Die Genese der autonomen Kunst: Eine historische Soziologie der Ausdifferenzierung des Kunstsystems [1. Aufl.] 9783839421475

Die Entstehung eines autonomen Kunstsystems ist nicht ohne Ablösung von religiösen und an Schichtung orientierten Erwart

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Die Genese der autonomen Kunst: Eine historische Soziologie der Ausdifferenzierung des Kunstsystems [1. Aufl.]
 9783839421475

Table of contents :
INHALT
Einleitung
1 Einleitende theoretische Grundlagen
1.1 Kommunikation und Beobachtung
1.2 Funktionssysteme und binäre Codierung
2 Das Kunstsystem, seine Codierung und seine Funktion
2.1 Niklas Luhmanns Werkästhetik
2.2 Das Kunstwerk als Kompaktkommunikation
2.3 Das Kunstwerk als Sprecher des Sprachlosen
2.4 Der systemtheoretische Funktionsbegriff
2.5 Systemtheoretische Funktionsbestimmungen der Kunst
2.6 Das Imaginäre des Kunstsystems
2.7 Operative Fiktionen
2.8 Kunsthierarchien
2.9 Die Funktion des Kunstsystems
3 Das bildende Handwerk im Mittelalter
3.1 Die Transformation der Bildsemantik im Byzantinischen Bilderstreit
3.2 Die mittelalterliche Bildersituation im lateinischen Westen
3.3 Umstellung der Bilderproduktion von Gleichheit auf Ungleichheit
3.4 Scholastische und bildtheologische Aspekte des Bilderstreits
3.5 Die Konfirmation der Differenz Darstellung/Dargestelltes
3.6 Die Asymmetrisierung der Differenz Darstellung/Dargestelltes
3.7 Die religiös-erzieherische Belegung des Bildes
4 Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems
4.1 Die Traktatliteratur der Künstler
4.2 Der Hiatus zwischen Kunst und Handwerk
4.3 Die Erhöhung der strukturellen Komplexität des Kunstsystems
4.4 Ausgangspunkte zur Selbstbeschreibung des Kunstsystems
4.5 Ut pictura poiesis / Ut rhetorica pictura
4.6 Externalisierung der Selbstreferenz
4.7 Erziehungserwartungen der sozialen Umwelt
4.8 Die Linearperspektive
4.9 Die Räume der Kunst
4.10 Darstellungsautonomien
4.11 Folgelasten der Linearperspektive
4.12 Naturüberbietung
4.13 Die Kontingenzformel des Kunstsystems
5 Die Kunst des Religionssystems
6 Schluss
Literatur

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Sebastian W. D. Krauss Die Genese der autonomen Kunst

Sozialtheorie

Sebastian W. D. Krauss (Dr. phil.) ist Soziologe mit den Schwerpunkten Wissenssoziologie und Theorie der Gesellschaft.

Sebastian W. D. Krauss

Die Genese der autonomen Kunst Eine historische Soziologie der Ausdifferenzierung des Kunstsystems

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Unter dem Titel »Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems. Zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft« zugleich Dissertation Universität Luzern 2011. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Sebastian W. D. Krauss Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2147-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

I NHALT Einleitung | 7  1 Einleitende theoretische Grundlagen | 27

1.1 1.2

Kommunikation und Beobachtung | 32 Funktionssysteme und binäre Codierung | 40

2

Das Kunstsystem, seine Codierung und seine Funktion | 47

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9

Niklas Luhmanns Werkästhetik | 56 Das Kunstwerk als Kompaktkommunikation | 64 Das Kunstwerk als Sprecher des Sprachlosen | 67 Der systemtheoretische Funktionsbegriff | 76 Systemtheoretische Funktionsbestimmungen der Kunst | 79 Das Imaginäre des Kunstsystems | 84 Operative Fiktionen | 90 Kunsthierarchien | 92 Die Funktion des Kunstsystems | 96

3

Das bildende Handwerk im Mittelalter | 109

3.1

Die Transformation der Bildsemantik im Byzantinischen Bilderstreit | 115 Die mittelalterliche Bildersituation im lateinischen Westen | 121 Umstellung der Bilderproduktion von Gleichheit auf Ungleichheit | 129 Scholastische und bildtheologische Aspekte des Bilderstreits | 132 Die Konfirmation der Differenz Darstellung/Dargestelltes | 135 Die Asymmetrisierung der Differenz Darstellung/Dargestelltes | 138 Die religiös-erzieherische Belegung des Bildes | 142

3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 4

Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems | 147

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

Die Traktatliteratur der Künstler | 154 Der Hiatus zwischen Kunst und Handwerk | 160 Die Erhöhung der strukturellen Komplexität des Kunstsystems | 163 Ausgangspunkte zur Selbstbeschreibung des Kunstsystems | 171 Ut pictura poiesis / Ut rhetorica pictura | 176 Externalisierung der Selbstreferenz | 181 Erziehungserwartungen der sozialen Umwelt | 190 Die Linearperspektive | 200

4.9 4.10 4.11 4.12 4.13

Die Räume der Kunst | 210 Darstellungsautonomien | 215 Folgelasten der Linearperspektive | 223 Naturüberbietung | 232 Die Kontingenzformel des Kunstsystems | 247

5

Die Kunst des Religionssystems | 259

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Schluss | 271

Literatur | 277

Einleitung

Eine durch Bilder, Texte oder Ritual topografierbare Transzendenz ist soziale Begleiterscheinung vieler Gesellschaftsformationen. Im lateinischen Westen entwickelte der Vollzug von Religion in Form von Bildern indessen eine Dynamik, die diese Transzendenz optional werden ließ und so eine gesellschaftliche Emergenz ermöglichte, die man heute als Kunst bezeichnen kann. Dieser Prozess soll als Ausdifferenzierung des Funktionssystems Kunst gefasst werden. Das Funktionssystem Kunst wird dabei nicht durch seine Gegenposition zur Gesellschaft bestimmt, sondern als Artefakt der gesamtgesellschaftlichen Umstellung der primären gesellschaftlichen Differenzierung auf funktionale Differenzierung betrachtet, die in diesem Prozess unter anderem auch Religion, Wirtschaft und Wissenschaft in Form autonomer Subsysteme ausdifferenziert.1 Diese Sichtweise auf die Kunst bedarf der Spezifizierung, denn in der Soziologie steht häufig ein anderes Verhältnis im Vordergrund, das Adorno in seinen »Thesen zur Kunstsoziologie« so zusammengefasst hat: »Kunstsoziologie umfasst, dem Wortsinn nach, alle Aspekte im Verhältnis von Kunst und Gesellschaft.«2 Diese Formulierung legt nahe, dass es auf der einen Seite Kunst und auf der anderen Seite Gesellschaft gibt, die Untersuchung dieses Verhältnisses demgemäß sowohl eine Theorie der Kunst als auch eine Theorie der Gesellschaft verlangt. Ordnet man dann dem historischen Materialismus folgend die Kunst der Gesellschaft nach, kann entsprechend untersucht werden, wie sich die Gesellschaft in der Kunst objektiviert, wie die Kunstwerke zum »Vehikel der Selbsterhaltung der Gesellschaft«3 werden.

1

Siehe für die hier zugrunde gelegte Theorie Niklas Luhmann 1987d, zur Kunst insbesondere Niklas Luhmann 1995d und zur Differenzierung unter anderem Niklas Luhmann 2008b und Rudolf Stichweh 1994c

2

Theodor W. Adorno 1996 [1967], S. 367.

3

Arnold Hauser 1958, S. 293.

8 | DIE G ENESE DER AUTONOMEN KUNST

Sowohl diese Sichtweise auf die Kunst als auch die damit in Zusammenhang stehenden Kunsttheorien und Kunstsoziologien entsprechen nicht dem Blickwinkel der vorliegenden Arbeit. Diese Arbeit betrachtet nicht »Kunst und Gesellschaft«, sondern »die Kunst der Gesellschaft«.4 In dieser an Niklas Luhmann orientierten Umstellung der Sichtweise kann Kunst nicht länger als Wiederspiegelung der Gesellschaft angesehen werden. Kunst ist Gesellschaft und weder Gesellschaft gegenüber privilegiert, noch unterworfen. Die Kunst wird gewöhnlich. Ihren Zauber, den Bourdieu5 brechen wollte oder ihre Chiffren, die Adorno6 aufzusprengen versuchte, sind hier nur Chimären der Ästhetik. Damit liegt es dieser Arbeit fern, Kunsttheorie zu bieten, wenngleich eine Systemtheorie der Kunst unverzichtbar ist. Systemtheoretische Begriffe sind dabei nicht lediglich auf das soziale Phänomen anzuwenden, sondern müssen die gesellschaftliche Realität des Kunstsystems und seine historischen Selbstbeschreibungen berücksichtigen. Erst auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Ergebnisse der Forschung ihre Bedingungen infrage stellen können, die Systemtheorie also nicht transzendental betrieben wird.7 Es gilt somit, den Prozess der Ausdifferenzierung des Kunstsystems nicht nur gesellschaftstheoretisch, sondern auch gesellschaftlich und historisch plausibel zu beschreiben. Hierbei steht die Arbeit vor der Herausforderung, aufzuzeigen, wie sich die Kunst als Funktionssystem, das heißt, unter ihrer Funktion, ausdifferenzierte. Etwas, was Luhmann selbst unterließ,8 denn in seinen Beschreibungen der Ausdifferenzierung eines Kunstsystems führte Luhmann, alteuropäischer Tradition folgend, stets das überschüssige Kapital der italienischen Stadtstaaten, sowie Patronageverhältnisse an, wo-

4

Siehe zur Gegenüberstellung von Kunst und Gesellschaft auch Theodor W. Adorno 1990a [1970], S. 335: »Vielmehr wird sie zum Gesellschaftlichen durch ihre Gegenposition zur Gesellschaft, und jene Position bezieht sie erst als autonome.«

5

»Die soziologische Lektüre bricht den Zauber«, so Pierre Bourdieu 1999, S. 67.

6

»Gerade die entscheidenden Aufgaben der Musiksoziologie, der gesellschaftlichen Dechiffrierung von Musik, verweigern sich jener positivistisch handgreiflichen Verifizierbarkeit, wie sie sich auf Daten über musikalische Konsumgewohnheiten oder die Beschreibung musikalischer Organisationen stützt, ohne die Sache selbst, die Musik, aufzusprengen«, so Theodor W. Adorno 1990b [1959], S. 12.

7 8

Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 13. So werden bspw. die theoretischen Erörterungen zum Imaginären der Kunst, ihrem Funktions- und Codebezug, die in Abschnitt I. bis V. des Kapitels »Die Funktion der Kunst und die Ausdifferenzierung des Kunstsystems« in Niklas Luhmann 1995d erarbeitet werden, in den Abschnitten der darauf folgenden historischen Analyse an keiner Stelle aufgegriffen und in die Analyse einbezogen.

E INLEITUNG | 9

bei Patronage durch einen entstehenden Kunstmarkt abgelöst wurde.9 Mit der Fortsetzung der traditionellen Sicht auf den Autonomisierungsprozess der Kunst importierte Luhmann darüber hinaus auch die verbreitete These, dass nur ein autonomer Künstler »freischaffend« autonome Kunst herstellen könne. Patronage und Kunstmarkt hätten dies jeweils funktional äquivalent gewährleisten können.10 Doch wirtschaftliche Zusammenhänge, wie dieser Wandel von Kundenproduktion zu Warenproduktion im Kontext Autonomie ergreifender Subjekte, können nicht aufzeigen, wie sich ein Kunstsystem ausdifferenzierte: Funktionale Differenzierung erfolgte nicht aufgrund von Austausch- und Leistungsbeziehungen, sondern aufgrund funktionaler Differenzierung.11 Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems kann nicht über einen Wandel von Abhängigkeitsverhältnissen erklärt werden, die orthogonal zur funktionalen Differenzierung stehen. Sofern die Diagnose der modernen Gesellschaft als eine funktional differenzierte zutrifft und sofern die Kunst als ein Funktionssystem dieser Gesellschaft beschrieben wird, dann ist die Ausdifferenzierung eines Systems für Kunst notwendigerweise im Rahmen der funktionalen Differenzierung zu erklären. Die vorliegende Arbeit versteht sich so in erster Linie als ein Beitrag zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft anhand der Ausdifferenzierung des Kunstsystems. Das Erkenntnisinteresse ruht hier auf der Durchsetzung funktionaler Differenzierung in einer primär stratifizierten Gesellschaft und weniger auf dem, was als Kunst vorgelegt wurde. Die Kunst wird somit in die Evolution polykontexturaler Komplexität eingespannt, denn eine geschichtliche Notwendigkeit zum Kunstsystem gab es freilich nicht.12 Die Fragestellung dieser Arbeit kann demnach nicht sein, wie Kunst im sog. Mittelalter oder in der sog. Renaissance erlebt wurde, sondern, wie das, was heute als Kunst bezeichnet werden kann, emergiert. Erst wenn die Form nicht mehr vollständig von einer Funktion informiert wird, kann die Form als Problem

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Siehe hierzu unter anderem ebd., S. 257ff., Niklas Luhmann 2008c, S. 324f. und Niklas Luhmann 2008f, S. 391ff. Markus Koller 2007, S. 28, und Walther MüllerJentsch 2011, S. 30f., folgen dieser Ansicht.

10 Gerade dann drängt sich aber die Frage auf, wie die soziale Umwelt hier in die operative Geschlossenheit des Kunstsystems derart eingreifen kann, dass dadurch ein sprunghafter Entwicklungsschub in Form des Wechsels des Anlehnungskontextes der Kunst einsetzt. Siehe hierzu, unbeantwortet, Niklas Luhmann 1995d, S. 262. 11 Siehe hierzu unter anderem Niklas Luhmann 1998b, S. 743ff. 12 Siehe auch Niklas Luhmann 1996a, S. 279. Wir folgen hier insofern auch Gottfried Benn 1987b [1929], S. 221f.: »Die Geschichte ist ohne Sinn, keine Aufwärtsbewegung, keine Menschheitsdämmerungen; keine Illusionen mehr darüber, kein Bluff.«

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sichtbar werden, die sich dadurch für alternative Lösungen und Erwartungen öffnet, bspw. Prestige- oder Repräsentationszwänge; sie kann gar den historisch unwahrscheinlichen Fall tolerieren, die Informierung auf eine neue und unvorhersehbare Weise zu betreiben: als Kunst. Erst dann können und müssen Begriffe zur Beschreibung in Anschlag gebracht werden, bspw. Schönheit, Geschmack, Ausdruck, Kreativität etc., deren Anwendung auf die Produkte des bildenden Handwerks weder in der Antike noch im Mittelalter erfolgten und damit in Konkurrenz zu theologischen Begriffen wie veneratio und adoratio treten können.13 Aber an welcher Form konnte sich die Informierung als Problem stellen und weswegen? Gemeint ist hier nicht die Form eines Artefakts, also seine Materialität oder sein werkästhetisches Formenarrangement, sondern eine Differenz der Kommunikation über das Artefakt. Die folgenden Überlegungen müssen dazu etwas weiter ausholen, um einen Symmetriebruch identifizieren zu können, der als Abweichung sozial produktiv werden konnte. An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass der Unterschied, der der Gesellschaft mit Kunst gegeben ist, kein Unterschied der Wahrnehmung ist, sondern ein Unterschied der Kommunikation.14 Was als Kunst geschieht, geschieht als Kommunikation. Aus allem, was dabei in den Bewusstseinssystemen vor sich gehen mag, den Wahrnehmungen, den Empfindungen, den Ahnungen, entsteht keine Kunst – außer durch Mitteilung. Erst so werden Wahrnehmungen sozial zugänglich, allerdings um den Preis, keine Wahrnehmung mehr sein zu können, sondern Begriff, Erwartung, Semantik, kurz: sozial gestellt zu werden. Es muss, vereinfacht gesagt, zunächst die Frage geklärt werden, welche Differenz in der gesellschaftlichen Evolution als Attraktor für Kommunikationen dienen konnte, deren kommunikativer Zusammenhang sich autopoietisch zum Kunstsystem schließen konnte, dies aber nicht zur Folge haben musste. Im Kontext judäo-christlicher und mittelalterlich-philosophischer Semantik war der Kommunikation über Bilder, die sich keineswegs auf Bilder in der Fläche beschränkte, ein Reflexionswiderstand gegeben: Dem menschgewordenen Gott verlangt es nach Darstellung, wo der Unsichtbare dies verfluchen muss. Die religiöse Kommunikation hatte hier den Widerspruch zu entfalten, der mit Exodus 20.4 und Genesis 1.26 gegeben war, also eine unnahbare Transzendenz, die mit der Fähigkeit, selbst nachahmen zu können und zu sollen konfligieren konnte. Diese – religiöse – Problemstellung wurde für die Ausdifferenzierung des Kunstsystems relevant, so die erste These dieser Arbeit. Denn wenn die Weise,

13 Siehe hierzu Paul Oskar Kristeller 1965, S. 166ff. 14 Das ist der bedeutende Unterschied zur Ästhetik, die ihre Unterscheidung als Unterscheidung der Wahrnehmung formuliert.

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wie diese unnahbare Transzendenz nachgeahmt werden kann und soll, nicht mehr durch Tradition und Bilderkataloge zu lösen ist, sondern im Zusammenhang der Ausdifferenzierung des Religionssystems und ihrer Selbstbeschränkung auf ihre Kontextur, die nur noch das Transzendente der Kommunikation auszuzeichnen versucht, nun seitens der Bildproduzenten Eigenleistungen erfordert, also den Bildproduzenten in den Begründungszusammenhang des Bildes hineinzieht, dann bietet dies der Gesellschaft die Chance zur Bifurkation. Die Kommunikation konnte hier Abweichungen zum Ausbau der eigenen Komplexität nutzen.15 Auch die Differenzleistung des Bildes konnte sich mit Komplexität anreichern und Erwartungen aufbauen, also Strukturen, die sich dann freilich gegenüber ihren Enttäuschungen abzusichern hatten. Im evolutionären Prozess kondensierte die Struktur so weitere soziale Komplexität. Die strukturelle Abweichung in der Kommunikation am Bild konnte dabei semantisch von einer historischen Grundlagengewissheit des lateinischen Westens betreut werden: dem Ähnlichkeitsverhältnis der Naturnachahmung. Die Naturnachahmung leistete zwar die Rückbindung des Unterschieds zwischen dem Bild und dem, dem das Bild ähnlich war, aber konnte sie auch den Unterschied selbst vermitteln?16 Konnte sie dessen Selektivität einschränken, um dadurch dem Selegierten sozialen Sinn verleihen zu können? Was hier angesprochen ist, ist ein bekannter Aspekt der Nachahmung,17 bereits bei Savonarola heißt es: »Die Kunst ist ein Versuch, die Natur nachzuahmen; da sie dies nicht zu erreichen vermag, so bezeichnen wir als das Eigenartige an einem Kunstwerke das, was der Künstler schafft, ohne sich genau an die Natur zu halten.«18 Die Kunst wird bei Savonarola als dasjenige gedacht, das sich als Differenz aus der unvollständigen Wiederholung einstellt. Dies lässt sich anhand des modernen Bildbegriffs genauer aufzeigen. Der moderne Bildbegriff wird häufig als eine Negation

15 »Die Evolution hat eine parasitäre Struktur. Sie würde die Parasiten nicht derartig begünstigen, wenn sie nicht ihrerseits mehr oder weniger von ihnen begünstigt würde. [...] Wenn die Evolution eine Ordnung ist, so ist der Parasit ihr Element. Er unterbricht eine Wiederholung, er führt eine Verzweigung in der Reihe des Identischen herbei«, so Michel Serres 1987, S. 285. Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1998b, S. 661 und S. 683. 16 In einem ähnlichen Sinn fasst Hans Blumenberg 1981 [1957], S. 62, diese Problemstellung als eine »ontologische Unartikulierbarkeit«. 17 Arthur Coleman Danto 1984, S. 52ff. 18 Hieronymus Savonarola 1928 [1496], S. 247.

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gefasst,19 die einen Mangel mit sich führt.20 Dem Bild wird der Vorwurf gemacht, es sei nicht das, was es zeigt, sondern weniger, und nur indem es vorenthält, könne es zeigen. Der Mangel kann hier jedoch im Sinne von Bateson einen Unterschied machen,21 der sich auch positiv zurechnen lässt: als »mimetischer Mehrwert«, der sich u.U. rechtfertigen muss, bspw. über »Kreativität«. Ein Fragment von Nietzsche kann hier verdeutlichen, wohin der Gedankengang führen soll: »Man ist um den Preis Künstler, dass man das, was alle Nichtkünstler Form nennen, als Inhalt, als die Sache selbst empfindet. Damit gehört man freilich in eine verkehrte Welt.«22 Das Bild ist also Mangel, weil es sonst das wäre, was es zeigt,23 und es ist Überfluss, weil es nicht das ist, was es zeigt.24 Die Vermutung liegt nahe, dass die Ausdifferenzierung eines Systems für Kunst mit der Fruchtbarmachung dieses »mimetischen Mehrwerts« im Zusammenhang steht.25 Entscheidend ist die Frage: Wie?

19 Bspw. Gottfried Boehm 1994a, S. 340: »Negation ist die Grundlage aller bildlichen Erscheinung.« 20 Bspw. Christoph Wulf und Jörg Zirfas 2005, S. 18: »Als Repräsentation ist für sie [die Bilder, d. Verf.] der Mangel konstitutiv [...]«. 21 Siehe hierzu Gregory Bateson 1981a [1970], S. 582. 22 Friedrich Nietzsche 1972b, S. 333. 23 Siehe hierzu bspw. den Dialog zwischen Bruno und Mein Herr bei Lewis Carroll 1893, S. 169: »›That’s another thing we’ve learned from your Nation,‹ said Mein Herr, ›map-making. But we’ve carried it much further than you. What do you consider the largest map that would be really useful?‹ ›About six inches to the mile.‹ ›Only six inches!‹ exclaimed Mein Herr. ›We very soon got to six yards to the mile. Then we tried a hundred yards to the mile. And then came the grandest idea of all! We actually made a map of the country, on the scale of a mile to the mile!‹ ›Have you used it much?‹ I enquired. ›It has never been spread out, yet,‹ said Mein Herr: ›the farmers objected: they said it would cover the whole country, and shut out the sunlight! So we now use the country itself, as its own map, and I assure you it does nearly as well. [...]‹« 24 Die Paradoxie lässt sich sozial freilich auf verschiedene, funktional äquivalente Weise verschieben, sei es das Bild als acheiropoíetos eíkon, sei es durch Ausdifferenzierung von Rollen, bspw. Priestern, die die Vermittlung auf ein Sein leisten können. Auch bei Wolfgang Iser 1998 klingt die oben angesprochene Differenz als ein Phänomen der Emergenz an, die jedoch, der Zweiwertigkeit verhaftet bleibend, im Täuschungsverdacht der Vorenthaltung endet. 25

In gewisser Weise spricht Adorno diesen Aspekt in seinen Paralipomena zur Ästhetischen Theorie an: »Mimesis selbst beugt sich der Vergegenständlichung, vergeblich

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Zunächst gerät hier eine Paradoxie in den Blick, die üblicherweise durch Repräsentations- und Mangelunterstellungen verdeckt werden kann: Mimesis ist Poiesis.26 Mimesis ist dem Verständnis dieser Arbeit nach also gerade nicht auf die Fähigkeit zur Produktion von Ähnlichkeiten eingeschränkt, sondern sucht zu fassen, dass sich etwas zu einem Anderen macht.27 Die Betonung liegt dabei in der vorliegenden Arbeit auf einer Differenz der Medialität,28 nicht auf der ebenso anlegbaren Differenz »Identität/Differenz«.29

hoffend, den fürs vergegenständlichte Bewusstsein entstandenen Bruch zum Objekt zu schließen. Indem das Kunstwerk sich zu einem dem Anderen, Gegenständlichen Gleichen machen will, wird es zu dessen Ungleichem. Aber erst in seiner Selbstentfremdung durch Nachahmung kräftigt das Subjekt sich so, dass es den Bann der Nachahmung abschüttelt. Worin Kunstwerke Jahrtausende lang als Bilder von etwas sich wussten, das enthüllt durch Geschichte, ihren Kritiker, sich als ihr Unwesentliches. [...] Durch Nachahmung hindurch, nicht abseits von ihr hat Kunst zur Autonomie sich gebildet; an ihr hat sie die Mittel ihrer Freiheit erworben«, so Theodor W. Adorno 1990a [1970], S. 424f. 26 Siehe hierzu Paul Ricœur 1983 und Hans-Georg Gadamer 1989, S. 102ff. Man könnte in diesem Zusammenhang auch auf das »kraft« in der Einbildungskraft verweisen, siehe hierzu Christoph Wulf 2005, S. 43. Der thematisierte Aspekt schneidet freilich auch die Philosophische Anthropologie an, als Verweis sei bspw. auf Arnold Gehlen 1983 [1961] hingewiesen. Siehe auch die Studie von Hermann Koller 1954, die das Bedeutungsfeld des antiken Mimesisbegriffs aus dem Tanz und der Musik herleitete und in den 1950ern die Diskussion um das Poietische im Mimetischen eröffnete. 27 Vgl. Gunter Gebauer und Christoph Wulf 1992, S. 17. Man denke auch an die Transsubstantiation im Rahmen des Abendmahls, die, bevor es um die Frage nach dem Bildhaften, also Anwesenheit oder Abwesenheit, geht, das mimetische Problem der Alltagsinkonsistenz zu überwinden hat, nämlich dass das Altarsakrament verschimmelt. 28 Dies bemerkt in gewisser Weise auch Niklas Luhmann 1995d, S. 500: »Denn schon im Begriff der Imitation, also schon seit Aristoteles, war mehr als eine Kunstart gemeint: nicht nur die Imitation von Dingen, sondern auch die Imitation von Handlungen; nicht nur die bildenden Künste, sondern auch das Schauspiel und die Dichtkunst. Allerdings konnte unter der Ägide dieser Formel die eigentliche Schwierigkeit nicht aufgelöst werden. Denn die Imitationsformel zielt auf repräsentationale Darstellung, auf Weltakzeptanz durch Wiederholung in einem anderen Medium.« 29 Siehe dazu grundlegend Martin Heidegger 1957 und Jacques Derrida 1974, bspw. S. 403 für einen anregenden Bezug zur Bildproduktion.

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Nicht ohne Grund schreibt Savonarola im obigen Zitat, dass es die Künstler sind, die sich nicht genau an die Natur halten: Die Paradoxie der Nachahmungssemantik wird naheliegend über die Sozialdimension des Sinns verschoben. Bei Platon konnte, im Folgenden der Einführung wegen nur knapp skizziert, die Paradoxie über die Sachdimension verschoben werden: als Nachahmung der Nachahmung. Das Bild als Abbild des Abbildes hielt die Paradoxie latent. Das Bild nahm gerade nicht am Sein teil, es war außerhalb, es war gebrochen. Das Bild ist da, aber es ist nicht das, was es zeigt. Und im »Sophistes« deutet sich bekanntlich an, dass es dieser Bruch ist, der als Abweichung das Künstlerische bieten könnte – als heteron toiouton (ein anderes Solches).30 Aristoteles machte diese Verschiebung, unter Beibehaltung des Nachahmungsbegriffs, gewissermaßen rückgängig.31 Damit brach auch die Paradoxie wieder hervor und so sprach Aristoteles nun vom Dichter als Lügner, mahnte damit aber nicht die Erfüllung einer Norm an, sondern verschob eben diese Paradoxie in die Sozialdimension, wo er die Frage nach dem Bild nicht beantworten musste, sich aber die Möglichkeit zum Bild erhielt. Das lateinische Mittelalter importierte im 12. und 13. Jahrhundert über die Übersetzungen von Aristoteles’ »Physik« und »Poetik« auch die Beschreibung der Tätigkeit des Handwerkers als Naturnachahmung.32 Auch die Bildproduktion konnte und sollte nachahmen.33 Damit war die Paradoxie der Nachahmungssemantik erneut gegeben. Die Kommunikation über Bilder traf auf die Paradoxie, dass Bilder unter dem durch die Nachahmungssemantik eröffneten Möglichkeitsraum der Kommunikation auf die Nachahmung einer vorgegebenen, transzendenten Realität verpflichtet waren, diese jedoch nur als eigene, imaginäre Realität erzeugen konnten.34 Die Semantik der Nachahmung war in der Folge

30 Vgl. Gernot Böhme 2004, S. 8f. und S. 20ff. Siehe zum Sophistes auch Martin Heidegger 1992, insbesondere S. 398ff. 31 Siehe hierzu und zum folgenden Satz Hans Blumenberg 1964. 32 Siehe zur Geschichte der Neuzeit als Abtragen der griechisch-antiken Hypothek eines Fragenkatalogs Hans Blumenberg 1975, S. 42. 33 Nicht nur die Bildproduktion, sondern auch andere Bereiche der Gesellschaft standen damit vor dieser Paradoxie, bspw. das Recht. Im 14. Jahrhundert formuliert Baldus, so Ernst Kantorowicz 1960, S. 269, für das Recht: »art imitates nature so far as it can [...] Notice that fiction imitates the idea of nature and its style.« 34 Dies lässt sich zuspitzen: Aus der Feststellung, etwas sei eine Nachahmung folgt nicht, dass das, dessen Nachahmung es ist, dazu existieren müsste: »›n ist eine ONachahmung‹ kann wahr sein, auch wenn die Welt ohne ›O‹ ist. Gefordert wird nur, dass wir von n aus O erkennen können sollten, wenn es Os gibt, [...]«, so Arthur

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nicht dazu in der Lage, die Erwartungen eines auf religiöse Wahrheit und Belehrung verpflichteten Bildes dauerhaft zu begleiten.35 Die Paradoxie wurde auf diese Weise, so die zweite These, entscheidend für den Ausdifferenzierungsprozess eines Funktionssystems für Kunst, denn sie provozierte Sinnverschiebungen, die die Ausdifferenzierung des Kunstsystems unter einer ihm exklusiv werdenden binären Codierung (be-)trieb. Die Thesen entbergen damit eine Semantik, die einzuholen versuchte, was sich ihr entzog und den Bezug zur Welt zuerst in Form von Notwendigkeit, dann Möglichkeit und schließlich Kontingenz erfassen musste.36 Anders formuliert: Bevor der bildende Handwerker im Mittelalter sein Werk begann, war das Bild, das er nachahmte, bereits zünftig bzw. religiös vorhanden. Vor ihrer Ausdifferenzierung begann die Kunst deshalb mit dem Anrühren der Farben: »Artis pictorum prior est factura colorum.«37 Der strukturelle Prozess der Ausdifferenzierung des Kunstsystems führte in der semantischen Begleitung nun zu Naturnachahmung.38 Das Bild folgte den Regeln der Natur, die Kunst begann mit der Konstruktion: »Der Anfang der Malerei ist der Punkt, dann folgt die Linie, das Dritte ist die Fläche, das Vierte der Körper, der sich in diese Oberfläche kleidet,

Coleman Danto 1984, S. 245. Eine andere Möglichkeit findet sich in Getrude Steins »Autobiographie von Alice B. Toklas«: »Nach einem Weilchen sagte ich leise zu Picasso, dass mir sein Bildnis von Gertrude Stein gut gefiele. Ja, sagte er, alle sagen, sie sehe nicht so aus, aber das ist völlig einerlei, denn mal wird sie so aussehen.« Zitiert nach der Anmerkung des Übersetzers, Bernd Philippi, in Nelson Goodman 1997 [1967], S. 42. 35 Die Kunstgeschichte tut sich eher schwer mit dem, was hier angesprochen ist. Wilhelm Perpeet 1987, S. 258, asymmetrisiert bspw. die Paradoxie über unterstellte Intentionalitäten der Künstler: Den Künstlern sei es gar nicht in den Sinn gekommen, die Natur nachzuahmen, denn die Künstler wollten Schönes erschaffen. Aber dann muss Perpeet freilich die Selbstbeschreibungen der Künstler entwerten, denn laut diesen konnte sich für die Künstler Schönheit nur durch die richtige Nachahmung einstellen. 36 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Arbeitshypothese der Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik« in Gerhard von Graevenitz und Odo Marquard 1998, S. XII, bzgl. eines zunehmenden Kontingenzbewusstseins. 37 Theophilus Presbyter 1874 [Manuskript zw. 1100 und 1120], S. 3. 38 Es handelt sich hierbei freilich bereits um die Natur der Kunst in Form einer mathematisierten Natur, nicht die Natur an sich. Wir kommen darauf zurück.

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[...]«39 Über die Naturüberbietung endete die semantische Begleitung im ausdifferenzierten Kunstsystem in subjektivierter Naturüberwindung in Form der Nachahmung des inneren Bildes: »[...] generate dall’intelligenza, e facoltà del Disegno interno, & esterno, e di queste primogenita esser la Pittura, e [...] nasca in vn certo modo insieme col Disegno suo genitore, con cui è vna istessa cosa, [...]«40 Die Semantik der Nachahmung wurde kontinuiert, doch sie änderte ihre Selektivität, um die Struktur und deren Wandel weiterhin betreuen zu können: »Wenn sich das Komplexitätsniveau der Gesellschaft ändert, muss die das Erleben und Handeln führende Semantik sich dem anpassen, weil sie sonst den Zugriff auf die Realität verliert.«41 In dem Maße, in dem sich Kunst im historischen Prozess auf ihre eigene, imaginäre Realität verpflichtete, wurde ihre Relation zur sozialen Umwelt und für die soziale Umwelt zum Problem. Referenzen und damit auch herangetragene Wahrheitsansprüche wurden nun intern durch das Kunstsystem blockiert bzw. in interne Leistungsstrukturen transformiert. Und eben diese Eigenrealität, eine Realität, die ihre Bedeutung daraus beziehen konnte, dass sie eigen war, eben nicht real, sondern nur imaginär – und sei es durch das Aufzeigen der eigenen Kontingenz – wurde für die moderne Gesellschaft unverzichtbar. Das ist die dritte und letzte These. Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Sie bietet im ersten Teil eine Einleitung in systemtheoretische Grundlagen (Kapitel 1) und die Systemtheorie der Kunst (Kapitel 2). Das soziale Phänomen der Kunst ist systemtheoretisch reizvoll. Kein anderer Bereich der Systemtheorie ist von derart vielfältigen Vorschlägen zur binären Codierung oder zur Funktion des Kunstsystems durchzogen. Auch diese Arbeit muss versuchen, einen Beitrag zu dieser Pluralität zu leisten, aber dies nicht, weil versucht wird, die Kunst soziologisch besser zu »repräsentieren«, sondern da die Theoriemittel geschärft werden müssen, um den Wandel eines sozialen Phänomens erfassen zu können. Die historisch-semantische Analyse des zweiten Teils dieser Arbeit erfordert dazu ein nicht-normatives, historisch tragfähiges und soziologisches Theoriegerüst und die verfügbaren systemtheoretischen Konzeptionen der Kunst und des Kunstwerks weisen gerade in diesen Hinsichten Defizite auf. Zum einen sind sie stets deutlich auf die Beobachtung der Kunst der Moderne ausgerichtet und an dieser orientiert, kontinuieren zum anderen jedoch

39 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 3. 40 Federico Zuccaro 1961 [1607], S. 242. 41 Niklas Luhmann 1993b [1980], S. 21.

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nicht nur häufig einen klassischen, rigiden Werkbegriff, sondern: Ästhetik. Insbesondere Luhmanns werkästhetische Fassung des Kunstwerks, auf die in Kapitel 2.1 eingegangen wird, muss hier zugunsten einer im weitesten Sinne soziologisch verwertbareren Fassung aufgegeben werden. An den damit verbundenen Problemstellungen der Theorie orientiert sich insbesondere Kapitel 2.3 und versucht, eine kommunikationstheoretische Fassung des Kunstwerks zu skizzieren, die das Kunstwerk als Artefakt der Kommunikation des Kunstsystems greifen kann. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf diejenigen Aspekte, die sich für das Vorhaben der Arbeit als vorteilhaft erweisen. Eine Systemtheorie des Kunstwerks, zumal des modernen, ist nicht das Ziel dieser Erörterungen. Die notwendige Ausweisung der Ästhetik und ihre Ersetzung durch eine kommunikationstheoretische Fassung des Kunstwerks haben dann Folgen für das, was als gesellschaftliche Funktion der Kunst beobachtbar werden kann. Es wird auch in diesem Fall vorgezogen, die Problemstellung mit den Mitteln der Systemtheorie zu erfassen und zu lösen, anstelle externe Theoriekonzepte zu importieren. Dazu werden Überlegungen von Luhmann zum Imaginären der Kunst aufgegriffen und in Kapitel 2.6 zu einer alternativen Fassung des binären Codes des Kunstsystems ausgebaut, der in Kapitel 2.9 eine darauf aufbauende Funktionsbestimmung folgt. In beiden Fällen wird versucht, einem historischen Wandel gerecht zu werden und damit eine Lücke im systemtheoretischen Apparat zu schließen. Denn es mangelt der systemtheoretischen Literatur an Versuchen, den Spuren der Prozesse nachzugehen, die sie fokussiert. Frank Becker und Elke Reinhardt-Becker beklagen hier zu Recht: »[...] nach wie vor sind die historischen Studien, die von systemtheoretischen Begriffen angeleitet werden, an den Fingern einer einzigen Hand abzuzählen.«42

42 Frank Becker und Elke Reinhardt-Becker 2001, S. 10. Um einen Vorwurf von Günther Dux 1998, S. 54, aufzunehmen: »Soziale Systeme sind historisch entstandene Systeme. Man muss einen Zugang zu ihnen suchen.« Auch Sabine Maasen 2009, S. 57, beklagt, dass die Systemtheorie »kaum in die Wissenssoziologie Eingang gefunden und [...] so gut wie keine empirische Studien veranlasst habe[n].« Die Systemtheorie ist andererseits, so Thomas Schwinn 2001, S. 65f., nicht besonders historikerfreundlich. Für erfolgreiche historisch-semantische Analysen siehe vor allem Niklas Luhmanns eigene Beiträge zur Wissenssoziologie, bspw. die Aufsatzsammlungen in der Reihe »Gesellschaftsstruktur und Semantik«, sowie die Monographie »Liebe als Passion«, Niklas Luhmann 1982. Auch Rudolf Stichwehs detaillierte Analysen zur Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems in Rudolf Stichweh 1994e sind hier anzuführen.

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Dabei eignet sich die Systemtheorie wie kaum eine andere soziologische Theorie zur Beschreibung und Erklärung gesellschaftlicher Evolution, denn sie ist gerade keine Theorie ontologischer Bestände und teleologischer Entwicklungen, sondern eine Theorie historischer Ereignisse. Mit historischem Ereignis ist freilich nicht das Ereignis der Geschichte, bspw. der Sacco di Roma, gemeint, sondern die Elemente der Gesellschaft: Kommunikationen, die keinen ontologischen Bestand aufweisen, sondern zerfallen und in diesem Prozess des Zerfallens eine Anschlusskommunikation sicherstellen müssen. Was dann als Welt und als Wissen über diese Welt – und in welcher Form – zugänglich ist, ist Artefakt dieses Prozesses. Die Systemtheorie ist von Grund auf eine Soziologie des Wissens.43 In diesem Sinne steht weniger die Anwendung der Systemtheorie auf das historische Phänomen im Vordergrund, als ihre Verwendung aufgrund ihrer Eignung. Die vorliegende Arbeit versucht nicht, eine Geschichte der Kunst zu formulieren. Die Analyse folgt keiner exakten zeitlichen Sequenz, keinen Orten, keinen Plateaus und keinen Persönlichkeiten, sondern den Erwartungen von Erwartungen und deren semantischer Begleitung. Die Arbeit analysiert die Veränderungen semantischer Strukturen und muss dazu Variation, Selektion und Stabilisierung in Rechnung stellen, muss mal hier vorwegnehmen und mal dort zurückgreifen. Eine Linearisierung oder Lokalisierung ist dadurch ausgeschlossen. Die Methode der Arbeit besteht in einer Wiederbeschreibung der systemischen Selbstbeschreibungen, das heißt, die Wiederbeschreibung von Reflexionen, die historisch tatsächlich stattfanden, unter Zuhilfenahme soziologischer Theoriemittel und Begriffe. Die Arbeit besitzt also Wirklichkeitskontakt.44 Hauptaugenmerk liegt dabei auf den tief greifendsten Strukturänderungen in der

43 Siehe hierzu auch Ilja Srubar 2009, S. 259: »Wenn eine Gesellschaftstheorie der Gegenwart radikal das Programm einer sinn- und wissensbasierten sozialen Konstruktion der Wirklichkeit angeht, dann wohl die Luhmannsche.« 44 Dieser Wirklichkeitskontakt unterscheidet die vorliegende Arbeit von anderen Arbeiten, die sich dem Thema dieser Arbeit auf anderem Wege näherten. Die historischen Problemlagen des Bildes und seines Produzenten befanden sich letztlich weder auf der Ebene von Machtasymmetrien noch auf der Ebene der Zeichen. Freilich kann man dieses Thema auch semiotisch, bspw. durch Projektion der peirceschen Zeichentheorie erarbeiten, aber die Möglichkeit dazu ist durch die Zeichentheorie selbst gegeben, nicht durch die Geschichte. Uns geht es jedoch um Soziologie und diese muss einen anderen Weg finden, und zwar durch Benjamins Eiswüste hindurch (zitiert nach Theodor W. Adorno 1990c [1966], S. 9), bzw. mit Niklas Luhmann 1982, S. 10: »Der Weg zum Konkreten erfordert den Umweg über die Abstraktion.«

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Bildproduktion, die grob in den Zeitraum vom 12. bis zum 16. Jahrhundert fallen.45 Aus allen denkbaren Zusammenhängen müssen dabei diejenigen herausgegriffen werden, die für das Vorhaben der Arbeit am fruchtbarsten sind. Sowohl die Interpenetrationsverhältnisse mit Politik, bspw. in Form der Generierung von Ruhm durch Patron/Klient-Verhältnisse oder patriotischer Distinktionserfordernisse, als auch mit Wirtschaft, bspw. in Form des Kunstmarktes, treten aus diesem Grund gegenüber dem Interpenetrationsverhältnis mit Religion zurück. Kapitel 3 nimmt die Spuren des Kunstsystems auf, und zwar »vor« seiner Ausdifferenzierung. Es werden die semantischen und strukturellen Möglichkeiten und Vorbereitungen einer Orientierung der Differenz der Kunst in der Kommunikation an sich selbst herausgearbeitet. Das Kunstsystem betrachtet diese »Vorgeschichte« freilich als eigene Geschichte, als habe es die Kunst schon immer gegeben.46 Und entsprechend wird diese Selbstbeschreibung von den Kunstwissenschaften übernommen: »Die Kunstgeschichte hat deshalb kurzerhand alles zur Kunst erklärt, um auf alles einen Besitztitel anzumelden, und damit gerade die Unterschiede nivelliert, von denen Aufschluss über unser Thema zu gewinnen wäre.«47 Hans Belting, der sich diesen Unterschieden bereits kunstgeschichtlich und bildanthropologisch erfolgreich annahm, ist in diesem Zusammenhang Vorbild. Die historische Analyse verlässt sich damit zwar vertrauensvoll auf die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaften und der Kunstgeschichte, andererseits muss versucht werden, sich »eine eigene Empirie zu verschaffen«.48 Das

45 Dirk Rustemeyer 1997, S. 69, setzt die Ausdifferenzierung des Kunstsystems als autonomes Subsystem der Gesellschaft um das Jahr 1800 an, Niklas Luhmann 1995d, S. 290f., in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dies deckt sich im Grunde mit den Befunden der Literaturwissenschaftler, die die Ausdifferenzierung eines Systems für Literatur im 18. Jahrhundert ansetzen, so bspw. Christoph Reinfandt 1997, S. 122, Gerhard Plumpe 1993b, S. 11ff., und Ingo Stöckmann 2001, S. 367. Wir wollen die Datumsangabe eines ausdifferenzierten Kunstsystems eher meiden, da es kein »fertig« gibt, kein Ende oder Abschluss des Prozesses. Die Ausdifferenzierung eines Funktionssystems für Kunst ist genau genommen ein Prozess, der im 13., 14. Jahrhundert im lateinischen Westen sozial sichtbar wird und trotz mehr oder weniger größerer, zeitlicher, sachlicher und sozialer Brüche nicht aufgehört hat, seine binäre Codierung erfolgreich zu reproduzieren. 46 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 256ff. 47 Hans Belting 1991, S. 19. 48 Siehe hierzu insbesondere Rudolf Stichweh 1998b, S. 70.

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heißt, die Quellen selbst fruchtbar zu machen, um nicht disziplinären Danaergeschenken zum Opfer zu fallen – und von diesen gibt es eine ganze Reihe. Die vorliegende Analyse würde sich in soziologischer Reformulierung kunstgeschichtlicher Erkenntnisse ergehen, wäre diese nicht der Ausgangspunkt für eine weitere soziologische Problemstellung: Wozu Kunst? Dass die Antwort hierauf nicht in Individuen, ihren Befindlichkeiten, Bedürfnissen, ihrem Willen oder ihren Intentionen verortet werden kann, versteht sich von selbst.49 Aber ebenso wenig können die Erklärungsmuster der klassischen Soziologie, bspw. Trägerschichten oder insbesondere Ideenkausalitäten, in Stellung gebracht werden. Die Vorstellung, die durch Kohärenzunterstellung der Ideen möglich wird, nämlich dass diese Ideen in einer zeitlichen Vorgängigkeit die Bewusstseine überfluten und dann ihren Niederschlag in je variierenden Formen finden, wird zurückgewiesen.50 Auch Ideen müssen kommuniziert werden, um soziale Realität werden zu können. Und das bedeutet, dass sie sich von etwas abgrenzen müssen, einen Gegenbegriff mit sich führen, der dann bspw. ausgetauscht werden kann. Kapitel 4 erfasst die operative Schließung der Differenz der Kunst in der Kommunikation über Bilder. Die Arbeit wird hier zeigen, wie sich die Selbstreferenz der Systemoperationen, sowie deren Externalisierung programmiert, wie

49 Es gibt Fehler und Irrtümer, die dennoch Ursachenqualität haben, wie es Intentionen gibt, die unabsehbare Folgen haben. Für die Systemtheorie gilt hier: »Sieht man die Gesellschaft als Einheit, ist sie die Einheit von intendierten und nichtintendierten Handlungsfolgen. Man kann sie dann ebenso gut um das Moment der Intention kürzen und als System beschreiben, das sich durch seine eigenen Operationen [...] gegen eine Umwelt differenziert«, so Niklas Luhmann 1990b, S. 166. Für die Geschichtswissenschaften siehe bspw. Jörn Rüsen 1986, S. 35: »Geschichtliche Verläufe menschlicher Handlungen lassen sich nämlich nicht hinreichend als Ausführungen von Absichten verständlich machen. Es ist eine triviale, aber nichtsdestoweniger für das historische Denken äußerst wichtige, ja konstitutive Erfahrung, dass die zeitliche Veränderung, die Menschen handelnd an sich selbst und ihrer Welt bewirken, zumeist den Absichten nicht entspricht, die das verändernde Handeln geleitet hatten. Es kommt fast immer etwas anderes heraus, als jeweils beabsichtigt war. Wilhelm Busch hat diese für das historische Denken konstitutive Erfahrung in die klassischen Worte gefasst: Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.« 50 Dies betrifft auch die kunstgeschichtliche Angewohnheit einer Suche nach Einflusskausalitäten von Texten in der Bildproduktion, die vor ähnlichen Ordnungsproblemen steht. Der Zusammenhang lässt sich leicht, da stets im Nachtrag, suggerieren, ohne einen Anhaltspunkt dafür zu bieten, wie des Einen Gedankengang in die Hände des Anderen rutschte.

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sie Limitierungen gewährleisten kann, um unbestimmte Komplexität in bestimmbare umzuarbeiten. Die semantischen und strukturellen Spuren des vorangegangenen Kapitels werden dazu weiterverfolgt, die Veränderungen der semantischen Selektivität, die Blockierung externer Sinnangebote, sowie deren Transformation in Leistungsstrukturen aufgezeigt. Hauptaugenmerk liegt auf zwei Programmen, die das Kunstsystem im Rahmen seiner Ausdifferenzierung stabilisieren muss: die Programmierung der Selbstreferenz und deren Externalisierung. Nicht jedem Aspekt kann dabei detailliert nachgegangen werden. Vor allem die Quellenlage setzt hier äußerst deutliche Schranken – und für Erzählungen fehlt dem Soziologen, so Luhmann, das Improvisationstalent.51 Dort, wo die Quellen verstummen, wurde, sofern möglich, auf die Fremdbeobachtung des Kunstsystems ausgewichen. Bspw. wurde die Abspaltung des mathematisch-wissenschaftlichen Anlehnungskontextes im 16. Jahrhundert nicht im Kunstsystem reflektiert, aber in der Mathematik. Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems rief in ihrer gesellschaftlichen Umwelt mithin Irritationen hervor, zwang ihre Umwelt zum Aufbau eigener struktureller Komplexität, um diese Irritationen verarbeiten zu können. Dem wird sich Kapitel 5 am Beispiel des Religionssystems annehmen. Wer Imaginationen künstlerisch, also sozial, verarbeiten will, muss dazu in der Moderne das Kunstsystem in Anspruch nehmen und weder die Erziehung noch die Politik oder Religion kann dabei helfen. In Bezug zur Ausdifferenzierung des Kunstsystems bedeutet dies deshalb auch nicht, dass Religion »plötzlich« irrelevant wird, oder dass religiöse Themen der Malerei oder Literatur gemieden werden, sondern dass die Religion keine Anweisungen mehr geben kann, wie diese Themen künstlerisch zu bearbeiten sind.52 Man wird nicht mehr an der Religion zum Künstler, sondern an der Kunst. An der Wende zum 17. Jahrhundert hatte das Kunstsystem in dieser Hinsicht wesentliche Strukturen stabilisiert, bspw. den Künstler als Kontingenzformel, jedoch auch die paradoxe Verwendung der eigenen Methoden, die erst im 20. Jahrhundert voll entfaltet wurden.53 Das Ende der Arbeit korreliert daher weniger mit stilgeschichtlichen Umbrüchen, sondern mit

51 Vgl. Niklas Luhmann 1998a, S. 570. 52 Die Herangehensweise dieser Arbeit unterscheidet sich mithin von der systemtheoretischen Literaturwissenschaft, die die Ausdifferenzierung der Literatur häufig anhand ästhetischer Schriften und deren Inhalten direkt abliest, bspw. Niels Werber 1992, S. 165. 53 Diese Feststellung mag überraschen, doch bereits Max DvoĜák 1924, S. 270, hat festgestellt, dass die Kunst den sog. Manierismus nie wieder losgeworden ist.

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der Fähigkeit des Kunstsystems, sich selbst beobachten zu können und für diese Beobachtungen nicht länger auf einen »Außenhalt« in Religion, Moral oder Erziehung angewiesen sein zu müssen. Dass diese Durchsetzung der Selbstbeobachtung sachlich, zeitlich und sozial variabel ist, also im 16. Jahrhundert bereits etwas kommuniziert werden konnte, was im 18. oder 19. Jahrhundert noch ablehnbar war, ist selbstverständlich. Der soziologische Blick unterscheidet sich vom kunstgeschichtlichen. Wo man in der Kunstgeschichte die mit Giotto identifizierten Darstellungsinnovationen mit einer Wendung zum Diesseits, zur Wirklichkeit, identifiziert,54 erkennt hier bereits die klassische Soziologie eine Auslieferung des Diesseits unter den künstlerischen Blick und seine Techniken.55 Ein anderes Beispiel betrifft die Autonomisierung der Kunst, die in der Kunstgeschichte häufig in Form von Selbstverwirklichungserwartungen von Subjekten (Künstlern) formuliert wird, jedoch das, was es zu erklären gilt, bereits voraussetzt. Der größte Unterschied betrifft jedoch sicherlich den Umgang mit den Kunstwerken selbst, denn diese werden im Rahmen dieser Arbeit nicht als etwas Selbstverständliches vorausgesetzt, sondern entnormalisiert. So gerät das Kunstwerk als Artefakt der Kommunikation in den Blick, bevor es zum Zeichen, zum Bild oder zum Kunstwerk wird, bevor es mit ikonografischer Komplexität oder Autorintentionen überzogen werden kann. Daher ist weniger die Frage nach dem Ausdruck des Transzendenten im Kunstwerk von soziologischem Interesse, sondern wie das Transzendente das Kunstwerk provozierte. Interessant ist nicht das konkrete Kunstwerk selbst, sondern der durch Kommunikation aufgespannte Raum des Gesellschaftlichen, in welchem es sich bewähren muss. Im Mittelpunkt der Arbeit steht ausschließlich diese soziale Realität der Kunstwerke.56 Ihre Beschreibung nötigt

54 So bereits Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1964, S. 110: »Giotto nun war es, der sich auf das Gegenwärtige und Wirkliche hinausrichtete [...]«. 55 Vgl. Arnold Gehlen 1960, S. 29, siehe insbesondere auch S. 30. 56 Die »Bedeutung« eines Kunstwerks ergibt sich in dieser Sicht aus seiner kommunikativen Einbindung, nicht aus in ihm abgelagerten Textverweisen, derer es sich geniert. Auch Gerhard Plumpe 1993b, S. 8, findet die soziale Existenz der Kunst in der Kommunikation und nicht in den Artefakten: »Nicht aufgrund ihrer objektiven Dingqualitäten gehören die sog. ›Werke‹ zur Kunst – sie sind nicht ›an sich‹ Kunst -, sondern einzig und allein der Umstand, dass sie als Element ästhetischer Kommunikation wahrgenommen werden, lässt sie der Kunst zurechenbar werden.« Siehe zur Kritik an dieser Sichtweise bspw. Horst Bredekamp 1998, S. 418: »Die systematische Verwandlung der Frage des ›Was‹ des Kunstwerkes in das ›Wie‹ des Umganges mit der Kunst, jene Schrittfolge, die für Luhmann den Wechsel der Beobachterebenen anzeigt,

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daher zu Kommunikations- und Gesellschaftstheorien.57 Das »Kunstwerk« wird damit als Begriff behandelt, den das Kunstsystem für seine Reflexionsleistungen benötigt und in der vorliegenden Analyse genau aus diesem Grund soziologisch interessant ist, nicht aufgrund dessen, was das »Wesen« des Kunstwerks ist oder sein kann. Die Kunst der Moderne zeigt hier eindrucksvoll, dass ihre Kunstwerke weder Angelegenheit der Produktionsmodi, der Materialitäten, der Referenzen oder der Encodierungen sind, sondern dass sich diese Aspekte in unterschiedlichsten Formen und Kombinationen als künstlerische Medien aufgreifen lassen. Doch was für die moderne Kunst noch akzeptiert werden kann, fällt für die Kunstwerke vorangegangener Stilepochen nicht leicht. Die Blüte künstlerischer Produktion im Medium des Bildes zur Zeit der sog. Renaissance wiegt hier schwer. Allzu leicht gerät dabei aus dem Blick, dass noch Lodovico Dolce und Luca Pacioli auch Sticker, Tischler und Schlosser als Künstler von Handwerkern unterschieden,58 dass Medaillenschneiderei und Truhenmalerei historisch bedeutende Genres künstlerischer Produktion darstellten. Wem der Möglichkeitsraum des Handelns und Erlebens, der durch ein Artefakt aufgespannt wird, nicht vertraut ist, dem bietet sich nur Oberfläche und er gerät dann in Gefahr, dass ihm die Oberfläche zur sozialen Realität des Artefakts gerinnt.59 Einem Vorrang des Artefakts wird also nicht gefolgt: Der Begriff Kunstwerk erklärt nichts, sondern markiert einen Ort, an dem etwas zu erklären wäre. Selektion hat stattgefunden und man nimmt, im Nachhinein, das Ergebnis wahr. Die Selektion selbst verbleibt ohne Erklärung und legt bereits aus diesem Grund Mystifikation nahe.60 Aber nicht die Interpretation der Werke oder die Rekonstruktion der Intentionen und Interessen klärt über diesen Sachverhalt auf, sondern die durch Theorie informierte, soziologische Analyse, deren Schwierig-

droht hier nicht zur Erweiterung der Beobachterperspektive zu führen, sondern zur Spezialisierung gegenüber Epiphänomenen, die von der Kunst allenfalls schattenhaft zeugen.« 57 Oliver Sill 2001, S. 68, zieht denselben Schluss. 58 Siehe Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 36, und Luca Pacioli 1889 [1509], S. 254. 59 Siehe hierzu auch Arnold Gehlen 1960, S. 20. 60 Siehe hierzu Niklas Luhmann 2000c, S. 135. Anders formuliert: Indem die Entscheidung des Entscheiders mystifiziert wird, kann die Paradoxie invisibilisiert werden, dass verstanden wurde, ohne zu verstehen. Damit bewegen wir uns bereits in unmittelbarer Nähe zum Thema dieser Arbeit.

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keiten nicht mit Emphase beizukommen ist.61 Wenn Kunstwerke im Rahmen von Erwartungen in Hinsicht auf Erwartungen hergestellt werden, dann ruht das Interesse auf den Strukturen, in die Produktion und Rezeption eingespannt sind und die man den Kunstwerken selbst gerade nicht ansehen muss. Der Blick der Arbeit bleibt somit strukturbewusst, jedoch nicht auf die Struktur gerichtet, sondern auf ihre Differenz zur Semantik. Aus diesem Grund kann sich diese Arbeit nicht einer »besonderen Persönlichkeit« oder einem »besonderen Kunstwerk« widmen, denn beides neigt zur unmaßgeblichen Selektion auf Kosten der Sensibilität für Struktur.62 Wenn in dieser Arbeit dennoch Bilder und Kunstwerke angesprochen werden, so nicht in der Erwartung einer Antwort oder eines Belegs, sondern zur Illustration und zum Aufzeigen von Relationen.63 Bilder können Zusammenhänge zwar anstoßen, aber gerade nicht: begründen. Auch die zentralen Begriffe, die die Systemtheorie zur Beschreibung und Erklärung der Kunst der Gesellschaft heranziehen muss, bspw. Autopoiesis, binäre Codierung, operative Geschlossenheit und Funktion, lassen sich nicht anhand der Beobachtung von Kunstwerken gewinnen, sondern ausschließlich anhand der Beobachtung der Kommunikation über Kunstwerke.64 Hierin ist ein Grund zu finden, weswegen auf Bild- oder Kunstinterpretationen verzichtet wird und der Weg zur Kunst, den die Systemtheorie als soziologische Theorie aufzeigt, enttäuschen mag. Man könnte dann bezüglich der angeführten Folgen der Theorieentscheidung feststellen, dass man sich damit nicht zufriedengeben mag,65 dass man eine Vorstellung von etwas hat, die man nicht aufgeben möchte und die Theorie biegt, bis sie diese Vorstellungen besser repräsentiert. Der Bezug der Systemtheorie jedoch ist und bleibt die Systemtheorie selbst. Wer Kunstwerke als Soziologe oder Soziologin betrachtet, sieht keine Kunst, sondern Soziologie. Was Kunst ist, sein

61 Im Interesse der Kontinuität verdunkelt die Emphase leider allzu oft die Situation, die sie hervorrufen soll. Siehe hierzu die Kritik von Siegfried Kracauer 1968, S. 113f., an Henri Pirenne. 62 »Forscher, die man mit dem Auftrag, festzustellen, wie es wirklich war, ins Feld jagt, kommen nicht zurück; sie apportieren nicht, sie rapportieren nicht, sie bleiben stehen und schnuppern entzückt an den Details«, so Niklas Luhmann 2008d, S. 234. 63 Wir halten es hier mit Karl R. Popper 1989 [1935], S. 71: »Erlebnisse können Entschlüsse, also auch Festsetzungen motivieren [vielleicht sogar entscheidend]; aber sie können einen Basissatz ebenso wenig begründen wie ein Faustschlag auf den Tisch«. 64 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 7. 65 Bzgl. des vorliegenden Themas bspw. Oliver Sill 2001, S. 156, und Harry Lehmann 2006, S. 295.

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kann und soll, bleibt ihr notwendigerweise fremd, kann weder vorhergesehen noch durchgesetzt werden. Eben dies ist Konsequenz der Theorieentscheidung, nicht aber Zwang oder Einschränkung. Die soziologische Fremdbeschreibung ist hierbei nicht privilegiert: Sie ist nur Beschreibung mithilfe anderer Unterscheidungen als jenen, mit denen das Kunstsystem seine Selbstbeschreibungen vollzieht – und diesen gebührt das wissenssoziologische Interesse. Die Arbeit nimmt also nicht für sich in Anspruch, die Selbstbeschreibungen des Kunstsystems für vollständig zugänglich und nachvollziehbar zu erachten. Die Soziologie sieht durch ihren externen Beobachterstandpunkt zwar immer mehr als das beobachtete System – aber zugleich auch stets weniger. Das »Mehr«, das die Systemtheorie hier zu sehen vermag, und dies zeichnet sie insbesondere gegenüber anderen soziologischen Theorien aus, besteht darin, dass sie nicht nur auf die Beschreibung der latenten Strukturen des beobachteten Systems beschränkt ist,66 sondern auch die manifesten Strukturen, die in den Selbstbeschreibungen des Systems selbst kommuniziert werden, erfassen kann. Als Artefakt der Kommunikation wird die Kunst soziologisch beobachtbar – daran führt für die Soziologie kein Weg vorbei. Und eben dies erfordert es gerade, die Kunst im Hinblick auf das zu beobachten und zu beschreiben, was der Gesellschaft durch sie – durch die Kunst! – zur Verfügung gestellt ist.67

66 Siehe bzgl. der Beobachtbarkeit manifester bzw. latenter Strukturen unter anderem Niklas Luhmann 1991b. 67 Genau dieser Anspruch markiert den Unterschied zu anderen wissenssoziologischen Analysen, bspw. Pierre Bourdieu 2000, siehe dort insbesondere S. 20. Siehe auch Pierre Bourdieu 1995, S. 313ff.

1 Einleitende theoretische Grundlagen

Ohne an dieser Stelle zu weit auszuholen, kann doch festgestellt werden, dass die Gesellschaft, wie sie von der Systemtheorie beschrieben wird, weder über Augen noch andere Sinnesrezeptoren verfügt. Die Gesellschaft ist taub und blind. Nur Bewusstseinssystemen ist es möglich, den Datenstrom der Sinnesrezeptoren in Form von Wahrnehmung zu verarbeiten. Zwar stützt sich in der Folge die Gesellschaft in hohem Maße auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Bewusstseins, doch im Bezug eines wissenschaftlichen Textes auf einen anderen Text kann diese Fähigkeit getrost unterstellt werden: Das Vorhandensein von Bewusstsein wird vorausgesetzt wie Schwerkraft und muss nicht eigens thematisiert werden. In der Kunst jedoch scheinen Artefakte extra für die Wahrnehmung produziert zu werden, Musik zum Zuhören oder Bilder zum Anschauen. Das hat Folgen für eine Theorie, die den »Menschen« aus der Gesellschaft, also aus den Systemen, »exkludiert« und es rechtfertigt, dass das Bewusstsein stärker in der folgenden Untersuchung berücksichtigt wird. Die Systemtheorie nach Niklas Luhmann versteht Gesellschaft als ein autopoietisches, operativ geschlossenes System. Als ein autopoietisches System kann Gesellschaft weder Realitätssubstrat formen noch Elemente aus der Umwelt übernehmen, sondern ist darauf verpflichtet, die Elemente, aus denen sie besteht, durch die Elemente, aus denen sie besteht, selbst zu produzieren und zu reproduzieren.1 Ein solches System hat keinen Bestand, es zerfällt sofort, wenn es sich nicht durch Reproduktion der Elemente reproduziert.2 Autopoiesis bezeichnet genau diesen Prozess, dass im Vergehen des einen Elements das nächste Ele-

1 2

Vgl. Niklas Luhmann 1995b, S. 56. Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 28. Wenn ein Bewusstsein nicht mehr denkt, dann würde man es als »tot« bezeichnen, in Ermangelung eines angemesseneren Begriffs, denn nur, was gelebt hat, kann sterben.

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ment entsteht: entstehen muss.3 Diese Elemente sozialer Systeme sind Kommunikationen. Der autopoietische Prozess sozialer Systeme vollzieht sich zwar nicht unabhängig von Körper und Bewusstsein, jedoch frei von Körper und Bewusstsein. Wenn man diesem Grundgedanken folgt, dann muss man die Vorstellung aufgeben, dass es Menschen sind, die handeln, streiten, zahlen oder schlicht: kommunizieren. Es ist die Gesellschaft, die kommuniziert.4 Hier mag die Einsicht helfen, dass jeder Gedanke, wenn er geäußert wird, kein Gedanke ist, sondern ein Wort, ein Text oder ein Handzeichen.5 Auch das Gedicht, so Mallarmé, bestehe nicht aus Gedanken oder Gefühlen, sondern aus Worten: »Ce n’est point avec des idées, mon cher Degas, que l’on fait des vers. C’est avec des mots.«6 Diese Verortung des Menschen in der Umwelt der Gesellschaft stieß seit jeher auf Widerspruch. Im ersten Moment mag es so erscheinen, als ob der Mensch in der Systemtheorie um etwas enteignet worden ist: Gesellschaft. Die narzisstischen Kränkungen durch Kopernikus, Darwin und Freud könnte man quasi um eine luhmannsche Kränkung ergänzen.7 Der Mensch wird durch die systemtheoretische Umstellung jedoch keinesfalls in seiner Bedeutung gemindert, denn das wäre nur der Fall, wenn man Umwelt mit Bedeutungsverlust gleichsetzt. Aber wer käme schon angesichts der ökologischen Situation, in der wir uns befinden, auf eine derartige Idee? Die Umwelt ist ein Ort höchster Relevanz. Durch die luhmannsche Umstellung gewinnt der Mensch an Komplexität und Ungebundenheit.8 Bourdieus präkognitiv formatierte Agenten, die nichts wahr-

3

Ebd. Ein einzelner Gedanke lässt sich ebenfalls nicht festhalten. Seine Fixierung erfolgt immer erst, wenn man den Gedanken bereits gedacht hat, also schon beim nächsten ist.

4

Es fällt hier auf, wie sehr es den Notwendigkeiten der Subjekt/Prädikat/ObjektStruktur der Sprache geschuldet ist, wenn hier von »der kommunizierenden Gesellschaft« gesprochen wird. Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 115. Durch die Erzwingung von Satzsubjekten entsteht der anthropomorphisierende Eindruck, es sei »die Gesellschaft«, die handelt und kommuniziert. Helmut Thome 1973, S. 48f., weist jedoch darauf hin, dass nicht alle Schlüsselbegriffe dem grammatikalischen Subjekt unterliegen. Zwar lernen Systeme, doch Sinn lernt bspw. nicht.

5

Ein klassischer Topos, so bspw. bei Friedrich Schiller 1943, S. 302: »Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr.«

6

Paul Valéry 1957, S. 1324.

7

Vgl. Sigmund Freud 1947 [1917], S. 6f.

8

Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 288f.

E INLEITENDE THEORETISCHE G RUNDLAGEN | 29

nehmen können, was nicht bereits »einen unbewussten Code einschlösse«,9 sind mit der Systemtheorie nicht in dieser Form denkbar. Der Glaube an derlei Determinierung ist stark religiös gefärbt, da man die Ordnung der Selektionsprozesse überschätzt und damit den Grad des Rauschens unterschätzt. Was als Determination missverstanden wird, ist bestenfalls gesellschaftliche Koordinierung um den Kommunikationsprozess abzusichern.10 Wahrnehmung und Kommunikation konditionieren sich so zwar gegenseitig, sie determinieren sich aber nicht gegenseitig.11 Der Mensch wird in der systemtheoretischen Placierung außerhalb der Gesellschaft von eben dieser Gesellschaft befreit, ohne dadurch in seiner Bewusstheit Autonomie zu gewinnen oder sich in Determiniertheit zu verlieren.12 Zwar kann ein Bewusstsein ohne Gesellschaft tätig sein,13 es kann wahrnehmen, sich in seinem Sein befindlich fühlen, aber ohne Gesellschaft würde ein Bewusstsein über kurz oder lang zugrunde gehen. Soziale Systeme setzen ihrerseits Bewusstsein und Körper voraus.14 Jedes Ereignis der Kommunikation findet notwendigerweise unter Beteiligung von Bewusstsein und Körper statt. Das bedeutet nicht, dass Bewusstsein in die Kommunikation eingreifen kann, sondern nur, dass Bewusstsein vorausgesetzt ist, so, wie bspw. auch Schwerkraft oder Energie, allgemein eine nichtbeliebige, Unterscheidungen tolerierende Umwelt, vorausgesetzt wird. Die psychischen, physischen, biologischen, chemi-

9

Pierre Bourdieu 1974, S. 162.

10 Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 22. 11 So ist die systemtheoretische Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien bspw. unmittelbar auf das Phänomen bezogen, dass ein Bewusstsein seinen eigenen Kopf hat und sich kaum ohne entsprechende Motivation zur »Teilnahme« an Gesellschaft verpflichten lässt. Die Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien wäre jedenfalls nicht an exponierter Stelle der Systemtheorie notwendig, wenn das Individuum lediglich leerer Tragkörper eines Funktionsbezugs wäre. 12 Siehe hierzu Uwe Schimank 2005, S. 265ff., der Luhmann in diesem Sinne einen impliziten Humanismus unterstellt. Für diesbezüglich interessante Konstellationen des »Subjekts« in der funktional differenzierten Gesellschaft und seiner Partizipationsmöglichkeiten siehe Jürgen Markowitz 1987, S. 484ff. 13 Vgl. Niklas Luhmann 2001f, S. 114. 14 Der Körper wird in vergleichbaren Aufzählungen häufig ausgeklammert. Es stellt sich jedoch die Frage, wie sich die Gesellschaft ohne körperliche Infrastruktur, Augen, Ohren, Mund, Nervensystem etc. in die Wahrnehmung, bzw. das Erleben, des Bewusstseins bringen kann. Wir vermuten: gar nicht.

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schen und physikalischen Phänomene greifen nicht in die Kommunikation ein, sie sind jedoch in Form einer strukturellen Kopplung vorausgesetzt. Systeme können ihre eigene Komplexität zum Aufbau eines anderen Systems zur Verfügung stellen, durch Penetration, bzw. falls dies wechselseitig geschieht, durch Interpenetration.15 Man handelt sich hier sehr schnell Vorstellungen von gegenseitigen Durchdringungsverhältnissen ein, die jedoch, darauf ist zu achten, nichts an der operativen Geschlossenheit der Systeme ändern. Interpenetration kann jedoch strukturbildenden Effekt in den Systemen besitzen. So hat bspw. die Interpenetration des Bewusstseins mit dem Körper zur beeindruckenden Struktur des Gehirns geführt und nur durch die Strukturen des Gehirns konnte das Bewusstsein eigene Strukturen wie leistungsfähiges Erinnerungsvermögen einrichten. Das Bewusstsein nutzt also die Infrastruktur des Gehirns, um eigene Komplexität aufzubauen. Man könnte gleichsam auch die Entstehung eines gesellschaftlichen Systems für Krankenbehandlung mit der häufig anzutreffenden Präferenz von psychischen Systemen für Schmerz- und Krankheitsvermeidung in Zusammenhang bringen. Und andersherum schafft ökologische Kommunikation nach und nach ein ökologisches Bewusstsein.16 Verhältnisse der strukturellen Kopplung und der Interpenetration ermöglichen es also, Körper, Bewusstsein und Gesellschaft als getrennt, aber zueinander über Irritationskapazitäten in Beziehung stehend zu beschreiben. Die Interpenetration von Bewusstsein und Gesellschaft geht so weit, dass beide Systemarten in gleichzeitiger Abhängigkeit voneinander entstanden: »Psychische und soziale Systeme sind im Wege der Coevolution entstanden. Die jeweils eine Systemart ist notwendige Umwelt der jeweils anderen.«17 Aufgrund ihrer operativen Geschlossenheit können Systeme ihre Operationen nicht in andere Systeme ausdehnen. Kommunikation kann somit nie an Gedanken anschließen, sondern nur an andere Kommunikationen, das heißt, alles, was währenddessen im Bewusstsein vor sich geht, ist sozial unbekannt.18 Was das bedeutet, lässt sich mit Luhmann veranschaulichen:

15 Hier und im Folgenden: Niklas Luhmann 1987d, S. 289ff. 16 Vgl. Niklas Luhmann 1986b, S. 43. 17 Niklas Luhmann 1987d, S. 92. 18 Hierin begründet sich bspw. das Problem der Aufrichtigkeit im Sinne, dass die soziale Information der Mitteilung, bspw. »Ich liebe dich«, in ihrer Übereinstimmung mit einem psychischen Zustand nicht bewiesen, sondern stets nur kommunikativ verschoben werden kann, bspw. durch Heirat. Unter Umständen kann der Körper jedoch als Zeuge der Aufrichtigkeit dienen, sofern der Körper nicht doch anders beobachtet als

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»Es mögen Fische sterben oder Menschen, das Baden in Seen oder Flüssen mag Krankheiten erzeugen, es mag kein Öl mehr aus den Pumpen kommen und die Durchschnittstemperaturen mögen sinken oder steigen: Solange darüber nicht kommuniziert wird, hat dies keine gesellschaftlichen Auswirkungen.«19

Aus diesem Beispiel folgt jedoch nicht, dass die Bewusstseinsvorgänge unbeteiligt sind. Bewusstsein und auch neurophysiologische Prozesse wirken in jeder Kommunikation mit, auch wenn diese keine soziale Existenz besitzen.20 Ohne Bewusstsein kann es nicht zur Kommunikation kommen.21 Deutlicher: Soziale Systeme machen ohne Bewusstseine keinen Sinn – wortwörtlich. Soziale Systeme lieben nicht und haben kein Mitleid, trotzdem gibt es Liebesromane und Barmherzigkeit. Ohne das »quirlige Bewusstsein«,22 das denkt, fühlt, erduldet, erlebt, leidet, sieht, riecht und schmeckt, wäre die Kommunikation aufgeschmissen. Soziale Systeme sind somit auf das Bewusstsein angewiesen, und zwar nicht nur, weil sie in ihren Operationen strukturell gekoppelt sind oder nur das Bewusstsein seinen Körper zum Geräuschemachen irritieren kann, sondern weil es das Bewusstsein ist, das Gegebenheiten, Sachverhalte oder Wahrnehmungen für mitteilenswert hält. Das Bewusstsein filtert vor.23 Das Bewusstsein stellt mithin die Anlässe zur Verfügung, die durch Kommunikation so gerichtet werden, dass man nicht mehr auf dieses bestimmte Bewusstsein angewiesen ist.24 Die psychische Komplexität wird medial in gesellschaftliche Komplexität überführt, bspw.

das Bewusstsein, seine physischen Reaktionen ausbleiben oder sich anderweitig orientiert und die Aufrichtigkeit der Äußerung kollabiert. Siehe zu diesen eigenwilligen Beobachtungen des Körpers Niklas Luhmann 2001a, S. 265. 19 Niklas Luhmann 1986b, S. 41. Ein schönes Beispiel stammt von Paul Watzlawick 1983, S. 73f.: »Da empfiehlt es sich schon eher, dem Beispiel eines mir bekannten Ehemannes zu folgen, dessen Frau ihm nach der Rückkehr aus den Flitterwochen beim ersten Frühstück im neuen Heim eine grosse Schachtel Corn Flakes auf den Tisch stellte, in der [...] wohlgemeinten, aber [...] irrtümlichen Annahme, dass er sie gern ässe. Er wollte sie nicht kränken und nahm sich vor, das Zeug halt in Gottes Namen zu schlucken, und sie dann, wenn die Schachtel leer war, zu bitten, keine neue zu kaufen. Als gutes Weib aber hatte sie aufgepasst, und noch bevor die erste Schachtel ganz aufgebraucht war, stand bereits die zweite da.« 20 Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 226. 21 Vgl. ebd., S. 40. 22 Niklas Luhmann 1995j, S. 39. Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 45. 23 Vgl. ebd. 24 Vgl. Peter Fuchs 2002a, S. 164.

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durch die Verwendung von Sprache. Sozialer Sinn ist somit das Resultat des Phänomens, dass Psychen füreinander intransparent sind. Und genau darin liegt der evolutionäre Vorteil: wesentliche Vereinfachung. Das soziale Verstehen macht sich unabhängig vom Bewusstsein und seiner »eigentümlich-hintergründigen Tiefe der Bewusstseinsaktualität, auf der die Worte wie Schiffchen schwimmen [...]«.25

1.1 K OMMUNIKATION UND B EOBACHTUNG Die Kommunikation selbst vollzieht sich im operativen Prozess der Autopoiesis sozialer Systeme als Synthese dreier unterschiedlicher, sinnhafter Differenzen: Information, Mitteilung und Verstehen. Die Synthese dieser drei Differenzen, und nur diese, wird als Kommunikation, als Element des Systems, bezeichnet. Nur durch eine Unterscheidung kann Information gewonnen werden. Aus allem, was als mögliche Information zur Verfügung steht, muss dazu eine selegiert werden. Diese Unterscheidung ist die erste Selektion. Das Verhalten, das diese Information in Form einer Mitteilung äußert, ist die zweite Selektion. Zum Beispiel eine Post-IT-Notiz am Kühlschrank oder der strenge Fingerzeig, sie muss nicht sprachlich erfolgen. Sprache stellt nur ein Medium von vielen dar, in welchen sich Kommunikation vollziehen kann. Würde man bereits die Wahrnehmung dieser Mitteilung, bzw. das Lesen der Post-IT-Notiz, als Kommunikation auffassen, dann würde die Kommunikation im Subjekt enden und man hätte damit ein Kommunikationsmodell gewählt, das auf dem Modell der Informationsübertragung beruht. Die Information würde dann mithilfe einer Botschaft vom Sender in den Empfänger übertragen; Sender und Empfänger hätten die gleiche Information erhalten. »Wollte man so verfahren, würde die Theorie sozialer Systeme sofort kollabieren. Kommunikation wäre dann das Durchpumpen der Ergebnisse von Kontaktaufnahmen mit Schriftdingen (etc.) durch Bewusstseine, die dann die Resultate des Durchpumpens wieder in das Sozialsystem zurückpumpten, und so weiter und so fort. Man hätte sich, wie leicht zu sehen ist, Subjekte als Prozessoren eingehandelt.«26

Diese zweistelligen Kommunikationsmodelle, Schreiber/Leser, Sprecher/Hörer oder Sender/Empfänger, dominieren weite Teile des Wissenschaftsbetriebs. Es

25 Niklas Luhmann 2001e, S. 108. 26 Peter Fuchs 2001, S. 229.

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fällt auf, wie subjektzentriert Kommunikation in diesen Modellen gedacht wird, denn die »Übertragungsmetapher legt das Wesentliche der Kommunikation in den Akt der Übertragung, in die Mitteilung. Sie lenkt die Aufmerksamkeit [...] auf den Mitteilenden.«27 Das systemtheoretische Kommunikationsmodell erfordert hier einen entscheidenden, zusätzlichen Schritt: die soziale Unterscheidung der Information von der Mitteilung.28 Diese Unterscheidung ist, in durchaus guter soziologischer Tradition, »Verstehen«. Mit »Verstehen« kann hier freilich kein »einsichtiges Begreifen« gemeint sein, wie es von der Hermeneutik oder im Sinne der deutend verstehenden Soziologie Max Webers verstanden wird.29 Diese dritte Selektion, das Verstehen, bezieht sich als Selektion nur auf den Kommunikationsprozess. Die Äußerung »Bring bitte den Müll runter.« ist mithin noch keine Kommunikation im systemtheoretischen Sinn, sie ist nur ein Kommunikationsangebot. Sobald jedoch »Mach ich nachher.« bzw. »Nö, mach Du doch« entgegnet wird, dann wurde an der Kommunikationsofferte die Information von der Mitteilung unterschieden. Diese Unterscheidung ist die Selektion Verstehen. Nicht durch das bloße Verhalten einer Person, sondern erst durch die diesem Verhalten zugewiesene kommunikative Bedeutung durch das Verhalten einer weiteren Person kommt Kommunikation als das Element der Gesellschaft zustande. Folgt man diesem Kommunikationsmodell, dann muss festgestellt werden, dass das bloße Wahrnehmen des Verhaltens anderer keine Kommunikation ist. Erst wenn ein Bewusstsein im Verhalten einer Person Mitteilung vermutet und daran kommunikativ anschließt, entsteht Kommunikation. Es gibt in diesem Sinne eine Art psychisches Verstehen, auch wenn darunter nicht die Selektion im Rahmen der Kommunikation verstanden werden kann. Die Selektion »Verstehen« ist nicht dem zu Verstehenden, einer Äußerung, zugemutet, sondern dessen Vollendung als Kommunikation. Soziale Systeme sind also »per se verstehende Systeme«.30 Eine Abfolge von Äußerungen ohne Selektion »Verstehen« ergäbe entsprechend keinen Sinn und würde das soziale System nicht reproduzieren. »Eine Äußerung ist keine Äußerung, und ein Gedicht ist kein Gedicht. Es ist nichts, wenn nicht angeschlossen wird, wenn nicht ein Ereignis folgt, das an seinem Vorereignis Information und Mitteilung unterscheidet [...]«31 Damit bewegen wir uns bereits in unmittelbarer Nähe zur Kunst,

27 Niklas Luhmann 1987d, S. 193f. 28 Ebd., S. 14. 29 Vgl. Max Weber 1980 [1922], S. 1. 30 Armin Nassehi 1997, S. 137. 31 Peter Fuchs und Ferdinand Schmatz 1997, S. 135.

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denn wie könnte »Fümms bö wö tää zää Uu«32 verstanden werden? Eine Äußerung ist es wohl, doch was wäre hier die Information, die es von der Mitteilung zu unterscheiden gälte? Auch die Bedeutungen von Kunstwerken sind somit nicht im Werk eingeschlossen, sondern entstehen systemrelativ im Kommunikationsprozess. Nur durch Anschluss erhält die Äußerung sozialen Sinn, soziale Bedeutung, bzw.: soziale Existenz. Die Selektivität der Folgeäußerung, sollte diese zustande kommen, limitiert dann das, was daran noch anschließbar sein kann.33 Und wenn man Selektivität und Nachträglichkeit im ungewöhnlichen Fall, dass das Bewusstsein die soziale Selektivität registriert, anekdotisch zusammenzieht, dann ist man unter Umständen, wie Kleists Mirabeau,34 post festum erstaunt über die Worte, die man sprach. Man schließt an das Gesprochene sozial auf eine Weise an, die das Bewusstsein umso mehr erstaunt und schließlich als Eigendynamik einer kommunikativen Situation in Erinnerung bleibt, die in der Französischen Revolution endet.35 Die Informationen, die die Gesellschaft prozessiert, müssen also nicht den Informationen entsprechen, die sich ein Bewusstsein denkt. Wie auch immer sich

32 Kurt Schwitters 1984 [1932], S. 1. 33 Mit dieser Erwartung zu spielen birgt denn auch großes humoristisches Potenzial. 34 »Mir fällt jener ›Donnerkeil‹ des Mirabeau ein, mit welchem er den Zeremonienmeister abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen Sitzung des Königs am 23ten Juni, in welcher dieser den Ständen auseinanderzugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des Königs vernommen hätten? ›Ja‹, antwortete Mirabeau, ›wir haben des Königs Befehl vernommen‹ – ich bin gewiss, dass er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloss: ›ja, mein Herr‹, wiederholte er, ›wir haben ihn vernommen‹ – man sieht, dass er noch gar nicht recht weiß, was er will. ›Doch was berechtigt Sie‹ – fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf – ›uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.‹ – Das war es, was er brauchte! ›Die Nation gibt Befehle und empfängt keine‹ – um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. ›Und damit ich mich ihnen ganz deutlich erkläre‹ – und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: ›So sagen Sie Ihrem Könige, dass wir unsere Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.‹ – Worauf er sich, selbstzufrieden, auf einen Stuhl niedersetzte«, so Heinrich Kleist 1990, S. 536f. Siehe hierzu auch Peter Fuchs 1993, S. 41 Anmerkung 67. 35 Ein Aspekt der Improvisation könnte dann sein, sich psychisch der Eigendynamik der Kommunikation hinzugeben.

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Denken vollziehen mag, es findet nicht in Form von Kommunikation statt. Bereits auf prozessualer Ebene existieren wesentliche Unterschiede. Während Kommunikation stets Information, Mitteilung und Verstehen als Synthese von Differenzen prozessiert, fasst Bewusstsein in der Wahrnehmung Unterschiedenes stets als Einheit.36 Die Selektionen der Kommunikation beziehen sich nur auf den Kommunikationsprozess; die Kommunikation versteht sich also selbst. Sozialer Sinn ergibt sich in diesem Spannungsbogen sequenziellen Verstehens, der den Sinn niemals festnagelt, sondern stets verschiebt.37 Es gibt daher für die Operation der Kommunikation kein richtiges oder falsches Verstehen, denn das würde bedeuten, dass es einen richtigen oder falschen Anschluss gäbe. Doch weder die Information noch der intendierte Sinn werden in einem anderen Bewusstsein »dupliziert«. Dadurch erhält die Selektion des Verstehens eine gewisse Unabhängigkeit. Ob, und wie genau, verstanden wird, liegt außerhalb des unmittelbaren Einflusses des Mitteilenden. Kommunikation bietet die Möglichkeit der Mitteilung, aber um den Preis, nicht sicher wissen zu können, welche Information. Denn was gesagt wurde, stellt sich jeweils erst im Nachhinein durch die Selektion »Verstehen« heraus. In diesem Sinn haftet jeder Äußerung eine Spekulation auf Verstehen an, eine Hoffnung, die enttäuscht werden kann, aber die Kommunikation selbst unbeeindruckt lässt. Im Gegensatz zu konsensorientierten Sozialtheorien ist es im Rahmen der Systemtheorie unerheblich, ob die mitgeteilte Information nun angenommen oder abgelehnt wird. Es gibt keine »bessere« Kommunikation; die Hauptsache ist, dass Anschlusskommunikation stattfindet, nicht: Verständigung. Dies führt zu einer gewissen, strukturellen Unruhe. Die Gesellschaft muss dann Techniken entwickeln, die die Wahrscheinlichkeit des Anschlusses erhöhen. Denn warum sollte man der Aufforderung, den Müll wegzubringen, nachkommen? Bspw. weil man sonst negative Sanktionen zu befürchten hat oder weil man dafür be-

36 »Die Distinktheit geht in das Wesen der Sache ein. Man sieht den Baum nur als Form, nur als begrenztes Objekt mit dem Anderssein des anderen drum herum, aber der Blick gerät nicht ins Oszillieren, er erfasst nicht die Unterscheidung, sondern den Baum dank seines Unterschiedenseins«, so Niklas Luhmann 1990a, S. 20. 37 Bezogen auf Texte führt dies zu gewissen Eigenarten, die dem Text seine Identität jenseits seiner Einheit von Information und Mitteilung absprechen. Henk de Berg und Matthias Prangel versuchen in der Folge, dem Text durch Differenz zum Kontext eine Identität zu stiften, die literaturwissenschaftlich herausgearbeitet werden kann. Der Text speichere quasi seinen zeitpunktfixierten Verweisungszusammenhang. Vgl. Henk de Berg 1993, S. 32ff.

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zahlt wird. Macht und Geld sind in diesem Beispiel symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, deren Aufgabe darin besteht, den Anschluss an Kommunikation wahrscheinlicher zu machen. Die systemtheoretische Betrachtungsweise der Kommunikation geht damit in Distanz zu einem einer »Vernunft« untergeordneten Verstehen und führt hin zu einer polykontexturalen, multiperspektivischen und heterarchischen Beobachtung von Beobachtern. Interessant wird nun, wie, also mit welchen Differenzen, die einzelnen Kommunikationsteilnehmer operieren und auf welche Weise Anschlüsse vollzogen werden. Je nachdem, wie an ein Verhalten angeschlossen wird, kann dasselbe Verhalten durch unterschiedliche Anschlüsse Element mehrerer sozialer Systeme sein. Das systemtheoretische Interesse liegt auf den Beobachtern und nicht an der Erarbeitung des Wesens der zugrunde liegenden Beobachtung. Ein gutes Beispiel ist die Anklage gegen Rainer Langhans und Fritz Teufel vor einem Berliner Gericht wegen »Aufruf zur Brandstiftung«.38 Das Gericht setzte Professoren der Freien Universität als Gutachter ein, die zu dem Ergebnis kamen, dass es sich bei dem Flugblatt, das der Anklage zugrunde lag, nur um Kunst, um surrealistische Provokation, handeln könne. Jacob Taubes, einer der Gutachter, schrieb: »Die ›Kommune I‹ ist ein Objekt für die Religionsgeschichte und Literaturwissenschaft, aber nicht für Staatsanwaltschaft und Gericht.«39 Aus dem Gutachten folgt jedoch nicht, dass das Flugblatt nicht ernst zu nehmen sei, weil es bspw. fiktiv wäre. Ganz im Gegenteil, das Flugblatt bleibt ein surrealistischer »Vollstreckungsbefehl, [...] der weiß, dass er nicht vollstreckt werden kann: Der surrealistische Zynismus terrorisiert die Nerven des moralisch Ansprechbaren. Die Technik der Satire ist um jenen Grad weitergedreht, wo sie ein Gefühl von blutigem Ernst um sich zu verbreiten vermag.«40

38 Zwei Tage nach einem Brand in einem Brüsseler Kaufhaus, bei dem über 300 Menschen den Tod fanden, veröffentlichten Rainer Langhans und Fritz Teufel im Namen der Kommune I das Flugblatt Nr. 8: »Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?« (1967), abgedruckt in Jürgen Miermeister 1980, S. 28. Langhans und Teufel schrieben darin bspw.: »Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh raus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben und Brüssel wird Hanoi.« 39 Jacob Taubes 1967, S. 1079. 40 Karl Heinz Bohrer 1970, S. 37.

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Das Flugblatt der Kommune I ist ein hervorragendes Beispiel für die polykontexturale Verfasstheit der modernen Gesellschaft, denn es bleibt völlig offen, was das Flugblatt »tatsächlich« ist, selbst dann, wenn man es in psychische Intentionen versenkt. Deutlich wird aber, dass es sowohl politisch, rechtlich, wissenschaftlich und auch als Kunstaktion beobachtbar ist, ohne, dass es eine letzte Instanz geben könnte, die das »Wesen des Flugblatts« definitiv klären könnte. Hielte man hier an einer Ontologie des Kunstwerks fest, dann käme man in Anbetracht der sozialen Realität zu dem Schluss: »The subject of the history of art should include all human making.«41 Wechselt man jedoch den Beobachterstandpunkt und blickt auf diejenigen, die das Flugblatt beobachten, dann zeigt sich, dass das Flugblatt Teil mehrerer systemischer Kommunikationszusammenhänge ist, die jeweils nach ihren eigenen Regeln und Programmen operieren und das Flugblatt entsprechend unterschiedlich in ihren Kommunikationszusammenhang ziehen. Die Frage nach dem Wesen von Systemen, Stühlen und Kunst erübrigt sich damit in der Systemtheorie. Stattdessen wird der Blick darauf gelenkt, wie ein Beobachter, also ein System, beobachtet. Die Welt drängt sich dem Beobachter nicht auf, sondern der Beobachter teilt Welt ein, indem er seine Unterscheidungen real prozessiert. So kann Luhmann schreiben: »Der Systembegriff steht [...] immer für einen realen Sachverhalt. Wir meinen mit ›System‹ also nie ein nur analytisches System, eine bloße gedankliche Konstruktion, ein bloßes Modell.«42 Der evolutionäre Erfolg der Operationen eines Beobachters besteht dann folglich nicht darin, die Wirklichkeit im System adäquat nachzukonstruieren oder der »Wirklichkeit außerhalb des Systems« in irgendeiner Weise zu korrespondieren, sondern lediglich in der Bewährung der Prozesse des Beobachters. Von entscheidender Bedeutung ist dann die Fähigkeit eines Systems mit Störungen, Enttäuschungen oder Überraschungen umgehen zu können. Ein System muss dazu über die Strukturen verfügen, diese Irritationen verarbeiten zu können – aber da das System operativ geschlossen ist, kann es sich immer nur um Selbstirritation gemäß eigener Strukturen handeln. In der Systemtheorie wird in der Folge das »Erkennen« mit seinem philosophischen Ballast durch »Beobachten« ersetzt. Mit Beobachten ist eine bis zum Äußersten formalisierte Operation des Logikkalküls George Spencer-Browns gemeint.43 Den Kalkül übernimmt Luhmann vermutlich ebenfalls aus dem Zu-

41 David Summers 1994, S. 590. 42 Niklas Luhmann 1987d, S. 599. 43 Luhmanns Rezeption des Formenkalküls beschränkt sich jedoch lediglich auf die ersten und letzten beiden Kapitel der »Laws of Form« von Spencer-Brown, so Thomas

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sammenhang der Biologie Varelas,44 der den Kalkül bereits 1975 auf autopoietische, operativ geschlossene Systeme anwandte.45 Der Begriff der Beobachtung ist in der systemtheoretischen Verwendung vollständig abgezogen von jedem Bezug auf Visualität oder anderen Sinnesleistungen. Das Konzept der Beobachtung ist so formal gefasst, dass Luhmann bspw. offenlässt, inwiefern »man auch labile Großmoleküle oder Amöben, Immunsysteme oder Gehirne, Zellen oder tierische oder menschliche Organismen als Beobachter bezeichnen kann.«46 Auch soziale Systeme sind Beobachter – und sofern es nicht anders ausgezeichnet ist, ist in dieser Arbeit mit Beobachter immer ein soziales System bezeichnet. Gerade in der an Systemtheorie orientierten Kunstwissenschaft wird das Subjekt jedoch häufig über diesen Beobachtungsbegriff wieder in die Systemtheorie eingeführt und unterminiert dadurch

Hoelscher 2008, S. 247. Über die »Laws of Form« schrieb Luhmann denn auch: »Ich gehe explizit nicht auf den Calculus selber ein. Ich habe ihn technisch nie wirklich durchgeprüft. Von Experten hört man, er sei in Ordnung, er sei sehr viel eleganter als die ursprüngliche Mathematik, aber es gehe auch etwas dabei verloren«, so Niklas Luhmann 2002c, S. 75. 44 Vgl. Francisco J. Varela 1979, S. 80ff. 45 Man findet in diesem Zusammenhang manchmal den Hinweis, Luhmann habe den Formenkalkül einer Rezension Heinz von Foersters im »Whole Earth Catalogue« aus dem Jahr 1969 übernommen. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass Luhmann in Bielefeld Zugang zu einem US-amerikanischen Versandkatalog für Hippies (!) hatte. Für die These, dass Luhmann eine andere Quelle hatte, spricht auch, dass die Rezension nicht an der durchgängig angegebenen Stelle aufzufinden ist. Eine Eigenrecherche ergab hier, dass die Rezension erst in der Juni Ausgabe 1971 abgedruckt wurde: Heinz von Foerster 1971, S. 12, nicht bereits 1969, wie selbst beim Wiederabdruck der Rezension in Dirk Baecker 1993 angegeben wurde. In diesem Zusammenhang mag interessieren, dass die früheste dem Verfasser bekannte Nennung SpencerBrowns in Luhmanns Schriften 1980 in folgendem Zusammenhang erfolgte: »Für die Wissenssoziologie ergibt sich daraus die Frage, ob sie ihre Aussagen über Sinn und Korrelation, über Gesellschaftsstruktur und Semantik, über sich selbst und ihre gesellschaftliche Umwelt, mit denen sie all dies zunächst nur bezeichnet, noch ein zweites Mal erfassen kann, nämlich bei Wiedereintritt in das damit Bezeichnete, beim Wiedereintritt in die gesellschaftliche Realität; und ob sie auch dafür, ohne über ein bloßes Bezeichnen hinauszugehen, noch Theoriemodelle entwickeln kann«, so Niklas Luhmann 1993b [1980], S. 70. 46 Niklas Luhmann 1990a, S. 82.

