Die Anwendung der Strafvorschriften des GmbH-Rechts auf faktische Geschäftsführer [1 ed.] 9783428481392, 9783428081394

Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen interessanten Frage, inwieweit fakt

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Die Anwendung der Strafvorschriften des GmbH-Rechts auf faktische Geschäftsführer [1 ed.]
 9783428481392, 9783428081394

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HANS DIETER MONTAG

Die Anwendung der Strafvorschriften des GmbH-Rechts auf faktische Geschäftsführer

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Hans Joachim Hirsch, Günter Kohlmann Michael Walter, Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 15

Die Anwendung der Strafvorschriften des GmbH-Rechts auf faktische Geschäftsführer

Von Hans Dieter Montag

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Montag, Hans Dieter: Die Anwendung der Strafvorschriften des GmbH-Rechts auf faktische Geschäftsführer / von Hans Dieter Montag. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften; Bd. 15) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1992/93 ISBN 3-428-08139-0 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-08139-0

Vorwort Die nachstehende Abhandlung hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Wintersemester 1992/93 als Dissertation vorgelegen. Die mündliche Prüfung fand am 8. Juli 1993 statt. Das Manuskript wurde im Herbst 1992 abgeschlossen. Später erschienene Literatur ist nach Möglichkeit berücksichtigt. Besonderen Dank für die Erstkorrektur schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Günter Kohlmann, der die Anregung für die vorliegende Arbeit gab und durch seine sehr effiziente Betreuung zu ihrem zügigen Abschluß beitrug. Gleichfalls zu danken habe ich Herrn Prof Dr. Thomas Weigend für die Zweitkorrektur und den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe der Kölner Krirninalwissenschaftlichen Schriften. Der Verfasser ist inzwischen Rechtsanwalt in Berlin. Berlin, im Januar 1994

Hans Dieter Montag

Inhaltsverzeichnis Kapitell Einleitung und Problemstellung

13

I. Die Strafvorschriften des GmbHG ...............................................................................................

13

1. § 82 GmbHG ..........................................................................................................................

13

2. § 84 GmbHG ..........................................................................................................................

16

3. § 8S GmbHG..........................................................................................................................

17

11. Der Kreis der potentiellen Nonnadressaten der Geschlftsfilbrerdelikte......................................

18

1. Der zivilrechtlich wirksam bestellte GeschAftsfil.hrer.............................................................

18

2. Zur Frage der TiterqualiW sog. faktischer GeschA.ftsfllhrer ................................................. a)

Erscheinun~onnen faktischer

Geschlflsfilhrung...........................................................

21 22

b) Die Problematik der Einbeziehung faktischer GeschA.ftsfllhrer in den N onnadrcssatenkreis der GeschAftsfUhrerdelikte ....................................................................... ...........

23

(1) Fallbeispiell ..............................................................................................................

25

(2) Fallbeispiel 2 ..............................................................................................................

25

(3) Fallbeispiel3 ..............................................................................................................

26

111. Der Gang der nachfolgenden Untersuchung.................................................................................

26

Kapitel 2 Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faIdbcher Organe

28

I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts .......................................................................................

28

1. RGSt 16, 269..........................................................................................................................

28

2. RGSt 34, 412 und RGSt 43, 430 ...........................................................................................

30

3. RGSt 43, 407 ..........................................................................................................................

30

4. RGSt 64, 81............................................................................................................................

31

5. RG, JW 1934, 696..................................................................................................................

32

6. RGSt 71, 112 und RG, JW 1935, 2640.................................................................................

33

7. RGSt 72, 187..........................................................................................................................

35

8. Die grundsätzlichen Aussagen der reichsgerichtlichen Rechtsprechung ...............................

36

8

Inhaltsverzeichnis

11. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ...............................................................................

37

1. BGHSt 3, 32 ...........................................................................................................................

38

2. BGHSt21,101 .......................................................................................................................

41

3. BGH bei Herlan, GA 1971, 33 ..............................................................................................

43

4. BGHSt 31, 118.......................................................................................................................

43

5. Die grundsltzlichen Aussagen der Rechtsprechung des BGH...............................................

45

6. Die Anwendung der vom BGH entwickelten GrundsAtze in OLG Düsseldort; NJW 1988, 3166........................................................................................................................................

48

Kapitel 3

Die Kritik des Schrifttums

49

I. Verstoß gegen das Analogieverbot ...............................................................................................

49

1. Überschreitung des Wortsinns der Tlterbeschreibung...........................................................

50

2. Verstoß gegen den Gesetzeszweck .........................................................................................

52

a) Fehlender Bezug zur Einzelnorm.....................................................................................

52

b) Gefahr einer kumulativen Strafbarkeitsausweitung ........................................................

53

c) Unmöglichkeitnormgemlßen Verhaltens........................................................................

55

3. Nichtbeachtung der "Sperrwirkung" des § 14 Abs. 3 StGB..................................................

57

11. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot ........................................................................................

61

1. Zur Frage der Erstreckung des Bestimmtheitsgebotes auf die Rechtsprechung ....................

62

2. Die Rechtsprechung als Adressat des Gebotes zur verfassungllkonformen Auslegung von Rechtsnormen..........................................................................................................................

63

3. Zwischenergebnis....................................................................................................................

64

ill. Eigene Kritik.................................................................................................................................

65

Kapitel 4

Löslll1lsansltu im Sehrlfttum

70

I. RQckgriff auf zivi1rechtliche Begriffsinhalte ............ ... ................. ...... ........................ .......... ........

70

11. Die Lehre von der sog. faktischen Betrachtungllweise als Auslegungsmethode........................

73

111. Die Garantentheorie......................................................................................................................

75

IV. Konkursverschleppung als Begehunglldelikt................................................................................

76

Inhaltsverzeichnis

9

Kapitel 5

Zusammenfassende StellllJllllllhme und Entwicklung eines eigenen Lösungskonzeptea

79

I. Die Bewertung der bisher angebotenen Lösungen.......................................................................

79

11. Der eigene Lösungsansatz.............................................................................................................

79

1. Die auszulegenden Tatbestandsmerkmale .............................................................................

80

a) Zur Problematik bei den sog. Verweisungsnonnen.........................................................

80

b) Die Reichweite der Tlterbcschreibungen.........................................................................

82

2. Das methodische Vorgehen ....................................................................................................

82

a) Konkretisierung des Nonninhalts durch Auslegung........................................................

82

b) Der Umfang des richterlichen Konkretisierungsauftrag.1l.................................................

84

c) Besonderheiten bei der Konkretisierung unbestimmter, wertausfilllung.1lbedürftiger Tatbestandsmerkmale.......................................................................................................

86

(1) Der Begriffdes normativen Tatbestandsmerkmals....................................................

86

(2) Die Bedeutung der in Bezug genommenen Werteordnung .......................................

87

(3) Zur Rangfolge der Rechtsfindung.1lffiethoden.............................................................

88

(4) Der Terminus des "unbestimmten Rechtsbegriffs......................................................

88

d) Die Einordnung der Titerbeschreibungen in den Geschlftsfilhrerdelikten.....................

89

e) Zwischenergebnis .............................................................................................................

91

Kapitel 6

Folgerungen aus der Auslegung der strafrechtlichen Vorschriften

92

I. Einheitliche Bestimmung der Tlterbcschreibungen in allen Geschlftsfilhrerdelikten ................

92

11. Erfordernis eines Bestellungsaktes aufgrund des strafrechtlichen Regelung.1lkonzeptes?...........

95

1. Argumente aus § 82 Aha. 1 Nr. 4 GmbHG............................................................................

95

2. Argumente aus § 84 Aha. 1 Nr. 1 GmbHG............................................................................

96

3. Argumente aus § 84 Aha. 1 Nr. 2 GmbHG............................................................................

97

III. Erfordernis eines Bestellungsaktes aufgrund zivilrechtlicher Bezüge? .......................................

98

1. Zur Frage einer Ersetzung des Bestellungsaktes durch eine ,,konkludente Bestellung" .......

99

2. Die Notwendigkeit eines Verzichts auf das Erfordernis eines tatsächlichen Bestellungs-

aktes........................................................................................................................................

101

IV. Die Herleitung der Kriterien flIr die richterliche Eigenwertung .... .............. ... ....... .... ....... ....... .... 102

10

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 7

Die struktureUen Merkmale der Gescblftsftlhrenchaft bn 7Jvilrecht

lOS

I. Das Konzept der gesetzlichen Regelung....................................................................................... 105 II. Die unabdingbaren Rechte und Pflichten des Geschlftsfilhrers................................................... 107

1. Die zwingenden Amtspflichten des Geschlftsfilhrers .......................................... .......... ........ 107 2. Die unentziehbaren Rechte des GeschIftsflIhre................................................................... 108 3. Die Befugnisse der GeschIftsfilhre im Außenverhlltnis..................................................... 109 III. Die einvemelunliche Zuweisung der organtypischen Befugnisse................................................ 109 IV. Zwischenergebnis.......................................................................................................................... 110

Kapitel 8

AuswirIamC der z1vDrechtlichen Merkmale der Gescblftst1lhnmJ auf das Strafrecht

111

I. Die uneingeschrlnkte Flhigkeit zur AusQbung organtypischer Befugnisse................................ 111

1. Die rechtliche und tatsAchliche Position des Titers im Unternehmen als Grundlage seiner Befugnisse............................................................................................................................... 112 2. Die tatsAchlichen Voraussetzungen einer entsprechenden Machtposition............................. 112 3. Die Bedeutung dieses Abgrenzungsrnerkmals ....................................................................... 113 II. Die uneingeschrinkte Flhigkeit zur rechtsgeschAftlichen Verpflichtung der Gesellschaft ..... .... 113

1. Die tatsAchlichen Voraussetzungen einer entsprechenden Machtposition............................. 114 2. Die Bedeutung dieses Abgrenzunpnerkmals ....................................................................... 115 3. Besonderheiten bei der Einflußnahme von Allein- und Mitgesellschaftem........................... 116 III. Die einvemelunliche Zuweisung der Organkompetenzen............................................................ 118

1. Die Notwendigkeit eines Einverstlndnisses der Gesellschafter ............................................. 118 a) Die Notwendigkeit in Hinblick auf das zivilrechtliche Regelun~onzept..................... 118 b) Die Notwendigkeit aufgrund des Schutzzwecks des § 85 GmbHG................................ 118 c) Die fllr das Einverstlndnis notwendige Meluheit in der Gesellschafterversammlung .... 121 2. Die Notwendigkeit eines Einverstlndnisses auch des Geschlftsfilhrers................................ 122 3. Zur Erkennbarkeit der Kompetenzzuweisung........................................................................ 122 a) Die Erkennbarkeit innerhalb der Gesellschaft ................................................................. 122 b) Zur Erkennbarkeitnachaußen ......................................................................................... 123

Inhaltsverzeichnis

11

Kapitel 9 Schlullbetrachtunc

125

I. Überp1i1fung des praktischen Nutzens des erarbeiteten Konzepts................................................ 125

1. Zu Fallbeispieli..................................................................................................................... 126 2. Zu Fallbeispiel 2 ..................................................................................................................... 127 3. Zu Fallbeispiel 3 ..................................................................................................................... 127 4. Ergebnis .................................................................................................................................. 129

ß. Überp1i1fung der neueren Rechtsprechung anband der vorgeschlagenen Lösung ....................... 130 1. BGHSt 3, 32 ........................................................................................................................... 130 2. BGHSt21,101 ....................................................................................................................... 131 3. BGHSt 31, 118....................................................................................................................... 131 4. OLG Düsseldort: NJW 1988, 3166....................................................................................... 132

Kapitell 0 ZusammenfasslDll bt Thesen

135

Llteraturverzeichnla

138

Kapitell

Einleitung und Problemstellung Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, inwieweit sog. faktische Geschäftsführer einer GmbH taugliche Täter der Strafbestimmungen des GmbHG sein können. Zur Einfiihrung in dieses Thema werden daher zunächst diese Strafnormen ihrem wesentlichen Inhalt nach dargestellt und dann dem Begriff und den Erscheinungsformen faktischer Geschäftsführung gegenübergestellt.

I. Die Strafvorschriften des GmbHG Die der GmbH wesenseigene Haftungsbeschränkung auf ihr Gesellschaftsvermögen kann im Wirtschaftsleben zu besonderen Risiken für Außenstehende führen. Um diese Gefahren zu mindern, erlegt das GmbHG neben Gesellschaftern, Aufsichtsratsmitgliedern und Liquidatoren insbesondere den Geschäftsführern der Gesellschaft spezielle Pflichten auf und bedroht besonders gefahrliehe Verstöße mit Strafe. An dieser Stelle wird ein kurzer Überblick über Regelungsgehalt und Schutzrichtung der Strafbestimmungen des GmbHG gegeben, soweit sich diese an den Geschäftsführer richten. Auf nähere Einzelheiten, die für das vorliegende Thema von Belang sind, wird dann im weiteren Verlauf der Untersuchung im jeweiligen sachlichen Zusammenhang eingegangen. 1. § 82 GmbHG § 82 GmbHG stellt bestimmte unwahre Angaben über die Verhältnisse der Gesellschaft unter Strafe, die in unterschiedlicher Begehungsweise öffentlich gemacht werden, nämlich bei § 82 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 GmbHG sowie bei § 82 Abs. 2 Nr. 1 GmbHG durch Angaben gegenüber dem Registergericht, im Falle des § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG durch Angaben gegenüber einem unbegrenzten PersonenkreisI. Die Vorschriften betreffen dabei in erster Linie Angaben, die im Zuge der Gründung der Gesellschaft oder bei der Veränderung ihrer Kapitalverhältnisse zu machen sind. Daneben richtet sich § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG gegen falsche Angaben über Vorstrafen oder Berufsverbote von Geschäftsführern und § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG allgemein gegen eine falsche 1 Tiedemarul in Scholz,

§ 82 GmbHG, Rz 1.

14

Kapitell: Einleitung und Problemstellung

Darstellung oder Verschleierung der Vermögenslage der Gesellsc~. Nach der gesetzgeberischen Konzeption gründen sich nämlich die GmbH betreffende Eintragungen in das Handelsregister auf die gemäß § 78 GmbHG von den Geschäftsführern vorzunehmende Anmeldung und die dazu nach §§ 7, 8 GmbHG erforderlichen Angaben. Deren Richtigkeit wird vom Registergericht im Regelfall jedoch nicht nachgeprüft. sondern soll vielmehr grundsätzlich dadurch sichergestellt werden, daß entsprechende Falschangaben unter Strafe gestellt sind3 • So nimmt § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG (sog. Gründungsschwindel) im wesentlichen stillschweigend auf die Verpflichtungen der Geschäftsführer nach §§ 7, 8 GmbHG Bezug", indem Falschangaben über die in der Vorschrift genannten, für die vermögensmäßige Bewertung der Gesellschaft maßgeblichen Umstände während ihres Gründungsstadiums inkriminiert werden. Dadurch soll in erster Linie die Vortäuschung der Übernahme von Stammeinlagen und die Überbewertung von Sacheinlagen verhindert werdens. Daneben enthält § 82 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG (sog. Kapitalerhöhungstäuschung) eine ähnliche, sachlich weitgehend auf § 57 Abs. 2 GmbHG bezogene Regelung6 fiir den Fall der Zuführung neuen Eigenkapitals bei einer bereits bestehenden Gesellschaft. Zudem inkriminiert § 82 Abs. 2 Nr. 1 GmbHG (sog. Kapitalherabsetzungsschwindel) in stillschweigendem Zusammenhang mit § 58 Abs. 1 Nr. 47 unwahre Angaben bei einer Herabsetzung des Stammkapitals, nämlich im Rahmen der dabei erforderlichen Versicherung über die Befriedigung oder Sicherstellung solcher Gläubiger, die sich bei der Gesellschaft gemeldet und einer Herabsetzung des Stammkapitals nicht zugestimmt haben. Nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft, sondern auf die persönliche Geeignetheit der Geschäftsführer bezieht sich die Vorschrift des § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG (sog. Eignungstäuschung). Danach sind unwahre Angaben im Rahmen der bei Anmeldung von Geschäftsführern nach §§ 8 Abs. 3 S. 1, 39 Abs. 3 S. 1 GmbHG abzugebenden Versicherung über das Vorliegen der in § 6 Abs. 2 GmbHG genannten Ausschlußgrunde fiir eine Bestellung zum Geschäftsführer, z. B. über eine Vorstrafe wegen eines Konkursdeliktes, strafbar. § 82 GmbHG will mit diesen Strafdrohungen verhindern, daß es aufgrund falscher Angaben gegenüber dem Registergericht zu Eintragungen in das 2 Meyer-Landnrt in MI.. § 82 GmbHG, Rz. 2. 3 Kohlmann in Hachcnburg, § 82 GmbHG, Rz. 1S; Ticdcmann in Schoh. § 82 GmbHG, Rz. 52. 4 Ticdcmann in Schoh. § 82 GmbHG, Rz. 3.

§ 82 GmbHG, Rz. 52. § 82 GmbHG, Rz. 6; Kohlmann in Hachcnburg, § 82 GmbHG, Rz. 70; Tiedemann in Schoh. § 82 GmbHG, Rz. 109. 7 Meyer-Landrut in MI., § 82 GmbHG, Rz. 9; Kohlmann in Hachcnburg, § 82 GmbHG, Rz. 82; Tiedemann in Schoh. § 82 GmbHG, Rz. 129. S Ticdcmann in Schoh.

6 Meyer-Landnrt in MI..

I. Die StraiVonchriften des GmbHG

15

Handelsregister kommt und dadurch die Öffentlichkeit, d. h. Gläubiger, zukünftige Gesellschafter oder andere Personen irregeleitet werden, die mit der Gesellschaft in Rechtsbeziehungen treten wollen und zu ihrer Infonnation über die Verhältnisse der Gesellschaft in das Handelsregister möglicherweise Einblick nehmen8 • Über § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG erstreckt sich dieser Schutz vor falscher Infonnation zudem auch auf öffentliche Mitteilungen über die Lage der Gesellschaft. Während in den bisher genannten Fällen Adressat der Angaben nämlich jeweils das Registergericht sein mußte, pönalisiert § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG die sog. Geschäftslagetäuschung, d. h. unrichtige Darstellungen oder Verschleierungen der Vermögenslage der Gesellschaft in einer an die Öffentlichkeit gerichteten Mitteilung' . Ohne daß dies einer eigenständigen zivilrechtlich normierten Verhaltenspflicht entspriche o, macht sich danach strafbar, wer als Geschäftsfiihrer etwa in Pressemitteilungen oder auch in Rundschreiben an alle Gläubiger solche Erklärungen abgibtlI. In der Praxis kommt dies nicht selten bei Mitteilungen an die Gläubiger im Zuge unseriöser Sanierungsversuche vorl2 . Durch § 82 GmbHG geschütztes Rechtsgut ist somit das Vertrauen der Gläubiger und der genannten sonstigen Dritten in die Wahrhaftigkeit der Eintragungen und Mitteilungen, die für die Öffentlichkeit wegen der Besonderheiten einer GmbH als Gesellschaftsform, insbesondere der Haftungsbeschränkung auf das vorhandene Gesellschaftsvermögen, von entscheidender Bedeutung sein können13 • Die Vorschrift verlangt dabei nicht, daß es zu einer konkreten GeflUrrdung der geschützten Rechtsgüter komme 4 • Vielmehr ist sie als abstraktes GeflUrrdungsdelikt im Vorfeld des Betruges ausgestaltetlS . Taugliche Täter können nur die in der Vorschrift genannten Personen sein, so daß es sich insoweit um ein echtes Sonderdelikt handeltl6 . Tathandlung

8 Kohlmann in Hac;henburg. § 82 GmbHG, Rz. 14; Fuhrmann in Rowedder, § 82 GmbHG, Rz. 1; Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 8. 9 Meyer-Landrut in MI.., § 82 GmbHG, Rz. 9; Kohlmann in Hachenburg. § 82 GmbHG, Rz. 92; Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 138. 10 Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. l.

11 Meyer-Landrut in MI.., § 82 GmbHG, Rz.

9. § 82 GmbHG, Rz. 9; Richter, GmbHR 1984, 113, 116. 13 Fuhrmann in Rowedder, § 82 GmbHG, Rz. 1; Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 8ft: Weitergehend sieht Kohlmann in Hachenburg. § 82 GmbHG, Rz. 14, bei § 82 Abs.l Nr. 4 auch die Gesellschafter als vom Schutzbereich dieses Tatbestandes erfaßt In; dagegen Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 1l. 14 Fuhrmann in Rowedder, § 82 GmbHG, Rz. 1; Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 16f. IS Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 16. 12 Meyer-Landrut in MI..,

16

Kapitell: Einleitung und Problermtellung

aller Alternativen des § 82 GmbHG ist jeweils die positive Vornahme unwahrer Angaben oder Mitteilungen, die bloße Unterlassung von Angaben unterfällt grundsätzlich nicht den Strafdrohungenl7 • Dabei enthält § 82 GmbHG nur in Abs. 2 Nr. 2 einen eigenständigen Straftatbestand, während sich alle übrigen Tatbestandsalternativen trotz Fehlens einer ausdrücklichen Verweisung mehr oder weniger stark an zivilrechtliche Handlungspflichten des GmbHG anlehnen18 • 2.§84GmbHG

§ 84 GmbHG stellt unter stillschweigendem bzw. ausdrücklichen Bezug auf zivilrechtlich normierte Pflichten Versäumnisse des Geschäftsführers in der Krise des Unternehmens unter Strafe. Nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, der sich im wesentlichen stillschweigend auf § 49 Abs. 3 GmbHG beziehtl9 , macht sich der Geschäftsführer einer GmbH dann strafbar, wenn er den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen versäumt. Damit soll das Vermögen der Gesellschafter und mittelbar auch die Gesellschaft selbst geschützt werden, indem die Gesellschafter auf die wirtschaftliche Krise und die etwaige Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen hingewiesen werden20 . Nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG macht sich der Geschäftsführer außerdem strafbar, wenn er die rechtzeitige Antragstellung auf Eröffnung eines Konkursoder gerichtlichen Vergleichsverfahrens entgegen den Bestimmungen des ausdrücklich erwähnten § 64 Abs. 1 GmbHG unterläßt. Damit will das GmbHG vor den besonderen Gefahren für Gesellschaftsgläubiger, Gesellschafter und sonstige betroffene Dritte schützen, die sich für diese aus der für die GmbH typischen Haftungsbeschränkung ergeben21 • Tathandlung des § 84 GmbHG ist in beiden Tatbestandsalternativen die Unterlassung der dort genannten Handlungen. Insoweit ist diese Vorschrift ein

16 Meyer-Landrut in ML, § 82 GmbHG, Rz. 3; Fuhnnann in Rowedder, § 82 GmbHG, Rz. 4; Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 18ft: 17 Koh1mann in Hachenburg. § 82 GmbHG, Rz. 92; Tiedenwm in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 13ft: Zu möglichen Ausnahmen bei unvollstlndigen Angaben siehe Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 157f. 18 Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 5. Zur Frage, ob die Vorschrift damit zum ,,Blankettatbestand" wird, siehe unten Fn. 63. 19 Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 2.

20 Meyer-Landrut in MI.., § 84 GmbHG, Rz. 2; Koh1mann in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. 7; Fuhnnann in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 1; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 11. 21 Meyer-Landrut in MI.., § 84 GmbHG, Rz. 2; Kohlmann in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. 42; Fuhrmann in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 1; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 7.

I. Die Strafvorschriften des GmbHG

17

echtes Unterlassungsdelikt22 . Zudem fallen nur die in der Vorschrift genannten Personen unter deren Strafdrohung, so daß es sich auch hier um ein echtes Sonderdelikt handelt23 • Der Eintritt eines Schadens bei dem geschützten Personenkreis ist keine Strafbarkeitsvoraussetzung, vielmehr ist auch § 84 GmbHG als Gefährdungsdelikt ausgestaltef4 • 3. §85 GmbHG

Ohne ausdrücklich oder stillschweigend an eine andere Vorschrift des GmbHG anzuknüpfen2S , bedroht § 8S Abs. 1 GmbHG den Geschäftsführer einer GmbH mit Strafe, wenn er in dieser Eigenschaft ein Geheimnis des Gesellschaft, insbesondere ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, unbefugt offenbart. § 8S Abs. 2 GmbHG sieht zudem eine Strafschärfung bei Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht des Täters vor. Die Vorschrift soll den Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses im Interesse der Gesellschaft und der Gesellschafter bewirken26 • Im Gegensatz zu den übrigen Strafvorschriften des GmbHG gehören damit die Gesellschaftsgläubiger und sonstige Dritte nicht zum geschützten Personenkreis27 • Dementsprechend ist die Vorschrift durch § 82 Abs. 3 GmbHG als absolutes Antragsdelikt ausgestaltet, so daß eine Strafverfolgung stets von der Stellung eines Strafantrages durch die Gesellschaft abhängig ist. Auch hier reicht die Gefährdung der geschützten Rechtsgüter aus28 • Zudem liegt wiederum ein echtes Sonderdelikt vo~ .

22 Kohlmann in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. 9, 44; Fuhrmann in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 3; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 13; BGHSt 14, 280, 28l. 23 Kohlmann in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. 12, 44; Fuhrmann in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. S; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 181f. 24 Kohlmann in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. 10l, 44; Fuhrmann in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 1; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. ISft; auch zu der Frage, welche Auswirkungen das nachweisliche Fehlen einer Geflhrdung der Gillubiger- oder Gesellschafterinteressen im Einzelfall hat. 25 Tiedemann in Scholz, § 8S GmbHG, Rz. l. 26 Kohlmann in Hachenburg. § 8S GmbHG, Rz 12; Fuhrmann in Rowedder, § 8S GmbHG, Rz. 2; Tiedemann in Scholz, § 8S GmbHG, Rz. 2; L A (Schutz der Gesellschafter nicht bezweckt) MeyerLandrut in ML, § 8S GmbHG, Rz. 2 und Schu1ze..Osterioh in BaumbachlHueck, § 8S GmbHG, Rz. l. 27 Kohlmann in Hachenburg. § 8S GmbHG, Rz. 12; Tiedemann in Scholz, § 8S GmbHG, Rz. 2. 28 Kohlmann in Hachenburg. § 8S GmbHG, Rz. S. 29 Meyer-Landrut in ML, § 8S GmbHG, Rz. 1; Kohlmann in Hachenburg. § 85 GmbHG, Rz. 4; Fuhrmann in Rowedder; § 85 GmbHG, Rz. 4; Tiedemann in Scholz, § 8S GmbHG, Rz. 3. 2 Montag

18

Kapitell: Einleitung und Problemstellung

11. Der Kreis der potentiellen Normadressaten der Geschlftsführerdelikte Nach ihrem Wortlaut richten sich die Geschaftsfiihrerdelikte durchgängig an denjenigen, der "als Geschaftsfiihrer" ein strafbedrohtes Fehlverhalten an den Tag gelegt hat. Aufgrund dieser TäteIbeschreibung ergibt sich wegen des unübersehbaren systematischen Zusammenhanges mit den vorangegangenen Bestimmungen des GmbHG jedenfalls eine Einbeziehung solcher Personen in den Kreis der möglichen Sonderdeliktstäter, die nach den Regeln des zivilrechtlichen Teils des GmbHG wirksam zu Geschaftsführern bestellt worden sind30 • Zunächst sollen deshalb diese unproblematischen Fälle dargestellt werden, wobei insbesondere zu klären ist, welche Voraussetzungen fiir eine zivilrechtlich wirksame Bestellung zum GmbH-Geschäftsführer vorliegen müssen. Im Anschluß daran bleibt zu erläutern. wann im Gegensatz dazu lediglich faktische Geschäftsfiihrung vorliegt.

1. Der zivilrechtlieh wirksam bestellte Geschlftsfiihrer Der Geschäftsführer ist das gesetzlich vorgesehene Exekutivorgan einer GmbH. Das GmbHG überläßt nämlich nicht etwa den GmbH-Gesellschaftern als deren Inhabern das Handeln fiir die Gesellschaft, sondern es ordnet diese Funktion im Rahmen der innergesellschaftlichen körperschaftlichen Zuständigkeitsordnung nach dem sog. Grundsatz der Fremdorganschaft vielmehr dem Geschäftsführer ZU31 . So bestimmt § 6 Abs. 1 GmbHG einerseits, daß die GmbH einen oder mehrere Geschäftsführer haben muß. Dieser ist damit neben dem Gesellschaftern das weitere zwingend erforderliche Organ der Gesellschaft32 • Zum anderen gilt ein Handeln des Geschäftsführers im Außenverhältnis als Handeln des Gesellschaft33 • Der Geschaftsfiihrer hat nämlich gemäß § 35 Abs. 1 GmbHG die Stellung eines gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft34 . Diese organschaftliche Vertretungsbefugnis ist zudem gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG nach außen grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbars. Auch sind die Organbefugnisse als solche nicht übertragbar, insbeson30 Vgl. Meyer-Landrut in MI.,

§ 82 GmbHG, Rz. 3; Kohlmann, Verantwortlichkeit, Rz. 2, 7.

31 Miller in ML, §§ 3S-38 GmbHG Rz. 9; U. H. Schneider in Scho~ § 6 GmbHG, Rz. IS. 32 Mertens in Hachenburg. § 3S GmbHG Rz. 2; Miller in MI., §§ 3S-38 GmbHG, Rz. S; U. H. Schneider in Scho~ § 3S GmbHG, Rz. 3. 33 U. H. Schneider in Scho~ § 3S GmbHG, Rz. 21.

34 Dies wird allgemein aus der historisc:h bedingten Formulierung in § 3S Abs. 1 GmbHG geschlossen, wonach die Gesellschaft durch die GeschIftsfi1hre ,,gerichtlich und außergerichtlich" vertreten werde; siehe nur Miller in MI., §§ 3S-38 GmbHG, Rz. S; U. H. Schneider in Scho~ § 3S GmbHG, Rz. 21. 3S Mertens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 9; U. H. Schneider in Scho~ § 3!1 GmbHG, Rz. 22f.

11. Der Kreis der potentiellen Nonnadressaten der GcschAftsfl1hrcliktc

19

dere kann einer nicht zum Geschäftsfiihrer bestellten Person dessen Status nicht im Wege einer organvertretenden Vollmacht übertragen werden36 . Dagegen können durch eine rechtsgescbäftliche "Generalvollmacht" durchaus umfangreiche Befugnisse auf Dritte verlagert werden37 , ebenso wie Prokura oder Handlungsvollmacht nach den allgemeinen handelsrechtlichen Vorschriften38 erteilt werden können. Auch wenn § 46 Nr. 7 GmbHG hier eine interne Zuständigkeit der Gesellschafter zur Bestellung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten vorsieht, so kann und muß eine wirksame rechtsgeschäftliche Erteilung aller Vollmachten jedoch durch den Geschäftsfiihrer als dem zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Organ erfolgen39 . Seine Stellung als Exekutivorgan der Gesellschaft erhalt der Geschäftsführer durch einen Bestellungsakt der Gesellschafter. Diese Bestellung zum Geschäftsführer ist als korporativer Akt die Grundlage einer entsprechenden Eingliederung in die körperschaftliche Organisation der Gesellschaft4O • Von diesem Organstatus ist allerdings das Anstellungsverhaltnis zwischen dem Geschäftsführer und der Gesellschaft zu unterscheiden41 . Durch die Bestellung erhalt der Geschäftsführer nämlich die mit der Organstellung verbundenen Befugnisse und wird den organschaftlichen Pflichten unterworfen, während das Anstellungsverhaltnis die persönlichen Beziehungen des Geschäftsführers zur Gesellschaft regelt42 . Wenn beide Regelungsbereiche auch tatsächlich miteinander verbunden sind, so können sie durchaus unterschiedliche rechtliche Schicksale haben43 . Ein Entzug der Organstellung als solcher ist beispielsweise grundsätzlich jederzeit möglich (§ 38 GmbHG)44 , während die vorzeitige Beendigung des Anstellun1sverhaltnisses im allgemeinen den Regeln des Dienstvertragsrechts unterliegt4 . Das Gesetz sieht zwei Formen vor, in denen die Gesellschafter die Bestellung des Geschäftsführers vornehmen können. In der Regel werden die Gesell36 Wohl allg. M., z. B. Millcr in ML §§ 3S-38 GmbHG, Rz. 6; Mcrtens in Hachenburg. § 35 GmbHG, Rz. 17; U. H. Schneider in Scholz, § 3S OmbHG, Rz. 16 ff.; zudem std. Rspr., z. B. BOR, NJW 1977, 199. 37 Mcycr-Landrut in MI.. § 46 GmbHG, Rz. 42; U. H. Schneider in Scholz, § 3S GmbHG, Rz. 18ff. 38 Siehe §§ 48 bzw. S4 HGB.

39 Miller in MI.. §§ 3S-38 GmbHG, Rz. 9; Mcrtcns in Hac:henburg. § 3S GmbHG, Rz. 214; U. H. Schneider in Scholz, § 35 GmbHG, Rz. 33. 40 Miller in MI.., §§ 3S-38 GmbHG, Rz. 9. 41 Sog. Trcnnunglthcorie, heute wohl allg. M., z. B. Millcr in MI.. §§ 3S-38 GmbHG, Rz. 100; Mertens in Hac:henburg. § 35 GmbHG, Rz. 41; U. H. Schneider in Scholz, § 35 GmbHG, Rz. 149. 42 Millcr in MI.. §§ 3S-38 GmbHG, Rz. 100; U. H. Schneider in Scholz, § 35 GmbHG, Rz. 150. 43 Millcr in MI.. §§ 35-38 GmbHG, Rz. 100. 44 Millcr in MI.. §§ 35-38 GmbHG, Rz. 106; Mcrtens in Hachenburg. § 3S GmbHG, Rz. 41.

45 Millcr in ML, §§ 35-38 GmbHG, Rz. 140; Mertens in Hachenburg. § 35 GmbHG, Rz. 41; U. H. Schneider in Scholz, § 35 GmbHG, Rz. 159.

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Kapitell: Einleitung und Problemstellung

schafter im Rahmen einer Gesellschafterversammlung mit einfacher, ggf. mit satzungsmäßig bestimmter Mehrheit einen entsprechenden Beschluß fassen (§ 6 Abs. 3 S. 2 GmbHG i.V.m. §§ 46 Nr. 5, 47fI GmbHG). Die Bestellung kann jedoch auch in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden (§ 6 Abs. 3 S. 2 GmbHG). Soweit sich dabei aus dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes ergibt, ist allerdings davon auszugehen, daß die Bestellung auch hier einen GeseIlschafterbeschluß darstellt, der lediglich aus Zweckmäßigkeitsgrunden in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wurde46 • Eine derartige Aufuahme eines Gesellschafterbeschlusses stellt dann einen sog. unechten Satzungsbestandteil dar und hat die Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften über Gesellschafterbeschlüsse (§§ 46fI GmbHG) zur Folge, so daß etwa eine Abberufung grundsätzlich durch einen einfachen Mehrheitsbeschluß erfolgen könnte47 • Die Wirksamkeit der Bestellung hängt allerdings zunächst davon ab, daß dem Geschäftsführer das Beschlußergebnis mitgeteilt wird und er zudem das Amt annimmt48 • Dabei sieht das Gesetz weder für den Bestellungsbeschluß noch für die Annahme des Amtes durch den Geschäftsführer eine besondere Form vor, so daß auch eine konkludente Vornahme dieser Handlungen denkbar ist49 • Insbesondere eine wirksame Annahme des Amtes kann daher etwa in der tatsächlichen Aufuahme der Geschäftsführertätigkeit oder in der Unterzeichnung der Anmeldung zur Eintragung ins Handelsregister liegen50 • Der Gesellschafterbeschluß und die Annahme der Bestellung fUhren jedoch

dann zu keiner wirksamen Organbestellung, wenn der Bestellung im Einzel-

fall gesetzliche Hindernisse entgegenstehen. So ist es insbesondere nicht möglich, einen wegen Konkursdelikten Verurteilten entgegen § 6 Abs. 2 S. 2 GmbHG oder einen nicht voll Geschäftsfähigen zum Geschäftsführer einer GmbH zu bestimmen (§ 6 Abs. 2 S. 1 GmbHG). Eine gleichwohl vorgenommenen Bestellung ist nichtiil . Treten diese Ausschlußgrunde nachträglich ein, so endet die Organstellung automatisch52 • Ebenso können Satzungsbe46 Ulmer in Hachenburg. § 6 GmbHG, Rz. 8; U. H. Sclmeider in Scholz, § 6 GmbHG, Rz. 29.

47 Ulmer in Hachenburg. § 6 GmbHG, Rz. 8; U. H. Sclmeider in Scholz, § 6 GmbHG, Rz. 29. Demgegenüber kommt auch die Ausgestaltung einer Bestellung als echter Satzungsbestandteil in Betracht, der dem Bestellten ein Sonderrecht auf die Bestellung zum Organ verleiht. Dies ist aber nur bei entsprechenden, deutlichen Anhaltspunkten im Gesellschaftsvertrag anzunehmen und filhrt etwa dazu, daß der GeschAftsfilhrer - von Ausnahmen abgesehen - nur mit der fiIr SatzungsAnderungen erforderlichen Mehrheit abberufen werden kann; siehe dazu z. B. U. H. Schneider in Scholz, § 6 GmbHG, Rz. 30t: m. w. N. 48 Miller in MI.., §§ 35-38 GmbHG, Rz. 104; Mertens in Hachenburg. § 35 GmbHG, Rz. 41; U. H. Schneider in Scholz, § 35 GmbHG, Rz. 36. 49 Miller in MI.., §§ 35-38 GmbHG, Rz. 104. 50 Miller in MI.., §§ 35-38 GmbHG, Rz. 104.

51 Meyer-Landrut in MI.., § 6 GmbHG, Rz. 11; Mertens in Hachenburg. § 3S GmbHG, Rz. 34; U. H. Schneider in Scholz, § 6 GmbHG, Rz. 12. 52 Meyer-Landrut in MI.., § 6 GmbHG, Rz. 13; Winter in Scholz, § 6 GmbHG, Rz. 12.

11. Der Kreis der potentiellen N onnadressaten der Geschlftsfllhrerdelikte

21

stimmungen weitere Voraussetzungen:fiir die Bestellung des Geschäftsführers enthalten. Eine unter Verstoß gegen solche Bestimmungen erfolgte Bestellung ist zwar lediglich anfechtbar und damit zunächst wirksam. Mit der Rechtskraft des die Unwirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses feststellenden Urteils endet die Geschäftsführerstellungjedoch auch in diesem Falls3 . Keine Wirksamkeitsvoraussetzung ist demgegenüber die Eintragung des Geschäftsführers in das Handelsregister. Es besteht gemäß §§ 10 Abs. 1, 39 Abs. 1 GmbHG zwar die gesetzliche Pflicht zur Eintragung. Der Eintragung selbst kommt aber nur deklaratorische Bedeutung zu. so daß die Organstellung schon mit dem Beschluß der Gesellschafter und der Annahme durch den Geschäftsführer wirksam verliehen istS4 • Der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Geschäftsführerbestellung steht zudem nicht entgegen, daß die Gesellschaft selbst nicht in das Handelsregister eingetragen istss . Schon bevor die Gesellschaft eingetragen ist und damit als solche erst entsteht (vgl. § 11 Abs. 1 GmbHG), weist das Gesetz im Interesse der Öffentlichkeit nämlich bestimmte Aufgaben ausdrücklich den als solchen bezeichneten Geschäftsfiihrem ZUS6. SO obliegen ihnen bereits bei der Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister insbesondere die in §§ 7, 8 GmbHG geregelten, durch § 78 GmbHG an den Organstatus anknüpfenden Amtspflichten. Mit dem Begriff des zivilrechtlich wirksam bestellten Geschäftsführers wird im folgenden daher derjenige bezeichnet, der durch einen entsprechenden Gesellschafterbeschluß zu diesem Amt bestellt wurde und dieses Amt angenommen hat, ohne daß der Bestellung zivilrechtliche Hindernisse entgegenstehen.

2. Zur Frage der Titerqualitit sog. faktischer Geschäftsführer Während sich die Geschäftsführerdelikte des GmbHG ersichtlich in erster Linie an den zivilrechtlich ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer im oben dargestellten Sinne richten, läßt sich dem Gesetz auf den ersten Blick nicht eindeutig entnehmen, ob und inwieweit auch Personen, die nicht wirksam zum Geschäftsführer bestellt wurden, Täter der Geschäftsführerdelikte sein können.

S3

Meyer-Landrut in MI.., § 6 GmbHG Rz. 14; U. H. Schneider in Schotz, § 6 GmbHG, Rz. 26.

S4

Allg. M., siehe nur Miller in MI.., §§ 35-38 GmbHG, Rz. 104 sowie BGR, BB 1960, 880.

ss Tiedemann in Schotz, § 82 GmbHG, Rz. 41; U. H. Schneider in Schotz, § 6 GmbHG,

Rz. If.; Meyer-Landrut in MI.., § 6 GmbHG, Rz. 3; jetzt auch Kohlmann, Verantwortlichkeit, Rz. 7f., a. A noch Kohhnann in Hachenburg, § 82 GmbHG, Rz. 19. S6 Winter in Schotz, § 78 GmbHG, Rz. 71[; Tiedemann in Schatz, § 82 GmbHG, Rz. 4l.

22

Kapitell: EiDleitungund Problemstellung

a) Erscheinungsformen faktischer Geschaftsfllhrung In der Rechtswirklichkeit kommt es nicht selten vor, daß es - mit oder ohne Kenntnis der Beteiligten - an einer zivilrechtlich wirksamen Bestellung fehlt, eine Person jedoch gleichwohl Geschäftsführungsaufgaben im Unternehmen wahrnimmt. Im einzelnen sind hier eine Reihe von typischen Fallgestaltungen denkbar.

Zum einen können der Wirksamkeit der Bestellung, obwohl von den Beteiligten beabsichtigt, zivilrechtliche Mängel entgegenstehen. Für den Bereich des GmbH-Rechts wAre insbesondere daran zu denken, daß eine Person trotz einer früheren Verurteilung oder eines Berufsverbotes entgegen § 6 Abs. 2 GmbHG zum Geschäftsführer bestellt wird und aufgrunddessen diese Funktion auch ausübt, ohne daß den Beteiligten die Nichtigkeitsfolge dieser Ausschlußgründe bekannt ist. In einem solchen Fall liegt trotz der zivilrechtlichen Unwirksamkeit der Bestellung also zumindest das äußere Erscheinungsbild einer Bestellung, nämlich eine erkennbare Bestellungshandlung der Gesellschafter vor, so daß hier im Schrifttum z. T. von einem "tatsächlichen Bestellungsakt',57 bzw. einem "fehlerhaft bestellten Geschäftsführer',S8 gesprochen wird. Denkbar ist zum anderen auch, daß sich in einem Unternehmen in Abweichung von der formalen Zuständigkeitsordnung die tatsächliche Funktionsverteilung verschoben hat, so daß nunmehr etwa ein Prokurist die Gesellschaft ausschließlich leitet, während der formell bestellte Geschäftsführer seine Position nicht mehr ausfüllt. Auch "aktive" Aufsichtsratsvorsitzende oder Vertreter beherrschender Konzernunternehmen üben oft maßgeblichen Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft aus. Gerade in der Krise eines Unternehmens übernehmen möglicherweise selbst Außenstehende, etwa Großgläubiger, insbesondere kreditgebende Banken, oder als "Sanierer" auftretende Wirtschaftsfachleute die faktische Leitung der Gesellschaft, ohne jedoch formell eine entsprechende Position einzunehmen. Schließlich hat der Alleingesellschafter aufgrund seines gesetzlichen Weisungsrechts umfassende Möglichkeiten, die Geschaftsfiihrung der Gesellschaft zu steuern59 und damit funktional die Stellung des in den Hintergrund tretenden Geschäftsführers zu übernehmen. Auch ein bloßer Mehrheitsgesellschafter, der Weisungrechte gegenüber dem Geschaftsfiihrer nach der gesetzlichen Konzeption nur mittelbar durch die HeIbeifiihruni, entsprechender Beschlüsse der Gesellschafterversammlung ausüben kann ,mag bei Betrach-

S7 Z.

B. Kohlmann, Verantwortlichkeit, Rz. 24.

Z. B. Stein, ZHR 148 (1984), 207, 221. 59 Siehe dazu Wlten S. 106. S8

60 Siehe dazu Wlten Kap. 8, Fn. 19.

ll. Der Kreis da- poteotieUen NomwIrasaten da- GacbItbß1bren:Jli1cte

23

tung der praktischen Ausübung seines Einflusses funktional als Geschäftsführer erscheinen. Gegenstand der Rechtsprechung und auch der Auseinandersetzung im Schrifttum sind jedoch wie im folgenden noch eingehend dargelegt wird vor allem Fallgestaltungen. in denen eine Person in Geschäftsführerfunktion tätig wird, obwohl die Beteiligten von einer formellen Bestellung bewußt abgesehen haben. Der Grund liegt meist darin. daß einer formellen Bestellung gesetzliche Hindernisse entgegenstehen. etwa Berufs- oder Standesordnungen oder auch die schon erwähnte Ausschlußregel des § 6 Abs. 2 GmbHG, und dies von den Beteiligten erkannt wurde. Zum Teil soll auch - ohne Änderung der tatsächlichen Aufgabenverteilung - lediglich den Bindungen des formalen Organstatus entgangen werden. indem etwa ein Geschäftsführer formell abberufen wird, um als Vertreter einer anderen Vertragspartei oder aber als Zeuge im Prozeß auftreten zu können. In krassen Fällen dient die Vermeidung einer Bestellung auch einfach dem Zweck, einer zivilrechtlichen Haftung ebenso wie einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entgehen zu wollen. Hinsichtlich der Gestaltungen der Einflußnahme nicht fbrmlich zum Geschäftsführer bestellter Personen ist zunächst denkbar, daß in der Gesellschaft überhaupt kein formell verantwortliches Organ vorhanden ist, etwa bei Tod oder zwischenzeitlich eingetretener Geschäftsunfähigkeit des Amtsinhabers, und eine andere Person ohne fbrmliche Bestellung in dessen Position einrückt. Praktisch häufiger wird jedoch, um den gesetzlichen Erfordernissen des § 6 Abs. 1 GmbHG zu genügen. auch bei einer bewußten Nichtbestellung der tatsächlich maßgebenden Person ein "Strohmann" formell als Geschäftsführer eingesetzt sein. Dieser Strohmanngeschäftsführer wird dann entweder nach den Anweisungen des Hintermannes selbst agieren oder die Beteiligten versuchen. die Organbefugnisse weitgehend auf das Nichtorgan zu übertragen. Teilweise wird dazu die Konstruktion einer "Generalvollmacht" gewählt, die dem Nichtorgan sämtliche Befugnisse des formell bestellten Geschäftsführers verleihen soll. Obwohl eine derartige Vollmacht rechtlich unwirksam ist61 , befähigt sie den ,,Bevollmächtigten" im Geschäftsleben möglicherweise im beabsichtigten Umfang zur Ausübung von Geschäftsführungstätigkeiten. b) Die Problematik der Einbeziehungfaktischer GeschtJftsjUhrer in den Normadressatenkreis der GeschtiftsjUhrerdelikte

Im Zivilrecht wird der Kreis derjenigen. die den Verpflichtungen eines Geschäftsführers unterliegen. hinsichtlich der Einbeziehung nicht formal zu diesem Amt bestellter, aber gleichwohl in dieser Funktion tätiger Personen

61 Siehe dazu oben S. 18f.

24

Kapitell: Einleitung und Problemstellung

zunehmend weiter gefaßt62 . Rechtsmethodisch bestehen hiergegen keine Bedenken, da insoweit im Bereich des Zivilrechts eine Erstreckung der Pflichten auch auf faktische Geschäftsführer im Wege analoger Anwendung der entsprechenden Organhaftungsvorschriften zulässig ist. Problematisch sind jedoch die möglichen Auswirkungen auf die strafrechtlichen Bestimmungen des GmbH-Rechts. Einerseits beziehen sich nämlich, wie bereits dargelegt, die Strafnormen des GmbHG zum überwiegenden Teil stillschweigend oder ausdrücklich auf die zivilrechtliche Pflichtenstellung des Geschäftsführers63 • Auf der anderen Seite gilt im Strafrecht jedoch das Verbot der analogen Rechtsanwendung zuungunsten des Täters64 • Somit sind der teleologischen Normhandhabung hier engere Grenzen gesetzt, da sich die Strafdrohungen durchweg an denjenigen richten, der ein Fehlverhalten "als Geschäftsführer" an den Tag gelegt hat. Andererseits entspricht es im allgemeinen sowohl dem Strafzweck dieser Bestimmungen als auch dem Bedürfnis nach Ahndung materiellen Unrechts, auch die nicht oder nicht wirksam zum Geschäftsführer Bestellten, jedoch gleichwohl in dieser Funktion Handelnden als die eigentlich Verantwortlichen bei Pflichtverstößen den Strafdrohungen zu unterwerfen. Bezieht man allerdings, insbesondere bei Fehlen selbst eines bloß äußeren Erscheinungsbildes einer Bestellung, auch nicht wirksam bestellte Personen aufgrund der von ihnen ausgeübten Funktion in den Kreis der möglichen Täter ein, entstehen erhebliche Schwierigkeiten, Kriterien für das Vorliegen einer funktionellen Organstellung zu finden und diese etwa von der eines Prokuristen oder der eines lediglich von seinem gesetzlichen Weisungsrecht Gebrauch machenden Gesellschafters abzugrenzen. Unter diesen Vorzeichen hat die folgende Untersuchung zum Ziel, die Möglichkeiten und vor allem die genauen Grenzen einer Einbeziehung lediglich faktischer Geschäftsführer in den möglichen Täterkreis der Strafnormen des GmbH-Rechts aufzuzeigen. Sie ist dabei begrenzt auf das Gebiet des

62 Siehe dazu unten S. 8Of. 63 Gleichwohl handelt es sich hier nicht um sog. ,,Blankettstrafgesetze". Dieser Art der Gesetzestechnik ist es nIrnlich eigentomlich, daß TatbestAnde und Strafdrohung insoweit getrennt sind, als die ErgInzung der Strafdrohung selbstlndig von einer anderen Stelle als dem Strafgesetzgeber und zu einer anderen Zeit als dem Erlaß des Strafgesetzes vorgenommen wird (wohl allg. M., z. B. BGHSt 6,30, 4Of, Jescheck, Lehrbuch, S. 99; Eser in SchönkelSchr6der, Vom. zu § I StGB, Rz. 3; jeweils In. W. N.). Das GmbHG vereint jedoch zivil- und strafrechtliche Regelungen im selben Gesetz, so daß die Trennung von Normen und Begriffen ersichtlich nur der technischen Vereinfachung dient (Tiedemann in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 7; derselbe, Tatbestandsfunktion, S. 315ft:). Zum anderen ergeben sich die Strafdrohungen der Sonderdelikte 1rotz der Verwendung zivilrechtlich geprigter Begriffe schon aus den Strafuonnen selbst (Kohlmann in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. 53 in Bezug auf § 84 Abs. I Nr. 2 GmbHG). Um Blankettstrafgesetze im dargestellten Sinne handelt es sich bei den GmbHstrafrechtlichen Regelungen daher nicht (L A offenbar Fuhrmann in Rowedder, § 82 GmbHG, Rz. 3 sowie Schulze-Osterloh in BaumbachlHueck, § 82 GmbHG, Rz. 4). 64 Siehe dazu unten S. 49ft:

II. Der Kreis der potentiellen Normadressaten der Geschlftsfilhrerdelilcte

2S

GmbH-Strafrechts und beschränkt sich hinsichtlich der verwandten Problematik einer Einbeziehung von ,,faktischen Organen" in den Täterkreis der aktienrechtlichen Organdelikte oder des § 14 StGB auf Hinweise zu den entsprechenden sachlichen Berührungspunkten. In Rechtsprechung und Literatur sind eine Vielzahl von Fallgestaltungen unter dem Gesichtspunkt einer Abgrenzung des Kreises der tauglichen Sonderdeliktstäter von den nicht mehr unter die Strafdrohungen des GmbHG fallenden Personen behandelt worden, auf die im folgenden noch ausführlich eingegangen wird. An dieser Stelle sollen zudem ergänzend einige besonders ,,kritische" Beispielsfii.11e gebildet werden, anhand derer die Tauglichkeit der bereits bekannten sowie der im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu entwikkelnden Abgrenzungskriterien überprüft werden kann.

