Vordermannes zu kopieren. Möglicherweise plädierte Daumier hier für eine Ausarbeitung des Landschaftsbildes im Atelier, wo die mit Natureindrücken gesättigte künstlerische Imagination wieder die Oberhand gewinnen könne. Wie Anette Wohlgemuth ausführt, liegt darin eine Parallele zur Kunsttheorie Baudelaires. Auch dieser stand der Pleinairmalerei, bei deren Vertretern er eine „Faulheit des Geistes“ diagnostizierte, kritisch gegenüber.34 Auf die Spitze getrieben wurde Daumiers Bildidee in einer 1880 erschienenen Karikatur von Paf, die eine lange Reihe hintereinander sitzender und offenkundig voneinander abmalender Pleinairisten zeigt (Abb. 98). Wie aus der Legende hervorgeht, bezieht sich die kleinformatige Darstellung auf ein Werk des realistischen Malers Ernest Duez (1843-1896), der seinen Freund und Malerkollegen Ulysse Butin um 1880 bei der Arbeit im Freien porträtierte (Abb. 99). Paf imaginierte eine Situation, in der unzählige Künstler ihren jeweiligen Vordermann malen, so dass sich das Motiv des ‚malenden Malers‘ gleichsam unendlich wiederholt. Die Bildunterschrift betont die ermüdende Redundanz des gezeigten Verfahrens, in dem jeder Maler die Bildidee eines anderen kopiert. Die Darstellung ist ein gutes Beispiel für den gewaltigen Einfluss der Karikaturen Daumiers, die oft noch Jahre nach ihrem ersten Erscheinen von anderen Zeichnern variiert wurden. In einer Art Sampling-Verfahren übernahm Paf den Bildausschnitt und die Figur des vordersten Malers aus dem Gemälde von Ernest Duez und überblendete es mit dem Bildeinfall aus Daumiers 1865 erschienener Lithografie. Diese könnte langjährigen Lesern des Charivari durchaus in Erinnerung geblieben sein, zumal die Grafiken des mittlerweile verstorbenen Künstlers auch einzeln vertrieben wurden. Pafs Darstellung parodierte als Werkkarikatur gleichzeitig den vermeintlichen Entstehungsprozess des karikierten Bildes. Dadurch wurde sie zum Teil einer Debatte um die Legitimation und den künstlerischen Rang der Freilichtmalerei, die sich um 1880 vom künstlerischen Extremfall längst, wie in der Karikatur angedeutet, zu einem massenhaft praktizierten Verfahren entwickelt hatte.

34 „Peut-être les artistes qui cultivent ce genre se défient-ils beaucoup trop de leur mémoire et adoptent-ils une méthode de copie immédiate, qui s’accomode parfaitement à la paresse de leur esprit.“ Zit. nach: A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 109.

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Abbildung 98: Paf: M. Duez peint M. Butin; M. X... peint M. Duez peignant M. Butin; M. Y... peint M. X... peignant M. Duez qui peint M. Butin en train de peindre ... Etc., etc., etc.“

Le Charivari, 01.05.1880, o. S.

Abbildung 99: Ernest Duez: Der Maler Ulysse Butin, um 1880, Öl auf Leinwand, 155,5 x 134,5 cm, Musée d’Orsay, Paris

© bpk / RMN – Grand Palais / Herwé Lewandowski

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Der steile Weg zum Ruhm: Wanderschaft und Motivsuche Die Thematik der künstlerischen Wanderschaft und Motivsuche nimmt in der Karikatur einen breiten Raum ein. Oft legten Freilichtmaler große Strecken zu Fuß zurück, bis sie eine Landschaftsansicht gefunden hatten, die ihren Vorstellungen von einem geeigneten Motiv entsprach. Ihre Ausrüstung, bestehend aus der bereits erwähnten boîte de campagne, einem Sonnenschirm sowie, je nach Format des geplanten Bildes, weiteren Staffeleien, Leinwänden und Keilrahmen, trugen sie dabei auf dem Rücken mit sich. Einen Träger konnten sich nur die Wenigsten leisten. Nicht umsonst widmete der Landschaftsmaler Ernest Hareux in seinen Lektionen zur Pleinairmalerei ein eigenes Kapitel dem richtigen Schuhwerk, dessen Auswahl er als „une question très importante“35 bezeichnete. Die Maler von Barbizon schilderten die mit ihrer Arbeit verbundenen körperlichen Strapazen in Briefen und autobiografischen Aufzeichnungen, die ein lebendiges Bild ihrer Arbeitsumstände vermitteln.36 Hugues Martin, der im Herbst 1847 zusammen mit Daubigny zum Malen in die Bourgogne reiste, beschrieb den Aufenthalt in einem Brief an den Kunstsammler Geoffrey Dechaume wie folgt: „Wir mußten zwei Mal im Freien übernachten, da wir uns beim Einbruch der Nacht im Wald verirrt hatten. Das erste Mal folgten wir einem kleinen Fluß auf einem so schlechten Pfad, daß wir oft von Stein zu Stein springen mußten, hinauf- und hinuntersteigen und Gebirgsbäche überschreiten. Wenn die Nacht uns auf dem Weg überraschte, waren wir einfach gezwungen anzuhalten oder auf allen Vieren zu kriechen, um in dem Chaos weiter voranzukommen. Als wir uns das zweite Mal verirrten, weil wir glaubten, unseren Weg wiederfinden zu können, überquerten wir sehr morastige Weiden, die von kleinen Tümpeln und Hecken unterbrochen waren. Wir mußten nicht endenwollende Abhänge erklettern und dann einen mit Baumstümpfen gesäumten Weg entlanggehen, der zwar der hübscheste der Welt war, uns aber in die gastfeindlichste Gegend führte, die man finden kann.“37

Martin entwarf damit ein Gegenbild zu der weit verbreiteten Vorstellung vom ‚faulen‘ Freilichtmaler. In seiner Schilderung erscheint die Natur nicht als idyllisches Plätzchen, das zu Entspannung und Müßiggang einlädt, sondern als wilder, ungastlicher Ort. Die Schönheit der Natur konnte nur um den Preis der beschriebenen Anstrengungen und Entbehrungen erfahren werden.

35 Hareux, Ernest: La Peinture à l’Huile en plein air. Leçons dialoguées entre le Maître et l’Élève (1909), Paris 1950, S. 10. 36 Eine Auswahl findet sich in Ausst.-Kat. Zurück zur Natur (1977). 37 Martin, Hugues: Nachtrag in einem Brief Daubignys an Geoffrey Dechaume, Château Chinon, 16.10.1847, zit. nach Ausst.-Kat. Zurück zur Natur (1977), o.S.

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Selbstverständlich besaß das Bild der in unwegsamem Gelände umherstolpernden Maler ein enormes komisches Potential, das sich die Karikatur schon früh zunutze machte. Dass die Komik ihrer eigenen Situation auch einigen Malern bewusst war, zeigt eine Selbstkarikatur von Charles-François Daubigny (Abb. 100). In einem Brief von 1843 an den selben Adressaten findet sich eine Federzeichnung, die nicht nur den mit allerlei Körben und Malutensilien bepackten Maler, sondern gleich die ganze Familie Daubigny auf ihrer beschwerlichen Wanderschaft zeigt. Dazu heißt es: „Wie ein wahres Maultier beladen breche ich in den Wald auf. Meine Frau folgt mir mit dem Baby auf dem Arm, das sich darüber zu wundern scheint, Bäume zu sehen.“38 Abbildung 100: Charles-François Daubigny: Selbstkarikatur als Freilichtmaler auf der Wanderschaft, in: Brief an Geoffroy Dechaume, Fontainebleau, 5.10.1843.

Zit. nach: Ausst.-Kat. Zurück zur Natur (1977), o.S.

Das Bild, das Daubigny dabei von seinem familiären Alltag vermittelte, steht in größtmöglichem Kontrast zu den Karikaturen von Destouches und Klem, die den Freilichtmaler und seine Gefährtin beim romantischen tête-à-tête in der Natur zeigten. Im Gegensatz zu der von ihnen entworfenen Fiktion ist in Daubignys Darstellung auch das Familienleben des Malers von Arbeit und den Anstrengungen der Wanderschaft geprägt.

38 Daubigny, Charles-François: Brief an Geoffroy Dechaume, Fontainebleau, 05.10.1843. Zit. nach Ausst.-Kat. Zurück zur Natur (1977), o.S.

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Dass der Maler auf seiner Wanderschaft von Frau und Kind begleitet wurde, war wohl eher selten der Fall. Der Freilichtmaler und Kunstschriftsteller Frédéric Henriet betonte jedenfalls in seinen 1891 erschienenen Erinnerungen die Einsamkeit des Künstlers, der seine Lieben daheim zurücklassen müsse und selbst ein ruheloses „Herbergsleben“ führe. Die im Rahmen der Motivsuche unternommene Wanderschaft bezeichnete er als „exil volontaire“. Da alle Ablenkungen in dieser isolatorischen Situation wegfielen und die Konzentration sich nur auf die eigene Arbeit richte, könne die Wanderschaft für den Künstler auch in einer Schaffenskrise münden.39 Abbildung 101: Alfred Darjou: Les Artistes en Voyage – Faut-il qu’ils aient le goût des étapes… Pour s’en payer comme ça sans feuille de route

Le Charivari, 10.09.1860, o. S.

Während Henriet sein Augenmerk vor allem auf psychologische Aspekte richtete, stellte die Karikatur meist die körperlichen Strapazen in den Vordergrund. Analog dazu charakterisierte auch Alfred Darjou im zweiten Blatt seiner 1860 im Charivari

39 „Il nous faut, à nous autres, aller chercher le motif, de ci de là, et vivre de cet vie d’auberge qui pèse vite à l’artiste solitaire dont le cœur s’envole toujours vers les êtres chers laissés à la maison. Cette sorte d’exil volontaire a pourtant ses compensations, quand il ne se prolonge pas au delà du moment où le spleen me-nace de faire son entrée en scène. L’isolement qui met le peintre en tête à tête avec la nature, qui le sèvre de toute distraction, de toute pensée étrangère à son art, le monte par cela même à un diapason inaccoutumé et le jette dans une crise de travail d’où il est rare qu’il ne rapporte pas quelque morceau bien venu, plein de nerf et de saveur.“ Henriet, Frédéric: Brief an Henri Harpignies, undatiert, in: F. Henriet: Les Campagnes d’un Paysagiste, S. 35-41, hier S. 35.

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erschienenen Serie Les Artistes en Voyage die Wanderschaft des Künstlers als eine schwere physische Belastung (Abb. 101). Die drei Maler, die sich an einem Meilenstein mit der Aufschrift „10000 K“, also zehntausend Kilometer, begegnen, wirken jedenfalls so erschöpft, als hätten sie diese Strecke bereits zu Fuß zurückgelegt. Schwer auf ihre Wanderstöcke gestützt, mit unter der Last ihrer Rucksäcke tief gebeugten Knien und Rücken machen sie einen vollkommen entkräfteten Eindruck. Mit Darstellungen wie diesen entwarf die Karikatur ein dem Topos des faulen Künstlers entgegengesetztes Bild des Freilichtmalers, der bis an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit ging und gerade dadurch zur komischen Figur wurde. Die Tatsache, dass Darjou in der selben Serie auch eine Darstellung faulenzender Künstler unterbrachte, zeigt, dass im selben Zeitraum höchst unterschiedliche Vorstellungen von der Arbeit des Freilichtmalers existierten, die gleichermaßen zum Repertoire der populären Bildsatire gehörten.40 Abbildung 102: Honoré Daumier: Les Artistes. À la recherche d’un forêt en Champagne

Le Charivari, 19.08.1848, o. S.

40 Vgl. Alfred Darjou: On marche tout la nuit... mais on dort si bien le jour! Teil 1 der Reihe „Les Artistes en Voyage“, in: Le Charivari, 19.08.1848, o. S.

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Daumier griff die Thematik der künstlerischen Wanderschaft in zwei Karikaturen der 1840er Jahre auf. Beide erschienen in der Lithografienserie Les Artistes, die der Künstler für den Charivari gestaltete. Die frühere der beiden Darstellungen zeigt zwei Maler, die sich, unter der Last ihrer schweren Rucksäcke gebeugt, durch eine baumlose Landschaft schleppen (Abb. 102).41 Das Erscheinungsdatum der Karikatur im August 1848 lässt vermuten, dass auch die sommerliche Hitze den Dargestellten zu schaffen macht. Die Bildunterschrift weist darauf hin, dass die beiden kein festes Ziel haben, sondern sich auf einer wahrhaft aussichtslosen Suche befinden, nämlich „[à] la recherche d’une forêt en Champagne“. Dass die Maler sich vor ihrem Aufbruch offensichtlich nicht über die landschaftlichen Gegebenheiten in der weitgehend unbewaldeten Champagne informiert haben, macht sie zur Zielscheibe des Spotts. Sie werden als unerfahrene Städter charakterisiert, deren Vorstellungen von der Natur sich als naiv und unrealistisch erweisen: So weit das Auge reicht, zeigt sich weder ein geeignetes Motiv noch ein schattiger Rastplatz. Abbildung 103: Honoré Daumier: Les Artistes. – Aperçois-tu un lieu civilisé où on puisse espérer une omelette de douze œufs? … – Je n’aperçois seulement pas un chat. … – Cherche donc plutôt une poule…

Le Charivari, 24.05.1849, o. S. 41 Vgl. A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 103.

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Daumiers zweite Karikatur zu diesem Thema, publiziert im Mai 1849, erscheint in kompositorischer Hinsicht interessanter (Abb. 103).42 In einer spannungsvollen, asymmetrischen Organisation des Bildraums sind zwei Maler dargestellt, die soeben einen steilen Felsgipfel erklimmen. Im Unterschied zu ihren Kollegen aus der früheren Karikatur haben sie die Motivsuche bereits aufgegeben und halten nur noch nach einem Gasthaus Ausschau. Da Daumier auch hier weitgehend auf klassische Stilmittel des caricare verzichtet, ergibt sich die komische Wirkung hauptsächlich aus der Kombination der Darstellung mit ihrem Begleittext. Die mit ihren dramatisch bewegten, wehenden Mantelschößen beinahe heroisch wirkende Rückenfigur, die, angefangen bei Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer43, eine Vielzahl kunsthistorischer Assoziationen aufruft, bildet einen amüsanten Kontrast zu dem eher profanen Wunsch der Maler nach einem Omelette. Die Karikatur erschien nur wenige Monate vor der eingangs besprochenen Bilderfolge von Henri Émy (Abb. 84). Da auch dieser im ersten Bild zwei Maler darstellte, die eine Anhöhe emporsteigen, geht Wohlgemuth von einer Übernahme des Motivs durch den weniger bekannten Zeichner aus.44 Dagegen ist einzuwenden, dass die Darstellung in formaler und kompositorischer Hinsicht nur wenige Parallelen zu Daumiers Lithografie aufweist. Auch hat die Figur des vorderen Malers nichts Heroisches an sich, vielmehr wirken beide Künstler zwar entschlossen, aber vollkommen erschöpft. Durch die sarkastische Bildunterschrift Le chemin de la gloire gewinnt die Darstellung der mühsam aufwärtsstrebenden Maler bei Émy eine doppelte Bedeutung: Nicht nur war der sprichwörtliche Weg zum Ruhm für jeden einzelnen Maler so steil und steinig wie die Wege, die die Paysagisten auf ihrer Wanderschaft zurücklegten, auch die Pleinairmalerei selbst hatte 1849 bis zu ihrer Anerkennung noch einen weiten Weg vor sich. Die Historienmalerei galt nach wie vor als das höherwertige Genre, und auch die rasche, oftmals skizzenhafte Arbeitsweise der Freilichtmaler führte dazu, dass ihre Werke von konservativen Kritikern als ‚unfertig‘ abgelehnt wurden. An der Akademie und im Salon hatte die Pleinairmalerei daher zunächst einen schweren Stand. Erst 1860 konstatierte Monet in einem Brief an den Freilichtmaler Eugène Boudin: „Uebrigens gibt es an der Akademie nur Landschafter. Sie fangen an, einzusehen, daß das etwas gutes ist.“45 Auch wenn sich allmählich ein Wandel in der Kunstauffassung bemerkbar machte und die traditionellen Gattungshierarchien an Bedeutung verloren, stellte Émile Zola noch 1876 mit Bedauern fest: 42 Ebd., S. 103 f. 43 Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer, 1818, Öl auf Leinwand, 98,4 x 74,8 cm, Hamburger Kunsthalle. 44 A. Wohlgemuth: Honoré Daumier, S. 104. 45 Monet, Claude: Brief an Eugène Boudin, Paris, 20.02.1860, zit. nach: Graber, Hans (Hg.): Impressionisten-Briefe, Basel 1934, S. 72.

202 | DIE A RBEIT DES K ÜNSTLERS IN DER K ARIKATUR „Trotz des Glanzes, in dem große Künstler wie Camille Corot, Jules Dupré, Théodore Rousseau und andere die Landschaft haben erstrahlen lassen, hat die Académie die Landschaftsmaler in den zweiten Rang verwiesen. [...] Das stimmt so sehr, daß die Jury einem Landschaftsmaler niemals eine Goldmedaille verleihen wird. Ein Landschaftsmaler muß graue Haare haben, ehe man ihm eine Auszeichnung gibt.“46

Erst zwanzig Jahre später konnte Zola, der sich in seinen Salonberichten stets für die Freilichtmalerei eingesetzt hatte, nach dem Ausstellungsbesuch triumphierend verkünden: „Lauter Manets, lauter Monets, lauter Pissaros! Wenn man damals ein Bild von ihnen in einen Saal hängte, riß es ein Lichtloch zwischen den anderen Bildern, die mit den abgestandenen akademischen Farben zubereitet waren. Es war das Fenster, das in die Natur hinausging, es war das berühmte Pleinair, das eindrang. Und siehe da, heute gibt es nur noch Pleinair, alle haben sich hinter meinen Freunden eingereiht, nachdem diese beschimpft wurden und nachdem ich selbst beschimpft wurde. Um so besser, denn Bekehrungen sind immer erfreulich!“ 47

Bei Wind und Wetter Kälte, Wind und Regen gehörten zu den Strapazen, die der karikierte Pleinairist bei seiner Arbeit im Freien erdulden musste. Viele satirische Zeichner richteten ihr Augenmerk auf die Problematik des Wetters, die den Freilichtmaler auch in der Realität nahezu kontinuierlich beschäftigte. Denn sobald er den Schutzraum seines Ateliers verließ, war der Maler den Naturgewalten mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Die verschiedenen Aspekte dieses Ausgeliefertseins bildeten für die Karikatur einen beinahe unerschöpflichen humoristischen Fundus. Anders als in England und Frankreich tauchte das Thema in Deutschland nur vereinzelt, dafür aber schon zu einem recht frühen Zeitpunkt auf. In einer satirischen Begleitpublikation zur Großen Berliner Kunstausstellung von 184648 karikierte Wilhelm Scholz (1824-1893), der wenig später der wichtigste Karikaturist des Kladderadatsch werden sollte, verschiedene typische Vertreter der deutschen Malerschaft wie den Schlachtenmaler, den Marinemaler und den Landschafter. Letzteren stellte er als Freilichtmaler inmitten eines tobenden Unwetters dar (Abb. 104): Heftiger Regen peitscht über die Ebene, ein Blitz zuckt am Himmel und der 46 Zola, Émile: „Zwei Kunstausstellungen im Mai“ (1876), in: Ders.: Schriften zur Kunst. Die Salons von 1866-1896, Frankfurt am Main 1988, S. 159-191, hier S. 181 f. 47 Zola, Émile: „Der Salon von 1896. Die Malerei“ (1896), in: E. Zola: Schriften zur Kunst, S. 277-283, hier S. 278 f. 48 Kossak, Ernst Ludwig: Die Berliner Kunstausstellung im Jahre 1846 erläutert von L. Ernst Kossak. Illustrirt von Wilhelm Scholz, 1. und 2. Heft: Malerleben, Berlin 1846.

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Wind wirft seine Staffelei um, von der ein kleinformatiges Leinwandbild oder eine Malpappe zu Boden fällt. Der Landschafter selbst liegt bereits am Boden, während im Hintergrund eine zweite Figur mit umgeschlagenem Regenschirm eilig das Weite sucht. Im Text heißt es dazu:„Und nun gar der Landschafter, der vom Grauen des Tages bis zum Anbruch der Nacht das Essen verachtet. Der es nicht hört, wenn der Sturm seine Staffelei umwirft, der Regen seine Farben fortschwemmt und selbst sein Führer ihn verläßt.“49 Abbildung 104: Wilhelm Scholz: Der Landschafter

E. L. Kossak: Die Berliner Kunstausstellung im Jahre 1846, S. 23

Das heroische Bild eines Künstlers, der über seiner Arbeit die Nahrungsaufnahme vergisst und an dem selbst Sturm und Regen unbemerkt vorbeigehen, erweist sich beim Blick auf die Karikatur als ironische Charakterisierung. Denn nicht der Arbeitseifer des Landschaf-ters ist schuld daran, dass dieser das Toben der Elemente nicht bemerkt; vielmehr ist der Karikierte offensichtlich betrunken: In der linken Hand hält er ein Weinglas, dessen Inhalt er sich soeben über den Kopf schüttet, während seine rechte Hand die bereits geleerte Flasche umfasst. In der englischen Karikatur, die das Thema seit den 1850er Jahren regelmäßig behandelte, wurde dem Freilichtmaler kein übermäßiger Alkoholgenuss unterstellt. Seine zahlreichen wetterbedingten Leiden und Missgeschicke reichten hier offenbar aus, um die gewünschte komische Wirkung zu erzielen. Die meist im Punch erschienenen Karikaturen sind relativ harmlos und von identifikatorischer Sympathie

49 Ebd., S. 23.

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mit der Figur des Freilichtmalers geprägt. Dies zeigt sich schon in der von den Autoren des Punch in nahezu jeder Bildunterschrift verwendeten Attribuierung des karikierten Künstlers als „Our Artist“. Sie ist Ausdruck einer grundsätzlich positiven Einstellung zur Pleinairmalerei, die der Punch, wie Adelheid Stielau bereits 1976 überzeugend darlegte, im selben Zeitraum auch in nicht satirisch gemeinten kunstkritischen Artikeln vertrat.50 Schließlich besaß die auf Naturbeobachtung basierende Landschaftsmalerei in England, anders als in Deutschland und Frankreich, um 1850 bereits eine über dreißigjährige Tradition. Vor allem die Landschaftsgemälde von John Constable, der schon um 1820 im Freien skizziert hatte, genossen in England breite Anerkennung. Mit der Ernennung Constables zum Royal Academician wurde 1829 auch der Grundstein für eine Etablierung des Genres im akademischen Kunstkanon gelegt.51 Der eher gutmütige Charakter der englischen Karikaturen zu diesem Thema ist daher nicht verwunderlich. Einen populären Vorläufer besaß die Figur des reisenden Landschaftsmalers zudem in Thomas Rowlandsons berühmtem Doctor Syntax den sein Erfinder bereits 1809 auf die beschwerliche „Suche nach dem Pittoresken“52 geschickt hatte. In der mit Texten von William Combe versehenen Kunstsatire bereist der Schulmeister und Kunstdilettant Doctor Syntax, ausgerüstet mit Staffelei, Zeichenmappe und allerlei Malutensilien, das verregnete Wales in der Art eines britischen Don Quijote. Seinem Idealbild landschaftlicher Schönheit, dem Pittoresken, kommt er trotz großer Mühen und Entbehrungen kaum näher. Eine Radierung von 1799 zeigt ihn dementsprechend als Jammergestalt zu Pferde, schwer beladen mit den Insignien seiner Künstlerschaft, inmitten einer wüsten, regengepeitschten Landschaft (Abb. 105). Vergeblich sucht der Reisende Schutz unter seinem viel zu kleinen Sonnenschirm.

50 Vgl. A. Stielau: Kunst und Künstler im Blickfeld der satirischen Zeitschriften ,Fliegende Blätter‘ und ,Punch‘, S.46 f. 51 1824 wurden mehrere Werke Constables im Pariser Louvre ausgestellt. Der englische Maler gilt als wichtiger Impulsgeber für die Schule von Barbizon. 52 Combe, William/Rowlandson, Thomas: The Tour of Doctor Syntax. In Search of the Picturesque, London 1809. Die Satire erschien zunächst als Reihe in dem von Rudolph Ackermann herausgegebenen Poetical Magazine, bald darauf aber auch in Buchform. Bei der Figur des Doctor Syntax handelt es sich Karl Janke zufolge um eine Parodie auf William Gilpin. Vgl. Janke, Karl: „‚Tis better to laugh than to cry‘. Die komischen Künste des Thomas Rowlandson“, in: Ausst.-Kat. Thomas Rowlandson. Grazie, Galanterie, Groteske − englische Bildsatire zwischen Rokoko und Romantik, Wilhelm-Busch-Museum Hannover 2001, S. 9-138, hier S. 95 ff.

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Abbildung 105: H. Merke (nach Thomas Rowlandson): An Artist Travelling in Wales, 1799, Radierung und Aquatinta, handkoloriert, 32,3 x 38,1 cm, Victoria and Albert Museum, London

© Victoria and Albert Museum, London

Die Zeichner des Punch widmeten dem vom Wetter geplagten Freilichtmaler eine ganze Reihe von Karikaturen. Die früheste erschien 1852, beinahe fünfzig Jahre nach Rowlandsons Doctor Syntax, der in der Zwischenzeit zum Klassiker avanciert war (Abb. 106). In der Gegenüberstellung zweier Bilder thematisierte der anonyme Cartoonist das wechselhafte Wetter, das den Freilichtmalern in den schottischen Highlands wohl besonders zu schaffen machte. Als humoristische Bildunterschriften dienen zwei Sätze aus einem fiktiven „privaten Brief“ des dargestellten Malers, in denen dieser seine Arbeitsweise bei unterschiedlichen Wetterbedingungen beschreibt: „On fine days I have this to carry on my back“ und „On wet days, with my waterproof clothing, I am as comfortable as possible“. Durch das Hinzufügen einer bildlichen Ebene entlarvt die Karikatur beide Sätze als Euphemismen: Unter der sengenden Sonne muss der Maler eine Zeichenmappe auf dem Rücken tragen, die seinen Kopf und Rumpf durch ihre riesenhafte Größe vollständig verdeckt und ihm so das groteske Aussehen eines laufenden Bildes verleiht. Bei Regen verschwindet der Maler samt Mappe unter seinem unförmigen Cape und wirkt in der umgebenden Gebirgslandschaft selbst wie eine bizarre Felsformation. Beide Situationen wirken höchst unbequem und keineswegs „comfortable“, wie es der Maler in seinem Brief an die Daheimgebliebenen beteuert. Hier fällt auch eine Besonderheit ins Auge, die

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der zeitgenössischen Charakterisierung nationaler Stereotypen entspricht: Während in den Briefen französischer Paysagisten die Beschwerden über schlechtes Wetter und schwierige Arbeitsbedingungen einen breiten Raum einnahmen53, wurde der englische Freilichtmaler als über die Maßen anspruchslos und duldsam gegenüber den Strapazen seines Berufes dargestellt. Nicht Wehleidigkeit, sondern übertriebene Tapferkeit ließ jedoch auch ihn zum Gegenstand der Karikatur werden. Abbildung 106: Anonym: Our Artist enjoying himself in the Highlands „On fine hot days, I have this to carry on my back.“ „On wet days, with my waterproof clothing, I am as comfortable as possible.“ – Extract from a private letter.

Punch, Bd. 23 (28.08.1852), S. 96

Tapferkeit beweist auch der Maler einer im Januar 1854 erschienenen Karikatur, der trotz anhaltenden Schneefalls im Freien arbeitet. Das eher konventionelle Motiv seines Gemäldes, eine Winterlandschaft mit Staffagefiguren, scheint diese Naturnähe allerdings kaum zu erfordern (Abb. 107).54 Besonderes Interesse verdient hier weniger das Bild auf der Staffelei als die Darstellung der Malmaterialien: In dem aufgeklappten Malkasten sind mehrere metallene Farbtuben zu erkennen, und unter dem rechten Arm hält der Künstler ein grotesk überdimensioniertes Exemplar, aus dem er soeben, dem Motiv entsprechend, eine große Menge weißer Farbe auf seine Palette presst. Die Karikatur griff damit eine maltechnische Neuerung auf, die heute als grundlegend für die Durchsetzung der Pleinairmalerei angesehen wird. Metallene Tuben für Ölfarben, die den Transport der Farben stark vereinfachten und so die 53 Beispiele finden sich in Ausst.-Kat. Zurück zur Natur (1977) sowie in H. Graber: Impressionisten-Briefe. 54 Es ist bekannt, dass einige Künstler Pleinairmalerei auch im tiefsten Winter praktizierten. Eine Fotografie des deutschen Impressionisten Karl Hagemeister (1848-1933), die dies belegt, befindet sich im Archiv des Bröhan-Museums, Berlin.

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‚Mobilisierung‘ des Ateliers begünstigten, wurden 1841 in London erfunden55 und sind bis heute die gebräuchlichste Transport- und Aufbewahrungsmöglichkeit für fertig angemischte Farben. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts lösten sie allmählich die bis dahin gebräuchlichen Farbblasen ab, eine Entwicklung, die sich in der englischen Künstlerschaft offenbar etwas schneller vollzog als auf dem Festland. Während Farbtuben in Frankreich, nicht zuletzt aufgrund des um etwa ein Drittel höheren Preises56, um 1855 noch eher selten verwendet wurden, scheint ihre Verbreitung in Großbritannien größer gewesen zu sein. Der Karikaturist des Punch jedenfalls konnte seinen Maler bereits 1854 mit den neuesten Materialien ausstatten und dabei auf einen Wiedererkennungseffekt beim Leser vertrauen. Abbildung 107: Anonym: Our Artist „goes to nature.“ – Jan. 1854

Punch, Bd. 26 (04.02.1854), S. 38

Einen witterungsbedingt verunglückten Produktionsprozess zeigt eine Karikatur des Punch von 1860 (Abb. 108): Ein Schneesturm in den schottischen Highlands hat den Künstler mitsamt seiner Staffelei umgeworfen. Auch hier ist der Spott eher gutmütiger Natur, dennoch wirft die Karikatur die Frage nach dem Sinn des gezeigten Verfahrens auf. Denn abgesehen von den Unannehmlichkeiten durch Kälte und Wind sind auch die Sichtverhältnisse so stark eingeschränkt, dass man sich fragen muss, was der Landschafter in der dargestellten Situation eigentlich malt. Das von 55 Zur Entwicklung und Durchsetzung der Farbtube vgl. Ausst.-Kat. Art in the making (1991), S. 39 f. 56 Vgl. Ausst.-Kat. Impressionismus (2008), S. 65.

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ihm begonnene Werk jedenfalls, das hinter ihm in einer Schneewehe steckt, wirkt genauso chaotisch wie der Blick in das Bergpanorama der Highlands, das der Karikaturist als nahezu abstraktes Gewirr aus Linien und Punkten darstellt. Dass womöglich der Schneesturm selbst von dem karikierten Künstler als Bildgegenstand vorgesehen war, erscheint mit einem Blick in die jüngere englische Kunstgeschichte nicht unwahrscheinlich. Die Darstellung des Wetters erinnert an William Turners Gemälde Snow Storm − Steam-Boat off a Harbour’s Mouth (Abb. 27), das angeblich ebenfalls von einer direkten Konfrontation des Malers mit den tobenden Elementen inspiriert wurde.57 Auch der hohe Abstraktionsgrad der Landschaft, den der Karikaturist virtuos ins grafische Medium des Holzstichs übersetzte, scheint auf Turners späte Malereien zu verweisen, die in den 1850er Jahren längst zum common sense gehörten. Abbildung 108: Anonym: Our Artist Catches it again this Winter in the Highlands

Punch, Bd. 38, 25.02.1860, S. 81

Weniger dramatisch schilderte John Everett Millais (1829-1896), wie die meisten prärafaelitischen Maler selbst ein überzeugter Pleinairist, die Unannehmlichkeiten des Skizzierens bei windigem Wetter in einer Federzeichnung von 1853 (Abb. 109).

57 Turner selbst behauptete, das Bild beruhe auf einer persönlichen Erfahrung. Er habe sich an den Schiffsmast binden lassen, um den Schneesturm aus nächster Nähe zu erleben. Vgl. Ausst.-Kat. William Turner (2002), S. 39.

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Abbildung 109: John Everett Millais: Pre-Raphaelite sketching inconvenience in windy weather, 1853, Feder und Tusche auf Papier, Victoria and Albert Museum, London

© Victoria & Albert Museum, London, UK / Bridgeman Images

Auch er zeigt seinen Maler in einer äußerst misslichen Lage: Ein heftiger Windstoß hat seinen Sonnenschirm erfasst und beim vergeblichen Versuch, ihn wiederzuerlangen, geraten der Künstler und seine improvisiert erscheinende Ausrüstung ins Wanken. Schirm und Hut landen in einem linkerhand vorbeirauschenden Bach, dessen Verlauf am unteren Bildrand in einen Wasserfall übergeht. Auch der Maler selbst, der seine Staffelei nahe am Ufer aufgestellt hat, scheint das Gleichgewicht zu verlieren und nach der linken Seite umzukippen. Ob er im nächsten Moment mitsamt seiner Skizze, die er in der rechten Hand hält, ebenfalls ins Wasser stürzen wird, überlässt Millais der Fantasie des Betrachters. Die fein konturierte, detailreiche Zeichnung offenbart einen ausgeprägten Sinn für die Situationskomik der dargestellten Szene. Mit ihrer in einer Art Kettenreaktion ablaufenden Folge von Missgeschicken scheint sie Slapstickelemente des frühen 20. Jahrhunderts vorwegzunehmen. Zusätzlichen Witz erhält die Szene durch eine Anspielung auf Millais’ Porträt seines Freundes John Ruskin, das im selben Jahr wie die Karikatur entstand

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(Abb. 110).58 Darauf steht Ruskin am felsigen Ufer eines Gebirgsbachs, mit aufgestelltem rechtem Bein und leicht nach links gedrehtem Kopf. Seine Pose ähnelt der des Anglers in der Karikatur; dessen schottische Tracht verweist auf die gemeinsame Schottlandreise im Sommer 1853, in deren Verlauf die ersten Skizzen zu dem Porträt entstanden. Millais stellte sich in der Zeichnung also offenbar selbst dar. Ähnlich wie Daubigny besaß er genug Humor, um das komische Potential der eigenen Arbeitsweise als Freilichtmaler zu erkennen. Abbildung 110: John Everett Millais: John Ruskin, 1853-54, Öl auf Leinwand, 78,7 x 68 cm, Ashmolean Museum, Oxford

© Ashmolean Museum, University of Oxford

Auch in Frankreich wurde das Malen im Freien bei schwierigen Wetterbedingungen vielfach zum Gegenstand der Karikatur. Daumier widmete sich 1864 der Kälte, die den Freilichtmalern im Winter besonders zu schaffen machte. Passend zur Jahreszeit erschien seine Karikatur im Dezember. Unter der Überschrift Les Paysagistes en hiver zeigt sie zwei Maler in schneebedeckter Winterlandschaft, von denen jedoch nur der linke der Witterung zum Trotz an seiner Staffelei arbeitet, während sein Gefährte ihm beim Malen über die Schulter sieht (Abb. 111). Schon das blasse

58 Für den Hinweis danke ich Monika Wagner.

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Gesicht und die zusammengekauerte Körperhaltung des sitzenden Malers machen die Kälte beinahe körperlich spürbar, doch ihre Auswirkungen werden auch in der Legende thematisiert. Auf die Bemerkung des hinter ihm stehenden Kollegen, seiner Malerei mangele es an Wärme, erwidert der Angesprochene, dem Maler gehe es genauso. Abbildung 111: Honoré Daumier: Les Paysagistes en hiver – Mon vieux, ta peinture manque de chaleur – Et le peintre donc!

Le Charivari, 02.12.1864, S. 1

Beim Publikum fand das Thema der frierenden Freilichtmaler offenbar Anklang, denn Daumier griff es im selben Winter noch ein zweites Mal auf.59 Seine Karikaturen deuten darauf hin, dass auch die französischen Künstler nicht nur in der warmen Jahreszeit en plein air malten. Schon lange vor Monet, der im Februar 1895 anlässlich seiner Norwegenreise von „stalaktitartige[n] Eiszapfen“60 in seinem Bart berichtete, nahmen viele Künstler die Strapazen des Malens in der winterlichen Natur auf sich. Während das Thema in England nach 1860 an Popularität verlor, blieb die Figur des vom Wetter geplagten Freilichtmalers auch in späteren Jahren ein beliebtes Mo59 Vgl. Honoré Daumier: Les Paysagistes, in: Le Charivari, 17.12.1864. 60 Monet, Claude: Brief an Gustave Geffroy, Sandviken bei Christiana, 26.02.1895, zit. nach: H. Graber: Impressionisten-Briefe, S. 91.

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tiv der französischen Karikatur. Exemplarisch sei an dieser Stelle nur auf die in zeichnerischer Hinsicht äußerst qualitätvollen Darstellungen von Bertall (Abb. 112)61 und Eugène Béjot (Abb. 113) hingewiesen, die sich beide mit dem Regen als Störung der künstlerischen Arbeit befassen. Während Bertalls Karikatur eines bei strömendem Regen arbeitenden Malers ein Wortspiel der Legende aus plein air und pleine-eau illustriert, begnügte sich Béjot mit der ironischen Bildunterschrift Les joies du plein air. Beide Karikaturen nutzen Bildmittel, um den Regen bildbestimmend werden zu lassen: Er zeigt sich als abstraktes, grafisches All over aus vertikalen und diagonalen Strichen, das die gesamte Bildfläche einnimmt. Die eigentliche Szene erscheint dahinter gedämpft, wie unter einem Netz oder Schleier. Abbildung 112: Bertall: À la mer, d’après nature – Vois-moi un peu quels tons frais! Du vrai plein air! – Dis plutôt de pleine-eau.

Journal Amusant, 24.09.1881, S. 5

Béjots im Original recht großformatige Darstellung zeigt einen Freilichtmaler mit der üblichen Ausrüstung, der bei Regen eine ländliche, jedoch bereits gepflasterte und von Strommasten gesäumte Straße entlang wandert. Die Natur erscheint 1891 nicht mehr als romantische und bedrohliche Wildnis, sondern zeigt bereits deutliche Anzeichen von Zivilisation. Als einzige vom Menschen nicht zu beeinflussende Widrigkeit ist offenbar das Wetter zurückgeblieben: In der rechten Hand hält der 61 Bertall thematisierte die komischen Begebenheiten eines offenbar sehr niederschlagsreichen Spätsommers auch in fünf weiteren Karikaturen auf derselben Seite.

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Maler zwei kleine, auf Keilrahmen gespannte Leinwandbilder, deren aufeinander gelegte Malflächen er mit festem Griff zusammendrückt, um sie vor dem Regen zu schützen. Damit ist eine weitere Problematik des Malens im Freien angesprochen, stellte die Witterung doch nicht nur für den Maler, sondern vor allem auch für seine Bilder eine schwer kalkulierbare Bedrohung dar. Ein Leinwandbild ins Freie mitzunehmen war durch die Möglichkeit eines plötzlich einsetzenden Regens oder gar Unwetters stets mit einem gewissen Risiko verbunden. Abbildung 113: Eugène Béjot: Les joies du plein air

Le Courrier Français, 23. 08. 1891, o. S.

Fernab jeder Komik waren Unwetter und Kälte für die Freilichtmaler in der Realität eine ernstzunehmende Gefahr. Von kältebedingten Gesichtslähmungen bis hin zu tödlichen Unfällen reichten die Konsequenzen, die die Pleinairisten bei ihren winterlichen Malaktionen in Kauf nahmen.62 Selbst Monet, der dafür bekannt war, bei jedem Wetter im Freien zu malen, stellte 1890 fest, dass diese Praxis ihren Tribut fordere:

62 Vgl. Ausst.-Kat. Impressionismus (2008), S. 76 f.

214 | DIE A RBEIT DES K ÜNSTLERS IN DER K ARIKATUR „So hat mich blöderweise der Rheumatismus gepackt. Ich bezahle meine Aufenthalte im Freien bei Regen und Schnee, und was mich untröstlich macht, ist der Gedanke, daß ich darauf verzichten muß, jedem Wetter zu trotzen und draußen zu arbeiten, ausgenommen bei schönem Wetter. Was für ein Blödsinn ist doch das Leben!“63

Die von der Karikatur angesprochenen Störungen und Beschwerlichkeiten der Freilichtmalerei lassen sich in den meisten Fällen sehr gut mit Selbstäußerungen der Künstler in Einklang bringen. Waren letztere nur für einen kleinen Personenkreis bestimmt, so erreichten die Karikaturen von Daumier, Bertall und ihren Kollegen ein Massenpublikum. Die Karikatur konfrontierte die idyllischen Landschaftsgemälde, die das Publikum auf Ausstellungen zu sehen bekam, mit ihren sehr viel weniger idyllischen Entstehungsbedingungen. Darin lag ein entlarvender Witz, aber auch ein Potential, das Image der Freilichtmalerei zu verändern. Während die Karikaturen zum „faulen“ Landschaftsmaler eine bürgerlichen Projektion zementierten, die der anti-bürgerlichen Existenz des Künstlers bestimmte Laster und Verhaltensweisen unterstellte, zeigten sie den Freilichtmaler als zähen, unermüdlichen Arbeiter, der seine eigene Bequemlichkeit der Kunst unterordnete.

M ALEN IN

DER

F REMDE : N ATIONALE K ÜNSTLERTOPOI

Die Zuschreibung nationaler Charakteristika an Kunst und Künstler ist ein seltener, dafür aber umso interessanterer Gegenstand der Karikatur. Bedenkt man die große Bedeutung, die dem Argument des Nationalen im kunstwissenschaftlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts beigemessen wurde64, so erscheint die geringe Anzahl von Karikaturen zu diesem Thema überraschend – umso mehr, als hier ein großes komisches Potential vorhanden zu sein scheint. Dies zeigen die wenigen im Rahmen der Materialerhebung ausfindig gemachten Beispiele, die nationale Topoi und Stereotypen auf den künstlerischen Produktionsprozess übertragen. Als Exempel diente den Zeichnern stets die Figur des Landschaftsmalers, speziell des Pleinairisten, die sich für eine nationale Kodierung offenbar in besonderer Weise anbot. Warum dies so war und welche bildsatirischen Elemente gefunden wurden, um die Arbeitsweise

63 Claude Monet: Brief an Gustave Geffroy, Giverny, 21.07.1890, in: H. Graber: Impressionisten-Briefe, S. 88. 64 Vgl. Krüger, Matthias/Woldt, Isabella: „Die Nationalisierung der Kunst. Eine Einleitung“, in: Dies. (Hg.): Im Dienst der Nation. Identitätsstiftungen und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst, Berlin 2011, S. 1-8. Für einzelne Fallstudien vgl. die Beiträge von Martina Baleva, Anna Grosskopf, Britta Hentschel, Monika Pemič und Jindřich Vybiral in diesem Band.

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des französischen, deutschen, englischen und italienischen Künstlers zu charakterisieren, soll im Folgenden erörtert werden. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Werk des Grafikers und Aquarellmalers Carl Jacob Lindström (1801- nach 1846), der 1821 aus Stockholm nach Rom und später nach Neapel übersiedelte. Sein 1830 erschienenes satirisches Buch I Stranieri in Italia65 erlangte große Popularität innerhalb der multinationalen Künstlergemeinschaft, die sich in diesem Zeitraum in Italien formiert hatte. Zahlreiche Darstellungen aus diesem Druckwerk gelangten auch als radierte oder lithografierte Einzelblätter in den Handel, so dass insgesamt ein hoher Verbreitungsgrad erreicht wurde.66 Unter den 20 Lithografien des Buches, die sich alle mit der Figur des Italienreisenden beschäftigen, finden sich auch mehrere Darstellungen arbeitender Maler − ein Reflex auf die massenhafte Anwesenheit ausländischer Künstler in der Umgebung von Rom und Neapel, für die die italienische Landschaft den Inbegriff des Kunstschönen darstellte. Schon seit dem 18. Jahrhundert war Italien seiner antiken Kultur und christlichen Kunstdenkmäler wegen eines der wichtigsten Ziele für europäische Bildungsreisende auf der sogenannten Grand Tour. Auch Künstler zogen in großer Zahl nach Italien, zunächst überwiegend zum Antikenstudium, dann, im 19. Jahrhundert, auch zunehmend wegen der Landschaft und des besonderen Lichtes, das sie in der Campagna und in Süditalien entdeckten. Der deutsche Schriftsteller Wilhelm Waiblinger (1804-1830), der sich seit 1826 in Rom aufhielt und von dort eine kleine Kolumne für die Dresdner Abendzeitung lieferte, beschrieb Italien als Schmelztiegel der europäischen Nationen: „In Italien treffen sich in Einem Wagen immer 4 Sprachen [...]. Der redet Italienisch, der Französisch, der Englisch, der Deutsch.“67 Diese vier Nationen waren es auch, auf die Lindström 1830 den Blick richtete. In unterbrochener Folge enthält I Stranieri in Italia jeweils eine Karikatur auf den französischen, den italienischen, den deutschen und den englischen Landschaftsmaler. Alle vier werden beim Malen im Freien gezeigt, so dass ihre nationale Charakterisierung im Wesentlichen über die gezeigte Arbeitsweise und die dabei zum Einsatz kommenden künstlerischen Techniken erfolgt. Ein typischer Satz des Künstlers in der jeweiligen Landessprache bildet die Legende und liefert einen ergänzenden Hin-

65 Lindström, Carl Jacob: I Stranieri in Italia, Neapel 1830. Reprint in: Franco Mancini (Hg.): Carl Jacob Lindström e l’illustrazione di costume a Napoli, Neapel 1980. 66 Dieser Hinweis findet sich bei Fiorentini, Erna: Camera Obscura vs. Camera Lucida − Distinguishing Early Nineteenth Century Modes of Seeing, Preprint 307 des Max-PlanckInstituts für Wissenschaftsgeschichte, Berlin 2006, S. 3. URL: http://www.mpiwgberlin.mpg.de/Preprints/P307.PDF (abgerufen am 10.07.2015) 67 Zit. nach: Chiarini, Paolo/Hinderer, Walter (Hg.): Rom – Europa. Treffpunkt der Kulturen: 1780-1820 (=Stiftung für Romantikforschung Bd. XXXVI), Würzburg 2006, S. 10.

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weis darauf, wie die verschiedenen Künstlernationen vom Zeichner gedacht wurden. Abbildung 114: Anonym: Die Künstler

Fliegende Blätter, Bd. 1 (1845), Nr. 10, S. 77

Eine satirische Bilderfolge, die 1845 in einer der ersten Nummern der Fliegenden Blätter erschien, ist vor dem Hintergrund von Lindströms Publikation zu betrachten und sicherlich von dieser inspiriert (Abb. 114). Der anonyme Zeichner des deutschen Wochenblatts karikierte den italienischen, französischen, deutschen und englischen Freilichtmaler und orientierte sich in Themenwahl und bildlicher Umsetzung sichtlich an der 15 Jahre zuvor erschienenen Vorlage. Seine überaus detailreichen Illustrationen ergänzte er durch gereimte Vierzeiler, die bestimmte Aspekte der nationalen Typisierung verdeutlichen. Aufgrund der großen Ähnlichkeit wird die Karikatur der Fliegenden Blätter als nachrangig eingestuft und im Folgenden nicht gesondert behandelt. Sie wird stattdessen vergleichend herangezogen und nur dort näher betrachtet, wo sie neue Themen und Sichtweisen aufwirft.

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Innerhalb der ausländischen Künstlerschaft in Italien stellte die Kolonie der französischen Maler im Umkreis der seit 1829 von Horace Vernet geleiteten Académie de France à Rome die größte und machtvollste Fraktion dar. Lindström trug dieser Tatsache Rechnung, indem er die Gruppe der stranieri in Italia mit der Karikatur eines französischen Pleinairisten beginnen ließ (Abb. 115). Dem nationalen Stereotyp des Franzosen entsprechend, stellte er den Maler in spektakulärer Bewegtheit dar. Der Karikierte malt die dramatisch aufgewühlte Landschaft inmitten eines Sturms, der bereits seinen Schirm umgeschlagen hat und auch ihn selbst davonzuwehen droht. Um dies zu verhindern, hat er sich mit Hilfe seines Umhangs an einem Baum festgebunden. „Il faut faire la nature en ravage“ lautet sein Credo, welches das praktizierte Verfahren legitimieren soll. Betrachtet man die Bilder, die von französischen Pleinairmalern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Italien geschaffen wurden, so lässt sich tatsächlich eine Vorliebe für dramatische Wolkenformationen und spektakuläre Lichteffekte feststellen.68 Besonders das Gewitter war offenbar ein beliebtes Motiv. Diesen Aspekt betont auch die Karikatur der Fliegenden Blätter (Abb. 114), die den Franzosen unten rechts beim Malen einer Gewitterszene darstellt. Der Blitz hat soeben in ein strohgedecktes Bauernhaus eingeschlagen, dessen Dachstuhl bereits in Flammen steht, während die Bewohner panisch das Weite suchen. Der Künstler scheint von diesen dramatischen Umständen gänzlich unbeeindruckt. Sein Ehrgeiz richtet sich indes auf etwas eigentlich Unmögliches, nämlich die malerische Wiedergabe des Blitzes.69 Dass der Franzose sich dieses Kunststück zutraut, trägt aus der Perspektive der deutschen Karikatur dazu bei, ihn als arrogant und vermessen zu charakterisieren. Eine Ergänzung zu Lindströms Karikatur bildet der Hinweis auf die materiellen Entstehungsbedingungen der Malerei. So ist der französische Maler mit einem leicht überdimensionierten Pinsel dargestellt und auf seiner am Boden liegenden Palette sind dicke Farbmassen zu erkennen. Diese Details deuten auf einen großflächigen und pastosen Farbauftrag hin, der auch in der zeitgenössischen Kunstkritik als Charakteristikum einer bestimmten Richtung der französischen Malerei um 1830 erschien.70 68 Vgl. z.B. Pierre-Henri de Valenciennes’ Römisches Album, das heute im Louvre aufbewahrt wird. Darin besonders die Gewitterstudie Orage à la Fayolle, près du la de Nemi, Öl auf Karton, 17,8 x 23,2 cm. Weitere Bildbeispiele finden sich im Ausst.-Kat. Paysages d’Italie. Les peintres du plein air (1780-1830), Galerie nationales du Grand Palais, Paris 2001. 69 Der satirische Vierzeiler dazu lautet: „Ik will dok sehn, wenn ik mir kaprizier’| Obs nit gelingt, la foudre su skizzir’ | Pour le français il n’y a rien d’impossible, wißt: | Für den Franzosen nix unmöglik ist.“ Anonym: Fliegende Blätter, Bd. 1 (1845), Nr. 10, S. 77. 70 Zur Thematik der großen Pinsel vgl. den Abschnitt „Bürste, Besen und Wischmopp: Der Pinsel des Malers“ in diesem Buch.

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Abbildung 115: Carl Jacob Lindström: Il faut faire la nature en ravage

Carl Jacob Lindström: I stranieri in Italia, Neapel 1830, zit. nach dem Reprint in: Mancini, Franco: Carl Jacob Lindström e l’illustrazione di costume a Napoli, Neapel 1980, o. S.

In Lindströms Karikatur wird die dramatisch bewegte Natur zur Metapher für den bewegten Pinselstrich des französischen Romantikers, der nicht nach Präzision, sondern nach Ausdruck oder, wie es im kunstkritischen Jargon des 19. Jahrhundert hieß, nach „Effekt“ strebte.71 Die Aussage der Karikatur korrespondiert dabei in auffallender Weise mit kritischen Beurteilungen französischer Kunst in zeitgenössischen Texten. So schrieb der Berliner Kunsthistoriker Gustav Friedrich Waagen 1839 über die Malerei der Franzosen: „In dem Bestreben, ausdrucksvoll und lebendig zu sein, verfielen sie häufig in Geberden [sic!] und Ausdruck in theatralische Uebertreibungen [...] und dabei gelang es ihnen selten, das richtige Verhältnis der Natur [...] zum Kunstwerke zu finden.“72 Der Architekt und Publizist Carl August Menzel, der die Passage wenig später in seinem populärwissenschaftlich orientierten kunsthistorischen Überblickswerk zitierte, fügte generalisierend hinzu: „Wie die Fehler, so sind die Vorzüge die des französischen Nationalcharakters: Leichtigkeit 71 Dies wurde auch in Frankreich kritisch gesehen, wie die Debatte um den „balai ivre“ zeigt. 72 Waagen, Gustav Friedrich: Kunstwerke und Künstler in England und Paris, Bd. 3: Kunstwerke und Künstler in Paris, Berlin 1839, S. 638 f.

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des Vortrags, geschmackvolle Gruppirung und Scenierung, [...] Eleganz mit einem Worte ist ihnen doch nicht abzusprechen.“73 Was Waagen nur andeutete, wurde bei Menzel explizit: Das französische Kunstschaffens war für ihn, in seinen Stärken ebenso wie in seinen Schwächen, determiniert durch einen vermeintlichen Nationalcharakter der Franzosen, in dem sich Eleganz mit Leichtfertigkeit und einem Hang zur Übertreibung verbinde. Diese Charakterisierung entspricht dem nationalen Stereotyp des Franzosen, das sich seit dem 18. Jahrhundert in Europa herausgebildet hatte und den Blick auf alles Französische bestimmte. In ihrer Studie zu Nationalstereotypen in der englischen Druckgrafik führt Silke Meyer zahlreiche Belege dafür an, dass dieselben Eigenschaften auch von englischen Karikaturisten und Autoren des 18. Jahrhunderts als typisch für den Charakter ‚des Franzosen‘ angesehen wurden.74 Während seine Lebhaftigkeit, sein Charme und seine Eleganz gelobt wurden, kritisierte man ihn für seine angebliche Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit.75 Im 19. Jahrhundert avancierte das Nationale zu einem anerkannten Argument der Kunstkritik, die Kunstwerke immer auch als Ausdruck einer bestimmten ‚nationalen Mentalität‘ betrachtete. Nationale Topoi fanden so implizit auch Eingang in kunstwissenschaftliche Texte und sogar in Lexikonartikel zur bildenden Kunst. So heisst es im Brockhaus von 1833 zur französischen Malerei des frühen 19. Jahrhunderts: „[V]on dem wahrhaft heiligen Geiste der Kunst waren nur wenige dieser zahllosen neuern franz. Künstler durchdrungen; ihre Darstellungen waren oft mehr theatralisch als wahr, mehr empfindsam als gemüthlich.“76 Kritisiert wurde außerdem eine „auffallende Vernachlässigung der Technik und Correctheit“77, die sich in den Werken Delacroix’ und der romantischen Schule beobachten lasse. Die handwerkliche Sorgfalt werde, so der Tenor, dem theatralischen Effekt geopfert, der sich in einer „phantastische[n] Auffassung ergreifender Scenen“78 manifestiere. Auch der Maler in Lindströms Karikatur scheint mit seiner nature en ravage eine solche „ergreifende Scene“ darstellen zu wollen. Dass die vom Autor des Lexikonartikels eingeforderte „Correctheit der Darstellung“ unter den gezeigten Umständen Schaden nehmen oder sogar ganz auf der Strecke bleiben musste, versteht 73 Menzel, Carl August: Die Kunstwerke vom Alterthum bis auf die Gegenwart. Ein Wegweiser durch das ganze Gebiet der bildenden Kunst, Bd. 2, Triest 1857, S. 169. 74 Meyer, Silke: Die Ikonographie der Nation: Nationalstereotype in der englischen Druckgraphik des 18. Jahrhunderts, Münster 2003, S. 261 ff. 75 Ebd., S. 263. 76 Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände (ConversationsLexikon), 12 Bde., Brockhaus Verlag, 8. Aufl., Leipzig 1833, hier Bd. 4, S. 333, s. v. Französische Malerkunst. 77 Ebd., S. 334. 78 Ebd.

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sich von selbst. Allerdings ist Korrektheit wohl auch nicht das zentrale Anliegen des karikierten Malers, dessen ganze Erscheinung unter das Motto der Bewegtheit gestellt ist. Auch das begonnene Bild auf seiner Staffelei zeigt keinen präzise konturierten Bildgegenstand, sondern eine dynamische, dabei aber vollkommen abstrakt erscheinende Komposition aus dunklen und helleren Partien. Vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt in Frankreich gerade hochaktuellen Kontroverse zwischen dessin und couleur79 wird dieser Maler eindeutig als Kolorist und, daraus folgend, als Anhänger der romantischen Schule gekennzeichnet. Dies ist in sofern stimmig als die Koloristen gerade in der Landschaftsmalerei einen die Kunst der Farbe betonenden Gegenpol zur Historienmalerei erblickten, die als Kunst der Linie galt. Dramatische atmosphärische Phänomene wie das Heraufziehen eines Unwetters scheinen den romantischen Freilichtmaler dabei weitaus mehr zu interessieren als die naturgetreue Wiedergabe der Landschaft. Entstanden im Jahr 1830, zeigt die Darstellung auch, dass Freilichtmalerei nicht erst von den Barbizon-Malern, sondern bereits von den Malern der romantischen Schule auf ihren Italienreisen praktiziert wurde. Italien erweist sich somit als eigentliches Ursprungsland des Pleinairismus, der von reisenden Künstlern aller europäischen Nationen in ihre jeweiligen Heimatländer importiert wurde.80 Das Gegenbild zur Bewegtheit des französischen Landschaftsmalers zeichnete Lindström in der Karikatur des deutschen Künstlers (Abb. 116). Mit schulterlangem Blondhaar und blauen Augen hinter seinen runden Brillengläsern81 verkörpert er schon rein äußerlich den Typus des romantischen Deutschen. Im Unterschied zu seinem französischen Kollegen richtet er seinen Blick nicht in die Ferne, um die Landschaft als Effekt zu erfassen, sondern widmet seine ganze Aufmerksamkeit einer höchst unspektakulären kleinen Blume, die unmittelbar vor seinen Füßen unter einem Stein emporsprießt. Eine naturgetreue, sorgfältig konturierte Wiedergabe dieses Details hat auf seinem Malkarton bereits Gestalt angenommen. Diese Motivwahl erscheint angesichts seines Standortes noch absurder: Direkt vor seinen Augen entfaltet sich ein pittoreskes, typisch italienisches Landschaftspanorama mit sanften Hügelketten im Hinter- und römischen Ruinen im Mittelgrund, das den deutschen Künstler jedoch nicht im Mindesten zu interessieren scheint. Offenbar kann er es mit seiner auf Nahsicht eingestellten Brille noch nicht einmal sehen. Lindström orientierte seine Karikatur am Künstlerbild der Nazarener, die um 1830 die zahlenmäßig stärkste Fraktion deutscher Künstler in Italien stellten. Losgelöst von jedem institutionellen akademischen Kontext, durchdrungen von Patrio79 Vgl. den Abschnitt „Der Kampf der Schulen“ in diesem Buch. 80 Zur Vorgeschichte der französischen Pleinairmalerei in Italien vgl. Galassi, Peter: Corot in Italy. Open-Air Painting and the Classical-Landscape Tradition, New Haven u.a. 1991. 81 Deutlich sichtbar wird diese Farbgebung in einer aquarellierten Version der Karikatur, abgebildet in F. Mancini: Carl Jacob Lindström, S. 19.

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tismus und tief empfundener Religiosität sowie programmatisch am Kunst- und Menschenbild einer idealisierten deutschen Vergangenheit orientiert, richteten diese Künstler ihren Blick vor allem auf die kleinen Dinge der Natur, in denen sich die Wunder der Schöpfung für sie am deutlichsten offenbarten.82 Abbildung 116: Ach welch ein gemüthliches Blümchen!

C. J. Lindström: I stranieri in Italia, zit. nach dem Reprint in: F. Mancini: Carl Jacob Lindström, o. S.

Auch die Karikatur der Fliegenden Blätter parodiert die Detailversessenheit der nazarenischen Landschaftsauffassung, indem sie dem links oben dargestellten deutschen Maler die folgenden Verse in den Mund legt: „Was kümmern mich der Sonne erste Gluthen, der steile Fels, des Meeres weite Fluthen − Wer Dich, Natur! im Kleinen treu erschaut, umfasst im Großen Dich als seine Braut.“83

82 Ein Standardwerk zur Kunst der Nazarener ist der Ausst.-Kat. Die Nazarener, 2 Bde., Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt am Main 1977. Für eine neuere Perspektive vgl. Ausst.-Kat. Religion – Macht – Kunst. Die Nazarener, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main 2005. 83 Anonym: „Der Deutsche“, Detail aus: „Die Künstler“, in: Fliegende Blätter, Bd. 1 (1845), Nr. 10, S. 77.

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Ludwig Richter, der zwischen 1823 und 1826 in Rom zum Kreis der Nazarener gehörte, widmete eine Passage in seinen Lebenserinnerungen dem schwierigen Verhältnis von Detail und Ganzem in der Landschaftsmalerei. Den Umgang mit dieser Problematik erklärte er dabei gleichsam zu einer nationalen Frage, indem er das nazarenische Natur- und Landschaftsbild mit den Merkmalen der rivalisierenden französischen Kunstauffassung kontrastierte: „Die französischen Maler mit ihren Riesenkästen brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe, welche mit großen Borstenpinseln halb fingersdick aufgepatzt wurde. Stets malten sie aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffekt [...] zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet. Dagegen wir: Da wurde − gerade umgekehrt − mehr gezeichnet als gemalt. Der Bleistift konnte nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis in feinste Detail fest, bestimmt zu umziehen. Gebückt saß ein jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner Papierbogen, und suchte mit minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffekte wurden eher gemieden als gesucht; kurz, ein jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objektiv, treu wie im Spiegel wiederzugeben.“84

Richters Schilderung der eigenen Arbeitsweise entspricht den Aspekten, die Lindström in seiner Karikatur des deutschen Malers herausstellt, recht genau. Sie beschreibt außerdem einen Widerspruch der nazarenischen Kunstauffassung, der auch in Lindströms Darstellung implizit enthalten ist: Auf der einen Seite das „sich Verlieben“, also die starke emotionale Hinwendung zu jedem noch so unscheinbaren Bildgegenstand, auf der anderen Seite das rationale Streben nach Objektivität, die bei Richter in der Forderung nach dem spitzen Bleistift zum Ausdruck kommt. In der Karikatur der Fliegenden Blätter, die den Künstler beim Zeichnen darstellt und so mit dem in pastoser Ölfarbe malenden Franzosen kontrastiert, ist diese technische Forderung visualisiert. Lindströms Deutscher scheint dagegen mit einem feinen Pinsel zu malen, doch der Kontur seiner Darstellung ist so klar und präzise, als sei auch er mit dem Bleistift gezogen. Cordula Grewe bezeichnet die in der Technik und Kunstauffassung der Nazarener zum Ausdruck kommende Ambivalenz als „Widerspruch zwischen der emphatischen Betonung von Innerlichkeit und subjektiver Durchdringung und dem Stre-

84 Richter, Ludwig: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers (1870), hg. von Karl Wagner, Würzburg 1985, S. 99.

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ben nach einem objektivierten und objekthaften Bildcharakter“.85 Das Streben nach Objektivität wird in der Karikatur auch durch die Beigabe eines Blaireau-Pinsels betont, den der deutsche Maler in der linken Hand hält. Tatsächlich glätteten Maler wie Ludwig Richter, Friedrich Overbeck und Julius Schnorr von Carolsfeld die Oberflächen ihrer Gemälde mit einem solchen Pinsel, um jede ‚subjektive‘ Spur des Produktionsprozesses von der Leinwand zu tilgen. Die Subjektivität des Künstlers sollte in der seelenvollen Durchdringung des Bildgegenstandes sichtbar werden, nicht aber in materiellen Spuren des Arbeitsprozesses. Die Nazarener standen damit im Gegensatz zu den französischen Malern der Romantik, für die sichtbare Pinselzüge ein wichtiges Gestaltungselement darstellten. Der Wunsch des deutschen Künstlers nach Innerlichkeit und subjektiver Durchdringung wird in der Bldunterschrift der Karikatur offenbar. „Ach welch ein gemüthliches Blümchen“, ruft der Maler aus und verweist so auf die emotionale Seite seines weitgehend objektiviert erscheinenden Arbeitsprozesses. Im Bild wird der Aspekt der Gemütlichkeit durch den gewaltigen Bernhardiner Sennenhund betont, der dem Künstler als begleitendes Attribut zur Seite gestellt ist.86 „Gemütlichkeit“, ein Modewort des frühen 19. Jahrhunderts, war offenbar das Schlagwort, an dem Lindström seine Karikatur des Deutschen ausrichtete. Tatsächlich gilt die Gemütlichkeit bis heute als ein typisch deutsches Phänomen.87 In ihrer kulturwissenschaftlichen Untersuchung zur Gemütlichkeit bezeichnet Brigitta Schmidt-Lauber diese als ein „zum Stereotyp verfestigtes Kulturmuster“88, dessen Entstehung eng mit der Mentalitätsgeschichte der Deutschen im 18. und 19. Jahrhunderts verknüpft sei. Die Betonung der Gemütlichkeit spiegelt den spezifisch deutschen Wunsch nach Innerlichkeit und emotionaler (auch religiöser) Erlebnistiefe, der im Zeitalter der Romantik, speziell im Biedermeier, besonders ausgeprägt war. Analog dazu verkörpert Lindströms Nazarener einen kontemplativen, nach innen gerichteten Modus künst85 Grewe, Cordula: „Objektivierte Subjektivität: Identitätsfindung und religiöse Kommunikation im nazarenischen Kunstwerk“, in: Ausst.-Kat.: Religion − Macht − Kunst (2005), S. 77-99, hier S. 78. 86 Dem Bernhardiner wird bis heute ein besonders ‚gemütliches‘ Naturell bescheinigt. Dass es sich bei diesem Sennenhund genau genommen nicht um eine deutsche, sondern um eine Schweizer Hunderasse handelt, war Lindström dabei entweder gleichgültig oder nicht bewusst. Offenbar führten die deutschen Künstler oft große Hunde mit sich, wie Felix Mendelssohn-Bartholdy in einem seiner römischen Briefe aus dem Jahr 1831 berichtet. Vgl. Mendelssohn-Bartholdy, Felix: Reisebriefe, hg. von Paul Mendelssohn-Bartholdy, Leipzig 1862, S. 81. 87 Dies zeigt sich schon in der Tatsache, dass der Begriff nicht übersetzt wird, sondern als Lehnwort in andere Sprachen Eingang gefunden hat. 88 Schmidt-Lauber, Brigitta: Gemütlichkeit. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung, Frankfurt am Main 2003, S. 140.

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lerischer Arbeit. Die Karikatur lädt dabei auch zur Reflexion über die Frage ein, ob eine solche Haltung in der Pleinairmalerei von Vorteil ist, denn indem der nazarenische Künstler ein winziges Detail zum „gemüthlichen“ Spiegel seiner Seele erklärt und diesem seine ganze Aufmerksamkeit widmet, verfehlt er den eigentlichen Charakter der Landschaft, der sich nur im Blick auf das Ganze erschließt. Im Gegensatz zur eher statischen Darstellung des deutschen Malers ist Lindströms Karikatur des Italieners von größter Dynamik gekennzeichnet (Abb. 117). Abbildung 117: Carl Jacob Lindström: Più presto di me non fará nessuno

C. J. Lindström: I stranieri in Italia, zit. nach dem Reprint in: F. Mancini: Carl Jacob Lindström, o. S.

Der italienische Künstler hat sich nicht die Zeit genommen, seine Staffelei an einem günstigen Standort aufzubauen. Stattdessen skizziert er die Landschaft aus einer dahingaloppierenden Kutsche, in der er stehend das Gleichgewicht bewahrt. Die Darstellung erinnert an die nur wenig später entstandenen französischen Karikaturen auf den ‚rasenden Bildreporter‘ Horace Vernet89, zumal auch sie in der Legende eine Verbindung zwischen Reise- und Produktionsgeschwindigkeit des Künstlers herstellt. „Più presto di me non fará nessuno“ rühmt sich der italienische Künstler, der die Landschaft mit der Geschwindigkeit einer Kamera zu erfassen scheint.90

89 Vgl. den Abschnitt „Horace Vernets ‚peinture au grand galop‘“ in diesem Buch. 90 Zu diesem Aspekt vgl. M. Wagner: Bewegte Bilder, besonders S. 174 f.

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Der gleiche Aspekt wird in der auch in kompositorischer Hinsicht ähnlichen Karikatur der Fliegenden Blätter hervorgehoben. Dass Lindström überhaupt einen italienischen Freilichtmaler karikiert, erscheint auf den ersten Blick überraschend, spielte doch die Landschaftsmalerei in der italienischen Kunst um 1830 eine eher geringe Rolle. Noch Cornelius Gurlitt beschrieb die italienische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts als „eine vorzugsweise von Nordländern gepflegte Kunst, der die Italiener selbst nie den gleichen Wert mit ihrer figürlichen beimaßen.“91 Wahrscheinlich bezog sich Lindström mit seiner Karikatur auf die heute kaum noch bekannten Vedutenmaler der Scuola die Posillipo, die etwa zwischen 1820 und 1840 in der Gegend um Neapel aktiv war.92 Begründet wurde die Schule von dem aus den Niederlanden stammenden Maler Antonio Sminck van Pitloo, der 1815 nach Neapel kam und dort, in Auseinandersetzung mit Künstlern wie Turner und Corot93, eine besonders expressive Form der Landschaftsmalerei entwickelte. Der Name Scuola die Posillipo für das Atelier van Pitloos wurde zunächst als diskreditierende Bezeichnung verwendet, denn die dort tätigen Maler verstießen in vielerlei Hinsicht gegen die Grundsätze der an der Antike orientierten akademischen Kunstauffassung: Sie malten fast ausschließlich in der freien Natur und pflegten einen spontanen, skizzenhaften Pinselduktus, der ihre Werke in den Augen zeitgenössischer Betrachter als ‚unfertig‘ erscheinen ließ.94 Ihre meist kleinformatigen Öl- und Aquarellskizzen wurden bewusst schnell ausgeführt, um den spontanen Charakter des Landschaftseindrucks zu erhalten. Gleichzeitig ermöglichte ihre schnelle Arbeitsweise den Malern die massenhafte Produktion von Veduten für den Kunstmarkt. Ein bei Neapelreisenden aller Nationen besonders beliebtes Souvenir waren Stadtansichten, die dementsprechend in großer Zahl produziert wurden. Auch Lindström zeichnete seinen Maler bei der Anfertigung einer solchen Vedute und richtete dabei den Fokus auf die Schnelligkeit des gezeigten Verfahrens. Dieses steht in äußerstem Gegensatz zur Arbeitsweise des deutschen Künstlers: Während dieser von zeitvergessener Hingabe an seinen unscheinbaren Bildgegenstand durchdrungen ist, möchte jener sein Werk vor allem schnell, und zwar schneller als ir-

91 Gurlitt, Cornelius: Geschichte der Kunst, Bd. 2, Stuttgart 1902, S. 365. 92 Zur Schule von Posillipo vgl. Causa, Raffaelo: „La Scuola die Posillipo“, in: Storia di Napoli, Bd. 9, Neapel 1972, S. 781-832 sowie Hojer, Annette: „Die Vedutenmaler der Scuola di Posillipo“, in: Pisani, Salvatore/Siebenmorgen, Katharina (Hg.): Neapel. Sechs Jahrhunderte Kulturgeschichte, Berlin 2009, S. 367-370. Umfangreiches Bildmaterial findet sich in: Ruotolo, Renato: La Scuola di Posillipo, Neapel 2002. 93 Beide Künstler hielten sich nach 1815 in Neapel auf, Turner auf seiner Italienreise 1819/20, Corot im Jahr 1828. 94 A. Hojer: Die Vedutenmaler, S. 367.

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gendjemand sonst, vollenden. Sein Ehrgeiz richtet sich nicht in erster Linie auf die Qualität, sondern auf die Quantität seiner künstlerischen Produktion. Bezieht man die Karikatur auf das Problemfeld nationaler Stereotypen, so ist in den beiden Abbildungen auch ein Mentalitätsunterschied der beiden Künstler angesprochen: Der ruhige, behäbige Deutsche wird mit dem temperamentvollen, sprunghaften Italiener kontrastiert. Wie über solche nationalen Zuschreibungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch bestimmte national gefärbte Künstlertopoi konstruiert wurden, zeigt ein Eintrag aus dem Brockhaus von 1833, der die verschiedenartige Kunstentwicklung in Deutschland und Italien seit der Antike durch Unterschiede in „Natur, Nationalcharakter und Nationaleigenthümlichkeiten, Klima und Religion“95 erklärt. Während der italienische Künstler sich schon immer durch „[g]lühende Phantasie, frohe Lebenslust, angeborene[n] Schönheitssinn [und] schwärmerische Frömmigkeit“96 ausgezeichet habe, sei in Deutschland „der Tiefsinn und Fleiß der alten Meister [...] mehr auf das innere Leben und Gemüth“97 gerichtet gewesen. Die letzte seiner Karikaturen zur Freilichtmalerei der stranieri in Italia widmete Lindström dem englischen Künstler (Abb. 118). Als einziger unter den karikierten Malern ist er − in Anspielung auf die Seenation Großbritannien − am Ufer des von mehreren Schiffen bevölkerten Golfs von Neapel zu sehen. Mit einer Ansicht des rauchenden Vesuvs hat er sicherlich das populärste unter den typisch neapolitanischen Sujets gewählt, das seit dem 17. Jahrhundert von unzähligen Italienreisenden im Bild festgehalten wurde. Dennoch scheint der englische Maler eine Vielzahl von Seh- und Zeichenhilfen zu benötigen, um das wenig originelle Motiv zu bewältigen: Er selbst trägt eine an ein Opernglas erinnernde Brille mit teleskopartigem Aufsatz, zu seiner Rechten ist eine Camera lucida98 aufgebaut und am Boden liegen Teleskop, Lineal und Winkelmaß sowie weitere Instrumente. Eine zeltförmige Camera obscura99 ist im Hintergrund zu sehen, dazu ein sichtlich erschöpfter Esel, der als Lasttier für die übertrieben erscheinende Ausrüstung des englischen Malers dienen musste. Da er dem Wasser den Rücken zukehrt, kann der Maler sein Motiv tatsächlich nur vermittelst seiner zahlreichen optischen Apparaturen sehen, was ihm auch zu genügen scheint. Seine genialische Pose wirkt unter diesen Umständen aller-

95 Brockhaus (1833), Bd. 5, s.v. Italienische Malerei, S. 660. 96 Ebd. 97 Ebd. 98 Zur Funktionsweise der Camera lucida vgl. Newhall, Beaumont: Geschichte der Photographie, dt. Ausgabe München 1989/1998, S. 11 f sowie Kemp, Martin: The science of art. Optical themes in western art, New Haven u.a. 1990, S. 186 ff. 99 Zur Geschichte und Funktionsweise der Camera obscura vgl. B. Newhall: Geschichte der Photographie, S. 9 ff. sowie M. Kemp: The science of art, S. 188 ff.

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dings höchst lächerlich, denn künstlerische Inspiration scheint nicht die Quelle zu sein, aus der sich die Arbeit dieses Technokraten speist. Abbildung 118: Carl Jacob Lindström: When only I have the lineaments I am sure of the effect

C. J. Lindström: I stranieri in Italia, zit. nach dem Reprint in: F. Mancini: Carl Jacob Lindström, o. S.

Möglicherweise rekurrierte Lindström hier auf die Camera lucida als jüngere englische Erfindung100, doch sein Kommentar zum Nationalcharakter der englischen Landschaftsmalerei geht weit darüber hinaus. Es ist offensichtlich, dass er die um 1830 hochaktuelle Wende zur atmosphärischen Landschaftsmalerei eines William Turner oder John Constable in seiner Karikatur noch nicht berücksichtigte. Stattdessen ist hier wohl eine ältere, noch aus dem 18. Jahrhundert stammende Tradition der anglo-venezianischen Vedutenmalerei101 angesprochen, für die handwerklichzeichnerische Genauigkeit und Schärfe des Kontur die zentralen Anliegen waren. Der Brockhaus-Eintrag von 1833 zur englischen Kunst resümiert die Vorbehalte 100 Die Camera lucida wurde von dem englischen Chemiker William Hyde Wollaston erfunden und 1806 in London patentiert. 101 Diese Tradition wurde von Canaletto begründet, der von 1746 und mit kurzer Unterbrechung bis 1755 in London lebte. Vgl. Pevsner, Nikolaus: The Englishness of English Art. An expanded and annotated version of the Reith Lectures broadcast in October and November 1955, London 1956, S. 149.