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das systemtheoretische Vorhaben auf eben dieses Subjekt verzichten zu können.47 Gemäß Spencer-Browns Kalkül ist Beobachten eine bestimmte, subjektfreie Operation, nämlich das Bezeichnen der einen und nicht der anderen Seite einer Unterscheidung.48 Voraussetzung dafür ist, dass eine Unterscheidung, bzw. eine »Form«, zur Verfügung steht, die zwei Seiten aufweist und so das kreuzen von einer Seite zur anderen gewährleistet, ohne dass sich die Form, die Unterscheidung, dadurch ändern würde. Eine Form, die das Schöne vom Hässlichen scheidet, kann genauso gut auch das Hässliche vom Schönen unterscheiden. Die Bedingung dafür ist allerdings, dass unterschieden und eine der beiden Seiten bezeichnet wird. Man muss folglich, möchte man eine Form verwenden, eine der beiden Seiten bezeichnen. Ohne Unterscheidung keine Bezeichnung und vice versa. Es handelt sich um eine Operation, die aus zwei Komponenten besteht: einer Unterscheidung und der Bezeichnung einer der beiden Seiten. Der autopoietische Prozess der Kommunikation erzwingt sein Weiterprozessieren stets von der bezeichneten, der markierten, Seite aus, das heißt, die folgende Operation benutzt die markierte Seite, um weitere Differenzen anzuschließen. Ein soziales System kann nicht einfach eine andere Unterscheidung auswählen, es ist gerade kein »aktives Subjekt«, das über den Differenzen schwebt, sondern es ist dieser Prozess von aneinander anschließenden Unterscheidungen. Im Moment der Unterscheidung ist das System damit für sich selbst undurchsichtig. Der Prozess duldet keine Anwesenheit und er benötigt sie auch nicht; er ist in diesem Sinne différance.49 Welche Unterscheidung verwendet wurde, kann nur nachträglich, durch eine weitere Unterscheidung, erschlossen werden – oder durch einen Beobachter zweiter Ordnung, also einen Beobachter der das System beim Prozessieren seiner Differenzen beobachtet. Der Formenkalkül betont die Eigenleistung eines operativ geschlossenen Systems, denn er hat Folgen für das, was in diesen Systemen als Information prozessiert werden kann: Es erfolgt kein Input aus der Umwelt in das System hinein, noch erfolgt ein Output. Die Kybernetik beschreibt dies so: »Die Welt enthält keine Information, die Welt ist, wie sie ist.«50 Jede Information, die das Sys-

47 Das Subjekt betreibt Mimikry in Form des Beobachters. So unter anderem bei Hans D. Huber 2005, S. 38f., und Beat Wyss 2006, S. 120. 48 Niklas Luhmann 1990a, S. 84. 49 Mit Heidegger könnte man hier formulieren, dass das Seyn in der Form der Differenz als Er-eignis west. 50 Heinz von Foerster 2001, S. 98.

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tem über sich oder seine Umwelt prozessiert, ist eine Eigenleistung des Systems, also nach Maßgabe der systemischen Strukturen konstruiert, auch die eigene Differenz zu seiner Umwelt. Es gibt keine vom Beobachter unabhängige Realität, mit entsprechenden Folgen für die Wirklichkeitsverhältnisse der Kunst oder die Semantik der »Repräsentation«. Die Differenz von subjektiv/objektiv muss durch Strukturmomente des Beobachters ersetzt werden, durch die Differenz von Selbstreferenz/Fremdreferenz.51 Die Welt diktiert also nicht, welche Unterscheidungen zu prozessieren sind.52 Systeme müssen Unentscheidbares entscheiden, das ist die Paradoxie ihres Anfangs. Die Bedingung der Möglichkeit der Unterscheidung wäre also, etwas salopp, dass unterschieden wird. »Draw a distinction!«53 lautet denn auch die Aufforderung des Formenkalküls, der Rest ergibt sich, oder nicht.

1.2 F UNKTIONSSYSTEME

UND BINÄRE

C ODIERUNG

Der Begriff Gesellschaft wurde in den vorangegangenen Unterkapiteln bewusst im Singular verwendet, denn die problemlose Zugänglichkeit selbst räumlich weit auseinander liegender Kommunikationen füreinander legt es nahe, auf die Sicht der Welt als Ansammlung von an Nationen oder Sprachen orientierten Gesellschaften zu verzichten und die Grenzen der Gesellschaft in die Gesellschaft selbst zu verlegen, das heißt, die Grenzen der Gesellschaft haben eine rein interne Form.54 In diesem Sinn ist die(se) Gesellschaft das derzeit einzige Gesell-

51 Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 78. 52 Richard Rorty 1993, S. 25f., mahnt jedoch: »Die Erkenntnis, dass die Welt uns nicht sagt, welche Sprachspiele wir spielen sollen, darf jedoch nicht dazu führen, dass wir sagen, die Entscheidung, welches Sprachspiel wir spielen, sei willkürlich, auch nicht dazu, dass wir sagen, diese Entscheidung sei Ausdruck von etwas tief in unserem Inneren.« 53 George Spencer-Brown 1969, S. 3. 54 Da es jedoch Krankenhäuser und Strafzettel gibt, obwohl Gesellschaft weder erkranken noch falsch parken kann, ist es plausibel anzunehmen, dass die strukturelle Kopplung zwischen Gesellschaft und Bewusstsein auch bzgl. der internen Grenzziehungen der Gesellschaft Kontingenz reduzierenden Einfluss aufweisen kann. Siehe hierzu allgemein Peter Fuchs 2002a, S. 150ff. Zum Raum siehe Rudolf Stichweh 1998a, S. 343: »Es sind räumliche Grenzen vorstellbar, die auf der Basis der Operationen eines Sozialsystems entstehen und die insofern intern generierte Grenzen wären, auch wenn

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schaftssystem in der Welt.55 Verlegt man die Grenze in die Gesellschaft, bedeutet das auch, dass sich die Weltgesellschaft nicht als einfache Ausweitung oder Globalisierung von Herrschaftsverhältnissen beschreiben lässt, sondern Medienevolution, bspw. Schrift, hinzuziehen muss. Denn solange Kommunikation nur in der Interaktion von Anwesenden möglich ist, sind die Möglichkeiten sozialer Differenzierung eingeschränkt. Das gilt insbesondere für die Ausbildung von gesellschaftlichen Funktionssystemen, zu denen auch die Kunst gehört. Innerhalb der alle Kommunikation umfassenden Gesellschaft differenzieren sich im evolutionären Prozess anhand bestimmter Differenzen kommunikative Sonderbereiche, Funktionssysteme, aus. Mit der Ausdifferenzierung dieser Subsysteme hat sich die primäre Differenzierungsform der Gesellschaft nachhaltig geändert. War die Gesellschaft im Mittelalter noch primär geschichtet, so ist die moderne Gesellschaft primär funktional differenziert.56 Das bedeutet nicht, dass es keine ständischen oder gar segmentären Differenzierungsformen mehr gibt, schließlich leben wir alle noch in Familien, es bedeutet nur, dass sich funktionale Differenzierung als primäre Form der gesellschaftlichen Differenzierung durchgesetzt hat. Das ist ein außergewöhnlicher Vorgang und vermutlich hat erst das europäische Mittelalter begonnen, mit dieser Form gesellschaftlicher Differenzierung zu experimentieren.57 Die Gesellschaft ist jedoch kein Werk, das man produktiv spaltete, um dann die moderne Gesellschaft als eine effektivere zu erhalten.58 Funktionale Differenzierung bedeutet nicht Arbeitsteilung, sondern ersetzt diese als soziologische Erklärung. Durch die funktionale Differenzierung wird dann auch das eingeschränkt, was sich innerhalb der Gesellschaft realisieren kann, ohne, dass es

sie auf als vorgegeben empfundene physische Markierungen zurückgreifen und diese reinterpretieren.« 55 Vgl. Rudolf Stichweh 2006, S. 239. 56 Vergleichbare Prozesse wurden vielfach beschrieben. Berühmt ist Max Webers Beschreibung der Ausdifferenzierung der Religion, wenngleich Weber freilich nicht von Systemen, sondern von Wertsphären und Lebensordnungen spricht. Vgl. Max Weber 1988 [1920], S. 536ff. 57 Aber man muss nicht das europäische Mittelalter heranziehen, um diese Umstellung in den Blick zu bekommen. Auch ethnologische Untersuchungen beschreiben bspw. Konflikte, die entstehen, wenn die traditionelle ständische Verfassung sich nicht gegen die funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft durchzusetzen vermag. Siehe hierfür den Swat als Beispiel, bspw. bei Charles Lindholm 1982, S. 6ff. 58 Siehe hierzu ausführlicher Armin Nassehi 2004.

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durch die Gesellschaftsformation determiniert wäre.59 So kam es im Laufe der gesellschaftlichen Evolution zur Ausdifferenzierung einer Mehrzahl an Funktionssystemen, unter anderem Religion, Recht, Wirtschaft, Erziehung, Politik, Sport, Sexualität und freilich auch Wissenschaft und Kunst.60 Jedes Funktionssystem der Gesellschaft liegt einer je eigenen Leitdifferenz, einer binären Codierung, zugrunde. Die binäre Codierung ist totalitär. Sie vereinseitigt, indem sie alles, was für das System beobachtbar ist, in diese Differenz einpasst. Der binäre Code ist eine Differenz, die die Welt vorübergehend einschnürt und auf diese Differenz reduziert. So ließ Büchner Payne sagen: »Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten.«61 Ein binärer Code nihiliert alles, bis auf sich selbst. Aber zu mehr ist der Code nicht in der Lage. Jenseits von wahr/unwahr weiß die Wissenschaft nichts, aber für diese Differenz ist Wissenschaft die Verfügungsgewalt. Die Leitdifferenz ist also nicht mit »Sprachregulierung« zu verwechseln. Jede Kommunikation, die sich methodisch kontrolliert an der Differenz von »wahr/unwahr« orientiert, reproduziert das Wissenschaftssystem. Die Frage nach den Bedingungen, unter denen jemand »für das System« spricht, stellt sich nicht auf dieser Theorieebene. Mit Wahrheit ist hier entsprechend keine absolute Wahrheit gemeint, sondern lediglich die kommunikative Verwendung dieser Differenz. Dazu benötigt der binäre Code ein Programm, das ihn anleitet. Das Programm fungiert als tiers instruit,62 es konditioniert den Code. In der Wissenschaft sind dies Methoden.

59 Es kommt dann zu Diagnosen, wie die vom »Ende der Geschichte« (Gehlen, Le Man, et al.), die lediglich für eine historisch werdende Gesellschaftsformatierung zutrifft, dies jedoch nicht in Rechnung stellt. Interessante Beispiele bieten die Analysen der Wissenschaftsgeschichte, insbesondere zur Mathematik. Grundlegend der Sammelband Michel Serres 1994a. 60 Siehe für Religion Niklas Luhmann 1993a [1989] und Niklas Luhmann 1996c [1977], für Recht Niklas Luhmann 1981a und Niklas Luhmann 2002b, für Wirtschaft Niklas Luhmann 1989, für Erziehung Niklas Luhmann 2002a, für Politik Niklas Luhmann 2000a, für Sport Karl-Heinrich Bette 1999, für Sexualität Sven Lewandowski 2004 (für eine Beschreibung der Ausdifferenzierung der Intimbeziehung siehe jedoch Niklas Luhmann 1982), für Wissenschaft Rudolf Stichweh 1994b, Niklas Luhmann 1990a und für Kunst Niklas Luhmann 1994a und Niklas Luhmann 1995d. 61 Georg Büchner 1981 [1835], S. 99. 62 Bezogen auf die Leitdifferenz kann man mit Michel Serres 1994b [1980], S. 18, das Programm als ein Drittes beschreiben: »[...] ein Parasit, gleichermaßen ungebildet und

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Wer sich nicht an Methoden hält, wird wenig Glück haben, Anschlusskommunikation zu finden, die den positiven Codewert verwendet. Ein Beispiel hierfür wäre die Theologie des Kreationismus: Die pure Behauptung der eigenen Wissenschaftlichkeit genügt nicht, zumindest nicht für Wissenschaft. Nur wenn wissenschaftliche Methoden eingehalten wurden, wird die positive Seite des Codewertes, »wahr«, verwendet. Man sieht, es ist für die Reproduktion des Systems grundsätzlich unerheblich, ober der positive Wert oder der negative Wert Anschluss findet. Zwar findet man lieber etwas Wahres heraus als etwas Unwahres, aber auch an etwas Unwahres kann das System anschließen. Man kann sagen, dass Wahrheit es geradezu darauf anlegt, unwahr zu werden; Thesen sollen falsifiziert werden, wie man heute weiß. Die wissenschaftliche Wahrheit gewinnt dadurch Dynamik, indem der Wechsel beider Seiten des Codes rasant erfolgen kann, und zwar relativ folgenlos für die beteiligten Personen. Ein ausdifferenziertes Funktionssystem sieht sich dann einer gesellschaftlichen Umwelt ausgesetzt, die es entsprechend seiner Differenz beobachten kann. So kann Wissenschaft bspw. Parteiprogramme und religiöse Texte mit ihrer Leitdifferenz wahr/unwahr beobachten und ggf. für Irritationen in der Politik und Religion sorgen. Aber Wissenschaft kann nie bestimmen, wie Politik zu betreiben ist oder an was man zu glauben hat. Das System der Wissenschaft kann seine Operationen nicht in das Politiksystem ausdehnen. Gleiches gilt für das Politiksystem. Wenn nur Wissenschaft bestimmen kann, was wahr ist und was nicht, dann kann die Politik zwar versuchen Einfluss zu nehmen, sie kann jedoch gerade nicht festlegen, was wahr sein soll und was nicht. Die Totalisierung der Leitdifferenz immunisiert gegen Einsprüche seitens der gesellschaftlichen Umwelt. Diese Indifferenz gegen externe Ansprüche findet sich auch bei der Kunst. Die Verfemung bestimmter Stile durch repressive Politik jeglicher Färbung negierte nicht den möglichen Kunstanschluss und genau deshalb musste die jeweilig ungewollte Kunst zerstört werden. Eine geschicktere Weise der politischen Einflussnahme sind dann Zugangsbeschränkung zu Organisationen und selektive Förderung.63

unwissend, der sie lenkt und beherrscht, der von ihrem Streit profitiert und davon lebt.« 63 In der Regel beides. Auf diese Weise kondensieren dann zwar antagonistische Stile, bspw. Sozialistischer Realismus/Abstrakter Expressionismus und man wird möglicherweise den einen dem anderen vorziehen, aber die durch das Politbüro geförderte Kunst ist ebenso Kunst, wie die durch die CIA geförderte. Um dem Realismus der Sowjetkunst etwas entgegenzusetzen, verhalf man dem innerhalb der USA zu diesem Zeitpunkt sehr verpönten US-amerikanischen Abstrakten Expressionismus um Pol-

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Funktionssysteme sind zwar operativ geschlossen und autonom aber nicht autark, wie man sieht. Autonomie behauptet hier nur, dass in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft nur Kunst Kunst ist und alle Kunst als Kunst stattfindet. Kein Richter kann über den Kunststatus eines Kunstwerks richten. Keine politische Entscheidung kann der Kunst die Kunst nehmen. Autonom bedeutet also nicht unabhängig oder monadisch64 sondern im Gegenteil: äußerste Abhängigkeit. Abhängigkeit von der Wahrnehmung von Psychen, von deren Bereitwilligkeit über ihre Wahrnehmungen und Imaginationen zu sprechen, Abhängigkeit von Luft, die Schall und damit Gesprochenes ermöglicht, Abhängigkeit von Philosophie, die Fremdworte und Ideen liefert, mit denen Künstler ihre Kommentare verfassen können,65 Abhängigkeit von politischen Infrastrukturen und wirtschaftlichem Hintergrundrauschen, Kaffee und Akkuschraubern etc. pp. Kunst ist alles andere als unabhängig, aber mit dieser Abhängigkeit muss sie selbst, autonom und ohne Hilfe zurechtkommen. Was wäre die Kunst ohne ihre Fördergelder, ohne politische Antagonismen und ohne massenmediale Aufmerksamkeit? Sie ist auch, wie hier deutlich wird, auf die Vielzahl an angegliederten Organisationssystemen angewiesen. Das Kunstsystem selbst organisiert keine Ausstellungen; es hat weder Duchamps Urinal (Fountain, 1917) abgelehnt, noch 1994 auf der Art Cologne AborigineArtefakte aus der Kunst ausgeschlossen.66 Nur manches, was auf Kunstausstellungen geschieht, ist Teil des Kunstsystems, manches sind rechtliche Bauvorschriften, Karrierechancen oder politische Netzwerke. Galerien oder Ausstellungen bilden Zentren der Aufmerksamkeit. Die Orte sind zwar in diesem Sinne von Bedeutung, aber die Funktionssysteme sind nicht an sie gebunden. Der Wahrheitsgehalt eines wissenschaftlichen Aufsatzes ändert sich nicht, sei er nun auf Rügen oder am MIT geschrieben worden, wohl aber die Reputation. Reputation kann dann durchaus als Zweitcodierung dienen. Auf diese Weise wird Aufmerksamkeit gelenkt, mit der Folge, dass sich – im Nachhinein Bedeutendes – außer-

lock, de Kooning, Motherwell und Newman unter anderem mithilfe staatlich finanzierter Ausstellungen, als Pop-Art zum Durchbruch. Vgl. Serge Guilbaut 1997. 64 Dies wird häufig missverstanden, bspw. bei Hans Zitko 1996, S. 366f. 65 Damit sind die Kritik-, Diskurs-, Rhizom-, Parasit-, System- und Dekonstruktionstheoriestücke gemeint, ohne die kein Text zur Ausstellungseröffnung auskommt. Siehe hierzu bspw. die Gruppenausstellung »Autopoiesis« in der Bongout Gallery Berlin vom 28. Januar bis zum 07. März 2009. 66 Auch Niklas Luhmann 1995d, S. 400f., spricht diesen Vorfall an, allerdings im Rahmen systemischer Grenzkonstitution, die die Organisationsebene, die Exklusionsentscheidung, nicht würdigt.

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halb der Fokusse ereignen kann, man denke nur an Gregor Mendel, Büchner oder Picasso. Denn dass Picassos »Demoiselles d’Avignon« (1907) ein Schlüsselwerk der modernen Kunst ist, hat man erst über 30 Jahre später »bemerkt«.67

67 Vgl. Kitty Zijlmans 1995, S. 273. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang André Salmons Umbennung des Gemäldes von »Le Bordel d’Avignon« zu »Demoiselles d’Avignon«, wie Pablo Picasso 1957, S. 118, verärgert berichtet.

2 Das Kunstsystem, seine Codierung und seine Funktion

Nachdem im vorangegangenen Kapitel versucht wurde, ein Verständnis für systemtheoretische Grundannahmen aufzubauen, soll in diesem Kapitel gezeigt werden, wie sich die Kunst durch diese systemtheoretischen Begriffe und Konzepte beschreiben lassen kann. Hierzu werden sowohl Luhmanns Systemtheorie der Kunst als auch systemtheoretische Alternativen kurz vorgestellt, allerdings unter dem Vorbehalt, dass es sowohl Luhmanns Systemtheorie der Kunst als auch den alternativen Beschreibungen häufig mal mehr, mal weniger, an historischer oder soziologischer Plausibilität mangelt. Das betrifft insbesondere Luhmanns Werkästhetik und seinen Vorschlag zur binären Codierung und Funktion des Kunstsystems. Dass es Luhmann hier vermied zu zeigen, wie sich das Kunstsystem unter seiner Funktion ausdifferenzierte und dabei seine binäre Codierung gegen extrasystemische Ansprüche durchzusetzen hatte, ist auffällig.1 In Kapitel 2.6 und 2.9 müssen daher historisch und soziologisch belastbarere Vorschläge für Codierung und Funktion erarbeitet werden. Zunächst soll die Betonung der Anschlusskommunikation in den Ausführungen zum Kommunikationsbegriff fortgesetzt werden. Auch ein Kunstwerk benötigt die Selektion »Verstehen«, um soziales Ereignis werden zu können. Ob sich eine Anschlusskommunikation durch das Kunstsystem vollzieht, entscheidet die Kommunikation selbst, indem ihr die Leitdifferenz der Kunst zugrunde liegt, oder nicht. Das Wort Wahrheit muss bspw. in einer wissenschaftlichen Publika-

1

Insbesondere, wenn man seine Ausführungen zur Ausdifferenzierung des Kunstsystems, bspw. Niklas Luhmann 1994a, mit seinen Ausführungen zur Ausdifferenzierung anderer Systeme vergleicht, bspw. der Ausdifferenzierung des Religionssystems, etwa Niklas Luhmann 1993a [1989].

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tion nicht auftauchen. Der Wahrheitsanspruch ergibt sich auch nicht aus der Selbstbetitelung: »Dies ist wahr.« Ebenso wenig muss bzgl. einem Kunstwerk ausgesprochen werden: »Dies ist Kunst.« Einzig entscheidend ist der Code der ablaufenden Kommunikation. Man kann über ein Bild von Franz Marc sagen: »Pferde sind nicht blau«, aber dann spricht man nicht über ein Kunstwerk, sondern nur über ein Bild mit blauen Pferden. Dann kann man freilich feststellen, dass es keine blauen Pferde gibt, dass sich Franz Biberkopf gar nicht am Alexanderplatz rumtrieb, dass Tadzio eigentlich Jürgen hieß und dass die ewige Liebe durchaus einem Verfallsdatum ausgesetzt ist, aber das negiert nicht die Information der Mitteilung eines Kunstwerks, sondern negiert Mitteilung in Form eines Kunstwerks. Erst die systemspezifische Anschlusskommunikation entscheidet, ob die Einheit der Kommunikation zustande kam und damit, ob es sich um Kunst oder Ruhestörung handelt.2 Nicht jedes über ein Kunstwerk geführte Gespräch reproduziert somit das Kunstsystem, sondern nur diejenige Kommunikation, die sich über eine bestimmte Leitdifferenz codiert. Anders formuliert: Das Kunstsystem benötigt eine Unterscheidung, mit der es sich von seiner gesellschaftlichen Umwelt unterscheidet und es benötigt dazu Programme, die ihm Kriterien an die Hand geben, wie es die Anwendung der positiven und negativen Seite des Codes steuern kann. Hierin begründet sich die Autonomie der Kunst: Nur die Kunst entscheidet über die Anwendung ihres Codes. Luhmann beharrte für das Kunstsystem stets auf dem binären Code »schön/ hässlich«.3 Allerdings zeigte er sich im Laufe der Jahre zunehmend verunsichert, gestand der Kunst gar einen »Sondercode« zu.4 Um am Code »schön/hässlich« festhalten zu können, fasste Luhmann ihn letztlich so abstrakt, dass er im Grunde mit »schön/hässlich« nicht mehr viel zu tun hat und es sich eher um »stimmig/unstimmig«, »gelungen/misslungen« oder »passend/unpassend«5 handelt: »Noch immer gibt es hier [in der Ästhetik, d. Verf.] keine überzeugende Alternative zu schön/hässlich. Diese Semantik darf aber nicht so verstanden werden, als ob es um ›schöne Gestalten‹, ›schöne Klänge‹ oder sonstige schöne Einzelformen gehe. Sie bringt, wenn

2

Auf der Grundlage der Kommunikationstheorie müssen wir daher Niklas Luhmann 1995d, S. 131, widersprechen, wenn er schreibt: »Der Harlekin mag im Dunkeln tanzen – aber selbst das wäre noch Kommunikation [...]«.

3

Zuerst in Niklas Luhmann 2001d [1981].

4

Siehe insbesondere Niklas Luhmann 1990c, S. 29, und Oliver Sill 2001, S. 98f.

5

»Deshalb entsteht im Kunstbetrieb [...] ein ›Code‹, nämlich eine laufend durchgehaltene binäre Orientierung nach ›Passen‹ und ›Nicht-passen‹ der zu wählenden Formen«, so Niklas Luhmann 1995d, S. 190.

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man sie überhaupt beibehalten will, nichts anderes zum Ausdruck als ein zusammenfassendes Urteil über stimmig/unstimmig unter der Zusatzbedingung hoher Komplexität, also selbsterzeugter Schwierigkeiten.«6

Nach dem Code »stimmig/unstimmig« oder »passend/unpassend« im Rahmen von »schön/hässlich« wird auch das tägliche Outfit bestimmt und gegenseitig beurteilt, ohne dass jemand auf die Idee kommen würde, sich nach einem entsprechenden Kompliment als Künstler zu beschreiben.7 Binczek merkt an, »dass Luhmann ihrer Bestimmung [der binären Codierung, d. Verf.] hier nicht einmal ernsthaft nachkommt.«8 Schwerer wiegt jedoch, dass der Code eine ästhetische Normativität mit sich führt, der man nicht entgehen kann.9 Diese mitgeführte Ästhetik verhindert es, den Funktionsaspekt des Kunstsystems in eine Leitdifferenz zu übersetzen und nimmt dem Code schön/hässlich dadurch zugleich die historische Plausibilität. Ein Hinweis darauf ist, dass im 18. Jahrhundert auch das Hässliche schön sein konnte – der Gegenbegriff zum Schönen war der Ekel.10 Auch die Künstlertraktate des 15. und 16. Jahrhunderts setzten sich nicht im modernen Sinne mit schöner Kunst oder der Produktion schöner Werke auseinander.

6

Ebd., S. 317.

7

Siehe hierzu auch Siegfried J. Schmidt 1995, S. 234, der über Plumpes und Werbers Vorschlag zur Leitdifferenz zu bedenken gibt: »Aber interessante Unterhaltung erwartet man natürlich auch von Talkshows und Fußballspielen, von Diavorträgen und Parties.«

8 9

Natalie Binczek 2002, S. 105. So beschreibt bspw. Niklas Luhmann 1987d, S. 336 Anmerkung 73, den Tanz junger Menschen wie folgt: »Eben weil der Tanz als Perfektionsform der Körperabstimmung ausdifferenziert ist, kann er auch als Ausgangspunkt dienen für eine Umkehr der Symbolik: Als isolierter Schlottertanz in modernen Diskotheken ersetzt er Schönheit durch Hässlichkeit, Maß durch Übertreibung, Form durch Impulsivität – und zeigt so gerade an, dass der Partner fehlt.«

10 So bspw. bei Immanuel Kant 2006 [1790], S. 199: »Die schöne Kunst zeigt darin eben ihre Vorzüglichkeit, dass sie Dinge, die in der Natur hässlich oder missfällig sein würden, schön beschreibt. Die Furien, Krankheiten, Verwüstungen des Krieges u. dgl. können, als Schädlichkeiten, sehr schön beschrieben, ja sogar im Gemälde vorgestellt werden; nur eine Art Hässlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunstschönheit zugrunde zu richten: nämlich diejenige, welche Ekel erweckt.« Siehe auch Winfried Menninghaus 2003 und 1999. Für eine semantische Analyse zur Ablösung der Differenz »schön/hässlich« siehe Niels Werber 1992, S. 66ff.

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Dies unterstreicht die Vermutung, dass dieser Code nicht den Selbstbeschreibungen des Kunstsystems entstammt, bzw. dass Ästhetik nicht die Selbstbeschreibung des Kunstsystems leistet, wovon Luhmann ausgeht.11 Denn wenn Ästhetik die Selbstbeschreibung des Kunstsystems leistet, wer fertigt dann die wissenschaftliche Beschreibung des Kunstsystems an? Das bemerkt in gewisser Weise auch Luhmann selbst und er vermutet, dass die Reflexion des Kunstsystems in der Moderne nur noch über Kunstwerke vollzogen wird: »Die Versuche, die Reflexionstheorie des Kunstsystems in der Form von Kunstwerken zu reproduzieren, markieren das Ende der ästhetischen Epoche der Selbstbeschreibung des Systems.«12 Luhmann widerspricht sich jedoch, wenn er an anderer Stelle die moderne Kunstkritik als »eigentliche Quelle der Selbstbeschreibungen des Kunstsystems«13 identifiziert. Mit seinem Urteil über die mangelnden Alternativen der Ästhetik hat Luhmann sicher recht, doch nach dem Code sucht er am falschen Ort. Mit Kamper, Sill, Plumpe, Werber und anderen gehen wir in der Folge davon aus, dass die Ästhetik nicht die Selbstbeschreibung der Kunst leistet.14 Die Ästhetik ist Teil der Wissenschaft.15 Die Selbstbeschreibung der Ästhetik als »Herrscherin über die Sinne« oder als »Disziplinierung des Sinnlichen«, von Baumgarten 16 bis Adorno,17 mag hierfür ein starkes Indiz bieten, stumpfe Werkzeuge ein weiteres. Denn das begriffliche Inventar der Ästhetik ist seit langem nicht mehr dazu in der Lage, die Kunst zureichend zu beschreiben, da die Begriffe der Ästhetik an einer Kunst orientiert wurden, die es heute nur noch als Fiktion in Museen gibt.18

11 Vgl. Niklas Luhmann 1998b, S. 978f. Auf einer Podiumsdiskussion äußerte Luhmann hingegen den Verdacht, dass Kunst die Definition dessen, was Kunst ist, nicht der Ästhetik überlassen will. So in einer Zusammenfassung seiner Antwort in Bezug zu Ulrich Loocks Kommentar in Harm Lux und Giro Annen 1992, S. 98. 12 Niklas Luhmann 1995d, S. 485, siehe auch S. 497. 13 Ebd., S. 496. 14 Vgl. Dietmar Kamper 1986, S. 192, Oliver Sill 2001, S. 102f., Christoph Reinfandt 1997, S. 41, Harry Lehmann 2006, S. 19, Gerhard Plumpe 1993a, S. 23, Gerhard Plumpe und Niels Werber 1993, S. 28f. 15 Ob Plumpe und Werber den Code des Literatursystems in der Ästhetik finden können, ist dann allerdings fraglich. Vgl. Niels Werber 1992, S. 65ff. und insbesondere S. 95, bzw. Gerhard Plumpe und Niels Werber 1993, S. 30f. 16 So das Ziel von Alexander Gottlieb Baumgarten 2007 [1750–58], S. 17. 17 So Wolfgang Welsch 1994, S. 8ff. 18 Hierunter leidet insbesondere die Ikonologie Panofskys. Siehe hierzu auch Christoph Wulf 2005, S. 36. Man könnte freilich dieselbe Argumentation auch auf die Soziolo-

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Entsprechend hilflos wirkt der Code von schön/hässlich besonders dort, wo er zwar nicht-normativ auftritt, die Normativität jedoch über die Zweitcodierung gelungen/misslungen19 reimportiert wird. Aber auch in historischem Rückblick muss festgestellt werden, dass Ästhetik nie anzeigen konnte, wie man ein Kunstwerk herstellt.20 Damit ist ein bedeutender Unterschied zu den Künstlertraktaten der Renaissance gegeben, auf den in der historischen Analyse genauer eingegangen wird. Freilich wurden die Fragen, die Alexander Baumgarten 1750 mit der Einführung des Begriffs »Ästhetik« zu einer wissenschaftlichen Disziplin zusammengefasst hat, bereits zuvor gestellt. Dass die Ästhetik ab 1750 auf der gesellschaftlichen Bühne erscheint – »Von nichts wimmelt unsere Zeit sosehr als von Ästhetikern«21 – liegt jedoch nicht darin begründet, dass es jetzt ein ausdifferenziertes Kunstsystem gäbe, was sehr häufig auf diese Weise interpretiert wird, sondern dass sich das Wissenschaftssystem im 18. Jahrhundert ausdifferenziert und peu à peu beginnt, seine Verhältnisse zur Umwelt in Disziplinen zu differenzieren.22 Die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems stößt mithin auf eine gesellschaftliche Umwelt, in der sich bereits Funktionssysteme ausdifferenziert hatten. Wissenschaft beobachtet dann Kunst, wie sie auch Politik beobachtet. Sie mag ihre Forschungsmethoden auf Picasso oder den Bolognaprozess anwenden – die so beobachteten Systeme zeigen sich jedoch von den Ergebnissen in aller Regel völlig unbeeindruckt.

gie münzen, die zur Beschreibung der modernen Gesellschaft entstand und ihre Begriffe in die Vergangenheit projiziert. Dass dies stattfindet, steht außer Frage. Die Systemtheorie versucht hingegen unter Einbeziehung des Vergangenen und seiner historischen Kontingenz empirische Varianzen zu gewinnen, an denen sie ihre Theorie schärfen kann. Siehe hierzu insbesondere Rudolf Stichweh 1998b, S. 68ff. Siehe für die Kunstgeschichte Hans Belting 1987. 19 Siehe Niklas Luhmann und Peter Fuchs 1989b, S. 153, Niklas Luhmann 1995d, S. 191, S. 236, S. 247, S. 314, S. 328, S. 334 und insbesondere S. 506f., Niklas Luhmann 1998b, S. 1042, Niklas Luhmann 1995h [1989], S. 15, Niklas Luhmann 1991a [1981], S. 259. 20 Siehe bzgl. Literatur die detaillierte Studie von Steffen Martus 2007, S. 64ff. Siehe auch Werner Krauss 1964, S. 68ff. Dort, wo man versucht hat, Ästhetik anzuwenden, bspw. in der Affektenlehre des Barock, musste man feststellen, dass die psychischen Systeme nicht so reagierten, wie es die Affektenlehre vorsah. Siehe hierzu Peter Fuchs 1987, S. 227. 21 Jean Paul 1990 [1804], S. 22. 22 Siehe hierzu Rudolf Stichweh 1994a, S. 55.

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Deutlich wird an dieser Stelle, dass diese Bemerkungen zur Ästhetik eine Umwertung im Umgang mit Texten der Ästhetik nach sich ziehen muss. Ästhetik ist nicht privilegiert, sie ist nur Fremdbeschreibung, Interpretation, Kritik etc. und steht infolgedessen in einem rein parasitären Verhältnis zum Kunstwerk. Man kann in der Folge die Ausdifferenzierung des Kunstsystems nicht anhand ästhetischer Schriften direkt »ablesen«. Sie gestatten jedoch, ähnlich wie Vereinbarungen mit Auftraggebern oder Rechtsgutachten, Rückschlüsse auf Prozesse, deren Fremdbeobachtung sie sind. Indem diese Indizien mit dem korreliert werden, was als Kunst vorgelegt wurde, bietet sich die Möglichkeit, einen umfassenden, einen polykontexturalen Blick auf diese Prozesse zu werfen, der nicht an die Beschränkungen gattungsspezifischer Wissenschaften zur Kunst gebunden ist. Zur Ästhetisierung der Systemtheorie, auf die im folgenden Unterkapitel noch genauer eingegangen wird, lässt sich auch das Anmahnen der Bestandserhaltung der Kunst zählen, etwas, was im Rahmen der Theorie der funktionalen Struktur eher sonderbar erscheinen muss. Die Kunst ist nicht gefährdet – jedenfalls nicht mehr als andere soziale Systeme, die sich bereits durch unterschiedliche Latenzbedürfnisse und ihren nichtidentischen operativen Prozess wechselseitig gefährden.23 Die sog. »Krisen« der Kunst, als Erfahrung gegenwärtiger Veränderungen, sind, wenn überhaupt, nur Gattungskrisen und dadurch Krisen der Ästhetik, aber nie Krisen der Kunst selbst.24 Kunst asymmetrisiert sich unter ihrem Funktionsbezug in Richtung auf ihre Freiheitsgrade; sie hat durchaus ein inniges Verhältnis zur Kontingenz und zur Verfransung ihrer Artefakte. Aber gerade dadurch wird im System Redundanz, also Sicherheit, erzeugt. Kunst ist nicht statisch, sie nutzt andere Verbreitungswege, andere Medien oder bevorzugt andere Darstellungsformen. Sie zeigt dadurch, dass sie Teil einer dynamischen Gesellschaft ist. Luhmanns Befürchtung,25 dass die Kunst versucht,

23 Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 460. 24 Hans Ulrich Gumbrecht 1987, S. 171ff., führt als Beispiel die Krise der Literatur an und verweist kulturkritisch auf das Fernsehen. Die Krise der Literatur ist jedoch eine ästhetische Krise, keine der Kunst. Denn was sich im 17. und 18. Jahrhundert in Form des modernen Romans Bahn brach, sattelt um; und Gumbrecht gibt selbst den Hinweis worauf: auf das Fernsehen. Der Bedarf an imaginären Realitäten ist ungebrochen, nur das Verbreitungsmedium hat sich verändert. 25 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 497. Siehe auch ebd., S. 77: »Nur neue Werke gefallen. So setzt sich die Kunst einem Formverbrauchseffekt aus. [...] Zunehmend wird deshalb auch die Zukunft der Kunst zum Problem [...]« Diese These ist weitaus radikaler als die bekanntere von Hegel, denn Hegels These war auf das Bedeutungsloswerden in Bezug auf Philosophie bezogen, wohingegen Luhmanns Aussage auf die

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ihr eigenes Ende sein zu wollen, ist nur schwer zu erkennen. Es fällt jedoch auf, dass sich die Gefährdung der Kunst als Selbstgefährdung in Form von sozialer Selbstverunwahrscheinlichung durch viele systemtheoretische Auseinandersetzungen mit dem Kunstwerk zieht. An die frühromantische Ästhetik erinnernd, wird dort die Kommunikation durch Kunstwerke als ein gerade noch Erreichen der Anschlusskommunikation, trotz antikommunikativer, desorientierender »Herstellung«,26 trotz Anschlussentmutigung27 und der Tendenz, Kommunikation, alles in allem, an ihre Grenzen zu treiben,28 behauptet. Auch diese Gefährdungssemantik bleibt jedoch theoretisches Fragment einer Ästhetik, die seit Hegel beständig Untergang beschwören will, damit jedoch auf sich selbst verweist, denn sie ist es, die die Kunst nicht mehr zu greifen vermag. Es ist, wie man so sagt, Ironie der Geschichte, dass es die Kunst ist, die die Philosophie überlebte.29 Es wundert nicht, dass sich eine ganze Reihe an alternativen Codevorschlägen für das Kunstsystem finden lassen. Zu diesen zählen bspw. »interessant/langweilig«30 von Gerhard Plumpe und Niels Werber, »mit/ohne Geschmack«31 von Georg Jäger, »Kunst/nicht Kunst«32 von Peter Fuchs, »Erkennen und Han-

Gesellschaft insgesamt gerichtet ist. Von der Gefährdung der Kunst ist die Entdifferenzierung der Kunst zu unterscheiden, die Luhmann in frühen Texten ins Spiel bringt. Siehe hierzu Niklas Luhmann 2008a [1986], S. 132f. 26 So Peter Fuchs 1989, S. 176. 27 So Dirk Baecker 1996, S. 99. Siehe auch Niklas Luhmann 1995d, S. 9, S. 77, S. 480f., S. 497 und S. 501f. Siehe auch Peter Fuchs 1989, S. 152f. Bedenkt man, dass die Kunst im Rahmen der Systemtheorie über ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium verfügt, das gerade den Zweck hat, Anschlusskommunikation wahrscheinlicher zu machen, dann potenzieren sich diese Aussagen wesentlich. 28 So Markus Koller 2007, S. 176. 29 Zu diesem Schluss kommt bereits Nietzsche, so Mihailo Ĉuriü 1985, S. 283. Vgl. auch Dietmar Kamper 1986, S. 71. Siehe zum Betreiben der Philosophie nach dem Ende der Philosophie Odo Marquard 1991, S. 27ff. 30 Bspw. Niels Werber 1992, S. 27 und S. 64f. 31 Georg Jäger 1991, S. 225f. 32 Vgl. Peter Fuchs 1993, S. 164. Die Selbstreferenz des Kunstsystems als Codierung zu verwenden, würde bedeuten, dass der Code auf sich selbst angewandt werden müsste. Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1990c, S. 41f. Wendet man Codes auf sich selbst an, dann produziert dies Paradoxien: Ist die Unterscheidung von »wahr/unwahr« wahr? Kein System könnte sich auf dieser Grundlage ausdifferenzieren, geschweige denn stabilisieren. Das Kunstsystem hätte keine Stabilität, sein Code würde unter der

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deln/Theorie und Praxis«33 von Rainald Goetz, »ästhetische Lust/Unlust«34 für ein System der Ästhetik von Menninghaus, »polykontextural/nicht polykontextural«35 von Stefan Hofer und Jochen Hörisch betont »stimmig/nicht stimmig«.36 Die binäre Codierung eines Systems muss jedoch nicht nur die Operationen des Systems informieren, sondern darüber hinaus gesellschaftlich und auch historisch plausibel sein; schließlich müsste gezeigt werden können, wie sich diese Leitdifferenz im historischen Prozess von religiösen und an Schichtung orientierten Zusammenhängen löst. Bereits dies schränkt erheblich ein, was als binäre Codierung spekulierbar ist.37 Die Diskussion um die stimmigste binäre Codierung, von Lutz Kramaschki als fröhliches Rätselraten beschrieben,38 täuscht nicht darüber hinweg, dass die Systemtheorie mit der Anwendbarkeit ihrer zentralen Begriffen auf das gesellschaftliche Phänomen steht und fällt. In der Folge lässt sich die binäre Codierung nur schwer als »soft«-Codierung beschreiben. Dirk Baeckers Vermutung, »dass der Code der Kunst nicht ganz so glatt binarisiert ist«,39 führt ebenso zum Kol-

Universalisierung bersten und das System an seinen Oszillationen kollabieren, wie der Supercomputer im Film »Wargamers« (John Badham, 1983), der so lange gegen sich selbst TicTacToe spielt, bis er überhitzt und abstürzt. Siehe auch Hans Ulrich Reck 1997, S. 316, der Peter Fuchs’ Code im Rahmen eigener Überlegungen übernimmt. Zumindest die Entrüstung seitens der Künstlerschaft dürfte sich in Grenzen halten, zieht dieser Code doch Duchamps und Beuys zusammen: Nur Kunst ist Kunst. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag von Siegfried J. Schmidt 1989, S. 20, der für ein Literatursystem die Codierung »literarisch/nicht literarisch« vorschlägt. Niels Werber 1992, S. 25f., kritisiert diesen Vorschlag und verweist darauf, dass dieser Code nur die System/Umwelt-Differenz dupliziert. Diese Konsequenz ist jedoch für Schmidt nicht weiter tragisch, da die Systeme, von denen Schmidt spricht, nicht autopoietisch sind. 33 Rainald Goetz et al. 1992, S. 69. 34 Winfried Menninghaus 1999, S. 55f. 35 Stefan Hofer 2007, S. 213. 36 Jochen Hörisch 1998, S. 531. 37 Niklas Luhmann 1995d, S. 302, bietet sogar eine Art »Check-Liste« für den Code. 38 Vgl. Lutz Kramaschki 1993, S. 110. Rembert Hüser 1996, S. 250, schlägt daher »grau/grün« vor. 39 Dirk Baecker 2004, S. 44: »Die Kunst sucht das riskante, das gerade eben noch gelingende, das fast gescheiterte Werk oder Ereignis, das Schöne an der Grenze zum Hässlichen und das Hässliche, das schon fast schön ist. Darin liegt ihr Kalkül.«

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laps des Systems wie der Schluss von Sill,40 dass Kunst in Form von Literatur nicht an einen binären Code gebunden ist.41 Ein ausdifferenziertes Kunstsystem hätte man dann nicht mehr.42 Die Codierung anderer Funktionssysteme präzisiert Kommunikation, sie schnürt diese in einem einzigen Aspekt zusammen: Man hat die Rechnung gezahlt oder nicht. Ein abstrakter binärer Code ist selbst in ungewöhnlichsten Situationen leistungsfähig. Man kann alles kaufen, auch sein Seelenheil. Die absonderlichste Theorie kann hinsichtlich ihrer vorläufigen Wahrheit beobachtet werden, auch bzgl. Russells Teekanne, die zwischen Erde und Mars schwebt. Die vorangegangenen Codierungsvorschläge haben hier gezeigt, dass Kunst scheinbar zu wenig generalisierbar ist, um sich ohne Weiteres auf eine derartige hochspezifische Codierung reduzieren lassen zu können. Bedenkt man zusätzlich, dass für Luhmann sowohl das Kunstwerk, seine Herstellung, die am Kunstwerk sich vollziehende Kommunikation und ebenso die Kommunikation über Kunst

40 Vgl. Oliver Sill 2001, S. 124 und S. 156. Er arbeitet jedoch häufig mit der Differenz von »literarisch/pragmatisch«, siehe bspw. ebd., S. 157. 41 André Kieserling 2005, S. 434, stellt grundsätzliche Überlegungen zur Codierung an: »Diese Kritik muss Luhmann die These zuschreiben, die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft bestünden ausschließlich aus codierten Operationen: Alles, was nicht binär codiert sei, müsse eben darum der Systemumwelt zufallen. Aber man findet bei Luhmann keine solche Kongruenz von System und Codierung. Wohl aber findet man eine Theorie des Erziehungssystems, derzufolge gerade der Erziehungsprozess durchaus nicht codiert werden kann.« Kieserling nennt Niklas Luhmann 2002a als Beispiel, leider ohne die Seite zu nennen, auf die sich seine Aussage bezieht. Vermutlich ist S. 74 gemeint, wo Luhmann schreibt: »Diese Besonderheit des Erziehungssystems zeigt sich auch darin, dass es hier anders als in anderen Funktionssystemen keine klare Unterscheidung von Codierung und Programmierung gibt (wie zum Beispiel: wahr/unwahr einerseits und Theorien und Methoden andererseits).« Gemeint ist hier freilich nur die Unterscheidung von Codierung und Programmierung, nicht der Code selbst. Bzgl. des Codes der Erziehung schreibt Niklas Luhmann 1987a, S. 187: »Dennoch gibt es einen Code der Erziehung. Er findet sich aber, und das entspricht genau unserer Hypothese, nicht in den Programmen des Systems. Codiert wird nur die soziale Selektion, und dies auf eine technisch so zwingende Weise, dass die Pädagogik bei all ihrer Mitwirkung dafür nur Abneigung und Widerwillen aufbringen konnte.« 42 Einen entsprechenden Verdacht äußert Siegbert Gebert 2000, S. 80. Die Kunst würde dann in die Nähe anderer gesellschaftlicher Konzepte rücken, die die Kommunikation über sich nicht autopoietisch schließen konnten, bspw. moralische Kommunikation.

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durch ein und denselben Code informiert werden muss, dann zeigt sich die Schwierigkeit, diesen komplexen Kommunikationszusammenhang entsprechend der systemtheoretischen Notwendigkeit auf eine einzige Leitdifferenz zu beziehen. In Luhmanns Monographie »Die Kunst der Gesellschaft« findet sich denn auch ein Lösungsvorschlag in Form eines Verzichts auf die nähere begriffliche Bestimmung der Codierung und eine Verlagerung der begrifflich entleerten Fassung der Leitdifferenz in das Kunstwerk hinein: »Die Besonderheit des Kunstsystems im Vergleich zu anderen Funktionssystemen liegt weniger in den Namen der Codewerte, als vielmehr darin, dass die Asymmetrisierung [...] weitgehend dem einzelnen Kunstwerk selbst obliegt.«43 Und an dieser Stelle setzt Luhmann nun an, um eine am Formenkalkül und Focillons Formalismus orientierte Werkästhetik innerhalb der Systemtheorie aufzubauen; mit erheblichen Folgelasten.44 Und das, obwohl er sich selbst vor derlei gewarnt hat: »Demgegenüber kann man darauf hinweisen, dass das Kunstwerk Unterscheidungszusammenhänge konkretisiert und dadurch die eigene Beliebigkeit aufhebt. Das auszuarbeiten, wäre Sache der Ästhetik.«45 Wir werden uns nicht lange mit Luhmanns Ästhetik aufhalten, sondern zügig durchschreiten, um im darauf folgenden Kapitel an Luhmanns kommunikationstheoretische Fassung des Kunstwerks anzuknüpfen.

2.1 N IKLAS L UHMANNS W ERKÄSTHETIK Indem zentrale systemtheoretische Begriffe an die Kunst angepasst werden, erhält die Kunst in Luhmanns soziologischem Werk eine seltsame Sonderposition. Damit ist nicht die Kontroverse um die binäre Codierung oder den »Sondercode« des Kunstsystems angesprochen, denn diese ist produktiv und theoretisch informiert. Im vorliegenden Fall ist die an vielen Stellen stattfindende Beugung und Ausser-Kraft-Setzung grundsätzlicher systemtheoretischer Prämissen zugunsten eines ästhetischen Werkcharakters des Kunstwerks gemeint. Sill sieht hierin den

43 Niklas Luhmann 1995d, S. 306. Es ist allerdings ein spannender Gedanke, sich ein Werk vorzustellen, dem seine eigene Asymmetrisierung nicht gelingt und dessen Selbstbeobachtung auf dem Reflexionswert stetig verharrt. 44 Siehe hierzu Henri Focillon 1954 und Niklas Luhmann 1995d, S. 68, S. 176, S. 190 und S. 337. Markus Koller 2007, S. 76ff., geht ausführlicher auf das Verhältnis zu Focillon ein. 45 Niklas Luhmann 1990c, S. 37.

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zentralen Widerspruch in Luhmanns Kunsttheorie.46 Und Koller wirft Luhmann vor, er verfasse in »Die Kunst der Gesellschaft« eine »beinahe formalistische Theorie des Einzelwerks«.47 Durch die Betonung der ästhetischen Kategorie des Einzigartigen und des klassischen Werkcharakters des Kunstwerks verliert sich Luhmann in einer werktheoretischen Kunsttheorie.48 Das Kunstwerk wird dadurch zu einer Chimäre der Kommunikation.49 Aufgrund der Kommunikationstheorie wäre hier zumindest eine rezeptionsästhetische Kunsttheorie die wesentlich näherliegende, kompatiblere und zugleich modernere Alternative gewesen. Dies ist denn auch das eigentlich Überraschende an Luhmanns Kunsttheorie, so Lehmann, »dass sie als erste Konzeption nach Adorno wieder einen werkästhetischen Ansatz verfolgt.«50 Einen rezeptionsästhetischen Ansatz lehnt Luhmann jedoch konsequent ab, unter anderem, wenn er ausschließen möchte, »dass völlig gleich aussehende, ästhetisch nicht unterscheidbare Objekte durch Interpretation zu verschiedenen Kunstwerken ›transfiguriert‹ werden.«51 Bereits die Realität des Kunstsystems in Form der warholschen »Brillo Soap Pads Boxes« (1964) belehrt hier Luhmann eines Besseren. Auch seine Exklusion des Kitsch aus der Kunst stellt sich, man denke nur an Jeff Koons, als problematisch dar.52 Ein Großteil der Kunstentwicklungen nach den 1940ern kann mit Luhmanns Ästhetik nur unbefriedigend beschrieben werden. Und dort, wo seine Ästhetik greift, bietet sie keine neuen Erkenntnisse.

46 Vgl. Oliver Sill 2001, S. 97f. 47 Markus Koller 2007, S. 16. 48 Markus Koller, ebd., S. 49, Urs Stäheli 1996, S. 636, und Harry Lehmann 2006, S. 9, teilen diese Ansicht. 49 Ähnlich, allerdings mit dem Fokus auf Materialität, argumentiert Georg Stanitzek 1996, S. 40: »Da sich in Kommunikationsprozesse nun allerdings von außen keine Direktiven einsteuern lassen, leistet mithin das Kunstwerk – das Kunst-Objekt, das Ding! – so etwas wie eine ›Kommunikation der Form‹, der Form, die es selber ist. Ding und Kommunikation: Zwitter, Monstrum, [...]« 50 Harry Lehmann 2006, S. 24. 51 Niklas Luhmann 1995d, S. 329. Luhmanns Feststellung führt hier in die Ontologie zurück. Siehe, unter diesem Gesichtspunkt, die Ausführungen zur Ununterscheidbarkeit bei Arthur Coleman Danto 1984, S. 62ff. und S. 178ff., sowie Nelson Goodman 1997 [1967], S. 101ff. 52 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 300.

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Verfolgt man in »Die Kunst der Gesellschaft« die Verwendung der Theoriefigur des »Programms«, so stößt man auf ein gewisses Durcheinander. Wir konzentrieren uns auf die außerordentliche Feststellung Luhmanns, dass die Selbstprogrammierung der Kunstwerke das »›Wesen‹«53 (sic!) der Kunst sei. Es geht nun weniger um einen Essentialismus, der hier im Zusammenhang mit der Werktheorie tatsächlich durchscheint, sondern dass durch den Begriff der Selbstprogrammierung verdeckt wird, dass jede Programmierung notwendigerweise Selbstprogrammierung ist – und zwar systemische,54 nicht aber auf Ebene von Kommunikationselementfragmenten.55 Luhmann weiß sehr wohl um diese Verlegenheit und muss eingestehen, dass er nicht weiß, wie das zu denken wäre: »Es bleibt unklar, wie man solche Aussagen auf der operativen Ebene spezifizieren könne.«56 Es steht jedoch für ihn fest, dass man nur so »ein modernes Kunstwerk adäquat beobachten«57 kann. Ein möglicher Lösungsansatz wäre, das Kunstwerk als System zu beschreiben. Diesen Weg, der bspw. von Hans Dieter Huber beschritten wird,58 lehnt Luhmann jedoch ab.59 Akzeptiert man die These der Selbstprogrammierung der Kunstwerke, dann würde dies in der Folge bedeuten, dass nicht das Kunstsystem über die Anwendung des binären Codes entsprechend seiner Programme entscheidet, sondern dass das Kunstwerk die Codierung selbst programmiert, es also selbst über sein Gelungen- oder Misslungensein entscheidet.60 Das Kunstwerk gibt sich selbst das Gesetz, so Luhmann.61 Um wieder auf eine »gesellschaftliche« Ebene zu gelangen – und auch diesbezüglich gesteht Luhmann, »vermag die Auffassung, das

53 Ebd., S. 332. 54 Vergleichbares bemerkt auch Markus Koller 2007, S. 45, und auch Niels Werber 1996, S. 172f., äußert Zweifel an der Selbstprogrammierung des Kunstwerks. 55 Und damit auch nicht auf der Ebene der Technik des Erzählens oder der bildlichen Darstellung eines Inhalts. 56 Niklas Luhmann 1995d, S. 331. 57 Ebd. Fraglich ist, was Luhmann hier mit »adäquat« meinen könnte. Droit morale? Gleiches gilt für die Formulierung »erfolgreiche Kunst«, ebd., S. 370. 58 Vgl. Hans D. Huber 2005, S. 41. 59 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 89. 60 »Die positiv/negativ-Unterscheidung muss in Anwendung des binären Codes auf alle Fälle erfolgen. Ohne sie kommt nichts zustande. Aber was angenommen und was ausgeschlossen wird, kann nur aufgrund eines Programms entschieden werden. Das ›Wesen‹ der Kunst ist die Selbstprogrammierung der Kunstwerke«, ebd., S. 331f. 61 Ebd., S. 395.

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einzelne Kunstwerk programmiere sich selbst, nicht zu befriedigen«62 – wäre eine Programmierung der Programmierung denkbar. Luhmann führt diese Metaprogrammierung des sich selbst programmierenden Kunstwerks auch ein, allerdings zögerlich und hauptsächlich um den Zusammenhang der Kunstwerke untereinander herzustellen: als Stil.63 Wenige Seiten später wird aus der Metaprogrammierung durch Stil allerdings wieder eine Nebenprogrammierung, die als Nebenprodukt der Selbstprogrammierung abfällt,64 inklusive der Bemerkung, dass eine allzu deutliche Orientierung an Stilprogrammen wenig überzeugende Kunstwerke produziert. Aber wen gälte es denn in diesem Zusammenhang von was zu überzeugen? Gemeint ist die Einzigartigkeit des Kunstwerks: »Die Programmatik durchdringt, könnte man sagen, das Einzelwerk, und erlaubt dann kein zweites derselben Ausführung mehr.«65 Wenn das Programm das Kunstwerk durchdringt und einzigartig macht, dann wird spätestens an folgender Stelle deutlich, dass die Selbstprogrammierung dazu dienen soll, die Werkästhetik zu begründen: »Wenn Kunstwerke ihre eigenen Programme sind, dann überzeugen sie erst nach ihrer Fertigstellung.«66 Hierauf zielt Luhmanns Argumentation ab, die Herstellung des Kunstwerks als Konfirmation des spencer-brownschen Formenkalküls: »[...] Objekt und Erzeugungsprozess [sind, d. Verf.] dasselbe [...]«.67 Der Formenkalkül soll Produktions- und Rezeptionsästhetik ersetzen.68 Der Herstellungsprozess eines Kunstwerks erfolge demnach, indem Form an Form anschließt und so die Möglichkeit dessen reduziert, was dann noch anschließbar sein könne. Luhmann schreibt: »Die Möglichkeiten, etwas noch dazu Passendes zu finden, nehmen ab, die Schwierigkeiten des Weitermachens nehmen zu. Der Schwung des Anfangens verliert sich in den Bemühungen um Rettung des Begonnenen. Aber da jede Festlegung als Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite ihrer Form jene andere Seite mitkonstituiert, wird immer weiterer Bestimmungsbedarf erzeugt, bis die Formen sich zirkulär schließen, einander wechselseitig kommentieren und das bestätigen, womit man angefangen hatte.«69

62 Ebd., S. 336. 63 Vgl. ebd., S. 337f. Der Stil-Begriff hat in Luhmanns Werk bereits einiges mitgemacht, siehe hierzu Holger Dainat und Hans-Martin Kruckis 1996, S. 163ff. 64 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 339f. 65 Ebd., S. 329. 66 Ebd., S. 370. 67 Ebd., S. 56. 68 Vgl. ebd., S. 118. 69 Ebd., S. 63.

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Anschaulicher beschreibt Luhmann den Vorgang so: »Eine Linie, deren Ziehung zwei Raumteile trennt und damit erzeugt, schafft auf beiden Seiten Entfaltungsmöglichkeiten. Was auf der einen Seite geschieht, wirkt dann, dank des gemeinsamen Ursprungs, immer auch auf die andere Seite zurück. Das legt nicht fest, was geschehen soll, ermöglicht aber den prüfenden Blick unter dem binären Code von passend/ nicht passend.«70

Man kann es sich gut vorstellen: die weiße Leinwand, Pinselstriche, die peu à peu ihre eigene Beliebigkeit aufheben. Auch, dass jede Form durch einen binären Code informiert ist, das heißt, dass sich die Form am Werk auf seine Stimmigkeit, auf sein »Passen/nicht Passen«,71 im Formarrangement hinsichtlich des Codes prüfen lassen muss.72 Niels Werber hat recht, wenn er bemerkt: »Diese operative Theorie künstlerischer Produktion überzeugt«,73 aber man könnte damit ebenso gut das Schmücken eines Weihnachtsbaumes oder das Bepflanzen eines Gemüsebeets beschreiben. Der Formenkalkül greift selbstverständlich auch in der Kunst, da der Kalkül als Erkenntnistheorie jeden Bereich der Systemtheorie informiert.74 Die vermeintliche Besonderheit der Kunstproduktion, die sich durch Fortschreiten die Willkür des Anfangs nimmt und in die jeder weitere Schritt eingepasst werden muss, bis eine selbsttragende Konstruktion entsteht, trifft selbst auf die Theorieproduktion zu.75

70 Niklas Luhmann 1990c, S. 16. 71 Diese Differenz ignoriert den Zwang, der mit Kontingenznahme verbunden sein kann, dann heißt es nämlich: »Hier muss noch etwas hin!« – ob es passt oder nicht. 72 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 315. 73 Niels Werber 1996, S. 171. 74 Es sei darauf hingewiesen, dass der Formenkalkül nicht als Logik, sondern als Erkenntnistheorie importiert wird. Den Kalkül als Logik zu importieren wäre nur dann sinnvoll, wenn die Gesellschaft logisch formulierbar wäre, was sie nicht ist, durch die Ko-Produktion mit Bewusstsein, nicht sein kann – außer für einen Beobachter, der entsprechend beobachtet und nicht sehen kann, was er nicht sieht. Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 72ff. und S. 103. Urs Stäheli 2000, S. 180, ist hier anderer Ansicht und installiert den Kalkül vor jedem Sinnprozess als Ermöglichung des Sinns überhaupt, muss dann aber gerade dieses »Wie?« schuldig bleiben, denn Stähelis Verweis auf Spencer-Brown führt hier gerade nicht weiter. 75 Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 11. Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 2001d [1981], S. 169f., wo diese allgemeine Situationsstruktur gerade in Hinsicht auf die Differenz

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Doch bereits die Produktion von Kunstformen, die sich nicht mehr in erster Linie am klassischen Werkbegriff orientieren, zum Beispiel dort, wo Künstler keinen Einfluss auf das Werk besitzen, Konzeptkunst, objets trouvés und ready mades, lassen sich nicht mehr ganz so bildhaft durch den Formenkalkül beschreiben.76 Der Verdacht liegt nahe, dass das Kunstwerk hier gegenüber der Theorie zurücktritt und in erster Linie den Formenkalkül illustrieren soll. Zu diesem Schluss kommt auch Lehmann, wenngleich auf unterschiedlichem Weg, und er merkt zu Recht an, dass Luhmann Kunstwerke zur Bestätigungsinstanz für seine Werktheorie »degradiert«.77 Das lässt sich genauer zeigen, denn die Bedingungen, unter denen der Kalkül auf ästhetische Weise auf Kunstwerke angewandt werden kann, müssen dementsprechend spezifisch sein: »Zum Kunstwerk wird ein Objekt dadurch, dass die Formen, die es intern verwendet, die Möglichkeiten der jeweils anderen Seite einschränken. Dabei kommt es, soll es ein Kunstwerk sein, darauf an, dass diese Einschränkung sich weder allein aus den materiellen Eigenschaften des Mediums (zum Beispiel Verdichtung oder Gewicht des Materials, Mindestlänge von noch hörbaren Tönen) ergibt und auch nicht allein aus einem Verwendungszweck des Objekts.«78

Hätte Luhmann den Verwendungszweck nicht ausgeschlossen, die Wahl der täglichen Kleidung wäre ebenso Kunst wie das Auftragen des Abendessens. Ganz davon abgesehen, dass die Kunst freilich Kunstwerke für den Zweck der Kommunikation herstellt.79 Alles Herstellen ist zweckmäßig – und sei es in Form von »sekundärer Zweckmäßigkeit« (Gehlen), die dem zur Wahrnehmung produzierten Kunstwerk, auch in der historischen Reihe des l’art pour l’église, l’art pour le roi zum l’art pour l’art, einen Zweck hintergründig über Leistungsaspekte ins Werk hineinlädt. Aber das Künstlerische darf nicht von diesem Punkt aus bestimmt werden – deshalb auch Luhmanns Einschränkung durch das »nicht allein«. Was aber dann verbleibt, sind Intention und Produktionsmodus, die beide

von »stimmig/unstimmig« als wissenschaftliche »Theorie-Komposition« beschrieben wird. 76 Auch Urs Stäheli 1996, S. 635f., bemerkt die Bevorzugung bestimmter Kunstformen; Luhmanns Umgang mit anderen Kunstformen sei daher »etwas hilflos«. 77 Harry Lehmann 2006, S. 26. 78 Niklas Luhmann 1995d, S. 62. Siehe zum Objekt als seltsam materialer Angelegenheit insbesondere Georg Stanitzek 1996, S. 51. 79 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 83, und Niklas Luhmann 1990c, S. 25.

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als traditionelle Ideen schöpferischer Hervorbringung im Geniekult enden. Doch diese Stelle besetzt nun der Formenkalkül des operativen Gesellschaftsprozesses. Der Formenkalkül selbst erklärt hier nichts, er lebt an dieser Stelle ganz vom anthropomorphisierten Bild des »Draw a distinction!« als der ersten Note oder dem ersten Pinselstrich, der das, was danach kommen mag, reduziert. Ganz im Sinne der vers donnés: Der erste Vers wird einem immer geschenkt, so Paul Valéry. Die Vorstellung, dass Formen an Formen anschließen, macht zwar ästhetisch Sinn, keine Frage, sie negiert jedoch zugleich den soziologischen Unterbau, der besagt, dass es sich nie nur um Formen handelt, sondern um sinnhafte Selektionen. Die Form vollzieht sich sinnhaft. Das aber ist etwas ganz anderes als ein Formenarrangement: »Die Formtheorie ist noch keine Systemtheorie.«80 Ohne einen kommunikativen Anschluss, der an einer dieser Formen die Information von ihrer Mitteilung unterscheidet, hat weder der erste Pinselstrich noch die folgenden soziale Existenz. Das soziale System hat keine Augen, die die Pinselstriche sehen kann, sie weiß nicht um deren Dasein. Sie kann keine Töne aneinanderreihen, weil sie nicht weiß, was Töne sind. Töne, ja jedwede Form, haben keine Bedeutung für Gesellschaft jenseits dessen, was diese als prozessoraler Vor- oder Rückgriff bedeuten.81 Das soziale System ist ja gerade nicht: Bewusstsein.82 Das konzentrierte Genießen des eigenen Könnens in der Kunst oder beim Kuchenbacken bleibt Gesellschaft fremd, wie der Geschmack von Wein und der Geruch von frischem Brot. Kein Wort verletzt die Gesellschaft bis ins Mark. Und darin besteht die Leistung sozialer Systeme: Die Zerlegung kompakter »Verhaltensströme in die Selektionen Information, Mitteilung, Verstehen«83 und ihre Zurverfügungstellung in Form von Kommunikation. Soziale Systeme funktionieren daher anders als psychische, in denen diese Zerlegung nicht stattfindet.84 Ohne diese »Lichtung« wäre das Bewusstsein jedoch kaum dazu in der Lage, präzise Beobachtungen zu sequenzialisieren und dadurch bspw. Sinn zu kondensieren. Es geht hier keinesfalls darum, Bewusstseinselemente in soziale Systeme zu importieren, ganz im Gegenteil. Was auch immer kommuniziert wird, ist gerade von diesen Bewusstseinsbedeutungen abgezogen. Die Kommunikation bestimmt sich selbst. Es gilt jedoch daran zu erinnern, dass die Elemente sozialer Systeme Kommunikationen sind, nicht etwa Bewusstseinselemente – oder verwaiste For-

80 Niklas Luhmann 1995d, S. 67. 81 Vgl. Peter Fuchs 2001, S. 112. 82 Vgl. Peter Fuchs 2002a, S. 165f. 83 Siehe hierzu auch ebd., S. 165. 84 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 22f.

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men. Wenn nicht Information, Mitteilung und Verstehen unterschieden wird, findet keine Kommunikation statt, sondern nur gegenseitige Wahrnehmung. Kommunikation ist die Operationsweise sozialer Systeme und »nur als Operation (aber gerade nicht: als Selbstbeobachtung) ist die Kommunikation eine Beobachtung; denn nur so kann sie etwas im Unterschied zu anderem bezeichnen.«85 Es geschieht nur, was geschieht und nur was kommuniziert wird, wird kommuniziert.86 Der durch binäre Codierung informierte Herstellungsprozess des Kunstwerks könnte kaum auf diese Weise sozial stattfinden, weil er, wie man sieht, jenseits der sinnhaften, mit Bewusstsein ko-produzierten Selektionen des Kommunikationsprozesses steht. Der binär codierte Herstellungsprozess findet auch nicht rein psychisch statt, denn das Bewusstsein arbeitet nicht nach Codes, sondern verarbeitet Identitäten.87 Wenn Luhmann letztlich schreibt: »Die in den Kunstwerken fixierten Beobachtungen beginnen miteinander zu kommunizieren [...]«,88 dann kann dies nur noch ästhetisch interpretiert werden. Koller kommt hierbei zu dem Schluss, dass Luhmann »zum Schriftsteller einer künstlerisch ambitionierten Prosa [wird, d. Verf.]. Sein Theorieprojekt, so die Beobachtung der vorliegenden Arbeit, ist ein Gesamtkunstwerk aus dem Geiste der Poesie.«89 Luhmanns Vorsatz, sein gesellschaftstheoretisches Projekt nicht aus der Beobachtung von Kunstwerken zu gewinnen, sondern an deren kommunikativen Gebrauch,90 verkehrt sich deutlich ins Gegenteil. Und obwohl Luhmann an dieser Stelle betont, dass sich sein Theorieinstrumentarium nicht zur Beurteilung von Kunstwerken eignet, kann dies gerade aufgrund und mithilfe seiner Werkästhetik stattfinden: »[...] misslungen ist ein Kunstwerk, wenn ein Beobachter die Kontrolle über das Zusammenspiel der Formen verliert [...]«.91 Die auf der Selbstprogrammierung des Kunstwerks stattfindende Beschreibung des Kunstwerks führt aus dem gesellschaftstheoretischen Projekt hinaus in ästhetische Befangenheit und in die Neigung, Hierarchien der Kunst zu erstellen.92 Dies kann

85 Niklas Luhmann 1990a, S. 116. 86 Vgl. ebd., S. 117. 87 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 50, und Niklas Luhmann 1990a, S. 20. 88 Niklas Luhmann 1990c, S. 15. 89 Markus Koller 2007, S. 18. Siehe in diesem Zusammenhang auch Horst Bredekamp 1998, S. 420, für den »Luhmanns Methode eher Kunst als Wissenschaft« ist. 90 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 9. 91 Ebd., S. 328. 92 Niels Werber 1997, S. 346f., versuchte bspw. mithilfe der luhmannschen Ästhetik aufzuzeigen, weswegen der Film »From Dusk till Dawn« (1996) von Robert Rodrigu-

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nicht Aufgabe einer Soziologie der Kunst sein. Es gilt nunmehr, an den im Vorfeld erarbeiteten soziologischen Begriffen anzuknüpfen und das Kunstwerk als Teil des Kommunikationsprozesses zu erfassen. Denn: »Entscheidend ist, dass, wie bei aller Kommunikation, die Differenz von Information und Mitteilung den Ausgangspunkt bildet, an den weitere Kommunikation künstlerischer oder sprachlicher Art anschließen kann.«93 Wir verzichten damit auf die klassische, ontologische Werktheorie ebenso, wie dessen moderneres Substitut: das Kunstwerk als Text. Dass es sich bei den sozialen Unterstellungen eines Artefakts als ein Kunstwerk auch um objets trouvés oder ready mades handeln kann, dient uns dabei als hilfreicher Hinweis auf das Kunstsystem der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft.

2.2 D AS K UNSTWERK

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K OMPAKTKOMMUNIKATION

Einen ersten Anhaltspunkt für eine kommunikationstheoretische Fassung des Kunstwerks bietet Luhmann mit dem Begriff der »Kompaktkommunikation«, den Luhmann bereits 1986 für die Beschreibung von Kunstwerken in die Systemtheorie einführt und der Beschreibung von Kunstwerken vorbehält.94 Der Begriff ist recht unglücklich gewählt.95 Zum einen suggeriert der Begriff Kom-

ez und Quentin Tarantino misslungene Kunst sei: »[...] weil der Anfang [des Films, d. Verf.] nicht wichtig für das Ende ist und das Ende jeden Anfang haben könnte, dann ist die Schließung des Kunstwerks misslungen.« Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1996b, S. 105. Tatsächlich ist das, was Werber kritisiert, gerade das, was den Film positiv auszeichnet – je nach zugrunde liegender Ästhetik. In jedem Fall gilt für die Kommunikation hier: »Wer sein Kunsturteil vorträgt und begründet, ist schon in Gefahr, als jemand zu erscheinen, der nicht (überflüssigerweise) über das Kunstwerk spricht, sondern über sich selbst«, so Niklas Luhmann 1986a, S. 627f. 93 Niklas Luhmann 1995d, S. 44. 94 Vgl. Niklas Luhmann 2008a [1986], S. 146. 95 Darauf weist die vermutlich einzige andere Verwendung des Begriffs außerhalb des Themas Kunst hin. In »Organisation und Entscheidung« beschreibt Niklas Luhmann 2000c, S. 185, auch Entscheidungen als »Kompaktkommunikation«, allerdings in gegenteiligem Sinn zu Kunst: Entscheidungen als Kompaktkommunikationen kommunizieren gleichzeitig Weiteres mit, bspw. ihre Gründe und ihren Arbeitsaufwand. Kompaktkommunikationen koppeln also eine Vielzahl von Kommunikationen. Kunstwerke als Kompaktkommunikationen kommunizieren weniger, nämlich einen Kom-

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munikation dort, wo es sich nie um mehr als ein Kommunikationsangebot handeln kann.96 Zum anderen führt Luhmann mit dem Ausdruck »kompakt« eine am Substanzbegriff orientierte Metapher an einer zentralen Theorieposition ein.97 Doch während Luhmann üblicherweise Metaphern, bspw. Husserls »Horizont« oder Serres’ »Parasiten«, stets deutlich auf das Problem zurückführt, das durch diese Metaphern beschrieben wird,98 bleibt in diesem Fall die Interpretation den Rezipienten überlassen. Diese unterschiedlichen Interpretationen sollen kurz angesprochen werden, da alle mehr oder weniger plausibel sind und dadurch indirekt die Komplexität des Kunstwerks im Rahmen der Kommunikation aufzeigen können. Zeitlich spielt die Metapher »kompakt« auf das Phänomen an, dass sich Kommunikation in Kunstwerken, ähnlich wie bei Schrift, der Flüchtigkeit ihrer Elemente entzieht.99 Luhmann spricht hier von der »Ent-Ereignung«100 des Kunstwerks, das sich dem Vergehen zu entziehen sucht. Die Identität der Kommunikation hält sich in der Schwebe. Solange man an ein Gemälde oder ein literarisches Werk denkt, mag dies zutreffen. Doch bereits Theater und Tanz lassen sich kaum mehr in diesem auf Zeit bezogenen Sinne als kompakt beschreiben.

munikationsvorbehalt, sie kommunizieren auf Kredit. Siehe hierzu Niklas Luhmann 1995d, S. 63. 96 Siehe in Bezug zum Kunstwerk bereits Kitty Zijlmans 1991, S. 81, die das Kunstwerk entsprechend als Kommunikationsofferte sieht, nicht aber als Kommunikation. 97 An der Verwendung von Metaphern ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Metaphern parasitieren an der Differenz von abstrakt und konkret und sind selbst in gewagter Form noch hochfunktional: »Die Gesellschaft beginnt überall zu ›stocken‹ wie Milch durch Zusatz von Zitrone«, so Peter Fuchs 1994, S. 37. Kein Wunder also, dass sich die Systemtheorie selbst als eine Ansammlung von wissenschaftlich programmierten Metaphern, sei es Störung, Kopplung oder System, beschreiben lässt. Zur systemtheoretischen Metaphorik interessant auch Sina Farzin 2008, S. 197. Siehe zum System als Metapher Peter Fuchs 2001, S. 242ff. Zur Produktion neuen Wissens ist Metaphorik unumgänglich, sofern sie kontrolliert, das heißt programmgesteuert stattfindet. Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1990a, S. 389. Die stets mitlaufende Gefahr ist, dass sich die Metapher gegenüber ihrem supplement verselbständigt, was bspw. im Falle der Präge-Metaphorik bzgl. der Medium/Form-Unterscheidung geschah. 98 Siehe zur Metaphorik des Horizonts unter anderem Niklas Luhmann 1995d, S. 151, Niklas Luhmann 1987d, S. 105, zur Metaphorik des Parasiten unter anderem Niklas Luhmann 1992b, S. 219, Niklas Luhmann 1987d, S. 532f. 99 Siehe Georg Stanitzek 1996, S. 25. 100 Niklas Luhmann 1986a, S. 631.

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Für diese Kunstformen spielt eher der sachliche Aspekt die größere Rolle. Die Metapher bezieht sich, das wird hier deutlich, auf ein besonderes Verhältnis zwischen Information und Mitteilung. Man könnte vermuten, dass das Kunstwerk Information und Mitteilung geradezu zusammen »zieht«. Es »kontrahiert« zur Kompaktkommunikation, so Lehmann.101 Man könnte das Kunstwerk als Kompaktkommunikation auch als Versuch interpretieren, eine »Mehrzahl von Unterscheidungen«102 oder eine »Mehrheit von Informationen«103 zu kombinieren. Die Kommunikation simplifiziert sich quasi selbst. Stanitzek und Koller vermuten hingegen, dass das Kunstwerk als Kompaktkommunikation verhindere, dass man die Information ohne Weiteres von der Mitteilung differenzieren könne.104 Für Harro Müller wird in der Kommunikation die Mitteilung der Information selbst zur Information.105 Peter Fuchs’ Interpretation verläuft quasi umgekehrt. Er sieht im Kompakten eine Unbestimmtheit der Referenz der Information, also des Selektionshintergrundes, und zwar bis zu dem Punkt, an dem selbst die Information irrelevant wird und nur noch Mitteilung bestehe.106 Es fällt auf, dass die vorangestellten Interpretationen »kompakt« stets auf den Informationsaspekt oder den Mitteilungsaspekt beziehen, die dritte Selektion »Verstehen« bleibt eher außen vor. An diesem Aspekt setzen wir nun an, um weiteres Licht auf die Problemstellung zu werfen.

101 Vgl. Harry Lehmann 2006, S. 166. 102 Niklas Luhmann 1990c, S. 17. 103 Ebd. 104 Vgl. Georg Stanitzek 1996, S. 40, und Markus Koller 2007, S. 176. 105 Vgl. Harro Müller 1996, S. 226. 106 Vgl. Peter Fuchs 1993, S. 173 und S. 186. Kommunikation durch Kunstwerke hätte Ähnlichkeit mit Kommunikation unter Anwesenden, die häufig abläuft, ohne dass es wesentlich um die Vermittlung von Informationen ginge. Dass die Autobahnen überlastet sind, weiß man selbst. Die Fortsetzung der Kommunikation steht im Vordergrund, nicht die Information. Das beste Beispiel liefern hier politische Reden auf Parteitagen, deren Informationsgehalt gegenüber dem Mitteilungsaufwand stark reduziert ist.

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2.3 D AS K UNSTWERK ALS S PRECHER DES S PRACHLOSEN Die Folgen des systemtheoretischen Kommunikationsbegriffes sind auf den ersten Blick kontraintuitiv, denn aus ihm folgt, dass dieser Satz, der in diesem Moment gelesen wird, keine Kommunikation ist. Beipackzettel oder Musikstücke sind keine Kommunikationen, sondern Äußerungen bzw. Kommunikationsofferten, die erst durch eine Anschlusskommunikation, die soziale Selektion »Verstehen«, zeigen, dass sie ein Aspekt von Kommunikation waren.107 Demgemäß sind auch Kunstwerke keine Kommunikation.108 Dies erinnert an Adornos Feststellung: »[...] kein Kunstwerk ist in Kategorien der Kommunikation zu beschreiben und zu erklären.«109 Kunstwerke, so Adorno, »sprechen vermöge der Kommunikation alles Einzelnen in ihnen. [...] Die Kommunikation der Kunstwerke mit dem Auswendigen jedoch, mit der Welt, vor der sie selig oder unselig sich verschließen, geschieht durch Nicht-Kommunikation; darin eben erweisen sie sich als gebrochen.«110

Adorno unterscheidet hier am Kunstwerk zwei Kommunikationsmodi: den Werkästhetischen und den Mitteilenden. Letzterer muss dann die Paradoxie entfalten, dass das Kunstwerk in dem Fall mindestens Nichtkommunikation kommuniziert. Beide Modi finden sich in ähnlicher Form überraschenderweise auch bei Luhmann. Die Werkästhetik wurde bereits angesprochen und das Kunstwerk als Sprecher des Sprachlosen wird in Form der kommunikativen Eigenheit des Kunstwerks gefasst, dass Kunstwerke, so Luhmann, Sprache umgehen, ja Sprache vermeiden.111 Das gilt auch für diejenige Kunst, die Sprache als künstlerisches Medium verwendet. Literatur zweckentfremdet Sprache, indem sie die Sprache dafür verwendet, Imagination zu stimulieren, »und nicht: zur Mitteilung von Informationen«112 benutzt. Die Sprache, mit ihren Eigenschaften und Möglichkeiten, dient nun als Kontrastfolie, vor der die Eigenarten der Sprache umgehenden Kommunikation durch Kunstwerke sichtbar werden.

107 Vgl. Peter Fuchs 2001, S. 212. 108 Was, wie oben angesprochen, gerade durch den Begriff der »Kompaktkommunikation« häufig latent gehalten wird. 109 Theodor W. Adorno 1990a [1970], S. 167. 110 Ebd., S. 15. 111 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 36 und S. 39. 112 Ebd., S. 187.

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So, wie Kommunikation nicht die Duplizierung von Informationen in den beteiligten Psychen leistet, dient auch Sprache nicht der Verständigung, sondern der Verklammerung von psychischen und sozialen Systemen. Die Sprache ist gerade die evolutionäre Errungenschaft, die den Aufbau sich autopoietisch reproduzierender, selbst strukturierender Komplexität in Form sozialer Systeme erst ermöglicht hat.113 In diesem Bezugsproblem sind sich Sprache und Kunstwerke funktional äquivalent. Auch Kunstwerke leisten prinzipiell die strukturelle Kopplung von Bewusstsein und Gesellschaft, ohne jedoch der besonderen medialen Leistungsfähigkeit der Sprache entsprechen zu können. Indem allem, was gesagt oder geschrieben werden kann, auch widersprochen werden kann, dupliziert Sprache die Realität. Es gibt in der Sprache für jeden Aspekt der Realität eine Ja- und eine Nein-Fassung. Bereits an diesem Aspekt lässt sich ahnen, welche gesellschaftliche Dynamik sich durch Negationsmöglichkeit entfalten kann. Sprache bietet mithin die Möglichkeit, mit Welt auf bisher unvorstellbare Weise umzugehen, jedoch um den Preis möglichen Dissenses. Bestimmte Negativ- und Positivfassungen müssen nun kommunikativ eingeschränkt und kontrolliert werden. Das archaische »Stummsein im Einverständnis«114 wird in das Gegenteil verkehrt: Erst wenn es Sprache gibt, wird Schweigen möglich und nötig.115 Die Umgehung der Sprache durch Kunst gibt zunächst einen Hinweis darauf, weswegen man einem Kunstwerk seinen positiven Kunststatus kommunikativ mit den semantisch zur Verfügung stehenden Mitteln nicht wieder entziehen kann, wohingegen die Phlogistontheorie oder die Miasmenlehre nicht mehr als wissenschaftlich gelten. Texten kann man widersprechen, man kann sie widerlegen. Nur die Sprache stellt hierfür einen Ja/Nein-Code zur Verfügung, dem sich

113 Man bemerkt hier den Verfall phänomenologischer Inspiration in Luhmanns Werk. Noch in Niklas Luhmann 1987d, S. 297f., machte erst das Medium Sinn es möglich, »Gesellschaftssysteme zu bilden, durch die Menschen Bewusstsein haben und leben können.« 114 Vgl. Dieter Claessens 1968, S. 191. 115 Genauer formuliert: Mit dem Schweigen entsteht die Sprache. Kommunikative Verweigerung wird nicht nur als Verschweigen zum Problem des Konsens: »Qui tacet, consentire videtur«, wer schweigt, scheint zuzustimmen, so Bonifatius VIII. Die Differenz von Ja/Nein kollabiert am Schweigen. In diesem Sinne kann auch das Schweigen der Organe entweder als Gesundheit oder Anästhesie begriffen werden. Hierzu grundlegend Michel Serres 1993, S. 114ff. Siehe zum monastischaszetischen Schweigen als Selbstschutz vor den Tücken der Sprache Niklas Luhmann und Peter Fuchs 1989a, S. 35ff.

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die Kunst sprachvermeidenderweise folglich ebenso entzieht.116 Die einzige Chance, die Kunst ernsthaft in Bedrängnis zu bringen ist dann, sie zu boykottieren, indem man ihren Werken die Wahrnehmbarkeit nimmt, bspw. in Form von Bilder- und Bücherverbrennung.117 Gerade dies macht deutlich, dass das Kunstwerk in Form eines Kommunikationsvorbehalts in einem prekären Verhältnis zur Zeit steht. Das Kunstwerk ist »Kommunikation auf Kredit«.118 Es muss Anschlusskommunikation herstellen, dies jedoch unter der erheblichen Einschränkung, dass das, was Kunstwerke kommunizieren, Sprache umgeht. Kunst »funktioniert als Kommunikation, obwohl, ja weil sie durch Worte (von Begriffen ganz zu schweigen), nicht adäquat wiedergegeben werden kann.«119 Das ist zwar eine klassische, der Romantik entstammenden Annahme, die hier jedoch nicht im romantischen Sinne verstanden werden darf, als dass das, was es zu begreifen gilt, durch das Begriffliche des Begreifenwollens, zerstört wird, sondern dass das, was Kunst zur Kommunikation beiträgt, medienuniform geschieht. Kommunikation durch Kunst funktioniert nur in den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien der Kunst.120 Das bedeutet in der Folge jedoch auch, dass das, was Kunstwerke zur Kommunikation beitragen, nur in diesem Medium der Kunst stattfinden kann und sich nicht in ein anderes Medium übersetzen lässt.121 Das wird besonders bei Bildern deutlich, die sich gerade nicht ohne Weiteres vom Visuellen ins Sprachliche konvertieren lassen, wie es bspw. bei Zeichen problemlos möglich ist.122

116 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 36. 117 Serge Gruzinski und Heather MacLean 2001 beschreiben bspw., wie die spanischen Eroberer gezielt und mit hohem Aufwand das »kollektive Imaginäre« Mexikos durch das christliche Imaginäre zu ersetzen suchten. 118 Niklas Luhmann 1995d, S. 63. 119 Ebd., S. 36. Siehe hierzu auch Gregory Bateson 1981b [1969], S. 198: »In der bildlichen Kommunikation gibt es keine Zeitform, keine einfache Negation, keine Markierung von Modi.« 120 Die Vermutung liegt nahe, dass die Einschränkung im symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium die Freiheit in der Verwendung anderer Medien garantiert, die Kunst mithin medial gesehen die invariante Varianz der Medium/FormUnterscheidung schlechthin verkörpert. 121 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 44. 122 Vgl. Hans Belting 2005, S. 31. Dieses Problemfeld stellt die Soziologie vor erhebliche methodische Herausforderungen, deren angemessene Lösung noch immer aussteht. Zwar stellt Ralf Bohnsack 2005, S. 247, hierzu fest: »Eine intersubjektive Verständigung durch das Bild, also im Medium des Bildes und somit jenseits des

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Bei Schlegel hieß es treffend: »Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden. Ein Kunsturteil, welches nicht selbst ein Kunstwerk ist, [...] hat gar kein Bürgerrecht im Reiche der Kunst.«123 Kommunikation über Kunstwerke müsste somit etwas in Sprache fassen, was sich nicht in Sprache fassen lässt. Dies träfe auch für die Selbstbeschreibungen der Kunst zu.124 Nicht nur jede Kunstkritik würde damit hinfällig werden, sondern jeder Versuch, das am Kunstwerk psychisch Erlebte kommunikativ mitzuteilen.125 Dennoch wird viel, sehr viel, über Kunstwerke gesprochen und geschrieben. Wie passt das zusammen? Bedenkt man, dass erst Sprache die Differenz von Information und Mitteilung effektiv nutzbar macht, dann zeigt das Kunstwerk zunächst, dass es diese Differenz anders handhabt. Kunst ist ein bestimmter Beobachtungsmodus, dem es weniger auf die Unterscheidung einer Information von einer Mitteilung ankommt. Koller vermutet diesbezüglich: »Kunst ist nicht gemacht, um verstanden zu werden.«126 Auch Luhmann betont, dass es der Kunst eher um »die Provokation einer Sinnsuche [geht, d. Verf.], die durch das Kunstwerk selbst Beschränkungen, aber nicht notwendigerweise auch Er-

Mediums von Sprache und Text, bleibt stillschweigend bzw. ohne weiter greifende Begründung aus der Methodologie und auch aus der Handlungstheorie ausgeschlossen. In den Blick gerät lediglich die im Medium von Sprache und Text sich vollziehende Verständigung über das Bild.« Die Begründung gibt Bohnsack jedoch nicht nur selbst an, Introspektion, sondern veranschaulicht dies leider auf S. 258 gerade anhand seiner eigenen Interpretation einer Photographie: Die Bildproduzenten »haben also nicht nur den Plattenbau mit seiner Geometrie als Hintergrund, sondern auch die Bodenplatten im Vordergrund als Standfläche gewählt. Dadurch dominiert die waagerecht-senkrechte Strukturierung das Gesamtfoto und verleiht ihm eine Strenge und eine rigide Ordnung. Hierin findet die Rigidität und Strenge des Familienmilieus ihren unmittelbaren Ausdruck.« 123 Friedrich Schlegel 1971 [1797-98], S. 22. 124 Vermutlich rührt daher die Neigung der Kunst, an den Beschreibungen anderer Systeme von ihr zu parasitieren und zuzulassen, dass sich Ästhetik mit der Selbstbeschreibung der Kunst verwechselt. Eine Reflexionstheorie muss das Kunstsystem nicht unbedingt besitzen. Gerhard Plumpe 1993a, S. 20, verweist bspw. auf das »Wissen der Künstler von sich selbst, ihrer Arbeit, ihren Werken [...]«. Das Medizinsystem besitzt bspw. ebenfalls keine Selbstbeschreibung, so Niklas Luhmann 1995a, S. 187. Siehe hierzu detailliert Werner Vogd 2003, S. 118. 125 Vgl. Niklas Luhmann und Peter Fuchs 1989b, S. 145. 126 Markus Koller 2007, S. 171.

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gebnisse vorgezeichnet erhält«.127 Kunstwerke sind dazu plastisch, sie bieten der Kommunikation über sie keinen großen Widerstand. Anders formuliert: »Wenn nichts zu sagen ist, muss man eben etwas erfinden.«128 Man kann das sowohl mit Offenheit als auch mit Hermetik verwechseln: Das Kunstwerk, das Gedicht zumal, wird, weil es sich nicht ausdeuten lässt,129 zur Chiffre, zum Geheimnis, das sich immer wieder der Enträtselung entzieht. Kunstwerke versuchen sich dem Verstehen zu entziehen – aber wozu sollte sich Kommunikation selbst boykottieren? Schließlich ist das Gelingen von Kommunikation unwahrscheinlich genug.130 Um Sprache und Bewusstsein zu synchronisieren, werden die sprachlichen Sequenzen hochredundant angeordnet. Wir wollen vermuten, dass eine Besonderheit der strukturellen Kopplung von Bewusstsein an Gesellschaft durch Kunstwerke in einer gewissen Vermeidung der Sequenzialität beruht, obgleich Sequenzialität freilich künstlerisches Medium sein kann. Hierfür spricht, dass Kunstwerke ihren Anschluss nicht mitkommunizieren, sie sind nie selbst als Anschlusskommunikation beobachtbar, sondern stets Initiator von Kommunikation, stets Reizangebot. Aus diesem Grund kann das Kunstsystem auch nicht ausschließlich aus dem Bezug von Kunstwerken untereinander gedacht werden, also bspw. in der Form, dass das eine Kunstwerk die Verstehensselektion eines weiteren ist.131 Für Luhmann hingegen ist das eine der Möglichkeiten, wie sich Kunst reproduzieren kann.132 Für eine operative Kopplung von Kunstwerken ist deren Sequenzialität jedoch nicht robust genug, auch die Bücher in einer Bibliothek kommunizieren nicht mitei-

127 Niklas Luhmann 1995d, S. 45. 128 Niklas Luhmann 1987d, S. 99. 129 »Wie alles in der Welt, so lassen sich auch die schweigsamsten Bilder endlos bereden«, so Gottfried Boehm 2007a, S. 19. 130 Vgl. Niklas Luhmann 2001b [1981]. 131 Reinfandt schlägt dies bspw. für ein Literatursystem vor. Folgt man Reinfandts Vorschlag, dann würde die sprachliche Kommunikation über ein Werk nicht zum Literatursystem gehören: »Eine für diese Systeme relevante kommunikative Anschlussselektion vollzieht sich nur dann, wenn auf der Grundlage von Rezeptionen [...] ein psychisches System einen neuen Text produziert, der Anlass zu systemspezifischer Kommunikation bieten kann.« Christoph Reinfandt 1997, S. 84 und S. 99. 132 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 90f. Luhmann schreibt, dass dies entweder durch Zitat oder durch Neuanfang geschehen kann – in letzteren Fall also ein Bezug durch Bezuglosigkeit.

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nander.133 Anders ist dies bspw. bei wissenschaftlichen Texten, die durch Zitate und umfangreiche Literaturverzeichnisse zeigen, dass sie andere Texte verstanden haben – oder es gar besser wissen.134 Denn wenn Kunstwerke kommunikative Anschlüsse vollziehen könnten, dann müsste es möglich sein, Kunstwerke durch andere Kunstwerke zu negieren. Ein Kunstwerk müsste dazu deutlich machen können, nicht nur in wessen Nachtrag, sondern dass die Unterscheidung von Information und Mitteilung erfolgt ist. Aber es fällt schwer, in der sozialen Umwelt ein Verhältnis zwischen Kunstwerken zu beobachten, das in diesem Aspekt der Annahme bzw. Ablehnung einer mitgeteilten Information über bloße Bezugnahmen, Koordinierungen, Stile, Formzitate oder wechselseitige Irritation hinausgeht. Es mag zwar theoretisch denkbar sein, aber es ist nicht gesellschaftlich beobachtbar – ausser durch einen Dritten, der dieses Verhältnis durch seine Beobachtung hervorbringt und unterstellt. Bei Kommunikation, die sich im Medium des Bildes vollzieht, sind diese operativen Erfordernisse hingegen eher denkbar. Es macht somit einen Unterschied, ob ein Kunstwerk als Bild beobachtet wird, oder ob ein Kunstwerk beobachtet wird, das das Medium des Bildes nutzt, so, wie ein Gedicht das Medium der Sprache für seine »Zwecke« einsetzt. Mit Bezug zur Funktionsbestimmung der Kunst kann man an dieser Stelle bereits vermuten, dass Kunstwerke die Absicht haben, dass ihre Wahrnehmung kommuniziert wird.135 Mit Kunstwerken schafft die Gesellschaft etwas, das für sie selbst ohne Sinn ist, denn sie kann weder Bilder sehen, noch Töne hören. Wir wollen Kunstwerke also vielmehr als eine soziale »Irritationsmaschinerie« zur Initiierung von Kommunikationen betrachten. Kunstwerke reizen zur Kommunikation, sie betreiben »Kommunikationsvermittlung«.136 Das Kommunikationsprovozierende der Kunst ist somit nicht ihre Provokation, sondern sie selbst. Wir greifen hierzu die Metapher »kompakt« wieder auf und fügen einen weiteren Aspekt hinzu. Die Metapher verweist auf die soziale Übertreibung der Identität des Kunstwerks.

133 Wie würde der Anschluss zwischen Performancetanz und Jazzgitarre hergestellt werden können? Es wäre, als würden alle im Seminar gleichzeitig reden: Man hört hier kurz zu, hört dann jemandem anderen zu, weiß aber nicht, an was er anschließt. Man muss also zuerst rekonstruieren, an was dieser anschließen könnte, aber in dieser Zeit ist das Gespräch schon wieder woanders. 134 Es wundert daher nicht, wenn Bilder im kunstgeschichtlichen Blick hin und wieder vor allem als eine Form von Literaturverzeichnis beobachtet werden, also in Hinblick auf Texte »übersehen« werden. 135 Vgl. Dirk Baecker 2007, S. 323. 136 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 89.