(1) Fallbeispiel 1 Der verdiente Entwicklungllieiter eines größeren Untemelunens wird zur Betreuung eines neuen Projektes bei entsprechender Dotierung ordnungllgemlß zum Geschiftsfilhrer der eigens gegründeten Projekt-GmbH bestellt Seine Leidenschaft fiIr die technische Seite sowie seine Abneigung gegen den kaufinAnnischen Bereich filhren jedoch zu einer Übereinkunft mit dem gleichfalls vorlumdenen Prokuristen P, von der die Gesellschafter nichts wissen: P übernimmt gegen diverse VergQnstigungen die gesamte kaufininnische und organisatorische Leitung der Projekt-GmbH, wAhrend sich der ordnungllgemlß bestellte Geschliftsfllhrer ausschließlich seiner ForschungsWigkeit widmet. Bei Investitionen im Entwicklungllbereich fragt er bei P sogar an, ob die Gesellschaft sich diese leisten könne und lAßt sich die benötigten Mittel von P "genehmigen". Zunlchst zeichnet er "blind" von P vorgelegte Schreiben ab, spAter erbIIt P zudem Blanko-Finnenbriefbögen mit der Unterscluift des ordnungllgemlß bestellten GeschlftsfiIhrers. Nach einiger Zeit erleidet die Gesellschaft einen Verlust in Höhe von mehr als der Hllfte des Stammkapitals. Gleichwohl unterrichtet P die Gesellschafter nicht, da er auf Besserung der Lage hofit und seine eigenen VergQnstigungen nicht geßhrden will. Allerdingll erflhrt der ordnungllgemlß bestellte Geschlftsfilhrer von diesen UmstAnden und will selbst Maßnahmen ergreifen. Er filgt sich jedoch der Drohung des P, der den Gesellschaftern in diesem Fall auch die Versäumnisse des ordnungllgemlß bestellten Geschlftsfilhrers in der Vergangenheit mitteilen will. Strafbarkeit des P nach § 84 Abs. 1 Nr.1 GmbHG?

(2) Fallbeispie12 Die Geschlfte der G-GmbH gehen mAßig. In Absprache mit seinen Mitgesellschaftern nimmt der MehIbeitsgesellschafter M daher eine umfassende Modernisierung des Untemelunens in Angriff. Der ordnungllgemlß bestellte Geschiftsfilhrer nimmt zwar weiterhin die routinemlßig anfallenden Aufgaben der Untemelunensfllhrung wahr, M greift jedoch umflnglich in slmtliche Bereiche ein. Er knüpft neue Geschlftsbeziehungen an, verhandelt mit Kreditgebem, verlndert den PersonaIbestand usw. Variante a:

M bereitet den Abschluß der jeweils erforderlichen Vertrlge nur vor und weist den ordnungllgemlß bestellten Geschlftsfllhrer im einzelnen zum Abschluß der Vertrlge an.

Variante b:

M lAßt sich zur erleichterten Durchfilhrung seiner Titigkeiten von dem ordnungllgemäß bestellten Geschlftsfilhrer eine umfassende Vollmacht ausstellen. Soweit dies von seinen

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Kapitell: Einleitung und Problemstellung Geschlftspartnem verlangt wird, handeh er bei Abscbluß VOll Ver1lIgen auf dieser Grundlage, teilweise unterscl!reibt er auf Firmenbögen aber auch einfach mit seinem eigenen Nunen.

Die G-GmbH wird zahlllllgBUllBhig. Gleichwohl unternimmt M auch nach mehreren Wochen nichts in Hinblick auf eine Kookursamnelduog. Strafbarlceit des M nach § 84 AbI. I Nr. 2 GmbHG?

(3) Fallbeispie13 Nach einem drastischen Ertrapilckgang verpflichten die Gesellscbaftcr der A-GmbH den betriebswirtschaftlich fachkundigen Berater B, der das Unternehmen durch weitreichende Umstrukturierungen wieder aufErfolgskurs bringen soll. Der ordnungsgemlß bestelhe Geschlftsfllhrcr, der weiterhin mit den tlglichen Aufgaben der Untemehmensleitung betraut ist, erbIlt von den Gesellschaftern die Anweisung. die von B jeweils initiierten Ma8mhmen auszufllhren. B veranlaßt auf diese Weise Entlassungen und Einstellungen, gibt Anweisungen an die Buchhaltung. trifft mit der Hausbank nach entsprechenden Verhandlungen neue Kreditvereinbanmgen usw. In einem Interview, das in der 0rIspreIse ver6ffentlicht wird, gibt B der W.mheit zuwider an, die Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung an der regional bedeutsamen A-GmbH durch einen größeren Konzern sei fest vereinbart. Strafbarkeit des B nach § 82 AbI. 2 Nr. 2 GmbHG?

IH. Der Gang der nachfolgenden Untersuchung Den Ausgangspunkt der nachfolgenden Untersuchung stellt eine Betrachtung der einschlägigen Rechtsprechung dar. Hier läßt sich eine Abkehr von dem durch das RG eingenommenen, betont formalen Standpunkt hin zu einer vom BGR in erster Linie an kriminalpolitischen Bedürfnissen orientierten Ausweitung des Täterkreises der Geschäftsfiihrerdelikte durch eine wertende Betrachtung des Einzelfalls feststellen, die vorwiegend unter funktionellen Gesichtspunkten vorgenommen wird. Damit ist der BGR allerdings heftiger Kritik von Seiten des Schrifttums ausgesetzt, die diesen Ansatz als verfehlt ansieht und die daraus folgenden Ergebnisse :für zu weitgehend hält. Die Einwände richten sich dabei im wesentlichen gegen die mangelnde Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Entscheidungen, woraus ein Verstoß des BGR gegen Verfassungsgrundsätze hergeleitet wird. Sowohl diese Kritik als auch die im Schrifttum angebotenen Lösungsansätze werden im Rahmen dieser Arbeit einer eingehenden ÜberpIiifung unterzogen. Neben der Berücksichtigung der dabei gewonnenen Erkenntnisse werden zur Vorbereitung einer eigenen Lösung sodann die wesentlichen Strukturmerkmale des zivilrechtlichen Geschäftsfiihrerbegriffs formuliert und unter deren Reranziehung Kriterien :für die Abgrenzung des strafrechtlichen Geschäftsfiihrerbegriffs entwickelt. Eine abschließende Betrachtung der BGR-

ill. Der Gang der nadIfolgendcn Untersuchung

27

Rechtsprechung unter Zugrundelegung der gewonnenen Erkenntnisse soll zudem Aufschluß darüber bringen, ob sich der BGH mit seinen Entscheidungen im Ergebnis noch innerhalb des zuvor aufgezeigten tatbestandlichen Rahmens der Geschäftsfiihrerdelikte hält.

Kapitel 2

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faktischer Organe I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faktischer Gesellschaftsorgane kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Die Reihe der zahlreichen veröffentlichten Entscheidungen des RG zur Frage der Anwendbarkeit von Organstraftatbeständen auf Personen, die nach den zivilrechtlichen Statusvorschriften zwar nicht wirksam zu Gesellschaftsorganen bestellt wurden, jedoch gleichwohl in dieser Funktion täti geworden sind, läßt sich nämlich bis ins letzte Jahrhundert zurückverfolgen .

f

Zwar betrafen diese Urteile nicht ausnahmslos den Bereich der GmbHrechtlichen Strafbestimmungen, sondern befaßten sich zum Teil mit den entsprechenden Problemen des Aktiengesellschafts- und Genossenschaftsrechts oder der Erstreckung von Konkursdelikten auf die Organe der in der Position der Gemeinschuldnerin befindlichen Gesellschaften. Zudem sind viele der angewandten Vorschriften inzwischen außer Kraft getreten. Gleichwohl werden diese Entscheidungen des RG in Rechtsprechung und Literatur bis in die jüngste Zeit - wie im folgenden noch eingehend dargestellt wird und gerade auch in Hinblick auf den hier behandelten Teilbereich der GmbHgesetzlichen Sonderdelikte in Bezug genommen. Es folgt daher eine Darstellung der allgemein zur Strafbarkeit faktischer Gesellschaftsorgane ergangenen reichsgerichtlichen Rechtsprechung unter Herausstellung der darin enthaltenen wesentlichen Aussagen. 1. RGSt 16, 269 In der wohl frühesten Entscheidung zu diesem Thema hatte sich das RG2 schon im Jahre 1887 mit der Strafbarkeit eines nicht fehlerfrei bestellten, jedoch tatsächlich tätig gewordenen Gesellschaftsorgans zu befassen. Mit Bezug auf das Genossenschaftsrecht wurde hier festgestellt, daß unter den 1 Siehe RGSt 16, 269. 2 RGSt 16, 269

I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

29

Begriff des Vorstandsmitgliedes im Sinne von § 214 KO a. F. 3 auch derjenige falle, der zum Vorstandsmitglied einer Genossenschaft gewählt worden geworden sei, die Wahl angenommen und sein Amt nach Eintragung bei Gericht auch tatsächlich übernommen habe, auch wenn er wegen entgegenstehender genossenschaftsrechtlicher Bestimmungen4 nicht wirksam zum Vorstandsmitglied bestellt werden konnte. Das RG begründete dies zunächst mit dem Wortlaut der Vorschrift. nach dem sich Vorstandsmitglieder strafbar machten, die "in dieser Eigenschaft" eine der durch § 214 KO a.F. in Bezug genommenen Straftatbestände erfüllt haben. Danach richte sich die Strafdrohung gegen alle, die den Vorstand bildeten bzw. "die rechtliche Stellung eines Vorstandsmitgliedes thatsächlich einnahmen", zumal die Gesetzesfassung keine Andeutung dafür enthalte, daß ein Mangel in der rechtlichen Qualifikation des betreffenden Mitgliedes als Strafausschließungsgrund gelten solle. Jedenfalls erfasse das Gesetz alle Personen, die durch eine erfolgte und angenommene Wahl tatsächlich in diese Stellung gelangt seien bzw. mit dem Vorstandsamt betraut worden seien. Das RG verwies hier auf Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift. nach denen sowohl Gläubiger als auch Mitglieder der Genossenschaft gegen eine pflichtwidrige Geschäftsführung ihrer Vorstandsmitglieder geschützt werden sollten, indem diese unmittelbar den Strafvorschriften der KO unterworfen würden. "Diesem Zweck aber würde es geradezu widerstreben, wenn im einzelnen Falle ein gewähltes und in Funktion getretenes Vorstandsmitglied die Verantwortlichkeit fiir seine Geschäftsfiihrung hintennach damit sollte ablehnen können, daß seine Wahl" fehlerhaft gewesen seis . Zudem bedeute die Wahl des Vorstandsmitgliedes und die Annahme dieser Wahl den Abschluß eines Vertrages, der die Verantwortlichkeit des gewählten Vorstandsmitgliedes zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und Vertretung der Genossenschaft begründe6 • Schließlich verweist das RG auf die vergleichbare Auslegung des strafrechtlichen Beamtenbegriffs, der nicht an die dienstrechtliche Stellung der Person, sondern vielmehr daran anknüpfe, daß die tätige Person mit der Verwaltung des Amtes betraut worden sei. Das

3 In der Fassung der Bekanntmachung vom 10.2.1877 (RGBJ. S. 351) lautete die Vorschrift: ,,Die Strafvorschriften der §§ 209 bis 211 [Konkursdelikte] fmden gegen die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft [... ], welche ihre Zahlungen eingestellt hat, oder llber deren Vermögen das Konkursverfahren eröffuet worden ist, Anwendung, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe bedrohten Handlungen begangen haben." 4 Hier § 17 GenG a. F., wonach die Mitglieder des Vorstandes Genossen sein müssen, vgl. heute § 9 Abs. 2 GenG. S RGSt 16,269,271. 6 Auf diesen Erklinmgsansatz soll im folgenden nicht weiter eingegangen werden, da sich nach heute einhelliger Meinung die Organpflichten direkt aus dem Gesetz ergeben und unabhängig von der Wirksamkeit eines Anstellungsvertrages bestehen. Umgekehrt begrllndet ein Vertragsbruch als solcher keine Strafbarkeit; vgl. Reich, DB 1967, 1663, 1666; Stein, Organ, S. 122; Kratzsch, ZGR 1985, 506, 516; Mertens in Hachenburg, § 43 GmbHG, Rz. 10; U. H. Schneider in Scholz, § 43 GmbHG, Rz. 12, jeweils m. w. N.

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Kapitel 2: Die hOchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faktischer Organe

gleiche gelte für den Begriff des Vonnundes und die Anwendbarkeit der diesen betreffenden Strafvorschriften7 • 2. RGSt 34, 412 und RGSt 43, 430 Im Jahre 1901 stellte das RG8 dann klar, daß der Begriff ,.Mitglied des Vorstandes" in dem die Aktiengesellschaft betreffenden § 312 HGB a. F. 9 nicht eine bereits erfolgte entsprechende Eintragung des Handelnden in das Handelsregister voraussetze. Es könne nämlich unmöglich Absicht des Gesetzgebers gewesen sein. daß Handlungen aus der gesetzlichen Strafdrohung herausfielen. die ein zum Vorstandsmitglied Bestellter schon vor Eintragung absichtlich zum Nachteil der Gesellschaft begehe, denn die Strafgründe träfen sowohl auf Handlungen vor wie auch auf solche nach Eintragung der Gesellschaft zu. Daß das HGB in seinen strafrechtlichen Bestimmungen begriftlich nicht auf die Eintragung des Handelnden als Vorstandsmitglied abstelle, ergebe sich auch aus den Bestimmungen der §§ 313 und 314 HGB a. F. (sog. Grundungsschwindel, usw.), da dort Handlungen mit Strafe bedroht seien. die vor Eintragung der Gesellschaft begangen würden oder zumindest begangen werden könnten. In diesem Sinne hielt es das RG10 später auch bezüglich § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG a. F. ll für belanglos, ob die Gesellschaft nach der Pflichtverletzung bei der Anmeldung später tatsächlich eingetragen wird. Ein solches zusätzliches Erfordernis knüpfe die Strafbarkeit nämlich an die Bedingung des Gelingens und lasse sie im Falle alsbaldiger Entdeckung entfallen. laufe damit jedoch dem Zweck zuwider, die Geschäftsfiihrer von einer solchen Pflichtverletzung abzuhalten. 3. RGSt 43, 407 Im Jahre 191012 hatte das RG dann darüber zu befinden. ob unter den Begriff des Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft im Sinne von § 314 Nr.

7 ROSt 16,269,272.

8 ROSt 34,412; besWigt auchfllr § 83 GmbHO L F. in BOH, GmbHR 1952,108.

9 In der Fassung der Bekanntmachung vom 10.5.1897 (ROßI. S. 295) lautete die Vorscluift: ,,Mitglieder des Vorstandes [...] werden, wenn sie absichtlich zum N~htheile der Gesellschaft handeln,

[...] bestraft. "

10 ROSt 43, 430 11 In der Fassung der Bekanntrrw:hung vom 20.5.1898 (ROßI. S. 8661) lautete die Vorscluift:"[... ] werden bestraft: 1. Geschlt\sfilhrer und Mitglieder einer Gesellschaft mit beschrinkter Haftung, welche behufs Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister, sowie Geschlftsfilhrer, welche behufs Eintragung einer Em6hung des Stammkapitals in das Handelsregister dem Gericht [...] hinsichtlich der Einzahlungen auf die Stammeinlagen wissentlich falsche Angaben machen [...]". 12 ROSt 43, 407.

I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

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1 HGB a. F. l3 auch derjenige fällt, der als Vorstandsmitglied bestellt, eingetragen und tätig geworden ist, obwohl die Gesellschaft selbst mit einem Nichtigkeitsgrund behaftet war. Das RG bejahte dies unter Hinweis auf den Zweck der Vorschrift, wonach die strafbewehrten Offenbarungspflichten nicht nur die jeweiligen Aktionäre schützen sollten, sondern auch alle diejenigen, die sonst zu der AG in rechtlicher Beziehung stehen oder in solche Beziehung treten wollen. Dieses Schutzbedürfnis sei Dritten gegenüber bei einer mit einem Nichtigkeitsgrunde behafteten Gesellschaft in gleichem Maße vorhanden wie bei einer vollwirksamen14 • Heute entspricht es zwar einhelliger Meinung, daß die Nichtigkeitsklage nach §§ 275 AktG, 75 GmbHG als gestaltende Auflösungsklage einzuordnen ist und daher die mit einem Nichtigkeitsgrund behaftete Gesellschaft bis zu ihrer Auflösung durch Urteil ohnehin als voll wirksam anzusehen ist1S • Insoweit liegt hier nach heutigen Erkenntnissen gar kein Fall faktischer Geschäftsführung vor. Die genannte Entscheidung fUgt sich allerdings deshalb nahtlos in die bisherige Rechtsprechung des RG ein, da sie entsprechend dem damaligen Stand der gesellschaftsrechtlichen Dogmatik noch zusätzlich auf eine Auslegung der anzuwendenden Strafvorschrift gestützt ist. 4. RGSt 64, 81 Im Jahre 1930 stand das RG16 vor der Frage, ob eine Person, die von einem nicht befugten Bestellungsorgan zum Vorstandsmitglied einer AG bestellt worden war und nach seiner Wahl diese Tätigkeit auch aufgenommen hatte, als Vorstandsmitglied im Sinne von § 244 KO a. F. 1? angesehen werden kann. Das RG ließ es genügen, daß der Angeklagte tatsächlich zum Vorstandsmitglied bestellt worden war, auch wenn diese Bestellung rechtsunwirksam war. Dies ergebe sich im Vergleich zu dem Fall, daß die Wahl aus in der Person des Bestellten liegenden Gründen unwirksam war18 und "um so mehr" daraus, 13 In der Fassung der Bekanntmachung vom 10.5.1897 (RGßI. S. 295) lautete die Vorschrift: ,,Mitglieder des Vorstandes [... ] werden [... ] bestraft, wenn sie wissentlich 1. in ihren Darstellungen ober den Vennögensstand der Gesellschaft oder in den in der Generalversammlung gehaltenen Vorträgen den Stand der Verhlltnisse der Gesellschaft unwahr darstellen oder verschleiern; [... ]". 14 RGSt 43,407,415.

st.U.

15 Vgl. vieler nur Kraft in KK, § 275 AktG, Rz. 19 sowie K Schrnidt in Scholz, § 75 GmbHG, Rz. I, joweils m. w. N. Aus heutiger Sicht verbietet sich deshalb auch der Schluß, bei Strafbarkeit eino. Organs sogar einer nichtigen Gcsel~haft mllssc "erst recht" das fehlerhaft bestellte Organ einer ~en Gesellschaft tauglicher Titer dor Organdelikte sein können, wie er in RGSt 64, 81, 85 und SO~1!f n!lCh in ßGHSt 3, 32, 36f gezogen wird. Zutreffende Kritik deshalb bei K Schrnidt, Strafbarkeit, S. 42~. 16 RGSt 64,81.

17 In der F~ng der Bekanntmachung vom 20.5.1898 (RGß!. S. 658) wurde die bisherige Vorschrift des § ~14 KO sachlich unverindert Obemommen; vgl. kap. 2, Fn. 3. 18 So in RGst 16, 269.

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Kapitel 2: Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faktischer Organe

daß selbst für den Fall der Nichtigkeit der ganzen AG den bestellten und für die Gesellschaft tätig gewordenen Vorstandsmitgliedern die Erfüllung ihrer Pflichten uneingeschränkt obliegel9 • Insbesondere könne ein Vorstandsmitglied, das aufgrund seiner Wahl diese Stellung angenommen habe, nicht "nachträglich für die Vergangenheit" die Verantwortlichkeit für die Pflichten als Vorstand ablehnen20 • Das RG hebt damit offensichtlich darauf ab, daß der Angeklagte auch hier zunächst selbst vom Bestehen seiner Pflichtenstellung ausging und diese Pflichten bewußt übernahm.

5. RG, JW 1934, 696 Wo demgegenüber die Grenze einer ausdehnenden Auslegung der Organdelikte verlaufen sollte, ließ das RG deutlich in den später folgenden Entscheidungen erkennen. Während die Beteiligten in den bisherigen Fällen, soweit ersichtlich, jeweils eine wirksame Bestellung des Betroffenen zum Organ beabsichtigt hatten und sich deren Unwirksamkeit erst nachträglich herausstellte, lag dem RG21 im Jahre 1934 erstmalig ein Fall vor, in dem eine Person Vorstandsarbeiten erledigte, obwohl sie bewußt nicht mehr zum Vorstand bestellt worden war. Der dortige Angeklagte, zunächst Vorstandsmitglied einer AG, schied formal aus dem Vorstand aus, um als Zeuge in einem Rechtsstreit der Aktiengesellschaft vernommen werden zu können22 • Statt seiner wurde der Bürovorsteher eines Rechtsanwaltes zum alleinigen Vorstand bestellt und als solcher eingetragen, ohne sich allerdings um die Geschäftsführung zu kümmern oder irgendeine Vergütung dafür zu beziehen. Das ehemalige Vorstandsmitglied wurde als Prokurist eingetragen und behielt ,,kraft ausdrücklichen Auftrags" (wohl des Aufsichtsrats) die Vorstandsarbeiten bei. Unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung sah der Senat den maßgeblichen Unterschied zu den früher entschiedenen Fällen darin, daß hier dem Angeklagten die Organstellung ausdrücklich entzogen worden und darüber hinaus auch eine andere Person als Vorstand vorhanden gewesen see3 • Der Angeklagte könne daher kein tauglicher Täter im Sinne der §§ 312, 314 HGB a. F. 24 (gesellschaftsrechtliche Untreue, Geschäftslagetäuschung) sein.

19 So in RGSt 43,407,413; im Sinne eines "erst-recht"-Argumentes ist diese Entscheidung nach dem heutigen Stand der Dogmatik allerdings nicht mehr verwendbar; vgl. Kap. 2, Fn. 15. 20 RGSt 64, 81, 84.

21 RG, JW 1934, 696.

ihrer Stellung als deren gesetzliche Vertreter nicht zeugnisfllhig. sondern können gemäß § 455 Abs. 1 ZPO nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der §§ 445ff ZPO wie eine Partei vernommen werden, so schon RGZ 2, 400; neuerdings etwa OLG Koblenz, OB 1987, 1037. 23 RG, JW 1934, 696. 22 Im Zivilprozeß sind Vorstandsmitglieder einer AG wegen

24 Siehe Kap. 2, Fn. 9.

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6. RGSt 71, 112 und RG, JW 1935, 2640 Ähnlich entschied das RG im Jahre 193725 in einem weiteren Strohmannfall. Hier waren die Angeklagten lediglich als Prokuristen eingetragen, obwohl die Geschäftsfiihrung einer GmbH alleine in ihren Händen lag. Formal als Geschäftsfiihrerin bestellt und eingetragen war die Mutter bzw. Schwiegermutter der Angeklagten, eine "alte Frau von 67 Jahren, die von der Geschäftsfiihrung der Gesellschaft nicht die geringste Ahnung hatte" und sich niemals um die Vorgänge im Geschäft gekümmert hatte. Der Senat entschied, daß die Angeklagten nicht Geschäftsführer im Sinne des § 83 GmbHG a. F. 26 seien. Dies begründete er zunächst mit Hinweis auf die wesentlich andersartige Fallgestaltung im Vergleich zu RGSt 16, 269 sowie RGSt 64, 81 und verwies zur Stützung seiner Ansicht auf die bereits oben dargestellte Entscheidung RG, JW 1934, 69627 sowie aufRG, JW 1935, 264028 • In RGSt 16, 269 und RGSt 64, 81 waren die Angeklagten förmlich, wenn auch zivilrechtlich unwirksam, zu Vorstandsmitgliedern bestellt und deshalb strafrechtlich als Organ angesehen worden. Die Hervorhebung dieses Unterschiedes zu dem ihm vorliegenden Fall läßt deutlich erkennen, daß der Senat eine von den Beteiligten beabsichtigte, wenn auch letztlich unwirksame Bestellung zum Organ als unverzichtbare Voraussetzung für die Vorstandseigenschaft im strafrechtlichen Sinne ansah. Eine fehlende ausdrückliche Bestellung zum Organ ließ den Betroffenen daher in jedem Fall aus dem Täterkreis der Organdelikte ausscheiden. Dies steht auch im Einklang mit der zur Stützung dieser Ansicht herangezogenen Entscheidung in JW 1934, 696. Auch dort war der Angeklagte trotz Beibehaltung seiner tatsächlichen Funktion ausdrücklich nicht zum Vorstandsmitglied, sondern formal nur als Prokurist bestellt worden, während ansonsten ein zwar untätiges, aber ordnungsgemäß bestelltes "Strohmann"-Vorstandsmitglied vorhanden war. Vollends deutlich wird der Standpunkt des RG durch den Verweis auf RG, JW 1935, 2640. In dieser Entscheidung, die später - soweit ersichtlich - weder in der Rechtsprechung des BGH noch im neueren Schrifttum Berücksichtigung gefunden hat, heißt es in Bezug auf § 244 KO a. F. 29 wörtlich30 :

25 RGSt 71, 112.

26 In der Fassung der Bekanntmachung vom 20.5.1898 (RGBI. S. 867) lautete die Vorscluift: ,,Die Strafvorscluiften der §§ 239 bis 241 der Konkursordnung finden gegen die Geschäftsfilhrer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, welche ihre Zahlungen eingestellt hat oder fiber deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, Anwendung, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe bedrohten Handlungen begangen haben." 27 Dies ist das in der Entscheidung zitierte Urteil vom 5. Januar 1934 - 1 D 1461/33. 28 Dies ist das in der Entscheidung zitierte Urteil vom 7. Man 1935 - 5 D 95/35. 29 Siehe Kap. 2, Fn. 17.

30 Hervorhebungen vom Verfasser. 3 Montag

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Kapitel 2: Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarlceit faktischer Organe

,,Nach dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Gesetzes kOmen nur Vorstandsmitglieder [... ] Titer der in den angefllhrten Bestinunungen mit Strafe bedrohten Handlungen und Unterlassungen sein. Diese Beschrlnkung findet [... ] ihre innere Rechtfertigung darin, daß die Genossenschaftsorgane nicht berechtigt sind, die ihnen vom Gesetz auferlegten Pflichten auf einen Dritten zu (lbertragen und sich dadurch von ihnen frei zu machen. Dem entspricht es, daß IWch nur sie [...] die strafrechtliche Verantwortlichkeit ßlr die Verletzung einer solchen Pflicht treffen kann [... ]. Etwas anderes ist IWch in RGSt 64, 81 nicht lWSgesprochen worden. Dort ist lediglich zum Ausdruck gebracht, daß sich der, der von dem zustAndigen Organ einer AktG zum Vorstandsmitglied berufen worden ist und diese Tltigkeit auch IWSgellbt hat, nicht damit entschuldigen kann, daß seine Berufung nichtig und rechtsunwirksam sei. Dieser Gedanke, der schon durch die praktische Notwendigkeit gerechtfertigt ist, daß irgend jemand vorhanden sein muß, der filr die ErfiIllung der der AktG obliegenden Pflichten verantwortlich ist, kann nicht dazu fiIhren, neben oder anstelle des vorhandenen Vorstandes andere strafrechtlich haftbar zu machen."

An dieser Stelle muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß das RG also auch in RGSt 71, 112 in dem Fehlen einer ausdrücklichen Bestellung bzw. bei einer ausdrücklichen Nichtbestellung des Angeklagten zum geschäftsführenden Organ - zumindest bei Vorhandensein einer sonstigen ordnungsgemäß bestellten Person - eine direkte Anwendbarkeit der Organdelikte ablehnte und sich insoweit an die zivilrechtliche Gestaltung der Gesellschaftsverhältnisse gebunden sah. Dies ist häufig wohl deshalb übersehen worden31 , weil das RG trotz der direkten Unanwendbarkeit des § 83 GmbHG a. F. über § 2 StGB a. F. 32 gleichwohl zu einer Strafbarkeit der Angeklagten nach dem Grundgedanken des §§ 83 GmbHG a. F. i. V. m. 240 KO a. F. (Schmälerung der Konkursmasse) gelangte. Daß aber nur eine analoge Anwendung über § 2 StGB a. F. und nicht eine direkte Anwendung der Sonderdelikte eine Strafbarkeit der Angeklagten begründete, geht eindeutig aus dem Text der Entscheidung hervor, der offensichtlich gekürzt ist und ab dem dritten Absatz lautee3 : "Unter den gegebenen Umständen wird die Verurteilung aber [also zu ergänzen: nur] durch die Hilfserwägung der Strafkammer getragen, mit der sie gemäß dem § 2 StGB den § 83 des GmbHG in Verbindung mit § 240 KO für entsprechend anwendbar erklärt,,34. Dies steht auch nicht in Widerspruch zu dem - zugegebenerweise mißverständlichen - Schlußsatz des Urteilsabdrucks, 31 z. B. von Stein, Organ, S. 25, 44 und 1471; die § 2 StGB L F. nicht als sachlichen Grund filr die Abweichung zu RGSt 72, 187 sowie als vom RG herangezogene Rechtsgrundlage ßlr die Verurteilung der Prokuristen erkennt; desgleichen Fuhrmann, Bedeutung. S. 140; IWßerdem Tiedernann in Scholz, § 84 GrnbHG, Rz. 32 mit Fn. 64, der die Entscheidung als Beleg ßlr verbotene Analogie durch faktische Auslegung heranzieht; zutreffend dagegen Hoyer, NStZ 1988,369. 32 Durch die Fassung der Bekanntmachung vom 28.6.1935 (RGBI. I S. 838) erhieh § 2 StGB den bis 1945 gehenden WortllWt: ,,Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ßlr strafbar erkllrt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach dem gesunden Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung. so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie arn besten paßt. .. 33 Hervorhebungen vorn Verfasser.

34 Unzutreffend ist deshalb die Ansicht von K Schmidt, Strafbarkeit, S. 424 mit Fn. 16, die Entscheidung sei nur bezilglich § 240 Abs. 1 Nr. 3 KO L F. auf § 2 StGB L F. gestlltzt gewC/lCß. Vielmehr fiIhrte § 2 StGB L F. zu einer analogen Anwendung von § 83 GrnbHG a. F., der wiederum erst die in der KO enthahenen Strafdrohungen gegen den Gemeinschuldner auch auf den Geschlftsfilhrer erstreckte.

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wonach der Anwendung des § 2 StGB a. F. nicht entgegenstehe, daß das Strafgesetz für sich allein die Verurteilung aus dem § 240 Abs. 1 Nr. 3 KO rechtfertige. Diese Textstelle enthält jedoch keine grundsätzliche Aussage zum Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander, sondern bezieht sich nur auf den konkreten Fall und ist im Zusammenhang mit den vorangegangenen Darlegungen zu sehen. Darin befaßte sich die Entscheidung nämlich ausschließlich mit den Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 2 StGB a. F. Zu diesen Voraussetzungen gehörte unter anderem, daß bestehende Strafnormen keine direkte Anwendung finden konnten. Dies prüfte das RG und gelangte nach der Feststellung, daß die Angeklagten als Prokuristen mangels Bestellung zu Geschäftsführern eben keine tauglichen Täter des § 83 GmbHG a. F. waren, zu dem Ergebnis: ,,Der Anwendung des § 2 steht [zu ergänzen: vorliegend] 'also nicht entgegen, daß das Strafgesetz [zu ergänzen: hier] schon für sich allein die Verurteilung aus dem § 240 Abs. 1 Nr. 3 KO [zu ergänzen: in Verbindung mit § 83 GmbHG] rechtfertigen würde"35 .

7. RGSt 72,187 Weitere Bestätigung erfuhr diese Rechtsprechung durch eine Entscheidung aus dem Jahre 193836 . Hier hatte ein Angestellter einer GmbH ohne entsprechende Bestellung und Eintragung tatsächlich und äußerlich die Stellung eines Geschäftsführers inne, jedoch nur neben einem tätigen, ordnungsgemäß eingetragenen Geschäftsführer. Das RG entschied, daß diese rein tatsächliche Stellung ihn nicht zum tauglichen Täter des § 84 GmbHG a. F. 37 machen könne. Das Unterlassen der Konkursanmeldung könne nur demjenigen zum Vorwurf gemacht werden, der auch zum Handeln verpflichtet sei. Konkursantragsberechtigt sei nach § 103 KO, abgesehen von den Gläubigern, aber nur der Gemeinschuldner selbst. Demgemäß lege das GmbHG die Antragsverpflichtung ausschließlich dem Geschäftsführer als dem gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft auf, nicht aber sonstigen Organen oder anderen Personen, dies selbst dann nicht, wenn diese Handlungsvollmacht oder gar Prokura hätten. Wer nicht als Geschäftsführer eingetragen sei, habe daher gar nicht die rechtliche Möglichkeit, den Antrag zu stellen und könne sich dementsprechend auch nicht strafbar machen38 . Einen nach damaliger Rechtslage im Ergebnis entscheidenden Unterschied zu RGSt 71, 112 sah der Senat allerdings darin, daß 35 RG81 71, 112, 114; unzutreffend ist deshalb der auf diese Textstclle bezogene Hinweis von K. Schmidt, Strafbarkeit, S. 424 mit Fn. 16, das RG habe die Anwendung dieser Vorschrift der KO auch ohne Einbeziehung des § 281GB L F., d h. ohne Analogie, fiIr möglich gehalten. 36 RGSt 72, 187.

37 In der Fassung der Bekanntmachung vom 26.2.1935 (RGBl. I, S. 339f) lautete die Vorschrift: ,,Die GcschAflsfilhrer [... ] einer Gesellschaft mit bcschrlnkter Haftung werden [... ] bestraft, wenn entgegen den Vorschriften des § 64 Abs. 1, § 71 Abs. 2 der Antrag auf Eröflhung des Konkursverfahrens oder gerichtlichen Vergleichsverfahrens unterlassen ist" 38 RG81 72, 187, 191f

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Kapitel 2: Die hOchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faktischer Organe

hier ein verantwortlicher, d. h. tätiger und nicht lediglich als Strohmann eingesetzter Geschäftsfiihrer vorhanden war und - so muß dieser Hinweis wohl verstanden werden - daß deshalb nicht einmal eine Verurteilung des Angeklagten über § 2 StGB a. F. in Betracht kam. Da § 2 StGB a. F. eine Bestrafung jedoch schon bei bloßem Verstoß gegen den Grundgedanken einer Vorschrift zuließ, läßt dies erkennen, daß nach Ansicht des Senats sich also auch nach dem Grundgedanken des § 84 GmbHG a. F. eine Strafbarkeitsausweitung auf Dritte verbietet, solange die Erfüllung der strafbewehrten Pflichten durch das Vorhandensein eines verantwortlichen Geschäftsfiihrers gesichert ise9 • 8. Die grundsätzlichen Aussagen der reichsgerichtlichen Rechtsprechung Nach Ansicht von Fuhrmann40 hat das RG als Normadressaten der Organdelikte anfänglich nur denjenigen angesehen, der zum Organ bestellt wurde, wenngleich die Bestellung unwirksam war. Diese Rechtsprechung habe seit RGSt 71, 112 jedoch eine Ausweitung erfahren, da das RG darin allein darauf abgestellt habe, ob eine tatsächliche Tätigkeit in Organfunktion vorliege. Lediglich in der nachfolgenden Entscheidung RGSt 72, 187, die allerdings vereinzelt geblieben sei41 , habe das RG in Abweichung von diesen Grundsätzen den in Geschäftsfiihrerfunktion tätig gewesenen Angeklagten nicht als tauglichen Sonderdeliktstäter angesehen, weil ein anderer Geschäftsfiihrer in das Handelsregister eingetragen gewesen sei. Die vorstehende Darstellung der einzelnen Entscheidungen hat jedoch gezeigt, daß dieser Einschätzung nicht gefolgt werden kann. Wie aus RGSt 34,412 und 43, 43042 hervorgeht, legte das RG zum einen der Eintragung des Organs ins Handelsregister nicht die maßgebliche Bedeutung bei. Insoweit konnte die tatsächliche Ausübung von Organtätigkeiten durchaus ausreichend sein. Auf der anderen Seite gingen jedoch durchgängig alle genannten Entscheidungen davon aus, daß als tauglicher Täter der Organdelikte nur derjenige angesehen werden konnte, dessen wirksame Bestellung zum Organ von den Beteiligten beabsichtigt worden war. Nur wenn dies der Fall war, sah das RG die zivilrechtliche Unwirksamkeit der Bestellung als unschädlich für die strafrechtliche Organqualifikation an. Konsequenterweise war das Erfordernis einer von den Beteiligten beabsichtigten wirksamen Bestellung nach Ansicht des RG dann nicht erfüllt, wenn 39 Zur Auseinandersetzung mit dieser Ansicht siehe unten S. 53ft: 40 Fuhrmarm, Bedeutung. S. 140f.

41 Ähnlich auch Stein, Organ, S. 44, die hier Widersprilche in der Rechtsprechung des RG sieht 42 Siehe dazu oben S. 30f.

11. Die Rec:ht.sprechung des BundesgerichtshofS

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zwar eine Tätigkeit in Organfunktion tatsächlich gegeben war, entweder eine förmliche Bestellung zum Organ jedoch bewußt vermieden worden war43 , formal ein anderer Status als der eines Organs, z. B. der eines Prokuristen, verliehen worden war44 oder wenn überhaupt keine förmliche Zuweisung einer gesetzlich vorgesehenen Stellung vorlag4S • Das RG sah sich also, zumindest wenn eine formal als Organ verantwortliche Person im Unternehmen vorhanden war, in jedem Fall an die von den Beteiligten gewählte, formale Statuszuweisung gebunden. Sowohl die Ausweitung der Strafbarkeit auf zivilrechtlich unwirksam bestellte Personen als auch die Bindung der Rechtsprechung an die von den Beteiligten gewählte Statuszuweisung begründete das RG mit dem Zweck der Organdelikte. Zum einen müsse es im Unternehmen zumindest eine verantwortlich Person geben, so daß sich das gewählte und in Funktion getretene Organ nicht nach~ch auf die zivilrechtliche Unwirksamkeit seiner Bestellung berufen könne . Andererseits sei es zur SichersteIlung der Erfüllung der strafbewehrten Organpflichten nach dem Willen des Gesetzes ausreichend, wenn sich die Strafdrohung an die formal verantwortlichen Personen richte, so daß eine Ausweitung auf weitere Dritte nicht geboten sei47 • Diesen Grundsätzen hat das RG in allen dargestellten Entscheidungen entsprochen. Die unterschiedlichen Ergebnisse in den Urteilen RGSt 71, 112 und RGSt 72, 187 erklären sich alleine aus der damaligen Gesetzeslage, nämlich der Geltung des § 2 StGB a. F. Erst durch diese Vorschrift sah sich das RG unter bestimmten Voraussetzungen imstande, die an Gesellschaftsorgane gerichteten Vorschriften auch auf solche Personen auszudehnen, die nicht einmal zivilrechtlich unwirksam zum Organ bestellt wurden. Gerade dies zeigt jedoch, wie konsequent das RG hinsichtlich der direkten Anwendbarkeit der Organdelikte an seiner restriktiven, streng formal ausgerichteten Auffassung festhielt.

11. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Auch der BGH behandelt die Problematik der faktischen Geschäftsführung bei einer GmbH im Zusammenhang mit den entsprechenden Fragestellungen aus dem Aktiengesellschaftsrecht und dem Bereich der strafrechtlichen Vertreterhaftung, so daß auch diese, nicht lediglich die GmbH betreffenden Ent-

43

So in RG, JW 1934, 696; siehe dazu oben S. 32.

JW 1934,696; RGSt 71, 112. SO in RGSt 72, 187.

44 So in RG, 4S

46 RGSt 16, 269; 64, 81; JW 1935, 2640. 47 RGSt 71, 112; JW 1935, 2640; RGSt 72, 187.

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Kapite12: Die h6cbs1richtcrlichc Rccbtsprechung zur Strafbarlceit faktischer Organe

scheidungen zur Strafbarkeit faktischer Organe in die folgende Darstellung einbezogen werden müssen. 1. BGHSt 3, 32 Schon in einer frühen Entscheidung nahm auch der BGJtI grundlegend zur Reichweite des Gescha:ftsfiihrerbegriffs im GmbH-Strafrecht Stellung. In dem zu entscheidenden Fall war der Angeklagte zusammen mit dem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer Hauptgesellschafter einer GmbH. Obwohl er selbst weder im Gesellschaftsvertrag zum Geschäftsführer bestellt noch im Handelsregister als solcher eingetragen war, hatte er neben dem eingetragenen Geschäftsführer eine solche Stellung in weiterem Umfang inne als dieser. Er war, so die oft zitierte Formulierung, "die Seele des Geschäfts'~ von ihm gingen alle Dispositionen aus und er nahm "auf sämtliche GeschäftsvorgAnge bestimmenden Einfluß': Er besaß eine Generalvollmacht des als Strohmann formell bestellten Geschäftsführers, trat auch nach außen als Geschäftsführer auf und unterzeichnete wichtige nach außen gehende Schriftstücke der Gesellschaft mit Namen des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers. Zudem bemaß sich sein Gehalt an dem eines Geschäftsführers. Der Angeklagte selbst wäre bei förmlicher Bestellung zum Geschäftsführer mit öffentlich-rechtlichen Inkompatibilitätsregelungen49 in Konflikt geraten. Der BGH sah ihn gleichwohl als tauglichen Täter im Sinne der §§ 81 a und 83 GmbHG a. F. so an. Der Senat bezog sich dabei ausdrücklich auf die frühere reichsgerichtliche

Rechtsprech~l, wonach die Organeigenschaft im strafrechtlichen Sinne

nicht durch zivilrechtliche Mangel einer tatsächlich erfolgten Bestellung ausgeschlossen sei. Da diese Rechtsprechung allerdings zum Genossenschaftsund Aktiengesellschaftsrecht erging, heißt es weiter wörtlich: "An dieser Auffassung [... ] ist festzuhalten. Sie gilt entsprechend fiir denjenigen, der die Aufgaben des Geschäftsführers einer Gesellschaft m b H tatsächlich wahrnimmt; denn fiir den Geschäftsführer einer solchen Gesellschaft ist in § 83 GmbHG dasselbe bestimmt wie in § 244 KO für die Vorstandsmitglieder einer 48 BOHSt 3,32 = LM Nr. 2 zu § 81 a GmbHG = GmbHR 19S2, 12S; bcsWigt in BOR, GmbHR 19S5,61 = OOHSt 7, IS7 (dort allerdings insoweit nicht abgedruckt) sowie in OOR, GmbHR 19S5, 80 und inOOR, GmbHR 19S8, 179. 49 Hier verbot § 29 der Verordnung Qber das Schomstcinfegcrwcscn vom 28.7.1937, RGBI. I, S. 836 die AusQbung gewerblicher Tltig\ccitcn. Eine Ihnlichc Regelung findet sich hcutc etwa in § 7 Nr. 8 BRAO, woraus sich nach OOR, NJW 1991, 2086 die Unvcrcinbarlc:cit der Zulassung als Rcchtsanwah mit der Tltig\ccit als alleiniger Gcschlftsfllhrcr einer kanfinlnnisch werbenden GmbH

ergibt. SO In der Fassung der BckaDntmachungvom 26.S.1933 (RGBI.I, S. 298) lautete § 81 a: "Wer als GcschIftsfilhrc [...] einer Gcscllscbaft mit bcschrInlcter Haftung vorsltzlich zum Nachteil der Gesellschaft handelt, wird [...] bcsIraft... Zum Wortlaut des § 83 GmbHG L F. liehe oben Kap. 2, Fn. 26. SI Nimlich aufRGSt 16, 269; 64, 81; 43, 407, 413; siehe dazu oben S. 28ff.

ll. Die R.cchtsprcdnmg des Bundesgerichtshofs

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Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft'~ Damit stützte der BGH seine Entscheidung ersichtlich auf eine erweiternde Auslegung des GeschäftsführeIbegriffs im Sinne des GmbH-StrafrechtsS2 • Er ging auch darauf ein. daß das RG eine Bestellung des Täters zum Organ als notwendige Voraussetzung für die Anwendung der Geschäftsführerdelikte ansah. Diesem Erfordernis sei bereits dadurch genügt, daß die Beteiligten eine formelle Bestellung des Angeklagten bewußt unterlassen hatten. dieser jedoch eine tatsächliche Geschäftsführerstellung im Einverständnis aller Gesellschafter einnahm. Nach § 51 Abs. 3 GmbHG kOnnten die Gesellschafter die Bestellung des Geschäftsführers nämlich auch ohne fbrmliche Einberufung einer GesellschaftelVersammlung vornehmen. Zudem sei die Eintragung des Geschäftsführers in das Handelsregister gemäß §§ 10, 39 GmbHG nicht erforderlich, da diese lediglich rechtsbekundende Wirkung habeS3 . An dieser Stelle muß allerdings angemerkt werden, daß der BGH damit ohne dies jedoch kenntlich zu machen oder zu begründen und im Gegenteil unter ausdrücklichem Bezug auf die einschlägigen reichsgerichtlichen Entscheidungen - deutlich über die ständige Rechtsprechung des RG hinausging. Trotz der Feststellung, daß ein fbrmlich bestellter Geschäftsführer vorhanden gewesen sei, die Beteiligten hinsichtlich des Angeklagten von einer fbrmlichen Bestellung jedoch bewußt abgesehen hätten. setzt sich der BGH nirgends mit der Ansicht des RG auseinander, wonach in einem solchen Fall die nicht fbrmlich zum Organ bestellte Person kein tauglicher Täter der Organdelikte sein konnte. Über den Unterschied zur Auffassung des RG läßt sich auch nicht dadurch hinweghelfen. daß das bloße Tätigwerden mit Einverständnis der Gesellschafter als stillschweigende Bestellung zum Organ angesehen wurde. Entgegen der Formulierung des BGHs4 verlangte das RG nämlich nicht lediglich, daß das Organ "irgendwie zu diesem Amt bestellt" worden sein müsse, sondern es hielt einen Bestellungsakt für erforderlich, der nach der Absicht der Beteiligten zu einer wirksamen Bestellung führen sollte. Ansonsten sah sich das RG erklärtermaßen an die jeweilige formale Zuweisung der Organstellung gebundenss • In dem hier zu entscheidenden Fall wäre unter Zugrundelegung der Auffassung des RG die Geschäftsführereigenschaft des Angeklagten ganz zweifellos zu verneinen gewesen. Insofern geht auch Fuhr-

52 Insoweit entstellend zitiert Hoyer, NStZ 1988, 369, der BOH habe in der Entscheidung die "entsprechende" Anwendung VOll § 84 GmbHG gerechtfertigt; Ilmlich Reich, DB 1967, 1663, 1667. Abgesehen davon, daß die Entscheidung zu §§ 81 a, 83 GmbHG L F. erging, war nach Ansicht des Senats aber lediglich die zum AktiCDRCht vcrtretcnc Auffassung cntsprechcnd auf das GmbH-Recht anzuwenden. Es wIre wohl auch kaum denkbar, daß der BOH sich offen zu einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GO bekannt hIttc. S3 BOHSt 3, 32, 37ff. 54 BOHSt 3, 32, 38. ss Siebe dazu oben S. 36ff.