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gegenüber der neueren Landschaftsmalerei Großbritanniens, die sich, so der Hauptkritikpunkt, „fast durchgängig auf Ansichten“102 beschränke. Anstelle von „edle[r] Erfindung“ und „einfache[r] Naturwahrheit“ konzentriere sich der englische Landschaftsmaler auf „das sogenannte Geistreiche des Vortrags [...], welches im Grunde nur die auf sinnlichen Effect ausgehende Willkür ist, womit das Talent seine technischen Mittel handhabt.“103 Dass die englische Kunst ihrem Betrachter bloß „Augenreiz statt Herzenstiefe“ zu bieten habe, gehört laut Monika Wagner zu den Standardtopoi der national orientierten deutschen Kunstkritik.104 Lindströms Karikatur des ‚oberflächlichen‘ und ignoranten Engländers, der der Landschaft den Rücken zukehrt und sich auf die Bilder verlässt, die seine optischen Apparaturen ihm liefern, ist so auch ein Gegenbild zu dem ebenso lächerlich erscheinenden ‚Hineinkriechen‘ des deutschen Malers in jedes noch so unbedeutende Detail, um darin das Wesen der Natur zu erfassen. Der Vorrang des Kontur gegenüber der Licht- und Farbgebung, ein Merkmal der englischen Vedutenmalerei, wird in der fiktiven Selbstaussage des karikierten Malers aufgegriffen: „When only I have the lineaments I am sure of the effect“. Auch der Maler und Kunstlehrer William Gilpin, dessen Traktate für die englische Landschaftsmalerei um 1800 eine wichtige theoretische Orientierungshilfe darstellten, hebt in seinem 1792 erschienenen Essay on the Art of Sketching Landscape die Wichtigkeit einer akkurat ausgeführten und dennoch ausdrucksvollen Umrisszeichnung, „correctness and expression in the out-line“105, hervor, welche die Grundlage für alle späteren malerischen Effekte darstelle: „When the outline is drawn, it remains to add light and shade.“106 Diese Reihenfolge, die einer formalen Gewichtung gleichkommt, betont auch der englische Maler in Lindströms Karikatur. Bei der Darstellung des Engländers wich die Karikatur der Fliegenden Blätter erstmals deutlich vom Vorbild der Stranieri ab und akzentuierte einen anderen Aspekt der englischen Kunstproduktion (Abb. 114). Auch der deutsche Karikaturist zeigte den Maler beim Skizzieren des Vesuvs, doch Zeichenhilfen und optische Instrumente spielen dabei keine Rolle. Stattdessen rückt der Künstler gefährlich nah an den Vulkan heran. Nur ein Ofenschirm bietet Schutz vor der Hitze der Flammen, die bereits die Beine seines Schemels umspielen und ihn selbst auf die Zehenspitzen 102 Brockhaus (1833), Bd. 3, s. v. Englische Kunst, S. 599. 103 Ebd. 104 Vgl. Wagner, Monika: „Augenreiz statt Herzenstiefe. Nationale Stereotypen in der deutschen Turnerrezeption des 19. Jahrhunderts“, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Bd. 46 (1992), S. 59-66. 105 Gilpin, William: „Essay III. On the Art of Sketching Landscape“, in: Ders.: Three Essays, London 1794, S. 61-88, hier S. 66. 106 Ebd., S. 74.

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zwingen. In der Legende wird diese Risikobereitschaft nicht kommentiert. Stattdessen spielt der Begleitvers auf die Vorliebe der Engländer für illustrierte Reisealben an, die um die Jahrhundertmitte mit Turners Coasts of England und den seit 1834 erscheinenden Rivers of France bereits einen Höhepunkt erreicht und der englischen ‚schwarzen Kunst‘ zu einer führenden Rolle auf dem europäischen Kunstmarkt verholfen hatte.107 Dass die Karikatur den englischen Künstler als Kupferstecher darstellt, erscheint höchst plausibel. Im Gegensatz zur englischen Malerei, die von deutschen Kritikern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur am Rande wahrgenommen und meist eher negativ bewertet wurde108, wurden englische Stiche aufgrund ihrer handwerklichen Präzision in Deutschland hoch geschätzt. Vermittelt durch Englandreisende wie den Grafiker und Verleger Carl Ludwig Frommel übten sie großen Einfluss auf deutsche Künstler aus.109 Dennoch parodiert die Karikatur die Geschäftstüchtigkeit des britischen Künstlers, der selbst angesichts einer überwältigenden Naturimpression bereits an die kommerzielle Verwertbarkeit seiner Kunst denkt.110 Er steht damit im Gegensatz zu der romantischen Innerlichkeit des Nazareners, dem solche Gedanken fremd sind. Die Herausbildung und Kontrastierung nationaler Stereotypen war ein wichtiges Anliegen der Kunstkritik im 19. Jahrhundert, zu dem die hier behandelten Karikaturen einen Beitrag leisteten. Dabei erwies sich gerade die Figur des reisenden Freilichtmalers als geeignete Projektionsfläche für nationale Typisierungen und Klischees, die in der Fremde nur umso deutlicher zutage traten. Das Zusammentreffen von Künstlern verschiedener Herkunft in den italienischen Kunstzentren ließ eine Situation entstehen, in der der Wunsch nach na-tionaler Abgrenzung besonders groß war. Der Beitrag Carl Jacob Lindströms, der selbst keiner der von ihm karikierten Nationen angehörte, musste daher auf fruchtbaren Boden fallen.

107 Vgl. M. Wagner: Bewegte Bilder, sowie M. Wagner: Augenreiz statt Herzenstiefe. 108 Vgl. M. Wagner: Augenreiz statt Herzenstiefe, besonders S. 60 f. 109 Ebd., S. 63. 110 Der satirische Vierzeiler zur Karikatur des englischen Künstlers lautet: „Die große Tour mach’ ich zu See und Land, | Den Krater des Vesuvs faßt keck auf meine Hand; | Und bin ich wieder angelangt zu Haus, | Geb ich im Stahlstich meine Reis’ heraus.“ Anonym: Fliegende Blätter Bd. 1 (1845), Nr. 10, S. 77.

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Ö FFENTLICHES M ALEN : V ON DER P LEINAIRMALEREI ACTION P AINTING

ZUM

Mit dem programmatischen Aufbruch der Malerei ins Freie verlagerte sich der Schaffensprozess vom privaten Raum des Ateliers zumindest partiell in die Öffentlichkeit. Wie sich bald herausstellte, hatten die Mauern des Ateliers dem Künstler bis dahin nicht nur vor Wind und Wetter, sondern auch vor den Blicken Neugieriger Schutz geboten, denen er und sein Werk im Freien zwangsläufig ausgeliefert waren. Da die finale Ausarbeitung von Gemälden meist weiterhin im Atelier stattfand, verlor dieses zwar nicht seinen althergebrachten Status als „geheimnisumwitterter Ort“111; dennoch war der Vorgang der Werkschöpfung nun in einem vor der Freilichtmalerei noch nicht dagewesenen Maße Gegenstand öffentlicher Begutachtung und Beurteilung. Dabei unterschieden sich die Zuschauer, die sich hinter der Staffelei des Freilichtmalers drängten, in fundamentaler Weise vom Publikum der Salonausstellungen: Meist handelte es sich bei ihnen um Vertreter der einfachen Landbevölkerung, für die die in ihrem Lebens- und Arbeitsraum entstehende Malerei buchstäblich eine fremde Welt darstellte.112 Das Zusammentreffen des zum Arbeiten in die Provinz gereisten Freilichtmalers mit den ortsansässigen Bauern und Dorfbewohnern ist in geschriebener Form Gegenstand zahlreicher, meist anekdotischer Berichte.113 In Illustrationen solcher Texte wurden die beschriebenen Begegnungen variantenreich ins Bild gesetzt. So idyllisch wie in der Radierung des Landschaftsmalers Léopold Desbrosses (1821nach 1880), die 1866 als Illustration zu Henriets Les Paysagistes aux champs114 erschien, geht es dabei allerdings selten zu (Abb. 119). Hier ist der Dargestellte von Kindern umgeben, die, an hilfreiche Putti aus barocken Gemälden erinnernd, darüber in Streit geraten, wer dem Besucher den Sonnenschirm halten darf.

111 Wagner, Monika: „Der kreative Akt als öffentliches Ereignis“, in: M. Diers/M. Wagner: Topos Atelier, S. 45-58, hier S. 48. 112 Einige Karikaturen thematisieren auch das Aufeinandertreffen von Freilichtmalern und anderen Städtern, wie Touristen oder Kunstkritikern, die sich auf einer Landpartie befinden. Vgl. z. B. Honoré Daumier: Les bons bourgeois, in: Le Charivari, 13.11.1846, o. S.; Anonym: Our Artist, in: Punch, Bd. 50 (26.05.1866), S. 266; Arthur Wallis Mills: Artists under Fire, in: Punch, Bd. 157 (1919), S. 66. 113 Eine Reihe von Anekdoten aus dem Alltag des Pleinairmalers findet sich in den Büchern von Frédéric Henriet: Les Paysagistes aux champs, Paris 1866; Les Campagnes d’un Paysagiste, Paris 1891. 114 F. Henriet: Les Paysagistes aux champs, o. S.

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Abbildung 119: Léopold Desbrosses: Illustration zu Frédéric Henriet: Les Paysagistes aux champs, Paris 1866

F. Henriet: Les Paysagistes aux champs, o. S.

In einer 1849 im Journal pour rire publizierten Karikatur stellte Gustave Doré die Gesellschaft des Freilichtmalers weit weniger vorteilhaft dar (Abb. 120). Die „population rurale“ erscheint bei ihm als Horde gaffender Dörfler, die dem Künstler ebenso lästig fallen muss wie die Schmeissfliegen, die seinen Hut umkreisen. Mit den Mitteln des caricare verlieh Doré den Physiognomien der bäuerlichen Männer, Frauen und Kinder ein dümmliches Aussehen und stellte sie zudem auf eine Stufe mit den einfältig dreinblickenden Gänsen, die ein mindestens ebenso großes und in Dorés Augen qualitativ vergleichbares Interesse an der Arbeit des Künstlers zeigen. Ähnlich, und möglicherweise von Dorés Karikatur inspiriert, erscheint die Darstellung der den Künstler belagernden Schaulustigen im selben Jahr bei Henri Émy (Abb. 84). Auch sie legt den Schwerpunkt auf die Verblüffung der naiven Landbevölkerung angesichts der Porträtskizze, die vor ihren Augen Gestalt annimmt. Diese für den Künstler noch einigermaßen schmeichelhafte Anteilnahme schwand jedoch offenbar in dem Maße, in dem sich die Freilichtmalerei in den folgenden Jahren in Frankreich etablierte. In Karikaturen wurde reflektiert, wie das Staunen der Landbewohner mit zunehmender Gewöhnung in milden Spott überging. So halten die Bauern in einer 1864 erschienenen Karikatur Daumiers den Maler für verrückt, weil er einen Apfelbaum „porträtiert“, der keine Früchte trägt und damit in ihren Augen nicht bildwürdig ist.115 Mit dem hier gezeigten Aufeinanderprallen von alltäglicher und ästhetischer Wertung ist ein zentraler Konflikt be115 Honoré Daumier: Les Paysagistes, in: Le Charivari, 09.12.1864, o. S.

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schrieben, aus dessen komischem Potential auch andere Karikaturen zu diesem Thema schöpfen. Abbildung 120: Gustave Doré: Étude de paysage d’après nature. – Grand ébahissement de la population rurale

Journal pour rire, 07.07.1849, o. S.

Besonders in englischen Karikaturen lässt sich eine Vorliebe für Situationen dieser Art beobachten. Die Begegnung von Künstlern und Landbewohnern bildet, wie schon Adelheid Stielau feststellte, den Ausgangspunkt für die meisten englischen Karikaturen zur Freilichtmalerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.116 Aufgrund der großen Menge und gelegentlichen Redundanz des Materials hier nur einige wenige Beispiele vergleichend herangezogen.117 Anders als in französischen Karikaturen ergibt sich die Komik in englischen Cartoons meist aus der Bildunterschrift, während karikierende Elemente auf der Bildebene nur sehr sparsam eingesetzt werden. Dies ist auch in einer Darstellung von 1862 der Fall, die den Künstler beim Skizzieren einer Strandansicht zeigt (Abb. 121). Seinem maritimen Standort entsprechend ist er von Fischern umgeben, die laut und in dialektisch gefärbtem Englisch darüber spekulieren, was seine Zeichnung wohl darstelle. Während der erste die Skizze offenbar für eine Wolkenstudie hält, erkennt der zweite darin menschliche Figuren und der dritte einfach nur Fantasiegebilde. Die Vorstellung des Malers als „Jack Daubs, who imagines that his drawings are rather turneresque“ 116 A. Stielau: Kunst und Künstler im Blickfeld der satirischen Zeitschriften ,Fliegende Blätter‘ und ,Punch‘, S. 51. 117 Für eine chronologische Aufstellung der Karikaturen des Punch zu diesem Thema vgl. A. Stielau: Kunst und Künstler im Blickfeld der satirischen Zeitschriften ,Fliegende Blätter‘ und ,Punch‘, S. 238 (Anm. 111).

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liefert eine Erklärung für diese Verständnisschwierigkeiten: In der Bemühung, sich der abstrahierenden Malweise seines Vorbilds Turner anzunähern, produziert der karikierte Maler nichts als daubs, Schmierereien. Mehr als zehn Jahre nach Turners Tod richtete die Karikatur ihren Spott nicht mehr gegen den mittlerweile anerkannten Maler, sondern gegen seine zahlreichen Epigonen, die die spontane, skizzenhafte Pinselschrift ihres Vorbilds nicht in überzeugender Manier beherrschten. Abbildung 121: Anonym: Pleasant for Jack Daubs, who imagines that his drawings are rather turneresque First Art Critic: „I do b’lieve he’s a painting the sky.“ Second Ditto: „Noa, he ain’t. He’s a painting them people.“ Third Ditto: „Noa, he’s doing sommut out of his head.“

Punch, Bd. 43 (15.11.1862), S. 197

Die angeblich fehlgeschlagene topografische Wiedererkennbarkeit des Motivs ist auch Thema einer 1879 im Punch publizierten Karikatur von Charles Keene mit dem ironischen Titel Encouraging, in der eine Bauersfrau nach langer Betrachtung zu dem Schluss kommt, es könne sich bei dem Landschaftsbild auf der Staffelei nicht um „any place hereabouts“ handeln (Abb. 122).

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Abbildung 122: Charles Keene: Encouraging! Farmer’s Wife (after a long look). „Now, that ’on’t be any place hereabaouts, I s’pose, Sir?!“

Punch, Bd. 76 (06.05.1871), S. 243

Der Kontrast zwischen ästhetischem und pragmatischem Blick auf die Landschaft, den Daumier in seiner Serie Les Paysagistes behandelte, kommt auch in englischen Cartoons mehrfach zum Tragen. So beschwert sich ein Getreidebauer über die große Anzahl von Mohnblumen, mit denen der Künstler sein Kornfeld versehen habe, denn was für den Maler reizvolle Farbflecken sind, ist für den Landwirt schädliches Unkraut.118 Ein Viehzüchter muss dagegen irritiert feststellen, dass der Künstler für ein Gemälde seiner Kühe einen Preis zu erzielen hofft, der den Verkaufswert der lebendigen Tiere übersteigt.119 Im Dialog mit den Landbewohnern sah sich der Künstler mit anderen, der Kunst wesensfremden Maßstäben und Wertvorstellungen konfrontiert. Die Kritik, die ihn von dieser Seite traf, unterschied sich qualitativ von den ihm vertrauten Urteilsmodi der Ausstellungs- und Atelierbesucher. Öffentliches Malen bedeutete für ihn demnach nicht nur, wie bei Doré, die Belästigung durch aufdringliche Provinzler, sondern auch, sich diesen kunstfremden Beurteilungen auszusetzen. Die Komik der auf diesem Schema basierenden Karikaturen liegt dabei vor allem in der Fallhöhe zwischen der ‚hohen‘ geistigen Sphäre der Kunst und dem ‚niederen‘ bäuerlichen Alltag. Allen Karikaturen gemeinsam ist, dass das öffentliche Malen als eine Art notwendiges Übel dargestellt wird, was wohl den tatsächlichen Gegebenheiten ent118 Charles Keene: The Finishing Touch!, in: Punch, Bd. 61 (14.10.1871), S. 163. 119 Anonym (signiert „WR“): Not To Be Made A Fool Of, in: Punch, Bd. 67 (26.09.1874), S. 132.

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sprach. Die Freilichtmaler beabsichigten keineswegs, die bis zur Ausstellungsreife eines Bildes notwendigen Arbeitsschritte publik zu machen, im Gegenteil: Mit dem Verlassen des Ateliers seit den 1830er Jahren wurde der Prozess der Werkschöpfung zwar erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, doch die Anwesenheit von Zuschauern wurde, wie die Karikaturen zeigen, zunächst als Störung oder Belästigung empfunden. Schließlich verändert das Sichtbarwerden künstlerischer Arbeitsprozesse, wie Monika Wagner schreibt, zwangsläufig das Geheimnis der Kunstschöpfung, was immer auch einer Entzauberung von Kunst und Künstlern gleichkommt.120 Die Karikaturen zu diesem Thema trugen wesentlich dazu bei, beim Publikum ein Interesse für den Akt der Kunstproduktion zu wecken, der über das im Salon bereits eingeübte Interesse an den fertigen Werken hinausging. Infolgedessen wurde auch der Blick ins Atelier gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend attraktiver. Dies zeigen Presseartikel wie die 1898 erschienene und von Oswald Heidbrink illustrierte Reportage À travers les Ateliers121, in der zeitgenössische Künstler wie Jules Lefebvre und Jean-Léon Gérome den Lesern des Charivari einen intimen Einblick in ihre Arbeitsprozesse gewährten. Das wachsende öffentliche Interesse an der Arbeit des Künstlers dürfte mit ausschlaggebend für die Entwicklung künstlerischer Strategien gewesen sein, die dem Schaffensakt eine performative Komponente verliehen, ihn zum Teil des Kunstwerks erklärten oder sogar, wie im Action Painting, selbst zur Kunst werden ließen. Hier zeigt sich erneut die Pionierrolle der Karikatur, die diesen Ansatz lange vor seiner künstlerischen Umsetzung als humoristischen Entwurf visualisierte. Der Münchener Zeichner Julius Diez (1870-1957) tat dies bereits zwei Jahre nach Heidbrinks Atelierreportage in einer ganzseitigen Illustration für die Jugend (Abb. 123). In zwei untereinander angeordneten und durch eine geschwungene Linie voneinander getrennten Darstellungen sind ein Maler und ein Bildhauer zu sehen, die vor Publikum in einer Zirkusarena arbeiten. Beide werden inmitten eines Schaffensprozesses gezeigt. Durch den von Diez gewählten Bildausschnitt ist hinter dem großformatigen Staffeleibild des Malers nur die Rundung einer Arena angedeutet, während auf der etwas größeren Darstellung des Bildhauers auch eine beachtliche Zuschauermenge zu sehen ist, die hinter der Manegenabsperrung und auf einer erhöhten Loge Platz findet. Gebannt, teilweise sogar mit Operngläsern ausgestattet, verfolgt das Publikum die Entstehung einer antikisierenden Kopfplastik, die der Künstler mit Hammer und Meissel bearbeitet. Die etwas vaudevillehafte Aufmachung der beiden Protagonisten scheint eher zur Situation einer Bühnenaufführung als zu den Erfordernissen eines Arbeitsprozesses zu passen: Der Maler trägt eine kurze Jacke mit Epauletten, die an die Uniform eines Zirkusdirektors erinnert, und auch der Bildhauer ist in eleganter Hose und Smokinghemd für seine Arbeit 120 Vgl. M. Wagner: Der kreative Akt, S. 48. 121 Chancel, Jules: „À travers les Ateliers“, in: Le Charivari, 30.04.1898, S. 3-6.

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eher unpassend gekleidet. Auf beiden Darstellungen ist im Manegenhintergrund ein Artist im gestreiften Turnanzug zu sehen, mit dem die um die Aufmerksamkeit des Publikums konkurrieren: Auch ihre Aufgabe besteht darin, durch ihre Darbietung zu unterhalten, während das dabei entstehende Kunstwerk zur Nebensache wird. Abbildung 123: Julius Diez: Eine Idee

Jugend, Bd. 5, Nr. 20 (14.05.1900), S. 333

Die Karikatur illustriert einen humoristischen Text, der als Brief eines fiktiven amerikanischen Journalisten namens Bob Snob an die Redaktion der Jugend formuliert ist. Darin berichtet der Korrespondent von zwei Veranstaltungen im Zirkus seiner Heimatstadt Smartville, bei denen ein Maler und ein Bildhauer vor ausverkauftem Haus jeweils ein Werk produziert hätten. Diese ungewöhnliche Maßnahme begründet er als Versuch, den bildenden Künsten gegenüber Opern- und Konzertauffüh-

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rungen zu größerer Popularität zu verhelfen. In deutsch-amerikanischem Kauderwelsch heißt es: „Warum ist unsere Publikum interested für Sänger und jugglers, für pianists und all kinds of performers, warum bezahlen sie gerne die großen Eintritts und spannen die horses aus und schicken ganze Körbe von flowers und Buselnadeln und champagne, wenn eine große Tenor oder Primadonna oder Violonist ist aufgetreten? Und warum machen sie sich nicht so viel aus die painters und sculptors? Weil sie nicht haben den persönlichen Bekanntschaft zu these gentleman! Weil sie nicht sehen, wie these artists machen ihre Werke! Bei die Singer, sie sehen machen auf die mouth, und werden roth und blau die Gesicht in Fortissimo; bei die pianists sie sehen to sweat the poor artist in seine Arbeit; bei die Schauspielaktors sie sehen die Figur, die Wattons, die Costüme, die Decolletage – immer sie sehen den artist an die Arbeit! Bei die painters und sculptors sie sehen immer nur die work, nie den workman!“122

Die Unsichtbarkeit des künstlerischen Arbeitsprozesses, der nach wie vor meist im Verborgenen stattfand, verhindere demzufolge eine Identifikation des Publikums mit dem bildenden Künstler. Wie ihre Kollegen aus den darstellenden Künsten sollen auch die Maler und Bildhauer endlich öffentlich schwitzen und rot anlaufen, um sich die Sympathie ihrer Zuschauer zu verdienen. Dieser Einsatz werde ihnen, wie Bob Snob berichtet, durch wirtschaftliche Erfolge und gesellschaftlichen Statusgewinn vergolten: „And now ist die Begeisterung für schöner Kunst fabulous in Smartville. In these summer wir halten ab einer großen exposition von Kunstwerks, Mr. Bluffs hat einer Million Dollars gegeben für to make eine Museum und Mr. Snuff, ein andere Millionär hat gegeben two millions für to make einer Academy of art in unsere Stadt.“123

Die Jugend richtete sich mit dieser Satire gegen eine anhaltende Kommerzialisierungs- und Popularisierungstendenz der Kunst. Als Ursprungsort der titelgebenden „Idee“ wurde nicht umsonst die als kulturlos und profitorientiert angesehene Industrienation Amerika vorgestellt, doch die parodierten Verhältnisse ließen sich auch auf die damalige Situation in Deutschland übertragen. Bei der Figur des Bildhauers Mr. Stoneman „aus Pankow-City in Germany“124 handelt es sich allem Anschein nach um eine Karikatur auf den vielbeschäftigten Berliner Bildhauer Reinhold Begas, dem von seinen Kritikern übertriebene Geschäftstüchtigkeit und eine ‚fabrikmäßige‘ Arbeitsweise nachgesagt wurden.125 Auch die an Begas’ klassizistischer 122 Anonym („Bob Snob“): Eine Idee, in: Jugend, Bd. 5 (1900), Nr. 20, S. 332. 123 Ebd. 124 Ebd. 125 Vgl. den Abschnitt „Kunstmaschinen und Maschinenkünstler“ in diesem Buch.

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Formensprache orientierte Skulptur spricht dafür, die Darstellung des Bildhauers eine Personenkarikatur zu betrachten. Aufsehenerregende öffentliche Großprojekte wie das von Begas verantwortete und von jüngeren, fortschrittlich gesinnten Künstlern heftig kritisierte Skulpturenprogramm für die Berliner Siegesallee bestimmten, so ein Kritikpunkt der Jugend, das Gesicht der bildenden Künste in Deutschland. Nur was sich unter möglichst großem Spektakel vor den Augen der Öffentlichkeit vollziehe, könne mit der Aufmerksamkeit des Publikums rechnen, während der in der Abgeschiedenheit des Ateliers still vor sich hinarbeitende Künstler keine Beachtung finde. Die in diesem Künstlertopos aufgehobene Atelierromantik des 19. Jahrhunderts126 diente gleichsam als Negativschablone, auf der die Jugend ihre parodistische Vision künstlerischer Arbeit entwickelte. Tatsächlich war, wie auch Caroline A. Jones feststellt, der romantische Topos des einsam in seinem Atelier arbeitenden Künstlers schon im Moment seiner Entstehung um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch gesellschaftliche, wirtschaftliche und mediale Umwälzungen bedroht.127 Die moderne Gesellschaft forderte vom Künstler Partizipation an ihren Ritualen, die einen Antagonismus zur Abgeschiedenheit des Ateliers darstellten. So proklamierte der Kunstkritiker Albert Wolff bereits 1886, der Künstler habe sich nicht länger im Atelier einzuschließen, sondern müsse in das mondäne Leben der Großstadt eintauchen und seinen Arbeitsplatz in einen Salon verwandeln.128 Die von Wolff geforderte Teilhabe der Gesellschaft am Prozess der künstlerischen Werkschöpfung wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts radikal umgesetzt. Dabei öffneten die Künstler ihre Ateliers zunächst einer medial vermittelten Öffentlichkeit: In der New Yorker Zeitschrift Art News erschien ab 1949 eine regelmäßige Serie mit interviewgestützten Berichten aus den Werkstätten der bekanntesten US-amerikanischen Maler und Bildhauer, die der Leserschaft des Magazins erstmals Einblicke in ihre Atelierpraxis gewährten. Dieser Fokus auf die handwerklichen Aspekte künstlerischen Tuns stellte schon für sich eine neue Form der Berichterstattung dar. Die eigentliche Attraktion der Serie waren jedoch die begleitenden Fotografien, die den Arbeitsprozess des vorgestellten Künstlers in seinen verschiedenen Stadien dokumentierten. Legendär wurde die 1950 von Hans 126 Vgl. Caroline A. Jones’ Ausführungen zur „Romance of the studio“ in: Jones, Caroline A.: Machine in the studio. Constructing the Postwar American Artist, Chicago u.a. 1996, S. 1-59. 127 C. A. Jones: Machine in the studio, S. 15 f. 128 „À notre époque, le peintre n’est plus l’artisan laborieux qui s’enferme dans son atelier, condamne sa porte et vit dans un rêve; il s’est jeté la tête la première dans le mouvement mondain et fait partie du tout Paris élégant; il a son jour où son atelier se transforme en salon et où il reçoit l’élite de la société cosmopolite.“ Wolff, Albert: La capitale de l’art, Paris 1886, S. 285.

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Namuth aufgenommene und ein Jahr später ausschnittweise in Art News veröffentlichte Fotoserie des malenden Jackson Pollock, die wesentlich zur Popularisierung des Künstlers und der von ihm entwickelten Malweise beitrug.129 Aufsehen erregten dabei vor allem der spontane Gestus und die in der Fotografie als Unschärfe ablesbare Schnelligkeit, mit der der Künstler seine Farben als Bewegungsspur auf die Leinwand brachte.130 Das 1952 von Harold Rosenberg ebenfalls in der Zeitschrift Art News begründete kunstkritische Label der American Action Painters131 entstand wahrscheinlich auch unter dem Eindruck der Fotografien und Filme von Hans Namuth, die, wie Regine Prange ausführt, nicht nur die zeitgenössische Pollock-Rezeption prägten, sondern durch ihre mediale Verbreitung auch „stilbildend für die populäre Aufbereitung avantgardistischer Kunst im Zeitalter der Massenmedien“132 wurden. Die öffentliche Zurschaustellung des Malaktes, die laut Barbara Rose der „Lüftung von Stammesgeheimnissen“133 gleichkam, war so von Anfang an ein Charakteristikum des Action Paintings. Nie zuvor, auch nicht in der Pleinairmalerei, war die Öffentlichkeit dem Vorgang künstlerischer Werkschöpfung so nahe gekommen. Die Kunsttheorie antwortete auf diese neue Möglichkeit, indem sie dem Produktionsprozess einen bisher noch nicht dagewesenen Stellenwert einräumte. „Worum es wirklich geht, ist die Offenbarung, die sich im Malakt enthüllt“134, schrieb Rosenberg und verwies damit die traditionellen künstlerischen Ausdrucksmittel wie Form, Farbe und Komposition auf den zweiten Rang. Der Kritiker bediente sich eines Vokabulars aus dem Theaterbereich, wenn er den Maler als „Akteur“135 und den Schaffensakt als Analogon eines „luziden Dramas“136 charakterisierte. Mit Blick auf Pollocks ungewöhnliche Praxis, beim Malen „[i]n die Leinwand hinein“ zu gehen und den auf dem Boden liegenden Bildträger mit den Füßen zu betreten, bezeichne-

129 Vgl. R. Goodnough: Pollock paints a picture. Die Serie von Hans Namuth umfasst insgesamt etwa 500 Fotografien, eine Auswahl von sieben Bildern wurde in der Zeitschrift veröffentlicht. 130 Um dieser höchst dynamischen Arbeitsweise gerecht zu werden, dokumentierte Namuth den Malakt des Künstlers auch filmisch. Vgl. M. Wagner: Der kreative Akt, S. 53. 131 Rosenberg, Harold: The American Action Painters, in: Art News, Bd. 50 (1952), Nr. 10, S. 22-23, 48-50. 132 Prange, Regine: Jackson Pollock Number 32, 1950. Die Malerei als Gegenwart, Frankfurt am Main 1996, S. 29. 133 Zit. nach M. Wagner: Der kreative Akt, S. 53. 134 H. Rosenberg: The American Action Painters, S. 22 ff. Dt. Übersetzung zit. nach. C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 708-711, hier S. 709. 135 Ebd. 136 Ebd.

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te Rosenberg die Leinwand des Malers als „Arena, in der es zu agieren galt“.137 Im Begriff der Arena ist dabei nicht nur die neuartige Horizontalität des Malaktes reflektiert, sondern vor allem die bühnenartige Funktion, die der Leinwand in diesem Theorieentwurf zugedacht wurde. Die Rede von der Arena, die den vormals geheimen Schöpfungsakt zum öffentlichen „Ereignis“138 werden ließ, erinnert dabei an Julius Diez’ gut 50 Jahre zuvor entwickelte und als Bildwitz visualisierte „Idee“, Maler und Bildhauer in einer Zirkusarena auftreten zu lassen. In den 1950er und frühen -60er Jahren wurde der Schritt auf die Bühne von einigen amerikanischen und europäischen Malern tatsächlich vollzogen, doch auch Fotografie und Film blieben wichtige Vermittlungsmedien, die eine Teilhabe der Öffentlichkeit am Produktionsprozess ermöglichten. Der französische Maler Georges Mathieu (1921-2012), der 1956 erstmals ein Gemälde vollständig vor Publikum ausführte139, hatte sich zwei Jahre zuvor bereits von Robert Descharnes bei einer mehrstündigen Malaktion filmen lassen, in der er die mittelalterliche Schlacht bei Bouvines malerisch nachstellte. Seine Pinsel übernahmen dabei die Funktion von Schwertern und Hellebarden, mit denen der Künstler seine Bewegungsspur in eine monumentale Leinwand einschrieb. Zwölf Stills des in Paris entstandenen Films dienten später als Illustrationen für den Bericht Mathieu paints a picture, der im Februar 1955 in Art News erschien.140 Nicht eine aktuelle Malaktion des Künstlers, sondern das in der Zeitschrift publizierte Bildmaterial (Abb. 124) war so der Anlass für die kurz darauf im New Yorker publizierte Karikatur von Anatol Kovarsky, die einen dynamischen Fechtkämpfer bei der Ausführung eines abstrakten Gemäldes zeigt (Abb. 125). Der Vergleich von Maler und Fechter war indes nicht neu: Bereits in der Frühen Neuzeit wurde die Metapher des Fechtens gebraucht, um die schnelle, virtuose Malpraxis, die bravura, Tintorettos zu beschreiben.141 Mathieus Aktion ist als konsequente Umsetzung von Rosenbergs Überlegungen zur Leinwand als Arena gedeutet worden142, zu der auch die Vorstellung einer direkt oder indirekt anwesenden Öffentlichkeit gehört. 137 Ebd., S. 708 138 Ebd. 139 Es handelte sich um das Werk Hommage aux poètes du monde entier, 1956, Öl auf Leinwand, 400 x 1200 cm. Die Malaktion fand während der „Nacht der Poesie“ im Pariser Thêatre Sarah-Bernhardt statt. Vgl. M. Wagner: Der kreative Akt, S. 45. 140 Michel Tapié de Céleyran: „Mathieu paints a picture“, in: Art News, Bd. 53 (1955), Nr. 10, S. 49-52, 74-75. 141 Vgl. N. Suthor: Bravura, S. 66 ff. 142 Vgl. Stiles, Kristine: „Performance Art. Introduction“, in: Stiles, Kristine/Selz, Peter (Hg.): Theories and Documents of Contemporary Art. A Sourcebook of Artists’ Writings, Los Angeles u.a. 1996, S. 679-694, hier S. 680.

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Abbildung 124: Robert Descharnes: Film Still als Illustration zu dem Artikel „Mathieu paints a picture“

Art News, Bd. 53, Nr. 10 (Februar 1955), S. 49

Abbildung 125: Anatol Kovarsky: o. T., in: The New Yorker, 05.02.1955, S. 35

© Anatol Kovarsky / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

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In zeitgenössischen Karikaturen zum Action Painting wurde der Aspekt der öffentlichen Bildproduktion mehrfach thematisiert. Besonders in Großbritannien entdeckten Karikaturisten ein humoristisches Potential in Schöpfungsakten, die plötzlich außerhalb der künstlerischen Sphäre des Ateliers stattfanden. 1958 verlegte der Cartoonist George Sprod (1919-2003) den Malakt sogar auf die Straße, den öffentlichen Raum schlechthin (Abb. 126). Die Karikatur zeigt eine Kunstausstellung unter freiem Himmel. An einer Mauer, die den Gehweg zur linken Seite hin begrenzt, sind in mehreren Reihen Gemälde präsentiert; darunter nicht nur konventionelle Motive wie ein Früchtekorb, sondern auch abstrakte Werke, die an die Malerei des Informel erinnern. Eines der Bilder ist noch im Entstehen begriffen: Ein Action Painter schleudert mit schwungvoller Geste Farbe auf eine mehrere Meter entfernt stehende Leinwand, während eine junge Assistentin rechts von ihm ein Tablett mit Farbtöpfen bereithält. Ein Hinweisschild des London County Council (LCC) verleiht der Veranstaltung eine offizielle Note und mahnt mit den Worten „Caution – Painting in Progress“ gleichzeitig zur Vorsicht. Zwei vornehm gekleidete Spaziergänger sind auf dem durch die Malaktion versperrten Gehweg stehen geblieben und werden so eher unfreiwillig zu Zuschauern des ungewöhnlichen Schöpfungsaktes. Die Komik der Karikatur ergibt sich auch aus dem kontrastreichen Zusammentreffen zweier ungleicher Paare. Das etwas bohèmehafte Äußere des Künstlers und seiner Assistentin kontrastiert mit der bürgerlich-distinguierten Englishness der beiden Passanten. Abbildung 126: George Sprod: o. T.

Punch, Bd. 234 (07.05.1958), S. 611

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Den Ausgangspunkt für Sprods humoristischen Einfall bildeten wohl die bekannten Open-Air Skulpturenausstellungen, die das LCC in den 1950er Jahren in Londoner Parks veranstaltete. Auch diese verlangten dem Publikum ein ungewohnt hohes Maß an Offenheit ab, denn die dort präsentierten Werke zeitgenössischer Bildhauer entsprachen nur selten dem Kunstgeschmack der breiten Masse. Im Falle einer für das aktuelle Kunstschaffen repräsentativen Malereiausstellung, so folgert der Karikaturist, müsste der Veranstalter also einen Aktionsmaler einladen. Die Karikatur weist auf einen Bruch in Ausstellungspraxis und Theoriebildung des Abstrakten Expressionismus hin: Denn wenn, wie Rosenberg schrieb, der Malakt das eigentliche Kunstwerk ist, dann ist er es auch, der gegenüber dem fertigen Bild den höheren Ausstellungswert besitzt. Der Primat der Technik gegenüber dem Werk, der sich in der Theorie des Action Paintings zum ersten Mal herauskristallisierte, verlangte nach neuen Präsentationsformen, die die Maler unter anderem im Modus der Bühnenaufführung realisierten. Die Herstellung von Gemälden vor einem eigens geladenen Pubikum wurde um 1960 vor allem von zwei Künstlern praktiziert. Yves Kleins seit 1958 entstandene Körperabdruck-Bilder (Anthropometrien), bei denen der Künstler nackte weibliche Modelle als ‚lebende Pinsel‘ einsetzte, entstanden zwar größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit; schlagartig berühmt wurde das Verfahren jedoch erst 1960 durch eine öffentliche Anthropometrie-Vorführung vor etwa einhundert Gästen in der Pariser Galerie International d’Art Contemporain. Der Künstler selbst begründete den Schritt aus der Intimität des Ateliers in die öffentliche Situation einer Aufführung mit seinem Wunsch, „den Tempelschleier des Ateliers niederreißen“143 zu können. Das Mittel dazu war eine konsequente Offenlegung des Produktionsprozesses, der gleichzeitig selbst zum Gegenstand einer starken künstlerischen Inszenierung wurde: Klein trat wie ein Dirigent im Smokingfrack auf und die Aktion wurde von einem zehnköpfigen Orchester begleitet. Eine intensive Beschäftigung mit Theater, Bühne und Tanz bildete den Ausgangspunkt für Robert Rauschenbergs performative Malaktionen. In einem Interview mit Barbara Rose gab der Maler rückblickend zu, die Bühnenkünste um das ihnen inhärente Potential der „show“ zu beneiden144: Die besondere Situation der Aufführung, die Gegenwart von Publikum und das Agieren im Raum schienen ein 143 Zit. nach M. Wagner: Der kreative Akt, S. 55. 144 „I know that I am a painter, a sculptor and a photographer, but any tool in my medium tends to stop activity − except for reflective surfaces, lights and anything else that will bring the room and the presence of other activities back into it. I envy the performance arts because if you are not there, there is no show.“ Rose, Barbara: An Interview with Robert Rauschenberg, New York 1987, S. 104, zit. nach: Jäger, Joachim: Das zivilisierte Bild. Robert Rauschenberg und seine Combine-Paintings der Jahre 1960-1962, Klagenfurt u.a. 1999, S. 154 f.

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Ausdrucksspektrum bereitzuhalten, das der Malerei bis dahin nicht zugänglich gewesen war. Um 1960 entdeckten viele Künstler dieses Potential und wandten sich in Fluxus und Happening performativen Strategien zu. Rauschenberg gelang es 1961, seinem eigenen malerischen Arbeitsprozess den Charakter eines Events zu verleihen und ihn in den größeren Zusammenhang eines Happenings zu integrieren. Während einer Performance im Pariser Thêatre de l’Ambassade des Etats-Unis, an der neben Rauschenberg auch die Künstler Jasper Johns, Jean Tinguely und Niki de Saint-Phalle sowie der amerikanische Pianist David Tudor teilnahmen, arbeitete der Maler auf offener Bühne an seinem First Time Painting145, das er innerhalb eines vorher festgelegten Zeitraums vollendete. Der Malakt selbst war dabei für die Zuschauer nicht sichtbar, denn diese sahen nur die Rückseite der Leinwand mit dem dahinter verborgenen Künstler. Stattdessen wurden die Geräusche, die Rauschenbergs Pinsel auf der Leinwand verursachten, durch ein Lautsprechersystem verstärkt und in den Zuschauerraum übertragen. Das eigentlich schon suspendierte Geheimnis des Schöpfungsaktes, der hier zwar öffentlich stattfand, aber dennoch den Blicken entzogen war, wurde so gleichsam durch die Hintertür wieder eingeführt. Die zur Arena stilisierte Leinwand wurde erneut zum Ort eines mythischen Ereignisses. Während der Akt des Malens von Künstlern um 1960 als bühnenwürdig erachtet und konsequent zur Aufführung gebracht wurde, arbeitete die Karikatur an der Dekonstruktion dieser nobilitierenden Sichtweise. Die Öffentlichkeit des karikierten Action Painters ist nicht die Bühne, sondern die Straße; seine Degradierung zum Straßenkünstler widerspricht der Nobilitierung des Schöpfungsaktes durch Künstler und Kunstkritik und rückt den Abstrakten Expressionismus in die Nähe ‚niederer‘ Bildproduktionen. Während Sprod die Handlung seines Cartoons immerhin noch im professionellen Rahmen einer „Open-Air Art Exhibition“ des London County Councils ansiedelte, ließ der Illustrator und künstlerische Leiter des Punch Russell Brockbank (1913-1979) sogar einen Londoner Straßenmaler als Abstrakten Expressionisten auftreten (Abb. 127). Brockbanks großformatige, farbige Darstellung, die im März 1962 auf dem Titelblatt des Punch erschien, überzeugt ebenso durch ihren unmittelbaren Bildwitz wie durch ihren subtilen Anspielungsreichtum. In schräger Draufsicht zeigt sie einen Bürgersteig, auf dem eine raumgreifende Malaktion stattfindet. Unter den erstaunten Blicken stehen gebliebener Passanten wird ein mehrfarbiges Drip Painting realisiert: Der Maler gießt soeben flüssige Farbe aus zwei Töpfen auf einen am Boden ausgebreiteten Bildträger. Ob es sich bei dem großen weißen Rechteck um eine Leinwand handelt, ist nicht ersichtlich, doch durch die Bordsteinkante entsteht zumindest die überraschende Illusion eines Keilrahmens. Mit weit ausgebreiteten Armen demonstriert der Künstler die somatische Dimensi145 Robert Rauschenberg: First Time Painting, 1961, Mischtechnik, 195 x 130 x 22,5 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Sammlung Marx.

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on der von ihm praktizierten Malerei, in der der Bildraum durch die Reichweite der Gliedmaßen bestimmt wird. Das Format des Bildträgers stellt indes nur eine willkürliche Begrenzung der Malerei dar, die zu allen Seiten über dessen Ränder hinauswächst. Diese Tendenz zum Negieren des Randes, die ein wesentliches Charakteristikum des Action Paintings darstellt, findet sich auch in Brockbanks Illustration: So deutet der den Bildraum diagonal durchschneidende Eisenzaun im Hintergrund auf eine potentielle Verlängerung des Bildes über die Seitenränder hinaus. Seine Form erinnert zudem an den Zaun aus Manets berühmtem Gemälde Die Eisenbahn146, der in der Komposition des Bildes eine ähnliche Funktion erfüllt. Wurden die Grenzen des Bildraums im Impressionismus zum ersten Mal in Frage gestellt, so ist im Abstrakten Expressionismus ein vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklung erreicht. Weitere Rückbezüge auf die Kunst der Moderne sind als Bilder im Bild in der Illustration präsent: An den Eisenzaun gelehnt sind einige bereits fertige Gemälde, die offenbar zum Verkauf angeboten werden. Sie dokumentieren die Entwicklung des Künstlers von einem naiven Realismus über kubistische Anklänge bis hin zur vollkommenen Abstraktion − oder die Simultanität dieser Stile. Das im Entstehen begriffene Dripping verkörpert womöglich nur das aktuellste Stadium in einem Prozess, der die Kunstentwicklung der Moderne gleichsam im Zeitraffer zusammenzieht. Der betagte Straßenmaler, dessen weißbärtige Erscheinung so gar nicht zu seiner avantgardistischen Maltechnik passen will, könnte diese Entwicklung hautnah miterlebt haben. Als eine Art Veteran der modernen Kunst greift er auch deren neueste Erscheinungsform routiniert auf. Mit der Figur des Straßenmalers zeigt die Karikatur die Erniedrigung des metaphysisch verklärten Schöpfungsaktes zur voraussetzungslosen Kleinkunst. Vor dem Hintergrund dieser parodistischen Strategie erscheint auch die Straße als genuiner Ort der künstlerischen Werkschöpfung. Die Praxis des öffentlichen Malens kehrt hier gleichsam an den Ort und in den ursprünglichen Kontext ihrer Entstehung zurück, denn in der niederen Kunst der Pflastermalerei, die erst 1977 auf der documenta 6 als ausstellungswürdig erachtet wurde147, war der Malakt schon immer Gegenstand öffentlicher Teilhabe gewesen. Die Horizontalisierung der Leinwand im Action Painting lässt zudem eine kuriose Parallele zur Pflastermalerei aufscheinen, die es notwendigerweise ebenfalls mit horizontalen Bildebenen zu tun hat. Der An-

146 Édouard Manet: Die Eisenbahn, 1873, Öl auf Leinwand, 93,3 x 111,5 cm, National Gallery of Art, Washington 147 Auf Initiative des Künstlers Harry Cramer ließ Manfred Schneckenburger 1977 internationale Pflastermaler im Begleitprogramm der documenta auftreten. Für den Hinweis danke ich Kathrin Rottmann.

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spruch der neuen Malerei, die Grenzen zwischen Kunst und Leben zu beseitigen148, wurde im Cartoon absichtlich banal aufgefasst. Die Satire richtete ihr Augenmerk dabei auch auf die von den Massenmedien forcierte Popularisierungstendenz der Aktionsmalerei, deren Auswirkungen sie konsequent zu Ende dachte. Die Offenlegung des Produktionsprozesses beschädigte demnach nicht nur das Geheimnis künstlerischer Schöpfung, sondern brachte in ihrer massenmedialen Verbreitung und Vermarktung auch die Gefahr einer Abwertung mit sich. Abbildung 127: Russell Brockbank: o. T.

Punch, Bd. 242 (07.03.1962), Titelseite

148 „Die neue Malerei hat alle Unterschiede zwischen Kunst und Leben beseitigt.“ H. Rosenberg: The American Action Painters, zit. nach: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 708-711, hier S. 709.

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Die Karikaturen vermögen eine Diskursgeschichte des öffentlichen Malens sichtbar zu machen, deren Höhepunkte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in der Mitte des 20. Jahrhunderts liegen. Sie machen deutlich, dass der Schritt aus dem Atelier für Kunst und Künstler immer mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden war. In der Sicht-weise der Karikatur war es oft weniger die Kunst, die vom Alltag Besitz ergriff und diesen in Kunst verwandelte; vielmehr diffundierten Elemente der Realität als Störungen in das Kunstwerk und den Akt der Werkschöpfung hinein und bedrohten seine metaphysische Fundierung. Dies galt ebenso für die „gaffenden Bauern“ der französischen Karikatur wie für die moderne Forderung nach dem ‚Ereignis‘ des Malaktes und einer Teilhabe der Öffentlichkeit am Arbeitsprozess des Künstlers.

Pathologisch, infantil, animalisch – oder zufällig? Karikaturen zur Abstraktion

Abstrakte Kunst und ihre Entstehung sind wiederkehrende Themen der Karikatur. Bereits in Werkkarikaturen des 19. Jahrhunderts wurden gelegentlich abstrakte Bilder eingesetzt, um auf das Scheitern eines künstlerischen Arbeitsprozesses aufmerksam zu machen, doch mit der künstlerischen Abstraktion des 20. Jahrhunderts erhielt das Thema eine neue Brisanz. Interessant ist dabei das Verhältnis satirischer Topoi zu künstlerischen und wissenschaftlichen Theorien der Abstraktion. Im Gegensatz zur Kunsttheorie der Moderne, welche die Abstraktion zum alle Technik sublimierenden Inbegriff des Geistigen stilisierte1, arbeiteten Karikaturen an der Dekonstruktion dieser nobilitierenden Rhetorik. Während den materiellen Entstehungsbedingungen abstrakter Kunst in frühen Theorien der Abstraktion keinerlei Interesse entgegengebracht wurde, richtete die Karikatur ihr Hauptaugenmerk auf diesen Punkt. Wahrscheinlich verlagerte sich das karikaturistische Interesse auch durch den Wegfall des Bildgegenstandes stärker auf den Vorgang der Werkgenese: Der Grund für die fehlende Übereinstimmung von Kunstwerk und Naturvorbild wurde im Entstehungsprozess gesucht, der das ‚chaotische‘ Erscheinungsbild abstrakter Kunst legitimieren sollte.2 Dabei kristallisierten sich schnell bestimmte Erklärungsmuster heraus, die in Karikaturen oft über Jahrzehnte hinweg variiert und aktualisiert wurden. Schon Bernd Gülker hat in diesem Zusammenhang auf die Tendenz der Karikatur hingewiesen, die ideelle und materielle Autorschaft vom Künstler abzulösen und andere Akteure an seine Stelle zu setzen.3 Dabei waren es vor allem zwei Dis1

Vgl. z. B. Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst (1911), Bern 1952. Dort heißt es: „Auf eine geheimnisvolle, rätselhafte, mystische Weise entsteht das wahre Kunstwerk ,aus dem Künstler‘. Von ihm losgelöst bekommt es ein selbständiges Leben, wird zur Persönlichkeit, zu einem selbständigen, geistig atmenden Subjekt“, S. 132.

2

Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 62.

3

Ebd., S. 62 ff.

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kursstränge, die in Karikaturen zur Entstehung des abstrakten Kunstwerks zum Tragen kamen: Zum einen handelt es sich um primitivistische Erklärungsmodelle, in denen der Prozess der Werkschöpfung satirisch an Geisteskranke, Kinder oder Primaten delegiert wurde. Zum anderen wurden abstrakte Werke als ungeplante ‚Zufallsprodukte‘ charakterisiert, deren künstlerischer (und merkantiler) Wert oft erst im Nachhinein durch Außenstehende erkannt wird.

P RIMITIVISMEN: G EISTESKRANKE , K INDER ALS K ÜNSTLER

UND

P RIMATEN

Die Entstehung abstrakter oder abstrahierender Kunst wurde schon früh mit dem Schaffen sogenannter ‚Primitiver‘ in Verbindung gebracht − sowohl in positivwertschätzender als auch in negativ-parodierender Absicht. Die moderne Begeisterung für afrikanische Stammeskunst gab Anlass zu satirischen Äußerungen wie dem 1931 im Punch veröffentlichten Cartoon von George Morrow (1869-1955), der die Ablösung des klassischen Kunstideals durch außereuropäische Kunstformen thematisiert: Statt nach Rom, so der ironische Vorschlag, sollten Stipendiaten der Kunsthochschulen künftig zum Studium nach Zentralafrika geschickt werden (Abb. 128). Zu ihrer Entstehungszeit nahm die Karikatur Bezug auf einen ausgeprägten künstlerischen und kunsttheoretischen Trend: Bereits 1908 hatte Wilhelm Worringer den Abstraktionsdrang zum Ausgangspunkt für das Kunstschaffen der Naturvölker erklärt und damit den Grundstein für die theoretische Begründung einer primitivistischen Moderne gelegt.4 Einige Jahre später führte Carl Einstein erstmals Werke der afrikanischen Stammeskunst in die kunsthistorische Debatte ein.5 Auch die Kunstäußerungen anderer ‚Primitiver‘ wurden zunehmend populär: Hans Prinzhorn beschäftigte sich um 1920 mit der „Bildnerei der Geisteskranken“ und schuf die Voraussetzungen für eine künstlerische Rezeption psychopathologischer Schöpfungen, während Paul Klee im selben Zeitraum das unverfälschte Ausdruckspotential von Kinderzeichnungen entdeckte. Parallel zu diesen affirmativen Zugangsweisen, die in primitiven Bildwerken eine Inspiration für die Erneuerung der modernen Kunst erblickten, wurde das Primitive auch weiterhin karikierend eingesetzt. Zahlreiche Bildwitze setzten Geisteskranke, Kinder oder sogar Tiere an die Stelle des modernen Künstlers, um auf die vermeintliche Primitivität seiner Schöpfungen aufmerksam zu machen.

4

Worringer, Wilhelm: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie, München 1908.

5

Einstein, Carl: Negerplastik, Leipzig 1915.

K ARIKATUREN ZUR A BSTRAKTION | 251

Abbildung 128: George Morrow: The Future oft the Forward Movement in Art. Holders of travelling scholarships awarded by our art schools will be expected to pursue their studies in Central Africa instead of Rome.

Punch, Bd. 180 (1931), S. 579

Künstler als Geisteskranke Die Vorstellung, der Künstler schaffe seine Werke in einem Zustand geistiger Verwirrung, wurde in der Karikatur vergleichsweise selten visualisiert. Dies ist einigermaßen überraschend, zumal der Topos von Genie und Wahnsinn des kreativen Künstlers in geschriebener Form recht häufig auftaucht. Schon den Impressionisten wurde von der Kunstkritik nachgesagt, ihre Werke entstünden „mit den Verrenkungen des Veitstanzes“6, also unter dem Einfluss einer heute als Chorea Huntington bekannten Gehirnerkrankung, die mit Bewegungsstörungen und einem Verlust der kognitiven Fähigkeiten einhergeht.7 In Künstlerromanen des 19. Jahrhunderts zeigt

6

„C’est à croire que ces messieurs, piqués par quelque tarentule, ont brossé frénétiquement leurs toiles avec des contorsions de danse de Saint-Guy.“ La Petite Presse (Pierre Véron): „Les Impressionistes“, in: Le Moniteur universel, 08.04.1877, S. 2, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 175 f.

7

Möglicherweise ist auch die minderschwere Form der Chorea Sydenham gemeint. Der französische Name „danse de Saint-Guy“ (dt. Veitstanz) leitet sich vom Kult des Heiligen Veit ab, der seit dem Mittelalter als Schutzheiliger der Epileptiker galt.

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die Hauptfigur häufig suizidale Tendenzen und ist vom Abgleiten in Wahnsinn und geistige Umnachtung bedroht.8 Tatsächlich gehört das Vorurteil, der Künstler sei für psychische Erkrankungen besonders anfällig, zu den populärsten Künstlermythen der Moderne. Die theoretischen Grundlagen und faktischen Konsequenzen einer solchen Pathologisierung des Künstlers hat Bettina Gockel in einer umfassenden Studie untersucht.9 Sie beschreibt darin, wie die Affinität von künstlerischer Begabung und pathologischer Disposition in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gedacht wurde. Insbesondere die Vereinnahmung des Künstlers durch Anthropologie, Biologie und Psychiatrie um 1900 habe stets den „Schatten der Pathologisierung“10 mit sich geführt. Die Strategie, den Künstler und sein Werk zu pathologisieren und dadurch implizit abzuwerten, lässt sich als humoristische auch in der Karikatur beobachten. Als Produktion eines Irren charakterisierte zum Beispiel Félicien Rops ein in seinen Augen misslungenes Salonbild des französischen Marinemalers Théodore Gudin (1802-1880). In seinem 1857 für die Brüsseler Wochenzeitschrift Uylenspiegel gezeichneten Salon Caricatural erhält das Werk mit der Katalognummer 507 die Bildunterschrift „Carte d’admission de Mr. Gudin à Charenton“ (Abb. 129). Mit Charenton ist das Asile de Charenton gemeint, um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine bekannte Nervenheilanstalt auf der Île-de-France. Die Karikatur ist als Lithografie ausgeführt und wirkt auf den ersten Blick fast vollkommen abstrakt. Auf einem dunklen, unregelmäßig schraffierten Bildhintergrund sind jedoch skizzenhaft Wellen angedeutet, aus denen rechts ein menschliches Bein hervorragt. Am unteren Bildrand ist außerdem eine zum Strichmännchen stilisierte Figur zu erkennen. Anscheinend bezieht sich die Darstellung als Werkkarikatur auf ein Katastrophenbild des bekannten Seemalers: Schiffbrüche, Schiffsbrände und dramatische Seeschlachten waren Lieblingsmotive des Romantikers Gudin, der den Zenit seines Ruhms in den 1850er Jahren bereits überschritten hatte.11 Eines seiner Hauptwerke mit dem Titel Le Dévouement du Capitaine Desse, das dem von Rops karikierten Motiv nahekommt, wird heute im Kunstmuseum der Stadt Bordeaux aufbewahrt.12

8

Dies gilt für den Maler Claude Lantier in Zolas Das Werk ebenso wie für die Figur des Meisters Frenhofer in de Balzac, Honoré: Das unbekannte Meisterwerk (1831), Frankfurt am Main 1987.

9

Gockel, Bettina: Die Pathologisierung des Künstlers. Künstlerlegenden der Moderne, Berlin 2010.

10 Ebd., S. 34. 11 Vgl. Thieme/Becker Bd. 15, S. 194. 12 Théodore Gudin: Le Dévouement du Capitaine Desse, 1829, Öl auf Leinwand, 210 x 295 cm, Musée des Beaux-Arts, Bordeaux

K ARIKATUREN ZUR A BSTRAKTION | 253

Abbildung 129: Felicien Rops: Carte d’admission de Mr Gudin à Charenton

Uylenspiegel au Salon, par les auteurs des Cosaques. Revue de l’exposition de 1857, Brüssel 1857, o. S.

Die gestalterischen Mittel, mit denen Rops den Anschein des Wahnsinns hervorzurufen suchte, lohnen einer genaueren Betrachtung. So ist im Bildzentrum ein weißes, fächerartiges Muster zu sehen, das die lithografische Skizze des Schiffbruchs größtenteils überlagert. Allem Anschein nach kratzte Rops dieses Muster mit einem spitzen Werkzeug in die bereits behandelte Druckplatte hinein; es ist deutlich zu sehen, wie die Druckfarbe an manchen Stellen wieder entfernt und der darunter liegende Lithostein freigelegt wurde. Die in Wirklichkeit farblosen Lineaturen erscheinen im Druck als weißes Muster. Auffallend ist dabei der durch diese ungewöhnliche Technik forcierte stilistische Kontrast der beiden Bildebenen: Auf dem weichen, malerischen Untergrund der Lithografie wirkt das Kratzmuster hart und grafisch, seine hellen Linien bilden einen Gegensatz zu den dunklen Schraffuren der lithografierten Partien. Darüber hinaus spiegelt das Fächermuster eine beinahe gewalttätig erscheinende, krampfartige Heftigkeit der Ausführung wider. Man kann sich vorstellen, dass das Kratzwerkzeug nicht wie der Lithografiestift zwischen Daumen und Zeigefinger, sondern in der geschlossenen Faust gehalten wurde, was eine weniger differenzierte Linienführung zur Folge hat. Die in der Legende diagnostizierte Verrücktheit des Künstlers wird auf der Bildebene durch Abstraktion ausgedrückt, die wiederum als Resultat eines motorischen, das heißt psychophysischen Unvermögens erscheint. Diese Charakterisierung entspricht der wissenschaftlichen Pathologisierung des Künstlers in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch in der psychiatrischen Forschung dieser Zeit zeigte sich eine Tendenz, die künstlerische Veranlagung mit

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dem Krankheitsbild der Epilepsie in Verbindung zu bringen. In der Literatur wird dieses Paradigma meist auf die Schriften des italienischen Psychiaters Cesare Lombroso zurückgeführt13, der im Künstlergenie eine „degenerative Veranlagung epileptischen Typs“14 verkörpert sah. Rops’ Karikatur kann allerdings schon aufgrund ihres frühen Erscheinungsdatums nicht als Reaktion auf Lombrosos Theorien gedeutet werden. Sie zeigt vielmehr, dass populäre Vorstellungen von Künstlerkrankheit dem wissenschaftlichen Diskurs vorausgingen. Die Diagnose Epilepsie wurde von Rops zwar nicht explizit gestellt, doch in seiner Karikatur charakterisierte er die vermeintliche Krankheit des Künstlers als eine Art anfallartiges, die Feinmotorik außer Kraft setzendes Krampfleiden. Die Abstraktion erscheint als Begleiterscheinung einer psychophysisch bedingten motorischen Störung und damit als Abweichung von der ‚gesunden‘ Norm. Die Bildvorlage von Rops Karikatur, die als Werkkarikatur auf einen bestimmten Salonbeitrag bezogen war, konnte im Rahmen dieser Studie nicht ermittelt werden. Mit Blick auf thematisch verwandte Werke Gudins aus dieser Zeit lässt sich jedoch sagen, dass der Vorwurf der Abstraktion darin auf formaler Ebene keine Entsprechung findet. Abstrahierende Tendenzen, wie sie etwa in William Turners Sklavenschiff15 und wenig später in der Malerei der Impressionisten begegnen, lassen sich bei Gudin nicht beobachten. Stattdessen bezieht sich Rops’ Polemik offenbar auf die Bildinhalte des Marinemalers. Abstraktheit wird bei ihm zur Chiffre für das Chaotische und die bedrohlich erscheinende Auflösung der Form, eine Thematik, die Gudin in seinen Bildern von Sturm, Unwetter und Verwüstung vielfach variierte. Genau hundert Jahre nach dem Erscheinen von Rops’ Werkkarikatur wurde der vermeintliche Zusammenhang zwischen Abstraktion und Geisteskrankheit in einem englischen Cartoon erneut thematisiert. Der Zeichner Norman Thelwell (19232004) verlegte die Produktion ungegenständlicher Kunst in die Therapieräume einer psychiatrischen Einrichtung und stellte sie unter das Motto der Beschäftigungstherapie (Abb. 130). Während einer Sitzung benutzt einer der Patienten das ihm zur Verfügung gestellte Material nicht wie die anderen zum Körbeflechten, sondern fertigt daraus zum Staunen seiner Mitpatienten abstrakte Skulpturen. Diese erinnern in ihrer linienhaft-verschlungenen Formgebung entfernt an die Arbeiten des expressi-

13 Vgl. Lombroso, Cesare: Genie und Irrsinn in ihren Beziehungen zum Gesetz, zur Kritik und zur Geschichte (1872), dt. Ausgabe Leipzig 1887. 14 B. Gockel: Die Pathologisierung des Künstlers, S. 83. 15 Joseph Mallord William Turner: Slavers throwing overboard the Dead and Dying – Typhoon coming on (The Slave Ship), 1840, Öl auf Leinwand, 90,8 x 122,6 cm, Museum of Fine Arts, Boston.

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onistischen Bildhauers David Smith, die im Entstehungsjahr der Karikatur in einer Einzelausstellung des New Yorker Museum of Modern Art zu sehen waren.16 Abbildung 130: Norman Thelwell: o. T.

Punch, Bd. 233 (18.09.1957), S. 322

Thelwells Parodie konnte zum Zeitpunkt ihres Erscheinens bereits auf ein dichtes Netz von diskursiven Bezügen zurückgreifen. Spätestens seit Jean Dubuffets 1945 einsetzender Beschäftigung mit der von ihm so genannten Art brut17 hatten die Bildwerke geisteskranker Menschen im Kunstdiskurs eine enorme Aufwertung erfahren. Die museale Präsentation und kunstwissenschaftliche Betrachtung von Objekten dieser Herkunft war in den 1950er Jahren längst keine Seltenheit mehr und auch die psychiatrische Forschung beschäftigte sich nach wie vor (und mehr denn je) mit den bildnerischen Produktionen ihrer Patienten. Das Forschungsinteresse hatte sich dabei zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Epilepsie auf die Schizophrenie verlagert, die nun als paradigmatische Künstlerkrankheit galt. 18 Interessan-

16 David Smith, Museum of Modern Art, New York, 10.09.-20.10.1957. Vgl. Ausst. Kat. David Smith, Museum of Modern Art Bulletin Nr. 25, New York 1957. 17 Vgl. Emmerling, Leonhard: Die Kunsttheorie Jean Dubuffets, Heidelberg 1999, S. 82143 sowie Ausst.-Kat. Im Rausch der Kunst. Dubuffet und Art Brut, museum kunst palast Düsseldorf 2005. 18 B. Gockel: Die Pathologisierung des Künstlers, S. 22. Schon Prinzhorn konzentrierte sich auf die Bildwerke Schizophrener, die 75 Prozent der von ihm zusammengetragenen

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terweise spielte auch in der Beschreibung und diagnostischen Auswertung der Arbeiten schizophrener Patienten die Abstraktion als Symptom eine Rolle. Schon für Prinzhorn war die Gestaltungsabsicht des schizophrenen Zeichners „weit entfernt von der eines Naturalisten, in dem der reiche äußere Schein der Welt draußen das Verlangen weckt, sich in diese Pracht zu versenken und nachbildend davon einzufangen, was er vermag“.19 Stattdessen zwinge das Symbolbedürfnis den Schizophrenen, „abstrakte Ausdrucksträger“20 für die Repräsentation seiner Gefühlswelt zu suchen: „Konvention in der Formensprache, rhythmische Feierlichkeit, Vorherrschen abstrakt-geometrischer Elemente, kurz alles, was vom individuellen Bildwerk fortweist auf verpflichtende Gesetzmäßigkeiten, das wird gesucht.“21 Auch der Psychiater Helmut Rennert, der seiner 1962 erschienenen Grammatik der schizophrenen Bildnerei22 erstmals einen formalen Kriterienkatalog zugrunde legte, sah in „Geometrisierung“, „Flächenhaftigkeit“ und „Missachtung der räumlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Bildelementen“ wichtige Indizien für das Vorliegen eines pathologisch-schizophrenen Krankheitsbildes. Darüber hinaus beschrieb er „geometrisch-lineare Darstellungen“, „teppichartige Motive“ und „formlose Kritzeleien“ als dominante inhaltliche Merkmale der bildnerischen Arbeiten schizophrener Patienten.23 Auch die Ungegenständlichkeit selbst war für ihn als „Verzerrung“, „Erstarrung“ oder „Zerfall des bildnerischen Ausdrucks“ das Resultat einer pathologischen Bewusstseinsveränderung.24 Obwohl Rennert, wie vor ihm Prinzhorn, stets den Begriff der „Bildnerei“ verwendete, um eine Überwertung der Objekte zu vermeiden und deutlich zu machen, dass er nicht über ‚echte‘ Kunst schreibe, implizierte der von im entworfene Kriterienkatalog doch letztlich eine Pathologisierung der Abstraktion. Entgegen der selbst auferlegten Verpflichtung, sich jeder Wertung zu enthalten, nahm der Autor durchaus auch ästhetische Beurteilungen vor25, ging dabei jedoch nicht auf die Frage ein, wie die ‚formlosen‘ Arbeiten Schizophrener von abstrakten Werken gesunder Künstler zu unterscheiden seien. Dass in dem Grenzgebiet zwischen Psychopathologie und Kunst eine klare Trennung beider Bereiche nicht immer aufrecht erhalten werden konnte, zeigte sich schon bei Prinzhorn, der, bei allem Bemühen um eine wissenschaftliche DifferenSammlung ausmachen. Vgl. Prinzhorn, Hans: Bildnerei der Geisteskranken, Berlin 1922, S. 53. 19 Zit. nach Bader, Alfred/Navratil, Leo: Zwischen Wahn und Wirklichkeit. Kunst – Psychose – Kreativität, Luzern u.a. 1976, S. 22. 20 H. Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken, S. 39. 21 Ebd. 22 Rennert, Helmut: Die Merkmale schizophrener Bildnerei (1962), Jena 1966, S. 39. 23 Kraft, Hartmut: Grenzgänger zwischen Kunst und Psychiatrie, Köln 1998, S. 69. 24 Ebd. 25 Ebd.

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zierung, krankhaftes und künstlerisches Erleben und Gestalten letztlich parallel dachte26 und wiederholt Vergleichsbeispiele aus der Kunst des deutschen Expressionismus heranzog.27 Nicht zuletzt mag auch die Initiative eines professionellen Künstlers wie Jean Dubuffet, der den Wahnsinn als „Triebfeder künstlerischer Erfindung“28 betrachtete und die von ihm gesammelten Werke psychisch Kranker in Ausstellungen und Publikationen der Öffentlichkeit präsentierte, zu einer Popularisierung des komplexen Themas beigetragen haben. Das durch die nationalsozialistische Diffamierungsaktion „Entartete Kunst“ schwer belastete Verhältnis von Kunst und Geisteskrankheit wurde so nach 1945 wieder positiv definiert. Thelwells Cartoon lässt sich vor diesem Hintergrund als humorvoller Kommentar zu der jüngsten Aktualisierung des skizzierten Diskurses in den späten 1940er und -50er Jahren lesen. Er reflektierte aber auch die veränderten Therapiemethoden der modernen Psychiatrie wie das Aufkommen kunsttherapeutischer Ansätze in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, deren Durchsetzung in England vor allem durch die Pionierarbeit des Künstlers und Therapeuten Adrian Hill ermöglicht wurde.29 Dass in psychiatrischen Einrichtungen im Rahmen der Beschäftigungstherapie nun nicht mehr banale Gebrauchsgegenstände wie Bürsten, Besen oder Körbe hergestellt wurden, sondern stattdessen freie, kreative Arbeiten, man könnte auch sagen: Kunstwerke, entstehen sollten, lieferte auch dem satirischen Diskurs um Kunst und Wahn neues Material. Die Skulptur, die Thelwell seinen geisteskranken Künstler gestalten ließ, ähnelt dabei viel eher den Werken professioneller zeitgenössischer Künstler als den Arbeiten psychisch Kranker, wie sie im 20. Jahrhundert gesammelt und publiziert wurden.30 Bei der Betrachtung Letzterer fällt auf, dass sie trotz der von Prinzhorn und Rennert beschriebenen Formalisierungs- und Geometrisierungstendenz meist einen deutlich ausgeprägten Gegenstandsbezug aufweisen. Im Gegensatz zur abstrakten Kunst der Nachkriegsmoderne, die das eigentliche Thema von Thelwells Karikatur 26 Vgl. Röske, Thomas: „Schizophrenie und Kulturkritik. Eine kritische Lektüre von Hans Prinzhorns ‚Bildnerei der Geisteskranken‘“, in: Ausst.-Kat. Kunst und Wahn, Kunstforum Wien, Köln 1997, S. 255-265, hier besonders S. 260. 27 Vgl. H. Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken, S. 183, 345 ff. 28 Thévoz, Michel: „L’Art Brut. Vom Untergrund zur öffentlichen Anerkennung“, in: Ausst.-Kat. Kunst und Wahn (1997), S. 383-388, hier S. 384. 29 Vgl. Hill, Adrian: Art versus illness. A story of art therapy, London 1945. 30 Zahlreiche Bildbeispiele finden sich bei H. Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken. Für Beispiele aus der Sammlung Jean Dubuffets vgl. die Publications de la Compagnie de l’Art Brut, Fascicule 1-9, Paris 1964-66, 1973 sowie Fascicule 10, Lausanne 1977. Die wie eine Kunstzeitschrift aufgemachten und teilweise sehr hochwertig gedruckten Hefte sind auch als Dokumente einer neuen Publikationspraxis von Interesse, die den Arbeiten Geisteskranker den gleichen Rang einräumte wie den Werken professioneller Künstler.

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ist, wurde die Ablösung vom Gegenstand in den Hervorbringungen schizophrener Patienten nur sehr selten vollzogen.31 Dessen ungeachtet sind es, wie schon in der Karikatur von 1857, abstrakte Formen, die vom Zeichner herangezogen wurden, um den Topos des geisteskranken Künstlers zu illustrieren. Offensichtlich war es vor allem die beim Laienpublikum immer noch als unverständlich geltende Abstraktion, für deren Existenz humoristische Erklärungsmodelle gesucht und, im diskursiven Feld von Kunst und Psychiatrie, auch gefunden wurden. Thelwells Karikatur zeigt, dass die Abstraktion selbst auf dem Höhepunkt ihrer Popularität und Verbreitung als künstlerische ‚Weltsprache‘ noch immer vom Verdacht des Pathologischen betroffen war. Was 1957 auf der Ebene der professionellen Kunstkritik längst nicht mehr sagbar war, drängte im ‚niederen‘ Medium des Cartoons erneut an die Oberfläche. „Das kann mein Kind auch!“ Eine phänomenologische Ähnlichkeit zwischen den Arbeiten geisteskranker Erwachsener und gesunder Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren bewog schon Prinzhorn, Kinderzeichnungen als Vergleichsobjekte heranzuziehen.32 In der hier behandelten Trias der ‚Primitiven‘ bilden Kinder daher die zweite, von der Karikatur sehr viel stärker thematisierte Gruppe. Der Ausspruch „Das kann mein Kind auch!“ gehört bis heute zu den populärsten Vorurteilen gegen die moderne Kunst. Die bislang einzige Ausstellung zur Kunstkarikatur des 20. Jahrhunderts, die 1973 in der Londoner Tate Gallery stattfand, zitierte dieses Verdikt bereits in ihrem Titel „A Child of Six Could Do It!“ und zeigte eine Reihe von Karikaturen in denen der Vorwurf als Bildwitz Gestalt annimmt.33 Formale Parallelen zwischen Kinderzeichnungen und Werken der modernen Malerei werden dabei als Erklärungsmuster für deren Abweichung vom Naturvorbild und den unterstellten Mangel an handwerklicher Virtuosität eingesetzt. Obgleich diese Polemik nicht gerade originell ist – der Kurator der Ausstellung George Melly bezeichnete sie 1973 sogar als „the least inventive, most repetitive line of thought“34 – scheint sie doch einen neuralgischen Punkt in der Rezeption der modernen Kunst zu berühren: Unverständnis und Ablehnung gegenüber der modernen Kunst führten schon früh zu einer Infantilisierung und somit Herabsetzung des 31 Eine Ausnahme bilden abstrakte Zeichnungen, die Prinzhorn als „objektfreie, ungeordnete Kritzeleien“ zu einer eigenen Gruppe zusammenfasst. Vgl. H. Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken, S. 57-62. 32 Ebd., S. 291 ff sowie 312 ff. 33 Ausst.-Kat. A Child of Six could do It! (1973). 34 Melly, George: „Jokes about Modern Art“, in: Ausst.-Kat. A Child of Six could do It! (1973), S. 13.

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Künstlers durch das Publikum und die Kunstkritik. Andererseits wurde der ins Positive gewendete Vorwurf der Kindlichkeit von zahlreichen Vertretern der künstlerischen Avantgarden nachdrücklich affirmiert. Im Folgenden soll daher eine Doppelpolemik nachgezeichnet werden, die sich im Medium der Karikatur ebenso wie in kunsttheoretischen und -kritischen Texten auf jeweils unterschiedliche Weise entfaltete. Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte der Vorwurf der Infantilität zum Repertoire der zeitgenössischen Kunstkritik.35 Vor allem die Malerei Gustave Courbets war ob ihrer vermeintlichen Unbeholfenheit und Primitivität von diesem Verdikt betroffen, das jedoch auch allgemein für die Kunst und Literatur des französischen Realismus geltend gemacht wurde.36 So beschrieb der Dichter Théodore de Banville die neue Kunstrichtung in einem Gedicht von 1852 wie folgt: „…Je suis un réaliste, Et contre l’idéal j’ai dressé ma baliste. J’ai créé l’art bonhomme, enfantin et naïf.“37

Passend zu dieser Verspottung des Realismus als „art bonhomme“, also „Strichmännchen-Kunst“, stellte Bertall in einer Karikatur auf Courbets Les paysans de Flagey die Bauern und ihre Tiere in der Manier von hölzernem Kinderspielzeug dar. Ein Jahr später verfuhr er in gleicher Weise mit dem gesamten Bildpersonal der Demoiselles de Village und bezeichnete die Figuren in der Bildunterschrift als „Jahrmarktspuppen“.38 Der Karikaturist Quillenbois (eigtl. Charles Marie de Sarcus, 1821-1867) griff diese Anregung kurz darauf in L’Illustration auf und verwandelte auch Courbets Ochse und Kuh39 in grob geschnitzte Spielzeugfiguren, auf Rädern stehend und mit einer Pfeife anstelle des Schwanzes.40 Im selben Geist führte Cham 1861 den Umkehrschluss vor: An einem Jahrmarktstand mit Lebkuchenfiguren bittet ein Kind seine Mutter, ihm einen der „schönen Courbets“ zu kaufen, die dort angeboten werden.41 35 Vgl. M. Schapiro: Courbet and Popular Imagery, S. 164. 36 Ebd., S. 164 f. 37 de Banville, Théodore: Réalista (1852), zit. nach: Martino, Pierre: Le roman réaliste sous le Second Empire, Paris 1913, S. 76. 38 Eine Gegenüberstellung der Werke mit den entsprechenden Karikaturen findet sich im Ausst.-Kat. Courbet und Deutschland (1978), S. 13 und 15. 39 Gustave Courbet: Taureau Blanc et Génisse Blonde, 1850, Öl auf Leinwand, 88,5 x 115 cm, Aufbewahrungsort unbekannt (zuletzt Sammlung C.A. Jung, New York). 40 Quillenbois (eigtl. Charles Marie de Sarcus): Les vaches à M. Courbet, in: L’Illustration, 21.07.1855, o. S. 41 Vgl. Ausst.-Kat. Courbet und Deutschland (1978), S. 505.