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Nur das Bewusstsein nimmt in Identitäten wahr. Man kann so weit gehen, zu formulieren, dass der Außenkontakt des Bewusstseins sich über die Imagination von Einheiten vollzieht.137 Und in diesem Zusammenhang fällt die Metapher »kompakt« auch quasi zum ersten Mal: Der Wahrnehmung ist die Welt kompakt gegeben.138 Genauer: Wahrnehmung ist Welt, nicht Wahrnehmung von oder über Welt. Wahrnehmung lässt sich mithin nicht negieren:139 Ob es einem gefällt oder nicht, das Objekt hängt dort an der Wand, man sieht es.140 Es hat keinen Sinn diese Wahrnehmung in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn man weiß, dass man halluziniert oder einer Manipulation erliegt, ändert das nichts an der Wahrnehmung selbst. Das Kunstsystem bietet, so vermuten wir, wahrnehmungsfähigen Systemen Kontrasterfahrung in Form des Erlebens an.141 Dazu verdichten Kunstwerke ihren sozialen Zusammenhang, bündeln sie selektive Aufmerksamkeit.142 Das Kunstwerk fungiert damit als hochselektiver Ordnungsaspekt der Kommunikation, jedoch nicht als Kategorie der Kommunikation. Mit dieser Fassung umgehen wir an dieser Stelle das Abdriften in eine Werktheorie, die das Kunstwerk in einem intentional hergestellten Objekt sieht.143 Medial ist die Kunst hier der Liebe ähnlich, die ebenfalls die Möglichkeit einer wahrnehmenden Erfahrung bietet, ohne diese bereits im Vorfeld fixiert zu haben. Die Erfahrung ergibt sich, oder sie bleibt aus. Kunstwerke können für diesen Zweck hergestellt sein, aber die Realität des Kunstsystems zeigt, dass dies nicht Bedingung ist. Die Kritzeleien von Kunden, die in Schreibwarengeschäften Stifte testen, finden im Alltag gewiss keine Beachtung, aber in Galerien sehr wohl, bspw. als »Works on Paper«

137 Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 64. Auf diese »Imagination hypothetischer Sinnesvorstellungen« zur Konstruktion des gedanklichen Gegenstandes weist bereits Alfred Schütz 2004 [1953], S. 155, mit Whitehead hin. 138 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 28. 139 Hierin sieht Dirk Baecker das Bezugsproblem seiner Funktionsbestimmung der Kunst. Kommunikation durch Kunst kompensiere, so Dirk Baecker 2007, S. 324, das Negationsdefizit der Wahrnehmung: Mithilfe von Kunst könne man demnach sowohl zum vermittelten Wahrnehmungsinhalt, als auch »zum Bild, zur Sonate, zum Theaterstück oder zum Roman Nein sagen [...]«. 140 Vgl. Niklas Luhmann 1998a, S. 307. 141 Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 233. 142 Vgl. Niklas Luhmann 2008a [1986], S. 147. 143 Das legt Elena Esposito 1996, S. 66, nahe: »Die Pinselstriche auf der Leinwand werden als Kunstwerke beobachtet, nur weil sie als Kunstwerke produziert worden sind, [...]«

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(2009) von Ceal Floyer. Als Kunstwerk beobachtet, lädt es zum Verweilen, zur Verzögerung des Lesens,144 zur Beobachtung seiner Beobachtung ein. Ein Kunstwerk kann auf diese Weise psychische Aufmerksamkeit binden, die dasselbe Objekt im Alltag nicht besitzen würde. Vielleicht ist Kunst sogar nur ein Finden, wo nichts ist, aber das würde in die Anthropologie führen. Die Einkaufsliste, »Monochrome Till Receipt (White)« (1999/2008), ebenfalls von Ceal Floyer, wird nicht verstanden, wenn sie nur verstanden, nur gelesen wird. Luhmann bezweifelt folgerichtig, ob der Ausdruck »lesen« für das Lesen eines Gedichts überhaupt zutrifft.145 Gleiches gilt für Musik, die man nicht hört, wenn man nur Töne hört.146 Ein Kunstwerk wird nicht an seinem Informationsgehalt gemessen und enttäuscht auch nicht, wenn es täuscht oder, bspw. als Bild, täuschen kann. Wer sich auf Kunstwerke einlässt, darf entsprechend nicht nach Informationen suchen, sondern er muss sich auf seine durch das Werk im weitesten Sinn geführte Wahrnehmung einlassen.147 Kunst versucht psychische Systeme auf besondere Weise zu engagieren. Die Beobachtung von Kunstwerken verläuft damit grundsätzlich anders, als die, ja fast schon anthropologische Ausrichtung des menschlichen Informationsverarbeitungsapparats auf die schnelle Erfassung von Informationen. Man klickt sofort auf einen anderen Link oder legt einen Text zur Seite, wenn man nicht innerhalb recht kurzer Zeit die Information erhält, die man erwartet. Bei einem Kunstwerk ist diese Ausrichtung auf Information nicht in vergleichbarer Form gegeben.148 Das Kunstwerk zögert das Verstehen der Information ins Unbestimmte hinaus. Es macht dadurch etwas erfahrbar, das im normalen Kommunikationsprozess uneinholbar ist.149 Denn auch die Kommuni-

144 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 27. 145 Vgl. ebd., Anm. 21. 146 Vgl. Peter Fuchs 1987, S. 226. 147 Gleichzeit funktioniert das Röntgenbild oder die Computertomographie nicht mehr, wenn man sie kunstmäßig beobachtet. Der Unterschied ist sozial: Das »künstlerische« Äquivalent zum Röntgenbild ist das Idol, das das Nichtanwesende in die Anwesenheit bringt – und sogar die Möglichkeit bietet, das zu sein, was es darstellt: Überkunst. 148 Obgleich das Schicksal des Romanhelden freilich interessieren muss, ansonsten legt man das Buch beiseite. 149 Vgl. Dirk Baecker 2004, S. 48: »Die Kommunikation ist mit der Wahrnehmung im Zweifel immer schnell fertig. Sie adressiert sie, macht sie zum Thema und baut sie ein die Reproduktion der Kommunikation. Aber als Adressierte und Thematisierte ist die Wahrnehmung nicht die Wahrnehmung selbst. [...] Daran erinnert die Kunst,

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kation hält sich im Gegenzug für gewöhnlich nicht lange mit der Wahrnehmung des Bewusstseins auf. Darauf weisen auch die im vorangegangenen Kapitel aufgeführten Leitdifferenzen hin, denn diese haben eines gemeinsam: sie stehen oftmals für die Bindung von psychischer Aufmerksamkeit. Das Unterhaltende oder Interessante bindet psychische Aufmerksamkeit, ansonsten schaltet man um. In der Regel wird Wahrnehmung schlicht vorausgesetzt, selbst in wissenschaftlichen Experimenten, mit entsprechenden epistemologischen Folgen. Doch bei aller Bedeutung der Wahrnehmung für die Kunst, so ist dies nur ein Aspekt – und kein erschöpfender. Inkommunikabilität dessen, was in einem Bewusstsein je vor sich geht, sei es »Liebe« oder »Ahnung« hindert nicht daran, zu versuchen, darüber zu sprechen – und sei es, dass man darüber spricht, dass man darüber nicht sprechen kann. Ein ganzes Funktionssystem hat sich quasi auf dieser Grundlage ausdifferenziert: Religion. Die Entente Cordiale zwischen Kunst und Religion scheint wesentlich darin begründet, dass die Kunst das notwendigerweise transparente religiöse Erleben durch wahrnehmbare Artefakte eintrübt,150 ganz im Sinne der historischen Ontologisierung als Zeichen einer göttlichen Ordnung. Der bedeutsame Unterschied besteht jedoch darin, dass die Inkommunikabilität am Kunstwerk, also am Reizangebot, erfolgt, durch dieses geführt wird und in der Moderne die Erwartungen der Teilnehmer nicht enttäuscht werden, wenn andere anderes Erleben kommunizieren als man selbst. Man erwartet, dass nicht gleichsinnig beobachtet wird und wenn sich dies trotzdem einstellt, dann bestätigt es bspw. den eigenen Geschmack oder die Partnerwahl. Am Kunstwerk kann eine Mehrzahl an Bewusstseinssystemen erleben, dass unterschiedlich erlebt wird. Religion hingegen besteht im Gegensatz dazu darauf, dass auf bestimmtes Erleben oder Handeln

darauf macht sie aufmerksam und dafür weckt sie nach beiden Seiten immer wieder neu Interesse.« 150 In beiden Sinnen des Wortes, was gerade auch bzgl. Sprache zu einem großen Problem für Religion werden kann. Siehe oben. Siehe zu dieser »sinnlichen Außenseite« der Religion auch folgendes Beispiel aus Schillers »Sendung Moses«: »Also darf es nicht auf Betrug – es muss auf Wahrheit gegründet seyn. Wie vereinigt er aber diese Widersprüche? Den wahren Gott kann er den Hebräern nicht verkündigen, weil sie unfähig sind ihn zu fassen; einen fabelhaften will er ihnen nicht verkündigen, weil er diese widrige Rolle verachtet. Es bleibt ihm also nichts übrig, als ihnen seinen wahren Gott auf eine fabelhafte Art zu kündigen«, so Friedrich Schiller 1970 [1790], S. 391f.

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bestimmtes Erleben oder Handeln zu folgen hat, zum Beispiel Reue.151 Dies gilt insbesondere für das religiöse Bild. Für die Organisationen des Religionssystems bedeutet es denn auch seit dem 16. Jahrhundert einen zunehmend größeren Aufwand, das individuelle Erleben des Religiösen zu lenken und noch kontrollieren zu können.152 Das Kunstwerk des ausdifferenzierten Kunstsystems überlässt es hier dem Beobachter, wie er zum Kunstwerk steht und nicht, wie er moralisch und ständisch zu stehen hat. Kunstbetrachtung fordert nicht mehr die diesbezügliche Nachahmung von Vorbildern, sondern fördert nun Differenz, bzw. Individualität, und gestattet soziale Experimente mit dieser.153 Die Kunst steht damit auch im Zusammenhang mit der Entstehung eines subjektiven Individualismus. Die Kunst wäre dann jedoch nicht entlastender Freiraum des Individuums, sondern geradezu durch Kontingenz belastet und dies um so mehr, als sich dies durchaus im Rahmen einer sozial erwünschten Kontingenzinduktion vollzieht. Während weite Teile der Gesellschaft Devianzen zu minimieren suchen, scheint die moderne Kunst ein gesellschaftlicher Bereich zu sein, der die Möglichkeit zu deviantem Beobachten überraschend sanktionsfrei zur Verfügung stellt.154 Wir vermuten, dass auch dies in Zusammenhang mit ihrer sozialen Funktion steht.

2.4 D ER

SYSTEMTHEORETISCHE

F UNKTIONSBEGRIFF

Jede anthropologische Begründung der Kunst hat damit zu kämpfen, dass man ohne Kunst leben kann.155 Die Folge daraus ist jedoch nicht, dass Kunst keinen Zweck oder keine Funktion aufweist, sondern lediglich, dass die Funktion der Kunst nicht auf individueller Ebene, sondern auf gesellschaftlicher Ebene zu finden ist. Kunst ist unverzichtbar für die Gesellschaft. Der systemtheoretische Funktionsbegriff unterscheidet sich maßgeblich von Funktionsbegriffen, die sich vorwiegend am biologischen Funktionsbegriff orientieren und die Idee der Bestandserhaltung des Organismus auf Gesellschaft übertragen. In dieser Sicht würde man formulieren, dass Systeme funktional

151 Vgl. Niklas Luhmann 2000b, S. 206. 152 Individualität wird für Religion ein zunehmendes Problem. Siehe hierzu Rudolf Schlögl 1998. 153 Vgl. Niklas Luhmann 1992c, S. 70. 154 Das Erleben von Kunst »geschieht in individuellen Akten, die sozial kaum noch kontrolliert werden [...]«, so Gunter Gebauer und Christoph Wulf 1992, S. 229. 155 Gleiches gilt für Religion. Vgl. Niklas Luhmann 1993a [1989], S. 349.

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sind, wenn sie dem Erhalt des Bestandes der Gesellschaft dienen und man könnte dann in Bezug auf diese Erhaltung eu- und dysfunktionale Einflüsse unterscheiden. Während die Biologie allerdings im Tod des Organismus einen Bezugspunkt findet, an den sie den Bestand und die wirkenden Einflüsse ausrichten kann, fehlt diese Möglichkeit im Falle der Gesellschaft und ihrer Systeme. Ein soziales System »stirbt« nicht. Welche der systemischen Strukturen nun eu- oder dysfunktional für ein System sind, das aufgrund seiner verzeitlichten Elemente in ständiger Veränderung begriffen ist, ließe sich nur über imaginäre Bezugspunkte, bspw. Soll-Zustände wie »Nation«, künstlich einschleusen. Auch die Funktion eines Funktionssystems wie Religion oder Kunst ist in der systemtheoretischen Sicht stets auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen, aber weder auf den Erhalt der Gesellschaft noch auf psychische bzw. physische Bedürfnisse. Es kann sich also auch bei der Funktion der Kunst nicht um den »Zweck« oder ihre »Wirkungen« als Beitrag für den Erhalt oder zur Reproduktion eines Systems handeln. Luhmann stellt zunächst die Sicht um. Er fragt nicht nach der Funktion von Strukturen, und wie sich diese Strukturen erhalten, sondern er setzt Bezugsprobleme, für die Strukturen funktional erscheinen. Luhmann setzt die Funktion vor den Strukturbegriff und öffnet den Funktionalismus dadurch für Evolution. Es gibt die Struktur nur, weil sie sich bereits als Lösung für ein Problem bewährt hat. Setzt man bspw. die Unversehrtheit der eigenen Wohnung als Bezugsproblem, dann sind sowohl Türschlösser als auch Moral für dieses Bezugsproblem funktional äquivalent. Setzt man die Theodizee als Bezugsproblem, dann kann man, bspw. wie Max Weber, mehrere religiöse Lösungen für dieses Problem identifizieren, bspw. messianische Eschatologie oder Karma-Lehre.156 Für bestimmte Probleme bewähren sich bestimmte Lösungen und können so zu Erwartungen kondensieren. Im Gegensatz zum klassischen Funktionalismus werden keine oberste Bezugsprobleme festgelegt, sondern im Möglichkeitsraum des operativen Kommunikationsprozesses, unter dem Zeitdruck seiner im Vergehen begriffenen Elemente, entfalten sich Problem- und Lösungskontexte. Die funktionalistische Methode ist durch und durch heuristisch; sie lässt sich auf Problemhorizonte ein, deren Lösungen nicht bereits im Vorfeld feststehen.157 Der evolutionäre Aspekt verweist darauf, dass sich das Kunstsystem nicht ausdifferenziert hat, um eine Funktion zu übernehmen, sondern dass sich Kunst als mögliche Lösung für ein gesellschaftliches Problem bewährt hat und dieses

156 Vgl. Max Weber 1980 [1922], S. 314ff. 157 Siehe Armin Nassehi 2008 für den ausgeprägten Empiriebezug des systemtheoretischen Funktionsbegriffs.

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Bezugsproblem als evolutionärer Attraktor zum historisch ungewöhnlichen Fall der Ausdifferenzierung eines Funktionssystems geführt hat. Es muss folglich ein gesellschaftliches Problem identifiziert werden, für das die Kunst eine Lösung darstellt. Daraus folgt jedoch auch, dass eine Funktion gefunden werden muss, als deren Erfüllung alle Kunstwerke und jede Kommunikation von Kunst gilt. Der Funktionsbegriff verweigert sich der Diskriminierung. Es lässt sich keine Kunst identifizieren, die die Funktion besser oder schlechter erfüllt. In Bezug auf die Funktion besteht somit kein Unterschied zwischen »You’re My Heart, You’re My Soul« (1984) von Modern Talking, Schönbergs »Moses und Aron« (ca. 1928-32, unvollendet), Cézannes »Mont Sainte-Victoire« (1882-85), Yves Kleins »IKB 191« (1962), Hölderlins »Hyperion« (1797 und 1799) und dem allwöchentlich erscheinenden »Heimat-Roman« (seit 1957). Die Funktion der Kunst erfüllt sich gattungsübergreifend, jenseits von ästhetischen Hierarchien wie »Ernsthafter Kunst« und »Unterhaltungskunst« und freilich auch jenseits von Künstlerintentionen. Man sieht an dieser Auflistung zugleich, dass die Angabe einer Funktion nicht erklären kann, welche Strukturen sich letztlich realisieren. So hat sich zwar im Wirtschaftssystem Geld in einer Form bewährt, die stückhaft ist und leicht zirkulieren kann, aber die tonnenschweren Münzen des Steingelds der Südsee zeigen anschaulich, dass Funktion und Struktur in einem kontingenten Verhältnis stehen. Die Funktion der Kunst erklärt somit weder das Vorkommen der Kunst selbst noch die einzelnen Ausprägungen ihrer Gattungen oder Werke. Funktion und Struktur stehen nicht in einem Kausalverhältnis.158 Bereits hier wird deutlich, dass die Funktionsbestimmung des Kunstsystems nicht nur abstrakt genug sein muss, um sowohl Lyrik, Musik, Theater und Performance zu übergreifen, sondern dass die Funktion der Kunst gerade nicht in einer bestimmten Erzähl- oder Darstellungstechnik bestehen kann.159 Die Funktion der Kunst »erscheint« nicht im Kunstwerk; der Inhalt hat für die Funktion des Kunstsystems keine Bedeutung.160 Nicht das, was bzw. wie das Kunstwerk darstellt, sondern dass es das als Kunstwerk leistet, im operativen Kommunikationsprozess, ist sozial und damit für das Funktionssystem von Bedeutung. Die

158 Siehe hierzu grundlegend Niklas Luhmann 1970a, S. 9ff. 159 Die Ablösung der Kunst von Religion zeigt dies gerade in der Musik. Denn obwohl Musik unterschiedliche Repräsentationsverhältnisse und -möglichkeiten als die Malerei bietet, wurde die Musik auf dem Konzil von Trient gleichermaßen als sinnlich verführerisch kritisiert. 160 Die Funktion ist unabhängig vom Inhalt des Kunstwerks. Die kunstsoziologische Tradition, das Bedeutende der Kunst zufälligerweise in den eigenen Kunstvorlieben zu erblicken, ist mit der Systemtheorie ausgeschlossen.

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Aufmerksamkeit gilt der Weise, wie das Kunstwerk – als Kunstwerk – kommunikativ eingebunden wird. Und nur dies lässt sich empirisch, in der konkreten Situation, beobachten. Dass es Unterschiede gibt, mediale, zeitliche, soziale etc. pp. wird dadurch nicht bestritten, diese vollziehen sich jedoch bspw. auf der Ebene der Programme, nicht auf der Ebene der Funktion. Es geht im Folgenden also nicht darum, das Kunstwerk als Niederschlag gesellschaftlicher Erfordernisse, als Lösung für ihm übergeordnete, oberste Bezugsprobleme zu betrachten. Das Bezugsproblem des Funktionssystems provoziert das Kunstwerk, im Sinne eines Angebots möglicher Erwartungszusammenhänge, produziert es jedoch nicht. Gerade weil es kein übergeordnetes Bezugsproblem gibt, keine sozialen Erfordernisse, die sich im Handeln niederschlagen müssen, kann es auch keine Dysfunktion geben. Was sich kommunikativ in der Praxis bewährt, im Kommunikationsprozess beobachtbar wird, ist die Einschränkung von Kontingenz. Die Systemtheorie visibilisiert diese Kontingenz gerade, da sie auf oberste Bezugsprobleme verzichtet. Doch auch für die Funktionsbestimmung der Kunst gilt, was bereits an der Codierung des Kunstsystems deutlich geworden ist: Man ist sich nicht einig. Der systemtheoretische Funktionsbegriff schränkt jedoch die möglichen Funktionsbestimmungen wesentlich ein, da stets ein gesellschaftliches Bezugsproblem mitgeführt werden muss, für das Kunst als mögliche Lösung funktional erscheint.

2.5 S YSTEMTHEORETISCHE F UNKTIONSBESTIMMUNGEN DER K UNST Die Marginalisierung der Kunst ist abendländische Tradition, ihre Überhöhung ebenso. Platon reduziert die Kunst auf Erscheinungen von Erscheinungen und Kant zu einem Zweck ohne Zweck. Während andererseits diejenigen, die die Kunst, insbesondere ihre Bilder, ernst nahmen, entweder zum Ikonoklasmus strebten oder ihr eine Kompensationskompetenz zusprachen, sei es als apollinisch-dionysischer Kompromiss oder als Linderin der individuellen Entfremdung. Insbesondere Letzteres prägt bis heute den Diskurs. So besteht für Siegfried J. Schmidt die Funktion der Literatur in der Therapierung von Differenzierungsschäden: »Die Funktion für die Gesamtgesellschaft liegt in der [...] Aufhebung der durch soziale Differenzierung bedingten Entfremdung aller Subjekte in der kommunikativen Behandlung von Lebenswelt und Kultur.«161 Das Literatur-

161 Siegfried J. Schmidt 1989, S. 422f.

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system versuche demnach, die Auswirkungen des gesellschaftlichen Prozesses, dessen Teil es ist, für die Individuen zu kompensieren. Plumpe und Werber sehen das Bezugsproblem des Literatursystems hingegen in der überschüssigen Zeit, die mit der Umstellung auf funktionale Differenzierung auf den Plan trat und die durch Unterhaltung gelindert werden müsse: »Mittels ›interessanter Werke‹ erfüllt das moderne Kunstsystem die Funktion der ›Unterhaltung‹, die sich im Zuge der Entstehung ›freier‹ Zeit aus der alteuropäischen Funktionseinheit des ›prodesse et delectare‹ ausdifferenzierte.«162 Freizeit ist jedoch als Residue der Arbeitszeit ein seit der Antike bekanntes Phänomen bestimmter Sozialstrukturen. Das »immer drängendere Problem der freien Zeit«163 verweist im 18. Jahrhundert somit bestenfalls auf ein Schichtenproblem, im Grunde jedoch nur auf ein individuelles Problem, nicht aber ein gesamtgesellschaftliches.164 Die Geschichte des Romans außerhalb des Angelsächsischen, bspw. in Frankreich und Spanien, zeigt darüber hinaus deutlich, dass der moderne Roman, auf Unterhaltung reduziert, sich weder gegen die heftige klerikale – und damit moralische – Ablehnung des Romans noch gegen die ständische Verfasstheit hätte durchzusetzen können.165 Davon zeugt bereits das Legitimationsdefizit des Romans und infolgedessen die zunehmende Häufigkeit romantheoretischer Vorworte im 17. Jahrhundert, die sowohl Realitätsverhältnis, moralischen Nutzen und Unterhaltung zusammenzudenken versuchten: »Bloße Unterhaltung gilt als unmoralische Zeitvergeudung«.166 Dass das Realitätsverhältnis des Romans Schwierigkeiten für den moralischen Nutzen mit sich bringen und sich der Roman in dieser Folge auf Unterhaltung konzentrieren wird, ist einem Wandel des Realitätsverhältnisses nachgeordnet, die Unterhaltungsleistung mithin Möglichkeit eines bereits ausdifferenzierten Kunstsystems. Das heißt: Als Leistung der modernen Kunst für das Erziehungssystem oder unterforderte Psychen bleiben diese Aspekte bis heute erhalten, aber sie sind nicht die Funktion der Kunst. Der beachtenswerte Vorteil der Funktionsbestimmung von Gerhard Plumpe und Niels Werber ist allerdings, dass sie als »Unterhaltung« die Unterscheidung zwi-

162 Gerhard Plumpe 1993a, S. 22. Siehe hierzu auch Niels Werber 1992, S. 64, und Gerhard Plumpe 1995, S. 113. 163 Niels Werber 1992, S. 64. 164 Zu einem Massenphänomen mit eventuell gesamtgesellschaftlicher Relevanz wurde Freizeit hingegen erst im 20. Jahrhundert. Vgl. Wolfgang Nahrstedt 1972, S. 46. 165 Vgl. bzgl. Frankreich Werner Krauss 1964, S. 68ff., bzgl. Spanien Hans Ulrich Gumbrecht 1983, S. 251. 166 Ansgar Thiele 2007, S. 63.

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schen hoher und niedriger Kunst übergreift und damit einen normativen Kunstbegriff vermeidet. Einen für die Belange dieser Arbeit interessanten Ansatz verfolgt Oliver Sill. Auch Oliver Sill bemerkt in Luhmanns Kunsttheorie das ambivalente Verhältnis der Kunst zum Fiktiven. Um dies genauer zu erarbeiten, importiert Oliver Sill Wolfgang Isers Theorie des Fiktiven als Triade von Realem, Imaginärem und Fiktivem in die Systemtheorie.167 Das Fiktive beziehe sich, so Sill mit Iser, auf Verluste und Defizite, das Abgewiesene.168 Auf die Systemtheorie gewendet beschreibt Sill, dass sich das Imaginäre aus der Differenz von Individuum und Individualität speise. So sieht er in der Geltendmachung der verschütteten Ansprüche des Individuums denn auch den Ursprung der Literatur der Moderne.169 Leider entkernt Sill dabei aufgrund literaturwissenschaftlicher Bedenken und »Unverzichtbarkeitsnachweisen«170 die Systemtheorie um genau die Konzepte, die die Systemtheorie unter anderem von der Literaturwissenschaft unterscheiden.171 Die Funktion der Kunst kann im Theorierahmen der Systemtheorie nicht in der Leistung für Bewusstseinssysteme enden, sondern muss funktional für die Gesellschaft sein. Das macht es schwierig, die Funktion der Kunst als kompensierend in Bezug auf das Individuum, das Bewusstsein oder Wahrnehmung zu fassen. Dies findet in unterschiedlichen Formen gewiss statt, es ließe sich jedoch

167 Vgl. Oliver Sill 2001, S. 133ff. Siehe auch Wolfgang Iser 1983, S. 121. 168 Bereits Hans Ulrich Gumbrecht 1987, S. 137, hat auf Ähnlichkeiten in den Funktionsbestimmungen der Kunst bei Iser und Luhmann hingewiesen und zitiert hierzu Iser: »Nun sind [...] alle Ordnungsformen unserer Welt bestimmte Problemlösungen, die auch dann noch Problemüberhänge hinterlassen, wenn sie erfolgreich sind. Literatur bezieht sich auf solche Hinterlassenschaften, die Aussparungen, Defizite, Verluste, Vernichtungen, aber auch verschenkte Möglichkeiten sein können. So gilt Literatur vornehmlich dem, was in unserer durch Institutionen stabilisierten Welt abgewiesen ist.« Der Vergleich mit Niklas Luhmann 1990c, S. 39, zeigt die Ähnlichkeit deutlich an: »Es handelt sich [...] um einen Überschuss an Kopplungsmöglichkeiten, die durch jede bestimmte Form sowohl reproduziert als auch in den Status des Zurückgestellten, Verdrängten, Vergessenen versetzt werden. Gerade die moderne Kunst widmet sich der Reaktivierung dieser ausgeschalteten Möglichkeiten, [...]« Harry Lehmann 2006, S. 81, wiederum dient dieses Zitat dazu, Adorno für die Systemtheorie fruchtbar zu machen. 169 Vgl. Oliver Sill 2001, S. 141. 170 Hans Ulrich Gumbrecht 1987, S. 138 und ff. 171 Siehe bzgl. des Codes Oliver Sill 2001, S. 124 und S. 156, bzgl. des Kommunikationsbegriffs S. 158ff.

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nur als Leistung der Kunst für andere Systeme beschreiben. Weitere Funktionsvorschläge setzen entsprechend an gesellschaftlichen Problemstellungen an. Holl beschreibt die Funktion der Kunst bspw. im Zusammenhang mit dem »kreativen Umgang mit den Grundsatzproblemen der Gesellschaft«.172 »Kommentare und Illusionsdurchbrechungen, die erkenntniskritische Momente enthalten, sind damit besonders auffällige und konsequente Ausprägungen dieser Funktion.«173 Stefan Hofer sieht in der Kunst eine Art Gesellschaftsberatung, »die in ihren Vorschlägen und Alternativkommunikationen soweit geht, sogar die Verfassung der Gesellschaft in Frage zu stellen – ohne sich freilich aus dieser Verfassung lösen oder realisierbare Alternativen anbieten zu können.«174 Harry Lehmann wiederum findet die Funktion der Kunst in der »Provokation neuer gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen«.175 Die Kunst »wendet sich damit auch kritisch gegen das Bild, das sich die Gesellschaft bislang von sich selbst machte und an dem sie sich aktuell orientiert.«176 Die Kunst steht in diesen Funktionsbestimmungen im Zusammenhang mit sozialen Alternativen, mit sozial Vergessenem oder sozial Verdrängtem. Auch Luhmann spricht das sozial Verdrängte zwar direkt als »Reaktivierung [...] ausgeschaltete[r] Möglichkeiten«177 an, verfolgt dies jedoch nicht weiter. Der Sachverhalt dient ihm lediglich dazu darauf hinzuweisen, dass die Kunst keinen privilegierten Zugang zur Gesellschaft besäße. Die Frage wäre also, auf welche Weise Kunst es erreichen könnte, unter diesem Problembezug die vorfindliche Welt thematisieren zu können, wenn ihre Differenzleistung nur eine selbstbezügliche ist und gerade keine, die es ohne Weiteres gestatten würde, die Gesellschaft von Außen zu betrachten. Luhmanns eigene Funktionsbestimmung ist den vorangegangenen Bestimmungen gegenüber wesentlich abstrakter und zeigt abermals eine seltsame Ähnlichkeit zu Adorno. Während Adorno die Funktion der Kunst darin sah, »Chaos in die Ordnung« zu bringen,178 sieht Luhmann die Funktion der Kunst darin, vereinfacht gesagt, »Ordnung ins Chaos« zu bringen. Denn das grundsätzlich von Gesellschaft zu lösende Problem ist Kontingenz bzw. Komplexität und mithin die Unwahrscheinlichkeit von Ordnung. Die Funktion der Kunst bestehe, so

172 Mirjam-Kerstin Holl 2003, S. 326. 173 Ebd. 174 Stefan Hofer 2007, S. 219. 175 Harry Lehmann 2006, S. 10. 176 Ebd., siehe auch S. 80f. 177 Niklas Luhmann 1990c, S. 39. 178 Vgl. Theodor W. Adorno 1980 [1950], S. 298.

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Luhmann, »im Nachweis von Ordnungszwängen im Bereich des nur Möglichen«,179 bzw. in einer älteren Formulierung: »[...] dass im Bereich des Möglichen Ordnung möglich ist.«180 Indem das Kunstsystem die Kontingenzbewältigung auf sich nehme und dadurch ihre gesellschaftliche Umwelt entlaste, zeige es, »auf was die Gesellschaft sich eingelassen hatte, als sie Funktionssysteme ausdifferenzierte und sie damit einer autonomen Selbstregulierung überließ. [...] Die Kunst zeigt in der Form des Leidens an sich selbst, dass es so ist, wie es ist.«181 Das Kunstsystem wird quasi zum Märtyrer der funktional differenzierten Gesellschaft. Luhmann sieht die Funktion der Kunst damit allerdings in erster Linie in Bezug zu einem Problem, das sich nur innerhalb der Systemtheorie, als Lösung eines selbst verursachten Problems stellt.182 Fraglich ist darüber hinaus, inwiefern Luhmans Code-Vorschlag »schön/hässlich« als Übersetzung dieses Funktionsaspekts verstanden werden könnte. Selbst in der entleerten Fassung als »stimmig/nicht stimmig« gelingt dies kaum: So schreibt Luhmann in seinem Versuch, Code und Funktion aufeinander zu beziehen, die Funktion der Kunst sei, »das Mögliche auf Stimmigkeit der Formkombinationen hin« zu beobachten.183 Während das Kunstwerk den Formenkalkül konfirmiert, bestätigt die Funktionsbestimmung der Kunst gewissermaßen die Systemtheorie. Luhmanns Funktionsbestimmung ist dadurch zu unspezifisch, als dass die Besonderheit der Kontingenzbewältigung durch Kunst deutlich werden könnte.184 Auch Niels Werber gibt zu bedenken: »Kunst ist Ordnung im Bereich des nur Möglichen, geformte Kontingenz. Ist dies aber exklusiv genug?«185 Bestenfalls ist Luhmanns Funktionsbestimmung für die moderne Kunst geeignet. Urs Stäheli merkt diesbezüglich an, dass das Kunstsystem nach Luhmann dann wohl erst nachträglich zu seiner Funktion gelangt sei.186

179 Niklas Luhmann 1995d, S. 238. 180 Niklas Luhmann 1990c, S. 38. 181 Niklas Luhmann 1995d, S. 499. 182 Siehe hierzu auch Markus Koller 2007, S. 153. 183 Niklas Luhmann 1995d, S. 241. 184 Siehe hierzu auch Gerhard Plumpe und Niels Werber 1993, S. 27f. 185 Niels Werber 1996, S. 171. 186 Vgl. Urs Stäheli 1996, S. 635.

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2.6 D AS I MAGINÄRE

DES

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Wenn die Operationen eines Systems zunehmend enttäuscht werden, sich bspw. die These eines Funktionssystems für Schönes, für Stimmiges, für Entlastungssubstitute, im rekursiven Zusammenhang der wissenschaftlichen Operationen nicht kondensieren lässt, dann bietet es sich an, die Irritationsfähigkeit zu erhöhen – hierin liegt der Vorteil einer selbstreferenzaffirmativen Sozialtheorie. Damit ist bereits ausgeschlossen, dass es um den Versuch einer »besseren« oder »adäquateren« »Repräsentation« der Kunst im Wissenschaftssystem geht, sondern um die Erhöhung des systemischen Auflöse- und Rekombinationsvermögens. Mit anderen Worten: Wissenschaft soll und will sich überholen. Diese Einsicht in das Wirken der Wissenschaft hat die Systemtheorie wie kaum eine andere Gesellschaftstheorie in sich aufgenommen, kann die Systemtheorie doch »nur nach Maßgabe ihrer eigenen Problemstellung verbessert werden, gegebenenfalls auch durch eine Neubeschreibung ihrer Problemstellung mithilfe anderer Metaphorik, mithilfe anderer Leitunterscheidungen.«187 Dies erfolgt im Folgenden nun nicht, indem auf eine Subtheorie gesetzt wird, sondern durch einen Ausbau dessen, was Luhmann bereits vorbereitet hat. Denn Luhmann hat, so die These, eine zweite, parallel zur Werkästhetik verlaufende Kunsttheorie in seinem Werk angelegt. Diese »zweite« Kunsttheorie gewinnt ihre Eigenständigkeit daraus, dass sie, wie es sich bereits angedeutet hat, über den Kommunikationsbegriff und die Medium/Form-Unterscheidung aufgespannt wird. An die Stelle der Negierung des Intentionalen rücken so bspw. die »intentional erzeugten Beobachtungsverhältnisse«.188 Und in diesem Zusammenhang des Beobachtetwerdenwollens bemerkt Luhmann interessanterweise: »Ungeachtet aller Unterschiede der konkreten Materialisationen, ungeachtet aller Unterschiede der Wahrnehmungsmedien und damit: der Kunstarten liegt etwas Gemeinsames im Aufbau neuer Medium/Formverhältnisse, die auf das Beobachtetwerden zielen und nur verständlich werden, wenn man das versteht. Die Einheit der Kunst besteht in dieser Produktion für Beobachtung, in dieser Beobachtung für Beobachtung [...]«189

Zunächst wundert es, dass Luhmann hier von der »Einheit der Kunst« spricht, denn die Einheit eines Systems wird durch seinen binären Code definiert. Das kann hier kaum gemeint sein. Interessanter ist die Beschreibung der Operativität

187 Niklas Luhmann 2000c, S. 474. 188 Niklas Luhmann 1995d, S. 188. 189 Ebd. Siehe bspw. auch Niklas Luhmann 1992d, S. 68.

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des Systems, nämlich als Produktion für Beobachtung. Das muss spezifiziert werden, denn Kunstwerke müssen nicht exklusiv für diesen Zweck der »Beobachtung für Beobachtung« hergestellt worden sein, es sind gerade keine »besondere Art von Objekten«.190 Sei das Artefakt nun hergestellt oder gefunden, in der Kunst ist es kaum einfach nur da, sondern dort, um die Aufmerksamkeit eines Beobachters auf sich zu ziehen. Der Unterschied zu anderem Artefakten ist mithin nicht ontisch, sondern sozial: Man kann etwas »als Kunstwerk bezeichnen und gewinnt dadurch eine eindeutige Unterscheidung, mit der man weiterarbeiten kann. Das kann das Ende, aber auch der Anfang einer Kommunikation sein [...].«191 Dieser Aspekt soll im Folgenden im Zentrum stehen, denn was Luhmann hier beschreibt, ist etwas anderes, als seine werkästhetische Beschreibung des Kunstwerks als Formenkombination.192 Luhmanns soziologische Kunsttheorie führt weiter. Alles, was sich in die Wahrnehmung bringen kann, kann soziale Folgen, nämlich Kommunikation, nach sich ziehen. Geschieht dies anhand von Kunstwerken im ausdifferenzierten Kunstsystem, dann mit dem Effekt der Verdopplung der Realität. Dazu setzt die Kunst auf eine besondere Differenz, die vorläufig als imaginär/real gefasst werden kann: »Die imaginäre Welt der Kunst [...] bietet eine Position, von der aus etwas anderes als Realität bestimmt werden kann.«193 Weltverdopplung leisten auch die negationsfähige Sprache und auch die Religion – gerade die Fiktionen der Religion scheinen den Fiktionen der Kunst in diesem Sinne durchaus funktional äquivalent zu sein. Nicht ohne Grund beschreibt bereits Kierkegaard das luhmannsche Bezugsproblem der Kunst – mit dem Unterschied, dass es bei Kierkegaard die Religion ist, die für dieses Pro-

190 Elena Esposito 1996, S. 63, sieht dies anders: »[...] die Kunstkommunikation funktioniert durch die Schaffung von einer besonderen Art von Objekten. [...] Der Umstand des Hergestelltseins ist entscheidend.« Siehe auch S. 62 und S. 77: »Die Pinselstriche auf der Leinwand werden als Kunstwerke beobachtet, nur weil sie als Kunstwerke produziert worden sind, [...]« 191 Niklas Luhmann 1995d, S. 63. 192 Zur Erinnerung, ebd.: »Zum Kunstwerk wird ein Objekt dadurch, dass die Formen, die es intern verwendet, die Möglichkeiten der jeweils anderen Seite einschränken. [...] die Qualifizierung als Kunstwerk erhält ein Werk erst dadurch, dass es Einschränkungen zur Erhöhung der Freiheitsgrade für die Disposition über weitere Einschränkungen verwendet.« 193 Ebd., S. 229.

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blem eine Lösung bietet.194 Den Unterschied zwischen den Fiktionen der Religion und den Fiktionen der Kunst fasst Luhmann nun folgendermaßen: »Aber die Kunst fügt diesem Umweg zur Realität über die Imagination einen neuen Aspekt hinzu [Herv. d. Verf.], und dies durch Realisation im Bereich wahrnehmbarer Objekte.«195 Kunst verläuft somit über ein besonderes Irritationsverhältnis mit dem Bewusstsein,196 das sich aber nicht auf die Kommunikation des bloßen Wahrnehmens eines Artefakts beschränken kann. Wir wollen mit dieser Betonung das Kunstwerk auch aus einer Betrachtung ziehen, die es als bereits durch seine wahrgenommene Anwesenheit informativ versteht. Man kann hier mit Belting hinzufügen: »Ohne Blick (ohne unser Bewusstsein) wären die Bilder etwas anderes oder gar nichts.«197 Es kann der Kunst als gesellschaftliches Funktionssystem folglich nicht nur darum gehen, die sozial unzugängliche und vor allem sozial bedeutungslose Wahrnehmung eines Bewusstseins in den Kommunikationszusammenhang der Gesellschaft zu ziehen.198 Doch nicht nur Wahrnehmung, sondern auch Imagination hebt Luhmann als für die Kommunikation unerreichbar hervor.199 Freilich kann sich Kommunikation trotzdem auf psychisch Imaginiertes beziehen – und darum geht es der Kunst. Ob das psychische Erleben, die Faszination der Fremdreferenz, dann bspw. mit Religion oder mit Kunst in Verbindung gebracht wird, muss dazu zunächst sozial offen gelassen werden – und damit auch, ob das Bewusstsein nur so tut, als ob.

194 Søren Kierkegaard 1849, S. 32ff. Man könnte in diesem Zusammenhang annehmen, dass der soziale Ursprung der Kunst nicht etwa im formtheoretisch gefassten Ornament liegt, wie Niklas Luhmann 1995d, S. 349f., vermutet, sondern im Ritual. Als bekanntestes Beispiel dürfte die Entstehung der griechischen Tragödie aus den rituellen Handlungen zu Ehren Dionysos gelten. Siehe hierzu Bruno Snell 1975, S. 21ff. Siehe zur Einheit von Kunst und Religion im Ritual allgemein René Girard 1994, S. 69ff. 195 Niklas Luhmann 1995d, S. 230. 196 Nach Dirk Baecker 2001, S. 89, geht es der Kunst gerade auch um diese »Experimente mit der Form der Gesellschaft, der Kopplung zwischen sozialen Systemen und psychischen Systemen in der Umwelt der Gesellschaft«. 197 Hans Belting 2000, S. 7. Für Belting steht hier allerdings nicht die »Produktivkraft« der Imagination im Vordergrund, sondern die Differenz zwischen »inneren« und »äußeren« Bildern, die im Beobachter ihren Ursprung haben. 198 Die Kommunikation von Wahrnehmung findet auch statt, wenn das Essen versalzen ist und man dies mitteilt. Im Gegensatz zum Koch fühlt sich die Gesellschaft danach jedoch nicht gekränkt, da derlei für sie bedeutungslos ist. 199 Niklas Luhmann 1990a, S. 20.

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Das Eigentümliche der Kommunikation der Kunst ist nicht, dass sie durch Artefakte und damit Wahrgenommenwerden »hindurch« muss,200 sondern »durch« die Imagination.201 Ohne Bewusstseinsphänomen zu sein, gewinnt Kunst, hierin der Religion vergleichbar, durch Externalisierung des Erlebens in Form spezifischen kommunikativen Anschlusses soziale Realität.202 Das psychische Erleben imaginärer sozialer Realität ist so grundsätzlich für Kunst, dass Luhmann dazu schreibt: »Keine Modifikation kann an diesem Grundsachverhalt etwas ändern.«203 Wenn Kafka bspw. in »Die Verwandlung« schreibt: »Trotz aller Not konnte er bei diesem Gedanken ein Lächeln nicht unterdrücken«,204 kann man entweder darauf hinweisen, dass Käfer nicht lächeln können oder sich auf die moderne, hochindividualisierte Imagination einlassen und eventuell versuchen, das Erlebte sozial mitzuteilen. Für Kunstwerke gilt insofern, was Luhmann bereits für Sprachartefakte festgestellt hat: »Die wahrnehmbaren Sprachartefakte müssen nicht nur faszinieren, sie müssen auch auf eine noch kontrollierbare Weise Imagination anregen können. [...] Das, was als Sprache wahrnehmbar wird, muss Imagination freigeben (so dass nicht bei jedem Wort, das man hört oder liest, nur genau ein Bild erzeugt wird); aber sie müssen dies auf eine hinreichend kontrollierte, Konsistenzprüfungen ausgesetzte, gedächtnisfähige Weise tun.«205

Sprache stellt »mit jedem Wort eine spezifizierte Imagination zur Verfügung«.206 Nur so wird soziale Negation psychisch möglich. Die Schwierigkeit der Negation eines Kunstwerks begründet sich mithin auch darin, dass sie nur unspezifizierte, diffuse und deshalb hochindividualisierte Imagination zur Verfügung stel-

200 Hierin sieht Dirk Baecker 2004, S. 46f., den Funktionsbezug der Kunst: »Die Kunst erfüllt in der Gesellschaft die Funktion, die Wahrnehmungsfähigkeit jener Bewusstseinssysteme zu adressieren, die, so wiederum das Postulat der soziologischen Systemtheorie, Umwelt der sozialen Systeme, also auch Umwelt des sozialen Systems der Kunst sind. [...] Sie [die Kunst, d. Verf.] erlaubt es dem Bewusstsein, sich an Kommunikationen zu beteiligen, die ihm Wahrnehmungen ermöglichen, in denen es die eigene Differenz gegenüber jeder Kommunikation erfahren kann.« 201 Vergleiche dies mit Niklas Luhmann 1998a, S. 307, sowie der Anmerkung 208. 202 Vgl. Niklas Luhmann 2000b, S. 114. 203 Niklas Luhmann 1995d, S. 93. 204 Franz Kafka 1994 [1915], S. 60. Das Beispiel stammt aus anderen Zusammenhängen bei Peter Fuchs 2001, S. 69 Anmerkung 184. 205 Niklas Luhmann 1990a, S. 49. 206 Ebd.

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len kann und genau in dieser Eigenschaft ihr bereits angesprochener, sprachvermeidender Vorteil besteht. Man kann demnach vermuten, dass das Imaginäre der Kommunikation über Kunstwerke zur Realität des Kunstwerks selbst gehört. Man könnte nun etwas phänomenologisch nachfragen: Was muss erlebt werden, um vom Erlebten im kommunikativen Anschluss behaupten zu können, es sei Kunst gewesen? Etwas, das sich über die Wahrnehmung an die psychische Imagination von sozialem Imaginärem wendet.207 Kunstwerken geht es nicht nur um die Freigabe, sondern um die Evozierung von Imaginationen anhand von Wahrnehmungen. Und das muss man mitsehen, also unterstellen, also als Kunstwerk beobachten, ansonsten hat man nur Tracey Emins benutztes Bett vor sich und nicht »My Bed« (1999). Der Kontext der Galerie, Medienkompetenzen oder ein schlichter kommunikativer Hinweis triggert die spezifische Beobachtung und damit das Erleben der Imagination.208 Anders formuliert: Man kann Wahrnehmung und Wahrnehmung von Mitteilungsverhalten unterscheiden, denn Letzteres führt zur Teilnahme an Kommunikation.209 In diesem Fall bietet das Kunstsystem den Rahmen, diese Imaginationen, prinzipiell Inkommunikables, kommunikativ zu thematisieren: als Kunst. Der alternative Codevorschlag für das Kunstsystem, von dem im Folgenden ausgegangen wird, lässt sich nun wesentlich genauer fassen, als »imaginäre Realität/reale Realität«.210 Mithilfe des Codes imaginäre Realität/reale Realität spaltet die Kunst Welt: »Indem der realen Realität eine fiktionale gegenübergestellt wird, erzeugt die Kunst auf beiden Seiten ihrer Form einen Zustand, der vorher nicht da war oder jedenfalls nicht beobachtet werden konnte. Die reale Realität wird zum normalen Alltag, zum Bereich der vertrauten Erwartungen. Die fiktionale Realität wird zum Bereich der Reflexion anderer (unvertrauter, überraschender, nur artifiziell zu gewinnender) Ordnungsmöglichkeiten.«211

Indem also das Kunstsystem Realität spezifisch verdoppelt, bspw. mithilfe von Kommunikationen, die sich an literarische Fiktionen, Tropfenbildern oder Körperbewegungen koppeln, ermöglicht das Kunstsystem die Simulation eines so-

207 Vgl. Niklas Luhmann 1990c, S. 15. 208 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 115f. 209 Vgl. Niklas Luhmann 1995i, S. 195. 210 Eine in diese Richtung gehende, wenngleich stark am modernen Werkbegriff orientierte Überlegung stammt von Elena Esposito 1996, S. 66: »Die Kunst gründet ihre Funktion gerade auf dieser Verdoppelung der Welt durch die Unterscheidung real/ fiktional.« 211 Niklas Luhmann 1990c, S. 13.

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zialen Beobachterstandpunkts, der über die imaginäre Realität reale Realität beobachtet. Die reale Realität ist jedoch nur die andere Seite dieser Unterscheidung. Die Möglichkeiten der Kunst zur Gesellschaftskritik sind entsprechend beschränkt, weil das, auf das sie sich als Unterscheidung bezieht, nicht die Gesellschaft als Ganze ist, sondern nur die andere Seite dessen, von dem sie sich unterschieden hat. Gerade »kritische Kunst« ist durch und durch nachahmende Kunst, denn sie muss Wirklichkeit nachahmen, um diese überfließen zu können. Ein Kunstwerk kann zwar eine bestimmte Programmierung dieser imaginären Realität nahelegen, bspw. mit den Programmen der Romantik oder des Expressionismus, aber nicht darauf festgelegt werden. Wie ein Beobachter die Differenz programmiert, bspw. ob er kritisch, affirmativ, oder moralisch ablehnend anschließt, bleibt notwendigerweise ihm selbst überlassen. Auch ein Historiengemälde kann auf diese Weise als Kunst beobachtet werden, selbst wenn die Programme, die seine Beobachtung sicher historisch nahegelegt haben, nicht mehr verwendet werden: »Die Kunst legt als Kunst dies nicht fest. Das kann bedeuten, dass die Differenz [von imaginärer und realer Realität (sic!), d. Verf.] die Funktion hat, zu irritieren, ohne damit einen bestimmten Informationsgewinn vorzuschreiben.«212 Die strukturelle Kopplung der Gesellschaft an Bewusstsein durch Kunstwerke, bzw. Kompaktkommunikationen, führt dadurch einen hohen und, so die Vermutung, vorteilhaften Unsicherheitsfaktor mit sich. Obwohl Luhmann häufig von »Fiktion« spricht, wird im Folgenden das »Imaginäre« vorgezogen. Luhmann verwendet Fiktion und Imagination zumeist synonym, so spricht er sowohl von »fiktiver Realität«213 als auch von »imaginärer Realität«214 als Gegenbegriff zu »realer Realität«. Teilweise verwendet er die Begriffe sogar widersprüchlich,215 so dass eine Begriffsdefinition klarere Verhältnisse schaffen kann. Ohne dass an dieser Stelle die historische Belastung der Begriffe berücksichtigt werden kann, soll das Imaginäre die Kommunikation dessen bezeichnen, was sich ein Bewusstsein dank seiner Einbildungskraft als Imagination und als Erleben derselben zurechnet. Die Betonung liegt dabei weniger auf der imaginatio, also auf der Fähigkeit, die Welt bebildernd in sich hineinzunehmen, als auf der systemischen (psychischen) Erhöhung der Irritations-

212 Niklas Luhmann 1995c, S. 99. 213 Niklas Luhmann 1995d, S. 240, Niklas Luhmann 1990c, S. 13. 214 Niklas Luhmann 1995d, S. 230f., Niklas Luhmann 1995c, S. 98. 215 Vergleiche Niklas Luhmann 1995d, S. 93, mit S. 16.

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fähigkeit in Form von Sinnüberschüssen.216 Für Luhmann ist diese Einbildungskraft denn auch nicht ohne Grund tiefer angelegt als Wahrnehmung selbst: Wahrnehmung ist lediglich die »Imaginierung eines Außenverhältnisses«.217 Das bedeutet jedoch in der Folge, dass Einbildungskraft Überschüsse erzeugt, die die Reproduktionsfähigkeit eines Bewusstseins in komplexen Umweltverhältnissen zwar erhöhen, gleichzeitig jedoch auch sozial ko-produzierte Strukturen als Formgebungshilfe zur Bewältigung dieser internen (psychischen) Unbestimmtheit notwendig machen.218 Bevor unter den hier angerissenen Gesichtspunkten näher auf die Kunst eingegangen werden kann, müssen zunächst zwei Problemfelder erörtert werden, die häufig Missverständnisse produzieren: das Fiktive und ein normativer Kunstbegriff.

2.7 O PERATIVE F IKTIONEN Die besprochene Begriffswahl soll auch kenntlich machen, dass versucht wird, den Begriff »Fiktion« eher zu vermeiden. Die Kunst stellt nicht das Fiktive gegen das Reale. Gerade bzgl. der Differenz von imaginärer Realität und realer Realität wird leider oftmals auf beiden Seiten die Realität »weggekürzt«; doch die Differenz imaginäre Realität/reale Realität unterscheidet etwas anderes, als die Differenz fiktiv/real. Hintergrund dieser Praktik bildet die traditionelle, ästhetische Legitimation des Kunstwerks aus seinem Verhältnis zur Realität. In der Fiktivität das Merkmal für Literatur bzw. Kunst zu sehen,219 führt aus systemtheoretischer Sicht in eine Sackgasse, wie jeder Versuch, Kunstwerke anhand

216 Insofern wäre der Begriff eher an Aristoteles’ Phantasie orientiert, zum Beispiel in Hinsicht auf Bewegungsphantasien und der Kopplung an körperliche Strukturmomente. 217 Niklas Luhmann 1990a, S. 36. Siehe zur Imagination von Wahrnehmung Niklas Luhmann 1995d, S. 16 und S. 28. In dieser Sicht kann man mit Belting hinzufügen, dass das Bewusstsein der Ort der Bilder ist. Vgl. Hans Belting 1998, S. 34. Wir wollen allerdings offen lassen, ob dieser Ort, bspw. mit Blumenberg, anthropologisch oder, mit Heidegger, historisch aufzufassen ist. 218 Das Bewusstsein zeigt hier eine Ähnlichkeit zum unmarked space auf, wenn man mit Edmund Husserl 1980, S. 535, vermutet: »Das Eigene der Phantasie ist ihre Beliebigkeit. Und daher ideal gesprochen ihre unbedingte Willkürlichkeit.« 219 Siehe Oliver Sill 2001, S. 193, S. 213 und S. 220. Siehe S. 106 für seine Verwechslung der hier angesprochenen erkenntnistheoretischen Ebene.

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von Ästhetik bzw. Literatur anhand von Textmerkmalen zu bestimmen. 220 Es soll dennoch kurz darauf eingegangen werden, da Luhmann und andere Systemtheoretiker teilweise selbst der Fiktionalität als Kennzeichen der Kunst erliegen.221 In Bezug auf Kunst lässt sich feststellen, dass »Das Schwarze Quadrat« (1915) von Malewitsch weder fiktiv ist, noch eine fiktionale Welt erschafft. Es ist jedoch auch keine Antifiktion, die sich gegen das Fiktive definiert, weil Wirklichkeit selbst zur Fiktur geworden wäre. Auch die surrealistische Provokation, die in Kapitel 1.1 angeführt wurde, ist alles andere als fiktiv – und genau daraus schöpft sie ihre Gewalt. Kunst kann Fiktionen als Medium verarbeiten, sie übergreift in dieser Sicht die Differenz von Fiktion und Realität. So ist bekanntermaßen das Bürgertum des 18. Jahrhunderts eine literarische Fiktion,222 die gleichsam zurückfloss, wie die Fiktionen der Ethnographen. Womit angesprochen ist, dass nicht alles, was fiktiv ist, Kunst oder Literatur sein muss, manches ist, wie man teilweise vermutet, Ethnographie.223 Die Philosophie verfügt über ein reiches Ensemble an fiktiven Theoriefiguren, sei es Russells Teekanne, imaginäre Zahlen oder runde Quadrate. Die Naturwissenschaft hält ihre Fiktionen eher verdeckt, bspw. den »absoluten Nullpunkt«, der ebenso fiktiv ist wie der Lichtstrahl, der keinen Querschnitt besitzt. Man denke aber auch an die imaginären Bilder des Fernrohrs oder der Computertomographie.224 Die Fiktionalität ändert hierbei jedoch nichts an der Wahrheitsfähigkeit, da die Wahrheit, wie die Systemtheorie sie verwendet, sich nicht aus Korrespondenz mit einer Außenwelt ergibt. Die in der Moderne ausgreifende, technisch vermittelte Sichtbarkeit ist so vor allem unter dem Gesichtspunkt der Erhöhung der Irritationsfähigkeit zu sehen, der das Imaginäre keinen Widerstand entgegensetzt.225

220 Siehe hierzu Terry Eagleton 1988, S. 1ff. 221 Vgl. Niklas Luhmann 1990c, S. 13, Niklas Luhmann 2008f, S. 394. Ebenso Elena Esposito 1996, S. 66. 222 Unter anderem Karl Eibl 1995, S. 196ff. 223 Siehe zu diesen Diskussionen einschlägig James Clifford und George E. Marcus 1986. 224 Das Fernrohr Galileis machte bspw. einen Raum zugänglich, der dem Menschen mit seiner gottgegebenen Optik zuvor nicht zugänglich war. Dies war, so Bernd Busch 1997, S. 95f., »ein Markstein in der Neubestimmung des Verhältnisses von gesellschaftlichem Imaginären und erkennbarer Welt durch die Kultur der anbrechenden Neuzeit.« 225 Siehe hierzu insbesondere Blumenbergs Interpretation des Fernrohrs: »In Galileis Griff nach dem Teleskop steckt eine Antinomie. Indem er das Unsichtbare sichtbar macht und so der kopernikanischen Überzeugung Evidenz verschaffen zu können

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Die Gesellschaft ist in hohem Maße durch operative Fiktionen bestimmt, bspw. Adoption, Gleichheit, Subjekt, Zufall, Wahrscheinlichkeit.226 Man muss das an dieser Stelle nicht en détail weiterverfolgen; es soll der Hinweis genügen, dass jede gesellschaftliche Differenz, die prozessiert wird, per se fiktiv ist, da es kein Wirklichkeitskorrelat gibt: die Fiktion wäre damit ens realissimum. Jene ehemals zugrunde liegende, garantierte Realität ist verloren; der Versuch, diese durch Künstlerintention zu substituieren, muss scheitern. Genau in dieser Beziehung steht auch die enorme Leistungsfähigkeit der Sprache: Gerade weil allem widersprochen werden kann, vollendet sie die »Abspaltung« von ontologischer Realität.227 Anders formuliert: Die Realität fällt mit der Fiktion von sich zusammen. Die Differenz von Wirklichkeit und Fiktion ist dann selbst fiktiv und entsprechend historisch konditioniert.228

2.8 K UNSTHIERARCHIEN Die Unterordnung der Kunst unter bildungshierarchische Differenzen, als deren Folge eine hohe, ernsthafte Kunst von einer niedrigen oder trivialen Unterhaltungskunst à la Popmusik oder Groschenromane unterscheidbar wird, hat in der Systemtheorie keine Grundlage. Bereits ihr Funktionsbegriff entzieht sich hier jeder normativen Vorteilnahme. Auch dort, wo Luhmann selbst einem normati-

glaubt, liefert er sich dem Risiko der Sichtbarkeit als der letzten Instanz der Wahrheit aus; indem er aber das Fernrohr in Dienst nimmt, um solche Sichtbarkeit herzustellen, bricht er zugleich mit dem Sichtbarkeitspostulat der astronomischen Tradition und gibt dem unbezwinglichen Verdacht Raum, dass die technisch je vermittelte Sichtbarkeit, so weit sie auch vorangetrieben werden mag, ein zufälliges, an dem Gegenstand fremde Bedingungen gebundenes Faktum ist«, Hans Blumenberg 1965, S. 19. 226 Siehe hierzu insbesondere die Theorie der institutionellen Fiktionen bei Arnold Gehlen 1964, S. 205ff. 227 Auf diese Leistung hat bereits Arnold Gehlen 1993 [1940], S. 301, hingewiesen: »Für ein in die Zukunft handelndes Wesen muss der Unterschied zwischen vorgestellten und wirklichen Situationen sozusagen vorübergehend aufhebbar sein, und die gesamte Struktur unserer Erfahrung wirkt schon dahin, die Realität zunehmend mit Vorstellungen und bewährten Phantasmen zu überlagern.« 228 Siehe hierzu exemplarisch, mit Bezug zu Kunst, Odo Marquard 1983, S. 35ff.

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ven Kunstbegriff erliegt, geschieht dies lediglich auf Grundlage seiner in dieser Arbeit bereits ausgewiesenen Ästhetik.229 Die Unterschiede, die ein Beobachter beobachten kann, Preis, Material, Farbenmarke, Herkunft des Produzenten, Ort, Rezipient etc. pp., sind kunstextern. Dass diese zur Geltung gebracht werden können, steht außer Frage – aber dies geschieht nicht im Kunstsystem. Das Kunstsystem entscheidet nicht über Preise oder über Ausstellungsfläche, über Bevorzugung oder Diskriminierung – das übernehmen Organisationssysteme, die am Kunstsystem parasitieren. Ein nichtnormativer Kunstbegriff läuft jedoch Gefahr, so scheint es, zu inflationieren, sorgsam gepflegte Differenzen zu nivellieren. Dies betrifft insbesondere die in dieser Arbeit vorgeschlagene Fassung der Kunst und des Kunstsystems, denn mithilfe der Differenz von »realer Realität« und »imaginärer Realität« beschreibt Luhmann nicht nur weite Teile der Kunst, sondern auch wesentliche Aspekte der Massenmedien. Allerdings vertauscht Luhmann die Vorzeichen: »Sie [die Unterhaltung durch Massenmedien, d. Verf.] setzt durchaus selbsterzeugte Realobjekte, sozusagen doppelseitige Objekte voraus, die den Übergang von der realen Realität zur fiktionalen Realität, das Kreuzen der Grenze ermöglichen. Das sind Texte oder Filme.«230

Während sich das Kunstwerk an die Einbildungskraft des Bewusstseins wendet, zeichnet sich die imaginäre Realität der Massenmedien dadurch aus, so Luhmann, dass sie diesen Umweg über die Einbildungskraft verhindere: »Da die audiovisuelle Sendung Wahrnehmung komplett übermitteln kann, entfallen Möglichkeiten und Notwendigkeiten individueller Imagination.«231 Es soll nun weniger darum gehen, dass selbstverständlich auch audiovisuelle Sendungen die Einbildungskraft des Bewusstseins in Anspruch nehmen müssen: »Es ist der Zauber dieser Kämpfe, dass, wer sie schaut, sie auch kämpfen muss!«232 Überraschend

229 Siehe zur Kritik an Luhmanns normativem Kunstverständnis auch Niels Werber 1996, S. 173. 230 Niklas Luhmann 1996b, S. 98f. 231 Niklas Luhmann 1998a, S. 307. Man könnte folgendes Zitat von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 2000 [1947], S. 166f., nahtlos anfügen: »Der Zuschauer soll keiner eigenen Gedanken bedürfen: das Produkt zeichnet jede Reaktion vor: nicht durch seinen sachlichen Zusammenhang – dieser zerfällt, so weit er Denken beansprucht – sondern durch Signale.« Siehe für eine an Systemtheorie orientierte Auseinandersetzung mit Film Lorenz Engell 2002. 232 Friedrich Nietzsche 1972a [1872], S. 98.

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ist eher Luhmanns technikpessimistische Einstellung in Kombination mit Rundfunkontologie, die hier durchscheint. Es werden selbstverständlich keine Wahrnehmungen »übermittelt«, sondern ein Beobachter wird irritiert und auch dies nur nach Maßgabe seiner operativen Verfasstheit. Aber wo ist nun der Unterschied zwischen der imaginären Realität der Kunst und der imaginären Realität der Massenmedien, wenn auch die Massenmedien Realität durch Konstruktion einer eigenen Realität verdoppeln?233 Luhmann schreibt hierzu über den Beobachter einer Fernsehsendung: »Er würde schwanken und sich entscheiden müssen, ob er mehr auf die Mitteilung und ihre Motive oder auch: auf die Schönheit und die konnotativen Vernetzungen ihrer poetischen Formen achten oder sich der Unterhaltung überlassen solle.«234 Ein Bewusstsein ist jedoch dazu in Lage, einen Fernsehfilm nicht nur hinsichtlich der evozierten Imagination hin zu beobachten, sondern auch gemäß »stimmig/unstimmig« bzw. »schön/hässlich«, aber dies wäre eine, wie es in der Anmerkung zu obigem Zitat heißt, »angesichts der Qualität der Sendungen aber nur selten bedeutsame Ausnahme«.235 Der Unterschied liegt jedoch, so muss man dem entgegenhalten, ausschließlich im kommunikativen Anschluss.236 Dass dieser Kommunikation vor strukturelle Herausforderungen stellt, ist selbstverständlich: »Man kann durch Filme positiv oder negativ berührt sein, kann sie gut oder schlecht finden, aber es fehlt im Gesamtkomplex des Wahrgenommenen jene Zuspitzung, die eine klare Distinktion von Annahme oder Ablehnung ermöglichen würde. Man weiß zwar, dass es sich um Kommunikation handelt, aber man sieht es nicht.«237

233 Vgl. Niklas Luhmann 1996b, S. 20. 234 Ebd., S. 107. 235 Niklas Luhmann 1998a, S. 307 Anmerkung 208. 236 Gemeint ist hier nur, dass auch eine audiovisuelle Sendung Kunst sein kann, sofern sie entsprechend beobachtet wird, und zwar auch bzgl. der Differenz von Realität und Fiktion. Obgleich man Diana Frances Mountbatten-Windsor nur als Bild kannte, versanken Tausende in Trauer, zur Verblüffung derjenigen, die keinen Zweifel am Zwangscharakter des Imaginären der audiovisuellen Sendung besitzen. Es ist nicht gemeint, dass die audiovisuelle Sendung keinen Unterschied hinsichtlich dessen macht, was sie sendet. Das Themensyndrom, das hiermit in Zusammenhang steht, braucht im vorliegenden Fall nicht berücksichtigt zu werden, da es nur um Kunst geht, nicht um Bilder, die Körper, um eine Dimension betrügen. 237 Niklas Luhmann 1998a, S. 307.

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Es gilt, den Beobachter zu beobachten, nicht die audiovisuelle Sendung. Zu einem normativen Kunstbegriff gesellt sich hier ein normativer Kulturbegriff, indem eine systemtheoretische Selbstverständlichkeit unbemerkt ins Negative gewendet wird: »Beim Reden wie beim Zuhören, beim Schreiben wie beim Lesen ist das eigene Denken weitgehend ausgeschaltet, sonst verliert man den Faden.«238 Massenverbreitung bedeutet für Luhmann Trivialisierung der Kunst als Unterhaltung, dessen Zweck seiner Ansicht nach fraglich ist.239 »Der Roman verlässt denn auch als Kunstform um die Mitte des 19. Jahrhunderts, mit Flauberts L’éducation sentimentale, mit Melvilles The Confidence-Man, das Gebiet der Unterhaltung und überlässt es – den Massenmedien.«240 Sill kritisiert Luhmanns Ansatz, Unterhaltendes aus der Kunst auszuschließen und Plumpe und Werber gehen, wie bereits ausgeführt, sogar so weit, gerade in der Codierung als »unterhaltend« den Code der Kunst zu sehen.241 Die Exklusion der Unterhaltung aus der Kunst erfolgt nicht aus theoretischen Erwägungen, sondern ist deutlich ästhetisch begründet. Sei es in einer sanften Formulierung bei Baecker: »Die Unterhaltung überspielt die Differenz zwischen Kommunikation und Bewusstsein. Die Kunst macht sie zum Ereignis.«242 Oder bei Luhmann: »Unterhaltung heißt eben: keinen Anlass suchen und finden, auf Kommunikation durch Kommunikation zu antworten.«243 Es mutet bizarr an, dass Luhmann die Unterscheidung der »U-Fiktion« von Kunst auf ähnliche Weise rechtfertigt, wie Adorno: Man denke an Adornos Beschreibung des Unterhaltungshörers, der »Musik als Unterhaltung hört und nichts weiter«.244 Aber zu nichts weiter sind bspw. auch Bachs »Brandenburgische Konzerte« komponiert worden.

238 Niklas Luhmann 1990a, S. 48. 239 Niklas Luhmann 1996b, S. 124. 240 Ebd., S. 107. 241 Vgl. Oliver Sill 2001, S. 117. 242 Dirk Baecker 2004, S. 48. 243 Niklas Luhmann 1996b, S. 107. Unterhaltung ist, wenn man den Mund hält. Luhmann schreibt ebd. deswegen auch, es handele sich »nur« um Unterhaltung, weil ohne kommunikativen Anschluss nur das massenverbreitete und dadurch aufgelöste Kunstwerk zurückbleibt: eine Äußerung ohne Anschlusswillen. 244 Theodor W. Adorno 1973, S. 192. Musik, so ebd., S. 193, ist dem Unterhaltungshörer »nicht Sinnzusammenhang sondern Reizquelle. Elemente des emotionalen wie des sportlichen Hörens spielen herein. Doch ist all das plattgewalzt vom Bedürfnis nach Musik als zerstreuendem Komfort. Möglicherweise werden, beim Extrem die-

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Adorno verweist jedoch noch auf einen anderen Aspekt: »Amusement, ganz entfesselt, wäre nicht bloß der Gegensatz zur Kunst sondern auch das Extrem, das sie berührt.«245 Massenmedien parasitieren an künstlerischen Fiktionen und Kompositionen, die sie nach ihren systemeigenen Kriterien der »Information/nicht Information« bearbeiten. Daher mag eher neue, massenkompatible Fiktion den Weg auf den Bildschirm finden, aber es gibt ja Arte. Kunst ist hôte, also Wirt und Gast zugleich. Sie profitiert von ihrer Verbreitung durch Massenmedien und bietet im Gegenzug den Massenmedien etwas zu senden. Ebenso wenig wie ein wissenschaftlicher Vortrag durch Massenverbreitung zur Unterhaltung »verkommt«, nehmen die Massenmedien dem Kunstwerk die Möglichkeit zum kunstmäßigen Anschluss. Der Reputationsverlust in ersterem Fall und die Trivialisierung in letzterem Fall verringern bestenfalls die Leistungsfähigkeit des betreffenden symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums, erhöht jedoch im Gegenzug die Reichweite. Das Verhältnis zwischen Kunst und Massenmedien ist ein Verhältnis der Interpenetration par excellence.

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Das Kunstsystem besteht nicht aus Kunstwerken.246 Aber es benötigt Kunstwerke, um Bezugspunkte für das selbstreferentielle Prozessieren zu ermöglichen und Erwartungen bündeln zu können. Deswegen ist das Kunstsystem auf Kunstwerke angewiesen, gerät dem Kunstsystem das Kunstwerk zu einer Identität.247 Das Kunstwerk wird einem unterstellten Beobachter zugeneigt, deformiert seinen Inhalt, um Beobachtbarkeit gewährleisten zu können. Sei es die Berücksichtigung des menschlichen Sehapparates und dessen Beschränkungen oder Theater- und Musikstücke, die Aufmerksamkeitsspannen und -kapazitäten berücksichtigen. Die Kunst spezialisiert sich darauf, Beobachtung für Beobachtung sicherzustellen und gerade vor diesem Hintergrund gewinnen ihre medialen Techniken der Latenzbeobachtung, bspw. in Form des modernen Romans und des simulationsfähigen Bildes, als evolutionäre Errungenschaften Plausibilität.

ses Typus, nicht einmal mehr die atomistischen Reize goutiert, Musik überhaupt kaum mehr in irgend fasslichem Sinn auch nur genossen.« 245 Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 2000 [1947], S. 173. 246 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 90. 247 Das Politiksystem setzt an diese Stelle bspw. den Staat. Siehe auch Niklas Luhmann 1987d, S. 61: »Selbstbeobachtung muss von der Einheit der Reproduktion der Einheiten des Systems (Autopoiesis) sorgfältig unterschieden werden.«

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Ein Kunstwerk unterscheidet sich, um beobachtet zu werden; es ist Beobachtung für Beobachtung, aber weder in Hinsicht auf seine Materialität, noch durch werkästhetisch in ihm arrangierte Formen, sondern das Kunstwerk selbst ist diese Beobachtung für Beobachtung. Die Frage nach den Beobachtungen des Kunstwerks ist damit als Frage nach sozialen Differenzen gestellt, als Frage, wie das Kunstwerk beobachtet, nicht jedoch, wie das Kunstwerk diese Beobachtungen medial realisiert. Es ist freilich nicht ausgeschlossen, dass an einem Kunstwerk, wie an anderen Dingen auch, das Hergestelltsein oder das Ornament bemerkt und kommuniziert wird. Die »Freude an leuchtenden Farben und regelmäßigen, oft geometrischen Gestalten«,248 die uns hier in die Anthropologie führen würde, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber die Beobachtung der Beobachtungsmittel, also Farben, Buchstaben, Farbenhersteller, Preis, Leimung, Rahmung etc., bspw. nach passend/unpassend oder schön/hässlich, verstellt den Blick darauf, wie diese beobachten. Ein gesellschaftliches Funktionssystem für gewisse Farb- und Tonkontraste scheint wenig plausibel, wohl aber ein Funktionssystem, das mithilfe bestimmter Kontraste zur Beobachtung der Beobachtung reizt. Nur wenn das Kunstwerk in Hinsicht auf das beobachtet wird, was es selbst beobachtet, kann es zur Kommunikation über diese Beobachtungen anregen und nur auf dieser Ebene, der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung, kann sich ein Funktionssystem schließen. Nach den vorangegangenen Ausführungen ist deutlich geworden, dass Kunst keine Qualität eines Textes oder eines Bildes sein kann, sondern als sozialer Beobachtungsmodus fungiert, der gegenüber Materialitäten und Qualitäten indifferent sein muss. Es ist ein Beobachtungsmodus, der auch auf die Bedienungsanleitung eines Videorekorders anwendbar ist und dadurch bspw. etwas sichtbar machen kann, das im alltäglichen Umgang transparent ist: bspw. wie Beobachter beobachten. Anschaulich können hier Romane und manche Bildergenres herangezogen werden, denn diese besitzen die mediale Fähigkeit, dazu Beobachtungen zu simulieren. Dies verweist auf mediale Beobachterkaskaden, die sich ihre äußerste Beobachtungsunwahrscheinlichkeit dadurch nehmen, dass sie transparent werden. Man sieht, wie Maria Magdalena Jesus sieht, aber man sieht nicht die Raumsimulation, die dies ermöglicht oder das Bild, das die Zentralperspektive ermöglicht. Die Kunst bietet die evolutionäre Errungenschaft zur besonderen Distanz eines Beobachters zweiter Ordnung.

248 Arnold Gehlen 1982 [1950], S. 237.

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»[...] und die Frage ist dann: welche Sozialordnung sich dies leisten, dies erlauben kann. Vor diesem evolutionstheoretischen Hintergrund ist die Feststellung wichtig, dass die Gesellschaft offenbar die Kunst benutzt hat, um mit dieser Möglichkeit zu spielen, bevor sie in seriösere, weil folgenreichere Bereiche der Religion und des Wissens übernommen werden konnte.«249

Die ausdifferenzierte Kunst wird zu einem sozialen Experimentierfeld. Darauf wies bereits das moderne, sanktionslose Erleben devianter Beobachtungen am Kunstwerk hin. Die Kunst ist, wie es in obigem Zitat heißt, ein unseriöserer Bereich, den die Gesellschaft nutzt, um Möglichkeiten auszuprobieren, mit ihnen zu experimentieren, bevor diese in folgenreichere Bereiche übernommen werden.250 Aber welches Problem wird durch die Ausdifferenzierung eines gesellschaftlichen Bereichs gelöst, in dem diese Experimente ablaufen können; und vor allem: wie? Wenn der Modus des Bewusstseins in der Imagination besteht, sei es in der Imagination einer Außenwelt durch Interpretation von Selbstirritationen, dann wird nach den vorangegangenen Ausführungen deutlich, dass die Funktion der Kunst auf das Erproben eines Sinnüberschusses, der in einer unberechenbaren, eben komplexen und kontingenten Welt überlebensnotwendig ist, abzielen könnte. Durch Inanspruchnahme der Imagination des Bewusstseins gewinnt »die Kunst die Möglichkeit, imaginäre Welten in die Lebenswelt hineinzukonstruieren, bleibt auch dabei aber selbstverständlich auf auslösende Wahrnehmungen (und sei es die Lektüre von Texten) angewiesen.«251 Malewitschs »Das Schwarze Quadrat« (1915) oder Yves Kleins IKBs (seit 1955) sind dann imaginär in dem Sinne, dass sie für die Gesellschaft selbst ohne Bedeutung sind, sich die soziale (!) Bedeutung aus der Wendung an die Einbildungskraft des Bewusstseins ergibt: »Aber die Kunst fügt diesem Umweg zur Realität über die Imagination einen neuen Aspekt hinzu, und dies durch Realisation im Bereich wahrnehmbarer Objekte.«252 Denn auch die Wahrnehmung eines Bewusstseins ist prinzipiell indifferent gegenüber dem sozialen Unterschied von Kunstwerk und Alltagsgegenstand. Dieser Unterschied kann erst dann wahrgenommen werden, wenn die Wahrnehmung wahrgenommen wird, also wenn die Wahrnehmung erlebt wird. Kunst muss sich dazu mithilfe von Reizangeboten (Kunstwerken) in die

249 Niklas Luhmann 1995d, S. 138. 250 Vgl. ebd., S. 138. 251 Niklas Luhmann 1995d, S. 17. 252 Ebd., S. 230.

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Wahrnehmung des Bewusstseins bringen und das Erleben des Bewusstseins führen. Erst wenn man beides in Betracht zieht, der Gesellschaft Werk und des Bewusstseins Beitrag, lässt sich für die Kunst eine gesellschaftliche Funktion bestimmen, die historisch plausibel und nichtnormativ ist, sowohl systemtheoretische Konsequenzen als auch die Kunst der Moderne ernst nimmt und Ästhetik auf ein durch Theorie kontrolliertes Minimum beschränkt. Luhmanns Funktionsbestimmung der Kunst und ihre Parallele zur kierkegaardschen Verzweiflung der Möglichkeit aus Mangel an Notwendigkeit wurde bereits angesprochen. Doch in der modernen Gesellschaft nehmen nicht nur, wie oft bemerkt worden ist, die Notwendigkeiten ab,253 sondern auch die Möglichkeiten. Bspw. in Form des Redundanzverzichts durch Ausdifferenzierung von Funktionssystemen. Nur noch Kunst ist Kunst. Und Heilung von Krankheit ist nur noch durch Medizin zu erwarten, nicht mehr von Badern, den Kräuterkundigen oder dem stillen Gebet. Etwas politischer gefasst bei Luhmann: »Mir wird zugemutet, die soziale und weithin sogar die dingliche Umwelt als kontingent zu begreifen. Alles könnte anders sein – und fast nichts kann ich ändern.«254 Im weitesten Sinn beschreibt Kierkegaard dies als Verzweiflung der Notwendigkeit aus Mangel an Möglichkeit.255 Und obwohl man diesen Standpunkt eher mit Gehlens »Prinzip der wenigen Möglichkeiten«256 und in der Folge dem sich Kristallisierenden verbinden würde, ist auch die theoretische Verortung der Systemtheorie, wie man sieht, dieser Verzweiflung ausgesetzt. Letztlich in aller Deutlichkeit, wenn Luhmann zu bedenken gibt, dass das, »was sich als Gesellschaft realisiert hat, zu schlimmsten Befürchtungen Anlass gibt, aber nicht abge-

253 Vgl. Niklas Luhmann 1992c, S. 73. Bis hin zum Ekel: »Doch kein notwendiges Sein kann die Existenz erklären: die Kontingenz ist kein Trug, kein Schein, den man vertreiben kann; sie ist das Absolute, folglich die vollkommene Grundlosigkeit. Alles ist grundlos, dieser Park, diese Stadt und ich selbst. Wenn es geschieht, dass man sich dessen bewusst wird, dreht es einem den Magen um, und alles beginnt zu schwimmen ...: das ist der Ekel«, so Jean-Paul Sartre 1952, S. 149. 254 Niklas Luhmann 1994b [1969], S. 44. 255 Vgl. Søren Kierkegaard 1849, S. 32ff. und S. 35: »[...] wenn aber einer verzweifeln will, so heißt es: ›schaffe Möglichkeit! schaffe Möglichkeit! Möglichkeit ist das einzig Rettende.‹ Eine [Herv. d. Verf.] Möglichkeit! dann atmet der Verzweifelnde wieder, lebt wieder auf; ohne Möglichkeit kann ein Mensch gleichsam keine Luft bekommen.« 256 Arnold Gehlen 1964, S. 166.

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lehnt werden kann«257 – und dies gerade nicht nur, weil die Differenz von affirmativ/kritisch längst systemtheoretisch ausgehebelt wurde. Interessant ist, dass Luhmanns früheste Funktionsbestimmung der Kunst gerade an diesem Pol ansetzt und die Funktion der Kunst darin sieht, Weltkontingenz zu erzeugen.258 Die Systemtheorie hat jedoch stets versucht, mit dem Begriff der Kontingenz Notwendigkeit und Möglichkeit zu überbrücken, indem sie insoweit der Theorietradition folgte und sowohl Notwendigkeit als auch Unmöglichkeit mit einem Begriff negierte. Luhmanns letzte Funktionsbestimmung der Kunst beschränkt sich jedoch, wie gezeigt wurde, einzig auf den Aspekt, dass Ordnung unter den Bedingungen des Mangels an Notwendigkeit möglich ist: »[E]s ist möglich!«259 Die Kunst »verschärft [...] die Differenz zwischen dem Realen und dem bloß Möglichen, um dann mit eigenen Werken zu belegen, dass auch im Bereich des nur Möglichen Ordnung zu finden sei.«260 Diese Funktionsfassung berücksichtigt jedoch nicht, dass diese Ordnung auch stets anders möglich wäre – und erst dann könnte die modaltheoretische Fassung des Kontingenzbegriffs vollständig zum Tragen kommen. Der Funktionsbestimmung scheint also ein Aspekt zu fehlen; deutlich, wenn Luhmann wenige Seiten später schreibt: »Was in der Kunst sichtbar wird, ist nur die Unvermeidlichkeit von Ordnung schlechthin.«261 Wenn man die Kontingenzbewältigung jedoch für einen Beobachter zweiter Ordnung beschreibt, und auf dieser Ebene differenzieren sich Funktionssysteme aus, dann ließe sich formulieren, dass die Funktion der Kunst darin besteht, aufzuzeigen, dass im Bereich des nur Möglichen jede Ordnung nur eine mögliche Ordnung ist und mit einem anderen Pinselstrich, einem anderen Wort, einem anderen Beobachter, eine andere Ordnung entstehen kann. Kunstwerke brächten dann nicht Ordnung ins Chaos, sondern (imaginäre) Ordnung in die (reale) Ordnung. Bei Paul Klee heißt es treffend: »Jetzt wird die Relativität der sichtbaren Dinge offenbar gemacht und dabei dem Glauben Ausdruck verliehen, dass das Sichtbare im Verhältnis zum Weltganzen nur isoliertes Beispiel ist und dass andere Wahrheiten latent in der Überzahl sind. Die Dinge erscheinen in erweitertem und vermannigfachtem Sinn, der rationellen Erfahrung von gestern oft scheinbar widersprechend.«262

257 Niklas Luhmann 1995f, S. 233. 258 Vgl. Niklas Luhmann 1986a, S. 625. 259 Niklas Luhmann 1995d, S. 498. 260 Ebd., S. 236. 261 Ebd., S. 241. 262 Paul Klee 1987 [1920], S. 63f.

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Die Funktion der Kunst wäre mithin eine spezifische Form der Kontingenzbewältigung, nämlich Kontingenzinduktion als Form der systemischen Steigerung und Selbstlimitierung anderer Möglichkeiten. Dies deckt sich mit Luhmanns Befund, »dass diese Gesellschaft sich wie keine andere vor ihr auf Kontingenzen einlässt.«263 Diese evolutionäre Unwahrscheinlichkeit gewinnt Plausibilität, denn das luhmannsche Bezugsproblem der Kunst ändert sich in der hier vorgeschlagenen Funktionsbestimmung nicht grundsätzlich, lässt sich aber konkretisieren. In einem frühen Text zur Kunst hatte Luhmann bereits festgestellt: »Mit einer zunächst sehr unscharf angesetzten Beschreibung sehen wir die Funktion der Kunst in der Konfrontierung der (jedermann geläufigen) Realität mit einer anderen Version derselben Realität. [...] Darin liegt ein Hinweis auf die Kontingenz der normalen Realitätssicht, ein Hinweis darauf, dass sie auch anders möglich ist. Schöner zum Beispiel. Oder weniger zufallsreich. Oder mit noch verborgenem Sinn durchsetzt.«264

Die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft besitzt einen nicht versiegenden Bedarf an alternativen Möglichkeitsausweisen des Sinns und nur noch Kunst kann hierfür als Lösung fungieren.265 Das Kunstsystem institutionalisiert die Kontingenz der Welt, so wie Wissenschaft die Kontingenz des Wissens auf Dauer stellt. Wozu? Eine Gesellschaft kann damit rechnen, dass sie auf Situationen stößt, an denen das Handeln und Erleben der Menschen nicht mehr durch einen gepflegten, semantischen Vorrat erfolgreich sein kann, sondern ad hoc neue Möglichkeiten erfordert.266 Dies gilt insbesondere dann, wenn im Zuge der Evolution polykontexturaler Komplexität die Einheit der Gesellschaft nicht mehr durch ein einziges System exklusiv vertreten werden kann. Die moderne Gesellschaft verliert ihren »Außenhalt«. »Kunst weist darauf hin, dass der Spielraum des Möglichen nicht ausgeschöpft ist, und sie erzeugt deshalb eine befreiende Distanz zur Realität. Man kann dies als »Fiktionalität« be-

263 Niklas Luhmann 1992a, S. 125. 264 Niklas Luhmann 1986a, S. 624. Siehe hierzu auch Hans Ulrich Gumbrecht 1987, S. 171f. und S. 175, der bezweifelt, dass die Gesellschaft, die sich ohnehin in multiple Wirklichkeiten splittet, zusätzlich weiterer Wirklichkeiten bedarf. 265 Was sich dann als gesamtgesellschaftliche Realitätskonstruktion ergibt, bleibt dem Funktionssystem der Massenmedien überlassen, aber das wäre Thema einer anderen Studie. Vgl. Niklas Luhmann 1998b, S. 591f. 266 Man könnte auch in Hinsicht auf den »Hunger von morgen« spekulieren.

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zeichnen, aber der Ausdruck sagt nicht genug. Die Kunst bleibt nicht Fiktion, sie erzeugt eine Realität mit dem Recht zu eigener Objektivität.«267 [Herv. d. Verf.]

Mit dieser »Erfahrung zweiter Hand« (Gehlen) geht »Wirklichkeitsgewinn« einher, sofern man einer konstruktivistischen Gesellschaftstheorie folgt. Und hier zeichnet sich ab, welche gesellschaftliche Bedeutung die Kommunikation von imaginärer Realität bieten kann, wenn die Möglichkeit zur Blockierung anderer Welten mithilfe der Differenz von potentia absoluta/potentia ordinata unter der Durchsetzung funktionaler Differenzierung wegbricht:268 Die Kunst institutionalisiert die Kontingenz der Welt und die Kontingenz der Welt ist ihr Vorbehalt. Die moderne Gesellschaft differenziert die Kunst aus, um, klassisch formuliert, die entregelte Lebenswelt mit Potenzen auszustatten, für die es zuvor keine Verwendung gab. Die Kommunikation des Kunstsystems kommuniziert, dass die Welt nicht notwendigerweise so ist, wie sie ist oder wie sie sein soll. Sie gestattet ein schöner, interessanter, gerechter oder einfach nur anders. Kunst simuliert dazu ein gesellschaftliches Außen durch ihre Form imaginäre Realität/reale Realität. Die Kommunikation von Kunst reichert das Erleben mit anderen Möglichkeiten des Erlebens und Handelns an und darin besteht ihre Funktion, auf die die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft unverzichtbar angewiesen ist.269 Denkt man dies als Pluralisierung der Wirklichkeiten, als eine Art von »ästhetischer Gewaltenteilung« (Marquard), dann lässt sich mit Odo Marquard anfügen: »Sie [die Gewaltenteilung, d. Verf.] schützt jeden Menschen – durch die

267 Niklas Luhmann 1998a, S. 353. 268 An die Stelle der Welt, die so ist, wie sie ist, weil sie so ist, wie Gott sie in Hinsicht auf die Erlösung geschaffen und gewollt hatte, rückt sozusagen die musilsche »potentia potentialis«: »[...] denn Gott macht die Welt und denkt dabei, es könnte ebensogut anders sein«, so Robert Musil 1952 [1930], S. 19. 269 Damit erscheint die Kunst durchaus, in Anlehnung an die bekannten Worte von Georg Lukács 1981 [1920], S. 32 und S. 77, als »Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen« und »Epopöe der gottverlassenen Welt«. Einer Auffassung der Funktion der Kunst als Kompensation der sozialen Entfremdungsrealitäten, die aus diesem historischen Prozess resultiere, wird hingegen nicht gefolgt. Betrachtet man die Moderne unter dem Gesichtspunkt von Kompensierung und Defizit, dann muss mitgesehen werden, dass jede Kompensierung ihrerseits Defizite erzeugt. Mit anderen Worten: Die Moderne ist bereits eine Kompensierung – und »erzwing[t] dann ihrerseits Kompensationsschäden-Kompensationen«, so Odo Marquard 1989b [1978], S. 80.

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jeweils anderen Wirklichkeiten – vor dem Alleinzugriff einer einzigen Wirklichkeit und gibt ihn dadurch frei zur je eigenen Individualität.«270 Die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft hat Bedarf an Erprobung und Experimenten mit Möglichkeiten alternativen Handelns und Erlebens, bzw. abstrakt formuliert: alternativen Ordnungen. »Ordnung in die Ordnung« zu bringen heißt dann, die reale Realität in Bezug zur imaginären Realität zu setzen, einen spencer-brownschen re-entry zu institutionalisieren, um von der imaginären Seite, die andere Seite als nur mögliche Realität auszuzeichnen.271 Das Imaginäre und das Reale tauschen die Plätze.272 Gerade die Kunstwerke der modernen Kunst, die sich weigern, sich von anderen Artefakten unterscheiden zu lassen, erreichen durch diese Entnormalisierung oder Dekontextualisierung das Aufzeigen des Vertrauten als Vertrautes. Die »Realität« gerinnt im Kunstsystem so zum möglichen Imaginären: Urinale, Fettklumpen, Lautgedichte, Fleischhammer etc. pp. Es wäre, wie man sieht, stark verkürzend, die Kunst auf die bloße Produktion konkreter, »alternativer« Realitäten zu reduzieren, denn mit alternativen Realitäten arbeiten auch Politikberatung und Therapie, bspw. wenn einer drogensüchtigen Person alternative Möglichkeiten der Lebensgestaltung angezeigt werden.273 Aber diese Möglichkeiten beruhen auf realen Möglichkeiten, die in eine zeitliche Differenz, nämlich in Hinsicht auf Selektion in der Zukunft, eingespannt sind. Für alternative Möglichkeitsausweise des Sinns steht, so könnte man einwenden, auch die Semantik zur Verfügung, wozu braucht es da Kunst? Die Semantik stellt nur den gepflegten Themenvorrat parat.274 Die Kunst steht dazu insofern orthogonal, als die Kommunikation von Kunst die Semantik mit Abweichungen ausstattet, die nicht bereits durch den gepflegten Apparat abgedeckt sind, bzw. neue Aspekte dieser aufschließen können. Kommunikation unterläuft und ergänzt sich selbst. Das heißt, der gesellschaftliche Vorrat der Unterscheidungen kann um überraschende und unerwartete Unterscheidungen, um Komplexität, angereichert werden, die durch ihre Überraschung nicht verunsichern und damit die Enttäuschungsgefahr der Strukturen erhöhen, sondern gerade in

270 Odo Marquard 1989a, S. 20. 271 Diese Inversion beschreibt in ähnlicher Form bereits Peter Fuchs 1989, S. 155, in Bezug zur modernen Lyrik. 272 Vgl. Hans Belting 1998, S. 50. Um so wichtiger ist es festzuhalten, dass der ästhetische Blick auf die Welt stets auch den an-ästhetischen Blick verlangt. Siehe Odo Marquard 1989a, S. 11. 273 Siehe hierzu die »Kunst der Intervention« bei Helmut Willke 1987, S. 356f. 274 Siehe zur Dichte des Begriffs der Semantik Rudolf Stichweh 2000.

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dieser Verunsicherung fruchtbar gemacht werden können. Die Gesellschaft macht mithilfe der Kunst die Paradoxie funktional, dass Unsicherheit durch Verunsicherung kompensiert werden kann.275 Dazu bedarf es dann freilich Begleitstrukturen, die die Enttäuschungswahrscheinlichkeit eindämmen können und die These liegt nahe, dass in der Kunst imaginäre Realitäten nur möglich werden, weil diese »nur« imaginär sind. So, wie Arbeit der Parasit der Differenz arm/reich ist, der diese zum Kollaps bringt,276 kollabiert die Kunst an der Handlungsaufforderung. Man denke an André Breton: »Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings so viel wie möglich in die Menge zu schießen.«277 Kunst ernst zu nehmen bedeutet, dass sie ihr Imaginäres verliert und reale Realität wird: »reale Realität«, das ist die negative Codeseite – und entsprechend mit Baudrillard der Tod der Kunst.278 Anders formuliert: Jede Realitätszumutung durch das Werk verlässt die Kunst und zieht bspw. Täuschungsverdacht nach sich.279 Und so beklagt Joseph Beuys: »Als Kunst mag’s hingenommen sein, aber als Politik ist es fürchterlich unwichtig.«280 Durch den Verweis auf Imagination immunisiert sich Gesellschaft somit gleichzeitig gegen alternative Wirklichkeitsmodelle. Denn die Wirklichkeit stellt stets die Wirklichkeit der Kunst in Frage – und dies ist der entscheidende und historisch vorangegangene Fall. Der Ort des Umschlagens ist das Bild, wie zu zeigen sein wird.281 Kunst ist folgenlos und hierin besteht nicht ihr Nach-, sondern Vorteil.282 Ohne in einen Nihilismus abzugleiten, folgen wir hier ein Stück weit Benn: »Man kann es nicht anders ausdrücken: Kunstwerke sind phänomenal, historisch

275 Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1992c. 276 Vgl. Niklas Luhmann 1989, S. 166. 277 André Breton 1977, S. 56. 278 »Die Kunst ist daher tot, nicht nur weil ihre kritische Transzendenz tot ist, sondern weil die Realität selbst [...] mit ihrem eigenen Bild verschmolzen ist«, so Jean Baudrillard 1982, S. 119. 279 Und das gilt gerade nicht für Röntgenbilder oder die Bilder der Marssonden. 280 Joseph Beuys 1975, S. 118. 281 Aus bildanthropologischer Sicht formuliert dies Gottfried Boehm 1997, S. 304, so: »Die Instanz der Malerei stellt die Realität in Frage. Die Instanz der Realität stellt, im Gegenzug, die Malerei in Frage. Die Austragung dieses Widerstreites ist das Bild (jedenfalls ein Bild von künstlerischem Ernst).« 282 Gerade weil bestimmte Artefakte Handlungen unterbinden können, sind diese Artefakte magisch.

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unwirksam, praktisch folgenlos. Das ist ihre Größe.«283 Die Kunst kann dadurch unbesorgter sein als bspw. die Wissenschaft.284 Das Imaginäre wirkt als Interdependenzunterbrecher, ist Einschränkung und Ermöglichung zugleich. Diderot hatte diesen Aspekt bereits am Theater angesprochen: Man stürzt gerade nicht auf die Bühne, um die klagende Mutter zu trösten.285 Die Handlungsaufforderung der Kunst lässt sich somit nur als ex post facto Vermutung formulieren.286 Die Wissenschaft untergräbt Evidenzen, sie zerstört lebensweltliche Vorurteile. Wissenschaft erzeugt Unsicherheit und stürzt sich zur Selbstbeschränkung in die Paradoxie der Werturteilsfreiheit. Die Imagination der Kunst hingegen mag Rückschlüsse auf das eigene Leben oder andere lebensweltliche Zusammenhänge zulassen, aber es kann sich dabei, weil es sich stets nur um systemrelative Imagination handelt, nur um unverbindliche Rückschlüsse handeln, die, wie gezeigt wurde, extrasystemische Ansprüche nicht nur zurückdrängen, sondern dies gerade gestatten.287 Historisch korreliert dieser Prozess der Abweisung durch die Ausdifferenzierung des Kunstsystems, zu denen auch die Abweisung der Moral gehört, mit dem Wandel von Werturteilen zu Geschmacksurteilen über Kunst. Nach dem Verlust des moralischen Urteils verbleibt nur noch das Ständische – aber zu mehr als diesbezüglicher Diskriminierung und versuchter Aufrechterhaltung von Schichtungsdifferenzen eignet sich der Geschmack nicht und vor allem dank der Ausdifferenzierung des Erziehungssystems nicht lange. Der Ausdifferenzierung und Autonomisierung der Kunst entspricht dann freilich auch der Verlust des moralischen Anspruchs durch Kunst. Das, was bspw. von Mirjam-Kerstin Holl als »Subfunktionen«288 der Kunst beschrieben wurde, also Latenzerschließung, Perspektivenwechsel, Aufdecken verpasster Sinnoptionen und blinder Flecke, sind dann semantische Möglichkei-

283 Gottfried Benn 1987a [1930], S. 174. 284 Gerade dies gerät, so Odo Marquard 1989c [1981], S. 114, bei Christian Enzensberger 1977, S. 153, zum Verrat der Kunst: »[...], durch ihre Form wie ihre Funktion ist Kunst immer reaktionär. Es gibt keine revolutionäre Kunst – oder sie ist keine mehr.« 285 Siehe Denis Diderot 1967 [1830], S. 488ff. 286 Siehe hierzu Peter Fuchs 2002b, S. 14. Üblicherweise wird angenommen, dass Gewaltfilme, wenn sie denn einen Einfluss besitzen, einen negativen, gewaltfördernden Einfluss haben. Freilich können sie genauso gut einen gegenteiligen, gewaltmindernden Effekt haben. Siehe hierzu die Studie von Jürgen Grimm 2000. 287 Man könnte sagen, dass das Singuläre des Kunstwerks nicht das Kunstwerk ist, sondern seine Beobachtung. 288 Mirjam-Kerstin Holl 2003, S. 326.

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ten, die Funktion zu programmieren. Bspw. indem man etwas verhüllt und dadurch sichtbar macht. Oder man zeigt etwas, indem man es nicht zeigt oder zeigt, wie es nicht gezeigt wird.289 Kunst kann einfach sein, wenn man Kunst einfach sein lässt. Man mag dann Trivialität unterstellen, weil sie keinen Hochschulabschluss oder eine ständische Erziehung zur Dechiffrierung voraussetzt, aber das wäre selbst trivial. Die auch bei Luhmann auftretende Vorstellung, Kunstwerke müsse man »entschlüsseln«,290 als sei das Kunstwerk der stumme Gesprächspartner, der sich seiner verborgenen, essentialistischen Bedeutung geniert, führt sowohl empirisch als auch systemtheoretisch nicht besonders weit. Die hier vorgestellten Überlegungen zur Funktion der Kunst sind ein Versuch, das, was die Kunst der modernen Gesellschaft als Kunst zur Beobachtung freigibt, ernst zu nehmen und – als Teil der Gesellschaft – soziologisch zu beschreiben. Nach dem Verlust der Einheit der Gesellschaft verbleibt eine »Gesellschaft, die ihrer eigenen Ordnung nicht mehr traut«,291 die die Realität der Arkadien und die Realität des Paradieses verloren hat. Die Wirklichkeiten divergieren, das Heil ist nur ereignishaft im nun Verbliebenen, im Imaginären, möglich.292 Die Freigabe der Imagination ist heute institutionell abgesichert, die Freiheit der Kunst garantiert. Beides ist historisch äußerst unwahrscheinlich. Solange Bildproduktion im Dienst der Religion stand und Variationen der einen Welt anfertigte, die es zu repräsentieren galt, waren die Sinnüberschüsse der Kunst ebenso gezügelt wie die der Wissenschaft. Literarischer Realismus ist in einer Ständegesellschaft undenkbar – erst in der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft kann die Welt im Bild erscheinen. Historisch gesehen musste das Imaginäre der Kunst ebenso eingeschränkt werden wie das Numinose der Religion. Das enthemmte Numinose würde der Religion jede Ernsthaftigkeit nehmen.293 Auf gleiche Weise würde das enthemmte Imaginäre Repräsentationsleistungen der Kunst unmöglich machen – und die historische Analyse wird auch diesen Aspekt schneiden.