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Kapitel 2: Die höcbstrichtcrlichc Rechtsprechung zur Stratbadtcit faktischer Organe

mann56 in seiner Beurteilung fehl, der BGR habe in Übereinstimmung mit RGSt 71, 112 die Annahme der faktischen Organschaft nicht daran scheitern lassen, daß andere Personen förmlich zu Organmitgliedern bestellt worden seien. Gerade daran ließ das RG die Qualifikation des Täters scheitern und sah sich nur im Wege des § 2 StGB a. F. zu einer Verurteilung imstande, wobei selbst dies nur bei einem reinen Strohmanndasein des ordnungsgemäß bestellten Geschaftsführers in Betracht kam. Der BGR gelangte also auf dem Weg der teleologischen Gesetzesauslegung sachlich zu den Ergebnissen, zu denen das RG nur durch eine - damals zulässige - offene Analogie zuungunsten des Täters kam51 • Uneingestanden hat der BGR damit die reichsgerichtliehe Rechtsprechung auch auf Personen ausgedehnt, die ohne einen auf eine wirksame Bestellung gerichteten Formalakt in Geschaftsführerfunktion tätig geworden sindS8 • Da dieser in der Sache vollzogene Bruch mit der reichsgerichtlichen Rechtsprechung aber nicht offengelegt wird, verzichtet der Senat weitgehend auf eine eigene Begründung dieses Ergebnisses und begnügt sich mit entsprechenden Verweisen. Lediglich zum Erfordernis der Bestellung macht er die genannten Ausfiihrungen. Dies ist vor allen Dingen deshalb unbefriedigend, weil das RG die Bestimmung des Geschaftsführerbegriffs in nahezu schulmäßiger Ausführlichkeit unter Zugrundelegung des Wortlautes und Berücksichtigung von Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschriften vorgenommen hatte59 , diese Argumentation auch später unter ein~hender Erörterung des Schutzzweckes der betreffenden Normen fortführte und ansonsten unter ausdrücklicher Verweisung auf diese Begründungen61 nur zu der dargestellten engen Auffassung gelangte. Demgegenüber enthält gerade BGRSt 3, 32 als diejenige Entscheidung, die in der folgenden Rechtsprechung zum einschlägigen Problemkreis ständig in Bezug genommen wird62 , selbst keine zufriedensteIlende Begründung ihres Ergebnisses und keinerlei argumentative Rerleitung der eklatanten Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des RG. Im Gegenteil 56 Fuhrmann, Bedeutung, S. 141. 51 Zutl'cffend hcrausgestclh von Hildcshcim, wisIra 1993, 166, 167, der allerdings jegliche Kritik an diesem Vorgehen vermissen llßt. Hoyer, NStZ 1988, 369, 370, wirft dem BGH demgegenQbcr vor, zur Rechtfertigung dieses Ergebnisses jetzt nicht mehr auf das ,,gesunde Volksempfinden'~ sondern auf StrafWOrdigkcitsaspcktc zu verweisen; IhnIich Reich, DB 1967, 1663, 1667. 58 In diesem Sinne auch K Sclunidt, Stratbadtcit, S. 42S. 59 RGSt 16,269, 27Of.

60 RGSt 43,407,413; 43, 430; JW 1935, 2640. 61 RGSt 64, 81; 71, 112; JW 1934,696. 62 So in BGH, GmbHR 19S5, 61; GmbHR 19S5, 80; unter Anwendung auf einen stellvertretenden Gcschlftsfllhrer auch in BGHSt 6,314 sowie GmbHR 19S8, 179, 180. Kein Widerspruch innerhalb der BGH-Rechtsprcchung ergibt sich entgegen Stein, Organ, S. 44, daraus, daß in BGHSt 14, 280, 28lf = NJW 1960, 1677f der Bcvollmlchtigtc der GmbH nicht als tauglicher SonderdeliktsWer angesehen wurde. Hier lagen nImlich keine tatslchlichcn Anhaltspunkte flIr ein Tltigwerden in

Organfunktion vor.

n. Die Reclrtsprechung des Bundesgerichtsho&

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dient sie in der Folgezeit als Belegstelle für eine scheinbar kontinuierliche Rechtsprechungspraxis63 • 2. BGHSt 21, 101 In Fortfiihrung von BGHSt 3, 32 bestätigte der 1. Strafsenat in einer weiteren Entscheidung64 diese Rechtsprechung zunächst im Hinblick auf die Geschäftsfiihrereigenschaft bei der GmbH und bezog sie darüber hinaus in gleicher Weise auch auf den Begriff des Vorstandsmitgliedes einer AG. In dem zugrundeliegenden Fall führte der Angeklagte allein die Geschäfte einer GmbH, deren Gründung er selbst betrieben hatte, ohne jedoch als Geschäftsfiihrer bestellt zu sein. Er war an dieser Gesellschaft auch formell nie beteiligt, die Gesellschafter waren jedoch seine Strohmänner. Der lediglich formell bestellte Geschäftsfiihrer wurde nur hinzugezogen. wenn dies zur Wahrung gesetzlicher Formvorschriften unerläßlich schien. Die Gesellschafter waren mit der Führung der Geschäfte durch den Angeklagten zudem einverstanden. wobei es der BGH dahingestellt sein ließ, ob ein Einverständnis der Gesellschafter im gegebenen Fall überhaupt notwendig gewesen wäre, da die Gesellschafter ohnehin nur Strohmänner und der Angeklagte selbst der eigentlich maßgebliche Mann gewesen sei. Damit sei der Angeklagte jedenfalls als Geschäftsfiihrer im Sinne von § 83 GmbHG a. F. anzusehen6s .

Um der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Bestimmungen zu entgehen. hatte der Angeklagte zudem eine AG gegründet, die den Betrieb seines eigenen früheren Einzelunternehmens übernahm. Später erwarb er außerdem sämtliche Aktien dieser Gesellschaft. Trotz dieser Umwandlung und der Bestellung mehrerer Angestellter des Angeklagten zu Vorstandsmitgliedern behielten diese ihre frühere Tätigkeit bei, während der Angeklagte ohne formelle Bestellung zum Organ die Leitung des Unternehmens wie in seinem früheren Einzelunternehmen weiter betrieb. Die AG hatte kaum Kapital und ihr Betrieb hing ganz vom Angeklagten ab, der ihr seine Grundstücke und seine Betriebsmittel zur Verfügung stellte. Als die formell bestellten Vorstandsmitglieder erstmalig eine eigene Entscheidung treffen wollten und den Antrag auf Eröffnung eines Konkurs- oder gerichtlichen Vergleichsverfahrens erwogen. bewirkte der Angeklagte ihre sofortige Abberufung und ihre Ersetzung durch "seinen Privatjäger und einen Bonbon63 In diesem Sinne auch K Schmidt, Stra.fbarkeit, S. 425 und 427, der zutreffend daraufhinweist, der entscheidende Bruch verlaufe zwischen der Reichsgerichtsrechtsprechung und der BGHRechtsprechung und nicht durch die Judikatur des BGH hindurch, sowie Reich, DB 1967, 1663, 1667. 64 BGHSt 21, 101 = NJW 1966,2225 = MDR 1966, 857 = DB 1966, 1349 = BB 1966, 959 = GrnbHR 1966, 229; besW.igt in BGH bei Ho1tz, MDR 1981, 100. 6S BGHSt 21,101, 103.

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Kapitel 2: Die h6cbstricbtcrliche R.cchtsprechung zur Stra1bukcit faktischer Organe

koch, die die wirtschaftlichen Verhältnisse der AG nicht kannten und nur seine willfährigen Werkzeuge waren'~ Der Senat sah den Anfklagten daher als Vorstandsmitglied der AG im Sinne von § 244 KO a. F. an . Er hielt dabei zunächst die in der gleichen Entscheidung zuvor ausgeführten Grundsätze über den Geschäftsfiihrerbegrüf in § 83 GmbHG a. F. für entsprechend auf § 244 KO a. F. anwendbar. Auch durch diese Vorschrift solle nämlich anstelle des eigentlichen Schuldners das wirklich verantwortliche Organ der Gesellschaft der Strafvorschrift unterworfen sein. so daß unbeschadet der etwaigen Verantwortlichkeit fbrmlich bestellter Vorstandsmitglieder auch derjenige strafbar sei, der die Stellung eines Vorstandsmitgliedes tatsächlich innehabe und als solches tätig werde. Zudem könne der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht und rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nicht zur Straflosigkeit des Verantwortlichen führen, da handelsrechtliche Vorschriften nur dem redlichen Geschäftsverkehr dienten67 • In der Entscheidung wurde dabei zum einen darauf abgestellt, daß der Angeklagte nicht von außen der AG oder ihrem Vorstand Weisungen erteilt, sondern selbst im Unternehmen gesessen und es als "oberster Chef' und "Generalbevollmächtigter" geleitet habe. Hinsichtlich des Einverständnisses des Aufsichtsrats als zuständigem Bestellungsorgan für die Einsetzung von Vorstandsmitgliedern hielt es der Senat für ausreichend, daß der Angeklagte maßgeblichen Einfluß auch auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates hatte und somit erreichen konnte, daß der Aufsichtsrat ihm nichts "in den Weg' legte68 • Auch hier begründet der BGH zunächst die Strafbarkeit eines tatsächlichen GmbH-Geschäftsführers neben einem formell bestellten Geschäftsführer mit Hinweis auf die - wie gezeigt - in sich nur unzulänglich begründete Entscheidung BGHSt 3, 32. Sehr allgemein gehaltene Argumente für die Strafbarkeit tatsächlicher Geschäftsführer neben formell bestellten Organen folgen dann erst nachträglich, wenn der ßGH die für die GmbH entwickelten Grundsätze auch auf den Vorstand einer AG überträgt. Erst hier legt er unter Hinweis auf den Zweck der Vorschrift dar, es sei mit dem Wortlaut des § 244 KO a. F. noch vereinbar, auch denjenigen als Vorstand einer AG anzusehen, der mit Einverständnis oder Duldung des maßgebenden Gesellschaftsorgans die Stellung eines Vorstandes tatsächlich einnehme. Der BGH hebt dann noch die Strafbedürftigkeit dieser Personen hervor. Sie treffe aufgrund ihres Tätigwerdens "mit Fug auch strafrechtlich der Vorwurf des Rechtsverstoßes'~ wenn sie den strafbewehrten Vorstandspflichten zuwiderhandelten. Eine gegenteilige Ansicht könne demgegenüber zu Strafbarkeitslücken führen69 • 66 BGHSt 21,101, 10Sf 67 BGHSt 21, 101, lOS. 68 BGHSt 21,101, 107f 69 BGHSt 21, 101, lOS.

ll. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

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3. BGB bei Berlan, GA 1971, 33 Nach Ersetzung des § 83 GmbRG a. F. durch den dem heutigen § 14 Abs. 1 StGB entsprechenden § 50 a Abs. 1 StGB a. F. erklärte der BGR70 in einer weiteren Entscheidung die zu § 83 GmbRG a. F. entwickelten Auslegungsgrundsätze auch auf diese Vorschrift für anwendbar. Im einzelnen ließ er dabei ausreichen, daß der Angeklagte die Gründung der Gesellschaft betrieben hatte, maßgeblich am Stammkapital und an den Stimmrechten beteiligt war, bestimmenden Einfluß auf das Unternehmen ausübte, alle Außengeschäfte selbständig leitete, nach innen und außen als Geschäftsführer auftrat und auch das Gehalt eines Geschäftsführers bezog. Zudem hätten sich auch die anderen Gesellschaftsmitglieder, selbst der als Geschäftsführer eingetragene Hauptgesellschafter seinen Weisungen gebeugt, so daß der Angeklagte seine Stellung auch im Einverständnis der Gesellschafter ausgeübt habe und der formell bestellte Geschäftsführer ihn nur gegenüber Behörden und Gläubigem "strohmannähnlich abgedeckt" habe. 4. BGBSt 31, 118 Im Jahre 1982 befaßte sich der BGR7l dann ausfiihrlicher mit der Abgrenzung des Täterkreises von § 84 GmbRG. Nach dem Zweck des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbRG sei auch detjenige Normadressat der Vorschrift, der ohne :ftirmliche Bestellung die Geschäftsfiihrung tatsächlich übernommen habe72 . Für das Vorhandensein einer solchen Stellung hielt es der Senat für ausreichend, daß der Angeklagte ganz maßgeblich die Geschäftseröffnung betrieben und neben seiner Ehefrau, der als Geschäftsführerin eingetragenen und in dieser Funktion auch tätigen Hauptgesellschafterin, einen nicht unmaßgeblichen Anteil an der tatsächlichen Führung der Geschäfte gehabt habe. Der Angeklagte, der wegen eines früheren Konkursverfahrens nicht als Firmeninhaber habe in Erscheinung treten dürfen, sei nach innen und außen als Geschäftsführer aufgetreten und habe wesentliche Geschäftsfiihrungsaufgaben wahrgenommen. Zwar war im Einverständnis mit seiner Ehefrau und dem Minderheitsgesellschafter eine :ftirmliche Bestellung zum Geschäftsführer vermieden worden, der Angeklagte sei jedoch über "nahezu sämtliche geschäftlichen Interna erstaunlich gut informiert" und auch in den Augen seiner als Geschäftsführerin eingetragenen Ehefrau die treibende Kraft in dem Geschäft gewesen. Auch Außenstehenden konnte er erfolgreich den Eindruck 70 BOH bei Herlan, GA 1971, 33, 35; bestltigt auch fIlr § 14 Aha. 1 Nr. 1 StGB in BOH bei Hol1z, MDR 1980, 453. 7l BOHSt 31, 118 = NJW 1983, 240 = MDR 1983, 66 = NStZ 1983, 124 = wistra 1983, 31 = BB 1983,788 = GmbHR 1983, 43. 72 BOHSt 31, 118, 122; bestltigt in BOR, NJW 1984, 2958 und BOR, wistra 1990,97,98.

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Kapitel 2: Die höchstricbterlicbe Rechtsprechung zur S1rafbarlceit faktischer Organe

vermitteln, daß er über die Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen entscheide. Diese Umstände, die auf den Angeklagten als eine alle wichtigen Entscheidungen treffenden Geschäftsführer hinwiesen, verliehen dem Angeklagten - wie die Entscheidung ausdrücklich hervorhebt - eine überragende Stellung im Verhältnis zur eingetragenen Geschäftsfiihrerin73 • So sei auch ein Sanierungsvorschlag "von den Eheleuten" nicht akzeptiert worden74 • Dieser Beurteilung, daß die vom Angeklagten tatsächlich übernommene Tätigkeit fiir die GmbH nach Art und Umfang der eines Geschäftsfiihrers entsprach, stand nach Ansicht des Senats nicht entgegen, daß der Angeklagte über das Geschäftskonto nicht verfügungsbefugt war, offiziell als Bote und Hausmeister mit entsprechend niedrigem Gehalt angestellt war, und seine Ehefrau zudem nicht lediglich als Strohmann fungierte, sondern einen Großteil ihrer Aufgaben auch tatsächlich wahrnahm. Der BGH betonte zunächst, daß fiir die Beurteilung der Stellung einer im Unternehmen tätigen Person nicht einzelne Tätigkeitsmerkmale entscheidend seien, sondern deren Zusammenschau den Schluß auf eine solche Position zulassen müsse. Demzufolge komme es nicht allein darauf an, welche Rechte dem fiir die Gesellschaft Handelnden förmlich übertragen worden seien, sondern auf dessen tatsächliche Verfügungsmacht. Insoweit sah es das Gericht als ausreichend an, daß sich der Angeklagte bei Verfügungen über das Konto jederzeit der Mithilfe seiner verfügungsberechtigten Ehefrau sicher sein konnte. Zudem habe die offizielle Einstellung als Bote und Hausmeister den wahren Einsatz fiir das Unternehmen in keiner Weise erfaßt und sei insofern belanglos. Zur weiteren Begründung fiihrte der Senat aus, auch das Vorhandensein eines tatsächlich tätigen, ordnungsgemäß bestellten Geschäftsfiihrers schließe nicht aus, neben diesem den Angeklagten als tatsächlichen Geschäftsfiihrer anzusehen, denn es sei nach § 6 Abs. 1 GmbHG möglich, mehrere Geschäftsführer zu bestellen, ohne daß dadurch die Verpflichtung des einzelnen Geschäftsfiihrers zur rechtzeitigen Konkursantragstellung ausgeschlossen sei. Bei der nur tatsächlichen Übernahme der Geschäftsführung führe jedenfalls eine überragende Stellung des tatsächlichen Geschäftsfiihrers gegenüber dem ordnungsgemäß bestellten und tätigen Geschäftsfiihrer dazu, daß der tatsächliche Geschäftsfiihrer strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden 73 BGHSt 31, 118, 120, insoweit besWigt dun:b. BGII, StV 1984, 461, 462 (zu § 283 Abs. 1 StOB), worin gleichfalls festgestelh wurde, daß auch die eingetragene Geschlft.sfilhr selbst "Gescbiftsfllhrugaben VOll Gewicht" wahmalJm, wobei der Angeklagte gegenilber dieser Tltigkeit "ein Übergewicht"batte. Ob diese Formulierung allerdinp eine AufWeichung des in BGHSt 31, 118 gebrauchten Kriteriums des "ilberragenden Einßusses"bedeutct (so etwa Hildesheim, wistra 1993, 166, 168; Schlfer, wistra 1990, 81, 82; 000, StV 1984, 462; dazu auch BayObLG, wistra 1991, 19S, 197), erscheint im Zusammenhang der Entscheidungsgrllnde zweifelhaft. BGHSt 31, 118 wird in dieser Entscheidung. die sich im wesentlichen mit der Frage eines Verbotsirrtums befaßt, nImlich ausdrilcklich als gefestigte Rechtsprechung angefilhrt. 74 BGH, BB 1983,788,789; insoweit in BGHSt 31, 118ffnicht abgedruckt.

11. Die Rechtsprechung des BundesgerichtshofS

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könne7s . Hinsichtlich des von der Rechtsprechung bisher geforderten Einverständnisses der Gesellschafter mit der Tätigkeit des tatsächlichen Geschäftsführers hielt der BGH das festgestellte Einverständnis der Gesellschaftermehrheit fiir ausreichend. Auch hier ließ er jedoch Zweüel daran erkennen, ob es auf dieses Einverständnis rechtlich überhaupt ankomme. In dieser Entscheidung als einer der wenigen, in der der BGH zur rechtlichen Herleitung seiner Auffassung über die Reichweite des Geschäftsführerbegriffs Stellung nimmt, wird ausdrücklich der Kritik entgegengetreten, der BGH verstoße mit seiner Rechtsprechung ge1en das verfassungsrechtliche Verbot der Analogie zuungunsten des Täters7 • Wörtlich heißt es77 : ,,Denn Normadressat von § 84 Abs. 1 Nr. 2, § 64 Abs. 1 GmbHG ist nicht allein der förmlich zum Geschäftsführer Bestellte, sondern auch derjenige, der die Geschäftsführung tatsächlich übernommen hat, [... ] jedenfalls dann, wenn dies [... ] mit dem Einverständnis der Gesellschafter geschah [... ]. Eine andere Auffassung würde den Schutz der Allgemeinheit vor unredlicher Handhabung der Geschäftsführung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung unterlaufen78 . Der auf strafrechtlichen Schutz abzielende Zweck79 des § 84 Abs. 1 Nr. 2 kommt in dessen Wortlaut auch hinreichend deutlich zum Ausdruck." Obwohl das RG die Anwendbarkeit des § 84 GmbHG in einem Fall wie dem hier zu entscheidenden abgelehnt hätte, erwähnt der BGH ausdrücklich, die Anwendung des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auf den faktischen Geschäftsführer sei "in der Rechtsprechung" anerkannt80 . Auch hier erfolgt kein Hinweis auf die Abkehr von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung. 5. Die grundsätzlichen Aussagen der Rechtsprechung des BGH Insgesamt läßt sich damit erkennen, daß auch der BGH - wie schon das RG - die Reichweite des jeweiligen Organbegriffs einheitlich fiir sämtliche Organdelikte bestimmt. Der Kreis der potentiellen Normadressaten wird durch den BGHjedoch erheblich erweitert. Nicht nur derjenige, dessen wirksame Bestel7SBGHSt31,118,122. 76 Siehe dazu unten S. 49ff. 77 Hervorhebungen vom Verfasser.

78 Zutreffend weist demgegenObcr Stein, ZHR 148 (1984), 207, 217 m. w. N., daraufhin, daß § 84 GrnbHG nicht den Schutz der Allgemeinheit vor unredlicher Handhabung der Geschlftsfilhrung bezwecke, sondern in erster Linie das Vcnnögensinteresses der Gllubiger, sodann die Gesellschaft und die Gesellschafter vor schIdigenden Handlungen der GeschIftsfiIhre schOtzen wolle. Insoweit ist die Entscheidung also zumindest unscharfformulicl1. 79 Da gar nicht erforderlich ist, daß der bei der Auslegung berQclcsichtigte Nonnzweck vom Wortlaut der Norm gedeckt ist, erwutet man an dieser Stelle allerdings eher die ausdrilckliche Feststellung. das Auslegung.llergebnis halte sich in den Grenzen des Wortlautes, wie sie sich etwa in BGHSt 21, 101, 104ffindet. 80 BGHSt 31, 118, 123; fiIr § 84 GrnbHG ist dies nur ersichtlich in BGR, GrnbHR 1958, 179; in deutlichem Gegensatz dazu jedoch RGSt 72, 187.

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Kapitel 2: Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faktischer Organe

lung von den Beteiligten beabsichtigt war und der daraufhin in Organfunktion tätig geworden ist, soll zum Täterkreis der Organdelikte zählen können. Vielmehr fallen nach Ansicht des BGH unter den OrganbegrifI der jeweiligen Vorschriften alle Personen. deren "tatsächlich übernommene Tätigkeit"fiir die Gesellschaft "nach Art und Umfang" die eines Organs sei81 • Ist außerdem noch ein formell bestellter Geschäftsführer vorhanden. so muß zu der tatsächlichen Übernahme der Geschäftsführertätigkeit zudem noch ein Übergewicht des faktischen Organs gegenüber dem förmlich bestellten Organ hinzukommen82 , wobei zur rechtlichen Herleitung dieses weiteren Erfordernisses in den Entscheidungen jedoch nirgends Stellung genommen wird. Demgegenüber kann der BGH das Einverständnis der Gesellschafter mit der Übernahme der Organtätigkeit in den Entscheidungen zwar jeweils feststellen. Er läßt jedoch deutliche Zweifel daran erkennen. ob dies eine notwendige Voraussetzung fiir die Täterqualifikation ist83 • Der streng formale Standpunkt des RG ist damit durch eine rein funktionale Betrachtungsweise in der BGH-Rechtsprechung abgelöst worden. Dies führte allerdings dazu, daß der BGH auch methodisch anders vorgehen mußte als das RG. Da nach ständiger Rechtsprechung des RG bei Vorhandensein eines ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers andere Personen nur bei gleichfalls wirksamer Bestellung mögliche Täter sein konnten. kam es fiir das Ergebnis nie entscheidend auf den Umfang der tatsächlich übernommenen Aufgaben an. Für den BGH ist die formale Bestellung bzw. NichtbesteIlung des Handelnden dagegen nicht mehr der maßgebliche Anknüpfungspunkt, sondern es soll vielmehr ein arbeitsteiliges Nebeneinander eines faktischen Geschäftsführers neben einem tätigen. ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer möglich sein. Der BGH mußte deshalb andere Kriterien da:fiir finden. wann ein Handelnder die erforderliche Täterqualifikation besitzt. Er geht dabei seit seiner Leitentscheidung'4 in zwei Schritten vor, deren Reihenfolge wechseln kann. Zum einen stellt der BGH fest, daß auch ein faktischer Geschäftsführer Normadressat des bestimmten GmbH-Straftatbestandes ist. Dies wird nach dem Zweck der Vorschrift beurteilt8s • In einem weiteren Schritt beurteilt er dann im Rahmen einer wertenden Betrachtung, ob die einzelnen Tätigkeitsmerkmale in ihrer Zusammenschau den Schluß auf eine entsprechende Stellung des tatsächlich Handelnden zulassen86 • Im Rahmen dieser Beurteilung, ob die ,,Einwirkung des Angeklagten auf die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft [... ] 81 So etwa BGHSt 31, 118, 120 flIr den Bereich des GmbHG. 82 BGHSt 31, 118, 122 unter Bezugnahme auf BGH bei HerlllD, GA 1971, 33, 36 und BGH, GmbHR19S8,179f. 83 So schon BGHSt 3, 32, 38 sowie neuerdings BGHSt 31,118, 123. 84 BGHSt 3, 32. 8S BGHSt 3,32, 37f, 21, 101, 102f, 31, 118, 122. 86 AusdrilcldichBGHSt31,118,121.

ß. Die Rechtaprechung des Bundesgerichtshofs

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nach Art und Umfang den Rang einer tatsächlichen Geschäftsführertätigkeit erreicht,,87 , wird der Gesetzeszweck dann allerdings nicht mehr zur Argumentation herangezogen. Da der BGH bisher durchgängig in allen Fällen auch den faktischen Geschäftsführer als möglichen Täter der Geschäftsführerdelikte angesehen hat, konzentrieren sich die Entscheidungen im wesentlichen nur auf die Bestimmung einer solchen Stellung im jeweiligen Einzelfall. So wird die Figur des faktischen Organs vom Grundsatz her zwar normübergreifend nicht nur für sämtliche Geschäftsführerdelikte des GmbHG, sondern einheitlich auch für den Vorstandsbegriff des Aktienstrafrechts und den Begriff des organschaftlichen Vertreters in § 14 StGB verwandt. Hinsichtlich der jeweiligen konkreten Bestimmung, ob eine faktische Organstellung vorliegt, bleibt es jedoch bei bloßen Einzelfallentscheidungen. Im übrigen zeigt sich, daß der BGH seiner Rechtsprechung schon früh den Boden bereitet und diese später konsequent beibehalten hat. Schon BGHSt 3, 32, 37 begnügte sich damit, daß der Angeklagte seine Tätigkeit neben dem ordnungsgemäß bestellten Geschaftsftihrer, ,ja in weiterem Umfang als dieser" ausgeübt habe, wenn sich auch aus dem Sachverhalt wohl letztlich eine vollständige Verdrängung des Strohmannes ergab. Die Anlegung dieses Maßstabes führte aber später dazu. faktische Geschäftsführung auch bei Vorhandensein eines ordnungsgemäß bestellten und wesentliche Geschäftsfiihrungsaufgaben selbst ausübenden Mitgeschä:ftsfiihrers annehmen zu können88 . Die gelegentliche Kritik, der BGH habe sich bei der Bestimmung des Kreises der zu den Geschäftsführern zählenden Personen immer weiter vorgewagt89 , erscheint deshalb nicht stichhaltig. Das schon früh entwickelte Prinzip wurde hinsichtlich seiner Reichweite entsprechend der jeweiligen Sachverhaltsgestaltung eben nur mehr oder weniger weit ausgeschöpff'O . Als Ergebnis läßt sich daher festhalten, daß die ständige reichsgerichtliche Rechtsprechung uneingestanden und im Gegenteil unter Vorgabe einer kontinuierlichen Weiterentwicklung von einer ebenso konsequenten, in der Sache aber wesentlich weitergehenden Rechtsprechung des BGH abgelöst wurde. Wie weit der BGH damit über den Stand der Rechtsprechung des RG hinausgegangen ist, zeigte sich dabei erst in voller Deutlichkeit, als der BGH die bereits früh entwickelten Grundsätze auch auf weniger krasse Fälle anzuwenden hatte.

87 BGHSt31, 118. 88 So in BGHSt 31, 118. 89 So Otto, StV 1984,462; Ihnlich Stein, ZHR l48 (l984), 207, 216f, Schulze..Osterloh, EWiR §

84 GmbHG, 477, 478. 90 K. Sclnnidt. Strafbarkeit, S. 427.

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Kapitel 2: Die hOcbstrichterliche Rechtsprechung zur Strafbarkeit faktischer Organe

6. Die Anwendung der vom BGH entwickelten GrundsAtze in OLG Düsseldorf, NJW 1988, 3166 Die bisher dargestellten Entscheidungen des BGH führten durchweg zu einer Strafbarkeit der in Geschäftsführerfunktion tätigen Angeklagten. Besondere Bedeutung erlangt damit eine neuere Entscheidung des OLG Düsseldorf1 , in der unter Anwendung der Grundsätze der BGH-Rechtsprechung die Strafbarkeit des Angeklagten verneint wird und die damit die Grenzen der nach diesen Grundsätzen gebotenen Ausweitung des möglichen Täterkreises sichtbar macht. Hier war über die Täterqualifikation im Sinne von § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG für den Fall zweier GmbH-Geschäftsführer zu entscheiden, die gleichberechtigt die Gesellschaft leiteten, wobei nur der eine ordnungsgemäß bestellt war, während man von der Bestellung des anderen bewußt abgesehen hatte. Die Angeklagten trafen alle wesentlichen Entscheidungen gemeinsam. Das OLG bejahte zwar die Voraussetzungen einer tatsächlichen Geschäftsführerstellung bei dem nicht Eingetragenen, verneinte aber mit Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung dessen Pflicht zur Konkursanmeldung, da er gegenüber dem ordnungsgemäß eingetragenen und tätigen Geschäftsführer keinen überwiegenden Einfluß ausgeübt habe. In einem solchen Fall bestehe kein Bedürfnis, die strafrechtliche Verantwortlichkeit auch auf einen faktischen Geschäftsführer zu erstrecken.

91 OIß DIlsseldort; NJW 1988, 3166 = NStZ 1988,368 = wistra 1989, IS2 = OB 1988, 224.

Kapite/3

Die Kritik des Schrifttums Während gegenüber der vom RG vertretenen Auffassung zum vorliegenden Thema im Schrifttum kein Widerspruch erkennbar istl , wird die Rechtsprechung des BGH teilweise als zu weitgehend empfunden und ist in dieser Hinsicht massiver Kritik ausgesetzt. Allgemein wird zunächst der - wie gezeigt berechtigte Einwand erhoben, die Entscheidungen wiesen ein Begrundungsdefizit auf. Wenn überhaupt eine Auseinandersetzung mit den Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Nichtorganen stattfinde, beschränke sich diese auf schlagwortartige Phrasen zum Strafzweck2 • Die Rechtsprechung des BGH nehme hier eine "gesetzesgleiche Position fragloser Selbstverständlichkeit" ein3 . Im übrigen läßt sich die inhaltliche Kritik des Schrifttums im wesentlichen unter die folgenden Punkte einordnen.

I. Verstoß gegen das Analogieverbot Es ist allgemein anerkannt, daß sich im Strafrecht aus dem in Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB niedergelegten Gesetzlichkeitsprinzip ein Verbot der Analogie als Mittel der Neuschöpfung von Strafvorschriften sowie der Verschärfung von Strafen und sichernden Maßregeln ergibt. Dies bedeutet die Unzulässigkeit einer Rechtsanwendung, die über den durch Auslegung zu ermittelnden Sinngehalt einer Strafrechtsnorm hinausgeht4 • Im Gegensatz zur Auslegung, die sich auf die Sinnermittlung von Rechtssätzen zum Zwecke ihrer Anwendung auf konkrete Sachverhalte beschränkts , ist unter Analogie nämlich die Übertragung einer gesetzlichen Regel auf einen von dieser nicht betroffenen Einzelfall zu verstehen6 • Damit verläßt die analoge Anwendung einer Norm aber den von dieser gesteckten Rahmen7 • Soweit daher täterbelastende Aus1 Zustimmend etwa Kohlmann in Hachcnburg. § 84 GmbHG, Rz. 20; Tiedemann in Schotz, § 84 GmbHG, Rz. 31; LuUerlHommelhoft; § 84 GmbHG, Rz. 3. 2 So Stein, Organ. S. 98; lbnIich Kra1zsch, ZGR 1985, 506, 511, Fn. 22; Otto, StV 1984, 462; Löffeler, wistra 1989, 121, 122. 3 Achcnbach, NStZ, 497. 4 Nullum crirnen sille lege strieta; siehe nur BVertOE 71, 108, 115 sowie Jescheck, Lehrbuch, S. 120; Eser in SchönkeiSchrOder, § 1 StGB, Rz. 24ff,jcweilsm. w. N. 5 MaurachlZipt; S. 109; siehe dazu und zu den Methoden der Auslegung nAher unten S. 82ff. 6 Siehe nur Eser in SchönkeiSchroder,

7 MaurachlZipt; S. 122. 4 Montag

§ 1 StGB, Rz. 24 m. w. N.

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Kapitel 3: Die Kritik dCI SdIrifttums

wirkungen der Normhandhabung betroffen sind, :6ihrt die Beachtung des Gesetzlichkeitsprinzips zum Problem einer Grenzziehung zwischen zulässiger, wenn auch belastender Auslegung und verbotener Analogie. Wo diese Grenze im einzelnen gezogen werden muß, ist in vieler Hinsicht umstritten. In Rechtsprechung und Literatur besteht jedoch weitgehende Einigkeit darüber, daß zum einen die Auslegungstätigk:eit jedenfalls dort zu enden hat, wo das Auslegungsergebnis vom möglichen Wortsinn der Vorschrift nicht mehr gedeckt ist, wobei unter Wortsinn der allgemeine oder falls vorhanden - der gesetzliche Wortsinn zu verstehen i~. Zum anderen stellt der erkennbare Gesetzeszweck eine weitere Grenze der Auslegung d.a? . Diese verläuft dort, wo die sinnermittelnde Auslegung eine Gesetzeslücke ergibt10 • Unter diesen Gesichtspunkten beruft der BGH sich bezüglich der von ihm vorgenommenen Anwendung der Organdelikte auf faktische Organe zwar ausdrücklich darauf, die Grenzen der zulässigen Auslegungstätigkeit nicht überschritten zu habenIl . Nach Ansicht von Teilen des Schrifttums bewegt er sich dabei jedoch bereits im Bereich der unzulässigen Analogie zuungunsten des Täters. 1. Überschreitung des Wortsinns der TIterbeschreibung Die von der BGH-Rechtsprechung vorgenommene Erweiterung des Täterkreises wird insoweit schon mit dem Wortsinn des Begriffs "Geschäftsführer" als nicht vereinbar angesehen, zumal dieser durch die entsprechenden zivilrechtlichen Vorschriften vorgegeben und zwingend begrenzt seil2 . Die äußerste Grenze der Auslegung könnte also schon durch Mißachtung des möglichen Wortsinns der TäteIbeschreibung in den Geschäftsführerdelikten in Richtung auf eine unzulässige Analogie überschritten seinl3 . Zwar steht 8 Hier liegt nach ganz h. M. das cntIdIci.dcndc Abgreozungsmcrkma zur Analogie: Z. B. Bydlinski, Methodenlehre, S. 595; LImIz, Methodenlehre, S. 322; Engiscb, EinfIlhnmg. S. 73; M8UIlIChlZipt: S. 116f, Jesdlcck, Lehrbuch, S. 141f, zudem stlndigc RcchtsprechUDg. zuletzt etwa BVcrlOE 73, 206, 235; L AjedochSax, Analogieverbot, iDIbcsoodcre S. 152ffsowie speziell ß1r den vorliegenden Problemkreis auch K. Schmidt, Stn1buk.cit, S. 429. 9 Alig. M., z. B. BaunwmlWebcr, Lehrbuch, S. 153; LImIz, Methodenlehre, S. 333, 340; M8UIlIChlZipt: S. 111. 10 Faller, OB 1972, 1757, 1759; Fuhmwm, Bedeutung, S. 146; Ihnlich auch Jescheck, Lehrbuch, S.121. 11 SoinBGHSt31,118,122. 12 Reich, OB 1967, 1663, 1667; Kaligin, BB 1983, 790; Hoyec, NStZ 1988, 369, 370. 13 K. Schmidt, Stn1buk.cit, S. 440, licht dicac Orcnzc ZWU" als Gbcnchritten aD, hIlt dies jedoch nicht ß1r verbotene Analogie.

I. Verstoß gegen das Analogieverbot

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die Formulierung "Wer als Geschäftsführer [... ]" von ihrem semantischen Gehalt her einem funktionalen Verständnis der TäteIbeschreibungen in den Geschäftsfiihrerdelikten sicherlich nicht entgegenl4 • Dieser allgemeine Wortsinn könnte jedoch durch eine vergleichsweise engere gesetzliche Wortbedeutung weitergehend eingeschränkt sein. In diesem Sinne wird zum. Teil vertreten1S , dem nur den wirksam bestellten

Geschäftsfiihrer umfassenden zivilrechtlichen Statusbegrift6 entspreche auch die TäteIbeschreibung in den GmbH-rechtlichen Strafvorschriften. Dies ergebe sich aus der Systematik des GmbHG. Mangels einer ausdrücklichen Erweiterung des Tatbestandes, wie z. B. bei der Regelung des BeamtenbegrifIs, oder zumindest einer Trennung der Gesetzesmaterien folge allein schon aus der Fassung der Tatbestände, daß die Strafvorschriften ihrem Wesen nach Verweisungen auf vorher im Gesetz geregelte, spezifisch gesellschaftsrechtliche Fragen darstellten17 • Die Übertragung von zivilrechtlichen Kategorien, die ihrerseits über die dortige gesetzliche GrundlaIe hinausgingen, verstoße deshalb gegen das strafrechtliche AnalogieveIbot1 • Diese nach dem Gesetzeszweck möglicherweise sinnwidrige, im Gesetz aber nun einmal verankerte Tatbestandseinschränkung könne nicht durch eine allein telosorientierte tatsächliche Betrachtungsweise übergangen werdenl9 • Dies würde vielmehr zu einer "Verzerrung des Organbegriffs" führen20 . Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend. Zu einer unzulässigen Analogie würde man hier nämlich erst dann gelangen, wenn die in den Straftatbeständen des GmbHG verwandten Täterschreibungen zwingend und im vollem Umfang auf die zivilrechtlichen Termini verwiesen. Dies führt zu der Frage der Zulässigkeit einer spezifisch strafrechtlichen Eigenbegriffsbildung. Die unterschiedliche Auslegung von gleichlautenden Begriffen in Zivil- und Strafrecht wird grundsätzlich wohl allgemein als zulässig angesehen21 • Da das 14 In diesem Sinne auch Cadus, Betrachtungsweise, S. 110, 146, wonach der Gesetzeswor1laut eine funktionale Betrachtung geradezu herausfordere, sowie Fubnnann, Bedeutung. S. 147. 15 Reich, OB 1967, 1663, 1667; Kaligin, BB 1983,790; Hoyer, NStZ 1988,369. 16 Siehe dazu oben S. 18ff. 17 In diesem Sinne auch Reich, OB 1967, 1663, 1667, der sich allerdings zusItzlich noch darauf beziehen konnte, daß sich die Voncbriften 1ii1her teilweise ausdrilcldich an ,,Mitglieder des Vorstandes" usw. richteten (z. B. § 244 KO L F.), wlhrend heute durcbglngig die - rein sprachlich weitere Formulierung "wer als ..• [Organ]" Verwendung findet. Hinfl1lig ist angesichts der geltenden Rechtslage somit auch das Argument, man mOsse zur Parallelisierung der Organbegriffe an die engere Fassung anknOpfen. 18 Stein, ZHR 148 (1984), 207, 222; Hoyer, NStZ 1988, 369, 370. 19 Reich, OB 1967, 1663, 1668; Hoyer, NStZ 1988,369,370. 20 Reich, OB 1967, 1663, 1667. 21 Z. B. Jescheck, Lehrbuch, S. 138; MaurachlZipt; S. 115; Engisch, Einfllhrung. S. 78; Bruns, JR 1984, 133, 135; grds. auch Stein, Organ, S. 132.

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Kapitel 3: Die Kritik des Schrifttums

GmbHG zivil- und strafrechtliche Begriffe in sich vereint, spricht zwar diese äußere Systematik fiir eine gleichartige Begriffsverwendung in beiden Regelungsbereichen. Auf der anderen Seite verweisen die strafrechtlichen Vorschriften aber nicht ausdrücklich auf die zivilrechtlichen Statusbegriffe. Es besteht daher zweifellos eine recht enge begrifiliche VeIbindung, jedoch kein eindeutiger, ausdrücklich formulierter Bezug, über den im Rahmen einer telosorientierten Auslegung nicht hinweggegangen werden dürfte. Die Stellung der Strafvorschriften im GmbHG allein schränkt deshalb den Begriff gegenüber dem allgemeinen, ein funktionelles Verständnis zulassenden Wortsinn nicht ein22 . Ob gleichwohl eine weitergehende Eingrenzung aus anderen Gesichtspunkten geboten ist. bleibt damit aber noch zu prüfen. 2. Verstoß gegen den Gesetzeszweck Des weiteren wird dem BGH im Schrifttum vorgehalten, er verstoße bei der Bestimmung des Täterkreises der Organdelikte in mehrfacher Hinsicht gegen den Gesetzeszweck. a) Fehlender Bezug zur Einzelnorm

Beachtlich erscheint zunächst der Einwand von Stein23 , der BGH habe sich von der Auslegung der konkreten Einzelnorm losgelöst und beziehe vielmehr prinzipiell bestimmte Personen in den Täterkreis der Organdelikte ein. Wenn der BGH argumentiere, eine überragende Stellung in der Geschäftsführung führe grundsätzlich zu einer Erstreckung der strafrechtlichen Verantwortung auch auf den Inhaber dieser Position, werde die Bestimmung des Adressatenkreises nicht mehr unmittelbar aus der betroffenen Norm selbst hergeleitet, sondern auf die Figur des faktischen Geschäftsführers verlagerf4 • Auf diese Weise knüpfe der BGH aber nur scheinbar an den Normzweck des einzelnen Straftatbestandes an und führe ein einzelnormunabhängiges Instrument zur Extension strafrechtlicher Verantwortlichkeit ein, was jedoch als unzulässige Analogie abzulehnen sei2S • Dieser Ansicht ist zwar entgegenzuhalten, daß eine im Ergebnis einheitliche Bestimmung des GeschäftsführeIbegriffs, der zudem auch dem Begriff des Vorstandes einer AG und dem des Organs in § 14 StGB entspricht, fiir sich 22 so auch KraWch, ZGR 1985, 506, 511; Fuhmwm, Bedeutung. S. 147; a. A LutterlHommelhoff; § 84 GmbHG, Rz. 3. 23 Stein, Organ, S. 131ff, dieselbe, ZHR 148 (1984), 207, 222f. 24 Stein, ZHR 148 (1984), 207, 210, 219; Ihnlich Tiedemum, NJW 1986, 1842, 1845, mit dem Hinweis, der BGH handhabe den Begriff des faktischen GeschIftsflIhre ,,geradezu fonne1haft wie einen feststehenden Rechtsbegrill". 2S Stein, ZHR 148 (1984), 207, 223.

I. Verstoß gegen das Analogieverbot

genommen zwar noch nicht zwingend auf ein Überschreiten des Gesetzeszwecks als Grenze der zulässigen Auslegung schließen läßt. Immerhin stehen die Strafvorschriften des GmbHG untereinander in einem unübersehbaren Zusammenhang und weisen zudem mit den Strafvorschriften des Aktiengesellschaftsrechts, ebenso wie die beiden Gesellschaftsformen als solche, deutliche strukturelle Gemeinsamkeiten auf. Gleichwohl darf dies nicht zu einem Verstoß gegen den Zweck einer einzelnen der betroffenen Vorschriften fUhren. Die geäußerte Kritik gebietet deshalb, im folgenden besonderes Augenmerk darauf zu richten, daß die Bestimmung des GeschäftsführeIbegriffs, soweit sie für alle zu untersuchenden Straftatbestände einheitlich erfolgt, nicht dem Normzweck eines einzelnen Straftatbestandes widerspricht. b) Gefahr einer kumulativen Strajbarkeitsausweitung

Schon das RG26 ließ erkennen, daß eine Bestrafung eines nur faktischen Geschäftsführers nicht einmal den Grundgedanken des Gesetzes entspreche, soweit ein ordnungsgemäß bestellter und auch in dieser Funktion tätiger Geschäftsführer vorhanden sei, da die Nichterfüllung der gesetzlichen Pflichten in diesem Fall ausreichend sanktioniert sei. Im gleichen Sinne wird auch heute wegen der Gefahr einer kumulativen Strafbarkeitsausweituni7 eine Mißachtung des Gesetzeszwecks gesehen28 , soweit die Rechtsprechung selbst bei Vorhandensein eines ordnungsgemäß bestellten und tätigen Geschäftsführers gleichwohl faktische Geschäftsführerschaft anderer Personen annimmt. In einem solchen Fall sei die ordnungsgemäße Wahrnehmung aller Organpflichten nämlich grundsätzlich gewährleistet, so daß die Strafbarkeitslücke, die die ältere Rechtsprechung schließen wollte, nicht bestehe. Außerdem bezwecke etwa § 84 GmbHG keineswegs den Schutz der Allgemeinheit vor unredlicher Handhabung der Geschäftsfiihrung, sondern wolle lediglich das Vermögensinteresse der Gläubiger sowie die Gesellschaft und die Gesellschafter vor schädigenden Handlungen der Geschäftsführer schützen29 . Die Organbestellung stelle zudem eine vom Gesetz zugelassene Form der Aufgabendelegation dar. Die durch die Bestellung geschaffene Ordnung sei eine dem Gesellschaftsrecht immanente Form der zulässigen Haftungsbegrenzung, die dem geschützten 26 RGSt 72, 187; siehe dazu oben S. 3Sf. 27 Nach a11g. Meinung bleibt der ordnungsgemlß bestellte Geschlftsfilhrer in jedem Fall Normadressat, auch wenn ~ ein reines Strohmanndasein fllhrt, vgl. nur Kohlmann in Hachenburg, § 84 GmbHG, Rz. 21; Tiedemann in SchoIz, § 84 GmbHG, Rz. 30. 28 Kohlmann, Verantwortlichkeit, Rz. 19; L6ffel~, wistra 1989, 121, 12S; auch Tiedemann in SchoIz, § 84 GmbHG, Rz. 34; Stein, ZHR 148 (1984). 207, 217; dieselbe, Organ, S. 148f, a. A Fuhrmann in ErbsIKohIhaas, § 84 GmbHG, Anm. 2. 29 Stein, ZHR 148 (1984). 207, 217; außerdemh. M., ausdr1lcldich BGH, wistra 1982,189, 191; Tiedemann in SchoIz, § 84 GmbHG, Rz. 9f, Fuhrmann in ErbsIKohIhaas, § 84 GmbHG, Anm. 1 a; derselbe in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 1; wohl weitergehend Kohlmann in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz 42.

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Kapitel 3: Die Kritik des Scbrifttums

Rechtsgutsträger, also Gläubigem und Gesellschaftern, als erlaubtes Risiko zugemutet werde. Deren Vertrauen auf Wahrnehmung ihrer Schutzinteressen werde nur in diesem Rahmen geschützt. Darüber hinaus diene das Erfordernis der Bestellung auch der Rechtssicherheit der nicht zum Organ bestellten Personen, da diese sich auf die durch die Bestellung geschaffenen Freiräume verlassen können sollten30 • Der dargestellten Kritik ist zwar zuzugeben, daß es aus dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gesellschafter angehen mag, in der Bestellung eine Beschränkung der Pflichten auf das bestellte Organ zu sehen. Dies würde aber das Schutzinteresse der Gläubiger nicht in ausreichendem Maße berücksichtigen. Diese haben namIich keinen Einfluß auf die rechtliche Gestaltung der Gesellschaftsverhältnisse. Sie müssen sich aber auf das durch das GmbRG vorgegebene Schutzkonzept verlassen können, wonach die entscheidende Person im Unternehmen aufgrund ihrer Stellung und Befugnisse auch die Gläubigerinteressen zu wahren hat. Dieses Vertrauen ist nach der gesetzlichen Vorgabe auch dann noch schützenswert, wenn neben dem faktischen Geschäftsführer noch ein ordnungsgemäß bestellter und tätiger Geschäftsfiihrer vorhanden ist. Dies zeigt schon ein Vergleich mit dem Vorhandensein mehrerer ordnungsgemäß bestellter Geschäftsführer, von denen nach allgemeiner Ansicht jeder einzelne in eigener Verantwortung die Organpflichten zu erfüllen hael . Gewichtiger ist demgegenüber das Argument, nicht zu Organen bestellte Funktionsträger müßten sich auf die durch die Nichtbestellung zum Organ geschaffenen strafrechtlichen Freiräume verlassen können. Sicherlich ist es namIich nicht angängig, daß ein bloßer Funktionstrager, wie z. B. ein Prokurist, bei Ausübung von Geschäftsfiihrungsaufgaben ständig Gefahr läuft, die Grenze zur Organstellung überschritten zu haben. Insbesondere bei § 84 GmbRG kommt es wegen dessen Charakters als echtes Unterlassungsdelikt entscheidend auf die Erkennbarkeit der Pflichtenstellung an, da es hier lediglich um ein Untätigbleiben geht, das nur aufgrund normativer Erwartungen Relevanz erlangt32. Die formale Bestellung bzw. Nichtbestellung ist dabei zweifellos die eindeutigste Art der Zuweisung einer organtypischen Pflichtenstellung, so daß sich hieraus die Unzulässigkeit einer Strafbarkeitsausweitung auf lediglich faktische Organe ergeben könnte.

30 Kratzscb, ZGR 1985, 506, 5261f. 31 Z. B. Koblmann in Hacbenburg. § 84 GmbHG, Rz. 16; Fubrmam in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 6; Tiedemann in Scholz, § 84 OmbHG, Rz. 24. 32 Tiedemam in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32; IImlich Koblmann in Hacbenburg. § 84 GmbHG, Rz. 19.