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Bezieht sich die Kritik in diesen Beispielen noch ganz auf das Erscheinungsbild der Werke und die angebliche Naivität der Figuren und Bildwelten Courbets42, so geriet wenig später auch der Herstellungsprozess ins Blickfeld der Karikatur. In einem Salon Caricatural von 1863 ergänzte Cham seine Werkkarikatur auf Courbets Pferd im Wald (Abb. 131) durch folgende Anmerkung in der Legende (Abb. 132): „Ce tableau a été éxécuté par le jeune Toto Courbet, âge de trois an, fils de M. Gustave Courbet, le fameux peintre“.43 Die Vorstellung, Kinder seien auch im materiellen Sinne die Urheber der als „enfantin et naïf“ verspotteten Werke des Realismus, wurde hier vielleicht zum ersten Mal in einem satirischen Kontext lanciert. Der physische Schöpfungsakt, und mit ihm auch die legitime Autorschaft an dem karikierten Werk, wurde auf diese Weise von dem „berühmten Maler“ Gustave Courbet abgelöst. Das Beispiel Courbets zeigt, dass der Vorwurf der Kindlichkeit nicht erst mit dem Aufkommen der künstlerischen Abstraktion virulent wurde. Selbst die klassizistische Kunst des 19. Jahrhunderts wurde bisweilen als naiv oder gar infantil beurteilt.44 Man kritisierte damit in der Regel den flächendeckenden Einsatz von Lokalfarben, einen Mangel an natürlicher Bewegtheit, eine Steifheit und Künstlichkeit der Figuren, die an Holzspielzeug oder an die als images d’Épinal bezeichneten Bilderbögen für Kinder erinnerte. Die abstrakten Kritzeleien von Vorschulkindern waren in diesem Stadium dagegen noch kein echtes Referenzfeld, auch wenn Cham Courbets Pferd im Wald bereits als Produktion eines Dreijährigen verspottete.

42 Für weitere Beispiele vgl. K. Herding: Courbets Modernität, S, 506 f. 43 Cham: Renard mourant inconsolable de s’être laissé forcer par un cheval qui avait des jambes en manches de veste, in: Le Charivari, 21.05.1863, o. S. Die Karikatur bezieht sich auf die ursprüngliche Fassung des Gemäldes, die eine Fuchsjagd darstellte. Courbet entfernte nachträglich die Figuren der Jäger, die ihm besonders viel Kritik eingebracht hatten, so dass nur das titelgebende Pferd im Wald übrig blieb. 44 Vgl. M. Schapiro: Courbet and Popular Imagery, S. 164 f.

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Abbildung 131: Pferd im Wald, 1863, Öl auf Leinwand, 110 x 136 cm, Städtische Kunsthalle Mannheim

© Kunsthalle Mannheim, Foto: Cem Yücetas

Abbildung 132: Cham: Renard mourant inconsolable de s’être laissé forcer par un cheval qui avait des jambes en man ches de veste. Nota: Ce tableau à été exécuté par le jeune Toto Courbet, âgé de trois ans, fils de M. Gustave Courbet, le fameux peintre.

Le Charivari, 21.05.1863, o. S.

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Besonders stark waren einige Jahre später die Impressionisten von dieser Infantilisierung betroffen. 1879, im Jahr der vierten Impressionistenausstellung, karikierte Cham die Reaktion einer Salonbesucherin, die sich durch die in der Ausstellung präsentierten Bilder an die unbeholfenen Kritzeleien ihres Sohnes erinnert fühlt (Abb. 133). Sie droht diesem sogleich mit Ohrfeigen, sollte er das Zeichnen daheim nicht unterlassen und verweist auf das abschreckende Beispiel der ausgestellten Gemälde. Abbildung 133: Cham: À l’exposition – Tu vois où cela mène? La prochaine fois que je te verrai crayonner des bonhommes à la maison, tu recevras des gifles

Le Charivari, 01.06.1879, o. S.

Cham bezog seine im Salon angesiedelte Darstellung nicht explizit auf die Malerei des Impressionismus, doch dieser Zusammenhang erscheint angesichts des Publikationsdatums recht wahrscheinlich. Auch in kunstkritischen Texten der 1870er Jahre war der Vergleich mit Kinderkritzeleien ein gängiger Topos. So bescheinigte die Kritikerin des Artiste Claude Monet anlässlich der ersten Impressionistenausstellung eine „main enfantine“45 und verglich seine Malweise mit der eines Schuljungen „qui étale pour la premier fois des couleurs sur une surface quelconque“.46 Der Verzicht auf eine präzise konturierte Zeichnung (dessin) und die absichtliche Ab45 de Montifaud, Marc: „Exposition du boulevard des Capucines“, in: L’Artiste, 01.05.1874, S. 307-313, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 29. Hinter dem männlichen Pseudonym verbirgt sich die Schriftstellerin und Kunstkritikerin Marie-Amélie Quivogne de Montifaud. 46 Ebd.

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weichung von der akademischen Norm in Komposition und Kolorit wurde den Impressionisten als Unfähigkeit ausgelegt, was den Vergleich mit der Naivität kindlicher Bildschöpfungen legitimierte. In einer Rezension der dritten Impressionistenausstellung von 1877 hieß es über die Arbeiten von Monet und Cézanne:„Elles provoquent le rire, et sont cependant lamentables: elles dénotent la plus profonde ignorance du dessin, de la composition, du coloris. Quand les enfants s’amusent avec du papier et des couleurs ils font mieux“.47 Im Gegensatz zu der noch als gegenständlich gedachten art bonhomme, mit der ein satirischer Vergleichstopos für die Malerei des Realismus geschaffen wurde, lässt die hier beschworene Vorstellung von Kindern, die sich mit Papier und Farben „amüsieren“ den Gedanken an abstrakte Gestaltungen aufkommen. Dies entsprach der im Zusammenhang mit impressionistischen Werken inflationär vorgetragenen Kritik, auf den Bildern sei nichts zu erkennen, es handle sich um gegenstandslose ‚Fleckenmalerei‘. Dass der Impressionismus auch in Deutschland mit dem Verdikt der ‚Kinderkunst‘ belegt wurde, zeigt eine von Franz Jüttner illustrierte Satire, die 1892 im Kladderadatsch erschien. „Aus der Chronik der Familie Schultze“ wird berichtet, dass deren jüngster Spross Gustav, „seit Weihnachten im Besitz eines Tuschkastens, [...] sich neuerdings mit Erfolg auf die Impressionsmalerei geworfen“48 habe. Zu sehen ist ein kleiner Junge, der mit Pinsel und Farbe auf einem Blatt Papier herumkleckst, während ein großer amorpher Wasser- oder Farbfleck sich vor ihm auf dem Tisch ausbreitet (Abb. 134). Im Text heißt es dazu:„Sein neuestes Meisterwerk nennt sich ,Italienischer Salat‘ oder ,Sonnenuntergang in Norwegen‘. Es kann für beides gehalten werden oder aber auch für etwas anderes. Er will sich als 11a in den Malerbund aufnehmenlassen, dessen Mitgliederzahl die Nummer eines sehr bekannten Paragraphen ist.“49 Der Kladderadatsch reagierte mit dieser am 24. April 1892 erschienenen Satire unmittelbar auf die erste Ausstellung der Berliner Künstlergruppe Vereinigung der XI im Kunstsalon von Eduard Schulte, die am 3. April 1892 eröffnet worden war. Die von den Impressionisten Max Liebermann und Walter Leistikow gegründete Ausstellungsgemeinschaft gilt als erste oppositionelle Künstlervereinigung Berlins und Wegbereiterin der Berliner Secession.50 Ihre elf Mitglieder fühlten sich über47 Ballu, Roger: „L’Exposition des peintres impressionistes“, in: La Chronique des arts et de la curiosité, 14.04.1877, S. 147-148, in: R. Berson: The new painting, S. 125. 48 Anonym: „Aus der Chronik der Familie Schultze“, in: Kladderadatsch, Bd. 45, Nr. 17 (24.04.1892), S. 67. 49 Ebd. 50 Vgl. Teeuwisse, Nicolaas: Vom Salon zur Secession. Berliner Kunstleben zwischen Tradition und Aufbruch zur Moderne 1871-1900, Berlin 1986, hier S. 155 ff. sowie Meister, Sabine: Die Vereinigung der XI. Die Künstlergruppe als Keimzelle der organisierten Moderne in Berlin, Diss. Freiburg i. Br. 2005.

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wiegend der Stilrichtung des Impressionismus verbunden, die im Berlin der Kaiserzeit noch eine Verletzung der akademischen Norm darstellte. 1892 organisierte die Gruppe die legendäre erste Ausstellung des norwegischen Malers Edvard Munch in Deutschland, die in einem Skandal endete und frühzeitig geschlossen wurde. Der satirische Bildtitel ‚Sonnenuntergang in Norwegen‘ könnte auf dieses Ereignis bezogen sein, das zu einer nachhaltigen Spaltung der Berliner Künstlerschaft führte – oder auf Leistikows norwegische Landschaften, die seit den 1880er Jahren unter dem Einfluss seines Lehrers, des aus Norwegen stammenden Landschaftsmalers Max Gude, entstanden. Auch die Werke der Elf wurden von konservativen Kritikern als „Schmierereien“51 bezeichnet. Ihre karikaturistische Degradierung zur ‚Kinderkunst‘ lag somit nahe und war, verglichen mit dem anderen ‚Erklärungsvorschlag‘ des Kladderadatsch, noch als schmeichelhaft zu betrachten, denn mit dem „sehr bekannten Paragraphen“ spielt der Text auf Paragraph 11 des in deutschen Studentenverbindungen verbreiteten Bier-Comments an. Er lautet: „Es wird weitergesoffen!“ („porro bibitur!“). Alkoholismus oder infantile Regression waren demnach die Erklärungsmuster, die der Kladderadatsch für das Kunstschaffen des parodierten Malerbundes anbot. Abbildung 134: Franz Jüttner: Aus der Chronik der Familie Schultze

Kladderadatsch, Bd. 45 (1892), Nr. 17, S. 67

Auch in England gewann der satirische Topos der Kinderkunst gegen Ende des 19. Jahrhunderts an Popularität. Dort wurde der Vergleich aktueller Kunstäußerungen 51 Schlingmann, Reinhold: „Die Vereinigung der XI“, in: Berliner Tageblatt, 05.04.1892, zit. nach S. Meister: Die Vereinigung der XI, S. 143.

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mit den gestalterischen Leistungen von Kindern für beinahe jede neue Stilrichtung, beginnend mit dem Impressionismus, herangezogen und entsprechend aktualisiert. Dabei war es zumeist das abstrakte Erscheinungsbild der karikierten Werke, das den polemischen Vergleich provozierte. Abbildung 135: George du Maurier: Our Decadents

Punch, Bd. 107 (07.07.1894), S. 6

Unter dem Titel Our Decadents beschreibt ein englischer Cartoon von 1894 den Irrtum eines jungen Kunstkritikers, der bei einem Atelierbesuch in Lobeshymnen über eine zufällig dort herumliegenden Kinderzeichnung ausbricht: „Clever! Why, it’s divine! Such freshness, such naïveté! Such a splendid scorn of mere conventional technique!“ (Abb. 135). Der Künstler muss seinen Besucher darüber aufklären, dass es sich bei dem Blatt nicht, wie zuerst angenommen, um ein Werk des fiktiven Impressionisten Flumpkin handelt, sondern um eine Kritzelei seines vierjährigen Enkels, der im Bildvordergrund beim Zeichnen zu sehen ist. Die Zeichnung, die der Kritiker noch in den Händen hält, zeigt dementsprechend auch nur einige abstrakte Flecken, während auf der Leinwand des erwachsenen Malers eine eher konventionelle realistische Weidelandschaft zu sehen ist. Der Spott der Karikatur richtet sich in erster Linie gegen den als Vertreter des Decadent movement gekennzeichneten Kritiker, dessen Rhetorik sie als leer und substanzlos entlarvt. Der Wunsch nach ei-

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ner neuen, unkonventionellen Kunst scheint bei ihm jede Sachkenntnis zu überlagern: Statt seine Aufmerksamkeit dem ‚echten‘ Kunstwerk des erwachsenen Künstlers zu widmen, fasziniert ihn eine Kinderzeichnung, die zur Projektionsfläche für sein kunsttheoretisches Programm wird. Mit den Topoi der ‚Frische‘ und ‚Naivität‘ sind zentrale Argumente einer primitivistischen Moderne angesprochen, die im 19. Jahrhundert bereits virulent waren. Gerade in der Umbruchssituation des Fin de Siècle, die Erscheinungen wie das Decadent movement hervorbrachte, bot sich eine Rückbesinnung auf die kindlichen Ursprünge und Elementarformen aller Kunst in besonderer Weise an. Witze über die Verwechslung von Kinderzeichnungen mit Werken der modernen Kunst erfreuten sich, mit leicht verändertem Fokus, auch im 20. Jahrhundert noch großer Beliebtheit. So schildert eine 1921 im Punch erschienene Satire den irrtümlichen Abdruck einer Kinderzeichnung in einer futuristischen Kunstzeitschrift.52 Erst nach Drucklegung wird dem Künstler klar, dass er in dem Konvolut seiner eigenen Zeichnungen versehentlich auch eine Kinderzeichnung eingesandt hatte, die prompt veröffentlicht wurde. Von ihrer eigentlichen Urheberin, der kleinen Veronica, als Löwe deklariert, erscheint die „futuristische“ Zeichnung unter dem Titel A Storm at Sea − möglicherweise eine Anspielung auf den Vortex der englischen Futuristen. Der Artikel erschien ohne Illustration, so dass die Imagination des offenbar vollkommen abstrakten Blattes dem Leser überlassen blieb. Die tatsächliche oder vermeintliche Ähnlichkeit von Kinderzeichnungen und den Werken der modernen Kunst war auch in den 1930er Jahren noch Gegenstand der Karikatur. So zeigt ein 1936 erschienener Cartoon von Joseph Lee (1901-1975) eine ältere Ausstellungsbesucherin, die ihren kindlichen Begleiter angesichts der abstrakten Malereien im „Modern Room“ der Tate Gallery eines Ikonoklasmus verdächtigt: „Willy! Did you do that?“, herrscht sie den Jungen an und zeigt dabei auf eines der dort ausgestellten Bilder (Abb. 136). In einer Darstellung, die an Chams Karikatur aus den 1870er Jahren (Abb. 133) erinnert, wird das Kind hier erneut zum potentiellen Produzenten moderner Kunst erklärt. Besonders für die Abstraktion, die in frühkindlichen Zeichnungen Rudolf Arnheim zufolge nichts anderes als den „Unterschied zwischen Absicht und Ausführung“53 sichtbar werden lässt, wurde die Vorstellung eines infantilen Unvermögens offenbar weiterhin als Erklärungsmuster benötigt. Die Karikatur des am renommierten Leeds College als Künstler ausgebildeten Joseph Lee54 richtete sich dabei vor allem gegen die Vorbehalte eines konser-

52 Anonym: „The Artists“, in: Punch, Bd. 161 (1921), S. 78. 53 Arnheim, Rudolf: „Zu Anfang das Kind“, in: Fineberg, Jonathan (Hg.): Kinderzeichnung und die Kunst des 20. Jahrhunderts, Ostfildern-Ruit 1995, S. 14-25, hier S. 16. 54 Vgl. Bryant, Mark: Dictionary of Twentieth-Century British Cartoonists and Caricaturists, Aldershot 2000, S. 138.

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vativen Kunstpublikums, das auch angesichts einer längst kanonisierten abstrakten Moderne immer noch den Vergleich mit Kinderzeichnungen suchte. Abbildung 136: Joseph Lee: London Laughs: Modern Rooms, Tate Gallery – „Willy! Did you do that?“ In: Evening News, 1936

Zit. nach: Ausst. –Kat. A Child of Six Could Do It! (1973), S. 55

In einigen Karikaturen ist es das Kind selbst, das die Parallelen zwischen der modernen Malerei und den eigenen Hervorbringungen bemerkt und es im Gegensatz zu den kunstbeflissenen Erwachsenen auch wagt, diese Beobachtung zu artikulieren. So zeigt eine englische Karikatur von 1930 einen kleinen Jungen beim Besuch im Künstleratelier, der auf die Frage seiner Mutter, ob er sich nicht wünsche, auch so malen zu können, antwortet: „But I can, mother, you know I can.“ (Abb. 137).55 Verglichen mit anderen Karikaturen zur Infantilisierung des modernen Künstlers

55 Ähnlich verfährt eine Karikatur, die fünf Jahre später ebenfalls im Punch publiziert wurde. Hier stellen zwei kleine Mädchen fest, dass sie vor dem Besuch des Zeichenunterrichtes auch so gemalt hätten wie der Künstler, für dessen Werk sie nun Modell sitzen. Vgl. Lewis Baumer: Trials Of A Portrait Painter, in: Punch, Bd. 189 (1935), S. 574.

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handelt es sich bei diesem Beispiel um eine recht harmlose Illustration der bekannten Redensart „Children and fools tell the truth“. Abbildung 137: Anonym: Mother: „Don’t you wish, you could paint like that, Peter?“ Peter: „But I can, mother. You know I can.“

Punch, Bd. 178 (1930), S. 474

Deutlich aggressiver kommt eine Karikatur des deutschen Zeichners Hermann Stockmann (1867-1938) daher, die 1913 in den Fliegenden Blätter erschien (Abb. 138). Die Kritik des Kindes dient hier dazu, das negative Urteil der Erwachsenen noch zu verstärken.56 Vor dem Schaufenster einer modernen Kunsthandlung mit dem Schriftzug „Die neue Kunst“ sind ein Mann und sein kleiner Neffe stehen geblieben. Auf die Bemerkung des Onkels „Siehst du, Franzl, dös is die neue Kunst! So kannst du auch malen!“ entgegnet das Kind: „Aber Onkel, beleidige mich doch nicht!“57 Die Karikatur bezieht sich auf die Kunst des deutschen Expressionismus, die durch entsprechende Stilkarikaturen in der Auslage präsent ist. Im Jahr 1913 gab es für diese neue Malerei in München noch nicht allzu viele Ausstellungsmöglichkeiten, so dass sich der Schauplatz der Szene sehr gut eingrenzen lässt. Vor allem in der 1912 von dem ehemaligen Buchhändler Hans Goltz in der Brienner Straße eröffneten Galerie für Neue Kunst, die die Vorlage für die von Stockmann karikierte

56 Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 164. 57 Hermann Stockmann: Auch eine Kritik, in: Fliegende Blätter, Bd. 138 (1913), Nr. 3522, S. 48.

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Kunsthandlung gewesen sein dürfte58, waren damals schon expressionistische Werke zu besichtigen. Wie die Kunsthandlung der Karikatur besaß auch sie ein großes Schaufenster, durch das die ausgestellten Werke von der Straße aus zu sehen waren. Der Schriftsteller Oscar Maria Graf beschrieb die typischen Reaktionen auf diese Auslage in seiner Autobiografie:„[D]a sammelten sich noch öfter haufenweise spottende, empörte Leute; wahrscheinlich aber hinderte sie der respektgebietende, elegant aufgemachte Laden daran, rabiater zu werden. Sie verliefen sich nach einigem Geschimpf und Genörgel wieder.“59 Abbildung 138: Hermann Stockmann: Auch eine Kritik „Siehst du, Franzl, dös ist neue Kunst! So kannst du auch malen!“ – „Aber Onkel, beleidige mich doch nicht!“

Fliegende Blätter, Bd. 138 (1913), Nr. 3522, S. 48

Stockmanns Karikatur scheint also eine Situation wiederzugeben, wie sie sich vor dem Schaufenster der Goltz’schen Kunsthandlung regelmäßig ereignete. Die Behauptung, jedes Kind könne so malen wie die dort präsentierten Künstler, war Ausdruck einer verweigerten oder gescheiterten Auseinandersetzung mit der Kunst der Moderne, die im Verdikt des Primitiven kulminierte. Auch Graf berichtete, die Ex-

58 Diese Vermutung äußert auch Gülker. Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 164. 59 Graf, Oscar Maria: Gelächter von außen. Aus meinem Leben 1918-1933 (1966) (= Oskar Maria Graf Werkausgabe, Bd. 10), Frankfurt am Main 1984, S. 48.

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pressionisten seien vom Publikum als Primitive, nämlich als Affen und „Irrenhäusler“60 beschimpft worden. Eine negative Einstellung gegenüber der modernen Kunst lässt sich in den Karikaturen der bürgerlich-konservativen Fliegenden Blätter bereits seit dem 19. Jahrhundert beobachten.61 Mit dem Aufkommen des Expressionismus verstärkte sich diese Polemik. Allein im Jahr 1913 wurde das Thema der ‚Kinderkunst‘ noch in zwei weiteren Karikaturen mit jeweils unterschiedlichem Akzent behandelt. Eine ganzseitige Lithografie von August Roeseler mit der ironischen Überschrift „Vielversprechend“ imaginiert eine Situation, in der ein Kind den Platz des Künstlers einnimmt (Abb. 139). Abbildung 139: August Roeseler: Vielversprechend. „Nun, Ihr Sohn wird gewiß auch Maler?“ –„Und ob, er ist jetzt schon einer unserer gefeiertsten Futuristen.“

Fliegende Blätter, Bd. 139 (1913), Nr. 3568, S. 291 60 Dem Autor zufolge wurden Franz Marc und Wassily Kandinsky auf diese Weise verunglimpft. O. M. Graf: Gelächter von außen, S. 45. 61 Vgl. A. Stielau: Kunst und Künstler im Blickfeld der satirischen Zeitschriften ,Fliegende Blätter‘ und ,Punch‘, S. 66 ff.

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Zahlreiche Besucher gruppieren sich darin um die Staffelei eines kleinen Jungen, der soeben eine abstrakte Spiralform auf die Leinwand pinselt. Requisiten wie ein Schaukelpferd und eine auf dem Boden liegende Blechtrommel verdeutlichen, dass es sich bei dem Schauplatz der Szene nicht um ein Künstleratelier, sondern um ein Kinderzimmer handelt − dem nach Ansicht des Zeichners passenden Umfeld für die Kunst der Moderne. Der Vater des Jungen, der als Rückenfigur im Bildvordergrund dargestellt ist, entgegnet auf die Frage einer Besucherin, ob sein Sohn auch Maler werde, mit sichtlichem Stolz: „Und ob, er ist jetzt schon einer unserer gefeiertsten Futuristen.“ Die Pointe der Karikatur richtete sich einerseits gegen die Kunstbeflissenen, welche die infantile Produktion für moderne Malerei halten, andererseits aber auch gegen den erwachsenen Künstler, dessen Bewunderung für die Malerei seines Sohnes Rückschlüsse auf die Qualität seiner eigenen Werke zulässt. Zudem geriet hier bereits die Begeisterung einer primitivistisch ausgerichteten Moderne für kindliche Bildproduktionen ins Blickfeld der Karikatur. Abbildung 140: Käthe Olshausen-Schönberger: Tierbilder. Die Entdeckung eines neuen futuristischen Genies von raffinierter Primitivität

Fliegende Blätter, Bd. 139 (1913), Nr. 3556, S. 145

Die österreichische Illustratorin Käthe Olshausen-Schönberger (1881-1968) variierte das kindliche Thema und karikierte 1913 „Die Entdeckung eines neuen futuristischen Genies von raffinierter Primitivität“ (Abb. 140). Wie stets bei dieser Zeichnerin sind alle Figuren mit Tierköpfen versehen und dadurch charakterisiert. Ein Kind, dargestellt als Küken, malt mit einem groben Pinsel, den es unbeholfen in der Faust hält, abstrakte Farbschlieren auf eine vor ihm aufgestellte Leinwand. Umgeben ist es von drei Erwachsenen, die offenbar in eine lebhafte Diskussion über die

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künstlerische Leistung des „neuen Genies“ vertieft sind. Offenbar soll es sich bei diesen als Schaf, Nashorn und Ratte charakterisierten Figuren um Kunsthändler oder -kritiker handeln, welche die eigentlich voraussetzungslose moderne Kunst nachträglich mit einer theoretischen Begründung versehen. Durch die Kombination der Tiertravestie mit dem Oxymoron der „raffinierten Primitivität“ wird die abstrakte Kunst als lächerliche Fehlentwicklung dargestellt, die ihren Erfolg nur der widersinnigen Rhetorik selbsternannter Experten verdankt: In Wirklichkeit, so die Aussage der Karikatur, genügt das ungeschickte Gekleckse eines Kindes, um etwas entstehen zu lassen, das wie ein modernes Gemälde aussieht. Der in den 1930er Jahren politisch zunehmend nach rechts außen driftende Kladderadatsch präsentierte schließlich den Abstieg des Kinderkunst-Motivs zur kunstfeindlichen Zote62: Der Karikaturist Arthur Johnson (1874-1954) zeichnete 1931 einen Kinderkünstler mit affenartig deformierten Zügen bei der Arbeit an einem Gemälde, das als Stilkarikatur auf die Malerei des Expressionismus gemünzt war (Abb. 141). Die Legende dazu lautet: „Seinen zehnjährigen Geburtstag feierte soeben in voller geistiger Frische der Exkrementist Wladimir Hosenmatzki, der größte deutsche Landschafter.“ Abbildung 141: Arthur Johnson: Jubiläum. Seinen zehnjährigen Geburtstag feierte soeben in voller geistiger Frische der Exkrementist Wladimir Hosenmatzki, der größte deutsche Landschafter

Kladderadatsch, Bd. 84 (1931), Nr. 45, o. S. 62 Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 76

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Der slawisch klingende Name war nicht nur eine rassistische Verunglimpfung, sondern vermutlich auch, wie Bernd Gülker meint, eine Anspielung auf den russischstämmigen Künstler Wassily Kandinsky.63 Die Verballhornung des Begriffs Expressionist zu „Exkrementist“ war eine besonders derbe, jedoch nicht einzigartige Variante dieser Polemik, denn auch jenseits der Kinderkunst-Thematik wurde der Expressionismus in dieser Weise angegriffen. Graf erinnert sich, dass die abstrakten Werke Kandinskys als „ausglaufene [sic!] Darm“64 verhöhnt wurden und George Grosz berichtet in seiner Autobiografie von einer Äußerung Richard Müllers, seines Zeichenprofessors an der Berliner Kunstakademie, der über die Malereien von Emil Nolde gesagt haben soll: „Da steckt sich so’n Mensch den Finger in’n Arsch und schmiert’s aufs Papier“.65 Ein früheres Beispiel zeigt, dass derartige Vergleiche auch schon zur Zeit des Impressionismus Konjunktur hatten. Bereits 1902 veröffentlichten die Fliegenden Blätter eine Bildergeschichte von Adolf Oberländer, in der die als abstrakte Kritzelei dargestellte Malerei eines jungen Künstlers durch das „Gemälde“ eines windeltragenden Kleinkindes in den Schatten gestellt wird (Abb. 142). Dieses sei, so der Begleittext, „zwar nur in die Höschen – aber darum nicht minder gelungen – ausgeführt.“66 Auffallend ist, dass solche Beispiele für Fäkalkomik als Modifikation des Kinderkunst-Motivs nur in deutschen Karikaturen begegnen. Hier wurden Exkremente zur derb-humoristischen Chiffre für das als bedrohlich empfundene Formlose in abstrakten oder abstrahierenden Malereien. In allen bisher behandelten Beispielen wurde den Protagonisten der modernen Malerei ein Mangel an technischen und intellektuellen Fähigkeiten unterstellt, der ihre Werke in die Nähe kindlicher Produktionen rückte oder diese mit der aktuellen Kunst gleichsetzte. Während die Karikaturen meist das Unbeholfene, Defizitäre an Kinderzeichnungen in den Vordergrund stellten, existierte seit dem 19. Jahrhundert auch ein gegenläufiger Rezeptionsstrang, der an Kinderzeichnungen eine spezifische Ästhetik beobachtete und diese in positiver Weise mit der modernen Kunst in Verbindung brachte. Schon Rodolphe Töpffer (1799-1846), Pädagoge und vielbewunderter humoristischer Zeichner, widmete zwei Kapitel in seinen Réflexions et menus propos d'un peintre genevois den Zeichnungen von Kindern, in denen er die Ursprünge allen künstlerischen Schaffens erblickte.67 63 Ebd. 64 O. M. Graf: Gelächter von außen, S. 45. 65 Grosz, George: Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt, Hamburg 1955, S. 70. 66 Anonym: „Nemesis. (Eine Parabel.)“ , in: Fliegende Blätter, Bd. 116 (1902), Nr. 2963, S. 221. 67 Vgl. Töpffer, Rodolphe: Réflexions et menus propos d’un peintre genevois, Paris 1853, Livre 6ème, Kap. xx, xxi, S. 249-255.

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Abbildung 142: Adolf Oberländer: Illustration zu „Nemesis. (Eine Parabel.)“

Fliegende Blätter, Bd. 116 (1902), Nr. 2963, S. 221

Charles Baudelaire wiederum definierte den Künstler als „Mann von Welt, Mann der Menge und Kind“68, dessen Genie nichts anderes sei als „die freiwillig wiedergefundene Kindheit“69 und Champfleury stellte die Produkte des kindlichen Gestaltungswillens auf eine Stufe mit den qualitätvollsten Werken der modernen Kunst.70 Der Künstler selbst, so seine Forderung, müsse Kind bleiben, um sein Werk vor den schädlichen Einflüssen einer „städtischen“, das heißt zivilisatorisch domestizierten Kunst zu bewahren: „C’est que le bégayement des enfants est le même en tous pays, que, malgré son arrêt de développement, il offre cependant le charme de l’innocence, et que ce qui fait le charme des

68 Baudelaire, Charles: „Der Maler des modernen Lebens“ (1863), in: C. Baudelaire: Der Künstler und das moderne Leben, S. 290-320, hier S. 293. 69 C. Baudelaire: Der Maler des modernen Lebens, S. 296. Den Zeichnungen und Malereien von Kindern maß Baudelaire keinen direkten künstlerischen Wert bei. Zwar war das Kind für ihn der Archetyp des modernen Künstlers, da es über eine unmittelbare emotionale Anschauung der Realität verfüge, jedoch besitze es nicht die notwendigen Fähigkeiten, um diese Wahrnehmung in eine künstlerische Ausdrucksweise zu überführen. Vgl. M. Schapiro: Courbet and Popular Imagery, S. 180 f. 70 Champfleury, Jules: Histoire de l’imagerie populaire, Paris 1869.

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imagier modernes vient de ce qu’ils sont restés enfants, c’est-à-dire qu’ils ont échappé aux progrès de l’art des villes.“71

Auch für die Kunst Courbets machte Champfleury den Topos der Naivität geltend und deutete so den Vorwurf der Kunstkritik in eine positive Qualität um. In Courbets autobiografischem Atelier du peintre, dem Untertitel zufolge die Allegorie einer siebenjährigen Phase seines Künstlerlebens, befindet sich die Figur Champfleurys auf der rechten Seite. Zu den Füßen des Kritikers ist ein zeichnendes Kind zu sehen, was Meyer Schapiro dahingehend deutete, dass Courbet die naive Lesart seiner Gemälde durch Champfleury legitimierte.72 Courbet war der erste Künstler, für den der Topos der Kindlichkeit sowohl von seinen Kritikern wie von seinen Verteidigern geltend gemacht wurde, einmal in negativ-diffamierender Absicht und einmal als Vergleich, der eine positive Wertschätzung ausdrückte. Der Fall Courbet kann daher als Ausgangspunkt einer Doppelpolemik gelten, welche die gesamte Kunstrezeption des 20. Jahrhunderts durchzog. Seit der Jahrhundertwende zeigte sich von unterschiedlichen Seiten ein stetig wachsendes Interesse an Kinderzeichnungen. Reformpädagogen wie Franz Čižek in Wien und Georg Kerschensteiner und ästhetischen Gesichtspunkten und bemühten sich um eine Neustrukturierung des Mal- und Zeichenunterrichts. In ganz Europa entstanden Sammlungen von Kinderzeichnungen, die von zahlreichen Publikationen über Kinderkunst73 – so der Titel einer 1906 ins Deutsche übertragenen Studie des italienischen Kunstkritikers Corrada Ricci – begleitet wurden. Auch Kerschensteiners Untersuchung über die Entwicklung der kindlichen Zeichenfähigkeit74, in welcher der Autor ein hierarchisches Entwicklungsmodell vom reinen, abstrakten Schema bis zur anatomisch und perspektivisch korrekten Darstellung postulierte, wurde stark rezipiert. Im März 1901 eröffnete in den Räumen der Berliner Secession eine Ausstellung mit dem Titel Die Kunst im Leben des Kindes, in der neben Bilderbüchern und künstlerischem Wandschmuck für Schule und Kinderzimmer auch Kinderzeichnungen aus verschiedenen Erdteilen gezeigt wurden. Die unter dem Motto „Das Kind als Künstler“ ausgestellten Blätter stammten aus mehreren Privatsammlungen, zu den Leihgebern gehörte auch Aby Warburg.75 Seine Zeichnungen nordamerika71 Ebd., S. XXIII. 72 Vgl. M. Schapiro: Courbet and Popular Imagery, S. 182 f. 73 Ricci, Corrado: L’arte dei bambini, Bologna 1887. Die deutsche Ausgabe erschien unter dem Titel „Kinderkunst“, Leipzig 1906. 74 Kerschensteiner, Georg: Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung, München 1905. 75 Die Leihgabe wurde in einer zeitgenössischen Besprechung der Ausstellung erwähnt: „Dem schließen sich noch manche andere Zeichnungen an, z.B. solche von Indianerkindern in nordamerikanischen Schulen, deren Herleihung der Leiter dieser Abteilung, Herr

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nischer Indianerkinder trugen zu der angestrebten enzyklopädischen Vollständigkeit der Ausstellung bei, die in den Jahren 1901 und 1902 durch zahlreiche deutsche und österreichische Städte tourte.76 Die Kunst im Leben des Kindes war die erste Ausstellung, die Kinderzeichnungen in einem musealen Umfeld der breiten Öffentlichkeit präsentierte. Obwohl ein Vergleich oder gar eine Gleichsetzung der ausgestellten Kinderzeichnungen mit Werken der modernen Kunst von den Veranstaltern keineswegs intendiert war, wurde dies in der Presse häufig so aufgefasst. Dass die Ausstellung im Gebäude der Berliner Secession stattfand, also an einem Ort, den das Publikum mit der modernen Kunst in Verbindung brachte, forderte polemische Vergleiche geradezu heraus. Besonders lebhaft fiel die Reaktion der Fliegenden Blätter aus, die 1902 unter dem Titel Das Kind und die Kunst eine ironisch gemeinte „Anleitung zur modernen Kinder-Erziehung“ mit Illustrationen von Adolf Oberländer publizierten. Eine der Karikaturen zeigt einen Jungen, der mit Hilfe eines überdimensionierten Pinsels die vor ihm aufgestellte Leinwand mit abstrakten Farbschlieren überzieht (Abb. 143). Das Ergebnis seiner Tätigkeit erinnert dabei an die sogenannten Urknäuel in den für diese Altersgruppe typischen Zeichnungen.77 Die am unteren Rand der Leinwand heruntertropfende Farbe lässt auf einen sehr pastosen Farbauftrag schließen, wie er auch den impressionistischen Malern der Berliner Secession nachgesagt wurde.78 Dazu heißt es im Text: „Man benütze den jedem Menschen anhaftenden Nachahmungstrieb. Jedoch beachte man dabei den Drang der modernen Kunst nach dem rein Malerischen: Nicht der Stift, nein der Pinsel gehört zuerst in des Kindes

Feld, der Freundlichkeit des Herrn Dr. Warburg in Florenz verdankt.“ Spohr, Wilhelm: „Zur Ausstellung ‚Die Kunst im Leben des Kindes‘“, in: Ernstes Wollen, Bd. 3 (1901), S. 29. Wahrscheinlich stammten diese Blätter aus einem Konvolut von Kinderzeichnungen, das Warburg von seiner Reise in die USA 1895-96 mitbrachte. Er selbst zeigte mindestens eine dieser Zeichnungen in seinem Vortrag über das Schlangenritual. Vgl. Warburg, Aby: Schlangenritual. Ein Reisebericht. Vortrag gehalten in der Heilanstalt Bellevue, Kreuzlingen, am 21. April 1921, Berlin 1996, S. 11. 76 Neben der Berliner Secession war die Ausstellung im Deutschen Buchgewerbehaus Leipzig, im Großherzoglichen Museum in Darmstadt, im Kunstgewerbemuseum Frankfurt am Main sowie in den Räumlichkeiten des Künstlerbundes Hagen in Wien zu sehen. 77 Vgl. Grözinger, Wolfgang: Kinder kritzeln, zeichnen, malen. Die Frühformen kindlichen Gestaltens, München 1952, S. 18 ff. 78 Dies belegen Karikaturen aus demselben Zeitraum, die den pastosen Farbauftrag der modernen Kunst in den Blick nehmen. Beispiele finden sich unter anderem in: Wulff, Leo (Hg.): Die Insel der Blödsinnigen. Die Tollheiten der Moderne in Wort und Bild. Verlag der Lustigen Blätter, Berlin 1902, S. 94, 95.

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Hand!“79 Mit dieser Polemik spielte der Autor auf die alte Kontroverse zwischen Farbe und Zeichnung an80, die im Impressionismus zugunsten der Farbe entschieden wurde. Die schon im 19. Jahrhundert kritisierte Praxis, das Farbmaterial ohne Vorzeichnung direkt aufzutragen, wurde in diesem Kontext als „kindlich“ interpretiert. Die Karikatur griff die Ansätze der Reformpädagogik zur ästhetischen Erziehung des Kindes auf und verdrehte sie zum ironischen Erklärungsmodell für die Entstehung moderner Kunst. Sie schuf damit eine Variante der vielfach wiederholten Polemik, auf impressionistischen Bildern sei außer einer chaotischen Ansammlung von Farben nichts zu erkennen. Abbildung 143: Adolf Oberländer: Illustration zu „Das Kind und die Kunst“

Fliegende Blätter, Bd. 116 (1902), Nr. 2953, S. 98

Auf den Vorwurf der Kunstkritik, ihre Werke glichen den Kritzeleien von Kindern, antworteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr Künstler mit Affirmation. Während die Mitglieder der Künstlerkolonie Worpswede ihr Interesse für Kinderzeichnungen um 1900 noch geheim hielten81, machten die Künstler des Blauen Reiters diese Inspirationsquelle zehn Jahre später publik. In ihrem 1912 erschienenen Almanach publizierten sie neben Werken der Volkskunst programmatisch auch

79 Anonym: „Das Kind und die Kunst. Eine kurze Anleitung zur modernen KinderErziehung“, in: Fliegende Blätter, Bd. 116 (1902), Nr. 2953, S. 97-98, hier S. 98. 80 Vgl. den Abschnitt „Der Kampf der Schulen“ in diesem Buch. 81 Vgl. Franciscono, Marcel: „Paul Klee und die Kinderzeichnung“, in: J. Fineberg: Kinderzeichnung, S. 26-54, hier S. 29.

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Kinderzeichnungen aus der von Kandinsky und Gabriele Münter angelegten Sammlung.82 Kandinsky schrieb dazu: „Nun hat das begabte Kind außer der Fähigkeit, das Äußere zu streichen, noch die Macht, das gebliebene Innere in eine Form zu kleiden, in welcher dieses gebliebene Innere am stärksten zum Vorschein kommt […]. Es ist eine unbewusste, enorme

Kraft im Kinde, die sich hier-

äußert und die das Kinderwerk dem Werke des Erwachsenen gleich hoch (und oft viel höher!) stellt.“83

Abbildung 144: Anonyme Kinderzeichnung

Zit. nach: W. Kandinsky/F. Marc (Hg.): Der Blaue Reiter, S. 139

Kandinskys Argumentation erinnert an die fast fünfzig Jahre zuvor erschienenen Ausführungen Champfleurys, denn auch er meinte, es sei die Aufgabe des Künstlers, „der sein ganzes Leben in vielem dem Kinde gleicht“84, das Kindliche in sich zu erhalten und auf diese Weise dem überholten, bürgerlichen Kunstverständnis entgegenzutreten. Kandinskys Würdigung der Kinderkunst war ein Aufbegehren gegen die festgefahrenen akademischen Konventionen und besonders gegen die akademische Künstlerausbildung, denn in seinen Augen war „[d]ie Akademie [...] das sicherste Mittel, der beschriebenen Kindeskraft den Garaus zu machen“.85 Überraschend und für Kandinskys Argumentation scheinbar wenig hilfreich erscheint dagegen die in diesem Zusammenhang publizierte Kinderzeichnung (Abb. 144). Es handelt sich dabei um eine sauber ausgeführte illustrative Schülerarbeit, die dem vom Autor postulierten Ideal eines freien, undomestizierten Gestaltungs-

82 Vgl. Wörwag, Barbara: „Es ist eine unbewußte enorme Kraft im Kinde. Zur Bedeutung der Kinderzeichnung bei Kandinsky und Gabriele Münter“, in: J. Fineberg: Kinderzeichnung, S. 172-197, hier S. 173 ff. 83 Kandinsky, Wassily: „Über die Formfrage“, in: Kandinsky, Wassily/Marc, Franz (Hg.): Der Blaue Reiter (1912). Dokumentarische Neuausgabe von Klaus Lankheit, München 1965, S. 132-182, hier S. 168 f. 84 Ebd., S. 171. 85 Ebd., S. 169.

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willens kaum gerecht wird.86 Im Kontext des Blauen Reiters scheint sie eher einen noch aus dem 19. Jahrhundert nachwirkenden Topos der Naivität zu bedienen, als dass sie vorbildhaft für abstrakte Gestaltungen sein könnte. Möglicherweise war Kandinsky daran gelegen, die abstrakte Malerei als seine ureigenste Entdeckung und damit ohne Vorgeschichte, und sei es auf dem Gebiet der Kinderzeichnung, zu präsentieren. Ungeachtet dessen geht die Kandinsky-Forschung davon aus, dass die Formvereinfachungen seiner Malerei in ihrem Übergang zur Abstraktion auch von frühkindlichen Zeichnungen inspiriert waren.87 Im 20. Jahrhundert war Paul Klee der Künstler, der am stärksten mit dem Thema Kinderkunst in Verbindung gebracht wurde − je nach Kontext in positiver oder negativer Absicht.88 Für ihn selbst stellten Kinderzeichnungen einen positiven Bezugspunkt dar, dessen Bedeutung er auch in schriftlichen Äußerungen betonte. Im Frühjahr 1912 veröffentlichte Klee in dem Schweizer Magazin Die Alpen eine Besprechung der ersten Ausstellung des Blauen Reiters, die im Winter 1911/12 in der Münchener Galerie Heinrich Thannhauser stattgefunden hatte. In diesem Artikel griff er Kandinskys Argumentation auf: „Es gibt nämlich auch noch Uranfänge von Kunst, wie man sie eher im ethnographischen Museum findet oder daheim in der Kinderstube (lache nicht, Leser), die Kinder können’s auch, und das ist durchaus nicht vernichtend für die jüngsten Bestrebungen, sondern es steckt positive Weisheit in diesem Umstand. Je hilfloser diese Kinder sind, desto lehrreichere Kunst bieten sie; denn es gibt auch schon hier eine Korruption: wenn die Kinder anfangen entwickelte Kunstwerke in sich aufzunehmen oder gar ihnen nachzuahmen.“89

Die kunstkritische Polemik, jedes Kind könne so malen wie die Anführer der künstlerischen Avantgarden, bejahte Klee nachdrücklich und führte sie so ad absurdum. Das Merkmal der Kindlichkeit deutete er vom Verdikt zum positiven Ideal um und zögerte nicht, dies umgehend auf seine eigene Kunst anzuwenden. Bereits ein Jahr zuvor hatte Klee mit der Arbeit an seinem Werkverzeichnis begonnen, in das er 86 Vgl. Werckmeister, Otto Karl: „The Issue of Childhood in the Art of Paul Klee“, in: Arts Magazine, Bd. 52 (1977), Nr. 1, S. 138-151, S. 141. 87 Vgl. B. Wörwag: Es ist eine unbewußte enorme Kraft im Kinde, S. 179. 88 Die erste und noch heute maßgebliche Studie zu diesem Thema ist Smith Pierce, James: Paul Klee and Primitive Art (1961), New York u.a. 1976. Für einen neueren Standpunkt vgl. M. Franciscono: Paul Klee und die Kinderzeichnung sowie Ausst.-Kat. Das Universum Klee, hg. von Dieter Scholz und Christina Thomson, Staatliche Museen zu Berlin 2008, S. 96-111. 89 Klee, Paul: „München“, in: Die Alpen. Monatsschrift für schweizerische und allgemeine Kultur, Bd. 6 (1911/12), Nr. 5, S. 302. Wiederabdruck in: Ders.: Schriften, Rezensionen und Aufsätze, hg. von Christian Geelhaar, Köln 1976, S. 97-98, hier S. 97.

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auch 18 Kinderzeichnungen aus den Jahren 1883 bis 1890 integrierte. Die älteste dieser Zeichnungen hatte der Künstler im Alter von vier Jahren produziert.90 Obwohl die Blätter, von denen Klee einige sogar nachträglich signierte, durch ihre Datierung und die chronologische Anordnung nach wie vor als Kinderzeichnungen erkennbar waren, wurde ihnen durch die Aufnahme in das Werkverzeichnis der gleiche Stellenwert eingeräumt wie den Arbeiten des erwachsenen Künstlers.91 Eine vergleichbarer Ansatz ließ sich 2007 auf der documenta 12 beobachten, wo der österreichische Künstler Peter Friedl (geb. 1960) ein Konvolut seiner eigenen Kinderzeichnungen präsentierte und sie so nachträglich zum Teil seines Werkes erklärte.92 Der Konzeptkünstler Friedl konnte durch das Ausstellen von Kinderzeichnungen auf eine kunsttheoretische Tradition rekurrieren, die Klee einst mitbegründet hatte. Denn dieser bezog seine Anregungen tatsächlich, wie Dieter Scholz schreibt, „auch aus dem Kinderzimmer“93 und ließ sich über viele Jahre hinweg von den Formmerkmalen einer kindlichen Bildsprache inspirieren. Darauf verweisen laut Franciscono „gekritzelte Formen, eine schematisch vereinfachte Komposition und im Umriss gezeichnete Figuren, die in einer primitiven Geometrie, oftmals nur fragmentarisch, mitunter auf reine Strichmännchen reduziert, wiedergegeben sind.“94 Diese Merkmale zeigen sich auch in späteren Arbeiten des Künstlers wie der 1939 entstandenen Zeichnung Beim blauen Busch, in der sich Klee bewusst einer kindlichen Formensprache bediente und das Kinderlied „Hänschen Klein“ zu der Inschrift „Stelzich ein Bleib talein“ abwandelte, die an die ersten Schreib- und Sprechversuche eines Kindes erinnert. (Abb. 145).95 Anhand von Tagebucheinträgen und Briefen des Künstlers konnte Werckmeister darlegen, dass Klee mit dem Konzept der Kindlichkeit zunächst seine Unabhängigkeit von allen künstlerischen Traditionen garantierte und ihnen die ‚Kinder90 Paul Klee: Christkind ohne Flügel, 1883, Bleistift und farbige Fettkreiden auf Schreibpapier auf Karton, 8,5 x 12,4 cm, Wvz.-Nr. 1, Zentrum Paul Klee, Bern. 91 Vgl. O. K. Werckmeister: The Issue of Childhood. 92 Friedl ließ offen, ob es sich dabei um eine Illustration der These „Das Kind als Künstler“ oder um eine kunstbiografische Rückschau nach dem Motto „Der Künstler als Kind“ handeln sollte. Roger M. Buergel zufolge warf der Beitrag „die Frage nach dem Genre ,Kinderzeichnung‘ und, wie bei allen Genrefragen, nach dessen Grenze“ auf. Friedls Radikalität liege darin, „dass er das Klischee vom Authentischen kleinen Wilden nicht bedient, sondern, gewissermaßen ungerahmt, die Hervorbringungen des kleinen Wilden selbst zeigt.“ Buergel, Roger M.: „1968. Peter Friedl. Ohne Titel. Zeichnung“, in: Ausst.Kat. documenta 12. Katalog, Kassel 2007, S. 80. 93 Scholz, Dieter: „Kindheit“, in: Ausst.-Kat. Das Universum Klee (2008), S. 97-98, hier S. 98. 94 M. Franciscono: Paul Klee und die Kinderzeichnung, S. 26. 95 Vgl. D. Scholz: Kindheit, S. 98.

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kunst‘ als Modell einer ursprünglichen, idealen Kunst entgegensetzte.96 Indem Klee den Aspekt der Kindlichkeit für seine Arbeiten stark machte, wies er alle konventionellen Einflüsse und Deutungsmuster zurück. Wie schon Kandinsky richtete auch Klee seine Polemik vor allem gegen die Institution der Akademie, deren Einfluss auf die Entwicklung junger Talente er ausgesprochen negativ beurteilte. Abbildung 145: Paul Klee: Beim blauen Busch, 1939, Kleisterfarbe auf Biber-Concept-Papier, 26,5 x 21 cm, Sammlung des Wilhelm-HackMuseums, Ludwigshafen

© Wilhelm-Hack-Museum

Das Engagement von Kandinsky und Klee für eine Wertschätzung der Kinderzeichnung macht zweierlei deutlich: Zum einen war der Vergleich mit den gestalterischen Leistungen von Kindern nicht nur ein Vorwurf modernefeindlicher Kritiker. Auch die Künstler selbst suchten nach möglichen Analogien, so dass man das Ver-

96 O. K. Werckmeister: The Issue of Childhood.

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hältnis zwischen der ‚Kinderkunst‘ und den künstlerischen Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine Art Wahlverwandtschaft beschreiben kann. Zum anderen wurde die Einstufung von Kinderzeichnungen als Kunst, die die Künstler in Publikationen und mündlichen Äußerungen immer wieder betonten, bewusst als Provokation gegen die Vertreter einer traditionellen Kunstauffassung und Befürworter der akademischen Künstlerausbildung eingesetzt. Karikaturen in bürgerlichkonservativen Zeitschriften antworteten auf diese Provokation, indem sie die ästhetischen Referenzfelder der modernen Kunst in ihrer scheinbaren Absurdität zum Thema machten. Als Satire auf die Primitivismen der Moderne wandten sie das von den Avantgarden etablierte Ideal der Kindlichkeit ins Negative. Die Debatte um die Legitimation einer ‚kindlichen‘ Kunst setzt sich als Doppelpolemik bis in die Gegenwart fort: Einerseits ist der Infantilismus-Vorwurf nach dem Motto „Das kann mein Kind auch!“ nach wie vor populär, andererseits wird die Ästhetik von Kinderzeichnungen auch aufgrund ihrer formalen Ähnlichkeit mit modernen Kunstwerken noch heute geschätzt. Letzteres ironisierte ein New YorkerCartoon aus dem Jahr 2001, in dem ein mit Kinderzeichnungen bedeckter Kühlschrank von einer professionellen Galeriebeleuchtung in Szene gesetzt wird.97 In einem Aufsatz von 1981 legte die Kunstpädagogin Diana Korzenik dar, dass zwischen den Präferenzen der Betrachter von Kinderzeichnungen und den Trends in der zeitgenössischen ‚Erwachsenenkunst‘ ein enger Zusammenhang besteht. So interessierte sich das US-amerikanische Kunstpublikum in der Hochphase des Abstrakten Expressionismus vorrangig für die Klecksereien von Kleinkindern, während man in den 1980er Jahren, in denen Künstler wie Alex Katz und James Rosenquist eine neue figurative Malerei hervorbrachten, die figürlichen Zeichnungen von neunbis zwölfjährigen Schulkindern bevorzugte.98 Die künstlerische Rezeption von Kinderzeichnungen ist der Autorin zufolge Ausdruck eines Narzissmus, in dem der erwachsene Betrachter seine ästhetischen Maßstäbe auf die Produktion des Kindes projiziert. Diese Sichtweise kommt auch in neueren amerikanischen Karikaturen zum Ausdruck, so zum Beispiel in einem 1991 erschienenen Cartoon des New Yorker, in dem ein Vater die Rolle des enttäuschten Kunstkritikers einnimmt: „Frankly, your mother and I think you did better work when you were two“, lässt er seinen Sprössling wissen, dessen Maltechnik sich vom abstrakten Urknäuel zur naivillustrativen Figurendarstellung entwickelt hat.99 Die Sehnsucht der frühen Avantgarden nach einer ursprünglichen, ungefilterten Kreativität scheint demzufolge in der Rezeption von Kinderzeichnungen noch immer virulent zu sein. 97 Tom Hachtman: o. T., in: The New Yorker, 15.10.2001, S. 164. 98 Korzenik, Diana: „Is Children’s Work Art? Some Historical Views“, in: Art Education, Bd. 34 (1981), Nr. 5, S. 20-24. 99 Edward Koren: „Frankly, your mother and I think you did better work when you were two“, in: The New Yorker, 14.10.1991, S. 57.

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Seit den 1960er Jahren begegnen zunehmend auch Karikaturen, in denen der Infantilismus-Vorwurf selbst zum Gegenstand der Satire wird: So stellte der amerikanische Zeichner George Price (1901-1995) 1970 einen Künstler dar, der sich mit beißendem Spott an die Betrachter der abstrakten Bilder wendet, die er auf dem Bürgersteig zum Verkauf anbietet: „You are silent. Am I to assume that you do not have a child who can do every bit as well?“ (Abb. 146). Der ewiggestrige Kunstbanause mit seinem überholten Vorurteil geriet nun selbst in die Schusslinie und wurde anstelle des Künstlers zur lächerlichen Figur. Die Karikatur zeigt zudem, ähnlich wie der acht Jahre zuvor erschienene Punch-Cartoon von Russell Brockbank (Abb. 127), dass die Abstraktion längst zu einem auch von Straßenkünstlern praktizierten Massenphänomen geworden ist, ohne dass sich die populären Vorurteile gegenüber dieser Kunstrichtung wesentlich gewandelt hätten. Abbildung 146: George Price: „You are silent. Am I to assume that you do not have a child who can do every bit as well?“ In: The New Yorker Art and Artists Album, 1970

Zit. nach: Ausst.-Kat. A Child of Six Could Do It!, S. 62

Mit einem museumspädagogischen Ansatz nahm sich 1987 schließlich das Sprengel Museum in Hannover der Problematik an. Unter dem Titel „Das kann mein Kind auch!“ wurde eine Ausstellung moderner, überwiegend abstrakter Kunstwerke eingerichtet, um darin „auf ganz bestimmte Einschätzungen, auf Vorurteile bzw., all-

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gemein, auf die ,Bauchschmerzen‘ skeptischer Zeitgenossen Bezug [zu nehmen], mit denen diese ihr Unbehagen oder gar ihr Ärgernis an der Gegenwartskunst zum Ausdruck bringen.“100 Jenseits aller Polemik nahmen die Ausstellungsmacher das Vorurteil ernst und versuchten, eine didaktische Reflexion herbeizuführen. Sie versammelten eine Reihe von Beispielen, in denen die Nähe zur Kinderzeichnung von modernen Künstlern als Stilmittel bewusst eingesetzt wurde. Im Katalog heißt es dazu: „Vielleicht würde Ihnen Jean Dubuffet sogar zustimmen: Ja, das kann Ihr Kind auch! – wüßte er nicht, dass, wenn ein Erwachsener wie ein Kind malt, er es im Bewusstsein eines Erwachsenen tut.“101 Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit didaktischen Karikaturen von Detlef Kersten (geb. 1948). Eine Illustration zeigt den niederländischen COBRA-Maler Karel Appel in seiner farbverschmierten Arbeitskleidung neben einem Kleinkind mit breibespritztem Lätzchen (Abb. 147). Die Parallelen zwischen beiden Arten der „Beschmutzung“ liefern einen Hinweis auf die Werke Appels, insbesondere aber ist damit die Arbeitsweise des Künstlers angesprochen. Appel wird wie folgt zitiert: „Tiere, Kinder, Sonntagsmaler, Gestörte schlürfen einander an. Ihr Rotz ist ihr liebstes Vergnügen. Sie nehmen Dreck als Fingerfarben. Wollte ich nicht schon immer so sein, ohne Bestrafung, ohne Zersplitterung?“102 Abbildung 147: Detlef Kersten: Illustration zu „Gekleckse, Geklatsche, Geklumpe“ (Foto: Nico Koster, Wijdenes/NL)

Zit. nach: Ausst.-Kat. Das kann mein Kind auch!, S. 27

100 Büchner, Joachim: „Vorwort“, in: Ausst.-Kat. Das kann mein Kind auch! Für und wider die neue Kunst 1945 bis heute, Sprengel Museum Hannover 1987, S. 7-8, hier S. 7. 101 Ausst.-Kat. Das kann mein Kind auch! (1987), S. 10. 102 Ebd.

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Abbildung 148: Anonym: Jackson Pollock’s Mutter, Grußpostkarte, um 1980

Zit. nach: R. Prange: Jackson Pollock Number 32, S. 49

Abbildung 149: Robert Thompson: Jackson Pollock as a child, o. J.

http://www.cartoonstock.com

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Kerstens Bildidee erscheint unter didaktischen Gesichtspunkten einleuchtend, ist jedoch nicht ganz neu, denn bereits Jackson Pollocks Malweise wurde parodierend auf eine frühkindliche Prägung zurückgeführt. Eine Fotografie auf einer Witzpostkarte zeigte um 1980 „Jackson Pollock’s Mother“ mit saucenbekleckerter Schürze beim Füttern ihres Sohnes mit Spaghetti und wertete die Drip-Technik des erwachsenen Künstlers so als infantile Regression (Abb. 148).103 Auch ein neuerer Cartoon des britischen Zeichners Robert Thompson (geb. 1960) stellt diesen Zusammenhang her (Abb. 149). Trotz der aus heutiger Sicht etwas bieder wirkenden pädagogischen Grundhaltung stellte die Hannoveraner Ausstellung einen Versuch dar, dem Topos der Kinderkunst in seiner ambivalenten Funktion für die Kunstrezeption in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerecht zu werden. Die Doppelpolemik zwischen konservativer Kritik und Affirmation des Vorwurfs durch die künstlerischen Avantgarden konnte die Ausstellung nicht auflösen, aber immerhin kritisch reflektieren. Die mit ihren klaren Umrisszeichnungen selbst etwas kindlich wirkenden Illustrationen von Detlef Kersten spielen mit den selben Analogien wie die tendenziell modernefeindlichen Kunstkarikaturen der 1920er und -30er Jahre, allerdings steht die Karikatur hier nicht mehr im Dienste einer Diffamierung der modernen Kunst, sondern soll im Gegenteil ihrer Vermittlung dienen. Eine besonders amüsante Parodie auf die Idealisierung des kindlichen Bildschaffens in der modernen Kunst stammt von dem britischen Zeichner William Augustus Sillince (1906-1974) (Abb. 150). Sein Cartoon von 1954 zeigt zwei in die Betrachtung eines Schneemanns versunkene Männer, wahrscheinlich Künstler, die angesichts dieser ‚Skulptur‘ den ursprünglichen Kunstinstinkt des Kindes bewundern: „You know, children have an instinctive understanding of the right use of a medium“, sagt der eine soeben gewichtig zum anderen und repetiert damit einen in den 1950er Jahren schon etwas angestaubten Topos der primitivistischen Moderne. Währenddessen stürmt aus dem winterlichen Wald, von den Künstlern noch unbemerkt, eine ausgelassene Horde von Kindern heran. Ihnen hat ihr kindlicher ‚Materialinstinkt‘ das Formen von Schneebällen befohlen, mit denen sie ihre Bewunderer im nächsten Moment attackieren werden. Die Karikatur führt vor, wie sich die Überbewertung einfachster kindlicher Bildproduktionen als ‚Kunst‘ am Ende gegen die echte Kunst der Moderne richtet, die eigene Formvorstellungen und ästhetische Wertmaßstäbe auf das Schaffen des Kindes projiziert. Bei Sillinco sind es dabei die Kinder selbst, die sich gegen diese Vereinnahmung zur Wehr setzen, indem sie ihren Bewunderern den aus ihrer Sicht ‚richtigen‘, nämlich spielerischen, Gebrauch des Mediums Schnee demonstrieren.

103 Vgl. R. Prange: Jackson Pollock Number 32, S. 49.

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Abbildung 150: William Augustes Sillince: „You know, children have an instinctive understanding of the right use of a medium.“ In: Punch, 03.12.1954

Zit. nach: Ausst.-Kat. A Child of Six Could Do It!, S. 64

Der Affe als Künstler und der Künstler als Affe Nach Kindern und Geisteskranken bilden Tiere die dritte Gruppe in der Trias der „Primitiven“, deren gestalterische Leistungen mit der Entstehung abstrakter Kunst in Verbindung gebracht wurden. Die Erweiterung des Kunstbegriffs im Laufe des 20. Jahrhunderts führte zu einer Öffnung der Kunst für das unbewusste Gestaltungspotential von Geisteskranken, Kindern − und schließlich auch Tieren. Dass dies ein ambivalentes Unterfangen war, zeigte sich bereits am Beispiel der Kinderkunst. Die Karikaturen zu diesem Thema machten deutlich, dass die Würdigung primitiver Ausdrucksformen als Kehrseite stets die Möglichkeit einer Ironisierung der modernen Kunst mit sich bringt. Dies gilt in gleicher Weise für die „Werke“ malender Primaten.

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„Junge Wilde aus Afrika“ lautete der Titel einer Ausstellung, die 1994 in Hamburg eröffnet wurde.104 Die dort gezeigten abstrakten Malereien wurden als Werke junger afrikanischer Künstler ausgegeben und von den zur Eröffnung geladenen Kunstexperten vor laufender Kamera gelobt. Allerdings entpuppte sich die Veranstaltung noch am Eröffnungsabend als Streich der TV-Sendung „Vorsicht Kamera“: Die Bilder waren in Wirklichkeit von afrikanischen Schimpansen in Hagenbecks Tierpark gemalt worden. Der Beitrag, der am 26. April 1994105 ausgestrahlt wurde, rekurrierte mit diesem Witz auf einen alten Topos der Kunstpolemik, der von den Gegnern der Abstraktion bis heute als Argument ins Feld geführt wird: Wenn sogar ein Affe imstande ist, Bilder zu malen, die die Anerkennung der Kunstexperten finden, dann sind im Umkehrschluss die auf den ersten Blick ähnlich erscheinenden Werke tachistischer Maler auch nicht mehr als ‚Affenkunst‘. Auch aus diesem Grund gehören malende Affen noch heute zu den Publikumslieblingen in den Zoos dieser Welt und niemals versäumt es die Berichterstattung, auf die angebliche Ähnlichkeit ihrer Bilder mit Werken der abstrakten Kunst hinzuweisen. Auch die Karikatur hatte an der Entwicklung und Ausgestaltung dieser höchst erfolgreichen Polemik einen Anteil. Eine deutsche Karikatur von 1961 zeigt einen Schimpansen beim Betreten einer Kunsthandlung, offenbar um ein selbst gemaltes Bild dort zum Verkauf anzubieten (Abb. 151). Von der Leinwand, die der Affe unter dem Arm trägt, ist nur die Rückseite zu sehen, doch die im Schaufenster ausgestellten Bilder erlauben einen Rückschluss auf das Erscheinungsbild der Malerei, die der ‚Künstler‘ in dieser Galerie unterzubringen hofft. Ihre abstrakten Formen erinnern an die informelle Malerei des Tachismus − zur Entstehungszeit der Karikatur noch immer die dominante Richtung der modernen Malerei in Europa. Ob die Entdeckung stilistischer Ähnlichkeiten seiner eigenen Produktion mit den ausgestellten Bildern den Affen zum Betreten der Kunsthandlung veranlasst oder ob die ausgestellten Werke bereits selbst von Affen stammen, bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen. In beiden Fällen wird der Tachismus durch die Figur des Schimpansen als ‚Affenkunst‘ disqualifiziert. Durch die Einbettung dieser an sich wenig originellen Kritik in den szenischen Rahmen der Kunsthandlung wird der Empörungseffekt noch verstärkt: Die ‚Luxusware Kunst‘ soll als Affenstreich, der Kunsthändler als Scharlatan entlarvt werden.

104 Für den Hinweis danke ich Monika Wagner. 105 Die Angabe zum Ausstrahlungsdatum basiert auf Internetrecherchen der Autorin und konnte durch eine Anfrage beim Fernsehsender Sat1 nicht verifiziert werden. Dem Sender zufolge wurde der Beitrag nicht archiviert (Auskunft per Mail vom 31.07.2012).

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Abbildung 151: Anonym: o. T., in: Münchner Merkur, 1961

Zit. nach: R. Eichler: Die tätowierte Muse, S. 142

Der Topos ‚Affe als Künstler‘ fand in Karikaturen auf die moderne Kunst besonders häufig Verwendung. Darstellungen Kunst produzierender Primaten bildeten innerhalb der Kunstkarikatur ein eigenes Genre, das sich auf ältere kunsttheoretische Topoi beziehen konnte und dem durch nachdarwinistische und biologistische Debatten des 19. und 20. Jahrhunderts neue Impulse zuflossen. Ihr besonderer geistes- und wissenschaftsgeschichtlicher Kontext unterscheidet diese Karikaturen von Darstellungen, die Hunde, Katzen oder Esel als Produzenten abstrakter Kunst zeigen, was eine gesonderte Betrachtung notwendig macht.106 Die Bildformel des malenden Affen speist sich aus ganz bestimmten ikonographischen Quellen und theoretischen Diskursen, die im Folgenden kurz dargestellt und auf ihre Bedeutung für die Karikatur hin befragt werden sollen. Das Motiv des Kunst produzierenden Affen lässt sich bis in die Kunsttheorie der Frühen Neuzeit zurückverfolgen. Seit dem 15. Jahrhundert wurde die menschliche Kunst in der Figur des Affen symbolisiert, um zu veranschaulichen, dass die Kunst die Natur nachahme, wie der Affe den Menschen imitiert: Ars simia naturae.107 In dieser Bedeutung erscheint der Affe auch in einem Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä., dem Integrae Naturae Speculum Artisque Imago, der als Ti-

106 Zu Karikaturen auf Kunst produzierende Nichtprimaten vgl. den Abschnitt „Tiere als Werkzeuge“ in diesem Buch. 107 Vgl. Janson, Horst W.: Apes and ape lore in the middle ages and the renaissance (=Studies of the Warburg Institute 20), London 1952, S. 287 ff.

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telblatt der Erstausgabe von Robert Fludds Geschichte des Makrokosmos und der Technik108 von 1617 vorangestellt ist.109 Der Topos Ars simia naturae spielte auch in den Singerien des 18. Jahrhunderts eine Rolle, die vor allem in der Dekorationsmalerei des Rokoko höchst populär waren. Das komische Potential − und damit die Attraktion − dieser Bildgattung lag jedoch vor allem in der similitudo hominis der dargestellten Tiere: Affen wurden in menschlichen Kleidern bei der Ausübung menschlicher Tätigkeiten gezeigt, zu denen neben Lesen, Schreiben und allerlei gesellschaftlichen Ritualen auch die Produktion von Kunst gehörte. Das prominenteste Beispiel für eine solche Darstellung ist wohl Jean Siméon Chardins Le Singe peintre110 (Abb. 152) von 1740, ähnliche Motive finden sich jedoch auch bei Antoine Watteau und Christophe Huet.111 Abbildung 152: Jean Siméon Chardin: Le Singe peintre, 1740, Öl auf Leinwand, 73 x 59 cm, Musée du Louvre, Paris

© bpk / RMN – Grand Palais / Gérard Blot

108 Fludd, Robert: Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysika, Physica Atque Technica Historia, Frankfurt am Main 1617. 109 Vgl. Bredekamp, Horst: „Kunsttheoretische Topoi in Thomas Hobbes’ Definition des Leviathan“, in: Raulff, Ulrich/Smith, Gary (Hg.): Wissensbilder. Strategien der Überlieferung, Berlin 1999, S. 169-182. 110 Das Pendant eines Singe sculpteur ist heute verschollen und nur in Stichen überliefert. 111 Vgl. Christophe Huet: La Grande Singerie, 1735-37, Decken- und Wandgemälde, Chantilly, Schloss.

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In Singerien fungiert der Affe als Spiegel menschlicher Eitelkeiten. Der malende Affe soll menschliche Maler an die Zweitrangigkeit ihrer Kunst gegenüber der originären Natur erinnern. Er steht in einer Tradition des Sekundären, die in seinem Bild den Aspekt des ‚Nachäffens‘ betont. Dazu passend zeigt eine gegen die Akademie gerichtete Darstellung des späten 18. Jahrhunderts Lehrer, Schüler und Modelle in der Gestalt von Affen und übersetzt so die Travestie der Singerien ins Medium der Karikatur.112 Eine Verwandtschaft zwischen beiden Varianten der Bildsatire wurde auch von Zeitgenossen bemerkt: So erschien in einer der ersten Nummern des Charivari eine Reproduktion von Alexandre-Gabriel Decamps Intérieur d’atelier (Abb. 153), das auf diese Weise in einen karikaturistischen Kontext eingeschrieben wurde.113 Abbildung 153: Alexandre-Gabriel Decamps: Intérieur d’Atelier, um 1833, Öl auf Leinwand, 32 x 40,5 cm, Musée du Louvre, Paris

© bpk / RMN – Grand Palais / Michel Urtado

Aspekte der Mensch-Tier-Karikatur finden sich auch in Francisco de Goyas 179798 entstandenen Caprichos. So wurde der malende Affe in Capricho 41 als verstecktes Selbstporträt des Künstlers gewertet114, der in diesem Blatt die ambivalente Rolle des Malers der feinen Gesellschaft reflektierte.115 112 Vgl. Baur, Otto: Bestiarium Humanum. Mensch-Tier-Vergleich in Kunst und Karikatur, München 1974, S. 97. 113 Vgl. Le Charivari, 31.07.1833, o. S. 114 Vgl. Paulson, Ronald: Representations of Revolution (1789-1820), New Haven u.a. 1983, S. 326 f. 115 Vgl. Francisco de Goya y Lucentes: Ni mas ni menos, Tafel 41 der Caprichos, 1797-98, Radierung und Aquatinta, 31,1 x 21,7 cm, National Gallery of Art, Washington, Ro-

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In der Karikatur des 19. Jahrhunderts waren Mensch-Tier-Vergleiche sehr verbreitet.116 Besonders im napoleonischen und nachnapoleonischen Frankreich, wo man sich aus Angst vor politischer Zensur vermehrt der Gesellschaftskarikatur, und infolgedessen auch der Kunstkarikatur zuwandte, wurden Tiere gern als Stellvertreter eingesetzt, um auf bestimmte menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen aufmerksam zu machen. Ihren qualitativen Höhepunkt erreichte die Mensch-Tier-Karikatur im Schaffen von Grandville. Seine Karikaturen zeigen die gesamte Bandbreite dieser Form der Travestie, deren humoristisches Potential sie voll zur Geltung bringen.117 In dem Kosmos von Mischwesen, der Un autre monde bevölkert, finden sich so auch zwei Darstellungen malender Affen. Eine davon zeigt eine Atelierszene mit Affenmalern, die sich unterschiedlicher Techniken bedienen und dabei verschiedene Abstufungen des Mensch-Tier-Vergleiches repräsentieren (Abb. 154). Nur einer der Affen malt mit der Hand und zeigt so ein annähernd menschliches Verhalten, welches jedoch durch seine Linkshändigkeit, die übergroß dargestellte Hand und den Beinamen „Pfotenfaust“118 kontrastiert wird. Die Technik des „Fußkünstlers“ erinnert an Karel van Manders Schilderung der Vita des niederländischen Malers Cornelis Ketel (1548-1616), der ebenfalls mit den Füßen gemalt haben soll und so als Vorbild für Grandvilles Darstellung in Frage kommt.119 Der Affe mit seinen an das

senwald Collection. Der Affe hat seine Arbeit an der Staffelei unterbrochen, um sein Modell, einen grauen Esel, weiß anzumalen. Indem der Maler seinem Modell nicht nur schmeichelt, sondern dessen Aussehen aktiv verändert, widerspricht er dem Ethos der Naturtreue. Der Titel Ni mas ni menos (dt. Weder mehr noch weniger) ist als Aufforderung an die Maler zu verstehen: Malerei soll ein schöneres Bild der Wirklichkeit schaffen, jedoch ohne Verrat an der Natur zu üben. Vgl. Traeger, Jörg: Goya. Die Kunst der Freiheit, München 2000, S. 96 f. 116 Für weitere Beispiele vgl. O. Baur: Bestiarium Humanum. 117 Ebd., S. 100 ff. 118 Zitiert nach der dt. Ausgabe: Eine Andere Welt. Von Plinius dem Jüngsten, Zürich 1979, S. 94. 119 „Nu dat noch vreemder/ Anno 1600. Werdt hem voor te comen te schilderen sonder hande(n)/ met syn voeten/ of hy daer van yet te weghe mocht brenghen. Dit heeft velen vergheefs tot lacchen en spotten verwect/ meer als t’voorgaende/ om dat te voeten daer toe noch onbequamer zijn/ en soo tot arbeyden niet verordineert“. van Mander, Karel: Schilder-Boeck, Bd. 2, Haarlem 1604, fol. 278 r, zit. nach: Stanneck, Achim: Ganz ohne Pinsel gemalt. Studien zur Darstellung der Produktionsstrukturen niederländischer Maler im Schilder-Boeck von Karel van Mander (1604), Frankfurt am Main u.a. 2003. S. 61. Stanneck wertet die Behauptung van Manders als einen Versuch der Auflehnung gegen das Ordnungssystem der Zünfte. Durch die Schilderung unkoventioneller Tech-

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Greifen angepassten Füßen bietet sich für die Illustration dieser kuriosen Maltechnik in besonderer Weise an. Die Figur, die in Grandvilles Illustration am stärksten den Aspekt des Tierischen repräsentiert, ist der „Schwanzpinsel“, der die Farbe mit der Quaste seines Schwanzes auf die Leinwand aufträgt. Abbildung 154: Grandville: Un autre monde (1844), Maler aus dem Kapitel „Le royaume des marionnettes“

Zit. nach: Grandville: Eine andere Welt, Zürich 1979, S. 93

In Tier-Travestien agieren Tiere in menschlichen Rollen, wobei der Affe, wie schon in den Singerien des 18. Jahrhunderts, für mangelnde Kreativität steht. Die malenden Affen in Un autre monde entlarven den Künstler als ‚Nachäffer‘ und ideenlosen Plagiator. In den übergroßen Pinseln, die auf einen recht groben Farbauftrag schließen lassen, kann man indes schon einen frühen Kommentar zu den ‚betrunkenen Besen‘ der französischen Romantiker vermuten. Für diese Lesart spricht auch der vierte Affe, der am rechten Bildrand die Farben anmischt. Sein überaus pastos wirkendes Farbmaterial ist mit der Aufschrift „laque“ (dt. Anstrichmittel) versehen.120

niken habe van Mander zeigen wollen, dass die Produktion von Kunst auch jenseits aller Vorschriften gelingen könne. 120 Vgl. den Abschnitt „Maler als Anstreicher“ in diesem Buch.