289 Bspw. wie die entsprechend betitelten Photographien von Margret Hoppe, zum Beispiel »Gerhard Richter, Lebensfreude, 1956, Wandbild, 500 x 1500 cm, Deutsches Hygiene-Museum, Dresden« (2006). 290 So Niklas Luhmann 1995d, S. 70, S. 116 und S. 205. Bzgl. der Entschlüsselung als Floskel jedoch: ebd., S. 428. 291 Niklas Luhmann 1990c, S. 43. 292 Siehe hierzu Peter Fuchs 1992, S. 89ff. 293 Vgl. Niklas Luhmann 1993a [1989], S. 271.

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Die Ausdifferenzierung eines Kunstsystems geht damit sowohl mit der Freigabe der Artefakte, als auch mit der Freigabe der Imagination bzw. der Kommunikation darüber einher. So wird es möglich, die Kunst auch in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit und dessen historischen Wandel zu beobachten. Ob Kunstwerke »schön« sind, »stimmig«, »unterhaltend« oder »interessant«, ist dem historischen Wandel der Wirklichkeitsverhältnisse der Bilder und der Texte nachgeordnet. Denn erst wenn dem Bild seine Repräsentations- bzw. Korrelationsfähigkeit genommen wird, kann es »schön« werden, selbst wenn es einen gemarterten Heiland darstellt. Das Bild wird harmlos. Diesen Prozess, sowie die Verwahrung gegen Sinnzumutungen seitens der sozialen Umwelt und die Durchsetzung der Selbstreferenz gegen eine ständisch verfasste Gesellschaft, gilt es in der folgenden historischen Analyse aufzuzeigen.

3 Das bildende Handwerk im Mittelalter

Über die Kunst im Mittelalter zu sprechen bedeutet über etwas zu sprechen, das nur aus heutiger Sicht Kunst ist.1 Die Kunstwerke des Mittelalters sind demnach Artefakte, deren Abstraktion aus dem mittelalterlichen Kommunikationszusammenhang hier nur durch Projektion der modernen Differenz der Kunst gelingen kann.2 Der moderne Beobachter sieht insofern Kunst und schließt daraus, dass auch der mittelalterliche Beobachter Kunst gesehen haben muss: Die Kunst zeigt (doch), dass es Kunst gegeben hat.3 Aber es ist gerade diese Selbstverständlich-

1

Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 256f. Das bereits oben angesprochene Problem bzgl. »Ethnokunst« wiederholt sich hier. Auch Hans Belting 1995, S. 74, stellt klar: »Anders gesagt, gibt es in einer Stammeskultur – ja, ich wage es zu sagen – keine Kunst, aber nicht deswegen, weil dort die Bilder kunstlos wären. Sie sind nur nicht im Hinblick auf Kunst entstanden, sondern haben der Religion und sozialen Ritualen gedient, was vielleicht bedeutsamer ist, als Kunst in unserem Sinne zu machen.« Da jedoch Kunstwerke gerade unabhängig von Produktionsmodi und Intentionalitäten sind, lässt sich folgern: Es gibt nichts, das nicht mithilfe des Codes der Kunst beobachtet werden könnte. Aber die Möglichkeit dazu ist durch die Kunst selbst, also sozial gegeben und gerade nicht durch das »Wesen der Kunstwerke«. Das soziologisch Interessante ist dann gerade, es wurde bereits angesprochen, wie die Kunst ihre Selbstlimitierung vollzieht.

2

Insbesondere Hans Belting ist die Leistung zu verdanken, diesen Unterschied in »Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst« kunstgeschichtlich herausgearbeitet und in diesem Sinne eine »Ära des Bildes« einer »Ära der Kunst« gegenübergestellt zu haben. Vgl. Hans Belting 1991, S. 9.

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So schreibt Ulrich Pfisterer 2002a, S. 21: »Diesem scheinbaren Schweigen der Schriftquellen widersprechen zum einen die Kunstwerke selbst, die ein teils verblüffendes Bewusstsein und differenzierte Kriterien für künstlerische Qualität bei Künstlern wie Auftraggebern gleichermaßen voraussetzen.«

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keit, die misstrauisch machen muss. Was sich uns darbietet, sind lediglich Ruinen und Oberflächen vergangener Selbstverständlichkeiten, die sich gerade aufgrund ihrer einstigen Selbstverständlichkeit dem modernen Verstehen entziehen. Wenn es die Kunst des Kunstsystems nicht »von Anbeginn an« gegeben hat, wenn sie ebenso ein Kondensat kontingenter gesellschaftlicher Evolution wie Nationalstaat oder Buchdruck ist, dann muss es soziologisch möglich sein, diese Ausdifferenzierung beschreiben zu können. Die Ausgangssituation des lateinischen Westens zur Zeit des Mittelalters ist in diesem Vorhaben von großem Vorteil. Denn sucht man in den überlieferten Schriften nach einem Kommunikationszusammenhang über Kunstwerke, also nach einem Diskurs, »der sich einigermaßen systematisch und unter Verwendung philosophischer Begriffe mit Phänomenen befasst, die in Zusammenhang stehen mit der Schönheit, der Kunst und den Bedingungen für das für das Hervorbringen und Beurteilen von Kunstwerken, den Beziehungen zwischen Kunst und anderen Aktivitäten sowie zwischen Kunst und Moral, der Funktion des Künstlers, den Begriffen des Angenehmen, des Ornamentalen, des Stils, den Geschmacksurteilen wie auch der Kritik dieser Urteile und mit den Theorien und Praktiken der Interpretation von verbalen oder nichtverbalen Texten, also mit der hermeneutischen Frage,«4

dann muss trotz Umberto Ecos sehr weit gehender Definition einer ästhetischen Theorie festgestellt werden, dass das Mittelalter über einen solchen Kommunikationszusammenhang nicht verfügte.5 Es wundert nicht, dass der moderne Beobachter diesem Schweigen der Quellen misstraut.6 Die besondere Quellenlage ist jedoch Teil des sozialen Phänomens, dem angemessen zu begegnen ist. Die folgenden Beispiele sollen diese ungewohnte Ausgangssituation veranschaulichen. Augustinus schreibt: »Singt ihm ein neues Lied: Singt ihm schön. Es mag da jemand fragen, wie er für Gott singen soll. Sing ihm, aber nicht falsch. Er will nicht, dass seine Ohren daran Anstoß nehmen.«7 Für den modernen Leser ist auf

4

Umberto Eco 1991, S. 10.

5

Siehe daher auch ebd., S. 17f., für die Rechtfertigung, darüber hinweg zu sehen: Es wäre »völlig falsch, wenn wir aufgrund solcher Feststellungen das Interesse an diesen Spekulationen verlieren würden.« Und bei diesem Bekenntnis bleibt es leider auch.

6

Für Ulrich Pfisterer 2002a, S. 21, ist das Schweigen der Quellen denn auch nur ein scheinbares Schweigen – was es eigentlich ist, bleibt offen.

7

Aurelius Augustinus 1956, S. 253 [32,2,1,8]: »Cantate ei canticum novum: bene cantate ei. Quaerit unusquisque quomodo cantet Deo. Canta illi, sed noli male. Non

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Anhieb klar, was Augustinus hier vermutlich gemeint hat: ein bemühtes, nicht schiefes Singen, ein Qualitätsurteil über Singen. Doch das Zitat stammt nicht etwa aus Augustinus’ Abhandlung über Musik, »De musica«, sondern aus den »Enarrationes«, der Auslegungen der Psalmen. Zieht man das vollständige Zitat heran, so wird schnell deutlich, dass es hier nicht um eine Aufforderung der Ästhetik gehen kann, sondern um eine Aufforderung des Glaubens: »Sing schön, Bruder. Singst du vor einem ausgewiesenen musikkundigen Hörer und sagt man dir: Singe ihm so, dass du ihm gefällst, dann scheust du dich, ohne Unterricht in der Kunst der Musik zu singen, um dem Künstler nicht zu missfallen, denn was der Unkundige nicht bemerkt, das tadelt der Künstler. Wer möchte da nicht Gott einen schönen Gesang anbieten, Gott, dem Richter über den Sänger, Gott, der alles prüft und der so zuhört? Wann könntest du einen solchen Gesang voller Eleganz anbieten, auf dass du seinem vollkommenen Gehör in keiner Weise missfällst? Siehe, er selbst gibt dir die Weise zu singen vor. Suche nicht nach Worten, als könntest du erklären, worüber Gott sich erfreuen sollte. Singe mit Jubel. Schön für Gott singen, heißt nämlich mit Jubel singen. Was meint dies, mit Jubel singen? Einsehen, dass es unmöglich ist, mit Worten zu erklären, was das Herz singt.«8

Das Schöne des Singens hat bei Augustinus ausschließlich theologische Konnotationen. Es gibt keinen Hinweis, der ein Urteil darüber zulassen würde, ob eher die Sängerin Maria Callas oder der Sänger Sid Vicious vorzuziehen wäre. Das Schönsingen, das von Gott geprüft wird, ist gerade keine ästhetische Qualität: geprüft wird der Glaube. »Bestraft« würde daher auch nicht die ästhetische, son-

vult offendi aures suas.« Das Beispiel entstammt Eyolf Østrem und Nils Holger Petersen 2007, S. 5f. 8

Ebd., S. 253f. [32,2,1,8]: »Bene canta, frater. Si alicui bono auditori musico, quando tibi dicitur: Canta ut placeas ei, sine aliqua instructione musicae artis cantare trepidas, ne displiceas artifici; quia quod in te imperitus non agnoscit, artifex reprehendit; quis offerat Deo bene cantare, sic iudicanti de cantore, sic examinanti omnia, sic audienti? Quando potes afferre tam elegans artificium cantandi, ut tam perfectis auribus in nullo displiceas? Ecce veluti modum cantandi dat tibi; noli quaerere verba, quasi explicare possis unde Deus delectatur. In iubilatione cane. Hoc est enim bene canere Deo, in iubilatione cantare. Quid est in iubilatione canere? Intellegere, verbis explicare non posse quod canitur corde.«

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dern die religiöse Abweichung.9 Die Schönheit, von der hier die Rede ist, bleibt jeder Ästhetik notwendigerweise fremd.10 Das Beispiel verdeutlicht, wie schwer es fallen kann, moderne Differenzen aus einem Zusammenhang herauszuhalten, dem diese Differenzen fremd sind.11 Gleiches gilt für den Begriff »ars«, der den modernen Unterschied zwischen Kunst und Handwerk nicht aufweist. Gelehrte wie Hugo von St. Viktor subsumierten den gesamten Bereich der mechanischen Tätigkeiten unter ars, ohne, dass man Bildende Kunst oder Bildhauerei davon grundsätzlich ausnahm oder einer gesonderten Besprechung unterzog. Unabhängig vom späteren Verwendungszusammenhang, sei dieser nun profan oder im Rahmen der Liturgie, war der Künstler als Handwerker Hersteller eines Gebrauchsgegenstandes. Die mittelalterliche Bedeutung von ars hat folglich mit dem, was man in der Neuzeit unter Kunst und künstlerischen Schaffen versteht, nichts zu tun.12 Insoweit wäre man genötigt, im Kontext der mittelalterlichen Kunst diese stets als Kunst zu barren.13 Stattdessen wird im Folgenden der Ausdruck Handwerk vorgezogen, um über eine Kunst zu sprechen, die nicht weniger, jedoch auch nicht mehr als dies war.14

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Siehe diesbezüglich bspw. auch Max Weber 1972 [1911], S. 26: »Da jede Abweichung von einer einmal praktisch bewährten Formel deren magische Wirkungskraft vernichtete und den Zorn der übersinnlichen Mächte herbeiführen konnte, so war die genaue Einprägung der Tonformeln im eigentlichsten Sinne ›Lebensfrage‹, ›falsches‹ Singen ein – oft nur durch sofortige Tötung des Schuldigen zu sühnender – Frevel, [...]«

10 Ernst Robert Curtius 1948, S. 231, schrieb in diesem Sinne: »Hier ist eine Schönheit gemeint, von der die Ästhetik nichts weiß.« 11 Nicht nur bei Augustinus, sondern für die scholastische Kommunikation über die Begriffe pulchrum (schön) und pulchritudo (Schönheit) insgesamt muss festgestellt werden, dass sich aus diesen keine Kunsttheorie und keine Ästhetik extrahieren lassen. Diese Begriffe gewannen ihre Bedeutung im Rahmen des epistemologischen Problems der Erkennbarkeit Gottes oder seiner Schöpfung. Siehe hierzu ausführlich Andreas Speer 1994a und Andreas Speer 1990. 12 Vgl. Nicola Senger 1994, S. 72. 13 Übersetzt man jedoch ars durchgängig mit Kunst im modernen Verständnis, dann verdeckt man nicht nur gerade den Unterschied, der hier interessiert, sondern man stößt auf eigenproduzierte avant les lettres, exemplarisch bei Udo Kultermann 1998, S. 54, in Hinsicht auf Thomas von Aquin. 14 Daher ist von Formulierungen Abstand zu nehmen, die, wie bspw. bei Margot Wittkower und Rudolf Wittkower 1989, S. 24, den mittelalterlichen Künstler als

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Man wird dem gesellschaftlichen Phänomen der Kunst nicht gerecht, wenn man sie als bereits in diesem Handwerk angelegt, im Sinne eines »Abwartens« oder eines »Schlafens«, beschreibt und in der Renaissance schließlich eine »bislang übersehene [Herv. d. Verf.] Erscheinungsweise des Schönen in und an Werken der bildenden Kunst«15 entdeckt wird. Die Ausdifferenzierung eines autonomen Funktionssystems für Kunst ist ein evolutionär äußerst unwahrscheinlicher Vorgang. Auf diese Weise kann auch die Projektion normativer Einstellungen auf diesen Prozess vermieden werden, bspw. in Form einer Fortschrittssemantik, die im Mittelalter einen »Rückschlag« für die Kunst sieht oder die Geschichte der Kunst als ein »Ringen um Freiheit« interpretiert.16 Auch Lob für handwerkliche Geschicklichkeit, noch dazu im Nachtrag selektiv eingeschränkt auf jene Artefakte, die heute unter Kunst firmieren, lässt keinen Rückschluss auf eine mittelalterliche Ästhetik zu.17 Das Lob erfolgte stets im Kontext des Verwendungszusammenhangs, bspw. der liturgischen Eignung oder der Eignung eines Objekts als Geschenk im Rahmen des höfischen Zeremoniells.18 Aber selbst gesetzt den Fall, das Lob oder die Auszeichnung als »schön« ließen sich ästhetisch verstehen, so wäre durch die kommunikative Auszeichnung doch nur eine Erwartungserfüllung ausgesprochen, die gerade das, worin die Erfüllung durch das Artefakt besteht, offen lässt. Man könnte dann so weit gehen und die These formulieren, dass selbst dann, wenn diese Auszeichnung erfolgt, diese solange etwas dem Artefakt Externes ist, solange ein Begründungszusammenhang am Artefakt fehlt. Das ist nun etwas, was man eher bei Kritik, al-

»nur« einen Handwerker beschreiben und somit eine normative Hierarchisierung auf einen Zeitabschnitt projiziert, wo diese Hierarchisierung nicht nur wenig Sinn macht, sondern die historisch wirksame, auf Platon Bezug nehmende, Hierarchie der Handwerker ins Gegenteil verkehrt wird. 15 Wilhelm Perpeet 1987, S. 33. 16 Exemplarisch wird hier auf die Überschrift »Der Rückschlag im Mittelalter und das Ringen um Freiheit« bei Margot Wittkower und Rudolf Wittkower 1989, S. 24, Bezug genommen. Siehe jedoch auch Oliver Sill 2001, S. 195, und Peter Bürger 1981, S. 56, die ebenfalls von Befreiung sprechen. 17 Siehe für den Schluss von Lob zu Ästhetik bspw. Klaus Krüger 1997, S. 65, und Umberto Eco 1991, S. 26. 18 Für das höfische Zeremoniell waren Geschenke von größter Bedeutung und mit großer Gründlichkeit haben Inventare die Geschenke des französischen Königs festgehalten. Bei diesen Goldschmiedearbeiten, Emailplastiken und illuminierten Codices fand jedoch nur der Sachwert Beachtung, nicht aber ein ästhetischer Aspekt, so Bernd Carqué 2004, S. 453f.

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so der Nichterfüllung von Erwartungen, erwarten kann. Denn die Negation steht häufig in einem Zusammenhang, der Rückschlüsse auf eine hintergründige Semantik zulassen könnte. Doch die wenigen zeitgenössischen Thematisierungen von Missfallen oder Unstimmigkeiten kommen gerade über diese Bemerkung nicht hinaus: Es fehlt jeder Maßstab, auf den Ästhetik zur Programmierung ihrer Differenz angewiesen wäre. Ein bekanntes Beispiel hierfür findet sich bei Gervasius, der den gotischen Neubau des 1174 durch ein Feuer beschädigten Chors der Kathedralkirche von Canterbury als Chronist begleitete. Während des Wiederaufbaus verlangten zwei romanische Kapellenanbauten an den Seiten des Chores architektonische Berücksichtigung und wecken dadurch den Eindruck, dass die Kathedrale an dieser Stelle »eingeschnürt« erscheint. Gervasius ging rechtfertigend auf den Wandverlauf ein, indem er die Beweggründe des Baumeisters und liturgische Notwendigkeiten anführte.19 Diese Rechtfertigung ist erstaunlich, denn Gervasius thematisierte eine Differenz: die architektonische Abweichung von einer idealeren Wandführung. Diese Differenz zog jedoch keine weitere Kommunikation nach sich. So wundert es auch nicht, dass Gervasius zwar den gesamten Neubau lobend begleitete, jedoch kein abschließendes Gesamturteil fällte. Es gibt weitere vergleichbare Äußerungen, die jedoch, und das ist entscheidend, keine Rückschlüsse auf eine hintergründige Ästhetik zulassen. Auch die im Nachhinein stilistisch bedeutenden Umbrüche, bspw. im Hinblick auf die sog. Gotik, schlugen sich nicht in zeitgenössischen Kunstbetrachtungen nieder. Die Ersetzung der romanischen Deckenmalerei durch gotisches Gewölbe war für die Religion ein funktionales Äquivalent.20 Das gotische Gewölbe war lediglich eine Fortsetzung des Hergebrachten mit anderen Mitteln und hatte sich in jeder Hinsicht liturgischen, nicht aber ästhetischen, Bedürfnissen unterzuordnen.21 Selbst ein Einfluss der Scholastik auf die Gotik als eine Art Äs-

19 Vgl., auch für das Folgende, Björn R. Tammen 1994, S. 300. 20 Siehe hierzu Otto von Simson 1982, S. 16. 21 Jedoch schreibt Umberto Eco 1991, S. 28f.: »Um den mittelalterlichen Geschmack besser zu begreifen, müssen wir uns einem Prototyp des Menschen von Geschmack und des Kunstliebhabers im 12. Jahrhundert zuwenden, nämlich Suger, dem Abt von Saint-Denis, dem Anreger der größten figurativen und architektonischen Schöpfungen der Île de France, einem hochkultivierten Politiker und Humanisten.« Für Abt Sugers Beteiligung an der formalen Baugestaltung von Saint-Denis gibt es keine Hinweise, auch nicht dafür, dass sich sein Verhältnis zum Bauen wesentlich von dem seiner Zeitgenossen unterschieden hatte. Vgl. Andreas Speer 1990, S. 960f., und Günther Binding 1994, S. 206.

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thetiksubstitut, wie es Panofsky zu zeigen versucht hat, lässt sich nicht nachweisen.22 Um die hier nur angerissenen Problemfelder zusammenzufassen: Solange die Werke des bildenden Handwerkers in einen umfassenden, theologisch-philosophischen Kommunikationszusammenhang eingespannt sind, der diese in die stratifizierte Gesellschaft einbindet und dadurch legitimiert, das heißt, solange jede Frage an das Werk durch den Glauben und nicht unabhängig von diesem beantwortet wird, kann keine ästhetische Kommunikation kondensieren. Dann aber stellt sich zusätzlich das Problem, wie diese Fragen durch Kunst beantwortet werden können, wenn es noch keine kunstinternen Kriterien gibt, die Antworten bieten könnten. Erste Indikatoren der Ausdifferenzierung des Kunstsystems sind somit weder in stilistischen Umbrüchen noch in den Werken selbst zu suchen, sondern im Zurücktreten der religiösen Kommunikation über diese in Form einer Selbst- oder Fremdbeschränkung. Da das »Kitten« einer semantischen Bruchstelle im Byzantinischen Bilderstreit gerade jenes Zurücktreten unterband, kann die Transformation der Bildsemantik im Byzantinischen Bilderstreit einen hilfreichen Hinweis bieten.

3.1 D IE T RANSFORMATION DER B ILDSEMANTIK IM B YZANTINISCHEN B ILDERSTREIT Im Gegensatz zum modernen, kaum mehr zu definierenden Bildbegriff,23 basiert der mittelalterliche auf Ähnlichkeit (similitudo). Die Betonung liegt dabei auf dem verbindenden Aspekt, nicht auf dem trennenden.24 Der Begriff similitudo durchzieht den Blick des Mittelalters auf die Welt und ordnet diese auf Gott als Urbild der Urbilder hin. Dem Bildwerk selbst ist die Ähnlichkeit wesentlich und nicht ablösbar. Der mittelalterliche Bildbegriff war damit in den Rahmen der platonischen Ideenlehre eingefasst und bezeichnete ebenso materielle Bilder wie geistige. Weder die Materialität noch das Artifizielle des Bildes standen hier im Vordergrund, sondern das Urbild, dessen Bild es war: Das Bild war die Erschei-

22 Siehe Erwin Panofsky 1989 [1948]. Zur Kritik siehe Wolfgang Beckermann 1998, S. 1002 und Anmerkung 5 für weitere Verweise. 23 Siehe für dieses Problemfeld Hans Ulrich Reck 1996, S. 105, Dietmar Kamper 1999, S. 42, und mit Bezug zur Systemtheorie Gottfried Boehm 1999. 24 Das macht auch der etymologische Hintergrund des Begriffes deutlich: »Im deutschen Wort ›ähnlich‹ schwingt die Gestaltgleichheit, das in-eins-Setzen (frühneuhochdeutsch: ›einlich‹) noch mit«, so Gottfried Boehm 1997, S. 199.

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nung des Urbildes. Damit war das Bild noch kein Zeichen, sondern in erster Linie ein Gleichnis. Dieser Bildbegriff konnte sich auf wesentlich mehr beziehen, als der moderne, bspw. auch auf Kerzen, Glocken, Altäre und das Kreuz. Johannes von Damaskus (650 – 754) unterschied unter anderem Schrift, Mensch, Jesus und jene Bilder, die Gott selbst herstellen ließ,25 als jeweils unterschiedliche Bilderkategorien. Insbesondere das paulinische eikôn tou theou (Jesus als Bild Gottes) diente häufig dazu, das Bilderverbot des Alten Testaments auszuhebeln.26 Und noch 1537 brachte der Theologe Erhard Schnepf gegen die Entfernung aller Bilder aus den Kirchen den Einwand,27 dass man dann auch die lebendigen Bilder aus den Kirchen entfernen müsste – damit meinte er den Menschen als homo imago Dei (Mensch als Bild Gottes). Bilderfragen begleiten die christliche Kirche damit von Anbeginn an und, was die Bildwerke betrifft, zuerst im Rahmen der alttestamentarischen Ablehnung, seit dem 4. Jahrhundert zunehmend in einer liturgischen Bejahung. Doch erst mit dem Byzantinischen Bilderstreit (um 730 bis 843) kam es zu ausführlicheren Auseinandersetzungen um den Widerspruch zu entfalten, der mit Exodus 20.4 und Genesis 1.26 gegeben war. Die Problemstellung im Bilderstreit zielte weniger auf das Bild selbst, als auf den richtigen Umgang mit diesem, denn der falsche Umgang mit Bildern wurde von der Theologie als heilsgefährdend eingeschätzt. Allgemeiner Hintergrund dieser Gefährdungslage bildete die religiöse Unterscheidung der Latrie, der allein Gott vorbehaltenen Form der Anbetung, von anderen Formen der Anbetung, bspw. Dulia und Hyperdulia. Die theologische Besorgnis bestand darin, die Latrie etwas zuteilwerden zu lassen, das diese Anbetung nicht verdient, denn in diesem Fall wäre eine Versündigung die Folge. Eine naheliegende Möglichkeit, Idolatrie zu vermeiden, war folglich der in der Selbstbeschreibung sowohl von der katholischen Kirche als auch der Ostkirche bezogene Standpunkt, dass nicht das Bild selbst verehrt wird, sondern das, was abgebildet war. Wir werden diese Differenz im Rahmen der folgenden Analyse in die Form Darstellung/Dargestelltes fassen. Diese Unterscheidung soll nicht Aussagen über Bilder ermöglichen, sondern eine Unterscheidung in der Kommunikation über Bilder kennzeichnen und dazu dienen, die Organisation der Kommunikation über Bilder und die Transformation dieser Organisation be-

25 Cherubim, Ex 25,10-22, bzw. die eherne Schlange, Num 21, 4-9. 26 Demnach sei für die Menschen des Alten Testaments das Bilderverbot notwendig gewesen, da Gott noch keine körperliche Form angenommen hatte, so Wycliffe nach Margaret Aston 1984, S. 138. Luther wird sich dieser Ansicht anschließen. 27 Vgl. Helmut Feld 1990, S. 180.

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schreiben zu können.28 Erst die Frage nach dem »Wie?« der »Darstellung« gibt den Blick auf das Bild und die Materialität seiner Oberfläche frei, also bspw. das Arrangement der Flächen, Farben und Linien. Für das Verständnis des einzelnen Bildes im Hinblick auf seine Medialität, die Codierung seiner zugeschriebenen Referenzen und der Kontingenz seiner Herstellung ist diese Unterscheidung nur eingeschränkt geeignet: Solange die Seite des Dargestellten, das Repräsentierte, in der Kommunikation über das Bildwerk im Religionssystem affirmativ anschlussfähig blieb, konnte mit Variationen der Darstellung experimentiert werden. Die Differenz von Darstellung und Dargestelltem zeigt somit nur die Bedingung zur Variation der Darstellung auf; sie erklärt weder, welche Variationen realisiert wurden, noch dass es überhaupt zu Variationen kommen musste. Es handelt sich bei der Festlegung auf diese Unterscheidung also weder um das Treffen einer Aussage über das Wesen der Bilder noch um ein Bekenntnis zur Semiotik. Denn nicht jedem Bild liegt in der kommunikativen Einbindung die Zeichenhaftigkeit zugrunde, das zeigen im Vorliegenden insbesondere die Ikonen als Einheit der Unterscheidung von Darstellung und Dargestelltem.29 Das Unterschiedene ist in diesen Fällen jeweils dasselbe: Die Ikone ist zwar anders als das Urbild, aber niemand anderes. Der Unterschied bestand lediglich in der Substanz; man könnte vermuten: im medialen Substrat. Abgesehen vom höheren Auflösungsvermögen betont die Unterscheidung Darstellung/Dargestelltes den medialen bzw. materiellen Gestaltungsaspekt und profiliert diesen gegenüber dem Verweisungszusammenhang. Der Byzantinische Bilderstreit war im Gegensatz zum spätmittelalterlichen Bilderstreit des lateinischen Westens eher ein intersystemischer als ein innersystemischer Konflikt, dessen genaue politische und wirtschaftliche Umstände für den vorliegenden Zusammenhang eher vernachlässigt werden können. Denn bereits in der patristischen Tradition kondensierten zwei unterschiedliche Ansätze

28 Über Bilder wird damit nur ausgesagt, dass diese die Kommunikation dieser Differenz tolerieren, nicht aber, dass sich Bilder ontologisch durch eine spezifische Fassung dieser Differenz auszeichnen, wie diese Differenz bspw. bei Gottfried Boehm 1997, S. 301f., in Hinsicht auf einen anthropologischen Bildbegriff verstanden wird. 29 Freilich ist die Ikone zeichentheoretisch beschreibbar, bspw. bei Beat Wyss 2006, S. 95f., doch gerade dies würdigt die Besonderheit ihrer semantischen und strukturellen Einbindung in den Kommunikationszusammenhang nicht. Siehe auch Hans Belting 2005, S. 34ff, für bildanthropologische, Semiotik umgehende Ausführungen zur Ikone.

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der kommunikativen Einbindung der Differenz von Darstellung und Dargestelltem: Der eine hielt die Differenz aufrecht, der andere führte Bild und Ähnlichkeit zusammen. Im Falle des Menschen trennte bspw. Augustinus bereits imago und similitudo über die Zeitdimension, das heißt, das Bild muss nicht notwendigerweise seinem Urbild ähnlich sein, sondern Ähnlichkeit ist das Ziel.30 Im Byzantinischen Bilderstreit gewann die Differenz an Schärfe und bekanntlich setzte sich das Zusammenführen von Bild und Ähnlichkeit durch, indem das Verhältnis der Ähnlichkeit von Abbild zu Urbild reformuliert wurde. Zu diesem Zweck zog man eine neoplatonische Auslegung von Platons Ideenlehre heran, die die Selbstabbildung des Urbilds betonte: Der Heilige bildete sich im Bild ab. Nikephoros, der Patriarch von Konstantinopel, schrieb: »Der Prototyp ist der Anfang und das Vorbild einer nach ihm gestalteten Form und die Ursache des Bildes der Ähnlichkeit. Über das Bild jedoch sagt die folgende Definition, was man über Dinge, die durch die Kunst hervorgebracht worden sind, sagen könnte: ein Bild ist das Abbild eines Archetyps, das in sich selbst die ganze Form (eidos) dessen in entsprechenden Zügen wiedergibt, das auf ihm ausgedrückt ist, und das sich von ihm nur durch die Verschiedenheit der Substanz unterscheidet, was also die Materie betrifft.«31

Das Bild war in dieser Sicht ein »Überfluss des Urbildes«.32 Das schlug sich bspw. in der damaligen sprachlichen Verwendung des Begriffs nieder: Der Begriff Urbild wurde von der patristischen Theologie dieser Zeit rein adjektivisch verwendet, als to archétypon, jedoch nie als Substantiv (ho archétypos).33 Die platonische Differenz von Abbild und Urbild wurde im Laufe des Bilderstreits so weit zusammengezogen, dass die dem Bild inhärente Ähnlichkeit zum Urbild es

30 Auch im Falle des Menschen verlief das Verhältnis mit seinem Urbild über similitudo (Ähnlichkeit), während dissimilitudo (Unähnlichkeit) auf den Unterschied, das heißt das, was das Bild selbst war, verwies, zum Beispiel auf das Tierische und Triebhafte des Menschen. Auch die mittelalterlichen Wissenschaften waren in diese Ordnung eingebunden, denn durch die Erkenntnis der Schöpfung wurde es möglich, die similitudo zu erhöhen. Entsprechend konnte es für Hugo von St. Viktor, zitiert nach Ulrike Bollmann 2001, S. 67, nichts Unbedeutendes geben: »Lerne alles, nachher wirst du sehen, dass nichts überflüssig ist.« 31 Nikephoros zitiert nach dem Reallexikon zur byzantinischen Kunst 1966, S. 653. 32 Vgl. Hans-Georg Gadamer 1965, S. 133. Vielleicht rührte daher die byzantinische Präferenz für das Wandmosaik gegenüber der Skulptur als eine Art Heraustreten aus der Wand. 33 Vgl. Ernst Benz 1964, S. 81.

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»wieder« kultfähig machte. Die Heiligen zeigten sich im Dargestellten, wurden gegenwärtig. Das damit einhergehende Problem, wie in diesem Fall menschliche, sündige Produzenten heilige Bilder überhaupt schaffen können, wurde dadurch gelöst, dass man Jesus oder die Heiligen selbst zum Schöpfer der ersten Ikone erklärte: acheiropoíetos (das nicht von Händen gemachte) eíkon; der Mensch findet oder entdeckt diese Bilder lediglich, bspw. in einem Brunnen. In einer modernen Formulierung kann man sagen: Die Ikone wurde dadurch objektiv, denn der menschliche Produzent wurde vollständig aus der Relation des Bildes zum Abgebildeten entfernt. Das Abbild bewies die Existenz des Urbildes, wie ein Schatten die Existenz des Schatten werfenden Körpers bewies. Das der Ikone zugeschriebene Wirklichkeitsverhältnis ist damit dem heute der Photographie zugeschriebenen Wirklichkeitsverhältnis vergleichbar, mit dem Unterschied, dass in der Photographie die Selbstabbildung mechanisch, bzw. chemisch, und nicht neoplatonisch vermittelt ist. Die Ikone repräsentiert also nicht, sondern partizipiert am Transzendenten. Sie ist dadurch hybrid in dem Sinne, dass sie, wie die Eucharistie, Sein und Zeichen zugleich ist. Aber Zeichen allein kann eine Ikone nicht sein, noch teilt sie etwas mit.34 Sie hat ihr Sein in Form der Einheit von Darstellung und Dargestelltem. Und eben diese Differenz, so ließe sich vermuten, könnte durch die Kontextur des ausdifferenzierten Funktionssystems Kunst als Einheit des Kunstwerks verdoppelt werden, als »aisthetische Nichtunterscheidung«.35 Die Ikone als Einheit von Darstellung und Dargestelltem bedingte die religiösdogmatische Belegung der Darstellung. Jede Veränderung der Darstellung der Ikone würde die Wahrheit, die Wirklichkeit, bzw. das Urbild, verfälschen – und das wäre Häresie. Um dies zu konturieren: Gerade weil die Soldaten der Terracotta-Armee des chinesischen Kaisers Qín Shӿhuángdìs niemandem ähnlich sein mussten, konnten sie hochindividualisiert dargestellt werden.36

34 Die Ikone war damit genau genommen auch kein Bild, was Hans Belting 1991, bspw. auf S. 172, vor erhebliche methodische Probleme stellt und ihn den zuvor erarbeiteten Bildbegriff wieder im modernen Bilderverständnis versenken lässt: Die Ikone wird folglich wieder zu einem Zeichen, zu etwas, was etwas mitteilt. 35 Siehe hierzu auch die These von Gottfried Boehm 1997, S. 296, der zufolge die Ikonoklastik Grundlage, ja interne Bedingung, des Bildes selbst ist. Siehe auch S. 301f. für die Nichtunterscheidung von Darstellung und Dargestelltem in Hinsicht auf einen anthropologischen Bildbegriff. 36 Siehe hierzu Ladislav Kesner 1995, S. 129.

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Die Produktion der Ikone musste somit religiös belegt werden: Den Exkommunizierten verbot das Konzil von Konstantinopel (869) die Ikonenmalerei.37 Auch künstlerische Freiheit musste vermieden werden. So lautete die Anweisung im 2. Konzil von Nikäa (787), das die Anbetung der Bilder wieder einsetzte: »Das Erfinden von Anlage und Aufbau der Bilder ist nicht Sache der Maler, sondern der Tradition und bewährten Gesetzgebung der katholischen Kirche.«38 Die inventio verblieb über die Autorität der Tradition bei der Kirche. Eine Semantik, die den Herstellern von Bildern autonome Bildfindung, Inspiration, Interpretation, Einbildungskraft oder Kreativität zuschreibt, konnte unter diesen Umständen nicht zur Geltung kommen – oder, um die Normativität umzudrehen: Man hatte es noch nicht nötig, sich Geschichten ausdenken zu müssen, wenn man, wie bspw. auch in der höfischen Dichtung, über die Verbindlichkeit verbürgter Wahrheit verfügte.39 Als wahr galt, was schriftlich überliefert war, unabhängig davon, ob es sich dabei um religiöse, philosophische oder poetische Texte handelte. Dante unterschied in der »Göttlichen Komödie« bspw. nicht zwischen fiktiven und realen Personen.40 Der Hersteller war nicht letzte Ursache des Bildes. Das hatte Folgen für die Zurechnungsmöglichkeit von Kommunikation, denn die Möglichkeit, dem Hersteller das Bild als Äußerung, also als Mitteilung einer Information, zurechnen zu können, fiel weg. Die Religion konnte auf die Zurechnung des Bildes zu einer herstellenden Personen verzichten, denn sie war es selbst, die erzählte und zeigte.41 Doch erst wenn das Bild einer sozialen Adresse als Äußerung zurechenbar wird, kann es semantische Abweichungen über die Bildäußerung kondensieren, affirmiert oder negiert werden. Für eine Ausdifferenzierung des Kunstsystems musste es damit notwendigerweise zu einer semantischen Umstellung kommen, die das Bild nicht mehr auf das sich Abbildende, sondern zusätzlich auf den Abbildenden zurechenbar machte. Damit wird freilich auch langfristig der Verlust des objektiven Bildes verbunden sein und die Referenz des hergestellten Bildes in der gesellschaftlichen Umwelt zum Problem.

37 Vgl. Hans Campenhausen 1960a, S. 233. 38 »Non est imaginum structura pictorum inventio, sed ecclesiae catholica probata legislatio et traditio«, zitiert nach Salvatore Settis 1988, S. 13. 39 Wie bspw. Marianne Ott-Meimberg 1992 am medial durch Gebetsform abgesicherten Rolandslied aufgezeigt hat. 40 Siehe Hans Robert Jauß 1983, S. 427. 41 Vgl. Rainer Warning 1983, S. 195.

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3.2 D IE

MITTELALTERLICHE B ILDERSITUATION IM LATEINISCHEN W ESTEN

Der Byzantinische Bilderstreit hatte nur beschränkten Einfluss auf die zeitgenössische Bildtheologie im lateinischen Westen. Er bildete hier bspw. den Kontext für die Libri Carolini (um 790-792), die erste größere Abhandlung zur Bilderfrage im Westen. Obgleich die Libri Carolini fachkundig verfasst waren, standen sie nicht in einem größeren Diskurs zur Bilderfrage, sondern waren im Grunde nur eine Stellungnahme zum zweiten Konzil in Nikäa. Man schlug sich weder auf die Seite der byzantinischen Ikonodulen, noch auf die Seite der Ikonoklasten, sondern beschränkte sich darauf, die gedächtnisstützende Funktion der Bilder zu loben und die Anbetung der Bilder zu verdammen – jedoch nur die von Menschen hergestellten Bilder. Sowohl der Mensch als auch die Eucharistie durften verehrt werden, da diese Bilder durch Gott gewirkt wurden. Die Libri Carolini gerieten bald darauf in Vergessenheit und wurden erst 1549 wiederentdeckt und neu aufgelegt.42 Der Byzantinische Bilderstreit ging am Westen vorüber, das heißt, im lateinischen Westen konnte keine bildtheologische Aufmerksamkeit dauerhaft gebunden werden, nicht zuletzt, da der innersystemische Rechtfertigungsdruck gegenüber Bildwerken wesentlich schwächer war. Wo es sie überhaupt gab, waren die Marmorstatuen der Antike gestürzt oder zu Kalk gebrannt worden (Mörtel) und den Malern der verbliebenen römischen Werkstätten war längst empfohlen worden, sich besser anderem Handwerk zu widmen: »Wer ein Götterbild zeichnet, um wieviel leichter streicht der ein Rechenbrett an! Wer aus Lindenholz einen Mars schnitzt, um wieviel rascher setzt er einen Schrank zusammen!«43 Im Unterschied zu Byzanz fehlte dem Westen nicht nur eine blühende Bilderwirtschaft mit Malerwerkstätten, sondern allgemein ein Mangel an heidnischen Bildern. Wenn Donar in der Eiche lebte, dann genügte es, die Eiche zu fällen, wie Bonifaz dies bekanntlich tat. Seit dem frühen 13. Jahrhundert änderte sich jedoch die Bildsituation des Westens rapide. Nach der Plünderung Konstantinopels 1204 wurde der Westen mit Ikonen und Reliquien von bisher unbekannter Qualität und Quantität überflutet. Es waren diese innerhalb der Kirche verteilten Reliquien, die die Spenden der Pilger anlockten und dadurch die Kirchenneubauten dieser Zeit, bspw. Chartres, finanziert und ermöglicht hatten. Auch eine rege Reproduktionsindustrie entstand und mit dieser die Verbreitung des Tafelbildes. Das Tafelbild, der me-

42 Vgl. Helmut Feld 1990, S. 16. 43 So Tertulian zitiert nach Thomas Pekáry 2002, S. 93.

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diale Vorgänger des modernen Gemäldes, war im lateinischen Westen vor dem 13. Jahrhundert ein seltenes Kuriosum, seit dem 13. Jahrhundert etablierte es sich.44 Allerdings nicht gleichermaßen; bspw. blieb in Frankreich die Buchmalerei bis Anfang des 15. Jahrhunderts die vorherrschende Form der Malerei. Die neue Bildersituation schlug sich in der Semantik nieder; vor allem die Differenz von profanen und sakralen Bildern erfuhr eine Neuausrichtung. Unter dem Eindruck der östlichen Legenden von sprechenden und wundertätigen Bildern wurden sakrales Bild und Reliquie äquivalent gesetzt: Die Veronica in Rom wurde von einer Reliquie zu einem Bild transformiert.45 Wunder wurden nun nicht mehr nur von durch Teilung begrenzt vermehrbaren Reliquien bewirkt, sondern von beliebig oft kopierbaren sakralen Bildern, die, wenn sie weinten oder bluteten, selbst Reliquien produzierten. Mit dieser erheblichen Aufwertung des hergestellten Bildes wurde zugleich eine Steigerung der religiösen Leistungsansprüche an Bilder möglich. So trat im 13. Jahrhundert neben die traditionelle Belehrungs- und Erinnerungsleistung als weitere Leistung das Hervorrufen von Frömmigkeitsempfindungen hinzu, bspw. im Wörterbuch »Summa grammaticalis quae vocatur Catholicon«46 (1286) oder bei Thomas von Aquin: »ad excitandum devotionis affectum«.47 Durandus von St. Pourçain ging sogar so weit, die Überlegenheit (!) des Bildes über die Schrift mit dem Argument zu begründen, dass das Anschauen eines Bildes mehr Gefühle wecke als das geistige Bild, das durch Schrift oder Sprache hervorgerufen werde.48 Das Wort Gottes wurde durch Bilder ersetzbar. Das Bild sollte aktiv auf seinen menschlichen Betrachter einwirken,49 der Betrachter sollte am Bild sein religiöses Erleben erleben. Begleitet wurde dieser Wandel durch die Ersetzung der platonischen Sehtheorie durch die aristotelische

44 Vgl. Hans Belting 1985, S. 181. 45 Vgl. ebd., S. 182. 46 Siehe hierzu Michael Baxandall 1980, S. 55. 47 Thomas von Aquin zitiert nach Hans Campenhausen 1960a, S. 231. 48 »Pictura namque plus videtur movere animum quam scriptura. Per picturam quidem res gesta ante oculos ponitur... sed per scripturam res gesta quasi per auditum, qui minus movet animum, ad memoriam revocatur. Hinc etiam est in ecclesia non tantam reverentiam exhibemus libris, quantam imaginibus et picturis«, so Durandus von St. Pourçain zitiert nach Władysław Tatarkiewicz 2005, S. 106. 49 Zwar war bspw. auch bei Aristoteles die Poetik auf den Rezipienten bezogen, doch mit diesem war nicht der Einzelne gemeint, sondern die Gesamtheit des städtischen Bürgertums.

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Empfangstheorie, das heißt, auch in der wissenschaftlichen Begleitung wirkte das Bild nun aktiv auf den Betrachter ein.50 An der Relation des für Gott hergestellten Bildes hatte der Betrachter zuvor lediglich andächtig, passiv teil. Bereits im Hochmittelalter wurde dieses Verhältnis als eines der Nachahmung beschrieben und erlebt.51 Durch diesen »möglicherweise miterlebenden Dritten«,52 einem Parasiten, der an seinen eigenen Beobachtungen parasitiert, kann sich das dyadische Verhältnis des Bildes mit einer neuartigen Problemstellung konfrontiert sehen. Der miterlebende Dritte lenkt Relationen um, er reichert die Kommunikation über das Bild mit der Komplexität seines Erlebens an. Das Religionssystem konnte diese Komplexität nutzen, um dadurch die eigene Komplexität zu erhöhen. Man denke an die Mystik, die nicht nur das Erleben einer direkten Handlungsaufforderung durch das Bild gestatten konnte, sondern bspw. auch erotische Verhältnisse mit Bildern ermöglichte.53 Das Interesse an der Hervorrufung von Frömmigkeitsgefühlen durch Bilder war groß und fand in der Mystik mit ihrem Interesse an Überwindung des Hiatus zwischen Mensch und Gott, bspw. in Form der Leidensmystik der Franziskaner, eine theologische Parallele. Die Meditationszusammenhänge verbreiteten sich auch außerhalb der Klöster, wurden von Laien aufgegriffen und ließen sich so bereits quer zur Stratifikation installieren. Mit der allgemeinen Erweiterung religiöser Erwartungen und Ansprüche standen der Bildproduktion höhere Freiheitsgrade für Darstellungen und Darstellungsinnovationen zur Verfügung. Bspw. konnten nun diejenigen Bereiche einer Skulptur, die man nicht oder nur kaum sah, in der Gestaltung vernachlässigt werden.54 Selbst im Fall der westlichen Reproduktionen der Ikonen, die sich ebenfalls akribisch an das Vorbild hielten, wurde es zunehmend möglich, ohne Häresieverdacht über das reine Nachahmen hinaus zu gehen, so bspw. bereits bei Duccio. Zu den Darstellungsinnovationen unter der gesteigerten Erwartungshaltung gehörte die zunehmende Anthropomorphisierung der Darstellung im 13. Jahr-

50 Über Avicenna, Averroes und, an beide anschließend, Albert den Großen. Siehe hierzu Henryk Anzulewicz 1998, S. 258ff. 51 Siehe hierzu insbesondere die Erlebnisberichte bei Peter Dinzelbacher 2002. 52 Niklas Luhmann 1987c [1980], S. 65. 53 Siehe auch hierzu Peter Dinzelbacher 2002, insbesondere S. 314ff. 54 Siehe für entsprechende Vertragsvereinbarungen Wolfgang Stechow 1989 [1966], S. 81f.

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hundert. Skulpturen, die vorherrschende Bildform, wurden mit einem Gefühl und Ausdruck ausgestattet. Die Erwartung der Frömmigkeitshervorrufung legitimierte selbst Bildexperimente jenseits der Autorität der Tradition und damit auch jenseits bekannter Themen. In den deutschen Ländern entstand so ein völlig neues Genre: das nicht durch die Tradition verbürgte Vesperbild. Die Darstellung Jesus’ als thronender Weltenherrscher (Pantokrator) wurde durch den »gotischen Schmerzensmann« ersetzt. Es kam zu extremen Leidensdarstellungen, bspw. an Gabelkreuzen, die im Zeigen dieses Leidens einen Realismus aufwiesen, der in den antik-heroisierenden Darstellungen der Renaissance nicht erreicht wurde. Auch der gotische Schmerzensmann überstieg den tradierten Bildkatalog, denn sein Bild entstammte bereits dem Studium der Natur: dem Studium der Exekutionen.55 Man versuchte sich im lateinischen Westen sogar an Visualisierungen von Gott, etwas, was theologisch nicht nur sinnlos, sondern vor dem Hintergrund des Neoplatonismus geradezu gefährlich war. Nicht zuletzt an diesem Phänomen wird deutlich, dass der lateinische Westen noch keine elaborierte Bildtheologie jenseits der Zitate der Tradition entfaltet hatte, bzw. der Byzantinische Bilderstreit ganz im Griechischen verblieb. Die Rolle der Autorität der Tradition mit ihrem Stellenwert als einer nicht niedergeschriebenen apostolischen Überlieferung darf nicht unterschätzt werden. Im Konfliktfall bedrohte sie Leib und Leben desjenigen, der in seinen Ansichten oder Werken davon abwich, seien es nun Bilder oder Aristotelismus. Selbst ein Bilderkritiker wie Wycliffe konnte aufgrund der Autorität der Tradition und ihrer vielen bildlegitimierenden Beispiele das Bild selbst oder dessen liturgischen Gebrauch keineswegs kategorisch ablehnen – sehr zum Ärger seiner Anhänger.56 Und auch das Argument, das nach Gregor dem Großen in seinem Brief an Bischof Serenus von Marseille im Jahr 600 gegen die Entfernung der Bilder aus den Kirchen sprach, war in erster Linie diese Autorität der Tradition: »Tell us, brother, have you ever heard of any other bishop anywhere who did the like? This, if nothing else, should have given you pause.«57 Seine berühmte Formulierung der Belehrungsfunktion der Bilder in den Kirchen, »What Scripture is to the educated, images are to the ignorant, who see through them what they must accept; they read in them what they cannot read in books [...]«, war in diesem Fall sekundär.

55 Siehe hierzu Samuel Y. Edgerton 2003. 56 Vgl. Margaret Aston 1984, S. 177. 57 Dieses und das folgende Zitat sind zitiert nach dem Abdruck des Briefes in Cäcilia Davis-Weyer 1971, S. 48.

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Bereits mit der Frömmigkeitshervorrufung war der menschliche Betrachter des Bildes als eingeschlossener, ausgeschlossener Dritter in Hinblick auf seine Beobachtungen beobachtbar geworden. Als reflexiver Mechanismus verstärkte er die ihm zugrunde liegende Differenzierung und ermöglichte im 14. Jahrhundert über frühe Einflüsse aus Rhetorik und Literatur einen Ausbau der Erinnerungsfunktion zur Exemplafunktion.58 Man erwartete nun, dass der Betrachter das Gesehene auf sich und sein Leben bezog. Das Leben der Heiligen sollte ihm als Vorbild dienen. Es stand hier jedoch nicht eine zu vermittelnde »Lektion« im Vordergrund, sondern exempla und Erzählung waren, auch im Fall der Bildwerke, nicht eindeutig voneinander getrennt.59 Für die Erinnerung einer Geschichte durch ein Bild genügte eine mit Attribut ausgestattete Figur, bspw. ein Schwert für Paulus. Für die Leistungsaspekte der Frömmigkeitshervorrufung und Exemplafunktion waren hingegen Bilder notwendig, die das historische Geschehen narrativ wiederholen konnten. Die Ikone war aufgrund ihres Wirklichkeitsverhältnisses nicht dazu in Lage diese Leistung zu übernehmen. Als Gegenwart des Heiligen konnte sie weder erzählen, noch mitteilen oder der memoria dienen.60 In der Bildproduktion traten daher neben die Heiligendarstellung nun auch elaborierte Experimente zur Darstellung von Erzählungen, bspw. durch Bildersequenzen. Die Erzählung einer Geschichte durch szenisch-narrative Umsetzung im Bildmedium stellte andere Anforderungen an die Darstellung. Davon zeugen bereits die literarischen Visualisierungsversuche. Das im frühen 14. Jahrhundert von dem Franziskaner John de Caulibus aus San Gimignano für eine Nonne geschriebene Traktat »Meditaciones Vite Christi« beschreibt die Heilsgeschichte aus der Sicht eines fiktiven Augenzeugen.61 Die detaillierten Beschreibungen

58 Die Erweiterung erfolgte in der Literatur zwar unterschiedlich ausgeprägt, aber gattungsübergreifend, in Predigten ebenso, wie in Fürstenspiegeln und Schwänken. Siehe für diese Erweiterung über Rhetorik und Literatur auch Hans Belting 1991, S. 20. Siehe bzgl. reflexiver Mechanismen insbesondere Niklas Luhmann 1970b, S. 102. 59 Vgl. Peter von Moos 2006, S. 113. 60 Siehe hierzu Hans Belting 1991, unter anderem S. 188. 61 Siehe hierzu Lawrence Hundersmarck 2003, S. 46ff. Das Traktat hatte vor allem bei den englischen Lollarden großen Erfolg und schien mit seinen Visualisierungen den Bilderverzicht kompensiert haben zu können. Es diente wohl auch manchem bildenden Handwerker als Vorlage für seine Bilder, so dass es in der Kunstgeschichte als »Buch über Malerei« thematisiert wird, bspw. bei Salvatore Settis 1988, S. 61. Ein weiteres, wenngleich weitaus späteres, Beispiel für die literarischen Visualisierungs-

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umfassen auch Gegenstände, bspw. die Position von Leitern, aber auch Haltungen von Personen. Um jedoch diese Visualisierung zu ermöglichen, musste John de Caulibus der Heilsgeschichte Aspekte beifügen, die nicht durch die Autorität der Tradition verbürgt waren. Man denke auch an die berühmte Erfindung des ebenfalls durch die Tradition unbelegten Krippenspiels durch Franz von Assisi im Jahr 1223: inszeniert in einem Wald, mit echten Tieren. Nicht nur die Erfindung von Details um der Wirkung, bzw. der realistischen Visualisierung, willen, sondern insbesondere deren soziale Akzeptanz, war ein außerordentlicher Vorgang. Nicht nur die literarische Erzählung verlangte eine gewisse Form des Realismus, sondern auch die Bildproduktion. Bilder wurden mit botanisch differenzierbaren Gräsern und Sträuchern ausgestattet, mit Himmeln, die nicht mehr symbolisch waren und auch mit Figuren, die über einen Ausdruck und einen Blick verfügten. Der Raum des Bildes musste belebt werden. Insbesondere der Blick wies hier eine entscheidende, durch Optiktheorie und Frömmigkeitserwartungen flankierte Bedeutung auf.62 Die Erwartung, dem Blick einer dargestellten Figur folgen zu können, war abhängig von einem effektiv simulierten Raum, in dem die Figuren nicht nur flächig, sondern auch sinnvoll in der Tiefe und im Vordergrund, angeordnet werden konnten. Die dargestellten Personen besaßen nun bspw. einen Schatten. Dies warf die Frage auf wie Schatten fallen und führte zu Fragen nach Beleuchtung und Lichtstrahlen allgemein. Bilder simulierten Lichtquellen, um Schatten werfen zu können – und sei es eine reale Lichtquelle, die quasi in das Bild hineinstrahlte. Zur Bildproduktion gehörte nun auch Optik.63 Diese Realismus-, Raum- und Erzählexperimente im 13. und 14. Jahrhundert standen als handwerkliche Problemlösungen religiöser Leistungsansprüche an Bilder im Zusammenhang der Ermöglichung einer Form der religiösen Zugänglichkeit zur Heilsgeschichte durch effektive Visualisierung.64 Zwar konnte auch

versuche wäre der »Gebetsgarten« aus dem Jahr 1454. Siehe hierfür Michael Baxandall 1980, S. 61f. 62 Siehe zur Bedeutung des Blicks im Mittelalter Thomas Lentes 2002. 63 Siehe zur Bedeutung des Schattenwurfs für die perspektivische Raumkonzeption vor der Erfindung der Perspektive George Bauer 1987. 64 Es ging den Künstlern, so Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1964, S. 109, um eine »tiefere[n] Angemessenheit menschlicher Charaktere und Formen zu dem religiösen Gehalt, den sie ausdrücken sollen.« Wobei dieser »heilige Ernst«, ebd, S. 111, dann durch die Ausrichtung ans Wirkliche verloren ging. Auch Wolfgang Kemp 1996, S. 9, sieht die Einführung des Raumes als Mittel und Produkt der Bilderzählung.

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mit der gotischen Darstellungsweise realistisch dargestellt werden, womit diese Darstellungsweise allerdings ihre Schwierigkeiten hatte, waren die Relationen zwischen den einzelnen Elementen des Dargestellten, bspw. Blicke. Der gotische Bildraum war diesbezüglich nur schwer zu systematisieren, verlor die Figur im Vordergrund oftmals den Bezug zu ihrem Hintergrund.65 Anders formuliert: Das Problem, richtiges, religiöses Erleben zu vermitteln, konnte durch besondere Bilder gelöst werden. Entsprechend wurde die Bildproduktion bei Giotto bereits einem unterstellten Betrachter zugeneigt, und zwar sowohl in der Darstellung, als auch mit dem Bildwerk selbst, bspw. mit den Architekturillusionen in der Arena-Kapelle. Die Arena-Kapelle zeigt zugleich auch anschaulich, dass die Raumexperimente vollständig der Erzählung untergeordnet waren, bspw. wenn sowohl die »Geburt der Maria« als auch die »Verkündigung an Anna« in Räumen stattfinden, deren Architektur nahezu vollständig identisch ist. Die Raumdarstellung bot die Infrastruktur zur Erzählung, sie ist in dieser Sicht als ein Medium beobachtbar. Gerade der Realismus Giottos war jedoch durch und durch religiös – zumindest gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich seine Einstellung zur Wirklichkeit von der seiner Zeitgenossen unterschieden haben könnte. Die Wirklichkeit, um die es Giotto hier gehen konnte, war gerade eine Wirklichkeit der »[...] Vertrautheit mit den innersten Tiefen des wahrhaft religiösen Gehalts, die Sicherheit gläubiger Liebe, auch in Bedrängnis und Schmerz, und oft auch die Grazie der Unschuld und Seligkeit [...]«.66 Seine Darstellungsweise des Raums mag, je nach kontingentem Vergleichsgesichtspunkt, Kontinuität zur Renaissance aufweisen, aber Giotto hatte sicherlich keine Umwertung des platonischen Weltbildes im Sinn, wie man teilweise lesen kann. Ebenso wenig wird er »unbewusst nach einer neuen Konzeption des Raumes«,67 gesucht haben. Und es ist auch zu bezweifeln, dass die Darstellungsinnovation der Raumsimulation einem Bemühen um das Sichtbarmachen von Dingen, Mensch und Natur galten, als deren Effekt die Wirklichkeit wieder das sei, »was man mit den eigenen Augen und Sinnen erfasst [...]«.68 Dagegen spricht bereits, dass das Diesseits nun dem künstleri-

65 Vgl. Enrico Castelnuovo 1988, S. 279f. Siehe zu den Schwierigkeiten des Tiefenbezugs auch Wolfgang Kemp 1996, S. 89. 66 Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1964, S. 113. 67 Dies vermutet Margaret Wertheim 1999, S. 104. 68 Luciano Bellosi 1988, S. 200, siehe auch S. 227, sowie Enrico Castelnuovo 1988, S. 285.

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schen Blick und der handwerklichen Technik ausgeliefert wurde, das Diesseits, mit Arnold Gehlen, in ganzer, voller Breite neutralisiert wurde.69 Für das Darstellbare bedeuteten diese Experimente, sei es bei Giotto und seiner Werkstatt, Simone Martini oder Matteo Giovannetti, einen erheblichen Komplexitätsanstieg. Ein robuster Bildraum konnte im Hintergrund oder in Nebenräumen Parallelhandlungen oder unbeteiligte Augenzeugen darstellen – womit der Betrachter des Bildes von der anderen Seite der Szene aus ebenso zu einem Augenzeugen wurde und intimsten Momenten gewahr werden konnte, bspw. bei »Geburt Mariae« (1342) von Pietro Lorenzetti. Damit ging die Möglichkeit einher, zu beobachten, was andere beobachten und vor allem nicht beobachten konnten und erlaubte so einen Wechsel von der Beobachtung erster Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung im Medium der Bilddarstellung. Es gab nun Inschriften zu Bildern, die sich nicht mehr an der Hervorrufung bestimmter Erinnerungen und Gefühle orientierten, sondern dazu aufforderten, die psychischen und emotionalen Zustände der dargestellten Figuren zu rekonstruieren und dadurch daran teilzuhaben.70 Das Bildmedium musste die Möglichkeit dazu enttäuschungssicher gewährleisten können. An der Darstellung ließen sich somit nicht nur Differenzen installieren, bspw. Innen/Außen, sondern zugleich sinnvoll asymmetrisieren: Haupt-/Nebenhandlung, Haupt-/Nebenraum, Mann/Frau, alt/jung, Herr/Knecht, Distanz/Nähe, aktiv/passiv etc. pp. Das Bild wurde in der Kommunikation komplex und die Bildproduktion bot hierfür das notwendige Wahrnehmungssubstrat. Die Leistungsfähigkeit des Bildmediums wurde so zwar ungeheuer erhöht, die Erwartungen der gesellschaftlichen Umwelt waren jedoch beschränkt. Viele Innovationen wurden erst im 15. Jahrhundert wieder verstärkt aufgegriffen, darunter die bekannten perspektivischen Verkürzungen. Giottos Form der Raumdarstellung verlor bspw. nach seinem Tod erheblich an Bedeutung. Zwar zeigen auch die Arbeiten von seinen Schülern, dass sie bei ihm in die Lehre gingen, aber es sollte gut 100 Jahre dauern, bis man wieder Räume auf dem handwerklichen Niveau Giottos darstellte.71

69 Vgl. Arnold Gehlen 1960, S. 29, siehe insbesondere auch S. 30. 70 Siehe hierzu Enrico Castelnuovo und Carlo Ginzburg 1988, S. 68. 71 Vgl. John White 1987, S. 108. Zur Erklärung dieses Phänomens werden allerlei Faktoren herangezogen und man wird wohl jedem einen gewissen Anteil zurechnen dürfen. Angefangen bei der Pest, wie Millard Meiss nach Werner Jacobsen 2001, S. 206, vermutet, über die schlichte intellektuelle Überforderung von Giottos Zeitgenossen, wie Werner Jacobsen, ebd., selbst vermutet. Auch Arnold Gehlen 1960, S. 28, vermutet, dass Giotto seiner Zeit einfach weit voraus war. John White 1987, S. 108, vermu-

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Die Steigerung der Erlebnismöglichkeiten eines Beobachters am Bild zwang diesen zu verstärkter Selektion. Man blieb auch hier freilich auf den Rahmen der etablierten Möglichkeiten angewiesen: »Auf Grund einer Tradition sieht man, was man sieht, und sieht nicht, was man nicht sieht.«72 Doch die Darstellungsinnovationen liefen so im historischen Prozess auf den Aufbau evolutionärer Unwahrscheinlichkeit hinaus und drängten die Gesellschaft zur Umstrukturierung der Bildproduktion, zunächst zur Stratifizierung.

3.3 U MSTELLUNG DER B ILDERPRODUKTION G LEICHHEIT AUF U NGLEICHHEIT

VON

Mit der Zunahme der Komplexität von Bildwerken in der Kommunikation wurde zugleich das Vergleichs- und Abstraktionspotential erhöht und ermöglichte, die Darstellung selbst mit Komplexität zu überziehen, das heißt, mit Sinn anzureichern. Eine frühe Form der Differenzierung von Bildern war bereits über Themen möglich, zusätzlich wurden nun Unterschiede nach Herkunft differenzierbar. Diese räumliche Differenzierung erfolgte nach Herkunftsbezeichnung, bspw. maniera greca für byzantinischen Stil oder opus francigenum für ein Werk, das man der Gotik zugerechnet hätte. Die ausgesprochene Pluralität der Darstellungsweisen, die in den unterschiedlichen Zentren der Bildproduktion gepflegt wurden, fanden im Florenz der ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts mit Giottos Malweise einen Zurechnungspunkt für eine weitergehende Differenzierung der Darstellungsunterschiede in der Sozialdimension. Manche Bildhersteller gewannen so soziale Sichtbarkeit,73 doch dies waren Einzelfälle, die hauptsächlich in Hinblick auf Asymmetrisierungschancen gepflegt wurden, bspw. bei Dante: »Es glaubte Cimabue, in der Malerei das Feld zu behaupten, / und jetzt hat Giotto den Ruf«.74 Die sinnvolle Kommunikation von Ungleichheiten im Medium der Darstellung und deren Zurechnung auf Produzenten bedurfte bereits elaborierter Beobachtungstechniken.

tet dagegen, dass die Künstler nun mehr Augenmerk auf die Komposition innerhalb des neu entdeckten perspektivischen Raumes legten. 72 Niklas Luhmann 1995e, S. 68f. 73 Für Beat Wyss 2006, S.143f., ist diese soziale Sichtbarkeit bereits Ausdruck des Wandels vom Handwerker zum Künstler, denn ab jetzt, um 1300, sei der Künstler ein freies, kreatives Individuum. 74 Dante Alighieri 2004 [Manuskript nach 1307], 94f. [ Purg. 11].

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Mit der Ausrichtung der Bildproduktion auf die mit Giotto assoziierten Innovationen wurden erstmals robuste, hierarchische Asymmetrisierungen ermöglicht. Die komplexitätssteigernde Differenz von Zentrum und Peripherie ließ sich nun etablieren und wer nicht in die Peripherie abrutschen wollte, musste sich, nicht nur in Florenz, an Giottos Malweise orientieren.75 Besonders deutlich wird dies anhand Vasaris »Vite«: Alle Wege führen nach Florenz oder Rom, da nur dort wirkliche Teilhabe an Kunst möglich ist.76 Damit stabilisierte sich in der Bildproduktion eine Differenz, die räumlich und darstellerisch abweichungsverstärkend wirkte.77 Die ehemalige Vielfalt bildproduzierender Zentren in den italienischen Städten wurde daraufhin hierarchisierbar, die italienische Kunstproduktion verlor ihre segmentäre Differenzierungsform. Anstelle einheimischer Handwerker riefen die Päpste nun Handwerker »von außerhalb«, Cimabue, Arnolfo und Giotto. Die Kunstproduktion ging in vielen Städten zurück, bspw. in Genua, Pisa und Rom, manche Zentren, bspw. Rimini, verschwanden gänzlich.78 Nicht zuletzt durch die politischen Auseinandersetzungen im Kontext des Grossen Schismas setzten sich im Großen und Ganzen letztlich Florenz und Mittelitalien als Zentrum mit einer europäischen Peripherie durch. Im Zuge der Ausdifferenzierung des Kunstsystems ging die Bedeutung der Differenz von Zentrum und Peripherie seit dem 16. Jahrhundert wieder zurück und ist bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit kunstsysteminternen, hochindividualisierten Differenzierungsschemata, bspw. Reputation, ersetzt.79 Mediale Alternativen hielten sich jedoch an der Peripherie, bspw. in Avignon, Bologna und vor allem Venedig. Nach dem Rückgang der Bildproduktion in Florenz in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war es, wie so oft, die Pe-

75 Vgl. Enrico Castelnuovo und Carlo Ginzburg 1988, S. 63. 76 Die häufig auftretenden Berufungen nach Rom ausgelassen, finden sich allein in Band II einige Beispiele von Malern, die nach Rom gehen wollten, nur um dort zu lernen: »having gone to Rome in order to study«, so Giorgio Vasari 1912b [1568], S. 165. Siehe auch S. 187: »he determined to go to Rome, in order to learn« und S. 248: »he betook himself to Rome, in order to try to imitate the antiques to the best of his ability«. Siehe für eine detaillierte Studie hierzu Enrico Castelnuovo und Carlo Ginzburg 1988, S. 45ff. 77 Vgl. Niklas Luhmann 1998b, S. 167. 78 Vgl. Giovanni Previtalli 1988, S.121. 79 Siehe zum Bedeutungsverlust der regionalen Asymmetrisierung Francis Haskell 1996, unter anderem S. 241ff. und 291ff.

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ripherie, die wieder neue Impulse lieferte,80 sei es für die Bildproduktion in Florenz durch den Lombarden Giovanni da Milano81 oder für handwerkliche Innovationen, bspw. die Jan van Eyck zugeschriebene Weiterentwicklung der Ölmalerei. Insbesondere über Avignon, zu dieser Zeit politisches Zentrum der Päpste, konnte sich die einflussreiche, gotische Alternative halten und jenen kunstgeschichtlichen Eindruck der »Ungleichzeitigkeit von Frührenaissance und Spätgotik« hervorrufen, der jedoch keinen Unterschied in der Zeit markiert, sondern funktionale Äquivalente der Religion im Medium der Darstellung bezeichnet. Je nach subjektiver Einschätzung des modernen Beobachters werden die beiden Pole jedoch häufig, im Anschluss an Vasari, historisiert und als stilistischer Rückbzw. Fortschritt, oder, wie im Falle der Orientierung der politischen Elite von Florenz an französisch-burgundischer Gotik, gar als Unterbrechung einer Entwicklung beschrieben.82 Der Wandel ist also abhängig vom Beobachter, der das, was er als Wandel beobachten kann, durch seine Festlegung des Zeitraums hervorbringt. Eine Historisierung der beiden Stilrichtungen unter eine Fortschrittssemantik erscheint bereits aus diesem Grund wenig plausibel. Die Malerei in den italienischen Staaten stand bis weit über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaus im Bann der gotisch geprägten flämischen Maler und der internationalen Gotik.83 Auch im sog. Manierismus trat die Gotik wieder offen zutage, von der Neugotik der Moderne ganz zu schweigen. Im Allgemeinen scheint sich die stilistische Entwicklung vor allem über überraschende Rekombinationen von Formzitaten aus einem gotischen bzw. perspektivischen Realismus auszuzeichnen.84 Der perspektivische Realismus stand dabei in Florenz im besonderen Zusammenhang der Assoziation mit einer übersteigerten, vergangenen städtischen Blüte und bezog hier auch eine Integration antiker Formzitate ein.85

80 Für die vorliegende Analyse bedeutet dieser Umstand zugleich, dass sich Innovationen vermutlich häufiger außerhalb des Fokus kunstgeschichtlicher Beobachter ereignet hatten. 81 Siehe hierzu Giovanni Previtalli 1988, S. 128. 82 Als Beispiel für viele siehe ebd., S. 146ff. 83 Vgl. Luciano Bellosi 1988 S. 218, S. 232 und S. 299. 84 Die genauere Kategorisierung von Stilen und ihren Veränderungen scheint die Kunstgeschichte jedoch vor ganz erhebliche Herausforderungen zu stellen. Siehe einführend Enrico Castelnuovo 1988, S. 250ff. und S. 278. 85 Florenz betrachtete sich aufgrund der Gründung zu römischen Zeiten als direkte Fortsetzung der Antike – womit auch ein Bezug zu Brunelleschis Archäologiefiktionen und der vermutlich damit in Zusammenhang stehenden Erfindung der zentralperspek-

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Mit dem beginnenden Bilderstreit in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und der damit einhergehenden, vielfältigen Kritik an der Darstellung unverbürgter Sachverhalte, wurden jedoch auch die Realismusversuche des bildenden Handwerkers in ein prekäres Verhältnis zur historischen Wirklichkeit gesetzt. Unterlag auch ein Heiligenschein der perspektivischen Verkürzung? Noch Cennino Cennini wies in seinem Künstlertraktat »Libro dell’arte o trattato della pittura« (um 1390) darauf hin, dass man bei der Darstellung eines Mannes darauf zu achten habe, dass dieser auf der linken Seite eine Rippe weniger aufweise, als die Frau – bei gleichzeitiger Thematisierung der Natur als dem perfekten Vorbild.86 Auch erforderte die theologische Differenz zwischen rationalen und irrationalen Kreaturen Berücksichtigung bei der Darstellung.87 Das theologische Wissen um die Darstellung ist noch nicht durch ein kunstsysteminternes Wissen abgelöst, aber die Problemstellung ist hier bereits im Ansatz gegeben. Wie Themen darzustellen sind, das legte die Theologie fest und diese lehnte nun im beginnenden Bilderstreit so gut wie alles ab, was ohne Beleg durch die Tradition war, bspw. die Darstellung Gottes als alten Mann und den Heiligen Geist als Taube.88 Die Darstellung musste sich der religiösen Wahrheit fügen. Die Kontingenz der Darstellung, die durch die Freiheitsgrade des erweiterten Leistungsanspruchs möglich wurde, wurde wieder eingeschränkt.

3.4 S CHOLASTISCHE UND DES B ILDERSTREITS

BILDTHEOLOGISCHE

ASPEKTE

Die katholische Kirche befand sich Ende des 14. Jahrhunderts in einer politischen Krise mit zeitweise drei gleichzeitig konkurrierenden Päpsten.89 Das große

tivischen Konstruktion greifbar ist. Siehe zum übersteigerten Selbstbild von Florenz Lauro Martines 1988, 197f. Wolfgang Krohn 1977, S. 48, beschreibt, wie Brunelleschi »die Auflösung des Perspektivproblems als Architekt bei dem Problem, römische Bauten zweidimensional festzuhalten« entdeckte. Frank Büttner 1998, S. 63ff., und Leonard Schmeiser 2002, S. 32ff., teilen diese Ansicht. 86 Vgl. Cennino Cennini 1922 [1390], S. 65. 87 Vgl. ebd., S. 65, S. 128 und S. 129. 88 Vgl. Margaret Aston 1984, S. 138f. 89 Die zeitweise von Frankreich unterstützten Gegenpäpste in Avignon, die vom Reich unterstützten Päpste in Rom, sowie die beiden vom Pisaer Konzil (1409) gewählten Päpste Alexander V. und sein Nachfolger Johannes XXIII. Letztere waren nicht im eigentlichen Sinn Gegenpäpste, sondern galten auch auf dem Konstanzer Konzil

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Abendländische Schisma wurde zwar 1417 beendet, der Verlust an moralischer Autorität war jedoch erheblich und eine Geringschätzung des Papstamtes weit über das 15. Jahrhundert hinaus die Folge. Der Verfall kirchlicher Autorität wurde von den Zeitgenossen als Differenz erfahren und man wandte sich nicht zuletzt deswegen den antiken Quellen zu, um die Frage nach den Gründen dieses Verfalls zu erhellen. Nikolaus von Kues fand so Dokumente der Korrespondenz zwischen Karl dem Großen und Papst Hadrian die ihm aufzeigten, dass die Kaiserkrönung durch den Papst rechtlich bedeutungslos war und bei anderer Gelegenheit wunderte er sich ironisch, weshalb die antiken Autoren die Konstantinische Schenkung wohl nicht erwähnten.90 Viele Praktiken der Kirche, bspw. Simonie, Wallfahrts- und Reliquienwirtschaft gerieten unter den Druck einer Reihe an vielfältigen, sozio-religiösen Reformbewegungen, unter anderem Waldenser, Lollarden und Hussiten. Auch die Verwendung von Bildern im Rahmen der Liturgie war mit diesen Reformbewegungen unter Rechtfertigungsdruck geraten. Das heißt, Kritik an einer dekadenten, verweltlichten Kirche äußerte sich auch in Bilderkritik, denn der Bilderstreit stand nie im Vordergrund.91 Theologisch fürchtete man an Bildern zwar das »verdeckte Gift der Idolatrie«,92 hauptsächlich aber das Abkommen von der ursprünglichen, armen Kirche Jesu Christi, wie man es in den meisten reformorientierten Traktaten bis zur Reformation thematisiert findet. Neben dem theologischen Kontext findet sich daher auch ein ethischer, der vor allem den Prunk kri-

(1418) als rechtmäßige Päpste. Deshalb betrachtete sich Alexander VI. (Papst von 1492 – 1503) als selbstverständlicher Nachfolger Alexander V., während Johannes XXIII. (Papst von 1958 – 1963) dies nicht tat und damit Geschichte umschrieb. 90 Vgl. Kurt Flasch 1998, S. 87f. 91 Der Bilderstreit betraf bspw. nur einen der 28 Artikel, die man den Hussiten auf dem Konstanzer Konzil zur Zustimmung bzw. Ablehnung vorlegte. Der Artikel frug, ob man der Zerstörung von Bildern, die Jesus, Maria bzw. die Heiligen zeigen, zustimme: »Imagines Jesu Christi, aut salutiferae crucis ac beatae Virginis et Sanctorum Dei, non sunt venerandae, sed confringendae et comburendae. Similiter et reliquiae quorumcumque Sanctorum, etiam beatorum Petri et Pauli.« Zitiert nach Karl Joseph Hefele 1869, S. 507. Auch im spätmittelalterlichen Bilderstreit stand die Bildfrage nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Vgl. Ulrich Köpf 1990, S. 49. Einen differenzierten Überblick über den spätmittelalterlichen Bilderstreit bietet Norbert Schnitzler 1996. 92 Vgl. Wycliffe zitiert nach Margaret Aston 1984, S. 139.

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tisierte, ohne auf Bilder beschränkt zu sein.93 Die Bilderfeindlichkeit Bernhards von Clairvaux war ebenso auf diese Weise geprägt: »Die Kirche glänzt an den Wänden und darbt in den Armen«.94 So ist es nicht verwunderlich, dass die Bilderstürme neben dem theologischen auch häufig einen deutlichen ethischen und sozialkritischen Aspekt aufwiesen. Der Ikonoklasmus im Spätmittelalter unterschied sich jedoch von den ikonoklastischen Ausbrüchen zur Zeit der Reformatoren, denn er erstreckte sich, wie es bspw. für England sehr gut belegt ist,95 nahezu ausschließlich auf Skulpturen.96 Im 14. Jahrhundert häuften sich nun zum ersten Mal seit dem Byzantinischen Bilderstreit wieder Abhandlungen zur Bilderfrage und setzten die Differenz von Darstellung und Dargestelltem zunehmend unter Druck. Während sich die byzantiner Bildtheologie auf die Patristik besann und auf diese Weise wieder zu ihrem Ausgangspunkt, dem Kultbild als Einheit von Darstellung und Dargestelltem, zurückkehrte, stand dem lateinischen Westen die neu entwickelte Scholastik zur Verfügung. Sie besaß damit alternative Möglichkeiten, diese Fragen zu behandeln und es ist daher lohnend, kurz auf diese Entwicklung einzugehen.

93 Bei den rituellen Verbrennungen der Franziskaner wurden vor allem Spielkarten, Brettspiele, Würfel und Schmuck, 1498 in Florenz jedoch auch Musikinstrumente, Bücher (unter anderem Petrarca) und Gemälde verbrannt, so Helmut Feld 1990, S. 98 und S. 104. 94 »Fulget ecclesia in parietibus et in pauperibus eget«, so Bernhard von Clairvaux zitiert nach: Theologische Realenzyklopädie 1980, S. 545. 95 Vgl. Margaret Aston 1984, S. 146. Begleitet wurde die Skulpturenzerstörung durch die Gattungskritik an der Bildhauerei. 96 Eine Überlegung wäre hier, ob die Identität von Darstellung und Dargestelltem durch handwerkliches Ungeschick vermieden werden könnte – eine Forderung nach weniger Geschicklichkeit seitens der Künstler wird vor allem während der Gegenreformation laut werden. Weniger Geschicklichkeit würde dann weniger Gefahr bedeuten, in die Überkunst abzugleiten und entspräche Worringers Ansicht der Abstraktion als Einfühlungsverhinderung, siehe hierzu, im byzantinischen Kontext, Wilhelm Worringer 1921 [1907], S. 121ff. Historisch kann diese These nicht ohne Weiteres bestätigt werden, war die byzantinische Kunst doch kurz vor dem Ikonoklasmus in einer besonders abstrakten Phase, wie Marie-José Mondzain 2005, S. 91, beschreibt.

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3.5 D IE K ONFIRMATION DER D IFFERENZ D ARSTELLUNG /D ARGESTELLTES Im 12. Jahrhundert brachen mit den arabischen Wissenschaften gewaltige Mengen an neuem Wissen über den lateinischen Westen herein. Das neue Wissen um Aristoteles und arabischen Neoplatonismus musste in den christlichen Wissenszusammenhang integriert werden und veränderte das Ordnungsmodell der sieben freien Künste nachhaltig.97 Neue Methoden im Umgang mit Wissen mussten eingeführt werden, auch im Hinblick auf das Erlernen.98 Das augustinische Einheitsmodell war bereits im 12. Jahrhundert in einer Krise,99 nun differenzierten sich wissenschaftliche Felder aus und beendeten die Einheit des Wissens endgültig. Text und Autor traten auseinander, man musste sich nun zusätzlich mit der intentio des Verfassers befassen. Die Neuausrichtung der mittelalterlichen Philosophie des lateinischen Westens begann jedoch bereits früher, im 11. Jahrhundert. Bei Anselm von Canterbury und Abaelard entstand eine neue, nicht auf der griechisch-römischen Tradition aufbauende Unterscheidung: die Differenz von Bedeutung und Ding.100 Erst

97 Das Ordnungsmodell der sieben freien Künste wurde der neuen Situation angepasst, so Andreas Speer 1994b, S. 25f. Wobei dieses Ordnungsmodell bereits selbst eine Reaktion auf die Notwendigkeit war, Wissen neu zu orientieren. Besonders deutlich wird dies anhand der Mehrfachbelegung zentraler Begriffe bei Hugo von St. Viktor mit entsprechenden Rezeptionshürden. Siehe hierzu Nicola Senger 1994, S. 72f. Diese Veränderungen fanden bspw. im allegorischen Gedicht »La Bataille des VII Arts« von Henri d’Andeli ihren Niederschlag: Von der Universität Orléans aus zog die Grammatik als Vertreterin des traditionellen Studiums gegen die Logik als Vertreterin der neuen Ordnung des Studiums an der Universität Paris in den Krieg. Die Logik würde demnach zwar den Kampf gewinnen, nicht aber den Krieg. Siehe hierzu Brigitte Stark 1994, S. 900f. 98 Ein im 13. Jahrhundert entwickeltes Versmaß vereinfachte das Erlernen von Latein wesentlich, so Oleg Georgiev 1994, S. 22. 99 Begleitet durch die Einführung des Zitierens patristischer Autoren bei Abaelard als Einsicht in die Traditionsabhängigkeit der Theologievermittlung, so Georg Wieland 1994, S. 520f., mithin die Anfänge eines Methodenbewusstseins. 100 Für Anselm von Canterbury wurden die Bedeutungen entsprechend von Menschen geschaffen und die Aufgabe der Philosophen war es, diese Bedeutungen in eine rationale und wahre Ordnung zu bringen, so Ferdinand Edward Cranz 2006a, S. 45. Ein gegenüber der Patristik, bspw. bei Augustinus, auf den sich Anselm bezog, neuer Gedanke.

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bei diesen beiden Autoren kann man beginnen, den Begriff res mit »Dinge« zu übersetzen und als eigene Welt vollständig vom Geist abzutrennen.101 Zu dieser Zeit war im lateinischen Westen lediglich Aristoteles’ logica vetus (Alte Logik) verbreitet. Die wenig später einsetzende Rezeption des Organon zeigt hier, dass diese semantische Variation über mittelalterliche Übersetzungen in die Aristotelesrezeption einfloss und nicht zuletzt auf diesem, verdeckten, Wege konfirmiert wurde.102 Bspw. spalteten nun mittelalterliche Übersetzungen des »De anima« die Einheit des eidos je nach Kontext: in forma, wenn es sich auf Materielles oder Natürliches bezog oder in species, wenn eidos in einem geistigen Bezug gemeint war.103 Man führte damit einen Unterschied ein, der für Aristoteles selbst bedeutungslos war. Hier begann bereits, was für die Renaissance typisch werden sollte: die Überformung der Antiken mit semantischen Variationen.104 Nicht nur für die Scholastik, auch für die soziale Umwelt standen damit neue Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung, bspw. für die Tätigkeit des Handwerkers. So schrieb Abaelard,105 dass ein Handwerker, um ein Haus zu bauen, ein zuvor imaginiertes Haus in seinem Geist benötige. Doch während es in der Tradition noch dieselbe Form war, die sowohl im Geist als auch im Materiellen erschien, schlug Abaelard das Herstellbare der Welt der Dinge zu und unterschied diese von den Bedeutungen im Geist. Wenn es nicht mehr die Form ist, die sich dem Geist des Hausbauers ebenso einprägt, wie dem Materiellen, dann entsteht hier eine Rechtfertigungslücke. Der Ort, an der die wahrgenommene Form sich dem Geist einprägt, wird frei; das ehemals Passive bereitet das Kreative vor: zuerst über die Juristen, später auch bei bildenden Handwerkern.106

101 Vgl. Ferdinand Edward Cranz 2006b, S. 11. Hintergrund für Abaelard und Anselm bildete die Erörterung von Fragen der Ontologie im Rahmen des Universalienstreits, das heißt, ob Universalien Dinge, Begriffe oder Wörter waren, eine Zeichentheorie hatten sie jedoch nicht im Sinn. 102 Siehe zu dieser Vermutung und darüber hinaus für einen wissenschaftsgeschichtlichen Einblick in die Folgen der theologischen Einbindung von Aristoteles Paul Benoît 1994, S. 318. 103 Vgl. Ferdinand Edward Cranz 2006d, S. 12. 104 Hierzu zählt auch der Humanismus, der freilich keineswegs eine Neuauflage des ciceronischen Programms war. 105 Zitiert nach Ferdinand Edward Cranz 2006c, S. 14. 106 Vgl. Ernst Kantorowicz 1960. Langfristig konnte an dieser Stelle eine Handlungsbzw. Autorintention und damit eine Semantik der Künstlerintention kondensieren.

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Wo der Geist in der Tradition noch das war, was er weiß oder denkt und wo das Auge noch das war, was es sieht, findet man nun in unterschiedlichsten Bereichen die Aufrechterhaltung von Differenzen und damit die Zunahme semantischer Komplexität. Mit Nikolaus von Kues wird dann in der frühen Neuzeit dem Menschen die ganze Welt zum Unterscheiden vorgelegt werden;107 ununterscheidbar bleibt vorerst nur Gott als Jenseits der Differenzen.108 Das wird die Theologie auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung vor erhebliche Herausforderungen stellen, denn die Fähigkeit Gottes, sich selbst beobachten zu können, musste freilich erhalten bleiben. Die Scholastik war somit im 14. Jahrhundert nicht zuletzt durch die Diskussionen um Universalien und Eucharistie im 12. und 13. Jahrhundert, die auch Logik und Sprachphilosophie zu größerer Bedeutung verhalfen, in Repräsentationsfragen geschult und erfahren. Damit bot sich ihr die Möglichkeit, die Differenz von Darstellung und Dargestelltem aufrechtzuerhalten, anstelle sie bspw. in Form der Ikone neoplatonisch zusammenzuziehen, wie es in Byzanz erfolgte. Die neoplatonische Interpretation des Verhältnisses von Abbild und Urbild wurde zwar noch hin und wieder thematisiert, bspw. im Trienter Konzil, war aber im Allgemeinen bereits seit dem Spätmittelalter in Vergessenheit geraten.109 Für einen Philosophen von Rang wie Giovanni Pico della Mirandola war bereits eine andere Sichtweise auf das Bild kaum mehr nachvollziehbar: »Wie sollen ein kreatürlicher, materieller Gegenstand und ein ideelles, göttliches Wesen zusammentreten, um zwei Seiten eines Totalobjektes auszumachen?«110 So wunderte er sich darüber, wie Thomas von Aquin den Unterschied zwischen »dem Bildwerke als einem Gegenstande und dem Bildwerke als Symbol« hatte übersehen können; das Dargestellte sei doch nur symbolisch und Thomas’ Ansicht »seltsam«.111 Auch die Zeichenhaftigkeit des Bildes war wenig später Usus, so bspw. bei Rudolf Koch der 1524 die Bilder vor Zwingli verteidigte: »Item söllte ouch nieman ere antuon dem namen Jesus, denn dieser nam ist nit die person Jesu, be-

107 So schrieb Nikolaus von Kues, zitiert nach Alfred Gierer 2002, S. 31: »Diese sinnliche Wahrnehmung aber ist undeutlich und grob von aller Unterscheidung entfernt; denn der Sinn nimmt wahr und unterscheidet nicht. Jede Unterscheidung stammt aus dem Verstand.« 108 Siehe hierzu Niklas Luhmann 2001c, S. 227ff. Luhmann verknüpft hier nicht etwa die traditionelle Erkenntnistheorie, sondern die Theologie mit dem radikalen Konstruktivismus. 109 Vgl. Hans Campenhausen 1960b, S. 364. 110 Giovanni Pico Della Mirandola 1905 [1489], S. 224. 111 Ebd.

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sunder tuot man ihm ere desshalb, dass er tütet [bedeutet, d. Verf.] die person Jesu. Also ist es in glicher wis von den bilden.«112

3.6 D IE ASYMMETRISIERUNG DER D IFFERENZ D ARSTELLUNG /D ARGESTELLTES Die scholastisch gestützte Konfirmation der Differenz von Darstellung und Dargestelltem gestattete es der Bildtheologie, die Einheit des Kultbilds aus religiösen Erfordernissen heraus zu spalten. Entsprechend verblieb die katholische Bildtheologie seit dem spätmittelalterlichen Bilderstreit vollständig im Scholastischen.113 Damit waren erhebliche Reflexionsleistungen verbunden, mithin die Entwicklung einer elaborierten Bildtheologie, die bspw. den einfachen Klerus bei Weitem überforderte.114 Gerade vor dem Hintergrund der Volksfrömmigkeit war hier eine Differenz in der Kommunikation über das Bild nahe gelegt, die sich nicht aus der Anschauung selbst ergab, die sich also gerade nicht auf Wahrnehmungsevidenzen verlassen konnte.115 Es wundert daher nicht, dass die Differenz von Darstellung und Dargestelltem lange Zeit keine sozialstrukturell übergreifende Anschlussfähigkeit erlangen konnte und gegenüber einer Angst vor der Täuschung durch die Plausibilität des Bildes zurücktrat.116 Bilderstürmer schlossen bspw. nicht an diese Differenz an, wenn sie davon ausgingen, dass das Bild (auch das Kreuz) nicht Gott war und deswegen nicht angebetet werden durfte.

112 Rudolf Koch zitiert nach Christine Göttler 1990, S. 271. 113 Vgl. Christian Hecht 1997, S. 42 und S. 54. 114 Siehe hierzu bspw. Hans Campenhausen 1960b, 364f. Insbesondere zur Zeit der Reformation wurde dies zum Problem. Siehe als Beispiel den Ulmer Land- und Stadtklerus und dessen Disputation mit reformierten Theologen 1531 bei Helmut Feld 1990, S. 173f. Die ungebildete Gemeinde stand vor noch erheblicheren Verständnisproblemen. Dies rettete dem Bischof von Chioggia Iacobo Nacchianti 1549 den Kopf, denn da die Gemeinde die (lutherischen) Ketzereien seiner gelehrten Predigten nicht verstand, hatte er keinen Schaden angerichtet. Von besonderer Bedeutung für die Reformation in den italienischen Städten waren daher die Lehrer der Grammatikschulen, die reformatorische Ideen popularisieren konnten. Siehe hierzu Silvana Seidel Menchi 1993, S. 67f. und 140f. 115 Das Bild als Kultbild ist damit wesentlich naheliegender als das Bild als Zeichen. 116 Siehe hierzu auch die Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, S. 544. Vermutlich war diese volksfrömmige Betrachtung der Bilder auch ein Attraktor für wirtschaftliche Interessen.

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Man kann die Bilderstürmer folglich als die wahren Bilderverehrer betrachten, denn für sie dominierte der Wirklichkeitsanspruch der Darstellung, wohingegen die katholische Kirche als der wahre Bilderfeind erscheint, denn bei ihr dominierte der Wirklichkeitsanspruch des Dargestellten.117 Die Aufrechterhaltung der Differenz von Darstellung und Dargestelltem bewährte sich zwar langfristig, hatte jedoch für die katholische Bildtheologie die entscheidende Konsequenz, nicht länger an beiden Seiten dieser Unterscheidung anschließen zu können, denn genau dies würde ja in das Kultbild zurückführen – und das musste unter allen Umständen vermieden werden. Diese Vernachlässigung der Bedeutung des technisch materiellen Aufwands bedurfte erheblicher Anstrengungen. Es ist anzunehmen, dass dieser Prozess mit der Ausdifferenzierung des Religionssystems und den damit einhergehenden Spezifizierungszwängen der religiösen Kontextur immanent/transzendent in Zusammenhang steht. Denn die Kirche musste unter ihrer Kontextur Materialität dementieren und dennoch dem religiösen Erleben eine immanente Topographie zur Verfügung stellen. Man wird dieser Problemlage daher historisch nicht gerecht, wenn man bspw. mit Anthony Blunt davon ausgeht, die Kirche habe einfach kein Interesse am Materiellen gehabt.118 Die Distanz musste erst genommen und konfirmiert werden, und zwar unter der erschwerenden Bedingung, dass das Sein traditionell stets gegenüber dem Gegenbegriff bevorzugt wurde, bspw. in der Differenz von Sein/Schein: auch der Schein existiert. Die Bildtheologie musste ihre Asymmetrisierung gegenüber dieser durchsetzen, damit das Sein gegenüber der Repräsentation zurücktreten konnte. So bewertete bspw. Wycliffe den religiösen Kommunikationsanschluss an die Darstellung, also an deren Schönheit, deren Material etc., negativ.119 Karlstadt schloss die Bilder aus, weil diese nur materiell waren, also gar keinen kommunikativen Wert aufwiesen.120 Und für den einflussreichen Theologen Paleotti war die Materialität des Bildes ohne Bedeutung

117 Vgl. Bazon Brock 2002, S. 22. 118 Siehe Anthony Blunt 1984 [1940], S. 1. 119 So schrieb bspw. John Wycliffe 1966 [1375-76], S. 156: »It is evident that images may be made both well and ill: well in order to rouse, assist and kindle the minds of the faithful to love God more devoutly; and ill when by reason of images there is deviation from the true faith, as when the image is worshipped with latria or dulia, or unduly delighted in for its beauty, costliness, or attachment to irrelevant circumstances.« Die englische Übersetzung ist zitiert nach Margaret Aston 1984, S. 138. 120 Vgl. Norbert Schnitzler 1996, S. 35.

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für das Dargestellte und jederzeit austauschbar.121 In diesem heiklen Verhältnis der Kirche zur Materialität ist sicher ein Grund zu finden, weswegen die Kirche, um an dieser Stelle etwas vorauszugreifen, die Ersetzung von sakralen Materialien durch kunstsysteminterne Formbildungskapazitäten dulden wird. Die religiöse Selbstbeschränkung auf den Repräsentationsaspekt des Bildes entzog in der Folge auch der Leistung der Frömmigkeitshervorrufung durch Bilder die Bedeutung.122 Im reformatorischen Bilderstreit wurde diese Leistung regelrecht invertiert und bspw. im Anschluss an Horaz als Gefahr durch den sinnlichen Reiz umgewertet.123 Die Materialität des Bildes bedrohte das Dargestellte und man kritisierte nun die handwerkliche Geschicklichkeit der Produzenten, da das Dargestellte durch diese in den Hintergrund gedrängt würde.124 Die Bildtheologie asymmetrisierte die Differenz von Darstellung und Dargestelltem in Hinblick auf das Dargestellte und ließ dadurch die Seite der Darstellung, im weitesten Sinne das »Wie«, Material, Stil und Medium, unbelegt.125 Doch so eindeutig

121 Zu Erwägungen hinsichtlich ihrer Materialität sah Paleotti die Theologie nicht berechtigt, dies sei Angelegenheit der Künstler: »Della materia onde si compongono le imagini e degli istrumenti con che si possono formare non intendiamo noi di parlar altramente, essendo cose proprie dell’arte e disciplina de’ maestri, alla quale non è diritto il ragionamento«, so Gabriele Paleotti 1961 [1582], S. 136. Auch die Ostkirche hatte es erreicht, die Substanz des Bildes religiös zu exkludieren. Unter der Einheit von Darstellung und Dargestelltem machte es damit keinen Unterschied, ob den Farben für die Ikonenmalerei zermahlene Reliquien beimischte oder etwas Farbe von der Ikone in den Abendmahlswein kratzte. Siehe zu dieser Praktik Hans Campenhausen 1960a, S. 237. 122 Erst im späten 16. Jahrhundert wird die Kirche wieder eine Zurschaustellung von Leiden und Schmerz verlangen. 123 Man berief sich auf Horaz’ Ars Poetica, V. 180 – 182: »Schwächer erregt die Aufmerksamkeit, was seinen Weg durch das Ohr nimmt, als was vor die verlässlichen Augen gebracht wird und der Zuschauer selbst sich vermittelt«, zitiert nach Christine Göttler 1990, S. 276. 124 Als ein Beispiel von vielen sei El Grecos Gemälde »Martyrium des Hl. Mauritius« genannt. Siehe zur Kritik an einem Zuviel an Können auch Hieronymus Savonarola 1928 [1496], S. 247, und Luigi Lippomano: »E ben il vero che molti manifesti abusi circa le imagini sono introdotti nella chiesa dalla liberta de pittori, [...]«, zitiert nach Christian Hecht 1997, S. 244. 125 Bilder verehrende Häresien, bspw. die Vilemiten, konnten hier einen interessanten »Trick« nutzen: Sie gaben ein Bildnis der Heiligen Katharina in Auftrag, aber verehrten mit diesem Bild – Darstellung, Künstlerintention und Titel ignorieren kön-

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die religiöse Kommunikation das Bild nun über das Dargestellte strukturierte, so machte sie doch die andere Seite dadurch umso sichtbarer.126 Das Religionssystem konsolidierte seinen Kommunikationszusammenhang und bot hier religionsexterner Kommunikation die Chance zur Bifurkation, »also die Chancen eines anderen Wegs, der, wenn begangen, dann seinerseits irriversible Geschichte macht. So können sich, ganz im Sinne von Michel Serres Parasiten bilden, die solche Möglichkeiten ergreifen.«127 In der sozialen Umwelt wurde die religiöse Selbstbeschränkung damit zum Attraktor für Parasiten, die im religiös Ausgeschlossenen Ordnungsvorteile zum Aufbau eigener Komplexität nutzen konnten, bspw. stilistische Experimente, Formzitate, Künstler- und Auftraggeberintentionen und vor allem zufällige (künstlerische) Formkombinationen128 – gerade im Vergleich zur liturgisch festgezurrten Ikone. Die Kunst parasitierte zunächst an den »Resten«, den dritten Werten, die zwar durch die religiöse Differenz anfielen, jedoch nicht mehr für die Religion zugänglich waren. Im Allgemeinen wird dieser Prozess lediglich als eine Loslösung der Kunst von der Obhut der Religion beschrieben,129 muss jedoch, wie man sieht, den übergreifenden gesellschaftsstrukturellen Prozess, nämlich die Umstellung der gesellschaftlichen Differenzierung auf funktionale Differenzierung, beginnend bei der Ausdifferenzierung eines Funktionssystems für Religion, in Rechnung stellen. Denn die Kunst kann sich kaum lösen, wenn der Kommunikationszusammenhang über Bilder noch ein durch und durch religiöser ist, nämlich über Fragen des Bildes als Kultbild oder Lern- und Gedächtnishilfe. Das schließt freilich nicht aus, dass Entwicklungen der Bildproduktion, bspw. die Entdeckung der Antiken, religiöse Differenzen unter verstärkten Druck setzen konnten. Die religiöse Kommunikation leistete also selbst einer Profanisierung ihrer Differenzen am Bild Vorschub, ohne dass sich dazu die Abhängigkeit des bildenden Handwerkers von Auftraggebern oder religiösen Motiven hätte ändern müssen. »Es entsteht eine parasitäre Ordnung, die nahezu unbemerkt vom Zustand der Ausnahme oder der Abweichung in die Position der Primärordnung

nend – ihre Gründerheilige Vilemína, die als Inkarnation des Heiligen Geistes verehrt wurde. Siehe hierzu Silke Tammen 1997, S. 342 Anmerkung 72. 126 Vgl. Niklas Luhmann 1998b, S. 661. 127 Ebd. 128 »Wie oft habe ich, im Begriff, Blau aufzutragen, festgestellt, dass keins mehr da war. Ich nahm einfach Rot und setzte es an die Stelle des Blau hin«, so Pablo Picasso 1957, S. 29. 129 Bspw. bei Niklas Luhmann 2000b, S. 221.