I. Verstoß gegen du Analogieverbot

SS

Es fragt sich allerdings, ob es sich gerade unter Berücksichtigung des Strafzwecks nicht vernietet, ausschließlich auf formale Kriterien für die Erkennbarkeit der Pflichtenstellung abzustellen. Dies würde nämlich Umgehungen durch Vermeidung des Formalakts bei gleichzeitiger Zuweisung einer faktischen Geschäft:sfilhrerstellung erheblich erleichtern. Die dadurch entstehende Gefährdung der geschützten Rechtsgüter als auch der Strafzweck der Sonderdelikte sprechen hier für eine Einbeziehung eines solchen Falles. Umgekehrt muß aber natürlich deIjenige aus dem Kreis der Verpflichteten ausscheiden, der zwar Geschaftsfiihrungsaufgaben wahrnimmt, eine GeschäftsführersteIlung im eigentlichen Sinne aber nicht einnimmt und auch nicht einnehmen würde, etwa weil er zwar die notwendigen Befugnisse und Informationen zur Bewältigung der übertragenen Aufgaben, nicht jedoch zur Erfüllung der umfassenden Pflichten eines Geschäftsführers hat. Bei einer Ausdehnung des Normadressatenkreises der Geschäftsführerdelikte muß also eine sachgerechte Abgrenzung dazu führen, daß der letztere Kreis von Personen sich auf die durch die Nichtbestellung geschaffene Unzuständigkeit zur Erfüllung von Organpflichten verlassen kann. Die Ausweitung der Strafbarkeit auf faktisch als Geschäftsführer Tätige neben einem wirksam bestellten und tätigen Geschäft:sfilhrer läuft dem Gesetzeszweck daher nicht von vornherein zwingend zuwider, soweit eine hinreichende Erkennbarkeit der Pflichtenstellung gewährleistet ist. Hier gilt es allerdings noch, eine sachgerechte Lösung zu finden. c) UnmlJglichkeit normgemtißen Verhaltens

K. Schmide3 verweist auf ein Argument, das schon das RG34 gegen die Möglichkeit einer Bestrafung eines nicht ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers wegen Konlrursverschleppung vorgebracht hatte. Sei nämlich der tatsächlich als Geschäftsführer Tätige nicht wirksam als solcher bestellt, habe er überhaupt keine rechtliche Möglichkeit, die Eröffnung des Konkursverfahrens zu beantragen. Wer aber zu dem gebotenen Tun rechtlich gar nicht in der Lage sei, könne auch nicht wegen einer Unterlassung bestraft werden35 • Eine Auseinandersetzung mit diesem Einwand sucht man in den Entscheidungen des BGH jedoch vergebens. Hier hilft auch die Erkenntnis nicht weiter, Normadressat der §§ 64 Abs. 1,84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG sei auch der tatsächliche Geschäftsführef36. Nach ihrem Wortlaut gebieten diese Vorschriften nämlich, den Konkursantrag rechtzeitig zu stellen. Dies scheint für 33 K. Scbmidt, Strafbadceit, S. 434. 34 RGSt 72,

187; liehe dazu oben S. 3Sf

35 Insoweit noch zustimmend Joerden, wisIra 1990, I, 4.

36BGHSt31,1l8,122.

Kapitel 3 : Die Kritik des Schrifttums

S6

den faktischen Geschäftsführer aber zumindest dann nicht gelten zu können, wenn es, wie vom BGH fiir möglich gehalten wird, an jeglichem äußeren Erscheinungsbild einer Bestellung fehlt. Denn das Konkursrecht zieht den Kreis der Antragsberechtigten durch den § 103 Abs. 2 KO aus guten Gründen recht eng: Nur der Gemeinschuldner selbst, bei einer GmbH somit der Geschäftsfiihrer als deren gesetzlicher Vertreter (§ 63 Abs. 2 GmbHG i. V. m. § 208 KO) oder ein betroffener Gläubiger sind antragsberechtigt. Außenstehenden Dritten, etwa Konkurrenten oder auch sonstigen Angestellten der Gemeinschuldnerin, soll eine derart einschneidende Einflußnahme auf das Schicksal der Gesellschaft verwehrt sein37 . Grundsätzlich hat sich der Antragsteller also als Organ der Gemeinschuldnerin zu legitimieren. Somit könnte eine lediglich im Einverständnis mit den Gesellschaftern in der Funktion eines Geschäftsfiihrers tätige Person einer solchen Verpflichtung aus tatsächlichen Gründen gar nicht nachkommen. Wie sollte sich denn etwa der offiziell als Bote und Hausmeister angestellte Angeklagte in BGHSt 31, 118 bei der Antragstellung als ordnungsgemäßer Vertreter der Gemeinschuldnerin ausweisen? Und wie soll bei einer solchen Erstreckung der Antragspflicht allgemein geprüft werden, ob ein nicht berechtigter, "normaler" leitender Angestellter oder ein als tatsächlicher Geschäftsführer tätiger leitender Angestellter den Konkursantrag stellen will? Die Pflicht zur Stellung des Konkursantrages besteht nämlich ggf. auch gegen den Willen der Gesellschafte~ , von denen der nicht bereits vorher ordnungsgemäß bestellte Antragsteller in einem solchen Fall wohl keine Unterstützung, etwa durch eine nachträgliche Legitimation, zu erwarten hat. Diesem Problem soll wohl damit begegnet werden, daß dem faktischen Geschäftsführer mit der Einbeziehung in den Kreis der Antragspflichtigen automatisch auch ein formelles Antragsrecht zugesprochen wird. Denn obwohl der BGH zu dieser entscheidenden Frage weder in seinen zivilrechtlichen noch in 9 , setzt er den strafrechtlichen Entscheidungen ausdrücklich Stellung eine solche Antragsberechtigung wohl stillschweigend voraus und auch im Schrifttum wird dies teilweise als notwendige Konsequenz angesehen40 • Eine solche Ausweitung des Kreises der Antragsbefugten ist jedoch weder zwingende Folge einer Antragspflicht auch des faktischen Geschäftsführers, noch wird sie den dadurch entstehenden verfahrensrechtlichen Problemen gerecht. Das insoweit an formale Positionen anknüpfende konkursrechtliche Antragsverfahren ist nämlich wohl kaum geeignet, durch möglicherweise umfangrei-

nimme

37 So auch Bllllmann Konkurs und Vergleich, S. 28: GIbc es diese EinschrInkung nicht, so könnte jeder mit einem Konkursverfahren bcglQclcen. 3 Siehe dazu im einzelnen unten S. 109f.

jeden

39 Vgl. etwa BGHZ 104, 44 = NJW 1988, 1789 sowie BGHSt 31, 118. 40 Ausdraclclich z. B. Baur/SUlmcr, S. 39S; HIscmcycr, S. 737; UImcr in Hachenburg, § 63 GmbHG, Rz. 47; Uhlcnbruclc, GmbH & Co KG, S. 3S2; cinschrlnkend auffcblcrhaft bestellte Organe SchuIze.Ostcrloh in BaumhachlHucclc, § 63 GmbHG, Rz. 24; zurOckhaltend auch KulmIUhlcnbruck, § 103 KO, Rz. 8 cl

I. Verstoß gegen das Analogieverbot

S7

che Beweiserhebungen der Ermittlung der Organqualität des Antragstellers zu dienen. Dementsprechend erscheint es auch sinnvoll, wenn im konkursrechtlichen Schrifttum dem faktischen Geschäftsführer trotz der Annahme einer haftungsbegründenden Verpflichtung zur Stellung des Konkursantrages in analoger Anwendung des § 64 Abs. 1 GmbHG gleichwohl ein formelles Antragsrecht abgesprochen wird. Antragspflicht und Antragsrecht sind danach also nicht immer identisch41 • Dies muß hinsichtlich der zivilrechtlichen Haftung nämlich keinen Widerspruch darstellen. Denn hier kann als das Unerlaubte statt der Versäumung der AntragsteIlung die Konkursverschleppung, also die Weiterfiihrung des Unternehmens trotz Insolvenz, angesehen werden42, so daß der faktische Geschäftsfiihrer selbst nicht zur AntragsteIlung berechtigt ist, sich hinsichtlich der zivilrechtlichen Haftung aber nicht darauf berufen kann43 • Verfahrensrechtlich erscheint somit die Einschränkung geboten, daß möglicherweise noch der förmlich, aber unwirksam bestellte Geschäftsfiihrer ein formelles Antragsrecht haben kann, keinesfalls jedoch deIjenige, der ohne jegliche Bestellungshandlung in Organfunktion tätig iSt44 • Danach steht dem faktischen Geschäftsführer, wie ihn die Rechtsprechung sieht, also nicht in jedem Fall die rechtliche Möglichkeit der Konkursantragstellung zu. Dieser kann sich deshalb jedenfalls nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nur dann strafbar machen, wenn er auf andere Weise die Möglichkeit normgemäßen Verhaltens hat. Daß dies der Fall ist, soll die Untersuchung im folgenden zeigen.

3. Nichtbeachtung der "Sperrwirkung" des § 14 Abs. 3 StGB Teilweise wird das Gebot einer insgesamt einschränkenden Auslegung des Geschäftsfiihrerbegriffs aus einer sog. "Sperrwirkung" des § 14 Abs. 3 StGB hergeleitet. In Rechtsprechung und Literatur besteht zwar Einigkeit darüber, daß § 14 StGB insgesamt im Rahmen der Geschäftsfiihrerdelikte des GmbHG nicht anwendbar ist, da sich im Rahmen der Ausgestaltung dieser Bestimmungen als Sonderdelikte der Normbefehl ohnehin schon an die für das Unternehmen tätigen Personen richte45 • Diskutiert wird jedoch, ob die in Abs. 3

41 So nachdrOcldich SchraderlUhlenbruclclDelhaes, Rz. 177; außerdem Jaeger, § 103 KO, Anm. 11; einschrinkend K. Sclunidt in Scholz, § 63 GmbHG, Rz 34; zurilckhaltend auch KuhnIUhlenbruck, § 103 KO, Rz. 8 d. 42 So K. Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG, Rz. 6. 43

Vgl. LuUerlHommelhoft; § 63 GmbHG, Rz. 10.

441. E. auch Schu1ze..Osterioh in BaumbachIHueck, § 63 GmbHG, Rz. 24; Ihnlich K. Schmidt in

Scholz, § 63 GmbHG, Rz. 37; wohl auch KuhnIUblenbruck, § 103 KO, Rz 8 cl; noch enger (nur wirlcsam bestellte GeschIftsfllhRr) SchraderlUhlenbruclclDelhaes, Rz. 177f. 45 Z. B. BOHSt 31, 188, 122f, Cadus, Betrachtungsweise, S. 147; Stein, Organ, S. 130, 134; Hoyer, NStZ 1988, 369; Fuhrmann in Rowedder, § 82 GmbHG, Rz. 4.

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Kapitel 3: Die Kritik des Scbrifttums

der Vorschrift enthaltene Regelung sich nicht auch auf die Geschäftsführerdelikte des GmbHG einschränkend auswirke46 • Nach § 14 Abs. 3 StGB steht einer Strafbarkeitserstreckung auf vertretungsberechtigte Organe nicht entgegen, daß "die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis [... ] begründen sollte, unwirksam ist". Schon aus diesem Wortlaut wird zunächst geschlossen, daß jedenfalls eine solche RechtsLandlung getätigt worden und nach den Intentionen der Beteiligten auch auf eine wirksame Begründung der Vertretungsbefugnis gerichtet sein müsse. Der Gesetzgeber selbst habe damit die Grenzen, in denen zivilrechtliche Mängel strafrechtlich unbeachtlich seien, klar und eindeutig dort gezogen, wo es die Beteiligten nicht einmal unternommen hätten, die Organeigenschaft zu begründen und es damit selbst an einer unwirksamen Rechtsgrundlage fehle47 • Auch wenn der Gesetzgeber diese Regelung nur für die unmittelbar unter § 14 StGB fallenden Straftatbestände positivrechtlich normiert habe, liege darin eine gesetzgeberische Grundentscheidung, die im Strafrecht nicht übergangen werden dürfe. § 14 Abs. 3 StGB setze allgemein bei der extensiven Auslegung des Organbegriffs enge Grenzen.... Entgegen der Praxis der BGH-Rechtsprechung sei daher ein förmlicher, wenn auch unwirksamer Bestellungsakt notwendig, wogegen das bloße Einverständnis der zuständigen Organe mit der Tätigkeit des Betroffenen nicht ausreiche49 • Auch Tiedemannso sieht die Regelung in § 14 Abs. 3 StGB als strafeinschränkende Norm an. Die Grenze der Strafbarkeit beim Handeln durch Organe und Vertreter sei in § 14 StGB mit dem erklärten Ziel positiviert worden, die früher bei juristischen Personen angewandte diffuse und insbesondere hinsichtlich der Einbeziehung unterer Angestellter unklare tatsächliche Betrachtungsweise der Rechtsprechung abzulösen. Dies müsse sich tendenziell auch auf das Verständnis des strafrechtlichen Geschäftsführerbegriffs auswirken, denn die Beschreibung und Bezeichnung dieses Organvertreters sei einerseits durch die Terminologie des GmbHG, andererseits jedoch auch durch das System des Strafrechts vorgeprägt.

46 In diesem Sinne neben Stein und Tiedemann (dazu lOgIeich) auch Schu1ze..Osterioh in BaumbacblHueck, § 82 GmbHG, Rz. 77; denelbe, EWiR. § 84 OmbHG 1/88, 477, 478; wohl auch Kohlnwm in Hachenburg. § 84 OmbHG, Rz. 19; ablebnend jedoch Hoy., NStZ 1988, 369; Kratzscb, ZGR 1985, 506, 526, FD. 70; Fuhmwm. in ErbsIKohlhau, § 84 OmbHG, Amn. 2; Schmid in MOllerGugenberger, § 25 Rz. 19; Bnms, GA 1982, 1,22; Lcnckna' in ScbOOlcelScbrOder, § 14 StGB, Rz. 4. 47 Stein, Organ, S. 195; Schu1ze.Osterloh in BaumbachlHueck, § 82 OmbHG, Rz. 77; Löffeler, wistra 1989, 121, 122; insoweit noch zustimmend Hoy., NStZ 1988, 369 und Lenckner in SchönkelScbröder, § 14 StGB, Rz. 43; grundsItzlichauch Tiedenwm, NJW 1977,777,779. ... Stein, Organ, S. 200; dieselbe, ZHR 148 (1984), 207, 223. 49 Stein, Organ, S. 195f, dieselbe, ZtIR 148 (1984), 207, 223. so Tiedenwm. in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32; denelbe in LK, vor § 283 StGB, Rz. 65ff.

I. Verstoß gegen du Analogieverbot

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Einem solchen Verständnis des § 14 Abs. 3 StGB steht allerdings entgegen, daß sich aus dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens schwerlich eine Strafeinschränkung als Ziel dieser Vorschrift erkennen läßt. Der Gesetzgeber wollte zwar tatsächlich die bisher in der Rechtsprechung übliche faktische Betrachtungsweise bezüglich der Einbeziehung gewillkürter Vertreter ablösen. Jedoch, soweit Äußerungen dazu ersichtlich sind, geschah dies zur Stützung der bisherigen Rechtsprechung durch eine gesetzliche Regelung, weil nämlich befiirchtet wurde, daß ansonsten durch die Neuregelung der Vertreterhaftung den Gerichten "der Weg zur faktischen Betrachtungsweise veIbaut werden könnte"51. Schon hier ging es also, wie auch bei § 14 StGB insgesamt52 , in erster Linie um eine Ausweitung der Strafbarkeit, so daß es schon deshalb zweüelhaft erscheint, ob § 14 StGB insgesamt als Strafeinschränkungsnorm auszulegen ist53 . Zudem ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber die allseits bekannte Rechtsprechung zur Reichweite des Organbegriffs54 noch über den direkten Anwendungsbereich des § 14 StGB hinaus einschränken wollte, zumal auch der Wortlaut und die Stellung der Vorschrift im Gesetz keine zwingende Berücksichtigung ihres Inhalts bei der Auslegung der GmbHStrafnormen gebieten55 . Einen im Ergebnis gleichwohl strafeinschränkenden Charakter könnte man allenfalls darin erkennen, daß die Vorschrift möglicherweise eine Strafbarkeitserstreckung nur in engen Grenzen bezwecken soll. Bei einem solchen Verständnis muß man allerdings die Tatbestandsstruktur dieser Vorschrift näher beleuchten. Sprachlich kommt darin nämlich nicht zum Ausdruck, daß ein vorher weit zu verstehender Begriff des gesetzlichen Vertreters im Sinne von Abs. 1 nachträglich durch Abs. 3 eingeschränkt werden soll. Die dort gebrauchte Formulierung "Absatz 1 und 2 sind auch anzuwenden, wenn [... l" zeigt vielmehr, daß ein zunächst eng verstandener Begriff des mängelfrei bestellten gesetzlichen Vertreters nunmehr - wenn auch vielleicht in Grenzen erweitert werden soll. Die Vornahme zumindest eines unwirksamen Bestellungsaktes stellt dann aber eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung dar, deren Vorliegen fiir eine Erweiterung des Täterkreises über Abs. 1 hinaus unverzichtbar ist56 .

51 So etwa die Bemerkungen der Vertreter des Bundesjustizministeriums zum Thema ,,Handeln filr einen anderen" in: Niederschriften, s. 545f. 52 Dazu Roxin in LI{, § 14 StGB, Rz. 1. 53 Aus diesem Grund gegen einen einscbrlnkenden Charakter der Regelung Fuhrmann, Bedeutung. S. 151; Bruns, GA 1982, I, 19ff, derselbe, JR 1984, 133, 136. 54 BGHSt 3, 32 erging sclton im Jahre 1952. 55 Dies wAre jedoch durch die Aufuahme einer Legaldefinition des ,,faktischen Organs", etwa in § 14 Abs. 3 StGB, ohne weiteres zu erreichen gewesen. 56 In diesem Sinne auch Hoyer, NStZ 1988, 369.

60

Kapitel 3: Die Kritik. des Scbrifttums

Geht man nun von einem systematischen Zusammenhang zwischen § 14 StGB und den Geschaftsfiihrerdelikten des GmbHG aus, so hätte dies jedoch Auswirkungen auf die Auslegung des Geschaftsfiihrerbegriffs in den §§ 82fI GmbHG, die gerade nicht zu einer einschränkenden Auslegung der dort enthaltenen Täterbeschreibung fiihrt. Bei einer parallelen Auslegung der Vorschriften würde nämlich der Geschaftsfiihrerbegriff des GmbH-Strafrechts nur dem engen, lediglich den mängelfrei bestellten gesetzlichen Vertreter umfassenden Täterbegriff des § 14 Abs. 1 StGB entsprechen. Für die §§ 82fI GmbHG müßte es dann aber bei diesem engen Begriffsverständnis bleiben, da die Anwendung eines als zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung verstandenen § 14 Abs. 3 StGB auf die GmbH-gesetzlichen Straftatbestände mangels ausdrücklicher Anwendbarkeit über § 14 StGB hinaus eine unzulässige Analogie zuungunsten des Täters bedeuten würde57 • Diese unvermeidliche Konsequenz wird aber auch von Tiedemann und Stein als Befiirwortem einer Sperrwirkung des § 14 Abs. 3 StGB nicht gezogenSl • Damit zeigt sich jedoch, daß ein Bedürfnis nach einer Parallelisierung der Reichweite des Täterbegriffs in § 14 StGB und desjenigen in den §§ 82fI GmbHG eher im Gegenteil dazu fiihrt, § 14 Abs. 3 StGB lediglich als deklaratorische Vorschrift mit der Lesart "Absatz I und 2 finden selbst dann Anwendung, wenn [... ]" zu verstehen59 • Unausweichlich ginge in diesem Fall aber der Charakter als Strafbeschränkungsvorschrift verloren, so daß § 14 Abs. 3 StGB :für die Auslegung des Organbegriffs nichts mehr hergibt. Als Ergebnis der vorstehenden Überlegungen kann somit festgehalten werden, daß eine "Sperrwirkung" des § 14 StGB bei der Auslegung der GmbHStrafnormen nicht besteht und diese daher auch nicht in Anlehnung an eine möglicherweise vorhandene gesetzgeberische Grundentscheidung im Zusammenhang mit der allgemeinen Vertreterregelung im StGB erfolgen muß. Im Gegenteil bietet es sich aber an, die Erkennbarkeit der Strafdrohungen dadurch zu erleichtern, daß als vertretungsberechtigtes Organ im Sinne von § 14 StGB detjenige handelt, der auch "als Geschaftsfiihrer" gemäß §§ 82fI

57 Dies wird auch von Stein, Organ, s. 134t; 19St; geschen, die jedoch gleichwohl die nach ihrer Ansicht in § 14 Alls. 3 StOB zum Ausdruck gck.ommcnc ,,gesctzgcbcrischc Wedcntschcidung" bei der Auslegung der Geschl.ft.sfllhliktc bcn1clcsichtigen möchte. SI Im Gegenteil betont Stein, Organ, S. 136, Fn. SO, sowie dieselbe, ZHR 148 (1984),207,223, daß aus § 14 Alls. 3 StGB nicht der Umkchrschlu8 zu ziehen sei, daß auBerhalb des Regelungsbereichs des § 14 StGB nun jeder Mangel der Bestellung beachtlich sei und der Organeigenschaft

entgegenstehe. 59 In diesem Sinne Cadus, Betrachtungsweise, S. 111; Fuhrmann, Bedeutung. S. IS 1; a. A vor allem Tiedcm.um in LI{, vor § 283 StGB, Rz. 66 sowie Lcnc1cncr in Schönke/Schrödcr, § 14 StGB, Rz. 43 und Löffel«, wistra 1989, 121, 122.

ß. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot

61

GmbHG in Erscheinung tritt. wie dies etwa die Gleichsetzung in § 35 Abs. 1 GmbHG60 nahelegt.

11. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot Im Schrifttum wird dem BGH häufig vorgeworfen. er verstoße mit seiner Auslegung des Geschäftsführerbegriffs gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, da die von ihm vorgenommene Abgrenzung des Täterkreises der Organdelikte zu konturlos sei61 . Insbesondere die Grenze zwischen Angestellten. die Organfunktionen nur aufgrund einer entsprechenden Übertragung ausübten. und den verantwortlichen Organen selbst sei schwer zu erkennen6'2. Stein63 betont dabei nachdrücklich die Funktion des Bestimmtheitsgebotes als Schutz des Normadressaten durch Vorausberechenbarkeit des Rechts. Zudem wirke eine Norm nur dann verhaltensterminierend, wenn der potentielle Normadressat aufgrund entsprechender Fassung bzw. Auslegung des Gesetzes die Strafdrohung erkennen könne. Da aber schon im Zivilrecht die Grenzen einer faktischen Organstellung nicht geklärt seien. verstoße der BGH gegen diese Grundsätze, wenn er allein aufgrund ihrer zivilrechtlichen Pflichtenstellung eine Person als Adressat einer Strafvorschrift ansehe. Das Bestimmtheitsgebot, so Stein ausdrücklich64 , sei zwar in erster Linie an den Gesetzgeber gerichtet, darüber hinaus aber auch vom Richter bei der Normauslegung zu berücksichtigen. Hier müsse es sogar besonders beachtet werden. denn die richterliche Normauslegung habe Präzedenzwirkung und gewinne damit Rechtsgeltung, ohne daß die aus ihr gewonnenen Rechtssätze der Kontrolle des rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens unterzogen worden seien.

Es fragt sich jedoch, ob die Rechtsprechung tatsächlich in dieser Form von dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot betroffen ist.

60 Siehe dazu oben s. 18.

61 Schulzo..Osterloh in BaumbacblHueclc, § 82 GmbHG, Rz. 77; derselbe, EWiR § 84 GmbHG 1/88,477,478; Kaligin, BB 1983,790; Kratzscb, ZGR 1985, S06, S12; Tiedemann in LK, vor § 283 StGB, Rz. 66; lhnIich Kohlmaon in Hadlenburg. § 84 GmbHG, Rz. 19; allgemein der Kritik folgend Otto, Bankentltigkeit, 24.

s.

62 Reich, DB 1967, 1663, 1664; Stein, ZHR 148 (1984), 207, 21S; Kratzsch, ZGR 1985, S06,

S12.

63 Stein, Organ, S. 133.

64 Stein, Organ, S. 133 mitFn. 41; auchFuhnnann, Bedeutung, S. ISS.

Kapitel 3: Die Kritik des Scbrifttums

62

1. Zur Frage der Erstreckung des Bestimmtheitsgebotes auf die Rechtsprechung Art. 103 Abs. 2 GG selbst verwendet zwar weder den Begriff des Bestimmtheitsgebotes noch bezeichnet er ausdrücklich dessen Adressaten. Bekanntlich wird der Vorschrift jedoch eine Garantiefunktion zugunsten des Täters beigelegt, die ihre Ausprägung sowohl im Verbot der Analogie zuungunsten des Täters findet65 als auch in dem Gebot. daß an die Bestimmtheit von Strafgesetzen gewisse Mindestanforderungen zu stellen sind. Grundsätzlich sollen Straftatbestände nämlich eine möglichst genaue Fassung unter weitgehender Vermeidung von dehnbaren Begriffen aufweisen, eindeutige Rechtsfo~en androhen und auch nur Strafrahmen vom begrenzter Spannweite enthalten .

Dieses Bestimmtheitsgebot dient dabei allerdings neben Gewährleistung gleicher Rechtsanwendung nicht nur dem auch von Stein hervorgehobenen Schutz des Normadressaten durch Vorausberechenbarkeit des Rechts. Vielmehr soll damit auch die staatsorganisationsrechtliche EntscheidungszustäDdigkeit des Gesetzgebers über die Strafbarkeit sichergestellt werden. Das insoweit in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene strenge Gesetzlichkeitsprinzip verwehrt es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt. über die Voraussetzungen einer Bestrafung selbst zu entscheiden67 • Umgekehrt kann dieser Gesetzesvorbehalt nur dann seine volle Wirksamkeit entfalten, wenn der Rechtswille der Volksvertretung im Text so deutlichen Ausdruck gefunden hat. daß eine subjektiv-eigenmächtige Entscheidung des Richters ausgeschlossen ist und strafrechtliche Entscheidungen anhand des Gesetzes nachprüfbar sind68 . Schon hier wird also deutlich, daß sich das im herkömmlichen Sinne verstandene Bestimmtheitsgebot begriftlich nicht an den Rechtsanwender, sondern an den Gesetzgeber richtet69 .

65 Siehe dazu oben S.

49.

66 Nullum crimen sine lege certa; grundsltzlich allgemein Ulerkannt, siehe nur BVerfGE 2S, 269, 28S; 26, 42f, Jescheck, Lehrbuch, S. 122; Eser in Schönke/Schröder, § 1 StGB, Rz. 20; BaumannlWeber, Lehrbuch, S. 117ff. 67 BVerfGE 47, 109, 120; std. Rechtsprechung. neuc:nlin&' etwa BVerfG, NJW 1987, 43, 44 sowie allg. Meinung. siehe nur Jescheck, Lehrbuch, S. 122; Eaer in Schönke/Schröder, § 1 StGB, Rz.

17.

68 Jescheck, Lehrbuch, S. 122.

69 Wohl allg. Meinung: Ausdrilcldich JIkobs, Lehrbuch, S. 78 Rz. 23ft" und S. 82 Rz. 33ff, außerdem BVerfG, NJW 1987, 43, 44 sowie aus dem Schrifttum z. B. Jescheck, S. 122; MaurachlZipt; S. 122; Eser in Schönke/SchrOder, § 1 StGB, Rz. 18; Krahl, Rechtsprechung, S. 40; wohl auch Kohlmann, Staatsgeheimnis, S. 271~ der zwar ,die Übertragung der Berechenbarlceitsmaxime in den Rechtsanwendungsbereich fIlr notwendig und zullssig erachtet, dies aber nur durch ein ROckwidamgsverbot fIlr bestimmte Rechtsprechungsakte in Verbindung mit einer "von-nun-Ul"-Klausel realisieren will.

n. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot

63

Dagegen spricht auch nicht der im Zu.ummenhang mit dem vorliegenden Thema erhobene Vorwurf, die Rechtsprechung weite den Tatbestand der GmbR-Strafvorschriften konturlos aus. Denn auch hier sind nur zwei Fallgestaltungen denkbar: Entweder geht die Rechtsprechung bei der Bestimmung des Täterkreises über den vom Gesetz vorgegebenen, ggf. durch Auslegung zu ermittelnden Rahmen hinaus70 . Dann aber ist ohnehin schon das Analogieverbot verletzt und eines Rückgriffs auf den Bestimmtheitsgrundsatz bedarf es nicht mehr. Ansonsten ist nur noch der Fall denkbar, daß sich die Rechtsprechung innerhalb der Grenzen der Norm bewegt. Dann aber kann sich der Täter weiterhin am erkennbaren Norminhalt orientieren, durch den die Rechtsprechung dabei im übrigen auch gedeckt ist. Der Bestimmtheitsgrundsatz wäre damit jedoch selbst bei einer ,,Konturenlosigkeit" der richterlichen Begriffsbestimmung nicht betroffen. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz kann daher als eigenständiJes Argument gegen die BGR-Rechtsprechung insoweit keinen Bestand haben 1 • 2. Die Rechtsprechung als Adressat des Gebotes zur verfassungskonformen Auslegung von Rechtsnormen Eine Schnittstelle zwischen der Auslegung von Gesetzen und der Einwirkung allgemeiner Verfassungsgrundsätze auf das Strafrecht besteht allerdings im Zusammenhang mit dem Gebot der sog. verfassungskonformen Auslegunf von Gesetzen. Dieses weithin anerkannte Gebot an die Rechtsprechung7 erfährt im wesentlichen zwei Ausgestaltungen: Zum einen ist bei Mehrdeutigkeit einer Rechtsnorm - hier kame also eine zu große tatbestandliche Weite der rein sprachlich über den Kreis wirksam bestellter Geschäftsfiihrer hinausgehenden Täterbeschreibungen in den Geschäftsfiihrerdelikten in Betracht diese Norm so auszulegen, also ggf. einzuengen, daß sie mit der Verfassung noch vereinbar ist. Darüber hinaus kann und soll ein Gesetz dann noch als verfassungsgemäß angesehen und dementsprechend angewandt werden, solange ihm eine der Verfassung nicht zuwiderlaufende Deutung gegeben werden kann73 • Insbesondere bei wertausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmalen kommt hier eine Tatbestandsverengung im Auslegungswege in Betracht'4 . Wohl in diesem Sinne wird häufig gefordert, die Auslegung der hier in Rede 70 Dies ist wohl der eigentliche Vorwurf; den Stein erhebt, denn nach ihrer Auffassung ist z. B. § 14 Abs. 3 StOB lIei der Auslegung der TAterbezeiclmung zu beachten mit der Folge, daß der GeschlftsflIhretp'iff eng zu verstehen sei und die Rechtsprechung somit diese Grenze überschreite, vgl. Stein, 0rguI, S, 134f, dieselbe, ZHR 148 (1984), 207, 223. 71 A A jedoch JUJdrilcldich Stein, 0rguI, S. 133. 72 Vgl.

nur die qachfolgenden Nachweise. 73 Std. R~ung des BVerfO seit BVerfGE 2, 266, 282; neuerdings etwa BVerIDE 74, 297, 346,355 sowie 81, %28, 240; außerdem z. B. Larenz, Methodenlehre, S. 339ff, Zippelius, Auslegung, S. 110f, Eser in SchOnk.elScbroder, VOl' § 1 StOB, Rz 30; MaunchlZipt; S. 117. 74 Eckardt, Avllegung, S. 71; Eser in SchönkelSchröder, VOl' § 1 StOB, Rz. 30.

64

Kapitel 3: Die Kritik des Scbrifttums

stehenden Normen habe unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes zu erfolgen7S • Soweit dagegen Verfassungsgrundsätze nicht berührt sind, kommt ausschließlich den erkennbaren Grenzen der gesetzlichen Bestimmung die entscheidende Bedeutung für die Reichweite der Strafdrohung zu. Verfassungskonformität ist zwar somit ein Auslegungskriterium, hinter dem die anderen Auslegungsargumente grundsätzlich zurückzutreten haben76 . Das Gebot zur verfassungskonformen Auslegung greift aber in jedem Fall nur dann ein, wenn die anzuwendende Norm aufgrund ihrer tatbestandlichen Weite mehreren Ausdeutungen zugänglich ist und in einer dieser möglichen Ausdeutungen gegen Verfassungsgrundsätze verstößt77 • Für die hier gegenüber der Rechtsprechung erhobenen Vorwürfe bedeutet dies: Die Rechtsprechung muß bei der Auslegung des Geschäftsführerbegriffs im Sinne des GmbH-Strafrechts die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit der Strafgesetze allenfalls dann als tragenden Gesichtspunkt mit in ihre Betrachtungen einbeziehen. wenn dieses Tatbestandsmerkmal auch nach Auslegung mittels der sonstigen Auslegungsmethoden noch eine verfassungswidrig weite Form aufweist. Dabei könnte insbesondere in Betracht kommen. daß es sich bei den rein sprachlich weit gefaßten Täterbeschreibungen der GmbH-rechtlichen Sondernormen um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt:. deren inhaltliche Grenzen aus dem Gesetz nicht hinreichend genau zu entnehmen sind und die deshalb von der Rechtsprechung im ~inzelnen bestimmt werden müssen78 • Diese Frage wird im folgenden noch eingehend behandelt. 3. Zwischenergebnis

Es bleibt damit zunächst festzuhalten: Der Einwand etwa von Tiedemann79 , eine Gesetzgebungstechnik verstoße gegen das Gebot der strafrechtlichen Tatbestimmtheit:. sofern sie in strafrechtlichen Vorschriften auf weitgefaßte außerstrafrechtliche Bestimmungen oder außerrechtliche Verhaltensanforderungen Bezug nehme, mag in dem einen oder anderen Sinne beurteilt werden. Die Untersuchung der Zulässiteit einer solchen Ausgestaltung von Gesetzen - die im übrigen vom BVerfG8 grundsätzlich gebilligt wird - ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Der offensichtlich aus diesem Ansatz entwickelte VOlwurf 75 Z. B. Schulzc.Ostcrloh in BaumbachlHucck, § 82 GmbHG, Rz. 4, 77; auch Fuhrmann, Bedeutung. S. IS2. 76 LIrenz, Methodenlehre, S. 339; Zippclius, Auslegung. S. 110. 77 LIrenz, Methodenlehre, S. 34Of, ScbacklMichel, JuS 1961,269,277. 78 So insbesondere FuImnam, Bedeutung, S. IS2. 79 Tiedemann, Tatbcstandsfimktoo, S. SSf 80 Siehe nur BVerfOE 48, 48,

S6.

m. Eigene Kritik

6S

eines Verstoßes der einschlägigen BGH-Rechtsprechung gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot ist dagegen aus begrifflichen Gründen in dieser Form nicht haltbar. In Betracht kommt hier lediglich ein Verstoß der Rechtsprechung gegen das Gebot der verfassungskonformen Auslegung. Um einen solchen Verstoß nachweisen zu können, bedarf es jedoch der vorrangigen Feststellung, daß die Auslegung der betroffenen Normen mittels der sonstigen Auslegungsmethoden zu Ergebnissen führt, die den Anforderungen an die Bestimmtheit von Strafgesetzen in verfassungswidriger Weise nicht genügen und die deshalb der Korrektur bedürfen. Insoweit soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit allerdings gezeigt werden, daß eine hinreichend konkrete Bestimmung des Täterkreises der Geschäftsfiihrerdelikte aus den Normen des GmbHG selbst möglich ist und es deshalb keines Rückgriffs auf die Grundsätze verfassungskonformer Auslegung, insbesondere keiner Verlagerung der grundsätzlichen Entscheidung über die inhaltliche Weite des Geschäftsfiihrerbegriffs vom Gesetzgeber auf die Rechtsprechung bedarf.

111. Eigene Kritik Ein Verstoß der Rechtsprechung gegen das strafrechtliche AnalogieveIbot oder das Bestimmtheitsgebot konnte somit - zumindest im Sinne der im Schrifttum erhobenen Einwände - zwar zunächst nicht festgestellt werden. Der Sache nach konnten die erhobenen Einwände jedoch nicht entkräftet werden. Zum einen geht der BGH bei der Einbeziehung nicht wirksam bestellter Personen in den Täterkreis der Geschäftsfiihrerdelikte nämlich bedenklich weit, insbesondere im Fall des Nebeneinanders von faktischem und formell bestelltem Geschäftsfiihrer. Hier hatte der BGH zwar vorwiegend krasse Fälle zu entscheiden, die den jeweiligen Angeklagten als nahezu allein agierenden Leiter des Unternehmens erscheinen ließen. Weniger eindeutig erschien demgegenüber schon der Sachverhalt in BGHSt 31, 118, in dem die förmlich bestellte Geschäftsfiihrerin einen erheblichen Anteil an der Geschäftsfiihrung hatte. Die vom BGH aufgestellten Erfordernisse für das Vorliegen faktischer Geschäftsfiihrung, nämlich eine "nach Art und Umfang" den Rang einer Geschäftsfiihrung erreichenden Tätigkeit sowie· ein Übergewicht im Sinne eines überragenden Einflusses gegenüber dem formell bestellten, tätigen Geschäftsführer lassen jedoch noch eine erhebliche Erweiterung des Täterkreises zu. Möglicherweise müssen sich hier sowohl der "aktive Gesellschafter" als auch der mit wichtigen Aufgaben betraute Prokurist sowie für die Gesellschaft tätige Außenstehende in diesen Kreis einbeziehen lassen, wobei die Grenzen zwischen diesen wesensverschiedenen Stellungen im Unternehmen dann zu verschwimmen drohen. 5 Montag

66

Kapitel 3: Die Kritik des Scbrifttums

Betrachtet man hier etwa die eingangs gebildeten Fallbeispiele, so wird man bei den dort beschriebenen Personen die vom BGR aufgestellten Kriterien wohl als erfiillt ansehen müssen81 . Jeder der Handelnden führte in erheblichem Maße Tätigkeiten aus, die auf der Ebene von Geschäftsführungsmaßnahmen lagen. Alle Handelnden hatten gegenüber dem tätigen, ordnungsgemäß bestellten Geschaftsfiihrer einen überragenden Einfluß auf die Geschäftsführung. Gleichwohl gibt es gewichtige Unterschiede zu den bisher vom BGR zu beurteilenden Sachverhalten. In den Beispielen handelt es sich nämlich abgesehen von Beispiel 1 - nicht um geplante Umgehungen der formalen innergesellschaftlichen Zuständigkeitsordnung, sondern um nicht ungewöhnliche Situationen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Unternehmens und um Einwirkungen auf die Führung der Geschäfte, die durchaus üblich und angemessen erscheinen. Hier fragt sich, inwieweit der BGR dies im Rahmen seiner wertenden Betrachtung des Einzelfalles berücksichtigen würde. Hätte der BGR zudem über Fallbeispiel 1 zu entscheiden, müßte er zur Erforderlichkeit eines Einverständnisses der Gesellschafter mit der Amtsfiihrung des Handelnden Stellung nehmen. Da in diesem Beispiel nämlich unter bewußter Umgehung der formalen Zuständigkeitsordnung die gesamte Geschäftsfiihrung in den Händen des Prokuristen liegt, den Gesellschaftern dies jedoch unbekannt ist und deren Einverständnis somit nicht vorliegt, kann es nun nicht mehr dahinstehen, "ob es auf dieses Einverständnis rechtlich überhaupt ankommt,,82. Nachdem der BGR in dem hier behandelten Zusammenhang Strafwürdigkeitsgesichtspunkten allerdings im allgemeinen den Vorrang vor formalen Erwägungen einräumt, würde er an diesem Erfordernis eine Verurteilung wohl eher nicht scheitern lassen. Diese Mutmaßungen über die nach Auffassung der Rechtsprechung geltende persönliche Reichweite der Geschäftsfiihrerdelikte verdeutlichen aber auch schon den Haupteinwand gegen die vom BGR gewonnenen Ergebnisse, nämlich deren mangelnde Vorhersehbarkeit und Überprüfbarkeit. Die vom BGR aufgestellten allgemeinen Anforderungen an den Begriff des Geschäfts:fiihrers erscheinen hier nämlich wenig hilfreich. Die Ausübung von Tätigkeiten, die nach "Art und Umfang" Geschäftsführungsmaßnahmen darstellen, ist nämlich für eine solche Stellung eher selbstverständlich und stellt ein wenig brauchbares Abgrenzungskriterium dar, zumal die Entscheidungen jeglichen Hinweis darauf vermissen lassen, was denn die typische Art und der zwingend erforderliche Umfang einer solchen Tätigkeit sind. An dieser entscheidenden Stelle zieht sich der BGR auf die wertende Gesamtschau aller Tätigkeits81 Vgl. oben s. 2Sf Dies gilt insbesondere auch fI1r Fallbeispiel 3 (Sanierungsberater). Die bisherige Rechtsprcchung des BOR IIßt jedcnfaUa Dicht sieber erkennen, daß - wie etwa Baumgarte, wistra 1992, 41, 42, meint - Berater kaum als fUdiscbe GescbIftsfIlbre aufgnmd dberragender Stellung qesehen werden kOnnell. 82 BORSt 31, 118, 123 in Bezug auf den dort zugnmdeliegendcn Sachverhalt.

m. Eigene Kritik

67

merkmale zurück. Dabei läßt er jedoch keinerlei Maßstab oder Wertungsgrundlage erkennen, die Anhaltspunkte über die generelle Weite des Geschäftsfiihrerbegriffs geben würden. Dies ist auch deshalb unbefriedigend, weil es in dem hier diskutierten Bereich gerade darum geht, ob die Betroffenen als Adressaten der Strafnormen in Betracht kommen und ob sie damit überhaupt Pflichten haben, deren Nichterfiillung mit Strafe bedroht ist. So läßt sich etwa bezüglich der in den Beispielen 1 bis 3 beschriebenen Personen unter Zugrundelegung der bisherigen BGH-Entscheidungen weder eindeutig feststellen, ob diese als taugliche Täter der Geschäftsfiihrerdelikte in Frage kommen, noch läßt sich dies mit Sicherheit ausschließen. Aber auch im Hinblick auf die bereits höchstrichterlich entschiedenen Fälle ist nicht ersichtlich. wie sehr sich der BGH jeweils den tatbestandlichen Grenzen der einzelnen Delikte genähert hat. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der BGH-Rechtsprechung zum vorliegenden Problemkreis fiihrt daher zu der Frage, welche rechtlichen oder sonstigen Maßstäbe bei der Inhaltsbestimmung des Geschäftsfiihrerbegriffs zugrundezulegen sind. Zur Klärung dieser Frage wird hier die These aufgestellt, daß der BGH bei der von ihm vorgenommen wertenden Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls die im Gesetz niedergelegten Wertentscheidungen des Gesetzgebers nicht beachtet, in jedem Fall aber nicht hinreichend deutlich herausgestellt und seinen Entscheidungen zugrundegelegt hat und daß dies die Ursache fiir die ,,Konturenlosigkeit" der Rechtsprechung ist. Zudem soll sich zeigen, daß vor allem die Berücksichtigung der zivilrechtlichen Strukturmerkmale des Geschäftsführerbegriffs auch den Täterbeschreibungen der Geschäftsführerdelikte hinreichend bestimmte Konturen verleiht, so daß sich damit zugleich ein Rückgriff auf die Grundsätze verfassungskonformer Auslegung erübrigt. Ausgangspunkt der Untersuchung ist dabei das methodische Vorgehen der Rechtsprechung. Der BGH selbst beruft sich zunächst darauf, den Täterbegriff im Wege der Auslegung, insbesondere unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks, zu bestimmen. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf hier das Ergebnis dieses Vorgehens: Mittels der vorgenommenen Auslegung gewinnt der BGH nämlich lediglich die Erkenntnis, daß unter den Begriff des Geschäftsführers auch detjenige falle, der die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich fiihre. Der Auslegungsvorgang im engeren Sinne endet hier, nämlich die Sinndeutung des Gesetzes durch Anwendung der üblichen Auslegungsmethoden83 • Eine weitere, genauere Abgrenzung des Geschäftsfiihrerbegriffs wird auf diesem Wege nicht mehr vorgenommen. Das Ergebnis der Auslegung besteht damit in einem weit gefaßten Obersatz, der den konkreten Tatsachenfeststellungen gegenübersteht und mit diesen zu veIbinden ist. Diese VeIbindung wird dann 83 Siehe dazu unten S. 82t:

68

Kapitel 3: Die Kritik des Scbrifttums

durch die bereits geschilderte Wertung der gesamten Umstande des Einzelfalles hergestellt. Im Rahmen dieser Wertung greift der BGH zwar auf verschiedentlich wiederkehrende Wertungskriterien zurück. Eine argumentative Herleitung dieser Kriterien aus den strafrechtlichen Vorschriften selbst fehlt allerdings. Es wird auch nicht dargelegt. ob diese Kriterien sich aus anderen, etwa zivilrechtlichen Merkmalen der Geschaftsführung oder vielleicht aufgrund einer entsprechenden Verkehrsanschauung ergeben. Woraus der BGH z. B. für ein ,,Führen der Geschäfte" das Erfordernis eines "Übergewichts" des Tätigen gegenüber einem gleichfalls vorhandenen, ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer herleitet, ist nicht ersichtlich84 • Obwohl es natürlich sachgerechter wäre, wenn die Entscheidungen in Zweifelsfällen selbst das methodische Vorgehen des erkennenden Senats erläutern würden, ergeben sich Anhaltspunkte aus der Begründung, mit der Fuhrmann8S das Vorgehen des BGH verteidigt. Er verweist nämlich darauf, daß der Gesetzgeber nicht auf unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe verzichten könne und dies auch verfassungsrechtlich unbedenklich sei, solange z. B. durch eine gefestigte Rechtsprechung das Verbot bestimmter Verhaltensweisen für den einzelnen erkennbar sei. In der Tat ist für das Vorgehen des BGH nur dann eine Rechtfertigung ersichtlich, wenn man die Täterbeschreibung der GmbH-Strafnormen als unbestimmten Rechtsbegriff ansieht, der sich aufgrund der gesetzlichen Wertung nicht weiter konkretisieren läßt als bis zu der Definition: "Geschäftsführer ist auch, wer die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich fUhrt". Das "tatsächliche Führen der Geschäfte" könnte dann der Punkt sein, ab dem die auszulegenden Normen selbst für die Begriffsbestimmung nichts mehr hergeben und statt Auslegung mittels der üblichen Methoden nur noch eine nicht mehr an gesetzlich vorgegebene Maßstäbe gebundene Eigenwertung des Gerichts in Frage kommt. Schon diese Erkenntnis weckt aber erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit oder zumindest der Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens. Es drängen sich nämlich umgehend folgende Fragen auf: Handelt es sich bei der Täterbeschreibung in den §§ 82ff GmbHG wirklich um einen unbestimmten Begriff im dargestellten Sinne?

84 Gerade zu diesem Punkt wlren jedoch Ausfilhrungen WOnschenswert. Hier fragt sich nimlich, ob dieses Merkmal unverzichtbac sein soU oder ob seine Bedeutung ebenso schwinden kann wie die des EinverstJndnisses der Gesellscba.fter, an dessen Erforderlicbkeit der BOR seit BORSt 3, 32 Zweifel erkennen lAßt, olme jedoch abschließend zu dieser Frage Stellung zu nehmen; siehe etwa BORSt 31, 118,123. 8S Fuhrmann, Bedeutung. S. H2, unter Bezug aufBVerfUE 4', 363, 371ffund 48,48, '6.

m. Eigene Kritik

69

Verhindert es die Fassung des Gesetzes damit wirklich, aus den Normen selbst eine konkretere Abgrenzung des Normadressatenkreises abzuleiten. als sie der BGH vornimmt? Soweit dies aber möglich ist. konnte der BGH dann die Auslegung der Normen mittels der üblichen Auslegungsmethoden beenden. ohne den Bereich einer wertenden Betrachtung möglichst weit zu reduzieren? Unter diesen Gesichtspunkten soll die Untersuchung im folgenden zeigen, daß sich im Wege der Auslegung mittels der üblichen Auslegungsmethoden aus den Strafnormen selbst durchaus weitere Erkenntnisse für eine schärfere Eingrenzung des Normadressatenkreises gewinnen lassen und im Bereich der richterlichen Eigenwertung sehr viel stärkere Bindungen an Vorgaben des Gesetzgebers bestehen. als die bisherigen Entscheidungen des BGH erkennen lassen.

Kapitel 4

Lösungsansätze im Schrifttum Vom methodischen Vorgehen her versuchen Teile des Schrifttums, zu sachgerechten Lösungen durch Auslegung der einzelnen, jeweils betroffenen Strafnormen zu gelangenl . Dem kann zwar insoweit zugestimmt werden, als nur die Auslegung der betreffenden Einzelnorm und nicht etwa die Verwendung einer normübergreifenden, ohne Rücksicht auf die Zwecksetzung der jeweiligen Einzelnorm verwandten Rechtsfigur der einzig verfassungsrechtlich unbedenkliche Weg einer Begriffsbestimmung isr. Zu befriedigenden Ergebnissen hat diese Erkenntnis allerdings nicht geführt. Während Stein den Auslegungsvorgang wegen der vermeintlichen "Sperrwirkung" des § 14 Abs. 3 StGB nämlich vorzeitig abbricht, stimmt Fuhrmann uneingeschränkt dem Vorgehen des BGH zu. Cadus nimmt demgegenüber - dem Schwerpunkt seiner Arbeit entsprechend - zu Detailfragen keine Stellung. Andererseits werden aber auch umfassendere Konzepte angeboten, die hier vor der Darstellung eines eigenen Lösungsmodells vorgestellt und bewertet werden.

I. Rückgriff auf zivilrechtliche Begriffsinhalte Grundsätzlich wird die spezifisch strafrechtliche, insbesondere auf faktischfunktionale Gegebenheiten ausgerichtete Auslegung von zivilrechtlich vorgeprägten Begriffen von Tiedemann abgelehnt.