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Im Laufe des 19. Jahrhunderts empfing die Mensch-Tier-Karikatur zahlreiche Impulse aus der zeitgenössischen Anthropologie: Die vergleichende Physiognomik Johann Caspar Lavaters, die physiognomischen Zeichnungen Charles Le Bruns und die 1859 erstmals publizierte und in der Folgezeit stark diskutierte Evolutionstheorie Charles Darwins lieferten Anregungen, die von der Karikatur bereitwillig aufgenommen wurden.121 Die Ähnlichkeit von Mensch und Tier und vor allem die Abstammung des Menschen vom Affen ist ein wiederkehrendes Thema in der Karikatur des 19. Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund ist auch eine Bildergeschichte wie Fipps der Affe122 zu betrachten, deren Autor Wilhelm Busch ein Anhänger des Darwinismus war. Darwinist war auch der Maler Gabriel von Max (1840-1915), der das historische Genre der Singerie in eine zeitgemäße Form überführte. Max, der um 1870 und erneut nach 1900 lebende Affen hielt, um ihre Körper und Verhaltensweisen zu studieren123, schuf mehrere Gemälde, in denen Affen wie Menschen agieren. Mindestens drei Bilder sind dabei unmittelbar auf die Welt der Kunst, genauer der Malerei, bezogen: Die Affen als Kunstrichter (Abb. 155), Die Kunstkritiker124 und Der Atelierbesuch125. Im Gegensatz zu den französischen Singerien des 18. Jahrhunderts tragen die Tiere bei Gabriel von Max keine Kleider und sind in natürlichen, artgerechten Posen dargestellt, die auf ein intensives Studium der lebenden Vorbilder schließen lassen. Dennoch stehen die Bilder durch ihre Themen und Schauplätze in einer Tradition des karikierenden Mensch-Tier-Vergleiches. Nachgelassene Texte und Briefe des Künstlers belegen, dass er den Affen ein ernsthaftes und durchaus wertschätzendes Interesse entgegenbrachte. Dennoch setzte er sie in Gemälden auch karikierend ein, um seinen Ansichten über den zeitgenössischen Kunstbetrieb, aus dem sich der einstige ‚Malerstar‘ seit den 1880er Jahren zunehmend zurückgezogen hatte126, Ausdruck zu verleihen. Das bekannteste der drei Werke, die Affen als Kunstrichter, bezieht sich unmittelbar auf die erste Münchener Jahresausstellung, die 1889 im Glaspalast stattfand. Die Einrichtung einer jährlich stattfindenden Ausstel121 Vgl. O. Baur: Bestiarium Humanum, S. 79 ff. 122 Vgl. Busch, Wilhelm: Fipps der Affe (1879), in: Ders.: Die Bildergeschichten. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 3: Spätwerk, hg. von Herwig Guratzsch und Hans Joachim Neyer, Hannover 2002, Spalte 76-167. 123 Vgl. Althaus, Karin: „Die Affen: Studienobjekte und Lebensgefährten“, in: Ausst. Kat. Gabriel von Max. Malerstar, Darwinist, Spiritist. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München 2010, S. 295-315. 124 Gabriel von Max: Die Kunstkritiker (Zwei Affen betrachten ein Gemälde), vor 1900, Öl auf Leinwand, 60,5 x 43 cm, Privatsammlung. 125 Gabriel von Max: Der Atelierbesuch, o. J., Öl auf Holz, 40 x 50 cm, Privatsammlung. 126 Vgl. Jooss, Birgit: „Ein Künstlerleben zwischen Popularität und Rückzug“, in: Ausst. Kat. Gabriel von Max (2010), S. 49-55.

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lung für zeitgenössische Kunst nach dem Vorbild des Pariser Salons war in der Münchener Künstlerschaft umstritten, da man eine Minderung des künstlerischen Niveaus befürchtete.127 Ebenso kontrovers wurden die Entscheidungen der Jury beurteilt, die der modernen impressionistischen Kunst den Vorzug vor Werken der älteren Münchner Malerschule gaben. Auch Gabriel von Max, der von 1878 bis 1883 als Professor für Historienmalerei an der Münchner Akademie gelehrt hatte, dürfte es nicht zugesagt haben, mit Malern wie Walter Leistikow und Max Liebermann zusammen auszustellen. Die Einladung, etwas zur Ausstellung einzureichen, wies er daher zunächst zurück. Erst nach der Eröffnung sandte er den Ausstellungsmachern seine Affen als Kunstrichter, die ein großer Publikumserfolg wurden. Das Bild zeigt 13 Affen verschiedener Art und Größe, die sich vor einem großen goldgerahmten Bild versammelt haben und dieses mit scheinbar professionellem Interesse betrachten. Ein Aufkleber auf der Kiste, die den Affen als Sitzgelegenheit dient, benennt den Ort des Geschehens: München. Offensichtlich handelte es sich bei diesem Ausstellungsbeitrag, wie Maria Makela schreibt, um „a satire on the jurors of the first annual exhibition, whose work on the show Max likened to that of mere monkeys“.128 Da die Vorderseite der Leinwand nicht sichtbar ist, bleibt unklar, ob Max seine Kritik auch auf eine bestimmte in der Ausstellung vertretene Stilrichtung bezog. Der rückwärtig angebrachte Titel „Tristan und Isolde“ weist zumindest nicht auf ein impressionistisches Werk hin.129 Auch in den undatierten Werken Der Atelierbesuch und Die Kunstkritiker sind die von den Affen betrachteten Werke nicht von vorne zu sehen, so dass es schwerfällt, eine bestimmte Tendenz in Max’ Kunsturteil auszumachen. Wahrscheinlich ging es ihm in erster Linie um eine Verspottung der Kunstwelt, deren Rituale die Affen habituell nachahmen. Dennoch ist in den letztgenannten Werken ein stärkerer Bezug zur malerischen Praxis gegeben, denn auf beiden Bildern hält ein Affe eine Farbtube in der Hand, aus der die Farbe pastos hervorquillt. Das ungelenke Spiel der Tiere mit den Materialien, Werkzeugen und Requisiten künstlerischer Produktion im Atelierbesuch scheint auf eine satirische Auseinandersetzung mit der Arbeit des Künstlers zu deuten. Die Komik der Bilder liegt dabei vor allem in dem ernsthaften, scheinbar konzentrierten Ausdruck der Affen, die so wirken, als würden sie ihre Tätigkeit tatsächlich als eine künstlerische verstehen. In Max’ darwinistischem Verständnis rücken Affe und Mensch näher zusammen. Eine starre Grenze zwi127 Davor hatten die Ausstellungen im Glaspalast in größeren zeitlichen Abständen stattgefunden. Zur Einführung der Internationalen Jahresausstellungen vgl. Grösslein, Andrea: Die Internationalen Kunstausstellungen der Münchner Künstlergenossenschaft im Glaspalast in München von 1869 bis 1888, Diss. München 1987, S. 188 ff. 128 M. Makela: The Munich Secession, S. 32. 129 Ein Gemälde mit dem Titel Tristan und Isolde ist im Katalog der Internationalen Jahresausstellung von 1889 unter der angegebenen Katalognummer 13 nicht nachweisbar.

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schen beiden Spezies zu ziehen, ist seiner Ansicht nach nicht möglich, denn, so Max in einer Notiz von 1871, man müsse „nur die erste beste Tageszeitung in die Hand zu nehmen und reichlich Belege für diese Vereinfachung zu finden und sie gedemütigt aus der Hand zu legen“.130 Aus einem 1903/04 datierten Briefentwurf des Künstlers geht hervor, dass er zumindest einen seiner Affen auch zeichnen ließ.131 Max wertete dieses Vermögen als einen Beweis für die besondere Intelligenz und Menschenähnlichkeit des Tieres; ob er den Hervorbringungen seines Schützlings darüber hinaus auch einen ästhetischen Wert beimaß, ist nicht bekannt. Fünfzig Jahre später allerdings sollte das Konzept einer ‚tierischen Kreativität‘ hohe Wellen schlagen. Abbildung 155: Gabriel von Max: Affen als Kunstrichter, 1889, Öl auf Leinwand, 84,5 x 107,5 cm, Neue Pinakothek München

Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München

In Kunstkarikaturen der 1950er und -60er Jahre erhielt der Affe eine neue Bedeutung. Losgelöst von seiner Funktion als Fabelwesen wurde das Tier nun selbst zum Künstler erhoben und erschien im Kontext zeitgenössischer Diskurse als Inbegriff natürlicher Schaffenskraft. Eine Karikatur des britischen Cartoonisten John Whit-

130 von Max, Gabriel: Notiz vom 15.01.1871, zit. nach: Uhlig, Franziska: „Gegenzauber. Gabriel von Max’ Interesse für Affen“, in: Ausst. Kat. Gabriel von Max (2010), S. 316322, hier S. 322. 131 von Max, Gabriel: Briefentwurf, um 1903/04, vgl. K. Althaus: Die Affen, S. 309.

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field Taylor (1909-nach 1963)132, erschienen am 20. November 1957 im Punch, zeigt einen Schimpansen als Produzenten eines abstrakten Gemäldes (Abb. 156). Ausgerüstet mit Pinsel und Palette und von zwei Forschern in weißen Kitteln beobachtet, malt das Tier eine expressiv wirkende, abstrakte Struktur auf die vor ihm aufgebaute Leinwand. Auffällig ist dabei die ausgesprochen menschliche, gezierte Pinselhaltung, die, ebenso wie die Pinselspur auf der Leinwand, an japanische Kalligraphien erinnert. Auch das ‚Atelier‘ des malenden Affen mit der fast bis zum Boden reichenden gerasterten Fenster- oder Papierwand weckt Assoziationen an japanische Architektur und schreibt die Darstellung so in einen weiteren Diskurs der primitivistischen Moderne ein. Abbildung 156: John Whitfield Taylor: „On the other hand it may be just a dodge for keeping out of rockets.“

Punch, Bd. 233 (20.11.1957), S. 595

Die Karikatur bezieht sich auf zwei Ereignisse des Herbstes 1957, in denen Tiere menschliche Funktionen übernahmen und damit international für Aufsehen sorgten. Ihr unmittelbarer Anlass ist der Raumflug der Hündin Laika, die am 3. November 1957 als erstes Lebewesen im All in einem sowjetischen Satelliten die Erde umkreiste und dabei zu Tode kam. Die Bildunterschrift der Karikatur „On the other hand it may be just a dodge for keeping out of rockets“ unterstellt dem Affen also

132 Zu John Whitfield Taylor, einem der weniger bekannten Cartoonisten des Punch, vgl. Clayton, David: „The artist and his humour...No. 14: J. W. Taylor“, in: Weekly Illustrated, 18.06.1955, S. 55.

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ein höchst vitales Interesse: Seine Produktion abstrakter Malereien erscheint als Ablenkungsmanöver, um nicht für Raketentests eingesetzt zu werden und das gleiche Schicksal zu erleiden wie Laika.133 Ihren vollen Witz entfaltet die Karikatur jedoch nur vor dem Hintergrund eines anderen Ereignisses, das im selben Zeitraum die Londoner Kunstwelt beschäftigte: Eine von dem Künstler und Verhaltensforscher Desmond Morris initiierte und am 16. September 1957 eröffnete Ausstellung im Institute of Contemporary Art zeigte Malereien, die seit 1956 von zwei Schimpansen in den Zoos von London und Baltimore angefertigt worden waren (Abb. 157).134 Abbildung 157: Malerei des Schimpansen Congo (Unsymmetrisches Fächermuster)

Zit. nach: D. Morris: Biologie der Kunst, o. S. (Tafel VII)

Die Ausstellung erregte große Aufmerksamkeit und war auch kommerziell ein Erfolg. Alle 24 ausgestellten Bilder wurden binnen weniger Tage verkauft und ge133 Bereits seit 1952 wurden Affen als Versuchstiere bei Raumfahrt-Testreihen in den USA eingesetzt. Vgl. Anonym: „Stratosphere Monkeys“, in: The London Illustrated News, 16.11.1957. Im Rahmen des Mercury-Programms schickte die NASA am 31.01.1961 erstmals einen Schimpansen ins All. 134 In der Ausstellung wurden jeweils 12 Malereien des Londoner Schimpansenmännchens Congo und eines weiblichen Schimpansen namens Betsy aus dem Zoo von Baltimore gezeigt. In Baltimore wurde bereits seit 1954 mit malenden Affen experimentiert, wobei der Verkauf und die kommerzielle Verwertung – auch Betsy trat als Fernsehkomparse auf – für den Zoo eine beträchtliche Einnahmequelle darstellten. Vgl. Morris, Desmond: Biologie der Kunst. Ein Beitrag zur Untersuchung bildnerischer Verhaltensweisen bei Menschenaffen und zur Grundlagenforschung der Kunst, Düsseldorf 1963, hier S. 28 ff.

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langten größtenteils in prominente Sammlungen: Zu den ersten Käufern zählten der Kunstkritiker Herbert Read ebenso wie Roland Penrose und Pablo Picasso. Die in London entstandenen Bilder waren das Ergebnis einer Testreihe, die Morris seit 1956 mit dem Schimpansenmännchen Congo im Londoner Zoo durchgeführt hatte. Sie lieferten ihm das Material für eine Untersuchung über die Ursprünge der Kunst: Ihre Auswertung sollte es ermöglichen, den Kreativitätsbegriff auf seine biologischen Implikationen hin zu befragen und schließlich biologische Prinzipien der Ästhetik aufzustellen. Morris animierte den Schimpansen zunächst zum Zeichnen und dann zum Malen mit dem Pinsel. Seine Forschungsergebnisse verarbeitete er in dem 1962 erschienenen Buch The biology of art.135 Parallel zu diesen wissenschaftlichen Tests war Morris Aufnahmeleiter einer wöchentlich ausgestrahlten Tiersendung aus dem Londoner Zoo, in der Congo als Maskottchen auftrat und regelmäßig beim Malen mit Pinsel und Farbe zu sehen war. Dem britischen Fernsehpublikum war der malende Affe also bereits vor der Ausstellung im Institute of Contemporary Art bekannt. So thematisierte ein ebenfalls im Punch erschienener Cartoon von Sillince bereits im Juni 1957 das Phänomen der Affenmalerei, ohne jedoch auf deren stilistischen Eigenschaften Bezug zu nehmen (Abb. 158). Abbildung 158: William Augustus Sillince: „It says ‚Self Portrait‘.“

Punch, Bd. 232 (12.06.1957), S. 731

135 Morris, Desmond: The biology of art: a study of the picture-making behaviour of the great apes and its relationship to human art, London 1962.

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Zeitlich parallel zu der Schau in London fand auch in den USA eine Ausstellung von Affenmalereien statt. Das Senate House Museum in Kingston, NY zeigte Malereien des Washingtoner Schimpansenweibchens Zippy, und auch hier ließ die Reaktion der Karikatur nicht lange auf sich warten: Am 21. Dezember 1957 erschien im New Yorker ein Cartoon von Alan Dunn, der den Schimpansen im Habitus des Künstlers auf der Vernissage seiner eigenen Ausstellung zeigt (Abb. 159). Mit Baskenmütze und erhobenem Sektglas hält der Affe vor seinen Bildern Hof. Im Gegensatz zu Taylors Illustration des Malaktes betont Dunn in seinem Cartoon die Rezeptionssituation. Wie bei Gabriel von Max und in den Singerien des 18. Jahrhunderts besteht ein Teil der Komik darin, dass der Primat auf einem Schauplatz menschlicher Eitelkeiten agiert. Abbildung 159: Alan Dunn: o. T. , in: The New Yorker, 21.12.1957, S. 24

© Alan Dunn / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Die Malereien im Cartoon erinnern an die chaotischen ‚Urknäuel‘ kleiner Kinder. Da Alan Dunn im selben Zeitraum mehrere Ausstellungssituationen mit Darstellungen abstrakter Kunst zeichnete, kann man feststellen, dass er Malereien aus der Hand menschlicher Künstler stilistisch von den Schimpansenmalereien differenzierte: Statt geometrischer Formen zeigen sie wilde, chaotische Strukturen, die an die Malerei des Abstrakten Expressionismus erinnern. Auch eine gewisse Ähnlichkeit zu den Malereien von Zippy, die Desmond Morris in seiner Biologie der Kunst abbildet, ist gegeben. Dass der Vergleich von Affenmalereien, Kinderzeichnungen und Action Paintings nicht nur ein Topos der Karikatur war, zeigt eine Ausstellung, die 1958 in der Royal Festival Hall in London stattfand. Unterstützt von Desmond Morris kuratierte

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der Künstler und Publizist Mervyn Levy eine Schau mit dem Titel The Lost Image, in der neue Malereien Congos mit Zeichnungen von Kleinkindern und Malereien des Abstrakten Expressionismus konfrontiert und auf Kriterien wie Kompositionskontrolle und kalligrafische Differenzierung hin untersucht wurden.136 Durch die Beteiligung von Morris erschien der Vergleich als Teil der aktuellen Forschungen über die ‚Biologie der Kunst‘, was der Präsentation eine – vermutlich erwünschte – (populär-)wissenschaftliche Note verlieh. Doch die Ausstellung enthielt auch eine ästhetische Botschaft. Die Nobilitierung von Kinderzeichnungen und Affenmalereien in Präsentationen dieser Art besaß stets das Potential einer Ironisierung der modernen Kunst und ging somit letztlich auf deren Kosten. Laszlo Glozer bezeichnete Congos erste Ausstellung im Institute of Contemporary Art sogar als „Schlüsselerlebnis des Vorurteils“ und bedauerte den „sensationellen Negativ-Effekt“, den die Ausstellung seiner Meinung nach auf eine breite Rezeption der informellen Malerei ausübte.137 Bei der Ausstellung in der Royal Festival Hall schien bereits der Titel „The Lost Image“ auf einen Mangel hinzuweisen, den abstrakte Werke figürlichen Darstellungen gegenüber besäßen. Mervyn Levy, der in den 1950er Jahren durch seine BBC-Serie Painting for Housewives bekannt wurde und selbst figürlich arbeitete, war wohl auch nicht daran interessiert, Vorurteile gegen die informelle Malerei abzubauen. Desmond Morris war nicht der erste Forscher, der mit malenden Affen experimentierte. Bereits 1913 hatte die russische Primatenforscherin Nadia Kohts Kritzelzeichnungen junger Schimpansen gesammelt und mit Kinderzeichnungen verglichen.138 1931 unternahm der Psychologe Winthrop Niles Kellogg den Versuch, einen jungen Schimpansen wie ein menschliches Kind zu erziehen, wozu auch das Zeichnen mit anderen Kindern gehörte.139 Seit den 1930er Jahren experimentierten

136 Die Ausstellung The Lost Image wurde vom 15.09. bis zum 12.10.1958 in der Londoner Royal Festival Hall gezeigt. Morris beschreibt das Projekt in seiner Biologie der Kunst (Vgl. D. Morris: Biologie der Kunst, S. 39 f.) und erwähnt auch einen Ausstellungskatalog, der jedoch nicht ausfindig gemacht werden konnte. Im Archiv der Royal Festival Hall befinden sich keine Materialien zu dieser Ausstellung (Auskunft des Archivleiters Stephen Miller per Mail vom 19.11.2008). Ebenso wie Morris war auch Levy hauptberuflich als Fernsehmoderator tätig. Wahrscheinlich lernten sich beide durch ihren gemeinsamen Arbeitgeber, die BBC, kennen. Vgl. Levy, Ceri: „Obituary: Mervyn Levy“, in: The Independent, 17.05.1996. 137 Vgl. Glozer, Laszlo: „Abstraktion als Weltsprache“, in: Ausst.-Kat. Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, Köln 1981, S. 172-233, hier S. 219 138 Vgl. D. Morris: Biologie der Kunst, S. 21 f. 139 Kellog nahm das Schimpansenweibchen Gua für neun Monate in seine eigene Familie auf, wo sie zusammen mit seinem etwa gleichaltrigen Sohn aufwachsen sollte. Vgl.

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mehrere Forscher mit Affenzeichnungen, jedoch ohne dass größere Kreise von ihren Aktivitäten Notiz nahmen.140 Dass es Morris schließlich gelang, ein breites Publikum für seine Forschung zu interessieren, ist sicher auf die parallele Entwicklung tachistischer Kunst in den 1950er Jahren zurückzuführen. Congos Bilder erregten Aufsehen, weil sie verblüffende Ähnlichkeit mit zeitgenössischen Kunstwerken aufwiesen. Seine wöchentlich ausgestrahlten Darbietungen mit Pinsel und Farbe waren auch deshalb so beliebt, weil sie es den Zuschauern ermöglichten, humoristische Vergleiche mit der zeitgenössischen Kunst anzustellen, die sich ihrem Verständnis mehr und mehr entzog. Dementsprechend dienten malende Affen seit den 1950er Jahren auch nicht mehr allein der Wissenschaft, sondern vor allem der Unterhaltung. Congos amerikanischer ‚Kollege‘ J. Fred Muggs, der von 1953 bis 1957 als Maskottchen im Frühstücksfernsehen der NBC auftrat, ist dafür ein gutes Beispiel. Muggs produzierte Fingermalereien, von denen eine 1958 auf dem Cover der Satirezeitschrift MAD veröffentlicht wurde.141 Das anarchische Witzblatt erhielt dadurch das Aussehen einer zeitgenössischen Kunstzeitschrift. Mitunter kam es auch zu Vermischungen von wissenschaftlichem Interesse und satirischer Ambition, so zum Beispiel bei dem deutschen Verhaltensforscher Bernhard Rensch, der in den 1960er Jahren an den weit über das Feld der Biologie hinaus populär gewordenen Diskurs anknüpfte. Er unternahm Malversuche mit einem Kapuzineraffen, dem er den bezeichnenden Namen Pablo gab und kam zu dem Schluss, dass „bei Affenmalereien primitive ästhetische Lustgefühle die Gestaltung beeinflussen“.142 Rensch, der sich auch selbst als Künstler betätigte, wählte den malenden Affen 1960 als Motiv für einen selbstgestalteten Neujahrsgruß143 und widmete den Affenmalereien zudem ein humoristisches Gedicht, dessen Pointe auf Kosten des Tachismus geht.144 Kellogg, Winthrop Niles: The ape and the child. A study of environmental influence upon early behavior, New York 1933. 140 Vgl. D. Morris: Biologie der Kunst, S. 20 ff. 141 MAD, Nr. 38 (März 1958). Für den Hinweis danke ich Kathrin Rottmann. 142 Zit. nach: Dücker, Gerti (Hg.): 100 Jahre Bernhard Rensch. Biologe – Philosoph – Künstler, Münster 2000, S. 75. 143 Ebd., S. 89. 144 „Wir wissen heut, dass selbst die Affen | Ganz diskutable Bilder schaffen | War doch so oft in aller Welt | Dergleichen nun schon ausgestellt. | [...] | Doch in der Kunst geweihten Hallen | War es gar Keinem aufgefallen, | Dass unter der Tachisten Schar | Nun auch einmal ein Affe war. | So manche Kunstexperten waren | Sich denn auch keineswegs im Klaren, | Was ihre Kunstkritik verriet, | Wenn sie ganz ohne Unterschied | Auch manche Affenbilder priesen | Und damit dann ganz klar bewiesen, | Dass der Tachisten Kunst vielleicht | Schon äffisches Niveau erreicht.“ Zit. nach G. Dücker: 100 Jahre Bernhard Rensch, S. 78 f.

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Doch die beunruhigende Nähe der Affenmalereien zu tachistischer Kunst war zu ihrer Entstehungszeit nicht nur eine Quelle der Belustigung, sondern auch Gegenstand der Faszination. Einige Künstler und Kritiker sahen in Congos Produktionen sogar das Ideal eines modernen Kunstbegriffs verwirklicht, den der menschliche Künstler in dieser Totalität niemals erreichen könne: Malerei als Ausdruck einer primitiven Schaffenskraft, ohne Kontrolle durch das Bewusstsein und ungehemmt von gesellschaftlichen und ästhetischen Normen. Der Vergleich mit tachistischer Kunst tauchte als Argumentationsfigur auch in Rezensionen der von Morris initiierten Ausstellung auf. So attestierte der Kritiker Anthony Powell den Affen „Tachiste tendencies“145, und auch Morris selbst verwies auf die Ähnlichkeit der Affenbilder mit tachistischer Kunst.146 Die Ankäufe der Congo-Bilder durch Picasso und Penrose zeigen, dass auch Künstler von den Bildern fasziniert waren. Picasso hatte sich mit dem Motiv des malenden Affen bereits 1954 in einer Zeichnung beschäftigt, die einen Affen beim Malen eines weiblichen Aktmodells zeigt.147 Anknüpfend an die Theorie des Abstrakten Expressionismus formulierten auch Vertreter des europäischen Informel neue Konzepte künstlerischer Produktivkraft, die oftmals die ‚animalische‘ Seite der Produktion betonten. So schrieb der französische Künstler Jean-Michel Atlan 1950: „Die Schöpfung eines Werkes läßt sich nicht auf einige Formeln [...] reduzieren; sie stellt eine Präsenz dar, sie ist ein Wagnis, auf das sich ein Mensch einläßt, der mit den fundamentalen Kräften der Natur kämpft.“148 Ein allumfassender Begriff der Natur ermöglichte auch die Wertschätzung der Affenmalereien, die als größtmögliche Manifestation natürlicher Schaffenskraft er145 Powell, Anthony: „Chimpism“, in: Punch, Bd. 233 (1957), S. 396. 146 „[D]ie ,organischeren‘ Abstraktionen der Tachisten erinnern an die Kritzelstufe bei zweijährigen [Kindern, Anm. d. A.] [...]. Vielleicht sind die tachistischen Beispiele noch besser mit den Malereien der Affen zu vergleichen, da die Voraussetzungen zur Maltätigkeit bei erwachsenen Menschen und bei Affen hinsichtlich der fortgeschrittenen muskulären Steuerung besser gleichzusetzen sind.“ D. Morris: Die Biologie der Kunst, S. 176. 147 Vgl. Pablo Picasso: o. T., aus der Serie: Maler und Modell, 23.01.1954, Lithografie, 26,5 x 35 cm, in: Verve − revue artistique et littéraire, Nr. 29 (1954), o. S. Wie schon bei Goya, der für Picasso in vielerlei Hinsicht eine Bezugsfigur darstellte, ist der Affe hier ein Alter ego des Künstlers. Zentral ist dabei jedoch nicht der Gedanke des ‚Nachäffens‘, sondern die dem Affen ebenfalls unterstellte sexuelle Triebhaftigkeit, die in der Konfrontation von (jungem) nacktem Modell und (alterndem) Künstler aufscheint. 148 Atlan, Jean-Michel: „Abstraction et aventure dans l’art contemporain“, in: Cobra, Nr. 6 (April 1950), S.16; dt. „Abstraktion und Wagnis in der zeitgenössischen Kunst“, in: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S.746.

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schienen. Die Annäherung der Gestaltungstechniken führte in der Folgezeit auch zu Koproduktionen zwischen Mensch und Tier. Der österreichische Maler Arnulf Rainer (geb. 1929) veranstaltete 1979 eine parallele Malaktion mit zwei Schimpansen, bei der er die Schöpfungen der Tiere in sein eigenes Bewusstsein und Ausdrucksspektrum übersetzte. Es entstand eine Reihe von Paraphrasen − Nachmalungen und Malvergleiche, die der Künstler selbst als „Nachäffungen“149 bezeichnete (Abb. 160).150 Rainer beschrieb die Aktion als einen „Wettkampf“, in dem die Affen dem Künstler gegenüber einen Vorsprung hatten, denn „[s]ie konnten das Bildthema bestimmen. Ich hatte dafür mehr Zeit und Muße, mich allmählich einzufühlen, ihrer Zeichen- und Malgestik auf die Spur zu kommen“.151 Der Künstler sprach auch von einem „krankhafte[n] Konkurrenzdenken“, das er während der Aktion entwickelte und räumte ein, den „präzisen und originellen Themenausdruck“152 der Schimpansen nicht immer erreicht zu haben. Betrachtet man die Ergebnisse dieser parallelen Malaktion, so fällt auf, dass sich die Gestaltungen von Mensch und Tier recht deutlich voneinander unterscheiden. Rainers Arbeiten zeugen von einem souveränen Umgang mit der Farbe und einem differenzierten Formempfinden, hinter das der Künstler bei aller Betonung der ‚primitiven‘ Spontaneität offenbar nicht mehr zurück konnte. Wie in früheren Werken tachistischer Malerei blieb das Animalische auch in Rainers Nachmalungen letztlich Metapher. Der Maler und Publizist Hans Platschek (1923-2000) schrieb 1982, drei Jahre nach Rainers paralleler Malaktion und ein Vierteljahrhundert nach Desmond Morris’ erster Ausstellung von Affenmalereien: „Wer heute Congos Arbeiten zu Gesicht bekommt, wird, wüsste er nicht, daß sie von einem Affen stammen, unverzüglich an einen besonders heftigen Maler denken. Die Parallele zur informellen Malerei bietet sich von allein an, und nicht zufällig taucht der Gedanke auf, ob das wissenschaftliche Experiment nicht entweder diese Malerei parodiert oder gar überboten hat.“

153

Schlüsselkategorien der informellen Malerei wie Unmittelbarkeit, Spontaneität und psychischer Automatismus sind in den Affenmalereien in einer Kompromisslosig149 Vgl. Ausst.-Kat. Arnulf Rainer, Galerie Ulysses Wien 1979, zit. nach Ausst.-Kat. Arnulf Rainer, Nationalgalerie Berlin 1980, S. 182. 150 Weitere Blätter aus der Parallel-Malaktion sind abgebildet in: Ausst.-Kat. Arnulf Rainer. Primaten. Portraits − Persiflagen − Paraphrasen − Parallelen, Jablonka Galerie, Köln u.a. 1991, S. 49-77. Dort finden sich auch Fotografien der Aktion, vgl. S. 204. 151 Ebd. 152 Ebd. 153 Platschek, Hans: „Congo oder die Heftigkeit“, in: Ders.: Über die Dummheit in der Malerei, Frankfurt am Main 1984, S. 143-154.

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keit umgesetzt, die der menschliche Künstler niemals erreichen kann. Dies zeigen nicht zuletzt die Versuche von Arnulf Rainer, die wahrscheinlich die ernsthafteste künstlerische Auseinandersetzung mit Affenmalereien darstellen. Platschek weist zurecht darauf hin, dass Congo die informelle Malerei, die sich selbst als Extrem versteht, von einem anderen Extrem her in Frage stellt.154 Indem Congos Gestaltungen die Produktionsprinzipien des Tachismus auf die letzte Konsequenz hin zuspitzten, erschienen sie selbst als Parodien der informellen Malerei, deren Pointe die moderne Karikatur letztendlich nur mehr aufgreifen konnte. Interessanterweise ist die von Platschek beschworene „Heftigkeit“ kein Aspekt, der von den Karikaturen zu diesem Thema betont wird, im Gegenteil: Sie zeigen den malenden Affen in betont konzentrierter, menschlicher Haltung. Insbesondere das Halten des Pinsels zwischen Daumen und Zeigefinger in der Karikatur von John Whitfield Taylor (Abb. 156) entspricht nicht den Fotografien des malenden Congo, der das Malutensil auf den in Morris’ Biologie der Kunst publizierten Bildern meist in der geschlossenen Faust hält.155 Auch der Cartoon von Allan Dunn (Abb. 159) zeigt einen Affen, der menschliche Verhaltensweisen an den Tag legt und sich in die gesellschaftliche Situation der Ausstellungseröffnung bestens einzufügen weiß. Diese Darstellungsform kontrastiert mit Karikaturen auf menschliche Künstler, die den Aspekt der Heftigkeit meist viel stärker betonen.156 Die Vermenschlichung des Tieres in Karikaturen auf malende Affen entspricht somit einer ‚Vertierung‘ des menschlichen Künstlers in Karikaturen zur Aktionsmalerei. Weiterhin überraschend ist, dass die Fotos und Filmaufnahmen malender Affen, die durch die Fernsehauftritte der Tiere reichlich vorhanden waren, offenbar von keinem der Zeichner als Bildvorlage benutzt wurden. Stattdessen spielten wohl ältere Darstellungen wie die Menagerien Grandvilles eine Rolle, die das Tier in betont menschlicher Pose inszenierten. Die Funktion der Tierfigur jedoch hatte sich grundsätzlich gewandelt: In Karikaturen der 1950er und -60er Jahre steht der Affe nicht symbolisch für den menschlichen Künstler und seine ontologisch zweitrangige Nachschöpfung der Wirklichkeit; auch verweist er nicht in erster Linie auf die menschliche Eitelkeit − obwohl die Eitelkeiten des Kunstbetriebes, wie in der Karikatur von Allan Dunn, bisweilen eine Rolle spielen. In der modernen Karikatur agiert der Affe nicht als Stellvertreter, sondern ist selbst Akteur. Die Karikaturen reflektieren sowohl die

154 Ebd., S. 144. 155 Vgl. D. Morris: Die Biologie der Kunst, Tafeln 20-27. Morris differenzierte zwischen „primitiver Pinselhaltung“, bei der das Malwerkzeug in der geschlossenen Faust gehalten wird und „fortgeschrittener Pinselhaltung“, bei der Congo den Pinsel zwischen Zeige- und Mittelfinger festhielt. Letztere war nach Morris jedoch die Ausnahme. 156 Vgl. zum Beispiel die Karikaturen zu Farbwürfen im Abschnitt „Farbwürfe, Atelierunfälle, Automatismen“ in diesem Buch.

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Betonung des „animalisch Primitiven“ in einem modernen Kunstbegriff als auch die Debatten um eine biologische Fundierung der Kreativität. Abbildung 160: Arnulf Rainer: Die Familie kehrt heim (oder: „Die Familie kehrt ein“), 1979, Gouache auf Papier, 90 x 62,4 cm

© Atelier Arnulf Rainer

Die hier skizzierte Debatte wurde in einer Zeit geführt, die maßgeblich durch die Konfrontation zweier politischer Systeme im Kalten Krieg geprägt war. Bekanntermaßen wurde dieser ideologisch aufgeladene Ost-West-Konflikt auch auf der Ebene der Künste ausgetragen: In der Malerei stand die Abstraktion, speziell der Abstrakte Expressionismus, der westlichen Staaten dem Sozialistischen Realismus157 der Ostblockländer gegenüber, wobei beide Seiten bemüht waren, die je-

157 Vgl. Christ, Thomas: Der Sozialistische Realismus. Betrachtungen zum Sozialistischen Realismus in der Sowjetzeit, Basel 1999.

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weils eigene Kunst als überlegen erscheinen zu lassen.158 Dass die in Westeuropa und den USA stattfindenden Ausstellungen abstrakter Affenmalereien in den Staaten des Warschauer Paktes propagandistisch instrumentalisiert wurden, ist daher nicht überraschend.159 Der sowjetischen Propaganda, welche die Abstraktion als Auswuchs kapitalistischer Dekadenz verurteilte, lieferten sie neue Argumente und einen Fundus an Materialien, der sich für eine karikaturistische Auswertung auf einmalige Weise anbot. Ein besonders ambitionierter und auch in künstlerischer Hinsicht interessanter Beitrag stammt von dem russischen Maler Fjodor Pawlowitsch Reschetnikow (1906-1988), der das malende Schimpansenweibchen Betsy 1958 zum Mittelpunkt eines großformatigen Triptychons mit dem Titel Die Geheimnisse des Abstraktionismus machte (Abb. 161). Betsy, die mit Fingerfarben abstrakte Bilder produzierte, war in den 1950er Jahren eine Berühmtheit.160 Ihre Malereien wurden 1957 zusammen mit Congos Bildern in London ausgestellt und erregten international große Aufmerksamkeit. Anders als im Londoner Zoo, wo Congos Malversuche Teil eines wissenschaftlichen Experiments waren, zielte man im Zoo von Baltimore wohl von Anfang an auf eine Verhöhnung der abstrakten Kunst. Der Zoodirektor Arthur Watson hatte 1953 nach dem Ankauf eines Bildes von Willem de Kooning durch das Baltimore Museum of Art publikumswirksam behauptet, in seinem Zoo gäbe es einen Affen, der besser malen könne. Bis zu ihrem Tod 1960 produzierte Betsy daraufhin hunderte Fingermalereien, die dem Zoo nicht nur ein großes Presseecho, sondern auch ein beträchtliches Nebeneinkommen bescherten.161

158 Vgl. Cauts, David: The Dancer Defects. The Struggle for Cultural Supremacy during the Cold War, Oxford 2003. Zur angeblichen politischen Indienstnahme des Abstrakten Expressionismus während des Kalten Krieges vgl. Saunders, Frances Stonor: Who paid the piper? CIA and the Cultural Cold War, London 1999 sowie Cockcroft, Eva: „Abstract Expressionism, Weapon of the Cold War“, in: Artforum, Bd. 15 (1974), Nr. 10, S. 39-41. 159 Vgl. D. Cauts: The Dancer Defects, S. 539. 160 Vgl. Jones, Carleton: „Betsy, the Picasso of Simian Artists“, in: The Baltimore Sun, 16.12.1990. 161 Vgl. die zahlreichen Nachrufe auf Arthur Watson, z. B. Sehlstedt, Albert/Kelly, Jacques: „Arthur Watson, zoo chief, dies at 84“, in: The Baltimore Sun, 07.12.1999.

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Abbildung 161: Fjodor Pawlowitsch Reschetnikow: Tajny abstrakcionizma, 1958, Tempera auf Leinwand, Triptychon, Mitteltafel 180 x 120 cm, Seitentafeln je 180 x 60 cm, Staatliche Tretjakow Galerie, Moskau

© The State Tretyakov Gallery

Reschetnikow stellte die Schimpansin auf der Mitteltafel seines Triptychons dar. Durch ein Namensschild auf ihrem Postament kenntlich gemacht, ist die lächerlich befrackte und mit einem Lorbeerkranz bekrönte Betsy das Zentrum der Komposition. Ihr ‚Werk‘, eine großformatige Leinwand mit einigen abstrakten Farbschlieren, nimmt die rechte Bildseite ein. Zu ihrer Linken sind drei Kunstkritiker zu sehen, die das offenbar noch unfertige Bild bereits einem solventen Käufer anpreisen. Ein Vertreter der Medien, ausgerüstet mit einem Mikrofon, betätigt sich als Marktschreier und verkündet lauthals den Ruhm der malenden Äffin. Im Hintergrund tragen deformierte menschliche Gestalten vor der Kulisse des Markusdoms ein Banner mit der Aufschrift „Biennale di Venezia“ heran, während Heroen der Renaissancekunst wie Raffael, Michelangelo und Leonardo da Vinci entsetzt das Weite suchen. Auf der linken Seitentafel sind zwei Szenen aus der so genannten Boronali-Affäre dargestellt, die rechte zeigt die Produktion abstrakter Kunst durch verschiedene Zufallstechniken.162 Reschetnikows Werk vereint Merkmale der Karikatur und der Malerei: Alle Figuren sind mit den Mitteln des caricare dargestellt und zeigen stark verzerrte, komisch überzeichnete Physiognomien. Gleichzeitig bediente sich der 162 Zur Boronali-Affäre und zum Verhältnis von Abstraktion und Zufall vgl. den Abschnitt „Tiere als Werkzeuge“ in diesem Buch.

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Künstler verschiedener Darstellungsmittel, die, so der russische Kritiker Rotislaw Krjukow, „der abstrakten Kunst selbst entlehnt sind“.163 Dazu gehört die Integration von Alltagsobjekten − der sitzende Kunstmäzen trägt eine gläserne Linse als Monokel − und der expressive, pastose Farbauftrag, der das abstrakte Bild im Bild auszeichnet.164 Andere Gestaltungstechniken wie die Vergoldung und reliefartige Hervorhebung wichtiger Partien165 stammen aus dem Repertoire der älteren Kunst. Durch die polemische Engführung zweier Ereignisse des Kunstjahres 1958 gab Reschetnikow die abstrakte Malerei der Lächerlichkeit preis. Die 29. Biennale, auf der die Malerei des Abstrakten Expressionismus stark vertreten war, wurde in den Kontext der Affenmalereien gestellt und erschien so als barbarische Veranstaltung, die an den Kunstidealen einer großen Vergangenheit Verrat übte. Die Wertschätzung und der kommerzielle Erfolg, die den Affenmalereien in Europa und den USA nachweislich zuteil wurden, dienten als willkommener Beweis für die Dekadenz und Verkommenheit der westlichen Kunst. Die Darstellung stand im Einklang mit der sozialistischen Kunstideologie, deren Kritik am ‚Abstraktionismus‘ sie einprägsam illustrierte: „Der Untergang des Kapitalismus, die Abenddämmerung der bürgerlichen Zivilisation haben jene menschenfeindliche, den Menschen verachtende und verspottende Bastardkunst hervorgebracht, wie sie im oberen Teil der mittleren Tafel angedeutet ist. Die traditionelle Biennale im schönenVenedig wird beherrscht von unheimlichen, kaum noch an die menschliche Gestalt erinnernden ,Plastiken‘, degenerierten Machwerken aus Sperrholz, Glas und verrostetem Draht [...]. Alles das, was der Mensch Jahrhunderte hindurch in der Kunst besungen hat, wird bespien und zertreten. Beschimpft wird der Künstler selbst, den jetzt der Dollar zwingt, sich vor den Schöpfungen von Affen und Geistesgestörten zu verbeugen und sie nachzuahmen. Die berühmten Meister der Renaissance [...] läßt Reschetnikow deshalb zornerfüllt, verfolgt von dem Alpdruck der Biennale, Venedig verlassen.“166

Mit der Adaption der aus der christlichen Kunst stammenden Form des Triptychons erinnerte Reschetnikow zum einen an die Tradition der italienischen Renaissancemalerei, zum anderen wurde der malende Affe dadurch gleichsam zum Heiland, oder besser: Götzen, der von ihm attackierten abstrakten Moderne erklärt.

163 Krjukow, Rotislaw: „Mit Pinsel und Farbe verlacht. Ein Karikaturist sieht den Abstraktionismus“, in: Bildende Kunst, Bd. 13 (1959), Nr. 5, S. 334-336, hier S. 336. 164 Ebd., S. 336. 165 Betsys Lorbeerkranz und das Gesicht des beleibten Kunstkäufers sind als vergoldetes Relief ausgeführt. 166 R. Krjukow: Mit Pinsel und Farbe verlacht, S. 336.

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Als „Frei- oder auch Tafelkarikatur“167 nimmt Die Geheimnisse des Abstraktionismus eine Sonderstellung im Werk des Sozialistischen Realisten und mehrfachen Stalinpreisträgers Reschetnikow ein, der auch publizistisch gegen die abstrakte Kunst zu Felde zog. 1963 veröffentlichte er ein humoristisches Buch gleichen Titels, in dem er seine Haltung zur Abstraktion darlegte.168 In den aufwendig illustrierten Tajny abstrakcionizma, für die Reschetnikow lithografierte Versionen der Tafeln seines Triptychons schuf, parallelisierte der Autor die Affenmalereien von Baltimore mit der Boronali-Affäre, bei der ein von einem Eselsschwanz gemaltes Bild im Pariser Salon des Indépendants ausgestellt wurde.169 Er beschrieb den Erfolg der malenden Schimpansin Betsy und schlug ironisch die Gründung eines „Kombinates Abstrakte Malerei“ vor, bei dem neben einem Affen auch andere Zootiere zur Produktion abstrakter Kunst herangezogen werden sollten.170 Reschetnikows publizistischer Ausfall gegen die Abstraktion erschien im Verlag der Akademie der Künste der UdSSR in einer Auflage von 18.000 Exemplaren und kann so als Teil der offiziellen Kunstpropaganda angesehen werden. Auch seinem fünf Jahre zuvor entstandenen Gemälde wurden zahlreiche staatliche Ehrungen zuteil: Es erhielt eine Silbermedaille der Akademie171 und wurde für die Moskauer Tretjakow-Galerie angekauft. Das Bild war auf Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen und wurde vielfach publiziert, unter anderem in der DDR-Kunstzeitschrift Bildende Kunst. Der Erfolg des Bildes und der daraus abgeleiteten Illustrationen erklärt sich wohl vor allem durch die treffende Verbindung verschiedener Ereignisse, Schauplätze und Diskurse der westlichen Moderne, die in der verkürzenden Darstellung der Karikatur an Prägnanz gewinnen. Die verdächtige Simultanität von Abstraktem Expressionismus und ‚Affenkunst‘ wird dabei ebenso anschaulich wie die kommerzielle Verwertbarkeit beider Phänomene, die in der antikapitalistischen Propaganda der Sowjetmächte stets ein diskreditierendes Merkmal darstellte. Eine künstlerisch bescheidenere, aber dennoch aussagekräftige Karikatur aus dem Jahr 1959 zeigt, dass der Topos des malenden Affen auch auf die Kunst des Sozialistischen Realismus angewandt wurde und somit auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs als Chiffre für die jeweils gegnerische Kunstauffassung erschien (Abb. 162). Erschienen in der britischen Zeitschrift The Spectator, nimmt die Darstellung wohl auf die aktuelle Debatte um die Affenmalereien und ihre ideologische Aufladung im Ost-West-Konflikt Bezug. Zu sehen ist ein Schimpanse in einem russischen Zoo, der mit Pinsel und Palette an einem Staffeleibild arbeit. Statt der typischen abstrakten Farbschlieren zeigt seine Malerei jedoch ein beliebtes Motiv des 167 Ebd., S. 334. 168 Reschetnikow, Fjodor Pawlowitsch: Tajny abstrakcionizma, Moskau 1963. 169 Ebd., o. S. Reschetnikow gibt das Datum der Boronali-Affäre irrtümlich mit 1912 an. 170 Ebd., o. S. 171 Vgl. T. Christ: Der Sozialistische Realismus, S. 171.

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Sozialistischen Realismus Stalinscher Prägung: Ein voranschreitendes Paar, das eine Sichel als Symbol des sowjetischen Kommunismus emporstreckt.172 Die ideologietreuen sowjetischen Maler, so die Aussage der Karikatur, sind unfrei und in ihrer Festlegung auf eine einzige, staatlich verordnete Kunstrichtung nicht mehr als Affen im Zoo, die ein einstudiertes Kunststück aufführen. Hier war es, wie etwa in den Tier-Travestien des 19. Jahrhunderts, der Aspekt des Nachäffens, der den Affen zur Karikatur des Künstlers werden ließ. Abbildung 162: Anonym: o. T.

The Spectator, 16.01.1959, S. 67

172 Vgl. die monumentale Figurengruppe von Wera Muchina: Arbeiter und Kolchosbäuerin, 1937, H. 24,5 m., die für den sowjetischen Pavillon der Weltausstellung 1937 in Paris geschaffen wurde. Nach umfangreicher Restaurierung ist die Plastik seit 2009 wieder vor dem Nordeingang des Allrussischen Ausstellungszentrums (WWZ) in Moskau aufgestellt.

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ABSTRAKTION

DURCH

Z UFALL

Neben dem Argument des Primitiven in seinen verschiedenen Varianten begegnet auch der Zufall über einen langen Zeitraum als karikaturistischer Topos und satirisches Deutungsangebot für die Kunst der Moderne.173 Die Vorstellung, moderne Kunst entstehe durch Zufall, ließ den Künstler funktionslos werden oder entlarvte ihn als dreisten Scharlatan; sie erschien umso plausibler, je stärker die karikierten Werke vom jeweils herrschenden Kunstideal abwichen. Die Zufälle, welche in Karikaturen zur Entstehung moderner Kunst führen, wurden dabei häufig als unabsichtliche ‚Atelierunfälle‘ dargestellt und entweder auf die Ungeschicklichkeit oder eine temporäre Unbeherrschtheit des Künstlers zurückgeführt. Eine Variante des Zufallstopos in der Karikatur ist die Beteiligung von (nichtprimatischen) Tieren, die von Künstlern als Werkzeuge eingesetzt werden. Kleckse und Konfetti: Der Impressionismus als école de taches Die Malerei des Impressionismus erforderte einen völlig neuen Betrachtungsmodus und stellte selbst die Sehgewohnheiten geübter Kunstbetrachter vor gewaltige Herausforderungen. In den Quellen begegnet man häufig der Klage, auf impressionistischen Bildern sei nichts zu erkennen, sie seien eine formlose Ansammlung von Flecken und zeigten nur ein chaotisches Farbengewirr. Bei aller polemischen Übertreibung weisen diese Äußerungen auf ein tatsächlich vorhandenes Problem des Sehens hin, welches das Publikum in Karikaturen kommentiert sehen wollte. Worin aber bestand dieses Problem genau und was waren die Reflexionsangebote der Karikatur? Ein besonders charakteristisches Merkmal impressionistischer Pinselschrift war der Einsatz unverbundener taches, farbiger, oftmals pastoser Striche und Flecken, durch die der Bildgegenstand weniger konturiert als durch Lichteffekte modelliert wurde. Die einzelnen Farbtöne wurden nicht mehr auf der Palette angemischt, sondern direkt auf der Leinwand entweder ineinander modelliert oder nebeneinander gesetzt, so dass sie sich erst im Auge des Betrachters mischten. Diese Technik war keine impressionistische Erfindung, und auch der Terminus tache (frz. Fleck) wurde von Kritikern schon einige Jahre zuvor eingesetzt, etwa zur Beschreibung der Werke Manets und Daubignys.174 Als Ausdruck der individuellen Künstlerhandschrift war die tache bis zu einem gewissen Grade durchaus erwünscht; die Frage, wann, wo und wie ausgeprägt das Verfahren in der Malerei zum Einsatz kommen sollte, wurde jedoch kontrovers diskutiert. 1885 beschrieb Félix Bracquemond, der als Maler an der ersten Impressionistenausstellung teilgenommen hatte, die tache 173 B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 62 ff. 174 Zum Verfahren der tache vgl. Ausst.-Kat. Art in the Making (1990), S. 92 f.

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als Verfahren zum Auftrag von Lokalfarben. In seinem Essay Du dessin et de la couleur formulierte er als Faustregel: „[P]lus la tache prend d’importance en ellemême, plus le modelé disparaît.“175 Eine ausgeprägte tache schwäche die Modellierung des Bildgegenstandes und damit, so ließe sich ergänzen, auch seine Wiedererkennbarkeit. In der Tat waren die mit der tache verbundene sichtbare Faktur und die freie, lockere Pinselschrift der modernen Malerei für das französische Kunstpublikum der 1870er Jahre noch so ungewohnt, dass sie die Rezeption vollständig dominierten. In der Betrachtung impressionistischer Bilder schob sich die Wahrnehmung der einzelnen taches buchstäblich vor die Identifikation des Bildgegenstandes, so dass zeitgenössische Betrachter in den Gemälden statt einer Landschaft, eines Stilllebens oder eines Porträts zunächst nur eine Anhäufung verschiedenfarbiger Flecken erblickten.176 Die kunstkritischen Polemiken der Zeit reflektierten dieses Wahrnehmungsproblem, indem sie den Impressionismus auf eine Malerei der Flecken und Kleckse reduzierten.177 Die Rede vom impressionistischen Fleck, der tache, war über Jahre hinweg ein wiederkehrender Topos im kunstkritischen Diskurs, der, in Ermangelung eines ähnlich ausgeprägten, von Künstlerseite geführten theoretischen Diskurses, die Rezeption des Impressionismus von Anfang an bestimmte. Bereits die erste Gruppenausstellung der Impressionisten, die am 15. April 1874 im Atelier des ehemaligen Fotografen Nadar eröffnet wurde, bot Anlass zu zahlreichen polemischen Kritiken, in denen die Verurteilung der ‚Fleckenmalerei‘ einen breiten Raum einnahm. So beschrieb Emile Cardon, der Kritiker der auflagenstarken Tageszeitung La Presse, die Maltechnik der ausstellenden Künstler wie folgt: „Salissez de blanc et de noir les trois quarts d’une toile, frottez le reste de jaune, piquez au hazard des taches rouges et bleues, vous aurez une impression du printemps devant laquelle les adeptes tomberont en extase.“178 In einer Rezension der zweiten impressionistischen Gruppenausstellung erklärte der Kritiker Marius Chaumelin die Impressionisten kurzerhand zur „école des taches“, deren Gründung er auf Edouard

175 Bracquemond, Félix: „Du dessin et de la couleur“ (1885), in: Ders.: Ecrits sur l’art, hg. von Pierre Sanchez, Dijon 2002, S. 15-141, hier S. 30. 176 Vgl. A. Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, S. 933 ff. 177 Dass das Verdikt der Fleckenmalerei von den Künstlern bisweilen auch affirmiert und ins Positive gewandt wurde, zeigt das Beispiel der Macchiaioli, einer zwischen 1855 und 1865 aktiven, vom Realismus beeinflussten italienischen Künstlergruppe. Der Name Macchiaioli (von ital. macchia – Fleck) wurde ursprünglich als Spottname geprägt und später von den Künstlern adaptiert. 178 Cardon, Emile: „Avant le Salon: L’Exposition des révoltés“, in: La Presse, 29.04.1874, S. 2-3, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 13.

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Manet zurückführte.179 Ein Jahr später polemisierte auch der Kunsthändler Léon Gauchez gegen die ‚Fleckenmalerei‘ des Impressionismus. In der eher konservativ ausgerichteten Kunstzeitschrift L’Art schrieb er unter seinem Kritikerpseudonym Léon Mancino, die impressionistische Malerei erziele ihre Effekte nur durch konturlose Flecken: „Avec des taches, des taches, toujours des taches... et vive la pure tache!“180 Es ließen sich zahlreiche weitere Äußerungen anführen, die das Verdikt der Fleckenmalerei zementierten, dabei jedoch keine neuen Aspekte in die Debatte einbrachten. In ihrer Studie zum Impressionismus führt Carla Cugini Äußerungen dieser Art auf ein diskursives und semantisches Unvermögen der Kunstkritik zurück, die impressionistischen Bilder zu beschreiben oder angemessene Kriterien für ihre Beurteilung zu entwickeln.181 Dies gilt in besonderem Maße für die Pinselschrift der Impressionisten und ihren exzessiven Einsatz der tache. Auch für die Karikatur lässt sich in den ersten Jahren der impressionistischen Bewegung ein gewisses Unvermögen konstatieren, die stilistischen Besonderheiten der karikierten Malerei zu erfassen und grafisch umzusetzen. Die zahlreichen Karikaturen zur impressionistischen Malerei konzentrierten sich meist darauf, die − entsetzten, erschrockenen oder angstvollen − Reaktionen des Publikums auf die ausgestellten Bilder übertreibend darzustellen: Ausstellungsbesucher verfallen vor den Exponaten in nervöse Zuckungen182, impressionistische Werke werden zur Abschreckung von Vögeln183 sowie als Waffe im Duell184 oder in kriegerischen Auseinandersetzungen185 eingesetzt, schwangere Frauen werden vor dem Besuch der Impressionistenausstellungen

179 „Ils ont en haine les traditions classiques et ambitionnent de réformer les lois du dessin et de la couleur. Ils prêchent la séparation de l’Académie et de l’État. Ils réclament l’amnistie pour ,l’école des taches‘, dont M. Manet fut le fondateur et d’où ils sont tous sortis.“ Chaumelin, Marius: „Actualités: L’Exposition des intransigeants“, in: La Gazette des étrangers, 08.04.1876, S. 1-2, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 67. 180 Mancino, Léon: „La Descente de la courtille“, in: L’Art, Bd. 9 (1877), S. 68-71, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 165. 181 Vgl. Cugini, Carla: „Er sieht einen Fleck, er malt einen Fleck.“ Physiologische Optik, Impressionismus und Kunstkritik, Basel 2006, S. 158. 182 Vgl. Cham: Les peintres impressionistes pouvant doubler l’effet de leur exposition..., in: Le Charivari, 22.04.1877, o. S. Mit Bezug auf das Verhältnis zwischen Manet und den Impressionisten vgl. Cham: M. Manet lui-même, pris d’une crise de nerfs..., in: Le Charivari, 27.04.1879, o. S. 183 Vgl. Paf: Nous avions les arts appliquées à l’industrie, pourquoi ne pas les appliquer aussi à l’agri-culture?, in: Le Charivari, 08.07.1883, o. S. 184 Vgl. Henriot: Code Charivarique du Duel (Detail), in: Le Charivari, 18.06.1885, o. S. 185 Vgl. Cham: Actualités, in: Le Charivari, 28.04.1877, o. S.

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gewarnt.186 Der Ideenreichtum, mit dem die Karikatur das angsterregende Potential impressionistischer Bilder beschrieb, war nahezu unerschöpflich. Ausgesprochen selten waren dagegen Werkkarikaturen auf impressionistische Malereien. Dies überrascht insofern, als die Werkkarikatur zu diesem Zeitpunkt das weitaus gängigste Mittel der karikaturistischen Kunstkritik darstellte. Seit dem Erscheinen der ersten Salons caricaturals in den 1840er Jahren waren die meisten Kunstkarikaturen als ausstellungsbegleitende Werkkarikaturen auf bestimmte Exponate bezogen, wobei die charakteristischsten Stilmerkmale des betreffenden Gemäldes karikierend herausgearbeitet wurden. Auch bei den in den 1850er, -60er und -70er Jahren erschienenen Karikaturen auf Courbet und Manet handelte es sich noch größtenteils um Werkkarikaturen. Erst mit dem Impressionismus schien die notwendige Übersetzung eines Malstils ins grafische Medium der Karikatur nicht mehr zu funktionieren. Die Vermutung liegt nahe, dass besonders die Konturlosigkeit der impressionistischen taches die Übertragung dieser Malerei ins linear ausgerichtete Medium des Holzstichs, in dem die meisten Karikaturen ausgeführt waren, massiv erschwerte. Um die impressionistische Fleckenmalerei mit den Mitteln der Werkkarikatur anzugreifen, hätte man die taches als Linien wiedergeben müssen und so das eigentlich Typische dieses Malstils verfehlt. Es verwundert daher nicht, dass selbst ein Starkarikaturist wie Gill dieser Problematik auswich und seine Werkkarikatur auf Ludovic Piettes Effet de Neige als monochrom weiße tabula rasa realisierte (Abb. 213). Trotz dieser Schwierigkeiten bei der grafischen Umsetzung nahm die Karikatur etwa zeitgleich mit der geschriebenen Kunstkritik auf den Impressionismus und das Verdikt der école des taches Bezug. Dabei wählten die Zeichner Umwege, die es ihnen ermöglichten, sich zum Verfahren der tache zu äußern, ohne die Bilder selbst darzustellen. Unter anderem richten sie ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf den Herstellungsprozess, der als willkürlich und chaotisch charakterisiert wurde und so letztlich unkünstlerisch erschien. Viele der Darstellungen geben sich dabei erst durch die erklärende Bildunterschrift als Karikaturen auf den Impressionismus zu erkennen. Auch Chams Darstellung eines stürzenden Fassadenmalers, dessen Farbeimer sich im Fallen auf die Straße und die unter ihm vorbeilaufenden Personen entleert, wird erst durch die Bildunterschrift zu einer beißenden Parodie des Impressionismus (Abb. 53): Die wüsten Farbspuren eines aus großer Höhe herabstürzenden Eimers sollten als „peinture vraiment impressioniste“ den Malereien ähneln, die zum Erscheinungsdatum der Karikatur gerade in der dritten Gruppenausstellung der impressionistischen Maler zu sehen waren.

186 Vgl. Cham: Actualités, in: Le Charivari, 16.04.1877.

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Abbildung 163: Cham: – Enfin, quelle différence y a-t-il entre vous et les impressionistes? – Nous, nous mettons de la couleur sur notre toile et eux posent leur toile sur de la couleur

Le Charivari, 24.04.1881, o. S.

Der Vorwurf, bei den impressionistischen taches handele es sich um mehr oder weniger zufällige Klecksereien, taucht auch in Karikaturen der 1880er Jahre noch mehrfach auf. 1881 veröffentlichte Pif (eigtl. Henri Maigrot, 1857-1933) eine Karikatur im Charivari, in der er die Entstehung impressionistischer Gemälde auf eine Zufallstechnik zurückführte (Abb. 163). Dargestellt und in der Bildlegende wiedergegeben ist der Dialog eines älteren, offenbar akademietreuen Malers mit einer vornehmen Atelierbesucherin. Auf ihre naive Frage, was der Unterschied zwischen ihm und den Impressionisten sei, antwortet der Künstler, er würde die Farben auf die Leinwand auftragen, während jene ihre Leinwände einfach auf die Farben legten. Der impressionistischen Malerei wird so jede handwerkliche Seriosität abgesprochen. Der Vorwurf, impressionistische Bilder entstünden ungeplant, ohne die sonst üblichen Vorarbeiten in Form von Detail- und Kompositionsstudien, begegnet auch immer wieder in Kunstkritiken der damaligen Zeit.187 Die bewusst spontane,

187 So zum Beispiel in einer Rezension der zweiten Impressionistenausstellung von Albert Wolff: „Ces soidisant artistes s’intitulent les intransigeants, les impressionistes; ils prennent des toiles, de la couleur et des brosses, jettent au hasard quelques tons et signent le tout.“ Wolff, Albert: „Le Calendrier parisien“, in: Le Figaro, 03.04.1876, S. 1, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 110.

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unmittelbar aus dem Farbmaterial modellierende Malweise wurde den Impressionisten als technisches Unvermögen oder mangelnde Sorgfalt ausgelegt. Abbildung 164: Henriot: Boîte Indépendante. Prendre la palette pleine de couleurs et l’appliquer sur la toile blanche.

Le Charivari, 18.12.1884, o. S.

Die in der Karikatur formulierte Vorstellung einer im Abklatschverfahren erzeugten, zufälligen Fleckenmalerei variierte Maigrot drei Jahre später in einer anderen Illustration, diesmal unter dem Pseudonym Henriot (Abb. 164). Das bevorstehende Weihnachtsfest lieferte hier den Anlass für eine von zeitgenössischen Spielwarenkatalogen inspirierte Versammlung der „Joujoux de l’année“, unter denen sich auch eine „Boîte Indépendante“, ein „impressionistischer Malkasten“ für Kinder befindet. Bestehend aus einem Farbkasten, einer Palette mit Pinseln und einer weißen Leinwand gibt sich die „Boîte“ erst in der erklärenden Bildunterschrift als satirischer Kommentar zur modernen Malerei zu erkennen. Denn in einer Art Spielanleitung wird dem kindlichen Benutzer ein höchst zweifelhaftes Malverfahren empfohlen: „Prendre la palette pleine de couleurs et l’appliquer sur la toile blanche.“ Auf diese Weise soll ein Bild entstehen, das den Werken impressionistischer Maler ähnelt. Die Karikatur verkehrt die für den Impressionismus charakteristische Spontaneität und Unmittelbarkeit des Farbauftrags ins Groteske: Nicht einmal der Pinsel soll hier noch zwischen Bildfläche und Farbmaterial vermitteln. Malerische Gestal-

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tungsmittel wie Licht- und Linienführung, Komposition und Perspektive werden scheinbar endgültig suspendiert. Bezeichnenderweise bleibt die Leinwand der Karikatur jedoch weiß, so dass die eigentlich kritisierte Malerei der Imagination des Betrachters überlassen bleibt. Beschrieben wird sie als gegenstandsloser, ungestalteter Abklatsch der impressionistischen Palette; der Primat der Farbe wird zum Ausgangspunkt der Kritik. Der Impressionismus wird dabei nicht nur als ‚Fleckenmalerei‘ diffamiert, sondern auch auf den Bereich infantiler Bildproduktion bezogen. Dies korrespondiert einem gängigen Verdikt der schriftlichen Kunstkritik, welche die impressionistische Malerei immer wieder mit Kinderkritzeleien in Verbindung brachte.188 Abbildung 165: Ferdinand Lunel: A l’exposition des Indépendants. „Des points, des virgules et des points et virgules.“

Le Courrier Français, 30.03.1890, o. S.

Erst in den 1880er Jahren begann die Karikatur, bildliche Darstellungsweisen und Übersetzungsmöglicheiten für die impressionistische Pinselschrift zu entwickeln. Eine Möglichkeit, die der grafischen Ausrichtung des Mediums entgegenkam, bestand darin, die taches als Punkte und Kommata wiederzugeben. Dies erprobte der Illustrator Ferdinand Lunel (1857-1933) in einer 1890 erschienenen Karikatur für den Courrier Français, die den Schwerpunkt allerdings nicht auf die künstlerische Technik, sondern auf die Reaktionen und Wahrnehmungsschwierigkeiten des Publikums legte (Abb. 165).

188 Vgl. den Abschnitt „Das kann mein Kind auch!“ in diesem Buch.

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Abbildung 166: Luc: Peintre Impressioniste, de l’école de pointillistes, portraicturé par un de ses amis, de l’école de virgulistes. Tableau destiné à l’Exposition de tachistes.

Journal Amusant, 01.02.1890, o. S.

Auf den Malakt konzentrierte sich dagegen Luc in einer Karikatur aus demselben Jahr (Abb. 166). Seine Darstellung ist als Bild im Bild angelegt: Der Legende zufolge handelt es sich um das Porträt eines impressionistischen Malers „de l’école de pointilistes“, ausgeführt von einem Kollegen „de l’école des virgulistes“. Die Konturen des Malers und seines Ateliers sind dementsprechend mit einer gestrichelten Linie aus kommaartigen Häkchen wiedergegeben, während die Malerei, an welcher der im ‚Kommastil‘ dargestellte Pointilist gerade arbeitet, aus Punkten und kreisförmigen Kringeln aufgebaut ist. Bestimmt ist das Gemälde laut Bildunterschrift für die Ausstellung der ‚Tachisten‘, einer imaginären Schule von Fleckenmalern, der sich Punkt- und Kommakünstler wohl gleichermaßen zugehörig fühlen konnten. Im Gegensatz zu den älteren Karikaturen, die den Impressionismus bloß als zufällige Kleckserei charakterisierten, zeigt diese Darstellung ein starkes Bewusstsein für die verschiedenen Varianten des impressionistischen Farbauftrags. Der ursprünglich als Maler ausgebildete Lucien Métivet189 war deutlich bemüht, stilistische Besonder-

189 Lucien Métivet, der seine Karikaturen unter dem Pseudonym Luc publizierte, war ein Schüler des bekannten Historienmalers Fernand Cormon (1845-1924). Vgl. Thieme/Becker, Bd. 24, S. 439.

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heiten wie die Auflösung des Konturs in die lineare Formensprache des grafischen Mediums zu übersetzen. Die Körperhaltung des dargestellten Malers, der mit weit ausgestrecktem Arm in maximaler Entfernung zur Leinwand arbeitet, lässt sich zudem als Kommentar zum richtigen Betrachten impressionistischer Bilder lesen. Die Erfahrung, nach der sich die taches erst aus einiger Entfernung im Auge des Betrachters zu einem Bildgegenstand zusammenfügen, wurde hier auf die Arbeitsweise des Malers übertragen. Auch dieser muss, um überhaupt etwas erkennen zu können, beim Malen einen möglichst großen Abstand zu seinem Bild einhalten. Die Karikatur offenbart hier ein Grundlagenwissen um die Zusammenhänge zwischen impressionistischer Malerei und physiologischer Optik.190 Frühe Karikaturen auf den Impressionismus spiegeln demnach eine grafische und inhaltliche Auseinandersetzung mit der modernen Malerei und der Problematik der tache wider. Die tache selbst wurde in einer Karikatur erstmals 1883 visualisiert (Abb. 167). Unter der Überschrift Indiscrétions präsentierte der Karikaturist Mars (eigtl. Maurice Bonvoisin, 1849-1912) im Charivari eine angebliche Vorauswahl der zum Salon eingesandten Werke, darunter auch eine vollkommen abstrakte Fleckenmalerei, die er einem fiktiven Miniaturenmaler namens Riflardman zuschrieb. Als Wortspiel mit riflard, dem französischen Ausdruck für Spachtel oder Schrupphobel, fungiert schon der Name des angeblichen Urhebers als Hinweis auf eine grobe, ‚unkünstlerische‘ Ausführung, die der Betrachter mit dem karikierten Werk in Zusammenhang bringen konnte. Auch der Titel „Passons l’éponge“ lässt sich nicht nur als Zitat der bekannten Redensart „Schwamm drüber“, sondern ebenso als Hinweis auf einen höchst fragwürdigen Herstellungsprozess verstehen, denn die fleckige Struktur des Bildes erinnert an den flüchtigen Abdruck eines farbgetränkten Schwamms auf einer weißen Fläche. Obwohl der Impressionismus in der Karikatur nicht explizit angesprochen wird, ist es naheliegend, die Darstellung vor diesem Hintergrund zu betrachten. Denn der Vorwurf, impressionistische Maler erzielten ihre Effekte durch das Werfen des Malschwamms auf die Leinwand, taucht auch in kunstkritischen Texten wiederholt auf. Er rekurriert auf einen alten Topos, der sich bis in die Künstlerbiographik der Antike zurückverfolgen lässt. So berichtete schon Plinius der Ältere über den griechischen Maler Protogenes: „Protogenes soll sich vergeblich bemüht haben, den Schaum vor dem Munde eines keuchenden Hundes darzustellen; ärgerlich warf er den Schwamm nach dem Bilde − da schuf der Schwamm den gewünschten Effekt.“191

190 Zu diesem Zusammenhang vgl. C. Cugini: „Er sieht einen Fleck, er malt einen Fleck.“. 191 Plinius XXXV, 103, zit. nach: E.Kris/O.Kurz: Die Legende vom Künstler, S. 71 f.

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Abbildung 167: Mars: M. Riflardman, miniaturiste. „Passons l’éponge“. (Histoire de mes débuts.)

Le Charivari, 26.04.1883, o. S.

Abbildung 168: Claude Monet: Gare Saint-Lazare, 1877, Öl auf Leinwand, 54,3 x 73,6 cm, National Gallery London

© The National Gallery, London

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Ähnliche Anekdoten sind auch von den antiken Malern Nealkes und Apelles überliefert.192 Während diese durch den Einsatz der Zufallstechnik ein figürliches Resultat erzielten, blieben die impressionistischen taches in den Augen der Kunstkritik jedoch abstrakt, oder besser: Sie stellten ‚nichts‘ dar. 1877 bezog der Journalist François-Victor Fournel den antiken Künstlertopos in polemischer Absicht auf Monets Gare Saint-Lazare (Abb. 168): „Mais la Vue intérieure cataloguée 102 mérite la palme de l’exposition. Elle éalise à merveille ce que raconte la légende de ce peintre antique, Protogène ou Apelle, qui, ne pouvant représenter l’écume d’un chien, jeta de dépis son pinceau contre la toile et réussit par hasard à ce qu’il n’avait pu faire à force de travail. On dirait que M. Monet a jeté sur sa toile un éponge trempé au préalable dans un seau de peinture; la seule différence est qu’il n’a réussi à rien figurer du tout.“193

Erst der Vorwurf der Gegenstandslosigkeit lässt den zitierten Topos ins Negative umschlagen. In antiken Künstlermythen kommt der Zufall dem Maler zu Hilfe, während die vermeintlich zufällige tache im Impressionismus ein subversives Potential entfaltet. Das Unbehagen der Kunstkritik angesichts einer Tendenz zur Auflösung des Bildgegenstandes äußerte sich in Polemiken, die die Farbe als Fleck und den Farbauftrag als Abdruck banalisierten. Mit der Vorstellung eines zufälligen Abdrucks rekurrierten die Kritiker wohl auch auf die mal- und drucktechnische Bedeutung des Wortes impression. Denn neben der malerischen Grundierung meint impression, abgeleitet von dem Verb presser, auch den Druck oder Abdruck auf einem Bildträger. Eine Illustration, die 1886 in der symbolistischen Literaturzeitschrift La Vogue erschien, treibt ein besonders raffiniertes Spiel mit dieser doppelten, kunsttheoretisch ambivalenten Bedeutung der impression (Abb. 169). Die vollkommen abstrakte, kreisförmige tache illustriert einen literarischen Text des Dichters Gustave Kahn (1859-1936) mit dem Titel Printemps, der als ungereimte, freie Versdichtung verschiedene Naturimpressionen und Stimmungsbilder aufscheinen lässt.194 In dem Textabschnitt unmittelbar unter der Illustration wird das Bild eines Waldes heraufbeschworen: Unter den Bäumen, inmitten des verzweigten Dickichts habe sich ein Liebespaar niedergelassen; nur einzelne Sonnenstrahlen dringen durch das Unter-

192 Ebd., S. 72. 193 Fournel, François-Victor (unter dem Pseudonym Bernadille): „Chronique parisienne: L’Exposition des impresionistes“, in: Le Français, 13.04.1877, S. 2, zit. nach: R. Berson: The new painting, S. 130. 194 Kahn, Gustave: Printemps, in: La Vogue, Bd. 1 (1886), Nr. 4, S. 109-112.

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holz und beleuchten die Szene.195 Die hochsensible literarische impression wird von einer impression ganz anderer Art begleitet, denn dass es sich bei der rätselhaften tache technisch gesehen um einen Abdruck handeln muss, ist leicht zu erkennen. Der begleitende Text liefert einen Hinweis zur Betrachtung der eigentlich abstrakten Vignette und der konturlose Fleck wird im Auge des Betrachters unvermittelt zum Bild: Wir glauben, in dem abstrakten Zufallsgebilde die hellen Sonnenstrahlen zu sehen, die durch das Dickicht eines finsteren Waldes dringen. Die Illustration scheint auf die Kunsttheorie der Renaissance zu rekurrieren, in der das Studium zufällig erzeugter Flecken den Künstlern zur Anregung der Phantasie empfohlen wurde196 und wirkt gleichzeitig wie ein Ausblick auf die spätere surrealistische Technik der Frottage. Mit der Aufnahme einer abstrakten Illustration in einen fiktionalen Text stellte sich Kahn in eine literarische Tradition, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht.197 Besonders prominent ist das Beispiel des englischen Schriftstellers Laurence Sterne (1713-1768), der die Druckausgabe seines zwischen 1759 und 1767 erschienenen Romans The Life and Opinions of Tristram Shandy mit zahlreichen ungegenständlichen Illustrationen versah, darunter eine monochrom schwarze und eine farbig marmorierte Seite sowie mehrere abstrakte Lineaturen. Zwar kamen bei der Illustration des Romans keine Abklatschverfahren zum Einsatz, doch Zufallstechniken spielten auch für Laurence Sterne eine wichtige Rolle. Die Anwendung der Marmoriertechnik in der marbled page, die Sterne im Text mit der ausschweifenden, fließenden Erzähltechnik seines „buntgescheckten“ (motley) Romans analogisierte, verlieh jeder Ausgabe des Tristram Shandy den Charakter eines Unikats. Die abstrakten Liniengebilde, die der Autor an mehreren Stellen in das Textbild einfügte, sind dagegen als Anspielung auf die zeitgenössische Kunsttheorie zu verstehen, die mit William Hogarths wenige Jahre zuvor publizierten Überlegungen zur line of beauty erstmals die ästhetische Wirkung abstrakter Schlangenlinien in den Blick genommen hatte.198 Sternes abstrakte Illustrationen zeigen deutlich den Einfluss der Wirkungsästhetik, die im 18. Jahrhundert in England höchst populär war, und auch Kahns Vignette ist ein Spiegel der zeitgenössischen Kunsttheorie. Im Kontext ihrer Zeit und in der 195 „Sous les arbres, dont les branches balancent en rythmes d’encensoir, sous la mobile pluie des rais de soleil, les amants sont venus s’asseoir...“ Ebd., S. 110. 196 Dies wird zum Beispiel von Leonardo und Piero di Cosimo berichtet, vgl. E. Kris/O. Kurz: Die Legende vom Künstler, S. 72 sowie Weltzien, Friedrich: Fleck. Das Bild der Selbsttätigkeit. Justinus Kerner und die Klecksografie als experimentelle Bildpraxis zwischen Ästhetik und Naturwissenschaft, Göttingen 2011, S. 159 ff. 197 Vgl. R. Rosenberg: Abstrakte Bilder vor 1900. 198 Vgl. R. Rosenberg: Abstrakte Bilder vor 1900, S. 274 ff. Dort sind die entsprechenden Seiten auch abgebildet.