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übergleitet — nur um dann ihrerseits wieder parasitierbar zu sein.«130 Im vorliegenden Fall, um über die Exemplafunktion religiöser Erziehung zu dienen. Denn unter dem Druck der Heilsgefährdung ging dem lateinischen Westen zwar die Möglichkeit zur sakralen Einheit von Darstellung und Dargestelltem verloren, doch die Kirche kompensierte diesen Rückzug mit dem Ausbau des Anspruchs auf Darstellungshoheit im Kontext der Erziehungsleistung.131 Die Kirche bezog einen »halbsakralen«132 Standpunkt mit unvorhersehbaren Folgelasten.

3.7 D IE DES

RELIGIÖS - ERZIEHERISCHE B ILDES

B ELEGUNG

Während die Ostkirche das Bild in der Kirche durch dessen heilige Einheit legitimierte, integrierte die katholische Kirche das Bild unter Verwendung religiöser Nützlichkeitserwägungen in die Semantik der Belehrung und Erziehung. Nach dem Wegfall der Frömmigkeitshervorrufung deckte dieser belehrende Anspruch die Bilder in den Kirchen, obwohl Bilder nie als heilsnotwendig betrachtet worden waren, sondern als adiáphora, als Mitteldinge, die weder verboten noch geboten waren. Reginald Pecock, der als Theologe gegen die Bilderkritik der Lollarden schrieb, nannte in seinem Traktat »The repressing of over miche wyting of the Clergie« (London, 1449) konkrete Vorteile des Bildwerks gegenüber der Schrift. So sei das Lernen mithilfe von Bildern weniger mühsam und zugleich schneller, als einem Vorleser zuzuhören. Auch sei man unabhängiger von einem Vorleser, der einem ein Dutzend Seiten vorlesen müsste, was mit einem einzigen Bild zu sehen wäre.133 Vor allem aber hätte das Bild den Vorteil, sicherstellen zu können, dass man kein falsches Bild in Kopf habe.134

130 Niklas Luhmann 1998b, S. 661. 131 Der Austausch der »alten Aura des Sakralen gegen die neue Aura des Künstlerischen«, die Hans Belting 1991, S. 538, beschreibt, erfolgte somit über einen Zwischenschritt. 132 Vgl. Hans Campenhausen 1960b, S. 405. 133 »And if this now seid is trewe of a man which can rede in bokis stories writun, that myche sooner and in schortir tyme and with lasse labour and pein in his brayn he schal come into remembraunce of a long storie bi sight, than bi the heering of othere mennys reding or bi heering of his owne reding; miche rather this is trewe of alle tho persoones whiche kunnen not rede in bokis, namelich sithen thei schulen not fynde

D AS

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Bedingung für die Zuschreibung einer solchen Belehrungsfunktion über das Sehen war eine allgemeine Aufwertung des Sehsinnes im historischen Prozess des Wandels der Hierarchie der Sinne, der damit auch das Bild aufwertete. Für das Mittelalter war diese Wendung zum Sichtbaren eine Art coup d’état, war es doch bisher das Hören und nicht das Sehen, das den Christen ausmachte.135 Erkenntnis der Welt war zunehmend nicht mehr Vernehmen, nicht mehr das, was zu Ohren kam, sondern das, was sich zeigte, was man einsah. Nicht alle folgten dieser Entwicklung. Insbesondere die Reformatoren hielten an der Überlegenheit des Wortes Gottes über ein von Handwerkern geschaffenes Werk fest, so hieß es bspw. bei Zwingli: »Also erfindt sich, das man mit dem wort leren mĤß, nit mit den götzen. [...] An allen orten heißt Christus nienen mit götzen leren, sunder mit predgen und fĤren des wortes.«136 Trotz Heilsgefährdung durch die Möglichkeit zur Idolatrie schätzte die Kirche allgemein den belehrenden Nutzen der Bilder, man musste nur auf die Nichtidentität von Darstellung und Dargestelltem achten und ggf. darauf hinweisen, bspw. mit titula und Rezeptionsanleitungen: »Effigiem Christi qui transis pronus adora – Sed non effigiem sed quem designat adora«.137 Von großem Vorteil war auch, dass sich das Bild im Religionssystem langfristig quer zur Stratifizierung installieren ließ, denn vor dem Bild waren alle gleich: »uomini, donne, nobili, ignobili, ricchi, poveri, dotti, indotti«.138 Das Lernen mit Bildern war zu einfach, zu schnell, zu effektiv und zu egalitär um es aufzugeben. Die Kirche verzichtete zwar, wie gezeigt, auf die religiös-dogmatische Verwaltung der Darstellung, sicherte sich aber über den belehrenden Nutzen des Bildes weiterhin Einfluss darauf, denn als exempla konnten die Geschichten der Heiligen nur dienen, wenn sie nicht falsch wiedergegeben wurden – und über

men so redi for to rede a dosen leeuys of a book to hem, [...]«, so Reginald Pecock 1860 [1449], S. 213. 134 Vgl. ebd., S. 214. Die religiöse Belegung der Differenz von Darstellung und Dargestelltem betraf damit auch die geistigen Bilder. 135 Siehe zu diesem Wandel einschlägig Donat de Chapeaurouge 1983, S. 4. 136 Ulrich Zwingli 1927 [1525], S. 120f. 137 Altarinschrift in Bad Doberan aus der Zeit um 1360/70, zitiert nach Norbert Schnitzler 2002, S. 237: »Das Bildnis Christi, an welchen du vorübergehst, bete es demütig an – Aber nicht das Bild bete an, sondern denjenigen, (den) es bedeutet«. 138 Gabriele Paleotti 1961 [1582], S. 494. In Paleottis Theorie war es eine der Hauptforderungen, dass das Bild sowohl Gebildeten, als auch Ungebildeten gefallen musste. Siehe auch Gregorio Comanini 1591 [1582], S. 314. Siehe für Paleottis Theorie, detailliert, Holger Steinemann 2006, hier: S. 293f.

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diesen Aspekt behielt sich die Kirche die Möglichkeit zur Einflussnahme vor. Falsche Bilder sind falsche Bücher und müssen entweder korrigiert oder verbrannt werden, so ein Glaubenssatz der Lollarden.139 Neben der Heilsgefährdung durch falschen Umgang wurde nun zunehmend die Heilsgefährdung durch falsche Darstellung thematisiert. Die den Bildern zugeschriebene Belehrungsfähigkeit wurde damit zum Attraktor für einen neuen Kommunikationszusammenhang über Bilder, und zwar nicht über alle Bilder, sondern nur noch für die aus Menschenhand. Denn im Unterschied zum Kreuz, zur Eucharistie oder zur Ikone, konnte das von Menschen hergestellte Bild falsch und somit heilsgefährdend sein. Was für den Produzenten eventuell nur ein Darstellungsfehler war, machte aus Sicht der Kirche das Bild gefährlich. Die Bildtheologie zweifelte nicht an der Wahrheitsfähigkeit des Bildes und sie forderte wirklichkeitsgetreue Wiedergabe. Damit meinte sie nicht realistische Darstellung, sondern religiöse Wirklichkeit. Zu den falschen Darstellungen, die nun beklagt wurden, zählte etwa eine an Geburtsschmerzen leidende Maria ebenso, wie die falsche Anzahl der Nägel, mit denen Jesus an das Kreuz geschlagen wurde – Fehler, die durch sorgsameres Studium hätten vermieden werden können, so Molanus.140 Noch Michelangelos Inklusion Charons, eines Charakters aus Dantes »Göttlicher Komödie«, auf dem »Jüngsten Gericht« war für die Kirche diesbezüglich in hohem Maße problematisch. Zunächst wurde in Bildfragen also noch auf Stratifikation zurückverwiesen: Die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Darstellung blieb der Kirche vorbehalten. Falsche Darstellungen mussten gebannt werden, was seitens der Produzenten und der Seelsorger besondere Aufmerksamkeit verlangte. Es wurden neue Beobachtungsstrukturen etabliert, die die Bilder nun im Hinblick auf ihre Wahrheit, das heißt, hinsichtlich der Autorität der Tradition, beobachteten, aber auch, um Parasiten zu verhindern, bspw. die Darstellung von Heiligen in der typischen Tracht eines bestimmten Mönchsordens, um diesem Orden eine

139 »þou‫ ܌‬ymagis maad truli þat representen verili þe povert & þe passioun of jhesu crist & oþere seyntis ben leful & þe bokis of lewid men bi gregori & oþere doctouris: neþeles false ymagis þat representen worldli glorie & pride of þe world as if crist & oþere seyntis hadden lyvid þus & deservid blisse bi glorie & pompe of þe world ben false bokis & worþi to ben amendid or to be brent. as bokis of opin errour or of opin eresie agens cristene faiþ«, zitiert nach dem Abdruck des Manuskripts (o.J., o.O.) bei Herbert Fuller Bright Compston 1911, S. 743. 140 Siehe hierzu Christian Hecht 1997, S. 245.

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politisch-religiöse Aufwertung zu gestatten.141 Bildtheologisch hatte sich die Darstellung in jeder Hinsicht dem Dargestellten unterzuordnen, wie die Musik unter den Text. Die Bedeutung der Erziehungssemantik für die Ausdifferenzierung des Kunstsystems darf nicht unterschätzt werden, denn sie wertete nicht nur das Bild auf, sondern auch den Handwerker, der es herstellte.142 Der bildende Handwerker musste, um dem Belehrungsanspruch gerecht zu werden, der Autorität der Tradition genügen, und zwar unabhängig vom späteren Verwendungszweck des Bildes, zum Beispiel als Andachtsbild oder explizites Lehrbild. Wie die Scholastiker standen bildende Handwerker nun in einem besonderen Verhältnis zur Tradition – und damit auch unter besonderer Beobachtung der Kirche. Entsprechend generalisierte die Kirche ihre Kritik über die Sozialdimension: Die Produzenten wurden für ihre Bilder verantwortlich gemacht, sie waren es, die missbrauchten, ungebildet oder eitel waren. Zugleich musste sich die Kirche darüber ausschweigen, wie ein Bild konkret produziert werden musste, um die Belehrungsfunktion gut oder gar besser zu erfüllen. Sie war hier auf eine einzige Position beschränkt: Wahre Bilder lehren das Richtige. Das »Wie« blieb den bildenden Handwerkern überlassen und konfrontierte diese mit reflexiven, neuen Beobachtungsverhältnissen. Die soziale Komplexität nahm zu, auch im Religionssystem, denn die Ausdifferenzierung des Kunstsystems irritierte das Religionssystem zu Zurechnungsprozessen, die den Bildproduzenten höhere soziale Aufmerksamkeit zu-

141 Es wurde verboten, Maria in priesterlichen Gewändern darzustellen oder Heilige in einer bestimmten Ordenstracht. Vgl. ebd., S. 184. 142 Auch für den Prozess des sozialen Aufstiegs des Handwerkers lassen sich bei Nikolaus von Kues Hinweise finden. In seinen drei Dialogen »Idiota de sapientia«, »Idiota de mente« und »Idiota de staticis experimentis« (alle 1450) ließ Nikolaus von Kues zwei Universitätsgelehrte auf einen einfachen Handwerker, einen Löffelschnitzer, treffen – und dieser Handwerker war es – ein Laie! – dem Nikolaus von Kues seine Philosophie in den Mund legte. Dies war nicht nur eine Abwertung des Gelehrten, sondern eine Invertierung der pädagogischen Rollenasymmetrie von Lehrer/Schüler. Siehe hierzu Jan-Hendryk de Boer 2003, S. 198. Der Handwerker ersetzte zwar die antiken Quellen; eine Aufwertung des malenden Handwerkers war damit noch nicht verbunden, ganz im Gegenteil. Ganz im Platonischen verhaftet, wählte Nikolaus von Kues einen Handwerker, der mit der Herstellung eines Löffels eine geistige Idee umsetzte und dessen Tätigkeit der Schöpfung Gottes damit ähnlicher war, als der bildende Handwerker, denn dieser ahmte lediglich die Natur nach.

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kommen ließ, jedoch insbesondere die Selbstreferenzen im Kunstsystem weiter verstärkten. Das lässt sich verdeutlichen, wenn man, etwas vorausgreifend, den Wettstreit zwischen Malerei und Dichtung bei Leonardo heranzieht: »Aber ich verlange von jenen dort nichts Anderes, als einen guten Maler, der das Wüthen einer Schlacht darstelle, und dass ein Dichter eine andere Darstellung der Schlacht schreibe, beides dann aber neben einander zur Öffentlichkeit gebracht werde. Da wirst du sehen, wo die Beschauer mehr verweilen, wo sie mehr in Betracht ziehen, wo mehr Lob gespendet wird, und was mehr Genugthuung gibt, sicher wird die Malerei als das weitaus zweckdienlichere und schönere mehr Gefallen erregen. — Setze doch in Schrift den Namen Gottes an einen Ort, und gegenüber stelle die Figur, da wirst du sehen, welchem man mehr Verehrung bezeugt.«143

Nicht der Wettstreit selbst ist hier interessant, sondern dass die Möglichkeit zu religiöser Heilsgefährdung als Zeichen der Überlegenheit angesprochen werden konnte. Religiöse Erfordernisse und Gefährdungssituationen haben hier keinen Platz mehr; sie dienen bestenfalls als semantisches Substrat zur Selbstbeschreibung eines sich ausdifferenzierenden Systems.

143 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 20.

4

Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems

Im Kapitel zur Bildproduktion im Mittelalter wurde deutlich, dass sich das Bildwerk in seinen kommunizierbaren Aspekten der binären Codierung des Religionssystems zuordnete. Bereits die zunehmende Legitimationsbedürftigkeit des Bildes während der Bilderstreite verwies auf ein Auseinandertreten von Bild und Kult. Das Bild erklärte sich nicht mehr von selbst. Es trat aus dem Zusammenhang heraus, der ihm diese Aufgabe abnahm. Der Verlust der religiösen Identität »reißt damit eine Lücke auf, die nur durch Selbstbeschreibung der jeweiligen Systeme gefüllt werden kann.«1 Auch die Folge für die Bildproduzenten war deutlich. Ihnen wurden nun Freiheitsgrade zugemutet, die ihnen zuvor von der Kirche und der Tradition abgenommen waren. Die Bildproduzenten wurden in den Begründungszusammenhang des Bildes hineingedrängt und mit Selbstbeschreibungszwängen konfrontiert: Sie waren es, die die richtig erziehenden Bilder herstellen mussten. Mit der Reflexion dieser Problemstellung erhöhte sich nicht nur das Komplexitätsniveau der Kommunikation am Bild, sondern es entstand ein neuer Kommunikationszusammenhang, und zwar nicht über alle Bilder, sondern nur noch über die von Handwerkern produzierten. Denn ein Handwerker konnte sich irren, er konnte falsche und Seelen gefährdende Darstellungen schaffen. Die Kirche musste nun ein Auge auf die Bilder haben. Diese Fremdbeobachtung konnte für die Handwerker als Orientierungspunkt, als Außenhalt der Bildproduktion wirken. Die Kommunikation setzte zunächst auf die Nachahmungssemantik,2 um das Ähnlichkeitsverhältnis des Bildes zu vermitteln und vor allem die Abweichung von der Autorität der Tradition, bspw. der Ikone, zu betreuen und in der Kom-

1

Niklas Luhmann 1995d, S. 404.

2

Um 1336 schrieb bspw. Giovanni Villani 1823, S. 48f., über Giotto: »[...] il più sovrano maestro stato in dipintura che si trovasse al suo tempo, e quegli che più trasse ogni figura e atti al naturale; [...]«.

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munikation affirmativ anschlussfähig zu halten. Auf diese Weise konnte ein Präferenzcode entstehen,3 der eine autopoietische Schließung vorbereitete. Der Präferenzcode legte lediglich den Anschluss an die positiv ausgezeichnete Seite nahe, ohne den Kommunikationszusammenhang über sich dabei monopolisieren zu können. Man könnte im vorliegenden Fall »richtige Nachahmung/falsche Nachahmung« als Präferenzcode in der Kommunikation am Bildwerk vermuten, aber diese Codierung hätte sich nur durchsetzen können, wenn das codierte Ähnlichkeitsverhältnis nicht eine vermittelnde Instanz, bspw. eine Priesterrolle, erfordert hätte, die das Ähnlichkeitsverhältnis bestätigte, anleitete oder erst herstellte. Denn die richtige Nachahmung religiöser Wirklichkeit ergab sich gerade nicht aus der zugänglichen Natur selbst, sondern musste, bspw. gemäß der religiösen Natur, entworfen werden. Eine frühe Präferenzcodierung der Kommunikation am Bild kann daher in die Form »religiöse Wirklichkeit/nicht religiöse Wirklichkeit« gefasst werden. Damit ist bereits im Ansatz das Problem gegeben, dass sich die imaginäre Wirklichkeit der Kunst gegen diese religiöse Wirklichkeit durchzusetzen hatte. Bedingung dazu war, wie es im letzten Kapitel gezeigt wurde, der religiöse Verzicht auf die vollständige, religiöse Programmierung der Differenzen in der Kommunikation am Bild. Die Betonung liegt hier auf dem gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess, der sich in Form der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen vollzog. Es wäre also vorschnell, die strukturelle Herausforderung der Ausdifferenzierung des Kunstsystems nur in der Durchsetzung seines Codes zu sehen, wenn der Prozess, der diese Autonomisierung erforderte, nicht nur das Kunstsystem, sondern auch andere gesellschaftliche Bereiche betraf. Und es ist auch diese gesamtgesellschaftliche Umstellung auf das Primat funktionaler Differenzierung, die eine Antwort auf das Problem bietet, wie sich das Kunstsystem unter seiner Funktion ausdifferenzieren konnte, wenn die handwerkliche Qualität, das Material oder das Dargestellte der Werke nicht für die Erfüllung dieser Funktion entscheidend sind – sich aber als entscheidend für den Ausdifferenzierungsprozess der Kunst erweisen. Wie passt das zusammen? Die Durchsetzung funktionaler Differenzierung konfrontierte auch das Kunstsystem mit einer sich ändernden sozialen Umwelt, mit veränderten Erwartungen und entsprechend erheblichen Enttäuschungen, das zeigten insbesondere die religiösen Umwälzungen im vorangegangenen Kapitel. Für das Kunstsystem bedeutete dies in der Folge jedoch auch, dass es nicht nur mit Freiheitsgraden konfrontiert wurde, sondern sich dem Kunstsystem auch tradierte Themen, Materialien, Darstellungsweisen, kurz: die

3

Siehe hierzu Niklas Luhmann 1987b, S. 19ff.

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religiöse Realität, durch die gesellschaftliche Evolution entzogen4 und durch eigene Themen, eigene Formbildungskapazitäten, kurz: eigene Realitäten, ersetzt werden mussten. Die Funktion der Kunst, mit diesen eigenen Realitäten zur Kommunikation beizutragen, ist in diesem Aspekt, also als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses, angelegt. Mit dem Verlust der religiösen Identität ging in der gesellschaftlichen Umwelt eine erhöhte Unsicherheit in der Erwartung von Verhalten einher, und zwar sowohl in der Bildproduktion als auch im Verhalten am und zum Bild. Das begann bei der Darstellung selbst, die, ohne Häresie fürchten zu müssen, über das Notwendige hinausgehen konnte, gerade dadurch jedoch Häresieverdacht begründen konnte. Das Handeln am Bild stand hingegen bspw. vor der Problemstellung, das Bild einerseits nicht zu ernst zu nehmen, auch nicht in Gedanken, es andererseits aber ernst genug zu nehmen, um bspw. sein Gefühlsleben daran zu orientieren oder einsichtig zu begreifen, und zwar stets auf religiös richtige Weise. Der Möglichkeitsraum des Erlebens und Handelns am Bild musste also durch Erwartungen eingeschränkt werden und die Unsicherheit dieser Erwartungen erforderte eine stärkere Abstützung in der Erwartung von Erwartungen, also in Strukturen, die das Erleben und Handeln am Bild kontrastierten.5 Man denke hier bspw. an die Ausdifferenzierung von Rollen, die dies leisten können. Im vorliegenden Zusammenhang konnte die Unsicherheit jedoch nicht mehr durch Ausdifferenzierung von Rollen in Ordnung überführt werden, da sich die Kommunikation an einen symbiotischen Mechanismus mit Wahrnehmungsevidenzen koppelte, die diese Orientierung an Rollen gerade verhinderte, dafür aber robuste, wiederholbare und enttäuschungsfeste Erwartungen anbot, die sich in Hinsicht auf Funktion (und gerade nicht: Schichtung!) selegieren ließen. Durch diese Kommunikation am Bild kondensierten Strukturen und mit diesen begann der Ausdifferenzierungsprozess des Kunstsystems. Die beiden entscheidenden Strukturvariationen waren demnach, dass sich Wahrnehmung und Kommunikation am Bildwerk in diesem Prozess zirkulär gegenseitig stützten und dies zunächst im Rahmen der Nachahmung religiöser Wirklichkeit fruchtbar gemacht werden konnte. Man kann vor allem Ersteres bei Brunelleschi verdeutlichen, der, so die Überlieferung, seine Bilder auf eine Weise an den Orten ihrer Repräsentationen aufstellte, dass der Betrachter die »Richtigkeit der Darstellung« mit seinen eigenen Augen überprüfen konnte. Betrachter und Bildproduzent stehen damit nicht mehr in einer grundsätzlichen Abhängig-

4

Vgl. Niklas Luhmann 1992d, S. 60f.

5

Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 415.

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keit von demjenigen, der weiß, oder wissen soll, was zu sehen ist – sowohl in Hinsicht auf die Darstellung als auch das Dargestellte. Die Betrachter hatten die Wahrheit des Bildes selbst erlebt, und zwar nicht vermittels eines Priesters oder eines religiösen Zusammenhangs.6 Bei Platon musste sich die Wahrheit des Bildes aufgrund seiner Gebrochenheit als Phantasma in diesem Aspekt noch in der Schwebe halten und führte gerade deswegen Täuschungsgefahr mit sich. Nun jedoch wurde das Bild durch Kommunikation von einer Struktur abgefangen, die dessen bloße Wahrnehmung mit Evidenzen zu verknüpfen wusste. Das Bewusstseinssystem konnte hier seine Eigenkomplexität für den Aufbau sozialer Komplexität zur Verfügung stellen. Der Kommunikation bot sich so die Möglichkeit, sich am Werk an einen symbiotischen Mechanismus mit der Wahrnehmungsfähigkeit von Bewusstseinssystemen zu koppeln und dies langfristig zu generalisieren. Aber das bedeutete auch, dass sich die Strukturänderung vor Ort, also situativ am Bild, zu bewähren hatte. Die verbreitete Annahme, dass es Brunelleschi bei dieser Demonstration um die Erzeugung einer Wirklichkeitsillusion ging, überzeugt also nicht.7 Und wenn andererseits in diesem Zusammenhang häufig die Frage nach der genauen Konstruktionstechnik der Bilder im Vordergrund steht, dann muss angemerkt werden, dass unter der Annahme der Konventionalität der Linearperspektive die historisch wirksame Differenz nicht im Bild zu finden ist, sondern in der Kommunikation darüber. Entscheidend war daher, dass sich die Kommunikation von Wahrheitsfähigkeit aufgrund eines neuartigen Darstellungsprogramms konfirmieren ließ: die kommunikative Ausstattung des Bildes mit durch regelgeleiteter Produktionsweise ermöglichten, halbsakralen symbolischen Auszeichnungen. Ausschlaggebend waren hier, wie man sieht, weniger die Intentionen der Beteiligten, sondern die gesellschaftsstrukturellen Bedingungen ihres Handelns und Erlebens. Wir kommen auf die Linearperspektive zurück; an dieser Stelle zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die »Einheit der Perspektive« durch eine Differenz der Kommunikation ersetzt werden muss. Die gesamtgesellschaftlichen Folgen, die in Brunelleschis Demonstration versinnbildlicht werden können, waren erheblich. Wenn es möglich wurde, dass

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Dies war sicherlich auch eine Frage der Medienkompetenz, also der Kompetenz, das Medium (in diesem Fall das simulationsfähige Bild) gänzlich in seiner Form zu bewahren, sozusagen als eine vollständige Enthaltsamkeit, so dass ein Wechsel der Medium/Form-Ebene, bspw. zur Haptik des Pinselstrichs, erschwert wurde.

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Nach Wolfgang Krohn 1977, S. 48, Frank Büttner 1998, S. 63ff., und Leonard Schmeiser 2002, S. 32ff., war Brunelleschis Demonstration eher ein Nebenprodukt seiner Architekturstudien.

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sich jede Person »mit den eigenen Augen« von der Synchronität von Darstellung und Dargestelltem überzeugen konnte, dann wurde die ursprünglich zu diesem Zweck ausdifferenzierte Begleitsemantik hinfällig. Und an diese Leerstelle rückte nun Kommunikation, die sich quer zur Stratifikation installieren ließ. Mit anderen Worten: Die sozial koproduzierte Wahrnehmungsevidenz ersetzte die mit Deutungshoheit ausgestattete Rolle.8 Der Bedarf an Konsens in der Kommunikation wurde dadurch nicht nur reduziert, sondern konnte durch Kommunikation über Konstruktionsweisen und Anwendungsprobleme ersetzt werden.9 Darstellung und Dargestelltes konditionierten sich nun gegenseitig. Wenn die Hintergründe nicht mehr aus Gold oder in Blau sind, die Figuren nun an konkreten Orten stehen, dann stellen sich Fragen nach Beleuchtung, Schatten und Blicken, die nicht mehr durch religiösen Kommentar, sondern nun über neuartige, halbsakrale Darstellungsprogramme beantwortet werden können. Die Sakralität des Bildes wurde somit nicht einfach aufgegeben, sondern semantisch verschoben. Die Möglichkeit der Orientierung der Kunstkommunikation an sich selbst war damit nicht mehr strukturell ausgeschlossen, sondern flackerte im Rahmen von Erstvorfällen10 auf, die im Vollzug, im sequenziellen Prozessieren, zunehmend weiteren sozialen Sinn binden konnten. Unter semantischen und strukturellen Sonderbedingungen wurde so ein Systembildungsprozess in Gang gesetzt. Dass die Differenz der Kunst sachlich (bspw. in unterschiedlichen Genres), zeitlich (räumlich) und sozial (Stratifikation) nicht gleichermaßen übergreifend als Möglichkeit in der Kommunikation gegeben war, versteht sich von selbst. Was in manchen Texten im 16. oder 17. Jahrhundert schon angesprochen werden konnte, konnte in anderen Texten im 18. oder 19. Jahrhundert noch abgelehnt werden. Die gesellschaftliche Komplexität nahm also zu, um die Komplexität der Kommunikation am Bild verarbeiten zu können. In diesem Zusammenhang entstand eine neue literarische Gattung, die keinen vergleichbaren Vorgänger besaß: das Künstlertraktat. Die Kunst machte sich nun selbst zum Thema, sie verschaffte sich Informationen über sich selbst. Die Künstlertraktate, auf die im folgenden Bezug genommen wird, sind somit dem Verständnis dieser Arbeit nach Artefak-

8

Und gerade an diesem Punkt wird deutlich, dass der Zusammenhang von Darstellung und Dargestelltem bei Bildern ein anderer ist, als der konventionale, arbiträre Zusammenhang der Verweisung eines Zeichens. Siehe hierzu Hans Belting 2005, S. 31ff.

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Man ersetzte, wenn man so will, die Konsensbedürftigkeit der Symbole durch Technik.

10 Vgl. Niklas Luhmann 1987d, S. 504.

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te eines Kickstarts der Selbstbeschreibungen des Kunstsystems. Die Reflexionen der Traktatliteratur sind entsprechend bereits auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung angesiedelt, auf der Ebene also, auf der sich Funktionssysteme ausdifferenzieren. Die Künstlertraktate verweisen darauf, dass eine Legitimation jenseits des Religiösen zuerst möglich und dann nötig wird. Damit wird auch deutlich, weshalb diese erstmalige Reflexion in Form von Traktaten von Künstlern oder künstlerisch Tätigen stammten und nicht etwa von Scholastikern, nicht da die Künstler besonderes oder einziges Recht dazu gehabt hätten, sondern weil ihnen die Paradoxie der Nachahmung, wie sie eingangs beschrieben wurde, direkt vor Augen lag: Niemand kann malen, was er sieht.11 Sinneseindrücke mussten also vermittelt werden, sei es malerisch, sprachlich oder mechanisch und die Unterstellung von Korrespondenz, zu der es keine zeitgenössische Alternative gab, wurde dadurch langfristig unter Druck gesetzt.12 Allgemeiner formuliert: Etwas machte sich durch Wiederholung in einem anderen Medium zu einem Anderen und diese Differenz war die Grenze, an der sich die Reflexion brach und als zu beschreibender Unterschied in das System eingeführt wurde. Und dies erklärt zugleich, weswegen sich die Ausdifferenzierung des Kunstsystems über die Bildproduktion vollzog und nicht etwa über Dichtung. Der Reflexionswiderstand, der die Ausdifferenzierung des Kunstsystems auf einer Weise informierte, die die Kunst in der Kommunikation auf imaginäre Realität verpflichtete, war zunächst nur den Bildproduzenten gegeben, nicht jedoch den Dichtern. Das Bild war antifiktiv, es war zu wahren Repräsentationen in der Lage und verpflichtet. Dass die bildliche Darstellung einer Prophetenvision der subjektiven Einbildungskraft des Künstlers entnommen werden muss, mag für den modernen Beobachter eine Selbstverständlichkeit darstellen, aber gerade diese Selbstverständlichkeit ist Folge der Ausdifferenzierung des Kunstsystems. Die bildliche Darstellung einer Prophetenvision war historisch gerade nicht fiktiv, sondern wahr. Entsprechend unterschied bspw. Gregorio Comanini repräsentierende Nachahmungen von Fiktionen und wies die Darstellung einer Prophe-

11 Vgl. Ernst H. Gombrich 1992, S. 478. 12 Von Henri Matisse 1955 [1939], S. 71, stammt eine anschauliche Anekdote hierzu: »Als mir jemand sagte, dass ich die Frauen nicht so sehe, wie ich sie darstelle, antwortete ich: ›Wenn mir solche Geschöpfe auf der Straße begegnen würden, dann würde ich mich schleunigst retten.‹ Schließlich – ich erschaffe keine Frau, ich mache ein Bild.«

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tenvision der repräsentierenden Nachahmung zu.13 Dichtung durfte hingegen fiktiv sein und die Dichtung, die auf Fiktionalität verzichtete, war Geschichtsschreibung. Die Paradoxie der Nachahmung konnte daher latent bleiben, bspw. indem man Tassos Empfehlung folgte und die Heilsgeschichte als Thema der Dichtung mied, um eben diese Probleme, die sich durch die künstlerische Bearbeitung ergaben, zu vermeiden.14 Das Kunstsystem stellte zunächst entsprechend von Was-Fragen, die bspw. durch Bildkataloge beantwortet werden konnten, auf Wie-Fragen um. Die Produktionsreflexion zielte damit nicht mehr auf das Bewahren eines tradierten Bildkatalogs und der handwerklichen Methoden, sondern trat mit einer hohen Bereitschaft zur Strukturänderung auf. Insbesondere die Ausdifferenzierung der Zeichnung aus dem handwerklichen Anwendungskontext wird dies aufzeigen. Die Reflexion reagierte auf den Differenzierungsvorgang und verstärkte diesen. Sie wurde dadurch zunehmend sensibler und das bedeutet: zunehmend indifferent gegenüber Externem.15 Es gilt nun in den folgenden Unterkapiteln zwei Prozesse herauszuarbeiten, die der Prozess der autopoietischen Schließung auf Dauer durchsetzen musste: erstens die Organisation der Externalisierung der Referenz der Systemoperationen über die Semantik der Naturnachahmung und zweitens die Programmierung der zirkulären Zuweisung des Codes des Systems über eine religiös-moralische Erziehungssemantik. Beide Programme strukturierten die Selbstbeobachtung und die Selbstbeschreibungen des Kunstsystems und beides waren Programme, die die Möglichkeiten des Systems limitierten, indem sie einschränkten, was über

13 »E sì come fu prima tra noi determinato che, perché la persona del Padre non è mai sola e scompagnata dall’altre due visibilmente apparita ad alcuno, l’imagine che voi ne fate fosse sotto il genere delle fantastiche, così potrebbesi ora far risoluzione contraria secundo un altro rispetto e dire che, poiché questa rappresentazione in forma di vecchio è stata nell’imaginazione di Daniello e di S. Giovanni, l’imagine della detta prima persona si puo ridurre al genere dell’imitazione icastica«, so Gregorio Comanini 1591 [1582], S. 331f. 14 Siehe hierzu Baxter Hathaway 1968, S. 144f. 15 Man muss, um dies an dieser Stelle noch einmal deutlich zu nennen, das Bild von der Kommunikation über das Bild unterscheiden. Semantische Veränderungen mussten keine Veränderungen in den Darstellungen nach sich ziehen – und umgekehrt. Ein gutes Beispiel hierfür bietet Leonardo, der seine eigene Kunsttheorie nicht immer in seinen Bildern anzuwenden pflegte. Siehe für eine Reihe an Widersprüchen Ernst H. Gombrich 1988b.

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das Kunstwerk gesagt und von Bewusstseinssystemen erlebt werden konnte. Nur durch Einschränkung der Selektivität des Systems konnte die Struktur kommunikativen Sinn konstituieren. Insbesondere die Erziehungssemantik verweist hier darauf, dass sich das Kunstsystem dazu verschiedener Anlehnungskontexte bedienen musste, bis seine Komplexität hoch genug war, auf diese verzichten zu können – oder zu müssen.

4.1 D IE T RAKTATLITERATUR

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K ÜNSTLER

Die Plötzlichkeit, mit der Künstlertraktate im 15. Jahrhundert einsetzten und im Übergang zum 17. Jahrhundert wieder vollständig abebbten, mag einen Hinweis auf die ungeheure Dynamik der Ausdifferenzierung des Kunstsystems bieten: Es gab nun etwas zu beschreiben, das nach Beschreibung verlangte. Die Rolle des Buchdrucks ist dabei nicht zu unterschätzen; die Traktatliteratur darf diesem jedoch nicht vorschnell nachgeordnet werden, denn sie setzte zuvor ein und die Traktate von Cennini, Alberti, Piero della Francesca und Leonardo waren lange Zeit nur in Manuskriptform verfügbar. Die früheste Druckfassung ist hier Albertis »De pictura«, die 1540 bei Thomas Venatorius in Basel erschien, 105 Jahre nach der Manuskripterstellung. Das erste gedruckte Traktat zur Perspektive, »De artificiali perspectiva« von Jean Pélerin (Viator), erschien bspw. 1505 bei Pierre Jacques in Toul – in Frankreich und damit an der Peripherie und nicht im Zentrum des Diskurses. Eine ähnliche Dynamik, wenngleich mehrere Jahrzehnte später einsetzend, zeigte auch die Literatur in ihren Reflexionsbemühungen. Literaturtheoretische Vorworte tauchten ebenso plötzlich auf, erreichten innerhalb weniger Jahrzehnte ein durchaus neoklassizistisches Niveau und ebbten danach wieder ab.16 Bernard Weinbergs berühmte Studie »A History of Literary Criticism in the Italian Re-

16 Vgl. Baxter Hathaway 1968, S. 33f. In ihren Aussagen gingen diese Abhandlungen jedoch kaum über das hinaus, was bereits zuvor, sei es in Byzanz oder der Antike, festgehalten wurde. Aber selbst die schwächeren dieser Texte übertrafen, so Baxter Hathaway, ebd., S. 25, nahezu alle antiken Texte an Gründlichkeit und im Bemühen, die Poesie aufzuwerten. Erst seit den 1530ern bezogen sich Autoren vermehrt auf Aristoteles’ Poetica sowie Horaz’ Ars poetica, wobei Horaz bereits im Mittelalter sehr bekannt war. Selbst das damalige Standardwerk, die ersten vier Bände von Georgio Trissinos »Poetica« (1529), zeigten, Baxter Hathaway, ebd., S. 11, zufolge, kaum aristotelische Einflüsse.

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naissance«17 führt weit über 300 Bücher und Abhandlungen zur Literaturkritik an – Werke zur Rhetorik oder hauptsächlich philosophische Werke, die sich nur am Rande mit Literatur beschäftigten, sind nicht eingerechnet. Im Gegensatz dazu sind jedoch die Quellen zur Kommunikation über Bilder im gesamten 15. Jahrhundert »entmutigend dünn«18 und für Michel Angelo Biondo noch 1545 der Grund, selbst ein Buch über Malerei zu veröffentlichen.19 Diese Schwierigkeiten in Hinsicht auf die Quellenlage spitzen sich erheblich zu, wenn man sich der Kunstproduktion in anderen Teilen des lateinischen Westens zuwendet, denn diese ist mehr oder weniger undokumentiert. Bis auf zwei namentliche Erwähnungen, in einem Brief und in einem Gedicht, liegt bspw. Jan van Eycks Leben im Dunkeln. Was über ihn und die Bildproduktion in Flandern bekannt ist, stammt aus italienischen Quellen.20 Dabei gab es freilich auch in Flandern Künstler, die sich in humanistischen Kreisen bewegten, bspw. Quentin Massys, aber ihre Schriften, falls sie welche verfassten, sind nicht erhalten. Die Überlieferungslücke wiegt hier außerordentlich schwer, denn man kann kaum darüber hinwegsehen, dass Flandern in seiner Bedeutung für künstlerischtechnische Innovationen der italienischen Kunstproduktion mindestens ebenbürtig war. Hier ist insbesondere die Modernisierung und Weiterentwicklung der Ölmalerei anzuführen, die gegenüber der Temperamalerei den Vorteil aufwies, bspw. durch ein ineinander Verreiben der Farben, sanfte und kontrollierbare Farbübergänge in den Gemälden zu ermöglichen. Die Möglichkeit zu solchen Farbübergängen war für die Produktion »realistischer« Gemälde weitaus bedeutsamer, als bspw. die linearperspektivische Projektion – und auch dies zeigte die Bildproduktion in Flandern. Fluchtachsen als handwerkliche Konstruktionshilfe für Bodenfliesen waren seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sowohl in Frankreich als auch in Flandern gebräuchlich – jedoch ohne optischmathematische Begleittheorie, die dieses Hilfsmittel semantisch mit Wahrheit aufgeladen hätte.21 Insbesondere eine Überlieferungslücke von 45 Jahren, die zwischen dem ersten Traktat, Cennino Cenninis »Libro dell’arte o trattato della pittura« (um das

17 Bernard Weinberg 1961. 18 Michael Baxandall 1980, S. 35. 19 So Michel Angelo Biondo 1970 [1549], S. 9. 20 Der Brief aus dem Jahr 1425, eine Aufforderung des Herzogs von Burgund an seine Schatzmeister zur zügigeren Auszahlung Jan van Eycks Lohn, ist in Wolfgang Stechow 1989 [1966], S. 4, abgedruckt. 21 Siehe hierzu Erwin Panofsky 1992 [1927], S. 118, Bernhard Geyer 1994, S. 30, und Arnold Gehlen 1960, S. 33.

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Jahr 1390), und dem zeitlich folgenden Traktat, Albertis »De pictura« (1435), liegt, stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Denn diese Überlieferungslücke sah nicht nur die Entwicklung und öffentlichkeitswirksame Anwendung wesentlicher künstlerisch-technischer Innovationen, bspw. der bereits erwähnten Demonstrationen von Brunelleschi, sondern auch ihre zügige Durchsetzung in der Bilderproduktion. Die Unterstellung einer kohärenten und humanistischen geistigen Grundhaltung mit aristotelischen, platonischen oder neoplatonischen Bezügen kann diese Lücke nicht füllen, sondern nur literarisch ausschmücken.22 Dazu zählt bspw. die Vermutung, Künstler wollten mit ihren Werken bewusst Platon widerlegen.23 Gerade weil die antiken Autoren von Gelehrten und Kanzleibeamten rezipiert wurden, ist mit der entsprechenden Kennzeichnung, bspw. als aristotelisch, nicht nur häufig erstaunlich wenig gewonnen, sondern wird darüber hinaus die semantische Dichte auf einen einzigen Begriff eingeengt und festgezurrt. Uns geht es jedoch gerade um Pluralität, um die semantischen Variationen und Abweichungen. Denn, so Pfisterer: »Gerade für die linearen Probleme aber boten die etablierten Lehren (des Aristoteles bzw. der Platonismen, d. Verf.) keine ausreichenden Antworten, diese lassen sich nur aus der zeitgenössischen Diskussion um Disegno, Ingenium oder Regola, und das Wesen von Kunst und Schönheit verstehen.«24

Bei keinem Begriff wird dies deutlicher als bei der aristotelischen Naturnachahmung. Die semantische Dichte der aristotelischen Mimesis, die im Nachahmen ein Schöpfen formuliert,25 kommt in den dem Autor zur Verfügung stehenden

22 Bspw. ist wenig damit gewonnen, Leonardos Forderung, die Selbstabbildung zu vermeiden, auf Aristoteles bzw. auf Platon zurückzuführen, wenn für Leonardo wissenschaftliche Objektivität im Vordergrund stand. Für eine Begründung in Aristoteles siehe Ulrich Pfisterer 1996, S. 137, für eine Begründung in Platon siehe André Chastel 1959, S. 102ff. 23 So schreibt Donald B. Kuspit 1989, S. 318: »I think that one of the reasons certain Renaissance artists made what they thought was [Neo] Platonic art is that they wanted to prove that Plato was wrong about art – that it could ascend to the realm of pure ideas or ›intelligibles.‹« 24 Ulrich Pfisterer 1993, S. 260. Siehe hierzu in ähnlichem Sinne auch Wilhelm Perpeet 1987, S. 261f. 25 Auf den ersten Blick scheinen sich Nachahmung und Schöpfung gegenseitig auszuschließen. Dies begünstigt ein bis heute häufig anzutreffendes »empiristisches Missverständnis«, das die Nachahmung im Kontext der Antiken als Wiederholung, als

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Malereitraktaten des 15. und vor allem 16. Jahrhunderts nicht zur Geltung. Die semantische Dichte der Mimesis wurde vermutlich zuerst von Patrizi in seinem »Della poetica« (Ferrara, 1586) bemerkt, und zwar gerade an jenem Widerspruch zwischen Nachahmung und Schöpfung.26 Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass jedes Künstlertraktat des 15. und 16. Jahrhunderts eine unterschiedliche Fassung des Nachahmungsbegriffs verwendet, häufig sogar mehrere im selben Traktat. Deutlich wird dieser Aspekt bereits bei Alberti, der das Scheitern Demetrius’ damit erklärte, dieser habe die Natur zu sehr nachgeahmt, worunter die Schönheit seiner Werke gelitten habe, wenige Sätze später führe jedoch nur die uneingeschränkte Naturnachahmung zur Schönheit im Werk.27 Fabian bestätigt für die Poesie: »Man konnte sich um 1540 auf Aristoteles berufen, ohne die Doktrin der Mimesis auch nur entfernt zu respektieren, [...]«.28 Und Bernard

Wiedergabe oder als Kopie des objektiv Sichtbaren fasst und den schöpferischen Aspekt mit der Natur als Möglichkeitsraum nicht zur Kenntnis nimmt. Um ein Beispiel für dieses Missverständnis zu geben, sei Wilhelm Dilthey 1994 [1887], S. 115, zitiert: »Lange hatte die Mustergültigkeit der griechischen Kunst dem ästhetischen Räsonnement einen festen Halt gewährt. Wurde diese zweifelhaft, so musste nun ein solcher Halt in den Prinzipien aufgesucht werden; er wurde schließlich in der Natur des Menschen gefunden. Das aristotelische Prinzip der Nachahmung war objektivistisch, analog der aristotelischen Erkenntnistheorie; seitdem die Untersuchung sich überall in das subjektive Vermögen der Menschennatur vertiefte und die selbständige Kraft desselben erfasste, die das in den Sinnen Gegebene umgestaltet, wurde auch in der Ästhetik das Prinzip der Nachahmung unhaltbar.« Gerade bei Aristoteles war Schöpfung ein komplementärer Aspekt der Nachahmung. Wenn Aristoteles 1995a, S. 44, schreibt: »Allgemein gesprochen, die Kunstfertigkeit bringt teils zur Vollendung, was die Natur nicht zu Ende bringen kann, teils eifert sie ihr (der Natur) nach«, dann steht hier Nachahmung neben Vollendung, kein Begriff ist dem anderen unter- oder übergeordnet. Freilich beschrieb Aristoteles auf diese Weise jeden handwerklichen Bereich, vom Hausbau bis zur Tragödie und wollte dieses freilich auch vom Schöpfungsvermögen der Natur unterschieden wissen. Um die Nachahmung als die übergreifende Komponente anzusehen, was die weitaus häufiger anzutreffende Interpretation ist, müsste man dann jedoch, wie bspw. Hans Blumenberg 1981 [1957], S. 55, das Vollenden aus dem Nachahmungsbegriff ableiten. Einen Überblick über Mimesis bieten Gunter Gebauer und Christoph Wulf 1992, siehe bspw. für Aristoteles S. 81ff. 26 Siehe hierzu insbesondere Patrizis Argumentation bei Bernard Weinberg 1961, S. 64ff., und Baxter Hathaway 1962, S. 9ff. 27 Vgl. Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 157 und ff. 28 Bernhard Fabian 1968, S. 76.

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Weinberg schreibt über Patrizis Ausführungen zur aristotelischen Mimesis: »The careful reader, working his way through such a series of arguments, feels himself driven to a point of complete confusion where words no longer have fixed meanings and demonstration has no validity.« 29 Man kann dies dann, wie Rensselaer Lee, als »a fact which [...] does not argue for the philosophical capacities of these writers«30 werten, oder als Hinweis auf unterschiedliche Beschreibungslagen und -erfordernisse einer sich ordnenden Kommunikationsstruktur aufnehmen. Die Dichte des Mimesisbegriffs begünstigte somit die semantische Evolution über Variation und Selektion ganz erheblich.31 Die semantischen Variationen des Nachahmungsbegriffs zeigen hier deutlich, dass nicht die Idee der Naturnachahmung selbst, sondern ihre Kontingenz historische Wirkung als Programm entfalten konnte.32 Die Heterogenität des Mimesisbegriffs erhöht die methodischen Ansprüche an diese Arbeit, bspw. wenn sowohl Leonardo als auch Zuccaro die Malerei als Tochter der Natur beschrieben, damit jedoch Gegenteiliges meinten.33 Trotz oder gerade aufgrund der Heterogenität der Definitionen lässt sich eine gemeinsame Grundstruktur in vielen Traktaten identifizieren: der Austausch des Bezugs des Nachahmungsbegriffs. Die entsprechende Frage lautet dann, unter Inanspruchnahme welcher Differenzen die Traktate diese, ihre, Selektivität vollzogen und verschoben. Im weitesten Sinn lässt sich die Veränderung der Selektivität der Nachahmungssemantik als Ausweitung ihres Gegenbegriffs, der Natur, beschreiben. Auf diese Weise konnte der Nachahmungsbegriff beibehalten werden, ohne selbst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken zu müssen. Im historischen Prozess wurde zunächst die mittelalterliche Nachahmung des Meisters und des tradierten Bilderkatalogs durch die Nachahmung der Natur ausgetauscht. Mit Alberti und Leonardo wurde diese Nachahmung der Natur durch die Nachahmung der Regeln der Natur, Mathematik und Geometrie, ersetzt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts diente der Nachahmungsbegriff schließlich dazu, das empirisch Gegebene zielgesteuert zu überschreiten, also eine Nachahmung einer eigentlichen Natur. Diese Übersteigerung der Natur wurde letztlich psychologisiert und

29 Bernard Weinberg 1961, S. 65. 30 Rensselaer W. Lee 1940, S. 203. 31 Auch Gunter Gebauer und Christoph Wulf 1992, S. 10, sehen gerade die Unschärfe des Begriffs produktiv. 32 Siehe hierzu Niklas Luhmann 1970c. 33 Siehe Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 10, S. 30, S. 68, und Federico Zuccaro 1961 [1607], S. 249f.

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so die Nachahmung in die Einbildungskraft verschoben. Im 18. Jahrhundert wurde die Nachahmung schließlich durch den »Ausdruck« abgelöst. Von hier war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Geniesemantik, in der die mimesis in der poiesis aufging.34 Den wesentlichen Teil dieses semantischen Wandels der Reflexion gilt es in den folgenden Kapiteln genauer aufzuzeigen und mit der strukturellen Entwicklung zu flankieren. Deutlich wird an dieser Stelle, dass die Bedeutung der Künstlertraktate für den vorliegenden Zusammenhang nicht in den Autorenintentionen, dem Rückgriff auf die Antiken oder einem möglichen Einfluss auf die Bildproduktion besteht, sondern in deren Selektivität.35 Dazu zählt insbesondere die Selektion, die bereits durch das Vorhandensein der Traktate ausgewiesen ist. Also bspw., dass es Alberti möglich war, über mehrere Kapitel hinweg einen zusammenhängenden, sinnvollen Text über Malerei zu verfassen, während bspw. Petrarca trotz seines Interesses für Bilder nur mittelalterliche Versatzstücke aufwärmen konnte.36 Die Kommunikation über Kunst muss entnormalisiert werden, um ein soziales Geschehen aufzuzeigen, das äußerst unwahrscheinlich und keineswegs selbstverständlich war: die Emergenz von Kommunikation über Kunst jenseits religiöser Erwartungen. Und rückblickend muss hier festgestellt werden, dass kein Weg die Reflexion hinter ihren Ausgangspunkt zurückführte. Die Traktate zeugen davon, dass besondere Kommunikation über Malerei möglich wurde, und zwar nicht obwohl dies durch Anlehnungen an Rhetorik oder Mathematik erfolgte, sondern weil dies auf diese Weise erfolgte. Auch ist bereits soziologisch interessant, dass überhaupt eine Aufwertung der Kunst thematisiert wurde, weniger, dass bspw. die Anlehnung an die Rhetorik dies bewirken sollte. Die Frage, die dann geklärt werden muss, ist, welcher strukturelle Hintergrund die Kommunikation von Aufwertung nahe legte, bzw. als systemtheoretische Fragestellung: Welches Problem wurde durch die Aufwertung der Kunst gelöst? Bereits das erste Traktat, Cennino Cenninis »Libro dell’arte o trattato della pittura«, bietet eine Antwort auf diese Frage: ein Ordnungsproblem.

34 Je tiefer man das Bild im Subjekt versenkt, desto mehr verflüchtigt sich dieses und legt den Gegenbegriff frei. So wird schließlich das Genie zum Medium (im Sinne von Werkzeug) der Kraft der Natur. Anders formuliert: Indem das Genie sich entfremdet, kommt es zu sich. 35 Die kunstgeschichtliche Forschung ist sich uneins darüber, ob diese Traktate Einfluss auf die Bildproduktion ausübten oder nicht. 36 Siehe für Petrarcas Versuche, über Malerei zu sprechen, Michael Baxandall 1971, S. 51ff.

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4.2 D ER H IATUS ZWISCHEN K UNST

UND

H ANDWERK

Cennino Cenninis »Libro dell’arte o trattato della pittura« ist ein umfassendes, handwerklich-technisches Lehrmanuskript, das systematisch alle wichtigen Aspekte des bildenden Handwerks abzudecken suchte. Sein Traktat war das erste einer »Wolke von Traktaten«,37 die das »Was?«, »Wozu?« und »Wie?« der Bilderproduktion zu erörtern versuchten. Über die handwerklichen Rezeptesammlungen des Mittelalters ging es somit weit hinaus. Zu den Bedingungen der Bilderproduktion gehörten bei Cennini bspw. auch Anweisungen zur Lebensführung. Die allgemeinen Aussagen über Kunst sind zwar knapp gehalten und wenig elaboriert,38 umso deutlicher tritt darin jedoch ein Aspekt zu Tage, der auf die semantische Bruchstelle zwischen Handwerk und dem Kunstsystem verweist: Cennini stand vor einem Ordnungsproblem. Auf der einen Seite sprach Cennini über die Malerei als ein lehr- und lernbares Handwerk. Perfektion war hier nur durch Nachahmung anderer Meister39 möglich und dementsprechend waren der Bilderwelt und Bilderproduktion durch die religiöse und zünftige Organisation enge Grenzen gesetzt. »The intellect delights in invention; and nature alone draws them, without any guidance from a master, through nobleness of mind; and thus delighting themselves, they next wish to find a master, and with him they place themselves in love of obedience, being in servitude that they may carry their art to perfection. [...] And as soon as thou canst, begin to put thyself under the guidance of the master to learn, and delay as long as thou mayest thy parting from the master.«40

37 Herman Nohl 1961, S. 29. 38 Die Übersetzungen korrigieren leider bewusst die sprachliche Ungeschicklichkeit Cenninos, der seine Sätze teilweise abrupt abbrach oder mitten im Satz die grammatischen Kategorien der Person und Zeit änderte. 39 »[...] always take pains in drawing the best subjects which you can find, done by the hand of great masters. If you live in a place where there are many good masters, so much the better for you. But I counsel you always to choose the best and most famous; and daily following him, it will be against nature if you do not come close to his manner and style [...]«, so Cennino Cennini 1922 [1390], S. 22 und S. 6f.: »[...] they next wish to find a master, and with him they place themselves in love of obedience, being in servitude that they may carry their art to perfection.« 40 Ebd., S. 6.

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Ohne Führung durch den Meister, diesem gehorsam und dienstbar, war keine Perfektion zu erreichen; die Nachahmung der Natur allein genügte nicht. Es stand die kollektiv (genauer: zünftig) geteilte Bilderwelt ohne Anspruch auf Originalität im Vordergrund, diese galt es, in den Bildern nachzuahmen.41 Cennini konnte die Bildproduktion jedoch nicht mehr auf diese Weise als ein lehr- und lernbares, handwerkliches Wissen erschöpfend beschreiben. Er enthob in der Folge die Malerei dem Handwerk und placierte sie neben den Wissenschaften, nur noch von der Poesie übertroffen.42 Cennini beschrieb nun die Nachahmung der Natur als überlegenen Weg zur Perfektion: »Remember that the most perfect guide that you can have and the best course, is the triumphal gateway of drawing from nature: it is before all other example, and with a bold heart you may always trust to it, [...]«43 Die Naturnachahmung stand so jedoch orthogonal zum Handwerk, denn sie überflügelte nicht nur sowohl die Nachahmung eines anderen Meisters als auch die tradierten Bilderkataloge, sondern bot die semantische Möglichkeit, die Bilder in einer anderen Realität, nämlich der Natur, zu begründen: »[...] Painting, for which we must be endowed with both imagination and skill in the hand, to discover unseen things concealed beneath the obscurity of natural objects, and to arrest them with the hand, presenting to the sight that which, did not before appear.«44 Unter »imagination« ist hier freilich nicht Einbildungskraft im modernen Sinne zu verstehen, sondern ein Organ der Wirklichkeitsaneignung, eine grundsätzliche Fähigkeit zur Visualisierung, der noch nichts Schöpferisch-Kreatives anhaftete. Umso interessanter ist, dass Cennini von unsichtbaren Dingen sprach, die unter der Dunkelheit der Naturobjekte verborgen waren. Bereits mit dem ersten Künstlertraktat war die zentrale Paradoxie der Kunst aufgerissen: die Nachahmung der Natur als Grundlagengewissheit künstlerischer Selbstbeschreibung, sowie eine in der zugänglichen Natur versteckte Natur, die durch Kunst entborgen werden konnte, also eine Natur der Kunst. Deutlich wird hier, dass die traditionelle Strukturbeschreibung der Kunst als ein Handwerk das Kunstsystem nicht mehr tragen konnte. Es musste in der Folge eine Terminologie entwickelt werden, die diese Beschreibung leistete. Dass dies nicht mehr mithilfe der Begriffe der Tradition und Theologie erfolgen konnte,

41 »[...] you can copy from or look at things done by other good masters, which is no shame to you if the figure is good, [...]«, ebd., S. 102f. 42 »And well does it [Painting (sic), d. Verf.] deserve to be placed in the rank next to science, and to be crowned by Poetry«, ebd., S. 4. 43 Ebd., S. 22f. 44 Ebd., S. 4.

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wird nicht nur an deren Meidung in den Traktaten deutlich,45 sondern insbesondere an der Heterogenität der entlehnten Begriffe und Definitionen, wie es bereits bei der Semantik der Naturnachahmung angesprochen wurde.46 Die Naturnachahmung im Kontext der Kunst, bzw. in Cenninis Traktat, wird damit also nicht als Produkt humanistischer Reflexion in Kombination mit Aristotelesrezeption verstanden, sondern als das Sichtbarwerden eines gesellschaftlichen Bereichs, der ebenfalls von den beschränkten, gegebenen Möglichkeiten der Gesellschaftsbeschreibung zehrte. Denn lange bevor die Naturnachahmung auch auf die Kunst ausgedehnt wurde, diente sie bereits im Mittelalter der Beschreibung weiter Bereiche der Gesellschaft, von Herrschaftsverhältnissen bis zum Recht. Die Naturnachahmung ist einer der zentralen Begriffe, die die Gesellschaft seit der griechischen Antike zu ihrer Beschreibung heranzog. Die Nachahmungssemantik wurde im Kunstsystem daher nicht zur Lösung eigener Theoriedefizite verwendet, sondern als Grundlagengewissheit. Die Semantik der Naturnachahmung öffnete jedoch einer strukturellen Unruhe Tür und Tor, denn der Rückgriff auf die semantische Tradition erfolgte aus einer inkommensurablen sozialen Position heraus und adaptierte nach ihrem Bedarf.47 Die in diesem Kapitel angesprochene Meidung der traditionellen Beschreibung und deren Substituierung durch Begriffsimport waren, mit anderen Worten, Reaktionen auf die selbst erzeugten Ordnungszwänge der Kunst, die auch auf struktureller Ebene die Komplexität erhöhten.

45 Siehe bspw. für Alberti Anthony Blunt 1984 [1940], S. 8. 46 Zur Heterogenität der Naturnachahmung siehe auch Michael Baxandall 1980, S. 148, und Wilhelm Perpeet 1987, S. 33: »Sie versuchen, sich im ›Neuland‹ zu orientieren, legen keinen Wert auf distinkte Begriffe.« Perpeet unterscheidet so die Künstlertraktate von einer Ästhetik der Humanisten, die in einer Begriffstradition mit dem Mittelalter und der Antike standen. Siehe zu dieser Unterscheidung auch Herman Nohl 1961, S. 38. 47 Dies zeigen auch Entlehnungen der Kunst aus anderen Bereichen, bspw. in Hinsicht auf die Linearperspektive und die damit in Zusammenhang stehende Adaption Euklids. Das 8. Theorem Euklids widersprach der linearperspektivischen Projektion und musste aufgrund dessen entsprechend angepasst oder weggelassen werden, so Erwin Panofsky 1992 [1927], S. 137 Anmerkung 17, und Gottfried Boehm 1969, S. 17. Siehe James Elkins 1994, S. 199, für Zweifel an dieser Behauptung. Ein weiteres Beispiel bietet die Architektur, die zunächst das Phänomen übergehen musste, dass sich die antiken Bauten keineswegs durchgängig an das Regelwerk von Vitruv hielten, so Hans H. Aurenhammer 1994, S. 541.

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4.3 D IE E RHÖHUNG DER STRUKTURELLEN K OMPLEXITÄT DES K UNSTSYSTEMS Die Aufwertung des bildendenden Handwerks, wie es seit Cenninis Generation auftrat, stand dem traditionellen Verhältnis zwischen mechanischen und freien Künsten entgegen. Der soziale Aufstieg der Künstler war nicht durch die geschichtete Gesellschaft gedeckt, musste aber in ihr abgestützt werden. Dies führte zu Ordnungsproblemen zwischen Handwerk und Kunst:48 »[...] und obwohl sie zumeist von Künstlern bescheidener, bisweilen niedriger Abkunft ausgeübt werden, ernten diese doch durch sie [die edlen Künste: Malerei, Bildhauerei und Baukunst, d. Verf.] Anerkennung und große Ehre aus der ganzen Welt.«49 Mit dem Verlust der zureichenden Beschreibung als Handwerk musste in einer geschichteten Gesellschaft auch die Stellung der Bildproduktion neu beschrieben werden. Die soziale Stellung des bildenden Handwerkers wurde angepasst und bot erst so Gelegenheit zur Aufwertung, die vor allem durch das erhebliche Aufbauschen und mantraartige Wiederholen von Zitaten und Anekdoten antiker Autoren im Rahmen des Autoritätsbeweises unterstützt wurde.50 Die Kommunikation von Nobilitierung war jedoch alles andere ein Autonomisierungsversuch, wie man häufig lesen kann,51 sondern muss unter dem Aspekt betrachtet werden, die Kunst an die Stratifikation zurückzuleiten, also ihr eine Stellung in der geschichteten Gesellschaft zuzuweisen.52 Daher lösten diese Nobilitierungsversuche in der sozialen Umwelt weit weniger Irritationen aus, als man vermuten würde. Der Anteil von Künstlerbiographien an den Sammelbiographien des 15. und 16. Jahrhunderts beträgt nach der Statistik von Zilsel lediglich 4,5%.53 Das verweist durchaus auf eine Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die man den

48 »Der soziale Status der Künstler im Verhältnis zur Hierarchie der Geburtsstände blieb trotz zahlreicher Nobilitierungen ungeklärt [...]«, so Niklas Luhmann 2008c, S. 321. 49 Luigi Crespi zitiert nach Enrico Castelnuovo und Carlo Ginzburg 1988, S. 75. 50 Ein typisches Beispiel bei Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 28: »Nun stand gerade die Malerei zu jeder Zeit bei Königen, Kaisern und Gelehrten in hohen Ansehen; sie ist also von sehr edler Art. Dies lässt sich leicht durch die Beispiele nachweisen, die sich bei Plinius und bei verschiedenen anderen Autoren vorfinden, welche uns erzählen, dass Alexander der Große das außerordentliche Verdienst des Apelles so sehr würdigte, dass er ihm nicht Juwelen und Schätze, wohl aber seine geliebte Campaspe selbst schenkte, [...]« 51 Bspw. bei Wilhelm Perpeet 1987, S. 174ff. 52 Das wird bei Baldassarre Castiglione 1903 [1528], S. 65ff., deutlich. 53 Siehe Edgar Zilsel 1926, S. 176.

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Künstlern aus heutiger Sicht wohl zuweisen mag und ihrer tatsächlichen Relevanz im sozial gepflegten Gedächtnis der damaligen Zeit. So finden sich zwar einige Künstler, die den sozialen Aufstieg aus einfachen Handwerksfamilien in niederen Adel erreichten, bspw. Gentile Bellini, Bartolommeo Bandinelli und Andrea Mantegna. Auch konnten andere Künstler Besitztümer anhäufen oder in hohe Beamtenpositionen aufsteigen. Allgemein muss jedoch festgestellt werden, dass der Aufstieg nur einer kleinen Minderheit vorbehalten war, die häufig ohnehin aus bessergestellten Familien stammten, bspw. Brunelleschi und Michelangelo. Andere, bspw. Leonardo und Alberti, konnten als uneheliche Söhne höher gestellter Personen zwar einen Zugang zu Bildung und angemessenen Umgangs- und Verhaltensformen erhalten, standen aber gleichzeitig nicht unter dem Druck, einen standesgemäßen Beruf oder den des Vaters ergreifen zu müssen. Trotz sozialen Aufstiegs verdienten bspw. die 300 Maler und Bildhauer, die um 1560 in Antwerpen tätig waren,54 nur um 50% mehr Lohn als einfache Arbeiter: »A sixteenth-century artist with several children could easily go hungry when the local harvest failed.«55 Die Konkurrenz unter den Künstlern war entsprechend groß und die Preise niedrig, so dass viele Maler einer Nebenbeschäftigung, bspw. als Gastwirt, nachgingen.56 Selbst ein zu seinen Lebzeiten bereits bekannter Künstler wie Botticelli starb, folgt man Vasaris Beschreibung,57 in Armut. Auch Masaccio lebte in großer Armut, Donatello kam mit Stuckarbeiten über die Runden.58 Die wirtschaftliche Situation der Künstler wird sich erst im 17. Jahrhundert ändern. Und in den Städten sieht man sich dann dem Problem ausgesetzt, dass die sozial niedrig bewerteten Berufe ein einträgliches Leben bescheren können, sich die funktionale Differenzierung gegen die Stratifikation, die »freien« Tätigkeiten, durchsetzen kann. Die Ablösung vom Handwerk bot hier jedoch nicht nur Nobilitierungschancen, sondern diente zugleich als Attraktor für Tätigkeiten, die gleichsam nicht vollständig in der geschichteten Gesellschaft aufgingen. Künstler müssen wissen, was sie tun – und müssen dazu wissen, was sie sehen. In diesem Aspekt besteht die Verschwisterung von Kunst und Wissenschaft. Malerei bot hier bspw. die Möglichkeit zu optischen, geometrischen und mathematischen Studien. Sie bot »wissenschaftliche Betätigung« ohne hohe Geburt und außerhalb klerikaler

54 Vgl. Dan Ewing 1990, S. 579f. 55 Vgl. John Michael Montias 1990, S. 365. 56 Vgl. Alessandro Conti 1988, S. 201ff. 57 Vgl. Giorgio Vasari 1912c [1568], S. 251. 58 Vgl. Giovanni Previtalli 1988, S. 146.

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Strukturen. Bereits klerikale Ordenszugehörigkeit schränkte die Möglichkeiten des Wissenserwerbs erheblich ein. Unter dem »Deckmantel« der Kunst konnte mithin Wissenschaft betrieben werden, wie sie an den Akademien oder Universitäten undenkbar war, bspw. die Anatomiestudien Leonardos.59 Die Malerei bot hier Möglichkeiten quer zum hierarchisch geordneten Wissen.60 Zur Distinktion vom Handwerk bedurfte es jedoch großer semantischer Bemühungen, denn dieser Unterschied war für den Großteil der sozialen Umwelt lange Zeit einer, der keinen Unterschied machte.61 Man vereinbarte bspw. in den Verträgen zwischen Auftraggebern und Malern keinen Preis, sondern einen Lohn – der Künstler wurde in den Verträgen weiterhin als Handwerker behandelt, der seine Arbeitskraft zur Verfügung stellte. Kassenbucheinträge und Verträge zeigen hier, dass Maler bis ins 15. Jahrhundert hinein nicht nur die Tafelbilder malten, sondern auch die dafür notwendigen Holzkörper anfertigten.62 Ab Mitte des 15. Jahrhunderts wurden diese Holzarbeiten vermehrt an Schreiner weitergeleitet. Das Kunstsystem vertiefte die Differenz zum Handwerk. Wo Ghiberti 1452 sein Werk noch mit »mira arte fabrefactum« signierte, setzte Alberti nun bereits auf die Differenz von fictor/faber und unterschied damit strikt zwischen fictor, der Hervorbringung, zu der der auch der Entwurf, inventio, gehörte, und faber, der Ausführung des Entwurfs durch Hilfskräfte, bspw. Gesellen. Entsprechend musste in der Folge das handwerkliche Verhältnis von Meister und Schüler reformuliert werden. Bei Leonardo heißt es: »Ich sage zu den Malern, dass nie Einer die Manier eines Anderen nachahmen soll, denn er wird, was die Kunst betrifft, nicht ein Sohn, sondern ein Enkel der Natur genannt werden.«63 Inbegriff der Erhöhung struktureller Komplexität war jedoch die Ausdifferenzierung der Zeichnung. Für Alberti waren alle handwerklichen Tätigkeiten, die Malerei bzw. Zeichnungen verwendeten, durch diese Verwendung aufgewertet und dem Handwerk enthoben.64 Auch erste Institutionalisierungsversuche, die Ausdifferenzierung von Akademien, trugen dem mit ihrem Namen Rechnung: die erste Akademie wurde als »Accademia delle Arti del Disegno« (Florenz,

59 Siehe zu diesen Studien bspw. Kim H. Veltman 1992. 60 Siehe hierzu, aus Sicht der sich ausdifferenzierenden Wissenschaft beschrieben, Wolfgang Krohn 1977. 61 Siehe hierzu Ulrich Pfisterer 1996, S. 109f. 62 Vgl. Christoph Merzenich 2001, S. 15. 63 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 59. 64 Bei Vasari verrät sich manch späterer Künstler über eine Hinwendung zur Zeichnung im Kindesalter. Siehe bspw. für Cimabue und Giotto Giorgio Vasari 1912a [1568], S. 3 und S. 71.

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1563) gegründet. Die strukturelle Grenzziehung zum Handwerk ließ sich im historischen Prozess über die Zeichnung und die Institutionalisierungsversuche der Akademien konfirmieren. Es wurden nun diejenigen Handwerksbereiche exkludiert, die nicht auf Zeichnungen angewiesen waren. Künstler war zunächst, wer zu zeichnen hatte und darunter fielen für Dolce auch die Berufe der »Architekten, Maurer, Graveure, Goldarbeiter, Sticker, Tischler und selbst Schlosser«.65 Das Können des Handwerksmeisters bestand gerade darin, auf Vorbereitungen und andere Hilfsmittel verzichten zu können und dadurch zugleich sicherzustellen, dass Zunftgeheimnisse gewahrt blieben.66 Entsprechend riet Brunelleschi noch dazu, die Verbreitung von Entwürfen (invenzioni) zu beschränken,67 also zunftmäßig zu bewahren. Doch gerade die Entwurfszeichnung wurde im Kunstsystem nun über einen Generalisierungseffekt ausdifferenziert. Die Entwurfszeichnung wurde nicht mehr übermalt, ging nicht mehr im vollendeten Gemälde auf, sondern trat aus ihrem handwerklichen Anwendungskontext heraus. Dazu mussten Zeichnung und Ausführung nicht nur, bspw. mit der Differenz von fictor/faber, voneinander entkoppelt, sondern das Verhältnis der Zeichnung zum Ausgeführten, bspw. einem Gemälde, musste invertiert werden. Das Gemälde war nun der Zeichnung nachgeordnet, galt die Ausführung des zeichnerischen Entwurfs nur noch als »Anwendung«.68 Entsprechend war, so berichtete Francisco de Hollanda, für Michelangelo die Zeichnung dem Gemälde überlegen: »And in may judgment that is the excellent and divine painting which is most like and best imitates any work of immortal God, whether a human figure, or a wild and strange animal, or a simple and easy fish, or a bird of the air or any other creature. And this neither with gold nor silver nor with very fine tints, but drawn only with a pen or a pencil, or with a brush in black and white.«69

Das künstlerische Strukturmerkmal des Gemalten und insbesondere die »Farbigkeit« mussten dazu zurücktreten.70 Selbst die Bildhauerei wurde so der Zeich-

65 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 36. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch bei Luca Pacioli 1889 [1509], S. 254. 66 Vgl. Wolfgang Kemp 1979, S. 21f. 67 Vgl. das Zitat in Martin Kemp 1977, S. 351. Kemp interpretiert dieses Zitat allerdings gerade nicht in Hinsicht auf zünftiges Wissen, sondern einen »literarischen Elitismus«. 68 Siehe hierzu Hans Belting 1978, S. 110. 69 Francisco de Hollanda 1911 [1548], S. 276. 70 Dies ist für Frankreich gut dokumentiert. Siehe Pablo Schneider 2006, S. 426f.

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nung nachordbar.71 Durch diese Aufwertung gestattete die Zeichnung selbst Zurechnungsprozesse in Form einer Personalisierung der Zeichnung, die weit über handwerkliches Können hinausgehen konnten. Tommaso verehrte bspw. Zeichnungen von Michelangelo wie Reliquien, berichtete Vasari beipflichtend.72 Die Generalisierung der Zeichnung entereignete diese, und zwar sowohl räumlich als auch sachlich, das heißt, die Zeichnung wurde von bestimmten Orten ebenso entkoppelt, wie von bestimmten Themen oder Leistungsbereichen und konnte daher relativ risikolos zur Generierung von Variationen ausgebaut werden. Voraussetzung war, dass Variationen nicht nur möglich, sondern sozial erwünscht waren. Auch die Skizzenbücher von Villard de Honnecourt zeigen hier bereits im Ansatz, dass das, was es zu bauen galt, nicht mehr bereits im Vorfeld feststand. Die Variation wurde sozial thematisierbar und diente als Attraktor weiterer Kommunikation. Variationen wurden gestattet und eröffneten neue Möglichkeiten der Formkombination. Die Zeichnung stellte mithin eine funktionale Lösung für das Problem dar, dass Abweichungen und Darstellungsinnovationen nur dort möglich waren, wo bestimmte Formenkombinationen nicht bereits durch Tradition oder externe Erwartungen festgeschrieben waren. Diese Erwartungen waren durch die Zeichnung weit weniger zu enttäuschen und hierin begründete sich ihr struktureller Vorteil im Ausdifferenzierungsprozess. Die Variation der Darstellung verlagerte sich nun zum Großteil auf die Zeichnung und erst über diese in das Tafelbild. Mit der Aufwertung der Zeichnung wurden andere strukturelle Kopplungen mit der sozialen Umwelt möglich. Insbesondere die Verträge zwischen Auftraggeber und Künstlern bezogen sich nun zunehmend auf eine vorgelegte Zeichnung. Der Auftraggeber wirkte hier, wie später der Kunstmarkt oder die politische Begünstigung, als Abweichungsverstärker im Rahmen eines Interpenetrationsverhältnisses und bestimmte damit die Stilevolution der Kunst maßgeblich mit. Gerade die Kirche nutzte über die Zeichnung ihre Interpenetrationschancen und versuchte durch den Zwang zur Vorlage von Zeichnungen unliebsame Variationen zu verhindern. Die Zeichnung war also nicht nur künstlerisches Realisierungsmittel, sondern wesentliche Voraussetzung zur Generierung von Variationen, sei es in der Bilddarstellung oder der Kommunikation. Das Kunstsystem erhöhte durch die Zeichnung erheblich seine Freiheitsgrade, generierte systeminterne Abweichungen und verschärfte zugleich die eigene Selektivität. An der Zeichnung wurde nicht nur die Selbstreferentialität des Kunstwerks erprobt und auf Dauer gestellt,

71 Siehe Francisco de Hollanda 1911 [1548], S. 252f. 72 Vgl. Giorgio Vasari 1915 [1568], S. 106.

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sondern zugleich eine Kompetenz hinsichtlich eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums der Kunst sichtbar, die die Produktion von Bildern für unbestimmte Adressaten über Zeichnungen und unvollständige Werke vorbereitete. Das »generalisiert« ist hier der Schlüsselbegriff, denn es war gerade die Abstraktion vom Dargestellten und vom Produzenten, die die Reichweite und Akzeptanz sozial erhöhte, nicht das Dargestellte selbst. Mit der hier impliziten Ablösung des Bildkatalogs expandierten notwendigerweise die Artefakte und Darstellungen, die im Kunstsystem anschlussfähig sein mussten. Das Kunstsystem experimentierte mit Möglichkeiten seiner Kopplung. Unvollständige Werke, bspw. die »Anbetung der Heiligen Drei Könige« von Leonardo, wurden ebenso sinnvoll anschlussfähig, wie beschädigte antike Statuen. Auch die historisch äußerst bedeutsame Truhenmalerei ist hier zu erwähnen, aber auch Madaillenschneiderei – beide Kunstformen wurden längst im historischen Prozess exkludiert. Solange die medialen Voraussetzungen nicht robust genug waren, profitierte die Kunst von der Anschlussfähigkeit ihrer Bilder in anderen Leistungszusammenhängen. Bspw. ermöglichte die soziale Sichtbarkeit der Werke in höfischen Repräsentationszusammenhängen die Ausdifferenzierung einer entsprechenden Leistungsrolle, bspw. eines Hofmalers. Die Erwartungen seitens der Auftraggeber und die Erwartung des Künstlers hinsichtlich der Erwartung des Auftraggebers reduzierten die Kontingenz des Bildes freilich erheblich. Das macht es schwer, im Hofmaler einen direkten Vorgänger des modernen Künstlers zu sehen.73 Freilich wurden dem Hofmaler die allgemein üblichen Privilegien von Hofbediensteten zuteil, bspw. Zunft- und Steuerfreiheit, sowie Freiheit von städtischer Gerichtsbarkeit. Aus dem Verlust dieser Einbindungen in die mittelalterliche Stadt folgte jedoch keine Souveränität, sondern ein feudales Dienstverhältnis mit ganz erheblichen Zwängen eigener Art. Es galt, die Wunschvorstellungen des Fürsten zu erfüllen, seine Gnade zu sichern und zu intrigieren, um nicht selbst der Intrige zum Opfer zu fallen. Chledovski schreibt über den Hof von Ferrara treffend: »Fast alle Schriftsteller und Dichter des XV. und XVI. Jahrhunderts haben im Herzen bittern Groll gegen die höfischen Zustände genährt, denn abgesehen von den fortwährend zu erduldenden Unannehmlichkeiten und Ungerechtigkeiten haben sie deutlich empfunden, dass der Hof ihr Talent ruiniert, indem sie gezwungen wurden, auf Kommando zu schreiben und zu schmeicheln. [...] Guarini hat das Zwiespältige seiner Lage empfunden: zu unfrei, um frei zu sein, und nicht unfrei genug, um Fürstenknecht zu sein, , ›per servidore

73 Vgl. Martin Warnke 1996.

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troppo libero, per libero troppo schiavo‹. In all seinen Briefen klagt er, man müsse sich bei Hofe seines eignen Willens, seiner eignen Ansicht über die Dinge entäußern, auf Befehl schreiben, und sein ganzes Leben höre man die Kette klirren, an die man gefesselt sei. Im herzoglichen Dienst habe ihn die Muse verlassen, die sich nicht in Knechtschaft begeben wolle.«74

Auch Vasari berichtet von Gängeleien, bspw. als Leonardo von einem Prior zur Weiterarbeit am Bild gedrängt wurde und Leonardo diesem daraufhin drohte, ihn dort als Judas zu verewigen.75 Erst der Austausch der Abhängigkeit von Auftraggebern durch die Abhängigkeit vom modernen Markt, beginnend im 16. Jahrhundert in Antwerpen,76 wird andere Abhängigkeitsverhältnisse bieten. Aber erst seit Ende des 17. Jahrhunderts scheint der Kunstmarkt, vor allem der auf Importe angewiesene Kunstmarkt in England, dazu in der Lage zu sein, höhere Freiheitsgrade zur Verfügung stellen zu können.77 Denn noch im 16. Jahrhundert stand der Kunstmarkt in Antwerpen unter der Aufsicht und in den Räumlichkeiten kirchlicher Organisationen. Zünfte kontrollierten die Teilnahmebedingungen und zu guter Letzt wurde der Markt nicht primär um des Profits willen betrieben, sondern um den Teilhabenden ein standesgemäßes und Status sicherndes Auskommen zu ermöglichen. Interessanter als der wirtschaftliche Aspekt ist für den vorliegenden Zusammenhang die extreme Menge der Bilder, die gehandelt wurde und dadurch der Kommunikation über Bilder ein erhebliches Vergleichs- und Generalisierungspotential bot. Der Antwerper Markt für Luxusprodukte, zu dem auch Bilder als Luxusprodukte zählten, wurde innerhalb eines Jahrhunderts ein Markt für massenproduzierte Bilder, die tonnenweise verschifft wurden. Der Kunstmarkt reduzierte die

74 Kazimierz Chledowski 1919, S. 470. Cellinis Biographie zeugt ebenfalls deutlich davon, bspw. Benvenuto Cellini 1906 [1728, Manuskript um 1566], S. 219f. und S. 296f. 75 Vgl. Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 96ff. 76 Antwerpen löste im 16. Jahrhundert Venedig als europäisches Handels- und Finanzzentrum ab und wies bereits seit den 1430ern einen organisierten Markt für Bilder auf – allerdings ohne bedeutende eigene Bilderproduktion, diese kam erst Ende des 16. Jahrhunderts in Fahrt, so Dan Ewing 1990, S. 559. 77 Siehe hierzu Niklas Luhmann 1995d, S. 262 und S. 382, der den Austausch des Patronagesystems durch einen Kunstmarkt als Wechsel des Anlehnungskontextes des Kunstsystems interpretiert. Diese Interpretation hat durchaus Schwierigkeiten, Systemreferenz und Funktionszusammenhang trennscharf zu halten, vergleiche bspw. die oben angegebene Stelle mit S. 391.

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Notwendigkeit zur Interaktion und das Kunstwerk stand aus diesem Grund unter einer erhöhten Anschlussunwahrscheinlichkeit. An diese Stelle rückten Kunsthändler und Vermittler. Nicht zuletzt die Menge der gehandelten Bilder verweist hier darauf, dass das Kunstwerk Anschlussfähigkeit gegenüber unspezifizierten Beobachtern gewährleisten musste, es auf ein Mindestmaß an Anschlussfähigkeit und Legitimation durch Kopplung an Auftraggeber, Zeichnung und Vertragsabsprachen verzichten konnte. Als weiterer Aspekt der Erhöhung struktureller Komplexität sei an dieser Stelle bereits die Ausdifferenzierung von Akademien erwähnt. Zwar wird sich die Kunstakademie erst im 17. Jahrhundert, beginnend bei der Académie royale de peinture et de sculpture in Paris (1648), über Europa verbreiten und die künstlerische Ausbildung außerhalb des Handwerks institutionalisieren. Sie leistete jedoch bereits im 16. Jahrhundert einen Beitrag, die semantische Komplexität, die die Abspaltung des Handwerks verlangte, durch den Aufbau von Eigenkomplexität verarbeitbar zu machen und zwar, weil sie diesen internen Unterschied »nach Außen« repräsentieren konnte. Und das, obwohl sich an der handwerklichen Verfassung der Ausbildung wenig änderte und der Ausdruck accademia noch Mitte des 17. Jahrhunderts sowohl für Zunft, Bruderschaft als auch für Universität stand.78 Der Gründung der Accademia delle Arti del Disegno (Florenz, 1563) folgen weitere, bspw. die Accademia di San Luca (Rom, 1577) und die Accademia dei Desiderosi (Bologna, 1580) – letztere war interessanterweise eine Privatgründung.79 Bereits eingangs wurde darauf hingewiesen, dass die Organisationen allzu häufig mit den Systemen selbst verwechselt werden; dies ist quasi ihr Vorteil. Die Akademien »repräsentieren« als Organisationssysteme die Einheit des Systems, sie gestatten es quasi, mit der Kunst zu kommunizieren. Akademien suggerieren die Systemvertretung, obwohl der Gesamtbevölkerung keineswegs ein Zugang gestattet wird, wie er mit der Totalinklusion der Funktionssysteme gegeben und verlangt ist. Die Akademien lenken Aufmerksamkeit und schränken dadurch zugleich die Sichtbarkeit dessen ein, was in der sozialen Umwelt dann als Kunst erwartet wird. Das wird besonders dort deutlich, wo die Organisationen in

78 Siehe Alessandro Conti 1988, S. 183. 79 Diese Sichtbarkeit ist nicht mit einem Versuch der Politik, die Kunstproduktion zu kontrollieren zu verwechseln, wie man teilweise lesen kann, da nur die bedeutendsten Künstler am Hofe Cosimo I de’ Medici in der Akademie organisiert waren. Das soll nicht heißen, dass die Akademien sich nicht in späteren Jahrhunderten besonders dazu eignen werden, sich durch Politik und Wirtschaft irritieren zu lassen.

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der sog. akademischen Kunst nicht etwa Variationen einschränken, sondern lediglich deren Sichtbarkeit. Die Akademien bedeuten zugleich ein auf Dauer stellen der systeminternen Umstellung von segmentärer Differenzierung auf Stratifikation, es wundert daher nicht, wenn die ersten Akademien in den Zentren und nicht an der Peripherie ausdifferenziert wurden. Im Kunstsystem kann dann die Differenz von akademischer und nicht-akademischer Kunst dazu ausgebaut werden, die Bildproduktion intern weiter zu stratifizieren und dadurch Interpenetrationsmöglichkeiten zu bieten, auf die die Gesellschaft gerade in der primär stratifizierten Gesellschaft angewiesen ist. Dies wird besonders an der Académie royale de peinture et de sculpture (Paris, 1648) deutlich, die gegründet wurde, um höheren Schichten einen statusgewährleistenden Zugang zur Kunstproduktion zu ermöglichen. Die Akademien gestatteten damit einerseits die Rückbindung eines gegen die Stratifikation differenzierten Kunstsystems in die Stratifikation, bspw. indem die Akademie die Auftragsvergabe von den Zünften übernahm oder den Kauf der Mitgliedschaft duldete. Andererseits waren die Akademien deutlich gegen die Stratifikation differenziert, denn sie unterliefen die stratifizierte Gesellschaft, indem sie ihr entgegengesetzte Karrieremöglichkeiten boten, also die Herkunft durch die Entscheidungen, bspw. zur Aufnahme, zur Mitgliedschaft, ersetzten.

4.4 AUSGANGSPUNKTE ZUR S ELBSTBESCHREIBUNG DES K UNSTSYSTEMS Die Kritik oder das Lob am Bildwerk des mittelalterlichen Bildproduzenten bemaß sich danach, inwieweit die Erwartungen des Auftraggebers erfüllt waren. Die operative Schließung des Kunstsystems benötigte jedoch interne Kriterien, die es im historischen Prozess auf Dauer zu stellen galt. Bis sich die Mathematik an entscheidender Stelle der systemischen Selbstbeschreibungen installieren lässt, nutzte die Kommunikation hier Differenzen, die sich quasi von selbst ergaben, bspw. durch zeitliche Abfolge, insbesondere Gegenwart/Antike, oder unterschiedliche Orte der Produktion, insbesondere Zentrum/Peripherie. Auf diese Weise ließ sich das anfängliche Ordnungsproblem der Kommunikation über das Bild in einfache Rangprobleme transformieren. Dies wurde bereits angesprochen. Auch diese Differenzen reicherten sich im Ausdifferenzierungsprozess mit Sinn an, sie wurden komplexer. Das Kunstsystem verzeitlichte nun seine Komplexität. Während die Vergangenheit in aller Regel Erwartungssicherheit bot, bspw. durch Überlieferung oder Stiftung (Ikone!), wurde hier ein Bereich ausdifferenziert, der Variation kommu-

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nizierbar machte – allerdings unter der Rückbindung an die invariante Varianz des Naturbegriffs. Die Autorität der Älteren konnte durch diese Einfügung in eine übergeordnete Systemgeschichte als »Vorgänger« gewährleistet werden. Das Kunstsystem musste sich also gar nicht mit der Frage nach den Gründen des Wandels auseinandersetzen. Das Kunstsystem konnte seine Eigenleistung gerade durch den Rückgriff auf Naturnachahmung latent halten und zugleich unter diesem Aspekt seine Vergangenheit beobachten. Durch Extrapolierung der Differenz von Selbst- und Fremdreferenz kondensierte so im Kunstsystem eine Systemgeschichte, die sich, mit entsprechendem Generalisierungspotential, steigern ließ, indem der Kommunikation von Geschichtlichkeit nun Bewertbarkeit zur Seite gestellt wurde.80 Dass sich Kunstwerke überbieten, wurde entsprechend seit Cimabue und Giotto als Erwartung kommuniziert. Die Bildproduktion wurde in eine Entwicklung zum Besseren eingespannt – eine Wertung, die im Mittelalter keinen Sinn gemacht hätte, denn vor ihrer Ausdifferenzierung ist Kunst immer schon vollendet.81 Kunst war nun also nicht mehr Kunst, weil sie es immer schon war (Ikone); die Berufung auf Vorgänger entfiel damit, denn die gegenwärtige Kunst war der vorangegangenen stets überlegen. Bereits bei Vasari war diese Systemgeschichte im Ansatz historisiert, wenn er erklärte, er werde die Kunst vergangener Zeiten nach deren Maßstab beurteilen, nicht nach seinem. Anstelle der Vorgänger mussten nun andere Erwartungsrestriktionen eingeführt werden. Dafür eigneten sich insbesondere räumliche Differenzen, die durch die Stratifizierung der Kunstproduktion im Mittelalter anfielen und die sich sowohl politisch als auch wirtschaftlich zweitcodieren ließen. Es wundert also nicht, dass toskanische Schriftsteller toskanische Künstler und Schriftsteller lobten. Und so brachte stets diejenige Stadt den größeren Künstler hervor, welcher

80 Dies ist auch für Niklas Luhmann 1994a, S. 15, ein Indikator für die Ausdifferenzierung eines Kunstsystems. 81 Fritz W. Kramer 2001, S. 26, schreibt: »Man hat deswegen selten die unbeholfenen, tastenden Anfänge von Literatur und bildender Kunst gefunden, die man unter evolutionstheoretischen Prämissen erwartet hatte. Die Homerischen Epen, Gilgamesch, die Veden oder das Buch der Lieder gelten auch heute ebenso als vollkommen wie einige der ältesten paläolithischen Skulpturen aus dem Ach- und Lonetal, Höhlenmalereien der Dordogne oder Felsbilder des südlichen Afrika; und selbst die langen Bildtraditionen, die in den Zivilisationen der Bronzezeit gestiftet wurden, setzen wie die afrikanische Plastik, deren Ursprünge wir allerdings nicht kennen, jedesmal mit vollendeten Bildwerken ein.« Siehe auch Erwin Panofsky 1985 [1924], S. 2f.

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der Autor entstammte oder wer dafür bezahlte.82 Denn die blühende Geldwirtschaft ermöglichte freie Schriftsteller, auch quer zur Stratifikation, wie im Falle Pietro Aretinos, deren Ware nicht weniger vom Auftraggeber abhing, als die der Künstler.83 In diesem Punkt ist bspw. Bourdieu zuzustimmen, wenn er schreibt, dass diesem Prozess der Autonomisierung eine »verleugnete ökonomische Dimension anhaftet«.84 Dies muss mitgesehen werden, wenn Humanisten, also Kanzleibeamte, Künstler und Kunstwerke lobten, denn das Lob erfolgte gerade nicht individualisiert bzw. leistungsspezifisch, sondern hoch schematisch.85 Besonders deutlich bei Vasari und Dolce: wo Vasari Dante lobte, lobte Dolce Petrarca, wo Vasari Michelangelo bewunderte, setzte Dolce Tizian und Raffael entgegen.86 Wie wenig der semantische Apparat der Kunst anfangs dazu geeignet war, die Komplexität der Kommunikation am Bild zu organisieren, zeigt bereits das Phänomen, dass sich für Kritik unter Künstlern nur sehr wenige überlieferte Fälle finden lassen. Eine gepflegte Kritik findet sich nicht. Auf Petrarcas Versuche wurde bereits hingewiesen: »We may say Petrarch publicly admired paintings and statues conspicuous in his time, and that he was content to say so inside a narrow range of commonplaces, none of them un-

82 So war bspw. für den Venezianer Dolce der Venezianer Tizian der größte aller Künstler. Für den Lombarden Lomazzo war der Mailand zugerechnete Leonardo der bedeutendste Maler, für den Engländer Haydocke der Engländer Nicholas Hilliard, der selbst Raffael überlegen sei, so Haydocke zitiert nach James A. Knapp 2003, S. 82. Und freilich rühmte Nikolaus von Kues mit Rogier van der Weyden einen Künstler aus dem Norden. Siehe hierzu Kurt Flasch 1998, S. 234. 83 Edgar Zilsel 1926, S. 111ff., bezeichnet Humanisten nicht ohne Grund als »Ruhmverleiher«. 84 Pierre Bourdieu 2000, S. 19. 85 Siehe hierzu auch Michael Baxandall 1980, S. 148. Sieht man diesen sozialen Kontext nicht mit, dann gerät man in Gefahr, die Art und Weise, wie das Lob und auch der gepflegte Disput programmiert sind, nicht der Rolle, sondern der Person zuzurechnen. Man erhält dann »Charaktere«, wie dem aggressiv-sarkastischen des Galileo Galilei, der jedoch bei genauerem Blick, wie Mario Biagioli 1993, S. 66, herausgearbeitet hat, selbst darin nichts anderes tat als das, wofür er bezahlt wurde. 86 In Dolces Dialog steht hier die politische Übersteigerung Tizians im Vordergrund, zu diesem Zweck musste die Einzigartigkeit und das Wunderhafte hervorgehoben werden. Von der Ansicht, »Dolce sucht als Historiker nach Erklärungen für die Leistungen Tizians«, wie Oskar Bätschmann im Vorwort zu Michael Baxandall 1990, S. 7, schreibt, ist daher eher Abstand zu nehmen.

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known to the Middle Ages. [...] the conventionality of his praise is characteristic of humanist discourse; the commonplaces are epideictic grace-notes, a florid and semi-classical way of saying that a work of art was good.«87

Semantische Eigenkomplexität musste, jenseits der Kopplung an Differenzen, die dem Kunstwerk, wie oben gezeigt, noch mehr oder weniger »extern« waren, erst aufgebaut werden. Insbesondere über die Zeichnung schaffte sich das Kunstsystem einen eigenen Freiraum zur Erprobung der Kommunikation von Kunst, und zwar relativ enttäuschungsresistent, da die Zeichnung nicht bereits in andere Erwartungszusammenhänge der sozialen Umwelt eingespannt war. Das Kunstsystem hatte diesen Freiraum nötig, denn die semantischen Möglichkeiten zur Kommunikation von Kunst waren anfangs wenig elaboriert – sieht man von Semantikimporten ab, auf die erst im nächsten Kapitel eingegangen wird. Teilweise entstanden so Beschreibungen der Kunst, die aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar oder in ihrem Sinn rekonstruierbar sind.88 Bspw. erfand Landino 1480 zur Beschreibung von Bildern seltsame, an Plinius orientierte Metaphern.89 Ein erster Schritt zum Aufbau semantischer Komplexität war zunächst die Ausdifferenzierung einfacher Abgleichs- und Vergleichskommunikation in Form des Wettstreits unter Künstlern und mit der Natur, wie er typisch und in vielen Anekdoten überliefert ist. Der Wettstreit erprobte künstlerische Kommunikation über das Werk. Er diente damit in erster Linie der systemischen Grenzkonstitution und verweist hier insbesondere auf die Form von Selektion und Stabilisierung. Denn durch diese recht einfache Kommunikation von Vergleichen bildete sich seit der Frührenaissance ein Kommunikationszusammenhang heraus, der gerade über die zünftigen Vergleichsmöglichkeiten hinausgehen konnte und sich bspw. erst dadurch zur Stabilisierung eines sozialen Aufstiegs eignete. Ein weiterer Vorteil des Wettstreits bestand in seiner Leistungsfähigkeit, Konflikte in Hinsicht auf ständische Differenzen verarbeitbar zu halten, indem das Ordnungsproblem in ein (dann kunstinternes) Rangproblem gebracht wurde. Donatello wählte bspw. eine nicht tradierte Darstellungsweise für Jesus, was

87 Michael Baxandall 1971, S. 52. 88 So verglich der Herzog von Mailand 1490 in einem Brief mehrere Künstler miteinander, darunter Boticelli und Perugino. Eine seiner Kategorien zur Bewertung war »aria«, dessen Bedeutung eventuell im Kontext von »Anschein« verortet werden könnte. Er unterschied in dieser Kategorie: männlich, lieblich, engelhaft und gut. Die Bedeutung dieser Adjektive bleibt vollständig im Dunkeln, so Michael Baxandall 1980, S. 38. 89 Vgl. ebd., S. 144f.