Ganz allgemein für den gesamten Bereich des Wirtschaftsstrafrechts begründe die Anknüpfung an den wirtschaftlich-tatsächlichen Erfolg statt an die zivilrechtliche Gestaltung eines wirtschaftlichen Vorgangs nämlich die Gefahr einer Ablösung der Strafbarkeit von der Straftatbestandlichkeit, mit der der Vorteil materieller Gerechtigkeit erkauft werde3 • Eine derartige faktischfunktionale Auslegung löse sich von der die Rechtssicherheit gewährleistenden Form des Zivilrechts und laufe der Sache nach nicht selten auf eine unzu1 Z. B. Stein, Orpn, S. 194; dieselbe, ZHR 148 (1984), 207, 223; Cadus, Betrachtungsweise, S. 146; Fuhrmann, Bedeutung. S. IS4; derselbe in Ems/Kohlhaas, § 82 GmbHG, Amn. 2 b; K. Sclunidt, Strafbarlceit, S. 433. 2 So Stein, Organ, S. 194; dieselbe, ZHR 148 (1984), 207, 223.

3 Tiedemann, Tatbestandsfimkton, S. S61: wOrtlich abgedruckt und deshalb im folgenden nicht mehr gesondert zitiert in derselbe, WirtscbaftsstrI1l, S. 17S1I; derselbe, NJW 1977, 777, 779; derselbe, NJW 1979, 1849,18S0.

I. Rückgriff auf zivilrechtlichc Bcgriflilinhalte

71

lässige Analogie zuungunsten des Täters hinaus4 • Nur bei zivilrechtlich nicht vorgeprägten Begriffen sei deshalb Raum für eine faktische oder wirtschaftliche Auslegung für das StrafrechtS .

Im Zuge des Rückgriffs auf zivilrechtliche Kategorien will Tiedemann die dort vorkommenden Analogieelemente bei der strafrechtlichen Begriffsbildung fernhalten und trennt deshalb zwischen zwei Arten von in Bezug genommenen außerstrafrechtlichen Normen: Zum einen bezieht er sich auf Normen mit einem bestimmten, festumrissenen Geltungsbereich, die wegen der im Zivilrecht erlaubten und ggf. gebotenen Möglichkeit der Analogie aber auf ähnliche Sachverhalte entsprechend angewandt werden. Hier soll sich die Inbezugnahme ausschließlich auf den direkten Anwendungsbereich der außerstrafrechtlichen Norm beschränken. Insoweit schließe sich das Wirtschaftsstrafrecht in der Regel an die zivilrechtliche Würdigung an, so daß eine nahezu uneingeschränkte Akzessorietät des Strafrechts in Hinblick auf die ausdrücklich oder stillschweigend in Bezug genommenen außerstrafrechtlichen Regelungen - allerdings nur im Rahmen ihres direkten Anwendungsbereichs - bestehe6 • Die außerstrafrechtlich bedenkenfreie teleologische Normhandhabung sei deshalb stets daraufhin zu untersuchen, ob es sich noch um ausdehnende Auslegung oder schon um analoge Rechtsanwendung handele7 • Enthalte demgegenüber die in Bezug genommene zivil- oder verwaltungsrechtliche Norm selbst Analogieelemente, wie z. B. bei Generalklauseln und Umgehungsnormen, müßten trotz äußerer Identität die Norminhalte von Verhaltens- und Strafvorschrift getrennt werden, so daß es durchaus zu einer "Normambivalenz" oder "Normspaltung" kommen könne8 • Im Wege verfassungskonformer Restriktion müsse ein- und derselbe unbestimmte Rechtsbegriff strafrechtlich anders, namIich enger als zivi1- oder verwaltungsrechtlich ausgelegt werden9 • Diese Doppelspurigkeit der Argumentation muß beachtet werden, damit sich die gleichzeitige Berufung auf eine Akzessorietät zwischen

4 Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32; derselbe, NJW 1979, 1849, 1851; derselbe in LK, vor § 283 StGB, Rz. 66; ihm folgend Otto, StV 1984, 462. S Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32; derselbe, Auslcgunp- und Methodenproblem, S. 32. 6 Tiedemann, NJW 1977,777,779. 7 Tiedemann, Auslcgunp- und Methodenproblem, S. 37. 8 Tiedemann, Tatbestandsfunktoo, S. 186f, derselbe, Straftatbcstand S. 197f, derselbe, NJW 1979, 1849, 1851; derselbe, JuS 1989, 689, 696; cinscbrlnkcnd K. Sclunidt, Stratbarkeit, S. 437, wonach von einem "Gleichlauf" der Normen auszugeben Ici, solange nicht ein nachweisbarer GesetzeswiJle oder ein höherrmgiges Prinzip eotgegCllltehe. 9 Tiedemann, Straftatbcstand S. 197; denelbe, NJW 1979, 1849, 1851; derselbe, JuS 1989,689, 696; Ihnlich denelbe, Auslegunp- und Methodenproblem, S. 36.

Kapitel 4: Ulsungsansltze im Schrifttum

72

Zivil- und Strafrecht auf der einen und der Forderung nach einer Normspaltung auf der anderen Seite nicht als Widerspruch darstellenlo . Für die Bestimmung des Täterkreises der Geschäftsfiihrerdelikte des GmbH-Strafrechts möchte Tiedemann dementsprechend auf den zivilrechtlichen Statusbegriff des Geschäftsfiihrersll zurückgreifen, allerdings mit der Einschränkung, daß eine Bestellung auch konkludent durch ein Tätigwerden im Einverständnis mit allen Gesellschaftern erfolgen könnel2 . Weitergehenden Entwicklungen im Zivilrecht, etwa einer generellen Einbeziehung des "aktiven" Mehrheitsgesellschafters in die Verpflichtungen des § 64 GmbHG, könne demgegenüber im Strafrecht nicht gefolgt werden13 • Die wenig sachgerechte Enge dieses Lösungsansatzes zeigt sich allerdings schon darin, daß die hier aufgestellten Grundsätze - wohl in Hinblick auf die sonst drohenden Ergebnisse - auch nach Auffassung von Tiedemann nicht uneingeschränkt zur Anwendung kommen können. Ein konsequentes Femhalten von zivilrechtlichen Analogieelementen bei der strafrechtlichen Begriffsbestimmung würde hier nämlich eine Beschränkung auf Personen mit dem zivilrechtlichen Status eines Geschäftsfiihrers zur Folge haben. Für diese Stellung reicht ein bloßes Tätigwerden in Organfunktion auch bei Einverständnis aller Gesellschafter jedoch nicht aus, wenn gleichwohl eine wirksame Bestellung zum Organ bewußt vermieden worden istl4 . Da auf derartige Umgehungskonstruktionen die zivilrechtlichen Vorschriften also nicht direkt, sondern allenfalls analog anwendbar sind, bewegt sich auch Tiedemann im Ergebnis schon im Bereich eines über den zivilrechtlichen Statusbegriff hinausgehenden strafrechtlichen GeschäftsfiihrerbegriffslS . In Hinblick auf den Strafzweck der Organdelikte erscheint eine derartige Einschränkung ihres Geltungsbereichs auch unnötig. Es ist nämlich nicht ersichtlich, daß hier nur durch die zivilrechtlichen Tatbestände Rechtssicherheit zu gewährleisten ist, solange sich auch ein über den zivilrechtlichen Sta10 Insoweit obersehen VOll. Bnma, GA 1982, I, 20 Fn. 74 sowie derselbe, JR 1984, 133, 134, der unzu1:reffenderweise einen ,,IpI'BCblich hochgespielten Vorwurll!) der Normambivalcoz" zu erkennen glaubt und Tiedemanns Formulierung "bedeutsame[!] Erscheinung der Normenspaltung" (Tiedemann, NJW 1979, 1849, 18!S1) dementsprechend fllscblich als "bedenkliche Erscheinung" zitiert; Ihnlich K Scbmidt, Strafbarlteit, S. 436t; insbesoodere Fn. 61; zutreffend dagegen Stein, Organ, S. 46 Fn. !SO. 11

Siehe dazu oben S. 18ff.

12 Tiedemann in Scholz, § 84 GmbRG, Rz. 32ff, derselbe, NJW 1986, 1842, 184!S; derselbe in LI(, vor § 283 StGB, Rz. 67. 13 Tiedemann in Scholz, § 84 GmbRG, Rz. 3!S; ilun folgend KobImam in Rachenburg, § 84 GmbRG, Rz. 26. 14 Siehe dazu im einzelnen unten S. 99ft: IS Dieser Einwand muß auch Richter, GmbRa 1984, 113, 198t; entgegengesetzt werden, der einerseits zivilrecbtliche Analogieelemente Dicht in den Straftatbestand Obemehmen will, andererseits aber die bloße Ausabung VOll. Organfunlctioo.en als ausreichend fIlr die Tlterqua.li1ikaton ansieht

11. Dic Lcbrc von der sog. faktischen Bdlacbtuugswcisc als Auslcgunglllllcthodc

73

tusbegriff hinausgehender strafrechtlicher Geschäftsfiihrerbegriff sachgerecht eingrenzen läße 6 • Die Möglichkeit einer solchen Eingrenzung ohne direkten Rückgriff auf zivilrechtliche Begriffsinhalte, allerdings unter Heranziehung der in den zivilrechtlichen Regelungen über die GmbH-Geschäftsführung enthaltenen grundlegenden gesetzlichen Wertungen, soll im Rahmen der weiteren Untersuchung aufgezeigt werden.

11. Die Lehre von der sog. faktischen Betrachtungsweise als Auslegungsmethode Ähnlich umfassend angelegt, der vorgenannten Ansicht Tiedemanns allerdings genau zuwiderlaufend, ist der Lösungsansatz von Bruns, wonach im Strafrecht grundsätzlich nicht die zivilrechtlich vorgegebenen Konstruktionen, sondern nur die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich sein sollen. Die Unabhängigkeit strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale von den gleichlautenden außerstrafrechtlichen Begriffen führt nach Bruns17 über die Möglichkeit einer eigenständigen Auslegung "im Sinne des Strafrechts" hinaus zu einer spezifisch strafrechtlichen Begriffsbildungs- und Auslegungsmethodik, die in erster Linie durch ihre größere Wirklichkeitsnähe gekennzeichnet sei und die weit mehr mit dem "gesunden Volksempfinden" und dem natürlichen Sprachgebrauch in Einklang stehe als "die scharf geschliffenen, abstrakten Begriffsbildungen des Zivilrechts,,18. Unter Verzicht auf solche zeittypischen Formulienmgen hält Bruns19 diese These auch in jüngerer Zeit aufrecht und hebt die grundsätzliche Bedeutung der tatsächlichen Betrachtungsweise als spezielle Form der teleologischen Auslegung helVor. Die Einheitlichkeit der Begriffsbildung müsse dann aufgegeben werden, wenn künstliche zivilrechtliche Konstruktionen und rechtsgeschäftliche Manipulationen die wirkliche, faktische Sachlage bewußt verdunkeln sollten2O • Über den Stand der reichsgerichtlichen Rechtsprechung hinaus hatte Bruns21 schon zur damaligen Zeit keine Bedenken, jeden auch nur tatsächlich in Organfunktion Tätigen als tauglichen Sonderdeliktstäter anzusehen und begrüßt dementsprechend auch die Rechtsprechung des BGR, da auch die teleologisch ausgerichteten strafrechtlichen Begriffe hinreichend feste Konturen gewonnen hätten und außer16 In diesem Sinnc auch Bruns, JR 1984, 133, 13S.

insbcsonderc S. 6; spItcr derselbe, GA 1982, 1, 12fund 191f, ihm folgend Wiesener, Verantwortlichkeit, insbesondere S. 1471ffllr den Bereich der Organdeliktc. 18 Bruns, Befreiung. S. 7. Dabei handch es sich um seine Habilitationsschrift aus dem Jahre 1938. 17 Bruns, Befreiung.

19 Bruns, JR 1984, 1331f, derselbe, GA 1986, 1, 12f.

20 Bruns, JR 1984, 133, 13S; Ibnlich Hcngsberger, LM zu § 244 KO Nr. 1, wonach dic BGHRechtsprechung helfe, ,,in dem zivilrcchtlichcn Dschungcl der Verflechtungen strafrechtlich klare und ilbcrschaubarc V crblItnissc zu schaffen". 21 Bnms, Befreiung. S. 27St:

74

Kapitel 4: U ......DgsansItu im Sclnifttum

dem besser zur Beldlmpfung von Gesetzesumgehungen geeignet seien22 . Zudem sieht er seine Auffassung nicht nur durch die Rechtsprech~~, sondern auch durch die gesetzliche Regelung des § 14 Abs. 3 StGB bestätigr' . Diese Lehre von der tatsächlichen Betrachtungsweise als spezieller Auslegungsmethode muß allerdings inzwischen als überwunden angesehen werden, nachdem sie in neuerer Zeit durchgreifender Kritik unterzogen wurde. Der Haupteinwand richtet sich dabei gegen die Qualifizierung der faktischen Betrachtungsweise als eigenständige Auslegungsmethode24 . Beurteilungsgegenstand bei der Auslegung sei nämlich jeweils eine Gesetzesvorschrift. Sie werde unter Einhaltung von Regeln methodischer oder dogmatischer Art daraufhin untersucht, ob ihr Bedeutungsinhalt einen zur Beurteilung zugrundeliegenden Sachverhalt einschließe2S • Die tatsächliche Betrachtungsweise richte sich jedoch nicht auf eine Rechtsnorm, sondern auf den im Einzelfall zu beurteilenden Sachverhalt. ,,Faktisch betrachten" bedeute, die zugrundeliegenden Umstände so zu sehen, wie sie sich tatsächlich darstellen und nicht wie sie scheinen26 . Ein solches Vorgehen setze aber eine Auslegung der Norm voraus und kennzeichne lediglich deren Ergebnisse. Nicht einmal in dieser Funktion habe die faktische Betrachtungsweise jedoch einen eigenen ,,Leistungswert" , der über die bereits gefundenen Ergebnisse hinausgehe27 • Zudem ergebe eine Betrachtung der Rechtsprechung, daß diese die faktische Betrachtungsweise im Sinne der Vertreter dieser Lehre überhaupt nicht angewandt habe, sondern ihr dies schlicht unterstellt worden sei. Der Begriff "tatsächlich" diene in den Entscheidungen nämlich lediglich der Umschreibung eines auf anderem Wege, nämlich durch teleologische Auslegung gefundenen Ergebnisses28 • Ein methodischer Nutzen dieser Lehre läßt sich damit nicht feststellen29 • Sie entbindet den Rechtsanwender jedenfalls nicht von der vorrangigen Auslegung der Vorschriften, die erst den Weg zu einer Anknüpfung an die tatsächlichen Gegebenheiten weisen muß30 • 22 Bnms, JR 1984, 133, 141. 23 Brum, GA 1982, I, 12f.

24 Cadus, Betradttungsweilc, s. 97; ibm folgend K. Scbmidt, Strafbarkeit, S. 431f, sowie Otto, Lehrbuch, S. 35; TicdemaDn in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32; derselbe, NJW 1977, 777, 779; derselbe, NJW 1979, 1849, 1850; Leockner in SdlOnkelSchr6der, § 14 StGB, Rz. 4. 2S Cadus, &traclttungsweilc, S. 92. 26 Cadus, Betrachtungsweise, S. 97. 27 Cadus, Betrachtungsweise, S. 100.

28 Cadus, Betrachtungsweise, S. 71 und 88. 29 Cadus, Betrachtungsweise, S. 98ff, K. Scbmidt, Strafbarkeit, S. 4301f, gegen eine nonnllbergreifende allgemeine Interpretationsmethode im Straftecht auch Stein, Organ, S. 194 und dieselbe, ZHR 148 (1984). 207, 223. 30 Otto, Lehrbuch, S. 35; derselbe, StV 1984, 462 463; in diesem Sinne auch Faller, OB 1972, 1757,1759 sowie Fuhrmann, Bedeutung. S. 149f.

ill. Die Garant.entbeorie

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III. Die Garantentheorie Einen weiteren Versuch, auch faktische Geschäftsführer als die eigentlichen Drahtzieher des Tatgeschehens in den Täterkreis der Organdelikte einzubeziehen, unternimmt neuerdings Kratzsch unter besonderer Berücksichtigung des allgemeinen Strafgrundes der Organhaftung. Dabei sieht er sich vor ein in ähnlicher Weise auch bei den sog. unechten Unterlassungsdelikten31 vorkommendes "normatives Gleichstellungsproblem" gestellt. Dieses lasse sich nur im Sinne einer Einbeziehung des faktischen Geschäftsführers lösen, wenn die von diesem begangenen Taten ihrem Unrechtsgehalt nach annähernd denen des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers gleichwertig seien32 . Eine entsprechende strukturelle Gleichartigkeit ergebe sich aber daraus, daß der Rechtsgrund der strafrechtlichen Organhaftung in beiden Fällen in der Übernahme des Pflichtenkreises eines Organs liege. Der haftungsbegrundende Effekt, daß Dritte durch die tatsächliche Übernahme der Organstellung und der damit verbundenen Pflichtenstellung durch den Täter rechtsgutsgefahrdend handelten oder eigene Schutzvorkehrungen unterließen, trete auch dann ein, wenn sich diese auf ein nichtiges Rechtsgeschäft grunde. Die faktische Organhaftung beruhe damit auf dem gleichen Rechtsprinzip wie die Garantenpflicht des rechtswirksam bestellten Organs. Dieser gemeinsame Rechtsgrund nötige dazu, beide Fallgruppen gleich zu behandeln33 . Eine solche tatsächliche Übernahme der Organstellung könne dabei nur angenommen werden, wenn sowohl der Gesetzeswortlaut beachtet als auch bestimmte weitere Voraussetzungen erfiillt seien, die sich aus einer Abwägung und Bewertung der miteinander konkurrierenden Normziele und Prinzipien der gesetzlichen Regelung ableiten ließen. Dieses Vorgehen erscheint vom methodischen Ansatz her allerdings bedenklich. Zum einen soll hier eine ,,Erweiterung des Normadressatenkreises,,34 vorgenommen werden, obwohl es doch nicht um eine Ausdehnung des Täterkreises auf weitere Dritte, sondern um die exakte Ermittlung der Grenzen des gesetzlich bestimmten Personenkreises gehes. Zudem will Kratzsch zunächst die Voraussetzungen klären, unter denen faktische Organe, die ausdrücklich als eine zu diesem Zeitpunkt noch nicht hinreichend definierte Tätergruppe bezeichnet werden, mit rechtswirksam bestellten Organen gleichgestellt werden können, um nach der Lösung dieses "normativen Gleichstellungsproblems" erst in einem weiteren Schritt die genaue Definition dieser 31 Bei den Geschlftsfllhrelik.ten handeh es sich neben Begehungsdelik.ten allerdinglI nur um echte Unterlassungsdelikte; siehe S. 16. 32 Kratzsch, ZGR 1985, 506, 5lS. 33 Kratzsch, ZGR 1985, 506, 522. 34 Kratzsch, ZGR 1985, 506, 507.

3S In diesem Sinne auch Cadus,

Betrachtungsweise, S. 147.

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Kapitel 4: LOsunpnsltu im Scbrifttwn

Tätergruppe vorzunehmen36 • Damit wird aber eine Bestimmung des Begriffs des faktischen Geschäftsführers notwendig, obwohl dieser im Gesetz gar nicht enthalten ist und es muß zusätzlich die Gleichstellung dieser Personengruppe mit den im Gesetz genannten Tätern hergeleitet werden. Selbst auf diesem Umweg fUhrt diese Lösung dann jedoch letztlich zu keinen anderen Ergebnissen als das Vorgehen des BGH, der durch Auslegung der Strafvorschriften gleichfalls zu einer Einbeziehung faktischer Organe in den Täterkreis der Organdelikte gelangt. Wie sich aber schon gezeigt hat, beginnen erst an diesem Punkt die eigentlichen Probleme, da nun die entscheidende Grenzziehung zu erfolgen hat. Es ist allerdings auch im Sinne der vorliegenden Arbeit, wenn Kratzsch über die an dieser Stelle von der Rechtsprechung vorgenommene wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls hinausgeht und eine Verbindung der einzelnen Tätigkeitsmerkmale mit den normativen Grundlagen herstellt, indem er deren jeweilige Erforderlichkeit unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzeszwecks bestimmen will. Die dabei im einzelnen gewonnenen Ergebnisse sind im Rahmen dieser Untersuchung berücksichtigt und werden im jeweiligen sachlichen Zusammenhang dargestellt. Es soll aber darüber hinaus gezeigt werden, daß die Zusammenhänge zwischen den normativen Grundlagen und den einzelnen Tätigkeitsmerkmalen begriftlich noch genauer gefaßt werden können und dies den Weg zu einer hinreichenden Präzisierung des Geschäftsführerbegriffs weist.

IV. Konkursverschleppung als Begehungsdelikt Eine Lösung zu einem Teilproblem versucht K. Schmidf' zu liefern. Richtigerweise sieht er den schon vom RG38 vorgebrachten Einwand als grundsätzlich erheblich an, daß der nur faktische Geschäftsführer keine Befugnis zur Stellung des Konlrursantrages habe39 und daher auch nicht wegen Konkursverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG strafbar sein könne. Denn schon nach den Grundregeln der Unterlassungsdelikte könne sich nicht wegen Unterlassens strafbar machen, wer am gebotenen Tun aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gehindert sei40 • Diesem Einwand will er allerdings mit Hinblick auf die Normstruktur des § 64 GmbHG begegnen können, nach der sich das Unwerturteil des Gesetzes erkennbar nicht gegen die Versäumung des

36 So bei Kratzsch,

ZGR 198!5, !506, !51!5. 31 K. Scbmidt, Strafbarkeit, S. 433f 38 RGSt 72, 187, 192. 39 Siehe dazu oben S. !5!5ft: 40 K. Schmidt, Strafbarkeit, S. 434. Dies entspricht heute einhelliger Meinung. siehe nur Jescheclc,

Lehrbuch, S. !5!57 m w. N.

IV. Konkursvencblcppuog als Begchungsdelikt

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Konkursantrages richte41 , sondern gegen die Fortführung des werbenden Unternehmens trotz Insolvenz. Gegen dieses Unwerturteil verstoße, wer das Unternehmen als Geschäftsführer fortfiihre, auch wenn er als bloß faktisches Organ überhaupt nicht berechtigt sei, einen wirksamen Konkursantrag zu stellen. Dieser Ansicht ist mit Recht Joerden42 entgegengetreten. Von der Strafbarkeit eines bestimmten, im. Gesetz konkret bezeichneten Verhaltens könne nämlich nicht die Strafbarkeit eines anderen, nicht in der Norm genannten Verhaltens hergeleitet werden, nur weil auch dieses Verhalten dem Gesetzeszweck zuwiderlaufe. Dies ergebe unter anderem ein Vergleich mit § 138 StGB43 • Auch hier richte sich zwar das Unwerturteil des Gesetzes nicht gegen die Versäumung der Anzeige als solche, sondern es richte sich gegen die geplante Tat und deren ungehinderte Fortführung. Gleichwohl könne derjenige, der die Vorbereitung eines der anzuzeigenden Verbrechen betreibe, erst und nur dann bestraft werden, wenn seine Aktivitäten vom Stadium der bloßen Vorbereitung in das Versuchsstadium übergingen. Eine Bestrafung nach § 138 StGB komme bei bloßen Vorbereitungshandlungen dagegen nicht in Betracht, selbst wenn sie dem hinter der Vorschrift stehenden Zweck entsprechen würde. Ob solche Vorbereitungshandlungen Strafe verdienten oder nicht, sei nur durch den Gesetzgeber, nicht aber im. Wege richterlicher Normauslegung zu entscheiden. Aber auch schon der Zweck der Konkursantragspflicht steht der Auffassung von K. Schmidt entgegen. Sollten die Vorschriften wirklich nur verhindern wollen, daß ein Unternehmen trotz Konkursreife fortgefiihrt wird, so bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder würde sich der nicht konkursantragsberechtigte faktische Geschäftsführer aufgrund seiner Amtsführung automatisch mit Eintritt des Konkursfalls strafbar machen, was zweifelsfrei nicht in Betracht kommen kann und deshalb gerade vermieden werden soll. Anderenfalls müßte er die Möglichkeit haben, sich nach Eintritt der Konkursreife normgerecht zu verhalten. Dies wäre unter Zugrundelegung der Ansicht von K. Schmidt aber nur in der Weise möglich, daß er die Fortführung des Unternehmens ohne Konkursanmeldung beendet. Damit wäre jedoch nichts gewonnen, da dann die im. Unternehmen entscheidende Person ihre Tätigkeit ersatzlos einstellen würde, wobei sich in den üblichen Fällen faktischer Geschäftsfiihrung die

41 So aber die weitaus h. M., z. B. Koblmann in Hacbenburg. § 84 GmbHG, Rz. 44; Ticdenwm in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 13; Fuhrmann in ErbslKoh1haas, § 84 GmbHG, Anm 1 b; derselbe in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 3; Richter, GmbHR 1984, 113, 119; sowie std. Rspr., etwa BGH, GA 1959,87,89; BGHSt 14, 280, 281; BGHSt 28,371,380. 42 Joerden, wistra 1990, I, 3f. 43 Auf diese Parallele verweist auch BGHSt 14, 280, 281.

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Kapitc14: LIIsungsansItze im Schrifttum

Verantwortung allein auf den oft ahnungslosen Strohmanngeschäftsfiihrer verlagerte. Die Geflhrdung der geschützten Rechtsgüter wäre also keineswegs beseitigt. Es erscheint daher sinnvoller, das Unwerturteil zumindest der strafgesetzlichen Regelung als gegen die Versäumung des Konkursantrages und die damit unterlassene Auslösung des gerichtlichen Verfahrens gerichtet zu sehen. Der Einwand des RG konnte damit zunächst nicht widerlegt werden. Im Ergebnis kann - jedenfalls für den Bereich des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG - ein lediglich faktischer Geschaftsfiihrer also auch weiterhin nur dann als Normadressat angesehen werden, wenn er sich dem dort enthaltenen Normbefehl entsprechend verhalten kann.

Kapitel 5

Zusammenfassende Stellungnahme und Entwicklung eines eigenen Lösungskonzeptes I. Die Bewertung der bisher angebotenen Lösungen Wie sich gezeigt hat, konnten die bisher im Schrifttum angebotenen Lösungen ebensowenig überzeugen wie die Begründungen in den Entscheidungen des BGH. Zum Teil, wie z. B. bei den weit ausholenden Konzepten von Bruns und Kratzsch, muß schon der Ansatz als bedenklich angesehen werden. Demgegenüber hat Stein ihre vielversprechende Betrachtung der einzelnen Auslegungsmerkmale des Geschäftsfiihrerbegriffs unnötig früh abgebrochen. Insgesamt beruhen die Mängel der angebotenen Modelle jedoch darauf, daß das methodische Vorgehen der Rechtsprechung und dessen Zulässigkeit nicht eingehend genug analysiert wurden. Dadurch kam es dann zur Behandlung zusätzlicher Problemfelder, wie z. B. der Frage nach der Zulässigkeit von Rechtsfiguren, der Gleichstellung von Dritten mit den Normadressaten oder der Erforderlichkeit bestimmter konkreter Tätigkeitsmerkmale, auf die sich die Diskussion dann verlagert hat. Die eigentlich vorrangige Frage, ob bei der Begriffsbestimmung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale die anerkannten dogmatischen Verfahrensregeln bei der Normauslegung genügende Berücksichtigung gefunden haben, wurde demgegenüber nicht problematisiert. Im Ergebnis sind die bisherigen Lösungen zudem wenig befriedigend, denn sie fUhren entweder zu unnötig engen Begriffsbestimmungen, wobei wegen des gleichwohl bestehenden kriminalpolitischen Strafbarkeitsbedürfnisses unweigerlich der Ruf nach dem Gesetzgeber laut werden muß, oder aber die Unwägbarkeit der Rechtsprechungsergebnisse wird als Problem verharmlost und bleibt deshalb letztlich ungelöst. Demgegenüber wird hier die These aufgestellt, daß eine methodisch sorgfältige Auslegung der in Rede stehenden Normen unter genauer Beachtung der anerkannten Auslegungsregeln eine hinreichend scharfe Abgrenzung des NOl1lladressatenkreises der Geschäftsführerdelikte möglich macht.

11. Der eigene Lösungsansatz Im folgenden wird daher versucht, durch Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale der GmbH-gesetzlichen Straftatbestände den Kreis der poten-

80

KapitelS: Stellungnahme und eigenes Lösungskonzept

tiellen Täter hinreichend genau einzugrenzen. Bei dieser Begriffsbestimmung soll besonders beachtet werden, welches Vorgehen bei der Ennittlung des Begriffsinhaltes von Tatbestandsmerkmalen gesetzlicher Strafvorschriften nach den Erkenntnissen von Rechtsprechung und Lehre allgemein geboten ist. 1. Die auszulegenden Tatbestandsmerkmale Zunächst stellt sich die Frage, aus welchen Merkmalen der gesetzlichen Straftatbestände sich die Grenzen des jeweiligen Täterkreises herleiten lassen. a) Zur Problematik bei den sog. Verweisungsnormen

Als vorrangiger Anknüpfungspunkt für die Bestimmung ihrer persönlichen Reichweite kommt zunächst die in den Vorschriften jeweils verwandte Täterbeschreibung in Betracht. Teilweise, wie etwa in § 85 GmbHG, ist diese nämlich das einzige Tatbestandsmerkmal, das Erkenntnisse hinsichtlich des potentiellen Normadressatenkreises vennitteln kann. Anders ist dies allerdings bei den sog. Verweisungsnormen. So zeigt sich etwa am Beispiel des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, daß sich dort der Täterkreis grundsätzlich sowohl durch Auslegung der strafrechtlichen Täterbeschreibung als auch - wegen der Inbezugnahme der zivilrechtlichen Konkursantragspflicht - durch Rückgriff auf den Kreis aller nach § 64 GmbHG zivilrechtlich Verpflichteten bestimmen ließel . In letzterem Fall muß allerdings beachtet werden, daß nach dem gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Lehre die dort enthaltene Handlungspflicht nicht nur Personen trifft, die lediglich formell keine Geschäftsfiihrer nach den zivilrechtlichen Statusregeln sind. Vielmehr läßt sich die Tendenz erkennen, darüber hinaus auch solche Personen in den Kreis der Haftenden einzubeziehen, die selbst funktionell keine Geschäftsfiihrer sind. Denn während die Rechtsprechung bisher noch daran festzuhalten scheint, daß ein nach § 64 GmbHG Verpflichteter selbst Geschäftsführungsaufgaben in maßgeblichem Umfang wahrnehmen muß2 , sehen Teile des Schrifttums schon jede bestimmende Einflußnahme auf die Geschäftsführungstätigkeit als haftungsbegründend im Sinne von § 64 GmbHG an3 . Damit wird die zivilrechtliche Haftung aber auch auf Personen ausgeweitet, die nach dem Zweck der zivilrechtlichen Vorschriften zwar verpflichtet und entsprechend haftbar sind, im rein wörtlichen Sinne aber nicht mehr "als 1 In letzterem Sinne K Sclunidt, Strafbarkeit, S. 438, wonach der Zweck des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG die Lesart ..[... ] wird bestraft, wer bei Zahlungsunflihigkeit oder Überschuldung gegen seine Pflichten aus § 64 Abs. 1 [... ] verstößt" gebietet 2 Zuletzt etwa BGHZ 104, 44ff. 3 So insbesondere K Sclunidt in Scholz, § 64 GmbHG, Rz. 41; LutterlHommelhoff, § 64 GmbHG,

Rz. 20;

L A etwa Ulmer in Hachenburg, § 64 GmbHG, Rz. 12; Schulze-Osterloh in BaumbachlHueck, § 64 GmbHG, Rz. 6.

11. Der eigene Lösung.1lllllS&tz

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Geschäftsführer" handeln, so daß die persönliche Reichweite der zivilrechtlichen Verpflichtungen insgesamt größer sein kann als es die Grenzen der strafrechtlichen Täterbeschreibung zulassen. Eine Erstreckung der Strafbarkeit auf alle möglicherweise zivilrechtlich Verpflichteten würde daher gegen das Analogieverbot verstoßen4 • Auf der anderen Seite hat § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG aufgrund der Fassung der Täterbeschreibung eine größere mögliche Reichweite als die zivilrechtliche Haftungsnorm des § 64 Abs. 1 GmbHG bei lediglich direkter Anwendung. Der strafrechtlichen Täterbeschreibung kommt hier also die Funktion zu, innerhalb des Kreises der durch § 64 Abs. I GmbHG in direkter und analoger Anwendung Verpflichteten diejenigen einzugrenzen, die diese Verpflichtung "als Geschäftsführer" und nicht als lediglich gleichfalls haftende Dritte triffi. Im Falle des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ist somit zwar das Bestehen einer zivilrechtlichen Handlungspflicht Strafbarkeitsvoraussetzung, die Strafnormen greifen im Ergebnis jedoch nur dann ein, wenn zusätzlich noch ein Fehlverhalten des Verpflichteten "als Geschäftsführer" vorliegt. Umgekehrt ist es natürlich möglich, daß die persönliche Reichweite der zivilrechtlichen Handlungspflicht enger als die strafrechtliche Täterbeschreibung gefaßt ist und damit im Ergebnis den Kreis der tauglichen Täter bestimmtS . Bei Verweisungsnormen muß also unterschieden werden zwischen der begrifilichen Reichweite der Täterbeschreibung und den Grenzen des tauglichen Täterkreises, der durch weitere Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich etwa eine zivilrechtliche Handlungspflicht, weitergehend eingeschränkt sein kann6 • Da von beiden Voraussetzungen die strafrechtliche Täterbeschreibung in der Regef jedoch die engere ist, ergibt sich allerdings auch bei den Verweisungsnormen von Ausnahmen abgesehen - aus einer Inhaltsbestimmung dieses Tatbestandsmerkmals die Abgrenzung des jeweiligen potentiellen Normadressatenkreises. Der Schwerpunkt der weiteren Untersuchung liegt daher bei der Bestimmung der begriffiichen Grenzen der in den Geschäftsführerdelikten verwandten Täterbeschreibungen. 4 In diesem Sinne auch Reich, OB 1967, 1663; L A wohl nur K. Sclunidt, Strafbarkeit, S. 438, der alle zivilrechtlich Verpflichteten der Strafbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG unterstellen will und darin zwar gleichfalls eine Überschreitung des Wortsirms der Tlterbeschreibung erblickt, dies allerdings nicht filr unzulissige Analogie hält. 5 Beispiele siehe Kap. 5, Fn. 7.

6 Vom Ansatz her lhnIich Löffeler, wistra 1989, 121, 122, der die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ober die strafrechtliche Verantwortlichkeit faktischer Geschäftsfilhrer nur bei denjenigen Tatbestlnden filr relevant hllt, bei denen sich nicht schon aus der Eigenart der Vorschrift engere Abgrenzungskriterien ergeben. 7 Eine Ausnahme besteht etwa vor Eintragung der GmbH, da die sog. Vorgr(lndungsgesellschaft nicht konkursflhig ist und auch bei der sog. Vorgcsellschaft nur Gesellschafter und Liquidatoren antragsverpflichtet sind. Hier entßIlt also die Strafbarkeit mangels zivilrechtlicher Verpflichtung; vgl. nur Kohlmann, Verantwortlichkeit, Rz. 9. Ähnliches gih filr § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; siehe dazu unten S. 95ft: 6 Montag

82

Kapitel ~: Stellungnahme und eigenes Ulsungskonzcpt

b) Die Reichweite der Ttiterbeschreibungen Die Bestimmung des Nonnadressatenkreises der Geschäftsführerdelikte setzt also bei einer Auslegung der jeweiligen TäteIbeschreibungen an. Mit Hinblick auf die BGR-Rechtsprechung und das bisherige Schrifttum muß allerdings auf die gesetzliche Fassung der TäteIbeschreibungen in den §§ 82fI GmbRG hingewiesen werden. Dort heißt es insoweit durchgängig: "Wer als Geschäftsführer [... )'~ Normadressat ist also rein sprachlich nicht nur der "Geschäftsführer': sondern jeder, der "als Geschäftsführer" eine der strafbewehrten Handlungen vornimmt. Nur so ist die TäteIbeschreibung des Gesetzes vollständig wiedergegeben und dementsprechend der begrifiliche Inhalt dieser, aber auch nur dieser Formulierung zu entfalten. Insbesondere der Begriff des ,,faktischen Geschäftsführers" entspricht weder der gesetzlichen Terminologie noch läßt sich daraus der Inhalt der gesetzlichen Bestimmung ganz oder teilweise herleiten. Man mag den Begriff des ,,faktischen Geschäftsführers" zur Bezeichnung derjenigen Personen verwenden, die bestimmte Merkmale eines zivilrechtlich wirksam bestellten Geschäftsführers nicht aufweisen und gleichwohl noch potentieller Normadressat der Geschäftsführerdelikte sind. Nur in diesem Sinne wird der Begriff im folgenden noch verwandt. Insoweit bezeichnet dieser Terminus aber nur das Ergebnis der Begriffsbestimmung. Zur Abgrenzung selbst trägt er jedoch nicht bei und scheint vielmehr, wie z. B. das Aufkommen eines "Gleichstellungsproblems" zeigt, den Weg zu sachgerechten Lösungen zu erschweren. 2. Das methodische Vorgehen Hinsichtlich des methodischen Vorgehens bei der Begriffsbestimmung soll an dieser Stelle keine Problematisierung im Grundsätzlichen vorgenommen werden, sondern zunächst nur auf die gängigen und weitgehend anerkannten Erkenntnisse in Rechtsprechung und Lehre zurückgegriffen werden. a) Konkretisierung des Norminhaltes durch Auslegung Üblicherweise wird im Zusammenhang mit der Anwendung einer Gesetzesbestimmung zwischen Auslegung des Gesetzes und der Subsumtion des Sachverhaltes unter die gesetzliche Bestimmung unterschieden. Subsumtion wird dabei im allgemeinen als der logische, wenn auch nach neueren Erkenntnissen mit Wertungselementen durchsetzte Schluß vom Vorliegen eines Sachverhaltsbestandteils auf das Erfülltsein eines Merkmals des gesetzlichen Tatbestandes angesehen8 • In vielen Fällen ist ein solches Schlußverfahren jedoch nicht ohne weiteres möglich, weil dem Tatbestandsmerkmal nicht von vornherein zu entnehmen ist, ob die konkrete Sachverhaltsgesta1tung von ihm 8 Siehe nur Larenz, Methodenlehre. S. 217.

11. Der eigene Lösungsansatz

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erfaßt ist. In diesen Fällen bedarf es der Auslegung der Norm als Zwischenschritt, bevor die Subsumtion erfolgen kann. Die Rechtsnorm als Obersatz muß also für die Subsumtion des Sachverhaltes als Untersatz in bestimmter Weise vorbereitet werden9 • Dazu bedarf es der Konkretion des Normativen angesichts der SachverhaltsbestandteilelO • Der Sinn des anzuwendenden Obersatzes wird dabei durch eine speziellere, auf die Besonderheiten des Einzelfalles zugeschnittene Erfassung seines Bedeutungsgehaltes klargestellt11 . Im Bedarfsfall fUhrt dies also zu einer entsprechend präziseren oder sonst zweckgerechteren Formulierung der Norm im Auslegungswege12 • Hinsichtlich der Auslegungsmittel kann auch heute noch auf den ,,klassischen" Methodenkanon der sog. grammatischen, historischen, systematischen und teleologischen Auslegung verwiesen werden, wobei darüber hinaus inzwischen auch noch die Vereinbarkeit des Auslegungsergebnisses mit höherrangigem Recht und mit den Gesetzen der Logik hinzugerechnet werden13 . Durch Anwendung dieser Auslegungsmittel erfolgt also eine Sinndeutung der Gesetzesnorm durch die Ermittlung ihres vom Gesetzgeber vorgegebenen Inhalt und Umfangs. Im Wege einer solchen Auslegung, die im folgenden als "Auslegung im engeren Sinn" bezeichnet wird, fördert der Rechtsanwender somit die in der Norm selbst enthaltenen, vertypten Werturteile des Gesetzgebers zutage14 und gibt ihr die für den Subsumtionsvorgang erforderliche konkrete Fassung. Der richterliche Konkretisierungsauftrag ist also jedenfalls dann erfüllt, wenn die Auslegung im engeren Sinne, d. h. mittels der genannten Auslegungsmittel, bereits zu einer so weitgehenden Konkretisierung des Norminhalts gefUhrt hat, daß der Sachverhalt nun durch einen einfachen, weitgehend von Wertungselementen freien, logischen Schluß darunter gefaßt werden kann. Dies ist dem BGR jedoch ersichtlich nicht gelungen. Die in den Entscheidungen vorgenommene Konkretisierung des Obersatzes erschöpft sich in der Formulierung, daß "als Geschaftsführer" im Sinne der Vorschriften auch anzusehen ist, wer "die Geschäftsführung tatsächlich übernommen hat"15. 9 Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 191; Zippelius, Methodenlehre, S.901f, Bydlinski, Methodenlehre, S. 3961; See\, Tatbestandsmerkma1, S. 34. 10 Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 202; Zippelius, Methodenlehre, S. 91. 11 Jescheck, Lelvbuch, S. 136. 12 Bydlinski, Methodenlehre, S. 397. 13 Larenz, Methodenlehre, S. 121,339; Bydlinski, Methodenlehre, S. 4SSff. Tatbestandsmerkma1, S. 34f. lAßt demgegenüber die auszulegende Nonn selbst keine Wertentscheidung des Gesetzgebers erlcermen, sondern muß zu ihrer Prlzisierung auf sonstige Methoden der Rechtsfmdung. z. B. auf richterliche Eigenwertung. zwilckgegriffen werden, um sonstige, außerbalb der Nonn liegende Wertun~ einbeziehen zu können, so wird dies im folgenden als ,,Auslegung im weiteren Sinn" bezeichnet 15 So BGHSt31,1l8,122.

14 See\,

84

Kapitel S: Stellungnahme und eigenes Lösungskonzept

Unübersehbar lassen sich damit aber die Sachverhaltsfeststellungen der Gerichte ("Seele des Geschäfts'~ "alle Dispositionen gingen von ihm aus'~ "hat also tatsächlich die Aufgaben eines Geschäftsführers [... ] wahrgenommen,,16, usw.) durch eine einfache logische Schlußfolgerung nicht verbinden. Der BGH nimmt gleichwohl keine weitere Konkretisierung durch Auslegung im engeren Sinne, d. h. durch Ermittlung der in der Norm enthaltenen Wertentscheidungen des Gesetzgebers vor, sondern geht bereits an diesem Punkt zu einer wertenden Betrachtung im Rahmen einer Zusammenschau aller Tätigkeitsmerkmale über. Es fragt sich allerdings, ob dieses Vorgehen zulässig ist.

b) Der Umfang des richterlichen Konkretisierungsaujtrages Der Konkretisierungsauftrag an den Richter gebietet nämlich nicht nur, die Norm mit dem Ziel der Konkretisierung überhaupt auszulegen, d. h. die darin enthaltenen Wertentscheidungen des Gesetzgebers zutage zu fördern, sondern darüber hinaus dies auch möglichst weit fortzusetzen und damit den inhaltlichen Abstand zwischen Obersatz und Untersatz soweit als möglich zu verringernl7 • Dies ergibt sich schon aus dem strengen Gesetzesvorbehalt im Strafrecht. Mit dieser Konkretisierung aus der Norm selbst wird dem Gesetz nämlich weitestmögliche Geltung verschaffi:. Nur wo dies nicht mehr möglich ist und das Gesetz dem Richter einen eigenen Anteil an Gerechtigkeitsentscheidungen überläßt, kommen deshalb Eigenwertungen des Richters in Betrachtl8 • Denn erst dort, wo die überkommenen juristischen Methoden zu keiner fiir die Beurteilung des fraglichen Falles ausreichenden Präzisierung geführt haben, dürfen spezifische Formen wertbezogenen juristischen Denkens zur Anwendung kommenl9 • Zu diesen Grundsätzen wird in den einschlägigen Entscheidungen zwar nicht Stellung genommen. Sind diese Anforderungen gleichwohl bei der Urteilsfindung berücksichtigt worden, so scheint sich der BGH zu einer weiteren Konkretisierung mit Hilfe der üblichen Auslegungsmittel nicht imstande gesehen zu haben und deshalb zu einer richterlichen Eigenwertung übergegangen zu sein. Nähere Erläuterungen sind den Entscheidungen selbst dazu nicht zu entnehmen. 16 Beispiele aus BGHSt 3,32,37. 17 Jescheck, Lehrbuch, S. 136; Zippelius, Methodenlehre, S. 91; Fikentscher, Methoden des Rechts, S. 207, der dies soweit fortsetzen will, bis der Sachverhalt unter die entwickelte ,,Fallnonn" durch echte Subsumtion ,,im Sinne eines Klassensyllogismus" gefaßt werden kann. 18 Zippelius, Methodenlehre, S. IS. Soweit hier und im folgenden von Eigenwertungen des Richters gesprochen wird, steht dieser Begriff nur stellvertretend fllr die Rechtsprechung insgesamt Hier geht es nimlich nur um die Verteilung der Zustlndigkeiten zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung und nicht etwa um einen Beurteilunppielraum oder ein Ennessen des einzelnen Richters. 19 Bydlinski, Methodenlehre, S. S28; Ahnlich Methodenlehre, Larenz, S. 216f, Seel, Tatbestandsmerkmal, S. 42.

II. Der eigene Lösungsansatz

85

Wie schon erwähnt, weist allerdings Fuhrmann20 in seiner zustimmenden Stellungnahme unter Bezug auf entsprechende Entscheidungen des BVerfG auf die gesetzestechnische Notwendigkeit hin, auch nicht allgemein eindeutig umschreibbare Begriffe verwenden zu müssen, die in besonderem Maße der Inhaltsbestimmung durch den Richter bedürfen. Daher seien auch Generalklauseln und unbestimmte, wertausfiillungsbedürftige Begriffe zulässig, soweit jedenfalls eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Bestimmung möglich sei. In der Tat ist nur hier eine mögliche Rechtfertigung für das Vorgehen des BGH erkennbar: Hält man ihm zugute, daß der richterliche Konkretisierungsauftrag bei der Entscheidungsfindung beachtet wurde, so könnte allerdings die Täterbeschreibung in den Strafnormen des GmbHG als unbestimmter, wertausfiillungsbedürftiger Rechtsbegriff anzusehen sein21 , der eine weitergehende Konkretisierung durch Auslegung im engeren Sinn, d. h. aus der Norm selbst heraus, als nicht notwendig oder nicht möglich erscheinen läßt. Diese Erkenntnis erscheint auf den ersten Blick etwas überraschend. Mit der Einordnung eines Tatbestandsmerkmals als "unbestimmtem Rechtsbegriff' verbinden sich üblicherweise gesetzliche Formulierungen wie etwa "gute Sitten" in § 226 a StGB oder "verwerflich" in § 240 Abs. 11 StGB22 • In den von Fuhrmann23 angefiihrten Entscheidungen des BVerfG ging es zum Beispiel um die Begriffe "grober Unfug"24, "besonders schwerer Fall"25 und die "einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang" entsprechende Frist zur Bilanzaufstelluni6 • Eine Gleichartigkeit solch vager Begriffe mit der Formulierung "als Geschäftsführer" ist zumindest bei flüchtiger Betrachtung schwer auszumachen, da jedenfalls der Begriff des Geschäftsführers im GmbHG eine vergleichsweise ausführliche Regelung erfahren hat.

20 Fuhrmann, Bedeutung. S. 152. 21 Der Widerspruch, daß in BGH,

StV 1984, 46lf zu § 14 StGB der Irrtum über die TäterqualifIkation gleichwohl als Verbotsirrtum angesehen wird (Zu diesem Zusammenhang siehe nur Jescheck, S. 264, 416, m W. N.), erklArt sich möglicherweise mit der besonderen Problematik einer sinnvollen Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum im Bereich der normativen Tatbestandsmerkmale; siehe dazu Jescheck, S. 407 mit Fn. 4 und eingehend Schlüchter, Irrtum. insbesondere S. 114ft: 22 Zahlreiche weitere Beispiele bei See!, Tatbestandsmerkmal, S. 30ff. 23 Fuhrmann, Bedeutung. S. 152. 24 BVerIDE 26, 41. 25 BVerIDE 45, 363. 26 BVerIDE 48, 48, 56.

Kapitel.5: Stellungnahme und eigenes LOsungU.onzept

86

c) Besonderheiten bei der Konkretisierung unbestimmter, wertausfllllungsbedarftiger Tatbestandsmerkmale Näheren Aufschluß bringt hier möglicherweise die Klärung der Frage, ob hinsichtlich der Täterschreibung in den Geschäftsfiihrerdelikten überhaupt ein unbestimmter, wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff vorliegt und welche Auswirkungen dies ggf. auf das dem Rechtsanwender bei der Inhaltsbestimmung dieses Tatbestandsmerkrnals gebotene Vorgehen hat. Zunächst soll deshalb dargelegt werden. was unter einem unbestimmten. wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff im einzelnen zu verstehen ist. Die Terminologie in Rechtsprechung und einschlägigem Schrifttum wird in diesem Zusammenhang sehr unterschiedlich gehandhabt, so daß hier auch eine für die folgende Darstellung maßgebliche Begriffsbestimmung vorgenommen wird. Wegen ihres inhaltlichen Zusammenhangs müssen zudem auch die Begriffe des normativen bzw. deskriptiven Tatbestandsmerkrnals mit in die Betrachtung einbezogen werden. In diesem Bereich ist vieles umstritten. Der Sache nach besteht aber wohl weitgehende Einigkeit über folgende Einordnuni7 : (1) Der Begriff des nonnativen Tatbestandsmerkmals

Nicht normativ, sondern deskriptiv sind solche Begriffe des Gesetzes, die wirkliche oder wirklichkeitsartige, grundsätzlich wahrnehmbare oder sonstwie erfahrbare Objekte beschreibend meinen28 , so daß sie im wesentlichen sowohl vom Normadressaten als auch vom Rechtsanwender durch bloße sinnliche Wahrnehmung erfaßt werden können und damit auch einer Tatsachenfeststellung zugänglich sind29 • Die Wertung, was unter den Begriff im einzelnen fällt, hat der Gesetzgeber hier dem Rechtsanwender weitgehend entzogen. Vielmehr hat der Gesetzgeber hier soweit als mö~lich abschließend selbst gewertet und beschreibt nun das strafbare Verhalten . Ein Minimum an Wertung durch den Rechtsanwender kann allerdings auch hier nicht ausgeschlossen werden31 • In diesem Sinne beschreibend sind Tatbestandsmerkrnale deshalb auch noch, wenn sie ihren genaueren Inhalt erst durch Bezugnahme auf eine andere Norm gewinnen und damit ein gewisses Maß an rechtlichem Gehalt aufweisen32 • 27 Grundlegend Engisch, Tatbestandsrnerkmal, S. 127ff.