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Verwendung durch den vom Impressionismus und von ästhetischen Wahrnehmungstheorien beeinflussten Dichter Gustave Kahn lässt sie sich als eine Art psychophysisches Experiment verstehen: Der faktisch gegenstandslose Fleck wird nicht nur mit literarischer Bedeutung aufgeladen und in eine Textlandschaft integriert, seine unregelmäßige Struktur fügt sich im Auge des Betrachters auch selbst zum Bild einer Landschaft. Die Wahrnehmungsleistung beim Betrachten der Vignette gleicht so der Aktivität, die auch von den Betrachtern impressionistischer Malereien verlangt wird − ein Wahrnehmungstraining avant la lettre. 1890 tauchte die Illustration in einem anderen Kontext erneut auf. Der Kunstkritiker Félix Fénéon (1861-1944) verwendete sie als Schlussvignette eines Aufsatzes über Paul Signac, wobei die Darstellung − vermutlich unabsichtlich − gespiegelt und um 180 Grad gedreht wurde (Abb. 170). Auch hier gibt die abstrakte, kreisförmige tache zunächst Rätsel auf. Dass der Text keinen anderen Urheber nennt, lässt zunächst vermuten, die Vignette stamme von Signac oder von Georges Seurat, der die Titelillustration zu dem Aufsatz lieferte. Zwar nimmt der Text nicht explizit auf die Abbildung Bezug, doch das Verfahren der tache wird darin ausführlich erläutert. Dabei liefert der Autor nicht nur eine maltechnische Beschreibung, sondern gibt auch Hinweise zum Betrachtungsmodus der sogenannten Fleckenmalereien: „Si le peintre sur son subjectile (toile, cuir, bois, carton, métal, ivoire, etc.) juxtapose d’exiguës ocellures dont les séries correspondent qui à la lumière solaire, qui aux reflets, ces taches pluricolores ne seront pas perçues isolément: au recul les faisceaux lumineux qui en émanent se composeront sur la rétine en un MÉLANGE OPTIQUE. – L’artifice du peintre aura rigoureusement restitué les procédés de la réalité.“199

Die Wortschöpfung ocellure (von frz. ocelle – Augenfleck), mit der Fénéon die neo-impressionistischen Fleckenstrukturen beschrieb, rückt die Malereirezeption in die Nähe einer naturwissenschaftlichen Betrachtung.200 In einer Art Pseudomimesis ähnelt jede einzelne tache durch ihre runde Form dem Auge, in dem sie mit den anderen Flecken zu einem Bildgegenstand verschmelzen soll. Die Schlussvignette des Textes scheint dies zu illustrieren: Als runder ‚Augenfleck‘ appelliert sie an das Sehvermögen und lädt gleichzeitig dazu ein, ihre gemaserte Binnenstruktur als figuratives Bild zu interpretieren, etwa als Baumkrone vor einem sonnigen Himmel. 199 Fénéon, Félix: „Signac“, in: Les Hommes d’aujourd’hui, Bd. 8 (1890), Nr. 373, zit. nach: Halperin, Joan U. (Hg.): Félix Fénéon. Œuvres plus que complètes, Genf u.a. 1970, S. 174-179, hier S. 175. 200 Augenflecken oder Ozellen sind augenähnliche Zeichnungen auf der Körperoberfläche von Tieren, z. B. Fischen oder Insekten, die meist der Täuschung und Abwehr von Fressfeinden dienen.

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Abbildung 169: Charles Henry: Une tache, Illustration zu Gustave Kahn: Printemps

La Vogue, Bd. 1 (1886), Nr. 4, S. 110

Abbildung 170: Charles Henry: Une tache, Illustration zu Félix Fénéon: Signac

Les Hommes d’aujourd’hui, Bd. 8 (1890), Nr. 373, o. S.

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Dieses Bild, Motiv zahlreicher neo-impressionistischer Gemälde201, wird im Text mehrfach als Beispiel herangezogen. Fénéon hatte zur Illustration seines Aufsatzes zunächst eine ebenfalls kreisförmige Lithografie von Paul Signac vorgesehen, die einen verlassenen Straßenzug mit einer einsamen Bank darstellt.202 Dass sich der Autor mit der Zustimmung Signacs dann doch gegen die stimmungsvolle Darstellung und für das unzugängliche, abstrakte Fleckenbild entschied, zeigt, wie ernst es ihm mit dem Versuch war, das impressionistische Verfahren der tache mit den Mitteln der physiologischen Optik wissenschaftlich zu fundieren. Mit diesem Anspruch berief sich Fénéon in dem zitierten Artikel auch auf die Schriften von Charles Henry (1859-1926), der in den 1880er Jahren mit seinen Forschungen zur Expressivität der Linie und zu einer neurophysiologischen Begründung der Ästhetik die Aufmerksamkeit der neo-impressionistischen Maler auf sich gezogen hatte.203 Henry, ein gebildeter Autodidakt, der als Bibliothekar an der Sorbonne arbeitete und 1885 eine vielbeachtete Einführung zu einer wissenschaftlichen Ästhetik204 publizierte hatte, machte 1886 die Bekanntschaft Seurats und kam über diesen auch mit Fénéon in Kontakt. Während sich Henry nie im Sinne einer Kunstkritik zur bildenden Kunst seiner Zeit geäußert hat, verstand es Fénéon, seine Lehre für eine Theorie des Neo-Impressionismus nutzbar zu machen. Dass Henry auch der Urheber der rätselhaften Vignette war, offenbarte Fénéon, wohl im Hinblick auf die erschreckend banale Entstehungsgeschichte der tache, nur in einer privaten Aufzeichnung. Dort beschrieb er die Illustration als „cette si séduisante œuvre due à la collaboration d’Henry et d’un fond de casserole“.205 Bei der scheinbar idealtypischen tache, die Fénéon zur Illustration seines kunsttheoretischen Essays heranzog, handelte es sich also um den mit Hilfe einer Zufallstechnik erzeugten Abdruck eines banalen Haushaltsgegenstandes, eine impression im handwerklich-technischen Sinne. Dass Charles Henry, der einen nüchternen, wissenschaftlichen Kunstbegriff verfolgte und 201 Vgl. z. Bsp. Paul Signac: Aiguillage de lignes de chemin de fer près de Bois-Colombes, 1886, Öl auf Leinwand, 33 x 47 cm, Leeds City Art Gallery; Georges Seurat: Sous-bois à Pontaubert, 1881, Öl auf Leinwand, 79,1 x 62,5 cm, Metropolitan Museum of Art, New York. Der japanophile Fénéon dachte beim Anblick der abstrakten Vignette womöglich auch an japanische Landschaftssteine, sogenannte Suiseki, deren natürliche Maserung dem Bilde einer Landschaft ähnelt. 202 Paul Signac: Le Banc, 1887, Lithografie auf Japanpapier. Die Lithografie war bereits in ihrem Entstehungsjahr als Frontispiz des Gedichtbandes Sur les talus von Jean Ajalbert publiziert worden. Vgl. J. Halperin: Félix Fénéon, S. 174. 203 Für eine ausführliche Darstellung der intellektuellen Biografie Charles Henrys und seiner Bedeutung für den Neo-Impressionismus vgl. Zimmermann, Michael F.: Seurat. Sein Werk und die kunsttheoretische Debatte seiner Zeit, Weinheim 1991, S. 227-321. 204 Henry, Charles: Introduction à une esthétique scientifique, Paris 1885. 205 Zit. nach J. Halperin: Félix Fénéon, S. 174 (Anm.1).

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bemüht war, eine objektive, für „Physik oder Biologie, Musik oder Malerei, Empfindung oder Handlung“206 gleichermaßen geeignete Doktrin zu entwickeln, mit Zufallstechniken dieser Art experimentierte, ist überraschend. Ob Henry mit dem Abdruck einen wissenschaftlichen Zweck verfolgte, ob es sich dabei um ein Experiment oder einen bloßen Scherz handelte, lässt sich aus heutiger Sicht wohl nicht mehr ermitteln. Ebenfalls überraschend ist, dass Fénéon mit dem zufälligen Fleck seine Überlegungen zu einer Malerei illustrierte, die mit Nachdruck eine wissenschaftliche Vorgehensweise für sich reklamierte und jede Beteiligung des Zufalls am Produktionsprozess kategorisch ablehnte. Die Publikation von Henrys abstrakter tache in einem Aufsatz zur Theorie des Neo-Impressionismus scheint zumindest ein theoretisches Interesse an zufälligen Bildtechniken zu belegen, auch wenn diese niemals Eingang in die Atelierpraxis der neo-impressionistischen Maler gefunden haben. Auffallend ist jedoch die Parallele zu den Karikaturen auf die impressionistische tache und die von ihnen lancierte Vorstellung, es handle sich dabei um den zufälligen Abdruck eines in Farbe getauchten Gegenstandes auf der Leinwand. Tatsächlich hätte auch Henrys tache − in Kombination mit einer den Herstellungsprozess offenlegenden Bildunterschrift − ohne weiteres als Karikatur funktionieren können. Eingeweihte konnten sich durch die Kreisform der Abbildung zudem an Henrys bekanntestes Werk, den Cercle Chromatique, erinnert fühlen, der von den Neo-Impressionisten um 1890 stark rezipiert wurde − oder aber an Signacs 1888 entstandene, ebenfalls kreisförmige Application du Cercle Chromatique.207 Der Umstand, dass Farbe, das eigentliche Hauptbetätigungsfeld sowohl Henrys als auch der Neo-Impressionisten, gerade keine Qualität der von Fénéon herangezogenen grafischen tache war, verlieh der Illustration zusätzlich eine absurde Note. Die Entscheidung des Autors für die Illustration erscheint vor diesem Hintergrund als eine Art Insider-Witz, eine ironische Geste mit dem Zweck, das kun206 „Parmi ces chaos de vérités spéciales, Charles Henry distingua la seule doctrine qui pût, en ce temps-là, permettre de penser physique ou biologie, musique ou peinture, sensation ou action, en conservant le même langage, et en imposant des conditions identiques aux phénomènes ou aux systèmes considérés.“ Valéry, Paul: „Charles Henry“, in: Cahiers de l’Etoile, Bd. 3 (1930), Nr. 18, S. 20-24, hier S. 21. 207 Zur Rezeption der Farbenlehre Charles Henrys durch die Neo-Impressionisten vgl. Ferretti-Bocquillon, Marina: „Polychromien und Monochromien. Paul Signacs Erforschung der Farbe“, in: Ausst.-Kat. Das Sehen sehen. Neoimpressionismus und Moderne. Signac bis Eliasson, Kunsthaus Zug 2008, S. 10-35. Signac schuf insgesamt 40 Grafiken zur Illustration von Henrys Publikationen. Ein Exemplar des Cercle Chromatique aus dem Nachlass des Künstlers befindet sich in den Archives Signac, Paris Die darauf sichtbaren Flecken und Gebrauchsspuren deutet Ferretti-Bocquillon als Beleg dafür, dass Signac den Cercle bei seiner Arbeit im Atelier zu Rate gezogen habe.

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stkritische Verdikt der école des taches durch Affirmation ad absurdum zu führen. Gleichzeitig offenbart Fénéons Verwendung der Abbildung einen beinahe didaktischen Impetus, den er der kunstkritischen und karikaturistischen Polemik entgegensetzte. Was hier vorgeführt wird, ist gleichsam die Rückwanderung der Karikatur in ein kunsttheoretisches Argument: Selbst in ihrer grafischen Reduktion auf die Nichtfarben Schwarz und Weiß ist die tache keineswegs bedeutungslos, sondern ein potentielles Bild. Sie als ein solches wahrzunehmen, erfordert die Einübung neuer Sehgewohnheiten − eine Forderung, die seinerzeit auch an die Betrachter moderner Malereien erging. Im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit dem Neo-Impressionismus entwickelte die Karikatur noch eine weitere Bildformel, die das vermeintlich Zufällige des pointillistischen Farbauftrags betont. Im März 1893 ließ der populäre Zeichner Adolphe Willette (1857-1926) seinen berühmten Pierrot im Courrier Français als Maler auftreten, dessen ehrgeiziges Vorhaben, „einen Ingres zu machen“, gründlich misslingt (Abb. 171).208 Die von Pierrot gemalte Tänzerin, wohl eine Anspielung Willettes auf die Bildthemen von Edgar Degas, besitzt keinen festen Kontur; vielmehr scheint ihr Körper aus Punkten und kleinen Strichen zu bestehen. Pierrot ruft daraufhin entsetzt aus: „Malédiction! je fais de la peinture en confetti!“ Das bedrohliche Potential des Bildes wird durch die Haltung der etwa lebensgroßen Tänzerin unterstrichen, die sich mit ausgebreiteten Armen von oben auf den Maler zu stürzen scheint. Dieser weicht ihr aus und verbirgt sein Gesicht schützend in den Armen, erschrocken über seine nach eigener Einschätzung missratene Schöpfung. Als ehemaliger Schüler des Akademiemalers Alexandre Cabanel vertrat Willette eine eher konservative Kunstauffassung, in der Ingres’ klassizistische Malerei noch immer ein Ideal darstellte. Mit seiner Illustration knüpfte er an die Thematik des Kunstkampfes an: Wie in den eingangs behandelten Karikaturen zum Kampf der Schulen sind auch hier die Malinstrumente kontrastierend gegeneinander gesetzt. Im ersten Bild, in dem Pierrot verkündet, er wolle einen Ingres malen, hält er eine spitze Zeichenfeder in der Hand. Auf dem zweiten Bild, das ihn als ‚Konfettimaler‘ zeigt, ist dagegen rechts unten eine Palette zu sehen. Der Konflikt zwischen Zeichnung und Farbe war also auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch virulent und erfuhr in den Debatten um die neo-impressionistische Malerei eine Aktualisierung. Der im Zusammenhang mit neo-impressionistischer Kunst

208 André Salmon erwähnt die Karikatur mehrfach, allerdings stets ohne Abbildung oder Quellenangabe. Vgl. Salmon, André: „Georges Seurat“, in: The Burlington Magazine, Bd. 37 (1920), Nr. 210, S. 115-122, hier S. 115 sowie Ders.: „Eine anekdotische Geschichte des Kubismus“ (1912), in: Fry, Edward (Hg.): Der Kubismus, Köln 1966, S. 88-98, hier S. 96.

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noch heute populäre Konfetti-Vergleich209 taucht bei Willette wohl zum ersten Mal auf. Dies ist umso interessanter als der Zeichner in seinen beliebten PierrotGeschichten kaum jemals zu aktuellen Kunstdiskursen Stellung bezog. Abbildung 171: Adolphe Willette: Confetti (Detail)

Le Courrier Français, 19.03.1893, o. S.

Etwa einen Monat nach dem Erscheinen von Willettes Satire veröffentlichte Henriot eine großformatige Karikatur im Charivari, in der er den Malvorgang der titelgebenden Artistes Libres mit dem Werfen von Konfetti in Verbindung brachte (Abb. 172). Dargestellt ist ein Maler, der unter den skeptischen Blicken eines bürgerlich gekleideten Atelierbesuchers mit lässigem Schwung eine Handvoll Konfetti auf seine Leinwand wirft. Anstelle einer Palette hält der Maler ein prall gefülltes Säckchen in der Hand, in dem sich wohl ebenfalls Konfetti befindet. Weitere Beutel mit Materialnachschub sind um den Fuß der Staffelei herum gruppiert, und auch bei dem einzelnen Eimer, der im Bildvordergrund zu sehen ist, scheint es sich nicht um Farbe, sondern eher um Leim zu handeln, mit dem das Material auf dem Bildträger befestigt werden soll. Die Karikatur gewährt Einblick in ein Maleratelier, das gänzlich ohne Pinsel und Farben auskommt. Die Leinwand selbst zeigt ein 209 Der Schweizer Künstler und Kabarettist Ursus Wehrli reaktivierte den KonfettiVergleich 2004 in seinem Projekt Kunst aufräumen. George Seurats Les Poseuses stellte er in „aufgeräumter“ Form als einen Plastikbeutel voller Konfettikügelchen dar. Vgl. Wehrli, Ursus: Noch mehr Kunst aufräumen, Königstein im Taunus 2004, S. 15.

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Durcheinander von Punkten, in dem sich das im Entstehen begriffene Motiv, wohl eine Landschaft, allenfalls erahnen lässt. Abbildung 172: Henriot: Artistes Libres

Le Charivari, 14.04.1893, o. S.

Den Anlass für die Karikatur, die in der Rubrik Actualités des Charivari platziert wurde, bot die Eröffnung des jährlich stattfindenden, antiakademisch ausgerichteten Salon des Indépendants, der für die neo-impressionistischen Maler die wichtigste öffentliche Plattform zur Präsentation ihrer Kunst darstellte. Paul Signac zeigte bei dieser Ausstellung ein großformatiges Gemälde mit dem Titel Jeunes Provençales au puits210, das in der für diese Stilrichtung charakeristischen Technik der Farbenzerlegung ausgeführt war. In einer Ausstellungsbesprechung, die etwa zwei Woch-

210 Signac präsentierte das Bild unter dem Titel Jeunes Provençales au puits (décoration pour un panneau dans la pénombre), heute ist es bekannt unter dem Titel Femmes au puits, 1892, Öl auf Leinwand, 195 x 131 cm, Musée d’Orsay, Paris.

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en nach der Karikatur des Charivari erschien, bezeichnete der Rezensent des Mercure de France das Bild polemisch als „un avalanche de confetti“.211 Der Topos der ‚Konfettimalerei‘ machte bald die Runde und wurde zu einem Verdikt, mit dem die Neo-Impressionisten immer wieder konfrontiert wurden. Noch in seiner 1899 erschienenen kunsttheoretischen Programmschrift D’Eugène Delacroix au Néo-Impressionisme beklagte sich Paul Signac, die neo-impressionistische Malweise habe „viel alberne Anspielungen auf Pocken und Confetti hervorgerufen“.212 Der Vergleich seiner mathematisch präzisen Malereien mit willkürlich auf die Leinwand gestreutem Konfetti musste Signac ganz besonders ärgern, bemühte er sich doch in diesem Aufsatz gerade um eine wissenschaftliche Fundierung der neo-impressionistischen Methode und um deren Einbettung in eine kunsthistorische Genealogie. Ein wichtiges Anliegen war dabei die Abgrenzung der neuen Malerei von ihren impressionistischen Vorläufern. Während die Impressionisten Signac zufolge so malten „wie der Vogel singt“213 und somit auch dem Zufall einen Platz im Produktionsprozess einräumten, folgte die Technik der Neo-Impressionisten einer exakten wissenschaftlichen Methode. Signac schrieb: „Die Technik der Farbenzerlegung verbürgt durch die optische Mischung der reinen Farbelemente nicht allein höchstmögliche Leuchtkraft und Farbigkeit, sondern sichert auch dem Werk eine vollkommene Harmonie durch die richtige Verteilung und die genaue Abwägung dieser Elemente nach den Regeln der Kontrastwirkung, der Abstufung und der Strahlung. Die Neo-Impressionisten wenden diese Regeln, welche die Impressionisten nur hie und da und instinktiv beobachten, stets und strengstens an. Sie schliessen die genaue und wissenschaftliche Methode in sich, welche ihre Empfindung nicht beeinträchtigt, wohl aber sie leitet und hütet.“214

Die Theorie des Neo-Impressionismus zeichnete sich durch ein strenges Regelwerk und das Streben nach absoluter wissenschaftlicher Objektivität aus. Anders als im Impressionismus sollten Farbwahl, Komposition und Pinselschrift nicht mehr Ausdruck einer individuellen Künstlerpersönlichkeit sein, sondern dem Kenntnis211 Rambosson, Yvanhoë: „Le mois artistique – Les Indépendants“, in: Mercure de France, Mai 1893, S. 76-77, hier S. 76 [Reprint der Originalausgabe, Vaduz 1965]. 212 P. Signac: Von Eugen Delacroix zum Neo-Impressionismus, S. 28. Der KonfettiVergleich war dabei noch verhältnismäßig schmeichelhaft. Der amerikanische Maler Theodore

Robinson,

selbst

ein

Anhänger

Monets,

bezeichnete

den

Neo-

Impressionismus 1891 sogar als „Fliegendreckmanier“, vgl. Rewald, John: Von Van Gogh zu Gauguin. Die Meister des Nachimpressionismus, dt. Ausgabe München u.a. 1957, S. 97. 213 P. Signac: Von Eugen Delacroix zum Neo-Impressionismus, S. 55. 214 Ebd., S. 61.

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stand naturwissenschaftlicher Disziplinen wie der Neurologie und der physiologischen Optik entsprechen. Der künstlerische Schaffensprozess, der sich seit der Jahrhundertmitte schrittweise von den akademischen Konventionen gelöst hatte, wurde so wieder in eine streng normierte, durchweg rationale Tätigkeit zurückverwandelt. Zwar beteuerte Signac, die Empfindungen des Malers würden durch die Wissenschaftlichkeit der Methode nicht beeinträchtigt; dennoch wird bei der Lektüre seines Textes deutlich, dass der spontane künstlerische Impuls in diesem Verständnis von Malerei nicht erwünscht war. Die Karikatur des Konfettiwerfers steht demnach im krassen Gegensatz zur Theorie des Neo-Impressionismus und der tatsächlichen Atelierpraxis der Maler. Gerade in diesem absichtlichen Missverstehen, das ein Stilmittel der Karikatur ist, entfaltet das Bild des Konfetti-Malers seinen Witz. Obwohl sich die Karikatur hier motivisch der Seite der Produktion zuwendet, reflektiert die Darstellung des Konfettiwerfers vor allem die Schwierigkeiten zeitgenössischer Kunstbetrachter bei der Rezeption pointillistischer215 Malerei. Auf die von Signac beschriebene Technik der Farbenzerlegung musste auf Betrachterseite ein synthetisierendes Verfahren folgen, in dem die reinfarbigen points wieder zu einem farbig modellierten Bildgegenstand zusammengefügt wurden. Bereits auf der ersten Seite seines Buches wies Signac darauf hin, dass die Mischung der Farben „im Gegensatz zu den bisherigen Malweisen nicht auf der Palette, sondern durch das Auge des Beschauers selbst vollzogen werden soll.“216 Dass dies in den ersten Jahren des Neo-Impressionismus nicht immer gelang, zeigen kunstkritische Äußerungen, welche die unter erheblichem Zeitaufwand realisierten Gemälde als formlose ‚Konfettilawinen‘ beschrieben. Die augenfällige formale Analogie − neoimpressionistische points entsprechen in ihrem Durchmesser und ihrer Farbigkeit etwa der Größe und Farbe von Papierkonfetti − provozierte eine satirische Kontextverschiebung: Kunst und Karneval rückten einander gefährlich nahe, denn der Konfetti-Vergleich erlaubte es, die an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierte Malerei als ‚faschingshaft‘ und damit unseriös erscheinen zu lassen.217 Noch dazu handelte es sich beim Konfetti um ein vergleichsweise neues Produkt der Papier215 Signac selbst lehnte den Begriff „Pointillismus“ für die von ihm vertretene Stilrichtung ab. Er schrieb: „Es ist ein ziemlich weit verbreiteter Irrtum, dass man glaubt, die NeoImpressionisten seien Maler, die nichts anderes thun, als ihre Leinwand mit kleinen vielfarbigen Punkten zu bedecken. Wir wollen hier vorwegnehmen [...], dass das unvollkommene Verfahren der Pointillirtechnik mit dem Glaubensbekenntnis der Maler, um die es sich hier handelt und mit ihrer Technik der Farbenzerlegung nichts zu thun hat. Der Neo-Impressionist pointillirt nicht, er zerlegt.“ Ebd., S. 11. 216 Ebd., S. 9. 217 Dieser Ansatz findet sich auch in einigen kunstkritischen Polemiken der Zeit, die ihren Lesern den Besuch von Ausstellungen der Indépendants zur Belustigung empfahlen.

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industrie, denn als industriell gefertigtes Massenerzeugnis kam es erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Handel.218 Eine Lithografie von Henri de ToulouseLautrec, die dieser 1894 als Werbeplakat für den Papierhersteller Bella & de Malherbe anfertigte, präsentierte das Konfetti dementsprechend als neuesten Modeartikel (Abb. 173). Für Kommentatoren, die im Neo-Impressionismus nichts weiter als eine kurzlebige Pariser Modetorheit sehen wollten, war der Vergleich mit dem Konfetti vor allem aus diesem Grund attraktiv. Doch Toulouse Lautrec bediente sich auch selbst eines Verfahrens, das den vermeintlichen Zufallstechniken der ‚Konfettikünstler‘ affin war. Bei dem Plakat kam eine Technik zum Einsatz, bei der Farbe durch ein Drahtgitter direkt auf den Lithografiestein gespritzt wurde. Diese als crachis bekannte Spritztechnik produziert eine Struktur aus feinen Farbtröpchen, deren Verteilung letztlich dem Zufall überlassen bleibt. Abbildung 173: Henri de Toulouse-Lautrec: Confetti, um 1894, Farblithografie, 57,1 x 39,1 cm, Victoria and Albert Museum, London

© Victoria and Albert Museum, London 218 Erfunden wurde das Papierkonfetti wohl gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Nizza. Vgl. Weiss, Wisso: Zeittafel zur Papiergeschichte, Leipzig 1983, S. 205.

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In der Kunstkarikatur der 1890er Jahre tauchte die Figur des Konfetti werfenden Malers noch verschiedentlich auf und war dabei stets, implizit oder explizit, auf die Malerei des Neo-Impressionismus bezogen. Im Charivari erschien 1898 eine Neuinterpretation des Motivs, ausgeführt von Paf (eigtl. Jules Renard, 1833-1926), der den Bildaufbau von Henriots Vorlage übernahm und um einen Dialog in der Bildunterschrift ergänzte (Abb. 174). Obwohl der karikierte Maler den Einsatz von Konfetti hier motivisch erklärt und behauptet, es handle sich bei dem Bild um eine Karnevalsszene, ist doch anzunehmen, dass die Karikatur von zeitgenössischen Lesern auch als Witz über den neo-impressionistischen Malstil verstanden wurde. Dass die parodierte Malerei nicht einmal mehr beim Namen genannt werden musste, zeigt, dass der Konfetti werfende Neo-Impressionist gegen Ende der 1890er Jahre längst zum Standardrepertoire der Kunstkarikatur gehörte. Abbildung 174: Paf: – Comment! Vous lancez des confetti sur votre tableau encore tout humide de couleur? – Puisque c’est un scène de carnaval, il faut que ce soit vécu.

Le Charivari, 13.03.1898, o. S.

Zwar wurden für die impressionistische tache und den neo-impressionistischen point je unterschiedliche karikaturistische Bildformeln gefunden, gemeinsam ist ihnen jedoch der Vorwurf, das angewandte Verfahren sei willkürlich und erfordere keine speziellen maltechnischen Fertigkeiten. Anders als bei den Karikaturen zum Realismus geht es nicht darum, das − vermeintlich oder tatsächlich − angewandte maltechnische Verfahren als besonders handwerksnah und damit unkünstlerisch zu kennzeichnen; vielmehr wird in den späteren Karikaturen zur modernen ‚Fleckenmalerei‘ ein Arbeitsprozess imaginiert, bei dem die Hand des Malers die

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Leinwand gar nicht mehr berührt. Sei es die Vorstellung vom Bild als Abdruck der Palette, der aus der Antike übernommene Topos des Schwammwurfs oder die Figur des Konfettiwerfers − der Abstand zwischen dem Maler und seinem Werk scheint sich beständig zu vergrößern. Dazu passt die Tatsache, dass die Kunstkarikatur seit Manet kaum mehr bestimmte Künstlerpersönlichkeiten in den Blick nahm, sondern ihre Kritik meist verallgemeinernd auf ganze Künstlergruppen oder -schulen richtete. Die Vorstellung einer individuellen, untrennbar mit Person und Werk eines Künstlers verbundenen Handschrift, die in den Karikaturen auf Delacroix und Courbet noch deutlich zum Ausdruck kommt, war gegen Ende des 19. Jahrhunderts offenbar im Schwinden begriffen. Spätestens im Neo-Impressionismus mit seiner methodisch vereinheitlichten Malweise ähnelten die Werke der verschiedenen Maler einander so stark, dass Publikum und Kritiker sie nur noch mit Hilfe des Kataloges auseinanderhalten konnten.219 Dies trug nicht nur zur Verwirrung des Publikums bei, sondern war auch ein Affront für diejenigen Ausstellungsbesucher, die Malerei vor allem als Ausdruck einer persönlichen Eigenart, der ‚Hand‘ des Künstlers zu schätzen gelernt hatten. Die standardisierte Gleichförmigkeit des pointilistischen Farbauftrags ließ die Bilder dagegen wie die Produkte einer maschinellen Herstellungsweise erscheinen.220 Fénéon hielt dem entgegen, dass sich Individualität bei dieser Malerei nicht in der Hand, sondern vielmehr im Auge des Künstlers zeige: „[M]ag die Hand auch starr sein, das Auge ist flink, scharf und wendig.“221 Die Karikaturen zum Neo-Impressionismus reflektieren zwar nicht das Moment der Standardisierung, wohl aber die Problematik einer weitgehend entindividualisierten Bildproduktion. Der Konfetti werfende Maler zieht sich als Autor aus seinem Werk zurück, auch wenn seine künstlerische Eigenart der Karikatur zufolge nicht einem naturwissenschaftlich inspirierten Regelwerk, sondern einer chaotischen Zufallstechnik geopfert wird. Das Verschwinden der Künstlerhand und ihrer unmittelbaren Spuren aus dem Prozess des Farbauftrags ist in beiden Fällen die Konsequenz. In diesem Zusammenhang muss noch ein weiterer polemischer Topos der Kunstkritik genannt werden, der für den impressionistischen und neoimpressionistischen Farbauftrag gleichermaßen geltend gemacht wurde: Die Vorstellung einer „peinture au pistolet“, die, wie John Rewald berichtet, schon in den ersten kunstkritischen Äußerungen zum Impressionismus auftauchte222 und bereits 219 Vgl. J. Rewald: Von Van Gogh zu Gauguin, S. 93 f. 220 Zu dieser Problematik vgl. Uhlig, Franziska: Konditioniertes Sehen. Über Farbpaletten, Fischskelette und falsches Fälschen, München 2007, hier S. 19 f. 221 Fénéon, Félix: Les impressionistes en 1886, zit. nach J. Rewald: Von Van Gogh zu Gauguin, S. 99. 222 Vgl. Rewald, John: Die Geschichte des Impressionismus, dt. Ausgabe, Köln 1965, S. 190.

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1866 mit der Malerei Paul Cézannes in Verbindung gebracht wurde.223 In einer Ausstellungskritik von 1888 bezeichnete Fénéon den Scherz bereits als veraltet: „A peine, de loin en loin, réédite-t-on la plaisanterie de la ,peinture au pistolet‘.“224 Insofern bewies auch der Maler Antoine Guillemet, der mit einer abgeschwächten, gefälligeren Variante des Impressionismus im Salon und auf dem Kunstmarkt große Erfolge feierte und sich bald von seinen revolutionären Anfängen als Mitglied der École des Batignolles distanzierte225, in den Augen des Kritikers vermutlich wenig Originalität, wenn er die damals praktizierte Methode rückblickend wie folgt beschrieb: „On met des tubes de couleurs dans l’arme et on tire sur une toile.“226 Abbildung 175: Micolès: A La Nationale Velasquez peignait avec de larges brosses. Le peintre S... fait en public la démonstration de sa nouvelle technique. La peinture au couteau ayant fait son temps, il préconise énergiquement l’emploi de la canne à pêche (pour la ligne) et du pistolet, „à mettre de l’air dans les tableaux“.

Le Charivari, 29.05.1910, S. 7.

223 Vgl. R. King: Zum Frühstück ins Freie, S. 224 und 441. 224 Fénéon, Félix: „Quelques Impressionistes. Galeries Durand-Ruel, 11, Rue Le Peletier (du 15 mai au 15 juin). Exposition de tableaux de Mme Berthe Morisot, de MM. Camille Pissarro, Renoir, Sisley, J.-L- Brown, Caillebotte, de M. Whistler, et de MM. Boudin et Lépine“, in: La Cravache, 02.06.1888, zit. nach J. Halperin: Félix Fénéon, S. 126. 225 Guillemet stand Pate für die Figur des vom Erfolg korrumpierten Malers Fagerolles in Emile Zolas Künstlerroman Das Werk. 226 Zit. nach J. Halperin: Félix Fénéon, S. 126.

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Überraschenderweise griff die Karikatur den Topos der Pistolenmalerei erst sehr spät, nämlich 1910, zum ersten Mal auf. In einer Illustration für den Charivari imaginierte der Zeichner Micolès227 eine öffentliche Maldemonstration „A La Nationale“, wie die offizielle Salonausstellung seit 1890 genannt wurde (Abb. 175). Der Begleittext der Karikatur zeichnet eine Entwicklungsgeschichte malerischer Techniken nach, die alle eine karikaturistische Darstellungstradition aufweisen. Auf die Verwendung großer Pinsel folgte die peinture au couteau und schließlich, als konsequente Steigerung, die „peinture au pistolet“ − eine Idee, die zwar ebenfalls eine satirische Tradition, jedoch als einzige (noch) keine Entsprechung in der realen Atelierpraxis besaß. Selbst mit der Erwähnung einer Angelrute als Malwerkzeug „pour la ligne“ reaktivierte die Karikatur ein älteres Motiv der Kunstparodie.228 Der Wunsch des Künstlers, Luft in seine Gemälde zu bringen entsprach einem Topos der impressionistischen Kunsttheorie. Kritiker wie Émile Zola und Joris-Karl Huysmans kamen in ihren Texten immer wieder auf die Darstellung von Luft zu sprechen, deren An- oder Abwesenheit im Gemälde ein zentrales, wenn auch schwierig zu bestimmendes Kriterium für die Bewertung impressionistischer Kunst darstellte.229 Um 1910 dürfte die Forderung nach Luft in den Gemälden längst ein allseits bekannter Gemeinplatz der Kunstkritik gewesen sein, so dass die Karikatur unbesorgt darauf rekurrieren konnte. Licht und Luft, die meist in einem Atemzug genannt werden, sind die eigentlichen Sujets impressionistischer Bilder. Erst ihr Zusammenspiel ermöglicht die Entstehung einer visuellen impression. Im Impressionismus wurde diesen immateriellen Phänomenen eine Stofflichkeit verliehen, die auf maltechnischer Ebene durch die charakteristische Auflösung des Kontur in vielteilige taches realisiert wurde. Der Pistolenschuss auf die Leinwand, den die Karikatur in der Tat sehr ‚luftig‘, nämlich als weiß gesprenkelte Dampfwolke ins Bild setzte, repräsentiert so nicht nur eine weitere Zufallstechnik zur Hervorbringung impressionistischer Flecken. Vielmehr wird die Anwesenheit von Luft in den Gemälden explizit auf die Technik, den fleckigen Farbauftrag, zurückgeführt. Von der karikierten Maldemonstration geht etwas Bedrohliches aus: Ausstellungsbesucher fahren erschrocken zusammen, halten sich die Ohren zu und versuchen in Panik, sich vor dem Schuss in Sicherheit zu bringen. Dies erinnert an ältere Karikaturen zu den angsterregenden Potentialen moderner Malerei, die jedoch im Jahr 1910 bei der Rezeption impressionistischer Gemälde kaum noch eine Rolle gespielt haben dürften. Die Karikatur reaktivierte so einen Diskurs des 19. Jahrhun227 Zu diesem Zeichner konnten keine Informationen ermittelt werden. 228 Vgl. den Abschnitt „Der Kampf der Schulen“ in diesem Buch. 229 Vgl. Lamer, Annika: Die Ästhetik des unschuldigen Auges. Merkmale impressionistischer Wahrnehmung in den Kunstkritiken von Emile Zola, Joris-Karl Huysmans und Félix Fénéon, Würzburg 2009, S. 136 ff.

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derts, nur wenige Jahre bevor ein Verfahren namens peinture au pistolet im Kontext der frühen Avantgarden, nämlich in den Aerographien von Man Ray230, tatsächlich praktiziert wurde – und gut fünfzig Jahre, bevor Niki de Saint Phalle das Schießen auf Bilder in ihren seit 1961 entstandenen Tirs231, salonfähig machte. Farbwürfe, Atelierunfälle, Automatismen 1923 schilderte eine englische Satire mit dem Titel The Problem Picture and the Experts die Entstehungsgeschichte eines abstrakten Gemäldes als gescheiterten Schaffensprozess.232 Der fiktive Maler Aubrey Ford Wilkinson möchte ein vollkommenes Gemälde schaffen. Um sich gegen mögliche Einwände des Publikums oder der Kunstkritik zu immunisieren, lässt er das fertige Gemälde, das zwei Figuren in einem Interieur zeigt, von den verschiedensten „Experten“, darunter ein Kostümbildner, ein Mediziner, ein Friseur und ein Architekt, auf etwaige Unstimmigkeiten hin untersuchen. Auf die Feststellung immer neuer „Fehler“ reagiert der Maler zuerst mit Änderungen, schließlich jedoch mit der Tilgung fast aller figürlichen Elemente, bis nur noch die Darstellung einer Vase auf einem Tisch an das ursprüngliche Bild erinnert. Die Bemerkung seiner Putzfrau, eine Vase auf dem Tisch sei beim Staubwischen immer sehr im Wege, führt schließlich zur Eskalation: In blinder Wut ergreift der Maler einen großen Pinsel, taucht ihn in rote Farbe und übermalt damit alles, was von dem ungeliebten Gemälde noch übrig ist. Das zufällige Produkt dieser auf Zerstörung hin angelegten Tat wird daraufhin als modernes Meisterwerk gefeiert: „A little later it hung in the gallery of Young Masters as a Futuristic impression of a Bathing Girl at Paris Plage.“233 Eine Illustration des PunchZeichners Henry Mayo Bateman (1887-1970) zeigt den Maler im Moment seiner zerstörerischen Aktion (Abb. 176): Mit wehendem Haar und wutverzerrtem Gesicht, den überdimensionierten Pinsel wie eine Waffe erhoben, geht er auf das vormals gegenständliche Gemälde los, nicht wissend, dass es erst als abstraktes Zufallsprodukt die Wertschätzung erfahren wird, die ihm als figürliche Darstellung versagt blieb. Die Komik der Geschichte liegt dabei weniger in dem Witz über die Formensprache futuristischer Bilder als in der Schilderung eines Künstlers, der an 230 Bei der von Man Ray praktizierten peinture au pistolet handelt es sich um ein frühes Airbrushverfahren. Die ersten in dieser Technik realisierten Aerografien entstanden 1916. 231 Die ersten Schießbilder entstanden während einer Session am 12.02.1961 in Paris. Vgl. de Saint Phalle, Niki: Peintures, Tirs, Assemblages, Reliefs, 1949-2000, Bd. 1: Catalogue Raisonné, Lausanne u.a. 2001, S. 82 ff. 232 Anonym: The Problem Picture and the Experts, in: Punch, Bd. 165 (08.08.1923), S. 138-139. 233 Ebd., S. 139.

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seiner eigenen ängstlichen Angepasstheit scheitert und erst durch das Einbrechen des Zufalls in seinen Schaffensprozess ein erfolgreiches Werk hervorbringen kann. Was hier vorgeführt wird, ist der Sieg der modernen expressionistischen Geste über die aus dem 19. Jahrhundert stammende Tradition des ‚problem picture‘, die einen nicht mehr zeitgemäßen, auf Narration basierenden Kunstbegriff repräsentierte.234 Die in der Punch-Satire beschriebene Dialektik von unbeherrschter Geste des Künstlers und späterer Würdigung des dabei zufällig entstandenen Werkes ist auch ein wiederkehrendes Muster der deutschen Kunstkarikatur, auf das Bernd Gülker bereits hingewiesen hat.235 Darüber hinaus erinnert Batemans unbeherrschter Künstler an die bekannten Legenden der antiken Maler Protogenes und Nealkes, denen fortuna, der Zufall, bei ihrer Arbeit zu Hilfe gekommen sein soll.236 Anders als in der antiken Künstlerbiografik dient der Zufall hier jedoch nicht der Verwirklichung einer perfekten Mimesis, sondern führt im Gegenteil zur Entstehung eines ungegenständlichen Werks. Abbildung 176: Henry Mayo Bateman: Illustration zu „The Problem Picture and the Experts“. „Aubrey seized a big brush, dipped it in some Crimson Lake and hurled it two or three times at his masterpiece.“

Punch, Bd. 165 (08.08.1923), S. 138 234 Vgl. Fletcher, Pamela M.: Narrating Modernity: The British Problem Picture, 18951914, Aldershot u.a. 2003. 235 B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 67. 236 Plinius XXXV, 103, zit. nach: C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde (um 77), Bd. 5: Metallurgie, Kunstgeschichte, Mineralogie, hg. von Roderich König, Düsseldorf 2008, S. 78 ff und S. 80 f.

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Der Zufallstopos der Karikatur ist eng verbunden mit der Thematik von Fleck und Klecks, die bereits im letzten Abschnitt verhandelt wurde. Den Impressionisten wurde seitens der Kunstkritik sehr häufig der Einsatz von Zufallstechniken nachgesagt − eine Polemik, die auch auf bildsatirischer Ebene ihren Niederschlag fand. So platzierte bereits der von Eugène Tézier 1896 karikierte „Impressioniste Pointilliste“ seine Leinwand mit dem Gesicht zur Straße auf dem Bürgersteig, um die zufälligen Schlammspritzer vorüberfahrender Omnibusse aufzufangen (Abb. 177). Wie die Konfetti werfenden Pointillisten von Henriot (Abb. 172) und Paf (Abb. 174) bezieht auch diese Darstellung ihren Witz aus dem Widerspruch zu der in Wirklichkeit äußerst kontrollierten Pinseltechnik der neo-impressionistischen Maler. Die Karikatur traf keine Aussage über eine tatsächliche Atelierpraxis, sondern ging vom ‚fleckigen‘ Erscheinungsbild der fertigen Werke aus, um den Produktionsprozess satirisch zu rekonstruieren. Abbildung 177: Eugène Tézier: L’Impressioniste Pointilliste. Place, les jours de boue, sa toile au bord du trottoir pour faire éclabousser son tableau par les omnibus.

Le Charivari, 05.03.1896, o. S.

Durch das Aufkommen der Abstraktion und die Durchsetzung gestischer Malweisen in der Kunst des Expressionismus flossen der Karikatur im 20. Jahrhundert neue Impulse zu. Die Frage nach der Entstehung des Kunstwerks wurde angesichts neuer bildgebender Verfahren umso brisanter, und nichts erschien naheliegender, als die Existenz der unverständlich erscheinenden Werke auf amüsante Zufälle zurückzuführen. Die Karikatur tat dies in großem Variantenreichtum, jedoch auf unterschiedlichem Niveau. Zeichnerisch wenig überzeugend erscheint eine anonyme

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Bildergeschichte der Lustigen Blätter, deren Inszenierung eines Atelierunfalls jedoch inhaltlich von Interesse ist (Abb. 178). Abbildung 178: Anonym: Unbegrenzte Kunstmöglichkeiten

Lustige Blätter, Bd. 35 (1920), Nr. 24, o. S.

„Unbegrenzte Kunstmöglichkeiten“ verheißt der ironische Titel der dreiteiligen Folge, die in ihrer Pointe die populäre Vorstellung der Abstraktion als Fleck aufgreift. Dargestellt ist eine Atelierszene mit Maler und weiblicher Muse. Die ebenfalls ins Bild gesetzte Leinwand ist noch gänzlich unbearbeitet, was auf einen Man-

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gel an Inspiration hinweist.237 Im ersten Bild stellt die nur mit einem kurzen Negligé bekleidete junge Frau erschrocken fest, dass sie sich versehentlich auf die Palette gesetzt hat. Der Maler hingegen erkennt sofort das ästhetische Potential des dabei entstandenen Zufallsbildes; der Fleck auf dem Nachthemd wird ausgeschnitten und gerahmt. Durch den Hinweis auf die Berliner Secession als passenden Ort für das zufällig entstandene Kunstwerk wird dieses mit einer bereits etablierten modernen Kunstströmung in Verbindung gebracht, die der bürgerlichen Leserschaft der Lustigen Blätter wohl immer noch suspekt war. Das letzte Bild scheint dafür in die Zukunft zu deuten, denn die Bemerkung der jungen Frau „Weißt du, Hans, ich denke mit Entsetzen daran, was du gemacht hättest, wenn ich mich ohne Hemd auf die Palette gesetzt hätte!“ antizipiert die Möglichkeit des weiblichen Körperabdrucks, wie sie Yves Klein ab 1960 in seinen Anthropometrien erprobte. Abbildung 179: Frank Reynolds: The picture of the year

Punch’s Almanack for 1928, o. S.

Eine Variante dieses Bildeinfalls gestaltete der britische Zeichner Frank Reynolds (1876-1953) 1928 für den Punch (Abb. 179). In 14 Bildern wird hier die Geschichte eines Malers erzählt, den die Arbeit an einem Landschaftsgemälde fast zur Verzweiflung treibt. Resigniert lässt sich der Künstler im fünften Bild auf einen Hocker fallen und übersieht dabei die dort abgelegte Palette, die einen fleckigen Abdruck

237 Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 65.

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auf seinem weißen Kittel hinterlässt. Eine junge, modern gekleidete Atelierbesucherin lehnt das Bild auf der Staffelei gleichfalls ab, gerät stattdessen aber in Begeisterung über den abstrakten Fleck auf der Rückseite des Malkittels. Gerahmt und ausgestellt macht das durch ein Missgeschick entstandene Bild als „Picture of the Year“ Furore. Trat der Maler in den bisherigen Beispielen zumindest noch pro forma als Produzent der abstrakten Zufallsbilder auf, so führt eine Karikatur von Robert StormPetersen eine Variante vor, die gänzlich ohne Beteiligung des Künstlers auskommt (Abb. 180): Allein durch das Umstoßen einer Sauciere verwandelt sich ein weißes Tischtuch in ein abstraktes Bild, wobei die zufällig entstandene Form der Silhouette eines missgestalteten Tieres ähnelt. Die Karikatur griff mit dem Topos der ‚Fleckenkunst‘ nicht nur die Abstraktion an, sondern bezog sich auch auf Deformation und Verfremdung als formgebende Prinzipien der modernen Kunst. Der Vergleich des Flecks mit expressionistischen Bildern erscheint dabei wenig überzeugend; viel eher erinnert seine organische Form an Bilder aus dem abstrakten Spätwerk von Hans Arp (Abb. 181), der bereits in seiner Züricher Dada-Zeit um 1916/17 den Zufall als Gestaltungsprinzip einsetzte. Hans Richter schilderte die Entdeckung des Zufalls durch Arp rückblickend als Anekdote, die an die antike Legende von Protogenes’ Zufallsschöpfung erinnert: „Arp hatte lange in seinem Atelier am Zeltweg an einer Zeichnung gearbeitet. Unbefriedigt zerriß er schließlich das Blatt und ließ die Fetzen auf den Boden flattern. Als sein Blick nach einiger Zeit zufällig wieder auf diese auf dem Boden liegenden Fetzen fiel, überraschte ihn ihre Anordnung. Sie besaß einen Ausdruck, den er die ganze Zeit vorher vergebens gesucht hatte. [...] Was ihm mit aller Anstrengung vorher nicht gelungen war, hatte der Zufall, die Bewegung der Hand und die Bewegung der flatternden Fetzen, bewirkt, nämlich Ausdruck.“238

In den 1910er und -20er Jahren schuf der Künstler in dieser Technik eine ganze Serie von Collagen mit dem programmatischen Titel Selon les lois du hasard. Richter zufolge wurde der Zufall daraufhin zum Markenzeichen der Dadaisten. Die Geschichte seiner künstlerischen Entdeckung inszenierte der Autor demzufolge als eine Art Gründungsmythos und übertrug dabei den antiken Topos in die Moderne.239 238 Richter, Hans: Dada − Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln 1964, S. 52. 239 Rudolf Suter weist auf den legendenhaften Charakter der Anekdote hin, die in der Sekundärliteratur meist als historische Tatsache zitiert wird. Suter zufolge handelt es sich dabei um eine nachträgliche Konstruktion Richters, die jedoch Aufschluss über die Bedeutung des Zufalls für die Kunstauffassung der Dadaisten gibt. Vgl. Suter, Rudolf: Hans Arp. Weltbild und Kunstauffassung im Spätwerk, Bern 2007, S. 286 ff.

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Abbildung 180: Robert Storm-Petersen: Jacke wie Hose. „Sieh mal an, du hast dir ein expressionistisches Bild gekauft?“ – „Unsinn, ich hab’ bloß die Sauciere umgestoßen.“

Lustige Blätter, Bd. 46 (1931), Nr. 13, S. 13

Abbildung 181: Hans Arp: Non loin du soleil, de la lune et des étoiles, um 1962-63 , Farblithografie, Ed. 61/100 74,3 x 54,6 cm, Collection AlbrightKnox Art Gallery, Buffallo, NY, Gift of Frederic P. Norton, 1999

© 2015 Artists Rights Society (ARS) und VG Bild-Kunst, Foto: Tom Loonan

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Anders als bei Plinius half der Zufall im 20. Jahrhundert jedoch nicht mehr bei der Erzeugung einer perfekten Illusion von Gegenständlichkeit, sondern stellte sich in den Dienst abstrakter Bildschöpfungen. Ausdruck, nicht Mimesis, war das Ziel des modernen Künstlers, zu dessen Verwirklichung der Zufall einen willkommenen Beitrag leistete. Die ästhetischen Potentiale des Zufalls wurden nicht erst in der Moderne entdeckt. Schon in der Renaissance wurden natürlich entstandene Zufallsbilder, etwa in geädertem Marmor, hoch geschätzt240 und auch der Topos vom ‚hilfreichen Zufall‘, der fortuna, war in der zeitgenössischen Kunstanschauung fest verankert.241 In seinem vor 1435 niedergeschriebenen Traktat De Statua führte Leon Battista Alberti sogar die Entstehung der Bildhauerkunst auf zufällige Formationen an Baumstümpfen, Erdschollen oder anderen natürlichen Objekten zurück, „die − schon bei ganz geringer Veränderung − etwas andeuteten, was einer tatsächlichen Erscheinung in der Natur überaus ähnlich sah“.242 Leonardo da Vinci empfahl 1492 in seinem Trattato della Pittura das Studium von nassen Flecken, Wolkenformationen und anderen Zufallsgebilden, um die Fantasie des Künstlers anzuregen und verschaffte dem Zufall so einen festen Platz in der frühneuzeitlichen Kunsttheo rie.243 Seine Anregung wurde unter anderem von Piero di Cosimo aufgenommen, von dem Vasari berichtet, er habe sich von Wolkengebilden inspirieren lassen und sei bisweilen sogar stehen geblieben, „um eine Wand zu betrachten, auf die Kranke gespien hatten“.244 Botticelli schließlich soll, in einer Abwandlung der ProtogenesLegende, gesagt haben, dass auch beim Werfen eines farbgetränkten Schwammes auf eine weiße Wand das Bild einer Landschaft entstehen könne.245 Bereits im 15. Jahrhundert wurden dem Zufall also ästhetische Potentiale zugesprochen, die nur noch einer künstlerischen Ausgestaltung bedurften. Der Zufall war Inspiration; er 240 Die sogenannten Pietre dure, geschliffene Steine, deren Maserung an Landschaften, Figuren oder Architekturen erinnerte, waren ein begehrtes Sammelobjekt. Zahlreiche Beispiele verwahrt das Museo dell’Opificio delle Pietre Dure in Florenz. 241 Vgl. Janson, Horst Woldemar: „The ‚Image Made by Chance‘ in Renaissance Thought“, in: Meiss, Millard (Hg.): Essays in Honor of Erwin Panofsky (De Artibus Opuscula XL), New York 1961, S. 254-266; Janecke, Christian: Kunst und Zufall. Analyse und Bedeutung, Nürnberg 1995. 242 Alberti, Leon Battista: „De Statua − Das Standbild“ (vor 1435), in: Ders.: Das Standbild − Die Malkunst − Grundagen der Malerei, hg. von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin, Darmstadt 2000, S. 142-181, hier S. 143. 243 da Vinci, Lionardo: Libro di Pittura II, S. 66. Dt. Ausgabe: Das Buch von der Malerei. Nach dem Codex Vaticanus 1270, hg. von Heinrich Ludwig, Bd. 1, Wien 1882, S. 124 f. 244 Vasari IV, 134, zit. Nach: E. Kris/O. Kurz: Die Legende vom Künstler, S. 72. 245 Vgl. H. W. Janson: The ‚Image Made by Chance‘, S. 262.

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konnte einen Schaffensprozess initiieren oder sogar, wie in der antiken ProtogenesLegende, zum Gelingen eines Kunstwerks beitragen. Die Leistung des Künstlers bestand wesentlich darin, die Ästhetik des Zufalls zu erkennen und sein Wirken als glückliche Fügung zuzulassen. Auch in den bisher betrachteten Karikaturen wurde das zufällig entstandene Kunstwerk stets erst nachträglich als solches erkannt; zu seiner Entstehung trug der Künstler nicht oder nur indirekt bei. Für ein Publikum, das es gewohnt war, an einem Kunstwerk auch die handwerkliche Virtuosität, den Zeitaufwand und die damit verbundene Mühe zu würdigen, musste schon dies eine Provokation darstellen. Noch größer war die Entrüstung, wenn der Zufall vom Künstler mit Absicht herbeigeführt und so gleichsam als Technik eingesetzt wurde. Zahlreiche Karikaturen des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich mit Zufallstechniken dieser Art und zeigen Künstler, die den Prozess der Werkschöpfung absichtlich dem Zufall überlassen. Bildwitze zu diesem Thema ermöglichten es den Karikaturisten, die Herstellung moderner Kunst als unseriös darzustellen, ohne sich mit der Formensprache der Moderne zeichnerisch auseinandersetzen zu müssen. Diese wurde, wie Gülker richtig beobachtet, in vielen Beispielen einfach zitierend übernommen oder sogar ganz ausgespart.246 Außerdem bezog sich die Karikatur weniger auf die von Dadaisten und Surrealisten tatsächlich praktizierten Zufallstechniken als auf ältere Motive wie beispielsweise den Topos des Farbwurfs. Abbildung 182: Karl Schiedermair: Technik von morgen „Warum die Kelle? Primitiv-origineller ist’s, wenn Sie’s hinüberspucken.“

Jugend, Bd. 24 (1919), Nr. 23, S. 485 246 Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 62 ff. Dort finden sich auch weitere Beispiele, die diesen Befund belegen.

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Als „Technik von morgen“ präsentierte der Karikaturist Karl Schiedermair (1901-?) das Werfen von Farbe in einer 1919 publizierten Karikatur der Zeitschrift Jugend (Abb. 182). Dargestellt ist ein Maler im Atelier, der einen Klumpen Farbe auf die vor ihm aufgebaute Leinwand schleudert. Die Figur des Künstlers ist in äußerster Bewegtheit gezeichnet; sogar die Schöße des weißen Arbeitskittels scheinen durch die Wucht der Bewegung nach hinten zu fliegen. Während die Flugbahn des Farbklumpens noch als Bewegungslinie sichtbar ist, bildet dieser auf der Leinwand bereits einen dunklen Fleck. Mit der Kelle, die der Maler als Wurfinstrument benutzt, und dem Eimer, der am unteren Bildrand zu sehen ist, sind zwei Attribute ins Bild gesetzt, welche die Karikatur als Auseinandersetzung mit der Praxis der Messermalerei ausweisen. Die Kontrolle über den detaillierten Farbauftrag ist in dieser Technik geringer als bei der traditionellen Malerei mit dem Pinsel, so dass der Zufall im Malprozess tatsächlich eine gewisse Rolle spielt. Die übertreibende Darstellung der Karikatur sieht die Messermalerei als reine Zufallstechnik und spricht ihr so jede bewusste Gestaltungsleistung ab. Deshalb zeigt die Leinwand des Malers auch nur einige abstrakte Farbansammlungen, die keine Künstlerintention erkennen lassen. Die Bildunterschrift beschreibt das gezeigte Verfahren als zukünftiges und bringt es mit zwei Eigenschaften in Verbindung, die in der modernen Kunst, besonders im Expressionismus, um 1920 hoch geschätzt wurden: Primitivität und Originalität. Beide galten als Markenzeichen einer progressiven Kunstauffassung, die im Bild des Farbwurfs ad absurdum geführt werden sollte. Der ironische Vorschlag des Atelierbesuchers, die Farbe künftig auf die Leinwand zu spucken, lässt die Kelle als anachronistisches Werkzeug und die Wurftechnik als bereits veraltetes Verfahren erscheinen. Als Witz über den Expressionismus, dessen Vertreter ihr Inneres nach außen kehren, also gleichsam ‚ausspucken‘ sollten, hatte die Karikatur Teil an der Diskussion über die Legitimität einer Kunst, die wesentlich als Selbstentäußerung des Künstlers ihre Bedeutung entfaltete. Sie reflektierte, was Kurt Schwitters erst 1925 festhielt: „Alles, was ein Künstler spuckt, ist Kunst.“247 Abgesehen davon lässt sich der Begleittext der Karikatur auch als Kommentar zu einer Vorstellung von Kunst als ‚Auswurf‘ interpretieren, der vor allem in der Bewertung gegenstandsloser Werke häufig anklang.248 Der französische Schriftsteller Michel Leiris verfasste 1929 einen Beitrag für die surrealistische Zeitschrift Documents, in dem er le crachat, den Auswurf oder die Spucke, zum „Symbol des Unförmigen“ erklärte und mit abstrakten Gestaltungen der Kunst in Verbindung brachte.249 Der Topos ist 247 Schwitters, Kurt: „Merz“, in: Lissitzky, El/Arp, Hans (Hg.): Die Kunstismen, Erlenbach-Zürich u.a.1925, S. XI. 248 Vgl. M. Wagner: Das Material der Kunst, S. 40 f. 249 „Le crachat est enfin, par son inconsistence, ses contours indéfinis, l’imprécision relattive de sa couleur, son humidité, le symbole même de l’ informe [...].“ Leiris, Michel: „Crachat“, in: Documents, Bd. 1 (1929), Nr. 7, S. 381-382, hier S. 382.

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noch heute virulent, denn eine aktuelle Karikatur von Til Mette (geb. 1956) greift eben diesen Gedanken wieder auf (Abb. 183). Während sich Piero di Cosimo von gespuckten Zufallsformen inspirieren ließ, scheint nun also die Kunst selbst dem Auswurf zu ähneln. Abbildung 183: Til Mette: Gesundheit

© Til Mette

Mit der Armory Show von 1913 kam die abstrakte Moderne auch in die USA, wo sie umgehend ein karikaturstisches Echo erzeugte. Ein besonders interessanter Beitrag zum Themenkreis der Zufallstechniken, der zudem eine zeichnerische Auseinandersetzung mit den Formgebungen der modernen Kunst erkennen lässt, findet sich im Medium des Comics. Der Zeichner M. T. „Penny“ Ross (1881-1937) widmete 1916 eine Episode seines populären Zeitungs-Strips Mamma’s Angel Child der modernen Kunst und ließ seine kindliche Protagonistin in die abstrakten Bildwelten eines zeitgenössischen Malers eintauchen (Abb. 184).250 Dort erlebt die kleine Esther einen „kubistischen Albtraum“: Von einem Farbregen mit diagonalen Streifen versehen, soll sie einem abstrakten Maler Modell stehen, der sie vollständig mit Farbe übergießt. „Monsieur Paul Vincent Cezanne Van Gogen Ganguin [sic!]“, wie der Künstler im Untertitel der Episode vorgestellt wird, erklärt seine Maltechnik wie folgt: „My Method of Painting Is to Blindfold Myself So That I

250 Die Konfrontation von bürgerlicher Lebenswelt und moderner Kunst, in der hier die Pointe liegt, wurde später auch von anderen amerikanischen Comiczeichnern aufgegriffen, u.a. von Cliff Sterrett in Polly and Her Pals.

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Can’t See My Subject and Then Cast My Colors Gracefully on the Canvas without the Use of Brushes.“251

Abbildung 184: M. T. „Penny“ Ross: Mamma’s Angel Child Has A Cubist Nightmare in the Studio of Monsieur Paul Vincent Cezanne Van Gogen Ganguin, 1916

Zit. nach: Ausst.-Kat. Mit Pikasso macht man Kasso (1990), S. 112

Auch hier wird der Farbwurf als Zufallstechnik vorgeführt, deren chaotischer Effekt durch das Verbinden der Augen verstärkt wird. Da der Maler beim Werfen die Leinwand verfehlt, ist das Ergebnis eine abstrakte Farborgie, die nur durch die Kadrierung der Comicpanels im Zaum gehalten wird. Die letzten beiden Panels sind mit abstrakten tropfen- und wellenförmigen Farbmustern ausgefüllt, in denen die Figur 251 M. T. „Penny“ Ross: Mamma’s Angel Child Has A Cubist Nightmare in the Studio of Monsieur Paul Vincent Cezanne Van Gogen Ganguin, 1916, zit. nach: Ausst.-Kat. Mit Pikasso macht man Kasso (1990), S. 112.

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der Protagonistin beinahe verschwindet. Während die Gegenstände im „Cubist Land“ (Panel 4 und 5) noch geometrisch-prismatische Formzergliederungen zeigen, bildet die „befreite“ Farbe im vorletzten Panel eine amorphe, alles verschlingende Struktur, die schon auf informelle Tendenzen der Malerei vorauszuweisen scheint. Das bedrohliche Potential einer von ihrer Abbildfunktion befreiten, den Zufall als Gestaltungsprinzip einsetzenden Kunst wird hier besonders prägnant auf den Punkt gebracht. Gleichzeitig schafft das Motiv des Traums eine Verbindung zum Unterbewussten, das mit der modernen Vorstellung einer automatisch ablaufenden, vom Zufall getragenen Kunstproduktion aufs Engste verknüpft ist. Rudolf Arnheim zufolge wurde das Unbewusste des Traums in der Kunst der Moderne als „Schatzkammer“ gesehen, in der intuitive Fähigkeiten und schöpferische Potentiale verborgen liegen sollten.252 Diese romantische Auffassung der Psychoanalyse zeigte sich besonders bei den Surrealisten, die den unterhalb der Bewusstseinsschwelle ablaufenden, scheinbar zufälligen Traumbildern eine hohe Bedeutung beimaßen. Gemäß der Definition von André Breton verstanden sie den Surrealismus als „reinen, psychischen Automatismus“253 und den Zufall als eine Technik, sich im Schaffensprozess von jeder Selbstkontrolle durch Vernunft oder ästhetische Normen zu befreien. Die Satire stellte künstlerische Zufallstechniken oft in Form von illustrierten ‚Anleitungen‘ zur Kunstproduktion dar. Gemäß dem populären Vorurteil, dass zur Herstellung ungegenständlicher Kunstwerke keine besonderen Fertigkeiten nötig seien, richteten sich diese Texte in der Formulierung meist an künstlerische Laien. Diese sollten durch die beschriebenen Methoden in die Lage versetzt werden, am angeblichen Ruhm und Wohlstand der Künstler zu partizipieren. Parodien dieser Art begegnen dabei auch schon vor dem Aufkommen der künstlerischen Abstraktion, etwa im Zusammenhang mit den Secessionsbewegungen um 1900. Wie komme ich in fünf Tagen in die Kantstraße lautet der Untertitel eines satirischen Textes aus dem Jahr 1902, der auf die seit 1899 in der Kantstraße 12 ansässige Berliner Secession anspielt. Um dort Aufnahme zu finden empfahl der anonyme Autor dem Leser in der vierten Lektion: „Man schütte den Inhalt der zehn Eimer zusammen, tauche ein Leintuch hinein und lasse dasselbe 24 Stunden drin liegen. Nach Ablauf derselben erscheint ein Kolossalgemälde, das den 1. Preis erhält.“254 Ein Vergleich der um 1902 in der Kantstraße ausgestellten Werke von Max Liebermann, Walter Leistikow und Lovis Corinth mit abstrakten Zufallsbildern er252 Arnheim, Rudolf: „Der Zufall und die Notwendigkeit der Kunst“ (1957), in: Ders.: Zur Psychologie der Kunst (1966), Köln 1977, S. 124-145, hier S. 140 f. 253 Breton, André: Manifest des Surrealismus, 1924, zit. nach: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, S. 548. 254 Anonym: „Die neue Kunst, oder: Wie komme ich in fünf Tagen in die Kantstraße“, in: Wulff, Leo (Hg.): Der Drehwurm im Ueberbrettl. Der Insel der Blödsinnigen anderer Theil, Berlin 1902, S. 74-75, hier S. 75.

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scheint aus heutiger Perspektive zwar kaum noch nachvollziehbar. Für zeitgenössische Betrachter lag die Verbindung jedoch auf der Hand, wurde die impressionistische Pinselschrift und das Fehlen fester Konturen doch gemeinhin als Formlosigkeit wahrgenommen. Dem Formlosen aber haftete, wie gezeigt wurde, schon immer der Beigeschmack des Zufälligen an. Das Motiv der Landschaft, das von den Secessionsmalern sehr häufig gestaltet wurde, bot sich für diese Polemik besonders an, da das Chaotische und Zufällige der Natur hier mit analogen Gestaltungsprinzipien der Kunst zusammenzufallen schien. Die Verbindung von Landschaftsmalerei und absichtlich herbeigeführtem Zufall besaß um 1900 bereits eine längere Tradition. Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte der englische Landschaftsmaler und Kunsterzieher Alexander Cozens (1717-1786)255 eine Methode zur Komposition von Landschaftsgemälden, bei der zufällige Flecken (blots) als Ausgangsmaterial für den Entwurf benutzt wurden. 1785 publizierte Cozens eine reich illustrierte Anleitung zu der von ihm entwickelten Technik mit dem Titel A New Method of Assisting the Invention in Drawing Original Compositions of Landscape, in der er die Bedeutung des Zufalls (chance) für den Kompositionsprozess betonte. Im Unterschied zu Leonardo und der Kunsttheorie der Renaissance, auf die Cozens ausdrücklich rekurrierte, stellte der Maler die blots in seiner Methode selbst her; durch spezielle Techniken wie das vorherige Zusammenknüllen und wieder Glattstreichen des Blattes, sollte die Entstehung einer unregelmäßigen Zufallsstruktur begünstigt werden.256 Diese bildete das Grundgerüst der Komposition, das später nur noch zur vollständigen Landschaftsskizze ergänzt werden musste. Als Anschauungsmaterial für seine New Method publizierte Cozens insgesamt 18 ‚naturbelassene‘ blots, denen er offensichtlich einen ästhetischen Eigenwert beimaß. Dafür spricht die aufwendige Aquatinta-Mischtechnik, die zur Reproduktion der Blätter benutzt wurde, um die Struktur des Pinselstrichs im Druck sichtbar werden zu lassen (Abb. 185).257

255 Cozens gilt als einer der Begründer der englischen Landschaftsmalerei. Er war außerdem Zeichenlehrer und verfasste sechs Traktate für angehende Zeichner, die in erster Linie für seine Schüler gedacht waren. Vgl. R. Rosenberg: Zufall und Abstraktion, S. 72 ff. sowie F. Weltzien: Fleck, S. 162 f. 256 Vgl. R. Rosenberg: Zufall und Abstraktion, S. 73. 257 Ebd., S. 74, 84.

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Abbildung 185: Alexander Cozens: ‚Blot‘ Landscape für „A new Method of Assisting the Invention in Drawing Original Compositions of Landscape, Tafel 9, 1785, Tate Gallery, London

© Tate, London 2015

Eine weitere ästhetische Steigerung erfuhr der zufällig erzeugte Klecks im 19. Jahrhundert durch das Verfahren der Klecksografie, das spiegelsymmetrische Zufallsgebilde hervorbringt: Farbe wird auf einem Blatt Papier verteilt, das Blatt wird mittig gefaltete, kurz angedrückt und wieder geöffnet. Die dabei entstandene abstrakte Form kann durch nachträgliche Einzeichnungen eine figürliche Deutung erhalten. Viele Klecksografien blieben jedoch ohne piktoriale Ergänzungen und sind daher für verschiedene Interpretationen offen − ein Potential, das sich die Psychodiagnostik seit den 1920er Jahren mit dem bekannten Rorschachtest zunutze macht.258 Erstmals populär wurde das Verfahren der Klecksografie durch die Arbeiten des deutschen Arztes und Dichters Justinus Kerner (1786-1862), der vor 1844 mit der Produktion von Klecksografien begann und 1857 den ersten Text darüber verfasste.259 Von Kerner sind zahlreiche Klecksografien überliefert, sowohl mit als auch ohne Einzeichnungen, die darauf hindeuten, dass der Künstler das Verfahren regel-

258 Vgl. Rorschach, Hermann: Psychodiagnostik. Methodik und Ergebnisse eines wahrnehmungsdiagnostischen Experiments (Deutenlassen von Zufallsformen), Bern 1921. 259 Auch der heute gebräuchliche Name „Klecksografie“ ist auf Kerner zurückzuführen. Zu Kerners Klecksografien vgl. F. Weltzien: Fleck; R. Rosenberg: Zufall und Abstraktion, S. 86 ff.

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mäßig praktizierte und auch humoristische Wirkungen damit verband (Abb. 186). Die Klecksografie wurde im 19. Jahrhundert von vielen Künstlern und Literaten, darunter William Turner, Victor Hugo und George Sand, offenbar unabhängig voneinander praktiziert und die Ergebnisse in Alben gesammelt. Auch der Berliner Historienmaler Wilhelm von Kaulbach schuf zwischen 1847 und 1850 gemeinsam mit seinen Assistenten Michael Echter und Julius Muhr zahlreiche „Klexbilder“, die auf der Grundlage bizarr geformter brauner Flecken bizarre Figuren und Szenen darstellen.260 Eine Auswahl dieser Zufallsbilder wurde 1880 in einer Mappe mit dem Titel Kaffeeklexbilder publiziert.261 Abbildung 186: Justinus Kerner: Graf Wilhelm von Urach, o. J., Klecksografie und Feder auf Papier, 32,8 x 27 cm, Deutsches Literaturarchiv Marbach

© DLA-Marbach

Die Vorstellung, der Zufall habe einen Anteil am künstlerischen Schaffensprozess, ist also nicht nur ein alter und weit verbreiteter Topos der Künstlerbiografik. Seit 260 Vgl. F. Weltzien: Fleck, S. 169 f. sowie R. Rosenberg: Zufall und Abstraktion, S. 97 ff. 261 Ob den Künstlern tatsächlich Kaffeekleckse als Ausgangsmaterial dienten, ist fraglich. Vgl. R. Rosenberg: Zufall und Abstraktion, S. 97.

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dem 18. Jahrhundert wurden zufällige Strukturen auch bewusst erzeugt, um der künstlerischen Inspiration auf die Sprünge zu helfen. Ein besonders prominentes Beispiel ist William Turner, der dem Zufall vor allem in seinen Aquarellen viel Raum ließ und Rosenberg zufolge mindestens drei unterschiedliche Zufallstechniken anwandte, nämlich „das Sprenkeln von Farbe, das Verlaufen nasser Farbe auf nassem Papier sowie die Klecksografie“.262 Rosenberg erwähntaußerdem eine Anekdote, nach der Turner drei Kinder gebeten haben soll, ihre Finger in Aquarellfarbe zu tauchen und auf einem leeren Blatt zu bewegen. Die dabei entstandenen Flecken habe der Maler zu einer Landschaft ergänzt.263 Weitaus stärker als die Secessionisten und die Maler des 19. Jahrhunderts waren seit den 1950er Jahren die Vertreter der informellen Malerei vom Verdikt des Zufälligen betroffen; vor allem die amerikanischen Action Painters standen im Verdacht, die Produktion ihrer Werke vollständig dem Zufall zu überlassen. Aus satirischer Sicht bestand ihre Tätigkeit nur noch darin, die chaotischen Zufallsprozesse in Gang zu setzen, unter deren Einfluss der Vorgang der Werkschöpfung gleichsam von selbst ablief. So zeigt eine Karikatur des deutschen Karikaturisten Percy (eigtl. Wilfried Gründler, geb. 1927), entstanden in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, eine ebenso simple wie effektive Anordnung zur Herstellung abstrakter Splashings, die den expressiven Malakt in einen automatisierten Vorgang überführt (Abb. 187). Abbildung 187: Percy: Ohne Worte, um 1957, Tusche auf Zeichenkarton, 23 x 23 cm, Archiv des Künstlers

© Wilfried Gründler 262 R. Rosenberg: Zufall und Abstraktion, S. 125. 263 Ebd.

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Das Genre der satirischen Anleitung bot den Rahmen für die bereits erwähnte Publikation Wie malt man abstrakt?, die 1958, also in der Hochzeit des Abstrakten Expressionismus, erschien. Das Büchlein bietet eine „leichtfassliche Anleitung“ zur Herstellung abstrakter Gemälde und ist den Autoren zufolge für jeden geeignet, „der über Nacht berühmt werden will“.264 Der als „Methode Sailer/Mose“ angepriesene satirische Lehrgang umfasst knapp dreißig unterschiedliche Techniken, die jeweils auf einer Doppelseite in Text und Bild vorgestellt werden. Dabei reicht das Spektrum vom „Pedalismus“, bei dem die Farbe mit Hilfe eines Einrades auf der am Boden liegenden Leinwand verteilt wird (Abb. 188), bis hin zum „inversierten Pistolismus“, bei dem der Maler die Farbe kopfüber mit einer Spritzdüse aufträgt. Darüber hinaus werden zahlreiche Verfahren aufgegriffen und variiert, die in ähnlicher Form schon in älteren Karikaturen begegneten, so zum Beispiel das Auffangen von Schlammspritzern am Straßenrand im „Auto-Projektionismus“, der Körperabdruck im „Culismus“ oder das Malen mit verbundenen Augen in der sogenannten „Chapeau-Peinture“. Als eine fantasievolle Variante des Farbwurfs wird der „Claquismus“ präsentiert, der das „Heraushämmern“ der Farbe aus geöffneten Tuben vorsieht (Abb. 189). Bei allen dargestellten Methoden handelt es sich um Zufallstechniken. Die Publikation trug so dazu bei, die Verbindung von Zufall und abstrakter Kunst zu zementieren. Abbildung 188: Mose: Pedalismus

A. Sailer/M. Depont: Wie malt man abstrakt?, o. S. 264 A. Sailer/M. Depont: Wie malt man abstrakt, o. S.

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Abbildung 189: Mose: Claquismus

A. Sailer/M. Depont: Wie malt man abstrakt?, o. S.

Abbildung 190: Mose: Pietonismus

A. Sailer/M. Depont: Wie malt man abstrakt?, o. S.

Obwohl die abstrakte Malerei hier variantenreich parodiert wird, wäre es falsch, dem Büchlein im Ganzen einen kunstfeindlichen Ansatz zu unterstellen. Denn die

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amüsanten Illustrationen von Mose zeigen deutlich eine Auseinandersetzung mit tachistischen Texturen und den Gestaltungsmitteln informeller Malerei: Allein die Darstellung der Straßenoberfläche in der Illustration des „Pietonismus“ (Abb. 190) zeigt ein komplexes, mehrlagiges Muster aus Kratzspuren, Fingerabdrücken und Farbflecken, deren Binnenstruktur auf einen Farbauftrag mit dem Schwamm hinweist. Analog dazu spiegeln Sailers Texte eine innige Vertrautheit mit dem Vokabular und den Argumentationsmustern zeitgenössischer Kunstkritik, die er virtuos demontiert und als nobiliterende Rhetorik entlarvt. Die Publikation hat somit Teil an einer zeitgenössischen Debatte über die Ubiquität abstrakter Malerei, die gegen Ende der 1950er Jahre nicht nur die Kunstwelt dominierte, sondern in Form von Kleiderstoffen, Vorhängen und Teppichmustern auch Eingang in die Alltagskultur gefunden hatte und so für jedermann konsumierbar geworden war. Da der Zufall auch in den empirischen Werkprozessen der Action Painters eine gewichtige Rolle spielte, erschienen die Grenzen zwischen professioneller künstlerischer Arbeit und der Produktion von Laienkünstlern zunehmend durchlässig. Pollocks wiederholte Aussage, er könne den Fluss der Farbe in jeder Phase des Malaktes kontrollieren und schaffe somit eben keine Zufallsbilder, tat dieser Wahrnehmung offenbar keinen Abbruch.265 Den beim Laienpublikum verbreiteten Ausspruch „Das kann ich auch!“ dachten Sailer/Mose konsequent zu Ende und entwickelten eine satirische „Methode“ aus anspruchslosen Zufallstechniken, die den mit ideologischen Konzepten geradezu überfrachteten Abstrakten Expressionismus in den profanen Bereich des Do It Yourself überführten. Was in Karikaturen über den Zusammenhang von Kunst und Zufall suspendiert wird, ist die Idee künstlerischer Virtuosität. Komisch wird es dann, wenn der in Zufallstechniken arbeitende Künstler dieser Idee selbst noch anhängt und dies auch habituell zum Ausdruck bringt. Der US-amerikanische Cartoonist Everett Opie (1930-2004) griff das Motiv des Farbwurfs 1960 auf und karikierte die Entstehung eines abstrakten Gemäldes durch eine einzige schwungvolle Wurfbewegung (Abb. 191). Überraschend in dieser Bildsequenz ist jedoch nicht das Werfen von Farbe, das um 1960 längst zum Repertoire tatsächlich praktizierter malerischer Techniken gehörte. Die Figur des Malers ist es, die der Karikatur ihren Witz verleiht, denn sie wird durch Baskenmütze und Streifenhemd zur lächerlichen Inkarnation einer im Grunde bereits überholten Idee modernen Künstlertums: Die Baskenmütze ist seit dem späten 19. Jahrhundert Teil einer Ikonographie des modernen Malers, und das gestreifte bretonische Fischerhemd avancierte durch Pablo Picasso zur „Uniform“ 265 „I can control the flow of paint: there is no accident. [Hervorhebung im Original, d. A.]“ Die Äußerung stammt aus dem 1951 gedrehten Dokumentarfilm über Jackson Pollock von Hans Namuth und Paul Falkenberg, zit. nach: Varnedoe, Kirk (Hg.): Jackson Pollock. Interviews, Articles and Reviews. The Museum of Modern Art New York 1999, S 138.