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ihm, so Vasari, die heftige Kritik Brunelleschis einbrachte.90 Im vorliegenden Fall gewann Brunelleschi, die Tradition.91 Es finden sich eine ganze Reihe weiterer Künstleranekdoten, die ständische Darstellungskonflikte teilweise durch geistreiche Bemerkungen im Rahmen der Nachahmungssemantik verarbeiteten. Um ein Beispiel zu geben: »Papst Julius ließ die Zimmer, die er bewohnte, von Raffael von Urbino, einem sehr hervorragenden Maler, ausmalen. In einem derselben ließ er sich darstellen, wie er kniend die Messe hört, und auf einer andern Wand, wie er vom Belvedere kommt, getragen von Reitknechten. Das zweite Bildnis zeigte im Gesicht viel mehr Farbe als das erste. Als Raffael infolgedessen von einigen getadelt wurde, welche erklärten, er habe einen Fehler begangen, dass er ihm nicht die gleiche Farbe gegeben wie dem andern, sagte der Herr Marc Antonio Colonna zu ihnen: ›Ihr befindet Euch sehr im Irrtum, denn Raffael hat in diesem Punkt die größte Umsicht bewiesen; ist doch der Papst bei der Messe nüchtern gewesen, während er bei der Rückkehr vom Belvedere Farbe gehabt und rot ausgesehen hat, weil er getrunken hatte.‹«92

Auch das zugrunde liegende Kriterium der Wettstreite wurde durch die Naturnachahmung programmiert, doch war es nur schwer möglich, diese Naturnachahmung zu operationalisieren, das heißt, methodische Gründe anzugeben, die die Wertung überzeugend deckten. Die Kunst ließ sich hier nicht, wie bspw. das Recht, positivieren, so dass für beliebige Darstellungen Kunstgeltung aufgrund der Herstellung nach bestimmten Regeln gewonnen werden könnte. Auch durch die später erfolgende Mathematisierung gelingt es der Kunst nicht dauerhaft, Kritik über Privatreglements hinaus zu generalisieren. Noch Vasaris Künstlerlob

90 Um 1410 gegenüber einem hölzernen Kruzifix von Donatello. Vgl. Giorgio Vasari 1912b [1568], S. 240f. Siehe zur möglichen historischen Wahrheit der Anekdote Gosbert Schüßler 1997, S. 52f. 91 Noch für Brunelleschi war es unmoralisch, Jesus mit den Zügen eines gewöhnlichen Pflügers darzustellen. Die Stratifizierung der Gesellschaft erforderte mithin Berücksichtigung. Je nach sozialer Stellung wurden andere Darstellungsweisen angewandt; kräftig und derb die niederen Stände und hochgewachsen, schlank mit feinen Gesichtszügen, die oberen Stände. Jesus konnte nur zu letzterem Stand gehören. So schrieb Savonarola in »Triumphus Crucis de fidei veritate« (Florenz, 1497): »[...] sein Körper ist sowohl wegen der Vollkommenheit der Seele als auch wegen der Vereinigung mit dem ›Wort‹ der vollkommenste und edelste vor allen übrigen Körpern«, zitiert nach Gosbert Schüßler 1997, S. 63. 92 So Domenichi um 1548 zitiert nach Hanns Floerke 1913, S. 71.

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ist im Allgemeinen nahezu beliebig austauschbar. Entscheidend ist aber, dass der Mangel an generalisierbarer Kritik in der Kommunikation des Wettstreits gerade durch die Programmierung über die Naturnachahmung gelöst werden konnte. Man ließ die Natur entscheiden: Vögel versuchten gemalte Trauben zu essen, Hunde bellten ein Porträt an, Passanten zogen den Hut etc. pp.93 Die »Natur« bot das Substitut, eine Art Außenhalt, die die Kommunikation von Wertungen informierte, bis die Semantik der strukturellen Komplexität gewachsen war.

4.5 U T

PICTURA POIESIS

/ UT

RHETORICA PICTURA

Über die vorangegangenen Beispiele hinaus war das Kunstsystem auf die Verwendung kunstexterner Beschreibungsmöglichkeiten zur Selbstthematisierung angewiesen.94 Die Selbstbeschreibung der Kunst parasitierte entsprechend an den semantischen Möglichkeiten ihrer sozialen Umwelt. Hierbei ist insbesondere an Begriffe aus Rhetorik und Poetik, sowie mathematisches Wissen zu denken. Auf dieses in der Kunst besonders stark ausgeprägte Phänomen lässt sich immer wieder stoßen, bspw. auch bzgl. der »Kreativität«, die vom Kunstsystem regelrecht kolonialisiert wurde, jedoch juristischen Ursprungs ist.95 In der Kommunikation über Bilder wurde zunächst durch Übernahme der Begriffe decorum und inventio auf Anleihen aus der Rhetorik gesetzt.96 Es sind weniger Nobilitierungsstrategien, die zur Übernahme von Rhetorikelementen führten,97 denn diese wären unter Bezug auf die Analogieschlüsse zur Poetik wesentlich erfolgversprechender gewesen, gerade wenn man bedenkt, dass im 15. Jahrhundert nicht streng zwischen Poetik- und Rhetoriktheorien unterschieden

93 Bekannt ist auch die Anekdote zu Tizians Porträt von Paul III., die Vasari 1547 in einem Brief an Varchi beschrieb: »Wir sahen, dass in unseren Tagen die Augen Vieler getäuscht wurden, als sie das Porträt des Papstes Paul III. sahen, das um gefirnisst werden zu können, auf einer Terrasse der Sonne ausgestellt war; viele, die vorübergehend es sahen, glaubten den Kopf lebendig und grüßten ihn.« Zitiert nach der Anmerkung von Rudolf Eitelberger v. Edelberg in Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 34. 94 Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1995d, S. 398f. 95 Siehe hierzu Ernst Kantorowicz 1960. 96 Mit dieser Übertragungsleistung semantischer Versatzstücke aus Rhetorik auf Bilder wird insbesondere Alberti identifiziert. Siehe hierzu Anthony Grafton 1999 und Ulrike Bollmann 2001, S. 124f. Ähnliche Übertragungen findet man auch bei Agricola, siehe hierzu Terence Cave 1979, S. 16. 97 So die übliche Interpretation, bspw. bei Pascal Griener 1997, S. 207ff.

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wurde.98 Es sind selbst erzeugte Ordnungszwänge, die der Kunst hier eher die Rhetorik nahe legten als die Poetik, denn es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kunst die Erziehungserwartungen, die seit dem Mittelalter an sie gestellt wurden, als Leistung fortsetzen musste. Daher erfolgten die Rhetorikanleihen auch keineswegs in Form einer systematischen »Rhetorik der Malerei«, sondern punktuell, und zwar dort, wo Kompatibilität aufgrund des gemeinsamen Zweckzusammenhangs des Wirkens auf Betrachter bzw. Zuhörer in Aussicht gestellt war.99 In jedem Fall wurden die verfügbaren Beschreibungen durch die Kunst reformuliert und dies erzeugte zwangsläufig inkongruente Perspektiven, die einer Pluralisierung der Selbstbeschreibung Vorschub leisteten.100 Die kunstgeschichtliche Kontroverse, ob nun Ut pictura poesis oder Ut rhetorica pictura die Bildproduktion und ihre semantische Begleitung informierte, wird damit mehr oder weniger unterlaufen. Die Naturnachahmung schränkte zwar den Spielraum für semantische Entlehnungen ein, gestattete jedoch im 16. Jahrhundert eine besondere Innovation: Da auch die Dichtung als naturnachahmend beschrieben wurde, konnte eine Übertragung der Dichtungstheorien auf die Bildproduktion stattfinden. Dolce bediente sich bspw. der horazschen Poetik und übertrug sie in seinem Traktat »L’Aretino« (1557) auf die Malerei. Sein Traktat war der 21 Jahre zuvor erschienen »Poetica« Daniellos derart komplementär, dass sich weite Teile beider Traktate mühelos gegenseitig ersetzen könnten.101 Als Folgelast der Aufwertung

98 Siehe hierzu John R. Spencer 1957. Der erstmalige Abdruck der lateinischen Übersetzung von Aristoteles’ Poetica erfolgte bspw. gemeinsam mit dessen Schriften zur Rhetorik. 99 Joachim Knape 1994, S. 509, teilt diese Ansicht. Wir gehen mithin davon aus, dass sich der Erziehungsanspruch seit dem Mittelalter fortsetzt und sich zur Beschreibung dieser Leistung rhetorischer Anleihen bediente. Anderer Ansicht ist hier bspw. Wolfgang Brassat. Da Wolfgang Brassat 2003, S. XXIII und XXIX, die Bildproduktion der Rhetorik nachordnet, sieht er entsprechend den Erziehungsanspruch als Folge von Rhetorikanleihen, die seiner Ansicht nach zur religiösen Funktion hinzutraten – das aber setzt voraus, dass das Bild vor seiner Rhetorisierung ohne diese moralischerzieherische Dimension existiert haben könnte, was kaum zu belegen ist. 100 Bereits der dreigeteilte Aufbau des Traktats von Alberti entsprach nicht der Fünfteilung bei Cicero (exordium, narratio, confirmatio, reprehensio, peroratio) und lässt sich diesem nur mit Mühe unterordnen. 101 Siehe bspw. Bernardino Daniello 1968 [1536], S. 40, und Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 70. Siehe auch Rensselaer W. Lee 1967, S. 24 Anmerkung 92, S. 35 Anmerkung 145 und S. 43.

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der Malerei aus dem Handwerk in die Liga der Poesie und Rhetorik wurde die Bildungserwartung an den Maler wesentlich erhöht. Man erwartete nun vom Maler Kenntnisse der Antiken. Auch die Komplexität des Bildes in der Kommunikation wurde weiter erhöht, bspw. konnte man Bildern nun literarische Fehlinterpretationen vorwerfen.102 Borghini warf Tizian vor, in einem Gemälde Ovid falsch verstanden zu haben.103 Die Wörtlichkeit der Überlieferung duldete noch immer keine Abweichung, auch nicht im Bild. Mit dieser Übertragung ging jedoch keine ausführliche Auseinandersetzung mit der Poesie einher. In den Traktaten zur Perspektive spielte Poetik ohnehin keine Rolle, in Biondos Traktat wurde Poesie nicht mehr erwähnt und selbst bei Dolce wurde sie nur kurz in ihrer Nützlichkeit für die Malerei bestätigt, diente jedoch nur dazu, die Differenz von stummer Poesie/sprechendes Bild (Simonides) über die Malerei zu asymmetrisieren, mit der Folge, »[...] dass Malerei auch Poesie und Geschichte ist; kurz dass alle Schöpfungen des gebildeten Geistes zugleich Malerei sind.«104 – nicht etwa umgekehrt. Dolce subsumierte hier jedoch nicht nur Poesie unter die Malerei, sondern auch Geschichte – und das muss erstaunen, schlossen sich doch Poesie und Geschichte gegenseitig aus.105 Der Poesie gestand man die Möglichkeit zur Fiktionalität zu. Das Imaginäre war sowohl für Francis Bacon als auch Vico Angelegenheit der Poesie,106 während die auf Wahrheit verpflichtete Poesie lediglich Geschichtsschreibung war.107 Das Bild bot hingegen einen objektiven Zugang zur Welt,108 es war zu wahren Repräsentationen in der Lage und dazu

102 Insbesondere die angelsächsische Kunstkritik wird den Korrespondenzanspruch von Poesie und Bildwerk weiterbetreiben und, bspw. bei John Dryden, eine Warze im Gesicht einer gemalten Figur mit dem Fehler im Charakter eines tragischen Helden analog setzen. Vgl. Rensselaer W. Lee 1967, S. 65. 103 Vgl. Raffaello Borghini 2007 [1584], S. 65. 104 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 24. Gerade diese Unterordnung aller Schöpfungen des gebildeten Geistes unter die Malerei macht deutlich, dass an dieser Stelle weder eine Gleichsetzung von Malerei und Poetik noch eine Aufwertung der Malerei stattfand. 105 Siehe zur Differenz von Poetik und Geschichtsschreibung Bernard Weinberg 1961, S. 13ff. 106 So Paul Oskar Kristeller 1965, S. 188. 107 Bspw. bei Julius Caesar Scaliger 1994 [1561], S. 61. Für Tasso siehe Baxter Hathaway 1968, S. 144f. 108 Für Leonardo war gerade diese Fähigkeit zur objektiven Darstellung der Grund, die bildende Kunst über der Dichtkunst anzusiedeln. Vgl. Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 16f.

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verpflichtet – und doch imaginär? Diese Paradoxie wirkt als Reflexionswiderstand in der Kommunikation. Zunächst markiert sie eine entscheidende Differenz, die die vollständige Rhetorisierung bzw. Poetisierung der Malerei verhinderte und damit der Reflexion der Bildproduktion Vorschub leistete. Die Bildproduktion war somit mit anderen Reflexionswiderständen konfrontiert als Poetik oder Rhetorik. Ihre Probleme konnten daher nur durch den Aufbau eigener semantischer Komplexität gelöst werden, durch Kommunikation über Malerei selbst. Und dies erklärt, weswegen sich das Kunstsystem zunächst über die Bildproduktion ausdifferenzierte, bevor sich die Kommunikation auch in anderen Medien durchsetzte oder gar neue Medien, bspw. den modernen Roman, erzeugte. Weder der Rückgriff auf die Antiken, noch auf die zeitgenössischen Poetikund Rhetoriktheorien waren dafür geeignet, die Malerei dauerhaft zu begleiten. Das heißt, die angesprochenen Übertragungen können nicht in dem Sinne verstanden werden, dass Künstler nun nach den Prinzipien und Kriterien der Rhetorik- und Poetiktheorien Werke schufen, sondern dass sich manche Prinzipien und Kriterien der Rhetorik- und Poetiktheorien dafür eigneten, die Tätigkeit der Künstler zu beschreiben und aus diesem Grund herangezogen wurden.109 Der Unterschied ist bedeutsam, denn Ersteres muss dann einen entsprechenden Nachweis in den Werken suchen und – im Nachhinein – stets finden,110 während das Letztere zeigen kann, dass die Begriffsimporte in dem Moment abgestoßen wurden, wo sie nicht mehr dazu in der Lage waren, ihre Beschreibungsleistung aufrechtzuerhalten. Insbesondere das Verhältnis der Malerei zur Wahrheit, zur Wirklichkeit und ihrer medialen Möglichkeiten erforderte Beschreibungsleistungen, die weder durch Rhetorik noch Poetik dauerhaft geleistet werden konnten. Der Aspekt, der die Poetik- und Rhetoriktheorien für die Malerei auf Dauer inkommensurabel machte, ist in dieser unterschiedlichen Selektivität der Nachahmung zu finden. In den Dichtungstheorien, bspw. bei Pietro Bembos und Giovanni Francesco Picos Briefwechsel »De imitatione« (Venedig, 1512),111 dominierte zwar die Differenz von imitatio/inventio, im Streit unter den Literaten

109 Siehe hierzu auch Joachim Knape 1994, S. 509: »Von einer systematischen oder wenigstens ausgedehnten Übertragung ihrer rhetorischen Theorie auf die Malerei kann jedoch nicht die Rede sein.« 110 Ob und inwiefern das gelingen kann, scheint in der Kunstgeschichte nicht abschließend geklärt zu sein. Die diesbezügliche Literatur ist für einen disziplinfremden Autoren kaum zu überblicken, Ulrich Pfisterer 1996 gibt einen detaillierten, quellenbasierten Überblick mit weiterführender Literatur. 111 Giovanni Francesco Pico della Mirandola und Pietro Bembo 1954 [1518].

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stand jedoch in erster Linie die Frage im Zentrum, ob Cicero und Vergil nachgeahmt werden sollten. Bembo verteidigte die Nachahmung dieser beiden Autoren, während Pico die Nachahmung der besten Aspekte einer Vielzahl an Autoren forderte.112 Der Konflikt betraf hier also nur die Asymmetrisierung der Differenz über die Sozialdimension, also dem besten Dichter, bzw. die Asymmetrisierung über die Sachdimension, der besten Aspekte. Und noch Scaliger beschränkte sich hier auf den Austausch der Selektivität der Sozialdimension, denn er ersetzte das Vorbild Homer durch Vergil und Aristoteles.113 Entscheidend ist, dass Pico in seiner Kritik keinen Unterschied zwischen den naturnachahmenden Malern und den Nachahmern von Cicero machte, das heißt, Pico subsumierte sowohl die Nachahmung einer Autorität als auch die Nachahmung der Natur unter denselben Begriff. Auch Erasmus, der sich an diesem gelehrten Streit beteiligte, unterschied nicht zwischen Naturnachahmung und Nachahmung einer Autorität.114 Die Nachahmung der Autorität, des Meisters, wurde in der Malerei bereits seit Cennini relativiert, von anderen, wie bspw. Leonardo, verachtet. Nur bei Condivi, einem Schüler Michelangelos, findet sich ein Anklang an diesen Aspekt des imitatio-Begriffs der Rhetorik. Doch Condivi passte die Imitationsforderung unmittelbar an die Beschreibungserfordernisse der Malerei an, denn er forderte zwar die strikte Nachahmung Michelangelos als Vorbild für Malerei und Bildhauerei, doch diente diese Forderung nur dazu, in den darauf folgenden Zeilen die Unnachahmlichkeit Michelangelos hervorzuheben.115 Es steht weniger

112 Von Desiderius Erasmus 1908 [1528], S. 48 und S. 52, stammte diesbezüglich der Vorwurf, die Befürworter der Nachahmung Ciceros seien dessen Affen. Paolo Cortese bekannte dagegen, so Edgar Zilsel 1926, S. 215, er wolle lieber ein Affe Ciceros als ein Schüler eines anderen sein. 113 Originalität hatte auch bei Scaliger keinen hohen Stellenwert; die Bedeutung seiner Schriften besteht im Austausch der Regeln und der Betonung der Wahl des richtigen Vorbilds. 114 Siehe Desiderius Erasmus 1908 [1528], S. 54ff. 115 »Ich habe immer diese Meinung gehabt, dass die Anstrengungen und Bemühungen der Natur eine vorgeschriebene Grenze haben, von Gott gesetzt und angeordnet, die von einer gewöhnlichen Fähigkeit nicht kann überschritten werden, und dass dies nicht nur von Malerei und Sculptur gilt, sondern überhaupt von allen Künsten und Wissenschaften, und dass sie eine solche Anstrengung macht in Einem, dem sie die erste Stelle anweist, und der in dieser Fähigkeit Beispiel und Gesetz sein soll, in der Art, dass, wer dann in dieser Kunst etwas hervorbringen will, das werth ist, gelesen oder gesehen zu werden, dies entweder dasselbe sein muss, das schon von jenem Ersten war hervorgebracht worden, oder wenigstens diesem ähnlich sein und densel-

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das Vorbild im Zentrum, als dessen Übersteigerung ins Unnachahmliche und dies steht im Zusammenhang mit, wie noch zu zeigen sein wird, dem Aufbau des Künstlers zur Kontingenzformel. Dies wird umso deutlicher, wenn im Folgenden gezeigt wird, dass die Programmierung der Externalisierung des Kunstsystems, also die interne Rekonstruktion ihres Verhältnisses zur Umwelt, gerade über die Nachahmungssemantik erfolgen musste.

4.6 E XTERNALISIERUNG DER S ELBSTREFERENZ Im theoretischen Teil der Arbeit wurde die These aufgestellt, dass die Funktion des Kunstsystems darin bestehen könnte, der Gesellschaft die Kommunikation der Differenz von imaginärer Realität/realer Realität anzubieten, um durch einen re-entry dieser Differenz in sich selbst die Gesellschaft beobachten zu können. Die Kommunikation simuliert dadurch ein gesellschaftliches Außen, einen imaginären Ort, von dem aus die reale Realität schöner, gerechter oder einfach nur anders, kontingent, beobachtet werden kann. Mit Luhmann: »Die Kunst bietet [...] also einen Standpunkt für die Beobachtung der Welt in der Welt, der es ermöglicht, sie mit Distanz und Verwunderung/Bewunderung zu ertragen.«116 Gerade für diesen »Standpunkt für die Beobachtung der Welt in der Welt« muss ein Programm gefunden werden, das die Systemoperationen informiert, denn ansonsten spricht man nur darüber, wie Marina Abramoviü auf einem Stuhl hockt. Die imaginäre Realität der Kunst muss sich verorten, sie muss ihren Beobachtern Programme an die Hand geben, ihren Ort aufsuchen zu können: Sie muss die Fremdreferenz ihrer Systemoperationen programmieren. Die Fremdreferenz des Kunstsystems wurde anfänglich über ein spezifisches Programm der Kommunikation programmiert: dem Ähnlichkeitsverhältnis der Nachahmung. Auch diese Semantik ist ausschließlich auf die Kommunikation bezogen, nicht aber auf das Werk, die Darstellung oder den Produktionsmodus, obwohl sie diese informierte, indem sie bspw. einschränkte, auf welche Weise sinnvoll über diese Aspekte gesprochen werden konnte.117 Dazu muss sie das Problem lösen, dass die Werke neu sein können und sich das, was dargestellt ist, weil es neu darge-

ben Weg gehen, oder dass es, wenn es ihn nicht geht, um so viel untergeordneter sei, je mehr es sich von dem rechten Weg entfernt«, so Ascanio Condivi 1874 [1553], S. 75, siehe zur Unnachahmlichkeit S. 75ff. 116 Niklas Luhmann 2008f, S. 394. 117 Während Luhmann, ebd., die Mimesis gerade auf die (realistische) Darstellung bezieht.

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stellt ist, unter Umständen nicht ohne Weiteres verstanden wird. Im Kontext des moralisch und religiösen richtigen Verstehens ist dies gerade das entscheidende Problem, das zu lösen der modernen Kunst geglückt zu sein scheint. Die Frage ist, anders formuliert, wie die imaginäre Realität der Kunst durch die Nachahmungssemantik an die Wirklichkeit zurückgebunden werden kann. Im Kunstsystem stellte sich die Naturnachahmung folglich als Bezugsproblem, das selbst in der Struktur der Traktate auftritt. Die Naturnachahmung im Sinne von »Kopie« findet sich am Anfang der Traktate thematisiert, bspw. bei Dolce: »Es ist also Aufgabe des Malers, jedwedes Ding, derart naturgetreu durch seine Kunst darzustellen, dass es selbst naturwahr scheine. Jener Maler also, dem diese Fähigkeit fehlt, ist kein Maler, während im Gegentheile Derjenige der beste und vorzüglichste Maler bleibt, dessen Bilder am vollkommensten die Natur nachahmen.«118

Diese Naturnachahmung wird nun im Laufe aller ausführlicheren Traktate zurückgenommen, und zwar zunächst, indem dem Künstler eine Behilflichkeit bzgl. der Natur zugesprochen wird. Um bei Dolce zu bleiben: Der Künstler soll mittels »der Kunst in einem einzelnen Körper all die Vollkommenheiten der Schönheit zu vereinigen wisse, welche sonst die Natur unter Tausenden von Körpern zu vertheilen pflegt. Denn es gibt keine einzelne Menschengestalt von so vollendeter Schönheit, dass sie alles Schöne in sich vereinige.«119

Die Kunst steht hier vor dem Problem, dass die Natur, die sie nachahmen soll, perfekter ist, als sie sich zeigt.120 Die Natur ist zwar vollkommen und schön, aber sie zeigt sich nicht auf diese Weise, sondern verheimlicht diese Formen.121 Die in der Einleitung angesprochene Paradoxie, die im Nachahmen stets ein Schaffen formuliert, das aus diesem Grund in seiner Abweichung eine Problemstellung bieten kann, wird also zunächst über die Sachdimension verschoben: Die Kunst ist kein »Mehr«, sondern die Natur ein »Weniger«. Die Natur war korrupt und

118 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 22. 119 Ebd., S. 51. 120 Dies kennzeichnet ein weiteres Mal die Inkommensurabilität der Poetik- und Rhetoriktheorien für die Tätigkeit der Maler. 121 Vgl. ebd., S. 112.

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ihre bloße Nachahmung konnte daher nicht genügen.122 Die Natur wird jedoch nun bereits an der Kunst und den Möglichkeiten dieser Kunst gemessen. Auf diese Weise kann der Nachahmungsbegriff beibehalten werden, er ändert lediglich seine Selektivität. Um diese Erwartung semantisch verarbeiten zu können, wurde zunächst die Differenz imitare/ritrarre installiert, das heißt, die Nachahmung unterschied sich von ihrem Gegenbegriff, der bloßen Nachahmung. Danti verglich ritrarre mit der Aufgabe des Geschichtsschreibers, der die Wirklichkeit so wiederzugeben hatte, wie sie war.123 Doch gerade dies war nicht Aufgabe der Künstler. Die Kunst asymmetrisierte sich also deutlich in Richtung auf ihre eigene Wirklichkeit, die sie von der vorfindlichen unterschied. Die Paradoxie der Naturnachahmung wurde für die Kunst nun als Beobachtungsproblem relevant: »[...] you must draw from nature and fix them in your mind.«124 Die Fehler der Natur mussten beglichen werden; eine Aufgabe, die freilich den Künstlern, nicht aber den Priestern, zugeschrieben wurde. Damit war es zwar bereits die Kunst, die nun darüber bestimmte, wie diese ideale Natur sichtbar wurde, doch musste dies latent gehalten werden, indem der Bildproduktion der Schöpfungsnachvollzug zur Seite gestellt wurde – andernfalls wäre die Kunst selbst korrupt. Bei Dolce steigerte der Künstler daher die Natur noch nicht, sondern fungierte als ihr Steigbügelhalter. Indem das Kunstsystem zunächst seine Selbstbeschreibung dahin gehend anpasste, die perfekte Natur darzustellen, perfekte Formen auszuwählen, verdoppelte sie die Natur. Es gab nun eine Natur der Kunst, die sich von der lebensweltlichen Natur unterschied und ihre Bedeutung ausschließlich aus dieser Differenz bezog – sofern im Kunstsystem kommuniziert wurde. Bei Alberti hieß es überaus treffend, das Bild »rieche« nach Natur.125

122 Siehe bspw. Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 157. Bei Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 55, lautet es: »Man muss also in theilweiser Nachahmung der Natur die möglichst vollendete Form wählen.« Diese Fähigkeit wurde mit dem Talent der Künstler gleichgesetzt und war platonischen Ursprungs. Der Handwerker war im platonischen Sinn nur ein Finder, er erfand nicht. Und auf dieser Findungskunst beruhte das »Talent«, was vermutlich, so Alessandro Conti 1988, S. 143f., mit ein Grund dafür war, Bauvorhaben an Maler wie Giotto oder Lippo Memmi, aber auch Tischler wie Battista del Tasso zu vergeben. 123 Vgl. Vincenzo Danti 1960 [1567], S. 252f. 124 Leonardo da Vinci 1883a, S. 288. Siehe auch Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 55 und S. 56: Der Künstler berichtige so »mit sicherer Hand viele Fehler der Natur«. 125 Leon Battista Alberti 2000 [1436], S. 301.

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Das »Reparieren« der vorfindlichen Natur wurde somit gerade nicht durch eine Freigabe der Darstellung erreicht, sondern durch eine semantische Verschiebung. Wenn die Kunst nicht mehr unmittelbar mit der Nachahmung der Schöpfung erreicht werden konnte, dann nun mittelbar aus der Nachahmung des Ordnungsnachvollzugs der Schöpfung: den Gesetzen der Geometrie und Mathematik.126 Die Programmierung hielt sich nun an die Differenz von natura naturata/natura naturans (gegebene Natur/Prinzip der Natur). Der Weg zur wahren Kunst, also einer Kunst, die die Seele des Betrachters nicht gefährdete, und der Weg zur wahren Natur waren nun derselbe. Wissenschaftler und Künstler, beide suchten nach den geheimen Gesetzmäßigkeiten der Welt. Doch was die Kunst als Realität vorlegte, war ihre Realität. Die Natur, die sie zeigte, war ein Derivat ihrer Programme. Und diese konnten die Formen der Natur übertreffen. Auf diese Weise wurde der Maler zu einem »Nebenbuhler der Natur«,127 einem Konkurrenten um die Form, zunächst im Wettstreit mit der Natur und letztlich mit dem Erschaffen von Formen, die die Natur nicht kannte, nicht kennen konnte.128 Die Kunst wurde vorahmend, das heißt, sie ließ sich auf die Möglichkeit ein, dass das, was sie nachahmte, nicht existieren musste, um in ein Verhältnis der Ähnlichkeit gesetzt werden zu können.129 Auch hier wird der Zusammenhang zwischen der imaginären Wirklichkeit der Kunst und ihrer gesellschaftlichen Funktion, die sie bindet, deutlich. Die Wirklichkeit der Kunst hält sich in der Schwebe, wartet auf den kommunikativen Anschluss, der ihr diese Wirklichkeit verleihen kann.

126 Obwohl Alberti selbst kein Maler war, wendete er sich dediziert nicht als Mathematiker, sondern als Maler an seine Leser. Siehe Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 67. 127 Vgl. Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 111. Siehe auch Leonardo da Vinci 1883a, S. 332: »The painter strives and competes with nature.« 128 Mit Wilhelm Perpeet 1987, S. 54, auf den Schönheitsbegriff bezogen: Das Kunstschöne war nun schöner als das Naturschöne. 129 Darauf wurde bereits eingangs hingewiesen. Siehe auch Arthur Coleman Danto 1984, S. 245. Als Beispiel denke man auch an das Diagramm einer Maschinenzeichnung, die in einem Verhältnis der Nachahmung mit der Maschine steht, und zwar auf Ebene des Verhältnisses der Einzelteile. Siehe zur Vorahmung der Natur auch Hans Blumenberg 1981 [1957], S. 93, der in dieser eine Überwindung der Nachahmung der Natur vermutet. Siehe auch Dietmar Kamper 1991, S. 87: »Mimesis qua Vorahmung arbeitet nach Muster der »natura naturans«. Pablo Picasso 1957, S. 32, formuliert dies so: »Nicht nach der Natur arbeite ich, sondern vor der Natur, mit ihr.«

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Die Veränderung der Selektivität der Nachahmung hatte Folgen für die Selbstbeschreibung des Kunstsystems. Alberti und Agricola bezeichneten Gott noch als höchsten Werkmeister.130 Das biblische »Aber Du hast alles nach Mass und Zahl und Gewicht geordnet«131 war ursprünglich im Sinne der handwerklichen Tätigkeit gedacht, ebenso wie das Deus artifex Gott als einen Handwerker beschrieb, nicht jedoch Gott als einen Künstler. Da die Erde rund ist, schmückten sich bspw. auch Drechsler mit Gott als erstem Drechsler.132 Man denke hier auch an dƝmiurgós, den Handwerker, der nach Platon als Handwerker, bzw. als Handwerkergott, den Kosmos den Ideen gemäß erschuf. Noch bei Vasari ist der Tischler als Künstler geschätzt. Zwar als Künstler niederen Ranges, aber nichtsdestotrotz fraglos Teil einer gewissen innersystemischen Mobilität, die häufig die Möglichkeit implizierte, als Architekt tätig zu werden.133 Dies änderte sich nun. Es gelang dem Kunstsystem, unter der Berufung auf die durch die Linearperspektive gewährte mathematisch-geometrische Wahrheitsfähigkeit, seine Verhältnisse auf diese mathematische Wahrheit auszurichten und den grenzkonstituierenden Exklusionsprozess zu verschärfen. Dass dies gegen die Stratifikation gelang, war alles andere als wahrscheinlich. So hatten sich bspw. bereits im 14. Jahrhundert Steinmetze in den Bauhütten der englischen Kathedralen auf die mathematischen Strukturprinzipien berufen und versucht, sich durch die Etablierung der Steinmetzkunst als edelste aller Künste (sic) einen Statusgewinn zu ver-

130 Vgl. Georg Agricola 1956 [1544], S. 161. Vgl. Alberti zitiert nach Ulrike Bollmann 2001, S. 114. 131 Weish. 11,20. 132 Vgl. Ernst Kris und Otto Kurz 1995 [1934], S. 81. 133 So wurde bspw. der Tischler Cecca von Giorgio Vasari 1912c [1568], 193, als Architekt geschätzt. Siehe auch Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 147. Als Gegenbeispiel wird häufig Vasaris Beschreibung von Niccolo »Tribolo«, dem Tischler, erwähnt. Die Unfähigkeit Niccolos in Hinsicht auf die Betreuung eines Kanalbauprojekts lässt sich jedoch nicht auf seine Ausbildung als Tischler zurückführen, denn ungeachtet seines Spitznamens war er Bildhauer. Dies geht sowohl aus Vasaris Beschreibung als auch Cellinis Biographie hervor. Tribolo gegen seinen erklärten Willen und der Warnung, dass er von Architektur nichts wisse, dennoch zum Architekten zu befördern verweist letztlich auf eine administrative Fehlentscheidung. Vgl. Giorgio Vasari 1914 [1568], S. 34ff. und Benvenuto Cellini 1906 [1728, Manuskript um 1566], S. 283.

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schaffen, was sich sozial nicht stabilisieren ließ, aber nun den Bildproduzenten gelang.134 Das biblische »Aber Du hast alles nach Mass und Zahl und Gewicht geordnet« wurde erst jetzt auf mathematische Gesetze eingeschränkt.135 War die Proportionalität im ursprünglichen Sinne noch eine Ähnlichkeitsbeziehung,136 die für Cennini, freilich religiös codiert, weder auf Frauen noch irrationale Tiere zutraf,137 so wurde nun auch die Ähnlichkeitsbeziehung der Proportionalität nur noch auf mathematische Ähnlichkeitsverhältnisse bezogen und universalisiert. Auch der Körper der Frau musste nun proportional erfasst werden können.138 Für Handwerk, das sich nicht mathematisieren ließ, war nun kein Platz mehr.139 Der Anlehnungskontext der Mathematik erlaubte es, die Nachahmungssemantik aufrechtzuerhalten, doch obgleich sich der Begriff nicht verändert hatte, war es nicht die Natur, die nachgeahmt wurde. Die Selektion der Semantik hatte sich verändert. Archimedischer Punkt der Bildproduktion war nun der Kopf einer Figur, ihre Körpergröße oder ihre Armlänge ergab sich nicht mehr durch Nachahmung der Natur, sondern aus Proportionstabellen: »Die Arme weisen vom Schulterband bis zum Handgelenke gerechnet drei Gesichtslängen auf; dieselbe Länge, welche die Entfernung der Ferse vom Halse des Fußes, und dann bis zur Spitze der Zehen ausmacht.«140 In den Körperverhältnissen beruhe das Ganze der Kunst, so Dolce in einem Brief an Gaspero Ballini.141 Insbesondere bei Leonardo war die Nachahmung der Natur durch diese Nachahmung einer

134 Vgl. Hubertus Günther 1988, S. 7. 135 Bspw. bei Luca Pacioli 1889 [1509], S. 254f. 136 Nicht zu vergessen ist dabei, dass Aristoteles im 21. Kapitel seiner Poetik die Analogiebildung als proportionale Relation der vier Elemente anlegte. Das Verhältnis der zweiten Größe zur ersten verhält sich bspw. ähnlich wie die vierte zur dritten – und dies ermöglichte die »Metapher nach der Analogie«. Mit Proportionalität musste also nicht zwingend das mathematische Verhältnis gemeint sein, sondern eine Ähnlichkeitsbeziehung, die auch mathematischer Art sein konnte. Die Kunstgeschichte geht über diesen wichtigen Aspekt der Proportion hinweg. 137 Vgl. Cennino Cennini 1922 [1390], S. 64f. 138 Die ersten Versuche werden Dürer zugerechnet. Siehe zum Wandel der Darstellungen der Körperlichkeit der Frau, jenseits erotisierender (Rück-)Blicke, Norbert Schnitzler 1992. 139 Siehe Luca Pacioli 1889 [1509], S. 313ff., S. 332 und bzgl. der Exklusion von Steinmetzen S. 259ff. 140 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 55. Siehe auch Luca Pacioli 1889 [1509], S. 296ff. 141 Der Brief ist im Anhang bei Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 113, abgedruckt.

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mathematisierten Natur ausgetauscht. Das zeigt sich besonders dort, wo er mathematische Prinzipien auf die Kunstproduktion übertrug. So sollte der Durchmesser der Äste an der jeweils gleichen Zweigung, bspw. der dritten Zweigung, zusammenaddiert den Durchmesser des Stammes ergeben.142 Die Proportionenlehre dominierte hier über die Naturbeobachtungen. Auch Leonardos Farbperspektive entstammte bspw. nicht der Naturbeobachtung, sondern seinen wissenschaftlichen Theorien zur Luft, wenn er schrieb, dass fernere Berge dunkler darzustellen seien als nähere Berge.143 Die Mathematisierung der Kunst war, vor allem bei Leonardo, auch der Versuch ihrer Objektivierung. Man denke an den »vitruvianischen Menschen« (1492). Das implizierte bspw. die Notwendigkeit, den künstlerischen Selbstausdruck zu vermeiden. Auch hierin orientierte man sich an semantischen Möglichkeiten der Wissenschaft, »De nobis ipsis silemus«,144 und war versucht, diese auf die künstlerische Produktion anzuwenden. Einsicht in die eigene Fehlerhaftigkeit sollte vom Subjektiven zum Objektiven, zum Abheben vom einzelnen Menschen führen: »Ich ermahne dich also, dass du die Mängel, die sich an deiner Person finden, kennen lernst und dich vor ihnen bei den Figuren, die du componirst, wahrest.«145 So vehement der Künstler und sein (mangelhafter, auch moralisch) Körper aus dem Bild ausgeschlossen werden musste, so wenig konnte das Bild bei Leonardo in Einbildungskraft begründet werden: »Von der Einbildung zur Wirklichkeit ist gerade solch’ ein Abstandsverhältniss, wie vom Schatten zum schattenwerfenden Körper.«146 Die Einbildung war der Natur vollständig nachgeordnet und die Stelle der künstlerischen Einbildungskraft wurde durch das mathematisch-wissenschaftliche Prinzip besetzt.

142 So Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 398. Siehe für weitere, teilweise seltsame, Proportionsverhältnisse auch Leonardo da Vinci 1883a, S. 22ff. Interessant ist hier auch Luca Pacioli 1889 [1509], S. 335f., der sich zwar sicher war, dass auch das Verhältnis der Äste zum Stamm der Proportionenregel unterliegen müsse, aber zugleich eingestehen musste, dass dieses Verhältnis unbekannt sei. 143 Vgl. Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 118. Auch bei Cennino wurde der fernere Berg dunkler dargestellt, als der nähere. Nach Ernst H. Gombrich 1988b, S. 35, war dies der Tradition geschuldet, da auch bei Faltenwürfen, das Nähere heller dargestellt wurde. 144 »Von uns selbst schweigen wir«, wird es später von Francis Bacon 1878 [1620], S. 168, auf den Punkt gebracht werden. 145 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 65. 146 Ebd., S. 13.

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Die Mathematisierung der Verhältnisse bot dem Kunstsystem hier über das symbolisch generalisierte »Proto«-Kommunikationsmedium der wissenschaftlichen Wahrheit eine Außenlegitimation.147 Das Kunstsystem suchte sich diesen Anlehnungskontext jedoch nicht, um sich Wahlfreiheiten zu sichern,148 sondern um Selbstlimitierungen zu ermöglichen. Denn losgelöst von Bilderkatalogen expandierten die Möglichkeiten der Darstellung – und dies musste mit Programmen abgefangen und limitiert werden, solange das Mögliche nicht selbst zum Programm werden konnte. Indem sich durch die mathematische Betreuung Darstellung und Dargestelltes wechselseitig konditionierten,149 konnte die Kommunikation das Bild effektiv limitieren und so anschlussfähig halten. Leonardo betonte daher mehrfach die Bestimmtheit, die der Darstellung durch Mathematik ermöglicht werden würde: »There is no certainty in sciences where one of the mathematical sciences cannot be applied, or which are not in relation with these mathematics. [...] The man who blames the supreme certainty of mathematics feeds on confusion, and can never silence the contradictions of sophistical sciences which lead to an eternal quackery.«150

Und: »Those who are in love with practice without knowledge are like the sailor who gets into a ship without rudder or compass and who never can be certain whether he is going. Practice must always be founded on sound theory, and to this Perspective is the guide and the gateway; and without this nothing can be done well in the matter of drawing.«151

Ein künstlerisches oder handwerkliches Können, das scheinbar außerhalb der Natur und ihrer garantierten Wahrheit lag, bedurfte in jedem Fall der Legitima-

147 Siehe hierzu das Gespräch zwischen Max Imdahl und Niklas Luhmann in Niklas Luhmann 2008e, insbesondere S. 52. 148 So Niklas Luhmann 1995d, S. 256, und Niklas Luhmann 2008c, S. 320. 149 Eine ähnliche Formulierung findet sich in einem bildtheoretischen Zusammenhang bei Gottfried Boehm 2007b, S. 12: »Darstellung und Dargestelltes konditionierten sich wechselseitig und schränkten den Umfang des Bildwürdigen auf eklatante Weise ein. Bildwerke entstanden in einem ausgegrenzten Raum der Legitimität und besetzten in ihm einzelne Nischen, eine Einschränkung, die keineswegs als Beschneidung der Freiheit, Bilder zu schaffen, empfunden wurde.« 150 Leonardo da Vinci 1883b, S. 289. 151 Leonardo da Vinci 1883a, S. 18.

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tion.152 Die Legitimation musste jedoch letztlich im System selbst geleistet werden, und zwar quer zu Stratifikation, also unabhängig von Thematik, Werkstoff und Institution – aber nicht ohne auf die Interpenetrationsverhältnisse mit der sozialen Umwelt Rücksicht nehmen zu müssen. Noch immer stand das Bild in der Kommunikation unter moralisch eingefordertem Wahrheitszwang und das bedeutete, dass das, was das Kunstwerk zur Beobachtung freigab, selektiv eingeschränkt werden musste.153 Etwas anders formuliert geht es um das Problem, wie etwas, das am Ende des Herstellungsprozesses notwendig erscheint, dazu seine Kontingenz einschränken kann. In Bezug auf dieses Legitimationsproblem der Darstellung war die Mathematisierung ein funktionales Äquivalent zu Bildkatalogen, indem der Darstellung durch Unterordnung unter symbolische mathematische Generalisierungen die Beliebigkeit genommen werden konnte. Die Einschränkung der Darstellung durch Mathematik hatte entsprechend Vorrang vor der Naturnachahmung.154 Insbesondere die geometrische Methode der Linearperspektive erlaubte es anfänglich, das Legitimationsdefizit der Darstellung zu kompensieren.155 Die Bilder folgten den geometrischen Anweisungen Gottes.156 Auf diese Weise war so-

152 Siehe hierzu auch Hans Blumenberg 1981 [1957], S. 61ff., der diese Problemstellung für Technik und ihre Möglichkeiten hervorhebt. 153 Bereits in der nächsten Künstlergeneration wird es zumindest latent möglich sein, sich selbst in den Bildern darzustellen. Ganz im Gegensatz zu Leonardo erscheint Michelangelo hier geradezu als Autotherapeut, der seine Leidenshaltung quasi parasitär in den Auftragsarbeiten auszudrücken versuchte. Siehe hierzu auch Margot Wittkower und Rudolf Wittkower 1989, S. 88ff. Für seine Biographen war die Kombination aus Selbstdarstellungszwang und Selbstleiden Grund genug, ihn in die Nähe der Märtyrer zu rücken: »rather devine, than human«, beschrieb ihn Giorgio Vasari 1915 [1568], S. 3. 154 Das wird bspw. dort deutlich, wo versucht wurde, Jesus als Kleinkind darzustellen, die Mathematisierung jedoch die Proportionsregeln für Erwachsene nahe legte und so teilweise seltsame Jesusdarstellungen hervorbrachte, bspw. Bramantinos »Madonna und Kind« (vor 1508). 155 »Es ist der Fürst der mathematischen Fächer, seine Wissenschaften sind höchst sichere. Es hat Höhe und Größe der Sterne gemessen, die Elemente und ihre Lage aufgefunden, und aus dem Lauf der Gestirne die zukünftigen Dinge voraussagen lassen; es hat die Architektur und die Perspective, und endlich die göttliche Malerei erzeugt«, so Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 31. 156 »Die Mathematik führt also – soweit möglich – zur Erkenntnis Gottes, [...]«, so Ernst Cassirer 1969 [1927], S. 62.

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wohl die Wahrheit des Bildes jenseits des tradierten Bildkatalogs als auch die Kontingenz der Darstellung abgesichert. Man kann dies vielleicht mit der empirischen Wende der Wissenschaft im 17. Jahrhundert vergleichen, denn seitdem genügt, mit Luhmann, allein die »methodisch abgesicherte empirische Feststellbarkeit [...] zur Vergabe des Symbols ›wahr‹«.157 Es ist anzunehmen, dass sich das Kunstsystem letztlich nur aufgrund dieses Parasitierens an halbsakraler, wissenschaftlicher Wahrheit autopoietisch schließen konnte.158 Auch dass im 16. Jahrhundert der Wegfall der Möglichkeit zur wissenschaftlichen Wahrheit latent gehalten wurde, weist hierauf hin. Damit rückt nun die autopoietische Schließung selbst in den Fokus. Die Externalisierung der Systemreferenz der Kunst über die Nachahmungssemantik und die Veränderung der Selektivität dieser Semantik sind hier zwar wichtige Aspekte, in der Theoriearchitektur bedeutend ist jedoch auch die Programmierung der Selbstreferenz, also die Programmierung der binären Codierung des Kunstsystems. Wir schließen hier an die Überlegungen aus dem theoretischen Teil dieser Arbeit mit der These an, dass die systemische Zuweisung der binären Codierung von imaginärer Realität/realer Realität anfänglich ebenfalls über einen internen Außenhalt geleistet werden musste. Ebenso wie die Externalisierung der Systemreferenz benötigte auch die binäre Codierung der Kunst ein Substitut, das ihre Programmierung informierte und im Ausdifferenzierungsprozess nach und nach blockiert werden konnte. Wir vermuten diesen Außenhalt in der systeminternen Rekonstruktion der Erziehungserwartungen der sozialen Umwelt.

4.7 E RZIEHUNGSERWARTUNGEN

DER SOZIALEN

U MWELT

In Kapitel 3 wurde gezeigt, wie bildende Handwerker religiöse Erwartungen umgesetzt haben und konnten. Das Bild war hier nicht von religiösen Dimensionen zu trennen. Diese Erwartungshaltung konnte im Ausdifferenzierungsprozess der Kunst nicht einfach ausgesetzt werden, sondern musste in Leistungsverhältnisse zwischen Kunst und Religion transformiert werden. Es waren diese Leis-

157 Niklas Luhmann 1990a, S. 584. 158 Während die orientale Wissenschaft die Kunst zügelte, wie Hans Belting 2008, S. 67ff., ausführt. Man denke auch an die Universität des Erziehungssystems, die durch einen Wechsel des Anlehnungskontextes von Religion zu Politik an Selbständigkeit gewann. Siehe hierzu Rudolf Stichweh 1994d. Auch für Leonard Schmeiser 2002, S. 48, bietet erst das zentralperspektivische Bild aufgrund seines Bezugs zum Dargestellten die Möglichkeit, es als Ganzes, als Kunst, zu beurteilen.

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tungsverhältnisse, die es dem sich ausdifferenzierenden Kunstsystem anfangs gestatteten, seine binäre Codierung über die interne Rekonstruktion der Leistungserwartungen der sozialen Umwelt zu programmieren: Der Kunst ging es nicht um irgendeine Wirklichkeit, sondern um die erziehende, Seelenheil sichernde Wirklichkeit der Religion. Die Ausdifferenzierung vollzog sich mithin nicht gegen die Gesellschaft, sondern mit ihr, denn selbst die Negation dieser Wirklichkeit schirmte die Autopoiesis des Systems vor dem Einstellen autopoietischen Operierens ab.159 Das System konnte die Negation mit Strukturänderungen abfangen und auf diese Weise gerann im Kunstsystem die ehemalige Darstellungshoheit der Religion zu einem internen Außenhalt. Anschlusskonflikte wurden dadurch alles andere als vermieden, aber die Kommunikation über das Bild konnte beim Nichtgelingen des Anschlusses im Kunstsystem zunehmend auf Anschlussfähigkeit in anderen Zusammenhängen spekulieren – und so landete das Bild nicht etwa im Müll, sondern im Boudoir. Aus theologischer Sicht erzogen die Bilder von Heiligen durch deren Vorbild zur Tugend,160 doch für den Bildproduzenten stellte sich hier die Frage nach dem »Wie?«. Über den Erziehungsanspruch wurden die Künstler weit mehr zur Reflexion genötigt, als bisher notwendig und möglich.161 Der Künstler wurde Träger von Entscheidungslasten und die Unsicherheit konnte nicht mehr durch Rückleitung an die Stratifikation, also an Bildkataloge und ständische Darstellungsmodi, absorbiert werden. Um durch Nachahmung erziehen zu können, musste die Fähigkeit entwickelt werden, die richtigen Vorbilder auswählen zu können. Der Nachahmung musste so zunächst Urteilsfähigkeit zur Seite gestellt werden. Dies konnte nur auf der Grundlage von Bildkatalogen geschehen, die das Substrat für Entscheidungen bieten konnten. Mit den Selektionsleistungen gingen Lernvorgänge einher, also die Suche nach Alternativen, die das Bestehende übersteigen konnten – auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung der Zeichnung hierbei wurde bereits hingewiesen. Die Bildproduktion blieb dabei über den notwendig moralischen Erziehungsanspruch auf einen unterstellten Betrachter ausgerichtet. Exemplarisch lautet es

159 Siehe hierzu Niklas Luhmann 1987d, S. 507. Man denke auch an die Dynamik, die durch die negationsfähige Sprache ermöglicht wurde. 160 Bspw. in Savonarolas »Triumphus Crucis de fidei veritate« (Florenz, 1497), so Helmut Feld 1990, S. 108f. 161 Bspw. wenn Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 65, den Künstlern empfahl, sich selbst zu vermessen, um sich die Mangelhaftigkeit des realen Leibes vor dem proportional idealen Leib vor Augen zu führen.

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bei Hollanda: »[...] badly painted [images, d. Verf.] distract and cause devotion to be lost [...] those that are divinely painted provoke and lead even those who are little devout [...]«.162 Die Unmoral der Bilder war, der Erziehungsleistung entsprechend, auf den Betrachter bezogen – deshalb gab man den Rat, unmoralische Bilder nur denjenigen zu zeigen, die aufgrund ihrer eigenen Verdorbenheit nicht durch diese Bilder gefährdet werden konnten.163 Der Erziehungsanspruch gab dem Bild ein Ziel, und damit ein Problem, und eine Legitimation, also die Möglichkeit, dieses Problem zu lösen. Für die Kunst lautete die zentrale Frage: Wie kann der Betrachter vor dem Bild durch das Bild belehrt werden und wie kann man dabei sicherstellen, nichts Falsches zu lehren? Die Lösung, die für dieses Problem gefunden wurde, bestand in Wissenschaftlichkeit, nicht aber bspw. im moraltheologischen Probabilismus. Die Darstellungsentscheidungen des Künstlers erfolgten aus anderen Gründen als deren Rekonstruktion durch die Kirche. Eine Rückbindung an den Probabilismus erfolgte in den Traktaten daher nur am Rande, bspw. in Hinsicht auf die Berücksichtigung historischer Kleidung. Aber eine Reibung, eine Kritik am Probabilismus, wie er von René Descartes und vor allem Blaise Pascal im Zuge der beginnenden Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems ausgeübt wurde, findet sich nicht.164 Anstelle des Imports der Legitimation über die Religion wurde eine Lösung innerhalb des Kunstsystems entwickelt. Damit ist die Frage nach der moralischen Legitimation des Bildes als beachtliche Problemstellung auf Ebene des Programms der Methoden gegeben. Die Moral der Bilder, decorum, ist für den modernen Betrachter zumeist nicht nachvollziehbar, bestenfalls als moralisch codierte Darstellungsrestriktion greifbar. Doch von den Bildproduzenten konnte das decorum gerade nicht als Beschränkung des Künstlerischen aufgefasst werden,165 sondern als Bedingung der Möglichkeit künstlerischer Tätigkeit. Erst durch die Zugehörigkeit zu einer Ordnung, die nicht irgendeine war, sondern die Ordnung Gottes, konnte an das Bild affirmativ angeschlossen werden. Das Bild unterstand somit einem moralischen Gebot und die Möglichkeit am Bild soziale Missachtung zu kommunizieren, stand damit immer im Raum. Für den Bildproduzenten stellte die moralische Rückwirkung des Bildes auf ihn

162 Francisco de Hollanda 1911 [1548], S. 273f. 163 So Giulio Mancini zwischen 1610 und 1615 in seinem 1956 erstmalig publizierten Traktat »Considerazioni sulla pittura«, Bd.1, S. 143, zitiert nach Herwarth Röttgen 1992, S. 7. 164 Siehe hierzu Benjamin Nelson 1977a. 165 Vgl. Daniel Spanke 2004, S. 101f.

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selbst nicht nur eine Bedrohung der sozialen und leiblichen Existenz, sondern auch des Seelenheils dar. Die moralische Angemessenheit informierte die Bildproduktion – und bspw. als »atheoretisches Wissen« (Mannheim) für den in ein soziales Gefüge eingebetteten Künstler vermutlich weit mehr als etwaige Antikenrezeption.166 Auch bei Alberti war das Bild selbstverständlich durch und durch moralischreligiös eingefasst,167 auch das »Gefallen« (delectare) ließ sich nicht frei davon denken.168 Ein unmoralisches Bild konnte nicht gefallen – eben dies wurde durch die binäre Codierung und ihre erzieherisch-moralische Programmierung geleistet. Diese Anlehnung des Kunstsystems an Moral konnte nur gelingen, da die Moral noch ohne Selbstreferenz und ohne sozialen Kontext gedacht wurde.169 Moral verwies auf Ordnungszugehörigkeit und in der Kommunikation über Bilder konnte dies fruchtbar gemacht werden. Die moralisch richtige Erziehung bot den internen Maßstab zur Kritik, also Wirkungskritik als Handlungs- bzw. Darstellungskritik: Bei einem Bauern dürfe man nicht dasjenige suchen, was nur für den Aristokraten passe, so Dolce.170 Unschickliche Darstellungen konnten nicht zum Richtigen erziehen, deshalb waren sie zu vermeiden, waren sie keine Kunst. Leonardo schrieb: »Mache die Figuren in solchen Geberden, dass diese zur Genüge zeigen, was die Figur im Sinn hat. Wo nicht, so ist deine Kunst nicht lobenswerth. [...] Entspricht die Bewegung nicht dem Zustand, in dem die Seele der Figur sein soll, so zeigt diese Figur, dass ihre Glieder ihrem Urtheil nicht folgen, und das Urtheil des Werkmeisters kein gesundes ist.«171

166 Man kann dies vielleicht anhand Sternes »Tristram Shandy« veranschaulichen. Der Leser trifft dort auf eine leere Seite, die Anmerkung zu dieser auf der vorangegangenen Seite lautet: »[...] call for pen and ink – here’s paper ready to your hand. – Sit down, Sir, paint her [eine Frau, möglicherweise eine zu liebende, d. Verf.] to your own mind – as like your mistress as you can – as unlike your wife as your conscience will let you – ’tis all one to me – please but your own fancy in it«, so Laurence Sterne 1904 [1761], S. 225. 167 Siehe bspw. Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 127, S. 129, S. 137, S. 139 und S. 147. 168 Auch Ethik und Ästhetik trennten sich erst im Laufe des 17. Jahrhunderts, so Niklas Luhmann 1992b, S. 180. 169 Siehe zur Moral ausführlicher Niklas Luhmann 1981b, S. 74f. 170 Vgl. Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 66f. 171 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 189.

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Für die Künstler hatte dies den unweigerlichen Effekt, dass das Bild in der Kommunikation auf die Persönlichkeit des Künstlers zurückweisen konnte.172 Guarino da Verona musste bspw. die Komödien von Terenz dahin gehend verteidigen, dass die Charaktere des Stückes aus Gründen des Stückes, unmoralisch waren und nicht etwa, weil ihr Autor unmoralisch war.173 Auch Michelangelo betonte, so Hollanda, dass für die Darstellung von Jesus nicht nur malerische Meisterschaft sondern eine vorbildliche Lebensführung unabdingbar seien.174 Bembo verteidigte die Nachahmung Ciceros mit dem Argument, dass Ciceros Stil gerade von weniger guten Lebensführungen und Charaktermängeln unabhängig sei.175 Petrarca steckte geradezu in einer Dauerreflexion über die moralisch-religiöse Zulässigkeit seiner Dichtung fest, Alberti zog alle Register, eine eigene Antwort zu finden und selbst Leonardo verknüpfte sein Seelenheil mit seiner Bildproduktion.176 Auch der Auftraggeber eines Bildes konnte nicht alles fordern, sondern war an das gebunden, was durch einen Künstler nicht nur bildlich, sondern auch moralisch dargestellt werden konnte.177 Wenn für diese Zeit von Kunstgenuss oder von Kunstschönheit gesprochen wird, dann muss also mitgesehen werden, dass beide dem moralischen Bild in jeder Hinsicht nachgeordnet waren.178 Man denke auch an Romane, in denen bis ins 18. Jahrhundert die Schönheit einer Frau stets auf ihre Tugend verweist. Der Genuss bestand im Wiedererkennen und unterlag damit ebenfalls der Nachahmungssemantik, die die Darstellung über die Nachahmung an eine Wirklichkeit binden konnte und zu binden hatte. Der später aufkommende Begriff des »Vergnügens«, dilleto, ersetzte daher auch nicht die Nachahmungssemantik, sondern wurde durch diese programmiert, denn der Verstand konnte am Falschen kein Vergnügen finden.179 Dies wird die Kommunikation vor Herausforde-

172 Siehe bspw. Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 137. 173 Vgl. William H. Woodward 1963 [1897], S. 213 Anmerkung 5. 174 Vgl. Francisco de Hollanda 1911 [1548], S. 273. 175 Zitiert nach Edgar Zilsel 1926, S. 221. 176 Dies zumindest berichtete Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 104. 177 Siehe hierzu auch Charles Hope 1981, S. 304. 178 »Bloße Unterhaltung gilt als unmoralische Zeitvergeudung«, so Ansgar Thiele 2007, S. 63. In der Kunstgeschichte wird dieses Verhältnis teilweise umgekehrt, wird das moralische Bild dem schönen Bild nachgeordnet. Doch die Frage, die sich dann stellt, ist: Hätte ein unmoralisches Bild schön sein können? 179 Auch ein Blick in die zeitgenössischen Traktate zur Medizin zeigt: reines Vergnügen machte krank. So bspw. im medizinischen Traktat »Florida corona medicinae de conservatione sanitatis« (Paris, 1514) von Antonio Gazio.

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rungen stellen, wenn die Bindung an Bekanntes und Bewährtes, also Richtiges, durch die Kommunikation der imaginären Realität der Kunst gekappt werden muss. Noch bei Zuccaro, dessen Traktat »L’ idea de’ pittori, scultori et architetti« (Turin, 1607) das Ende der Tradition der Künstlertraktate markiert, nahm Schönheit keinen nennenswerten Stellenwert ein. Auch in den anderen bereits erwähnten Künstlertraktaten stellte sich nie die Frage, wie man schöne Werke schafft, sondern Schönheit stellte sich als eine Folge der richtigen Nachahmung ein.180 Schönheit wurde damit zwar ontologisch, nicht aber ästhetisch gefasst: Die Proportionalität allein macht Schönheit aus, so Ghiberti.181 Es war die Schöpfung, die schön war und über die richtige Nachahmung gelangte die Schönheit der Schöpfung ins Werk. Das scholastische Erbe, die Schönheit stets im Zusammenhang mit der Schöpfung und der Erkenntnis dieser besprach, ist lange deutlich erkennbar, auch bei Alberti.182 Bei Alberti galt es ebenso, nicht die vorfindliche Natur oder gar eine schöne Natur nachzuahmen, sondern eine ihr hintergründig unterstellte Natur, die nur durch die richtige Methode entborgen werden konnte.183 So konnte Alberti Naturnachahmung einfordern und zugleich übersteigen: »Darum werden wir immer

180 Siehe bspw. Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 157 und S. 164. Zwar schrieb Alberti, S. 121, bspw.: »Aus der Komposition der Flächen entsteht in den Körpern jene Anmut, die Schönheit genannt wird«, aber diese Komposition entstammte nicht der künstlerischen Einbildungskraft, wenn Alberti vier Sätze später ausführt, wie diese Komposition zu erhalten war: »Mir scheint es, dass es für den, der zu folgen bereit ist, keinen passenderen und zuverlässigeren Weg gebe als denjenigen, die Natur als Vorbild zu nehmen, indem man sich in Erinnerung ruft, wie gut die Natur, die wunderbare Bildnerin der Dinge, die Flächen zu schönen Körpern wohl zueinandergefügt hat.« 181 »Ma la proportionalità solamente fa pulcritudine«, so Lorenzo Ghiberti 1912 [um 1447], S. 105. 182 Vgl. Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 99. 183 Deshalb ahmte man nicht die »schöne Natur« nach, wie die spätere wissenschaftliche Ästhetik und Kunstgeschichte der Kunst hier zur Nachahmung zuschreibt und dabei Nachahmung und Kunst unter einen Schönheitsbegriff subsumiert, der dann freilich mit Kunst nichts mehr zu tun hat. Diesem Aspekt, sowie der Einsicht in die Beschränktheit der Fundierung der Kunst in Nachahmung, wandte sich bereits Baumgartens Schüler Georg Friedrich Meier zu. Siehe insbesondere Georg Friedrich Meier 1757, S. 41.

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alles, was wir malen wollen, der Natur entnehmen, und stets werden wir die schönsten Dinge auswählen.«184 Es standen somit die Selektionsmechanismen, die durch die Selektivität der Naturnachahmung informiert waren, im Vordergrund. Da die Nachahmung, wie gezeigt, ihre Selektivität änderte, änderte sich im historischen Prozess jeweils auch die Weise, wie bspw. die Schönheit oder die Wahrheit ins Werk geladen werden konnte. Auch Leonardos Argument zur Überlegenheit der Malerei über die Poesie lässt sich hier spezifizieren, denn die Malerei war der Poesie in genau diesem Aspekt moralisch überlegen: Malerei stellte die Welt mit mehr Wahrheit dar:185 »Was ist näher am Mann, der Name Mann, oder des Mannes Ab- und Scheinbild?«186 Die mathematisch-geometrisch erzeugte Objektivität des Bildes bedurfte, anders als die Schrift, gerade keiner Vermittlung.187 Das Bild konnte demzufolge nicht täuschen. Die Möglichkeit zum gefährlichen Irrtum war dadurch reduziert. Sinneseindrücke waren weder richtig noch falsch, weder gut noch schlecht, das Auge selbst ließ sich nur schwer täuschen.188 Die bereits erwähnten Anekdoten, bei denen Menschen oder Tiere von Bildern über das Bildhafte hinweggetäuscht wurden, bspw. eine gemalte Katze für real hielten, wurden daher auch nicht als Täuschung kommuniziert und schürten auch kein Misstrauen gegenüber dem Bild, sondern galten als Beweis

184 Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 159, siehe auch S. 157: »Demetrius, dem Maler der Alten, gelang es nicht, höchsten Ruhm zu erwerben, weil er viel mehr darauf erpicht war, die Dinge der Natur nachzuahmen, als sie schön zu gestalten. Also empfiehlt es sich, von allen schönen Körpern einen jeden Teil auszuwählen, der gelobt wird.« 185 Vgl. Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 17. 186 Ebd., S. 19. 187 Bspw. ebd., S. 13f.: »Denn die Poesie legt ihre Dinge in die Imagination der Schriftzeichen nieder; die Malerei aber gibt die ihrigen so von sich, dass sie wirklich außen vor dem Auge stehen, von welchem (alsdann) das Eindrucksvermögen die Scheinbilder empfängt, nicht anders, als wenn dieselben von der natürlichen Wirklichkeit herrührende wären.« 188 So bspw. bei Giovanni Paolo Lomazzo 1844 [1584], S. 8, und Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 26: »Das Auge kann sich im Anschauen nicht täuschen, wenn es nicht krank, schielend oder durch irgend welchen Zufall gestört ist, während der Geist sich allerdings und oft irrt, sobald er von Unwissenheit oder Voreingenommenheit umflort ist.«

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der Wirklichkeitsabbildung, bzw. der Nachahmung. Die Fähigkeit zur Täuschung des Verstandes war der Beweis der Fähigkeit zur Objektivität.189 Freilich traten Fehlinterpretationen auf, diese wurden jedoch nicht dem Auge angelastet, sondern dem interpretierenden Verstand. Für das Kunstsystem bestand die Schwierigkeit hier darin, etwas was nur im Verstand vollzogen wird, ohne Rückbindung an religiöse Wirklichkeit zu verarbeiten.190 Die gesamte Aufmerksamkeit galt dem richtigen Verstehen. Deshalb war es für Hollanda gefährlicher, wenn man auf einem Bild Fuchs und Hase verwechselte, als ein Bild mit einer geflügelten Meerjungfrau anzusehen.191 Das Grundproblem, das in den Traktaten erörtert wurde, ist entsprechend die Frage, mit welchen Mitteln der Betrachter des Bildes moralisch richtig bewegt und belehrt werden konnte. Um erziehen zu können, musste sich das Bild in die Wahrnehmung des zu Erziehenden bringen. Dem Bild wurde mithin ein Betrachter zugewiesen und in eine Asymmetrie eingefasst: Das Bild lehrte und der Betrachter lernte. Im Gegensatz zur selbstreferentiellen Zeichnung bestand das Gemälde nicht für sich, es war vollständig einem angenommenen Betrachter zugeneigt, auf den es wirken konnte und sollte. Das Ziel der Malerei war etwas dem Bild Äußerliches und nicht das Bild selbst. Mit dieser bereits angesprochenen Zunahme der sozialen Sichtbarkeit des Beobachters vor dem Bildwerk war noch nicht das »Publikum« gegeben. Die Rollenasymmetrie von Künstler/Publikum war noch im 15. Jahrhundert kaum entwickelt, in der Dichtungstheorie bspw. spielte sie keine Rolle. Erst in den Dichtungstheorien des 16. Jahrhunderts, bspw. bei Lodovico Castelvetro, wurde das Publikum in der Kommunikation sichtbar, und zwar im Rahmen des systemischen Problems der Sicherstellung des kommunikativen Anschlusses.192 Um die (richtige) Anschlussfähigkeit zu erhöhen, sollte Dichtung der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen, wurde die Programmierung der imaginären Realität der Dichtung medial eingeschränkt.193

189 Auch dies waren Eigenschaften, die weder durch Rhetorik noch durch Poetik geklärt werden konnten und so die Entwicklung weiterer Beschreibungsversuche anregten. 190 Interessant ist in diesem Zusammenhang Aristoteles 1995b, S. 159: »Sodann sind die Wahrnehmungen immer wahr, von den Vorstellungen hingegen erweisen sich die meisten als falsch.« 191 Vgl. Francisco de Hollanda 1911 [1548], S. 271f. 192 Das Publikum beherrschte nicht die Regeln der Poetik. 193 Siehe hierzu und zur Transformation der Dichtungstheorie bei Lodovico Castelvetro Gerhart Schröder 1985, S. 68ff.

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Nichts anderes vollzog sich zuvor in den Realismusversuchen der Bildproduktion. Die Malerei setzte hier ebenso auf realistische Darstellung, wie die Dichtung wenig später auf Annäherung an die Wirklichkeit setzte. Die Realismusexperimente in der Bildproduktion reichten, wie gezeigt, ins Mittelalter zurück und galten dort der Ermöglichung der Beobachtung zweiter Ordnung am Bild. Die religiöse Anspruchssteigerung forderte Einfühlungschancen und die Bildproduktion entwickelte im Mittelalter Möglichkeiten zur Rekonstruktion der emotionalen und psychischen Verfasstheit der dargestellten Personen durch einen unbeteiligt beteiligten Betrachter. Das Miterleben der Simulation stand im Vordergrund, eine Erfahrung zweiter Hand, wenn man so mag.194 Die Bildproduktion erforderte dazu die Simulation von Beobachtern (in der Darstellung) für unbestimmte Beobachter 2. Ordnung (psychische und soziale Systeme). Burke spricht für diese Zeit zu Recht von einem »psychologischen Realismus«.195 Das Fenster zur zugänglichen Wirklichkeit wurde als Fenster zur unzugänglichen Innerlichkeit entwickelt, gleichsam wie das Auge, wie Dolce schreibt, das Fenster der Seele sei.196 Vermittels der Mimik und Gestik der dargestellten Personen vermochte es die Malerei, auch innere Zustände zur Darstellung bringen zu können und machte der Dichtung damit ihre exklusive Eigenschaft streitig. Dolce zitierte diesbezüglich Petrarca: »Und auf der Stirne liest man oft das Herz.« und schrieb weiter: »Doch sind es ganz besonders die Augen, welche als Fenster der Seele gelten dürfen, und in ihnen kann der Maler ganz entsprechend jede Leidenschaft, die Lustigkeit, den Schmerz, den Zorn, die Furcht, die Hoffnung und die Sehnsucht ausdrücken. Das Alles ist geeignet, auf den Beschauer zu wirken.«197

Auch bei Leonardo diente die Malerei gerade nicht dazu, das Äußere, das Sichtbare, festzuhalten, sondern das Innere sichtbar zu machen.198 Dies war ihm

194 Man denke bspw. an die Weihnachtskrippe mit einem lebendigen Ochsen und einem Esel, die 1223 von Franz von Assisi in der Kirche von Greccio aufgeführt wurde. 195 Peter Burke 1996, S. 31. 196 Vgl. Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 21. 197 Ebd. 198 »Die Zusammenstellungen gemalter Historien sollen die Beschauer und Betrachter derselben zu Aeusserung des gleichen Affectes bringen, um dessen willen die Historie figurirt ward, das heißt wenn die Historie Schreck darstellt, Angst oder Furcht, oder aber Schmerz, Weinen und Wehklagen oder Wohlgefallen, Jubel und Gelächter oder ähnliche Gemüthserregungen, so soll die Seele der Beschauenden und Beob-

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wichtiger als Körperlichkeit und Räumlichkeit, wenn er schrieb: »Das Allerwichtigste, das sich in der Theorie der Malerei finden mag, sind die für die Seelenzustände eines jeden lebenden Wesens passlichen Bewegungen, wie für Verlangen, Verschmähen, Zorn, Mitleid und Ähnliches.«199 Und auch für Alberti war es der zentrale Aspekt seiner Kunsttheorie, die Bewegungen der Seele mithilfe der Bewegungen der Körperteile darzustellen.200 Die Bildproduzenten wurden durch diese Beobachterkaskade in die Situation der Beobachter 3. Ordnung katapultiert. Das erhöht auch die Komplexität der Fragestellung. Denn es konnte der Kunst dieser Zeit nun nicht darum gehen, ob die Wirklichkeit richtig oder falsch wiedergegeben war, sondern der Programmierung des binären Codes entsprechend darum, wie (bspw. religiöse) Wirklichkeit so wiederzugeben war, dass sie den Betrachter richtig belehrt und erzieht. Dann aber drehte sich auch hier bereits alles um eine Wirklichkeit der Kunst und nicht um die reale Realität. Übergeht man die in den Traktaten angesprochenen Sachverhalte zur Moral und zur Erziehung und setzt der Kunst der Renaissance den Versuch der Wiedergabe der Wirklichkeit zum Ziel der Bildproduktion, gar die »Beherrschung der Naturwiedergabe«,201 gar eine der »menschlichen Vernunft«202 entsprechende, dann müssen, gerade wenn man die historische Einmaligkeit dieses Prozesses und ihrer Innovationen, bspw. der wahrheitsfähigen Linearperspektive in Rechnung stellt, die Fragen beantwortet werden: Wozu sollte man überhaupt versuchen, die Wirklichkeit auf diese Weise wiedergeben zu können? Und wie war dies möglich? Die modernen Antworten auf diese Fragen, sofern sie überhaupt gestellt werden, sind soziologisch unbefriedigend. Die einschlägige Literatur rekurriert hier allzu oft auf unerklärte Bestände, bspw. Grundhaltungen, Vernünftigwer-

achtenden deren Glieder zu Bewegungen veranlassen, dass es den Anschein hat, als seien sie selbst an dem Fall betheiligt, der in der Figuration der Historien zur Vorstellung kommt. Thuen sie das nicht, so waren Bemühen und Genie des Werkmeisters eitel«, so Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 135f. und S. 28: »Ein Maler machte ein Bild, dass, wer es sah, gähnen musste, und dies so lange wiederholte, als er die Augen aufs Bild gerichtet hielt, das gleichfalls im Gähnen dargestellt war.« 199 Ebd., S. 74. 200 Bspw.: »Ferner wird ein Vorgang dann die Seele bewegen, wenn die dort gemalten Menschen ihre eigenen seelischen Bewegungen ganz deutlich zu erkennen geben«, so Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 131. 201 Ernst H. Gombrich 1988a, S. 71. 202 Anthony Blunt 1984 [1940], S. 1.

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den, Bedürfnisse und Latenzverdächtigungen, die allesamt als selbstverständlich vorausgesetzt werden oder bestenfalls zirkulär begründet werden.203 In der hier vorgeschlagenen Umstellung der Sicht jedoch werden die Innovationen und Bemühungen zur Wiedergabe der Wirklichkeit im Bild Lösung eines Problems, indem auf die Erhöhung struktureller Komplexität mit einer Erhöhung struktureller Komplexität reagiert wurde. Mit anderen Worten: Die Anwendung der Linearperspektive und anderer Darstellungstechniken, bspw. dem Chiaroscuro, und deren Einbindung in die Bildproduktion waren nicht vordringlich den Versuchen um eine adäquate Wiedergabe der Wirklichkeit geschuldet, sondern die Wiedergabe der Wirklichkeit – noch immer hauptsächlich religiöse Wirklichkeit! – war eine Möglichkeit, dem Erziehungsanspruch, der die Funktion der Kunst in dieser Zeit abdeckte, nachzukommen und die Leistungserwartungen der sozialen Umwelt zu erfüllen. Bereits Boccaccio hatte die Nachahmung auf diese Weise gefasst: »Alle Dinge nach dem Vorbild der Natur zu gestalten bedeutet, dass sie die gleiche Wirkung zeitigen sollen, wie die von der Natur selbst hervorgebrachten Dinge, [...]«.204 Die Innovationen waren diesen Strukturen nachgeordnet, dies zeigt anschaulich die Linearperspektive.

4.8 D IE L INEARPERSPEKTIVE Die Zahl der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Linear- bzw. Zentralperspektive ist Legion. Veltman zählt 8000 Titel an Primärliteratur und 7000 Titel Sekundärliteratur.205 Bereits aufgrund ihrer Menge stellt die Literatur zur Perspektive ein eigenes Phänomen dar, das der soziologischen Analyse harrt.

203 Für ein Bedürfnis der Künstler, sich an die weltliche und irdische Realität anzupassen, siehe stellvertretend für viele Luciano Bellosi 1988, S. 239. Für neuartige Geisteshaltungen siehe, ebenso stellvertretend, Anthony Blunt 1984 [1940], S. 1, wo er schreibt: »Die Generation von 1420 betrachtete die Künste aus einer völlig veränderten Geisteshaltung heraus.« Aber genau diese Änderung – das Spannende! – bleibt unerklärt. Für unbewusste Prozesse siehe, ebenfalls exemplarisch, Edgar Zilsel 1926 oder Margaret Wertheim 1999, S. 104. Für den listigen Weltgeist in Form einer nicht weniger listigen Urphantasie siehe Arnold Gehlen 1960. 204 Boccaccio zitiert nach Ulrich Pfisterer 2002b, S. 197. 205 Die Datenbank ist im Rahmen des »Virtual Maastricht McLuhan Institute« im Internet unter http://vmmi.sumscorp.com/develop/ (15.06.2010) abrufbar. Sollte die Datenbank nicht mehr erreichbar sein, wird die Internetpräsenz des McLuhanInstituts der Universität Maastricht sicher eine neue Verlinkung einstellen.

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Insbesondere die modernen Auseinandersetzungen mit der Linear- bzw. Zentralperspektive setzen hier auf eine recht beliebige Melange aus Allegorisierung und Projektion der Differenz von Subjekt/Objekt. Während die Linearperspektive historisch den Wahrnehmungsvorgang nachzuahmen trachtete, wird in der modernen Interpretation der Betrachter zum Nachahmer der Linearperspektive, wird mal ihr Subjekt, mal ihr Objekt, wird mal das Objektive subjektiviert, mal das Subjektive objektiviert – und anschließend mit Weltanschauung kurzgeschlossen, die alles andere als einen Einblick in die historischen Umstände gewähren.206 Es ist dabei stets ein Leichtes, die Verhältnisse zu invertieren und bspw. statt des Subjekts vor dem Bild ein Objekt des Bildes zu erhalten.207 Die Linearper-

206 Für Subjektproduktion siehe bspw. Bernhard Schweitzer 1953, S. 22ff., oder Jean Gebser 1992 [1949], S. 32ff. Dann muss jedoch erläutert werden: Wie? Und reicht es dann aus, die Welt mit TV-Geräten auszustatten, um über diese Derivattechnologie Subjekte zu generieren? Siehe für die Antizipation der Moderne bspw. Gottfried Boehm 1969 oder Ernst Cassirer 1969 [1927], S. 192. Für die Ermöglichung der Wissenschaften siehe Erwin Panofsky 1940, S. 91. Einen Zusammenhang zwischen der Erfindung der Linearperspektive und der Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft verfolgt auch Leonard Schmeiser 2002. Siehe auch Norbert Herold 1992. Für einen Rationalisierungskontext siehe Arnold Hauser 1953, S. 243. Für Objektivierungskonstellationen siehe Pierre Bourdieu 2000, S. 21f., oder Klaus Disselbeck 1993, S. 142ff. Auch der Autor der vorliegenden Arbeit kann sich der Faszination nicht erwehren, bspw. wenn Jean François Niceron 1652 [1638], S. 90, vorschlägt, das darzustellende Objekt zwischen Bildfläche und Auge zu stellen, mit dem Effekt, dass dann Augenpunkt und Fluchtpunkt identisch sind. Ein Gedanke wäre hier, dass die Linearperspektive nicht nur das Subjekt vor dem Bild schafft, sondern zugleich auslöscht. 207 Das bekannteste Beispiel hierzu ist Albrecht Dürers »Der Zeichner des liegenden Weibes« (1538). Es gilt üblicherweise als ein Sinnbild für den messenden, vermessen(d)en Mann, der mit seinen Instrumenten und Apparaten alles damit erfassbare objektiviert, die Welt, die Natur, die Frau. Auf der Abbildung ist auch jener Stab zu erkennen, der den Blick des Künstlers zentriert, einäugig, entsinnlicht, vielleicht phallisch. Jeder Atemzug lässt das Auge schwanken, stört die Apparatur; der Zeichner muss seine Leiblichkeit zügeln: »Die Frau liegt halbentblößt und schlafend da, vom sitzenden und angestrengt blickenden Zeichner durch ein Gitter getrennt, das ihm die richtigen Proportionen auf das Blatt zu übertragen helfen soll. Er muss seine Begierde zähmen und einen kühlen Kopf bewahren, so dass er sie so zeichnen kann, als wäre sie eine Vase, ein Steinblock oder eine Landschaft«, so Mario Erdheim

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spektive ist in beide Richtungen plausibel zu interpretieren und es obliegt den Interessen des Beobachters, seine Unterscheidungen zu setzen. Erst durch diese Ausgangsunterscheidungen, bspw. Technik/Weltanschauung, wird es möglich, auf Grundlage derselben Quellentexte zu gegensätzlichen Interpretationen zu gelangen.208 Gerade die Grundsymboliken der modernen Interpretation der Linearperspektive, das Gerinnen des abendländischen Subjekts, bzw. dessen Objektivierung, im zentralen Beobachtungspunkt vor dem Bild, scheint zumindest unvollständig, wenn man in Rechnung stellen muss, dass ein wesentlicher Teil der künstlerischen Verweigerung zur vollständigen linearperspektivischen Konstruktion des Bildes auch dem Umstand geschuldet war, dass das Befolgen der Linearperspektive nur einen einzigen, richtigen Beobachterpunkt ermöglicht hätte.209 Alle anderen Blicke auf das Bild wären den Verzerrungen der Linearper-

1982, S. 10. Die Apparatur hält dem Zeichner das Weib in Distanz, so wird es ihm möglich, mit dem Weib umzugehen, jedoch nur um den Preis der Ausschaltung seiner Libido. Gleiches gilt für die Frau. Die Apparatur macht Nacktheit für beide beherrschbar. Der Mann ist, wie in fast allen Interpretationen zu diesem Bild, stets das Subjekt. »Keinem der Interpreten ist eingefallen, den Maler zum Objekt in den Augen der Frau zu machen, obwohl er wohl auch der Zeichner (das Objekt) des liegenden Weibes (des Subjektes) sein könnte«, wie Brigitte Rauschenbach 1991, S. 108, anmerkt. Es ist also ganz und gar nicht eindeutig, wer hier die Position des Subjekts einnimmt, noch dazu, wenn das Subjekt die andere Seite komplementär objektivieren soll. Keinem der Bildinterpreten fällt auf, dass es das Gitter ist, das darüber entscheidet: Beide, Mann und Frau, werden durch die technische Apparatur zu Objekten, zu Bedienern. 208 Die vorliegende Arbeit ist davon nicht ausgenommen, kommt sie doch auf Grundlage der Differenz von Wahrnehmung und Kommunikation ebenso zu unterschiedlichen Interpretationen. 209 Es gehört nicht zu den empirisch häufig zu beobachtenden Phänomenen, dass Personen vor linearperspektivisch konstruierten Gemälden ein Auge zuhalten und versuchen, den Punkt einzunehmen, den sie einzunehmen hätten. Inwieweit dies – oder das Gegenteil! – auch vom Betrachter der frühen Neuzeit gesagt werden kann, soll hier außen vor gelassen werden. Es scheint zumindest so, dass man sich auf ein Gemälde zubewegt, seitlich, versetzt, man nähert sich ihm, bleibt stehen, schaut hierhin und dorthin. All dies, ohne jemals den rechten Sehpunkt zu suchen und zu finden. Aber mit dem Effekt, dass der Blick unzählige Aspekte entborgen hat, die den dargestellten Objekten nicht zugehörig sind. Darauf hat Albert Einstein in einem Brief an Henri Pirenne hingewiesen und empfohlen, den Sehwinkel des Betrachters nicht

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spektive zum Opfer gefallen.210 Grégoire Huret lehnte diese Verzerrungen als Konsequenzen der linearperspektivischen Konstruktion in seinem Traktat »Optique de portraiture et peinture« (1670) mit dem Argument ab, dass das Bild dann nur von einem einzigen Betrachterstandpunkt aus angesehen werden könnte.211 Das gleiche Argument findet sich bereits bei Leonardo.212 Im Zweifel hatte die geometrische Konstruktion gegenüber der systemspezifischen Ermöglichung der Beobachtungen von Beobachtungen am Bildwerk zurückzutreten.213 Absolut überzeugt von der linearperspektivischen Projektion scheint vor allem Abraham Bosse gewesen zu sein, der jedoch auch aufgrund dieser Einstellung seinen Stuhl in der Académie royale de peinture et de sculpture räumen musste. Wir werden an dieser Stelle keine eigene Allegorisierung der Linearperspektive vorschlagen. Zum einen verhindert bereits die Ersetzung der Differenz von Sub-

zu groß werden zu lassen – also eben jenen Ratschlag, den bereits Piero della Francesca 500 Jahre zuvor gegeben hat. Der Brief ist zitiert in Gezienus ten Doesschate 1964, S. 158f. Mit anderen Worten, immer dann, wenn man sich nicht einäugig vor dem Gemälde zentriert, nimmt man das dargestellte Objekt auf eine Weise wahr, die das Objekt selbst nicht ermöglicht. Da man vermuten kann, dass die nicht-zentrierte Blickweise auf das Gemälde den weitaus häufiger anzutreffenden Umgang kennzeichnet, lässt sich die Linearperspektive als Pluralisierung der Sichtweisen interpretieren. Diese möglichen Sichtweisen parasitieren an der korrekten linearperspektivischen Projektion. Die Kondensierung des Subjekts im Blickpunkt ließe sich also ebenso gut mit der Kondensierung des Subjekts durch Pluralisierung der Sichtweisen ersetzen, sofern man an dieser Art der Interpretation ein Interesse hegt. Dies soll hier nicht weiter verfolgt werden. 210 Man kann, bspw. wie Marshall McLuhan 1968, S. 19, den Kubismus als aperspektivisch und damit als der Zentralperspektive entgegengesetzt beschreiben – oder man sieht auch den Kubismus als mathematisch-geometrisch informiert, als Versuch, die Welt auf Kugel, Kegel, Zylinder und Pyramide zu reduzieren. Denn Zerlegung und Aufbau der Formen ist im Kubistischen nicht weniger mathematischgeometrisch informiert als im Zentralperspektivischen – unabhängig davon, ob dann Bewusstseinssysteme die Wahrnehmung von »Illusion« kommunizieren oder nicht. 211 Siehe für Grégoire Huret Martin Kemp 1987, S. 421. 212 Vgl. Arthur K. Wheelock 1977, S. 89ff. 213 Kim H. Veltman 1986b zeigt die Gewährleistung mehrerer Beobachtungsstandorte bspw. auch an Piero della Francescas »Geißelung Christi« (1444/78) auf. Auch Tintorettos »Letztes Abendmahl« (1594) sei demnach nicht dafür gedacht, frontal angeschaut zu werden, sondern seitlich.

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jekt/Objekt durch Selbstreferenz/Fremdreferenz jeden dahin gehenden Versuch und zum anderen ist der Preis der Allegorisierung der Linearperspektive ihre Idealisierung, mit anderen Worten, die Ineinssetzung der Differenz von Sozialstruktur und Semantik. Dies würde gerade die historische Vielfalt und Widersprüche verdecken, die uns Aufschluss über unser Thema gewähren. Die moderne Beschreibung suggeriert eine Einheit der Zentralperspektive, die weder in den Texten noch in den Bildern gegeben ist.214 Bereits seit Piero della Francesca wurden die Unzulänglichkeiten der Linearperspektive thematisiert, wurden Experimente in Stellung gebracht, die Probleme der linearperspektivischen Projektion auf die eine oder andere Weise zu lösen. Die Konsensbedürftigkeit der Darstellung wurde, wie bereits erwähnt, langfristig durch Kommunikation über Verfahren und Störungsbeseitigung ersetzt. Die Traktate zeigen hier deutlich, dass es weder eine einheitliche Theorie der Perspektive noch einen einheitlichen Umgang mit ihren Verbindlichkeiten gab. Das macht es grundsätzlich schwierig, die Linearperspektive im Kontext der Kunst unter Zuhilfenahme von Kohärenzunterstellungen auf eine geistige Grundhaltung zurückzurechnen. Insbesondere die Ausrichtung der Perspektive auf Objektivierungsprozesse invertiert die historischen Verhältnisse, denn sie impliziert ein Ziel und eine Vorgängigkeit, die die dargestellten Objekte der Linearperspektive nachordnet. Diese Nachordnung geht wesentlich auf Panofskys These von der »Perspektive als symbolischer Form« zurück, die sich in Form der Differenz von Aggregatund Systemraum weitgehend etabliert zu haben scheint und daher kurz angesprochen werden soll.215 Für Panofsky ahmt die Zentralperspektive eine bestimmte Sichtweise auf Raum nach, ist deren Ausdruck. Die Objekte des psycho-physischen Raums werden in diesen Systemraum, einem Verbund von Machs »mathematischen Raum«216 und Cassirers »symbolischer Form«,217 übersetzt und so vom Subjektiven ins Objektivierte transformiert. Die Möglichkeit zur räumlichen Bilddarstellung begründet sich dabei darin, den Bezug zur Außenwelt kappen zu können

214 Dies stellt bspw. auch James Elkins 1994, S. 230, fest: »We often operate under an assumption of uniform accuracy, whereas the Renaissance methods were selective, partial, and uneven.« 215 Für die Medienwissenschaften siehe bspw. Bernd Busch 1997, S. 80ff., für die Soziologie bspw. Elena Esposito 1996, S. 70ff. 216 Siehe hierzu Ernst Mach 1922, S. 270, und insbesondere Ernst Mach 1905, S. 337ff. und S. 389ff. 217 Siehe hierzu Ernst Cassirer 1959, insbesondere S. 175f., und Erwin Panofsky 1992 [1927].

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und diesen Bezug durch diesen selbstgenügsamen »Systemraum« zu substituieren.218 Im Raum der Zentralperspektive, dem Systemraum, können die Objekte nach Belieben arrangiert werden. Panofsky führt also den Systemraum an exakt der Stelle ein, wo die Differenz der Darstellung zum Dargestelltem nicht mehr als Abbild gefasst werden kann und erst durch diese unterstellte Vorgängigkeit ist die Zentralperspektive dazu befähigt, Bilder zu produzieren. Der »Systemraum« hat weitere Defizite. Bspw. hat Panofsky selbst keine Definition gegeben, was er unter einer »symbolischen Form« versteht, die cassirersche Bedeutung jedoch, kann er nicht gemeint haben.219 Entsprechend vielfältig sind die Interpretationen der panofskyschen »symbolischen Form«, wobei sie häufig im Sinne eines foucaultschen Dispositivs interpretiert zu werden scheint.220 Ein weiteres Problem ist der historisierte Gegenbegriff zum Systemraum, der antike bzw. mittelalterliche »Aggregatraum«. Der Systemraum soll hier gerade den Unterschied zu historisch vorangegangenen Raumkonzeptionen kennzeichnen können, doch dieser Unterschied ist bei Panofsky das Ergebnis der Unterstellung, dass mittelalterliche Bildproduzenten bewusst und systematisch mit dem Raum in ihren Bildern umgingen.221 Die historische Beschreibungsleistung

218 Elena Esposito 1996, S. 73, ist hier derselben Ansicht wie Panofsky: »es genügt, die Regeln zu befolgen, um ein Objekt herzustellen, das als fiktionale Realität absolut ›realistisch‹, aber vollkommen autonom von der realen Realität außerhalb der künstlerischen Schaffung ist.« 219 Dies ist häufig festgestellt worden, siehe bspw. Allister Neher 2005, S. 359: »[...] but what has struck me as unusual in all of the disputes and deliberations is the dearth of discussion on what Panofsky meant by claiming that perspective is a symbolic form; it is after all, as the title announces, the defining claim of the work, and thus should be fundamental to any evaluation or exposition of it.« 220 So bspw. bei Sybille Krämer 1998. 221 Erwin Panofsky 1992 [1927], S. 113, schreibt: »Mit dieser radikalen Umformung, so scheint es, ist ein für alle Mal auf jede Raumillusion verzichtet worden; und dennoch bedeutet gerade sie die Vorbedingung für die Entstehung der wahrhaft neuzeitlichen Raumanschauung. Denn wenn die romanische Malerei Körper und Raum in gleicher Weise und mit gleicher Entschiedenheit auf die Fläche reduziert, so hat sie gerade damit die Homogeneität zwischen diesem und jenen zum ersten Mal recht eigentlich besiegelt und befestigt, [...]« Es ist der Begriff »Entschiedenheit«, der auch ein paar Sätze zuvor fällt, »[...] die reine Romanik [...] bildet mit immer größerer Entschiedenheit [...]«, und Intentionalitäten dort hineininterpretiert, wo dies nicht durch vorangegangene Ausführungen belegt wurde – gerade, wenn man aufgrund der Quel-

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gerät nicht nur an dieser Stelle ins Hintertreffen, denn bei Panofsky betrifft die Perspektive das »ganze Bild« und gerade nicht nur »einzelne Objekte«.222 Historisch weist jedoch vieles darauf hin, dass es die Perspektive war, die dem Dargestellten nachgeordnet wurde.223 Mit Bezug zur vorliegenden Analyse kann man sagen, dass auch die Perspektive durch die Nachahmungssemantik informiert und dieser nachgeordnet werden musste. Die Kontextur des Systems ging vor. Und das bedeutet auch, dass es nicht die Zentralperspektive war, die auf den Betrachter bezogen war, sondern das Bild.224 Ein erster Hinweis zur Nachträglichkeit der Perspektive ist, dass es in keinem der Traktate um Raum geht, sondern stets um Nachahmung, also um Tische, Stühle, Figuren und Giebel.225 Vasari beschrieb keine perspektivischen Bilder, sondern stets Gegenstände, die perspektivisch dargestellt waren. Die Perspektive war etwas im Bild, aber nicht das Bild selbst.226 Über ein Bild von Uccello schrieb er: »In this work there are no landscapes in colour, nor many buildings, nor difficult perspectives, but there is truly great design, with no little of the good.«227

lenlage wenig Anhaltspunkte dafür findet, dass diese Intentionalitäten historisch plausibel erscheinen. 222 Ebd., S. 99. 223 Wir stimmen insoweit der These von James Elkins 1994, S. 15, zu: »[...] the Renaissance notion is ›object oriented‹ and the modern concept ›space oriented‹.« Siehe auch die Ausführungen von Frank Büttner 1998, S. 85ff. 224 Eine ähnliche Ansicht teilt James Elkins 1994, S. 143f. 225 Vor dem 18. Jahrhundert sucht man selbst in Architekturtraktaten den Begriff »Raum« vergebens, so Peter Collins 1971, S. 285: »The notion of space as an essential element of architecture must have existed in some rudimentary form from the time man first built enclosures or made structural improvements to his caves; but it is a curious fact that until the eighteenth century no architectural treatise ever used the word, whilst the idea of space as a primary quality of architectural composition was not fully developed until the last few years.« 226 Dies betont auch James Elkins 1994, S. 53ff., ebenfalls unter Bezug auf Vasari, allerdings konkreter auf Masaccio bezogen. 227 Giorgio Vasari 1912b [1568], S. 138; siehe auch folgende wahllos herausgegriffene Zitate: S. 132: »[...] the walls of a house [...] being drawn in perspective [...]«, S. 133: »[...] he wished to demonstrate even greater difficulties in some columns, which, foreshortened in perspective, [...]«, S. 136: »[...] And he made, foreshortened in perspective, a corpse [...]«, ebd.: »[...] he made in perspective a cask [...]«, S. 137: »[...] where Paolo drew in perspective a large sarcophagus [...]«.

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Die Einheit des Bildes besteht nicht in dessen Perspektive, nicht in der Erzeugung eines Systemraumes. Die »symbolische Form« fast als Einheit, was keine ist und verdeckt damit mehr, als durch sie aufgezeigt wird, denn die Vielfalt der Perspektiven ist erstaunlich. Piero della Francesca bot bereits 3 Konstruktionstechniken zur linearperspektivischen Projektion an. Albertis Perspektivkonstruktion lässt sich gleich auf zwei Weisen interpretieren, mit unterschiedlichem Ergebnis.228 Jean Pélerin bot ebenso eine eigene Lösung wie Dürer. Elkins zählt insgesamt um die 20 historische Methoden.229 Im 16. Jahrhundert schlug nahezu jedes mathematische Traktat eine weitere Konstruktionstechnik vor, stets mit dem Anspruch, die Projektionsleistung zu verbessern. Eine sozial übergreifend verbindliche Konstruktionsweise gab es nicht. Die Künstler standen damit vor einer Vielfalt an möglichen Konstruktionsmethoden, die einen Methoden geometrischer, die anderen anwendungsorientierter. Der technisch/mediale Aspekt der Linearperspektive war mithin weniger durch die exakte Regelbefolgung gegeben, als durch die symbolische Auszeichnung, die diesen Eindruck erwecken konnte und sollte. Aus der Möglichkeit zur geometrischen Anordnung von Körpern durch die linearperspektivische Projektion muss freilich nicht notwendigerweise ein räumliches oder einen räumlichen Eindruck erweckendes Bild folgen. Hier sind nicht nur Farbveränderungen bzgl. der Entfernung oder Farbverläufe angesprochen, sondern die Technik der linearperspektivischen Konstruktion selbst. Die Regelbefolgung allein genügt in keinem Fall – und genau dies machten sich Anamorphosen zunutze. Jean-François Niceron ging in seinem Traktat mit dem überaus treffenden Titel »La perspective curieuse« diesen Räumen nach, die sich durch die Linearperspektive selbst ergaben, allein durch Manipulation von Albertis Perspektivenkonstruktionsweise.230 Anders formuliert: Der Systemraum ist ein mathematischer Raum, aber kein Bild. Die linearperspektivische Projektion selbst produziert keine Bilder, nicht einmal Bedeutung. Zu Ersterem genügt es, Euklid selbst heranzuziehen, denn die Transformation der euklidischen Geometrie in einen Verbund mit moderner Optik, symbolisiert durch den Fluchtpunkt im Bild und den Augenpunkt vor dem Bild, scheitert bereits am Punkt selbst, wenn Euklid den Punkt als das definierte, was keine Teile habe. Ein Punkt kann daher kein Bild sein. Ein Hinweis darauf, dass die geometrische Projektion keine Bedeutung produziert, findet man in den ihrer Veranschaulichung dienenden Illustrationen in der Begleitliteratur: Stets zeigen diese Illustrationen Linien zwischen Betrachter und Objekt, geschnitten

228 Siehe hierzu Judy Green und Paul S. Green 1987. 229 Siehe die Tabelle in James Elkins 1994, S. 87. 230 Jean François Niceron 1652 [1638], Abb. 23 (o.S.).