28 Engisch, Einfiihrung. S. 109; Baumann, Einfiihrung. S. 94; SciunidhAuser, Lehrbuch, S . .51. 29 Jescheck,

Lehrbuch, S. 116fsowie S. 242f.

30 BaumannlWeber, Lehrbuch, S. 128f, MaurachlZip~ S. 282. 31 Baumann, Einfllhrung. S. 94.

32 Jescheck, S. 242f, sachlich Gbereinstinunend auch Engisch, Einfiihrung. S. 10811; der dies als

nonnative Tatbestandsmerkmale im weiteren Sinne bezeichnet; Lenckner, JuS 1968, 249, 2.50.

II. Der eigene UIsun~

87

Im Gegensatz dazu sind die normativen, d. h. wertausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale zum einen schon nur im Zusammenhang mit Normen vorstellbar und verständlich, denn ihr Inhalt leitet sich von außerhalb ihrer selbst liegenden Normen rechtlicher und außerrechtlicher Art ab33 • Darüber hinaus ist ihnen aber eigentümlich, daß selbst aus diesem Normenbereich heraus Inhalt und Umfang des Begriffs nicht eindeutig feststehen und der Rechtsanwender somit die dort vorgegebenen eindeutigen Wertungen nicht lediglich nachzuvollziehen hat, sondern daß sie nur eine sehr allgemeine Anweisung zur Ermittlung ihres Inhaltes geben und der Rechtsanwender deshalb im Einzelfall über ihre Anwendbarkeit auf den Sachverhalt eine wertende Entscheidung treffen muß 34 • Hier hat der Gesetzgeber den Rechtsanwender also bewußt in den Bewertungsvorgan~ einbezogen, wobei dies stillschweigend oder ausdrücklich geschehen kann 5 . (2) Die Bedeutung der in Bezug genommenen Werteordmmg

Auch hier ist aber das Prinzip der Gesetzesbindung zu beachten. Die beschriebene Wertentscheidung hat nämlich nach den Maßstäben des in Bezug genommenen rechtlichen oder außerrechtlichen Wertesystems, etwa einer Verkehrsanschauung, zu erfolgen36 • Dieser außerhalb der zu konkretisierenden Norm liegende Ordnungsbereich erlangt damit die Bedeutung eines fiir die Rechtsprechung verbindlichen Urteilsmaßstabes. Auch soweit das Gesetz ihm also einen Anteil der Gerechtigkeitsentscheidung läßt, kann der Richter nur dann, wenn ihr hierbei die Wertentscheidungen der Gesetze und andere Indizien keine allgemein konsensfähigen Gerechtigkeitsvorstellungen bieten, auf sein persönliches Rechtsgefiihl zuruckgreifen37 • Eine richterliche Eigenwertung in letzterem Sinne ist daher als rational zwar nachvollziehbare, aber nicht mehr zwingend begründete Entscheidung nur durch ihre Unvermeidlichkeit legitimiert und muß als Methode der Rechtsfindung im letzten Rang eingeordnet werden38 •

33 Engisch, Einfilhrung. S. 110; soweit auch noch SchlQchter, hrtum, S. 23. 34 Engisch, Einfilhrung. S. 111; Baumann, Einfilhrung. S. 94; Lenckner, JuS 1968,249,250; See!, Tatbestandsmerkmal, S. 9f, L A SchlQchter, Irrtum, S. 20, die diese Abgrenzung nicht filr sachgerecht hlIt, da jede Rechtsanwendung mit einer Wertung verbunden sei. 35 Baumann/Weber, Lehrbuch, S. 128. 36 Engisch, Tatbestandsmerkmal, S. 137; Baumann, Einfilhrung. S. 94; Schmidhluser, Lehrbuch, S. 51; Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz 170; Kindhluser, Jura 1984, 465, 476. 37 Zippelius, Methodenlehre, S. 15. Dies bedeutet jedoch keinen Beurteilungsspielraum oder Ermessen des einzelnen Richters. Vielmehr ist die Entscheidung in einer höheren Instanz voll nach~liIfbar. Siehe dazu auch Kap. 5, Fn. 18. 3 Bydlinski, Methodenlehre, S. 560fFn. 379.

88

KapitelS: Stellungnahme und eigenes Lösungskonzept

(3) Zur Rangfolge der Rechtsfmdungsmethoden

Obwohl die Frage des jeweiligen Ranges der verschiedenen Methoden der Rechtsfindung zueinander allgemein umstritten ist39 , läßt sich :für den hier interessierenden Bereich also dennoch folgende Hierarchie feststellen: Soweit das Gesetz selbst Wertungen enthält, aus denen sich seine konkrete begriffliche Reichweite ergibt, sind diese im Wege der Auslegung zu ermitteln. Nur sofern dies nicht möglich ist und das Gesetz die Rechtsprechung in die Entscheidung über die Rechtsanwendung hinsichtlich des Einzelfalls durch Übertragung einer Wertungskompetenz einbezieht, kommt richterliche Eigenwertung in Betracht40 • Aber auch diese ist nicht ungebunden, sondern hat sich in erster Linie an der in Bezug genommenen Werteordnung zu orientieren. Erst wo auch diese keine verläßlichen Anhaltspunkte mehr bietet, kann möglicherweise auf "bloße Dezision" zurückgegriffen werden. (4) Der Tenninus des "unbestimmten Rechtsbegriffs"

Zu klären bleibt schließlich noch das Verhältnis des Begriffs des normativen Tatbestandsmerkmals zum Terminus "unbestimmter Rechtsbegri1f~ "Unbestimmte Rechtsbegriffe" im weiteren Sinne sind alle gesetzlichen Wendungen, deren Inhalt und Umfang weitgehend ungewiß sind. Obwohl normative Tatbestandsmerkmale in ihrer Mehrzahl ein vergleichsweise größeres Maß an Unbestimmtheit aufweisen werden, sind auch viele deskriptive Tatbestandsmerkmale in Randbereichen unbestimmt und enthalten oft neben einem klar erkennbaren "Begriffskern" auch einen etwas diffuseren ,,Begriffshof' 41 • Die Unbestimmtheit ist daher keine besondere Eigenart nur der normativen Tatbestandsmerkmale42 • Vielmehr werden sie dies erst in dem Maße, in dem die zu ihrer Anwendung erforderlichen Wertungsmaßstäbe nicht sicher feststehen43 • Es kann daher durchaus auch sehr bestimmte normative Tatbestandsmerkmale geben, soweit nämlich etwa das Werturteil durch ein anderes Rechtsgebiet verhältnismäßig genau bestimmt und eindeutig vorgezeichnet ist44 • Nachdem also der Unterschied zwischen bestimmten und unbestimmten Rechtsbegriffen nicht ein solcher der Art des Tatbestandsmerkmals, sondern

39 Vgl. z. B. Bydlinski, Methodenlehre, S. 553ff, Larenz, Methodenlehre, S. 344ft: 40 Seel, Tatbestandsmerkmal, S. 42. 41 Engisch, Einfilhrung, S.

108t; Lenckner, JuS 1968,249,256.

allg. Meinung, z. B. Lenckner, JuS 1968,2491: 256; Kohlrnann, Staatsgeheimnis, S. 236; Schlüchter, Irrtum, S. 13,jeweils m. w. N. 43 Lenckner, JuS 1968, 249,250. 42 Wohl

44 Seel, Tatbestandsmerkmal, S.

38.

11. Der eigene Lösungsansatz

89

des Grades der Unbestimmtheit ist45 und somit nahezu alle Rechtsbegriffe von Ausnahmen abgesehen - wenigstens teilweise unbestimmt sind46 , läßt der Hinweis auf die Unbestimmtheit eines wertausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmals eine Begriffsverwendung erkennen, die hier mit "unbestimmt im engeren Sinne" bezeichnet werden soll. In diesem Sinne unbestimmt sind nur ein Teil der normativen Tatbestandsmerkmale, nämlich solche, die nicht auf außerhalb ihrer selbst liegende rechtliche Normen, sondern auf unscharfe, außerrechtliche Maßstäbe verweisen47 und bei denen deshalb eine umfassende Betrachtung im Hinblick auf die Rechtsanwendung von vornherein notwendig ist48 • Der Richter kann die Entscheidung also nicht oder nicht allein aus dem in Bezug genommenen Gesetz und auch nicht aus den daraus zu erkennenden Wertungen des Gesetzgebers entnehmen, sondern muß den vorgegebenen Rahmen ohne feste Anhaltspunkte mittels einer zusätzlichen Wertung fiillen49 • So scheint der Begriff auch in den entsprechenden Entscheidungen des BVerfG50 verwandt zu sein, wonach wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale dann verfassungsrechtlich zulässig sein sollen, wenn sich entweder mit den üblichen Auslegungsmethoden oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen ließe. Eine gefestigte Rechtsprechung ist als Grundlage nämlich dann unentbehrlich, wenn wegen der Inbezugnahme vager außerrechtlicher Maßstäbe von vornherein nur eine umfassende Bewertung durch den Richter in Betracht kommt. d) Die Einordnung der Tdterbeschreibungen in den Geschtiftsft1hrerdelikten

Für die hier zu behandelnde Problemstellung ergibt sich daraus folgendes: Berücksichtigt man die bisher gewonnenen Erkenntnisse, so handelt es sich bei den Täterbeschreibungen in den GmbH-Strafvorschriften zweifellos um normative Tatbestandsmerkmale. Zum einen erschließt sich schon der Begriff des Geschäftsfiihrers nicht ohne einen Rückgriff auf die entsprechenden zivilrechtlichen Normen. Darüber hinaus erfordert die Feststellung, wann jemand "als Geschäftsfiihrer" angesehen werden kann, zudem eine über die schlichte Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften des GmbHG hinausgehende Bewertung. Denn wie sich bereits ergeben hatte, ist die Täterbeschreibung nicht durch den Gebrauch des Geschäftsführerbegriffs im Rahmen der zivilrechtlichen Regelungen zwingend auf den dort verwandten Statusbegriff beschränkt, sondern läßt - da sich insoweit wegen der Zulässigkeit einer straf45 See!, Tatbestandsmerkrnal,

S. 6. Einfilhrung, S. 108; Lenckner, JuS 1968, 249, 256. 47 Jescheck, Lehrbuch, S. 116f. 48 Sclunidhluser, Lehrbuch, S. 51. 49 Larenz, Methodenlehre, S. 120; Ihnlich See!, Tatbestandsmerlcma!, S. 39Jf. 50 BVerfGE 45, 363, 371ffund 48, 48, 56Jf. 46 Engisch,

90

Kapitel S: Stellungnahme und eigenes L6sungskonzept

rechtlichen Eigenbegriffsbildung die zivil- und strafrechtlichen Begriffe nicht vollständig decken müssen - ihrem Wortsinn nach auch ein funktionales Verständnis ZU51 . Aus dieser Qualifizierung der Täterbeschreibung als normativem Tatbestandsmerkmal folgt nach den bisherigen Überlegungen aber noch nicht, daß dieses Merkmal auch unbestimmt im engeren Sinne ist und es somit des Rückgriffs auf außerrechtliche Maßstäbe bedarf. In dieser Hinsicht ergeben sich vielmehr erhebliche Zweifel. So fragt sich etwa, ob nicht schon eine Auslegung im engeren Sinn, d. h. durch Ermittlung der in den Strafnormen selbst enthaltenen Wertungen des Gesetzgebers, genauere Grenzziehungen ermöglicht als die bloße Ausweitung des Täterkreises auf jeden, der die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich fiihrt. Auch hinsichtlich der dem Rechtsanwender im übrigen möglicherweise überlassenen Eigenwertung ergeben sich Bedenken, ob die gesetzlich vorgegebenen Wertungsmaßstäbe in der BGH-Rechtsprechung genügende Beachtung gefunden haben. Die Täterbeschreibung nimmt nämlich nicht auf vage, außerrechtliche Maßstäbe Bezug, sondern vielmehr auf eine sehr detaillierte rechtliche Regelung. Die Tatbestände der §§ 82ff GmbHG enthalten zwar nicht die Formulierung "wer Geschäftsführer im Sinne der §§ 35ff GmbHG ist, [... 1': aber eine Inbezugnahme dieser zivilrechtlichen Regelungen durch die Aufnahme in das gleiche Gesetz ist unverkennbar. Demgegenüber ist eine Orientierung der Wertungskriterien des BGH an diesem Ordnungssystem nur schwer auszumachen. Wo lassen die zivilrechtlichen Regelungen des GmbHG etwa eine Wertung dahingehend erkennen, daß der faktische Geschäftsführer gegenüber einem gleichfalls vorhandenen, ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer ein "Übergewicht" haben muß? Oder daß ein Einverständnis der Gesellschafter mit der Amtsführung entbehrlich sein kann? Ähnliches gilt für die in der Literatur angebotenen Abgrenzungskriterien: Hier muß z. B. geklärt werden, warum die tatsächliche Einwirkung des faktischen Geschäftsführers eine gewisse Intensität erreicht haben muß, wenn gleichwohl unbestritten ist, daß zivilrechtliche Pflichten auch einen untätigen Geschäftsführer treffen können.

51 Siehe dazu oben s. SOff. Nicht dberzeugen kann demgegendber Seel, S. 38, wonach die Übernahme von feststehenden Rechtsbegriffen aus anderen Rechtsgebieten in das Strafrecht unter Abllnderung nach spezifisch strafrechtlichen Zweckgesichtspunkten (z. B. der Sach- oder Beamtenbegrift) ausschließlich im Wege der Auslegung erfolge. Da feststehende außerstrafrechtliche Wertungen des Gesetzgebers vom Strafrichter unter Beri1cksichtigung des Zwecks des Strafrechts lediglich dbemonunen WOrden, brauche der Richter nur auf Gegebenes zurdckzugreifen und leiste damit reine Auslegung.urbeit. Diese Ansicht verkennt jedoch, daß die Auslegung eines Begriffs unter strafrechtlichen Aspekten auch und gerade zu dem Ergebnis filhren kann, daß die im Zivilrecht feststehende Wertung im Strafrecht eben nicht maßgeblich sein soll und dem Richter hier vielmehr eigene Wertungen dberlassen bleiben.

n. Der eigene Lösungunsatz

91

e) Zwischenergebnis Es bleibt somit festzuhalten. daß es das Prinzip der Gesetzesbindung gebietet. die in der Norm selbst enthaltenen Wertungen des Gesetzgebers im Wege der Auslegung im engeren Sinn soweit als möglich zu erhellen. Erst wo dies nicht mehr möglich ist. kann eine weitergehende Inhaltsbestimmung durch richterliche Eigenwertung vorgenommen werden. Im Rahmen dieser Wertung ist aber eine enge Orientierung an dem in Bezug genommenen Wertesystem geboten. Dieses Wertesystem stellen hier die zivilrechtlichen Regelungen über die Geschäftsfiihrereigenschaft dar. Soweit ersichtlich, ist bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur unter diesen Gesichtspunkten geprüft worden. inwieweit die Täterbeschreibung der Geschäftsfiihrerdelikte eine weitergehende Konkretisierung durch Auslegung im engeren Sinne zuläßt und ob sich die Rechtsprechung bei der dann noch erforderlichen Eigenwertung in der gebotenen Form an die aus den zivilrechtlichen Bestimmungen über die Geschäftsführung bei einer GmbH folgenden gesetzgeberischen Wertungen als dem in Bezug genommenen Wertesystem hält. Dies soll deshalb im folgenden nachgeholt werden.

Kapitel 6

Folgerungen aus der Auslegung der strafrechtlichen Vorschriften Nach den bisherigen Überlegungen müssen also zunächst im Wege der Auslegung im engeren Sinne diejenigen Entscheidungen über die Reichweite der Täterbeschreibung herausgearbeitet werden, die der Gesetzgeber in den Strafvorschriften des GmbH-Rechts erkennbar selbst getroffen hat oder die sich ansonsten zwingend aus diesen Vorschriften ergeben.

I. Einheitliche Bestimmung der TIterbeschreibungen in allen Geschlftsführerdelikten Verschiedentlich ist gerügt worden, der BGH unterscheide bei seiner Abgrenzung des Normadressatenkreises nicht zwischen den einzelnen jeweils betroffenen Vorschriften} . In der Tat nimmt er diese Abgrenzung bekanntlich im Ergebnis einheitlich und sogar gesetzesübergreifend sowohl für die Organe der GmbH als auch für die der AG und für den Begriff des vertretungsberechtigten Organs im Sinne von § 14 StGB vor. Im Rahmen dieser Arbeit ist zwar nicht zu untersuchen, inwieweit eine einheitliche Bestimmung des Täterkreises auch über das GmbH-Recht hinaus zulässig isr. In Hinblick auf die übereinstimmende Begriffsverwendung in den strafrechtlichen Vorschriften innerhalb des GmbHG spricht die Gesetzessystematik jedoch eindeutig für eine auch inhaltliche Identität der Täterbeschreibungen. Von einer grundsätzlich einheitlichen Bestimmung des möglichen Täterkreises scheint zumindest stillschweigend auch das überwiegende Schrifttum auszugehen, wie sich neben der Behandlung des Themas in den entsprechenden Einzeldarstellungen3 insbesondere in der Kommentarliteratur zeigt, wo die Problematik faktischer Geschäftsführung nicht selten nur im Zusammen} Stein, Organ, S. 1311; dieselbe, ZHR 148 (1984), 207, 2271; Tiedemann, NJW 1986, 1842, 1845; kritisch auch Löffeler, wistra 1989, 121ff. 2 Hinsichtlich des aktiengesellschaftsrechtlichen Vorstandsbegriffes muß z. B. möglicherweise berücksichtigt werden, daß der Vorstand einer AG im Gegensatz zum Geschlftsfilhrer einer GmbH eine unentziehbare, unter eigener Verantwortung auszuQbende Leitunpnacht besitzt und außerdem bei der AG wegen der Vielzahl der Aktionlre eine fonnlose Einberufung einer Hauptversammlung schwer vorsteUbar erscheint, woraus sich Folgerungen hinsichtlich der Tlterqualifikation ergeben könnten; siehe dazu auch unten S. 106. 3 Z. B. Kratzsch, ZGR 1985, 506; Fuhrmann, Bedeutung. S. 139ff.

I. Einheitliche Bestimmung der Tlterbesc:hreibungen in allen GescbI.ftsfi1hrlikten

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hang mit einer Strafnorm behandelt und im Rahmen der Kommentierung der übrigen Vorschriften in vollem Umfang darauf verwiesen wird4 • Zwar läßt sich diese Erscheinung noch damit erklären, daß die Diskussion häufig unter dem Aspekt der Zulässigkeit einer Rechtsfigur des faktischen Organs geführt wird. Aber selbst Stein, die eine solche Rechtsfigur im Strafrecht fiir unzulässig hält, gelangt im Rahmen der von ihr befiirworteten Einzelnorrnauslegung im Ergebnis zu einer einheitlichen Grenzziehung bezüglich sämtlicher Strafvorschriften innerhalb des GmbRGs . Eine Differenzierung bei den Voraussetzungen faktischer Geschä:ftsfiihrun~ in Bezug auf die einzelnen Tatbestände wird demgegenüber von Löffeler vorgenommen. Löffeler unterscheidet zunächst zwischen Normen, die sich aufgrund ihres Regelungsgehaltes nur an einen begrenzten Täterkreis richten können, sowie den übrigen Tatbeständen, bei denen die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit faktischer Geschäftsfiihrer relevant sind' . Der Sache nach entspricht dies wohl der auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit vorgenommenen Unterscheidung zwischen Delikten, deren persönliche Reichweite sich im Ergebnis aus anderen Tatbestandsmerkmalen als der Täterbeschreibung ergibt, und solchen Tatbeständen, deren möglicher Täterkreis durch eine Inhaltsbestimmung des strafrechtlichen GeschaftsfiihreIbegriffs abzugrenzen ist8 • Innerhalb der letztgenannten Gruppe will Löffeler jedoch noch weitergehend nach Begehungs- und Unterlassungsdelikten differenzieren. So soll etwa Täter einer Geschäftslagetäuschung (§ 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbRG) nur derjenige sein können, der mit Einverständnis der Gesellschafter in Organfunktion tätig geworden ist, während eine Konkursverschleppung (§ 84 Abs. I Nr. 2 GmbRG) auch derjenige begehen können soll, dessen Tätigkeit von den Gesellschaftern lediglich geduldet wird, ohne daß das äußere Erscheinungsbild eines Bestellungsaktes vorzuliegen brauche o .

4 Z. B. Fuhrmann in Rowedder, § 82 GmbHG, Rz. 6, § 84 GmbHG, Rz. 5, § 85 GmbHG, Rz. 5; Schulzo.Osterloh in BaumbaclJlHuedc, § 82 GmbHG, Rz. 19, 77, § 84 GmbHG, Rz. 13, § 85 GmbHG, Rz. 5. S Vgl. Stein, Organ, S. 196. 6 Löffeler, wistra 1989, 121, 122ff. , Löffeler, wistra 1989, 121, 122. 8 Siehe dazu oben S. 80ff. 9 Löffeler, wistra 1989, 121, 124. 10 Auch Ticdemann in Scholz, § 85 GmbHG, Rz. 3, differenziert insoweit, als er das Fehlen eines tltigcn, ordnungsgcmlß bestellten GcschJ.ft.sfIlh als Voraussetzung einer Einbcziehung faktischer Geschlftsßlhrer in den TItcdcreis des § 84 GmbHG, nicht jedoch in den des § 85 GmbHG ansicht; in Widerspruch dazu jedoch derselbe in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32; siehe dazu Kap. 6, Fn. 12.

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Kapitcl6: Folgerungen aus der Auslegung der strafrecbtlichen Vorschriften

Es fragt sich jedoch. ob eine solche Differenzierung geboten ist oder ob eine Qualifizierung einer Person "als Geschäftsführer"nicht hinsichtlich aller Tatbestände von den gleichen Voraussetzungen ausgehen muß. Wie bereits dargelegt, sprechen die einheitliche Begriffsverwendung und der Zusammenhang der Normen eindeutig fiir eine einheitliche Abgrenzung. Darüber hinaus lassen die Geschäftsführerdelikte aber auch erkennen, daß sich der gesamte Normenkomplex - vorbehaltlich weiterer tatbestandlicher Anforderungen - an denjenigen richtet, der "als Geschäftsführer" anzusehen ist. Dieser Kreis von Personen soll ersichtlich sämtlichen Strafdrohungen unterworfen sein, die sich ohne weitere Voraussetzungen an die dort bezeichnete Normadressatengruppe richten. Der hinter den Strafdrohungen stehende Normbefehl der Geschäftsführerdelikte lautet nämlich: "Wer als Geschäftsführer anzusehen ist, darf nicht über die Geschäftslage täuschen usw. ... und muß rechtzeitig eine notwendige Konkursanmeldung vornehmen und darf keine Geschäftsgeheimnisse verraten. Wer als Geschäftsführer anzusehen ist und darüber hinaus eine Versicherung über seine Eignung abzugeben hat, darf darin keine unrichtigen Angaben machen, usw.'~ Diese Anknüpfung des Normbefehls der Geschäftsführerdelikte an die Eigenschaft "als Geschäftsführer" zeigt somit deutlich. daß eine auf einzelne Delikte bezogene Differenzierung bei der Inhaltsbestimmung der Täterbeschreibung dem gesetzlichen Konzept widersprechen würde. Die begriftliche Weite der Täterbeschreibung in den Geschäfts:fiihrerdelikten muß daher einheitlich bestimmt werden. Der Sache nach begründet Löffeler11 die von ihm vorgenommene Differenzierung mit den unterschiedlichen Schutzrichtungen der einzelnen Tatbestände. Insoweit ist zuzugeben, daß der jeweilige Strafzweck der einzelnen Delikte nicht vernachlässigt werden darf und dieser somit bei der Auslegung der Täterbeschreibung hinreichend zu berücksichtigen ist. Da nach der hier vertretenen Ansicht die Begriffsbestimmung jedoch einheitlich vorgenommen werden muß, können unter teleologischen Gesichtspunkten aber keine Abstriche an den Strafbarkeitsvoraussetzungen in Bezug auf einzelne Tatbestände gemacht werden. Vielmehr muß die Berücksichtigung der jeweiligen Strafzwecke im Ergebnis dazu führen, daß die aus einer Vorschrift abgeleiteten, vergleichsweise strengsten Voraussetzungen bei der Inhaltsbestimmung der in allen Delikten einheitlich verwandten Täterbeschreibung generell zu beachten sind und sich dadurch auch der persönlichen Reichweite der übrigen Tatbestände mitteilenl2 • Sollte sich also beispielsweise aus § 82 Abs. 2 Nr. 2

11 Löffeler, wistra 1989, 121, 124.

12 In diesem Sinne wohl auch Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32, der im Ralunen der Konunentierung des § 84 GmbHG eine enge Begriffsbestimmung u. L deshalb fordert, weil ,,im System der §§ 82ff jedenfalls bei § 82 der Begriff des faktisc:hen GeschItlstbhms nur im engeren Sinne [...] verstanden werden 1c.um [...] und seine Ausweitung auch bei § 8S zweifelhaft ist'~ In Widerspruch dazu allerdings denelbe in Scholz, § 8S GmbHG, Rz. 3, wo bzgl. § 8S GmbHG im

ll. Erfordernis eines BesteUunpaktea aufgrund dea lIIra&echtlicben Regelungskonzeptes?

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GmbHG tatsächlich ergeben, daß eine Geschaftslagetäuschung nur bei Vorhandensein des äußeren Erscheinungsbildes eines Bestellungsaktes begangen werden kann, so ware insgesamt nur der zumindest unwirksam zum Geschäftsfiihrer Bestellte "als Geschäftsfiihrer" im Sinne der Vorschriften anzusehen und nur dieser könnte daher tauglicher Täter auch der übrigen Geschäftsfiihrerdelikte sein. Auf diesen Überlegungen basiert auch die weitere Untersuchung, so daß im folgenden zunächst versucht wird, die aus den einzelnen Tatbeständen jeweils folgenden Anforderungen an die Täterqualifikation zu ermitteln, da diese in ihrer Gesamtheit möglicherweise schon eine hinreichend genaue Inha1tsbestimmung der in allen Tatbeständen verwandten Täterbeschreibung zulassen.

11. Erfordernis eines BesteUungsaktes aufgrund des strafrechtlichen Regelungskonzeptes? Eine deutliche Abgrenzung des möglichen Täterkreises würde schon die Auslegung im engeren Sinn ergeben, wenn sich aus den Strafvorschriften selbst das Vorliegen eines förmlichen, wenn auch unwirksamen Bestellungsaktes als notwendige Voraussetzung faktischer Geschaftsfiihrung herleiten ließe.

1. Argumente aus § 82 Aba. 1 Nr. 4 GmbHG So weist Tiedemann13 auf § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG hin, wonach falsche Angaben eines Geschäftsfiihrers über seine Eignung im Rahmen der Anmeldung zur Eintragung in Handelsregister strafbar sind (sog. Eignungstäuschung). Da aber nur der förmlich bestellte Geschäftsfiihrer als solcher eingetragen werden könne, komme auch zweifellos nur dieser als potentieller Normadressat in Frage. Um eine unterschiedliche Verwendung der Geschaftsfiihrerbegriffe innerhalb des § 82 GmbHG zu vermeiden, müsse deshalb auch hinsichtlich der übrigen Tatbestandsalternativen an dem Erfordernis einer Bestellung festgehalten werden, wobei in den letzteren Fällen dann allerdings wiederum ein Einverständnis aller Gesellschafter mit der Amtsfiihrung als ,,konkludente Besrellung" ausreichen soll. Dieser Ansicht ist zwar zuzugeben, daß das Gesetz die Strafdrohung des § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG erkennbar nur an einen förmlich bestellten Geschaftsfiihrer richten wollte. Es fragt sich jedoch, ob damit auch allgemein ein förmlicher Bestellungsakt allgemein als Voraussetzung faktischer GeschäftsfiihrerGegensatz zu der zu § 84 OmbHG vertretenen Ansicht du Fehlen eines tAtigen, ordnungsgemIß bestellten Geschl&ftlhrers nicht Stra1barlteitsvoraussetzung sein soll. 13 Tiedemann in Scholz, § 82 OmbHG, Rz. 42.

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Kapitel 6: Folgerungen aus der Auslegung der strafrechtlichen Vonchriften

schaft unverzichtbar ist. Durch die Annahme eines solchen Erfordernisses würde nämlich einer am Strafzweck ausgerichteten teleologischen Auslegung, die dem kriminalpolitischen Bedürfnis nach Erfassung von Gesetzesumgehungen durch bloße Vermeidung dieses Formalakts entsprechen will, enge Grenzen gesetzt. Die Täterbezeichnung "als Geschäftsführer" in allen an Geschäftsführer gerichteten Tatbestandsalternativen des § 82 GmbHG kann jedoch ohne weiteres einen über die formal zu diesem Amt bestellten Personen hinausgehenden Kreis von möglichen Tätern erfassen. Denn dies ist nur eine der Tatbestandsvoraussetzungen. Die Strafdrohung des § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG erfordert aber zusätzlich, daß die nach dieser Alternative strafbedrohten Personen eine Versicherung im Sinne der §§ 8 Abs. 3 Satz 1, 39 Abs. 3 Satz 1 GmbHG abzugeben haben. Diese Verpflichtung triffi: jedoch nur fi>rmlich bestellte Geschäftsführer, die nach dem Willen der Beteiligten auch eingetragen werden sollten. Im Ergebnis richtet sich die Strafdrohung somit nur gegen diese Personen, ohne daß es zu Widersprüchlichkeiten bei der Bestimmung des Täterkreises der anderen Tatbestandsalternativen oder innerhalb der sonstigen GmbH-gesetzlichen Strafnormen käme14 • Wenn also der Auffassung Tiedemanns auch insoweit zuzustimmen ist, daß sich die Strafdrohung des § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG im Ergebnis nur an den fi>rmlich bestellten Geschäftsführer richtet, so ergibt sich daraus weder fiir die Auslegung übrigen Tatbestandsalternativen des § 82 GmbHG noch fiir die übrigen Geschäftsführerdelikte der zwingende Schluß, daß "als Geschäftsfiihrer" nur handelt, wer dazu auch fi>rmlich bestellt wurde.

2. Argumente aus § 84 Ab.. 1 Nr. 1 GmbHG Das Erfordernis eines tatsächlichen Bestellungsaktes ergibt sich jedoch möglicherweise aus § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, da dort die Unterlassung der Anzeige eines Verlustes der Gesellschaft in Höhe der Hälfte des Stammkapitals gegenüber den Gesellschaftern unter Strafe gestellt ist. Die genannte Vorschrift korrespondiert nämlich mit § 49 Abs. 3 GmbHG, wonach bei einem derartigen Verlust unverzüglich eine Gesellschafterversammlung einberufen werden muß. Diese kann jedoch allenfalls von einem zumindest tatsächlich bestellten Geschäftsführer wirksam einberufen werdenlS . Soweit daher der Normbefehl des § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG eine Unterrichtung der Gesell14 Entgegen Tiedernann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 32, ist deshalb lUCh nicht der Umkehrschluß zwingend, daß bei einer Verpflichtung des faldiscben GcsdlIftsflIhre gemAJI § 84 GmbHG dieser auch eine Versicherung nach § 8 Alls. 3 GmbHG abzugeben bitte. IS Wohl allg. M., z. B. Meyer-Landrut in MI.., § 49 GmbHG, Rz. 4; Schilling in Hachenburg. § 49 GmbHG, Rz. S; K. Sc1unidt in Scholz, § 49 GmbHG, Rz. S; Stein, Organ, S. 19f, 8It:, 103t:; jeweils mw.N.

11. Erfordemia eines BesteIlUllp81des aufgnmd des stra&ecbtIicben Regelungskoozeptes?

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schafter im Rahmen einer wirksam einberufenen Gesellschafterversammlung verlangen würde, könnte sich nur der tatsächlich bestellte Geschäftsführer normgerecht verhalten. Eine ohne zumindest fehlerhafte Bestellung in Geschäftsführerfunktion tätige Person käme danach als Sonderdeliktstäter der Geschäftsführerdelikte nicht in Betracht. Wie allerdings schon die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeigt, soll die Strafsanktion des § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG nicht von dem formalen Gesichtspunkt einer Einberufung der Gesellschafterversammlung abhängig gemacht werden, sondern die Art der Unterrichtung soll dem potentiellen Normadressaten selbst überlassen bleibenl6 • Die Handlungsmöglichkeiten eines tauglichen Täters müssen daher nicht die förmliche Einberufung einer Gesellschafterversammlung umfassen. Aus § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG ergibt sich somit nicht, daß das Vorliegen eines tatsächlichen Bestellungsaktes unabdingbare Voraussetzung für die Qualifikation einer Person "als Geschäftsfiihret' ist. Jedoch kann tauglicher Täter insoweit nur sein, wer zumindest zur formlosen Unterrichtung der Gesellschafter in der Lage ist.

3. Argumente aus § 84 Abs.l Nr.l GmbHG Demgegenüber konnte das schon in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung verwandte und durch K. Schmidt17 wieder in die Diskussion eingeführte Argument nicht entkräftet werden, wonach der mögliche Täter einer Konkursverschleppung (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) deshalb förmlich, wenn auch mangelhaft zum Geschäftsfiihrer bestellt worden sein müsse, weil er ansonsten rechtlich zur Vornahme der gebotenen Handlung, nämlich der Stellung des Konkursantrages, gar nicht in der Lage sei. Da auch K. Schmidt mit der von ihm angebotenen Lösung diesen Argumenten nicht überzeugend entgegentreten konnte, müßten diese weiterhin, wie er selbst formuliert, "als schlagender Einwand gegen die BGH-Rechtsprechung betrachtet werden, wenn ihnen nicht normativ begegnet werden kann"18 • Diese Hürde könnte allerdings überwunden werden, wenn die gebotene Handlung des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ohne Verstoß gegen Auslegungsgrundsätze anders definiert werden könnte als die Stellung des Konkursantrages bei Gericht durch den Betroffenen als organschaftlichem Vertreter und in eigener Person. Soweit dieser nämlich nicht durch einen formellen, wenn auch 16 Siehe nur Fuhrmann in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. 3; Kohlnwm in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. Sund 32. 17 K. Schmidt, Strafbarkeit, S. 434, unter Verweis aufRGSt 72, 187, 192. 18 K. Schmidt, Strafbarkeit, S. 434; dazu im einzelnen oben S. SS. 7 Montag

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Kapitel 6: Folgerungen aus der Auslegung der strafrechtlichen Vorscbriften

mit Mängeln behafteten Bestellungsakt legitimiert ist. kann er den Konkursantrag selbst nicht stellenl9 • Eine denkbare Lösungsmöglichkeit besteht allerdings darin, als "Stellen des Konkursantrages" nicht nur den formalen Akt der AntragsteIlung als solchen zu verstehen. sondern darunter weitergehend auch noch das ,,Bewirken der AntragsteIlung" zu fassen. Wenn man wiederum davon ausgeht, daß die strafrechtliche Begriffsbildung nicht unbedingt in allen Einzelheiten mit der zivilrechtlichen Terminologie übereinstimmen muß, verträp sich ein solches Verständnis mit dem Wortlaut der Bestimmung noch2 • Auch dem Sinn des Gesetzes entspricht es, daß derjenige seine Position im Unternehmen zum Schutz der betroffenen Rechtsgüter einsetzen und das dazu Erforderliche veranlassen muß, der ohne entsprechende formale Übernahme gleichwohl eine Organstellung im Unternehmen einnimmt und dem dies somit ohne weiteres möglich ist. Auch aus § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ist damit zwar nicht das Erfordernis einer fiSrmlichen Bestellung des potentiellen Nonnadressaten zu entnehmen. Tauglicher Tater dieses Sonderdelikts und - wegen des bereits dargestellten systematischen Zusammenhangs - daher aller Geschäftsfiihrerdelikte kann aber nur derjenige sein. der aufgrund seiner Position im Unternehmen ggf. die Stellung eines erforderlichen Konkursantrages wie ein ordnungsgemäß bestellter Geschäftsführer, also eigenverantwortlich und notfalls auch gegen den Willen der Gesellschafter bewirken kann21 •

III. Erfordernis eines BesteUungsaktes aufgrund zivilrechtlicher BezUge? Das Erfordernis einer formalen Statuszuweisung auch:fiir den strafrechtlichen Geschäftsfiihrerbegriff ergibt sich aber möglicherweise aufgrund des unübersehbaren systematischen Zusammenhanges der GmbH-gesetzlichen Strafnormen mit den vorangehenden zivilrechtlichen Bestimmungen des gleichen Gesetzes. Dieser weist nämlich zunächst auf die dort enthaltenen Regelungen über die Geschaftsfiihrung und spricht deshalb :fiir eine Anknüpfung des strafrechtlichen Geschäftsfiihrerbegriffs an den entsprechenden zivilrechtlichen Status. Der Strafzweck der Geschäftsführerdelikte widerspricht dagegen zumindest tendenziell einer solch formalen Betrachtung, da - wie schon das

19 Dazu nAher oben

s. 561f.

20 In diesem Sinne auch KrItDc:b,

ZGR 1985, 506, 534; L A Stein, ZHR. 148 (1984), 207, 230( die lediglich fIlr den Bereich des Zivilrechts und nur im Wege der Analogie die M~glicbkeit sieht, bei fa1ctischer GescbIftsfIlhru als gebotene Handlung auch da Bewirken der Antragstellung mit den dem fa1cti.schen Organ im Einzelfall zur Vertilgung stehenden Mitteln anzusehen, etwa durch Anweisung an den StrobmanngeschI. 21 Zu diesen Voraussetzungen im einzelnen liehe unten S. 109f

ffi. Erfordernis eines Bestellungsa1ctes aufgrund zivilrechtlicher BezOge?

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RG ausführlich dargelegt hafl, jedenfalls bei Vorliegen einer tatsächlichen Bestellungshandlung der in Geschäfts6ihrerfunktion Tätige sich nicht nachträglich auf die zivilrechtliche Unwirksamkeit der Bestellung berufen können soll. Das RG ging damit von einem zwar strafrechtlich modifizierten, jedoch weitgehend zivilrechtlich geprägten Organbegriff aus. Ein solches Festhalten an dem Erfordernis eines tatsächlichen Bestellungsaktes müßte allerdings zu empfindlichen Strafbarkeitslücken in den praktisch wichtigen Fällen führen, in denen die Beteiligten eine Bestellung bewußt vermieden haben. Hier widerstreiten somit systematische und teleologische Gesichtspunkte und es stellt sich die Frage, ob der Bezug der Geschäftsfiihrerdelikte zum Zivilrecht Vorrang genießen soll und dadurch entstehende Strafbarkeitslücken hinzunehmen sind oder ob nicht vielmehr der Gesetzeszweck einen Verzicht auf das Erfordernis eines Bestellungsaktes nahelegt, wobei dies ein weiteres Abweichen der strafrechtlichen von der zivilrechtlichen Begriffsbildung bedeuten würde.

1. Zur Frage einer Ersetzung des Bestellungsaktes durch eine "konkludente Bestellung" Sowohl der BGH als auch Teile des Schrifttums versuchen dieses Problem jedoch zu umgehen, indem sie auf den Begriff der ,,konkludenten Bestellung" ausweichen. Dabei scheint zwar einerseits das vorwiegend zivilrechtlich geprägte Verständnis des Geschäftsführerbegriffs maßgeblich zu sein und es soll auf das Erfordernis eines tatsächlichen Bestellungsaktes wohl weiterhin nicht verzichtet werden. Auf der anderen Seite wird eine Einbeziehung auch der Fälle einer bewußten Vermeidung einer Bestellung aber dadurch zu erreichen versucht, daß als Bestellungsakt nicht mehr eine Rechtshandlung notwendig sein soll, die wenigstens nach den Vorstellungen der Beteiligten zu einer wirksamen Bestellung führen soll, sondern als ausreichend wird auch eine Aufnahme der Tätigkeit im Einverstandnis mit den Gesellschaftern angesehen, da dies eine ,,konkludente Bestellung" darstelle23 • Diesen Gedanken tritt K. Schmide4 allerdings mit dem Einwand entgegen, dies sei ,,Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken durch falsche 22 Siehe oben S. 29ft: 23 So insbesondere BGHSt 3, 32, 38 sowie Fuhrmann in Rowcdder, § 82 GrnbHG, Rz. 6, § 84 GrnbHG, Rz. 5; derselbe, Bedeutung, S. 154; Tiedenuum in Sdtolz, § 84 GmbHG, Rz. 33f, derselbe in LI(, vor § 283 StOB, Rz. 67; Scbmid in MOIIer-Gugenbergec, § 25 Rz. 18; enger (Wirlcsamkeit des Bestellungsa1ctes muß beabsichtigt sein) Reich, DB 1967, 1663, 1669; Stein, Organ, S. 194ff, LutterlHommelhofl: § 84 GmbHO, Rz. 3; Schu1ze..Osterioh in BaumbachlHueclc, § 82 GmbHO, Rz. 77; dagegen (Einverstlndnis entbehrlich) KobInwm in Hachenburg, § 84 GmbHO, Rz. 23; Kratzsch, ZOR 1985, 506, 529. Im einzelnen wird dabei noch diskutiert, ob hier das Einverstlndnis aUer Gesellscbafter oder nur das der zur GescbIlftsfIlhrUung notwendigen Mehrheit der Gesellschafter vorliegenmu8; siehe dazu unten S. 121f. 24 K. Scbmidt, Strafbarkeit, S. 425.

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Kapitc16: Folgerungen aus der Auslegung der sIraftechtlichcn Vorscbriftcn

Anwendung des Zivilrechts'~ Hier werde nämlich eine gesellschaftsrechtliche Stimmigkeit des Ergebnisses vorgeschoben, an der es gerade fehle. Dieser Ansicht kann nur zugestimmt werden. Zwar ist die GeschäftsfiihrerbestellunJ nicht formbedürftig und kann daher grundsätzlich auch konkludent erfolgen . Für die der neueren Rechtsprechung zugrundeliegenden Sachverhalte bedeutet dies jedoch keine ProblemlOsung, da hier durchgängig eine Bestellung des jeweiligen Angeklagten von den Beteiligten bewußt unterlassen wurde26 • In diesem Fall kann aber auch die Duldung der Ausübung der Geschäftsfiihrerfunktion nicht als konkludente Bestellung gewertet werden. Dies widerspricht nämlich dem Begriff des konkludenten Handelns, wie er im Zivilrecht anerkannt ist. Denn danach findet bei einer Willenserklärung durch schlüssiges Handeln zwar das Gewollte nicht unmittelbar in einer Erklärung seinen Ausdruck. Der Erklärende muß jedoch Handlungen vornehmen, die zumindest mittelbar den Schluß auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen zulassen27 • Eine solche Schlußfolgerung verbietet sich demnach jedenfalls dann, wenn das Fehlen des Rechtsfolgenwillens aufgrund eines nachweislich bewußten Unterlassens der Bestellung zum Geschaftsführer bereits auf andere Weise feststehfS . Den Gesellschaftern kann auch nicht - etwa im Sinne einer protestatio facta contraria29 - unzulässig widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden, so daß angesichts der tatsächlichen Duldung der Amtstätigkeit die Vermeidung einer Bestellung rechtlich unbeachtlich wäre. Nach dem zivilrechtlichen Konzept liegt es vielmehr in der Hand der Gesellschafter, die von ihnen erwählte Person zum formalen Organ zu bestimmen und andere von dieser Position auszuschließen. So knüpft das GmbHG bezüglich der zivilrechtlichen Pflichten auch nicht an die Ausübung von Funktionen im Unternehmen, sondern an den formalen Organstatus an, dessen Verleihung von der Handlungsautonomie der Gesellschafter umfaßt ist. Nur diese sind zur Gestaltung der Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft befugt, so daß insoweit maßgeblich auf den von den Gesellschaftern geäußerten Willen abzustellen ist. Sehen die Gesellschafter bewußt von der Organbestellung ab oder weisen sie dem Betroffenen einen anderen Status zu, etwa als Prokurist, so können zwar zivilrechtliche Haftungsnormen möglicherweise auch auf solche Nichtorgane angewandt werden. 25 Siehe oben S. 20. 26 Siehe dazu oben S. 371f.

Allg. M., siehe nur Heimichs in Palandl, Einf. vor § 116 BOB, Rz. 5, m. w. N. DB 1967, 1663, 1665, der es ßlr eine unzullssige Fiktion hIlt, im Falle eindeutiger Vermeidung einer ordnungsgemlßen Bestellung gleichwohl eine Bestellung durch schlilssiges Handeln anzunehmen. 29 Siehe dazu nur Heimichs in Palandl, Einf. vor § 145 BOB, Rz. 27, m. w. N., sowie die bekannte ,,Parkpl&tzentscheidung" des BOH in NJW 1965,387. 27

28 Ebenso Reich,

m. Erfordernis eines Bestellungsaktcs aufgnmd zivilrechtlicher BezOge?

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Diese rücken dadurch aber nicht in die formale Organstellung ein, wie sich schon am Fehlen der entsprechenden rechtlichen Befugnisse zeigt. Nach zivilrechtlichen Maßstäben kann das bloße Einverständnis der Gesellschafter mit der Amtsführung somit bei bewußter Vermeidung eines Bestellungsaktes nicht als schlüssige Organbestellung angesehen werden und damit eine fbrmliche Bestellungshandlung nicht ersetzen. 2. Die Notwendigkeit eines Veniehts auf das Erfordernis eines tatsiehliehen Bestellungsaktes Es kann demzufolge der Frage nicht ausgewichen werden, ob der Bezug zu den zivilrechtlichen Regelungen das Vorhandensein eines tatsächlichen, wenn auch mangelbehafteten Bestellungsaktes erforderlich macht oder ob nicht unter Berücksichtigung des Strafzwecks der Geschäftsfiihrerdelikte vielmehr eine weitergehende strafrechtliche Eigenbegriffsbildung und dabei der völlige Verzicht auf diese Voraussetzung geboten sind.

Hinsichtlich der Bindungen an das Zivilrecht muß dabei zunächst angemerkt werden, daß es sich schon bei dem Erfordernis eines tatsächlichen Bestellungsaktes im Sinne einer von den Beteiligten als wirksam beabsichtigten, rechtlich jedoch unwirksamen Bestellungshandlung nicht um zivilrechtliche Kategorien, sondern um eine spezifisch strafrechtliche Begriffsbildung handelt. Eine unter Verstoß gegen zivilrechtliche Wirksamkeitserfordernisse erfolgte Bestellungshandlung ist nach zivilrechtlichen Maßstäben nämlich in vollem Umfang nichti~. Eine Abstufung nach verschiedenen Graden der Unwirksamkeit kennt das Zivilrecht insoweit nicht, so daß es auf die Absichten der Beteiligten beim Vorhandensein von Unwirksamkeitsgriinden nicht ankommt. Schon mit dem Verzicht auf eine zivilrechtliche Wirksamkeit der Bestellung und einem Anknüpfen an die Absichten und tatsächlichen Handlungen der Beteiligten bewegt man sich daher im Bereich einer weitgehend nach strafrechtlichen Erfordernissen geprägten Begriffsbildung. Das Erfordernis des tatsächlichen Bestellungsaktes hat somit keine spezifisch zivilrechtliche Grundlage. Es bleibt dann aber zu klären, ob unter strafrechtlichen Aspekten an dieser Voraussetzung überhaupt festgehalten werden muß. Dem Strafzweck der Geschäftsfiihrerdelikte entspricht wohl am ehesten ein Verzicht auf einen solchen Formalakt, damit die Strafdrohungen nicht durch die erleichterte Möglichkeit von Umgehungskonstruktionen ins Leere laufen. Zum einen drohen den geschützten Rechtsgütern auch und gerade Gefahren durch das Verhalten von Personen, die zwar nicht die formale RechtssteIlung eines zivilrechtlich wirksam bestellten Geschäftsfiihrers haben, die anderer30 Siehe oben

s. 2Of.