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des Avantgardisten. Der von Opie karikierte Künstler verkörpert so das anachronistische Klischee einer bereits klassisch gewordenen Moderne, der er selbst noch anzuhängen scheint. Selbst das von ihm angewandte Verfahren besaß um 1960 kaum noch provokatives Potential, sondern war im Grunde so konventionell wie die Aufmachung des Künstlers. Was der Zeichner hier trickreich vorführte, ist somit das ‚Klassischwerden‘ einer einstmals provokanten Geste. Abbildung 191: Everett Opie: o. T. The New Yorker, 31.12.1960, S. 29

© Everett Opie / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Obwohl Zufallstechniken durch Action Painting und die Arbeit von Künstlern wie Yves Klein, Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle rasch Eingang in den Kanon allgemein akzeptierter künstlerischer Verfahrensweisen fanden, blieb der Zufall suspekt. Sein anarchischer Charakter lässt sich niemals ganz ausschalten. Das macht ihn auch für Künstler zum letztlich unkalkulierbaren Risiko, zumal sein Einsatz nicht grundsätzlich Abstraktion zur Folge hat. Den nur scheinbar kausalen Zusammenhang von Zufall und Abstraktion thematisiert eine dreiteilige Bilderfolge von Warren Miller (geb. 1936) (Abb. 192). Sie zeigt einen Maler, der beim Farbwurf unabsichtlich eine realistische Darstellung erzielt, die noch dazu als kunsthistorisches Zitat daherkommt. Was als abstraktes Splashing angelegt wurde, ergibt auf der Leinwand eine mehr oder weniger exakte

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Reproduktion von James McNeill Whistlers berühmtem Porträt der Mutter266. Die dargestellte Koinzidenz überrascht ob ihrer Unwahrscheinlichkeit; doch streng genommen ist bei dem abgebildeten Verfahren eine zufällige Reproduktion der Mutter als Ergebnis ebenso wahrscheinlich wie die Reproduktion eines Pollock-Drippings oder die Entstehung jedes beliebigen anderen Kleckses.267 Zwar ist die Anzahl möglicher Figuren sehr viel kleiner als die Anzahl möglicher abstrakter Kleckse, weshalb ein gegenständliches Ergebnis bei dieser Methode stets überraschen muss. Der Cartoon zeigt jedoch, dass Zufallstechniken nicht automatisch ein abstraktes Ergebnis hervorbringen und stellt dadurch den von Künstlern wie Karikaturisten gleichermaßen affirmierten Zusammenhang zwischen Zufall und Abstraktion in Frage. Abbildung 192: Warren Miller: o. T. The New Yorker, 16.09.1961

© Warren Miller / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

266 James Abbott McNeill Whistler: Arrangement in Grey and Black: The Artist’s Mother, 1871, Öl auf Leinwand, 144,3 x 162,4, Musée d’Orsay, Paris. 267 Vgl. Gombrich, Ernst H.: Ornament und Kunst. Schmucktrieb und Ordnungssinn in der Psychologie des dekorativen Schaffens, Stuttgart 1982, S. 121.

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Durch den Verweis auf James McNeill Whistler zitiert Millers Karikatur eine Debatte des 19. Jahrhunderts, die als symptomatisch für die Tendenz der Kunstkritik gelten kann, die fehlende Übereinstimmung von Bildgegenstand und Naturvorbild durch einen zufallsgeleiteten Schaffensakt zu erklären. Der Disput zwischen Künstler und Kunstkritiker, der 1878 in London in einen Gerichtsprozess mündete, entzündete sich an einem Werk Whistlers; allerdings nicht an seiner Mutter, sondern an einem drei Jahre später entstandenen tonalistischen Gemälde mit dem Titel Nocturne in Schwarz und Gold: Die fallende Rakete (Abb. 193). Der Kunstkritiker John Ruskin hatte sich 1877 in einer Rezension despektierlich über das in der Londoner Grosvenor-Galerie ausgestellte Gemälde geäußert und wurde daraufhin von Whistler verklagt. Whistler verarbeitete den folgenden Gerichtsprozess und das daraus resultierende Presseecho in einem Buch mit dem Titel The gentle art of making enemies, das 1890 in London erstmals erschien.268 Ruskins strittige Äußerung ist dem Buch als Prolog vorangestellt: „In Herrn Whistlers eigenem Interesse, noch mehr zum Schutze der Käufer, hätte Sir Coutts Lindsay nicht Bilder zur Ausstellung zulassen dürfen, in denen die ungebildete Eitelkeit des Künstlers beinahe zum absichtlichen Betruge ausartet. Ich habe schon genug GassenjungenFrechheit erlebt, trotzdem aber hätte ich nicht gedacht, dass ein Hanswurst es wagen würde, für einen Topf Farbe, den er dem Publikum ins Gesicht schleudert, 200 Guineen zu fordern.“

269

Aus Whistlers Prozessbericht wissen wir, dass das Missverhältnis zwischen dem handwerklichen Aufwand – Whistler gab an, das Gemälde an nur einem Tag geschaffen zu haben – und dem geforderten Preis von 200 Guineen Gegenstand der Verhandlung war.270 Doch es ging in dem Prozess auch um die Frage der Abstraktion: Die fehlende Erkennbarkeit des Bildgegenstandes, ein nächtliches Feuerwerk am Ufer der Themse, wurde kritisiert und auf mangelnde handwerkliche Sorgfalt des Malers zurückgeführt. Whistler wurde vorgeworfen, er habe ein unfertiges Ge-

268 Whistler, James Abbott McNeill: The gentle art of making enemies: as pleasingly exemplified in many instances: wherein the serious ones of this earth, carefully exasperated, have been prettily spurred on to unseem-liness and indiscretion , while overcome by an undue sense of right (1890). Dt Ausgabe: Die artige Kunst sich Feinde zu machen. Mit einigen unterhaltenden Beispielen, wie ich die Ernsthaften dieser Erde zuerst mit Vorbedacht zur Raserei und dann in ihrem falschen Rechtsbewußtsein zu Unanständigkeit und Torheit gebracht habe, Leipzig 1984. 269 Ruskin, John: Fors Clavigera, 2. Juli 1877. Dt. Übersetzung zit. nach: J. A. M. Whistler Die artige Kunst sich Feinde zu machen, S. 11. 270 Ebd., S. 15.

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mälde, eine Skizze, ausgestellt und zum Verkauf angeboten.271 Dass Ruskin das angeblich abstrakte Gemälde mit dem Werfen von Farbe in Zusammenhang brachte, und zwar lange bevor der Farbwurf als künstlerische Technik zur Herstellung abstrakter Bilder entdeckt und praktiziert wurde, verweist auf eine ausgedehnte Diskursgeschichte, durch die der Zufallstopos in der abendländischen Kunsttheorie verankert ist. Abbildung 193: James Abbott McNeill Whistler: Nocturne in Black and Gold: The Falling Rocket, 1874/77, Öl auf Holz, 60,3 x 46,6 cm, Detroit Institute of Arts, Gift of Dexter M. Ferry Jr.

© Detroit Institute of Arts, USA / Bridgeman Images

Die aus der Hochphase des Action Paintings stammende Karikatur von Warren Miller nahm den Zusammenhang von Abstraktion und Zufall auf und führte ihn gleichzeitig ad absurdum: Das beim Werfen von Farbe zufällig erzielte Ergebnis ist nicht notwendig abstrakt, sondern kann durchaus gegenständliche Formen annehmen − ein Effekt, den sich schließlich schon die Klecksografen des 19. Jahrhunderts zunutze machten. Während die traditionelle Kunstkritik die fehlende Übereinstimmung von Bildgegenstand und Naturvorbild durch den Herstellungsprozess zu er271 Ebd., S. 28.

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klären suchte, leugnet Millers Cartoon jeden sichtbaren Zusammenhang zwischen dem Erscheinungsbild des Werkes und seiner Herstellung. Das Spiel der Karikatur mit den Erwartungen des Betrachters, die im Erschrecken des karikierten Künstlers gespiegelt sind, lädt zum Reflektieren über Zufall, Wahrscheinlichkeit und die Rolle der Überraschung im Wahrnehmungsprozess ein. Tiere als Werkzeuge Eine Karikatur des deutschen Zeichners Karl Pommerhanz (1857-1940)272 fasst in einer einzigen Atelierszene gleich mehrere Zufallstechniken zusammen (Abb. 194): Der Dichter und Secessionsmaler mit dem sprechenden Namen „Pazerowsky“, den Pommerhanz inmitten eines Arbeitsprozesses zeigt, hat eine Möglichkeit entwickelt, Mal- und Dichtkunst simultan auszuüben. Beim Schreiben hinterlässt ein an seiner Feder befestigter Pinsel Farbspuren auf einer kopfüber angebrachten Leinwand und ‚übersetzt‘ so das saubere Schriftbild in ein chaotisches Fleckenmuster. Währenddessen versieht das Pendel einer zur Malmaschine273 umfunktionierten Wanduhr eine zweite Bildfläche mit schwungvollen, ebenfalls völlig abstrakten Farbschlieren. Die dritte Zufallstechnik, die hier genauer betrachtet werden soll, besteht im Einsatz von Tieren: Zwei kleine Hunde werden als lebendige Pinsel benutzt und hinterlassen beim Versuch, die über ihren Köpfen aufgehängten Würste zu erreichen, gewundene Linien und kreisförmige Farbspuren auf der am Boden liegenden Leinwand. Die Beteiligung von Tieren am Schaffensprozess ist ein weit verbreiteter und noch heute populärer Topos der Karikatur. Im Unterschied zu den Primaten, die oft als Chiffre für eine ursprüngliche, primitive Kreativität eingesetzt wurden274, erscheinen andere Tiere in der Karikatur lediglich als ‚Werkzeuge‘, derer sich menschliche Künstler zur Hervorbringung ihrer Werke bedienen. Karikaturen auf ‚malende‘ Hunde, Katzen und sonstige Tiere werden daher hier unter dem Stichwort der Zufallstechniken verhandelt. Oft zeigt die Karikatur das ‚malende‘ Tier mit einem am Schwanz festgebundenen Pinsel, der planlos, und damit zufällig, über die Leinwand bewegt wird. Hin und wieder wird sogar die Schwanzquaste selbst als Pinsel benutzt. Dieser Topos des Schwanzpinsels, auf den sich auch Pomerhanz bezieht, begegnet schon in Grandvilles Un autre monde (Abb. 154), wo die Analogie von Schwanz- und Pinselquaste unmittelbar anschaulich wird: Traditionell werden zur Herstellung von Pinseln die Schweifhaare bestimmter Tiere verwendet, so dass die Vertauschung 272 Zu dem Zeichner Karl Pommerhanz vgl. Flemig, Kurt: Karikaturisten-Lexikon, München 1973, S. 220 f. 273 Vgl. Kapitel II dieses Buches. 274 Vgl. den Abschnitt „Der Künstler als Affe und der Affe als Künstler“ in diesem Buch.

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von Schwanz und Pinsel sich für karikaturistische Zwecke bestens anbietet. Hinzu kommt, dass das Tier in Darstellungen dieser Art buchstäblich mit seinem Hinterteil malt, was dem karikaturistischen Wunsch nach einer Demontage des ‚hehren‘ Schaffensprozesses entgegenkommt. Abbildung 194: Karl Pommerhanz: Zeit ist Geld oder: Dichter und Secessionsmaler in einer Person. Wie es der preisgekrönte, berühmte Dichter und Secessionsmaler Pazerowsky anstellt um seine beiden Künste gleichzeitig auszuüben

Meggendorfer Blätter, Bd. 50 (1902), Nr. 606, S. 66

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Abbildung 195: Johannes Bahr: Kleine Ursache – Große Wirkung. Die neue Ideal-Linie

Fliegende Blätter, Bd. 116 (1902), Nr. 2961, S. 204

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Abbildung 196: Théophile-Alexandre Steinlen: Tournée du Chat Noir de Rodolphe Salis, 1896, Farblithografie, 135,9 x 95,9 cm, Zimmerli Art Museum at Rutgers University, New Brunswick, NJ

Google Art Project, veröffentlicht unter public domain

Auch die angewandte Kunst der frühen Moderne blieb von dieser Polemik nicht unberührt. So karikierte der Zeichner Johannes Bahr (1859-?)275 die abstraktgeschwungene „Ideal-Linie“ des Jugendstils 1902 als zufällige Spur eines Katzenschwanzes (Abb. 195). In einer humoristischen Bilderfolge für die Fliegenden Blätter, die sich bis in die 1910er Jahre intensiv mit der Kunst des Jugendstils auseinandersetzten276, inszenierte er einen klassischen Atelierunfall: Eine spielende Katze wirft einen Farbeimer um und hinterlässt beim Weglaufen einen spiralförmigen Kringel auf dem Fußboden, den der inspirationslose Maler sogleich auf seiner Leinwand reproduziert. Das Schlussbild zeigt eine städtische Kulisse, in der die zufällig entdeckte Linie gleichsam allgegenwärtig ist. Sie zeigt sich unterschiedslos

275 Vgl. K. Flemig: Karikaturisten-Lexikon, S. 9. 276 Vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 141.

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auf Damenmänteln, Werbeschildern und Häuserfassaden ebenso wie in der gewundenen Form der Straßenlaternen. Der Hang des Jugendstils zum Gesamtkunstwerk, in dem alle Elemente durch ein übergreifendes Ornamentsystem strukturiert werden, ist hier treffend parodiert, ebenso wie das um 1900 weit verbreitete Phänomen erfolgloser Maler, die ihre Tätigkeit in den Bereich der angewandten Kunst verlagerten.277 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Abstraktion auch in ihren dekorativen Aspekten mit der Anwendung von Zufallstechniken in Verbindung gebracht wurde. Die Kunst des Jugendstils, die besonders in Deutschland mit Gefühlspathos und ideologischen Theorien hoch aufgeladen war, besaß durchaus die für eine karikaturistische Spiegelung nötige Fallhöhe und bot sich auch in formaler Hinsicht für den Topos des Schwanzpinsels an. Gerade der elegant gewundene Katzenschwanz erhielt in Grafiken des Jugendstils, so zum Beispiel in Théophile-Alexandre Steinlens berühmtem Werbeplakat für das Pariser Kabarett Le Chat Noir (Abb. 196), eine ausgesprochen ornamentale Formulierung. Abbildung 197: Joachim-Raphaël Boronali: Coucher de soleil sur l’Adriatique, 1910, Öl auf Leinwand, Centre Culturel Paul Bédu, Milly-la Forêt

© Centre Culturel Paul Bédu

Im Zentrum der weit verbreiteten Witze über Schwanzpinsel und andere tierische Produktionsmethoden steht eine Anekdote aus dem Jahr 1910. Die sogenannte

277 Prominente Beispiele sind die Jugendstilkünstler Peter Behrens, Bruno Paul, Richard Riemerschmid und Otto Eckmann, die sich nach mäßig erfolgreichen Anfängen als Maler bald ganz der angewandten Kunst widmeten.

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Boronali-Affäre, einer der großen Kunstskandale des 20. Jahrhunderts, ereignete sich am Rande des Salon des Indépendants in Paris. Der Schriftsteller Roland Dorgelès und der Zeichner André Warnod reichten unter dem Pseudonym JoachimRaphaël Boronali ein Coucher de soleil sur l'Adriatique betiteltes Gemälde (Abb. 197) ein, begleitet von einem eigens gedruckten Manifest, das die neue Schule des „Excessivisme“ verkündete. Der Titel des Werkes ist als Anspielung auf Monets berühmte Impression, soleil levant (Abb. 52) zu verstehen: Repräsentierte dieser Sonnenaufgang rückblickend den Beginn der modernen Malerei, so wurde sie im Bild des Sonnenuntergangs symbolisch zu Grabe getragen. Der fiktive Künstlername suchte mit dem zweiten Vornamen Raphaël den Anklang an die Alten Meister der Renaissance, während der Nachname Boronali als Anagramm von Aliboron, dem Namen des Esels in Jean de La Fontaines klassischen Tierfabeln, einen versteckten Hinweis auf den tatsächlichen Urheber des Gemäldes enthielt. Kurz nach der Eröffnung des Salons lüfteten die Initiatoren das Geheimnis um die Entstehung des Bildes in einem Artikel für die Tageszeitung Le Matin.278 Warnod und Dorgelès hatten sich den Esel von Père Frédé, dem Besitzer des berühmten Kabarett-Theaters Le Lapin agile ausgeliehen, einen Pinsel an seinem Schwanz befestigt und das Tier zur Herstellung der erwähnten Malerei veranlasst. Da das Tier zusammen mit seinem Besitzer in der Rue des Saules hauste, konnten sie mit Fug und Recht behaupten, dass der Urheber des Gemäldes aus dem Künstlerviertel Montmartre stammte.279 Die Malaktion wurde fotografisch dokumentiert (Abb. 198). Der Artikel in Le Matin zitiert darüber hinaus den Bericht eines offiziellen Amtsdieners, der bei dem Ereignis zugegen war, um die Vorgehensweise später bezeugen zu können. Die Urheber wollten damit dem Verdacht entgegentreten, sie hätten das Gemälde selbst angefertigt. Diese Vermutung drängt sich bei genauerer Betrachtung der Leinwand in der Tat auf, denn zumindest die in zwei Zonen gegliederte Anlage der Komposition, die einen gelb-orangefarbenen Himmel und eine blaue Wasserfläche erkennen lässt, scheint von einem menschlichen Künstler zu stammen.280 Lediglich eine abstrakte Formation aus roten und gelben Linien, die die Grundkomposition überlagert, erscheint als Spur eines Eselsschwanzes plausibel. 278 Brionne, P.: „Un âne chef d’école. Il expose aux ‚Indépendants‘ un tableau peint avec sa queue. Cet âne, il est vrai, est de Montmartre“, in: Le Matin, 28.03.1910, S. 4. 279 Vgl. Dorgelès, Roland: Bouquet de Bohème, Paris 1947, hier S. 228 ff. Vermutlich war die Aktion Ausdruck einer generellen Abneigung gegen jede Form von moderner Kunst, die in Dorgelès’ schriftstellerischem Werk ein immer wiederkehrendes Objekt der Belustigung darstellt. 280 Dieser Ansicht ist auch Werner Spies, vgl. seinen Artikel zum 100jährigen Jubiläum der Boronali-Affäre: „Die große Eselei des Jahres 1910“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.09.2010, S. 29.

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Abbildung 198: Anonyme Fotografie zum Artikel „Un âne chef d’école. Il expose aux ‚Indépendants‘ un tableau peint avec sa queue. Cet âne, il est vrai, est de Montmartre“

Le Matin, 28.03.1910, S. 4

Abbildung 199: Lucien Métivet: o. T.

Le Rire, 16.04.1910, o. S.

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Abbildung 200: Ernst Stern: Der impressionistische Esel. Pariser Malschüler haben sich das Vergnügen gemacht, ein impressionistisches Bildauf animalische Weise herzustellen. Auf der Ausstellung fand die Blüte dieser neuen Ani-Malkunst den ungeteilten Beifall eines kongenialen Publikums.

Lustige Blätter, Bd. 25 (1910), Nr. 22, S. 12

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Der von zwei Humoristen lancierte Scherz bescherte dem Salon des Indépendants eine einzigartige Publizität und die höchsten Besucherzahlen seiner Geschichte. Neben einem breiten Echo in der geschriebenen Kunstkritik wurde die BoronaliEpisode auch im Medium der Karikatur reflektiert. Ein Beispiel hierfür ist die Zeichnung von Lucien Métivet, die kurze Zeit nach der Enthüllung des Scherzes in der Satirezeitschrift Le Rire erschien (Abb. 199). Eine deutsche Variante von Ernst Stern (1876-1954), ergänzt um ein zweites Bild mit „kongenialem Publikum“, erschien im selben Jahr in den Lustigen Blättern (Abb. 200). Beide Karikaturen setzen die Produktion des Esels als abstrakte Kleckserei ins Bild und ließen so keinen Zweifel am grotesken Charakter der Abstraktion, zu deren Herstellung buchstäblich jeder Esel in der Lage sei. Als Karikaturen müssen beide Darstellungen dennoch scheitern, denn es gelingt ihnen nicht, etwas sichtbar zu machen, das über die satirische Aussage der an sich schon subversiven Aktion hinausginge. Der Ansicht von Werner Spies, es handle sich bei Späßen dieser Art um „eine wahre Goldgrube“281 für Karikaturisten, muss an dieser Stelle widersprochen werden, denn tatsächlich zeigen die Boronali-Darstellungen viel eher das Obsoletwerden der Karikatur angesichts eines bereits selbstironisch agierenden Ausstellungsbetriebes. Da dieser sich in künstlerischen Aktionen wie der Boronali-Affäre gleichsam von innen heraus demontierte, blieb für die Karikatur nur die Dokumentation; die ihr eigenen Mittel der Verzerrung und Übertreibung des Realen scheinen in dieser Situation nicht mehr zu greifen. Ursprünglich auf die Malerei der Kubisten und der Fauves gemünzt282, wurde der Verweis auf die Boronali-Affäre nach 1910 zu einem Gemeinplatz der Kunstkritik, der immer dann zitiert wurde, wenn es darum ging, abstrakte Tendenzen in der Kunst zurückzuweisen. Die Verbindung der hohen Kunst mit dem niederen Körperteil eines sprichwörtlich ‚dummen‘ Tieres bot sich für schriftliche und mündliche Polemiken gegen die Moderne in einzigartiger Weise an. Auch von rivalisierenden Künstlergruppen wurde der Boronali-Topos aufgegriffen: So formierte sich 1912 in Moskau eine avantgardistische Ausstellungsgemeinschaft um die Künstler Michail Larionow und Natalia Gontscharowa mit dem provokativen Namen Oslini Chwost (dt. Eselsschwanz).283 In demonstrativer Abgrenzung gegen Expressionismus und Abstraktion der westlichen Avantgarden suchten diese Künstler die Nähe zur russischen Volkskunst und Ikonenmalerei und entwickelten einen il281 W. Spies: Die große Eselei des Jahres 1910, S. 29. 282 Dorgelès berichtet rückblickend, er habe mit der Boronali-Aktion vor allem Kubismus und Futurismus verspotten wollen. Vgl. R. Dorgelès: Bouquet de Bohème, S. 232 f. Offensichtlich richtete sich der Scherz aber auch gegen die Fauves, die im Salon des Indépendants seit 1905 präsent waren. 283 Vgl. Ausst.-Kat. Mit voller Kraft. Russische Avantgarde 1910-1934, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg 2001, S. 15 f., 308.

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lustrativen, neoprimitivistischen Stil. Unter veränderten politischen Vorzeichen sollte noch 40 Jahre später der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow die moderne Malerei mit den Spuren eines Eselsschwanzes vergleichen.284 Obwohl die von Boronali gestaltete Leinwand in ihrer Simulation von gestischem Ausdruck kaum Ähnlichkeit mit den Werken der zeitgenössischen Avantgarden aufwies, wurde sie als Beweis dafür angesehen, dass die Hervorbringung eines Esels unter den im Salon des Indépendants ausgestellten Werken keineswegs fehl am Platze sei, ja dort noch nicht einmal auffiel.285 Die Episode zeigt, mit welcher Vehemenz die Diskussion um die abstrakte Kunst bereits 1910 geführt wurde und wie stark das öffentliche Interesse an diesem Thema war. Auch wenn dadurch nichts über das inhaltliche Niveau dieser Debatten ausgesagt ist, macht die Boronali-Affäre doch deutlich, dass Diskussionen über die Abstraktion auch abseits von Künstlerkreisen und intellektuellen Gesprächszirkeln ein großes Publikum erreichten. Die Popularisierung künstlerischer (Zufalls-)Techniken, die im Action Painting der 1950er und -60er Jahre kulminierte, hat in humoristischen Aktionen wie dieser ihren Ausgangspunkt. In der kunsthistorischen Literatur wurde die Boronali-Affäre mit dem Fall Richard Mutt in Verbindung gebracht, der sich 1917 in New York ereignete.286 Unter diesem Pseudonym reichte Marcel Duchamp sein Fountain betiteltes, auf den Rücken gelegtes Urinalals Readymade zur Jahresausstellung der Society of Independent Artists ein und löste damit einen Skandal aus.287 Vor seiner Übersiedlung nach New York im Jahr 1915 hatte Duchamp in Paris zu einem Kreis von Humoristen gehört. Er zeichnete Karikaturen für die Zeitschrift Le Rire, in der auch Métivets Boronali-Katikatur erschien, und beteiligte sich als Maler am Salon des Indépendants von 1910. Die Boronali-Episode war ihm also bestens bekannt und könnte dem Künstler im Fall Richard Mutt als Anregung gedient haben. Duchamp war jedoch nicht der erste Künstler, für den Boronali eine positive Inspiration darstellte. Bereits 1912 reflektierte Max Ernst (1891-1976) die Episode in einer Federzeichnung mit dem Titel Der Auftrag oder ,L’âne des Indépendants‘ 284 Vgl. W. Spies: Die große Eselei des Jahres 1910. Zur sowjetischen Polemik gegen die Abstraktion vgl. den Abschnitt „Der Affe als Künstler und der Künstler als Affe“ in diesem Buch. 285 Vgl. Weiss, Jeffrey: The Popular Culture of Modern Art. Picasso, Duchamp and Avantgardism, New Haven u.a. 1994, S. 149. 286 Vgl. Daniels, Dieter: Duchamp und die anderen. Der Modellfall einer künstlerischen Wirkungsgeschichte in der Moderne. Köln 1992. S. 19 ff. 287 Marcel Duchamp: Fountain, 1917, Readymade, Maße unbekannt, verschollen. Das Original von 1917 ist durch eine Fotografie von Alfred Stieglitz dokumentiert, die seit 1950 als Vorlage für verschiedene Repliken und eine Edition der Galleria Arturo Schwarz in Mailand diente.

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(Abb. 201). Das postkartengroße Blatt zeigt einen mit dem Schwanz malenden Esel zusammen mit zwei menschlichen Figuren. Sowohl Menschen- als auch Tierkörper erscheinen bizarr deformiert. Mit ihrem Hang zur Stilisierung und den weichen, dynamischen Linienschwüngen zeigt sich die Darstellung noch stark von der Formensprache des Jugendstils beeinflusst.288 Das Motiv kündet jedoch bereits von einer Faszination für Automatismen und Zufallstechniken289, die Ernst in seinen surrealistischen Frottagen und der écriture automatique der 1920er Jahre zum Gestaltungsprinzip erheben sollte. Es kann außerdem als Beleg für eine direkte Verbindung zwischen Boronali und den wenig später einsetzenden Kunstströmungen Dadaismus und Surrealismus gelten, deren strategischer Einsatz von Spott und Nonsens in subversiven Kunstaktionen wie dieser bereits vorgeprägt war. Auf die Bedeutung der Boronali-Affäre für das dadaistische Werk von Francis Picabia hat George Baker in seiner Picabia-Monografie bereits hingewiesen.290 Abbildung 201: Max Ernst: Der Auftrag oder L’âne des Indépendants, 1912, Tusche auf Postkarte, 14 x 9 cm, Privatsammlung, Paris

Zit. nach: W. Konnertz: Max Ernst, S. 14 288 Vgl. Konnertz, Winfried: Max Ernst: Zeichnungen, Aquarelle, Übermalungen, Frottagen, Köln 1980, hier S. 14. 289 Vgl. W. Spies: Die große Eselei des Jahres 1910. 290 Vgl. Baker, George: The artwork caught by the tail. Francis Picabia and Dada in Paris, Cambridge u.a. 2007, S. 98 ff. Für den Hinweis danke ich Carmen Messmer.

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Dass der Topos des Schwanzpinsels auch heute noch humoristisches Potential besitzt, zeigt ein aktueller Cartoon des australischen Allroundkünstlers Jeremyville291, der das alte Motiv ins 21. Jahrhundert übersetzt (Abb. 202). Aus der Perspektive von Konsum- und Popkultur karikiert der Illustrator und Produktgestalter die Mechanismen des auf immer neue Attraktionen angewiesenen Kunstmarktes, in dem selbst ein Hund zum Superstar avancieren kann. Abbildung 202: Jeremyville: The start of a magnificent art career, Postkarte, um 2007, Archiv der Autorin

© Jeremyville

Kunst produzierende Tiere scheinen das Publikum nach wie vor zu faszinieren. Sie begegnen ebenso in der Karikatur wie in der tatsächlichen Atelierpraxis und nicht immer lässt sich die Grenze zwischen Kunst und Satire eindeutig bestimmen. 2005 widmete die Zeitschrift Kunstforum International dem „Zoo der Kunst“ ein Themenheft und rekapitulierte darin verschiedene Strategien der Beteiligung von Tieren am künstlerischen Schaffensprozess.292 Das Spektrum reicht dabei von den bereits erwähnten Malaktionen Arnulf Rainers über Videoarbeiten von William Kentridge und Rosemarie Trockel bis hin zu dem österreichischen Ausnahmekünstler Cornelius Kolig, der den Kot der in seinem als Gesamtkunstwerk konzipierten Pa-

291 Der eigentliche Name und das Geburtsjahr von Jeremyville, der sich selbst als Designmarke inszeniert, sind nicht bekannt. 292 Zaunschirm, Thomas: „Im Zoo der Kunst II“, in: Kunstforum International, Nr. 175 (April-Mai 2005), S. 38-95, darin besonders Abschnitt VIII: „Metamorphosen der Wahrnehmung. Tiere als Künstler“, S. 56-64.

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radies293 lebenden Tiere ironiefrei als Kunstäußerung anerkennt. Während solche Positionen als ernsthafte Versuche gewertet werden können, Tabus und Grenzen auszuloten und das Verhältnis von Mensch und Tier einer kritischen Revision zu unterziehen, so existieren parallel auch andere Ansätze, die in der Tradition von Dorgelès auf eine Verspottung des aktuellen Kunstbetriebs abzielen. Abbildung 203: Mike Twohy: „I have a couple of other projects I’m excited about.“ In: The New Yorker, 05.06.1995, S. 38

© Mike Twohy / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

1995 ließ Mike Twohy eine Hauskatze als Künstler auftreten (Abb. 203). Den von ihr mit wüsten Kratzspuren ‚gestalteten‘ Rücken eines Polstersessels kommentiert das Tier im typischen Künstlerjargon mit den Worten: „I have a couple of other projects I’m excited about.“ Der Cartoon könnte von dem ein Jahr zuvor erschienenen Buch Why Cats Paint der Künstlerin Heather Busch und des Cartoonisten Burton Silver inspiriert sein, das rasch zu einem internationalen Bestseller avancierte.294 293 Kolig errichtete das Paradies auf einem etwa 6.000 Quadratmeter großen Areal in seiner Heimat Vorderberg im Kärntner Gailtal. Zum Konzept vgl. Kolig, Cornelius: „Das Paradies − der Ort, das Konzept“, in: Ausst.-Kat. Cornelius Kolig. Das Paradies, Essl Museum, Klosterneuburg/Wien 2009, S. 14, 16. Die im Paradies lebenden Tiere − Hunde, Katzen, Schafe, Vögel und Insekten − werden im Katalog der von Kolig mitkuratierten Ausstellung als „freie Mitarbeiter“ bezeichnet, vgl. ebd. S. 81 f. 294 Busch, Heather/Silver, Burton: Why Cats Paint. A theory of feline aesthetics, Berkeley 1994.

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Busch und Silver behandeln darin das Phänomen der Feline Arts, das sie, ganz in der Manier einer kunstwissenschaftlichen Untersuchung, in einen historischen und theoretischen Kontext einbetten. Die Erläuterungen zu den zahlreichen Fotografien ‚malender‘ Katzen und ihrer angeblichen Kreationen treffen exakt den Ton professioneller Ausstellungskataloge und eine fiktive Bibliografie verleiht der Publikation einen pseudo-wissenschaftlichen Anstrich. Ein eigenes Kapitel ist sogar alternativen „künstlerischen Ausdrucksformen“ gewidmet. Dazu zählt an erster Stelle das Zerkratzen von Polstermöbeln (Abb. 204)295, das Twohy zum Thema seines Cartoons machte. Abbildung 204: Heather Busch und Burton Silver: Maxwell with „Gerty“, a work in progress

Zit. nach: H. Busch/B. Silver: Why Cats Paint, S. 80 295 Die Kratzspuren auf der Sitzfläche des Polsterstuhls deuten die Autoren als Porträt: „Clever use of negative space between the loosened brocade and its upper support seems to imply an open mouth, while his intricate claw work on the adjacent apex gives a subtle indication of wet nose catching the light. Two vertical threads hanging from the lower jar now immediately suggest drooling and the whole work (including the legs) almost certainly portrays the frontal aspect of Gertrude, the St. Bernhard with whom Maxwell shares his home.“ H. Busch/B. Silver: Why Cats Paint, S. 81.

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Anders als bei der Boronali-Affäre wurde der Scherz von Busch und Silver niemals als solcher aufgedeckt, sondern wird bis heute bruchlos durchgehalten: Es folgten weitere Publikationen sowie die Gründung eines virtuellen Museum of NonPrimate Art (MONPA), das auf seiner Website nicht nur Ausstellungen mit Titeln wie „The Poetry and Prose of Pachyderm Prints“ oder „Termites: Their Art and Architecture“ ankündigt, sondern auch Rechenschaft über angeblich erhaltene Fördermittel ablegt und Forschungsstipendien ausschreibt.296 Ein eigener Gebäudeflügel ist laut Website der „Bird Art“, einer Kollektion von Vogelkot-Klecksen, gewidmet, die sich ebenfalls als Karikaturen auf die Abstraktion lesen lassen.297 Auch das russisch-amerikanische Künstlerduo Vitaly Komar (geb. 1943) und Alexander Melamid (geb. 1945) arbeitete in der Vergangenheit häufig mit Tieren zusammen, deren Produktionen es scheinbar vollständig affirmierte und in den eigenen Werkkomplex einfügte. Bekannt wurde der Beitrag der Künstler zur 48. Biennale von Venedig, bei der sie im russischen Pavillon eine Serie von Elephant paintings zeigten − Bilder, die von Elefanten in einer thailändischen Station mit dem Rüssel erzeugt worden waren. Das Projekt ist in einer Publikation dokumentiert, die neben zahlreichen Fotografien der ‚malenden‘ Elefanten auch kunsttheoretische Reflexionen über das Phänomen Kunst produzierender Tiere und Vergleiche ihrer Hervorbringungen mit Werken des Abstrakten Expressionismus enthält.298 Zur Frage nach der Ernsthaftigkeit der eigenen Position, äußert sich Alexander Melamid darin wie folgt: „Of course it’s all a hoax! [...] But all art is a hoax. Like the idea of three-dimensionality in paintings, the creation of illusion. [...] Every art movement starts as a joke or a sham and becomes a serious occupation or a revelation. Like Impressionism − Edouard Manet’s Olympia was a parody, a caricature of Titian’s Venus. It was a funny picture. But then it became a great work of art.“ 299

Im Gegensatz zu Busch und Silver, deren Projekt keine materiellen Werke hervorbringt, scheinen Komar und Melamid an einer tatsächlichen Verbreitung der Elephant Art in der Kunstwelt interessiert zu sein. Im Jahr ihres Biennale-Auftritts 1999 fand im Auktionshaus Christie’s in New York die erste und bislang einzige Versteigerung von Elefantenmalereien statt, deren Erlös an Tierschutzorganisationen ausgezahlt wurde. Bis heute bieten die zu „Elephant Art Academies“ erhobenen Elefantenstationen des von Komar und Melamid mitinitiierten Asian Elephant Art 296 URL: http://www.monpa.com (abgerufen am 24.07.2015). 297 URL: http://www.monpa.com/ba/world.html (abgerufen am 24.07.2015). 298 Komar and Melamid/Fineman, Mia: When Elephants Paint. The Quest of Two Russian Artists to Save the Elephants of Thailand, New York 2000. 299 Ebd., S. 47.

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& Conservation Project (AEACP) Elefantenmalereien zum Kauf an, deren Preisspanne von 150 bis zu 4000 US-Dollar reicht.300 Diesem Beispiel sind inzwischen viele Zoologische Gärten gefolgt, die ihre Kassen regelmäßig mit dem Verkauf von Affen- und Elefantenmalereien aufbessern. Was mit Boronali vor mehr als hundert Jahren als subversiver Künstlerstreich begann, ist längst zu einem populären Massenphänomen geworden. Künstlerische Aktionen oder Projekte, in denen der Schaffensprozess an Tiere delegiert und damit weitgehend dem Zufall überlassen wird, sind ein besonders prägnantes Beispiel für eine künstlerische Praxis, in der zunehmend ambivalente und selbstironische Ansätze zum Tragen kommen. In einem fortschreitenden Prozess des Deskilling wird damit eine neue Stufe erreicht und gleichzeitig ironischkritisch hinterfragt. Die genuine Aufgabe der Karikatur, der so genannten Hochkunst einen Spiegel vorzuhalten, gerät damit freilich ins Wanken. Beispiele wie Twohys Katzenkünstler-Cartoon zeigen, dass der Bildsatire oft nur noch die Funktion der echohaften Wiederholung und Popularisierung eines bereits von Künstlerseite geäußerten Witzes bleibt. Obgleich nach wie vor amüsant, gelingt es der aktuellen Karikatur meist nicht mehr, dem Kunstdiskurs neue Aspekte hinzuzufügen. Ihre subversive und dadurch erkenntnisstiftende Qualität muss so weitgehend auf der Strecke bleiben.

300 URL: http://www.elephantart.com/catalog/purchase.php, abgerufen am 24.07.2015.

Monochrome Bilder: Karikaturen zur Verweigerung und Auslöschung künstlerischer Arbeit

Das monochrome Bild besitzt in der abendländischen Malerei eine jahrhundertelange Bild- und Bedeutungsgeschichte. Auch die humoristisch-karikierende Darstellung monochromer Bilder hat eine Tradition, die bis weit ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Besonders die im 19. Jahrhundert massenhaft entstandenen so genannten monochromen Bildwitze1 haben als Vorgeschichte der monochromen Malerei des 20. Jahrhunderts in letzter Zeit viel Beachtung gefunden.2 Dabei ist die Rede von der antizipierenden ‚Vorwegnahme‘ der monochromen Malerei eines Malewitsch oder Yves Klein durch die Bildsatiren des 19. Jahrhunderts nicht unproblematisch, weil sie auf der Annahme einer teleologischen Genealogie basiert, in der die monochrome Abstraktion als Fluchtpunkt aller vorherigen Kunstentwicklung erscheint.3

1

Der Terminus „monochromer Bildwitz“ wurde von Raphael Rosenberg übernommen, vgl. R. Rosenberg: Abstrakte Bilder vor 1900. Er wird im Folgenden für monochrome Bilder gebraucht, die auf der Textebene mit einem humoristischen Inhalt versehen sind.

2

Vgl. z. B. D. Riout: La peinture monochrome, S. 314 ff. In einer „Archäologie der Gattung“ setzt sich der Autor differenziert mit der Rolle der „monochromes pour rire“ auseinander. Vgl. auch das Kapitel zur Monochromie „avant la lettre“ in Epperlein, Beate: Monochrome Malerei. Zur Unterschiedlichkeit des vermeintlich Ähnlichen, Nürnberg 1997, S. 56 ff sowie Rose, Barbara: „The Meanings of Monochrome“, in: Dies. (Hg.): Monochromes. From Malevich to the Present, Berkeley u.a. 2006, S. 21-88, hier S. 23 f.

3

In diesem Sinne äußert sich zum Beispiel Andreas Bee im Vorwort zu der von ihm edierten Ausgabe des Aprilscherz-Albums von Alphonse Allais. Vgl. Allais, Alphonse: Album Primo-Avrilesque (1897), herausgegeben und eingeleitet von Andreas Bee, Heidelberg 1993. Dort plädiert der Autor dafür, „Alphonse Allais als einen, wenn nicht gar den Vorläufer von Kasimir Malewitsch, Alexander Rodschenko und Yves Klein anzuerkennen“,

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Tatsächlich jedoch ging die monochrome Malerei des 20. Jahrhunderts von grundsätzlich anderen Voraussetzungen aus als ihre humoristischen Vorläufer, und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden Traditionen konnte bislang nicht belegt werden. Dennoch fällt auf, dass es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer plötzlichen Häufung monochromer Bildwitze kommt, die sich teilweise explizit auf die Praxis künstlerischer Produktion beziehen. Dies könnte ein Symptom dafür sein, dass das monochrome Bild ab einem bestimmten Zeitpunkt eben nicht mehr, wie Raphael Rosenberg schreibt, „undenkbar und deswegen komisch“4 war, sondern vielmehr als humoristisch aufgeladene Extremvorstellung einer zukünftigen Malerei sehr wohl in den Bereich des Denkbaren trat. Im Folgenden geht es daher nicht um all die monochromen Präfigurationen, die seit dem 16. Jahrhundert in Malerei und Literatur begegnen.5 Vielmehr werden nur diejenigen Darstellungen betrachtet, in denen das monochrome Bild Ausdruck einer satirischen Reflexion künstlerischer Arbeitsprozesse ist, die im 19. und 20. Jahrhundert ihren diskursiven Ort hat. Dem koloristisch begrenzten und eher grafisch orientierten Ausdrucksspektrum des Mediums Karikatur ist es geschuldet, dass monochrome Bilder hier, abgesehen von wenigen Ausnahmen, in der Regel entweder als schwarze oder als weiße Bildflächen erscheinen. An diese beiden Möglichkeiten knüpfen sich ganz unterschiedliche Diskurse: Während das schwarze Monochrom häufig auf eine Praxis des ‚Zustreichens‘ und damit auf die Auslöschung des vormals illusionistischen Bildraumes rekurriert, ist das monochrom weiße Bild in der Karikatur meist als leere, unbearbeitete Leinwand gekennzeichnet und kann so auf eine verhinderte oder sogar bewusst verweigerte Produktion verweisen.

V ERWEIGERUNG DER ARBEIT : W EISSE M ONOCHROME In einem Aufsatz über Die tabula rasa als Denk-Bild beschreibt Monika Wagner die Funktion der weißen Leinwand in Atelierbildern und Künstlerselbstporträts des 17. Jahrhunderts als die einer „Bildformel für alle ungemalten Bilder“6, die als verheißungsvolles Attribut auf die potentielle Schaffenskraft des Künstlers verweist: Die leere Fläche wird „zum ausgewiesenen Ort [...], der die künftigen Bilder in sich o. S. Die problematischen Implikationen einer solchen Denkfigur diskutiert dagegen D. Riout: La peinture monochrome, S. 339 ff. 4 5

R. Rosenberg: Abstrakte Bilder vor 1900, S. 304. Für einen kulturgeschichtlichen Überblick vgl. Wagner, Monika: „Die tabula rasa als Denk-Bild. Zur Vorgeschichte bildloser Bilder“, in: Naumann, Barbara/Pankow, Edgar (Hg.): Bilder-Denken. Bildlichkeit und Argumentation, München 2004, S. 67-86.

6

M. Wagner: Die tabula rasa als Denk-Bild, S. 77.

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trägt“.7 Diese demonstrative Geste eignet auch der von Wagner angeführten humoristischen Darstellung einer leeren Leinwand von 1865, in welcher der Maler Wilhelm Camphausen (1815-1885) den Prozess der künstlerischen inventio thematisierte (Abb. 205).8 Obwohl die Leinwand hier noch mit dem Fragezeichen des „quid nunc?“9 versehen ist, scheint das zukünftige Bild sich in der nachdenklichen Pose des Malers bereits anzukündigen. Dargestellt ist also keineswegs die Kapitulation oder Verweigerung des Künstlers angesichts der leeren Leinwand, sondern im Gegenteil der schöpferische Moment der Bilderfindung. Den bevorstehenden Arbeitsprozess beschrieb der Schlachtenmaler Camphausen mit militärischem Vokabular: „[I]n der Stille der Werkstatt aber sollen meine Aktionen und Schanzarbeiten von neuem beginnen. Heiße Kämpfe stehen bevor, bis ich meine Fahne auf bescheidner Höhe des Gelingens aufpflanzen darf.“10 Abbildung 205: Wilhelm Camphausen: Daheim im Atelier

W. Camphausen: Ein Maler auf dem Kriegsfelde, S. 45

7 8

Ebd., S. 76. Camphausen, Wilhelm: Ein Maler auf dem Kriegsfelde. Düppel und Alsen 1864, Bielefeld u.a. 1865, S. 45. Es handelt sich um ein mit Holzstichen illustriertes Tagebuch des Malers aus dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864. Die hier behandelte Darstellung steht am Ende des Berichtes. Sie zeigt den am Schienbein verwundeten Künstler nach seiner Rückkehr von Kriegsschauplatz.

9

Ebd., S. 46.

10 Ebd.

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Der Künstler sollte gleichsam als dynamischer Kriegsheld erscheinen, dessen Ringen um das Werk einem militärischen Gefecht glich. Die leere Bildfläche war das (Schlacht-)Feld, auf dem sich seine Schöpferkraft erweisen sollte. Damit stand Camphausens Illustration in größtmöglichem Kontrast zu den Darstellungen leerer Leinwände in der europäischen Karikatur, welche die tabula rasa meist negativ besetzte. Das weiße Monochrom erschien dort nicht mehr als Symbol des potentiell Möglichen, sondern als Symptom einer Krise, die verschiedene Bereiche des Kunstbetriebs und der künstlerischen Praxis betraf. Obsolete Bilder und „pictures of nothing“ Die 1870 in der Brüsseler Burleskausstellung Musée Ghémar ausgestellte leere Leinwand, die als Karikatur Eingang in den illustrierten Katalog fand, scheint mit der rechts unten am Rahmen angebrachten Schrift „Peinture de l’Avenir“ zunächst auf ein potentielles Bild zu verweisen (Abb. 206). Allerdings ist dies, wie der Begleittext klar macht, nicht unbedingt als Verheißung zu verstehen. Ghémars Toile blanche parodiert die Staatskunst, „[l]a peinture que le gouvernement encourage“11, die so schlecht sei, dass sich die Praxis der Ankaufskommission, die Bilder im Voraus zu bestellen, als exzellente Strategie erweise: Denn würde man auf ihre Fertigstellung warten, um eine Entscheidung zu treffen, käme der Ankauf wohl in den meisten Fällen nicht zustande.12 Den von der Regierung favorisierten Malern wurde bei Staatsaufträgen offenbar dennoch freie Hand gelassen. Die Bildunterschrift Toile blanche ist ein Wortspiel, mit dem Ghémar ironisch auf die sprichwörtliche carte blanche anspielt. Die weiße Leinwand war ein Sonderfall in Louis Ghémars Sammlung von Werkparodien der bekanntesten zeitgenössischen Gemälde, denn im Unterschied zu allen anderen Objekten des Musée Ghémar bezog sie sich weder auf ein besonderes Werk noch auf einen bestimmten Künstler. Stattdessen schrieb Ghémar seine als „Peinture du Jour“ ausgewiesene leere Leinwand einem nicht näher bestimmten „solchen“ zu, der dem Betrachter wohl bekannt sei.13 Schon auf den ersten Blick wird klar, dass es sich bei Ghémars Toile blanche gerade nicht um eine tabula rasa handelt. Vielmehr erscheint die Katalognummer 87 als typographisch gestaltetes Textbild, in dem die gegeneinander versetzten Schriftzüge „Peinture du Jour“ und „Commande du Gouvernement“ fast die gesamte Bildfläche einnehmen. Die verwendeten Schriftarten und die Anordnung der Textzeilen 11 L. Ghémar: Musée Ghémar, S. 23 (Kat. Nr. 87). 12 „Le système de gouvernement consiste à commander des tableaux aux artistes bien pensants mais mal peignant. Ce système est excellent, parce que les trois quarts du temps, si on attendait que les tableaux fussent peints pour les acheter, on n’oserait jamais s’y résoudre.“ Ebd. 13 „UN TEL (que vous connaissez bien)“, ebd.

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wecken Assoziationen an die Menütafel eines Restaurants, die das jeweilige Tagesgericht, die Plat du Jour, anpreist. Der Staatsauftrag, kulturpolitisches Instrument eines noch recht jungen Staates, der in höchstem Maße an der Ausbildung einer eigenständigen nationalen Kunst interessiert war14, wurde so mit dem profanen Vorgang der Bestellung einer Mahlzeit gleichgesetzt. Die dahinterstehende Kritik an der Praxis des Staatsauftrages muss aus der Feder des erfolgreichen Studio- und königlichen Hoffotografen Louis Ghémar zunächst überraschen. Allerdings wird deutlich, dass Ghémars Spott sich vor allem gegen die Maler und ihre wenig originelle Umsetzung der staatlichen Aufträge richtete. Dass dies auch von anderen Kritikern so empfunden wurde, zeigt das Beispiel des deutschen Kunsthistorikers Richard Muthe, der sein 1904 erschienenes Buch über Die belgische Malerei im 19. Jahrhundert mit einer Rüge beginnen ließ: „Es ist kein Vergnügen, in Brüssel das Musée moderne zu besuchen. Man fühlt, aus dem alten Museum kommend, in ganz erschreckender Weise, wie unkünstlerisch, schemenhaft und ziellos die Kunst des 19. Jahrhunderts war.“15 Abbildung 206: Louis Ghémar: Toile Blanche

L. Ghémar: Musée Ghémar, S. 23 (Kat. Nr. 87) 14 „Denn Belgien hatte ja 1830 seine Unabhängigkeit erkämpft. Es war ein selbständiger Staat geworden. Ein solcher Staat konnte keine Kunst mehr brauchen, die ihre Ideale aus der Ferne bezog. Er brauchte eine Kunst, die im heimischen Boden, in der grossen vaterländischen Vergangenheit wurzelte. Auf diese nationale Vergangenheit griffen die neuauftretenden Historienmaler zurück. [...] Ihnen grosse Aufgaben zu stellen, war eine Ehrenpflicht, und an geeigneten Themen war kein Mangel.“ Muther, Richard: Die belgische Malerei im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1904, S. 10 f. 15 R. Muther: Die belgische Malerei, S. 5.

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Die Werke der offiziellen Malerei, insbesondere der Historienmalerei, glichen einander, wie Muther bestätigt.16 Sie waren ebenso austauschbar wie ein Tagesgericht und benötigten daher das Medium der Schrift, um ihre Lesbarkeit auch weiterhin zu gewährleisten. Zugespitzt heißt das: Sie benötigten nur noch die Schrift, denn die Historienmalerei hatte sich als didaktisches Medium zur Volkserziehung längst überholt. Die typographische Besetzung der weißen Leinwand lässt sich so als satirischer Vorschlag lesen, die Staatsaufträge in Zukunft gleich schriftlich zu veröffentlichen und auf ihre qualitativ minderwertige Ausgestaltung durch die Maler zu verzichten. Riouts Interpretation, die Toile blanche reagiere als Readymade avant la lettre auf ein Problem „qui n’existe pas encore“17, greift demnach zu kurz. Vielmehr bezog sich Ghémar mit seiner Darstellung auf ein aktuelles Problem: Den Niedergang des so genannten grand goût in der Malerei und den damit verbundenen institutionellen Wandel, in dessen Verlauf die staatlichen Kunstinstitutionen allmählich ihre Macht verloren. Die Beschriftung der leeren Leinwand als „Peinture de l’avenir“ ist folglich kaum als Vorwegnahme der monochromen Malerei des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Sie weist vielmehr auf eine Entwicklung hin, die 1870 längst begonnen hatte: Die staatlich geförderte Historienmalerei war obsolet geworden und sollte in Kürze von modernen Tendenzen wie dem Impressionismus abgelöst werden. Die toile blanche wird zur offenen Projektionsfläche, auf der sich diese historische Suprakonstellation widerspiegelt. Der tabula rasa-Gedanke der Traditionsauslöschung steht bei Ghémar auch für einen Neuanfang in der Malerei, den der Fotograf und Freund Nadars nur begrüßen konnte. Die leere Fläche symbolisiert gleichsam alle vergangenen „Commandes du Gouvernement“ und fungiert gleichzeitig als Aufforderung an den Betrachter, die durch den Rahmen umrissene Leerstelle gedanklich mit einer zukünftigen Malerei zu füllen. Auf eine Leerstelle verweist auch die Darstellung einer gerahmten leeren Leinwand, die 1877 im Londoner Punch erschien (Abb. 207).18 Sie steht im Kontext einer von Edward Linley Sambourne (1844-1910) illustrierten satirischen Rezension der jährlichen Akademieausstellung, mit der der Punch eine vom Pariser Charivari begründete Tradition aufgriff. Während sich die übrigen Karikaturen auf in der Ausstellung gezeigte Werke beziehen, thematisiert die weiße Leinwand das Ausbleiben eines offenbar erwarteten Beitrags. Die Signatur weist das Akademiemitglied William Powell Frith (1819-1909) als Urheber der leeren Bildfläche aus, während der begleitende Text seine Abwesenheit in der Ausstellung reklamiert: „As it is, this year, Mr. Frith is conspicious by his absence [...], and so we take leave of 16 Ebd., S. 5 f. 17 D. Riout: La peinture monochrome, S. 324. 18 Anonym: „The Pick of the Pictures; or, Our Handy Guide to the Royal Academy“, in: Punch, Bd. 72 (1877), S. 208-209, hier S. 209.

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Mr. W. P. Frith, and thank him − for nothing.“19 Dieses Nichts, in der Illustration durch die den Rahmen verzierenden Nullen betont, nimmt im Bild der weißen Leinwand Gestalt an. Gleichzeitig bildet die tabula rasa ein Gegenbild zur sonstigen Produktion des Künstlers, der als Gesellschaftsmaler für seine großformatigen, überaus figurenreichen Kompositionen berühmt war. So erklärt der Text das weiße Monochrom ironisch zum Pendant des 1871 entstandenen Monumentalgemäldes The Salon d’Or, Homburg.20 Im Gegensatz zu diesem sei das leere Gemälde durch die völlige Abwesenheit jedes Manierismus gekennzeichnet und stelle insofern eine künstlerische Weiterentwicklung dar: „Mr. Frith can manage a crowd on canvas as well as a police-sergeant can in the streets; and yet here, where there was such a temptation to sacrifice the general effect to some startling individualities, we search in vain to detect any straining at obtaining a temporary success by some theatrical coup de main.“21

Abbildung 207: Edward Linley Sambourne: Illustration zu „The Pick of the Pictures“

Punch, Bd. 72 (1877), S. 209

19 Ebd. Vgl. auch Graves, Algernon: The Royal Academy of Arts. A Complete Dictionary of Contributors and their Work from its Foundation in 1769 to 1904, Bd. 3, London 1905, S. 171-177. Graves bestätigt die Abwesenheit von Frith in der Ausstellung von 1877. Diese musste tatsächlich überraschen, da die Teilnahme des Künstlers seit 1840 nahezu lückenlos gewesen war. 20 William Powell Frith: The Salon d’Or, Homburg, 1871, Öl auf Leinwand, 125 x 260 cm, Museum of Art Rhode Island School of Design. 21 Anonym: The Pick of the Pictures (1877).

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Auf den ersten Blick thematisiert die Karikatur nur das Fehlen eines Ausstellungsbeitrags von William Powell Frith. Doch der Begleittext nimmt darüber hinaus auf eine aktuelle Kunstentwicklung Bezug, die der offiziellen, auch von Frith vertretenen Kunstauffassung antagonistisch gegenüberstand. Bereits eine Generation zuvor hatte William Turner mit Malereien Aufsehen erregt, die dem Kritiker William Hazlitt zufolge als „pictures of nothing, and very like“22 charakterisiert worden waren. In Parodien auf Turner wurde dieser als „nothingness“ interpretierte Aspekt der fehlenden Gegenständlichkeit betont. So zeigen zwei 1845 im Punch erschienene Karikaturen auch nur einige abstrakte Linien auf einer ansonsten leeren, weißen Bildfläche (Abb. 208). Abbildung 208: Anonym: Venice by gaslight – going tot he ball / Venice by daylight – returning from the ball. MS Fallacies of Hope. (An unpublished Poem.) – Turner.

Punch, Bd. 9 (1845), S. 233

Über Turners Whalers23 heißt es im anonymen Begleittext: „Whether he calls his picture Whalers, or Venice, or Morning, or Noon, or Night, it is all the same“.24 Dass auf dem Bild „nichts“ zu sehen sei, soll durch die Aufzählung verschiedener möglicher Titel gleichsam belegt werden. Schon zu diesem relativ frühen Zeitpunkt ist die Polemik Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit der Kunstkritik gegenüber der modernen Malerei, die sich der Einordnung in ein verbindliches, durch die Hie22 „The artist delights to go back to the first chaos of the world... All is without forms and void. Some one said of his landscapes that they were pictures of nothing, and very like.“ Hazlitt, William: „The Round Table“, in: The Examiner, Nr. 425, 18.02.1816. 23 Joseph Mallord William Turner: Whalers (The Whale Ship), 1845, Öl auf Leinwand, 91,8 x 122,6 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York. 24 Anonym: „A scamper through the exhibition of the Royal Academy“, in: Punch, Bd. 9 (1845), S. 233.

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rarchie der Gattungen vorgegebenes Wertesystem entzog. Im Gegensatz zur offiziellen Kunst war unbedingte Lesbarkeit und Detailtreue kein Anliegen dieser Malerei, was sich auch in der Ablehnung beschreibender Bildtitel niederschlug. Um 1877 galt Turner bereits als Vorläufer der französischen Impressionisten, vor allem mit Blick auf sein zunehmend abstrahierendes Spätwerk.25 In England wurde dieses Erbe zunächst vor allem von James McNeill Whistler reklamiert. Whistler galt als Gegner der Royal Academy und der von ihr vertretenen Kunstauffassung sowie als stilistischer Antipode der viktorianischen Malerei in der Art von William Powell Frith. Seine impressionistischen Nocturnes wurden von der Kritik als unfertig und skizzenhaft bezeichnet und von der Jury der jährlichen Akademieausstellung wiederholt refüsiert. Auch der bereits in den Kritiken an Turner immer wiederkehrende Vorwurf, man könne auf den Bildern „nichts erkennen“, rückt Whistlers Malereien in die Nähe dieser vermeintlichen „pictures of nothing“, die einen Gegenpol zur offiziellen Malerei bildeten.26 Wenn der Kritiker des Punch also über Frith’s fiktives Monochrom schrieb, es sei „a rare attempt at dealing with nothing“27, so nahm er ironisch auf ebendiese kunstkritische Debatte Bezug. Durch sein Fehlen in der offiziellen Akademieausstellung machte sich Frith verdächtig, nicht nur nichts zu produzieren, sondern womöglich gar einer Richtung der inoffiziellen Kunst zu huldigen, die sich der Darstellung des Nichts, den „pictures of nothing“ verschrieben hatte. Auch in diesem Beispiel zielte die Pointe also auf einen historischen Subtext: Die Bedrohung der offiziellen, repräsentativen Historien- und Gesellschaftsmalerei durch neue Tendenzen, die in England unter dem polemischen Schlagwort der ‚nothingness‘ zusammengefasst wurden. Die historische Konstellation ähnelt dabei derjenigen, die Louis Ghémar in seiner Toile blanche beschrieb: Das Aufeinanderprallen traditioneller und moderner Tendenzen nimmt auch hier im Bild der tabula 25 Zwar erfuhr Turner, der seit 1801 bis zu seinem Tode Mitglied der Royal Academy war, auch von offizieller Seite große Anerkennung, allerdings war sein umstrittenes Spätwerk von dieser Wertschätzung ausgenommen. So erklärte Frith, der 1878 in dem Prozess Whistler gegen Ruskin als Zeuge der Verteidigung aussagte, im Zeugenstand: „When I say that Turner should be the idol of painters, I refer to his earlier works and not to the period when he was half crazy and produced works about as insane as the people who admire them.“ Zit. nach: Merrill, Linda: A Pot of Paint: Aesthetics on Trial in Whistler v. Ruskin, Washington und London 1993, S. 177. 26 Zahlreiche Äußerungen dieser Art finden sich in Whistlers Dokumentation seines Gerichtsprozesses gegen den Kritiker John Ruskin, vgl. J. A. M. Whistler: The gentle art of making enemies. Neben William Powell Frith sagte auch Tom Taylor, der Herausgeber des Punch, gegen Whistler aus, vgl. S. 30 f. Vgl. auch den Abschnitt „Farbwürfe, Atelierunfälle, Automatismen“ in diesem Buch. 27 Anonym: The Pick of the Pictures.

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rasa Gestalt an. Die Befreiung von überkommenen Darstellungstraditionen und künstlerischen Manierismen führt geradewegs ins Nichts, das jedoch das Potential eines Neubeginns in sich trägt. Verweigerung der Referenz: Parodistische Titel Monochrome Bildwitze, wie sie die französische Karikatur bereits seit den 1840er Jahren kannte, werden in der Regel erst durch einen Begleittext verständlich, der die Darstellung einer tabula rasa mit der Beschreibung eines angeblich vorhandenen, jedoch − momentan oder dauerhaft − nicht sichtbaren Bildgegenstandes unterlegt. Der Variantenreichtum solcher parodistischer Titel, bei denen oft auch Wortspiele zum Einsatz kommen, ist nahezu grenzenlos. Besonders bekannt wurden jedoch die fantasievoll betitelten Monochrome von Alphonse Allais (1854-1905), die dieser in den 1880er Jahren in Paris ausstellte und 1897 in seinem Album PrimoAvrilesque reproduzierte und vervielfältigte.28 Der Ausgangspunkt der Serie, die zu diesem Zeitpunkt sieben verschiedenfarbige monochrome Tafeln umfasste, war eine tabula rasa: ein leerer Bogen weißes Bristolpapier, den der Humorist und Schriftsteller Allais mit vier Heftzwecken an der Wand befestigt und 1883 unter dem Titel Première Communion de Jeunes Filles Chlorotiques par un Temps de Neige (dt. Erstkommunion junger bleichsüchtiger Mädchen bei Schneetreiben) in der Pariser Galerie Vivienne präsentiert hatte. Den Anlass dazu bot eine Ausstellung der ein Jahr zuvor von dem Schriftsteller Jules Lévy begründeten Künstlerbewegung Arts Incohérents, die sich vor allem über subversive, von Parodien und Burlesken bestimmte Strategien definierte. Wie bei den noch folgenden monochromen Bildern von Allais war auch bei dieser ersten tabula rasa der Titel von entscheidender Bedeutung. Im Album Primo-Avrilesque wurde er, abweichend von der ursprünglichen Anordnung29, sogar ins Innere des ornamental verzierten Rahmens versetzt und so nachträglich zum Teil des Bildes (Abb. 209). Im Vorwort dieser Publikation bezeichnete Allais sich selbst scherzhaft als „monochroidalen“ Künstler und verspottete die „lächerlichen Handwerker, die tausend verschiedene Farben nötig haben, um ihre mühselig gewonnenen Einfälle zum Ausdruck zu bringen“.30 28 A. Allais: Album Primo-Avrilesque. 29 Diese beschrieb Félix Fénéon wie folgt: „Sous ce titre suave: Première communion de jeunes filles chlorotiques par un temps de neige, M. Alphonse Allais a collé au mur une feuille de bristol absolument blanche.“ Fénéon, Félix: „Les Arts Incohérents“, in: La libre revue, November 1883, zit. nach: Ausst.-Kat.: Équivoques. Peinture françaises du XIXe siècle, Musée des Arts Décoratifs Paris 1973, o. S. Eine Rekonstruktion der Arbeit, bestehend aus „bristol moderne“ und „punaises d’époque“ war Teil der Ausstellung, eine Abbildung findet sich ebenfalls im Katalog. 30 A. Allais: Album Primo-Avrilesque, S. 4.

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Abbildung 209: Alphonse Allais: Première Communion de Jeunes Filles Chlorotiques par un Temps de Neige

A. Allais: Album Primo-Avrilesque, o. S.

Vor allem als spektakuläre Vorwegnahme der monochromen Malerei hat das Aprilscherz-Album die Aufmerksamkeit moderner Interpreten auf sich gezogen.31 Die hartnäckige Betonung seiner ‚visionären‘ Qualitäten hat jedoch dazu geführt, dass das Album nur selten vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskurse des ausgehenden 19. Jahrhunderts betrachtet wurde, in denen es eigentlich seinen Ort hat. Einzig John C. Welchman sieht in den Monochromen Allais’ das frühe Symptom einer Krise der Referenz, die in der zweiten Jahrhunderthälfte heraufgezogen war.32 Die Debatten über die durch die Emergenz der Fotografie noch drängender gewordene Frage, was Malerei überhaupt noch darstellen könne, wurden um 1880 auch auf dem Feld der Bildtitel ausgetragen. So wurde die in der akademischen Malerei seit Jahrhunderten übliche Praxis der präzisen deskriptiven Benennung des Dargestellten im Bildtitel von den Impressionisten abgelehnt, die ihrerseits atmosphärische, auf Wahrnehmungsphänomene abzielende Titel bevorzugten.33 Allais bezog in dieser Kontroverse Stellung, indem er die Parodie eines akademischen Bildtitels mit einem Werk kombinierte, das rein gar nichts darstellte. Mit seiner titelgestütz31 So behandelt Kirk Varnedoe die Arbeit noch in einer Publikation von 2003 als „remarkably premonitory work“ und „pre-Malevich masterpiece“, ohne die problematischen Implikationen eines solchen teleologischen Fortschrittsmodells in der Kunst zu reflektieren. Vgl. Varnedoe, Kirk: Pictures of Nothing. Abstract Art since Pollock, Princeton u.a. 2003, S. 192. 32 Vgl. Welchman, John C.: Invisible Colors. A Visual History of Titles, New Haven u.a. 1997, S. 106 ff. 33 Vgl. Welchmans Ausführungen zu Monets „Nominative Effectualism“, ebd., S. 60 ff.

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ten tabula rasa ironisierte er einerseits die positivistische akademische Kunstauffassung und zitierte andererseits den im Zusammenhang mit impressionistischer Malerei stereotyp geäußerten Vorwurf, auf den Bildern sei „nichts“ zu erkennen. Abbildung 210: Draner: – Je n’y vois rien sur cette toile que vous voulez exposer ici, qu’est-ce que cela représente? – „La police réprimant une attaque nocturne“

Le Charivari, 04.11.1884, S. 220

Auch auf dem Feld der Pressekarikatur fanden Allais’ parodistische Monochrome ein breites Echo. In einer Karikatur von Draner, die ein Jahr nach der ersten Ausstellung der Filles Chlorotiques, nämlich 1884 im Charivari erschien, wird ebenfalls eine leere Leinwand vom Künstler als fertiges Werk präsentiert (Abb. 210). Schauplatz der Szene ist der Wandbeschriftung zufolge ein Ausstellungsraum der Art Incohérents. Auf die Frage, was sein Bild darstelle, antwortet der Künstler: „La police réprimant une attaque nocturne.“ Im Kontext der Serie Actualités, in der die Karikatur erschien, nahm Draner damit auf die aktuelle Ausstellung der Inkohärenten in der Galerie Vivienne Bezug, bei der Allais erneut monochrome Bilder zeig-

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te.34 Auch bei dieser Karikatur ergibt sich die Pointe aus dem Vergleich des Monochroms mit dem ihm verliehenen narrativen Titel. In gewisser Hinsicht ist Draners Titelparodie sogar noch raffinierter als diejenige des Aprilscherz-Albums, da sie in einer Art doppelter Volte in dem weißen Monochrom gleichsam die Möglichkeit eines schwarzen Pendants aufscheinen lässt: Der verhinderte „nächtliche Angriff“ erscheint als weiße Fläche. Wie schon bei Allais gerät das karikierende Spiel mit dem Monochrom auch hier zum Sprach- und Denkspiel. Die Karikatur wiederholt gleichsam die Strategie der Arts Incohérents, die weniger eine künstlerische denn eine humoristische ist. Als Witz über Allais’ Monochrome läuft die Pointe der Karikatur freilich ins Leere, denn diese sind selbst nichts anderes als Witze über Kunst. Als künstlerische Bewegung, die sich selbst nicht ernst nahm35 und die nie den Anspruch erhob, Kunst zu produzieren, fehlte den Arts Incohérents die nötige Fallhöhe, um sie zu einem lohnenden Objekt der Karikatur zu machen. Stattdessen griff die Karikatur der 1880er und -90er Jahre die Pointen und humoristischen Taktiken der Inkohärenten nur zu gerne auf, wie ein Beispiel von Pif aus dem Jahr 1891 zeigt (Abb. 211). Hier erklärt der Künstler die leere Leinwand als „peinture symbolique“ kurzerhand zum Porträt Gottes, der schließlich ebenfalls unsichtbar sei. Kurz nach der Jahrhundertwende reflektierte der italienische Maler und Karikaturist Leonetto Cappiello (1875-1942) das Verhältnis von abwesendem Bild und ergänzendem Text in einer Karikatur, die 1903 in der Pariser Satirezeitschrift Le Canard Sauvage erschien und zwei Salonbesucherinnen vor einer gänzlich leeren Leinwand zeigt (Abb. 212). Auf die Bemerkung der ersten, sie könne auf dem Bild nichts erkennen, antwortet ihre Begleiterin: „Regarde sur le cadre: il y a de quoi lire!!!“ Auch hier ersetzt der Text das Bild: Da es auf der repräsentativ gerahmten Leinwand buchstäblich nichts mehr zu sehen gibt, verlagert sich der Blick auf den am Rahmen angebrachten Text. Dieser scheint immerhin eine schriftliche Information zu enthalten, deren Inhalt uns allerdings nicht enthüllt wird. Zweifel an der Fähigkeit des Mediums Malerei, Inhalte noch angemessen, das heißt für den Betrachter verständlich abzubilden, bildeten den Nährboden für diese Karikatur. Die Malerei schien gegenüber dem Text keinen Mehrwert mehr zu besitzen und lief so Gefahr, ihre Legitimation zu verlieren. Die Identitätskrise der Malerei um 1900 ist somit der Kontext, in dem sich die Darstellung dieser tabula rasa verorten lässt.36

34 Vgl. Ausst.-Kat. Arts Incohérents, académie du dérisoire, Musée d’Orsay, Paris 1992, S. 6. 35 Jules Lévy, Initiator und theoretischer Kopf der Bewegung, schrieb 1886: „Nous ne faisons point de l’Art […] et jamais nous n’avons voulu en faire. Nous nous amusons et nous voulons amuser les autres, tout simplement“, in: Le Chat Noir, 30.10.1886, zit nach: Allais, Alphonse: Œuvres posthumes, Bd. 2, Paris 1966, S. 372. 36 Zu diesem Aspekt vgl. auch D. Riout: La peinture monochrome, S. 367 ff.

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Abbildung 211: Pif: – Ça une peinture symbolique pour le Salon du Sar? … – Il n’y a rien su la toile! – C’est la portrait de Dieu… Et comme il est invisible…

Le Charivari, 27.09.1891. o. S.

Abbildung 212: Leonetto Capiello: Au Salon – Je ne distingue rien sur la toile… – Regarde sur le cadre: il y a de quoi lire!!!

Le Canard Sauvage, 18.04.1903, o. S.