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durch die Bildfläche. Für die Illustration der Projektion hätte eine einfache schematisierte Darstellung genügt; aber das genügt gerade nicht, es muss noch etwas Zusätzliches illustriert werden: Die linearperspektivische Projektion verlangt Selektionen. Der Ort des Augenpunkts ist kontingent wählbar, ebenso der Distanzpunkt; beide sind außerhalb oder innerhalb der Bildfläche, vor oder hinter dem Betrachter verortbar. Dies wird bei Jean Pélerin deutlich, dessen Distanzpunktverfahren beliebige Ansichten produzierte, die erst durch angleich an das, was dargestellt werden sollte, sinnvoll wurden. Historisch musste auch diese Selektion im und durch das Kunstsystem programmiert werden. Entsprechend griff hier die Semantik der Naturnachahmung, die den Orten des Augenpunkts oder des Distanzpunkts die Kontingenz nahm: Es war die Natur, die festlegte, wo der Augenpunkt zu sein hatte. Alberti schrieb: »Dass dies sich so verhält, beweist jeder Maler, wenn er, von der Natur geleitet, sich von dem entfernt, was er malt, wie wenn er die Spitze und den Winkel der Pyramide dort suchen wollte, von wo sich nach seiner Einsicht die gemalten Dinge besser überprüfen lassen.«231

Die Naturnachahmung nahm dem Augenpunkt die Kontingenz, indem die Erfordernisse des Darzustellenden, des Bildes, den Augenpunkt der Konstruktion bestimmten. Auf ähnliche Weise wurde bei Piero die linearperspektivische Projektion optisch beschränkt, indem die Winkelbeschränktheit des menschlichen Sehvorgangs den Winkeln der Projektion die Kontingenz nahm. Die Anamorphosen zeigen, dass die perspektivische Projektion Wirklichkeiten nicht nur hervorbringen, sondern auch zerstören kann. Die Möglichkeit dazu ist mit der Technik der Projektion selbst gegeben. Diese Projektionen sind nicht »weniger wahr«, doch sie nehmen der Linearperspektive jeden Anspruch, Wirklichkeit jenseits eines sozial eingeschränkten Möglichkeitsraum der Koinzidenz wiedergeben zu können. Dieser Möglichkeitsraum wird durch eine Semantik der Linearperspektive eröffnet und die Frage ist dann, wie der Raum des Bildes durch diese Semantik freigegeben wurde. Inwieweit ein dreidimensionaler Raum im Zweidimensionalen simuliert werden kann, ist weder Eigenschaft noch Problem des Zweidimensionalen, sondern Angelegenheit der Kommunikation, die der Wahrnehmung eine entsprechende semantische und mediale Infrastruktur zur Bildung von Formen anbietet und reproduziert wird oder scheitert. Aber mit der Einsicht in die Konventionalität der

231 Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 85.

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Linearperspektive ist keine bedeutende Erkenntnis gewonnen, wenn die Unterstellung von Konventionalität ohnehin die soziologische Grundannahme darstellt.232 Die Nähe der Konvention zur (zeichenhaften) Arbitrarität ist groß, fällt jedoch im Vorliegenden nicht mit dieser zusammen, wenn sich die Kommunikation an Wahrnehmungsevidenzen koppelt und der Struktur dadurch jene Robustheit verleiht, auf die bspw. auch das wissenschaftliche Experiment setzt. Mit Poincaré lässt sich dies etwas allgemeiner formulieren: »Conventions, oui; arbitraires, non; elles le seraient si on perdait de vue les expériences qui ont conduit les fondateurs de la science à les adopter, et qui, si imparfaites qu’elles soient, suffisent pour les justifier. Il est bon que, de temps en temps, on ramène notre attention sur l’origine expérimentale de ces conventions.«233

Die Kommunikation von Wahrnehmungsevidenzen verlangt jedoch in jedem Fall, den Blick nicht auf die Konstruktionsregeln, sondern auf die Kommunikation zu richten, die sich der Linearperspektive bediente, um die Wahrnehmungsevidenz semantisch zu betreuen. Bereits aus diesem Grund geht es uns hier weniger darum, unter Zuhilfenahme welcher Konstruktionsregeln die Künstler versucht hatten, den Eindruck von Räumlichkeit zu erwecken oder auf welche Quellen sie sich dabei direkt oder indirekt bezogen. Die Frage nach der Abbildung und der Konstruktion von Gegenständen im Bildwerk tritt zurück und gibt den Blick auf die Frage frei, wie dies durch Kommunikation ermöglicht wurde. Die Linearperspektive wird in dem hier vorgeschlagenen Blickwechsel zu einer Begleitsemantik einer veränderten Erwartungshaltung der Kommunikation am Bild und ist somit auch von der geometrischen Projektion als handwerklicher Technik zur Bildgenerierung und ihrer Anwendung in Bildern zu unterscheiden. Nur so können Diskrepanzen und Ungleichzeitigkeiten erfasst werden: »We must acknowledge an alarming asymmetry between the richness of Leonardo’s observations about perceptual phenomena, grounded in his understanding of geometric pro-

232 Um die Konventionalität der Linearperspektive wurde erstaunlicherweise noch in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erbittert gestritten. Autoren wie Panofsky, White und Nelson Goodman verteidigten die Konventionalität der Linearperspektive gegen Pirenne und Gombrich, die die Konventionalität bestritten. 233 Henri Poincaré 1968 [1902], S. 128.

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portion and optics, and the complete absence of practical guidance for implementing this new conceptual language in large-scale paintings.«234

Die Linearperspektive wird also aufgefächert in das, was von ihr behauptet wurde, in das, was über sie geschrieben wurde und in das, was in den Bildern Anwendung fand. In jedem dieser Aspekte waren Selektionsmechanismen am Werk, die die Operativität des Systems informierten und im Folgenden genauer aufgezeigt werden sollen.

4.9 D IE R ÄUME

DER

K UNST

Wenn es nicht die linearperspektivische Projektion war, die durch ihre Vorgängigkeit den Raum des Bildes ermöglichte, sondern die Konvention, also die Gesellschaft, dann muss geklärt werden, wie sie dies erreichte. Einen ersten Hinweis bietet hier die Malerei im 15. Jahrhundert in Flandern, denn diese zeigt, dass eine Bildproduktion ohne Kenntnis der Linearperspektive, und damit ohne mathematischen »Systemraum«, der linearperspektivischen Malerei in der Simulationsfähigkeit des Raumes in nichts nachstehen musste.235 Wir wollen vermuten, dass es das Medium des Bildes selbst ist, das die Räumlichkeit ermöglichte, indem es der Kommunikation von Raumunterstellungen keinen Widerstand entgegensetzte und seit den mittelalterlichen Experimenten entsprechende Formen und deren Erwartung kondensieren konnte. Ausschlaggebend war diese Strukturänderung, deren semantische Begleitung durch einen neuartigen Verbund von Geometrie und Optik erfolgte: dem Bild als Schnitt durch eine Sehpyramide.236 »Daher wird ein Gemälde nichts anderes sein als die Schnittfläche durch die Sehpyramide [...]«.237 Dieser Schnitt ergibt sich gerade nicht aus der Perspektivmathematik/-geometrie und hätte für Euklid entsprechend keinen Sinn gemacht. Doch ohne diesen Schnitt hätten weder Euklid noch die geometrische Projektion für die Bildproduktion relevant werden können. Die entscheidende Variation, die sich in der Kommunikation zu bewähren hatte, bestand also darin, den Schnitt durch das

234 Claire J. Farago 1994, S. 328. 235 Siehe hierzu auch James Elkins 1994, S. 238, der dies exemplarisch an einem Gemälde von Jan van Eyck aufzeigt. 236 Man denke hier auch an den byzantinischen Neoplatonismus, der eine ganz andere Relation beschrieben hatte. 237 Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 85.

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Blickfeld, mit einem zweiten Schnitt, der Gegenstandsebene des Bildes, homolog zu setzen. Diese strukturelle Variation konnte kaum selbst in den Blick der Zeitgenossen geraten, weil nicht mitgesehen werden konnte, wie sich das Neue unterschied – aber die Semantik der Linearperspektive gewährte dieser Variation eine »gewisse Schonzeit«, in welcher die Variation konfirmiert oder verworfen wurde.238 Die Variation macht deutlich, dass es sich hierbei weniger um die sogenannte »Rationalisierung des Blicks« handelte, als um eine unwahrscheinliche Abweichung, die, sofern sie konfirmiert wird, weitere Abweichungen nach sich ziehen konnte. In der Kunst wurde nun die perspectiva naturalis der Optik zur perspectiva artificialis und damit zum künstlichen Wahrnehmungseindruck. Das Bild ahmte nicht die Natur nach, sondern Wahrnehmungsvorgänge, um diese durch symbolische Generalisierungen simulieren zu können. Die Strukturänderung stützte sich dabei nicht nur auf Wahrnehmungsevidenzen, sondern auf die Inanspruchnahme eines besonderen Mediums: das Bild.239 Erst über dieses Medium und die Formbildungskaskaden, die es gewährte, ließ sich die Strukturänderung konfirmieren. Wie bei anderen Medien besteht auch beim Medium des Bildes die Besonderheit darin, am Bild das wahrzunehmen zu können, was es nicht ist, und nicht das wahrzunehmen, was es ist. Gleichsam, wie man die Worte sieht, aber nicht die Buchstaben bzw. die Druckerschwärze, die diese Anspannung des Mediums zu Formen ermöglicht hat. Das Medium des Bildes verweist hier demnach nicht auf eine Ontologie des Bildes, sondern auf eine soziale Beobachtungstechnik und eine mediale Errungenschaft, die keineswegs automatisch mit dem Tafelbild gegeben war.240 Die Leistung des Mediums ist nicht mit Zeichenhaftigkeit zu

238 Siehe hierzu Niklas Luhmann 1998b, S. 539. Wir stimmen insofern auch Nelson Goodman 1997 [1967], S. 49, zu, demzufolge die Zentralperspektive als »Korrelationsplan« die Ähnlichkeit zwischen Bild und Objekt festlegt. 239 Eine ähnliche These stellt Otto Pächt 1977 auf, der die Bedeutung der eigengesetzlichen Fläche, nicht des eigengesetzlichen Raums, betont. 240 Siehe zum Unterschied zwischen Tafelbild und durch Rahmung autonomen, modernem Bild auch Hans-Georg Gadamer 1989, S. 130ff. Ein historisches Beispiel führt Alessandro Conti 1988, S. 114, an: Als Polyptychen Ende des 15. Jahrhunderts außer Mode kommen, bemalten umbrische Maler Tafelbilder einfach so, als ob diese in mehrere Segmente unterteilt wären.

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verwechseln.241 Die Leistung besteht im Zurücktreten des Mediums gegenüber den Formen, die es im Zurücktreten ermöglicht. Auf diese Weise wird das Bild als Medium selbst frei, es rückt im Fokus aus dem Fokus und gewinnt dadurch Freiheitsgrade, die es nicht besitzen kann, wenn >es< der Fokus ist. Stevins, bspw., sprach durchgängig von »Glas«, wenn er die Bildfläche bezeichnete.242 Leonardo empfahl die Verwendung einer Glasscheibe, um das, was man durch diese hindurch sah, auf der Glasplatte nachzuzeichnen.243 Gerade diese »Transparenz« des Mediums zugunsten seiner Formen macht Albertis Metapher des »Bildes als Fenster« so überaus treffend: »Als Erstes zeichne ich auf der zu bemalenden Fläche ein rechtwinkliges Viereck von beliebiger Größe; von diesem nehme ich an, es sei ein offen stehendes Fenster, durch das ich betrachte, was hier gemalt werden soll [...]«244 Und nicht ohne Grund definiert auch für Panofsky das »Bild als Fenster« die »perspektivische« Raumanschauung.245 Phänomenologisch zugespitzt ließe sich festhalten: »Jede Bildwelt öffnet sich wesensmäßig in die wirkliche Welt hinein. Der Ort des Sichöffnens ist das Bild. Ohne das, das Sichöffnen vermittelnde Fenster könnte die Bildwelt überhaupt nicht sein, eine fensterlose Bildwelt ist in sich widersinnig.«246 Diese Öffnung in die Wirklichkeit ist nicht mit der Öffnung eines Bildraums in die Tiefe gleichzusetzen, denn das Bild kann sich auch raumnehmend nach »vorne« öffnen – eine Verwendung des Mediums, die sich erst in der Moderne durchzusetzen scheint.247 Unter der Codierung des Kunstsystems wurde das moderne Bild und dessen Raum auf eine neuartige Weise in den Kommunikationszusammenhang der Kunst gezogen. Auch hier ist der Unterschied zu früheren Raumexperimenten offensichtlich. Die Kommunikation installierte zwar bereits in den Innovationen um Giotto die Differenz von innen/außen, aber diese wurde gerade nicht über die imaginäre Realität der Kunst codiert, sondern durch die binäre Codierung der Religion. Die Theologie führte den Raum, der durch den Ausschnitt des Bildes als andere Seite gegeben war, als residualen unmarked space mit sich. Das Bild

241 Siehe hierzu auch Gottfried Boehm 1997, S. 300f., der das Bild ebenfalls nicht auf eine Zeichenhaftigkeit beschränkt wissen will und die Rolle des Bildes bei dessen Hervorbringung seiner Verweise untersucht. 242 Siehe Simon Stevins 1958 [1605]. 243 Siehe Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 76. 244 Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 93. 245 Vgl. Erwin Panofsky 1992 [1927], S. 99. 246 Eugen Fink 1966, S. 77f. 247 Siehe hierzu auch Gottfried Boehm 1994b.

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war so nur ein Ort unter Orten – und nur so konnte das Bild eine transzendente Realität topographieren.248 Der Raum jedoch, den sich die Kunst für ihre Kommunikation schaffte, entsprach der Programmierung ihrer Codierung und das war ein Raum, der den Differenzen einer imaginären Realität standhalten können musste, ohne in theologische Realität abzugleiten. Ein kontinuierlicher Raum, dem das Bild als kontingenter Ausschnitt nachgeordnet war, schien dazu geeignet. Mithilfe des Mediums des Bildes und der Beobachtungen seiner Formen schuf sich das Kunstsystem einen eigenen medialen Raum,249 der den psychischen Systemen zum kontingenten Erleben in der Fläche gegeben war und sich bei Giotto und seiner Werkstatt als preaddaptive advance par excellence beschreiben lässt.250 »Wie so oft springt auch hier eine vorläufige Funktion ein und trägt die Innovation, bis sie so weit entwickelt ist, dass sie ihre endgültige Funktion übernehmen kann.«251 Denn dieses Medium funktioniert sozial nur, wenn man Beobachter voraussetzen kann, die das Bild in Form der Beobachtung 2. Ordnung beobachten, also die Formen am Werk als Formen beobachten können. Und genau damit hatte die Bildtheologie zu kämpfen, wie bereits an anderer Stelle deutlich wurde. Die Codierung der Kunst legt am gekoppelten Werk die Kommunikation einer imaginären Realität nahe, die durch den Bildrahmen nur in ihrer Sichtbarkeit, aber nicht in ihrer Realität beschränkt ist.252 Frühe Bildexperimente finden sich

248 Wir knüpfen hier lose an die bekannte Differenz von diskontinuierlichem Raum/ kontinuierlichem Raum an, die sich zur Unterscheidung vormoderner und moderner Raumauffassungen weithin etabliert hat. 249 Siehe zu Eigenräumen der Funktionssysteme auch Rudolf Stichweh 2007, S. 162. 250 Siehe zur Evolution eines imaginären Raums für Kunst als preaddaptive advance auch Niklas Luhmann 1995d, S. 366f. 251 Niklas Luhmann 1998a, S. 260. 252 Und genau deshalb kann sie dies zum Thema machen, bspw. in denjenigen Genres, die es genau darauf anlegen. Der Zuweiser im Film »Das Leben des Brian« (1979) kann bspw. in Szene 20.2 sagen: »(Räusper) Kreuzigungsgruppe! Guten Morgen. Also, wir wollen ein netter Anblick sein, wenn wir jetzt durch die Stadt gehen. Also lasst euch nicht so hängen, Jungs. Haltet eine hübsche gerade Linie ein. Drei Längen zwischen euch und dem Mann vor euch. Und eine gleichmäßige Geschwindigkeit. Kreuze über eure linke Schulter. Und wenn ihr den Rücken immer schön gegen den Querbalken drückt, dann seid ihr im Handumdrehen da. Hmm?« Die Kunst ist nicht auf die Verwendung dieses Mediums verpflichtet, aber sie kann ihre Formen darin koppeln, wohingegen die Religion mit diesem Raum, wie man sieht, ihre Schwierigkeiten haben muss.

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insbesondere in den Illustrationen des Franzosen Jean Fouquet. Jesus vertreibt die Wechsler in Michael Pachers »Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel« (1471-1481) nicht nur aus dem Tempel, sondern aus dem Bild. Auch Jacopo Bassano schnitt den Raum der Kunst nur noch an, ein zufällig festgehaltener Blick, einem Schnappschuss gleich, bspw. »Der Weg nach Golgatha« (etwa 1545-1550). Das Bild wurde nach und nach zum Fragment kontingenter imaginärer Realität. Die Kommunikation von Kunst nutzte zunächst auch in diesem Fall den unmarked space, den das Bild als Ort (der Religion) aufwies. Sie konnte durchsetzen, dass Einrichtungsgegenstände am Bildrand an- und abgeschnitten waren und so durch die Ausschnitthaftigkeit des Bildes nahe legen konnte, dass die Welt außerhalb des Bildes weiterging. Eine vergleichbare Entwicklung zeigt auch der Roman, der nur noch einen Ausschnitt einer Welt zwischen zwei Pappdeckel klemmte.253 Im 15. Jahrhundert stabilisierte sich so ein neues Bildparadigma, das den Betrachter zum Augenzeugen einer imaginären Realität machen konnte. Das Medium des Bildes ist vermutlich die eigentliche Medieninnovation im Kontext der Ausdifferenzierung des Kunstsystems, die zwar durch den geometrisch-optischen Verbund der Linearperspektive betreut wurde, aber nicht darauf angewiesen war. Bspw. machte es für das Medium keinen Unterschied, ob in der semantischen Begleitung die Sehstrahlen, wie bei Alberti, vom Auge ausgesandt wurden oder, wie bspw. bei Leonardo, vom Auge empfangen wurden. Für das Medium war es selbst vernachlässigbar, ob die Kommunikation das Bild im Verstand des Künstlers auf dessen Erfahrung (Aristoteles) zurückführte oder bereits a priori (Neo-/Platon) vorhanden war. Die Kommunikation zeigte sich hier erstaunlich robust und konnte die imaginäre Realität selbst in der paradoxen Verwendung des Mediums erfolgreich anschlussfähig halten. Bspw. bei Matteo Zaccolini, der in seinem Traktat (o. O., ca. 1618-22) beschreibt, wie man den Schatten einer dargestellten Figur über den Bildrand hinaus wandern lassen kann, um den Eindruck zu erwecken, die Figur steige aus dem Bild.254 Die Spur der Linearperspektive und ihre semantischen Folgelasten werden im übernächsten Kapitel wieder aufgenommen. Zuvor soll ihre strukturelle Flankierung aufgezeigt werden.

253 Siehe bspw. Sternes »Tristram Shandy« (1759 und 1767). 254 »Come si descriva la figura che apparisca di quà della Tavola [...]«, Zaccolini zitiert nach Janis C. Bell 2003, S. 93.

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4.10 D ARSTELLUNGSAUTONOMIEN Trotz der Relativierung der Linearperspektive im vorangegangen Kapitel war die Linearperspektive von kaum zu unterschätzender Bedeutung für die Ausdifferenzierung eines Systems für Kunst. Ihre Bedeutung bestand allerdings nicht in der Ermöglichung eines räumlichen Eindrucks, sondern in der Legitimation der Darstellung und der damit einhergehenden Immunisierung der Darstellung in der Kommunikation gegenüber externen Darstellungsansprüchen. Durch den kommunikativen (!) Verweis auf die plausible geometrische Wahrheit der Bilddarstellung, unabhängig davon, ob diese nun »tatsächlich« bestand oder nicht, wurde im Kunstsystem eine zunehmende Aufhebung der Innovationssperren möglich. Die Kunst nutzte hier also sowohl die latente Sakralität der Mathematik und Geometrie als auch das symbolisch generalisierte »Proto-«Kommunikationsmedium der Wissenschaft selbst. Unter diesen Bedingungen konnten die Bilder der Kunst in der Kommunikation hohe Anschlussfähigkeit erreichen – aber keineswegs garantieren. Das Kunstsystem gewann so insgesamt einen Selbständigkeitsschub in Richtung Darstellungsautonomie, bei gleichzeitiger Wahrung des Leistungsverhältnisses mit der Religion. Diese Autonomie blieb jedoch preaddaptive advance, solange die Gesellschaftsstruktur keine übergreifende Verwendung für diese Autonomie hatte. Uccello musste 1436 ein Fresko im Florentiner Dom, auf dem nicht nur Sockel, sondern auch Pferd und Reiter entsprechend perspektivisch verkürzt waren, auf eigene Kosten erneut malen, da die Anwendung der Perspektive auf jeden Bereich gegen die Guten Sitten verstieß.255 Um 1503 kam es zwischen Isabella d’Este und Perugino zum Konflikt, da Perugino sich über die Darstellungswünsche der Auftraggeberin hinwegsetzte.256 An die Stelle tradierter Bilder traten nun zunehmend selbstproduzierte, die, wie man sieht, durchaus ihre Schwierigkeiten hatten, in der Kommunikation affirmativ zu bestehen. Die Kunst musste ihre Differenzen und ihre Bilder reproduzieren und diese gegen systemexterne Verfügungsgewalten durchsetzen. Dazu zählte zunächst, sakrale Bedeutungsträger wie Gold und Ultramarinblau, durch eigene Formbildungen im Medium des Bildes zu ersetzen. Dies vollzog sich nicht gegen religiöse Erfordernisse, sondern in deren Zusammenhang, bspw. wenn van Eyck den Goldhintergrund durch das funktionale Äquivalent des »Lichts« ersetzte.257 Wie bereits bei den Innovationen um Giotto angesprochen, wäre es auch in diesem

255 Vgl. Donat de Chapeaurouge 1983, S. 36. 256 Vgl. Charles Hope 1981, S. 308f. 257 Siehe hierzu Robert Suckale 2002, S. 277.

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Fall vorschnell, die Substituierung sakraler Materialien durch handwerkliches Können als Säkularisierung oder Zuwendung zur Wirklichkeit zu verstehen, wenn die Wirklichkeit stets dargestellte Wirklichkeit ist und zumal nicht irgendeine, sondern religiöse. Sowohl Gold als auch Licht stehen somit im religiösen Symbolzusammenhang, aber die Kunst kann hier einen eigenen Unterschied installieren. Nach Alberti gebührt die größere Bewunderung demjenigen, der den Glanz des Goldes durch andere Farben nachahmt.258 Maler, die mit Gold und Ultramarinblau arbeiten, nennen sich, so Leonardo, »fälschlich Maler«.259 Die Kunst substituierte das Gold durch handwerkliches Können und wechselte damit von kunstexternen Materialbestimmungen zu kunstinternen medialen Kapazitäten, ohne die strukturelle Kopplung mit Religion zu gefährden.260 Man verwendete zwar durchaus noch Gold, doch nun, wie Gustav Klimt, als künstlerisches Medium, bspw. zur Darstellung von vergoldeten Täfelungen oder Tapeten, die religiöse Konnotation war jedoch entfernt. Die Bewunderung sollte mithin aus der Kunst stammen, nicht aus dem Wert der Materialien oder deren religiöser Konnotation. Selbst der zeitliche Aufwand sollte sich der Kunst unterordnen.261 Die handwerklich übliche Festsetzung des Preises nach Materialkosten, Art (bspw. Kuppelausmalung) oder Anzahl im Falle von Skulpturen stieß im Kunstsystem zunehmend auf Widerstand, da die kunstinternen Differenzen, mit denen sich die Kunst nun beobachtete, nicht berücksichtigt wurden.262 Das Kunstsystem irritierte in der Folge seine gesellschaftliche Umwelt zur Rekonstruktion kunstinterner Differenzen, bzw. zu entsprechenden Kompensationsstrukturen. In den Vertragsbestimmungen zwischen Künstler und Auftraggebern traten im 15.

258 Vgl. Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 149. 259 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 59. 260 Dieser Aspekt wird sowohl bei Pierre Bourdieu 2000, S. 20, als auch bei Pierre Bourdieu 1995, S. 315, auf den Autonomisierungsprozess der Maler zurückgeführt: »[...] the effort of painters to assert their autonomy, notably by asserting their mastery of what they gained as their own in the division of labour of symbolic production – namely manner, form and style.« Allerdings widerspricht sich Bourdieu zwei Seiten später, wenn er diesen Aspekt nun auf gegenteilige Disktinktionsinteressen zurückführt: »If [...] interest in technique continually increases at the expense of attention to materials, it is undoubtedly [sic!, d. Verf.] because gold becomes rare and because the concern of the nouveaux riches to distinguish themselves leads to a rejection of the ostentatious display of wealth [...]«. 261 Siehe Francisco de Hollanda 1911 [1548], S. 269. 262 Vgl. Alessandro Conti 1988, S. 122.

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Jahrhundert entsprechend die Vereinbarungen über zu verwendende Materialien zunehmend zurück und wurden durch diese Formbildungskapazitäten ausgetauscht.263 Die Politik zog Künstler nun als Sachverständige zur Beurteilung von Kunstwerken und Auftragsvergaben an Künstler heran. Vor allem der Kunstmarkt machte Expertisen notwendig. In zivilen Gerichtsverfahren, die künstlerische Angelegenheiten verhandelten, wurden nun keine Gutachter mehr herangezogen, die der Zunft entstammten, sondern vermehrt Künstler.264 Denn über die Zunftregelung war es zuvor möglich, dass bspw. ein Töpfer über ein Gemälde zu urteilen hatte, was nur praktikabel war, solange die Bildproduktion gleichermaßen Handwerk war. Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems irritierte somit die soziale Umwelt zur Ausdifferenzierung von Beobachtungsstrukturen gegen die Stratifikation. Auch die Darstellungsautonomie des Kunstsystems musste gegen die primäre Differenzierungsform der Gesellschaft durchgesetzt werden. Solange Personen noch auf blauem oder goldenem Hintergrund arrangiert werden konnten, konnten die dargestellten Bildelemente auf die textlichen Vorlagen oder Bildkataloge abgestimmt werden. Bedeutsames konnte größer dargestellt oder besonders detailliert herausgearbeitet werden. Das Bildmedium wies hier jedoch mediale Beschränkungen auf. Es konnte zwar Ungleichzeitigkeiten265 und Unmöglichkeiten266 dulden, doch Leerstellen durfte das Tafelbild nicht aufweisen, das wäre ein paradoxer Umgang mit dem Medium gewesen, ebenso wie bspw. die Verbindung zweier Malmodi.267 Mit dem imaginären Raum des Bildes als Fenster war das Problem der Vollspezifikation gegeben. Die Simulation funktionierte nur, wenn es keine Leerstellen gab, an der die Simulation, bzw. das Medium, kollabierte.268 Das bedeutete auch, dass es innerhalb der Rahmung nichts Harmloses geben konnte, denn jeder Fleck, jeder Busch, jede Formentscheidung konnte im

263 Vgl. Michael Baxandall 1980, S. 24. 264 Vgl. ebd., S. 127. 265 Bspw. leeres Grab und Himmelfahrt in einem Bild, bzw. eine Person tritt im selben Bild mehrfach auf, bspw. Petrus in Masaccios »Zinsgroschen« (1425 bis 1428). 266 Bspw. reale und fiktive Person in einem Bild. 267 Man denke bspw. an Baselitz. Das Bild selbst oder die Darstellung ist freilich nicht paradox, nur in der Kommunikation kann Paradoxie beobachtet werden. 268 Ein paradoxer Umgang mit diesem Medium wird der Kunst dann mit den Vexierbildern gegeben sein.

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Code der imaginären Realität kommuniziert werden.269 Historisch entscheidend waren hier weniger die theologischen Fragestellungen, bspw. nach Körperhaltungen, sondern, einer These Baxandalls folgend, die Ausgestaltung der Hintergründe. Die Bildproduzenten mussten die mittelalterlichen Goldgründe durch medienkonforme, nichtbeliebige Landschaften oder Hintergründe ersetzen und hier notfalls Überlieferungslücken füllen.270 Ein beachtlicher Teil des Darstellungswandels war so einem Umstand geschuldet, der in den Darstellungen nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Etwas, was ikonologisch bedeutungslos war, erzwang als Folgelast medialer Innovation Veränderungen der Ikonologie selbst. Zunächst konnte die Kunst hier Ordnungsvorteile nutzen, die als »Dritte« aus der religiösen Differenz abfielen. Zu denken ist hier bspw. an Dekorationen, die, wie Giottos Seitenelemente in der Arena-Kapelle zeigen, durchaus im Zusammenhang mit beutenden Innovationen stehen konnten. Man kann auch Masaccios »Dreifaltigkeit« (1427) anführen, die die Heiligen traditionsgemäß im Profil, die Architektur jedoch perspektivisch wiedergibt. Solange die von Künstlern ausgedachten Hintergründe wahrscheinlich waren, wurden diese seitens der Kirche akzeptiert.271 Was wahrscheinlich war, ergab sich bspw. auch aus dem überlieferten Bilderkanon. Das Gebot der Wahrscheinlichkeit traf auch für diejenigen Darstellungen zu, die nicht naturgetreu oder der schriftlichen Überlieferung gemäß nachahmbar waren, bspw. Prophetenvisionen. Dolce schreibt hier: »[...] ordne die Dinge auf das genaueste so an, wie es in Wirklichkeit der Fall gewesen sein muss.«272 Gilio stellte dazu den Künstlern in seinem Traktat eigens eine poetica licenza aus.273 Daraus folgte, dass man durch Integration imaginärer Aspekte Bilder mit größerer Wahrheit erhielt. Aber dieses Ausgedachte ist noch immer fern jeder Kreativität zu verstehen. Auch die Wahrscheinlichkeit im Rahmen des Probabilismus darf weder im ma-

269 Auch dies zeigt der Inquisitionsprozess gegen Veronese. Der strukturelle Vorteil der Zeichnung zur Generierung von Abweichung und Erprobung künstlerischer Kommunikation wird an diesem Punkt noch einmal besonders deutlich. 270 Siehe auch Niklas Luhmann 1995d, S. 196, der in ähnlichen Zusammenhängen von den Notwendigkeiten spricht, »die Funktion des Ornaments durch die Nichtbeliebigkeiten der Füllung des imaginären Bildraums zu erfüllen, [...]« 271 Die Nähe zum Probabilismus der Moraltheologie ist hier unschwer zu erkennen. Siehe hierzu auch Christian Hecht 1997, S. 253. 272 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 43. 273 Giovanni Andrea Gilio 1961 [1564], S. 18f.

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thematischen Sinne noch im Sinne eines plausiblen Vorkommens in der Wirklichkeit gedacht werden. So wird bspw. eine These durch Verbot unwahrscheinlich – dennoch auf der Wahrscheinlichkeit der These zu beharren, war bspw. Grundlage des Häresieverdachts gegen Galilei, nicht aber dessen bekannte These.274 Die Kunst zeigte sich durch ihre Formbildungskapazitäten dazu in der Lage, die Bindungen an sakrale Materialien zu kompensieren und überzeugend der gesellschaftlichen Umwelt, bspw. der Religion, zur Verfügung zu stellen.275 Das heikle Verhältnis der Bildtheologie zur Materialität der Bilder mag diesen Prozess vereinfacht und mit den religiösen Darstellungsinnovationen um Giotto wesentlich begünstigt haben. Die Kirche war daher teilweise bereit, der Kunst weitreichende Freiheitsgrade in der Bearbeitung religiöser Motive zuzugestehen, deren Folgen gerade an diesem Austausch der »Aura des Sakralen gegen die neue Aura des Künstlerischen«276 zutage traten. Neues, und das bedeutet im vorliegenden Fall: neue Bilder, bedeuteten jedoch stets auch Abweichung. Das Neue stellte das Gegebene infrage, denn es war Abweichung von etwas sich bereits bewährt Habenden. Auch in der Rhetorik, die auf den Zuhörer bezogen ist, wurde bspw. Bekanntes dem Unbekannten vorgezogen. Das Neue wurde als Abweichung gefasst und sorgte eher aus diesem Grund für Irritationen und nicht aufgrund dessen, worin das Neue bestand. Das Kunstsystem verlangte jedoch gerade nach neuen Werken zur Reproduktion ihrer Kommunikation. Nur das Neue gefällt, wird es später heißen.277 Der Anschluss an Neues, wie es bspw. auch im Wissenschaftssystem institutionalisiert wurde, weist in der sozialen Umwelt jedoch eine eher hohe Rückweisungswahrscheinlichkeit auf. Philippus durfte nicht im Bett schlafend dargestellt

274 Siehe hierzu Benjamin Nelson 1977b, S. 169. Das Beispiel zeigt sehr schön, wie ein wissenschaftliches Ordnungsproblem an Stratifikation übergeleitet und verarbeitbar wird: Als Astronom, also als Gelehrter niederen Ranges, besaß Galilei gar nicht die Autorität, Aristoteles in Zweifel zu ziehen. Nicht nur die Aussage selbst, sondern auch der soziale Stand Galileis in der traditionellen Wissenshierarchie ist in dieses Phänomenfeld einzubeziehen. 275 Die Kunstgeschichte tut sich sehr schwer mit diesem Wechsel. Michael Baxandall 1980, S. 24f., spricht hier vom Aufkommen eines Bedürfnisses nach malerischer Technik, bzw. von »Komplexe[n] und verborgene[n] Ursachen«. 276 Hans Belting 1991, S. 538. 277 Im 16. Jahrhundert wurde die Forderung nach dem »Wunderbaren«, mit der die Literatur ihre imaginäre Realität programmiert, bereits durch die Forderung nach Neuheit ersetzt, so Baxter Hathaway 1968, S. 158.

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werden, Andreas nicht an einem Tisch speisend – und Landsknechte und Papageien hatten beim Abendmahl nichts verloren. Denn in theologischer Sicht war das Neue mit äußerster Vorsicht zu genießen, die Nähe des Neuen zur Neugier war zu groß. Neues wurde theologisch nur geduldet, wenn diese Gefahr durch einen moralischen Gewinn wettgemacht werden konnte.278 So legitimierte die beginnende Wissenschaft ihre Wissensproduktion, indem sie sich auf den Standpunkt der Produktion nützlichen Wissens zurückzog und so das curiositas-Verbot umging.279 Die soziale Umwelt gestattete die Darstellungsinnovationen des Kunstsystems also nur, solange diese Innovationen religiösen Nutzenerwägungen entsprachen und damit konforme Abweichungen waren. Die Darstellung zeitgenössischer Ereignisse fiel nicht darunter, so dass deren Thematisierung bis auf wenige Ausnahmen nicht stattfand.280 Im 15. Jahrhundert waren 90% der Bildproduktion, so die Schätzung, religiöser Thematik.281 Profane Malerei spielte keine Rolle und war auf Truhenmalerei und Geburtsteller beschränkt.282 Dies änderte sich im historischen Prozess. Die Bildproduktion wurde durch Bilderwartungen seitens der sozialen Umwelt zusehends heterogen. Man erwartete, dass sich örtliche Bürger oder Zunftvorsteher in Bildern darstellen lassen konnten, man konnte das eigene Porträt erwarten, ebenso wie die Aufwertung des Privaten durch ein Landschaftsbild. Unter diesen Bedingungen expandierte innerhalb weniger Jahrzehnte das für die Kunst Darstellbare und ihre Autonomie bestand gerade darin, dass sie sich nur noch selbst limitierte.283 Selbst unmoralische Bilder oder laszive Darstellungen

278 Curiosità, Wissbegier, bspw. in Bezug auf Luther, wurde seitens der katholischen Kirche nicht gerne gesehen und als minderschwere Ketzerei verfolgt. In vielen Inquisitionsverfahren diente dieser Begriff daher als Vorwurf, als entlastende Rechtfertigung trat er seit 1570 zurück. Vgl. Silvana Seidel Menchi 1993, S. 99f. 279 Vgl. Niklas Luhmann 1995c, S. 72. 280 Eine der wenigen Ausnahmen stellten die Fresken zur Bartholomäusnacht im vatikanischen Königssaal dar, die Papst Gregor VIII. noch im Jahr des Massakers zur feierlichen Erinnerung bei Vasari in Auftrag gab. 281 Siehe Wolfgang Brassat 2003, S. XX. 282 Vgl. Christoph Merzenich 2001, S. 11. 283 Vgl. Niklas Luhmann 1992a, S. 121. So, wie Wirtschaft bemerkte, dass man alles Verkaufen konnte, auch jenseitiges Seelenheil, so bemerkte die Kunst, dass sie alles darstellen konnte. Es dauerte jedoch, bis Kunst bemerkte, dass sie auch auf Formalspezifisches verzichten konnte, bspw. den Werkbegriff – ähnlich wie es auch bei der

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waren möglich, allerdings nur im Privaten, wo kirchliche Aufsicht nur eingeschränkt erfolgen konnte. Das als Darstellung Erreichbare erforderte nun andere Begrenzungen und förderte dadurch Nachahmungskonflikte hinsichtlich der Autorität der Tradition und der Moral. Sixtus V. ließ ein zufällig entdecktes laszives Gemälde selbstverständlich zerstören und den Maler, vermutlich Giovanni Baglioni, foltern.284 Die Verbreitung derber pornographischer Zeichnungen in Arzignano kostete 1566 Niccollò delle Sardelle den Kopf.285 Entsprechend gab man die Empfehlung, unmoralische Bilder abseits aufzubewahren, zu verhüllen und nur denjenigen zu zeigen, die ohnehin keine Skrupel besaßen.286 Doch obwohl man sah, dass ein Bild unmoralisch und anstößig war, band man es dennoch in die Kommunikation ein. Das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Kunst war hierbei nicht Ursache des Kommunikationserfolges, sondern Effekt der erfolgreichen Annahme der Kommunikation von Kunst.287 Der moralische Außenhalt der binären Codierung konnte so in Einzelfällen bereits aufgegeben werden, man denke an die berühmten Tragödien Crébillons, die ihrer ästhetischen Rechtfertigung, die sie verlangten, lange voraus gingen.288 Auch das Leben unmoralischer Menschen wird mit Miltons »Paradise Lost« (London, 1667) in der Kunst darstellbar. Die Kunst traute sich zu, sich jedem Thema nähern zu können, sie vertraute in ihr Gelingen. Auch für den Fall der Expansion der Darstellung zeigt sich die Peripherie als die Quelle der Innovationen, bspw. Venedig, vor allem aber die Malerei in den Niederlanden, wo Seestücke, Regentenstücke, Schützenstücke und später auch Stillleben und Landschaftsbilder den strukturellen Vorteil der Zeichnung wieder ins Gemälde zurückluden und die Bedeutung der Zeichnung relativierten. Vor allem das Landschaftsbild etablierte sich nach der Mitte des 16. Jahrhunderts, nicht ohne dabei vom reformationsbedingten Rückgang kirchlicher Bilderaufträge zu profitieren. Landschaften minimierten, wie die Zeichnung, bildtheologische Verantwortung und standen gleichfalls außerhalb unmittelbarer liturgischer oder höfischer Verwendung. Landschaftsmalerei bot so einer Kommunikation über Bilder gefahrlose Erprobung, und selbst wenn diese nicht gelang, blieb dies harmlos.

Wirtschaft eine Weile dauerte, bis sie entdeckte, dass ihr Medium gar keine Bindung an Gold benötigte. 284 Vgl. Holger Steinemann 2006, S. 433f. 285 Vgl. Philipp Fehl und Marilyn Perry 1984, S. 374. 286 So Giulio Mancini zitiert nach Herwarth Röttgen 1992, S. 7. 287 Vgl. Niklas Luhmann 1990a, S. 244. 288 Siehe hierzu Herbert Dieckmann 1968, S. 272.

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Die in diesem Kapitel beschriebene Darstellungsautonomie, also die langsame Durchsetzung der Bilder der Kunst gegenüber den Bildern der Religion – stets unter Wahrung des Interpenetrationsverhältnisses – betrifft auch die Verwendung der Methoden. Andrea Mantegna beließ es in seinem Fresko der »Mariae Himmelfahrt« für die Ovetari-Kapelle in Padua bei 8 Aposteln. Die Witwe des Stifters dieses Freskos strengte 1457 einen Gerichtsprozess gegen Mantegna an, da für das vereinbarte Honorar zu wenige Apostel dargestellt worden waren. Der Ausgang des Prozesses ist nicht überliefert, jedoch die zwei Argumente des Sachverständigen Pietro da Milano. Dieser rechtfertigte die unübliche Apostelanzahl, und zwar zum einen mit dem fehlenden Platz und zum anderen mit den Erfordernissen der perspektivischen Konstruktionsweise.289 Beide Argumente thematisierten methodische Erfordernisse – Erfordernisse der Kunst. Hier wird deutlich, dass versucht wurde, die Bilddarstellung gegen religiöse Anforderungen und Ansprüche der Auftraggeberin durchzusetzen, und zwar mit Begründungen, die der Kunst selbst entstammten. Doch auch die linearperspektivische Projektion musste sich langfristig den Bildern der Kunst unterordnen und konnte dadurch ihre latente Sakralität und Wahrheitsfähigkeit nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung stellen. Dies gefährdete jedoch gerade jene Immunisierungsstrategie, die den hier beschriebenen Prozess der Darstellungsautonomie abgesichert hatte. Es gilt dazu, den bereits

289 »Respondit quod convenienter judicio ipsius testis non poterant fieri in totum figure duodecim apostolorum jntegre, attenta parvitate loci, et attento quod dicte figure cum magna arte facte sunt sed verum est quod potuissent fieri vultus aliquorum apostolorum post terga illarum figurarum, sed judicio ipsius testis attenta arte prospective non condigne stetissent«, so Pietro da Milano zitiert nach Erice Rigoni 1970, S. 62f. Zwar wurde das Fresko nicht um zusätzliche Apostel erweitert, daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass Mantegna den Prozess gewann. Die Vermutung liegt nahe, dass Mantegna nur einen Teil seines Honorars bekam. Siehe zu diesem Prozess auch Karl Möseneder 1997, S. 102, der hier jedoch den Nachweis für ein Qualitätskriterium des künstlerischen Individualstils, für das »subjektive ästhetische Formziel«, sieht, obgleich beide Argumente, der fehlende Platz und die Erfordernisse der perspektivischen Konstruktionsweise, auf Gründe verweisen, die dem Künstler extern sind. Die Darstellung wird so im Rückblick als Intention dem Künstler zugerechnet, anstelle das Problem in der Kontingenz der Darstellung zu verorten, für das das Bild Mantegnas eine Lösung darstellte, und zwar eine Lösung, die ihre Bedeutung gerade dadurch erhielt, dass andere Möglichkeiten, 12 Apostel, nicht selegiert wurden. Und Letzteres ist soziologisch interessant.

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angesprochenen Hiatus zwischen semantischer Begleitung, Verfahrenstechnik und Bildproduktion weiter zu verfolgen.

4.11 F OLGELASTEN

DER

L INEARPERSPEKTIVE

Weder die Kommunikation von Bildraum noch des Bildes als Fenster ist notwendigerweise auf geometrische Projektion angewiesen. Es wundert daher nicht, dass die Semantik der Linearperspektive bereits in der Generation nach Alberti strukturell unter Druck geriet, begann, ihre Beschreibungsfähigkeit einzubüßen und aus diesem Grund schließlich blockiert werden musste. Das mag nicht wundern, denn freilich ist die Linearperspektive nicht dazu in der Lage, den Sehvorgang zu imitieren. Aber nicht diese Feststellung ist das soziologisch Interessante, sondern die historische Voreingenommenheit, dass die Linearperspektive dies als vera scienza konnte und aufgrund ihrer Halbsakralität in gewisser Weise können musste. Die Perspektive sicherte die Wahrheit und damit die Moral des Bildes ab und unter diesem Gesichtspunkt wurde sie nicht nur von den Künstlern gewürdigt, sondern bspw. auch von Nikolaus von Kues.290 In denjenigen Traktaten, die sich nicht explizit mit der linearperspektivischen Konstruktion auseinandersetzten, wurde die Linearperspektive zwar stets gefeiert und gelobt – aber damit war die Auseinandersetzung häufig auch abgeschlossen. Leonardo interessierte sich bspw. in seinem Traktat durchgängig nur für Optik, die Perspektive kommt kaum zur Sprache und wird darüber hinaus deutlich gegen die Optik abgegrenzt.291 Leonardo führte so mit der Differenz von Optik/Perspektive eine Unterscheidung ein, die zuvor nicht in dieser Form bestand, denn die Perspektive galt als Anwendung der Optik und nicht von dieser

290 Für Nikolaus von Kues war die Perspektive ein Mittel, die menschliche Mangelausstattung zu kompensieren: »Jemandem, der dies alles betrachtet, wird offenbar, was in den mechanischen und freien Künsten und in der Ethik vom Menschen entdeckt wurde. Denn allein der Mensch hat entdeckt, wie eine brennende Kerze das Fehlen des Lichtes ausgleicht, so dass er sieht, und wie man bei schlechtem Sehen durch eine Brille abhilft, wie man optische Täuschungen durch die Kunst der Perspektive korrigiert, [...]«, so Nikolaus von Kues 1966 [1463/64], S. 701. 291 Siehe Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 450. Auch Martin Kemp 1987, S. 420, bemerkt ein ambivalentes Verhältnis in Leonardos Traktat.

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zu trennen.292 Diese Unterscheidung machte aus Sicht der Optik entsprechend wenig Sinn, aber sie wurde künstlerisch notwendig. Um 1485 bemerkte Leonardo Abweichungen zwischen dem bildlichen Ergebnis der Anwendung der geometrischen Projektion und dem wahrgenommenen Objekt, ein Problem, dass ihn über die nächsten Jahrzehnte beschäftigte.293 Nach vielfältigen Experimenten kam Leonardo schließlich zu dem Schluss, dass die Linearperspektive die Welt nicht so wiedergeben konnte, wie sie dem Auge erschien.294 Nach den Erwartungen, die er gegenüber der Wahrheitsfähigkeit der Linearperspektive hegte, wundert es nicht, wenn Pietro da Novellara 1501 in einem Brief an Isabella d’Este schrieb: »In brief, his mathematical experiments have made painting so distasteful to him that he cannot even bear to take up a brush.«295 Freilich griff Leonardo schließlich doch wieder zum Pinsel und wendete sich einer Maltechnik zu, mit der bereits Jan van Eyck um 1430 zu experimentieren begonnen hatte, dem chiaroscuro. In seinem Spätwerk jedoch machte sich ein »Antiperspektivismus« breit – man denke bspw. an »Mona Lisa« (um 1503 bis 1505).296 Uccello, so berichtet Vasari, zerbrach gar als Künstler an den Problemen der Perspektivdarstellung: »Paolo Uccello would have been the most gracious and fanciful genius that was ever devoted to the art of painting, from Giotto’s day to our own, if he had laboured as much at figures and animals as he laboured and lost time over the details of perspective [...] This

292 Sehr deutlich auch in einer Notiz zur Vorbereitung des Traktats über die Malerei, Leonardo da Vinci 1883a, S. 16. In den folgenden Notizen wird die Optik zwar unter dem Begriff der Perspektive behandelt, bleibt aber deutlich Optik und von der Perspektive unterschieden. Siehe als Beispiel für diese Begriffsverwirrung ebd., S. 32. 293 Vgl. Kim H. Veltman 1986a, S. 321ff. Interessant ist auch Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 233: »Warum ein Gesicht, wenn man es (nach der Natur) abmisst und in derselben Größe malt, größer aussieht, als das Naturvorbild.« Über den Unterschied zwischen binokularem und monokularem Sehen schrieb er S. 229: »Und eine Malerei wird nie diese beiden Verschiedenheiten in sich enthalten. [...] Es ist unmöglich, dass eine Malerei, ahme sie ihren Gegenstand auch mit höchster Vollendung in Linienzeichnung, Schatten, Licht und Farbe nach, je mit demselben Relief ausgestattet erscheinen könne, wie das Naturvorbild, außer es würde dieses aus weitem Abstand mit nur einem Auge betrachtet.« 294 So Kim H. Veltman 1986a, S. 357. 295 Zitiert nach ebd., S. 325. 296 Siehe für Leonardo Luciano Bellosi 1988, S. 234.

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man, endowed by nature with a penetrating and subtle mind, knew no other delight than to investigate certain difficult, nay, impossible problems of perspective [...]«297

Auch Piero della Francesca hatte, so Boehm, die Perspektivkonstruktion zwar lehrbuchmäßig beherrscht »dennoch im Traum nicht daran gedacht, seine Bilder insgesamt dem Perspektivischen zu unterwerfen.«298 Man kann den hier anklingenden Sachverhalt weiter spezifizieren, wenn man ihn von Bildern zeigen lässt. Ein typisches Beispiel sind die völlig korrekt linearperspektivisch konstruierten Architekturdarstellungen von Hans Vredeman de Vries. Doch er führte immer dann zusätzliche Fluchtpunkte über der Horizontlinie ein, wenn das Bild, so scheint es, andernfalls falsch oder merkwürdig ausgesehen hätte.299 Auch die Gemälde anderer Künstler verwendeten so immer dann mehrere Fluchtpunkte oder auch Horizontlinien, wenn die Darstellung dies erforderlich gemacht zu haben scheint.300 Im Falle eines Freskos von Masaccio kann die Verwendung von zwei Fluchtpunkten zwar gerade noch mit sehr viel Mühe durch die Kunstgeschichte als intentional erklärt werden,301 bei Veroneses »Hochzeit von Kana«, das über 10 Fluchtpunkte verfügt, muss sie vermutlich passen.302 Eine weitere verbreitete Abweichung von der linearperspektivischen Konstruktion war es, den Fluchtpunkt über der Horizontlinie anzubringen, anstatt auf ihr. Dafür steht ausgerechnet dasjenige Gemälde Pate, das gemäß der Fachliteratur303 beispielhaft den Regeln der Linearperspektive folgen soll: Raphaels »Schule von Athen« (1510/11). Nicht nur, dass sich hier der Fluchtpunkt nicht auf der Horizontlinie befindet, der optimale Standpunkt, den der Betrachter für dieses Bild einnehmen müsste, befindet sich nicht einmal im selben Raum. Entscheidend ist jedoch, dass zwar die Architektur perspektivisch konstruiert wurde, nicht aber die dargestellten Personen, diese wurden in ihrer jeweiligen Körperperspektive wiedergegeben. Man kann dies leicht selbst auf der rechten Seite des

297 Giorgio Vasari 1912b [1568], S. 131. Siehe auch John White 1987, S. 204f. 298 Gottfried Boehm 1999, S. 172. 299 Bspw. bei »Palastarchitektur mit vornehmen Besuchern« (um 1596) und »Palastarchitektur mit Badenden« (um 1596). 300 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Demonstration von James Elkins 1991, S. 62, wie Jan van Eycks »Lucca-Madonna« aussehen würde, wäre sie den Regeln entsprechend gemalt. 301 Die beiden Fluchtpunkte werden als die beiden Welten interpretiert, denen Maria angehört, so die Interpretation von Hans Belting 2008, S. 198f. 302 Siehe hierzu John White 1987, S. 204f., und Lev F. Žegin 1982, S. 44. 303 Stellvertretend für viele sei auf Werner Hofmann 1998, S. 63, verwiesen.

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Bildes nachprüfen. Dort werden zwei Globen von Philosophen in Händen gehalten: Die Globen sind rund und nicht perspektivisch verzerrt, was sie sein müssten.304 Auch die dargestellten Philosophen müssten freilich grundsätzlich der Verzerrung unterliegen. Das Bild weist damit nicht eine, sondern viele Perspektiven auf. Auch in der kühnen Untersicht in Mantegnas »Beweinung Christi« (um 1490) tritt die Perspektivforderung zugunsten der Darstellung zurück.305 Die Liste ließe sich fortsetzen.306 Es ist durchaus anzunehmen, dass die Künstler in Rechnung stellten, dass zwischen dem nach allen Regeln der Kunst und der Geometrie erstellten Bild und dem Bild, das es darzustellen galt, ein Hiatus klaffte. Die linearperspektivische Konstruktion wurde somit stets ausgesetzt, wenn die Darstellung medial zu kippen drohte – und das bedeutet, wie bereits erwähnt, dass es nicht die Perspektive war, die auf den Betrachter bezogen war, sondern das Bild. Wir sehen damit im ambivalenten Verhältnis zwischen geometrischer Projektion und Darstellung einen Zusammenhang, gehen also nicht davon aus, hier sei lediglich die Unkenntnis der Maler am Werk gewesen.307 Bereits Piero della Francesca hatte in seinem Traktat angemerkt, dass die Fähigkeit der linearperspektivischen Konstruktion zur Repräsentation der Wirklichkeit abhängig vom Blickfeld des Betrachters sei. Damit war nicht der Augpunkt gemeint, sondern der Winkel der Projektion. Wählte man einen zu großen Winkel, dann erhielt man ein verzerrtes Bild. Bilder mit weitem Winkel mussten vermieden werden und die Vexierbilder werden dieses Phänomen künstlerisch

304 Diese Verzerrung bestünde jedoch nicht einfach in einer elliptischen Form. Die Verzerrung einer Kugel durch die Linearperspektive produziert keine Ellipse, da die hintere Hälfte einer Kugel im linearperspektivischen Raum nicht mit der vorderen Hälfte kongruent ist. Siehe hierzu Maurice Henri Pirenne 1970, S. 116ff., mit weiteren Experimenten. Auch Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 112, hatte auf diese Verzerrungen aufmerksam gemacht: »Willst du in einer Höhe eine runde Kugel darstellen, so musst du sie länglich machen, [...]«. 305 Legt man dem Bild einen gewöhnlichen Bildraum zugrunde, dann ist entweder der Kopf überdimensioniert oder es sind die Füße zu klein. 306 Siehe hierzu auch Donat de Chapeaurouge 1983, S. 36f. Für weitere Beispiele siehe James Elkins 1994, S. 56ff., und insbesondere S. 140ff. Man bemerkt an dieser Stelle die Schwierigkeiten, die Elkins damit hat, einerseits die Intentionalität der oben beschriebenen Phänomene zu negieren und latent in Form von Optikvernachlässigung dennoch in Rechnung zu stellen. 307 So jedoch Elkins, ebd., S. 143f.: »[...] they didn’t think of their paintings in that way.«

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zu verarbeiten wissen. Aber bis dahin standen die Künstler vor dem Problem, dass die Linearperspektive von einem dritten Wert abhängig war, der mit dem der Linearperspektive zugeschriebenen Wahrheitsanspruch konfligierte. Eingeschlossene ausgeschlossene Dritte erhöhen die Unsicherheit auf struktureller Ebene immens und nötigen das System zum Aufbau von Komplexität, die die Struktur absichern kann. Dies gelang dem Kunstsystem, wie noch deutlich werden wird, mit der Ausdifferenzierung einer Kontingenzformel, die genau an diesen Korrespondenzproblemen ansetzte. Zunächst lief hier Kommunikation noch unter der Sonderbedingung ab, dass man diese Problemstellung dem vollendeten Bild nicht in jedem Fall ansehen musste. Solange man Pieros Ratschlag folgte und Weitwinkel mied, erhielt man sich Bilder, die eine Zurechnung der Wahrheitsfähigkeit weiterhin ermöglichten, latent aber kein Produkt der Linearperspektive waren, sondern der Kunst, die die Linearperspektive hier auf das reduzierte, was ihr Ursprung gewesen war: eine malerische Konstruktionshilfe. Damit stellt sich im vorliegenden Zusammenhang die Frage, wie die augenscheinliche Unzulänglichkeit der Linearperspektive zur Produktion wahrheitsfähiger Bilder kommuniziert wurde. Die Abkehr der Künstler von der geometrischen Projektion, wie man sie stilgeschichtlich dem sog. Manierismus zuweist, erfolgte interessanterweise ohne Begleitung in den Traktaten. Womöglich wollte man sich den Statusgewinn durch die Aufwertung zur Wissenschaft erhalten. Allerdings verfügten auch nur wenige Künstler über das nötige Hintergrundwissen, die Implikationen dieses Problems zu begreifen. Denn Künstler mussten nicht wissen, wie die Linearperspektive funktioniert, um sie zu verwenden.308 Der Druck zum Aufbau einer Alternativsemantik, die die Kommunikationsstrukturen am Bild begleiten konnte, hielt sich insgesamt in Grenzen.309 Wissen wird erst dann notwendig, wenn Störungen auftreten. Da die Konstruktionsweise des linearperspektivischen Bildes ohnehin im vollendeten Gemälde aufging, war der Personenkreis klein, der überhaupt darüber sprechen konnte. Allgemein war die Bildung bei der überwiegenden Mehrheit der Künstler nicht besonders hoch. Insbesondere fehlten die notwendigen Sprachkenntnisse, um sich das hauptsächlich nur lateinisch zur Verfügung stehende Wissen im

308 Das bemerkte bereits Giorgio Vasari 1913 [1568], S. 65: »[...] architecture, a science which has not been practised for several years past save by carvers and cunning impostors who profess to understand perspective without knowing even its terms or its first principles.« 309 Und ohne Alternative konnte kein Paradigmenwechsel ausgelöst werden. Siehe hierzu bspw. Thomas S. Kuhn 1970, S. 144ff.

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Bedarfsfall aneignen zu können, ein freier Zugang zu entsprechenden Werken vorausgesetzt. Bereits die Proportionenregel wird die meisten Künstler überfordert haben.310 Auf Dürers »Underweysung der Messung, mit dem Zirckel und Richtscheyt« (Nürnberg, 1524) folgte eine von Hieronymus Rodler hinsichtlich des Bildungsstands der Zielgruppe bewusst vereinfachtes Lehrbuch zur Perspektive: »Eyn schön nützlich büchlin und Underweysung der kunst des Messens...« (Simmern, 1531), das jedoch die Technik der Perspektivkonstruktion nicht nur äußerst vereinfacht, sondern zum Teil falsch wiedergab.311 Selbst Lomazzo lehnte die technischen Anweisungen von Alberti und Dürer als zu komplex ab.312 Nichtsdestotrotz, die Kehre der Künstler wurde durchaus bemerkt und beklagt, und zwar in den Traktaten der Mathematiker. Daniel Barbaro wunderte sich im Vorwort seines Traktates, weswegen die Künstler die Perspektive geradezu verachten, »per non dire sprezzata«,313 wo sie doch so nützlich sei. Und Stevin bemerkte in seinem Traktat: »Einige Meister des perspektivischen Zeichnens sind der Auffassung, dass man beim perspektivischen Zeichnen die Regeln dieser Kunst nicht perfekt befolgen sollte, sondern manchmal etwas angenehmer darstellt, das gegen die Regel verstößt [...]«.314 Bis weit ins 18. Jahrhundert wurden zur geometrischen Projektion zahlreiche Traktate veröffentlicht, die sich zum Teil ausdrücklich an Maler richteten und diese zur Korrektur ihrer Malweise aufforderten, bspw. Giambattista Benedettis »Diversarum speculationum mathematicarum et physicarum liber« (Turin, 1585) oder auch Johann Zambertis »La pratica della prospettiva; opera molto profittevole a pittori, scultori et architetti« (Venedig, 1559), der insbesondere Piero della Francescas Fehler zu korrigieren versuchte. Auch im Kontext der Académie royale de peinture et de sculpture schien zuerst eine Aufwertung der Malerei zur Wissenschaft mithilfe der Linearperspekti-

310 So beklagte sich bspw. Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 207, dass viele Künstler ein einjähriges Kind mit den Proportionsregeln für Erwachsene malen. 311 Vgl. Erwin Panofsky 1977, S. 337. 312 Siehe Marilena Z. Cassimatis 1985, S. 26. 313 Daniel Barbaro 1569, S. 3: »Percioche si come ella ha molte, & merauigliose ragioni nell’uso, & essercitio suo molto utili a Pittori, Scultori, & Architetti, cosi molto abandonata, per non dire sprezzata, & fuggita si troua da quelli, a i quali è piu necessaria, che ricercata.« 314 Simon Stevins 1958 [1605], S. 957: »Ettelicke meesters in dadelick verschaeuwen, houdent daer voor, datmen int verschaeuwen niet heel volcomelick en moet navolghende reghelen deser const, maer somwijllen wat behaghelicker voor t’oogh stellen dat teghen de reghel gaet [...]«

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ve verlockend gewesen zu sein, wie ein um 1648 in zahlreichen Veröffentlichungen ausgetragener Konflikt um die Linearperspektive zeigt. Erst in diesem Zusammenhang wurde bspw. Leonardos »Traktat über die Malerei« erstmalig veröffentlicht, um den Argumenten der Befürworter der Perspektivkonstruktion um Abraham Bosse Nachdruck zu verleihen.315 Doch auch an der Académie wurde sehr schnell deutlich, dass die wissenschaftliche Beschreibung der Kunst an der Kunst vorbeiführt. Damit ging auch in Frankreich die Beschäftigung mit geometrischen Projektionen auf die Mathematik, unter anderem Gérard Desargues, über. Ganz ähnlich war die Situation zu dieser Zeit auch in den Niederlanden.316 Die Mathematiker zeigten sich irritiert. Man forderte von den Künstlern vehement, nicht das zu malen, was man sah, sondern das, was sich aus der Konstruktion ergab.317 Die Differenz ist eindeutig: Während die Mathematiker wahre Projektionen bevorzugten, hatte für die Künstler die Darstellung Priorität. Die vielfältigen Experimente der Künstler zur Perspektive, bspw. noch um 1650 im Umfeld von Johannes Vermeer und Carel Fabritius zeigen, dass durchaus nach eigenen Alternativen gesucht wurde,318 die geometrische Wahrheit an das Bild der Kunst zurückzubinden. Doch dies konnte nicht mehr gelingen, da die Entwicklung der Geometrie im 17. Jahrhundert zunehmend inkommensurabel für Kunst wurde. Denn in den mathematischen Traktaten zur Linearperspektive rückte die Optik immer weiter in den Hintergrund. Ein anschauliches Beispiel bietet Abraham Bosse, der in manchen Zeichnungen zur Perspektive die Sehstrahlen, die vom Objekt zum Auge führen, durch Schnüre ersetzte, die von einer Hand gehalten werden. Bei Gérard Desargues »Exemple de l’une des manières universelles du SGDL touchant la practique de la perspective sans emploier aucun tiers-point, de distance ny d’autre nature, qui soit hors du champ de l’ouvrage« (Paris, 1636) spielte Optik keine Rolle mehr.319 Der Vorstellung des Bildes als Schnitt durch die Sehpyramide wurde entsprechend nicht mehr gefolgt. Stattdessen verfolgte man die Projektion eines Objekts auf die Fläche des

315 Bei Jacques Langlois 1651 in Paris von Roland Fréart Sieur de Chambray als »Traitté de la peinture de Leonardo de Vinci. Donné au public et traduit d’Italien en François par R. F. S. D. C.« herausgegeben. Siehe bzgl. der posthumen Auswahl und Zusammenstellung des Traktates durch Leonardos Schüler Francesco Melzi Claire J. Farago 2003. 316 Vgl. Arthur K. Wheelock 1977, S. 1. 317 Siehe hierzu ausführlich ebd., S. 70ff. 318 Vgl. ebd., S. 1. 319 Siehe Gérard Desargues 1636.

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Bildes und in einem zweiten Schritt die Projektion dieser Fläche zum Betrachter. Optik wurde durch geometrische Abstraktion substituiert. Ausschlaggebend waren im Kunstsystem jedoch noch immer das Medium des Bildes und dessen Begleitung durch optische Hilfstheorien, bspw. den Schnitt durch die Sehpyramide. Auch das künstlerische Grundproblem der Linearperspektive war durch Optik gegeben: Binokularität. Die Binokularität verhindere, so Leonardo, »dass etwas Gemaltes so rund aussähe, dass es einem Spiegelbilde vollkommen gleichkäme, ist trotzdem, dass sich Beide auf ebener Fläche befinden, ganz unmöglich, außer man sähe das Spiegelbild mit nur einem Auge an.«320 Für die Kunst gewährleistete die Optik nicht nur die Kompatibilität der geometrischen Projektion, sondern überhaupt die Möglichkeit zur Übernahme der geometrischen Projektion.321 Insoweit musste im Kunstsystem die angemahnte geometrische Projektion der Projektion negiert werden. Die Bildproduzenten standen vor einer zentralen Paradoxie: Entweder man hielt sich an die geometrische Projektion, um geometrisch wahre Bilder zu erstellen, oder man verzichtete auf die geometrische Wahrheit zugunsten des subjektiven Eindrucks, dass das Bild »richtiger« ausschaute, obwohl es »falscher« war.322 Die Möglichkeit zur Welterkenntnis durch die Perspektive war erschüttert. Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man vermutet, dass die sachverständigen Künstler durch diese Paradoxie gehörig irritiert wurden und mit einer veränderten Erwartungshaltung, der semantisch Rechnung zu tragen war, konfrontiert wurden. Bei Lomazzo findet sich denn auch die erste Relativie-

320 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 112. 321 Dantis Kommentar zu Vignolas Traktat ist aufschlussreich, denn Danti merkte an, dass die Linearperspektive nur funktioniere, wenn man weder Auge noch Kopf bewege. Da er die Bewegung des Auges als wesenhaft ansah und bspw. mit der Kugelförmigkeit des Auges begründete, müsste Danti, so Wheelock, zu dem Schluss kommen, dass die Linearperspektive nicht dazu in der Lage sei, die Wirklichkeit so wiederzugeben, wie sie sich einem Betrachter zeige. Diesen Schluss zog Danti nicht, vermutlich, weil es ihm nur um die geometrische Projektion und Optik ging, aber nicht um Bildflächen. Vgl. Arthur K. Wheelock 1977, S. 150ff. 322 Dieses Phänomen wird auch von Nelson Goodman angesprochen: »Nach den pikturalen Regeln zeichnet man Eisenbahnschienen, die sich vom Auge weg erstrecken, konvergierend, Telefonmasten dagegen (oder die Kanten einer Fassade), die sich vom Auge nach oben erstrecken, zeichnet man parallel. Nach den ›Gesetzen der Geometrie‹ müssten die Masten auch konvergierend gezeichnet werden. Zeichnet man sie aber so, dann würden sie genauso falsch aussehen wie parallel gezeichnete Eisenbahnschienen«, so Nelson Goodman 1997 [1967], S. 27.

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rung des linearperspektivisch konstruierten Raumes: Der konstruierte Raum dürfe gegenüber dem Gefühlten zurücktreten.323 Damit kollabierte das Bild als Schnitt durch die Sehpyramide. Das Bild der Kunst, das Kunstwerk, ging vor. Aber dann musste erklärt werden können, wie es sein konnte, dass in der Welt, die Gott nach Mass und Zahl geordnet hatte, ein Graben aufbrach. Dieser Realitätsbruch entließ die Kommunikation des Imaginären der Kunst.324 Dem Kunstsystem brach mit dem Verlust der wissenschaftlichen Wahrheit, wie einem Jumbojet, das Fahrgestell weg, doch die Geschwindigkeit war bereits hoch genug den Take-off fortzusetzen. Der Verlust der Außenlegitimation des Kunstsystems in wissenschaftlicher Wahrheit verpflichtete die Kunst auf Autonomie. Anders formuliert: Der Verlust der Wahrheitsfähigkeit ist Bedingung ihrer Autonomie.325 Das bedeutet nicht, dass die Kunst nicht weiterhin auf Wahrheitsfähigkeit plädierte, noch Constable, und nach ihm viele weitere, beharrten darauf, dass Kunst Wissenschaft sei und als eine Erforschung der Naturgesetze betrieben werden müsse. Man denke hier auch an die Forderungen der Pointillisten oder Kubisten. Aber diese Erkenntnismöglichkeit ist, da sie sich der Möglichkeit zur Falsifikation entzieht, nicht mehr im Wissenschaftssystem anschlussfähig, sondern nur noch im Kunstsystem – das ist der Unterschied.326

323 So Marilena Z. Cassimatis 1985, S. 70. 324 Bei Arnold Gehlen 1960, S. 12, findet man eine ähnliche Beschreibung mit anderer Gewichtung: »Denn Illusion in dem hier gemeinten Sinne ist der Ausdruck für diesen geistigen Realitätsbruch, für die zwingende optische Präsenz eines wortunfähigen Zusammenhangs zwischen dem Bild und dem, was in ihm aufgeht, so dass das Bewusstsein plötzlich in eine andere Ebene umspringt; was ihm dann erscheint, ist ein ganz Äußerliches und Objektives, das sich ihm aber doch in geistig sichtbarer Vollständigkeit zuwendet, wenn es in jenem Bruch des Wirklichkeitsbewusstseins einen selbst ungebrochenen Einstrahlungspunkt in den Menschen findet.« 325 Hans Blumenberg 1964, S. 26, schreibt in ähnlichem Sinne: »Dass die Dichter lügen, wird erst als vollends überwunden erachtet, wenn sie nicht einmal mehr das Gegenteil dieser These in Anspruch nehmen, nämlich ›die Wahrheit zu sagen‹, sondern bewusst die Enge der Antithese und die Spielregeln von Wirklichkeit überhaupt durchbrechen.« 326 Galilei sprach der Dichtung jede Erkenntnismöglichkeit ab: Die Natur lüge nicht – und setzte damit gleichzeitig ein wissenschaftliches Programm in Gang. Siehe Galileo Galilei 1953 [1623], S. 125: »[...] la natura non si diletta di poesie: proposizion verissima, ben che il Sarsi mostri di non la credere, e finga di non conoscer o la natura o la poesia, e di non sapere che alla poesia sono in maniera necessarie le favo-

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Eine Kunst, die sich von Geometrie und Mathematik emanzipierte, ließ damit auch den Anspruch auf Erkenntnis, der mit diesen und über diese Konzepte in die Kunst Einzug gehalten hatte, zurück. Die Wahrheit, die die Kunst nun noch haben konnte, war eine leere Form, denn es fehlte der Gegenbegriff: »[...] the poet, he nothing affirmeth, and therefore never lieth.«327 Aus Sicht der Wissenschaft irrationalisierte sich die Kunst geradezu.328 Irrationalisierung heißt dann, die Möglichkeit, Verschiedenartiges zueinander in ein Verhältnis zu setzen, zu vermeiden, Vieldeutigkeit und Unerschöpflichkeit zu bewahren. Für das Kunstsystem stellt sich nun grundsätzlich die Frage nach der Herkunft ihrer Bilder, die sie über die Semantik der Naturnachahmung in ihren Kommunikationszusammenhang ziehen musste. Anders formuliert: Was ahmte die Kunst nach? Und wichtiger noch: Wie war dessen moralischer und heilsgeschichtlicher Status, wenn die durch regelgeleitete Produktionsweise und halbsakrale symbolische Auszeichnungen garantierte Wahrheit nicht mehr ohne Weiteres eine Antwort bieten konnte?

4.12 N ATURÜBERBIETUNG Obwohl nun, Anfang des 17. Jahrhunderts, der Versuch mit der Zahl die Natur zu »beherrschen« seinen Siegeszug antrat, verzichtete die Kunst auf die vollständige linearperspektivische Konstruktion des Bildes zugunsten ihrer Bilder. Dies zeigt auch der Konflikt um Abraham Bosse an der Académie royale de peinture et de sculpture, der letztlich zum Ausschluss der Wissenschaft in Form der Linearperspektive aus der Kunst beitrug, denn eine Sitzung der Akademie legte 1653 fest: »Le temps n’a peu permettre de former entièrement la table des matières concernant la peinture, après en avoire desterminé les quatre partie principalle, qui sont le traict, le joure et ombre, la coulleure et l’expression [...]«329 Die Selbstbeschreibung der Kunst löste sich somit von ihrem wissenschaftlichen Anlehnungskontext. Mit Federico Zuccaros Traktat »L’ idea de’ pittori, scultori et architetti« (Turin, 1607) gelangte nicht nur die Tradition der Künstlertraktate an ihr Ende, sondern auch die Berufung der Künstler auf Wis-

le e finzioni, che senza quelle non può essere; le quali bugie son poi tanto abborrite dalla natura, che non meno impossibil cosa è il ritrovarvene pur una, che il trovar tenebre nella luce.« 327 Philip Sidney 1890 [1595], S. 35. 328 Vgl. Niklas Luhmann 1995d, S. 412. 329 Der Abdruck des Sitzungsprotokolls findet sich bei Anatole Montaiglon 1875, S. 76.

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senschaftlichkeit. Die Kunst der Malerei leitete ihre Grundprinzipien bei Zuccaro nicht mehr aus den mathematischen Wissenschaften ab und war nicht länger Tochter der mathematischen Wissenschaften, sondern der Natur und des zeichnerischen Entwurfs: »[...] ma dico bene, e so che dico il vero, che l’arte della Pittura non piglia i suoi principi, ne ha necessità alcunadi riccorrere alle Mathematiche scieze, ad imparare regole, e modi alcuni per l’arte sua, ne ancho per poterne ragionare on speculatione: però non è di lei figliuola, ma bene si della Natura, e del Disegno.«330

Der Begriff der Naturnachahmung wurde, wie man sieht, weiterhin kontinuiert, aber um welche Natur konnte es sich nun handeln, außer der Natur der Kunst? Nicht nur Künstler, auch Theologen standen vor diesem Beobachtungsproblem, so hieß es bspw. bei Savonarola: »Die Kunst ist ein Versuch, die Natur nachzuahmen; da sie dies nicht zu erreichen vermag, so bezeichnen wir als das Eigenartige an einem Kunstwerke das, was der Künstler schafft, ohne sich genau an die Natur zu halten.«331 Auch bei Pacioli war die Kunst nicht mehr zur naturgetreuen Nachahmung in der Lage, denn sie wäre dann von der Natur ununterscheidbar gewesen.332 Der Unterschied zwischen Natur und ihrem notwendigerweise unvollkommen nachgeahmtem Bild wurde bei beiden dem Künstler zugerechnet. Doch während dieser mimetische Mehrwert seitens der Kirche Misstrauen hervorrufen musste und entsprechend unter Bezug auf die Künstlichkeit negativ bewertet wurde,333 geriet der Kommunikation dieser Unterschied zum Positiv: als Kunst.

330 Federico Zuccaro 1961 [1607], S. 249f. 331 Hieronymus Savonarola 1928 [1496], S. 247. 332 So Luca Pacioli 1889 [1509], S. 299: »Denn die Kunst ahmt die Natur nach, soweit es ihr möglich ist, und wenn das Kunstwerk genau das, was die Natur gemacht, darstellte, so würde man es nicht Kunst, sondern eine andere, der ersten völlig gleiche Natur nennen, welche die nämliche sein würde. Dies sage ich, damit ihr euch nicht wundern sollt, wenn alle Dinge den Händen des Schöpfers nicht völlig gleichkommen, weil es nicht möglich ist.« 333 »Die Kunst ist ein Versuch, die Natur nachzuahmen; da sie dies nicht zu erreichen vermag, so bezeichnen wir als das Eigenartige an einem Kunstwerke das, was der Künstler schafft, ohne sich genau an die Natur zu halten. Man sagt daher auch im gewöhnlichen Leben von einem Maler, wenn er nicht getreu der Natur folgt, sondern seine Kunst zu stark hervorkehrt, er verfahre gekünstelt. Allen Menschen gefallen von Haus aus natürliche, d. h. einfache Werke besser als künstliche; die einfachen

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Das Imaginäre der Kunst trat in Konkurrenz zum Gegebenen und die Geometrie war nicht mehr dazu in der Lage, dieses Verhältnis an die Welt zurückzubinden. Der technische Verbund von Optik und Geometrie war semantisch ausgehöhlt. Der Strukturwandel erforderte den erneuten Austausch des Bezugs der Naturnachahmung. Dies lässt sich sehr schön durch einen Plotinkommentar von Ficino aus anderen Zusammenhängen aufzeigen. Plotins bekanntes Zitat zur Verteidigung der Künste lautete: »Wenn einer die Künste verachtet, weil sie bei ihren Hervorbringungen die Natur nachahmen, so muss man erstens sagen, dass auch die Naturen anderes nachahmen. Dann muss man wissen, dass die Künste nicht einfach das Sichtbare nachahmen, sondern zurückgehen zu den rational [das heißt durch klar erkennbare Unterschiede, d. Verf.] bestimmten Möglichkeiten, aus denen heraus auch die Natur schafft. Außerdem bringen sie auch vieles von sich aus hervor, und so fügen sie zum Beispiel, wo etwas einen Mangel hat, hinzu.«334

In Ficinos Kommentar wurde daraus jedoch: »Die Künste schaffen aus denselben Prinzipien, aus denen auch die Natur besteht und wirkt.«335 Das aber ist etwas ganz anderes, als das, was Plotin schrieb, nämlich dass sowohl die Künste als auch die Natur auf dasselbe Prinzip zurückgingen. Das gemeinsame Prinzip wurde von Ficino in die Natur selbst verlagert, als immanente Transzendenz. Doch die Kunst ahmte nun nicht diese Natur nach, sondern schuf aus dem selben Prinzip wie die Natur. Der Bezug der Naturnachahmung wurde dadurch invertiert und so bspw. aus der Analogie des deus artifex eine Entsprechung. Auf diese Weise wurde die Schöpfung nach und nach in den Künstler verlagert, er wurde alter deus. Ein schönes Beispiel findet man bei Vasari:

Werke sind die Werke Gottes, die Kunstwerke sind das Erzeugnis menschlicher Erfindung. Die Künstler suchen daher ihre Kunst möglichst zu verbergen, wie die Redner und Maler. [...] Und obwohl auch die Kunstwerke gefallen, so machen sie doch um so tieferen Eindruck, je sorgfältiger die Künstler die Natur wiedergeben und je weniger sie ihre Kunst in den Vordergrund rücken; [...]«, so Hieronymus Savonarola 1928 [1496], S. 247. 334 Plotin zitiert nach Arbogast Schmitt 1998, S. 161. Herv. teilw. i. O. 335 »quibus constat agitque natura«, so Ficino zitiert nach ebd., S. 162. Dies wird teilweise als Übersetzungsfehler interpretiert. Da das oben erwähnte Plotinzitat allerdings Ausgangspunkt von Ficinos Kunstphilosophie ist und dadurch im Zentrum seiner Überlegungen stand, ist anzunehmen, dass Ficino hier eher Plotin nach seinem Bedarf adaptierte, als einen Übersetzungsfehler zu begehen.

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»Thus, then, the first model whence there issued the first image of man was a lump of clay, and not without reason, seeing that the Divine Architect of time and of nature, being Himself most perfect, wished to show in the imperfection of the material the way to add and to take away; in the same manner wherein the good sculptors and painters are wont to work, who, adding and taking away in their models, bring their imperfect sketches to that final perfection which they desire.«336

Indem Vasari »the first model« auf einen »lump of clay« zurückführte – und nicht auf die idea in Gott! – entfernte er sich nicht nur weit von Theologie, sondern er ersetzte schlicht den platonischen Begriff der idea durch die Fachsprache der Kunst, »model« (modello) und »sketches« (disegno). Vasari transformierte die Schöpfungsgeschichte kunstmäßig. Seine Analogien von Gott als Bildhauer und Gott als Architekt zielten nicht mehr, wie bspw. bei Thomas von Aquin, auf die Idee, die dem Werk zugrunde lag, sondern auf den Herstellungsprozess; er richtete die Kunstkommunikation auf das Werk aus. Vasari invertierte das Verhältnis des Menschen zu Gott als dessen Ebenbild und erhielt einen Gott nach dem Bild der Kunst. Man kann auch sagen, wenn der Künstler eine eigene Welt erschafft, eine imaginäre Realität, dann ist er Gott dieser Welt – ein Aspekt, der sich bereits bei Scaliger findet.337 Der bildende Handwerker des Mittelalters war hier noch en milieu, seine Nachahmungen waren ein Lob der Schöpfung und dieser verpflichtet. Aber die Bilder, die er nachahmte, waren nicht aus ihm, sondern nur durch ihn. Der bildende Handwerker produzierte Bilder in einer Kontinuität. Es war die Religion, die in den Bildern kommunizierte. Das heißt, die Gründe, sowie die Legitimation der Bilder, lagen außerhalb des Künstlers, in der Tradition, in den heiligen Schriften, selbst wenn diese durch Auftraggeber vermittelt waren. Bevor der bildende Handwerker den Pinsel in die Hand nahm, war das Bild bereits vorhanden. Die Kunst begann deshalb mit dem Anrühren der Farben: »Artis pictorum prior est factura colorum.«338 Ausgeprägte Autorschaft gab es auch im Mittelalter, doch auch der Autor charakterisierte nur ein Dazwischen.339 Die Epen des Mittelalters entstammten

336 Giorgio Vasari 1912a [1568], S. xxxvii. 337 Vgl. Gunter Gebauer und Christoph Wulf 1992, S. 112. 338 Theophilus Presbyter 1874 [Manuskript zw. 1100 und 1120], S. 3. 339 Chrétien de Troyes wies sich stets, und mit gewissem Stolz, als Autor aus und beschwerte sich darüber, dass andere Vortragende sein conte d’aventure »vor Königen und Grafen [zu] verstümmeln und [zu] verderben«, so Chrétien de Troyes zitiert

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nicht ihren Autoren, sondern der Gesellschaft. Zur Veranschaulichung: Es ist dieses »uns«, mit dem Dantes »Göttliche Komödie« beginnt: »In der Mitte unserer Lebensbahn/ kam ich zu mir in einem finsteren Wald,/ denn der gerade Weg war verfehlt«,340 die den Einzelnen in etwas ihm Übergeordneten verortete, aus welchem heraus er auch seine Individualität beziehen konnte.341 Alles andere hätte bedeutet, dass Neues erschaffen werden könnte, gar ex nihilo – aber das war der grundsätzliche Unterschied zwischen creator und artifex, Schöpfer und Handwerker. Während Gott aus dem Nichts erschaffen konnte, war der Mensch auf das so Erschaffene beschränkt. Der Mensch konnte, allgemein formuliert, der Schöpfung nichts hinzufügen.342 In den »Confessiones« schrieb Augustinus entsprechend: »Du treibst uns an, dass wir mit Freuden dich loben, denn du hast uns für dich geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es ruhet in dir.«343 Auf die Proportionenlehre bezogen hieß es bei Taccola: »Der Allwissende hat mich geschaffen, ich trage jegliches Maß von Himmel, Erde und Unterwelt in mir.«344 Der Mensch war im Erschaffen auf das bereits Erschaffene verpflichtet. Aber er war mit der prinzipiellen Fähigkeit ausgestattet, im Buch der Schöpfung zu lesen, um durch Nachahmung selbst ein Buch schreiben zu können. Die Nachahmung der Schöpfung hatte dadurch den Doppelaspekt, zugleich Lob der Schöpfung und ein Teil der Schöpfung zu sein. Das Bild des Handwerkers war durch ihn, aber nicht seines. Er war frei, aber nicht souverän. Der Unterschied ist bedeutsam, denn wenn in den Künstlertraktaten von Freiheit die Rede ist, so war diese Freiheit des Literaten oder des Malers zunächst ausschließlich auf die Wahl des Themas und des Genres bezogen, das horazsche »Pictoribus atque poetis quidlibet audendi semper fuit aequa potestas« ebenso, wie Cenninis Definition: »So to the painter liberty is given to compose a figure, either upright or sitting, or half man, half horse, as he pleases, according to his fancy.«345 Besonders deutlich formulierte dies Dolce: »Nach meiner Ansicht besteht Alles, was die Malerkunst angeht, aus drei Theilen: Erfindung, Zeichnung und Colorit. Die Erfindung ist die Fabel oder das Geschichtliche, das der

nach Michael Curschmann 2004, S. 11. Siehe auch grundlegend den Aufsatzsammelband Elizabeth Andersen 1998. 340 Dante Alighieri 2004 [Manuskript nach 1307], S. 9. 341 Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1993c [1989], insbesondere S. 159. 342 Siehe hierzu detailliert Hans Blumenberg 1981 [1957], S. 69ff. 343 Aurelius Augustinus 1910 [Manuskript um 400], S. 24. 344 Taccola zitiert nach Bernhard Degenhart und Annegrit Schmitt 1982, S. 126. 345 Cennino Cennini 1922 [1390], S. 2.

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Maler entweder sich selbst wählt, oder ihm als auszuführender Gegenstand von Anderen angegeben wird. Die Zeichnung ist die Form, unter welcher er diesen Vorwurf darstellt Das Colorit bildet jene Tinten, mit welchen die Natur die verschiedenen belebten und unbelebten Sachen gemalt hat, da man auch bei ihr mit Recht sich so ausdrücken kann.«346

Diese Freiheit der Künstler war damit fern von jeder Freigabe der Einbildungskraft zu verstehen, wie man dies häufig interpretiert findet.347 Auch bei Pacioli wird dies überaus deutlich.348 Und nur in diesem Aspekt der Themenwahl bezeichnete Leonardo den Künstler als »Herr und Gott«: »Will der Maler Schönheiten erblicken, die ihn zur Liebe bewegen, so ist er Herr darüber, sie in’s Dasein zu rufen, und will er Dinge sehen, ungeheuerlich, zum Erschrecken, oder drollig und zum Lachen, oder aber zum Erbarmen, so ist er darüber Herr und Gott. Verlangt ihn nach bewohnten Gegenden oder Einöden, schattigen oder dunklen Oertern zur Zeit der Hitze, er stellt sie vor, und so zur Zeit der Kälte warme. Will er Thalgründe, will er von hohen Berggipfeln weite Gefilde vor sich aufgerollt sehen und hinter diesen den Meereshorizont erblicken, er ist Gebieter darüber und ebensowohl, wenn er aus Tiefen der Thäler zu Gebirgshöhen hinan, oder von diesen zu tiefen Thälern und Abhängen hinabschauen will.«349

Leonardo spricht hier nur von der Freiheit der Themenwahl, nicht aber von der Souveränität in der Bildfindung; das widerspräche, nebenbei bemerkt, auch vollständig seinem wissenschaftlichen Anspruch auf Objektivität. Von Leonardo stammte zwar der Ratschlag, in den Flecken auf Mauern Landschaften, Schlachten und dergleichen zu erblicken,350 aber es ging ihm hier nur um die Einbildungskraft als legitimes Organ der Wirklichkeitserkenntnis im Sinne eines weiteren Einfallstors der Natur.351 Und so wundert es auch nicht, dass Vasari die subjektivierte Bildfindung bei Piero di Cosimo, einem Schüler Leonardos, in einem deutlich negativen Kontext erwähnte – und gerade nicht in Sinne einer

346 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 39. 347 Bspw. Wilhelm Perpeet 1987, S. 244 Anmerkung 11, Karl Möseneder 1997, S. 104, und Michael Jäger 1990, S. 33f. 348 Vgl. Luca Pacioli 1889 [1509], S. 248 und S. 250. 349 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 15f. 350 Vgl. ebd., S. 57. Siehe auch Leonardo da Vinci 1883a, S. 254. 351 »Von der Einbildung zur Wirklichkeit ist gerade solch’ ein Abstandsverhältniss, wie vom Schatten zum schattenwerfenden Körper,[...]«, so Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 13.

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»reiche[n] künstlerische[n] Phantasie«.352 Das Bild konnte für Leonardo, wie für Alberti, nur aus der Natur stammen – und sei es über die Visualisierungsfähigkeit der Einbildungskraft.353 Aber jeden Aspekt des Subjektiven, jede Anmutung, dass das Bild nicht aus der Natur stammte, musste vermieden werden. Deswegen scheiterte Leonardo, so Vasari, an der Darstellung des Kopfes von Jesus und ließ ihn unvollendet.354 Auch Alberti hatte jede Begründung des Bildes im Künstler abgelehnt.355 Die Findung des Bildes war dem Zweck und dem Thema untergeordnet. Bei Michelangelo hieß es zwar: »Man malt mit dem Kopf, nicht mit der Hand«.356 Aber gerade dies verweist nun auf ein Problem: Die Notwendigkeit zur Einbildungskraft bedrückte Michelangelo, da er nicht sicher war, ob sie in Wahrheit nicht eine Verirrung sei.357 Das Imaginäre der Kunst wird dann, Generationen später, zur künstlerischen Selbstverständlichkeit, bspw. bei Paul Klee: »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.«358 Aber diese Selbstverständlichkeit wird nur möglich, weil gerade das Was, das sichtbar gemacht wird, offen gelassen bleiben kann und Klee über das, was er sichtbar macht, weder moralische noch religiöse Rechenschaft abzulegen hat. Die Kunst muss sich gerade von diesen Ansprüchen unbeeindruckt zeigen, bspw. bei Picasso: »Ich verwende in meinen Bildern alle Dinge, die ich gerne habe. Wie es den Dingen dabei ergeht, ist mir einerlei [...]«.359 Der Künstler steht nun allein vor dem Bild – vor dem neuen Bild. Das Kunstsystem bediente sich nun zunächst an der einzigen semantisch verfügbaren Quelle zur Legitimation von Neuschöpfungen: die Creator-Metapher der Juris-

352 So die Interpretation von Ulrich Pfisterer 2002b, S. 72. Siehe auch die Beschreibung bei Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 126f. 353 Siehe bspw. Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 64f. 354 Siehe Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 97. 355 Bei Leon Battista Alberti 2002 [1436], S. 157, heißt es: »Um aber weder Eifer noch Mühe zu verschwenden, soll man jene Gewohnheit einiger Dummköpfe vermeiden, die aus Stolz auf ihr Talent danach streben, ohne irgendein Vorbild in der Natur zu haben, dem sie mit Augen und Verstand folgen könnten, allein aus sich selbst heraus Ruhm im Malen zu erwerben.« 356 »Si pinge col cervello, non colla mano«, Michelangelo zitiert nach Edgar de Bruyne 1951, S. 180. 357 Vgl. Helmut Feld 1990, S. 115. 358 Paul Klee 1987 [1920], S. 60. 359 Pablo Picasso 1957, S. 35.

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ten.360 Lange bevor Künstler ihre Darstellungen aus der Arbitrarität einer individualisierten Einbildungskraft heraus legitimieren konnten, schufen bereits Juristen neue Gesetze, galten die Juristen als Schöpfer von Neuem. Auch hier kam der Kunst zugute, dass Kompatibilität durch die Grundlagengewissheit der Naturnachahmung gewährleistet war.361 Unter dem Eindruck der Creator-Metapher wurde die Verortung des Künstlers in der Natur ausgetauscht. Das Primat der Naturnachahmung blieb nur als Residuum Bestandteil der Selbstbeschreibung, denn die Natur wurde nun über den Künstler in das Kunstsystem integriert. Man setzte damit wieder auf die sozial besonders ausgezeichnete Person.362 Die Folge war zunächst, dass Kunst kein Handwerk mehr sein konnte, das man erlernen könnte. Man findet nun Formulierungen, die den Künstler als von der Natur auserwählt, von der Natur zur Kunst genötigt, beschreiben. Bei Dürer lautete der erste Satz im Abschnitt »Van der Molerei«: »Item wer ein Moler will werden, der muss van Natür dorzu geschick sein.«363 Ähnliche Gedanken findet man auch bei Vasari.364 Michelangelo war bei Dolce ein Wunder der Kunst und der Natur – von Gott ist hier keine Rede.365 Und Giorgione wurde von Dolce die Bemerkung zugeschrieben, »Tizian sei schon im Mutterschosse ein Maler gewesen.«366 Raffael habe seine Kunst nicht von Natur aus, sondern erst durch langes Studium erworben, so die abfällig gemeinte Bemerkung, die Condivi von seinem Lehrer Michelangelo berichtete.367

360 Siehe zum juristischen Ursprung dieser judäo-christlichen Metapher, einer »Künstlertheologie«, Ernst Kantorowicz 1960, S. 276. Man denke auch an Dürers Verwendung des Pelzes in seinem Selbstporträt, einem Symbol aus dem juristischen Bereich. 361 Auch die Juristen, der ars boni et aequi beschrieben sich mit dieser Semantik und leiteten daraus bspw. ab, dass die zu adoptierende Person jünger sein musste, als die adoptierende Person, da in der Natur Eltern älter seien als ihre Kinder. 362 Die besondere Biographie oder die besondere Stellung in der Gesellschaft sind bis heute als Programme für den kunstsysteminternen Anschluss von zentraler Bedeutung. 363 Albrecht Dürer 1978 [1525], S. 143. 364 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 86, Giorgio Vasari 1912a [1568], S. xxiv und S. 167, Giorgio Vasari 1912b [1568], S. 29, S. 43 und S. 183. 365 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 10. 366 Ebd., S. 98. 367 Ascanio Condivi 1874 [1553], S. 91.

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In der Semantik der stratifizierten Gesellschaft musste jedoch eine soziale Position zumindest theoretisch für jeden erreichbar sein, bspw. durch Schicksal oder göttliche Beihilfe. Bevölkerungsfluktuationen erforderten diese Mobilitätschancen und deren Einbindung. Doch die Naturalisierung des Künstlers scheint eine Position zu schließen, und zwar durch Exklusion: »Wem Natur es nicht verleiht, dem kann man sie [die Malerei, d. Verf.] nicht lehren [...]«,368 so Leonardo. Dies konfligiert freilich mit einer der Grundannahmen der Wissenschaft, der Möglichkeit zur Weitergabe des Wissens, und verweist so um so deutlicher auf den Prozess der Ausdifferenzierung, der den Exklusionsvorgang der systemischen Grenzkonstitution nun nicht mehr über ambivalente Handwerksbereiche, etwa den Sticker oder Schlosser bei Dolce, vollzieht, sondern beginnt, auf ein systemintern generiertes Kriterium zu setzen: Die Kunst zeigt selbst, wer Künstler ist. Das Imaginäre des Bildes konnte nun über den Künstler naturalisiert werden, aber das erklärte noch nicht, woher die Bilder stammten und wie deren heilsgeschichtlicher und moralischer Status war, sondern verschärfte ein Problem, das sich durch ein Beispiel verdeutlichen lässt. Ein Byzantiner berichtete um 1438 von seinem Besuch einer Florentiner Kirche: »When I enter a Latin church, I do not revere any of the [images of] saints that are there because I do not recognize any of them. At the most I may recognize Christ, but I do not revere Him either, since I do not know in what terms He is inscribed. So I make the sign of the cross and I revere this sign that I have made myself, and not anything I see there.«369

Hundert Jahre später stand Vasari vor ähnlichen Problemen, als er nicht mehr verstehen konnte, was Giorgione auf einem Bild dargestellt hatte.370 Bei einem Bild von Jacopo erging es ihm ähnlich.371 Vasari stellte hier Vermutungen an, versuchte zu interpretieren, kam jedoch im Grunde nur zum Schluss, dass es von hoher handwerklicher Qualität sei. Aber das Bild erklärte sich ihm nicht mehr von selbst,372 es hatte, wie bei Dosso Dossi, seine Ikonologie privatisiert und sei-

368 Leonardo da Vinci 1882 [ca. 1480-1516], S. 7. 369 Zitiert nach Barbara Zeitler 1994, S. 680. 370 Siehe Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 112. 371 Siehe Giorgio Vasari 1914 [1568], S. 180. 372 Diese Bilder lassen sich, so schreibt Salvatore Settis 1982, S. 20f., in Hinsicht auf Vasaris Unverständnis, selbstverständlich kunstgeschichtlich deuten. Dass diese Interpretation dem modernen Kunstgeschichtler gelingt, wundert freilich nicht und verfehlt deshalb den Punkt, der hier von Bedeutung ist.

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ne Selbstverständlichkeit verloren.373 Passenderweise war es auch Vasari, der die ersten Interpretationshilfen für einen seiner Bilderzyklen in Form eines gelehrten Dialogs verfasste.374 Die Kommentarbedürftigkeit des Kunstwerks ist somit kein Phänomen der künstlerischen Moderne,375 sondern anscheinend notwendige soziale Betreuung einer Struktur, die Sprache umgeht. Gleichzeitig jedoch gehen die Traditionen der titula und Rezeptionsanleitungen im 16. Jahrhundert zunehmend zurück und verschwinden schließlich.376 Die Kommunikation des Kunstsystems verlangte Beobachtungsalternativen und unerwarteten Sinn und der Beobachter musste dazu von der Heilsgefährdung durch falsches Verstehen entlastet werden. Das Erstaunliche an Kunstwerken ist denn auch nicht ihre moderne »Offenheit« als Problem wissenschaftlicher Beobachter, sondern ihre Fähigkeit, die Kommunikation über sich zu Monopolisieren und dabei unterschiedlichsten Anschlüssen zur Verfügung stehen zu können. Die ehemalige Einmütigkeit vor dem Bild, die durch die Erwartung gedeckt war, dass sich die Wahrnehmung gleichsinnig vollzieht, wurde nun also riskiert, wenn begonnen wurde, über diese Wahrnehmung zu sprechen. Andere Personen besaßen andere Wahrnehmungsprioritäten, andere Ausgangsvoraussetzungen.377 Und je nach Systemkontextur stellte sich die Beobachtungsalternative als soziales Problem. Wer falsch verstand, wurde dann zum Gespött des Hofes oder riskierte im schlimmsten Fall sein Seelenheil. Die Konfrontation mit Beobachtungsalternativen weist erhebliches Konfliktpotenzial auf, dessen Brisanz im Kunstsystem, wie bereits dargestellt wurde, im Zaum gehalten werden kann, da es sich nur um imaginäre Realitäten handelt. Ein bedeutender Aspekt ist hier, dass man die Konflikte, die sich durch alternative Beobachtungschancen ergaben, im Kunstsystem nur schwer generalisieren konnte – ganz im Gegenteil zu Beobachtungskonflikten im Religions- oder Politik-

373 Diese Bilder waren wohl, so Ulrich Pfisterer 2002b, S. 117, keine Auftragsarbeiten, so dass bspw. keine Repräsentationsleistung die Darstellung limitieren musste. 374 Vgl. ebd., S. 155. 375 Siehe für die Kommentarbedürftigkeit des Kunstwerks Arnold Gehlen 1960, S. 162ff. Dass die Kommentarbedürftigkeit, folgt man Gehlen, nicht nur auf moderne, sondern auch auf diese Bilder zutrifft hat bereits Bazon Brock 1990, S. 309, festgestellt: »Gehlens Diktum von der Kommentarbedürftigkeit der modernen Malerei muss, Gehlens Begründung nach, also auch für die vormodernen Werke gelten. Jedes Bild wäre in gleichem Sinne kommentarbedürftig.« 376 Vgl. Wolfgang Stammler 1957, Sp. 790. 377 Als Erfahrung einer Problemstellung kondensiert an dieser Stelle die Ästhetik. Siehe hierzu auch Bazon Brock 1977, S. 4f.