Kapitc16: Folgerungen aus da- Auslegung da- straJieddIicbcn Voncbriftcn

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seits bei funktioneller Betrachtung aber genau die Stellung in der Gesellschaft einnehmen, an die der Gesetzgeber hinsichtlich der strafbewehrten Schutzpflichten anknüpfen wollte. Insbesondere Personen, die nach § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 GmbHG aufgrund einer Verurteilung wegen einer Konkursstraftat nicht zum Geschaftsfiihrer bestellt werden dürfen, werden nicht selten als faktische Geschaftsfiihrer Gesellschaften leiten und fiir den Rechtsverkehr im Zweifel gefährlicher und fiir Konkursverschleppungen häufiger verantwortlich sein als die ordnungsgemäß bestellten Geschäftsfiihrer1 • Durch das Erfordernis eines Bestellungsaktes im Sinne einer Rechtshandlung, die nach den Vorstellungen der Beteiligten zu einer wirksamen Bestellung filhren sollte, würde zudem mißbräuchlichen Gestaltungen, insbesondere Strobmannkonstruktionen, in erheblichem Maße Vorschub geleistet, da die Beteiligten es in der Hand hätten, durch Vermeidung lediglich des Formalaktes trotz einverständlicher Zuweisung der Organfunktionen einer Bestrafung zu entkommen. Damit würden aber möglicherweise gerade diejenigen Personen aus dem Kreis der tauglichen Täter ausgeschlossen, die die Unzulässigkeit ihrer eigenen Bestellung genau vor Augen haben, sich aber gleichwohl von der Ausübung der Organtätigkeit nicht abhalten lassen. Aufgrund dieser Strafwürdigkeitsaspekte sowie der Erkenntnis, daß gegenüber dem systematischen Zusammenhang zwischen zivil- und strafrechtlichen Regelungen ohnehin teleologische Erwägungen spezifisch strafrechtlichen Charakters dominieren, kann und muß auf das Erfordernis eines tatsächlichen, wenn auch mangelbehafteten Bestellungsaktes fiir die strafrechtliche Bewertung verzichtet werden32 . Damit erübrigt sich auch ein ,,Hinschielen'c33 zum Erfordernis des zivilrechtlichen Bestellungsaktes durch die - unzulässige - Deutung des Einverständnisses der Gesellschafter als konkludentem Bestellungsakt. Andererseits ist damit aber noch nicht abschließend geklärt, inwieweit das Einverständnis der Gesellschafter mit der Amtsfiihrung aus anderen, nicht direkt aus den Vorschriften herleitbaren, aber dennoch der gesetzlichen Konzeption zu entnehmenden Gründen erforderlich ist.

IV. Die Herleituna der Kriterien für die richterliche Eiaenwertuna Die Auslegung im engeren Sinn, d. h. die Sinnermittlung aus den Strafnormen des GmbHG selbst, hat damit nur wenige generelle Anhaltspunkte In diesem Sinne auch K. Scbmidt, Stratbarlceit, s. 43S. auch Kohlmam in Hachcnburg. § 84 GmbHG, Rz. 20ff, Kratzsch, ZGR 1985, S06, S26, S29. 33 Treffender Ausdruck VOll Stein, ZHR 148 (1984), 207, 220. 31

32 Im Ergebnis

IV. Die Herleitung cl« Kriterien flIr die richterliche Eigenwertung

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ergeben. wie nach dem Gesetz der Kreis der "als Geschäftsführer" in Erscheinung getretenen Personen einzugrenzen ist. Nach den anerkannten dogmatischen Grundsätzen über die Behandlung normativer Tatbestandsmerkmale34 ist die weitere Inhaltsbestimmung daher der Rechtsprechung überlassen. Soweit das Gesetz jedoch auf außerhalb seiner selbst liegende Wertungsmaßstäbe verweist, ist die Rechtsprechung bei diesen Wertentscheidungen an die insoweit vorgegebenen Maßstäbe gebunden. Es bleibt daher zu klären. ob und inwieweit die Strafnormen des GmbRG einen Bezug auf außerhalb ihrer selbst liegende Wertungsmaßstäbe erkennen lassen. die bei der richterlichen Inhaltsbestimmung des GeschaftsführeIbegriffs berücksichtigt werden müssen. Dazu soll zunächst nochmals die Frage nach der Art des in Bezug genommenen Wertesystems aufgegriffen werden. Grundsätzlich sind hier zumindest zwei Möglichkeiten erkennbar: Zum einen könnten sich, auch wenn der formale zivilrechtliche Statusbegriff des Geschaftsführers fiir die strafrechtliche Einordnung wegen seiner begriftlichen Enge ungeeignet erscheint, gleichwohl die Bewertungskriterien fiir das Vorliegen strafrechtlicher Geschäftsführerschaft aus den grundlegenden Wertungen des Zivilrechts ergeben. Dafiir spricht in jedem Fall die Zusammenfassung der strafrechtlichen Regelungen mit den zivilrechtlichen Statusvorschriften in einem Gesetz. Andererseits könnte aber auch eine herrschende Verkehrsauffassung dafiir maßgeblich sein. eine Person trotz Fehlens zivilrechtlicher Statusmerkmale als Geschäftsführer anzusehen. Hier ließe sich anführen. daß die Vorschriften an einen begrenzten Kreis von wirtschaftlich tätigen Personen gerichtet sind, die möglicherweise sehr konkrete Vorstellungen davon haben, wann jemand "als Geschäftsführer" eines Unternehmens anzusehen ist. Die Entscheidungen des BGR lassen nicht erkennen. von welcher Art von Maßstäben er sich bei seiner wertenden Betrachtung leiten läßt. Zunächst versuchte die Rechtsprechung immer noch, das Vorliegen einer Bestellung des Betroffenen argumentativ herzuleiten und deutete das Einverständnis der Gesellschafter mit dessen Tätigkeit als konkludente Bestellung. Damit könnte sie den rechtlichen Merkmalen der Geschäftsfiihrerschaft maßgebliche Bedeutung zugemessen haben. Andererseits stellen die Entscheidungen selten auf die Befugnisse des Handelnden. sondern hauptsächlich auf Art und Umfang seiner tatsächlichen Tätigkeit ab, so daß hier eine Verkehrsanschauung in Bezug genommen worden sein könnte. Dann wäre aber zu bemängeln, daß auf das Bestehen einer solchen Verkehrsauffassung und deren nähere Ausgestaltung in den Entscheidungen nirgends eingegangen wird.

34 Siebe dazu oben S. 86ft:

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Kapitel 6: Folgerungen aus der Auslegung der strafrcdItlichcn Vorscbriftcn

Für einen Vorrang der zivilrechtlichen Statusvorschriften als entscheidendes und den Wertungen des Rechtsanwenders zugrundezulegendes Ordnungssystem spricht - neben dem sich nahezu aufdrängenden systematischen Zusammenhang - jedoch eindeutig, daß die Inbezugnahme rechtlicher Regelungen - etwa im Vergleich zu einer Verkehrsanschauung - am ehesten Rechtssicherheit gewährleistet und darüber hinaus auch eine Legitimation durch ein Gesetzgebungsorgan:fiir sich beanspruchen kann. Ein Verweis auf die zivilrechtlichen Vorschriften als maßgebliche Werteordnung entspricht auch unter rechtstechnischen Gesichtspunkten einem sachgerechten Grad der Bezugnahme. Auf diese Weise kann namlich auf die strukturellen Grundlagen dessen zurückgegriffen werden, was das Gesetz als Geschäftsfiihrerschaft ansieht, ohne daß entgegen dem strafrechtlichen Bedürfnis nach Ahndung materiellen Unrechts an den dort enthaltenen Formalien festgehalten werden müßte. Die zivilrechtlichen Regelungen sind allerdings nur dann als Wertungsmaßstab geeignet, wenn ihnen Kriterien zu entnehmen sind, die sich :fiir die strafrechtliche Begriffsbestimmung in geeigneter Weise nutzbar machen lassen. Um dies zu klären, werden im folgenden zunächst die Strukturmerkmale der zivilrechtlichen Regelung der Geschäftsfiihrerschaft dargelegt.

Kapitel 7

Die strukturellen Merkmale der Geschäftsf"ührerschaft im Zivilrecht I. Das Konzept der gesetzlichen Regelung Die Eigentümlichkeit der zivil-(gesellschafts-)rechtlichen Regelung der Stellung eines Geschäftsführers besteht darin. daß zwar dessen Kompetenzen gegenüber Dritten dem Umfang nach eindeutig bestimmt sind sowie auch die ihm zwingend von Gesetzes wegen auferlegten Amtspflichten. Das Gesetz verzichtet jedoch auf eine Bestimmung des Begriffs der Geschäftsführung als solcher1 , da inhaltlich der Aufgabenkreis des Geschäftsführers weitgehend von Größe und Gegenstand des Unternehmens abhängt2 und sich wegen der großen Bandbreite der möglichen Geschäftsziele (vgl. § 1 GmbHG) nur wenige konkrete Gemeinsamkeiten ausmachen lassen. Allgemein ist Geschäftsführung im Gegensatz zur Vertretung nach außen jedoch das, was die Geschäftsführer im Innenverhältnis tun dürfen. Die Frage nach dem Inhalt dieses Begriffs ist demzufolge identisch mit derjenifen nach der Verteilung der Zuständigkeit zwischen den Organen der GmbH . So geht § 37 GmbHG zwar wohl davon aus, daß in der Regel jedenfalls die laufende Geschäftsführung dem Geschäftsführer zugeordnet ist, d. h. die Sorge um das rechtmäßige Verhalten der Gesellschaft im Außenverhältnis, die Unternehmensorganisation. die Entwicklung kurzfristiger Pläne und Taktiken. die Steuerung des unternehmerischen Gesamtgeschehens sowie die Abwicklung des Tagesgeschäfts, kurz gesagt also eine umfassende Betriebsleitung im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsablaufs" . Dies gilt allerdings nur fiir den Grundfali des Fehlens anderweitiger Bestimmungen. etwa im Gesellschaftsvertrag. Im Hinblick auf die Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben besteht nämlich grundsätzlich sog. Satzungsautonomie, so daß die Gesell-

1 Koppensteiner in Rowedder, § 3.5 GmbHG, Rz. .5; U. H. Schneider in Scholz, § 37 GmbHG, 1; Miller in Meyer-Landrut, §§ 3.5-38 GmbHG, Rz. 68. 2 Sudhoft; Gesellschaftsvertrag. S. 70. 3 Koppensteiner in Rowedder, § 37 GmbHG, Rz. .5. 4 Sudhoft; Gesellschaftsvertrag. S. 70; Mertens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 31f, Koppensteiner in Rowedder, § 37 GmbHG, Rz. 6; U. H. Schneider in Scholz, § 37 GmbHG, Rz. 1.

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Kapitel 7: Die strukturellen Merkmale der Geschlftsfllhrcnchaft im Zivilrecht

schafter im Gesellschaftsvertrag die Stellung der Geschäftsfiihrer und ihr Verhältnis zur GesellschaftelVersammlung weitgehend nach ihren Vorstellungen regeln können. Anders als bei der Vertretungsmacht nach außen sind hier alle Varianten möglichs , denn im Unterschied zur AG (vgl. § 23 Abs. V AktG) sind die gesetzlichen Bestimmungen über die internen Zuständigkeitsregelungen für die Gesellschafter einer GmbH nicht bindend, so daß das GmbHG - anders als § 76 Abs. I AktG - keine unentziehbare, unter eigener Verantwortung auszuübende Leitungsmacht des Geschäftsfiihrers kennt6 . Die Eigenverantwortlichkeit des Geschäftsfiihrers kann daher, etwa durch Übertragung der Entscheidung über die Geschäftspolitik oder eine ZUfÜckdrängung des Weisungsrechtes der Gesellschafter, sowohl gestärkt als auch erheblich eingeschränkt werden, z. B. durch ein Zustimmungserfordernis bei bestimmten, selbst bei gewöhnlichen Geschäften' . Jenseits der zwingend vom Gesetz zugeordneten Aufgaben kann der Gesellschaftsvertrag die Befugnisse des Geschäftsfiihrers grundsätzlich beliebig einengen8 • Bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsfiihrer wird es sogar überwiegend als zulässig angesehen, daß sich einer der Mitgeschäftsfiihrer im Rahmen einer sog. Zölibatsklausel zur Enthaltung jeder Einwirkung auf die Geschäftsfiihrung vetpflichtet, obwohl seine Vertretungsbefugnis nach außen sowie seine Unterwerfung unter die gesetzlichen Amtspflichten davon unberührt bleiben9 • Zudem kann die GesellschaftelVersammlung dem Geschäftsfiihrer in allen Bereichen Weisungen erteilen (sog. Grundsatz der Weisungsabhängigkeit), die der Geschäftsfiihrer befolgen muß (sog. Grundsatz der Folgepflichti o . Es ist damit geradezu ein Wesensmerkmal der GmbH, daß die Gesellschafter die Aktivitäten des Geschäftsfiihrers positiv steuern und negativ begrenzen können11 . Dementsprechend wird im Schrifttum sogar inzwischen diskutiert, ob ein Geschäftsfiihrer nicht wenigstens bestimmte marginale, jedoch unentziehbare

S Sudhoft: Gesellschaftsvertrag. S. 68t; Mertens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 1; U. H. Schneider in Schoiz, § 37 GmbHG, Rz. 20; Miller in Meyer-Landrut, §§ 3S-38 GmbHG, Rz. 68. 6 Mertens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 1; Koppensteiner in Rowcdder, § 3S GmbHG, Rz. 3 und 9; U. H. Schneider in Schoiz, § 37 GmbHG, Rz. 3. , Mertens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 19; Koppensteiner in Rowcdder, § 37 GmbHG, Rz. 18t; U. H. Schneider in Schoiz, § 37 GmbHG, Rz. 20. S Koppensteiner in Rowcdder, § 37 GmbHG, Rz. 18ff; Miller in Meyer-Landrut, §§ 3S-38 GmbHG, Rz. 72. 9 Koppensteiner in Rowcdder, § 37 GmbHG, Rz. 22; U . H. Schneider in Schoiz, § 37 GmbHG, Rz. 37; LutterlHommelhoft: § 37 GmbHG, Rz. 39; OLG Hamm, ZIP 1986, 1188; Konzen, NJW 1989,2977,2979; dagegen etwa Zöllner in BaumbachIHueck, § 37 GmbHG, Rz. 9. 10 Mertens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 8; U. H. Schneider in Schoiz, § 37 GmbHG, Rz. 30t; LutterlHommelhoft: § 37 GmbHG, Rz. 17. 11 Lutter, ZIP 1986, 119S, 1196.

11. Die unabdingbaren Rechte und Pflichten des Geschlftsfilhrers

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Mindestbefugnisse im Rahmen der internen Aufgabenverteilung haben müssel2 . Da die Verteilung der Zuständigkeiten insgesamt also zur Disposition der Gesellschafter steht, ist sie im Ergebnis völlig variabel und es kann demzufolge im Rahmen des GmbHG jedenfalls keine allgemeine Umschreibung dessen geben, was Geschaftsfiihrung ausmacht13 • Umfang und Inhalt der einer Person bei der internen Aufgabenverteilung zugewiesenen konkreten Tätigkeiten sind danach vom Grundsatz her als entscheidendes Kriterium für deren Stellung als Organ nicht geeignet. Auch für eine entsprechende strafrechtliche Würdigung kann deshalb die tatsächliche Ausübung bestimmter Tätigkeiten zumindest vom prinzipiellen Ansatz her - kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Position des Täters im Unternehmen sein.

11. Die unabdingbaren Rechte und Pflichten des Geschäftsführers Demgegenüber läßt sich dem GmbHG eine genaue Bestimmung der unabdingbaren Pflichten und der dieser Pflichtenstellung entsprechenden Rechte des Geschäftsfiihrers sowie seiner Befugnisse gegenüber Dritten entnehmen. 1. Die zwingenden Amtspflichten des Geschäftsführers

So kommen den Geschäftsfiihrern eine Reihe von Amtspflichten zu, die nicht zur Disposition der Gesellschafter stehen. Zu nennen sind hier etwa die Verpflichtungen zur ordnungsgemäßen Buchführung und Bilanzierung nach §§ 41fI GmbHG, zur Erhaltung der Kapitalgrundlage gemäß §§ 30, 33 GmbHG, zur rechtzeitigen Stellung eines Konkursantrages gemäß § 64 Abs. I GmbHG sowie zur ordnungsgemäßen Erfiillung der Bestimmungen über die Publizität der Gesellschaft gemäß §§ 40, 49 Abs. m GmbHG14 . Diese Pflichten hat jeder Geschäftsfiihrer unabhängig von den sonstigen jeweiligen Gegebenheiten bei der einzelnen Gesellschaft selbst zu erfiillen. Er wird davon auch nicht durch eine Geschäftsverteilung auf mehrere Geschäftsfiihrer suspendiert, wenn hier auch oftmals mit Hinblick auf die konkreten Überwachungs- und Aktionsmöglichkeiten des einzelnen Geschäftsfiihrers nur eine Verlagerung auf eine bloße Kontrolle der Pflichterfiillung durch die zu-

12 Siehe z. B. Mertens in Hachenburg, § 37 GrnbHG, Rz. 8if, Koppensteiner in Rowedder, § 37 GrnbHG, Rz. 21if, U. H. Schneider in Scholz, § 37 GrnbHG, Rz. 36if, LutterlHommelhoft; § 37 GrnbHG, Rz. 12; Miller in Meyer-Landrut, §§ 3S-38 GrnbHG, Rz. 78, 83; jeweils m. w. N. 13 So ausdrilcklich Koppensteiner in Rowedder, § 37 GrnbHG, Rz. S. 14 Umfassende AufzAhlung bei Miller in Meyer-Landrut, §§ 3S-38 GrnbHG, Rz. 69.

Kapite17: Die struktureUen Merkmale der Gescbiftsfilhre im Zivilrecht

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ständigen Geschäftsfiihrer in Betracht kommen wirdiS . Dies ändert aber nichts daran, daß jeder Geschäftsfiihrer grundsätzlich selbst den gesetzlichen Amtspflichten unterliegt. Dementsprechend wird es allgemein als unzulässig angesehen, daß etwa die Gesellschafter hinsichtlich dieser im öffentlichen Interesse auferlegten Pflichten Weisungen erteilen, die den Geschäftsfiihrer zu einer Verletzung seiner Amtspflichten zwingen würden. Diesen Rechtsgedanken läßt auch die Bestimmung des § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG erkennen, wonach der Geschäftsfiihrer selbst dann bei einer Amtspflichtverletzung haftet, wenn er dabei einen GesellschafteIbeschluß befolgt hatl6 . Im Ergebnis kann ein Geschäftsfiihrer damit zulässigerweise zum "reinen Exekutivorgan mit Mindestkontrollpflichten" herabgestuft werdenl7 , während alle maßgebenden Entscheidungen von den Gesellschaftern getroffen werden. 2. Die unentziehbaren Rechte des Geschliftsführers Auf der anderen Seite wird aus dem Bestehen derartiger ,,zwangspflichten" allgemein geschlossen, daß der Geschäftsfiihrer in diesem Zusammenhang auch bestimmte Rechte haben muß, die ihm insbesondere in Hinblick auf seine Möglichkeiten zur Pflichterfüllung nicht entzogen werden können. •

So muß sich bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsfiihrer, insbesondere bei einer Aufteilung von Geschäftsfiihrungsaufgaben nach Ressorts, jeder Geschäftsfiihrer über Geschehnisse in anderen Geschäftsbereichen unterrichten können, durch die die Gesamtverantwortung der Geschäftsführer betroffen sein könnte. Jeder Geschäftsfiihrer hat daher das Recht, von der jeweilig geschäftsfiihrungsbefugten Stelle alle Auskünfte zu verlangen, die er zur Erfiillung seiner Pflichtaufgaben benötigtl8 . Hier liegt somit auch ein entscheidender Unterschied der organschaftlichen Stellung zu der eines einfachen leitenden Angestellten, etwa eines Prokuristen. Auch wenn der tatsächliche Informationsstand häufig ähnlich sein wird, so hat der Prokurist doch kein unentziehbares Recht auf umfassende Information.

15 Mcrtens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 10; LutterlHommelhoft: § 37 GmbHG, Rz. 29ff; Schu1ze..Osterioh in BaumbachlHueck, § 41 GmbHG, Rz. 23. 16 LuUerlHommelhoft: § 37 GmbHG, Rz. S; differenzierend Rowedder in Rowedder, § 64

GmbHG, Rz. 3. 17 LutterlHommelhoft: § 37 GmbHG, Rz. 12.

18 Mcrtens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 10; Koppeosteiner in Rowedder, § 37 GmbHG, Rz. 22; U. H. Schneider in Scholz, § 37 GmbHG, Rz. 23; LutterlHommelhoft: § 37 GmbHG, Rz. 13; Lutter, ZIP 1986, 119S, 1196.

m. Die einvemebmliche Zuweisung der organtypischen Befugnisse

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Nach § 49 GmbHG hat der Geschäftsführer zudem das Recht aufEinberufung einer Gesellschafterversammlung. Dies wird überwiegend auch dem fehlerhaft bestellten Geschäftsführer zugesprochen19 •



Schließlich folgt für den Bereich der Konkursantragspflicht aus der Unzulässigkeit von entgegenstehenden Weisungen der Gesellschafter, daß der Geschäftsführer insbesondere aus Gründen des Gläubigerschutzes das Recht hat, auch gegen den Willen der Gesellschafter den fälligen Konkursantrag zu stellen20 • .

3. Die Befugnisse des Geschäftsführers im Au8enverbliltnis Überdies enthält das Gesetz eine eindeutige Regelung der Befugnisse des Geschäftsführers nach außen. Die organschaftliche Vertretungsbefugnis ist nämlich nach außen unbeschränkt und im Interesse des Verkehrsschutzes unbeschränkbar. Solange die Grenze der Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit nicht erreicht ist, kann der Geschäftsführer die Gesellschaft daher wirksam auch gegen oder ohne den Willen der Gesellschafter im Außenverhältnis verpflichten21 .

111. Die einvernehmliche Zuweisung der organtypischen Befugnisse Weiteres entscheidendes Wesensmerkmal der Geschäftsführerschaft ist nach dem gesetzlichen Konzept die einvernehmliche Zuweisung der vorgenannten Befugnisse durch die Gesellschafterversammlung. Die Organstellung und die damit verbundenen Befugnisse erhält der Geschäftsführer bei ordnungsgemäßem Verfahrensgang im Wege der Bestellung durch die Gesellschafte~ . Zugleich treffen ihn damit aber von Gesetzes wegen auch die organschaftlichen Pflichten23 • Letzteres muß dabei nicht unbedingt dem Willen der Gesellschafter entsprechen. Jedoch knüpft das Gesetz diese Pflichten unlöslich an die Organstellung an, so daß der Geschäftsführer von diesen Pflichten nicht freigestellt werden kann24 und auch nicht einem Dritten im Wege 19 Meyer-Landnrt in MI.., § 49 GmbHG, Rz. 4; Schilling in Hachenburg. § 49 GmbHG, Rz. 5; U. H. Schneider in Scholz, § 49 GmbHG, Rz. 5; LutterlHommelhoft; § 49 GmbHG, Rz. 3; dagegen K~iner in Rowedder, § 49 GmbHG, Rz. 2. o Ulmer in Hachenburg. § 64 GmbHG, Rz. 7; K. Schmidt in Scholz, § 64 GmbHG, Rz. 4; Schu1ze-Osterloh in BaumbachIHueck, § 64 GmbHG, Rz. 4; differenzierend Rowedder in Rowedder, § 64 GmbHG, Rz. 3. 21 Mertens in Hachenburg. § 37 GmbHG, Rz. 39; Koppensteiner in Rowedder, § 37 GmbHG, Rz. 44; LutterlHommelhoft; § 35 GmbHG, Rz. 3; Miller in Meyer-Landrot, §§ 35-38 GmbHG, Rz. 19. 22 Siehe dazu oben S. 19ft: 23 U. H. Schneider in Scholz, § 35 GmbHG, Rz. 150. 24 Lutter, ZIP 1986, 1195, 1196.

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Kapitel 7: Die strukturellen Merkmale der GeschI.ftsfllhm im Zivilrecht

einer organvertretenden Generalvollmacht alle Befugnisse des Geschäftsführers übertragen werden dürfen2S • maßgebend und ausreichend für die Zuweisung der Organstellung ist also die Verleihung der genannten Befugnisse durch die Gesellschafter. Auf eine Zuweisung entsprechender Pflichten braucht sich der Wille der Gesellschafter dagegen nicht notwendig zu beziehen, da diese unweigerlich aus dem Gesetz folgt.

IV. Zwischenergebnis Es bleibt daher festzuhalten, daß die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Geschäftsführungstätigkeit im Gesetz keine Regelung erfahren hat, sondern der Disposition der Gesellschafter unterliegt. Die tatsächliche Ausübung bestimmter Tätigkeiten ist daher für den Begriff des Geschäftsfiihrung nicht wesensnotwendig. Nach dem zivilrechtlichen Konzept ist jedoch das wesentliche Merkmal der Geschäftsfiihrerschaft die einvernehmliche Zuweisung einer Stellung, die dem Betroffenen einerseits unbeschränkte Vertretungsmacht nach außen verleiht. Auf der anderen Seite unterliegt der Geschäftsfiihrer den im Gesetz genannten Amtspflichten und erhält daher auch alle für die Erfiillung dieser Amtspflichten notwendigen organtypischen Kompetenzen, die dabei unentziehbar sind und notfalls auch gegen den Willen der Gesellschafter ausgeübt werden können, nämlich die Rechte auf umfassende Information über alle Geschäftsbereiche, zur Einberufung der Gesellschafterversammlung sowie zur Stellung des Konkursantrages. Sämtliche genannten Merkmale sind damit als Mindestvoraussetzungen für die Annahme einer Geschäftsfiihrerstellung kumulativ erforderlich. Auch wenn der Begriff der Geschäftsfiihrung keine ausdrückliche Regelung im Gesetz erfahren hat, so konnten dem zivilrechtlichen Konzept damit doch eine Reihe von Kriterien für das Vorliegen einer Geschäftsfiihrerstellung entnommen werden. Diese in den zivilrechtlichen Regelungen zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen könnten daher geeignet sein, auch zur Klärung der persönlichen Reichweite der Geschäftsfiihrerdelikte beizutragen. Im folgenden werden die oben dargestellten Strukturmerkmale daher der strafrechtlichen Begriffsbestimmung zugrundegelegt, wobei sodann ihre Tauglichkeit als Abgrenzungsmerkmal überprüft werden soll.

25 Siehe dazu oben

s. 18f.

Kapitel 8

Auswirkung der zivilrechtlichen Merkmale der Geschäftsmhrung auf das Strafrecht Unter Übertragung der dem Zivilrecht entnommenen Strukturmerkmale der Geschäftsführerschaft und unter Beachtung der durch Auslegung der Geschäftsführerdelikte gewonnenen Erkenntnisse wird im folgenden versucht, die Reichweite der strafrechtlichen Täterbeschreibung "wer als Geschäftsführer" zu bestimmen. Soweit die Strafvorschriften im übrigen keine zusätzlich einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen aufweisen. ergibt sich hieraus sodann - nach der hier vertretenen Ansicht einheitlich für alle Vorschriften die persönliche Reichweite der an den Geschäftsführer gerichteten Strafbestimmungen.

I. Die uneingeschrlnkte Fähigkeit zur Ausübung organtypischer Befugnisse Unter Berücksichtigung des zivilrechtlichen Konzeptes der Geschäftsfiihrerschaft muß der potentielle Normadressat der Geschäftsführerdelikte nach den bisherigen Erkenntnissen also zunächst die Fähigkeit haben. in dem dargestellten Umfang die dem Organ vorbehaltenen Befugnisse uneingeschränkt ausüben zu können. um damit überhaupt zu einer Erfüllung der gesetzlichen Organpflichten imstande zu sein. Insoweit stimmen hier die Strukturmerkmale der zivilrechtlichen Geschäftsführerschaft mit den bereits durch Auslegung der Strafvorschriften gewonnenen Ergebnissen überein. Hierbei hatte sich u. a. ergeben. daß Täter etwa des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nur sein kann, wer eigenverantwortlich die Stellung eines erforderlichen Konkursantrages bewirken kann} . Im einzelnen muß ein möglicher Täter der Geschäftsführerdelikte sich daher umfassende Informationen über die Geschäftslage der Gesellschaft verschaffen können. zu einer Unterrichtung der Gesellschafterversammlung befähigt sein2 liowie ggf. weisungsfrei über die Stellung des Konkursantrages entscheiden können. } Siehe dazu oben S. 97f. 2 Hier geht die A1I3!egung des § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, wonach sich die Beflihigung des Titers nur auf die tatslchlillhe Information der Gesellschafter, nicht jedoch auf die fl)nn1iche Einberufung einer Gesellsc~ung erstrecken muß (siehe S. 96f.), der Übertragung der zivilrechtlichen Merkmale vor (zur ,,Rangfolge der Rechtsflndungsmethoden" siehe oben S. 88f.).

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Kapitel 8: Auswirkung zivilrechtlicher Merlcmale der GescbIftsfIlbnm auf das Strafrecht

1. Die rechtliche und tatsichliehe Position des Titers im Unternehmen als Gnmdlage seiner Befugnisse Im gesetzlichen Regelfall des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers können ihm diese Befugnisse aus Rechtsgründen nicht entzogen werden. So hat dieser z. B. einen notfalls sogar klagbaren Anspruch auf Informationserteilun~. Mangelt es demgegenüber einer Person an der entsprechenden rechtlichen Macht zur umfassenden und uneingeschränkten Ausübung der genannten Befugnisse, so kann sie nur dann "als Geschäftsführer" im strafrechtlichen Sinne in Erscheinung treten, wenn sie diese Befugnisse in gleicher Weise tatsächlich ausüben kann". Der potentielle Normadressat der Geschäftsführerdelikte muß also eine Stellung im Unternehmen haben, die ihn rechtlich oder, bei Fehlen einer Bestellung zum Geschäftsführer, zumindest tatsächlich nachhaltig in die Lage versetzt, sich uneingeschränkte Informationen über die Geschäftslage des Unternehmens zu verschaffens sowie die Unterrichtung der Gesellschafterversammlung und zudem auch notfalls gegen den Willen der Gesellschafter die Stellung eines Konkursantrages bewirken zu können. 2. Die tatslchlichen Voraussetzungen einer entsprechenden Machtposition Hier kommt :fiir den Bereich der lediglich faktischen Geschäftsführerschaft insbesondere der Nachweis in Betracht, daß der Täter über einen eingesetzten Strohmann oder durch Einflußnahme auf einen ordnungsgemäß bestellten Mitgeschäftsführer diese Möglichkeiten hatte. Denkbar ist zudem auch das Vorliegen oder die Möglichkeit einer Erwirkung entsprechender genereller oder auf den Einzelfall bezogener Bevollmächtigungen durch den ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer6 • Dabei ist auch die Unwirksamkeit etwa einer organersetzenden Generalvollmacht nicht entscheidend. Es kommt vielmehr darauf an, ob diese Bevollmächtigung im Ergebnis die Ausübung der genannten Befugnisse ermöglicht und diese Befllhigung vergleichbar nachhaltig besteht wie die entsprechende Rechtsmacht des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers.

3 Lutter, ZIP 1986, 1195, 1196. 4 In diesem Sinne auch KraWch, ZGR 1985, 506, 525; L A Reich, OB 1967, 1663, 1665, der eine rechtliche Einwirlcungsmöglichkeit fordert, etwa auf einen Strohmann, und damit unnötig fonnale Anforderungen stellt. S Im Ergebnis auch Stein, ZHR 148 (1984), 207, 224, 231; Kratzsch, ZGR 1985, 507, 524.

6 Die gewil1ld1rte Stellvertrdung ist etwa bei der Konkursantragstellung bei Vorliegen einer

besonderen Vollmacht möglich. Das Antragsrecht ist aornit nicht höchstpersönlich, eine allgemeine Vollmacht reicht allerdings nicht aus; 10 z. B. HessfKropshofer, § 103 KO, Rz. 9; KuhnIUhlenbruck, § 103 KO, Rz. 7 a; vgl. auch Tiedemum in Scholz, § 82 GmbHG, Rz. 39.

11. Die uneingescbrlnkte Flhigkeit zur rechtsgeschlftlichen Verpflichtung der Gesellschaft

113

3. Die Bedeutung dieses Abgrenzungsmerkmals

Dem Wertungskriterium der Fähigkeit zur Ausübung organtypischer Befugnisse kommt besondere Bedeutung hinsichtlich der beklagten Konturenlosigkeit der Rechtsprechung zu. Deren wertende Betrachtung aller konkreten Tätigkeitsmerkmale wird insbesondere in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Organen und sonstigen leitenden Angestellten überwiegend - zu Recht - als unscharf kritisiert, so daß eine angemessene Lösung gerade in diesem Punkt brauchbare Ergebnisse liefern muß. Dies läßt sich durch ein Abstellen auf die faktische Uneinschränkbarkeit der BefiUrigung zu ansonsten organgebundenen Befugnisse erreichen. Auch der nicht zum Organ bestellte leitende Angestellte übt zwar bestimmte Leitungstätigkeiten aus. Ihm. fehlt es allerdings im Regelfall schon an den genannten organtypischen Befugnissen. in jedem Fall aber an deren Unbeschränkbarkeit. Sind einem leitenden Angestellten auch bestimmte, eigentlich nur dem Geschäftsfiihrer zukommende Befugnisse übertragen. so unterscheidet ihn vom faktischen Geschäftsführer doch deutlich die Rückholkompetenz des Übertragenden. Auch dem bei der Leitung des Unternehmens nahezu allein agierenden Prokuristen wird im seltensten Fall nachzuweisen sein. daß seine Befugnisse faktisch unentziehbar waren und er damit eine Machtposition erhielt, die seinen Einfluß nachhaltig sicherte. Läßt sich dies allerdings feststellen. wie etwa im Fallbeispiel1 7 , weist auch diese Person ein wesentliches Merkmal faktischer Geschäftsführung auf. Sie handelt "als Geschäftsführer" aber erst, wenn auch die anderen erforderlichen Merkmale vorliegen.

11. Die uneingeschrinkte Fähigkeit zur rechtsgeschäftlichen Verpflichtung der Gesellschaft Ein weiteres, auch für die strafrechtliche Würdigung entscheidendes Wesensmerkmal der Geschäftsführerschaft. das allerdings in Bezug auf das vorliegende Thema zwar in der Rechtsprechuni angedeutet, soweit ersichtlich im Schrifttum dagegen überhaupt nicht behandelt wird, ist die nach außen unbeschränkbare Befugnis, die Gesellschaft rechtsgeschäftlich zu verpflichten.

7 Siehe oben S. 2S: Hier kormte P seine Position nacbhaltig verteidigen, indem er dem ordnungsgemIß bestellten Geschlftsfllhre mit Bloßstellung gegenOber den Gesellschaftern drohte. 8 In diesem Sinne auch Kratzsch, ZGR 1985, S06, S2S; Ihnlich Stein, ZHR 148 (1984), 206, 233, aber nur fllr die zivilrechtliche Konkursantragspfcht 9 BGR, wistn 1990, 97, 98, worin zur BegrQndung fllr die Verantwortlichkeit auch des faktischen Geschlftsfllhrers fllr die Leitung der Geschl.fte in ihRe Gesamtheit die nach außen unbeschrlnlcte Vertretungsmacht eines Geschlftsfllhrers als Argument herangezogen wird. 8 Montag

Kapitel 8: Auswirlamg zivilrecbtlicber Medcr:W.e der GesdIIftsfIlbnm auf du Strafrecht

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1. Die tatslchlichen Voraussetzungen einer entsprechenden Machtposition Als Mittel zur Ausübung dieser Befugnis dient im gesetzlichen Regelfall wieder die Bestellung zum Organ und die dadurch verliehene Recht'lmacht. Potentielle Adressaten der Organdeliktsvorschriften ohne diese aus der Organstellung herrührenden Rechtsmacht müssen dagegen vergleichbare tatsächliche Möglichkeiten zur Bewirkung rechtsgeschaftlicher Verpflichtungen der Gesellschaft haben. Ober die schon genannten Strohmannkonstruktionen. den Einfluß auf ordnungsgemäß bestellte Mitgeschäftsführer oder eine entsprechende ausdrückliche Bevollmächtigung hinaus sollten hier auch die Möglichkeiten einer rechtsgeschaftlichen Verpflichtung der Gesellschaft mittels einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht nicht vergessen werden. Diese Institute können. soweit ihre spezifischen Voraussetzungen vorliegen. insbesondere auch bei einem Handeln aufgrund einer nach allgemeiner Ansicht unzulässigen organvertretenden Vollmacht Anwendung findenlo • Statt nämlich im Vorfeld einer Begriffsbestimmung davon auszugehen. daß der faktische Geschäftsführer die Gesellschaft im Regelfall auf diese Weise verpflichtetll , sollte sinnvollerweise umgekehrt vom Vorliegen einer den Voraussetzungen nach recht gut geklärten Verpflichtungsmachtl2 auf das Vorliegen eines wesentlichen Merkmals faktischer Geschäftsfiihrung geschlossen werden. Die Heranziehung der Befugnis zur rechtsgeschaftlichen Verpflichtung der Gesellschaft als Kriterium für faktische Geschäftsfiihrung macht es nach dem hier vertretenen Ansatz auch entbehrlich, insoweit den Grad der tatsächlichen Einwirkung auf die Geschäftsfiihrung heranzuziehen. Diesem kommt danach vielmehr nur indizielle Bedeutung für das Vorliegen der genannten Verpflichtungsmacht zu. So hält zwar Koblmann l3 das Gewicht der Einflußnahme des faktischen Geschäftsführers für entscheidend, wobei das Auftreten im Geschäftsverkehr eine gewisse Intensität erreichen müsse, die sich in Dauer, Häufigkeit und Bedeutung der Geschäftsvorteile äußere. Dies ist insoweit konsequent, als Kohlmann grundsätzlich faktische Geschäftsfiihrung auch ohne oder gegen den Willen der Gesellschafter für möglich hält, so daß ein äußeres Auftreten von gewisser Intensität als unverzichtbar für die Erkennbarkeit der faktischen Organstellung erscheint. Wie sich im folgenden allerdings noch ergeben soll, kann eine ausreichende Erkennbarkeit der Pflichtenstellung auch durch das 10

so z.B. Sudhoft; Gesellschaftsvertrag. s. S7.

11 So etwa Stein, Orgm, S. 18.

12 Vgl. statt vielernurHeinricbs inPalmdt, § 173 BOB, Rz. 9ffm. w. N. 13 KobImann in Hadlenburg. § 84 GmbHO, Rz 24f, ihm folgcod Kratzacb, ZOR 1985, S06, S24.

11. Die uneingeacbrlnkte Flbiglceit zur n:dItsgesdllftlichen Verpflicbtung der Gesellschaft

11 S

Erfordernis einer einvernehmlichen Kompetenzzuweisung sichergestellt werden14 • Nach der hier vertretenen Auffassung ist deshalb - allerdings nur vom Prinzip her - das Erfordernis intensiver tatsächlicher Einwirkung auf die Geschäftsführung gegenüber einer Betrachtung der insoweit bestehenden Kompetenzen nachzuordnen. Für diese Ansicht spricht zudem, daß der Nachweis einer "gewissen Intensität" der Einflußnahme in der Praxis wieder zu einer Reihe von Einzelfallentscheidungen führen wird, wogegen hier aus Gründen der Rechtssicherheit möglichst präzise, generelle Abgrenzungskriterien gefunden werden sollen, die - und hier liegt der entscheidende Unterschied etwa zur Rechtsprechungspraxis des BGH - kumulativ vorliegen müssen und deren Aufzählung abschließend ist. Um gleichwohl auch unerwartete Sachverhaltsgestaltungen erfassen zu können, muß allerdings deutlich zwischen den zwingend erforderlichen, prinzipiellen Voraussetzungen der Geschaftsfiihrerschaft einerseits und den nicht abschließend erfaßbaren, im jeweiligen Einzelfall auf eine bestimmte dieser Voraussetzungen hinweisenden konkreten Tätigkeitsmerkmalen unterschieden werden. Insoweit stellt auch die Heranziehung der gegenüber Dritten unbeschränkten Kompetenz zur rechtsgeschäftlichen Verpflichtung der Gesellschaft nur den übergeordneten Gesichtspunkt dar. Die entscheidende Rolle im Einzelfall werden demgegenüber das äußere Auftreten und die Intensität der tatsächlichen Einflußnahme spielen, soweit namIich das Gericht diese Tätigkeitsmerkmale im Rahmen der Beurteilung des Einzelfalls als Indiz für das Vorliegen der genannten Kompetenz heranzieht. Bei einer solchen Unterscheidung zwischen generellen Wertungskrlterien und konkreten Tätigkeitsmerkmalen läßt sich dann beispielsweise auch die notwendige Intensität der Einwirkung dahingehend präzisieren, daß sie nicht nur einen "gewissen" Grad erreichen, sondern vielmehr einen hinreichend sicheren Schluß auf eine unbeschränkte Verpflichtungsmacht zulassen muß. 2. Die Bedeutung dieses Abgrenzungsmerkmals Das Kriterium der Verpflichtungsbefugnis ist dabei von entscheidender Bedeutung für die Abgrenzung faktischer Geschäftsfiihrung von der bloßen Einflußnahme externer Personen, die etwa durch ihren Einfluß auf den Geschäftsführer die fällige Konlrursantragstellung verhindern. Wenn auch bei bestimmender Einflußnahme im Einzelfall oder bei Übernahme einzelner Maßnahmen der Geschäftsführung zunehmend eine Organhaftung im Wege analoger Anwendung zivilrechtlicher Bestimmungen in Betracht gezogen wird1s , so kann ein solch punktuelles Eingreifen sicherlich nicht als "Geschäftsführung" im wörtlichen Sinne angesehen werden, womit eine Ausdehnung der Strafdro14 Siehe dazu sogleich

s. 1181f.

1S Siehe dazu oben S. 8ot:

116

Kapitel 8: AuswirIcung zivilrecbtlicher Merlcmale der Gescblftsfl1hnm auf das Stra.ftecht

hung hier bedenklich erscheintl6 • Andererseits erschwert die Vielgestaltigkeit der konkreten Ausgestaltungen der Geschäftsfiihrung eine Abgrenzung von im einzelnen noch geschäftsführenden und schon nicht mehr geschäftsführenden Tätigkeiten, solange auf die Art und den Umfang der tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten abgestellt wird. Die Befugnis zur rechtsgeschäftlichen Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber Dritten sowie deren Unbeschränkbarkeit ist demgegenüber das wesentliche gemeinsame Element in allen Ausgestaltungen der Geschäftsfiihrung. Zudem wird kaum ein einflußreicher Externer kraft seines Einflusses als Gläubiger, Sanierer oder Vertreter einer Obergesellschaft uneingeschränkte rechtsgeschäftliche Verpflichtungen der Gesellschaft bewirken können. Anderenfalls besteht demgegenüber guter Grund, hierin eines der wesentlichen Kriterien faktischer Geschaftsfiihrung zu sehen, das damit zwar ggf. sonstige leitende Angestellte einschließt, auf der anderen Seite aber außerhalb der Gesellschaft stehende Personen in der Regel ausgrenzt. Gestützt wird diese Ansicht auch durch den weiteren Aspekt, daß die Konkursantragspflicht denjenigen treffen soll, der etwa noch mögliche Sanierungsversuche in die Wege leiten kann und deshalb zum Abschluß der dazu erforderlichen Rechtsgeschäfte beflihigt sein muß 17 • 3. Besonderheiten bei der Einflußnahme von Allein- und Mitgesellschaftem Auch eine Grenzziehung zwischen dem lediglich "aktiven" Allein- oder Mitgesellschafter und dem Geschäftsführer im strafrechtlichen Sinne läßt sich durch das Erfordernis der Fähigkeit zur rechtsgeschäftlichen Verpflichtung der Gesellschaft erreichen, obgleich hier wegen der den Gesellschaftern als solchen zukommenden innergesellschaftlichen Kompetenzen weitergehende Einschränkungen vorgenommen werden müssen. IDer bestehen nämlich besondere Schwierigkeiten bei der Abgrenzung, ob ein Gesellschafter nur besonders intensiv von dem ihm zustehenden Weisungsrechtl8 Gebrauch macht oder ob er schon Geschäftsfiihrungtätigkeiten vornimmt. Auch angesichts dieser Problematik läßt sich mit Hilfe des Kriteriums der rechtsgeschäftlichen Verpflichtungsmacht jedoch eine deutliche Grenze ziehen. Soweit nämlich der Allein- oder Mitgesellschafter zwar Entscheidungen über Geschäftsfiihrungsmaßnahmen trifft, sich zur rechtsgeschäftlichen Durchführung aber des Geschäftsführers bedienen muß, handelt er entsprechend der gesetzlich vorgegebenen innergesellschaftlichen Kompetenzvertei16 Tiedemann in Scholz, § 84 GmbHG, Rz. 3S; Kohlnwm in Hachenburg. § 84 GmbHG, Hz. 22; derselbe, Verantwortlichkeit, Rz. 19; Kratzsch, ZGR 1985, S06, S2S; weitergehend Fuhrmann in Rowedder, § 84 GmbHG, Rz. S. 17 Stein, ZHR 148 (1984), 207, 224. 18 Siehe dazu oben S. 106.

n. Die uneingeBcbrIDkt Flhigkeit zur reclrtsgescblftlichen Verpflichtung der Gesellschaft

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lung und muß sich deshalb auch auf die gesetzlich vorgegebene Aufteilung der Verantwortlicbkeiten berufen können. In diesem Fall kann er somit nicht "als Geschäftsfiihrer" angesehen werden. Weicht die tatsächliche Kompetenzverteilung innerhalb der Gesellschaft vom gesetzlichen Konzept allerdings in der Weise ab, daß der Allein- oder Mitgesellschafter aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten selbst rechtsgeschaftliche Verpflichtungen der Gesellschaft vornehmen kann, nähert er sich der Stellung eines organschaftlichen Vertreters. Nach dem hier entwickelten Konzept erfiillt er dementsprechend auch eines der für die Annahme von Geschäftsfiihrung erforderlichen Wertungskriterien. Da die Weisungsgebundenheit des Geschäftsfiihrers allerdings ein Wesensmerkmal der GmbH darstellt und daher etwa der Alleingesellschafter ohnehin indirekt rechtsgeschaftliche Verpflichtungen der Gesellschaft bewirken kann, ist hier die Einschränkung erforderlich, daß Geschäftsfiihrung durch einen Gesellschafter nur dann vorliegen kann, wenn dieser selbst und direkt zur Bewirkung der rechtsgeschaftlichen Verpflichtung der Gesellschaft imstande ist. Die bloße Einflußnahme auf den Geschäftsfiihrer kann demgegenüber anders als bei NichtgeseIlschaftern - nicht ausreichen. Selbst wenn nämlich der Geschäftsfiihrer alle diesbezüglichen Anweisungen eines Alleinoder Mitgesellschafters ohne weiteres ausfUhrt, so hält sich dieses Vorgehen noch im Rahmen einer zulässigen innergesellschaftlichen Zuständigkeitsverteilung und muß deshalb bei der Abgrenzung der jeweiligen Pflichtenkreise beachtet werden19 • Als konkretes Merkmal, das auf das Vorliegen der Fähigkeit zur rechtsgeschaftlichen Verpflichtung hindeutet, kommt hier insbesondere eine umfangreiche stillschweigende oder ausdrückliche Bevollmächtigung des handelnden Gesellschafters in Betracht.

19 Bei Vorbandeosein mehrerer Gesellscbafter ergehen Weisungen an den GescbAftsfilhrer grundsAtzlieh durch Beschluß der Gesellschafterversammlung GemI8 § 47ff. GmbHG, so daß direkte Weisungen einzelner Mitgese1lscbafter in der Regel unbeachtlich sind und den Geschl.flsfiUJrer nicht binden (siehe nur LutterlHommelhoft; § 37 GmbHG, Rz. 37; Koozen, NJW 1989, 2977, 2979). Im Falle eines Mitgesellschafters, der obne Einschaltung der Gesellschafterversammlung gleichwohl aufgrund seiner Weisungen uneingeschrinkt rechtsgeschlftliche Verpflichtungen der Gesellschaft bewirken kann, ist die innergesellschaftliche Zustlndigkeitsordnung also eigentlich schon mißachtet, so daß das hier behandelte Wertungskriterium damit erflllh sein könnte. Nach der hier vertretenen Auffassung kann Geschlftsfllhrujedoch nur dann vorliegen, wenn die Befugnisse dem Handelnden von den Gesellschaftern zugewiesen werden (siehe dazu sogleich S. H8f). Eine solche Zuweisung wird aber regelml8ig als zullssige Über1ragung der Weisungsbefugnis auf den Mitgesel\schafter anzusehen sein, so daß hier die gleichen Gnmdsltze wie bei einem Alleingesel\schafter anzuwenden sind Auch ein Mitgesel\schafter kann daher nur dann als GeschA.ftsfllhrcr qualifiziert werden, wenn er rechtsgeschlftliehe Verpflichtungen der Gesellschaft direkt und selbst bewirken Icann.

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Kapitel 8: Auswirlrung zivilrechtlicbcr Mer1anale der' GesdIIfbfIIhrun auf das Straftecht

III. Die einvernehmliche Zuweisung der Organkompetenzen Drittes entscheidendes Wesensmerkmal der Geschaftsführerschaft ist nach dem zivilrechtlichen Konzept die erkennbare und einvernehmliche Zuweisung der vorgenannten Kompetenzen durch die Gesellschafter. 1. Die Notwendigkeit eines Einverstlndnisses der Gesellschafter a) Die Notwendigkeit in Hinblick auf das zivi/rechtliche Regelungskonzept Dies zeigt sich zum einen schon an der Natur der ordnungsgemäßen Bestellung zum Geschäftsfiihrer: HieIbei handelt es sich nämlich um einen zwar einseitigen, jedoch mitwirkungsbedürftigen, körperschaftlichen Organisationsakt, denn erst mit der Annahme der Bestellung wird der als Geschäftsführer Vorgesehene zum Organ der Gesellschaft2O • Es muß demzufolge ein Einvernehmen zwischen dem Geschaftsführer und den Gesellschaftern bestehen, wie sich zudem daraus ergibt, daß die Gesellschafter den Geschäftsführer gemäß § 38 GmbHG grundsätzlich jederzeit abberufen können und ein Wirken des Geschäftsführers ohne Einverstandnis der Gesellschafter damit erkennbar ausgeschlossen sein soll. Dieses Merkmal der zivilrechtlichen Konzeption muß deshalb auch bei der Inhaltsbestimmung der GmbH-gesetzlichen Strafnormen als Wertungskriterium berücksichtigt werden21 • b) Die Notwendigkeit aufgrund des Schutzzwecks des § 85 GmbHG Diese Schlußfolgerung steht auch im Einklang mit dem Regelungskonzept des § 85 GmbHG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht). Die Strafdrohung dieser Vorschrift richtet sich nämlich gegen einen innerhalb der Gesellschaft tätigen, eng abgegrenzten Personenkreis. Dazu zählen weder Außerhalb der Gesellschaft als solcher stehende Personen noch diejenigen, die innerhalb der Gesellschaft nicht mit Organaufgaben betraut sind. Dies zei~ ein Vergleich dieser Bestimmung mit den insoweit strukturell verwandten § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) und § 204 StGB (Verwertung fremder Geheimnisse). Denn hier wie dort beruht die Strafdrohung - zumindest auch - darauf, daß derjenige zwangsläufig wichtige Informationen preisgeben muß, der sich einer der genannten Vertrauenspersonen bedient. Für die Vertrauensperson stellen diese Informationen nämlich die Grundlage ihrer Tätigkeit dar, so daß ein Selbstschutz der Rechtsgutsträ20 Siehe oben S.