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In der Karikatur bezeichneten weiße Monochrome meist eine leere Leinwand. Alphonse Allais’ tabula rasa war dagegen ursprünglich ein leeres Blatt Papier. Selbst wenn Fénéons Beschreibung zutrifft und es sich dabei um Bristolpapier, also ein zum Zeichnen und Aquarellieren bestimmtes Papier handelte, war durch das Material doch eine gewisse Nähe zur Nachbardisziplin der Literatur gegeben, die der Schriftsteller Allais sicher nicht zufällig einging. Stärker noch als die leere Leinwand bildete der leere Papierbogen ein Scharnier zur page blanche der zeitgenössischen Literatur, insbesondere zum Werk des Dichters Stéphane Mallarmé (18421898), der die weiße Seite zum Träger komplexer poetischer Bedeutungswelten machte. Kurt Wais zufolge entspricht das leere Blatt bei Mallarmé einem „Gestaltloswerden im Absoluten“37; es verkörpert einerseits das Ideal absoluter metaphysischer Reinheit, andererseits aber auch Einsamkeit, Leere und die Gefahr des Verstummens.38 Als Metapher dichterischer Arbeit kann das leere Blatt einerseits auf den kreativen Aufbruch verweisen, während es andererseits die schöpferische Impotenz symbolisiert, die schon den jungen Mallarmé quälte.39 Die Ambivalenz von schöpferischer Potenz und Lähmung, die charakteristisch für die tabula rasa der bildenden Kunst ist, eignet also auch der leeren Seite der Literatur. Mallarmés letzte und wohl ungewöhnlichste Dichtung Un Coup de Dés Jamais N’abolira le Hasard erschien 1897, im selben Jahr wie Allais’ Album Primo-Avrilesque.40 Der erste Teil des Gedichtes besteht aus einer leeren Seite, und auch darüber hinaus spielt die Leere der Weißflächen in der von Mallarmé präzise festgelegten drucktechnischen Gestaltung des Werkes eine entscheidende Rolle.41 Das visuelle Erscheinungsbild des 37 Wais, Kurt: Mallarmé. Dichtung − Weisheit − Haltung, München 1952, S. 572. 38 „Jedes Gedicht ist ja in sich schon ein Entsträuben aus dem eisigen Schweigen des weißen Papiers“, K. Wais: Mallarmé, S. 571. 39 Um 1862 beschrieb Mallarmé diese Unfähigkeit in Briefen an den Freund Henri Cazalis als „Sterilität“ sowie „Ohnmacht“, zit. nach: Therre, Hans: Stéphane Mallarmé, München 1998, S. 31. 40 Vgl. Mallarmé, Stéphane: „Un coup de Dés jamais n’abolira le Hasard“, in: Cosmopolis, Bd. 6 (1897), Nr. 17, S. 417-427. 41 Mallarmés Schüler Paul Valéry beschrieb diesen Aspekt wie folgt: „Das, was er erfand, hatte er aus jahrelangen Analysen der Sprache, des Buches, der Musik abgeleitet, und es beruhte darauf, die Seite als visuelle Einheit zu betrachten. Sehr sorgfältig hatte er die Wirkung der möglichen Anordnungen von Schwärze und weißen Zwischenräumen studiert (sogar auf Plakaten, in Zeitungen) und die Intensität verschiedener Drucktypen verglichen. [...] Er führte ein flächenhaftes Lesen ein, das er mit dem linearen Lesen verknüpfte; und das bedeutete, eine Bereicherung der Literatur um eine zweite Dimension.“ Valéry, Paul: „Über den ‚Würfelwurf‘ von Mallarmé“ (1920), in: Ders.: Über Mallarmé, Frankfurt am Main 1992, S. 11-16, hier S. 14. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch eine handschriftliche Version des Gedichtes sowie eine von Mallarmé anno-

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Coup de Dés ist ein Beispiel für die Tendenz zu synästhetischen Verquickungen in der Arbeit eines Dichters, der selbst zu den ersten Fürsprechern der impressionistischen Malerei gehörte.42 Auch wenn eine unmittelbare Verbindung zwischen den beiden so unterschiedlichen Texten von Stéphane Mallarmé und Alphonse Allais eher unwahrscheinlich ist, kann die merkwürdige Koinzidenz ihres zeitlichen und geografischen Zusammenfallens doch als Hinweis auf die enorme Virulenz der tabula rasa in der französischen Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelten. Ihr häufiges Auftauchen, gerade im seismographischen Medium der Karikatur, zeugt von einer kulturellen und medialen Umbruchssituation, die zwar seitens der Malerei als Anzeichen einer Krise aufgefasst wurde, dabei jedoch auch das Potenzial eines Neubeginns in sich barg. Allais’ Satire kam dabei eine Scharnierstellung zwischen den künstlerischen Disziplinen und den verschiedenen zeitgenössischen Diskursen und Sichtweisen der tabula rasa zu. Verweigerung der Narration: Das impressionistische Schneebild Wenn monochrome Bildwitze die weiße Leinwand parodistisch betiteln, so erklären sie das weiße Monochrom häufig zur verschneiten Landschaft. Auch Allais siedelte die Erstkommunion seiner Jeunes Filles Chlorotiques im Schneetreiben an und nahm damit implizit auf das bei den Impressionisten überaus beliebte Genre des Schneebildes Bezug. Deutlicher wurde André Gill mit der Darstellung einer weißen Bildfläche, die sich im Kontext eines Salon caricatural von 1868 als Werkkarikatur auf ein Gemälde von Ludovic Piette bezog (Abb. 213). Gill wandelte den Titel des mit der Katalognummer 1999 versehenen Schneebildes ab. Während der Katalog das Gemälde unter dem einfachen Titel Neige führt, machte der Karikaturist daraus einen Effet de neige und ordnete das Bild so unmissverständlich einer künstlerischen Stilrichtung zu, die 1872 den Namen Impressionismus erhalten sollte. Denn der ‚Effekt‘ galt ebenso wie die ‚Impression‘ als Indikator für eine Tendenz der Malerei, die als antiakademisch betrachtet und mit Künstlern wie Claude Monet und Camille Pissarro in Verbindung gebracht wurde. Monet begann in den späten 1860er Jahren als Erster, seine Bildtitel mit atmosphärischen Qualifikatoren dieser Art zu versehen, um auf wahrnehmungspsychologische Besonderheiten seiner Malerei aufmerk-

tierte Druckausgabe. Beide Dokumente sind als Faksimiles abgebildet in: Mallarmé, Stéphane: Un coup de Dés jamais n’abolira le Hasard, hg. von Françoise Morel, Paris 2007. 42 Vgl. Mallarmé, Stéphane: „Le Jury de peinture pour 1874 et M. Manet“, in: La Dernière Mode, Paris 1874, sowie Ders.: „The Impressionists and Edouard Manet“, in: The Art Monthly Review, London 1876.

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sam zu machen.43 In den Folgejahren setzte sich diese Benennungspraxis innerhalb der impressionistischen Gruppe rasch durch. Spätestens ab 1872 wurden die entsprechenden Schlüsselwörter auch in der Karikatur als Code für den Impressionismus eingesetzt und universal verstanden. Gills Satire von 1868 ist damit ein besonders früher Reflex auf impressionistische Bildtitel, der zur Zeit seiner Veröffentlichung vermutlich nur von Eingeweihten bemerkt wurde. In der Tat war der heute kaum noch bekannte Maler Ludovic Piette eng befreundet mit Pissarro und Teil der sich formierenden impressionistischen Bewegung, so dass ihn Gill durch die Modifikation des Titels durchaus der passenden Schule zuordnete. Schneebedeckte Landschaften waren ein häufig gestaltetes Motiv der antiakademischen Landschaftsmalerei, die allmählich auch im Salon Fuß fasste. 1868, im Entstehungsjahr von Gills Karikatur, bemerkte selbst Jules Grangedor, der Kritiker der Gazette des Beaux-Arts, in seiner Rezension der Salonausstellung: „Les effets de neige sont très-nombreux cette année.“44 Obwohl diese Aussage statistisch gesehen nicht korrekt ist45, zeigt sie doch, dass das Motiv selbst im offiziellen Salon die Aufmerksamkeit der Kritiker auf sich gezogen hatte. Wenn Gill also polemisch vorschlug, Piettes Winterlandschaft durch eine leere Leinwand zu ersetzen, die das wahre „chef-d’œuvre“ sei, so platzierte er seine Kritik bewusst im institutionellen Zusammenhang der Salonausstellung, deren Autorität durch das Einsickern moderner Tendenzen zunehmend bedroht war. Wie schon seine Karikaturen auf Courbet zeigten, fühlte sich Gill eher der Pariser Bohème als dem Establishment der Akademie zugehörig. Die Entwicklung der impressionistischen Bewegung dürfte er mit Interesse verfolgt haben. Seine Karikatur auf ein frühimpressionistisches Schneebild legte gleichsam den Finger in die Wunde, da sie das bedrohliche Potential impressionistischer Malerei prägnant zuspitzte: Die Konzentration auf Stimmungen und atmosphärische Phänomene der Natur und der damit einhergehende Verzicht auf narrative Elemente wurden von zeitgenössischen Betrachtern als höchst irritierend empfunden. Zusammen mit der oft skizzenhaften Malweise trug dies zu der Ansicht bei, auf impressionistischen Bildern sei nichts zu sehen, sie seien pictures of nothing.

43 Vgl. J. C. Welchman: Invisible Colors, S. 60 ff. 44 Grangedor, Jules: „Le Salon de 1868“, in: Gazette des Beaux-Arts, Bd. 25 (Juli 1868), S. 5-30, hier S. 28. 45 In seiner statistischen Auswertung der Salonkataloge von 1859 bis 1880 kann Tilman Treusch nachweisen, dass der Anteil von Schneebildern in den offiziellen Salonausstellungen meist weniger als ein Prozent betrug. Im Jahr 1868 sollen nur 18 von 2.587 Gemälden das Motiv behandelt haben. Vgl. Treusch, Tilman: Schneebilder. Malerei in der kalten Jahreszeit, Petersberg 2007, S. 62 ff.

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Abbildung 213: André Gill: Le Salon pour rire Rechts unten: La toile peut resservir: M. Piette a la ressource de remplacer son Effet de neige par un chef-d’œuvre

Gill Revue, Paris 1868, S. 6

Die Schneebilder der Impressionisten mussten vor diesem Hintergrund als Symptom einer Krise erscheinen, die in den Augen vieler Kritiker schon mit dem Realismus Gustave Courbets begonnen hatte und die Denys Riout aus heutiger Sicht als „Krise des Sujet“46 beschreibt. Monets Aussage, erst der Schnee habe ihn gelehrt, die Farben zu sehen47, dürfte für das Salonpublikum seiner Zeit kaum verständlich 46 Vgl. D. Riout: La peinture monochrome, S. 367 ff. 47 So begründete Monet in einem Zeitungsinterview seinen Arbeitsaufenthalt in Norwegen im Winter 1894/95, bei dem zahlreiche Schneebilder entstanden: „Il faut que je peigne i-

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gewesen sein. Dementsprechend führt Treusch aus, dass in den zeitgenössischen Salonkritiken nur diejenigen Bilder eine positive Erwähnung fanden, in denen die verschneite Winterlandschaft den Hintergrund für ein anekdotisches Geschehen bildet, während die nicht-anekdotischen Bilder − darunter der Effet de neige von Ludovic Piette, aber auch Werke wie Monets frühes Schneebild Die Elster von 1868/69 (Abb. 214), einfach ignoriert wurden.48 Dass Piettes Bild in keiner geschriebenen Salonkritik des Jahres 1868 erwähnt wird, sondern stattdessen in einem Salon caricatural auftaucht, ist daher kein Zufall. Denn durch den bewussten Verzicht auf Narration gerieten die impressionistischen Bilder in den Verdacht, in Wirklichkeit gar nichts mehr darzustellen. In den Augen zeitgenössischer Betrachter gaben die weißen Farbflächen des impressionistischen Effet de neige keine Antwort mehr auf die Frage, was Malerei überhaupt noch darstellen könne, im Gegenteil: Indem das Schneebild sich scheinbar der tabula rasa des weißen Monochroms annäherte, schien es die Malerei selbst in Frage zu stellen. Abbildung 214: Claude Monet: La Pie, 1868/69, ÖL auf Leinwand, 89 x 130 cm, Musée d’Orsay, Paris

Google Art Project, veröffentlicht unter public domain

Erst vor dem Hintergrund der vermeintlich gegenstandslosen impressionistischen Malereien rückte das tatsächlich gegenstandslose, monochrom weiße Bild um 1870 zum ersten Mal in den Bereich des − zunächst nur satirisch − Vorstellbaren. Der ci. [...] Il me faut voir la couleur“, in: Verdens Gang, 9.02.1895, zit. nach: Ausst.-Kat. Monet i Norge − Monet en Norvège, Rogaland Museum Stavanger u.a. 1995, S. 189. 48 Der Autor führt als Beleg eine Salonkritik von Théophile Thoré aus dem Jahr 1868 an. Vgl. T. Treusch: Schneebilder, S. 84.

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Karikatur kommt in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle zu, denn was in der Kunst erst um 1915 zur gestalterischen Möglichkeit wurde, realisierte die Satire schon sehr viel früher. Während das Unzugängliche, Irritierende von der textuellen Kunstkritik noch meistenteils negiert wurde, hob es die Karikatur bereits pointierend hervor. Abbildung 215: Erich Wilke: Expressionistischer Realismus „Na, endlich lernen die Leute Natur malen!“

Kladderadatsch, Bd. 75 (1922), Nr. 13, o. S.

Dass der monochrome Bildwitz dabei nicht an den Impressionismus gebunden war, zeigt eine rund fünfzig Jahre später, nämlich 1922 erschienene Karikatur des deutschen Zeichners Erich Wilke (1879-1936), die eine pompös gerahmte leere Leinwand via Überschrift mit der Stilbezeichnung „Expressionistischer Realismus“ versieht (Abb. 215). Drei Ausstellungsbesucher, deren Hinterköpfe am unteren Bildrand erscheinen, reagieren auf das als „Schneelandschaft“ betitelte Bild mit der Bemerkung: „Na, endlich lernen die Leute Natur malen!“ Auch hier manifestiert sich im Bild der tabula rasa eine Krise des Sujets. Die weiße Leinwand erlaubt es, die zur Abstraktion tendierende Malerei des Expressionismus mit der Vorstellung eines realistischen Bildgegenstandes zu unterlegen, der als „Schneelandschaft“ je-

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doch unsichtbar bleiben muss. Die vorgeblich realistische Darstellung zeigt in Wirklichkeit den höchstmöglichen Abstraktionsgrad. Durch die Signatur in der linken oberen Ecke des weißen Monochroms wies sich der Karikaturist selbst als Schöpfer dieser tabula rasa aus, während er mit dem lateinischen Zusatz „fec.“ (fecit) auf die Signierpraxis der Alten Meister Bezug nahm; ein Anachronismus, der selbstverständlich ironisch gemeint ist, denn streng genommen ist die Schneelandschaft der Karikatur überhaupt nicht „gemacht“, vielmehr ist die Bearbeitung der rohen Leinwand − und damit das Bedrucken des Zeitungspapiers − offenbar gänzlich ausgeblieben. Typisch für die deutsche Kunstkarikatur ist der Hinweis auf den Verkaufserfolg des karikierten Werkes. Trotz des überzogenen Preises von 50.000 Mark ist das Bild als „verkauft“ gekennzeichnet und verweist so auf den kommerziellen Erfolg der Expressionisten, der für das breite Publikum kaum nachvollziehbar war. Wie in dem bekannten Märchen um Des Kaisers neue Kleider wurde eine Ware scheinbar teuer verkauft, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden war. Mit dem Hinweis auf den Verkaufswert des karikierten Bildes führte die Karikatur ein neues Argument ein, das in französischen Karikaturen des 19. Jahrhunderts noch keine Rolle gespielt hatte. Obwohl impressionistische Bilder schon im 19. Jahrhundert hohe Preise erzielten, wurden Künstler und Kunsthändler erst in deutschen Karikaturen des 20. Jahrhunderts als gewitzte Scharlatane und Betrüger dargestellt, die für ein aufwendig gerahmtes ‚Nichts‘ eine astronomische Summe verlangten. Hinter der scheinbaren Harmlosigkeit des monochromen Bildwitzes rührte Wilkes Karikatur an populäre Aversionen gegen die moderne Kunst und trug so dazu bei, die Vorurteile seiner konservativen Leserschaft zu schüren. Dass diese Vorurteile auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts noch wirksam waren, zeigt Yasmina Rezas dramatische Adaption des Themas. In ihrer 1994 uraufgeführten Komödie Kunst wird die langjährige Freundschaft dreier Männer auf eine harte Probe gestellt, als einer von ihnen, Serge, „ein weißes Ölgemälde mit feinen weißen Querstreifen“49 erwirbt. Der Streit um dieses Bild, von Marc, seinem Freund und Dialogpartner, abwechselnd als „Nichts“50und „weiße Scheiße“51 tituliert, führt beinahe zum Zerbrechen der Freundschaft. Erst durch einen von Serge initiierten Ikonoklasmus kann die Eskalation schließlich verhindert werden: Mit einem Filzstift zeichnet Marc die Figur eines Skifahrers auf das weiße Monochrom und verwandelt es so in eine verschneite Landschaft. Auch wenn der Skifahrer später wieder entfernt und die monochrome Fläche wiederhergestellt wird, ist das wei-

49 Reza, Yasmina: Kunst (1994), zit. nach der deutschen Übersetzung von Eugen Helmlé, in: Theater heute, Bd. 37 (1996), Nr. 3, S. 45-53, hier S. 45. 50 Ebd., S. 47. 51 Ebd., S. 53.

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ße Bild danach auch für Marc akzeptabel. Das Stück endet mit seiner Beschreibung des Bildes: „Unter den weißen Wolken fällt der Schnee. Man sieht weder die weißen Wolken noch den Schnee. Weder die Kälte noch den weißen Glanz des Bodens. Ein einzelner Mann gleitet auf Skiern dahin. [...] Es ist ein Gemälde von etwa ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig. Es stellt einen Mann dar, der einen Raum durchquert und dann verschwindet.“52

Die tabula rasa als Readymade Im Gegensatz zu den monochromen Malereien des 20. Jahrhunderts, welche die Vorlage für das weiße Bild in Rezas Komödie bilden, ist in der Karikatur niemals die weiß bemalte, sondern stets die unbemalte, leere Leinwand gemeint. Fast immer geht aus der Bildunterschrift hervor, dass tatsächlich „rien sur la toile“, die malerische Bearbeitung also gänzlich ausgeblieben ist. Als Resultat einer solchen Nicht-Bearbeitung erscheint die leere Leinwand in einer Karikatur von Cham, die 1879 im Pariser Charivari erschien (Abb. 216). Hier wird die Geste der Negation ideologisch begründet: „Je suis peintre nihiliste!“ verkündet der Maler und erhält prompt die Quittung für seinen Akt der Verweigerung: Seine gerahmte und als fertiges Werk zur Salonausstellung eingesandte weiße Leinwand wird von der Jury refüsiert. Den hinzugekommenen Atelierbesucher wundert dies allerdings nicht, denn: „Il n’y a rien sur la toile!“ Wie oft bei Cham verkörpert der Atelierbesucher gleichsam die Stimme der Vernunft und dient als Identifikationsfigur für den bürgerlichen Leser des Charivari. Inwieweit diese Karikatur im Zusammenhang mit einer angeblich um das Jahr 1880 anonym zum Salon des Indépendants eingesandten leeren Leinwand steht, lässt sich wohl kaum mehr rekonstruieren.53 Interessant ist jedoch, dass Cham die Produktion seiner tabula rasa in der Bildunterschrift einer „Nouvelle École“, also einer modernen Kunstströmung zuschreibt, die in der vollbärtigen und ungekämmten Figur des Künstlers auch ihre zeittypische Verkörperung findet. Die Geste des solcherart karikierten Künstlers ist bewusst nicht als exzentrische Aktion eines Einzelnen charakterisiert, sondern wird als symptomatisch für eine ganze Schule dargestellt. Dem entspricht die Verknüpfung des monochromen Bildes mit der aus Russland stammenden philosophisch-weltanschaulichen Strömung des Nihilismus, die in den 1870er Jahren, vermittelt durch Émile Zola, unter den progressiv eingestellten jüngeren Pariser 52 Ebd. 53 Epperlein erwähnt diesen Vorfall, der in einem nicht näher benannten „Pataphysical Journal“ kolportiert sein soll. Das fragliche Bild habe den Titel Die See ist zurückgewichen, die Israelis sind vorbeigezogen, die Ägypter sind noch nicht gekommen getragen. Vgl. B. Epperlein: Monochrome Malerei, S. 58.

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Künstlern zur Modeerscheinung geworden war. Das nihilistische Dogma der Verneinung aller bestehenden Anschauungen und Verhältnisse führte Cham in seiner Karikatur zu letzter Konsequenz: Auch die Malerei selbst muss der nihilistische Maler verneinen, so dass er zuletzt gar nichts mehr produziert. Abbildung 216: Cham: Une nouvelle école – Ils ont refusé mon tableau! – M’étonne pas! Il n’y a rien sur la toile! – Je suis peintre nihiliste!

Le Charivari, 25.05.1879, o. S.

Weniger unter ideologischen Gesichtspunkten als unter dem Aspekt der Arbeitsersparnis empfahl der Autor der satirischen Anleitung Wie komme ich in fünf Tagen in die Kantstraße seinen Berliner Lesern im Jahr 1902: „Man nehme ein Stück Leinwand. Ist dasselbe sauber und weiß, so lässt man es umrahmen und nennt es ,Winterlandschaft‘. Besser noch ist die Bezeichnung ,Wolkenzauber‘; tiefsinnig ,Unendlichkeit‘, von guter Realistik ,Leinwand‘.“54 Durch die Erwähnung der Kantstraße, dem Ausstellungsort der Berliner Secession, ist der Text eindeutig auf die moderne Malerei bezogen, die in den Augen konservativer Kritiker keine Kunstfertigkeit mehr erforderte. Infolgedessen richteten sich die fünf satirischen Lektionen der Anleitung auch an Laien der Malerei, denen eine erfolgreiche Karriere als Secessionsmaler vorausgesagt wurde. Das immer noch als ‚unfertig‘ wahrgenommene Erscheinungsbild aktueller impressionisti-

54 Anonym: „Die neue Kunst, oder: Wie komme ich in fünf Tagen in die Kantstraße“, in: L. Wulff: Die Insel der Blödsinnigen, S. 74.

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scher und symbolistischer Gemälde erfuhr eine satirische Zuspitzung im Bild der leeren Leinwand, dem Inbegriff des Unfertigen. Der letzte Betitelungsvorschlag „Leinwand“ erscheint dabei aus heutiger Sicht wie ein Vorgriff auf tautologische Kunstdefinitionen, die erst in den 1960er Jahren explizit werden sollten. Unter der Überschrift L’Ecole Moderne veröffentlichte das Journal Amusant 1912 eine Karikatur von Luc, die das Ausbleiben der Bearbeitung, also den Verzicht auf die Malerei, als bewusste Entscheidung des Künstlers thematisiert (Abb. 217). Die weiße Leinwand, die der karikierte Maler einem staunenden Besucher präsentiert, ist leer bis auf die Künstlersignatur − hier identisch mit der Signatur des Karikaturisten − und soll es nach Meinung ihres Urhebers auch bleiben: „il n’est encore que signé, et je ne le peindrai jamais.“55 Die unbehandelte, auf einen Keilrahmen gespannte und signierte Leinwand ist demnach ein Werk, dem seitens des Malers nichts mehr hinzuzufügen ist. Thierry de Duve weist darauf hin, dass die unbearbeitete Leinwand auch als Readymade rezipiert werden kann: Schließlich handelt es sich um ein neues, unbenutztes Industrieprodukt, dem durch die Signatur des Künstlers der Status eines Kunstwerks verliehen wurde.56 Unter diesem Blickwinkel erscheint die prominent ins Bild gesetzte Signatur der leeren Bildfläche in Lucs Karikatur wie eine Vorwegnahme von Marcel Duchamps Geste, wenige Jahre vor ihrer Realisierung.57 Wie Duchamps seit 1914 entstehende Readymades markiert auch die leere Leinwand den damals noch hypothetischen Endpunkt einer Entwicklung der Kunst, die zur Aufgabe handwerklicher Fertigkeiten führte − eine Tendenz, die sehr viel später unter dem Begriff Deskilling subsummiert wurde.58 Es ist nicht einmal unwahrscheinlich, dass Duchamp, der 1912 noch in Paris lebte, die Karikatur gekannt hat. Zumindest dürfte er sich für diese Gattung interessiert haben, da er selbst als junger 55 Luc: L’École Moderne, in: Journal Amusant, 02.03.1912, S. 9. 56 de Duve, Thierry: „The Monochrome and the Blank Canvas“, in: Guilbaut, Serge (Hg.): Reconstructing Modernism: Art in New York, Paris and Montreal 1945-1964, Cambridge u.a. 1996, S. 244-309, hier besonders S. 280 ff. 57 1914 gilt als das Entstehungsjahr des ersten sogenannten „unassisted Readymades“. Es handelt sich dabei um den Flaschentrockner, der von Marcel Duchamp als „vorgefertigte Skulptur“ gekauft, jedoch noch nicht mit einer Signatur versehen wurde. Den Begriff Readymade verwendete Duchamp erstmals 1916 in einem Brief an seine Schwester Suzanne: „Wenn Du in meiner Wohnung warst, hast du in meinem Atelier ein FahrradRad und einen Flaschentrockner gesehen. Ich hatte es als eine schon fertiggestellte Skulptur gekauft. [...] Hier in New York habe ich einige Objekte in demselben Sinne gekauft, und ich behandle sie als ,readymades‘. [...] Ich signiere sie und gebe ihnen englische Beschriftungen.“ Brief Marcel Duchamp an Suzanne Duchamp, etwa 15.01.1916, zit. nach: Thomkins, Calvin: Marcel Duchamp, Wien 1999, S. 187. 58 Vgl. J. Roberts: The Intangibilities of Form.

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Mann für einige Zeit als Karikaturist tätig war und die Arbeit der bekanntesten Pariser Zeichner, zu denen auch Lucien Métivet gehörte, aufmerksam verfolgte.59 Abbildung 217: Luc: L’Ecole Moderne – C’est un tableau tout ce qu’il y a de plus „futuriste“: il n’est encore que signé, et je ne le peindrai jamais.

Journal Amusant, 02.03.1912, S. 9

Im Erscheinungsjahr der Karikatur 1912 gab Duchamp zudem die Malerei auf, um, wie er später sagte, „dem Gefängnis der Tradition zu entrinnen“.60 Obschon zwischen dieser Entscheidung und Lucs Karikatur wohl kaum ein direkter Zusammenhang bestand, zeigt die Koinzidenz beider Phänomene doch, dass Überlegungen zur 59 Im Erdgeschoss des Hauses in der Rue Caulaincourt 65, in dem Duchamps Bruder und zeitweilig auch Duchamp selbst wohnte, befand sich die Brasserie Manière, das Stammcafé der Pariser Karikaturisten, in dem auch Métivet regelmäßig verkehrte. Vgl. C. Thomkins: Marcel Duchamp, S. 48 f. 60 In einem Interview mit Calvin Thomkins, vgl. C. Thomkins: Marcel Duchamp, S. 152.

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Entwicklung der Malerei vor dem Hintergrund der rasch wechselnden Stile und Avantgardebewegungen ebenso virulent waren wie die Befürchtung, die Malerei sei an ihr Ende gelangt.61 Das Jahr 1912 war in dieser Hinsicht ein Schlüsseljahr, in dem die künstlerische Realisation einer leeren Leinwand buchstäblich zum Greifen nahe schien.62 Das Streben der Maler nach Purismus und die Beschäftigung mit den elementaren Grundlagen und Voraussetzungen der Malerei verlieh der Vorstellung einer leeren Leinwand eine außerordentliche ästhetische Anziehungskraft. So pries auch Kandinsky in einem Text von 1913 „diese reine Leinwand, die selbst so schön wie ein Bild ist“.63 Eine leere Leinwand tatsächlich zum Bild zu erklären, wäre ihm freilich nicht in den Sinn gekommen. Auch Duchamp hat die leere Leinwand niemals als Readymade realisiert. Denn im Gegensatz zu den von ihm ausgewählten Objekten, bei denen es sich stets um triviale, alltägliche Gebrauchsgegenstände handelte, war die tabula rasa auf die Tradition der abendländischen Malerei bezogen.64 Als Readymade besäße sie nicht die Offenheit eines Flaschentrockners oder eines Urinals, da sie stets ein potentielles Bild ist – selbst wenn sie, wie in Lucs Karikatu, auf das Ende der Malerei verweist. Das Fenster zur älteren Vorstellung der tabula rasa als Potentialität aller ungemalten Bilder bleibt so immer einen Spaltbreit geöffnet. Karikaturen zur tabula rasa konnten also auch im frühen 20. Jahrhundert noch nicht auf eine reale künstlerische Praxis rekurrieren. Die leere Leinwand war hier ebenso hypothetisch wie in der Vorstellungswelt der Avantgardekünstler. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Realisation der tabula rasa in der Karikatur stets als etwas Zukünftiges vorgestellt wird. Dies gilt ebenso für Luc, der seinen Künstler die leere Leinwand als „futuristisch“ bezeichnen lässt, wie für den Comiczeichner Arsène Brivot (1898- nach 1966), der diese Vorstellung 1922 in einer Bilderfolge für das Journal Amusant noch einmal aktualisierte (Abb. 218). Unter der Überschrift Progrès et Réalité versammelte er sechs Illustrationen, in denen neue Erfindungen und technische Errungenschaften wie die Telegrafie und das Flugzeug als 61 Vgl. Meinhardt, Johannes: Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, Ostfildern-Ruit 1997, S. 97-101. 62 Vgl. T. de Duve: The Monochrome and the Blank Canvas, S. 283. 63 Kandinsky, Wassily: „Rückblicke“, in: Ders.: Kandinsky 1901-1913, Berlin 1913, S. 329, zit. nach Zimmermann, Reinhard (Hg.): Die Kunsttheorie von Kandinsky, Bd. 2 (Dokumentation), Berlin 2002, S. 110. Kandinsky bezeichnete die weiße Leinwand in diesem Textauszug auch als „reine, keusche Jungfrau“, die „der wünschende Pinsel [...] mit der ganzen ihm eigenen Energie erobert“. Sexuelle Metaphern dieser Art wurden im Zusammenhang mit der leeren Leinwand häufiger verwendet und trugen dazu bei, das Scheitern oder die Angst des Malers vor der weißen Bildfläche als Moment der Impotenz erscheinen zu lassen. 64 Vgl. T. de Duve: The Monochrome and the Blank Canvas, S. 280 ff.

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zweifelhaft entlarvt werden. Das vorletzte Bild zeigt einen Maler, der eine leere Leinwand signiert, ergänzt durch die Bildunterschrift „[...] ils [les Americains, d. A.] parlent de peindre des tabelaux sans couleurs“. Die tabula rasa erscheint im Kontext einer satirischen Prognose, die jedoch auch etwas über den aktuellen Zustand der Malerei aussagt. Denn ohne Farben zu malen bedeutet letztendlich, überhaupt nicht zu malen, so dass auch hier die Künstlersignatur das Letzte ist, was auf dem Readymade der leeren Leinwand zurückbleibt. Abbildung 218: Arsène Brivot: Progrès et Réalité

Journal Amusant, 16.09.1922, S. 9

Blank canvas: Die Angst des Künstlers vor der leeren Leinwand Nach 1945 wurde die leere Leinwand zu einem beliebten Motiv in Cartoons der Zeitschrift New Yorker, welche die französischen Satiremagazine als bedeutendster Publikationsort für Karikaturen zur modernen Kunst ablöste. Besonders in den 1960er Jahren erschienen zahlreiche Cartoons auf Künstler, denen es angesichts der unbehandelten Bildfläche offenkundig an Inspiration mangelt. Die stets prominent ins Bild gesetzte tabula rasa erscheint darin einerseits als potentielles Gemälde, andererseits als gleichsam physischer Beleg für das Unvermögen des Künstlers, schöpferisch zu arbeiten − eine Denkfigur, die an Mallarmés ambivalentes Verhältnis zur page blanche erinnert.

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Abbildung 219: Richard Taylor: „It says here that this was his non-productive period.“ In: The New Yorker, 14.12.1946, S. 40

© Richard Taylor / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Einer der frühesten Cartoons zu diesem Thema erschien 1946 und zeigt zwei Besucherinnen in einer modernen Kunstausstellung (Abb. 219). Während im Hintergrund mehrere abstrakte Gemälde zu sehen sind, stehen die beiden Frauen vor einer Wand, an der nur drei monochrom weiße Bilder hängen. Obwohl diese Leinwände, die sich nur im Format voneinander unterscheiden, offensichtlich nicht bearbeitet wurden, sind sie gerahmt, mit Wandbeschriftungen versehen und auch die Andeutung einer Künstlersignatur ist zu erkennen. Das Begleitheft zur Ausstellung, aus dem eine der Frauen vorliest, liefert dafür eine denkbar banale Erklärung: „It says here that this was his non-productive period“. Wie die älteren Karikaturen zur tabula rasa weist die leere Leinwand auch hier auf das Ausbleiben künstlerischer Produktion, das sie jedoch nicht, wie die französischen Karikaturen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als selbstbewusste Geste der Negation darstellt, sondern als Resultat eines Unvermögens wertet. Die leere Leinwand dokumentiert eine Phase mangelnder Produktivität, sie ist buchstäblich das Ergebnis einer Schaffenskrise. Gleichwohl wird ihr der Status eines Kunstwerkes zuerkannt, sie wird signiert, gerahmt und als fertiges Werk präsentiert. Möglicherweise handelt es sich dabei auch um eine ironische Reflexion des beginnenden Künstlerkultes, der es erlaubte, auch noch die banalsten Äußerungen eines berühmten Künstlers zur Kunst zu erklären − und kommerziell zu verwerten.

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In amerikanischen Cartoons der 1950er und -60er Jahre wurde die leere Leinwand meist als Chiffre für mangelnde Inspiration und schöpferisches Unvermögen eingesetzt. Der Künstler vor der leeren Leinwand ist stets in einer Pose dargestellt, die ihn als resignativen, melancholischen Typus kennzeichnet: Auf einem Stuhl zusammengesunken, mit aufgestütztem Kinn und kummervoller Miene hat er scheinbar vor der leeren Bildfläche kapituliert. Diesem Typus entspricht der von Perry Barlow karikierte Künstler, der nach den Leiden eines ergebnislosen Tages von seiner Frau ins Bett gerufen wird65 ebenso wie der Maler in einer Karikatur von Dana Fradon, dem selbst am einen als „Inspiration Point“ ausgewiesenen Aussichtspunkt nichts einfallen will.66 In einer Bildergeschichte von Richard Oldden gerät die künstlerische inventio nach anfänglicher Motivation ins Stocken, so dass die Leinwand auch hier letztlich nicht berührt wird und der deprimierte Künstler sich wieder in das Bett zurückzieht, dem er anfangs entstiegen war.67 Ebenso unproduktiv bleibt der Maler in einer 1967 erschienenen Karikatur von Al Ross (1912-2012), denn er ist angesichts einer großformatigen leeren Leinwand nicht in der Lage, dem an seine Atelierwand gehefteten Imperativ „Paint!“ auch nur annähernd Folge zu leisten (Abb. 220). Ratlos starrt er auf die weiße Bildfläche – fast hat es den Anschein, als würde diese ihn hypnotisieren. Der Cartoonist kannte diesen Zustand vermutlich aus eigener Erfahrung: Ross war selbst als Maler tätig und arbeitete im Stil des Abstrakten Expressionismus.68 In einem 1955 erschienenen Cartoon von James Mulligan (1920- nach 1987) kann erst die bieder beschürzte Ehefrau des Künstlers dieses Problem überwinden, indem sie die leere Leinwand in einem ebenso impulsiven wie pragmatischen Akt mit einer abstrakten Lineatur versieht. „There! Now you don’t have a blank canvas staring you in the face anymore“, herrscht sie den bewegungslosen Maler an, der auch angesichts ihres Übergriffes keinerlei Regung zeigt.69

65 Perry Barlow: „Time for bed, Anton. You’ve suffered enough for one day.“ In: The New Yorker, 05.03.1955, S. 39. 66 Dana Fradon: „Now, there’s a man with problems!“ In: The New Yorker, 16.07.1960, S. 33. 67 Richard Oldden: o. T., in: The New Yorker, 18.03.1967, S. 58-59. 68 Vgl. Weber, Bruce: „Al Ross, Cartoonist for The New Yorker, Dies at 100“, in: New York Times, 23.03.2012. 69 James Mulligan: „There! Now you don’t have a blank canvas staring you in the face anymore.“ In: The New Yorker, 22.10.1955, S. 48.

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Abbildung 220: Al Ross: o. T. , in: The New Yorker, 23.09.1967, S. 46

© Al Ross / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Die Angst des Malers vor der leeren Leinwand ist das gemeinsame Thema dieser Cartoons, die den Künstler in einem Zustand der Erstarrung und Resignation zeigen. Dass dieser Aspekt künstlerischen Arbeitens nicht schon viel früher zum Thema der Karikatur wurde, ist im Grunde überraschend, denn selbstverständlich kannten auch schon frühere Künstlergenerationen den hier karikierten Zustand der Lähmung. So schilderte schon Vincent van Gogh seine Gefühle angesichts der leeren Leinwand 1884 in einem Brief an seinen Bruder Theo: „Du weißt nicht, wie lähmend das ist, dieses von einer weißen Leinwand Angestarrtwerden, das zum Maler sagt: du kannst nichts; die Leinwand kann einen geradezu idiotisch anstarren und hypnotisiert manche Maler derartig, daß sie selber idiotisch werden. Viele Maler haben Angst vor der weißen Leinwand [...].“70 Es mag sein, dass die Angst vor der weißen Leinwand charakteristisch für die Kunst der Moderne ist, in welcher der Künstler nicht mehr so einfach auf tradierte Darstellungsformen zurückgreifen konnte. Dennoch ist es erstaunlich, dass die Karikatur das komische Potential dieses Phänomens erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entdeckte. Es stellt sich daher die Frage, wie die Cartoons zu diesem Thema in ihrer Zeit und am spezifischen Ort ihres Erscheinens motiviert waren.

70 Brief Vincent van Gogh an Theo van Gogh, Oktober 1884, in: van Gogh, Vincent: Briefe an seinen Bruder Theo, Bd. 2, Leipzig 1997, S. 37.

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Die 1950er Jahre waren in New York von der Malerei des Abstrakten Expressionismus geprägt, die vom Künstler ein Höchstmaß an subjektiver Selbstentäußerung verlangte. Jackson Pollock formulierte 1950 in einem Interview mit dem Kunstkritiker William Wright:„Was mich interessiert, ist, daß Künstler heute gar keinen Stoff mehr aufgreifen müssen, der außerhalb ihrer selbst liegt. Die meisten modernen Maler arbeiten von einer anderen Basis aus. Sie arbeiten von innen.“71 Was für Pollock eine positive Qualität war, mag bei anderen Künstlern eher zu einer Verunsicherung geführt haben. Die Forderung, ohne Anschauung eines äußeren Gegenstandes ausschließlich „von innen“ heraus zu arbeiten, trug sicher dazu bei, dass die leere Leinwand in den 1950er Jahren zu einer anderen Art von „Seelentäfelchen“ avancierte.72 Als tabula rasa der Karikatur gibt sie Auskunft darüber, wie es im Inneren des Künstlers tatsächlich aussieht: Im Gegensatz zu den All overStrukturen des Abstrakten Expressionismus, die gleichsam die ungebremste schöpferische Potenz des Künstlers belegen, verweisen die Karikaturen auf eine geistige und emotionale Leere, die sich im Bild der weißen Leinwand manifestiert. Abbildung 221: Saul Steinberg: o. T., in: The New Yorker, 18.02.1961, S. 39

© The Saul Steinberg Foundation / Artists Right Society (ARS), New York

Saul Steinberg charakterisierte die Arbeit des Künstlers in einer Karikatur von 1961 gar als physischen Kampf gegen die Leere der weißen Leinwand (Abb. 221). Als 71 Interview Jackson Pollock mit William Wright (1950), in: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 702. 72 Die antike Vorstellung von der Seele des Menschen als einer bei Geburt leeren Wachstafel (tabula rasa), in die sich das Leben individuell einschreibe, wurde in der Malerei der Renaissance verschiedentlich aufgegriffen. Die tabula rasa erscheint dort als Bildformel für den reinen Intellekt, der zur Erkenntnis Gottes fähig sei. Zu diesem Aspekt vgl. M. Wagner: Die tabula rasa als Denk-Bild, S. 71 ff.

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Ritter hoch zu Ross ließ er seinen Künstler auf einer weiten Ebene gegen die übermächtige leere Leinwand antreten, wobei der Pinsel wie eine Lanze gegen die weiße Bildfläche geführt wird. Unter einem ornamental anmutenden Wolkenhimmel verkörpert Steinbergs Ritter das Anachronistische und zugleich Heroische des Malers, der als eine Art moderner Don Quijote an einem Medium festhält, das sich seinem Endpunkt zu nähern scheint. Wie sich zeigen wird, lieferte Steinberg damit eine allegorische Zustandsbeschreibung der Malerei, und er tat dies an einem Schlüsselmoment in ihrer Geschichte. Zu Beginn der 1960er Jahre gewann die weiße Leinwand als blank canvas eine spezifische kunsttheoretische Bedeutung in den Debatten um Minimal Art und monochrome Malerei. Clement Greenberg zufolge, der 1961 mit seinem Essay Modernist Painting eine Theorie und historische Herleitung des Abstrakten Expressionismus vorlegte, gibt es einen Punkt, an dem ein Bild aufhört Bild zu sein und sich in einen beliebigen Gegenstand verwandelt.73 Obwohl die Grenze zwischen diesen beiden Bereichen in dem Text nicht genau definiert wird, scheint, wie Thierry de Duve ausführt, die monochrome Malerei der frühen 1960er Jahre bereits unter das Verdikt der von Greenberg als „arbitrary objects“ bezeichneten Gegenstände zu fallen.74 Doch bereits ein Jahr später relativierte Greenberg seine Position und unternahm einen Schritt in Richtung minimalistischer Positionen, indem er einräumte, auch die leere Leinwand könne ein Bild sein: „By now it has been established, it would seem, that the irreducible essence of pictorial art consists in but two constitutive conventions or norms: flatness and the delimitation of flatness; and that the observance of merely these two norms is enough to create an object which can be experienced as a picture: thus a stretched or tacked-up canvas already exists as a picture − though not necessarily as a successful one.“75 73 „The essential norms or conventions of painting are also the limiting conditions with which a marked-up surface must comply in order to be experienced as a picture. Modernism has found that these limiting conditions can be pushed back indefinitely before a picture stops being a picture and turns into an arbitrary object: but it has also found that the further back these limits are pushed the more explicitly they have to be observed.“ Greenberg, Clement: „Modernist Painting“, in: Arts Yearbook (1961), Wiederabdruck in Battock, Gregory (Hg.): The New Art: A Critical Anthology, New York 1973, S. 66-77, hier S. 72 f. 74 Dafür spricht laut de Duve, dass der Kritiker die monochromen Streifenbilder von Frank Stella nicht besprach, obwohl diese um 1960 einen erheblichen Einfluss auf die jüngere Malergeneration ausübten. Vgl. T. de Duve: The Monochrome and the Blank Canvas, S. 246 ff. 75 Greenberg, Clement: „After Abstract Expressionism“, in: Art International, Bd. 6 (1962), Nr. 8, S. 30.

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Obwohl in dem letzten einschränkenden Zusatz „though not necessarily a successful one“ noch etwas von Greenbergs Skepsis gegenüber der Minimal Art aufbewahrt ist, wird die blank canvas als mögliches Kunstwerk anerkannt. Sie blieb jedoch eine hypothetische Konstruktion der Kunsttheorie, ebenso wie sie eine satirische Fiktion der Karikatur war, denn tatsächlich wurde die leere Leinwand nie als Kunstwerk realisiert. Entscheidend für die Entwicklung der monochromen Malerei war die Tatsache, dass die blank canvas zu Beginn der 1960er Jahre erstmals kunsttheoretisch sanktioniert und zum Bild erklärt wurde − fast hundert Jahre nach den französischen und belgischen Burleskausstellungen, in denen sie zum ersten Mal erschien. Die leere Leinwand trat als Motiv der Karikatur immer dann gehäuft auf, wenn sich die Malerei in einer Krise befand. Dies war zum ersten Mal in den 1870er Jahren der Fall, in denen sich die traditionelle Malerei durch die Emergenz der Fotografie und die Entwicklung antiakademischer Tendenzen bedroht sah. Die Krise des Sujets, die mit dem Ende der Historienmalerei einherging, verdichtete sich in den impressionistischen „pictures of nothing“, die im monochromen Bildwitz der Karikatur ihre satirische Entsprechung fanden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es die als Krise der Kunstfertigkeiten wahrgenommene Tendenz zum Deskilling, in deren Verlauf die unbearbeitete Leinwand die Gestalt eines Readymades annahm. Um 1960 schließlich erschien die Malerei vor dem Hintergrund minimalistischer Positionen als nicht mehr adäquat: Die Frage, was sich mit malerischen Mitteln auf der weißen Leinwand noch erreichen lasse, wurde in der zeitgenössischen Karikatur nur mehr negativ beantwortet.

AUSLÖSCHUNG

DER

ARBEIT : S CHWARZE M ONOCHROME

Während das monochrom weiße Bild in der Karikatur meist die unbearbeitete, leere Bildfläche verkörpert, deutet das schwarze Monochrom eher auf ein Zuviel an Material und Bearbeitung. Der verweigerten oder verunmöglichten künstlerischen Arbeit, deren Auswirkungen und Implikationen im letzten Abschnitt untersucht wurden, korrespondiert eine Praxis, die den Bildgegenstand durch Übermalung auslöscht: Was auf der tabula rasa des weißen Monochroms gar nicht erst erscheint, wird auf der Bildfläche des schwarzen (oder farbigen)76 Monochroms scheinbar ab76 Alphonse Allais’ Album Primo-Avrilesque enthält auch monochrome Tafeln in den Farben Blau („Das Erstaunen junger Rekruten, als sie zum ersten Mal dein Azur erblickten, o Mittelmeer“), Grün („Zuhälter, noch im besten Alter und den Bauch im Gras, trinken Absinth“), Gelb („Manipulation des Ockers durch gelbsüchtige Hahnreie“), Rot („Tomatenernte apoplektischer Kardinäle an den Ufern des Roten Meeres (Polarlichteffekt.)“) und Grau („Runde von Saufbrüdern im Nebel“), vgl. A. Allais: Album Primo-Avrilesque.

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sichtsvoll zum Verschwinden gebracht. Obwohl sich die humoristischen Strategien schwarzer und weißer monochromer Bildwitze mitunter gleichen, muss hier im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit, die Darstellung künstlerischer Techniken in der Karikatur, genau differenziert werden. Denn an die Darstellung eines schwarzen Monochromsknüpfen sich ganz andere kunstkritische und technikgeschichtliche Diskurse als an die Darstellung einer weißen Bildfläche. Die methodische Gleichbehandlung beider Varianten des monochromen Bildwitzes, wie sie in der bisherigen Literatur zu diesem Thema überwiegt77, ist in diesem Zusammenhang nicht zielführend. Wie die tabula rasa besitzt auch das schwarze Monochrom eine lange ikonografische Tradition. Das wohl früheste Beispiel findet sich bei Robert Fludd, der in seiner 1617 erschienenen Geschichte des Makrokosmos und der Technik ein schwarzes Quadrat abbildete.78 Als Symbol für den Urstoff, die materia prima, gehört es in den kosmischen Zusammenhang der Erschaffung der Erde.79 Im literarischen Kontext begegnen monochrom schwarze Bilder zuerst bei Lawrence Sterne, der im ersten Band seines Tristram Shandy (1759) zwei schwarze Rechtecke jeweils seitenfüllend in den Text einfügte.80 Sie folgen inhaltlich auf die Schilderung eines Begräbnisses und können so als formale Evokationen des Todes interpretiert werden. Im Unterschied dazu haben schwarze Monochrome in Bildergeschichten des 19. Jahrhunderts meist eine humoristische Funktion, so zum Beispiel in den Bilderbüchern des deutschen ‚Kasperlgrafen‘ Franz von Pocci81 oder in Gustave Dorés Histoire de la Sainte Russie, einer illustrierten Persiflage auf die Geschichte des Abso-

Da diese farbigen Monochrome nach demselben Prinzip funktionieren wie der schwarze monochrome Bildwitz, werden sie hier nicht gesondert betrachtet. 77 Vgl. z.B. Epperleins Ausführungen zur „Monochromie avant la lettre“, in: B. Epperlein: Monochrome Malerei, S. 56 ff. Ebenso B. Rose: The meanings of monochrome, S. 23 u. 25 sowie R. Rosenberg: Abstrakte Bilder vor 1900, hier besonders S. 295-304. Einzig Riout unterscheidet zwischen dem „tableau noir“ und der (unbearbeiteten) „toile blanche“, ohne jedoch die Unterschiede beider Varianten anschaulich herauszuarbeiten. Er schreibt: „La série des monochromes fictifs blancs, qui se déploie parallélement à celle des noirs, présente des caractéristiques similaires.“ D. Riout: La peinture monochrome, S. 361. 78 Vgl. Godwin, Joscelyn: Robert Fludd. Hermetic philosopher and surveyor of two worlds, London 1979, S. 24. 79 Ebd., S. 20 ff. 80 Sterne, Lawrence: The Life and Opinions of Tristram Shandy, Bd. 1, York 1759, S. 71 f. 81 Vgl. Graf von Pocci, Franz: Die gesamte Druckgrafik, hg. von Marianne Bernhard, München 1974, S. 172 und 375. Beide Darstellungen, entstanden 1845 und 1852, sollen eine nächtliche Szene illustrieren.

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lutismus in Russland.82 Obwohl all diese Illustrationen nicht auf Aspekte der künstlerischen Praxis Bezug nehmen, wurden sie in der Forschung immer wieder als „Vorläufer“ der monochromen Malerei bezeichnet.83 Diesem Gedanken wird im Folgenden nicht weiter nachgegangen; vielmehr werden diejenigen Darstellungen schwarzer Monochrome untersucht, die sich karikierend auf die Techniken und Darstellungskonventionen der jeweils zeitgenössischen Malerei beziehen. In der französischen Karikatur des 19. Jahrhunderts sind die schwarzen Monochrome weitaus zahlreicher als die weißen. Sie begegnen zudem schon wesentlich früher, nämlich erstmals 1843. Der Grund für ihr früheres Auftreten ist die Tatsache, dass sie auf eine ältere Malereitradition Bezug nehmen. Im Gegensatz zu den weißen Monochromen, die in der Mehrzahl den Impressionismus behandeln, ironisieren sie entweder die Landschaftsmalerei romantischer Prägung oder eine malerische Praxis in der Tradition des altmeisterlichen Clair-obscure, die sich durch die exzessive Verwendung schwarzer und brauner Farbtöne auszeichnete und die im effet de nuit ihren bevorzugten Gegenstand gefunden hatte. Nachteffekte: Monochromie als Kritik eines populären Genres Die wohl früheste Darstellung eines schwarzen Monochroms im Kontext der Kunstkarikatur findet sich 1843 in einem Salon caricatural des Charivari. Das Genre der Salonkarikatur stand in dieser Zeit noch am Anfang seiner Entwicklung.84 Vier Tage nach der Eröffnung der jährlichen Kunstschau druckte das Blatt eine ganzseitige Lithografie des spanischen Zeichners Raymond Pelez (1815-1874), in der dieser seinen ersten Eindruck von der Ausstellung karikaturistisch verarbeitete (Abb. 222). Bei einem von insgesamt neun karikierten Gemälden, deren Anordnung auf der Seite einer Salonhängung entspricht, handelt es sich um ein opulent gerahmtes monochrom schwarzes Gemälde, das der Zeichner mit der folgenden

82 Bei Doré verkörpert das schwarze Monochrom das sprichwörtliche Dunkel der Geschichte. Die Bildunterschrift dazu lautet: „L’Origine de l’histoire de Russie se perd dans les ténèbres de l’Antiquité“. Doré, Gustave: Histoire pittoresque, dramatique et caricaturale de la Sainte Russie, Paris 1854, S. 1. 83 Zuletzt von Raphael Rosenberg in R. Rosenberg: Abstrakte Bilder vor 1900. 84 Seit den späten 1830er Jahren druckte der Charivari regelmäßig Karikaturen auf Kunst und Künstler, allerdings handelte es sich dabei meist noch um Personenkarikaturen. Der Salon caricatural als systematische Auseinandersetzung mit der jährlichen Salonausstellung findet sich im Charivari seit 1845. Eigenständige kunstkritische Publikationen einzelner Karikaturisten, die im Umkreis des Salons als Livrets verkauft wurden, gab es jedoch schon einige Jahre früher.

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Bildunterschrift versah: „Effet de nuit qui n’est pas clair... de lune, acheté subito par Mr. Robertson, fabricant de cirage.“85 Abbildung 222: Raymond Pelez: Première Impression du Salon de 1843

Le Charivari, 19.03.1843, o. S.

Im selben Jahr veröffentlichte Bertall seinen ersten, 37 Werkkarikaturen umfassenden Salon caricatural, der in der Zeitschrift Les Omnibus veröffentlicht wurde.86 85 „Nachteffekt mit (oder ohne) Mondschein, vom Fleck weg gekauft von Mr. Robertson, Schuhwichsefabrikant“, dt. Übersetzung zit. nach R. Rosenberg: Abstrakte Bilder vor 1900, S. 295.

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Darin findet sich eine Parodie auf ein Landschaftsgemälde von Jean Louis Petit, eine Vedute des Städtchens La Hougue mit dem Untertitel Effet de nuit, die Bertall als schwarzes Monochrom darstellte (Abb. 223). Vier Jahre später variierte er diesen Witz in der Satrezeitschrift Les Guêpes, wo das schwarze Monochrom einen Salonbericht des bekannten Humoristen Alphonse Karr illustriert (Abb. 224).87 Im Unterschied zu der früheren Version, die eine vollkommen schwarze Bildfläche zeigt, sind auf der Variante von 1847 ein winziger weißer Punkt sowie einige weiße Schraffuren zu erkennen: Es entsteht ein Bild des Vollmonds, der sich in einer Wasserfläche spiegelt. Durch eine minimale Variation wird das schwarze Rechteck zum Landschaftsbild, und so deklariert die Bildunterschrift die Darstellung als „unfehlbares Rezept zur Herstellung von Nachteffekten an den Ufern des Rheins“. Statt ein einzelnes Werk zu verspotten, zielte die Karikatur gleich auf eine ganze Gruppe von Ausstellungsbeiträgen, die einander wohl stark glichen. Offenbar forderte die Ähnlichkeit der im Salon gezeigten Nachtbilder den Spott des Zeichners heraus. Abbildung 223: Bertall: 938. Vue de la Hougue – Effet de nuit

Les Omnibus, Bd. 7 (1843), o. S.

Dass diese vermeintliche Austauschbarkeit ein Problem in der Rezeption der Nachteffekte darstellte, zeigt auch eine Karikatur von 1863, in der sich Bertall erneut mit dem Thema beschäftigte (Abb. 225). Die Darstellung bezog sich als Werkkarikatur auf ein Gemälde von Edmé Adolphe Fontaine, der zwischen 1845 und 1878 regelmäßig mit historischen Genrebildern im Salon vertreten war.88 Um ein Bild dieser Art handelte es sich, dem Titel César et sa fortune nach zu urteilen, auch bei der Katalognummer 712. Bertall stellte das Bild als schwarzes Rechteck

86 Bertall: Le Salon de 1843. Appendice au livret avec 37 copies par Bertal. Zuerst erschienen in: Les Omnibus, Bd. 7 (1843), kurz darauf als eigenständige Publikation im Verlag von Ildefonse Rousset, Paris 1843. 87 Karr, Alphonse: „Les guêpes au Salon“, in: Les Guêpes (März 1847), o. S. 88 Vgl. Thieme/Becker, Bd. 11/12, S. 163, s. v. Edmé Adolphe Fontaine.

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mit minimalen weißen Schraffuren dar, die jedoch nicht zur Erkennbarkeit eines Bildgegenstandes beitragen. In der Bildunterschrift behauptete der Zeichner gehässig, das Bild sehe genauso aus wie eine Hafenvedute des erwähnten ‚Nachtmalers‘ Jean Louis Petit, von der es sich allein durch die Katalognummer unterscheide, ebenso wie 27 weitere Gemälde im Salon, die sich ebenfalls nur dank der Nummerierung identifizieren ließen.89 Abbildung 224: Bertall: Recette infaillible pour les effets de nuits sur les bords du Rhin

Les Guêpes (März 1847), o. S.

Abbildung 225: Bertall: César et sa fortune, par Fontaine

Journal Amusant, 27.06.1863, o. S. 89 „La vue du port de Honfleur, effet de nuit par M. Jean Louis Petit, est exactement le même tableau, le numéro seul diffère. Vingt-sept autres tableaux sont tout pareils. On est doncinstamment prié de bien étudier les numéros, si l’on ne veut pas commettre des erreurs, qui sont toujours chose fort regrettable“. Bertall: „César et sa fortune, par Fontaine“, in: Journal Amusant, 27.06.1863, o. S.

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1895 griff der deutsche Karikaturist Ludwig Stutz (1865-1917) den Witz im Kladderadatsch auf (Abb. 226). In einer Reihe von Werkkarikaturen zur Großen Berliner Kunstausstellung findet sich auch eine Parodie auf ein Gemälde des heute kaum noch bekannten katalanischen Malers Luis Graner y Aruffi, der die Ausstellung zwischen 1891 und 1896 regelmäßig mit von Velazquez und Goya inspirierten Genrekompositionen beschickte.90 Neben einem Raucher mit der Nummer 600 führte der Katalog unter der Nummer 599 auch einen Trinker desselben Malers.91 Die wohl als Pendants aufeinander bezogenen Bilder konnten nicht ausfindig gemacht werden, doch ein 2009 im New Yorker Kunsthandel aufgetauchter Leser von Graner y Aruffi (Abb. 227) mag einen Hinweis darauf geben, was Stutz an den Bildern kritisiert haben könnte. Der Karikaturist fasste Raucher und Trinker in einem einzigen monochromen Bildwitz zusammen: Ein schwarzes Hochformat mit zwei winzigen weißen Lichtreflexen wies er zwar als Karikatur der Nummer 600 aus, machte aber in der Bildunterschrift deutlich, dass es sich dabei ebenso gut um eine Parodie der Nummer 599 handeln könne. In der dunklen Strukturlosigkeit ihres Malgrundes waren die beiden Bilder einander offenbar so ähnlich, dass ein schwarzes Monochrom als Karikatur beider Werke gelten konnte. Die karikaturistische Polemik, die mit der Darstellung schwarzer Monochrome einherging, enthielt meist eine Kritik an der Fähigkeit der Maler, das technisch anspruchsvolle Genre des Nachteffektes angemessen zu meistern. Die Wiedergabe von Dunkelheit war in der Malerei, die von der Sichtbarkeit und Farbigkeit ihrer Bildgegenstände lebt, schon immer eine problematische Angelegenheit.92 Der Maler eines Nachtbildes verstieß notwendig gegen eine der ältesten maltechnischen Konventionen, deren Gültigkeit Charles Blanc noch 1886 betonte: „De toute manière, [...] le noir ne [doit] paraître dans la peinture qu’à petit doses [...]“.93 Schwarz sei nicht geeignet für die Gestaltung großer Flächen, sondern solle nur in kleinen Partien sparsam eingesetzt werden, um die Wirkung der übrigen Farben ein wenig zu dämpfen.94

90 Vgl. Thieme/Becker Bd. 13/14, S. 514, s. v. Luis Graner y Aruffi. 91 Ausst.-Kat. Grosse Berliner Kunstausstellung, Berlin 1895, S. 32. 92 Für eine Geschichte des Nachtbildes in Spätmittelalter und Renaissance vgl. Breustedt, Renate: Die Entstehung und Entwicklung des Nachtbildes in der abendländischen Malerei und seine Ausbreitung in den Niederlanden (bis ca. 1520/30), Diss. Göttingen 1966. Die Autorin reflektiert auch die mit der Gestaltung des Nachtbildes verbundenen maltechnischen Probleme, ebd., S. 26 ff. 93 Blanc, Charles: Grammaire des arts du dessin. La peinture, Paris 1886, S. 176. 94 „[...] plutôt que d’être étendu sur un grand espace, sera réparti et répété sur des espaces étroits, quand il s’agira de mettre des sourdines à la couleur dans un tableau lugubre“, ebd.

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Abbildung 226: Ludwig Stutz: L.Graner Aruffi (Barcelona) Raucher (oder Trinker?)

Kladderadatsch, Bd. 48 (1895), Nr. 19, S.230

Abbildung 227: Luis Graner y Aruffi: Der Leser, o. J., Öl auf Leinwand, 22,5 x 28 cm

Gene Shapiro Auctions, New York, 22.11.2009 (Lot 108)

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Doch auch abgesehen von diesem maltechnischen Regelverstoß besaßen Nachtbilder offenbar das Potential, ihr Publikum zu verärgern. Besonders treffend wurde dieser Sachverhalt von Hubertus Gaßner beschrieben: „Die Behinderung des Wiedererkennens von Orten und Dingen, von Figuren und ihren Handlungen beim Betrachten von Nachtstücken war von Anfang an eine Provokation des Betrachters, die nur durch ein stupendes maltechnisches Können sowie durch attraktive Lichteffekte und durch die Fähigkeit des Malers zu einem poetisch-assoziativen Ausdruck kompensiert werden konnte, der die schwarzen Leerstellen des Malgrundes mit Stimmungswerten füllt.“95

War der Maler zur Schaffung dieser Effekte und Stimmungswerte nicht fähig, konnte auch das Nachtstück nicht überzeugen, denn in diesem Fall hatte es nichts als „schwarze Leerstellen“ vorzuweisen. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass einige der für zu dunkel befundenen Werke erst durch eine ungünstige Platzierung in der Ausstellung entscheidende farbliche Nuancierungen einbüßten. Da noch flächendeckend gehängt wurde, die Beleuchtung oft ungenügend war und die Maler in der Regel keinen Einfluss auf die Hängung nehmen konnten, waren Nachtstücke, die zur Entfaltung ihrer Wirkung auf die Wahrnehmung feinster Farbschattierungen angewiesen waren, von vornherein im Nachteil.96 Die in der Landschaftsmalerei der Romantik überaus beliebten Nachtbilder, die im Salon noch bis in die 1860er Jahre hinein häufig anzutreffen waren, besaßen in sofern ein bedrohliches Potential, als sie die mimetische Funktion des Bildmediums Malerei in Frage stellten: Durch die „schwarzen Leerstellen des Malgrundes“ schien das Nachtstück jederzeit gefährdet, in die Gegenstandslosigkeit eines schwarzen Monochroms abzugleiten. Die Karikatur thematisierte diese Bedrohung, indem sie die Schwärze der nächtlichen Landschaft übertreibend zuspitzte und helle Partien entweder gänzlich wegließ oder auf ein Minimum reduzierte, so dass der Bildgegenstand nur noch im pseudomimetischen Titel erhalten blieb.

95 Gaßner, Hubertus: „‚Der Mond ist aufgegangen...‘ Malen im Dunkeln − Malen des Dunkeln“, in: Ausst.-Kat. Die Nacht, Haus der Kunst München u.a. 1998, S. 13-52, hier S. 35. 96 In diesem Sinne äußerte sich auch Baudelaire in einer Salonkritik von 1846 über ein Landschaftsbild von Henri Arondel, das, wie er schrieb, in einigen Partien zu schwarz geraten sei: „[M]an hat den Eindruck, die unvermeidlichen Beeinträchtigungen, denen ein Bild im Salon ausgesetzt ist, seien dem Künstler beim Malen nicht alle gegenwärtig gewesen: die Nachbarschaft anderer Bilder, der Abstand des Betrachers und die wechselseitige, durch die Entfernung verursachte Beeinträchtigung der Töne in ihrer Wirkung“. C. Baudelaire: Der Salon 1846, S. 272.

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Schuhcreme, Ruß und Bratensauce: Hinweise auf die Materialität der Malerei Im Gegensatz zum weißen Monochrom, das sich gerade durch die Abwesenheit jeglichen Farbmaterials auszeichnete, bot das monochrom schwarze Bild der Karikatur reichlich Anlass zu satirischen Spekulationen über seine Materialität. Bereits der erste, 1843 im Charivari erschienene monochrome Bildwitz von Raymond Pelez (Abb. 222) brachte die schwarze Bildfläche mit einem bestimmten Material in Verbindung: Der Bildunterschrift zufolge wurde das karikierte Gemälde von einem Schuhcremefabrikanten gekauft, der sich beim Anblick des Effet de nuit wohl an sein eigenes Produktes erinnert fühlte.97 Abbildung 228: Cham: Le Jour du Vernissage – Le miserable! Il vernit mon tableau avec mon vernis de à chaussure

Le Charivari, 30.04.1876, o. S.

Schuhcreme spielt auch in einer Karikatur von Cham eine Rolle, die zum Salon von 1876 im Charivari erschien (Abb. 228). Dargestellt ist der Jour du Vernissage, also der Tag vor der Eröffnung der Ausstellung, an dem die bereits gehängten Gemälde 97 R. Pelez: Première Impression du Salon de 1843. Bezeichnenderweise scheint es sich bei „Mr. Robertson“ um einen amerikanischen Sammler zu handeln. Die diesem Sammlertyp unterstellte Parvenühaftigkeit spiegelt sich auch in dem übertrieben prachtvollen Goldrahmen wider, der im Kontrast zu der monochromen Bildfläche des Gemäldes steht.

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gefirnisst wurden. Der karikierte Künstler hat diese Arbeit einem Gehilfen übertragen und muss nun mit Entsetzen feststellen, dass zum Firnissen eine schwarze Schuhcreme verwendet wurde, unter der ein großer Teil des Bildes bereits verschwunden ist. Das Auftragen des Firnis an einen Diener zu delegieren, der sonst wohl eher für die Instandhaltung der Garderobe zuständig ist, rächt sich unmittelbar: Das Gemälde verwandelt sich in ein schwarzes Monochrom, wobei die Auslöschung des illusionistischen Bildraumes einer Zerstörung des Werkes gleichkommt.98 Wie schon bei Pelez ergibt sich die komische Wirkung auch hier aus der ungewohnten Verbindung des ‚hehren‘, seine eigene Materialität transzendierenden Kunstwerks mit einem groben Alltagsmaterial, dem noch dazu der Makel des Schmutzigen oder Schmierigen anhaftet. Eine andere Materialassoziation legte Cham seinen Lesern in einer Karikatur von 1869 nahe (Abb. 229). Die Entstehung des monochrom schwarzen Bildes, das der Commissionaire einer entsetzt zurückweichenden Salonjury präsentiert, wird hier auf den Einsatz eines experimentellen Malverfahrens zurückgeführt, nämlich auf den Versuch, mit „picrate de potasse“, also Kaliumpikrat, zu malen. Bei dieser Substanz, die nach ihrem Erfinder auch als „poudre de Désignolle“ bezeichnet wurde, handelt es sich um eine hochexplosive chemische Verbindung, die seit den 1860er Jahren bei der Herstellung von Schießpulver zum Einsatz kam.99 Die schwarze Leinwand in Chams Karikatur zeigt demnach die Spuren einer Explosion: Was auch immer auf dem Bild einmal zu sehen war, wurde in eine schwarze, rußige Fläche verwandelt, die keinen Rückschluss mehr auf die Intention des Malers zulässt. Die anarchische Sprengkraft, die das schwarze Monochrom im übertragenen Sinne besaß, wurde im Bild einer realen Explosionsgefahr reflektiert. Denn das panische Zurückweichen der Jurymitglieder ist nicht nur auf den schockierenden Anblick des monochromen Bildes zurückzuführen, sondern auch auf die begründete Angst, dieses könne jeden Moment explodieren.100

98

Die mutwillige oder versehentliche Zerstörung von Gemälden durch Kommissionäre, Kutscher oder sonstige Bedienstete beim Transport zum Ausstellungsort oder bei der Hängung war ein beliebtes Thema der Salonkarikatur. Chams Karikatur steht so im Kontext einer ganzen Reihe vergleichbarer Darstellungen. Zu diesem Aspekt vgl. M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 206 ff.

99

Vgl. Chalon, Paul Frédéric: Les explosifs modernes: Traité théorique et pratique à l’usage des ingenieurs civils et militaires, des entrepreneurs de travaux publics, des mineurs etc., Paris 1886, S. 34.

100 Das Thema der Darstellung erinnert an eine Karikatur auf die Technik der Petroleummalerei, bei der das brennbare Petroleum als Bindemittel verwendet wurde. Diese Methode der Ölmalerei, die nur für kurze Zeit praktiziert wurde, provozierte ebenfalls Witze über die vermeintliche Explosionsgefahr der Farbe. Vgl. Jüttner, Franz: „Die Gefähr-

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Abbildung 229: Cham: Présentation au jury d’un essai de peinture au picrate de potasse.

Le Charivari, 18.04.1869, o. S.

Wie Matthias Krüger in seiner Quellenstudie zur pastosen Malerei gezeigt hat, war der Vergleich von schwarzer Farbe mit Kohle und Ruß zwischen 1850 und 1890 auch ein beliebter Topos der Kunstkritik. Besonders die Genrebilder und Stillleben von Augustin Théodule Ribot waren häufig Gegenstand dieser Polemik, in der die Malerei als „schmutzig“ beschrieben und der Sphäre ‚niederer‘ körperlicher Arbeit zugeordnet wurde.101 Auch Cham beteiligte sich an dieser Debatte mit einer Werkkarikatur auf Ribots Le Chant du Cantique von 1864102, in der er das Bild zwar nicht in ein schwarzes Monochrom verwandelte, die Sängerknaben dafür jedoch als eine Gruppe von Kohlesäcken darstellte, um auf den exzessiven Gebrauch der Farbe Schwarz aufmerksam zu machen.103 Die Verknüpfung der Materialien Asche und Ruß mit der Darstellung eines monochrom schwarzen Bildes findet sich wenig später auch in der deutschen Karikatur. 1888 veröffentlichten die Fliegenden Blätter einen humoristischen Text, der als Rezension einer fiktiven Ausstellung eine satirische Zustandsbeschreibung der zeitlichkeit der Petroleummalerei“, in: Kladderadatsch, Bd. 43 (1890), Nr. 18, Zweites Beiblatt, o. S. 101 Vgl. M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 204 f. 102 Das Gemälde konnte nicht ausfindig gemacht werden. Es wurde jedoch in mehreren Salonkritiken des Jahres 1864 erwähnt, so zum Beispiel bei Auvray, Louis: „Le Salon de 1864“, in: Revue Artistique et Littéraire, Bd. 5 (1864), Nr. 7, S. 32. 103 Journal Amusant, 04.06.1864, S. 3. Vgl. auch M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 205.

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genössischen Malerei vornahm.104 Illustriert wurde der Artikel von Adolf Oberländer, der eines der darin besprochenen Werke mit dem Titel Aus den Erinnerungen eines Kaminkehrers als schwarzes Monochrom darstellte (Abb. 230). Die pastose, von Furchen und Rissen durchzogene Oberfläche des karikierten Bikdes unterscheidet sich dabei deutlich von den glatten, schwarzen Bildflächen der französischen Karikatur, die meist keinerlei Binnenzeichnung aufweisen. Während in Frankreich Materialassoziation auf die Ebene der Bildunterschrift beschränkt blieben, betonte Oberländer die Materialität auch in der Zeichnung. Passend zum Titel erinnert die Oberfläche des Bildes an die Sprödigkeit von Kohle oder verbranntem Holz. Eine alternative materiale Deutung wird durch den Namen des Künstlers nahegelegt. Das schwarze Monochrom wird einem gewissen „Saucier“ zugeschrieben und die Karikatur so auch für Materialassoziationen aus dem kulinarischen Bereich geöffnet: Angesichts der pastosen Farbkruste sollte sich der Leser wohl an gestockte dunkle Bratensauce erinnert fühlen. Der Vergleich des Farbmaterials mit Nahrungsmitteln war indes auch ein Merkmal der französischen Kunstkritik. Besonders pastos ausgeführte Malereien wurden sowohl in der Karikatur als auch in der textuellen Kritik häufig mit Termini aus dem Bereich der Küche beschrieben.105 Interessanterweise verknüpfte der begleitende Text die Evokation dieser Materialien mit der Feststellung, das Bild sei „altmodisch“ und passe nicht mehr in die heutige Zeit. Oberländer unterstützte dieses Votum, indem er den bereits stark lädierten Rahmen zusätzlich mit einer großen Spinnwebe versah. Im Text heißt es: „Ach, was ist uns helldunkel, Lichtgang, mysteriöse Stimmung, Mumie und Bernsteinlack! Akademisches Gerümpel aus des Onkel Rembrandt sel. düsterer Räucherkammer − veraltete Mode, wie Chignon und Reifrock. Ja die Mode! Die ist eben darüber hinweggegangen; man hat die Natur jetzt nur noch plein air, ganz hell mit etwas Zwetschkenblau.“106

Die Karikatur eines solchen „modernen“ Werkes findet sich auf derselben Seite (Abb. 231). Konsequenterweise ist dieses, im Text wie auch in Oberländers Darstellung, „hell, sehr hell, wahnsinnig hell, eigentlich bloß eine Tafel Kremserweiß mit einem Tupfen dunkelviolett am Horizont“.107 Während das ‚altmodische‘ dunkle Gemälde als schwarzes Monochrom dargestellt ist, nähert sich das ‚moderne‘ helle Landschaftsbild einem weißen Monochrom an und erscheint so im Grunde gleichermaßen abstrakt. Dementsprechend lautet sein parodistischer Titel Chi lo sa − Wer weiß es?. 104 Anonym: „Eine Privat-Kunstausstellung“, in: Fliegende Blätter, Bd. 88 (1888), Nr. 2236, S. 304-307. 105 Vgl. M. Krüger: Das Relief der Farbe, S. 34 f. 106 Anonym: Eine Privat-Kunstausstellung, S. 304. 107 Ebd.

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Abbildung 230: Adolf Oberländer: Saucier, „Aus den Erinnerungen eines Kaminkehrers.“

Fliegende Blätter, Bd. 88 (1888), Nr. 2236, S. 304

Abbildung 231: Adolf Oberländer: Kremser, „Chi lo sa.“

Fliegende Blätter, Bd. 88 (1888), Nr. 2236, S. 304

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Die Parodie der Fliegenden Blätter beschreibt die Ablösung der alten, durch pastosen Farbauftrag und dunkle Töne charakterisierten Malerei durch neue Tendenzen, die eine gegensätzliche Farbigkeit und veränderte Materialität aufwiesen: Ruß und Bratensauce der Alten Meister wichen dem impressionistischen Kremserweiß, der Maler verließ seine „düstere Räucherkammer“ und begab sich in die Natur, das schwarze Monochrom der Karikatur wurde zum weißen.108 Im Gegensatz zu den humoristischen Darstellungen weißer Monochrome, die meist auf eine zukünftige malerische Praxis anspielten, wies Oberländers schwarzes Bild in die Vergangenheit. Es rekurrierte auf Rembrandt und die Tradition des Chiaroscuro und damit auf eine Zeit, als noch mit Mumie und Bernsteinlack109 gemalt wurde. Durch die Evokation bestimmter Materialassoziationen gelang es der Satire, die Malerei der dunklen Töne als nicht mehr zeitgemäß erscheinen zu lassen. Schwarze Bilder als Repräsentationen eines (temporär) nicht Sichtbaren Postkarten, die auf einer schwarz bedruckten Fläche nur den Schriftzug „Paris by Night“, „London by Night“ oder den Namen eines anderen Ortes tragen, finden sich noch heute an den Postkartenständen von Touristenorten auf der ganzen Welt. Sie belegen die unverminderte Popularität des monochromen Bildwitzes.110 Der Erfolg dieses Witzes beruht auf der überraschenden Kombination eines vollkommen 108 Auch Gaßner weist darauf hin, dass das Genre des Nachtbildes mit dem Aufkommen des Impressionismus erheblich an Bedeutung verlor: „Diese malerischen Tendenzen grenzen die Nacht als sinnliches Erlebnis und Erfahrungswirklichkeit aus der Malerei nahezu vollständig aus. Impressionismus und Nachtmalerei sind ein Widerspruch in sich, und die beiden Nachtstücke von Monet, die uns als einzige bekannt sind, entsprangen wohl eher einer Laune des Künstlers.“ H. Gaßner Der Mond ist aufgegangen, S. 30. 109 Bernsteinlack, der Oberflächen eine leicht bräunliche, ‚antike‘ Tönung verleiht, wird heute vor allem in der Aufarbeitung alter Möbel verwendet. Mumie oder Mumia, ein dunkelbraunes Pigment aus zermahlenen ägyptischen Mumien, war in der Malerei etwa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gebräuchlich, erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde es durch synthetisch hergestellte Pigmente ersetzt. 110 Der Sammler Tilo Frank hat über 1.000 Exemplare zusammengetragen, die er auf seiner Website präsentiert. Vgl. URL: http://www.bei-nacht.de/ (abgerufen am 01.08.2015). Auch die Postkartenversion des monochromen Bildwitzes geht mindestens bis ins späte 19. Jahrhundert zurück: 1897 druckte der Tübinger Kunstverlag Metz eine Reihe von Grußkarten zur Silvesternacht für die Städte Zürich, Davos und Basel, in denen die Stadtansicht jeweils durch eine monochrom schwarze Fläche ersetzt wurde. Vgl. URL: http://www.baechtigerhorgen.ch/VerlagMetz.html (abgerufen am 01.08.2015).

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schwarzen Bildes mit einer pseudo-mimetischen Beschriftung, die nahelegt, das durch sie Bezeichnete sei auf dem Bild tatsächlich vorhanden und nur temporär im Dunkeln verborgen. Die schwarze Fläche bleibt in den unzähligen Variationen jedoch immer gleich, nur die Beschriftung ändert sich. Abbildung 232: Alphonse Allais: Combat de Nègres Dans Une Cave, Pendant la Nuit (Reproduction du célèbre tableau)

A. Allais: Album Primo-Avrilesque, o. S.

Alphonse Allais perfektionierte dieses Spiel mit dem Monochrom in seinem Album Primo-Avrilesque. Auch seine schwarze Bildfläche entfaltet erst in Kombination mit dem Titel Kampf der Neger im Keller, während der Nacht ihre komische Wirkung (Abb. 232). Dem schwarzen Monochrom kommt dabei eine Sonderstellung innerhalb des Albums zu: Im Unterschied zu den anderen Monochromen, als deren Schöpfer Allais selbst auftrat, schrieb er das schwarze Bild einem anderen Künstler zu, den er jedoch nicht namentlich benannte. Als Einziges besitzt es Titelzusatz „Reproduction du célèbre tableau“. Allais spielte damit auf den ebenfalls zur Gruppe der Incohérents gehörenden Schriftsteller Paul Bilhaud an, der ihm mit der Idee eines monochromen Bildes um ein Jahr zuvorgekommen war. Bereits 1882 hatte Bilhaud zur ersten Ausstellung der Incohérents ein vollkommen schwarzes Gemälde in einem goldenen Rahmen eingereicht, das unter dem Titel Combat des nègres pendant la nuit präsentiert wurde.111 Anders als Allais, der sein ein Jahr später ausgestelltes weißes Monochrom durch die Verwendung eines Papierbogens auch zur Nachbardisziplin der Literatur hin öffnete, bezog sich Bilhaud mit dieser ironischen

111 Vgl. Larousse (1866-1890), Bd. 17, s. v. Arts Incohérents. Das Bild wird dort beschrieben als „Combat des nègres pendant la nuit, par Paul Bilhaud: une tache noire dans un cadre d’or“.