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system. Was in den letzteren Fällen dann zu Gegnerschaft vereinfacht werden konnte, versickerte im Kunstsystem zu hochpersonalisierten Zurechnungen, die Auskunft darüber gaben, wer diese Beobachtungen angestrengt hatte. Hier zeichnet sich ein weiterer Zusammenhang zwischen der Kommunikation im Kunstsystem mit funktionaler Differenzierung ab. Handeln und Erleben am Kunstwerk waren nicht mehr verbindlich festgelegt, so, wie man auch in anderen Situationen damit rechnen musste, dass Personen anders handelten, als durch die tradierte Semantik geboten war. Die sich ergebenden Strukturirritationen oder Ereignisse ließen sich auf Individuen zurechnen und gerade nicht über diese hinaus generalisieren. Um zum Problem der Herkunft der Bilder zurückzukehren: Ripa fragte, wie es komme, dass Dichter häufig Bilder im Geist haben, die die Natur nicht kenne, und griff zur Erklärung den platonischen Enthusiasmus auf: Wenn diese Bilder der Dinge nicht durch die Natur gegeben seien, dann müsse ihre Quelle göttlichen Ursprungs sein.378 Man setzte in der Folge auf eklektizistische Inspirationstheorien: den platonischen Enthusiasmus, die aristotelische Melancholie und den furor poetico um zu erklären, wie das Bild in den Künstler gelangen konnte. Diese Inspirationstheorien lösen zunächst ein soziales Beobachtungsproblem. Da das Kunstsystem weder über Sinnesorgane verfügt, noch auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Bewusstseins zugreifen kann, wird es mit einem Sonderfall der Kommunikation konfrontiert, nämlich dass Selektion stattgefunden hat, sie diese Selektion jedoch kaum kontrollieren kann: Die Produktion des Kunstwerks steht seltsam außerhalb des kommunikativen Zugriffs. Das Kunstsystem wird mit der Kommunikation von Kunst vor vollendete Tatsachen gestellt und kann stets erst im Nachtrag die Selektionsgeschichte thematisieren. Das Kunstsystem wird durch Kunstwerke mit Zufällen konfrontiert, mit unerwarteten Artefakten und ungeklärten Korrespondenzen. Also einem Ereignis, dessen Unerwartetheit sich als Problem stellt und in Erwartbarkeit überführt werden muss, um soziale Komplexität aufzubauen.379 Die später aufkommende Genie-Semantik kann das

378 »[...] Platone disse, che si muoue la mente de’Poeti per diuin furore, col quale formano molte volte nell’idea imagini di cose sopranaturali, le quali notate da loro in carte, & rilette dipoi à pena sono intese, e conosciute, però si dimandano i Poeti presso a’Gentili, per antico costume, Santi, generatione del cielo, figliuoli di Gioue, interpreti delle Muse, & facerdoti d’Apollo«, so Cesare Ripa 1602 [1593], S. 179. 379 Diese Überführung von Zufällen in soziale Komplexität lässt sich auch in der Soziologie beobachten, bspw. als »Serendipity Pattern« bei Robert K. Merton 1968 [1949], S. ix, das die Paradoxie der Erwartung des Unerwartbaren, »[...] the discove-

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besonders verdeutlichen, denn sie ist funktional gerade auf das Problem bezogen, dass das Kunstsystem sich selbst mit diesen Ereignissen des »NeuenBedeutenden-Überraschenden« (Zeit-, Sach- und Sozialdimension) konfrontiert.380 Daher wird das Genie stets entdeckt, zuvor weiß es gar nicht, dass es eines ist.381 Die historischen Diskussionen über den Enthusiasmus, die Kreativität, die Melancholie und den furor poetico waren äußerst vielfältig und sind nur schwer zu überblicken. Nicht nur die Anhänger von Platon, Aristoteles oder Horaz im Bereich der Poetik waren hier in unterschiedlichsten Konstellationen beteiligt, sondern bspw. auch Mediziner und Astrologen. Die Diskussionen scheinen so weit gefächert und sozial übergreifend gewesen zu sein, dass sich das Thema sogar für bissige Satiren eignete, bspw. Tomaso Garzonis »L’Ospedale de’ Pazzi Incurabili« (Venedig, 1586).382 Eines der ersten Traktate zur Kreativität, Marsilio Ficinos »De vita libri tres« (Florenz, 1489), behandelte noch allgemein menschliche Kreativität, indem Platons Enthusiasmuslehre mit Aristoteles’ Betrachtungen zur Melancholie gekreuzt wurde. Ficino wäre also auf Malerei oder Kunst eingeschränkt missverstanden. Der Enthusiasmus, die göttliche Leidenschaft, hatte auch bei Platon nichts mit Kunst zu tun, auch Hellseher und Politiker waren für Platon zum Enthusiasmus fähig, das heißt, mithilfe der Götter herausragende Werke zu schaffen, ohne dabei recht zu wissen, was man tat. Es wundert nicht, dass Künstler hier eine Schablone zur Selbstbeschreibung entdeckten, allerdings die Bedeutung, die der Enthusiasmus bei Platon hatte, dazu invertieren mussten. Denn Ion, der zwar auf einzigartige Weise Homer rezitieren konnte, aber niemanden sonst, war bei Pla-

ry through chance by a prepared mind [...]«, für die empirische Forschung fruchtbar macht. 380 Siehe hierzu Niklas Luhmann 1988, S. 16. 381 Auf Externalisierungsprobleme weist auch der Umstand hin, dass der Begriff »Genie« stets von einem Betrachter zur Beschreibung seiner Beobachtungen 2. Ordnung verwendet wird, jedoch nie zur künstlerischen Selbstbeschreibung. Siehe hierzu Hans-Georg Gadamer 1982, S. 65. Noch ist hier zwar weniger von einem Genie die Rede, als von geistvollen Menschen, so Edgar Zilsel 1926, S. 295f. Die Geniesemantik ist hier aber bereits angelegt und setzt im historischen Prozess daran an. 382 Siehe hierzu Noel L. Brann 2002, S. 364ff.

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ton gerade kein Künstler; ihm fehlte die Kunst, er war nur ein durch die göttliche Kraft Getriebener, eine Weiterleitung.383 Dem Kunstsystem bot sich mit der Kreativität zunächst eine bedeutende Möglichkeit zur Selbstlimitierung, denn man verlagerte nun das Hervorragende von einer glücklichen Findung, bspw. mit göttlicher Beihilfe im Enthusiasmus, hin zur von Gott inspirierten Er-Findung. Kreativität und Inspiration waren sich zwar entgegengesetzt, da Ersteres als Handeln, Letzteres als Erleben zugerechnet werden musste, aber beide wurden interessanterweise in der Person des Künstlers zusammengezogen. Dies zeigt auch die Melancholie auf. Ripa beschrieb die Melancholie in seiner berühmten »Iconologia« (Padua, 1593), einer Sammlung bildlich dargestellter Personifizierungen von Allegorien und Begriffen, deutlich negativ. Die Melancholie wurde als alte Frau gedacht, traurig und sorgenvoll auf einem Stein sitzend, das Kinn in den Händen gestützt, den Blick gen Boden gerichtet, neben ihr ein blattloser Baum.384 Auch bei Vasari wurde insbesondere der melancholische Einzelgänger alles andere als schöpferisch beschrieben. Die Melancholie war hinderlich und in aller Regel verantwortlich für einen frühen Tod.385 Oftmals begründete Melancholie auch den Anfangsverdacht für Hexerei.386 Petrarca bekämpfte seine Melancholie, die er als acedia (Bitternis) beschrieb, tatkräftig. Alberti betrachtete die Melancholie als Bedrohung für die Künste.387 Von Leonardo berichtete Vasari, dass dieser, während er das Porträt von Mona Lisa malte, sich durch Musiker und Gaukler unter-

383 Durch die Differenz von technê/Enthusiasmus: »Denn nicht durch Kunst oder Wissenschaft sagst du, was du vom Homeros sagst, sondern durch göttliche Schickung und Besitzung, [...]«, so Plato 2001, S. 23, 536c. 384 Siehe Cesare Ripa 1602 [1593], S. 303. Die hier verwendete Fassung ist die zweite, erstmalig illustrierte Auflage – die Melancholie ist jedoch nicht als Illustration abgebildet, sie wird nur beschrieben. Für eine Ausgabe mit Illustration siehe die Ausgabe, die 1618 bei Tozzi in Padua erscheint, S. 407. 385 Über Parri Spinelli schrieb Giorgio Vasari 1912b [1568], S. 179: »He lived fifty-six years, and he shortened his life by reason of being by nature melancholic, solitary, and too assiduous in the studies of his art and in his labours.« Auch Francesco Francia »died of grief and melancholy«, so Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 29. Siehe des Weiteren auch Giorgio Vasari 1912b [1568], S. 132, und Giorgio Vasari 1912c [1568], S. 179. 386 Siehe hierzu Noel L. Brann 2002, S. 6ff. 387 Vgl. ebd., S. 63.

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halten ließ, um Melancholie zu verhindern.388 Für Pino stellte sich die Melancholie gar automatisch als Folge der künstlerischen Tätigkeit ein.389 In den Traktaten der Malerei betrachtete man die Melancholie somit zwar negativ, es gibt jedoch Hinweise, dass sie trotz Ablehnung nach und nach in einer positiven Wendung in die Selbstbeschreibung der Künstler aufgenommen wurde.390 Besonders interessant ist hier Armenini, denn er wetterte gegen die sich verbreitet habende Vorstellung, dass ein Maler nur dann ausgezeichnet sein kann, wenn dieser zuvor »[...] von einem hässlichen und bösen Laster befleckt wurde und durch eine launische und phantastische Stimmung begleitet wird, die viele Sonderbarkeiten im Gehirn hervorruft.«391 War die Melancholie zunächst noch kontraproduktiv und potentiell lebens- und heilsgefährdend,392 erfuhr sie nun auch im Kunstsystem eine Umwertung durch den Hinweis auf den schöpferischen Aspekt, den der Begriff in der Antike aufwies, dort aber freilich nicht spezifisch auf das Künstlerische bezogen war. Die Kunst profitierte hierbei von Vorarbeiten der Humanisten, die in Kombination mit Ficinos postulierter, astrologischer Patronage des Saturns das Melancholische in ihre Selbstbeschreibung aufnahmen.393 Die genaue Begriffsgeschichte kann an dieser Stelle außer Acht gelassen werden.394 Stattdessen soll die Frage ins Zentrum gerückt werden, wozu

388 Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 101. 389 Vgl. Paolo Pino 1960 [1548], S. 136f. 390 Siehe hierzu bspw. Erwin Panofsky 1979, S. 194ff. Auch Panofsky erwähnt die zögerliche Haltung der Malereitheoretiker gegenüber der Melancholie. Da viele dieser Theoretiker bekanntlich selbst Maler waren, scheint seine Feststellung: »Unter den Künstlern selbst aber und ihren Auftraggebern war der Erfolg dieser Lehren nicht nur allgegenwärtig, sondern [...] augenblicklich«, S. 195, über das Ziel hinaus zu schießen. 391 Giovanni Battista Armenini 1971 [1587], S. 206: »[...] che non possa esser Pittor molto eccelente, che non sia macchiato di qualche brutto, e nefando vitio, e che appresso non sia accompagnato da un’humor capriccioso, e fantastico per molte bizarie di cervello, [...]« 392 Bei Martin Luther 1892, S. 249, hieß es entsprechend: »Ubi est melancholicum caput, ibi Diabolus habet suum balneum.« 393 Bereits Mitte des 15. Jahrhunderts war der gelehrte Melancholiker ein festes Bild und verbreitete sich auch in den deutschen Ländern; man denke insbesondere an Dürers Kupferstich »Melencolia I« (1514). 394 Für eine gelungene Bearbeitung des Themas siehe Noel L. Brann 2002. Siehe auch Edgar Zilsel 1926, S. 293ff., und Raymond Klibansky et al. 1990.

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die Bewertung der Melancholie, die ja für die soziale Umwelt Devianz und Gefährdungslagen kennzeichnete, im Kunstsystem invertiert wurde. Ein erster Gedanke gilt freilich der Umstellung der primären gesellschaftlichen Differenzierung auf funktionale Differenzierung. Denn dass die Berufung auf Devianz nicht mehr zur Exklusion, sondern zur Sonderbehandlung zum Zweck der Inklusion führt, ist ein entscheidendes Charakteristikum dieser Umstellung.395 Ein weiteres Charakteristikum ist der Bedarf an und der Möglichkeit zu Individualität.396 Da eine Berufung auf moderne Individualität den Künstlern im 16. und frühen 17. Jahrhundert noch nicht möglich war, könnte man vermuten, dass der Mangel an leistungsfähiger, semantischer Strukturbetreuung über die soziale Devianz gewissermaßen kompensiert wurde: durch eine durch Melancholie semantisch vermittelte Selbsterfahrung, die sich noch nicht mit den Problemen der Selbstzugänglichkeit auseinandersetzen musste.397 Dies sind sicherlich wichtige Aspekte, für den vorliegenden Zusammenhang ist jedoch interessanter, dass diese Selbsterfahrung, diese Individualisierung, in den Künsten zur Entindividualisierung ausgebaut wurde. Denn die Melancholie- und poetico furor-Semantiken hatten den Effekt, dass die Leistung, die Hybris des Bildes, nicht dem Künstler zugeschrieben werden musste, sondern bspw. dem den Künstler in Besitz nehmenden Geist, wie es bei Paolini hieß: »no one can be a poet who is not seized by a certain spirit and frenzy, and that all their poems are completed and perfected, not through the endeavors of human genius alone, but by the impulse and instinct of a certain divine spirit [...]«398 Auch bei Vasari trat dieser entindividualisierende Aspekt deutlich in seiner Beschreibung von Raffaels Leben hervor: Raffael wurde an einem Karfreitag geboren und verstarb an einem Karfreitag – nachdem er die »Transfiguration« (1520) vollendet hatte.399 Minturno bezeichnete schließlich die Dichtung nicht mehr als Kunst, sondern

395 Vgl. Niklas Luhmann 1995g [1989], S. 144. 396 Auf diesen Zusammenhang zwischen der Ermöglichung von Individualität in Form devianter Beobachtung am Werk und Funktion der Kunst wurde bereits hingewiesen. 397 Siehe zu dieser Interpretation auch Gottfried Boehm 1969, S. 68ff., zur Individualität insbesondere Niklas Luhmann 1993c [1989]. 398 Fabio Paolini in »Hebdomades« (Venedig, 1589) zitiert nach Noel L. Brann 2002, S. 259. 399 Siehe Giorgio Vasari 1912d [1568], S. 210 und S. 240f.

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gleich als göttliche Kraft: »ars nulla est, sed vis divina«.400 Und noch Paul Klee wird sich 1905 fragen: »Bin ich Gott?«401 Aber welches Problem lösten diese Prozesse der sozialen Auszeichnung des Künstlers über Naturalisierung, Enthusiasmus und Melancholie?402 Diese Semantiken begleiteten einen Prozess, der die Nachahmung zunehmend in den Künstler hineinverlagerte und dadurch das Bild und seine Genesis religiös und moralisch unter Druck setzte. Ohne die vielen Unterschiede zwischen den einzelnen Inspirationstheorien an dieser Stelle berücksichtigen zu können, so weisen sie doch alle eine funktionale Äquivalenz auf: Sie entlasteten den Künstler von der Frage nach dem Ursprung seines Bildes. Sei es, weil der Künstler durch das gleiche Prinzip wie die Natur Neues schaffen konnte, sei es, weil ihm das Bild durch Enthusiasmus oder Melancholie eingegeben worden war oder durch diese zum Bild genötigt wurde. Metzger spricht hier zurecht von einer »transzendentalen Bedürftigkeit« der Künstler.403 Erst jetzt, unter dem Eindruck dieser Inspirationstheorien, wurde es notwendig, auch den Bildenden Künsten eine Muse zuzusprechen.404 Kreativität und Inspirationstheorien, die hier eine Struktur der Erwartung der Unerwartbarkeit ermöglichten, lösten jedoch nicht die Externalisierungsprobleme der Korrespondenzerwartungen.

4.13 D IE K ONTINGENZFORMEL DES K UNSTSYSTEMS Als Ergebnis der Naturalisierung des Künstlers und seiner Entindividualisierung über Melancholie und Enthusiasmus war das Bild keine Nachahmung der Natur mehr, sondern es entsprang der Natur – und dazu musste, wie man sieht, der Mittler negiert werden, sei es durch Übersteigerung oder Reduktion. Denn ob sich die Natur nun durch den Künstler als Werkzeug (Genie) abbildete, oder sich eine Transzendenz niederschreiben ließ (Ikone), beide Male konnte die Paradoxie der Nachahmung latent gehalten werden.

400 So Antonio Sebastiano Minturno in »De poeta« (Venedig, 1559), S. 67, zitiert nach Noel L. Brann 2002, S.259. 401 Paul Klee 1988, S. 224. 402 Eine klassische Antwort stammt von Edgar Zilsel 1926, S. 3, nämlich im »menschlichen Bedürfnis, körperlich und geistig überragende Personen zu bewundern und zu verehren.« 403 Vgl. Arnold Metzger 1964, S. 187. Er bezieht sich allerdings nur auf Melancholie. 404 Siehe bspw. Giovanni Paolo Lomazzo 1844 [1584], S. 179.

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Nur was nicht angeboren ist, lässt sich erstreben, doch weder Erziehung noch Schichtzugehörigkeit durch Geburt schaffte den Künstler, sondern nur die Natur der Kunst. Und das bedeutete nun: Nur der Künstler ist Künstler.405 Und deshalb konnte der Künstler zugleich als Interdependenzunterbrecher fungieren, denn das Gelingen der Kunst war entindividualisiert, das Scheitern jedoch individualisiert. Auf diese Weise immunisierte sich die Struktur gegen das Nichtgelingen ihrer Reproduktion: Gelang das Kunstwerk nicht, dann war es auch kein Künstler, so der Zirkelschluss bei Michelangelo.406 Wer an der Kunst scheiterte, war selbst schuld, das zeigte auch Vasaris obige Beschreibung von Uccello. Aber die Problemstellung, wie die Kunst ihre Bilder de-arbitrarisiert, ist damit noch nicht gelöst: Die Kommunikation des Kunstsystems musste sich anderweitig limitieren, um Kommunikation informieren zu können – zwar auf eine Weise, die gerade diesen Ausschluss latent halten konnte. Die Paradoxie der Nachahmung stellte sich der Kunst hier als Beobachtungsproblem, das durch die Ausdifferenzierung des Künstlers als Kontingenzformel verschoben werden konnte.407 Die Kontingenz der Kunst, die Unbestimmtheit der Werke, an die sich ihre Kommunikation koppelt, wird durch den Künstler in bestimmbare Kontingenz überführt. Die Entscheidungen des Entscheiders, also das Poietische im Mimetischen, werden dazu mystifiziert und erheblich übertrieben.408 Anschaulich ist hier eine Formulierung in »Emilia Galotti«: »Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wie viel geht da verloren! – Aber, wie ich sage, dass ich es weiß, was hier verloren gegangen, und wie es verloren gegangen, und warum es verloren gehen müssen: darauf bin ich eben so stolz, und stolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verloren gehen lassen.«409

405 Gleiches findet man auch bei Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 70. 406 Siehe Francisco de Hollanda 1911 [1548], S. 272. 407 Siehe Niklas Luhmann 2000b, S. 147ff. 408 »[...] Maler sind irgendwie seltsam und es empfiehlt sich, von ihnen zu nehmen, was immer man von ihnen bekommen kann«, zitiert Martin Warnke 1996, S. 316, aus einem Brief von Francesco Gonzaga an die Herzogin von Mailand aus dem Jahr 1480. Da Mantegna nachträgliche Veränderungen am Porträt der Herzogin strikt ablehnte, schrieb Francesco Gonzaga: »Wenn ich selbst vollbringen könnte, was Ihr verlangt, würdet Ihr sogleich zufriedengestellt sein. Doch diese hervorragenden Maler sind irgendwie seltsam und es empfiehlt sich, von ihnen zu nehmen, was immer man von ihnen bekommen kann.« 409 Gotthold Ephraim Lessing 1912 [Uraufführung 1772], S. 116 [1,4].

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Die Entscheidungen des Künstlers mussten sich selbst mystifizieren und genau deshalb eigneten sie sich für Parasiten wie Melancholie, Enthusiasmus, furor poetico etc. pp., die an diesem Latenzbedürfnis des Kunstsystems ansetzten und sich zugleich für weitere Differenzierungen anboten. Unter diesen Umständen kam es im Kunstsystem zu einem beachtlichen Effekt der Abweichungsverstärkung: Die Entscheidungen individualisierten den Produzenten, der dann seine Entscheidungen individualisieren konnte: als Künstler. Die Semantik musste dazu freilich die Nachahmung von Vorbildern entwerten, und zwar sowohl die Nachahmung eines anderen Bildes, bzw. Künstlers, als auch der Natur. Wenn das Kunstwerk allerdings nicht mehr nachahmt, bzw. nur noch sich selbst nachahmt, dann wird es ein Original. Man denke an die spätere Genieästhetik bzw. die originäre künstlerische Äußerung der Romantiker, die sich im 19. Jahrhundert durchsetzt und mit ihr semantische Innovationen wie Urheberschaft, Epigonen und Plagiat. Im ausdifferenzierten Kunstsystem ist Kunst damit nicht mehr das, was auf Ähnlichkeit oder Korrespondenzen, auf besonderen Themen oder Materialien beruht, sondern das, was einem Künstler als Kunstwerk zurechenbar ist.410 Die Limitierung des Kunstsystems erfolgt hier über einen außerkünstlerischen innerkünstlerischen Aspekt. Freilich ist alles als Kunst, also in Hinblick auf besondere Beobachtungschancen hin, beobachtbar – doch der Künstler invisibilisiert dies. Arbitrarität kann durch den Verweis auf den Künstler vermieden werden, auf diese Weise sichert der Künstler die binäre Codierung ab. Mithilfe des Künstlers kann sich das Kunstsystem somit selbst überraschen. Man kann dies indirekt anhand Dantos Kunstphilosophie verdeutlichen, bei der Danto zu dem Schluss kommt: »Interessant und wesentlich an der Kunst ist also die spontane Fähigkeit des Künstlers, seine Art, die Welt zu sehen, für uns sichtbar zu machen – nicht einfach so, als ob das Gemälde wie ein Fenster wäre, sondern so, wie sie durch ihn gegeben ist.«411 Die Kontingenzformel forciert, könnte man sagen, Affirmation. Sie löst das Problem, dass »die Möglichkeit zu negieren als solche nicht negiert werden kann, aber in bestimmten Hinsichten doch laufend negiert werden muss.«412 Der

410 Auch heute fällt es schwer, das Kunstwerk nicht einem Künstler zuzurechnen, es dabei zu psychologisieren oder zumindest zu kategorisieren, obwohl bereits Paolo Veronese seine Bildproduktion, immerhin mehr als 1400 Werke, im Rahmen einer mit bis zu 10 Mitarbeitern arbeitsteilig organisierten Werkstatt produzierte. Siehe hierzu Hans D. Huber 2005, S. 29 und S. 190. 411 Arthur Coleman Danto 1984, S. 313. 412 Niklas Luhmann 1996c [1977], S. 201.

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Künstler forciert die Blockierung der Negationsmöglichkeit413 – dies ist der Ursprung des Midas-Syndroms der Kunst.414 Gerade die Écriture automatique oder objets trouvés verlagern hier die Aufmerksamkeit um so mehr auf den Autoren bzw. den Künstler, der es erst als Supplement gestattet, die werkästhetische Differenz zur Wirklichkeit zu minimalisieren.415 Nirgendwo wird dies deutlicher als in den klassischen Avantgardebewegungen, die gerade im Versuch, den Tod des Künstlers auszurufen, den Künstlerbegriff erfolgreich modernisierten: »Es scheint, dass die ursprünglich intendierte Entmystifizierung des Künstlersubjekts zu einer neuen Mystifikation geführt hat: der des angeblichen Verschwindens des Künstlersubjekts.«416 Wenn die Formentscheidung frei ist, dann ist auch der Betrachter frei darin, diese Entscheidung abzulehnen. Als künstlerische Formentscheidung jedoch, das heißt, unter der Erwartung der Erwartung des Beobachtetwerdens, richtet sie den Blick aus. Der Künstler symbolisiert nun die Einheit der binären Codierung des Kunstsystems und macht das Werk für die Kommunikation von Kunst zugänglich.417 Zurechenbarkeit zu einem Künstler ist damit hinreichender Grund zur Kommunikation von Kunst, zum Triggern von Beobachtungsversuchen am ge-

413 Man denke hier an das bekannte Experiment von Peter Fuchs, einen aus dem Kontext der heimischen Küche entwendeten Fleischhammer während eines Vortrags mithilfe eines telefonisch verbundenen Künstlers vom diesem zu einem Kunstwerk erklären zu lassen. Diese Zurechnung zu einem Künstler reichte aus, um den Fleischhammer in die Kommunikation des Kunstsystems zu ziehen. Siehe hierzu Peter Fuchs 1993, S. 173 und Anmerkung 377. 414 Eben darum muss Clara Bodenmann-Ritter Joseph Beuys den Rat geben: »Sie dürften das nicht verraten, dass Sie Künstler sind.« – denn erst dann würden die Massenmedien Beuys bspw. politisch beobachten können und nicht, wie Beuys beklagt, nur als einen Künstler: »Da wird gesagt [in der Presse, d. Verf.]: Das ist ein naiver Quatsch, das ist ja auch ein Künstler – ja nun – dem ist Narrenfreiheit zugestanden. – Das ist das letzte absurde Theater – Als Kunst mag’s hingenommen sein, aber als Politik ist es fürchterlich unwichtig. Das ist doch keine Auseinandersetzung.« Siehe das Interview in Joseph Beuys 1975, S. 118. 415 Vgl. Christian Enzensberger 1977, S. 164. 416 Verona Krieger 2003, S. 148. 417 Das bedeutet auch, dass der Künstler nun »über« das Werk gestellt wird – und gerade dies lässt sich nicht als Ergebnis eines sozialen Aufstiegs fassen.

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koppelten Werk.418 Aber nicht jede Zeichnung, nicht jede Tier- und Blumenillustration soll in den Kommunikationszusammenhang der Kunst gezogen werden – obwohl man es könnte! – sondern nur die Werke des Künstlers. Nur Kunst ist Kunst: Dass dies im Kunstsystem und durch das Kunstsystem, also zirkulär, geschieht, gefährdet nicht die Funktionsweise der Kontingenzformel, muss aber latent gehalten werden. Die Kontingenzformel hat einen direkten Zusammenhang mit dem Latenzbedürfnis eines Systems, also mit denjenigen Strukturen die, würden sie ihre Reproduktionsfähigkeit verlieren, das System in seiner Existenz gefährden würde. Das heißt nicht, dass dieses Latenzbedürfnis im Kunstsystem unreflektiert bleibt, man denke nur an Beuys, aber es ist auffällig, dass gerade Beuys’ Diktum, jeder Mensch sei ein Künstler, durch Psychologisierung in die Harmlosigkeit des »Kreativen« verschoben wurde.419 Vermutlich nicht ohne Grund, denn die prinzipielle künstlerische Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Nichtkünstler muss latent gehalten werden. Kunst kann auf einen Künstler ebenso wenig verzichten, wie Religion auf Gott oder Wirtschaft auf Knappheit. Und ebenso wie der Versuch, Gott begrifflich habhaft zu werden, scheitern muss, weil begriffliche Fixierung Negationspotential bietet, scheitert dieser Versuch auch beim Künstler – und dieser bleibt dennoch als operatives Symbol funktional. Das Kunstsystem setzte hier alles auf eine Karte, auf die Sozialdimension, und konnte so zu den Bedingungen der Nachahmungssemantik die Freiheitsgrade aufrechterhalten. Die Kontingenzformel hätte sich freilich nicht halten können, wäre sie willkürlich gewesen. Sie bot sich zur Zweitcodierung und damit zur Orientierung an, bspw. nach Herkunft, Geschlecht aber auch Geschicklichkeit. Die Kontingenzformel ermöglichte hier einen Generalisierungseffekt zur Kondensierung von Aufmerksamkeit: Wer sich einmal als Künstler etabliert hatte, sich einen Namen gemacht hatte, von dem war Weiteres zu erwarten – schon allein, da der Zugang zu Ressourcen und die soziale Sichtbarkeit erheblich zunahmen. Die Kontingenzformel, ihre Übertreibung, verstärkte sich selbst.420

418 Diese Zurechnung kann freilich auch enttemporalisiert erfolgen, bspw. im verkannten Genie, also in einem Fall, wo die Zurechnung bereits zuvor hätte erfolgen sollen. 419 Siehe Joseph Beuys 1975, S. 72ff., S. 83 und insbesondere S. 118f. 420 Denn es ist gerade nicht so, wie bspw. Peter Weibel 1997, S. 185, beschreibt: »Kunst ist das Ergebnis eines sozialen Konsenses zwischen der Hypothese eines Individuums, das das soziale Feld der Kultur mit seinen geistigen oder handwerklichen Fähigkeiten und Leistungen betreten möchte, und den Wächtern, den sozialen Instanzen, die dieses Feld konstituieren.« Die Plausibilität dieser These wird deutlich,

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Der Künstler wurde damit zum funktionalen Äquivalent eines Problems, für das zuvor Thema, Technik oder Material Lösungen darstellten. Entsprechend hoch ist hier bis heute die Distinktionsnotwendigkeit gegenüber dem Kunsthandwerk oder Design. Die Differenz des Künstlers zum Handwerker musste vertieft und stabilisiert werden. Die Kontingenzformel musste sich dazu gegen Stratifikation durchsetzen und dies scheint der Grund gewesen zu sein, weswegen auf soziale Devianz gesetzt wurde. Die Kunst nutzte hier Exklusionsformen der stratifizierten Ordnung zum Aufbau eigener Komplexität. Armenini bietet hierfür einen Hinweis: »[...] viele törichte Meister dieser Kunst speisen ihren Geist mit diesem Fehler, beeinflussen sich mit melancholischen Verwirrungen, die ihnen keinen Nutzen bieten, abgesehen von der Behauptung, dass sie auf diese Weise sehr ungewöhnlich sind.«421 Als weiteres Beispiel könnte man die Rechtfertigung Veroneses vor dem Inquisitionstribunal mit dem Verweis auf die Freiheit der Narren anführen.422 Zu den Bedingungen der Inspirationstheorien war keine Theorie dazu in der Lage, die Bildproduktion zu informieren, da die Generalisierungsleistung der Theorie etwas lehr- und lernbar, also nachahmbar gemacht hätte und das Kunstwerk als seine Nachahmung hätte begreifen können. Kunst kann die Versuche der Ästhetik, ihr zuvorzukommen, nicht zulassen.423 Der Paradefall ist nun die Frage, die bspw. bei Dolce gestellt wurde: Kann jemand, der kein Maler ist, überhaupt über Malerei urteilen?424 Der Künstler ersetzte den Funktionsbezug des Systems und die Selbstbeschreibungen des Systems fanden in diesem Strukturwandel Anhaltspunkte.425 Das gilt es, im Folgenden zu zeigen. Wir haben das Glück, uns dazu auf Zuccaros Traktat stützen zu können; es markiert scheinbar nicht ohne Grund das Ende der Tradition der Künstlertraktate. Zuccaros Traktat blieb nicht bei der erwähnten Aufwertung der Melancholie für die Malerei stehen. Sein Anliegen bestand im Aufbau einer Kunsttheorie, die eine Genre übergreifende Aufwertung der Kunst mit den Mitteln dieser Theorie ermöglichen sollte. Das hatte es zuvor noch nicht gegeben und das Ergebnis ent-

wenn man sich die Müllhalden voller, durch Wächterinstanzen falsifizierte, Objekte vor Augen hält. 421 Giovanni Battista Armenini 1971 [1587], S. 206f.: »[...] il peggio è che molti sciocchi di quest’arte si vanno nutricando in simil errore con una affettata, e maninconica bizarria, senza trarne profitto alcuno, tenendosi perciò esser molto singulari.« 422 Siehe den Nachdruck in Michael Jäger 1990, S. 177. 423 Ansonsten erhält man Thesenliteratur, bspw. Jean-Paul Sartres »Huis clos« (1944). 424 Lodovico Dolce 1871 [1557], S. 24. 425 Vgl. Niklas Luhmann 2000b, S. 147.

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sprach der Hybris des Funktionssystems,426 versinnbildlicht durch die Kunst (Malerei, Bildhauerei und Architektur) als Sonne eines Systems, um das die Wissenschaften kreisten, bspw. die Theologie als Saturn (!).427 Entsprechend elaboriert war seine Kunsttheorie, die wir an dieser Stelle nicht vollständig berücksichtigen können.428 Wir beschränken uns auf Zuccaros Ansatz, dass nur die Synthese dreier Externalisierungsleistungen ein Kunstwerk ergeben könnten: Der »Disegno esterno naturale essemplare«, der »Disegno esterno artificiale essemplare« und der »Disegno artificiale fantastico«. Der Erste bezeichnet die Formen der Natur, die von der Kunst nachgeahmt werden, der Zweite bezeichnet den künstlerischen Entwurf und der Dritte die Imagination des Künstlers. Zu Letzterem schrieb Zuccaro: »[...] rappresenta tutto quello, che la mente humana, la fantasia, & il capriccio di qual si voglia arte può inuentare.«429 Diese Einbildungskraft war nun nicht mehr ein reines Organ zur Wirklichkeitsaneignung, sondern war subjektivierte Einbildungskraft, denn sie entzog sich bspw. den Regeln, »[...] non si può dar regola particolare [...]«,430 und war unabdingbar, obwohl sie weniger perfekt war: »E se bene è men perfetta delle sudette, nondimeno è necessario, e gustoso, e porge grandissimo aiuto, augumento, e perfettione a tutte le nostre operationi, & a quelle ancora di tutte l’altre arti, scienze, e prattiche, formando nove inuentioni [...]«431 Am Kunstwerk wurde bei Zuccaro nun etwas kommuniziert, das sich keinen Regeln fügte, nicht perfekt war, aus subjektiver Quelle stammte und auf das nicht verzichtet werden konnte. Die Debatten um Melancholie und furor poetico hatten dies sicher vorbereitet, bspw. bei Giordano Bruno, wo es heißt: »Conchiudi bene, che la poesia non nasce da le regole,

426 Die Hybris wird so weit gehen, zu versuchen, die Religion innerhalb des Kunstsystems aufzubauen, als Kunstreligion: »So wäre alle Religion ihrem Wesen nach poetisch«, schreibt Johann Christian Friedrich Hölderlin 1998, S. 15, in einem seiner Briefe. Interessant ist hier auch Gerhart Hauptmann 1996 [1932], S. 872: »Also: ›Kunst ist Religion.‹ Das habe ich oft einer meiner Gestalten, der des Michael Kramer, nachgesprochen. Manche stießen und stoßen sich daran. Sie werden weniger Anlass finden, sofern ich dies Wort dahin abändere: Meine Kunst ist meine Religion! Und in diesem irgendwie religiösen Bereich fühle ich mich mit Ihnen verbunden.« 427 Federico Zuccaro 1961 [1607], S. 295 und S. 298. 428 Siehe für detaillierte Auseinandersetzungen insbesondere Ulrich Pfisterer 1993, David Summers 1987, S. 283ff., und Erwin Panofsky 1985 [1924], S. 47ff. 429 Federico Zuccaro 1961 [1607], S. 237. 430 Ebd., S. 240. 431 Ebd., S. 237.

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[...] ma le regole derivano da le poesie: e però tanti son geni e specie de vere regole, quanti son geni e specie de veri poeti.«432 Und Varchi schrieb, dass die Bilder im Verstand des Künstlers immer perfekter seien, als materielle Formen.433 Daher galt es, eine Generation später, die Hand dem Verstand zu unterwerfen.434 Auch Zuccaros Differenz zwischen Disegno interno/Disegno esterno hatte Vorläufer, bspw. bei Cellini, aber erst bei Zuccaro wurde das Bild weitgehend im Künstler begründet.435 Hier wird deutlich, dass Zuccaro nur das begleitete, was sozial bereits als Erwartung zur Verfügung stand.436 Auch Panofsky spricht hier von einer »inneren Not der Kunst«, aufgrund derer sich die Kunsttheorie einer neuen Beschreibungslage anpassen musste.437 Die Nachahmungssemantik legte Zuccaro nun jedoch den entscheidenden Schritt nahe: Die Kunst beginne mit der Externalisierung der »inneren Zeichnung«, war aus dieser geboren: »[...] generate dall’intelligenza, e facoltà del Disegno interno, & esterno, e di queste primogenita esser la Pittura, e [...] nasca in vn certo modo insieme col Disegno suo genitore, con cui è vna istessa cosa, [...]«438 Die Kunst sei der »inneren Zeichnung« dabei nicht etwa nachgeordnet, sondern stünde in einem Verhältnis der Wechselwirkung. Der Künstler war damit an entscheidender Stelle placiert: zwischen göttlicher Inspiration und Bildwerk. Er war nicht mehr Mittel, sondern Mittler. Er fand die Form nicht mehr, er wählte sie auch nicht mehr aus, er transformierte sie durch sich. Teil der Nachahmung der Kunst war nun die subjektive Einbildungskraft des Künstlers. Der Künstler externalisierte das innere Bild nicht, er ahmte dieses nach. Nur schlechte Künstler benötigten noch ein Modell.439 Zuccaro gab die Naturnachahmung dabei keineswegs auf, denn die Nachahmung der Natur blieb durch Schaffensanalogie, wie sie bereits bei Ficino auftrat, gedeckt: »La ragione poi,

432 Giordano Bruno 2002 [1585], S. 528. 433 Vgl. Benedetto Varchi 1859 [1546], S. 614. 434 »[...] onde non possa mai farsi eccelente un Pittore [...] s’egli non rende coll’uso obbedientissima la mano al proprio intelletto; [...]«, so Filippo Baldinucci 1809 [1691], S. 287. 435 Zuccaros Lösung versuchte Dualismus zu vermeiden. Er versuchte, innere Zeichnung und Externalisierung durch ein Verhältnis der Wechselwirkung aneinander zu binden, in einer engen Verknüpfung mit Naturnachahmung, Entwurf und Einbildungskraft und einer entsprechenden Einbeziehung der Sinnesleistungen. 436 Ulrich Pfisterer 1993, S. 263, teilt diese Ansicht. 437 Erwin Panofsky 1985 [1924], S. 55. 438 Federico Zuccaro 1961 [1607], S. 242. 439 Ebd., S. 234.

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perche l’arte imiti la Natura è, perche il Disegno interno artificiale, e l’arte istessa si muouono ad operare nella produttione delle cose artificiali al modo, che opera la Natura istessa.«440 Auf diese Weise war nun die subjektive Einbildungskraft legitimiert. Der veränderten Selektivität musste eine Anpassung der Beschreibung des Produktionsprozesses folgen. Ging es den Traktaten zuvor um das »Was« und »Wie« der Bildproduktion, um die Versuche, Leistungsbereichen und Erwartungen nachzukommen, so richtete Zuccaro den Blick auf den Künstler selbst und die Bedingungen seines Schaffens. Es ging nicht mehr darum, wie der Künstler das richtig erziehende Bild schuf, sondern um die Frage, wie der Künstler schuf.441 Und das war neu. Die Asymmetrie, die das Bild dem Betrachter zugewiesen hatte, wurde damit invertiert. Damit löste sich die Kunst von ihrem letzten Anlehnungskontext, der moralisch richtigen, erzieherischen Wirkung auf den Betrachter. An die Stelle der Wirkung auf den Betrachter rückte nun die Bewirkung durch den Künstler, wurde das Interesse vom »Was« der Darstellung, nämlich moralisch und religiös Richtiges, zum »Wie« kontingenter Produktion verschoben. Die Substituierung durch die Erziehungssemantik konnte unter diesen Umständen aufgegeben werden. Aber das bedeutete nicht, dass die Kommunikation über die Imaginationen des Künstlers sozial übergreifend freigegeben war. Die primär stratifizierte Differenzierungsform der Gesellschaft erforderte zunächst noch eine Substitutionssemantik, die durch unterschiedliche Erziehungspotentiale ermöglicht wurde: Geschmack. Auf diese Weise konnten Schichtungsdifferenzen aufrechterhalten werden.442 Der Künstler wurde sichtbar, aber nun nicht mehr, weil das Werk moralisch auf ihn zurück verwies, sondern weil der Künstler selbst zum Beobachtungsproblem geworden war. Denn die Fähigkeit, durch Nachahmung an der Schöpfung teilhaben zu können, wird außer Kraft gesetzt, wenn die Nachahmung privatisiert ist. Der Künstler als eingeschlossener, ausgeschlossener Dritter manifestierte sich

440 Ebd., S. 170. 441 Es geht, wie Erwin Panofsky 1985 [1924], S. 50f., schreibt, um die Möglichkeit künstlerischer Darstellung überhaupt. 442 Dies zeigt bereits Baldassarre Castiglione 1903 [1528] deutlich, wo die Bewertungsproblemstellungen der ständischen Angemessenheit auch, aber nicht ausschließlich, in Hinsicht auf Kunst angesprochen wurden. Auch auf die Bedeutung der Akademien bei dieser Rückbindung der Kunst an die geschichtete Gesellschaft wurde bereits hingewiesen.

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als Beobachtungsproblem nach dem Ursprung der Bilder.443 Die göttliche Schönheit konnte noch in der Generation vor Zuccaro erschlossen werden, bspw. durch den beschriebenen Ordnungsnachvollzug der Schöpfung, allen voran die Proportionen. Zuccaro kappte diese Möglichkeit des menschlichen Verstandes und setzte an diese Stelle eine Ästhetik, nämlich dass nur Gott der Schönheit einsichtig sei. Was dann aber blieb, war: »[...] das subjektive menschliche Urteil als höchste irdische Instanz.«444 Letztlich bot Zuccaro Ästhetik, also die Antwort auf die Frage, was das innere Bild des Künstlers gerichtet hatte. Weder die Ähnlichkeit zu Vorbildern noch Bildkataloge, weder die Auszeichnung mit symbolischen Generalisierungen noch Leistungsmomente, konnte darüber Aufschluss geben, sondern nur noch Gott und der Künstler selbst.445 Zuccaro kappte die Korrespondenzerwartung zwischen dem Bild im Kopf des Künstlers und der Natur. Teil der Nachahmung des Bildes war nun subjektivierte Einbildungskraft. Der Verzicht auf Einheit in der absoluten Schönheit führte unweigerlich zur Pluralisierung der Kunst – und der Beobachtung des »Wie?« der Produktion. Aber keine Regeln und keine Anweisungen waren bei Zuccaro dazu in der Lage, das, was geschaffen werden sollte, zu programmieren. Wenn jede Möglichkeit wegfällt, das Kunstwerk beurteilen zu können (außer durch Ästhetik, also Gott), weil das dafür ausschlaggebende Kriterium unzugänglich, nämlich privatisiert ist, dann richtet sich das »Wie?« nicht mehr auf die zu erziehende Person, sondern auf den Schaffensprozess aus – und dieser versickerte nun im Künstler.446

443 Auch dies beschreibt bereits Ulrich Pfisterer 1993, S. 261. 444 Ebd., S. 266. 445 Weder Mathematik noch Proportionen hatten hier Bedeutung, Zuccaro schloss sie aus. Pfisterer, ebd., S. 260, fasst hier zusammen: »Ohne letzte objektive, rationale Schönheitskriterien – sie sind auf Gott beschränkt – fällt die Kenntnis, Darstellung und Beurteilung des Schönen vielmehr allein dem Ingenium des großen Künstlers zu.« 446 Siehe hierzu Peter Fuchs 1993, S. 191: »Das soziale >Einverständnis< damit, dass es im Arrangement der sozialen Realität neben Geisteskranken Beobachter mit inkompatiblem Unterscheidungsvermögen gibt, deren Produktionen man beachten, würdigen, goutieren sollte, fällt nicht vom Himmel. Es bedarf eines Vorlaufes, der durch eine bestimmte Ausarbeitung des Geniebegriffs gekennzeichnet ist, durch einen Ausbau in Richtung Ineffabilität, Inkommensurabilität, Einzigartigkeit. Summarisch genommen, entspricht dieser Ausbau der sich durchsetzenden Vorstellung, dass es in ihrer Selbstreferenz unterbrochene Subjekte gebe, Menschen mit ihnen selbst unzugänglichen (aber effektiven) Innenbereichen. Entscheidend ist, dass so konzipierte Personen gleichwohl Kommunikationsadressen sind (sonst könnte man gar nicht von

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An die Stelle der Frage, was der Künstler nachgeahmt hat, rückte nun die Möglichkeit zur Frage: Wie hat der Künstler das Bild durch sich transformiert? Mit dieser Frage beobachtete sich die Kunst nicht mehr über eine religiös formatierte Natur oder einen moralischen Außenhalt, sondern über ein kunstsysteminternes Konstrukt: den Künstler. Die Kunst konnte sich nun in jedem Aspekt selbst beobachten. Das war die entscheidende Folge der Verschiebung der Nachahmung in den Künstler. Damit war die autopoietische Schließung des Kunstsystems auch auf dieser Beobachtungsebene – im Ansatz – erreicht. Jede Frage nach dem, was da eigentlich dargestellt ist, kann nun im Künstler und nicht mehr in Religion oder Moral oder Erziehung enden. Wir fragen uns nicht ohne Grund bis heute: Was will uns der Künstler oder Autor damit sagen? Und niemand käme auf die Idee zu behaupten, dass an einem Gemälde dieser oder jener Pinselstrich falsch sei. Die Bilder der Kunst sind damit imaginär, denn ihr Ursprung ist der Künstler – auf eine Transzendenz kann die Kunst nun verzichten, und zwar ohne, dass das Bild durch diesen Verzicht unmoralisch oder moralisch zweifelhaft werden würde. Anders formuliert: Die Artefakte des Kunstsystems können nun als Kunstwerke verstanden werden; es kann an sie kommunikativ angeschlossen werden, ohne dass die Programme den Beobachtern der Kunst hierzu einen externen Außenhalt in Religion oder Moral bieten müssten. Die Nachahmungen des Kunstsystems verwehren sich gerade jedem Versuch, sie durch Regeln, Tradition, Optik oder Generalisierungen zurückzubinden. Die Kunst entzog sich – und gab genau aus diesem Grund die Kommunikation über sich frei, und wenn man so mag, die sinnvolle Einpassung in das Regelwerk der Sprache selbst, denn als privatisierte Nachahmung war sie jeder Kommunikation unzugänglich – und hierin bestand der Vorteil im Ausdifferenzierungsprozess. Doch wie konnte das Bild unter diesen Umständen noch sakrale Leistungen bieten oder zur Markierung von Herrschaftsverhältnissen dienen, wenn es nur noch das Bild eines Künstlers war? Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems musste für erhebliche Irritationen in der sozialen Umwelt gesorgt haben. Und es war kein Prozess, der unabhängig von sozialer und psychischer Umwelt hätte stattfinden können. Ganz im Gegenteil, der Prozess der Autonomisierung der Kunst vergrößerte die Abhängigkeit des Systems von seinen strukturellen Kopplungen mit der Umwelt. Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems wäre daher unvollständig, ja missverständlich, beschrieben, wenn nicht gezeigt werden würde, wie dieser Prozess in der Gesellschaft und durch Gesellschaft stattfand – und

Personen sprechen), und das wiederum bedeutet, dass ein Kommunikationstyp betreibbar sein muss, der sogar noch in der Lage ist, mit unterbrochener Selbstreferenz seiner Prozessoren umzugehen.«

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das bedeutet im vorliegenden Fall den Irritationen nachzugehen, die die Ausdifferenzierung des Kunstsystems in seiner sozialen Umwelt ausgelöst hatte.

5 Die Kunst des Religionssystems

Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems war nicht nur davon abhängig, eine binäre Codierung anschlussfähig zu halten und systemfremde Ansprüche zu blockieren, sondern auch davon, diese Ansprüche der sozialen Umwelt intern zu rekonstruieren und in Form von Leistung zur Verfügung zu stellen. Das heißt, an der religiösen Thematik der Bilder musste sich durch die Ausdifferenzierung nichts ändern. Genau dies ist mit Ausdifferenzierung bezeichnet: nicht Thematik, nicht Schichtung, Material oder Ritual schafft Kunst, sondern nur: Kunst. Lange vor der Gegenreformation hatte das Kunstsystem so in einem innersystemischen Prozess einen Sonderbereich für religiöse Leistungserwartungen ausdifferenziert, der sich durch religiöse Kommunikation irritieren ließ und bis heute auf Glaubensfragen Rücksicht nimmt.1 Entscheidend ist dabei, dass auch diese religiöse Kunst als Leistung Angelegenheit des Kunstsystems war. Es wundert daher nicht, dass diese Kunst unabhängig von bildtheologischen Theoretisierungen, bspw. zur Zeit der Gegenreformation, stattfand. Bis in das 17. Jahrhundert befassten sich Theologen ohnehin kaum mit Kunsttheorie und Kunsttheoretiker setzten sich lediglich mit Theologie auseinander, um sich über die rechtliche Situation eines Bildes zu informieren, ob bspw. eine gewisse Darstellung erlaubt war oder nicht.2 Die Stellung der Kunst

1

Siehe hierzu insbesondere Federico Zeri 1957, S. 27f., und Bruno Toscano 1988, S. 326ff.

2

Vgl. Christian Hecht 1997, S. 10. Die von Francisco Pacheco 1649 geschriebene Abhandlung »Arte de la Pintura«, scheint, so ebd., S. 10 und S. 25, vonseiten der Künstler die einzige Ausnahme in diesem Bereich gewesen zu sein, da sie sich mit beiden Aspekten befasste. Ob diese Ausnahme in einem Zusammenhang mit Pachecos Schüler und Schwiegersohn, dem Maler Diego Velázquez, stand, lässt sich nur vermuten. Selbst in diesem Ausnahmetraktat stehen jedoch theologischer und künstlerischer Aspekt nebeneinander. Noch in Benedikt XIV. »De Servorum Dei Beatificatione et

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in der Welt war für die Religion eindeutig und in ihren Traktaten versuchte sie die Künstler darüber aufzuklären.3 Der Künstler wurde als »stummer Theologe«, bzw., als »schweigender Prediger des Volkes« aufgebaut,4 seine Bilder sollten den Betrachter erziehen und zur Verehrung Gottes führen: »E procurando di richiamare gli uomini dal vizio et indurli al vero culto di Dio.«5 Zu diesem Zweck sollte die Kunst ihre Werke an den Traditionen, liturgischen Notwendigkeiten und dem Bilderkanon der Kirche orientieren. Es wundert nicht, dass die Unterschiede zwischen der reformatorischen und der reformerisch-katholischen Bildkritik lediglich graduell waren;6 beide sahen sich in diesem Punkt durch ein sich ausdifferenzierendes Kunstsystem erheblich irritiert und reagierten mit einer »Re-Formierung«: Auf Dauer wurde Religion genötigt, ihre eigene Komplexität zu erhöhen und Beobachtungsstrukturen für Kunst auszudifferenzieren. Die Wirtschaft reagierte auf die Ausdifferenzierung des Kunstsystems mit einem Kunstmarkt, die Wissenschaft reagierte mit Ästhetik – und die Religion reagierte, indem sie sich zurückzog, indem sie die Differenz zwischen religiösen und weltlichen Bildern »de imaginibus sacris et profanis« (über heilige und profane Bilder) einführte und damit in der Kommunikation Artefakte auszeichnete, die ausdrücklich nicht als Kunst beobachtet werden sollten. An diese Differenz anschließend reagierte das Religionssystem ab Ende des 16. Jahrhunderts mit einer Flut an religiösen Trakten über die Malerei.7 Stets wurden dieselben theologischen Fragen auf dieselbe Weise beantwortet.8 Viele dieser Traktate wendeten sich ausdrücklich an Künstler, sprachen jedoch stets zum Christen, zum pictor christianus, denn die Kirche konnte ihre Kritik nur unter Inanspruchnahme ihres Mediums und gemäß ihrer systemischen Kontextur üben. Besonders deutlich ist diese Grundhaltung bei Paleotti, denn er beklagte an profanen Bildern,

Beatorum Canonizatione« (1757), einer seit dem Trienter Konzil zentralen Schrift bzgl. der Bilderfragen wurde auf keinen einzigen weltlichen Kunstautoren verwiesen. 3

Bspw. Giulio Ottonelli 1973 [1652].

4

»teologi mutoli«, so Gabriele Paleotti 1961 [1582], S. 496, bzw. S. 497: »taciti predi-

5

Ebd., S. 211.

6

Vgl. Christine Göttler 1990, S. 293.

7

Die religiöse Unterscheidung von sakralen und profanen Bildern produzierte dann die

catori del popolo«.

bildtheologische Paradoxie, dass heidnische Götterbilder, da nicht profan, sakralen Charakter gehabt hätten. Molanus scheiterte an dieser Trennung und behalf sich schließlich mit Unentschiedenheit, indem er diesen Bildern einen Ort zwischen sakral und profan zusprach. 8

Vgl. Christian Hecht 1997, S. 31.

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dass diese nicht sakral seien.9 Entsprechend rief man in den religiösen Traktaten auch nicht zum Ikonoklasmus auf, sondern zum Vergraben sittenwidriger Bilder.10 Diese Kunstwerke des Kunstsystems wurden im Religionssystem damit als entweihte Bilder rekonstruiert. Im Zuge der Ausdifferenzierung des Kunstsystems entgleitete der Kirche auch die religiös-erzieherische Kontrolle zur Möglichkeit der Einschränkung der Darstellung, davon zeugt letztlich auch das Dekret im Rahmen des Konzils von Trient (1563). Die künstlerische Darstellung volkstümlicher Legenden wurde ebenso verboten wie das Aufstellen von ungewohnten bzw. unüblichen (insolitam imaginem), also neuen Bildern.11 Das Dekret ging jedoch keineswegs über die bereits bekannten und angewandten Bestimmungen hinaus. Das Konzil von Trient hatte das Verhältnis der Kirche zum Bild und zur Bildverehrung im weitesten Sinn bestätigt, so dass man kaum von einer nachtridentinischen Bildtheologie sprechen kann. Die einzige Neuerung war die Einführung des Klerus als unmittelbare Kontrollinstanz der Bilder.12 Karl Borromäus bestand in seinen »lnstructiones« (1576) darauf, auch private Andachtsbilder durch den örtlichen Klerus genehmigen zu lassen und ließ entsprechende Kontrollen durchführen.13 Für die Bildproduktion forderte er: »Die Bischöfe sollen dafür sorgen, dass die Bilder in ihren Einzelheiten inspiziert werden, um festzustellen, ob alles der Würde und Heiligkeit des Prototyps entspricht, damit durch den Anblick die Frömmigkeit angeregt, auf keinen Fall aber Anlass zu schandbaren Gedanken gegeben wird. [...] Darüber hinaus sollen sie Sorge tragen, dass die Künstler kein Kunstwerk, weder öffentlich noch privat, herstellen, ohne den Pfarrer zur Beratung hinzuzuziehen. Die zuwiderhandelnden Künstler sind ebenso wie ihre Auftraggeber zu bestrafen.«14

9

Vgl. ebd., S. 76f.

10 Vgl. ebd., S. 244ff. 11 Vgl. Helmut Feld 1990, S. 198ff. 12 Damit wurde die Kontrolle der Bilder über die vereinzelten Bischöfe zugleich partikularisiert. Im Zusammenhang mit der italienischen Kleinstaaterei erscheint eine »Kunst des Tridentinums« somit jenseits zeitlicher und räumlicher Koinzidenz eher fraglich. Aber dies ist wohl innerhalb der Kunstwissenschaften ein seit den 1920ern schwelendes Problemfeld. 13 Vgl. Martin Seidel 1996, S. 55 und S. 83. 14 Helmut Feld 1990, S. 201. Herv. weggelassen.

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Edikte zur Zensur der Bilder wurden bis 1593 in Mailand, Bologna, Venedig und Rom eingeführt. In der Diözese Rom verlangte noch 1603 ein Edikt von Künstlern und kirchlichen Auftraggebern die Vorlage der Entwürfe und eine Genehmigung durch Unterschrift des Kardinalvikars.15 Aber dies waren letztlich zu spät kommende Versuche der Restauration einer religiösen Kontextur, die im Kunstsystem keinen Anschluss mehr finden konnte. Nach diesem Konzilsbeschluss, 1563, kam es innerhalb der katholischen Kirche nicht mehr zu neuen inhaltlichen Darstellungsformen und ihre offiziellen, lehramtlichen, Auseinandersetzungen mit diesen Bildformen werden in der Folge bis in die jüngste Zeit auf diesen Konzilsbeschlüssen beruhen.16 Der Kontrollanspruch der Kirche reduzierte sich auf das Abhängen oder das Übermalen der Bilder in ihrem Einflussbereich – und im Falle der Sixtinischen Kapelle wartete sie sogar bis nach Michelangelos Tod. Die Kunstentwicklung war mithin jenseits einer ikonographischen Reglementierung durch klerikale Aufsicht in den Auftragsarbeiten von Bildtheologie unabhängig.17 Wenn die Darstellung antiker Formen in den Bildern verboten war, dann ließ Veronese die Nischen, in denen normalerweise antike Statuen dargestellt werden würden, einfach leer.18 Es kam nicht mehr, wie zuvor im Mittelalter, zu religiösen Darstellungsinnovationen. Weder seitens der Kunst, noch seitens der Kirche, entstand ein Bildprogramm, das die neuen, bspw. gegenreformatorischen, Ansprüche der Kirche künstlerisch umsetzte. Man forderte bspw. vehement, das Leiden der Märtyrer deutlicher zum Ausdruck zu bringen, aber wie das geschehen sollte, darüber schwieg man sich aus.19 Eine typische

15 Vgl. Christian Hecht 1997, S. 35f. 16 Vgl. ebd., S. 10 und S. 31. Man berief sich noch 1928 bzgl. der Darstellung des Heiligen Geistes auf den oben erwähnten Beschluss von Benedikt XIV. aus dem Jahr 1745, der jedoch, wie sämtliche lehramtliche Äußerungen seit dem Konzil von Trient, nur die Konzilsbeschlüsse konkretisierte. 17 Siehe hierzu besonders Stefan Kummer 1993, S. 532. Vgl. Christian Hecht 1997, S. 33, und Holger Steinemann 2006, S. 34. 18 Siehe hierzu Martin Seidel 1996, S. 73. 19 Bspw. schreibt Giovanni Battista Armenini 1988 [1586], S. 49: »Imperò che, fra li sensi esteriori essendo l’occhio il piú perfetto, per molte vere e belle ragioni, cosí ancore piú commove gli animi ad odio o all’amore o a timore, che tutti gli altri, seconde le cose vedute, e perciò essi supplicii gravissimi presenti vedendo e quasi veri et in quelli rimembrando, alle volte li sono cagione periò di essere commossi alla vera pietà, e da questa tirati alla devozione et in ultimo al buon timore, i quali tutti sono rimedii e mezzi ottimi per la loro salute.« Etwas vorsichtiger formuliert Gabriele Paleotti

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Forderung findet sich bspw. bei Gilio, der eine Jesusdarstellung forderte, auf der Jesus »niedergeschlagen, blutig, vollgespien, geschoren, verunstaltet, blutunterlaufen und hässlich ist, so dass er keinerlei menschliche Gestalt mehr habe«.20 Die religiöse Negation führte nicht zur Strukturänderung im Kunstsystem und die Forderungen führten nicht zu einer Veränderung der Bilder.21 Auch der Nachweis eines Einflusses der religiösen Traktate auf die Malerei gelingt nicht.22 Die Begriffe, die die Kunst zu ihrer Selbstbeschreibung heranzog, »neu«, »schön«, »virtuos« etc., wurden theologisch abgelehnt,23 der seitens der Theologie angebotene Gegenbegriff des »Schlichten« konnte nicht in der Kunstproduktion umgesetzt werden. Die Gegenüberstellung von religiösen Traktaten und Künstlertraktaten zeigt deutlich, dass es sich hier um zwei voneinander unabhängige und sich nicht gegenseitig beeinflussende Kommunikationszusammenhänge über Kunstwerke handelte. Beide Systeme reproduzierten in diesem Fall ihre Kommunikation in struktureller Kopplung an Kunstwerken bzw. Bildern, die unterschiedliche Leitdifferenz der Kommunikation über diese führte jedoch zur gegenseitigen Inkommensurabilität.24 Die Kunst bediente sich freilich religiöser Themen – bis heute, man denke an Michael Triegel, Maurizio Cattelans »La Nona Ora« (1999) oder Martin Kippenbergers »Zuerst die Füße« (1990) – aber von Bramantinos »Madonna und Kind« (vor 1508) bis zur »Kellerszene« des Pseudo-Félix Chrétien oder Caravaggio schien das Religiöse mehr und mehr als etwas Kontingentes am Bild.25 Das Bild wurde oftmals nur noch über kontingente Symbolisierungsleistungen

1961 [1582], S. 418: »L’altro capo appartiene al biasimo de’ vizii et in ciò si potranno con orrore utilmente figurare quelle cose che più siano atte a commovere i sensi, per farci aborrire tanto maggiormente alcuna sorte di peccato [...]«. 20 Giovanni Andrea Gilio 1961 [1564], S. 42. Übersetzung zitiert nach Bruno Toscano 1988, S. 324. 21 Holger Steinemann 2006, S. 449, bestätigt dies: »Die Forcierung des bildlichen Schreckens, [...] hat in der Bildwelt der katholischen Reform allerdings kaum einen Niederschlag gefunden.« 22 Vgl. Bruno Toscano 1988, S. 324, und Martin Seidel 1996, S. 26. 23 Vgl. Christine Göttler 1990, S. 295. 24 Siehe hierzu auch Hans Belting 1991, S. 510: »Die Theologen und die Kunstexperten reden aneinander vorbei, weil sie nicht von denselben Bildern reden.« 25 Über Michelangelo, der ebenso in diesem Zusammenhang zu sehen ist, schreibt Luciano Bellosi 1988, S. 259: »Michelangelos Welt steht außerhalb der Dimensionen von Raum und Zeit [...]«. Dies könnte damit gemeint sein.

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an eine christliche Realität rückbindbar. Bspw. anhand der Speisen auf dem Esstisch im »Familienbild« (um 1530) von Maarten van Heemskerck. Ansonsten ist hier eine Familie mit vergnügten Kindern beim »Picknick« unter freiem Himmel zu sehen.26 Bekannt ist die Kritik, die an Caravaggio geübt wurde, denn erst durch kleine ikonographische Details wurden seine Darstellungen zu religiösen. Es entstanden die ersten Bilder, die nur noch eine Sinnvermutung provozierten, »für die es keinen Schlüssel mehr gibt«27 – zumindest keinen religiösen Schlüssel. In Agucchis Traktat (um 1610) wurde genau dies als »Abkommen von der Wahrheit« kritisiert: »[...] neue, andersartige Manieren kamen auf, die, weit von jeder Wahrheit und Plausibilität entfernt, mehr um Äußerlichkeiten als um die wahre Substanz bemüht waren [...]«.28 Das Dargestellte würde durch zu viel handwerkliche Geschicklichkeit in den Hintergrund gedrängt, die Künstler würden ihre Freiheit missbrauchen, so Lippomano und Gilio.29 Diese Kritik zeigt zugleich auf, dass Religion die Paradoxie zwischen einem selbstgefälligen Zuviel an handwerklichem Können und der Lächerlichkeit von zu wenig handwerklichem Können nicht mehr entfalten konnte.30 Die religiöse Kritik an zu viel handwerklichem Können war in der Kunst die positive Auszeichnung. Die Argumente waren hierbei nahezu identisch, bspw. bei Gilio und Vasari hinsichtlich Michelangelo, nur die Vorzeichen – die binäre Codierung – waren unterschiedlich.

26 In diesem Bild einen Ausdruck von bürgerlichem Repräsentationsbedürfnis zu sehen, übergeht die Tatsache, dass die Szene gerade nicht in einem bürgerlichen Zimmer mit ihrem Potenzial an bürgerlicher Auszeichnung und Distinktion stattfindet, sondern ausgerechnet in einem Raum, der sich jeglicher Verortung entzieht – aber auch dies lässt sich sicher als spezifisch bürgerlich interpretieren. 27 Arnold Gehlen 1960, S. 175. 28 Agucchi zitiert nach der Übersetzung in Ernst H. Gombrich 1985, S. 137. 29 »E ben il vero che molti manifesti abusi circa le imagini sono introdotti nella chiesa dalla liberta de pittori, [...]«, so Luigi Lippomano 1553 in »Confirmatione et stabilimento di tutti li Dogmi cattolici, con la subversione di tutti i fondamenti, motivi et ragioni delli Moderni Heretici«, S. 173f., zitiert nach Christian Hecht 1997, S. 244. Siehe auch Hieronymus Savonarola 1928 [1496], S. 247. 30 Das gilt auch für andere Paradoxien, die nur noch von ihren jeweiligen, sich ausdifferenzierenden Funktionssystemen entfaltet werden können. Man denke bspw. an die Hexenverfolgungen und die Notwendigkeit der Verfolger zu diesem Zweck an Hexen glauben zu müssen – was freilich selbst den Tatbestand der Ketzerei erfüllte, wie findige Juristen klarstellten. Siehe hierzu Norman Cohn 1977, S. 211ff.

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Die Einheit von Kunst und Religion, bspw. als verborgene Theologie in der Poesie bei Boccaccio, zerfiel bei Gilio zum Gegensatz von Poesie und Theologie.31 Für die Malerei versuchte Paleotti, diesen Hiatus mit einer ars una zu überwinden,32 ähnlich wie Leibniz versuchen werden wird, die Theologie auf eine rationale Grundlage zu stellen, also der Religion Wissenschaft zuzumuten, um die Einheit von Wissen und Glauben zurückzuerlangen. Dass dies überhaupt zu versuchen war, weist darauf hin, dass sich bereits etwas getrennt hatte, das nicht zusammenzufügen war. Die ehemalige Einheit von Glauben und Wissen, »Wisse, um glauben, glaube, um wissen zu können«,33 war verloren. Das Bild war für die Religion Mittel der Erziehung und für die Wissenschaft Mittel, die Wirklichkeit zu erfassen. Beiden Ansprüchen versuchte die Kunst zu genügen; beide Ansprüche mussten über kurz oder lang relativiert werden, und zwar in dem Maße, in dem in der Kommunikation über das Bild religiöse Kontextur und wissenschaftliche Wahrheit keinen Anschluss mehr fand, sondern die Kontextur der Kunst kommuniziert wurde. Die dadurch ausgelösten Irritationen konnten nicht mehr durch Überführung in Stratifikation reguliert werden.34 Damit war nun ein fundamentales gesellschaftliches Problem gegeben: Der kommunikative Anschluss an Kunst reproduzierte Kunst, nicht jedoch Religion. In der Kommunikation über und am Bild bestand die soziale Alternative, nicht an die transzendentale Realität, sondern an die imaginäre Realität der Kunst anzuschließen. Die Kommunikation von Imaginärem wurde als Gefährdungslage angesprochen: Das Imaginäre war gegen die Natur, »contro l’ordine della natura«,35 was sich hier nicht nur auf die Natur bezog, sondern auch den erwähnten moralischen Anspruch implizierte. Die Möglichkeit zur Abbildung von Imaginärem und Fiktionen war zwar mit den Grotesken gegeben, jedoch nur als andere Seite der Natur. Die Natur wurde stets als Residue mitgeführt, das heißt, auch in

31 »[...] la Teologia, e la poesia si sono de diretto contrarie«, so Giovanni Andrea Gilio 1961 [1564], S. 87. 32 Paleotti wird scheitern und spricht in seinem späteren Werken nur noch von der religiösen Malerei, so Martin Seidel 1996, S. 59. 33 Wie es bspw. noch bei Augustinus der Fall war: »Intellige ut credas, crede ut intelligas«. 34 Was darunter zu verstehen ist, lässt sich bei Elisabeth I. etwas verdeutlichen: Zwar unterstützte sie öffentlich die Verbannung der Bilder aus den Kirchen, gab sich in der privaten Andacht jedoch den Bildern hin – dies war ihr Vorrecht als Königin. 35 Gabriele Paleotti 1961 [1582], S. 419.

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den Gegenbildern war man von Naturwirklichkeit abhängig.36 Über imaginäre Tiere schrieb Leonardo: »You know that you cannot invent animals without limbs, each of which, in itself, must resemble those of some other animal.«37 Eine grundsätzlich unabhängige Gegennatur, also Künstlichkeit, also einen eigenen Kosmos der Kunst, sprach man ihr in der Kommunikation gerade nicht zu. Auch wenn von Theologen Einbildungskraft thematisiert wurde, war damit nicht etwas Schöpferisch-Kreatives gemeint, sondern die Fähigkeit zur Visualisierung, bspw. von vergangenen Geschehnissen oder Prophetenvisionen. Die Paradoxie, dass auch die bildliche Darstellung einer Prophetenvision notwendigerweise der Imagination, nicht aber der Bibel entnommen werden konnte, wurde naheliegend über die Sachdimension verschoben: Das Thema ermöglichte die Nachahmung von Nichtnachahmbarem.38 An dieser Stelle drang das soziale Imaginäre seit dem Mittelalter in das sakrale Bild. Es musste latent gehalten werden, dass es die Künstler waren, die hier die Evidenzen erzeugten. Der künstlerische Schaffensprozess war der eingeschlossene, ausgeschlossene Dritte, an dem die Referenz des sakralen Bildes für die soziale Umwelt zum Problem wurde; das zeigte bereits die Ikone auf. Das Jenseitige, bspw., war gerade nicht an die Zwänge und Erfordernisse des Diesseitigen gebunden. Die künstlerische Imagination war in diesem Fall, quasi bis zur Arbitrarität, theologisch gedeckt.

36 Bspw. indem einzelne Aspekte der Groteske auf Natur, bzw. Wirklichkeit verwiesen. So schreibt Vincenzo Danti 1960 [1567], S. 235: »[...] come sono le chimere, sotto le quali si veggiono tutte le cose in modo fatte che, quanto al tutto di loro, non sono imitate dalla natura, ma sì bene composte parte di questa e parte di quella cosa natura le, facendo un tutto nuovo per sé stesso.« Eine andere Möglichkeit wäre hier Natur durch Natur darzustellen, bspw. Giuseppe Arcimboldos »Vertumnus« (1590-1591). Die Kunst verwendet hier ihre Methoden reflexiv. 37 Leonardo da Vinci 1883a, S. 292. 38 So arbeitete Gregorio Comanini 1591 [1582], S. 331f., mit der Differenz von repräsentierender Nachahmung (imitazione icastica) und Fiktion (imitazione fantastica) und wies die Darstellung Gottes oder einer Prophetenvision der repräsentierenden Nachahmung zu: »E sì come fu prima tra noi determinato che, perché la persona del Padre non è mai sola e scompagnata dall’altre due visibilmente apparita ad alcuno, l’imagine che voi ne fate fosse sotto il genere delle fantastiche, così potrebbesi ora far risoluzione contraria secundo un altro rispetto e dire che, poiché questa rappresentazione in forma di vecchio è stata nell’imaginazione di Daniello e di S. Giovanni, l’imagine della detta prima persona si puo ridurre al genere dell’imitazione icastica.«

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Aus diesem Grund verteidigte die venezianische Inquisition Michelangelos Darstellung von Nackten im »Jüngsten Gericht«.39 Durch Einbindung von subjektivem Imaginärem wurde eine höhere Wahrheit möglich. Die Theologie konnte diese Paradoxie nicht mehr entfalten, sondern nur noch durch Dogmatik intern blockieren: Indem alle nichtwahren Bilder vermieden werden sollten, wollte man sich wahre Bilder erhalten. Entsprechend empfahl Tasso der Poesie das Vermeiden der Heilsgeschichte als Thema aufgrund der Probleme, die sich durch die künstlerische Bearbeitung ergaben – aber würde der Künstler auf diese künstlerische Bearbeitung verzichten, wäre er lediglich Historiker.40 Damit die Heilsgeschichte wahr bleiben konnte, musste sie von den Dichtern gemieden werden. Die Folgelast des Ausbaus der Kontingenzformel des Künstlers war für die soziale Umwelt erheblich: Welche Themen Künstler nun auch bearbeiteten, sie ermöglichten durch ihre Bearbeitung die Kommunikation von Kunst und daran kollabierte jede religiöse Kontextur. Gestattet die Religion das Imaginäre der Kunst, dann verliert sie die Leistung der Kunst, religiöse Wirklichkeit abzubilden. Bilder und Literatur vor der Ausdifferenzierung des Kunstsystems waren antifiktiv. Die Theologie musste an wahrheitsfähigen Bildern festhalten, die die (religiöse) Wirklichkeit so wiedergaben, wie sie war. Darunter fiel freilich auch die Darstellung des heiligen Übernatürlichen; der Unterschied zu den Chimären der Grotesken war nun jedoch nur noch ein Unterschied des Religionssystems. Paleotti versuchte die Kunst noch an Religion zurückzubinden, indem er den Begriff des imitare teilweise durch assomigliare bzw. rassomigliare, »ähnlich machen«, »angleichen« bzw. »nachbilden«, ersetzte.41 Diese Begriffspräzision der Nachahmung betonte die Nachträglichkeit des Bildes gegenüber dem, dem es ähnlich war. Aber letztlich entfernte man Altarbilder aufgrund der Befürchtung, dass der Künstler real existierende Personen gemalt hatte. Die Wirklichkeit der Kunst bedrohte die Wirklichkeit der Religion und das Kriterium, das darüber entschied, war an eine dem Bild äußerliche Bedingung gebunden. Hierzu zählte nicht nur die Entfernung des Betrachters zum Bild, wie in den Vexierbildern oder den Kombinationsbildern Giuseppe Arcimboldos, sondern auch der Titel. Veroneses Umbe-

39 Im Rahmen des Prozesses gegen Paolo Veronese, der die von ihm erfundenen Geschichten mit dem Verweis auf Michelangelo zu rechtfertigen versuchte. Siehe hierzu den Abdruck der Verhandlung in Michael Jäger 1990, S. 177ff. 40 Siehe hierzu Baxter Hathaway 1968, S. 144f. 41 Vgl. Holger Steinemann 2006, S. 105.

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nennung eines religiös anstößigen Bildes stellte das Tribunal der Inquisition zufrieden.42 Die Wahrheitsfähigkeit löste sich vom Bild und ging auf den Beobachter über, der ein Bild auf bestimmte Weise beobachtete. Die feurige Himmelfahrt des Elias war jedoch keine Science-Fiction. Die soziale Möglichkeit zur Kommunikation der imaginären Realität der Kunst entwertete die Wahrheit der Religion.43 Um hier ein Beispiel zu geben: Ab Mitte des 16. Jahrhunderts formten gebildete, reformorientierte Handwerker und Händler in den italienischen Städten Gesprächszirkel. Man traf sich zu Debatten, bei denen bspw. jeder Teilnehmer eine eigene Interpretation der Eucharistie oder des Fegefeuers vorstellen sollte – jenseits jeder offiziellen Theologie.44 Soziale Imagination musste jedoch eingeschränkt bleiben. Nicht zuletzt aus diesem Grund differenzierte die Religion ein Beobachtungsinstrument zur Selbstbeobachtung aus, die Inquisition.45 Die Bekämpfung religiöser Phantasien (fantasia) durchzog entsprechend die inquisitorischen Prozessakten dieser Zeit. Die Inquisition fungierte hier als Mechanismus zur Reduzierung der systemischen Freiheitsgrade, zur Absorbierung von Unsicherheit. Aber konnte sich Religion noch in und durch Kunst absichern?

42 Narren, Betrunkene, Papageien und ein deutscher Landsknecht mit blutender Nase waren nach Ansicht des venezianischen Inquisitionstribunals dem Abendmahl nicht angemessen und so forderte man Veronese auf, die Darstellung zu ändern. Veronese weigerte sich mit den Argumenten der Schönheit der Personen, der Komposition und seiner Freiheit als Künstler; vergeblich. Also änderte Veronese den Titel zu »Gastmahl im Hause des Levi«. Siehe hierzu den Abdruck der Verhandlung in Michael Jäger 1990, S. 177ff. Siehe auch Hans D. Huber 2005, S. 365ff. 43 Dies beschreibt auch Hans Belting 1991, S. 525: »Wenn ihre Darstellungen [die Bilder der Künstler, d. Verf.] auf Fiktion beruhten, konnten auch die anderen, deren Thema man wörtlich nahm (Heiligenbilder und Porträts), ihre alte Eindeutigkeit nicht bewahren.« 44 Siehe hierzu Silvana Seidel Menchi 1993, S. 100. Die Reformation deckte diese religiösen Spekulationen; nach Erasmus stand es jedem zu, Theologe zu sein. Im Gegensatz zu Luther wies Erasmus auf Mehrdeutigkeiten hin, bspw. indem er für Bibelstellen mehrere Interpretationsmöglichkeiten anführte. 45 Die Inquisition war entsprechend ausschließlich auf Glaubensfragen ausgerichtet, ein Punkt, der bspw. auch bei nicht-religiöser Motivation der Denunziation, bspw. zur Besitzerschleichung, ausschlaggebend war. Nicht jede semantische Variation konnte ein Verfahren nach sich ziehen. Daher wurden Hexer und Hexen i. d. R. vor weltliche Gerichte gestellt und kaum vor Inquisitionsgerichte.

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Die Ordnungsvorteile, die die Religion in den Leistungen der sich ausdifferenzierenden Kunst nutzte, insbesondere Bilder, die sich auf Wahrnehmungsevidenzen stützen konnten, fielen ihr in dem Moment in den Rücken, in dem sie sich auf die Wahrnehmungsevidenzen der Kunst verlies, das Kunstsystem jedoch nicht stillstand. Aus der Kompensation wurde Gefährdung. Der Religion widerfuhr hier mit der Kunst das gleiche Schicksal, wie zuvor mit der Physik. Zwar löste die Modernisierung der Physik durch die Rezeption der Schriften Aristoteles’ das Problem der Transsubstantiation im Rahmen der Eucharistie, jedoch stand auch dieses Wissen nicht still.46 Die künstlerischen Innovationen gerieten der Religion zur Falle. »Mögen wir [...] Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen – es hilft nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr.«47 Um es noch deutlicher zu formulieren: Für das Religionssystem war die Ausdifferenzierung des Kunstsystems eine Katastrophe. Bereits die Ausdifferenzierung der Religion als ein Funktionssystem der Gesellschaft stellte die Religion vor immense strukturelle Herausforderungen. Die Ausdifferenzierung der Religion wurde als ihr Verfall (!) beschrieben, wie eingangs dargestellt. Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems als vermutlich zweites Funktionssystem der Gesellschaft war nun insofern eine gesellschaftliche Katastrophe,48 als sie die soziale Synchronität, die mit der Ausdifferenzierung der Religion immerhin monopolisiert werden konnte, vollständig unterbrach: Die Gesellschaft musste nun damit rechnen, dass sie von der Kunst beobachtet wurde und diese Beobachtung in Konkurrenz mit der bis dahin konkurrenzlosen Beobachtung durch Religion trat. Die Folge war, dass sowohl die soziale Umwelt, als auch die Religion nun über die Kontextur der Kunst einem Rejektionswert ausgesetzt wurden. Religion wurde »verwundbar«, so Luhmann.49 Über die Kunst war die Gesellschaft in der Lage, die Welt in Frage zu stellen, lediglich durch Kommunikation einer Gegenwelt – und gerade dies ist Teil der sozialen Funktion, unter der sich das Kunstsystem ausdifferenzierte.

46 Zwar gelang es, die Transsubstantiation durch Einsatz von Zusatzhypothesen aufrechtzuerhalten – ironischerweise durch Ockham – spätestens mit Descartes’ Austausch der aristotelischen Kategorientafel durch ein neues Modell für die Verknüpfung von Dingen und ihren Eigenschaften gerieten diese erneut unter Druck. Siehe hierzu unter anderem Rainer Specht 1972, S. 69ff., und grundlegend Hans Blumenberg 1966. Diese Differenz zwischen altem und neuem Wissen wird dann für die Ausdifferenzierung der Wissenschaft an Bedeutung gewinnen. 47 Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1964, S. 151. 48 Siehe zur Katastrophe der Neuzeit auch Niklas Luhmann 1998b, S. 683. 49 Niklas Luhmann 2000b, S. 356.

6 Schluss

Gibt die Gesellschaft das soziale Imaginäre frei und differenziert unter dieser Bedingung mit dem Kunstsystem ein System aus, das die Funktion übernimmt, die Welt auf diese Weise mit Kontingenz anzureichern, dann entbindet sie die Kunst in diesem Prozess von ihrer Leistung, andere Wirklichkeiten als die ihren abbilden zu müssen oder zu können. Die historische Analyse hatte hier aufgezeigt, wie sich die Kunst dazu von der Reproduktion und Erhaltung des bestehenden Weltbilds lösen musste. Die gesellschaftsstrukturelle Voraussetzung dafür war, dass es sich nicht mehr um Häresie handelte, sondern: um Kunst.1 Ein Vorgang, der sozial äußerst unwahrscheinlich, aber im Zuge der Durchsetzung funktionaler Differenzierung gegen Stratifikation, möglich wurde. Zunächst setzte die Ausdifferenzierung des Religionssystems religiöse Kommunikation am Bild der Religion unter strukturellen Druck. Es galt, den Widerspruch zu entfalten, der mit Exodus 20.4 und Genesis 1.26 gegeben war, also Reibungen einer unnahbaren Transzendenz mit der Fähigkeit, selbst nachahmen zu können und zu sollen. Im historischen Prozess musste sich religiöse Kommunikation hier auf die Beobachtung des Unbeobachtbaren beschränken; ihre Bilder waren so nur noch ein Sichtbarwerden des Unbeobachtbaren im Beobachtbaren durch den Wiedereintritt ihrer Kontextur in die Kontextur. Was ihr zunächst blieb und worauf sie setzte, waren gesteigerte Erwartungshaltungen, bspw. Wirkung und Belehrung, die dem bildenden Handwerker nun Freiheitsgrade, also

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An Demonstrationen dieser Wirklichkeitsgenerierung hatten sowohl Alberti, Brunelleschi als auch Leonardo ihre Freude. Das bedeutete aber auch, dass das Kunstwerk in einem profanen, unterhaltenden Zusammenhang eingesetzt wurde. Die camera obscura, schließlich, entfernte jeden Rest Sakralität aus dem Bild, denn die camera obscura sollte den Beobachter erstaunen, aber nicht mehr moralisch bewegen. Das Transzendentale wurde ausgeräumt. Von Bedeutung ist nur noch die Darstellung und mithin die Wirklichkeit der Kunst.

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Komplexität, zumuteten, die für ihn gerade nicht mehr wie zuvor religiös verarbeitbar waren. Der Rückzug religiöser Kommunikation hinterließ Reflexionswiderstände, die den Ausdifferenzierungsprozess der Kommunikation über eine Differenz in Gang setzte, die ihre ursprüngliche soziale Einbindung in diesem Prozess aufgab, aber bis heute als Leistung mit sich führt. Die Reflexion der Bildproduktion suchte in diesem Prozess die Paradoxie der Nachahmung zu entfalten, dass sich etwas durch Wiederholung in einem anderen Medium zu einem Anderen machen kann. Es ist das Gleiche, nämlich ein Gleichnis, eine Ähnlichkeitsbeziehung, aber nicht dasselbe. Diese Paradoxie konnte zunächst über Selbstbeschreibungsversuche verschoben werden. Die Selbstbeschreibung änderte im historischen Prozess ihre Selektivität. Sie setzte zunächst auf die Nachahmung der Tradition, überstieg diese jedoch mit der Nachahmung der Natur und der Nachahmung der Regeln der Natur. Bereits hier diente die lebensweltliche Natur nur noch als Gegenbegriff gegenüber einer idealen und vollkommenen Natur der Kunst. Das Imaginäre der Kommunikation musste dazu über symbolisch generalisierte Wahrnehmungsevidenzen und eine mathematisch-geometrische, halbsakrale Betreuung limitiert werden. Nach dem Verlust des wissenschaftlichen Außenhalts wurde die Nachahmung der Schöpfungsgesetze schließlich privatisiert. Erst jetzt bestand ein Bedarf an Kreativitäts- oder Inspirationssemantiken, die den Außenhalt in religiöser Erziehung, moralischer Bewertung und wissenschaftlicher Wahrheit substituieren konnten. Die Selbstbeschreibung zog dabei alle verfügbaren Register zum Aufbau eigener Komplexität, von der Creator-Metapher bis zu Exklusionsformen der stratifizierten Ordnung. So gelang es dem Kunstsystem, den Künstler als Kontingenzformel aufzubauen. Die Nachahmung versickerte nun im Künstler und damit verzichtete die Kunst endgültig auf Außenweltkorrelationen. Die Immanenz des Imaginären trat nun in Konkurrenz zur Immanenz des Transzendenten. Gerade mit dieser Differenz, der Differenz von imaginärer Realität/realer Realität, begann die Kunst sich selbst zu beobachten. Das Kunstsystem war dazu in der Lage, durch seine Selbstreferenz der imaginären Realität, jeden externen Anspruch blockieren zu können und dennoch anschlussfähig zu bleiben: als Kunst. Die soziale Umwelt dient nur mehr als mediale Zitathalde; der Künstler kann in Religion wie in Bronze arbeiten.2 Dazu bedurfte es der Bildung eines robusten, symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums, das sich jeder Individualität anpassen konnte und selbst moralisch Fragwürdiges und Arbiträres als Kunstwerke erfolgreich in den Kommuni-

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»Der Künstler ist durchaus irreligiös − daher kann er in Religion wie in Bronze arbeiten«, so Novalis 1978 [1799], S. 722.

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kationszusammenhang zu ziehen wusste.3 Die Freiheitsgrade der Kunst finden sich nur noch intern beschränkt, durch die Leistungsfähigkeit ihres Kommunikationsmediums. Aber wozu setzte sich die Kunst mit ihren Unterscheidungen von den Realitäten ihrer sozialen Umwelt ab?4 Die Kommunikation der Realität der Kunst lädt die gesellschaftliche Semantik mit Kontingenz auf: Die Welt könnte anders sein – und darum geht es ihr. Während die Kunst vor ihrer Ausdifferenzierung gezeigt hat, dass die Welt so ist, wie sie ist, nämlich, wie oben beschrieben, unbeobachtbar, zeigt sie nun durch ihren Mediengebrauch, dass die Welt anders sein kann. Erst unter diesen Umständen konnte es ihr gelingen, den Beobachter »in eine Situation hineinzumanövrieren, in der er selbst der Realität (und nicht zuletzt: sich selber) gegenübersteht und sie in einer Weise beobachten lernt, die er sich im Alltagskontext nicht aneignen könnte.«5 Kunst schafft im Vertrauten Unvertrautes, schafft Gegennatürlichkeit dort, wo das Natürliche gewiss war. Wo die Referenz Bedeutung erlangt, kann die Kunst darauf verzichten. Die Gefährdung der Latenzbedürfnisse der Religion durch die Kunst war vorprogrammiert. Und auch die sich ausdifferenzierende Wissenschaft hatte hier erhebliche Reflexionsschwierigkeiten, denn sie musste noch lange Zeit das innere Bild des Künstlers mithilfe von Korrespondenztheorien an das Außen binden. Doch die Differenzen, die für die Kunst nun von Bedeutung sind, haben keine Entsprechung in der sozialen Umwelt. Und diese imaginären Realitäten sind unverzichtbar für die funktional differenzierte Gesellschaft.6 Die Kunst institutionalisierte die Kontingenz der Welt und die Kontingenz der Welt war dabei ihr Vorbehalt. Erst wenn das, was nicht anders sein konnte, auch anders sein kann, ist es der Kunst möglich durch ihre Kommunikation die Gesellschaft mit Abweichungen und Variationen auszustatten, auf die die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft angewiesen ist. Doch während hier die Kommunikationen an den Bildwerken längst vergangen sind, ist es die Lite-

3

Siehe auch Niklas Luhmann 1998a, S. 368, in Hinsicht auf die Medien Liebe und Kunst. Siehe hierzu auch die These von Harry Lehmann 2006, S. 137ff., zu systemtheoretischen »Humanmedien«.

4

Vgl. Niklas Luhmann 1992d, S. 60.

5

Niklas Luhmann 1992c, S. 70.

6

Siehe hierzu auch Siegfried J. Schmidt 1989, S. 19, der die Funktion der Kunst recht ähnlich bestimmt: Die Konventionen des Literatursystems lösen die »Handlungsmöglichkeilen im Literatursystem von der Verpflichtung auf die gesellschaftlich akzeptierten Wirklichkeitsmodelle ab und eröffnen fast unbegrenzte Spielräume subjektiven Handelns und Erlebens, die allerdings auf das Literatursystem begrenzt werden.«

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ratur, die noch einen Eindruck von diesen Kontingenzzumutungen vermitteln kann. Bereits bei Thomas Morus’ »Utopia« (1516) war die Gesellschaft selbst über eine imaginäre Gesellschaft beobachtbar geworden, doch erst im 18. Jahrhundert wurde die Kontingenz der Gesellschaft zu einem Problem, das in der Kunst auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung verarbeitet wurde. Zunächst vor allem in Form von Satiren, bspw. bei Maddens, Voltaire, Diderot, Defoe, Swift und Johnson. Gerade mit Voltaires »Candide ou l’optimisme« (1759) wurde die Kontingenz der Welt selbst aufgezeigt: Diese Welt ist nicht die beste aller Welten. Mit etwas Vernunft kann man sie besser gestalten als Gott. Und die Romantik wird der Gesellschaft die Kommunikation einer Welt zur Verfügung zu stellen, die dort voller Sehnsüchte und Geheimnisse sein darf, wo diese durch die Vernunft aus der sozialen Umwelt ausgeräumt werden. Der an Schichtung orientierten Eheschließung kann dann, bspw. in Rousseaus »Julie ou la Nouvelle Héloïse« (1761) oder Schlegels »Lucinde« (1799), eine Möglichkeit zur Seite gestellt werden, die orthogonal zur Schichtung steht: die Liebesheirat. Aber wie das Kunstsystem in den nun folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten in unterschiedlichen Medien und an unterschiedlichen Orten seine imaginären Realitäten programmiert und seine Verhältnisse und Leistungsaspekte ordnet, bleibt zukünftigen Analysen vorbehalten. Wie die moderne Wissenschaft erschüttert Kunst Gewissheiten und gerät so in den Fokus extrasystemischer Erwartungen. Die soziale Umwelt mag dann die Realität der Kunst an den eigenen Realitäten messen; die Realität der Kunst wird unnatürlich, widernatürlich, affirmativ etc. pp. Die gesellschaftliche Umwelt lässt sich nicht davon abhalten, moralisch erziehende, politisch erziehende, gefällige oder marktfähige Kunst einzufordern, aber wenn Kunst diese Leistungen für ihre soziale Umwelt erbringt, dann zu ihren Bedingungen. Diese Autonomie ist nicht nur »Befreiung«, sondern auch Belastung. Das gilt für die Selektion ihrer Elemente ebenso, wie ihre Selbstbeschreibung. Jede Frage, die an das System gestellt wird, muss es selbst beantworten. Jede Schwierigkeit, auf die das System stößt, muss es selbst überwinden. Die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen zergliederte die Gesellschaft nicht in unterschiedliche Felder mit unterschiedlichen Einflusssphären, sondern fasst eine polykontexturale Welt monokontextural, das heißt, jedes Funktionssystem schnürt Welt in einer, seiner, Kontextur zusammen. Setzt man diesen Verlust der Möglichkeit zur Einheit der Gesellschaft als Bezugsproblem, dann erscheint die Kunst hierfür funktional. Eine heile Welt hatte für Kunst keine

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Verwendung.7 Die Kunst erfüllt ihre Funktion jedoch nicht, indem sie die verlorene Einheit substituiert oder gar Methode zur Wiedereinholung oder Heilung ist, sondern indem es der Gesellschaft mit der Ausdifferenzierung des Kunstsystems gelungen ist, die Paradoxie fruchtbar zu machen, dass Unsicherheit durch Verunsicherung kompensiert werden kann, und zwar in Form von spezifischen, nämlich imaginären, Weltverhältnissen.8 Indem die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft durch das détachement von der Tradition auf Beweglichkeit setzte, musste sie nun auf Beweglichkeit setzen, um die Beweglichkeit abzufangen.9 Vielleicht könnte man hier zum Schluss die Vermutung anschließen, dass sich Mimesis dazu in die Form des Imaginären überführt – und vielleicht ist Kunst gerade dies: sozial funktionalisiertes Imaginäres.

7

Siehe hierzu auch Ernst Cassirer 1975 [1916], S. 16ff.

8

Siehe hierzu auch Niklas Luhmann 1992c.

9

Siehe hierzu in ähnlichem Sinne Dieter Claessens 1992, S. 119.

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Wolfgang Bonss, Ludwig Nieder, Helga Pelizäus-Hoffmeister Handlungstheorie Eine Einführung Juli 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1708-5

Michael Heinlein, Katharina Sessler (Hg.) Die vergnügte Gesellschaft Ernsthafte Perspektiven auf modernes Amüsement November 2012, ca. 290 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2101-3

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Sozialtheorie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat April 2012, 528 Seiten, Hardcover, 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2036-8

Nadine Marquardt, Verena Schreiber (Hg.) Ortsregister Ein Glossar zu Räumen der Gegenwart September 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1968-3

Stephan Moebius, Sophia Prinz (Hg.) Das Design der Gesellschaft Zur Kultursoziologie des Designs Februar 2012, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1483-1

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Sozialtheorie Thomas Alkemeyer, Gunilla Budde, Dagmar Freist (Hg.) Selbst-Bildungen Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung Januar 2013, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1992-8

Bernd Dollinger, Fabian Kessl, Sascha Neumann, Philipp Sandermann (Hg.) Gesellschaftsbilder Sozialer Arbeit Eine Bestandsaufnahme Mai 2012, 218 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1693-4

Iris Dzudzek, Caren Kunze, Joscha Wullweber (Hg.) Diskurs und Hegemonie Gesellschaftskritische Perspektiven Juli 2012, ca. 230 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1928-7

Konstantin Ingenkamp Depression und Gesellschaft Zur Erfindung einer Volkskrankheit Februar 2012, 370 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1930-0

Herbert Kalthoff, Uwe Vormbusch (Hg.) Soziologie der Finanzmärkte Juli 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1806-8

Karin Kaudelka, Gerhard Kilger (Hg.) Das Glück bei der Arbeit Über Flow-Zustände, Arbeitszufriedenheit und das Schaffen attraktiver Arbeitsplätze Juli 2012, ca. 230 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2159-4

Susanne Lettow (Hg.) Bioökonomie Die Lebenswissenschaften und die Bewirtschaftung der Körper Juli 2012, ca. 220 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1640-8

Stephan Lorenz Tafeln im flexiblen Überfluss Ambivalenzen sozialen und ökologischen Engagements Januar 2012, 312 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2031-3

Christian Mersch Die Welt der Patente Soziologische Perspektiven auf eine zentrale Institution der globalen Wissensgesellschaft Juli 2012, ca. 460 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2056-6

Max Miller Sozialtheorie Eine Kritik aktueller Theorieparadigmen. Gesammelte Aufsätze September 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-89942-703-5

Birgit Riegraf, Dierk Spreen, Sabine Mehlmann (Hg.) Medien – Körper – Geschlecht Diskursivierungen von Materialität Juli 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2084-9

Ulrich Willems, Detlef Pollack, Helene Basu, Thomas Gutmann, Ulrike Spohn (Hg.) Moderne und Religion Kontroversen um Modernität und Säkularisierung Juli 2012, ca. 500 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1966-9

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