20.

21 I. E. auch LutterlHommelho1t; § 82 GmbHG, Rz 2.

22 Dazu Tiedemum in Schatz, § 8S GmbHG, Rz. 1; Richter, GmbHR. 1984, 113, 117; vgl. auch Kohlmam in Hachenburg. § 8S GmbHG, Rz. 1Off.

m. Die einvemebmlicbe Zuweisung der OrpnkOlllpdalzcn

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ger von vornherein ausscheidefl. Dies zeigt sich bei der GmbH besonders deutlich. Da die Gesellschafter nach § 6 Abs. 1 GmbHG eine natürliche Person als gesetzlichen Vertreter benennen müssen und jedem Geschaftsführer umfassende Informationsrechte zustehen24 , können die Gesellschafter eine Preisgabe von Informationen nicht verhindern. Die Strafdrohung ist somit bei § 85 GmbHG ebenso wie bei den §§ 203f StGB das Gegenstück zu der im Ergebnis unumgänglichen "Einweihung" der Vertrauensperson in die für ihre Tätigkeit notwendigen Informationen. Sie soll jedoch nicht denjenigen treffen, der in der Gesellschaft nicht zum Kreis der Organe gehört, wie etwa ein Prokurist, gegenüber dem die umfassende Preisgabe von Informationen nicht zwingend erforderlich ist. Diese Personen sind nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 17 UWG strafbar. Die Strafdrohung des § 85 GmbHG soll aber schon gar nicht denjenigen treffen, der sich als Externer gegen den Willen der Gesellschafter Informationen versc~.

Das somit aus § 85 GmbHG hergeleitete Erfordernis einer einvernehmlichen Zuweisung der Organstellung durch die Gesellschafter ist nach der hier vertretenen Auffassung zudem auch hinsichtlich der übrigen Tatbestände zu beachten. Kohlmann26 spricht dem Einverständnis der Gesellschafter dagegen eine entscheidende Bedeutung als Voraussetzung für die Strafbarkeit des faktischen Geschaftsführers ab. Ansonsten hänge die Reichweite des Tatbestandes nämlich letztlich ganz überwiegend vom Verhalten der Gesellschafter ab. Dies verstoße jedoch gegen den Grundsatz, daß das Verhalten des Täters der entscheidende Anknüpfungspunkt für dessen Strafbarkeit zu sein habe. Ein Tätigwerden im Einverständnis mit den Gesellschaftern sei zudem auch keine hinreichende Begründung für die Strafbarkeit des faktischen Geschäftsführers, da im übrigen noch das Gewicht seiner Stellung im Unternehmen die Einbeziehung in den Täterkreis der Sonderdelikte rechtfertigen müsse. Dann aber bedürften das Gesellschaftsvermögen und die Gesellschaft als geschützte Rechtsgüter nicht nur bei Einverständnis der Gesellschafter, sondern erst recht bei einer Anmaßung einer solchen Stellung hinter dem Rücken der Gesellschafter des Schutzes.

23 Kratzsch, ZGR 1985, 506, 518, zu § 85 OmbHG; SdtOnemam, ZStW Bel 90 (1978), 11, 53f( zu § 203fStGB; L A Lenckner in SchOnkefScbrOder, § 203 StOB, Rz. 3 m. w. N. 24 Siehe dazu oben S. 109.

2S Ähnlich Tiedemann in Scholz, § 85 OmbHG, Rz. 3 und 5. 26 Kohlmann in Hachenburg, § 84 GmbHO, Rz. 23f, i. E. auch Kratzsch, ZGR 1985, 506, 529.

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Kapitel 8: Auswirkung ziviln:c:btlicher Merkmale der GescbIftsflIhnm auf das Strafrecht

Zustimmung verdient hier zunächst der Einwand, daß das Einverständnis der Gesellschafter mit der Tätigkeit des Betroffenen kein hinreichender Strafgrund sei. Auch nach der hier vertretenen Ansicht müssen noch weitere Merkmale hinzukommen. wenn dabei vom Grundsatz her auch nicht auf die Intensität des tatsächlichen Einflusses, sondern vielmehr auf den Umfang der verliehenen Kompetenzen abgestellt wird. Gleichwohl erscheint unter Zugrundelegung des hier entwickelten Konzeptes das Einverständnis der Gesellschafter auch weiterhin als notwendige Voraussetzung der faktischen Geschäftsführerschaft. Zunächst ist dem Strafrecht die Erscheinung nämlich nicht fremd, daß die Strafbarkeit des Täters vom Verhalten des betroffenen Rechtsgutsträgers abhängig ist. Zu denken ist dabei insbesondere an die tatbestandsausschließende Wirkung eines Einverständnisses mit der Rechtsgutsverletzuni7 • Mit Hinblick auf die Geltung der hier entwickelten Grundsätze für alle Geschäftsfiihrerdelikte könnten sich zwar Bedenken daraus ergeben. daß etwa § 84 GmbHG auch das Interesse der Gesellschaftsgläubiger schützt und die Gesellschafter daher hinsichtlich dieses geschützten Rechtsguts nicht alleinig dispositionsbefugt sind. Nach der Konzeption des GmbH-Rechts sind die Gesellschafter allerdings befugt, durch einen internen Organisationsakt unter Ausschluß der betroffenen Gläubiger diejenigen Personen zu bestimmen. denen der Schutz des Gesellschaftsvermögens obliegt (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG). Auch im Falle des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers hängt dessen Strafbarkeit daher nicht nur von seinem eigenen Verhalten. sondern auch von seiner Bestellung zum Organ durch die Gesellschafter ab. Zudem muß nach der hier vorgeschlagenen Lösung auch der faktische Geschäftsführer selbst mit der Zuweisung der Stellung einverstanden sein28 , so daß er selbst zu den Voraussetzungen seiner Pflichtenstellung beiträgt. Zum anderen erscheint es fraglich, ob die Vorschriften des GmbH-Strafrechts den Schutz des Gesellschaftsvermögens und der Gesellschaft auch gegen eine Beeinträchtigung durch Außenstehende bezwecken. Wie sich insbesondere bei § 85 GmbHG gezeigt hat, entsprechen die speziellen Strafdrohungen des GmbHG vielmehr eben der organtypischen Weite der mit der OrganbesteIlung einvernehmlich verliehenen Befugnisse. Diese Situation besteht aber bei bloßer Anmaßung einer faktischen GeschäftsführersteIlung nicht. Es ist zwar zuzugeben. daß auch in diesem Fall das Gesellschaftsvermögen und die Gesellschaft als betroffene Rechtsgüter im allgemeinen schutzwürdig sind. Die Vorschriften gerade des GmbH-Strafrechts zielen auf einen solchen Schutz jedoch nicht ab.

27 V gl. dazu statt vieler nur Jescheck, Lehrbuch,

28 Siehe dazu sogleich S. 122.

s. 334f.

m. Die einvemebmliche Zuweisung der Organkompetenzen

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Selbst wenn zivilrechtlich im bloßen Einverständnis der Gesellschafter mit der Amtsführung eines faktischen Geschäftsführers keine konkludente Vornahme eines Bestellungsaktes gesehen werden kann29 , ist also entgegen den Andeutungen in verschiedenen Entscheidungen des BGH30 ein solches Einverständnis im Grundsatz nicht entbehrlich. "Als Geschä:fts:führer" im Sinne der Vorschriften handelt keinesfalls derjenige, der gegen oder ohne den Willen der Gesellschafter eine solche Funktion einnimmr1 • Es daIf allerdings nicht verkannt werden, daß von einem Einverständnis in der Praxis immer dann ausgegangen werden kann, wenn die tätige Person selbst Mehrheits- oder Alleingesellschafter ist. Auch im Falle einer Beherrschung der Mehrheits- oder Alleingesellschafter durch den in Organfunktion Tätigen liegt das Vorliegen des erforderlichen Einverständnisses auf der Hand. So hatte etwa der Angeklagte inBGHSt 31, 11832 nach den Feststellungen des Gerichts in der Geschaftsführung ein Übergewicht gegenüber seiner ordnungsgemäß als Geschäftsführerin bestellten und in dieser Funktion tätigen Ehefrau, die aber zudem auch Mehrheitsgesellschafterin war. Hier wird sich das "Übergewicht" des Angeklagten sicherlich nicht auf die Geschäftsführungstätigkeit seiner Ehefrau beschränkt haben, sondern auch zu entsprechendem Einfluß auf ihr Verhalten als Mehrheitsgesellschafterin gefiihrt haben. Selbst in einem solchen Fall muß allerdings vom Prinzip her ein Einverständnis der Gesellschafterversammlung nachgewiesen werden. Hier ist somit auch der richtige Standort für die Bewertung eines Duldens der Amtsführung durch die Gesellschafter. Darin kann zwar - wie gezeigt33 - kein konkludenter Bestellungsakt gesehen werden, jedoch läßt eine solche Duldung in der Regel sicherlich ein konkludentes Einverständnis mit der Organtätigkeit erkennen. c) Die fllr das Einversttindnis notwendige Mehrheit der Gesellschafterversammlung Fraglich könnte schließlich noch sein, ob die Zuweisung der Kompetenzen durch alle Gesellschafte?' oder nur durch die in der Gesellschafterversammlung für eine Bestellung erforderliche Mehrheit notwendig ist3s . Hier bietet sich eine vermittelnde Position an. Einerseits kann eine Bestellung im Rahmen einer Gesellschafterversammlung mit gesetzlicher, ggf. satzungsmäßiger Mehrheit auch formlos vorgenommen werden. Auf der anderen Seite zeigt § 29 Siehe dazu oben s. 99f. 30 So insbesondere in BGHSt 31, 118, 123. 311. E. auch Bruns, GA 1982, I, 13. 32 Siehe oben S. 43ft: 33 Siehe oben S. 99ft: 34 So Tiedenuum in Schatz, § 84 GmbHG, Rz 33. 3S SO Fuhrmann, Bedeutung, S. 154.

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Kapitel 8: Auswirkung zivilrechtlichcr Merkmale dec GeschI.ftsfllhrg auf das Strafrecht

51 GmbHG, wonach zur wirksamen Einberufung einer Gesellschafterversammlung alle Gesellschafter eingeladen werden müssen36 , daß sämtliche Gesellschafter Gelegenheit haben sollen, sich an dieser internen Willensbildung zu beteiligen. Dementsprechend wird man faktische Geschäftsführung nur bei Kenntnis aller, wenn auch nur mit dem Einverständnis der Mehrheit der Gesellschafter annehmen können.

2. Die Notwendigkeit eines Einverstlindnisses auch des Geschäftsführers Über eine Billigung der Funktionsübemahme auf Seiten der Gesellschafter hinaus muß jedoch auch der faktische Geschäftsführer mit der Zuweisung der Kompetenzen einverstanden sein. Dies gebietet der bereits als erheblich hervorgehobene Gedanke, daß die Nichtbestellung zum Organ dem Betroffenen im allgemeinen auch insoweit Rechtssicherheit bieten soll, als dieser sich nicht zur Erfüllung von Organaufgaben verpflichtet zu sehen brauche7 • Eine materielle Abweichung von der ansonsten maßgebenden formellen Zuständigkeitsordnung muß daher - wie auch die ordnungsgemäße Bestellung - im Einvernehmen mit dem Betroffenen stattfinden. Das Einvernehmen braucht sich allerdings nur auf die Zuweisung der Kompetenzen zu beziehen. Die Pflichtenstellung ergibt sich daraufhin aus dem Gesetz38 • In der Praxis läßt sich ein solches Einverständnis auf Seiten des faktischen Geschäftsführers insbesondere dann erkennen, wenn der Täter selbst Initiator der Umgehungskonstruk:tion war oder die Zuweisung seiner Stellung sonst "ausgemachte Sache" zwischen den Beteiligten war.

3. Zur Erkennbarkeit der Kompetenzzuweisung a) Die Erkennbarkei( innerhalb der Gesellschaft

Durch das Einverständnis der Gesellschafter mit der Kompetenzzuweisung und der Billigung dieser Zuweisung durch den Betroffenen besteht somit innerhalb der Gesellschaft Einvernehmen über die Funktionszuweisung. Dementsprechend verliert auch die Warnfunktion eines fbrm1ichen Bestellungsaktes an Bedeutung, da der Betroffene auch aufgrund der tatsächlichen Zuweisung der Organfunktion in vergleichbarer Deutlichkeit die an ihn gerichteten

36 Siehe nur Meyer-Landrut in MI.. § 51 GmbHG, Rz. 2. 37 Siehe dazu oben S. 54ff. 38 Siehe dazu oben S. 18f Nicht erkennbar ist jedoch entgegen Stein, ZHR 148 (1984), 207, 216, warum weitergehend das Yorhandensein rechtlicher Beziehungen des Betroffenen zur Gesellschaft filr das Vorliegen faktischer Geschiftsfllhrung maßgebend sein soll. Gerade solche formalen Anforderungen lassen sich von den Beteiligten leicht umgehen, so dsß auf eine derartige zusItzliche Strafbarkeitsvoraussetzung entgegen Stein eben wegen des Bezuges zu den konkreten Nonnen und deren Schutzzweck verzichtet werden muß.

ill. Die einvemelunliche Zuweisung der Organkompetenzen

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Erwartungen erkennen kann und mit entsprechenden Strafdrohungen rechnen mußte39 . b) Zur Erkennbarkeit nach außen

Fraglich könnte aber sein, ob die Funktionszuweisung auch fiir außenstehende ersichtlich sein muß, also allgemein fiir alle Personen, die mit der Gesellschaft in rechtsgeschäftlicher Beziehung stehen oder in diese eintreten wollen. So hält es insbesondere Kohlmann4O für entscheidend, daß der faktische Geschäftsfiihrer auch nach außen in dieser Funktion auftritt und dieses formelle Auftreten zudem eine gewisse Intensität erreichen muß. Ansonsten sei sowohl aus der Sicht Außenstehender als auch aus derjenigen der Gesellschafter nur der ordnungsgemäß bestellte Geschäftsfiihrer verantwortlich und es bestehe kein Anlaß, weitere Personen in den Täterkreis etwa des § 84 GmbHG einzubeziehen. Für diese Ansicht spricht, daß das GmbHG entsprechende Informationspflichten gegenüber Außenstehenden sowohl im Wege der Handelsregistereintragung als auch, wie § 35 a GmbHG (Angaben auf Geschäftsbriefen) zeigt, im täglichen rechtsgeschäftlichen Verkehr vorsieht und das Auftreten nach außen somit einen Ausgleich für die mangelnde sonstige Publizität der Amtsübernahme darstellen könnte. Auf der anderen Seite ist es aber unstreitig, daß nach dem zivilrechtlichen Konzept diese Informationen nur bekundende Wirkung haben, während konstituierend für das Einrücken in die Organstellung nur die Bestellung selbst als gesellschaftsinterner Akt ist41 • Außerdem wird nicht das Vertrauen der Gläubiger darauf geschützt, daß der wie ein Geschäftsfiihrer Handelnde z. B. den Konkursantrag stellt, sondern nur das Vertrauen darauf, daß dies der gesetzlich Berechtigte und Verpflichtete vornimmt, und zwar in eigener Verantwortung42 • Die Erkennbarkeit der Pflichtenstellung nach außen ist daher schon hinsichtlich der Strafbarkeit des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsfiihrers nicht notwendig. Als prinzipielle Voraussetzung faktischer Geschäftsführung erscheint ein entsprechendes Auftreten im Geschäftsverkehr damit entbehrlich43 • Auch hier

39 A A Stein, ZHR 148 (1984), 207, 224. 40 Kohlmann in Hachenburg.

§ 84 GmbHG, Rz. 2S.

41 Siebe oben S. 21.

42 Stein, ZHR 148 (1984), 207, 220. 43 Ein Abstellen auf das luDere Auftreten leimen gnmdsItzlich ab: Kratzscb, ZGR 1985, S06, S28f, sowie Stein, ZHR 148 (1984), 206, 220, mit dem Hinweis, daß dabei bzgJ. § 84 GmbHG

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Kapitel 8: Auswirkung zivi1recbtlichec Merkmale der Gcscblftsfllbnm auf das Strafrecht

darf aber nicht übersehen werden, daß das Auftreten nach außen in der Praxis meist entscheidende Bedeutung als Indiz für eines der hier aufgestellten Wertungskriterien haben wird. So kann insbesondere bei Kenntnis der Gesellschafter von dem Auftreten des Betreffenden nach außen in der Regel wohl auf deren Einverständnis mit der Amtsführung geschlossen werden. Da sich dieses Einverständnis jedoch auch aus sonstigen Indizien ergeben kann, das Auftreten nach außen zum anderen aber möglichelWeise auf ein weiteres Wertungskriterium hindeutet, etwa auf die Fähigkeit zur rechtsgeschäftlichen Verpflichtung der Gesellschaft, sollte weiterhin deutlich zwischen den zwingend erforderlichen Wertungskriterien für das Vorliegen der strafrechtlichen Geschäftsführereigenschaft und den darauf jeweils im einzelnen hinweisenden Tätigkeitsmerkmalen unterschieden werden. Im übrigen läßt sich nur bei einer Zuordnung zu einem bestimmten Wertungskriterium genau abgrenzen, wie sich das Auftreten nach außen hinsichtlich seiner Art und seines Umfangs darstellen muß. Ansonsten wird die Bestimmung einer Stellung als Geschäftsführer nämlich lediglich auf das gleichermaßen unbestimmte Merkmal eines Auftretens als Geschäftsfiihrer verlagert.

unberilcksichtigt bliebe, wer tatsIcblich Ober die Stellung eines Konkursantrages entscheide und zudem automatisch leitende Angestellte in den Kreis der Vcrpflichtetcn einbezogen WOrden.

Kapitel 9

Schluß betrachtung Durch die Übertragung der zivilrechtlichen Strukturmerkmale der Geschäftsführung auf den strafrechtlichen Geschäftsführerbegriff konnten somit Wertungskriterien fiir die Inhaltsbestimmung der Täterbeschreibungen in den Geschäftsführerdelikten gewonnen werden, die jedenfalls fiir sich in Anspruch nehmen können, durch die Übernahme erkennbarer Wertentscheidungen des Gesetzgebers legitimiert zu sein. Darüber hinaus dient es zweifellos der Rechtssicherheit, wenn im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechungspraxis die konkreten Tätigkeitsmerkmale des Einzelfalls vom prinzipiellen Ansatz her nicht mehr nur dem vergleichsweise diffusen Begriff einer nach Art und Umfang als tatsächliche Geschäftsfiihrung einzuordnenden Funktion gegenübergestellt, sondern einer abschließenden Zahl von generellen, kumulativ erforderlichen Wertungskriterien zugeordnet werden. Durch dieses Vorgehen lassen sich einerseits die Anforderungen an die konkreten Tätigkeitsmerkmale genauer bestimmen, da diese in ihrer konkreten Ausgestaltung jetzt den hinreichend sicheren Schluß auf ein bestimmtes der generellen Wertungskriterien zulassen müssen. Zudem erfährt die Bewertung der einzelnen Tätigkeitsmerkmale eine Strukturierung, die nicht nur die Erkennbarkeit der Strafdrohung erleichtert. sondern auch die Überprüfbarkeit richterlicher Entscheidungen erhöht.

I. Überprüfung des praktischen Nutzens des erarbeiteten Konzepts Wenn das vorgeschlagene Verfahren damit vom methodischen Ansatz her auch geeignet erscheint, den Unsicherheiten der bisherigen Rechtsprechungspraxis zu begegnen, so bleibt zu überprüfen, ob sich auf diesem Wege im Rahmen einer praktischen FallOsung brauchbare Ergebnisse erzielen lassen. Dazu müßte die Anwendung der gewonnenen Wertungskriterien zu randscharfen Abgrenzungen des tauglichen Täterkreises der Geschäftsführerdelikte im Einklang mit der hinter diesem Bestimmungen stehenden gesetzlichen Konzeption führen.

Kapitel 9: ScblußbetIadrtung

126

Dies soll durch eine Anwendung des dargestellten Konzeptes auf die zu Anfang der Untersuchung formulierten Fallbeispiele1 geklärt werden. Wie bereits dargelegf, können über die Tauglichkeit der dort beschriebenen Personen als Täter der Geschäftsführerdelikte bei Zugrundelegung der bisherigen BGHEntscheidungen zu dieser Frage keine eindeutigen Aussagen getroffen werden können. Denn die Fallbeispiele unterscheiden sich zwar von den Sachverhalten in den bisherigen BGH-Entscheidungen insoweit, als die Beteiligten hier lediglich ihre legitim erscheinenden Befugnisse ausgeübt und keine geplanten Gesetzesumgehungen initiiert haben3 bzw. weil die Gesellschafter an der Funktionszuweisung nicht beteiligt waren4 • Gleichwohl wäre eine Verurteilung der Handelnden unter Heranziehung der vom BGH aufgestellten Grundsätze wohl ohne weiteres möglich. Das hier vorgeschlagene Konzept könnte seinen Nutzen somit dadurch erweisen, daß es in diesen Fällen zu eindeutigen Aussagen führt und diese sich statt aus allgemeinen Erwägungen aus dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen bestimmter Wertungskriterien ergeben. 1. Zu Fallbeispiell Der hier beschriebene Prokurist war ersichtlich imstande, sowohl die organtypischen Befugnisse auszuüben als auch rechtsgeschäftliche Verpflichtungen der Gesellschaft in beliebigem Umfang zu bewirken. Aufgrund seiner erfolgreichen Drohungen gegenüber dem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsfiihrer bestand diese Position auch nachhaltig. In wesentlicher Hinsicht entsprach seine tatsächliche Stellung also der eines Geschaftsführers. Jedoch sind ihm die genannten Kompetenzen von dem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer und nicht von den Gesellschaftern verliehen worden. Die einvernehmliche Zuweisung der Geschäftsfiihrungsbefugnisse durch die Gesellschafter ist aber erforderliches Wertungskriterium fiir die Annahme einer Geschäftsführerstellung. P kann daher kein tauglicher Täter der Geschäftsfiihrerdelikte sein. Dieses Ergebnis findet zudem seine innere Rechtfertigung darin, daß es sich bei der Funktionsverlagerung vom ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer aufP um einen Vorgang unterhalb der Ebene der korporativen Zuständigkeitsordnung handelt, der daher von den an Organe gerichteten Bestimmungen nicht erfaßt werden kann.

1 Siebe oben s. 2Sf. 2 Siehe oben S. 6Sf. 3 Beispiele 2 und 3. 4 Beispiel 1.

I. Überprilfung des praktiachcn Nutzens des enubeiteten Konzepts

127

2. Zu Fallbeispiel 2 M weist - obwohl Gesellschafter - eine Reihe von Merkmalen auf, die fiir die Stellung eines Geschäftsfiihrers eigentümlich sind. Er kann kraft seines Weisungsrechtes durch Anweisungen an den Geschäftsfiihrer ohne weiteres organtypische Befugnisse ausüben, z. B. eigenverantwortlich die Stellung eines erforderlichen Konkursantrages in die Wege leiten. Auch eine einvernehmliche Zuweisung dieser Befugnisse durch die Mehrheit der Gesellschafterversammlung liegt vor, da M diese Mehrheit selbst repräsentiert. Es fehlt ihm jedoch in Variante a die Fähigkeit, die Gesellschaft selbst und direkt rechtsgeschäftlieh zu verpflichten. Da dies jedoch notwendiges Wertungskriterium ist, kann M hier nicht als Geschaftsfiihrer angesehen werden. Anders verhalt es sich in Variante b, worin M selbst zu rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen ausdrücklich oder stillschweigend ermächtigt ist. Diese unterschiedliche Behandlung zweier sehr ähnlicher Fallgestaltungen findet auch ihre innere Rechtfertigung. Während in Variante ader Geschäftsfiihrer nämlich in sämtliche Geschäftsvorgänge eingebunden ist und aufgrund dieser Kontrollmöglichkeit die ihm im öffentlichen Interesse auferlegten Pflichten ausüben kann, ist es M in Variante b möglich, an dem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsfiihrer vorbei Geschäftsführungsmaßnahmen auszuführen und damit das Schutzkonzept des GmbHG auszuhöhlen.

J. Zu Fallbeispiel J Auch B weist die Mehrzahl der wesentlichen Merkmale einer GeschäftsführersteIlung auf. Zum einen wurden ihm seine Kompetenzen durch eine Zuweisung des Alleingesellschafters verliehen. Diese umfaßten aufgrund der Anweisung an den ordnungsgemäß bestellten Geschäftsfiihrer auch die rechtsgeschäftliche Verpflichtung der Gesellschaft. Hinsichtlich der organtypischen Befugnisse war es ihm auch sicherlich möglich, umfassende Informationen über die Gesellschaft zu erhalten und er konnte zudem den Alleingesellschafter über etwaige Verluste der Gesellschaft informieren. Es fehlte ihm jedoch an der Befugnis, ggf. eigenverantwortlich einen Konkursantrag stellen zu können, da dies von der Ermächtigung des Gesellschafters wohl nicht umfaßt war. B konnte daher nicht Täter der Geschäftsfiihrerdelikte, auch nicht des § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG sein. Dieses Ergebnis - die Fähigkeit zur Konkursantragstellung als Voraussetzung einer Strafbarkeit wegen Geschäftslagetäuschung - erscheint auf den ersten Blick widersinnig, entspricht aber der gesetzgeberischen Konzeption der Geschäftsfiihrerdelikte.

Kapitel 9: Schlußbetrachtung

128

Die Ausgestaltung der Geschaftsführerdelikte als echte Sonderdeliktes läßt nämlich erkennen, daß für die Bestimmung des Täterkreises nicht jede konkrete Gefährdung der geschützten Rechtsgüter maßgeblich sein soll. Vielmehr sind nur Geschaftsführer als eine Personengruppe erfaßt, von der typischerweise eine erhöhte Gefährdung ausgeht bzw. die erhöhte Schutzpflichten hat. Für die Strafbarkeit wegen Geschäftslagetäuschung bedeutet dies etwa, daß nicht jeder, der im Einzelfall den Rechtsverkehr über Verhältnisse der Gesellschaft irreführen kann, als tauglicher Täter in Betracht kommt. Demgegenüber triffi: die Strafdrohung in jedem Fall denjenigen, der die Stellung eines Geschäftsfiihrers hat, weil dieser typischerweise für die Gesellschaft auftritt, auch wenn dies - etwa bei entsprechender interner Ausgestaltung seiner Stellung im Einzelfall nicht geschieht. Wie bereits ausführlich gezeigt6, kommen einer solchen Stellung aufgrund der zivilrechtlichen Regelung der Geschaftsführerschaft verschiedene unverzichtbare Elemente zu. Als Geschaftsführer kann daher einerseits nur derjenige bezeichnet werden, der diese Position in allen Aspekten ausfüllt. Auf der anderen Seite treffen ihn auch die Strafdrohungen sämtlicher Geschaftsführerdelikte7 • Davon geht stillschweigend wohl auch der BGH aus, wenn er normübergreifend die Voraussetzungen faktischer Geschäftsführung einheitlich bestimmt8 • Der wesentliche Unterschied der hier vertretenen Auffassung liegt allerdings darin, daß vom Grundsatz her nicht typische Tätigkeiten für die Bestimmung einer Geschaftsführerstellung maßgebend sind, denn bei der Ausgestaltung des konkreten Tätigkeitsbereichs sind die Beteiligten weitgehend frei9 . Vielmehr ist an die typischen Kompetenzen anzuknüpfen, da nur diese sich dem gesetzlichen Konzept entnehmen lassen10 • Der ordnungsgemäß bestellte Geschaftsführer verfugt über sämtliche dieser Kompetenzen kraft seiner Rechtsmacht. Alle anderen Personen, die als Geschäftsführer angesehen werden sollen, müssen demgegenüber - in jeder Hinsicht - entsprechende tatsächliche Handlungsmöglichkeiten haben. Das im Beispielsfall 3 gefundene Ergebnis - die Untauglichkeit des B als Täter der Geschaftsführerdelikte - widerspricht auch nicht dem Schutzzweck der gesetzlichen Regelung. Täter einer Konkursverschleppung (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) könnte B schon deshalb nicht sein, weil er die Stellung eines Konkursantrages nicht einmal indirekt zu bewirken imstande war. Aber auch § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG verlangt keine Einbeziehung in den Kreis der taugS Zu § 82 GmbHG siehe etwa oben S. IS. 6 Siehe oben S. 1061f. 7 Siehe oben S. 94. 8 Siehe oben S. 4S. 9 Siehe oben S. 106. 10 Siehe oben S. 110.

I. Überpt11fung des pnktiscben Nutzens des ervbeitetcn Konzepts

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lichen Täter. Diese Vorschrift schützt nämlich nur vor falschen Angaben solcher Personen, die von den Gesellschaftern mit umfassenden Organkompetenzen ausgestattet wurden. Bei nicht dementsprechend formal als Organ ausgewiesenen oder sonst legitimierten Personen trägt der Rechtsverkehr damit das Risiko, daß diese nicht als Geschäftsfiihrer anzusehen sind. Dies zeigt schon der Vergleich mit dem Fall einer nicht im Unternehmen tätigen Person, die Falschangaben im Sinne von § 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG macht. Deren Qualifizierung als tauglicher Sonderdeliktstäter hängt nämlich allein davon ab, ob der Betreffende - etwa in bewußter Übernahme einer "Strohmann" -Stellung ordnungsgemäß zum Geschäftsführer bestellt ist oder nicht, und zwar unabhängig von seiner Eintragung ins HandelsregisterIl oder sonstiger Kenntnis des Rechtsverkehrs l2 . Im Beispielsfall 3 mag daher - je nach den sonstigen Umständen - betrügerisches Verhalten mit entsprechenden zivil- und strafrechtlichen Folgen vorliegen, nicht jedoch eine Strafbarkeit wegen Geschaftslagetäuschung.

4. Ergebnis Das vorgeschlagene Konzept konnte daher selbst in den Beispielsfällen, die sich - wie etwa die Varianten zeigen - sicherlich im Grenzbereich des tatbestandlichen Rahmens der Geschäftsführerdelikte bewegen, zu präzisen Grenzziehungen führen. Trotz der Verschiedenartigkeit der Fälle konnten dabei die konkreten Tätigkeitsmerkmale jeweils auf eines der Wertungskriterien zurückgeführt werden. Dies läßt sich auch für weitere denkbare Möglichkeiten fortsetzen. So muß etwa die Intensität der Einwirkung auf die Geschäftsführung einen Grad erlangen, der z. B. auf eine unbeschränkte Verpflichtungsbefugnis des Betroffenen schließen läßt. Das Übergewicht des faktischen Geschäftsführers gegenüber einem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer muß bei Fehlen anderer Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kompetenz zur Bewirkung organtypischer Akte schließen lassen\3. Ähnliches gilt für ein äußeres Auftreten des faktischen Geschäftsführers. Auch dies ist keine unabdingbare Voraussetzung faktischer Geschäftsführung, kann jedoch Indizwirkung in Bezug auf den Umfang der Vertretungsbefugnis oder ein Einvernehmen bei der Zuweisung der Organstellung haben. Dann muß dieses äußere Auftreten zur Überzeugung II Siehe oben S. 21.

12 Vgl. oben S. 18ft:

\3 A A KohImann, Verantwort1ichkeit, Rz. 19; denelbe in Hachenburg. § 84 GmbHG, Rz. 25, wonach das ..Übergewicht" zu einer Behcnschung des formell bestellten Geschlftsfllhrers filhren muß, weil nur dam die Erfll1lung der strafbewehrten OrganpfIichtcn nicht mehr gewlhrleistet ist; ebenso Kratzsch, ZGR 1985, 506, 528; 000, StV 1984, 462, 463. 9 Montag

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Kapi1c19: Scblußbetnddung

des Gerichts aber auch den Schluß auf eine entsprechende interne Kompetenzverteilung zulassen, wogegen die Beurteilung durch Außenstehende insoweit keine Rolle spielt. Insgesamt hat sich damit aber auch gezeigt, daß die Strafvorschriften des GmbH-Rechts mittels der üblichen Auslegungsmethoden sowie der Anwendung anerkannter dogmatischer Regeln zur Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale eine inhaltlich hinreichend genaue Begriffsbestimmung der Täterbeschreibung und dementsprechend eine praktikable Abgrenzung des Normadressatenkreises der Geschäftsfiihrerdelikte zulassen. Das Gesetz weist demzufolge keineswegs eine verfassungsrechtlich bedenkliche Unbestimmtheit auf, so daß sich insoweit auch ein Rückgriff etwa auf das Gebot zur verfassungskonformen Auslegung erübrigt. Nicht verstellt ist auf der anderen Seite die Möglichkeit der Erfassung selbst unvorhergesehener Sachverhaltsgestaltungen, die gleichwohl dem materiellen Unwerturteil des Gesetzes unterfallen.

11. Überprüfuna der neueren Rechtsprechung anhand der vorgeschlagenen Lösung Zum Abschluß der Untersuchung stellt sich jetzt noch die Frage, inwieweit die wichtigsten, ihrem Inhalt nach bereits dargestellten Entscheidungen des BGH auch unter Zugrundelegung der im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Lösung einer Überprüfung standhalten.

1. BGHSt 3, 32 In BGHSt 3,3214 kann von der Feststellung, der Angeklagte sei die "Seele des Geschäfts" gewesen und habe auf sämtliche Geschäftsvorgänge bestimmenden Einfluß ausgeübt, sicherlich auch auf einen umfassenden informationsstand über alle wesentlichen Geschäftsvorgänge im Unternehmen geschlossen werden. Als einem Hauptgesellschafter der GmbH war es ihm wohl auch ohne weiteres möglich, die übrigen Gesellschafter jederzeit über wichtige Entwicklungen des Unternehmens zu informieren. Auch die Stellung eines Konkursantrages konnte er selbst gegen den Willen der Gesellschafterversammlung bewirken, da er zum einen zusammen mit dem Strohmanngeschäftsfiihrer Hauptgesellschafter war und damit die Willensbildung der Gesellschafterversammlung beeinflussen konnte und überdies den Namen des ordnungsgemäß bestellten Geschä:ftsfiihrers selbst auf wichtigen Schriftstükken benutzen durfte. Hierdurch sowie durch die entsprechende ausdrückliche Bevollmächtigung war er auch imstande, in eigener Person umfassende rechtsgeschäftliche Verpflichtungen der Gesellschaft vorzunehmen. 14 Siehe dazu im einzelnen oben

s. 38Jf.

11. Überprilfung der neueren Rechtsprec:hung anband der vOI'geschlagenen Lösung

131

Für die einvernehmliche Zuweisung einer faktischen Organstellung enthält die Entscheidung mehrere Anhaltspunkte. Zum einen ist hier die erteilte Generalvollmacht zu nennen, zum anderen aber auch das äußere Auftreten als Geschäftsführer, das bei Kenntnis durch die Gesellschafter zumindest ein stillschweigendes Einverständnis darstellt. Zudem erhielt er das Gehalt eines Geschäftsführers, wodurch die Funktionsverteilung im Unternehmen :fiir alle Beteiligten erkennbar war. Da der Angeklagte die ihm zugewiesene Position eingenommen und in weitem Maße ausgefüllt hatte, ergibt sich schließlich auch sein Einverständnis mit dieser Funktionszuweisung. Im Ergebnis wäre der Angeklagte nach heutiger RechtslageiS damit potentieller Normadressat der Geschäftsführerdelikte gewesen. 2. BGHSt 21, 101 Auch der Angeklagte in BGRSt 21, 10116 kommt als möglicher Täter der Organdelikte in Betracht. Offensichtlich war er die einzige in Leitungsfunktion tätige Person im Unternehmen, da der Strohmanngeschäftsfiihrer nur hinzugezogen wurde, wenn dies aus formalen Gründen notwendig wurde. Der danach unumschränkte Umfang seiner Befugnisse bestand wohl auch nachhaltig, denn die Gesellschafter waren seine Strohmänner. Da er zudem die Gründung des Unternehmens selbst betrieben und die gesamte Umgehungskonstruktion im eigenen Interesse initiiert hatte, steht auch die Einvernehmlichkeit und Erkennbarkeit der Funktionszuweisungen im Unternehmen fest. 3. BGHSt 31, 118 Weni~er

31,1181

eindeutig erscheint dagegen die Sachverhaltsgestaltung in BGRSt



Die Verpflichtungsbefugnis des Angeklagten ergibt sich zwar aus seiner tatsächlichen Tätigkeit im Unternehmen sowie aus dem Umstand, daß er bei Verfügungen über das Geschäftskonto jederzeit auf die Mithilfe seiner allein verfügungsberechtigten Ehefrau zählen konnte. Die Einvernehmlichkeit und Erkennbarkeit der Zuweisung seiner Position im Unternehmen läßt sich daran erkennen, daß er die Unternehmensgriindung maßgeblich betrieben hatte und auch ansonsten die treibende Kraft war. Insoweit ist dem BGR zuzustimmen, daß die offizielle Einstellung als Bote und Hausmeister und das entsprechend niedrige Gehalt dieser Schlußfolgerung nicht entgegenstehen. Das Einver-

1S BGHSt 3, 32 erging zu den inzwischen außer Kraftgc:tretenen §§ 81 a und 83 GmbHGL F. 16 Siehe dazu im einzelnen oben s. 41ft: 17 Siehe dazu im einzelnen oben S. 43ft:

Kapitc19: Scblußbetrachtung

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ständnis der Gesellschafter mit der Funktionszuweisung ergab sich zudem daraus, daß die von den Beteiligten gewählte Umgehungskonstruktion im Einverständnis mit seiner Ehefrau und dem Minderheitsgesellschafter vorgenommen worden war. Auch war der Angeklagte gut über nahezu alle geschäftlichen Interna informiert und konnte über den Einfluß auf seine Ehefrau in ihrer Funktion als Hauptgesellschafterin wohl auch eine Unterrichtung der Gesellschafterversammlung bewirken. Näherer Feststellung hätte jedoch die Frage bedurft, ob der Angeklagte auch zur Bewirkung der Konkursantragstellung unabhängig von der Zustimmung anderer Personen tatsächlich befähigt war. Hier hatte der Angeklagte zwar eine überragende Stellung im Verhältnis zur eingetragenen Geschäftsführerin inne, diese nahm aber Geschäftsführungsaufgaben in erheblichem Umfang selbst wahr. Die Entscheidung läßt an dieser Stelle die genaue Feststellung vermissen, daß der Einfluß des Angeklagten auf die Geschäftsführerin in jedem Fall ausgereicht hätte, um diese bei Konkursreife des Unternehmens zu einer Konkursantragstellung zu bewegen. Die Feststellung, ein Sanierungsversuch sei "von den Eheleuten" abgelehnt worden, reicht hier nicht aus, da dies auch fiir ein Mitspracherecht der Geschäftsführerin sprechen könnte, das einer eigenverantwortlichen Entscheidungsmöglichkeit des Angeklagten dann entgegengestanden hätte. Nach der hier vertretenen Auffassung trägt der zugrundegelegte Sachverhalt daher die Verurteilung des Angeklagten nicht. Es fehlte nämlich das Wertungskriterium der Befähigung zur Ausübung organtypischer Befugnisse, hier ggf. eigenverantwortlich die Stellung eines Konkursantrages bewirken zu können. Für den der Entscheidung zugrundeliegenden Vorwurf der Konkursverschleppung (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbRG) ergibt sich dies im übrigen schon daraus, daß der Anfieklagte insoweit keine Möglichkeit normgerechten Verhaltens gehabt hätte 8 • Mit dieser Entscheidung hat der BGR daher den hier aufgezeigten tatbestandlichen Rahmen der Geschäftsführerdelikte überschritten.

4. OLG Düsseldod, NJW 1988,3166 Zusätzlich soll hier noch die im Schrifttum kritisierte Entscheidung des OLG Düsseldort 9 überprüft werden. Das OLG hatte festgestellt, daß die Angeklagten alle wesentlichen Entscheidungen gemeinsam trafen und der nicht

18 Siehe dazu oben

s. SSff. sowie s. 97ff.

19 Siehe dazu oben S. 48.

11. Übcrprilfimg der neueren Rechtsprechung anIwld der vorgeschlagenen LOsung

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als Geschäftsführer eingetragene Angeklagte insoweit kein Übergewicht gegenüber dem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer gehabt habe. Das entscheidende Wertungskriterium ist also wiederum die Befugnis zur eigenverantwortlichen Stellung des Konkursantrages durch den nicht Eingetragenen. Diese Befugnis hatte der Angeklagte aber wohl nicht, da weder ein überragender Einfluß auf den ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer noch sonstige Möglichkeiten zur Bewirkung eines Konkursantrages festgestellt wurden. Der Entscheidung ist daher trotz der im Schrifttum erhobenen Einwände zuzustimmen. So wurde bemängelt, dieses Ergebnis widerspreche den Regeln der Logik, da im Falle zweier nicht eingetragener Geschäftsführer jeder der beiden zu verurteilen gewesen wäre, so daß die Strafbarkeit des Täters hier von der ordnungsgemäßen Bestellunfo nicht seiner selbst, sondern der des Mitgeschäftsführers abgehangen habe . Andererseits wird die Entscheidung :fiir inkonsequent gehalten, da eine arbeitsteilige Geschäftsfiihrung ein besseres Indiz :fiir eine faktische Geschäftsführerstellung sei als das vom BGH geforderte Übergewicht, denn ein solches Übergewicht ergebe sich aufgrund der Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer gerade bei solchen Personen, die keine Geschäftsfiihrungsaufgaben wahrnähmen, etwa bei Mehrheitsgesellschaftern21 • Diese Einwände lassen sich ausräumen, wenn die Befugnis zur eigenverantwortlichen Bewirkung des Konkursantrages als entscheidendes Wertungskriterium angesehen wird. Dann ist nämlich zum einen nicht sicher, daß auch bei der Nichtbestellung des zweiten Geschäftsführers beide Angeklagte zu verurteilen gewesen wären. In diesem Falle hätte nämlich nachgewiesen werden müssen, daß beide unabhängig voneinander zur eigenverantwortlichen AntragsteIlung imstande gewesen wären, etwa durch Einfluß auf einen Strohmann. Nach den bisherigen Erkenntnissen handelt "als Geschäftsführer" nämlich nicht schon derjenige, der eine verantwortliche Person von der Pflichterfiillung abhalten kann, sondern nur, wer selbst die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Pflichterfiillung hat. Die Strafbarkeit hängt damit nicht von der Eintragung des ,,Mitgeschäftsführers" ab, sondern von dem jeweiligen Vorliegen der organtypischen Kompetenzen beim Täter selbst. Andererseits ist das "Übergewicht" gegenüber dem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsfiihrer als Tätigkeitsmerkmal nur beachtlich, soweit dessen konkrete Ausgestaltung auf das Vorliegen eines der im Rahmen dieser Arbeit aufgestellten Wertungskriterien schließen läßt. Im Falle eines Mehrheitsgesellschafters wird daraus zwar in der Regel die Befähigung zur Bewirkung organtypischer Akte zu entnehmen sein. Das weiter erforderliche Kriterium der Befähigung zur direk20 Hoyer, NStZ 1988,369. 21 K. Schmidt, Strafbarkeit, S. 428.

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Kapitel 9: Scblu8bctraclltung

ten rechtsgeschäftlichen VeIpflichtung der Gesellschaft läßt sich aber wohl nur in Ausnahmefällen feststellen. Sollte dies jedoch der Fall sein. so wäre der Einflußnehrnende auch zu Recht als faktischer Geschäftsführer zu qualifizieren.

Kapitel 10

Zusammenfassung in Thesen

I. Das RG maß einem Bestellungsakt. der nach den Absichten der Beteiligten wirksam sein sollte, entscheidende Bedeutung für die Täterqualifikation im Sinne der Geschäftsführerdelikte zu. An die bewußte Unterlassung einer formellen Bestellung sah sich das RG, zumindest bei Vorhandensein eines ordnungsgemäß bestellten Strohmannes, auch im Rahmen der strafrechtlichen Bewertung gebunden.

11. Der BGH dehnt trotz Berufung auf diese Rechtsprechung den Adressatenkreis der Geschäftsfiihrerdelikte des GmbHG der Sache nach auch auf Personen aus, die neben einem ordnungsgemäß bestellten Organ in Geschäftsfiihrerfunktion tätig werden, selbst wenn ihre Bestellung bewußt vermieden wurde.

111. Da der BGH im Rahmen seiner Rechtsprechung weder den Wortlaut der Vorschriften überschreitet noch ein Verstoß gegen den Gesetzeszweck erkennbar ist, kann eine Verletzung des Analogieverbotes nicht festgestellt werden. Insbesondere entfaltet auch die Regelung des § 14 Abs. 3 StGB keine "Sperrwirkung" bei der Auslegung des Geschäftsführerbegriffs.

IV. Die Rechtsprechung ist grundsätzlich nicht Adressat des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes, sondern allenfalls des Gebotes der verfassungskonformen Auslegung von Rechtsnormen. Auch dieses ist durch die BGHRechtsprechung aber nicht verletzt, da die an den Geschäftsführer gerichteten Strafbestimmungen des GmbHG eine hinreichend genaue Abgrenzung des möglichen Täterkreises zulassen und das Gebot der verfassungskonformen Auslegung von Rechtsnormen daher insoweit nicht zur Anwendung kommt.

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KapitcllO: Zusammenfassung in Thesen

v. Weder der direkte Rückgriff auf den engen zivilrechtlichen Statusbegriff des Geschäftsführers noch dessen grundsätzliche Nichtbeachtung sind geeignete Ansätze zur Bestimmung des Adressatenkreises der Geschäftsführerdelikte. Dieser läßt sich vielmehr aus einer Inhaltsbestimmung der strafrechtlichen Täterbeschreibungen »Wer als Geschäftsführer [... ]" herleiten. Dabei handelt es sich zwar um normative Tatbestandsmerkmale. nicht jedoch um unbestimmte Rechtsbegriffe im engeren Sinne.

VI. Aufgrund des strengen Gesetzesvorbehaltes im Strafrecht ist die Rechtsprechung verpflichtet. dem Gesetz durch weitestmögliche Ermittlung seines Regelungsgehaltes Geltung zu verschaffen. Diesem richterlichen Konkretisierungsauftrag ist der BGH nicht in genügendem Umfang nachgekommen.

VII. Die systematische Auslegung der Geschäftsführerdelikte des GmbHG zeigt. daß die einheitlich verwandten Täterbeschreibungen auch inhaltlich übereinstimmen müssen. Dabei dürfen die aus einer der Strafnormen ableitbaren, vergleichsweise strengsten Voraussetzungen fiir die Bestimmung des möglichen Täterkreises bei der Auslegung der übrigen Normen nicht unterschritten werden.

VIII. Die Täterbeschreibung der Geschäftsführerdelikte überläßt dem Rechtsanwender einen Bereich eigener Wertung. nimmt aber auf die zivilrechtlichen Regelungen der Geschäftsführerschaft erkennbar Bezug. Dadurch erhalten diese den Charakter eines verbindlichen außerstrafrechtlichen Ordnungssystems. an dem der Rechtsanwender seine Eigenwertung auszurichten hat.

IX. Die zivilrechtlichen Regelungen über die Geschäftsführung geben deren konkrete inhaltliche Ausgestaltung nicht vor. Ihnen lassen sich als Wesensmerkmal der Geschäftsführerschaft aber bestimmte. unabdingbare Kompetenzen des Geschäftsführers entnehmen. die diesem einvernehmlich verliehen werden.

Kapitel 10: Zusammenfassung in Thesen

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x. Diese zivilrechtlichen Wesensmerkmale teilen sich auch dem strafrechtlichen Geschäftsführerbegriff mit. Normadressat der Sonderdelikte kann demnach nur sein, wer umfassende Informationen über die Lage des Unternehmens erhalten, die Gesellschafterversammlung unterrichten, eigenverantwortlich die Stellung eines Konkursantrages bewirken sowie die Gesellschaft unbeschränkt rechtsgeschäftlich verpflichten kann und wem diese Kompetenzen im Einvernehmen mit den Gesellschaftern verliehen wurden.

XI. Wer nicht aufgrund der Bestellung zum Organ die entsprechende Rechtsmacht hat, kann nur dann als Geschäftsführer im strafrechtlichen Sinne angesehen werden, wenn er aufgrund seiner tatsächlichen Stellung im Unternehmen die genannten Befugnisse vergleichbar nachhaltig ausüben kann.

XII. Die genannten Befugnisse und deren einvernehmliche Zuweisung stellen abschließend die für das Vorliegen faktischer Geschäftsführung kumulativ erforderlichen Wertungskriterien dar. Den im Einzelfall konkret vorliegenden Tätigkeitsmerkmalen kommt demgegenüber nur indizielle Funktion in Richtung auf diese Kriterien zu.

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