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Geste eindeutig auf die Malerei: Der goldene Rahmen zitierte die Konventionen und Nobilitierungsstrategien des zeitgenössischen Ausstellungsbetriebes, die durch die Präsenz des schwarzen Monochroms gleichzeitig ad absurdum geführt wurden. Ohne auf den Ausstellungskontext der Arts Incohérents Bezug zu nehmen, schilderte Allais seine erste Begegnung mit dem „berühmten Gemälde“ im Vorwort des Aprilscherz-Albums als eine Art Erweckungserlebnis: „Der Eindruck, den ich beim Anblick dieses ergreifenden Meisterwerkes empfand, entzieht sich jeglicher Beschreibung. Mein Schicksal stand plötzlich in flammenden Lettern vor mir. − Auch ich werde Maler sein, rief ich [...]. Und indem ich Maler sagte, verstand ich mich sehr wohl: nicht von Malern sprach ich, wie man sie im allgemeinen meint, also nicht von den lächerlichen Handwerkern, die tausend verschiedene Farben nötig haben, um ihre mühselig gewonnenen Einfälle zum Ausdruck zu bringen. Nein! Der Maler, in dem ich mein Ideal sah, war derjenige, der auf geniale Weise für ein einziges Bild nur eine einzige Farbe brauchte: Diesen Künstler wage ich monochroidal zu nennen.“112

Das Phänomen des einfarbigen Bildes erhielt hier zum ersten Mal einen Namen. Der Neologismus „monochroidal“ ist eine raffinierte Mimesis an die wissenschaftliche Terminologie der Kunsttheorie, die so ebenfalls zum Gegenstand der Satire wurde. Dass es Allais mit seinen Jeunes Filles Chlorotiques gelang, den Maler des „ergreifenden Meisterwerkes“ noch zu übertreffen, indem er ein Bild gänzlich ohne Farben schuf, war eine zusätzliche Pointe: Die Praxis des Auslöschens wurde durch eine Geste der Verweigerung ersetzt. Das schwarze, von Bilhaud übernommene Monochrom und das weiße Monochrom Allais’ waren so gleichsam die beiden Pole, zwischen denen sich die Satire des Album Primo-Avrilesque entwickeln konnte. Mit der ersten Realisierung eines nicht-mimetischen monochrom schwarzen Bildes in der Kunst änderten sich auch die Voraussetzungen für den monochromen Bildwitz. Obwohl die Karikatur ihre schwarzen Bildflächen weiterhin mit pseudomimetischen Beschriftungen unterlegte, ließ sich nach 1914/15 selbst im Kontext der Satire keine Darstellung eines monochrom schwarzen Bildes mehr denken, die nicht auch ein Zitat von Kasimir Malewitschs Schwarzem Quadrat gewesen wäre.113 Dies gilt auch für das anspielungsreiche Medium des Comics, das seit den

112 A. Allais: Album Primo-Avrilesque, S. 4, dt. Übersetzung zit. nach der von Andreas Bee edierten Neuausgabe. 113 Vgl. Kasimir Malewitsch: Schwarzes Quadrat, um 1914/15, Öl auf Leinwand, 79,2 x 79,5 cm, Staatliche Tretjakow Galerie, Moskau.

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Bildergeschichten von Gustave Doré immer wieder mit einfarbigen oder beinahe einfarbigen schwarzen Panels gearbeitet hatte.114 Abbildung 233: Hergé: Flupke expose, in: Le Petit XXe, November 1939

© Hergé/Moulinsart 2015

Eine Aktualisierung erfuhr diese Praxis in einer Bilderfolge des belgischen Zeichners Hergé (eigtl. Georges Remi, 1907-1983), der das schwarze Monochrom in einer 1939 erschienenen Episode der populären Serie Quick et Flupke115 auf seinen Kunstcharakter hin befragte (Abb. 233). Die kurze Bildergeschichte, die gänzlich ohne Text auskommt, erzählt von einer Ausstellung des Protagonisten Flupke in der

114 Schwarze Panels finden sich u.a. in George Herrimans Krazy Kat (1910er Jahre) sowie in Hergés Tintin au Pays des Soviets (1929). Sie zeigen meist an, dass das narrative Geschehen vorrübergehend buchstäblich „im Dunklen“ liegt. Zu dieser Thematik vgl. auch D. Riout: La peinture monochrome, S. 407 f. 115 Die Serie um zwei Brüsseler Lausbuben namens Quick und Flupke erschien zwischen 1930 und 1939 in der Zeitschrift Le Petit Vingtième, einer Beilage der belgischen Tageszeitung Le Vingtième Siècle. In Deutschland ist die Reihe unter dem Namen Stups und Steppke bekannt.

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fiktiven Galerie Thetis.116 Ein ganzseitiges Panel zeigt den Ausstellungsraum, in dem ausschließlich gerahmte, monochrom schwarze Bilder in unterschiedlichen Formaten präsentiert werden. Das Eröffnungspublikum betrachtet die Bilder andächtig, während der Künstler Flupke von einem bärtigen Kritiker interviewt wird. Ein am unteren Panelrand sichtbares Schild variiert den alten Postkartenwitz mit der Aufschrift „Exposition d’ensemble ,Bruxelles la nuit‘“. Die Bilder werden also als Stadtansichten deklariert, in denen das Motiv bloß aufgrund der nächtlichen Dunkelheit nicht zu sehen ist; und tatsächlich legt die Kürperhaltung einiger Ausstellungsbesucher den Schluss nahe, man könne durch angestrengtes Schauen den Bildgegenstand in der monochromen Fläche wieder sichtbar werden lassen. Vor dem Hintergrund früherer Episoden erscheint die Ausstellung freilich als Lausbubenstreich, bei dem das beflissene Kunstpublikum von dem Schuljungen Flupke zum Besten gehalten wird.117 Die bescheidene Pointe des monochromen Bildwitzes wurde so um eine Satire des zeitgenössischen Kunstbetriebs erweitert. Typisch für diese Thematik ist auch der Hinweis auf die merkantile Verwertbarkeit der karikierten Malerei: Zwei der ausgestellten Monochrome sind bereits als „vendu“, also verkauft, gekennzeichnet. Im Grunde führte Hergé in dieser Bildergeschichte vor, dass das schwarze Monochrom sich als Witz überholt hatte und zum ästhetisch rezipierbaren Objekt geworden war. Auch wenn mit der pseudo-mimetischen Betitelung noch eine humoristische Strategie des 19. Jahrhunderts zitiert wurde, blieb die Darstellung ohne die Kenntnis monochromer Malereipositionen der 1910er, -20er und -30er Jahre, von Malewitsch über Rodschenko und Miró bis hin zu Wladyslaw Strzeminski weitgehend unverständlich.118 Die Episode, die nur wenige Wochen nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs publiziert wurde, besaß auch eine aktuelle politische Dimension. Am 11. November 1939, dem Eröffnungsdatum der Ausstellung im Comic, erkannte der deutsche Reichsminister Joachim von Ribbentrop die Neutralität Belgiens offiziell an, was den Einfall der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 bekanntermaßen nicht verhinderte. Mit Flupkes schwarzen Brüssel-Bildern warf Hergé bereits einige Monate vor der Invasion einen Blick in die düstere Zukunft der Stadt. 116 Bei diesem Namen handelt es sich um eine Anspielung Hergés auf die Galerie Themis, die in den 1930er Jahren zu den bekanntesten Adressen für zeitgenössische Kunst in Brüssel gehörte. 117 Hergé spielte mit dieser Epsode auch auf populäre Diskurse an, in denen die moderne Kunst als „kindlich“ charakterisiert wird. Zu diesem Aspekt vgl. den Abschnitt „Das kann mein Kind auch!“ in diesem Buch. 118 Zu diesem Aspekt vgl. D. Riout: La peinture monochrome, S. 410, ebenso wie Sterckx, Pierre: Christian Eckart et Allan McCollum: avatars actuels du monochrome, in: Artstudio, Bd. 16 (1990), S. 128-139, hier S. 131 f.

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Auch E. O. Plauens 1941 im Kladderadatsch veröffentlichter monochromer Bildwitz Kampf in der Polarnacht verliert bei näherer Betrachtung viel von seiner vordergründigen Harmlosigkeit (Abb. 234). Plauen (eigtl. Erich Ohser, 1903-1944) hatte als bekennender Regimekritiker in der Zeit des Nationalsozialismus vielfach mit Repressionen zu kämpfen. Ein eingeschränktes Berufsverbot, das man 1936 gegen ihn verhängte, wurde zwar wenig später wieder aufgehoben, der Verdacht gegen den ‚politisch Unzuverlässigen‘ blieb jedoch bestehen. Seit 1940 lieferte Ohser politische Karikaturen für die nationalsozialistische Wochenschrift Das Reich, während er das Regime als Privatperson weiterhin verurteilte. Diese schizophrene Situation führte 1944 zur Denunzierung und Verhaftung des Zeichners, der sich in der Untersuchungshaft das Leben nahm.119 Der mit dem Pseudonym Erik signierte monochrome Bildwitz „nach einer Idee von E.O. Plauen“ weckt nicht nur Assoziationen an die Praxis der Zensur, sondern lässt durch seine quadratische Form auch Malewitschs Schwarzes Quadrat aufscheinen − eine Ikone der von den Nationalsozialisten diffamierten und als ‚kulturbolschewistisch‘ verunglimpften abstrakten Kunst der Moderne, die als Witz getarnt gleichsam wieder einen öffentlichen Ort erhielt, auch wenn sich dieser vorläufig nur „am Rande des Alltags“ befand. Abbildung 234: Erik (d. i. Erich Ohser): Kampf in der Polarnacht. Nach einer Idee von E. O. Plauen, gezeichnet von Erik

Kladderadatsch, Bd. 94 (1941), Nr. 39, o. S.

Auslöschung des Impulses: Karikaturen zur monochromen Malerei Vor allem in den 1950er und -60er Jahrgängen der Zeitschrift New Yorker finden sich zahlreiche Karikaturen auf die monochrome Malerei, von denen jedoch nur verhältnismäßig wenige den Akt der künstlerischen Produktion thematisieren. Eine 119 Vgl. Müller, Detlef Manfred: Erich Ohser − e.o. plauen (1903-1944). Der politische Zeichner. Annäherung an eine Künstlerexistenz in „Weimarer Republik“ und „Drittem Reich“, Plauen 2004.

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der frühesten Auseinandersetzungen mit diesem Thema stammt von Saul Steinberg, der bereits 1947 eine humoristische Präfiguration der monochromen Malerei vorlegte (Abb. 235). In der Hochzeit des amerikanischen Action Paintings zeigte Steinbergs Cartoon einen Maler, der mit grimmigem Gesichtsausdruck und mechanisch wirkender Präzision die Auflagefläche seiner Staffelei schwarz anmalt. Durch diesen monochromen Anstrich verwandelt sich die Vorderseite der leeren Staffelei in ein schwarzes Kreuz, Symbol für den Tod oder das vielbeschriebene Ende der Malerei. Abbildung 235: Saul Steinberg: o. T., in: The New Yorker, 15.02.1947, S. 99

© The Saul Steinberg Foundation / Artists Right Society (ARS), New York

Auch in späteren Karikaturen und Cartoons erscheint der schwarze Anstrich als eine Geste der Auslöschung. So publizierte die Zeit 1961 eine dreiteilige Bilderfolge von Chlodwig Poth (1930-2004), die im mittleren Bild ebenfalls einen monochromen Maler zeigt (Abb. 245). Dieser verwendet zum Malen einen ordinären Anstreicherpinsel und trägt die schwarze Farbe in geraden, von oben nach unten verlaufenden Bahnen auf die Leinwand auf. In einer ironischen Imitation der kunstkritischen Terminologie deklariert der Begleittext diesen Akt als „Überwindung des Impulses durch die reine Farbe, die Fläche an sich...“120 Die Überwindung der malerischen

120 Chlodwig Poth: o. T., in: Die Zeit, Hamburg 1961, zit. nach: R. W. Eichler: Die tätowierte Muse, S. 141. Eine ausführlichere Interpretation der Karikatur erfolgt im Schlusskapitel dieses Buches.

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Geste oder des „Impulses“ war um 1960 ein wichtiges Anliegen der Malerei. Dies zeigt sich besonders deutlich in den theoretischen Arbeiten von Ad Reinhardt, in denen er das Wesen der Malerei ausschließlich negativ zu begründen suchte: „Keine Linien oder Vorstellereien, keine Gestaltereien oder Komponierereien oder Darstellereien, keine Visionen oder Empfindungen oder Impulse, keine Symbole oder Zeichen oder Impastos, keinen Dekorierereien oder Färbereien oder Bildnereien, keine Freuden oder Schmerzen, keine Zufälle und Ready-mades, keine Dinge, keine Ideen, keine Beziehungen, keine Attribute, keine Qualitäten − nichts, das nicht zum Wesen gehört.“121

Dieses Verfahren der aktiven Negativität122, in dem der Künstler die einzig mögliche Form künstlerischer Betätigung sah, konnte Reinhardt zufolge nur in der monochromen Malerei und nur „durch das gleichförmigste Atelierritual“123 verwirklicht werden. Wie schon Frank Stella, der seine monochrom schwarzen Streifenbilder der späten 1950er Jahre rückblickend als „negative Pollockism“124 beschrieb, wollte auch Reinhardt durch seine gleichförmige, mechanische Arbeitsweise der malerischen Geste des Action Paintings eine radikale Antithese entgegensetzen. Der Wunsch, die Malerei von allem Individuellen und Sensuellen zu reinigen, führte mit beinahe zwingender Logik in die Monochromie: „Das Gemälde soll reine Anschauung ohne Inhalt werden, reine Form der Anschauung: entleert von allen individuellen und konkreten Momenten, zur Leere der reinen analytischen Form von Malerei befreit. [...] Diese Reinigung und Entleerung des Gemäldes realisiert sich augenscheinlich am strengsten in weißer (farbloser) oder schwarzer Monochromie.“125

In einer ironischen Wendung dieses Ansatzes rät Sailer/Moses „leichtfassliche Anleitung“ zur Herstellung abstrakter Gemälde unter der Überschrift „Konsequentismus“: „Wir streichen ohne Zaudern die ganze Malfläche schwarz zu.“126 Diese Technik sei ein Akt der „Befreiung von tausendjähriger Anpassungen [sic] an sim121 Reinhardt, Ad: Kunst-als-Kunst (1962), in: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 994-997, hier S. 997. 122 Vgl. J. Meinhardt: Ende der Malerei, S. 26 ff. 123 A. Reinhardt: Kunst-als-Kunst, S. 997. 124 Seine Auseinandersetzung mit Pollock beschrieb Frank Stella wie folgt: „I tried for something which, if it is like Pollock, is a kind of negative Pollockism. ... I tried for an evenness, a kind of all-overness, where the intensity, saturation and density remained regular over the entire surface.“ Zit. nach: Ausst.-Kat. Frank Stella, hg. von William S. Rubin, Museum of Modern Art New York 1970, S. 29. 125 J. Meinhardt: Ende der Malerei, S. 30. 126 A.Sailer/M.Depont: Wie malt man abstrakt?, o.S.

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pelste populäre Verständlichkeit“ und gewähre darüber hinaus Einblick in „phänomenologische Prozeduren“ der Epoche.127 Neben einer Satire kunstkritischer Rhetorik liegt der Schwerpunkt hier auf der vermeintlichen Kunstlosigkeit monochromer Malerei, die sich zur Nachahmung durch ambitionierte Laien scheinbar anbietet. Abbildung 236: James Stevenson: o. T.

© James Stevenson / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Den Übergang vom Abstrakten Expressionismus zur monochromen Malerei thematisierte im selben Jahr eine Bildergeschichte von James Stevenson (geb. 1929), die den Entstehungsweg eines monochrom schwarzen Bildes als einen Prozess der schrittweisen Auslöschung beschreibt (Abb. 236). Immer wieder tritt der Künstler während des Malaktes von seinem gestisch-abstrakten Gemälde zurück, um nach einem kritischen Blick noch einige weitere Pinselschwünge hinzuzufügen, mit dem Resultat, dass das Gemälde am Ende nur noch eine gleichmäßige schwarze Fläche zeigt. Nach der Verwandlung des Gemäldes in ein schwarzes Monochrom stellt der Maler das fertige Bild beiseite und ersetzt es durch eine leere Leinwand; der karikierte Vorgang scheint mit dieser tabula rasa aufs Neue zu beginnen. Anders als bei Steinberg und Poth, die die Herstellung eines Monochrombildes als planvollen Akt des Künstlers vorführten, scheint die monochrome Malerei bei Stevenson eher un-

127 Ebd.

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geplant zu entstehen: Das schwarze Monochrom ist das einerseits paradox, andererseits konsequent erscheinende Ergebnis eines expressionistischen Malaktes, in dem das Verhältnis von Figur und Grund schließlich ebenso ausgelöscht wird wie der malerische Gestus. Die Bewegungsspur des Malers, der entscheidende Bedeutungsträger in der Malerei des Abstrakten Expressionismus, wird buchstäblich von der Bildoberfläche getilgt. Abbildung 237: Arnie Levin: o. T., in: The New Yorker, 26.07.1976, S. 65

© Arnie Levin / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

1976 griff Arnie Levin (geb. 1938) das Motiv erneut auf (Abb. 237). In einer sechsteiligen Bilderfolge karikierte er die Entstehung eines Gemäldes, die nach abstraktexpressionistischen Stadien ebenfalls in schwarzer Monochromie endet. Allerdings spielt sich der Malakt nur noch als Gedankenspiel in der Vorstellung des über seinem Bierglas brütenden Künstlers ab, der den Prozess der Bilderfindung als Akt des Scheiterns vorwegnimmt. Am Ende sinkt der Maler in den gleichen depressiven Zustand zurück, aus dem er durch die erste Bildidee kurzfristig erwacht war. Der Malakt wird ganz auf die gedankliche Ebene verlagert und findet de facto nicht mehr statt. Die Karikatur zeigt die Konsequenz einer schrittweisen Suspendierung aller malerischen Ausdrucksformen, die in der Kunsttheorie erst viel später so kompromisslos formuliert wurde: „Mit dem Monochrombild ist das Ende erreicht, der letzte Schürfgrund, das Nullniveau: das letzte Bild eben.“128

M ONOCHROMIE

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M IMESIS

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Wie im letzten Abschnitt gezeigt wurde, apostrophiert die Karikatur das monochrome Bild häufig als mimetische Darstellung eines temporär nicht Sichtbaren. Dadurch erscheint die Arbeit des Künstlers als Versuch, das Unsichtbare illusionis-

128 Krauss, Rosalind E.: Sherrie Levine macht ein Monochrombild, in: Dies.: Das Bild nach dem letzten Bild, Köln 1991, S. 131.

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tisch darzustellen, wobei der Lacheffekt im scheinbar unausweichlichen Scheitern dieses paradoxen Vorhabens begründet liegt. 1971 wurde diese Pointe von dem Cartoonisten Richard Oldden im New Yorker variiert (Abb. 238). Sein monochromer Maler steht vor der Staffelei, ausgerüstet mit Pinsel und Palette, obwohl angesichts seines nahezu lückenlos schwarzen Bildes fraglich ist, welche Farben er darauf anmischen will. Mit durchdringendem Blick fixiert der Künstler das vom Türrahmen konturierte schwarze Rechteck eines angrenzenden dunklen Raumes. Dieses „Motiv“ findet sich auf der Staffelei sowie auf einem bereits fertiggestellten Bild wieder, wobei der Türrahmen der Bildfläche entspricht. Der Monochromie seiner Malerei zum Trotz benutzt der Künstler den am ausgestreckten Arm auf Augenhöhe erhobenen Pinsel als Seh- und Zeichenhilfe, wie um die Linien und Proportionen seines Motivs besser abschätzen zu können. Diese Geste, die zu den klassischen Bildformeln des mimetisch arbeitenden Malers gehört, erscheint bei der Arbeitsweise des karikierten Künstlers wenig sinnvoll und wirkt daher komisch: Trotz der mimetischen Absicht gerät das Ergebnis zum nichtmimetischen schwarzen Monochrom. Abbildung 238: Richard Oldden: o. T., in: The New Yorker, 20.03.1971, S. 44

© Richard Oldden / The New Yorker Collection / The Cartoon Bank

Für Yves Klein (1928-1962), der in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre eine entschiedene, theoretisch wie praktisch fundierte Position der monochromen Malerei entwickelte, war der Gegensatz zwischen Mimesis und Monochromie keineswegs unüberbrückbar. In einem 1959 an der Pariser Sorbonne gehaltenen Vortrag führte

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er seine eigene Malerei sogar auf die blauen Flächen italienischer Renaissancefresken zurück: „Den entscheidenden Anstoß erhielt ich [...], als ich in der Basilika des Hl. Franziskus zu Assisi Farben entdeckte, welche ausschließlich einfarbig und blau waren.“129 Insbesondere die Darstellung des wolkenlosen Himmels in den Fresken von Giotto130 beeindruckte den jungen Yves Klein offenbar tief. Er schrieb:„Selbst wenn man von der Annahme ausgeht, Giotto habe nur die figurative Absicht gehabt, einen Himmel ohne Wolken darzustellen, so ist diese Absicht dennoch entschieden monochromer Natur.“131 Mimesis und Monochromie waren für Klein demnach kein Widerspruch, sondern repräsentierten nur zwei Sichtweisen ein- und desselben Gegenstandes. Eine solche Verschränkung von figurativer und monochromer Gestaltungsabsicht, oder noch besser die Aufhebung dieses Gegensatzes, nahm der Künstler auch für sein eigenes Werk in Anspruch. Dies betonte er in einem Text für das 1960 erschienene Künstlerbuch Dimanche, der dort neben einem schwarzen Rechteck mit der Bildunterschrift „L’espace, lui-même“ abgedruckt wurde (Abb. 239). Darin heißt es: „Je suis le peintre de l’espace. Je ne suis pas un peintre abstrait, mais au contraire un figuratif, et un réaliste.“132 Auch anhand einiger Textstellen, in denen der Künstler seine blauen Monochrombilder mit Darstellungen des Himmels, seltener des Meeres, in Zusammenhang brachte, wird diese Selbstwahrnehmung deutlich. In einem weiteren Text von 1960 berief sich Klein auf den Dichter Paul Claudel, der das Blau als „eine sichtbar gewordene Dunkelheit“ beschrieben hatte: „Das Azur zwischen Tag und Nacht zeigt ein Gleichgewicht an, ein wahres, wie es der feine Moment beweist, wenn der Seefahrer im östlichen Himmel alle Sterne zugleich verschwinden sieht.“133 129 Klein, Yves: Vortrag an der Sorbonne, Paris, Sorbonne, 03.06. und 05.06. 1959. Dt. Übersetzung in: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 991993, hier S. 992. 130 Klein bezieht sich wohl auf den ab 1296 entstandenen Freskenzyklus zur Franziskuslegende im Hauptschiff der Oberkirche. Er hatte Assisi 1948 besucht und die Fresken in der Basilika ausgiebig studiert. 131 Y. Klein: Vortrag an der Sorbonne, S. 992. 132 Klein, Yves: Dimanche − Le journal d’un seul jour, Paris, 27.11.1960, S. 1, zit. nach: Ausst.-Kat. Yves Klein, hg. von Olivier Berggruen, Max Hollein und Ingrid Pfeiffer, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main 2004, S. 117. Die vierseitige, von Yves Klein verfasste und als Künstlerbuch gestaltete Zeitung wurde während eines einzigen Tages an Pariser Zeitungskiosken verkauft. 133 Klein notiert das Zitat ohne Quellenangabe in einem Textentwurf für das nicht mehr realisierte Buchprojekt Mon livre. Das Manuskript wird im Yves Klein Archiv, Paris aufbewahrt. Dt. Übersetzung zit. nach: Ausst.- Kat. Yves Klein, Nationalgalerie und Neuer Berliner Kunstverein, Berlin 1976, S. 17.

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Abbildung 239: Yves Klein: Dimanche – Le journal d’un seul jour, Zeitung, Paris, 27.11.1960, Titelseite, Privatsammlung

© Yves Klein / ADAGP, Paris, 2015 for all reproductions of texts, documents and works by Yves Klein

Das Blau, so formulierte es Klein selbst, erinnert „an das Meer oder an den Himmel [...], welche beide schließlich in der sichtbaren und faßbaren Welt geradezu Symbole des Abstrakten darstellen.“134 Yves Kleins Selbstbezeichnung als „gegenständlicher“ Maler des Raums erinnert an die Strategie der Karikatur, das monochrome Bild mit der Vorstellung eines realistischen Bildgegenstandes aufzuladen. Seit Längerem ist bekannt, dass Klein zeitgenössische Karikaturen auf die monochrome Malerei sammelte und zusammen mit Presserezensionen seiner Ausstellungen in Alben archivierte.135 Die Karikatur 134 Y. Klein: Vortrag an der Sorbonne, S. 993. 135 Einige Seiten sind publiziert in: Ausst.-Kat. Yves Klein. Corps, couleur, immatériel, Centre Pompidou Paris 2006.

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eines monochromen Malers, die ihm von seinem Düsseldorfer Galeristen Alfred Schmela und den Künstlerkollegen Heinz Mack, Piero Manzoni, Otto Piene und Günther Uecker weitergeleitet wurde136, muss ihn daher besonders interessiert haben. Die mit dem Synonym Percy signierte Karikatur von Wilfried Gründler (geb. 1927), die wahrscheinlich 1957 in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung erschien137, zeigt einen Künstler, der am offenen Fenster den nächtlichen Himmel malt und dabei schwarze Monochrombilder produziert (Abb. 240). Während eine Leinwand gerade bearbeitet wird, sind drei Bilder bereits fertiggestellt und mit dem Gesicht nach vorne an die Atelierwand gelehnt; drei weitere hängen schon gerahmt an der Wand. Vor dem Hintergrund des karikierten Arbeitsprozesses werden all diese Monochrome zu Bildern des nächtlichen Himmels. Sie sind realistische Darstellungen des Raumes, wie es auch Klein für seine Malereien in Anspruch nahm. Das realistische Potential seiner Bilder offenbarte sich denjenigen, die um die mimetische Arbeitsweise des Künstlers wussten. So konnten die Unterzeichner des Zeitungsausschnitts Gründlers Karikatur augenzwinkernd mit „Yves Klein painting the blue night sky“ betiteln. Obwohl der Zeichner Wilfried Gründler die Karikatur nach eigener Aussage nicht bewusst als Kommentar zu den Monochrombildern Yves Kleins konzipierte138, scheint sie dessen Theorieansatz nahezu perfekt zu illustrieren: Das Bild wird darin wieder zum Fenster, das einen Einblick in die unendlichen Tiefen des Raumes, versinnbildlicht durch den tiefblauen Himmel, gewährt. Angesichts der umfangreichen Aktivitäten, die Klein seit 1957 im Rheinland entfaltete, wurde die Ka-

136 Die Signaturen Schmelas (in rot), Manzonis und der drei späteren Zero-Künstler finden sich auf dem Zeitungsausschnitt unter der Karikatur. In Kleins Album befindet sich der Ausschnitt auf einer Seite mit der (ebenfalls undatierten) Rezension einer Ausstellung Kleins in der Pariser Galerie Iris Clert aus einer niederländischen Zeitung. 137 Telefonat der Autorin mit Wilfried Gründler am 26. 05. 2010. 138 Gründler hat die Karikatur nach eigener Aussage nicht bewusst auf Yves Klein bezogen. Der Künstler sei ihm aber durch sein Wandbild im Gelsenkirchener Theater bekannt gewesen, an dem Klein seit 1957 arbeitete. Man habe in rheinischen Künstlerkreisen − Gründler studierte Malerei an der Folkwangschule in Essen und an der Düsseldorfer Kunstakademie − zunächst noch mit Belustigung über den monochromen Maler aus Paris gesprochen. Die Karikatur, an deren Erscheinungsort und -datum sich Gründler nicht mehr erinnert, sei im Rahmen einer Serie mit dem Titel Ohne Worte entstanden, die allgemein „absurde Begebenheiten“ behandelt habe. Gespräch mit Wilfried Gründler am 26.08.2010. Die Originalzeichnung befindet sich im Archiv des Zeichners.

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rikatur sicher nicht nur von Schmela und den späteren Zero-Künstlern als Anspielung auf den monochromen Maler verstanden.139 Abbildung 240: Blatt 43 aus dem Pressealbum von Yves Klein mit Karikatur Wilfried Gründler (Percy), o. J. (wohl 1957), Privatsammlung

© Yves Klein / ADAGP, Paris, 2015 for all reproductions of texts, documents and works by Yves Klein 139 Neben einer vielbeachteten Präsentation in der Düsseldorfer Avantgardegalerie von Alfred Schmela, die am 31.05.1957 mit der Ausstellung Propositions monochromes von Yves Klein eröffnete, sorgte vor allem Kleins Beitrag zur Ausgestaltung des 1959 eröffneten Gelsenkirchener Stadttheaters für Aufsehen, in dem der Künstler drei große monochrom blaue Schwammreliefs für das Hauptfoyer schuf. Für eine ausführliche Schilderung von Yves Kleins Aktivitäten im Rheinland vgl. Ausst.-Kat. Yves Klein, hg. von Sidra Stich, Museum Ludwig Köln und Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf 1995, S. 99 f. und 107-129.

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In Kleins Pressealben befindet sich noch eine weitere, von Jean-Michel Folon (1934-2005) gezeichnete Karikatur, die eine ähnliche Thematik aufweist. Klein schnitt sie um 1957 aus einer französischen Zeitschrift, vermutlich dem France Observateur140, aus, klebte sie auf grauen Karton und versah sie mit einem handschriftlichen Kommentar (Abb. 241). Dargestellt ist ein Maler beim Kopieren einer in seinem Atelier arrangierten Nature Morte, so der Titel der Karikatur. Allerdings handelt es sich bei diesem Stillleben nicht um eine Anordnung der für diese Bildgattung typischen Objekte wie Früchte, Gläser oder Musikinstrumente, sondern um eine leere Leinwand auf einer Staffelei. Da sie derjenigen des Künstlers exakt gleicht, entsteht durch ihr Bild auf der Leinwand der Eindruck eines unendlichen Spiegels: Das Bild einer weißen Leinwand auf einer weißen Leinwand und so weiter. Die Differenz von Figur und Grund bleibt bei diesem Bild eines monochromen Bildes gewahrt, mehr noch: Als ‚Stilllebenmaler‘ konzentriert sich der karikierte Künstler auf die realistische Wiedergabe seines Motivs; allerdings repräsentiert dieses Motiv selbst ein Stadium der nicht-mimetischen Malerei. In diesem Paradoxon liegt die Komik der Karikatur. Der handschriftlich hinzugefügte Kommentar macht deutlich, dass Yves Klein die humoristische Darstellung auf seine eigene Kunst bezog. Er interpretierte die Karikatur im Sinne einer Problematik, die ihn um das Jahr 1957 intensiv beschäftigte: Wie seine Aufzeichnungen und kunsttheoretischen Arbeiten aus dieser Zeit zeigen, machte sich Klein Gedanken um das Verhältnis seiner eigenen Position zur monochromen Malerei der 1910er Jahre, insbesondere zu Kasimir Malewitsch, dessen Schwarzes Quadrat von 1914/15 als das erste (nicht satirisch gemeinte) monochrome Gemälde der Kunstgeschichte gilt.141 Klein hielt es offenbar für notwendig, seine Malerei von der seines Vorgängers abzugrenzen und ihren originären Status in Schrift und Bild zu verteidigen: „Position de Malévitch par rapport à moi! en dehors de la phénomenologie du temps“142, lautet daher seine Notiz unter der eingeklebten Pressekarikatur, die den berühmten Gewährsmann satirisch auf den zweiten Rang verweist.

140 Dafür spricht die Type der Bildunterschrift und die Tatsache, dass auf derselben Seite ein Textfragment aus dem France Observateur neben dem ausgeschnitten Zeitschriftentitel aufgeklebt ist. Es handelt sich um den Auszug eines Artikels der Kunstkritikerin Françoise Choay vom 23.05.1957. Die Karikatur erschien nicht in derselben Ausgabe. 141 Vgl. Simmen, Jeannot: Kasimir Malewitsch. Das schwarze Quadrat. Vom Anti-Bild zur Ikone der Moderne, Frankfurt am Main 1998. 142 Handschriftliche Notiz von Yves Klein auf Blatt 29 des Pressealbums, um 1957. Die Seite ist publiziert in: Ausst.-Kat. Yves Klein (2006), S. 234.

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Abbildung 241: Blatt 29 aus dem Pressealbum von Yves Klein mit Karikatur von Jean-Michel Folon, o. J. (wohl 1957), Privatsammlung

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Folons Karikatur inspirierte Yves Klein zu drei eigenen humoristischen Darstellungen, in denen er diesem Gedanken, der Frage nach der geistigen Gefolgschaft, nachging und die Vorlage zeichnerisch variierte. Die erste der drei Versionen entstand um 1958 auf einem Briefbogen der Galerie Iris Clert (Abb. 242).143 Sie ist in der rechten oberen Ecke mit „Yves“ signiert und mit der Widmung „Vive Hültén!“ dem Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Pontus Hultén zugeeignet. Rechts unten findet sich der Titel des Blattes Position de Malewitch par rapport à moi. Klein

143 Die Zeichnung ist publiziert in: Ausst.-Kat. Yves Klein, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien 2007, S. 138.

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deutete damit die karikaturistische Vorlage entsprechend der von ihm behandelten Thematik um: Der Maler trägt eine an konstruktivistische Kleidung erinnernde Bluse mit der Rückenaufschrift „Malewitch 1922“ und ist so eindeutig als Schöpfer des Schwarzen Qadrates gekennzeichnet.144 Als Vorlage für sein eigenes Werk dient dem karikierten Malewitsch jedoch ein mit der Beschriftung „monochrome IKB 1958“ versehenes Monochrombild von Yves Klein. Indem Malewitsch die Umrisslinie des Klein-Bildes auf seine Leinwand überträgt, vollzieht er gleichsam einen Zeitsprung: Er arbeitet 1922 nach einer 1958 entstandenen Vorlage. Klein betonte seinen Anspruch auf geistige Vorherrschaft in der monochromen Malerei, indem er dem eigentlichen Vorläufer karikierend die Rolle des Nachahmers zuwies. Er schrieb: „So kann ich 1958 im Alter von 30 Jahren sagen, daß ich Malewitsch, als er 1915 oder 1916 wie ein Tourist in den Raum katapultiert wurde, willkommen hieß, als er mich besuchte, der ich Besitzer und Bewohner der Raumes war, oder zumindest Mitbesitzer und Mitbewohner seit je. Verglichen mit Malewitsch bin ich befähigt, durch eine statische Geschwindigkeit des unermeßlichen Geistes die Phänomenologie der Zeit zu verlassen. So darf ich ehrlich und ruhig behaupten, daß Malewitsch ein Stilleben nach meinen monochromen Gemälden gemalt hat.“145

Klein reklamierte so für sich den überzeitlich gedachten Status eines „peintre de l’espace“. Wo Malewitsch nur zu Gast sein konnte, besaß Klein „seit je“ eine Art Hausrecht, weil er Naturgesetze wie die Linearität der Zeit durch die „Geschwindigkeit des unermeßlichen Geistes“ außer Kraft setzen konnte. In zwei weiteren, einander sehr ähnlichen Varianten dieser Bildidee erhielt die Szene den Titel Malévitch ou l’espace vu de loin. Im Unterschied zur ersten Zeichnung beanspruchte Klein bei diesen Folgeversionen nicht mehr die Autorschaft für Malewitschs monochrome Bildvorlage, sondern beschriftete diese im Gegenteil als „Monochrome servant de nature morte à Malévitch pour ses compositions“ (Abb. 243) sowie als „Monochrome fabriqué par M [= Malewitsch, Anm. d. A.] pour exécuter des ,compositions‘ polychromes et monochromes“ (Abb. 244).146

144 Die Jahreszahl 1922 stimmt nicht mit dem tatsächlichen Entstehungsjahr des Schwarzen Quadrates überein. Möglicherweise bezog sich Klein auf eine der späteren Versionen des Bildes, die in den frühen 1920er Jahren entstanden. 145 Klein, Yves: „Le propre de l’homme: ,La qualité‘“, Auszug aus Mon livre (1958), dt. Übersetzung zit. nach: Ausst.-Kat. Yves Klein (1995), S. 75. 146 Abgebildet in: Ausst.-Kat. Yves Klein (1995), S. 75 sowie in: Weitemeier, Hannah: Yves Klein 1928-1962. International Klein Blue, Köln 1994, S. 76.

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Abbildung 242: Yves Klein: Position de Malewitch par rapport à moi, um 1958, Kugelschreiber auf Briefpapier der Galerie Iris Clert, 27 x 21 cm, Privatsammlung

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Abbildung 243: Yves Klein: Malévitch ou l’espace vu de loin, um 1958, Tinte und Bleistift auf Papier, 27 x 21 cm, Privatsammlung

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Abbildung 244: Yves Klein: Malévitch ou l’espace vu de loin, um 1958, Tinte auf Papier, 27 x 21 cm, Privatsammlung

© Yves Klein / ADAGP, Paris, 2015 for all reproductions of texts, documents and works by Yves Klein

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Entscheidend bei allen drei Karikaturen ist der Gedanke, Malewitschs Position als eine derivative und seinen Ansatz als einen verkappt gegenständlichen zu klassifizieren. Im Gegensatz zu Kleins monochromer ‚Malerei des Raums‘, bei der die Farbe die gesamte Bildfläche einnimmt, bleibt bei Malewitschs monochromen Gemälden die Differenz von Figur und Grund erhalten, womit Klein seinen von der Pressekarikatur übernommenen polemischen Vergleich mit der Stilllebenmalerei rechtfertigt. Auch bei dieser war das Spannungsverhältnis zwischen Monochromie und Figur-Grund-Differenz bereits auffällig. Im Gegensatz zu ihm, so Yves Klein, habe Malewitsch die monochrome Malerei nur beinahe erreicht, weil er den letzten konsequenten Schritt, die Auflösung der malerischen Kategorien von Figur und Grund, nicht vollzog.147 Der Raum, in dem Klein schon immer zu Hause war, wurde von Malewitsch nicht erreicht, sondern, wie der Titel der Karikaturen klarstellt, nur „aus der Ferne betrachtet“. Seine Werke blieben daher „Kompositionen“ − ein Begriff, den Klein in spöttische Anführungszeichen setzte. Passend dazu findet sich an der Atelierwand hinter Malewitsch eine Gruppe schablonenartiger geometrischer Formen, die scheinbar darauf warten, zu einem weiteren suprematistischen ‚Stillleben‘ komponiert zu werden. Mit Wassily Kandinsky, den Klein wenig respektvoll als Maus auf Malewitschs Atelierfußboden darstellt, wird ein weiterer Begründer der Abstraktion aufs Korn genommen, der die abstrakte Malerei ebenfalls als Komposition von Farben und Formen praktizierte. Yves Klein bediente sich der Karikatur, um die vermeintlichen Defizite und Inkonsequenzen seiner künstlerischen Vorläufer zu entlarven und seine eigene Position als überlegene zu markieren. Im Gegensatz zur Pressekarikatur, die mit einem breiten Publikum rechnet, haben Kleins humoristische Darstellungen einen eher privaten Charakter. Es sind Zeichnungen, die er für sich anfertigte oder, wie im Falle von Pontus Hultén, an Freunde verschenkte. Ausgestellt oder publiziert wurden sie zu Lebzeiten des Künstlers nicht. Die satirische Zeichnung erlaubte es Klein, seine Gedanken zu einer Genealogie der Abstraktion zunächst spielerisch zu formulieren. Zu einer differenzierten theoretischen Ausarbeitung in der geplanten Publikation Mon livre kam es wegen Kleins frühem Tod 1962 nicht mehr. Der wiederholte Zugriff und die Variation des Motivs zeigen jedoch, dass Klein das diskursive Potential der Karikatur nutzte, um den darin geäußerten Gedanken für sich zu entwickeln und zu erproben. Gleichzeitig könnte die Adaption des satirischen Genres auch eine Auseinandersetzung mit der Rolle des „Spaßmachers“ gewesen sein, in die der Künstler von der zeitgenössischen Kunstkritik immer wieder gedrängt wur-

147 Vgl. Klein, Yves: „Sur la monochromie“, in: Ausst.-Kat. Yves Klein, hg. von JeanYves Mock, Centre Georges Pompidou, Paris 1983, S. 193-194.

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de.148 Die Zeichnungen sind wohl in erster Linie als Versuche einer künstlerischen Standortbestimmung zu verstehen. Seiner durchaus ernsthaften Auseinandersetzung mit künstlerischen Vorläufern und kunsttheoretischen Problemen verlieh Klein durch das Medium Karikatur die Leichtigkeit der Satire.

148 Vgl. Cusimano, Rita: „Yves Kleins Pressealben, die Fama des Künstlers“, in: Ausst.Kat.Yves Klein (2007), S. 214-219. Auch Yves Kleins erste Publikation, eine 1954 erschienene Broschüre mit monochromen Farbtafeln (Klein, Yves: Yves: Peintures, Paris 1954) wurde vom überwiegenden Teil des Publikums als Scherz aufgefasst und mit Allais’ Album Primo-Avrilesque verglichen. Vgl. Ausst.-Kat. Yves Klein (1995), S. 42 ff.

Schluss

Was tut ein Künstler? Diese Frage wurde in Karikaturen seit 1830 variantenreich diskutiert. Die vielfältigen Praktiken, die man dem Künstler unterstellte, reichten von Klecksen, Wischen, Spachteln und Streichen über maschinelle Verfahren und Zufallstechniken bis hin zum vollkommenen Rückzug aus dem Schaffensprozess. Es wurde deutlich, dass die Karikatur sich nicht nur, wie schon durch andere Studien belegt, mit der Kunst ihrer Zeit auseinandersetzte, sondern auch deren technische Aspekte, die Arbeit des Künstlers, intensiv hinterfragte. Um verschiedene Lesergruppen zu erreichen, tat sie dies auf mehreren Ebenen: Die vordergründige Leichtigkeit ihres Witzes offenbarte bei näherer Betrachtung oft eine erstaunliche diskursive Tiefe. Deren Verständnis erforderte eine Vertrautheit mit der Kunsttheorie und den zeitgenössischen Kunstdebatten, die vermutlich nicht jeder Leser besaß. Durch ihre große Verbreitung und ihre visuelle Prägnanz trug die Karikatur womöglich dennoch in höherem Maße zur Imagebildung neuer Kunstströmungen bei als die textuelle Kunstkritik. Wie gezeigt wurde, argumentierte sie dabei nicht pauschal kunstfeindlich, sondern lenkte die Aufmerksamkeit auf kunsttheoretische Probleme und Diskurse, die zum jeweiligen Zeitpunkt und am jeweiligen Ort ihres Erscheinens virulent waren. Einige davon hatten eine longue durée und wurden in Zeiten der Krise und des künstlerischen Wandels immer wieder aktuell, so zum Beispiel das Verhältnis von Kunst, Handwerk und Maschine, die Topoi Zufall, Naivität und Primitivität, die Auseinandersetzung um verschiedene Arten des Farbauftrags und die bange Frage nach dem Ende der Malerei. Da die Aktualität ihres Witzes über Erfolg oder Misserfolg entschied, musste die Karikatur schneller und unmittelbarer auf aktuelle Strömungen und diffuse Stimmungen in der Kunstwelt reagieren als die akademische Kunstkritik. Über einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren bescherte ihr dieses Vermögen einen anhaltenden Erfolg. Mit dem Action Painting und der monochromen Malerei der 1950er Jahre wurde die Arbeit des Künstlers, speziell des Malers, letztmalig zum Gegenstand einer breiten Reflexion im Medium Karikatur. Obwohl in abstrakt-expressionistischen ebenso wie in monochromen Gemälden zentrale Aspekte des Malerischen wie die

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Bildräumlichkeit oder das Verhältnis von Figur und Grund bereits nicht mehr existierten, blieb doch die ‚Mindestanforderung‘ eines traditionellen Konzeptes künstlerischer Arbeit gewahrt: Ein Künstler trug Farbe auf eine Leinwand auf. Die Art und Weise, in der dies − tatsächlich oder imaginär − geschah, konnte nach wie vor zum Gegenstand der Karikatur werden. In diesem Sinne unterschied sich die Arbeit eines Gustave Courbet nicht grundsätzlich von der eines Jackson Pollock oder Yves Klein, auch wenn sie durch hundert Jahre und zahlreiche künstlerische wie theoretische Paradigmenwechsel getrennt war. Alle drei realisierten eine Form von künstlerisch-handwerklicher Tätigkeit, die ein satirisches Reflektieren über die Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Materialien, Werkzeuge und Tempi künstlerischen Arbeitens erlaubte. Sie konnten so gleichermaßen zum Teil einer karikaturistischen Tradition werden, die zu rekonstruieren in dieser Arbeit versucht wurde. Die Karikaturen zum Action Painting und zur monochromen Malerei der 1950er Jahre sind vielleicht die letzten, deren Wurzeln zu den großen satirischen Diskursen des 19. Jahrhunderts zurückreichen und die dadurch an der hier beschriebenen Tradition teilhaben. Die Zeit der großen europäischen Satiremagazine, die diese Tradition begründeten, ist längst vorüber: Das Journal Amusant wurde 1933, der Charivari 1937 eingestellt; die Fliegenden Blätter und der Kladderadatsch erschienen jeweils bis 1944. Auch wenn bei den beiden letzteren die kriegsbedingte Papierknappheit der Auslöser für die Einstellung gewesen sein mag, so war ihre Erfolgsgeschichte auch ohnedies an ein Ende gelangt: Der Kladderadatsch hatte seit dem Ende des Ersten Weltkriegs mit sinkenden Auflagen zu kämpfen, und auch die Fliegenden Blätter konnten nicht mehr an ihre Glanzzeit im 19. Jahrhundert anknüpfen. Der Punch existierte zwar noch bis 1992, doch seit den 1950er Jahren sanken seine Abonnentenzahlen kontinuierlich. Ein Relaunch der Zeitschrift in den 1990er Jahren scheiterte ebenso kläglich wie ein bereits 1957 unternommener Wiederbelebungsversuch des Charivari. Einzig die Erfolgsgeschichte des New Yorker, der kein reines Satiremagazin ist, dauert bis heute an. Was aber waren die Gründe für das Eingehen der großen europäischen Satiremagazine? Diese Frage kann hier nur ansatzweise beantwortet werden. Sicher war der mediale Wandel des 20. Jahrhunderts mitverantwortlich dafür, dass die noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Zeitschriften ihr Publikum verloren. Angesichts der neuen Fotojournale erschienen die grafisch illustrierten Hefte bald altmodisch und antiquiert. Sie entsprachen auch ästhetisch nicht mehr dem Zeitgeschmack − anders als die aus den USA und dem frankobelgischen Raum stammenden Comics oder Bandes dessinées, die ästhetische Prinzipien des Films aufgriffen und nach 1945 zunehmend populär wurden. Ihre Funktion als schnelles Unterhaltungsmedium hatten die Satiremagazine mit der Emergenz des Radios, später des Fernsehens, ohnehin eingebüßt. Auch hatte sich das Prinzip der europäischen Magazine, mit einem kleinen Kreis von Stammzeichnern zusammen zu arbeiten, die

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das künstlerische Erscheinungsbild der Zeitschrift prägten, offensichtlich überlebt − vielleicht auch, weil Galionsfiguren wie Honoré Daumier fehlten. Erfolgreicher war das Konzept des New Yorker, Cartoons von vielen verschiedenen Zeichnern zu drucken und seinen Lesern so eine größere Abwechslung zu bieten. Durch den Wegfall der wöchentlich erscheinenden auflagenstarken Satiremagazine schränkte sich der Wirkungskreis der Kunstkarikatur drastisch ein. Als Medium der Kunstkritik spielte sie bald kaum noch eine Rolle. In aktuellen Satiremagazinen wie Le Canard enchaîné und Titanic führt die Kunstkarikatur heute ein Schattendasein. Sie überdauerte im New Yorker, der noch immer, wenn auch in geringerer Frequenz, mitunter anspruchsvolle Cartoons zur zeitgenössischen Kunst druckt. Seit den 1960er Jahren ging die Anzahl der Kunstkarikaturen jedoch auch hier deutlich zurück, so dass eine regelmäßige karikaturistische Auseinandersetzung mit der jeweils zeitgenössischen Kunst und ihren Techniken nicht mehr gegeben ist. Bei dieser Entwicklung mag auch die Abschaffung der politischen Zensur eine Rolle gespielt haben, die es der Karikatur ermöglichte, sich wieder stärker auf politische Themen zu konzentrieren.1 Wenn Kunst heute zum Gegenstand der Karikatur wird, so geht es meist um die Mechanismen des globalisierten Kunstbetriebs oder den Aspekt der Kommerzialisierung zeitgenössischer Kunst. Der Publikationsort für Karikaturen und Cartoons ist inzwischen oft das World Wide Web. Die Forschungssituation ist dadurch sehr viel unübersichtlicher geworden ist, auch wenn Online-Datenbanken für eine Bündelung des Materials sorgen. Auf der Internetseite cartoonstock.com2, die zurzeit über 500.000 Karikaturen zur Verfügung stellt, werden wichtige Rahmeninformationen wie Ort und Datierung beispielsweise nicht erfasst, so dass der aktuelle Anlass der Cartoons oft schon nach kurzer Zeit nicht mehr ermittelbar ist. Die in solchen digitalen Archiven gesammelten Karikaturen sind meist Quellen ohne Kontext und einer historisch kritischen Analyse so nur bedingt zugänglich. Doch auch die Kunstwelt veränderte sich: Die traditionsreichen Salonausstellungen verloren ihre institutionelle Monopolstellung; sie wurden einerseits durch secessionistische „Gegenausstellungen“ herausgefordert und andererseits durch private und kommerzielle Ausstellungsformate abgelöst.3 Der Kunstbetrieb wurde 1

Auf die Ventilfunktion der Kunstkarikatur angesichts einer weitgehenden Zensur politischer Satire wurde bereits hingewiesen, vgl. K. Herding: Courbets Modernität, S. 502 sowie M. L. Buchinger-Früh: Karikatur als Kunstkritik, S. 29.

2

URL: http://www.cartoonstock.com (abgerufen am 02.08.2015).

3

Vgl. H. White/C. White: Canvases and Careers. In Paris kündigte sich der allmähliche Bedeutungsverlust der Salonausstellung bereits in den 1880er Jahren an, in denen die autonome Institution des Salons durch eine staatliche Initiative ersetzt wurde. Zu dieser Umstrukturierung vgl. Mainardi, Patricia: The End of the Salon. Art and State in the Early Third Republic, Cambridge 1993. Die Autorin argumentiert, dass die Doppelfunk-

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dadurch vielfältiger, aber auch unübersichtlicher. Der Salon Caricatural als Medium der Kunstkritik hatte sich überlebt. Zwar ist zeitgenössische Kunst heute so präsent wie nie zuvor, doch Großausstellungen wie die documenta oder die weltweit stattfindenden Biennalen scheinen die heutigen Karikaturisten nicht mehr in gleicher Weise herauszufordern.4 Künstlerische Techniken werden in der Karikatur kaum noch thematisiert. Doch warum ist das so? Die Gründe dafür liegen nicht nur in der Veränderung der Presselandschaft und dem damit verbundenen Funktions- und Bedeutungswandel der Karikatur, sondern auch in der Kunst selbst. Denn in den konzeptuell und performativ ausgerichteten Avantgardebewegungen seit 1960 wurden traditionelle Vorstellungen von der Arbeit des Künstlers nachhaltig erschüttert. „Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen“5, formulierte Joseph Beuys in seinem Manifest aus dem Jahr 1985 die für ihn immer noch gültige Maxime, an deren Ausgestaltung in den 1960er Jahren sein eigenes Werk maßgeblichen Anteil hatte. Der deutsche Zeichner und Satiriker Chlodwig Poth (1930-2004) entwarf bereits 1961 die Fiktion einer Malerei, die in Zukunft nicht mehr gemalt, sondern nur noch gedacht werden würde (Abb. 245). In einer dreiteiligen Bilderfolge für Die Zeit resümierte er zunächst die Kunstentwicklung seit 1945 mit den dominanten Richtungen der informellen und der monochromen Malerei, um dann zu einer satirischen Zukunftsvision überzuleiten: „Aller Voraussicht... nach stehen wir in der bildenden Kunst kurz davor, endlich auch die letzten Schlacken einer herkömmlich-verkommenen Kunstauffassung zu überwinden. Nach der Überwindung des Inhalts durch den Impuls, den Akt des Malens an sich... Nach der Überwindung des Impulses durch die reine Farbe, die Fläche an sich.... dürfte es nun gelingen, auch die Fläche als Rückstand einer unkünstlerischen Dinglichkeit durch den Maler an sich zu überwinden.“6

Während in den ersten beiden Bildern arbeitende Maler zu sehen sind, zeigt das letzte Bild eine Ausstellungssituation mit sechs Künstlerinnen und Künstlern, die bewegungslos auf Stühlen sitzen. Sie sind durch Wandbeschriftungen als Exponate gekennzeichnet und werden von den Ausstellungsbesuchern auch wie Kunstwerke tion des Salons als didaktische Ausstellung und Verkaufsplattform langfristig nicht funktionieren konnte. 4 5

Dies stellte bereits Gülker fest, vgl. B. A. Gülker: Die verzerrte Moderne, S. 120. Joseph Beuys: Manifest, 01.11.1985, Multiple (Postkartenobjekt), Edition Staeck, Nr. 15073.

6

Chlodwig Poth: Aller Voraussicht nach..., in: Die Zeit, 1961, genaues Publikationsdatum unbekannt, zit. nach: R. Eichler: Die tätowierte Muse, S. 141.

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betrachtet. Diese Situation ist laut Poth um die logische Folge der bisherigen Kunstentwicklung, denn, so der Begleittext:„Auf künftigen Ausstellungen werden die Maler sich selbst ausstellen, indem sie, reinen Geist an sich produzierend, über jene Bilder nachdenken werden, die sie nicht mehr malen.“7 Abbildung 245: Chlodwig Poth: Aller Voraussicht nach…

Zit. nach: R. Eichler: Die tätowierte Muse, S. 141

Tatsächlich hatte die Kunst der Moderne seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger konsequent am Projekt ihrer eigenen ‚Vergeistigung‘ gearbeitet. Dass zuletzt das Kunstwerk selbst als materielle „Schlacke“ zur Disposition stehen musste, erscheint daher nur konsequent − auch wenn die von Poth imaginierte Situation 1961 noch kaum eine Entsprechung in der Realität besaß. Mit der Vorstellung

7

Ebd.

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einer verunmöglichten Kunst, die nur noch als abstrakte Idee im Geist ihres Schöpfers existiert, konnte der Zeichner immerhin auf einen Topos des 19. Jahrhunderts rekurrieren: Schon Balzac wies in seiner Novelle vom Unbekannten Meisterwerk, das für die Augen des Publikums letztlich unsichtbar bleibt, auf die Unmöglichkeit eines absoluten Kunstwerks hin und benannte so ein zentrales Problem der Kunst in der Moderne.8 Das geistige Ideal der Kunst, das sich in jedem Werk aufs Neue erweisen sollte, konnte materiell niemals realisiert werden.9 In der Kunst der 1960er Jahre lassen sich verschiedene Versuche beobachten, die Idee der Kunst vom Werk und seiner „opaken Oberfläche“10 zu befreien.11 Der Künstler trat oft nicht mehr als Produzent im materiellen Sinne auf; er delegierte den Akt der Herstellung an Maschinen und professionelle Kunsthandwerker oder ließ gar keine ausstellbaren Werke mehr entstehen. Gerade in den maschinenproduzierten Werken der Minimal Art schien sich eine Idee zu erfüllen, die als humoristische bereits 100 Jahre zuvor entwickelt worden war.12 1962 war die Gründung der Fluxus-Bewegung, die sich vor allem in Happenings und Performances realisierte und nur verhältnismäßig wenige materielle Spuren hinterließ, ein Schritt in Richtung der in der Karikatur prognostizierten ‚Kunst ohne Werk‘. 1969 formulierte Sol LeWitt in seinen 35 Sentences on Conceptual Art ein Programm für die mittlerweile anerkannte Konzeptkunst. In dessen zehnten Satz heißt es: „Ideen allein können Kunstwerke sein. [...] Nicht alle Ideen müssen physisch verwirklicht werden.“13 Bereits zwei Jahre zuvor hatte LeWitt in seinen Paragraphs on Conceptual Art erklärt, die von ihm vertretene Kunstrichtung sei „normalerweise unabhängig von der handwerklichen Geschicklichkeit des Künstlers“.14 Der Konzeptkünstler Joseph Kosuth teilte dieses radikale Bekenntnis zu einer Strategie des Deskilling und ergänzte: „[D]ie Ausführung ist für die Kunst irrelevant“.15

8

H. de Balzac: Das unbekannte Meisterwerk.

9

Vgl. Belting, Hans: Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst, München 1998, S. 18 ff.

10 Ebd. S. 19. Zur Befreiung vom ‚Werk‘ in der Kunst der 1960er Jahre vgl. auch S. 445467. 11 Eine Reihe von Positionen versammelt der Ausst.-Kat. Nichts / Nothing, hg. von Martina Weinhart und Max Hollein, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main 2006. 12 Vgl. den Abschnitt „Kunst aus der Maschine“ in diesem Buch. 13 LeWitt, Sol: Sätze über konzeptuelle Kunst (1969), in: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 1026-1028, hier S. 1027. 14 LeWitt, Sol: Paragraphen über konzeptuelle Kunst (1967), in: C. Harrison/P. Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, S. 1023-1026, hier S. 1023. 15 Ausst.-Kat. Prospect 69, Städtische Kunsthalle Düsseldorf 1969, S. 27, zit. nach: M. Klant: Künstler bei der Arbeit, S. 190.

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Die Arbeit des Künstlers in ihren handwerklich-technischen Aspekten erschien gegen Ende der 1960er Jahre zunehmend als Anachronismus. Auch wenn sich in den darauffolgenden Jahrzehnten durchaus wieder Tendenzen durchsetzen konnten, in denen der Einsatz bestimmter Materialien, handwerkliches Arbeiten und sogar Kunstfertigkeit eine Rolle spielten, so veränderte die Konzeptkunst doch dauerhaft das Verhältnis der Kunst zur Produktion. Die eigenhändige Herstellung seines Werks stellt für den Künstler seither keine Bedingung, sondern nur noch eine Option dar. Auch im 21. Jahrhundert wurde die Frage nach der Notwendigkeit einer physischen Existenz des Werkes in regelmäßigen Zyklen diskutiert. Jüngster Anlass hierfür waren die Arbeiten des deutschen Künstlers Tino Seghal (geb. 1976), die keinerlei materielle Existenz haben und nur im Moment ihrer Begegnung mit dem Betrachter Gestalt annehmen. „Ist der ideale Ort zum Kunstmachen der Kopf −?“16, fragte der Kulturphilosoph und Ausstellungsmacher Paolo Bianchi in einem der „Kunst ohne Werk“ gewidmeten Themenband der Zeitschrift Kunstforum aus dem Jahr 2000. Wie lässt sich die Arbeit des Künstlers angesichts einer solchen von Künstlerund Theoretikerseite gleichermaßen eingeforderten ‚Ideenkunst‘ noch visualisieren? Für den Bereich der Fotografie reflektiert Michael Klant über diese Schwierigkeit wie folgt: „Um den Concept-Künstler bei der Arbeit zu zeigen, muß er entweder bei der schriftlichen Niederlegung seiner Ideen fotografiert werden − wodurch er sich von einem Schriftsteller nicht unterscheidet −, oder die Aufnahme seiner Person muß eine geistige Tätigkeit zum Ausdruck bringen, was sie wiederum in die Nähe des reinen Porträts rückt.“17

In seinem Buch über Künstler bei der Arbeit finden sich dementsprechend mehrere ‚Arbeitsporträts‘ bildender Künstler, die diese Problematik veranschaulichen. Heutzutage wäre Klants Beobachtung noch die Arbeit am Computer hinzuzufügen, bei der sich das Kunstmachen äußerlich nicht von den Tätigkeiten eines Programmierers oder eines Buchhalters unterscheidet. Was tut ein Künstler? In einer Videoperformance von 1971 beantwortete John Baldessari diese Frage, indem er den Akt des Kunstmachens als end- und ergebnislosen Bewegungsablauf vorführte. Der schwarzweiße Film zeigt den Künstler in einem leeren Raum beim Ausführen verschiedener Bewegungen: Er hebt und senkt die Arme, beugt sich nach vorne oder dreht den Rumpf. Nach jeder Bewegung wiederholt er mit monotoner Stimme den Satz „I Am Making Art“, der auch der Titel 16 Bianchi, Paolo: „Was ist (Kunst)?“, in: Kunstforum International, Bd. 152 (OktoberDezember 2000, Themenband Kunst ohne Werk − Ästhetik ohne Absicht), S. 56-60, hier S. 56. 17 M. Klant: Künstler bei der Arbeit, S. 190.

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der Arbeit ist.18 Baldessari, der sich 1970 endgültig von der Malerei abgewandt und die Verbrennung seiner Gemälde als rituelle Handlung zelebriert hatte19, erteilte in I Am Making Art dem traditionellen Werkbegriff der Kunst eine Absage. Gleichzeitig lässt sich die Arbeit als ironischer Kommentar zu den damals aktuellen Strömungen der Performance und Body Art lesen, deren Pathos sie überzeichnet und dadurch dekonstruiert. Joseph Kosuth, der Baldessaris Beitrag zur Concept Art in seinem programmatischen Essay Art after Philosophy nur in Parenthese erwähnt, bezeichnete dessen Arbeiten als „,konzeptuelle‘ Cartoons tatsächlicher Konzeptkunst“20 und stellte sie so in die Tradition von Burleskausstellungen und Karikaturen auf die Arbeit des Künstlers. Festzuhalten bleibt, dass die Praxis des Kunstmachens um 1970, wollte man der Vielgestaltigkeit und Disparatheit möglicher Arbeitsformen gerecht werden, nicht mehr auf eine einfache, für jedermann verständliche Bildformel zu bringen war. Für die Karikatur, die, um ein großes Publikum zu erreichen, mit wiedererkennbaren Figuren und einem begrenzten Repertoire ikonografischer Stereotypen arbeiten musste, stellte dies eine erhebliche Schwierigkeit dar. Vermutlich war diese Entwicklung ein wichtiger Grund für das Abklingen einer karikaturistischen Tradition, die sich seit dem 19. Jahrhundert der Darstellung künstlerischer Arbeitsprozesse gewidmet hatte. In der Bilderfolge von Chlodwig Poth werden die Künstler nicht nur beim Ausüben einer geistigen Tätigkeit gezeigt, welche die materielle Kunstproduktion ablöst. Auf Stühlen in der Ausstellung sitzend, besetzen sie mit ihren Körpern auch die Leerstelle, die sich durch das nicht mehr ausgeführte Kunstwerk zwangsläufig ergibt. Künstler, die sich selbst ausstellen, ohne dabei eine erkennbare Tätigkeit auszuüben oder durch besondere Kleidung und Requisiten auf etwas außerhalb der eigenen Person hinzuweisen, hat es in den 1960er Jahren tatsächlich mehrfach gegeben. Von Timm Ulrichs Selbstausstellung, bei der sich der Künstler als Erstes lebendes Kunstwerk inszenierte, kann Poth im Entstehungsjahr der Karikatur allerdings noch keine Kenntnis gehabt haben. Die Aktion wurde niemals ausgeführt und ist nur durch ein 1965 entstandenes Foto dokumentiert, das den Künstler in der Pose des Melancholikers auf einem Thronsessel in einer Vitrine sitzend zeigt (Abb. 18 John Baldessari: I Am Making Art, 1972, Video, s/w, Ton, 18:42 Min., Mediensammlung der Hamburger Kunsthalle. 19 Von dieser Zerstörungsaktion ausgenommen waren nur die Textbilder und die Commissioned Paintings, deren Ausführung Baldessari bei Amateurmalern in Auftrag gegeben hatte. Vgl. Eklund, Douglas: „‚No success like failure‘: Deskilling and collaboration in the work of John Baldessari“, in: Ausst.-Kat. John Baldessari: Pure Beauty, Tate Modern und Los Angeles County Museum, London und Los Angeles 2010, S. 80-86, hier S. 80. 20 „,conceptual‘ cartoons of actual conceptual art“, Kosuth, Joseph: „Art after Philosophy“ (1969), in: A. Alberro/B. Stimson: Conceptual Art, S. 158-176, hier S. 175.

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246).21 Der französische Fluxus-Künstler Ben Vautier konnte im Rahmen seines Théâtre Total 1963 in Nizza eine Selbstausstellung vor Publikum realisieren, bei der er sich dem Publikum auf einem Stuhl sitzend präsentierte. Ein großes Schild mit der Aufforderung „Regardez moi cela suffit“ verlieh der Aktion eine absurde Note. Sie demonstrierte nicht nur, wie Rainer Wick meint, die „Verabsolutierung der Künstlerpersönlichkeit zum Kunstwerk“22, sondern auch die Weigerung des Künstlers, etwas zu produzieren, das als physisches Werk Bestand hätte. Abbildung 246: Timm Ulrichs: Erstes lebendes Kunstwerk (Selbstausstellung), 1961, Juryfreie Kunstausstellung Berlin 1965, Fotografie von Joachim G. Jung, Besitz des Künstlers

© Timm Ulrichs

21 Ulrichs konzipierte die Aktion 1961, plante ihre Realisierung jedoch erst 1965. Von der Juryfreien Kunstausstellung Berlin wurde die provokante Arbeit im letzten Moment unter dem Vorwand ausgeschlossen, Ulrichs habe die Ausschreibungsbedingungen nicht erfüllt, da er sein Werk, also sich selbst, nicht fristgerecht mit Einlieferungszettel auf dem Rücken eingereicht habe. Zur Entstehungsgeschichte des in einem Depot der Juryfreien Kunstausstellung aufgenommenen Fotos vgl. M. Klant: Künstler bei der Arbeit, S. 190 f. 22 Wick, Rainer: Zur Theorie des Happenings (1. Teil), in: Kunstforum International, Bd. 1 (1973/74), Nr. 8/9, S. 106-144, hier S. 108.

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Ob der Zeichner Dick Howett mit seiner 1967 in der Londoner Tageszeitung Daily Mirror erschienenen Karikatur auf Aktionen wie diese anspielte oder nur die Einfallslosigkeit und Selbstreferentialität zeitgenössischer Künstler kritisieren wollte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen (Abb. 247). Howett siedelte seine Szene jedoch im Ausstellungsraum einer Galerie oder eines Museums an und bezog sie − anders als die Künstler Ulrichs und Vautier − eindeutig auf die Tradition der Malerei: Der von ihm karikierte Künstler kann nur zum Exponat werden, indem er den durch einen rechteckigen Rahmen markierten Platz an der Wand einnimmt, der eigentlich für sein Gemälde bestimmt war. Immer noch war die Malerei, die dem Publikum vertrauteste Kunstgattung, das Referenzfeld der Karikatur, auch wenn letztere, wie hier, Diskurse aufgriff, die längst nicht mehr die Malerei betrafen. Abbildung 247: Dick Howett: „… und dann fragte ich mich, was kann ich in diesem Jahr ausstellen?“ In: Daily Mirror, 1967

Zit. nach: Ausst.-Kat. Das Bild des Künstlers (1978), S. 106

Die Reflexion über die Arbeit des Künstlers kam mit dem Ende der hier beschriebenen Gattung der Karikatur jedoch nicht zum Erliegen. Seit den 1960er Jahren entwickelte sich in der zeitgenössischen Kunst eine selbstreflexive Tendenz, die sich als ‚Kunst über Kunst‘ bis in die Gegenwart fortsetzt. Ihre Wurzeln reichen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück, wo in Paris mit den Arts Incohérents von 1882 bis 1896 bereits eine vergleichbare Strömung existierte. Das Nachdenken über die Entstehungswege, Produktionsmechanismen und Rahmenbedingungen aktueller Kunst ist heute für viele Künstler ein essenzieller Bestandteil ihrer Arbeit oder sogar das

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Thema ihrer künstlerischen Produktion. Dass dabei mitunter auch satirische Strategien zum Einsatz kommen, zeigte sich schon in den Arbeiten von Burton Silver oder Komar & Melamid. Die Kunst übernimmt in diesen Beispielen traditionelle Funktionen der Karikatur, indem sie die Arbeit des Künstlers einer satirischkritischen Reflexion unterwirft. Abbildung 248: David Shrigley: Artists talk about their work

Zit. nach: D. Shrigley: What the hell are you doing, o. S.

Der britische Künstler David Shrigley (geb. 1968) realisiert seine Arbeiten seit den 1990er Jahren hauptsächlich im Medium der satirischen Zeichnung. Sein von Underground-Comics inspirierter, ungelenk erscheinender Zeichen- und Schreibstil verbindet eine kindlich-naive Bildsprache mit abgründigen Inhalten und oftmals zynischem Humor. Obwohl seine Zeichnungen zu politischen Themen seit einigen Jahren auch in der Londoner Zeitschrift New Statesman erscheinen, bleibt das aufwendig ausgestattete Künstlerbuch die maßgebliche Publikationsform für Shrigleys Arbeiten. Sie erreichen so ein verhältnismäßig kleines Publikum von Kunstrezipienten und sind Teil der Kunstwelt, deren Mechanismen und Rituale sie ironisch hinterfragen. In einem Cartoon aus dem Jahr 2010 persifliert Shrigley mögliche Ar-

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beitsweisen zeitgenössischer Künstler in einer multioptionalen Kunstwelt (Abb. 248). Unter der Überschrift Artists talk about their work lässt er vier fiktive Repräsentanten der aktuellen Kunst auftreten, die Auskunft über ihre jeweiligen Arbeitsprozesse geben: Während einer seine Bilder von geistig behinderten Kindern anfertigen lässt, musealisiert ein anderer schmutzige Unterhosen; eine Künstlerin stellt 50 Paar Kinderschuhe aus und ein schon schwer lädiert erscheinender Künstler lässt sich bei der Teilnahme an Kneipenschlägereien filmen. Als Karikatur auf die zeitgenössische Kunstproduktion erscheinen die vier Varianten in ihrer Häufung absurd und dadurch komisch; wirklich beunruhigend aber ist nicht ihr humoristisches Potential, sondern ihre Nähe zu realen künstlerischen Praktiken. Denn bei einem heutigen Ausstellungsbesucher weckt Shrigleys Cartoon, der selbst Teil der aktuellen Kunst ist, Assoziationen an bereits Gesehenes von Tracey Emin über verschiedenste Objets trouvés bis hin zur Body Art. Der Künstler spielt dabei virtuos auf einer Klaviatur von immer noch fortwirkenden Vorurteilen gegen die moderne Kunst: Primitivismen, Banales und Anstößiges galten seit der frühen Moderne bei ihren Gegnern als typische Merkmale der „nicht mehr schönen Künste“.23 Ein traditioneller Begriff künstlerischer Arbeit lässt sich auf die von Shrigley versammelten Praktiken freilich nicht mehr anwenden. Keiner der von ihm karikierten Künstler tritt noch als eigenhändiger, das heisst handwerklich-materieller Urheber seiner Werke auf. Diese präsentieren sich im 21. Jahrhundert überwiegend als ‚Ideenkunst‘, auch wenn die Ideen ihrer Schöpfer, wie von Shrigley vorgeführt, mitunter eher dürftig ausfallen. Die Künstler werden dementsprechend auch nicht bei der Arbeit gezeigt, sondern beim Reden über ihre Kunst. Vielleicht, so ließe sich der oben zitierten Beobachtung von Michael Klant hinzufügen, ist dies, und nicht das Nachdenken, die Tätigkeit, die den Künstler heute am treffendsten charakterisiert. Mit dem dokumentarischen Gestus seines Cartoons und dem Titel Artists talk about their work zitiert Shrigley zudem ein Ritual des modernen Kunstbetriebs, dessen Klischeehaftigkeit schon Joseph Beuys in seiner 1965 realisierten Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt aufgegriffen und ironisiert hatte.24 Shrigleys Cartoon steht hier als Nachklang zu den in dieser Arbeit untersuchten Karikaturen und zugleich als Ausblick auf die künstlerische Fortführung der von ihnen mit angestoßenen Debatten: Er veranschaulicht das Fortleben eines satirischen Diskurses über die Entstehungswege und Produktionsbedingungen von Kunstwerken, 23 Vgl. Jauß, Hans Robert: „Vorwort“, in: Ders. (Hg.): Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen, München 1968, S. 11. 24 Für eine ausführliche Beschreibung der Aktion, die am 26.11.1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela stattfand, vgl. Schneede, Uwe M. (Hg.): Joseph Beuys: Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 105 ff.

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die eben nicht, wie Theodor Lipps noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts formulierte, „vom Himmel gefallen“25 sind. Die Frage nach dem Gemachtsein des Kunstwerks ist eine Konstante in den Debatten über die Kunst der Moderne; geändert hat sich lediglich ihr Austragungsort. Durch die Entwicklung einer Metakunst fand eine Verschiebung von der Karikatur in die Kunst statt: Was einst auf den Seiten der großen Satiremagazine verhandelt wurde, ist heute Teil einer zunehmend selbstreflexiv agierenden Kunstpraxis, die das Potential der Karikatur weitgehend absorbiert hat.

25 T. Lipps: Ästhetik, S. 52.

Literaturverzeichnis

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Image Goda Plaum Bildnerisches Denken Eine Theorie der Bilderfahrung Juni 2016, ca. 320 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3331-3

Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Mai 2016, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0

Judith Siegmund (Hg.) Wie verändert sich Kunst, wenn man sie als Forschung versteht? März 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3216-3

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Image Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur Januar 2016, ca. 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-1711-5

Franziska Stöhr endlos Zur Geschichte des Film- und Videoloops im Zusammenspiel von Technik, Kunst und Ausstellung Januar 2016, ca. 430 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 48,99 €, ISBN 978-3-8376-3209-5

Natalie Lettner Bilder des Bösen? Teufel, Schlange und Monster in der zeitgenössischen Kunst Oktober 2015, 498 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3164-7

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Siegfried Mattl, Christian Schulte (Hg.)

Vorstellungskraft Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2014

Dezember 2014, 136 Seiten, kart., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-2869-2 E-Book: 12,99 € ISBN 978-3-8394-2869-6 Vorstellungs- oder Einbildungskraft bezeichnet die Fähigkeit zur Erzeugung innerer Bilder, die entweder Wahrnehmungen erinnernd reproduzieren oder produktiv Gegebenheiten überschreiten. Vorstellungen konstruieren imaginativ zukünftige Szenarien oder erzeugen – wie in der Kunst – ästhetische Alterität. Die interdisziplinären Beiträge dieser Ausgabe der ZfK untersuchen Figurationen und Agenturen des Imaginären: von den Todes- und Jenseitsimaginationen der christlichen Kunst, den Denk- und Sehräumen in Kunst und Medizin über Rauminszenierungen der Moderne, dem frühen Amateurfilmdiskurs bis hin zur Techno Security und Big Data. Der Debattenteil befasst sich unter dem Titel »Transparenz und Geheimnis« mit medien- und kulturwissenschaftlichen Zugängen zu Dispositiven der Überwachung.

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